Die alltägliche Romantik: Gewöhnliches und Phantastisches, Lebenswelt und Kunst 9783110456943, 9783110455373

Examining the role of everyday life for art and in art opens a new perspective on the Romantic era’s supposed struggle a

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German Pages 336 [338] Year 2016

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Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Lebenswelt und Kunst(Philosophie)
Austern und Wein, Kunst und Philosophie: Die Ambivalenz des Alltäglichen in Hegels Ästhetik
Ende im Alltag – Anfang der Beliebigkeit: Die Auflösung der romantischen Kunstform bei Hegel und der Ausklang der Romantik in der vormärzlichen Literaturhistoriografie
Alles/Nichts: Romantische Kompensation prosaischen Alltags bei E. T. A. Hoffmann
Die Nachtseiten des Städtischen in der europäischen Romantik
(Kunst)Handwerk und Wissen
Handwerk, Geld und Kunst: Achim von Arnims Sittengemälde »Die drei Liebreichen Schwestern und der Glückliche Färber«
Das »Wahrhaft Bürgerliche« als Zukunftsfigur in Tiecks »Der Junge Tischlermeister«
Geselligkeit, das Spiel im Spiel, Realitätsverlust und Transgression: Zum Motiv des Kartenspiels in Texten der Goethezeit
Brief und Buch
Stadt versus Land: Lebensräume in Wunsch und Realität Mit unpublizierten Texten aus dem Ehebriefwechsel zwischen Achim und Bettine von Arnim
Dichtung und Alltag: Ludwig Achim von Arnims Wiepersdorfer Jahre (1814–1831)
Phantastisches und Alltägliches: Zum poetischen Verfahren Bettine von Arnims
Bettinas musikalischer Alltag in München und Landshut 1808/09
Die Eliminierung des Alltags in den »Hinterlassenen Schriften« Philipp Otto Runges: Ein unbekanntes Prinzip vorkritischer Editionspraxis?
Vom alltäglichen Leben zum Kunstobjekt: Buchgestaltung in der Romantik
Krieg und Alltag
Die Kunst in Zeiten des Krieges: E.T.A. Hoffmann in Dresden und Leipzig
»Die Alltäglichkeit der Zeitungsschreiberei«: Achim von Arnim als Redakteur des »Preußischen Correspondenten«
»Ich habe einen Ekel bekommen gegen das Kriegswesen«: Arnims Alltag in Königsberg 1806/07
Der alte und der neue Alltag: Blick nach Aussen, Blick nach Innen
Menzels Realien: Über das Alltägliche als Wahrnehmungsexperiment
»Vergiss nicht die roten Rüben einzumachen … Erkälte dich nicht, sei streng gegen die Kinder«: Krankheit zwischen Alltag und Dichteramt im Briefwechsel von Achim und Bettina von Arnim
Krankheit als romantischer Alltag in Achim von Arnims »Der tolle Invalide« und »Frau von Saverne«
»Wer hat von meinem Tellerchen gegessen?« Essen und Trinken in den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm
»Die Kartoffeln in der Schale«: Arnims Reise in die Provinz
Literaturverzeichnis
Namenregister
Verzeichnis der Beiträgerinnen und Beiträger
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Die alltägliche Romantik: Gewöhnliches und Phantastisches, Lebenswelt und Kunst
 9783110456943, 9783110455373

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Schriften der Internationalen Arnim-Gesellschaft Band 11

Die alltägliche Romantik Gewöhnliches und Phantastisches, Lebenswelt und Kunst Herausgegeben von Walter Pape unter Mitarbeit von Roswitha Burwick

De Gruyter

ISBN e-ISBN (PDF) e-ISBN (EPUB) ISSN

978-3-11-045537-3 978-3-11-045694-3 978-3-11-045617-2 1439-7889

Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Walter Pape, Köln Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX LEBENSWELT UND KUNST(PHILOSOPHIE) Bernd Hamacher Austern und Wein, Kunst und Philosophie: Die Ambivalenz des Alltäglichen in Hegels Ästhetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Norman Kasper Ende im Alltag – Anfang der Beliebigkeit: Die Auflösung der romantischen Kunstform bei Hegel und der Ausklang der Romantik in der vormärzlichen Literaturhistoriografie . . . . . 13 Gert Theile Alles / Nichts: Romantische Kompensation des prosaischen Alltags bei E. T. A. Hoffmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Steffen Dietzsch Die Nachtseiten des Städtischen in der europäischen Romantik . . . . . . . . . 41

(KUNST)HANDWERK UND WISSEN Michael Bies Handwerk, Geld und Kunst: Achim von Arnims Sittengemälde »Die drei liebreichen Schwestern und der glückliche Färber« . . . . . . . . . . . 57 Stefan Nienhaus Das »wahrhaft Bürgerliche« als Zukunftsfigur in Tiecks »Der junge Tischlermeister« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Yvonne Pietsch Geselligkeit, das Spiel im Spiel, Realitätsverlust und Transgression: Zum Motiv des Kartenspiels in Texten der Goethezeit . . . . . . . . . . . . . . . . 79

VI

Inhalt

BRIEF UND BUCH Renate Moering Stadt versus Land: Lebensräume in Wunsch und Realität: Mit unpublizierten Texten aus dem Ehebriefwechsel zwischen Achim und Bettine von Arnim . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 Holger Schwinn Dichtung und Alltag: Ludwig Achim von Arnims Wiepersdorfer Jahre (1814–1831) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Barbara Becker-Cantarino Phantastisches und Alltägliches: Zum poetischen Verfahren Bettine von Arnims . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Ursula Härtl Bettinas musikalischer Alltag in München und Landshut 1808/09 . . . . . . 131 Konrad Feilchenfeldt Die Eliminierung des Alltags in den »Hinterlassenen Schriften« Philipp Otto Runges: Ein unbekanntes Prinzip vorkritischer Editionspraxis? . . . . . . . . 143 Ralph Alexander Schippan Vom alltäglichen Leben zum Kunstobjekt: Buchgestaltung in der Romantik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 KRIEG UND ALLTAG Irmgard Egger † Die Kunst in Zeiten des Krieges: E.T.A. Hoffmann in Dresden und Leipzig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Jürgen Knaack »Die Alltäglichkeit der Zeitungsschreiberei«: Achim von Arnim als Redakteur des »Preußischen Correspondenten« . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Lothar Ehrlich »Ich habe einen Ekel bekommen gegen das Kriegswesen«: Arnims Alltag in Königsberg 1806/07 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 DER ALTE UND DER NEUE ALLTAG: BLICK NACH AUSSEN, BLICK NACH INNEN Oliver Jehle Menzels Realien: Über das Alltägliche als Wahrnehmungsexperiment . . . 209

Inhalt

VII

Stephanie Bölts »Vergiss nicht die roten Rüben einzumachen … Erkälte dich nicht, sei streng gegen die Kinder«: Krankheit zwischen Alltag und Dichteramt im Briefwechsel von Achim und Bettina von Arnim . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Sheila Dickson Krankheit als romantischer Alltag in Achim von Arnims »Der tolle Invalide« und »Frau von Saverne« . . . . 241 Roswitha Burwick »Wer hat von meinem Tellerchen gegessen?« Essen und Trinken in den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm . 257 Christof Wingertszahn »Die Kartoffeln in der Schale«: Arnims Reise in die Provinz . . . . . . . . . . 271 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 Verzeichnis der Beiträgerinnen und Beiträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321

Vorwort

Das Neue konnte mir nur reizend scheinen, Die goldene Alltäglichkeit war nichts; An mich wollt sich Gewohnheit nicht gewöhnen, Was mir gewöhnlich ward, schien mir zuwider. Arnim: Armut, Reichtum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores

»Das Glück [...] liegt [...] in einem behaglichen Abwickeln des ganz Alltäglichen, also darin, daß man ausgeschlafen hat und daß einen die neuen Stiefel nicht drücken.«1 Instettens Bekenntnis gegen Ende von Fontanes Effi Briest trifft sich mit dem Selbstgespräch Bothos in Irrungen, Wirrungen: »Jeder Mensch ist seiner Natur nach auf bestimmte, mitunter sehr, sehr kleine Dinge gestellt, Dinge, die, trotzdem sie klein sind, für ihn das Leben oder doch des Lebens Bestes bedeuten.«2 Resignierte Ernüchterung war nicht Sache der meisten um 1800 Dichtenden, wie man vorsichtig sagen darf. Der Erforscher des Alltags, Pierre Bourdieu, beschreibt demgegenüber ein gängiges Verhaltensmuster der Kunstgläubigen in den »bürgerlichen Tempel« – den Museen –, wonach »die Welt der Kunst im selben Gegensatz zur Welt des alltäglichen Lebens [...] wie das Heilige zum Profanen« steht.3 Auch eine Goethesche Maxime aus Kunst und Althertum warnt: »Das Leben, so gemein es aussieht, so leicht es sich mit dem Gewöhnlichen, Alltäglichen zu befriedigen scheint, hegt und pflegt doch immer gewisse höhere Forderungen im Stillen fort und sieht sich nach Mitteln um, sie zu befriedigen.«4 Denn es war ausgemacht: »Wer gewährt nur Edlen Gunst? / Die hohe Kunst.«5 Angesichts solchen Beziehungsdilemmas von Kunst und Alltag kommt es, dass Novalis zufolge für den Philister die Kunst zu seinem Leben wie der Sonntag zu den übrigen Tagen als »Zirkel von Gewohnheiten« gehört: »Poesie mischen sie nur zur Nothdurft unter, weil sie nun einmal an eine gewisse Unterbrechung ihres täglichen Laufs gewöhnt sind«.6 Und so wird das ›Heilige‹ in der Rezeption dann doch profanisiert und der graue Alltag wird nur golden, wenn er in Arnims ländlichem »Gedankenspiel« Der Ring verklärt wird.7 Ein ähnlich komplexes Dilemma gibt es zwischen dem Autor als Alltagsmenschen und der (Selbst-)Stilisierung als 1 2 3

4 5 6 7

Fontane: Effi Briest – Sämtliche Werke, Abt. I, Bd. 4, S. 285. Fontane: Irrungen, Wirrungen – ebenda, Bd. 2, S. 404. Bourdieu: Zur Soziologie der symbolischen Formen, S. 159–201: V. Elemente zu einer Soziologie der Kunstwahrnehmung, hier S. 199. Goethe: Werke (Weimarer Ausgabe), I. Abth., Bd. 42,2, S. 126. Schlegel: Spruch – Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, Bd. 5, S. 164. Novalis: Blüthenstaub (77.) – Schriften, Bd. 2, S. 447. Arnim: Armut, Reichtum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores – Werke in sechs Bänden, Bd. 1, S. 635.

X

Vorwort

Genie, Magier oder Prophet, der uns in seiner Begeisterung »durch Worte eine unbekannte herrliche Welt zu vernehmen« gibt (Novalis: Heinrich von Ofterdingen)8. Denn: »Dichter und Priester waren im Anfang Eins, und nur spätere Zeiten haben sie getrennt. Der ächte Dichter ist aber immer Priester, so wie der ächte Priester immer Dichter geblieben. Und sollte nicht die Zukunft den alten Zustand der Dinge wieder herbeyführen?« (Novalis: Blüthenstaub).9 Kaum hatte die Aufklärung den bürgerliche Alltag nobilitiert und dem Dichter eine Funktion zugewiesen, da wird die Kunst für autonom erklärt – was sie im Grunde nie war und nie sein kann. Und das nicht nur, weil auch der Dichter-Priester im Alltag Geld verdienen musste, während seine besitzenden Figuren melancholisch wurden, weil er oder sie auch essen, trinken, Kutsche fahren und später auch Eisenbahn fahren und eine Beschleunigung der Alltagswahrnehmung in Kauf nehmen mussten. Eichendorff beginnt seine Autobiographie: »Diese Dampffahrten rütteln die Welt, die eigentlich nur noch aus Bahnhöfen besteht, unermüdlich durcheinander wie ein Kaleidoskop, wo die vorüberjagenden Landschaften, ehe man noch irgendeine Physiognomie gefaßt, immer neue Gesichter schneiden, der fliegende Salon immer andere Sozietäten bildet, bevor man noch die alten recht überwunden.«10 Doch auch die ruhenden Dinge des Alltags bevölkern und beleben auch die Literatur der Zeit, gehört doch die Duplizität von Alltäglichem und Phantastischem zum Begriff der romantischen Poesie. Theodor in E.T.A. Hoffmanns Serapionsbrüdern zieht für den Widerstreit zwischen Alltäglichkeit und überirdischer Kunst ein Fazit für die Musik: Es ist aber das Erbteil von uns Schwachen, daß wir, an der Erdscholle klebend, so gern das Überirdische hinabziehen wollen in die irdische ärmliche Beengtheit. So wird die Sängerin unsere Geliebte – wohl gar unsere Frau! – Der Zauber ist vernichtet, und die innere Melodie, sonst Herrliches verkündend, wird zur Klage über eine zerbrochene Suppenschüssel oder einen Tintenfleck in neuer Wäsche.11

Dass diese Welt sich nicht allein auf die sich scheinbar gegenseitig ausschließenden Gegensätze von Lebenswelt und Kunst, Fest und Alltag beschränkt, sondern aus vielschichtigen Vernetzungen dieser Diskurse besteht, zeigt der vorliegende Band, in dem Kunst, Philosophie und Wissen neben Handwerk und gelebtem Alltag stehen und damit ein komplexes Zeit-Bild schaffen, das im Diskurs von Ästhetik und Philosophie oft ausgegrenzt und damit unsichtbar wird. Der Band versucht in seinen fünf Abschnitten dem gegenzusteuern: Lebenswelt und Kunst (Philosophie), (Kunst)Handwerk und Wissen, Brief und Buch, Krieg und Alltag und Der neue und der alte Alltag: Blick nach Außen, Blick nach Innen. Dem Problem Lebenswelt und Kunst (Philosophie) widmen sich vier Beiträge vorwiegend aus philosophischer und psychologisch-essayistischer Sicht. Bernd Hamacher nimmt zu Beginn in »Austern und Wein, Kunst und Philosophie: Die Ambivalenz des Alltäglichen in Hegels Ästhetik« Hegels provokative These vom 8 9 10 11

Ebenda, Bd. 1, S. 210. Ebenda, Bd. 2, S. 441 (71.). Eichendorff: Tröst-Einsamkeit – Werke in sechs Bänden, Bd. 5, S. 381. Hoffmann: Die Fermate (Serapionsbrüder) – Werke in sechs Bänden, Bd. 4, S. 91–92.

Vorwort

XI

›Ende der Kunst‹ auf, argumentiert jedoch, dass Hegel trotz aller Polemik gegen die Romantik übereinstimmt mit der Bekämpfung einer Auflösung der Prosa ins Alltägliche, d.h. des Verlusts eines substantiellen religiösen Gehalts und der dadurch erzeugten »schlechten Endlichkeit«. Hamacher zeigt, dass »die Kunst in Hegels Ästhetik erst in der Emanzipation von der Religion […], und zwar in einer Hinwendung zum Alltag, wie sie sich etwa im Briefwechsel mit Goethe in kulinarischer Bildlichkeit ausdrückt« zu sich selbst findet. – In seinem Beitrag »Ende im Alltag – Anfang der Beliebigkeit: Die Auflösung der romantischen Kunstform bei Hegel und der Ausklang der Romantik in der vormärzlichen Literaturhistoriografie« setzt sich Norman Kasper noch einmal mit Hegels Analyse der Auflösung der Romantischen Kunstform im Vergleich mit Heines Romantischer Schule auseinander. Dabei ist es ihm vor allem wichtig, vorgefertigte Romantik-Schablonen zu hinterfragen und Epochentypisches im Horizont ihrer »historisch-semantischen Epistemologie« zu behandeln. In seiner Auseinandersetzung mit Pöggeler, Danto und Rosenkranz argumentiert Kasper, dass Hegels Kunstformeneinteilung eher in der Tradition (früh)romantischer Geschichtsphilosophie zu verorten ist. Das Alltägliche muss nach Kasper keineswegs das Ende der Kunst bedeuten, da mit dem wachsenden Interesse an der Gegenwart nach 1830 eine »moderne Schule« die Romantische Schule ablöst. Der Orientierung im Alltag mittels signifikant romantisch aufgeladener Metaphern widmete sich Gert Theile in seinem Beitrag der romantischen Kompensation des prosaischen Alltags bei E.T.A. Hoffmann, indem er die Valenz metaphorischen Sprechens sowohl erkenntnistheoretisch wie auch ästhetisch als Ausdruckshilfe für die Verortung des romantischen Selbstverständnisses im Alltag interpretiert. Er zeigt – u.a. mit Hinweis auf eine psychologisch inspirierte Arbeit – am Beispiel von E.T.A. Hoffmanns Der Sandmann und Der Goldene Topf, wie ein intensives Hinwenden nach Innen parallel läuft mit einem stärkeren Interesse an der Alltagswelt. – In seinen »Nachtseiten des Städtischen« stellt Steffen Dietzsch die These auf, dass Friedrich Schlegel mit seiner Verbindung von Ironie und Urbanität neue Verfahrens- und Darstellungsformen der romantischen Dichtung in Deutschland postuliert, die dann durch Bonaventuras Nachtwachen poetisch umgesetzt sind. Ironie und Gelächter bedeuten nun keineswegs eine Abwendung von der gesellschaftlichen Wirklichkeit; vielmehr ist es gerade das »Hinsehen« auf das Reale, was zu einer neuen Weltwahrnehmung und Stadterfahrung führt. Der zweite Teil (Kunst)Handwerk und Wissen beginnt mit Michael Bies’ Untersuchung »Das Handwerk der Romantik: Achim von Armins Sittengemälde Die drei liebreichen Schwestern und der glückliche Färber«. Arnim entwirft dort ein scheinbar konventionell gearbeitetes, für die Romantik eher ungewöhnliches Handwerksbild, indem er die Handlung in Amsterdam, einer damaligen Welthandelsstadt, und in Berlin zu Beginn des 18. Jahrhunderts ansiedelt. Trotz der Thematik von Kunst, Handwerk, Fabrikenwesen und ökonomisch aufsteigendem Bürgertum, geht es in erster Linie darum, preußische Wirtschaftsgeschichte vor dem Hintergrund der Reformen von 1806 mit den Mitteln der literarischen Romantik zu reflektieren. – Stefan Nienhaus sieht in seinem Beitrag »Handwerk oder Kunst: Kunsthandwerk. Die ›Wallfahrt zum Meisterdiplom‹ in Tiecks Der junge Tischlermeister« den

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Vorwort

Protagonisten Leonard zunächst als Repräsentanten einer ambivalenten Haltung zwischen rückwärtsgewandter Nostalgie und zukunftsorientierter Kritik des »Fabrikwesens«, was als Antizipation des marxistischen Begriffs der Entfremdung infolge der arbeitsteiligen industriellen Produktion gelesen werden kann. Nachdem der Held jedoch mit seinem Ausbruch aus dem Alltag unterschiedliche Grenzerfahrungen durchlebt hat, wird ihm bewusst, dass der »echte Bürger« Arbeit und Familienleben als Einheit erfahren kann und damit Werke produziert, deren Gebrauchswert noch nicht unter dem Zwang der Gewinnmaximierung der kurzlebigen Konsumware steht. – Den Abschluss dieses Teils liefert Yvonne Pietsch mit ihrem Beitrag zum Motiv des Kartenspiels in Texten der Romantik: Das Kartenspiel wird als gesellige Form des Zeitvertreibs anhand von Arnims 1813 veröffentlichtem Trauerspiel Jemand und Niemand exemplifiziert. Dabei geht sie der soziokulturellen Funktion des Kartenspiels und dessen Relevanz der regional jeweils unterschiedlichen Symbolik der Kartenbilder und der Bedeutung des Spiels im Rahmen von (Rollen)spiel als Grundmodus menschlicher Interaktion nach. Mit dem Auftreten der Spielkarten als Akteure auf der Bühne ergibt sich ein »Spiel im Spiel«, in dem die Auseinandersetzung mit Schein und Sein, Rolle und Realität, von Arnim in einem nicht veröffentlichten »Prolog« zum Stück noch pointiert, ausgehandelt wird. Die dritte Themengruppe Brief und Buch beginnt mit Renate Moerings Untersuchung zu Bettine und Achim von Arnims zum Teil fehler- und lückenhaft ediertem Ehebriefwechsel mit dem Titel »Stadt versus Land: Lebensräume in Wunsch und Realität«. Dabei werden nicht allein Bettines vielfache Berliner Wohnungswechsel, sondern auch die Wiepersdorfer Verhältnisse, die wirtschaftlichen Nöte, die Erziehung und das Wohlergehen der ständig wachsenden Familie anschaulich geschildert. So zeigt sich, dass für Arnim die Arbeit im Ländchen Bärwalde nicht nur Erfolge und damit Befriedigung bedeutete, sondern auch Stoff für seine Erzählungen lieferte. Auf der anderen Seite war die Berliner Gesellschaft mit ihren literarischen und künstlerischen Kreisen für Bettine als Schriftstellerin lebenswichtig. – Holger Schwinns Beitrag »Arnim und Wiepersdorf« bildet die Weiterführung des Themas von Alltag in der Stadt und auf dem Land, das nun im Briefwechsel (u. a. mit Friedrich Carl von Savigny und Bettine) und weiteren Dokumenten rekonstruiert wird. In diesem Beitrag geht es in erster Linie um die oft prekäre materielle Situation, die anhand von unpublizierten Abrechnungen Franz und Georg Brentanos zu Bettines Vermögen erörtert wird. Auch Schwinn kommt zu dem Schluss, dass der Wiepersdorfer Alltag ein mit seiner Nähe zur landwirtschaftlichen Lebenswirklichkeit Arnim neue Themenfelder in Bezug auf ›Realismus‹ aufschloss. Der eigentümlichen Verschränkung von Lebenswelt und Phantastischem im literarischen Werk Bettines zeigt Barbara Becker-Cantarino in ihrem Beitrag »Phantastisches und Alltägliches in Bettine von Arnims Briefbüchern«. Der Erschaffung einer literarisiertenWelt in den Briefbüchern liegt das kreative Strukturprinzip zugrunde, das Fakt und Fiktion, Erlebtes, Erinnertes und willentlich und mutwillig Erfundenes miteinander verbindet. Im Gegensatz zur Kritik der Literarhistoriker, die der Autorin vielfach Verfälschung vorwerfen, würdigt sie Bettines Schreibtechnik als postmodernes poetisches Verfahren. – Auch Ursula Härtl geht einer kurzen Epoche im Leben Bettines nach, wenn sie »Bettinas musikalischen Alltag in

Vorwort

XIII

München und Landshut (1808/09)« darstellt und den bisher noch nicht untersuchten Kompositions- und Gesangsunterricht anhand aller erreichbaren Briefe und zeitgenössischen Berichte akribisch rekonstruiert. Durch den Komponisten und Kapellmeister Peter von Winter, der sie in Gesang und Harmonielehre unterrichtete, konnte Bettine ihre Stimme ausbilden und wurde mit anspruchsvollen Werken bekannt. Da ihr letztendlich eine künstlerische Laufbahn aus gesellschaftlichen Gründen versagt blieb und der Münchner Aufenthalt auch über ihre finanziellen Mittel hinausging, brach sie den Unterricht ab und folgte ihrem Schwager Savigny nach Landshut, wo sie den Unterricht in der Harmonielehre weiterführte. Aus dem Landshuter und späteren Berliner Aufenthalt gingen mehrere Kompositionen zu Goethes Faust und Arnims Liedern hervor. In seinem Beitrag zur »Eliminierung des Alltags in den Hinterlassenen Schriften Philipp Otto Runges« ruft Konrad Feilchenfeldt diese Schriften Runges als Beispiel einer vorkritischen Edition auf (die wir von Reinhold Steigs Verfahren mit der Korrespondenz Arnims mit Bettine, Clemens Brentano und den Brüdern Grimm kennen) und prüft, inwiefern die von Runges Bruder Johann Daniel gekürzte Wiedergabe der im vollen Wortlaut überlieferten Originalhandschriften dem Schutz der Privatsphäre und einer Stilisierung der Künstleridentität des Malers dienten. Die Eliminierung des Alltäglichen aus der Dokumentation der Identität des Künstlers ist nicht allein ein fragwürdiges editorisches Unternehmen, sondern tradiert auch das falsche Bild eines Menschen, der gerade seinen Lebensalltag – und das verbindet ihn mit dem Ehepaar Arnim – als Quelle seines künstlerischen Wirkens verstand. – Standen bisher die Schriftsteller und Künstler im Mittelpunkt der Diskussion, öffnet Ralph Schippan mit seinem Beitrag über Sammler von Erstausgaben, Vorzugsausgaben und die Buchgestaltung in der Romantik eine neue Perspektive. In seiner Analyse der buchästhetischen Merkmale geht Schippan den Illustrationen, Papiersorten, Druckarten und Einbandgestaltungen nach und zeigt an ausgewählten Beispielen unterschiedlicher Texte, wie es die Romantiker verstanden, dem Alltäglichen durch buchgestalterische Kunst »einen hohen Sinn« zu geben und ein qualitativ hochwertiges ›Gesamtkunstwerk‹ zu schaffen. Über den privaten und persönlichen Alltag hinaus führt der vierte Themenbereich Krieg und Alltag, der mit Irmgard Eggers »Die Kunst in Zeiten des Krieges. E.T.A. Hoffmann in Dresden und Leipzig« eingeführt wird.12 Am Beispiel Hoffmanns zeigt sie, wie einschneidend die politischen Verhältnisse in Leben und Wirken der Romantiker eingriffen. So gerieten Hoffmann und seine Frau durch die Kriegsereignisse in unmittelbare Nähe des Kampfgeschehens und des Grauens der Schlachtfelder und erlitten bei erschwerten Post- und Reisewegen, eingeschränktem Verdienst, Versorgungsengpässen und Seuchen äußerste materielle Not und Ungewissheit. Und wieder inspirierte der Alltag zu außergewöhnlichen künstlerischen Leistungen: Opernaufführungen, Kompositionen und Dichtungen wie die Fantasiestücke in Callots Manier und Der goldene Topf sind Zeugnisse für die Hoffmannsche Doppelstruktur des Wunderbaren und des Alltäglichen, der imaginierten 12

Irmgard Egger (1953–2015) starb überraschend am 30. Jänner 2015; die Internationale ArnimGesellschaft wird der liebenswerten und klugen Kollegin ein ehrendes Andenken bewahren.

XIV

Vorwort

und der profanen gelebten Welt. – Mit »Die Alltäglichkeit der Zeitungsschreiberei« stellt Jürgen Knaack Arnim nicht allein als Redakteur des »Preußischen Correspondenten« im Kriegsjahr 1813 in Berlin vor, er zeigt ihn auch in seinem politischen Engagement der Informationsbeschaffung bzw. der Informationsbehinderung durch die Zensur. Im Spannungsfeld von Alltäglichkeit und Neuigkeit, persönlichen finanziellen Schwierigkeiten und Kriegswesen muss sich Arnims schriftstellerische Tätigkeit in seiner viermonatigen Herausgeberschaft notgedrungen auf die Lauferei nach Informationen beschränken. – Lothar Ehrlich greift in seinem Beitrag »›Ich habe einen Ekel bekommen gegen das Kriegswesen‹ : Arnims Alltag in Königsberg 1806/07« auf das Jahr 1806 zurück, in dem Arnim nach der Schlacht bei Jena und Auerstedt dem preußischen Königspaar nach Königsberg folgte; von dort aus verfolgte er die Schlachten bei Preußisch Eylau am 7. und 8. Februar 1807, Heilsberg am 10. Juni 1807 und Friedland am 14. Juni 1807. Nach der Besetzung Königsbergs durch die französischen Truppen unterhielt Arnim Beziehungen zum Hof Friedrich Wilhelms III., den preußischen Reformern und beabsichtigte auch, sich in einem Freikorps an einem Volksaufstand in Pommern zu beteiligen. Den letzten Themenkreis Der neue und der alte Alltag: Blick nach Außen, Blick nach Innen leitet Oliver Jehle ein mit seinem Beitrag »Menzels Realien: Über das Alltägliche als Wahrnehmungsexperiment«. Am Beispiel von Adolph Menzels Interieurs zeigt Jehle, wie sehr spätromantische Wahrnehmungsmuster im Werk Menzels nachwirkten. Er legt dar, wie sich die Spuren der Bewohner in den Innenraum einprägen und ihm eine Form verleihen, in der sie bewahrt werden. Es gehört demnach zu Menzels größten Fähigkeiten, das Bedeutungslose mit dem Bleistift oder Pinsel zu problematisieren und zu verfremden. Dadurch wird die »sehende Aufmerksamkeit« des Betrachters herausgefordert, der die den Raum einnehmenden Gegenstände neu zuordnen muss. Es ist nicht mehr der Alltag der Dinge, sondern ihre Entstellung im Akt des Malens, die doch einen neuen Realitätsbezug schafft. – Vom Alltag des Interieurs zum Alltag der Krankheit führen die beiden folgenden Beiträge: Stephanie Bölts untersucht in ihrer Arbeit die Rolle der »Krankheit zwischen Alltag und Dichteramt«, indem sie der konstitutiven Verknüpfung von Genie und Wahnsinn in den Ehebriefen von Achim und Bettine Brentano nachgeht und fragt, in wiefern dichterische Genialität und bestimmte pathologische Erscheinungen mit dem Außergewöhnlichen und dem Alltäglichen verbunden sind. Krankheiten, ein wichtiges Thema im Briefwechsel der Eheleute, geben Einblick in die Alltagswelt, die Interaktion von Ärzten und Patienten, Heilmittel und Therapien. Dabei nimmt sowohl der Kranke als auch der Pflegende – in den meisten Fällen ist es Bettine, die die Sorge um die Kinder trägt – oft die Rolle der Duldenden und Leidenden ein. Damit erscheint die Wahrnehmung der durch Krankheit bestimmten Lebenshaltungen durch die Geschlechterrollen bestimmt und gehören als »Prüfungen des alltäglichen Lebens« zu den wirtschaftlichen Problemen, wodurch sie dem Dichteramt entgegengestellt werden. – In ihrem Beitrag »Krankheit als romantischer Alltag« stellt Sheila Dickson die einschlägigen Debatten zu den Theorien und Apparaten, Behandlungsmethoden und Therapien vor und weist nach, dass Bürgertum und Adel sehr gut über medizinische Fragen und Probleme informiert waren. Da die Ehebriefe der Arnims Aufschluss geben über Krankheitsbilder und Be-

Vorwort

XV

handlungsmethoden, sind sie wertvolle Zeugnisse im zeitgenössischen Diskurs der romantischen Medizin. Darüber hinaus liefert auch Arnims literarisches Werk wichtige Aspekte. Roswitha Burwick liefert mit einem Beitrag zum Essen und Trinken in den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm, dem zum einen eine signifikante Rolle zugewiesen wird, da nicht allein der Alltag, sondern auch eine Traumwelt thematisiert wird, in der sich die sozialen Grenzen zwischen arm und reich auflösen. Zum anderen wird versucht, subtilere Strukturen herauszuarbeiten, in denen Essen und Trinken für geschlechterspezifische Verhaltensnormen stehen, die weibliche Passivität, aber auch Handlungsfähigkeit signalisieren. Hungersnöte, Festessen und Kannibalismus – Hauptmotive in den bekanntesten Märchenversionen – werden in Bezug auf psychologische, soziale, kulturtheoretische und sprachliche Ebenen untersucht, um die in den Texten dargestellten komplexen Wissenssysteme freizulegen. – Mit seinem Beitrag »›Die Kartoffeln in der Schale: Arnims Reise in die Provinz‹«, untersucht Christof Wingertszahn Arnims noch wenig bekannten Reisebericht von Wiepersdorf nach Halle aus dem Jahre 1828, der nicht allein das Mitund Ineinander von Alltag und Dichtung noch einmal exemplifiziert, sondern auch eine humoristische, auf das Genrebildhafte zurückgreifende Seite des reifen Autors hervorhebt. Durch eine kunstvolle Vermischung von hohen und niedrigen Stillagen setzt Arnim sich von der Trivialliteratur ab, verarbeitet sie aber auch gleichzeitig in satirischer und witziger Manier. Damit geht Arnims Reisebericht über einen einfachen Realienbericht hinaus und wird zur symbolischen Diagnose der Zeit, der damit eine lebensphilosophische Einsicht reflektiert, die letztendlich die romantische Phase der Jugendzeit überwunden hat zugunsten einer Anerkennung der gegenwärtigen Restaurationswirklichkeit. Das 11. Kolloquium der Internationalen Arnim-Gesellschaft jedoch tagte gar nicht alltäglich in Weimar: Unterstützt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Klassik Stiftung Weimar, die auch als Kooperationspartner auftrat, fanden die Vorträge und Gespräche in der angenehmen Atmosphäre der Julius-PetersenBibliothek statt. Der Leiter des Referats Forschung und Bildung, Prof. Dr. Thorsten Valk, sorgte für finanzielle, der Direktor des Goethe- und Schiller-Archivs, Dr. Bernhard Fischer für räumliche Unterstützung. Das war auch zu erwarten, denn die historisch-kritische Ausgabe Werke und Briefwechsel von Achim von Arnim heißt nicht umsonst »Weimarer Ausgabe«. Auch deshalb hatte der Leiter der ArnimArbeitsstelle, Dr. Gert Theile, die Organisation vor Ort in der Hand. Und Dr. Manuela Gerlof, die von allen geschätzte Cheflektorin für Literatur- und Kulturwissenschaft ›unseres‹ Verlages de Gruyter – der Ausgabe und der Schriften – konnte in Augen- und Ohrenschein nehmen, was die Referentinnen und Referenten (darunter auch fast alle Editoren der Weimarer Ausgabe) zu sagen hatten. Und in der Tat: Wer diesen Band liest, wird erfahren, dass sie etwas zu sagen haben. Köln und Claremont, im Juli 2015 Roswitha Burwick und Walter Pape

LEBENSWELT UND KUNST(PHILOSOPHIE)

Bernd Hamacher

Austern und Wein, Kunst und Philosophie: Die Ambivalenz des Alltäglichen in Hegels Ästhetik

Zu Hegels provokativer These vom ›Ende der Kunst‹ scheint alles gesagt zu sein. Mit dem Ende der romantischen Kunstform scheint die Kunst in seinem ästhetischen System zur Beliebigkeit zu degenerieren, sich in der Prosa des Alltäglichen aufzulösen. Bei aller Polemik gegen die Romantik weiß sich Hegel mit ihr einig in der Bekämpfung dieser Banalisierung, die er vor allem im Verlust eines substantiellen religiösen Gehalts und einer dadurch erzeugten schlechten Endlichkeit für gegeben sieht. Gegenläufig dazu – und im Rücken der systematischen Programmatik – kommt allerdings, wie ich im Folgenden zeigen möchte, die Kunst in Hegels Ästhetik erst in der Emanzipation von der Religion zu sich selbst, und zwar in einer Hinwendung zum Alltag, wie sie sich etwa im Briefwechsel mit Goethe in kulinarischer Bildlichkeit ausdrückt. Der nachromantischen Kunst eignet mithin bei Hegel – so meine These – eine Ambivalenz zwischen ihrer Auflösung in der Banalität des Alltags einerseits und einer Hinwendung zur Alltäglichkeit andererseits, die nicht nur die Kunst zu sich selbst bringt, sondern auch das philosophische System erst vollendet. Längst ist klar, dass mit der These vom ›Ende der Kunst‹ nicht etwa gemeint war, es könne nun keine Kunst mehr geben, sondern dass die welthistorische Bedeutsamkeit der Kunst an ihr Ende gekommen sei und die Kunst, nachdem sie ihre systematische Rolle zunächst an die Religion und hernach an die Philosophie abgegeben habe, sich nur mehr mit sich selbst beschäftige, in der Moderne also selbstreflexiv werde. Daraus sind unterschiedliche Konsequenzen gezogen worden, sowohl in der Philosophie als auch in der Kunst- und Literaturwissenschaft. Ich skizziere grob einige repräsentative Positionen, bevor ich eine Neulektüre unter dem eingangs genannten Aspekt einer Ambivalenz des Alltäglichen versuche. Hegels These spreche – so etwa Rüdiger Bubner, den ich deshalb anführe, weil er Goethe kontrastierend ins Spiel bringt – für die »Unvereinbarkeit des philosophischen und poetischen Verhältnisses zur Kunst«.1 Für Goethe erübrige sich die Philosophie durch die Poesie, während Hegel die anschauliche Seite der Kunst, die Goethe so wichtig war, ignoriert habe.2 Hegel zufolge gelte es, durch die Anstren1 2

Bubner: Hegel und Goethe, S. 9. Das hartnäckige Vorurteil, Hegel habe sich für die anschauliche Seite der Kunst nicht interessiert, sondern nur für deren Gehalt, muss schon angesichts des quantitativen Befundes in Zweifel gezogen werden: Eine elektronische Suche im Korpus von Hegels Vorlesungen zur Ästhetik ergibt eine dreistellige Anzahl an Treffern für ›Anschauung‹, ›anschaulich‹ etc. Für diesen Hinweis danke ich Jan-Christoph Meister (Hamburg).

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gung des Begriffs den geistigen Gehalt aus einer bloß sinnlichen Anschauungsform zu befreien, um das Absolute als Geist zu sich selbst zu bringen:3 Kunst verwirklicht sich in unmittelbarer Naivität, ohne zu wissen, was sie ist. Das philosophische Wissen darüber, was Kunst genuin darstellt, argumentiert notwendig von einer höheren Stufe. Die Kunstwelt ist verlassen, sofern die theoretische Ästhetik anhebt. Die Hierarchie im inneren Zusammenhang beider beschreibt für Hegel freilich nicht allein eine systematische Funktionsverteilung. Es kommt darin auch ein historischer Prozeß zum Ausdruck.4

Die Naturbezogenheit der Goethe’schen Kunstauffassung markiere die entscheidende Differenz zu Hegels Kunstverständnis.5 Am zweiten Teil des Faust scheiterten dann, Bubner zufolge, »solche philosophierenden Deutungen, die auf der Bühne nur anschauliche Verkörperungen von gedanklichen Verhältnissen suchen«.6 Die HegelSchule habe konsequenterweise kein Verständnis für Faust II entwickelt. Es rühre daher »Fragen nach der Legitimität des Kategorienapparats philosophischer Ästhetik auf, wenn sich ein Dokument post-romantischer Kunst vom Range des Faust II nur unter die zukunftlosen Spielereien am Rande einer abgeschiedenen Epoche verbuchen läßt.«7 Bubner hat natürlich genau gesehen, dass Hegels Diagnose und Prognose einer post-romantischen Kunst für die Moderne und speziell die Avantgarde produktiv gewirkt hat, doch er verbuchte dies negativ als Ästhetisierung der Lebenswelt, das heißt als Vermischung der Grenze von Kunst und Alltag – also als Erzeugung einer schlechten Endlichkeit im Sinne Hegels.8 Positiv gewendet wurde diese These durch Arthur C. Danto, der die philosophische Entmündigung der Kunst9 anhand der ›Ready-mades‹ oder ›Objets trouvés‹ affirmierte, die erst durch Philosophie, durch einen deutenden Kommentar, zur Kunst würden und auf diese philosophische Deutung angewiesen seien. Im einen wie im anderen Falle wird Hegel dabei ein klassizistischer Kunstgeschmack unterstellt, ein ästhetisches Vorurteil, das seine inhaltlichen Bestimmungen in der Ästhetik obsolet mache. Insbesondere Annemarie Gethmann-Siefert hat indes von Seiten der Hegel-Philologie mit Nachdruck die These vertreten, dass sich der Klassizismus der Hegel’schen Vorlesungen über die Ästhetik maßgeblich der Redaktion Heinrich Gustav Hothos verdanke und die scharfen kunstrichterlichen Urteile in den überlieferten Notizen und Vorlesungsnachschriften selbst nicht in gleicher Weise enthalten seien.10 Unabhängig von diesem philologischen Argument hat Eva Geulen darauf hingewiesen, dass es sich bei der Rede vom Ende der Kunst 3 4 5 6 7 8

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Vgl. Bubner: Hegel und Goethe, S. 14. Ebenda, S. 16. Vgl. ebenda, S. 18. Ebenda, S. 44. Ebenda, S. 50. Vgl. Bubner: Mutmaßliche Umstellungen im Verhältnis von Leben und Kunst. – In: Bubner: Ästhetische Erfahrung, S. 121–142; vgl. Bubner: Ästhetisierung der Lebenswelt – ebenda, S. 143–156. Danto: The philosophical disenfranchisement of art. Vgl. Gethmann-Siefert: Einführung in Hegels Ästhetik.

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nicht zuletzt um einen »Gründungsmythos der Kunst« handele:11 »Am Ende des Endes der Kunst steht kein Ende, sondern ein anderer Anfang: die Entdeckung des Endes der Kunst als ein Diskurs der Moderne.«12 Alle denkbaren und dann in der Wirkungsgeschichte auch ausformulierten Lesarten dieses Endes seien in den Hegel’schen Bestimmungen bereits enthalten. Grund genug also, noch einmal zu Hegel zurückzugehen, und zwar möchte ich zunächst an seinem klassischen Kunstbegriff ansetzen, um danach den Dialog mit Goethe wieder in Gang zu bringen. Die prägnanteste Formulierung findet sich in der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse, die als Kompendium den Vorlesungen, und also auch denjenigen zur Ästhetik, zugrunde lag. In § 560 heißt es: Das Subjekt ist das Formelle der Tätigkeit und das Kunstwerk nur dann Ausdruck des Gottes, wenn kein Zeichen von subjektiver Besonderheit darin, sondern der Gehalt des inwohnenden Geistes sich ohne Beimischung und von deren Zufälligkeit unbefleckt empfangen und herausgeboren hat. Aber indem die Freiheit nur bis zum Denken fortgeht, ist die mit diesem inwohnenden Gehalte erfüllte Tätigkeit, die Begeisterung des Künstlers, wie eine ihm fremde Gewalt als ein unfreies Pathos; das Produzieren hat an ihm selbst die Form natürlicher Unmittelbarkeit, kommt dem Genie als diesem besonderen Subjekte zu – und ist zugleich ein mit technischem Verstande und mechanischen Äußerlichkeiten beschäftigtes Arbeiten. Das Kunstwerk ist daher ebensosehr ein Werk der freien Willkür und der Künstler der Meister des Gottes.13

Damit ist die klassische Kunstform beschrieben, die sich auf der Seite des Künstlers durch die Vereinigung der antiken Topoi des poeta vates und des poeta doctus auszeichnet. Kunst entsteht einerseits durch göttliche Inspiration, andererseits durch gelehrtes Handwerk, und im vollkommenen Künstler vereinigt sich dieser doppelte Ursprung der Kunst. Dies ist die Einheit im Subjekt. Im Objekt, im Kunstwerk, besteht die Einheit im idealen Zusammenfallen von Gehalt und Gestalt, Inhalt und Form: Der Inhalt ist durch Gott, die Form durch das Handwerk bedingt. Beide Einheiten treten am Ende der nach-klassischen, der romantischen Kunstform wieder auseinander, was dann in den Vorlesungen ausgeführt wird. Die »Genieperiode« – herbeigeführt durch »Goethes erste poetische Produkte« – habe den handwerklichen Aspekt als geistigen negiert und die Begeisterung rein subjektiv, also selbsterzeugt, verstanden, »wobei denn auch des gutes Dienstes der Champagnerflasche nicht vergessen ward«.14 Dem Ich des Künstlers erscheine daher aller Gehalt des Bewusstseins als selbsterzeugter Schein. »Und nun erfaßt sich diese Virtuosität eines ironisch-künstlerischen Lebens als eine göttliche Genialität, für welche alles und jedes nur ein wesenloses Geschöpf ist, an das der freie Schöpfer, der von allem sich los und ledig weiß, sich nicht bindet, indem er dasselbe vernichten wie schaffen kann.«15 Als Beispiel führt Hegel die Ironie Friedrich Schlegels an, für ihn ein weiterer Beleg für einen falschen Geniebegriff, der nicht mehr der romantischen 11 12 13 14 15

Geulen: Das Ende der Kunst, S. 10. Ebenda, S. 29. Hegel: Werke, Bd. 10, S. 369 (Hervorhebungen hier und im Folgenden stets im Original). Ebenda, Bd. 13, S. 46. Ebenda, S. 95.

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Kunstform angehöre, sondern deren Ende markiere – und damit bereits jenseits der Kunst liege, einer Kunst, die »die Einheit von Bedeutung und Gestalt und ebenso die Einheit der Subjektivität des Künstlers mit seinem Gehalt und Werk zu ihrer Grundlage« habe.16 Wenn man hierin ein klassizistisches Vorurteil sehen möchte, so ist zumindest darauf zu verweisen, dass ein solches ›Vorurteil‹ noch immer die Praxeologie der heutigen Literaturwissenschaft prägt, insofern bei der Analyse literarischer Texte auf die Beziehung von Form und Inhalt, Gestalt und Bedeutung zu achten sei. Der Klassizismus-Vorwurf gegen Hegel übersieht indes, dass sich im Abschnitt über das »Ende der romantischen Kunstform« die Bewertung unversehens wandelt: Hat nun […] die Kunst die wesentlichen Weltanschauungen, die in ihrem Begriffe liegen, sowie den Kreis des Inhalts, welcher diesen Weltanschauungen gehört, nach allen Seiten hin offenbar gemacht, so ist sie diesen jedesmal für ein besonderes Volk, eine besondere Zeit bestimmten Gehalt losgeworden, und das wahrhafte Bedürfnis, ihn wieder aufzunehmen, erwacht nur mit dem Bedürfnis, sich gegen den bisher allein gültigen Gehalt zu kehren […]. Gegenüber der Zeit nun, in welcher der Künstler durch seine Nationalität und Zeit, seiner Substanz nach, innerhalb einer bestimmten Weltanschauung und deren Gehalt und Darstellungsformen steht, finden wir einen schlechthin entgegengesetzten Standpunkt, welcher in seiner vollständigen Ausbildung erst in der neuesten Zeit von Wichtigkeit ist. In unseren Tagen hat sich fast bei allen Völkern die Bildung der Reflexion, die Kritik und bei uns Deutschen die Freiheit des Gedankens auch der Künstler bemächtigt und sie in betreff auf den Stoff und die Gestalt ihrer Produktionen, nachdem auch die notwendigen besonderen Stadien der romantischen Kunstform durchlaufen sind, sozusagen zu einer tabula rasa gemacht. Das Gebundensein an einen besonderen Gehalt und eine nur für diesen Stoff passende Art der Darstellung ist für den heutigen Künstler etwas Vergangenes und die Kunst dadurch ein freies Instrument geworden, das er nach Maßgabe seiner subjektiven Geschicklichkeit in bezug auf jeden Inhalt, welcher Art er auch sei, gleichmäßig handhaben kann. […] Deshalb verhält sich der Künstler zu seinem Inhalt im ganzen gleichsam als Dramatiker, der andere, fremde Personen aufstellt und exponiert.17

Das Verdikt gegen die romantische Ironie Schlegels noch im Ohr, hat man diesen Passus fast immer negativ gelesen – dabei wird die Kunst nach dem Ende der romantischen Kunstform für Hegel nicht etwa belanglos und degeneriert zur Beliebigkeit, sondern wird nun erst frei, nachdem sich das »Talent und Genie« des Künstlers »von der früheren Beschränkung auf eine bestimmte Kunstform befreit hat«:18 In diesem Hinausgehen […] der Kunst über sich selbst ist sie ebensosehr ein Zurückgehen des Menschen in sich selbst, ein Hinabsteigen in seine eigene Brust, wodurch die Kunst alle feste Beschränkung auf einen bestimmten Kreis des Inhalts und der Auffassung von sich abstreift und zu ihrem neuen Heiligen den Humanus macht, die Tiefen und Höhen des menschlichen Gemüts als solchen, das Allgemeinmenschliche in seinen Freuden und Leiden, seinen Bestrebungen, Taten und Schicksalen. […] Es ist dies ein Gehalt, der nicht an und für sich künstlerisch bestimmt bleibt, sondern die Bestimmtheit des Inhalts und des Ausgestaltens der willkürlichen Erfindung überläßt, doch kein Interesse ausschließt, da die Kunst nicht mehr das nur 16 17 18

Ebenda, Bd. 14, S. 231. Ebenda, S. 234–235. Ebenda, S. 236.

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darzustellen braucht, was auf einer ihrer bestimmten Stufen absolut zu Hause ist, sondern alles, worin der Mensch überhaupt heimisch zu sein die Befähigung hat. […] Das Erscheinen und Wirken des unvergänglich Menschlichen in seiner vielseitigsten Bedeutung und unendlichen Herumbildung ist es, was in diesem Gefäß menschlicher Situationen und Empfindungen den absoluten Gehalt unserer Kunst jetzt ausmachen kann.19

Weit entfernt davon, welthistorisch abzudanken und, wie es zunächst den Anschein hat, nur noch schlechte Endlichkeit zu erzeugen, wird mithin die Kunst – und wird der Künstler – nach deren vermeintlichem Ende erst frei und findet zu sich selbst. Diese Emanzipation vollzieht sich im Rücken von Hegels Argumentation vor allem von der geoffenbarten Religion, von der die Kunst nach dem System in der Stufenfolge des absoluten Geistes doch abgelöst werden sollte. Damit ist auch das Genie von der Angewiesenheit auf göttliche Inspiration befreit. Kunst und Religion treten also auseinander. Was aber ist mit der Philosophie? Und wie geht die Geschichte der Kunst weiter? Philosophie der Geschichte und Philosophie der Kunst laufen bei Hegel darin parallel, dass beide im System abgeschlossen, also beendet sein sollen, der Philosoph sich aber gleichzeitig zu ihrem davon unbeeindruckten Fortlaufen verhalten muss. Wie also verhält sich nun die Philosophie zur Kunst, nachdem sich gezeigt hat, dass erst die Kunst nach dem Ende der romantischen Kunstform die wahre und freie Kunst ist? Ein solches Urteil als Prognose kann die Philosophie eigentlich gar nicht aussprechen, da sie dazu immer schon zu spät kommt. Wie Hegel am Ende der »Vorrede« zu den Grundlinien der Philosophie des Rechts schreibt, erscheint die Philosophie [a]ls der Gedanke der Welt […] erst in der Zeit, nachdem die Wirklichkeit ihren Bildungsprozeß vollendet und sich fertig gemacht hat. […] Wenn die Philosophie ihr Grau in Grau malt, dann ist eine Gestalt des Lebens alt geworden, und mit Grau in Grau läßt sie sich nicht verjüngen, sondern nur erkennen; die Eule der Minerva beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug.20

So gesehen, musste Hegel die Kunst notwendigerweise für beendet erklären, um seine Philosophie der Kunst schreiben zu können, in der er dann aber seiner systematischen Prämisse zuwiderhandelt. Wie konnte es dazu kommen? Das Vorwort zur Rechtsphilosophie hat Hegel auf den 25. Juni 1820 datiert. Nach meiner These war es die erneute Auseinandersetzung mit Goethes Farbenlehre, die Hegel dazu brachte, seine Metapher vom »Grau in Grau« in buchstäblich anderem Licht zu sehen. Am 24. Februar 1821 schrieb er einen Brief an Goethe, in dem er Goethes Begriff des ›Urphänomens‹ mit seinem eigenen Begriff des Absoluten analogisierte: Das Einfache und Abstrakte, was Sie sehr treffend das Urphänomen nennen, stellen Sie an die Spitze, zeigen dann die konkreten Erscheinungen auf als entstehend durch das Hinzukommen weiterer Entwicklungsweisen und Umstände und regieren den ganzen Verlauf so, daß die Reihenfolge von den einfachen Bedingungen zu den zusammengesetztern fortschreitet und so rangiert, das Verwickelte nun durch diese Dekomposition in seiner Klarheit erscheint. Das 19 20

Ebenda, S. 237–239. Ebenda, Bd. 7, S. 28.

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Es scheint zunächst so, als ›regiere‹ und ›rangiere‹ hier Hegel die Begrifflichkeit Goethes, um sie seinem System kompatibel zu machen und ihm die eigene Abstraktion unterzuschieben. Doch dann wendet sich das Blatt: Darf ich E. E. aber nun auch noch von dem besondern Interesse sprechen, welches ein so herausgehobenes Urphänomen für uns Philosophen hat, daß wir nämlich ein solches Präparat […] geradezu in den philosophischen Nutzen verwenden können! – Haben wir nämlich endlich unser zunächst austernhaftes, graues oder ganz schwarzes – wie Sie wollen – Absolutes doch gegen Luft und Licht hingearbeitet, daß es desselben begehrlich geworden, so brauchen wir Fensterstellen, um es vollends an das Licht des Tages herauszuführen. Unsere Schemen würden zu Dunst verschweben, wenn wir sie so geradezu in die bunte verworrene Gesellschaft der widerhältigen Welt versetzen wollten. Hier kommen uns nun E. E. Urphänomene vortrefflich zustatten. In diesem Zwielichte, geistig und begreiflich durch seine Einfachheit, sichtlich oder greiflich durch seine Sinnlichkeit, begrüßen sich die beiden Welten – unser Abstruses und das erscheinende Dasein – einander.22

Das Absolute, die philosophische Theorie, ist bei Hegel grau, sogar grau in grau, aber ursprünglich gerade nicht schwarz – die Schwärze hat er Schelling zugeschrieben, gegen den die polemische Bemerkung in der »Vorrede« zur Phänomenologie des Geistes von der »Nacht [...], worin […] alle Kühe schwarz sind«23, gemünzt war. Dass Hegel nun sogar die Schwärze des Absoluten gegenüber Goethe anheimstellt, ist vielleicht mehr als nur ein rhetorisches Zugeständnis an den Adressaten: Das Schwarz des Absoluten bedarf des Lichts der Poesie, um erscheinen zu können. Im Grau wiederum können sich Philosophie und Poesie begegnen. Nach Goethes Farbenlehre ist Grau nicht nur die Mischung von Schwarz und Weiß, sondern die Mischung aller Farben. Dabei zeigt sich eine Kippfigur als Variante von Goethes Polaritätsdenken: Grau erscheint einerseits als das Ende der Farben, die im Grauen und Trüben verschwinden. Gleichwohl ist für Goethe andererseits gerade diese graue Trübe, zum Beispiel in der Morgendämmerung, die Voraussetzung für die Farbentstehung, so dass aus dem trüben Medium jede einzelne Farbe beim Durchgang des weißen Lichtes erzeugt werden kann. Die Farben verschwinden bei der Mischung im Grau, können aber auch aus dem Grau heraus – und nur auf diese Weise! – neu entstehen. Einerseits sind die Farben das Primäre, und das Grau ist nur die sekundäre Mischung, andererseits ist das Grau das Primäre, aus dem die Farben erst erzeugt werden.24 21

22

23 24

Hoffmeister (Hrsg.): Briefe von und an Hegel, Bd. 2, S. 249. Vgl. Goethe: Werke (Weimarer Ausgabe), Abt. II, Bd. 5.1, S. 373. Hoffmeister (Hrsg.): Briefe von und an Hegel, Bd. 2, S. 250. Vgl. Goethe: Werke (Weimarer Ausgabe), Abt. II, Bd. 5.1, S. 374. Hegel: Werke, Bd. 3, S. 22. Vgl. dazu ausführlicher Hamacher: Grau und Braun. – In: Walter Pape (Hrsg.): Die Farben der Romantik, S. 73–80.

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Hegels Brief an Goethe mit der These einer Komplementarität seines grauen, abstrakten Absoluten und des bunten, sinnlichen Urphänomens des Adressaten war folgenreich. Goethe druckte ihn gekürzt und redigiert (sowie auf den 20. Februar datiert) unter der Überschrift »Neueste aufmunternde Theilnahme« in den Nachträgen zur Farbenlehre im vierten Heft des ersten Bandes seiner Zeitschrift Zur Naturwissenschaft überhaupt ab und schrieb überdies an mehrere Adressaten, Hegel habe seine Ansichten dergestalt penetriert, dass ihm seine eigene Arbeit »nun selbst erst recht durchsichtig geworden« sei.25 Offenbar hatten sowohl Goethe als auch Hegel das hermeneutische Glücksgefühl, sich vom anderen besser verstanden zu sehen, als sie sich selbst verstanden hatten – was die bisherige Forschung üblicherweise weder dem einen noch dem anderen zugestehen möchte. Am 24. Mai 1821 sandte Goethe an Hegel – die Episode ist bekannt – ein getrübtes Trinkglas als Beispiel für ein Urphänomen, mit der begleitenden Widmung: »Dem Absoluten empfiehlt sich schönstens zu freundlicher Aufnahme das Urphänomen.« Hegel bedankt sich erst am 2. August, aber er ist vor Begeisterung ganz aus dem Häuschen. Das Abstrakte auf diese Weise sinnlich werden zu lassen versetzt ihn geradezu in Verzückung: Vor jenem zierlichen Apparat sollten sich wenigstens die Weintrinker […] verleiten lassen, […] in das Glas zu gucken und damit auf das objektive Hervorkommen der Farbe, das sich hier in seiner ganzen freien Naivität zu sehen gibt. Auch die Phänomene der abgeleiteten Farben treten so annehmlich hervor, wenn wir dazu schreiten, das Trinkglas seine spezifischere Bestimmung mit dem verschiedenfarbigen Wein erfüllen zu lassen. So instruktiv von je ein Glas Wein gewesen, so hat es nun durch E. E. Wendung hieraus unendlich gewonnen. […] Es ist aber die Gesundheit E. E., die ich zu jedem Experiment aus dem bedeutungsvollen Becher trinke und in diesem Andenken […] Belebung schöpfe und die Bewährung meines Glaubens an die Transsubstantiation des Innern und Aeußern, des Gedankens in das Phänomen und des Phänomens in den Gedanken und den Dank gegen dessen Bewährer feire.26

Über ein Jahr später, am 15. September 1822, schreibt Hegel dann an Goethe, »daß mir das Grau beinahe ganz vergangen ist.«27 Das ist durchaus programmatisch zu verstehen. Das Grau wird kulinarisch überfärbt – vom Wein, der nach Hegel der Beleg dafür ist, dass der Geist auch in der Natur herrscht, und bereits in dem ersten von mir zitierten Brief an Goethe hatte er ja das Absolute nicht nur als grau, sondern auch als »austernhaft« bezeichnet, eine sehr signifikante Metapher. Hegels Dankbarkeit gegenüber Goethe hielt jedenfalls an, wie der Brief vom 24. April 1825 belegt: »[W]enn ich den Gang meiner geistigen Entwicklung übersehe, sehe ich Sie überall darein verflochten und mag mich einen Ihrer Söhne nennen; mein Inneres hat gegen die Abstraktion Nahrung zur widerhaltenden Stärke von Ihnen erhalten und an Ihren Gebilden wie an Fanalen seinen Lauf zurechtgerichtet.«28

25 26 27 28

Hoffmeister (Hrsg.): Briefe von und an Hegel, Bd. 2, S. 475. Ebenda, S. 275–276. Ebenda, S. 342. Ebenda, Bd. 3, S. 83.

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Das Anekdotische und Kulinarische führt hier unmittelbar ins Grundsätzliche: Die »Nahrung«, die Hegel von Goethe gegen die Abstraktion erhalten hat, ist nicht nur geistiger Natur, sondern besteht auch ganz wörtlich im Hinweis auf den Wein, der die Austern des Absoluten erst genießbar macht, führt also letztlich zu den Freuden eines festlich überhöhten Alltags – damit aber auch wieder zur Kunst. Ich möchte daher die These anschließen, dass das Hegel’sche Grau-in-Grau als philosophische Abschlussfigur poetisch und poetologisch zu lesen ist: Dieses Grau-inGrau hat einerseits das Ganze in sich aufgenommen, andererseits können erst dadurch die Farben erzeugt werden, sprich: Es findet ein Umschlag in die Erscheinung (und den Alltag) statt, die Kunst – durchaus als Teil des Alltags und insofern dessen Überhöhung – beerbt die Philosophie, nachdem die Philosophie die Kunst beerbt hatte. Entgegen der Diagnose in der Vorrede zur Rechtsphilosophie lässt sich gerade aus dem Grau in Grau der Philosophie heraus die Gestalt des Lebens verjüngen. Die Melancholie am Ende der Zeiten ist der produktive Zustand, aus dem heraus die Kunst neu entstehen kann. Durch diesen Umschlag hat sich die These vom Vergangenheitscharakter der Kunst erledigt.29 In dieser Perspektive lassen sich auch Hegels eigene literarische Inszenierungen und Schlussstrategien schärfer in den Blick nehmen. Dass die Phänomenologie des Geistes auch als Bildungs- und Entwicklungsroman – oder als Autobiographie mit erzählendem Subjekt (dem Phänomenologen) und erlebendem Subjekt (den Gestalten des Bewusstseins) – gelesen werden kann, ist nicht neu. Die Frage nach dem Status der Metaphorik sowie der gelegentlich eingestreuten literarischen Beispiele ist dabei jedoch noch keineswegs abschließend geklärt. Jacques Derrida etwa hat anhand des Sittlichkeitskapitels die These vertreten, dass Hegel sich seine Kategorienentwicklung von Sophokles’ Antigone vorgeben ließ. Das Drama wird zwar erwähnt,30 aber nicht an der entscheidenden Stelle, wenn es um die Unersetzbarkeit des Bruders geht.31 »Wo hat er es […] hergenommen, daß ein Bruder nicht ersetzt werden kann? Aus dem Munde der Antigone, selbstverständlich. Sie wird nicht genannt, aber sie diktiert die Aussagen.«32 Vor allem das Schlussbild des »absoluten Wissens« in der Phänomenologie erweist sich als literarisch inszeniert. Stefan Börnchen hat auf den Widerspruch hingewiesen, dass die allseitige ›Versöhnung‹ als Aufhebung aller ›Entzweiungen‹ »affektiv vollkommen positiv besetzt«, demgemäß mit »topisch positiv besetzten Metaphern« beschrieben werde und dann im Bild der »Schädelstätte« – die »begriffene Geschichte« als »Schädelstätte des absoluten Geistes«33 – doch apokalyptisch ende.34 Seine Deutung lautet, dass sich das Ende logisch nicht beschreiben lasse, wie auch eine Autobiographie nicht vom Tod 29

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Auch von Seiten der philosophischen Hegel-Forschung hat etwa Dieter Wandschneider »[m]it Hegel gegen Hegel« auf die fortdauernde Bedeutung der Kunst hingewiesen, die auch nach Hegel »eine Dimension eigener Dignität, irreduzibel auf Kultus und Theorie«, bilde: Wandschneider: Das Geistige und das Sinnliche in der Kunst, S. 127. Vgl. Hegel: Werke, Bd. 3, S. 348. Vgl. ebenda, S. 337–338. Derrida: Glas, S. 184. Hegel: Werke, Bd. 3, S. 591. Börnchen: Pyramiden im pazifischen Zwielicht, S. 99.

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ihres Erzählers berichten könne, und das epistemologische Programm der Phänomenologie daher mit »narrative[r] Gewalt«, die ein Scheitern anzeige, zu Ende gebracht werden müsse.35 Dass eine Metapher des Todes am Schluss steht, ist indes nicht (nur) gewaltsam, sondern durchaus folgerichtig. Wenn alle Entzweiungen aufgehoben und versöhnt sind, hat sich das Grau des Absoluten ergeben (für das Selbstbewusstsein herrscht sogar »Nacht«36), aus dem die Farben wieder entstehen können, so dass es (das Absolute) konsequenterweise mit einer Metapher für Tod und Auferstehung, eben der »Schädelstätte«, sowie dem ebenfalls ambivalenten »Kelch« bezeichnet wird, bei dem man trotz des leicht veränderten Schiller-Zitats – »aus dem Kelche dieses Geisterreiches / schäumt ihm seine Unendlichkeit«37 – auch schon an Goethes Trinkglas denken darf. Die Metaphorik ist hier noch religiös, allerdings mit blasphemischen Konnotationen – die Darstellungsweise ist poetisch: Poesie am Ende der Philosophie. In Hegels System arbeitet sich die philosophische Reflexion aus der Poesie begrifflich heraus, um sich dann aber auch wieder darin aufzulösen oder zu entfalten. Die begriffliche Reflexion als Ästhetik wird mit der Kunst auch darum nicht endgültig fertig, weil sie die prinzipiell mehrdeutige Kunst nicht eindeutig begrifflich erfassen kann (auch wenn nicht wenige Urteile Hegels dies suggerieren), sondern interpretieren muss. Auch bei der klassischen Kunst muss Hegel interpretieren, wie sich Form und Inhalt zueinander verhalten. Eine restlose Entsprechung von Materie und Geist, Zeichen und Bedeutung ist nicht möglich. Die Begründung dafür gibt Hegel selbst für die Sprache mit dem Verhältnis von Subjekt und Prädikat des Satzes in der zweiten Anmerkung zum ersten Kapitel der Wissenschaft der Logik: Was im Satz enthalten ist, werde nicht im Satz selbst ausgedrückt, sondern durch äußere Reflexion an ihm erkannt, so dass »der Satz, in Form eines Urteils, nicht geschickt ist, spekulative Wahrheiten auszudrücken«.38 Da die Urteilsform des Satzes (zum Beispiel »Sein und Nichts ist dasselbe«) für spekulative Inhalte nicht geeignet ist, muss Hegel so oft diese reine Form verlassen und metaphorisch sprechen. Die Alternative wäre, ständig die gesamte Gedankenbewegung auszuformulieren, da jede Bestimmung einseitig ist und eine folgende nach sich zieht, so dass ein unendlicher Text entstünde. Damit man Urteilssätze nicht missversteht, muss man mit dem spekulativen Denken immer bereits vertraut sein, sie also richtig zu lesen wissen – ein klassischer logischer und hermeneutischer Zirkel, den Hegel aufgrund der Absolutheit des Logischen ausdrücklich affirmiert. Im ›Vorhof‹ des Systems, in der Vorrede zur zweiten Ausgabe der Wissenschaft der Logik, formuliert Hegel nun eine Bemerkung über die Sprache, die eine andere Konsequenz nahelegt. Anders als die Syntax nämlich sei der Wortschatz der Sprache dem spekulativen Denken unmittelbar entsprechend: Viel wichtiger [als logische Ausdrücke wie Präpositionen und Partikeln; B.H.] ist es, daß in einer Sprache die Denkbestimmungen zu Substantiven und Verben herausgestellt und so zur 35 36 37 38

Ebenda, S. 100. Hegel: Werke, Bd. 3, S. 590. Ebenda, S. 591. Ebenda, Bd. 5, S. 93.

Bernd Hamacher

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gegenständlichen Form gestempelt sind; die deutsche Sprache hat darin viele Vorzüge vor den anderen modernen Sprachen; sogar sind manche ihrer Wörter von der weiteren Eigenheit, verschiedene Bedeutungen nicht nur, sondern entgegengesetzte zu haben, so daß darin selbst ein spekulativer Geist der Sprache nicht zu verkennen ist; es kann dem Denken eine Freude gewähren, auf solche Wörter zu stoßen und die Vereinigung Entgegengesetzter, welches Resultat der Spekulation für den Verstand aber widersinnig ist, auf naive Weise schon lexikalisch als ein Wort von den entgegengesetzten Bedeutungen vorzufinden. Die Philosophie bedarf daher überhaupt keiner besonderen Terminologie […].39

Hegel vertritt also ausdrücklich die Identität von Objekt- und Metasprache, was nur folgerichtig ist, da sein System ja auf die Aufhebung sämtlicher Trennungen abzielt – wobei ›Identität‹ aber dann natürlich als ›Identität von Identität und Nicht-Identität‹ zu verstehen ist, so dass sich hier schon ein Beispiel für zwei entgegengesetzte Wortbedeutungen findet. Das bedeutet aber auch, dass das spekulative Denken und Sprechen auf die Literatur verwiesen bleibt, eine Literatur, die mit Mehrdeutigkeiten nicht nur rechnet, sondern sie gezielt produziert. Das spekulative Denken geht von der naiven lexikalischen Mehrdeutigkeit aus und mündet nach der Vollendung des Systems in die reflektierte poetische Mehrdeutigkeit. Die von Hegel immer wieder beschriebene Kreisstruktur zeigt sich auch im Verhältnis von Philosophie und Poesie, bei dem es sich ebenfalls um ›Identität von Identität und Nicht-Identität‹ handelt, und die daher immer aufeinander verwiesen bleiben. Die Notwendigkeit der Kunst wurde vielleicht noch nie so zwingend dargelegt wie durch Hegels Dekret ihres Endes – eine Notwendigkeit, von der er sich nicht zuletzt durch die Genüsse des Alltags und die im Briefwechsel mit Goethe daraus gezogenen systematischen Konsequenzen überzeugen ließ.

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Ebenda, S. 20–21.

Norman Kasper

Ende im Alltag – Anfang der Beliebigkeit: Die Auflösung der romantischen Kunstform bei Hegel und der Ausklang der Romantik in der vormärzlichen Literaturhistoriografie

Am Ende muss man sich den Romantiker wohl doch als glücklichen zufriedenen Zeitgenossen vorstellen. Auch wenn er womöglich als Künstler ein Versager ist, so hat er doch als Mensch dazugewonnen. Nun wäre es sicherlich übertrieben, das künstlerische Versagen als Voraussetzung eines erfüllten Menschseins zu betrachten. Eine gewisse Abkehr von der Idealität artifiziellen Scheinens ist aber doch vonnöten, um die selbstzufriedene Innerlichkeit als Humanum auch richtig auskosten zu können. Jedenfalls kann man diesen Eindruck gewinnen, wenn man einen Blick auf das Bild wirft, das sich die 1830er Jahre vom Ende der Romantik machen. Gemeint sind damit sowohl Hegels breit angelegte Analyse der Auflösung der Romantischen Kunstform in seinen Vorlesungen der 1820er Jahre, die Heinrich Gustav Hotho bald darauf zu einer dreibändigen Ästhetik (1835–1838) ausbaut, als auch die im engeren Sinne literaturgeschichtlich akzentuierten Bemühungen um die sog. Romantische Schule, etwa bei Heinrich Heine oder Karl Rosenkranz. Egal bei wem man nachschlägt, ob bei Hegel oder den Literaturhistorikern: Die Romantik endet in einem Alltag, der in seiner prall-individuellen – mal geschwätzigen, mal verspielten – Lebensweltlichkeit die schiere Empirie in das Kunstwerk hereinholt. Diese Einschätzung beider Lager mag zunächst insofern wenig überraschen, als doch neuere Analysen der Literaturgeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts nachdrücklich auf den enormen Einfluss Hegels hingewiesen haben.1 Was liegt also näher, als dass das literaturgeschichtlich taxierte Ende der Romantischen Schule sich in Übereinstimmung mit der Auflösung der romantischen Kunstform im Sinne Hegels setzen lässt? Die Übereinkunft hinsichtlich eines alltagsweltlichen Verendens romantischer Impulse verrät jedoch tatsächlich recht wenig über die durchaus verschiedenen Wege, auf denen die Diagnose ›Ende im Alltag und Anfang der Beliebigkeit‹ entsteht. Um diese Wege genauer beschreiben zu können, möchte ich im Folgenden die Deutungsmuster vom Ende der Romantik und vom Ende der romantischen Kunstform miteinander ins Gespräch bringen. Worin unterscheiden sie sich, worin kommen sie überein? Und natürlich: Welche Rolle spielt der Alltag? Insofern es also im Folgenden um die Diskussion von historischen Romantikkonzepten geht, ist ein historiografiegeschichtlicher Fokus leitend. Dazu noch einige kurze Hinweise. Es ist zunächst wichtig, die unterschiedlichen Erzählungen, die philosophische Ästhetik (Hegel) und Literaturgeschichte präsentieren, als eigen1

Vgl. z. B. Ansel: Prutz, Hettner und Haym.

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ständige Romantik-Bilder und damit auch als Facetten einer historischen Semantik des Romantischen ernst zu nehmen. Die Eigenständigkeit zeigt sich bereits in den gewählten Begriffen: Hegel spricht in der Ästhetik von der romantischen Kunstform, nicht jedoch von der Romantik oder der Romantischen Schule; die Literaturhistoriker hingegen verzichten auf die Rede von der romantischen Kunstform und bevorzugen stattdessen die Epochenbezeichnungen Romantische Schule oder Romantik. Das hier vorgeschlagene Sich-Einlassen auf das recht unübersichtliche diskursive Netz historischer Bestimmungsversuche sollte auf ›romantische Universalien‹ – also quasi-essentielle Zuschreibungen dessen, was als ›romantisch‹ gelten darf und was nicht – verzichten. Auch wenn es kaum der Erwähnung bedarf, sei es doch an dieser Stelle vermerkt: Der Verzicht auf einen derartigen Essentialismus darf nicht mit einer methodischen Standortlosigkeit verwechselt werden, die nicht recht weiß, von welchem Punkt aus sie argumentiert. Um der Unübersichtlichkeit des historischen Bedeutungsspektrums Herr zu werden, aber gleichwohl nicht mit einer vorgefertigten Romantik-Schablone zu hantieren, muss es darum gehen, epochentypologische Fragen im Horizont ihrer »historisch-semantischen Epistemologie«2 zu behandeln. Die Relevanz eines diskursgeschichtlich nachweisbaren Verständnisses des Romantischen bemisst sich im Rahmen eines solchen Vorgehens nicht danach, inwiefern es sich z. B. mit Blick auf später entstandene Epochen-Bilder als anschlussfähig erwiesen hat oder wir die historischen Deutungs- und Erkenntnisansprüche dieses Epochenwissens heute noch teilen. Empfehlenswert ist es demgegenüber, narrative Romantik-Muster als Art Puzzle-Teile zu einer historischen Epistemologie der Romantik – verstanden als eine »Wissens- und Bewusstseinsgeschichte, die die Repräsentation des gesellschaftlichen Wissens einer Zeit in ihrer Genese, ihren Konstitutionsbedingungen, ihren kulturhistorischen Traditionslinien und ihren epistemischen Tiefenströmungen offen legt«3 – zu behandeln. Die Rede von den narrativen Mustern, denen sich die Historiografien des Romantischen bedienen, soll deutlich machen, dass es die unterschiedliche Verknüpfung und Gewichtung von Einzelelementen innerhalb der gebotenen Erzählung ist, anhand derer sich die Romantik-Bilder Hegels und der Literaturhistoriker vergleichend analysieren lassen. Um eine solche Analyse geht es im Folgenden.

1. Das Ende der romantischen Kunstform bei Hegel: Die Historisierung der alltäglichen subjektiven Innerlichkeit als Widersacher des absoluten Geistes Die »Auflösung der romantischen Kunstform« bei Hegel ist eine Diagnose die sich aus einer ins Kunstgeschichtliche gewendeten geschichtsphilosophischen Perspektive ergibt.4 In geschichtsphilosophischer Hinsicht markiert das Ende der romanti 2 3 4

Busse: Begriffsgeschichte oder Diskursgeschichte?, S. 17. Ebenda, S. 18. Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik II – Werke in zwanzig Bänden, Bd. 14, S. 220. »Auflösung der romantischen Kunstform« ist eine Formulierung die höchstwahrscheinlich von Heinrich Gustav Hotho aus den 1830er Jahren stammt. Sie findet sich jedenfalls nicht in den von mir herangezogenen Vorlesungsmitschriften der 1820er Jahre (1820/21, 1826), auch nicht in denen Hothos (1823). Gleichwohl lassen sich die Diagnosen vom Ende der romantischen

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schen Kunstform das Ende der Selbstentfaltungsgeschichte des absoluten Geistes in der Kunst.5 Nach Hegel versinnlicht sich dieser Geist innerhalb der Kunstgeschichte in drei aufeinanderfolgenden Grundstilen, die ihrerseits mit spezifischen Kunstgattungen verbunden sind. So zeigt sich bekanntlich der absolute Geist in der symbolischen Kunstform am deutlichsten in der Architektur, in der klassischen Kunstform in der Plastik und in der romantischen in Malerei, Musik und Poesie. Entscheidender Indikator für diese Entwicklung ist die – von der symbolischen zur romantischen Form fortschreitende – im Kunstwerk anschauliche Dimension der subjektiven Aneignung. In dem Maße also, wie der Geist selbst in diese Anschaulichkeit tritt und sich innerhalb dieses Anschaulichwerdens realisiert, tritt die Bedeutung dessen, was da dargestellt wird, in den Hintergrund. Dies ist solange kein Problem, wie der subjektiven Reflexion und Verinnerlichung ein Objekt entspricht, das sich als künstlerisches Sujet einem Grundstil fügt. In der romantischen Kunstform, die sich Hegel mit Beginn des Christentums entwickeln sieht, ist diese Innerlichkeit – ein subjektives Innerlichwerden Gottes durch den Gläubigen – zum eigentlichen Darstellungsgegenstand geworden. Im Gegensatz zur objektiven Materialität der klassischen Plastik ist der geistige Inhalt des Christentums nur im Prozess der subjektiven Aneignung zu haben. Es geht also, wie Hegel meint, »um die Innerlichkeit des Geistes für sich selbst, der zugleich Beziehung auf das Dasein hat, aber so, daß die Innerlichkeit für sich selbst die Hauptsache ist«6. Zum Problem – und da droht die Auflösung der romantischen Kunstform – wird die Beziehung von Subjekt und Objekt erst in dem Moment, in dem die Innerlichkeit nicht nur »für sich selbst die Hauptsache ist«, sondern auch zugleich jegliche »Beziehung auf das Dasein« aufkündigt. Sobald ein vom subjektiven Modus des Innerlichwerdens getrenntes Dasein wegfällt, ist es nach Hegel auch nicht mehr der absolute Geist, der sich in der Kunst versinnlicht, sondern lediglich ein subjektiver Geist.7 Das »Geistige«, kritisiert er,

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Kunstform in den Mitschriften komplementär zu dem in Hothos Kompilation gebotenen Ende der Romantik als Kunstform lesen und nicht als Gegensatz. Insofern geht es im Folgenden auch nicht darum, den ›echten Hegel‹ der Vorlesungsmitschriften vom ›falschen Hegel‹ der Ästhetik Hothos zu trennen, wie es innerhalb der Hegel-Forschung üblich ist. Vgl. zu einer kritischen Diskussion von Hothos Anteil im Lichte der ›authentischen‹ Vorlesungsmitschriften Gethmann-Siefert: Ästhetik oder Philosophie der Kunst – Die Nachschriften und Zeugnisse zu Hegels Berliner Vorlesungen. Vgl. zur These vom Ende der Kunst Oelmüller: Hegels Satz vom Ende der Kunst und das Problem der Philosophie der Kunst nach Hegel; vgl. auch Plumpe: Das Reale und die Kunst. Ästhetische Theorie im 19. Jahrhundert, S. 260–262. Vgl. zu einer Aktualisierung von Hegels These mit Blick auf das ›Ende der Kunst‹ im 20. Jahrhundert Danto: Kunst nach dem Ende der Kunst; ders.: Die Verklärung des Gewöhnlichen. Hegel: Philosophie der Kunst. Vorlesung von 1826, S. 158. Over sieht in der gegenüber dem Äußeren aufgewerteten Innerlichkeit ein »neues Thema«, das die romantische Kunstform in ihren Auflösungserscheinungen erschließe: »Dieser Triumph der Innerlichkeit über das Äußere wird nun selbst zu einem wesentlichen Gegenstand der Kunst. Er wird im Kunstwerk dargestellt und damit am Äußeren zur Sichtbarkeit gebracht. Die romantische Kunst erkennt nicht nur, dass die Äußerlichkeit unwesentlich ist, sondern bringt diese auch noch als etwas Unwesentliches zur Darstellung.« Eine solche Lesart verkennt m. E. die von Hegel problematisierte Dimension einer im Kunstwerk transparenten Innerlich-

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Norman Kasper wird ganz subjektiv, die Gegenstände oder prosaischen Objekte werden zu Gegenständen der Kunst, das bloß Subjektive des Geistes und Gemüts nimmt eine Kunstform an. Die eine Seite ist, daß der Stoff, [die] Gegenstände ganz prosaische äußerliche objektive Natur werden, und [prosaische Gegenstände], so aufgefaßt, Gegenstände der Kunst werden.8

Das Problem jener Kunstform besteht zunächst darin, dass sich der »ganze prosaische Inhalt, das tägliche Leben darin« spiegelt, wie Hegel meint. Eigentlich muss »Stoff und eigentümlicher Gehalt wahrhaft, substantiell, an und für sich sein« – hier ist jedoch »alles Besondere«9 vereint, ohne die Spuren dieses »an und für sich« zu tragen. In der von Hotho besorgten Ausgabe der Ästhetik wird diese ObjektSubjekt-Beziehung als »formelle[..] Selbständigkeit der individuellen Besonderheiten«10 verzeichnet; in der Vorlesung von 1826 ist die Rede vom »abstrakten Formalismus«: »daß [sowohl] das Subjekt als solches [als auch] das Äußerliche als solches hier auch zu seiner Freiheit kommt«11. Schenkt man Hothos Zusammenfassung Hegels Glauben, führt die Entfremdung der Kunst vom Weg des absoluten Geistes zu einem »Sichbegnügen mit dem, was da ist«12. Es geht mithin um »die Zufriedenheit mit sich selbst, mit der Endlichkeit des Menschen und dem Endlichen, Partikulären, Porträtartigen überhaupt. Der Mensch will in seiner Gegenwart das Gegenwärtige selber«13. Die von der Kunst betriebene Nachahmung des alltäglichen Lebens und die Gestaltung individueller Charaktere ist also in analytischer Hinsicht nur insoweit von Interesse, wie sie als radikale Subjektivierung der Aneignung von Welt – mithin als negativ bewertete ›romantische‹ Innerlichkeit – nicht mehr den Objektivitätsansprüchen des absoluten Geistes genügt.14 Die Hinwendung zum

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keit. Denn in dem Punkt, in dem Over »durch die Darstellung der Unwesentlichkeit des Äußeren« das »Geistige als Geistiges noch stärker herausmodelliert« sieht, kritisiert Hegel die Subjektivierung des Geistigen. Einem Anschaulichwerden der geistigen Innerlichkeit am nichtigen Gegenstand redet er damit gerade nicht das Wort. Vgl. Over: Die Abwertung des sinnlich Erscheinenden in Hegels Begriff der romantischen Kunstform, S. 64–65. Hegel: Philosophie der Kunst. Vorlesung von 1826, S. 170–171. Ebenda, S. 171. Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik II – Werke in zwanzig Bänden, Bd. 14, S. 195. Hegel: Philosophie der Kunst. Vorlesung von 1826, S. 165. Hothos Mitschrift der Vorlesungen Hegels vom Sommersemester 1823 verzeichnet unter der Überschrift »Der Formalismus der Subjektivität« die Problemlage wie folgt: »Bei der romantischen Kunst, die sich noch in substantiellen Sphären hält, tritt schon die Äußerlichkeit ein und soll nicht dem Inneren adäquat sein, indem die Innigkeit als gleichgültig gegen die Äußerlichkeit sich darstellt. In der Auflösung wird die gemeine Äußerlichkeit für sich frei. Die Kunst geht nach der Seite der Gegenständlichkeit zur Darstellung der Gegenstände, wie sie sind, fort; andererseits geht sie zum Humor, zum Verrücken alles Substantiellen durch eine subjektive Ansicht, über.« – Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Kunst (1823), S. 194, S. 199. Ausgeprägt ist eine ›formalistische‹ Betrachtungsweise von Subjekt und Objekt bereits in der Vorlesung über Ästhetik, die Hegel im Wintersemester 1820/21 in Berlin hält. Eine Mitschrift erwähnt »d[as] ganz formelle [sic!] der Subjectivität«: »und d[ie]se Seite ist zunächst d[er] Formalismus des Characters überhaupt, und dann d[er] Formalismus d[er] äußren zufäl[li]g[en] Umstände.« – Hegel: Vorlesung über Ästhetik (1820/21), S. 174. Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik II – Werke in zwanzig Bänden, Bd. 14, S. 196. Ebenda. Ein solch negatives Verständnis des Alltäglichen als Gegenstand der Kunst – dies sei an dieser Stelle vermerkt – entspricht wohl mehr Hothos Hegel-Deutung, wie sie sein Ästhetik-Text

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Alltag bedeutet damit nichts anderes, als das Ende der Kunst als Kunstform im Sinne Hegels. Nun liegt es nahe, jene Kritik an der romantischen Kunstform als verkappte Kritik an der Romantischen Schule zu lesen, wie es etwa Otto Pöggeler und Arthur C. Danto von ganz unterschiedlichen Standpunkten aus getan haben.15 Eine solche Lesart scheint umso verdienstvoller, als Hegel die Romantische Schule in seiner kunstphilosophischen Systematik keineswegs als Schwundstufe der romantischen Kunstform präsentiert (was ja argumentativ durchaus möglich gewesen wäre), sondern diese – sieht man von einigen eher launigen Invektiven gegen einige Romantiker ab16 – lautstark ignoriert. In diesem Punkt leuchtet also der Mehrwert argumentativer Synthesearbeit, die zwischen Kunstform und Schule vermittelt, sofort ein. Zudem gibt es auf den ersten Blick zahlreiche Korrespondenzen von Hegels Einschätzungen das Ende der romantischen Kunstform betreffend mit seiner verstreut geäußerten Kritik an der Romantischen Schule. Ist nicht Hegels Tadel, die Ironie im Zuschnitt der Schlegel und Co. sei nichts anderes als »eine Form der romantischen Subjektivität«17, eine Fortführung der Analyse des Endes der romantischen Kunstform? Und setzt Hegel dieser romantischen Subjektivität um 1800 nicht in gleichem Maße als Korrektiv den absoluten Geist entgegen, wie auch die romantische Kunstform im Stadium ihrer Auflösung überhaupt erst im Kontrast mit der von ihr – angeblich – verabschiedeten Idee ihre geschichtsphilosophischen Konturen erhält? Und, um noch eine letzte Frage zu stellen: Ist Hegels These vom Ende der (romantischen) Kunst(-Form) nicht, wie Danto meint, als Attacke auf die neuere Romantik formuliert, da diese an der sinnlichen Erkenntnisfunktion der Kunst festhält, wo Hegel selbst nur historisches Interesse gelten lassen will?18 Dies mag sein. Was jedoch einer Engführung von Hegels Analyse des Endes der romantischen Kunstform mit dem Ende der neueren Romantik entgegensteht, sind die literaturgeschichtlichen Bemühungen der 1830er Jahre um die Romantische Schule. Denn in diesen Bemühungen zeigen sich die Unterschiede zu Hegel; Unterschiede vor allen Dingen hinsichtlich der Genealogisierungs- und Verzeitlichungs-

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erkennen lässt, als Hegels eigener Einschätzung. Folgt man Gethman-Siefert, geht es Hegel um eine »Synthese von schöner Kunst und Alltäglichkeit des Inhalts«. – Vgl. zur unterschiedlichen Bewertung des Alltags bei Hegel und den Hegelianern Gethman-Siefert: Hegel über Kunst und Alltäglichkeit, Zitat S. 46. Vgl. Pöggeler: Hegels Kritik der Romantik; Danto: Hegels These vom Ende der Kunst. Vgl. zum Hegel-Bezug Dantos ausführlich Gethman-Siefert: Danto und Hegel zum Ende der Kunst – Ein Wettstreit um die Modernität der Kunst und Kunsttheorie. Pöggeler diskutiert die ablehnende Haltung Hegels gegenüber Schelling, den Schlegels, Schleiermacher, Solger, Franz von Baader, Joseph von Görres, Ludwig Tieck und Carl Maria von Weber. – Pöggeler: Hegels Kritik der Romantik, S. 70–216. Ebenda, S. 47. Vgl. Danto: Hegels These vom Ende der Kunst, S. 675–681. Nach Danto kritisiert Hegel die Romantik dafür, dass diese »die Kunst über die Philosophie« stelle: »In diesem Sinne wird die These vom Ende der Kunst in jene vom Ende der Romantik übersetzt. Das geschieht, weil die Behauptung der Romantik von der Überlegenheit der Kunst sich darauf stützt, dass diese im Unterschied zur Philosophie ihre Ideen in sinnlicher Form darbiete.« – Ebenda, S. 679.

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modelle. Im Ergebnis entstehen in literaturgeschichtlicher Hinsicht andere Konzepte des Romantischen. Ein von Hegel verschiedenes Bild des historischen Phänomens Romantik ist die Folge. Wissenspoetologisch akzentuiert könnte man auch sagen: In der Verknüpfung und Gewichtung von Einzelelementen zu je eigenen narrativen Mustern (inkl. variierender Kausalitäts- und Abfolgelogiken) gewinnt eine historische Epistemologie der Romantik ihre kunstphilosophischen (Hegel) und literaturgeschichtlichen Konturen. – Fest steht: Eine Lesart, die das Ende der romantischen Kunstform als Ende der Kunst vornehmlich auf die Romantische Schule als literarisch-philosophische Bewegung münzt – wie es sich bei Pöggeler und Danto beobachten lässt –, sollte dies nicht tun, ohne einen Blick auf diese Romantische Schule und deren Ende durch die Brille der Literaturgeschichte des gleichen Zeitraums zu werfen. Ich möchte in historiografiegeschichtlicher Absicht die verschiedenen Auffassungen vom Ende der Romantik im Folgenden etwas ausführlicher diskutieren.

2. Die literaturgeschichtliche Entdeckung der Romantik als Abkehr von Hegels romantischer Kunstform Hegels romantische Kunstform entwickelt sich aus der klassischen Kunstform. Auf der Ebene der Geistentwicklung entspricht dem Wechsel vom Klassischen zum Romantischen die Abkehr von der harmonischen Balance im Verhältnis von Idee und sinnlicher Darstellung hin zu einer im Äußerlich-Anschaulichen keine Entsprechung mehr entdeckenden frei vagabundierenden Innerlichkeit. »Denn auf der Stufe der romantischen Kunst«, so Hegel, »weiß der Geist, daß seine Wahrheit nicht darin besteht, sich in die Leiblichkeit zu versenken; im Gegenteil, er wird sich seiner Wahrheit nur dadurch gewiß, daß er sich aus dem Äußeren in seine Innigkeit mit sich zurückführt und die äußere Realität als ein ihm nicht adäquates Dasein setzt«.19 Die frühe Literaturgeschichte leitet die Romantische Schule hingegen weder aus einem systematisch-geistphilosophischen noch aus einem historischen Klassizismus her. Karl Rosenkranz etwa kommt zu dem Ergebnis, dass sich die Romantische Schule »in der Poesie als solcher sehr wenig von derjenigen, welche wir vor ihr als Sturm- und Drangperiode zu bezeichnen gewohnt sind«20, unterscheidet. »Heinse, Maler Müller, Lenz, Klinger, Göthe sind vollkommen eben so romantische Dichter, als Tieck, Brentano u. s. w.«21, schreibt er. Deutlich wird an diesem Beispiel, dass die großraumperiodische Ordnung Hegels verkleinert wird. Bereits Heinrich Heines Die Romantische Schule (1836), die noch die Identifizierung des Klassischen mit dem Antiken und des Romantischen mit dem Mittelalter aufruft, überwindet, wie Manfred Windfuhr darlegt, die »Vorstellung von der Romantik als Kategorie für die moderne, nichtantikisierende Literatur schlechthin« und liefert erstmalig eine »zusammenfassende Darstellung der engeren Romantik«22. 19 20 21 22

Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik II – Werke in zwanzig Bänden, Bd. 14, S. 128–129. Rosenkranz: Ludwig Tieck und die Romantische Schule, S. 2. Ebenda. Windfuhr: Die romantische Schule (Entstehung) – Heine: Historisch-Kritische Gesamtausgabe der Werke, B. 8,2, S. 1048 [Apparat].

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Je mehr also diese engere Romantik in den Mittelpunkt des Interesses rückt, desto mehr wird die romantische Kunstform Hegels in ihrem Erklärungspotential und damit auch als kunst- und literaturgeschichtlicher plot problematisch. Die von Rosenkranz betriebene Herleitung der Romantik aus den Diskursfeldern der Aufklärung ist zwar auch Hegel keineswegs fremd,23 jedoch verknüpft dieser sie nicht mit der systematischen Konstitution von dem, was er unter romantischer Kunstform versteht. Die romantische Kunstform lässt sich als Grundstil der geschichtlich gegliederten Kunst nicht aus der Aufklärung herleiten. Über diese Tatsache täuscht der Umstand mehr schlecht als recht hinweg, dass die romantische Ironie um 1800 in ihrer von Hegel maßgeblich betriebenen Rückführung auf Fichtes Subjektphilosophie durchaus im Problemhorizont der Aufklärung angesiedelt ist. Wichtig ist, sich klar zu machen, dass es um unterschiedliche Wurzeln geht. Der Verinnerlichungsprozess, der sich nach Hegel an der romantischen Kunstform ablesen lässt, konstituiert sich als eigenständiger, geschichtsphilosophisch relevanter Stil im nachantiken Mittelalter; die romantische Ironie ist in ihrer Rückführung auf Kant, Jacobi und Fichte hingegen eher ein Kind der Spätaufklärung. Dies bedeutet auch: In dem Punkt, in dem sich die Literaturgeschichte auf Hegels Konzeption und Kritik der romantischen Ironie beruft,24 meint sie nicht den Theoretiker der romantischen Kunstform. Dass die Literaturgeschichte ab den 1830er Jahren den Zuschnitt der romantischen Kunstform nach Hegel ablehnt und damit die Romantische Schule auch nicht als Endpunkt einer nachantiken christlichen Literatur deutet, hat einen einfachen Grund, so meine ich. Die Kunstformeneinteilung Hegels steht nämlich – womöglich mehr als sie wahrhaben will – in der Tradition der (früh)romantischen Geschichtsphilosophie. Es war A. W. Schlegel, der zum ersten Mal jenen um 1800 einflussreichen Gegensatz von plastisch-antiker und romantisch-moderner Kunst als Geistentwicklung präsentierte und in seinen Vorlesungen populär machte. Im Mittelpunkt stehen hier sowohl die Berliner Vorlesungen über schöne Literatur und Kunst (1801/04) als auch die 1808 in Wien gehaltenen und bald darauf veröffentlichten Vorlesungen über dramatische Kunst und Literatur. Dem Wandel vom antiken Kunstgeist der Plastizität hin zur malerischen Musikalität der Neueren ordnet er Veränderungen im Subjektverständnis zu. Indem er fortschreitende Verinnerlichungstendenzen an objektive Stilmerkmale rückbindet, erarbeitet er wichtige Bausteine der »geschichtsphilosophische[n] Ästhetik« Hegels.25 Einflussreich war Schlegels Konzept vor allen Dingen deshalb, da es die Romantiker um 1800 als legitime Erben der abendländischen nachantik-christlichen Kunst präsentierte und ihnen damit eine Tradition eröffnete, von deren symbolischem Kapital sie trefflich zehren konnten.26 23 24

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Vgl. dazu Pöggeler: Hegels Kritik der Romantik, S. 27–45. Vgl. ausführlich zur Rezeption von Hegels Kritik der romantischen Ironie durch die Literaturgeschichte (Rosenkranz, Prutz, Hettner und Haym) Ansel: Prutz, Hettner und Haym, S. 174–289. So jedenfalls das Urteil von Becker: »Naturgeschichte der Kunst«, S. 214. Vgl. zur Kontinuität stilgeschichtlicher Argumentation bei A. W. Schlegel, Hegel, Hermann Hettner und Arnold Ruge Kasper: Flexible Differenzen. Die Konstellation Aufklärung – Romantik in der Literaturgeschichtsschreibung 1800/1850. Vgl. zur Historisierung der frühromantischen Erkenntnisansprüche Fohrmann: Das Projekt der

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Es ist klar, dass jene freche romantische Selbstgenealogisierung der Literaturgeschichte der 1830er Jahre suspekt sein musste. In dem Maße, wie die Romantische Schule der frühromantischen Geschichtsphilosophie entzogen wird, erscheinen auch ihre Erzeugnisse in einem anderen Licht. Was sich dem Prinzip der Regeneration folgend als Wiedererweckung des Mittelalters präsentierte, etwa Ludwig Tiecks Kaiser Octavianus (1804), sei in Wahrheit nichts anderes als eine »Phantasmagorie des Mittelalters«27, schreibt Rosenkranz. Die romantische Kunstform Hegels enthält nun auch dem Inhalt nach eine ganze Menge von – wenn man so will – phantasmagorisch-romantischen Mittelaltervorstellungen. Da geht es etwa in dem Kapitel, das sich dem »Rittertum« widmet, um die »Ehre«, die »Liebe« und die »Treue«.28 In Rosenkranz’ Perspektive erscheint Hegels Mittelaltervorstellung jedenfalls selbst ›romantisch‹. Will man das Verhältnis von Hegel und Literaturgeschichte auf einen Punkt bringen, so könnte man sagen: Während Hegel die frühromantische Geschichtsphilosophie nutzt, ohne die Romantische Schule als romantische Kunstform zu berücksichtigen, geht es der Literaturgeschichte darum, die Romantische Schule ohne die frühromantische Geschichtsphilosophie und damit auch ohne Rückführung auf die romantische Kunstform zu erklären. Autoren, die Hegels Meinung nach das Ende romantischer Darstellungsweisen verkörpern – im Sinne einer »formelle[n] Selbständigkeit der individuellen Besonderheiten«29 –, sind dann auch folgerichtig nicht diejenigen Schriftsteller, die Heine und Rosenkranz der Romantischen Schule zuordnen. Bei Hegel geht es z. B. um Shakespeare und Goethe, die als positive Beispiele für jenen modernen Künstlertypus aufgerufen werden, der die Spannung von Verinnerlichung und Gegenstandsabkehr poetisch gelöst habe.30 Der Zuschnitt der romantischen Epoche durch die Literaturhistoriker lässt weder in zeitlicher noch in qualitativer Hinsicht Platz für diese Autoren als romantische Autoren; zumal sich

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deutschen Literaturgeschichte, S. 99–114. Danto registriert zwar die zwei verschiedenen Begriffsverwendungen von ›romantisch‹ in Hegels Ästhetik – »[z]um einen bezieht es [das Wort ›romantisch‹ – N. K.] Hegel auf eine der bedeutsamsten Phasen der Kunstentwicklung, die in der Renaissance kulminierte […] [z]um anderen beschreibt es bestimmte philosophischen Auffassungen, die die Dichtung der deutschen Romantik prägten«–, er erwähnt aber mit keinem Wort, dass es dir frühromantische Geschichtsphilosophie war, die die neuere romantische Dichtung als Auswicklung der älteren romanischen Kunst präsentiert und damit auch die Blaupause für Hegels zwei Bestimmungen von ›romantisch‹ liefert. – Danto: Hegels These vom Ende der Kunst, S. 679. Rosenkranz: Ludwig Tieck und die Romantische Schule, S. 22. Vgl. Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik II – Werke in zwanzig Bänden, Bd. 14, S. 169–194. Ebenda, S. 195. »In Shakespeares Dramen«, rekapituliert Kwon Hegels Deutung, »wird […] die Mannigfaltigkeit und Lebendigkeit der Handlung des Individuums, dessen Innerlichkeit sich vom Äußerlichen befreit und in sich zurückgeht, in allen Bereichen behandelt. Hegel kritisiert zwar an der romantischen Kunst die Unendlichkeit der mit dem Äußerlichen unversöhnten Subjektivität, aber er sieht in Shakespeares Dramen eine gelungene poetische Darstellung dieser Subjektivität.« – Kwon: Das moderne Ideal und die kulturelle Rolle der Kunst. Hegels Bestimmung der Kunst in der Gegenwart. – In: Ursula Franke, Annemarie Gethmann-Siefert (Hrsg.): Kulturpolitik und Kunstgeschichte, S. 20; vgl. grundsätzlich zur kulturellen, d. h. weltdeutenden Dimension von Shakespeare und Goethe bei Hegel S. 19–22.

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gerade mit Blick auf eine romantische Rehabilitation Shakespeares zweifelsohne das Problem ergeben würde, im Deutungshorizont der frühromantischen Geschichtsphilosophie zu operieren. Aus der Verabschiedung der romantischen Kunstform durch die Literaturhistoriker ergeben sich eine ganze Reihe weiterer Veränderungen des Verständnisses der Romantischen Schule. Bei Hegel bleibt die der romantischen Geistentwicklung zugestandene Subjektivierung ganz maßgeblich an eine christlich-mittelalterliche Kunstauffassung gebunden. Verinnerlichung ist Innewerden Gottes. Aus diesem Grund beschreibt Hegel auch den »religiöse[n] Kreis der romantischen Kunst«31 ausführlich. Dies hat die Literaturgeschichte der 1830er Jahre nicht mehr nötig. Das Thema ›Religion‹ wird vielmehr zum Leitfaden an dem sich die Problemgeschichte der neueren Romantik besonders gut erzählen lässt. Was hier interessiert – und dies wird für die Literaturgeschichte des gesamten 19. Jahrhunderts und darüber hinaus wichtig –, ist die Abkunft der Romantik von der Aufklärung, gleichsam als Antwort auf deren Probleme, sowie die mikroepochentypologische Ordnung der Romantik selbst. Auch hier lohnt wieder ein Blick auf Rosenkranz. Den Beginn der Romantischen Schule macht er in einer sog. »skeptisch-religiöse[n]« »Epoche[..]« »der Entzweiung mit dem Leben«32 aus. »Diese endete doppelt«, schreibt er: »Einerseits hatte sie eine bestimmte Gestaltung der Religiosität zum Resultat; andererseits ward die unmittelbar gegebene Wirklichkeit an dies gefundene Ideal angehalten und gegen dessen Erhabenheit als in sich nichtig verspottet.«33 Der Versuch, dem »Skeptischen einen dogmatischen Charakter zu geben«, zielte auf eine Kaschierung der lediglich subjektiven Religiosität, war jedoch insofern zum Scheitern verurteilt, als die »Gegenwart von der ironischen Subjectivität nur zufällig als ihr adäquat anerkannt wurde«34. Die Folge war eine Flucht aus der Gegenwart in die Sagenwelt des Mittelalters. Dies ist die zweite Epoche der Romantik. Der Bezug dieser zweiten Epoche auf die Religiosität des Mittelalters wird von Rosenkranz also als missglückte Historisierung der romantischen Erkenntnisansprüche enttarnt. Es ist interessant zu sehen, dass jenes Mittelalter, dem Hegel innerhalb der romantischen Kunstform einen wichtigen Platz zuwies, hier lediglich von untergeordneter mikroepochentypologischer Relevanz ist. Der letzte Versuch nun, »dem Romantischen Dasein zu geben«, der die dritte Epoche der Romantik einleitete, bestand in einem, so Rosenkranz, »Anschmiegen an die mannigfachen religiösen, sittlichen, ästhetischen Verwickelungen der Gesellschaft. Es entstand die sociale Novelle.«35 Das, was Rosenkranz hier als dritte Epoche der Romantik bezeichnet, hat viel mit dem zu tun, was Hegel als Auflösung der romantischen Kunstform im Alltag verhandelt: die Hinwendung zur Gegenwart in ihrer empirischen Fülle und Leere. Bevor ich diese Alltagskonzepte sowohl als Schlusspunkt der Romantischen Schule als auch der romantischen Kunstform abschließend vergleiche, noch ein 31 32 33 34 35

Vgl. Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik II – Werke in zwanzig Bänden, Bd. 14, S. 142–169 Rosenkranz: Ludwig Tieck und die Romantische Schule, S. 3. Ebenda. Ebenda. Ebenda, S. 3–4.

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kurzer Blick auf die literaturgeschichtlichen Mikroepochen. An diesen lässt sich nämlich die von Hegel verschiedene Verknüpfung von Einzelelementen zu einer Geschichte der Romantik gut zeigen. Entscheidend ist hier: Innerepochale Verschiebungen werden von Rosenkranz problemgeschichtlich begründet. Es entsteht ein Kreislauf aus Problemen und Lösungen, der eine quasi-zwangsläufige Entwicklungslogik suggeriert (»Man mußte daher…«; »Man sprang also…«36) und mehrere Peripetien kennt, die erst innerhalb der vom Autor inszenierten Handlungsstruktur entstehen (und nicht schon außerhalb des Textes präformiert sind). Bei Hegel gibt es solche Umschwünge nicht, sondern lediglich einen sukzessiven Prozess der Verinnerlichung: vom Bauwerk – Materialität dominiert Idee –, zur Plastik – Materialität und Idee harmonisieren, bis hin zum Tafelbild, in dem die Innerlichkeit der Idee in die Anschauung tritt. Abfolgen von Ereignissen, die der romantischen Kunstform subsumiert sind, werden von Hegel großraumperiodisch motiviert. Auf diesem Weg entwirft er einen plot, den die Literaturgeschichte der Romantik negieren muss, um ihre kleinteiligere Problemgeschichte erzählen zu können.37 Hegel liefert also schlicht andere ›Erklärungen‹ der Romantik. Diese Erklärungen Hegels sind freilich in gleichem Maße an die Organisationsform des Textes (oder der Rede) gebunden wie jene Erklärungen, die Rosenkranz liefert. Lässt sich das Romantische also angemessener als kleinraumperiodische Folge von Peripetien verstehen oder als großraumperiodischer Prozess der Sukzession? Mit etwas Abstand betrachtet kann man wohl sagen: In der narrativen Verknüpfung der Einzelelemente zu unterschiedlichen Kausalitäts- und Abfolgelogiken gewinnt eine historische Epistemologie der Romantik ihre kunstphilosophischen (Hegel) und literaturgeschichtlichen Konturen. Vom Standpunkt der historischen (Epochen-) Epistemologie aus betrachtet, gibt es jenseits dieser unterschiedlichen narrativen Konturen jedenfalls keine eigentlichen, dem Diskurs vorgängigen Insignien des Romantischen. Doch nun zum Alltag.

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Ebenda, S. 3. Dass die Literaturgeschichte sich von Hegels Chronologie des Romantischen abwendet, bedeutet jedoch nicht, dass diese auf das 19. Jahrhundert keinen Einfluss gehabt hätte. Populäre Kulturgeschichten der Romantik orientieren sich auch weiterhin an Hegels Verbindung von Rittertum, Mittelalter und (verinnerlichter) Religion. Die Literaturgeschichte setzt sich hingegen in den Folgejahren konsequent von Hegels Zeitordnung ab. Rudolf Hayms monumentale Romantische Schule (1870) ist ein gutes Beispiel für die anhaltende Konjunktur eines kleinteiligen Romantik-Verständnisses. Das Buch behandelt auf fast eintausend Seiten die Entwicklung der Jenenser Romantiker von den 1790er Jahren bis 1802: biographisch, philosophie- und natürlich literaturgeschichtlich. Das Mittelalter der Romantiker wird hier – weit davon entfernt, ein Bezugspunkt epochentypischer Indikatoren zu sein – zu einem historischen Zeugnis: Es interessiert lediglich als Beispiel für die vergangene frühromantisch-literarische (Kunst-) Geschichtsschreibung, die sich selbst in mittelalterlicher Tradition sah.

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3. Alltags-Sorgen der Literaturgeschichte. Wie die Gestaltung des Alltags vom Merkmal der späten Romantik zum Charakteristikum realistischen Erzählens avanciert Die Beliebigkeit und Alltäglichkeit, die die Sujets der in Auflösung begriffenen romantischen Kunstform charakterisiert, ergibt sich bei Hegel aus dem Umstand, dass sich das Geistige nicht mehr »als von dem schlechthin Substantiellen erfülltes und darin sich selbst wissendes und wollendes Subjekt zur Darstellung bringt«38, sondern lediglich als rein individuelle Subjektivität. Man kann im Umgang der Literaturgeschichte mit der Novellenproduktion der 1820er und 1830er Jahre, die zwar als Ende, aber eben doch Teil der Romantik gewertet wurde, ein Echo auf Hegels Entwicklungslogik erblicken. Theodor Mundt etwa kritisiert Ludwig Tiecks späte Novellen 1837 mit den Worten: »Das gesellschaftliche Leben der Zeit wurde darin nach allen Seiten hin aufgegriffen, nicht sowohl wie es war in seiner unmittelbaren und realen Erscheinung, als vielmehr wie es schien, unter dem Reflex individueller Meinungen und Combinationen.«39 Tiecks Novellen präsentieren in Mundts Analyse nichts anderes als jenen Hegelschen subjektiven und objektiven Formalismus, den dieser für das Ende der romantischen Kunstform so charakteristisch hält. Benannt sind hier also jene Elemente, die Hegel gleichfalls geltend macht; auch wenn die Systematik der Geistentfaltung lediglich eine untergeordnete Rolle spielt. Rosenkranz’ Rede von der ›socialen Novelle‹ stellt auf ganz ähnliche Merkmale wie Mundt ab, und auch sie wählt Tieck zum Hauptzeugen. Genauer noch als die anderen Epochen der Romantik lässt sich anhand des Auftretens der neueren Novellen der Beginn der dritten Romantik-Epoche datieren: »1821 war es«, schreibt Rosenkranz, »als Tieck mit seiner ersten Novelle auftrat und mit ihr den Ton angab, die Interessen der Gegenwart in poetischer Dialektik zu verhandeln. Von harmlosen Gegenständen, von Gemälden, Musiken, Göthomanie u. s. w. an hat die Novelle seither jede Phase der Geschichte widergespiegelt.«40 Freilich bleibt die zeitgeschichtliche Diagnosekraft Tiecks äußerst beschränkt, denn seine Novellen berühren »ihrem Inhalte nach unsere Zeit nur auf der Oberfläche«41, so Rosenkranz. An der Oberfläche bleibt auch bei Hegel »die Nachbildung des äußerlich Objektiven in der Zufälligkeit seiner Gestalt«. Zufällig ist diese Gestalt deshalb, da sie der »inneren Zufälligkeit« einer sich im »Humor«42 realisierenden Subjektivität korrespondiert. Lässt Hegel den sog. ›objektiven Humor‹ noch gelten, so grenzt der ›subjektive Humor‹ an die »Ironie«, in der das, wie Pöggeler meint, »empirische[..] Ich […] im Genuß seiner formellen, alles Substantielle auflösenden Freiheit« alle »Bestimmtheit zu einem nichtigen Schein im freien Spiel seiner Genialität«43 herabsetzt.44 38 39 40 41 42 43 44

Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik II – Werke in zwanzig Bänden, Bd. 14, S. 129. Mundt: Die Kunst der deutschen Prosa, S. 363. Rosenkranz: Ludwig Tieck und die Romantische Schule, S. 37. Ebenda, S. 38. Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik II – Werke in zwanzig Bänden, Bd. 14, S. 239. Pöggeler: Hegels Kritik der Romantik, S. 48–49. Gewährsmann für einen solchen Humor ist Hegel bekanntlich Jean Paul. »Im Humor ist es die

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Hat dieses Spiel erst einmal begonnen, ist auch das Ende der Kunst nicht mehr weit. Zu deutlich ist es doch, dass die Kunst in diesem Zustand nicht mehr dazu beiträgt, den absoluten Geist bewusst zu machen. Ihr eröffnet sich hier jedoch ein ganz neues Wirkungsfeld, etwa in der holländischen Genre-Malerei, wo die Veralltäglichung der Sujets zu einer Verselbständigung und Perfektionierung formaler Mittel führt.45 »Hegel begriff die nordeuropäische Malerei im Ganzen als einen Prozeß«, so Pöggeler, »der von den alten heiligen Bildern zur Prosa des Alltags im protestantischen Holland führt und diese Prosa schließlich im Stillleben in einer Musik der Farben aufgehen läßt.«46 Mit dieser zeitlichen und inhaltlichen Verortung des Veralltäglichungsprozesses im Rahmen der Auflösung der romantischen Kunstform können die Analysten der Romantischen Schule nicht viel anfangen. Zwar sind alle wesentlichen Zutaten enthalten, jedoch unterscheiden sich die Rezepte, d. h. die Genealogisierungen. Bei Hegel erscheint das Spiel mit der Farbe als Endpunkt einer Kunst, die in ihrem Interesse an der empirischen Erscheinungsvielfalt womöglich aufgehört hat, dem sinnlichen Vergegenwärtigen einer Idee zu dienen. Dem musikalischen Farbspiel, das die Romantische Schule inszeniert, kommt hingegen eine – wenn auch freilich von der Literaturgeschichte der 1830er Jahre kritisierte – Erkenntnisfunktion zu.47 Zudem ordnet die literaturgeschichtliche Verortung der Romantischen Schule jene Prosa, die Hegel dem holländischen Genre attestiert, als Merkmal der auslaufenden Romantik der 1820er Jahre zu (Stichwort: Novelle). Aus dieser Perspektive ist die Hinwendung zur Gesellschaft eine Folge des Versuches, wie Rosenkranz schreibt, dem »Romantischen Dasein zu geben«48; die musikalischen Farbexzesse sind zu diesem Zeitpunkt bereits lange gescheitert. Gescheitert sind sie vor allem deshalb, da sie sich nicht als Restitution der Spiritualität mittelalterlicher Kunst erwiesen haben. Der Hauptunterschied hinsichtlich der Bewertung des Alltäglichen besteht jedoch darin, dass dieses keineswegs das Ende der Kunst bedeuten muss. Vielmehr wird hier ein Interesse an der Gegenwart sichtbar, das nach der Julirevolution von

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Person des Künstlers, die eigene Subjektivität, die sich produziert. Es ist nicht mehr um einen objektiven Inhalt zu tun, sondern der Künstler selbst tritt auf; und sein Auftreten ist so beschaffen, daß, was er produziert, nur Ironie seiner selbst ist, eine Auflösung dessen, was objektiv zu werden beginnt. Es ist eine Darstellung des Subjekts, das sich und allen Stoff, den es gebraucht, preisgibt. Unter uns haben wir berühmte Humoristen gehabt. Unser Humorist ist Jean Paul. Die Geschichte ist das am wenigsten Interessante bei ihm.« – Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Kunst (1823), S. 201–202. Gethmann-Siefert macht darauf aufmerksam, dass Hegel zwar »in der Möglichkeit, den Schein der endlichen Dinge als Schönheit herauszustellen, die höchste Möglichkeit der Malerei« ausmacht, jedoch bleibt fraglich, ob man hier noch von einer Idee sprechen kann, die versinnlicht wird und damit von einem »Kunstwerk[]«. – Gethmann-Siefert: Die Kritik an der Düsseldorfer Malerschule bei Hegel und den Hegelianern, S. 273. Pöggeler: Hegel und die Geburt des Museums, S. 311–312. Vgl. zum Erkenntniswert der Farbe im frühromantischen Diskurs Kasper: »in seiner ursprünglichen bunten Wunderbarkeit«. Aufgeklärte Wahrnehmungstheorie und romantisierte Wahrnehmung bei Novalis und Tieck, sowie Kasper: Ahnung als Gegenwart, S. 12–20, S. 25–38. Rosenkranz: Ludwig Tieck und die Romantische Schule, S. 3–4.

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1830 politisiert wurde. Die Romantische Schule wird in diesem Sinne, wie Rosenkranz schreibt, durch eine »moderne Schule«49 abgelöst. Erst später geraten die Novellen der 1820er Jahre in den Einzugsbereich einer Literaturgeschichte, die hier die Anfänge frührealistischen Erzählens studiert – und dies meist ohne vom Ende der romantischen Kunstform oder dem Ende der Roman tischen Schule zu sprechen. Dass das vormalige Ende als eigentlicher Anfangspunkt der darstellungstheoretischen und historiografischen Bemühungen um den sog. ›Realismus‹ firmiert, ist nicht überraschend. Interessanter ist da schon der Umstand, dass die Konzeption des literarischen Realismus lange Zeit durch einen Idealrealismus imprägniert blieb. Im Kern ging es auch hier – wie bei Hegel – darum, das gesellschaftlich Besondere und Individuelle durch ein allgemeines Ideal bestimmt gestaltet zu sehen.50 Dem Alltag musste erst seine krude Alltäglichkeit ausgetrieben werden, um ihn als eigenständiges Sujet legitimieren zu können. Nicht also die bei Hegel zur Diagnose vom Ende der Kunst führende Auflösung der künstlerischen Darstellung in der empirischen Beliebigkeit bildet den Bezugspunkt, sondern eine neue Alltags-Idealität. Ob man diese nun in der Tradition des absoluten Geistes Hegels sieht, ist wohl eher zweitrangig. Die Hinwendung zum bürgerlichen Alltag – soviel steht fest – muss jedenfalls keineswegs das Ende der Kunst im Sinne Hegels bedeuten. Eine ideale Alltäglichkeit ist wohl immer künstlerisch – auch wenn sie alles andere als alltäglich ist. Nur der idealschöne Alltag besteht also die Kunstprobe. Mit dem realschönen muss man allein fertig werden.

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Ebenda, S. 43. Plumpe weist darauf hin, dass es besonders die von Hegel der Kunst zugedachte Substitution eines bereits verloren geglaubten Seins war, die die Anziehungskraft seiner Kunstphilosophie auf die Theoretiker des Realismus ausmachte. Die Idee einer Aufwertung des Kunstschönen gegenüber dem Realschönen ist es demnach, die »in der epigonalen Ästhetik der zweiten Jahrhunderthälfte […] alle[] ›real-idealistischen‹ Programme« prägte. – Plumpe: Das Reale und die Kunst. Ästhetische Theorie im 19. Jahrhundert, S. 243.

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Alles/Nichts: Romantische Kompensation prosaischen Alltags bei E. T. A. Hoffmann

1. Identität und Alltag – Erfahrung und Differenz Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel Ordnungen? und gesetzt selbst, es nähme einer mich plötzlich ans Herz; ich verginge vor seinem stärkeren Dasein. Denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen, und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht, uns zu zerstören.1

Es ist unschwer, zuzugestehen, dass diese konjunktivische Schilderung der Situation des dichterischen Ichs, die Rilke hier mit den bekannten Eingangszeilen der Duineser Elegien vornimmt, auf einen ersten Blick schwerlich mit einer Alltagsszene gleichzusetzen ist. Bei näherer Betrachtung aus einem metaphorisch konditionierten Blickwinkel (Neoromantik hin oder her) mit dem Gestus alltäglicher Romantik vielleicht. Denn formuliert wird hier die Klage des aus der Welt gefallenen Subjekts über seine grundlegende Erfahrung: Die Klage über Einsamkeit des modernen Menschen, der allein steht in der gedeuteten Welt zwischen Engeln und Tieren, und über eine Leere, die als Grundstimmung diese Elegien durchzieht, was jener, eine Generation später von Gottfried Benn radikalisierten Feststellung sehr nahe kommt, dass es nur »zwei Dinge« gäbe: »[D]ie Leere und das gezeichnete Ich.«2 Der Vorgriff auf Rilke und Benn, durchaus Ahnherren nachfolgender postmoderner Jeremiaden, soll auf den Unterschied hinweisen, der drei Generationen vor Rilke eine romantische Artikulation bestimmte, die zwar ähnlich klang – »die Welt ist leer«, heißt es auch bei Novalis3 – jedoch als Konsequenz dieser Bestandsaufnahme neben einer forcierten Hinwendung nach Innen auch ein verstärktes Interesse geltend machte, sich diese Alltagswelt neu zu erschliessen. »Das Herz ist satt – die Welt ist leer«4, notiert Hardenberg im Bewusstsein des Auseinanderklaffens von Zeit und Ewigkeit, und im Raum steht die Suche nach Orientierung und Neuorganisation des Selbst, wenn das Integral Gott nicht mehr wirkt. Denn für die Romantik ist noch nicht ausgemacht, was für Rilke und Benn – trotz Kompensation mit »Weltinnenraum« bzw. einem Stoizismus des Ertragens –freudianisch gesprochen, längst 1 2 3 4

Rilke: Duineser Elegien. Die Erste Elegie – Werke, Bd. 2, S. 201. Benn: Nur zwei Dinge – Gesammelte Werke, Bd.: Gedichte, S. 427. Novalis: Hymnen an die Nacht – Schriften, Bd. 1, S. 156. Ebenda.

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Gewissheit geworden zu sein scheint: Dass das Ich nicht Herr im eigenen Hause ist. Was in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts für Benn als ausgemacht gilt, dass das »gezeichnete Ich« fernbestimmt ist, steht der Romantik als Erfahrung gerade bevor. Das »Ungenügen« dieser Romantik an der erfahrenen Realität, das selbstredend ein alltägliches ist, um eine griffige Formulierung des Germanisten Lothar Pikulik zu paraphrasieren5, speist sich aus jenen Ursachen, an denen alle der Romantik nachfolgende Literatur laborieren wird: Die negativen Symptome eines Aufklärungszeitalters, die das geistige Raum-Zeit-Gefüge für das Subjekt in Natur und Gesellschaft erschüttern, rufen jene Verunsicherung hervor, die es zwar nicht sprachlos, doch fürderhin skeptisch hinsichtlich seiner Ausdrucksmöglichkeiten sein lässt. Da die Alltagswelt die »›Wirklichkeit par excellence‹« ist, jene »Lebensregion, die sich ›in der massivsten, aufdringlichsten, intensivsten Weise‹ ins Bewusstsein installiert und die im Rahmen der ›natürlichen‹ Lebenseinstellung mit einem Realitätsakzent versehen wird, der keinen Zweifel an ihrer selbstverständlichen Existenz und an ihrer unmittelbaren Evidenz zulässt«6, bietet sie sich für das Subjekt um 1800 als Forum für Selbstreflexion und Interpretation aller Erfahrung unmittelbar an. Aber gerade weil das sich daraus entwickelnde Sujet der Alltagskonzeption »nicht das Zufällige und Beiläufige […], sondern das Verallgemeinerte und Allgemeingültige« widerspiegelt, und in der »Alltagsgestalt« sich die Wirklichkeit so »als ein kohärentes ›Gebilde von Typisierungen‹, als eine hochgradig formalisierte Modellkonstruktion«,7 konstituiert, beginnt das romantische Subjekt das Verallgemeinerte und Allgemeingültige jener Alltagskonzeption als Abstraktion gesellschaftlicher Phänomene und als Formalisierung sozialer Abläufe auf den zweiten, »phänomenologisch geschärfte[n] Blick« hinsichtlich seiner Individualität »mit Skepsis«8 so problematisch wie defizitär zu empfinden. Dieses Verständnis und Gefühl alltäglicher Verunsicherung wird vorerst mit theologisch-philosophischem Vokabular umschrieben: »Alles, was wir erfahren, ist eine Mittheilung«, notiert diesbezüglich Novalis. So ist die Welt in der That eine Mittheilung – Offenbarung des Geistes. Die Zeit ist nicht mehr, wo der Geist Gottes verständlich war. Der Sinn der Welt ist verloren gegangen. Wir sind beim Buchstaben stehn geblieben. Wir haben das Erscheinende über der Erscheinung verloren. Formularwesen.9

Da die göttliche Ordnung, die hinter dem Wort Gottes steht, fraglich geworden ist, bleibt vom Logos letztlich nur der Buchstabe bar jeden Wortsinns übrig: Formulierte, uninspirierte Glaubensanweisungen – vom ritualisierten Gebet bis zur profanen Lebensgestaltung. Diese neue, diese rein formal verwaltete Welt, die in Physis und Psyche Spuren hinterlässt, muss sich das Individuum erst wieder mit neuem Selbst5 6 7 8 9

Vgl. Pikulik: Romantik als Ungenügen an der Normalität. Vgl. Steck: En miniature – Alltagswelt im Kleinformat, S. 274. Ebenda, S. 276–277. Ebenda, S. 275. Novalis: Anekdoten – Schriften, Bd. 2, S. 594.

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verständnis erschließen, indem es einen Sinnzusammenhang (er)findet. Die Theoretiker der frühromantischen ersten Stunde, Friedrich Schlegel und Novalis, setzen, wie bekannt, auf die Universalpoesie. »Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnißvolles Ansehn, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe so romantisire ich es«, schreibt der Salinenassessor Hardenberg 1798, und versucht damit nichts weniger, als Lebens- und Weltzeit, quasi Alltag und Ewigkeit, auf einen persönlichen Nenner zu bringen.10 Wenn nun um 1800 transzendentale Subjektivität konsequent die Stelle der Transzendenz besetzt, ergeben sich für das Individuum Probleme und Einsichten, die der Wegfall des Integrals Gott, der dieser Welt und diesem Leben bislang Grund gab, mit sich bringt. Denn wenn die Romantik wie keine geistesgeschichtliche Epoche vor ihr rigoros auf das Ich, auf das Selbst abstellt11, legt sie damit zwangsläufig das ontologische Problem transzendentaler Subjektivität frei. Dieses Problem ist, betont Gerhard Schulz, seit Kant und Fichte der Philosophie wie der Ästhetik vertraut: Sind wir, was wir seien wollen, was unser Geist, unsere Einbildungskraft bestimmen, oder gibt es objektive Realitäten wie Natur, Raum und Zeit, denen wir uns nicht entziehen können und von denen letztlich unser geistiges Dasein und unsere Phantasie abhängen?12

So führt von der Kantschen Feststellung, dass alle Erkenntnis relativ sei, ein kurzer Weg zum Fichteschen Ich als produktive wie verunsichernde Erfahrungsmöglichkeit von Selbst und Welt. »Denn zwischen dem Ich, das sich weiß, und dem Ich, das dem Selbstbewußtsein gegeben ist, tut sich ein Abgrund auf, der es ausschließt, beide Identitäten als mit sich identisch zu begreifen«, so etwa Jochen Hörisch: Wer sich romantisch-narzistisch in seinem Spiegelbild selbst erkennen will, muss schon zuvor wissen, wie er aussieht, um sich mit sich identifizieren zu können. Wer sich als sich erkennen, erfassen, erfahren will, macht die abgründige Erfahrung, dass […] Identität die Identität von Erfahrung und Differenz ist.13

Zu lesen ist jene Ausdifferenzierung des Wissenschafts- und Selbstverständnisses mithin als Folge einer Verunsicherung des Selbstgefühls aufgrund der genannten Generalisierungstendenz von Alltäglichkeit, wenn im Rahmen von Familie und Beruf, Glauben und Liebe, Tradition und Umwelt Verwerfungen und Differenzen in Lebensrhythmus und Verortung körperlich und geistig erfahren werden. Was sich im Rahmen von Erfahrung und Differenz als Aus-sich-selbst-Heraustreten in theoretischen Ableitungen hochelaboriert ausnimmt, lässt sich in seiner poetischen

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Novalis: Poëticismen – Ebenda, S. 545. Auf die Kontinuität des spekulativen Denkens und seine daran ansetzende künstlerische Artikulation weist – ungeachtet der romantischen Zäsur – vor allem Schulz (Romantik) hin. Schulz: E. T. A. Hoffmann, S. 419–460, hier S. 434. Hörisch: Dialektik der Romantik, S. 25–45, hier S. 30.

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Gestaltung bei genuinen Dichtern, etwa bei Tieck oder Hoffmann, recht mühelos als Spiel mit der Differenz entziffern.

2. Metaphorische Bewältigung – Analyse und Alternative Um erfahrene Komplexität und empfundene Differenz - ob paradoxal, grotesk oder surreal – auf einen poetischen Nenner zu bringen, müssen zureichende ästhetische Artikulationsmöglichkeiten gefunden werden. Doch jeder individuellen Kunstprogrammatik ungeachtet – die Crux zwischen Unsagbarkeitstopoi und Unzulänglichkeit der Sprache wird von der Romantik im allgemeinen nicht viel anders wahrgenommen als vor ihr schon von Shaftesbury und anderen, und ist bei Kleist stellvertretend so nachzulesen: Selbst das einzige, das wir besitzen, die Sprache taugt nicht dazu, sie kann die Seele nicht malen, und was sie uns gibt sind nur zerrissene Bruchstücke. Daher habe ich jedes mal eine Empfindung, wie ein Grauen, wenn ich jemandem mein Innerstes aufdecken soll; nicht eben weil es sich vor der Blöße scheut, aber weil ich ihm nicht alles zeigen kann, nicht kann, und daher fürchten muß, aus den Bruchstücken falsch verstanden zu werden.14

Hier wird weder der alte Wunsch nach einer lingua franca wiederaufgelegt, wie sie etwa Lichtenberg für die Philosophen und Angehörige der oberen Fakultäten in Geist und Sinnen erträumte, noch wird einer durch symphilosophische Engführungen und forcierte Transzendentalphilosophie hervorgebrachten neuen Unverständlichkeit das Wort geredet, die etwa Henrik Steffens in einem Brief vom September 1814 an Ludwig Tieck beklagt, wenn er auf irreduzible Differenzen zwischen Denken und Realität hinweist. Hat doch das Überschreiten der Erfahrungsgrenzen, wie Steffens weiß, auch zu einer neuen Unverständlichkeit geführt, die an die Stelle der alten Unübersichtlichkeit der Wissens-Verhältnisse und Erfahrungswelten getreten ist: So gewiß, wie es ist, daß die Zeit, in welcher Goethe und Fichte und Schelling, und die Schlegel, du, Novalis, Ritter und ich, uns alle vereinigt träumten, so reich an Keime mancherlei Art waren, so lag dennoch etwas Ruchloses im Ganzen. Ein geistiger Babelsthurm sollte errichtet werden, den alle Geister aus der Ferne erkennen sollten. Aber die Sprachverwirrung begrub dieses Werk des Hochmuth unter seine eigenen Trümmer. – Bist du der, mit dem ich mich vereinigt träumte? Fragte einer den andern. – Ich kenne diese Gesichtszüge nicht mehr, deine Werke sind mir unverständlich, – und ein jeder trennte sich in den entgegengesetztesten Weltgegenden – die meisten mit dem Wahnsinn, den Babelthurm dennoch auf eigne Weise zu bauen.15

Steffens’ Bestandsaufnahme der Träumereien jener »Ideenkommune« (Walther Zimmerli) an Jenaer Kaminen und anderswo weist jedenfalls auf die Gefahr hin, irreduzible Differenzen zwischen Denken und Realität durch symphilosophische 14 15

Kleist: Brief an Ulrike von Kleist, 5. 2. 1801 – Werke in vier Bänden, Bd. 4, S. 191. Holtei (Hrsg.): Briefe an Ludwig Tieck, Bd. 4, S. 65–66.

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Engführungen und forcierte Transzendentalphilosophie überwinden zu wollen. Wenn aber schon das naturphilosophische Projekt am Anspruch des transzendentalen Idealismus aufgrund der nicht substantiierten Selbstbezüglichkeit seiner Identitätsphilosophie scheitert, muss die Ästhetik Abhilfe schaffen. In Bruchstücken denken, in Fragmenten argumentieren und anschaulich umschreiben, was sich eineindeutiger Benennung entzieht, lässt die Romantik vor dem tradierten Problem zwischen Sprachvermögen und Unsagbarkeitstopos schliesslich zu einer sehr eigenen Sprache finden. Diesem Selbstbewusstsein, das unhintergehbare Identität stiften möchte, aber dabei stets »intern Inkonsistentes« offenlegt, und dies mit »Doppelgänger-, Spiegel- und Schizo-Motive[n]«16, ebenso wie mit Schatten- und Automaten-Metaphern beschreibt, hat sich die Forschung vielfach zugewandt. Da die Metapher nicht wörtlich zu nehmen ist, sondern auf Ähnlichkeiten und Umschreibung abzielt, d.h. approximativ bewerkstelligt, was nicht eineindeutig zu sagen ist, erlebt sie im Sprachgebrauch ihre Hochzeit in einer Übergangsphase, wo die Ästhetik, um mit Odo Marquard zu sprechen, »angesichts der Aporie des emanzipierten Menschen [als] Ausweg« dort gebraucht wird, wo das wissenschaftliche Denken […] nicht mehr, und das geschichtliche Denken […] noch nicht trägt«17. Das Unsagbare ausdrücken zu wollen, eine magische Verbindung von Wort und Sache herstellen, führt zu einer Sprache, welche die vom romantischen Ich erfahrene Abgründigkeit und Krisenhaftigkeit um 1800 (oft belehnt mit der Metapher des krankhaften Verstandes bzw. der idee fixe) als Kosmos wie als Chaos entsprechend ins Bild zu setzen versucht. Dabei hat die Forschung immer auch auf die an Shakespeare und Cervantes geschulten romantischen Gestaltungsmittel Melancholie und Lachen verwiesen, hin zur Paradoxie, die ästhetisch adäquat über das in der Realität erfahrene Differente hinwegzuhelfen mag und dabei vor einem langweiligen Leben schützen kann. Daneben hat man die Erlösungssehnsucht aus der empfundenen Fragmentierung mit Blick auf die traditionelle Kairos-Vorstellung am »Augenblick« festmachen wollen, wenn die »aufscheinende Synthese des Disparaten«, Heilung signalisiere. Die »Erfahrung menschlicher Einheit in der unendlichen Vielfalt zu provozieren, im ständigen Kippspiel zwischen Innenwelt und Außenwelt zu jonglieren, das [sei] die neue Möglichkeit, mit dem Unendlichen zu kommunizieren«, meint Bruno Hillebrand18. Und auch die jüngste Arnim-Forschung hat u.a. am Beispiel der Arnimschen Heterotopien auf die versuchte Annäherung an das Unendliche hingewiesen, was erfordere, das »Differente zusammenzudenken – ohne es einfach in einem einheitlichen ›Sinnhorizont‹ […] aufzulösen«.19 Solche Selbstanforderungen verlangen nach sprachlichen Mitteln, die Anschaulichkeit, Bildhaftigkeit, Sinnlichkeit versprechen, um eine »enge Affinität poetischer Rede zum Bereich des Affektiven, zu Gefühlen, Stimmungen, seelischen Dispositionen« zu gewährleisten20. Und die romantische 16 17

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Vgl. Hörisch: Dialektik der Romantik, S. 30. Vgl. Marquard: Kant und die Wende zur Ästhetik – In: Marquard: Aesthetica und Anaesthetica, S. 123–134, hier S. 32. Hillebrand: Ästhetik des Augenblicks, S. 47. Schmidt: In der Kutsche, S. 223–235, hier S. 226–227. Vgl. Schmitz-Emans: Romantische Sprachästhetik, S. 567–588, hier, S. 573: »Nicht allein,

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Auffassung vom »wahrheitsgemässen und offenbarenden Charakter der Metapher« rekurriert auf das Analogische zwischen deren »›Bilder‹-Sprache und der Erscheinungswelt selbst«, wobei die Romantik das alte theologisch-mystische Konzept, dem zufolge alles Übersinnliche, das Transzendente und Göttliche metaphorischer Vermittlung bedarf, »um eine Dimension erweitert: Das ›endliche‹ Bild soll auf unendliches verweisen.[…] Der romantische ›Text‹ versteht sich grundsätzlich als Ansporn zur schöpferischen Interpretation, nicht zur eindimensionalen ›Decodierung‹«.21 Sämtliche Definitionen zielen auf die ihnen gemeinsame Überlegung, dass Analyse und Beschreibung mittels einer Bild-Sprache das Ziel verfolgen, die intellektuelle und emotionale Handhabbarkeit der Verfasstheit von Welt und Subjekt kommunikativ zu gewährleisten. Angesichts des solcher Bild-Sprache zugestandenen Potentials wird jedoch kaum versucht, die Bestandsaufnahme des beschriebenen Krisenbewusstseins auch als Mittel alltagstauglicher Bewältigung für das Individuum selbst zu erkennen. Mit anderen Worten: Das Forschungsinteresse gilt der Decodierung des romantischen Textes als Beleg für das Selbst- und Weltverständnis seines Verfassers; unbeachtet bleibt das lebenspraktische Kompensationspotential, welches die Romantik mit dem Aufbrechen der bipolaren Kommunikationssituation zwischen Autor und Rezipient mit Blick auf die Formenvielfalt dargestellter Selbstreflexivität bereithält. Denn erst wenn der kreative Umgang des Individuums mit bipolaren oder multiplen Störungen, welche die romantische Figurengestaltung zweifellos aufweist, unter einem lebenspraktischen – meinethalben unter einem Alltags-Aspekt berücksichtigt und der vermeintlich pathologische Befund als Umgang mit den »Sollbruchstellen der Seele«22 hinterfragt wird, werden die für das Subjekt durchaus vorhandenen Möglichkeiten erkennbar: Das Vermögen, sich in Krisensituationen neu zu orientieren und – über einen individuell wiederhergestellten Sinnzusammenhang zwischen Ich und Welt - die eigene Biographie quasi neu zu erfinden. Was von der Psychologie für die Multiple Persönlichkeit der Postmoderne als Merkmale dissoziativen Verhaltens, die Trennung von Wahrnehmungsund Gedächtnisinhalten, allgemein geltend gemacht wird, hat die Literatur der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts in der Widerspiegelung romantischen Alltagsverständnisses bereits ansatzweise vorbereitet, wenn auch in der Romantik, so die (unpoetische) historische Einschränkung der Psychologie, noch »Besessenheit, Magnetismus, Mesmerismus, Somnambulismus, Medien und Geisterbeschwörer die Sicht auf die Normalität der Multiplizität« verstellen23. Redet der Jens Mergenthaler pointiert von »Sollbruchstellen«, so meint er die in die menschliche Psyche ›eingebauten‹ Mechanismen, die nicht pathologisch zu lesen sind, sondern als eine Art Überlebenshilfen genutzt werden. Ausgehend von dem Unterschied,

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dass die Sprache der Poesie ihre eigenen Massstäbe besitzt – sie ist dem ausserpoetischen Sprachgebrauch sogar überlegen, da sie auf komplexere Dimensionen der Wirklichkeit verweist, während letzterer an der Oberfläche bleibt.« Ebenda, S. 579, S. 586. Mergenthaler: Sollbruchstellen der Seele. Ebenda.

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»ob man sich an seiner Fragmentierung erregen kann oder ob man an ihr leiden muss«24, stellt Mergenthaler fest, hat man »durch die Metapher der Multiplen Persönlichkeit etwas auszudrücken vermocht, was nicht mit der Pathologie zu tun hat, sondern mit den existenziellen Fragen des Lebens, den Fragen nach Identität, Existenz und Einzigartigkeit«25. Den versierten Romantik-Kenner überrascht ein psychologischer Befund natürlich nicht, der Literatur bescheinigt, am flexibelsten mit dem Thema Identität umzugehen, diese am radikalsten in Frage zu stellen und selbst Alternativmodelle zu erproben, die am Rande unserer Vorstellungskraft liegen26. Interessant dürfte in diesem Zusammenhang vielmehr der Hinweis auf die vorgestellten »psychiatrischen Denkkonzepte Multiplizität und Dissoziation« sein, die der modernen multiplen Persönlichkeit als »potentielles Jedermann-Phänomen« zuhanden sein können27. Denn Dissoziation leistet »mehr, als Leid und Grausamkeit in Vergessenheit zu verpacken. Sie ist«, so Mergenthaler weiter, »eine kreative Leistung zur Lebensbewältigung und zur Herstellung psychischer Gesundheit und zur Bereicherung des Leben«. Und im Anschluss an die psychologische Forschung werden folgende »alltäglich[e] Phänomene« willentlich induzierter Dissoziationen aufgezählt: »Automatisieren von Verhalten: habitualisiertes und gelerntes Verhalten ermöglicht es, mit einem Minimum an bewusster Kontrolle Handlungen auszuführen oder Entscheidungen zu treffen«; »[e]ffizientes Handeln: Die Dissoziation ermöglicht die uneingeschränkte Hingabe an eine Aufgabe, ohne daß es von der Reflexion gestört wird«; »Lösung von Konflikten: Widersprüchliche Wünsche, Verhaltenserwartbarkeiten oder Werte werden einem Bewusstseinszustand untergeordnet und können so sequentiell, nicht integriert in einer Einheit, ausgedrückt oder ausgelebt werden«; »Dissoziation verhilft zur Flucht vor den Beschränkungen der Realität durch Trance, Ekstase, Drogenrausch; Isolation von Erfahrungen«; »ungelöste Probleme […] werden dissoziativ weggesperrt«; Abschalten, z. B. bei langweiligen Vorträgen; Tagträumen«28. Wie relevant diese Verhaltensmuster bereits für die Romantik sind, soll punktuell am Beispiel E. T. A. Hoffmanns aufgezeigt werden, der das zentrale Motiv seines Erzählwerkes, »die Vielschichtigkeit bzw. den Zerfall des Realen […] in immer neuen, überraschenden Variationen abwandelt«29 – bis hin zur gestalteten »Wandelbarkeit der erzählten Welt«, die aber über den Prozess der »Metamorphose«30 oft hinausgeht, um als Spiel im Spiel dem Subjekt angesichts von individueller Endlichkeit und kosmischer Totalität Trost und Sinn, quasi Existentialität zwischen Lebens- und Weltzeit, zu vermitteln.

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Vgl. ebenda, S. 14. Ebenda, S. 19. Ebenda, S. 22. Ebenda, S. 132. Ebenda, S. 57. Vgl. Magris: Das Fest der Individualität, S. 82–83. Vgl. Heimes: Metamorphose, S. 523–526, hier S. 523.

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3. Alltagskarneval und »Reflexionstheater« Akribisch hat die Forschung die verschiedensten medizinisch-psychologischen Einflüsse, Stichwort: Schubert, Schelling, Reil, Brown, Mesmer, in E.T.A. Hoffmanns Schaffen nachgewiesen31, das beileibe mehr darstellt als einen »entsetzlichen Angstschrei in zwanzig Bänden«, wie es der Polemikus Heine effektvoll in seiner Romantischen Schule pauschalisiert hat32. Denn Hoffmann versucht in seinen Erzählungen und Romanen, als nachtschwarzes Capriccio ebenso wie als märchenhafte Erlösungsgeschichte, in den unterschiedlichsten Narrationen gerade das »Entsetzliche« als das zu beschreiben, »was sich in der alltäglichen Welt begibt [und] eigentlich dasjenige [ist], was die Brust mit unverwindlichen Qualen foltert, zerreißt.«33 So gestaltet er die Konfrontation des Subjekts mit seiner Alltagswelt in all den zutage tretenden Differenzen und den daraus resultierenden Folgen. »Es ist das Phantom unseres eigenen Ichs, dessen innige Verwandtschaft und dessen tiefe Einwirkung auf unser Gemüt uns in die Hölle wirft oder in den Himmel verzückt«, lässt er einen seiner Protagonisten in dem Nachtstück Der Sandmann sagen34. Dabei wird der Umgang mit dem Phantom des eigenen Ichs von ihm auch diametral unterschiedlich gestaltet – sowohl als Fabel wie als Genre – etwa in den Figuren Nathanael im Sandmann und Anselmus im Goldenen Topf. Über beide Stücke ist so viel geschrieben worden, dass hier nur die Unterschiede herausgestellt werden, über welche absoluter Konsens besteht. »Nathanael ist der Ungewöhnliche, der Außenseiter, der mehr sieht als die anderen und solche Erkenntnisse auch im Kunstwerk zu bewältigen und damit zu beherrschen versucht«, so etwa Gerhard Schulz35. Und Henriett Lindner betont, dass die »Logik der Phantasie« Nathanaels imstande sei, »nicht Zusammengehöriges zu verbinden, über die alltägliche Logik hinaus Assoziationen herzustellen, einen in sich geschlossenen Zusammenhang der Wahrheiten zu schaffen«; und die »romantische Künstlerfigur und der Wahnsinnige [seien] identisch in Nathanaels Person«, weil »die schöpferische Einbildungskraft […] ihn in seinem autonomen Künstlertum« bestätigt36. Jene Hoffmann allseits zugestandene ironische Kritik am romantischen Künstlertum geht natürlich weit über eine didaktische Absicht hinaus: Nathanael verwechselt Traum und Realität mit schlimmen Folgen, denn er ist im Gegensatz zu Anselmus kein Tagträumer. Dass die »Phantasie […] der schlimmste Teil […] unserer Erbsünde ist«37, zeigt Hoffmann an der Sandmann-Geschichte: Die Phantasie wird zum Wahnsinn, weil der von Hoffmann proklamierte Bezug zur Außenwelt, von ihm unter den Begriff der »Duplizität« des Seins subsummiert, durch Nathanael missachtet wird. Der schusselige Anselmus aber, der noch über jede kleine Hürde des Alltags stolpert, ist kein Künstler. Er ist verortet im Tagesgeschäft mit all seinen 31 32 33 34 35 36 37

Stellvertretend genannt sei hier Lindner: »Schnöde Kunststücke gefallener Geister«. Heine: Die Romantische Schule – Werke und Briefe, Bd. 5, S. 97. Hoffmann: Die Serapionsbrüder II - Gesammelte Werke in Einzelausgaben, Bd. 5, S. 515. Hoffmann: Der Sandmann – Gesammelte Werke in Einzelausgaben, Bd. 3, S. 21. Schulz: E.T.A. Hoffmann, S. 431–432. Lindner: »Schnöde Kunststücke gefallener Geister«, S. 210–211. Hoffmann: Kreisleriana – Gesammelte Werke in Einzelausgaben, Bd. 1, S. 43.

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Tücken und Fallstricken, und doch lassen ihn sein Glaube und seine Liebe an Serpentina ein märchenhaftes happy end erfahren. Ob die von Anselmus bevorzugte Dissoziation die – wie es die Psychologie formuliert – »uneingeschränkte Hingabe an die Aufgabe erlaubt, ohne dass sie von der Reflexion gestört wird«, eben weil er eine schlichte Natur ist, oder ob sie ihm zur »Flucht vor den Beschränkungen der Realität« verhilft38, oder ob er als Tagträumer einfach abschaltet, und er sein Rittergut in Atlantis vielleicht in eben solch einer Dresdner Dachkammer erträumt, welche auch dem Erzähler eignet, ist unwichtig. Er lebt seinen Traum, und Nathanael geht an seinem Traum zugrunde. Natürlich ist ein Märchen keine Lebenshilfe und hält noch weniger Orientierungsmöglichkeiten für den Alltag bereit als eine Geschichte voller Angstpotential, die davor warnt, zu tief in den eigenen Abgrund zu schauen. Vielleicht befremdet deshalb Hoffmanns Prinzessin Brambilla am stärksten, weil das Capriccio mit der Suspendierung des Alltags doch eine Art Sonderfall im Gesamtwerk darstellt. Hoffmann erschafft hier mit Mitteln der »Intermedialität und Intertextualität, Theatralik und Komik, mit der Gattungsunterteilung und vor allem mit [einem] mit Selbstreflexivität spielende[m] Erzähltext« ein »Reflexionstheater«39, auf dem das Erkenntnis- und Identitätsproblem der Zeit ebenso ironisiert oder ad absurdum vorgeführt wird, wie auch der Versuch, der Crux des romantischen Ich-Sagens bis hin zur Aufhebung des tradierten Autor-Leser-Verhältnisses40 kreativ zu begegnen. Auf den Blick in eine »andere Realität«, welche die »Umkehr der Alltagsoptik und somit das Erwerben einer höheren Wahrheit ermöglicht«, hat Claudio Magris in einem Essay über die Prinzessin Brambilla bereits 1969 hingewiesen, wo die »marktschreierischen Phantasmagorien« des römischen Karneval der verlarvten Individualität Gelegenheit bieten, die Seele vom »chronischen Dualismus« zu heilen41. Auch wenn Magris in seiner Interpretation Hoffmanns Text zu eng an Schellings ästhetisches Denken bindet, indem er nicht nur zahlreiche Konvergenzen mit Bezug auf den »tranzendentalen poetischen Mythos« der Romantik ausmacht, sondern den Märchenroman quasi als »literarische Manifestation« der Schellingschen Gleichsetzung von Objektivität und Unendlichkeit liest42, was noch die jüngste Forschung mit gutem Grund zurückgewiesen hat43, so ist es doch Hoffmann in 38 39 40

41 42 43

Siehe oben Anm. 28. Vgl. Hajduk: Subliminale Modernität, S. 287–305. Vgl. u.a. Prinzessin Brambilla – Gesammelte Werke, Bd. 7, S. 263–264: »›Was‹, rief der Scharlatan, ›was zweiter Teil […] und sollte ich das alles jetzt noch einmal wiederholen, so würde das einer Person entsetzliche Langeweile erregen, die uns nie verläßt […]. Ich meine nämlich den Leser des Carpriccios, Prinzessin Brambilla geheißen, einer Geschichte, in der wir selbst vorkommen und mitspielen. [...] Aber ich sage Euch, als mich der Dichter erfand, hatte er ganz was anders mit mir im Sinn […]‹«. Vgl. Magris: Das Fest der Individualität, S. 86–87. Vgl. ebenda, vor allem S. 89–91. Vgl. Hajduk: Subliminale Modernität, S. 299: »Der Grund hierfür liegt in der spezifisch literarischen Formung von Diskursmaterial, das eben dadurch nicht nur anders geformt, sondern durch seine ästhetische Behandlung ein anderes wird [, da] der Text die subjektlogische Überschreitung von Selbstreflexivität letztlich nur als narratologische mitvollziehbar« macht. Dazu detailliert ebenda, S. 299–303.

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seinem Vorwort zur Prinzessin Brambilla selbst, der, wenn er auch nicht einer adäquaten Umsetzung von Philosophie in Poesie das Wort redet, doch die Frage nach einer lebenspraktischen Leitidee legitimiert. Sein durch das Vorwort exponierter Hinweis, dass »ein ganzes Arsenal von Ungereimtheiten und Spukereien nicht hinreicht, dem Märchen Seele zu schaffen, die es erst durch den tiefen Grund, durch die aus irgendeiner philosophischen Ansicht des Lebens geschöpfte Hauptidee erhält«44, spricht keineswegs gegen die von der Forschung geltend gemachte narratologische Betrachtung des Textes; jene »philosophische Ansicht des Lebens« fordert aber gleichwohl mehr ein als lediglich den Befund »unterschwelliger Modernität«45, den der Text Hoffmanns liefert. Denn trotz der teilweisen Reduktion poetischer Aspekte auf existentielle hat die von ihm aufgeworfene Frage nach der Indifferenz von real und ideal Magris – wenn auch nicht zu einem poetisch verkleideten Schelling – doch zum Kern des Hoffmannschen Alternativdenkens in der Prinzessin Brambilla geführt. Überwindet der Humor bei Hoffmann »die Angst vor der Vergangenheit und verwandelt ihre Starrheit in eine musikalische Arabeske, die jeden deterministischen Zusammenhang in der verschwimmenden Freiheit der Phantasie zerstört und abschafft«, und stellt die Welt der Masken der Komödie »die veränderliche und innerlich freie Leichtigkeit dar, die nur dem Rhythmus eines immer wieder erfundenen Spiels unterworfen ist«46, so zielt der von Magris konstatierte »Übergang der identischen Einheit in die unterschiedliche Vielfalt«47 der Individualität auf eine bestimmte Invariante menschlicher Existenz, deren Apostrophierung als Dauer im Wechsel oder Stirb und Werde m. E. durchaus klassisch formuliert werden kann: Die Individualität wird in der Dialektik einer doppelten und antithetischen Bewegung erfaßt: als Anstrengung zur Befreiung vom Magma des Chaos in eine bestimmte und endliche Form – und als Anstoß für die Rückkehr, als Spannung hin auf das Sprengen der Grenzen dieser Endlichkeit, um in der Glückseligkeit einer undifferenzierten Einheit zu versinken.48

Diese Hoffmann-Figur ohne Seitenblick auf Schelling trifft sich durchaus mit jener von der neuen Forschung beschriebenen Hoffmann-Figur, deren personelle Selbstreflexivität in eine textuelle übergeht, was im Text narratologisch vermittelt wird über »personale Zweieinigkeit« und »alteritätslogische Erkenntnis«49. Und selbst wenn durch eine »narrative Art des Salto mortale« die »Drehung von literarischer Selbstreflexivität zur rezeptionsästhetischen ›Wahrnehmungsfigur« vollzogen wird, wie Stefan Hajduk plausibel nachzeichnet50, ist es doch gerade die Frage nach der Wirkungsabsicht der Prinzessin Brambilla, die aufgrund der intermedialen Dimensionierung und Mehrfachauflösung des tradierten Kommunikationsschemas von 44 45 46 47 48 49 50

Vgl. Vorwort zu: Prinzessin Brambilla – Gesammelte Werke, Bd. 7, S. 128; Hervorhebung Verf. Vgl. Hajduk: Subliminale Modernität. Vgl. Magris: Das Fest der Identität, S. 98. Ebenda, S. 91. Ebenda, S. 88. Hajduk: Subliminale Modernität, S. 298, 301. Ebenda, S. 303.

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Autor und Rezipient51 im Raum steht. David Wellbery etwa sieht die Figur ästhetischer Subjektivität, die sich dem Text einschreibt, als Figur der Versöhnung. Sie gibt uns die wirkliche Welt, zu der wir uns frei verhalten können, indem wir an ihr die kosmische Brechung und Verkehrung von Subjektivität lesen. Nicht die Gewinnung einer Lebensform war Hoffmanns historisch-ästhetische Aufgabe, sondern die Einübung in ihre humoristische Lektüre.52

Die Idee vom leserbefördernden Potential der Brambilla ist nun nicht neu. Schon Magris hat den Text im Unterschied zu den Nachtstücken mit einer Heilungsidee in Verbindung gebracht53. Und Lindner führt in einer neueren Arbeit die therapeutische Wirkung des Unsinns in Feld. Wellbery aber wertet diese »Einübung in die humoristische Lektüre« letztlich als rite de passage, als Übergangsritus, indem er das ein Dreivierteljahrhundert nach Hoffmann entwickelte kulturanthropologische Konzept Arnold von Genneps anwendet, um »das Erzählgesetz von Prinzessin Brambilla als paradigmatische Entfaltung der Schwelle, als Freisetzung des narrativen Potentials von Liminalität« zu entdecken mit dem Ziel, am Beispiel der Hoffmannschen Figuren das Initiationsthema zu diskutieren54. Da jedoch das von ihm angeführte Spiel humoristischer Subjektivität durch »Überschreitungsfiguren« gewonnen wird, wie Stefan Hajduk richtig einwendet, »die aus Hoffmanns Formenreichtum an literarischer Selbstreflexivität hervorgehen«55, geht Wellberys Suche nach der Verfasserabsicht fehl. Möglich, dass die Initiationsthematik durch Charles Baudelaires Lob der Prinzessin Brambilla, diese sei ein »Katechismus hoher Ästhetik«56, angeregt worden ist: Gelesen als Unterweisungstext zur Einübung in die humoristische Lektüre. Die nachfolgend zitierte Passage des konkreten Textes aus dem Sechsten Kapitel – ein auszugsweiser Dialog zwischen den Hauptfiguren über den Tanz, der unschwer auch als Metapher auszumachen ist, die für den Tanz des Lebens steht – möchte hingegen einen Begriffsvorschlag einleiten, der m. E. dem Denkweg des achtzehnten und beginnenden neunzehnten Jahrhunderts näher steht, weil er – statt auf der Antizipation kulturanthropologischer Denkfiguren um 1900 zu bestehen- auf Elemente der antiken Bildungstradition rekurriert. »Sie: Drehe dich, drehe dich stärker, wirble rastlos fort, lustiger toller Tanz! – Ha, wie so blitzesschnell alles vorüberflieht! Keine Ruhe, kein Halt! – Mannigfache bunte Gestalten knistern auf wie sprühende Funken eines Feuerwerks und verschwinden in die schwarze Nacht hinein. – Die Lust jagt nach der Lust und kann sie nicht erfassen, und darin besteht ja eben wieder die Lust. – Nichts ist langweiliger, als, festgewurzelt in den Boden, jedem Blick, jedem Wort Rede stehen zu müssen! Möchte deshalb keine Blume sein; viel lieber ein goldner Käfer, der dir um den Kopf schwirrt und sumset, daß du vor dem Getöse deinen eignen Verstand nicht

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Vgl. Anm. 39. Wellbery: Rites des passage, S. 317–335, hier S. 335. Vgl. Anm. 38. Wellbery: Rites de passage, S. 325. Hajduk: Subliminale Modernität, S. 301. Zitiert nach Magris: Das Fest der Identität, S. 82.

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Gert Theile zu vernehmen vermagst! Wo bleibt aber auch überhaupt der Verstand, wenn die Strudel wilder Lust ihn fortreißen? Bald zu schwer, zerreißt er die Fäden und versinkt in den Abgrund; bald zu leicht, fliegt er mit auf in den dunst’gen Himmelskreis. Es ist nicht möglich, im Tanz einen recht verständigen Verstand zu behaupten; darum wollen wir ihn lieber, solange unsere Touren, unsere Pas fortdauern, ganz aufgeben. […] Er: […] Aber es kommt nur darauf an, daß man im Tanz das rechte Gleichgewicht zu beobachten, zu behalten versteht. – Darum ist es nötig, daß jeder Tänzer etwas zur Hand nehme, als Äquilibrierstange […] So! – Was hältst du von diesem Sprunge, von dieser Stellung, bei der ich mein ganzes Ich dem Schwerpunkt meiner linken Fußspitze anvertraue? – Du nennst das närrischen Leichtsinn; aber das ist eben der Verstand, von dem du nichts hältst, unerachtet man ohne denselben nichts versteht, und auch das Äquilibrium, das zu manchen Dingen nütze! […] Wer bist du denn, geheimnisvolles Wesen, das, aus Luft und Feuer geboren, der Erde angehört und verlockend hinausschaut aus dem Gewässer! – Du kannst mir nicht entfliehen! Doch – du willst hinab, ich wähne dich festzuhalten, da schwebst du auf in die Lüfte. Bist du wirklich der wackre Elementargeist, der das Leben entzündet zum Leben? – Bist du die Wehmut, das brünstige Verlangen, das Entzücken, die Himmelslust des Seins? – Aber immer dieselben Pas – dieselben Touren! Und doch, Schönste, bleibt ewig neu dein Tanz, und das ist gewiß das Wunderbarste an dir.57

Einübung in heitere Lektüre – gewiss; doch geht es hier auch um die Empfehlung einer fast eudämonistischen Lebenstechnik, nämlich der, dass das Leben auszubalancieren sei. Balance ist das Mittel zum Zweck, zum Einrichten in die individuellen Gegebenheiten – gleichsam das Äquilibrium zwischen Innen- und Außenwelt, wie es Hoffmann vorschwebte. Mit der Verbindung der Überwindung des »chronischen Dualismus der Seele« und dem Gedanken von einem dem glückseligen Moment verpflichteten Individuum schöpft Hoffmann die horazische Carpe diemDevise unter Einbezug des sich aus den Dichotomien der Selbstreflexivität befreienden Subjekts aus. Der vom Individuum ausbalancierte Augenblick trifft sich mit der schon erwähnten Invariante menschlicher Existenz; mimetisch rückgebunden an die Figuren des Tanzes heißt es bei Goethe in Bezug auf Tänzerinnen so: »Die schöne Beweglichkeit der Übergänge, die wir an solchen Künstlerinnen bewundern, ist hier für einen Moment fixirt, so daß wir das Vergangene, Gegenwärtige und Zukünftige zugleich erblicken, und schon dadurch in einem überirdischen Zustand versetzt werden.58 Denn der »Lebenskünstler«, merkt diesbezüglich Pierre Hadot an, »muß auf gleiche Weise erkennen, daß jeder Augenblick prägnant, bedeutungsschwer ist und in sich die Vergangenheit und die Zukunft nicht nur des einzelnen Menschen, sondern des gesamten Kosmos enthält, von dem er ein Teil ist.«59 Dass Serenitas dem Menschen Trost spendet ist ein religiös-philosophisches Kompensat angesichts des individuellen Schicksals, wenn der Moment Hochschätzung erfährt und Angst 57

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Hoffmann: Prinzessin Brambilla – Gesammelte Werke in Einzelausgaben, Bd. 7, S. 239–241. – Zu Callots Interpretation der Commedia dell’Arte und Hoffmanns Affinität für die Blätter vgl. auch Abromeit, Lühr: Tanz die ›Balli die Sfessania‹ dell’Arte [www.lautrepas.de; Zugriff: 12.01.2015]: »Die Grenzen zwischen privatem und öffentlichem Leben verschwimmen ebenso wie die Grenzen zwischen Alltag und Theater« . Goethe Brief Nr. 22/6319 vom 28. April 1812 an Friedrich Karl Ludwig Sickler – Werke (WeimarerAusgabe) Abt. IV, Bd. 22, S. 359. Vgl. Hadot: Philosophie als Lebensform, S. 119. – Dort wird auch Goethes Brief an Sickler zitiert.

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und Melancholie in ihre Schranken verwiesen werden.60 Und mit Blick auf den Menschen als homo compensator (Odo) passt hier Gerhard Schulz’ treffende Anmerkung, dass es für die Hauptakteure in der Brambilla auch zu lernen gilt, gute Schauspieler zu werden61. Eine Orientierung durch Verweigerung oder eine Rollenannahme (das Subjekt als Schauspieler) mit den erwähnten dissoziativen Mitteln wäre eine Art Über-Lebenshilfe. Damit liefert Hoffmann zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts Literatur als Propädeutikum. Sensible Individuen können sich zur Welt so verhalten, um zu über-leben. Ob nun als Traumtänzer oder Tagträumer – ob später inmitten der zerfahrenen Zeit auf den eigenen »Weltinnenraum« konzentriert oder befasst mit der stoischen Einübung des Alltags. Die hochartifizielle Beschreibung solcher Kompensationsmöglichkeiten durch den Poeten erfolgt metaphorisch. Der Metapher aber schreibt die Psychologie gewaltiges Ausdruckspotential und diskursive Signifikanz zu62. Vielleicht kann man es hinsichtlich der Romantik so pointieren: Erkenntnistheoretisch ist die Metapher alles und nichts; ästhetisch ist sie der Versuch, das Alles wie das Nichts zu fassen.

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Statt auf das Dionysische des Mistral-Sängers Nietzsche oder die einschlägige Sekundärliteratur zu verweisen, sei hier stellvertretend auf eine bekannte jüdische Anekdote verwiesen, die den anthropologischen Kern des Problems pointiert wiedergibt: Einen tanzenden Chassiden, der singt, dass der Mensch aus Staub sei und wieder zu Staub werde, befragt ein Freund, was es da zu tanzen gäbe. Chassid: Wenn der Mensch wäre aus Gold und würde zu Dreck – das wäre zum Weinen. Aber da am Anfang Dreck und am Ende Dreck und in der Mitte ein wenig Schnaps sei – wie solle man da nicht tanzen? Vgl. Landmann: Der jüdische Witz, S. 496. Vgl. Schulz: E. T. A. Hoffmann, S. 435. – Interessant in diesem Zusammenhang auch der Hinweis von Schnabel zur allgemeinen Disposition der Romantiker: »Es waren schauspielerische Naturen, die als bewußte Menschen anders sich gaben, als ihr Instinkt sie wies […]« – Schnabel: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert, Bd. 1, S. 240. Vgl. Mergenthaler: Sollbruchstellen der Seele, S. 73.

Steffen Dietzsch

Die Nachtseiten des Städtischen in der europäischen Romantik

Möge nie der Tag kommen, da Lohengrin und ich auf der Straße dicht aneinander vorbeigehen. Lautréamont1

Prolog Noch vom vormärzlichen Danzig in Westpreußen hat Joseph von Eichendorff einmal geschrieben: Dunkle Giebel, hohe Fenster, Türme tief aus Nebeln sehn, Bleiche Statuen wie Gespenster Lautlos an den Türen stehn. Träumerisch der Mond drauf scheinet, Dem die Stadt gar wohl gefällt, Als läg’ zauberhaft versteinet Drunten eine Märchenwelt.2

Das sind vertraute Töne des Romantischen, und es sind Wahrnehmungen, die etwas verborgen Modernes von der deutschen Romantik mitzuteilen haben über die mit ihr anhebende ›Mythische Zeit der Moderne‹.

1. Paradoxien der Nacht Als die Romantik noch jung war in Jena, ist bei Ludwig Sickler (1773–1836), auch wenn es mit einem abseitig-spöttischen Impetus gemeint war, doch eine neue Disposition des Nachtseitigen überliefert, der dann viele in der nachfolgenden europäischen Romantik gefolgt sind: Dichten ist ein Erschaffen, und wenn diese etwas rechts heißen soll, so muß es im tohu Vapohu, d.h. im Chaos, ehe als das Licht sich vom Dunkel sonderte, geschehen […]. Aus diesen, und 1 2

Lautréamont: Gesamtwerk, S. 59. Eichendorff: Nachts. Danzig 1843 – Werke in sechs Bänden, Bd. 1, S. 433.

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keinen andern, Grund, merke wohl an! – haben auch die alten Poeten der Heiden sowohl als der gläubigen Juden und Christen dunkle Haine und Grotten, und die neuern dunkle Kammern zur Nachtzeit gewählt! [...] Du magst also nur dann erst ein rechter Dichter heißen, wenn du bei Nacht etwas vermagst.3

Aus dem näheren Umkreis des geistigen Jena jener Jahre war es dann exemplarisch der junge August Klingemann (1777–1831), der sich diesen Hinw eis künstlerisch zu eigen machte. Mit seinen Nachtwachen des Bonaventura (1804) hat er ein erstes – und lange einziges – literarisches Zeugnis einer romantischen – nachtsichtigen – Stadtdichtung vorgelegt. Denn was macht dieser Nachtwächter? »Wenn die erbarmungsvolle Nacht den Jammer der Welt in ihren Mantel hüllt, beleuchten die Menschen ihn selbst.«4 Es ist dies bei Bonaventura auch ein Hymnus an die Nacht, aber nicht mehr, wie bei Novalis: Abwärts wend ich mich Zu der heiligen, unaussprechlichen Geheimnißvollen Nacht – Fernab liegt die Welt, Wie versenkt in eine tiefe Gruft.5

Sondern jetzt, bei (und seit!) Bonaventura (Pseudonym Klingemanns) – so meine erste These – wird die ›Nacht‹ säkularisiert und urbanisiert. Um dazu wieder eine markante Stimme aus Jena (in diesem romantischen Jahrzehnt) aufzurufen: Von Friedrich Schlegel stammt das Diktum: »Opfre den Grazien, heißt, wenn es einem Philosophen gesagt wird, so viel als: Schaffe dir Ironie und bilde dich zur Urbanität.«6 Beides, Ironie, Urbanität, sind neue Verfahrens- und Darstellungsformen der romantischen Dichtung, die in Deutschland wohl Bonaventura erstmals zusammen in die Öffentlichkeit bringt. Gerade das Lachen ist die zentrale neue Erbschaft aus dem Jenaer Salon der Schlegel-Damen, deren Gast der junge Jurastudent Klingemann öfters war. a. Lachen Im Anhang zu Clemens Brentanos Godwi findet sich eine schöne Würdigung von Klingemanns Jenaer Leistung: »Trefflicher Spiegel deines Zeitalters«, heißt es da, »was du geschrieben, ist eine stille Persiflage der herrschenden Schwäche, mit kluger Mäßigung verhüllst du deine Vorhaben und deine Originalität, viele sind dir begegnet, ohne dich zu erkennen – unbesonnene Kritiker tadeln deine Werke, die sie dem Äußeren nach beurteilen – die Nachwelt wird dir danken!«7 3 4 5 6 7

[Sickler:] Vergötterungsalmanach 1801, unpaginiert [S. 31]. Hebbel: Tagebücher, Bd. 3, S. 397. Novalis: Schriften, Bd. 1, S. 130. Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe Abt. I, Bd. 2, S. 251 (Fragment Nr. 431). Brentano: Godwi – Gesammelte Werke, Bd. 2, S. 578. – Vgl. auch Lange: Architekturen der Psyche, S. 112–126.

Die Nachtseiten des Städtischen

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Der Verfasser der Nachtwachen zeigt mit Ironie und Gelächter unverwechselbar moderne individualistische – urbane – Tugenden. Denn Bonaventuras Lachen – als romantischer Gestus – besteht nun gar nicht im abwinkenden Wegdrehen von der gesellschaftlichen Wirklichkeit, sondern ist gerade scharfes Hinsehen auf »dasjenige, was Wirkliches dem Gefürchteten einwohnt«8, wie das einmal scharfsinnig von der romantischen Weltwahrnehmung gesagt worden ist. Dies führt zur Betroffenheit, die die Sinne und das künstlerische Vermögen schärft, aber es führt zu keiner Kunst-Apotheose oder romantischen Vergötterung des Künstlertums, zu keiner Gefühlsseligkeit angesichts – wie es in den Nachtwachen heißt – »dieser kalt prosaischen Zeit«9, deren Praktik eben neuerdings als Stadterfahrung identifiziert wird. ›Bonaventura‹ war auch alles andere als ein gesellschaftlicher Außenseiter. Gerade seine soziale Stellung, nämlich ziemlich »unten, wo das bürgerliche Leben konkret ist«10, befördert bei ihm ein feines Gespür für Widersprüche und Absurditäten im vorderhand normalen bürgerlichen Geschäftsgang. Er ist sensibel für Charaktermasken aller Art, für allenthalben ›verkehrtes‹ und verqueres Bewusstsein mit seinen gespannten Erwartungen und vor allem für die offenbare Lächerlichkeit von Erlösungs-Illusionen und Heils-Obsessionen, wenn die ›in Nichts zerfallen‹. ›Bonaventura‹ reflektiert das Leben im Zerfall, indem er dies als Paradoxie intellektuell und künstlerisch zu handhaben versucht. Das Paradoxon ist hier also nicht bloß eine geistreiche Attitude oder eine pikante belletristische Zutat, sondern es ist – in Worten von Friedrich Schlegel, des führenden Ironie-Theoretikers um 1800 – wie »ein Blitz aus der unbewußten Welt [...] und stellt auf diese Weise den fragmentarischen Zustand unseres Bewußtseins sehr treffend dar.«11 Es ist im Grunde genommen ein existentielles Essential für jede Wahrnehmung von Wirklichkeit. Es bezeichnet nämlich, wie es Rahel Varnhagen einmal gesagt hat, »eine Wahrheit, die noch keinen Raum findet, sich darzustellen; die gewaltsam in die Welt dringt und mit einer Verrenkung hervorbricht.«12 Es ist eben gerade die nächtliche Stadt der Ort des Gelächters, denn, wie es der Nachtwächter Kreuzgang bei seinen Kreuz- und Quergängen erfahren muss, – die Nacht, wo alles entgrenzt und konturlos scheint, ist das Medium, wo eben gespannte Erwartungen in Nichts zerfallen. Genau das aber ist die philosophische Definition des Lachens bei Kant13. Das klingt – ins Romantische übersetzt – mit einem Schlüsselsatz aus den Nachtwachen gesagt, so (aus der 15. Nachtwache): »Wo gibt es überhaupt ein wirksameres Mittel jedem Hohne der Welt und selbst dem Schicksale Trotz zu bieten, als das Lachen?«14

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Benjamin: Goethes Wahlverwandtschaften – Gesammelte Schriften, Bd. 1, 1, S. 132. Klingemann: Nachtwachen, S. 8. Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, S. 337. Schlegel: Entwicklung der Philosophie – Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, Bd. 12, S. 393. Rahel Varnhagen an Karl August Varnhagen von Ense, 19. 2. 1809. – Varnhagen: Gesammelte Werke, Bd. 4: Briefwechsel zwischen Varnhagen und Rahel, Bd. 1, S. 296. Kant: Kritik der Urteilskraft – Gesammelte Schriften, Bd. 5, S. 332. Klingemann: Nachtwachen, S. 125.

Steffen Dietzsch

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Also: Das Lachen ist eine durchaus philosophische Pointe im Diskurs am Beginn der Moderne, inmitten einer nun sich als ›Entzweiung‹ herauskristallisierten Neuen Welt. Viele wollten diese hier aufblitzende (romantische) Ironie schnell in die Nähe des Nihilismus rücken. Einer seiner Analytiker, ein später, allzu später Romantiker, weist dann aber gerade hier jeden sich aufdrängenden resignativen Affekt zurück, – nämlich, dass wir uns gerade in dieser Lage »als Parodisten der Weltgeschichte und Hanswürste Gottes« zu begreifen hätten, – »vielleicht daß, wenn auch Nichts von heute sonst Zukunft hat, doch gerade unser Lachen noch Zukunft hat!«15 b. Stadtwahrnehmungen Einige jener Stadt-Nachtstücke sind zu verstehen als Beiträge zu einer ›Modernen Mythologie‹ – die sich in unserer Gegenwart aber zu maskieren weiss, wie schon Aragon 1926 konstatieren konnte, denn weil »man auf immer besser gepflasterten Straßen dahinschreitet, mit wachsenden Wohlstand weltgewandter wird und für das Ungewöhnliche immer weniger Sinn hat«16, und so bleiben dem common sense gründende Sachverhalte seiner eigenen Welt verborgen. Verlorenzugehen scheint, was die deutsche Romantik um 1800 entdeckt: – eine ›zweite Natur‹, nämlich die Stadt als den Raum der neuen – einzelnen, autonomen – Individuen in einer ›höheren Natur‹: »Unsere Natur ist die Stadt.«17 Und auch hier sind, gerade so wie schon in der ›ursprünglichen‹ Natur (exemplarisch als ›Wald‹), mythische, ›nachtseitige‹, ja naturdämonische Dimensionen zu entdecken, etwa: Wie schön hier zu verträumen Die Nacht im stillen Wald, Wenn in den dunklen Bäumen Das alte Märchen hallt.18

Nur heisst es jetzt, – um nur drei Stimmen aus der Moderne aufzurufen – : »Inmitten der einsamen Allee sah er mehrmals, als scheuche das Geräusch seiner Schritte sie auf, geheimnisvoll verschlungene Paare vor sich fliehen« und er habe »alle möglichen Phantasmagorien gesehn, die mir merkwürdig ans Herz gegriffen haben; Elegien sprießen daraus hervor […]«19 oder: »Soeben hat man den Deckel von der Büchse der Pandora genommen. Ich bin nicht länger Herr meiner selbst, so sehr spüre ich meine Freiheit […] Ist das ein Leben, muß ich nicht wieder ausgehen, mir meine Beute zu suchen, in tiefem Dunkel irgend jemandes Beute zu werden?«20 Schließlich auch: »Wir schreiten über gläserne Böden dahin und ununterbrochen 15 16 17

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Nietzsche: Kritische Studienausgabe, Bd. 5, S. 157. Aragon: Pariser Landleben, S. 14. Lenk: Sinn und Sinnlichkeit. Nachwort. – In: Aragon: Pariser Landleben, S. 261. – Vgl. auch: von Graevenitz (Hrsg.): Die Stadt in der Europäischen Romantik. Eichendorff: Nacht – Werke, Bd. 1, S. 293. Murger: Bohème, S. 49–50. – Vgl. auch: Huart: Physiologie du Flâneur. Aragon: Pariser Landleben, S. 10.

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steigen die Träume in uns empor, sie fassen unsere Städte wie steinerne Inseln ein und dringen auch in die kältesten ihrer Bezirke vor. Nichts ist wirklich, und doch ist alles Ausdruck der Wirklichkeit.21 So nimmt – als zweite These – die romantische Sensibilität aber auch von allem Anfang an als Paradoxie der urbanen Moderne wahr: »Große Städte sind die Lazarette der Menschheit«22. Dieser Prozess wird aber in der romantischen Literatur nicht mehr so sehr – idyllisierend bzw. moralisierend – als Tragödie der Kultur (Georg Simmel) verstanden, sondern als die unabwendbar mit der Passionsnatur des Menschen korrespondierende Geburt der modernen Gesellschaft – aber als ein Paradox, eben als Nachtseitiges im Diesseits. Gerade aber das ist ja ›Romantisieren‹: »eine qualit[ative] Potenzierung. Das niedre Selbst wird mit einem bessern Selbst in dieser Operation identificirt.«23 Damit aber gerät eine neue MenschenOrdnung in den literarischen Blick, in »dem nicht mehr die Sicherheit [=Statik], sondern die Gefahr die Ordnung des Lebens [=Dynamik] bestimmt.«24 Denn: »Etwas Entsetzliches ist in mein Leben getreten!«25 berichtet Nathanael im Sandmann bei Hoffmann (1815). Das betrifft wohl zu allererst unseren Geist mit seinen »wunderlichen Täuschungen«. Wer aber sind wir und unser Geist? – »Es ist das Phantom unseres eigenen Ichs, dessen innige Verwandtschaft und dessen tiefe Einwirkung auf unser Gemüt uns in die Hölle wirft oder in den Himmel verzückt.«26 In der ›Nachtperspektive‹ offenbaren sich auch jene Spiegelphänomene, die uns – unerwartet und schreckhaft – die »Anschauung unserer Doppelnatur gewährt. Wir gewahren ein Ich, sei es nun unser eigenes oder ein fremdes, das uns gleich und doch nur ein Trugbild ist und zu fragen scheint: wer bist du?«27 Die Pointe hier ist: die Doppelnatur des Menschen, seine ›Passionsnatur‹, erscheint ihm als ›Doppelgänger‹, als ›Imitat‹ (Puppe), gar als ›Automat‹ wie bei Hoffmann. Der moderne Mensch bemerkt – vor allem im Umkreis des Städtischen – dass er natürlich er selber, aber gleichzeitig er eben sich auch als einen anderen erleben kann. »Was machst du wann du mit der doppelten Räson denkst?« führt im Woyzeck ein Ausrufer ein Pferd vor. »Ist unter d. gelehrten société da ein Esel? D. Gaul schüttelt d. Kopf. Sehn Sie jetzt die doppelte Räson! Das ist Viehsionomik. Ja das ist kei viehdummes Individuum, das ist ein Person! Ei Mensch, ei thierische Mensch und doch ei Vieh, ei bête.«28 Zu den ›Nachtseiten‹, die von romantischen Autoren identifiziert werden, gehören auch die (städtischen) Verkehrsformen jener Doppelnatur des Menschen: gleichermassen Irrenhaus, Schauhaus und Spelunke, sowie Darstellungen sozialer und spiritueller Devianz.

21 22 23 24 25 26 27 28

Jünger: Das abenteuerliche Herz. Erste Fassung, S. 128. [Forberg:] Fragmente aus meinen Papieren, Aph.-Nr. 58. Novalis: Schriften, Bd. 2, S. 545. Jünger: Über die Gefahr, S. 67. E.T.A. Hoffmann: Der Sandmann – Sämtliche Werke, Bd. 3, S. 3. Ebenda, S. 15. Huch: Die Romantik, Bd. 2, S. 219. Büchner: Woyzeck – Sämtliche Werke, Briefe und Dokumente in zwei Bänden, Bd.1, S.177.

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In diesen urbanen Entwicklungen und Widersprüchen sahen viele als eine neue Dominanz »die scheinbar transzendentale Macht des Geldes«29 hervortreten, als ein neues, abstraktes – mit naturphilosophischer Metaphorik gesagt – »wahres Bindemittel, die chemische Kraft der Gesellschaft.«30 In der sich neu sortierenden Lebenswelt des Menschen, in der aber jetzt lange tradierte äußere Geselligkeits- bzw. Gemeinschaftsformen verloren gehen und mit ihnen auch geistliche wie subsistienzielle Sicherheiten, gibt es aber auch neue – städtische, ›nächtliche‹, ›heidnische‹ – Refugien der Gemeinschaft nach dem Ende der Gemeinschaft. Das aber sind Orte der ›Dekomposition‹ – sozusagen ›Gesellschaft‹ im Modus des caput mortuum. Gerade so wie Hegel beim Phrenologen Gall dessen reduziertes Bild vom Ganzen des Geistes im Menschen moniert, weil der – ganz empirisch – den »Geist zu einer bloßen Schädelstätte«31 depotenziert hatte. Kurzum: »Das Leben ist eine Plünderung des inneren Menschen.«32 Solche Refugien für den auf sozusagen ›Hohlformen‹ des Menschlichen, aufs Empirische, ›Nächtliche‹, reduzierten Menschen finden wir nun eben gerade in der Stadt – »Je mehr die Nacht hereinbrach […] umso mehr hatten auch die Strahlen der Gaslaternen, die sich anfangs schwach gegen den sterbenden Tag gewehrt, schließlich den Sieg errungen […]. Alles war ein schimmerndes Dunkel geworden.«33 Spelunke Sie ist der Ort für »das ›High-Life‹ der Tiefe«, nämlich: »die Parodie jenes eleganten Sichauslebens […] die gleiche, nur gröbere Sehnsucht nach Alkohol, Zigarren, Tanz und Weibergunst. […] Wer nicht oben Rang halten kann, versucht es unten.«34 Hier geht dann »selbst das Geld [...] in Verwesung über.«35 Jetzt, so hört man klagen, »seit so viel Geld im Lande ist, sind die Menschen unredlich und schlecht.«36 Damit findet die Nachtseite des Menschen hier für die ›Kommunikation‹ einen neuen nachtseitig adäquaten Verkehrsraum. Das herkömmliche dorfgemeinschaftliche Wirtshaus verwandelt sich in einen sozial ganz un-heimlichen Ort; hier kann sich ein neuer Individualismus ausbilden. Die Erfahrung mit dem ›Nächsten‹ ändert sich: der ist nicht mehr der ›Nachbar‹, mit dem mich auch sonst manches verbindet, sondern spontan ein momentaner ›Freund‹ – egal, ob fremder oder falscher –, mit dem mich ansonsten nichts verbindet. Der Mensch übt sich hier in neue Gründe der Selbsterhaltung ein, – in »Verhaltenslehren der Kälte«37. Die romantische Pathosformel dafür war: das kalte Herz. Es ist der Kristallisationspunkt des Neuen Einzelnen: 29 30 31 32 33 34

35 36 37

Marx: Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie, S. 65. Marx: Ökonomisch-philosophische Manuskripte, S. 565. Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik II – Werke, Bd. 14, S. 370. Hebbel: Tagebücher, Bd. 2, S. 15. Poe: Erzählungen, S. 108. Prévot: Bohème, S. 108. Vgl. auch ursprünglich Sue: Die Geheimnisse von Paris [1843], 1. Teil, 1. u. 2. Kap., S. 11–33. Büchner: Woyzeck – Sämtliche Werke, Briefe und Dokumente in zwei Bänden, Bd. 1, S. 213. Hauff: Das kalte Herz – Sämmtliche Werke, Bd. 5, S. 308. Lethen: Verhaltenslehren der Kälte.

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Ich kenn dich, dein starr Verlangen, Mein steinern Herz biet ich dir gleich. Manch Edelstein, manch gülden Stück Giebt dir den kalten Liebesblick.38

Hier werden gewohnte Umgangs- und Geselligkeitsformen entgrenzt und unbestimmt. Dass dabei »Ich« ganz schnell auch »ein Anderer« sein kann, erfährt man (z.B. der Kohlenmunkpeter bei Wilhelm Hauff) hier an sich selber mitunter auf drastische Weise. Der Mensch lebt neu, d. h. modern, als einer, der »auf verkehrte Weise selig zu werden«39 sucht. Es entsteht so eine neue Alltagskultur für die Wahrnehmung der ›Doppeltheit‹ unseres Ichs. Sie scheint zuallererst mit der Überwindung des herkömmlichen empirischen Ich verbunden zu sein. D. h.: Man findet und erfährt sich jenseits ›seiner-selber‹ – in ›Gesellschaft‹, zunächst aber als in ›schlechter Gesellschaft‹. Das literarische Motiv dafür hat exemplarisch Edgar Allen Poe mit Der Mann der Menge (1840) gefunden. Der durchquert ruhe- und ziellos die Stadt als Labyrinth. Er ist der vereinzelte Einzelne, seine sozialen Masken sind längst verblasst: Die Nacht war jetzt völlig herabgesunken […]. Lange floh er in Eile dahin, während ich ihm in fassungslosem Erstaunen folgte […] er tauchte in einem Labyrinth von Gäßchen unter und kam bei einem der großen Theater wieder zum Vorschein. […] Er aber ging wie gewohnt auf und nieder und verließ den ganzen [nächsten] Tag über den Wirrwarr dieser Strassen nicht. […] Er weigerte sich allein zu sein.40

Das Milieu für diesen ›Mythomaniac‹ also ist: Da, wo die Vorstadt zum verdreckten Wirrsal wird, In dem gewittrig gärend rings die Menschheit schwirrt.41

Diesen Weg kann man durchaus auch als Subversion begreifen, aber die ist doch konstruktiv, als eine sozusagen ›kleine‹ Vergesellschaftung, z.B. in Form der Selbstverausgabung – gleichgültig ob als ›Ausgebender‹ oder als ›Ausgenommener‹. »So läßt der Wein […] Gold fließen durch die Menschheit, diese nichtig-hohle.«42 Irrenhäuser Sie sind auf den ersten Blick auch Orte ›schlechter Gesellschaft‹. Hier wird das ›Subjekt‹ (Ich) gerade wegen desintegrativem Umgang mit seiner ›Doppelnatur‹, seiner ›Passionsnatur‹ hospitalisiert. »Die Vernunft des Irrenhauses ist, daß die Menschen darin verrückt sind.«43– Aber: »[W]er entscheidet«, so fragt in den Nachtwachen ein Patient, »ob wir Narren hier in dem Irrhause meisterhafter irren, oder die Fakultisten in den Hörsälen? Ob vielleicht nicht gar Irrtum Wahrheit; 38 39 40

41 42 43

Tieck: Gedichte, Bd. 1, S. 125. Hebbel: Tagebücher, Bd. 1, S. 256. Poe: Erzählungen, S. 103–114, hier S. 110. – Vgl. auch Zweig: Unvermutete Bekanntschaft mit einem Handwerk [1931] – Novellen, Bd. 1, S. 143–185. Baudelaire: Der Wein der Lumpensammler – Baudelaire: Die Blumen des Bösen, S. 189. Ebenda. – Vgl. auch Condemi: Les Cafés-concerts. Histoire d’un divertissement (1848–1914). Hebbel: Tagebücher, Bd. 3, S. 130.

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Narrheit Weisheit; Tod Leben ist – wie man vernünftigerweise es dermalen gerade im Gegenteile nimmt! – O ich bin inkurabel, das sehe ich selbst ein.«44 Das Jenaer Tollhaus liegt übrigens nur ein paar Straßen von dem einstigen Romantikersalon entfernt, und es wurde 1804 gegründet, als der Jenaer Romantikerkreis zerfiel. Das Irrenhaus ist von der Literatur früh schon als ein Ort identifiziert worden, wo nach landläufiger Meinung sowieso die hingehören, die sich nicht dem ›ideokratischen‹ Normativ – »die Abweichung sei immer dümmer als die Regel« (Peter Hacks45) –, und seiner Botschaft des ›Ordentlichen‹, ›Gültigen‹, ›Normativen‹ und des ›Fertigseins‹ zu beugen geneigt sind. Die also, die ›sich selbst entsprungen‹ sind und die alle Gewöhnung und Regeln, alles Dauerhafte und Definitive ablehnen. Schauhäuser Sie sind die »Erfahrung einer in die Totenstarre eintretenden Welt«46. Schauhäuser waren anfangs durchaus Orte der Öffentlichkeit. In Weimar wird 1792, also in jenen Jahren, als die Romantiker hier ihren Salon eröffneten, ein solches Institut eingerichtet. Der kulturelle Mehrwert, den man sich hier versprach, war, was Goethe im »Beinernen Haus« wahrnahm : Was kann der Mensch im Leben mehr gewinnen, Als daß sich Gott=Natur ihm offenbare? Wie sie das Feste läßt zu Geist verrinnen, Wie sie das Geisterzeugte fest bewahre.47

Ein Besucher der für die Moderne schlechthin mythischen ›Morgue‹, in Paris zwischen 1864 und 1907, erinnerte sich: Da liegen sie bereit, als ob es gälte, nachträglich eine Handlung zu erfinden, die mit einander und mit dieser Kälte sie zu versühnen weiß und zu verbinden; denn das ist alles noch wie ohne Schluß. Was für ein Name hätte in den Taschen sich finden sollen? An dem Überdruß um ihren Mund hat man herumgewaschen: […] Die Augen haben hinter ihren Lidern sich umgewandt und schauen jetzt hinein.48

Mit einem solchen Besuch musste man zur Morgenstunde beginnen, wenn jeweils die Ernte der vergangenen Nacht eingebracht war – »Hunger, Elend, tiefer Überdruß, Verbrechen und Krankheit, das endet alles in ihr und das alles gehört zu der großen Stadt.«49 Ein Zeitgenosse bemerkt ihre theatralische Sendung: »Es ist wie 44 45 46 47 48 49

Klingemann: Nachtwachen, S. 84. Aus einem Gespräch mit Peter Hacks. Benjamin: Zentralpark – Gesammelte Schriften, Bd. 1,2, S. 682. Goethe: Werke (Weimarer Ausgabe), I. Abt., Bd. 3, S. 94. Rilke: Morgue – Sämtliche Werke, Bd. 1, S. 503. Flake: Das Logbuch, S. 30.

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ein Schauspiel, man sieht den 5ten Act einer Tragödie, und ohne Entrée.«50 In den Nachtwachen endet schließlich die Erkenntnisreise durch die nächtliche Stadt auch hier: »Ich besuchte auch in dieser Nacht meinen Lieblingsort, dieses Vorstadtstheater, wo der Tod dirigiert […] Und der Widerhall im Gebeinhause ruft zum letzten Male – Nichts!«51

2. Nacht und Moderne Mit der ›Nachtseite‹ des Städtischen kommt durch die deutsche Romantik – als dritte These – literarisch und philosophisch der Diskurs über die Subjektivität (und seinem Lebensraum: die Stadt) in der Moderne in Gang. Das heißt aber nicht, dass die Moderne eben dann vordergründig das Dunkle, Obskure, Somnambule sei, sondern – wie man schon seit Schuberts Nachtseiten der Naturwissenschaft wissen kann – die ›Nacht‹ bedeutet jetzt, dass in ihr ein besonderes – phosphorisch-kaltes – »inneres Licht« die dann zweite, ›höhere‹ Natur im Menschen beleuchtet. – Mit Schubert gesagt: »Nachtseite nennen die Astronomen jene Hälfte eines Planeten, welche gerade durch die eigenthümliche Umdrehung um die Axe von der Sonne abgewendet ist und statt des Lichts der Sonne nur von dem einer unendlichen Menge von Sternen beschienen ist.«52 Oder, um auch hier noch einmal Eichendorff zu bemühen: Vergangen ist der lichte Tag, Von ferne kommt der Glocken Schlag; So reist die Zeit die ganze Nacht, Nimmt manchen mit, der’s nicht gedacht.53

Mit der ›Nacht‹54 wird hier nicht mehr wie in Novalis’ 6. Hymne an die Nacht auf eine »Sehnsucht nach dem Tode«55, oder religiös, auf Transzendenz bzw. Erlösung insistiert, sondern hier bemerken wir eine robuste Reaktion auf eine neue Lebenslage des Individuums, nämlich die Akzeptanz der ›Entzweiung‹ als natürlichen Alltag des (unauflösbaren) Tag-Nacht-Zyklus. Dadurch wird auch die literarischkünstlerische Sensibilität derjenigen Autoren, die sich dem zuwenden, modern, d. h. die ›Nacht‹ wird gleichermaßen als Befreiung wie als Fessel betrachtet. Wie wäre das zu verstehen? Was aber ist denn hier im Alltag der Menschen passiert? a. Stadt als ›höhere Natur‹ für den Citoyen Mit den neunziger Jahren, seit der Französischen Revolution – für Friedrich Schlegel bekanntlich eines der drei ›Geschichtszeichen‹ der Gegenwart neben Fichtes 50 51 52 53 54

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Hebbel: Tagebücher, Bd. 2, S. 382. Klingemann: Nachtwachen, S. 132, 141. Schubert: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaften, S. 238. Eichendorff: Nachtlied – Werke in sechs Bänden, Bd. 1, S. 161. Vgl. neuerdings Lawski u.a. (Hrsg.): Noc. Symbol – Temat – Metafora; Bialystok: Wydawn und Friese: Die Ästhetik der Nacht. Novalis: Schriften, Bd. 1, S. 153.

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Wissenschaftslehre und Goethes Wilhelm Meister56 – beginnt ein Umbruch im Denken über den Menschen. Er hat fortan ausschließlich und explizit unter dem emphatischen Signum seines Selbstseins, also der Freiheit zu stehen. Es wurde von Paris her zweierlei neu über den Menschen gedacht: Erstens wurde er neu vom Grundsatz her als ein juristisch ›Freier‹ begriffen, neu konstituiert in: Droits de l’homme et du citoyen (August 1789), und zweitens wurde dieses – und das war für den Lebensalltag umstürzend neu – Citoyen-Sein alltagsförmig gemacht: Dieser individuelle, freie Mensch – der Citoyen als Mitglied der »bürgerlichen Gesellschaft«57– wurde verbindlich freigesetzt durch das Loi Le Chapelier, das Gesetz zur Abschaffung aller bloß herkömmlichen, gewachsenen, ›organischen‹, gemeinschaftlichen Verbindungen (Korporationen, Zünfte, Religionsgemeinschaften, etc.) vom 14. Juni 1791, vorgestellt von Isaac René Guy Le Chapelier (1754–1794), dem Mann, der im Juni 1789 den ›Ballhausschwur‹ formulierte und der im August 1789 Präsident der Konstituante war. In der programmatischen Begründung dieses Gesetzes dazu hieß es, es gäbe ab jetzt nur noch »das Partikularinteresse jedes Einzelnen und das Allgemeininteresse.«58 Ab jetzt hatte das Subjekt als autonome Person, als selbstverfügbares Individuum Rechtsförmigkeit und Verkehrsfreiheit erhalten. Nicht mehr die Unterstellung unter Gnade, Wohlwollen oder Macht von Anderen prägt das Mitsein des Menschen, sondern er erfährt: das Recht ist für den Menschen jetzt als das Heiligste in der Welt zu begreifen – »S a l u s r e i p u b l i c a e (die Erhaltung der bloßen gesetzlichen Form einer bürgerlichen Gesellschaft) s u p r e m a l e x e s t « .59 Diese nicht mehr bloß moralische, soziale oder religiöse Hochschätzung des Individuums, sondern seine Geburt als juristische Person emanzipierte sofort auch die Literatur über sie aus allen herkömmlichen kulturellen, religiösen, familiären Bindungsformen. Die alltägliche neue Erfahrung für den Menschen ist seither: Die Nähe der Menschen zueinander wird abstrakt. Daraus erwuchs aber paradoxerweise auch die Einsicht in eine neue Reichweite der integrativen Kompetenz des Menschen als Individuum, der durch sich selber dadurch – auf unerwartete Weise – innerlich teilhat an »der Sphäre des Universalgeistes.«60 Diese für die Moderne bahnbrechende neue Dichotomie von ›Einzelnem‹ und ›Gesellschaft‹ ist ein sozusagen ›Drehkreuz‹ für die Wege der Moderne. Für die Dynamik von ›Individuum‹ und ›Gesellschaft‹ wären – politisch wie literarisch – vier Möglichkeiten offen: Drei davon instrumentalisieren den Menschen als Person, als Einzelnen zum Zwecke der Allgemeinheit. Nämlich erstens, dass man das Individuum wieder zurück sinken lässt in die ›Gemeinschaft‹ als Familie, als Heimat, als Volk, zweitens, dass man ›Gesellschaft‹ übergreifend naturalisiert i.e. empirisiert und so Mythologeme, wie ›Masse‹ oder ›Rasse‹ erzeugt, drittens, dass man ›Gesellschaft‹ transzendiert 56 57 58

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60

Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, Bd. 2, S. 198 (Fragment Nr. 216). Marx: Zur Judenfrage – Marx/Engels: Werke, Bd. 1, S. 363. Vgl. Simitis: Die Loi le Chapelier: Bemerkungen zur Geschichte und der möglichen Wiederentdeckung des Individuums, S. 157. Kant an Heinrich Jung-Stilling, nach dem 1.3.1789 – Kant: Gesammelte Schriften, Bd. 11, S. 10. José Ortega y Gasset: Vitalität, Seele, Geist – Gesammelte Werke, Bd. 1, S. 336.

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ins Utopische einer ›Erlösung‹ von Mensch und Gesellschaft als ›Politische Theologie‹. Und nur in einer Vierten wird die Asymmetrie von ›Gesellschaft‹ und ›Mensch‹ grundstiftend und nicht bloß ›dialektisch‹ akzeptiert. Hier liegen die modernen literarischen Ressourcen für die Dramatik, die Paradoxie, die Melancholie und die Ironie, die der Beschreibung dieser – eben unerlösbaren – Konstellation allein angemessen erscheint. Und ›romantisch‹ wollen wir dann eine literarische Verfahrensweise nennen, die jenen Zusammenhang nicht apologetisch, politisch oder erbaulich – so oder so – auseinanderdividiert oder angeklagt, sondern die ihn in einem genealogischen und mythophormen Narrativ darzustellen vermag. Stadtliterarisch könnte man so Alfred Kubins Stadt Perle (Die andere Seite; 1909), Michail Samjatins Wir (1920), André Bretons Nadja (1928)61 oder Hermann Kasacks Stadt hinter dem Strom (1948) solche markanten moderne Zeugnisse für die Nachtseite des Städtischen nennen. Die ernste Stadt mit ihren Wetterfahnen Über der Dächer fest geronnener Zunft Läßt starr, doch wandelbar, das Herz des Dichters ahnen Im grellen Kreiseln seiner Unvernunft.62

Diese neue, moderne Lebensform abstrakter Sinnlichkeit, die die Einzelnen untereinander verbindet, ist in jenen Jahren identifiziert worden als »Antagonism der ungeselligen Geselligkeit.«63 D.h.: Der Mensch »ist ohne Gesellschaft sich selbst nicht hinreichend«64 und also, wie im Jenaer Athenäum 1799 zu lesen war, kann man den Menschen auch neu definieren: Der Mensch »ist überhaupt als ein gesellschaftliches Wesen zu charakterisiren.«65 Schon beim späten Rousseau gibt es, in seinem letzten Werk Les Rêveries du promeneur solitäire66, paradoxerweise in einem Einsamkeitsdiskurs, – »meiner eigenen Gesellschaft überlassen«67 – die Idee einer »unsichtbaren Persönlichkeit«, eine sozusagen »anticartesianische Version des Selbst«68, die einen transempirischen Körper im natürlichen nahe legt und dann zur Differenz von Transzendentalen und Empirischen im Menschen bei Kant führte. Das aber war der philosophische Boden, auf dem es dann erstmals möglich wurde, mit einem neuen Subjektivitätsverständnis auch einen neuen Begriff vom Sein und vom Zusammenleben der Menschen zu konstruieren: eben Gesellschaft – als etwas die Menschen abstrakt und unsinnlich Verbindendes. Und gerade auf dem Apogäum ihrer Konflikte (ihrer 61 62 63

64 65 66

67 68

Vgl. Bischof: Nadja revisited. Guillaume Apollinaire: Unterm Pont Mirabeau, S. 131. Kant: Ideen zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht. IV. Satz – Kant: Gesammelte Schriften, Bd. 8, S. 20. Kant: Nachlaß – Kant: Gesammelte Schriften, Bd. 15.2, Refl.-Nr. 1452, S. 634. Hülsen: Ueber die natürliche Gleichheit der Menschen, S. 154. Vgl. Rousseau: Les Rèveries du promeneur solitäire – Œuvres Complètes, Bd. 1, S. 990–1099; vgl. Meier: »Les rêveries du Promeneur Solitäire«. Rousseau über das philosophische Leben, S. 67. Rousseau: Träumereien eines einsamen Spaziergängers – Schriften, Bd. 2, S. 639. Lypp: Eine anticartesianische Version des Selbst, S. 379. – Vgl. auch: Starobinski: Rousseaus Anklage der Gesellschaft, S. 8–35.

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Dynamik und Turbulenzen) wird dann klar werden, dass »die sociale Crisis nur städtisch zu lösen [ist], nicht staatlich.«69 Das ist durchaus korrekt wahrgenommen, denn: Gesellschaft ist eben, anders als Gemeinschaft, gerade nicht der Ort der ›Nächstenliebe‹, sondern der ›Fernstenliebe‹: d. h. aber der Ort der Freundschaft und Freiheit, aber eben auch der Einsamkeit, des Scheiterns und neuer Phantasien. Und deshalb: »Freiheit der Städte – die conditio.«70 Für das zeitgenössische Denken hieß das: »Das Recht, als festgestelltes abstractum, berücksichtigt die Kräfte der Menschheit.«71 b. ›Entzweiung‹ als die dunkle Natur der intersubjektiven Subjektivität Mit der Literatur der Romantik begannen dann erste Reaktionen auf dieses europäische Ereignis einer Neuen – eben auch nachtseitigen – Subjektivität. Das anthropologische Wissen erreicht hier in der romantischen – nachtseitigen – Literatur ganz neue Horizonte. Es wird möglich zu begreifen, dass »der Mensch ein zweylebendes Wesen [ist], welches auf den höchsten Gipfel der irdischen Natur, zugleich die ersten Anlagen der überirdischen in sich vereinte.«72 Hier wird erstmals am Beginn der Moderne der Mensch als ein ›Passionswesen‹ begreifbar. In Hoffmanns Das öde Haus (aus dem Ambiente Berlins) bemerkt der Erzähler: »Unerachtet der prosaischen Aufklärung mußte ich doch noch immer vorübergehend nach dem öden Hause hinschauen, und noch immer gingen im leisen Frösteln, das mir durch die Glieder bebte, allerlei seltsame Gebilde von dem auf, was dort verschlossen.«73 – nämlich Traumbilder, schizoide Einbildungen, Schwermut. Bedeutsam ist nun: diese ›Entzweiung‹ ist nicht mehr, nie mehr, zu versöhnen. Es war nun aber gerade lange Zeit (das ganze 19. Jahrhundert hindurch) eine geistige Strategie, diese ›Entzweiung‹ irgendwie empirisch-praktisch aufheben zu wollen, zu können und zu müssen – philosophisch in der ›konstitutionellen Monarchie‹ bei Hegel, sozial-praktisch als ›Kommunismus‹ bei Marx oder als ›Erlösung‹ musikalisch bei Wagner. Etwas, das mit Eichendorff zusammenfassend »lauter unsichtbare Gedanken-Katastrophen«74 zu nennen wäre. Die Romantikschelte (namentlich der Hegels und im Marxismus) ist, nebenbei gesagt, auch ein Indiz der Virulenz des Vormodernen in diesem Denken, d. h. als einem durch Entzweiung anscheinend gekränktem Dasein, dem aufzuhelfen wäre. Gerade diesem Umstand aber wendet sich die (europäische) Romantik symptomatisch zu, z.B. eben, dass die Menschen »das eingeschränkte Wissen dem unendlichen Glauben vorziehen«75, wie 1799 programmatisch vermutet wurde. Die ›Nachtseite‹ aber, die neu literarisch jetzt zum Thema wird – beispielsweise in Hoffmanns Fräulein von Scuderie, in Klingemanns Faust oder in Arnims Halle 69 70 71 72 73 74 75

Nietzsche: Kritische Studienausgabe, Bd. 1, S. 692. Ebenda. Hebbel: Tagebücher, Bd. 1, S. 34. Schubert: Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaften, S. 309. E.T.A. Hoffmann: Der Sandmann – Sämtliche Werke, Bd. 3, S. 164. Eichendorff: Halle und Heidelberg – Werke in sechs Bänden, Bd. 5, S. 416. Novalis: Schriften, Bd. 3, S. 508.

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und Jerusalem, übrigens dem ersten Gegenwartsstück in der europäischen Romantik – beschreibt nun eben das ›Ungesellige‹, also das Traumhafte, Verborgene, Verlorene in dieser paradoxen Konstellation der ›ungeselligen Geselligkeit‹. Sie orientiert damit nicht mehr zurück auf einen versöhnten Zustand des Heils, also nicht mehr, »wie Robespierre in der Religion den Mittelpunkt und die Kraft der Republik zu suchen«76, sondern weist voraus auf eine Kultur der urbanen Unübersichtlichkeit und des leidvollen Dunkels. Freilich auch mit dem Risiko: »Was ist die physische Nacht gegen eine geistige? Statt Nichts zu sehen, Alles verkehrt zu sehen!«77 Das zeigt aber natürlich auch einen neuen ordnungsphilosophischen Umstand an, der sich an der nächtlichen Stadt manifestiert, nämlich, dass es wahrscheinlich »unmöglich [ist] daß weltliche Kräfte sich selbst ins Gleichgewicht setzen.«78 Die Illusionen darüber, die namentlich von politischen Schwärmern der Zeit europaweit verbreitet wurden, verfielen eben gerade der Kritik der Romantiker: »Entsetzlich!« – so konstatiert der Luftschiffer Gianozzo den Weltalltag auf seiner letzten (der Vierzehnten Luft-)Fahrt, – »jetzt darf ich sie recht hassen, die Menschen, diese lächerlichen Kauze und Weisheitsvögel im Hellen, die sogleich zerrupfende Raubvögel werden, sobald sie ein wenig Finsternis gewinnen.«79 Du totengleiche Stadt, du Stadt vom Schmerz geweiht, Dein Haupt und deine Brüste zugewandt dem Hoffen, Mit seinen tausend Pforten deiner Blässe offen, Du Stadt, die die Vergangenheit schon benedeit.80

Mit der ›Nachtseite‹ jener »höheren Natur« – der Stadt als Ort von Gesellschaft – wird also das Zwiespältige in uns und der Moderne thematisiert, so wie es Büchner einmal konstatiert hat: »eine Tour durch die Spitäler von halb Europa müßte einem sehr melancholisch und die Tour durch die Hörsäle unserer Professor(en) müßte einem halb verrückt und die Tour durch unsere teutschen Staaten müßte einem ganz wütend machen.«81

Epilog Dass die Moderne – in ihrem Nukleus als Stadt – sich als Nacht zeigt, als sie hervorbricht, könnte die Vermutung aufkommen lassen, das in ihr ein ›weltgeistiges‹ Prinzip waltet, demzufolge das, was da entsteht, uns selber prinzipiell dunkel bleibt, jedenfalls unseren Gesichtssinn weit überfordert. Hier wird erstmals ein »Begriff von der Hinfälligkeit der großen Stadt«82 gebildet. Diese ›Nachtseite‹ wird wohl literarisch-künstlerisch prominent von der europäischen Romantik zusammenfas76 77 78 79 80 81

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Ebenda, S. 518. Hebbel: Tagebücher, Bd. 3, S. 219. Novalis: Schriften, Bd. 3, S. 522. Jean Paul: Des Luftschiffers Gianozzo Seebuch, S. 128. Rimbaud: Mein traurig Herz voll Tabaksaft. Gedichte, S. 41. Büchner an Eugène Boeckel, 1.6.1836 – Sämtliche Werke, Briefe und Dokumente in zwei Bänden, Bd. 2, S. 437–438. Benjamin: Das Paris des Second Empire – Gesammelte Schriften, Bd. 1, 2, S. 586.

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send als ›Nihilismus‹ wahrgenommen. »Nur durch Anerkennung der Nacht im physischen Sinne ist man dahin gelangt, sie im abstrakten Sinne gelten zu lassen.«83 War das vielleicht ein erstes kulturelles Signum für den Gedanken einer ›ontologischen Nacht‹, die jetzt als Schicksal des Menschen und seiner Welt anbricht? – Und er »zu schweigen begann, wenn er sich von der Tag- auf die Nachtseite retten«84 konnte. Von und in der ›Stadt‹ aus kann man den Untergang der romantischen Sonne beobachten: Unwiderstehlich tritt die Nacht die Herrschaft an, Feucht, finster, fröstelnd und voll unheimlichem Drohen.85

Die ›Stadt‹ ist zunächst zwar ein Eiland der Nacht, aber sie entfaltet ein sozusagen nachtdynamisches Gravitationsfeld, dem dann auch alles andere der menschlichen Natur- und Lebenswelt unterworfen bleibt. Das hat aber fürs Individuum und seinen Alltag nicht Berechenbarkeit, Ruhe oder Routine zur Folge, sondern bringt es – als Doppelwesen – in den Modus unüberschaubarer sozialer Übergänge und Transformationen. »Wer unter uns wäre kein homo duplex? Ich denke dabei an diejenigen, deren Geist von Jugend auf touched with pensiveness gewesen ist; immer doppelt, Tun und Erstreben, Traum und Wirklichkeit; eines immer dem anderen abträglich, eines immer ins andere übergreifend und seines Anteils sich bemächtigend.«86 Was könnte also als bleibend interessant am Aspekt des Nachtseitigen am Bau und am Wissen über die Welt begriffen werden? Vielleicht die Einsicht: »Wissenschaft und Literatur tragen die Nacht in das Ich hinein, um sie dort – als die Bedingung des Doppelwesens Mensch – zu entdecken.«87 Damit möglicherweise den Gedanken, dass wir so pointiert einen ›letzten‹ Horizont unserer Menschengesellschaft als ›Zwischenfall der Natur‹ vermittelt bekommen? Diesen sonst so woanders nicht gewährten Einblick in ein dunkles seinsgeschichtliches Schicksal des Menschen verdanken wir also romantischer Hellsichtigkeit: »[DUNKEL GENOSSEN IST 88 DER WELTRAUM SEHR DUNKEL]« .

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Lautréamont: Gesamtwerk, S. 290–291. Klemperer: Vorwort zu Eugène Sue: Der ewige Jude, S. 11. Baudelaire: Der Wein der Lumpensammler. – In: Baudelaire: Die Blumen des Bösen, S. 283. Baudelaire: Aufsätze zur Literatur und Kunst 1857–1860, S. 77. Borgards und Neumeyer: Der Mensch in der Nacht – die Nacht im Menschen. Aufgeklärte Wissenschaft und romantische Literatur, S. 39. Müller: Germania 3: Gespenster am Toten Mann, S. 81.

(KUNST)HANDWERK UND WISSEN

Michael Bies

Handwerk, Geld und Kunst: Achim von Arnims Sittengemälde »Die drei liebreichen Schwestern und der glückliche Färber«

1. Ähnlich wie die Beschäftigung mit Themen wie Identität, Liebe, Natur und Kunst kann auch die Auseinandersetzung mit Handwerk als eines der wichtigen Momente der Literatur der Romantik gelten. Das kann, um nur wenige Beispiele zu nennen, an den Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders und den Phantasien über die Kunst von Wilhelm Heinrich Wackenroder und Ludwig Tieck ebenso wie an Tiecks Roman Franz Sternbalds Wanderungen nachvollzogen werden, aber auch an den Kinder- und Haus-Märchen, die Jacob und Wilhelm Grimm 1812 zu veröffentlichen beginnen, und an E.T.A. Hoffmanns Almanacherzählungen, wie besonders der 1818 erschienenen Erzählung Meister Martin der Küfner und seine Gesellen.1 Für diese Auseinandersetzung mit Handwerk ist charakteristisch, dass sie sich von alltäglichen Erfahrungen in doppelter Hinsicht abzusetzen scheint. Nicht nur ist zu bemerken, dass romantische Literatur das Handwerk meist aus einer sentimentalischen Perspektive behandelt, dass sie es also als etwas Verlorenes darstellt, indem sie es, wie bei Wackenroder, Tieck und Hoffmann, im ›altdeutschen‹ Nürnberg des späten 15. und des 16. Jahrhunderts oder, wie bei den Grimms, in einer nicht weiter markierten, nur noch in der Schrift gegenwärtigen Vergangenheit situiert. Darüber hinaus ist festzustellen, dass dieser Bezug auf Handwerk in einer Zeit erfolgt, in der der Niedergang der traditionellen Ordnung des Handwerks längst als Allgemeinplatz gilt.2 Justus Möser etwa hatte bereits im 1774 publizierten ersten Band seiner populären Patriotischen Phantasien einen weitgehenden ›Verfall des Handwerks‹ diagnostiziert und mit einem sich gerade in größeren Städten immer weiter durchsetzenden »Esprit de Fabrique« begründet,3 der sich in Arbeitsteilung, Spezialisierung, Rationalisierung und in einer größeren Affinität zu »Geschmack« und »Mode« äußere, als sie dem Handwerk gewöhnlich zu eigen sei.4

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Mit dieser Erzählung habe ich mich ausführlicher befasst in Bies: Bilder ›altdeutscher‹ Zeiten. Der vorliegende Aufsatz kann gleichsam als Ergänzung und Fortführung der dort entfalteten Überlegungen verstanden werden. Zu diesem Niedergang vgl. besonders die Anthologie von Stürmer (Hrsg.): Herbst des Alten Handwerks. Möser: Von dem Verfall des Handwerks in kleinen Städten. – Patriotische Phantasien, S. 181–209, hier S. 184. Ebenda, S. 183.

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Angesichts dieser Situation liegt es nahe, die Konjunktur des Handwerks in der Literatur der Romantik von jenem Niedergang des Handwerks her zu rekonstruieren, den Autoren wie Möser beschreiben. Diese Konjunktur ließe sich dann als Reaktion auf ein Ungenügen an der sich ausbildenden modernen Arbeitswelt und als Ausdruck der Flucht in eine vergangene und gerade deshalb auch für alle Verklärungen verfügbare Handwerkswelt auffassen, in eine Welt der erfüllten, in sich selbst sinnvollen Arbeit. Dass es diese Welt in der idealisierten Form, die sie bei Autoren wie Wackenroder, Tieck, den Grimms und Hoffmann gewinnt, nicht nur im 15. oder 16. Jahrhundert, sondern auch sonst nie gegeben hat, versteht sich von selbst. Doch mindert das ihre Wirkmacht nicht. So begleiten ihre utopischen Verheißungen die Moderne seit der Romantik und sind noch in den gegenwärtigen Kulturen des Selbermachens und der für diese Kulturen konstitutiven Kritik der Massenproduktion wirksam.5 Eine solche Erklärung ist nachvollziehbar, aber unbefriedigend. Das liegt zum einen daran, dass sie die Romantik auf die Formulierung von Fluchtmöglichkeiten festlegt und darüber vernachlässigt, dass diese nur in Ausnahmen eine eskapistische Bewegung ist. Denn stärker, als sich von ihrer eigenen Zeit abzugrenzen, zeigt die Romantik sich von ihr fasziniert und nimmt charakteristisch moderne Entwicklungen auf – hierzu gehört auch die mit der Etablierung des Normalismus einhergehende Erfahrung von ›Alltag‹ –,6 die sie dann reflektiert und oft genug auch affirmiert. Im Blick auf den mit Adam Smiths Inquiry Into the Nature and Causes of the Wealth of Nations verbundenen Paradigmenwechsel im ökonomischen Denken hat Joseph Vogl diese entschiedene Gegenwärtigkeit und Modernität der Romantik in seinen Untersuchungen zur ›romantischen Ökonomie‹ in die prägnante Formel gefasst, die Romantik sei »weder prä- noch anti-kapitalistisch, sondern parakapitalistisch«, insofern sie bereit sei, »das neueste Wissen vom Stand ökonomischer Funktionssysteme in eine allgemeine Gesellschaftslehre zu integrieren.«7 Zum anderen ist zu betonen, dass die Literatur der Romantik sich in der Thematisierung von Handwerk nicht nur mit der sich allmählich konturierenden modernen Arbeitswelt und dem sich durchsetzenden ›Fabrikenwesen‹, um einen zeitgenössischen Begriff zu gebrauchen, beschäftigt. Vielmehr ist unter den Bedingungen einer sich funktional ausdifferenzierenden Gesellschaft davon auszugehen, dass romantische Literatur die Auseinandersetzung mit Handwerk auch und gerade als Mittel zur Selbstverständigung über die Bedingungen und Möglichkeiten von Literatur in der Moderne nutzt, dass sie in der Darstellung von Handwerk also immer auch auslotet, was künstlerische Programmatik und literarische Produktion, Künstlertum und Autorschaft für die sich als autonom verstehende und paradoxerweise gerade deshalb zunehmend vom Markt abhängige Literatur um 1800 bedeuten.

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Vgl. hierzu etwa Friebe, Ramge: Marke Eigenbau. Vgl. hierzu schon Pikulik: Romantik als Ungenügen an der Normalität, bes. S. 28–43; zum ›Normalismus‹ siehe Link: Versuch über den Normalismus. Vgl. Vogl: Kalkül und Leidenschaft, S. 287. Zur ›romantischen Ökonomie‹ vgl. ebenda, S. 255–288; zur verspäteten Smith-Rezeption im deutschsprachigen Raum siehe Tribe: Governing Economy, S. 133–148.

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2. An dieser romantischen Beschäftigung mit Handwerk beteiligt sich auch Achim von Arnim. Besonders deutlich wird das an der Erzählung Die drei liebreichen Schwestern und der glückliche Färber, die Arnim an dritter Stelle seiner Novellensammlung von 1812 publiziert. Bemerkenswert ist diese Erzählung schon deshalb, weil Arnim die gängigen romantischen Handwerksnarrative hier geradezu zu meiden scheint und sich – was nicht weiter überraschen mag – in einer keineswegs eindeutigen und in vielerlei Hinsicht verwickelteren Weise als viele Autoren seiner Zeit mit Handwerk befasst. Bevor die Erzählung genauer betrachtet und auf ihre Auseinandersetzung mit Handwerk hin befragt wird, sei deshalb kurz die Handlung des ›Sittengemäldes‹, als das Arnim Die drei liebreichen Schwestern und der glückliche Färber im Untertitel bestimmt, rekapituliert. Die Erzählung setzt im frühen 18. Jahrhundert in Stettin ein, wo der Färberlehrling Golno von seiner Geliebten Lehne, einem Findelkind, einen geheimnisvollen Schatz aus silbernen Harzgulden erhält. Wie Lehne ihm erklärt, solle er diesen verwenden, um Färbermeister zu werden. Da Golno das in Stettin verwehrt bleiben muss, weil er, wie es heißt, ein Wende sei und als solcher »aus allen Zünften ausgeschlossen« ist,8 flüchtet er nach Amsterdam. Dort, in der »Hauptstadt des Welthandels«, wo es »keine Färberzunft« gibt und auch die Wenden unbekannt sind,9 nimmt Golnos Glück seinen Lauf. Nachdem er kurz nach der Ankunft in Amsterdam in einer Lotterie vierzigtausend Gulden gewonnen und Unterkunft bei dem Prediger Hille gefunden hat, der sich später als Lehnes Vater herausstellt, ersteht Golno hier »einen großen Vorrat weißer Tücher«,10 die er schwarz färbt und nach dem Tod des preußischen Königs Friedrich I. mit hohem Gewinn verkauft. Gemeinsam mit der unglücklich in ihn verliebten Susanna, der älteren der beiden Töchter aus Hilles Ehe in Amsterdam, reist Golno hierfür nach Berlin, wo der auf die Förderung von »Fabriken und Gewerbe« bedachte neue König Friedrich Wilhelm I. ihn sogleich in sein Tabakskollegium einlädt und mit einem »Privilegium zu einer großen Färberei beschenkt.«11 Golno ist damit ein gemachter Mann. Dennoch wird er enttäuscht, als er mit Susanna nach Stettin reist, um Lehne endlich zur Frau zu nehmen. Denn nachdem diese ihre Schwester kennengelernt hat und gemeinsam mit ihr und Golno nach Berlin zurückgekehrt ist, verspürt sie nicht länger das »Verlangen zu heiraten«, und auch Susanna erkennt ihre Liebe zu Golno nun als eine »Torheit« und als etwas, das »ihrem innersten Herzen fremd sei«.12 Sein privates Glück findet der Färber deshalb erst, als er nach einigen Wirren Charlotte wiederbegegnet, der zweiten Tochter aus Hilles Ehe in Amsterdam und der jüngsten der drei Schwestern, und diese schließ-

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Arnim: Die drei liebreichen Schwestern und der glückliche Färber – Werke in sechs Bänden, Bd. 3, S. 778–833, hier S. 786. Ebenda, S. 789 und 794. Ebenda, S. 803. Ebenda, S. 811. Ebenda, S. 815.

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lich heiratet. Jedoch lässt Arnim die Erzählung nicht mit der Hochzeit enden. Er zeigt noch, wie Golno sein Glück dadurch sogleich aufs Spiel setzt, dass er sich von dem von Friedrich Wilhelm I. zum Hofnarren degradierten Gelehrten Gundling zu alchemistischen Versuchen im »Laboratorium seiner Färberei«13 überreden lässt und den Schatz, den Lehne ihm zu Beginn der Erzählung gegeben hat, in Gold verwandelt. Allerdings ist Lehne jetzt abermals zur Stelle – und sorgt dafür, dass der von einem Goldrausch erfasste Golno sich zuletzt wieder auf das Glück besinnt, das er im Kreis der drei Schwestern gefunden hat. Die kurze Zusammenfassung lässt bereits erkennen, dass Arnims Sittengemälde zunächst als eine mit romantischen Märchenmotiven und -mustern durchwirkte Erzählung von der Suche nach dem eigenen Glück gelesen werden kann. Seine Erfüllung erfährt dieses Glück in der romantischen Liebe, die in der Verbindung von Golno und Charlotte dargestellt, zuvor aber auch in den Gegen- und Grenzphänomenen der allein auf das häusliche Glück des Mannes bedachten Liebe, wie bei Lehne, sowie der wahnsinnigen Liebe, wie bei Susanna, behandelt wird.14 Doch lenken sowohl der Umstand, dass Lehne und Susanna der Ehe entsagen und ihr Glück in einem gemeinsam gegründeten Findelhaus finden, als auch das über die Hochzeit hinausgeschobene Ende der Erzählung den Blick darauf, dass es hier um mehr als um die Suche nach Lebens- und Liebesglück geht. So zeigt sich bei genauerem Hinsehen, dass Arnim gerade am naiven Helden Golno auch die Vieldeutigkeit, Unsicherheit und Unkontrollierbarkeit von alltäglicher Sprache exponiert und die Handlung der Erzählung häufig durch Missverständnisse und andere kommunikative Fehlleistungen vorantreibt, wie sie etwa in Homophonien (›Wende‹/‹Wände‹) und in Verwechslungen von literaler und figuraler Sprache (›Schatz‹ und, an Kleists Penthesilea erinnernd, ›Hund‹) begründet liegen.15 Christof Wingertszahn hat die »Sprache« deshalb zum »Hauptthema« der Erzählung erklärt.16 Außerdem kann bemerkt werden, dass Arnim in Die drei liebreichen Schwestern und der glückliche Färber nach der Identität der dargestellten Figuren fragt, indem er diese als sich permanent verändernde und oft bis zur Unkenntlichkeit verwandelte Figuren präsentiert. Offenkundig wird das etwa, als Golno nach der Rückkehr aus Amsterdam von Lehne mit den Worten abgewiesen wird: »[W]ir passen nicht mehr zusammen«, und seinen Vater gleich darauf als »einen fremden verwandelten Menschen« wiederfindet;17 oder als er beim Wiedersehen mit Charlotte nicht begreifen kann, dass diese »in der kurzen Zeit sich so verändert habe«, und ihr vor der Hochzeit erklärt: »[I]ch werde mit Dir zum Kinde, und kenne mich selbst nicht mehr.«18

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Ebenda, S. 829. Vgl. ebenda, S. 813. Zu den Beispielen vgl. ebenda, S. 778–779 (›Schatz‹), S. 786–787, S. 799 und 801 (›Hund‹), S. 794 (›Wende‹/‹Wände‹). Wingertszahn: Ambiguität und Ambivalenz im erzählerischen Werk Achims von Arnim, S. 211. Arnim: Die drei liebreichen Schwestern und der glückliche Färber – Werke in sechs Bänden, Bd. 3, S. 814. Ebenda, S. 818 und 824.

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3. Noch auffälliger als die Auseinandersetzung mit Liebe, Sprache und Identität ist aber, dass Arnim sich in Die drei liebreichen Schwestern und der glückliche Färber nahezu unablässig mit Geld und Ökonomie beschäftigt, einem Themenkomplex, den er bereits in der Isabella von Ägypten, der ersten Erzählung der Novellensammlung von 1812 intensiv bearbeitet hatte.19 So zeigt er den Färber Golno nicht in einer abgeschlossenen Handwerkswelt, in der der Lebensweg des Handwerkers wie auch die soziale und wirtschaftliche Ordnung des Handwerks als stabil vorausgesetzt werden können. Stattdessen situiert er ihn in einer Welt, die sich im Umbruch befindet, die von Handel, Industrie und Verkehr bestimmt, von politischen und ökonomischen Ungleichheiten gekennzeichnet und von Kontingenz durchdrungen ist. Dabei ist bemerkenswert, dass Arnim diese sich im Umbruch befindliche Welt nicht einfach ablehnt und ihr, anders als um 1800 oft üblich, auch keine Utopie einer vergangenen Handwerkswelt entgegensetzt. Vielmehr lässt er keinen Zweifel daran aufkommen, dass das Glück des Wenden Golno von der Verfasstheit dieser (proto-)modernen Welt unmittelbar abhängt und erst unter den Bedingungen von Handel, Industrie und Verkehr möglich ist. Offenkundig wird diese Beschäftigung mit Geld und Ökonomie beim Blick auf die verschiedenen Formen und Funktionen von Geld, mit denen Arnim die Figuren des Sittengemäldes in Berührung bringt. Besondere Aufmerksamkeit gebührt zunächst den silbernen Harzgulden, die Lehne als ein Geschenk der »himmlische[n] Mutter« und als »Zeichen« dafür erhalten haben will, dass »der Sohn Gottes« ihr und, wie es heißt, »jedem, den Du liebst und der an ihn glaubt«, »Glück« bringen wird.20 Nachdem Lehne Golno die Gulden zu Beginn der Erzählung gegeben hat, damit er »Geselle und Meister« werde,21 findet dieser in Amsterdam und Berlin – und unter Umgehung der traditionellen Handwerkerlaufbahn – sein berufliches Glück. Ohne etwas von dem Geld ausgegeben zu haben, gibt er Lehne die Gulden nach seiner Rückkehr nach Stettin zurück,22 bevor er sie bei der Verlobung mit Charlotte von ihr erneut als ein »Glückgeld« geschenkt bekommt, »das in treuen Händen dauert, aber in lästerlicher Hand wie Wasser vergeht«,23 und sie gegen Ende der Erzählung dann gemeinsam mit Gundling in Gold verwandelt. Als Golno das schließlich als Fehler erkennt und Lehne bittet, das aus den Gulden hergestellte »künstliche verführerische Gold in den Fluß zu werfen«, um die von ihm erweckten »unseligen Begierden« nach Macht und noch mehr Gold zu stillen, weist diese den Wunsch zurück.24 »[B]ewahre er das Gold, aber brauche er es nicht«, fordert sie 19

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Vgl. hierzu etwa Fischer: Literatur und Politik, S. 119–131; Fischer: Interpretation als Geschichtsschreibung; Burwick: »Es kommen jetzt so schöne fremde Farben auf«; und besonders Dickson: Der Fluß des Geldes in Arnims Werken. Arnim: Die drei liebreichen Schwestern und der glückliche Färber – Werke in sechs Bänden, Bd. 3, S. 782. Ebenda, S. 779. Vgl. ebenda, S. 812. Ebenda, S. 823. Ebenda, S. 832.

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stattdessen, »und laß er es seine Kinder mit der Warnung bewahren, daß der Mensch in seinem höchsten irdischen Glücke sich selbst am wenigsten vertrauen darf, sondern am meisten zu Gott beten muß, daß er die irdische Gewalt unter seinen Willen bändige.«25 Die hier umrissene Geschichte der Harzgulden ist nicht zuletzt beachtenswert, weil sie einer dezidiert vormodernen Auffassung von Geld zu entsprechen scheint. So ist charakteristisch für die Harzgulden, dass sie als ›Glücksgeld‹ nicht verschenkt werden, um finanzielle Nöte zu lindern, und insgesamt auch nicht als gesellschaftliches Kommunikationsmedium dienen sollen.26 Stärker als in der Vertikale liegt ihre Funktion in der Horizontale. Noch als formlose Goldklumpen sollen sie als Zeichen Gottes fungieren und auf jene Instanz verweisen, die das Irdische transzendiert und dessen Ordnung garantiert. Ihre Kraft entfalten die Gulden deshalb auch nicht, indem sie ausgegeben und zur Produktion von noch mehr Geld genutzt werden, sondern erst dadurch, dass sie aufbewahrt und somit dem gesellschaftlichen Verkehr und jeder »direkten Verwertung«, wie bereits Bernd Fischer erklärt hat,27 entzogen werden. Neben den Harzgulden, die die verständige und stets auf Sparsamkeit bedachte Lehne als Zeichen Gottes verschenkt, erwähnt die Erzählung noch eine Fülle anderer Geldformen. Berichtet wird etwa, dass Golno für seine Arbeit während der Schifffahrt nach Amsterdam »vierzig Stüber« bekommt,28 die er dort dann in das Lotterielos investiert, mit dem er vierzigtausend Gulden gewinnt. Zu seiner Überraschung werden ihm diese vierzigtausend Gulden jedoch nicht in Münzen, sondern in Form eines Wechsels ausgezahlt, den er wiederum nutzt, um sich für dreißigtausend Gulden Tuch zu kaufen; für die restlichen zehntausend Gulden gibt ihm der junge Schnaphan, der Verkäufer der Tücher, einen »Creditbrief und baares Geld«.29 Des Weiteren wird vermerkt, dass Golno für die gefärbten Tücher in Berlin »Häuser und ein Landgut zu billigem Preise, als Bezahlung« erhält, weil dort ein »Mangel an baarem Gelde« herrscht,30 und dass Lehne von ihrem Vater zuletzt »ein bedeutendes Kapital in sicheren holländischen Papieren« als Erbteil ausgehändigt bekommt,31 das sie wiederum zur Stiftung des gemeinsam mit Susanna gegründeten Findelhauses verwendet. Wie intensiv Arnim sich in Die drei liebreichen Schwestern und der glückliche Färber mit ökonomischen Fragen beschäftigt, sollte deutlich geworden sein. Bemerkenswert ist, dass er die Figuren seiner Erzählung nicht nur immer wieder mit Geld in Berührung bringt, sondern auch verschiedene Auffassungen von Geld profiliert. Während die Harzgulden eine gleichsam vertikale Verbindung zwischen 25 26

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Ebenda. Zu dieser Funktion von Geld vgl. besonders Luhmann: Die Wirtschaft der Gesellschaft, S. 230–271. Fischer: Literatur und Politik, S. 128. Arnim: Die drei liebreichen Schwestern und der glückliche Färber – Werke in sechs Bänden, Bd. 3, S. 789. Ebenda, S. 804. Ebenda, S. 811. Ebenda, S. 824.

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Mensch und Gott herstellen sollen, liegt die Funktion der Geldformen, mit denen Golno nach seiner Flucht aus Stettin zu tun hat, in der Horizontalen. Statt als Zeichen Gottes zu wirken, sollen sie den gesellschaftlichen Verkehr befördern und die Produktion von noch mehr Geld ermöglichen. Bereits angedeutet sind damit die historischen und sozialen Implikationen der Unterscheidung zwischen den Harzgulden und den anderen in der Erzählung genannten Geldformen. So können die Harzgulden als Symbole einer vormodernen, durch Gott garantierten Ökonomie und einer Gemeinschaft verstanden werden, die durch die Gottgefälligkeit und Sparsamkeit ihrer Mitglieder zusammengehalten wird. Im Unterschied dazu bezeichnen die Münzen, Geldwechsel und Kreditbriefe, die Golno im liberalen, wirtschaftlich prosperierenden Amsterdam kennenlernt, eine dezidiert moderne Ökonomie, die Geld als ein zentrales »Verbindungs- und Kommunikationsmittel«32 auffasst, als ein Medium, das gesellschaftliche Beziehungen zwar auch in der Vertikale, vor allem aber in der Horizontale zu stiften vermag. In diesem Sinne erklärte auch Adam Müller, der prominenteste romantische Wirtschaftstheoretiker, das Geld in den 1809 veröffentlichten Elementen der Staatskunst als etwas, das unablässig in Bewegung gebracht und in Zirkulation gehalten werden müsse, um seine »allgegenwärtige Kraft« zu entfalten, »durch welche das Entfernteste und das Nächste mit einander in Verbindung gesetzt, und die kleine Stelle, welche der physische Mensch auf der Erde einnimmt, in’s Unendliche erweitert« wird.33 Die damit herausgearbeitete Unterscheidung verschiedener Auffassungen von Geld ist aufschlussreich. Denn sie erlaubt nicht nur Golnos Verfehlung gegen Ende der Erzählung näher zu bestimmen, die darin liegt, dass der naive Held die Harzgulden gleichsam veruntreut, wenn er sie in Gold verwandelt und in den horizontalen Geldverkehr einspeisen will, anstatt sie weiter als Gott bezeichnende Zeichen zu nutzen. Darüber hinaus deutet diese Unterscheidung an, dass die Erzählung sich durchaus als ›para-kapitalistisch‹ verstehen lässt, wenn Arnim in der dichterischen Ausarbeitung verschiedener Geldtheorien charakteristische Probleme der von Joseph Vogl beschriebenen ›romantischen Ökonomie‹ aufnimmt – einer Ökonomie, die sich einerseits von der regulierenden und produzierenden Kraft des zirkulierenden Geldes und der »Paradoxie eines ›sich selbst garantierenden Geldes‹«34 fasziniert zeigt, sich andererseits aber vor einem »Universal-Despotismus des Geldes«35 sorgt und deshalb über Möglichkeiten nachdenkt, die Kraft des Geldes zu steuern, ohne sie einzuschränken, oder Alternativökonomien entwirft und erprobt. Das Gegenbild der anachronistischen Ökonomie der Harzgulden, die das Geld nicht zirkulieren, sondern repräsentieren lässt, mag als ein Beispiel für eine solche Alternativökonomie verstanden werden können.

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Dickson: Der Fluß des Geldes in Arnims Werken, S. 62 Müller: Die Elemente der Staatskunst, Bd. 1, S. 422. Vogl: Kalkül und Leidenschaft, S. 280. Vogl bezieht sich hier auf eine Passage aus Müller: Die Elemente der Staatskunst, Bd. 1, S. 435. Müller: Die heutige Wissenschaft der Nationalökonomie kurz und faßlich dargestellt (1816), S. 399.

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4. Wie aber lässt sich vor diesem Hintergrund die Auseinandersetzung mit Handwerk in Die drei liebreichen Schwestern und der glückliche Färber bestimmen? Zunächst kann festgehalten werden, dass Arnim auf Wissen von Handwerk zurückgreift, um sein Sittengemälde sozial- und wirtschaftsgeschichtlich zu situieren. Deutlich wird das etwa in der Thematisierung des Ausschlusses der Wenden aus den Zünften und der Erwähnung des Umstands, dass Handwerker aus ihrer Gilde geworfen werden können, wenn sie »ein Kind ohne Vater« heiraten,36 oder auch im Verweis auf zeitgenössische Handwerkerlieder,37 wie Arnim sie gemeinsam mit Clemens Brentano schon in Des Knaben Wunderhorn gesammelt hatte. Dabei ist zu beobachten, dass er dieses Wissen in Die drei liebreichen Schwestern und der glückliche Färber nicht nur als historisches Kolorit, sondern auch zur Strukturierung der Handlung der Erzählung verwendet – schließlich muss Golno Stettin ebendeshalb verlassen, weil Wenden dort aus den Zünften ausgeschlossen waren. Außerdem ist festzustellen, dass das in die Erzählung eingearbeitete Handwerkswissen aus Arnims Perspektive als ein historisches Wissen, als ein Wissen von einer längst vergangenen Zeit anzusehen ist. So waren die Handwerksverordnungen, auf die Arnim hier rekurriert, im Preußen des Jahres 1812 längst nicht mehr in Kraft und nicht zuletzt durch die im Zuge der Reformen von Stein und Hardenberg ergangenen Bestimmungen zu einer weitreichenden Gewerbefreiheit ersetzt worden. Neben dieser Berücksichtigung eines historischen Handwerkswissens ist bemerkbar, dass Arnim an der Hauptfigur Golno eine Ethik und ein Arbeitsideal darstellt, wie es für Handwerker vor allem seit der Romantik als charakteristisch angesehen wird.38 Anders als viele Autoren seiner Zeit, die Bestrebungen zur wirtschaftlichen Liberalisierung und zur Aufhebung des Systems der Zünfte und Gilden kritisch beurteilen und zurückweisen,39 verzichtet Arnim dabei darauf, das Handwerk auch als Modell und Garant sozialer Ordnung zu verklären; eine Figur wie der ›schwarze Wigand‹, der sich um die ›Verunreinigung‹ der Stettiner Färbergilde durch den vermeintlichen Wenden Golno sorgt,40 lässt diese traditionelle Ordnung eher in einem kritischen Licht erscheinen. So absolviert Golno, wie schon erwähnt, im Unterschied zu vielen romantischen Handwerkerfiguren gerade nicht die traditionelle Laufbahn vom Lehrling zum Gesellen und Meister, sondern umgeht diese gleichsam in seinen Aufenthalten in Amsterdam, wo es gar keine Färberzunft gibt, und in Berlin. Seiner charakterlichen Disposition scheint diese eher ungewöhnliche 36

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Arnim: Die drei liebreichen Schwestern und der glückliche Färber – Werke in sechs Bänden, Bd. 3, S. 781. Vgl. ebenda, S. 786. Für eine knappe Charakterisierung dieses Ideals handwerklicher Arbeit vgl. Mills: White Collar, S. 220–224. Beispielhaft genannt seien hier nur Schlosser: Ueber das neue französische System der Polizeyfreyheit, insbesondere in der Aufhebung der Zünfte; und Rau: Ueber das Zunftwesen und die Folgen seiner Aufhebung. Vgl. Arnim: Die drei liebreichen Schwestern und der glückliche Färber – Werke in sechs Bänden, Bd. 3, S. 786–787.

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Laufbahn keinen Abbruch getan zu haben. Golno wird in der Erzählung als ein anständiger, fleißiger, darüber hinaus auch musikalischer und überhaupt bis zur Naivität hin »ehrliche[r] Handwerker« dargestellt,41 der seine Arbeit »ganz und vollständig« erledigt und sich, wie Lehne betont, genau dadurch auch als »ein ordentlicher Mensch« zu erkennen gibt, der sein Geld und Glück auch verdient.42 Damit unterscheide er sich, so heißt es weiter, sowohl vom »Edelmann«, der sich sein Gold nicht erarbeite, sondern es »meist als Tresse abriebe«, als auch von einem Gelehrten wie Gundling, der keiner »Handarbeit« fähig und der Willkür des Hofes hilflos aufgeliefert sei.43 Zwar erscheint Golno in der Erzählung auch als überaus geschäftstüchtig, wenn etwa vermerkt wird, dass er sein Tuch vom jungen Schnaphan zur Hälfte des »Einkaufspreis[es]« bekommen und beim Verkauf der gefärbten Tücher in Berlin »sein Geschäft« erneut »sehr vorteilhaft« gemacht habe.44 Zugleich aber wird deutlich, dass Arbeit und Reichtum allein ihn nicht glücklich machen und er letztlich lieber arm als ohne Frau leben würde. Eine Ausnahme hiervon markieren lediglich die gemeinsam mit Gundling durchgeführten alchemistischen Versuche, in denen Golno sich gegen Ende des Sittengemäldes als höchst anfällig für die Verführungskraft des Geldes erweist. Damit ist eine weitere Besonderheit der Erzählung in der Auseinandersetzung mit Handwerk angesprochen. So fällt auf, dass sie dieses wiederholt zur Alchemie ins Verhältnis setzt und Färberei und Alchemie als analoge Praktiken inszeniert – und es ist zu vermuten, dass Arnim in seinem Sittengemälde auch deshalb auf das literarisch eher selten behandelte Färberhandwerk zurückgreift, weil es sich ebenfalls mit Verwandlungen befasst und gut auf die Alchemie bezogen werden kann.45 Ausgespielt wird die Analogie beider Praktiken in der Schlussepisode der Erzählung, in der Golno die von Lehne erhaltenen silbernen Harzgulden, die bislang als Garanten seines Glücks fungierten, mit Gundling in Gold umwandelt und ihm dieser die Tinktur, die diese Transformation vollbringt, mit den Worten präsentiert: »Seht her, Golno, das ist die Tinktur, die höchste Färberei!«46 Doch auch wenn Gundling seine Künste derart als »höchste Färberei« preist, lässt die Erzählung keinen Zweifel daran, dass die Alchemie nicht als Vollendung des Handwerks zu bewerten sei, sondern als etwas, das einen unmäßigen Drang nach Macht und immer mehr Gold erwecke und verstärke, der alles selbst erworbene Glück verblassen lasse. Von Golno heißt es daher, dass nach der Umwandlung der Harzgulden »alles Glück, was er in der Welt gefunden, alles, was seine Arbeit erschwungen, wie ein Tropfen gegen diesen Glücksstrom verschwand«, den die Herstellung des Goldes 41

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Ebenda, S. 803. Zu Ehrlichkeit, Sittsamkeit, »Fleiß« und »Unermüdlichkeit« wie auch zur »Handwerksleidenschaft« Golnos vgl. hier auch S. 789, 804, 805, 809, 815 und 823. Ebenda, S. 785. Vgl. hier auch S. 823. Ebenda, S. 826 und 828. Ebenda, S. 803 und 810. Zum alchemistischen Diskurs in der Erzählung vgl. auch Dunker, Lindemann: Achim von Arnim und die Auflösung des Künstler-Subjekts; und Burwick: »Es kommen jetzt so schöne fremde Farben auf«. Arnim: Die drei liebreichen Schwestern und der glückliche Färber – Werke in sechs Bänden, Bd. 3, S. 831.

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durch Gundlings Tinktur bei ihm auslöste: »Königreiche wollte er kaufen, seine Kinder sollten regieren, alles war aufgeregt in dem einen Menschen, was das Geld in ganzen Nationen an unseligen Begierden verderbt hat«.47 Die Entgegensetzung, die damit aufgebaut wird, ist unverkennbar. Während die Alchemie als eine Theorie und Praxis dargestellt wird, die ein vermeintlich natürliches Verhältnis von Arbeit und Produkt zerstört und auf die künstliche Herstellung von etwas zielt, das Bedürfnisse nicht befriedigt, sondern »unselige Begierden« erst erzeugt oder wenigstens verstärkt, erscheint das Handwerk als eine Tätigkeit, in der Arbeit und Glück einander entsprechen und in der, viel mehr noch, ein »neuer Bund« zwischen Gott und Welt geschlossen wird. So zumindest heißt es in dem Lied, das Golno Susanna in Amsterdam vorsingt: Als diese Welt nicht Farbe wollte halten, Da tauchte sie der Herr in Sündflut ein, Bestrahlte sie darauf mit farbgem Schein, Die Farbe muß den neuen Bund gestalten; Der Färber ist der wahre Mittelsmann Der Gott und Welt durch Kunst vereinen kann.48

Die Erwähnung der ›Kunst‹ im letzten Vers des Liedes, die auf die Fertigkeit des Handwerkers wie auch auf das Werk des Künstlers im engeren Sinn verweisen mag,49 legt bereits nahe, dass die von der Erzählung betriebene Privilegierung des Handwerks gegenüber der Alchemie nicht nur als Ausdruck einer romantischen Kritik von zeitgenössischem ›Fabrikenwesen‹ und moderner ›Geldwirtschaft‹ zu verstehen ist. Wie fast immer, wenn in Texten der Zeit um 1800 von Handwerk die Rede ist, kann sie auch als Ausdruck der Auseinandersetzung mit Kunst und mit bestimmten Kunstverständnissen gelesen werden. In diesem Sinne kann Gundling, wie Christof Wingertszahn ausgeführt hat, als Verkörperung eines im Verborgenen schaffenden autonomen Künstlers aufgefasst werden, der von seiner Mitwelt nur verhöhnt und verspottet wird.50 Im Unterschied dazu erscheint Golno als ein Handwerker, der durch seine Arbeit – und auch durch die von Lehne erhaltenen Harzgulden – zu Glück und gesellschaftlichem Ansehen gelangt ist und sich zugleich durch seine Affinität zu Volksdichtung auszeichnet. Von den Holländern, deren ökonomische Fortschrittlichkeit mit einer künstlerischen Rückständigkeit korrespondiert, die die Erzählung nicht ohne Ironie festhält, wird Golno denn auch »für einen der ersten deutschen Meistersänger« gehalten.51 47 48 49

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Ebenda, S. 832. Ebenda, S. 804. In einem weiteren Sinn könnte die ›Kunst‹ natürlich auch mit der Tätigkeit des Alchemisten identifiziert werden. Eine solche Deutung schlagen Axel Dunker und Annette Lindemann vor, die den im Lied genannten ›Färber‹ – im Unterschied zu den hier entwickelten Ausführungen – nicht als Handwerker, sondern als Alchemisten beschreiben. Vgl. Dunker, Lindemann: Achim von Arnim und die Auflösung des Künstler-Subjekts, S. 73–74. Vgl. Wingertszahn: Ambiguität und Ambivalenz im erzählerischen Werk Achims von Arnim, S. 208–209. Arnim: Die drei liebreichen Schwestern und der glückliche Färber – Werke in sechs Bänden, Bd. 3, S. 799.

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Damit eröffnet Arnim in Die drei liebreichen Schwestern mindestens zwei Möglichkeiten, Golno nicht nur als Handwerker, sondern auch als Künstler zu begreifen. Zum einen kann Golnos Handwerk als Allegorie der Kunst gelesen werden, wie Christof Wingertszahn es vorschlägt, wenn er Golno als einen »deutlich defizitäre[n] Künstler« charakterisiert, als »ein[en] ›Handwerker‹, der als Schwarzfärber von der selbstformulierten Funktion des Künstlers als ›Mittelsmann‹ absticht.«52 Zum anderen kann Golno in der von ihm verkörperten Einheit von Handwerk und Gesang als Künstler aufgefasst werden. Nur wäre er dann nicht als ein spezifisch moderner Künstler zu verstehen, als ein Künstlerkünstler, wie er oft als ebenso autonom wie einsam dargestellt wird, sondern als ein Handwerkerkünstler, der in einer sozialen Gemeinschaft verwurzelt ist und seine Kunst als Ausdruck dieser Gemeinschaft begreift – und als der er, wie festzuhalten wäre, dennoch nicht vor den Verlockungen der obskuren Kunst der Alchemie gefeit ist. Wenn Arnim mit Golno einen Handwerkerkünstler präsentiert, dann zeigt er ihn bezeichnenderweise nicht, ohne auch von seiner Verführbarkeit und seinen Gefährdungen zu erzählen.53

5. In welch eigener Weise Arnim sich in Die drei liebreichen Schwestern und der glückliche Färber mit Handwerk auseinandersetzt, sollte nachvollziehbar geworden sein. Auffällig ist, dass Arnim im Unterschied zu Autoren wie Wackenroder, Tieck und Hoffmann – und diese Reihe ließe sich, wie Bernhard Schubert gezeigt hat,54 über Richard Wagner und Gottfried Keller bis hin zu Thomas Mann verlängern – keine vormoderne ›altdeutsche‹ Handwerkswelt entwirft. Vielmehr zeichnet er gerade in der Darstellung Amsterdams das Bild einer sich im Umbruch befindlichen (proto-)modernen Welt und lässt die Hauptfigur Golno auch erst in dieser Welt und jenseits des Systems der Zünfte und Gilden zu Geld, Glück und schließlich Liebe gelangen. Doch obgleich Arnim auf jede Zunftromantik verzichtet, wie sie allerdings auch bei Wackenroder, Tieck und Hoffmann kaum ohne relativierende Rahmung und ironische Distanzierung auskommt, heißt das nicht, dass er mit Golno einen modernen Handwerker präsentiert. Wie die Betrachtung des ökonomischen Diskurses und der Formen von Geld nahegelegt hat, die Arnim in seinem Sittengemälde unterscheidet, ist der Färber eher als jemand zu begreifen, der sein Glück findet, weil er die Welt der Erzählung verkennt, weil er sie in einer unzeitgemäßen, naiven Weise betrachtet, ihre (Proto-)Modernität also gerade nicht durchschaut. Zugleich zeigt Arnim jedoch, wie Golno sein Glück eben aufgrund seiner Naivität zuletzt wieder zu verspielen droht.

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Wingertszahn: Ambiguität und Ambivalenz im erzählerischen Werk Achims von Arnim, S. 205. Mit der Unterscheidung von ›Künstlerkünstler‹ und ›Handwerkerkünstler‹ lehne ich mich lose an Norbert Elias’ Differenzierung von ›Künstlerkunst‹ und ›Handwerkerkunst‹ an. Vgl. Elias: Mozart, S. 58–68 und 177–178. Vgl. Schubert: Der Künstler als Handwerker.

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Michael Bies

Diese Verschränkung von Altem und Neuem, von Naivität und (Proto-)Modernität lässt sich auch poetologisch verstehen. Mithin erkundet Arnim in Die drei liebreichen Schwestern und der glückliche Färber nicht nur die Möglichkeit, durch Dichtung Geschichte zu schreiben und seine Gegenwart im Spiegel eines sich modernisierenden, aber auch, wie am Schicksal Gundlings deutlich wird, geistverachtenden Preußens vom Beginn des 18. Jahrhunderts zu betrachten. Unverkennbar ist, dass er in seinem Sittengemälde auch – und vor allem – vom Schicksal von Kunst und Künstler handelt. Zumindest erscheint es nahezu unvorstellbar, dass es nicht auch um die Rollen von Kunst und Künstler in den Jahren um 1800 geht, wenn Arnim vom naiven Färber Golno berichtet, dessen Glück sowohl auf dem unzeitgemäßen Schatz der Harzgulden beruht, den er zu Beginn der Erzählung gleichsam als Talent geschenkt bekommt, das er jedoch nicht ausgeben darf, wie auch auf unermüdlicher, ehrlicher Arbeit; wenn er von den Mühen dieser Arbeit und auch davon spricht, wie nichtig ihr Ertrag gegenüber den Zauberkünsten der Alchemie erscheint; und wenn er schließlich die Gefährdungen herausstellt, die diese Alchemie für den Färber bedeutet, ohne zu ignorieren, dass dieser erst jenseits der traditionellen Ordnung des Handwerks zu seinem Glück – und das heißt hier auch: zu Geld und Liebe – gelangt.

Stefan Nienhaus

Das »wahrhaft Bürgerliche« als Zukunftsfigur in Tiecks »Der junge Tischlermeister«1

Tiecks Versicherung, dass der Plan zum Tischlermeister auf die Neunziger Jahre des 18. Jahrhunderts zurückgehe, ja dies überhaupt die Idee für seine erste Novelle gewesen sei,2 mag man ihm gerne glauben, denn im 1811 begonnenen und allerdings erst 1835/36 abgeschlossenen Text findet sich noch eine große Zahl frühromantischer Motive und die Nähe zum Werk Jean Pauls ist darin viel deutlicher als in den anderen späten Schriften, vor allem aber ist der Forschung das Muster des Goetheschen Bildungsromans selbstverständlich nicht entgangen.3 Ohne hier nun penetrant in einen Diskurs über Einfluss oder, wenn einem dieser Begriff zu antiquiert erscheint: auf intertextuelle Bezüge verfallen zu wollen (und auch wenn Tieck mit der präzisen, doch wohl höchstwahrscheinlich falschen Angabe »1795«4 gerade dies zu vermieden suchte), so lenkt doch die Datierung der »frühesten Entwürfe« die Aufmerksamkeit des Literaturhistorikers zwangsläufig nicht nur auf das Erscheinen des Wilhelm Meister, sondern auch der ersten Bände des Siebenkäs5 im Jahr 1796, wie er auch das Schielen auf Brentanos Philisterabhandlung, die eben 1811 veröffentlicht wird und – soll man Köpke vertrauen – Tieck schon seit der ersten Vortragfassung bekannt war, kaum vermeiden kann. Unvermeidlich tauchen weiter noch Assoziationen an Eichendorff auf, dessen letztes großes spätromantische Erzählwerk Dichter und ihre Gesellen ja schließlich gerade erst 1834 erschienen war und in dessen zehn Jahre zuvor veröffentlichtem Krieg den Philistern nicht nur eine witzige Verknüpfung von Elementen aus Tiecks satirischen Komödien der Neunziger Jahre mit Brentanos Vortrag gelingt, sondern zudem die den Philistern den Krieg erklärenden Poeten allesamt dem Stand der Handwerker entstammen.

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Der junge Tischlermeister. Novelle in sieben Abschnitten. Zitiert wird im fortlaufenden Text mit den Seitenangaben in Klammern nach der Ausgabe: Tieck: Schriften in zwölf Bänden, Bd. 11, S. 9–418. So Tieck im »Vorwort« (11). Die Forschungsliteratur zum Tischlermeister ist recht überschaubar. Zu nennen sind abgesehen von Uwe Schweikerts ausführlichem Kommentar in der zitierten Textausgabe (Tieck: Schriften in zwölf Bänden. Bd. 11, S. 1113–1190) vor allem: Koopmann: Freiheitssonne und Revolutionsgewitter, S. 171–202; Schwering: Epochenwandel im spätromantischen Roman, S. 84–124; Schwarz: Die bürgerliche Familie im Spätwerk Ludwig Tiecks, S. 169–218. Vgl. Schweikerts Kommentar, Tieck: Schriften in zwölf Bänden, Bd. 11, S. 1113f. Die Nähe zu Jean Paul ergibt sich allein schon durch die Thematik des Alltäglichen, deren Darstellung sich an seinen Romanen als Meisterwerken der Romantisierung des vermeintlich Banalen zu messen hat. Vgl. dazu Thurn: Der Mensch im Alltag, S. 8.

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Stefan Nienhaus

Tiecks Text nimmt – in exakter Parallele zu Brentanos Philister, der gleichfalls langatmige Passagen über das Theater enthält, die sich sehr ähnlich schon in seinen äußerst philiströsen Briefen an die junge Bettine finden – in seinen endlosen theoretischen Erörterungen über das Theater Reflexionen der frühromantischen Zeit wieder auf, die wirklich fürchterlich langweilig sind. Allerdings würde ich hier nicht über ihn sprechen, wäre Der junge Tischlermeister nur ein epigonaler Wiederaufguss, was er leider auch ist, aber eben nicht nur. Hier zur Erinnerung kurz die erzählte Fabel: Es werden ein paar Wochen aus dem Leben des erfolgreichen, aber mit seiner Existenz unzufriedenen Tischlermeisters Leonard erzählt, der von seinem adeligen Freund Elsheim aus dem bürgerlichen Ehe- und Handwerksalltag herausgerissen und zu einer Reise auf ein fränkisches Landgut überredet wird, wo sie zusammen ein Laientheater organisieren, das Stücke von Shakespeare und Goethe aufführt. Leonard und Elsheim werden den erotischen Versuchungen einer Art von Femme fatale ausgesetzt, Leonard vermeidet aber den Schritt zum Ehebruch, indem er im letzten Moment das Gut verlässt, während der Freund seine Rolle in der Liebesintrige übernimmt. Auf seiner Heimreise macht er sich auf die Suche nach einer Jugendliebe, die er zwar noch aus ökonomischer Not befreien kann, die aber bald darauf an einer schweren Krankheit stirbt. Geläutert kehrt der Tischler nun zu seiner Frau zurück und lebt fortan glücklich und zufrieden in seiner bürgerlichen Ruhe und Beschränktheit. Auch der Freund ist schließlich der erotischen Abenteuer satt geworden und wird am Ende der Erzählung als gleichfalls »solide« gewordener Ehemann und Familienvater präsentiert.6 Vor allem im ersten Kapitel wird der Leser gleich mit einem ganzen Bündel bekannter Motive und Gestalten konfrontiert, denen aber jeweils ein neuer, antitraditioneller Akzent hinzugefügt wird. So wird die Rolle der lustigen, ans Groteske streifenden Figur, die in fast keiner Novelle Tiecks fehlt, mit dem seine Rede mit lateinischen Zitaten spickenden Magister besetzt, der altertümliche Schnallenschuhe trägt und seinen Kopf mit einer schlecht sitzenden gepuderten Perücke schmückt. Allerdings erlebt dieser aus der Frühzeit der Romantik konservierte Popanz einer lebensfeindlichen, platt rationalen Aufklärung recht bald eine weindurchtränkte kathartische Wandlung, die ihn, Kleidung wechselnd und Perücke ablegend, in gemildertem Anachronismus in die biedermeierliche Gegenwart integriert. Genauso wird auch der Panik, die Leonard, den jungen Tischlermeister, angesichts des perfekt organisierten Räderwerkes seines Handwerker- und Ehedaseins überfällt, von vorneherein eine mögliche Alternative zur Flucht des Siebenkäs oder des Taugenichts offengehalten, wenn seine Friederike ganz anders als die haubentragende Lenette sofort ein sympathisches Verständnis zeigt und dann in der Folge dem 6

Dazu Tieck selbst laut Köpkes Aufzeichnungen: »In dem ‚Jungen Tischlermeister‘ habe ich das frühere Leben des deutschen Handwerkerstandes dargestellt, zugleich aber wollte ich eine gewisse Casuistik durchführen. Der Handwerker wie der Edelmann sind sich darin vollkommen gleich, daß sie eine Reihe von Verirrungen durchmachen müssen, um dadurch zum wahren moralischen Standpunkt zu kommen. Erst durch ihre Verirrungen lernen sie den rechten Weg kennen, und nun erst sehen sie ein, was sie an ihren sittlichen Verhältnissen besitzen.« Köpke: Tieck, Bd. 2, S. 475.

Das »wahrhaft Bürgerliche« als Zukunftsfigur in Tiecks »Tischlermeister«

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Ausbruch des »wunderlichen Kauz(es)« (S. 14) von Ehemann aus dem Alltag nur einen kurz andauernden Widerstand entgegensetzt, zu Recht auf den bloß temporären Charakter des Freiheitsstrebens vertrauend. Zitiert Leonard voller Pathos den romantischen Topos der Aussicht vom Berggipfel als »Anblick der Unendlichkeit« (S. 29), so hat dann doch sein Kollege mit dem sprechenden Namen Krummschuh die Lacher auf seiner Seite, wenn er an ihre gemeinsame Zeit als Handwerksburschen auf Wanderschaft erinnert: »Da mußte immer noch ein Berg erstiegen werden, und dann noch ein höherer und wieder ein anderer, und das hatte dann niemals ein Ende!« Eingebettet werden solche Reminiszenzen an die romantische »Krankheit«, »die jetzt wohl ausgetobt hat« (S. 25), in die kurzen, aber höchst prägnanten Skizzen des bürgerlichen Alltags in der Handwerkswelt. Da wird die patriarchalische Struktur des Einen Hauses anhand seiner rigiden Tischordnung beschrieben: »Leonard setzte sich, zu seiner Linken der Magister und neben diesen die Frau, welcher der Knabe folgte, an einen runden Tisch; neben dem Knaben standen die Bursche, und rechts vom Meister saßen die Gesellen in der Ordnung, in der sie früher oder später in sein Haus gekommen waren.« (S. 16) »Die Frau«, denn in der Deskription der patriarchalischen Hierarchie verliert sie sogar ihren Eigennamen, erinnert Meister Leonard dann vor seiner Abreise auch an seine Pflichten als »ein Familienvater [...], vor dem eine eigensinnige Frau, ein Pflegesohn, vier Gesellen und fünf Lehrbursche Respekt haben sollen« (S. 38): keiner wird in der Aufzählung vergessen! Der private Versammlungsort der Großfamilie spiegelt den alltagsbestimmenden Raum der Arbeit wider, von dem der Tischlermeister ein deprimierendes Bild ganz im Sinne des Arnimschen Wortes vom im Profitstreben gründenden »erstorbenen Mechanismus in der Welt«7 liefert: »und indem ich jetzt so über meinen Besitzstand hinblickte, in der Ferne die Gesellen arbeiten hörte, und mir aus allen diesen Brettern gleichsam schon alle die Mobilien entgegen traten, die daraus gefertigt werden können, und mir war, als hörte ich das Geld klingen, das mir dafür gezahlt würde, um wieder Bretter einzukaufen, und so immer fort, – wurde mir so bänglich zu Sinne« (S. 13). Leonard packt die Angst vorm Philisterdasein, das sich in der »Reise vom Buttermarkt zum Käsemarkt«8 erschöpft. Die bruchstückhaften Hinweise auf die philologische Recherche nach Quellen und intertextuellen Bezügen wären allerdings gerade im Falle des Tischlermeisters äußerst defizitär, würden sie nicht wenigsten kurz das vom Autor offensichtlich genutzte autobiographische Material erwähnen. Wenn auch bezüglich der Verlässlichkeit der Angaben in der Hauptquelle für Tiecks Lebenslauf, Rudolf Köpkes Tieck-Buch aus dem Jahre 1855, stets Vorsicht geboten ist (nicht zuletzt, weil dieser selbst die zentrale Rolle der »biographischen Bestandtheile der Dichtungen«9 in seiner Einleitung hervorhebt und damit die Gefahr des Zirkelschlusses selbst benennt), so zeichnen sich doch gerade die darin enthaltenen Erzählungen aus den Kindheitsjahren des Dichters mit einer deutlich von dem aus den Werken zu extra7 8 9

Arnim: Werke und Briefwechsel (Weimarer Arnim-Ausgabe), Bd. 11, S. 205. Brentano: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 21,1, S. 147. Köpke: Tieck, Bd. 1, S. XX.

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hierenden Material sich unterscheidenden Detailliertheit aus, die – sollte diese nicht ganz auf Köpkes eigener phantastischer Ausschmückung beruhen – wohl tatsächlich auf Tiecks Alterserinnerungen an die Jugendzeit zurückgeht.10 Bei den Figurendeskriptionen Leonards, seiner Frau und sogar der des kuriosen Hauslehrers konnte Tieck auf autobiographisches Material zurückgreifen, und obgleich das idyllische Bild des Handwerkerhaushaltes durch die räumliche Isolierung im Vergleich zur Kindheit in einer belebten Straße Berlins (die preußische Hauptstadt war allerdings Ende des achtzehnten Jahrhunderts auch noch in keiner Weise mit den europäischen Großstädten Paris, London oder Neapel zu vergleichen) deutlich verschärft wird, bleiben doch zentrale Motive der Familie und des Betriebs des Seilermeisters erhalten.11 So etwa die wichtige Rolle, die jene als Freiheits- und Welterfahrung mythisierte Erinnerung an die »Walz«, die jugendlichen Wanderjahre im Leben des Handwerkers spielt,12 oder auch die konservative, gegen die Auflösung des Zunftwesens gerichtete Gesinnung Leonards, die an eine Anekdote aus dem Leben des Vaters, der einmal als Sprecher der Zünfte im Kampf für deren Erhaltung mit einer Petition sogar bis zum König vorgedrungen war, anknüpfen konnte.13 Zu den von Tieck verwendeten Erinnerungen an den Vater gehören nicht zuletzt auch dessen Verehrung für den frühen Goethe, den Autor des Werther und des Götz, sowie insgesamt die Begeisterung für das Theater, in das dieser, wie Köpke erzählt, den erst sechsjährigen Ludwig einführte. Nicht schöpfen konnte Tieck jedoch aus diesen Kindheitsbildern das für die Handlungsentwicklung des Tischlermeisters zentrale Motiv der Unzufriedenheit am gesicherten und geregelten Handwerkerdasein: In Tiecks Vaterhaus scheint jene selbst bewusste Zufriedenheit geherrscht zu haben,

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Dies beteuert auch Köpke (ebenda, S. XXI): »Die Jugendbilder im ersten Buche ruhen ausschließlich auf Tieck’s Erzählungen.« Köpke lernte Tieck erst 1849, vier Jahre vor dessen Tod, kennen, Tiecks Kindheitsjahre lagen damit weit über ein halbes Jahrhundert zurück, und die in den Unterhaltungen geäußerten Erinnerungen des alten Autors werden selbstverständlich selektiv, bruchstückhaft und von späteren Einschätzungen der Ereignisse eingefärbt gewesen sein. Vgl. zum folgenden ebenda, S. 3–14; 29. Immerhin nahm die Bevölkerung Berlins seit Mitte des 17. Jahrhundert rasch zu und 1784 hatte die preußische Hauptstadt schon etwa 145000 Einwohner, vgl. Günzel: König der Romantik, S. 28. Gerade das handwerkliche Zunftwesen, dessen prägendes Bild Tieck im Elternhaus aufnehmen konnte, erwies sich als außerordentlich resistent gegenüber den sich immer stärker zeigenden sozialen Modernisierungstendenzen, die schrittweise die feudalen Abhängigkeitsverhältnisse durch kapitalistische Arbeitszusammenhänge ersetzten. So bestand etwa noch bis über die Mitte des 19. Jahrhunderts hinaus für Gesellen die Pflicht, bei ihren Meistern zu wohnen, vgl. Ehmer: Soziale Traditionen in Zeiten des Wandels, S. 71. Das von den Zunftregeln bis ins Private (etwa des Ehezwangs des Meisters) bestimmte Handwerkerhaus mit seiner Einheit von Lebens- und Arbeitspraxis ist dabei keineswegs ein Abbild der bürgerlichen Familie, sondern spiegelt hingegen auf der kleineren patriarchalischen Ebene des Handwerkbetriebes das Prinzip der Herr-Knecht-Beziehung des feudalen Landgutes wider. Für Leonards Reisen griff Tieck auch auf die Erinnerungen an die Wanderungen seiner Jugendzeit zurück: »Die Erinnerungen an Franken und seine Irrfahrten im Fichtelgebirge mit Wackenroder hat er im ‚Jungen Tischler‘ niedergelegt«, Köpke: Tieck, Bd. 2, S. 151. Vgl. ebenda, Bd. 1, S. 5.

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die seinem romantischen Dichtersohn wohl recht philisterhaft erschienen sein mag.14 Der Philister ist die romantische Exklusionsgestalt für die auf Funktionalität, Arbeit und Profitstreben konzentrierte bürgerliche Existenz, für den Adel kommt er als Schreckgespenst zunächst nicht in Betracht, denn die starke Ritualisierung des aristokratischen Lebens dient zweckimmanent der identitätsstiftenden Repräsentanz, die gerade durch ihre strikte Abgrenzung von den anderen, vor allem den bürgerlichen, Schichten dem Einzelnen privat einen weitaus größerer Freiraum in Moral und Verhalten zugestehen kann. Daher ist es nur konsequent, dass der Tischlermeister von einem Adeligen aus dem gesicherten und monotonen Dasein herausgerissen wird. Baron Elsheim hält seinem Freund Leonard den Philisterspiegel vor und präsentiert sich als der Versucher zum Ausbruch aus dem geregelten Dasein: »wie ist es denn mit Dir, mein Bester«, so wendet er sich an den Freund am Anbruch zur Reise in das für Leonard von den Erinnerungen ans freie Wanderleben geprägte Franken, »der du schon seit so vielen Jahren in dem Wagen des Ernstes und der Bürgerlichkeit ziehst? Wirst du denn nicht vielleicht zur Abwechslung einmal ausspannen, und ohne Zügel und Zaum nackt ins Feld laufen, um vorn und hinten auszuschlagen?« (S. 89) Die subkulturelle Schnittmenge zwischen dem Tischler und dem Baron realisierte sich in der qua definitionem generell antiphiliströsen Zeit der Studenten- und Wanderjahre (und in der geteilten Liebe zu Goethes Götz); nun, da der Bürgerliche sich in ökonomischen Verantwortungszwängen befindet, zeigt sich der standesbedingte Kontrast deutlich: Der Baron, als begüterter Adeliger materiell sorgenfrei, präsentiert sich in ungebrochener Kontinuität des freien Jugendlebens, und nicht zufällig kommt es zur ersten Unstimmigkeit zwischen den Freunden, wenn er seine Zurückweisung der Ehe bekundet und damit indirekt das Alltagsleben des Tischlermeister als Freiheitsverlust und – schlimmer noch – als Verrat an den für den Libertin einzig wahren Emotionen, an der »Leidenschaft der Liebe« (S. 54) zugunsten einer Zweckgemeinschaft denunziert. Alle diese Freiheit des Herumschweifens und Betragens haben allerdings spätestens dann ein Ende, wenn der junge Baron das ererbte Gut zu übernehmen und in die Rolle des Feudalherren sich einzufügen hat. Wie eng und beschränkt, ungebildet jene ihm bevorstehende Junker-Gesellschaft ist, wird in der ausgebreiteten Satire auf den Landadel dargestellt, der überwiegend verarmt und heruntergekommen ist und dennoch weiterhin – oder umso mehr – dünkelhaft auf seiner Standesüberlegenheit besteht. »[I]ch kann es nicht leiden, wenn die Vornehmen gar zu bürgerlich tun wollen« (S. 24): Dieser ablehnenden Haltung der Frau des Tischlers gegenüber der scheinbar 14

In dem auf Köpkes Darstellungen beruhenden Kapitel (mit dem Titel »Johann Ludwig Tieck aus Berlin. Der Aufgeklärte«) des Standardwerkes Die Bildungswelt des deutschen Handwerkers um 1800 (S. 139–143, Zitat S. 143) fasst Rudolf Stadelmann sein Kurzportrait folgendermaßen zusammen: »Der Seilermeister Tieck ist das Vorbild eines mit sich selbst und der Welt, wie sie nun einmal ist, ausgesöhnten tatkräftigen Mannes, der an den Zuständen des Staates, der Zunft, des persönlichen Lebens wohl einiges zu bessern, aber nicht eigentlich umzustürzen wünscht, der mit Genugtuung auf das blicken kann, was er zuwege gebracht hat, und Geduld und Selbstbewußtsein genug hat, um zu warten, daß sein Sohn einmal höher steigen werde.«

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keine Standesbarriere kennenden Vertraulichkeit seines Jugendfreundes wird in den Passagen über die Ankunft der reisenden Freunde in der Welt der aristokratischen Provinz Recht gegeben. Denn nur mit der »Maskerade« (S. 74) einer Art von »Nobilitierung« zum Professor kann der bürgerliche Tischlermeister in die adelige Gesellschaft eingeschleust werden. Der scheinbar nur kleine Freundschaftsdienst, den Leonard Elsheim leisten soll, verbirgt in Wahrheit einerseits das Opfer der doppelten Selbstverleugnung: nicht nur des eigenen Standes, sondern auch dessen moralischer Distanzsetzung gegenüber dem Adel, dessen Welt ja gerade als heuchlerisch und intrigant denunziert wird. Andererseits zeigt die Tatsache, dass er diesen Schritt überhaupt zu gehen bereit ist, seine Unzufriedenheit mit dem doch ansonsten so stolz verteidigten Bürgerstand und seine Ambitionen nach dem vermeintlich Höheren. Am Ende der Erzählung des Aufenthalts auf dem Landschloss ist es gerade der mit dem landadeligen Treiben am besten vertraute alte Diener Joseph, der aus einer Außenperspektive und in der Rolle des kritisch Beobachtenden Leonard diese beschämende Wahrheit vorhält: »Mann, Sie sind ein ganzer Mann! Bleiben Sie so, in dieser edlen, noblen Manier, lassen Sie sich in Zukunft nicht wieder für einen Professor ausgeben.« (S. 332) Als Professor konnte Elsheim den Freund präsentieren, da der ignorante Landadel sich einen Bürgerlichen mit einer nicht vom Dialekt gefärbten Hochsprache und mit weiten Kenntnissen von Theater und Literatur nur als Akademiker vorstellen kann. Bei Joseph verrät ihn aber gerade seine nicht aufs Dilettantentum beschränkte, wahre berufliche Kompetenz, die sich als Folge der arbeitsteiligen Spezialisierung auch in seinen Körper eingeschrieben hat: Und als ich Sie nun beim Theaterbau so rüstig und tätig sah, wie sie bei Allem selbst Hand anlegten, wie geschickt sie, ohne erst mal zu probieren, den Hobel führten [...], wie Sie mir dann ein Paar Mal die Hand gaben: da hatte ich es mit aller Sicherheit weg, daß Sie ein Professionist, und zwar ein Tischler sind. [...] Bein, Wuchs, Kopf, Mund, alles kann Anstand und Feinheit gewinnen; aber die harten, um ein Weniges zu großen Hände, können Sie so wenig, als ich die Hornhaut auf meinen Fingerkuppen, los werden. (S. 332)

Dem als Diener am engsten an die aristokratische Herrschaft gebundenen Joseph werden hier zum Abschluss der Satire auf den Landadel auch die prophetischen Worten über deren unvermeidlichen Untergang in den Mund gelegt. »Edel« und »nobel« ist eben nun der Tischlermeister: »Glauben Sie mir, wir sind an der Zeit, und zwar ganz nahe, daß viele Handwerker so fein, klug und gebildet sein werden, wie eben Sie. So wie der gemeine Mann sich mehr fühlt und seine unnütze Verlegenheit vor den Höheren ablegt, so ist er durch sich selbst schon gescheiter.« (S. 333) Die »vornehme Welt« dagegen »hat sich abgenutzt«, und »es müssen andere Zeiten kommen« (S. 333). Das sorgfältig komponierte Spiel, das in der Novelle mit Kontrast und wechselseitiger Annäherung von Bürger und Adeligem getrieben wird, lässt sich hier nicht nachzeichnen.15 Generell möchte ich nur festhalten, dass des Tischlermeisters Entwicklung über eine vermeintliche Adelung wieder zurück zum bürgerlichen

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Vgl. dazu Schwarz: Die bürgerliche Familie im Spätwerk Ludwig Tiecks, S. 196–208. Zum Adelsbegriff Tiecks insgesamt vgl. Richter, Strobel: Der »König der Romantik« und der Adel.

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Dasein, die des Barons hingegen über eine Extremisierung seiner adeligen Existenz auf den Weg einer Verbürgerlichung gebracht wird. Damit wird allerdings nur die Ebene der sozialgeschichtlichen Grundierung der Fabel erfasst, die den Text auf eine Art literarischer Verdeutlichung historischer Prozesse reduziert. Parallel dazu ließe sich auch ein kunsthistorischer Diskurs herausfiltern – und bei meinen anfänglichen Überlegungen zu diesem Vortrag hatte ich noch vor, vor allem diesen hier hervorzuheben –, der sehr hellsichtige Reflexionen über die Trennung von Kunst und Handwerk nach dem Barockzeitalter enthält. Hier wäre ausführlicher von Leonards zweitem Grund für sein Unbehagen am Tischlerdasein zu sprechen: Während früher noch eine Verknüpfung des Nützlichen mit dem Schönen möglich schien, »der Tischler zwischen dem Künstler und Handwerker« (S. 55) gestanden habe, ein allgemeiner »Schönheits- und Kunsttrieb« noch die alltäglichen Gegenstände zu veredeln suchte, »in schön geschwungenen Zirkellinien Stuhl, Sessel, Tisch und Schrank, auch ohne Hinsicht des Gebrauchs, zu angenehmen Gegenständen der Betrachtung machten« (S. 59), müsse er nun »diese vierkantigen, schroffen, wie aus Erz und Eisen gegossenen Formen arbeiten« (S. 60), (was nicht heißt, dass er hier dem »Muschel- und Schnörkelwesen« [S. 59] des französischen Spätbarock, bzw. Rokoko nachjammert). Hierzu nur eine kurze Randbemerkung: Auch wenn er dem Tischlermeister die resignierenden Worte in den Mund legt, mit seinem »Geschmack [...] um fünfzig oder siebenzig Jahre zu spät« (S. 61) zu kommen, greift Tieck mit diesen Textpassagen direkt in die zeitgenössische ästhetische Diskussion ein und antizipiert jenen ab Mitte des Jahrhunderts im Rahmen des gesteigerten Repräsentationsbedürfnisses des Bürgertums sich durchsetzenden eklektizistischen Historismus, der dann der Architektur und dem Möbelhandwerk, lange vor der Erfindung des »Designs«, wieder eine zentrale Rolle zuweisen wird: Dann wären Leonards höchst spezialisierte Fertigkeiten, »im Sinn unserer Vorfahren [...] mit leichten Figuren, die an die Arabeske grenzten, die harte gerade Linie und das Vierkantige zu verkleiden« (S. 58), wieder gefragt gewesen, wenn auch längst und mit der Zeit immer stärker in Konkurrenz zur industriellen Produktion, die dann etwa ganze präfabrizierte Fassaden mit gusseisernen ionischen Kolonnen und Renaissancefenstern im Fabrikkatalog anbieten wird. Doch ist es auch nicht übertrieben, in der emphatischen Verteidigung des künstlerischen Handwerks gegen die maschinelle Serienproduktion eine Vorwegnahme, gerade um gut fünfzig Jahre, der Grundgedanken der »Arts and Crafts«-Bewegung von William Morris und Walter Crane, lesen zu wollen. In seinem Vorwort entschuldigt sich Tieck quasi für den hohen Anteil an Behandlung sozialer und wirtschaftlicher Fragen, die in den ersten Jahren der Ausarbeitung nach 1811 »mehr an der Tagesordnung« gewesen seien, eben »mancher Gedanke über Zünfte, Bürgerlichkeit und dergleichen« (S. 11), nun aber, so darf man ergänzen, sich überholt anhören müssten. Da diese zahlreichen Passagen allerdings nicht getilgt wurden, unterstreicht der Autor nur seine Intention, auch angesichts ihrer vermeintlichen Antiquiertheit auf deren Relevanz zu bestehen. Tatsächlich war sicherlich Jahrzehnte nach der Einführung der Gewerbefreiheit von 1810 die Diskussion um die Rolle des Zunftwesens wohl nicht mehr gerade brandaktuell. Doch einerseits waren die Zünfte bis Mitte des Jahrhunderts noch keines-

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wegs aus ihrer zentralen Rolle im Handwerkswesen verdrängt worden, und darüber hinaus ist andererseits Tiecks konservative Verteidigung des Handwerks mit einer visionären Kritik der zerstörerischen Folgen der kapitalistischen Industriegesellschaft für das Individuum verknüpft, wie sie wenige Jahre später im Entfremdungsbegriff von Karl Marx auf eine für die bis heute andauernde Zukunft gültige Weise formuliert werden wird. Eine gleichfalls heute mehr denn je hellsichtig erscheinende Warnung vor den Folgen der industriellen Ausbeutung der Bodenschätze hatte Tieck bereits 1828 in der Novelle Der Alte vom Berge formuliert: Erde, Wasser, Luft, Berg, Wald und Thal sind keine todten, leblosen Hunde, wie Ihr vielleicht meint. Da wohnt, handthiert allerlei, das Ihr vielleicht Kräfte nennt: das leidet nicht, wenn ihm die alte stille Wohnung so umgerührt, aufgegraben, mit Pulver unter dem Leibe weggesprengt wird: die ganze Gegend hier, meilenweit umher, raucht, dampft, klappert, pocht, man schaufelt, webt, gräbt, bricht auf, wüthet mit Wasser und Feuer bis in die Eingeweide, kein Wald wird verschont, Glashütten, Alaunwerke, Kupfergruben, Leinwandbleichen und Spinnmaschinen, seht, das muß Unglück oder Glück dem bringen, der die Wirthschaft und den Spektakel anrichtet, ruhig kann es nicht abgehn. Wo keine Menschen sind, da sind die stillen Berg- und Waldgeister, werden sie nun zu sehr gedrängt, denn in gewisser Nähe und Ruhe vertragen sie sich gut mit Menschen und Vieh, rückt man ihnen zu scharf auf den Leib, so werden sie tückisch und bösartig, da giebt’s dann Sterben, Erdbeben, Ueberschwemmungen, Waldbrand, Bergfall, oder was sie nur zu Stande bringen [.]16

Genauso kritisch luzide wie diese, wenn man sie ins Positive wendet, antizipierte Forderung nach nachhaltiger Wirtschaft, hören sich die Worte Leonards an, mit denen er die menschenfeindlichen Folgen der profitorientierten industriellen Produktion und deren anscheinende Alternativlosigkeit beschreibt. Nicht dass der Handwerksmeister wirklich glaubte, den vermeintlichen Fortschritt tatsächlich aufhalten zu können, eher erscheint es ihm, »daß wir alle gern einer allgemeinen Knechtschaft entgegen gehen, und daß man uns vorpredigt, nur Geld zu erwerben zu suchen, um in Luxus, Ausschweifung und Sklavenhochmut Ketten wie Freiheit verlachen zu können« (S. 77). Die soziale Folge der »fabrikmäßigen Einrichtung« der Produktion ist vor allem die kapitalistische Aufspaltung der Gesellschaft in reiche Kapitalbesitzer und verelendete Massen: Statt vieler wohlhabenden Menschen einige reiche Leute und einen Haufen armen, verkümmerten und lüderlichen Gesindels, immer in der peinigendsten Abhängigkeit von seinem Brotherrn [...], ohne Lebenslust, ohne Fähigkeit, Tugend und Liebe kränkliche Kinder zu erziehen, bei einem ganz mechanischen und seelenlosen Geschäfte verdummend, und dadurch angetrieben, Genuß, den der Mensch einmal nicht entbehren kann und will, bei schlechten, berauschenden Getränken zu suchen, früh absterbend, ohne gelebt zu haben. (S. 75)

Die Beschreibung der Verelendung trägt Hogarthsche Züge, die Analyse geht aber deutlich, wie es erst der Prosa Dickens gelingen wird, über die oberflächliche Klage über die verkommene Arbeitermasse hinaus. Ach die Reduktion des Sinns des 16

Tieck: Schriften, Bd. 24, S. 154f.

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Lebens auf den Konsum der mit eben dieser entfremdeten Produktionsweise erstellten Produkte wird prägnant benannt: daß wir es in unseren Tabellen für Gewinn halten, Menschen, die höchsten Staatskräfte aufzuopfern, um die Ware wohlfeiler zu liefern [...]; und ob selbst der Nutzen so groß ist, daß jetzt Jedermann eine schlechte, unbrauchbare Uhr in der Tasche tragen kann, lasse ich dahin gestellt sein, da die wahrhaft guten Werke in London und Paris auch jetzt teuer verkauft werden. (S. 76)

Der Zeitpunkt der Publikation dieser Sätze koinzidiert mit dem Anfang der Nachholjagd der Wirtschaft in den deutschen Staaten, die sich anschickte das erste Industrieland England ein- und dann zu überholen. Damals wurde ja die Bezeichnung »Made in Germany« eingeführt, um vor der qualitativ schlechten Massenware aus Deutschland zu warnen: Die Übersetzung in die heutige »globalisierte« Produktion mit ihrer Dominanz des »Made in China«, der Verelendung der Arbeitermassen in Asien, die für uns die »wohlfeilen« Waren produzieren, dürfte nicht schwer fallen… Tiecks Erzählung enthält nur einige kurze, aber konzentrierte Beschreibungen des Handwerkeralltags, eine Menge erörternder Passagen, die sich nicht selten dem sentenzhaften Pamphlet nähern; der weitaus umfangreichere Teil ist hingegen gerade den nicht alltäglichen Erfahrungen, der Schilderung der anachronistischen Gegenwelt des Landadels, den erotischen Verstrickungen und der Wiederbegegnung des Tischlers mit seiner niemals vergessenen Jugendliebe gewidmet. Tieck lässt den Protagonisten den Ausbruch aus dem Alltag in unterschiedlichen Grenzerfahrungen durchleben, um im Kontrast ihm (und dem Leser) den Wert des nur vermeintlich platten und philiströsen bürgerlichen Alltags bewusst werden zu lassen. Das, was Leonard immer schon ideologisch verteidigt hatte, wird von ihm erst am Ende dieser kurzen Bildungsreise innerlich erfasst: die wahre Zukunftsfigur wäre tatsächlich der »echte Bürger« (S. 414), der handwerkliche Arbeiter (auch Morris sprach ja stolz von workmen in arts and crafts!)17, der das Privileg verteidigt, in seinem Leben Arbeit und (Groß-)Familienleben als Einheit erfahren zu können und seine Person in der Arbeit zu realisieren, die auf einen nicht entfremdete Weise Werke produziert, deren Gebrauchswert noch nicht unter dem Zwang der Gewinnmaximierung der kurzlebigen Konsumware steht.

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Vgl. MacCarthy: William Morris.

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Geselligkeit, das Spiel im Spiel, Realitätsverlust und Transgression: Zum Motiv des Kartenspiels in Texten der Goethezeit

»Eine gewisse allgemeine Geselligkeit läßt sich ohne das Kartenspiel nicht mehr denken«1, schreibt Goethe in Dichtung und Wahrheit und berichtet im Folgenden von den Vorteilen, die ihm während seiner Straßburger Studentenzeit 1770/71 daraus erwuchsen, dass er Whist spielen lernte, ein aus dem Bridge hervorgegangenes Kartenspiel für vier Personen2: Er erhielt damit nicht nur den erwünschten Zugang zu privilegierten Kreisen,3 sondern kam auch in den Genuss einer Form von Geselligkeit, die in der Straßburgischen Wochenschrift Der Bürgerfreund 1776 folgendermaßen (und keinesfalls ironisch) beschrieben wird: All dieser [im Folgenden erwähnte] langweilige[] Zeitvertreib hat bey uns nicht statt – weil wir Karten haben. Die Männer trinken und rauchen nicht mehr, die Frauenzimmer lassen ihre Nächsten in Ruhe, und selbst unter jungen Leuten von einem gewissen Ton, ist das Pfänderlösen und Ohrengespräche [im Sinne unseres heutigen Kinderspiels ›Stille Post‹] aus der Mode – alles spielt in Karten. So haben gemalte Blätter das gewürkt, was man kaum von einigen hundert Predigten hätte erwarten können. Der Reiz dieser grotesken Gemälde ist so groß, daß manche täglich einige Stunden sich damit vergnügen, und andere nicht eher Verstand bekommen, als bis sie diese niedlichen Blättchen in die Hand nehmen.4

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Goethe: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit, S. 306. Vgl. Kastner, Folkvord: Die große Humboldt-Enzyklopädie der Kartenspiele, S. 72. Goethe berichtet darüber in Dichtung und Wahrheit weiter: »Das alte eingeschlafene Piquet wurde daher hervorgesucht; ich lernte Whist, richtete mir nach Anleitung meines Mentors [Johann Daniel Salzmann] einen Spielbeutel ein, welcher unter allen Umständen unantastbar seyn sollte; und nun fand ich Gelegenheit, mit meinem Freunde die meisten Abende in den besten Cirkeln zuzubringen, wo man mir meistens wohl wollte, und manche kleine Unregelmäßigkeit verzieh, auf die mich jedoch der Freund, wiewohl milde genug, aufmerksam zu machen pflegte.« Goethe: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit, S. 307. : Erfindung der Karten. – In: Der Bürgerfreund, S. 177–181, hier S. 179. – Der Autor sieht den Ursprung des Kartenspiels in Deutschland, als »teutsches Kriegsspiel, das zu Anfang des 14ten Jahrhunderts sein Daseyn erhalten.« (Ebenda, S. 179–180.) Diese Nationalisierung des Spiels (besonders auch forciert in Frankreich) ist für das 18. Jahrhundert nichts Ungewöhnliches und deutet bereits auf die nationalstaatlichen Identifikationsbemühungen späterer Zeit hin. – Johann Gottlieb Immanuel Breitkopf dagegen vertritt in seiner Studie zum Ursprung der Spielkarten aus dem Jahr 1784 bereits die Meinung, das Kartenspiel sei aus Italien nach Frankreich und Süddeutschland importiert worden und hätte von dort aus weitere Verbreitung gefunden – Breitkopf: Versuch, S. 8–9. und S. 39. – Der tatsächliche Ursprung des Kartenspiels liegt wahrscheinlich im Orient, vgl. u. a. Hoffmann: Gemalte Spielkarten, S. 12; Weise: Rund um die Spielkarte, S. 18–20.

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Was hier für Straßburg als populärer Trend benannt wird, der sich in manchen Kreisen bis hin zur Spielwut5 auswächst, lässt sich als allgemeine Tendenz für das 18. und 19. Jahrhundert bestimmen: Das Kartenspiel erfreute sich seit seiner Einführung im 14. Jahrhundert zunehmender Beliebtheit und breitete sich in allen Schichten aus – Beweis dafür sind nicht nur die zahlreichen, schriftlich überlieferten Spielkartenverbote gegen Ende des 14. Jahrhunderts im ganzen europäischen Raum,6 sondern auch die zahlreichen, frühen Darstellungen des Kartenspiel-Motivs auf Bildteppichen, Gemälden und graphischen Blättern.7 Einige Beispiele aus der Malerei sollen im Folgenden zeigen, mit welchen Themenkomplexen das Kartenspiel verbunden wurde und welchen kulturellen Stellenwert es dabei erhielt. Das Motiv der Glücksspieler kam bereits seit dem 15. Jahrhundert in Kreuzigungsdarstellungen vor, in denen auf Nebenschauplätzen Soldaten um das Gewand Christi würfelten.8 Daraus wurde bald ein eigenes Bildthema, das sich motivisch allmählich vom Würfel- zum Kartenspiel wandelte. Der spielende Soldat oder Landsknecht avancierte zum Sinnbild des verdorbenen, unsittlichen Menschen in kriegsbestimmten Zeiten.9 Das Kartenspiel erfuhr in diesem Motivzusammenhang eine negative Konnotation. Auch in Darstellungen des neutestamentarischen Gleichnisses Der verlorene Sohn taucht das Bildmotiv der Glücks- und Kartenspieler wiederholt auf, um das Milieu der ›falschen Freunde‹ zu illustrieren.10 – Insgesamt lässt sich für die Folgezeit jedoch ein grundlegender Dualismus in der Gestaltung 5

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Auch in Der Bürgerfreund geht der Autor auf diesen negativen Aspekt des Kartenspiels ein: »Ja einige treiben ihre Liebe zu ihnen [den Karten] so weit, daß sie Essen, Trinken, Schlafen, Frau und Kinder darüber vergessen, und sich oft lieber in das größte Elend stürzen, als der Karte entbehren.« : Erfindung der Karten. – In: Der Bürgerfreund, S. 177–181, hier S. 179. Vgl. Wörner: Die Dame im Spiel, S. 45–46. Vgl. Rumpf: Frühe Künstler- und Volksspielkarten. – In: Bube, Dame, König, S. 7–8, hier S. 7. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich das Kartenspiel zu einem dezidiert bürgerlichen Spiel, vgl. dazu etwa Hoffmann: Die Welt der Spielkarte, S. 61. – Die Herstellung eigener Spielkarten zum privaten Gebrauch war dabei ebenfalls üblich, wie etwa Friedrich Tiecks überlieferte Spielkarten mit Darstellungen aus dem Nibelungenlied und anderer Sagenkreise dokumentieren, die er zur Unterhaltung seines kranken Bruders Ludwig Tieck im Winter 1809 angefertigt haben soll; vgl. die Neuauflage des Kartenspiels in: Friedrich Tiecks Kartenspiel sowie den dazugehörigen Kommentar von Detlef Hoffmann. Populär waren auch die sogenannten »Kartenalmanache«, bei Johann Friedrich Cotta z. B. ab 1805 verlegt, vgl. Schulze: Zur Kulturgeschichte der Spielkarten, S. 15. Seit etwa 1300 gehörten in der Malerei die Würfel zu den ›Arma Christi‹, die Leiden Jesu am Kreuz symbolisierenden Gegenstände. – Exemplarisch sei hier Andrea Mantegnas »Kalvarienberg«-Darstellung im Mittelteil der Predella des Hauptaltars (1457/60) in San Zeno, Verona, genannt, auf der Soldaten rechts neben Jesu Kreuz sitzen und um den Mantel würfeln. Ein Karten-Glücksspiel, das zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges entstand, hieß denn auch ›Landsknecht‹ (französisch verballhornt zu ›Lansquenet‹), da es unter dieser sozialen Gruppe weit verbreitet war. Wahrscheinlich ging aus diesem Spiel das im 18. und 19. Jahrhundert beliebte und in ganz Europa verbreitete »Pharo« hervor. – In E. T. A. Hoffmanns literarischen Texten wird es häufig erwähnt, so etwa in Die Elixiere des Teufels. Wie etwa bei Jacques Callots Die Kartenspieler (um 1628), der das Gleichnis des verlorenen Sohnes und dessen sozialen Untergang in Spiel und Hurerei illustriert. – Auch das Falschspiel (mit Hilfe eines Spiegels und unter Einsatz eines Mittelmannes) wird hier thematisiert; vgl. dazu Rommé: Jacques Callot, S. 37; Abbildung ebenda, S. 83.

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des Motivs beobachten. Einerseits wird das Spiel als teuflisches Laster exponiert, besonders wenn um Geld gespielt wird, was zu Ruin, Mord und Totschlag führen kann.11 Andererseits wird das Kartenspiel als etwas Positives, als angenehmer Zeitvertreib dargestellt, dem sich Menschen aus allen Schichten und Völkern widmen; vom hohen Adel angefangen, über Mönche, Bauern, Soldaten bis hin zu Frauen und Kindern.12 Michelangelo Merisi da Caravaggios bekanntes Gemälde Die Falschspieler (1594) steht am Anfang einer neuen Bildtradition,13 die das Falschspiel zum Thema erklärte, und dabei nicht die moralische Bewertung der Situation, sondern die Ästhetik des dargestellten Spielzusammenhangs in den Vordergrund stellte. Dieser dezidiert naturalistische Blick auf die Kartenspieler wurde im Folgenden in zahlreichen Darstellungen variiert.14 So steht etwa Georges de la Tour mit seinem Gemälde Der Falschspieler mit dem Karo-Ass (ca. 1630–1634) in der Nachfolge da Caravaggios. – Bei beiden wird das Kartenspiel als Spiel unter Ungleichen ausgewiesen, indem ein subtiles Kommunikationsgeflecht zwischen den Figuren entworfen wird. Gezeigt wird jeweils der Moment, in dem das Glück des auf der rechten Seite sitzenden, reich gekleideten Jünglings umzuschlagen droht durch das Falschspiel der anderen. In der holländischen und flämischen Genremalerei aus der Mitte des 17. Jahrhunderts kam das Bildmotiv der Bauernschlägerei in der Dorfschenke wegen eines verlorenen Kartenspiels auf.15 Die Figuren sind typenhaft, bisweilen bis zur Karikatur, überzeichnet. Nicht selten wird das Kartenspiel mit der Darstellung verliebter Paare in Verbindung gebracht, bis hin zu Bordellszenen.16 In den meist schlichten Genreszenen verbirgt sich eine mit einer moralischen Botschaft versehene Allegorie 11

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Vgl. in diesem Zusammenhang auch das Motiv der Karten spielenden Geister, Zwerge, des wilden Jägers und des Teufels in Sagen und Märchen, die ihre Gegenspieler ins Verderben stürzen; vgl. Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens Bd. 4, Sp. 1015. So etwa Jan Massys Die Kartenspieler, ein Gemälde aus dem 16. Jahrhundert, oder auch Francisco di Goyas idyllische Szene Die Kartenspieler von 1777/78 aus seiner frühen Schaffensperiode, als er sich noch als Hofmaler etablieren wollte. Vgl. dazu Langdon: Caravaggio’s Cardsharps, S. 1 und 13: »The Cardsharps launched Caravaggio’s career […]. The painting’s novelty delighted, and the theme of trickery and illusion became popular throughout Europe. […] The success of The Cardsharps lay in the novelity and topicality of its subject, and in its creation Caravaggio drew on the life of the streets and taverns around him and on the social fears and tensions of the overwhelmingly violent city of the 1590s.« Vgl. dazu ebenda, S. 50–55. Beispiele hierfür sind etwa bereits bei Peter Brueghel, Raufende Kartenspieler (1620) zu finden sowie bei Pieter de Bloot, Raufende Kartenspieler (1633), Jan Steen, Der Streit beim Kartenspiel (1664/65) oder in mehreren Variationen bei Adriaen Brouwer, Streit beim Kartenspiel, Bauernrauferei beim Kartenspiel, Raufende Kartenspieler in einer Schenke. Während bei Brouwer anfangs der Bezug zu moralischen Darstellungen des 16. Jahrhunderts noch deutlich ist, treten die symbolischen Nebenschauplätze in späterer Zeit deutlich zurück zugunsten einer Fokussierung auf die Schlägerei, vgl. Renger: Adriaen Brouwer, S. 35. Vgl. zur Bildtradition der ›üblen frowe‹ bzw. der femina ludens Wörner: Die Dame im Spiel, S. 402–415. – Mit dem 19. Jahrhundert findet eine zunehmende Verbürgerung der Spielkarten statt, was sich auch in der idyllischen Darstellung des Kartenspielmotivs in der Malerei ausdrückt; vgl. Hoffmann: Die Welt der Spielkarte, S. 61.

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auf das menschliche Glück. Die Übertragung dieser Botschaft in den Bildmodus der Alltäglichkeit erweist sich als klare Stellungnahme über die Möglichkeiten und Schwächen menschlichen Strebens. Dabei wird der Zustand der Unwissenheit (etwa bei den betrogenen Kartenspielern aus den Falschspieler-Gemälden) zur Metapher menschlicher Existenz. Jean-Baptist Chardins mehrfach variiertes Bildthema Das Kartenhaus (um 1737), das einen Jungen darstellt, der gerade aus Spielkarten ein Kartenhaus zu bauen versucht, verweist noch auf eine Sonderform des Spiels mit Karten: das Spiel eines Einzelnen in vollkommener Selbstvergessenheit, ein Zustand der bewegungslosen Versenkung in eine Tätigkeit, sei es beim Spiel allein wie etwa beim Patiencenlegen oder – wie im Bild Chardins realisiert – beim Bau eines Kartenhauses. Der Betrachter wird scheinbar völlig außen vor gelassen (von Michael Fried als Konzept der »Absorption« bezeichnet, im Gegensatz zur »Theatricality«, die den Betrachter ganz bewusst in die Bildregie einbezieht,17 und den paradoxen Zustand der Abwesenheit einer Person bei gleichzeitiger Anwesenheit zeigt.18 Nicht nur im Bereich der Malerei erfuhr das Kartenspiel Beachtung – im Zuge der philosophisch-ästhetischen Auseinandersetzung mit dem Begriff des Spiels diente es nicht selten als Negativfolie, von der das ›wahre Spiel‹ abgegrenzt wurde. So steht etwa Friedrich Schillers Vorstellung, dass der Mensch »nur da ganz Mensch [ist], wo er spielt«,19 ganz im Zeichen der Utopie eines freien, bedürfnislosen, harmonischen Menschseins. Davon grenzt Schiller das dramatische Spiel als Handlungsmodus der Täuschung oder des Ausgeliefertseins ab. Im Unterschied zum Trauerspiel verdiene das strategische »Chartenspiel« gar nicht den Namen eines Spiels, da es »in dem wirklichen Leben im Gange« sei und »sich gewöhnlich nur auf sehr materielle Gegenstände richte[]«.20 In ähnlicher Weise entzieht Johan Huizingas in seiner kulturanthropologischen, für den Spielbegriff heute noch maßgeblichen Studie Homo ludens: Vom Ursprung der Kultur im Spiel dem Kartenspiel den Status eines ›wahren Spiels‹, indem er das Glücksspiel generell als ein »vollkommen unfruchtbares Können, das die geistigen Fähigkeiten nur einseitig schärft und die Seele nicht bereichert« stigmatisiert: »Um wirklich zu spielen, muß der 17

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Fried: Absorption and Theatricality, S. 51 (Hervorhebung in der Vorlage): »Images such as these [Chardins Kartenhaus und Seifenbläser] are not of time wasted but of time filled. (as a glass may be filled not just to the level of the rim but slightly above). Whatever their iconographic precedents or even their actual symbolic connotations, they embody a new, unmoralized vision of distraction as a vehicle of absorption; or perhaps one should say of that vision that it distills, from the most ordinary states and activities, an unofficial morality according to which absorption emerges as good in and of itself, without regard of its occasion.« – Vgl. zu Caravaggios Falschspieler, die Michael Fried ebenfalls unter die Kategorie ›absorptive‹ subsumiert Fried: The Moment of Caravaggio, S. 122–123. Vgl. auch Assmann: Aufmerksamkeit im Medienwandel. – In: Lechtermann, Wagner, Wenzel (Hrsg.): Möglichkeitsräume, S. 214. Schiller: Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen – Werke (Nationalausgabe), Bd. 20, S. 309–412, hier S. 359 (Hervorhebungen in der Vorlage). Vgl. dazu auch Fulda: Komödiant vs. Kartenspieler?, S. 19–44. Schiller: Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen – Werke (Nationalausgabe), Bd. 20, S. 358.

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Mensch, solange er spielt, wieder Kind sein.«21 In Schillers Werkkontext wird jedoch immer wieder deutlich, dass der ästhetische Spielbegriff ohne das zur Metapher gewendete strategische Spiel nicht auskommt. Beide Konzepte bedingen sich gegenseitig. Christoph Martin Wieland liefert in seiner Abhandlung Ueber die ältesten Zeitkürzungsspiele22 im Kontext seiner kulturgeschichtlichen Einordnung des Schachspiels eine allgemeine Charakterisierung des Spiels, wie sie auch für Huizinga maßgeblich ist: Spielen ist die erste und einzige Beschäftigung unsrer Kindheit, und bleibt uns die angenehmste unser ganzes Leben durch. Arbeiten wie ein Lastvieh ist das traurige Loos der niedrigsten, unglücklichsten und zahlreichsten Klasse der Sterblichen; aber es ist den Absichten und Wünschen der Natur zuwider. Der Mensch ist nur dann an Leib und Seele gesund, frisch, munter und kräftig, fühlt sich nur dann glücklich im Genuss seines Daseyns, wenn ihm alle seine Verrichtungen, geistige und körperliche zum Spiele werden. Die schönsten Künste der Musen sind Spiele, und ohne die keuschen Grazien stellen auch die Götter (wie Pindar singt) weder Tänze noch Feste an. Nehmet vom Leben weg, was erzwungner Dienst der eisernen Nothwendigkeit ist, was ist in allem übrigen nicht Spiel? Die Künstler spielen mit der Natur, die Dichter mit ihrer Einbildungskraft, die Filosofen mit Ideen und Hypothesen, die Schönen mit unsern Herzen, und die Könige – leider! – mit unsern Köpfen. Wo ist je ein Fest, ein Tag öffentlicher geselliger Freude, ohne Spiele gewesen? – Bloss in der Beschaffenheit der Spiele und in der Art zu spielen liegt der Unterschied, der ihren guten oder bösen Einfluss, ihre heilsamen oder verderblichen Folgen bestimmt; aber eben diess ists, was sie in der Karakteristik der Völker und Zeiten bedeutend und merkwürdig macht. Ein aufgeklärter Geist verachtet nichts. Nichts was den Menschen angeht, nichts was ihn bezeichnet, nichts was die verborgenen Federn und Räder seines Herzens aufdeckt, ist dem wahren Filosofen unerheblich. – Und wo ist der Mensch weniger auf seiner Hut als wenn er spielt? Worin spiegelt sich der Karakter einer Nazion aufrichtiger ab als in ihren herrschenden Ergetzungen.23

In ähnlicher Weise wie Wieland das (strategische) Spiel als lebendige Kunst bewertet, sieht Arnim in seinem poetologischen Programm die alte Literatur als Regenerator einer »Volksthätigkeit«,24 die er wie Wieland in einer Form von Zeitvertreib verankert sieht, die von jeder Nation eine individuelle kulturelle Prägung erhält. War es bei Arnim das Volkslied bzw. jedwede Form volkstümlicher Literatur, setzt Wieland auf das (Wettkampf-)Spiel als Urtrieb menschlichen Verhaltens. Arnims Selbstverständnis als »Poet« sieht den Dichter jedoch in einer dem Volk dienenden Funktion, nicht als ›Mitspieler‹, sondern allenfalls als Anstifter. Von Arnim ist weder eine theoretische Beschäftigung mit dem Spielbegriff oder der Versuch einer historisch-anthropologischen Einordnung des ›Spielens‹ in ästhetische Kategorien bekannt, noch findet sich bei ihm eine ausführliche theoreti-

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Huizinga: Homo Ludens, S. 215. Der Begriff ›Zeitkürzung‹ (im Sinne von ›Zeitvertreib‹ verwendet) galt bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts als veraltet, vgl. Grimm: Deutsches Wörterbuch, Bd. 31, Sp. 563. Wieland: Ueber die ältesten Zeitkürzungsspiele, S. 94–95. Arnim: Von Volksliedern. – In: Brentano: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 6, S. 423.

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sche Auseinandersetzung mit dem Kartenspiel.25 Lediglich im Zusammenhang mit seiner Poetik der ›getäuschten Täuschung‹ – »Täuschung ist Spiel, Betrug ist Ernst«26 – manifestiert sich implizit ein ästhetischer Spielbegriff: durch eine spezifische Verknüpfung von Realität und Fiktion, in der sich die Phantasie täuschend selbst täuscht und dadurch für Arnim wahr ist, scheint sich die Fiktion des poetischen Gebildes in dem Realitätscharakter der äußeren Welt aufzulösen und erreicht dadurch erst den Status von Dichtung: Meine Theorie poetischer Erfindungen, die ich Euch letztlich aufstellte, wie die Phantasie nur dann wahr sei, wenn sie täuschend sich selbst täuscht, wie der Verstand nur dann Ueberzeugung fühlt, wenn er von der Wahrheit, die er sucht, selbst wahr gemacht wird; so z. B. auf Zeichnung angewendet, so ist da erst eine Schönheit, und das ist Wahrheit, der Phantasie vorhanden, wenn das Angeschaute im Kopfe, das ich darstellen möchte, womit ich die Leute täuschen möchte, mich selbst so ergreift, daß ich es zuletzt nicht mehr von dem Angeschauten unterscheiden kann, ja sogar dieses Angeschaute gänzlich verliere, oder erst wieder durch das erschaffene Bild hervorbringen kann.27

In seinem 1813 in der Dramensammlung Schaubühne erschienenen Trauerspiel Jemand und Niemand verwendet Arnim das Motiv der ›getäuschten Täuschung‹ für die Handlung und weist das gesamte Stück zugleich durch einen wahrscheinlich erst 1829 entstandenen Prolog28 als Kartenspielhandlung aus. In dem dadurch als Spiel im Spiel gekennzeichneten Stück erfahren nun sämtliche Rollenzusammenhänge im Rahmen des Topos der verkehrten Welt noch einmal eine fiktionale Potenzierung. Grundlage für Arnims Jemand und Niemand ist eine Komödie, die 1620 unter dem Titel Engelische Comedien und Tragedien von Friedrich Menius veröffentlicht wurde. Arnims Vorlage gehört damit in den Kontext der Stücke der englischen Wanderbühnen, die mit Menius’ Dramensammlung erstmals in deutscher Übersetzung gedruckt vorlagen.29 Arnim übernimmt in dem für ihn so typischen intertextuellen Verfahren den Anfang seiner Vorlage fast wortwörtlich, gestaltet dann

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Arnim thematisiert das Motiv des Kartenspiels nur in wenigen seiner literarischen Texten – so wird es etwa in Halle und Jerusalem erwähnt, als Cardenio berichtet, er habe beim Kartenspiel einen mitspielenden Hauptmann in der Wut über das verlorene Spiel erstochen: »Cardenio. […] Lieg du Hund, hattest lange alle Welt so schlau betrogen, doch der Tod war dir zu klug, zeigte mir die falschen Karten und die Volten, die du schlugst, und ich war sein rechter Arm, deine Seele komm auf mich, in dem Himmel gilt sie nichts und die Hölle nimmt sie gerne[.]« (Arnim: Halle und Jerusalem, S. 108.) In den Kronenwächtern wird eine gesellige Wirtshausrunde mit um Geld spielenden Kartenspielern beschrieben. Im Wirtskeller geriert sich dabei ein eigener Kosmos: »[…] das Singen und Toben im ganzen Keller fing eine eigne Welt an, die sich um jene außerhalb nichts bekümmerte« – Arnim: Die Kronenwächter. – Werke in sechs Bänden, Bd. 2, S. 335. Das Lied Kartenspiel. Fliegendes Blat in Des Knaben Wunderhorn thematisiert Glück und Pech bei Liebe und Spiel. Steig: Achim von Arnim und die ihm nahe standen, Bd. 3, S. 244. Ebenda, S. 242. Vgl. zur Datierung Moering: Achim von Arnims Trauerspiel, S. 267. Vgl. zu den Engelischen Comedien und Tragedien Arnim: Schaubühne 1 – Werke und Briefwechsel (Weimarer Arnim-Ausgabe), Bd. 13, S. 743–745; der (gekürzte) Abdruck der Arnimschen Vorlage ebenda, S. 790–820.

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aber immer freier und lässt das Stück sehr eigenwillig enden.30 In der Haupthandlung geht es um eine (an historischen Figuren der englischen Geschichte orientierte) Staatsaktion31 – Ellidor wird im Verlauf des Stücks zum König gekrönt, dann wieder entthront und soll, als sich die gesamte übrige Königsfamilie im Streit um die Macht gegenseitig umgebracht hat, erneut gekrönt werden. Er entsagt jedoch aus Trauer und Gram der Herrschaft. Diese Handlung in vier Akten wird immer wieder unterbrochen durch Szenen aus dem Alltag des ›gemeinen Mannes‹, in denen die titelgebenden allegorischen Figuren ›Jemand‹ und ›Niemand‹ auftreten und über die Themen Gerechtigkeit, Willkür und Schuld in Streit geraten. Die beiden Handlungen werden dadurch miteinander verbunden, dass das Szepter des Königs durch ›Jemand‹ gestohlen wird: Jemand (kommt, als alle fortgegangen). Jemand bin ich geheißen, in der Welt wohl bekannt, ich ziehe durch alle Reiche, aller Schelmstücken voll, ich setze Könige ab und kröne andre, doch alles in größter Heimlichkeit, denn alle meine Schuld die werf ich auf Niemand und mag er sich noch so dreist wehren und sperren, jetzt such ich ihn auf und bringe ihn zum Galgen. Ich habe in dem Lermen des Königs Schatzkammer bestohlen und den Scepter geraubt, ich aber sag in der Welt, Niemand sey es gewesen und will ihn so verteufeln, daß es jedermann glaubt. (geht ab.)32

Macht- und Gewinninteressen stellen sich für beide Ebenen als handlungsleitend dar; mit ›offenen Karen‹ spielt keiner der Figuren, durch das Zufallsprinzip wird der ›Gewinner‹ des Spiels ermittelt. Da ›Niemand‹ zum richtigen Zeitpunkt auf die Bühne tritt, wird er zum König ausgerufen: »Empfang die Krone, edler Fremdling [d. h. ›Niemand‹], es wird sie Niemand tragen.«33 – ein »ironisiertes Ideal einer unregierten Volksgemeinschaft, herbeigeführt nicht zuletzt durch einen sprachlichen Effekt, insofern ›Niemand‹ eben als Person agiert.«34 Während Gerhard Kluge dem Arnimschen Stück lediglich das Diffundieren der Polarität von Gut und Böse ins Chaos einer irrealen Spielwelt durch die »Entwirklichung des Wirklichen« konzediert,35 sieht Wilhelm Scherer gerade im Diffundieren konventioneller Polarität das »Moment der Befreiung aus solcher Folgenlosigkeit aufscheinen.«36 Scherer lässt bei seiner Interpretation jedoch den von Renate Moering 1979 erstmals veröffent-

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Vgl. zur Auswertung der Differenzen zwischen Arnims Drama und seiner Vorlage ebenda, S. 830–842. – Die vorgenommenen Streichungen Arnims belaufen sich auf »etwa ein Viertel des ursprünglichen Umfangs« – Moering: Achim von Arnims Trauerspiel, S. 255. Vgl. weiterführend dazu Arnim: Schaubühne 1 – Werke und Briefwechsel (Weimarer ArnimAusgabe), Bd. 13, S. 821. Ebenda, S. 268 (Hervorhebungen der Indefinitpronomen in der Vorlage). Ebenda, S. 280 (Hervorhebung in der Vorlage). Scherer: Witzige Spielgemälde, S. 542. Vgl. Kluge: Spiel und Witz, S. 84–85. – »Die Welt der historischen Tragödie wird transparent gemacht, die arabesken Szenen werden selbst doppeldeutig durch eine Verflochtenheit in dreifache ›Wirklichkeit‹: die reale Spielwelt der Königshandlung, die imaginäre Spielwelt der Niemand-Jemand-Szenen und die Begriffswelt der Sprachfiktionen und der Namenssymbolik.« Ebenda, S. 85. Scherer: Witzige Spielgemälde, S. 542.

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lichten Prolog37 zum Stück außer Acht, was insbesondere vor dem Hintergrund verwundert, dass er in der Verschränkung der verschiedenen Ebenen und dem Sieg des allegorischen Spiels über die Tragödie des Königtums und die Komödie des gemeinen Mannes das eigentliche Potential des Stückes sieht, was durch den Prolog noch einmal im entscheidenden Maß gesteigert wird. Die in Arnims Trauerspiel sich vollziehende ›Entwirklichung des Wirklichen‹ erfährt nämlich durch den Prolog insofern eine Relativierung, als die vorgeführte ›Wirklichkeit‹ der Königshaushandlung als ›Kartenspiel‹ ausgewiesen wird – die Figuren werden beim Täuschen selbst getäuscht –, während sich die allegorischen Figuren als ›reale‹ Figuren, als die Handlung bestimmende Kartenspieler, entpuppen. Gesprochen wird der Prolog von ›Keiner‹, dem »Milchbruder«38 ›Niemands‹, der sich den Zuschauern als Geist vorstellt, der sich im Himmel langweilt wie die Zeitungsleser[] auf dem Lande […], die nur einmal in der Woche, wenn die Post ankömmt, Zeitungen aus der übrigen Welt erhalten. So haben auch wir nur die eine kleine Mitternachtstunde, um etwas Neues von der Erde, von unsern alten Freunden und Gevattern zu erfahren und müssen dabei sehr leise umhergehen und nicht husten, damit wir sie nicht erschrecken.39

Arnim variiert hier einen Motivkomplex aus der Sagenwelt, in der Karten spielende Geister, die im Leben Spieler bzw. Betrüger (beim Spielen) waren in der Nacht umhergehen und sich Menschen als Spielpartner suche.40 ›Keiner‹, der früher »täglich fast auf der Erde mit […] Niemand, mit dem listigen Jemand, mit dem einfältigen Gar nichts in der Schenke spielte,41 vermisst das Kartenspiel mit seinen Freunden, »wobei alle grosse Begebenheiten und Liebesaffären Abends erzählt und in Ordnung disputirt wurden.«42 Inzwischen weiß ›Keiner‹, dass das Kartenspiel der vier weit mehr als nur ein Glücksspiel zum Zeitvertreib war, denn dadurch wurden »die Begebenheiten der grösten Reiche auf Monde«43 beeinflusst und gelenkt. Im Rückblick muss er anerkennen: »Wir haben schlimme Schicksale da angestiftet: Diese Karten waren Bilder jener Könige im Monde, wir waren unwissend ihr

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Vgl. die Erstveröffentlichung der Reinschrift des Prologs bei Moering: Achim von Arnims Trauerspiel, S. 263–264, beide Fassungen gedruckt in Arnim: Schaubühne 1 – Werke und Briefwechsel (Weimarer Arnim-Ausgabe), Bd. 13, S. 34–-345. Ebenda, S. 342. Ebenda, S. 342. – Interessant ist hier die Parallele zu Arnims Urteil über die Engländer und ihr Theater während seiner Reise nach England im Jahr 1803, wie er es Clemens Brentano in einem Brief vom 5. Juli 1803 schildert: »An neueren Stücken ist viel Armuth auch ist kein Interesse da für lebende Poesie so wenig, wie für lebende Kunst überhaupt, sie schätzen so überaus ihre alte Kronjuwelen, daß sie in Schränken sie verschliessen. Daher ist Langeweile und dann Zeitungsmanie eine natürlige Folge denn diese Zeitungen sind wiederum die einzige lebende Poesien der Engländer.« – Werke und Briefwechsel (Weimarer Arnim-Ausgabe), Bd. 31, S. 267, Nr. 314. Vgl. Handwörterbuch des Aberglaubens Bd. 4, Sp. 1020. Arnim: Schaubühne 1 – Werke und Briefwechsel (Weimarer Arnim-Ausgabe), Bd. 13, S. 342 (Hervorhebungen in der Vorlage). Ebenda. Ebenda (Hervorhebung in der Vorlage).

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Schicksal, dem sie sich fügen mußten.«44 Hier bleibt das Spielen also nicht ohne Folgen, sondern übersetzt sich in Handlung.45 Um Mitternacht kann ›Keiner‹ nun an den Spieltisch der auf der Erde zurückgebliebenen Freunde treten und erkennt, dass an diesem Abend eine »grosse Mondgeschichte« eingeleitet wurde, die durch eine »grosse Mordgeschichte«46 beschlossen wurde. Hier wird durch das Wortspiel »Mond-/Mordgeschichte« phonetisch eine Paarbildung vorgenommen, wie sie sich auch im Stück Jemand und Niemand durch Verwendung beinahe gleichlautender Namen für die Königspaare Arrial und Arria sowie Ellidor und Elia ergeben. Die damit eingeführten Wortspiele zeigen einmal mehr die Vielfalt experimenteller Variation durch die Möglichkeit unterschiedlicher Kombinatorik, wie es für das Kartenspiel ebenfalls typisch ist. ›Keiner‹ skizziert im Folgenden die Handlung des Stückes durch Interpretation der liegen gebliebenen Spielkarten des Kartenspiels. Auch hier wird wieder die der Handlung zugrunde liegende Paarbildung deutlich: »Zwei Könige standen in dem Spiele einander fast mit gleichem Anspruche an den Thron gegenüber, zwei Königinnen reitzen sie zum Kampf, zwei Buben, die jüngeren Königsbrüder warten nur darauf, daß jene älteren einander die Hälse brechen. Die Grossen sind getheilt.«47 Bei dem Kartenspiel, das ›Keiner‹ hier beschreibt, handelt es sich um das beliebte »Deutsche Solo« oder einfach nur – wie bei Arnim – »Solo« genannte Kartenspiel, das eine vereinfachte Form des spanischen Kartenspiels »L’hombre« darstellt. Gespielt wurde »Solo« mit 24 Spielkarten des französischen Blatts (also Herz, Karo, Pik und Treff), ohne die 8er und die 9er. Ziel des Spiels ist es, als Einzelspieler, also bei einem Solo (daher der Name) oder aber als agierende Partei von zwei oder drei Spielern mindestens vier Stiche zu bekommen. Als höchster Trumpf gilt die Kreuzdame, die zweithöchste Karte ist die Trumpf-7, je nachdem, welche Farbe als Trumpf von den Spielern festgelegt wird, die dritthöchste ist die Pikdame. Die restlichen Karten fallen in der Reihenfolge Ass, König, Dame, Bube, 10 und 7 ab.48 Tatsächlich lässt sich diese Spielstruktur in der Handlung von Jemand und Niemand zumindest ansatzweise erkennen: Die beiden auftretenden Königinnen Arria und Elia streiten sich mehrfach um den Thron und übertrumpfen sich dabei gegenseitig, stets im Beisein des ›Schmarotzers‹, der sich der jeweils regierenden Königin zu Füßen wirft: 44 45

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Ebenda, S. 342. Dass sich die Spielkartenfiguren von ihren Karten lösen und eigene Wege gehen, begegnet als literarisches Motiv auch im späten 19. Jahrhundert, so etwa in Lewis Carrolls Through the Looking-Glass, and What Alice Found There (1871), wo ein ganzer Kartenstaat geschildert wird. Für das 17. Jahrhundert muss es Berichten zufolge bereits eine (ungedruckte) Komödie in fünf Aufzügen von Thomas Corneille gegeben haben, die Der Triumph der Damen betitelt war, in dem Tänze als Zwischenspiele aufgeführt wurden, in denen sich Kartenfiguren untereinander mischten, vgl. Hoffmann: Die Welt der Spielkarte, S. 60. Arnim: Schaubühne 1 – Werke und Briefwechsel (Weimarer Arnim-Ausgabe), Bd. 13, S. 342–343. – »Mord« ist darüber hinaus auch eine Bezeichnung für einen Spielzug, bei dem alle Stiche an den Solospieler fallen, vgl. Kastner, Folkvord: Die große Humboldt-Enzyklopädie der Kartenspiele, S. 128. Arnim: Schaubühne 1 – Werke und Briefwechsel (Weimarer Arnim-Ausgabe), Bd. 13, S. 343. Vgl. Kastner, Folkvord: Die große Humboldt-Enzyklopädie der Kartenspiele, S. 119–142.

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Yvonne Pietsch Arria. In aller Pracht und Herrlichkeit ziehen wir durch das neugierige Volk, das unserm Befehle unterworfen ist und alles beugt sich vor mir, als wäre ich eine Göttin und das gefällt meinem Herzen, und meine Seele erhebt sich, wenn ich die Ehre mit meinen glückseligen Augen anschaue. Meine Ungnade allen, die anders als knieend vor mir erscheinen. (Schmarotzer kniet, Königin Elia kniet nicht.) Unverständige Elia, kniest du nicht vor mir? Hast du es nicht nöthig? – – – – Elia. Nein, durchaus nicht, denn du bist nicht mehr als ich. Arria. Was? Ich nicht mehr als du? Bist du mir nicht unterhan? Bin ich nicht eben als Königin von England gekrönt? Elia. Wer weiß, wie lange du herrschest, mir gebührt es auch, Königin zu seyn, denn mein Gemahl ist auch des Königs von England Sohn.49

Die Machtansprüche der beiden ›Damen‹ übertreffen die aller anderen agierenden Spieler bei weitem. Neben den auftretenden Königen Arrial und Ellidor und deren Brüdern Peridor und Eduard, die sich gegenseitig ausstechen, gibt es die Kavaliere Marsian und Carniol, die man als ›Buben‹ interpretieren könnte. Diese Figuren schlagen sich regelmäßig auf die Seite des jeweils ›regierenden‹ Königs bzw. der Königin. Bereits ihr erster Auftritt lässt sich als Zusammenschluss zweier Karten gegen den König lesen. So fordert Marsian Carniol auf: »[…] stehet ihr mir treulich bei, so wollen wir den tyrannischen König Arrial vom Throne stoßen.«50 – Am Ende wird ›Niemand‹ im Stück zum König ausgerufen, d. h. er geht als Sieger aus dem Spiel hervor. Im Prolog eskaliert die Situation unter den Spielern noch vor dem siegreichen Ende ›Niemands‹ im ›Binnenspiel‹. »So stand das Spiel,« fährt ›Keiner‹ fort zu erzählen, da hatte Jemand der zu verlieren fürchtete eine Karte den Herzdaus [Herz-Ass] untergeschlagen der mit einem Scepter gestempelt ist Er stand auf und schwor es sei vergeben und könne nicht gelten Niemand, die brave Seele, gab ihm dafür einen derben Ritterschlag, sie griffen zu den Klingen, durchrannten einander und der Gar nichts erstach sich darüber aus Gram. Da blieb auch nicht einer auf Erde.51

Um diese Ebene als ›Wirklichkeit‹ zu markieren, die die Handlung innerhalb des Stückes wiederspiegelt – dort erstechen sich die Brüder Eduard und Peridor gegenseitig52 – werden entsprechend Anspielungen auf die eigene Zeitgeschichte eingebunden, so etwa in dem angeführten Zitat die Stempelung der Karten aus Steuergründen mit einem Szepter: Der Spielkartenhersteller druckte auf einer festgelegten Karte auf die Bildseite einen kleinen weißen Kreis, auf der dann der Steuerbeamte den Stempel setzte, im Falle Preußens den preußischen Adler, der in einer Klaue

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Arnim: Schaubühne 1 – Werke und Briefwechsel (Weimarer Arnim-Ausgabe), Bd. 13, S. 265. Ebenda. Ebenda, S. 343. »Eduard. Verzagter, schon dreimal bin ich dir ans Herz gerannt, du ziehest furchtsam dich zurück, willst du denn ewig leben. Peridor. So schwör ich, daß das Licht der Sonne mich nicht mehr bescheinen soll, bis ich mein Schwerdt dir durch das Herz gerannt. (Beide fallen.)« Ebenda, S. 279. – Das dreimalige Gegeneinander-Antreten kann hier jeweils als Spielrunde, bei der dem Gegenspieler Karten in die Hände fallen, interpretiert werden.

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einen Szepter hält.53 Durch den Prolog wird also eine enge Verbindung zwischen Kartenspiel und Leben erzeugt, die durch die Anspielungen auf die aktuelle militärische und politische Situation den Aspekt der Willkür mit Blick auf beides deutlich akzentuiert. ›Keiner‹ bedauert nun seine toten Spielkameraden, die als Strafe dafür, dass sie zu Mördern wurden, »eine lange Quarantaine«54 im Mond abhalten müssen: »Da steckt ihr nun im Monde wie die Maus in der Falle, müsst in eurem Kartenspiel eine ernste Rolle mitspielen.«55 ›Keiner‹ kann seinen Freunden nicht helfen, »aber doch berathen durch Zeichen.«56 So bittet er die »himmlischen Wolken meine Brüder«57, ihn zum Mond zu tragen »daß ich dies seltsame Spiel von zweyerlei Schicksal belaure und meinen Freunden durch eure Blitze und Donner meinen Rath kund thue.«58 Daraufhin kehrt ›Keiner‹ der Erde den Rücken, »denn fremd bist du mir geworden, seit meine Freunde dich verlassen.«59 Arnim spielt hier mit den Konventionen, die in der Genremalerei als Alltagskunst des 17. und 18. Jahrhunderts noch ernst genommen wurden. Die von ›Keiner‹ beschriebene Alltagsszene der Karten spielenden Freunde wird auf eine höhere Ebene transformiert und durch die Brechung der verschiedenen Spiel- und Fiktionsebenen ironisiert. Indem er die Ebenen der Spielwirklichkeiten ad infinitum spiegelt und verkehrt, zitiert er die Genrekonventionen seiner Zeit und hebt den in ihnen geborgenen Alltag gleichzeitig ästhetisch auf.

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Der Direktverkauf von Spielkarten war bis 1838 in Preußen verboten, alle Karten mussten zur Prüfung an eine staatliche Stelle (das Hauptstempelmagazin in Berlin) abgeliefert werden, von wo sie über die Steuerämter an das Publikum abgesetzt wurden (staatliche Planvorgaben setzten damit die Anzahl der in Umlauf gebrachten Karten, deren Qualität und die Art der Spielkarten fest. Der bei Arnim genannte Stempel mit einem Szepter ist kein geläufiger Stempel, dort sind Wappen oder der preußische Adler, der einen Szepter in der rechten Klaue hält, geläufig – vgl. Radau, Kranich: Die Spielkartenfabrik Sutor in Naumburg. Arnim: Schaubühne 1 – Werke und Briefwechsel (Weimarer Arnim-Ausgabe), Bd. 13, S. 343. Ebenda. Ebenda. Ebenda. Ebenda. Ebenda.

BRIEF UND BUCH

Renate Moering

Stadt versus Land: Lebensräume in Wunsch und Realität Mit unpublizierten Texten aus dem Ehebriefwechsel zwischen Achim und Bettine von Arnim

1. Der Ehebriefwechsel in Handschrift Der Briefwechsel zwischen Bettine und Achim von Arnim, dessen Autographen das Freie Deutsche Hochstift besitzt,1 ist bislang so lückenhaft und mit so vielen Lesefehlern ediert, dass die Drucke das wirkliche postalische Gespräch vor dem Hintergrund des Alltags verstellen. Diese über 800 Briefe zählen unter die bedeutendsten Korrespondenzen deutscher Sprache. Durch die geistige Gleichrangigkeit und Selbständigkeit der Ehepartner lösen sich die Briefe aus der damaligen Konvention und geben Einblick in ein kompliziertes Zusammenleben am Ende der Romantik und Beginn der Moderne, denn von biedermeierlicher Behaglichkeit findet sich darin keine Spur. Nur wenige Briefe dürften verloren oder vernichtet worden sein, auch wenn Arnim gelegentlich wünschte, dass Bettine seine Briefe verbrennen sollte, anstatt sie »zu jedermanns Anschauung« umherliegen zu lassen.2 So wünschte er am 7. September 1820: »Wenn Du den Brief nicht aufheben kannst, so verbrenne ihn; wenig Dinge verletzen mich innerlich so tief, als wenn ich Briefe von mir auf den Schränken herumfahren sehe.«3 Vermutlich gab es dann in Berlin eine Auseinandersetzung darüber, denn Bettine konterte, nachdem Arnim Mitte September aufs Land zurückgekehrt war: »Ich habe mir bei Deiner Abreiße vorgenommen lieber Alter, Dir einen Brief zu schreiben den Du nicht hinter den Spiegel stecken sollst und auch Dein Bartschabsel nicht dran abwischen [...]«.4 Bettine ließ sich nicht beirren; Arnims Briefe waren ihr ein Schatz, den sie auf ihre eigene Art behandelte, trotz seiner Mahnungen.

2. Bettines Berliner Wohnungen Bettine und Arnim waren in ihren Wünschen und Ansprüchen an einen Wohnort stark von ihrer Kindheit geprägt. Arnim wuchs in Berlin im repräsentativen Haus seiner Großmutter, Caroline Labes, am Quarré, dem späteren Pariser Platz, auf. 1

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Für die Erlaubnis, daraus zu zitieren, danke ich Frau Professor Dr. Anne Bohnenkamp vielmals. Arnim an Bettine, Wiepersdorf, 6. Juni 1820. Handschrift FDH 11986; vgl. Achim und Bettine von Arnim: Briefwechsel, Bd. 1, S. 195. Handschrift FDH 11987,1. Vgl. Achim und Bettine von Arnim: Briefwechsel, Bd. 1, S. 200, mit falscher Datierung »9. September« (S. 197). Handschrift FDH 12082,2. Vgl. Achim und Bettine von Arnim: Briefwechsel, Bd. 1, S. 200.

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Erholung boten dem kleinen »Louis« die Sommermonate in Zernikow. Zwar betreuten ihn die jeweiligen Hauslehrer auch dort, doch Arnim erlebte intensiv die Arbeit auf dem Gut mit. Bettine Brentanos Elternhaus, der »Goldene Kopf« in Frankfurt, ein Handelshaus, war ebenfalls ein imposantes Gebäude; die finanzielle Existenz der Familie war gesichert. Ihre erste Wohnung bezogen Arnim und Bettine nach der Heirat in Berlin in der Wilhelmstraße 78, im Gartenhaus des Vossischen Palais.5 Um die Miete zu sparen, kam die junge Familie zwei Jahre später, am 2. Oktober 1813, vorübergehend bei Savignys unter. Dann trat – zunächst aus rein finanziellen Gründen – eine Wende ein: Arnim war im Frühjahr 1814 nach dem Ende der von ihm herausgegebenen Zeitung Der Preußische Correspondent ohne Einnahmen; er zog daher mit seiner Familie nach Wiepersdorf, um mietfrei zu wohnen und – nach der Übernahme von Pächtern – schließlich die Güter selbst zu bewirtschaften. Die Großmutter, die einem Bankhaus entstammte, hatte das ursprünglich riesige Vermögen zum großen Teil in Staatsanleihen angelegt, welche durch die historische Entwicklung im Wert stark gesunken waren und nur mit Verlust verkauft werden konnten. Die – zusätzlich von Arnims Vater und Bruder – verursachten Schulden wuchsen zunächst noch an. So brachten die Güter nur soviel ein, dass ein bescheidenes Leben möglich war. Arnim zahlte die Schulden nach und nach ab. Es wäre ihm leichter geworden, wenn Bettine nicht nach einigen Jahren darauf bestanden hätte, in die Großstadt zurückzukehren, da sie die Berliner Geselligkeit benötigte; später kam die Notwendigkeit dazu, die Söhne in Schulen zu schicken. Für die teuren Wohnungen musste das Gut eine ständig wachsende Summe aufbringen. Zwar wohnte Arnim monatelang ebenfalls in der Stadt, schon weil dort vieles zu erledigen war, doch hätte er dafür bei Savignys unterkommen können. Die Adressen auf Arnims Briefen an Bettine wurden in den bisherigen Editionen weggelassen; sie geben klarere Auskünfte über ihre Umzüge, als es bisher – vor allem aus der Savigny-Korrespondenz – erschlossen werden konnte: Januar – Juni 1817: Letzte Strasse Nr. 51 (späterer Name: Dorotheenstraße). Arnim brachte nach Neujahr zunächst Bettine nach Berlin und folgte dann Mitte des Monats mit den Kindern. Er kündigte sich am 14. Januar an: »Endlich, liebe Bettine, geht heute Sonntags der Frachtwagen ab, und ich denke, wenn nicht neue Stürme oder seltsame Geschäfte zwischen treten morgen abzureisen und übermorgen Mittag bey euch zu seyn, das heist Dienstag.«6 Juli 1817: Georgenstrasse Nr. 3 »im Georgenschen Hause«.7 Bettine bewerkstelligte diesen Umzug allein, da Arnim schon wieder in Wiepersdorf war, von wo aus er am 25. Juni schrieb: »Euch alle küsse ich aus der wohlbekannten Ferne meines grünen Stehpultes [...].«8 Er besuchte damals den nahegelege5 6 7 8

Vgl. Lemm: Wohnorte, S. 110. Handschrift FDH 11966. Nicht bei Achim und Bettine von Arnim: Briefwechsel. Handschrift FDH 11968. Vgl. Lemm: Wohnorte, S. 112. Handschrift FDH 11967. Vgl. Achim und Bettine von Arnim: Briefwechsel, Bd. 1, S. 46.

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nen Spreewald und beschloss, den »Wasserfluß durch Bärwalde«9 – sein »Ländchen« – besser zu ordnen. Bettine hatte dagegen gemeint, die neue Wohnung komme ihr »wie ein Feenpalast gegen unsre Wohnung vor«.10 12. Februar 1818: Georgenstrasse Nr. 17. Kurzzeitig adressiert Arnim seine Briefe an Bettine dorthin.11 13. April 1818: Schiffbauerdamm Nr. 6.12 Bettine sandte Arnim eine Wohnungsanzeige, die seinem Brief vom 20. Februar 1818 noch beiliegt: Auf dem Schiffbauerdamm N. 6 nahe der Weidendammer Brücke, eine Treppe hoch ist eine Wohnung von 5 Stuben 1 Saal 1 Kabint 2 Kammern, Küche, Keller, Stallung Remise, Boden und Gärten für 32 rth Courant ohne Stallung und Garten für 25 rth – 1 April abzulassen. Näheres Wilhelmstraße No 71 unten links Morgens von 8 bis 9 und Mittags von 1 – 2. Uhr.13

Bettine teilte Arnim am 17. Februar mit, Savigny habe diese Wohnung für sie »für 250 Taler«14 gemietet, d.h. er schloss für sie den Vertrag. Am 13. April 1818 ist Arnims erster Brief dorthin adressiert. Jedoch schon am 21. April 1818 teilte Bettine ihm mit, sie habe die Wohnung wieder »vermietet«.15 20. Juni 1818: Unter den Linden Nr. 76.16 Am 29. April 1818 schrieb Bettine im Postskript: »Unsere Nummer ist jetzt 76 Unter den Linden«.17 Arnim adressierte erstmalig dorthin am 20. Juni 1818. Diese Wohnung teilten sie jedoch mit zwei Offizieren; Bettine schrieb dazu an Arnim am 6. Nov. 1819, sie habe nun »den Hauptmann Groebel getroffen und letzteren dahin bewogen den Offizier, der im dritten Zimmer wohnt, auszuquartieren«.18 Arnim meinte dazu: »Es freut mich, daß Du über den Hauptmann Kröpel so gut eingewirkt hast, aber ist die Pflicht des Thüröffnens mit übernommen, so wirst Du bald sehen, was unsre Leute für einen harten Stand bekommen. Am besten wär es, wenn jeder seinen Glockenzug hätte.«19 Wenig später zog Arnim mit den Kindern für den Winter in die Stadt. Bettine mahnte ihn vorher:

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Handschrift FDH 11967. Vgl. Achim und Bettine von Arnim: Briefwechsel, Bd. 1, S. 49. Handschrift FDH 12066. 24. Juni 1817, Vgl. Achim und Bettine von Arnim: Briefwechsel, Bd. 1, S. 45 Vom 8. Februar bis 2. März 1818. Handschriften FDH 11971,1; FDH 11971,2; FDH 11971,3; FDH 11971,4; FDH 11971,5 und FDH 11972. Lemm: Wohnorte, S. 112: Letzte Straße 31. Handschrift FDH 11971,3. Handschrift FDH 12069,1. Vgl. Achim und Bettine von Arnim: Briefwechsel, Bd. 1, 91. Handschrift FDH 12071,2. Vgl. Achim und Bettine von Arnim: Briefwechsel, Bd. 1, S. 105. Vgl. Lemm: Wohnorte, S. 114. Handschrift FDH 12071,3. Vgl. Achim und Bettine von Arnim: Briefwechsel, Bd. 1, S. 113. Handschrift FDH 12079,1. Vgl. Achim und Bettine von Arnim: Briefwechsel, Bd. 1, S. 179. Handschrift FDH 11984, 12. November 1819. Passage nicht bei Achim und Bettine von Arnim: Briefwechsel.

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[...] August soll die Kinder kämmen / lasse ja das Vorderverdeck am Wagen einschmieren daß es von allen Seiten zu geht / nach den Rehhäuten die der Jeger gerben läst frage auch, die Mamsell soll die Gänse zu weissauer einkochen, Eier bringe mit, 1 bettstelle für dich, und eine andre zum Zusammen legen bringe mit, die Kinder bettstellen haben keine Bretter mehr und sind ganz voll Wanzen, so daß man sie nicht anrühren kann [...] deswegen wird nötig seyn die 3 von den großen und die von der Max20 mitzubringen für den Kühne,21 die Max schläft hier in ihrer alten Wiege / den alten Wasserkessel bring mit / unsern Waschkessel Lampen Messer und Gabel der Kinder pp / Tassen und Gläser hab ich hier gekauft sehr billig / Stühle haben wir genug / ein Tisch wär nötig, will warten biß du kommst / Komm bald.22

1821 wurde dieses Haus für eine Straßenveränderung abgerissen.23 Bettine wohnte darin, bis es ihr »über dem Kopf weg gebrochen« wurde,24 denn sie war krank und dirigierte den Umzug »vom Bett aus«. Sie meinte über ihre nächste Bleibe: »Das Quartier hab ich für 300 Tr. Gold bis Johanni, es war an kein Besinnen mehr zu denken, es ist angenehm zu bewohnen.«25 3. August 1821: Unter den Linden Nr. 10. Dorthin adressierte Arnim ab dem 3. August 1821. In diesem Sommer sollte die Familie auf dem Land wohnen. Arnim plante: Was ich hätte mitnehmen sollen, wenn sie irgend zu entbehren sind die grünen Vorhänge zu den neuen Stuben. Auch den kleinen Spiegel habe ich vergessen und das Gesundhalts-Porcellan nicht gekauft. Vielleicht besorgt Dir die Tischer das Porcellan, sonst weiß ich keinen dienstwilligen Bekannten. Eine Woche habe ich nur frey mit allen Pferden, dann wird die Erndte schon anfangen, ich könnte dann höchstens ein Gespann schicken und ein Wagen müste dann von Frege gefahren werden. Er hat 10 rth für 2 Pferde sonst genommen auf diese Tour und würde dann vielleicht mit drey Pferden 12 rth bis 13 rth bekommen. Findest Du es gut, wenn ich zu Deiner Ueberkunft nach Berlin komme, so soll mich die kleine Beschwerde nicht abhalten. Uebrigens brauchst Du Dich eben deswegen weil die Erndte so nahe nicht zu übereilen, Deine Reise fällt immer hinein und also richte Dich ganz nach Gesundheit und Bequemlichkeit, die Mehrunkosten, wenn Frege beide Wagen führe wären doch nur etwa 12 rth. Nur in Hinsicht des Weges habe ich das Bedenken, daß sich der Fuhrmann selbst wenn es der Knecht ist, der mich schon gefahren hat, von Gottow bis Schlenzer verirren möchte. Scheue in solchem Falle nicht die Ausgabe einen Boten in Gottow anzunehmen, der den Weg kennt.26

Am 13. August schrieb er wieder: 1) Die Madratzen für die Kinder […] sind bei der Mummenthey in Arbeit und werden zu ihrer Ankunft wohl schon fertig sein, sonst lege ich sie auf andere. 20 21 22

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Maximiliane von Arnim. Kühnemund von Arnim. Handschrift FDH 12079, 4; 20. November 1819. Teildruck: Achim und Bettine von Arnim: Briefwechsel, Bd. 1, S. 186. August war ein Diener. Vgl. Lemm: Wohnorte, S. 114. Handschrift FDH 12089,3; 26. Juli 1821. Vgl. Achim und Bettine von Arnim: Briefwechsel, Bd. 1, S. 296–297. Handschrift FDH 12089,3. Vgl. Achim und Bettine von Arnim: Briefwechsel, Bd. 1, S. 297. Handschrift FDH 11992,3; Wiepersdorf, 21. Juli 1821. Vgl. Achim und Bettine von Arnim: Briefwechsel, Bd. 1, S. 296, ohne diese Passage. Die Tischer war die frühere Haushälterin von Arnims Großmutter.

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2) Wenn Du ein Paar Dutzend Servietten Handtücher zwei Tischtücher mitbringen willst wäre es sehr gut, auch die Messern Gabel für die Kinder, unsre silbernen Löffel allenfalls, doch ist dies so nothwendig nicht, da wir ein Dutzend platirte haben. 3) Lampen fehlen hier ganz und die Lichter sind nicht in nöthiger Zahl vorhanden. Nimm die ordinärsten Lampen hieher, für Kinderstuben haben sie grosse Vorzüge vor Lichtern, die immer geputzt werden müssen. Oehl ist wohl hier zu haben, schwerlich aber so gut wie in Berlin, ein Fäßchen davon wäre gut, wenn es nur sicher zu verpacken wäre 4) Leinenzeug zu Betten, ich meine Laken mit Ueberzeuge müssen in jedem Fall mitkommen 5) Guter Weinessig wäre hier auch wünschenswerth zum Einmachen ist zu finden bey Gründler am alten Packhof. In Zucker ist schon sehr viel eingemacht.27

Am 14. August war das Chaos vollendet, denn »die Kinder kamen einen Tag früher hier an« als Arnim sie erwartete und Bettine ihm geschrieben hatte.28 Auch den Hausrat musste er noch ergänzen, wie er weiter schrieb: »Wir brauchen ein Paar Dutzend Servietten und ein Paar Tischtücher, Handtücher, Bettzeug, Lampen und Leuchter wenigstens einige, Kindermesser und Gabel. Den 16ten und 17ten ist in Jüterbog eine Auction wo ich vieles, was hier fehlt, vielleicht sehr wohlfeil erhalte.«29 Der Hausrat war also nicht doppelt vorhanden oder so ärmlich, dass man bei Gelegenheit der Sommerfrische gleich vieles ersetzte. Bettine nahm dann das Angebot ihrer Schwester Gunda an, mit ihr nach Frankfurt zu fahren. - Im nächsten Jahr gesellte sich auch Bettine aufs Land; Arnim schlug vor: Liebe Bettine! Der Ueberbringer hat Auftrag die Sachen in Berlin an Ort und Stelle zu fahren und dazu wäre es nützlich, wenn er im Hause die Pferde stellen könnte. Ersuche Rück darum. Uebermorgen den 28 Abends fährt die Kutsche nach. Mit dem Packwagen schicke auch den andern kleinen Koffer von H. Hoffmann, es sind darin alle Unterrichtsbücher. Ihm fehlt noch ein Vorhemde und ein Tuch. Den mitgesandten Koffer, zum Wagen gehörig, erhältst Du zurück, niemand hatte mir den Schlüssel zum Vorlegeschloß mitgegeben, weswegen ich dies Schloß sprengen muste und ein andres vorlegen. Ebenso erfolgt der andre Bettsack Ich rathe die alte Fußdecke über den Packwagen zu legen, der lang verhaltne Regen könnte doch endlich einmal ungebührend herabströmen. Die eine der Decken ist schon mit der Wolle nach Leipzig und kommt wahrscheinlich erst morgen von daher zurück. Meinen guten schwarzen Rock & Hosen packe auch ein [...]. Die Einmachegläser wären sehr angenehm, so auch die Buttertöpfe Die Kinder sind gesund und vergnügt. Ob es mit der neuen Ausgeberin gehen wird stelle ich dahin, sie sprach kurios vom Kochen, auch von ihrer Stube. Ich würde dessen nicht erwähnen, nur des wegen, damit Du ihr nur nothwendige Sachen mitbringst, nichts Ueberflüssiges. Laß es zu unsern Sachen stellen. Komm glücklich hieher und erinnre den Mummenthey, daß er nicht vergist sich den Vordersitz am kleinen neuen Wagen in Ordnung zu bringen. Willst du nicht Nachts reisen, was doch immer etwas Unbequemes mit den kleinen Kindern hat, so bringe die Nacht in Gottow zu und fahre eben gegen 12 Uhr aus. Mit dem Kutscher schreibe ich noch ein Paar Worte L. A v Arnim 27

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Handschrift FDH 11993,2. Vgl. Achim und Bettine von Arnim: Briefwechsel, Bd. 1, S. 302, dort nur ein Satz. Handschrift FDH 12090,3. Vgl. Achim und Bettine von Arnim: Briefwechsel, Bd. 1, S. 305. Ebenda.

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Renate Moering Sollte der Knecht länger aufgehalten werden, so müste er sich Futter kaufen, dazu gieb ihm das Nöthige30

Auch im folgenden Sommer verfuhr man so. Arnim empfahl Bettine: Solltest du einen Dir bequemen Sessel bey einem Trödler finden, so nimm ihn mit, in Stroh gewickelt läst er sich gut transportieren. Der Stellmacher in Dahme verlangt 6 rth für einen grossen Stuhl, wenn der Kopf anliegen kann und 5 rth für einen kleineren, der nur bis zur Schulter geht, zwar mit Stahlfedern, aber ohne Ueberzug, der auch noch über einen Thaler kosten möchte. Ich sah dergleichen Stühle sonst bey Duhring in der französischen Strasse als auch an der Ecke der Leipziger und Wilhelmstrasse zu billigen Preisen vor ein Paar Jahren.31

Wieder in Berlin, sucht Bettine eine neue Wohnung; sie teilt Arnim am 23. August 1823 mit: »Zwei Wohnung hab ich in Spekulation eine am Wilhelmsplaz der Silbermanufacktur gegen über, die andre in Sollys Hauße + + in der Wilhelmstraße wo die Bilder standen.«32 Bettine wohnte vorübergehend bei Savigny, »Pariser Platz N 3«, wohin Arnim noch die nächsten Briefe sandte.33 Oktober 1823: Wilhelmstrasse Nr. 61.34 Anfang Oktober vermeldete Bettine aus Berlin von geplanten Umbauten, sie habe: »auf eigene Kosten eine Türe brechen lassen, (die Türe dazu fand ich auf dem Boden des Hauses) zum Saal, den ich als Wohn- und Schlafzimmer gebrauchen muß [...].«35 Am 14. Dezember adressiert Arnim zuerst dorthin. 10. Mai 1824: Schiffbauerdamm Nr. 20.36 Am 12. Mai schreibt Bettine über dies neue Logis: »Unsere Wohnung wäre und bliebe mir recht besonders angenehm, wenn der Plebs nicht wäre und die rauchenden Öfen, und zu wenig Platz für vieles Geld.«37 Auch Gefahr drohte von dieser Lage: Bettine schrieb Arnim Mitte Juni, dass »die Kinder schwimmen lernen«, es sei »hier in der Wohnung durchaus notwendig, Kühnemund ist 2 mal in den Graben gefallen [...].«38 Im November 1824 suchte Bettine schon wieder eine Wohnung, ging aber zunächst nach Wiepersdorf. 29. Januar 1825: Dorotheenstrasse Nr. 8. Bettine meinte am 29. Januar: »Die Zimmer heitzen sich mit einiger Sorgfalt alle recht gut!«39 30

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Handschrift FDH 11999,2; Wiepersdorf, 26. Juni 1822. Nicht bei Achim und Bettine von Arnim: Briefwechsel. – Hoffmann war ein Lehrer der Söhne. Handschrift FDH 12001; Wiepersdorf, 30. Juni 1823. Brief bei Achim und Bettine von Arnim: Briefwechsel, Bd. 1 nur erwähnt S. 398. Handschrift FDH 12100,1. Vgl. Vordtriede, Briefe Achim und Bettine von Arnim: Briefwechsel, Bd. 1, S. 400. Die Gemäldesammlung des Engländers Eduard Solly war 1821 Teil des Berliner Museums geworden. Vgl. Ebenda, Bd. 2, S. 979f. Handschriften FDH 12002, FDH 12002, FDH 12003 und FDH 12004,1. Lemm: Wohnorte, S. 114; Arnim: Briefe an Savigny, S. 24: »Wilhelmsplatz«. Handschrift FDH 12102,1. Vgl. Achim und Bettine von Arnim: Briefwechsel, Bd. 1, S. 409. Arnim an Bettine, Wiepersdorf, 10. Mai 1824, Handschrift FDH 12007,1. Handschrift FDH 12106,1. Vgl. Achim und Bettine von Arnim: Briefwechsel, Bd. 2, S. 445. Handschrift FDH 12107,2. Vgl. Achim und Bettine von Arnim: Briefwechsel, Bd. 2, S. 452. Handschrift FDH FDH 12113,1. Vgl. Achim und Bettine von Arnim: Briefwechsel, Bd. 1, S. 509.

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6. April 1826: Alte Friedrichstrasse Nr. 101.40 1826 zog Bettine wieder zweimal um: Arnim beklagte sich am 4. April, Bettine habe ihm die Hausnummer nicht gegeben, die er dann dem »Contrackt mit Guretzki« entnahm.41 Bettine suchte weiter und zog schließlich in die Wohnung, die sie in den letzten Ehejahren nicht mehr verließ: 20. Oktober 1826: Dorotheenstrasse Nr. 31. d. bzw. E42 »im Hause des Juwelier H. Gericke unweit der Artillerie Werkstatt«43 Bettine schrieb über die Notwendigkeit eines Umzugs und die gewünschte Wohnung am 9. August 1826, und sie ordnet an, den Brief »durch einen expressen zu schicken«:44 Ich habe mir bis auf den heutigen Tag Mühe gegeben, ein Quartier zu finden [...]. Nun habe ich endlich ein Haus gefunden, was alle Bequemlichkeit vereinigt, die man wünschen kann [...] – daß einzige was mich behindert den Kontrackt zu machen, ist der Preiß der Miethe denn er soll [...] 600 Tlr kosten, und ist es freilich werth denn es ist in jeder Hinsicht bequem reinlich vor allem Zug gesichert hat einen Garten nebst Gartensaal die Knaben haben ein ordentliches Zimmer nebst schlafkabinet worinn bequem 4 Betten stehen können; doch du bist Herr und kanst sagen ob ichs nehmen soll oder nicht; eins was uns die Miethe erleichtern könnte das neben dem Zimmer der Knaben sich eins befindet welches vollkommen für einen Studenten passt der allenfalls für freies Logie Licht und Holz es über nähme die Schularbeiten der Knaben zu unterstüzzen und uns somit die 10 Tlr Monatlich zum Theil erspart wären Herckt hat mir auch schon einen aufgefunden für den er gut sagt und der es unternehmen will im fall etwas drauß wird. überlege dies nun und schreib ob ich das Quartier nehme oder nicht am besten wärs wenn du mit den Kindern selber kämest um es anzusehen dann könnte ich mit dir zurück fahren, sonst muß ich freilich länger bleiben um einanderes zu suchen. woran ich fast verzweifle. [...] hier werden die Oefen alle von ausen geheizt, das Hauß ist zwar neu aber schon seit Michaeli vorigen Jahres fertig und wird jezt bis zum October bewahrt biß auf zwei Zimmer die erst für die Kinder und Hofmeister gemacht werden sollen an der Stelle der Küche die ins Entresoll verlegt wird wobei auch noch eine Gesindestube du siehst daß es nicht übermäßig groß ist, wenn man auch noch allenfalls einen Raum entbehren könnte; aber es hat sehr viele Vortheile in haußlicher Bequemlichkeit, einen allerliebsten Abtritt ein kleines Bade Kabinet auf dem Gang das ganze Haus ist ohne Zugluft und daher sehr gut zu heizen, man braucht durch kein Zimer zu gehen um ins andre zu kommen der Holzstall der hier nicht mit gezeichnet ist liegt hoch dicht an der Küche und man kann nur von daaus hinein, kurz es ist im ganzen so wie ich noch nie eins in Berlin für dieses Geld gesehen, und was das beste ist: der Wirth Selbwart Gericke ist ganz auserordentlich artig, er last machen was ich will, er hat jezt einen Parck am Tempelhofer Monument angelegt wo in diesem Herbst viele Bäume gepflanzt werden nun will er uns in den Garten Pflanzen welche Bäume wir wollen; er will auch mit der Vermiethung warten biß zum 13ten weil ich ihm bis dann bestimte Antwort versprochen habe, nun bitte ich dich recht sehr daß wenn du selbst nicht kömst mir zum wenigsten deine Entscheidung giebst, und gestehe dir daß es mir sehr lieb wäre wenn ich aller Sorge überhoben würde überlege es. 40 41 42 43 44

Vgl. Lemm: Wohnorte, S. 114. Handschrift FDH 12021,1. Vgl. Achim und Bettine von Arnim: Briefwechsel, Bd. 2, S. 586. Vgl. Lemm: Wohnorte, S. 114. Handschrift FDH 12024,3, Arnim an Bettine, Dahme, 20. Oktober 1826. Handschrift FDH 12123,3. Teildruck bei Achim und Bettine von Arnim: Briefwechsel, Bd. 2, S. 618f.

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Arnim antwortete resigniert am 11. August 1826: Mitten im Tumulte von Sep[arations]-Terminen, von der Abreise der Kinder erhalte ich durch Expressen (der 6 gr. kostet) Dein Schreiben [...]. Gott weiß, welcher Fluch auf uns ruht, daß wir nie ein Quartier finden, welches unseren Vermögensumständen angemessen ist. Dient es zu Deiner Beruhigung, so nimm dies Quartier, ein Jahr werden wir es doch bezahlen können; dann aber suche gleich im Winter nach einem, welches der Schule näher und wohlfeiler ist.45

Bettine suchte also weiter, und zwar auch nach einem eigenen Haus, zumal es mit dem Juwelier Gericke Spannungen gab, der sich mit seinem geplanten Park auf dem Kreuzberg verspekuliert hatte. Sie sandte am 12. März 1827 folgende Horrormeldung nach Wiepersdorf: in dem kleinen Haus in der Mauerstraße No 37 das zum Verkauf angebothen bin ich auch gewesen das vor der haus besteht aus 2 Stuben in jeder Etage im ganzen 4 stuben hinten ist ein Seiten flügel von alten Löchern mit Abtritten durchwirkt welche in der Luft hängen und ihre sämtliche Einnahme unmittelbar in einen schmalen Streifen Garten fallen lassen ich habe ein solche Schweinerei gesehen sie verlangen 11tausend Thlr das Gebäude selbst ist keine 800 werth.46

Arnim machte in Wiepersdorf umfangreiche Umbauten und Renovierungen am Gutshaus, den Wirtschaftsgebäuden und der Kirche; seine Berichte in den Briefen gleichen allerdings Monologen, da Bettine darauf nicht einging.

3. Lieferungen von Wiepersdorf und Bärwalde nach Berlin Die Güter lieferten Erträge aus den verschiedensten Bereichen der Landwirtschaft: Lebensmittel, aber auch dort angefertigte Produkte wie Leinen und Wollstoffe, ja sogar Seife. Auch die Berliner Wäsche wurde in Wiepersdorf gewaschen, weil sie dort zur Bleiche ausgelegt werden konnte. Je nach Saison gingen die Frachtwagen in die Stadt, gelegentlich alle paar Wochen. Erhalten sind etwa 40 umfangreiche Listen auf Briefumschlägen; lose Zettel gingen verloren oder waren nicht nötig, wenn Arnim selbst mitfuhr. Er befürchtete, dass manches unterwegs verloren gehen könnte oder vom Personal in Berlin als verdorben deklariert würde und bat Bettine immer wieder, die Sendung selbst zu kontrollieren. Auch in solche »Frachtbriefe« improvisierte er ein Gedicht, wie »Herz zum Herzen ist nicht weit / Unter lichten Sternen...«; er fuhr fort: »Wenn der Wagen mit den Sachen noch lange aus bleibt schreibe ich noch ein Paar Lieder« und notierte dann »das Verzeichniß«.47 Hier zwei Beispiele für die Sendungen. Am 3. Juni 1822 schickte Arnim:48

45 46 47

48

Handschrift FDH 12023,4. Vgl.Achim und Bettine von Arnim: Briefwechsel, Bd. 1, S. 619f. Handschrift FDH 12126,2. Passage nicht bei Achim und Bettine von Arnim: Briefwechsel. Handschrift FDH 11987,3, Arnim an Bettine, Wiepersdorf, 24. September 1820. Vgl. Achim und Bettine von Arnim: Briefwechsel, Bd. 1, S. 211–212 gekürzt, Handschrift FDH 11999,1.

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60 (Pfund) Brodt 14 (Pfund) Butter 12 ½ (Pfund) Butter 9 M(etzen)49 Graupen 3 M(etzen) Mehl 2 M(etzen) Hirse ½ S(chock)50 Käse Rhebraten Rhekeule 16 (Pfund) Kalbfleisch ¾ (Pfund) Eyer.

Er mahnte: Von den Lebensmitteln müssen die beiden Kälberkeulen u die Rhekeule sogleich in Essig gelegt werden, da die Hitze sie sonst gewiß verdirbt Ich sende auch noch ein abgebratnes Rheziemer mit, das gegen den Angrif der Katzen geschützt werden muß.

Darauf mäkelte Bettine, die den Begriff »Rehziemer« - für Rehkeule - nicht kannte, am 4. Juni: »das Rebhun hat sich nicht gefunden, ich kanns also auch nicht vor der Katze hüten.«51 Am 11. Juli 1829 schickte Arnim folgende Sendung los: 120 (Pfund) Brodt in 12 Stücken 10 (Pfund) Schinken 8 ½ (Pfund) Speck 8 (Pfund) Weitzenmehl 9 (Pfund) Grütze 5 Mandel52 Eyer 208 (Pfund) Butter in 4 Fässern u 6. Töpfen 1 Sack mit Schoten und Möhren 10 Flaschen Wein. 4 Bund Heu für die Eseln.53

Daraufhin beschwerte sich Bettine, dass er keine »Hüner und Enten und Gänse« mitgeschickt habe: »[...] vom harten Rindfleisch kann man nicht alle Tage leben.«54 Also ließ Arnim am 30. August eine weitere riesige Fuhre abgehen: 326 (Pfund) Butter in 13 Fässer 4 Töpfe 120 (Pfund) Brodt in 12 Stücken 10 (Pfund) Schinken 4 (Pfund) Speck 11 (Pfund) Hirse 9 (Pfund) Grüze 6 Stück Enten 3 Stück Hüner 9 Schock Eyer 2 Scheffel Kartoffeln 1 Hahn u 3 Rebhüner. Kober mit Birnen.55

Bettines Begeisterung über die Sendungen hielt sich auch deshalb in Grenzen, weil für sie damit Arbeit verbunden war, denn sie verkaufte einen beachtlichen Teil davon, teils an Verwandte und Freunde, aber auch an Händler und in Gasthäuser. Die bisherige Edition gibt nur – auch das in Auszügen – Bettines Kritik wieder, denn Loben war unter ihrer Würde. Ohne Kenntnis von Inhalt und Umfang von Arnims Frachtwagen entsteht dadurch das Bild eines einigermaßen unfähigen Landwirts.

49 50 51

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55

Eine Metze umfasste in Preußen knapp 3 ½ Liter. Ein Schock sind 60 Stück. Handschrift FDH 12097,2, Berlin, 4. Juni 1822. Vgl. Achim und Bettine von Arnim: Briefwechsel, Bd.1, S. 378 ohne den Satz. Eine Mandel sind 15 Stück. Handschrift FDH 12043,2. Passage nicht bei Achim und Bettine von Arnim: Briefwechsel. Handschrift FDH 12141,2, Berlin, 14. Juli 1829. Vgl. Achim und Bettine von Arnim: Briefwechsel, Bd. 2, S. 814. Handschrift FDH 12044,2.

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4. Die zwei Ausgeberinnen: Henriette Colbert gegen die Oehmchen Zwei Welten prallten auch beim Personal aufeinander. Liebschaften wurden auf dem Land eher geduldet als in der Stadt: Bettine entließ die Mädchen in diesem Fall, Arnim verheiratete die Verliebten miteinander oder bemühte sich zumindest darum, dass ein Vater für sein uneheliches Kind sorgte. Bei Krankheiten gab es damals keinen Schutz, die Knechte oder Mägde wurden in die Großfamilie zurückgeschickt. Ein solcher Krankheitsfall hatte 1826 in Wiepersdorf weitreichende Folgen, denn der Wirtschafterin Busse ging es schlecht. Arnim bat Bettine am 9. März: »Die Mamsell ist sehr unwohl an gichtischen Schmerzen in den Füssen und in der Brust und will deswegen zu Ostern fort. [...] Sieh Dich um, nur eine Vornehme, welche die Arbeit scheut, mag ich nicht haben.«56 Bettine verstand das als Auftrag und antwortete am 13. März: »[...] ich habe heute eine Anzeige wegen einer Wirthschafterinn in das Blatt setzen lassen. Du wirst doch diese nicht gehen lassen biß du eine andre hast, da sie nicht zu gehöriger Zeit aufgesagt hat, ist sie verbunden so lange zu bleiben«57 Inzwischen fand Arnim in der Nachbarschaft eine »Ausgeberin«, wie er meistens diesen verantwortungsvollen Beruf bezeichnete, was er Bettine am 20. März mitteilte.58 Am selben Tag schrieb Bettine: [...] eine Wirthschafterin hab ich gemiethet sie kann kommen noch vor Ostern sie scheint mir sehr gut zum wenigsten unter 27 die Beste. sie muß aber auf einem Wagen ihre Betten und Komode schicken. sie ist 30 Jahr alt, fürs 1ste Jahr hab ich ihr 40 Tlr Lohn und fürs Zweite 50 Tlr wenn wir mit ihr zufrieden sind. Gott gebe seinen Seegen dazu.59

Als sie Arnims Brief erhielt, schrieb sie postwendend und setzte sich vehement für ihre Wahl ein: Lieber Arnim du wirst dich erinnern daß du mir dringend anemfohlen eine Wirthschafterinn zu miethen, und daß in der dortigen Gegend keine zu haben sey. ich bin also doch der Meinung du habest die andre nicht fest genommen nur in dem Fall als hier noch keine gemiethet sey. sollte jedoch diese Vorsicht nicht genommen seyn so wirst du die andere eher befriedigen können wie ich die meine die mehrere Dienste in Vorschlag hatte; da die andre wohl wieder in die alte Stelle bis Johanni zu rücken ist; Vorwürfe kannst du mir nicht machen denn ich habe ganz strenge nach deinem Begehren gehandelt; indessen glaube ich auch dich gut versorgt zu haben, das Mädchen hat das beste Lob, ist sehr gescheut hat mit weit mehr Verstand von der Wirthschaft gesprochen als man von ihres gleichen erwartet sie ist voll gutem Willen hat ein freundlich Gesicht, ist sehr flinck, ausser daß sie gründliche Kentniße besitzt kocht sie auch vortrefflich und macht sehr gut ein, sie ist 30 jahr alt sieht aber auf den ersten Anblick jünger aus, sie ist gewohnt alles selbst anzugreifen; [...] sie ist sehr reinlich und bescheiden. auf jeden Fall ist nichts andres zu thun als sie bis Johanni zu behalten den fest gemiethet ist sie; ich habe 56 57 58

59

Handschrift FDH 12020,1. Vgl. Achim und Bettine von Arnim: Briefwechsel, Bd. 2, S. 578. Handschrift FDH 12120,1. Nicht in Achim und Bettine von Arnim: Briefwechsel. Handschrift FDH 12020,2. Vgl. Achim und Bettine von Arnim: Briefwechsel, Bd. 2, S. 580– 581. Handschrift FDH 12120,2. Nicht bei Achim und Bettine von Arnim: Briefwechsel.

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ihr [...] die Reise auf den Wagen der die Kinder zurückbringt angekündigt; auch kann sie nicht wohl früher, sie hat ein Bett und eine Komode wenn sie eine Komode dort findet will sie lieber einen Reisekoffer mit nehmen, also schreibe darüber; ich bitte dich nochmals dringend ja an keine andre Einrichtung zu denken als daß du sie hinnimst, denn 1stens bin ich überzeugt du wirst dich gut dabei befinden, 2tens lässt es sich nicht anders thun; ich kann Dir nicht beschreiben wie viel Unruh es mir verursacht hat; die andre würde sich gewiß auch eine Entschadigung gefallen lassen.60

Nun begann eine sich durch mehrere Briefe ziehende Debatte über diese Stellenbesetzung. Arnim war inzwischen mit der Oehmchen recht zufrieden; er schränkte ein: »nur in der Kochkunst muß ich ihr Unterricht erteilen.«61 Auf der Poststation Dahme, nach Erhalt von Bettines Brief, fügte er am 23. März hinzu, die Berlinerin könne evtl. »der Andern im Kochen forthelfen, woran es jener fehlt, die sonst bei der Viehwirtschaft vortrefflich auf dem Zeuge ist.«62 Bettine gab nicht nach; am 26. März erläuterte sie: »So eben habe ich Deinen Brief erhalten. an der Miethung der Wirtschafterinn, hast Du selbst schuld [... ]«.63 Sie fährt fort: […] daß ich vorsichtig zu Wercke ging so viel wie bei der Eile möglich war kann ich dir betheuern denn da nur noch 3 Wochen bis zum Ziel waren konnte ich nicht vermuthen daß plözlich eine Wirthschafterin auferstehen würde [...] doch muß ich dir aus guten Gründen rathen die beiden Wirthschafterinnen nicht in Wiepersdorf zu behalten denn da kann keine zeigen was sie vermag, und beide könnten faul werden in Beerwalde wo so viel Vieh ist wär es vielleicht gerathen [...] nur meine ich daß es gut wäre wenn meine Wirthschafterin allein alles über sich nähme denn da es sehr möglich ist daß sie gut einschlägt, so muß man ihr auch die Gelegenheit geben sich zu beweisen; glaube nur nicht daß es eine Kleinigkeit ist mit dem Kochen, wenn jene es nicht versteht so wird sie es auch nicht so bald lernen und es ist doch für dich sehr wesentlich. Vielleicht wär es auch besser statt der 3ten Magd noch die Ausgeberin zu halten und wenn sie sich beim Vieh gut anliesse würde es am Ende mehr Nutzen wie Verlust bringen der Wirthschafterin mag ich auch nicht sagen, daß du sie auf jeden Fall nur bis Johanni behalten willst, das würde sie nur verdrießlich machen, und du hast das Recht ihr nach 6 Wochen aufzusagen wenn sie dir aber nützlicher ist mit ihren Kenntnißen wie die andre so hast du die Wahl.64

Die Colbert machte Bettine in Berlin weis, wie gut sie die Landwirtschaftsarbeit beherrsche, was diese Arnim ausführlich darlegte. Bei der Ankuft in Wiepersdorf ging dann alles schief: Die Colberg zerbrach »gleich [...] den ersten Tag ihrer Anwesenheit« eine kostbare »Astrallampe«, wie Arnim am 4. Mai an Bettine schrieb.65 Er versuchte zunächst eine Aufteilung der Herrschaftsgebiete. Von der landwirtschaftlichen Küche verstand die Berliner Wirtschafterin nichts, gewann allerdings die Gunst der Mägde, indem sie Würste an sie verschenkte, so dass sie sich von 60

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21. oder 22. März 1826. Handschrift in Privatbesitz, Druck: Sieberg: »Vorwürfe kannst du mir nicht machen«, S. 243. Handschrift FDH 12020,3; Wiepersdorf, 22. März 1826. Achim und Bettine von Arnim: Briefwechsel, Bd. 2, S. 583. Ebenda. Handschrift FDH 12120,3. Vgl. Achim und Bettine von Arnim: Briefwechsel, Bd. 2, S. 584. Ebenda. Passage fehlt bei Achim und Bettine von Arnim: Briefwechsel, Bd. 1. Handschrift FDH 12022,1. Passage fehlt bei Achim und Bettine von Arnim: Briefwechsel.

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einem Mädchen beim Frühstück bedienen lassen konnte. Warum Bettine so lange für sie sprach, erhellt aus einer unterdrückten Stelle ihres Briefs vom 13. Mai, wo sie schrieb: [...] nehme mir nicht übel daß ich dir über die Wirthschafterin schreibe allein du kanst dort auch betrogen werden und ich fürchte sehr daß ein Mädchen von 19 Jahren einer solchen Wirthschaft nicht gewachsen ist versteht sich von selbst, und daß sie auch nicht so leicht wird Kochen lernen daß sey überzeugt, wenn sie was tauchte so hättest Du sie nicht gleich haben können vielleicht ist es besser du behalst die Collberg, ich habe mich nun noch einmal nach ihr erkundigt und daß beste Lob ihrer Treue und Anhänglichkeit erhalten; ich habe ja keinen Vortheil dabei als daß ich wünschte du mögest beßer bedient werden.66

Arnim meinte dazu am 14. Mai: Die Oehmchen ist übrigens einige zwanzig Jahre alt und hat das Ansehen von 25 Jahren [...]. Der Colberg habe ich längst aufgekündigt und die Oehmchen angenommen, wie ich Dir auch geschrieben habe. Sie rühmt sich, einen langen Brief von Dir erhalten zu haben. Genug von diesen Bestien.67

Arnim entließ die Berlinerin und ließ sich die Bezahlung quittieren. Erhalten ist nämlich die mit »Henriette Colbert« unterschriebene Quittung, datiert: »Wiepersdorf, 30. August 1826«: »Unterzeichnete bescheinigt sowohl Lohn als Leinewand, alles, wie es aus gemacht, richtig empfangen zu haben und nichts von H. Baron von Arnim zu fordern zu haben.«68

5. Stadt oder Land? Bettine und Arnim litten durchaus an der räumlichen Distanz und versuchten ebenso beharrlich wie vergebens, dem anderen den eigenen Lebensraum anzupreisen. War Arnim in der Stadt, aus wirtschaftlichen Gründen, um Kunstausstellungen zu besuchen, um Freunde und die Kinder zu sehen und vor allem aus Liebe zu Bettine, so sehnte er sich bald wieder nach dem Landleben. Trotz der unterschiedlichen Lebensweise und Auffassungen hielten Arnim und Bettine unbeirrt an ihrer Ehe fest; ihre Liebe änderte sich, blieb aber bestehen. Der Existenzkampf des Paares lag, so kann man es wohl sehen, auch an der großen Kinderzahl, die Einfluss auf Wohnungsgröße, Schulgeld, Personal- und Bekleidungskosten hatte. Um so erstaunlicher erscheint es dem heutigen Leser, dass niemals ein Bedauern darüber aufkam und dass Bettine und Arnim sich um das Wohl und die Entwicklung der Kinder sorgten und bemühten. Auch das erfahren wir durch die heftigen Diskussionen in den Briefen. Die Armut, die Bettine und Arnim in diesen Jahren erlebten, wurde auch literarisch für sie fruchtbar, z.B. in Arnims Erzählung Martin Martir und in Bettines

66 67 68

Handschrift FDH 12122,2. Handschrift FDH 12022,3. Vgl. Achim und Bettine von Arnim: Briefwechsel, Bd. 2, S. 609. Handschrift FDH 14106.

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Armenbuch über die Schlesischen Weber, denn ohne diese Erfahrungen hätte sie deren Not vielleicht nicht so intensiv wahrgenommen. Was die Arbeitsmethoden eines Schriftstellers angeht, so hatten sie verschiedene Bedürfnisse. Bettine war von Arnims in der Einsamkeit entstandenen Werken jedesmal freudig überrascht. In seinen hinterlassenen Manuskripten tauchten viele Charaktere aus dem ländlichen Preußen auf, etwa Lore, die alte Ausgeberin und der Lord im Sande oder der Polypendoktor Purpur,69 dessen Sohn als homöopathischer Arzt70 vom Studium zurückkehrt. Da Bettine – nach den frühen Texten für das Wunderhorn und Arnims Zeitung für Einsiedler – bis zu dessen Tod nicht als Schriftstellerin auftrat, konnte er nicht mehr erfahren, dass sie im Gegensatz zu ihm das Gegenüber des Briefpartners, aber auch den Spiegel der Öffentlichkeit brauchte, so dass sie sich in Berlin neben der Sorge um die Kinder in der Geselligkeit und anderen Korrespondenzen schon indirekt auf ihre Schriftstellerei vorbereitete. Sie schuf sich ihre eigenen Publikationsstrategien, während Arnim in seinen späten Erzählungen romantische Tradition mit Realismus verband.

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Siehe diese Fragmente in Arnim: Werke in sechs Bänden, Bd. 4, S. 379–445 und Kommentar. Arnim ließ sich vor seinem Tod – erfolglos – homöopatisch behandeln Der Arzt G. W. Groß aus Jüterbog visitierte Arnim nicht, als er nach ihm rief, sondern schickte ihm nur Medizin; er schrieb am 14. Januar 1831: »Ew: Hochwohlgeboren wollen die Güte haben von beiliegenden homöopathischen Pulvern nach der Nummerfolge täglich 1 Stück zu nehmen dabei nun aber Schweißmittel und Bitterwasser zu meiden das kranke Glied aber fortwährend mit Werg umwickelt zu behalten. Sollte davon die Gicht noch nicht ganz weichen, so werden Sie mir gefälligst weiter Nachricht zukommen lassen mit Angabe der Eigenthümlichkeit Ihrer kranken Empfindungen.« (Handschrift FDH 14511).

Holger Schwinn

Dichtung und Alltag: Ludwig Achim von Arnims Wiepersdorfer Jahre (1814–1831)1

1. Zu Arnims Wirken im Ländchen Bärwalde, einer preußischen Enklave, deren Grenze neben dem von Arnim’schen (Haupt-)Gut Wiepersdorf sechs weitere Ortschaften, mit zum Teil weiteren Rittergütern, umlaufen hat,2 liegen – anders als etwa vom jungen Eichendorff auf Schloss Lubowitz in Oberschlesien – kaum tagebuchartige Aufzeichnungen vor. Einzig ein am Freien Deutschen Hochstift archiviertes Notizbuch enthält einige wenige derartige Eintragungen. Arnim vermerkte in dem Buch neben Briefexzerpten zum Beispiel »Beerwalder Denkwürdigkeiten« sowie Reflexionen zu seiner Goethe-Lektüre auf dem Lande.3 Die (Haupt-)Quellen aber zum Alltag des Dichters auf seinen Gütern sind Briefe, und hier vor allem die großen Briefwechsel mit Bettina und mit Friedrich Carl von Savigny. 1

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Der vorliegende Beitrag basiert auf zwei Vorträgen: dem zum Weimarer Kolloquium gehaltenen Vortrag und einer erweiterten Version davon, die am 12. September 2014 zur Eröffnung der – zum Teil wiederum aus dieser zweiten Version entstandenen – Kabinettausstellung »Achim von Arnim – Landwirt und Poet« auf Schloss Wiepersdorf vorgetragen wurde. – Das heutige Künstlerhaus Schloss Wiepersdorf präsentiert sich in neobarocker Gestalt, die auf Umbauten und Erweiterungen von Bettina und Ludwig Achim von Arnims Enkel Achim von Arnim (›dem Maler‹, 1848–1891), einem Meisterschüler des Historienmalers Carl Theodor von Piloty, zurückgeht. Mit Vermögen aus dem Brentano’schen Erbe der zweiten Ehefrau seines Vaters Freimund, Claudine (1804–1876) – eine Tochter von Bettinas Bruder Georg Brentano (1775–1851) –, und parallel zu mehreren Italienreisen (1875–1889) ließ der Landschafts- und Porträtmaler den Schlossgarten zu einem Park von südländischem Charakter umgestalten, mit Orangerie (1888/89) und zahlreichen aus Rom und Venedig stammenden Skulpturen und Vasen. Eine neue, schlossartige Gartenfront entstand durch den Anbau eines Malerateliers (1877) und die große neobarocke Terrasse (1884). Das Atelier wurde vom Künstler prunkvoll ausgestattet, das Innere des Gutshauses aufwändig renoviert. Erst nach dem Tod von Achim von Arnim (am 8. Februar 1891) ist die im Kern mittelalterliche Gutskirche nach seinen Plänen neuromantisch umgebaut (1894/95) und das an die Kirche grenzende Areal mit den Arnim’schen Familiengräbern neu gestaltet worden (1892). Von dem bereits in der Epoche der Romantik angelegten neuen Wirtschaftshof mit den Stallungen existieren heute nur noch wenige Gebäudeteile. Das barocke Gutshaus aber, in dem Arnim und zeitweise auch Bettina wohnten, hat als ›Schloss‹ neben ihren Gräbern die Zeit überdauert. Zum Ländchen Bärwalde, das südlich von Berlin liegt und bis 1815 sächsisches Gebiet, dann preußisch war, zählen sieben Dörfer: Wiepersdorf, Herbersdorf, Meinsdorf, Rinow, Bärwalde, Weißen und Kossin. Arnim selbst spricht in einem Brief gar von den »sieben Güter[n] [s]eines Landes« – Brief an Savigny, 30./31. Mai 1814, Arnim: Briefe an Savigny, S. 80. Freies Deutsches Hochstift (FDH), Hs-B 44. Das von Arnim bis ins Jahr 1830 geführte Notizbuch ist unveröffentlicht.

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Anders als Diarien beschreiben Briefe jedoch als schriftliche Kurzform (breve scriptum) und ihrem Nachrichten- und Mitteilungscharakter gemäß in der Regel Ereignisse, selten einen gewöhnlichen Tageszusammenhang. Eine auf Wiepersdorf bezogene Ausnahme davon bildet ein Brief Bettina von Arnims an Amalie von Helvig, wird doch darin ein alltäglicher Tagesablauf auf dem Landgut im April 1819 detailliert aus der Perspektive der Ehefrau und Mutter von vier Söhnen und einer Tochter4 geschildert: Hier will ich Ihnen gleich eine kleine Scizze meines heutigen Tags hinwerfen, es ist GerichtsTag: Diebstähle Straßenraub unehliche Kinder pp machen den Hintergrund, davon Brumen nur einzelne Töne in meine Lebensmelodien deutlicher höre ich das Pfeifen des Bratspieses an dem ein ungeheuerer Truthahn steckt denn schon zweimal bin ich consultiert worden was man ihm stadt des Herzens nun in die Brust fülle; am Webstuhl war ich auch schon und hab eine halbe Elle Sackleinwand gefertigt den Kindern Pfeifen geschnizt heut Nachmittag werd ich mir ein Reithabit zuschneiden im Stall war ich auch und hab den Gaul helfen striegeln auf dem ich in Zukunft reiten werde, ich hab ihm recht in seine große schwarze Augen gegukt; […] nun kommen grade die Kinder und verlangen daß ich ihnen Trompeten von Weidenbast mache, nun die fertig sind, machen sie ein solches Getön und Geschmetter auf dem Vorsaal daß mir Hören und Sehen vergeht. – […] können Sie sich entschließen mich in meiner Einsamkeit mit ihrem Töchterlein zu besuchen? […] unter dessen ich hier sizze und schreib brennt ein ganzer Abendhimmel in rothem Feuer gegen mir über ab. die schwarzen Fichten lassen michs Lükenweise wahrnehmen, das sind rechte Riesen die vor dem Abendgolde wie die Wächter vor der Schazkammer stehen.5

Die »kleine Scizze meines heutigen Tags« ist ein Stück weit stilisiert, mit einem »Hintergrund« als der Wirkungssphäre des Mannes (»GerichtsTag«).6 und einem Vordergrund als dem Alltag der Hausfrau (»Bratspies«), mit einem Wiepersdorfer Alltag bis zum »Abendgolde«, der gleichwohl nicht nur gestaltet, sondern insofern auch fragmentarisch im Brief erscheint, als das Briefschreiben bis zum Abend den geplanten Tagesverlauf (»heut Nachmittag werd ich mir ein Reithabit zuschneiden«) maßgeblich verändert hat. Stets fragmentarisch und punktuell dagegen sind die Einblicke, die Bettinas Ehemann brieflich in seinen Alltag gibt.7 Bezeichnend für die von Arnim in die Korrespondenzen eingestreuten Informationen zum Tagesgeschehen ist die folgende Briefstelle: »Morgen um 4 Uhr geht es im Einspänner nach einem Audorfe, um ein Paar Pferde in Augenschein zu nehmen«8. Wenn im Gegensatz dazu Begebenheiten 4

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Die Söhne: Freimund (geb. am 5. Mai 1812), Siegmund (2. Oktober 1813), Friedmund (9. Februar 1815) und Kühnemund (24. März 1817), die Tochter: Maximiliane (23. Oktober 1818). Es folgten noch die Töchter Armgart (4. März 1821) und Gisela (30. August 1827). 20.–23. April 1819, Bettine von Arnim: Werke und Briefe, Bd. 4, S. 181–184. Arnim war im Ländchen als »Gerichtsherr« tätig, und er bezeichnet sich gelegentlich auch so in seinen Briefen, das heißt: als »herr des gerichts, dem die gerichtsgewalt in einem gerichtssprengel [gerichtsbezirk] zusteht« – Grimm: Deutsches Wörterbuch, Bd. 5, Sp. 3663. Das gilt für den gesamten Ehebriefwechsel mit Bettina, dessen vollständige Transkription ich dank Renate Moering, die eine Edition der Briefe vorbereitet, am FDH einsehen konnte. Für die Erlaubnis, im Folgenden Zitate aus unveröffentlichtem Briefmaterial nach den Handschriften wiedergeben zu können, danke ich Anne Bohnenkamp-Renken, der Direktorin des FDH. An Bettina, 27. Juli 1818, Arnim und Bettina Bentano: Achim und Bettina in ihren Briefen, Bd. 1, S. 132.

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ausführlicher geschildert werden – wie ein Erntefest oder Reiseerlebnisse –, dann ist der Bereich des Üblichen, Gewöhnlichen meist verlassen. So auch bei der Mitteilung: »Mein Einspänner hat mich glücklich hieher gefahren, und hier im Gasthaus, wo es an einem Hausknechte fehlte, so habe ich zum ersten Mal mein Pferd selbst füttern und putzen müssen. Auch ein neues Studium!«9 Oder: »Wir haben in dieser Woche zum erstenmal selbst unser Brodt gebacken.«10 Was den Alltag ausmacht, erschließt sich hier erst im Umkehrschluss beziehungsweise in der Ableitung vom mitgeteilten Ereignis. Das Alltägliche – im Grimm’schen Wörterbuch definiert durch die lateinischen Adjektive »quotidianus, vulgaris« (täglich, alltäglich, gewöhnlich) und belegt mit einem Kronenwächter-Zitat –11 erscheint damit in Arnims Briefwechseln fragmentarisch: Das Leben wird nicht – wie das Goethe, wenn auch nicht den Alltag im Fokus habend, schreibend zumindest versucht – als ein ganzes, tätiges festgehalten. Vielmehr verweist das (Lebens-)Fragment im romantischen Brief pars pro toto auf das Ganze. Nun lässt sich aber ausgerechnet jener Schriftsteller, der konstatiert, er habe der »Zeit […] nahe […] zwischen den Federn auf die Haut gesehen«12, selbst nicht in die Karten schauen: In den Briefen an seine Ehefrau äußert er sich kaum zu seiner alltäglichen literarischen Arbeit, und auch über sein Innenleben gibt er erstaunlich wenig preis. Werner Vordtriede nennt das im Nachwort zum Ehebriefwechsel Arnims »Drang, alles, was ihn selbst betrifft, geheimzuhalten«13: Zudem verhindert ihn Bettinas achtlose Behandlung seiner Briefe, sich ihr wirklich zu öffnen. Schon nach wenigen Ehejahren verschließt er sich vor seiner Frau, berichtet fast nichts über seine dichterischen Arbeiten. So erscheint der phantastischste, überströmendste und dichterisch ungeordnetste aller deutschen Dichter als strenger, pädagogisch wachsamer und disziplinierter Gutsherr. Ein literarhistorisches Rätsel.14

Im Vorwort zu den Briefen fügt Rudolf Alexander Schröder dem hinzu, dass »nicht leicht zu sagen ist, wo in ihnen jeweils der bare Alltag oder jener höhere Mensch rede, den jedermann sich selbst und damit allen andern zubilligt.«15 Auch sieht er die »Tücken des Fragmentarischen […], des […] vereinzelt mitgeteilten Erlebnisses«16, und doch ergäben die brieflichen Mitteilungen, »ein unvergleichlich nahes und lebendiges Bild der gesellschaftlichen Zustände«.17 Und das trotz der Verschlossenheit jenes Dichters in vielen Bereichen des Alltäglichen, der in einer Zeit, als der Alltag noch keine relevante ästhetische Kategorie war, mit Des Knaben 9 10

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An Bettina, 28. August 1818, ebenda, S. 156. An Kunigunde (Gunda) von Savigny, Anfang September 1814, Arnim: Briefe an Savigny, S. 101. Grimm: Deutsches Wörterbuch, Bd. 1, Sp. 239 mit der Belegstelle aus dem 1817 erschienenen ersten Band des Romans: »bei unsrer alltäglichen hausmannskost« (vgl. Arnim: Werke in sechs Bänden, Bd. 2: Die Kronenwächter, S. 21). An Savigny, 10. April 1815, Arnim: Briefe an Savigny, S. 112. Arnim und Bettina Bentano: Achim und Bettina in ihren Briefen, Bd. 2, S. 936. Ebenda, S. 935. Ebenda, Bd. 1, S. LIV. Ebenda, S. LV. Ebenda, S. LIV.

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Wunderhorn (1805/08) so alltägliche Ausdrucksformen wie Handwerkerlieder (»zu den Bergleuten hinunter bis zum Schornsteinfeger hinauf«18) und Kinderlieder programmatisch reflektiert für die Romantik erschlossen hat. In der Abhandlung Von Volksliedern (1805) zu der gemeinsam mit dem Freund Clemens Brentano herausgegebenen Liedersammlung schreibt Arnim über seine Entdeckung dieser Gesänge des Alltags »auf dem Lande«: Ich hörte sie als Kind von meiner Wärterin beym Ausfegen der Zimmer, das im gleichen Zuge sie begleitete […]. Wo ich zuerst die volle, thateneigene Gewalt und den Sinn des Volksliedes vernahm, das war auf dem Lande. In warmer Sommernacht weckte mich ein buntes Geschrey. Da sah ich aus meinem Fenster durch die Bäume, Hofgesinde und Dorfleute, wie sie einander zusangen.19

Das so erlebte Zusammentreffen von Poesie und Alltag schrieb der Dichter in Wiepersdorf dann auch in der eigenen lyrischen Produktion fort, wenn er im Volksliedton des Wunderhorn Verse zum Landleben, wie zum Beispiel die folgenden verfasste, in denen die (Land-)»Mädchen […] mit grünem Kranz« und »Bier« die aus dem (Schlacht-)»Feld« zurückkehrende »Jägerschar« empfangen: Victoria die Jägerschar Kommt siegreich aus dem Feld, Die Sonne scheint in Ehren klar, Blickt heiß auf manchen Held. x Die Mädchen ziehn mit grünem Kranz Entgegen dieser Schaar, Und setzen ihn im Sonnenglanz Dem Schönsten in das Haar. x »Der Kranz ist da, wo ist das Bier, Spricht unser Jägersmann, »Die grünen Blätter frist mein Thier, »Und ist viel besser dran. x »Wenn ich soll leben von der Ehr. »So heirath schönen Dank, »Das nehm dir Mädchen heut zur Lehr »Und hol’ mir frischen Trank. x »Die mir das beste Bier gereicht, »Die soll mein Weibchen seyn!« Da war die Eine sehr gescheidt. Und bringt statt Bier ihm Wein.20

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Brentano: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 6, S. 409. Ebenda, S. 406–407, 409. An Savigny, 12. Juli 1814, Arnim: Briefe an Savigny, S. 90–91. Vgl. Ricklefs: Arnims lyrisches Werk, S. 180 (Nr. 1477).

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Arnims Äußerungen zu seiner Lebenswirklichkeit im Ländchen Bärwalde sind punktuell, verstreut, selektiv und hin und wieder – wie bei »Victoria die Jägerschar« – stilisiert und ästhetisch überformt. Immerhin aber sind sie – betrachtet man die umfangreichen Briefwechsel komplett – so zahlreich vorhanden, dass sich daraus ein (Gesamt-)Bild des Alltäglichen für die Wiepersdorfer Jahre von 1814 bis 1831 zusammensetzen lässt:

2. Im April 1814 zogen Achim und Bettina von Arnim vor allem aus wirtschaftlichen Gründen, aber auch wegen einer gewissen Resignation Arnims über seine Situation in der Stadt,21 von Berlin nach Wiepersdorf um. Zunächst war an keinen dauerhaften Aufenthalt auf dem Land gedacht. Arnim machte es sich dann aber in den Folgejahren zu seiner Hauptaufgabe, das verpachtete Gut für seine Kinder, die per Fideikommiss vorbestimmten Erben des ›Vermögens‹ seiner Großmutter mütterlicherseits, Caroline von Labes (1730–1810), zu gestalten und später auch zu verwalten. Sein Vater Joachim Erdmann von Arnim (1741–1804) hatte das Ländchen Bärwalde im Jahr 1780 mit von der Freifrau von Labes geliehenem Geld für 98.000 Reichstaler in Gold von Sophie Dorothea von Jeetze (geb. von Einsiedel, 1729–1783)22 gekauft. Er war zwar der Eigentümer, und Ludwig Achim und Carl Otto von Arnim (1779–1861) waren nach seinem Tod – Anfang des Jahres 1804 – Erben des Ländchens, der von ihrem Vater erworbene Besitz war aber der Großmutter verpfändet. Nach deren testamentarischem Willen von 1810 sollte das Erbe (vor allem Pfandbriefe und mit Schulden belastete Güter) in der Hauptsache ehelichen Kindern der beiden Arnim-Brüder zufallen (sogenannte Fideikommissregelung).23 Damit drängte sie den zum Zeitpunkt ihres Todes 29-jährigen Dichter in eine standesgemäße Rolle als Gutsherr und Familienvater. Die mit dem vierten Sohn schwangere Bettina ging Anfang des Jahres 1817 mit den Söhnen – wohl auch als Vorbereitung für deren spätere Schulbildung, dem Besuch des Gymnasiums ab 1825/26 – dauerhaft zurück nach Berlin. Arnim folgte ihr dorthin im Hungerwinter 1816/17, lebte dann aber, abgesehen von Besuchen und längeren Aufenthalten in Berlin, bis zu seinem Tod im Ländchen. Seine dortige Zurückgezogenheit wurde nur unterbrochen von Reisen und von Besuch in Wie21

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Vgl. dazu Ulfert Ricklefs (Hrsg.): Universelle Entwürfe – Integration – Rückzug: Arnims Berliner Zeit (1809–1814), passim. Zuvor war das Ländchen, seit 1734, im Besitz des Königlich Preußischen Majors Gottfried Emanuel von Einsiedel (1690–1745) gewesen. Auf die Zeit von Einsiedel geht ein früher Ausbau des barocken Wiepersdorfer Gutshauses zurück. Joachim Erdmann von Arnim nahm weitere Veränderungen vor: Er verband das Haupthaus über zwei Turmbauten mit zwei sich in flachen Winkeln anschließenden Nebengebäuden. Einer dieser Seitenflügel wurde später durch einen Brand zerstört. Heute findet sich an seiner Stelle das 1877 erbaute Maleratelier. Zur Erbengemeinschaft zählte auch der Onkel von Ludwig Achim und Carl Otto von Arnim, Hans Graf von Schlitz, Freiherr von Labes (1763–1831), mit dem es eine gerichtliche Auseinandersetzung gab und später einen Vergleich – vgl. Arnim: Briefe an Savigny, S. 272–273.

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persdorf.24 In späteren Jahren unternahm der Gutsherr mehrere größere dieser Reisen.25 Und von Anfang an war er oft unterwegs in der Region, um Pferde, Rinder, Schafe und landwirtschaftliche Erzeugnisse (wie Malz und Kartoffeln)26 einzukaufen, aber auch, um Gerichtliches zu regeln. Bewirtschaftet wurde das Ländchen zunächst von Pächtern, so auch insbesondere das Wiepersdorfer Gut – mit kurzen Unterbrechungen beim Wechsel der Pächter – bis ins Jahr 1821. Eine »Uebernahme des Guts« beabsichtigte Arnim anfangs nicht, sondern nur eine Ersparnis der »Kosten« der »eignen Haushaltung, die mit den Kindern wachsen«; so formuliert er das jedenfalls in einem Brief an Savigny vom 7. September 1814: Deine Ermahnungen gegen die Uebernahme des Guts sind durchaus wahr, niemand fühlt es so deutlich wie ich, das Lebensgewohnheit zur Oekonomie gehört, inzwischen gedenke ich auf der andern Seite, wie es mir eben so schwer seyn würde mich in eins der bezahlten Staatsämter hinein zu arbeiten, wie langes vergebliches Warten, wie ich deswegen meine Güter und Vermögensangelegenheiten in erster Zeit ganz aus den Augen verlieren müste. Wiepersdorf hat ausserdem eine sehr bequeme Wirtschaft und sehr zuverlässigen Ertrag, bequem weil weder Brauerei noch Brennerei noch grosse Viehwirtschaft dabey, sondern die Hauptsache Kornbau und Schafe ist, ich erspare die Kosten meiner eignen Haushaltung, die mit den Kindern wachsen. Doch ist das Unternehmen noch nicht ausgemacht, kann ich sehr vortheilhaft verpachten, so greife ich mit beyden Händen zu, vorläufig beende ich nur, theils um Pachter zu locken, theils zu meiner Bequemlichkeit, wenn ich wirklich selbst wirtschaften sollte, den Wirtschaftshof. Gestern Sonntags hatten wir hier sogenanntes Härkelbier (Erndtekranz), Hanengreifen von den Mägden, Katzengreifen von den Knechten, Tanz u. s. w., das Ganze wäre mir erquicklich gewesen, wenn ich das Fest mit einer ehrlichen frommen Pachterfamilie hätte theilen können, so aber stehe ich noch immer auf der Lauer, ob ich nicht noch Administrazion einsetzen muß.27

Begleitet wird Arnims Hinwendung zum tätigen Landleben von der Lektüre des – unter das Motto »Es ist dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen«28 gestellten – dritten Teils von Dichtung und Wahrheit. Bereits im Mai 1814, dem Monat des Erscheinens des Buches, heißt es in einem Brief: »Grosse Sehnsucht empfinde ich nach Zeitungen aller Art, ich fühle, daß die Lumpendinger […] auf dem Lande einen Werth bekommen, ferner sehne ich mich nach Göthes Leben III B.«29 Mitte Juni erhielt Arnim dann den Band, im Juli hat er ihn gelesen (und damit auch die zentrale Sentenz darin »Unser Leben ist, wie das Ganze in dem wir enthalten sind, auf eine unbegreifliche Weise aus Freiheit und Notwendigkeit zu-

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Bettina und die Kinder waren relativ häufig und lange, oft über den Sommer, zu Besuch; 1814 war Clemens Brentano in Wiepersdorf, 1815 Savigny. 1816, nachdem Arnim lebensgefährlich erkrankt gewesen war, kamen wiederum Brentano sowie Wilhelm Grimm und das Ehepaar Savigny zu Besuch. In den späteren Jahren aber war auf dem Landgut – außer Savigny – keiner der alten Freunde mehr zu Gast. Die Reisen, bei denen er viele der früheren Freunde wiedersah, führten Arnim u. a. 1820 nach Schwaben, 1828 durch Belgien und Luxemburg, 1829 durch Österreich und Böhmen, vgl. Arnim: Werke in sechs Bänden, Bd. 1: Hollin’s Liebeleben / Gräfin Dolores, S. 699–700. Vgl. Arnim und Bettina Bentano: Achim und Bettina in ihren Briefen, Bd. 1, S. 134, 165. Arnim: Briefe an Savigny, S. 102. Goethe: Sämtliche Werke nach Epochen, Bd. 16, S. 481. An Savigny, 21. Mai 1814, Arnim: Briefe an Savigny, S. 79.

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sammengesetzt.«30) »Der Band von Göthe ist voll reicher Weisheit«31, teilte er Savigny brieflich im Juni 1814 mit; und er las Goethe, den im Ehebriefwechsel mit Bettina meistgenannten Autor, offensichtlich auch als eine Art Ratgeber zur Orientierung im Alltag: »ich dachte heute, ob ich zu nichts anderm tauge, als an den Schreibtisch und ich habe mich damit getröstet, ich fühle, daß es etwas Grosses sey sich, wie Göthe sagt, der Welt zu verschliessen, ohne sie zu hassen.«32 Am Beginn dieses ›Verschließens vor der Welt‹ steht im Jahr 1814 eine erste Ausgestaltung der Wiepersdorfer Anlage: »ausser meinem Wohnhause«, berichtet Arnim im Juni-Brief an Savigny, habe ich drey andre Häuser in Ordnung gebracht, einen Thurm abgetragen und denke jezt einen Stall für meine künftige Bequemlichkeit sehr wohlfeil zu beenden, bringe ich hier wieder einen Sommer zu so schaffe ich mir eine Kuh an, mäste Schweine mit alten Manuscripten.33

Zu den Projekten der Umgestaltung zählen auch die Anlage zweier Fischteiche (1825/26) und ein neuer Nutzgarten (ab ca. 1816). Arnim pflanzte zahlreiche Bäume, »hunderte«34, wie er in zwei Briefen angibt. Im September 1814 half Clemens Brentano, der zu Besuch war, beim Bau eines Stalles. »[N]ach dem Frühstück«, schrieb Bettina an Savigny, »geht ein jeder in seine Stube […]. Nachmittags helfen wir bei dem Bauen; die beiden fällen große Bäume mit Hülfe einiger Arbeiter oder sie graben und karren Steine zum Fundament.«35 »Wirklich«, fügte Arnim dem in Briefen hinzu, »habe ich wahre Riesen im Schweiß meines Angesichts angeschleppt.«36 »Ich stecke jezt mitten in Baugeschäften, Brunnengraberei u. s. w.«37 »Sommersprossen […] habe ich auch und brenne sie mir täglich bey den Garten und Bauarbeiten noch tiefer.«38 »[M]ein neuer Garten«, heißt es im Mai 1815 in einem weiteren Brief an Savigny, »schwebt aber noch wie die hängenden Gärten der Semiramis in der Höhe meiner Phantasie aus der erst ein Schweinestall von Riesen-

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Goethe: Sämtliche Werke nach Epochen, Bd. 16, S. 511. 20. Juni 1814, Arnim: Briefe an Savigny, S. 85. Arnim an Savigny, 12. Juni 1814, ebenda, S. 84. Der Briefschreiber spielt hier natürlich auf Goethes Gedicht »An den Mond« an (vgl. ebenda, S. 288): »Selig wer sich vor der Welt / Ohne Haß verschließt« – Goethe: Sämtliche Werke nach Epochen, Bd. 2.1, S. 35. 30. Juni 1814, Arnim: Briefe an Savigny, S. 88. An Savigny, 10. April 1815, ebenda, S. 112. Vgl. an Bettina, 20. März 1826, Arnim und Bettina Bentano: Achim und Bettina in ihren Briefen, Bd. 2, S. 581: »Pflaumenbäume und Kirschbäume habe ich gepflanzt zu Hunderten, auch Abreschen«. Ende September 1814, Die Andacht zum Menschenbild, S. 198. Vgl. Brentano aus Wiepersdorf an Rahel Varnhagen, 1. Oktober 1814: »Hier sind Birken, Tannen, Ameißen, und Korn und wir spatzieren wie Dencker auf ebenen Nadelboden in Lichten Hainen und fischen hie und da grose Steine aus leichtem Sand um sie in Fundamente erbaulicher Stallsisteme zu legen, tragen auch täglich begünstigten AmeißenRepublicken etwas Harz zu, und stoßen im Gehen leicht brechende Pilze ab, und lesen Abends unter Muthwill ernste Bücher« – Brentano: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 33, S. 138. An Savigny, Ende September 1814, Arnim: Briefe an Savigny, S. 105. An Savigny, 20. September 1814, ebenda, S. 104. An Savigny, um den 6. Juni 1815, ebenda, S. 121.

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grösse, ein Kalbstall u. s. w. hervorgehen müssen.«39 Neben dem vorhandenen Getreideanbau (Weizen, Gerste, Roggen, Hafer) und den Klee-, Hirse- und Flachsfeldern sowie Schafherden setzte Arnim also auf die Rinder- und Schweinehaltung (dazu kamen Gänse, Hühner, Puten und Enten auf dem Gut). Sein Hauptbetätigungsfeld aber war in den ersten Jahren der neu angelegte Garten, der vor allem der Selbstversorgung diente: Der Wiepersdorfer Nutzgarten lieferte – wie aus den Briefen hervorgeht – Äpfel, Birnen, Pflaumen, Kirschen, Erdbeeren, Salat, Mohrrüben, Rote Beete, Kartoffeln, Spargel, Johannis- und Stachelbeeren. Nimmt man den Beitrag der hauseigenen Brennerei (ab 1819)40 und des Bärwalder Brauers hinzu sowie den des Waldes und des Wiepersdorfer Jägers (Wildschweine, Rotwild, Hasen und Pilze), dann war für einen reich gedeckten Tisch gesorgt: »Wir schwimmen in Pflaumenmuhs, gebacknen Pflaumen, Kartoffeln, Gurken, Mohn; die Kartoffelerndte könnte ein sehr angenehmes Parieren zwischen Engländern abgeben, wie viel an jeder Staude«41, meldet Arnim in einem Brief nach Berlin, und in einem anderen: »Mein ganzes Haus steckt voll Victualien […], Rindfleisch, ein Rhebock, Hasenbraten, Kälberbraten, Pfingstkuchen, Lagerbier, Ahlsdorfer Burgunder, Beerwalder Dünnbier, alles liegt umher.«42 Nach der baulichen Ausgestaltung des Wiepersdorfer Wirtschaftshofes begann 1818 die Herrichtung des Bärwalder Gutes. Arnim wohnte dort vorübergehend, legte Entwässerungsgräben an. In einem Brief an Bettina zählt er auf: »ich habe alle Handwerker, Maurer, Brunnenmacher, Stellmacher, Siebmacher auf dem Hofe.«43 Auch in den folgenden Jahren bis 1830 erwähnte er immer wieder Bauarbeiten in Wiepersdorf und Bärwalde, so notierte er im Mai 1821 in Wiepersdorf: »alles [ist] in Bewegung, in Acker und Garten, Zimmermann, Maurer, Dachdecker.«44 Für die Weizenernte bei Bärwalde zum Beispiel beschäftigte man über vierzig Ährenleser45; für Bau- und Grabungsarbeiten zahllose Tagelöhner und Freiwillige. Zudem waren in Wiepersdorf Mägde, Köchin, Stallknecht und weitere Dienstboten vor Ort. Dieses Personal bereitete alltäglich Probleme; Bettina berichtet davon zum Beispiel in einem Brief vom Oktober 1815: Die nähmamsell ist da! ein sehr gutes hübsches aber etwas comodes Mädgen, das sezt denn den neuen Küchenteufel sehr oft in Zorn; dieser leztere hat mir schon den ersten Tag zu verstehen gegeben daß sie nicht bleiben wird, sie zanckt über Küch und Keller […]. Der Stolzen Hain war

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Arnim an Savigny, 2. Mai 1815, ebenda, S. 115. Bettina fügt dem hinzu: »Arnim hat die neue Kuh mit unserm Frisier-kame gekämt, und hat ihr den ganzen nachmittag Gesellschaft geleistet. wir haben 6½ Scheffel Knullen (Erdtoffeln) gesteckt, es werden aber noch mehr gesteckt; denn es soll ein rechter Überfluß werden, Arnim hat so viel zu thun, daß er gerade noch weiß wo ihm der Kopf steht.« – Ebenda. Vgl. Arnim an Bettina, 6. November 1819: »Heute hole ich meinen Brennereiapparat ab.« (FDH Hs-19603). An Savigny, um den 15. September 1815, Arnim: Briefe an Savigny, S. 128. An Savigny, 30./31. Mai 1814, ebenda, S. 80. An Bettina, 4. Juli 1818, Arnim und Bettina Bentano: Achim und Bettina in ihren Briefen, Bd. 1, S. 130. An Bettina, 15. Mai 1821, ebenda, S. 272. Vgl. Arnim an Bettina, 7. August 1818, ebenda, S. 140.

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gestern besoffen von Mittag bis Abend und dann wieder von Mitternacht bis Morgens; dieser extrafaule Kerl der nichts thut wie Schlafen und nicht nach Dahme geht.46

»Meine Gegenwart ist […] hier«, schrieb Arnim Jahre später, im Oktober 1823, aus Wiepersdorf, »sehr wesentlich, all die Leute hier sind brauchbar unter einer Oberleitung, aber nicht, wenn sie allein stehen.«47 Und weniger als ein Jahr vor seinem Tod bekannte er: »Seltsam ist mir hier die Stille, ich lauere zuweilen, ob nicht in den Nebenzimmern irgend ein großer Streit mit widersätzlichem Gesinde ausbricht, und dann habe ich das behagliche Gefühl eines aus der Schlacht glücklich entkommenen Kriegsmanns.«48 Abgesehen von den ständigen belastenden und lästigen Erkrankungen (wie »Hämorrhoidalbeschwerde[n]«49), die ebenso wie der Ärger mit den Dienstboten einen großen Teil des Alltags ausmachten, scheint die Zeit als Gutsherr – als Wiepersdorf nicht mehr verpachtet war – für Arnim überhaupt eine große Last gewesen zu sein. Einerseits packte er bis zuletzt selbst mit an (»ich habe gestern 100 Schafe eigenhändig geimpft«50), andererseits verlangten die Aufgaben eine Aufspaltung des Individuums in Rollen und Funktionen (»Eine Menge Geschäfte, Kreistage, Gerichtstage, Sep[arations]. Termine habe ich hier vorgefunden«)51. Ebenso wie viele seiner Erzähltexte nahmen sein Aktionismus und seine Sorgen ein arabeskes Ausmaß an; der Gutsherr wirkte in späteren Jahren zunehmend gestresst: Mit meiner Gesundheit geht es jetzt gut, ich bin gestern von Morgen bis fünf Uhr umhergelaufen, habe aber keine Folgen in den Beinen gespürt. Außerdem habe ich mir einige Methoden angewöhnt, die mich schützen; ich lasse mich beim Mittagessen durch nichts stören und empfange ich Abends Briefe, die mich irgend beunruhigen, so lasse ich sie bis zum Morgen liegen, so wird der Frieden der Nacht erhalten.52

Bis in den Schlaf hinein aber verfolgte ihn von Anfang an die hohe Verschuldung (»der wahnsinnige Aerger, die trübe drückende Sorge, wie ich die Fußtapfen meiner Gläubiger schon im Schlafe vor meiner Thür hörte«53), denn das Ländchen Bärwalde brachte, wie Wilhelm Grimm seinem Bruder Jacob 1816 in einem Brief mitteilte, »an Pacht 8000 Thlr. ein«, die gerade mal für die »Schulden die Zinsen ausmachen«.54 Ähnliche Berechnungen stellte damals Carl Otto von Arnim an.55 46 47

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An Arnim, etwa 8./9. Oktober 1815, Bettina von Arnim: Werke und Briefe, Bd. 4, S. 165–166. An Bettina, 29. Oktober 1823, Arnim und Bettina Bentano: Achim und Bettina in ihren Briefen, Bd. 1, S. 415. An Bettina, 21. April 1830, ebenda, Bd. 2, S. 860. An Bettina, 1. Juli 1817, ebenda, Bd. 1, S. 56. An Bettina, 11. Juli 1829, ebenda, Bd. 2, S. 813. An Bettina, 5. März 1828, ebenda, S. 717. An Bettina, 10. Dezember 1828, ebenda, S. 779. An Savigny, 10. April 1815, Arnim: Briefe an Savigny, S. 112. Wilhelm an Jacob Grimm, 13. Juni 1816, Jacob und Wilhelm Grimm: Briefwechsel, Bd. 1.1, S. 479. Vgl. Arnim: Briefe an Savigny, S. 205–209, 325 sowie Carl Otto von Arnims Handschrift von ca. 1812, BLHA Potsdam, Pr. Br. Rep. 37, in Nr. 1681: »[…] Summe von 7000 Reichsthaler […]. Dieser Pachtbestand wird durch die jährlich zu gebendem [!] Zinsen absorbirt.« Härtl:

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Das heißt: Ludwig Achim von Arnims Wirken in Wiepersdorf reichte zur Selbstversorgung, ermöglichte bestenfalls die Tilgung eines Teils der Schulden, die Herrichtung und den Ausbau der Güter und Bettina und den Kindern ein bescheidenes Auskommen in Berlin. Dass Arnims Ehefrau aus ihrem eigenen Vermögen, das ihre Brüder Franz und Georg Brentano in Frankfurt am Main für sie verwalteten, dem nur wenig hinzufügen konnte, belegt eine am Freien Deutschen Hochstift neuentdeckte Jahresabrechnung. Demnach besaß sie zum Jahresende 1826 ein Guthaben von 24.864 Gulden (»f 24864:Xr24½«56), was – vereinfacht dargestellt – in etwa einem halb so großen Betrag in Reichstalern entsprach57 und der Hälfte des Vermögens ihres Bruders Clemens58. Einen Teil ihres Geldes hatte Bettina bereits in den Jahren zuvor in die Arnim’schen Güter investiert, allein ins Ländchen Bärwalde siebentausend Reichstaler.59 Von ihrem Frankfurter Konto konnte sie nun jährlich einige hundert Taler abheben, also einen Großteil der Zinsen in den Berliner Haushalt einbringen, wozu Arnim, der der Familie ständig Geld aus Wiepersdorf senden musste, sie wiederholt auch aufforderte,60 »Du irrst«, erklärte sie ihm dazu am 28. August 1829, »wenn Du glaubst, ich habe dies Jahr noch kein Geld aufgenommen, ich habe bereits das 4te Hundert Taler, denn im Februar habe ich 150, im März und April 100. Ich würde sehr in Verlegenheit sein, wenn ich nicht manchmal da holen könnte.«61 Und an anderer Stelle fügte sie dem entschieden hinzu: »ich habe in diesem Jahr schon an 3 bis 400 Taler in die Haushaltung vertan und Rechnungen vom vorigen Jahr bezahlt […]; es ist auch mein weniges Vermögen den Mädchen zugedacht«62. Arnims »landwirtschaftliches Verhältniß«63 fällt in eine finanziell und ökonomisch schwierige Zeit. Von Anfang an bedrückten ihn die hohen Schulden im Ländchen Bärwalde (Wilhelm Grimm nennt 1816 in einem Brief »150,000 Thlr.

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Neues von und über Arnim, S. 23. Georg und Franz Brentano an Ludwig Achim von Arnim, 9. Februar 1827, FDH Hs-13578; vgl. Schwinn: Die Briefe und Briefnachschriften von Georg Brentano, S. 45. Zu dem Guthaben Bettinas kam 1827 noch eine Zahlung aus dem böhmischen Gut Bukowan hinzu von 1074 Gulden (»f 1074 Xr. 55", FDH Hs-13578; vgl. Schwinn: Die Briefe und Briefnachschriften von Georg Brentano, S. 46; dazu Arnim: Briefe an Savigny, S. 335). Zwei Jahre später folgte eine Erbschaft von »6000 Francken« – Georg Brentano an Arnim, FDH Hs-7606; vgl. Schwinn: Die Briefe und Briefnachschriften von Georg Brentano, S. 50. Zum Vergleich: Der Jahresgehalt des Rödelheimer Pfarrers betrug damals dreihundert Gulden: »f 300«, FDH Hs11207; vgl. Schwinn: Die Briefe und Briefnachschriften von Georg Brentano, S. 68. Vgl. zur Umrechnung Goethe und Cotta: Briefwechsel 1797–1832, Bd. 3,2, S. 346–347. Vgl. dazu Schultz: »Zum Kaufmann taugst du nichts …«, S. 245; vgl. zu späteren Kontoständen Clemens Brentanos Schwinn: Die Briefe und Briefnachschriften von Georg Brentano, S. 85, 101, 113. Vgl. Arnim: Briefe an Savigny, S. 299. Vgl. z. B. Arnim an Bettina, 29. Oktober 1826, Arnim und Bettina Brentano: Achim und Bettina in ihren Briefen, Bd. 2, S. 632; 25. August 1829, ebenda, S. 832. Vgl. dagegen Knaack: Achim von Arnim – Nicht nur Poet, S. 67. Arnim und Bettina Brentano: Achim und Bettina in ihren Briefen, Bd. 2, S. 834. An Arnim, Ende Mai 1827, ebenda, S. 669. An August Franz Ludwig Maria von Haxthausen, 6. Oktober 1818, Weiss (Hrsg.): Unbekannte Briefe von und an Achim von Arnim, S. 62.

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Schulden«64), die Gesamtschuld aus der Erbschaft von Caroline von Labes war aber wesentlich höher65. In den Jahren 1816/17 herrschte in Europa eine große Hungersnot, bald darauf musste Arnim in finanzieller Not zusammen mit seinem Bruder das uckermärkische Erbe Friedenfelde verkaufen.66 In den Folgejahren führten unter anderem die guten Ernten und verbesserte Anbaumethoden in Preußen zu einem Verfall des Getreidepreises bis 1825 auf ein Drittel.67 Im September 1824 musste der Gutsherr folglich konstatieren: »Mit der Ernte geht es nun zu Ende, ist sie gleich reichlich, so steht sie doch in keinem Verhältnis zu den sinkenden Preisen.«68 Und noch am 21. April 1830 mahnte er Bettina: »Sei möglichst sparsam, es steht alles sehr zweifelhaft auf dem Lande.«69 Bettina entgegnete dem mit einem ihrer zahlreichen brieflichen Rechenschaftsberichte aus Berlin: […] was die Sparsamkeit anbelangt, so kann ich nicht mehr thun, als jezt, und doch schwindet das Geld unter den Händen. Freimund hat 5 Tlr Schulgeld und Siegmund am 20ten 5 Tlr für Pullemann Friedmund auch für Bücher zur neuen Klasse und Kühnemund für eine Loupe die der Insekten Lehrer bei jedem Schüler bestelte, ich habe bei Rosenwald eine neue Kutka für Kühnemund aus einem alten aufgefärbten Mantel von mir machen lassen mehr Beweise meiner Oekonomie kann ich dir jezt nicht geben […].70

Erst den Kindern und Kindeskindern des romantischen Dichterehepaars brachte Wiepersdorf reiche Erträge.71

3. In Wiepersdorf schrieb Arnim unter anderem an seinem großen halbhistorischen Roman Die Kronenwächter; er verfasste das Schauspiel Die Gleichen, weit über zwanzig abgeschlossene Erzählungen beziehungsweise Erzählungsfragmente (wie die kaum bekannten Szenen aus dem ländlichen Preußen), zahlreiche Aufsätze

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Wilhelm an Jacob Grimm, 13. Juni 1816, Jacob und Wilhelm Grimm: Briefwechsel, Bd. 1.1, S. 479. Vgl. Riley: Ludwig Achim von Arnims Jugend- und Reisejahre, S. 183–184; Arnim: Briefe an Savigny, S. 263–264, 270, 325–326. Vgl. Knaack: Achim von Arnim – Nicht nur Poet, S. 66. Vgl. ebenda, S. 74. An Bettina, Arnim und Bettina Brentano: Achim und Bettina in ihren Briefen, Bd. 2, S. 480. Ebenda, S. 861. An Arnim, 26. April 1830, FDH Hs-12147. Vgl. Arnim und Bettina Brentano: Achim und Bettina in ihren Briefen, Bd. 2, S. 863 (mit dem Lesefehler »Kutte« für »Kutka«: Jacke, Uniformrock). Nach Arnims Tod wurde das Wiepersdorfer Gut zunächst verpachtet. Über Freimund von Arnim und seinen Sohn Achim, der 1891 im Alter von nur 42 Jahren kinderlos starb, gingen die Güter des Arnim’schen Besitzes im Ländchen Bärwalde dann an Achims Vetter Erwin von Arnim (1862–1928). Dieser bewirtschaftete damals bereits das ebenfalls zum Familienbesitz gehörende Gut Zernikow, aus dem Erbteil von Hans Graf von Schlitz (vgl. Anm. 23). Erwin von Arnim war der Vater von Friedmund von Arnim (1897–1946), dem letzten Herren auf Schloss Wiepersdorf, der 1946 in russischer Gefangenschaft starb.

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sowie hunderte von Gedichten und Briefen. Das Schreiben am »grünen Stehpult«72 war somit ein wesentlicher Bestandteil seines Alltags. Das Dichten war sicherlich eine Befreiung vom alltäglichen, gewöhnlichen Landleben, umgekehrt wirkte das Landleben aber auch auf Arnims Texte ein, wofür die Gedichtskizze »Nicht des Mays erste Blüten / Fordre ich zum heutgen Kranz, / Diese Strahlen, die uns glühten / Fordern nicht zum leichten Tanz, / […]« exemplarisch stehen mag.73 Eine Wechselwirkung von literarischem Schreiben und »landwirtschaftliche[m] Geschäft« scheint in den Wiepersdorfer Jahren für Arnims schriftstellerische Kreativität geradezu Bedingung gewesen zu sein: ich bedarf körperlicher Tätigkeit, um mich auch geistig tätig zu erhalten. Ein Unwohlsein, das mich […] umdüstert, ist mit etwas Graben oder mit einem Ritt über Feld verscheucht, mein landwirtschaftliches Geschäft hat das Gute, mich zu so etwas zu zwingen. Wie aber auch jeder Mensch nicht bloß innerlich etwas erstrebt, sondern auch äußerlich eine Bestätigung seines Daseins sucht, so fühle ich mein Wirken, wenn ich hier selbst wirtschafte, würdig, einflußreich und belohnend; es verknüpft sich mit der Welt meiner Gedanken.74

Das ›Verknüpfen mit der Welt der Gedanken‹ hat offenbar eine zweifache Auswirkung auf die Texte. Zum einen erschließt es dem Schriftsteller neue Themenfelder des Schreibens, zum anderen durchdringt die Realität des Landlebens in Stoffen, Figuren, Motiven, Schilderungen und Sprachbildern das literarische Werk. So heißt es in der »symbolische[n] Topographie« der Kronenwächter mit ihrer typisch romantischen »Vermischung realer und imaginärer Orte«75 in der Einleitung »Dichtung und Geschichte« im ersten Band: Wieder ein Tag vorüber in der Einsamkeit der Dichtung! Die Glocke läutet Feierabend, und die Pflüger ziehen heim mit dem Gespann, führen und tragen behaglich die Kinder, die ihnen entgegen gegangen und freuen sich ihrer Mühe in der Ruhe. […] Am Morgen setzt der Pflüger seinen Weg ohne Störung fort, mißt nach der Länge seiner Furchen den trüben Morgen, wie er die helle Mitte des Tages an seinem eignen Schatten zu ermessen versteht, und teilt nach seinen Morgenwerken die Erdfläche in festbegrenzte Morgen, wie er nach dem Tagewerke der Sonne die unendliche Zeit in Stunden teilt. Die Sonne und der Pflüger kennen einander und tun beide vereint das Ihre zum Gedeihen der Erde. Fest fortschreitend, von allen geschätzt und geschützt, sehen wir die Tätigkeit, die sich zur Erde wendet; sie ist auch dauernd bezeichnet und gründet, so lange sie sich selbst treu bleibt, mit unbewußter Weisheit das Rechte, das Angemessene, im Bau des Ackers, wie des Hauses, in der Beugung des Weges, wie in der Benutzung des Flusses.76

Hier geht es nur vordergründig um das Geschäft eines Landwirts, und folglich fährt Arnim wenig später auf Goethes Dichtung und Wahrheit anspielend fort:

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An Bettina, 25. Juni 1814, Arnim und Bettina Brentano: Achim und Bettina in ihren Briefen, Bd. 1, S. 46. Vgl. Moering: Einladung zum Erntefest, S. 152–155. An Bettina, 31. Mai 1821, Arnim und Bettina Brentano: Achim und Bettina in ihren Briefen, Bd. 1, S. 285. Bunzel: »Weiblingen«, S. 9. Arnim: Werke in sechs Bänden, Bd. 2, S. 11.

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Dichtungen sind nicht Wahrheit, wie wir sie von der Geschichte und dem Verkehr mit Zeitgenossen fordern, sie wären nicht das, was wir suchen, was uns sucht, wenn sie der Erde in Wirklichkeit ganz gehören könnten, denn sie alle führen die irdisch entfremdete Welt zu ewiger Gemeinschaft zurück.77

Ähnlich wie beim Anfang der Kronenwächter so gibt es auch in der Rahmenhandlung der Erzählungssammlung Landhausleben einen starken Bezug auf das Landleben: Der erzählerische Rahmen mit dem Titel »Metamorphosen der Gesellschaft« nimmt ironisch Bezug auf Arnims Situation in Wiepersdorf. Und der Alltag auf dem Landgut griff sogar über im Jahrzehnte umspannenden Werkdialog Arnims mit Brentano auf dessen 1814 in Wiepersdorf verfasste Erzählung Die Schachtel mit der Friedenspuppe, wo die oben erwähnten gemeinsamen Arbeiten der Freunde zum Bau einer Scheune zitiert werden: Ein preußischer Edelmann […] beschloß […], eine Scheune wieder herzustellen, die niedergebrannt war. Als die Arbeiter alle berufen waren […], theilte er ihnen die Geschäfte aus, und sein Jäger wies den Zimmerleuten die Stämme im Forste an. Einige Steine, zum Fundamente nöthig, schienen schwieriger herbei zu schaffen, […] da jene Gegend durchaus eine Ebene von leichtem Sandboden ist.78

Daneben notierten die beiden Freunde und Bettina Anekdoten über Vorfahren und Zeitgenossen.79 Arnim porträtierte dabei seine Großeltern: Caroline von Labes und Hans Labes (1731–1776), Otto von Arnim (1682–1784). Zudem eröffneten sich ihm auf seinem Landgut am Rande des literarischen Werks völlig neue Bereiche des Schreibens, etwa in den journalistischen Schriften über Pferdezucht und Schweinefütterung, Getreidehandel und auch zur Wegebesserung, wozu er 1824 eine »Berichtigung« gegen die »gewöhnliche Anwendung der mathematisch-richtigen Verkürzung der Wege durch Geradlegung« publiziert hat, weil »Straßen, die während vieler Jahrhunderte zu allen Jahreszeiten fahrbar waren, jetzt teils beschwerlich zu aller Zeit geworden sind, weil sie die Tiefen nicht umgehen, teils unfahrbar zu gewissen Zeiten, während die Abkürzung kaum ein paar Minuten erspart.«80 Mit der journalistischen »Hinwendung zum Alltag und zu Themen des politischen Alltags«81 wandte sich der Verfasser indirekt gegen die romantische Auffassung des Dichterberufs als einer Spezialisierung. Er ist da – auch als Naturwissenschaftler – nahe bei Goethe.82 Beiden gemein ist jedenfalls, wohl als ein Erbe aufgeklärter Bildung, ein Interesse am Nützlichen; und als dieses Nützliche erwies sich für Arnim vor allem die Landwirtschaft: Als Beschäftigung betrachtet ist mir die Landwirtschaft behaglicher als die meisten andern nützlichen Arbeiten gewesen, das Wesentliche kenne ich seit früher Jugend […], mir nützt, daß

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Ebenda, S. 14. Brentano: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 19, S. 315. Vgl. Arnim/Brentano: »Anekdoten, die wir erlebten und hörten«. Arnim: Werke in sechs Bänden, Bd. 6, S. 782. Schultz: Berliner und Wiepersdorfer Romantik, S. 11. Wenngleich sich Goethe z. B. in seinen Berichten aus der Weimarer Wegebaudirektion nur sehr allgemein und vor allem auf die Finanzen bezogen des Wegebaus annimmt.

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ich alles nur aus Anschauung hierin weiß, nichts aus Büchern, daß ich keine Eitelkeit drauf habe, sondern ruhig Bauern, Knechte oder Tagelöhner auszufragen weiß, wie es hier oder dort gehalten worden und ergangen ist.83

So stellt der Dichter als Landwirt – ganz unromantisch – das Erfahrungswissen über das Buchwissen, was ihn dann aber nicht daran hinderte, später landwirtschaftliche Erfahrungen schriftlich zu fixieren (und zum Teil auch zu publizieren). Nachdem Bettina ihm zum Beispiel im Oktober 1815 brieflich aus Wiepersdorf berichtet hat, »die Schweine« hätten »auf [s]einem Gurkenbeet eine Mahlzeit gehalten und [seien] noch mit den Gurken im Maul verjagt worden« – »Ich ließ hierauf den Stolzenhain kommen und sagte ihm, er solle ein für alle Mal der Frau Amtmann verbieten, die Schweine heraus zu lassen.«84 –, entschied sich Arnim für eine Neuerung, die er dann 1824 unter der Überschrift Stallfütterung der Schweine schriftlich festhielt: In meiner Gegend herrscht die Meinung, das Aufziehen der Schweine lasse sich nicht gut ohne Austreiben derselben leisten. Diese Meinung habe ich falsch befunden, als mich das Verderben der Hutungen durch das Aufwühlen der Schweine dazu veranlaßte, sie von ihrer Geburt an bis zum Schlachten auf dem Stalle zu behalten. Die Gesundheit der Tiere leidet durchaus nicht, ich hatte keinen Abgang […]. Der Geschmack übertraf an Zartheit alle andre Schweine, die Schinken konnten den Bayonnern gleichgestellt werden. […] Es ist schwer, der Gesamtzahl deutscher Landwirte etwas Neues mitzuteilen, vielleicht haben andre schon Ähnliches gefunden, aber in dieser Gegend war diese Schweinezucht ein neuer Versuch.85

Entscheidend für solche Texte ist also die Nähe zur landwirtschaftlichen und ländlichen Realität und Praxis, die offensichtlich ›realistische‹ Tendenzen in einem Teil von Arnims Werk beförderte. Der ausgebildete Naturwissenschaftler, der sich zum Beispiel schon früh mit Bodenbeschaffenheit und -düngung befasst hat,86 erweist sich so einmal mehr als ein genauer Beobachter und Beschreiber. Und folglich konnte er einen literarischen Stoff auch auf dem Pferdemarkt finden: Eben bin ich noch tief gerührt worden und bewunderte die Darstellungsgabe eines alten Pferdehändlers aus Jüterbog, der mir seine Familiengeschichte erzählte. Solcher Leute giebt es viele, wenn man sie nur zu finden wüßte. Unter sogenannten Künstlern, Gelehrten usw. habe ich nie dergleichen Stoff gefunden.87

In eine ähnliche Richtung zielt der Autor, wenn er über die Rezeption der Kronenwächter schreibt: »Das Buch hat im Ganzen gute Aufnahme gefunden und wird stark gelesen. Neulich hat eine Köchin darüber das Essen ihrer Herrschaft anbrennen lassen.«88 Die sich hier artikulierende Differenz zu den Künstler- und Gelehr83 84

85 86 87

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An Savigny, 15. April 1815, Arnim: Briefe an Savigny, S. 113–114. An Arnim, Oktober 1815, Arnim und Bettina Brentano: Achim und Bettina in ihren Briefen, Bd. 1, S. 23. Arnim: Werke in sechs Bänden, Bd. 6, S. 784–785. Vgl. Arnim: Werke und Briefwechsel, Bd. 2, S. 85–92 mit Kommentar S. 692–698. An Bettina, 19. April 1829, Arnim und Bettina Brentano: Achim und Bettina in ihren Briefen, Bd. 2, S. 798. Steig/Grimm (Hrsg.): Achim von Arnim und die ihm nahe standen, Bd. 3, S. 400.

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tenzirkeln und der damit einhergehende Versuch Arnims, »die Konfrontation von poetischer und bürgerlicher Welt abzubauen«89, hat Clemens Brentano im Jahr 1829 als Beschränkung gedeutet, indem er Varnhagen gegenüber über Arnim urteilte, dieser »sei einseitig und beschränkt geworden, gut preußisch gesinnt und protestantisch, sie könnten beide nicht viel mehr aneinander haben.«90 Damit benennt Brentano eine erkennbare Abweichung Arnims zu den akademisch geprägten Hauptströmungen der Romantik, die als »Wiepersdorfer Romantik«91 bezeichnet wurde, als eine »Wendung zu einer eher politischen, der pragmatischen Diskussion geöffneten Dichtung«92, als eine lebensnähere, realistischere und kritischere Romantik. Der Terminus ist als Analogiebildung zur »Jenaer«, »Heidelberger« oder »Berliner Romantik« hoch gegriffen. Was es aber sicherlich gibt, das ist eine spezifische Ausprägung, eine Erdung der Romantik in Wiepersdorf. Mit ihr griff Arnim frühe Tendenzen seines Schaffens wieder auf: den naturwissenschaftlich-analytischen Blick auf die Dinge, die Suche nach der Natur- und Volkspoesie und frühe sozialkritische Ansätze, wie zum Beispiel die aus eigener Beobachtung resultierende Kritik an den Zuständen und der niedrigen Entlohnung im sächsischen Bergwerk Freiberg (Kurprinz) aus dem Jahr 1799: Ich habe den Churprinz ungefähr über 500 Ellen tief befahren. Er giebt jezt wenig und hat nur noch wenige Arbeiter, alle Arbeiter werden schlecht bezahlt mit 1 rth 3 gr wöchentlich, die Weiber knöppeln Kanten von unechtem Metalle. Naturallieferungen finden nicht statt. […] Die Harzer Bergleute scheinen viel lustiger und munter als die Freyberger, scheinen viel mehr auf ihren Stand und ihre Arbeit zu halten, auch mehr Freyheit und mehr Löhnung zu haben.93

Ein Arnim zugeschriebener Artikel in der Berliner sogenannten Vossischen Zeitung‹ über Armen-Bäder verbindet im Jahr 1825 solch frühe Sozialkritik mit praktischen Verbesserungsvorschlägen, damit an die frühromantische Idee »einer vorausweisenden, positiven Kritik«94 anknüpfend: Für Wohlhabende ist nun hinlänglich gesorgt, aber noch fehlen uns Bäder für Ärmere, oder damit niemand durch den Vorwurf der Armut abgeschreckt werde, Volksbäder, wie die Russen sie noch jetzt haben und wie sie in ganz Deutschland sehr allgemein waren, ehe Pest und andere Seuchen den Besuch verboten. […] Freilich ist das Brennmaterial seitdem viel teurer geworden und es läßt sich nun nur fragen, ob es nicht Gewerbe gibt, wo das heiße Wasser ohne allen Aufwand bloß als Nebenprodukt gewonnen wird. Zuerst wird da die Branntweinbrennerei einfallen, wo im großen Betriebe große Ströme warmen Wassers aus den Kühlfässern fließen […]. Auf ihr Praktiker, hier ist der Punkt, um große Wohltat mit kleinen Mitteln zu erweisen. Bei aller Teurung des Brennmaterials geht noch immer die meiste Wärme ungenutzt verloren.95 89 90

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Schultz: Berliner und Wiepersdorfer Romantik, S. 13. Varnhagen an Rahel, zit. nach: Arnim und Bettina Brentano: Achim und Bettina in ihren Briefen, Bd. 2, S. 831. Schultz: Berliner und Wiepersdorfer Romantik, passim. Ebenda, S. 8. Riley: Ludwig Achim von Arnims Jugend- und Reisejahre, S. 38. Schultz: Berliner und Wiepersdorfer Romantik, S. 12. Das Kritisierte »darf nicht durch scharfe Kritik ›vernichtet‹ und damit aus der unendlichen Progression ausgeschlossen werden, sondern ist in diesen geistigen Prozeß einzubinden« (ebenda). Arnim: Werke in sechs Bänden, Bd. 6, S. 796.

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Bettina von Arnim wird als politische Schriftstellerin später, in Berlin schreibend, aber von Wiepersdorf auch geprägt, auf ihre Art und Weise den Weg weitergehen, den ihr Ehemann eingeschlagen hat. Inmitten des Alltags auf seinem Landgut jedenfalls hat Arnim für die Romantik neue Tendenzen und Bereiche des Schreibens erschlossen und so dieser facettenreichen Bewegung eine weitere Facette hinzugefügt.

Barbara Becker-Cantarino

Phantastisches und Alltägliches: Zum poetischen Verfahren Bettine von Arnims

Bettine von Arnims eigentümliche Vermischung von Fakt und Fiktion, von Erlebtem, Erinnertem und willentlich und mutwillig Erfundenem sind für viele Zeitgenossen und spätere Literaturhistoriker ein Stein des Anstoßes, der Verwirrung und des autobiografischen Missverständnisses gewesen. Gleichwohl haben viele, besonders moderne Leser gerade aus dieser verwirrenden Mischung ihr Lesevergnügen gezogen und als postmoderne Schreibtechnik gewürdigt. In den folgenden Ausführungen möchte ich Bettine von Arnims Erschaffung einer literarisierten Welt in ihren Briefbüchern der 1830er und 1840er Jahre nachgehen und exemplarisch ein Bildprogramm mit seinen sprachlichen Metaphern als kreatives Strukturprinzip in diesen Briefbüchern untersuchen. Es ist meine These, dass Bettine von Arnims poetische Verfahrensweise in ihrer eigenwilligen und von ihr bewusst inszenierten Verschränkung von Lebenswelt und Phantastischem in der Aufbereitung historischauthentischer Texte liegt, um aus ihren Briefwechseln mit bekannten, zur Zeit der Abfassung ihrer Briefbücher jedoch bereits verstorbenen Personen – Goethe, Karoline von Günderrode und Clemens Brentano – ein literarisches Werk zu schaffen. Diese Verschränkung von Lebenswelt und Literatur mit Textzeugen aus der nahen, eigenen Vergangenheit gestaltet sie mit Metaphernkomplexen, die ein Nebeneinander von alltäglichen Gegenständen und phantastischen Situationen darstellen. In der bipolaren Struktur der Metaphern verbindet Bettine von Arnim Alltägliches aus ihrer Lebenswelt mit poetisierten Situationen, Personen, Gegenständen, Gefühlen, Gedanken oder Träumen. Nun ist die Verbindung von Alltäglichem und Phantastischem, von Realität und Fiktion das Kennzeichen einer jeden Literatur, jedoch sind die poetologischen Mittel, Ziele und Bedeutung dieser Verbindung höchst unterschiedlich; bekanntlich galt für die Romantiker programmatisch der Vorrang des Phantastischen, der Dichtung, vor dem Alltäglichen, vor der Realität.1 Auch Bettine von Arnim ging mit der Strukturierung ihrer Briefbücher von der kreativen Verbindung von ›Dichtung und Wahrheit‹2 nach dem von ihr bewunderten Goetheschen Vorbild aus. Sie schaltete frei mit der Chronologie der Briefe und einigen biografischen Details, sie wich von einem festen, erkennbaren Zeitgerüst (wie es die zeitgenössischen Biographien oder Briefausgaben erforderten) ab, und sie verlegte das Geschehen in eine romantische 1

2

Der Biograf Fritz Böttger: Bettina von Arnim. Ein Leben zwischen Tag und Traum (1986) betont ebenfalls die Dichotomie und Vermischung von Realität und Traum. Wolfgang Bunzel: Bettine von Arnims poetisches Verfahren beschreibt, wie Bettines Dichtung im Spannungsfeld der beiden Pole von ›Wahrheit und Dichtung‹ angesiedelt ist, S. 7–8.

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Szenerie, in die sie sich selbst »heroisch stilisierte«.3 Authentische Briefe aus den realen Korrespondenzen standen ihr jeweils nur sehr lückenhaft zur Verfügung4; diese (heute nur teilweise nachzuweisenden) Briefe hat Bettine von Arnim frei erweitert, umstrukturiert, umdatiert, eigene und auch Briefpassagen anderer Korrespondenten hineinverwoben, so dass noch Hartwig Schultz von einer »wuchernden Arbeits- und Dichtungsweise«, einem »formlosen Wortstrom« und einer »spontanen Dichtungsweise, die sich an der Produktivität der Natur« orientiere, gesprochen hat.5 Jedenfalls sind die Briefbücher als konstruierte, narrative Kreation der Autorin, die bekannten Personen darin als Kunstfiguren – nicht als historisch authentische Porträts – zu betrachten. Hier ein Beispiel elaborierter Konstruktion und (Selbst)Stilisierung zwischen Alltäglichkeit und Poetisierung aus Die Günderode (1840). In einer anfänglichen Passage von Die Günderode schreibt die Kunstfigur Karoline »An die Bettine« und zeichnet ein Bild von Bettines Zimmer, das Bettines »Mutwillen« und ihre von anderen getadelten »Inkonsequenzen« illustrieren.6 Die Zimmerbeschreibung wird eingeleitet mit einem Goethe-Zitat, den ersten drei Versen des Gedichtes »Mut« (1798 unter diesem Titel). »Mutwille« ist das Thema der folgenden Zimmer-Beschreibung: »Sorglos über die Fläche weg, wo vom kühnen Wager die Bahn Dir nicht vorgegraben Du siehst.« – immerhin nur das einzige tue mir, und fange nicht alles unter einander an, in Deinem Zimmer sah es aus wie am Ufer, wo eine Flotte gestrandet war. Schlosser wollte zwei große Folianten, die er für Dich von der Stadtbibliothek geliehen hat, und die Du schon ein viertel Jahr hast, ohne drin zu lesen. Der Homer lag aufgeschlagen an der Erde, dein Kanarienvogel hatte ihn nicht geschont, deine schöne erfundne Reisekarte des Odisseus lag daneben und der Muschelkasten mit dem umgeworfnen Sepianäpfchen und allen Farbenmuscheln drum her, das hat einen braunen Fleck auf Deinen schönen Strohteppich gemacht, ich habe mich bemüht alles wieder in Ordnung zu bringen. Dein Flageolet was Du mitnehmen wolltest und vergeblich suchtest, rat, wo ich’s gefunden habe? – im Orangenkübel auf dem Altan war es bis ans Mundstück in die Erde vergraben, du hofftest wahrscheinlich einen Flageoletbaum da bei Deiner Rückkunft aufkeimen zu sehen, die Liesbet hat den Baum übermäßig begossen, das Instrument ist angequollen, ich hab es an einen kühlen Ort gelegt, damit es gemächlich wieder ein trocknen kann und nicht berstet, was ich aber mit den Noten anfange die daneben lagen das weiß ich nicht, ich hab sie einstweilen in die Sonne gelegt, vor menschlichen Augen darfst Du sie nicht mehr sehen lassen, ein sauberes Ansehen erhalten sie nicht wieder. – Dann flattert das blaue Band an Deiner Gitarre, nun schon seitdem Du weg bist, zum großen Gaudium der Schulkinder gegenüber, so lang es ist zum Fenster hinaus, hat Regen und Sonnenschein ausgehalten und ist sehr abgeblaßt, dabei ist die Guitarre auch nicht geschont worden, ich hab die Liesbet ein wenig vorgenommen, daß sie nicht so gescheut war das Fenster zuzumachen hinter den dunklen Plänen, sie entschuldigte sich, weils hinter den grünseidnen Vorhängen versteckt war, da doch so oft die Türe aufgeht, die Fenster vom Zugwind sich bewegen. Dein Riesenschilf am Spiegel ist noch grün, ich hab ihm frisch Wasser geben lassen, Dein Kasten mit Hafer und was sonst 3 4

5 6

Ebenda, S. 10. Siehe »Originale Briefe« zu Die Günderode in der von Heinz Härtl besorgten Ausgabe, S. 827–840 und »Quellen« in: Bettine von Arnim: Werke und Briefe, Bd. 1, S. 1102–1108. Schultz: Der Umgang der Brentano-Geschwister, S. 256. Es ist der 4. (im Text weder nummerierte noch datierte) Brief, der zweite von der GünderodeFigur; Bettine von Arnim: Werke und Briefe, Bd. 1, S. 310.

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noch drein gesäet ist, ist alles durcheinander emporgewachsen, es deucht mir viel Unkraut drunter zu sein, da ich es aber nicht genau unterscheiden kann, so hab ich nicht gewagt, etwas auszureißen, von Büchern hab ich gefunden auf der Erde, den Ossian, die Sacontala, die Frankfurter Chronik, den zweiten Band Hemsterhuis, den ich zu mir genommen habe, weil ich den ersten Band von Dir habe, im Hemsterhuis lag beifolgender philosophischer Aufsatz, den ich mir zu schenken bitte, wenn Du keinen besondern Wert darauf legst, ich hab mehr dergleichen von Dir, und da Dein Widerwille gegen Philosophie Dich hindert ihrer zu achten, so möchte ich diese Bruchstücke Deiner Studien wider Willen beisammen bewahren, vielleicht werden sie Dir mit der Zeit interessanter. Siegwart, ein Roman der Vergangenheit, fand ich auf dem Klavier das Tintenfaß draufliegend, ein Glück daß es nur wenig Tinte mehr enthielt, doch wirst Du Deine Mondschein-Komposition über die es seine Flut ergoß, schwerlich mehr entziffern. Es rappelte was in einer kleinen Schachtel auf dem Fensterbrett, ich war neugierig sie aufzumachen, da flogen zwei Schmetterlinge heraus die Du als Puppen hineingesetzt hattest, ich hab sie mit der Liesbet auf den Altan gejagt, wo sie in den blühenden Bohnen ihren ersten Hunger stillten. Unter Deinem Bett fegte die Liesbet Karl den Zwölften und die Bibel hervor, und auch – einen Lederhandschuh, der an keiner Dame Hand gehört, mit einem französischen Gedicht darin, dieser Handschuh scheint unter Deinem Kopfkissen gelegen zu haben, ich wüßte nicht daß Du Dich damit abgibst französische Gedichte im alten Styl zu machen, der Parfüm des Handschuh ist sehr angenehm und erinnert mich und macht mir immer heller im Kopf, und jeden Augenblick sollte mir einfallen, wo des Handschuh Gegenstück sein mag; indes sei ruhig über seinen Besitz, ich hab ihn hinter des Kranachs Lukretia geklemmt, da wirst Du ihn finden, wenn Du zurückkommst; zwei Briefe hab ich auch unter den vielen beschriebenen Papieren gefunden noch versiegelt der eine aus Darmstadt, also vom jungen Lichtenberg, der andre aus Wien. Was hast Du denn da für Bekanntschaft? – und wie ist’s möglich wo Du so selten Briefe empfängst, daß Du nicht neugieriger bist, oder vielmehr so zerstreut. – Die Briefe hab ich auf Deinen Tisch gelegt. Alles ist jetzt hübsch ordentlich, so daß Du fleißig und mit Behagen in Deinen Studien fortfahren kannst.7

Mit der anschaulichen Metapher eines »Ufers, wo eine Flotte gestrandet war« wird hier das Bild bunter Unordnung in einem Zimmer präsentiert. Dieses unordentliche Zimmer ist selbst eine poetische Metapher für das alle Ordnung und Begriffe sprengende »geborne Genie« der Bettine-Figur, über dessen »sogenannte Inkonsequenzen« man allgemein klage. Die Autorin bzw. der Text suggeriert hier zunächst heilloses Durcheinander des Zimmers, präsentiert dann aber in den einzelnen, realen Gegenständen ein bedeutungsvolles Programm: die Bücher stehen für Lesen, Literatur, Bildung und Reisen, dabei sind die »Folianten« der Gelehrtenkultur, mit dem Namen Schlosser8 der männlichen Bildung zugeordnet. Mit »Homer« und der »Reisekarte des Odisseus« wird ein dilettantisch-subjektiver, respektloser Umgang mit der Klassik evoziert, was mit dem konkret-alltäglichem Bild: »Dein Kanarienvogel hatte ihn nicht geschont« noch subtil erweitert wird. Der Kanarienvogel, einmal Spielzeug und zum anderen Vertreter der lebendigen Natur, steht als Signifikant für die Lebenswelt des »Genies« und repräsentiert einen Gegenpol zu der eher leblosen, und damit entwerteten Klassik. Das »umgeworfene Sepianäpfchen und alle Farbenmuscheln« verweisen auf die (unfertigen) Malerei-Versuche der Bettine-Figur, das 7

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Ebenda, S. 310–312. – Der Stellenkommentar in dieser Ausgabe sowie besonders der in der Ausgabe von Härtl haben wertvolle Erklärungen für diese Passage geliefert. Johann Friedrich (Fritz) Heinrich Schlosser (1780–1851), Advokat, später Oberschul- und Regierungsrat, unterrichtete Bettine von Arnim im Italienischen.

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»Flageolet« (Flöte) im »Orangenkübel« auf abgebrochene Musik-Übungen – die Autorin Bettine von Arnim nahm Mal-, Gesangs- und Musikunterricht und produzierte eine Reihe von Zeichnungen (darunter den Entwurf für ihr Goethe-Denkmal) und Lied-Kompositionen, die jedoch nicht professionell sondern als dilettantisch verstanden wurden. Die konkret beschriebene, alltägliche Misshandlung des Musikinstrumentes spielt auf diesen Dilettantismus an: »Bis ans Mundstück in die Erde vergraben«, »die Liesbet hat den Baum übermäßig begossen, das Instrument ist aufgequollen« und die »Noten« sind zum Trocknen »einstweilen in die Sonne gelegt.« Die Rettungsaktion der Günderode-Figur, die ja das Zimmer leidlich aufräumt, deutet auf den ordnenden, dichterischen Einfluss der Günderode-Figur, eins der zentralen Themen in der Poetisierung der freundschaftlichen Beziehung der beiden Figuren. In einem zweiten, durch Gedankenstrich abgesetztem Teil erweitert bzw. variiert der Text das Thema der von der Bettine-Figur mutwillig behandelten Künste – Musik und Literatur – mit der Natur als Kontrastfolie in einer weiteren Bildfolge alltäglicher Details: die »Guitarre« – das »blaue Band« eine Anspielung auf die »blaue Blume« der Romantik – im Fenster ist von Regen und Sonnenschein »abgeblaßt«, die »günseidenen Vorhänge«, der » Zugwind«, »Riesenschilf am Spiegel«, der »Kasten mit Hafer« mit viel »Unkraut« – unordentliche aber lebendige Natur. Die realistische mit kultureller Bedeutung unterlegte Schilderung setzt das Bild des Zimmers als Stillleben – ein bis ins späte 18. Jahrhundert beliebtes Genre der Malerei fort. Bettine von Arnim greift in ihre Literarisierung des Alltäglichen auch immer auch Formen und Topoi aus der kulturellen Tradition zurück. In der Tradition des 18. Jahrhunderts waren auch die Zimmerbeschreibungen als sog. »ZimmerReisen« ein beliebter literarischer Topos, den Bettine von Arnim sicher kannte, etwa aus der detaillierten Zimmer-Darstellung »Antwort auf Fragen nach meinem Zimmer« in der Zeitschrift Pomona (1783) ihre Großmutter Sophie von La Roche. In der weiteren Ausfabelung des Zimmers als Stillleben nennt die KarolineFigur – im Anschluss an das »Unkraut« im (Saat)Kasten –»auf der Erde« liegende Bücher: »den Ossian, die Sacontala, die Frankfurter Chronik, den zweiten Band Hemsterhuis«9 und spielt damit auf Kult-Themen der Romantik an: Sagen, Indien, Mittelalter und neuplatonische Philosophie, den (eigenen) philosophischen Aufsatz der Bettine-Figur. (Die Lektüre auch philosophischer Texte war bekanntlich die gemeinsame Beschäftigung von Karoline von Günderrode und Bettine Brentano.) Das Nebeneinander in diesem Zimmer-Stillleben von »Unkraut« und »auf der Erde« liegenden Büchern wirkt wie ein (beabsichtigtes?) Signal der Fragwürdigkeit dieses Stilllebens, wirkt dubitativ auf den Leser.10 Die Günderode-Figur erwähnt dann auch den »Widerwille[n] gegen Philosophie« und nennt den Aufsatz der Bettine-Figur »Bruchstücke Deiner Studien wider Willen«. Weiter kommen in den 9

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»Ossian« wurde bekanntlich als populärer Volksdichter von der Romantik rezipiert; mit »Sakontala« – ein Drama des indischen Dichter Kalidasa, übersetzt aus dem Englischen von Georg Forster – wird ›Indien‹, mit der ›Frankfurter Chronik‹ werden die Heimatstadt und das Mittelalter evoziert; Hemsterhuis war ein Lieblingsphilosoph der Karoline von Günderrode. Vgl. Bunzel: Bettine von Arnims poetisches Verfahren, S. 11.

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Blick »Siegwart, ein Roman der Vergangenheit«, ein Tintenfass auf dem Klavier, dessen vergossener Inhalt die »Mondschein-Komposition« der Bettine-Figur unleserlich gemacht hat, und zwei Schmetterlinge, die aus einer Pappschachtel entweichen. Das scheinbar zufällige Nebeneinander dieser konkreten Objekte – die Repräsentanten von Literatur/Kultur und Natur sind, wird mit einer alltäglichen, realistischen kleinen Szene abgeschlossen: »Da flogen zwei Schmetterlinge heraus, die Du als Puppen hineingesetzt hattest, ich hab sie mit der Liesbet auf den Altan gejagt, wo sie in den blühenden Bohnen ihren ersten Hunger stillten.« Die konkrete Schmetterlings-Szene11 dient wohl auch als Metapher und scheint das Primat der lebendigen Natur über die (Buch)-Kultur zu bezeichnen, denn dann »fegt die Liesbet« ein Geschichts-Werk (Voltaires) und eine Bibel unter dem Bett hervor, eine Evozierung von Geschichte und Religion, recht plakativ unter dem Bett verstaubt und versteckt. Dennoch bleiben die inhärenten Wertungen der konkreten Gegenstände in ihrem (von der Autorin konstruierten) Nebeneinander ambivalent. Es gehört zur narrativen Technik der Autorin Bettine von Arnim die Infragestellung des Erzählten, das Nebeneinander mehrerer Versionen und Wertungen und die Variation der Motive und Bilder. Sie umgeht eine logische (und oft auch chronologische) Verbindung der realen Objekte und reiht deren Bilder assoziativ aneinander. Die letzten Objekte in dem Bild des unordentlichen Zimmers sind ein Lederhandschuh mit einem französischen Gedicht darin, ein identifiziertes Bild aus der großen Tradition12 und Briefe mit der Anspielung auf eine namentlich benannte Herrenbekanntschaft13 – es sind alltägliche, konkrete Gegenstände aus dem Leben der Bettine-Figur, sie wirken jedoch künstlich platziert wie theatralische Requisiten, sie sind zugleich literarische Topoi und Bilder. Die Frage der Günderode-Figur: »Was hast Du denn da [in Wien] für Bekanntschaft?« beendet die Bildfolge, eine assoziative Aufnahme des Freundschaftsthemas. Der narrative Situierung der Zimmer-Beschreibung ist so konstruiert, dass die Günderode-Figur alle Bilder in diesem Zimmer dialogisch in der Anrede an die Briefempfängerin, die Bettine-Figur, präsentiert; diese Technik stimuliert und involviert das Interesse des Lesers. Abschließend fasst die Autorin noch einmal die Bedeutung des Zimmers in eine Metapher, es drücke »wie ein optischer Spiegel Deine aparte Art zu sein [aus], weil es Deinen ganzen Charakter zusammenfaßt« – in Abwandlung der (bis ins 18. Jahrhundert zumeist religiös verstandenen SpiegelMetapher) als Abbild der Seele, dann umgedeutet zum Gleichnis der Künstlerseele,14 eine Metaphorisierung, die ja auch die Einleitung zu dieser ausufernden 11

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Die Verwandlung der Raupe in einen Schmetterling ist ein beliebtes Thema im 18. Jahrhundert, auch auf Kupferstichen, wie z.B. die Buchillustration zum zweiten Band der Romans Liebehütten (1804) von Sophie von La Roche, siehe Becker-Cantarino: Meine Liebe zu Büchern, S. 199f. »Kranachs Lukretia« meint wohl den Holzschnitt »Lukretia« (1518) von Lucas Cranach d. Ä. »Der junge Lichtenberg« meint Ludwig (Louis) Christian Christoph von Lichtenberg (1784– 1845), Sohn des Hessen-Darmstädtischen Staatsministers, der 1806 als Accessoire in Darmstadt tätig war und um 1805 mit Bettine Brentano bekannt wurde. Siehe Langen: Zur Geschichte des Spiegelsymbols in der deutschen Dichtung.

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Barbra Becker-Cantarino

Bildfolge des unordentlichen Zimmers suggeriert hat: »Du [Bettine] bist gebornes Genie« (310). Die Bildsequenz des unordentlichen Zimmers wird umrahmt von der Verbildlichung des Zimmers als Spiegel, als Abbild des Charakters bzw. der Autorin als »Genie« – eine Selbststilisierung und Identifizierung der Autorin Bettine von Arnim. In der Metaphorisierung fällt auf, dass die Autorin ihre Bilder zumeist aus dem Alltäglichen, aus ihrer Lebenswelt nimmt, die Gegenstände ihres Zimmers (die zwei großen Folianten, die umgeworfenen Sepianäpfchen, das angequollene Flageolet, die grünseidenen Vorhänge, Schachtel auf dem Fensterbrett) werden verlebendigt. Dabei ist besonders die (zivilisierte) Natur, aus der die Autorin ihre Bilder nimmt (der Orangenkübel, der Kanarienvogel im Käfig, der Pflanz-Kasten, die blühenden Bohnen, das Riesenschilf am Spiegel). Die alltäglichen Dinge erhalten eine Bedeutung, oft nur assoziativ, werden lebendig im Sinne von Schleiermachers religiös inspirierter Hermeneutik (wohl nicht von Schellings Naturphilosophie), wie schon Hartwig Schultz angedeutet hat (ohne es jedoch näher auszuführen).15 Ich habe absichtlich von Bildern, Bildfolge als poetologischen Metaphern (als Sinnbilder, Bilder mit von der Autorin unterlegter Bedeutung) gesprochen, nicht von Symbolen. Wie die neuere (von der Linguistik beeinflusste) Forschung betont, sind poetologische Metaphern angesiedelt zwischen Sprache und Kognition16, Ausdruck kreativer, vom Autor strukturierter, oft ambivalenter Bedeutungsebenen. Dagegen waren Symbole – im Sinne einer essentiellen Verschmelzung von Sein und Sprache im Goetheschen Verständnis – lange en vogue in der Germanistik; dieses Verständnis von essentieller Bildlichkeit erscheint heute zu nebulös und ›geistesgeschichtlich‹. Bettine von Arnims Stil zeichnet sich durch den Gebrauch konzeptioneller Metaphern aus, deren Quellbereich und Bildspenderbereich alltägliche Gegenstände sind, nicht die gelehrte Tradition. Katrin Kohl hat darauf hingewiesen, dass Metaphernkomplexe, die seit Platon zur Legitimierung der Philosophie dienen, im 18. Jahrhundert in der Debatte um rationalistische und irrationalistische Dichtungsvorstellungen bedeutsam werden, unter anderen die Gegensatzpaare männlich / weiblich, öffentlich / privat, Kopf / Herz, Kunst / Natur.17 Bettine von Arnims Metaphernkomplexe in ihren Briefbüchern stammen aus den Bereichen des Privat-Persönlichen, nicht des Öffentlich-Politischen. Mitunter stammen sie aus der öffentlich-gelehrten Sphäre oder antiken Tradition, die letzteren werden dann mit der Natur konfrontiert und ironisch abgewertet. Bettine von Arnims Vergleiche als Wortfiguren werden durch die Annäherung oder kontrastive Gegenüberstellung zweier Gegenstände oder Bilder erzeugt und erhöhen so Anschaulichkeit und Wirksamkeit eines Gedankens. Dabei spielt die Autorin mit der Beziehung von Ähnlichkeit zwischen dem wörtlich Gesagten und dem übertragen Gemeinten, sowie mit anderen Tropen wie zum Beispiel einer Beziehung von Nachbarschaft oder auch (ironischer) Gegensätzlichkeit. Konträr 15

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Schultz: Zu Bettines Nähe zu Schleiermacher; siehe Sabine Schormann: Bettine von Arnim. Die Bedeutung Schleiermachers. Katrin Kohl: Metapher, stellt die Metapher zwischen Kognition und Sprache vor. Kohl: Poetologische Metaphern, S. 562–570.

Phantastisches und Alltägliches

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(ironisch) werden besonders die Objekte der Hoch-Kultur von Bettine metaphorisiert: Siegwart ein Roman der Vergangenheit, die Mondschein-Komposition, der Handschuh mit dem französischen Gedicht. Die Naturbilder überwiegen in den Bildfolgen, jedoch sind es heterogene Vergleiche (seit Quintilian ist die gängige Definition der Metapher als »verkürzter Vergleich«), mal ist es eine Ähnlichkeit, die in einem gemeinsamen Dritten gegeben ist, mal ist es eher eine direkte Gleichsetzung der Relata. Diese eigenwillige, ungeordnete Vermischung der Metaphorik, die »Inkonsequenzen«, das »in die Runde laufen«, wie die Günderode-Figur (d. h. die Autorin) es charakterisiert hatte, war auch von Waldemar Oehlke als die sprachlichen Eigenheiten Bettine von Arnims beobachtet und als »dithyrambisch«, als Ausdruck von Begeisterung und Bewegung bezeichnet worden.18 Demgegenüber hatte Oehlke Karoline von Günderrodes Dichtung, aus der ja Bettine von Arnim eine Reihe von Original-Texten (fast) unverändert in ihr Günderode-Buch übernommen hat, als »ordnend und rhythmisch« chakterisiert.19 Diese Unterscheidung trifft auch das Pathos und das Emotionale ihrer Sprache gut. Als Autorin geht Bettine von Arnim von den realen Dingen, von Objekten und Personen ihrer Lebenswelt aus; sie geht induktiv, nicht systematisch oder philosophisch (etwa im Sinne des Idealismus oder Hegels – beide waren ja in den 1830er Jahren Zeitgenossen in Berlin) vor. Bettine von Arnim sympathisierte eher mit den (religions- und staatskritischen) Junghegelianern und deren Geniekult, schickte 1840 ein Exemplar ihres Günderode-Buches an David Friedrich Strauß und stand im Briefwechsel und Gespräch mit Moriz Carriere bei der Abfassung dieses Buches.20 Ob die Autorin mit ihrer Dichtung »die starren Grenzen des Faktischen« aufbrechen möchte (oder überhaupt konnte), wie Wolfgang Bunzel gemeint hat, sei dahingestellt bleiben.21 Was die authentische Intention eines Autors war, ist letztendlich nicht zu entscheiden, wohl aber welche stilistisch-sprachlichen Mittel der Autor benutzt hat, und wie der heutige Leser sie versteht und wertet. Mir scheint Bettine von Arnim in ihren Briefbüchern nicht unbedingt »die Realität hinter der Fassade der Fiktion sichtbar werden zu lassen«22, sondern eher umgekehrt: Bettine von Arnim gestaltet in der Metaphorisierung des Alltäglichen die Verschränkung von ihrer eigenen, subjektiven Lebenswelt und Dichtung. Darin scheint mir ein wichtiger Aspekt des spezifisch Dichterischen in Bettines Texten der Briefbücher zu liegen.

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Oehlke: Bettina von Arnims Briefromane, S. 330. Ebenda, S. 328. Härtl: Bettina von Arnim und die Junghegelianer, S. 220. Bunzel: Bettine von Arnims poetologisches Verfahren, S. 17. Ebenda.

Ursula Härtl

Bettinas musikalischer Alltag in München und Landshut 1808/09 Für Hille Baumgart

Im September 1808 begleitete Bettina ihren Schwager Friedrich Carl von Savigny, der in Landshut eine Professur angenommen hatte, und dessen Familie – das waren ihre Schwester Kunigunde und zwei Kinder – nach Landshut. Auch Clemens und Auguste Brentano gehörten zur Reisegesellschaft. Während sich Savigny in Landshut einrichtete, bezog die Familie eine Wohnung in der Münchner Rosengasse bei Elisabeth Moy de Sons aus Mainz, einer Bekannten der Großmutter Sophie von La Roche. Bettina blieb – unterbrochen von kurzen Besuchen in Landshut – fast ein Jahr lang in München, um Gesang und Komposition zu erlernen. Seit ihrer Kindheit hatte sie Musikunterricht, Gesang und Klavier, das gehörte zur Grundausstattung gebildeter junger Damen. Über ihre pianistischen Fähigkeiten ist nichts bekannt. Das Klavier tritt nur als Begleitinstrument in Erscheinung oder wenn es darum geht, Generalbass, d.h. Harmonielehre, zu betreiben, und dann natürlich beim Komponieren. Singen dagegen ist ihre Leidenschaft. Berichten zufolge war sie mit einer knabenhaft kräftigen Altstimme begabt, die bis in tiefe Tenor- und hohe Sopranlagen reichte. Am 16. September 1806 schrieb ihre Schwester Meline an Savigny: »Tieck hat ihren Gesang über alles erhoben, er sagte in Italien habe er keine schönere Stimme gehört.«1 In Frankfurt hatte sie Anfang 1808 das Stabat Mater von Pergolesi gesungen, was sie vermutlich auf die Idee brachte, ihre Stimme ausbilden zu lassen. Spätestens seitdem interessierte sie sich für Alte Musik, konkret: italienische Barockmusik. Bald nach ihrer Ankunft in München suchte sie nach einem geeigneten Gesangslehrer, fand aber alle empfohlenen »unerträglich methodisch in der Musick«2, eine andere Lehrerin machte ihr wenig Hoffnungen auf Erfolg, ein weiterer versprach ihr eine »große Musick«, was aber anscheinend im Sande verlief.3 Bettina ließ sich nicht beirren, machte trotzdem weiter, wollte nun zunächst komponieren und erbat von Arnim geeignete Textvorlagen. Viel Zeit und Ruhe hatte sie allerdings nicht, da sie sich in den ersten Monaten auch um die Savignyschen Kinder kümmern musste und zahlreiche interessante Bekanntschaften pflegte, worauf hier nicht eingegangen werden kann.

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Bettina von Arnim: Koboldchen. Die junge Bettina. Briefwechsel 1796–1811, Brief Nr. 82. Ebenda, an Arnim, 9. Oktober 1808, Brief Nr. 438. Ebenda, Arnim, 25. Oktober 1808, Brief Nr. 446.

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Ursula Härtl

1. Bettinas musikalische Studien bei Peter von Winter Ende November 1808 lernte Bettina den Kapellmeister Winter in München kennen, wo und wie, ist nicht bekannt. Nicht auszuschließen ist, dass sie ihm am 23. November auf einem Ball der Museumsgesellschaft begegnet ist, vielleicht aber auch bei einer der sonntäglichen Musiken der königlichen Kapelle, die sie regelmäßig besuchte. Winter war von ihrer Stimme beeindruckt und verglich sie mit der der italienischen Sängerin Giuseppina Grassini. So schreibt Bettina jedenfalls an Arnim4 – ob es stimmt oder ob sie dem Freund, der die Sängerin 1804 in London verehrt hat, imponieren wollte, wissen wir nicht. Winter bot an, ihre Stimme auszubilden, stellte kostenlosen Unterricht in Aussicht und versprach alte Musik. Das war für Bettina Grund genug, von Landshut, wohin sie Anfang Dezember mit der Familie gereist war, bald nach München zurückzukehren. Sie richtete sich mit einem Kammermädchen in dem schon vertrauten Quartier bei der Familie Moy ein und nahm Gesangs- und Kompositionsunterricht bei Winter, nicht kostenlos, sondern für 44 Florin monatlich. Über den Lehrer urteilte Bettina in einer späteren Niederschrift zu Goethe’s Briefwechsel mit einem Kinde: Der alte Kapellmeister Winter ist keine interessante Erscheinung […], er liebt die Franzosen und componirt fortwährend Märsche für sie, das bringt ihn ins Musickalische Feuer. alle Tage wenn ich zu ihm komme spielt er mir einen Marsch, nichts ist ihm feurig genug; sie müssen siegen sagt er da müssen Trompeten und Pauken drein wettern. alle Morgen um 6 Uhr besuche ich ihn da sizt er in der Laube beim Kaffee und zanckt sich mit seiner Frau um Die Haut auf der Milch; wenn ich komme muß ich den Streit schlichten, dann gehen wir zusammen auf den Taubenschlag, der Kolloß und ich da sitzt er gar zu gern gebückt, und ich bei ihm oft eine Stunde eh ich ihn bewegen kann mit mir zum Klavier zu gehen.5

Peter von Winter, 55 Jahre alt, war seit 1798 Hofkapellmeister in München, erfolgreicher Opernkomponist und ein gesuchter Lehrer. Als Person sehr eigenwillig, wie ihn Louis Spohr, der den Maestro 1807 in München besucht hat, beschreibt: »W i n t e r , von colossalem Körperbau, begabt mit riesiger Kraft, war dabei furchtsam wie ein Hase. Bei geringfügiger Veranlassung leicht in Zorn aufbrausend, ließ er sich doch wie ein Kind lenken«.6 Bettinas Klavierlehrer wurde Sebastian Bopp, der alle Tage kam, ihr »lection im Clavier« zu geben. Sie bezeichnete den 47jährigen Lehrer als »gar ehrliche[n] alte[n] Mann«.7 Aus Mannheim stammend, ist er im Churfürstlich-Pfalzbaierischen Hof- und Staatskalender auf das Jahr 1802 unter den Hofmeistern des Kurprinzen als »Lehrer der Musik8 sowie als »Kammermusicus«9 in der Abteilung Vokalmusik erwähnt. 4 5 6 7 8 9

Ebenda, 2. Dezember 1808; Brief Nr. 482. Ebenda, A.7. Spohr: Selbstbiographie, S. 113. Bettina von Arnim: Koboldchen, an Savigny, 9. Februar 1809; Brief Nr. 511. Hof- und Staatskalender auf das Jahr 1802, S. 45. Ebenda, S. 18.

Bettinas musikalischer Alltag

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Bettina betrieb ihre Studien mit großem Eifer, in ihrer Wohnung war sie weitgehend ungestört, konnte ihre Lehrer zum Unterricht empfangen und ungehindert üben. Ihre Hausfrau war ihr freundlich zugetan und ließ sie gewähren: ich hab meinen Tag so mit Musick besezt, daß ich gegen Abend immer so müde bin immer die Correspondenz auf den andern Tag zu verschieben, Winter Der alte Eisbaer kommt alle Morgen richtig 2 Stunden, wo ich nichts wie Scala und alte Lamentationen singe, nach her Spiel ich gewiß noch 2 Stunde Clavier auch mancherlei seze ich auf Noten.10

Am 9. Februar 1809 berichtete sie erste Erfolge an Savigny: »meine Stimme erweitert sich sehr so wohl in die Höhe als in die Tiefe, er studiert mir jezt die Proserpina ein. Morgens wird imer noch lauter Solfege gesungen, Abends kommt er auch, von halb 7ben bis 8 Uhr«.11 Eine stark verniedlichende Beschreibung des Gesangsunterrichts gibt im Nachhinein Ludwig Emil Grimm, der Bettina als Neunzehnjähriger in jener Zeit oft besuchte und gelegentlich Zeuge der Veranstaltung war: Am schönsten war es, wenn der alte kolossale Kapellmeister W i n t e r kam und ihr Singunterricht gab. Wenn er kam, sagte sie ihm so viel Artigkeiten, daß der alte Riese ganz freundlich wurde, sich ans Klavier setzte und nun anfing, auf dem Klavier herumzuschlagen und mit den großen Händen darauf loszuhämmern, daß jedesmal nachher der Flügel verstimmt, oft auch die Saiten gesprungen waren. Wenn sie nun neben ihm stand und sang, so sah sie aus wie ein klein Kind, da stellte sie sich einen Stuhl hinter ihn und stieg hinauf und schlug mit einer Rolle Noten den Takt auf seinem großen Kopf, der reichlich mit weißen Haaren bedeckt war, die aber abstanden wie bei einem Stachelschwein und auch so hart wie Schweineborsten waren. Neben ihm stand seine ebenfalls kolossale Schnupfttabaksdose, aus der er sehr häufig Prisen nahm, aber doch so viel daneben kommen ließ, daß, wenn er nach der Unterrichtsstunde aufstand, man genau die Form seiner großen Füße auf dem Boden sehen konnte. Manchmal wurde er über der B e t t i n e ihren Mutwillen, besonders aber über das Taktschlagen auf seinem Kopfe mißmutig und stand erzürnt auf und wollte gehen. Wie der Blitz aber hatte die Bettine die Türe schon abgeschlossen, besänftigte ihn und ließ ihn nicht zu Worte kommen, und nach einem Glas Zuckerwasser, das sie ihm recht süß machte, hörte der Vulkan auf zu toben, setzte sich, und die Stunde nahm wieder ihren Fortgang.12

Seit etwa März 1809 kam Winter nicht mehr zum Unterricht ins Haus, und für Bettina wurde es unbequemer. Sie musste früh aufstehen und eine halbe Stunde zu ihm laufen, da er in einem Grundstück im Schönfeld, am Englischen Garten wohnte. Der Unterricht begann um 6 Uhr, um 8 war sie wieder in der Stadt. Abends ging sie noch einmal hin. Das hatte den Vorteil, dass sie nun auch mit anderen Schülern bekannt wurde – insbesondere mit Peter Lindpaintner, der seit 1806 bei Winter Komposition studierte. 10

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Bettina von Arnim: Koboldchen, an Arnim, 18. Januar 1809; Brief Nr. 500; Scala: Tonleitern, Gesangsübungen; Lamentationen: Klagelieder, im einzelnen nicht bekannt. Ebenda, Brief Nr. 511; Proserpina: Titelrolle in Winters Oper Der Raub der Proserpina; Solfege: Solfège (ital. solfeggio): Gesangsübungen zur Schulung von Gehör und Treffsicherheit. Grimm: Erinnerungen aus meinem Leben, S. 108f.

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Ursula Härtl

Seit dem Frühjahr 1809 sang sie Psalmen13 von Benedetto Marcello, über die sie an Arnim enthusiastisch schrieb: Marzellos psalmen die legen goldne Fesseln an mich sie klingen aber auch wies reinste Metall; und doch lieber Arnim so sehr ich durchdrungen bin vom innersten Geist vom Leben Dieser Musick, so daß mir die Töne schon in der Gurgel beben so gelingt es mir doch höchst selten sie so zu singen daß sie mich wieder ansprechen, wie oft ganz hart Tod wie dürres Holz. daß kränckt mich dann nicht wenig; ich meine gleich nie was zu lernen für opern Musick bin ich nun gar verdorben keine gehörige Geschmeidigkeit keine Pasagen und Läufe, wollen durch die Kehle; höchstens Triller, und die noch so rauh so unverständlich wie das junge Rabengeschrei.14

Ganz anders und etwas distanzierter schrieb sie darüber am 15. Mai an Goethe: »mitten im Entzücken über Marcellos Psalmen […], die ich singe, und die herrlich sind fühle ich oft einen Trieb grade mit Dir mich zu beschäftigen. Dann spreche ich mich gegen Dich Aus, wie es Die Stunde mit sich bringt.«15 In der Arnim-Bibliothek sind sieben Hefte (1, 2, 4–8) der achtbändigen Ausgabe der ersten fünfzig Psalmen Benedetto Marcellos überliefert, die allesamt starke Benutzungsspuren aufweisen.16 Auf zwei Seiten des Psalms O Signor chi sará mai für Alt solo und Basso continuo im zweiten Band (S. CXLIIIf., Nr. 14) sind in fünf Zeilen mit Bleistift Generalbassbezifferungen eingetragen, die von Bettina stammen können. Sie wird also diesen Psalm nicht nur gesungen, sondern auch für ihre Harmonielehre-Übungen benutzt haben. Welche der ein- bis mehrstimmigen Psalmen sie außerdem mit einem kleinen Chor, »2 Sopran Alt Bass«17, gesungen hat, ist nicht bekannt. Bettinas Arbeitspensum war beachtlich: sie berichtete von täglich zweimal zwei Stunden Unterricht bei Winter, wobei wir nicht wissen, wie sie sich auf Gesang und Kompositionslehre verteilten und wie viel verplaudert wurde. Dazu kamen noch häusliche Übungen und Klavierunterricht. Bei geschätzt vier bis fünf Stunden intensiven Singens kann man sich leicht vorstellen, dass Bettina ihre Stimme stark strapazierte, immer wieder klagte sie über länger anhaltende Halsbeschwerden mit Husten, die sie am Singen hinderten und denen sie mit allerlei Hausmitteln beizukommen suchte. Sie schrieb es dem ungünstigen Klima zu, aber es wird wohl eher an ihrer Gesangstechnik gelegen haben. Es ist nicht bekannt, dass sie zuvor eine professionelle Ausbildung erfahren hat, sie hat gesungen, weil sie es konnte, und meist, wie sie wollte, und wie gut Winter ihre Stimme gesangspädagogisch geschult hat, wissen wir nicht. Vermutlich hat er seine Schülerin unter donnernder Klavierbegleitung mit aller Kraft singen lassen. Dass er mit ihr auch schwierige Stücke probiert hat, die sie nicht bewältigen konnte, zeigt das Beispiel der Cassandra von Benedetto Marcello, einer Kantate für 13

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Estro Poetico-Armonico. Parafrasi Sopra li primi venticinque salmi. Poesia di Girolamo Ascanio Giustiniani. Musica di Benedetto Marcello. Bd. 1–8. Venezia: Lovisa 1724–1726; vgl. die Aufnahme von Cantus Cölln. CD: harmonia mundi 2000. Bettina von Arnim: Koboldchen, an Arnim, 3. Mai 1809; Brief Nr. 562. Ebenda, Brief Nr. 569. Klassik Stiftung Weimar, Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Sign. B gr 2620a-g. Bettina von Arnim: Koboldchen, an Arnim, 11. Juni 1809; Brief Nr. 576.

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Alt und Basso continuo, die ihr Winter am 13. Juni 1809 vorlegte. Das fast einstündige Werk nach Versen von Antonio Conti stellt höchste Anforderungen, verlangt einen Tonumfang von mehr als drei Oktaven und bewegt sich von der Bassbis zur Sopranlage, was für eine Altistin kaum zu schaffen ist. Hinzu kommen die im Barock üblichen Auszierungen, virtuos und ausdrucksstark in italienischer Manier.18 Es wird ein spontaner Einfall von Winter gewesen sein, vielleicht um seiner Schülerin die Grenzen des Möglichen zu zeigen. Bettina war höchst beeindruckt von dem Werk und schrieb am Tag danach an Arnim: gestern hab ich gesungen bei Winter, die Profezeihungen der Cassandra von Marzello componiert, aber, groß und herrlich ewig in die Höhe schwebend über alles Menschliche Elend (wenn es auch mit Zentnerschwehre sich an uns hängt) ist die Kunst und schweigt nicht in diesem Tumult und Verwirrung, sondern thut gleich andere ihr theil gewaltsam, sie wirft nieder alle verschanzungen der Noth, sie macht die Freiheit zur Luft die wir einathmen sie macht den Enthusiasmus zur Hüte in welcher wir wohnen ach und nun fehlt noch daß sie uns ihre Frucht (nehmlich Thaten der Überzeigung des Willens) zur Nahrung gebe, so mögte ja das Haupt in den Wolken wandlen, und Die Füse auf Erden, die Brust aber müste ein Abbild in sich tragen der reinen Wahrheit. […] Die ganze Musick hat mich so bewegt, daß ich etwas zu heftig sang, (obschon sie so schwehr daß wohl mehrere Monate dazu gehören, um ihr ganz alles zu geben was die Composition fordert, aber dann muß sich durch dringen) und ich habe wegen dieser Heftigkeit nun nötig ein paar Tage aus zuruhen.19

Bettina, gleichermaßen begeistert und erschöpft von dem Experiment, war danach länger indisponiert und kam nicht wieder auf das Werk zurück, sondern wandte sich leichteren, gefälligeren Stücken zu. Das waren insbesondere Duette20 von Francesco Durante, die sie erstmals kurz vor dem Cassandra-Erlebnis am 12. Juni 1809 in einem Brief an Arnim erwähnte.21 Mit den ersten Versen des Duetts Son io barbara donna, infida Clori (Ich bin es, grausames Weib, untreue Cloris ) – deutsch nacherzählt – begann sie Anfang Juli 1809 einen Brief an ihn und setzte fort: »Dieß ist ein Lied […] so unendlich schön, daß es einem die Seele vom Leib scheiden will«.22 Die melodischen und technisch nicht übermäßig schwierigen Duette, teils rezitativen, teils ariosen Charakters, waren in Unterricht und Kammerkonzerten beliebt und gehörten ebenso wie die Psalmen Marcellos bald zum Standardprogramm Bettinas. Wer ihre Gesangspartnerin war, ist nicht bekannt, möglicherweise war es die später erwähnte Altistin Maria Crescentia Valesi23.

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Vgl. die Aufnahme mit Kai Wessel (Countertenor) und David Blunden (Cembalo). CD Paris: æon 2010. Vmtl. 14. Juni 1809, mit freier Wiedergabe der Verse 297–328; Bettina von Arnim: Koboldchen, Brief Nr. 578. XII Duetti da camera basati su recitativi dalla cantate solistichi di A. Scarlatti per soprano, alto, basso continuo (12 Kammer-Duette nach Rezitativen aus Solokantaten von Alessandro Scarlatti für Sopran, Alt und Basso continuo. Vgl. Bettina von Arnim: Koboldchen, Brief Nr. 577. Ebenda, Brief Nr. 601; vgl. die Aufnahme mit dem Ensemble Concerto (1993). CD Bologna: Tactus 22002. Ebenda, an Savigny, Brief Nr. 618.

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2. Missverständnisse und Ende der Studien in München Im Juni 1809 bekam Bettina Gegenwind aus der Familie. Erst stellte Clemens ihre Gesangsstudien infrage, indem er ihr vorhielt, dass sie Goethe darüber vernachlässige: bedencke aufrichtig, wie du dem lokalen SingIntresse dein kostbares Leben opferst, du liebst unsern alten Göthe so, er liebt dich so herzlich, und er, der am Rande des Lebens steht, stirbt vielleicht plözlich hin, während du in München singst, ich hoffe nicht, daß du es dir, verzeihen könntest, seine lezten Jahre ohne ihn gelebt zu haben.24

Statt dessen empfahl er der Schwester, unter seiner und Arnims Obhut in Weimar zu leben – was ihr natürlich niemand erlaubt hätte. Dann folgten fatale Vorwürfe ihres Bruders Franz, der das Familienvermögen verwaltete und feststellen musste, dass die junge Dame viel mehr Geld (etwa das Doppelte) ausgegeben hatte als ihr zustand, u. a. hatte sie sich für 366 Florin ein Klavier gekauft, und »f 40. für lauter theure weine«25 hatte sie auch noch ausgegeben. Franz fand das »ungeheuerlich«,26 er hatte Vorwürfe von seiner Bank bekommen, denn seine Schwester durfte nur über die Zinsen ihres Vermögens (höchstens 1300 Florin im Jahr) verfügen, nicht aber das Kapital selbst angreifen. Nun musste sie sparen und klagte ihrer Schwester Meline: »ist dieß nicht ein miserabeles Leben, und dabei wird man noch auf allerlei Art mißverstanden«27. Zudem plagten sie Zweifel an ihrer Münchner Existenz – Stadt und Klima behagten ihr ohnehin nicht, sie war unzufrieden mit ihren Lernerfolgen, wohl auch von Winter enttäuscht und sah wahrscheinlich in ihrer Ausbildung keine Perspektive. Eine Karriere als Sängerin kam nicht infrage, wenn sie auch einige Wochen später gegenüber Savigny ein wenig damit kokettierte. Es wäre gesellschaftlich unmöglich gewesen und hätte den totalen Bruch mit der Familie und den Freunden bedeutet. Das wollte sie nicht riskieren, statt dessen versicherte sie immer wieder, wie gern sie bei ihnen wäre, so hatte sie schon im April an Savigny geschrieben: »will ja lieber die Psalmen von Marzzello welche mich jezt entzüken in meinem Leben nicht wieder ansehen, als von Euch entfernt seyn, wenn Ihr bekümmert und unruhig seid.«28 Bettinas Perspektive konnte nur die Hausmusik sein. Ein öffentlicher Auftritt wäre für sie ein großer Erfolg gewesen, aber es ist nicht bekannt, dass Winter sie an einem Konzert beteiligte. Gepflegte Hausmusik konnte er ihr nicht bieten. Er musste seine Pflichten als Hofkapellmeister erfüllen, Unterricht geben, komponieren, und nebenher kümmerte er sich um Taubenzucht. Ihm dürfte von Anfang an klar gewesen sein, dass er mit Bettina keine künftige Hofsängerin ausbildete. Andererseits unterrichteten Musiker wie er normalerweise keine Laien mit solchem 24 25 26 27 28

Ebenda, etwa 20. Juni 1809; Brief Nr. 584. Ebenda, 26. Juni 1809; Brief Nr. 585. Ebenda, 14. Juli 1809, Brief Nr. 611. Ebenda, vmtl. 30. Juni oder 1. Juli 1809; Brief Nr. 592. Ebenda, etwa 20. April 1809; Brief Nr. 553.

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Aufwand. Der Maestro wird also eine Weile Freude an der eigenwilligen kleinen Enthusiastin gehabt haben, und ein wenig Geld nebenher konnte er auch brauchen. Aber letztlich wird ihm das Experiment doch zu viel Zeit gekostet haben. Bettina jedoch wünschte sich neben dem Unterricht auch musikalische Kommunikation, einen Freundeskreis, in dem sie als Sängerin brillieren konnte, in dem sich jemand für ihre Kompositionen interessierte, kurzum: sie fühlte sich einsam in München und schrieb am 30. Juni resigniert an Arnim: »es wär so arg nicht Clemens brächte mich nach Berlin ich wohnte bei dem Oncle Carl und Du kämst alle Tage zu mir, dort könnte ich auch Singen lernen, besser als bei Winter der so Faul geworden ist daß er mich verzweiflen macht, dort würde ich auch Gesunder seyn.«29 Etwa ab Juli 1809 reduzierte Bettina die Gesangsstunden und wandte sich stärker der Komposition zu. Am 29. Juli erwähnte sie »ein Quartet von blasenden Instrumenten«30, zudem beschäftigte sie sich mit einer Musik zu Goethes 1808 erschienenem ersten Teil des Faust. Doch nachdem sie »1Monat lang nicht gesungen während ich eine Chur brauchte«, berichtete sie wieder enthusiastisch vom Singen: »es geht mit vollen Seeglen ein Franziskaner, ein Weltgeistlicher die Mlle Valerie und ich, führen die herrlichsten Sachen auf, wobei die Nachbarschaft ihre Ohren Preiß giebt; denn manchmal ists aerger als in der Judenschuhle«.31 Zum ersten Mal werden beteiligte Personen genannt. Mit Mlle Valerie ist die Altistin Maria Crescentia Valesi gemeint, die seit 1806 Mitglied der Hofkapelle war. Wer der Franziskaner und der Weltgeistliche waren, konnte nicht ermittelt werden. Zu den »herrlichsten Sachen« gehörten gewiss die Psalmen von Marcello. Die Musik fand nicht bei Winter statt, wie ein nachträglicher Bericht an Goethe vermuten lässt: Ich wurde bissar genent, daß ich Täglich zweimal, zwar immer nur Diese Musick singen ließ; nach und nach gewann man Interesse, und da wir in einem Hauß sangen das auf einer öffentlichen Promenade stand, so sammelten sich unten oft viele Zuhörer, selbst der König und Königin gingen in den lezten Tagen die ich in München war, oft unter den Fenstern um zuzuhören.32

Indessen versuchten Savignys mit aller Kraft, sie zum Umzug nach Landshut zu bewegen, was sie am 14. August zu einer gewagten ›Grundsatz-Erklärung‹ veranlasste: meine Absicht ist durchaus keine Ruhe zu haben mein leben lang, ihr müst nicht dencken daß ich auch nur ein 4tel Jahr irgend wo seyn kann wo ich mich nicht weiter bringen kann, ich müste ja der gröste Narr seyn, wenn ich auf einmal aufhören wollte, nach dem ich mir so viel Mühe gegeben habe, ich will nicht Singen lernen, um singen zu können, sondern um ewig im Gesang zu leben äuserlich (im Ruhm) und innerlich, (in meinem Gefühl.) dazu gehört aber ein ewiges Studium, und wer mir hierin wiederspricht, der hat ein Feiges Einsehen in die Kunst, und in die Convenienz.33

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Ebenda, Brief Nr. 595. Ebenda, an Savigny; Brief Nr. 618; Komposition nicht bekannt. Ebenda, n dens., etwa 12. oder 13. August 1809; Brief Nr. 628. Ebenda, 19.–23. Oktober 1809; Brief Nr. 675. Ebenda, Brief Nr. 629.

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Trotzdem bereitete sie bald danach ihren Umzug in den Schoß der Familie vor. Winter hatte ihr versprochen, sie mit seinem Schüler Lindpaintner nach Landshut zu begleiten und einige Tage das Savignysche Landhaus auf dem Hofberg zu bewohnen. Wir wollen es als freundliches Hinweggeleiten seiner liebenswürdigen, anstrengenden Schülerin verstehen. Bettina bereitete die Reise, die zunächst nur als Besuch geplant war, akribisch vor. In mehreren Briefen an Savignys, halb Ernst/halb Spaß, gab sie Anweisungen für das Wohlbefinden des hohen Besuchs, die vom Klaviertransport bis hin zu Winters Vorliebe für »QuetschenKuchen«34 reichten. Sie freute sich darüber, dass ihr gewaltiger Lehrer sie begleitete, und ganz offensichtlich darauf, ihn der Familie zu präsentieren. Am 26. September 1809 traf die Reisegesellschaft in Landshut ein. Über den Aufenthalt ist wenig bekannt, und von gemeinsamer Musik, von »Psalmen singen daß es weit in den Wald erschallt, daß Die Laubfrösche sich unter unsern Fenstern versammlen,«35 nichts überliefert.

3. In Savignys Obhut in Landshut In Landshut fand Bettina, was sie in München vermisst hatte: Geselligkeit, Freunde und Bewunderer. Bei Savigny verkehrten Kollegen und Studenten, und der familiäre Hintergrund als Schwägerin des angesehenen, beliebten Professors machte es ihr leicht, Kontakte zu knüpfen. Aber zunächst musste sie sich umstellen, denn sie war nicht mehr so frei und ungestört wie in München. Die Familie wohnte im ersten Stock eines Eckhauses in der Landshuter Straße Neustadt 467, die Wohnung bestand aus acht Zimmern, davon lagen sieben in einer Reihe. Ihre Situation als musizierende Mitbewohnerin beschrieb sie Arnim am 9. Oktober: auf der einen Seite ist das Einquartirungs Zimmer hin verlegt auf der andern Savignys Studierzimmer, worin ihn Studenten besuchen, in der Mitte bin ich mit meinem Clavier, immer mit geheimem Aerger daß ich nicht Singen kann und mag wenn mir einer zufällig zuhören könnte, hab lauter so schwehre Musick daß ich sie allein nicht dirigieren kann, und bin halt unglücklich. kömmt Morgens und Abends die Stunde da ich ehmals gesungen habe, so befällt mich eine Schwehrmuth welcher ich nicht wiederstehen kann.36

Noch bevor Arnim am 21. Oktober auf ihre Klage über »Musickmangel«37 einging, war die »Schwehrmuth« bereits verflogen. Sie hatte Musiker, vor allem den Kanonikus Georg Joseph Eigendorfer, genannt Eixendorfer oder Eidexe, Komponist und Organist an der Stiftskirche, kennengelernt, der ihr Lehrer und Mittelpunkt ihres

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Ebenda, an Savigny, 20. September 1809; Brief Nr. 650. Ebenda, an Arnim, 25. August 1809; Brief Nr. 636. Ebenda, Brief Nr. 664. Ebenda, Brief Nr. 676.

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Musikkreises wurde. In der zweiten Oktoberhälfte teilte sie ihrer Schwester Lulu mit: hier in Landshut, wo ich mich nach Verhältniß, ziemlich gut befinde habe ich mir eine ganze Capelle zu sammen getrieben mit denen ich klingendes und Singendes Spiel Treibe, Wolf Eidexe Baer Lux sind ihre Nahmen noch einer heist Hunger, primo tenor und Zwiefel heist der Bassist, Eidexe ist ungefehr 60 Jahre alt ist vielleicht einer der schönsten Männer in ganz Baiern, dieser Dirigiert und lehrt mich Composition, er tragt ordinair schwarz samtne Hosen wie auch Wams und Kappe, am Sonntag hat er noch einen hellblauen Kragen um.38

Es wurden – wie zu erwarten – die Psalmen von Marcello und die Duette von Durante aufgeführt.39 Die Mitglieder der »Capelle« waren vor allem Jurastudenten, Schüler Savignys. Einige der Genannten ließen sich anhand der Matrikel40 identifizieren: »Wolf« ist vmtl. Max Wolf aus Ranfels, am 12. November 1807 als Jurastudent immatrikuliert; »Hunger« vmtl. der 1808 in Landshut promovierte Jurist Anton Hunger. Ob es sich bei den anderen um wirkliche Namen oder Spitznamen handelt, ist unklar. Zu dem Kreis werden auf jeden Fall Eigendorfers Schüler Alois Bihler, Karl von Gumppenberg und auch der erst im Dezember 1809 immatrikulierte Franz Xaver Nußbaumer gehört haben, nicht jedoch Max Prokop von Freyberg, mit dem Bettina erst später näher bekannt wurde. Wie lange die »Capelle« existierte, ist nicht bekannt. Insgesamt gestaltete sich Bettinas musikalischer Alltag in Landshut deutlich weniger anstrengend als in München, der Druck einer ehrgeizigen Gesangsausbildung war der Freude am Musizieren gewichen. Von Gesangsübungen ist nicht mehr die Rede, aber auch nicht von Exaltationen über interessante neue Musikstücke, und sie klagt nicht mehr über Halsschmerzen. Die Musik bei Eigendorfer und ihre Auftritte bei den geselligen Zusammenkünften in Savignys Haus, wo sie Kollegen und Studenten mit Liedern und eigenen Kompositionen begeisterte, beanspruchten sie nicht übermäßig. Bettina widmete sich in Landshut vor allem der Komposition, lernte neben dem Unterricht gemeinsam mit Alois Bihler die Regeln der Harmonielehre. Von ihm assistiert, komponierte sie an einer Ouvertüre zum Faust. Alois Bihler erlebte sie so: wir studirten und componirten nach Herzenslust und mit übereinstimmendem Geschmack. Einmal jedoch liefen unsere Ansichten weit auseinander. Bettina hatte nämlich die kühne Idee, eine Ouvertüre zu Faust komponieren zu wollen, und bestand darauf, hierbei der Trommel eine überragende Rolle anzuweisen, was ich begreiflicherweise nicht zugeben konnte, und so scheiterte das gewagte Projekt schon im Beginnen. Unwiderstehlich […] herrschte Bettina auf dem Gebiete des Gesanges. Hier entfaltete sie völlig ihre wunderbare Eigenthümlichkeit. Selten wählte sie geschriebene Lieder – singend dichtete sie und dichtend sang sie mit prachtvoller Stimme eine Art Improvisation. So zum Beispiel wußte sie in die einfach getragene Scala ebenso als in die ihr momentan entquellenden Solfeggien eine Fülle der Empfindsamkeit und des Geistes zu legen, daß ich hingerissen ihrem schöpferischen Genius lauschte.41 38 39 40 41

Ebenda, zweite Hälfte Oktober 1809; Brief Nr. 668. Vgl. an Goethe, 19.–23. Oktober 1809, Brief Nr. 675. Matrikel der Ludwig-Maximilians-Universität Ingolstadt-Landshut-München. Bihler: Beethoven und »das Kind«, S. 314f.

Ursula Härtl

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Gegenüber Arnim bekannte sie Mitte Februar 1810: meine Kentniß reicht meiner Fantasie das Wasser nicht also daß diese verdursten muß, obschon ich nun mit ausgezeignetem Fleiß alle Tage zwei Stund mit dem Lehrer arbeite, und zwei Stunde mit dem Musickkameraden so kann ich nur besser den grosen Weg zum Ziel entdecken, stadt es selber zu erreichen, nun sagen meine Lehrer zwar daß ich nicht dumm sey sondern besser verstehe wie mancher Mann aber daß noch viel viel Zeit dazu gehört bis ich etwas kann.42

Arnim gab ihr umgehend »eine kleine Arbeit«43 auf und bat sie, Melodien zu den Gedichten seines Romans Armut, Reichtum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores zu komponieren. Bettina machte sich sogleich an die Arbeit und teilte dem Freund bald konkrete Vorstellungen mit. Im März schickte sie ihm ihre Kompositionen und gab genaue Anweisungen zur Interpretation. Unter dem Pseudonym Beans Beor erschien Bettinas Vertonung der Romanze Der Kaiser flieht vertrieben neben Kompositionen von Fürst Anton Radziwill, Johann Friedrich Reichardt und seiner Tochter Louise in der Musikbeilage zur Gräfin Dolores. An Goethe schrieb Bettina ausführliche Berichte über ihre musikalische Betätigung, und empfahl ihm ihre favorisierten Kompositionen zur Hausmusik. Am 3. November antwortete er huldvoll: »Ich bin am Ende des Blats und bitte dich nur noch durch Übersendung Durantischer und Marcellischer Compositionen abermals lieblich in meinem Hause zu spuken.«44 Die Noten erhielt er später, aber über Aufführungen entsprechender Titel durch seine Hauskapelle ist nichts überliefert. Inzwischen hatte Savigny einen Ruf an die neu gegründete Berliner Universität erhalten, so dass Bettina Anfang Mai 1810 mit der Familie Landshut verließ. Die Reise führte über Wien, wo Bettina mit Beethoven bekannt wurde, eine Begegnung, die zum Impuls für ihre späteren musikalischen Interessen und ihre lebenslange Verehrung des Komponisten und seiner Werke wurde. Zunächst aber bestimmten noch die aus München bekannten Kompositionen, vor allem Marcellos Psalmen und Durantes Duette, Bettinas Musikinteresse und zogen mit ihr wie der bekannte ›Rote Faden‹ nach Berlin.

4. Nachspiel in Berlin Um Weihnachten 1810 schickte Arnim an Bettina ein Sonett, das die Überschrift trug Die Ueberraschung mit der Abschrift alter Duetten hast Du mir verdorben: So fröhlig überrascht die Hand mir gleitet An Deines Leibes lieblich warmer Ründung, So sollte in Musick heut die Verkündung Der Freude seyn, die meine Seele weitet;

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Bettina von Arnim: Koboldchen, Brief Nr. 727. Ebenda, Brief Nr. 728. Ebenda, Brief Nr. 682.

Bettinas musikalischer Alltag

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Da hast Du mit dem Zelter in Verbindung Voraus geholt, was ich Dir lang bereitet – Die Noten, – und ich lief heut ungeleitet Umsonst die Meile in der Strassen Windung. Wohl mag es löblich seyn das Hünertasten, Das Forschen nach den ungelegten Eyern, Auch schlachtet man voraus schon in den Fasten. Doch was soll ich Dir noch zum Feste leyern, Die Ueberraschung soll dich nicht belasten, Verdarbst Du mir die Lust, – magst Du sie feiern.45

Die Überschrift scheint rätselhaft, denn Bettina kannte ja die Duette – zweifellos sind jene von Francesco Durante gemeint. Sie hatte Goethe Abschriften davon versprochen, aber, da sich in Landshut kein geeigneter Kopist für die alten Noten fand, sie erst ein Jahr später zum Abschreiben von Berlin nach Weimar geschickt.46 Von dort sandte sie Goethe am 12. November zurück.47 Was war geschehen? Eine Erklärung findet sich im Weimarer Goethe- und Schiller-Archiv, in dessen Goethe-Bestand eine Abschrift Duetti a Due Soprani del sigl. Francesco Durante überliefert ist, bei der es sich wahrscheinlich um eine der von Bettina übersandten Vorlage handelt. Sie enthält die Partitur von sechs Duetten (Singstimmen und bezifferter Bass) im Format 242 x 230 mm und die beiden Einzelstimmen im Format 172 x 210 mm in blauem Schuber.48 Es ist anzunehmen, dass Bettina die anderen Duette nicht besaß oder vielleicht auch nicht kannte – jedenfalls erwähnt sie in ihren Briefen keine zutreffenden Titel. Durch Carl Friedrich Zelter wird sie die fehlenden Duette kennen gelernt und sich Ende 1810 eine Abschrift besorgt haben. Damit war sie Arnim zuvorgekommen, der ihr die Noten zu Weihnachten schenken wollte und nun enttäuscht war. Die besagte Abschrift – Urheberin der verpassten »Ueberraschung« – ist nicht erhalten.

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Ebenda, Brief Nr. 836. Vgl. ebenda, Brief Nr. 824. Vgl. ebenda, Brief Nr. 827. GSA: Signatur 32/175 und 32/181.

Konrad Feilchenfeldt

Die Eliminierung des Alltags in den »Hinterlassenen Schriften« Philipp Otto Runges: Ein unbekanntes Prinzip vorkritischer Editionspraxis?

In meinem persönlichen Themenvorschlag habe ich darauf hingewiesen, dass ich das Tagungsthema ›Alltag‹ oder ›Alltäglichkeit‹ mit der literarischen Textsorte des Briefs in Verbindung bringe. Es geht also zunächst um ein quellenkundliches Problem, d.h. um die Annahme, dass Briefe besonders sprechende Informationsquellen alltäglicher Berichterstattung und damit auch Geschehnisse sind.1 Es wäre jedoch – wie übrigens immer bei Fragen der historischen Erschließung von Fakten – zu kurz gegriffen, wenn vor lauter Interesse an den Tatsachen die Erörterung ihrer formalen Vermittlung nicht angemessen ins Blickfeld geriete.2 Unter Berücksichtigung dieser Einschränkung verbindet sich mit der Frage nach der Quellenüberlieferung, sobald sie kritisch diskutiert wird, das Problem der Authentizität, und zwar in dem Sinne, dass dabei die Integrität der Quellenzeugnisse, ihre Unversehrtheit, abgeklärt werden muss. Besteht doch immer der Verdacht, dass der Urheber eines solchen Textzeugnisses dieses im Zuge seiner Vermittlung verändert, bearbeitet, kürzt oder auch ergänzt.3 In der Editionsphilologie wird dieses Thema bei Hans Werner Seiffert unter der Bezeichnung ›vorkritische Ausgaben‹ erörtert4 und insbesondere Kürzen von Texten als ein Verschweigen registriert, das in der Praxis als Alternative zum Veröffentlichen meistens moralisch-politisch ausgelegt wird. Im Verschweigen einzelner Informationsinhalte bei der Veröffentlichung von Texten, insbesondere autobiographischen Zeugnissen wie Briefen, wird in der Regel bis heute Rücksichtnahme auf persönliche Daten oder politische Zeitumstände geübt,5 so dass es einen Versuch wert sein könnte, einmal andere Kriterien für ein solches Veröffentlichen zu debattieren, in unserem Fall das Prinzip der Alltäglichkeit mit Blick auf eine eingeschränkte Mitteilung von Textzeugnissen; man könnte sich im Sinne der Romantik unter Berufung auf Friedrich Schlegel aber auch das Prinzip 1

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Vgl. das ›Portal für Literatur und Alltag in Berlin-Brandenburg‹ (www.zeitstimmen.de). Ferner mein Exposé: Neue Zeitung für Einsiedler 12/13 (2015). Im Druck. In diesem Zusammenhang ist an das, allerdings nur auf den Bereich der Mediävistik beschränkte, Arbeitsgebiet der so genannten historischen Hilfswissenschaften zu erinnern, vgl. Brandt: Werkzeug des Historikers, S. 116–118. Ebenda, S. 98–103. Seiffert: Edition. – In: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, Bd.1, S. 313–320. Vgl. Feilchenfeldt: Zwischen Textkritik und Traditionsbewußtsein, S. 206. Vgl. Mohr: »Freundschaftliche Briefe« – Literatur oder Privatsache? – Bunzel: VIII Schreib-/Leseszenen. – In: Bohnenkamp u. Wiethölter (Hrsg.): Der Brief – Ereignis & Objekt, S. 237–247, hier S. 246: »Grundsätzlich bilden bei Briefen die Pole Privatheit und Öffentlichkeit nicht notwendig einen Gegensatz.«

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Konrad Feilchenfeldt

des Interessanten mit Blick auf eine Edition ausgewählter und bearbeiteter Textbeispiele vorstellen.6 Für den vorliegenden Beitrag ist wie im Titel angekündigt die Ausgabe von Philipp Otto Runges Hinterlassenen Schriften aus den Jahren 1840/41 das einschlägige Beispiel einer ›vorkritischen Edition‹.7 Die Authentizität der in dieser Veröffentlichung enthaltenen insbesondere autobiographischen Textzeugnisse aus der Feder des romantischen Künstlers ist immer wieder diskutiert worden, allerdings ohne dass deren quellenkundliche Brauchbarkeit, Zitierfähigkeit, ernsthaft in Zweifel gezogen worden wäre.8 Ernsthafterweise ist aber auch die Authentizität jener Textteile nie systematisch geprüft worden, von denen es in diversen Archivbeständen immer noch die handschriftlichen Originale oder modernere Druckfassungen überliefert gibt und die deswegen statt aus einer vorkritischen Edition aus qualitätsvolleren Textvorlagen hätten zitiert werden können. Das Druckmanuskript der Hinterlassenen Schriften Runges ist angeblich 1842 im berühmten Hamburger Brand, dem auch Heinesche »Manuskripte« zum Opfer fielen, verbrannt und steht hier nicht zur Diskussion.9 Die folgenden Betrachtungen beziehen sich aber gerade gezielt und ausschließlich auf nur in den Hinterlassenen Schriften mitgeteilte Briefe, und damit auf ein überschaubares Textkorpus. In Betracht kommen dabei 65 Briefe, die in den Hinterlassenen Schriften einerseits vorkritisch gedruckt vorliegen und andererseits entweder noch von Runge selbst handschriftlich überliefert und/ oder in einer modernen Edition publiziert sind. Von diesen Briefen Runges sind die große Mehrzahl Familienbriefe, insgesamt 39, davon 17 an Pauline, geb. Bassenge, und 28 Briefe sind an Adressaten und Adressatinnen gerichtet, die nicht zur Familie gehören. Bei den Briefen, die an Freunde gerichtet sind, handelt es sich um Briefe an Arnim, den Greifswalder Pfarrer Hermann Baier, Görres, Goethe, den Verleger Perthes und dessen Frau Caroline, die Hamburger Kaufmannsgattin Emilie Petersen und den Verleger Zimmer. Die anderen Briefe, die an Familienmitglieder gerichtet sind, sind Briefe an Runges Schwiegereltern Carl Friedrich und Marie Friederike Bassenge und an deren Tochter, seine Verlobte und Braut Pauline, dann an seine Schwester Ilsabe Dorothea verheiratete Helwig und an seine Brüder David Joachim und Carl Herrmann Runge und an dessen Frau Heinrike.10

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Vgl. Ostermann: Das Interessante als Element ästhetischer Authentizität, S. 208 und S. 200 mit einem Hinweis auf Nicolas Boileau’s L’art poétique, der zufolge als das »Gegenteil des Interessanten [...] das Läppische, Alltägliche und Zufällige im Sinne von nicht Kunstfähigem« definiert werden könne. Runge: Hinterlassene Schriften. Steig: Zu Otto Runges Leben und Schriften; Vasella-Lüber: Philipp Otto Runges Briefe, S. 1– 8; Traeger: Philipp Otto Runge, S. 22–23; Feilchenfeldt: Gedanken zu einer textkritischen Ausgabe; zuletzt Busch: Hitzig und Berlin, S. 98 Anm. 39. Möller: Johann Daniel Runge, S. 210; Traeger: Philipp Otto Runge, S. 22 und Anm. 60; vgl. Mende: Heine Chronik, S. 159. Zum Personenkreis vgl. Traeger: Philipp Otto Runge, S. 549–556; speziell zur Identifizierung Heinrike Runges geb. Brückner und ihrer Ehe mit Carl Hermann Runge vgl. Betthausen: Personenverzeichnis. – In: Runge: Briefe und Schriften, S. 318.

Die Eliminierung des Alltags

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Die statistische Aufarbeitung dieser Briefe ist hier – ohne die an Pauline Bassenge gerichteten – in einem Anhang zur Verfügung gestellt.11 Die vergleichende Lektüre der jeweils erhaltenen Originalhandschrift oder einer textkritischen Edition derselben und der Textwiedergabe in Runges Hinterlassenen Schriften, die sein Bruder Johann Daniel herausgegeben hat, ist die Voraussetzung für ein empirisches Vorgehen, das die Unterschiede in der Überlieferung, die Textabweichungen in den Hinterlassenen Schriften, als Merkmale einer Bearbeitung bewertet und dabei nicht nur stilistische, sondern auch inhaltliche Kriterien sammeln kann. Die Frage, die sich stellt und beantwortet werden soll, steht eng im Zusammenhang mit der literarischen Gattung Brief und deren Ursprung aus einem im Alltag begründeten Kommunikationsbedürfnis. Dafür gibt es schon nur oberflächlich betrachtet ganz grundsätzliche Richtlinien, die in den Hinterlassenen Schriften Runges schon auf den ersten Blick außer Acht geraten sind. Zwar sind die als Briefe veröffentlichten Texte, auch wenn sie gekürzt sind, mit einem Briefkopf versehen, der den Adressaten bzw. die Adressatin und gelegentlich auch deren Aufenthaltsort und das Briefdatum mitteilt, gelegentlich aber den Namen entweder einfach weglässt oder die Identität einer Adressatin wie im Fall von Emilie Petersen als »An eine verreisete Freundin« umschreibt und, wie in diesem Fall auch die anonymisierte authentische Anrede »Liebe vortreffliche Freundin« im Textabdruck stehen lässt.12 Sehr oft dagegen ist die Anrede des Adressaten im Brieftext selbst weggelassen, ebenso wie übrigens auch die Grußformel des Absenders Runge, beispielsweise in Runges Brief vom 9. März 1810 an Görres, nämlich einerseits die Anrede »Sehr geehrter Herr« und andererseits der Briefschluss »und halte mich ihrer Gewogenheit empfohlen Phil Otto Runge«.13 Damit kann zwar auch nur eine Formalität beschrieben werden, sie verweist jedoch auf ein Stück Gewohnheit im Briefverkehr, dessen Beseitigung zugunsten einer literarischen Aufwertung empfunden werden kann, d.h. ein Brief ohne Anrede und Grußformel mutiert formgeschichtlich zum Fragment,14 wobei mitten im Text ein Personalpronomen in der zweiten oder dritten Person diesen gattungstypologischen Aufwertungsvorgang möglicherweise wieder einschränkt.15 Von einem Brief an Runges Schwiegermutter vom 7. Juli 1807 mit Anrede und Grußformel »Liebste Mutter« und »Ihr getreuer Sohn Phil. Otto Runge« bleibt nur noch ein zeitkritisches Stimmungsfragment im Text der Hinterlassenen Schriften übrig:

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Vgl. die Übersicht über den Korrespondenzbestand, unten S. 151–154. Philipp Otto Runge an Emilie Petersen, Hamburg 1. September 1810 – Runge: Hinterlassene Schriften, Bd. 1, S. 211–214. Runge: Briefe in der Urfassung, S. 396–399. Original der Handschrift in Privatbesitz. Ich danke dem Besitzer für die Verfügbarkeit dieses Dokuments. Vgl. Runge: Hinterlassene Schriften, Bd. 1, S. 182–183, 250–251; ferner Görres: Gesammelte Briefe, Bd. 2, S. 85–87. Vgl. Runge an Johann Wolfgang Goethe, Hamburg 23. September 1809 – Runge: Hinterlassene Schriften, Bd. 1, S. 177. Runge: Briefwechsel mit Goethe, S. 97–98. Vgl. Runge an Carl Friedrich und Marie Friederike Bassenge, [Wolgast] November 1806. – Runge: Hinterlassene Schriften, Bd. 2, S. 327; Runge: Briefe in der Urfassung, S. 320–321. Ein solches Beispiel findet sich auch in der Lessing-Anthologie von Friedrich Schlegel, vgl. Feilchenfeldt: Zwischen Textkritik und Traditionsbewußtsein, S. 228–229.

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Konrad Feilchenfeldt

An seine Schwiegermutter. – – Wir sind hier oft recht herzensangst um Nachrichten vom Hause und wegen unsrer Schweden; es ist dort noch nicht aus, und Gott wende das Schrecklichste ab! – Zum Frieden gratuliere ich Ihnen [ich Ihnen aus HS: Sie] Wir werden ja nun sehen und zu hören bekommen [HS: zu sehen bekommen und zu hören], wie der Vogel singt. Gott gebe, wir wüßten es erst [HS: wolte es Gott], denn wie kann man das noch [HS ohne: noch] fürchten, was [HS: daß] man sieht und hört [HS ohne: und hört]? – Ich wollte, wir sprächen uns bald einmal; zur rechten Zeit wird’s aber gewiß auch [HS ohne: auch] kommen.16

Dabei ist mit Blick auf die Veröffentlichung eines Privatbriefs die Beseitigung seines Anfangs und Endes nicht nur eine publizistische Vorgehensweise, die auch im deutschen Pressewesen des 19. Jahrhunderts ihren Platz hatte, d.h., um ein Beispiel zu geben, im Fall der ›katholischen Kirchenzeitung‹, in der »solche Schreiben« zuerst am Anfang und am Ende beschnitten werden mussten und dann neu »›mit Kopf und Schwanz versehen‹ [...] abgedruckt« worden sind, »ohne nur des Verfassers Einwilligung abzuwarten«.17 Das Fragmentarische seines literarischen Erscheinungsbildes trägt im Falle von Runge natürlich auch dazu bei, seine ›Schriften‹ der romantischen Theorie und Bewegung im weitesten Sinn zuzuordnen, der er selbst biographisch und programmatisch angehört hat. Mit dem Weglassen der Personen in Anrede und Grußformel verbindet sich in Runges Briefen aber noch eine weitere Informationsschicht, die in den Hinterlassenen Schriften ebenfalls eine immer wieder ausgeklammerte Welt personaler Beziehungen betrifft, und zwar den Freundeskreis und die Verwandtschaft. Dabei ist es kein Geheimnis, dass Runge gerade in der eigenen Familie, aber auch im Freundeskreis und mit vorgerücktem Lebensgang auch in der Familie seiner Verlobten und Braut eine existenzielle Absicherung und Solidarität gefunden hat, angesichts von deren hochgradigem Einfluss auch auf sein künstlerisches Wirken die Tatsache doch einigermassen befremden muss, dass davon in den Hinterlassenen Schriften immer wieder ganze Netzwerkteile ausgeblendet bleiben. Interessant ist dafür in einem Brief an Perthes vom 12. Januar 1802 ein Passus, in dem sich Runge am Ende über die Unsinnigkeit auslässt, »einen ›Umgang mit Menschen‹ zu schreiben«, denn: »Das, was im Menschen vorgeht, weiß ich wohl, das kann ich mir alles denken, aber wie es unter den Menschen zugeht – darin habe ich wohl gemerkt, daß ich davon eben gar nichts weiß, aber auch, daß es nicht sonderlich der Mühe werth ist, sich so entsetzlich viel damit abzugeben [...]«. Ohne dabei nicht einmal Knigge namentlich zu nennen, bezieht Runge seine negativen Erfahrungen dafür aus Iffland, und mit diesen literarischen Referenzen endet der in den Hinterlassenen Schriften publizierte Text mit einer Textlücke, um darnach mit einer Betrachtung über sein ›Amorsbild‹ wieder einzusetzen. Dazwischen liegt ein längerer in den Hinterlassenen Schriften eliminierter Abschnitt, der im Brieforiginal ausschließlich der Erörterung seines aktuellen Dresdner Freundeskreises und seiner Beziehungen 16

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Runge: Hinterlassene Schriften, Bd. 2, S. 345–346 (Sigle HS); vgl. Runge: Briefe in der Urfassung, S. 335. Vgl. Möller (Hrsg.): Leben und Briefe von Johannes Theodor Laurent, Bd. 1, S. 154–155; Feilchenfeldt: Öffentlichkeit und Chiffrensprache in Briefen. – In: Frühwald [u.a.] (Hrsg.): probleme der brief-edition, S. 126 Anm. 2.

Die Eliminierung des Alltags

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ins Haus seiner späteren Schwiegereltern Bassenge gewidmet ist. Es fallen die Namen seiner Künstlerkollegen Veith, Demiani und Hartmann.18 Für diese Beobachtung gibt es aber auch andere Merkmale. Am häufigsten sind für seine beziehungsgeschichtlichen Verbindungen in Runges Briefen seine Grußaufträge zu beachten, die jedoch in den Hinterlassenen Schriften immer wieder der Beseitigung durch den Herausgeber zum Opfer fallen, es sei denn er, der Herausgeber selbst, fügt sich selbst als Mitglied des von seinem Bruder Philipp Otto instrumentierten Netzwerks in dessen Korrespondenzverkehr ein, ohne dass es aufgrund des handschriftlichen Brieforiginals klar wäre, dass er sich zu Recht an dieser Stelle in den Briefwechsel seines Bruders einschaltet. Beispielhaft ist dafür ein Brief Runges an Perthes vom 30. August 1803, dem der Herausgeber der Hinterlassenen Schriften eine kurze an ihn selbst gerichtete Mitteilung seines Bruders Philipp Otto folgen lässt, von der keine Originalhandschrift mehr überliefert ist: »Lieber Daniel, hier hast Du einen Brief für Perthes und zugleich für dich.« Ungewöhnlicherweise enthalten diese Begleitzeilen an Johann Daniel Runge auch Grüße ihrer beider Mutter an ihn und seiner Verlobten Pauline.19 Eine weitere Schicht im Netzwerk seiner Beziehungen beschreibt Runge, wenn er auf seine eigenen Kinder zu sprechen kommt, aber auch auf die Kinder aus seiner Verwandtschaft und aus seinem Freundeskreis, und besondere Beachtung finden in seinen Briefen Kinder, wenn sie gerade geboren worden sind und die Mütter noch unter den Folgen ihrer Geburten leiden und über körperliche Beschwerden klagen. Ein Beispiel dafür ist Runges Brief vom 5. Dezember 1809 an seine Schwiegermutter, in dem sogar »die Kinder Sie recht viel grüßen« lassen. Auch Runges Frau Pauline »hat etwas viel zu thun, deswegen kann sie nicht schreiben, es wird ihr bisweilen woll sauer, das ist aber nur sauerteig des lebens, der hineien muß, damit das Ewige leben darin aufgehen kann [...],« und das weitere sind Grußaufträge, bis der Brief im Original mit der Grußformel »Ihr Sohn Otto« endet.20 In den Hinterlassenen Schriften ist der Bericht über die Kinder nicht nur weggelassen, sondern auch Paulines Befindlichkeit in eine allgemeine, ein bisschen nichtssagende Tendenz umformuliert: »Es wird uns wohl bisweilen sauer im Hausstande; das ist aber nur der Sauerteig, der hinein muß in’s Leben, damit das ewige Leben darin aufgehen könne. –« Weggelassen ist der Bericht über die Kinder in den Hinterlassenen Schriften auch in Runges Brief vom 3. Januar 1806 an seinen Bruder Carl Hermann, der mit einem Kinder-Bericht einsetzt.21 Am 12. Februar 1807 schrieb Runge seiner Schwiegermutter über seinen am 30. April 1806 geborenen Sohn: »unser Siegmund ist äußerst fix und wie ich mich an ihm freue kann ich niemand sagen.« Auch dafür hat der unverheiratete und kinderlose Johann Daniel Runge vielleicht gerade deswegen als Herausgeber der

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Runge: Hinterlassene Schriften, Bd. 2, S. 109–110; vgl. Runge: Briefe in der Urfassung, S. 59–60. Runge: Hinterlassene Schriften, Bd. 2, S. 240–241; vgl. Runge: Briefe in der Urfassung, S. 134–136. Ebenda, S. 373–374. Runge: Hinterlassene Schriften, Bd. 2, S. 392.; vgl. ebenda, S. 303–304; Runge: Briefe in der Urfassung, S. 283.

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Hinterlassenen Schriften kein gesteigertes Interesse,22 während sein Bruder Philipp Otto auch in seinen bildnerischen Kunstwerken bekanntermassen immer wieder Kinder dargestellt hat, sei es in Porträts, sei es in Arabesken.23 Dass in Zusammenhang mit seinem Interesse am Kind für Runge auch die Mütter eine Rolle spielen, ist nicht überraschend, sind sie doch auch Bestandteil seiner Menschendarstellung in Beispielen seines bildnerischen Oeuvres, in Porträts der Eltern, seiner Frau Pauline mit dem zweijährigen Sohn Otto Sigismund, aber auch im ›Tag‹.24 Doch bleiben die Frauen in den von Johann Daniel herausgegebenen Briefen in der Regel ausgeklammert, die teilweise recht animiert geschilderten Begegnungen mit hübschen jungen Frauen, sei es bei abendlichen Festgelagen in Wirtshäusern wie in Kopenhagen, wie er in seinem Brief vom 2. Dezember 1799 an seinen Bruder Carl Hermann berichtete,25 oder sei es später in Dresden bei ausgelassenen Festlichkeiten, bei denen auch heftig getanzt wurde, wie Runge Perthes in seinem Brief vom 12. Januar 1802 berichtet,26 nicht die Briefe, aber die einschlägigen Briefstellen fehlen in den von Johann Daniel bearbeiteten Brieftexten der Hinterlassenen Schriften.27 Dementsprechend sind auch die Erwähnungen der anfänglich heiß umschwärmten Pauline Bassenge und späteren Verlobten und Braut, sehr zensiert und vor allem durch die Unterdrückung des Vornamens Pauline so verunklart, dass infolge der Beschränkung auf die Initiale P. für Pauline der Leser bestimmter Briefstellen geradezu in die Irre geführt werden kann, weil diese Initiale auch für den Adressaten eines dieser Briefe, nämlich für Friedrich Perthes, gehalten werden kann. Laut einem Brief vom 6.–12. September 1802 an Perthes hat D., d. h. Johann Daniel Runge, den Vater inzwischen über die Bedeutung von P. in Runges Leben informiert; das könnte nun Perthes selbst sein, denn wenig später formuliert Runge: »Ich glaube, lieber P., du begreifst D.s Meynung.« Indem daher die Hinterlassenen Schriften keine Namen, sondern nur die Initialen verwenden, ist der Vergleich mit dem unbearbeiteten Brieftext hilfreich, der durch die klare Nennung der Namen zwischen P. einmal für Perthes und P. einmal für Pauline keine Unsicherheit aufkommen lässt.28 Was aber auch Pauline betrifft, sieht sich der Leser der Hinterlassenen Schriften an anderer Stelle geradezu mit einem romantischerotischen Ausbruch konfrontiert, den er bei Runge als Liebesbekenntnis im Verhältnis zu seinem jüngeren Bruder Carl Hermann deuten muss;29 denn die Passage, 22 23

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Runge: Hinterlassene Schriften, Bd. 2, S. 340; vgl. Runge: Briefe in der Urfassung, S. 330. Vgl. Grützmacher: Novalis und Philipp Otto Runge, S. 37–65; Traeger: Philipp Otto Runge, S. 84–85. Ebenda, S. 401–405 (›Die Eltern des Künstlers‹), S. 413–414 (›Pauline mit dem zweijährigen Sohn Otto Sigismund‹), S. 347–348. (›Der Tag‹), S. 382–386. (›Die Ruhe auf der Flucht‹). Runge: Briefe in der Urfassung, S. 38–39. Ebenda, S. 61–62. Vgl. Runge: Hinterlassene Schriften, Bd. 2, S. 33–34, 109 –110. Ebenda, S. 151; vgl. Runge: Briefe in der Urfassung, S. 71 »Ich glaube, lieber Perthes, du siehst Dl. seine Meinung ein«. Ferner Philipp Otto Runge an Caroline Perthes, Dresden 18.–19. Dezember 1802 und Friedrich Perthes, Dresden 30. März 1803, ebenda, S. 80–83, 100–102. Vgl. Runge: Hinterlassene Schriften, Bd. 2, S. 184–186, 205–206. Zum Thema ›Geschwisterbriefe‹, allerdings auch im Kontext ihrer Alltäglichkeit, vgl. Zajonz: Unter Brüdern.

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die diesen Gefühlsausbruch als Liebeserklärung an Pauline kenntlich macht, ist in den Hinterlassenen Schriften einfach gestrichen. Der an Runges Bruder Carl Hermann gerichtete Brief datiert vom 10.–21. Januar 1802 und beginnt unter dem fortgeschrittenen Datum mit dem zweiten Teil in den Hinterlassenen Schriften ohne die Anrede »Mein aller süßester«, die den Bezug zu einem männlichen Adressaten allerdings noch verstärken würde: »Mir brennen die Lippen und es kocht in mir, das Herz ist so voll, daß der Mund nothwendig überlaufen muß.« Aber der Bruder ist nicht das Objekt dieser Aufwallung von Gefühlen. Er ist nur der Adressat einer Mitteilung, die die Hinterlassenen Schriften dem Publikum vorenthalten, die sich aber unmittelbar an das Vorausgegangene anschließt: »könnte ich dies doch so sagen, gestern abend hab ich Pauline anderthalb stunden so fest in den Armen gehabt. die Mutter hatte es mir neulich versprochen sie zu sehen und nun habe ich sie gesehen [...]«.30 Zieht man eine Zwischenbilanz aus allen diesen Beobachtungen, so könnte man daraus die Schlussfolgerung ableiten, dass Runges Umwelt, wie sie in den Hinterlassenen Schriften überliefert ist, das personale Netzwerk seines ›alltäglichen‹ Lebens weitgehend ausblendet und damit auch eine Gesellschaftsschicht, die personenkundlich in ihren Repräsentanten inzwischen kaum noch zu erschließen ist. Das gilt aber nicht nur für die Personenkunde, die die Kommentierung der unfrisierten authentischen Briefe immer wieder vor erhebliche Schwierigkeiten stellt, sondern es gehört zur Erschließung dieser Umwelt auch die Berücksichtigung der Tagesereignisse, d. h. im historischen Rückblick der Zeitgeschichte, die erstaunlicherweise sehr viel stärker in den von Johann Daniel Runge überarbeiteten Brieftexten in einzelnen Elementen ihres tagespolitischen Geschehens stehen geblieben ist als die Netzwerkaktivitäten. Dabei spielt auch in die Entwicklung der Tagespolitik immer wieder Familiengeschichtliches hinein, weil die Geschäftsgebahrung der Kaufmannsfamilie Runge in ihren verschiedenen Filialen in Wolgast, Pleetz und Hamburg mit dem Wohlstand, aber auch dem Überleben aller Angehörigen eng verbunden ist. Die Handelsverbindungen mit England und Schweden sind genau so lebenswichtig wie das Auskommen mit den diversen Kontingenten der kriegführenden Mächte, auf deren Bedrohlichkeit Runge in seinen Briefen uneingeschränkt zu sprechen kommt. Am 8. Januar 1799 registrierte er in einem Brief an Perthes die Besetzung Roms durch die Franzosen.31 Am 7. Juli 1807 sorgte sich Runge in einem Brief an seine Schwiegermutter hinsichtlich der Lage der Schweden in Wollgast32 Auch in den Hinterlassenen Schriften sind solche zeitgeschichtlichen Umstände keineswegs verschwiegen bzw. editorisch eliminiert. Das Gegenteil ist der Fall33 und in den zeitgenössischen Rezensionen der Hinterlassenen Schriften unmittelbar nach ihrem Erscheinen 1840/41 wird ihr historischer Quellenwert mit Blick auf die

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Runge: Hinterlassene Schriften, Bd. 2, S. 196 –197; vgl. Runge: Briefe in der Urfassung, S. 89–90. Ebenda, S. 26–27. Ebenda, S. 335. Vgl. Runge: Hinterlassene Schriften, Bd. 2, S. 20, 345–346.

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napoleonischen Kriege auch ausdrücklich gewürdigt.34 Es ist die Zeit, in der durch den Regierungsantritt Friedrich Wilhelms IV. von Preußen nach 1840 die Zeit der preußischen Erhebung gegen Napoleon kurzfristig den Buchmarkt erobert und Johann Daniel Runge dieser Entwicklung als Herausgeber der Hinterlassenen Schriften sicher Rechnung trägt.35 Gerade deswegen, d.h. in der Glorifizierung dieser Geschichtsepoche ist jedoch kein Alltagselement in seinen Briefen ausgeklammert, sondern im Gegenteil ein Stück Aufwertung dieses Alltags angestrebt, die wirtschaftlichen Realien des Familiengeschäfts, von denen in Runges Briefen aus dieser Zeit auch die Rede ist, haben damit aber nichts zu tun. Natürlich ist der Brief vom 30. März 1803 an Perthes an der Stelle gekürzt, an der Runge darum bittet, die »einliegende Probe Baumwollgarn an Daniel« weiterzureichen. »Mama Graff wünschte von dieser Sorte, welches die grobere von den letztgesandten ist, 8 Pfd. wenn aber 8 Pfd. nicht anginge, 10 Pfd., daß sie zur L[eipziger] Messe konte zu haben hie bey.«36 Handelswege, mit denen die Familie kommerziell vertraut war, ermöglichten es Runge auch, seiner Schwiegermutter, wie am 5. Dezember 1809 angekündigt, vor Weihnachten die erbetene Anzahl »Austern« zu besorgen, »ich werde suchen Ihnen die 400 Stck. zu rechten Zeit zu schaffen, da alle 8 tage hier welche kommen [...] wegen der gehörigen heimlichkeit adressiren wir dann alles an den Oncle.«37 Wer immer damit gemeint gewesen sein mag, solche Realitäten des Alltags finden sich in den Hinterlassenen Schriften Runges nicht. Wenn es sich aber herausstellen sollte, dass Familie und Freundeskreis in ihren personalen Verästelungen die alltägliche Umwelt in Runges Leben bestimmen und diese beiden Bereiche seines geselligen und gesellschaftlichen Umgangs in den Hinterlassenen Schriften Runges vergleichsweise ausgeklammert geblieben sind, sollte der Blick sich abschließend auf jene Themen und Inhalte konzentrieren, in denen der Herausgeber das Außergewöhnliche, also das nicht ›Alltägliche‹, in der Persönlichkeit seines Bruders, sei es als Künstler, als sich mitteilender Mensch und vielleicht sogar als Autor schwerpunktmäßig zu erfassen versucht hat. In diesem Zusammenhang ist es sicher nicht deplatziert an einer Tagung der Arnim-Gesellschaft, einen Blick auf den einzigen erhaltenen Brief Runges an Achim von Arnim zu richten, der noch dazu überlieferungsgeschichtlich ein Sonderfall ist, denn vom Originalbrief sind nur die lyrische Beilage eines für die Zeitung für Einsiedler zum Druck vorgeschlagenen ›Hochzeitslied aus Pommern‹ und der Schluss erhalten, der zufälligerweise mit dem Schluss des Briefes auf der letzten Seite der Druckfassung in den Hinterlassenen Schriften genau übereinstimmt. Der Brief datiert vom 31. Mai 1808. Wir wissen aber nicht oder können nur vermuten, dass das Original eine Anrede hatte, die in den Hinterlassenen Schriften fehlt, ebenso wie die Grußformel, die im handschriftlichen Original allerdings »mit Hochachtung Ihr ergebener Phil

34

35

36 37

Vgl. L[ücke]: Rezension der Hinterlassenen Schriften. – In: Traeger: Philipp Otto Runge. S. 503, 2. Spalte. Vgl. Feilchenfeldt: Runge – ein patriotischer Künstler. – In: Runge: Fragen und Antworten, S. 44, 129 Anm. 49. Runge: Briefe in der Urfassung, S. 102. Ebenda, S. 372–373.

Die Eliminierung des Alltags

151

Otto Runge« lautet. Dafür nimmt der Herausgeber an diesem Brief in den Hinterlassenen Schriften verschiedene stilistische Verbesserungen vor und ergänzt vor dem Namen des erwähnten Malers Tischbein die Initiale W. für dessen Vornamen Wilhelm.38 Interessanterweise verzichten die Hinterlassenen Schriften auf den Abdruck des Gedichts als Briefbeilage, möglicherweise weil es sich um einen plattdeutschen Text handelt, der außerdem in der Zeitschrift für Einsiedler nicht erschienen ist. Verglichen mit diesem Befund sind dagegen zwei andere Gedichte, die Runge in zwei Briefen vom 12. Mai 1802 und vom Januar 1807 an den Verleger Perthes geschickt hat, in den Hinterlassenen Schriften als Anlage dieser beiden Briefe gedruckt.39 ›Ewig schweigt die süße Silberstimme‹ und ›Es blüht eine schöne Blume‹ sind bis heute zwei der bekanntesten Gedichte Runges geblieben und ihre Drucklegung im Kontext ihrer Begleitbriefe ist geeignet, den im Umfeld der ›Wunderhorn‹-Herausgeber Arnim und Brentano reflektierten Vers-Prosa-Gegensatz im Sinne einer poetischen Aufwertung des Rungeschen Briefkorpus und -oeuvres auszulegen.40 Ein weiteres Element poetischer Aufwertung resultiert in der von Johann Daniel Runge besorgten Briefauswahl in den Hinterlassenen Schriften seines Bruders Philipp Otto aus einem Segment Sprach- und Reflexionskritik, in dem sich der Künstler seiner gestalterischen Möglichkeiten als Praktiker, als der er sich im Grunde verstand, bewusst zu werden suchte. Das früheste dafür repräsentative Briefzeugnis datiert vom 8. Januar 1799 aus einem Brief an Friedrich Perthes und ist ein typisches Zeugnis romantischer Schreib- und damit auch Sprachskepsis, womit für eine Auswertung von dessen Informationsgehalt nicht nur die darin enthaltenen Nachrichten, sondern auch die Reflexionen darüber unergiebig sind, sobald jemand zu kürzen beginnt. Im verkürzten Druck stehen geblieben sind tagespolitische Nachrichten wie »Die Franzosen sind wieder in Rom [...]«,41 Wetternachrichten und in der Regel Grussaufträge aus dem Freundeskreis bleiben ausgeklammert, selbst der Name Kosegarten wird durch drei Sterne verschlüsselt; d.h. der befreundete Pfarrer, der in Hamburg gepredigt hat, soll namentlich nicht in Erscheinung treten, und was er zu sagen hat, erinnert Runge an seine eigene aktuelle Sprachlosigkeit. Konkret geht es dabei um Hannchen Herterich, die Frau seines Zeichenlehrers, der beruflich von Hamburg nach Dresden gewechselt und seine Frau in Hamburg den Freunden in Obhut hinterlassen hatte. Es ist klar, dass diese Affäre in den Hinterlassenen Schriften keine Berücksichtigung findet. Stehen geblieben ist in der gekürzten Version der Hinterlassenen Schriften ein Fragment mit der Bemerkung: 38

39

40

41

Das Original der Handschrift in der Sammlung Varnhagen, im Besitz der Jagiellonischen Bibliothek, Krakau. Die Kenntnis des Originals verdanke ich einer Photographie durch die seinerzeitige Vermittlung von Frau Elisabeth Burda. Vgl. Runge: Briefe in der Urfassung, S. 350–353, besonders S. 351; Runge: Hinterlassene Schriften, Bd. 1, 185–187, besonders S. 187. Vgl. Moering: VI Briefbeigaben. – In: Bohnenkamp und Wiethölter [u.a.] (Hrsg.): Der Brief – Ereignis & Objekt, S. 191–214. Feilchenfeldt: Zur Entstehung der romantischen Liedersammlung. – In: Pape (Hrsg.): Das ›Wunderhorn‹ und die Heidelberger Romantik, S. 21–33. Runge: Hinterlassene Schriften, Bd. 2, S. 20.

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Konrad Feilchenfeldt

ich wollte, ich wüßte soviel, daß ich auch einmal predigen könnte, so wüßte ich jetzt doch auch, was ich schreiben sollte. Zwar von mir selbst könnte ich genug schreiben und so geht es mir jetzt immer; sagen Sie mir doch, wie das zugeht, ich weiß seit einiger Zeit gar nicht mehr soviel von Anderen, als von mir; ich kann es nicht begreifen und es wird immer ärger damit, so daß ich gar nicht davon abkommen kann – – – . Ich erwarte von Ihnen einen vernünftigeren und bessern Brief, als dieser ist.

An dieser Briefstelle wird eine keineswegs alltägliche, wenn auch typische, Kunstreflexion der romantischen Epoche aufgegriffen, und der Brief als literarische Gattung spielt in diese Reflexion mit hinein. Der Text umfasst bei insgesamt zwölf Zeilen ungefähr den Drittel einer Buchseite in den Hinterlassenen Schriften und kommt darin vom Umfang her dem Erscheinungsbild eines Fragments schon sehr nahe. Nur die Anrede an den Adressaten Perthes im Text macht klar, dass es sich um ein Brieffragment im Sinne eines Teilstücks aus einem Textganzen handelt.42 Die letzte Stufe einer abgehobenen, allem ›Alltäglichen‹ entrückten Gedankenwelt erreichen Runges Briefe, wo sie seine Beschäftigung mit Gott und sein Bekenntnis zu ihm dokumentieren und die Bearbeitung ihres Textcorpus auf die Profilierung dieses Themas konzentriert ist. Ein Beispiel dafür liefert Runges Brief an seinen Schwiegervater Carl Friedrich Bassenge vom 28. Juli 1807. Die Hinterlassenen Schriften bringen von diesem Brief nur den ersten Abschnitt und damit etwa die Hälfte des Brieftextes, ohne Anrede und ohne Grußformel, wobei das Ende überhaupt fehlt. Der gedruckte Abschnitt reflektiert die aktuelle Zeitlage wieder einmal im Zeichen göttlicher Vorsehung, an die geglaubt werden muss, um die Zeiten überstehen zu können; »wollte Gott! der Tag wäre erschienen, daß man nun nicht mehr im Finstern säße!«. Weggelassen ist in den Hinterlassenen Schriften der Abschnitt mit den Nachrichten von Pauline Runges Kindbett, die gerade von einer Tochter Maria Dorothea entbunden worden ist, ebenso Nachrichten vom Kriegsgeschehen, man ist in Mecklenburg von »Durchmärschen« verschont geblieben, nur Runges Bruder Gustav hat sich um 4 gestohlene Pferde zu kümmern.43 Das Beispiel macht noch einmal an einem einzelnen Brieftext sichtbar, was die inhaltliche Spannweite im Briefwerk Runges ausmacht. Vom ›Alltäglichen‹ bis zum Göttlichen besteht ein zusammenhängendes Spektrum aktueller und reflektierender Kommunikationsmöglichkeiten, für die der Brief, ebenso wie der Gegenbrief, auf den sich Runge ebenfalls ausdrücklich bezieht, die literarische Form liefert. Man kann davon ausgehen, dass die Ausgrenzung des ›Alltäglichen‹ in der vorkritischen Edition von Runges Hinterlassenen Schriften eine editorische Richtlinie bestimmt, deren Anwendung zu einer Profilierung und Stilisierung der Künstleridentität Runges als eines Künstlers beiträgt, der darin ganz im Sinne des »kunstliebenden Klosterbruders« aus Wackenroders Herzensergießungen das »prosaische Leben« durch dessen poetische Mystifizierung zu überbieten sucht.44 Mit der inhaltlichen Füllung 42 43

44

Runge: Briefe in der Urfassung, S. 26–27. Runge: Hinterlassene Schriften, Bd. 2, S. 346; vgl. Runge: Briefe in der Urfassung, S. 337– 338. Wackenroder: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders – Sämtliche Werke und Briefe, Bd. 1, S. 133, 13–14. Von »Prosa des Lebens« spricht Hegel: Vorlesungen über die Aesthetik – Werke, Bd. 10, Abt. 2, S. 183.

Die Eliminierung des Alltags

153

der Kriterien, nach denen der Herausgeber bei seinen restriktiven Texteingriffen zu beurteilen sein könnte, gewinnt die Bewertung seiner editorischen Leistung auch eine inhaltliche Programmatik, die bei den bisherigen Deutungsversuchen zu diesem Thema immer unbefriedigend geblieben ist, sobald als Grundlage derselben immer nur die formale Seite einzelner Textveränderungen betrachtet und die einzelne Textstelle auf das stilistische Verbesserungsbedürfnis von seiten des Herausgebers abgewälzt wurde45 Demgegenüber ist der vorliegende Beitrag der empirische Versuch, die Beseitigung des ›Alltäglichen‹ aus der Dokumentation der Künstleridentität Runges als ein editorisches Verfahren zu beschreiben, wobei an der Tatsache einer editorisch sichtbaren Tendenz zum Ausschluss bestimmter Themenbereiche kein Zweifel bestehen dürfte. Familienereignisse sind ein solcher Themenbereich. Eine Frage, die sich dabei nicht von selbst beantwortet, bleibt es jedoch, ob die beschriebene Beobachtung mit der Bezeichnung ›alltäglich‹ im Sinne Runges richtig erfasst worden ist, was nämlich aus der Kenntnis seiner Persönlichkeit sicherlich nicht der Fall ist, weil der Alltag für ihn letztlich eine Art Quelle des Lebens wie auch seines künstlerischen Wirkens gewesen ist46 Das Dilemma resultiert vermutlich aber nicht aus der Tatsache, dass in diesem Fall ›alltäglich‹ der falsche Begriff sein könnte, um die Hinterlassenen Schriften als Edition zu würdigen, sondern die Hinterlassenen Schriften einen falschen Runge dokumentieren, indem sie seinen Alltag auszuklammern versuchen.

Anhang Der vorliegende Anhang gibt eine epistolographische Synopse ausgewählter Briefe Philipp Otto Runges, die einerseits, vorkritisch ediert, in seinen Hinterlassenen Schriften von 1840/41 und anderseits in den Editionen von Karl Friedrich Degner als ›Urfassung‹ und bei Helmuth von Maltzahn im ›Briefwechsel mit Goethe‹, beide aus dem Jahr 1940, sowie in weiteren anderen Veröffentlichungen gedruckt überliefert sind, nur ohne Berücksichtigung der Korrespondenz zwischen Runge und seiner Freundin und Braut Pauline geb. Bassenge. Wo zur textkritischen Überprüfung des Druckes in den Hinterlassenen Schriften nicht mit einer der aufgelisteten, neueren Edition verglichen werden kann, wird für alle in der Synopse zusammengestellten Briefbeispiele jeweils auf die von ihnen erhalten gebliebene Originalhandschrift zurückgegriffen und deren Zugangsort nachgewiesen. Eine neue, revidierte, textkritische Präsentation dieser Briefe nach den von ihnen allen überlieferten Originalhandschriften steht im Rahmen der im Entstehen begriffenen, von YorkGothart Mix (Marburg) vorbereiteten kritischen Textausgabe Runges vor ihrem absehbaren Abschluss. Siglen: HS

B

45 46

Runge, Philipp Otto: Hinterlassene Schriften. Hrsg. von dessen ältesten Bruder [Johann Daniel Runge]. Bd. 1–2. Faksimile-Druck nach der Ausgabe Hamburg 1840–1841. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1965 (Deutsche Neudrucke: Reihe Texte der 19. Jahrhunderts). Görres, Joseph von: Gesammelte Schriften. Abth. 2: Gesammelte Briefe. Bd. 2: Freundesbriefe (von 1801–1821). Hrsg. Von Franz Binder. München: Literarisch-artistische Anstalt 1874. Vgl. Vasella-Lüber: Philipp Otto Runges Briefe, S. 8. Traeger: Philipp Otto Runge, S. 134–139, 149–152

Konrad Feilchenfeldt

154 Bs D M U Z

Behrens, Jürgen: Jahresbericht 1971. – In: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts (1972), S. 411–451, hier S. 434–435. Dingedahl, Carl Heinz: Ein noch nicht gedruckter Brief von Philipp Otto Runge und zwei bisher unveröffentlichte Briefergänzungen. – In: Die Heimat. Zeitschrift für Natur- und Landeskunde von Schleswig-Holstein und Hamburg 86 (1979), S. 132–136. Runge, Philipp Otto: Philipp Otto Runges Briefwechsel mit Goethe. Hrsg. Von Helmuth Freiherr von Maltzahn. Weimar: Goethe-Gesellschaft 1940 (Goethe-Gesellschaft in Weimar: Schriften der Goethe-Gesellschaft. 51). Runge, Philipp Otto: Briefe in der Urfassung. Hrsg. von Karl Friedrich Degner. Berlin: Nicolaische Verlbh. 1940 (Bekenntnisse deutscher Kunst. 1). Zimmer, Heinrich B.W.: Johann Georg Zimmer und die Romantiker. Ein Beitrag zur Geschichte der Romantik nebst bisher ungedruckten Briefen von Arnim, Böckh, Brentano, Görres, Marheineke, Fr. Perthes, F. C. Savigny, Brüder Schlegel, L. Tieck, de Wette u.A.. Mit J. G. Zimmer’s Bildniß. Frankfurt am Main: Heyder & Zimmer 1888.

An Ludwig Achim von Arnim, 31.5.1808

HS I, 185–187 U 350–353

An Hermann Baier, 26.9.1806

HS I, 98–102 U 313–318

An Carl Friedrich Bassenge, 5.2.1805

HS II, 288 U 261–262

An Carl Friedrich Bassenge, 15.10.1805

HS II, 294–295 U 278–280

An Carl Friedrich und Marie Friederike Bassenge, --.11.1806

HS II, 327 U 320–321

An Carl Friedrich und Marie Friederike Bassenge, 11.12.1806

HS II, 332 U 324

An Carl Friedrich Bassenge, 28.7.1807

HS II, 346 U 337–338

An Marie Friederike Bassenge, 12.2.1807

HS II, 340 U 328–330

An Marie Friederike Bassenge, 7.7.1807

HS II, 345–346 U 335

An Marie Friederike Bassenge, 5.12.1809

HS II, 391 U 372–374

An Joseph Görres, 9.3.1810

HS I, 182–183, 250–251 B II, 85–87

An Joseph Görres, 3.10.1810

HS II, 420–421 B II, 330 Fußnote 1

An Johann Wolfgang Goethe, 3.7.1806

HS I, 88–98 M 39–47

An Johann Wolfgang Goethe, 17.9.1806

HS II, 318–320 M 49–52

An Johann Wolfgang Goethe, 4.12.1806

HS I, 265, 348; II, 329–331 M 57–60

An Johann Wolfgang Goethe, 23.10.1807

HS II, 349–350 M 68–69

155

Die Eliminierung des Alltags An Johann Wolfgang Goethe, 23.9.1809

HS I, 155–156, 177, 354–355 M 97–98 (+ Faksimile)

An Johann Wolfgang Goethe, --.9–10.1809

HS I, 156 M 98

An Johann Wolfgang Goethe, 1.2.1810

HS I, 180–181 M 100–102

An Ilsabe Dorothea Helwig, David Joachim Runge und Carl Hermann Runge, HS II, 24–25 16.10.1799 U 33–34 An Caroline Perthes, 18.-19.12.1802

HS II, 184–186 U 80–83

An Caroline und Friedrich Perthes, 14.7.1810

HS I, 184–185: II, 416 U 392–394

An Friedrich Perthes, 8.1.1799

HS II, 20 U 26–27

An Friedrich Perthes, 1.11.1799

HS II, 28–29 U 35–37

An Friedrich Perthes, 16.12.1799

HS II, 34–36 U 39–41

An Friedrich Perthes, 12.1.1802

HS II, 109–110 U 58–63

An Friedrich Perthes, 12.5.1802

HS II 129–131 U 66–69

An Friedrich Perthes, 6.-12.9.1802 An Friedrich Perthes, 19.12.1802

HS II, 150–152 U 70–72 Dd 136 HS II, 186–188 U 84–86

An Friedrich Perthes, 30.3.1803

HS II, 205–206 U 100–102

An Friedrich Perthes, --.7.1803

HS II, 229–230 U 127–128

An Friedrich Perthes, 30.8.1803

HS II, 238–241 U 134–136

An Friedrich Perthes, --.1.1807

HS II, 337–339 U 325–328

An Emilie Petersen, 1.9.1810

HS I, 211–214 U 396–399

An Carl Hermann Runge, 29.5.1798

HS II, 7 U 20–21

An Carl Hermann Runge, 15.6.1798

HS II, 7–9 U 21–24

An Carl Hermann Runge, 2.12.1799

HS II, 33–34 U 37–39

An Carl Hermann Runge, 10.-21.1.1803

HS II, 196–197 U 89–94

Konrad Feilchenfeldt

156 An Carl Hermann Runge, 4.4.1803

HS II, 207 U 104–106, 107–115

An Carl Hermann Runge, 3.1.1806

HS II, 303–304 U 283–285

An Carl Hermann und Heinrike Runge, 8.8.1807

HS II, 348 U 339–340

An Carl Hermann Runge, 15.6.1808

HS I, 242 U 354

An Carl Hermann Runge, 28.10.1808

HS II, 367–368 U 357–358

An Carl Hermann Runge, 22.2.1809

HS II, 376 U 360–361

An Carl Hermann Runge, 26.3.1810

HS II, 409–410 U 384–385

An Carl Hermann Runge, 16.4.1810

HS I, 183–184; II, 411 U 385–387

An Carl Hermann Runge, 24.4.1810

HS II, 411 U 388

An Johann Georg Zimmer, 24.1.1806

HS I, 63–64 Z 271–272 Bs 4347

47

Die Originalhandschrift dieses Briefes befindet sich im Freien Deutschen Hochstift, Frankfurt am Main (Inv. Nr. Hs 18467). Ich danke dem Leiter der Handschriftenabteilung Dr. Konrad Heumann für die Verfügbarkeit einer Kopie dieses Briefes.

Ralph Alexander Schippan

Vom alltäglichen Leben zum Kunstobjekt: Buchgestaltung in der Romantik

1. Vom Geist, der über dem Buch schwebt Endlich erhub sich der Knabe schnell aus der Spalte und brachte ein Kästchen mit, nicht größer als ein kleiner Octavband, von prächtigem, alten Ansehen; es schien von Gold zu seyn, mit Schmelz geziert. Stecke es zu dir, Vater! Sagte der Knabe, und laß es Niemand sehen.1

So schildert Goethe zu Beginn seiner Wanderjahre, wie Wilhelm Meisters Sohn Felix in einer Felsspalte ein Prachtbüchlein findet, ein besonderes Büchlein, welches weniger durch seinen Inhalt als vielmehr durch seine Gestalt als solches kenntlich ist.2 Auch die Texte der Romantiker, vor allem solche mit autobiografischem Bezug, sind geeignete Quellen, um Alltägliches festzustellen, denn vielfach sind es die gemeinen Lebensumstände, die in ihnen verbalisiert werden. Wie aber steht es mit der anderen, der ästhetischen Seite des Kulturträgers Buch? Wie können die buchgestalterischen Merkmale in besonderer Weise dazu beitragen, im Sinne von Novalis dem »Gemeinen einen hohen Sinn« zu geben und somit dem inhaltlich Alltäglichen zu einem qualitativ hochwertigen, gar einem bibliophilen, Gesamtkunstwerk zu verhelfen? Konkret: Wie tragen die einzelnen charakteristischen Elemente der Buchausstattung, insbesondere Typographie, Einbandgestaltung und Illustrationen dazu bei? Und schließlich stellt sich damit im Zusammenhang die Frage: inwieweit konnte ein Autor aus dem frühen 19. Jahrhundert selbst überhaupt auf die buchgestalterischen Merkmale Einfluss nehmen? Das vorliegende Thema liegt also im Spannungsfeld zwischen den Literaturwissenschaften und den Buchwissenschaften, speziell der Bibliophilie. Beide Disziplinen haben zunächst nur wenig Gemeinsames. Sie liegen an entgegengesetzten Enden des Spektrums in ihrem Verhältnis zum Buch: der Bibliophile beschäftigt sich mit der Gestalt des individuellen Exemplars, mit seiner materiellen Überlieferungsform, dem Literaturwissenschaftler geht es um den Text, für ihn ist das Buch Überlieferungsträger. Wichtig für die bibliophile Charakterisierung sind Satz und Druck, Papierqualität und Erhaltungszustand, Illustration und Einband. Nach dem noch heute grundlegenden Werk von Bogeng3 gilt als das Wesensmerkmal der Bibliophilie immer das Sammeln, welches bestimmt ist von den persönlichen Vorzügen des Sammlers, von den – wechselnden – Geschmacksrichtungen und von den 1 2 3

Goethe: Wanderjahre, S. 61. Landfester: Schöner lesen, S. 11–23. Bogeng: Einführung in die Bibliophilie, S. 181–182.

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Gesetzen des Marktes. »Es gibt so viele Arten der Bibliophilie, wie es Bibliophile gibt«4, meint Hermann Tiemann dazu. Das Buch als Objekt ästhetischer Erfahrung liegt aber in der Regel nicht auf dem Schreibtisch des Literaturwissenschaftlers. Diesem geht es eher um sein methodisch-kritisches Instrumentarium. Ihm kommt es auf den Text an; das Materielle eines Buches ist allenfalls sekundär. Noch drastischer hat Theodor Adorno es 1963 beschrieben: »Die Autonomie des Gebildes, an die der Schriftsteller all seine Energie wenden muss, wird von der physischen Gestalt des Gebildes desavouiert«5. Jedoch: auch der Literaturwissenschaftler, zumal der historisch orientierte, arbeitet mit dem alten Buch als Quellentext, in dem Unersetzliches bewahrt wird. Als eine tragfähige Brücke zwischen Bibliophilie und Literaturwissenschaft kann daher die exemplarspezifische Arbeit angesehen werden, da sich hier gegenseitig Textdeutung, Überlieferungsgeschichte und Rezeptionsforschung erhellen.6 Mit der nachfolgenden Untersuchung soll ein Beitrag zu diesem Brückenschlag geliefert werden. Anhand individueller Buchobjekte – überwiegend aus unserer Sammlung – wird ein Bezug hergestellt zwischen dem alltäglichen Inhalt und der buchästhetischen Form. In einer solchen Zusammenschau lässt sich ein Druckerzeugnis als etwas ganz besonderes begreifen, nämlich als ein Gesamtkunstwerk, in dem sich das Buch mit seinem »Geist, der über den Erinnerungen schwebt«7 in besonderer Weise erschließen lässt.

2. Tendenzen in der Buchgestaltung zu Beginn des 19. Jahrhunderts Gewiss kann behauptet werden, dass auch in Deutschland einstens die Bibliophilie mit ihren heilsamen Folgen auf einen grünen Zweig kommen wird. Wenn es nur recht bald geschieht, denn es ist gerade nicht einzusehen, dass es auch hinfort eine Eigenschaft des deutschen Volkes bleiben müsse, über Sachen, die practisch angegriffen sein wollen, sich erst vorher müde und matt zu theoretisiren […].8

So lautete 1843 die Vision des Heidelberger Philosophen und Bücherliebhabers August Ernst Umbreit, wohl in Vorausahnung der Blütezeit der Bibliophilie. Tatsächlich wird diese besondere Art der Bücherliebe und -gestaltung aber erst an der Schwelle zum 20. Jahrhundert lebendig, nämlich mit der von William Morris begonnenen Pressendruckbewegung und dem Entstehen der Bibliophilengesellschaften und den von ihnen herausgegebenen Luxusdrucken. Doch Umbreit beklagt schon an gleicher Stelle: Welchen Widerspruch muss ein Schriftsteller empfinden, wenn er die ihm so theuern Kinder seines reinsten Selbst nur auf das dürftigste und gröbste gekleidet herumwandeln sieht, wie Findelkinder, deren man sich nur etwa annimmt, weil man sie doch nun einmal nicht erfrieren 4 5 6 7 8

Tiemann: Sammeln und Lesen, S. 2. Adorno: Bibliographische Grillen, S. 32. Rautenberg: Zwei Königskinder, S. 101–112. Misch: Begriff und Ursprung der Autobiographie, S. 13. Umbreit: Die Bibliophilie in Deutschland, S. 117.

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lassen kann! Und wie viel fehlt noch einem Schriftsteller, wenn er diesen schreienden Widerspruch nicht selbst empfindet […].9

Blicken wir zurück: zur Mitte des 18. Jahrhunderts beginnt sich das Leseverhalten zu verändern. Eine drastische Zunahme des regelmäßig lesenden Publikums führt zu einer Schreibwut der Autoren – Schiller lässt den Räuber Karl Moor diese Epoche in seinen Räubern das »tintenkleksende Säkulum« nennen.10 Initiiert wurde dieser Prozess durch aufklärerische Wissensvermittlung und war eine Folge der zunehmenden Alphabetisierung einer neuen bürgerlichen Gesellschaft. Innovativ ist diese Zeit auch in technischer Hinsicht. Es werden verbesserte, massentaugliche Papierqualitäten, modernisierte Schriften entwickelt und maschinelle Fertigungsprozesse verändern sowohl den Druck als auch die Illustrationsgrafiken, vor allem durch die von Alois Senefelder erfundene Technik der Lithografie. Die Beziehung zwischen Autor und Verleger ist in der Regel distanziert und selten eine von längerer Bindung; man wechselte häufig den Verleger. Erst ab dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts tritt hier aufgrund des sich etablierenden Urheberrechtsschutzes eine größere Stabilität ein. Auch eine Mitwirkung eines Autors bei der technischen oder geschmacklichen Formung des Buches war unüblich. Es gab zu dieser Zeit eine feststehende Aufgabenteilung: der Autor liefert das Manuskript, der Verleger regelt das ökonomische, der Buchkünstler setzt die Intentionen des Autors in das Medium Buch um. Es gibt nur sehr wenig aufschlussreiche Literatur über die Bemühungen eines Autors, das Werden des eigenen Druckwerkes zu beeinflussen oder mitzubestimmen; allenfalls Briefwechsel zwischen Autoren und ihren Verlegern lassen einige Anhaltspunkte dafür erkennen. Dem Autor, dem es zumeist an der Kenntnis der Gestaltungsmittel fehlt, geht es in erster Linie um Lesbarkeit und Textgenauigkeit, d.h. um die Möglichkeit einer verlässlichen Satzkorrektur, so z.B. auch Goethe. Vor der Einführung von Verlegereinbänden, die erst zur Mitte des 19. Jahrhunderts Verbreitung fanden, wurden Druckerzeugnisse als rohe Bögen oder in einer Interimsbroschur vom Drucker-Verleger ausgeliefert und dann entweder kurz danach oder auch viele Jahre später eingebunden, je nach Geschmack von Leser oder Sammler. Insbesondere bei Adelsbibliotheken legte man dabei großen Wert auf Qualität und Einheitlichkeit der Einbände. Bedingt durch den Zunftzwang gehörten Drucker und Buchbinder unterschiedlichen Gilden an, zwischen denen es nur wenige Überschneidungen gab. Erst recht war damit zwischen dem Autor und dem Buchbinder in der Regel überhaupt keine Beziehung festzustellen.

9 10

Ebenda. Schiller: Die Räuber I, 2 – Sämtliche Werke, Bd. 1, S. 502.

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3. Typographie »[...] froh bin ich über allen Ausdruck, daß deine Schrieften alte und neue nicht mit den mir so fatalen Lateinischen Lettern das Licht der Welt erblickt haben – beym Römischen Carneval da mags noch hingehen – aber sonst im übrigen bitte ich dich bleibe deusch [...] auch in den Buchstaben«.11 So beurteilte Goethes Mutter am 15. Juni 1794 die erstmalige Verwendung der Antiqua in seinem 1789 bei Ettinger erschienenen Werk Das Römische Carneval.12 In der Tat hatte Goethe deutlich mehr Sympathie für die Frakturschrift, es war für ihn eine »Offenbarung deutschen Gemütes«. Die Auseinandersetzung zwischen der nationalen Schrift (»Mönchsschrift«) und der übernationalen, aus der humanistischen Minuskel generierten Gelehrtenschrift (»Lateinschrift«) reicht weit zurück. Im Verlauf der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wird die Fraktur zur vorherrschenden Type für deutschsprachige Druckwerke, daher auch die Bezeichnung »Luther-Fraktur«. Neben ihr behauptet sich die Antiqua für fremdsprachliche und lateinische Texte. Beeinflusst von der Schriftästhetik eines John Baskerville, Firmin Didot oder Giambattista Bodoni und in Reaktion auf die Tendenz der führenden deutschen Literaten, ihre Werke in Antiqua gedruckt zu sehen, wandeln sich in Deutschland die typographischen Standards und es werden klassizistisch anmutende Fraktur-Neuschnitte geschaffen.13 Von großer Bedeutung waren hier die Aktivitäten des Berliner Druckers Johann Friedrich Unger (1753–1804). Er vertrieb einerseits die Antiqua-Schriften Didots exklusiv im deutschsprachigen Raum und andererseits machte er sich auch daran, die Fraktur zu reformieren. Gestalterisch bedient sich Unger des gewohnten Fraktur-Skelettes, wobei er allzu dekorative Verschnörkelungen vermied. Die generelle Anmutung dieser sogenannten Unger-Fraktur erinnert daher an die Antiqua. Ein Beispiel für ein mit dieser Schrift gedrucktes Werk sind Goethes Neue Schriften von 1792 und einige Jahre später auch sein Wilhelm Meister: Nach der in Unstimmigkeiten geendeten Zusammenarbeit mit Georg Joachim Göschen als Verleger von Goethes Schriften (1787–1790) vermittelte Karl Philipp Moritz, der mit Goethe wie auch mit Unger befreundet war, deren Zusammenarbeit für die Ausgabe der Neuen Schriften. Göschen ging einen anderen Weg: Er druckte 1794 eine Prachtausgabe mit lateinischen Lettern von Wielands Sämmtlichen Werken und brachte neben dieser gleichzeitig noch drei weitere Ausgaben in unterschiedlichen Formaten und Papierqualitäten heraus. Mit dieser Maßnahme demonstrierte er die für diese Zeit ungewöhnliche Verantwortung des Verlegers. Durch einen von ihm geführten Rechtsstreit wurde sichergestellt, dass alles Autorenrecht nunmehr dem Verlagsrecht überzuordnen ist, ein Grundsatz, der für die Etablierung des Urheberrechts einige Jahrzehnte später wegweisend sein wird. Auch hinsichtlich der Papierauswahl, 11

12 13

Brief Nr. 123 von Katharina Elisabeth Goethe – Goethe: Briefe von Goethes Eltern, S. 168–169. Vgl. Unseld: Goethe und seine Verleger, S. 202. Schauer: Schrift und Typographie, S. 7–57.

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durch die von ihm erstmals eingesetzte Methode der Papierglättung und durch die von ihm persönlich vorgenommene Korrekturlesung hatte Göschen bei diesem Projekt Maßstäbe gesetzt.14 Friedrich Justin Bertuch, der Herausgeber des Journals des Luxus und der Moden, lobte es in seinem Brief an Göschen vom 6. November 1793: »Ich will noch mehr thun und zugleich im folgenden Stück meines Journals eine kleine Abhandlung über die Vorzüge der lateinischen vor den deutschen Lettern und Herrn Ungers albernen Einfall und verunglückten Versuch, die Teutsche Mönchsschrift zu verschönern, liefern und darin Ihre Ausgabe von Wieland als Specimen und Muster aufstellen«.15 Die Unger-Fraktur wurde zur Schrift der jungen Romantik. Ungers Mut, mit seiner Schrift Neuland zu betreten, zahlte sich zunächst einige Jahre für ihn wirtschaftlich aus. Schon kurz nach 1800 zeigte sich jedoch, dass dieser Schrift kein nachhaltiger Erfolg beschieden sein konnte: im Zuge der Napoleonischen Kriege wurde die als »französisch« konnotierte Antiqua zwangsläufig zum feindlichen Symbol degradiert. Mit dem anschließenden Untergang der Unternehmungen Ungers verschwand dessen klassizistische Fraktur. Zu erwähnen ist noch die aus der Offizin Breitkopf stammende zierliche »Jean-Paul-Fraktur«, die allerdings seinerzeit nur ein einziges Mal, nämlich 1798 in Jean Pauls Palingenesien, umgesetzt wurde. Diese Schrift gewann erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit dem »goldenen« Zeitalter der Bibliophilie an Bedeutung.

4. Illustrationen Für die Buchausstattung in der Romantik wurden gestochene Frontispize und Titelvignetten verwendet, wenn es nicht aus Kostengründen häufig sogar nur beim Text blieb. Als Techniken für Illustrationen waren Holzschnitte, Lithographien oder Kupfer- bzw. Stahlstiche üblich, die separat von dem gesetzten Text gedruckt werden mussten, oft in getrennten Druckereien. Dies erforderte eine aufwändige buchbinderische Verarbeitung, da die Illustrationen häufig nachträglich eingeklebt werden mussten und meist zusätzliche Seidenpapierblätter zum Schutz erhielten. Erst die ab Mitte des 19. Jahrhunderts verwendete Holzstichtechnik ermöglichte ein schnelleres Druckverfahren und höhere Auflagen, da Text und Illustrationen jetzt in einem Arbeitsgang hergestellt werden konnten. Repräsentativ für ein den literarischen Alltag vergegenwärtigendes Genre in der klassisch-romantischen Zeit waren die reichlich ausgestatteten Almanache und Taschenbücher.16 Sie enthielten nicht nur Gedichte oder Erzählungen, auch naturgeschichtliche oder ökonomische Belehrungen, Informationen zur Planetenstellung, pädagogische Hinweise, selbst »kleine Fragmente für die Toilette«17 waren ihr Inhalt. Viele berühmte Autoren dieser Zeit, wie Goethe, Schiller, Jean Paul, E.T.A. 14 15 16 17

Unseld: Goethe und seine Verleger, S. 149–151. Goschen: Das Leben Georg Joachim Göschens, Bd. 2, S. 58. Lanckoronska, Rümann: Geschichte der Deutschen Taschenbücher und Almanache, S. 49–50. Raabe: Zeitschriften und Almanache, S. 182.

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Hoffmann nutzten die Almanache und Taschenbücher für einige Erstpublikationen. Deren Ausstattung reichte von kunstvoll gefertigten Titelblättern, Frontispizen, Kupferstichen von den beliebtesten Stechern dieser Zeit, über Musikblätter, Karten, Modekupfer bis hin zu Gold- oder Farbschnitt und Einbandverzierungen. Häufig war die konkrete Ausstattung sogar nach Kundenwunsch wählbar. Das Taschenbuch für 1798 aus dem Verlag von Vieweg mit Goethes Herrmann und Dorothea ist ein Beispiel dafür.

Abb. 1: Titelblatt Taschenbuch für 1798. Herrmann und Dorothea

Im Dezember 1797 wird im Journal des Luxus und der Moden auf das Erscheinen dieses Bändchens wie folgt hingewiesen: Als Muster einer geschmackvollen Buchbinderarbeit – einer Kunst, darinnen Teutschland noch nicht excelliert – muß ich auch die seidenen und rothen Marroquin-Bände des neuen bey Vieweg d. ä. in Berlin erschienenen Kalenders, der Göthe´s schöne Stadt-Ekloge, Herrmann und Dorothea, enthält, anführen. Die seidenen besonders sind eigens dazu gewebt, und so viel ich weiß, der erste in Teutschland gemachte, und recht glücklich gerathene Versuch von der sogenannten Mignatur-Bildweberey. Der Grund ist croisiert, in der Mitte steht ein Medaillon mit einem Mignatur-Bouquette, welches ein Kranz von Weinreben einfaßt. Der geschickte Seidenfabrikant Hr. David Girard in Berlin ist der Verfertiger davon.18

18

Bertuch, Kraus: Journal des Luxus und der Moden, S. 629.

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Es gibt von diesem Taschenbuch allein drei Varianten der auf Postpapier gedruckten und mit dem Seideneinband von Girard ausgestatteten Luxusausgabe. Die aufwändigste Ausgabe enthält einen Titelkupfer der preußischen Königsfamilie

Abb. 2: Taschenbuch für 1798. Herrmann und Dorothea, Seideneinband von D. Girard

von Daniel Chodowiecki, einen kolorierten Modekupfer mit zwei Frauenköpfen nach Meil von Henne gestochen, sowie sechs weitere landschaftliche Kupfer. Des Weiteren gab Vieweg Ausgaben auf besserem Papier in rotem oder grünem Maroquin-Schuber heraus sowie preiswertere Exemplare mit abgewandelten Kupfern oder solche ganz ohne Illustrationen. In diesen »Paradiesvögelchen der Literatur« oder - wie Jean Paul sie bezeichnete – »dünnen Schmetterlingsflügeln im Sedez«19 verbindet sich somit unterhaltend bis populärwissenschaftlicher - zuweilen gar trivialer, Inhalt in besonderer Weise mit hervorragender buchkünstlerischer Gestaltung.

5. Einbände »Wir aber broschieren jetzt alles und haben nicht leicht vor dem Einbande noch seinem Inhalte Respekt«20, schreibt Goethe 1824 im fünften Band von Über Kunst und Alterthum. Während nämlich die Einbandgestaltung dieser Zeit durch die 19 20

Kandler: Paradiesvögelchen der Literatur, S. 66–68. Goethe: Ueber Kunst und Alterthum, Bd. 5, 1. Heft, S. 14.

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französischen und englischen Buchbinder dominiert wurde, blieb nämlich die deutsche Einbandkunst im Gegensatz zu den übrigen Medien der Buchgestaltung, wie Typographie und Illustration, bemerkenswert farblos.21 Im ausgehenden 18. Jahrhundert zeigen sich in England Anfänge einer antikisierenden Phase mit Motiven wie Urnen, Lyra und Lorbeerkränzen. Zum Anfang des 19. Jahrhunderts waren klassizistisch und naturalistisch inspirierte Bordüren sowie eine Betonung der Rückenverzierung üblich. Erst im zweiten Viertel des Jahrhunderts wurde wieder die gesamte Deckelfläche geschmückt. Auch der aus der Gotik bekannte Blinddruck wurde wiederbelebt und tauchte nun vielfach gleichwertig neben dem Golddruck auf. Ein Einband aus dieser Epoche wird auch als »Restaurationseinband« bezeichnet.

Abb. 3: Restaurationseinband, Goethe: Hermann und Dorothea Neue Ausgabe Braunschweig 1829

An grundlegend neuen Stilformen hatte diese Zeit allerdings recht wenig zu bieten. Vielmehr beherrschte eine eklektizistische Vermischung und Nachbildung historischer Stile, häufig auf ein und demselben Einband, das europäische Einbandschaffen. Daher können Einbände aus dieser Zeit nicht immer ganz eindeutig einer bestimmten Stilrichtung zugeordnet werden. Es war ein besonderes Kennzeichen der bekannten französischen Buchbinder, wie zum Beispiel der Werkstätten der Brüder Bozérian oder Thouvenin, dass sie ihr Erzeugnis mit einem Besitzvermerk, nämlich entweder einem eingeprägten Namen zumeist am unteren Buchrücken oder einem innenseitigen Etikett, versahen, um 21

Schmidt-Künsemüller: Die Kunst des Einbandes, S. 249–284.

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sich gegen ein Kopieren ihrer Erzeugnisse zu wehren. Auch Goethe stand als Bibliothekar in Weimar und Jena mit den Buchbindern seiner Zeit im Austausch.22 Es ist heute bekannt, dass er mit mindestens sechs verschiedenen Werkstätten zusammenarbeitete.23 Ob Goethe aber selbst ein Bibliophiler nach heutigem Verständnis war, ist fraglich; es war wohl eher der Inhalt, der für ihn im Vordergrund stand: »Ein schöner Druck gefällt wohl, aber wer wird ein Buch des Druckes wegen in die Hand nehmen«.24 Deutsches Zentrum der Bucheinbandkunst war Berlin und der bekannteste Einbandkünstler unter ihnen war der Hofbuchbinder Carl (Ernst) Lehmann III (1807–1848), der sogenannte »Goethe-Lehmann«25. Die Buchbinderdynastie Lehmann bestand aus dem Großvater Johann Jacob Lehmann (gestorben 1808), welcher 1789 von Friedrich Wilhelm II zum Hofbuchbinder bestellt wurde, dem Vater Carl Lehmann (gestorben 1823) und seinem Sohn Carl Ernst. Letzterer arbeitete vor allem für den Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. (1770–1840), in dessen heute in der Deutschen Staatsbibliothek in Berlin untergebrachter Bibliothek sich eine Reihe von hochwertigen Buchbinderarbeiten Lehmanns finden lassen. Carl Ernst Lehmanns offizielle Titelbezeichnung war »Königlicher Hof- und Ratsbuchbinder« und als solcher stellte Goethe seine Arbeiten den besten englischen und französischen Meistern gleich.26 Dies ist ein eindrucksvoller Beweis dafür, dass die französischen Vorbilder des schlichten Empirestils oder der Restaurationseinbände stark auf die Berliner Buchbinder gewirkt haben. Neben Lehmann war in Berlin auch Carl Wilhelm Voigt ein bekannter Vertreter seiner Zunft.27 In Goethes eigener Bibliothek findet sich ein von Lehmann gestalteter Band.28 Dieses Werk trägt einen klassizistischen Einband, in den Elemente des Restaurationsstiles eingeflossen sind, und es enthält im Vorsatz ein Etikett mit der Aufschrift: »Carl Lehmann Kgl. Hof-Buchbinder und Academischer Künstler«. Auf diese sich damals auch in Deutschland etablierende Praxis der Buchbinderzunft, ihre Werke mit einer Signatur zu versehen, weist Goethe an anderer Stelle hin.29 In unserer Sammlung befindet sich ein Exemplar von Thomas Carlyles Leben Schillers, aus dem Englischen, eingeleitet durch Goethe, (1830), in einem dunkelgrünen Ledereinband der Zeit. 22 23 24 25 26

27 28 29

Helweg: Altes und Neues über Jenaer Goethe-Buchbinder, S. 74. Freundlicher Hinweis von Matthias Hageböck, Restaurierungswerkstatt Goethehaus Weimar. Bogeng: Die großen Bibliophilen, S. 301. Husung: Der Goethe-Lehmann, S. 105. In Ueber Kunst und Alterthum, Band 6, 2. Heft, (1828), findet sich auf den Seiten 427 und 428 Goethes Anzeige zu Nicolovius, Über Goethe, mit dem Hinweis: »[…] dass ich dasselbe von vorgelobtem Künstler höchst schön gebunden vor mir sehe«. Diese Passage bezieht sich auf ebenda, S. 426: »Carl Lehmann’s Buchbinderarbeiten«: […] von obengenanntem, sorgfältig und geschmackvoll arbeitenden Landsmanne haben wir mehreres zur Hand, was mit englischen oder französischen Einbänden gar wohl wetteifern könnte […] auch künftig dürfe man seiner Firma das beste Zutrauen gönnen«. Helweg: Zum hundertsten Geburtstag des Kgl. Hofbuchbinders Franz Vogt, S. 87–88. Ruppert: Goethes Bibliothek, S. 88–89. Goethe: Karl Lehmanns Buchbinderarbeiten – Werke (Weimarer Ausgabe) Abt. I, Bd. 49, S. 135; vgl. auch .Freitag: Goethes Alltagsentdeckungen, S. 45–46.

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Abb. 4: Einband von: Thomas Carlyle: Leben Schillers eingeleitet von Goethe, 1830

Aus Goethes Tagebuch vom 18.6.1831 wissen wir: »An Herrn Thomas Carlyle ein Kistchen mit Büchern.«30 Dieser Sendung lag auch ein Brief Goethes an den schottischen Historiker und Essayisten Thomas Carlyle (1795–1881) bei, mit dessen Frau Jane Welsh Carlyle (1801–1866) Goethe ebenso wie mit Carlyle selbst langjährig befreundet war. In dem auf den 15.6.1831 datierten Brief an Thomas Carlyle heißt es: »Auch liegt ein Exemplar von dem übersetzten Leben Schillers bey, der Freundin gewidmet, damit sie erfahre, wie sich auch die Buchbinder des Continents aller Genauigkeit und Anmuth befleißigen«.31 Unser Exemplar ist somit dasjenige, welches Goethe im Juni 1831 als Geschenk an die Carlyles geschickt hat, wie es auch der handschriftlichen Eintragung auf dem Vorsatzblatt unseres Exemplars (datiert 1. Aug. 1831) zu entnehmen ist. Der Einband trägt eindeutige Merkmale des Restaurationsstils: er weist ein großes rechteckiges, beigefarbenes Mittelstück in Form einer blindgeprägten Platte auf sowie rahmenartige Goldfileten, darüber hinaus Rücken-, Steh- und Innenkantenvergoldungen. Aus welcher Werkstatt er stammt, ist aber nicht eindeutig nachzuweisen, denn der Einband trägt weder eine Signatur noch ein Etikett, welche auf den Künstler hinweisen könnten. Aus der oben zitierten Bemerkung Goethes kann 30 31

Goethe: Werke (Weimarer Ausgabe), Abt. III, Bd. 13, S. 94. Ebenda, Abt. IV, Bd. 48, S. 240.

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aber ausgeschlossen werden, dass der Einband aus einer englischen Werkstatt stammt, denn die Beschenkte soll ja gerade erfahren, dass sich »die Buchbinder des Continents aller Genauigkeit und Anmuth befleißigen«. Vom Stile des Einbands her liegt ein französischer Buchbinder nahe, da einige zum Vergleich herangezogene Exemplare, z.B. solche aus der Werkstatt von Thouvenet, eine blindgeprägte Großplatte als ein typisches Element des aus Frankreich stammenden Restaurationsstiles zeigen. Die fehlende Signatur spricht aber gegen eine französische Provenienz. Daher ist zu vermuten, dass der Einband aus einer Berliner Werkstatt stammt, zumal die Berliner Buchbinder, allen voran Carl Wilhelm Voigt oder Carl Lehmann, stark nach dem Vorbild ihrer französischen Kollegen gearbeitet haben und zudem Goethe ihnen auch räumlich näher stand. Es lässt sich also feststellen, dass in der klassisch-romantischen Epoche buchästhetische Gestaltungen bereits eine Rolle spielen. Allerdings steckte das, was wir heutzutage mit dem Begriffsinhalt von Bibliophilie assoziieren, noch in den ganz frühen Kinderschuhen. Auch kann der Einfluss des Autors selbst auf die Buchgestaltung eher als marginal angesehen werden. Eine Ausnahme war allerdings Achim von Arnim: anhand einiger Beispiele aus seinem Spätwerk wird nun gezeigt, dass er sich im Gegensatz zu den meisten Autoren seiner Zeit auch persönlich um die künstlerische Gestaltung seiner späten Novellen gekümmert hat.

6. Achim von Arnims Einflussnahme auf die Illustrationen seiner späten Novellen Besonders aufschlussreich sind hierzu die Umstände der Druckgeschichte zu Arnims späten Novellen, die zwischen 1820 und 1824 im Taschenbuch zum geselligen Vergnügen und 1826 in dem Sammelwerk Landhausleben erschienen.32 Während Arnims Erzählungen in den Jahren 1814 bis 1819 hauptsächlich in Berlin publiziert worden waren, veröffentlichte er danach seine Werke vornehmlich außerhalb Preußens.33 Arnims Beiträge zur Buchgestaltung sind belegt durch Briefwechsel, und zwar durch diejenigen mit den Leipziger Verlegern Carl Friedrich Enoch Richter34, Johann Leonhard Schrag35 (1783–1858) und Christian Heinrich Ferdinand Hartmann, darüber hinaus mit dem Herausgeber August Amadeus Wendt36 (1783–1836)

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Lanckoronska, Rühmann: Geschichte der Deutschen Taschenbücher und Almanache, S. 101. Härtl: Metamorphosen der Gesellschaft, S. 168–203. Carl Friedrich Enoch Richter, Buchhändler, Verleger in Leipzig (gest. 1831); er hatte 1806 die Gleditschische Buchhandlung in Leipzig gekauft. Johann Leonhard Schrag (1783–1858), deutscher Buchhändler und Verleger. Sein Handwerk erlernte Schrag in der Krüllschen Universitätsbuchhandlung Landshut. Darauf leitete er eine Buchhandlung in Wien. Als die Donaumetropole von Napoleon besetzt wurde, übernahm Schrag in Nürnberg die Steinsche Buchhandlung (Besitzer: Johann Philipp Palm, dessen Nichte er heiratete). 1810 gründete er seine Schragsche Verlagsbuchhandlung in Nürnberg. Populär wurde der Verlag unter anderem durch das Periodikum »Frauentaschenbuch«, zu dem Arnim neben anderen bekannten zeitgenössischen Autoren beitrug. Weiss: Unveröffentlichte Briefe Achim von Arnims, S. 104f.

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sowie den Malern Karl Wilhelm Kolbe (1781–1853) aus Berlin und Ludwig Sigismund Ruhl37 (1794–1887) aus Kassel. Das Taschenbuch zum geselligen Vergnügen wurde 1791 von Johann Ernst Friedrich Wilhelm Müller begründet und zunächst von Wilhelm Gottlieb Becker herausgegeben. Die Gestaltung der Illustrationen erfolgte bis 1800 durch Daniel Chodowiecki, nach dessen Tod hauptsächlich durch Johann Heinrich Ramberg. Nachdem Becker 1813 plötzlich verstarb, wurde der Dichter Friedrich Kind sein Nachfolger. Er wechselte vom bisherigen Verleger Gleditsch zu Göschen. Der neue Inhaber des Verlags Gleditsch, Carl Friedrich Enoch Richter, beschloss daraufhin, ein eigenes Taschenbuch zu publizieren - unter dem gleichen Titel. (Unbenannter) Herausgeber dieser Reihe aus dem Gleditschischen Verlag war zwischen 1819 und 1825 der Leipziger Professor für Ästhetik und Philosophie, August Amadeus Wendt.38 So existierten einige Jahre lang zwei völlig unterschiedliche Taschenbücher zum geselligen Vergnügen nebeneinander. In der von Wendt herausgegebenen Reihe erschienen im Jahr 1820 Arnims Novelle Die Majoratsherren, die um 1818 entstanden war, sowie später die Novellen Owen Tudor (1821), Die Kirchenordnung (1822) und Raphael und seine Nachbarinnen (1824). Die Majoratsherren waren Arnims erster Beitrag zu einem Taschenbuch überhaupt. Die von Arnim angeregte Illustration war zwischen Wendt und ihm umstritten: Wendt wollte »diesem Büchlein durch [Arnims] Beiträge eine originellere Richtung geben, als die meisten Almanache« und schlug daher am 22. November 1818 vor, den Maler Kolbe mit dem Entwurf einer Zeichnung zu beauftragen.39 Arnim kannte Kolbe zwar, ließ aber eine Zeichnung durch Wilhelm Hensel (1794 – 1861) anfertigen und von C. Büscher stechen. Am 28. Januar 1819 schreibt Wendt an Arnim: »Herr Richter dankt Ihnen die gütige Besorgung einer Zeichnung zu der versprochenen Erzählung, und wird das H Hensel zugesagte Honorar zugleich nach Empfang der Zeichnung berichtigen«.40 Mit Büscher hatte Wendt aber Bedenken und schreibt weiter: »Der Kupferstecher, welchen Sie nennen, ist H Richter allerdings rühmlich bekannt, allein es fragt sich ob die Art der Zeichnung der Manier desselben zusagt.«41 Arnim setzte sich jedoch durch und das Taschenbuch wurde im Herbst 1819 mit der von Büscher gestochenen Zeichnung ausgeliefert. Im Zusammenhang mit der Erzählung Die Kirchenordnung musste Arnim sogar zwischen zwei Künstlern wegen ihres jeweiligen Honorars vermitteln: Noch ehe Arnim den Text abgeliefert hatte, beauftragte er Ruhl mit einem Entwurf für eine Zeichnung.42 Aus Kassel berichtet Ruhl ihm am 8. Februar 1821, dass er die Zeichnung bereits an Wendt übersandt habe und weiter: »es thut mir leid das Sie

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Burwick: Die Beziehungen zwischen Arnim und Ruhl, S. 166–183. Weiss: Unveröffentlichte Briefe Achim von Arnims, S. 104–105. Weiss: Unbekannte Briefe von und an Achim von Arnim, S. 277, Nr. 115. Ebenda, S. 278. Ebenda. Burwick: Die Beziehungen zwischen Arnim und Ruhl, S. 166–183.

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Abb. 5: Illustration zu Die Majoratsherren, im Taschenbuch zum geselligen Vergnügen 182043

sie vor dem Stich nicht sehen«.44 Wendt meinte in seinem Schreiben vom 9. Februar an Arnim dann allerdings, Ruhls Arbeit sei »etwas verzeichnet«. Auch beim Verleger Richter stieß die Zeichnung auf wenig Gegenliebe: Solch ein braver Künstler und Mahler H Ruhl gewiß ist, so ist doch nicht zu leugnen, daß er es dem Kupferstecher sehr sauer macht etwas gutes zu liefern, denn vieles ist zu unbestimmt und fürchte ich, daß viele Kupferstecher es mir abschlagen solche zu übernehmen. Die Figuren sind zumal in den Händen nicht deutlich u correkt und wäre es mir viel lieber gewesen Sie hätten den Zeichner zur Zeichnung aus den Majoratsherren gewählt.45

Weiter wünscht sich Richter von Arnim, dass er sich wohl in Zukunft auf die literarische Seite der Gestaltung beschränken solle: […] daß Sie mein Taschenbuch zukünftig mit Ihren Beiträgen beehren werden, daß ich mir die Besorgung der Zeichnungen und Kupfer meiner selbst zu besorgen vorbehielt, theils um meine dabei gesammelten Erfahrungen dafür zu benutzen, welches kein ganz unzubeachtender Gegenstand ist, theils weil öffentlich das Äußere eines Taschenbuches der Verleger ganz allein verantworten und fällt es nicht nach dem Geschmacke des Publikums aus auch allein den Schaden davon tragen muß.46 43

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Diese Abbildung wurde freundlicherweise von Jürgen Knaack, Hamburg, zur Verfügung gestellt. Weiss: Unbekannte Briefe von und an Achim von Arnim, S. 301. Weiss: Unveröffentlichte Briefe Achim von Arnims, S. 124. Ebenda, S. 125.

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Arnim ließ daraufhin Ruhls Zeichnung von Kolbe in Berlin überarbeiten und macht bezüglich der Aufteilung des Honorars zwischen den beiden Künstlern dann einen Vorschlag: »Die Zeichnung zu meiner Erzählung ist recht schön gelungen, Wendt schickte sie mir […] So gehören nun Ihnen 2/4 [sic!] und Kolbe ¼ des Bildes, nach diesem Verhältnisse werde ich das eingehende Honorar theilen und senden«.47 Am 23. Juni ließ Arnim dann Ruhl seinen vereinbarten Anteil zukommen: Einliegend drey Frd'or Honorar für die Zeichnung, die Sie mir zu Liebe dem Gleditsch in Leipzig gemacht haben. Ich erhielt die Zahlung mit meinem Honorar zusammen erst vor kurzem und zwar 4 Stück, doch mit dem Bemerken, daß ich Kolbe’s nach dem Wunsche des Herausgebers vollbrachte Aenderung auch honoriren solle. Demnach habe ich nach Ausspruch meines Gewissens Ihnen ¾ und Kolbe ¼ zuerkannt.48

Arnims Plan zu der umfangreicheren Erzählungssammlung Landhausleben reicht vor das Jahr 1821 zurück. Damals hatte er dem Verleger Richter die Novellensammlung bereits angeboten. Am 24. Juli 1822 schreibt Wendt an Arnim: Daß ich Ihr Anerbiethen zu einer Sammlung Novellen H. Richter sogleich mitgetheilt, sehen Sie aus dem Briefe, den er mir darüber geschrieben. Ich bitte deshalb um Ihre Antwort. Aber indem sie eine Sammlung anbieten, entschlüpfen Sie mir wieder. Warum überlassen Sie mir nicht gütigst daraus zuerst die Wahl einer Erzählung für mein Taschenbuch? H. Richter kann ohnehin in dieser Form weniger zahlen, als für eine Erzählung im Taschenbuche […].49

Obwohl wegen der größeren Beliebtheit beim Publikum die Publikation einer Novelle in einem Taschenbuch oder Almanach ein höheres Honorar als in einem Sammelband eines einzelnen Autors versprach, entschied sich Arnim also für die Buchausgabe.50 Am 24. Januar 1826 kann Arnim an Görres vermelden: »Von mir erscheint vielleicht zu Ostern ein Buch, Landhausleben betitelt.« Der Satz muss Anfang 1826 begonnen worden sein, denn am 15. Februar 1826 machte Arnim bereits einen Vorschlag zur Gestaltung des Titels. Arnim hatte außerdem bei dem Grafiker Friedrich Wilhelm Gubitz (1786–1870) zwei Vignetten bestellt, die in dessen Zeitschrift Gesellschafter zum Kauf angeboten worden, und zwar im 19. Blatt am 3. Februar 1826, der Amor als Nr. 966 (1 Taler) und die Schwäne als Nr. 971 (2 Taler).51 – Arnim schreibt an den Leipziger Verleger Hartmann aus Berlin: Ew Wohlgeboren sende ich ein Paar Abdrücke von Gubitzischen Platten, die zusammen 3 rth kosten, zur Beurtheilung, ob Ihnen diese Einrichtung des Titels gefällt. Sie können mit gedruckt werden denn sie sind für die gewöhnliche Presse eingerichtet. Im Falle die kleinen Dinger abspringen, bemerke ich nur, daß oben der Amor und unten die beiden Schwäne paradieren sollen. Bitte um baldige Entscheidung [...].52 47 48 49 50 51 52

Schemann: Aus dem Nachlasse Ludwig Sigismund Ruhls, S. 3. Ebenda, S. 4. Weiss: Unveröffentlichte Briefe Achim von Arnims, S. 132. Ebenda, S. 134. Arnim: Werke in sechs Bänden, Bd. 4, S. 1234. Weiss, Unveröffentlichte Briefe Achim von Arnims, S. 295–296.

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Der Brief enthält die beiden Probedrucke der Gubitzschen Vignetten. Er erreichte jedoch zunächst Hartmann nicht, sondern wurde zurückgesandt. Arnim hatte inzwischen, am 3. März 1826, bereits wieder an Hartmann geschrieben: Mir ist es hauptsächlich darum zu thun, daß das Buch ein etwas verschiedenes Ansehen hat vor anderen, denn nichts ist gefährlicher je[t]zt, als wenn es so wie die ganze übrige Fluht [!] gestellt ist und auf dem Meere nicht einmal denen sichtbar wird, die es retten wollen. Deswegen scheint mir auch die andere Bedingung, daß es broschirt in leichten grünen Umschlägen ausgegeben wird, […] recht wesentlich für den Absatz, denn die meisten Leute hier kaufen nur das, was in dieser Art in den Schränken der Buchhändler an den Fenstern ausgestellt werden kann. Ungebundene Bücher der Art nehmen die Leute nicht einmal zur Ansicht, wie ich dies bei Buchhändlern so oft gesehen habe und was Taschenbücher empfiehlt ist nur hauptsächlich, daß sie gleich fertig zum Lesen, auch aufgeschnitten sind. Die […] in England und Frankreich hat dies Resultat längst ergeben, bei uns geht es nur langsamer mit solchen Einsichten. Also ein grüner Band mit röthlichem Titel ›Landhausleben‹ ist wesentliche Bedingung. Noch muß ich anmerken, daß der Titel ›Landhausleben‹ auf dem Titelblatte mit recht starken Lettern gedruckt werden muß, alles andere mit kleinerer Schrift [...].53

Hartmann übernahm diesen Titelentwurf. Dass das Buch außerdem einen farbigen Umschlag bekam, ist nicht festzustellen. Arnims Werk Landhausleben erscheint 1826 im Verlag von C.H.F. Hartmann in Leipzig. Es war Arnims letztes einzeln erschienenes Werk und enthält fünf formal völlig unterschiedliche Erzählungen. In dessen Schlußbericht bezieht sich Arnim auf das von ihm entworfene Titelblatt mit den Vignetten von Friedrich Wilhelm Gubitz: Er griff einige Akkorde auf seiner Guitarre, dann sah er mein Buch, blickte hinein und rief: Die Symbole des Titels sind wohl gewählt, der kleine Gott hoch über uns in den Lüften, wie er Morgens mit dem Adler aus dem Eichenhorste durch den Äther nach Italien sich hinschwingt, um meine Seufzer zu überbringen; hier unten die beiden treuen Schwäne auf meinem See, von denen wir noch immer nicht wissen, ob sie nicht zu dem geheimnisvollen Geschlechte göttlicher Wesen gehören, die zu gewissen Zeiten ihr Schwanenkleid ablegen können, und in Sommernächten durch den See als schöne Jungfrauen badend rauschen, wie sie unser Freund beobachtet zu haben meinte […].54

In Verbindung mit der Titelvignette wird durch diesen Text ein äußerer Rahmen gebildet, durch den die einzelnen, inhaltlich völlig voneinander unabhängigen Erzählungen der Novellensammlung miteinander verbunden sind. Auch hierdurch

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In einem bislang als verschollen angesehenen, aber inzwischen im Handel aufgetauchten Brief vom 3. März 1826: http://www.abebooks.de/servlet/BookDetailsPL?bi= 14082821856&searchurl=tn%3DEigenh.+Brief+mit+U.+%28%84Ludw.+Achim+Arnim% 22%29.%26sortby%3D13%26an%3DArnim%2C+Achim+von%2C+Schriftsteller+%28178 1%961831%29.%26ds%3D30 (geladen am 3.12.2014). Arnim: Landhausleben, S. 509.

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Abb. 6: Titelblatt zu: Achim von Arnim, Landhausleben, erste Ausgabe 1826

kommt der Anspruch Arnims auf eine hohe buchästhetische Gestaltung zum Ausdruck, indem durch die »Verbindung von Buchkünstlerischem und Text außerdem die Bedeutung des Bildhaften der Erzählungssammlung und die romantische Idee der Einheit der Künste konnotierbar sein sollten«.55 Die Titelvignette mit dem Motiv der beiden Schwäne erschien noch im selben Jahr auf der Rückseite des Umschlags zu einem anderen bekannten Werk, das Gubitz ebenfalls in seinem Gesellschafter bewarb, nämlich zu Eichendorffs Aus dem Leben eines Taugenichts,56 Dort heißt es im 10. Kapitel: »Denn auf dem grünen Platze am Schwanenteich, recht vom Abendrot beschienen, saß die schöne gnädige Frau […]. Ihr gegenüber saß eine andre junge Dame […] und sang zur Guitarre, während die Schwäne auf dem stillen Weiher langsam im Kreise herumschwammen.«57 Es lässt sich also zusammenfassend feststellen, dass Arnim qualitätsvolle Illustrationen als ein wichtiges ästhetisches Element für ein Druckerzeugnis verstand. Er nahm nicht nur die Ausstattung verschiedener zeitgenössischer Publikationen, 55 56 57

Härtl: Metamorphosen der Gesellschaft, S. 170–171. Steinsdorff: Ich bin mit der Revolution geboren, S. 162–163. Eichendorff: Aus dem Leben eines Taugenichts, S. 126.

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z. B. der Almanache oder Taschenbücher, zur Kenntnis, sondern verfolgte auch die neuesten Arbeiten bedeutender, meist ihm auch persönlich bekannter Berliner Künstler, und ließ diese Erfahrungen, wie gezeigt, in die buchästhetische Gestaltung seiner späten Novellen einfließen.58

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Weiss: Unveröffentlichte Briefe Achim von Arnims, S. 128.

KRIEG UND ALLTAG

Irmgard Egger †

Die Kunst in Zeiten des Krieges: E.T.A. Hoffmann in Dresden und Leipzig

»In keiner als in dieser düstern verhängnisvollen Zeit, wo man seine Existenz von Tage zu Tage fristet [...], hat mich das Schreiben so angesprochen – es ist, als schlösse ich mir ein wunderbares Reich auf, das aus mein[em] Innern hervorgehend und sich gestaltend mit dem Drange des Äußern entrückte«, schreibt Hoffmann am 19. August 1813 aus Dresden an seinen Verleger Carl Friedrich Kunz.1 Vier Monate zuvor hatte er Bamberg verlassen, um in Sachsen eine Kapellmeisterstelle anzutreten, war damit jedoch unmittelbar in Kriegsgebiet geraten: in die napoleonische Besetzung Dresdens im Mai, die nachfolgende alliierte Belagerung, die Schlacht bei Dresden Ende August und schließlich die Völkerschlacht bei Leipzig im Oktober 1813 und die Kapitulation Dresdens im November. Mehrmals in direkter Nähe zum Kampfgeschehen und dem Grauen der Schlachtfelder, bei erschwerten Post- und Reisewegen, eingeschränktem Verdienst, Versorgungsengpässen und Seuchen lebten Hoffmann und seine Frau hier zumeist in materieller Not und Ungewissheit. – Und doch wurden gerade diese Monate zu Hoffmanns künstlerisch bislang produktivster Zeit. Wie belastend sich indes der Alltag unter diesen Umständen gestaltete, erfahren wir aus den Tagebüchern und Briefen, die den Metatext der ersten erfolgreichen literarischen Werke dieser Monate bilden. Schon in den Jahren zuvor, nach seinem Amtsverlust in Warschau Ende 1806, war Hoffmanns Leben durch äußerst prekäre Einkommensverhältnisse und die Erosion seines sozialen Feldes und seines Habitus als beamteter preußischer Jurist bestimmt gewesen.2 Seine Versuche, sich im Feld der Künste zu verorten, konnten in Bamberg erst im Ansatz gelingen, bis schließlich sein Abschied durch die Affäre um Julia Mark erzwungen und durch den Erhalt von rund 1000 Reichstalern (etwa 1 2

Hoffmann: Sämtliche Werke in sechs Bänden, Bd. 1, S. 301. Zu Hoffmanns Lebensumständen vgl. die detaillierte Zeittafel bis Ende 1813 ebenda, S. 982– 1009 und von 1814–1822 in ebenda. Bd. 6, S. 1118–1138. Zwar war Hoffmann bereits als junger Jurist durch eigenwilliges Verhalten und kritisch-künstlerischen Geist aufgefallen (daher 1802 auch die kurze Versetzung in die Provinz nach Flock), schwerer wog dann aber doch (und auch zuletzt wieder) der Habitus des fähigen Königsberger Volljuristen aus angesehener Juristenfamilie im Feld des preußischen Staatsdienstes, solange dieser noch bestand. Mit der Auflösung der preußischen Behörden (und damit auch des sozialen Feldes) im November 1806 gingen diese Signale hingegen ins Leere und Hoffmann sah sich zur Orientierung in einem neuen Feld gezwungen, für das ihm (noch) weitgehend der Habitus fehlte. Zu diesem soziologischem Grundmuster vgl. Bourdieu: Die feinen Unterschiede; Bourdieu: Die Regeln der Kunst.

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ein niedrigeres Juristen-Jahresgehalt) aus dem Erbe seines Onkels ermöglicht wurde, worauf 1814 nochmals 500 Taler aus dem Erbe folgten und kleinere Unterstützungen durch seinen Jugendfreund Theodor von Hippel.3 Anders wären diese Jahre im Prekariat des privaten Kulturbetriebs um 1810 bei gebrochenen Vereinbarungen, gekürzten Gagen und unregelmäßigen Honoraren bei allem Fleiß und Geschick kaum zu überleben gewesen, zumal Hoffmann für seinen Amtsverlust insgesamt nur 200 Reichstaler Entschädigung erhielt, also knapp drei Juristen-Monatsgehälter, und im ersten Dreivierteljahr seiner Wiedereinstellung in Berlin kein Gehalt, sondern lediglich Fallpauschalen.4 Konnte er zunächst bei Theaterdirektor Joseph Seconda in Dresden und Leipzig ein regelmäßiges Gehalt erwarten, waren die Einkünfte dann aber geringer und unsicherer5 und vor allem wurde das Leben durch die Kriegsereignisse erheblich beeinträchtigt. So erfolgte schon wenige Tage nach der Ankunft in Dresden der Einmarsch Napoleons und der Rückzug der preußischen und russischen Truppen, welche das Stadtzentrum in der Folge von der Neustadt her unter Beschuss nahmen. Hoffmann schreibt dazu am 10. Mai: »An [...] keine Vesper war zu denken denn die Kugeln zersplitterten die Fenster der Kirche und schlugen in die Türe ein, so daß schon in aller Frühe ein alter Mann auf der KirchenTreppe erschossen wurde – an das SchloßTor fuhren zischend und unaufhörlich Kugeln – kurz in der ganzen Gegend konnte man den Tod der Neugierde sterben.«6 – Ungeachtet der charakteristischen Ironie am Ende, ist die Lage jedoch ernst genug und Theaterdirektor Seconda bereits nach Leipzig abgereist, wo er auch Hoffmann erwartet, der aber wochenlang in Dresden festsitzt: zuerst in einem teuren Gasthof, dann zur Untermiete auf dem Altmarkt: »4 Treppen hoch.«7 Zur Lage in Dresden notiert er etwa

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Hoffmann vermerkte in seinen Tagebüchern zumeist auch seine Einnahmen, was von der Hoffmann-Forschung bislang kaum beachtet wurde. Die Angaben zu seinem Königsberger Erbe finden sich am 27.12.1811 (500 Rth – Hoffmann: Sämtliche Werke in sechs Bänden, Bd. 1, S. 389), am 25.2.1813 (485 Rth; ebenda, S. 448) und weitere insgesamt 520 Rth bis Herbst 1814, womit er seine Schulden in Bamberg und die Reise nach Sachsen bzw. dann Berlin bezahlen konnte. – Zur Affäre Mark vgl. den Eintrag Mark, Juliane. – In Kremer: Bekannte und Zeitgenossen E. T. A. Hoffmanns, S. 18–35, hier S. 28; zu Theodor von Hippel vgl. ebenda, S. 23; zu Carl Friedrich Kunz vgl. ebenda, S. 27. Zu den je 100 Rth für den Amtsverlust vgl. den 20.5.1808 (Hoffmann: Sämtliche Werke in sechs Bänden, Bd. 1, S. 351) und den 3.10.1814 (ebenda, Bd. 6, S. 262). In Berlin erhielt er zunächst kein Gehalt, als Richter am Kammergericht aber »Urte[i]ls-Gebühren« (Brief vom 1.11.1814; ebenda, S. 48) und, nach mehr als acht Jahren am Existenzminimum, ab Juli 1815 ein Jahresgehalt von 800 Rth (ebenda, S. 75). Zu Josef Seconda vgl. Kremer: Bekannte und Zeitgenossen E. T. A. Hoffmanns, S. 18–35, hier S. 32. Seconda war mitunter auch großzügiger, musste den Betrieb (bei sehr anspruchsvollem Repertoire) jedoch rentabel durch die Kriegszeiten führen und jede Saison um dessen Weiterbestehen verhandeln, wobei im Winter in Leipzig und im Sommer in Dresden gespielt wurde. Hoffmann beschreibt ihn mehrmals als gutmütig, aber dumm, was letztlich auch zu dem Zerwürfnis im Februar 1814 führte – im Grunde ein Habituskonflikt zwischen dem Vollakademiker und dem Praktiker; vgl. dazu den Brief vom 7.3.1814 an Rochlitz; Hoffmann: Sämtliche Werke in sechs Bänden, Bd. 6, S. 20–21. Ebenda, Bd. 1, S. 279. Ebenda, S. 456.

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am 11. Mai: »Große Not – kein Fleisch, kein Brod.« und am 15. Mai: »eine Menge Verwundete«8. Wie sich das Alltagsleben dabei gestaltete, zeigen das Tagebuch und die Briefe: mit Mühe gelang es Hoffmann, hier seine Konzentration wiederzufinden und die bereits von Bamberg aus geknüpften Verbindungen zur Leipziger Allgemeinen Musikalischen Zeitung und zu deren Verleger Gottfried Christoph Härtel und dem Herausgeber Friedrich Rochlitz aufzunehmen und an weiteren Musik-Rezensionen für die Allgemeine Musikalische Zeitung zu arbeiten.9 Hinzu kamen das Verfassen von Bittbriefen um Honorare und Vorschüsse und die Bemühungen um eine Reiseerlaubnis nach Leipzig. Abends suchte er mit seiner Frau meist die Ausflugslokale in den Brühlschen oder Tilkeschen Gärten entlang der Elbe auf und beobachtete von hier aus auch die Truppenbewegungen. Endlich folgten nun vier Wochen in Leipzig bei Waffenstillstand und reger Proben- und Aufführungstätigkeit mit Secondas Ensemble und Ende Juni die Rückkehr nach Dresden, wo Seconda das Hoftheater übernahm. Dazu Hoffmann am 13. Juli: »In Dresden wohne ich – auf dem Lande! – d. h. vor dem schwarzen Tore auf dem Sande in einer Allee, die nach dem Linkischen Bade führt.«10 Zwar ist der Weg zum Theater relativ weit, eine gute halbe Stunde zu Fuß, oft zwei Mal täglich hin und zurück, doch genießt Hoffmann die ländliche Umgebung am Fluss und die Nähe des beliebten Ausflugslokals, und sein Alltag beginnt mit den fast täglichen Proben und Dirigaten an Struktur zu gewinnen. Die Idylle währt indes nicht lange: mit dem Ende des Waffenstillstands am 10. August verdichten sich erneut die Kampfhandlungen. Beim Linkischen Bad wird ein Feldlazarett eingerichtet, und die Gegend gerät in unmittelbare Schusslinie, so dass Hoffmann und seine Frau am 22. August wieder in die Altstadt ziehen: um keinen Tag zu früh, war Hoffmann doch an der im Lazarett grassierenden Ruhr erkrankt und am 26./27. August die Schlacht bei Dresden entbrannt – der letzte Sieg der Franzosen auf deutschem Boden mit insgesamt 25.000 Toten, mit der Verwüstung der Neustadt und der umliegenden Dörfer und dem erneuten Beschuss der Dresdner Altstadt.11 Wenige Tage später wagt Hoffmann sich in die Nähe des Schlachtfeldes und ist fassungslos über das Maß des Grauens: »Was ich so oft im Traume gesehn ist mir erfüllt worden – auf furchtbare Weise – Verstümmelte zerrissene Menschen!!«12

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Ebenda, S. 456–457. Zu Härtel und Rochlitz vgl. Kremer: Bekannte und Zeitgenossen E. T. A. Hoffmanns, S. 18–35, hier S. 22, S. 31. Hoffmann hatte in der Allgemeinen Musikalischen Zeitung, der angesehensten deutschen Musikzeitschrift, seine ersten musikalischen Erzählungen veröffentlicht (Ritter Gluck, Don Juan), ferner die ersten Kreisleriana und zahlreiche Rezensionen, darunter einige zu Beethoven. Im selben Verlag erschienen seine eigenen Kompositionen, die wiederum von Rochlitz in der Allgemeinen Musikalischen Zeitung rezensiert wurden. Er fand hier also durchaus Anschluss an das gehobene musikalische Feld, leben ließ sich allerdings auch davon nicht. Hoffmann: Sämtliche Werke in sechs Bänden, Bd. 1, S. 291. Das sehr bescheidene, doch schön gelegene Haus konnte auf alten Plänen und Fotografien lokalisiert werden; es wurde in den 1920er-Jahren abgerissen. Vgl. dazu Hoppe: Wohnort. Vgl. dazu Juhel: Die wichtigsten Schlachten, S. 70–85; ferner Juhel: Dresden 1813, S. 86–103. Hoffmann: Sämtliche Werke in sechs Bänden, Bd. 1, S. 471.

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Von der entscheidenden Völkerschlacht bei Leipzig vom 16. bis 19. Oktober 1813 mit der unvorstellbaren Zahl von insgesamt rund 90.000 Gefallenen und Verwundeten hört er nur aus Berichten, indes gehen die Kämpfe um Dresden weiter. Dazu Hoffmann am 30. Oktober: »Die Russen haben Dresden gänzlich eingeschlossen [...] und die Franz[osen] wollen sich ganz festsetzen – was wird nun aus den Dingen werden – (Zum erstenmal sich fortgewünscht).«13 Und am 4. November: »Brodt- und Fleischmangel – Ansteckende Krankheit – kurz Elend von allen Seiten.« – Zum selben Datum aber auch: »Abends Aufführung der Zauberflöte.«14, womit die Amplituden dieser Tage bezeichnet sind – für ihn wie für die Dresdner Bürger. Ähnlich liest sich dies bereits am 8. September, knapp zwei Wochen nach der Schlacht bei Dresden: »Der stillste Ort, wo man entfernt von allem KriegsGetümmel sich wie in einer andern Welt befindet, ist die BilderGallerie, und Sie können denken, daß ich jeden Nachmittag da zubringe [...]. Eben so finde ich in der Dreyßigschen SingeAkademie ein Asyl und erhebe mich über die Unbill der Zeit.«15 Hoffmann verarbeitete die in seinen Tagebüchern und Briefen festgehaltenen Eindrücke dieser Wochen in insgesamt vier Texten: den beiden antinapoleonischen Flugschriften Vision auf dem Schlachtfelde bei Dresden (1814)16 und Der Dey von Elba in Paris (1815), in der Fragment gebliebenen Tagebuchskizze Drei verhängnisvolle Monate! (1813) und in der Rahmenhandlung des Theoriegesprächs Der Dichter und der Komponist (1813).17 Diese Texte sollten später zu einem größeren Werk verbunden werden, wozu es allerdings nie kam, und zwar mit gutem Grund nicht. Bei aller Unmittelbarkeit des persönlichen Erlebens erscheinen sie doch eher konventionell, und ihr Erfolg hielt sich ebenso in Grenzen wie das Interesse an Napoleon und seinen Schlachten – von Hoffmann richtig erkannt – rasch nachließ. Dass er mit diesen Texten zum Realisten oder politischen Autor geworden wäre, ist jedenfalls nicht aufrechtzuerhalten. Dazu Hoffmann selbst im 5. Kreislerianum von 1813: »Welcher Künstler hat sich sonst um die politischen Ereignisse des Tages bekümmert – er lebte nur in seiner Kunst [...]; aber eine verhängnisvolle schwere Zeit hat den Menschen mit eiserner Faust ergriffen und der Schmerz preßt ihm Laute aus, die ihm sonst fremd waren.«18 Festzuhalten ist zu Hoffmanns antinapoleonischen Texten, dass aus ihnen nicht Hass und schon gar nicht Nationalismus spricht, sondern vor allem das Grauen angesichts des Dämonischem19, wie es (über den Anlassfall hinaus und ohne das 13 14 15 16

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Ebenda, S. 480. Ebenda, S. 481. Ebenda, S. 305. Vgl. dazu Beßlich: Apokalypse 1813. Beßlich weist nach, dass Hoffmann sich hier stark an der zeitgenössischen Textsorte antinapoleonisches Pamphlet mit ihrer der Apokalypse entlehnten Metaphorik orientiert. Die instruktivste Analyse der Dresdner Monate und speziell dieser ansonsten wenig beachteten Texte und ihres politischen wie literarischen Stellenwerts liegt von Hartmut Steinecke vor; Steinecke: Die Kunst der Fantasie, S. 136–153, der auch auf die Dialektik (avant la lettre) von Kriegsalltag und Literaturauffassung hinweist. Hoffmann: Sämtliche Werke in sechs Bänden, Bd. 2,1, S. 69. Vgl. Fühmann: Fräulein Veronika Paulmann; Rohrwasser: Coppelius, Cagliostro und Napoleon. – Dass es sich bei der lange unterschätzten Erzählung Die Automate (1814) nicht um

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Pathos der frühen Texte) zu einer Konstante seines Werks wird – unmittelbar in der Dresdner Zeit bereits in den Erzählungen Der Magnetiseur und Die Automate und auch im Goldenen Topf. Hoffmann hatte Napoleon übrigens bereits in Warschau und dann mehrmals in Dresden persönlich gesehen und unter diesem Gesichtspunkt mit wachsendem Entsetzen, zugleich aber auch mit sachlich-distanziertem Interesse beobachtet. Der anschaulichste dieser Texte ist zweifellos die Rahmenhandlung des Streitgesprächs Der Dichter und der Komponist, in der Hoffmann seine Eindrücke der mehrmaligen Belagerung Dresdens verdichtet. Er lässt hier sein alter ego, den Komponisten Ludwig, in seinem Dachstübchen voll Enthusiasmus eine Symphonie erschaffen, bis [...] in dem Augenblick eine daher brausende Granate ein Stück des Daches wegriß [...], da rannte die Wirtin schreiend Treppe hinab, und Ludwig eilte [...] ihr nach in den Keller. Hier war die ganze Hausgenossenschaft versammelt. In einem Anfall von Liberalität [...] hatte der im untern Stock wohnende Weinwirt ein Paar Dutzend Flaschen [...] Preis gegeben; die Frauen [...] brachten [...] manches köstliche Stück aus ihrem Küchenvorrat [...].20

In dieser kleinen Szene thematisiert Hoffmann zudem die noch relativ neue soziale Realität eines mehrgeschossigen städtischen Mietshauses mit dem Zusammenleben einander Fremder unter einem Dach, die »sich auf der Treppe begegnend, kaum den Hut gerückt«21, wogegen er ihr nunmehriges Bedürfnis nach Nähe in Zeiten der Angst und Not setzt. Nach dem Ende des Angriffs trifft Ludwig völlig unerwartet seinen Jugendfreund, den Dichter Ferdinand, im Gefolge des abziehenden preußischen Königs.22 Die Freunde verfallen in der kurzen Kampfpause in ein Gespräch über die Spezifik der jeweiligen Künste, bis Ferdinand wieder die militärische Pflicht ruft. »Ach«, klagt Ludwig beim Abschied, »[...] was soll aus der Kunst werden in dieser rauhen stürmischen Zeit?«23, worauf Hoffmann in seinem eingangs zitierten Brief gleich selbst die Antwort gibt: »In keiner als in dieser düstern verhängnisvollen Zeit [...] hat mich das Schreiben so angesprochen – es ist als schlösse ich mir ein wunderbares Reich auf [...].«24 In demselben Brief vom 19. August 1813 kündigt er ein Märchen an, den Goldenen Topf »Feenhaft und wunderbar« solle das

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rein äußerliche Fragen zwischen Text und Bild handelt, sondern vielmehr um eine grundlegende Auseinandersetzung mit literarischer Authentizität (hier u. a. des Dämonischen) hat jüngst Tan Wälchli eindrucksvoll nachgewiesen. Vgl. Wälchli: »Göttliche Stimme«. – Zur Ambivalenz des Dämonischen der Napoleon-Figur vgl. Savoy: Katalog Kapitel 2. Faszination und Abscheu, S. 168–177. Hoffmann: Sämtliche Werke in sechs Bänden, Bd. 1, S. 752–753. Ebenda, S. 753. Hoffmann beschreibt hier sein eigenes überraschendes Treffen mit seinem Jugendfreund Theodor von Nippel, der inzwischen als Geheimer Staatsrat des preußischen Königs Karriere gemacht hatte. Vgl. dazu die Tagebucheinträge vom 26.4. und 27.4.1813 (ebenda, S. 453) und den Brief an Kunz vom 10.5.1813 (ebenda, S. 276–279). Ebenda, S. 773. Ebenda, S. 301.

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Märchen werden, doch ohne exotisches oder historisches Dekor, sondern »keck ins gewöhnliche alltägliche Leben tretend«25; entsprechend auch der antithetische Untertitel: Ein Märchen aus der neuen Zeit. – Erstmals wird damit in dieser Deutlichkeit ein wesentliches Prinzip des Gesamtwerks erkennbar: die Duplizität des Seins26 wie sie hier bereits unmittelbar aus Hoffmanns alltäglichen Erfahrungen folgt und mithin als der eigentliche Ertrag der schwierigen Dresdner Monate gelten kann: »Am Himmelfahrtstage Nachmittags um drei Uhr rannte ein junger Mensch in Dresden durchs schwarze Tor und gerade zu in einen Korb mit Äpfeln und Kuchen hinein, die ein altes häßliches Weib feil bot, so, daß alles [...] hinausgeschleudert wurde [...].«27 Hungrig und knapp bei Kasse war der Student Anselmus aufgebrochen, um über die Elbe zum beliebten Ausflugslokal des Linkischen Bades zu gelangen – also gleichsam Hoffmanns Heimweg von seiner Arbeitsstätte folgend –, doch plötzlich kippt das Genrebild der zänkischen Marktfrauen, der heiteren Spaziergänger und des ungeschickten Studenten, als (las Äpfelweib dem hastig Fliehenden noch unvermutet bösartig nachruft: »Ja renne – renne nur zu, Satanskind – ins Krystall bald dein Fall – ins Krystall! – Die gellende, krächzende Stimme des Weibes hatte etwas entsetzliches, so daß die Spaziergänger verwundert stillstanden und das Lachen [...] mit einem Mal verstummte. – Der Student Anselmus [...] fühlte sich [...] von einem unwillkürlichen Grausen ergriffen [...].«28 Bricht die zweite Wirklichkeit hier als das Dämonische in den harmlos-heiteren Alltag der ersten, so folgt auf dem Fuß ihre antagonistische Komponente, das Wunderbare. Atemlos in Richtung Linkisches Bad gerannt, bleibt dem nunmehr völlig mittellosen Studenten die Welt der kleinbürgerlichen Feiertagsgenüsse verschlossen: Kaffee mit Rum, Doppelbier, Musik und der Anblick hübsch geputzter Mädchen, wie er sehnsüchtig imaginiert und Hoffmann präzise beschreibt. Indes sucht er an einem stillen Plätzchen am Ufer der Elbe Zuflucht, als ihn ein Rascheln aufschreckt, und er meint, im Holunderbaum über sich Stimmen zu hören. Hoffmann gestaltet hier eine subtile Studie des Eindringens des Wunderbaren ins Alltägliche über akustische und vor allem visuelle Medien, wie sie auch für sein weiteres Werk charakteristisch bleiben wird. Rationalisiert Anselmus die Signale zunächst als Rauschen des Abendwinds, so treten sie bald deutlicher vor seine Sinne: »[...] es war, als ertönten die Blüten wie aufgehangene Krystallglöckchen [...], als streue der Holunderbusch tausend funkelnde Smaragden [sic!] durch seine dunklen Blätter.«29 Was hier noch durch den Konjunktiv und die als ob-Formel als

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Ebenda. Vgl. dazu Miller: Hoffmanns doppelte Wirklichkeit; Pikulik: Vom Wahnsinn des Alltags. – Die meinen Ausführungen zugrunde liegende DKV-Ausgabe der Sämtlichen Werke enthält den Erstdruck von 1814 mit dem Titel Der goldene Topf: Hoffmann: Sämtliche Werke in sechs Bänden, Bd. 2,1, S. 229–321 (Text), S. 745–796 (Kommentar). In der heute weiter verbreiteten 2. Auflage der Fantasiestücke von 1819 nahm Hoffmann stilistische Änderungen vor – unter anderem am Titel, nunmehr Der goldne Topf, vgl. ebenda, S. 753–754. Ebenda, S. 229. Ebenda, S. 229–230. Ebenda, S. 233–234, Hervorhebungen Verf.

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subjektive Sinneswahrnehmung markiert erscheint, wird wenige Momente später zu einer als objektiv gesetzten poetisierten Welt im Indikativ. [...] da ertönten die Glocken wieder und Anselmus sah, wie eine Schlange ihr Köpfchen nach ihm herabstreckte. [...] Und wie er voll heißen Verlangens immer die Augen anblickte, da ertönten stärker in lieblichen Akkorden die Krystallglocken und die funkelnden Smaragden [sic] fielen auf ihn herab und umspann[t]en ihn [...].30

Hört Anselmus nun die drei goldgrünen Schlangen, den Holunderbusch, den Wind und die Sonnenstrahlen zu ihm sprechen, so erfährt er in dieser entgrenzten Wahrnehmung ein höheres Maß an Einsicht oder – mit Schellings Weltseele, Hoffmanns Lieblingslektüre der vergangenen Monate – an ästhetischer Erkenntnis.31 Mit dem Schwinden des Sonnenlichts erlischt indes der Zauber und Anselmus bleibt verwirrt zurück. Wie sich die Geschichte über das erneute Hineintreten des Dämonischen wie auch des Wunderbaren in die Welt des Profanen weiterentwickelt, ist bekannt. Auslöser sind auch in der Folge meist optische bzw. elektromagnetische Medien wie etwa das in der Elbe gespiegelte Feuerwerk, der metallene Türknauf, Veronikas Metallspiegel oder des Archivarius funkelnder Smaragdring.32 Entscheidend für die Wahrnehmung des Wunderbaren (oder des Profanen) bleibt jedoch stets die je eigene Bereitschaft dazu, die jeweilige Perspektive. Sieht etwa Anselmus im Bann des Wunderbaren in des Archivarius Haus einen Feenpalast, so sieht er im Bann des Profanen in demselben Gebäude einen schäbigen Garten und ein überladenes Wohnzimmer. Nach dem Sieg des Archivarius über das Dämonische in Gestalt des Äpfelweibs vollzieht das Ende sich wieder auf zwei Ebenen; zum einen der des Profanen mit dem (historisch relativ neuen) kleinbürgerlichen Beamtenstand.33 Hier grüßen als 30 31

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Ebenda, S. 234; Hervorhebungen Verf. Hoffmann ersucht Kunz in einem Brief vom 26.07.13, ihm »das Schubertsche Buch« zusenden zu lassen, »da ich mit dem Studium der Schellingschen Weltseele fertig bin [...].« (Hoffmann: Sämtliche Werke in sechs Bänden, Bd. 1, S. 298) Der Kommentar zu dieser Briefstelle (ebenda, S. 1157–1158) verweist auf die dichten Einflüsse der romantischen Naturphilosophie auf den Goldenen Topf – auch in der Weiterentwicklung Schellings durch Gotthilf Heinrich Schubert (Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft), die bis heute noch kaum untersucht sind, etwa hinsichtlich der Durchlässigkeit der Reiche der Natur, ihrer gemeinsamen Sprache oder der ästhetischen Erkenntnis. Neben den akustischen und vor allem den optischen Reizen sind es, bei entsprechender Empfänglichkeit, auch elektromagnetische Signale, welche die Wahrnehmung des Wunderbaren wie auch des Dämonischen auslösen. Hoffmann hatte sich mit diesem weiten neuen Feld bereits 1800/1801 als junger Referendar in Berlin befaßt und dann verstärkt in Bamberg, bis ihn nun Schellings und Schuberts Werke durch den Goldenen Topf begleiten. Vgl. dazu Gaderer: Poetik der Technik, bes. S. 106–119. Bei den von Hoffmann und anderen Romantikern kritisch-ironisch bezeichneten Philistern handelt es sich um städtische (Klein-)Bürger, deren Stellenwert nicht auf Besitz an Produktionsmitteln beruht (etwa Handelsfirmen oder Handwerksbetrieben), sondern auf ihrem dienstlichen Rang, der bezeichnenderweise auch bei Heerbrand, Paulmann und Lindhorst ihre Vornamen ersetzt. – Zum aufsteigenden gebildeten unteren Mittelstand vgl. Althaus (Hrsg.): Kleinbürger.

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Verlobte Registrator Heerbrand, nunmehr Hofrat, und Fräulein Veronika, die Tochter des Konrektors Paulmann. Dass auch Veronikas Wahrnehmung zwischen profaner und dämonischer Welt changierte, liegt nun hinter ihr. Mit dem Tod ihrer Mentorin, der Hexe, kehrt sie zur Gänze in die Welt des Realen zurück. Archivarius Lindhorst hingegen bestätigt seine Stellung in beiden Welten: als Notar in der profanen und als Feuersalamander in der wunderbaren, aus welcher er den Erzähler in die Vision versetzt, Anselmus habe seine Schlangentochter Serpentina geheiratet und lebe mit ihr und dem goldenen Topf auf einem Rittergut in Atlantis. Den sehnsüchtigen Worten des Erzählers entgegnet Lindhorst, Atlantis sei »das Leben in der Poesie«, an dem auch er teilhabe, selbst wenn er – gleichsam stellvertretend für Anselmus – in sein Dachstübchen und in die »Bürde des alltäglichen Lebens« rückversetzt werde.34 Wer sich in den Kriegszeiten in Sachsen aber jedenfalls ein Rittergut im Reich der Poesie erworben hatte, das war der Autor Hoffmann: mit dem Goldenen Topf seinem beliebtesten Text überhaupt, mit weiteren Fantasiestücken, mit seinen Musikrezensionen und mit Undine, der ersten romantischen Oper. Dass sich bei allen nunmehr erreichten Erfolgen von der Kunst dennoch nicht leben ließe und dass es sich hierbei, so seine Worte, doch um zu sehr »subordiniert[e] Verhältnisse«35 handle, um ein »ungewisse[s] ärmliche[s] Brot«36, wurde ihm am Ende klar, »da ich es nun erfahren, was es kostet und wie schwer es hält in der Kunst emporzukommen.«37 Mit Hilfe des Jugendfreundes Hippel kehrt er so im Herbst 1814 in den preußischen Justizdienst zurück: zunächst auf Probe und ab Sommer 1815 mit einem Jahresgehalt von 800 Talern, bald 1000, dann 1200 und 1600 und endlich einem festen Wohnsitz: Taubenstraße 31, Berlin. Hoffmann war nun in zwei sozialen Feldern angekommen und in beiden höchst erfolgreich und beliebt.38 Dass auch dies nur wenige Jahre andauern und die Politik ihn am Ende wieder einholen sollte,39 ist die Tragik dieses Lebens und die Tragik dieser Zeit. 34

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Hoffmann: Sämtliche Werke in sechs Bänden, Bd. 2/1, S. 321. Die Frage nach dem Verbleib des Anselmus in der Welt des Alltags bleibt letztlich ungelöst. Dass er – als Dichter – Züge eines Melancholikers aufweist, liegt auf der Hand, den Text auf seinen Selbstmord zu vereindeutigen (wie zuletzt Tatar: Mesmerism, Madness and Death; sodann Harper/Norman: What really happened; McGlathery: Mysticism and Sexuality), widerspricht allerdings Hoffmanns Vielfalt der Perspektiven (vgl. die Forschungshinweise im Kommentar: ebenda, S. 771–773, S. 789–790). Ebenda, Bd. 6, S. 34. Ebenda, S. 38. Ebenda, S. 42. Die Gehaltshöhen waren noch immer relativ bescheiden, aber jedenfalls eine Basis, zumal die künstlerischen Einnahmen nur einen Bruchteil ausmachten, wiewohl Hoffmann mit der Oper Undine, der Serapionsrunde und seinen literarischen Werken auch hier im Spitzenfeld angekommen war. – Vgl. dazu die Zeittafel zu Leben und Werk 1816–1822: ebenda, S. 1124–1138, die Briefe 1816–1822: ebenda, S. 86–246 und den Stellenkommentar: ebenda, S. 1200–1344 Dass die politische Restauration sich schließlich bis hin zur Rechtsbeugung verschärfte, die Hoffmann nicht mitzutragen bereit war und damit den neuerlichen Amtsverlust riskierte, setzt das tragische Ende dieser Laufbahn. Vgl. dazu auch Mangold: »Heillose Willkühr«.

Jürgen Knaack

»Die Alltäglichkeit der Zeitungsschreiberei«: Achim von Arnim als Redakteur des »Preußischen Correspondenten«

Als Achim von Arnim am 1. Oktober 1813 die Redaktion des Preußischen Correspondenten sehr kurzfristig übernahm, war der 32jährige Familienvater gerade relativ beschäftigungslos. Ende Juni 1813 war seine Schaubühne erschienen und am 17. Juli 1813 war der Berliner Landsturm, für den Arnim als Hauptmann tätig war, aufgelöst worden. Seine Frau Bettina war zu diesem Zeitpunkt mit einem Kind schon hochschwanger. Sein zweiter Sohn Lucas Siegmund wurde am 2. Oktober geboren. Zur selben Zeit zog Arnim aus finanziellen Gründen mit seiner Familie in die Wohnung seines abwesenden Schwagers Karl Friedrich von Savigny in die Oberwallstraße Nr. 3. Die Anfang 1813 von Barthold Georg Niebuhr neugegründete Berliner Zeitung Der Preußische Correspondent war Arnim nicht unbekannt. Am 10. September schreibt er an Savigny: »Schleiermacher besorgt den Correspondenten sehr schlecht, weil er nicht Zeit und Lust hat nach Neuigkeiten umherzuwandern, so ist er immer wie eine Wiederholungs oder Nachmittagspredigt zu lesen.«1 Der Theologe Friedrich Schleiermacher war seit Juli 1813 alleiniger Herausgeber der Zeitung, weil der Gründer Niebuhr in Kriegsgeschäften außer Landes war. Und am 27. September war sogar erstmals ein Artikel von Arnim im Preußische Correspondenten abgedruckt worden. Schleiermacher hatte aufgrund von Zensurquerelen sein Herausgeberamt nach drei Monaten sehr spontan niedergelegt und die Frau des Verlegers Georg Andreas Reimer, der im Felde war, hatte Arnim sehr kurzfristig die Redaktionsleitung übertragen. Arnim leitete die Redaktionsgeschäfte genau vier Monate lang. In der letzten von ihm verantworteten Ausgabe Nr.17 vom Montag, den 31. Januar 1814 schreibt Arnim in einem »Brief an die Leser« unter anderem: Auf seltsame Art erfüllte sich fast alles, was ich zum Troste der Zweifelnden voraussagte, was ich in Ernst und Scherz den Zeitgenossen vorlegte, hallte in den verschiedenartigsten Blättern wieder, ich erkenne mit Dank diese gütige Aufnahme, aber das, was die Alltäglichkeit der Zeitungsschreiberei erfrischte, ist mit der Gefahr von uns fortgerückt, der lebendige Eindruck naher Begebenheiten fehlt, die Beiträge aus der Ferne bleiben gewöhnlich beim Allgemeinsten stehen; aus diesen und andern Gründen freue ich mich das Geschäft der Herausgabe niederlegen, mehr noch es in geschicktere Hände zurückgeben zu können.

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Arnim: Briefe an Savigny, S. 70.

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Arnim verwendet den Begriff »Alltäglichkeit« ähnlich wie Goethe, der in Wilhelm Meisters Wanderjahren in Leonardos Tagebuch der »schroffen Wirklichkeit einer zerstreuten Alltäglichkeit« den Enthusiasmus und und die Erhabenheit ersehnter Alltagsentrückung gegenüberstellt.2 Die Alltäglichkeit ist negativ besetzt und wird bei Arnim dem Zustand des »lebendigen Eindrucks« gegenübergestellt. Gleichzeitig wird aber der Tatsache Rechnung getragen, dass sehr vieles an der Zeitungsherstellung alltäglich ist, und dieser Alltäglichkeit möchte ich in meinem Beitrag einmal nachspüren. Arnim hatte praktische Erfahrung als Redakteur sowohl 1808 als Herausgeber seiner eigenen Zeitung für Einsiedler wie auch 1810 als Redakteur für Heinrich von Kleists Berliner Abendblätter sammeln können. Der Preußische Correspondent erschien in der Regel vier mal wöchentlich, montags, mittwochs, freitags und sonnabends, manchmal auch stattdessen sonntags. Dazu kamen Sonderblätter, die donnerstags oder sonntags erschienen und in der nachfolgenden Zeitung noch einmal beigelegt wurden. Die beiden anderen, konkurrierenden und auflagenstärkeren Berliner Blätter, die (in Kurzform) Spenersche und die Vossische Zeitung erschienen nur dreimal wöchentlich, nämlich dienstags, donnerstags und sonnabends. Wie sah nun der Alltag des Redakteurs Arnim aus. Die erste von ihm verantwortete Zeitung erschien am Freitag, den 1. Oktober 1813 am frühen Abend. Sie enthält eine Meldung, eine Anekdote und noch zwei Meldungen aus der Breslauer Zeitung vom 25. September, ist damit also relativ aktuell. Dann folgt eine kurze Meldung, übernommen aus der Vossischen Zeitung vom Vortag, beide mit Quellenangabe. Darauf folgen zwei kurze Meldungen, von denen eine auch in der Vossischen Zeitung vom Vortag steht, die andere in der Spenerschen Zeitung vom 28. September. Dann eine kurze Meldung, die auch schon in der Spenerschen Zeitung vom 30.9. steht. Hieraus stammt auch die szenische Schilderung der Übergabe, die in dem offiziellen Bulletin nicht enthalten ist. Die nächste Meldung stammt wieder aus der Spenerschen Zeitung vom Vortag, wo die Szene jedoch ausführlicher geschildert wird. Dann folgen vier kurze internationale Meldungen, deren Quellen unbekannt sind. Die erste dieser Meldungen ist ein Kommentar Arnims auf einen in anderen Zeitungen abgedruckten Brief von Fouché an den Maire von Fiume. In Bezug auf die Meldung Nr. 2 im Preußischen Correspondenten, in der steht, dass die Congreveschen Raketen größte Verheerungen anrichten, erklärt Arnim in einem ausführlichen, einspaltigen Artikel, was Congrevesche Raketen sind und wie sie funktionieren. Diese erste journalistische Darstellung Arnims ist so erfolgreich, dass sie in zahlreichen Tageszeitungen meist ohne Nennung der Quelle nachgedruckt wird. Und im Jahr darauf findet sie sogar Eingang in die Zeitschrift Minerva. Woher Arnim seine Kenntnisse hat, ist unbekannt. Der Erwerb war für ihn als Chemiker und Physiker jedoch wohl kein Problem. In der Spenerschen Zeitung Nr. 117 vom 30.9.1813, S. 4 heißt es über die Belagerung von Wittenberg: »Wir sind begierig auf den Effekt der Congreveschen Brandraketen«. Die Vossische Zeitung druckt in Nr. 119 vom 5.10.1813 auf den Seiten 7–8 den gesamten ersten Absatz 2

Goethe: Werke (Weimarer Ausgabe), Abt. I, Bd. 25, S. 242.

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aus dem Preußischen Correspondenten wörtlich mit Nennung der Quelle ab. Der Oesterreichische Beobachter Nr. 289 vom 16.10.1813, S. 1466, die Laibacher Zeitung und die Allgemeine Zeitung Nr. 295, beide vom 22.10.1813, die Neue Bremer Zeitung Nr. 5 vom 29.10.1813, S. 2–3 und der Bote von Süd-Tyrol, Nr. 9 vom 30.10.1813 drucken den Artikel wörtlich ohne Nennung der Quelle ab. Der Text steht mit einer längeren Einleitung auch ohne Nennung der Quelle in Deutsche Blätter Nr. 43 vom 4.12.1813, S. 453–454. Und Franz Georg Ferdinand Schläger übernimmt in einem ausführlichen Artikel in der Minerva von 1814, Bd. 3, S.49ff Arnims Beschreibung. Auch D. F. Schäffer bedient sich in dem 7. Band von Der Weltumsegler. Großbritannien und Ireland, 1817, S. 131 bei der Beschreibung des englischen Heeres und seiner Waffen des Arnimschen Textes. Und sogar spätere Lexika wie die Allgemeine deutsche Realencyclopädie von 1819 und das Conversationslexikon von 1820 beziehen ihr Wissen aus Arnims Beschreibung. Der ein Jahr zuvor erschienene Artikel über »Die Brandracketen« in Johann Georg Krünitz: Ökonomische-technologische Encyclopädie. 120. Theil, Berlin 1812, S.332–335 kommt als Quelle nicht in Frage. Als nächstes folgt ein sehr ausführlicher Artikel, der aus der Londoner Exilzeitung Courier de Londres stammt und wahrscheinlich von Arnim übersetzt worden ist. Leider gibt es kein Exemplar dieser Zeitung mehr, weil sie bei einem Angriff deutscher Raketen auf London im 2. Weltkrieg verbrannte. Danach folgt ein Auszug aus der SZ vom 28.9., der einen Artikel im Preußischen Correspondenten vom 17.9. betrifft, und diesem schließt sich eine Gegenerklärung an, die nur von Arnims Vorgänger Schleiermacher verfasst worden sein kann. Die Zeitung beschließt eine Anzeige zum Tode des Rittmeisters Graf Friedrich von Moltke, die aus der Feder der Adjutanten des Generals von Blücher stammt und in verschiedenen Zeitungen veröffentlicht wurde. Schon diese erste von Arnim verantwortete Ausgabe des Preußischen Correspondenten zeigt viele wesentliche Merkmale seiner zukünftigen alltäglichen Arbeit als Journalist. Als erstes und wesentliches: andere Zeitungen lesen, auswerten und möglicherweise kürzen oder auch übersetzen, und wenn nötig, auch mit eigenem erfundenen Kolorit ausschmücken. Zweitens: Herumlaufen und mündliche Informationen einholen. Als drittes Zusatzinformationen zu dem Gelesenen beschaffen und viertens Eingereichtes bei Bedarf abdrucken. Wie Arnim seine Situation selbst einschätzt, zeigt sehr deutlich ein Brief an seinen Freund und Schwager Clemens Brentano vom November 1813: Meine Vermögensumstände sind in hohem Grade drückend, ich bin fast ohne Einkommen und ernähre mich von der Herausgabe des Preuss: Correspondenten bis zu Niebuhrs Rückkehr, der bringt mir monatlich für unzähliges Laufen und Schmieren 30 rtl ein, dennoch kann ich ehrenhalber meine hiesigen Verhältnisse nicht aufgeben, auch muß auf zwey Söhne denken.3

Praktisch wird der Tagesablauf wohl so ausgesehen haben, dass Arnim das am Vortag Gelesene und Erfahrene am Vormittag mit der Feder zu Papier brachte. Wo 3

Arnim und Brentano: Freundschaftsbriefe, Bd. 2, S. 688–692 (Nr. 177).

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er geschrieben hat, lässt sich nur vermuten. Entweder in der gerade bezogenen Wohnung seines Schwagers Carl Friedrich von Savigny oder in den Räumen der Reimerschen Verlagslagsbuchhandlung in der Kochstraße Nr. 16. Da der Verleger Reimer im Felde war, wurden die Geschäfte von dessen Frau Wilhelmine und dem Freund und Buchhändler Adolf Wewetzer geleitet. Gesetzt und gedruckt wurde in der Druckerei von Louis Quien, der bis Mitte Dezember 1813 in der Lindenstraße, danach in der Mohrenstr. 30 firmierte. Alle Ladenlokale waren von Arnims Wohnung aus fußläufig in ca. 10 Minuten zu erreichen. Die notwendigen Tageszeitungen des In- und Auslandes werden Arnim bei Reimer zur Verfügung gestanden haben, wahrscheinlich hat er auch dort seine Exzerpte und Übersetzungen angefertigt. In einem Brief an Wilhelm Grimm vom 25.1.1814 heißt es: »[...] ich sehe kein Journal als die Fluth von Zeitungen, die mir als Quellen zu dem Correspondenten dienen.«4 Nach Niederschrift werden die Manuskripte in die Setzerei gebracht worden sein, wo sie gesetzt und angedruckt wurden. Anschließend gingen die Fahnen in die Zensurabteilung. Zensor war der Polizeirat Naude und die Zensurbehörde war wohl im Büro des Staatskanzlers Hardenberg in der Leipziger Straße oder beim Departements-Chef Sack in der Alten Kommandantenstraße. In einem Schreiben des damaligen Zensors August von Schultz vom 6. Juli 18135 an alle Berliner Redaktionen sind sehr ausführlich alle Zensurvorschriften wiedergegeben. Danach durften noch nicht einmal Aufsätze gedruckt werden, die »einen Tadel bestehender Einrichtungen, Verfügungen oder Maaßregeln direkt oder indirekt enthalten«. Außerdem heißt es dort: »Würde, Anstand, Mäßigung, Bescheidenheit müssen schlechterdings stets beobachtet werden, selbst bey Aeußerungen über feindliche Souveraine, feindliche Nationen, feindliche Heere und ihre Anführer oder Mitglieder«. Sogar Artikelabdrucke aus anderen Zeitungen mussten dem Zensor vorgelegt werden. Über die Zensur schreibt Arnim an Clemens Brentano: »Schreib mir Neuigkeiten, besonders Anecdoten, [...], nur keine satyrischen Sarkasmen, denn Satyre kann mein Censor, der Policeyrath Naude gar nicht vertragen und er streicht barbarische Kreutze, daß oft meine besten Gedanken an dies Kreutz geschlagen untergehen.«6 Die Artikelandrucke wurden dem Zensor als Zensurbogen vorgelegt und von ihm handschriftlich korrigiert und mit dem Imprimatur versehen. Einige solcher korrigierten Fahnen des Preußischen Correspondenten haben sich erhalten. Arnim musste hinsichtlich der Zensur besondere Sorgfalt walten lassen, weil sein Vorgänger Schleiermacher solchen Ärger mit der Zensur hatte, dass er fast des Landes verwiesen worden wäre. Wenn der Zensurbogen wieder an den Drucker ging, mussten die Korrekturen im Satz übertragen werden und dann begann der Druck der etwa 1000 Exemplare. Bis zum späten Nachmittag mussten die Exemplare für die Auslieferung fertig sein. Arnim schildert seine Situation sehr ausführlich in einem Brief an den Verleger Reimer vom 18. November 1813: 4 5 6

Steig: Achim von Arnim und die ihm nahe standen, Bd. 3, S .289. Abgedruckt in Schleiermacher: Werke Bd.1 4, S .CLXI–CLXIII. Arnim und Brentano: Freundschaftsbriefe, Bd. 2, S. 689.

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Lieber Reimer! Ich habe bis jezt mit mancherlei Mühe die Redaktion der Preuss: Correspond: durchgeführt, Niebuhr ist angekommen, ich wollte sie ihm übertragen, aber er kann sich noch nicht dazu entschließen. Mit der Erweiterung des deutschen Luftraums vermehren sich für die Zeitung so wohl die Quellen wie die Schwierigkeiten. Soll die Zeitung sich auszeichnen, das heist Neuigkeiten von allen Seiten rasch fördern, so geügen gute Freunde, die sich ein paarmal dem unterziehen und es bald müde werden, nicht mehr, wie wenig haben alle Bekannte den bisherigen Herausgeber im Ganzen eingeschickt, die Zeitung bedarf gewisser bezahlter Personen, deren es sonst in den meisten Städten gab, die einen Theil ihrer Existenz durch dies Geschäft erhalten, der Hamburger Corr: hatte dergleichen überall, diese Verhältnisse fordern Ausgaben, ich bin zu ängstlich dergleichen ohne Ihr Vorwissen zu machen, kurz Ihre Gegenwart wäre diesem Geschäfte höchst wesentlich. Wewetzer ist ein guter Mann, aber er hat keine rechte Einsicht von der Sache, er fand es eine große Ausgabe, die Leipziger Zeitung mit reitender Post zu besorgen, da doch im entgegen gesetzten Fall die andern Zeitungen das meiste zuerst haben, so wird es jezt dringend nothwendig die Frankfurter Zeitung eilig zu haben, nun die Leipziger wieder an Interesse verliert. Von den englischen Zeitungen habe ich bis jezt nur einige Stücke des Couriers ich weiß nicht durch wen erhalten, ein französisches Blat müßte doch auch wohl zu erhalten seyn. Der Vortheil aller dieser Ausgaben würde sich zwar jezt noch nicht fühlbar machen, aber die Sache käme doch dann durch mich in einigen Betrieb, daß sie weiterhin leicht wäre fortzuhalten, wenn mich Vermögensverhältnisse veranlassen sollten von hier fortzuziehen; das Unternehmen selbst hat bey der allgemeinen politischen Neugierde alle Hoffnung, eine dauernde Einnahme künftig zu werden, sobald es gehörig begründet und die Schranken der Censur erweitert sind. Die Censur aber und die Buchdruckerei sind mein steter Kummer, Aufsätze aus der Königsberger Zeitung werden so zerstrichen, daß amende eine Lüge übrig bleibt, die Buchdruckerei macht dazu Druckfehler, verspätet durch eigenmächtige Anordnungen, mit einem Worte; ich bin zuweilen in heller Verzweifelung. Können Sie nicht durch General Gneisenau etwas zum Besten der Zeitung wirken, ich weiß, daß er es gewünscht hat, manche einzelne Begebenheiten und Thaten zur Kenntniß der Leute zu bringen, meine Bekanntschaft mit ihm ist jezt eigentlich schon veraltet. Kalkreuth sendet allerdings schwed: Bulletins, unbegreiflich bleibt es aber, daß Voß immer einige Stunden früher sie hat, es muß also an dem liegen, der hier die Stafette zuerst erhält und die einzelnen Briefe versendet. Das Gouvernement hat nicht viel mehr mitzutheilen, seit die Corps nicht mehr so nahe stehen, sonst danke ich ihm (dem Sack) ein Paar Extrablätter, die gut gegangen sind, das beste aber dem Zufalle. Daß ich Major Auer bey Radzivil begegnete, was er erzählte rasch niederschrieb, so daß mein erster Bericht von der Leipziger Einnahme vollständiger war als der vom Gouvernement und des wegen beynahe in alle Zeitungen gekommen ist. Ueberhaupt nehmen alle Zeitungen aus dem Corr. ohne sie zu nennen, so gings auch damals mit den Berichten des Wartenburger Treffens, worüber sie bey mir anfragen ließen. Voß ließ es aus dem Corr: abdrucken. Correspondenz ist die Hauptsache, gewiß werden Ihnen einzelne Bekannte bey der Armee einfallen, die Sie darum ersuchen können, in ihrer Handlung geben Sie aber strenge Befehle, ohne mich zu nennen ( denn ich kann die Verspätung mehrere dergleichen Sendungen nur vermuthen, nicht darthun) als Grund, die Sachen nur recht promt zu schicken.7

Wie sehr Arnim die Zensur in der täglichen Arbeit belastet hat, zeigt ein Briefentwurf an den Staatskanzler Hardenberg, der mehr als ein halbes Jahr nach Aufgabe der Redaktionsarbeit von Arnim verfasst wurde. Dort heißt es: Vielleicht wird Ew Durchlaucht diese Behauptung der gänzlich unterdrückten Preßfreiheit als etwas Unglaubliches erscheinen, ich habe vier Monate den Preussischen Correspondenten redigirt und bin in dieser Zeit von der Policeybehörde zur Unterdrückung jeder Wahrheit, jedes 7

Knaack: Arnim und Niebuhr, S. 29–30.

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guten Willens gemißbraucht worden. Sollte meine Meinung hier zu einzeln stehen, so werden die Redacktionen der Spenerschen und Vossischen Zeitung, die Mitredacktoren des Preussischen Corresp die Professoren Schleiermacher Rühs ein Gleiches bezeugen. Eine kurze Unterredung mit dem Censor H Policeyrath Naude würde eure Durchlaucht den Grund einer solchen Policeycensur aufdecken.8

Arnim hat in seiner viermonatigen Redakteurszeit insgesamt 69 Nummern (ohne die Extrablätter) herausgegeben. Jede Nummer hatte im Schnitt 10 bis 15 Meldungen oder Artikel, sodass er etwa 700 bis 1000 verfasst oder abgeschrieben hat. Damit war sein Arbeitstag so ausgefüllt, dass er während dieser Zeit außer einigen Briefen nichts anderes geschrieben hat. Was Arnims Alltag als Redakteur wohl vor allem negativ beeinflusst hat, war die ständige Lauferei. So schreibt er am 11. Februar an Wilhelm Grimm: »Seit dem 1. Februar bin ich von der Zeitungslauferei entbunden [...].«9 Unabhängig von der alltäglichen Arbeit hat Arnim mit seiner inhaltlichen und formal fortschrittlichen Zeitungsarbeit Maßstäbe für den Journalismus seiner Zeit gesetzt hat. Leider hatten diese in der Folge jedoch keine Wirkung, weil die Zensur bis in die 40er Jahre des 19. Jahrhunderts in Preußen übermächtig war. Arnims Alltag veränderte sich ab April 1814 völlig, weil er auf sein Gut nach Wiepersdorf zog und ein total neues Leben als Verwalter seiner Güter führte.

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Weiss: Unveröffentlichte Briefe, S. 93–96. Steig: Achim von Arnim und die ihm nahe standen, Bd. 3, S. 294.

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»Ich habe einen Ekel bekommen gegen das Kriegswesen«: Arnims Alltag in Königsberg 1806/07

Die im Kriegsjahr 1806 unterbrochene Beziehung zu seinem Heidelberger Verleger Johann Georg Zimmer nimmt Arnim am 28. November 1807 zu einem Zeitpunkt wieder auf, als die Beschäftigung mit dem geplanten zweiten Band Des Knaben Wunderhorn in Zusammenarbeit nicht nur mit Clemens Brentano, sondern nun auch mit Jacob und Wilhelm Grimm in Kassel gerade eingesetzt hat: Ich grüsse Sie herzlich, werther Freund, in meinem Namen auch im Namen meiner Freundschaft zu Clemens, dessen Sie Sich in Zeiten des Unglücks so liebreich angenommen. Hat mich auch die wunderbare Zeit mannigfach in andrer Art ergriffen und zerstörend in mir geschaffen, hab ich doch das Volksliederwesen fortdauernd lieb behalten, bin auch nicht durch das viele Gerede gestört worden, habe ruhig fortgesammelt […].1

Zwar kann von einem ›ruhigen Fortsammeln‹ von Volksliedern seit dem Erscheinen des ersten Bandes im September 1805 nicht gesprochen werden. Und die Formulierung »in Zeiten des Unglücks« bezieht sich eigentlich auf den Tod von Sophie Mereau, dürfte aber in übertragener Bedeutung auch für die zeitgeschichtliche Situation allgemein gelten. Denn von »Zeiten des Unglücks«, die hoffentlich bald zu einer neuen Zeit des »Glücks« werde möge, ist bei Arnim in diesen Jahren immer wieder mit Bezug auf Preußen die Rede. Freilich darf sein anhaltendes Interesse an den Volksliedern nicht angezweifelt werden, nur ist die Hauptbotschaft des Briefes eine andere: die Zeit habe ihn »mannigfach in andrer Art ergriffen und zerstörend in mir geschaffen.« Der Brief verweist auf eine entscheidende, zeitgeschichtlich motivierte Zäsur im Leben und Schaffens Arnims, der nach der Niederlage Preußens bei Jena und Auerstedt am 14. Oktober 1806 seine Reise nach Heidelberg, um den zweiten Wunderhorn-Band für den Druck vorzubereiten, abbrechen muss. War bis dahin der – immer auch politisch engagierte – Student und Naturforscher, der Bildungsreisende und Dichter ein den Wissenschaften und Künsten gleichermaßen zugewandter, in ihnen tätiger und sich universell verwirklichender Intellektueller, dessen Alltag durch diese Intentionen voll und ganz geprägt und ausgefüllt wurde, so zwingt ihn die Zeitgeschichte zu einer tiefgreifenden Lebenskorrektur. Arnims nationaler,

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Arnim: Werke und Briefwechsel, Bd. 33, Nr. 608. Die Herausgeber Heinz und Ursula Härtl stellten mir die Dateien dieses noch nicht erschienenen Bandes zur Verfügung. Erstmals konnte der darin vollständig edierte und vorzüglich kommentierte Briefwechsel Arnims 1807–1808 genutzt werden. Dafür möchte ich mich sehr herzlich bedanken.

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preußisch fundierter Patriotismus führt nun zu einem nichtkünstlerischen, »unromantischen« Alltag, der sein Leben jedenfalls für über ein Jahr bestimmen wird. Arnim hebt aus objektiven Gründen seine poetische Existenz bewusst auf und verzichtet auch auf die dafür unerlässliche Kommunikation mit Freunden (zumal mit Clemens und Bettina Brentano), da die Postwege gestört bzw. sogar abgebrochen sind. Auch die Reisen erhalten einen anderen Charakter, verfolgen andere Ziele: Arnim zieht es nun nicht mehr in die Rhein-Main-Gegend, nach Frankfurt oder Heidelberg, meist über Giebichenstein bei Halle an der Saale, wo er den Schriftsteller und Musiker Johann Friedrich Reichardt, seinen »unvergeßlichen vieljährigen Freund«2, besucht, und Weimar, sondern auf die Güter in der Uckermark und schließlich nach Ostpreußen. Und dies ist weder eine »Kavalierstour« noch eine Bildungsreise, die durch künstlerische Projekte veranlasst und von ihnen begleitet wäre, sondern eine politisch motivierte Unternehmung: Arnim folgt dem preußischen König mit der Absicht, sich ihm für die als notwendig erachteten gesellschaftlichen und militärischen Reformen zur Verfügung zu stellen. Im Alltag sollte dadurch der Besuch von literarischen Gesellschaften, Bibliotheken, Galerien und Theatern durch den Besuch bei Politikern und Militärs, auf Schlachtfeldern und in kriegszerstörten Städten und Dörfern verdrängt, die gewohnte, für den Künstler unerlässliche Wahrnehmung des Schönen durch die der hässlichen Realität des Krieges ersetzt werden. Dabei bekennt sich Arnim noch zu Beginn des Kriegsjahres 1806 gegenüber Brentano zu einer autonomen künstlerischen Existenz unabhängig von politischen Verhältnissen und in bewusster Distanz zur Zeit: »Uebrigens suche ich die Zeitgeschichte von mir abzublasen wie den Dampf einer fremden Pfeife […].«3 Und das, obwohl er im Dezember 1805 in Jena dem von ihm verehrten preußischen Prinzen Louis Ferdinand, der vor der Entscheidungsschlacht am 10. Oktober 1806 bei Saalfeld fiel, seine »Dienste« angeboten hatte.4 Als Arnim Ende Juni1806 nach Heidelberg aufbricht und in Giebichenstein und Göttingen Station macht, hat Napoleon durch die Stiftung des Rheinbundes bereits weitere politische Voraussetzungen für den Feldzug gegen Preußen geschaffen. Am 9. August ruft Preußen die Mobilisierung aus, und Arnim, sich eingestehend, »als Soldat fürchte ich wenig zu nützen durch meine Aufopferung«5, entwirft in Göttin-

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Arnim: J. F. Reichardt. –In: Vossische Zeitung vom 28. Juli 1814. Reichardt war am 27. Juni gestorben. Zit. nach: Arnim: Werke in sechs Bänden, Bd. 6, S. 475. Arnim an Clemens Brentano, Berlin, etwa 20.–26. Januar 1806. Werke und Briefwechsel, Bd. 32, Nr. 420, S. 131. Vgl. Arnim an Clemens Brentano, Jena, 17. Dezember 1805: »[…] nachher bot ich ihm meine Dienste an, wo er mich brauchen könnte.« Ebenda, Nr. 404, S. 105; Arnim an Friedrich Carl von Savigny, Wiepersdorf, 20. Juni 1814: »Im Jahre 1805 forderte mich Prinz Louis auf ihn bey dem vorhabenden Feldzuge zu begleiten, ich richtete mich in Weimar darauf ein, da kam der Waffenstillstand und Friede mit Oesterreich zwischen […].« In: Arnims Briefe an Savigny, S. 86. Vgl. auch Arnim an Clemens Brentano, Danzig, 17. November 1806: »Mit des Prinzen Ludwig Tode hörte für mich jede mögliche Wirksamkeit [auf].« Werke und Briefwechsel, Bd. 32, Nr. 506, S. 355. Arnim an Johann Wolfgang von Goethe, Göttingen, 1. September 1806. Ebenda, Nr. 480, S. 321.

Arnims Alltag in Königsberg 1806/07

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gen den Plan einer patriotischen Zeitschrift, Der Preuße,6 und verteilt Kriegslieder an die Soldaten Blüchers. Als er von der Niederlage der preußischen Armee bei Jena und Auerstedt hört, kehrt er zunächst zur Großmutter Caroline von Labes nach Berlin zurück, um dann auf seinem Gut Friedenfelde bei Prenzlau für eine Verwendung im Kampf gegen den französischen Feind bereitzustehen: »[…] ich hielt es meine Pflicht in meinem Lehen die ausserordentlichen Befehle des Königs zu erwarten, der Landrath ertheilte mir zur Antwort, es wäre nichts befohlen als Haber zu dreschen.«7 Arnim entschließt sich mithin erst zur Reise nach Königsberg, als er auf seinem Gut keine »Befehle des Königs« erhält und er »hätte Fremden dienen müssen.« In der neuen preußischen Residenz erhofft er sich eine Mitwirkung an der Neukonstituierung des Staates und des Heeres. Da sich Arnim zuletzt in der Uckermark aufhält, wählt er für seine Reise mit der Postkutsche (die eigene, die er von Göttingen und Berlin aus benutzte, läßt er in Friedenfelde oder Kaakstädt zurück) die Route durch Pommern, über Stettin, Köslin, Schlawe, Stolpe nach Danzig (ca. 50 Meilen),8 das er um den 17. November 1806 erreicht. »Durch Pommern’s Wüsteneien bin ich endlich im schönen Danzig angekommen«,9 gesteht er in einem Brief. Hier trifft er Reichardt wieder, der wegen der mit Gustav Graf von Schlabrendorf verfassten radikalkritischen Schrift Napoleon Bonaparte und das französische Volk unter seinem Consulate (deutsch 1804) vor den Franzosen geflohen ist und von Oktober 1806 bis Juni 1807 in der Stadt lebt. Um von Danzig nach Königsberg zu gelangen, gab es zwei Möglichkeiten – entweder »mit wenig Kosten«10 über das Frische Haff oder gar die Frische Nehrung11 nach Pillau (14 Meilen) und dann nach Königsberg (7 Meilen) oder auf dem Landweg über Dirschau, Marienburg, Elbing und Braunsberg (20 Meilen). Welche Route Arnim tatsächlich nahm, ist nicht zu ermitteln. Dass eine Schiffspassage durchaus denkbar ist, belegt ein vor der Reise in seine Heimatstadt Königsberg geschriebener Brief Reichardts: »Nach Königsb. käm’ ich zu Ihnen u der lieben Steg.[emann] recht gerne u sollte es hier zu einem wirklichen Bombardement kommen [Besetzung von Danzig am 24. Mai], so setz ich mich auch wohl ins Pa6

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Vgl. Arnim: Vorläufige Anzeige eines neuen Wochenblattes »Der Preuße. Volksblatt«. In: Werke in sechs Bänden, Bd. 6, S. 186–189. Da Deutschland als Staat nicht mehr existiert, nennt Arnim die Zeitung »Der Preuße«, fügt aber hinzu: »Wir werden dieses Blatt den Deutschen nennen, sobald Deutschland sich wieder herstellt von der langen Krankheit, welche jede Kraft vereinzelt und gegenseitig vernichtet […].« (S. 188). Arnim an Hans von Schlitz, Danzig, 19. November 1806. Werke und Briefwechsel, Bd. 32, Nr. 508 E, S. 359. Vgl. zu Postwegen und Reisedauer: Neue und vollkomene Postkarte; Neueste Post-Karte; Krebel: Die vornehmsten Europäischen Reisen; Ders.: Neue Sammlung von Post und -BothenCharten; Diez: Allgemeines Postbuch und Postkarte; Reichard: Der Passagier auf der Reise in Deutschland. Arnim an Carl Otto von Arnim, Danzig, vermutlich zwischen 17. und 19. November 1806. Werke und Briefwechsel, Bd. 32, Nr. 504, S. 354. Vgl. Arnim an Clemens Brentano, Danzig, 17. November 1806: »[…] die Pommerschen Hayden in stetem grauen tropfenden Nebel zog ich mit den einzelnen Resten ganzer Regimenter […].« Ebenda, Nr. 506, S. 356. Dies und das Folgende nach Krebel: Die vornehmsten Europäischen Reisen, S. 413. Vgl. Arnim an Johann Friedrich Reichardt, Königsberg, 10. März 1807: »[…] wer weiß in diesem Augenblicke die Nehrung zu benutzen.« Werke und Briefwechsel, Bd. 33, Nr. 530 E.

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quetboot.«12 Bei der zweiten Variante waren allerdings die Weichsel und der Nogat mit der Fähre zu überqueren. Da für eine Reise mit »Postchaisen«13, abgesehen von längeren Aufenthalten an den zwei bis drei Meilen entfernten Stationen (Pferdewechsel etc.) je nach Zustand der Wege im Durchschnitt für eine Meile immerhin etwa eine bis anderthalb Stunden gerechnet werden mussten, also pro Tag nicht viel mehr als 10 Meilen (etwa 75 km) zurückzulegen waren, dauerte die Reise von Prenzlau nach Danzig etwa fünf, die von Danzig nach Königsberg zwei Tage. Arnim trifft in Königsberg zwischen dem 25. und 27. November 1806 ein und steigt zunächst im Gasthof »Deutsches Haus« in der Kehrwiedergasse ab, unmittelbar nördlich des Schlosses, westlich des Schlossteichs gelegen.14 Als seine Adresse gibt er an: Toussaint et Comp.15 Es war dies die Anschrift des Getreide-Handelshauses des Hugenotten Jean Claude Toussaint. Nach der Ankunft von König Friedrich Wilhelm III. und Königin Luise am 9. bzw. 10. Dezember sowie der Regierung kommen auch die preußischen Reformer in die Stadt, mit denen er über seine Vorstellungen zu einer inhaltlichen und organisatorischen Erneuerung des Staates und der Armee zu sprechen beabsichtigt.16 Da sich das französische Heer Ostpreußen schnell nähert, flieht der Hof – und mit ihm die Reformer – bereits am 8. Januar 1807 nach Memel. Arnim nimmt am höfischen Leben teil, Königin Luise singt auf dem Schlossteich sogar Vertonungen einiger Wunderhorn-Gedichte zur Gitarre.17 Wichtig war für Arnim, dass er Dezember 1806/Anfang Januar 1807 Heinrich Friedrich Karl Freiherrn vom und zum Stein18, der am 4. Januar 1807 als Minister entlassen, jedoch am 4. Oktober in Memel Erster Staatsminister wird, Oberstleutnant August Wilhelm Neidhardt von Gneisenau19 und wohl auch Generalmajor Gerhard Johann David von Scharnhorst20 seine Reformvorschläge unterbreiten kann. Allerdings 12 13 14

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Johann Friedrich Reichardt an Arnim, Danzig, 11. April 1807. Ebenda, Nr. 536. Arnim an Carl Otto von Arnim, Königsberg, 10. September 1807. Ebenda, Nr. 562. Gause: Die Geschichte der Stadt Königsberg, Bd. 2, S. 224. Auf diese Darstellung wird zur Situation in der Stadt grundsätzlich verwiesen, auch zum gesellschaftlichen Leben. Vgl. Steig: Aus der preußischen Unglückszeit, S. 49, 52. Arnim an Clemens Brentano, Königsberg, 2. Dezember 1806. Werke und Briefwechsel, Bd. 32, Nr. 512, S. 360. Vgl. dazu noch immer: Knaack: Achim von Arnim, insbes. S. 15–26. Zit. nach: Härtl: Zwischen Tilsit und Tauroggen, S. 304f.; Vgl. Kastinger Riley: Ludwig Achim von Arnims Jugend- und Reisejahre, S. 157. Vgl. Knaack: Achim von Arnim, S. 18f. Knaack teilt auch die das Treffen belegende Notiz von Arnim mit: »Stein, mein Besuch bey ihm, er entzweit sich mit dem Könige.« Ebenda, S. 86 (Freies Deutsches Hochstift, B 44). Seine Einschätzung »Während Arnims Vorschläge zur Umbildung des Staatswesens in Preußen zu weit an der Realität vorbeigingen, waren seine Reformvorschläge für das Militär weitaus akzeptabler« (S. 19), bezeichnet das Verhältnis Arnims zu den preußischen Reformern. Vgl. auch die Erläuterungen zum Brief an Carl Otto von Arnim, Heidelberg, 1. April 1808. Werke und Briefwechsel, Bd. 33, Nr. 714; sowie Werner: Freiherr vom Stein. Knaack: Achim von Arnim, S. 19–21. Vgl. Arnim an Neidhardt von Gneisenau, 29. April 1813: »[…] in Königsberg, wo ich der Ehre Ihrer Bekanntschaft mich erfreute.« Zit. nach: Werke in sechs Bänden, Bd. 6, S. 1144. Einziger Hinweis darauf im Kommentar zu [Es musste ein Krieg sein] in: Ebenda, S. 1143.

Arnims Alltag in Königsberg 1806/07

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scheinen sich Arnims Kontakte mit politisch und militärisch einflussreichen preußischen Führungseliten auf diese wenigen Gespräche zu beschränken. Arnim verkehrt selbstverständlich in den Gesellschaften des Königsberger Adels und Bürgertums.21 Seinem Freund Wilhelm Dorow, einem Neffen Reichardts, der ihn über Jahre mit altdeutschen Büchern versorgt, schreibt er darüber später: »In Königsberg, wo man Abends in Stiefeln von einem Hofe zum andern lief, da war ich auch ein Hofmann […].«22 Arnim besucht vor allem die Häuser von Elisabeth und Friedrich August Staegemann, der Kaufmannsfamilie Charlotte und George Gotthilf Schwinck23, in deren vierzehnjährige Tochter Auguste er sich im Frühjahr 1807 verliebt24, der englisch-deutschen Familie Henriette Barkley (Barclay of Pierston)25 und des Buchhändlers Friedrich Nicolovius.26 Arnim lernt den Konsistorialrat Georg Heinrich Ludwig und den Kriegs- und Domänenrat und Schriftsteller Johann George Scheffner kennen, die ihn vergeblich für die Herausgabe der Werke von Johann Georg Hamann interessieren27, denn: »[…] es fehlt mir aber dazu an Gelehrsamkeit«.28 Bei Kommerzienrat Schwinck begegnet Arnim dem kunst- und musikliebenden Anton Heinrich Fürst von Radziwill, der zwei Gedichte von ihm vertont, ihn porträtiert und später in Berlin Mitglied der deutschen Tischgesellschaft ist.29 Vermutlich trifft er auch den Polizeidirektor Johann Gottfried Frey und den Schriftsteller Ludwig von Baczko.30 Noch bis 1811 bestellt er in Briefen an Dorow Grüße an Schwincks und Barkleys, erkundigt sich nach Scheffner.31 Und mit Finanzrat Staegemann, ebenfalls Teilnehmer an der Tischgesellschaft, verständigt sich Arnim während seiner Berliner Zeit über die Reformen der preußischen Regierung und fordert dabei mehr Transparenz.32

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Vgl. dazu neben Gause: Geschichte der Stadt Königsberg, vor allem Mertens: Königsberger gesellschaftliche Kreise, S. 255–327. Arnim an Wilhelm Dorow, Berlin, 8. Februar 1809. Dorow: Reminiscenzen, S. 104. Arnim, Reichardt u. a »theilten ihre Zeit zwischen Schwinck’s und der Familie des Schwagers Stägemann […]«. Dorow: Erlebtes, Bd. 3, S. 9. Vgl. Stammbuch-Eintrag der Familie Schwinck. Werke und Briefwechsel, Bd. 33, AI. 74. Vgl. Steig: Der Herzensroman eines märkischen Romantikers; Riley: Jugend- und Reisejahre, S. 155–168. Stammbuch-Eintrag der Familie Barkley. Werke und Briefwechsel, Bd. 33, AI. 73. Gause: Geschichte der Stadt Königsberg, S. 283, stellt fest: »Alles, was Rang und Namen hatte«, verkehrte hier mittags. Vgl. Arnims Briefe an Savigny, S. 235, sowie Erläuterungen in Werke und Briefwechsel, Bd. 33, zu Nr. 893. Vgl. Arnim an Clemens Brentano, Königsberg, 5. Juli 1807. Beilage. Ebenda, Nr. 552. Die vertonten Gedichte »Frühlingslied« und »Warnung und Ermunterung« finden dann mit »Musik-Beilage« Aufnahme in die Radziwill gewidmete »Gräfin Dolores«. Vgl. Erläuterungen zu Nr. 610; zur Tischgesellschaft vgl. Werke und Briefwechsel, Bd. 11, passim. Jedoch »nicht belegt«. Vgl. Erläuterungen in Werke und Briefwechsel, Bd. 33, Nr. 714. Vgl. Dorow: Reminiscenzen, S. 100, 111, 115 (Briefe vom 25. November 1809, 20. September 1810 und 13. April 1811). Vgl. Weiss: Unveröffentlichte Briefe, Nr. 24 und 25, sowie die Kommentare; zu Staegemann als Mitglied der Tischgesellschaft: Werke und Briefwechsel, Bd. 11, passim.

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Mit wem Arnim während seines Königsberger Jahres außerdem in nähere Beziehung trat, ist darüber hinaus nicht zu klären. Kleist z. B. arbeitet zwar bis Januar 1807 in der Kriegs- und Domänenkammer, meidet aber Gesellschaften, bis auf die von Elisabeth Staegemann33, so dass Arnim kaum Kontakt zu ihm hat aufnehmen können.34 Fichte hält vom Dezember 1806 bis Juni 1807 Vorlesungen an der Albertina und kehrt dann nach Berlin zurück.35 Es gibt keinen Beleg dafür, dass Arnim ihn in einer der Gesellschaften traf. Und dass er seine Vorlesungen besucht hat, dürfte ohnehin unwahrscheinlich sein, weil er zu dieser Zeit bereits philosophische Systeme als für die Durchdringung und Erklärung der Realität unzulänglich ablehnte. Evident ist ferner, dass der prononcierte Empiriker Arnim auch keinerlei Interesse mehr für Kants Metaphysik zeigte.36 Arnims entscheidendes individuelles Erlebnis ist die unerwiderte Liebe zu Auguste Schwinck, sie hält über mehrere Monate an und endet mit einer tiefen Enttäuschung. In Briefen an Bettina und Clemens Brentano gibt er immer wieder seine Sehnsucht nach einer Beziehung zu dem Mädchen zu erkennen. Gelegentlich scheint es so, als ob er sich nur wegen Auguste Schwinck noch in Königsberg aufhält, zumal die preußischen Reformer in Memel ohne seine Beteiligung die Konzepte für eine neue Verwaltung und eine Reorganisation des Heeres auszuarbeiten beginnen. Zunehmend belastet ihn eine doppelte Frustration – Arnim vermochte sich weder gesellschaftsreformatorisch noch erotisch zu verwirklichen. Schon vor den Schlachten und der Besetzung Königsbergs durch die Truppen Napoleons nimmt Arnim den bestialischen Kriegsalltag wahr: Alles flüchtet sich als wenn die Stadt wie Sodom untergehen sollte, alles jenseit der Königsburg, jenseit ist für mich nichts mehr, besser mit vielen fallen, als einsam in einer Wüste und rings geht schon die neue Wüste an. Die Dörfer abgebrochen zu Wachtfeuer, die Thiere geschlachtet, die Einwohner zerprügelt haben keinen Gedanken als an den lieben Gott. […] Die Grenzen der geselligen Ordnung lösen sich, die Zäune werden abgebrochen, die Rücken der Felder niedergetreten.37

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Vgl. Gause: Geschichte der Stadt Königsberg, S. 301. Vgl. dazu Heinrich von Kleists Lebensspuren, S. 125: »Dort [in Königsberg] entzweit er sich mit allen, und lebt lange stets im Zimmer, ohne mit irgendwem zu verkehren […].« – Reinhold Steig behauptet allerdings: »Er [Arnim] verkehrte in dem poetischen Männerbunde Max von Schenkendorfs, mit Heinrich von Kleist lebte er noch über einen Monat zusammen in Königsberg.« Achim von Arnim und Bettina Brentano, S. 52. Härtl: Unbekannte Äußerungen, bezieht sich lediglich auf die Zeit zwischen 1809 und 1811 in Berlin. Gause: Geschichte der Stadt Königsberg, S. 297. Zu Fichtes Vorlesungen vgl. Arnim an Clemens Brentano, 3. bis 21. August 1807, und die Erläuterung dazu. Werke und Briefwechsel, Bd. 33, Nr. 560. Vgl. dazu Moiso: Kants naturphilosophisches Erbe, S. 203–274; Moiso: »Arnims Kraftlehre«, S. 85–120. Arnim an Johannes Labes, Königsberg, 14. Dezember 1806. Werke und Briefwechsel, Bd. 32, Nr. 514 E, S. 362. Zu Arnims völlig desillusionierender Wahrnehmung der nicht zu rechtfertigenden Brutalität des Krieges vgl. Körner: Achim v. Arnim und der Krieg, S. 1–2. Vgl. dazu das singuläre rezeptionsgeschichtliche Dokument bei Härtl: Zu Kafkas Briefen, S. 321–346.

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Im ersten Monat seines Aufenthalts – im Dezember 1806, jedenfalls nicht viel später38 – entstehen einige Aufsätze zur Situation des Staates und zu den erforderlichen politischen und militärischen Reformen. Außerdem verfasst Arnim – neben Liebeslyrik – politische Gedichte.39 In seinen kritischen Schriften beschäftigt er sich vornehmlich mit den Gründen für das »Unglück« bei Jena und Auerstedt, das er schon gegenüber seiner Tante Louise von Schlitz am 18. November 1806 letztlich auf politische und gesellschaftliche Defizite in Preußens Entwicklung zurückgeführt hat: »Sie erinnern sich vielleicht meiner ruhigen Ueberzeugung, die ich in Strelitz Beckendorf und Oertzen oft vorgelegt streitend, daß ohne eine innere höhere Staatsentwickelung kein glücklicherer Krieg möglich« sei.40 Eine »innere höhere Staatsentwickelung« habe in Preußen nach dem Tode Friedrich II. und insbesondere in Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der Französischen Revolution nicht stattgefunden. Der Vergleich der Regierungszeiten Friedrichs II. – »so wunderbar Preußen aufgegangen«41 – und Friedrich Wilhelms III., den er nicht schätzt42, grundiert Arnims politische Haltung, gerade im Hinblick auf die gesellschaftsgestaltende Funktion des Adels: »Der Staat schien lange äußerlich und innerlich gar nichts zu wollen.«43 Diese Einsicht liegt zumal dem Gedicht Die Wunderuhr in Danzig zu Grunde, das die preußische Geschichte von Friedrich II. bis zum Niedergang in der Gegenwart reflektiert.44 Wie der preußische Staat sei insbesondere auch das Heer nicht modernisiert worden, es leide an »Altersschwäche«. Arnim gelingt es überzeugend, »auf einige wesentliche Mängel unsrer Armee in Verhältnis zur französischen aufmerksam zu machen«.45 Er nennt den »dummen Stolz der älteren Offiziere«, die »allgemeine Nachlässigkeit und Sorglosigkeit«, die »Sparsamkeit des Friedens« oder die »beispiellos schlechte Bekleidung und Bewaffnung der Truppen«46: »In der Bekleidung ist die gesamte Erfahrung neuerer Kriege unbenutzt geblieben.«47 Arnim empfiehlt: »In der Bewaffnung sind besonders die ganz elenden Musketen, die schlechten Säbel und Mangel an Kanonen zu verbessern.« Und er kritisiert: »Veraltet ist das ganze Verhältnis zwischen Offizier und Soldaten, diese Art von gänzlicher Tren-

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Im Kommentar in Werke in sechs Bänden, Bd. 6, S. 1143 wird als Entstehungszeit »zwischen Dezember 1806 und März 1807" angegeben. Auch in Werke und Briefwechsel, Bd. 33, Erläuterungen zu Nr. 714, wird die Entstehung auf Dezember 1806 »eingegrenzt«. Werke in sechs Bänden, Bd. 5, S. 360–474 (Kriegsjahre und Königsberg 1806/07). In dieser Studie kann auf die Gedichte nicht eingegangen werden. Vgl. die Kommentare von Ulfert Ricklefs, S. 1229–1292. Werke und Briefwechsel, Bd. 32, Nr. 507, S. 358. Arnim: [Indem ich die Feder ansetze]. Werke in sechs Bänden, Bd. 6, S. 195. Vgl. das satirische Gedicht auf den Monarchen »Der Geblendete«. Ebenda, Bd. 5, S. 426–428. Ebenda, Bd. 6, S. 195. Ebenda, Bd. 5, S. 428–431. Inspiriert durch einen Besuch von St. Marien in Danzig am 17. November 1806, entstanden entweder in Danzig oder in Königsberg. Arnim: [Das Unglück ist geschehen]. Ebenda, Bd. 6, S. 192. Ebenda. Vgl. die schnelle Übergabe einiger Festungen, ohne große Kampfhandlungen, von Arnim gestaltet im Gedicht »Die Übergabe von Stettin, Küstrin, Magdeburg und Hameln«. Ebenda, Bd. 5, S. 379f. Dieses und die folgenden Zitate: Ebenda, Bd. 6, S. 193–195.

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nung« von Adel, Bürger und Volk im Heer. Es finden sich sogar Empfehlungen, was bei dem weiteren Kriegsverlauf zu verbessern sei, auch im »Zusammenwirken mit Russischen Truppen«. Tatsächlich entsprechen Arnims Ansichten weitgehend denen der preußischen Militärreformer. Bei allen nützlichen Hinweisen für eine Modernisierung des Heeres, auch schon für die künftigen Schlachten – es folgen sehr bald die bei Preußisch Eylau am 7./8. Februar 1807, bei Heilsberg am 10. Juni und die den Krieg entscheidende bei Friedland am 14. Juni 1807 –, bleibt sein eigentliches Anliegen aber die »innere höhere Staatsentwickelung« Preußens, und er polemisiert insofern gegen die bei den politischen Eliten verbreitete »Unfähigkeit zu lernen aus eigner und fremder Erfahrung.«48 Vor allem sind die Lehren aus der Französischen Revolution gemeint, die er in dem Aufsatz Was soll geschehen im Glücke geschichtlich und weltanschaulich entfaltet. Arnim versteht Napoleon als Repräsentanten des »Geistes der größten Volksbewegung unsrer Zeit, der französischen Revolution«: »Ich nenne den Geist der französischen Revolution die Unterdrückung der Staatsgewalt des Adels und der Geistlichkeit, die Bildung eines neuen Rittertums des Geistes und der Wahrheit.«49 Dieses »neue Rittertum des Geistes und der Wahrheit« sollte freilich nicht – wie in Frankreich – revolutionär, sondern wegen »frommer Abscheu vor jeder Gewalt« evolutionär entstehen, durch »das ruhige Anschließen an die Vergangenheit, um zur Zukunft zu gelangen.«50 Die Überwindung der anachronistischen absoluten Herrschaft des Adels durch ein »neue[s] Rittertum des Geistes und der Wahrheit« entwirft Arnim als einen geschichtlich zu exemplifizierenden Vorgang, der das, »was die Revolution wollte«, durch eine umfassende kulturelle Erneuerung des Volksganzen »allgemein werden« lässt. Seine Bildungsstrategie ist dabei allerdings widersprüchlich, weil sie einerseits den ererbten Adelsstand zu bewahren und andererseits im Geiste eines ethischen Konzepts zu erweitern beabsichtigt: »Das ganze Volk muß aus einem Zustand der Unterdrückung durch den Adel zum Adel erhoben werden.«51 Die wichtigste Voraussetzung für die Verwirklichung dieser gesellschaftlichen Utopie ist jedoch die Vertreibung des französischen Heeres aus Deutschland, damit Reformen tatsächlich stattfinden könnten. Die Idee eines gesellschaftlich harmonisierenden »neue[n] Rittertum[s] des Geistes und der Wahrheit« als Basis eines künftigen modernen preußischen Staates, der auch das »ganze Volk« souverän zu integrieren hätte, musste allerdings – bei aller partiellen Übereinstimmung der Vorstellungen – bei Reformern wie Stein wegen der »Vagheit im Generellen«52 auf Skepsis stoßen. Arnim erinnert sich noch 1824 an seine »Königsberger Erfahrung«, als er an Hans von Schlitz schreibt: 48 49 50 51 52

Arnim: [Indem ich die Feder ansetze]. Ebenda, S. 198. Arnim: Was soll geschehen im Glücke. Ebenda, S. 200. Ebenda, S. 202. Ebenda, S. 203. So Heinz Härtl in Werke und Briefwechsel, Bd. 33, Erläuterung zu Nr. 714.

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Vielleicht ist auch beim vielen Hin- und Herreden [der preußischen Reformer] mein Projekt der Erneuerung des Deutschen Ordens zur Sprache gekommen, der Deutschland von den Franzosen befreien und einen neuen Adel begründen sollte, der nicht bloß den Kriegsbrauch sondern auch den Geist des Wissens und der Kunst, des Gewerbe[s] und des Landbaus umfassen müßte. Er [!] ward von mir M Stein und andern vorgelegt, aber mit Achselzucken, daß so etwas schwer möglich belohnt. […] Mein Entwurf war darum nicht so praktisch, weil er die Adelsidee voraus setzte, die vielen ein Aergerniß.53

Da sich das militärische Geschehen seit Winter 1806/1807 in die Umgebung von Königsberg verlagert, erlebt Arnim den Kriegsalltag immer drastischer. Während der Ausgang des unentschiedenen Gefechts zwischen dem französischen und dem russischen Heer bei dem nördlich von Warschau gelegenen Pultusk am 26. Dezember 1806 in der noch friedlichen Residenz sogar als Sieg wahrgenommen und daher gefeiert wird – Friedrich Wilhelm III. zeigt sich den jubelnden Bürgern der Stadt an einem Fenster des Schlosses54 –, rückt der Kriegsschauplatz wenige Wochen später mit der Schlacht bei Preußisch Eylau am 7./8. Februar 1807 näher. Auch hier kommt es zu keiner Entscheidung: Napoleon gelingt es zwar nicht, die preußischen und die russischen Truppen zu besiegen, doch die Verluste auf beiden Seiten sind beträchtlich. Arnim besucht das etwa 30 Kilometer südlich von Königsberg gelegene Schlachtfeld, setzt sich unmittelbar mit Leid und Tod auseinander. Bereits am 10. März berichtet er Reichardt über die unermesslichen Gräuel des Kriegsalltags: Ich habe einen Ekel bekommen gegen das Kriegswesen, wie ich die gelben, blauen und Grünen Leichen55 in die Gruben schleifen sah, [...] Welch ein Kloak ist dieses ewig berühmte Heilsberg wie ein Dreckgenie, Orgel Kanzel und Altar stehen am Abtrit, wer zuviel daran gerochen wird an die Luft gelegt, so einen nent man todt. Welche Behandlung der Helden. […] Es wird noch sehr stinken in der Welt und keiner wird wissen woher, es werden noch viele Leichen aus dem Wasser im Frühjahr aufsteigen wie Wasserlilien, wie viele? Sehr unsicher wie alle Geschichte, wenn Geschichte nichts andres als Zahlen. […] Der Friede kommt nur aus der Ueberzeugung, daß es nichts hilft Krieg zu machen […].56

Bettina schreibt er über seine Erfahrung auf dem Schlachtfeld erst am 27. März 1807: »E y l a u , wo Gott der Herr gerichtet, ist nur fünf Meilen von hier, Todte Blessirte bezeichneten den Weg, über zwölf Tausend liegen in den Lazarethen.«57 53

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Arnim an den Onkel [Hans von Schlitz], [?], Ende 1824. Zit. nach: Burwick: Exzerpte Achim von Arnims, S. 385f. (Taschenbuch im Freien Deutschen Hochstift Frankfurt am Main, B 44, S. 156). Vgl. Arnim an [vermutlich] Johannes Labes, Königsberg, 31. Dezember 1806: »Ich war auf dem Schloßplatze mit einer unzähligen Menge, ein ununterbrochenes Lebehoch begleitete ihn [den Rittmeister Wrangel] bis er ins Schloß trat, der König stand am Fenster über seine Kinder gebeugt. Am Abend war die Stadt erleuchtet, viel Punschgesellschaft, im Schauspiele ein Prolog.« Werke und Briefwechsel, Bd. 32, Nr. 517, S. 365. Die Farben beziehen sich wohl auf die am Krieg beteiligten Soldaten: Die Uniform der Preußen war (dunkel)blau, der Russen (dunkel)grün und der Franzosen grau/weiß (für Gelb?). Arnim an Johann Friedrich Reichardt, Königsberg, 10. März 1807. Werke und Briefwechsel, Bd. 33, Nr. 530 E . Arnim an Bettina Brentano, Königsberg, 27. März 1807. Ebenda, Nr. 534.

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Der preußische Patriot verschließt seine Augen also nicht vor dem Schrecken des Krieges und relativiert sie nicht durch die Notwendigkeit des Widerstandes gegen Napoleon. Und Lazarette gibt es gerade in der ostpreußischen Hauptstadt, sie bestimmen ihren von Krankheiten, Seuchen und Tod beherrschten Alltag des »Unglücks«. Arnim erlebt, wie Adlige und Bürger den Verletzten helfen, und würdigt für alle Juliane von Krüdener, die selbstlos tätig, »für unzählige Nothleidende der barmherzige Samariter«58 ist. Er veröffentlicht einen poetischen Text in der von Max von Schenkendorf (mit dem er gelegentlich verkehrt) und Ferdinand von Schrötter herausgegebenen Zeitschrift Vesta.59 Frau von Krüdener leistet diese Hilfe Soldaten aus den am Krieg beteiligten Ländern gleichermaßen: Sie konnte jedem in seiner Sprache zusprechen, dem Russen, dem Franzosen, dem Deutschen; sie kannte noch eine Sprache, welche die meisten nur in der Not verstehen und ehren, die Sprache des Herzens, die das bedrängte Gemüt aus dem Gewühle der Schreckenswogen in den festen Himmel erhebt und nach ruhiger Übersicht ewiger Ordnung die müden Augen mit sanften Seraphflügeln deckt.60

Im Frühjahr 1807 plant Arnim sogar, sich aktiv am Kampf gegen die Franzosen in Pommern zu beteiligen, »mich mit einem Freykorps nach Kolberg einzuschiffen.«61 Seinem Bruder Carl Otto schreibt er: »Mancherley Umstände hätten mich beynahe nach Pommern gebracht, der Geldmangel war der gute Genius, der mich abhielt.«62 Zu den »Umständen« gehört auch die erotische Beziehung zu Auguste Schwinck, der er in dem langen, viele Einzelheiten über ihr Verhältnis enthaltende Brief an ihre Mutter Charlotte vom 23. Oktober bis 1. November 1807 aus Giebichenstein gar die Absicht unterstellt, ihn »übers Meer in einen unnützen Krieg zu bannen«, um seinem Begehren zu entgehen.63 Andererseits gehört »Geldmangel« auch in Königsberg zu Arnims Alltag. Die Brüder Arnim dürfen nicht über das beim Tode des Vaters Joachim Erdmann 1804 hinterlassene Vermögen frei verfügen, leben vor allem von den Pachteinnahmen ihrer Güter in der Uckermark und erhalten von der Großmutter Caroline von Labes jährlich ca. 800 Reichstaler »Zulage«64, die sie ab 1807 wegen steigender Abgaben an die Franzosen nicht mehr zur Verfügung stellen kann. So bittet Arnim den Bruder in mehreren Briefen um Überweisung von insgesamt 1000 Taler, um Leben und schließlich Königsberg verlassen sowie vor allem, um 300 Taler zurückzahlen zu können, die ihm George Gotthilf Schwinck gegeben hat, die dann, weil von den Gütern keine Pacht mehr einging, nicht durch eine Überweisung aus Berlin ausgeglichen werden können. In einem Brief an seinen 58 59 60 61

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Arnim an Clemens Brentano, Königsberg, 5. Juli 1807. Ebenda, Nr. 552. Vesta 1 (1807), H. 2, S. 119–127. Werke in sechs Bänden, Bd. 6, S. 219. Arnim an Friedrich Carl von Savigny, Wiepersdorf, 20. Juni 1814. Arnims Briefe an Savigny, S. 86. Arnim an Carl Otto von Arnim, Königsberg, 8. Juni 1807. Werke und Briefwechsel, Bd. 33, Nr. 545. Arnim an Charlotte Schwinck, Giebichenstein, 23. Oktober bis 1. November 1807. Ebenda, Nr. 593 A. Härtl: Zwischen Tilsit und Tauroggen, S. 312.

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Bruder erwähnt er diese Peinlichkeit: »Wäre Schwinck nicht mein guter Freund, so hätte mich dies in einen bürgerlichen Arrest bringen können […].« Zugleich verweist Arnim darauf, dass er äußerst bescheiden und sparsam lebe: »Denn es ist unmöglich mit weniger Haus zu halten, als ich gethan und sehr viel wohlfeiler kann es doch in Berlin auch nicht seyn, insbesondre da ich hier umsonst wohne und meist in Privathäusern lebe.«65 Nach dem Auszug aus dem »Deutschen Haus« wohnt Arnim zunächst bei Schwincks und dann bei dem Domänenrat Friedrich Ludwig August Wißmann, als dieser auf Reisen geht.66 Arnims Beziehungen zur Königsberger Gesellschaft können allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass er im Grunde ohne freundschaftliche Kommunikation in der Fremde einsam dahin existiert. Er leidet unter dem »jetzige[n] Unglück von Preußen«67 und vor allem an der Nichteinbeziehung in die Vorbereitung der preußischen Reformen: »Sie arbeiten in Memel an einer neuen Verfassung aber mit solcher Uebereilung und ehe noch Stein angekommen, der doch das Ganze künftig führen soll, daß nichts davon zu erwarten ist.«68 Und er leidet unter der Trennung von Clemens und Bettina, von denen er wegen der schwierigen, auch unterbrochenen Postwege zunächst monatelang nichts und dann nur sporadisch hört. So sind aus Königsberg an Clemens offenbar nur drei, an Bettina vier Briefe abgegangen, von Bettina drei und von Clemens lediglich einer eingegangen, obwohl er Arnim »fünfmahl geschrieben« haben will, wie er ihn wissen lässt.69 Arnim fühlt sich »von allem abgeschnitten«, gesteht er Clemens: […] und ich habe nicht einmal ein Bild, keinen Schattenriß von dir, – doch einen Lichtriß und der schwebt mir noch hell vor, wenn alles dunkel, deine Heidelberger Gegend, du bist der Strom um den die Berge sich lagern und der doch fortfliest, fort von mir. – Wo blieben wir doch stehen? So möchte ich Dich fragen, als wenn ein überlästiger Fremder zwischen uns getreten, so stehen hunderttausende zwischen unsrer abgebrochnen Unterhaltung, nicht zwischen unsrer Brüderschaft, die immer noch schafft und treibt in alter Liebe, in Erinnerung und Liedern, in jedem Umstande unsrer gemeinschaftlichen guten Tage mit doppelter Wärme und Wehmuth.70

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Arnim an Carl Otto von Arnim, Königsberg, 10. September 1807. Werke und Briefwechsel, Bd. 33, Nr. 562. Vgl. Friedrich Ludwig August Wißmann an Arnim, Kopenhagen, 10. August 1807. Ebenda, Nr. 561. Es ist kurios, dass Auguste Schwinck später Wißmann heiratet, was Arnim sarkastisch kommentiert: »Gott macht die Liebe, und der Teufel die Heirathen!« An Clemens Brentano, Berlin, 2. März 1809. Achim von Arnim und Clemens Brentano. Freundschaftsbriefe, S. 569. Arnim: Ueber gelehrte Gesellschaften. Werke in sechs Bänden, Bd. 6, S. 244. Arnim an Carl Otto von Arnim, Königsberg, 10. September 1807. Werke und Briefwechsel, Bd. 33, Nr. 562. Das »Sie« bezieht sich wohl auf die führenden ostpreußischen Reformer Theodor von Schön und Friedrich Leopold von Schrötter, die in Memel schon vor der Ankunft Steins agierten. Clemens Brentano an Arnim, Frankfurt am Main, Mitte Juli 1807. Ebenda, Nr. 557. – Vgl. dazu die Erläuterung zu Nr. 521: »Ob Brentano sie tatsächlich abgeschickt oder lediglich Konzepte verfaßt hat, steht dahin.« Arnim an Clemens Brentano, Königsberg, zwischen Mitte Mai und 17. Juni 1807. Ebenda, Nr. 543.

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Die Erinnerung an die wunderbaren Tage in Giebichenstein und Heidelberg sowie vor allem die literarische Arbeit am Wunderhorn lebt in Königsberg allein in einem von ihm kunstvoll angelegten Garten fort, den er auch in Gedichten über Auguste Schwinck poetisiert: »Ich baue mir ein Gärtchen bey dem Landhause meines Freundes des Commerzinrath Schwink, bey dem ich die meiste Zeit zubringe, und dessen Haus eigentlich mich hier festhält und festgehalten hat in dem mannigfaltigen Elende, was schon die Stadt betroffen und vielleicht noch betrift.«71 Von einem »mannigfaltigen Elende« ist Arnims Königsberger Kriegsalltag geprägt, und davon durchdrungen sind die wenigen literarischen Texte. Zu der beabsichtigten umfassenden Auseinandersetzung kommt es indessen nicht: Ich wollte oft einen Commentar dieser unbegreiflichen Zeit schreiben, ich habe viel, sehr viel gesehen […] es wird mir allmählich die beruhigende Ueberzeugung, daß an dem meisten nichts, gar nichts verloren, was wir untergehen sehen […]. Ich habe hier eine Masse von hohen Verhältnissen näher kennen lernen, ich habe Ekel als wenn ich eine Kröte heruntergeschlückt und doch habe ich viel Liebenswürdiges gesehen.72

Arnim leidet unter der »Schreckenszeit«, zumal beim Einrücken der Franzosen in Königsberg am 16. Juni nach der Entscheidungsschlacht im vierzig Kilometer entfernten Friedland am 14. Juni, »wo die Russen keine Preussische Truppen bey sich hatten und daher gänzlich geschlagen wurden [!]« und einem Gefecht unmittelbar vor der Stadt, das er von den »Wällen« aus beobachtet. Napoleons Sieg bei Friedland »entschied das Schicksal von Europa.«73 Die Besetzung und Plünderung Königsbergs durch die französischen Truppen und der triumphale Einzug des Kaisers mit über 6000 Soldaten am 10. Juli 1807 nach dem Friedensschluss von Tilsit und dessen Bestimmungen (Abtrennung der Gebiete Preußens westlich der Elbe, Kontributionen etc.)74 markieren für Arnim den Tiefpunkt des katastrophalen »preußischen Unglücks«, und er beobachtet den, der es verursacht hat: »[…] von grimmen Haß gegen Napoleon raffte mich sein Anblick fast zu einer Art Gottes furcht gegen ihn hin, ich kenne Ihr [Bettinas] Gefühl und habe es getheilt, es ist etwas Uebermächtiges in ihm, was mich besiegt hat, nicht sein Glück oder seine Macht, es ist eine Atmosphäre.«75 Zugleich schafft der Frieden von Tilsit jedoch die Voraussetzung für eine erneute biographische Wende – vom Kriegsalltag in Ostpreußen zum künstlerischen Alltag in Heidelberg. An Bettina schreibt er: »Die Fluth ist über unsre Köpfe hingezogen, wir leben noch und sind zu dem Welttheil

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Ebenda. Ebenda. Ebenda. Vgl. dazu Gause: Geschichte der Stadt Königsberg, S. 310–318. Arnim an Bettina Brentano, Giebichenstein, 7. Oktober 1807. Werke und Briefwechsel, Bd. 33, Nr. 581. Wilhelm Dorow berichtet: »Achim von Arnim und D. versäumten keine Gelegenheit, um den Kaiser zu sehen […]. So empfand man doch für Napoleon, wenn auch mit Abscheu, ein großes Interesse. Sein Einzug, sein Ausreiten aus dem Schlosse mit den alten bärtigen Garde-Grenadieren, noch gebräunt von Egyptens glühender Sonne, hatten etwas Fabelhaftes, Hochpoetisches.« Dorow: Erlebtes, S. 12.

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hingeworfen, der mir noch werth ist, weil er Sie, meine Verehrte und Clemens und vielleicht noch einige liebe Wesen enthält; der Weg ist offen […].«76 Nun – »der Weg ist offen« – will Arnim möglichst rasch »dem mannigfaltigen Elende« Preußens und Königsbergs entfliehen: »Ich muß und will fort, es koste mir was es wolle […].«77 Zwar spielt in der für ihn unerträglichen Situation auch das aussichtlose Verhältnis zu Auguste eine Rolle, jedenfalls in den Briefen an den Freund (»ich bin es müde kalten Marmor zu erwärmen«)78, doch dürfte der Entschluss, Königsberg zu verlassen, vor allem durch die Einsicht begründet zu sein, dass er hier nichts erreicht – weder politisch (die Reformer sind in Memel und wollen ohnehin nicht von ihm beraten sein) noch künstlerisch (die Freunde sind in Südwestdeutschland). Arnim hat sich von Königsberg innerlich längst verabschiedet, er beschäftigt sich, zugleich alte Zeiten und Freunde erinnernd (z. B. das »Andenken« von Stephan August Winkelmann), mit künftigen literarischen Projekten wie der Fortsetzung des Wunderhorns. Spätestens im Herbst will er bei Brentano sein: »Ich hoffe noch viel mit Dir im Herbste zu arbeiten, ich fühle zwar, daß ich viel Zeit verloren, aber es muste soseyn, dafür beschränkt mein Land mich auch nicht mehr.«79 Und im Brief vom 3. bis 21. August 1807, in welchem er auf des Freundes späte Mitteilungen über den Tod von Sophie Mereau und die Totgeburt einer Tochter am 31. Oktober 1806 [!] reagiert, an demselben Tage übrigens, an dem Brentano in Fritzlar überstürzt die 16jährige Auguste Bußmann heiratet, gesteht Arnim sein Scheitern in Königsberg ein: »Ich kann fast zu nichts kommen, als zu Vorschlägen, die eigentlichen Triller bleiben aus […].«80 Zu den »Vorschlägen« gehören nicht nur Ideen, Recherchen und Lektüren zum Wunderhorn, sondern auch die Planung einer baldigen Begegnung mit Clemens, und zwar zunächst in Reichardts romantischen »Dichterparadies« an der Saale. Denn mit ihm, der inzwischen von Memel nach Königsberg zurückgekehrt ist (Arnim hatte ihn Mitte Juli dort besucht)81, gedenkt er, sobald es geht, abzureisen. Doch Reichardt ist erkrankt, so dass Arnim noch »zwei Monate«82 warten muss. Stadt und Land haben mit den verheerenden Folgen des Krieges zu kämpfen, die Arnim an seinen Bruder noch deutlicher beschreibt als in den Briefen an Bettina und Clemens: […] welch ein mannigfaltiges Jahr, nach allen Schrecknissen des Krieges trit hier noch ein Vieh und Menschensterben ein, daß die Stadtklocken heute zum erstenmal wieder feiern nach Monaten, die Kirchhöfe sind wie frisch gepflügt, es gab Wochen wo 270 starben, während sonst 26 76

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Arnim an Bettina Brentano, Königsberg, 17. Juni 1807. Werke und Briefwechsel, Bd. 33, Nr. 547. Arnim an Clemens Brentano, Königsberg, 5. Juli 1807. Ebenda, Nr. 552. Ebenda. Ebenda. Arnim an Clemens Brentano, Königsberg, 3. bis 21. August 1807. Ebenda, Nr. 560. Der bisher unbekannte Aufenthalt Arnims in Memel nach der »Annahme« in der Erläuterung zu Brief-Nr. 610. Die Quelle ist das Tagebuch des Prinzenerziehers Ferdinand Delbrück vom 19. Juli 1807, in dem der Besuch eines Herrn Arnim vermerkt ist. Sonst gibt es freilich keinen Hinweis auf die Reise. Vgl. Arnim an Clemens Brentano, Giebichenstein, 8. Oktober 1807. Ebenda, Nr. 583.

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gerechnet wurden, doch lässt die Gefährlichkeit nach. Gewiß ist es, wenn der Krieg wieder ausbrechen sollte, so wird ganz Ostpreussen zur Wüste im eigentlichen Verstande […].83

Die Reise nach Giebichenstein tritt Arnim mit Reichardt am 25. September 1807 – einem Tage nach der Feier von Augustes fünfzehnten Geburtstag – mit einer eigenen Kutsche an, die er für 110 Reichstaler erworben hat, denn »das Reisen auf offenem Bauerwagen, sogenannten Postchaisen, habe ich mir im vorigen Herbste [auf der Reise durch Pommern] verleidet.«84 Ihr erstes Ziel ist Sandow bei Ziebingen, in der Nähe von Frankfurt an der Oder, wo Ludwig Tieck (Reichardts Schwager) lebt, den Arnim bereits als Student in Giebichenstein kennengelernt hat. Sie wählen sicherlich den kürzesten Weg über Braunsberg, Preußisch Holland, Riesenburg, Marienwerder, Graudenz, Bromberg, Schneidemühl, Landsberg, Küstrin, Frankfurt an der Oder und von da nach der nächsten südöstlichen Poststation Ziebingen.85 Dennoch waren fast 80 Meilen zurückzulegen, oft durch schwieriges Gelände auf schlechten Wegen. In einem – in Arnims Wiepersdorfer Bibliothek vorhandenen – Reisehandbuch ist über die Route durch die Neumark zu lesen: »Der tiefe Sand macht überhaupt diesen Weg durchs Preußische besonders im Sommer sehr beschwerlich; und es ist daher jedem anzurathen, einen leichten Wagen mit hohen Rädern zu nehmen, sonst hat man auf jeder Station über die Anzahl Pferde, die man anspannen will, zu streiten.«86 Nach neun Tagen – das war eine normale Reisedauer – treffen sie am 3. Oktober bei Tieck ein. Hier bleiben sie nur eine Nacht – nach dem Eintrag von Tieck in Arnims Stammbuch am 4. Oktober: »jezt 1807 nur einen Tag in Sandow«87 –, um möglichst schnell über Frankfurt an der Oder, Beeskow und Torgau nach Giebichenstein zu kommen. Arnim drängt es, nach dem Jahr des künstlerisch unergiebigen Kriegsalltags in Königsberg, in poetisch inspirierende Landschaften zu gelangen. Eine Reise über Berlin, wo die Großmutter und der Bruder leben, die die Güter in der Uckermark und das Vermögen verwalten und dadurch Arnims materielle Existenz sichern, was in den Briefen aus Königsberg immer eine große Rolle gespielt hat, vermeidet er, obwohl sie im wahrsten Wortsinn nicht »abwegig« gewesen wäre – nur einige Meilen weiter als die direkte Route über Torgau.88 In Giebichenstein (mit dem aus Kassel entgegenkommenden Clemens), in Weimar (Besuch mit Bettina und Clemens bei Goethe), in Kassel (Bekanntschaft mit Jacob und Wilhelm Grimm), in

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Arnim an Carl Otto von Arnim, Königsberg, 10. September 1807. Ebenda, Nr. 562. Ebenda. Neben der Route durch Pommern war dies um 1800 der zweite Postweg von Königsberg nach Berlin. Wohl in Küstrin verließen Arnim und Reichardt diese Strecke, um über Frankfurt an der Oder nach Ziebingen zu gelangen. Vgl. dazu Diez: Allgemeines Postbuch, S. 66–67. Reichard: Passagier, S. 484; Arnim-Bibliothek in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek der Klassik Stiftung Weimar, Signatur B 785. Arnim erinnert sich an die Rückreise im Brief an Johann Friedrich Reichardt, Heidelberg, verm. 25. oder 26. September 1808: »[…] wir zogen durch die Wüsten […].« Werke und Briefwechsel, Bd. 33, Nr. 867 E. Ebenda, Stammbuch-Eintrag, AI.76. In einem Brief an Carl Otto von Arnim, Ziebingen, 3. Oktober 1807, gibt Arnim als Grund dafür an, dass er nicht nach Berlin kommen könne, »weil ich die Reise gemeinschaftlich mit Reichardt gemacht habe.« Ebenda, Nr. 578.

Arnims Alltag in Königsberg 1806/07

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Frankfurt am Main und vor allem in Heidelberg beginnt ein neues Kapitel in Arnims Leben und Schaffen – im Jahr darauf erscheinen der zweite und dritte Band Des Knaben Wunderhorn und die Zeitung für Einsiedler. In den auf der Reise geschriebenen Briefen resümiert Arnim die – im Gegensatz zu seiner frühen poetischen und wissenschaftlichen Existenz der Studenten- und Reisejahren stehende – Königsberger Episode, »denn ein Jahr stört ja nicht das Leben und sollte es wenigstens nicht stören«89, hofft er jedenfalls gegenüber Bettina. Und er beginnt den langen Brief an Auguste Schwincks Mutter Charlotte, der seine unerfüllte Liebe zu dem Mädchen abschließend reflektiert. Die nichterotischen, hauptsächlichen Gründe für seine Flucht aus Königsberg teilt er indessen seinem Bruder Carl Otto mit: »Ich habe unendlich viel gelitten bey dem Abschiede von Königsberg, das schreckliche Reisewetter war mir lieb, denn es zerstreute mich; meine Existenz dort ohne Geld ohne Nachricht, in stetem Aerger über unser Regierungswesen, machten meine Abreise nothwendig […].«90 Für Arnim ging damit ein höchst unerfreulicher Lebensabschnitt zu Ende, der geprägt war durch »Preußens Unglück« zwischen der Niederlage bei Jena und Auerstedt und dem Tilsiter Frieden sowie der Hoffnung, bei der Überwindung der Krise seines Vaterlandes mitwirken zu können. Der Versuch, seine patriotische Verantwortung wahrzunehmen und sich aktiv in die »Zeitgeschichte« einzumischen, führte zu einer großen Enttäuschung hinsichtlich seiner gesellschaftlichen Gestaltungsmöglichkeiten. Die preußischen Reformer nutzten Arnims Königsberger Vorschläge nicht, so dass er ohne Einfluss blieb. Die Rückkehr zur literarischen Praxis war unausweichlich, und sie war sinnvoll, auch wünschenswert, denn Arnims Ambitionen und Intentionen waren vorrangig künstlerische, die durch ihre Umsetzung in poetischen Werken mittelbar gesellschaftliche Veränderungen wenigstens begünstigen könnten – so jedenfalls seine Hoffnung. Die im Herbst 1806 als notwendig empfundene Korrektur im Leben erfuhr auf der Grundlage der Königsberger Erlebnisse eine erneute Revision. Das im Kriegsalltag Ostpreußens Erlebte und die schmerzhaft gewonnene Erfahrung, sich weder in der vaterländischen Mission noch in der Liebe verwirklichen zu können, führte den sensiblen, zerrissenen und »zu weich[en]«91 jungen Künstler in eine tiefe Lebenskrise, die er nach langen inneren Kämpfen überwand, indem er 89 90 91

Arnim an Bettina Brentano, Giebichenstein, 7. Oktober 1807. Ebenda, Nr. 581. Arnim an Carl Otto von Arnim, Ziebingen, 3. Oktober 1807. Ebenda, Nr. 578. » […] daß ich zu weich bin«, sei »eigentlich« sein »Hauptfehler«. Arnim an Bettine, Berlin, 10. März 1809. Bettine und Arnim, Bd. 2, S. 144. In diesem Brief kommt Arnim auf die dazu im eklatanten Widerspruch stehende Wahrnehmung seiner Person durch preußische Eliten zu sprechen, wodurch eine Mitwirkung an den Reformen verhindert würde. Wilhelm von Humboldt, mit dem er sogar über einen Eintritt in die Verwaltung gesprochen habe, hätte ihm als Voraussetzung genannt, »daß ich die verfluchten Gesellschaften besuchen sollte, um den Leuten einen andern Begriff von mir zu geben, die mich für einen Wilden halten, der mit Gott und Welt trotzt […].« Ebd. – In einem Brief an seine Frau Caroline vom 28. Februar 1809 äußert sich Humboldt über das Ansinnen, den »Wunderhornmann« in den Staatsdienst zu übernehmen: »Allein er hat so große Streitigkeiten mit [Johann Heinrich] Voß und [Friedrich Heinrich] Jacobi und geht in solcher Pelzmütze und mit solchem Backenbart herum, und ist so verrufen, daß nicht daran zu denken ist.« Zit. ebd., S. 146.

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Königsberg in Richtung Südwestdeutschland verließ, um sich dort wieder volkspoetischen Vorhaben zuzuwenden. Der konservative und zugleich aufgeklärte und liberale, Traditionen und Innovationen verbindende preußische Adlige, der achtzehnjährig mit dem Versuch einer Theorie der elektrischen Erscheinungen (1799) als Wissenschaftler und einundzwanzigjährig mit dem Roman Hollin’s Liebeleben (1802) als Dichter debütiert hatte, litt in Ostpreußen massiv darunter, dass sich sein »grosse[r] Lebensplan« – »Alles geschieht in der Welt der Poesie wegen, die Geschichte ist der allgemeinste Ausdruck dafür […]«92 – nicht weiter realisieren ließ. Der auf literarische Wirkung angelegte Lebensentwurf des jungen Arnim kollidierte mit seinem patriotischen Engagement, das jedoch scheiterte und dadurch seine habituelle Widersprüchlichkeit und Inkonsequenz verstärkte. Die privaten und politischen Vorstellungen ließen sich in der allseits deprimierenden Praxis nicht verwirklichen, was wiederum seinen gesellschaftlichen Gestaltungswillen lähmte und die Entfaltung literarischer Kreativität behinderte. Die leidvoll erfahrene Erfolglosigkeit in den individuellen und gesellschaftlichen Lebenssphären prägte zunehmend Arnims weiteres Verhältnis zur Realität. Zu dämpfen oder gar zu überwinden war dieser existentielle Konflikt eines kulturell eingreifenden schöpferischen Subjekts nur durch eine Abwendung von der zeitgeschichtlichen Misere und durch eine vorübergehend alleinige Hinwendung zu Literatur und Kunst. Dieser widerspruchsvolle Prozess vollzog sich seit dem Sommer 1807 und fand ein vorläufiges Ende in der Entscheidung zur Abreise aus Königsberg, die allerdings zunächst nur eine äußerliche und nicht zugleich innere Distanz sowohl zu Auguste Schwinck als auch zu den preußischen Führungseliten einschloss. Die beiden Ziele des jungen Intellektuellen – eine liebende Frau zu finden und für die Reformierung der Gesellschaft einzutreten – blieben vorerst unerreicht. Arnim fühlte sich – so metaphorisch gegenüber Bettina formuliert – »zwischen den Saaten« des Lebens: »Welch ein heisser Sommer, meine einzige liebe Freundin, […] alles reift; nur der Mensch, nur ich stehe unschlüssig zwischen den Saaten und weiß nicht, ob ich zu ihnen gehöre, die da grün sind, die da gelb werden, oder die vom Feinde abgeschnitten nur trostlose Blumen übrig lassen.«93 Seine Bildung als Mensch und Künstler ist auch im 27. Lebensjahr noch nicht in jenem Entwicklungsstadium angelangt, das Arnim im Sinne des »grossen Lebensplanes« zu erreichen beabsichtigte. Er ist sich noch immer »unschlüssig« über die anzustrebende Identität. Arnim will jedoch keine »trostlose Blume« sein, und er begibt sich auf den Weg nach Giebichenstein, Kassel, Frankfurt und Heidelberg, bevor er ab 1809 in Berlin seine vielseitigen künstlerischen und politischen Interessen und Projekte als Reformer und Autor wieder aktiv zusammenführt und dadurch werkgeschichtlich auf einen weiteren Höhepunkt gelangt. Die eminent wichtige »Königsberger Erfahrung« wird er dabei im literarischen Werk anhaltend reflektieren – zunächst im Wintergarten (1809) und in der Gräfin Dolores (1810).94 92 93 94

Arnim an Clemens Brentano, Zürich, 9. Juli 1802. Werke und Briefwechsel, Bd. 31, Nr. 236, S. 64. Arnim an Bettina Brentano, Königsberg, Ende Juli–6. August 1807. Ebenda, Bd. 33, Nr. 559. Vgl. Nitschke: Utopie und Krieg; zu Arnims Biographie »zwischen Kunst und Krieg«, S. 40–63.

DER ALTE UND DER NEUE ALLTAG: BLICK NACH AUßEN, BLICK NACH INNEN

Oliver Jehle

Menzels Realien: Über das Alltägliche als Wahrnehmungsexperiment

Keiner ist einfach Maler; alle sind Archäologen, Psychologen, InScene-Setzer irgendwelcher Erinnerung oder Theorie. Friedrich Nietzsche, Nachgelassene Fragmente

I. Von grünlichem Grau ist das Papier, auf dem Adolph Menzel sein Ungemachtes Bett (Abb. 1) in Kreide festhielt. Liegt das Bettzeug auf dieser Zeichnung in einer Unzahl von Falten und Einbuchtungen, tastet das Auge diese ab, folgt den gewischten Partien von den verschatteten Faltentälern bis zu den Höhungen in Weiß und erkennt schließlich, mit welcher Ökonomie der Mittel hier gearbeitet wurde:

Abb. 1: Adolph Menzel, Ungemachtes Bett, ca. 1845, Kreide, gewischt, auf grünlich-grauem Papier, 22,1 x 35,3 cm, Kupferstichkabinett, Berlin (SZ Menzel N 319).

Die fest gefügten Strichlagen, mit denen Menzel die Grenzen der Gegenstände umriss, wurden erst zum Schluss gesetzt, mit wenigen Andeutungen der Drillichbezug der Matratze umschrieben. Verrät der gewählte Bildausschnitt, dass der Künstler nah an seinem Nachtlager stand und auf dieses herabblickte, als er es zeichnete, vermeint man, die gespeicherte Körperwärme der Nacht stiege noch aus

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diesem Bettzeug.1 Solchen thermischen Abdrücken folgt Menzels Auge, Spuren suchend und in den Zeichnungen dokumentierend. Die Dinge des Alltags, »denen eine bestimmte Gebrauchsfunktion außerhalb der Handlungsfelder der bildenden Kunst zugeschrieben wird«2, werden unter dem herrschenden Primat objektiver Genauigkeit exakt verzeichnet. Kategorisiert und auf dem Grund des Papiers verwahrt, entgleiten diese Zeichnungen in die Unähnlichkeit einer forciert künstlerischen Handschrift3 – im Zeichen thermischer Sensationen, die eine sinnliche, »lebendige Wirkung auf uns haben«, weil sie in jedem Moment »auf den menschlichen Körper verweisen«.4 »Das Interieur ist […] das Etui des Privatmanns«5, lesen wir bei Walter Benjamin: »Wohnen heißt Spuren hinterlassen. Im Interieur werden sie betont«6, denn die Spuren der Bewohner schreiben sich dem Innenraum unverlierbar ein. Menzel sucht so die Abdrücke des eigenen Körpers in den Dingen des Alltags auf, verleiht ihnen eine Form, in der sie bewahrt werden. Dabei adressiert seine kunstvolle Unmittelbarkeit, seine Darstellung des ungemachten Bettes den Betrachter als multisensorisch begabten: Denn das Bettzeug, das Falten wirft, lädt zuerst dazu ein, sich im »Hineindeuten von Inhalten in Formen« zu üben, »die ursächlich mit diesen Inhalten selbst wenig oder auch nichts zu tun haben«7. So mag man Gesichter erkennen, lange Nasen und grinsende Münder, die aus dem gefalteten Kissen ein Antlitz bereiten – ein Vorgang, der aus dem Alltäglichen eines noch nicht gemachten Bettes einen Ort der Imagination macht. Denn das ›Hineinsehen‹ gleicht einem Topos der inventio.8 Was nichts weniger bedeutet, als dass Formen, die zunächst außerhalb eines Bildes liegen, durch eine besondere Anschauungsweise in den Bereich des Ästhetischen überführt werden können. Die Körperwärme aber und die haptische 1

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Ralph Ubl konnte mit Blick auf den Hauptvertreter der französischen Romantik, Eugène Delacroix, zeigen, wie die Wirkkraft der Wärme eine Energie bezeichnet, »die sowohl den künstlerischen Schaffensprozess als auch den Austausch zwischen Bild und Publikum befeuert«. Ralph Ubl: Delacroix Wärmeräume. – In: Mülder-Bach, Neumann (Hrsg.): Räume der Romantik, S. 277–306, hier: S. 278. Klammer: Selbstporträt in Dingen. – In: Kunstgeschichte. Open Peer Reviewed Journal. http://www.kunstgeschichte-ejournal.net/451/1/dinge.pdf (15.05.2015). Ich schließe hier an die Überlegungen des Sammelbandes Ähnlichkeit und Entstellung. Entgrenzungstendenzen des Porträts aus dem Jahr 2010 und damit an die dort verhandelte Denkfigur der »entstellten Ähnlichkeit« an, wie sie Walter Benjamin in seiner Autobiographie Berliner Kindheit um Neunzehnhundert entwickelte. Vgl. Slanina: Vorwort. – In: Busch, Jehle, Maaz, Slanina (Hrsg.): Ähnlichkeit und Entstellung. Entgrenzungstendenzen des Porträts, S. 9–15. Obgleich diese belebende Wirkung den Arbeiten von Meret Oppenheim und Sylvie Fleury und damit der Kunst des 20. Jahrhunderts attestiert wurde, wird damit eine Beobachtung präzise gefasst, die sich bereits im Werk Menzels machen lässt. Rosenthal: Der Dinge neue Kleider. – In: Vitali: Dinge in der Kunst des XX. Jahrhunderts, S. 89 –108, hier: S. 90. Benjamin: Paris, Hauptstadt des XIX. Jahrhunderts (Exposé von 1935). – In: Benjamin: Gesammelte Schriften, Bd. 5, 1: Das Passagen-Werk, S. 35. Ebenda. Stelzer: Die Vorgeschichte der abstrakten Kunst. Denkmodelle und Vor-Bilder, S. 172. Vgl. Jehle: Otto Stelzer – Zur Abstraktion vor der Abstraktion (Kommentar). – In: Kunstgeschichte. Open Peer Reviewed Journal. http://www.kunstgeschichte-ejournal.net/kommentare/2010/jehle/ (Zugriff: 15.05.15).

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Qualität dieser Bettwäsche suggerieren Energien und Intensitäten, auf die der Betrachter zu reagieren hat. In dieser Zeichnung des Ungemachte[n] Bettes erkennt Michael Fried einen exemplarischen Ausdruck für die »Thematik des Austauschs oder Übertragung gleichsam von Belebung selbst zwischen Personen und Dingen«9 und umreißt damit einen Vorgang, der in Menzels Kunst der Anverwandlung eine entscheidende Rolle zukommt: Die »einzigartige Fähigkeit des Malers, diese Gefühle erneut in die Zeichnung, die unter seiner Hand Gestalt annahm, zu projizieren«10, bedeutet für den nachgeordneten Akt der Rezeption, dass sich die Dinge des Alltags über ihren in Gedanken vollzogenen Gebrauch erschließen und der Umgang mit der gezeichneten Bilderwelt Menzels immer auch den taktilen Sinn adressiert. So gehört es zu Menzels größten Fähigkeiten, nahezu Bedeutungsloses qua Bleistift oder Pinsel »zu nobilitieren und Bagatellen zu problematisieren«11.

Abb. 2: Adolph Menzel, Pelzmantel auf einem Kanapee (Der Pelz des Künstlers), ca. 1859, Öl auf Papier, auf Pappe kaschiert, 38,4 x 44,5 cm, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Neue Pinakothek, München (8507).

In diesem Sinn läge nichts näher, als im Pelzmantel auf einem Kanapee (Abb. 2) zunächst die Studie eines abgelegten Kleidungsstückes zu erkennen, doch erweist sich dieses vergleichsweise großformatige Bild dann doch als das ästhetische Spiel mit dem sinnlichen Begreifen. Kein Aufzeichnen des bloß Geschauten, kein Einsatz verschiedenster Fakturen allein – »denn die Ölfarbe ist teils lasierend, teils pastos, teils tupfend aufgetragen, ja partiell sogar mit dem Pinselstiel ausgekratzt«12, son9

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Fried: Menzels Realismus. Kunst und Verkörperung im Berlin des 19. Jahrhunderts, S. 58 (Kursivierung im Original). Ebenda, S. 58. Bernhard Maaz: Eintrag Kat. 48: Der Pelz des Künstlers, um 1845. – In: Maaz (Hrsg.): Adolph Menzel. Radikal real, S. 85. Maaz: Adolph Menzel. Radikal real, S. 85.

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dern eine taktile Erfahrung dessen fordert Menzel ein, was mit fühlendem Auge und sehender Hand aufgenommen wird; dem Durchspüren gleich. Auch wenn Menzel uns an seinen exquisiten Beobachtungen teilhaben lässt, liegen doch auf den einzelnen Haaren des Pelzes bläuliche Lichter, geht es in dieser Darstellung des Militärmantels nicht allein um ein Sehen im optischen Sinn, sondern um ein erweitertes Wahrnehmungsexperiment: »[E]in Spüren im physiologischen Sinne« ist erfordert, ein »Empfinden, das die Spuren der Dinge« und Lebensereignisse »in einer Art von körperlichem Gedächtnis [er]spürt«.13 Was Menzel mit seinen Medien des Sichtbaren beschwört, ist nicht allein die Dimension des Optischen und des Taktilen, sondern auch des Thermischen, denn Menzels abgelegter Pelzmantel setzt eine ästhetische Erfahrung voraus, in der die Einfühlung in das Kunstwerk vorausgesetzt wird – und zwar in einer Weise, in welcher der Begriff des ›Fühlens‹ ganz ursprünglich verstanden wird. So könnte man vermuten, Menzel bemühte sich in der Tradition der sensualistischen Erkenntnistheorie14 um eine Rehabilitation leibgebundener ästhetischer Erfahrung, der Einfühlung15, da der Tastende im taktilen Rapport mit dem Artefakt seine eigene beseelte Körperlichkeit erfährt: »Körperliche Formen können charakteristisch sein nur dadurch, daß wir selbst einen Körper besitzen«, wird Heinrich Wölfflin im Prolegomena zu einer Psychologie der Architektur schreiben, und weiter: »Wären wir bloß optisch auffassende Wesen, so müßte uns eine ästhetische Beurteilung der Körperwelt stets versagt bleiben.«16 So wird die Studie des Pelzes, der noch die Spuren seines Trägers zeigt, zu einer »brillanten Fingerübung«17 über einen alltäglichen Gegenstand, der in seiner Präsentation eben mehr ist als ein abgelegtes Kleidungsstück. Aufgetürmt ist das Pelzinnenleben; und je länger man ihn betrachtet, gewinnt der Mantel an Volumen, während sich das samtbezogene Polstermöbel, auf dem der Uniformmantel liegt, an den Rändern in trockenen Pinselspuren aufzulösen beginnt. Hat derjenige, der Zeit hat für solchen Sinnesreiz, »eine ausgeprägte Vorliebe für Samt und Plüsch, die von jedem Kontakt den Eindruck festhalten«18, wie Walter Benjamin dem Privatier attestiert, stehen solche Texturen auch im Zentrum eines Ölbildes auf Papier (Abb. 3), in dem Menzel seine Schwester schlafend auf demselben rotbraunen Sofa porträtiert hat, auf dem ein Jahrzehnt später der Pelzmantel liegen wird. Ermattet zur 13

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Wetzel: Ein Auge zuviel. Derridas Urszenen des Ästhetischen. – In: Wetzel (Hrsg.): Derrida: Aufzeichnungen eines Blinden. Das Selbstporträt und andere Ruinen, S. 145. Diese Annahme soll allerdings nicht bedeuten, Menzel habe die Schriften Schopenhauers, Wundts oder Fechners zur Kenntnis genommen. Vgl. Fried: Eine Ästhetik der Einfühlung. – In: Fried: Menzels Realismus, S. 51–56. Büttner: Das Paradigma ›Einfühlung‹ bei Robert Vischer, Heinrich Wölfflin und Wilhelm Worringer. Die problematische Karriere einer kunsttheoretischen Fragestellung. – In: Drude, Kohle (Hrsg.): 200 Jahre Kunstgeschichte in München. Positionen, Perspektiven, Polemik, 1780–1980, S. 82–93, hier S. 82. Vgl. Bushart: ›Form‹ und ›Gestalt‹. Zur Psychologisierung der Kunstgeschichte um 1900. – In: Oexle (Hrsg.): Krise des Historismus – Krise der Wirklichkeit. Wissenschaft, Kunst und Literatur, 1880–1932, S. 147–180, bes. S. 154–159. Curtis, Koch: Einfühlung. Zu Geschichte und Gegenwart eines ästhetischen Konzepts. Wölfflin: Prolegomena zu einer Psychologie der Architektur, S. 7–42, hier: S. 15. Maaz: Adolph Menzel. Radikal real, S. 85. Benjamin: Gesammelte Schriften, Bd. V, 1: Das Passagen-Werk, S. 68.

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Seite gesunken, ruht Emilie auf einem blauen Samtkissen. Ihr körperlicher Zustand, »in dem die Unterscheidung zwischen Selbst und Welt verdunkelt wird, weil das Nachlassen des Bewußtseins das Leben des Körpers einer Vielzahl automatischer Prozesse ausliefert«19, mag vielleicht genau Benjamins Vorstellung vom spurentragenden Interieur und dem Zustandekommen dieser Abdrücke entsprechen. Dieses blaue Kissen, in das sie hinein atmet, scheint mit seiner lebhaften, vielfach weiß gehöhten Goldborte ihre Lebendigkeit, ihren Atem weiterzugeben; ein Effekt der Verlebendigung, der sich in dem großzügigen Faltenspiel ihres Kleides mehr als bestätigt. Im Samt, der jeden Kontakt archiviert, teilt sich so ein fremdes Körpergefühl mit und die »Wärme« der Farbe,20 in diesem Bild scheint ein chromatisches Echo ihrer Körperwärme zu bilden.

Abb. 3: Adolph Menzel, Menzels Schwester Emilie im Schlaf, ca. 1848, Öl auf Papier, auf Leinwand kaschiert, 46,8 x 60 cm, Hamburger Kunsthalle, Hamburg (1267).

Vielleicht ist es gerade die Wärme, die der Betrachter mit dem reichen Pelzfutter des blauen Mantels verbindet, oder die gespeicherte Körperwärme, die in den Bezügen und Kissen zumindest für einen Moment fühlbar bleibt, welche die räumlichen Distanzen so lange zu überbrücken versteht, bis »alle Wärme in das Gleichgewicht der Temperatur kommen«21. Diese genuine Lebenswärme, »diese Vorstellung einer ursprünglichen, das Leben auszeichnenden und bewahrenden Wärme«22, erfüllt den 19 20

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Fried: Menzels Realismus. Kunst und Verkörperung im Berlin des 19. Jahrhunderts, S. 158. Vgl. zur Frage nach der spezifischen Temperatur von Farben und Farbvaleurs den Aufsatz von Gage: When warm was cool: On the History of Colour Temperature. – In: Busch (Hrsg.): Verfeinertes Sehen. Optik und Farbe im 18. und frühen 19. Jahrhundert, S. 92–99, bes. S. 98–99. Über die Wechselwirkung der Naturkräfte und die darauf bezüglichen neuesten Ermittelungen [sic] der Physik. – In: Helmholtz: Vorträge und Reden, Bd. 1, S. 50–83, hier: S. 66. Ralph Ubl: Delacroix’ Wärmeräume. – In: Mülder-Bach, Neumann (Hrsg.): Räume der Romantik, S. 277–306, hier: S. 278.

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Raum, der sich zwischen schlafender Schwester und malendem Bruder aufspannt, denn »die Wärme heisser [sic] Körper strebt fortdauernd danach, durch Leitung und Strahlung auf die weniger warmen überzugehen und Gleichgewicht der Temperaturen hervorzubringen«23. Keine Kultur intimer Kommunikation, die auf das Wort vertraut, sondern eine, die den Pinsel einsetzt und »die sich an Werten wie Wärme und Nähe orientiert«, wie sie Herrmann von Helmholtz 1854 in seinen Vorträgen zur Wechselwirkungen von Naturkräften entwirft, ließe sich als tragender Grund seiner Bilder konstatieren: Wärme, die danach strebt, Kälteres in seinem Defizit auszugleichen, führt so zu einer gesteigerten Selbstempfindung, zu jener »väterliche[n] Liebe«, mit der Menzel an allem hängt, »was er je geschaffen« hat.24 Diese Wärme strebt danach, folgt man den Beschreibungen Helmholtz, Distanzen zu überwinden und in die Ferne zu wirken. »Sie erfüllt einen intimen Nahraum«,25 und diffundiert durch den Raum, der sich zwischen dem Sofa und dem Künstler aufspannt. Im Zeichen einer solchen Ästhetik der Körperwärme werden die Distanzen im Raum zwar nicht vollständig aufgehoben, doch lässt sich mit einigem Recht fragen, ob die reservierte Beobachtungshaltung Menzels nicht doch zu schwinden beginnt.

II. Wir mahlen mit der Hand und der Reflexion, wie wir eben auch dichten.26

Stupend ist die Detailtreue, mit der Adolph Menzel das Innere einer Truhe zeigt (Abb. 4). Seine Bleistiftlagen isolieren die einzelnen Dinge und binden sie zugleich vor einen neutralfarbigen, flächigen Hintergrund. Nur wenige Schatten begleiten diese nahsichtige Darstellung; und der Bildausschnitt ist so gewählt, dass der Betrachter kaum etwas über die räumliche Verortung des Möbels erfährt. Jeglicher narrativer oder lokaler Zusammenhang wird aufgelöst, die Welt außerhalb der Truhe und ihrer Seitenwände hört auf zu existieren.27 Eine handlungsbezogene oder genrehafte Natur der Darstellung lässt sich so für diese Zeichnung nur gewinnen, werden die Papierstöße und Umschläge, Sigel und Bänder selbst zu Akteuren

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Helmholtz: Vorträge und Reden, Bd. 1, S. 66. Ottomar Beta: Gespräche mit Adolph Menzel. – In: Lammel (Hrsg.): Exzellenz lassen bitten, S. 3–155, hier: S. 45. Ralph Ubl: Delacroix’ Wärmeräume. – In: Mülder-Bach, Neumann (Hrsg.): Räume der Romantik, S. 277–306, hier: S. 289. Adolf [!] Menzel: Briefe, S. 8. »Es wird berichtet, Menzel habe während seiner Kuraufenthalte im Kurort Kissingen mehrmals die Treppen des Rathauses erstiegen, um sich an den beiden alten Truhen der Kissinger Zünfte zu erfreuen […]«. Riemann-Reyher: Der Zeichner – Meister des Augenblicks. – In: Keisch, Riemann-Reyher (Hrsg.): Adolph Menzel 1815–1905. Das Labyrinth der Wirklichkeit, S. 445–456, hier: S. 451 und Kat. Nr. 193.

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Abb. 4: Adolph Menzel, Truhe mit alten Dokumenten, ca. 1880 –1890, Bleistift, 20,9 x 12,8 cm, Kupferstichkabinett, Berlin (SZ Menzel N 1278).

einer imaginären Handlung: Als ob Menzel mit dem Bleistift nicht nur einer objektiven Wahrheit nachspürte, sondern das Papier in all seinen Formen, seine Beschriftungen und Einträge als Speicher vergangener Energien und Handlungen verstünde, liegt sein Blick auf den Realien des Alltags. Leidenschaftlich erscheint dabei sein Interesse für die Physiognomie des Gewöhnlichen, als öffnete sich damit die aufregende Variante einer tradierten Hermeneutik28 – werden Menzel doch die Objekte seiner Bleistiftarbeiten zu Subjekten29 seiner Lebenswelt. Seine Bleistiftzeichnungen umreißen deshalb stets Gegenwärtiges, um diesem Gegenstandsbereich keine »alltagsorientierte Beiläufigkeit«30 zu verleihen, sondern das alltägliche Geschehen dem Betrachter als bemerkenswertes Sujet zu offerieren: Die Dinge besitzen nicht nur ein Eigenleben, sie kommen Aussagen gleich über den Menschen, der sich mit ihnen umgibt. Allein ihre Auswahl, ihr Arrangement berührt sich mit einem Selbstporträt, eignet sprechenden Dingen doch eine Beredsamkeit zu, die Biographisches zu erzählen wissen.31

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Vgl. Schmidgen: Das Unbewußte der Maschinen. Konzeptionen des Psychischen bei Guattari, Deleuze und Lacan, S. 197. Vgl. Balke: Einleitung. – In: Balke, Muhle, Schöning: Die Wiederkehr der Dinge, S. 7–18, hier: S. 11. Bernhard Maaz: Sehend zeichnen, schauend malen – Adolph Menzel zwischen Skizzenbüchern und Bildern. – In: Maaz (Hrsg.): Adolph Menzel. Radikal real, S. 11 –20, hier: S. 17. Wolfgang Ullrich schreibt davon, Dinge könnten zugleich »alternative Biografien« ermöglichen. Ullrich: Habenwollen. Wie funktioniert die Konsumkultur?, S. 45.

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Menzel erfordert damit eine optische Sensibilität und einen deutenden Blick des Betrachters, der das Kontingente32 zu schätzen lernt, den ›Zufall‹33 geschichteter Papiere und archivierter Dokumente: »Jedes Objekt«, so schreibt Arthur Schopenhauer 1819, »von welcher Art es auch sei, jede Begebenheit in der wirklichen Welt, ist allemal nothwendig und zufällig zugleich: nothwendig in Beziehung auf das Eine, das ihre Ursache ist, zufällig in Beziehung auf alles Uebrige. Denn ihre Berührung in Zeit und Raum mit allem Uebrigen ist ein bloßes Zusammentreffen, ohne nothwendige Verbindung: daher auch die Wörter Zufall, …accidens.«34 Papiere des Alltags, deren Ordnung mehr oder minder dem Zufall unterliegen, entziehen sich einer höheren Ordnung und dort, wo dem Ungefähren breiter Raum gegeben wird und alle Reglements außer Kraft gesetzt sind, herrscht die Fülle einer Kontingenz, die Menzel mit einem uferlosen Motivvorrat35 beschenkt. Zum »objet ambigu« geworden, haben die Dinge des Alltags Teil »an einer kaum zu überblickenden Zahl an Handlungsnetzwerken«; sie werfen »immer neue Fragen auf«, die »niemals vollständig erfasst werden«.36 Denn die »Anwesenheit der Dinge beschwört die Abwesenheit der Handlungen«37, die es imaginär zu ersetzen gilt. Dieses Interesse an Abseitigem, dem er zeichnend und malend dauernde Gestalt verlieh, lässt danach fragen, ob Menzel allein ein »nüchterner, sachlicher Realist«38 gewesen sei, von dem die Forschung spätestens seit Julius Meier-Graefe zu wissen glaubt.39 Schreibt Fontane, mit dem Menzel in der Vereinigung der Turm saß,40 dass »der Realismus […] nicht die bloße Sinnenwelt und nichts als diese [will]; er will am allerwenigsten das bloß Handgreifliche, aber er will das Wahre«41, wird ein strenges Bemühen der 32

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Der »integrale Realist« (Hofmann) erwiese sich so als Spätromantiker? Die Frage, ob Menzel jede Form der Idealisierung verneint habe, ist bereits 1906 von Meier-Graefe mit dem Hinweis erörtert worden, Menzel fehlte es an der Einsicht in eine höhere Bestimmung seiner Kunst: Die »Wörtlichkeit seines Realismus« habe jede Poesie in seinem Werk erstickt. Meier-Graefe: Der junge Menzel. Ein Problem der Kunstökonomie Deutschlands, S. 49 und S. 75. Vergleichbar argumentieren die Amtliche Veröffentlichungen der Nationalgalerie. Adolph Menzel. Fünfzig Zeichnungen, Pastelle und Aquarelle aus dem Besitz der Nationalgalerie mit einer Einleitung von Max Liebermann und einem erläuternden Verzeichnis von G. F. Kern, S. 6; vgl. Hofmann: Menzels verschlüsseltes Manifest. – In: Hofmann, Hopp, Schar (Hrsg.): Menzel – der Beobachter, S. 31–40, hier: S. 38. Margarita Kranz: Artikel »Zufall«. – In: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 12, Sp. 1409–1410; Vogt: Kontingenz und Zufall: Eine Ideen- und Begriffsgeschichte, S. 69. Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung (1819), S. 646. Zu dieser prägnanten Formulierung des ›uferlosen Motivvorrats‹ findet Maaz in seinem Artikel. Vgl. Bernhard Maaz: Sehend zeichnen, schauend malen – Adolph Menzel zwischen Skizzenbüchern und Bildern. – In: Maaz (Hrsg.): Adolph Menzel. Radikal real, S. 12. Klammer: Selbstporträt in Dingen. – In: Kunstgeschichte. Open Peer Reviewed Journal. http://www.kunstgeschichte-ejournal.net/451/1/dinge.pdf (Zugriff: 15.05.2015). Kittner: Visuelle Autobiographien. Sammeln als Selbstentwurf bei Hannah Höch, Sophie Calle und Annette Messager, S. 182. Elke von Radziewsky: Menzel – ein Realist? – In: Maaz (Hrsg.): Adolph Menzel. Radikal real, S. 17–30, hier: S. 17. Meier-Graefe: Der junge Menzel. Ein Problem der Kunstökonomie Deutschlands. Zum Verhältnis von Fontane und Menzel vgl. Keisch: Ja, wer ist Menzel?. – In: Keisch, Schuster, Wullen (Hrsg.): Fontane und die bildende Kunst, S. 200–213. Fontane: Realismus (1853). – In: Plumpe (Hrsg.): Theorie des bürgerlichen Realismus. Eine

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zeitgenössischen Literatur um die Wahrhaftigkeit der Darstellung ersichtlich; denn: »[d]er Realismus in der Kunst ist so alt als die Kunst selbst, ja, noch mehr: er ist die Kunst.«42 Wie sehr aber dem irrationalen und dabei dynamischen Charakter subjektiver Wahrnehmung im Werk des Realisten Menzels ein bildnerisches Äquivalent geschaffen wurde, ist ein Befund, der danach fragen lässt, wie sehr spätromantische Wahrnehmungsmuster im Werk Menzels nachwirkten. In seiner Suche nach der poetischen Kraft des Unbedeutenden und Kontingenten fand Menzel erneut eine begleitende Stimme im Werk Schopenhauers.43 Dessen Denken, das sich mit der instabilen und dabei spezifisch temporalen Natur der Wahrnehmung befasste, begegnet man so auch in einem Passus, in dem der unweigerlich fragmentarische und auf die Zerstreuung zielende Charakter subjektiver Erfahrung sprachlich gefasst wird: »Der Intellekt«, so Schopenhauer in Die Welt als Wille und Vorstellung, »apprehendiert nämlich nur successiv und muß, um das Eine zu ergreifen, das Andere fahren lassen, nichts, als die Spuren von ihm zurückbehalten, welche immer schwächer werden. […] [W]ie das Auge, wenn es anhaltend auf einen Gegenstand hinstarrt, ihn bald nicht mehr deutlich sieht, indem die Umrisse ineinander fließen, sich verwirren und endlich Alles dunkel wird […]«.44 Ehe Dunkelheit um sich greifen kann und die Spuren des Gesehenen erlöschen, füllt Menzel seine Skizzenbücher mit Notaten des Gesehenen. »[V]oll gezeichnet« sind diese Tagebücher schließlich und gehütet »im verschlossenen Schubkasten« seines »Arbeitstisches«45, denn das »Skizzieren bedeutet für Menzel mehr[,] als nur motivische Information zu sammeln«46. Zeichnungen werden ihm zu einem Residuum, in dem die erfassten Daten gespeichert und aus dem Strom andrängender Sinnesempfindungen in den Raum fest umrissener Konturgewissheit verbracht werden. Das »Endziel der Malerei«, so Menzel, sei »in der minutiösesten Wiedergabe aller Details zu sehen«, einer Naturtreue, die allein »unter dem Einflusse einer beispiellos scharfen Sehkraft« entsteht.47 Durchaus mit den Überlegungen zur Wahrnehmung Schopenhauers vergleichbar, erfasst Menzels zeichnerische Mnemotechnik die stets drohende »Verbindung zwischen Aufmerksamkeit und perzeptueller Desintegration«48, fehle es der eigenen Zeit doch an »Ruhe« der Betrachtung, wie Menzel im

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Textsammlung, S. 140 –148, hier: S. 147. Ebenda, S. 142. Vgl. Becker: Bürgerlicher Realismus. Zur Frage, ob Schopenhauers Philosophie im Zusammenhang mit der Romantik stand, vgl. Pikulik: Schopenhauer und die Romantik. – In: Baum, Birnbacher (Hrsg.): Schopenhauer und die Künste, S. 56 –79. Diese Nähe zeigt sich an den ›privaten‹ Arbeiten der 1840er Jahre: sei es der »intime Weltentzug« (Maaz) im beunruhigend flirrenden Balkonzimmer von 1845 oder die dämmrige Schönheit der Nachtszene Wohnzimmer mit der Schwester des Künstlers. Zum Status der ›privaten‹ Bilder Menzels aus den Jahren 1844–45, vgl. Fried: Menzels Realismus, S. 95–129. Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung, II, 1 – Werke in zehn Bänden, Bd. 1, S. 159–160. Kirstein: Das Leben Adolph Menzels, S. 93. Maaz: Adolph Menzel. Radikal real, S. 13. Ottomar Beta: Gespräche mit Adolph Menzel. – In: Lammel (Hrsg.): Exzellenz lassen bitten, S. 3–155, hier: S. 47. Crary: Aufmerksamkeit. Wahrnehmung und moderne Kultur, S. 52.

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Gespräch mit Ottomar Beta bemerkte: »Es gibt etwas wie die Dampfmaschine, und diese naturgetreu zu malen, dazu muß man ihr die Details in der Bewegung ablauschen.«49 Diese fundamentale Veränderung des Sehens, die mit Menzels Blickwendung zur Maschine einhergeht, lässt sich natürlich »als Elemente jener ›Verzeitlichung‹ konzeptualisie[ren]«50, die als Signatur der Moderne gilt. Doch muss diesem spürbar modifizierten Bewegungsbegriff51 eine zeichnerische Technik des Sammelns und Ordnens parieren. Zur Kunst- und Lebensdisziplin wird Menzel diese Wissenschaftshaltung des klassifizierenden Auges, denn dieses optisch eingefangene Wissen kann gegen eine Welt aufgeboten werden, deren Signum die Dampfmaschine geworden ist. »Hier ist die Energie des Sehens, mit welchem [Menzel] sein Objekt durchdringt«52; Objekte, die sein Interesse binden, werden in aller Genauigkeit aufgenommen, die entstehende Darstellung mit einem Datum versehen: Der Köchin Linas Kamm/im Atelier gefunden/8 Jan/86 (Abb. 5) lesen wir in dieser bewahrenden Absicht.53 Dieses Kuriosum eines Kammes, der mit all den ausgekämmten Haaren nur zu leicht ans Ekelhafte rührt, wird in der vollendeten Zeichnung so behandelt, als ob die vom Kamm herrührende Beunruhigung in der Zeichnung neutralisiert werde. Nicht der Kamm wird angefasst, sondern das optische Wissen über den Kamm wird zeichnerisch geordnet. Insofern der Kamm allerdings allein im Modus seiner Archivierbarkeit gesehen wird, löscht Menzel mit jedem Einsatz des Bleistifts die aktive Erinnerung an den Kamm. Graphitspuren werden verzeichnet und im Skizzenbuch gleichsam ›abgelegt‹.54 Und so wird in der objektiven Genauigkeit des mimetischen Berichts der Gegenstand selbst, der Kamm, überflüssig: Sein Überdauern hat er mit seiner Mortifikation bezahlt.

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Ebenda, S. 47. Mülder-Bach, Neumann: Einleitung. – In: Mülder-Bach, Neumann (Hrsg.): Räume der Romantik, S. 7–11, hier: S. 7. Rudolf Behrens spricht davon, dass »um 1800 (eine) spürbare Modifikation des Raumbegriffs« zu verzeichnen sei. Behrens: Räumliche Dimensionen imaginativer Subjektkonstitution um 1800 (Rousseau, Senancour, Chateaubriand). – In: Mülder-Bach, Neumann (Hrsg.): Räume der Romantik, S. 27–65, hier: S. 36. Ottomar Beta: Gespräche mit Adolph Menzel. – In: Lammel (Hrsg.): Exzellenz lassen bitten, S. 3–155, hier: S. 48. »Ich habe ein Prinzip«, schreibt Menzel, »damit fing ich an, und damit höre ich auf: alles, was ich angriff, so gut zu machen wie möglich, auch wenn es in den Augen der Leute geringfügige Dinge waren«. Ottomar Beta: Gespräche mit Adolph Menzel. – In: Lammel (Hrsg.): Exzellenz lassen bitten, S. 3–155, hier: S. 20. Dieses Vorgehen entspricht dem Modus der Fotografie, wie ihn Talbot im Pencil of Nature (1844) beschreibt, der von fixierten Gegenständen als abgestorbenen und zugleich bestens erhaltenen Dingen schreibt. Vgl. Stiegler: Philologie des Auges. Die photographische Entdeckung der Welt im 19. Jahrhundert, S. 53.

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Abb. 5: Adolph Menzel Der Köchin Linas Kamm/im Atelier gefunden/8 Jan/86, 1886, Bleistift, 10,5 x 18,1 cm, Kupferstichkabinett, Berlin.

Der Akt dieses Zeichnens bezeugt Menzel »das Sehen und das dazugehörige Denken«55, und doch wird man ihn auf dem Feld der Ästhetik56 oder im Zusammenhang einer spätromantischen Theoriebildung nicht vermuten noch als Autor benennen. Er war kein Künstler, der sich in »systematisierter Form begrifflich mit seinem Tun auseinandergesetzt hätte«57. Und doch existieren Spuren schriftlich fixierter Kunstbetrachtungen: In den Briefen an den »väterlichen Freund Arnold […], der im Berlin der 1830er Jahre einen Kunstsalon unterhielt«58, finden sich Ausführungen zur deutschen Malerei. Zur Reflexion angehalten, muss der Künstler einen Weg einschlagen, den Menzel in einem Brief an Arnold mit den Worten vorzeichnet, die ihm in Reaktion auf eine Ausstellung der Berliner Akademie in den Sinn kamen: »Der wirklich geistvolle und gediegene Materialismus der jetzigen Franzosen«59, so Menzel, eröffne neue Möglichkeiten der bildenden Kunst in der Moderne60, die im Vertrauen auf akribische Notate zu einer »Totalregistratur der Dinge«61 führen wird, ohne dass Menzel dem Glauben an das Material nachhinge. Der Aufbewahrungsgestus der Zeichnung verleiht allem, was sich in den Skizzenbüchern findet, ein Fortleben im Zeichendasein, und zugleich wird die Seite, die der Materialismus als Denkfigur stets verneinte, durch Menzels Einordnung als »geistvoll« und »gediegen« revitalisiert: Nicht die Substanzen und Stoffe allein, sondern ihre Beseelung qua künstlerischer Handschrift62 rückt so in den Fokus seiner Kunstsprache. 55

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Ottomar Beta: Gespräche mit Adolph Menzel. – In: Lammel (Hrsg.): Exzellenz lassen bitten, S. 3–155, hier: S. 24. Vgl. Busch, Beyrodt (Hrsg.): Kunsttheorie und Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts in Deutschland I: Kunsttheorie und Malerei, S. 185–186. Kohle: Adolph Menzel als Kunsttheoretiker, S. 181. Ebenda, S. 181. Menzel: Briefe, S. 13. Richard Hoppe-Sailer kommt im Zeichen des von Menzel als vorbildlich bezeichneten Materialismus bzw. Positivismus zur kaum hinreichenden Einschätzung, der Künstler habe die Realität unbeteiligt und urteilslos dokumentiert. Hoppe-Sailer: Die bürgerliche Welt. – In: Jensen (Hrsg.): Adolph Menzel. Realist – Historist – Maler des Hofes, S. 70 und S. 71. Köhnen: Das optische Wissen. Mediologische Studien zu einer Geschichte des Sehens, S. 399. Ohne eine direkte Abhängigkeit konstatieren zu wollen, nimmt diese Definition des Materialis-

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Abb. 6: Adolph Menzel, Dr. Puhlmanns Bücherregal, 1844, Bleistift, 26,9 x 21 cm, Kupferstichkabinett, Berlin (SZ Menzel N 1027).

In der Tat treten Dinge in opulenter Zahl als Elemente des Interieurs, als vielteilige Accessoires oder als Indikatoren bürgerlichen Wohlstands, ja als Erinnerungsstücke und als Teile von Sammlungen ins Blickfeld des Zeichners. So scheint in der Bleistiftzeichnung Dr. Puhlmanns Bücherregal (Abb. 6) Menzels gesteigerte Konzentration auf und der Wille, sich dem »intern differenzierten Motiv«63, das ein so reich bestückter Bücherschrank bietet, so lange zu widmen, bis die Wahrheit des Erblickten in seiner Zeichnung ihren adäquaten Ausdruck gefunden hat. Diese konsequente, auf einen längeren Zeitraum hin ausgelegten Wendung zu den Dingen und ihre zeichnerische Umsetzung bürden dem zugrunde liegenden Dingbegriff vielleicht mehr auf als irgendwo sonst in der deutschen Malerei des 19. Jahrhunderts.64 Denn Dr. Wilhelm Puhlmann war nicht nur Sanitätsoffizier in Potsdam, sondern einer der engsten Freund Menzels. Wie dieser seine Bücher benutzte, medizinische Nachschlagewerke konsultierte, die größeren Formate in beiden Händen hielt oder sie auf sein Lesepult gelegt haben mag, schreibt sich dem visuel-

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mus doch Ideen Alois Riegels vorweg, der den Materialismus bekanntlich nicht als Ausdruck technischer Zwänge des Materials sondern als Form eines genau bestimmbaren Kunstwollens sah. Vgl. Jacob: Ornament und Raum: Worringer, Jünger, Kracauer. – In: Lange (Hrsg.): Raumkonstruktionen in der Moderne: Kultur – Literatur – Film, S. 135–159, hier: S. 137. Fried: Menzels Realismus, S. 14. Dieser ›Dingbegriff‹ deckt ein weites Spektrum ab, das Lebendiges und Lebloses, Abstraktes und Konkretes umfasst. Vgl. Macho: Stifters Dinge.

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len Befund unverlierbar ein.65 Den taktilen Umgang des Freundes mit dem Objekt Buch, die Weise, wie die Bücher aufbewahrt, zu Stapeln aufgeschichtet oder systematisch auf die Regalböden gestellt wurden, konnte Menzel nicht unbeantwortet lassen. Ließ Menzel »keinen Aspekt der Wirklichkeit aus«66, galt es im Zeichen eines Materialismus, der in den Dingen auch immer das verwaltende Subjekt aufscheinen sieht, »die Erscheinung der Welt unter den gegebenen Umständen so genau wie möglich« zu erfassen – obgleich diese pikturale Wahrheit »partiell und unvollständig bleibt und im Geheimnis endet«, wie Michael Fried schreibt.67 Wenn es aber eine solche produktive Unklarheit im Rahmen der Alltagsdarstellung gibt, wenn die wahrgenommene Erscheinung der Umwelt eine Leerstelle in der Phänomenologie der Dinge hinterlässt, stellt sich die Frage nach der Möglichkeit, eine zeichnerisch adäquate Auffassung der Wirklichkeit überhaupt zu gestalten. Zudem waren die Skizzenbücher herausfordernd klein, die sich Menzel extra anfertigen ließ68. Folgt man Berichten seiner Zeitgenossen, so waren die Taschen seines Paletots mit mehreren solcher Skizzenbüchern und Bleistiften gefüllt, die er zeitgleich verwendete.69 Der Wunsch, alles zu fixieren, was ihm vor Augen kommt, scheint der Motor dieses unaufhörlichen Zeichnens gewesen zu sein, systematisch zu erfassen, was seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Schopenhauer wird hingegen die »mangelhafte« und »fragmentarische« Natur der subjektiven Aufmerksamkeit mit einer »Laterna magica [vergleichen], in deren Fokus nur ein Bild zur Zeit erscheinen kann und jedes, auch wenn es das Edelste darstellt, doch bald verschwinden muß, um dem Heterogensten, ja Gemeinsten Platz zu machen«70. Folgt Sinneseindruck auf Sinneseindruck, kann kein Bild mehr stillgestellt und fortgesetzt wahrgenommen werden – diese beschleunigten Blicke identifiziert Schopenhauer als »Quelle subjektiven Schmerzes«71, den Menzel mit einer Unzahl zugleich genutzter Skizzenbücher zu parieren sucht: Als »Solitär« wandelt der Künstler gezwungenermaßen »durch diese Welt der Dinge, die er in so unerbittlicher Weise objektiviert«.72 Instabile optische Erscheinungen entfalten eine Macht, die die Ordnung der Bewusstseinsinhalte unterläuft. Nicht umsonst nennt Ottomar Beta den Künstler

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Fried: Menzels Realismus, S. 16. Maaz: Adolph Menzel. Radikal real, S. 11. Fried: Menzels Realismus, S. 14. »Die Bücher mit dem schwankenden Umfang von etwa 60 bis 200 Seiten wurden meist nur ein, zwei Jahre hindurch benutzt, dann rückten die nächsten nach. Menzel ließ sich die häufig nur etwa 10 x 7 cm messenden Bändchen eigens anfertigen«. Maaz: Adolph Menzel. Radikal real, S. 12. Paul Meyerheim: Adolph von Menzel. Erinnerungen. – In: Lammel (Hrsg.): Exzellenz lassen bitten, S. 157–236, hier: S. 223. Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung, II – Werke in zehn Bänden, Bd. 1, S. 161. Ich folge in dieser Interpretation den Ausführungen Jonathan Crarys. Crary: Aufmerksamkeit. Wahrnehmung und moderne Kultur, S. 52. Ottomar Beta: Gespräche mit Adolph Menzel. – In: Lammel (Hrsg.): Exzellenz lassen bitten, S. 3–155, hier: S. 9. »Tausende von Notaten, Impressionen, Fragmenten, Beiläufigkeiten« finden sich in »den siebzig erhaltenen, meist winzig kleinen Skizzenbüchern«. Maaz: Adolph Menzel. Radiakal real, S. 12.

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einen »Märtyrer des Geistes«, der in »einem unermüdlichen und Tag und Nacht regen Forschergeiste müheselige, aber doch arbeitsfreudige Dienste verrichtet«.73

Abb. 7: Adolph Menzel, Selbstbildnis, 1876/77, Bleistift, je 15 x 8,9 cm; Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. KK Skb. 51, S. 69–70.

Galt Menzel diesem Zeitgenossen als »grausame[r] Historiker und Analytiker«74, kann sein manischer Einsatz von Stift und Papier durchaus als »technisches Zeichnen«75 gedeutet werden. Stift und Papier werden so zu Instrumenten und das Sehen zu einer Form des Wissens: Die Zeichnungen als Dokumente einer erkenntnisstiftenden Anschauung der Welt zu werten, bedeutet zudem aber, dass Menzel die Dinge in seinen Skizzenbüchern wie in einer Datenliste verwahrte. Er wies ihnen einen neuen Ort auf der beschränkten Papierfläche zu und trug so nicht die Dinge selbst, sondern ihre relative Position in das Archiv seiner Wahrnehmungsdaten ein. Die Dinge, die Räume, »ihre Strukturen, die Lineaturen und Positionsbildungen der Gegenstände werden analysiert, um daraus ein Tableau ihres Vorkommens zu bilden.«76 Den neuen perzeptiven Möglichkeiten einer Technik, die einzig der Evaluation menschlicher Lebenswelten zuarbeitet, wird mit Menzels Arbeiten das Interieur und Bildes der Alltag als erstrangiger Ort der Erkenntnis in den Blick genommen. Dabei richtet sich seine gezeichnete Erkenntnistheorie, die als Gedanke allein keinen Bestand haben sollte, sondern sich »immer nur in Kunst verwandelte«77, bevorzugt auf den diskursiven Sinn, dem die Gestalt aufgeht: dem Auge (Abb. 7).

III. Doch Menzel gönnt dem Betrachter keinen konventionellen Blick auf seine Motive, der fragmentarische Charakter zerbrochener Stühle (Abb. 8), die Aufschichtung von 73

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Ottomar Beta: Gespräche mit Adolph Menzel. – In: Lammel (Hrsg.): Exzellenz lassen bitten, S. 3–155, hier: S. 8. Ebenda, S. 9. Probst: Adolph von Menzel. Die Skizzenbücher. Sehen und Wissen im 19. Jahrhundert, S. 23. Köhnen: Das optische Wissen. Mediologische Studien zu einer Geschichte des Sehens, S. 398. Kohle: Adolph Menzel als Kunsthistoriker, S. 181.

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Überflüssigem und Zwischengelagertem (Abb. 9) konzentriert den Effekt dieser Studienblätter nicht nur auf die fragmentierte Raumdarstellung, sondern auf das Eigenleben vergessener Dinge: Als Ausschuss des Alltags verstellen sie den Weg78

Abb. 8: Adolph Menzel, Lädierte Korbstühle, 1867/68, Bleistift, je 13,2 x 7,9 cm; Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. KK Skb.30, S. 87.

Abb. 9: Adolph Menzel, Umzug aus einem Keller, 1844, Bleistift, 13,1 x 20,8 cm; Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett. Bez. o.r.: A.M./44. Bez. u.r.: Umzug aus einem Keller. Inv.-Nr. KK SZ Menzel N 673.

und reklamieren zugleich eine neue Eigenwertigkeit. Zudem werden (Abb. 10) in dem überraschend skizzenhaften Darstellung seines Schlafzimmers 1847 Lichtstimmung und Raumtemperatur buchstäblich fühlbar. Ein solches Interieur lädt zum projektiven Eintritt in eine scheinbar vertraute Welt ein, und doch breitet Menzel hier einen gleichsam kinematischen Gang in seine Welt vor, in der der Maler zunächst den privatesten Raum, sein Schlafzimmer, in seinen diversen Abstufungen, 78

Schneider: Vergessene Dinge. Plunder und Trödel in der Erzählliteratur des Realismus (zur »Mappe«). – In: Schneider, Hunfeld (Hrsg.): Die Dinge und die Zeichen. Dimensionen des Realistischen in der Erzählliteratur des 19. Jahrhunderts, S. 157–174.

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Abb. 10: Adolph Menzel, Schlafzimmer des Künstlers in der Ritterstraße, 1847, Öl auf Pappe, 56 x 46 cm. Bez. u.r.: A.M./47; Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie, Inv.-Nr.: A I 860.

Flächen und Nischen, in seiner dinglichen Fülle und internen Bewegtheit dem Blick des Betrachters ausbreitet. Der Blick schweift so lange umher, bis er diejenige Figur fixiert, die als Handlungsträger identifiziert werden könnte: Der Mann vor dem Fenster, der aus schriftlichen Hinweisen als Menzels Bruder zu benennen ist, verbleibt allerdings im Ungefähren.79 Allein der Blick, der an ihm vorbei geht und nach draußen strebt, ist so detailgesättigt, dass der Kopf seines zeitunglesenden Bruders zu einem Fleck mehr oder weniger pastosen Malmittels gerinnt. Dessen Haupt, das durch die rasch gezogenen Pinselspuren so kaum markiert, eher als Farbfläche 79

Luhmann: Kopierte Existenz und Karriere. Zur Herstellung von Individualität. – In: Beck, Beck-Gernsheim (Hrsg.): Riskante Freiheiten. Individualisierung in modernen Gesellschaften, S. 191–200.

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beschrieben ist, wird zum Schauplatz imaginärer Ersetzung. An dieser Perspektivierung des Raumes durch den Fensterblick, als einen geometrischen ›Rahmen‹ für das Porträt des Bruders, das keines sein will, hält Menzel aber nicht fest, sondern konfrontiert diesem Ausblick die Auflösung des Innenraumes in der linken Wandund Bodenzone. Die Verwirbelung der Bodenzone80 weist so die Idylle des Fensters als künstlich gerahmten Blick aus, »der um seine Artifizialität und um seine nur begrenzte Gültigkeit weiß«81. Denn ein Fenster ist kein Raum, kein Ort, sondern ein Medium der Rahmung des Blicks und eine Zone des Übergangs82, die ein weiteres Mal aufgerufen wird, wirft man einen Blick auf das spiegelnde Glas oberhalb des Bettes. Das Innenleben Menzels, so möchte man konstatieren, ist unauflöslich mit diesem Ort und den Dingen verwoben, die ihn erfüllen. Als Raum des »alltäglichen Umgangs«83 ließe sich das Schlafzimmer bezeichnen, von dem David E. Wellbery schreibt, es sei »derjenige Raum, in dem sich Lebensformen einrichten. Es ist der bewohnte Raum, der Raum der Gewohnheit, der Raum auch der allmählichen Änderungen, der kaum merklichen Einflüsse«.84 Aber stimmt das überhaupt? Ist Menzels Schlafzimmer nicht vielmehr die Darstellung eines Raumes, in dem gerade nicht das eintrifft, was »sich zu ereignen pflegt«85? Wie sehr Menzel eine spezifische Fremdheitserfahrung entwirft, die sich dem Rhythmus der Wiederkehr verweigert, zeigt sich zuletzt darin, dass die alltäglichen Dinge der Wahrnehmung fremd werden, widmet man ihnen eine erhöhte Konzentration und sehende Aufmerksamkeit. So erstaunt es zunächst, wie sehr er die Dinge des Interieurs dann doch vernachlässigt und die größte Präzision der Wiedergabe im Modus der Fernsicht verwirklicht. Fremd steht man auch vor einer Bildwelt, die am linken Rand zu zerlaufen scheint, fremd auch vor einem weißen Bettüberwurf, der sich wie eine rauschende Wasserkaskade vom Bett stürzt. Auch Menzel steht zu dem Ort, den er doch malerisch einfängt, in einem Verhältnis der Nicht-Zugehörigkeit. Erneut aus erhöhter Perspektive, als ob er das fehlende Längenwachstum durch die bewusste Überschau zu kompensieren trachtete, lässt der Maler uns mit seinen Augen auf den Raum herabblicken.86 Malerei als Gegenwelt dient dem Ziel, aus der selbstgewähl80

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Brüggemann: Architekturen des Augenblicks. Raum-Bilder und Bild-Räume einer urbanen Moderne in Literatur, Kunst und Architektur des 20. Jahrhunderts. Fohrmann: Schiffbruch mit Standrecht. Der ästhetische Imperativ in der ›Kunstperiode‹, S. 119. Zur Differenz von Tür und Fenster vgl. Haverkamp: Innenbild. Die Dialektik des Innen und Außen. – In: Haverkamp (Hrsg.): Figura cryptica. Theorie der literarischen Latenz, S. 201–215, hier: S. 202. David E. Wellbery: Sinnraum und Raumsinn: Eine Anmerkung zur Erzählkunst von Brentano und Eichendorff. – In: Mülder-Bach, Neumann (Hrsg.): Räume der Romantik, S. 103–117, hier: S. 104. Ebenda. Ebenda. Die spezifische Darstellungsweise des Interieurs fordert zu einer Wahrnehmung auf, die eine besondere Form des Verschmelzungswunsches annimmt. Vgl. Kemp: Beziehungsspiele. Versuch einer Gattungspoetik des Interieurs. – In: Schulze (Hrsg.): Innenleben. Die Kunst des Interieurs. Vermeer bis Kabakov, S. 17–29, bes. S. 20.

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ten Isolation heraus zu treten. Der Raum des Alltäglichen wird so nicht allein mit Dingen angereichert, die eine Fülle von Konnotationen bergen, sondern: der Raum mutiert unter der Hand des Künstlers zu einem Sehnsuchtsraum, der dem Maler zwar keine unbekannten Entdeckungen bereithält, aber die Möglichkeit bietet, seiner malerischen Lust zu frönen und sich die Dinge qua Darstellung einzuverleiben. Dieser Bildraum ist so in zweifacher Weise mit Menzel verbunden, mit seinem Sehen und seinem Empfinden: Dieses Hinabgleiten des Sehens, dieses Aufsteigen und Hinüberblicken, dieses Abtasten und wieder Loslassen, strukturieren das Bild. Menzels streifende Bewegungen, die sich für kurze Augenblicke an das Faszinosum der Dinge heftet, werden von seiner Bezauberung durch die Wärme, die den Raum erfüllt, für die Lichtstimmungen und Raumtemperaturen flankiert. Durch die Absenkung der semantischen Tiefenschärfe und durch den Schritt ins Imaginäre – mit dem Blick auf die spiegelnden Oberflächen und dem schweifenden Auge, das den Weg aus dem geöffneten Fenster sucht, wird dem Betrachter ein weiter Projektionsraum eröffnet. Allerdings weisen die hier vorgestellten Befunde auch in eine zweite Richtung. Sie zeigen, dass die ins Ungefähre zielende, fließende Bewegung der Pinselspuren die differente Raumwahrnehmungen eröffnet. Die Wahrnehmung dieser Tiefe87 aber, in die das Auge den Pinselspuren des gemalten Raumbodens folgen, setzt einen Betrachter voraus, der bereit ist, die absoluten, geometrischen Maßeinheiten für einen Moment zu vergessen. So kommt der Blick in Menzels Schlafzimmer keiner ungerichteten Form der Anschauung gleich, sondern weist Unterschiede hinsichtlich seiner internen Dichte und Bewegtheit auf. Optische Erscheinungen, die instabile werden, sei es die Bodenzone in Fensternähe, das Aufglänzen der Buchrücken oder die Lichtspiegelung im wie gewölbt wirkenden Glas des golden gerahmten Spiegels, »entfalten die ihnen eigene Macht nur solange, als sie nicht vergegenständlicht worden sind, weder perzeptiv noch inhaltlich. Ihnen einen spezifischen Sinn zu verleihen […] ist immer auch eine Neutralisierung der von ihnen herrührenden Beunruhigung«.88 Folgte Menzel allein den Theorien des bürgerlichen Realismus, wie sie Fontane entwarf, hätte sich seine Wahrnehmung als Anschauung ereignet, die zuerst den freilegenden Blick und die distanzierte Beobachtung privilegierte.89 Ästhetische Betrachtung und physiognomische Lesung des Alltags erweisen sich dem Realisten als probate Mittel, Dinge zum Sprechen zu bringen – aber was hätten sie noch zu berichten? Menzels Malerei erkennt die »optischen Effekte als irrlichternde, ihrem Wesen nach instabile und keiner abwesenden Instanz zuschreibbare Phänomene

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Vgl. Artikel »tief« und »Tiefe«. – In: Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, Bd. 11, Sp. 480 –489. (Red.): »Tiefe, Tiefsinn«. – In: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 10, Sp. 1192–1194. Ralph Ubl: Delacroix‘ Wärmeräume. – In: Mülder-Bach, Neumann (Hrsg.): Räume der Romantik, S. 277–306, hier: S. 303. Berr: Technik und Körper, S. 28. Vgl. Langen: Anschauungsformen in der deutschen Dichtung des 18. Jahrhunderts. Rahmenschau und Rationalismus, S. 8.

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an[…]«90, denn »der blendende Effekt, der das Auge fesselt, ist ihm das Wesentliche.«91 Seine alltäglichen Interieurs entfalten sich zunächst als phänomenologisch leicht fassbare Räume, die im Zeichen des Realismus zu stehen scheinen, zugleich aber einer Dramaturgie unterliegen, »die die Dinge des Alltags letztlich aus ihrer gewohnten Disposition herauslösen«92 und die Realien zum Gegenstand eines Wahrnehmungsexperiments erklären. Menzels Alltagsbilder werden zu Medien »übergänglicher, offener und deshalb das Subjekt zur Selbstwahrnehmung herausfordernder Erfahrung[en]«93 – souverän begegnen sich so summarisch Gesehenes und detailliert Erfasstes, fängt Menzel, der Realist, doch immer das Atmosphärische, die Lebenswärme ein.

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Zu dieser Beschreibung findet Ralph Ubl in seiner Betrachtung der Arbeiten von Delacroix. Ralph Ubl: Delacroix’ Wärmeräume. – In: Mülder-Bach, Neuman (Hrsg.): Räume der Romantik, S. 277–306, hier: S. 304. Ottomar Beta: Gespräche mit Adolph Menzel. – In: Lammel (Hrsg.): Exzellenz lassen bitten, S. 3–155, hier: S. 50. »So setzt sich das Bild bei Menzel«, folgt man den Ausführungen Ottomar Betas, »zunächst aus Lichtern und Reflexen zusammen […]«. Ebenda, S. 50. Rudolf Behrens: Räumliche Dimensionen imaginativer Subjektkonstitution um 1800 (Rousseau, Senancour, Chateaubriand). – In: Mülder-Bach, Neumann (Hrsg.): Räume der Romantik, S. 27–65, S. 63. Ebenda, S. 63.

Stephanie Bölts

»Vergiss nicht die roten Rüben einzumachen … Erkälte dich nicht, sei streng gegen die Kinder«: Krankheit zwischen Alltag und Dichteramt im Briefwechsel von Achim und Bettina von Arnim

1. Krankheit als das Außergewöhnliche und als das Alltägliche Literatur und Krankheit sind in der Romantik eng verbunden: Genie und Wahnsinn werden konstitutiv miteinander verbunden und kranke Figuren – insbesondere auch kranke Künstlerfiguren – bevölkern die romantische Literatur. Zahlreiche Autoren – etwa Novalis oder E.T.A. Hoffmann – waren persönlich mit Krankheit konfrontiert und bestimmte Krankheiten werden dabei auch zur Selbstinszenierung genutzt. Krankheit erscheint als Auszeichnung, die im unmittelbaren Zusammenhang mit dichterischer Produktivität steht.1 Bei dieser Verbindung von Krankheit und Literatur spielen kulturelle Deutungsmuster, die Krankheiten zugeschrieben werden, eine wichtige Rolle und zeigen die Zusammenhänge von Krankheit, Metaphorizität und Narrativität.2 Historische Epochen können dabei mit bestimmten Krankheiten fest verbunden werden, wie beispielsweise die Pest und das Mittelalter. Krankheiten wie Melancholie, Neurasthenie, Bleichsucht oder Tuberkulose sind mit Kunst und Literatur und bestimmten Stilrichtungen sowie ästhetischen Vorstellungen assoziiert.3 Die Verbindung von Krankheit und Genialität bezieht sich dabei auf Vorstellungen vom Außergewöhnlichen. Dies findet sich schon in den pseudo-aristotelischen Problemata, in denen Melancholie und Krankheit als Merkmal aller außergewöhnlichen Menschen in Politik, Philosophie, Dichtung und den Künsten aufgeführt werden: »Warum erweisen sich alle außergewöhnlichen Männer in Philosophie oder Politik oder Dichtung oder in den Künsten als Melancholiker; und zwar ein Teil von ihnen so stark, daß sie sogar von krankhaften Erscheinungen, die von der schwarzen Galle ausgehen, ergriffen werden?«4 Laut der Humoralpathologie wird eine Dominanz der schwarzen Galle über andere Säfte, die den Melancholiker 1

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Vgl. Lawlor: Consumption and Literature; Burwick: Poetic Madness and the Romantic Imagination. Vgl. die kritischen Analysen der Metaphorisierung von Krankheiten, insbesondere von Tuberkulose, Krebs und Aids von Sontag: Illness as Metaphor and AIDS and its Metaphors. Sontag kritisiert, wie Krebs als Metapher für Leidenschaften und Emotionen benutzt wird und damit die Kranken selbst für die Krankheit und Therapie verantwortlich gemacht werden. Vgl. zur kulturellen Kodierung von Krankheiten auch Pethes/Richter: Medizinische Schreibweisen, S. 5–6. Vgl. zur Verknüpfung von Epochen und Krankheit: Hörisch: Epochen / Krankheiten, S. 21–44. Aristoteles: Problemata Physica XXX, 1 – Werke in deutscher Übersetzung, Bd. 19, S. 250.

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kennzeichnet, positiv gewertet, solange sich ihre Temperatur in einem Mittelmaß befindet. Wenn die Galle zu sehr erhitzt wird, führt dies zu manischen Zuständen, während Kälte Depression verursacht. Geniale dichterische Schaffenskraft ist somit immer bereits an der Grenze zu Krankheit.5 Sowohl dichterische Genialität als auch bestimmte pathologische Erscheinungen werden an das Außergewöhnliche geknüpft. Welche Rolle aber spielen Krankheiten im Alltag von Autoren, und zwar insbesondere solche, die nicht auf bestimmte Weise metaphorisch aufgeladen und mit Konzeptionen vom Dichter verbunden sind? Im Briefwechsel von Achim und Bettina von Arnim kommen zahlreiche solcher Krankheiten vor. Briefe ermöglichen Einblicke in Alltagswelten und wie diese erlebt werden. Zugleich waren Briefe um 1800 auch wichtige Medien der Kommunikation über Krankheit, da die Interaktion zwischen Ärzten und ihren Patienten und Patientinnen vielfach nicht direkt, sondern über Briefwechsel erfolgte.6 Anhand der Krankheitsdarstellungen im Briefwechsel der von Arnims kann exemplarisch nach den Empfindungen und dem Erleben von Alltagswelten gefragt werden und gleichzeitig ist zu fragen, ob und wie diese alltäglichen Krankheiten zum Dichten in Bezug gesetzt werden. Die wiederholten Husten, Fieber, Kopfschmerzen, Magenkrämpfe, Wunden und Kinderkrankheiten, an denen Achim, Bettina und ihre Kinder leiden, werden dabei in einem für die zeitgenössischen medizinischen Diskurse charakteristischen Konglomerat verschiedener Erklärungsmuster und entsprechender Therapieansätze thematisiert.7 Achim kuriert sein rheumatisches Nervenfieber bei einer Brunnenkur in Karlsbad, auch Bettina lässt Magenkrämpfe mit Bad- und Brunnenkuren therapieren. Bettina experimentiert mit dem animalischen Magnetismus, Achim lässt sich mit Hahnemanns homöopathischen Mitteln behandeln und überdenkt das Reiten als geeignete Therapie. Insbesondere bei Bettina finden sich auch verbreitete psychosomatische Erklärungsmuster, etwa wenn sie Schwierigkeiten beim Stillen mit plötzlichem Erschrecken erklärt. Auch Debatten um die Kuhpockenimpfung der Kinder reflektieren aktuelle Entwicklungen der Medizin. Daneben finden sich wiederholt humoralpathologische Vorstellungen, die den Umgang mit Krankheit im Alltag weiterhin leiten.8 »Vergiß nicht die roten Rüben einzumachen. […] Erkälte Dich nicht, sei streng gegen die Kinder, wenn sie Dich totzuquälen Anstalten treffen«.9 Die Aufforderungen, mit denen Achim von Arnim im September 1815 seinen Brief abschließt, fassen die Dimensionen, in denen Krankheit in den Ehebriefen erscheint, knapp zusammen, denn die Darstellung von Krankheit geschieht im Briefwechsel überwiegend im Kontext von Alltagswelten und -sorgen. Ein nicht unerheblicher Teil der 5

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Vgl. Helmut Flashar: Melancholie. Antike, Mittelalter, Frühe Neuzeit. – In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 5, Sp. 1038–1040, hier Sp. 1039. Vgl. Brockmeyer: Selbstverständnisse, S. 106–115. Vgl. zum „medizinische[n] Eklektizismus« der Zeit um 1800 siehe Bergdolt: Leib und Seele, S. 294. Vgl. Schiffter: »…ich habe immer klüger gehandelt ... als die philisterhaften Ärzte…«. Brief von Achim von Arnim, 26. und 27. September 1815, Arnim und Bettina Brentano: Achim und Bettina in ihren Briefen, Bd. 1, S. 20–21.

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Briefe ist mit organisatorischen Details des Alltags- und Wirtschaftslebens befasst und beinhaltet beispielsweise das Planen der beiden Haushalte in Wiepersdorf und Berlin und das Hin- und Herschicken von Lebensmitteln und deren Weiterverarbeitung, Transport- und Logistikprobleme oder finanzielle Sorgen. Zudem spielt das Auf- und Erziehen der Kinder eine große Rolle. Die Ermahnung Achims an Bettina, sich nicht zu erkälten, platziert Krankheit in der Mitte dieser alltäglichen Themen und Anforderungen. Krankheiten erscheinen somit als Teil des Alltäglichen und werden in den Bericht darüber aufgenommen. Dadurch gewinnt das Alltägliche eine Dimension des Leidens und Duldens. Dieses Empfinden findet sich insbesondere bei Bettina. Hiervon zeugen Klagen, dass die Anforderungen der Kinder ihre eigenen Leiden und Krankheiten verstärken: »Die Kinder wälzten sich trotz meines Kopfwehs wie die Sündflut über mich her, und ich weiß noch nicht, wie ich mich wieder herausgearbeitet habe.«10 Die Metapher der Sintflut verbindet die Alltagsdimension der Kindererziehung zugleich mit einer biblischen Leidensdimension. Ein bedeutender Teil der Alltagswelt – insbesondere Bettinas – sind die Krankheiten der Kinder selbst. Immer wieder beschreibt Bettina ihrem Mann die Krankheiten, an denen die Kinder leiden. Die Pflege der Kinder kommt dabei ihr zu, während Achim oftmals aus der Distanz Ratschläge zur Behandlung erteilt und Diagnosen stellt. Im Oktober 1815 schreibt Bettina: Unser armer Friedmund war krank, den ganzen Mund, Lippen und Zahnfleisch voll erbsengroßer [Zeichnung] gelber Schwämme, er konnte nicht mehr saugen, meistens trank er nur alle 24 Stunden 2 mal, und da mußte ich es mit großer Kunst einrichten nämlich wenn er schlief ihm die Milch in den Mund zu spritzen bis er naß genug war, dann fing er an zu saugen, hundert mal gelang es aber nicht, mit Herzklopfen legte ich ihn immer an die Brust, Du kannst Dir denken wie schmerzlich es war, wenn ich ihn auf dem Arm hatte und er fortwährend die Brust fassen wollte, nicht konnte und jammerte; ach Gott, laß mich nicht verzweifeln, habe ich immer gebetet. Am Tag schlief er garnicht, und Nachts mußte ich ihn meistens im Zimmer tragen […].11

Bettinas Beschreibungen der Kinderkrankheiten in den Briefen tragen Merkmale der medizinischen Krankengeschichte.12 So strukturieren insbesondere die Aufzählung der verschiedenen Symptome und deren Veränderung im Verlauf der Krankheit sowie die Vergleiche mit alltagsweltlichen Dingen wie Lebensmitteln die Wahrnehmung. Eingesetzte Therapiemittel werden ausführlich ausgeführt: […] Die Hirnenentzündung hat sich noch am Tag Deiner Abreise förmlich entwickelt zum Staunen Wolfarts und zu meinem Schrecken besonders noch bei Freimund; ein fortwährendes Nasenbluten, was beinah einem Blutsturz glich, da das Blut auch inwendig aus der Nase strömte, war ihre Rettung. Sie sind noch nicht ganz vom Fieber verlassen, ich mußte Tag und Nacht Umschläge auf den Kopf von kaltem Wasser und Salmiak machen, das Fantasieren zwang mich, sie auseinanderzulegen […]. Siegmund hat einen sehr starken Durchfall, der ihn Tag und

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Brief von Bettina, 12. November 1823 – ebenda, Bd. 1, S. 421. Brief von Bettina, Oktober 1815, ebenda, S. 22. Vgl. zur Krankengeschichte: Goldmann: Kasus – Krankengeschichte – Novelle, S. 33–64.

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Nacht auf den Beinen hält, oder vielmehr von den Beinen bringt, denn er kann nicht mehr stehen, dies aber hat nichts zu sagen. […] Das Zeichen von der Hirnhautentzündung ist fortwährende Übelkeit bis zum Erbrechen und Schwindel […]. Dies Alles macht mir in manchen Augenblicken bang, ich kam in 5 Tagen in kein Bett […].13

Die Beschreibung der Krankheiten der Kinder zieht sich dabei oftmals über mehrere Briefe hinweg. Die detaillierte Darstellung der Krankheitssymptome und ihrer Behandlung werden jedoch von affektiv-emotionalen Äußerungen durchbrochen, darunter zum Beispiel Adjektiven wie »arm«, Bettinas eingeschobenen Gebeten, Angstausdrücken und ihre eigenen sowohl körperlichen als auch seelischen Schmerzensäußerungen. Auch Bettinas Beschreibung ihrer eigenen Krankheiten orientiert sich an Wahrnehmungsmustern der medizinischen Krankengeschichte. So beschreibt sie den Ablauf ihrer Krankheiten über mehrere Tage hinweg und geht auf typische Krankheitszeichen ein, wie ihre Gesichtsfarbe, die sie über Berichte anderer in die Krankheitsdarstellung integriert: »Die drei ersten Tage Deiner Abwesenheit habe ich sehr unglücklich zugebracht, abwechselnd mit Erbrechen und Ohnmachten, wobei ich Gehör und Gesicht verlor aber doch innerliches Bewußtsein hatte, die Leute sagten mir, ich wurde dabei von der Stirn übers ganze Gesicht glühend rot [….].«14 Ähnlich orientiert sich auch Achim am Vokabular der Krankengeschichte, um die Entwicklung seines rheumatischen Nervenfiebers zu beschreiben, das ihm zur Brunnenkur in Karlsbad zwingt: Was man hier die Krisis nennt habe ich eigentlich überstanden. Heftiges Kopfweh verfinsterte alle Sinne, im Unterleib zog Krampf auf und nieder, und nach vielen Ausleerungen floß zu meinem anfänglichen Schrecken blutiger Eiter aus meinem Hintern. Die Leute sagten aber, das müsse so sein, und so ließ ich es mir gefallen. Bald darauf war Kopfweh und Empfindlichkeit der Nerven, auch aller Krampf im Unterleib verschwunden.15

Die medizinische Krankengeschichte stellte Beobachtungsperspektiven auf Krankheit zur Verfügung, die in den Briefen aufgenommen wird und von ihrer minutiösen Aufschlüsselung und detailreichen Beschreibung, die bewusst auch Ekelhaftes einschließt, gekennzeichnet ist. Die bereits zitierte Krankheit ihres Sohnes Friedmund ordnet Bettina in eine Reihe weiterer Unglücksfälle und Alltagsplagen bestehend aus Krankheiten der Bediensteten, der Kinder und Problemen der Haushalts- und Gutsführung ein: Dies ist noch nicht alles Malheur […]: Die Annelise hat den Blutsturz das Blut strömt ihr fortwährend aus dem Munde […]. Dieser Schrecken, den es mir verursachte, vielleicht mit allem Kummer zusammen trieb mir die Milch zurück […]. Nun kommen die kleinen Unglücksfälle. 1tens hat Stolzenhain den ganzen Backofen voll Pflaumen verbrennen lassen, 2tens haben die Schweine auf Deinem Gurkenbeet eine Mahlzeit gehalten […]. 3tens hat der Glaser allen

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Brief von Bettina, 10. Juli 1825 – Arnim und Bettina Brentano: Achim und Bettina in ihren Briefen, Bd. 2, S. 540. Brief von Bettina, Juli 1816 – ebenda, Bd. 1, S. 39. Brief von Arnim, 22. Juli 1817 – ebenda, S. 74.

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Kitt ganz dick (was Du kaum glauben wirst) bloß auf meine Fenster verschmiert und etwas weniger auf Deine, als sie nun wieder eingehenkt wurden, fiel ein Glas heraus, dann hat der Wind auch wieder eins im roten Zimmer herausgejagt. 4tens hat Freimund ein Geschwür auf der Brust bekommen wohl zwei Mal so groß wie Deins, als es in vollem Brand war hat er nicht gegessen, Fieber gehabt, sich zwei Tage um 4 Uhr schon zu Bette gelegt. Wie es aufging kam viel Blut heraus und er blutete zugleich aus der Nase, ich hätte dies für Zufall gehalten, wenn er nicht 2 Tage nachher wieder aufging, wieder aus der Nase geblutet hätte. 5tens hat Maretschke so schrecklich gekocht, als ob die Teufel aus der Hölle wären zu Gast geladen gewesen […] All dies beschriebene Elend hat mich so abgezehrt, daß ich ganz krank aussehe, einen Abend war ich einer Ohnmacht so nah, daß ich schon nichts mehr sah und hörte […].16

Die Krankheit der Kinder reiht Bettina durch die nummerierte Aufzählung17 in andere Probleme und Katastrophen des Alltags ein. Krankheit wird als Teil solcher alltäglicher Sorgen wahrgenommen, die wiederum in ihrer Gesamtheit zu Krankheit bei Bettina führen. Das Alltägliche wird hier als Belastung und Herausforderung dargestellt, das Bettina krank macht. Immer wieder erklärt Bettina eigene Krankheiten mit der Pflege ihrer kranken Kinder und der dabei empfundenen Sorgen: Ich habe über Menschenkräfte zu leiden gehabt, unser Jüngstes hat vor 10 Tagen auf meinem Schoß Krämpfe gehabt, 2 Tage und eine Nacht hatte es fortwährend Zuckungen, nachdem hat Freimund heftiges Fieber bekommen, wobei er das Bett gehütet und dabei einen Ausschlag über den ganzen Leib und Kopf von lauten kleinen Geschwüren. Seit zwei Tagen ist das Fieber vorbei und seit dieser Zeit bin ich kontrakt, ich ging frisch und gesund beim schönsten Wetter heraus, und konnte nicht wieder herein, ich mußte mich beinahe tragen lassen, wahrscheinlich ist mir die Angst, die Sorge und Arbeit, die ich bei den Kindern hatte auf die Nerven gefallen; ich habe mich gestern ganz mit Wacholderöl eingerieben, dies hat mir gut getan.18

Ähnliche Ansteckungswege von Leiden kommen in den Briefen zum Ausdruck, in denen Bettina im Dezember 1819 beschreibt, wie sie ihre Kinder behandelt, die an Keuchhusten erkrankt sind: »Die Kinder haben alle den Husten noch sehr stark, ich glaube daß es ein leichter Keuchhusten ist, denn sie brechen alle dazu. Ich schlafe nun hier oder vielmehr ich wache, denn ein eigener heftiger Katarrh und das beständige Husten der Kinder läßt mich nicht schlafen […].«19 Die Ermüdung hält Bettina vom Schreiben ab: »Lange Briefe kann ich Dir nicht schreiben, denn das Geschrei der Kinder und Müdigkeit halten mich ab.«20 Die Strapazen, welche die Pflege der Kinder mit sich bringt, lassen Bettina schließlich selbst erkranken: »[…] Alle sind ganz heiter bei dem Keuchhusten außer Freimund, der alle Tage Fieber

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Brief von Bettina, Oktober 1815 – ebenda, S. 23–24. Eine ähnliche Aufzählung nimmt Bettina im Dezember 1829 vor: »Erstens habe ich viel Wege zu machen, da ich noch keine Leute zu Weihnachten habe, zweitens hat die Köchin vier Tage im Bett gelegen, drittens war das kleine Gieselchen krank, es ist jetzt wieder wohl, viertens war ich selbst krank, fünftens habe ich Dir vor 8 Tagen und zwar gleich nach Empfang Deines Briefes geschrieben, trotz aller Hindernisse […].« Brief an Arnim, 20. Dezember 1829 – ebenda, Bd. 2, S. 858. Brief von Bettina, 2. Hälfte Oktober 1815 – ebenda, Bd. 1, S. 28. Brief von Bettina, 10. Dezember 1819 – ebenda, S. 186. Brief von Bettina, 11. Dezember 1819 – ebenda, S. 189.

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dabei hat, und ich habe auch Fieber bei meinem Husten und Kopfweh, dies kommt aber wohl von dem häufig unterbrochenen Schlaf.«21 Bettina kommt bei der Pflege der Kinder die aktive Rolle der Behandelnden zu, auch wenn Achim ihre Diagnosen häufig anzweifelt. Zugleich erzeugt sie aber durch ihre Beschreibung den Eindruck von passivem Leiden und Dulden, mit dem die Alltagskrankheiten als Teil der Anforderungen des alltäglichen Lebens getragen werden müssen und das ihre Kräfte langsam aufbraucht. So resümiert Bettina im Juni 1817: »Ach lieber Alter, ich bin nun schon über die Hälfte meines Lebens, und sehe wohl ein, daß ich geboren bin zum Dulden […].«22 2. Krankheit zwischen Alltag und Dichteramt Das Alltägliche wird von Bettina wiederholt als Hindernis für Achims Dichtertätigkeit und damit für seine wahre Lebensbestimmung gekennzeichnet. Auf Grund ihrer Krankheiten rechnet sich Bettina selbst zum Teil dieser Alltagssorgen: Ist’s nicht genug, daß einer von uns das Leben so verdehnt in Sorgen und in kränklicher Müdigkeit? Willst Du, weil ich muß, auch noch müssen? Glaub mir, doppelt jämmerlich erscheint mir in den kranken Stunden des Lebens, wenn ich denk, daß ich dir nichts Besseres bereiten konnte, als teilzunehmen an diesem alle Geisteskraft auflösenden Unbehagen. Nun hast Du lauter widerwärtige Geschäfte, hast vor einem halben Jahr die Kinderkrankheiten mit ertragen helfen, hast allen Verdruß des Hausstandes geteilt, hast eine kränkliche Frau vor Dir, der’s alle Augenblick grün und gelb vor den Augen wird, und die den ganzen Tag schlafen und kein lautes Wort hören möchte; bald kommt wieder das Wochenbett, wer weiß mit wieviel unangenehmen Vorfällen verknüpft, und das sind die zufälligen Schicksale, in denen ein Dichter gedeihen soll. Nur den Verdruß mache mir nicht, daß ich mir am Ende meines Lebens sagen muß, daß das deinige genußlos geworden, von dem Augenblick an, wo Du mich Teilhaber desselben gemacht.23

Bettina setzt die Anforderungen und Leiden des Alltags in Kontrast zu einem frei bestimmten und der Persönlichkeit entsprechenden Leben: Du kommst mir vor wie eine Pflanze, die alle 100 Jahre nur einmal blühet; die Zeit der Blüte ist da, aber unbedeutende Hindernisse halten sie zurück, der Trieb zum Blühen läßt sich doch nicht vernichten und wird immer stärker, alle gehen bis jetzt an dem staubigen Gewächse vorüber, keiner weiß das heiße, geheimnisvolle Leben, das dicht an der Pforte stehet um sich auszubreiten, um alle Blicke auf sich zu ziehen, um jedem unendlichen Genuß zu gewähren.24

Diese naturgemäß inhärente Bestimmung – die durch die Blüte der Pflanze verbildlicht wird – sieht sie bei Achim in seinem Dasein als Dichter und kontrastiert sie mit den alltäglichen Anforderungen des Gutes Wiepersdorf:

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Brief von Bettina, 13. Dezember 1819 – ebenda, S. 190. Brief von Bettina, 26. und 27. Juni 1817 – ebenda, S. 50. Brief von Bettina, September 1820 – ebenda, S. 201. Brief von Bettina, 28. Juni 1818 – ebenda, S. 122.

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[…] Ich will es durchaus noch erleben, daß Du Deine Zeit aufs Sorgfältigste benutzest, weil man des Geistes und der Kräfte, die in Dir liegen, bedarf; nicht umsonst hast Du eine höhere und reinere Einsicht in alles und ein unbeflecktes Gewissen, […]; aber Weiden stecken, Mohrrüben pflanzen, Pferde belegen, Ochsen kaufen, ist auch nicht das Pfund, was Zinsen tragen soll.25

Wiederholt versucht Bettina, Achims dichterische Produktion und seinen Ehrgeiz anzuregen, indem sie seinen Charakter und seine Natur mit den alltäglichen Anforderungen kontrastiert und ihn auffordert, sich nicht davon absorbieren zu lassen. Sie wünscht sich, dass Achim »nur alle Angst um irdische Not und Glück ablegen« könnte, um seinem »überlegene[n] Geist«26 gemäß zu leben. Im September 1820 drängt Bettina Achim, die Verpflichtungen des Gutes in Wiepersdorf zu vergessen und sich durch eine Reise nach Frankfurt und an den Rhein zu verjüngen und zu neuer Inspiration zu kommen. Dies wird als Anrecht Achims dargestellt und eventuelles Zögern macht Bettina ihm zum Vorwurf der Hypochondrie.27 Den von ihr gewünschten Effekt der Reise beschreibt sie mit einer Metapher der Reinigung: »Deine Reise […] wird ein Bad sein für den Lichtleib, daß ihm der Schlamm und die Kruste, die durch anteillose, frostige Verhältnisse angesetzt haben, wieder losweichen, die innere Wärme […] Dir wieder zur Begeisterung werden und Du wirst neu bekehrt und neu begeistert, neu geboren zurückkehren.«28 Hier wird das Immaterielle – Lichtleib, Wärme, Begeisterung – mit dem Materiellen – Schlamm und Kruste – kontrastiert. Achim geht auf diese Gegenüberstellungen des Dichterseins und des Alltäglichen selten dezidiert ein. Im November 1824 wehrt er Bettinas Aufforderungen zu schreiben mit einer ironischen Aufzählung alltäglicher Anforderungen ab: Ich befinde mich in diesen Tagen ganz besonders im Gedränge, so daß ich ordentlich auflachte, als ich von Lustspielschreiben las. Denn während die vier Ökonomiehöfe ihre Art Sorgen fordern, schreiten die für mich ohnehin sehr angreifenden Seperationsverhandlungen fort, dazwischen sollen den Kindern Aufgaben zur Arbeit gemacht werden, dabei der Küchenzettel im voraus und für den Tag, einer schreit nach Öl, der andere nach Kaffee, Klassensteinlisten, statistische Tabellen sollen geliefert werden, der Töpfer in Deinem Zimmer will in Hinsicht der Öfenzüge belehrt sein, der Tischler im Keller die neuen Tür einrichten, daß der Wein verschlossen werde, der in Treuenbriezen glücklich angekommen ist. Kurz ich weiß keinen andern Stoff zum Lustspiel als mich selbst und den vielen Moder, der jetzt mit fünf Gespann täglich aus dem See herausgefördert wird. […] Die Kinder sind gesund und küssen Dich so wie ich.29

In einem späteren Brief bedauert Arnim selbst, dass vielerlei Sorgen um die Gesundheit der Kinder und Bettinas ihn vom Schreiben abhalten: Dein letzter Brief hat mich in große Unruhe versetzt. Du schreibst, daß die Kinder sich nicht merklich besserten und daß Du selbst krank wärst. Ich hätte alles stehen und liegen lassen, aber 25 26 27 28 29

Brief von Bettina, 3. Juli 1819 – ebenda, S. 170. Brief von Bettina, 14. Mai 1821 – ebenda, S. 275. Vgl. Brief von Bettina, September 1820 – ebenda, S. 201. Brief von Bettina, September 1820 – ebenda, S. 209. Brief von Arnim, Achim, 9. November 1824 – ebenda, Bd. 2, S. 493.

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mit derselben Post erhielt ich ein Schreiben meines Bruders, daß er in diesen Tagen, nämlich morgen mit einem Pächter aus der Uckermark hier eintreffe […]. Seltsam ist, daß solche Schrecknisse mir immer regelmäßig in den Zeiten kommen, wo ich etwas arbeiten möchte und mich dazu in guter Stimmung fühle, als ob ein Anti-Genius mich und mein bescheidnes Wirken nicht mehr auf der Welt dulden wolle. Und nun dazu die vielen kleinlichen Quälereien, womit der Besuch mich reichlich beschenkt! Da wird ein Braten zu einer wichtigen Person.30

Die Krankheiten der Kinder werden mit den wirtschaftlichen Aufgaben eng geführt und dem Dichten entgegengestellt. Achim verdichtet diese Wirkung in der Personifikation als »Anti-Genius«.

3. Krankheit und Lebenswelt Achim kontrastiert bei Diskussionen von Krankheit das Land- mit dem Stadtleben in Berlin, wobei letzteres negativ konnotiert ist. Im Oktober 1815 findet sich eine ähnliche Gegenüberstellung von Land und Stadt auch bei Bettina, die von ihrer erfolgreichen Behandlung der Schwämme in Friedmunds Mund berichtet und mit der Aufforderung schließt: »Ich hab Dir dies expreß alles geschrieben, damit Du es in der Stadt, wo man nichts davon weiß, und wo man die Kinder mit allerhand magenverderbenden Saft quält, erzählen sollst.«31 Hier werden konkurrierende Autoritätsansprüche im medizinischen Diskurs diskutiert, was vor den Umbrüchen in der damaligen Medizin zu sehen ist.32 Die Hinweise zur erfolgreichen Behandlung der Schwämme hat Bettina von Frauen auf dem Land erhalten und setzt dieses Wissen in Kontrast zum ärztlichen Personal der Stadt. Zwei Jahre später betrachtet sie jedoch das Stadtleben als gesünder, was sie mit der anderen Art der Sozialisation begründet: »Es ist indessen doch sehr gut gewesen, daß ein Muß uns in die Stadt gebracht hat; besonders für die Kinder, die hierdurch an eine ordentliche Lebensart gezwungen, viel gesunder und auch nicht mehr so verwildert sind […]«.33 Achim beschreibt die Stadt hingegen als Ursache psychischer Leiden. Im Juli 1818 zeigt er sich überzeugt, dass Bettina von Traurigkeit geheilt würde, wenn sie bei ihm auf dem Land wäre: »Ich wünschte, du wärst mit den Kindern hier, alle Traurigkeit würde dir schwinden. Du glaubst nicht, wie mich die Luft erheitert. Braune Bienenschwärme finden mein Gartenfleckchen so angenehm, daß sie sich uneingeladen im Lusthause ansiedeln. […].«34 Berlin wird für Achim auch zur Ursache eigener melancholischer Stimmungen: »Schon ein paar Meilen von Berlin löste sich der melancholische Staubnebel, der mich in Berlin so lange umfing, ich wurde recht heiter, bekam Appetit, und es fiel mir manches Vergessene ein bei den

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Brief von Arnim, Achim, 7. August 1825 – ebenda, S. 550–551. Brief von Bettina, Oktober 1815 – ebenda, Bd. 1, S. 23. Vgl. Schiffter: »…ich habe immer klüger gehandelt als die philisterhaften Ärzte…«, S. 48. Brief von Bettina, 26. und 27. Juni 1817 – Arnim und Bettina Brentano: Achim und Bettina in ihren Briefen, Bd. 1, S. 49. Brief von Arnim, Achim, 24. Juli 1818 – ebenda, S. 130.

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Pfirsichen, die Du mir eingewickelt hattest.«35 In einem späteren Brief bezeichnet Achim seine Melancholie als »Berliner Trübsinn«, der erst durch die Distanz und das ländliche Leben geheilt werde: »Auf den Birnbäumen, von denen ich die trocknen Zweige absäge, und auf meinem Braunen, den ich mit dem trocknen Zweige antreibe, wird mir allmählich wohl, oder vielmehr ich vergesse den Berliner Trübsinn, der mich in mancherlei Gestalt dort zu allen Zeiten geplagt hat.«36 Das naturnahe und arbeitsreiche Alltagsleben auf dem Gut Wiepersdorf wird dem Berliner Leben gegenübergestellt und in die Pole gesund – krank überführt. Im Dezember 1819 analysiert Achim die schädliche und ungesunde Lebensweise in Berlin als Ursache des Keuchhustens, an dem die Kinder erkrankt sind: Zwei Briefe von Dir gaben mir gestern die unangenehme Gewißheit, daß die Kinder an Keichhusten leiden. Leider wußte ich das im voraus und hätte sie deswegen gern bis Neujahr hier behalten, auch habe ich gleich gegen das Einsperren in Berlin geredet, aber Du hörst selten, was ein Anderer spricht. Alle Kinder leiden hier auch an Husten und Schnupfen, aber bei der steten Berührung mit der Luft kommt kein einziges zum Keichhusten, der Keichhusten ist eine Art Kerkerfieber, etwas mag freilich auch in der Örtlichkeit von Berlin liegen.37

Der metaphorische Ausdruck »Kerkerfieber« assoziiert die Stadt mit Enge und Beschränkung, die der Landluft, die verhindert, dass die Kinder auf dem Lande Keuchhusten bekommen, entgegengesetzt wird. Bettina reagiert durchaus gereizt auf Achims Vorbehalte gegenüber der Stadt und erklärt sie mit einer Gemütskrankheit, während sie sich gleichsam spöttisch über das Alltagsleben auf dem Gutshof äußert: Wenn Du in der Stadt bist, so ist immer Dein größtes Vergnügen mir Deinen Ekel und Langeweile zu beschreiben, es mag wahr sein, aber dann ist es gewiß eine Krankheit in Deinem Gemüt; ein jeder wird Dich für einen Visionär halten. Wer Kartoffeln auf dem Felde hat, der kann den menschlichen Umgang für nichts achten, wer mit ungeputzten Stiefeln und Rock herumgehen kann und den Bart nicht alle Tage zu putzen braucht, der kann schon seelenvergnügt sein ohne allen anderen Genuss.38

Noch im gleichen Brief entschuldigt sich Bettina für ihren vorwurfsvollen Ton, indem sie ihre Alltagsplagen aufzählt und für ihre Stimmung verantwortlich macht: »Sei Du nicht gar zu böse auf mich, heut ist ein Tag der Hitze, der Fliegenqual, des Kindergeheuls, des Mangels an Appetit, des melancholischen Milcheinschusses und der Unruh der laxierenden Max, die nicht schlafen und nicht von der Brust will […].«39 Um ihren Worten die Schärfe zu nehmen, referiert sie auf Leiden, die sich aus ihrem Muttersein ergeben, und konstruiert so eine Alltagswelt, die wesentlich von ihrer Weiblichkeit und daraus resultierenden Geschlechterrollen bestimmt ist.40 35 36 37 38 39 40

Brief von Arnim, 9. September 1820 – ebenda, S. 197. Brief von Arnim Bd. 2, 10. Mai 1824 – ebenda, S. 443. Brief von Arnim,16. Dezember 1819 – ebenda, S. 191–192. Brief von Bettina, 6. Juli 1819 – ebenda, S. 174. Brief von Bettina, 6. Juli 1819 – ebenda, S. 175. Vgl. zur brieflichen Darstellung von Geschlechterrollen und Krankheit: Brockmeyer: Selbstverständnisse, S. 133–171.

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Schwangerschaft nimmt Bettina wiederholt im Kontext von Krankheit wahr. Im September 1820 setzt sie ihre Schwangerschaft in enge Beziehung mit dem Tod: […] Eine Frau die schwanger ist, trägt in der ersten Hälfte den Tod in ihrem Herzen, und alles was sie ansieht, erregt ihr Ekel und Ermüdung, und was sie anrührt, das durschaudert ihre Nerven und ihr Gebein mit Todesschaudern, und was sie hört, das macht ihr Betäubungen im Kopf und beklemmt ihr Herz, und dieser Zustand dauert bis das Kind Leben hat, stärker und schwächer bei jeder Frau, und die Frau ist sehr gut und gebildet, die den Mann nicht hasset, der sie in diesen Zustand versetzt hat; siehst Du, lieber Alter, ich bin fern davon Dich zu hassen, weil ich in diesem Zustand bin, aber eine gütige Nachsicht verdien ich doch von Dir in dieser Hinsicht.41

Bettina reagiert mit ihrer Aufzählung von Leiden während der Schwangerschaft auf Vorwürfe Arnims, sie gebe zu viel Geld aus, indem sie ihm Gleichgültigkeit gegenüber ihrem Zustand vorwirft. Dabei setzt sie den Verweis auf die Beschwerlichkeiten ihrer Schwangerschaft zum einen ein, um Nachsicht und mehr Sorge von Achim einzufordern, und setzt sich zugleich von ungebildeten Frauen ab, die ihre Männer für ihren Zustand hassen und verstärkt damit den Vorwurf der wahrgenommenen Ungerechtigkeit. Sowohl die Reflexion der städtischen und ländlichen Alltagsumwelt als auch die Aushandlung von Geschlechterrollen über das Thema Schwangerschaft zeigen, wie Leiden und Krankheit genutzt werden, um die Rollen in der Beziehung festzulegen.

4. Schmerzhaftes Schreiben Alltagsleiden werden schließlich im Zusammenhang mit dem Briefeschreiben selbst und damit einem wichtigen Teil der ehelichen Kommunikation thematisiert. Schmerzen hindern Bettina am Briefeschreiben: »Gestern hat mich der zunehmende Schmerz abgehalten Dir mehr zu schreiben […]«42, und Schwindelgefühle sind die Ursache von kurzen Briefen: »[…] aber heut geht mirs gar zu übel, alle Buchstaben schwindeln vor meinen Augen, und die Brust tut so weh, daß ich weinen möchte. Nimm mit dem herzlichsten Gruß und mit den besten Wünschen für Euer aller Wohl vorlieb.«43 Auch Achim kämpft mit Schwierigkeiten beim Briefeschreiben und entschuldigt seine ›Kinderschrift‹ mit einer verstauchten Hand: Ich schreibe heut wie Freimund und Siegmund, weil ich mir die Hand verstaucht habe, indem ich einem Ochsen, der mir Wicken abfraß, einen tüchtigen Schlag gab. Ich habe an der Hand viel Schmerz gehabt und Deiner Schmerzen in einer schlaflosen Nacht gedacht. Der Schmerz ist vorüber aber nicht die Geschwulst. Es hat garnichts zu sagen, aber es ärgert mich, weil es die einzige Verbindung aus der Ferne, das Schreiben, hindert und ärgern soll ich mich nicht, weil das die Geschwulst mehrt.44 41

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Brief von Bettina, September 1820 – Arnim und Bettina Brentano: Achim und Bettina in ihren Briefen, Bd. 1, S. 213. Brief von Bettina, 7. August 1818 – ebenda, S. 141. Brief von Bettina, Juni 1823), S. 397. Brief von Arnim, 17. August 1818 – ebenda, S. 150.

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In ihrer Antwort bezieht sich Bettina auf diese Schwierigkeiten, durch das Briefeschreiben verbunden zu bleiben, indem sie dem Briefwechsel indirekt eine psychische und damit unmittelbare Bindung entgegensetzt: […], ich muß Dir nur gestehen, daß ich eine Ahndung hatte, Dir würde etwas an der Hand geschehen, denn wie ich der Köchin ihre verwundete Hand sah [In ihrem letzten Brief hatte Bettina beschrieben, wie sie Zeugin wurde, als die Köchin beim Zerschneiden eines Fisches sich in die Finger schnitt – Anm. d. Verf.], so dachte ich immer Gott, Gott, wenn Arnims Hand so wäre, und da mußte ich weinen um diesen Gedanken, der mich verfolgte.45

Mehrfach setzt Bettina auch Krankheiten mit dem Abreisen ihres Ehemanns in Verbindung und deutet damit psychosomatische Wirkungen an, so schreibt sie beispielsweise im Juli 1816, »die drei ersten Tage Deiner Abwesenheit habe ich sehr unglücklich zugebracht, abwechselnd mit Erbrechen und Ohnmachten […]«46 und im Juli 1821: »Seit Deiner Abreise bin ich krank, recht krank […].«47 Krankheiten sind ein wesentlicher und dominierender Bestandteil der im Briefwechsel der von Arnims dargestellten Alltagswelten. Sie betreffen beide Ehepartner, allerdings erscheint Bettina dadurch, dass sie die aktive Pflege der häufig kranken Kinder übernimmt, stärker von ihnen betroffen. Die Wahrnehmung der durch Krankheiten bestimmten alltäglichen Kontexte erscheint damit auch durch Geschlechterrollen bestimmt. Die Darstellungen von Krankheiten werden dabei eingereiht in weitere Prüfungen des alltäglichen Lebens wie zum Beispiel wirtschaftliche Probleme. Dieser Alltag wird dem Dichten Achims insbesondere von Bettina, aber auch von ihm selbst entgegensetzt und als Hindernis empfunden. Schnupfen, Rheumaschmerzen und verstauchte Hände werden in kein ursächliches oder begleitendes Verhältnis zum Schreiben gesetzt. Auch führt die Auseinandersetzung mit Krankheit nicht zu einem dem Leiden abgerungenen Dichten, sondern bleibt dem Dichteramt entgegengestellt.

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Brief von Bettina, 20. August 1818 – ebenda, S. 151. Brief von Bettina, Juli 1816 – ebenda, S. 39. Brief von Bettina, 26. Juli 1821 – ebenda, S. 296.

Sheila Dickson

Krankheit als romantischer Alltag in Achim von Arnims »Der tolle Invalide« und »Frau von Saverne«

Krankheit war schon immer ein beliebtes Thema in der Literatur, weil sie eben zum Alltag des Menschen gehört, und in den Zeiten der Spätaufklärung und der Romantik in Deutschland findet man eine breite Palette sogenannter Krankengeschichten. Im neueren Forschungsbereich ›Medical Humanities‹ in den USA und in Großbritannien beschäftigen sich Geistes- und Sozialwissenschaftler unter anderem mit der Darstellung historischer medizinischer Kulturen sowohl in wissenschaftlichen Aufzeichnungen als auch in fiktionalen Texten, und in der deutschen Germanistik werden in den letzten zehn Jahren ebenfalls verstärkt die Verbindungen zwischen literarischen und wissenschaftlichen Texten untersucht. Mit Blick auf den Texttypus ›Fallgeschichte‹ ist schon überzeugend nachgewiesen worden, dass medizinische und literarische Textkategorien nicht immer deutlich voneinander getrennt werden können.1 Bei der Interpretation von Krankheit und der Krankheitszuschreibung in allen schriftlichen Äußerungen sind zwei Perspektiven zu berücksichtigen. Erstens die Frage, wie der Mensch, dessen Krankengeschichte erzählt wird, die eigene Krankheit erlebt. Zweitens, wie die Umwelt – von der engen Familie über die medizinischen Autoritäten bis hin zum Staat – mit der Krankheit umgeht. Die professionelle Medizin muss nicht unbedingt zentral sein, und die Rolle der nichtmedizinischen Umwelt und verschiedener sozialer Instanzen sind bei der Wertung von Normalität und Krankheit oft ausschlaggebend: In wissenschaftlichen und fiktionalen schriftlichen Texten aus allen Zeiten und Kulturen werden unterschiedliche alltagskulturelle Diskurse von der Umwelt eingesetzt, um eine Krankheit zu definieren und zu deuten, unter anderem religiöse, moralische und philosophische, die Fragen über Handlungsfreiheit, freien Willen, Autonomie und Zurechnungsfähigkeit aufwerfen. Krankheit kann als Schwäche, Versagen oder als Strafe interpretiert werden, und in solchen Fällen hat sie Kontrollverlust, Unmündigkeit und Entmündigung zur Folge; das heißt, der Kranke nimmt sich anders wahr und/oder wird anders wahrgenommen, anders behandelt, und demnach ändert sich der Alltag oft auf gravierende Weise. Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über den medizinhistorischen Kontext des Arnimschen Werks den Hintergrund bilden für die Auseinandersetzung mit zwei seiner Erzählungen. Als medizinische Fallgeschichten, die die Krankheits-

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Borgards, Neumeyer, Pethes und Wübben: Literatur und Wissen S. 286f. Es ist umstritten, inwiefern es eine Gattung oder einen einheitlichen Darstellungstypus ›Fallgeschichte‹ gibt, vgl. Pethes: Vom Einzelfall zur Menschheit und King: Wie Novellen zu lesen. Ich danke Martina King für die Einsicht in ihr Manuskript und für die kritische Lektüre meines Beitrags.

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zuschreibung im Alltag behandeln, stellen sie sich den oben aufgeworfenen Fragen auf originelle Weise. Im anthropologischen und pädagogischen Weltbild der Aufklärung nahmen Theorien und Darstellungen von psychischen Krankheiten eine zentrale Stelle ein, denn mit Kants Vernunftbegriff als Leitgedanken galt Geisteskrankheit als Unfreiheit, Vernunftlosigkeit, die zu überwinden sei, damit der »Mensch als vernunftbegabtes Wesen [...] in Freiheit und Selbstverantwortlichkeit am Gemeinschaftsleben« teilhaben könne.2 Bahnbrechend in dieser Zeit für die Entwicklung eines neuen Zugangs zu »Seelenkrankheiten« in der gebildeten bürgerlichen Gesellschaft war Karl Philipp Moritz’ Zeitschrift Magazin zur Erfahrungsseelenkunde, die 1783–1793 in Berlin erschien. Die meisten Beiträge stammten nicht von Ärzten, sondern von Laien, denn jeder vernünftige Mensch konnte beobachten und interpretieren, und sie wurden von Moritz aufgerufen, alles, was den menschlichen Geist, das innere Leben betrifft, auch die ganz alltäglichen Erfahrungen, aufzuschreiben und mitzuteilen. Neben Kindheitserinnerungen und der Beobachtung von Schülern durch ihre Lehrer erwiesen sich aber die Ausnahmefälle – Skurrile, Wahnsinnige, Verbrecher, scheinbar gewöhnliche Leute mit außergewöhnlichen Fähigkeiten oder Erlebnissen – als viel erzählenswerter in diesen Kreisen. Der wissenschaftliche Terminus ›Psychiatrie‹ wurde erst 1808 in Halle von Johann Christian Reil, Stadtphysikus und Professor für Medizin, geprägt,3 aber die Aufklärung erreichte schon vorher wichtige Fortschritte in der medizinischen Behandlung von Geisteskranken.4 Um die Jahrhundertwende hieß eine neue Richtung die ›moralische Behandlung‹ (vom Englischen ›moral management‹ oder ›treatment‹ und Französischem ›traitement moral‹), wobei jeder Patient eine individuelle, auf ihn zugeschnittene Therapie bekommen und der Arzt als Vorbild der gesunden und frommen Lebensart gelten und durch sein Auftreten den Patienten zum guten Benehmen bringen sollte.5 Wichtige Vertreter in Großbritannien waren Francis Willis, der 1788–1789 erfolgreich den britischen König Georg III. durch seinen durchdringenden Blick wieder zur Vernunft brachte,6 und William Tuke, der 1796 eine neue Art von Anstalt gründete, ›The York Retreat‹, in der eine Ersatzfamilie – mit dem Direktor als Familienvater – Ordnung, Arbeitsamkeit, Sittsamkeit und Ruhe zu fördern suchte.7 Die Patienten sollten die »salutory habit of self-restraint« 2 3

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Schott und Tölle: Geschichte der Psychiatrie, S. 420. In einem Aufsatz in den von Reil und Johann Christoph Hoffbauer herausgegebenen Beyträge zur Beförderung einer Kurmethode auf psychischem Wege, s. Marneros und Pillmann: Das Wort Psychiatrie, S. 21. Vgl. Zelle: Vernünftige Ärzte. William Battie hatte diese Methoden schon 1753 vorgestellt, aber sie wurden erst später öffentlich bekannt, s. Leibbrand und Wettley: Der Wahnsinn, S. 340f. Pinel schrieb 1800 »Comment les soumettre à un ordre constant et invariable, si on n’exerce sur eux un ascendant naturel par les qualités physiques et morales les plus rares?« (Pinel: Traité medico-philosophique, S. 253), und beruft sich auf John Haslams Observations on Insanity, ebenda, S. 253f. Leibbrand, Wettley: Der Wahnsinn, S. 341; Dörner: Madmen and the Bourgeoisie, S. 74, 78. Heute vermutet man, dass die Krankheit durch die Stoffwechselstörung Porphyrie verursacht wurde. Dörner: Madmen and the Bourgeoisie, S. 77; Digby: Madness, Morality and Medicine, S. 192f.; Scull: The Most Solitary of Afflictions, S. 96–100, 298f.

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lernen,8 also Beherrschung von innen anstatt von außen. Nach Foucault war das bloß eine andere, noch grausamere Art von Zwang.9 Unter diesem System herrschte der Optimismus, dass der Geisteskranke durch den pädagogischen Lernprozess geheilt werden könnte und seinen Platz in der Gesellschaft wieder würde einnehmen können. Diese Neuerungen waren die Anfänge der ›non-restraint‹-Bewegung, die später in den 1830er Jahren durch die Initiativen der Anstaltsdirektoren Robert Hill und John Connolly ebenfalls in Großbritannien entstand,10 aber schon Ende des 18. Jahrhunderts protestierten Mediziner in ganz Europa gegen die schrecklichen Zustände und die grausame Behandlung geisteskranker Menschen in Krankenhäusern und Anstalten. Sie plädierten dafür, Zwangsmaßnahmen und Strafen nur in notwendigen Fällen einzusetzen: Im revolutionären Frankreich wurde Pinels Kettenbefreiung der Patienten der Bicêtre und der Salpêtrière in Paris zur Legende,11 in Italien leitete Vincenzo Chiarugi seit 1788 einen neuen psychiatrischen Flügel des Bonifazio-Krankenhauses in Florenz im Auftrag des fortschrittlichen Erzherzogs Peter Leopold nach humanen Grundsätzen,12 in Deutschland fing Reil 1803 seine Studie Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Kurmethode auf Geisteszerrüttungen mit einer Polemik gegen die »Barberey [...] aus der rohen Vorzeit« an, mit der man »diese unglücklichen Geschöpfe [...] angeschmiedet an Ketten, in ihrem eigenen Unrath verfaulen« ließ.13 Reil propagierte »praktische[-] Erfahrungs-Seelenkunde« ganz im Sinne von Moritz, dessen Magazin-Fallgeschichten er mehrmals zitierte. Die moralische Behandlung hieß aber wirklich noch nicht Abschaffung von Zwangsmaßnahmen und Strafen. Anstatt Ketten wurden Zwangsjacken oder Einsperrung und Isolation eingesetzt, und weitere Behandlungsmethoden, die man heutzutage als Strafen wenn nicht gleich Folter verstehen würde, bildeten einen wichtigen Teil der Behandlung, um die Unterwerfung des Patienten unter die Autorität des Arztes zu gewährleisten.14 Unter anderm galten auch als therapeutische Maßnahmen neben den altbewährten Hungerkuren, Hautätzungen, Brech- und Abführmitteln das Zwangsstehen, Auspeitschen, das Eintauchen in kaltes Wasser oder das Ausschütten von kaltem Wasser auf den Kopf oder andere Körperteile. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde die Einwicklung in einem Sack in Berlin von Ernst Horn, 1806–1818 Zweiter Chefarzt an der Charité, als effektiveres »Beruhigungs- und Zwangsmittel bei Wahnsinnigen«,15 als Zwangsjacke, Fesseln und

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Tuke: Description of the Retreat, S. 157. Foucault: History of Madness, S. 484–485. Diese Kritik wurde auch laut Schott und Tölle schon von den Zeitgenossen geäußert, Schott und Tölle: Geschichte der Psychiatrie, S. 254. Schott und Tölle: Geschichte der Psychiatrie, S. 247. Leibbrand und Wettley: Der Wahnsinn, S. 350–351; Dörner: Madmen and the Bourgeoisie, S. 133f.; Weiner: The Madman in the Light of Reason. Enlightenment Psychiatry Part II, S. 281f. Eigentlicher erster Befreier in Paris war der Assistent Pussin. Ebenda, S. 287–289, Schott und Tölle: Geschichte der Psychiatrie, S. 265. Reil: Rhapsodieen, S. 14. Schott und Tölle, Geschichte der Psychiatrie, S. 51; Marx: German Romantic Psychiatry Part I, S. 321. Horn: Oeffentliche Rechenschaft, S. 227f.

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Augenbinden angepriesen.16 1807 führte er die von dem Briten Joseph Mason Cox erfundene Drehmaschine dort ein17 und entwickelte daraus einen Drehstuhl, mit dem der Patient »in schnellen Kreisen um seine Axe gedreht« wird,18 was bei vielen Patienten eine schnelle Wirkung zeigte: Es entsteht ein lästiges und ganz eigenthümliches Gefühl von Erschütterung des ganzen Nervensystems, mit Uebelkeit und Schwindel, nicht selten mit Erbrechen. Kranke, die 1½ bis 2 Minuten gedreht werden, kündigen durch Schreien und Rufen den unbehaglichen Zustand an, der dadurch bewirkt wird. Eben diese Erweckung einer widrigen Empfindung, eben dies ungewohnte Einwirken auf das Gemeingefühl, diese Erregung der Furcht, die theils der Anblick des ganzen Apparats, theils die Besorgniß, herausgeworfen zu werden, hervorruft, reihen diese Vorrichtung an die Klasse der indirekt psychischen Heilmittel.19

Horns Behandlungsmethoden in der Charité wurden ab 1811 heftig in der Öffentlichkeit diskutiert, nachdem sein Kollege Heinrich Kohlrausch Anzeige gegen ihn erstattete, den Tod einer Patientin, die in einem Sack eingewickelt worden war, verursacht zu haben. Kohlrausch hob in der Anzeige unter anderem auch die »englische Schwungmaschine« und das Begießen mit kaltem Wasser (jeweils 100 Eimer) als »Greuel« vor.20 Ein Gutachten von Reil sprach Horn von allen Vorwürfen frei, aber die Auseinandersetzung zwischen Horn und Kohlrausch wurde jahrelang in verschiedenen Schriften weitergeführt.21 Solche Behandlungen waren bei der moralischen Behandlung ständig als Strafen präsent, um Gehorsam zu erzwingen, während ein ›richtiges‹ Verhalten belohnt wurde. Wie bei Willis und Tuke war auch bei Pinel und Reil das Charisma des Anstaltdirektors zentral, vor dem der Patient Furcht und Achtung empfinden musste.22 Reil bezieht sich auf Willis, wenn er die Wichtigkeit von »Körperbau, Gang, Geberden, Stimme und [dem] festen und durchdringenden Blick der Vorgesetzten« betont.23 Wie Horn konstatierte auch Reil, dass es »meistens [...] zureichend, mit diesen Mitteln zu drohen oder einen leichten Vorschmack derselben zu geben« war.24 Sie wurden auch eingesetzt, um Zwangsgedanken zu zerstreuen, und sie 16 17 18 19

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Ebenda, S. 229–231. Ebenda, S. 224. Ebenda, S. 225. Ebenda, S. 226. Die Angst herausgeworfen zu werden betraf eher die Drehmaschine bzw. das Drehbett, dafür bewirkte der Stuhl häufiger »Schwindel, Uebelkeit und wirkliches Erbrechen« (Horn: Drehmaschinen, S. 226). Zur Geschichte der Drehmaschinen in der Psychiatrie und Horns Gebrauch davon, vgl. Wade, Norsell and Presly: Cox’s Chair; Müller: Die Drehmaschinen; Windholz: Psychiatric treatment. Henke: Kurze Darstellung, S. 136. Eine Beanstandung war, dass Reil mit Horn befreundet sei, ebenda, S. 172f. Zu der Auseinandersetzung s. auch Kalisch: Kunstfehler, S. 1–43. Nach Reil habe man »dafür zu sorgen, dass das Gefühl der Furcht, um seine Wirkungen dauerhaft zu machen, mit dem Gefühle der Achtung verbunden sey« (Reil: Rhapsodieen, S. 198). Grundlegend für Pinel war »un chef propre à leur inspirer un sentiment mêlé de crainte et d’estime« – Pinel: Traité medico-philosophique, S. 46. Reil: Rhapsodieen, S. 226. Ebenda, S. 189. Sobald der Kranke gehorsam ist, müsse jeder Zwang aufhören, ebenda, S. 232. »Die Züchtigungen müssen nicht unmässig und grausam, oder der Gesundheit nach-

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konnten sowohl als stimulierendes Mittel bei Melancholikern als auch als beruhigendes Mittel bei Tobsüchtigen empfohlen werden. Die von Reil in seinen Rhapsodieen beschriebenen physischen Methoden Geisteskranke zu behandeln sind aber als »therapeutic terror« beschrieben worden,25 insbesondere die »Phantasien« als Vorschläge für Ärzte, Rollenspiele des Personals zu organisieren, die entweder auf die Wahnvorstellungen des Patienten eingingen, sie konsequent ignorierten, oder aber dramatische, angsteinflößende Kulissen und Situationen schufen, um den Patienten mehr oder weniger gewaltsam zu zerstreuen. Reils Vorstellungen waren aber nicht grausamer als andere in dieser Zeit, und sie wurden nicht nur in Deutschland eingesetzt: Zur moralischen Behandlung des britischen Königs von Francis Willis gehörten auch verbale Einschüchterung, Auspeitschen, Einsperren und Hungernlassen, und nur dadurch brachte Willis seinen Patienten dazu, vor seinem Blick in Ehrfurcht zu erstarren.26 Pinel organisierte ebenfalls teils sehr aufwändige Szenarien, um gegen fixe Ideen oder Wahnvorstellungen zu wirken, und er berichtete, wie sein Assistent Pussin »l’oeil en feu« einen Patienten zur Vernunft brachte.27 Horns Drehstuhl wurde wie gesagt durch ausländische Erfindungen inspiriert: Neben Cox experimentierten auch Erasmus Darwin und Benjamin Rush mit Drehapparaten, und Herman Boerhaave soll auch ein ähnliches Gerät benutzt haben.28 Diese Methoden galten als die physische Behandlung, die die psychische Behandlung immer unterstützen sollte.29 Sie wurden aus der Allgemeinmedizin übernommen und haben die damalige Pädagogik und den Strafvollzug ebenfalls untermauert.30 Der erste wirkliche ›non-restraint‹-Befürworter in Deutschland war Wilhelm Griesinger, der zu Lebzeiten seine Reformvorschläge nicht durchsetzen konnte.31 Andere wichtige Entwicklungen um die Jahrhundertwende in der Medizin, die in Deutschland eher der Romantik als der Aufklärung zugeschrieben werden, waren die naturphilosophische Medizin, der Galvanismus, der Magnetismus und der Brownianismus. Sie hatten keinen großen Einfluss auf die Behandlung der Anstaltsinsassen, aber einzelne Ärzte griffen solche Prinzipien auf um ihre bürgerli-

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theilig, sondern dem Zweck angemessen seyn, und gleich unterbleiben, wenn der Zweck wegfällt, oder erreicht ist. Sie werden in der Maasse gemildert und abgeändert, als die Vernunft wiederkehrt« (ebenda, S. 197). Porter: Madness, S. 140. Vgl. aber die vorhergehende Erl. Laut einem zeitgenössischem Bericht wurde er »no longer treated as a human being. His body was immediately encased in a machine which left no liberty of motion. He was sometimes chained to a stake. He was frequently beaten and starved, and at best he was kept in subjection by menacing and violent language«, zitiert von Scull: Social Order, S. 84f. Dieser Fall handelt von einem religiösen Schwärmer, der nicht essen will und vom Personal durch Kettenrasseln und donnernden Stimmen von den drohenden Foltern im nächsten Leben so beängstigt wird, dass er wieder isst (Pinel: Traité medico-philosophique, S. 59–61; Zitat S. 60). Vgl. Müller: Die Drehmaschinen; Wade, Norsell and Presly: Cox’s Chair; Scull: Social Order, S. 68–73. Schott und Tölle: Geschichte der Psychiatrie, S. 423–425. Ebenda, S. 49f. Zu Griesinger vgl. Dörner: Madmen and the Bourgeoisie, S. 270-290, zum Scheitern seiner Reformvorschläge S. 275, 287, 289. Vgl. auch Schott und Tölle: Geschichte der Psychiatrie, S. 289–292.

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chen Patienten zu behandeln.32 Auf diese Weise wurden diese Theorien in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses und des Alltagsdiskurses gerückt. Der naturphilosophische Arzt, so F. W. J. Schelling, »schaut[e] den unmittelbar gegenwärtigen Gott in dem Wirken und Leben eines organischen Leibes«, und er sah die »Arzneiwissenschaft« als »die Krone und Blüthe aller Naturwissenschaften, wie der Organismus überhaupt und der menschliche insbesondere die Krone und Blüthe der Welt ist«.33 Das, was Luigi Galvani 1786 durch Froschschenkelversuche tierische Elektrizität nannte, wurde von Alessandro Volta kurze Zeit danach als Metallelektrizität identifiziert, und der Galvanische Strom wurde anschließend in der Voltaschen Säule als medizinische Therapie eingesetzt.34 Metallmagnete und eine ähnliche aber noch feinere Substanz als Elektrizität wurden zu den Leitprinzipien der Theorie Franz Anton Mesmers vom tierischen Magnetismus, der in jedem organischen Wesen ein Fluidum sah, dessen Fluss die Gesundheit wahrte und dessen Stockung Krankheit hervorbrachten.35 Durch die magnetische Kur, die aus Berührungen oder Blickkontakt bestand, erfolgte eine Krise, die die Stockung auflöste.36 Der Magnetiseur war insofern vergleichbar mit dem aufgeklärten moralischen Arzt, da er sein Charisma – sein Auftreten, seine Gesten, seinen Blick – einsetzte, um jemanden in einen Bann zu ziehen, allerdings mit ganz anderen Zielen: Der romantische Magnetiseur suchte einen Zugang zum Unbewussten des Patienten, wo der moralische Arzt sich bemühte, verhaltenstherapeutisch einzugreifen. In Deutschland fielen die Theorien des schottischen Arztes John Brown, die schon 1780 veröffentlicht wurden, unter den Romantikern auf fruchtbaren Boden.37 In Bamberg führten Andreas Röschlaub und Adalbert Marcus seine Theorien weiter, indem sie die dynamischen und organischen Elemente betonten.38 Laut Brown gab es nur zwei Krankheiten, und es ging dem Arzt darum, durch Reizzufuhr bei asthenischen Krankheiten, die bei zu schwacher Erregung auftraten, oder durch Reizentzug bei sthenischen Krankheiten, die bei zu starker Erregung auftraten, ein Gleichgewicht wiederherzustellen.39 Dieses System beeinflusste auch Reil, dessen Theorien eine Brücke zwischen der Aufklärung und der Romantik schlugen.40 Browns Theorien bezeichneten den Geisteskranken eindeutig als krank, nicht bloß als unvernünftig, das heißt als jemanden, der nur durch die Medizin, bzw. durch

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Vgl. ebenda, S. 433–434. Schelling:Vorrede zu den Jahrbüchern der Medicin als Wissenschaft – Sämmtliche Werke, Abt. 1, Bd. 7, S. 131–139, hier S. 131. Vgl. Wöbkemeier: Erzählte Krankheit, S. 26–50. Schott: Elektrische Medizin. Barkhoff: Magnetische Fiktionen, S. 18–31; Dörner: Madmen and the Bourgeoisie, S. 110– 113; Schmidt: Gesundheit und Krankheit, S. 207–208. Vgl. Tatar: Spellbound, S. 13–15. Vgl. Bromann: German Academic Medicine, S. 128–131. Vgl. Tsouyopoulos: John Brown’s Ideas in Germany, S. 67–68; Tsouyopoulos: Andreas Röschlaub, S. 120–128. Schott und Tölle: Geschichte der Psychiatrie, S. 330–331; Schmidt: Gesundheit und Krankheit, S. 208–210. Schott und Tölle: Geschichte der Psychiatrie, S. 330.

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Gegenreiztherapie, geheilt werden kann,41 und so wurden seine Theorien benutzt, um der moralischen Behandlung eine medizinische Basis und dem Arzt einen höheren Status als unausgebildete Pfleger zu bieten, die bloß den humanen Umgang mit Geisteskranken pflegten42 – Tuke war Geistlicher und in seiner Anstalt wurde keine medizinische Behandlung durchgeführt, Willis war auch Geistlicher. Browns Reizlehre als Mittel, auf die Seelenkräfte zu wirken wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der Medizin als Revolution gegen die traditionelle Medizin aufgegriffen, sowohl von den sogenannten Psychikern, die Geisteskrankheiten unter den moralischen Kategorien Fehler, Schwäche oder sogar Sünde verstanden,43 als auch von den sogenannten Somatikern, die Geistesstörungen als Symptome einer somatischen Krankheit betrachteten.44 Als Psychiker gilt J. C. A. Heinroth, ab 1811 Inhaber des weltweit ersten Lehrstuhls für »Psychische Therapie« (ab 1819 »Psychische Heilkunde«), der an der Universität Leipzig geschaffen wurde, und der den Begriff ›psycho-somatisch‹ als Erster benutzte,45 als Somatiker Maximilian Jacobi in Siegburg,46 der Tukes ›Retreat‹-Methoden persönlich kennenlernte und sehr schätzte,47 sowie Arnims Schul- und Studienfreund Christian Friedrich Nasse, der Reils Lieblingsschüler wurde. Er wirkte später in Bielefeld als Arzt und Direktor eines Krankenhauses für Arme, und in Bonn als Universitätsprofessor, der den Unterricht am Krankenbett in Deutschland einführte.48 Diese medizinischen Debatten zeigten eine Wirkung im gesamten geistigen Leben der Zeit. In einem allgemeinen Zusammenhang wurde das ganze romantische Weltbild von Goethe durch einen Krankheitsvergleich abgewertet, aber die romantischen Schriftsteller sahen eine enge metaphorische Verbindung zwischen Medizin und Poesie im produktiven Sinne. Sie hielten den Zeitgeist für krank (Novalis behauptete, »Die herrschende Konstitution ist die Zärtliche – die Asthenische«) als Folge eines geistigen und politischen Schwächezustandes.49 Die Krankheit des Einzelnen galt ihnen durchaus moralisch als Egoismus oder Sünde, als »Übersteigerung des Individuellen [...], eine Abkehr vom Ganzen« denn der Kranke hatte »die Einheit von Mensch und Natur, das ursprünglichste paradiesische Verhältnis aufge-

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Ebenda, S. 423–424. Vgl. Bromann: German Academic Medicine, S. 131–148; Schott und Tölle: Geschichte der Psychiatrie, S. 421–425; Tsouyopoulos: John Brown’s Ideas in Germany, S. 68f. Vgl. Leibbrand und Wettley: Der Wahnsinn, S. 492; Marx: German Romantic Psychiatry Part I, S. 323–327. Dörner: Madmen and the Bourgeoisie, S. 245–262; Schott und Tölle: Geschichte der Psychiatrie, S. 53–56. Schott und Tölle betonen, dass Psychiker und Somatiker keine entgegengesetzten Bewegungen waren, ebenda. Es handelte sich um unterschiedliche Akzentuierungen bei der Definition von Krankheit, die eher irrelevant für die Praxis waren. Heinroth: Lehrbuch, Bd. 1, S. 280. Marx: German Romantic Psychiatry Part I, S. 336–340. Er besuchte York und übersetzte Tukes Description of the Retreat ins Deutsche, vgl. Schott und Tölle: Geschichte der Psychiatrie, S. 254, 438. Zur Freundschaft mit Arnim s. Arnim: Werke und Briefwechsel (Weimarer Arnim-Ausgabe) Bd. 1, S. 448, 804–805. Zu Nasse als Arzt s. Leibbrand und Wettley: Der Wahnsinn, S. 399–402; Marx: German Romantic Psychiatry Part I, S. 340–-342. Novalis: Schriften, Bd. 2, S. 604.

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geben«.50 Durch Mesmers magnetische Kuren konnte das vegetative System angeregt werden, um das Gemeingefühl, das heißt die vorindividuelle Sympathie zwischen den Menschen, zu stärken.51 Man strebte aber auch durch die Kunst eine Rückkehr zur ursprünglichen Harmonie von Selbst und Natur an, denn der Poet war nach Novalis »der transzendentale Arzt« und Poesie »die Konstruktion der transzendentalen Gesundheit«.52 Der Heilungsprozesss erfolgte etwa in seinem Märchen Hyazinth und Rosenblüte durch Liebe.53 Das Bürgertum und der Adel waren sehr gut über die neuen Theorien und Debatten der modernen Medizin informiert, und trotz der Versuche der medizinischen Zunft, ihren professionellen Status zu untermauern, fühlten sich alle Laien, wie schon die Beiträger zum Magazin zur Erfahrungsseelenkunde, in der Lage fast jede Krankheit zu diagnostizieren und zu behandeln, und das Fachwissen der Ärzte wurde mit gesunder Skepsis betrachtet. Da das Ehepaar Arnim so oft getrennt lebte, sind Beschreibungen von Krankheiten und Krankheitsbehandlung häufig schriftlich kommuniziert worden.54 Bettina erwähnte mehrmals eigene magnetische Versuche, zum Beispiel am 14. Mai 1821: »Unsere Kinder sind gesund, die Max hat gottlob ganz helle Augen, ich hab sie mit Deinem Kopfkissen magnetisiert, auf dem sie schläft, seitdem Du weg bist.«55 Als der Sohn Friedmund einen schlimmen Husten hatte, hat sie ihn nachts magnetisiert, »wobei ich erstaunt war über die Wirkung. Denn solange ich magnetisierte, hörte der Krampfhusten auf, und er schlief, und wenn ich ermüdete, fing er wieder an«.56 Der Arnimsche Hausarzt für viele Jahre in Berlin war Karl Christian Wolfart, ein Anhänger Mesmers, den er 1812 als Mitglied einer Kommission besuchte, um praktische Informationen über das Heilverfahren zu sammeln. Danach gründete er eine Mesmerische Armenklinik und wurde 1817 zum ordentlichen Professor für Heilmagnetismus berufen.57 Er war unter seinen Kollegen sehr umstritten, und Bettina erwähnte kurz in einem Brief Anschuldigungen gegen ihn, will aber nichts Negatives über ihn glauben.58 Beide Arnims hielten ihn für sehr freundlich und anständig, aber überzeugt von seiner Kompetenz waren sie nicht. Arnim ergänzte ständig und widersprach mehrmals mit großem Selbstbewusstsein in seinen Briefen Wolfarts Therapievorschlägen bzw. verordnungen für sich, Bettina und die Kinder auf der Basis seiner Lektüre und seines anekdotischen Wissens.59 Bettina schrieb immer mit Skepsis über »die philisterhaften Ärzte« – »Wolfart verordnet Melisse und Baldriantee welches ich für Quark halte«60 – und hat ebenso selbstbewusst wie Arnim ganz andere Therapie50 51 52 53 54 55 56 57 58 59

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Schmidt: Gesundheit und Krankheit, S. 209f. Vgl. auch Wöbkemeier: Erzählte Krankheit, S. 87. Schmidt: Gesundheit und Krankheit, S. 209–211; Barkhoff: Magnetische Fiktionen, S. 45. Novalis: Schriften, Bd. 2, S. 535. Vgl. Schmidt: Gesundheit und Krankheit, S. 198f. Vgl. Schiffter: »… ich habe immer klüger gehandelt«. Vordtriede: Briefwechsel, Bd. 1, S. 273 Ebenda, Bd. 2, S. 527. Vgl. Korn: Wolfart, S. 789. Vordtriede: Briefwechsel, Bd. 1, S. 180–182. Schiffter dokumentiert die Kommentare zu verschiedenen Krankheiten, als ein Beispiel, s. Schiffter: »… ich habe immer klüger gehandelt«, S. 83. Vordtriede: Briefwechsel, Bd. 1, S. 385.

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mittel als die Wolfartschen eingesetzt. Sie begeisterte sich später für die Homöopathie und ließ den Magnetismus fallen.61 Äußerungen zu Krankheit findet man in fast jedem Bereich von Arnims Schaffen, aber dort am wenigsten, wo man sie vielleicht am ehesten erwarten würde: In seinen naturwissenschaftlichen Arbeiten beschäftigte er sich eingehend mit Galvanismus und Magnetismus, aber sie interessierten ihn in diesem Zusammenhang nicht unbedingt als Heilungsmethoden. Nur in dem Aufsatz »Bemerkung über Volta’s Säule« stellt er einmal die Frage ob der Galvanismus »auf den lebenden tierischen Organismus einen [...] nach seinem Aufhören dauernden Einfluß« habe. Einerseits bezieht er sich auf »die Erfahrungen über [...] durch ihn erzeugte Krankheit und hergestellte Gesundheit« im Allgemeinen und auf eigene Erfahrungen (ohne ärztliche Betreuung) im Besonderen: Ich selbst heilte eine mir nach einer heftigen Ohrentzündung zurückgebliebene Taubheit durch anhaltendes Galvanisieren, eben so einen anfangenden Schnupfen, indem ich ihn schnell bis zu seiner äußersten Heftigkeit brachte. Das lange Ausdauern in der Kette versetzte mich in einen, dem mir nur durch Beschreibung bekannten Somnambulismus ähnlichen Zustand, während dessen, bei ungewöhnlicher Lebhaftigkeit und Unwillkürlichkeit geistiger Tätigkeit, auch die willkürliche Bewegung der Muskeln fast ganz aufgehoben war.

Andererseits zitiert er eine Veröffentlichung von Ritter, in der er die Dauer der Wirkung widerlegt.62 Arnim kannte offensichtlich die Theorien von Mesmer und Brown, äußerte sich aber selten und eher negativ dazu. In »Ideen zu einer Theorie des Magneten« bezeichnete er einen Hinweis auf den tierischen Magnetismus als »in der wahren, nicht in der Mesmerische Bedeutung«,63 und an Bettina schrieb er 1808 »[ich] bin aber kein Brownianer, so wenig wie ein Antibrownianer, das habe ich entweder überlebt oder überstorben«.64 Beide Erwähnungen kommen in einem nichtmedizinischen Kontext vor. 1830 verwarf Arnim in einer kurzen biographischen Mitteilung über den brownianischen Arzt Johann Benjamin Erhard Browns System als unhaltbar.65 In Arnims literarischen Werken wird in romantischer Manier das Zeitalter als krank beschrieben. In Fürst Ganzgott und Sänger Halbgott bezeichnet der König sich selbst und sein Volk als krank durch die Bürokratie, die alles Lebendige und Organische lähmt.66 Im gleichnamigen Roman wird Gräfin Dolores als krank dargestellt, da sie von sich selbst entfremdet als übersteigertes Individuum ohne Verbindung zum Gemeinsamen ist. Der Erzähler interpretiert die Folge dieses Zustandes im allgemeinsten Sinne: »Leben ohne Freude ist die drückendste Krank-

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Vgl. Schiffter: »… ich habe immer klüger gehandelt«, S. 100–106. Arnim: Werke und Schriften (Weimarer Arnim-Ausgabe) Bd. 2, S. 396. Ebenda, S. 145. Arnim und Bettine: Briefe der Freundschaft, Bd. 2, S. 99. Arnim: Denkwürdigkeiten – Werke in sechs Bänden, Bd. 6, S. 978. Zu Arnims Ablehnung von Mesmers Theorien vgl. Barkhoff: Magnetische Fiktionen, S. 161–166. Arnim: Fürst Ganzgott – Werke in sechs Bänden, Bd. 4, S. 66–67.

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heit«.67 Die allgemeine Beschränkung der akademischen Medizin wird vom Doktor in Prediger Tanner offen zugegeben: »Sie sprechen vom Helfen? Unsere ärztliche Hülfe ist eigentlich nur Erleichterung von Übeln, die schnelldrohend und unerträglich sind.«68 Dies hindert ihn nicht daran, »seiner theoretischen Spekulation [...] den Zügel« zu lassen69 und eine Frau gegen die Wassersucht zu behandeln, die eigentlich schwanger ist.70 Das Magnetisieren als Heilungs- sowie als Manipulationsversuch ist schon lange als wichtiges Motiv in der Romantik und auch in Arnims Werk hervorgehoben worden.71 Eine Beschreibung der Prozedur wird zum Beispiel von Hollin geliefert, der seine ermattete Geliebte Marie magnetisiert, und hier wird sehr deutlich, wie subjektiv, emotional und auch erotisch dieses Verfahren sein konnte.72 Ärztliche Behandlungsversuche werden ihrerseits zweideutig – der Jude Herr Rabuni in der Versöhnung in der Sommerfrische, der behauptet »auf einen Arzt studiert« zu haben, magnetisiert auch eine Frau, mit der er ein Liebesverhältnis entwickelt73 – oder ironisch dargestellt: Die zwei magnetischen Ärzte in Wunder über Wunder werden mit ihrer Hellseherin als Scharlatane entpuppt.74 Arnim zeichnete romantische Charaktertypen, die als wahnsinnig, hysterisch, melancholisch und liebeskrank gelten könnten (in Hollin’s Liebesleben führt der Liebesschmerz naturgemäß zur Schwindsucht), aber durch andere Figuren thematisierte er auch Krankheiten, die in die bürgerliche Gesundheit, in die Familie, in den Alltag hineinplatzen. Zwei Erzählungen sollen hier näher betrachtet werden, als Beispiele, wie Arnim Krankheit und Alltag dargestellt hat. Als erstes Der tolle Invalide, seine bekannteste Novelle, die in der Zeit der Aufklärung spielt (der siebenjährige Krieg wird erwähnt). Diese Erzählung kann man durchaus als literarisch-medizinische Fallgeschichte lesen. Ein Arzt liefert als Interpretationsmöglichkeit eine biomedizinische, somatische Erklärung für den ›Wahnsinn‹ Francoeurs: einen Knochensplitter im Schädel. Eine andere, psychische Deutung kann auch aus der Krankheitsbeschreibung herausgelesen werden: Francoeur schreibt Rosalie die Genesung von seinen Kriegswunden zu, das bürdet ihm Schuld- und Verantwortungsgefühle auf, die untermauert werden, als der Priester bei der Hochzeit sagt, wie sehr er in Rosalies Schuld steht.75 Es sind diese Schuldgefühle, die ihn zermürben und zu seinem auffälligen Verhalten führen, denn er wird nach eigener Aussage von Zwangsgedanken verfolgt (im alltagskulturellen Krankheitsmodell des 67 68 69 70 71

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Arnim: Gräfin Dolores – Werke in sechs Bänden, Bd. 1, S. 429. Arnim: Prediger Tanner – Werke in sechs Bänden, Bd. 3, S. 425. Ebenda, S. 478. Ebenda, S. 425–428. Vgl. Barkhoff: Magnetische Fiktionen; Beckers: Die Majoratsherren; Bonfiglio: Electric affinities; Drösch: Somnambule Schwärmerei; Kluge: Die Majoratsherren; Tatar: Spellbound. Arnim: Hollin’s Liebeleben – Werke in sechs Bänden, Bd. 1, S. 37f. Vgl. die Interpretation von Barkhoff: Magnetische Fiktionen, S. 167–171. Arnim: Die Versöhnung – Werke in sechs Bänden, Bd. 3, S. 547f. Barkhoff beschreibt die »unheilige Allianz« zwischen Magnetismus und Judentum in der Geschichte, Barkhoff: Magnetische Fiktionen, S. 175–182, hier S. 181. Arnim: Landhausleben – Werke in sechs Bänden, Bd. 4, S. 639, 650–652. Arnim: Der tolle Invalide – Werke in sechs Bänden, Bd. 4, S. 37. Rosalie beschreibt auch eigene Symptome einer psychosomatischen Erkrankung, ebenda.

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Erzählers sieht er den Priester wie jemand, der vom tollwütigen Hund gebissen wurde, den Hund sieht76) und versucht, sich durch immer extremere Verhaltensweisen von den Zwangsgedanken abzulenken.77 Dies gelingt ihm aber nicht und sie werden stärker, bis sie seinen Alltag durchdringen und zu einem gesundheitlichen Zusammenbruch führen. Es ist nach dieser psychosomatischen Interpretation der gestörte Alltag, der ihn krank macht, und nicht der mittlerweile beendete Krieg oder die mittlerweile geheilten körperlichen Wunden. Weiterhin sind es, so könnte man behaupten, auch Alltagsrituale, die bei jedem neuen Stadium der Krankheit ausschlaggebend sind: Erstmals der Schwur bei der Hochzeit, der ihn zum Schuldigen, Verantwortlichen macht, danach der Besuch des Freundes Bassett, bei dem er sich auf eine offensichtliche Banalität – die Größe der Eierkuchenportion – fixiert, um sich von der Verantwortung für Rosalie und von der Schuld lösen zu können.78 Wenn Rosalie Francoeur ansieht, fühlt man sich sofort an zeitgenössische medizinische Theorien erinnert: Ihr durchdringender Blick heilt ihn wie der des Magnetiseurs: »ich sah ihn immer eifriger an, weil er behauptete, daß es ihm wohltue«.79 Rosalies Mutter benutzt auch ihre Augen wie ein dämonischer Magnetiseur, um Rosalie glauben zu lassen, sie sei verflucht: »ihre Augen kehrte sie in sich, sie sahen ganz weiß aus; sie verfluchte mich und übergab mich mit feierlicher Rede dem Teufel«.80 Der Priester, der die Hochzeit Francoeurs vollzieht, beeinflusst ihn ebenfalls durch eine »feierliche Rede«,81 aber sein Kollege, der den Exorzismus unternimmt, besitzt das nötige Charisma nicht, und Francoeur lässt sich nicht von ihm einschüchtern: Vater Philip »meinte seine Beschwörung anbringen zu müssen, redete den Teufel heftig an, indem er seine Hände in kreuzenden Linien über Francoeur bewegte. Das Alles empörte Francoeur«.82 Bemerkenswert ist, dass alle diese Figuren, die Francoeur heilen wollen, keine Mediziner sind. Ein Arzt taucht nur am Schluss auf, nachdem die Krise erfolgt ist, um eine rückwirkende Diagnose auszusprechen.83 Am wirkungsmächtigen in dieser Geschichte ist Rosalie als »Priesterarzt«84 und auch als moralischer Arzt, denn ihr Auftreten und ihre Autorität sind ausschlaggebend. Nachdem sie zielstrebig und unbeirrt ihren Mann physisch und psychisch genährt hat, bis die Blockade im Kopf platzt, ist Francoeur ruhig und lässt alles mit sich geschehen, indem er die wiedergewonnene Verbindung zu seiner Familie durch den Blickkontakt unterstreicht.85 Durch die Krise ist er der Natur und sich selber nähergekommen.

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Ebenda, S. 43. Ebenda, S. 37. Ebenda, S. 44f. Ebenda, S. 35. Ebenda, S. 36. Ebenda, S. 37. Ebenda, S. 43f. Ebenda, S. 54. Schmidt: Gesundheit und Krankheit, S. 212, vgl. auch Barkhoff: Magnetische Fiktionen, S. 46f. Arnim: Der tolle Invalide – Werke in sechs Bänden, Bd. 4, S. 54.

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Der tolle Invalide ist jedoch keine einfache literarisch-medizinische Fallgeschichte. Die Diagnostik als solche wird unter die Lupe genommen und durch andere, nichtmedizinische Interpretationsmöglichkeiten im Text wird die grundsätzliche Frage gestellt, wie krank Francoeur eigentlich ist. Von Anfang an wird sein Stolz als Hauptcharakterzug genannt, der auch nationalen Stereotypen entspricht.86 Sein militärischer Stolz bestimmt seine Reaktion, als der Priester auf ihn zukommt, sein männlicher, als er hört, dass seine Frau beim Kommandanten war und ihm gut gefallen hat.87 Als Soldat ist sein Verhalten außerdem sehr erwünscht; der Kommandant möchte mehrere solche Besessene haben.88 Nur im anderen Kontext – es ist jetzt Frieden, nicht Krieg – fällt er unangenehm auf. Ebenfalls sehr präsent sind alltagskulturelle religiöse und abergläubische Erklärungsmuster; etwa im Fluch der Schwiegermutter und in dem Glauben Rosalies daran, sowie in Francoeurs Spruch über den Teufel, den man nicht an die Wand malen darf, und natürlich auch im Exorzismus des Priesters, der zum endgültigen Ausbruch des Wahnsinns bzw. zur Kriegserklärung Francoeurs führt.89 Blickt man auf die anfangs erwähnten zwei Perspektiven zu Krankheit in der schriftlichen Darstellung von Krankheit und der Krankheitszuschreibungen, ist bei der Selbstinterpretation Francoeurs eine deutliche Verweigerung festzustellen, die Besessenheitsdiagnose zu akzeptieren, die er als stolzer Charakter als Schwäche und als Versagen interpretieren muss. Aus Wut spielt er die Rolle, die ihm zugeteilt wurde, und diese Besonnenheit macht ihn erst unzweideutig schuldig in den Augen der anderen.90 Es ist also die Reaktion von Francoeurs Umwelt auf die vermeintliche Krankheit, die sein weiteres Verhalten bestimmt. Ob er als stolzer Soldat, betrogener Ehemann, besonnener Wahnsinniger, Verfluchter, Unzurechnungsfähiger angesehen wird, in praktischer Hinsicht – wie er von der Umwelt behandelt wird – besteht nicht viel Unterschied zwischen den Diskursen des Aberglaubens, der Religion und der Medizin. Man übergeht ihn; seine Familie (Rosalie) und die sozialen Machtinstanzen, mit denen er in Kontakt kommt (der Kommandant, der Priester), behandeln ihn wie ein Kind: Er wird entmündigt. Obwohl Krankheit oft zum Kontrollverlust führt, führt der Kontrollentzug bei Francoeur zur Krankheit und dadurch zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung.91 Die somatische Medizin spielt kaum eine Rolle in der Erzählung: Der Knochensplitter wird erst ganz am Schluss erwähnt und ›nur‹ von einem Chirurgen verbürgt.92 Es geht in diesem Text vielmehr um einen psychischen Reifeprozess, der in der Entwicklung eines starken Selbstbewusstseins und der Fähigkeit gleichwertige Beziehungen und Partnerschaften mit anderen aufzubauen besteht. Das sind laienhafte und alltägliche Dimensionen, die aber theoretisch den Hauptbestandteil der moralischen Behandlung bildeten. Beide leiden unter Zwangsgedanken: Rosalie 86 87 88 89 90 91 92

Ebenda, S. 40. Ebenda, S. 44. Ebenda, S. 34. Ebenda, S. 40, 43f. Ebenda, S. 50. Vgl. Dickson: Preconceived and Fixed Ideas. Ebenda, S. 54.

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muss ihren Glauben an den Fluch der Mutter überwinden, Francoeur seine Schuldgefühle. Rosalie befreit sich von dem Fluch durch die Geburt des Sohnes, die vielleicht verständlicherweise Zerstreuung von Zwangsgedanken bringt, und von ihrem Glauben an den Fluch gegen Francoeur durch ihre direkte Konfrontation mit ihm. Wenn sie die Verantwortung für sich selbst übernimmt, ist ihre Mutter als Magnetiseur wirkungslos. Als Geheilte kann sie weiter auf ihren Mann Einfluss nehmen. Aber anstatt ihn wieder durch ihre Blicke allein zu heilen, wie sie es angeblich beim ersten Kennenlernen gemacht hatte, bringt sie ihn durch ihre Annäherung dazu sich selber den Schädel aufzureißen, um sich von dem inneren Zwang (und den Knochensplitter) zu befreien, und er bewirkt durch diese mündige Selbstüberwindung seine eigene Genesung. Das Happy End wird durch die moralischen Kategorien ›Liebe‹ und ›Gnade‹ erreicht,93 die durchaus ihren Platz in der damaligen Psychiatrie hatten, aber hier im nicht-medizinischen, alltäglichen Sinn verstanden werden. Aus der Perspektive des aufgeklärten Weltbildes heißt das Verantwortung übernehmen für sich selbst, anstatt sich anderen zu unterwerfen oder sich fremdbestimmen zu lassen, und durch diesen Lernprozess als mündiges und vernünftiges Mitglied an der Gesellschaft teilnehmen. Aus der romantischen Perspektive heißt das Verantwortung übernehmen für die Nachtseiten des Ichs, anstatt an den Teufel zu glauben. Krankheit als Schwäche oder Sünde, als übersteigerte Bezogenheit auf sich selbst und als Kontaktverlust mit der Natur, wird durch Gnade und Liebe geheilt und insofern die Harmonie wieder hergestellt. Was folgt, ist der Alltag, denn »[n]ach solchem Tage läßt sich in einem Menschenleben selten noch etwas erleben, was der Mühe des Erzählens wert wäre«.94 In einer zweiten Geschichte, Frau von Saverne, wird noch ein Fall beschrieben, bei dem eine Krankheitsdiagnose in den Alltag eines Menschen zerstörerisch eingreift. Sie spielt ebenfalls zur Zeit der Aufklärung bzw. des Absolutismus in Frankreich, in der König Ludwig XVI. so sehr die Achtung und die Liebe seiner Bürgerinnen genoss, dass sie Huldigungen an ihn in ihren Alltag einbauten.95 Diese Rituale sind nur kurze Zeit Mode in Paris, aber in der Provinz hält sich die Protagonistin noch fest daran. Als sie nach Paris fährt, um den König leibhaftig zu sehen, kommt es zum Eklat. Ihre Selbstinterpretation ist, dass sie völlig gesund und vernünftig ist, aber in der Pariser Umwelt gilt ihr Verhalten als auffällig, bis sie von den Autoritäten als wahnsinnig erklärt wird.96 Wie Francoeur ändert sie ihr Verhalten nicht, es wird nur an anderem Ort zu anderer Zeit anders interpretiert, und weil beide Figuren sich nicht so benehmen, wie ihre Umwelt, hier die bürgerliche Gesellschaft, das vorsieht, kann man sie als krank abqualifizieren. Das auffallende Verhalten der Frau von Saverne besteht vor allem in ihrer Freigiebigkeit, nicht in der Verehrung des Königs, was die Gier ihrer Mitmenschen erweckt. Wie Francoeur wird sie entmündigt: Niemand hört auf sie, sobald sie als ›wahnsinnig‹ etikettiert wird, man beschlagnahmt ihr Geld, sie darf keinen Kontakt mit anderen haben. Im 18. Jahr93 94 95 96

Ebenda, S. 52, 55. Ebenda, S. 55. Arnim: Frau von Saverne – Werke in sechs Bänden, Bd. 3, S. 963. Ebenda, S. 968–970.

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hundert konnte man noch ziemlich leicht unbequeme Familienmitglieder einsperren lassen; hier aber sieht man, wie Autoritätsfiguren ihre Position missbrauchen konnten. Der Gerichtsvollzieher leitet die medizinische Fehldiagnose als schlichte Erpressungsmethode in die Wege, um an Savernes Geld zu kommen. Das kann als eine generelle Kritik an der Macht der Obrigkeit verstanden werden, aber die darauffolgende Darstellung der Anstaltstherapie weist auf die damalige Situation in Berlin hin, die in der Öffentlichkeit besonders präsent war: 1818, in demselben Jahr wie Saverne, erschien Horns Oeffentliche Rechenschaft. Weil Frau von Saverne die Frage des Arztes, ob der König der schönste Mann in Frankreich sei, bejaht, wird sie in Wasser eingetaucht und ins Drehrad geschickt, das in Berlin, jedoch nicht in Paris benutzt wurde.97 Das Ziel des Arztes ist es, Saverne dazuzubringen, dass sie sich anders benimmt; es wird geprüft, wie sie auf dieselbe Frage antwortet. Man trainiert ein bestimmtes äußerliches Verhalten, aber man behandelt keine Krankheit: Obwohl die Diagnose des Arztes nicht ganz falsch ist, wenn er »die sitzende Lebensart, politische Schwärmerei und unbefriedigte Liebe« rügt, geht er bei der Behandlung gar nicht auf die Patientin ein, die immer verzweifelter versucht, ihre Situation zu erklären anstatt zu schweigen: Sie versuchte es oft, aber kaum hatte sie einige Worte gesprochen, so lächelte der Doktor selbstgefällig und schickte sie in das schreckliche Drehrad. Ihr Mut wuchs mit der Verzweiflung, kein Drehen vermochte mehr ihre laute Anklage zu ersticken; sie wurde in Wasser getaucht, nichts überwand ihre Klage über Grausamkeit; der Doktor erklärte den Schülern: die Frau sei unheilbar und sprach dabei recht herzliche Worte von Mitleid über ihren Zustand aus.98

Auch in dieser Geschichte geht es um menschliches Verhalten, menschliche Beziehungen, gesunden Menschenverstand im Alltag. Saverne muss lernen, ihr naives Schwärmen für charismatische Figuren aufzugeben und eine gleichberechtigte Liebesbeziehung mit einem Mann einzugehen. Der moralische Arzt »wäre vielleicht ein tüchtiger Vieharzt gewesen« und kann selber wie ein »gute[r] dumme[r] Teufel« von dem Gerichtsvollzieher manipuliert werden, der ihn »zu Allem bereden« kann.99 Durch diese Beredsamkeit glaubt er Saverne geheilt und »eignete sich ihre Herstellung als eine Nachwirkung seiner Heilmethode und des herrlichen Drehrades zu, das er als seine Erfindung ihr anpries«.100 Das könnte als frontaler Hieb gegen die medizinische moralische Behandlung insgesamt und die Zustände in der Berliner Charité verstanden werden. Es wird jedoch in diesen beiden Erzählungen klar artikuliert, dass man das Problem und nicht die Symptome bekämpfen muss und dass Versuche, jemanden zu manipulieren, auch zu seinem Besten, sinnlos und schädlich sind. Als gesunder Erwachsener muss man selber Verantwortung übernehmen, sich nicht auf andere verlassen, seien sie charismatische Figuren oder soziale Instanzen. Dass ein solcher 97

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Ebenda, S. 970f. Vgl. auch den Kommentar zu Saverne, ebenda, S. 1365f.; Müller : Die Drehmaschinen, S. 26f. Arnim: Frau von Saverne – Werke in sechs Bänden, Bd. 3, S. 970. Ebenda, S. 971. Ebenda, S. 972.

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Lernprozess so eingeleitet wird, ist genau das therapeutische Ziel der zeitgenössischen medizinischen Behandlung geisteskranker Patienten, das sich in der Praxis so oft als unzureichend erwies, weil diese Mittel leicht von inkompetenten oder böswilligen Individuen missbraucht werden konnten und auch weil Verhaltenstherapie und Suggestion nicht immer wirksam oder sogar angebracht sind. Deswegen sollte man vielleicht eher behaupten, dass Arnim durchaus die gesundheitsfördernde Wirkung zeitgenössischer medizinischer Theorien einräumte aber gleichzeitig auch die alltägliche Realität viel nüchterner betrachtete. Die Krankheiten, die Arnim beschreibt, sind Zuschreibungen von Krankheit durch die Umwelt. Schwärmerische Zwangsgedanken werden nicht durch die Medizin sondern durch die Herstellung einer gesunden Harmonie zwischen Mensch und Gesellschaft, Individualität und Gemeingefühl geheilt, und sie erfolgen aus Liebe und Gnade, aus aufgeklärter Mündigkeit in der Gesellschaft und romantischer Eingebundenheit in der Gemeinschaft. Die großen Kontexte und Theorien werden aber in diesen Erzählungen auf einem sehr persönlichen, zwischenmenschlichen Niveau reflektiert. Psychische Krankheit bzw. auffälliges Verhalten entsprechen Kontrollverlust und Entmündigung; Gesundheit gleicht Selbstgefühl, gleichwertiger Liebe – das sind Geschichten des Alltags. Es sind fortlaufende Machtkämpfe des Individuums gegen die Umwelt, ob wohlwollend oder feindlich; gegen medizinische und andere soziale Instanzen, die oft und schnell eine Wertung aussprechen und ein Krankheitsetikett aufdrücken.

Roswitha Burwick

»Wer hat von meinem Tellerchen gegessen?« Essen und Trinken in den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm

Das Stückchen Brot, das das Überleben bedeutet, das traumhafte Zaubertischlein, das die Not für immer aufhebt, der Wein und Kuchen, der das junge Mädchen den Gefahren des Lebens aussetzt, das verführerische Lebkuchenhäuschen oder der im Überfluss fließende süße Brei sind Elemente in den Märchenstrukturen, die dem Essen eine signifikante Rolle einräumen. Zum einen wird mit dem Essen nicht allein der Alltag im Märchen, sondern auch eine Traumwelt thematisiert, in der sich die sozialen Grenzen zwischen arm und reich aufheben (Hänsel und Gretel, Tischlein deck dich, Der süße Brei). Zum anderen werden das moralische Verhalten und die Verantwortung einer Familiengemeinschaft für die ältere Generation problematisiert und beispielhaft zu einem harmonischen Ende geführt (Der alte Großvater und sein Enkel). Neid und Hass führen nicht allein zu Mord und Totschlag, sondern sogar zu Kannibalismus, wenn der ahnungslose Vater seinen eigenen Sohn verspeist (Der Machandelboom). Neben diesen allgemein bekannten Motiven geht mein Beitrag vor allem den subtileren Themen nach und versucht zu zeigen, wie die alltäglichen Nahrungsmittel von Wein, Kuchen, oder Apfel auf pubertäre Entwicklungen hindeuten und damit Aufschluss geben über geschlechtsspezifische Verhaltensnormen (Rotkäppchen, Sneewittchen). Auch die genauere Analyse des unscheinbaren Rapunzels beweist, dass es sich hier um ein Nahrungsmittel handelt, das dem Körper der schwangeren Frau fehlt, während es die durch die Fruchtbarkeit ihres Gartens bekannte Nachbarin im Überfluss besitzt (Rapunzel). Die scheinbar alltäglichen Nahrungsmittel der Märchen sind somit oft subversiv verarbeitet und müssen auf psychologischer, sozialer, kulturtheoretischer und sprachlicher Ebene untersucht werden, um die in den Texten dargestellten komplexen Wissenssysteme freizulegen. Im Folgenden wird eine Auswahl aus der Fülle des Materials getroffen, denn Essen und Trinken sind nicht allein Hauptmotive in den Märchen aus aller Welt; sie finden sich auch in den antiken Fabeln, in Schwänken, Redensarten und Witzen. Da es nicht um eine mehr oder weniger vollständige Auflistung aller möglichen Märchenvariationen zum Thema Essen und Trinken geht, sondern um eine Analyse der Thematik von Hunger und Not, Kannibalismus, Sozialkritik und geschlechtsspezifischem Verhalten innerhalb der patriarchalischen Systeme, sollen einzelne Märchen als repräsentative Beispiele untersucht werden. Tiermärchen sind ausgeklammert, da zwischenmenschliche Beziehungen, normatives Verhalten und subversives Unterlaufen der traditionellen Handlungsmuster an menschlichen Protagonisten dargestellt werden sollen.

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Hunger und Überfluss spielen in den Märchen eine wichtige Rolle und sind eng verbunden mit Kritik der sozialen Verhältnisse der Bevölkerung. Während die Aristokratie ihre Festessen mit den seltensten Gerichten und Getränken feiert – die Märchen vom träumerisch imaginierten Schlauraffenland1 oder dem Tischlein deck dich2 sind Beispiele dieser Gelage –, müssen Bauern und Handwerker schwer arbeiten, um sich das tägliche Brot zu verdienen. Die »Schüssel von Gebratenem und Gesottenen« oder der herrliche »rote Wein« kommen nur selten auf den Tisch; meistens gehören Suppen und Breie – vor allem der Hirsebrei – zu den täglichen Mahlzeiten. Die Beschaffung von Nahrungsmittel geschieht durch Diebstahl (Rapunzel)3, Tausch (Hans im Glück)4, Tricks (Katze und Maus in Gesellschaft, Das kluge Gretel)5, Jagd (Der Fundevogel, Die Bienenkönigin, Der gestiefelte Kater)6, Humor (Die wunderliche Gasterei)7 und Selbstversorgung. In Die kluge Bauerntochter8 geht es um ein Stück Land, auf dem beim Harken ein Mörsel Gold gefunden wird; in Die Rübe sät ein armer Bauer Rübensamen, der aufgeht und eine Rübe hervorbringt, die so groß ist, »daß sie allein einen Wagen anfüllte, und zwei Ochsen daran ziehen mußten, und der Bauer wußte nicht, was er damit anfangen sollte, und ob’s sein Glück oder sein Unglück wär«.9 Sozialkritik ist jedoch nicht allein auf die Standesunterschiede beschränkt, sie findet auch Ausdruck als ethisch-moralische Lehre in dem Märchen, das von den Problemen der in den Großfamilien lebenden Generationen handelt. In Der alte Großvater und sein Enkel geht es darum, den alten Mann, der sein Essen oft verschüttete, in eine entfernte Ecke des Hauses zu verbannen, wo er aus einem Schüsselchen seine Mahlzeiten löffeln musste und dazu nicht einmal so viel erhielt, dass er satt wurde. Nachdem der Enkel ein Tröglein gezimmert hatte, aus dem er seine Eltern im Alter füttern wollte, schämten sich die beiden und holten den Großvater wieder an den gemeinsamen Tisch.10 Missernten, Naturkatastrophen, Kriege, Seuchen und Hungersnöte trafen vor allem die unteren Schichten und verschärften das soziale Elend in einem solchen Ausmaß, dass es meist nur um ein Stück Brot und Wasser ging, um eine Familie am Leben zu erhalten.11 Durch den Tod des Vaters, dem die Rolle des Ernährers zukam, oder den Tod beider Eltern wurden Kinder zu Bettlern, die, allein zurückgeblieben, um das Überleben kämpfen mussten. Das Mädchen aus Die Sterntaler, 1812 noch als Das arme Mädchen betitelt, ist der Prototyp des hilfsbedürftigen Waisenkindes, 1

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Grimm: Kinder- und Hausmärchen. Ausgabe letzter Hand, Nr. 158. Abgekürzt als KHM 158 (1857), Bd. 2, S. 275–276. KHM 36 (1857), Bd. 1, S. 195–205. KHM 12 (1857), Bd. 1, S. 87–91. KHM 83 (1857), Bd. 1, S. 407–413. KHM 2 (1857), Bd. 1, S. 33–35; KHM 77, ebenda, S. 386–388. KHM 51 (1857), Bd. 1, S. 261–163; KHM 62, ebenda, S. 340–342; KHM Anhang 5, Bd. 2, S. 453–458. KHM Anhang 7 (1857), Bd. 2, S. 461–462. KHM 94 (1857), Bd. 2, S. 57–60. KHM 146 (1857), Bd. 2, S. 256–259. KHM 78 ( 1857), Bd. 1, S. 389. Kodisch: Fremdheitserfahrungen am Tisch des europäischen Märchens, S. 88–95.

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das arm, ohne Dach über dem Kopf, dürftig bekleidet, der Hungersnot preisgegeben ist, dann aber durch ein Wunder vor dem sicheren Tod gerettet wird.12 Realitätscharakter hat dagegen die Kinderlegende Gottes Speise13, in der die reiche Schwester die arme Schwester zurückweist, die um ein Stück Brot für ihre hungernden Kinder bittet. Nachdem die hartherzige Frau die Gabe verweigert hatte, blutete der Laib Brot, den ihr Mann anschneiden wollte. Als er reumütig seiner Schwägerin helfen wollte, waren drei der Kinder bereits gestorben; die beiden anderen und die Mutter starben noch am gleichen Tag.14 Kindersterblichkeit und der Tod junger Frauen bei der Geburt gehörten zum Alltag bis ins späte 19. Jahrhundert, da die medizinischen Kenntnisse der Ärzte in Bezug auf den Körper der Frau beschränkt waren und oft abenteuerlichen Theorien folgten.15 Die hohe Mortalitätsrate und die Notwendigkeit der Wiederverheiratung eines Witwers mit unmündigen Kindern und einem großen Haushalt, in dem die zweite Frau als weibliche Arbeitskraft die Leitung übernehmen konnte, führte bis ins 19. Jahrhundert zu komplexen Verwandtschaftskonstellationen, in denen es häufig zu Konfliktsituationen kam.16 Elke Feustel weist auch auf das Erbrecht hin, das den Erstgeborenen bevorzugte und damit die in der zweiten Ehe nachgeborenen Kinder benachteiligte.17 In diesem Zusammenhang wird der Stiefmuttertypus zur durchwegs bösen Figur, die ihre Stiefkinder hungern lässt (Die drei Männlein im Walde KHM 13), ihnen lediglich »harte Brotkrusten, die übrigbleiben,« übriglässt (Brüderchen und Schwesterchen KHM 11), sie schlachten will (Lämmchen und Fischchen KHM 141), sie ertränkt (Die weiße und die schwarze Braut KHM 135), erstickt und vergiftet (Sneewittchen KHM 53), sie enthaupten will (Der liebste Roland KHM 56) und sie sogar schlachtet und gar kocht (Der Machandelboom KHM 47). Obwohl es sich in den meisten Fällen um eine konfliktreiche MutterTochter-Beziehung handelt, gibt es auch Märchen, in denen eine Mutter-SohnBeziehung (Machandelboom) bzw. eine Vater-Tochter-Beziehung (Allerleihrauh, Das Mädchen ohne Hände) als Kindesmisshandlung gedeutet werden kann.18 Grundsätzlich kann man von Familien sprechen, in denen es um Auseinandersetzungen zwischen Eltern mit ihren adoleszenten Kindern beiden Geschlechts geht, also um generationsbedingte Probleme, die zur Krise kommen, dann aber auch eine Lösung finden. Dass das Happy End häufig mit der Entfernung der am Konflikt beteiligten Personen führt, hat sowohl Märchencharakter als auch Realitätsbezug.

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KHM 83 (1812), Bd. 1, S. 382–383.; KHM 153 (1857), Bd. 2, S. 269–270; Uther: Handbuch zu den »Kinder- und Hausmärchen«, S. 305–307. KHM Kinderlegenden 5 (1857), Bd. 2, S. 437–438. KHM Anhang, Nr. 5 (1857), Bd. 2, S. 438. Vgl. Burwick: »Wenn er fett ist« – In: Fulda und Pape (Hrsg): Das andere Essen, S. 241–257. Sperling: Schwangerschaft und Medizin; Lorenz: »‘…als ob ihr ein Stein aus dem Leibe kollerte«. Vgl. Feustel: Rätselprinzessinnen und schlafende Schönheiten, S. 250. Ebenda, S. 250. Zipes: The Rationalization of Abandonment and Abuse in Fairy Tales; Castello: Und wenn Sie nicht gestorben sind, dann leiden sie noch heute.

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Extremer Hunger ist oft mit Kannibalismus verbunden, wenn die verzweifelten Eltern nur durch das Schlachten der Kinder noch Hilfe aus ihrer ausweglosen Lage zu sehen glauben.19 Im Märchen Die Kinder in Hungersnot droht die Mutter, ihre Töchter töten zu müssen, um etwas zu essen zu haben. Beide Töchter bringen ein paar Stücke Brot nach Hause, was aber nicht genug für die drei ist, um zu überleben. Um die Mutter vor dem Mord zu bewahren, opfern sich die beiden Mädchen: »›Liebe Mutter, wir wollen uns niederlegen und schlafen und nicht eher wieder aufstehen, als bis der Jüngste Tag kommt.‹ Da legten sie sich hin und schliefen einen tiefen Schlaf, aus dem sie niemand erwecken konnte, die Mutter aber ist weggekommen, und weiß kein Mensch, wo sie geblieben ist.«20 Während die Mutter in der Kinderlegende an gebrochenem Herzen ihren Kindern nachstirbt, verschwindet die Mutter in der Geschichte von den Kindern in Hungersnot, was Verzweiflung, Wahnsinn, und auch Tod bedeuten kann. Dass Hungersnot nicht immer in Elend und Tod enden muss, zeigt das Märchen Der süße Brei, in dem das »arme fromme Mädchen« von einer alten Frau im Wald ein Wundertöpfchen als Geschenk bekommt, das auf den Befehl »Töpfchen koche!« so viel süßen Brei produziert, dass sie nie mehr Hunger leiden mussten. Als die Mutter einmal in der Abwesenheit der Tochter das Töpfchen zum Kochen brachte, aber den Befehl »Töpfchen steh!« nicht mehr wusste, kochte das Töpfchen so viel Brei, dass nicht nur die Küche und das Haus, sondern die ganze Stadt voller Brei war, »als wollt’s [das Töpfchen] die ganze Welt satt machen«. Wer in die Stadt wollte, musste sich zuerst durch den Breiberg durchessen.21 Hier findet sich eine Parallele zum Schlaraffenland, wo man, um in das Land des Überflusses zu gelangen, sich ebenfalls zuerst durch einen wohl drei Meter dicken Berg Hirsebrei durchessen musste. Durch den Fehler der Mutter konnte somit die ganze Stadt am Überfluss der kleinen Familie teilnehmen. Mit dem von den Grimms gewählten Titel, der sich auch im Höllischen Proteus des Polygraphen Erasmus Francisci findet, den die Grimms mit als Quelle für ihre Märchensammlung benutzten, nimmt das Märchen Bezug auf Berichte der Armenspeisungen.22 Auch das bekannte Märchen von Hänsel und Gretel gehört in diese Kategorie der Texte, in denen die Eltern sich ihrer Kinder entledigen, nachdem eine große Teuerung ins Land gekommen und das tägliche Brot nicht mehr zu schaffen war. In den schlaflosen Nächten äußert sich der Vater voller Sorgen: »Was soll aus uns werden? Wie können wir unsere armen Kinder ernähren, da wir für uns selbst nichts mehr haben?«23 Interessant ist hier zu bemerken, dass es in früheren Fassungen die leibliche Mutter war, die die Kinder los haben wollte.24 In der Fassung von 1812 ist 19

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Bohnen: »Mein Mutter, der mich schlacht/ Mein Vater, der mich aß«, S. 7–10. Bohnen weist darauf hin, dass von den 170 Märchen der Grimmschen Sammlung in 50 Märchen familiäre Konflikte initiatorischen Charakter haben. Ebenda, S. 7. In etwa 13 Märchen ist es die Stiefmutter, die die Kinder schlecht behandelt. Ebenda, S. 8. KHM Anhang 24 (1857), Bd. 2, S. 425. KHM 103 (1857), Bd. 2, S. 95. Uther: Handbuch zu den »Kinder- und Hausmärchen« der Brüder Grimm, S. 223. KHM 15 (1857), Bd. 1, S. 100. Auch in der Ölenberger Handschrift und im Erstdruck von Sneewittchen von 1812 (KHM 53) war es die leibliche Mutter, die die Rivalin der Tochter war: »Die Königin war die schönste im

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es die Mutter; in der Fassung von 1857 wird zunächst noch vom »Vater und seiner Frau« gesprochen; erst nachdem die Frau den Vorschlag gemacht hatte, die Kinder allein in den Wald zu schicken, um sie dort auszusetzen, wird sie zur Stiefmutter. Eine genauere Analyse zeigt dann auch, dass die Kinder nicht mehr klein und hilflos sind, sondern sich gut durchzuschlagen wissen. Die Initiative der Frau verdeutlicht, dass sie ihren Körper zu schützen weiß, da die ungehemmte kindliche Gier, die sich in den Schwangerschaften und Stillzeiten auslebt, in denen der mütterliche Körper dem ungeborenen Kinde und dem Säugling zur Nahrung dient, in Zeiten von Hungersnöten Krankheit und Tod bedeuten. Um sich vor diesen Gefahren zu bewahren und ihre Überlebenschancen zu verbessern, muss sie die Kinder, die für sich allein sorgen können, aus dem Haus weisen. So weicht das Bild der liebevollen und fürsorglichen Mutter eher der ambivalenten Darstellung eines Muttertypus, der sowohl den »feinen Eierkuchen und eine Flasche Wein« als auch einen aus Asche gebackenen Kuchen und eine Flasche saures Bier ihren drei Söhnen mit auf den Weg gibt (Die goldene Gans)25. Dass diese Märchen auch für die Grimms Realitätscharakter besitzen, zeigt die Bemerkung aus der Vorrede: So einfach sind die meisten [hier beschriebenen Zustände des Lebens], daß viele sie wohl im eigenen [gestr. Leben] gefunden, aber wie alle wahrhaftigen doch immer wieder neu und ergreifend. Die Eltern haben kein Brod mehr, und müssen ihre Kinder in dieser Noth verstoßen, oder eine harte Stiefmutter läßt sie leiden, und mögte sie gar zu Grunde gehen lassen.26

Im Gegensatz zur reichen Frau, die aus Geiz und Habgier die hungernde Schwester mit ihren fünf Kindern in den Tod treibt, handelt die Frau des Holzfällers realistisch, da sie die Kinder zwingt, selbst Verantwortung zu übernehmen und sich in der Welt zu bewähren. Wie auch im Schneewittchen ist es nicht die biologische Mutter, die schwach und hilflos bleibt und an ihrer Passivität zugrunde geht. Es ist die Stiefmutter, die Entscheidungskraft und Handlungsfähigkeit besitzt und sich gegen den schwachen und nachgiebigen Mann durchsetzt. Allerdings ist auch ihr kein glückliches Ende beschieden, da sie bei der Rückkehr der Kinder bereits gestorben ist. In einer patriarchalisch strukturierten Gesellschaft haben solche Frauen, die die Autorität im häuslichen Bereich an sich reißen, keinen Platz. Allein dem Mann gebührt die Entscheidungsfähigkeit, die sich nicht in Bitten und Flehen, sondern in Befehlen und Geboten artikuliert.27

25 26

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Land, und gar stolz auf ihre Schönheit, [und konnte nicht leiden, dass jemand schöner sollte seyn«.] (Im Handexemplar von 1812 in Wilhelm Grimms Handschrift hinzugefügt). 1819 und 1857 ist eine ganze Textpassage eingefügt, um die leibliche Mutter in die Stiefmutter umzuwandeln. »Und wie das Kind geboren war, starb die Königin. Über ein Jahr nahm sich der König eine andere Gemahlin. Es war eine schöne Frau, aber sie war stolz und übermütig und konnte nicht leiden, daß sie an Schönheit von jemand sollte übertroffen werden«. Vgl. auch Feustel: Rätselprinzessinnen und schlafende Schönheiten, S. 243–251. KHM 64 (1857), Bd. 1, S. 346–350. KHM 1812, Bd. 1, S. IX; im Handexemplar von 1812 steht die in [] in Wilhelm Grimms Handschrift eingefügte Stelle über gestr. »Situationen«. Birkhäuser-Oeri: Die Mutter im Märchen, S. 22–23. Nach Jung stößt man beim Archetyp der

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Während die Mutter den Kindern die Nahrung verweigert, bietet die zweite weibliche Figur – die Hexe im Wald – nicht nur Grundnahrungsmittel wie Suppe und Brot, sondern »gutes Essen« an, das aus »Milch, Pfannekuchen mit Zucker, Äpfel und Nüssen« besteht, um die Kinder ins Haus zu locken. Angesichts der Tatsache, dass die Hungersnot den Körper der Mutter als nahrungsspendendes Mittel verdinglicht, muss auch das Lebkuchenhaus – das aus Brot, Kuchen, Zucker bestand – in seiner doppelten Bedeutung erkannt werden: es ist nicht nur das Domizil der unverheirateten, in der Isolation lebenden, kinderlosen alten Frau; es ist auch der Körper, der hier ungefragt von den Kindern angegriffen und gierig verzehrt wird. Was die Stiefmutter unbewusst befürchtet hatte, ist nun in der Tat eingetreten. Die Kinder »bedienen« sich unbekümmert der Nahrung, sei es der am eigenen Tisch angebotenen, sei es der im fremden Haus zufällig aufgefundenen. Rücksichtslos zerstören sie fremdes Eigentum, ja sie »verleiben« es sich buchstäblich »ein«. Der kindliche Kannibalismus wird nun in der Gestalt der Hexe wiederholt, wenn sie sich den Hänsel fettfüttert, um ihn als Festbraten zu genießen. Der Akt des Verzehrs eines Kindes wird zum sexuellen Akt der in der Sage und im Aberglauben unfruchtbaren Hexe. Durch das Essen des Jungen wird der Akt vollzogen und eine Schwangerschaft eingeleitet, in dem das Kind – in effektiver Perversion – nicht heranwachsen kann, sondern zergliedert wird. Der Akt der Geburt wird konsequenterweise durch die Ausscheidung der verdauten Überreste des kindlichen Körpers nachvollzogen. Das groteske Machwerk der Hexe wird jedoch durch die entschiedene Handlungsfähigkeit Gretels verhindert, die im rechten Moment die Alte überlistet und sich und den Bruder rettet. Durch ihr mutiges Eingreifen hat sie bewiesen, dass sie keineswegs das passive, ängstliche, kleine Mädchen ist, das von den Eltern bzw. dem Bruder beschützt werden muss; sie hat gezeigt, dass sie verstanden hat, was die »Stiefmutter« vorgelebt und wozu sie sie aufgefordert hat: selbstständig zu denken und im entscheidenden Augenblick aus eigener Initiative zu handeln. Nach der Rückkehr ins Elternhaus haben »alle Sorgen ein Ende, und sie lebten in lauter Freude zusammen.« Es kann nachdenklich stimmen, dass es kein »Happy End« mit einer Hochzeit der klugen und tatkräftigen Gretel gibt und sie, nachdem sie die Mutterstelle eingenommen hat, anscheinend mit Vater und Bruder gemeinsam im elterlichen Haus weiterlebt. In den bisherigen Märchen sind das Schlachten der Kinder und die Zubereitung ihres Fleisches zu einem köstlichen Gericht nur angesprochen, aber nicht tatsächlich vollzogen. In Der Räuber und seine Söhne, einer Kombination von Märchen, Reisebeschreibung und Polyphem-Mythos, werden westeuropäische Reisende von einem Riesen geschlachtet und, in kochendem Wasser gegart, mit Heißhunger verschlungen.28 Im Gegensatz zu dem Primitivismus und Barbarismus des Riesen, beauftragt die Schwiegermutter in dem gleichnamigen Märchen, die gerade »Lust« auf Menschenfleisch hat, den Koch, ihre Enkel in einer feinen weißen und braunen Soße

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Mutter auf die moralische Paradoxie der Naturmutter, die auf der einen Seite als gut und hilfreich, auf der anderen Seite als böse und zerstörerisch in den Märchen auftritt. KHM Anhang 28 (1857), Bd 2, S. 520–528. Vgl. Kodisch: Fremdheitserfahrungen am Tisch des europäischen Märchens, S. 185–191.

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zuzubereiten.29 Obwohl der Koch die Frau mit Tierfleisch betrügt, verspeist sie mit immer größerem Appetit die ihr vorgesetzten Gerichte und verlangt am Ende sogar nach der Königin. Der Riese und die Schwiegermutter sprechen von dem Wohlgefühl eines »vollen Bauches«, was wieder im physischen und im sexuellen Sinn gedeutet werden kann. Die Gier nach dem rohen, im kochenden Wasser gegarten Fleisch bzw. der verfeinerten Zubereitung der Mahlzeit symbolisiert sowohl das männliche als auch das weibliche Wunschdenken, d.h. die Vergewaltigung auf der einen und der Wunsch nach Jugend und Schönheit der alternden Frau auf der anderen Seite. Auch in dem von Runge an die Grimms geschickten Märchen »Von dem Machandelboom« geht es um Kannibalismus, wenn die Stiefmutter den Stiefsohn tötet, zerschneidet, in einer Brühe gar kocht und dem Vater vorsetzt. Mit jedem Bissen verlangt dieser nach mehr von der Speise, bis er alles aufgegessen und die Knochen auf einen Haufen unter den Tisch geworfen hatte. Marleenchen, die kleine Stiefschwester, die den Bruder sehr geliebt hat, sammelt dann die Knochen und begräbt sie unter dem Machandelbaum. Die Gier, mit der der Vater den Sohn verspeist, unterscheidet sich von dem Heißhunger des Riesen und der Schwiegermutter, da er seinen Sohn liebt und unbewusst in tiefer Trauer noch während des Essens nach ihm fragt. Indem er sich seinen Sohn buchstäblich einverleibt, stellt er wieder die Verbindung her mit seiner geliebten Frau, die bei der Geburt des Kindes gestorben war. Die kleine Schwester Marleenchen wird nun zur Mittlerfigur, da sie die Knochen des Bruders unter dem mit der Mutter in Verbindung gebrachten Machandelbaum begräbt, ihn damit wieder unter den Schutz der Mutter stellt und seine Wiedergeburt ermöglicht. Durch Marleenchens Handlungsfähigkeit wird der Bruder wieder lebendig, die Stiefmutter mit dem Tode bestraft und das Happy End des Vaters mit seinen Kindern durch ein vergnügtes Mahl gefeiert. Unter den Festgelagen, die die Hochzeit der Protagonisten oder besondere Anlässe feiern, seien Festessen genannt, denen eine besondere Funktion zukommt: das eine ist das Mahl, zu dem sich der Frosch anmeldet, das zweite das Gelage, bei dem die zu Unrecht verstoßene Königin durch ihren Sohn rehabilitiert wird. Als drittes Beispiel könnte man noch das Märchen Der Räuberbräutigam anführen, bei dem der Bösewicht entlarvt und bestraft wird.30 Obwohl es sich bei diesen Gelagen um ausgesprochene Festessen handelt, erfährt der Leser wenig über die einzelnen Gerichte, ihre Zusammensetzung, oder die Art ihrer Zubereitung. Dass es sich um leckere Gänse-, Rindfleisch- oder gar Schweinebraten handeln muss, ist aus den Wunschträumen der oft armen Protagonisten, z. B. dem Hans im Glück oder den Beschreibungen des Schlaraffenlandes zu entnehmen. Überfluss und Fülle bedeuten, dass die Speisen auf dem Tisch von unsichtbaren Händen serviert werden und man nicht hat dafür arbeiten müssen. Mit anderen Worten, der gedeckte Tisch ist für den Reichen und den Armen ein magisches »Tischlein deck dich«, an das man sich in geselliger Runde setzt und das in Fülle Dargebotene genießt. 29 30

KHM 84 (1812), Bd. 1, S. 383–385. Der Froschkönig, KHM 1 (1857), Bd. 1, S. 29–33; Die Nelke, KHM 76 (1857), Bd. 1, S. 381–386; Der Räuberbräutigam, KHM 40 (1857), Bd. 1, S. 219–223.

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Das Essen, zu dem sich der garstige »Wasserpatscher« gesellt, hat die Funktion, vor Zeugen den am Teich eingegangenen Vertrag zwischen der Prinzessin und dem Frosch durch die Autorität des Vaters als rechtsgültig zu erklären und dafür zu sorgen, dass das gegebene Versprechen zwischen der jungen Frau und dem durch seine Tiergestalt zum »Anderen« gewordenen Partner eingehalten wird. Während sich der Frosch die Leckerbissen auf dem goldenen Tellerlein munden lässt, ist die Prinzessin so von Ekel erfüllt, dass ihr jeder Bissen im Halse stecken bleibt. Ironischerweise ist es gerade das väterliche Gebot, das zu der heiklen Situation im Schlafzimmer der Prinzessin führt, in der sie voller Abscheu das schleimige Wesen, mit dem sie nun auch noch das Bett teilen soll, an die Wand wirft. Wieder stehen Essen und Sexualität durch die somatischen Reaktionen von Appetit, Lust und Ekel in Verbindung. In dem Märchen »Die Nelke« gebiert eine Königin nach langem Warten einen Sohn mit »wünschlichen Gedanken«. Da der Koch das Geheimnis des Kindes bald herausfindet, raubt er es, bespritzt den Schoß der schlafenden Königin mit Hühnerblut und bezichtigt sie der Nachlässigkeit, indem er dem König meldet, ein wildes Tier habe seinen Sohn getötet. Wütend verbannt der König seine Frau in einem tiefen Turm, wo sie ohne Essen und Trinken verschmachten sollte. »Aber Gott schickte zwei Engel vom Himmel in Gestalt von weißen Tauben, die mußten zweimal täglich zu ihr fliegen und ihr das Essen bringen, bis die sieben Jahre herum waren.«31 Die aus Sneewittchen und anderen Märchen bekannten Motive bestimmen nun den weiteren Erzählvorgang: der Koch befiehlt, den herangewachsenen Königssohn zu töten und ihm Herz und Zunge zu bringen; der junge Mann wird durch die Tatkraft eines jungen Mädchens gerettet, die die Innereien einer Hirschkuh serviert; der Koch wird bestraft, indem er in einen Pudel verwandelt wird; der Königssohn verdingt sich beim Vater als Jäger und bringt ihm das verlangte Wildbret, das jener schon seit Jahren nicht mehr gegessen hat.32 Während des großen Gastmahls, zu dem die ganze Hofhaltung geladen war, lässt der Sohn seine Mutter aus dem Kerker holen und entlarvt den betrügerischen Koch. Das Festessen, auf dem die seltenen Leckerbissen des Wildbrets in großen Mengen verzehrt werden, wird zum gerichtlichen Forum, in dem die Königin öffentlich des Mordes freigesprochen wird. Der Koch erhält seine verdiente Strafe, indem er wie ein Stück Fleisch in vier Teile zerrissen wird. Die Königin stirbt jedoch nach drei Tagen und auch der alte König, dem »der Gram an seinem Herzen zehrte«, stirbt ihr bald nach.

31 32

KHM 76 (1857), Bd.1, S. 381–386; zitiert S. 382. »Da hieß er die Jägerei zusammenkommen, sie sollten alle mit ihm hinaus in den Wald gehen. Da gingen sie mit, und draußen hieß er sie einen großen Kreis schließen, der an einem Ende offen blieb, und dann stellte er sich hinein und fing an zu wünschen. Alsbald kamen zweihundert und etliche Stück Wildbret in den Kreis gelaufen, und die Jäger mußten es schießen. Da ward alles auf sechzig Bauerwagen geladen und dem König heimgefahren; da konnte er einmal seine Tafel mit Wildbret zieren, nachdem er lange Jahre keins gehabt hatte«. Ebenda, S. 383–384. Vgl. auch das Märchen Der gestiefelte Kater, in dem der Kater die selten gewordenen Rebhühner dem König überbringt und damit das Glück seines Herrn sichert. KHM Anhang 5 (1857), Bd. 2, S. 453–458.

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In Sneewittchen geht es neben dem Kannibalismus der Stiefmutter um den Apfel, der, wie aus der Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies, für Wissen und Erkenntnis, d.h. für das Bewusstwerden von moralischen und ethischen Verpflichtungen steht. Grundsätzlich geht es in den Märchen immer um die Dichotomie von gut und böse, wobei gut auch Unschuld bedeutet und vertreten ist durch die »guten« aber toten Mütter und ihre sittsamen Töchter. Unschuld ist demnach gleichzusetzen mit dem Kindlichen, das jedoch mit dem Eintritt in die Pubertät überwunden werden muss, um mit den Lebenserfahrungen zu Wissen und Weisheit zu gelangen. Die »Unschuld« einer jungen Frau und Mutter ist gleichbedeutend mit dem Willen, an ihrer Kindheit festzuhalten und nichts wissen zu wollen. In ihrer Angst vor dem Leben, dem Schmerz und der Leidenschaft geben diese Mütter ihr eigenes Ungelebtes an ihre Kinder weiter, überlassen diese sich selbst anstatt sie zu erziehen, da sie ihnen ja nicht die eigenen Erfahrungen mit auf dem Weg ins Leben geben können.33 Im Gegensatz dazu stehen die Stiefmütter, die Emotionen nicht nur kennen, sondern sie auch ausleben, ihre Stieftöchter offensichtlich misshandeln und am Ende der Geschichte buchstäblich »ausgerottet« werden müssen. Sie werden oft mit Verbannung, häufig jedoch mit dem Tode bestraft. Kulturhistorisch bedeutet das, dass Frauen »unschuldig« und »gut«, d.h. in Unwissenheit verharren müssen, damit die in der Gesellschaft wichtigen Tabus nicht gebrochen werden können. Gerade die Märchen geben nun Aufschluss über die subversiven Lagen der geschlechtsspezifischen Übermittlung des Ungesagten. Indem die »böse« Stiefmutter die Rolle der sexuellen Aufklärung übernimmt, wird nicht die unschuldige Tochter, sondern die in weiblichen Fragen erfahrene Frau aus der Gesellschaft verbannt. Mit Intonation, Gestik und Performativität sind die weiblichen Erzählerinnen und ihre Zuhörerinnen jedoch in der Lage, diesen »Aufklärungsunterricht« in Szene zu setzen und Wissen weiterzugeben. Die Verhaltensnormen von weiblicher Kindheit, Adoleszenz und Identitätsfindung in den Märchen müssen im Kontext der zeitgenössischen Mädchenratgeber gesehen werden, die eine wichtige Rolle in der frauen- und mädchenpädagogischen Literatur darstellen.34 Susanne Barth weist darauf hin, dass gerade die von Frauen verfasste Literatur mit kritischem Blick die Unterdrückungsmechanismen herkömmlicher Mädchenerziehung betrachtet.35 Immer wieder wird von der Märchenforschung auf die Grimmschen Eingriffe in die Texte hingewiesen, die jede erotische Anspielung entfernten, um die Märchen kindergerecht zu gestalten. Damit spiegeln die Sammlungen die von der Gesellschaft erwarteten Verhaltensnormen wider, d.h. sie repräsentieren eine idealisierte Welt, in der die geschlechtsspezifischen Typen passiv und abhängig sind.36 So weist Choi darauf hin, dass der Prinz, nachdem Schneewittchen erwacht ist, gar nicht wusste, »was er vor Freuden thun 33 34 35 36

Castello: Und wenn Sie nicht gestorben sind, dann leiden sie noch heute, S. 116. Choi: Märchen als Mädchenliteratur. Barth: Mädchenlektüren, S. 72. Pellatz: Körperbilder in Mädchenratgebern. Feustel weist an Hand von biographischen Zeugnissen der Brüder Grimm nach, dass diese trotz ihrer grundlegenden konservativen Haltungen keineswegs prüde waren, sich jedoch ein Frauen- und Weiblichkeitsideal konstruierten, das auch in den Märchen reflektiert ist. Vgl. Feustel: Rätselprinzessinnen und schlafende Schönheiten, S. 164–182; S. 183–291.

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sollte, als sein liebes Sneewittchen lebendig war, und sie setzten sich zusammen an die Tafel und aßen in Freuden«.37 In den Fassungen von 1819 und 1857 verhält sich der Prinz zwar souveräner (»Du bist bei mir« […] »Ich habe dich lieber als alles auf der Welt; komm mit mir in meines Vaters Schloß, du sollst meine Gemahlin werden«)38, doch fällt es auf, dass der Prinz seine Braut nicht auf sein eigenes, sondern auf das Schloss seines Vaters führt.39 Das intime Essen der beiden, von Choi als »orale Lustbefriedigung« bezeichnet40, wird in der späteren Fassung durch das prächtige Hochzeitsgelage auf dem väterlichen Schloss legitimiert: »und ihre Hochzeit ward mit großer Pracht und Herrlichkeit angeordnet«.41 Im Haushalt der Zwerge hat Schneewittchen sofort die Rolle der untergeordneten Haushälterin übernommen, die für die Männer wäscht, putzt und kocht. Dreimal versucht die als alte Frau verkleidete Stiefmutter, Schneewittchen in die Geheimnisse der weiblichen Verführungskunst einzuweihen und dreimal verweigert sich das Mädchen der Erkenntnis ihrer Macht, indem sie das Bewusstsein ausschaltet und in Ohnmacht bzw. einen todesähnlichen Schlaf versinkt. Das Verharren in ihrer kindhaften Naivität wird ihr zum Verhängnis, da sie trotz der Warnungen der Zwerge auch keiner geistigen Entwicklung fähig ist und dreimal das Verbotene tut. Die »hübschen Schnürriemen« und der Kamm werden zu Dingen, die nicht nur Eitelkeit und Verlangen nach Luxus, sondern auch Adoleszenz und Sinnlichkeit signalisieren. Trotz verhaltener Sprache sind die Gefahren von Begehren, Sexualität, Schwangerschaft und Geburt semantisch verarbeitet: der »giftige, giftige Apfel«, den Schneewittchen »anlusterte«, impliziert nicht allein Appetit, sondern auch das unterschwellige Verlangen nach der verbotenen Frucht vom Baum der Erkenntnis. Im Gegensatz zu Eva, die aus dem Paradies vertrieben wurde, hält Schneewittchen unbewusst an seinem »Nichtwissenwollen« fest, verharrt in seiner Naivität und Unschuld, und ist nun dazu verurteilt, schlafend, d.h. passiv auf den Mann zu warten, der sich in eine Scheintote verliebt und sie mit auf sein Schloss nimmt. Erst nachdem »der giftige Apfelgrütz« durch das Stolpern – den »Fehltritt« des Dieners – aus dem Hals »gefahren« war, d.h. das Beweisstück seiner Transgression entfernt ist, kann das Happy End mit einem Festessen gefeiert werden.42 Es ist wohl Ironie, wenn der Leser noch erfährt, wie die sieben Männer, bei denen das Mädchen lebte, die leblose Gestalt aufschnürten, sie mit Wasser und Wein wuschen, wieder ankleideten und in einem gläsernen Sarg aufbewahrten.43 »[…] so weiß als Schnee, so rot als Blut und so schwarzhaarig wie Ebenholz« – vermutlich auch leicht bekleidet – liegt die schöne Frau verführerisch als wertvolles

37 38 39 40 41 42 43

KHM 53 (1812), Bd. 1, S. 249. KHM 53 (1857), Bd. 1, S. 277. Ebenda. Choi: Märchen als Mädchenliteratur, S. 172. KHM 53 (1857), Bd. 1, S. 277 Birkhäuser-Oeri: Die Mutter im Märchen, S. 75–76. Der Zusatz des Waschens mit Wasser und Wein findet sich erst in den späteren Ausgaben. In der Erstausgabe von 1812 heisst es lediglich: »Sie schnürten es auf, [gestr. und] sahen [ eingefügt: auch], ob sie nichts giftiges in seinen Haaren fänden […]«. Vgl. KHM 53 (1812), Bd. 1, S. 247.

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Schaustück den Blicken ihrer männlichen Beschützer ausgesetzt, auf dem Berg.44 Die »Liebe« des Königssohns zu der Scheintoten ist demnach nichts anderes als die Besitzgier eines reichen Mannes, ein seltenes Prunkstück zu erwerben, um es der Sammlung seiner Wertgegenstände »einzuverleiben.« Durch ihre Weigerung, Selbstbewusstsein und damit Selbstwahrnehmung zu erwerben und sich einen Handlungsspielraum zu schaffen, hat die Frau ihren Körper objektiviert, d.h. verdinglicht und ihre Handlungsfähigkeit – wie sie z.B. Aschenputtel oder Allerleihrauh ausübten – preisgegeben. Im Gegensatz zu Schneewittchen ist die »kleine süße Dirne« Rotkäppchen voller Neugier und versucht, hinter das Geheimnis des Verführers zu kommen, der sich in der für den Leser unmissverständlichen Wolfsgestalt nähert. Mit Wein und Kuchen – Leckerbissen für die kranke und schwache Alte – auf dem Weg zur Großmutter, wird es angehalten und antwortet prompt auf die Fragen des Wolfs. »›Was trägst du unter der Schürze?‹ ›Kuchen und Wein: gestern haben wir gebacken, da soll sich die kranke und schwache Großmutter etwas zugute tun und sich damit stärken.‹«45 Obwohl die Mutter sie gewarnt hatte, »hübsch sittsam« zu bleiben und nicht vom Wege abzukommen, um das »Glas« unter der Schürze nicht zu zerbrechen, lässt sich »das zarte junge Ding« – vom Wolf imaginiert als »ein fetter Bissen, der wird noch besser schmecken als die Alte«46 – verführen und bringt damit sich selbst und die Großmutter in Gefahr. Während sie auf dem Weg noch auf die Fragen des Wolfes antwortete, ist es im Hause der Großmutter das Rotkäppchen, das die Fragen stellt. Das Verschlingen der Großmutter und des Mädchens ist – wie bereits erwähnt – nicht allein Kannibalismus, sondern auch ein Akt der Vergewaltigung. In der Grimmschen Fassung wird Rotkäppchen durch den Jäger, den deus ex machina, gerettet; sie ist wohl weiser geworden, denn sie schwört, von nun an dem Rat der Mutter zu folgen. In einer zweiten Variante überlisten Großmutter und Enkelin den Wolf, indem sie einen Trog mit Wasser füllen, in dem am Tage vorher Würste gekocht worden waren. Den Wolf verlangt es nach den Würsten, er »machte den Hals so lang, daß er sich nicht mehr halten konnte«, rutschte vom Dach in den Trog und ertrank. Perrault47 lässt Rotkäppchen sterben und bei Delarue ist sie es, die das Fleisch der Großmutter isst und ihr Blut trinkt, bevor sie sich zum Wolf ins Bett legt, ihn jedoch überlistet und entkommt.48 44 45 46

47 48

KHM 53 (1857), Bd. 1, S. 277. KHM 26 (1857), Bd. 1, S. 156–160; hier S. 157. In der Fassung von 1812 heißt es noch: »[gestr. Der; über der Zeile eingefügt: Dem] Wolf [über der Zeile eingewiesen: wässerte das Maul und er] gedacht bei sich, das ist ein guter fetter Bissen für mich.« Vgl. KHM 26 (1812), Bd. 1, S. 114. Perrault: Histoires ou Contes du Temps passé. Delarue und Ténèze: Le Conte populaire français. Nach Delarue war diese Version die Vorlage für Charles Perraults Le Petit Chaperon rouge. Dt. Übersetzung: Die Geschichte von der Grossmutter. – In: Zipes. Rotkäppchens Lust und Leid, S. 20. Vgl. Angela Carters Erzählung »The Company of Wolves«, in der Rotkäppchen die aggressive Rolle spielt und den Wolf zähmt – Carter: The Bloody Chamber, S. 110–118. Vgl. auch Zipes: The Trials and Tribulations of Little Red Riding Hood; Dundes: Little Red Riding Hood; Orenstein: Little Red Riding Hood Uncloaked.

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Von den weiblichen Märchengestalten, die sogar nach einer essbaren Pflanze ihren Namen erhielt, steht Rapunzel wohl an erster Stelle. Rapunzelsalat ist heute ein kultivierter Feldsalat (bot. Valerianella locusta) aus der Familie der Baldriangewächse, der ursprünglich im Mittelmeerraum wild wuchs und ab dem 17. Jahrhundert in Gärten angebaut wurde.49 Neben der bekannten Salatpflanze gibt es noch eine Rapunzel-Glockenblume (bot. Campanula rapunculus), die bereits im 16. Jahrhundert nachgewiesen ist, sowie die »Teufelskralle« (bot. Phyteuma), ebenfalls aus der Familie der Glockenblumen. Obwohl das Wildkraut nicht als Heilpflanze bekannt ist, fand sie vermutlich als Aphrodisiacum Verwendung. In anderen Versionen des Märchens heißt das Mädchen »Petersilchen«, ist ebenfalls nach einem Kraut benannt, das man im Altertum mit Tod, Unglück, aber auch der Liebe in Verbindung brachte. Basile spricht von der aus dem »Hexenkraut« hergestellten »Petersilientunke der Liebe«, also einem aphrodisisch wirkenden Extrakt der Pflanze.50 Der Wirkstoff Apiol ist bekannt als »uterruserregend«, was sowohl einen Schwangerschaftsabbruch als auch eine stärkende Wirkung bei Schwangerschaften bewirken kann.51 Das Verlangen nach dem Mittel steht damit für die Selbstbestimmung der Frau, die durch den Genuss der Pflanze Macht über ihren Körper gewinnt.52 Im Märchen Rapunzel geht es um ein Ehepaar, das nach jahrelangem vergeblichem Bemühen endlich ein Kind erwartet. Die Unfruchtbarkeit der Frau deutet auf einen physisch bedingten Mangel hin, was durch die Gier der Frau nach dem »uteruserregenden«, d.h. die Durchblutung fördernden Rapunzel deutlich zum Ausdruck kommt. Da erblickte sie ein Beet, das mit den schönsten Rapunzeln bepflanzt war, und sie sahen so frisch und grün aus, daß sie lüstern ward und das größte Verlangen empfand, von den Rapunzeln zu essen. Das Verlangen nahm jeden Tag zu, und da sie wußte, daß sie keine davon bekommen konnte, so fiel sie ganz ab, sah blaß und elend aus. Da erschrak der Mann und fragte: »Was fehlt dir, liebe Frau?« »Ach«, antwortete sie, »wenn ich keine Rapunzeln aus dem Garten hinter unserm Hause zu essen kriege so sterbe ich.«53

Was der schwangeren Frau fehlt, hat die »Frau Gothel« im Überfluss.54 Auf die dringenden Bitten der Frau steigt der Mann mehrere Abende in der Dämmerung über den Zaun, bricht in den »prächtigen« Garten der Nachbarin ein und stiehlt büschelweise die kostbare Pflanze. Das gewaltsame Eindringen des Mannes und der Raub der Pflanze aus dem von einer »hohen Mauer« umgebenen Garten kann symbolisch mit Transgression, also wieder als Vergewaltigung interpretiert werden. Im Gegensatz zu den hungernden Kindern Hänsel und Gretel ist es nun der seiner Frau hörige Mann, der den »Körper« der anderen Frau missachtet, um den Mangelerscheinungen seiner nun von Lust und Begierde krank gewordenen Frau abzuhelfen. 49 50 51 52 53 54

http://www.gabriele-uhlmann.de/rapunzel3.htm (Zugriff: 20. Juli 2014). Basile: Das Märchen der Märchen. Das Märchen ist die erste Erzählung des zweiten Tages. Warner: The Difference in the Dose: a Story after »Rapunzel«. Ebenda. KHM 12 (1857), Bd. 1, S. 87. Ebenda, S. 89. In der Fassung von KHM 1812 ist es noch die Fee, während sie in den späteren Fassungen zur Zauberin wird.

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Der Anspruch der Gothel auf das Kind ist damit gerechtfertigt, da es ihre Nahrung war, die die Schwangerschaft der Frau ermöglichte und ein gesundes Kind gedeihen ließ. Mit anderen Worten, der Rapunzelraub war ein wenn auch gewaltsam herbeigeführtes Tauschgeschäft: beide Frauen gaben und erhielten das, wozu sie alleine nicht fähig waren. Die Gefangenschaft des heranwachsenden Mädchens im Turm in der Einsamkeit des Waldes kann wiederum durch das Wissen der reifen – und in späteren Fassungen als »Zauberin« verteufelten – Gothel verstanden werden, die die Tochter vor den Gefahren ihrer Weiblichkeit zu bewahren sucht. Mutter und Pflegemutter gelingt es nicht, die in ihrer Handlungsfähigkeit selbständig entscheidenden jungen Frau, die sich mit ihren Zwillingen jahrelang allein in der Wildnis durchschlägt und am Ende mit dem geliebten Mann vereint wird, zu hindern. Beide »Müttertypen« gehen ineinander über in die Gestalt der jungen Frau, die in vollem Bewusstsein ihrer Weiblichkeit die Rollen von Frau und Mutter übernehmen kann. Obwohl in den Märchen viel von Festessen die Rede ist, sucht man vergeblich nach den Ingredienzen der zubereiteten Gerichte. Diese finden sich jedoch in der Rezeptsammlung von Dorothea Wild, der späteren Frau Wilhelm Grimms. Wer zu einem Märchenessen mit Fleischklößen, Leberkuchen, krachenden Alapoterie Pasteten, Fleischpudding in Sardellensoße, geprügeltem Kalbfleisch, Mandelbrei, Prophetenkuchen oder Zimtwaffeln einladen möchte, findet Anleitungen zu den Gerichten in ihren Kochbüchern, die heute im Hessischen Staatsarchiv in Marburg aufbewahrt sind.55

55

Vgl. Sollner: Grimms Kochbuch, S. 7. Sollner zitiert als Quellen: Bestand 340 Grimm (Verweis Dortchen g.): Kochbuch auf Vorsatzblatt von Hand Jacob Grimms: Allerhandbuch für Dortchen Wild d. 31. März 1823; Kochbuch für die junge Frau Dorothea Grimm, Jena 1847, 1 Heft, 14 Zettel; Kochbuch für Auguste Grimm mit dem Vermerk »Zur Erinnerung an ihre ältliche Freundin, Jena 21. August 1847«.

Christof Wingertszahn

»Die Kartoffeln in der Schale«: Arnims Reise in die Provinz

Nur aus der Ferne lässt sich der Alltag der Romantik beschreiben, weil erst die Distanz die tägliche Gleichförmigkeit bewusst macht. Diese Erkenntnis gehört zur poetologischen Grundausstattung der Romantik, die ›Wunder‹ und ›Alltag‹ mischt und sie später aufeinanderprallen lässt. Der Alltag produziert das Ungenügen und die Versuche, das Gewöhnliche zu romantisieren. Ist alles romantisch eingemeindet in eine Vision der Ganzheit, dann meldet sich umgekehrt das Unbehagen an der fehlenden Praxis zu Wort. Achim von Arnim hat an den frühromantischen Versuchen, die blaue Blume in der Wirklichkeit zu suchen, den allergeringsten Anteil. Schon sein Erstling Hollins Liebeleben problematisiert das Verhältnis von Poesie und Leben, das zweite Werk Ariels Offenbarungen schiebt die frühromantische Systembildung erst nach, worauf sich in den folgenden Werken die Problematisierungen wieder fortsetzen. Insofern hat der Alltag immer eine besondere Rolle in Arnims Besinnung auf das Leben gespielt. Sie wird grundiert durch eine protestantische Handlungsethik; Arnims Ersatzvater, sein Onkel Hans von Schlitz, empfahl ihm zusätzlich schon früh, das tägliche Leben im Handeln nicht aus dem Blick zu verlieren, und lehrte ihn, wie unendlich wohlthätig der Sterbliche dem Ganzen werden kann, der mit Kenntnissen ausgerüstet, diese auf das alltägliche anzuwenden nicht verschmähet, in diesem Vervollkommner, nicht allein Ideen Erfinder ist, und über den Strahlenglanz litterarischer Glorie den Eichenkranz des nutzlichen Burgers unter der grösseren Zahl von Mitburgern, nicht von sich wirft.1

Der Überdruss an genialischen Überhöhungen der Wirklichkeit lässt Arnim dementsprechend z. B. – in seiner ›hochromantischen‹ Heidelberger Zeit! – gegen die junge Bettina Brentano in eine Strafpredigt ausbrechen: O ihr armen Eingesperrten, die ihr aus der Natur nichts als eine Verachtung gegen das heilige Alltägliche mitbringt, was euch umgibt, und die ganze Qual ewiger Betrachtung über euch, die Gott in seinem Schöpfungswerke selbst in Verlegenheit setzt, weil ihr ihm unwillkürlich zuruft: wird es denn nichts weiter, wie hab ich das schon besser gedacht.2

In den Romanen und Erzählungen ist deswegen das Poetische immer mit der Wirklichkeit konfrontiert, wobei der Autor mit Vorliebe komisch-derbe Genreszenen 1

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Hans von Schlitz an Arnim, 31. Januar 1801 – Arnim: Werke und Briefwechsel (Weimarer Arnim-Ausgabe), Bd. 30, S. 147. Arnim an Bettina Brentano, 6. Februar 1808 – Arnim und Bettine: Briefe der Freundschaft, Bd. 1, S. 136.

Christof Wingertszahn

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einfügt: so die zahlreichen satirischen Einlagen und komischen Idyllen im Roman der Gräfin Dolores. Das Gegengift gegen die Poesie wird immer neu gemischt. Der Wirklichkeits-Überschuss der Poesie ist dabei aber nie ganz aufgegeben. Die Ahnung, dass der wirkliche Alltag denn doch die große Weltvision verstellen kann, ist ergreifend in den Kronenwächtern zu lesen, in der Todesszene des bürgerlich abgesunkenen Helden Berthold, der grundsätzlich zu spät gekommen ist. Die Prosa wird dabei zu Versen: Berthold beschaute die Sterne, welche vom nahen Gewitter nicht verdunkelt, in der Schwüle funkelten. – Was leset ihr in den Sternen? fragte der Mönch. – Berthold antwortete nach einem Schweigen: O wie so oft hab’ ich ein Zeichen erhofft, zogen Sterne den schimmernden Bogen durch die himmlische Leere, durch die himmlische Tiefe, daß ich der irdischen Schwere endlich auf immer entschliefe. Aber der Morgen löschte die Sterne aus, weckte die Sorgen, weckte des Herzens Haus und des Alltäglichen Macht zwang die Ahndung der Nacht.3

Die Macht des Alltäglichen scheint dann auch das Leben des reifen Autors bestimmt zu haben. Die vielen Veröffentlichungen am Ende seines Lebens handeln vor allem von Faktischem, untersuchen Kunstausstellungen, analysieren Gewerbe, beschäftigen sich mit Geschichte.4 Das praktische Leben ist die Herausforderung, die es zu bestehen gilt: »Denkt voraus ins tätge Leben«, ist die Devise.5 Dass sie entsagungsvolle Arbeit war, lässt das Gedicht über »die Mühle der Geschäfte«, etwa aus der Zeit nach 1815, erkennen. Darin seufzt das lyrische Ich: Öffne nicht die goldnen Tore, Staub und Nebel sind mein Schild, Schalle nicht zu meinem Ohre Stimmenfrühling selig mild. Ließe ich mich einmal stören In der Mühle der Geschäfte Möchtet ihr mich neu betören Heimatlose wilde Kräfte.6

Eine soziologisch-strukturelle Reflexion über die Prägung des Individuums durch die Rhythmen des Alltags wird man in Arnims Werk kaum finden. Thematisch aber hat das alltägliche Leben vielfach Einzug in das Œuvre gehalten. Besonders gut lässt sich der Werktag in Arnims wenig bekanntem Reisebericht von Wiepersdorf nach Halle studieren.7 Er enthält die Wendung in den Alltag, das Verabschieden der großen romantischen Lösung und gleichzeitig die humoristische Sicherung des Poetischen in der Wirklichkeit. 1829 veröffentlichte Arnim in der von Friedrich Baron de la Motte Fouqué herausgegebenen Wochenschrift Berlinische Blätter für deutsche Frauen zwei 3 4 5 6 7

Arnim: Die Kronenwächter – Werke in sechs Bänden, Bd. 2, S. 307. Vgl. dazu die Edition der ›Kleinen Schriften‹ in Arnim – Werke in sechs Bänden, Bd. 6. Arnim: [Die Mühle der Geschäfte] – ebenda, Bd. 5, S. 874–876, hier S. 876. Ebenda, S. 874. Vgl. dazu Wingertszahn: »Schöne Seelen, lernet kochen!«. Der vorliegende Aufsatz baut auf diesen Ausführungen auf.

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»Erinnerungen eines Reisenden«, eine Schilderung des Oktoberfest[s] in München 18298 und eine Beschreibung von Stationen einer Reise bis Halle.9 In dieser letzten Reisebeschreibung sind Eindrücke einer Badereise im Herbst 1828 nach Belgien verarbeitet. Von Wiepersdorf brach Arnim am 27. Juli 1828 Richtung Südwesten auf; am gleichen Tag machte er Halt in dem Elbestädtchen Pretzsch, besuchte dann am 28. Düben an der Mulde und Delitzsch und blieb schließlich vom 29. Juli bis 1. August in Halle.10 Die Gattung Reisebericht hat eine besondere Affinität zum Realen und Alltäglichen. Die Nähe zur Empirie ist hier besonders groß; und auch in der Sprache – die Texte erschienen in einem Journal – ist gattungsmäßig eine besondere Verständlichkeit im Erzählen der Wirklichkeit festgelegt. Wie der Autor seine Erfahrungen für die Leser übersetzt, lässt sich an der Reise bis Halle besonders gut belegen, denn für diesen Reisebericht durch Preußen und Sachsen haben sich einige zugrundeliegende Notate in flüchtig geführten Reisenotizbüchern enthalten.11 Anhand ihrer lässt sich nachvollziehen, wie der Autor alltägliche Erfahrungen und Gespräche in seinen literarischen Text eingearbeitet hat.12 Diese Quelle gibt gleichzeitig Aufschluss über das Verfahren, mit dem der Autor den Alltag literarisch übersetzt und für ein größeres Publikum präsentabel macht. Arnim arbeitet konstruktiv dem allzu Alltäglichen entgegen und versieht im Humor und in der Satire das Sicheinlassen auf den Alltag zugleich mit einer poetischen Distanz zu ihm. Dabei mischt er bewusst verschiedene Stillagen, hohe und niedere; und gleichzeitig setzt er sich von der gängigen Trivialliteratur ab, die einen sprachlich und inhaltlich konventionellen Abklatsch der Wirklichkeit gibt. Arnims Reisetaschenbücher sind in sehr flüchtiger Schrift verfasst und beide gleichlautend mit »Badereise 1828« überschrieben. Das in marmoriertem Umschlag broschierte Taschenbuch Nr. 1 umfasst 20, das in rotbraunen Umschlag gebundene Nr. 2 nur 10 Blatt. Beide Handschriften setzen mit dem Stichwort »Abreise von 8

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Ludwig Achim von Arnim: Erinnerungen eines Reisenden. Oktoberfest in München 1829. In: Berlinische Blätter für deutsche Frauen. Hrsg. v. Friedrich Baron de la Motte Fouqué. Reprint der Ausgabe Berlin 1829: Nendeln 1972. Bd. 9, 1. Heft, S. 1–20. Neuedition: Arnim: Schriften in sechs Bänden, Bd. 6, S. 906–916. Die Schilderung des Münchner Oktoberfests geht zurück auf einen Aufenthalt in München vom 3. bis zum 19. Oktober 1829. Vgl. dazu den Kommentar ebenda, S. 1410. Ludwig Achim von Arnim: Erinnerungen eines Reisenden. Reise bis Halle. In: Berlinische Blätter für deutsche Frauen, Bd. 9, S. 107–138. Neuedition: Arnim: Schriften in sechs Bänden, Bd. 6, S. 917–934. Vgl. dazu den Kommentar ebenda, S. 1413. Die beiden Handschriften wurden 1929 im Henrici-Auktionskatalog Nr. 149 unter Nr. 17 und 18 angeboten. Sie werden heute unter der Signatur Hs 914a/b im Stadtarchiv Aachen aufbewahrt. Für die Erlaubnis zur Zitation aus den Notizbüchern danke ich dem Archivleiter Herrn Dr. René Rohrkamp. Zur Überprüfung meiner Entzifferung habe ich dankbar die in der ArnimArbeitsstelle Weimar vorliegende Transkription von Jürgen Knaack und Ulfert Ricklefs herangezogen. Eine weitere handschriftliche Zwischenstufe zum publizierten Text liegt mit fünf, in der Biblioteka Jagiellońska Krakau aufbewahrten Entwurfsfragmenten vor (vgl. Arnim: Werke in sechs Bänden, Bd. 6, S. 1414). Aus Platzgründen verzichte ich hier auf deren Berücksichtigung.

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Wiepersdorf« ein. Das erste, umfangreichere Heft beschreibt die Stationen bis Halle und danach über Kassel und Aachen nach Belgien mit den Orten Lüttich, Namur, Waterloo, Brüssel und Antwerpen, schließlich die Rückreise über Luxemburg, Trier, Koblenz bis nach Wiesbaden. Das zweite Heft schildert lediglich die Stationen bis Aachen. Die Einträge zu den Orten in Mitteldeutschland fallen fast gleichlautend aus; Arnim scheint seine ersten Notizen in das zweite Heft kopiert und dabei leicht verändert zu haben, ohne dass diese Reihenfolge zweifelsfrei festzustellen wäre.13 Was hat der reisende Arnim bzw. sein Alter Ego, der Icherzähler, nun an zeitgenössischem Realem wahrgenommen? Von einer romantischen Reise lässt sich hier nicht im entferntesten sprechen; die Themen und Motive, die sie charakterisieren, fehlen völlig: der Ausbruch aus dem geordneten Umfeld, die Betonung der Subjektivität, die Begegnung mit dem Anderen, die Opposition zum Alltag. Dem romantischen Blick scheint in Arnims Reiseerinnerungen der Boden entzogen. Der Reisende trifft auf eine wohlgeordnete Welt. In der Auswahl dessen, was er berichtet, ist unübersehbar der Umfang des Alltäglichen. Dem biedermeierlichen Interesse am ›Realen‹ entsprechen anthropologische Beobachtungen, Charakteristiken des ländlichen Lebens, Passagen, in denen der Autor das alltägliche Gerede der Leute wiedergibt. So schildert der Reisende etwa die Tracht der Bauersfrauen aus den Elbniederungen und räsoniert, davon ausgehend, über die Mentalität der Landleute.14 Er referiert Gegenwartsunterhaltungen (Thema: Separationen), schildert einheimische Sitten15 und macht nach einer rühmenden Beschreibung des Waisenhauses in Pretzsch16 Vorschläge für die Ausbildung in der Annaburger Knabenschule.17 Eine, offenbar auf ein Gespräch auf der Elbfähre nach Pretzsch zurückgehende Erfahrung erwähnt Arnim gleich anfangs in dem Bericht. Im Taschenbuch heißt es: Fähre. Der Amtmann, der immer am Sonntag Mist breiten läst. Ich habe 14 Jahre bey ihm gedient und immer hat er am ersten Weihnachtstage dreschen lassen.18 Fähre. Der Amtmann, der am Sonntag Mist breiten läst: Was zu viel das ist zu viel. Der andre: Ich habe 14 Jahre bey ihm gedient und jedes Jahr hat er wenn wir die Woche feierten am ersten Weihnachtstag dreschen lassen.19

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Für die zeitliche Priorität des umfangreicheren Taschenbuchs 914a (Henrici-Katalog 149, Nr. 17, S. 3) sprechen sein größerer Umfang und auch der Entwurfscharakter und die Länge eines Gedichts über den Besuch in Giebichenstein (Bl. 2 verso und Bl. 3 recto); es ist gestrafft im Taschenbuch 914b (Henrici-Katalog 149, Nr. 18, S. 3) enthalten (Bl. 23 recto; vgl. den Druck in: Arnim: Werke in sechs Bänden, Bd. 5, S. 974–975). Für die zeitliche Priorität des schmaleren Notizbuchs spricht u. a., dass es mit einer besonderen Reminiszenz über die Abreise aus Wiepersdorf beginnt, die Arnim auch in seinem Brief an Bettina vom 29. Juli 1828 erwähnt. Im folgenden werden die Notate aus allen beiden Handschriften angegeben. Arnim: Reise bis Halle – Werke in sechs Bänden, Bd. 6, S. 917. Ebenda, S. 918. Ebenda, S. 919–920. Ebenda, S. 920. Hs. 914a, Bl. 1 recto. Hs. 914b, Bl. 21 recto.

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Im Reisebericht wird das Gehörte ausgesponnen und gleich zu einer psychologischen Charakteristik des »vorsichtigen Landmanns«20 erweitert: Der eine Mann erzählte viel Lustiges von einem rastlos tätigen Pachter der Gegend, der, als er bei ihm gedient, immer einige Fuhren Dünger zur Morgenbesorgung an Sonn- und Fest-Tagen aufgehoben hätte. »Aber den Segen, den er daran hatte«, fuhr er fort, »mag ich nicht teilen, ich glaub', daß ich jetzt all sein Hab und Gut auf einem Mistwagen fortfahre.« – Uns Landleuten aus der ruhigen Mitte des Landes mag das Verfahren des Pächters töricht erscheinen; bei näherer Betrachtung fällt uns der außerordentliche Arbeitsdrang ein, welcher in diesen schlecht oder gar nicht eingedeichten Niederungen durch Winter- und Sommer-Wasser fast jährlich entsteht. Solche Ereignisse bilden die Menschen zu einer eignen energischen Angst aus, was ihnen bleibt, sich schnell zu sichern, den gehofften Vorteil rasch zu verfolgen.21

Das Alltagsgespräch über Haushaltung wird ernst genommen; dabei hatte Arnim sicher auch die selbst kurz zuvor gemachte Erfahrung der Überschwemmung seines Gartens im Sinn.22 Die Notizbücher überliefern ein weiteres Gespräch, das in den Reisebericht eingewandert ist: Pretsch. Die Gemälde sind fort, also auch die meiner Lehnsvettern, denen es einige Zeit gehört hat. Die 240 Mädchen für die das Schloß eingerichtet wird sind mir lieber als eine Schwadron Husaren. Ein Waisenhaus für Prinzessinnen. Gartensaal mit Treibhaus. Es sind geheime Keller entdeckt worden aber nichts darin. Keine Obstbäume sollen verkauft werden im Herbste, sie gehören dem Gärtner. Ueberall vermeidet unsre Regierung den eignen Vortheil der Leute walten zu lassen und erreicht darum mit aller Sorge in solchen Dingen weniger als die Sachsen mit ihrer Gleichgültigkeit.23 Pretsch. Die 240 Mädchen sind mir lieber wie eine Schwadron Husaren. – Ableger des Potsdamer Weisenhauses wird Pretsch Mädchenweisenhaus. – Glückliche Kinder, ein Weisenhaus für Prinzessinnen. – Und was wird aus ihnen, wenn sie erwachsen? Lazareth, Treibhaus, Prediger und Lehrerwohnung. Entdeckte Keller. Bäume aus der Schule dort sind im Herbst vielleicht sehr wohlfeil zu haben.24

Publiziert heißt es: Als ich mich über die Menge Baumaterialien in der Nähe des Schlosses verwunderte, sagte mir ein freundlicher Mann: »Ei, mein Bester, wissen sie denn noch gar nicht, was hier vorgeht; darüber ist ja die ganze Welt in Verwunderung. Erst hieß es, es würde eine Schwadron Husaren hergelegt werden. Wir sagten alle, das ist recht gut. Aber nunmehr ist es ganz gewiß: es werden die militärischen Waisenmädchen aus Potsdam hier kaserniert, über 300 Stück, und das ist mir viel lieber, als eine Schwadron Husaren; da gehts ruhig zu, die Kinder müssen auch essen, und was sie nicht verzehren, das brauchen Lehrer, Ökonomen und was so daran hängt.« In ökono-

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23 24

Arnim: Reise nach Halle – Werke in sechs Bänden, Bd. 6, S. 918. Ebenda, S. 919. Arnim an Bettina, 5. Juli 1828: Arnim und Bettina Brentano: Achim und Bettina in ihren Briefen, Bd. 2, S. 738. Hs. 914a, Bl. 1 recto. Hs. 914b, Bl. 21 recto.

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mischer Hinsicht würde ich doch einer Schwadron Husaren den Vorzug geben, ich brauche nicht zu sagen warum.25

Waisenmädchen statt Husaren – Die Umwandlung einer Kaserne zu einem Waisenhaus war Arnim bedeutsam genug, um sie auch in seinem Brief an Bettina vom 29. Juli 1828 zu erwähnen: Auf dem Wege war mir das merkwürdigste die Einrichtung des Pretscher Schlosses als Mädchenwaisenhaus, um die Mädchen aus dem Potsdamer Waisenhause dahin zu schaffen. Alles war mit dem Bau beschäftigt. Nie hat ein so schönes Waisenhaus bestanden. Die prachtvolle Lage am Elbufer, der reizende Garten macht es zu einem Waisenhause für Prinzessinnen. Wenn nun die armen Kinder erwachsen sind, müssen sie in irgend ein dunkles Loch kriechen, um ihr Brot zu verdienen.26

Ein letztes Beispiel: In Halle versucht der Reisende mühevoll, einen Barbier zu finden, und wird dann in ein Gespräch mit dem Dienstleister verwickelt: Ich kann den Bart nicht los werden ein müder Barbier wird aus dem Schlaf gerissen spricht von der goldnen Zeit. Aber es sind doch jezt doppelt so viel Studenten hier. Barbier Hilft nichts Die sind so arm, daß kaum 1/4 einen Bart hat.27 Der Barbier: Ach Gott die Studenten sind jezt so arm, daß kaum 1/4 einen Bart hat.28

Das Alltagsgerede – »Geschwätz« – des Barbiers spinnt Arnim im veröffentlichten Text weidlich aus. Endlich nach zwei Stunden, traf ich einen Bartscherer, ermüdet auf seinem Sopha eingeschlafen [...]. Aus Versehen seifte er mir die Augenbraunen ein, ich bat ihn aber, diesen Knebelbart über meinen Augen stehen zu lassen. – »Bitt um Entschuldigung,« fuhr er dann fort und wischte sich die Augen, »war so verwundert den Herrn unter meinem Pinsel wiederzusehn, daß ich mich vermalte; o damals waren noch gute Zeiten, ach wenn ich gedenke,« – »die vergangene Zeit heißt nur immer die goldene,« erwiderte ich. »Sie haben jetzt doppelt so viel Studenten hier, also doppelt so viele Bärte abzunehmen.« – »Falsch gerechnet,« antwortete er; »diese Studenten sind jetzt so entsetzlich arm, daß nicht der zehnte einen Bart besitzt. – Das heißt, er kann keinen Barbier bezahlen. – Nein Herr, sie haben keinen Bart, weil sie sich in den Jahren, wo sie wachsen sollten, beim Griechischen versessen haben. Ich seh es an meinem Sohn, der könnte alle Tage Rektor werden, aber er will nicht; er studiert Tag und Nacht, damit er recht bald all' die griechischen und lateinischen Bücher zum Trödler tragen und Bärte putzen kann. Er hat sich einen grimmigen Haß gegen die alten Bücher einstudiert. [...] Ich habe hier alle die alten Lateiner rasiert, es waren immer die verdrehtesten Menschen, jetzt aber sind sie ganz toll geworden, seit sie sich anziehen wie alle andere Menschen. Wenn nur der Laukhardt noch lebte, der sollte es den Leuten sagen. Mit sechzig doppelten Schnäpsen machte er jeden zum Lateiner!« u. s. w., u. s. w., u. s. w.29

25 26 27 28 29

Ebenda, S. 919. Arnim und Bettina Bentano: Achim und Bettina in ihren Briefen, Bd. 2, S. 743. Hs. 914a, Bl. 3 verso. Hs. 914b, Bl. 24 recto. Arnim: Reise bis Halle – Werke in sechs Bänden, Bd. 6, S. 929–930.

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Die angeführten Stellen spiegeln Arnims ausgesprochen praktische Interessen am täglichen Leben. In der Artikelserie Inländische Notizen hat der Gutsbesitzer sich dazu aus der Rolle eines »Landmannes« geäußert; sie erschien von 1824-1826 in der Vossischen Zeitung.30 Die Beiträge behandeln Themen wie Landwirtschaft, Gewerbe, die auch den Reisebericht grundieren: Berliner Industrie,31 PferdeRacen,32 Werkstatt für Ackergeräte,33 Gärtnerschulen,34 den Zustand »inländischer Kochkunst«: Verein der Schmecker,35 Aufmerksamkeit auf den Zustand der Chausseen als »Kommunikationswegen« in Wagenspur36 und Wegebesserung.37 Neben den Sachthemen gilt Arnims Überlegung auch den publizistischen Mitteln, um der Landbevölkerung bestimmte Nachrichten nahezubringen. Den Haushaltungskalendern gehört dabei besonders sein Wohlwollen.38 Diese Taschenbuchform ist auch ausdrücklich in der Reise bis Halle erwähnt. Sie sollen u. a. aufmerksam machen auf »öffentliche Denkmale« und »große gemeinnützige Bauwerke«.39 Arnims Blick ist landwirtschaftlich orientiert. Der Reisende vermerkt zwar den Unterschied zwischen Landbewohnern und Städtern, das Phänomen der Großstadt tritt aber in der Reise bis Halle nicht in den Blick und nur ansatzweise bei dem zweiten Teil der Beschreibung des Oktoberfests in München: bezeichnenderweise interessiert hier den Schreiber auch die Landwirtschaftsausstellung des Oktoberfests mehr als ein städtisches Flair. Die allzu speziellen Beobachtungen in den Reisetaschenbüchern sind vom Autor allerdings für die Journalveröffentlichung der Reise bis Halle ausgelassen worden und nur in Abbreviatur vorhanden40, etwa zur Begutachtung von Kutschpferden: Woraus ist die Bildung der sächsischen Fuhrleute hervorgegangen? Das Pferd was recht langsam anzieht ist das beste, die heftig zum erstenmal anziehen treten bald zurück, werfen sich auf die Deichsel. Eines hab ich mit sechs Pferden nicht davongeschlept.41 Die Kutschen. Das Pferd, was recht langsam antritt hält am besten aus, die heftig antreten wollen bald gar nicht fort und stemmen sich sogar entgegen den Ziehenden, was gar nicht zu überwinden. Er hat achte vorgespannt um uns fort zu bringen, da hat er sich auf die Deichsel geworfen, so war es doch vergebens.42

Die agrarische Perspektive ist schon im Journalplan Fouqués angelegt, an dem sich Arnim offenbar orientiert hat. In der Einleitung zu dem »Probeheft« der Berli30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

41 42

Vgl. dazu ebenda, S. 1362–1364. Ebenda, S. 812–814. Ebenda, S. 729f. Ebenda, S. 797f. Ebenda, S. 809f. Ebenda, S. 811f. Ebenda, S. 774–776; Zitat S. 775. Ebenda, S. 782f. Arnim: Haushaltungskalender – ebenda, S. 766–767. Ebenda, S. 767. Arnim: Reise bis Halle – ebenda, Bd. 6, S. 918: »Jetzt geschieht auf den holprigen Wegen manches Unglück, mehr noch durch die Ungeübtheit der Pferde.« Hs. 914a, Bl. 2 recto. Hs. 914b, Bl. 22 recto.

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nischen Blätter für deutsche Frauen sieht der Herausgeber eine Lücke im Zeitschriftenmarkt, die er durch sein Wochenblatt ausfüllen wolle, und zwar durch »lauter in sich gerundete und beschlossene Aufsätze«. Dies sei erforderlich »namentlich für die Landbewohner, denen es störend auffallen muß, oftmals durch verheißene Fortsetzungen und Schlußstücke an sich anziehender Aufsätze für eine ziemlich ungewisse Zukunft hinausgewiesen zu werden.«43 Nicht nur die Darbietungsweise, sondern auch die Thematik Stadt/Land spielt im Zeitschriftenprojekt eine große Rolle. Die erste Erzählung des Probehefts von Caroline de la Motte Fouqué, betitelt Das Wochenblatt, artikuliert schon im ersten Absatz die Abneigung der Provinzbewohner gegen die Großstadt: »Wenn ich uns hier so gemüthlich, so innerlich zufrieden, um den Theetisch versammelt sehe«, bemerkt die Baronin, steige beim Gedanken an die Fahrt in die Hauptstadt »die peinlichste Beklemmung« in ihr auf: »Ich muß schon im Voraus gegen alle Wiedersprüche kämpfen, die niemals, in dem sogenannten Weltleben, ausbleiben.«44 Im sich anschließenden Gespräch kommt die Stadt schlecht weg. Eine der diskutierenden Damen bemerkt: »Das weiß ich aber wohl, daß ich nicht gescheuter, nicht lebendiger, nicht frischer, nicht besser auf’s Land zurückkehre, sondern hier Tage und Wochen brauche, um mein erkältetes Herz, meinen matten Geist, wieder zu erwärmen und zu heben. Und darum ist mir solch ein Winter in der Stadt, diese selbst, ich in ihr, fatal! ja ich denke mit Schauder daran.«45 Der Gegensatz der Provinz zur Großstadt Berlin hat Arnim beschäftigt. Ein Großstadthasser war er nicht, wenn auch in seinem früheren Werk etliche Vorbehalte gegen die Stadt dokumentiert sind. Die Diskussionsatmosphäre in Fouqués Blatt mag ihn gereizt haben. Während Bettina von Arnim die Zeitschrift für so flau und schlecht hielt, »daß man sich schämt für die Mitarbeiter« – »dieses Journal kann nur gerettet werden, wenn die Herausgeber es nicht mehr besudeln«! –46 urteilte Arnim versöhnlicher: »In dem mitgeteilten Probeheft von Fouqués Wochenblatt ist die Erzählung der Frau gar nicht übel, die des Mannes eine leere Fratze, ebenso schlecht in der Erfindung, wie in der Ausführung, besonders ist das Spre43 44 45 46

Unpaginiert. Probeheft, S. 1. Ebenda, S. 2–3. Bettina an Arnim, 10. April 1829, in: Arnim und Bettina Bentano: Achim und Bettina in ihren Briefen, Bd. 2, S. 793. Gegen das schlechte Fouquésche Blatt hebt sie ihren schreibenden Ehemann scharf ab: »Du scheinst mit dem Journal zufrieden, ich muß aber sagen, daß ich nichts Trostreiches daran finde, und was mir am leidesten tut, ist, daß wahrscheinlich das Unbedeutende und sogar Schlechte so überwiegend sein wird, daß man, wie bei einem Felde, wo das Unkraut überhandgenommen, es nicht der Mühe achten wird, die Ernte zu machen; daß dann Deine Sachen, die gewiß, wenn ich sie nicht von der poetischen Seite ansehe, ein so lebenerregendes Prinzip in sich tragen, wieder da verborgen liegen werden unter einem Wust unnützer Blätter, daß es wieder beinah dem Zufall überlassen bleibt, ob das Aug des Lesers darauf falle. So Mancher würde geeignet sein, das Schöne zu verstehen, so Mancher gereizt werden, es zu benützen, aber wer wird auf den Einfall kommen, unter dem Toten zu wühlen. Du bist nicht wie der Kuckuck, der seine Eier in ein gutes Nest legt und so seine Jungen zu Ehren bringt, unter allen bist Du der am wenigsten Ansprüche, am meisten Bescheidenheit hat, der eine Anerkenntnis am innigsten empfindet, sie am wenigsten erkauft oder zu erhaschen sucht, dem die Kühle der Lorbeeren am wohlsten täte, und der sich darum nicht an ihren Ästen vergreift« – Bettina an Achim von Arnim, 25. Mai 1829, ebenda, S. 802.

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chende darin schrecklich zu lesen.«47 Aber: »Die Fouqué'sche Wochenschrift gefällt mir gar nicht übel, es ist doch ein Element darin, was in den andern fehlt.«48 Arnim mag der Versuch gereizt haben, ein größeres Publikum ins Gespräch zu ziehen. So informativ die Reise bis Halle auch hinsichtlich der Alltagskultur in der Provinz ist: Der Reisebericht geht natürlich über ein Faktenreservoir und einen besseren Haushaltungskalender hinaus. Er ist ein Beispiel dafür, wie die strukturelle Reflexion auf den Alltag das romantische Denken verändert. Im Reisebericht beschränkt sich der Autor nicht auf Fakten, sondern er geht über das Tatsächliche der im Taschenbuch festgehaltenen Gespräche und Ortsdetails hinaus, er poetisiert den Alltag und erfindet Geschichten, die das Prosaische übersteigen. Der Rahmen der Reiseerzählung reflektiert auf das Verhältnis von Wunderbarem und Alltäglichem. Der veröffentlichte Reisebericht setzt bei der Beschreibung erst kurz vor dem Erreichen des damals preußischen Städtchen Pretzsch ein. Die privaten Aufzeichnungen vermerken dagegen die eigentliche Abreise und die Eindrücke von dem Ort Löben; das zweite ausführlichere Heft beschreibt zusätzlich auch den sozusagen ›wunderbaren‹ Startschuss der Reise: 27. July Abreise von Wiepersdorf. Löben. Neue Oehlmühle nach alter Art. Raps für Beerwalde.49 27. July: Verunglücktes Feuerwerk. Wunder mit der glühenden Pulverflasche am Abend vorher. So etwas giebt Entschluß. Letztes Geschäft, die Hebammen in ihren Geschäftskreisen zu ordiniren.50

Arnims Brief an seine Ehefrau Bettina vom 29. Juli 1828 erklärt das Vorkommnis näher; es ging um die wunderbare Rettung vor einer Explosion, die Arnims sechzehnjähriger Sohn Freimund in seiner »Begeisterung« beinahe verursacht hätte: Mein Abschiedsabend wurde von Freimund durch ein großes Feuerwerk verherrlicht. In der Begeisterung seiner Schwärmerei warf er aber die Funken des einen der Kiepe zu nahe, wo das große Werk stand, die Kiepe wurde zum pot-au-feu und tourbillon, es leuchtete, knallte, prasselte in derselben, daß sie nach allen Seiten wackelte und halb verbrannte, so ging das Feuerwerk in wenig Minuten in die Luft, freilich ohne Schaden doch auch ohne Lust. Ein seltenes Wunder entdeckte sich dabei. In der Kiepe lag eine Flasche mit etwa ½ Pfund Pulver, die wenn sie gesprungen wäre uns schwer verletzen konnte durch die fortgeschleuderten Glasstücke. Diese Flasche war zum Glück zugestopft, sie fand sich zum Verbrennen heiß in der Kiepe, war aber noch unversehrt. Vielleicht ist der Unfall doch so viel nütze, daß sich die Kinder überzeugen, wieviel nötige Vorsicht ihnen zur Feuerwerkerei noch fehlt. Die Kinder werden zur rechten Zeit nach Berlin spediert mit Butter und Brot.51

Wenn auch nicht eingegangen in die veröffentlichten Erinnerungen eines Reisenden, so ist doch deren Thema: Alt vs. Neu, Alltag und Wunder schon im Notat enthalten, auch die Moral der Restaurationszeit: Es gibt eine Eigengesetzlichkeit des 47 48 49 50 51

Arnim an Bettina, 19. April 1829, ebenda, S. 798. Arnim an Bettina, 16. Mai 1829, ebenda, S. 799. Hs. 914a, Bl. 1. Hs. 914b, Bl. 21. Arnim und Bettina Brentano: Achim und Bettina in ihren Briefen, Bd. 2, S. 743.

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Realen, die sich gegen die Pläne des Menschen letztlich vorausschauend und gütig durchsetzt; sie verhindert hier auch die Feuerkatastrophe. In zwei Episoden, einer Belauschung, in der der Reisende sich selber täuscht, und in einer Verwechslung in Halle, bei der der Reisende Objekt einer anderen Selbsttäuschung wird, behandelt Arnim in der Reise bis Halle das Verhältnis von Phantasie bzw. Literatur und Wirklichkeit. In beiden Fällen bezieht er sich auf Alltagsbeobachtungen und -gespräche, die in er in seinem Tagebuch notiert hat. Fall 1 betrifft die Übernachtung in Düben am 28. Juli 1828. In den Handschriften heißt es: 28 Düben. Schlechter Weg. Der Wirth banquerut, die Tochter geputzt kein Stück Fleisch am Sonntag für Gäste. Grosse Tanzmusik der Gesellen. Nächtlicher Besuch des einen am Fenster: Geht sie nicht mit so will ich nichts von ihr wissen.52 Düben 28. Der Wirth banquerut, die Töchter wie die Docken geputzt. Im Wirtshause sonst das erste nichts als Rührey am Sonntage. Tanzmusik der Gesellen, das Mädchen am Fenster mit dem Gesellen. Geht sie nicht mit, so will ich nichts von ihr wissen.53

Das mitgehörte Gespräch hat Arnim offenbar literarisch benutzt und inszeniert. In der Erzählung der Reise bis Halle belauscht der Reisende am Fenster eine Unterredung zwischen einem Mädchen und einem jungen Mann, der die junge Frau anscheinend »mit einer Musterkarte von Grobheiten«54 zum Tanzgang auffordert: Nachdem ich das Licht gelöscht, hörte ich ferne Musik und Gesang auf der Straße. Ich sprang aus dem Bette, trat leise ans Fenster, um niemand zu stören, und hörte wie ein Jüngling, der vor dem Unterfenster stand, ein Mädchen, das zum Fenster hinaussah, ungeduldig aufforderte mit ihm zum Tanzen zu gehen. Es war bezogener Himmel über uns; ich konnte die Sprechenden nicht erkennen, doch hörte ich aus der Antwort des Mädchens, daß sie diene, daß sie triftige Gründe dagegen aufzählen könne.55

Wie sich später herausstellt, handelt es sich um ein Brautpaar, das scherzhaft miteinander umgeht. Der Icherzähler nun spinnt »im Bette« das Verhältnis des Mädchens zum »groben Verehrer« phantasierend und parteinehmend aus: Das schöne zarte Wesen, wie ich sie dachte, war durch die Beschränktheit eines kleinen Städtchens dem Tanzbären zugeführt worden. [...] Ich dachte mir den Kerl wie einen alten widrigen Reitknecht, mit gedrückter Nase, großen Backentaschen, großem Maule, voll liederlicher Geschichten, die er mit seinen vielen Herren erlebt.56

Den »Handel« des Paars bildet sich der Reisende »wachend und träumend« aus. Selbst als das darauf angesprochene Mädchen ihm die Sachlage verdeutlicht und ihren Begleiter als den »schönsten jungen Mensch[en] in der Stadt« rühmt, verwechselt er noch die »Höllenqualm« ausstoßende Gestalt des Manns mit dem nicht52 53 54 55 56

Hs. 914a, Bl. 1 verso. Hs. 914b, Bl. 21 verso. Arnim: Reise bis Halle – Werke in sechs Bänden, Bd. 6, S. 924. Ebenda, S. 923–924. Ebenda, S. 924.

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rauchenden Bräutigam. Nichts also mehr von dem romantischen Vorhaben, durch die Phantasie das Innerste der Welt zu erkennen. Die poetische Phantasie des Erzählers überbordet den banalen alltäglichen Vorfall. Konfrontiert mit der Erläuterung des belauschten Gesprächs, bleibt dem Reisenden nur noch die Flucht: »›Schnell angespannt, ich muß fortfahren!‹«57 Das Missverhältnis von Phantasie und Wirklichkeit wird humoristisch bewältigt. Der Icherzähler rückt ab von seinen Einbildungen und schildert sein im Prinzip idealistisches Vorhaben, das junge Mädchen vor dem Verführer zu retten, in komischer Färbung: Allmächtiger C....., mache mich zum polnischen Starosten, schildere meine Gefühle, und gib mir auch einen deiner schweren Geldbeutel, den ich zur Ausstattung der beiden Glücklichen, denen ich in Gedanken so viel Falsches aufgebürdet hatte, in den Schoß des Mädchens, in die Hand des Bräutigams, scheidend ausschütten kann!58

Wer verbirgt sich unter dem Kürzel »C.....«? Wahrscheinlich der zu seiner Zeit vielgelesene und gleichzeitig vielgeschmähte Unterhaltungsschriftsteller und Publizist Heinrich Clauren (1771–1854), im bürgerlichen Leben Carl Gottfried Samuel Heun. Sein größter Erfolg war die rührselige Liebesgeschichte Mimili (Erstdruck 1815, vollständige Ausgabe 1819), deren Muster er immer wieder neu variierte. Soweit ich sehe, erwähnt Arnim den biedermeierlichen Erotiker nirgends in Werken und Briefen, aber die erfolgreiche Trivialmanier kann ihm auf dem Buchmarkt nicht entgangen sein; sie wurde scharf von Wilhelm Hauff angegriffen, der 1825 seine Satire Der Mann im Mond unter Claurens Namen veröffentlichte und dann zwei Jahre später ausdrücklich mit der Schrift Controvers-Predigt über H. Clauren Front gegen den populären Erfolgsautor machte. Clauren dürfte zudem für Arnim durch seine öffentliche Staatskarriere interessant gewesen sein, die dem Wiepersdorfer Baron versagt blieb. Der studierte Jurist war zunächst Sekretär bei dem prägenden preußischen Staatsminister Friedrich Anton von Heinitz, dessen RétablissementPolitik den preußischen Staat reformieren wollte. Seit 1811 stand Clauren im Dienst des preußischen Staatskanzlers Hardenberg, wurde 1813 Hofrat, nahm – anders als Arnim – 1813/14 an den Befreiungskriegen aktiv teil, schrieb – ähnlich wie der Herausgeber des Preußischen Correspondenten Arnim – die Feldzeitung im preußischen Hauptquartier, später ab 1820 die Allgemeine Preußische Staatszeitung, nahm am Wiener Kongress teil und bekleidete etliche öffentliche Ämter.59 Für den erklärten Landmann Arnim dürfte besonders interessant gewesen sein, dass Clauren auch praktische Erfahrung im Agrarwesen hatte: Er verwaltete nämlich 1801–1810 das in Polen gelegene Gut eines preußischen Adigen. Das polnische Kolorit ging in Claurens Erzählung Die Kartoffeln in der Schale ein; sie erschien Ende 1819 in dem von dem Schreiber selbst herausgegebenen »Taschenbuch für 1820« Vergiß-

57 58 59

Ebenda, S. 925. Ebenda. Vgl. Andrea Hahn: Clauren, H(einrich). – In: Literaturlexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache. Hrsg. v. Walther Killy, Bd. 2, S. 427.

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meinnicht.60 In dieser Erzählung lassen sich thematische Ähnlichkeiten mit Arnims Motiven finden. In ihr tritt ein polnischer Starost (ein adliger Drost) auf und in ihr ereignet sich auch eine Täuschung über die Identität einer Person; alles vor dem Hintergrund einer Landwirtschafts- und Essensmotivik. Der Inhalt: Ein polnischer Adliger (ein »Starostencrösus«)61 geht in Deutschland auf Brautschau. Dort versucht ihn ein verarmter Landadliger, Graf von Sternburg auf Güldenau, für eine seiner beiden Töchter zu interessieren, die, eitel und nur auf den eigenen Vorteil bedacht, sogar Kenntnisse in Fischfang62 und »Teichwirthschaft«63 sowie Interesse an »Säemaschinen«64 vorgeben. Sie nehmen dabei in Kauf, dass der vermeintliche Starost hässlich wie die Nacht ist. Der eigentliche Starost ist aber ein als Kammerdiener des Herrn auftretender »feiner, hübscher Mensch«;65 seine Identität wird am Schluss der Erzählung aufgedeckt. Als Ehegatten bekommt ihn eine dritte junge Frau – Rosamunde –, die unter ärmlichen Umständen in einer Hütte lebt und das einfache Leben pflegt. Es ist charakterisiert durch ein alltägliches Gericht, Kartoffeln mit Schale nämlich (von Rosamundes Ziehmutter, der »Exnonne«66 Gertraut, als »Pasteten«67 bezeichnet). Dieses einfache Leben ist entschieden gegen die moderne Stadtkultur gerichtet: »Eine Städterin, an tägliche Zerstreuung gewohnt, hätte nicht vier und zwanzig Stunden in dem einförmigen Leben ausgehalten.«68 Das rustikale Leben ist durch die Schale markiert. Vorgetragen ist das moderne Märchen aber von Clauren in abgegriffenem und süßlichem Erzählstil (wenn auch derbe Genreszenen eingestreut sind): er konnte für den sich einem frühen Realismus zuneigenden Arnim kein Vorbild sein, im Gegenteil, der Anspruch auf eine am erfahrenen Alltag teilnehmende Literatur wurde in ihr konterkariert. Die Erzählung beginnt mit einer falsch gedeuteten Wahrnehmung am Fenster, wie sie in anderer Form auch der Erzähler der Reise nach Halle erlebt. Rosamunde nämlich, halb entkleidet – eine »jungfräuliche, reizvolle Gestalt der halbenthüllten Hebe« – schaut durch das Fenster und erblickt ein »schreckliches Gesicht«, das in die Stube grinst; es gehört dem »Gräulichen«, den alle für den Storost halten, der aber in Wahrheit der Verwalter des jungen Herrn ist: »das gelbschwarze Gesicht mit der Kreuz- und Quernarbe und die Hasenscharte, und das matte, graue Katzenauge, und das störrige, röthliche Haar, und die brandfaulen fletschigen Zähne«.69 Die Fensterszene greift Arnim aus männlicher Perspektive auf, um sie dann aber als Selbsttäuschung humoristisch zu entlarven. In einer fiktiven Anrede an den Trivialerzähler C..... empfiehlt er ihm: 60

61 62 63 64 65 66 67 68 69

Leipzig, bei Friedrich August Leo, S. 229–335. Der Text wird im folgenden zitiert nach der Ausgabe: Schriften von H. Clauren. Siebentes Bändchen. Stuttgart, bei A. Macklot 1827. Ebenda, S. 28. Ebenda, S. 29. Ebenda, S. 35. Ebenda, S. 36. Ebenda, S. 21. Ebenda, S. 4. Ebenda, S. 3. Ebenda, S. 4. Ebenda, S. 6.

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Berichte dem trefflichen Jüngling, daß ein isländischer Vulkan ihn in dem heitern Scherze unter meinem Fenster wohl zweimal bedrohte, daß ich zweimal nach dem Waschbecken griff, den Zudringlichen abzukühlen, aber zweimal, durch den Stich des Genius gewarnt, den Himmlischen die Rache heimstellte.70

Die Eingebungen der Phantasie also werden berichtigt durch alltägliche Stiche – nicht des Genius, sondern der Wanzen. Wanzen und Waschbecken konterkarieren Liebe und Verführung. Der Icherzähler erkennt seine Fehlleitung durch sentimentale Muster der trivialen Literatur; er reagiert darauf mit einer parodistischen Umformung der Täuschungsszene zu einem möglichen Taschenbuchkupfer: »Ja, das gibt ein herrliches Kupfer zum Taschenbuch, der Starost und die schwarzen hüpfenden Genien, die Liebenden, unten, das drohende Waschbecken darüber!«71 Diese Bildidee erhält als subscriptio ein humoristisches Gedicht, das die Genius- und Musenthematik parodiert. Die romantische Phantasie ist hier ganz im Sinne der Biedermeierzeit berichtigt durch den Alltag. Arnim hat die Dübener Passage stringent verknüpft mit einer zweiten das Verhältnis von Phantasie und Realität behandelnden, in Halle spielenden Szene. Ausgangspunkt für die literarische Gestaltung ist auch hier wieder die Erfahrung auf der Reise. In den Taschenbüchern ist notiert: 29. July Halle. Kräftige Fruchtbäume an schöner Strasse. Erndte im Wirtshause schlimm für die Gäste, welche verzehren. Erstes Umherlaufen. Weggerissenes Theater. Der Platz schlecht für das Universitätsgebäude. Das Mädchen Ja wo bleibt das Theater, das so schön blühte. Ist das Kind eine Frucht des Theaters?72 Halle 29. Wie hat die Gegend gewonnen durch die Kunststrasse, welch ein Ueberblick, welche kräftige Fruchtbäume am Wege. Wie kommts, daß sie hier nicht die Felder damit besetzen? Erstes Umherlaufen. Das weggerissene Theater. Das Mädchen antwortet: Ja wo bleibt das Theater, das so schön blühte. Ist das Kind eine Frucht des Theaters?73

Der literarische Reisebericht spinnt diese Stichworte wieder weiter aus, wobei offen bleiben muss, ob die Frage »Ist das Kind eine Frucht des Theaters?« tatsächlich von Arnim im Gespräch eingebracht wurde oder schon einen literarischen Keimeinfall in sich birgt. Im veröffentlichten Reisebericht steht der Reisende in melancholischen Gedanken über die Vergänglichkeit »auf Trümmern«: [Ich] fragte ein artiges Mädchen, welches da mit einem Kinde tändelte: »was hat denn hier gestanden, was wird hier?« »Ei« sagte sie, »haben sie unser Komödienhaus nicht gekannt, das so herrlich blühte?« Dann sprach sie zu ihrem Kinde. »Armes Kind siehst dein Vaterhaus untergehen und spielst mit den Steinen.« – »Wahrscheinlich,« fuhr ich verlegen fort: »Ist dieses Kind eine Frucht jener schönen Theaterblüte?« »Freilich, und wie kanns anders sein?« sagte sie; »der große Göthe« – »Göthes Kind!« rief ich begeistert. – »Nicht doch«, sprach sie leise, »ich meinte nur, wie er 70 71 72 73

Arnim: Reise bis Halle – Werke in sechs Bänden, Bd. 6, S. 925. Ebenda. Hs. 914a, Bl. 2 recto/verso. Hs. 914a, Bl. 22 verso.

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sagte, halb zog er mich, halb sank ich hin, da wars um mich geschehen! Doch das gehört nicht hieher, Sie scheinen hier fremd, Sie wissen noch nicht, daß hier ein großes Universitäts-Haus gebaut wird, um alle ausgestopften wilden Tiere auszustellen? Da lag ihnen das Schauspielhaus im Wege. Auch war es ein ganz besonderes Schauspielhaus, weil es sonst eine Kirche gewesen, und kein Mensch das vergessen konnte.«74

In einer zweiten Täuschungsgeschichte bei den Ruinen des Halleschen Theaters wird die Vermischung von Einbildung und Wirklichkeit weiter behandelt. Der Reisende wird von einer jungen Frau mit unehelichem Kind für ihren Vater und den untreuen Ehemann ihrer Mutter gehalten: »Alles trifft,« rief sie dann heftig, »es kann nicht anders sein, mein Herz, eine Stimme von oben sagt es mir, Sie sind mein Vater. Glückliche Mutter, dein Wunsch ist erfüllt, deine schwachen Augen sollen ihn sehen, um den sie ihren Glanz ausgeweint haben.«75

Die Szene greift ein Muster aus der zeitgenössischen Trivialliteratur auf, ein Muster, das Arnim selbst mit höherem Anspruch in seiner Erzählung Die Einquartierung im Pfarrhause traktiert hat.76 Das schicksalhafte Zusammentreffen der Figuren, ihr »seltsames Begegnen und Wiedersehen« aber wird in Arnims spätem Reisebild explizit vermieden. Statt der tragischen Effekte, die das Walten eines höheren Zusammenhangs in der früheren Erzählung illustrieren, wird die Szene konterkariert durch komische Details, wenn der vermeintliche Vater, konfrontiert mit dem nässenden Kleinkind, sich mit dem gereimten Zauberspruch »Windeln her, Windeln her, auf zur Gegenwehr!«77 zu retten sucht. Zudem führt die verlassene Frau materialistische Argumente gegen die Identifizierung ihres untreuen Ehemanns an, die ganz unromantisch sind: »Am Ende ist er ein ganz andrer Mensch, der mein Bißchen Vermögen mir verzehren will [...]«.78 Die Wirklichkeit gestaltet sich, so zeigt die Episode, nicht nach romanhaften, ›romantischen‹ Vorlagen, sie ist trivialer. In der vermeintlichen verlassenen Ehefrau erkennt der Reisende »eins der schönsten Stadtmädchen« wieder, die nun »in Leiden früh gealtert« ist.79 Die romanhafte Verwicklung also wird vermieden. Das romantische Wunderbare wird abgelöst durch das Seltsame des Wirklichen selbst. Der Reisende erfährt in seiner »seltsamsten Entdeckung« das Wirken der Zeit wie Arnim, der bei der Reise nach Halle mit der Landschaft und den romantischen Träumen seiner Jugendzeit konfrontiert wurde. Die Versachlichung des Weltbezugs und die Nüchternheit der Zeit deutet Arnim auch in seiner symbolischen Topographie an. Die Verwechslung findet statt auf den »Trümmern« des Halleschen Schauspielhauses. Das Theater, »das sonst eine Kirche gewesen«,80 nämlich muss einem »großen Universitäts-Haus« weichen, worin »alle 74 75 76 77 78 79 80

Arnim: Reise bis Halle – Werke in sechs Bänden, Bd. 6, S. 931. Ebenda, S. 932. Vgl. Arnim: Die Einquartierung im Pfarrhause – Werke in sechs Bänden, Bd. 3, S. 907–917. Arnim: Reise bis Halle – ebenda, Bd. 6, S. 933. Ebenda, S. 933. Ebenda, S. 934. Ebenda, S. 931.

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ausgestopften wilden Tiere«81 aufgestellt werden sollen: In dem Funktionsübergang von Religion und Kunst zur Naturwissenschaft ist der neue empiristische Zugang zur Wirklichkeit verbildlicht. Hegels These vom ›Ende der Kunst‹, die er im Winter 1828 in seinen letzten Ästhetik-Vorlesungen an der Berliner Universität vertrat, drängt sich als Kontext auf.82 Die Philosophie des ›absoluten Geistes‹ hat Arnim allerdings mit einer süffisanten Meldung an Jacob Grimm kommentiert: Hegel solle »auf öffentlichem Collegio« über sich selbst gesagt haben: »›Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.‹«83 Mit der nüchterner gewordenen Wirklichkeit findet sich der Erzähler ab. Der Reisende, das Alter Ego Arnims, kommt »ins Jugendland auf gutem Wege zurück«.84 Die romantischen Träume seiner Studienzeit in Halle sind ad acta gelegt. Die anfängliche »Sehnsucht« wird denn auch schnell aufgegeben, um »festen Fuß zu fassen«.85 Der Reisende ist nur mehr von der prosaischen Sorge darüber, wo ein Barbier zu finden sei, bewegt. Wirkliche Abenteuer im romantischen Jugendland gibt es nicht mehr zu bestehen; diese Lücke füllt der Erzähler aus durch humoristisches Aufwerten des Barbiers zu einem sagenhaften Riesen »in alter Fabel« und gleichzeitig zu einer orientalischen Figur aus Tausend und einer Nacht. Das romantische Allegorisieren behält der Erzähler Arnim aber bei und weist auch ausdrücklich auf diese »allegorischen Anspielungen« hin; wenn dem Reisenden der Bart geschoren werden soll, dann ist das auch eine Ernte, vergleichbar dem Einfahren des Getreides durch das Wirtshaustor.86 Die Phantasie wird allerdings nicht ohne Schmerzen verabschiedet. Die beiden Reisetaschenbücher enthalten anlässlich des Besuchs in Giebichenstein ein melancholisches Gedicht über das Vergehen der Romantik, das Arnim nicht in seinen Reisebericht übernahm. Ein Schlüsselsatz – wieder ist offen, ob er Beschreibung einer Stimmung oder schon literarischer Keim ist – hält fest: »Das Herz steht mir vor Wehmut still.«87 bzw.: »Das Herz steht mir in Wehmut still.«88 Das Gedicht in der Fassung der Hs. 914b lautet: Alle sind nun heimgegangen Und ich höre[?] nun auch Heimchen, In der Bäume goldnem Prangen, Denn zum Baume ward das Bäumchen Und beschützt mit seinen Zweigen Frohe Feste weite Blicke Was ist mein, ist gar nichts eigen? Erde ist nur Himmelsbrücke? Armer Himmel du mußt neiden 81 82 83

84 85 86 87 88

Ebenda. Vgl. Danto: Winter 1828: Hegels These vom Ende der Kunst. Arnim an Jacob Grimm, 29. April 1825. In: Steig (Hrsg.): Achim von Arnim und Jakob und Wilhelm Grimm, S. 547. Arnim: Reise bis Halle – Werke in sechs Bänden, Bd. 6, S. 929. Ebenda. Ebenda. Hs 914b, Bl. 22 verso. Hs 914a, Bl. 3 recto.

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286 Dieses Überganges Rauschen, Und die Lieben, die hier scheiden Rückwärts feste Blicke tauschen, Erde du mußt mehr noch werden Als du uns hier möchtest scheinen, Deine Saaten, deine Herden Und der Blick von Felsensteinen Und das rauschen deiner Flüsse Und der Sang aus wilder Kehle Sagen mir, daß sich hier küsse Was sich ewig einst vermähle.89

Im Reisebrief an Bettina erläutert Arnim den Entstehungszusammenhang des Gedichts: Vor Wehmut blieb mir beinahe das Herz stehen, als ich bei Reichardt vorüberging. Als ich nachher mit Bartels eintrat durch einen Seitenweg, ohne nötig zu haben, mit dem jetzigen Besitzer zu reden, kam es mir vor, als wäre der ganze vernichtete Menschenkreis der da in so schöner Geistestätigkeit sich regte, noch beisammen, nur getrennt, wie es wohl auf halbe Tage geschah, durch verschiedene Beschäftigungen. Das Fenster meines Zimmers war mit Weinlaub zugewachsen, ein freundlicher Schutz gegen die Sonne. Mein Steinsitz war noch vorhanden, aber die Bäume davor so emporgewachsen, daß ich nichts von der Aussicht nach dem Wasser mehr haben konnte. Wenn wirs auch an den Kindern nicht merken, daß wir alt werden, so merken wirs doch an den Bäumen, sagte ich zu Bartels. Der verstand aber an den Beinen und ich sagte, daß er auch recht habe, denn wenn ichs nicht an den Beinen merkte, so hätten mich keine acht Pferde nach Aachen fortgerissen.90

Das Missverständnis über Beine/Bäume ist auch in einem der Taschenbücher notiert: Bartels Ich: Wenn man das Alter auch nicht an den Kindern aufsteigen sieht, so rückt es doch herauf an den Bäumen. – An den Beinen freilich. – Freilich auch, sonst hätten mich keine Pferde nach Aachen gezogen.91

Der Witz bewältigt die Trauer über das Vergehen der Zeit und der romantischen Träume. Die Melancholie ist aus der Reiseerzählung verbannt: sie entlastet im humoristischen Erzählen vom romantischen Druck. Die Metaphorologie ersetzt Ästhetik durch Gastronomie und wirbelt die Realität karnevalistisch durcheinander. Arnims Reiseerzählung ist nicht einfach ein Realienbericht, sondern gleichzeitig eine symbolische Diagnose der Zeit. Dem feuilletonistisch lockeren Text liegt eine dominante Tiefenstruktur zugrunde, nämlich die beständige Konfrontation von Altem und Neuem, von Beharren und Fortschritt, Restauration und Bewegung. In Pretzsch rühmt der Erzähler die Umwandlung des Schlosses in ein Waisenhaus. Hier scheint die Restauration des Alten mit der nützlichen Umfunktionierung des 89 90

91

Arnim: Heimgang in der Nacht – Werke in sechs Bänden, Bd. 5, S. 973–974. Arnim an Bettina, 29. Juli 1828. In: Arnim und Bettina Brentano: Achim und Bettina in ihren Briefen, Bd. 2, S. 744. Hs. 914b, Bl. 23 verso.

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Baus in eine soziale Einrichtung geglückt zu sein. Die »Erfindsamkeit der Baumeister« konnte erfolgreich »das Vorgefundene dem neuen Zwecke an[]passen«.92 Passend zu dieser pragmatischen Tendenz teilt der Reisende anläßlich der Ausbildung der Waisenmädchen in Pretzsch ein humoristisches Gedicht mit: »Schöne Seelen, lernet kochen!« – Denn: »Schönheit vergeht, aber Kochkunst besteht.«93 Das Schöne wird umfunktioniert zum Nützlichen und Lebenspraktischen. Kunst ist in dieser »Erinnerung eines Reisenden« kein Thema; so möchte man die Gedichtzeile als Beleg auch für die Ablösung der ästhetischen Erziehung durch die pragmatische Lebenseinrichtung nehmen. Ein neues Verhältnis zum Alltag bricht sich Bahn; die Form des Reisebilds montiert dementsprechend auch Textschnipsel unterschiedlicher Art. Auf die Schlusszeilen des Gedichts über das Kochen – »Habt ihr diese Kunst gefaßt, / Dann erst ladet mich zu Gast«94 – folgt unvermittelt eine dialogische Passage, ein Gespräch zwischen Kellner und Gast über das Essen: »Kellner, ist denn mein Mittagessen noch nicht fertig!!!« »Gleich ihr Gnaden, aber wissen Sie schon, am Schlosse ist ein Keller beim Bau gefunden worden, von dem hier Niemand etwas wußte.« »Und was war denn darin?« »Gar nichts!« »Ach Gott, das ist mein Magen gewesen; schafft das Essen!« »Gleich ihr Gnaden!«95

Der gesprochene Witz geht auch zurück auf das Detail, das sich Arnim in seinem Reisetagebuch notierte: »Es sind geheime Keller entdeckt worden aber nichts darin.«96 Der geheime Keller gehört zu den romantischen Ursprungsorten und geheimen Paradiesen, wie sie oft in Arnims Werk beschworen werden. Der pragmatische Reisende von 1828 findet ihn leer und lässt sich von der verborgenen Geschichte nicht mehr locken: Essen geht vor der Erforschung der geheimen Geschichte. Mit der Feier des Alltags entspricht Arnim dem vorherrschenden Lebensgefühl in der Zeit der Restauration. Am bestehenden Guten der zeitgenössischen Wirklichkeit ist der Wiener Kongress schuld. Er wird zitiert im Kapitel Delitsch ist Delicieus! Der Kalauer befördert einen wahren Kern: Der »wohlhabende zahlreiche Kreis höherer Geselligkeit«, den Arnim im ehemals sächsischen und 1815 an Preußen übergegangenen Städtchen Delitzsch vorfindet, ist durch den Friedensschluss nach den Befreiungskriegen verursacht: »alles voll von spielenden Kindern, nähenden, lesenden Frauen, jugendlichen Gärtnerinnen, welche die Blumen ordneten, zu einander schifften und sangen. Alles das erklärt sich durch den Wiener Kongreß.«97

92 93 94 95 96 97

Ebenda, S. 919. Ebenda, S. 920. Ebenda, S. 921. Ebenda. Hs. 914a, Bl. 1 recto; vgl. oben. Ebenda, S. 926.

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Die geordnete Wirklichkeit der Restaurationsepoche ist durch gebahnte Wege und Chausseen ausgezeichnet. In der Gegend um Halle bewundert der Reisende die neuen Kunststraßen: Während ich nach dem Petersberge mit derselben Sehnsucht, wie die Pilger nach der Peterskuppel Roms blickten, hörte ich eine Stimme die Schau-Seh-Geld forderte. Wie gern zahlte ich; wir waren auf den herrlichsten Weg eingefahren, zu beiden Seiten mit kräftigen Fruchtbäumen besetzt, wo sonst in Kot und tiefen Geleisen nicht durch zu kommen war. Bequemlich konnte ich schauen und sehen, und die Verwandlung in Schau-seh-Weg schien gar nicht übel erdacht. Doch wäre es wohl besser, von dem Material, woraus so ein Weg geschaffen, eine nähere Bezeichnung herzunehmen, was weder in den Worte Chaussée, noch in dem jetzt gewöhnlichen Kunststraße enthalten; so würde hier ein Steinweg, in andrer Gegend ein Kiesweg ein Lehmweg zu finden sein, ein Dammweg aber die Art Wegebahnung bezeichnen, wo, wie in den Niederlanden, keine Überschüttung der großen Steine mit kleineren statt findet. [...] Drei neue Steinwege, nach Berlin, Merseburg und Eisleben, haben sich zu den früher vorhandenen nach Magdeburg und Leipzig gesellt, und beleben jetzt die Umgegend von Halle. Kaum gibt es ein Zeichen menschlicher Übergewalt so deutlich und mächtig, wie die großen Fahrstraßen durch halbe Weltteile, wie sie jetzt zu finden; zugleich sind sie das sicherste Zeichen jenes allgemeinen europäischen Staatenbundes, der sich in dem heiligen Bündnis viel unvollkommner, als in tausend andern Verhältnissen ausgesprochen hat, die nur zu wenig beachtet werden.98

Das neue Straßennetz garantiert »Beweglichkeit«99 und handelspolitisch Aufschwung. Arnim hat die rasante Vergrößerung des Straßennetzes in Preußen, das in den Jahren 1825–1835 verdoppelt wurde, genau registriert.100 Der Autor bestätigt sie in einer Rezension eines zeitgenössischen Werks über den gewerblichen und kommerziellen Zustand Preußens, in der er zustimmend anführt, dass »teils vom Staate, teils durch Aktienverbindungen auf die seit 1817 gebauten 540 Meilen Kunststraßen über 21 Millionen [Taler] verwendet, und diese Straßen von bessern Posteinrichtungen benutzt wurden«.101 Für die Benutzung der neuen »Kunststraßen« wurden von der preußischen Staatskasse Gebühren, die »Chausseegelder«, erhoben.102 Die Wirklichkeitsauffassung von Arnims Reise bis Halle ist bestimmt von einem festen Glauben an den Fortschritt. Er wird bestärkt durch die Verbesserung der Verkehrsverhältnisse, die der Reisende am eigenen Leib erfährt. Aus der Straße bei Halle, wo in der Vergangenheit »in Kot und tiefen Geleisen nicht durch zu kommen war«, ist nun der »herrlichste Weg« geworden, auf dem der Reisende »bequemlich [...] schauen und sehen« kann.103 Die neuen Straßen sind für Arnim zeichenhafter Ausdruck der harmonisch geordneten Wirklichkeit der Restaurationszeit.

98 99 100 101

102 103

Arnim: Reise bis Halle – Werke in sechs Bänden, Bd. 6, S. 927–928. Arnim: Wagenspur – ebenda, S. 775. Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, S. 120. Arnim: Rezension von C. W. Ferber: Beiträge zur Kenntnis des gewerblichen und commerziellen Zustandes der preußischen Monarchie. Aus amtlichen Quellen. Berlin: Trautwein 1829. In: Arnim – Werke in sechs Bänden, Bd. 6, S. 890–903, hier S. 901. Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, S. 121. Arnim: Reise bis Halle – Werke in sechs Bänden, Bd. 6, S. 927.

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Indiz für die neue ›realistische‹ Tendenz ist die von Arnim gewählte Gattung Reisebild selbst. Zur Reisebeschreibung »als einer Zweckform« haben die Romantiker nämlich »wenig Neigung«104: »Diese Gattung wäre dem transzendenten Enthusiasmus dieser Herren zu plan, zu trivial, zu prosaisch gewesen; auch hätte selbst die dünnste Reisebeschreibung mehr Leib, mehr Plastik erfordert, als sie meist aufzuwenden imstande waren«.105 Arnims Reise bis Halle ist hingegen ein plastischer und konkreter Beitrag, worin das romantische Element sehr zurückgetreten ist. Über sein Interesse an der Gattung Reisebeschreibung hat Arnim sich 1829 zu seinem Freund Joseph Görres geäußert: Es arbeitet aber in mir eine Reiselust auf eine Reisebeschreibung hin, worin ich nicht blos im Allgemeinen, sondern im Einzelnen die wunderbaren Wege aufdecken möchte, wie sich das Bessere machte, meist unbewußt den Menschen, doch nicht ohne ihren guten Willen; wie der Hochmuth überall irrte, wie die Demuth überall zum Ziele führte; wie fünfzehn Friedensjahre eine Welt schufen, von der sich die Führer jener kriegerischen Zeit, die ihr vorausging, kaum eine Vorstellung machten.106

›Realistische‹ Tendenz und Bekenntnis zum Wunderbaren sind hier auf besondere Weise miteinander verknüpft. In der Zuwendung zur Beschreibung des Erfahrenen, der Wirklichkeit des Einzelnen, drückt sich unverkennbar die Wendung auf das Reale und die Abkehr vom romantischen Subjektivismus aus. Dies aber unter dem Vorzeichen, das Wunderbare im Lauf der Welt sichtbar zu machen, eine leitende Instanz, die die Realität zum Besseren hin bestimmt. Damit kommt Arnim letztlich zur positiven Bewertung der Restaurationszeit. Das romantische Wunderbare, das er als beängstigenden Einbruch einer übernatürlichen Welt in der phantastischen Erzählung Die Majoratsherren gestaltet hatte, weicht sozusagen einem innerweltlich nachzuweisenden Wunderbaren, das ohne äußerliche Effekte (wie in der Schicksalstragödie) die Wirklichkeit bestimmt. Mit der Form des Reisebilds hätte Arnim wahrscheinlich eine genuine Erzählform für sich entdeckt. Reiseschilderungen waren in der Biedermeierzeit außerordentlich beliebt; Arnims zwei dementsprechende Beiträge in den Erinnerungen eines Reisenden gehören in die Abteilung ›humoristische Reiseberichte‹107 und bilden eine milde Alternative zu Heinrich Heines systemkritischen Feuilletons. Arnims Erinnerungen zeigen den Autor eher zugehörig zu der Gruppe der Schriftsteller, die sich mit den restaurativen Verhältnissen abfanden. Diese Haltung signalisiert beispielhaft das Eröffnungsbild der Reise bis Halle. Die auf den ersten Blick belanglose Impression der »geheimnisvollen Bewegung der Fähre«, mit der Arnim die Elbe überquert, wird zu einer lebensphilosophischen Einsicht erweitert, welche die romantische Opposition der Jugendzeit und die Anerkennung der Restaurationswirklichkeit reflektiert: 104 105 106 107

Sengle: Biedermeierzeit, Bd. 2: Die Formenwelt, S. 238. Robert Prutz: Ueber Reisen und Reiseliteratur der Deutschen; zitiert nach ebenda, S. 238. Arnim an Joseph Görres, 7. Oktober 1829 – Görres: Gesammelte Briefe, Bd. 3, S. 361. Sengle: Biedermeierzeit, Bd. 2, S. 249–250.

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Wir erwarten ein Jenseits doch scheint es erst vergessen; Alles arbeitet sich ab, gegen den Strom zu schwimmen. Ist diese Jugendarbeit gelungen, sind wir weit genug gegen den Zeitstrom vorgedrungen, da meinen wir das Unsre getan zu haben, lassen uns mit dem Strome behaglich fort treiben, indem wir nur das Steuer angemessen stellen, neugierig ob wir den Platz zum Anlanden jenseits treffen werden.108

Die Prinzipien romantischer Poetik hat der Anfang des Reisebilds aber auch hier nicht vergessen. Der Text beginnt mit der Feststellung: »Meine Pferde verwunderten sich über die geheimnisvolle Bewegung der Fähre, welche uns über die Elbe nach Pretsch schiffte, aber Zureden half.«109 Ein belangloser Reiseumstand einer prosaischen Kutschenfahrt? Wo immer ein aus der Romantik stammender Schriftsteller Pferde erwähnt, ist der Pegasus nahe. Nicht der Autor lenkt die Pferde, sondern sie ziehen ihn, und in ihrer Verwunderung über die Überquerung des Stroms deutet sich das feuilletonistische Schreiben selbst, das Erfahrungen des Alltags für das Publikum in ein mit der Gegenwart einverstandenes Reisebild übersetzt.

108 109

Arnim: Reise bis Halle – Werke in sechs Bänden, Bd. 6, S. 917. Ebenda.

Literaturverzeichnis

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Namenregister von Steffen Schlick

Abromeit, Klaus 38 Adorno, Theodor 158 Althaus, Thomas 183 Apollinaire, Guillaume 51 Aragon, Louis 44 Arnim, Bettina/Bettine von (geborene Brentano) 70, 93–105, 107–109, 111–129, 131–141, 185, 192, 196, 199, 201–206, 229–239, 248-249, 271, 274–276, 278– 279, 286 Arnim, Carl Otto von 94, 111, 115, 193– 194, 200-201, 204–205 Arnim, Erwin von 117 Arnim, Freimund von 107–108, 117, 231, 233, 238, 279 Arnim, Friedmund von 108, 117, 231–232, 236, 248 Arnim, Joachim Erdmann von 94, 111, 200 Arnim, Kühnemund von 96, 98, 108, 117 Arnim, Ludwig Achim von 31, 52, 57, 59– 68, 71, 83–89, 93–105, 107–122, 131– 138, 140–141,144, 150–151, 154, 167– 172, 185–206, 230, 232–233, 235–239, 241, 247–250, 255, 271–290 Arnim, Maximiliane von 96, 108 Arnim, Otto von 119 Arnold, Carl Heinrich 219 Baader, Franz von 17 Baczko, Ludwig von 195 Baier, Hermann 144, 154 Barkley (Barcley of Pierston), Henriette 195 Bartels, Ludwig Remigius 286 Barth, Susanne 265 Basile, Giambattista 268 Baskerville, John 160 Bassenge, Carl Friedrich 144–145, 147, 152, 154 Bassenge, Marie Friederike 144–145, 147, 149–150, 154 Bassenge, Pauline (siehe auch Pauline Runge) 144–145, 147–149, 152–153 Baudelaire, Charles 37, 47, 54

Becker, Wilhelm Gottlieb 168 Becker-Cantarino, Barbara 123, 127 Beethoven, Ludwig van 140, 179 Benjamin, Walter 43, 48, 53, 210, 212–213 Benn, Gottfried 27–28 Bertuch, Friedrich Justin 161 Beßlich, Barbara 180 Beta, Ottomar 214, 217–219, 221–222, 227 Bihler, Alois 139 Birkhäuser-Oeri, Sybille 261, 266 Bischof, Rita 51 Bloot, Pieter de 81 Blücher, Gebhard Leberecht Fürst von Wahlstatt 187, 193 Bodoni, Giambattista 160 Boeckel, Eugène 53 Boerhaave, Herman 245 Bogeng, Gustav Adolf Erich 157, 165 Bohnen, Mareike 260 Boileau, Nicolas 144 Bopp, Sebastian 132 Borgards, Roland 54, 241 Börnchen, Stefan 10 Böttger, Fritz 123 Bourdieu, Pierre 177 Bozérian, François und Jean-Claude 164 Breitkopf, Johann Gottlieb Immanuel 79 Brentano, Auguste siehe Bußmann, Auguste Brentano, Claudine 107 Brentano, Clemens 18, 42, 64, 69–71, 86, 107, 110, 112–113, 116,119, 121, 123, 131, 136–137, 151, 154, 187–188, 191– 196, 200–201, 203–204 Brentano, Franz 116, 136 Brentano, Georg 107, 116 Brentano, Kunigunde 131 Brentano, Lulu 139 Brentano, Meline 131, 136 Breton, André 51 Brouwer, Adriaen 81 Brown, John 34, 246–247, 249 Brueghel, Pieter 81 Bubner, Rüdiger 3–4

316 Büchner, Georg 45–46, 53 Bunzel, Wolfgang 118, 123, 126, 129, 143 Burwick, Roswitha 61, 65, 168, 199, 229, 259 Büscher, C. 168 Busse (Schwestern in Wiepersdorf) 102 Bußmann, Auguste 131, 203–204 Callot, Jacques 38, 80 Caravaggio, Michelangelo Merisi da 81–82 Carlyle, Thomas 165–166 Carlyle, Jane Welsh 166 Carroll, Lewis 87 Carter, Angela 267 Castello, Maria Leonarda 259, 265 Cervantes, Miguel de 31 Chapelier, Isaac René Guy Le 50 Chardin, Jean-Baptist 82 Chiarugi, Vincenzo 243 Chodowiecki, Daniel 163, 168 Choi, Moon Sun 265–266 Clauren, Heinrich (bzw. Heun, Carl Gottfried Samuel) 281–282 Colbert, Henriette 102–104 Condemi, Conchetta 47 Connolly, John 243 Conti, Antonio 135 Corneille, Thomas 87 Cotta, Johann Friedrich 80, 116 Cox, Joseph Mason 244–245 Cranach, Lukas d. Ä. 127 Crane, Walter 75 Danto, Arthur Coleman 4, 15, 17–18, 20, 285 Darwin, Erasmus 245 Delarue, Paul 267 Demiani, Carl Friedrich 147 Derrida, Jacques 10, 212 Dickens, Charles 76 Didot, Firmin 160 Dorow, Wilhelm von 195, 202 Dundes, Alan 267 Durante, Francesco 135, 139–140 Eichendorff, Joseph Freiherr von 41, 44, 49, 52, 69, 107, 172, 225 Eigendorfer, Georg Joseph 138–139 Einsiedel, Gottfried Emanuel von 111 Feustel, Elke 259, 261, 265 Fichte, Johann Gottlieb 19, 29–30, 49, 196

Namenregister Fischer, Bernd 61–62 Flake, Otto 48 Fontane, Theodor 216, 226 Forberg, Friedrich Karl 45 Forster, Georg 126 Foucault, Michel 243 Fouqué, Caroline de la Motte 278 Fouqué, Friedrich Baron de la Motte 272–273, 277, 279 Francisci, Erasmus 260 Frege (Fuhrmann) 96 Frey, Johann Gottfried 195 Freyberg, Max Prokop von 139 Fried, Michael 211–213, 220–221 Friedrich I., König von Preußen 59 Friedrich II., König von Preußen 197 Friedrich Wilhelm I., König von Preußen 59–60 Friedrich Wilhelm II. König von Preußen 165 Friedrich Wilhelm III., König von Preußen 165, 194, 197, 199 Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen 150 Friese, Heinz Gerhard 49 Fühmann, Franz 180 Fulda, Daniel 82, 259 Gaderer, Rupert 183 Galvani, Luigi 246 Gennep, Arnold von 37 George III of the United Kingdom 242, 245 Gericke, Selbwart 99– 100 Gethmann-Siefert, Annemarie 4, 15, 20, 24 Geulen, Eva 4–5 Gneisenau, August Wilhelm Neidhardt von 189, 194 Goethe, Johann Wolfgang von 3–5, 7–12, 18, 20, 30, 38, 43, 48, 50, 69–70, 72–73, 79, 107, 109, 112–113, 116, 118-–119, 123–124, 126, 128, 132, 134, 136–137, 139-141, 144–145, 153–155, 157, 159–167, 186, 192, 204, 247, 283 Görres, Joseph von 17, 144–145, 153–154, 170, 289 Göschen, Georg Joachim 160–161, 168 Goya, Francisco di 81 Graevenitz, Gerhart von 44 Graff, Elisabetha Sophia Augusta 150 Grassini, Giuseppina 132 Griesinger, Wilhelm 245

Namenregister Grimm, Auguste 269 Grimm, Dorothea 269 Grimm, Jacob 57–58, 115, 191, 204, 257– 258, 260, 263, 265, 267, 269, 287 Grimm, Ludwig Emil 133 Grimm, Wilhelm 57–58, 112, 115–116, 188, 190–191, 204, 257–258, 260– 261, 263, 265, 267, 269 Gubitz, Friedrich Wilhelm 170–172 Gumppenberg, Karl von 139 Günderrode, Karoline von 123, 126, 129 Gundling, Jacob Paul von 60–61, 65–66, 68 Hacks, Peter 48 Hadot, Pierre 38 Hajduk, Steffen 35–37 Hamann, Johann Georg 195 Hardenberg, Karl August von 64, 188–189, 281 Harper, Anthony 184 Härtl, Heinz 115, 124–125, 129, 167, 172, 191, 194, 196, 198, 200 Hartmann, Christian Heinrich Ferdinand 147, 167, 170–171 Hauff, Wilhelm 46–47, 281 Haym, Rudolf 13, 19, 22 Hebbel, Friedrich 42, 46– 47, 49, 52–53 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 3–25, 43, 46, 52–53, 129, 152, 285 Heimes, Alexandra 33 Heine, Heinrich 13, 18, 20, 34, 144, 289 Heinitz, Friedrich Anton von 281 Heinroth, Johann Christian August 247 Heinse, Wilhelm 18 Helmholtz, Herrmann von 213–214 Helwig, Ilsabe Dorothea 144, 155 Henne, Meil von 163 Hensel, Wilhelm 168 Herckt/Herkt (Hauslehrer) 99 Herterich, Hannchen 151 Herterich, Heinrich Joachim 151 Hettner, Hermann 13, 19 Hill, Robert 243 Hillebrand, Bruno 31 Hoffmann, E. T. A. 27, 30, 33–39, 45, 52, 57–58, 67, 80, 162, 177–184 Hogarth, William 76 Holtei, Karl von 30 Homer 124–125 Hoppe, Heinz 179 Hörisch, Jochen 29–31, 229

317 Horn, Ernst 243–243, 254 Hotho, Heinrich Gustav 4, 13–16 Huch, Ricarda 45 Huizinga, Johan 82–83 Hülsen, August Ludwig 51 Hunger, Anton 139 Iffland, August Wilhelm 146 Jacobi, Friedrich Heinrich 205 Jacobi, Maximilian 19, 247 Jean Paul 23–24, 53, 69, 161, 163 Jeetze, Sophie Dorothea von 111 Juhel, Pierre O. 179 Jung, Carl Gustav 261 Jung-Stilling, Heinrich 50 Jünger, Ernst 45 Kant, Immanuel 19, 29, 31, 43, 50–51, 196, 242 Kasack, Hermann 51 Keller, Gottfried 67 Kind, Friedrich 168 Kleist, Heinrich von 30, 60, 186, 196 Kleist, Ulrike von 30 Klemperer, Victor 54 Klingemann, August 42–43, 48–49, 52 Klinger, Friedrich Maximilian 18 Knigge, Adolph Freiherr von 146 Kodisch, Tanja 258, 262 Kohl, Katrin 128 Kohlrausch, Heinrich 244 Kolbe, Karl Wilhelm 168, 170 Kosegarten, Gottfried Ludwig 151 Kremer, Detlef 178–179 Krüdener, Juliane von 200 Kubin, Alfred 51 La Roche, Sophie von 126–127, 131 Labes, Caroline von (geb. Daum) 93, 111, 117, 119, 193, 200 Labes, Hans 119 Labes, Johannes 196, 199 Lange, Carsten 42 Langen, August 127 Laukhardt, Friedrich Christian 276 Laurent, Johannes Theodor 146 Lautréamont, Isidor Ducasse Comte de 41, 54 Lawski, Jaroslaw 49 Lehmann III, Carl Ernst 165, 167

Namenregister

318 Lehmann, Carl 165 Lehmann, Johann Jacob 165 Lenk, Elisabeth 44 Lenz, Jakob Michael Reinhold 18 Leopold, Peter 243 Lessing, Gotthold Ephraim 145 Lethen, Helmut 46 Lichtenberg, Georg Christoph 30 Lichtenberg, Ludwig (Louis) Christian Christoph von 125, 127 Lindner, Henriett 34, 37 Lindpaintner, Peter 133, 138 Lorenz, Maren 259 Louis Ferdinand, Prinz von Preußen 192 Ludwig XVI., König von Frankreich 253 Lühr, Renate 38 Luise, Königin von Preußen 194 Lypp, Bernhard 52 Magris, Claudio 35–37 Mangold, Hartmut 184 Mann, Thomas 67 Mantegna, Andrea 80 Marcello, Benedetto 134–135, 137 Marcus, Adalbert 246 Marquard, Odo 31 Marx, Karl 46, 50, 52, 76, 243 Massy, Jan 81 McGlathery, James M. 184 Meier, Heinrich 51 Meier-Graefe, Julius 216 Menius, Friedrich 84 Menzel, Adolph 209–227 Mereau, Sophie 191, 203 Mergenthaler, Jens 32–33, 39 Mesmer, Franz Anton 32, 34, 246, 248– 249 Miller, Norbert 182 Moritz, Karl Philipp 160, 242–243 Morris, William 75, 77, 158 Möser, Justus 57–58 Moy de Sons, Familie 132 Moy de Sons, Elisabeth 131 Müller, Adam Heinrich 63 Müller, Friedrich (gen. Maler Müller) 18 Müller, Heiner 54 Müller, Johann Ernst Friedrich Wilhelm 168 Mummenthey (Familie in Arnims Diensten in Wiepersdorf) 96–97 Mundt, Theodor 23 Murger, Henry 44

Napoleon I. Bonaparte 150, 167, 178, 180– 181, 192, 196, 198–200, 202 Nasse, Christian Friedrich 247 Neumeyer, Harald 54, 241 Nicolovius, Friedrich 165, 195 Nicolovius, Georg Heinrich Ludwig 195 Niebuhr, Barthold Georg 185, 187–189 Nietzsche, Friedrich Wilhelm 39, 44, 52, 209 Norman, Oliver 184 Novalis (d.i. Friedrich von Hardenberg) 24, 27–30, 42, 45, 49, 52–53, 157, 229, 247–248 Nußbaumer, Franz Xaver 139 Odysseus 124–125 Oehlke, Waldemar 129 Oehmchen (Haushälterin in Wiepersdorf) 102–104 Orenstein, Catherine 267 Ortega y Gasset, José 50 Pellatz, Susanne 265 Pergolesi, Giovanni Battista 131 Perrault, Charles 267 Perthes, Caroline 144, 155 Perthes, Friedrich 144, 146–152, 155 Petersen, Emilie 144–145, 155 Pikulik, Lothar 28, 58, 182, 217 Pinel, Philippe 242–245 Poe, Edgar Allan 46–47 Prévot, René 46 Pussin, Jean-Baptiste 243, 245 Quintilian 129 Radziwill, Anton Heinrich Fürst von 140, 195 Ramberg, Johann Heinrich 168 Reichardt, Johann Friedrich 140, 192–195, 199, 203–204, 286 Reichardt, Louise 140 Reil, Johann Christian 34, 242–247 Reimer, Georg Andreas 185, 188–189 Richter, Carl Friedrich Enoch 167–170 Rilke, Rainer Maria 27, 48 Rimbaud, Arthur 53 Ritter, Johann Wilhelm 30, 249 Robespierre, Maximlien 53 Rohrwasser, Michael 180 Röschlaub, Andreas 246

Namenregister Rosenkranz, Karl 13, 18–25 Rousseau, Jean-Ja cques 51, 218, 227 Ruge, Arnold 19 Ruhl, Ludwig Sigismund 168–170 Runge, Carl Hermann 144, 147–149, 155– 156 Runge, David Joachim 144, 155 Runge, Gustav 152 Runge, Heinrike 144, 156 Runge, Johann Daniel 137, 144, 145, 147–151, 153 Runge, Isabel Dorothea 144 Runge, Maria Dorothea 152 Runge, Otto Siegmund/Sigismund 147–148 Runge, Pauline (siehe auch Pauline Bassenge) 147–148, 152 Runge, Philipp Otto 143–154, 263 Rush, Benjamin 243 Salzmann, Johann Daniel 79 Samjatin, Michail 49 Savigny, Friedrich Carl von 94, 95, 98, 108– 117, 120, 131–133, 136–140, 154, 192, 195, 200 Savigny, Gunda 94, 97, 109 Savigny, Karl Friedrich von 185, 188 Savoy, Benedicte 181 Scheffner, Johann George 195 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 8, 17, 30, 34–36, 128, 183, 246 Schenkendorf, Max von 196, 200 Schiller, Friedrich 11, 82–83, 159, 161, 165– 166 Schlabrendorf,Gustav Graf von 193 Schlegel, August Wilhelm 17, 19, 30) Schlegel, Friedrich 5–6, 17, 29, 30, 42, 49, 143, 145, 154 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst 17, 128, 185, 187–188 Schlitz, Hans Graf von (Freiherr von Labes) 111, 117, 193, 198–199, 271 Schlitz, Louise von 197 Schlosser, Johann Friedrich Heinrich (Fritz) 124–125 Schmidt, Christian 31 Schmitz-Emans, Monika 31 Schnabel, Franz 39 Schopenhauer, Arthur 212, 216–217, 221 Schormann, Sabine 128 Schrag, Johann Leonhard 167 Schröder, Rudolf Alexander 109

319 Schrötter, Ferdinand von 200–201 Schrötter, Friedrich Leopold von 201 Schubert, Bernhard 67 Schubert, Gotthilf Heinrich 34, 49, 52, 183 Schultz, August von 188 Schultz, Hartwig 116, 119, 121, 124, 128 Schulz, Gerhard 29, 34, 39 Schwinck, Auguste 195–196, 200–204, 206 Schwinck, Charlotte 195, 200, 205 Schwinck, George Gotthilf 195, 200–202 Senefelder, Alois 159 Shaftesbury, Anton Asthley Cooper Earl of 30 Shakespeare, William 20–21, 31, 70 Sickler, Friedrich Karl Ludwig 37, 41–42 Simitis, Spiros 50 Simmel, Georg 45 Smith, Adam 58 Solger, Karl Wilhelm Ferdinand 17 Sollner, Gerd 269 Solly, Eduard 98 Sperling, Urte 259 Spohr, Louis 132 Staegemann, Elisabeth 193, 195–196 Staegemann, Friedrich August 195 Starobinski, Jean 51 Steck, Wolfgang 28 Steen, Jan 81 Steffens, Henrik 30 Stein, Heinrich Friedrich Karl Freiherr vom und zum 64, 194, 198–199, 201 Steinecke, Hartmut 180 Tatar, Maria 184, 246, 250 Ténèze, Marie Louise 267 Tieck, Friedrich 80 Tieck, Johann Ludwig 17–18, 20, 23, 30, 47, 57–58, 67, 69–77, 80, 131, 204 Tiemann, Hermann 158 Tischbein, Wilhelm 151 Tischer (Haushälterin) 96 Tour, Georges de la 81 Toussaint, Jean Claude 194 Thouvenin, Joseph 164 Tuke, William 242–244, 247 Uhlmann, Gabriele 268 Umbreit, August Ernst 158 Unger, Johann Friedrich 160–161 Uther, Hans Jörg 259–260

320 Valesi, Maria Crescentia 135, 137 Varnhagen, Rahel 43, 113, 121, 151 Veith, Johann Philipp 147 Vogl, Joseph 58, 63 Voigt, Carl Wilhelm 165, 167 Volta, Alessandro 246, 249 Voltaire 127 Vordtriede, Werner 98, 109, 248 Wackenroder, Wilhelm Heinrich 57–58, 67, 72, 152 Wagner, Richard 52, 67 Wälchli, Tan 181 Warner, Marina 268 Weber, Carl Maria von 17 Wellbery, David E. 37, 225 Wendt, August Amadeus 167–170

Namenregister Wewetzer, Adolf 188–189 Wieland, Christoph Martin 83, 160–161 Wild, Dorothea 269 Willis, Francis 242, 244–245, 247 Wingertszahn, Christof 60, 66–67 Winkelmann, Stephan August 203 Winter, Peter von 132–138 Wißmann, Friedrich Ludwig August 201 Wolf, Max 139 Wolfart, Karl Christian 231, 248 Wölfflin, Heinrich 212 Zimmer, Johann Georg 144, 154, 156, 191 Zimmerli, Walther 30 Zipes, Jack 259, 267 Zweig, Stefan 47

Verzeichnis der Beiträgerinnen und Beiträger

Prof. Dr. Barbara Becker-Cantarino • Ohio State University • Department of Germanic Languages and Literatures • 336 Hagerty Hall • 1775 College Road • Columbus, Ohio 43210 • USA Dr. Michael Bies • Podbielskistr. 188 • D–30655 Hannover Dr. des. Stephanie Bölts • Universität zu Köln • Albertus-Magnus-Platz • D–50932 Köln Prof. Dr. Roswitha Burwick • Distinguished Chair of Modern Foreign Languages. Emerita • Scripps College, Department of Foreign Languages and Literatures – German Section • Claremont, CA 91711, USA Dr. Sheila Dickson • 98 Ormonde Crescent • Netherlee • Glasgow • G44 3SW • UK Prof. Dr. Steffen Dietzsch • Kondylis-Institut für Kulturanalyse und Alterationsforschung • FernUniversität in Hagen • Universitätsstr. 33 (KSW) • D-58084 Hagen Prof. Dr. Irmgard Egger † • Universität Wien • Institut für Germanistik • Universitätsring 1 • A–1010 Wien Prof. Dr. Lothar Ehrlich • Rainer-Maria-Rilke-Str. 8 • D–99423 Weimar Ursula Härtl • Cranachstr. 10 • D–99423 Weimar PD Dr. Bernd Hamacher • Universität Hamburg • Institut für Germanistik II • Von-Melle-Park 6 • D–20146 Hamburg PD Dr. Oliver Jehle • Universität Regensburg • Institut für Kunstgeschichte • Universitätsstrasse 31 • D–93053 Regensburg Dr. Norman Kasper • Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg D–06099 Halle an der Saale



Germanistisches Institut



Dr. Jürgen Knaack • Adlerhorst 24 • D–24558 Henstedt-Ulzburg Dr. Renate Moering • Zietenring 1 • D–65195 Wiesbaden Prof. Dr. Stefan Nienhaus • Università degli Studi di Foggia. Dipartimento di Studi Umanistici • Via Arpi 176 • I-71100 Foggia, Italien Prof. Dr. Dr. h.c. Walter Pape • Universität zu Köln • Institut für deutsche Sprache und Literatur I • Albertus-Magnus-Platz • D–50923 Köln Dr. Yonne Pietsch • Klassik Stiftung Weimar • Burgplatz 4 • D–99423 Weimar Dr. Ralph Schippan • Markgrafenstr. 14 • D–40545 Düsseldorf Dr. Holger Schwinn • Brentano-Redaktion, Frankfurter Goethe-Haus / Freies Deutsches Hochstift • Großer Hirschgraben 23–25 • D–60311 Frankfurt am Main Dr. Gert Theile • Klassik Stiftung Weimar, Abteilung Editionen • Platz der Demokratie 4 • D–99423 Weimar Prof. Dr. Christof Wingertszahn • Direktor des Goethe-Museums / Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung • Jacobistr. 2 • D–40211 Düsseldorf