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German Pages 212 Year 2002
KÄHOTGIMPHUCA £ £
LEXICOGRAPHICA Series Maior Supplementary Volumes to the International Annual for Lexicography Supplements ä la Revue Internationale de Lexicographie Supplementbände zum Internationalen Jahrbuch für Lexikographie
Edited by Sture Allen, Pierre Corbin, Reinhard R. K. Hartmann, Franz Josef Hausmann, Ulrich Heid, Oskar Reichmann, Ladislav Zgusta 111
Published in cooperation with the Dictionary Society of North America (DSNA) and the European Association for Lexicography (EURALEX)
Ineta Baiode
Deutsch-lettische Lexikographie Eine Untersuchung zu ihrer Tradition und Regionalität im 18. Jahrhundert
Max Niemeyer Verlag Tübingen 2002
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme [Lexicographica
/ Series maior]
Lexicographica : supplementary volumes to the International annual for lexicography / publ. in cooperation with the Dictionary Society of North America (DSNA) and the European Association for Lexicography ( E U R A L E X ) . Series maior. - Tübingen : Niemeyer. Früher Schriftenreihe Reihe Series maior zu: Lexicographica 111. Baiode, Ineta: Deutsch-lettische Lexikographie. - 2002 Beilüde. Ineta: Deutsch-lettische Lexikographie : eine Untersuchung zu ihrer Tradition und Regionalität im 18. Jahrhundert / Ineta Baiode. - Tübingen : Niemeyer, 2002 (Lexicographica : Series m a i o r ; 111) Zugl.: Rostock, Univ., Diss., 2001 ISBN 3-484-39111-1
ISSN 0175-9264
© Max Niemeyer Verlag G m b H , Tübingen 2002 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: Weihert-Druck G m b H , Darmstadt Einband: Industriebuchbinderei Nadele, Nehren
Vorbemerkung
Der Weg zu dieser Untersuchung ist lang gewesen. Es galt, ein Thema zu finden, das eine Symbiose meiner besonderen Interessen sowohl für Sprachgeschichte und Sprachkontakte als auch für Wörterbücher ermöglichte. Eine kontaktlinguistisch ausgerichtete Erforschung der lexikographischen Besonderheiten in einem deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Wörterbuch sowie der kontaktsprachlichen Einflüsse auf die deutsche Sprache im Baltikum im 18. Jahrhundert, die in der vorliegenden Arbeit anhand einer Untersuchung des zweisprachigen Lexikons (1777) von Jacob Lange vorgenommen wird, erschien dafür in besonderem Maße geeignet. Die Arbeit wurde 1995 in Riga unter der wissenschaftlichen Betreuung von Frau Dr. Dzintra Lele-Rozentale begonnen, die in diesen Jahren meiner Untersuchung mit großem Engagement folgte, mich beriet und mich stets mit neuen Ideen motivierte. Dafür möchte ich ihr einen besonders herzlichen Dank aussprechen. Von der Universität Rostock wurde die Untersuchung durch mehrere Stipendien für Forschungsaufenthalte in Deutschland unterstützt. Dadurch wurden mir eine intensive Arbeit in den Bibliotheken, die Teilnahme an verschiedenen wissenschaftlichen Konferenzen sowie Kontakte zu Fachkollegen ermöglicht. An dieser Stelle möchte ich mich besonders bei Frau Prof. Dr. Irmtraud Rösler bedanken, die mir mit konstruktiven Ratschlägen und mit persönlicher Einfühlsamkeit zur Seite stand und sich für die finanzielle Hilfe einsetzte. Ebenso möchte ich mich bei dem langjährigen Mitarbeiter am „Deutschen Wörterbuch" in Berlin, Herrn Dr. Wilhelm Braun, bedanken, mit dem ich anregende Gespräche über lexikographische Themen führte. Frau Prof. Dr. Gisela Brandt aus Berlin war eine hilfreiche Wegweiserin, wenn es darum ging, meine arbeitstechnischen Fertigkeiten und Fähigkeiten beim Anwenden wissenschaftlicher Untersuchungsmethoden zu vertiefen. Ein großer Dank gilt auch Herrn Prof. Dr. Dieter Rosenthal für wichtige Vorschläge bei der Wortschatzstudie sowie der Doktorandin der Universität Rostock, Frau Anja Hampel, Frau Christine Rodewald M.A. (Universität Bremen) und Herrn Dr. Claus Altmeyer (Universität Saarbrücken) für sprachliche und stilistische Hinweise. Meine Eltern Imants Balodis und Maija Baiode sowie mein Lebensgefährte Peter Reindl unterstützten und begleiteten mich in der Zeit meiner Arbeit. Deshalb gilt auch ihnen mein aufrichtiger Dank.
Inhalt
Abkürzungsverzeichnis 1. Einleitung
XI 1
2. Untersuchungsziele und Methoden 2.1. Untersuchungsziele 2.2. Theoretische Ansätze und Untersuchungsmethoden 2.3. Aufbau der Arbeit
5 5 6 10
3. Der kulturhistorische Hintergrund zur Entstehung und Effizienz des zweisprachigen Lexikons von Jacob Lange 3.1. Die ethnische Struktur der Bevölkerung im Baltikum 3.2. Die soziale Struktur der Bevölkerung im Baltikum 3.3. Soziokulturelle Kontakte der baltischen Bevölkerung 3.4. Der Lebensweg von Jacob Lange und sein Werdegang als Lexikograph
11 11 14 16 20
4. Lexikographische Konzeptionen zum deutschen Wörterbuch und ihr Einfluß auf die deutsch-fremdsprachige/fremdsprachig-deutsche Lexikographie des 17./18. Jahrhunderts 4.1. Theoretische Konzeptionen eines deutschen Wörterbuchs im 17./18. Jahrhundert 4.2. Sprachdidaktische Ansichten Johann Arnos Comenius' und ihr Einfluß auf die zwei- und mehrsprachige Lexikographie 4.3. Der Einfluß der theoretischen Konzeptionen auf die deutschen Wörterbücher 4.4. Der Einfluß der theoretischen Konzeptionen auf die deutsch-fremdsprachigen/ fremdsprachig-deutschen Wörterbücher 5. Deutsch-lettische/lettisch-deutsche Lexikographie bis 1777 5.1. Die zwei- und mehrsprachigen Wörterbücher im Überblick 5.2. Der aktuelle Forschungsstand 5.3. Analyse der Quellen- und Vorlagenbeziehungen der Wörterbücher zur Aufdeckung der Tradition in der deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Lexikographie bis 1777 5.3.1. Zielgruppen und Anwendungsbereiche der deutsch-lettischen/ lettisch-deutschen Wörterbücher 5.3.2. Wortschatz in den Wörterbüchern: Forschungsansichten und Ergebnisse der Pilotstudien 5.3.3. Die Struktur der Wörterbücher als Indiz fur die Benutzung der lexikographischen Vorlagen 5.3.4. Ermittlung der lexikographischen Quellen anhand der lettischen Orthographie 6. Empirische Beschreibung des Lexikons von Jacob Lange 6.1. Jacob Langes konzeptionelle „Vorrede" 6.1.1. Sprachliche, allgemeinbildende und pädagogische Relevanz des Lexikons
23 23 25 26 27 33 33 35
38 38 42 48 54 59 59 60
VIII 6.1.2. Jacob Langes Begriff der Vollständigkeit in der Lexikographie und im Lexikon 6.1.3. Jacob Langes linguistische Erkenntnisse als Grundlage für die Wortschatzerfassung und -darstellung 6.2. Aufbau des Lexikons 6.2.1. Makrostruktur 6.2.2. Mikrostruktur 6.3. Methoden der Wortschatzdarstellung bei Jacob Lange 6.3.1. Bedeutungs- bzw. Äquivalenzdifferenzierung im deutsch-lettischen Teil des Lexikons 6.3.2. Metasprache und ihre Einsatzbereiche 6.3.3. Die enzyklopädische Information 6.4. Typologische und funktionale Aspekte des Lexikons aus der Perspektive der deutschsprachigen Benutzer 6.4.1. Der deutsch-lettische Teil des Lexikons 6.4.2. Der lettisch-deutsche Teil des Lexikons 7. Jacob Langes Lexikon im Kontext der deutsch-fremdsprachigen/ fremdsprachig-deutschen Lexikographie und sein Einfluß auf die Wörterbuchschreibung 7.1. Jacob Langes lexikographische Konzeption im Vergleich zu der eines deutschen Wörterbuchs 7.2. Jacob Langes Rückbezug auf lexikographische und nichtlexikographische Werke im Baltikum 7.3. Mögliche Wortschatzquellen und lexikographische Vorlagen fur das Lexikon.... 7.3.1. Lexikographische Wortschatzquellen 7.3.2. Lexikographische Vorlagen 7.4. Einfluß des Lexikons auf die weitere Entwicklung der Lexikographie im Baltikum 8. Das Lexikon von Jacob Lange als Quelle zur Erforschung der deutschen Sprache im Baltikum 8.1. Die deutsche Sprache im Baltikum 8.1.1. Regionale Besonderheiten der deutschen Sprache im Baltikum 8.1.2. Entstehung und Gebrauch des Terminus' „Baltendeutsch" 8.1.3. Untersuchungsmöglichkeiten der deutschen Sprache im Baltikum unter Aspekten der Kontaktlinguistik 8.2. Wege der wissenschaftlichen Annäherung an die regionalen Besonderheiten der deutschen Sprache des Baltikums im Lexikon von Jacob Lange 8.2.1. Die deutschen trennbaren Präfixverben als Analyseobjekt und ihre Repräsentanzfähigkeit für die deutsche Sprache im Baltikum 8.2.2. Die deutschen trennbaren Präfixverben unter dem Aspekt lexikalischer Interferenz 8.2.3. Semantische Analysierbarkeit der deutschen Einträge im Lexikon 8.2.4. Die benutzten Untersuchungsquellen und ihre Kompatibilität 8.3. Vorgehensweise bei der Analyse der deutschen trennbaren Präfixverben 8.3.1. Erstellung des Textkorpus'
60 63 64 64 65 66 66 68 70 71 71 72
75 75 77 81 82 85 87 91 91 91 94 96 98 98 100 101 104 107 107
IX 8.3.2. Ermittlung der Art und Ursache lexikalisch-semantischer Abweichungen vom Hochdeutschen
108
9. Lexikalisch-semantische Besonderheiten der trennbaren Präfixverben bei Jacob Lange im Vergleich zum lexikographisch erfaßten Hochdeutsch des 18. Jahrhunderts 9.1. In hochdeutschen Wörterbüchern nicht belegte Präfixverben 9.1.1. Präfixverben niederdeutschen Ursprungs 9.1.2. Präfixverben mit „sich" als Lehnbildungen aus dem Lettischen 9.1.3. Einzelfälle 9.1.4. Zwischenergebnis 9.2. In hochdeutschen Wörterbüchern nicht belegte Bedeutungen der Präfixverben... 9.2.1. Lehnübersetzungen aus dem Niederdeutschen 9.2.2. Veränderung der kontextuellen Distribution durch den Einfluß des Lettischen 9.2.3. Veränderungen in der semantisch modifizierenden Funktion der Präfixe... 9.2.3.1. Semantisch modifizierende Funktionen der Präfixe nach dem Vorbild im Lettischen 9.2.3.2. Nach Herkunft ungeklärte semantische Abweichungen 9.2.4. Semantische Besonderheiten einzelner nichtreflexiver Präfixverben 9.3. Im hochdeutschen Sprachgebrauch des 18. Jahrhunderts zurücktretende Präfixverben und Verbbedeutungen bei Jacob Lange 9.3.1. Zurücktretende Präfixverben 9.3.2. Zurücktretende und abgelegte Verbbedeutungen 9.3.3. Zwischenergebnis 9.4. Ausgeschiedene Fälle 9.5. Zusammenfassung
147 147 149 153 153 157
10. Fazit
167
11. Literaturverzeichnis 11.1. Quellen 11.2. Sekundärliteratur
173 173 175
Anhang
187
Summary
193
Rösumö
197
111 112 113 116 124 125 126 130 133 139 139 142 145
Abkürzungsverzeichnis
1. Siglenverzeichnis
A ADB DB BL DE De DL Η DL uH DUW DWB
= Grammatisch=kritisches Wörterbuch [...]: J.Ch. Adelung (1793ff.) = Allgemeine Deutsche Biographie (1875ff.) = Deutschbaltisches biographisches Lexikon: W. Lenz (Hg.) (1970) = A COMPLEAT ENGLISH DICTIONARY, Teil II: Th. Arnold (1761) = Liborius Depkin = Deutschlettisches und lettischdeutsches Lexicon. Handschrift des deutschlettischen Lexicons: J. Lange (1755) = Deutschlettisches und lettischdeutsches Lexicon. Die undatierte Handschrift des deutsch-lettischen Lexicons: J. Lange = Duden Deutsches Universalwörterbuch (1989) = Deutsches Wörterbuch:
DWB 1 DWB 2
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DWB 3
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Für. I
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Deutsches Wörterbuch von J. Grimm/W. Grimm: Sonderauflage (1984) Deutsches Wörterbuch von J. u. W. Grimm: Deutscher Taschenbuchverlag (1984) Deutsches Wörterbuch von J. Grimm/W. Grimm: Neubearbeitung (1983ff.) LIBER MEMORIALIS LETTICUS: C. Elvers (1748) Etymologisches Wörterbuch des Deutschen: W. Pfeifer (Hg.) (1989) Frühneuhochdeutsches Wörterbuch: R. Anderson, U. Goebel, O. Reichmann (Hgg.) (1986ff.) 1. Abschrift des lettisch-deutschen Wörterbuchs: Ch. Fürecker (2. Hälfte des 17. Jahrhunderts) 2. Abschrift des lettisch-deutschen Wörterbuchs: Ch. Fürecker (2. Hälfte des 17. Jahrhunderts) Wörterschatz der Deutschen Sprache Livlands: W. Gutzeit (1864ff.) Idiotikon der deutschen Sprache in Lief= und Ehstland: A.W. Hupel (1795) Ineta Baiode Litauisch-deutsches Wörterbuch: A. Kurschat (1968) Jacob Lange Deutschlettisches und lettischdeutsches Wörterbuch. Handschrift des lettisch-deutschen Teils: Lange (1755) Latviij-lietuviii kalbij zodynas: J. Balkevicius, J. Kabelka (1977) Latviesu literäräs valodas värdnica (1972ff.) Johannes Langius Lettisch-deutsches Wörterbuch: K. Mühlenbach (1923ff.), ergänzt von J. Endzelin Georg Manzel
XII MecklWB
=
MndWB MPGZ NsWB PreußWB
= = = =
S SH St St 1761 U UB Vok. W
= = = = = = = =
Mecklenburgisches Wörterbuch: R. Wossidlo, H. Teuchert (Hgg.) (1942ff.) Mittelniederdeutsches Wörterbuch: K. Schiller, A. Lübben (1875ff.) Mitauische Politische und Gelehrte Zeitungen Niedersächsisches Wörterbuch: W. Jungandreas (Hg.) (1965ff.) Preußisches Wörterbuch: W. Ziesemer (1939ff.), forgesetzt von E. Riemann (198Iff.) Neue Beiträge zur deutschen Mundart in Estland: K. Sallmann (1880) Schleswig=Holsteinisches Wörterbuch: O. Mensing (1927ff.) Lettisches Lexikon: G.F. Stender( 1789) Entwurf eines Lettischen Lexici: G.F. Stender (1761) Lettisches Wörterbuch: C.C. Ulmann (1872) Lettisches Wörterbuch: C.C. Ulmann, G. Brasche (1880) Vokabular im „Lettus": G. Manzel (1638) Teutsch=Lateinisch=und Rußisches Lexicon: (1731)
2. A l l g e m e i n e A b k ü r z u n g e n
bzw. Bd. d. h. Dt. dt. ebd. estn. etw. hd. intrans. jm. j«· Kap. lat. Lett. lett. lit. mnd. nd. nnl. o.ä.
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beziehungsweise Band das heißt Deutsche deutsch ebenda estnisch etwas hochdeutsch intransitiv jemandem jemanden Kapitel lateinisch Letten lettisch litauisch mittelniederdeutsch niederdeutsch neuniederländisch oder ähnliche
Ps. Präs. refl. S. s. SgSp. Tab. trans. u. u.a. u.a. u.ä. übertr. u.dgl. vgl. Vorb. Vorr. Vorw. ζ. B.
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Person Präsens reflexiv Seite siehe Singular Spalte Tabelle transitiv und und andere unter anderem und ähnliche übertragen und dergleichen vergleiche Vorbericht Vorrede Vorwort zum Beispiel
1. Einleitung
Das 18. Jahrhundert wird in der Geschichte der Lexikographie als Blütezeit der modernen einsprachigen und zweisprachigen Lexikographie bezeichnet (Collison 1982: 92ff.). Die rege Entwicklung ist mit intensiveren internationalen Kontakten, mit einer zunehmenden Aufklärung der Menschen und insofern auch mit einem wachsenden Interesse für fremde Kulturen und Sprachen zu begründen. Diese allgemeine europaweite Tendenz bietet eine mögliche Erklärung dafür, weshalb auch in der zweisprachigen Lexikographie mit Lettisch um die Mitte des 18. Jahrhunderts ein Wendepunkt eintrat. Wenn dem ersten in der Forschung bekannten Wörterbuch mit Deutsch und Lettisch im Sprachenpaar - dem „Lettus" von Manzel aus dem Jahr 1638 - über mehrere Jahrzehnte vorwiegend nur in Handschriften zugängliche Wörterbücher folgten, erschienen im Zeitraum von 1748 bis 1789 vier Wörterbücher mit beiden Sprachen in gedruckter Form. Das lettisch-deutsche Wörterbuch von Stender (1761) erlebte nach einer kurzen Zeit sogar die zweite Auflage. Die bisherigen Untersuchungen zum zweisprachigen „Lettus" und zu weiteren Wörterbüchern, von denen die meisten entweder deutsch-lettisch oder lettisch-deutsch sind, wurden hauptsächlich dem lexikographisch dargestellten Lettischen gewidmet. Zu nennen ist hier vor allem die Monographie von Zemzare (1961) über die Entwicklung der Lexikographie in Lettland bis 1900, auf die sich die späteren Arbeiten zur deutsch-lettischen/lettischdeutschen Lexikographie (Ozols 1965; Roze 1982 u.a.) stützten. Durch die Themenwahl und die behandelte Problematik gehören sie deshalb bis heute zu den Forschungsbereichen der Baltistik. Die deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Wörterbücher sind jedoch sowohl zur Lexikographie des Lettischen als auch des Deutschen zu zählen. Die Erforschung des deutschen Teils in diesen Wörterbüchern kann sowohl zu neuen Erkenntnissen über die deutschlettische/lettisch-deutsche Wörterbuchschreibung führen als auch eine nähere Einsicht in den lexikographischen Umgang mit dem deutschen Wortschatz im Baltikum 1 vermitteln. Eine germanistisch ausgerichtete Arbeit kann damit die Vorstellungen über die regionalen Besonderheiten dieser Wörterbücher im Rahmen der zweisprachigen Lexikographie mit der deutschen Sprache erweitern. Die Herangehensweise an die Quellen aus dieser Position ist weniger durch das Fehlen von entsprechend verankerten Untersuchungen zu begründen als vielmehr durch die Entwicklungsspezifik der zweisprachigen Lexikographie mit dem Lettischen vorbestimmt: Während der untersuchten Zeit bis zum Ende des 18. Jahrhunderts hat gerade die deutsche Sprache in der lexikographischen Gegenüberstellung mit dem Lettischen dominiert. Von insgesamt acht im Zeitraum von 1638 bis 1789 herausgegebenen zwei- und mehrsprachigen Wörterbüchern (mit Lettisch) waren in sieben Wörterbüchern die deutsche und die lettische Sprache einander gegenübergestellt. Wenn für die Entwicklung der zweisprachigen Lexikographie mit vielen europäischen Sprachen - so ζ. B. mit dem Deutschen, Englischen, Französischen - die Wörterbücher mit dem Latein im Sprachenpaar eine bedeutende Rolle spielten, so erwuchs die zweisprachige Lexikographie mit dem LettiDer Begriff 'Baltikum' deckt in der vorliegenden Arbeit die historischen Gebiete ab, die heute zu Estland und Lettland gehören (s. Anhang).
2 sehen aus der Gegenüberstellung mit dem Deutschen. Eine deutliche Überrepräsentanz dieses Sprachenpaares bis in das 19. Jahrhundert hinein erklärt sich vor allem durch die historische Entwicklung im Gebiet des heutigen Lettland. Seit dem 13. Jahrhundert bis zum Vorabend des Zweiten Weltkrieges wurde diese Region (s. Anhang) nicht nur von Letten, sondern auch von Deutschen bewohnt, wobei die Deutschen trotz der zahlenmäßigen Minderheit bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts die sozial herrschende Gesellschaftsschicht bildeten. Aus diesem Grund genoß auch die deutsche Sprache über eine längere Zeitperiode hohes Ansehen. Das im Baltikum gesprochene und geschriebene Deutsch erfuhr jedoch seine eigene Geschichte und seine eigene Prägung. Auf niederdeutscher Grundlage erwachsen, schloß es sich seit dem 16. Jahrhundert dem Schreibsprachwechsel Norddeutschlands zum Hochdeutschen an, doch dieser Prozeß betraf die unterschiedlichen Gesellschaftsschichten nicht gleichermaßen, und wurde, so gesehen, nie ganz abgeschlossen. Wie in der Forschung (Masing 1926) belegt wird, waren niederdeutsche Elemente vor allem in der gesprochenen Sprache noch im 20. Jahrhundert präsent. Einen gewissen Einfluß auf die deutsche Sprache im Baltikum übten die unmittelbaren Kontaktsprachen wie Lettisch, Estnisch und später auch Russisch aus (Eckardt 1904; Mitzka 1923, 6ff.), doch ihre Rolle fur die eigentümliche Prägung des Deutschen im Baltikum wurde nie systematisch ausgewertet. Auf die deutsch-lettische/lettisch-deutsche Lexikographie hat die Präsenz einer deutschen Minderheit in Kurland und im südlichen Teil Livlands 2 einen wesentlichen Einfluß ausüben können, da die Wörterbücher gewöhnlich in der Kulturgeschichte eines Landes verankert sind und kulturhistorische Tendenzen berücksichtigen. Durch die deutsche Minderheit wurden ζ. B. Beziehungen aller Art zwischen dem Baltikum und den deutschsprachigen Ländern aufrechterhalten. Insbesondere pflegten die gebildeten Kreise, zu denen die Wörterbuchautoren zweifelsohne zu rechnen sind, ständige Kontakte zu den deutschsprachigen Gebieten. Deshalb ist mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß diese gesellschaftlichen Prozesse im Baltikum auch im Bereich der Lexikographie reflektiert wurden: Die baltischen Lexikographen haben die zeitgenössischen Tendenzen in der europäischen zweisprachigen Lexikographie, vorzugsweise in der Lexikographie mit der deutschen Sprache, in ihren Werken berücksichtigt. Wie aus den Titeln der deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Wörterbücher und aus den dort formulierten Benutzungszwecken zu schließen ist, waren jedoch diese Werke bis zum 19. Jahrhundert in erster Linie zum regionalen Gebrauch gedacht. Anders als ζ. B. in der deutsch-schwedischen/schwedisch-deutschen Lexikographie des 18. Jahrhunderts (vgl. Korlen 1991: 3043) waren die deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Wörterbücher nicht an der lexikographischen Darstellung des Deutschen orientiert, sondern sie sollten vor allem den Deutschen zum Erlernen des Lettischen behilflich sein. Der insgesamt unveränderte benutzerorientierte Aspekt in den deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Wörterbüchern bis zum Ende des 18. Jahrhunderts sowie zahlreiche Belege aus der Forschung hinsichtlich einer engen Quellen- und Vorlagenbeziehung zwischen diesen Wörterbüchern (Zemzare 1961) leiten zur Annahme, daß sie in der betrachteten Zeit - von 1638 bis zum Erscheinen des Lexikons von Lange 1777 - nicht nur viele gemeinsame konzeptionelle Züge, sondern 2
Dabei handelt es sich um zwei historische, hauptsächlich von Letten und Deutschen bewohnte Gebiete des Baltikums, deren Namen heute zwei Landschaften der Republik Lettland tragen.
3 auch eine engere Wortschatzverbindung hinsichtlich der deutschen Sprache aufweisen können. Die Autoren dieser Wörterbücher waren meistens im Baltikum beheimatete deutsche Pastoren, die hervorragende Lettischkenntnisse hatten. Wenn man eine gewisse regionale Prägung des Deutschen im Baltikum und die erwähnte Sozialisation sowie die Zwei- oder Mehrsprachigkeit der Wörterbuchautoren in Betracht zieht, wäre insbesondere im deutschen Wortschatz dieser Wörterbücher eine Anzahl von regionalen Merkmalen zu erwarten. Das erwähnte lexikographisch dargestellte Sprachmaterial hat in der Geschichte der deutschen Sprache jedoch kaum eine Auswertung erfahren. Zwar gehören die lexikographischen Werke aus dem Baltikum wie die regionalen deutschen Wortschatzsammlungen von Hupel (1795) und Gutzeit (1864ff.) zu den zitierten Belegquellen in den historisch ausgerichteten deutschen Wörterbüchern, ζ. B. im „Deutschen Wörterbuch", doch diese Quellen sind nur ein- bzw. deutschsprachig. Als Tradition in der europäischen zweisprachigen Lexikographie mit der deutschen Sprache im 18. Jahrhundert wird in der vorliegenden Arbeit ein wesentliches und gemeinsames konzeptionelles Merkmal in den deutsch-fremdsprachigen/fremdsprachig-deutschen Wörterbüchern bezeichnet: ihr enger Bezug auf die deutsche Wörterbuchkonzeption des 17./18. Jahrhunderts. Im engeren Sinne impliziert dieser Begriff nur die Entwicklung innerhalb der deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Lexikographie von den Anfängen bis zum Erscheinen des Lexikons 1777 mit einem kurzen Ausblick auf die weitere Wörterbuchschreibung bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Während der Begriff 'Tradition' hier sowohl im weiteren als auch im engeren Sinne verwendet wird, sind unter der 'Regionalität' lediglich jene konzeptionellen und praktischen lexikographischen Eigentümlichkeiten in der deutschlettischen/lettisch-deutschen Lexikographie zu verstehen, die diese Lexikographie von der sonstigen zweisprachigen Lexikographie mit Deutsch im Sprachenpaar unterscheiden. Tradition und Regionalität in der deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Lexikographie werden in der vorliegenden Arbeit von den Anfängen der betreffenden Lexikographie (1638) bis zum Ende des 18. Jahrhunderts verfolgt. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht jedoch ein Einzelwerk - das zweisprachige Wörterbuch von Lange: „Vollständiges deutschlettisches und lettischdeutsches Lexicon, nach den Hauptdialecten in Lief= und Curland" aus dem Jahr 1777. Die Wahl des Lexikons zum Untersuchungsobjekt beruht auf mehreren Überlegungen: 1. Die biographischen Angaben von Lange lassen erkennen, daß er dank seiner Bildung, Belesenheit und dank seiner zahlreichen lokalen und internationalen Kontakte ständig von den Tendenzen in der europäischen Kultur und Wissenschaft, auch auf dem Gebiet der Lexikographie, unterrichtet war. Daher ist bei ihm u.a. zu erwarten, daß er sich bewußt mit den aktuellen Fragen der Lexikographie auseinandersetzte. 2. Das Lexikon von Lange ist als eine anerkannte Quelle in den regionalen Wortschatzsammlungen der deutschen Sprache des Baltikums benutzt worden. Auf das Lexikon von Lange haben sich Gutzeit und Sallmann3 gestützt. Von Sallmann ist das Lexikon so-
3
W. v. Gutzeit (1864ff.): „Wörterschatz der Deutschen Sprache Livlands". Es ist eine auf schriftlichen Quellen basierende, lexikographisch bearbeitete Sammlung des regionalen Wortschatzes und wurde als „ein Beitrag für das deutsche Wörterbuch, mit dem die Gebrüder Grimm deutschem Geiste ein Denkmal setzen", gedacht (Gutzeit 1864: XI).
4 gar als eine „mundartliche" Wortschatzsammlung (Sallmann 1880: 7) bezeichnet worden. Darüber hinaus belegen auch die Aussagen von Lange im Vorwort zum Lexikon, daß er einige regionale Eigentümlichkeiten des Deutschen in sein Werk aufgenommen hat. 3. Von allen bis 1777 erschienenen deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Wörterbüchern ist das Lexikon von Lange das umfangreichste (etwa 15 000 Lemmata im deutsch-lettischen Teil und 10 000 im lettisch-deutschen Teil) und bietet nicht nur ein linguistisches, sondern auch ein enzyklopädisches Wissen, das die Untersuchung hinsichtlich der regionalen Merkmale des Wortschatzes umso aufschlußreicher machen kann. 4. Obwohl das Lexikon zu den umfangreichsten deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Wörterbüchern seiner Zeit gehörte, ist es unzureichend untersucht worden und sein Autor spielte in der Forschung bis jetzt eine untergeordnete Rolle. Für die Zeit bis zum 19. Jahrhundert sind die größten Verdienste für die Entwicklung der deutsch-lettischen/ lettisch-deutschen Lexikographie Manzel und Stender zuerkannt worden (Zemzare 1961: 62; Schmid 1991: 2355). Eine kurze Darstellung des Lexikons wird von Zemzare in der Retrospektive über die Lexikographie in Lettland bis 1900 (Zemzare 1961: 130ff.) geboten; ebenso kurz wird es von Roze (1982) und von Ozols (1965) behandelt, der sich in seinen lexikographischen Ausführungen vorwiegend auf die erwähnte Monographie von Zemzare stützt. Im internationalen Zusammenhang wurde das Lexikon von Lange nur knapp im Handbuch der Lexikographie (1991) erwähnt (Schmid 1991: 2355). Wegen der bisherigen Untersuchungsspezifik der deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Wörterbücher aus dem Blick der Baltistik fehlen Anhaltspunkte für die Bewertung des Lexikons im Kontext der europäischen zweisprachigen Lexikographie, vorzugsweise der Lexikographie mit Deutsch im Sprachenpaar.
K. Sallmann (1877): „Lexikalische Beiträge zur deutschen Mundart in Estland". Die Untersuchung zu den Besonderheiten des Deutschen in Estland wurde als Doktorarbeit in Jena vorgelegt. Sie basiert auf einer Sammlung zahlreicher Präfixableitungen und enthält mehrere, ähnlich wie in einem lexikographischen Werk, eingerichtete Textpassagen. In einer ergänzten Form wurde diese Untersuchung 1880 unter dem Titel „Neue Beiträge zur deutschen Mundart in Estland" noch einmal veröffentlicht.
2. Untersuchungsziele und Methoden
2.1.
Untersuchungsziele
Die einleitende allgemeine Situationsschilderung läßt vermuten, daß in der deutschlettischen/lettisch-deutschen Lexikographie wenigstens bis zum Ende des 18. Jahrhunderts mit folgenden Tendenzen zu rechnen wäre: die Wörterbücher können Ähnlichkeiten mit deutsch-fremdsprachigen/fremdsprachig-deutschen Wörterbüchern aus anderen europäischen Ländern aufweisen, gleichzeitig jedoch können sie auch von gewissen regionalen Merkmalen geprägt sein. Ein Wörterbuch wird zu einem sprachlichen Nachschlagewerk, wenn dort „die Wörter [...] nach bestimmten Gesichtspunkten ausgewählt, angeordnet u. erklärt sind" (DUW 1989: 1755). Daher ist bei der Analyse lexikographischer Werke davon auszugehen, daß einem Wörterbuch eine theoretische Konzeption zugrunde liegt, anhand derer die Erfassung und Darstellung des Wortschatzes erfolgt. Die vermuteten Tendenzen in der deutsch-lettischen/ lettisch-deutschen Lexikographie können deshalb sowohl in den lexikographischen Konzeptionen als auch im deutschen Wortschatzmaterial zum Ausdruck kommen. Diese Hypothese eröffnet ein weites, vorläufig noch wenig ergründetes Untersuchungsfeld innerhalb der Germanistik. Die vorliegende Arbeit unternimmt eine exemplarische Untersuchung am Beispiel des Lexikons von Lange. Das Untersuchungsziel ist somit eine Einschätzung des Lexikons von Lange als Beispiel der deutsch-fremdsprachigen/fremdsprachig-deutschen Lexikographie des 18. Jahrhunderts sowie das Aufzeigen der regionalen Spezifik in der lettisch-deutschen/deutsch-lettischen Lexikographie bei Lange. Diese Ziele werden durch das Erfassen und Erklären jener Merkmale angestrebt, die einerseits das Lexikon von Lange an eine bestimmte Tradition der Wörterbuchschreibung binden, andererseits jedoch die regionale Spezifik eines auf baltischem Boden entstandenen deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Wörterbuchs erkennen lassen. Zu diesem Zweck werden folgende Problemfelder aufgestellt und untersucht: 1) der lexikographisch konzeptionelle Bezug des Lexikons auf die Theorie eines deutschen Wörterbuchs des 17./18. Jahrhunderts im Vergleich zu den konzeptionellen Lösungen in deutsch-fremdsprachigen/fremdsprachig-deutschen Wörterbüchern des 18. Jahrhunderts; 2) Langes theoretische und praktische lexikographische Leistung im Vergleich zu den Verfassern der deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Wörterbücher bis zum Erscheinungsjahr seines Lexikons; 3) regionalspezifische Merkmale der deutschen Sprache im Lexikon am Beispiel der trennbaren Präfixverben, die vom lexikographisch dargestellten Hochdeutschen des 18. Jahrhunderts lexikalisch und semantisch abweichen und die nach Forschungsansichten zu den markanten regionalen Eigentümlichkeiten in der Sprache der baltischen Deutschen zählen (vgl. Sallmann 1877 u. 1880; Masing 1923: 88).
6 2.2. Theoretische Ansätze und Untersuchungsmethoden
Die vorliegende Untersuchung gilt sowohl der lexikographischen Konzeption von Lange als auch dem Wortschatzmaterial in seinem Lexikon: dem Teilbereich der deutschen trennbaren Präfix verben. Theoretisch und methodologisch kann die Arbeit an mehrere Untersuchungen über die zweisprachigen Wörterbücher sowie an die Erkenntnisse der Kontaktsprachenforschung anschließen. In der lexikographischen Analyse des Lexikons und der zum Vergleich herangezogenen Wörterbücher werden empirische, benutzerorientierte und linguistische Aspekte eines zweisprachigen Wörterbuchs (vgl. Kromann/Riiber/Rosbach 1991: 2713ff.) behandelt sowie die lexikographischen Bauteile auf der Ebene der Makro- und Mikrostruktur (vgl. Hausmann 1977; Kromann/Riiber/Rosbach 1984) näher untersucht. Es werden ähnliche Verfahren zur systematischen Darstellung der Wörterbücher wie bei Fejer (1995) und Bergenholtz/Mogensen (1995) in ihren historisch ausgerichteten lexikographischen Untersuchungen berücksichtigt. Darüber hinaus kann zu Detailfragen, ζ. B. dem Bezug Langes auf die einsprachigen bzw. deutschen Wörterbücher oder zu seinen Methoden der Wortschatzdarstellung, auf Forschungsarbeiten zur Typologie der zweisprachigen Wörterbücher (Kromann/Riiber/ Rosbach 1984a; Mugdan 1992), zu den Prinzipien der Wortschatzanordnung (Kipfer 1984) und zur Darstellung der Äquivalenzbeziehungen in der zweisprachigen Lexikographie (Hausmann 1977) zurückgegriffen werden. Eine empirische Vergleichsbasis zur Auswertung der lexikographischen Konzeption von Lange bieten die Untersuchungen zur deutschen Wörterbuchkonzeption und -tradition von Ising (1956), Powitz (1959) und Henne (1968; 1975; 1977), denn gerade von dieser Konzeption ließ sich, wie angenommen, Lange beeinflussen. Um die möglichen Quellen und Vorlagen des Lexikons zu ermitteln, gibt vor allem die chronologische Behandlung der deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Wörterbücher von Zemzare (1961) zahlreiche Anhaltspunkte. Wie schon einleitend erwähnt, dürfte in den deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Wörterbüchern mit einer gewissen regionalen Prägung des Wortschatzes gerechnet werden. Ausgehend von der Annahme, daß die regionalen Besonderheiten der deutschen Sprache im Baltikum u.a. als Folge des fremdsprachlichen Einflusses anzusehen sind, finden in der vorliegenden Untersuchung insbesondere Forschungsansätze und -ergebnisse der Kontaktlinguistik Berücksichtigung. Die Wortschatzuntersuchung des Deutschen im Baltikum wird exemplarisch an den deutschen trennbaren Präfixverben im Lexikon von Lange unternommen. Wie schon in der Einleitung erwähnt, beruht die Wahl der Präfixverben zum Untersuchungsgegenstand auf den Hinweisen in der Forschungsliteratur, daß der Gebrauch der trennbaren Präfixverben in der deutschen Sprache des Baltikums durch zahlreiche Abweichungen vom Hochdeutschen gekennzeichnet war. Die Ursachen dieser Abweichungen sind jedoch nie systematisch nachvollzogen worden. Als theoretische Grundlagen fiir den Sprachvergleich und für die Ermittlung möglicher fremdsprachlicher Einflüsse auf die Präfixverben wurden soziolinguistisch ausgerichtete Untersuchungen u.a. von Haugen (1956), Weinreich (1964), Tesch (1978), Thomason/ Kaufman (1988), Bechert/Wildgen (1991) herangezogen. Ihre Arbeiten bilden die Grundla-
7 ge bei der Erörterung der Voraussetzungen, der Ursachen und der Mechanismen des kontaktsprachlichen Einflusses auf diese Präfixverben. Da die kontrastive Analyse in der vorliegenden Arbeit die lexikalisch-semantische Ebene der Präfixverben betrifft, werden die Lehneinflüsse als lexikalische Interferenzen problematisiert. Damit rücken drei Typen der lexikalischen Interferenz - Lehnwörter, Lehnbildungen und Lehnbedeutungen - in den Vordergrund der Untersuchung. Besonders ein Typ der lexikalischen Interferenz - die Bedeutungsentlehnung - erfordert eine Auseinandersetzung mit der semantischen Analysierbarkeit der Lexeme. Eine theoretische Basis bilden hier vor allem die Untersuchungen zur Semantik von Herberg (1974), Schifko (1975) sowie Lyons (1991). Ihre Erkenntnisse über die Bedeutungsstruktur bzw. über die Möglichkeiten der Bedeutungsbestimmung sowie über die semantische Darstellung der Lexeme in der Lexikographie werden berücksichtigt, wenn einheitliche Kriterien fur die semantische Identifikation der Präfixverben im Lexikon von Lange aufgestellt werden. Es sollte ein einheitlicher Komplex der Untersuchungsmethoden und der theoretischen Herangehensweisen gefunden werden, der sich sowohl fur die Aufdeckung der konzeptionellen Fragestellungen hinsichtlich des Lexikon als auch für die Analyse und Auswertung der kleinsten betrachteten Einheiten - der einzelnen Lexeme - eignet. Folgende Komponenten bilden die methodologische Basis der Arbeit: 1. Kontrastive Untersuchungsmethode Die kontrastive Methode wird zum einen zur Erörterung der konzeptionellen Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den deutsch-fremdsprachigen/fremdsprachig-deutschen Wörterbüchern des 17./18. Jahrhunderts angewandt. Vergleichsobjekte sind die Konzeption und die lexikographischen Bauelemente im Lexikon von Lange und in anderen zum Vergleich herangezogenen zweisprachigen Wörterbüchern. Zum anderen wird der Wortschatz des Lexikons auf die regionale Spezifik hin untersucht, deren Ursache im Einfluß der Kontaktsprachen auf die deutsche Sprache im Baltikum vermutet wird. Anhand der kontrastiven Methode wird das lexikalische Material aus dem Lexikon von Lange dem lexikographisch erfaßten Hochdeutschen des 18. Jahrhunderts gegenübergestellt und mit Hilfe von zusätzlichen lexikographischen Quellen für das Niederdeutsche 1 , für das Deutsche im Baltikum sowie für das Deutsche in Ostpreußen auf lexikalisch-semantischer Ebene analysiert. 2. Synchronische und diachronische Untersuchungsperspektive A. Die synchronische Perspektive kennzeichnet die Gegenüberstellung der Konzeption des Lexikons von Lange mit den Konzeptionen anderer gleichzeitig entstandener deutschfremdsprachiger Wörterbücher. Da eine programmatisch ausgearbeitete Konzeption für die zweisprachige Lexikographie mit der deutschen Sprache im 18. Jahrhundert nicht existierte, werden die aus den Vorworten erschließbaren konzeptionellen Gemeinsamkeiten dieser
1
Hier und im weiteren wird 'Niederdeutsch' als ein übergreifender Begriff sowohl für die niederdeutsche Sprache als auch für die niederdeutschen Varietäten angewandt und das behandelte lexikalische Material auf die Angaben in lexikographischen Werken eingegrenzt. Eine Differenzierung zwischen den angeführten Belegen als Elemente einer Sprache oder einer Varietät findet in der vorliegenden Arbeit nicht statt, denn diese Unterscheidung ist für die hier vorgenommene Untersuchung nicht relevant.
8 Wörterbücher im Zusammenhang mit der einsprachigen deutschen Wörterbuchkonzeption des 18. Jahrhunderts betrachtet. Dieser Ansatz, den Bezug von mehreren deutsch-fremdsprachigen/fremdsprachig-deutschen Wörterbüchern des 18. Jahrhunderts zur Konzeption eines deutschen Wörterbuchs herzustellen, ist in der Forschungsliteratur ausführlich behandelt worden (Ising 1956; Powitz 1959 u. 1975; Sonderegger 1968; Henne 1975). Obwohl die untersuchten Wörterbücher in einer Zeitspanne von etwa 80 Jahren erschienen sind, erlauben die belegbaren direkten oder indirekten Kontakte einzelner Wörterbuchautoren zu der Theoriebildung des deutschen Wörterbuchs eine synchronische Ausrichtung. Das zweisprachige Lexikon von Lange erschien 1777. Allerdings erstreckte sich die 1739/1740 begonnene Arbeit am Lexikon weit über dreißig Jahre. Die überlieferten Manuskripte des Lexikons - eins undatiert, das andere nachträglich mit 1755 datiert - vermitteln jedoch keine relevanten Angaben über lexikalisch-semantische Veränderungen der deutschen trennbaren Präfixverben im Vergleich zum edierten Werk. Daher wird die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts als Ausgangspunkt für eine synchronische Gegenüberstellung des lexikalischen Materials aus dem Lexikon mit dem lexikographisch erfaßten Hochdeutschen dieser Zeitperiode für möglich gehalten. Zur Bestandsaufnahme der lexikalischen und semantischen Abweichungen bei den Präfixverben im Lexikon von Lange wurde als primärer Vergleichsgegenstand das deutsche Wörterbuch von Adelung gewählt - die umfangreichste und repräsentativste lexikographische Quelle für das Hochdeutsche dieser Zeit. B. Die diachronische Perspektive prägt die Untersuchung der deutsch-lettischen/lettischdeutschen Lexikographie von den Anfängen 1638 bis zum Erscheinen des Lexikons 1777. Die Charakteristik der lexikographischen Entwicklung mit Bezug auf Struktur und Wortschatz sowie auf Ziel und Benutzer der deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Wörterbücher bis 1777 bildet eine empirische Vergleichsbasis und ermöglicht, die theoretische und praktische Leistung Langes in der Lexikographie mit den betreffenden Sprachen einzuschätzen. 3. Lexikalische und semantische Analyse der deutschen trennbaren Präfixverben Die Untersuchung der deutschen trennbaren Präfixverben erfolgt auf der lexikalisch-semantischen Ebene. Im Lexikon werden Abweichungen vom lexikographisch dargestellten Hochdeutschen außerhalb des Baltikums erfaßt und analysiert. Der Analyseprozeß soll jedoch zeigen, daß diese Abweichungen in den meisten Fällen nur über die lettischen Äquivalente zu ermitteln sind, da die betreffenden Präfixverben keine formalen Unterschiede vom Hochdeutschen aufweisen. Deshalb ist insbesondere die Semantik der Lexeme zu berücksichtigen. Wegen der Komplexität der lexikalisch-semantischen Analyse werden die theoretischen Hintergründe sowie das Verfahren beim konkreten Vergleich der Lexikonverben mit den Lexemen aus den Vergleichsquellen in den entsprechenden Kapiteln ausführlicher beschrieben (s. Kap. 8.2.3. u. 9.1.1.ff.). 4. Kontaktlinguistische Interpretation Die kontaktlinguistische Interpretation bietet sich an, um das Lexikon im Zusammenhang mit der lexikographischen Tradition in Wörterbüchern mit der Sprache Deutsch als Komponente einzuschätzen sowie die regionalen Besonderheiten bei den trennbaren Präfixverben im Lexikon zu erklären. Zur Analyse der lexikographischen Konzeptionen werden allgemeine sozialhistorische Aspekte der Kontaktlinguistik wie geistig-kulturelle Beziehungen zwischen dem Baltikum und anderen europäischen Ländern, vorzugsweise Deutschland, mit herangezogen. Die Wortschatzuntersuchung im Lexikon kann sowohl auf außersprachliche
9 als auch auf linguistische Faktoren der Lehnbeziehung bezogen werden, da diese dort auszumachen ist, wo Sprachen in Kontakt treten (Hoffer 1996: 541). Für die Bezeichnung der Vergleichssprachen wie Deutsch im Baltikum, Hochdeutsch, Lettisch, Niederdeutsch u.a. wird in der vorliegenden Arbeit der Terminus „Kontaktsprache" angewandt, doch ist er lediglich auf das lexikalische Material in den Wörterbüchern zu beziehen. Die Klassifizierung des Niederdeutschen als eine der Kontaktsprachen ergibt sich aus der Tatsache, daß sich der Übergang vom Niederdeutschen zum Hochdeutschen im Baltikum über eine mindestens einhundertjährige Zeitperiode erstreckte (Klein 1957: 202f.) und daß wenigstens zwei Generationen damit konfrontiert wurden. Deshalb sind hier Einflüsse, wie sie bei jeder anderen Kontaktsprache auftreten, möglich. Der Einsatz eines angemessenen Terminus' für die fremdsprachigen Einflüsse wird in der kontaktlinguistischen Forschung häufig diskutiert (Schottmann 1977; Clyne 1980; Bechert/ Wildgen 1991). In Anlehnung an die Definition von Weinreich 2 (1964, 1) wird in der vorliegenden Arbeit fur die Bezeichnung des kontaktsprachlichen Einflusses bei den trennbaren Präfixverben im Lexikon der Terminus „Interferenz" benutzt. Als ein Synonym dazu wird auch „Lehnbeziehung" verwendet. 3 Das Aufzeigen der kontaktsprachlich verursachten Interferenzen im Wortschatz des Lexikons erfolgt anhand der historisch und regional ausgerichteten Wörterbücher wie das „Frühneuhochdeutsche Wörterbuch", das „Preußische Wörterbuch", mehrere Wörterbücher, die das niederdeutsche Sprachgebiet (Mecklenburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen) zu einem wesentlichen Teil abdecken sowie Wörterbücher des Lettischen und Litauischen. Ob eine Entlehnung oder eine von der Lehnbeziehung unabhängige Bildung 4 im gegebenen Fall vorliegt, wird in dieser Arbeit nach der Empfehlung von Bechert/Wildgen entschieden, eine vernünftige Einstellung zur Realität einem Rekonstruktionsdrang als Selbstzweck vorzuziehen (1991: 88). Beim Unterscheiden zwischen innerer Sprachentwicklung und Entlehnung betonen die Autoren in Anlehnung an Thomason/Kaufman 5 , daß die Geschichte der Sprache von der Geschichte der Sprecher abhängig ist (Bechert/Wildgen 1991: 92).
2
3
4 5
„Those instances of deviation from the norms of either language which occur in the speech of bilinguals as a result of their familiarity with more than one language, i.e. as a result of language contact, will be refered to as interference phenomena" (Weinreich 1964: 1). Der Begriff 'Interferenz' deckt ein weites Feld verschiedener kontaktlinguistischer Erscheinungen ab (Haugen 1956: 12), doch dem Untersuchungsobjekt entsprechend, ζ. B. wie bei Haarmann (1979), kann er auch enger gefaßt werden: „Die lexikalischen Lehnbeziehungen [...] gehören zu den bevorzugten Untersuchungsgegenständen der älteren Sprachsoziologie, während die moderne Soziolinguistik ebenso auch grammatische Interferenzen und Transferenzen analysiert" (Haarmann 1979: 115). S.: Tesch 1978: 119; Bechert/Wildgen 1991: 81. „The history of a language is a function of the history of its speakers, and not an independent phenomenon that can be thoroughly studied without reference to the social context in wich it is embedded" (Thomason/Kaufman 1988: 4).
10 2.3. Aufbau der Arbeit
Die Arbeit wird mit einer Darstellung der kulturhistorischen Situation der deutsch-lettischen Kontaktgebiete eingeleitet (Kap. 3.). Hier soll geklärt werden, von welchen außersprachlichen Faktoren die Entstehung des Lexikons gefördert wurde. Wenn es, wie angenommen, die deutsche Sprache im Baltikum zu einem gewissen Grad widerspiegelt, soll begründet werden, warum es für die Untersuchung einer sprachlichen Varietät, die vom lexikographisch erfaßten Hochdeutschen außerhalb des Baltikums abweicht, herangezogen werden kann. Ein Abriß des Lebensweges von Lange (Kap. 3.4.) demonstriert den typischen Werdegang eines baltischen Gelehrten und zeigt, wie wissenschaftliche Ideen aus anderen Ländern, so auch auf dem Gebiet der Lexikographie, Eingang ins Baltikum fanden. Um die lexikographische Leistung Langes sowohl im europäischen Kontext als auch im Rahmen der deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Lexikographie bewerten zu können, sind zusammenfassende Rückblicke auf die Tradition der deutsch-fremdsprachigen/fremdsprachig-deutschen Lexikographie sowie eine kompatible Beschreibung des Lexikons von Lange notwendig. In den Kapiteln 4 und 5 wird deshalb der empirische Hintergrund fur die Auswertung des Lexikons erstellt: in Kapitel 4 erfolgt dies anhand der Analyse der lexikographischen Konzeptionen in den deutsch-fremdsprachigen/fremdsprachig-deutschen Wörterbüchern, in Kapitel 5 durch die Untersuchung einzelner lexikographischer Aspekte in den deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Wörterbüchern bis 1777. In Kapitel 6 werden Langes lexikographische Konzeption sowie seine praktischen Arbeitsmethoden erörtert. Die lexikographische Betrachtung des Lexikons wird in Kapitel 7 abgeschlossen. Durch inhaltliches Anknüpfen an die dargestellten lexikographischen Entwicklungen in den Kapiteln 4 und 5 wird erschlossen, wie sich das Werk der Tradition der Wörterbuchschreibung anschließt bzw. sich von ihr abhebt und welche spezifischen Identitätsmerkmale ihm eigen sind. Ein kurzer Ausblick zeigt die Wirkung des Lexikons auf die deutsch-fremdsprachige/fremdsprachig-deutsche Wörterbuchschreibung nach 1777. Die Wortschatzuntersuchung des Lexikons ist auf das Erfassen und die Analyse der lexikalisch-semantischen Besonderheiten bei den trennbaren Präfixverben im Vergleich zum Hochdeutschen des 18. Jahrhunderts gerichtet, welches in den Wörterbüchern außerhalb des Baltikums, vorwiegend bei Adelung, dargestellt worden ist. Die Auswertung des Materials bedarf jedoch detaillierterer methodologischer Erwägungen als in dem Kapitel über die angewandten Methoden (s. Kap. 2.2.) besprochen wurde. Diese Aufgabe übernimmt Kapitel 8, in dem einige relevante Fragen im Rahmen der Gesamtproblematik der Erforschung der deutschen Sprache im Baltikum erörtert werden. Anhand der Forschungsarbeiten von Herberg 1974; Schifko 1975; Lutzeier 1985 u.a. werden hier vor allem die Möglichkeiten zur lexikalischen und semantischen Analyse der Präfixverben bei Lange begründet. In Kapitel 9 richtet sich das Augenmerk auf die regionale Spezifik der deutschen trennbaren Präfixverben im Baltikum. Hier gilt es, anhand des Lexikons und anderer Wörterbücher zu untersuchen, inwieweit der regionale Charakter der Präfixverben auf den Einfluß der Kontaktsprachen zurückzufuhren ist. Unter der Voraussetzung, daß der Wortschatz des Lexikons die deutsche Sprache im Baltikum repräsentiert, gibt die Auswertung des Materials eine Antwort auf die Frage nach dem Einwirkungsgrad und den Einwirkungsformen der einzelnen Kontaktsprachen auf das Deutsche im Baltikum, den Bereich der trennbaren Präfixverben betreffend.
3. Der kulturhistorische Hintergrund zur Entstehung und Effizienz des zweisprachigen Lexikons von Jacob Lange
Die zweisprachigen Wörterbücher sind mit Sicherheit als eines der Indizien für die aktuellen kulturhistorischen Entwicklungstendenzen eines Landes oder zwischen den Ländern aufzufassen, deren Landessprachen einander in einem zweisprachigen Wörterbuch gegenübergestellt werden. Die landeskundlichen Kenntnisse ihrerseits können außersprachliche Hintergründe der betreffenden Wörterbücher aufdecken. Für die vorliegende Arbeit, in der Tradition und Regionalität in der zweisprachigen Lexikographie anhand des deutschlettischen/lettisch-deutschen Lexikons von Lange untersucht werden, rückt die Betrachtung der kulturhistorischen Situation im Baltikum des 18. Jahrhunderts und der Beziehungen zu Deutschland in den Vordergrund. Die Bezeichnung 'Baltikum' deckt in der vorliegenden Untersuchung nur das heutige Lettland und Estland ab, deren historische Gebiete Livland und Estland seit 1721, Kurland erst seit 1795 drei baltische Provinzen des Russischen Kaiserreichs bildeten (s. Anhang). Das baltische Deutschtum war in allen drei Gebieten präsent. Da im Lexikon die lettische und die deutsche Sprache gegenübergestellt werden und hinter den sprachlichen Besonderheiten des Deutschen in erster Linie der Einfluß des Lettischen und des Niederdeutschen vermutet wird, gilt die Darstellung des Gesellschaftslebens und der Sprachensituation des 18. Jahrhunderts vorzugsweise Kurland und Livland, deren Bevölkerung sich hauptsächlich aus Letten und Deutschen zusammensetzte. Die kulturhistorische Beschreibung in diesem Kapitel stützt sich auf die Arbeiten von Eckardt (1870), Wittram (1939; 1954), Lenz (1941; 1951), Stegmann v. Pritzwald (1952), Meder (1961), Hoheisel (1982; 1994; 1995), v.zur Mühlen (1994), Pistohlkors (1994; 1995), Tering (1998) u.a. Die Erörterung von Fragen nach den Existenzbedingungen der Kontaktsprachen und nach der Intensität dieser Kontakte sollen den notwendigen sozialhistorischen Hintergrund für die lexikographische Untersuchung des Lexikons und für die Wortschatzstudie zu den deutschen trennbaren Präfixverben im Lexikon aufbereiten. 1
3.1. Die ethnische Struktur der Bevölkerung im Baltikum
Im 18. Jahrhundert erlebte das Baltikum hinsichtlich der bevölkerungsmäßigen Entwicklung große Veränderungen. Die gravierendsten Einschnitte waren der Nordische Krieg und die darauf folgende Pest, die die Bevölkerung stark dezimierten. So war 1710 mehr als die Hälfte der lettischen und deutschen Bevölkerung in Livland und in Kurland vernichtet, und Riga hatte zwei Drittel seiner Einwohner verloren (Wittram 1954: 126). 1
Zu relevanten sozialen Aspekten für eine kontaktlinguistische Untersuchung zählt Haarmann (1979) u.a. eine detaillierte Analyse der Sprechergruppenbeziehungen, denn die „Frage nach den Voraussetzungen von Lehnbeziehungen bzw. nach den natürlichen Existenzbedingungen von Sprachen im Kontakt (d. h. die Frage nach dem Kontakt selbst, nicht nach seinen Auswirkungen) ist eng mit der Frage nach der Intensität von Sprachkontakten verknüpft" (Haarmann 1979: 117).
12
In den nachfolgenden Jahrzehnten wurde der hohe Verlust an Menschen, zumindest in der deutschen Bevölkerung, zu einem großen Teil durch Zuwanderung behoben. Sie hielt bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts an und hat das baltische Deutschtum landesweit erneuert (Wittram 1939: III). 2 Waren die ursprünglichen Einwanderer aus dem niederdeutschen Sprachraum gekommen, so rückten in der Neuzeit zunehmend die protestantischen mitteldeutschen Auswanderungsgebiete Thüringen und Sachsen in den Vordergrund (Lenz 1951: 55). Als Auswanderungsgebiet im 18. Jahrhundert, besonders für Kurland, ist vielfach Ostpreußen belegt worden. Zu den größten Einwanderergruppen zählten die akademisch Gebildeten und die Handwerker. Nach der Eingliederung des Baltikums in das Russische Reich nahm auch die baltische Binnenwanderung zu (Lenz 1951: 56). Eine ununterbrochene, doch zahlenmäßig unwesentliche Erneuerung des baltischen Deutschtums erfolgte durch die Aufnahme der Letten und Esten in den deutschen ländlichen Mittelstand (Wittram 1954: 142). Die folgende Tabelle bietet eine Übersicht über die Bevölkerungsanteile in Kurland, Livland (im lettischen und im estnischen Teil zusammen) und in Riga gegen Ende des 18. Jahrhunderts, als die Bevölkerung zum ersten Mal landesweit statistisch erfaßt wurde.3 Gesamtbevölkerung Deutsche: Letten: Kurland 416 960 = 43,4%, davon: Dt.: Lett.:
95 787
= 10%
574 643
= 60%
960 968, davon:
Livland (lett. u. estn.) 514 345 = 53,5%, davon:
34 980 = 348 500
8,4%
=84%
Dt.: Lett.:
48 029 = 218 698
Bevölkerung in Kurland
9,3%
=42,5%
Riga 29 663 = 3 , 1 % , davon: Dt.: Lett.:
12 778
=43%
7 445
=25%
Bevölkerung in Livland
10 Städte/6 Flecken: 24 342 = 6%, davon: Deutsche: 14 523 = 5 9 , 6 % Letten: 4 643 = 19%
Kleinstädte: Deutsche: Nichtdeutsche:
Land: Deutsche: Letten:
Land: 505 419 = 98,3%, davon: Deutsche: 42 783 = 8,5% 462 636 = 9 1 , 5 % Nichtdeutsche:
392 617 = 94%, davon: 20 457 = 5% 343 857 = 8 8 %
8 926 = 1,7%, davon: 5 246 = 5 9 % 3 680 = 4 1 %
Tab. 1: Ethnische Bevölkerungsstruktur in Kurland 1797, Livland 1782 und in Riga 1800
2
3
Deutlich kann man diesen Erneuerungsprozeß am Beispiel der Pastoren und Lehrer beobachten: Von 20 im Zeitraum 1764-1827 in Riga tätigen Pastoren waren 13 eingewandert; in Livland machten die eingewanderten Kräfte im 18. Jahrhundert etwa die Hälfte der Pastoren aus; an den öffentlichen Schulen Kurlands waren im Zeitraum 1760-1806 mit eingewanderten Lehrern 28 von 52 Lehrerstellen besetzt (Wittram 1939: 112). Die Bevölkerungszahlen sind bei Wittram (1939: 113f. u. 1954: 143f.) ausgewiesen, da er aber Ergebnisse älterer Studien anfuhrt, wurden die Angaben über Kurland einer jüngeren Untersuchung von Hoheisel (1982) entnommen. Die Gesamtzahl der Bevölkerung und die Zahl der Letten in Livland sind aufgrund der vorhandenen Angaben (ζ. B. Wittram 1954: 143) errechnet.
13 Trotz der möglichen Ungenauigkeiten in den absoluten Zahlen 4 belegen die voneinander unabhängigen Quellen ein tendenziell ähnliches Bild von der ethnischen Struktur der deutschen und lettischen Bevölkerung in Kurland und Livland. Insofern ist es auch möglich, folgende Schlüsse zu ziehen: 1. Der Großteil der deutschen Bevölkerung lebte am Ende des 18. Jahrhunderts auf dem Lande: 63 240 Personen oder 66%. Die zweitgrößte Gruppe bildeten die Einwohner einiger größerer Provinzstädte wie Mitau (Jelgava) und Libau (Liepäja), der Kleinstädte und der Flecken: 19 769 oder 21%. Lediglich 13% oder 12 778 Deutsche waren in Riga und in dessen Vorstädten wohnhaft. 2. Auf dem Lande waren die Deutschen in einer deutlichen Minderheit (5% bzw. 8,5%), und da die Gründung ethnisch abgeschiedener deutscher oder vorwiegend deutscher Dörfer, abgesehen von den zwei späten deutschen Bauernsiedlungen Hirschenhof (1766) und Helfreichshof (1769) in Livland 5 , nicht bekannt ist, sind die Existenzbedingungen für die meisten Deutschen in einer ethnisch homogenen und abgeschlossenen Gemeinschaft grundsätzlich nicht vorhanden. 3. In den Städten war der Anteil der Deutschen viel höher. So bildeten sie 1797 in den meisten kurländischen Städten den Großteil der Bevölkerung, ζ. B. 90,8% in Windau (Ventspils), 78,3% in Libau (Liepäja) (Hoheisel 1982: 554); doch auch die Zahl der Letten war nicht immer unwesentlich: in demselben Jahr ζ. B. 35,6% in Bauske (Bauska), 22,4% in Mitau (Jelgava) (Hoheisel 1982: 556). Da nach dem Nordischen Krieg eine ständige Einwanderung der Deutschen ins Baltikum stattfand, ist in dieser Situation eine zunehmende Zahl der deutsch-lettischen/lettischdeutschen Wörterbücher zu erwarten, um den deutschsprachigen Neuankömmlingen das Erlernen des Lettischen zu ermöglichen. Eine relative Dichte der veröffentlichten deutschlettischen/lettisch-deutschen Wörterbücher (1748, 1761, 1763, 1777, 1789) zeichnet sich jedoch erst ab Mitte des 18. Jahrhunderts ab. Diese Tatsache ist sowohl auf den Stabilisierungsprozeß in der Politik und Ökonomie des Landes zurückzuführen als auch im Zusammenhang mit den Veränderungen in der geistig-kulturellen Haltung der deutschen Bevölkerung zu sehen (s. Kap. 3.3.).
4
Die Forschungsliteratur bietet kein übereinstimmendes Bild über die Einwohnerzahlen in Kurland und Livland (vgl. Angben für Kurland: Wittram 1939: 113f. u. 1954: 143f. mit Hoheisel 1982: 552f„ Bosse 1986: 533 und Rechenberg-Linten 1858: 126ff.; Angaben für Livland: Wittram 1939: 113f. u. 1954: 143f.; Hoheisel 1994: 232; Lenz 1941: 2). Möglicherweise ergeben sich die zahlenmäßigen Abweichungen aus den Unterschieden bei der Wahl der Erhebungszeit, die nicht immer den ausgewiesenen Jahreszahlen in der Tabelle entspricht oder durch die Differenzierung zwischen dem estnischen Nordlivland und dem lettischen Südlivland. Die Dynamik im Einwohnerzuwachs der Stadt Riga zeigt, daß im Zeitraum von etwa 15 Jahren erhebliche Veränderungen möglich waren. Wurden um 1775 in Riga rund 20 000 Einwohner gezählt (Wittram 1954: 129), so war 1800 die Einwohnerzahl schon fast um 50% gestiegen.
5
S.: Wittram 1939: 114; Conze 1963: 11.
14
3.2. Die soziale Struktur der Bevölkerung im Baltikum
Die praktische Bedeutung der deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Wörterbücher wäre fur die deutschen Muttersprachler dann als hoch einzuschätzen, wenn ihre soziale und berufliche Etablierung Kenntnisse des Lettischen voraussetzen würde. Das folgende Kapitel erläutert, ob sich die soziale Struktur der Bevölkerung in Kurland und Livland fur die Entstehung dieser Wörterbücher als effizient erweist. Die Angaben über die soziale Struktur der Bevölkerung im 18. Jahrhundert sind ungenau (Wittram 1954: 143). Als sicher gilt allerdings, daß das damalige Gesellschaftsleben im Baltikum noch ein ausgesprochen ständisches Gepräge aufwies. Zu den politischen Ständen zählten der Landadel, das städtische Bürgertum und die Geistlichkeit, die zahlenmäßig die kleinste Gruppe der Bevölkerung bildeten. Es entstand auch ein neuer Stand der „Literaten" (Hollander 1923: 1), der eine akademische Bildung voraussetzte und sich nicht unbedingt mit einem bestimmten politischen Stand deckte. Statt im politischen wirkte er maßgeblich im geistig-kulturellen Leben. Den Stand der Literaten bildeten Pastoren, Lehrer, bürgerliche Juristen und andere studierte Personen, darunter auch die städtischen Beamten. Besonders stark entwickelt war dieser Stand im 18. Jahrhundert in Kurland (Wittram 1939: 112). Zahlreich war der ländliche deutsche Mittelstand, doch fehlte das deutsche Bauerntum als tragender gesellschaftlicher Unterbau (Boehm 1951: 8). Diese Lücke füllte fast ausschließlich die erbuntertänige lettische und estnische Bevölkerung. Einsicht in die Bevölkerungsstruktur Kurlands am Ende des 18. Jahrhunderts bietet Hoheisel (1982) in seiner Untersuchung über die Volkszählung im Jahr 1797. Die folgende Tabelle gibt eine Zusammenfassung seiner Ergebnisse (vgl. Hoheisel 1982): Kurland 1797 Landbevölkerung:
392 617,
10 Städte/6 Flecken:
davon:
Deutsche
Letten
14 523 = 5 9 , 6 %
4 643 = 19%
1 780
=
9%
Gelehrte
1 008
=
5%
560
=
829
3%
Handwerker Erbleute
=
2 359
Kaufleute
freie Leute
587
II -fe.
Letten 343 857 = 88%
CN •t.
Deutsche 20 457 = 5 % Adel
Beamte
24 342,
davon:
17 109
=83%
5 845 338 012
=
2%
4%
= 16% =
6%
5 482
= 38%
499
= 11%
4 625
= 32%
2 865
= 62%
1 279
= 27%
=98%
Tab. 2: Soziale Bevölkerungsstruktur in Kurland am Ende des 18. Jahrhunderts
Dieser Tabelle ist zu entnehmen, daß die deutsche Oberschicht stärker in den Städten und Flecken vertreten war. Die von Wittram (1954: 143) vermittelten Daten über die Bevölkerungsstruktur in Livland sind nicht so detailliert gefaßt und erlauben keinen vollständigen Vergleich mit den
15 Angaben über Kurland. Laut Wittram (1954: 142) sind zu den Bürgern und freien Leuten auch eingedeutschte Esten und Letten zu rechnen, die bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts in den deutschen ländlichen Mittelstand aufgenommen werden und auf diese Weise sozial aufsteigen konnten. Bevölkerung in Livland im Jahr 1782: Deutsche:
42 783 oder 8,5%, davon sind
Adlige:
2 605
=
6%
848
=
2%
Geistliche: Bürger und Freie:
39 330
505 419
Nichtdeutsche:
462 636 oder 91,5%
= 92%
Tab. 3: Soziale Bevölkerungsstruktur in Livland am Ende des 18. Jahrhunderts
Aus den Angaben in Tabelle 3 kann man schließen, daß der Landadel in Livland zahlreicher als in Kurland war, doch prozentual hier einen kleineren Anteil der deutschen Bevölkerung bildete. Die Zahl der Geistlichen wäre der 5% starken Gruppe der Gelehrten in Kurland gegenüberzustellen. Die Zahl der Bürger und der freien Leute erwies sich dementsprechend als annähernd gleich in beiden Gebieten. Da in den Beschreibungen des sozialen Lebens im Baltikum keine wesentlichen Unterschiede zwischen Kurland und Livland in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts aufgedeckt werden, dürften die ausfuhrlichen Angaben über die soziale Struktur der deutschen Bevölkerung in Kurland im großen und ganzen auch die Verhältnisse in Livland widerspiegeln. Für Riga werden die Angaben aus dem Jahr 1782 (Pistohlkors 1994: 315) angeführt: Einwohner in Riga:
27 856,
davon: „Herrschaftsausübende Oberschicht" (Ratsleute, Beamte, Geistlichkeit)
1 035
=
3,7%
Bürgerschaft der Großen Gilde
2 454
=
9%
Bürgerschaft der Kleinen Gilde
3 881
= 14%
15 936
= 57%
Nichtbürgerliche Bewohnerschaft (städtische Erwerbstätige) „Einfaches Volk" des ländlichen Umkreises
4 550
= 16,3%
Tab. 4: Soziale Struktur der Einwohner Rigas gegen Ende des 18. Jahrhunderts
Der Anteil der deutschen Bevölkerung darf zwischen 43% und 45% liegen (vgl. Kap. 3.1.), von denen etwas mehr als die Hälfte (26,7%) zur oberen Schicht und zum städtischen Bürgertum zählt. Doch eine beträchtliche Zahl der Deutschen (etwa 40% der deutschen Stadtbewohner) lassen sich nach diesen Angaben zur unteren Schicht der kleinen Leute rechnen. Die soziale Bevölkerungsstruktur in Kurland und Livland belegt deutlich, daß die nationale Zugehörigkeit einen direkten Bezug zum sozialen Status der Personen aufweist. Die große Masse der erbuntertänigen Letten bildete die unterste Stufe in der gesellschaftlichen Hierar-
16 chie. Aus diesem Grund verleitete die Kenntnis ihrer Sprache zu keinem sozialen Aufstieg. Daher sind die Ursachen für die Entstehung der deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Wörterbücher, in denen das Lettische zwar im Zentrum der lexikographischen Darstellung steht, doch zugleich keine Anerkennung als eine Prestigesprache findet, kaum in einer direkten Verbindung mit der sozialen Gesellschaftsstruktur im Baltikum zu betrachten.
3.3. Soziokulturelle Kontakte der baltischen Bevölkerung
Von den Verwüstungen des Nordischen Krieges allmählich erholt, erlebte das Baltikum um die Mitte des 18. Jahrhunderts einen wirtschaftlichen und geistigen Aufschwung. Diese Entwicklung wurde durch einen besonders engen Kontakt des Deutschtums zu seinem historischen Ursprungsland begleitet (Wittram 1954: 147). Er wurde nicht nur durch Studien der Balten an den deutschen Universitäten aufrechterhalten, sondern auch durch eine intensive Einwanderung deutscher Akademiker, Handwerker und Vertreter anderer Berufsgruppen. Doch der neue Zeitgeist konnte weder die bestehenden sozialen Verhältnisse radikal ändern noch die traditionellen gesellschaftlichen 'Spielregeln' brechen. Tonangebend blieb der alte eingesessene Kern des Deutschtums, dem sich die Einwanderer anzupassen hatten, bedingt schon allein dadurch, daß sie in ihrer Mehrheit unverheiratete Männer waren, die mit der Zeit in baltische Familien einheirateten. Die Anpassung erfolgte nicht nur in gesellschaftlicher, sondern auch in sprachlicher Hinsicht - die Zuwanderer nahmen die Sprache der baltischen Deutschen, dem jeweiligen Stand entsprechend, an (Stegmann v. Pritzwald 1952: 419f.; Meder 1961: 32). Als ein wesentliches Merkmal für das soziale Leben im 18. Jahrhundert gilt die ständische Gliederung der Bevölkerung (Mühlen 1994: 114). Zwischen den freien Deutschen und den meistenteils erbuntertänigen Letten oder Esten bestand eine Kluft, die nur durch die Freilassung der Erbleute und durch ihren sozialen Aufstieg - den Übergang in das Deutschtum überwindbar war, z.B durch die Heirat mit den Deutschen (Lenz 1941: 23ff.) oder in manchen Fällen sogar über das Studium (Mühlen 1994: 109). Der „deutsche landische Mittelstand [...] nahm ununterbrochen sozial aufsteigende Letten und Esten auf, die dadurch zu Deutschen wurden" (Wittram 1954: 142). Zahlenmäßig sind die freigelassenen und verdeutschten Letten mit Genauigkeit nie erfaßt worden: Lenz (1951: 58) geht von vielen Tausenden aus. Die ständische Abgrenzung äußerte sich auch innerhalb des baltischen Deutschtums. So zeigte ζ. B. der Kreis der Literaten, besonders in Kurland, sein ,,eigene[s] starke[s] Selbstbewußtsein, das ihn gleich schroff gegen den Adel wie gegen das übrige Bürgertum abgrenzte" (Wittram 1954: 141). Am wenigsten akzeptiert wurden die „sogenannten Wacholder- oder Halbdeutschen" (Mühlen 1994: 110) - Personen, deren soziale Wanderschaft nach unten oder nach oben nicht abgeschlossen war, die „nicht mehr oder noch nicht ganz dem deutschen Teil der Gesellschaft angehörten" (Mühlen ebd.). Doch auch für die Deutschen, viel mehr als für die Einheimischen, bildeten die ständischen Grenzen kein unüberwindbares Hindernis (Wittram 1954: 142).
17
Ein besonderes Indiz für die ständische Zugehörigkeit war die deutsche Sprache (Stegmann v. Pritzwald 1952: 418). Auf dem Lande allerdings unterlag sie einer nicht so strengen gesellschaftlich korrigierenden Aufsicht wie in den Städten. Das galt sogar für die Umgangssprache 6 der Gebildeten (Stegmann v. Pritzwald 1952: 416). Auch in den unteren sozialen Schichten der deutschen Bevölkerung fehlte eine derartige gesellschaftliche Überwachung. Infolge eines engeren Umgangs mit der fremdsprachigen Umwelt wirkte sich hier ihr sprachlicher Einfluß stärker aus (Stegmann v. Pritzwald 1951: 178). Die statistischen Angaben und Forschungserkenntnisse lassen vor allem das ländliche Milieu und die unteren Gesellschaftsschichten als einen bilingualen kommunikativen Treffpunkt vermuten (s. Lenz 1941: 3). Bemerkungen über einheimisches bzw. lettisches Dienstpersonal auf den Gütern ist häufig in der Fachliteratur zu finden: Das waren ζ. B. Gärtner, Bierbrauer, Köche, Hof- oder Viehmütter, Ammen und Hofmeister 1. In den Städten dagegen mit anteilmäßig höheren deutschen Bevölkerungsgruppen ist mit geschlossenen städtischen deutschen Gemeinschaften in dem Sinne zu rechnen, daß das soziale Leben der Deutschen und Letten hier eher nebeneinander statt miteinander verlief (Pistohlkors 1994: 317). Gleichzeitig ist aber anzumerken, daß das Baltikum, abgesehen von einigen wenigen Großstädten wie Riga, Libau (Liepäja) mit etwa 4500 Einwohnern oder Mitau (Jelgava) mit etwa 10 200 Einwohnern, vom allgemein ländlichen Charakter geprägt war (Bosse 1986: 533). 8 Der Sprachenkompetenz sind zahlreiche Aussagen in der historischen und soziolinguistischen Forschungsliteratur gewidmet. Häufig erwähnt werden die deutschen Kinder aus adligen und reichen Elternhäusern, die bis zum dritten oder vierten Lebensjahr mit der lettischen oder halbdeutschen Sprache der Ammen aufwuchsen, doch für die weitere Sprachentwicklung werden diese Tatsachen als wenig relevant betrachtet (s. Rechenberg-Linten 1858: 150; Stegmann v. Pritzwald 1952: 415)." Bei den Erwachsenen sind Sprachkenntnisse, auch des Lettischen oder Estnischen, vor allem in den Gelehrtenkreisen und unter den Pastoren nachgewiesen (Mühlen 1994: 151). Insgesamt sei die Zweisprachigkeit oder sogar Dreisprachigkeit unter ihnen eine ganz normale Erscheinung gewesen (Issäkow 1996: 122). Bei den Pastoren zählte die lettische bzw. estnische Sprachkompetenz zu einer wichtigen Voraussetzung für die Anstellung und für das Erhalten einer Pfarre (Arbusow 1918: 265; Tering 1998a: 843). Bezüglich der Reisenden ins Ausland findet man die Bemerkung, daß sie „sich gelegentlich des Estnischen oder Lettischen bedienten, um neugierige Lauscher von ihren Gesprächen auszuschließen" (Mühlen 1994: 45). 10 Für Kenntnisse des Lettischen bei der ländlichen deutschen Bevölkerung spricht u.a. eine Bemerkung in den ,,Mitauische[n] Politische[n] und Gelehrte[n] Zeitungen" in Verbindung 6
7 8 9
10
Der Begriff'Umgangssprache' wird in vorliegender Arbeit vor allem in Referenzen angewandt. In allen anderen Fällen bezieht sich er auf die Umgangssprache 'Baltendeutsch' (s. Kap. 8.1.2.). Vgl. Mitzka 1923: 7; Lenz 1941: 10; Stegmann v. Pritzwald 1952: 415; Pistohlkors 1994: 299. Einwohnerzahl in den kurländischen Städten s. Hoheisel 1982: 10. Wode (1996) bestätigt, daß sich die nichtdominante Sprache eines mehrsprachig erzogenen Kindes unter entsprechenden Umständen im Laufe der Zeit ganz verlieren kann, doch später kann sie relativ schnell und erfolgreich wieder gelernt werden (Wode 1996: 290f.). In einem mündlichen Gespräch hat mich auch der Historiker Arvo Tering auf den Gebrauch des Lettischen im Ausland hingewiesen. In den Stammbüchern, in die sich die in Deutschland studierenden Balten eingetragen haben, sind gelegentlich Einträge auf Lettisch zu finden.
18 mit der Veröffentlichung der Kosmographie von Stender. Hier wird das Werk gepriesen, womit „nicht blos für die Letten gesorgt, [sondern auch für] Deutsche, die unter den Bauren auf dem Lande wohnen, mehrentheils nicht viel aufgeklärter als die Letten sind, und oft Lettische Lektüre mehr als Deutsche lieben" (MPGZ 1775: 7, 27).11 Beachtenswert sind auch die Bemerkungen über die innere Mehrsprachigkeit der Deutschen, d. h. über die Notwendigkeit des sprachlichen Codewechsels beim kommunikativen Zusammentreffen der Vertreter aus unterschiedlichen Ständen. So haben besonders die Handwerker ihre Muttersprache der Ausdrucksweise der Berufsgenossen angeglichen, „um nicht als Außenseiter aufzufallen" (Stegmann v. Pritzwald 1952: 415). Kenntnisse der deutschen Sprache werden auch bei der einheimischen Bevölkerung anerkannt, in erster Linie beim höfischen oder städtischen Dienstvolk (Lenz 1941: 11). Eine bedeutende Rolle für die Entwicklung der Sprachkompetenz spielt die Ausbildung. In dieser Hinsicht waren die Möglichkeiten für einzelne Stände, auch in Abhängigkeit vom Wohnort der Personen, sehr unterschiedlich. Auf den Gutshöfen waren Hauslehrer (Hofmeister) die Vermittler neuer Ideen und Kenntnisse. Meistens handelte es sich um eingewanderte Akademiker, die einige Jahre, bevor sie eine Stelle als Pastor oder Lehrer bekamen, auf den Gütern verbrachten (Wittram 1939: 112; Mühlen 1994: 121f.). Ihre Rolle scheint um so größer zu sein, wenn man bedenkt, daß ζ. B. in Kurland eine auf das Hochschulstudium vorbereitende Lehranstalt erst 1775 gegründet wurde (Tering 1998a: 842). Erst in den 90er Jahren des 18. Jahrhunderts nahm die bis dahin größte Zahl der Balten das Studium an deutschen Universitäten auf etwa 40 Personen pro Jahr (Tering 1998: 265). 12 Die Masse der Bevölkerung genoß im besten Fall einen Elementarunterricht im Lesen, Schreiben und Rechnen, doch insgesamt wurden im 18. Jahrhundert Fortschritte in der Ausbildung der Landbevölkerung, darunter auch der Letten und Esten erzielt.13 Durch die Schul- und Allgemeinbildung verringerte sich der soziale Abstand zwischen den einheimischen Bauern und anderen Ständen (Meder 1961: 29). Und das war in vielem das Verdienst der baltischen Pastoren, die sich neben ihren klerikalen Aufgaben der Aufklärung der untersten sozialen Schicht widmeten, etwa durch die Abfassung sowohl didaktischer als auch praktischer Lese- und Handbücher. Um die 40er Jahre war im Baltikum eine neue Theologengeneration herangewachsen, die pietistisch eingestellt war und mit denen die Aufklärung den Eingang ins Baltikum fand. 14 Diese Pastoren, die im Unterschied zu der Nachkriegsgeneration 15 „eine höhere Auffassung von den Pflichten der Geistlichkeit" besaßen (Lenz 1953: 12), trugen zu einer allmählichen Änderung der bisherigen Auffassung von den ortseingesessenen Untertanen bei und gaben wichtige Impulse für die Entwicklung der nationalen Kultur der Letten und Esten.
11 12 13
14 15
S. auch Brandt 2000: 175. Über die soziale Herkunft der Studentenschaft am Ende des Jahrhunderts s. Tering 1998: 269. Genaueres über die Errungenschaften in der Ausbildung der Landbevölkerung in Livland im 18. Jahrhundert s. Arbusow 1918: 266. Ausführlicher dazu s. Pistohlkors 1994: 282ff. Eine nähere Charakteristik dieser Theologen s. Arbusow 1918: 265.
19 Obwohl die sozialen und sprachlichen Kontakte zwischen den Deutschen und Letten als häufig, auf dem Lande und in den unteren Gesellschaftsschichten sogar als ständig belegt werden können, bieten die benutzten kulturhistorischen Untersuchungen keine Angaben über den Prozeß des Spracherlernens. Eine (partielle) Zweisprachigkeit der Deutschen und der Letten kann angenommen werden, doch die Nutzung von zweisprachigen Wörterbüchern beim Fremdsprachenerwerb kann daraus nicht bedingungslos abgeleitet werden. Trotzdem zeichnet sich gerade die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts durch eine intensive Tätigkeit der deutschen Pastoren auf dem Gebiet der zweisprachigen Lexikographie im Baltikum aus. Aufgrund der kulturhistorischen Situation sind die deutsch-lettischen/lettischdeutschen Wörterbücher als ein von geistig-kulturellen, gesellschaftlichen Wandlungen angeregtes Produkt zu betrachten. Eine sozial-hierarchisch bedingte Motivation für die Entstehung dieser Wörterbücher, etwa in Verbindung mit der Notwendigkeit zum Erlernen des Lettischen bei dem überwiegenden Teil der ortsansässigen deutschen Bevölkerung, war nicht vorhanden. Die Letten kommen als konzeptionell vorgesehene Benutzer dieser Wörterbücher kaum in Frage. Ihre Ausbildung wurde im allgemeinen in der Muttersprache angestrebt. Die Darstellung des gesellschaftlichen Lebens im Baltikum erlaubt jedoch mehrere Schlüsse zu ziehen, die eine Untersuchung des deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Wörterbuchs aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts unter dem Aspekt 'Tradition und Regionalität in der zweisprachigen Lexikographie' kulturhistorisch unterstützen. 1. Wenn unter der 'Tradition' die Berücksichtigung einer allgemein anerkannten Konzeption oder eine einheitliche Praxis in der Abfassung von zweisprachigen Wörterbüchern mit Deutsch im Sprachenpaar verstanden wird, können die belegten kulturellen Beziehungen nach Deutschland als eine Brücke aufgefaßt werden, über die ein entsprechendes Verfahren aus Deutschland und aus anderen Ländern auch den Lexikographen im Baltikum vermittelt werden konnte. 2. Die Benutzer der deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Wörterbücher sind vorwiegend unter den neu eingewanderten deutschsprachigen Personen zu erwarten, denn sie hatten keine Vorkenntnisse im Lettischen. Da die deutsche Einwanderung ins Baltikum bis zum 18. Jahrhundert nie abgebrochen war und im 18. Jahrhundert sogar einen der Höhepunkte erreichte, darf angenommen werden, daß die deutsch-lettischen/lettischdeutschen Wörterbücher generell für die genannte Zielgruppe gedacht waren und aufgrund des behandelten Sprachenpaares ihre Reichweite nur auf die deutsch-lettischen Kontaktgebiete beschränkt blieb. Diese im Grunde unveränderten Benutzeraspekte lassen auch im Lexikon mit Merkmalen rechnen, die sich als charakteristisch für die 'Tradition' der deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Lexikographie erweisen. 3. Zahlreiche Fakten über die Anpassung der Sprache an den Sprachgebrauch der ortsansässigen Deutschen sowie über die Zweisprachigkeit der Bevölkerung im Baltikum können davon zeugen, daß die deutsche Sprache im Baltikum regional geprägt war. Demzufolge kann eine gewisse regionale Spezifik des Deutschen im Wortschatzbereich der deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Wörterbücher erwartet werden. Bevor das Lexikon von Lange unter dem Aspekt 'Tradition und Regionalität' behandelt werden kann, ist zunächst auf die Klärung der Frage nach der Tradition der zweisprachigen Lexikographie mit der deutschen Sprache im 18. Jahrhundert näher einzugehen. Die Beto-
20 nung der besonderen Rolle dieses Lexikons in der lettisch-deutschen/deutsch-lettischen Lexikographie erfordert einen Rückblick auf die betreffende lexikographische Arbeit vor Lange. Zuvor folgt aber der kulturhistorischen Betrachtung eine kurze biographische Darstellung Langes. Sie spiegelt in vielem den typischen Werdegang eines baltischen Pastors und Gelehrten im 18. Jahrhundert wider und zeigt an einem konkreten Beispiel, wie stark das Wirken dieses Personenkreises von internationalen und interregionalen Beziehungen geprägt war.
3.4. Der Lebensweg von Jacob Lange und sein Werdegang als Lexikograph
Informationen über das Leben und Wirken von Lange verdankt man zu einem großen Teil seinem lateinisch verfaßten Tagebuch, das von Fischer (1782) in den „Nordischen Miscellaneen" 16 mit Bedauern über fehlende Möglichkeiten zur Herausgabe erwähnt wurde (Fischer 1782: 205). Das Tagebuch „Ephemerides Langianae" diente als eine wichtige Quelle für das 1884 von Berkholz veröffentlichte biographische Werk über Lange, dem vor allem einige Fakten, besonders in Verbindung mit seiner lexikographischen Tätigkeit, fur den folgenden biographischen Bericht entnommen worden sind. Jacob Lange wurde 1711 in Königsberg geboren. Seine Eltern Michael Lange, königlicher Makler, und Barbara Moller gehörten zu den vornehmen Königsberger Familien. Lange besuchte das angesehene Collegium Fridericianum (Vorschule für künftige Akademiker), auf dem er neben den klassischen Sprachen Griechisch, Hebräisch und Latein auch Französisch lernte. Zusätzlich zu diesen Sprachen nahm er Privatunterricht im Englischen. 1727 wurde Lange an der Königsberger Universität „Albertina" immatrikuliert, an der er das Theologiestudium aufnahm. Nachdem man ihm abgeraten hatte, die Ausbildung an auswärtigen Universitäten fortzusetzen, begann er nach dem Studium 1731 die Lehrtätigkeit am Collegium Fridericianum und übte sich im Predigen sowohl in Königsberg als auch in benachbarten Orten. Das Jahr 1731 scheint ein sehr intensives Lebensjahr gewesen zu sein: Lange trat in das zu Königsberg gegründete litauische Seminar ein, erlernte die litauische Sprache, um danach als Prediger fur die Litauer evangelischer Konfession im Insterburgischen (Tschernjachowsk) Kreis tätig zu werden. In demselben Jahr begab er sich nach Berlin. Nähere Umstände für diese Reise sind unbekannt. In Berlin wurde er beauftragt, Begleiter und Schriftführer eines Kommissars W. auf einer vom Oberprediger D.E. Jablonski organisierten Friedensmission in Polen zu werden. Er traf sich mit Jablonski während der Vorbereitungen zur Mission, doch wie intensiv die Kontakte zwischen Lange und Jablonski gewesen sind, ist dem biographischen Werk von Berkholz nicht zu entnehmen. Sollte aber eine nähere Bekanntschaft zwischen beiden Personen bestanden haben, hätte sie unter Um-
16
Eine allgemein-aufklärerische Zeitschrift, die seit 1781 von Hupel herausgegeben wurde. Zusammen mit der Fortsetzung „Neue Nordische Miscellaneen" erschien die Zeitschrift 18 Jahre lang. Sie klärte die Leser in Fragen der Geschichte, Geographie, Recht u.a. auf und machte sie mit dem Alltagsleben in den baltischen Provinzen bekannt. Die Zeitschrift wurde zum „wichtigsten Organ der Inländischen Aufklärung" (Jürjo 1991: 500).
21 ständen eine weitgehende Wirkung in Form von Anregungen oder Ideen auf Langes spätere lexikographische Tätigkeit ausüben können. 1 7 N a c h dem Aufenthalt in Polen kehrte Lange 1732 nach Königsberg zurück. D o c h in der Heimatstadt stand der N a m e Lange in einem üblen Ruf, nicht zuletzt aus religiösen Gründen - w e g e n des Verkehrs „mit Socianern, Katholiken und Juden in Polen" (Berkholz 1884: 43). S o wurde Lange empfohlen, die Stadt zu verlassen und nach Petersburg zu reisen, w o die evangelische Kirche gerade einen Kandidaten für das Predigeramt suchte. V o n 1732 bis 1736 lebte er in Petersburg und verkehrte dort in den wichtigsten Gelehrtenkreisen. Laut Roze ( 1 9 7 7 ) soll sich Lange in Petersburg dem Studium der orientalischen Sprachen und der Geschichte gewidmet und auch an der Förderung des Schulwesens teilgenommen haben ( R o z e 1977: 154; vgl. Fischer 1782: 203). Während dieser Zeit entwickelten sich seine persönlichen Kontakte nach Livland; 1736 wurde ihm ein Pfarramt im lettischen Livland in Aussicht gestellt. Zum Jahresende verließ er Petersburg. Nach intensiven Lettischstudien wurde er schon im März 1737 im Konsistorium zu Riga einer Sprachprüfung unterzogen, die er glänzend bestand. Daraufhin wurde er als Pastor in der Gemeinde zu Wohlfahrt (Evele) eingesetzt. Im Jahr 1745 folgte die Amtsversetzung nach Smilten (Smiltene). Sein Leben lang bildete er sich weiter 18 und sorgte fur die Bildung und Aufklärung der ihm zugewiesenen Gemeinden. Im Jahr 1771 siedelte er nach Riga über, w o er bis zu seinem T o d 1777 das Amt des Generalsuperintendenten Livlands bekleidete.
17
18
Daniel Ernst Jablonski (1660-1741) war in den Jahren 1691-1693 in Königsberg als Hofprediger tätig und mit der Familie Lange bekannt (Berkholz 1884: 41 f.). 1693 erfolgte seine Berufung nach Berlin. Dort nahm er auch an der Errichtung der Sozietät der Wissenschaften teil und seine Tätigkeit war u.a. mit der Herausarbeitung der theoretische Konzeption zum deutschen Wörterbuch verbunden (Henne 1977: 30). Jablonski teilte den Gedanken von Leibniz über die Erfassung des deutschen Wortschatzes in drei getrennten Wörterbüchern, wobei er in erster Linie die Notwendigkeit eines solchen lexikographischen Werkes betonte, das „die Grundrichtigkeit erforschet" (Jablonski 1711, zitiert bei Henne 1975: 24). In einigen Fragen war Jablonski jedoch eigener Meinung, ζ. B. hinsichtlich der Entlehnungen aus anderen Sprachen, für deren Aufnahme in das Wörterbuch „Usualis" er plädierte (Jablonski 1711 bei Henne 1977: 32). Zu einem gewissen Grad ließ Jablonski auch die Aufnahme des dialektalen Wortschatzes zu - ζ. B. wenn sie „in der Bedeutung oder Nachdruck einen merkwürdigen Gebrauch haben, daraus der Sprache ein sonderbares nützliches Licht entstehen kan" (Jablonski 1711, ebd.). Genauere biographische Angaben zu D.E. Jablonski (Jablonsky) s. ADB/13 1881: 523f. Im Bücherkatalog von Lange, der nach seinem Tod für die Versteigerung veröffentlicht wurde, werden mehr als 1050 Titel gezählt. Das Bücherverzeichnis beinhaltet Werke in mehreren Sprachen: Deutsch, Lateinisch, Englisch, Französisch sowie Lettisch. Es zeugt von einem breiten Interessenkreis Langes: neben den zahlreichen Werken der religiösen Literatur finden sich in seiner Bibliothek Werke zeitgenössischer Autoren zu verschiedenen Wissensbereichen wie „Gottscheds Philosophie, Leipz. 1743" (Catalogvs 1777: 16), „Wolfens Logik, Halle 1731" (ebd.: 26), „Locks Erziehung der Kinder, Hann. 1729" (ebd.: 18), „Stenders Augsta Gudriba 1774" (ebd.: 30), „Fischers Liefländisches Landwirtschafts=Buch, Halle 1753" (ebd.: 35), „The history of England, Lond. 1702" (ebd.: 18), „Stahls Abhandlung von Frauenzimmer=Krankheiten, Leipz." (ebd.: 24) u.a. Etwa 20 Titel seiner Bibliothek bilden linguistische Werke - vor allem die Grammatiken klassischer und moderner Sprachen und die Wörterbücher, ζ. B. „Bailey's englisch Dictionary, Leipz. 1736" (ebd.: 15), „Johnsons engl. Dictionary, Lond. 1724" (ebd.: 41), „Sparrows englisch Dictionaire" (ebd.: 46), „Frischens Dictionaire, Leipz. 1746" (ebd.: 15), „Neuveau Dictionaire du Voyageur, Geneve, 1719" (ebd.: 32).
22 „Nur wenige Wochen vor seinem Ende hat Lange noch die Freude erlebt, zu einem Werke, 19 an dem er seit 30 Jahren gearbeitet, den letzten abschließenden Federstrich thun zu können" (Berkholz 1884: 194). Als viel gereister, gut ausgebildeter und belesener Mann war Pastor Lange nicht nur mit dem Stand der Dinge auf dem Gebiet der deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Lexikographie vertraut, sondern kannte sich in Fragen der Wörterbuchschreibung und des Fremdsprachenerlernens im allgemeinen aus. Im weiteren soll näher erörtert werden, mit welcher Situation er auf dem Gebiet der zweisprachigen Lexikographie konfrontiert wurde.
19
Genaueres über die Edition des Lexikons von Lange s. Roze 1977: 154f.
4. Lexikographische Konzeptionen zum deutschen Wörterbuch und ihr Einfluß auf die deutsch-fremdsprachige/fremdsprachig-deutsche Lexikographie des 17./18. Jahrhunderts
Lange leitet sein Lexikon mit einem Vorwort ein, in dem sowohl lexikographisch konzeptionelle als auch linguistische und didaktische Fragen aufgegriffen werden. Es ist zu klären, wie sich das Lexikon im Rahmen der deutsch-fremdsprachigen Lexikographie des 18. Jahrhunderts bewerten läßt. Um die Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede und die eventuellen Einflüsse auf seine konzeptionellen Überlegungen festzustellen, wird in diesem Kapitel die notwendige kontrastive Materialbasis aufbereitet. Zuerst werden die in Deutschland gestellten Forderungen an ein deutsches Wörterbuch im 17./18. Jahrhundert schwerpunktmäßig skizziert, denn eine vergleichbare theoretische Auseinandersetzung mit Fragen der zweisprachigen Lexikographie kann für diese Zeit nicht belegt werden. Die Übersicht stützt sich vorwiegend auf die Forschungsarbeiten von Ising (1956), Henne (1968; 1975), Powitz (1959; 1975), Schröter (1973) und Polenz (1994). Angesichts der bedeutenden Rolle, die Comenius bei der Gestaltung des Sprachunterrichts und bei der Abfassung der lexikographischen Werke seit dem 17. Jahrhundert gespielt hat, werden einige seiner Ansichten in Verbindung mit den lexikographischen Konzeptionen ausgewertet. Im weiteren folgt eine zusammenfassende Darstellung der bedeutendsten deutschen Wörterbücher sowie der konzeptionellen Überlegungen aus den Vorworten mehrerer zweisprachiger Wörterbücher, um so eine Gesamtvorstellung vom konzeptionellen Entwicklungsstand der deutsch-fremdsprachigen Lexikographie im 18. Jahrhundert zu vermitteln.
4.1. Theoretische Konzeptionen eines deutschen Wörterbuchs im 17./18. Jahrhundert
Ein zunehmendes Interesse für theoretische Fragen der Lexikographie entstand in Deutschland im 17. Jahrhundert. Es erwuchs aus einer allgemeinen Sprachdiskussion, die vorwiegend in Sprachgesellschaften ausgetragen wurde (Ising 1956: 48; Henne 1968: 85). Aus dem sozial differenzierten Wortschatz und aus den geographischen Varianten der deutschen Sprache sollte eine einheitliche Hochsprache nach der grammatischen Analogie 1 geformt werden, die über den Mundarten steht und mit der Sprache guter Schriftsteller und der Gebildeten Obersachsens identisch ist (Henne 1975: 12). Die wichtige Arbeit der Deskription und der Normierung der deutschen Sprache wurde den Grammatikern und Lexikographen zugeteilt (Henne 1968: 86).
1
Mit dem Begriff 'Analogie' wurde von den Theoretikern die wortbildende Gliederung verstanden, der ein Stammwort oder „radix" zugrunde liegt, von dem auf einem grammatisch richtigen Weg Ableitungen und Zusammensetzungen gebildet werden (Henne 1968: 96).
24 Um die Mitte des 17. Jahrhunderts leistete G.Ph. Harsdörffer den ersten wichtigen Beitrag zur deutschen Wörterbuchkonzeption. 2 Seiner Ansicht nach gehörten zu den Aufgaben der Lexikographie die Sammlung der Stammwörter und die Anführung ihrer Deutung, die Demonstration ihrer Wortbildungsmöglichkeiten durch Ableitungen und Zusammensetzungen und ihres Gebrauchs durch Sprichwörter in einem vollständigen Wörterbuch (Henne 1975: 14). Im Jahr 1651 präsentierte J.G. Schottel sein Programm zur Verfertigung eines vollständigen Lexikons. Die Vollständigkeit wurde von ihm vor allem in der Masse der Stammwörter gesehen. Wie bei Harsdörffer sollten auch nach Schottel die gebräuchlichsten Redensarten und Sprüche der Erklärung der Wörter dienen und die Beschreibung des Wortschatzes aufgrund der Befunde in alten deutschen Quellen erfolgen. Sie erwiesen sich als wichtig für eine etymologische Deutung der Wörter und zur Verherrlichung der Muttersprache (Henne 1975: 21). Schottel stimmte mit den Ansichten von Harsdörffer grundsätzlich überein, maß jedoch einzelnen Programmpunkten ein anderes Gewicht bei (s. Henne 1968: 97f.; Ising 1956: 50f.; Polenz 1994: 154). Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurden die Theorien des 17. Jahrhunderts durch einige neue Ansichten ergänzt (Henne 1975: 23 ). Im Traktat „Unvorgreiffliche Gedancken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der Teutschen Sprache" 3 , das seit 1717 in gedruckter Form vorlag, plädierte Leibniz für eine getrennte Erfassung des Wortschatzes in drei Wörterbüchern: das erste -„Sprachbrauch, auff Lateinisch Lexicon" - sollte die Gemein- und Hochsprache, das zweite - „Sprach-Schatz, oder cornu copiae" - den fachsprachlichen Wortschatz aus verschiedenen Bereichen darstellen, und im dritten „Glossarium, oder Sprachquell" - waren die Mundarten zusammen mit dem historischen Wortschatz aus etymologischer Sicht zu betrachten (Leibniz 1717: 274). Zu den Wörtern, die in ein Wörterbuch nicht aufzunehmen sind, zählte Leibniz „Verba Provincialia" oder „Land-Worte gewisser Provintzen Teutschlandes" (Leibniz 1717: 300). In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nahmen Schriftsteller wie G.E. Lessing und F.G. Klopstock an der Wörterbuchdiskussion teil und wollten zur Auflockerung der normierenden Aufgaben eines deutschen Wörterbuchs beitragen (Henne 1975: 25f.). Trotzdem blieb dem Wörterbuch eine normierende Rolle auch weiterhin vorbehalten (Polenz 1994: 126f.). Einen Aufschluß über den Einfluß der deutschen Wörterbuchkonzeptionen auf die deutsch-fremdsprachige/fremdsprachig-deutsche Lexikographie des 18. Jahrhunderts bieten sowohl die Ansichten der erwähnten Theoretiker als auch die von ihnen angewandte Terminologie, die in den folgenden Kapiteln näher betrachtet werden.
2
3
Im Jahr 1648 lieferte er das erste ausgearbeitete lexikographische Konzept zum Wörterbuchentwurf der Fruchtbringenden Gesellschaft „Des Spielenden Unvergreiffliches wolgemeintes Bedencken, Wie ein Teutsches Dictionarium oder wortbuch Zuverabfassen". Die Grundgedanken seines Programms s. Henne 1975: 17. Titel des Manuskripts: „Unvorgreifliche Gedancken betreffend die auffrichtung eines Teutschgesinneten Ordens" (Henne 1975: 22).
25 4.2. Sprachdidaktische Ansichten Johann Arnos Comenius' und ihr Einfluß auf die zwei- und mehrsprachige Lexikographie
Die theoretischen Konzeptionen des deutschen Wörterbuchs zeigen gewisse Parallelen auch mit den sprachdidaktischen Ansichten Comenius'. Eine tiefere Erforschung des didaktischen Ansatzes der Konzeptionen gehört allerdings nicht zur Aufgabe der vorliegenden Arbeit. Einige kurz skizzierte Parallelen sollen aber darauf hinweisen, daß die konzeptionellen Anregungen in den Wörterbüchern nicht immer eindeutig auf konkrete Wörterbuchprogramme zurückzuführen sind, besonders dann nicht, wenn Nachweise über Referenzen fehlen. Ziel der pädagogischen Lehre Comenius' war eine vielseitige Entwicklung des menschlichen Geistes. Die Verbindung des Sprach- und Sachunterrichts sollte dazu beitragen, die Welt in ihren Zusammenhängen zu erfassen. Die von Comenius erwünschte universale Bildung ist gleichermaßen im Streben der lexikographischen Theoretiker nach einem vollständigen Wörterbuch sichtbar, das ein umfassendes Sprachbild - die deutsche Sprache in ihren inneren Zusammenhängen und in der historischen Entwicklung - vermitteln sollte. In der Abhandlung „Methodus linguarum novissima" bzw. „Die Neueste Sprachmethode" (1644-1647) betont Comenius die Notwendigkeit der Wörterbücher beim Sprachenlernen (Komensky 1959: 36) und äußert den Gedanken, daß die Ordnung der Dinge und Worte auch geordnete Begriffe im Geist schafft (Komensky 1959: 68). Auf der lexikographischen Ebene kann man ein vergleichbares Ordnungsprinzip in den Forderungen, ζ. B. von Harsdörffer und Schottel, in bezug auf eine systematische, nach der grammatischen Analogie aufgebaute Darstellung des Wortschatzes sehen (s. Kap. 4.1.). Die pädagogischen Ansichten Comenius' und seiner Nachfolger haben besonders die zweisprachige Lexikographie beeinflußt (Ising 1956: 57f.; Piirainen 1980: 599).4 In der Theorie der universalen Menschenbildung spielt bei Comenius vor allem die Muttersprache eine wesentliche Rolle,5 doch in den Überlegungen zu einem enzyklopädischen „pansophischen Sachwörterbuch" (Comenius 1661) sind die Forderungen an ein zweisprachiges Wörterbuch nicht strikt von denen an ein einsprachiges Wörterbuch zu trennen: „Das Wörterbuch sollte, sage ich, alles erschöpfend in einer alphabetischen Ordnung der Dinge und Wörter vollständig zusammenstellen, daß man sofort alles finden könne, was notwendig ist und was irgendwo vorkommt. Damit man erkennen kann, nicht wie ein und dasselbe oder dieses und jenes Ding in ihrer Sprache heißen oder wie es dieser oder jener Schriftsteller bezeichnete, sondern was ein jedes Ding an sich selbst im Innern ist, d. h. zu welcher Gat4
Mit seinem enzyklopädisch aufgebauten Lehrwerk „Janua reserata linguarum" (verfaßt zwischen 1629 und 1631) leitete Comenius nicht nur eine Umwälzung im Lateinunterricht ein, das Lehrwerk brachte dem Verfasser eine internationale Anerkennung und wurde, ebenso wie sein späteres Werk „Orbis sensualium pictus" (1658), auch beim Erlernen lebendiger Fremdsprachen verwendet (Krasnowski 1957: 11). Sie dienten als eine Art enzyklopädisches Nachschlagewerk (Collison 1982: 78), wurden in verschiedene Sprachen übersetzt, nach den Aufbauprinzipien der Lehrwerke und anhand der hinzugefügten Vokabulare wurden mehrsprachige Schulwörterbücher zusammengestellt.
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Die unmittelbare Rolle der Muttersprache ist ζ. B. in der Aufzählung der Hilfsmittel einer universalen Bildung zu erkennen, darunter: Eltern und Ernährer, öffentliche Schulen, gute Bücher, Unterhaltung mit gelehrten, frommen, tätigen und beredten Männern (Komensky 1959: 137f.).
26 tung es gehört und wodurch es sich von allen anderen Dingen dieser Gattung unterscheidet; ferner wozu es ist und wie man es gebrauchen kann" (Comenius 1661, zitiert bei Hofmann 1975: 100). Comenius fordert damit die Entdeckung der wesentlichen Merkmale des vom Wort Bezeichneten. Dieser Weg ist dem Zitieren der Schriftsteller vorzuziehen, da das Zitat allein noch kein wahres Verständnis des vom Wort bezeichneten Sachverhaltes garantiert. In bezug auf die Einrichtung des Wörterbuchs betrachtet er die „Dinge und Wörter" (s. ebd.) als eine Einheit. Deshalb ist die Bedeutung der Wörter und nicht die orthographische Zeichensequenz für die Anordnung der Lemmata maßgebend. Die Notwendigkeit zur Entdeckung der inneren Zusammenhänge der Sprache ist bei mehreren Wörterbuchverfassern, auch bei Lange (1777: Vorr. Vllf.), betont worden. Der gemeinsame sprachpädagogische Ansatz in den einsprachigen und in den zweisprachigen Wörterbüchern ist daher als ein wichtiger Berührungspunkt zu sehen, der die Anwendung der Konzeption des einsprachigen Wörterbuchs in den zweisprachigen Wörterbüchern gefördert hat.
4.3. Der Einfluß der theoretischen Konzeptionen auf die deutschen Wörterbücher
Die theoretischen Forderungen des 17. Jahrhunderts versuchten Stieler (Der Spate) 1691 im Wörterbuch „Der Teutschen Sprache Stammbaum und Fortwachs [...]" (Sonderegger 1968: 4ff.) und Steinbach 1725 im ,,Vollständige[n] Deutsche[n] Wörter=Buch vel Lexicon germanico - latinum"6 (Schröter 1973: V*ff.) zu verwirklichen. Die Vorreden boten eine ausführliche Erläuterung der Wörterbuchkonzeptionen. Frisch dagegen suchte im „Teutschlateinische[n] Wörterbuch" von 1741 nach eigenen Wegen in der Wortschatzdarstellung. Zum Ausgangspunkt seiner Konzeption verwendete er die Ideen von Leibniz über die getrennte Erfassung des Wortschatzes in mehreren Wörterbüchern, erwog jedoch die Möglichkeit, diese Aufgabe im Rahmen eines Werks zu lösen.7 Demzufolge sollten die Artikel folgende Bereiche abdecken: 1) den gemeinsprachlichen Wortschatz; 2) Mundarten und Fachsprachen; 3) das historische Wortgut; 4) alte Orts- und Personennamen. Die Erläuterungen zu den lemmatisierten Einheiten betrafen: 5) etymologische Angaben; 6) grammatische und sprachkritische Erörterungen (Powitz 1975: 99). Obwohl in den Wörterbüchern lateinische Äquivalente angeführt wurden, dienten sie in erster Linie einer genauen Bedeutungsinterpretation der deutschen Einträge (Schröter 1973: X). Wie die Autoren betonten, handelte es sich um deutsche Wörterbücher: „zumal dieses 6 7
Ebenso in der zweiten, erweiterten Ausgabe von 1734. Schon 1723 präsentierte er seinen Wörterbuchplan im „Specimen Lexici Germanici" - im Anhang zur vierten Auflage der „Grund=Sätze der Teutschen Sprache" von J. Bödiker (Powitz 1959: 10).
27 kein Lateinisches/ sondern ein Teutsches Wörterbuch heißet" (Stieler 1691: Vorr.; vgl. Steinbach 1734: Vorb.). Neben dem Hauptziel - der Darstellung des deutschen Wortschatzes - wurde als ein sekundäres Ziel die Nutzung der Wörterbücher im Sprachunterricht einbezogen. Stieler behauptete, daß sein Wörterbuch „in und auser Schulen/ zu Ubersetzung in die Lateinische Sprache/ mit gutem Nutzen gebrauchet werden" kann (Stieler 1691: Vorr.). Auch Frisch nahm zu Zwecken des Lateinunterrichts viele Übersetzungsbeispiele für lateinische Satzkonstruktionen auf (Powitz 1975: 101). Steinbachs Wörterbuch war von Ausländern beim Erlernen der deutschen Sprache zu benutzen: hier seien Kenntnisse zu gewinnen, wenn man „ohne Schwierigkeit, ohne Zweydeutigkeit, ohne Dunckelheit, oder wenigstens ohne Fehler wider die Sprechart, reden und schreiben will" (König 1734: Vorb.). Während die ersten beiden Wörterbücher bei den Zeitgenossen auf Kritik stießen und sich im praktischen Gebrauch nicht durchsetzten (Grimm 1854: Vorw. XXII; Schröter 1973: XXII; Powitz 1975: 97), wurde Frisch als Lexikograph gewürdigt und sein Wörterbuch von J. Grimm als „das erste gelehrte deutsche Wörterbuch" bezeichnet (Grimm 1854: Vorw. XXII). Das deutsch-lateinische Wörterbuch von Frisch übte einen großen Einfluß nicht nur auf die spätere deutsche, sondern auch auf die deutsch-fremdsprachige Lexikographie aus, wovon die häufigen Berufungen auf diese Quelle zeugen (s. Kap. 4.4.). Eine indirekte Wirkung können jedoch auch die Wörterbücher von Stieler und Steinbach aufweisen, da sich Frisch mit ihnen nicht nur auseinandersetzte, sondern sie auch für seine Arbeit heranzog (Powitz 1959: 80; Schröter 1973: XXI; Polenz 1994: 189).
4.4. D e r E i n f l u ß der theoretischen Konzeptionen auf die deutschfremdsprachigen/fremdsprachig-deutschen W ö r t e r b ü c h e r
Die lexikographischen Theorien in Deutschland im 17./18. Jahrhundert galten den deutschen Wörterbüchern, die trotz der fremden Übersetzungs- und Metasprachen in der deutschen Metalexikographie als Vorgänger der einsprachigen deutschen Lexikographie betrachtet werden. Der Schwerpunkt wurde in diesen Wörterbüchern auf die lexikographische Darstellung des Deutschen gesetzt - so bei Frisch (Powitz 1975: 96f.) und bei Stieler (Sonderegger 1968: 7). Demgegenüber stellt sich die Frage nach dem konzeptionellen Hintergrund der deutsch-fremdsprachigen/fremdsprachig-deutschen Wörterbücher als zweisprachige lexikographische Werke. Frisch war ζ. B. der Verfasser eines deutsch-lateinischen sowie eines deutsch-französischen Wörterbuchs. Das deutsch-italienische Wörterbuch von Kramer mit den späteren Neubearbeitungen von 1700 bzw. 1702 wird nicht selten mit der lexikographischen Konzeption eines deutschen Wörterbuchs in Verbindung gebracht (Ising 1956: 56; Henne 1968: 109 u. 1975: 27). Nicht zuletzt werden die deutsch-lateinischen Wörterbücher in der zweisprachigen Lexikographie als Quellen und Vorlagen herangezogen. Da läßt sich vermuten, daß die Theorie des deutschen Wörterbuchs direkt oder indirekt auch die zweisprachige Lexikographie mit der deutschen Sprache beeinflußt hat.
28 Auf der Suche nach Berührungspunkten mit den lexikographischen Konzeptionen zum deutschen Wörterbuch sowie nach anderen Einflüssen in der zweisprachigen Lexikographie mit der deutschen Sprache werden in diesem Unterkapitel die Vorworte zu mehreren deutsch-fremdsprachigen Wörterbüchern aus dem Ende des 17. Jahrhunderts und aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts näher behandelt. Aus objektiven Gründen konnten nur in EinzelfMllen die Erstausgaben herangezogen werden, deren Erscheinungsfolge in der Auflistung jedoch dargestellt wird: 1. Matthias Kramer (1678): Das neue Dictionarium Oder Wort=Buch/ In Teutsch = Italiänischer Sprach. 2. Christian Ludwig (1765): Teutsch=Englisches Lexicon. 8 3. Johann Leonhard Frisch (1719): Nouveau dictionaire des passagers [...] Oder neues Frantzösisch = Teutsches und Teutsch = Frantzösisches Wörter=Buch. 9 4. Theodor Arnold/Nathan Bailey (1761): „A COMPLEAT ENGLISH DICTIONARY, oder vollständiges Englisch=Deutsches Wörterbuch" (I. Teil) und „Neues Deutsch= Englisches Wörterbuch" (II. Teil). 10 5. Olof Lind (1738): Teutsch=Schwedisches und Schwedisch=Teutsches Dictionarium Oder Wörter =Buch." 6. Johann Carl Dähnert (1746): Liber memorialis Germanico-Latino-Svecicus. 7. Hans von Aphelen (1764): Kongelig Dansk Ord-Bog, oplyst med Exempler og Talemaader. Ferste Tome Dansk og Tydsk. Anden Tome Tydsk og Dansk. 12 Da die Aufmerksamkeit in erster Linie auf die Konzeptionen, nicht auf ihre praktische Umsetzung in den Wörterbüchern gerichtet ist, wird das Belegmaterial ausschließlich den Titelseiten und den Vorworten entnommen, denn gerade dort kommt eine bewußte Auseinandersetzung mit den lexikographischen Ansichten zum Vorschein, dort werden die Ziele und die eigenen Auffassungen der Verfasser über die Aufgaben ihres lexikographischen Werks laut Henne „die Prinzipien der praktischen Lexikographie" (Henne 1975: 26) - formuliert. In einigen Fällen bietet die Forschungsliteratur die notwendigen Ergänzungen zur Einsicht in die Wörterbuchkonzeptionen. Die Vermittlung eines erschöpfenden Bildes über die deutsch-fremdsprachigen Wörterbücher des 18. Jahrhunderts wird hier nicht angestrebt. Es soll lediglich geklärt werden, ob und auf welche Weise deutsche Wörterbuchkonzeptionen bei einzelnen Verfassern berücksichtigt werden und ob in diesem Zusammenhang gemein-
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Das Vorwort zur dritten, verbesserten Auflage (1765) ist mit 1716, dem Erscheinungsjahr der Erstausgabe dieses ersten deutsch-englischen Wörterbuchs, datiert. Die erste Auflage des Wörterbuchs erschien 1712. Der Grund, warum Bailey als Autor der Wörterbücher (1. Auflage 1736/1739) genannt wird, liegt darin, daß dem zweisprachigen Wörterbuch sein monolinguales Wörterbuch von 1730 Dictionarium Britannicum zugrunde liegt: 1736 wurde es von Arnold ins Deutsch übersetzt, und 1739 fügte Arnold dem ersten Teil den zweiten A New German-English Dictionary hinzu (Hausmann/Cop 1985: 187f.). Hier liegt die Konzeption der 3. Auflage (1761) vor. Das Wörterbuch erschien anonym, doch im Vorwort zur zweiten, erweiterten Auflage des Wörterbuchs von 1749 bekennt sich Lind als Verfasser der ersten Auflage von 1738 (Korldn 1991: 3043). Das Wörterbuch von Lind ist das erste deutsch-schwedische/schwedisch-deutsche Wörterbuch (Lind 1738: Företal). Das umfangreiche Wörterbuch von Ahpelen ist das erste bilinguale Wörterbuch mit Deutsch und Dänisch (Aphelen 1764: Vorw.).
29 same Tendenzen in der zweisprachigen Lexikographie zum Vorschein kommen, die sich eventuell auch bei Lange feststellen ließen. Zur Darstellung der thematischen Schwerpunkte in den Vorworten, zur Klärung der möglichen Einflüsse sowie zur Aufbereitung einer optimalen Vergleichsbasis zum Lexikon von Lange werden folgende Aspekte in Form einer Übersicht erfaßt: 1) Hauptthemen im Vorwort; 2) Ziel und Benutzer; 3) Sprachdidaktischer Ansatz; 4) Wortschatzerfassung und -anordnung; 5) Quellen und Vorlagen. (1) Thematisch fallen die Vorworte zu einzelnen zweisprachigen Wörterbüchern unterschiedlich aus. So beruft sich Kramer auf das Vorwort zum italienisch-deutschen Wörterbuch und bietet im deutsch-italienischen Wörterbuch vor allem eine Anleitung zur Wörterbuchnutzung, ζ. B.: „sollten aber einige seltene neu erdicht= und erdachte Wörter [...] so hier nicht befindlich/ vorkommen/ so schlage deine Gedancken auf ein gemeineres" (Kramer 1678: Vorr.). Arnold konzentriert sich vorwiegend auf die Beschreibung der sprachlichen Entwicklung des Englischen in Verbindung mit der kulturhistorischen Entwicklung des Landes, demzufolge „die Englische Sprache einen solchen Reichthum erlanget [hat], daß sie die unerschöpflichste in Europa, ja, man mag wohl sagen, in der ganzen Welt" geworden sei (Arnold 1761: Vorr.). Eine besondere Aufmerksamkeit widmet er auch den Fragen der Aussprache im Englischen sowie einer optimalen Wiedergabe „des Accents" im Wörterbuch. Ludwig reflektiert u.a. über die Behandlung der Vieldeutigkeit der Lexeme im Wörterbuch. Die Beispiele und Redensarten sollten einzelne Wortbedeutungen aktualisieren. Unterschiedliche Bedeutungen sollten ζ. B. mit Ziffern hervorgehoben werden. Aphelen zählt vor allem die Angaben zum erfaßten lexikalischen Material auf. Lind erklärt die Einrichtung des Wörterbuchs mit einer besonderen Berücksichtigung der Benutzergruppe: die alphabetische Anordnung und die Wörterübersetzungen richten sich nach dem Verstand der Benutzer (Lind 1738: Företal). Der Wortschatz im Wörterbuch stammt aus den Schriften gelehrter Männer (Lind ebd.), doch auch die mundartlich bedingten Unterschiede werden von ihm berücksichtigt. Frisch betont die Vorteile seines Wörterbuchs gegenüber den bisherigen, viel gebrauchten französischen Wörterbüchern, die die „meisten Kunst=Wörter (terminos technicos) ausgelassen" hätten (Frisch 1719: Vorr.). Bei der Zusammenstellung des deutschen Wortschatzregisters im deutsch-französischen Teil verhält er sich kritisch zu den „bißher gebrauchten Wörter=Bücher[n]" wegen eines überrepräsentierten mundartlichen Wortschatzes sowie wegen der Anführung von wenig gebrauchten Redensarten (Frisch ebd.). Das soll bei ihm zu Gunsten des fremdsprachigen bzw. französisch sprechenden Benutzers geändert werden. (2) Die zweisprachigen Wörterbücher sind fur den Fremdsprachenunterricht gedacht und in erster Linie für die Benutzer einer bestimmten Muttersprache konzipiert: so für den deutschen Muttersprachler bei Kramer (Henne 1975: 27), bei Frisch (Rettig 1991: 2999) und bei Arnold (1761: Titel u. Vorr.). Frisch widmet sein Wörterbuch „den Märckischen Schulen
30 zum besten" (Frisch 1719: Monseigneur) und hält es auch als Hilfe „zum Lesen der Französischen Bücher, so von gewissen Wissenschaften handeln" fur geeignet (Frisch 1719: Vorr.). Lind richtet sich dagegen an den schwedischen Benutzer - (Lind 1738: Företal; vgl. Korlen 1991: 3043) - wovon auch das auf Schwedisch verfaßte Vorwort zeugt; ebenso auch Dähnert (Malmgren 1992: 205). Das Wörterbuch von Aphelen ist in erster Linie für die dänisch sprechenden Benutzer gedacht, zum Teil sogar als ein monolinguales dänisches Wörterbuch konzipiert, obwohl darauf explizit nicht hingewiesen wird (Bergenholtz/Mogensen 1995: 200). Gleichzeitig wird von den Verfassern angestrebt, einen breiteren Benutzerkreis zu erreichen. Ludwig betont mehrmals, daß sein Werk sowohl für die deutschen als auch für die englischen Muttersprachler gedacht ist. Auch Frisch schreibt: „im Teutschen Theile [ist] aber eine so grosse Verbesserung und Vermehrung geschehen, daß die Liebhaber beyder Sprachen dieses Buch mit grossem Nutzen gebrauchen können" (Frisch 1719: Titel). Das angehängte schwedische Wörterregister im Wörterbuch von Dähnert zeugt davon, daß es eventuell als ein passives Wörterbuch auch für die deutschsprachigen Benutzer geplant war (Malmgren 1992: 205). (3) Da die Wörterbücher eine Hilfeleistung im Fremdsprachenunterricht bieten sollten, wurde von den Wörterbuchautoren direkt oder indirekt Bezug auf sprachdidaktische Aspekte genommen. So betont Kramer in der Ausgabe von 1700/1702, daß sein Wörterbuch ein Lern-Buch sei (Ising 1956: 56). Er vertritt die Meinung, daß die Darstellung der etymologischen, semantischen sowie der syntaktischen Beziehungen der Lexeme das Erlernen der Sprache erleichtern kann (Ising 1956: 58). Damit ordnet er bewußt die Wörterbuchkonzeption den pädagogischen Ansichten unter und räumt dem semantischen Aspekt des Wortschatzes eine größere Bedeutung als in den lexikographischen Konzeptionen des 17. Jahrhunderts ein (Ising 1956: 59). Auch andere Autoren wählten gelegentlich einen sprachkontrastiven und -didaktischen Blickwinkel in den Vorreden und Anleitungen zum Wörterbuch. So erwähnt Ludwig einige Schwierigkeiten beim Erlernen der jeweiligen Fremdsprachen für beide muttersprachlichen Benutzergruppen, ζ. B. die Substantivartikel im Deutschen, morphologische Unterschiede zwischen den Adjektiven und Adverbien im Englischen und deren Gebrauch in verbalen Fügungen. Es werden von ihm solche Übersetzungsmöglichkeiten der deutschen Wendungen ins Englische bevorzugt, die „einem Engelländer ohne zweydeutigkeit eben denselben sinn, der einem Teutschen in gedancken schwebet", vermitteln (Ludwig 1765: Vorr.). Das Wörterbuch soll im Sprachunterricht durch eine Grammatik und Lehreranleitungen, ζ. B. eines englischen Muttersprachlers beim Aussprachetraining, ergänzt werden. Frisch bemerkt, daß die französischen Wörter bei ihm, vor allem die Fachwörter, nicht immer durch solche Äquivalente, „die bey den Künstlern und andern Profeßionen gebräuchlich", wiedergegeben sind, sondern daß sie „mit andern Wörtern umschrieben" wurden (Frisch 1719: Vorr.). Viele Kräuter sind nur mit lateinischen oder griechischen Äquivalenten versehen, wenn im Deutschen keine oder falsche Namen vorhanden sind (Frisch ebd.). Ein solches Prinzip erinnert an die Äußerung von Comenius über die Notwendigkeit der Entdeckung des wahren Wesens der Wörter statt einer mechanischen Gegenüberstellung der sprachlichen Einheiten (s. Kap. 4.2.). Den sprachpädagogischen Zwecken sollen auch die etymologischen Angaben dienen: Die französischen Wörter bleiben den Benutzern besser im Gedächtnis, „wann sie wissen, wo sie hergeleitet werden" (Frisch ebd.).
31 Dähnert gibt sogar eine pädagogische Begründung für die Anordnung des lexikalischen Materials nach dem Stammwortprinzip in seinem Wörterbuch: der Benutzer sehe neben dem Stammwort auch die Ableitungen und auf solche Weise könne er, parallel zur gezielten Wörterbuchnutzung, auch einige neue Wörter lernen (Malmgren 1992: 205). (4) Bezüglich des erfaßten Wortschatzes werden von den Autoren drei wesentliche Merkmale - Masse, Gebräuchlichkeit und Korrektheit - hervorgehoben. Arnold bezeichnet sein Werk als „vollständig". „Man wird sehr wenig gebräuchl. Wörter hierinnen suchen, die man nicht wird finden können", schreibt er im Vorwort (Arnold 1761: Vorr.). Es wird auf die Widerspiegelung eines allgemein gebräuchlichen Wortschatzes geachtet, damit keine „seltene neu erdicht= und erdachte Wörter" vorkommen (Kramer 1678: Vorr.). Frisch wendet sich gegen wenig gebrauchte Redensarten und gegen mundartliche Elemente, setzt sich aber für die lexikalische Vertretung „der Künste und Wissenschaften" ein (Frisch 1719: Vorr.). Fast alle Autoren plädieren für die Aufnahme viel gebrauchter Redensarten: so Kramer, Ludwig, Frisch, Arnold und Aphelen. Vielfach wird die sprachliche Korrektheit unterstrichen: das „gebräuchlichste auch reineste Teutsche" (Frisch 1719: Titel), „nach der gebräuchlichsten und reinsten Deutschen und Englischen Mund= und Schreibart" (Arnold 1761: Titel). Einige Autoren wie Frisch und Arnold versprechen etymologische Angaben und Erklärungen sowie zusätzliche Äquivalente in anderen Sprachen (Arnold ebd.). Die Prinzipien der Wortschatzanordnung, abgesehen von einzelnen Bemerkungen über die Bedeutungshervorhebung bei Ludwig oder über eine didaktische Rolle des Stammwortprinzips bei Dähnert, werden in den Vorreden nicht begründet. Die Autoren konzentrieren sich vielmehr auf die Aufzählung der vorhandenen Angaben zur Ausgangs- bzw. Zielsprache. (5) Die deutsch-fremdsprachigen/fremdsprachig-deutschen sowie die deutsch-lateinischen Wörterbücher sind von den Nachfolgern häufig benutzt worden. Öfters werden die Wörterbücher von Frisch als Quellen bzw. Vorlagen erwähnt. Sein deutsch-französisches Wörterbuch führt Lind an, wobei die Makrostruktur des deutsch-schwedischen Teils bei Lind fast identisch mit der bei Frisch ist und die meisten angeführten Phrasen aus diesem Wörterbuch stammen (Malmgren 1992: 204). Arnold äußert die Hoffnung, daß sein Wörterbuch den Nutzen im Englischen haben möge, „den des berühmten seligen Herrn Johann Leonhard Frischens beliebtes Dictionaire des Passagers im Französichen hat" (Arnold 1761: Vorr.). Das deutsch-lateinische Wörterbuch von Frisch wird von Dähnert als Quelle und Vorlage verwendet. Die enorme Abhängigkeit der Makrostruktur macht sein Werk einmalig in der deutsch-schwedischen Lexikographie (Malmgren 1992: 205). Als eine Quelle wird es auch bei Aphelen genannt (Aphelen 1764: Vorw.). Das Wörterbuch von Kramer ist im deutsch-lateinischen Wörterbuch von Frisch (Powitz 1959: 80) und von Ludwig benutzt worden (Hausmann/Cop 1985: 187); das Wörterbuch von Ludwig als Quelle im deutsch-lateinischen Wörterbuch von Frisch verwendet worden (Powitz 1959: 80). Im Streben nach einem linguistischen Ansehen ihrer Werke betonen die Verfasser die Qualität und Aktualität des erfaßten Sprachmaterials. Deshalb werden neben den angesehenen lexikographischen Werken auch anonyme, dafür nicht weniger beeindruckende Quellen genannt wie „die neuesten und besten so wol Teutsche als Englische Scribenten" (Ludwig
32 1765: Vorr.), Schriften gelehrter Männer (Lind 1738: Företal), persönliche Berater (Arnold 1761: Voir.). Im Unterschied zu den deutschen Wörterbüchern waren die deutsch-fremdsprachigen/ fremdsprachig-deutschen Wörterbücher im 17./18. Jahrhundert kein Objekt einer vergleichbaren lexikographischen Diskussion gewesen. Für ihre Abfassung wurden in dieser Zeit keine einheitlichen und programmatischen Richtlinien ausgearbeitet. Einige der Autoren wie Ludwig, Lind und Aphelen leisteten Pionierarbeit in der zweisprachigen Lexikographie mit den betreffenden Sprachen. Die primären Benutzergruppen der betrachteten Wörterbücher sind entweder deutschsprachig oder anderssprachig, doch diese Teilung erweist sich als irrelevant in bezug auf die Erörterung der konzeptionellen Fragen in den Vorworten. Ein Unterschied dürfte jedoch zwischen den in enger Verbindung mit den lexikographischen Programmen zum deutschen Wörterbuch entstandenen Werken von Kramer und Frisch einerseits - beide waren auch Mitglieder der Berliner Sozietät der Wissenschaften - und den übrigen Wörterbüchern andererseits bestehen. Eine direkte Abhängigkeit von den deutschen Wörterbuchprogrammen, die als Impulse und Anregungen in den zweisprachigen Wörterbüchern kreativ verwirklicht wurden, wird bezüglich beider genannten Autoren in der Forschung anerkannt (Ising 1956: 61; Powitz 1959: 58f.). Einzelne Aussagen aus den Vorworten ihrer Wörterbücher sind als Belege dafür anzuführen, ζ. B. die Ablehnung der Mundarten und die Polemik hinsichtlich der „neu erdichteten Wörter" bei Kramer (1678: Vorr.) sowie die Befürwortung der Aufnahme der Fachlexik bei Frisch. Auch bei anderen Autoren sind konzeptionelle Parallelen mit der Theorie des deutschen Wörterbuchs feststellbar, ζ. B. in der Forderung nach den Angaben zur Etymologie, nach kontextuellen Anwendungsbeispielen der Lexeme und nach Redensarten sowie in den Bemühungen zur Einhaltung einer korrekten Schreibweise nach überprüften Quellen. Sie erinnern an die konzeptionellen Programmpunkte bei Harsdörffer und Schottel. Da entsprechende Referenzen bei diesen Autoren fehlen, kann hier jedoch eine bewußte Auseinandersetzung mit dem deutschen Wörterbuchprogramm nicht eindeutig belegt werden. Eine Verbindung der zweisprachigen lexikographischen Werke mit der Konzeption des deutschen Wörterbuchs ist umso deutlicher aus den Nachweisen über die Quellen- und Vorlagenbenutzung erkennbar. Als eine Schlüsselfigur gilt hier Frisch, dessen beide Wörterbücher in allen vier später erschienenen zweisprachigen lexikographischen Werken verwendet oder wie bei Arnold wenigstens erwähnt worden sind. Auf solche Weise wurde der Theorie des deutschen Wörterbuchs in den zweisprachigen Wörterbüchern ein rein praktischer Einfluß gesichert. Da die zweisprachigen Wörterbücher vor allem den Umgang mit der Fremdsprache erleichtern sollten, wurden in den Vorworten sprachdidaktische Fragen berührt, ζ. B. bei Kramer, Ludwig und Lind. Da jedoch gewisse Parallelen zwischen den Anschauungen Comenius' und den lexikographischen Programmen zum einsprachigen Wörterbuch zu ziehen sind, scheint eine strikte Trennung beider Einflußsphären nicht möglich.
5. Deutsch-lettische/lettisch-deutsche Lexikographie bis 1777
5.1. D i e zwei- und mehrsprachigen W ö r t e r b ü c h e r im Überblick
Der Rückblick auf die deutsch-lettische/lettisch-deutsche Lexikographie erstreckt sich auf 140 Jahre von der Veröffentlichung des ersten bekannten deutsch-lettischen Wörterbuchs 1638 bis zum Erscheinungsjahr des Lexikons von Lange 1777. In dieser Zeit wurden nur zwei deutsch-lettische Wörterbücher verlegt: von Manzel (1638) und von Elvers (1748). Ein Teil des Wörterbuchs von Manzel - das Gesprächsbuch - erlebte 1685 eine neue Auflage. Ein lettisch-deutsches Wörterbuch wurde zum ersten Mal 1761 herausgegeben. Bis dahin waren die lettisch-deutschen Wörterbücher nur in Handschriften vorhanden. Zu den bekanntesten zählen die Manuskripte von Fürecker, Langius und Depkin. Lettisch und Deutsch sind auch in zwei viersprachigen Vokabularen von 1688 und 1705 vertreten. Da beide einen festen Platz in lexikographischen Untersuchungen gefunden haben, in denen die Wörterbücher mit den beteiligten Sprachen Deutsch und Lettisch behandelt werden und zu einem gewissen Grad die Tradition der zweisprachigen deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Lexikographie mit prägen, sind auch sie in die folgenden Betrachtungen aufgenommen worden. Unberücksichtigt bleibt das Wörterbuch von Elger, denn Deutsch als Wörterbuchsprache kommt hier nicht vor.1 Im weiteren werden die Wörterbücher - sowohl die gedruckten als auch die in Handschrift verbliebenen - chronologisch aufgeführt und kurz charakterisiert. 1. Das erste deutsch-lettische Wörterbuch „Lettus" 2 (1638) von Georg Manzel besteht aus drei Teilen: der erste Teil, ein Vokabular, beinhaltet etwa 6000 Stichwörter (Zemzare 1961: 11); der phraseologische Teil ist im Seitenumfang fast so stark wie das Vokabular: den 207 Seiten des Vokabulars stehen 191 Seiten der „Phraseologia" gegenüber (im Original werden die Seiten nach der Bogenzahl numeriert). Der hier thematisch geordnete Wortschatz ist nicht mit dem Wortschatz des Vokabulars identisch, doch teilweise sind
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„Dictionarium Polono-Latino-Lottavicum" (1683) von Georg Elger mit etwa 14 000 Lemmata verfaßt nach dem Vorbild des polnisch-lateinisch-litauischen Wörterbuchs „Dictionarium trium linguarum" von C. Szyrwid (Karulis 1981: 174f.). Zum Leben und Wirken des Verfassers sowie über sein Wörterbuch s. Karulis (1984) u. Roze (1983). Einige Autoren (Biese 1936; Laumane 1985) beziehen den Namen „Lettus" nur auf den ersten Teil des Wörterbuchs - das Vokabular. In dieser Arbeit wird der „Lettus" auf das ganze dreiteilige Wörterbuch bezogen, denn der vollständige Titel des Wörterbuches lautet: „LETTUS, Das ist Wortbuch/ Sampt angehengtem täglichen Gebrauch der Lettischen Sprache [...] Erster Theil"; der Titel des phraseologischen Teils zeigt seine Unterordnung unter den Gesamttitel: „PHRASEOLOGIA LETTICA, Das ist: Täglicher Gebrauch der Lettischen Sprache. [...] Ander Theil. [...]". Der dritte Teil - die zehn Gespräche - folgen der „Phraseologia" ohne separates Titelblatt.
34 Entsprechungen feststellbar. 3 Den dritten Teil bildet ein kleines Gesprächsbuch mit zehn Gesprächen, das als das erste deutsch-lettische Konversationsbuch 4 bewertet wird (Roze 1982: 54). Es wird häufig separat betrachtet, nicht zuletzt wegen seiner unterschiedlichen Aufbaustruktur. Den Anhang zum „Lettus" bildet eine frühere Übersetzung (1637) von Manzel „Die Sprüche Salomonis in die Lettische Sprache gebracht [...]". 2. Das lettisch-deutsche Wörterbuch von Christopher Fürecker mit etwa 4000 Stichwörtern soll in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts verfaßt worden sein und liegt in zwei Abschriften vor.5 Häufiger benutzt wurde die sogenannte 2. Abschrift (Für. II), wovon die Angaben der späteren Autoren bzw. die Anmerkungen an den Seitenrändern des Manuskripts zeugen (Für. II, s. Fennell 1998). 3. Die mit 1685 datierte Handschrift des Wörterbuchs „Lettisch=Deutsches Lexicon worinnen Der Lettischen Sprachen Gründe, Wörter, Bedeutung vnd Gebrauch in deutscher Sprachen gezeiget vnd erkläret werden. Sampt einer kurtzen GRAMMATICA [...]" (Biese 1936) von Johannes Langius zählt auf 180 Doppelseiten etwa 7000 Lemmata 6 (Zemzare 1961: 84). Das Manuskript wurde erst 1936 veröffentlicht; seit 1991 ist das von Fennell alphabetisch geordnete lexikalische Material des Wörterbuchs zugänglich. Es ist bis heute unklar, warum das Wörterbuch im 17. Jahrhundert nicht herausgegeben wurde, denn sowohl Titel als auch Vorwort zeugen von seiner Druckreife (Biese 1936: 475). 4. Im Jahr 1688 erschien ein viersprachiges, nach 24 Sachgruppen thematisch geordnetes „Vocabularium Wie Etzliche gebräuchliche Sachen Auff Teutsch/ Lateinisch/ Polnisch Und Lettisch/ Auszusprechen seynd" (Jegers 1957: 22), in dem jede Sprache mit etwa 1000 Einheiten, hauptsächlich Substantiven oder kurzen Nominalgruppen, vertreten ist. Im Anhang sind Listen mit Adjektiven und mit flektierten Verben der 1. Ps. Sg. Präs. hinzugefügt. Die Autorschaft wird gelegentlich Georg Dressel zugeschrieben (Zemzare 1961: 91), doch da das Vokabular anonym erschien, ist sie bis heute nicht belegt worden (Vanags 1999: 65ff.).
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So sind ζ. B. 11 Einheiten von insgesamt 23 im Kapitel XL „Von Metallen" dargestellten Einheiten unter den entsprechenden Anfangsbuchstaben im Vokabular auffindbar; von den 23 im Kapitel XVII „Von Bäumen" angeführten Einheiten können 13 im Vokabular nachgeschlagen werden. Es erlebte eine neue Auflage 1685 als Anhang zur lettischen Grammatik von Dressel: „Zehen Gespräche Deutsch und Lettisch/ Von Den meisten Sachen so auff der Reise und in der Haußhaltung vorfallen. Denen Außländern zum besten dieser kurtzen Anweisung ietzo mit angefuget". Die erste Abschrift (Für. I) ist kleiner im Umfang - hier werden etwa 3000 Stichwörter gezählt (Zemzare 1961: 77). Die Autorenschaft beider Abschriften ist nicht endgültig geklärt. Näheres darüber bei Ozols (1965: 222f.) und in den Vorworten zu den Editionen beider Wörterbücher (Fennell 1997; 1998). In der Forschungsliteratur über die deutsch-lettische/lettisch-deutsche Lexikographie wird nicht selten der Terminus „Wörter" sowohl in bezug auf Lemmata als auch in bezug auf die im Artikel betrachteten Äquivalente gebraucht (s. ζ. B. Zemzare 1961). Der Bezug ist meistens aus dem jeweiligen Kontext ablesbar. In der Darstellung der bisherigen Forschungsergebnisse trenne ich jedoch, wenn es der lettische Kontext eindeutig erlaubt, zwischen „Lemma"/"Stichwort" und „Äquivalent".
35 5. „Lettisches Wörterbuch mehrentheils aller derer Wörter, so in der lettischen Bibel und allen andern in der lettischen Sprache ausgefertigten Büchern befindlich sind und aus genauer Nachfrage der lettischen Sprache kündigen in Cur- und Lieffland" (1704) von Liborius Depkin ist die umfangreichste Handschrift eines lettisch-deutschen Wörterbuchs aus dem 18. Jahrhundert. Das Manuskript umfaßt 3009 Seiten und die Lemmatazahl wird auf 16 000 geschätzt (Zemzare 1961: 107). Depkin hatte auch einen deutsch-lettischen Teil geplant, doch es blieb bei einem deutschen Stichwörterverzeichnis von 592 Seiten (Zemzare 1961: 108). Die Einsicht in das lettisch-deutsche Wörterbuch vermittelt ein 1704 gedruckter „Vortrab", in dem 63 Artikel des Buchstabenabschnittes A - Ad demonstriert werden und ein Verzeichnis mit 1121 lettischen Wörtern aufgeführt wird. 6. Im Jahr 1705 veröffentlichte Liborius Depkin das thematische „Wörter=Büchlein/ Wie Etzliche gebräuchliche Sachen auff Teutsch/ Schwedisch/ Polnisch und Lettisch/ Zu benennen seynd" 7 . Es stellt eine Umarbeitung des 1688 verlegten Vokabulars dar und unterscheidet sich vom ersten lediglich durch die Ablösung des lateinischen Teils durch einen schwedischen. Ebenso sind mehrere lettische Äquivalente durch andere ersetzt, meistens sind sie jedoch nur orthographisch verändert worden. 7. Das deutsch-lettische Wörterbuch von Caspar Elvers „Liber memorialis letticus, Oder Lettisches Wörter=Buch [...]" wurde 1748 verlegt und verzeichnet etwa 8000 Stichwörter (Zemzare 1961: 113). 8. Im Jahr 1761 erschien das lettisch-deutsche Lexikon zusammen mit einer lettischen Grammatik von Gotthard Friedrich Stender: „Entwurf eines Lettischen Lexici, darinn alles nach den Stammwörtern aufzuschlagen, Nebst einer Sammlung Lettischer Sprüchwörter und einiger Rätzeln". Das Lexikon enthält etwa 4000 Stichwörter (Zemzare 1961: 124). Schon 1763 erlebte das Werk eine Neuauflage mit einem etwas erweiterten Wörterbuch (Zemzare ebd.).8
5.2. D e r aktuelle Forschungsstand
Die zwei- und mehrsprachigen Wörterbücher in Lettland aus dem 17./18. Jahrhundert sind insgesamt wenig untersucht worden. Die bis jetzt umfangreichste Retrospektive über die Entwicklung der Lexikographie bis 1900 bietet die Monographie von Zemzare (1961). Die Untersuchung in diesem Werk betrifft vor allem die lettische Sprache. Die Autorin wertet den Beitrag einzelner Wörterbuchverfasser zur Entwicklung des Lettischen aus. Konzeptionelle Aspekte der Wörterbuchschreibung unter der Einbeziehung des deutschen Teils wurden kaum untersucht. Hinweise über die lexikographischen Vorlagen und Quellen, ohne 7
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Obwohl das „Wörter=Büchlein" anonym erschien, wird auch in der neuesten Forschung (Vanags 1999: 69) seine Edition traditionsgemäß mit dem Namen von Depkin in Verbindung gebracht. Die lexikalische Erweiterung in der zweiten Ausgabe ist als minimal einzustufen, denn einzelne Teile beider Ausgaben - Wörterbuch, Sprichwörter, Rätsel - sind gleichen Umfangs.
36 diese Begriffe zu differenzieren, beruhen zum Teil auf einzelnen Vergleichen der Wörterbucheinträge, doch des öfteren fehlen nachweisbare Referenzen, ζ. B. wenn behauptet wird, daß das Wörterbuch von Manzel für die späteren Autoren als Grundlage gedient habe (Zemzare 1961: 62). 9 Eine Gesamtdarstellung der Lexikographie in Lettland im 17./18. Jahrhundert gibt auch Roze (1982: 50-66). Ozols (1965) betrachtet einzelne Wörterbücher im Rahmen seiner umfassenden Forschung Uber das Altlettische, doch in seinen lexikographischen Betrachtungen bezieht er sich meistens auf Zemzare. Von der Autorität dieser Monographie zeugt auch die Darstellung der Wörterbuchschreibung in Lettland im internationalen Handbuch der Lexikographie von 1991. Der Verfasser des betreffenden Artikels Schmid beruft sich vielfach auf Zemzare und folgt ihren Aussagen über die lexikographische Entwicklung im 17./18. Jahrhundert: „Der Lettus hat zusammen mit den anderen Schriften von Mancelius in Orthographie, Form und Zielsetzung stark auf die lett. Lexikographie des 17./18. Jahrhunderts eingewirkt [...] So haben sowohl die im Druck erschienenen Wörterbücher [...] als auch die nur handschriftlich überlieferten Wörterbücher [...] aus Mancelius geschöpft und im wesentlichen derselben Zielsetzung gedient" (Schmid 1991: 2355). Nach Schmid ist „eine gewisse Verselbständigung" in der Lexikographie mit Stenders Lexikon (1761) zu beobachten. (Schmid ebd.) An überzeugenden Argumenten für diese Feststellung fehlt es jedoch. 10 Mehrere Aufsätze sind einzelnen Wörterbüchern gewidmet, ζ. B. dem 1688 gedruckten viersprachigen Vokabular (Jegers 1957) und dem „Wörter=Büchlein" (1705) von Depkin (Gruszczyiiski/Larsson 1997; Larsson 1997 u. 1998), in denen hauptsächlich die möglichen Vorlagen in Erwägung gezogen wurden, sowie dem „Lettus" von Manzel (Baiode 1996), in
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Obwohl einige Aussagen Zemzares mit Vorbehalt zu betrachten sind wie ζ. B. die häufige Gegenüberstellung „richtig" - „falsch" hinsichtlich des lettischen Wortschatzes (Zemzare 1961: 19 u. 133), wobei Anknüpfungen an entsprechende linguistische Studien fehlen, muß die Autorin und ihr Werk - der erste ausführliche und systematische Überblick in der lettischen Metalexikographie - gewürdigt werden. Es entstand in der Zeit, als der Zugang zu den europäischen lexikographischen Quellen und zur internationalen zeitgenössischen Forschung für die Forscher aus der Sowjetrepublik Lettland begrenzt war. Davon zeugt u. a. das Literaturverzeichnis bei Zemzare (1961: 538-553), in dem abgesehen von den Arbeiten aus dem 19. Jahrhundert und aus den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts die Quellen selbst dominieren. Bezüglich der internationalen metalexikographischen Forschung des 20. Jahrhunderts ist letztlich auch daran zu erinnern, daß auch sie noch in den 60er Jahren insgesamt wenig vertreten war (Hausmann 1989: 94f.). Erst die 70er Jahre betrachtet Hausmann als die Wendezeit in Richtung einer intensiveren Beschäftigung mit der Wörterbuchforschung und hebt das 1971 verfaßte „Manual of Lexicography" von Zgusta als die „erste wirklich internationale Bibel der Metalexikographie" (Hausmann 1989: 99) hervor. Stender führe im Lexikon Sprichwörter, Rätsel und Hinweise auf Dialektalismen an (Schmid 1991: 2355), doch solche findet man schon in den früheren Wörterbüchern, ζ. B. bei Manzel. Neu bei Stender sei, daß die lettischen Wörter in lateinischer Schrift gesetzt sind (Schmid ebd.); diese Tatsache begründet jedoch keine Trennungslinie in der lexikographischen Entwicklung, wenn man beachtet, daß, wie Schmid selbst bemerkt, „lateinische Handschrift, gotischer Druck [...] wohl ein Brauch der Zeit [war]" (Schmid 1991: 2355), was u.a. die handschriftliche Fassung des Lexikons von Lange aus dem Jahr 1755 belegt und noch früher die 2.Abschrift des lettisch-deutschen Wörterbuchs von Fürecker aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts (s. Dunsdorfs 1962: 434; Roze 1982: 57).
37 dem die thematische Betrachtung des Wortschatzes zur Bestimmung der möglichen Zielgruppen dient." Die Veröffentlichung der Handschrift „Glossarium Letticum" (1772) von Ch.Fr. Temler (Dravinä 1971), die alphabetisch geordnete Edition des Wörterbuchs von Langius (Fennell 1991) und die Editionen des ,,Wörter=Büchlein[s]" von Depkin (Vanags 1999) sowie der Abschriften des Wörterbuchs von Fürecker (Fennell 1997 u. 1998) bilden eine weitere Reihe zum 1936 gedruckten Wörterbuch Langius' (Biese 1936) und stellen damit der Forschung ein bis jetzt weniger zugängliches Material zur Verfügung. Wie schon erwähnt, wurden die deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Wörterbücher des 17./18. Jahrhunderts hauptsächlich als Nachfolger des „Lettus" von Manzel dargestellt. Die Wörterbücher sollten vor allem den deutschen Pastoren zum Erlernen des Lettischen dienen. Nach den vorhandenen Ansichten wurden der Wortschatz aus dem „Lettus" sowie die von Manzel ausgearbeiteten Prinzipien der lettischen Orthographie übernommen und auch die Zielsetzung blieb grundsätzlich wie im „Lettus". Der vorläufige Stand der metalexikographischen Untersuchung bietet noch keine ausreichende Unterstützung für diese so verbreitete Auffassung, wenn auch die Abfassung des ersten deutsch-lettischen Wörterbuchs Manzel als ein großes Verdienst für die weitere lexikographische Entwicklung in Lettland anzurechnen ist. Daß die Ansichten in Detailfragen bei weitem nicht so einheitlich sind, zeigen auch die weiteren Untersuchungen folgender Aspekte in den zwei- und mehrsprachigen Wörterbüchern aus dem Zeitraum bis 1777, deren Wahl an die vorhandenen metalexikographischen Untersuchungsergebnisse und Aussagen bezüglich der Wörterbücher anknüpfen läßt: 1) Zielgruppen und Anwendungsbereiche der Wörterbücher, 2) Wortschatz, 3) Wörterbuchstruktur, 4) lettische Orthographie.12 Anhand vergleichender Studien zwischen einzelnen Werken und unter Einbeziehung schon vorhandener Forschungsergebnisse wird hier ein Abriß der lexikographischen Tradition skizziert, die Lange beim Verfassen des Lexikons eine theoretische und praktische Basis bieten konnte. Es gilt zu hinterfragen, ob die betreffende Lexikographie über etwa 140 Jahre hinweg wirklich als ein tendenziell kontinuierlicher Prozeß zu bewerten ist, der durch eine ständige Übernahme der Quellen und Vorlagen gekennzeichnet war. In den weiteren Betrachtungen wird zwischen den Begriffen 'lexikographische Quelle' und 'lexikographische Vorlage' unterschieden.13 Sie ist notwendig zwecks einer Differenzierung der Nutzungszwecke von Wörterbüchern. Der Begriff 'lexikographische Quellen' wird in Verbindung mit der Wortschatzexzerption benutzt und bezieht sich daher auf das lexikalische Material in den Wörterbüchern. 'Lexikographische Vorlagen' werden in Ver11 12
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Auf weitere Untersuchungen wird in den folgenden Unterkapiteln hingewiesen. Der Orthographie der lettischen Sprache wird eine wichtige Rolle bei der Quellen- und Vorlagenbestimmung zugewiesen. Da eine ausführliche Betrachtung dieses Aspekts in das Fachgebiet Baltistik fällt, werden diesbezüglich nur die bisherigen Erkenntnisse zusammenfassend dargestellt und die Relevanz eines solchen Aspekts bei der Quellenbestimmung theoretisch in Erwägung gezogen. Quelle: „wissenschaftlich ausgewerteter (überlieferter) Text" (DUW 1989: 1203) Vorlage: „etw., was bei der Anfertigung von etw. als Muster, Grundlage, Modell o.ä. dient" (DUW 1989: 1693).
38 bindung mit konzeptionellen Lösungen in den Wörterbüchern betrachtet, denn die Wörterbücher der Vorgänger können auch als Wegweiser in Struktur und Darstellungsfragen dienen. Eine Überschneidung beider Benutzungszwecke ist möglich, doch nicht unbedingt notwendig.
5.3. A n a l y s e der Quellen- und Vorlagenbeziehungen der Wörterbücher zur A u f d e c k u n g der Tradition in der deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Lexikographie bis 1777
5.3.1. Zielgruppen und Anwendungsbereiche der deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Wörterbücher Es wird häufig behauptet, daß die deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Wörterbücher des 17./18. Jahrhunderts ftlr die deutschen Pastoren zum Erlernen des Lettischen gedacht waren (Laua 1969: 230; Roze 1982: 50). Das Ziel der Wörterbuchautoren war bei weitem keine Pflege und Entwicklung der lettischen Sprache, im Gegenteil zeigte ihre linguistische Tätigkeit gelegentlich eine eng utilitäre Ausrichtung, nämlich die Bekanntmachung der Amtsgenossen mit der lettischen Sprache, um Glaubenspropagierung und Unterdrückung der Letten zu erleichtern (Bergmane/Blinkena 1986: 11). Eine ähnliche Deutung finden die lexikographischen Werke im Handbuch zur Lexikographie von 1991: Sie sollten „den Deutschen, des Lettischen Unkundigen dienen, vor allem aber den Einheimischen die christliche (lutherische) Verkündigung nahe bringen" (Schmid 1991: 23 54).14 Leider sind solche und ähnliche Aussagen nicht in nachweisbaren Untersuchungsergebnissen verankert oder durch authentisches Beweismaterial unterstützt. Nicht selten sind die Aussagen über die Zielgruppen und Anwendungsbereiche der Wörterbücher den Titeln der Wörterbücher entnommen. So wird der „Lettus"' 5 von Manzel als ein Wörterbuch für eingereiste Ausländer klassifiziert (Zemzare 1961: 11 u. 84). Aufgrund des Eintrages auf dem Titelblatt des Wörterbuchs von Elvers16 wird angenommen, daß es sowohl für alle neu eingereisten als auch im Lande wohnhaften Nicht-Letten, ζ. B. Pastoren, Lehrer, Kaufleute, Handwerker u.a. gedacht war (Zemzare 1961: 113). Auch das Wörterbuch von Langius ist für die Ausländer geschrieben worden (Zemzare 1961: 84), „wodurch den Außländern ein richtiger Weg gewiesen wird zur Erlernung der Lettischen Sprachen leichtlich zukommen" (Langius 1685 bei Biese 1936: 2). 14
Der „Lettus" ist mit den ins Lettische schon früher übersetzten ,,Sprüche[n] Salomonis" komplementiert, denen diese Zielsetzung zuzuschreiben wäre. Grundsätzlich gehören sie aber nicht zum Wörterbuch. Die späteren lexikographischen Werke werden durch Literatur religiösen Inhalts nicht ergänzt, in einzelnen Fällen jedoch, wie bei Langius oder Stender (1761; 1763) mit einer lettischen Grammatik.
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„Allen vnd jeden Außheimischen/ die in Churland/ Semgallen vnd Lettischem Liefflande bleiben/ vnd sich redlich nehren wollen/ zu Nutze verfertigt" (Manzel 1638: Titel). „Sowohl Für die Einheimischen als Fremden [...] Und allen denen zum Besten die in diesem Lande in Kirchen und Schulen Gott und ihren Nechsten dermahleins dienen/ oder sonsten ihr Handel und Gewerbe treiben wollen, zu einem dienlichen Unterricht mitgetheilet" (Elvers 1748).
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39 Gelegentlich scheinen auch die Vorworte herangezogen worden zu sein, um die Zielgruppen und Anwendungsbereiche der Wörterbücher zu bestimmen. Im Fall von Langius fuhrt dies zu einer anderen Einschätzung der Zielgruppe als bei Zemzare: Dieses Wörterbuch ist für die aus dem Ausland eingereisten deutschen Pastoren geschrieben worden (Biese 1936: 485f.). 17 Die Annahmen über die Benutzer und Anwendungsbereiche der Wörterbücher dürfen gelegentlich auch auf die Textpassagen in nichtlexikographischen Werken gestützt sein. Biese (1936: 485f.) meint, daß der „Lettus" als ein Wörterbuch fur die aus dem Ausland eingereisten Pastoren gedacht war; der Großteil von ihnen hatte schwache Kenntnisse in der lettischen Sprache (Zevers 1935a: 490). Eine subjektive Interpretation der Vorrede „An den Christlichen Leser" zum Sammelband der religiösen Literatur „Vade mecum" (1631) Manzels führt Zemzare zu demselben Schluß. 18 Aus einer von Manzel angeführten fiktiven Situation schließt sie auf eine allgemeine Kritik der Pastoren, deren mangelhaftes Lettisch statt Ehrfurcht das Gelächter bei den lettischen Zuhörern auslöste (Zemzare 1961: 10). Um die erwähnten Aussagen bezüglich der eventuellen Benutzergruppen und Anwendungsbereiche der deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Wörterbücher zu ergänzen, werden einige Werke, besonders ihre Titelseiten und Vorreden, näher untersucht. Nach Manzels eigenen Angaben auf dem Titelblatt des „Lettus" soll das Wörterbuch vor allem für die eingereisten Vertreter des Klerus als die erste Anleitung beim Erlernen des Lettischen dienen. Im Vorwort werden ausländische Kaufleute als eine weitere Benutzergruppe genannt: den „Lettus" können „gleichwol auch außheimische Kauffleute in diesem Lande [...] gebrauchen [...]/ wie auß dem Wortbuch/ vnd der Phraseology zu ersehen" sei (Manzel 1638: 1. Vorw.). Nach der Auswertung des thematischen Wortschatzes im „Lettus" hat Zemzare festgestellt, daß hier eine Reihe juristischer Termini vorkommen (Zemzare 1961: 58f.). Den Grund für ihre Annahme vermutet sie in der gerichtlichen Praxis, daß es auf jedem Gericht einen des Lettischen kundigen Gerichtsschreiber gab, damit die Aussagen von Klägern oder Zeugen übersetzt werden konnten (Zemzare 1961: 59). Auch weitere thematische Wortschatzgruppen erlauben, die vom Verfasser angezeigten Benutzergruppen zu ergänzen (Baiode 1996: 199ff.).
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Das Vorwort beginnt mit der Anrede: „Denen Wohl=Ehrwürdigen, Groß=achtbaren und hochgelahrten Herren Superintendentibus und Praepositis wie auch Ehrwürdigen, Vorachtbarn und Wohl=gelahrten Herren Pastoribus und Priestern in Lieffland, Curland vnd Semgallen Thue ich wünschen Gottes=Gnade, gute Gesundheit, vnd alle selige Wohl=fahrt von grund des Hertzen!" (Langius bei Biese 1936: 3). Im Vorwort werden von Manzel die früheren Editionen in der lettischen Sprache kritisiert, deren Schreibweise die lautlichen Besonderheiten des Lettischen mangelhaft darstellten. Folgt man in der Aussprache diesen Texten, kann es passieren, daß „ d e r j e n i g e / so aus Teutschland zu vns kompt/ vnd diese Sprache nach anleitung der ersten vnd andern Schrifft lernet/ nimmermehr verständlich dieselbe außredet/ sondern es gemeiniglich also machet/ das der Pawr nach verrichtetem Gottesdienst sagt: Kas sinna ko tas Wahtzsemmes Kagkis sacka" ('Wer weiß, was dieser deutsche Kater da sagt', I.B.) (Manzel 1631: 2. Vorr.). Manzel hatte sich vorgenommen, „die Worte also zu schreiben/ wie sie mögen außgeredet werden" (Manzel ebd.). So erinnern die weiteren Textpassagen an eine didaktische Anleitung in der Aussprache: „Wo du in eim Worte dieser edition liesest zwey ee/ soltu das wort außsprechen/ gleich wie das teutsche Wort Seele/ aber mit diesem NB. das du das andere in derselben Syllaben etwas außdehnest" u.ä. (Manzel ebd.).
40 Zur Hervorhebung der Aktualität eines „Lettischen Wörter = Buche[s]" (1704) wehrt sich Depkin gegen die Behauptung, daß es kaum Wörter im Lettischen gebe, „die nicht durch der Conzordanz-Bibel könten auffgespilret werden" (1704: Vorw.). Die Polemik gegen die Auffassung von einer möglichen Ersatzfunktion der Bibelkonkordanz für ein Wörterbuch verleitet zur Annahme, daß Depkin den deutschen Pastoren ein besseres sprachliches Nachschlagewerk bieten wollte. Diese Benutzergruppe wird aber im „Vortrab" nicht hervorgehoben. Im Gegenteil würdigt der Verfasser die guten Lettischkenntnisse im Allgemeinen: „der Zuwachs und Auffhahm der Lettischen Sprache/ durch fleissige Außübung unterschiedlicher geübter Leute/ so herrlich gestiegen/ daß ihr fast nichts mehr zuwachsen könte" (Depkin ebd.). Er bietet sein Werk denjenigen Personen an, „die sich in der Sprache entweder anfangen zu üben/ oder vollends perfectioniren wollen" (Depkin ebd.). Im Vorwort zum lettischen Lexikon von 1761 gibt Stender nur eine Anleitung zum praktischen Gebrauch des Werkes zusammen mit der lettischen Grammatik. In der kurzen Anrede vor dem Verzeichnis der lettischen Sprichwörter entschuldigt er sich für manche dort vorkommende Obszönität, die man nicht ihm „zur Last legen" könne. Solche Sprichwörter seien deswegen aufgenommen, damit „man die Bauren verstehen lerne" (Stender 1761: 186). Insofern läßt sich mit Sicherheit wenigstens ein funktionaler Aspekt des Werkes erkennen: passives Wörterbuch für den deutschsprachigen Benutzer. Die viersprachigen Vokabulare von 1688 und 1705 sind ohne Vorworte erschienen, und es liegen keine authentischen Aussagen über ihre Benutzer und ihre Zielsetzung vor. Der Umfang (etwa 1000 lexikographische Einheiten in jeder Sprache), der vorwiegend substantivische Wortschatz (Adjektive und Verben im Anhang) und die Struktur der Vokabulare erinnern an zahlreiche andere zum elementaren Lateinunterricht bestimmte Vokabulare. Ein gutes Beispiel zum Vergleich bietet das 1724 in Riga erschienene „Vocabularium, pro qvinta classe, scholae rigensis, ad captum puerorum, et idiotismum loci, adornatum". 19 Jegers (1957) ist der Ansicht, daß das Vokabular von 1688 für polnisch sprechende Benutzer gedacht war, worauf das alphabetisch geordnete Verzeichnis der Adjektive und Verbformen in polnischer Sprache schließen läßt (Jegers 1957: 37). So läßt sich bezweifeln, ob beide Vokabulare als Anleitung im Lettischen für eingereiste deutsche Pastoren konzipiert wurden. Wie aus der Forschungsliteratur zu ersehen ist, werden die deutschen Pastoren nicht als die einzige Zielgruppe genannt, dennoch wird diese häufig hervorgehoben. Da mehrere der betrachteten Wörterbücher weder spezifische Benutzergruppen anzeigen noch Näheres zur Anwendung erklären, ist das Heranziehen nichtlexikographischer Quellen hinter dieser Annahme zu vermuten. Das könnten ζ. B. kulturhistorische Überlieferungen wie Chroniken oder dokumentierte Kirchenvisitationen gewesen sein. Man kann jedoch annehmen, daß solche Quellen sowohl individuell geprägte als auch zeitlich gebundene Darstellungen des kulturhistorischen Hintergrundes bieten. 20 19
Der Wortschatz wird hier nach 27 Sachgruppen thematisch geordnet und umfaßt 1118 deutsche Einträge (hauptsächlich Substantive) mit lateinischen Äquivalenten. Die Reihenfolge der Themen und der Wortschatz unterscheiden sich teilweise von den betrachteten Vokabularen.
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So werden von Zeiferts zwei wichtige Chronisten aus dem Ende des 16. Jahrhunderts erwähnt (Zeiferts 1993: 189f.). Der erste, Balthasar Russow, beschreibt 1584 den Zustand der Kirchen als
41 Aplnis (1980; 1991) stützt sich in seinen Annahmen über den möglichen Benutzer der Wörterbücher auf die Unterlagen zu Bücherpreisen und den Verkauf der gedruckten Bücher an die Buchbinder, die der Rigaer Buchdrucker G. Schröder im 17. Jahrhundert hinterlassen hat. Aplnis schätzt die damalige Buchauflage auf ungefähr 200 Exemplare (Apinis 1980: 16 u. 1991: 53), die Auflage vom „Lettus" auf etwa 160 Exemplare (Aplnis 1980: 17). Die Unterlagen zeigen, daß die religiöse Literatur auf Lettisch wiederholt verlegt wurde, während die linguistischen Werke wie die Grammatiken und Wörterbücher jeweils nur eine Auflage erlebten. Das ist ein Indiz dafür, daß die religiösen Texte auch von den Letten gekauft wurden, doch die Wörterbücher und Grammatiken nur bei den Pastoren Absatz fanden (Aplnis 1980: 17 u. 1991: 53). Hier wäre zu bemerken, daß Dressel seiner lettischen Grammatik von 1685 die Zehn Gespräche aus dem „Lettus" im Anhang beifügt - den Teil des Wörterbuchs, der schon 1638 von Manzel als besonders geeignet für die kaufmännischen Benutzer gepriesen wurde. Im 18. Jahrhundert (diese Zeit liegt außerhalb der erwähnten Betrachtung von Apinis), besonders in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, ist ein stärkerer zahlenmäßiger Aufstieg der verlegten zweisprachigen Wörterbücher als im 17. Jahrhundert feststellbar. Allein das lettisch-deutsche Lexikon (1761) von Stender wurde im kurzen Abstand von zwei Jahren 1763 neu aufgelegt. Die lexikographische Tätigkeit setzte Stender 1789 mit einem umfangreicheren Lexikon fort. Wenn auch die deutschen Pastoren de facto eine der wichtigsten Benutzergruppen dargestellt haben, 21 so darf diese Erscheinung doch nicht mit dem lexikographischen Ziel der Wörterbuchautoren gleichgesetzt werden. Eine Reduzierung der Zielgruppe auf den deutschen Klerus und die Beschränkung der deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Wörterbücher des 17. und 18. Jahrhunderts als Hilfsmaterial zum Lettischlernen kann weder von den Betrachtungen einzelner Werke und von unterschiedlichen Interpretationen in der Forschung noch anhand der nicht-lexikographischen Quellen bestätigt werden. So zeigen schon die Titel und Vorworte, daß nach Möglichkeit breite Benutzerkreise angesprochen und zum Lettischlernen angeregt werden sollten. Das Erschließen der Zielgruppen müßten durch eine objektive Auswertung der zeitlich abgestimmten kulturhistorischen Dokumentation unterstützt werden. Nicht zuletzt wäre die Antwort auf die gestellte Frage nach dem Benutzer und den Anwendungsbereichen der Wörterbücher in diesen Werken selbst zu suchen sowohl durch die Auswertung des lexikalischen Materials als auch durch eine plausible Klärung für die Struktur des Wörterbuchs. 22 Bei dem heutigen Forschungsstand sind in erster Linie die Aussagen der Wörterbuchverfasser zu akzeptieren.
21
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kritisch: die deutschen Pastoren beherrschten kein Lettisch, es gebe keine Schulen fur die Ausbildung der Pastoren mit Lettischkenntnissen u.a. (Zeiferts 1993: 191). Der zweite, Salomon Henning, lobt dagegen den Herzog Gotthard Kettler, dank dessen Engagement die Letten zu einer wahren Gotteserkenntnis gelangt seien (Zeiferts 1993: 192f.). So berichtet noch Depkin, „daß [ihm] schon vorher bey Antritt [seines] Lemsalischen Dienstes des Seel. Licent. Mancelii Ao. 1638. ausgegebener/ aber numehro in weniger Leute Händen befindlicher Lettus, ein guter Lehrmeister in der Lettischen Sprache gewesen" sei (Depkin 1704: Vorw.). Es wäre ζ. B. nachzuforschen, warum Langius für die Bedeutungsdifferenzierung der lettischen Lemmata keine deutschen, sondern die lettischen Glossen benutzt: „Acklis (.Stulbs.) blind." und „Ackli (: Usnes.) Unkraut in der Gersten." (Langius 1685 bei Biese 1936: 5).
42 5.3.2. Wortschatz in den Wörterbüchern: Forschungsansichten und Ergebnisse der Pilotstudien Hinsichtlich des Wortschatzes in den Wörterbüchern dominiert die Ansicht über die maßgebende Rolle des „Lettus" als lexikographische Quelle fur die späteren Wörterbücher. Der „Lettus" wurde von Fürecker verwendet (Zemzare 1961: 77). Das Vokabular und die Phraseologie wurden vollständig im Wörterbuch von Langius eingearbeitet (Augstkalns 1930: 131; Zemzare 1961: 84; Ozols 1965: 257; Laumane 1985: 65), wobei der „Lettus" hier als Wortschatzquelle und Vorlage auftritt, den Langius mit allen Fehlern übernommen hat (Ozols 1965: 259; Laumane 1985: 64). Den Einfluß des „Lettus" erkennt Zemzare auch in den viersprachigen Vokabularen von 1688 und 1705, denn die Benennungen der thematischen Kapitel weisen gelegentlich eine Übereinstimmung mit der Einteilung in der „Phraseologia" auf - so schon bei der Benennung des ersten Kapitels „Von GOTT vnd Geistern" (Ma) bzw. „Von Gott und Geistern" (De) (Zemzare 1961: 91). Depkin verfugte über einen breiten Wortschatz, mit dem er den Beitrag Manzels ergänzte (Zemzare ebd.), doch der „Lettus" bildete die Grundlage fur sein Wörterbuch von 1704 (Zemzare 1961: 62). Aufgrund der „fehlerhaften" Äquivalente (s. Kap. 5., Fußnote 9) sowie der zahlreichen Lexeme, die in einer kaum veränderten Form übernommen sind, wird der „Lettus" als eine Quelle bei Elvers betrachtet (Zemzare 1961: 19f. u. 113; Ozols 1965: 347). Erst bei Stender (1761) wird keine direkte Quellenbeziehung zum „Lettus" erkannt. Da die bisherigen Untersuchungsergebnisse zu diesem Aspekt auch unterschiedliche Meinungen bieten und eine Schlußfolgerung mangels systematischer Wortschatzstudien erschwert ist, wird diese Frage anhand von mehreren Pilotstudien erörtert. I. Ch. Fürecker (Für. II) versus G. Manzel Den größten Teil des lexikalischen Materials bei Fürecker bildet laut Zemzare (1961: 77) sein eigenhändig gesammeltes Wortgut. Diese Feststellung kann durch den Vergleich einer Spalte (S. 20 Ad) aus dem Vokabular Manzels mit den Einträgen vice versa bei Fürecker bestätigt werden: Die Spalte im Vokabular enthält 15 Lemmata, von denen 10 oder rund zwei Drittel bei Fürecker nicht auffindbar sind: Adel/ Muischneex; Adelich/ ka Muischneex; Aderechtig/ Dsießlains; Adler/ Ehrgle; Affe/ Pehrtikkis; Affterreder/ Aprunnatais; Affterredung/ Aprunnaschana; Alantwurtz/ Alandssaknis; Alaun/ Aluns; Alle vndjede/ Wissi/ wissi=lieds. Das restliche Drittel (fünf Einheiten) verhält sich zu der eventuellen Wortschatzquelle folgendermaßen: 1) zwei lettische Einträge weisen gegenüber Manzel andere Äquivalente auf: Für. II: Glohdene, blind=schleiche Für. II: assinis laist, blut=ader laßen, schröpfen
-
Ma: Adder/Glohdäns Ma: Aderlassen/Assinis laist
2) in einem Fall ist das deutsche Äquivalent lexikalisch erweitert worden: Für .II: Dsihsla die Ader - Sehne -
Ma: Ader/ Dsießla
43 3) einmal fehlt das deutsche Äquivalent: Für. II: Ap=runnaht
-
Ma:
Affterreden/aprunnaht
4) nur in einem Fall sind die Einträge als identisch zu betrachten: Für. II: Wahrpa ein Korn=Äher
-
Ma: Aher Kornaher/
Wahrpa.
Eine Nachprüfung in der „Phraseologia" läßt schließen, daß die Einträge bei Fürecker auch zu diesem Teil in Beziehung stehen (ζ. B. Blindschleich/ Ghlohdäns im Cap. X. „Von Würmen vnd Vnzieffer")· Die deutschen Äquivalente bei Fürecker zeigen, daß sein Werk kein Wörterbuch Manzels vice versa darstellt.23 Da auch die Lemmatazahl bei Fürecker etwa um ein Drittel geringer ist als allein im Vokabular von Manzel (4000 im Vergleich zu 6000), kann in vielem eine lexikalische Unabhängigkeit vom „Lettus" bei Fürecker erkannt werden. II. J. Langius versus G. Manzel Die Abhängigkeit des Wörterbuchs von Langius vom „Lettus" äußert sich u.a. durch eine vollständige Ausnutzung und Berücksichtigung seiner Wörterbuchlexik (Roze 1982: 58; Laumane 1985: 64); darüber hinaus erkennt Biese (1936) die selbständige Leistung Langius' - er nützt den „Lettus" nur als Arbeitsmaterial, das oft einer Veränderung unterliegt (Biese 1936: 480).24 Langius ergänzt den Wortschatz von Manzel durch zahlreiche volkssprachliche Ausdrücke (Zemzare 1961: 86; Ozols 1965: 258), die er vor allem aus den kurländischen Mundarten schöpft (Ozols 1965: 259).25 Die Ergebnisse des Wortschatzvergleichs zwischen dem „Lettus" und einer Wörterbuchspalte wie auf S. 125a bei Langius zeigen, daß eine Quellenbeziehung vor allem zu dem phraseologischen Teil des „Lettus" besteht. Von 19 bei Langius vorhandenen lettischdeutschen Einträgen (bei 3 fehlen die deutschen Äquivalente) sind 9 Entsprechungen vice versa bei Manzel vor allem in der „Phraseologia" auffindbar: Ls: Ls: Ls: Ls: 23
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Seet, binden Seepes, die Seiffe Seeräht, spazieren, Seers, ein Käse
wandeln -
Vok.: binden/ seet Vok.: Seifen/Seepes; Cap. XXII Seiffe/Seepes Vok.: Spatzieren/seereht/staigaht; wandelen/staighat/seereht Vok.: Käß/Seers; Cap. X V Kese/Seers
Auf die Benutzung der Werke von Manzel wird in den Abschriften explizit hingewiesen: „Manc.", „Mancel." oder „Mancel. post.". Der letzte Hinweis ist auf Manzels „Lang-gewünschte Lettische Postill" (1654) zurückzuführen. In der 2. Abschrift wurden insgesamt 7 solcher Hinweise gezählt. Nur 4 - „Manc."oder „Mancel." - sind bei den entsprechenden Einträgen auch in der 1. Abschrift auffindbar (s. Lemmata Assaka, Ihs, Paudiht und Plaukstees). Biese stützt sein Urteil über den „Lettus" als Quelle auf eine vergleichende Wortschatzstudie beider Wörterbücher. Er hat ζ. B. die Wörterbucheinträge mit den expliziten Hinweisen bei Langius wie „Manc.", „Mancel.", „6 Manc." u.ä. untersucht und die Quellen genau bestimmt (Biese 1936: 4 7 6 - 4 7 8 ) . Aus den insgesamt 39 festgestellten Hinweisen sind 30 auf die „Phraseologia Lettica" zu beziehen, nur 11 auf das Vokabular (Biese nennt das Vokabular den „Lettus"). Seine Analyse zeigt, daß die Hinweise über die Nutzung des Wörterbuchs von Manzel bei Langius oft fehlen (Biese 1936: 478). Der Terminus „Mundart" wird hier und im weiteren beim Zitieren oder bei der wörtlich nahen Inhaltswiedergabe von Äußerungen der Forscher und Wörterbuchverfasser benutzt.
44 Ls: Sauss Seers, dürre Käse Ls: Seerus schawäht, K. trucknen Ls: Gohwas Seers, Aujas=S., Kassas=S. von Schafe
Cap. XV: dürrer Kese/sauß Seerß Cap. XV: Kese trucknen/Seerus schahweht Cap. XV: Kese von Kuhe Milch Ghohwa seerß, Kese Milch Auja seerß, Kese von Ziegen Milch Kasa seerß.
Auch in zwei weiteren Fällen zeigt sich die Bindung zur „Phraseologia", doch hier fuhrt Langius lexikalisch erweiterte oder andere deutsche Äquivalente als im "Lettus" an. Sie zeugen von einem enzyklopädischen Ansatz in der Wortschatzdarstellung bei Langius: Ls: Peen' mihziht Seeram, gegoren Milch knäten zu Käse - Cap. XV Milch kneten/Peenu mieziet seeram) Ls: Seerusis (Seernihts), ein Käse Häußlein, darinnen mann Käse hält - Cap. XV: Kesehauß/ Seerusis). Das vom „Lettus" unabhängige Wortschatzmaterial in dieser Spalte beträgt nahezu die Hälfte (acht Einheiten). Es handelt sich um Verben und verbale Ableitungen wie ζ. B. Seepäht, seiffen; Apseepäht, beseiffen, substantivische Ableitungen und Zusammensetzungen: Seerähschana, das Spazieren; Seerähtais, ein Spazierer; Seeschana, das Binden; Saits (Seenamais, Rissamais), ein Band Kuppel; Gohwo=Saisch', damit die Kühe gebunden wer=den, daß sie sich ein= ander nicht stossen, sowie Wortverbindungen: Tahs/ Drähbes/ Drahnas/tu labbe apseep, beseiffe, sie wohl. Da alle Eingangslemmata der Wörterbuchspalte bei Langius auch im „Lettus" von Manzel vice versa vorhanden sind, darf angenommen werden, daß dieses Wörterbuch bei der Stichwörterwahl maßgebend war. Ein Teil des in den Nestern angeführten Wortschatzes stammt entweder aus anderen Quellen oder zeugt von der selbständigen Spracharbeit des Verfassers (vgl. Biese 1936: 480). 26 III. Vokabulare aus den Jahren 1688 und 1705 versus „Lettus" von G. Manzel Auf eine Wortschatzunabhängigkeit vom „Lettus" im Vokabular von 1688 hat Jegers (1957) hingewiesen. Übereinstimmungen mit dem Wörterbuch von Manzel und Elger sieht er als selbstverständlich an, „da sie alle [...] die am meisten gebrauchten lettischen Wörter bringen wollen" (Jegers 1957: 32). Er nimmt an, daß das Vokabular von 1688 ein älteres Manuskript in gedruckter Form darstellt. Manche lettische Äquivalente sind hier älter als die von Manzel angeführten (Jegers 1957: 30f.). Da das Lettische nur eine von vier gegenübergestellten Sprachen darstellt und die lettischen Äquivalente an letzter Stelle in der angeführten Lexemreihe plaziert sind, ist die Annahme vom „Lettus" als eine relevante Quelle zweifel26
Wenige Angaben gibt es über den Einfluß des Manuskripts von Langius. Sein Wortschatz ist in einem anderen Manuskript, in dem anonym verfaßten „Manuale Lettico-Germanicum" (etwa 7000 Lemmata) aus dem Ende des 17. Jahrhunderts, benutzt worden (Biese 1936: 476; Zemzare 1961: 94). Hier ist nach vielen lettischen Einträgen „L", also Langius, notiert (Zevers 1935a: 491; Biese 1936: 476). Das weitere Schicksal dieses Manuskripts ist bis jetzt unbekannt.
45 haft. Wie die Untersuchungsergebnisse von Larsson (1998: 79f.) zeigen, sind die Quellen und Vorlagen für diese Vokabulare, vorzugsweise für das Vokabular aus dem Jahr 1705, außerhalb der deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Wörterbuchschreibung zu suchen. Wie ein Vergleich einzelner thematischer Kapitel bei Manzel und in den Vokabularen zeigt, werden in den Vokabularen teilweise andere deutsch-lettische Einträge als bei Manzel verzeichnet, was bei dem sehr unterschiedlichen Umfang der Werke gegen die Annahme vom „Lettus" als Quelle spricht: Wenn in beiden Vokabularen im Kapitel „Von den Kinderspielen. No tim bern Spelin." (1688) / „Von den Kinderspielen. No Behrnu=Spehlejameem Rihkeem" (1705) sieben deutsche und lettische Lexeme angeführt werden, bietet Manzel im Kapitel „Spielwerck. Spehleschana" der „Phraseologia" neun Einträge. Von gleichen Einträgen kann man nur in drei Fällen sprechen: Ma: Karten/Kahrtes Ma: Ball/ Balle Ma: Würffei/Kaulini
- Die Karte, Tas Karies (1688), Die Karte, Tahs Spehlu=Kahrtes (1705) - Der Ball, Ta Balla (1688), Der Ball, Ta Balle (1705) -Die Würffei, TaKauling( 1688), Die Würffei, Tee Kaulini (1705).
IV. L. Depkin (1704) versus Ch. Fürecker (Für. II) und G. Manzel Depkin verzeichnet ein sehr umfangreiches Wortschatzmaterial und betont im Vorwort zum „Vortrab", daß es auf einer sorgfältigen Exzerption aller zugänglichen schriftlichen Quellen basiert. Als eine der lexikographischen Quellen nennt er das Wörterbuch Füreckers (Depkin 1704: Vorw.). Ein Wortschatzvergleich von Seite 1 bei Fürecker mit dem „Vortrab" Depkins bestätigt die Ansicht über eine grundsätzliche Exzerption dieser Quelle (vgl. Zemzare 1961: 80 u. 106; Dunsdorfs 1962: 433; Roze 1982: 58): alle Einträge von Fürecker sind übernommen, doch sie sind oftmals lexikalisch erweitert, teilweise mit unterschiedlichen Äquivalenten versehen und durch enzyklopädische Informationen ergänzt. Der lexikalische Bestand in den Nestern zu den betreffenden Eingangslemmata ist durch den Wortschatz dieser Quelle bei weitem nicht erschöpft. Zu widersprechen ist der Ansicht von Zemzare, die den „Lettus" als die Grundlage des Wörterbuchs klassifiziert (Zemzare 1961: 62),27 denn beide Wörterbücher weisen enorme Unterschiede im Umfang auf. In einer solchen Situation spielt die lexikalische Übereinstimmung eine geringe Rolle (Fejör 1995: 31). V. C. Elvers versus G. Manzel und Ch. Fürecker (Für. II) Bei Elvers ist eine wortschatzmäßige Bindung vor allem zur „Phraseologia" von Manzel feststellbar. Der Wortschatz des Vokabulars macht eher einen geringen Teil im Wörterbuch von Elvers aus. Das wird auch vom folgenden Vergleich bestätigt:
27
Depkin erwähnt, daß der „Lettus" ihm einst beim Erlernen des Lettischen geholfen und später ihn auch zur Abfassung seines eigenen Wörterbuchs angeregt hat (Depkin 1704: Vorw.). Im edierten „Vortrab", der 16 Spalten umfaßt, gibt es insgesamt 7 Hinweise auf Werke Manzels. Davon betreffen 6 den „Lettus": Manc. Voc. (4); Manc.Phras.( 1) und Manc.Dialog. (1), ζ. B. Ahdu noplehst [...] Manc. Voc.p. 72 habet nodihreht/die Haut abziehen (Depkin 1704: Sp. 9); Abru=Kassis [...] Sille heist sonst ein ander Trog, beydes findestu. p. 176. Manc. Voc. (Depkin 1704: Sp. 7) u.a.
46 G. Manzel
Ch. Fürecker (Für. II)
C. Elvers
Ein Apffel/ Abohls
apffel, Ahbols
Apffelbaum/ Ahbola=kohx
Apffel=Baum, Ahbola=kohks
Dannapffel/ Zeekuris (Vok.)
Dann=Apffel Zeekuris
grosse Apffel/ leeli Ahboli
grosse grüne Äpffel, leeli salli Ahboli
Apffelgarten/ Ahbola=dahrß
Apffel=Garten, Ahbola Dahrs
welcker Apffel/ sawietis Ahbols
welcker Apffel, sawihtis Ahbols
fauler Apffel/ sapuwis Ahbols
fauler, Sapuis Ahbols
abgefallen/ nokrittiß
abgefallener, nokrittis Ahbols
vnzeitig/ nhe=eenahziß
unzeitiger, ne eenahzis Ahbols
zeitig/ ee=nahziß
zeitiger, eenahzis Ahbols
Wurmstichiger Apffel/ Tharpains
Wurmstichiger, Tahrpains Ahbols
Steinicht/ zeetz
Steinigt, Zeets
geruntzelter Apffel/
geruntzelter, sagrumbis Ahbols
saghrumbis Ahbols kleine Apffel/ masi Ahboli
kleine, masi Ahboli Semmes Ahboli dieses Landes ein=heimische Apffel
dieses Landes Aepffel, schahs Semmes Ahboli
Mesch Ahboli, busch= Holz= äpffel
Busch Apffel, Mescha= Ahboli
Wahz=Ahboli Teutsche Garten=Äpffel
teutsche Äpffeln, wahzu ahboli
Stenkales. pferd=äpffel
Pferds Äpffel, Stenkalas
Tab. 5: Eine Stichprobe zum Wortschatz in den Wörterbüchern von G. Manzel (1638), Ch. Fürecker (zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts) und C. Elvers (1748) Die meisten Einträge unter dem Eingangslemma apffel bei Elvers sind auch im CAP. XVI. der „Phraseologia" von Manzel verzeichnet. 28 Nur Dann-Apffel/ Zeekuris entstammt seinem Vokabular. Der kleinere Teil des lexikalischen Materials läßt eine wortschatzmäßige Verbindung mit dem Manuskript Füreckers erkennen. Eine quellenunabhängige Leistung von Elvers kommt im demonstrierten Abschnitt nicht zum Vorschein. Nach Ansichten einiger Forscher spiegelt das Wörterbuch von Elvers die Lexik wider, die für die Einwohner Rigas und der Umgebung charakteristisch war (Zemzare 1961: 117; Ozols 1965: 347; Roze 1982: 58). 2 9 Diese Ansicht ist möglicherweise auf die biographi28
29
Der Bezug auf den phraseologischen Teil des „Lettus" ist bei Elvers auffallend. So fehlen ζ. B. bei ihm nur einige Einträge aus dem CAP. XVII „Von Bäumen": Merkbaum/ Rohbescha=Kohx; Fuder Holtz/ Mallkas=wäsmis; Holtz laden/ Mallku kraut; Holtz hawen/ Mallku skalldiet/ zirrst. Smidts (1912) hat insgesamt 14 lettische Äquivalente bei Elvers festgestellt, die er zur Mundart in Rauna zählt (Smidts 1912: 10f.). Solche bezeichnet er in seinem Wörterverzeichnis mit einem „R". Bei Elvers sind allerdings solche Angaben nicht vorhanden; vgl. ζ. B. Ahla - ein unsinniger Mensch (R); Ahpscha - Dachs (R) (Smidts 1912: 10); Nuhjeneeks - ungebetener Gast (R) (Smidts 1912: 15) mit den Einträgen bei Elvers (1747: 4, 113 u. 269).
47 sehen Fakten über den Verfasser oder auf den Hinweis im Langes Lexikon (Lange 1777: Vorr.) gestützt. 30 VI. G.F. Stender versus Ch. Fürecker (Für. II), L. Depkin (1704) und C. Elvers Stender (1761) hat das Wörterbuch von Elvers als eine Wortschatzquelle herangezogen, die ihm als Grundlage diente (Zemzare 1961: 124). Auf Seite 1 werden bei Stender 34 lettisch-deutsche Einträge verzeichnet, von denen jedoch etwa ein Drittel (12 Einträge) bei Elvers nicht verzeichnet ist. Dagegen sind mehr als ein Drittel der lettisch-deutschen Einträge (14) bei Elvers vice versa vorhanden. Bei den meisten Einträgen ist hier keine vollständige Übereinstimmung festzustellen: die lettischen und die deutschen Äquivalente sind durch unterschiedliche Synonymreihen ergänzt, ζ. B.: Ε Ε Ε Ε
1748, 1748, 1748, 1748,
99: beyde, abbi, abbee, abbeji 164: gerber, Gehreis, Ahdgehris, Ahdminnis 80: Backtrog, Abra 112: citrone, WahdsemmesAhbols -St
- St 1761: abbi beyde - St 1761: ahdminnis Gerber - St 1761: abra Brodtrog, Backtrog 1761 \ wahzsemmes= Citron, Apfel=Sina.
In acht Fällen (etwa ein Viertel) sind unterschiedliche Äquivalente vorhanden wie ζ. B.: Ε 1748, 22: ader, Dsihsla Ε 1748, 223: Rückwerts, Atscha garni
- St 1761: ahdere Ader - St 1761: adschugarni rücklings.
Die Nutzung der Quellen wird bei Stender gelegentlich angezeigt wie ζ. B. ahla [...] E.L. Trotzdem zeugen die Vergleichsergebnisse von keiner starken oder kritiklosen Bindung an das Wörterbuch von Elvers. Ebenso ist die unterschiedliche Zahl der Lemmata zu beachten: 8000 bei Elvers, 4000 bei Stender. Als eine häufige Quelle, so auch bei Stender, wird das Wörterbuch von Fürecker genannt (Zemzare 1961: 80). In diesem Fall fällt es aber schwer, eine bestimmte Quellenbeziehung herzustellen, denn auch zu Depkins Wörterbuch (1704) wird eine vergleichbare lexikalische Bindung sichtbar. Ch. Fürecker (Für. II) Ahbole der Apffel=baum Ahbols der Apffel. Ahbolinsch. dimin.
L. Depkin (1704) G.F. Stender Ahbole. Apfelbaum ahbele Apfelbaum Ahbols. pl. Ahboli. Apfel/ Obst/ äpfel ahbols Apfel Ahbolinsch. (dim.) ahbolinsch heist auch der Adamsapfel am Halse
Wahz=Semmes Ahboli. Pomerantzen Citronen.
Wahdsemmes Ahboli heissen auch Pomeranzen und Citronen
wahzsemmes= Citron, Apfel=Sina ec.
Wilk=Ahbole, Hagedorn, wilde Rosen. Engel=Tier.
Wilk=Ahboli/ wilde Rosen/ it.: wilde Apfelbäume= hecken: tragen keine Frucht. Wilk=Ahboli/ sind Fierek. Hagedom. it. Wilk=Drihzekle. idem, vocat Eglen=tier.
(wilku= ein Baum mit stinkenden Beeren)
Tab. 6: Eine Stichprobe zum Wortschatz in den Wörterbüchern von Ch. Fürecker (zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts), L. Depkin (1704) und G.F. Stender (1761) 30
Laut DB BL (Lenz 1970: 187) ist sein Leben und Wirken ausschließlich mit Riga verbunden.
48 Obwohl die Sammlung des Wortschatzmaterials vorwiegend anhand der Exzerption der schriftlichen Quellen - sowohl der lexikographischen als auch der nichtlexikographischen als eine zu allen Zeiten übliche Praxis erkannt wird (Zgusta 1971: 225; Weinrich 1985: 258) und nur als ein Teil der lexikographischen Arbeit zu betrachten ist, beruhen die Ansichten über die Entwicklung der deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Lexikographie des 17. und des 18. Jahrhunderts hauptsächlich auf der Feststellung einer wortschatzmäßigen Übereinstimmung in den Wörterbüchern. Die bisherigen Erkenntnisse dürfen meines Erachtens in vielem von zwei gegenseitig bedingten Forschungsansätzen bestimmt gewesen sein. Zum einen waren die Untersuchungsziele der Autoren auf die Entwicklung der lettischen Sprache gerichtet. Zum anderen reichen die Betrachtungen nur in Einzelfällen über die Grenzen der deutsch-lettischen/lettischdeutschen Lexikographie hinaus, wodurch die eventuellen Quellen und Einflüsse in einem festen Rahmen, d. h. innerhalb der deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Lexikographie, gesucht und erkannt worden sind. Deshalb bestehen die grundsätzlichen Meinungsunterschiede hauptsächlich in bezug auf die Quellenrelevanz unter den deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Wörterbüchern und in bezug auf die Bewertung der individuellen Leistung einzelner Autoren in der Wortschatzerfassung. Die kurzgefaßten Pilotstudien haben gezeigt, daß die Nutzung der früher erschienenen deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Wörterbücher in den späteren lexikographischen Werken belegt werden kann. So ist der Einfluß des „Lettus" am deutlichsten bei Langius und Elvers erkennbar. Doch ebenso weisen die Wörterbücher von Fürecker, Depkin (1704) und Elvers Wortschatzübereinstimmungen auf. Die Ergebnisse leiten gleichzeitig zu der Ansicht, daß die Hervorhebung einer konkreten Wortschatzquelle, noch weniger ihre Klassifizierung als die Grundlage beim jetzigen Forschungsstand mit Vorbehalten zu betrachten ist: insbesondere hinsichtlich der Wörterbücher mit einer stark reduzierten bzw. einer um das Vielfache erhöhten Stichwörterzahl, ζ. B. Manzel versus Fürecker oder Manzel und Fürecker versus Depkin. Bei relativ kleinen Wörterbüchern mit etwa 4000 - 6000 Lemmata bieten dagegen die Übereinstimmungen zwischen einzelnen deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Einträgen wenig Anlaß zur Annahme einer lexikographischen Quellenbenutzung. Insgesamt läßt sich daraus schließen, daß die Autoren die vorhandenen zweisprachigen Wörterbücher in ihren Arbeiten herangezogen haben, doch oftmals sind sie als eine von mehreren Quellen oder als Ergänzungen zur eigenen Leistung der Autoren zu betrachten.
5.3.3. Die Struktur der Wörterbücher als Indiz für die Benutzung der lexikographischen Vorlagen Ein Teil der bisherigen empirischen Beschreibungen der deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Wörterbücher des 17./18. Jahrhunderts bezieht sich auf den Aufbau der Wörterbücher und betrifft Lemmatisierungsprinzipien und Artikelstruktur, doch als Indizien für bzw. gegen die Vorlagenrelevanz oder als Kriterien für die Untersuchung der lexikographischen Tradition in Lettland kommen diese Bauelemente wenig zur Geltung. Die folgenden Analysen beziehen sich nur auf einige wesentliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Aufbau der Wörterbücher bis 1777 und sollen eine allgemeine Einsicht in
49 die Entwicklung der Wörterbuchstruktur bieten sowie die möglichen Vorlagen dieser Wörterbücher aufzeigen. Die lexikographische Einrichtung im „Lettus" von Manzel dient der Hervorhebung der semantischen Äquivalenz und des kontextuellen Wortgebrauchs. Die erste Aufgabe übernimmt vor allem das alphabetisch geordnete deutsch-lettische Vokabular, wobei die alphabetische Reihenfolge durch solche Einträge aufgelockert wird, die gewöhnlich Nester/Nischen zum Eingangslemma bilden.31 Die nach Sachgruppen in einzelnen Kapiteln geordnete „Phraseologia", in der nicht nur einzelne Wörter, sondern auch ihre Ableitungen und Zusammensetzungen, sogar längere Syntagmen lemmatisiert werden, und das Gesprächsbuch bieten das lexikalische Material im kontextuellen und situativen Gebrauch. Das Hauptprinzip der Wortschatzdarstellung ist bei Manzel mit der Makrostruktur des Wörterbuchs verbunden. Die Mikrostruktur dagegen ist einfach konzipiert und die Artikel bestehen vorwiegend aus einem oder mehreren lettischen Äquivalenten. Die grammatischen und stilistischen Angaben oder Hinweise auf eine bestimmte lettische Mundart sind sporadisch. Die lexikographischen Vorlagen des „Lettus" sind bis heute kein Untersuchungsthema gewesen. Die gleiche Makrostruktur bietet ζ. B. das „New Vocabular der dreyen Sprachen/ Lateinisch/ Frantzösisch/ vnd Deutsch/ sampt etlichen Formulen täglicher vnd gebreuchlicher Reden [...]" (1591), zu dem die „Zehn Gespräche" von Manzel eine gewisse Ähnlichkeit aufweisen: In den „Formvlae commvnes loquendi" treffen sich zwei Personen, die sich während einer Reise kennenlernen, eine Herberge aufsuchen und mit dem Wirt verhandeln; bei Manzel begibt sich ein Reisender zusammen mit dem Fuhrmann auf den Weg. Beide kehren in eine Herberge zum Übernachten ein. Wie die folgende Textprobe zeigt, sind die Parallelen im Aufbau und im Text der Gespräche zu markant, um das Gesprächsbuch von Manzel generell als eine vorlagenunabhängige Leistung betrachten zu können: Formvlae commvnes loquendi -
Mein Wirdt/ thut meinem Pferde
G. Manzel. IV Ein reisender Man bittet um Herberge -
den Sattel vnd dem Zaum ab
Ich bitte dich/ Wirth/ vergönne mir einen Stall/ da man die Pferde warten könne [...]
-
Bringt meinem Pferd hew.
-
-
Gebt j m Habern.
-
Wo hat man nun Heu? [...] [zu Fuhrmann] Gersten=Kaff ist den Pferden nicht gut. Sihe zu ist nicht Roggen= oder Haber=Kaff daselbst [...]
-
Bringet Stro/ macht jm ein gute
-
(zu Fuhrmann] Geuß Wasser drauf [...]
-
[zu Fuhrmann] Mache den Pferden eine Streu [...]
Strew. -
Führt mein Pferd in das wasser/ vn lasts trinken [...]
-
Mein Wirt/ wann werden wir zu Mittag essen [...]
-
Wirt/ gib eine reine Schüssel. Du Jürgen setze her die Speisekarpe [...]
Tab. 7: Textausschnitte aus der kommunikativen Situation 'In der Herberge' im „New Vocabular der dreyen Sprachen" (1591) und in der „Phraseologia" von G. Manzel (1638) 31
Über die Wortschatzanordnung auf der Ebene der Makrostruktur s. Hausmann/Werner 1991: 2746ff.
50 Die Struktur im „Lettus" läßt vermuten, daß er an die Tradition der lexikographischen, darunter auch der mehrsprachigen, zum Sprachunterricht gedachten Werke des 16. und 17. Jahrhunderts anknüpft (vgl. Haensch 1991: 2914f.), in denen einzelne Prinzipien der Wortschatzdarstellung und teilweise auch der Wortschatz aus den Lehrbüchern fur den Lateinunterricht, nämlich aus den thematisch geordneten Vokabularen zu diesen Lehrbüchern, übernommen wurden.32 Das lettisch-deutsche Wörterbuch von Fürecker (Für. I) weist keine einheitliche Makrostruktur auf: Textpassagen mit einer tendenziell striktalphabetischen Anordnung der Lemmata wechseln mit nestalphabetischen Abschnitten. Wie im Vokabular von Manzel sind auch bei Fürecker nicht selten Wortgruppen und ganze Sätze als Eingangslemmata verzeichnet; feste Prinzipien in der Gliederung von Eingangs- und Sublemmata werden von Fürecker nicht verfolgt." Viel häufiger als bei Manzel sind die metasprachlichen Angaben im Artikel: zur Herkunft (Germ, für Germanismus), zur dialektalen Angehörigkeit (Curl, fur Kurland; Semg. fur Semgalen) ζ. B. Wehrtitees, Curl, greestees, Semg. Sich wenden, kehren (Für. I: ms 301) und die grammatischen Angaben wie Wehsts. 6. Deel. f . die bohtschafft; Wirwe, ein strik, Gen: pl. wirwju (Für. I: ms 302). In einigen Fällen wird auf die Grammatik von Adolphi verwiesen (6 Fälle wurden gezählt), ζ. B. Dsihrtees mit werten drauen, geloben [...] vid. Grammat. p. 76. fin. (Für. I: ms 53). Über die Druckreife des Wörterbuchs, d. h. inwieweit die Abschrift Arbeitsmaterial oder lexikographisch konzeptionelle Vorstellungen des Verfassers von einem edierten Wörterbuch darstellt, sind keine Aussagen gefunden worden. Langius wird von den Forschern eine gewisse Souveränität bei der Wortschatzdarstellung eingeräumt. Das lexikalische Material ist nach eigenen Anschauungen des Verfassers meistens in etymologischen Nestern - geordnet und mit eigenen Anmerkungen ergänzt worden (Laumane 1985: 65). Stellenweise sollen die thematischen Nester jedoch an die Wortschatzanordnung in der „Phraseologia Lettica" von Manzel erinnern (Laumane 1985: 65). Im Unterschied zu Manzel und Fürecker ist sie jedoch stärker vereinheitlicht. So ist bei den Verben eine ausgeprägte Tendenz zur Anfuhrung der Stammverben als Eingangslemmata zu beobachten. Im Wortnest werden sowohl die Wortbildung als auch freie Wortver-
32
Collijn (1925) sieht ζ. B. eine fragmentarische Übereinstimmung des Vokabulars im „Variarvm rervm vocabvla cum Sueca interpretatione" (1579) mit dem Teil „Variarum rerum dictiones" im häufig verlegten lateinischen Lehrbuch „Pappa puerorum" (Köln, 1513) des Humanisten und Pädagogen des 15./16. Jahrhunderts Johannes Murmellius (Collijn 1925: 8). Das Vocabularium des Lehrbuchs soll u.a. in Polen sehr beliebt gewesen sein (ADB 23/1886: 65f.). Im Jahr 1630 ist das Vokabular „Variarum rervm vocabvla, cvm svetica interpretatione" auch in Riga bei G. Schröder verlegt worden („Rigae Livonum, Excudebat Gerhardus Schröder / Anno M. DC. XXX"), von dem nur 12 Doppelseiten erhalten geblieben sind und die in der Universitätsbibliothek Uppsala aufbewahrt werden (Collijn 1925: 19).
33
Die Verben Addiht, strikken, knütten (Für. I: ms 16) und Präfixableitungen pee=addiht, an mittknütten (Für. I: ms 17) stellen ζ. B. Eingangslemmata dar; die Verben Sa= addiht zusamen knütten und Uhs addiht auff knütten Sublemmata zum Eingangslemma pee=addiht, an - mittknütten (Für. I: ms 17). Zahlreiche Präfixbildungen mit dem Verb audsinaht Erzihen (Für. I: ms 20) werden als Eingangslemmata angeführt.
51 bindungen und Phraseologismen mit den (Sub)lemmata demonstriert. Deshalb ist der Auffassung zu widersprechen, daß Langius den „Lettus" als eine Vorlage genutzt hat (vgl. Ozols 1965:259). Als erster in der deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Lexikographie verzeichnete Langius Angaben über die Herkunft der lettischen Wörter, 34 am häufigsten Entlehnungen aus der deutschen und litauischen Sprache (Laumane 1985: 67). In der Auswertung der möglichen Vorlagen für das Vokabular von 1688 meint Jegers, daß in der Anordnung der Wörter das Vokabular eigene Wege geht (1957: 32). Doch wie Manzels „Phraseologia" so zeigen auch beide Vokabulare von 1688 und 1705 lexikalische und lexikographisch konzeptionelle Ähnlichkeiten mit anderen nach Themen geordneten Vokabularen (vgl. Vanags 1999: 65ff.), obwohl die Zahl der thematischen Kapitel variiert.35 Diese Variation kann ζ. B. auf die unterschiedliche thematische Gliederung der Sachgruppen zurückgeführt werden. So findet man für eine Sachgruppe „Von den Bäumen und Früchten" in den Vokabularen von 1688 und 1705 drei getrennte Einteilungen bei Manzel: XVI „Von Epffeln vnd allerley Erd=Früchten", XVII „Von Bäumen" und XVIII „Nahmen der Bäume". Die Tatsache, daß die „Phraseologia" von Manzel in ihrem Aufbau die größte Ähnlichkeit mit den Vokabularen von 1688 und 1705, doch nicht mit den zweisprachigen deutschlettischen/lettisch-deutschen Wörterbüchern des 17./18. Jahrhunderts aufweist, ist bis jetzt in der Forschung nicht hervorgehoben worden. Die markanten Übereinstimmungen sind meines Erachtens auf die Nutzung der Vorlagen gleichen Typs zurückzuführen, der Vokabulare für den Lateinunterricht (vgl. Larsson 1998: 80) oder der aus solchen entwickelten Wörterbücher zur ersten Bekanntmachung mit den modernen Sprachen. 36 Sowohl Manzel als auch der Verfasser des Vokabulars von 1688, dem sich Depkin 1705 anschließt, vertreten damit am deutlichsten die aus dem elementaren Lateinunterricht gewachsene Tradition des (Schul)wörterbuchs. Ansichten über die Einrichtung eines Wörterbuchs vermittelt Depkin im Vorwort zum edierten „Vortrab" (1704). Er lehnt eine Ersatzfunktion der Bibelkonkordanz fur ein Wörterbuch ab, da sie keine ausreichenden Kenntnisse über die lexikalische Bedeutung der Wörter und über die Grammatik der Sprache vermittelt. In seinem Wörterbuch will er aber „alle und jede Lettische Wörter" alphabetisch anfuhren und „mit ihren mannigfaltigen/ so woll eigentlichen als figurlichen/ bey uns/ als anders wo/ gebräuchlichen Benennung= und Bedeutungen" zeigen (Depkin 1704: Vorw.). 34
35
36
Hinweise über die Herkunft werden schon von Manzel gegeben, allerdings nur sehr selten, ζ. B. Antwort/Atbildeschana/Antwarda germanismus (Manzel 1638: 20). Die Vokabulare (1688 u. 1705) sind nach 24 Sachgruppen geordnet, im Anhang werden Verzeichnisse der Adjektive und Verben in der 1. Ps. Sg. Präs. hinzugefugt. Die „Variarvm rervm vocabula cum sueca interpretatione" (1579) besteht aus 38 Kapiteln und 2 Anhängen - für Adjektive und für Präpositionen, Adverbien sowie Konjunktionen. Das 1724 in Riga erschienene „Vocabularium, pro qvinta classe, scholae rigensis, ad captum puerorum, et idiotismum loci, adornatum" umfaßt 27 Kapitel. Den Anhang bilden Zahlwörter und Homoeoteleuta (Wörter mit gleich klingenden Endungen). Im „Vocabularium latino-svecum, In Usum Juventutis, Ordine Naturae, in certos Titulos digestum, & publici juris factum" (1755) sind 21 Kapitel und ein Anhang mit Adjektiven und Empfindungswörtern wie die Süße u.ä. Über die Entstehung der mehrsprachigen Wörterbücher s. Haensch 1991: 2 9 0 9 - 2 9 1 6 .
52 Die Makrostruktur des Wörterbuchs ist nestalphabetisch. Es werden auch Syntagmen lemmatisiert. Wiederholte Lemmatisierungen sind anscheinend bei polysemantischen Wörtern (Sp. 8 Ahda/ Haut; Ahda/ Fell; Ahda/Leder) geplant. Feste Lemmatisierungsprinzipien sind aus dem „Vortrab" allerdings wenig erkennbar. Von den Vorgängern hebt sich das Wörterbuch vor allem durch zahlreiche und systematische Quellenangaben der religiösen und linguistischen Literatur ab. Zu den letzteren gehören ζ. B. die Grammatk von Adolphi, der „Lettus" („Manc. Voc., Manc. Phras., Manc. Dialog."), ein „dictionarium Germ.Latin." und das Manuskript von Fürecker („Fierek."). Neben den deutschen Äquivalenten werden häufig die lateinischen und griechischen Entsprechungen sowie Äquivalente in den modernen Fremdsprachen angeführt, ζ. B. unter Ahbols - Merke: Augurki [...] sindLuth. Kürbis & Meloni/ Pfeben. [...] Belg. Concommeren ande Meloenen. Angl, ita etiam. Cucumb: and Melon (Depkin 1704: 5). Als Metasprache wird häufig die lateinische Sprache eingesetzt, ζ. B. Abbee oder Abbi [...] us abbi puss, non habet in foem. Abbas/ sed Abbi (Depkin 1704: 2). Neben den grammatischen Angaben ist auch die Herkunft der Lexeme angezeigt, ζ. B. Ahdas mihi [...] Gehrmannis/ sed est Germanism. (Depkin 1704: 8). Viele Artikel, besonders zu den Eigennamen, beinhalten enzyklopädische Informationen, ζ. B. Ahdaschi/ Neuermühlen/ ein Ort eine Meile von Riga. I. Mac. 7. 45. findet man auch Ahdasai ein Ort wo Nicanors Leute sind verfolgt worden. (Depkin 1704: 15). Diese Konzeption, insofern der „Vortrab" es beurteilen läßt, kann u.a. darauf hinweisen, daß das Wörterbuch vor allem die Bedürfnisse akademisch gebildeter Benutzer berücksichtigen sollte. Der „Liber memorialis letticus" (1748) von Elvers ist ein deutsch-lettisches Wörterbuch, das teilweise striktalphabetisch, teilweise nischen- oder nestalphabetisch geordnet ist. Als Eingangslemmata kommen hauptsächlich Einzelwörter vor. Bei polysemantischen Lexemen sind wiederholte Lemmatisierungen häufig (ablassen oder außiören etwas zu thun; ablassen einen Brief; ablassen, entlassen; ablassen oder verlassen), die gelegentlich überdimensionale Ausmaße erreichen wie 13 Lemmatisierungen von abnehmen, jeweils sechs von anhalten und anliegen. Die Nischen und Nester weisen die Tendenz zu einer festgelegten Struktur auf: den Wortverbindungen mit dem Eingangslemma folgen Derivate, dann Komposita. Die Bedeutungsdifferenzierungen der deutschen Einträge werden anhand von Glossen oder von metasprachlichen Hinweisen in deutscher Sprache erläutert wie abgang [...], ob das Abnehmen und zu Grunde gehen [...], vom Gelde (Elvers 1748: 5). Die lateinischen Interpretamente sind in ihrer Variation begrenzt. Auf eine verbale Wendung weist häufig e.g. (exempli gratiam) hin, die grammatischen Angaben sind spärlich und betreffen Kasusformen oder Wortklassen (adv.), bezeichnen die lettischen Verbäquivalente als passive oder active und die Diminutivformen der Substantive. Sporadisch werden sie als Bedeutungsinterpretamente eingesetzt: ausschwemmen (fermentare) (Elvers 1748: 61). Ebenso sporadisch kommen die schriftlichen Quellenangaben, meistens der religiösen Literatur, vor. Im Unterschied zum Wörterbuch von Depkin scheint der „Liber memorialis letticus" besser für die praktische Nutzung geeignet gewesen zu sein. Von den meisten Vorgängern wie den Wörterbüchern von Fürecker, Depkin (1704), Manzel unterscheidet es sich durch mehr Konsequenz und Systematik in der Makro- und Mikrostruktur.
53 Das lettisch-deutsche Wörterbuch (1761) von Stender erschien zusammen mit einer lettischen Grammatik 37 und einem Verzeichnis lettischer Sprichwörter und Rätsel. Das „Lexicon" weist eine ähnliche Makrostruktur wie das Wörterbuch von Elvers auf. Aus platzökonomischen Gründen werden bei Stender häufig nur Ableitungs- bzw. Wortbildungsmorpheme und einzelne Komponenten der Zusammensetzungen angeführt (ahkis Haaken, = eht haaken; abra Brodtrog, = kassis Teigkrätzer), doch die Morphemgrenzen beim Lemmawort sind nicht angezeigt. Die Wörterbuchsprachen und die metasprachlichen Hinweise sind durch unterschiedliche Schriftsätze hervorgehoben: Antiqua für das Lettische, Fraktur für das Deutsche sowie Kursiv für grammatische Angaben und andere Verweise, ζ. B. auf den grammatischen Teil. Die lettischen Lexeme, die vom Verfasser „zu einem verderbten Dialect" (Stender 1761: 12) gezählt werden oder die ihm in der Bedeutung, im Gebrauch oder vom Äquivalent her wie in den früheren Wörterbüchern unbekannt sind, werden in eckige Klammern gesetzt (Stender ebd.). Lemmatisiert werden nicht selten die unregelmäßigenVerbformen wie atsehje vid. seet (Stender 1761: 16) und die substantivischen Kasusformen mit dem Konsonantenwechsel im Stamm wie bischu G. pl. vid. bitte, it. bisse (Stender 1761:23). Damit führt Stender einige Neuerungen in der technischen Ausformung seines Werkes im Vergleich zu den früheren deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Wörterbüchern ein. Die Struktur ist ein unentbehrlicher konzeptioneller Bestandteil eines jeden lexikographischen Werkes. Anhand der Wortschatzsammlung allein, ohne Berücksichtigung der Aufbaustruktur und der Wortschatzdarstellungsprinzipien, wäre die Geschichte der Wörterbuchschreibung nur noch als ein Ergebnis der Quellenexzerption zu betrachten. Die früheren Wörterbücher stellen zwar Wortschatzquellen für die späteren Werke dar, doch aufgrund der unterschiedlichen Struktur der Wörterbücher läßt sich im allgemeinen behaupten, daß jeder Verfasser nach eigenen Wegen zu einer zielbewußten und optimalen Wortschatzdarstellung gesucht hat. So bevorzugt Manzel eine Teilung seines Werks in Vokabular, Phraseologie und Gesprächsbuch, wobei alle Teile eine einfache Mikrostruktur aufweisen. Ein dreiteiliges Werk wie der „Lettus" kommt im 17./18. Jahrhundert nicht zur Wiederholung. Die darauf folgenden Wörterbücher von Fürecker und Langius vertreten andere Prinzipien der Wortschatzdarstellung und weisen ebenso Unterschiede untereinander auf. Das Wörterbuch von Fürecker bietet dabei noch keine systematisch ausgearbeitete Makrostruktur, was damit zusammenhängen kann, daß das Wörterbuch in der überlieferten Form möglicherweise kein druckreifes Werk darstellt. Stender unternimmt Lemmatisierungen flektierter Wortformen, die zum ersten Mal einen festen Bestandteil in der Wörterbuchkonzeption bilden. Abweichungen sind umso zahlreicher auf der Ebene der Mikrostruktur. Im Unterschied zu Manzel und den viersprachigen Vokabularen, in denen dem deutschen Eintrag ein, gelegentlich mehrere lettische Äquivalente gegenüberstehen, bieten die anderen qualitativ und quantitativ unterschiedliche Wortverbindungen mit dem Eingangs- oder Sublemma im Artikel. Die grammatische und stilistische Information tritt bei Manzel äußerst sporadisch auf, ebenso wie die Angaben zu einer bestimmten Mundart. Die grammatischen Angaben kommen am häufigsten bei Depkin (1704) vor. Bei Langius und Stender erlangt die grammati37
Die Komplementierung eines Wörterbuchs mit einer Grammatik oder umgekehrt ist schon aus den Werken von Langius und Dressel bekannt.
54 sehe Information einen höheren Wert durch die Komplettierung der lexikographischen Werke mit einer lettischen Grammatik. Depkin zeichnet sich durch die Versuche zum Sprachenvergleich, durch einen häufigen Einsatz der lateinischen Metasprache aus, was von einem bis dahin nicht belegten Anspruch zeugt, ein 'Gelehrtenwörterbuch' zu verfassen. Eine nähere Behandlung der „Phraseologia" von Manzel und der viersprachigen Vokabulare von 1688 und 1705 fuhren zu der Ansicht, daß der kontaktlinguistische Ansatz in der Erforschung der deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Lexikographie neue Erkenntnisse bringen kann. Wenn die kulturhistorische Entwicklung in der baltischen Region im betrachteten Zeitraum insgesamt in einer engen Verbindung mit den Nachbarländern verläuft, so ist zu bezweifeln, daß die Wörterbuchschreibung als ein von äußeren Einflüssen isoliertes Phänomen auftritt. Allein die Lebensläufe der Wörterbuchautoren dürften bei einer solchen Annahme Bedenken hervorrufen. 38 Erst nach dem Heranziehen der mehrsprachigen Vokabulare aus anderen europäischen Ländern kann ζ. B. der Einfluß des „Lettus" auf die Abfassung der Vokabulare von 1688 und 1705 als unwesentlich eingestuft werden. Es wird ersichtlich, daß der Aufbau dieser Vokabulare und die Benennung einzelner thematischer Kapitel eine langjährige allgemeine Praxis widerspiegeln, die ursprünglich mit dem Lateinunterricht zusammenhing. Eine gewisse Ähnlichkeit der Vokabulare mit dem „Lettus" wäre daher einer konzeptionellen Abhängigkeit aller drei Werke von lexikographischen bzw. didaktischen Quellen und Vorlagen gleichen Typs zu verdanken.
5.3.4. Ermittlung der lexikographischen Quellen anhand der lettischen Orthographie Bei der Bestimmung der lexikographischen Quellen in der deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Lexikographie ist die Orthographie der lettischen Sprache in den Wörterbüchern als ein Kriterium gelegentlich angeführt worden (Zevers 1935; Biese 1936; Jegers 1957; Zemzare 1961; Ozols 1965). Die Schlüsse scheinen aufgrund empirischer Beobachtungen, anhand identischer orthographischer Erscheinungen in Einzelfällen und anhand der Textstellen, die als Fehler beim Schriftsatz oder bei der Abschrift klassifiziert werden, gezogen
38
Der „Lettus" wurde von Manzel in den 30er Jahren in Dorpat verfaßt während seiner Amtszeit als Professor und Rektor an der dortigen Universität (Zemzare 1961: 11). Zur selben Zeit wirkte in Dorpat auch einer der bedeutendsten schwedischen Litaraten und Sprachforscher Georg Stiernhielm, der laut Kröslins (1990) während der Dorpater Zeit die Grundlagen für seine etymologischen Arbeiten über die schwedische Sprache ausgearbeitet hat. Mit Stiernhielm war Manzel nicht nur amtlich in Kontakt, sondern pflegte zu ihm auch freundschaftliche Beziehungen (KreslinS 1990: 532), wovon auch die Widmung Stiernhielms an den Verfasser vom „Lettus" zeugt. Zu dieser Verbindung mit Stiernhielm, dessen Ansichten möglicherweise auch Manzels Interesse für die lettischen Mundarten beeinflußt haben, wäre zu bemerken, daß Stiernhielm zum Ziel seiner linguistischen und literarischen Tätigkeit u.a. die Reinigung der schwedischen Sprache von unerwünschten Lehnwörtern setzte, wobei sein Verhalten den Fremdsprachen gegenüber differenziert war. Die Quellen für die Spracherneuerung sah er im Altnordischen und in den lebenden Dialekten (Stiernhielm 1643: Vorw.; vgl. Bergmann 1991: 126). Die an der Dorpater Universität verbrachte Zeit und der Kontakt mit Stiernhielm bieten möglicherweise Anhaltspunkte für eine in der Zukunft wünschenswerte Erforschung der Geschichte des „Lettus".
55 worden zu sein.39 Systematische Untersuchungen in bezug auf die Orthographie beider Sprachen in der betreffenden Lexikographie sind jedoch nicht bekannt. Die Meinungen der Forscher in Fragen der lettischen Orthographie sind geteilt, gewisse Widersprüche sind sogar im Rahmen einzelner Abhandlungen feststellbar. 40 Es läßt sich bezüglich der allgemeinen Entwicklung der lettischen Orthographie im 17. und 18. Jahrhundert eine Tendenz zu zwei teils unterschiedlichen Auffassungen feststellen. Laut der ersten Auffassung wird eine individuelle Vielfalt in den orthographischen Systemen vor dem Erscheinen der Bibel 1689 (dem Neuen Testament 1685) als eine charakteristische Erscheinung bei den Schreibern anerkannt. So hebt Dunsdorfs (1962: 434f.) fünf unterschiedliche orthographische Systeme im Lettischen als die wichtigsten für diesen Zeitraum hervor. Jedes System betrachtet er als dominant zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichem Ausmaß: 1) ein orthographisches System in den lettischen Texten vor Manzel; 2) ein von Manzel ausgearbeitetes orthographisches System (dominant in den protestantischen Schriften fast bis zum Ende des 17. Jahrhunderts); 3) das orthographische System von Fürecker (sehr unterschiedlich von Manzel, vertreten in den Schriften von Fürecker, doch nie in gedruckter Form); 41 4) das orthographische System von Elger, dem Verfasser des polnisch-litauisch-lettischen Wörterbuchs (Wiedergabe des Lettischen durch die polnische Orthographie, ergänzt durch einzelne Prinzipien der deutschen Orthographie); 5) das orthographische System des leitenden Bibelübersetzers E. Glück. Die Ansicht über eine vielfache Variation der Orthographie im 17. Jahrhundert vertreten auch Straubergs (1935) und Ozols (1965: 243). Erst seit dem Erscheinen der lettischen Bibel wurden die hier vorherrschenden orthographischen Prinzipien in die protestantischen Drucke übernommen. Die Rechtschreibung der Bibel behielt ihre Dominanz im 18. Jahrhundert (Karulis 1988: 540). Nach der zweiten Auffassung läßt sich der betrachtete Zeitraum grundsätzlich in zwei Entwicklungsetappen einteilen. Auch hier werden die 80er Jahre des 17. Jahrhunderts als die Wendezeit in Verbindung mit der ersten lettischen Bibelübersetzung von 1689 betrachtet (Augstkalns 1930: 116). Die Bibel trug sowohl zur Wortschatzerweiterung als auch zum Herausbilden der grammatischen und orthographischen Norm bei (Bergmane/Blinkena
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Als ein markanter Abschreibefehler wird von Zemzare ζ. B. ein lettischer Eintrag im polnischlitauisch-lettischen Wörterbuch von Elger exemplifiziert. S. darüber: Zemzare 1961: 64. Ozols (1965) betont die Autorität Manzels hinsichtlich der lettischen Orthographie in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts bis zur zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die Orthographie von Fürecker hatte sich trotz einer rationalisierten Graphematik und Rechtschreibung nicht zu etablieren vermocht. Die Übersetzer der ersten lettischen Bibel nahmen die Manzelsche Norm an (Ozols 1965: 152). Im weiteren spricht jedoch Ozols von der Orthographie-Schule Füreckers (Ozols 1965: 226) und von der Schule Füreckers und Adolphi (Ozols 1965: 264). Ozols schließt, daß der Einfluß Füreckers auf den Prozeß der Bibelübersetzung groß gewesen ist, da er als erster neue orthographische Muster angeboten hatte (Ozols 1965: 268). Die Orthographie von Manzel bewertet Ozols zuletzt als solche, die irgendwo auf dem halben Weg zwischen der Rechtschreibung vor Manzel und derjenigen geblieben sei, die dank der Schule von Fürecker/Adolphi durch Rechtschreibreformen erreicht und in die Bibelübersetzungen eingeführt wurde (Ozols 1965: 264). Ausführlich über die Orthographie von Fürecker s. Draviris 1957.
56 1986: 12). Der wesentliche Unterschied zur ersten Auffassung besteht darin, daß hier in bezug auf das 17. Jahrhundert die Manzelsche Tradition in der protestantischen Literatur deutlich hervorgehoben wird (s. Augstkalns 1930: 103; Karulis 1988: 550). Ohne auf die Problematik des in die Zuständigkeit der Baltistik fallenden Themas der Entwicklung der lettischen Orthographie näher einzugehen, werden im weiteren die bisherigen Erkenntnisse in bezug auf die betrachteten Wörterbücher zusammengefaßt und unter dem Aspekt ihrer Relevanz für die Quellenbestimmung ausgewertet. Manzel hatte laut Zemzare (1961: 16) die wesentlichen orthographischen Grundprinzipien der lettischen Schriftsprache 42 festgelegt, 43 die fast 300 Jahre vorherrschend waren. Dazu erkennt Bergmane (1986: 20) seine mangelnde Konsequenz bei der praktischen Umsetzung der eigens aufgestellten Prinzipien. Die Orthographie von Fürecker44 wird vor allem als eine Erweiterung der Prinzipien von Manzel angesehen (Dravins 1957: 81). Seine eigenen Prinzipien arbeitete er erst in den späteren Lebensjahren nach der Abfassung des Wörterbuchs heraus (Zevers 1935: 54). Auch Langius halte sich in Fragen der Orthographie an Manzel, doch in der Praxis sei er inkonsequent (Ozols 1965: 246). Biese (1936) meint dagegen, Langius verändere viel darunter auch die Schreibweise (Biese 1936: 480). Das Vokabular von 1688 demonstriert laut Zemzare (1961: 91) eine völlig unentwickelte lettische Orthographie, da Dressel, dem sie die Autorschaft zuschreibt, ein eingewanderter Deutscher war (Zemzare ebd.). Jegers (1957: 35) glaubt, daß wenigstens der lettische Teil des Vokabulars keine gedruckte Vorlage gehabt hat. Die Orthographie ähnelt mehr den ersten lettischen Büchern aus den Jahren 1585-1616, doch sie unterscheidet sich stark von der Schreibweise in der von Dressel45 verfaßten Grammatik der lettischen Sprache (1685) (Jegers 1957: 26). Das Vokabular stellt möglicherweise eine fehlerhafte Abschrift einer früheren Handschrift dar (Jegers 1957: 36). Dresseis Anteil an der Abfassung des Vokabulars, wenn überhaupt, war rein formal (Jegers ebd.; Zevers 1935a: 439). 46
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45 46
Der Begriff'Schriftsprache' wird in der vorliegenden Arbeit nur in Referenzen und Zitaten angewandt. Gewöhnlich impliziert er in der herangezogenen Forschungsliteratur eine Standardversion der Sprache. Bergmane (1986: 20) zählt als die wichtigsten folgende Prinzipien auf: 1) Einfuhrung mehrerer Buchstaben mit diakritischen Zeichen fur eine genauere Wiedergabe der lettischen Phoneme; 2) Festlegung einer bestimmten Funktion bei der Darstellung der Phoneme im Unterschied zu dem polyfijnktionalen Einsatz der Buchstaben und deren Häufungen in der alten Orthographie; 3) Tendenz zu einer konsequenten Bezeichnung der Vokallänge; 4) Einführung des morphologischen Orthographieprinzips neben dem phonetischen Prinzip. Seiner Hand werden einzelne Teile (von Anfang bis „kreet" und ab „snaust" bis zum Ende) der 1. Abschrift des Wörterbuchs zugeschrieben (Zevers 1935: 53; Straubergs 1936: 635f.), doch diese Frage ist nicht endgültig geklärt (Fennell 1997: 3). Vgl. auch Zemzare 1961: 73 u. 77. Die sprachliche Kompetenz von Dressel hat auch Straubergs bewiesen (1935: 241). Die Ansicht von der Autorschaft Dresseis hat sich seit Napiersky eingebürgert (Zevers 1935a: 439; Jegers 1957: 25). Vgl. „Allgemeines Schriftsteller- und Gelehrten-Lexikon der Provinzen Livland,
57 Depkin ist als ein guter Kenner der lettischen Sprache eingeschätzt worden (Biezais 1954: Nachwort). Das Manuskript seines Wörterbuchs ist ein Beleg für eine seinerzeit modernisierte Orthographie (Biezais ebd.). Das Wörterbuch von Elvers weist nach wie vor viele Fehler und „unlettische" Wortgruppen auf (Ozols 1965: 347), doch die lettische Schreibweise zeichnet sich bei ihm durch eine größere Korrektheit im Vergleich zu den Wörterbüchern des 17. Jahrhunderts aus (Zemzare 1961: 113; Ozols 1965:347). Eine nähere Charakteristik der lettischen Orthographie von Stender gibt Karulis (1988), jedoch in bezug auf ein nichtlexikographisches, 1796 verlegtes Werk: „Ta wezza Stendera Augstas Gudribas Grahmata [...]" (Karulis 1988: 550ff.). Stender folgt im wesentlichen der von Manzel begründeten und von den späteren Autoren „präzisierten Orthographie"; gleichzeitig sind bei ihm kleinere orthographische Veränderungen feststellbar (Karulis 1988:550). Die Meinungsunterschiede, insofern die lettische Orthographie in den Wörterbüchern von mehreren Forschern thematisiert wird, sind immer wieder auf die Kernfrage zurückzuführen, ob und inwieweit die lexikographischen Werke die Manzelsche Orthographie widerspiegeln. Die in der vorliegenden Arbeit gestellte Frage betrifft in erster Linie das Problem der Auswertung der orthographischen Merkmale in den Wörterbüchern bei der Quellenbestimmung. In diesem Zusammenhang scheint die Erkenntnis, daß die späteren Autoren mehr oder weniger der von Manzel eingeführten lettischen Rechtschreibung folgten, keinen Anlaß zur Behauptung von der Benutzung des „Lettus" als lexikographische Quelle zu bieten, da es nicht die einzige Veröffentlichung von Manzel darstellt. Überzeugender dürften die eventuellen Abschreibefehler wirken, doch ihre systematische Erfassung ist mir aus der betreffenden Forschungsliteratur nicht bekannt. Kaum beachtet in den Wörterbüchern ist die Rechtschreibung der deutschen Einträge, die nicht selten Unterschiede aufweisen wie etwa in einem zufällig, ursprünglich bei Manzel, gewählten Abschnitt mit 16 Lemmata {Aal - außgab): G. Manzel:
L. Depkin:
C. Elvers:
Vokabular im „Lettus"
Wörterbüchlein (1705)
Liber memorialis letticus
Ameiß/ Skuddra.
Die Ameise Τα Skuddra
Armuth/ Nabbadsieba
Die Armuht Ta Nabbadsiba
armuht
außgab/ ißdoschana
Die Außgabe Ta
ausgabe
Isdohschana
ameiß Skudra Nabbadsiba Isdohschana
Tab. 8: Ein Beispiel zur Rechtschreibung der deutsch-lettischen Einträge in den Wörterbüchern von G. Manzel (1638), L. Depkin (1705) und C. Elvers (1748)
Esthland und Kurland" bearbeitet von J.F. v. Recke und K.E. Napiersky. 1827-1861 Mitau: J.F. Steffenhagen und Sohn (= Nachdruck Berlin: Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung 1966,1:451).
58 Solche und ähnliche Fälle zeigen, daß die Orthographie sich erst dann als ein besonderes Kriterium für eine sichere Quellenbestimmung in der zweisprachigen Lexikographie eignet, wenn es auf beide beteiligten Sprachen angewandt wird. An einzelnen orthographischen Merkmalen nur einer Sprache festgehalten, kann es zu einer inadäquaten Einschätzung der Quellen führen. In der deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Lexikographie des 17./18. Jahrhunderts ist der Einfluß der Manzelschen Rechtschreibung im Lettischen nicht zu leugnen, doch als ein Beleg für den Einfluß des „Lettus" auf die spätere lexikographische Entwicklung ist er als ein Kriterium beim jetzigen Forschungsstand nicht geeignet.
6. Empirische Beschreibung des Lexikons von Jacob Lange
Das Lexikon von Lange ist nach dem „Lettus" (1638) von Manzel, dem „Liber memorialis letticus" (1748) von Elvers und dem „Lettisches Lexicon" (1761, zweite Auflage 1763) von Stender das vierte und umfangreichste edierte zweisprachige Wörterbuch mit Deutsch und Lettisch im Sprachenpaar. Zum ersten Mal in der deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Lexikographie erschien ein zweiteiliges Wörterbuch mit etwa 15 000 Lemmata im deutschlettischen Teil und etwa 10 000 Lemmata im lettisch-deutschen Teil (Zemzare 1961: 130). Die Arbeit am Lexikon wurde schon 1739/1740 begonnen (Lange 1777: Vorr. IV), 1755 lag eine handschriftliche Fassung vor, doch wegen einer langjährigen Verzögerung in der Edition erschienen beide Teile erst 1777. Das fertig gedruckte Werk zeigt im Vergleich zur Handschrift gewisse lexikalische Veränderungen, doch der Aufbau des Lexikons und die Prinzipien der Wortschatzdarstellung bleiben die gleichen. 1 Aus lexikographischer Sicht sowie im Hinblick auf seinen deutschen Wortschatz ist das Lexikon unzureichend erforscht: Zemzare hat vor allem den lettischen Wortschatz untersucht; die lexikographische Beschreibung umfaßt knappe sechs Seiten, wovon drei auf die Abbildungen des Lexikons und des Manuskripts entfallen (s. Zemzare 1961: 130-135). Roze (1977: 154f.) schildert kurz die Editionsgeschichte des Lexikons und Smidts (1912: 1 Off.) hat einen Teil des lettischen Wortschatzes bezüglich der dialektalen Besonderheiten analysiert. Dieses Kapitel ist der lexikographischen Beschreibung des Lexikons gewidmet. Es werden folgende Aspekte näher erörtert: 1) die lexikographische Konzeption des Verfassers (dem Vorwort entnommen); 2) die lexikographische Praxis des Verfassers und seine Methoden der Wortschatzbearbeitung wie - Einrichtung des Werkes (Makro- und Mikrostruktur), - Bedeutungs- bzw. Äquivalenzdifferenzierung, - linguistische und enzyklopädische Angaben zum Wortschatz; 3) das Lexikon als ein passives und aktives Übersetzungswörterbuch aus heutiger Sicht.
6.1. J a c o b L a n g e s konzeptionelle „ V o r r e d e "
Da in dieser Untersuchung die theoretische Konzeption des Verfassers und nicht das Vorwort als eine Textsorte im Mittelpunkt der Betrachtung steht, wird sie im folgenden thematisch systematisiert. Die inhaltliche Gliederung in der „Vorrede" wird nicht immer strikt eingehalten. Langes Wörterbuchkonzeption erfaßt folgende Themenkreise:
1
Zemzare (1961: 130f.) meint, daß die Edition des Lexikons nach einem späteren, zum Teil ergänzten Manuskript als dem von 1755 erfolgt ist.
60 1) sprachliche, allgemeinbildende und pädagogische Relevanz des Lexikons für seinen Benutzer; 2) Langes Begriff der Vollständigkeit in der Lexikographie und im Lexikon; 3) linguistische Erkenntnisse als Grundlage der Wortschatzerfassung und -darstellung.
6.1.1.
Sprachliche, allgemeinbildende und pädagogische Relevanz des Lexikons
Lange sieht sein Lexikon als ein linguistisches Werk zum Erwerb und zur Verbesserung der sprachlichen Kompetenz sowie als Medium zur Vermittlung enzyklopädischen Wissens. Linguistisch soll es dazu beitragen, daß die lettische Sprache von den Nicht-Muttersprachlern „recht und rein" (Lange 1777: Vorr. IV) gesprochen wird. Die enzyklopädische Information - die geographischen Benennungen, die Namen der mythologischen Gestalten und die Angaben zu ihrer Etymologie - ist vor allem an „Topographen und Liebhaber unserer Alterthümer" gerichtet (Lange 1777: Vorr. X), doch gleichzeitig kann sie, besonders in Fragen der lettischen Mythologie, auch in der gerichtlichen Praxis von Nutzen sein, denn „bey Gerichten, auf Kirchenvisitationen kommen oft Hexenproceße, und anderer altvaterischer Aberglaube vor" (Lange 1777: Vorr. XIII). So bietet Lange sein Werk jeder deutschsprachigen und kulturhistorisch interessierten Person an, die sich durch die angebotenen Möglichkeiten zur linguistischen und enzyklopädischen Kompetenzerhöhung angesprochen fühlt. Lange appelliert besonders an die Lehrer der lettischen Nation, wobei der Name „Lehrer" als 'Pastor' zu deuten wäre, ζ. B., wenn er sich auf die livländischen Kirchengesetze beruft, die „das Gewissen jedes Lehrers [verbinden], die Sprache, worinn gepredigt wird, recht und rein zu reden" (Lange 1777: Vorr. IV). Als mögliche Benutzer unter den Pastoren werden vor allem diejenigen angesehen, die ihr Amt anzutreten haben (Lange ebd.). Gute Lettischkenntnisse werden von Lange als eine Voraussetzung für ein viel höher gesetztes Ziel betrachtet - für die Aufklärung der Letten: „Wir haben ein Volk vor uns, das aus dem Groben soll heraus gearbeitet, aber auch erleuchtet werden, [...] wie es nach ihrem Stande ihr Glück für zwo Welten machen solle" (Lange ebd.). So wird eine indirekte Relevanz des Wörterbuchs in der religiösen als auch in der pädagogischen Tätigkeit der deutschen Pastoren hervorgehoben.2
6.1.2. Jacob Langes Begriff der Vollständigkeit in der Lexikographie und im Lexikon Lange nennt sein Werk ein „vollständiges" Lexikon. Auf eine genaue Begriffsdefinition geht er nicht ein, so daß seine Vorstellungen von einem vollständigen lexikographischen Werk erst über eine Systematisierung seiner Äußerungen nachvollziehbar werden. Für die Abfassung eines „vollständigen" Werkes benötigt man vor allem eine entsprechende lexikographische Basis - gute Wörterbücher. Unter Vollständigkeit in der Lexikographie versteht Lange die Darstellung einer Sprache über die notwendigen „Bestandteile", „die zum Ganzen eines Wörterbuchs gehören" (Lange 1777: Vorr. III).
2
Näheres über die Aufgaben und Tätigkeit der deutschen Pastoren s. Hupel 1 7 9 0 : 400ff.
61 Die im Vorwort aufgezählten und zum Teil linguistisch begründeten „Bestandteile" erweisen sich als Grundsteine seiner lexikographischen Konzeption: sie betreffen den Wortschatz und die Elemente der Makro- und Mikrostruktur. Der Verfasser bemerkt, daß diese „Bestandteile [...] wohl eingerichtete Lexika in andern Sprachen haben" (Lange 1777: Vorr. VII). In der Frage nach einer optimalen Erfassung des Wortschatzes bezieht sich Lange in erster Linie auf die lettische Sprache im Lexikon, wonach die „Vollständigkeit" durch die Aufnahme bestimmter lexikalischer Einheiten erreicht wird: 1) nach der territorialen Verbreitung und Herkunft: Wörter der „Provinzialdiaiekte", gebräuchliche Lehnwörter (vor allem aus der deutschen und aus der benachbarten litauischen Sprache) sowie Wörter und Ausdrücke, die im allgemeinen Sprachgebrauch selten 3 vorkommen; 2) nach der Thematik und den Erhebungsquellen: geographische Benennungen, 4 „Pflanzen, Kräuter, Spezereyen", biblische Wörter und Ausdrücke, Wörter und Ausdrücke der lettischen Mythologie; 3) nach der morphologischen und lexikalischen Form: Stämmlinge und Abstämmlinge, Idiotismen 5 sowie „Sprüchwörter und eigentliche Letticisme 6 ". Der deutsche Wortschatz wird durch solche lexikalischen Einheiten erweitert, die spezifisch für den deutschen Sprachgebrauch in Kurland und Livland sind (s. Kap. 6.1.3.). Zur Vollständigkeit auf der Ebene der Makrostruktur trägt vor allem die Zweiteiligkeit des Wörterbuchs bei, wodurch die beteiligten Sprachen jeweils als Ausgangssprachen dargeboten werden. Der erste, deutsch-lettische, Teil wird als ein synthetisches Wörterbuch konzipiert, der zweite, lettisch-deutsche, Teil als ein analytisches Wörterbuch. Die Termini „synthetisch" und „analytisch" entsprechen der Terminologie in den damaligen Grammatiken 7 (Lange 1777: Vorr. VII) und werden auch von anderen Wörterbuchverfassern des
3
Den Begriff 'selten' und die entsprechende Abbreviatur „(*)" bezieht Lange einerseits auf den in der Bibel vorkommenden Wortschatz (Lange 1777: Vorr. IX); im übrigen handelt es sich um selten vorkommende Lexeme in allen Fällen, wenn sie mit einer x-beliebigen Anmerkung zum dialektalen Gebrauch oder zur Herkunft versehen sind (Lange 1777: Abbreviaturen). Da aber in der Auslegung der Abbreviaturen ein inhaltlicher Widerspruch festzustellen ist, wenn unter der Hauptanmerkung „(*) seltene Wörter:" die Abbreviatur „(D)" als „aus dem Deutschen genommene, aber schon naturalisirte algemein bekante Wörter" erklärt wird (Lange 1777: Abbreviaturen), können auf dieser Beschreibungsebene keine konkreten Ursachen für den Gebrauch des Hinweises „selten" geklärt werden.
4
Unter den geographischen Benennungen fallen die Benennungen für „Gegenden, Städte, Schlösser, Höfe, Flüsse, Landseen, Gebirge, Wälder" (Lange 1777: Vorr. X). „Idiotismen", „Sprüchwörter" und „eigentliche Letticisme" betrachtet Lange als getrennte Begriffe, doch sie werden nicht näher definiert. Die „Idiotismen" sind laut Lange in den Sprichwörtern erkennbar, und sie helfen „die Charakteristick [der lettischen] Nation und ihrer Sprache entdekken" (Lange 1777: Vorr. VIII).
5
6 7
s. Fußnote 5. „Synthesis - Zusammenfugung, Verbindung, Vermischung. Synthetisch - durch (künstliche) Zusammensetzung. Die synthetische Lehrart fängt von den Erklärungen und Grundsätzen an, und schließt aus diesen so lange fort, bis man endlich durch eine ununterbrochene Folge auf diejenige
62 18. Jahrhunderts benutzt, ζ. Β. von Weismann im „Lexicon bipartitum" (1741). 8 Die nach dem synthetischen Prinzip angelegten Wörterbücher vermitteln kein vollständiges Bild über die Zielsprache. Dieser Mangel wird deswegen durch einen analytischen lettisch-deutschen Teil behoben. Hier „löset man die lettischen Worte bis zu ihrem Grundworte auf, beweiset aus diesem, wie weit die figürliche und uneigentliche Bedeutung der Wörter gehen können" (Lange ebd.). Daher sei die „Cellarianische Art [...] der einzige veste Grund", um die lettische „Sprache kennen zu lernen" (Lange 1777: Vorr. XII). Die Wortschatzanordnung in Nestern, besonders im lettisch-deutschen Teil, soll durch die Sublemmata - Ableitungen, Zuammensetzungen - die Wortbildungsmöglichkeiten und die damit verbundene Bedeutungsentwicklung des Eingangslemmas demonstrieren; die Wendungen und Sprichwörter sollen den kontextuellen, vor allem den phraseologischen, Gebrauch veranschaulichen. Die Vollständigkeit auf der Ebene der Mikrostruktur verbindet der Verfasser mit einer ausführlichen linguistischen und etymologischen Information über die lettische Sprache: 1. Von den grammatischen Interpretamenten sollen die Demonstrativpronomen (fur die Bezeichnung des grammatischen Geschlechts, des Numerus der Substantive) und die Haupttempora (Präsens, Imperfekt, Perfekt, Futurum) der unregelmäßigen Verben eingesetzt werden. 2. Der mundartliche Gebrauch, die Herkunftssprache eines Lehnwortes und der biblische Wortschatz werden durch die in Klammern gesetzten Abbreviaturen nach dem Bezugswort markiert. 3. In Problemfällen bei der Wahl eines lettischen Äquivalents, besonders bei den Benennungen für Kräuter, denn „dieses eine Kraut wird in diesem Kirchspiel so, im andern anders genannt" (Lange 1777: Vorr. XI), sollen lateinische oder griechische Äquivalente herangezogen werden. 4. Etymologische Betrachtungen gelten vor allem den Toponymen und „der alten Mythologie oder Sybillensprache" (Lange 1777: Vorr. X) - den heidnischen Bräuchen und Prophezeihungen der Letten. Für die Beschaffung der notwendigen linguistischen Information über die lettische Sprache empfiehlt der Verfasser, beide Wörterbuchteile zu nutzen. Den Stand der orthographischen Darstellung des Lettischen erkennt Lange noch als mangelhaft. Er will sich deshalb an die Orthographie der lettischen Bibelübersetzung halten, da „sie bis jetzt als ein classisches Buch der lettischen Sprache betrachtet werden kann" (Lange 1777: Vorr. XIII).
Sätze selbst kommt, die man beweisen will; im Gegens. der analytischen Lehrart, bei der man von dem Satze selbst anfängt, der erwiesen werden soll" (Moritz 1800: 119). „Analyse [...] : Auflösung, Entwicklung, oder Auseinanderlegung eines Ganzen in seine Theile, um die innere Natur und Beschaffenheit eines Gegenstandes zu enthüllen. Die analytische oder auflösende Methode oder Lehrart ist der synthetischen oder zusammensetzenden Methode oder Lehrart entgegensetzt" (Moritz 1793: 122). „Ex Nominibus Propriis, quae in Sectione II. Partis primae Analyticae sequuntur [...]", „Quod Partem II. hujus Lexici Syntheticam concernit [...]" (Weismann 1741: Praefatio).
63 6.1.3. Jacob Langes linguistische Erkenntnisse als Grundlage fur die Wortschatzerfassung und -darstellung Die Gründe für die Erfassung bestimmter Wortschatzteile und die Prinzipien ihrer Darstellung werden von Lange linguistisch motiviert. Der Verfasser spricht von ,,gewisse[n] kritische[n] Grundsäzze[n]" (Lange 1777: Vorr. VI), die er infolge einer zielgerichteten Beschäftigung mit der lettischen Sprache festgestellt hat. Diese hat er als „die Fürschrift und die Methode" angewandt, um „an einem nuzbaren lettischen Lexikon zu sammlen" (Lange 1777: Vorr. VII). Ebenso weist er auf einzelne sprachliche Besonderheiten des Lettischen und des Deutschen in Kurland und Livland hin, die im Lexikon dargestellt werden sollten. Lange führt drei „Grundsäzze" an, von denen zwei der territorialen Erfassung des Wortschatzes gelten und der dritte die linguistische Wortschatzanalyse betrifft: 1) Lokalisierung der „reinestefn] und beste[n]" Sprachvarietäten auf die „Mitte von Cur= und Liefland" mit der Begründung, daß alle Sprachen „in der Mitte ihres Landes am reinesten [bleiben]", weil sie dort von fremden sprachlichen Einflüssen am wenigsten betroffen werden (Lange 1777: Vorr. VI); 2) Akzeptanz der dialektalen Besonderheiten, darunter auch der Entlehnungen, als einer objektiven Folgeerscheinung der unterschiedlichen „Landesart", „Lebensart", „Wirtschaft" und der „Gesezze" und die Befürwortung ihrer Aufnahme in ein „allgemeinefs] Lexikon" (Lange ebd.); wobei als ein Kriterium für die Aufnahme der Entlehnungen in das Lexikon der aktuelle Sprachgebrauch gilt; 3) linguistische Analyse bei der Bedeutungsbestimmung und -darstellung der Lexeme: „Eine vernünftige Analyse der Stammworte und ihrer Abstämmlinge, kann von den ersten eine richtige, gewisse, und analogische Bedeutung leiten, der der jezzige Gebrauch das Siegel des Ansehens und der Gewißheit giebt" (Lange 1777: Vorr. VII). Die Aufnahme bestimmter Wortschatzteile in das Lexikon wird von Lange nachdrücklich betont. Zu diesen zählen vor allem „Idiotismen" (Lange 1777: Vorr. VIII) und gebräuchliche Entlehnungen im Lettischen (Lange 1777: Vorr. XI). Bezüglich der deutschen Sprache in Kurland und Livland wird auf nicht näher erläuterte Besonderheiten hingewiesen - sein Lexikon enthält „einige Artikul, die sich in andern Sprachen und deren Wörterbüchern nicht finden". Lange führt folgende Beispiele an: „Badstube, Kleete, Riege, Rödung, Kittus, Talkus" 9 (Lange 1777: Vorr. XI). Die „Reinigkeit" der deutschen Sprache in Kurland und Livland ist laut Lange wegen solcher Wortschatzbestandteile nicht zu diskutieren. Anderenfalls sollte zuerst „die Nation, das 9
Masing (1926) betrachtet das Wort Riege 'Scheune, Korndarre' als ein slawisches oder lettisches Lehnwort, Klete 'Scheune' als ein möglicherweise slawisches Lehnwort in der Umgangssprache der baltischen Deutschen (Masing 1926: 58). Meder (1961) sieht das Wort Küttis 'eine Art der Rödung' als eine Entlehnung aus dem Estnischen (Meder 1961: 1). Hupel (1795) notiert Badstube mit zwei Bedeutungen 'ein zum Schwitzbade eingerichtetes Zimmer' und 'eine kleine elende Bauerwohnung' (Hupel 1795: 14). Die erste Bedeutung kann laut Masing (bei Masing 'öffentlicher bedachter und heizbarer Raum für Wannenbäder') auf das Niederdeutsche zurückgeführt werden (Masing 1926: 56), die zweite Bedeutung wird von ihm nicht verzeichnet. Das Wörterbuch der lettischen Literatursprache bestätigt die bei Hupel angeführte zweite Bedeutung des lettischen Äquivalents zur Badstube fur das 19. Jahrhundert: s. pirts (LLVV 1987, 6 2 : 227).
64 Land und dessen Art [...] umgeschaffen werden" (Lange 1777: Vorr. XI). Diese Beispiele erlauben vorerst die Vermutung, daß Lange die Besonderheiten in der deutschen Sprache eventuell in Verbindung mit Entlehnungen aus den Kontaktsprachen und mit Bedeutungsveränderungen der deutschen Lexeme gesehen hat.
6.2. A u f b a u des Lexikons
6.2.1.
Makrostruktur
Im deutsch-lettischen Teil ist die alphabetische Wortschatzanordnung vorherrschend. Der erste, teilweise täuschende Eindruck von einem nestalphabetischen Aufbau entsteht durch Einschübe enzyklopädischen Charakters und durch eine häufig fehlende Abgrenzung zwischen den Sublemmata und den Artikelteilen zum Eingangslemma. Doch nicht selten werden im Nest sowohl lexikalisch als auch semantisch bedingte Sublemmata verzeichnet: Eisen das, ta dselse. = Brenneisen, tas dedseklis. = Rost, ta ruhsa. = Schlakken, tee sahrni (Sp. 203).
Gelegentlich wird die Makrostruktur des Wortnestes durch Subintegrate (Elemente der Mikrostruktur) aufgelockert, die keinen direkten Bezug zum Eingangslemma aufweisen: Bach der, ta uppe. = Regenbach, ta tschurga, tas palts. = = rauschen wie ein angeschwollener Regenbach, tschurgsteht (Sp. 110).
Im lettisch-deutschen Teil ist der nest- und nischenalphabetische Aufbau viel ausgeprägter. Als Eingangslemmata werden häufig die vom Verfasser als Stammwörter eingeschätzten Lexeme verzeichnet. Diese Praxis entspricht dem konzeptionellen Ziel, demzufolge der Benutzer über „eine vernünftige Analyse der Stamworte und ihrer Abstämlinge" zu ihrer Bedeutung geleitet wird (Lange 1777: Vorr. VII). Die Sublemmata sind in keiner festen Reihenfolge angeordnet, was sowohl von Nischen als auch von Nestern bei Lange sprechen läßt: Isbaile ta, große Angst und Schrekken. isbailigs, sehr bange. isbailotees, sehr bange und angst seyn (Sp. 133): Nische. Kahpt =pju =pu =pis, steigen, kahpa, ein steiler Ort. [...] kahpe, eine Art Raupen, kahpeleht, klettern, kahpeklis tas, ein Fußtritt, kahpslis tas, ein Steigbügel, kahpinaht, steigen lassen. kahptees, auffahren, It. springen wie ein Hengst (Sp. 139): Nest.
65 6.2.2. Mikrostruktur Beide Lexikonteile weisen gleiche Bauteile auf der Ebene der Mikrostruktur auf: grammatische, enzyklopädische Angaben, Hinweise zur Wörterbuchnutzung u.a. Als lexikalische Mittel zur Wortschatzdarstellung werden sie im Kap. 6.3. behandelt. In diesem Unterkapitel wird erörtert, ob und welchen Prinzipien Lange bei der Anordnung des Wortschatzes folgt. Kipfer (1984) führt drei Prinzipien an, die für die Bedeutungsdarstellung in einsprachigen Wörterbüchern angewandt werden: 1) nach der Frequenz im Sprachgebrauch; 2) nach einem Kernprinzip der Gruppierung, ζ. B. nach Grundbedeutungen und metaphorischen Bedeutungen, nach einem logischen Prinzip oder nach einem psychologisch sinnvollen Prinzip; 3) nach einem historischen Prinzip (Kipfer 1984: 101 ff.). In einem zweisprachigen Wörterbuch wären theoretisch dieselben Prinzipien bei der Wortschatzanordnung der Ausgangs- oder Zielsprache anzuwenden, doch bei Lange sind solche nur ansatzweise realisiert, ζ. B. durch die Gruppierung von der Grundbedeutung zur metaphorischen Bedeutung: Aufgeblasen, uspuhsts. =stolz, uszillihgs (Sp. 82).
Die Reihenfolge der Information wird gelegentlich durch semantische oder situative Assoziationen bestimmt: Ameise die, tas skudrs. = kleine schwarze, tahs mihseles. = diese sind den Bäumen und Blüten schädlich, = um sie davon abzuhalten, schmieret man die Bäume unten mit Harz und Theer, tad mihseles newarr kahpt (Sp. 55).
kohkijaswekko
Das qualitative und quantitative Informationsangebot zu Lemmata ein und derselben Wortklasse unterscheidet sich stark, und es kann diesbezüglich keine Konsequenz im Lexikon festgestellt werden. Im deutsch-lettischen Teil sind linear geordnete Artikel mit einer oder mehreren nacheinander gereihten Informationseinheiten oder hierarchisch gegliederte Artikel vorhanden, in denen die Anordnung jeder Informationseinheit meistens absatzweise erfolgt: (1) lineare Artikel mit einem oder mehreren Äquivalenten: Erbitten, isluhgt. Erbittert, sihws, saskaitees (Sp. 210).
(2) hierarchische Artikel mit Verteilung des Lemmas auf verschiedene kontextuelle Umgebungen: Abfressen, no=ehst. = das Herz, sirdsdehstotees. = die Wiesen, plawas noganniht. = das haben die Mäuse abgefressen, tas irr pellu isehdas (Sp. 18).
66 Wie das Beispiel aus dem lettisch-deutschen Teil veranschaulicht, können beide Formen des Artikels (auch im deutsch-lettischen Teil) zum Eingangslemma vorhanden sein: Ahda ta. die Haut, Fell, Leder, prov.jauna plahna ahda lehtipa eet kassama! Schönheit ist vergängl! ahdains, häutig, ahdu mihi gerben, ahdminnjs tas der Gerber (Sp. 4). Wie man sieht, haben die Sublemmata und andere Elemente des Artikels zum Eingangslemma nicht immer einen vorbestimmten Platz im Wortnest.
6.3. M e t h o d e n d e r W o r t s c h a t z d a r s t e l l u n g bei J a c o b L a n g e
In diesem Unterkapitel gilt die Aufmerksamkeit den lexikalischen Mitteln zur Wortschatzdarstellung. Es wird gezeigt, wie Lange bei der Bedeutungsdifferenzierung des Lemmas zur Äquivalentenbestimmung verfährt, zu welchen Zwecken die Metasprache eingesetzt wird und welche Rolle die enzyklopädische Information im Lexikon spielt.
6.3.1. Bedeutungs- bzw. Äquivalenzdifferenzierung im deutsch-lettischen Teil des Lexikons In Verbindung mit dem Gebrauch der „Germanismen" im Lettischen wird schon im Vorwort die Problematik der semantischen Äquivalenz zwischen Deutsch und Lettisch angesprochen. Der Hinweis, man solle nicht „den uneigentlichen Gang lettischer Wörter nach dem Deutschen messen" und die Beispiele fur die aus dem Gebrauch der „Germanismen" resultierenden Mißverständnisse (Lange 1777: Vorr. Vllf.) zeugen von der Einsicht in die Problematik und von der Auffassung, daß die im zweisprachigen Wörterbuch einander gegenübergestellten Lexeme keine vollständig adäquaten Größen sind (vgl. Hausmann 1977: 55). 10 Deshalb wird die Wahl eines adäquaten lettischen Äquivalents häufig durch eine genauere Bedeutungsdifferenzierung sowohl auf der Ebene der Makrostruktur als auch auf der Ebene der Mikrostruktur vorbestimmt. Nach einer allgemeinen empirischen Beobachtung im lettisch-deutschen Teil kann darauf geschlossen werden, daß hier der Bedeutungsdifferenzierung der Lemmata und der Äquivalente kein entsprechend hoher Wert wie im deutsch-lettischen Teil beigemessen wird. Die möglichen Gründe dafür sind sowohl in der Nutzung der Vorlagen als auch in den konzeptionellen Richtlinien fiir diesen Wörterbuchteil zu vermuten (s. Kap. 6.4.2.). Da im lettischdeutschen Teil des Lexikons der lettische Wortschatz in den Vordergrund rückt, wurde im Rahmen der vorliegenden Arbeit darauf verzichtet, den bedeutungsdifferenzierenden Zugang zu diesem Sprachmaterial genauer zu untersuchen.
10
Zum Thema „Äquivalenztypen" s. Kromann/Riiber/Rosbach 1984: 188ff.; Dudau.a. 1986: 38ff.
67 Auf der Ebene der Makrostruktur greift Lange zu solchen Mitteln wie 1) eine wiederholte Lemmatisierung derselben lexikalischen Einheit; 2) ein Lemma mit Kontextangabe oder Mehr-Wort-Einheiten." Wiederholte Lemmatisierungen sind in folgenden Fällen feststellbar: (la) bei den Homonymen wie Acht, astoni (Zahlwort) Acht, in acht nehmen, wehrä nemt jeb likt (Substantiv) (Sp. 46)
(lb) bei polysemantischen Lexemen wie Anstand, Stillstand, tas pameers. Anstand guter, ta peeklahjiba; peeklahjums (Sp. 69).
(lc) Die Gründe für eine mehrmalige Lemmatisierung können auch in der Divergenz (s. Hausmann 1977: 55) liegen: Rinde am Brod, tas garrosis. Rinde am Baum, missa, siehe: Bork (Sp. 439).
(2) Die Bedeutungsdifferenzierung erfolgt durch eine Kontextangabe zum Lemmawort Anfahrt für Schiffe, peelaischanas weeta (Sp. 69) Durchschlag zum durchsieben, tas kahstaws {Sp. 189).
Zur Bedeutungsdifferenzierung auf der Ebene der Mikrostruktur dienen am häufigsten: 1) Wortverbindungen mit dem Lemma; 2) Paraphrase des Lemmas; 3) Hinweise zum Äquivalent. (1) Die Wortverbindungen im Artikel dienen dazu, unterschiedliche semantische Merkmale des Eingangslemmas hervorzuheben und werden meistens in die Zielsprache mitübersetzt: Ablassen, atlaist. = den Teich, uhdini notezzinaht. ('leerlaufen lassen') = den Rand vom Hut, zeppuri platmsllulaist}2 ('nach unten herablassen') = von der Arbeit, darbu meera mest ('aufhören, etwas zu tun') (Sp. 27)
oder sie exemplifizieren den Kontext, der die Wahl des lettischen Äquivalents im Fall der Divergenz bestimmt: Anfüllen, peepildiht. = Würste, dessas deht. = Kuchen mit Fülsel, applaht plahzeni. = ganz voll, peetuhzeht (Sp. 60).
" Lemmata mit Kontextangaben sind nach Hausmann/Werner als lemmatisierte „Mehr-WortEinheiten" (1991: 2731) zu verstehen. Der Begriff 'Kontextangabe' bezieht sich auf die Fälle, in welchen die Ergänzung unübersetzt bleibt. Dann ist die funktionale Rolle des Kontexts nur auf eine semantische Einschränkung des Lemmas zu beziehen. 12 Ein Fehler im Buchstabensatz: eventuell „platmallu laist".
68 (2a) Unter den Begriff 'Paraphrase' fallen hier semantisch differenzierende Glossen wie Synonyme, Hyperonyme, Hyponyme und die Bedeutungserklärungen wie zum Verb Auskommen - viel unter Leute gehen (Sp. 9 9 ) . n Daher gilt hier als ein Beispiel die folgende lexikographische Einheit: Raison, Ursach, ta waina. = Vernunft die, tas prahts (Sp. 429). Beide Methoden - Wortverbindungen und Paraphrasen - können gleichzeitig in einem Artikel angewandt werden: Ringen, zihnitees. = die Hände, rohkas schnaudsiht. (Wortverbindung) = wornach streben, laustees, wirsu nahwitees (Paraphrase) (Sp. 439). (3) Bezüglich der lettischen Äquivalente werden nicht selten satzartige metasprachliche Hinweise zur sprachlichen Stilebene (wenn es ein Scheltwort ist (Sp. 10, unter Aas das)) oder zum Denotat (von der Kazze sagt man (Sp. 26, unter Abkrazzen)) u.ä. eingesetzt, um eine adäquate Wahl im Fall der Divergenz oder der Konvergenz zu sichern: Aufsperren, atplehst. = das Maul, mutti plahtiht. Dieses heißtauch: das Maul brav gebrauchen (Sp. 88) Confiscation die, ruhkis, heist auch militärische Execution (Sp. 168).
6.3.2.
Metasprache und ihre Einsatzbereiche
Die metasprachlichen Angaben im Lexikon erfolgen meistens in lateinischer oder in deutscher Sprache. Auch einige lettische Angaben können als metasprachlich betrachtet werden. 14 Jede Sprache wird tendenziell zur Vermittlung unterschiedlicher Informationen eingesetzt.
13
14
Der Gebrauch des Begriffes 'Paraphrase' unterscheidet sich von dem bei Wiegand (1984) insofern, als Wiegand die Begriffe 'Synonym' und 'Paraphrase' ('lexical paraphrase') auseinanderhält und beide dem Begriff 'lexikographische Bedeutungserklärung' ('lexicographical explanation of meaning') unterordnet oder beide letztgenannten Begriffe als Synonyme verwendet (Wiegand 1984: 20f.). Da in der vorliegenden Untersuchung die konkrete Art der Bedeutungsdifferenzierung - ob durch ein Vollsynonym, ob durch ein Teilsynonym, ζ. B. durch ein Hyponym u. dgl., - nicht problematisiert wird, wurde der Begriff 'Paraphrase' - eine verdeutlichende Umschreibung - als ein Oberbegriff gewählt. Das sind die lettischen Demonstrativpronomen - von Lange als „Artikul" (Lange 1777: Vorr. IX) bezeichnet - bei den lettischen Substantiven, um das grammatische Geschlecht Maskulinum oder Femininum und den Numerus anzugeben. Da im Lettischen beide Angaben an den Substantivendungen zu erkennen sind, ist der Gebrauch des Pronomens (über die Funktionen des Demonstrativpronomens im Lettischen s. Endzelin 1923: 393) mit einer sprachpädagogischen Motivation zu begründen. Als ein metasprachliches Interpretament gilt auch die Konjunktion jeb ('oder'), die ähnlich wie auch auf alternative Äquivalente oder Äquivalentteile hinweist: Anschüren Feur, ugguni pazikstiht jeb sabikstiht (Sp. 68). Die Äquivalente in diesem und in ähnlichen Fällen sind als ugguni pazikstiht oder ugguni sabikstiht (Sp. 68) zu verwenden.
69 Die lateinischen Interpretamente dienen vor allem als grammatische Angaben. Sie benennen die Wortart des lettischen Äquivalents - Präpositionen (praep.), Adverbien (adv.), sporadisch Adjektive (adject.) - oder vermitteln für einzelne Wortklassen spezifische Angaben wie ζ. B. über die Transitivität bzw. Intransivität der Verben durch act. bzw. neutr.: Ausdörren, sakalst neutr. kalteht. Act. (Sp. 94). Auf semantische, wortbildende oder etymologische Beziehungen zwischen den Lexemen deuten zahlreiche Interpretamente wie aliis/al. ('anders genannt'), idem/id. ('dasselbe'), item/it. ('ebenso'), inde ('daraus'), olim ('einst') u.a.: Faulen, puht. = lassen, ζ. B. Flachs, puhdeht. inde: puhdeti linni, grau Flachs, weil es gefaulet hat (Sp. 229). Zu einer besseren Orientierung im Lexikon dienen NB. (lat. nota bene 'beachte') - ein Hinweis auf Einschränkungen und Besonderheiten im Gebrauch der lettischen Äquivalente sowie ein Hinweis auf die Information enzyklopädischen Charakters: Wort das tas wahrds aber NB. das Wort Gottes, plur. tee deewa wahrdi, denn deewa wahrds ist der Name Gottes (Sp. 588f.) u n d p r o v . (lat. proverbium 'Sprichwort, Spruch'): Arbeiter der, tas strahdneeks. prov. darbs strahdataju mahza, Übung macht geschickt (Sp. 74). Zur deutschen Metasprache sind vor allem die zahlreichen Paraphrasen zu zählen, die zwecks Bedeutungsdifferenzierung eingesetzt werden (s. Kap. 6.3.1.). Unter den restlichen, meistens abgekürzten metasprachlichen Angaben dominieren solche wie u.s.w. und u.s.f., die in ihrer Funktion entsprechende lateinische Angaben ersetzen: ζ. B. auch statt aliis, u.s.w. statt etc. Angaben, die auf die dialektale Zugehörigkeit der lettischen Lexeme hinweisen, sind im Abbreviaturen Verzeichnis aufgelistet. Es dominieren L/Lfl., K/Kurl, und W. In den erwähnten Fällen handelt es sich um die Entzifferungen (L) -„Lettland, und dessen Provincialdialekt" 15, (K) - „ d e r Kurische Provincialdialekt" und (W) - „ d i e Gegenden um Wenden, Wolmar". 15
Möglicherweise bieten die Abkürzungen „L/Lfl." ähnlich wie die „K/Kurl." eine Variation ein und derselben Angabe über die dialektale Zugehörigkeit des betreffenden Lexems. Die Abkürzung „Lfl." ist im Abbreviaturenverzeichnis nicht vorhanden, doch im Lexikon wird der Sprachgebrauch in den Provinzen „Kurland" und „Liefland" häufig einander gegenübergestellt, ζ. B.: Abgabe die, ta nodewiba. = der Liefl. Bauren an Gerechtigkeits=Geld, Korn und andern Perselen, teesa; = in Kurland heists: wakka, (Sp. 19) Aufgrund folgender enzyklopädischer Einträge kann man vermuten, daß die Begriffe 'Livland' und 'Lettland' als Synonyme verwendet werden (vgl. Zemzare 1961: 133): Dorf, giebt es eigentlich unter den Letten in Liefl. nicht, einige nahe an einander liegende Bauernhöfe heissen: apzeems, sehtas etc. Elzineeki, ist das einzige Dorf in Lettland (Sp. 179f.). Abgöttischer Mensch, tas Elzineeks, (*) NB. Diesen Namen führt heutiges Tages ein gewisses Dorf in Liefl. so das einzige alhier ist, massen die Letten in lauter abgesonderten Gesindern wohnen (Sp. 22).
70 Für die vorliegende Arbeit sind vor allem die Angaben zur Herkunft der lexikalischen Einheiten von Interesse: die Angabe Germanismus/Germanism, die neben der Abkürzung (d) für die Entlehnungen aus der deutschen Sprache auftritt, und Letticismus/Letticism, deren Motivation vorläufig nur hypothetisch erklärt werden kann: Wenn ein Germanismus als ein bei den lettisch sprechenden Deutschen bemerkter Sprachfehler von Lange eingestuft und durch eine bessere Alternative ergänzt wird: Lauten mit Glokken, swanniht. = wie lautet der Text? kä irr tee wahrdi lassami: ka skann tee wahrdi: ist ein Germanism (Sp. 369) Angenehm, peemihligs: kä mihi mihleht! NB. peenemmigs ist ein Germanismus (Sp. 61) so darf auch eine ähnliche Funktion einer Warnung vor Sprachfehlern, diesmal auf die deutsche Sprache bezogen, bei der Angabe Letticismus/Letticism vermutet werden. Die deutschen Einträge stellen häufig Inhaltsbeschreibungen der Letticismen statt idiomatische Wendungen dar und sind gelegentlich mit einem Ausrufezeichen versehen: Antreffen, useet. = er ging einen andern Weg, daß ich ihn nicht antraf mehs essam aplehkuschi,16 Letticismus! (Sp. 71) Ach! ak! ak tawu niknumu! ach wie boßhaft bist du: Lett. Exclamationes! (Sp. 46).
6.3.3. Die enzyklopädische Information Die in deutscher Sprache vermittelte enzyklopädische Information ist im Lexikon sehr unterschiedlich verteilt. Prinzipielle Gesetzmäßigkeiten für ihren Einsatz können nicht festgestellt werden. Im deutsch-lettischen Teil tritt sie im Anhang zu allen möglichen Einträgen auf, z.B. 1) zum Lemma: Rije, das Gebäude so dem Letten Wohnung, Dreschdiele, auch wol Stall vorstellet, ta rija (Sp. 438) 2) zum Lemma und dessen Äquivalent: Leindotter, tee iddri, soll nach der Lett. Botanik als ein Opiatum wirken (Sp. 372) 3) zum deutschen Sublemma: Wams, tee wamschi lamschi. = Weiber = Wambs ohne Ermel, so die Lettischen Weiber einiger Orten tragen, tahs swihtes (Sp. 568) 4) zum lettischen Äquivalent: Bunt, raibs. = Huhn, Ferkel, dagglains, eigentlich braungelb mit schwarzen Flekken (Sp. 163). 16
*'wir sind (einander) umgesprungen', I.B.
71 6.4. Typologische und funktionale Aspekte des Lexikons aus der Perspektive der deutschsprachigen Benutzer
Es wurde festgestellt, daß sich die Anordnung des Wortschatzmaterials häufig als zufällig erweist und daß gewisse Wortschatzgruppierungsprinzipien bei der Einrichtung der Nischen oder des Artikels nur ansatzweise vorhanden sind (s. Kap. 6.2.). Die Zweiteiligkeit des Wörterbuchs mit jeweils unterschiedlichen Ausgangssprachen sowie die Aussagen im Vorwort, ζ. B. die rhetorische Frage „Sollte [der Lette] nur immer durch halbverstandene Worte angehöret, und durch einen schwankenden Ausdruck geleitet werden?" (Lange 1777: Vorr. IV), lassen vermuten, daß die sprachliche Kompetenz vom Verfasser mit zwei Aspekten des Sprachgebrauchs - dem Sprechen (Textproduktion) und dem Verstehen (Textrezeption) verbunden wird. Das dürfte zu der Annahme verleiten, daß die Lexikonteile als ein aktives bzw. passives zweisprachiges Wörterbuch 17 für den deutschsprachigen Benutzer konzipiert sind. In diesem Kapitel soll anhand einiger wesentlicher Merkmale auf den Ebenen der Makro- und Mikrostruktur erörtert werden, wie das Lexikon aus der deutschen Benutzerperspektive zu bewerten ist. Auf eine nähere Funktionsbestimmung des zweisprachigen Wörterbuchs (vgl. Bergenholtz/Mogensen 1995: 200) wird hier verzichtet, da eine Vertiefung in Detailfragen nicht von wesentlicher Bedeutung in dieser Arbeit ist.
6.4.1. Der deutsch-lettische Teil des Lexikons Die wichtigsten Merkmale eines aktiven zweisprachigen Wörterbuchs sind mit dessen Aufgabe zu verbinden, das Maximum an Information über die Fremdsprache zu vermitteln (Hausmann 1977: 58; Dudau.a. 1986: 8f.). Damit der Zugang zur Information gewährleistet werden kann, müssen Bedeutungsdifferenzierungen bei der Polyäquivalenz unternommen werden. Diese Praxis im deutschlettischen Teil unterstreicht den Charakter eines aktiven Wörterbuchs für den deutschen Benutzer. Häufig sind jedoch die Paraphrasen der deutschen Lexeme als bedeutungserklärende Definitionen zu betrachten. Ihre Anwendung kann auf den Einfluß der bedeutungserklärenden einsprachigen Wörterbücher zurückgeführt werden (vgl. Kromann/Riiber/Rosbach 1984: 171). Möglicherweise bestätigen sie die Existenz gewisser Besonderheiten der deutschen Sprache in Kurland und Livland, welche für eingereiste deutschsprachige Personen einer genaueren Erklärung bedurften. Der Einsatz metasprachlicher Interpretamente zur linguistischen Charakteristik der lettischen Äquivalente ist als ein Merkmal eines aktiven zweisprachigen Wörterbuchs zu sehen. Allerdings wird die Information zur Herkunft und zur Etymologie der Äquivalente in diesem Fall als sekundär eingestuft. Sie ist in erster Linie für den muttersprachlichen Benutzer von Interesse und soll als ein Merkmal des einsprachigen bedeutungserklärenden Wörterbuchs aufgefaßt werden (Hausmann 1977: 20f.; Kromann/Riiber/Rosbach 1984: 173). Der dialektale Wortschatz bzw. die Regionalismen werden in der heutigen Metalexikographie vorwiegend als ein Bestandteil des passiven Wörterbuchs gesehen (Kromann/Riiber/Rosbach 1984: 221), ihre Aufnahme in ein aktives Übersetzungswörterbuch wird aber nicht 17
Zu beiden Begriffen s. Hausmann/Werner 1991: 2741.
72 ausgeschlossen (Kromann/Riiber/Rosbach 1991: 2721). Die Aufnahme des dialektalen Wortgutes der Zielsprache ins deutsch-lettische Lexikon kann zu der betreffenden Zeit durch das Fehlen einer Standardversion der lettischen Sprache erklärt werden. Da in jeder Sprache lexikalische Einheiten vorhanden sind, die kulturspezifische Realien, Erscheinungen u.ä. bezeichnen, werden in den zweisprachigen Wörterbüchern gewöhnlich kurze, enzyklopädische Erklärungen oder zielsprachliche Übersetzungsalternativen, sogenannte 'Äquivalentsurrogate', angeboten (Kromann/Riiber/Rosbach 1984: 191f. u. 1991: 2718). Diese Information bezieht sich bei Lange nicht nur auf die Zielsprache, sondern auch auf die Ausgangssprache im Lexikonteil. Es kann darauf geschlossen werden, daß der deutsch-lettische Teil insgesamt wesentliche Züge eines aktiven Wörterbuchs wie ζ. B. die Bedeutungsdifferenzierung der Ausgangssprache und die metasprachlichen Interpretamente zur Zielsprache trägt. Gleichzeitig kommen auch Elemente eines einsprachigen bedeutungserklärenden Wörterbuchs, besonders die bedeutungserklärenden Paraphrasen der deutschen Lemmata, zum Vorschein. Dank dieser Eigenschaft wird ein direkter Zugang zur Semantik der Lemmata und somit auch der Einsatz des Lexikons zur Erforschung der lokalen sprachlichen Besonderheiten im Deutschen erleichtert.
6.4.2. Der lettisch-deutsche Teil des Lexikons Auf den passiven Charakter des lettisch-deutschen Teils kann die linguistisch qualitative Art der Lemmata hinweisen (zu Lemmata im passiven zweisprachigen Wörterbuch s. Kromann/ Riiber/Rosbach 1991: 2723): 1) lemmatisierte Dialektalwörter wie Ahdums (rig) das Rhaaseegel (Sp. 4) 2) lemmatisierte Ableitungsmorpheme wie Ne, nicht, wird als ein Privativum im Zusammensatz gebraucht, als nelabs, übel, newessels, krank (Sp. 204) Ik, particula inseparabilis wird zu den nominibus gesetzt, als: Ikdeen, täglich (Sp. 131) 3) lemmatisierter Sonderwortschatz, der bei Lange explizit nur bezüglich der lettischen Bibel markiert ist, wie Nelga wahrdi (Bibl.) unnütze Worte (Sp. 206). Durch die lemmatisierten Proprien (auch im deutsch-lettischen Teil) weist es aber keine Spezifik im Vergleich zu einsprachigen Bedeutungswörterbüchern auf (vgl. Kromann/Riiber/Rosbach 1984: 175): Jahnis, Johannes (Sp. 127) Jaunpaggaste, Neuwaaken in K. (Sp. 128). Die Unterschiede zwischen einem einsprachigen Wörterbuch und einem zweisprachigen passiven Wörterbuch sollten am deutlichsten auf der Ebene der Mikrostruktur erkennbar werden (Kromann/Riiber/Rosbach 1984: 176 u. 223f.).
73 In einem zweisprachigen passiven Wörterbuch soll zu den Lemmata das Maximum an Information vermittelt werden, „damit der Benutzer teils alle morphologischen Varianten in der Fremdsprache, teils die syntaktischen Konstruktionen der fremdsprachigen lexikalischen Einheiten identifizieren kann" (Kromann/Riiber/Rosbach 1984: 212). Während ein monolinguales Wörterbuch in der Regel die möglichen sprachlichen Konstruktionen und Kollokationen der lemmatisierten Einheit verzeichnet, konzentriert sich ein zweisprachiges Wörterbuch hauptsächlich auf solche Kontexte und Konstruktionen, die für den fremdsprachlichen Benutzer unvoraussagbar und unerschließbar sind (Kromann/Riiber/Rosbach 1991: 2722). Die Ankündigungen des Verfassers im Vorwort sowie der lettisch-deutsche Teil wecken insgesamt den Eindruck, daß hier tendenziell die Prinzipien eines einsprachigen Wörterbuchs verwirklicht werden, doch ein exaktes Urteil darüber sollte von Erkenntnissen der Baltisten unterstützt werden. Im Unterschied zu einem monolingualen Wörterbuch erwartet der deutschsprachige Benutzer im lettisch-deutschen Wörterbuch keine überflüssige etymologische, enzyklopädische Information und keine ausschweifenden Definitionen des fremdsprachigen Eintrags (Hausmann 1977: 21 f.; vgl. Kromann/Riiber/Rosbach 1991: 2725). Etymologische Angaben Langes zu den lettischen Lemmata sowie Artikeleinträgen sind hier aber nicht selten. Zum Teil betreffen sie die Herkunft der Lexeme aus anderen Sprachen wie Uhka, (d) die Huhk (Sp. 362) Uskurri, (k) das Einfreyen des Bräutigams bey der Brauts Eltern, uskurris tas, ein also Eingefreyeter. (Lith.) derzweyte Ehemann (Sp. 366)
zum Teil ihre Entstehung über Wortbildung oder Ableitung wie Jauda (qv.jaw da!) das Vermögen etwas durchzutreiben (Sp. 128) Jahdeleht, (von jaht) herum reiten, jukkern (Sp. 127).
Kurzgefaßte enzyklopädische Informationen und semantische Definitionen werden in zweisprachigen Wörterbüchern in solchen Fällen eingesetzt, in denen zwischen den Sprachen im gegebenen Fall die Nulläquivalenz besteht und wenn folglich Äquivalentsurrogate eingesetzt werden müssen (Kromann/Riiber/Rosbach 1984: 191 f. u. 1991: 2718). Lange greift so häufig zur enzyklopädischen Illustration der lettischen Einträge, daß die bedeutungserklärende Funktion der deutschen Sprache wie in einem einsprachigen Wörterbuch nicht zu übersehen ist. Eines der wichtigsten Kriterien des zweisprachigen Wörterbuchs - der direkte Zugriff zum Äquivalent (Kromann/Riiber/Rosbach 1984a: 208) - bleibt unerfüllt: Gohbas, ein Gesträuch dessen Rinde den Schafen gesund seyn soll (Sp. 127) Isdabbaht, Jemandes Art und Willen aufspüren und sich nach seinem Belieben schikken (Sp. 133).
Obwohl der lettisch-deutsche Teil des Lexikons auf den ersten Blick die Erwartung weckt, ein passives Wörterbuch für den deutschsprachigen Benutzer darzustellen, zeigt sich sein passiver Charakter nur zum Teil: durch die Art der Lemmata, durch die metasprachliche Information zur Ausgangssprache und durch die bedeutungsundifferenzierten deutschen Äquivalente. Näher betrachtet, stellen sie jedoch kein einziges wesentliches Kriterium für die Unterscheidung zwischen einem monolingualen und einem bilingualen Wörterbuch dar. Im lettisch-deutschen Teil des Lexikons treten vor allem solche Elemente hervor, die in der heutigen Metalexikographie als Merkmale monolingualer bedeutungserklärender Wörterbücher ausgewiesen werden:
74 1) Sublemmata zur Demonstration der Wortbildungsmöglichkeiten der Ausgangssprache; 2) etymologische und enzyklopädische Information zur Ausgangssprache; 3) deutsche Bedeutungserklärungen statt deutscher Äquivalente. Deswegen ist es fraglich, ob Lange den lettisch-deutschen Teil überhaupt als ein passives Übersetzungswörterbuch konzipiert hat. Die theoretischen Überlegungen im Vorwort und ihre praktische Umsetzung zeugen davon, daß die einsprachigen Wörterbücher und ihre theoretische Konzeption in vielem ausschlaggebend für die Abfassung des lettisch-deutschen Lexikons gewesen sind. Die funktionale Gegenüberstellung aktiv - passiv, wie sie heute verstanden wird, scheint sich bezüglich des zweiteiligen Lexikons nicht zu rechtfertigen, da Lange den lettisch-deutschen Teil nicht nur als ein Nachschlagewerk über die unbekannten fremdsprachigen Lexeme konzipiert, sondern dem Werk auch die linguistische und enzyklopädische Informantenrolle eines einsprachigen Wörterbuchs zugeteilt hat.
7. Jacob Langes Lexikon im Kontext der deutsch-fremdsprachigen/ fremdsprachig-deutschen Lexikographie und sein Einfluß auf die Wörterbuchschreibung
In den vor 1777 erschienenen deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Wörterbüchern konnte einerseits eine Wortschatzverbindung zu einem gewissen Teil erkannt werden, doch andererseits keine Quelle als maßgebend fiir alle späteren Werke hervorgehoben werden. Unterschiede traten im Aufbau der Werke, doch besonders in der Darstellung des Wortschatzes auf der Ebene der Mikrostruktur hervor. Deshalb ist die Situation der Lexikographie vor Lange im wesentlichen wie folgt zu charakterisieren: Die Verfasser der hauptsächlich für den deutschen Benutzer konzipierten Werke stützten sich hinsichtlich des lexikalischen Materials mehr oder weniger auf die Vorgänger, bei der Darstellung des Wortschatzes versuchte jeder, seine eigenen Wege zu gehen. Nach Ansicht einiger Forscher knüpft Lange vielfach an seine Vorgänger an. So meint Zemzare, daß Lange fast alle bis dahin veröffentlichten Wörterbücher benutzt und die Handschriften von Fürecker und Depkin gekannt hat. Lange hat diesen Werken, nach einer gründlichen Überprüfimg und kritischer Erwägung, Wörter und Beispiele entnommen (Zemzare 1961: 135). Zevers (1935a: 500) erkennt die Benutzung des Wörterbuchs (1761) von Stender. In diesem Kapitel wird näher erörtert, welchen Einflüssen Lange seine lexikographische Konzeption verdanken kann und wie er sich in der praktischen Leistung den Vorgängern in der deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Lexikographie anschließt oder sich von diesen abhebt. Ein kurzgefaßter Ausblick auf die Wörterbuchschreibung nach Lange zeigt seinen lexikographischen Einfluß auf die Nachfolger und entdeckt seine Rolle als Wortschatzquelle sowohl für die zweisprachigen Wörterbücher als auch fiir die regionalen Wortschatzsammlungen des Deutschen.
7.1. J a c o b L a n g e s lexikographische Konzeption im Vergleich zu der eines deutschen W ö r t e r b u c h s
Die Betrachtung der Vorworte zu mehreren deutsch-fremdsprachigen/fremdsprachig-deutschen Wörterbüchern des 17./18. Jahrhunderts hat gezeigt, daß die konzeptionellen Überlegungen ihrer Verfasser einzelne, häufig von Werk zu Werk unterschiedliche Elemente der Theorie des deutschen Wörterbuchs widerspiegeln. Der Einfluß dieser Theorie äußert sich umso stärker durch die praktische Nutzung der lexikographischen Quellen und Vorlagen, die in einer direkten Verbindung zu den theoretischen Programmen stehen. Langes Vorwort hebt sich von den betrachteten dadurch ab, daß bei Lange Anknüpfungen an fast alle Programmpunkte der deutschen Wörterbuchkonzeption des 17. Jahrhunderts vorhanden sind. 1. Die Frage der Vollständigkeit eines Wörterbuchs (vgl. Henne 1975: 17) wird von den meisten Lexikographen aufgegriffen. Lange gehört zu denjenigen, die diesen Begriff
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nicht nur mit der Wortschatzmasse, sondern nachdrücklich auch mit bestimmten lexikographischen Prinzipien der Wortschatzdarstellung verbinden (s. Kap. 6.1.2.). Waren die Sprachtheoretiker mit dem Problem der Zahl und Herkunft deutscher Stammwörter beschäftigt (Henne 1975: 20), so griff auch Lange diesen Gedanken auf: das Lettische habe zahlenmäßig wenige „Hauptwörter", doch die Sprache wüßte sich durch andere Mittel zu bereichern (Lange 1777: Vorr. IX). Ein vollständiges Lexikon soll nach Lange bestimmte Wortschatzteile wie Redensarten darstellen und eine bestimmte Information zum Wortschatz vermitteln. Helfen die Redensarten (vgl. Henne 1975: 17) den Charakter der Nation entdecken, können die Angaben zur Etymologie (vgl. Henne 1975: 21) und Herkunft fiir die Liebhaber der Sprache von Interesse sein (Lange 1777: Vorr. X). Die Rolle der Fachlexik (vgl. Ising 1956: 50) im Lexikon wird durch die Aufnahme von selten gebrauchten, veralteten Wörtern betont, denn sie kommen auf den Gerichten und Hexenprozessen oder während Kirchenvisitationen vor (Lange 1777: Vorr. XIII). Wie Lange erwähnt, führt die Analyse der Stammwörter und ihrer Ableitungen zum Erkennen einer analogischen Bedeutung (Lange 1777: Vorr. VII; vgl. Henne 1968: 96). Der Sprachgebrauch sei das entscheidende Kriterium für die Richtigkeit dieser Bedeutung (Lange ebd.). In Fragen der Orthographie verließ er sich auf eine bewährte Quelle (vgl. Henne 1975: 17): die lettische Bibel (Lange 1777: Vorr. XIII). Den Einsatz der lateinischen oder griechischen Äquivalente (vgl. Henne 1968: 97) hält er bezüglich der Namen der Kräuter und Pflanzen für notwendig, wenn die lettischen Benennungen eine sehr reiche Variation aufweisen (Lange 1777: Vorr. XI).
In einer Frage unterscheidet sich Lange von den meisten Theoretikern des deutschen Wörterbuchs im 17. und 18. Jahrhundert. Das ist seine positive Einstellung zum regionalen Wortschatz, dem gegenüber die Theoretiker Zurückhaltung zeigten und den sie nur nach selektiven Kriterien akzeptierten: Nutzbar für eine gepflegte Hochsprache waren die aus den Werken guter Schriftsteller oder aus alten schriftlichen Quellen exzerpierten regionalsprachlichen Elemente (Henne 1975: 17).' Die Einträge, die im Lexikon regionalspezifische deutsche Lexeme darstellen sollen, umschreibt Lange als „einige Artikul, die sich in andern Sprachen und deren Wörterbüchern nicht finden" (Lange 1777: Vorr. XI). Die Betrachtung dieses Wortschatzteiles aus der Sicht der Sprachreinheit darf von der Kenntnis der traditionellen Diskussion über die Reinhaltung der deutschen Sprache und über die Forderungen an eine gepflegte deutsche Hochsprache zeugen. Auf eine gewissermaßen liberale Einstellung zu den fremden Entlehnungen in der deutschen Sprache trifft man schon bei Jablonski (s. Kap. 3., Fußnote 17), mit dem Lange bekannt war. Langes Interesse für die regional geprägte Lexik dürfte auch von der deutschen Sprachforschung angeregt worden sein, da in Deutschland ab Mitte des 18. Jahr-
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Wegen eines häufigen Rückgriffs auf die schlesische Mundart wurde Steinbach als Verfasser eines schlesischen, nicht eines vollständigen deutschen Wörterbuchs gesehen (Schröter 1985: 1524). Frisch sah sich zu einer vorsichtigen Ausrede im Vorwort zum „Nouveau Dictionaire des Passagers" gezwungen: „Wann [...] doch einige Wörter, so nur in etlichen Gegenden von Teutschland im Gang sind, mit unterlauffen können, ja müssen, hab ich wie zu denen unter dem gemeinen Volck nur gebräuchlichen Wörtern und Redens=Arten (vulgo) gesetzt" (Frisch 1719: Vorr.).
77 hunderts eine intensivere Hinwendung zu den deutschen Mundarten, besonders dem schriftlich nicht widergespiegelten und allgemein unbekannten Teil, spürbar wurde und zur Abfassung von „Idiotica" führte (s. Polenz 1994: 197). Lange ist der einzige unter den betrachteten Lexikographen, der versucht, die Aufnahme der Provinzialismen als einen konzeptionellen Bestandteil in einem allgemeinsprachlichen Wörterbuch theoretisch zu begründen. Andere, ζ. B. Lind, haben nur darauf hingewiesen, daß die unterschiedliche mundartliche Aussprache und Schreibweise der deutschen Wörter im Wörterbuch berücksichtigt wird (Lind 1738: Företal). Arnold erkennt fremdsprachliche Einflüsse im Englischen an und betrachtet die Entstehung des englischen Wortschatzes unter dem Aspekt der Lehnbeziehungen (Arnold 1761: Vorr.). Die Berücksichtigung von lettischen Mundarten im Lexikon ist u.a. durch allgemeine Aufklärungsbestrebungen (dazu s. Pistohlkors 1995: 86f.) im Baltikum zu erklären, wodurch dem Lexikon als sprachdidaktischen Werk eine Relevanz im breiteren gesellschaftlichen Maßstab beigemessen wird. Erinnert sei hier an Langes Argument: die göttliche Lehre soll in der Sprache/im Dialekt der Unterwiesenen verkündet werden (Lange 1777: Vorr. IVf.). Mit seiner lexikographischen Konzeption nimmt Lange einen besonderen Platz in der deutsch-fremdsprachigen Lexikographie des 18. Jahrhunderts ein. Einerseits gibt er eine umfassende theoretische Begründung des Werks im Sinne der deutschen Wörterbuchkonzeption: Bei ihm tritt allerdings das Lettische an die Stelle der gepflegten deutschen Hochsprache. Andererseits versucht er, diese Konzeption mit einer liberalen Sicht auf die lettischen Mundarten sowie auf die deutschen Provinzialismen zu vereinigen. Im Unterschied zu den meisten Autoren der zweisprachigen Wörterbücher, deren Vorworte entweder technische Anleitungen zum Gebrauch sind, Aufzählung der Angaben bieten oder didaktische Sichtpunkte verstärkt berücksichtigen, bietet das Vorwort von Lange eine thematisch vielschichtige und fundierte Wörterbuchkonzeption. Der vorbildliche konzeptionelle Charakter des Vorwortes ist jedoch nicht mit der praktischen lexikographischen Leistung Langes gleichzusetzen. Die Auswertung dieses Teils im Vergleich zu den entsprechenden Teilen zeitgenössischer Lexikographen sollte in einer zukünftigen Untersuchung unternommen werden. Als Quellen und Vorlagen wären vor allem das Wörterbuch von Arnold (Bailey) aus dem Jahr 1736 und das 1746 erneut verlegte „Nouveau dictionaire des passagers" von Frisch heranzuziehen, zumal sich beide im persönlichen Besitz von Lange befunden haben (Catalogvs 1777: 15).
7.2. J a c o b Langes R ü c k b e z u g auf lexikographische und nichtlexikographische W e r k e im Baltikum
Im Vorwort zum Lexikon werden von Lange mehrere Themen angesprochen, die sowohl in den früheren Wörterbüchern als auch in anderen linguistischen Werken baltischer Autoren behandelt wurden.
78 I. Bezug auf geleistete Sprachenerforschung im Baltikum Die linguistische Forschung im Baltikum charakterisiert Lange als einen bei „den Gelehrten [...] neugebohrnen Wetteifer [...], Sprachen zu bearbeiten" (Lange 1777: Vorr. IV). Als ein Beispiel fuhrt er eine Untersuchung über „die Sprache der Thiere" an, deren „Zeichen und Töne" ihre „Triebe und Empfindungen" deuten helfen (Lange ebd.). Die anonyme Referenz gilt möglicherweise dem Aufsatz von Hupel „Anmerkungen und Zweifel über die gewöhnlichen Lehrsätze vom Wesen der menschlichen und thierischen Seele" (1774). 2 Ein anderes Werk zu dieser Thematik bietet J.G. Arndt (1754, Riga): „Gedanken über den Anfang der schönen Wissenschaften in Liefland, nebst der Nachricht von einer deutschen Übersetzung der Gespräche von Bienen". Die Berührung solcher Fragen im Vorwort beweist, daß fur den Verfasser die linguistische Forschung im Baltikum kein fremdes Thema war. Mit seinem Werk wollte er dem aktuellen linguistischen Entwicklungsstand Rechnung tragen. II. Aktualität eines zweiteiligen Wörterbuchs Die Aktualität seines Werkes unterstreicht Lange durch eine rhetorische Frage, weshalb in Zeiten einer intensiven Sprachforschung die Letten, „immer nur durch halbverstandene Worte angehöret, und durch einen schwankenden Ausdruck geleitet werden" (Lange 1777: Vorr. IV). Er beruft sich auf die livländischen Kirchengesetze und die Textstellen in der Bibel, 3 die den Predigern nahelegen, das Wort Gottes in der Muttersprache, sogar in der Mundart des Volkes zu verkünden (Lange 1777: Vorr. IVf.). Derselbe Bibeltext und die Verordnung des Königlichen Konsistoriums zu Reval werden auch von Göseken im Vorwort zur estnischen Grammatik und dem ihr hinzugefugten deutsch-estnischen Vokabular (1660) als verbindlich für die Geistlichen erklärt (Göseken 1660: Vorw.). Die Argumentation wie bei Lange hat also eine mindestens hundertjährige Tradition in den Werken der baltischen Autoren. III. Herkunft und Dialekte der lettischen Sprache Die Herkunft des Lettischen ist laut Lange ungeklärt: „Der arme Lette trägt uns keine Urkunden weder von seinem Ursprünge noch von seiner Sprache entgegen" (Lange 1777: Vorr. IV). Mit dieser Erkenntnis lehnt er sich an Stender an, der in seiner lettischen Grammatik (1763) die Hypothese anfuhrt, daß das lettische Volk und seine Sprache den „Saracenen oder Tataren" entstammen, doch eine sichere Antwort auf die Frage hält er nicht für möglich (Stender 1763: 1). Verschiedene Dialekte im Lettischen betrachtet Lange als eine objektive Erscheinung, die deswegen keiner positiv bzw. negativ ausgerichteten Bewertung unterliegen: „Der Provinzialdialekt ist nicht zu ändern, macht auch ein Wort nicht unlettisch. [...] Außerdem
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In Hupeis Aufsatz, der sich u.a. auf Herders „Abhandlung über den Ursprung der Sprache" beruft (Hupel 1774: 108), wird auch die von Lange angesprochene Thematik behandelt, etwa, wie der „Kalkun" mit den Jungen sich verständigt oder warum Tataren und Araber besser die Laute der Pferde, „Lappländer" die Laute der Rentiere deuten können (Hupel 1774: 114f.). Act. II v. 4 aus der Apostelgeschichte im Neuen Testament (= „Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab") und Act. II v. 8 (= „Wieso kann sie jeder von uns in seiner Muttersprache hören").
79 erfordert die verschiedene Landesart, es erfordern die Gesezze, die Lebensart und die Wirthschaft, verschiedene Redensarten und Wörter" (Lange 1777: Vorr. VI.). Eine ähnliche Einstellung den lettischen Dialekten gegenüber ist schon in den linguistischen Werken des 17. Jahrhunderts anzutreffen. So hat Manzel im Vorwort zum „Lettus" das Thema der dialektalen Vielfalt im Lettischen aufgegriffen: Es „ist vnd bleibt nichts minder Lettisch (Vnteutsch) ob schon das Wort anders hie/ weder dort genennet vnd außgesprochen wird" (Manzel 1638: 2. Vorw.). Gleiches, so Manzel, betreffe auch die estnische Sprache. Die Problematik des Dialekts hat auch Göseken (1660) beschäftigt. Im deutschestnischen Vokabular verzeichnet er die estnischen Äquivalente in der sprachlichen Varietät, die seiner Meinung nach die „reineste" ist, weil das betroffene Sprachgebiet am wenigsten fremden sprachlichen Einflüssen unterliegt (Göseken 1660: Vorr.). Die Einschätzung der Dialekte als gleichberechtigt entspricht bei Göseken den Äußerungen von Manzel hinsichtlich des Lettischen: „ob gleich ein Wort anders in Jerwen/ Harrien und Wyrland/ denn in der Wyck geredet wird/ muß dennoch das Wykische Wort nicht verworffen/ sondern vielmehr als ein gut Öhstnisch Wort angenommen werden" (Göseken ebd.). Später erklärt Adolphi seinen angeblichen Opponenten, für die eine lettische Grammatik problematisch erscheint, „weil der Dialectus, oder das Aussprechen der Wörter/ die Benennung der Dinge sehr wechsele", „daß solches bey allen Nationen und in allen Sprachen geschieht" (Adolphi 1685: Vorw.). Die dialektale Vielfalt in seiner Grammatik will Adolphi durch die Erfassung derjenigen Mundartengruppen überwinden, die „recht mitten in diesem Lande" gesprochen und von allen verstanden werden (Adolphi ebd.). Dieser Gedanke findet sich bei Lange als einer der „Grundsäzze" wieder (s. Kap. 6.1.3.). Aus den angeführten Beispielen ist zu ersehen, daß die Problematik der Dialekte eine seit langem unter den Gelehrten des Baltikums geführte und in den Vorworten zu den Grammatiken bzw. zu den Wörterbüchern erwähnte Diskussion widerspiegeln. Im Unterschied zu Lange und anderen hier zitierten Autoren nennt Stender in der lettischen Grammatik (1763) den ,,beste[n] und reinstefn] Dialect" und auch den „schlechtest e ^ ] Lettische[n] Dialect" (Stender 1763: 138). Hätte sich Lange auf das Werk von Stender theoretisch gestützt, wäre seine Auffassung von der notwendigen Präsenz des dialektalen Wortschatzes in einem „allgemeinen Lexikon" (Lange 1777: Vorr. VI) als eine Polemik gegen die Ansichten des Vorgängers aufzufassen. IV. Entlehnungen und Germanismen im Lettischen Entlehnungen im Lettischen erklärt Lange: 1) durch den Einfluß der Sprachen aus den geographisch benachbarten anderssprachigen Gebieten (Lange 1777: Vorr. VI); 2) durch den Einfluß der deutschen Sprache. Viele Entlehnungen sind seiner Meinung nach in das lettische Sprachparadigma eingeordnet, so daß sie, „von dem Letten gleichsam naturalisiret oder durch eine lettische Endigung angenommen worden, für ächt paßiren" (Lange 1777: Vorr. XI). Damit stimmt er mit Stender (1763) überein, 4 doch fehlt bei ihm im Gegensatz zu Stender eine soziolinguistische 4
Vgl.: „Die an den Littauischen Grenzen wohnen, nehmen Litthauische Wörter an"; „Was den Letten in ihrer Sprache fehlet und ihnen mit der Zeit bekannte Sachen werden, das nehmen sie aus der deutschen Sprache mit einer Veränderung nach ihrer Mundart" (Stender 1763: 142).
80 Erklärung dieses Phänomens: Wenn „in der Lettischen Sprache nunmehro viele deutsche Wörter anzutreffen, das ist gar kein Wunder, weil die Letten von den Deutschen als Leibeigene beherrschet werden" (Stender 1763: 3). Eine besondere Aufmerksamkeit widmet Lange einem unkritischen Gebrauch von Germanismen in der lettischen Sprache, weil sie „dem einfältigen Letten sehr verkehrte Begriffe von dem machen, was man ihm doch als wichtig und wahr vortragen will" (Lange 1777: Vorr. VII). Auch dieses Thema ist möglicherweise auf eine schon seit langem geführte Diskussion im Baltikum zurückzufuhren. So beruft sich Ruhig, Verfasser eines litauischdeutschen/deutsch-litauischen Lexikons (1747), 5 auf die Aussagen von H. Stahl, Probst zu Jerwen (Järvamaa) in Nordlivland und Verfasser einer estnischen Grammatik (1637), der in der Vorrede zum estnischen Katechismus die Situation beklagt hatte, daß es für die Prediger an estnischen Büchern mangele und „die geschriebenen aber corrupt, und ohne deutsche Uebersetzung wären; daher sie [= die Pastoren], bis sie die Sprache mit unaussprechlicher Mühe erlernet, das Wort GOTTES unverständlich der lieben Gemeinde vortragen müsten" (Ruhig 1747: Vorr.). 6 V. Regionale Eigentümlichkeiten des Deutschen im Baltikum Zum ersten Mal in der deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Lexikographie trifft man bei Lange eine deutlich ausgedrückte Akzeptanz der sprachlichen Eigentümlichkeiten des Deutschen, die erst nach einer zusätzlichen Quellenermittlung auf einen möglichen Einfluß der Kontaktsprachen, darunter der lettischen Sprache, schließen lassen (s. Kap. 6., Fußnote 9). Laut Lange sind sie aus sozialhistorischen Gründen gewachsen, und die deutsche Sprache 5
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Aufgrund einer unterschiedlichen politischen Geschichte des heutigen Litauen im Vergleich zu Estland und Lettland wurde der Begriff 'Baltikum' in der vorliegenden Arbeit nur auf das Territorium bezogen, das heute von beiden letztgenannten Staaten abgedeckt wird. Daß aber die geistigen Kontakte im 18. Jahrhundert zwischen den baltischen Deutschen und den Deutschen in litauischdeutschen Kontaktgebieten (Kleinlitauen bzw. Preußisch-Litauen in Ostpreußen) bestanden, belegen Ähnlichkeiten in den Vorworten zum Langes Lexikon und zum litauisch-deutschen/deutschlitauischen Lexikon (1747) von Philipp Ruhig (Pilypas Ruigys). Diese Ähnlichkeiten können entweder durch einen Rückbezug Langes auf das genannte Werk oder durch die Teilnahme der Gelehrten aus den litauisch-deutschen Kontaktgebieten an einer gemeinsamen Gelehrtendiskussion hinsichtlich sprachlicher Fragen erklärt werden. Die Ähnlichkeiten zwischen beiden Vorworten sind durch die berichtete Entstehungsgeschichte der Werke erkennbar: beide Autoren verdanken Anregung zur lexikographischen Tätigkeit der Übersetzung des Alten und Neuen Testements (vgl. Lange 1777: Vorr. IVf. u. Ruhig 1747: Vorr.). Beide äußern sich kritisch über den Stand der betreffenden zweisprachigen Lexikographie und wollen den „synthetischen" Teil des Lexikons durch einen „analytischen" Teil mit Lettisch bzw. Litauisch als Ausgangssprache ergänzen (vgl. Lange 1777: Vorr. VII u. Ruhig 1747: Vorr.). Beide Autoren greifen das Problem der Germanismen auf. Während Lange sie auf der lexikalischsemantischen Ebene ansiedelt, problematisiert Ruhig die Germanismen auf der phonologischen Basis. Die Notwendigkeit einer solchen Verschriftung des Lettischen, die sowohl eine adäquate Aussprache ermöglicht als auch der Etymologie des Wortes recht gibt, fordert auch Manzel in den Vorworten zum „Lettus" (1638) und zum „Vade mecum" (1631). Mit der lettischen Grammatik (1685) will Adolphi dafür sorgen, daß die lettische Sprache „mit weit weniger Mühe" erlernt wird und daß „manche ärgerliche Redens=Art bey heyligen Ampts=Handlungen" unterbleibt (Adolphi 1685: Vorw.).
81 ist deswegen keiner Kritik auszusetzen (Lange 1777: Vorr. XI). Diese Einstellung unterscheidet ihn von Stender, der zwar in seiner lettischen Grammatik (1763) einen gewissen Einfluß des Lettischen auf die deutsche Sprache in den Kontaktgebieten beider Völker erwähnt, doch diesem Einfluß gegenüber mit einer deutlichen Abwertung auftritt: „Endlich hat die Lettische Sprache auch die Ehre, daß man aus ihr in Curland einige Wörter bisweilen im Deutschen annimmt, welches einem Ausländer ziemlich spanisch vorkommen muß [...] als: der Waggar, die Nowadden, die Kleete, die Rije, Talk halten [...] Ja einige Deutschverderber machen die deutsche Construction und Phrases nach dem Lettischen, als [...] preeksch-auts ein Vortuch" (Stender 1763: 144). Der vielfache Bezug auf die theoretischen Überlegungen anderer Autoren dienen als ein Beleg für Langes Versuche, die gesammelten Erkennmisse in der praktischen Lexikographie umzusetzen.
7.3. M ö g l i c h e Wortschatzquellen und lexikographische Vorlagen f ü r das Lexikon
Im Vorwort zum Lexikon beklagt Lange den bescheidenen Entwicklungsstand der Lexikographie im Lande, so daß keine ausreichende Basis für sein als vollständig beanspruchtes Werk vorhanden sei. Das im Umfang auf „einige wenige Artikel" begrenzte Wörterbuch von Manzel, das nur als „synthetisch" konzipierte Wörterbuch von Elvers und ein „Vokabelbuch in vier Sprachen, schwedisch, polnisch, deutsch und lettisch"7 aus dem vorigen Jahrhundert bilden den lexikographischen Ertrag, auf dem er nun aufbauen soll (Lange 1777: Vorr.). 8 Obwohl Lange keine konkreten lexikographischen Wortschatzquellen und Vorlagen nennt, lassen die kritischen Aussagen über den „Lettus" und das Wörterbuch von Elvers vermuten, daß ihm beide bekannt waren. Auf der Suche nach eventuellen lexikographischen Wortschatzquellen und Vorlagen werden sie dem deutsch-lettischen Teil des Lexikons gegenübergestellt sowie die früheren lettisch-deutschen Wörterbücher mit dem lettischdeutschen Teil des Lexikons verglichen. Theoretisch kann nicht ausgeschlossen werden, daß die lettisch-deutschen Wörterbücher eine gewisse Rolle für die Abfassung des deutschlettischen Teiles gespielt haben (ähnlich wie die deutsch-lettischen Wörterbücher für den lettisch-deutschen Teil). Da aber eine umständliche Gegenüberstellung vice versa hauptsächlich Korrekturen in der ermittelten Zahl der lexikalischen Übereinstimmungen, doch 7
Über die Existenz eines solchen Vokabulars wird bis heute gerätselt. Es ist unklar, ob Lange es mit Depkins Wörterbüchlein von 1704 verwechselt hat, ob er ein heute unbekanntes Vokabular anfuhrt oder ob ihm die Existenz der Vokabulare von 1688 und 1704 nur vom Hörensagen bekannt war, demzufolge diese Anfuhrung als eine Fehlanzeige zu betrachten wäre (Jegers 1957: 33f.).
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Die eigentliche Zahl der damals schon gedruckten lexikographischen Werke ist jedoch nicht auf drei zu begrenzen - sie kann durch ein dreisprachiges Wörterbuch, zwar ohne Deutsch, von Elger, durch wenigstens zwei lateinisch-deutsche Vokabulare fur schulische Zwecke (eins von Depkin aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts und eins aus dem Jahr 1724) erweitert werden. Ebenso waren mehrere, auch einige hier nicht betrachtete, handschriftliche Wörterbücher bekannt (Zemzare 1961: 557f.).
82 keine wesentlich neue Information über die Quellenbenutzung als solche einbringen dürfte, wird auf sie verzichtet. Es wäre wenig vorstellbar, daß die deutsch-lettischen Wörterbücher im lettisch-deutschen Lexikonteil als wichtige Wortschatzquellen auftreten, wenn sie sich fur den deutsch-lettischen Lexikonteil als irrelevant erweisen.
7.3.1. Lexikographische Wortschatzquellen Zum Vergleich mit dem deutsch-lettischen Lexikonteil wurden zwei kurze aufeinanderfolgende Abschnitte mit den Anfangsbuchstaben Ad. und Af. aus dem Vokabular des „Lettus" von Manzel gewählt. Die deutsch-lettischen Wörterbücher von Elvers und Lange umfassen dieselben Buchstabenabschnitte. Die Zahl der deutsch-lettischen Einträge beläuft sich auf: 11 Einträge bei Manzel (S. 20); 39 Einträge bei Elvers (S. 21-23); 29 Einträge bei Lange (Sp. 4 7 ^ 9 ) . Etwa ein Drittel (9) der deutsch-lettischen Einträge bei Lange ist mit beiden Vorgängern vergleichbar, doch nur in drei Fällen sind sie, abgesehen von den orthographischen oder grammatischen Abweichungen, identisch. Der Rest weist Unterschiede insbesondere zu Manzel auf: 1) durch unterschiedliche Äquivalente wie Ma: Affterreden/ aprunnaht Ma: Affterreder/ Aprunnatais Ma: Affterredung/ Aprunnaschana
- La: Afterreden, aplischkeht, lazzinaht - La: Afterreder der, tas aplischketajs.likkis, lazzeklis, verläumderische Zunge - La: Afterrede, aplischkeschana
2) durch lexikalische Ergänzung der Äquivalente wie Ma: Adel/Muischneex
- La: Adel der, tee brunneneeki. NB. Ritter, muischneeki nach jezzigem Styl in Ließ, ein jeder der einen Hof besitzt Ma: Aderechtig/ Dsießlains - La: Adericht, dsihslains, grumslains Ma: Affe/ Pehrtickis - La: Affe der, ta pehrtikke ehrms, soll einigen eine Meerkazze vorstellen. Der Anteil lexikalisch identischer Einträge im Vergleich zu Manzel macht einen sehr geringen Teil im Lexikon von Lange aus und erschöpft bei weitem nicht das ganze Material, das der „Lettus" als Quelle bieten könnte. Zwei Lemmata bei Manzel {Adder und Adelich) werden von Lange nicht berücksichtigt. Während bei Elvers die Wortschatzerweiterung dem Vorgänger gegenüber vor allem dank der Fremdwörter wie administriren, admiral, admiriren, advocat, advociren und der Zusammensetzungen wie krampff=Ader, die Puls=Ader, Affen=Spiel, Affen=Werk erfolgt (die „Phraseologia" Manzels wurde zum Vergleich nicht herangezogen), verzeichnet Lange nur einzelne Fremdwörter wie Advocat, dafür aber mehr Proprien wie Adamshof im Lemburg, Adiaminde bey Lemsal, Adlehn im Tirsen, neue Zusammensetzungen und Derivate wie Aftermehl, Afterweib, Adelmann, Adelstand, Adselsche.
83 Lediglich fünf deutsch-lettische Einträge dürften im betrachteten Abschnitt auf das Wörterbuch von Elvers als Quelle schließen lassen, doch auch in diesen Fällen sind sie bezüglich der Äquivalente nicht als identisch zu betrachten: E: affter od. Nachgebuhrt, atpilis, atpilitis, ohtra Pusse E: Aderlaß Eise assins laischama Dselse, Zirritis E: adzel, Adsel, ein verfallen Schloß in Letland, Gaujenes Pils E: advocat, Aisstahwetais, pahrstahweis, Aisbildinatais, kas aisrunna Teesä E: adieu sagen, ar labbu Deenu, ar Deewu sazziht, labbu deenu atdoht
- La: Aftergeburt die, ta ohtra pusse, atpihlis - La: Aderlaßeisen, tas zirritis, bleetite - La: Adsel in Lieft, gaujene - La: Advocat der, tas pahrslahwetajs, awkahts (d) - La: Adieu: = sagen, ar labbu deenu doht.
Rund die Hälfte der Einträge (15 Einheiten) bei Lange stehen in keiner Verbindung zum Vokabular von Manzel und zum Wörterbuch von Elvers. Insgesamt weist das Werk von Lange mehr wortschatzmäßige Entsprechungen mit dem „Liber memorialis letticus" als mit dem Vokabular von Manzel auf. Bezüglich des gesamten Lexikons wäre die Annahme von einer geringen Relevanz des Vokabulars von Manzel als eine Wortschatzquelle hypothetisch, doch die zufällig gewählten Wörterbuchabschnitte liefern dafür deutliche Indizien. Zum Einblick in die mögliche Quellenbenutzung im lettisch-deutschen Lexikon von Lange wurden Einträge unter zwei Eingangslemmata abbi und Ahbols verglichen. Als Vergleichsquellen wurden die lettisch-deutschen Wörterbücher von Langius, Fürecker (Für. II), Depkin und Stender herangezogen. An und für sich bietet das hier erfaßte Wortschatzmaterial keine im Sprachgebrauch ungewöhnlichen lexikalischen Einheiten. Trotzdem sind zahlreiche Abweichungen, abgesehen von den grammatikalischen Merkmalen wie Genus oder die Endungen der Substantive, beim Vergleich der lettisch-deutschen Einträge feststellbar, z.B.: 1. La: Abbi, abbeji, alle beide Für. II: Abbi beide', Abbeji. Abbejahs. beide zusammen Ls: Abbi, abbas, beyde', Abbi. Diwi/ Dui, alle beyde De: Abbee oder Abbi, in gen. Abbeju u. to diwejo Kalponu/ der beyden Mägde; Abbeji Abbejas. alle beyde St 1761: abbi beyde. Der lettisch-deutsche Eintrag bei Lange stellt keine kritiklose Übernahme aus den früheren Quellen dar. Die dem Eingangslemma folgenden vier Sublemmata (s. unten) sind in einigen früheren Quellen verzeichnet, doch im Lexikon von Lange kommt es zu keiner Wiederholung der früheren lettisch-deutschen Einträge: 2. La: Für. II: De: St 1761:
abbejahds, beyderley, foem. abbejahda Abbejahds, der es mit beiden hält Abbejahds. beydes/ beyderley/ Neutral, der es mit beyden hält abbi: =ejahds beyderley
3. La: abbejup adv. beiderseits Für. II: pa abbi pus auff beiden Seiten St 1761: abbi: =ejup auf beyden Seiten
84 4. La: Für. II: De:
abbejahdi, adv. auf beiderley=Art Abbejadi war sazziht, man kan beides - beiderlei sagen Abbejahdi warr sazziht/ man kan alles beydes sagen; Tas abbejahdi atrohdahs es befindet sich beydes
5. prov. abbi labbi. Zwey sind besser denn Eins! - w i r d von L a n g e n e u a u f g e n o m m e n .
Das Auffinden solcher im Sprachgebrauch frequenter Lexeme in den früheren Wörterbüchern bietet noch keinen Anlaß zu ihrer Betrachtung als wesentliche Wortschatzquellen. Wenn sie hier zur Quellenermittlung eingesetzt wurden, dann war es das Ziel, mit dem einen oder anderen Wörterbuch identische Lemmataregister oder identische lettisch-deutsche Einträge zu ermitteln. Das negative Ergebnis läßt keines von den betrachteten Wörterbüchern als die Hauptquelle hervorheben. Unter dem Eingangslemma Ahbols tas, das, wie erwartet, mit dem Äquivalent der Apfel auch in allen früheren Wörterbüchern verzeichnet ist, werden von Lange fünf Sublemmata angeführt. Bezüglich der lettisch-deutschen Einträge ist hier keine Bindung an nur eine Quelle zu beobachten. 1. La: Für. II: Ls: De: St 1761:
ahbele ta, der Apfelbaum Ahbole der Apffel=bäum Ahbohlo=kohks. ein Apffelbaum Ahbole. Apfelbaum. Ahbele ahbele Apfelbaum
2. La: ahbelnize (*) Baumgarten St 1761: ahbols: =nize Obstgarten 3. La: Ls:
ahbolu dahrs, idem. Ahbohlo dahrß, ein Obst Garten; Dahrs: Ahbolo dahrs, ein Baum Garten
4. La: Für. II:
ahbolajs, ahbolains, geapfelt Ahbolains. Ein Apffel= grauer Ahbolais idem. Apffelicht
5. La: Für. II:
prov. kam ahboli tarn meeslotaji. wer da hat was klingt, hat auch was springt Proverb. Kam Ahbols, tas gann dabbu Meeslotaijas. wer da hat was da klingt, bekämt wohl was da springt Kam Ahbols tarn gan Meslotaji. Wer da hat was da klingt/ kriegt woll was da springt.
De:
Wie die Wortschatzvergleiche zeigen, neigt Lange zu keiner Übernahme einzelner deutschlettischer/lettisch-deutscher Einträge in der vorgefertigten Form. Gleichzeitig werden von ihm zahlreiche Zusammensetzungen mit dem Lexem Ahbols wie ζ. B. bei Fürecker und Depkin im lettisch-deutschen Teil kaum beachtet. Bei der Auswahl der Äquivalente verfährt Lange nicht selten unabhängig von den früheren Wörterbüchern. Das spricht für einen kreativen Umgang mit den lexikographischen Quellen und für die Selbständigkeit bei der Abfassung seines Wörterbuchs. Obwohl eine wortschatzmäßige Abhängigkeit von den Vorgängern nicht ausgeschlossen werden kann, lassen die Vergleiche auf kein konkretes Wörterbuch als Hauptquelle schließen.
85 7.3.2. Lexikographische Vorlagen Beim Vergleich der Makro- und Mikrostruktur in den deutsch-lettischen Wörterbüchern wäre lediglich das Wörterbuch von Elvers als eine lexikographische Vorlage für Lange in Erwägung zu ziehen. Es treten jedoch deutliche Unterschiede in der Struktur beider Werke hervor: 1. Bei Elvers sind viel häufiger wiederholte Lemmatisierungen zu beobachten (s. Kap. 5.3.3.), wodurch er die semantischen Unterschiede der Lexeme hervorzuheben sucht. Lange dagegen behandelt einzelne Bedeutungen öfters im Artikel und lemmatisiert vergleichbar häufiger Derivate und Komposita, die bei Elvers tendenziell im Nest angeführt sind. 2. In der Nischen- und Nesterbildung strebt Elvers eine festgelegte Struktur an: 1) Lemma/Äquivalent; 2) Lemma mit Kontextangabe/Äquivalent; 3) Sublemmata (mit Kontextangabe)/Äquivalente. Diese Tendenz zur Konsequenz in der Artikelstruktur ist bei Lange nicht feststellbar, dagegen sind bei ihm die Gruppierungsversuche der Einträge nach semantischen Prinzipien im Ansatz erkennbar. Auch wechseln sich kürzere Nester und lineare Artikel gelegentlich mit (sogar überdimensional) langen Nestern/Artikeln ab, wenn der Verfasser enzyklopädische Information vermittelt oder Wortverbindungen mit einem (Sub)lemma absatzweise anführt. Da die Wörterbücher schon in ihrer Makrostruktur voneinander abweichen, auf der Ebene der Mikrostruktur Tendenzen zu unterschiedlichen Gruppierungsprinzipien des Wortschatzes aufweisen und unterschiedliche metasprachliche Information (ζ. B. das enzyklopädische Wissen, Dialektangaben bei Lange) vermitteln, ist das Wörterbuch von Elvers als keine relevante lexikographische Vorlage für Lange zu betrachten. Der lettisch-deutsche Teil des Lexikons ist mit den Wörterbüchern von Fürecker (zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts), Langius (1685), Depkin (1704) und Stender (1761) kompatibel. Alle genannten Wörterbücher sowie das Lexikon von Lange weisen einige gemeinsame Merkmale auf: 1) Tendenz zur Nestbildung zum Eingangslemma; 2) keine eindeutig klare und durchgehend verfolgte Struktur im Aufbau der Nester und der Artikel; 3) Ähnlichkeiten bei dem Einsatz der Metasprache9. Gewisse Unterschiede sind mit folgenden Merkmalen zu verbinden: 1. Abweichungen bei der Lemmatisierung, denn die Gruppierungen zu Eingangs- und Sublemmata dürften auf unterschiedlicher linguistischer Auswertung des Wortschatzes 9
Wenn beim Einsatz der Metasprache gewisse Ähnlichkeiten vorhanden sind, kann die Benutzung einer bestimmten Vorlage nicht eindeutig bestimmt werden. So beschreibt Lange die Interjektion A! ey! auh als „exclamatio ad mirantis indignantis", also als einen Ausruf des Wunderns sowie der Verzweiflung. Bei Fürecker wird sie ebenso in lateinischer Sprache, doch qualitativ unterschiedlich erklärt: A!, E! - Ausdrücke eines „unwilligen renuentis" (von Depkin in deutscher Sprache paraphrasiert: „werden gebraucht/ da man sich eines Dinges Wägern will"). Stenders Belege aus dem „Catalogvs particvlarvm" der lettischen Grammatik ey mein Himmelchen ä pasauliht.; ey siehe ä re! (Stender 1763: 89) weisen Parallelen mit der semantischen Deutung auf wie bei Lange.
86 beruhen. Während von Stender und Langius mehr die Wortbildung der Lexeme in Betracht gezogen wird, ζ. B., wenn die Einheiten ahbolites [...] Klee (St 1761) und Ahbohlo- Sahle (.Ahbolischi:) Kleegraß (Ls) unter dem Eingangslemma ahbols ('Apfel') angeführt werden, achtet Lange mehr auf die semantische Seite -Ahboles, ahbolites [...] Klee und Ahbols tas, der Apfel werden als separate Eingangslemmata verzeichnet. 10 Unterschiedliche Denotate spielen auch im Wörterbuch von Depkin eine wichtige Rolle bei der Lemmatisierung, doch eine konsequente Einhaltung des Prinzips ist bei ihm nicht zu beobachten. 2. Einzelne Strukturelemente wie ζ. B. bei Langius (Anordnung der Sublemmata nach der Wortklasse), bei Depkin (fremdsprachige Äquivalente zuletzt) werden von den Nachfolgern nicht aufgegriffen. Ein Zusammenfall in der Reihenfolge der Artikeleinträge, wenn ζ. B. der Eintrag ahdminnjs tas der Gerber (La) und ahdminnis Gerber (St 1761) in den unterschiedlich besetzten Nestern zu ahda zuletzt angeführt wird, kann möglicherweise durch das Heranziehen eines früheren Wörterbuchs als Quelle, doch nicht durch die Übernahme seiner Konzeption erklärt werden. Langes lettisch-deutsche Lexikon läßt damit sowohl konzeptionelle Ähnlichkeiten als auch Unterschiede im Vergleich zu den früheren Werken erkennen. Wenn auch das 1761 edierte Wörterbuch von Stender von den betrachteten Werken am ehesten als mögliche Vorlage in Frage kommt, ist sein Vorrang in dieser Qualität strittig, denn Langes Manuskript lag bereits 1755 vor. Im Vergleich zu den Vorgängern läßt sich bei Lange generell dieselbe Tendenz feststellen, die schon im Rückblick auf die Tradition in der deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Lexikographie bis 1777 ermittelt wurde, nämlich, daß Lange keines von den betrachteten Werken als eine direkte Vorlage herangezogen hat. Obwohl sie ihm als mögliche Quellen zur Wortschatzexzerption bekannt waren, sucht er nach einer eigenen Lösung zur optimalen Wortschatzdarstellung. Stärker als bei den Vorgängern ist bei Lange der Ansatz zur Behandlung der Lexeme nach ihren semantischen Merkmalen zu beobachten. Sie bestimmen häufig die Wortschatzorganisation in beiden Teilen des Lexikons. Lange ist ebenso der erste, der bewußt ein sprachliches Wörterbuch mit einem enzyklopädischen Werk zu kombinieren versucht und konsequenter als seine Vorgänger linguistische Angaben einsetzt wie ζ. B. die Grundformen der lettischen Verben, die vor ihm nur bei
10
Ein Beispiel für Unterschiede in der Wortschatzanordnung bei Lange im Vergleich zu Stender bietet die Behandlung des Verbs augt wachsen und seiner Ableitungen. Bei Stender werden diesem Eingangslemma folgende 11 Sublemmata (Wortverbindungen werden hier nicht angeführt) untergeordnet: augots wachsend, at-augs Wiederwachs, augums Wachsthum, Grösse, augons Gewächs, Drüse, auglis Frucht, augligs fruchtbar, augloht vermehren, audsis Gehege, audseht erziehen, audseknis Aufziegling, audsinaht erziehen (S.17). Bei Lange sind diesem Lemma 3 Sublemmata - augons tas, ein Gewächs, Geschwür, augtene ta, der Ort da man erwachsen ist, augums tas.Wuchß (Sp. 42) - untergeordnet. Das Lexem ataugas Ausschößlinge wird als Sublemma dem Ataugt, wieder hervor wachsen (Sp. 32) untergeordnet. Audseht und Auglis tas, die Frucht werden separat lemmatisiert (Sp. 41), dem ersten Lemma werden audseklis tas, ein Aufzügling, audsinaht, erziehen und audsegnis, idem, audsis. Buschgehege, dem zweiten -augligs, fruchtbar und augloht, Fruchtbar machen untergeordnet. Der Eintrag augots wachsend ist im Lexikon nicht verzeichnet.
87 Elger im polnisch-lateinisch-lettischen Wörterbuch verzeichnet sind (Roze 1982: 61), Angaben zum Dialekt und zur Herkunft der Lexeme.
7.4. E i n f l u ß des Lexikons auf die weitere Entwicklung der Lexikographie im Baltikum
Einige Autoren der zweisprachigen Wörterbücher nach 1777 wie Stender , der Autor eines „Lettischen Lexikons" (1789), Hupel, der Verfasser einer ,,Ehstnische[n] Sprachlehre für beide Hauptdialekte den revalschen und den dörptschen; nebst einem vollständigen Wörterbuch" von 1780, und Rodde, der ein „Deutsch=Russisches Wörterbuch" 1784 veröffentlicht hat, widmen die Vorworte der Erörterung lexikographischer, linguistischer und anderer Fragen. Hier sind Parallelen zu den Überlegungen von Lange erkennbar (vgl. Kap. 6.1.): (1) Eine pädagogische Relevanz seines Lexikons unterstreicht Stender und beteuert die Bemühungen um die Ausbildung der Nation, „auf deren Kultur und Sittlichkeit der hiesige allgemeine Glücksstand beruhet" (Stender 1789: Vorr.). Er will den Amtsgenossen bei der Aufklärung der Letten helfen, indem das Kennenlernen der Sprache und des Nationalcharakters der Letten durch das lexikographische Werk ermöglicht werden. (2) Hupel hofft, daß sein Wörterbuch „sowohl Einheimischen als [auch] ankommenden Fremden" von Nutzen sein kann (Hupel 1780: Vorerinnerung), doch wie Lange wendet sich auch er an „Kandidaten, die sich auf diese Sprache legen wollen" (Hupel ebd.). Auch Stender sieht gute Sprachkenntnisse als eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Aufklärungsarbeit an. Das „Namen=Lexikon", ein separates, jedem Wörterbuchteil angehängtes Verzeichnis verschiedener Tier- und Pflanzennamen, soll den Liebhabern der Literatur und den Naturforschern zu Gute kommen (Stender 1789: Vorr.). (3) Dialekte des Estnischen und die lokalen Besonderheiten der deutschen Sprache will Hupel in seinem Wörterbuch widerspiegeln (Hupel 1780: Vorerinnerung). Wenn manche deutsche Wörter „in eines Ausländers Ohren sehr undeutsch, [...] wohl gar ganz unverständlich" klingen, so soll er wissen - solche haben in Estland „das Bürgerrecht erhalten, und können mit keinem andern Ausdruck verwechselt werden", sie sind „der niedern Klasse von Deutschen [...] bekannt" oder „drücken am vollständigsten das ehstnische Wort aus". Als Beispiele nennt er u.a. „Viehgarten, Kleete, Riege" (Hupel ebd.). (4) Ebenso wie Lange reflektieren die Autoren über ein 'vollständiges Wörterbuch'. Stender will sein Lexikon als vollständig gestalten, ζ. B. durch eine „stufenweise Ordnung" (Stender 1789: Vorr.), d. h., als Eingangslemmata werden Derivate nur dann angeführt, wenn sie „nicht gleichlautend mit dem Wortstamm" sind (Stender ebd.). Hupel bemerkt, sein Wörterbuch sei nicht „uneingeschränkt vollständig" (Hupel 1780: Vorerinnerung), doch er gibt keine Erklärung des Begriffs. Rodde ist der Meinung, daß ein „ganz vollständiges Lexicon", in dem „alle mögliche Wörter und Redensarten aus allen Theilen der menschlichen Kenntniß vorkommen", in keiner Sprache existiert (Rodde 1784: Vorb.). Er beabsichtigt, Wörter in Konstruktionen darzustellen und Phraseologismen anzuführen, denn „einzelne Wörter sind blos das Skelet der Sprache" (Rodde ebd.).
88 Die Anregungen zu den theoretischen Überlegungen in den späteren Wörterbüchern sind möglicherweise von Lange ausgegangen, doch fehlende Referenzen lassen ihren Bezug auf das Lexikon von Lange vorläufig nur Hypothese sein. Mehrere Fragen bezüglich dieser Wörterbücher wie die Erfassung der Dialekte sowie der sprachlichen Besonderheiten im Deutschen wären in einer zukünftigen Untersuchung genauer zu erörtern. Unter den Wörterbüchern des 18. Jahrhunderts, die Deutsch und Lettisch im Sprachenpaar anführen, werden in der Metalexikographie besonders zwei hervorgehoben: das Lexikon von Lange und das 1789 veröffentlichte Lexikon von Stender." Beide werden dank der Widerspiegelung des lettischen Wortschatzes gewürdigt, wodurch nicht nur ein Einblick in das soziale und wirtschaftliche Leben Lettlands im 18. Jahrhundert ermöglicht wird (Zemzare 1961: 135), sondern auch die weitere Entwicklung der lettischen Schriftsprache und der Bildungsprozeß der lettischen Literatursprache beeinflußt wurde. Viele Literaten, ζ. B. der lettische Dichter J. Rainis verdanken ihnen sprachliche Anregungen (Roze 1982: 59). Das Lexikon von Lange ist als eine Wortschatzquelle in den späteren zweisprachigen Wörterbüchern benutzt worden: so von Ulmann im lettisch-deutschen Wörterbuch (1872) und von Ulmann/Brasche im deutsch-lettischen Wörterbuch (1880). Im 20. Jahrhundert ist das Lexikon von Lange im vierbändigen lettisch-deutschen Wörterbuch (1923-1932) von Mühlenbach neben anderen schriftlichen Quellen des Lettischen häufig zitiert worden. Auch die baltischen Sammler der deutschen „Provinzialwörter" des 18. und 19. Jahrhunderts hatten das Lexikon von Lange als eine wichtige Quelle für die sprachlichen Besonderheiten des Deutschen in Kurland und Livland entdeckt. Es wurde von Bergmann in der „Sammlung livländischer Provinzialwörter" (1785) mit etwa 1300 Stichwörtern, von Hupel im „Idiotikon der deutschen Sprache in Lief= und Ehstland" (1795) mit etwa 2500 Stichwörtern und von Gutzeit im „Wörterschatz der Deutschen Sprache Livlands" (1864) herangezogen. Doch wie Ulmann und Brasche, so berufen sich auch Hupel und Gutzeit häufiger auf das Lexikon von Stender. Der folgende Wortschatzvergleich (s. Tabelle 9) zeigt, daß Stender diese Nennung nicht zuletzt einer anonymen Übernahme der lexikographischen Einträge von Lange zu verdanken hat. Schon eine eingehende Betrachtung der Werke von Lange und Stender läßt Ähnlichkeiten nicht nur bezüglich des Wortschatzes, sondern auch im Aufbau der Artikel feststellen. Die Vergleichsergebnisse der Wörterbücher von Lange und Stender belegen vielmehr die praktische Bedeutung des ersten Lexikons nicht nur als Wortschatzquelle, sondern auch als eine lexikographische Vorlage. Durch die häufige Verwendung des Werks im „Lettischen Lexikon" von Stender weist der Einfluß von Lange - wenigstens hinsichtlich des Wortschatzes - eine noch höhere Effizienz auf als bis jetzt anerkannt worden ist. Bei der Einschätzung des Einflusses beider Autoren auf die spätere deutsch-lettische/lettisch-deutsche Lexikographie ist daher Lange der Vorzug zu geben.
11
Sein Lexikon umfaßt 7000 Lemmata im lettisch-deutschen Teil und 14 000 Lemmata im deutschlettischen Teil (Zemzare 1961: 175). Dank der finanziellen Unterstützung des Landtags konnte es eine für die damalige Zeit hohe Auflage von 4000 Exemplaren erreichen (Roze 1982: 64). Als seine wichtigsten Quellen gelten die Wörterbücher von Elvers und Lange (Zemzare 1961: 176; Roze 1982:62).
89 Die Benutzung des Lexikons von Lange wird besonders durch die Aufnahme solcher Einheiten deutlich, die lexikographisch zum ersten Mal bei Lange dargestellt sind: G.F. Stender (1789)
J. Lange (1777) Rechenschaft, ta lahgadiba, atbildeschana
Rechenschaft, atbildeschana (lahgadiba)
= fodern, lahgadiht
- fordern, atbildeschanu prassiht, (lahgadiht)
= geben, atbildeht
- geben, atbildeht, atbildeschanu (lahgadibu)
Runge am Wagen, ta stehrste,
Runge am Wagen, stehrste
doht sastehrsteht wesmu, das Fuder mit den
das Fuder mit Rungen befestigen,
Rungen bevestigen
sastehrstiht wesumu
Stender vereinigt separate Einheiten aus dem Lexikon von Lange unter einem Lemma: Rammelblock der, ta jumprawa
Rammelblock, jumprawa Pfähle rammeln, ar jumprawu pahlus dsiht
Rammeln Pfähle, ar jumprawu pahlus dsiht Einzelne lettische Einträge werden von Stender zwar mit L. versehen, doch nicht selten handelt es sich um eine vollständige Übernahme des Materials: Ranken, Pferderanken, tahs sakkas
Ranken, Gommut, sakkas, paugas - hölzer, sakkauli. L. das Polster daran, silksnis, (pohpis. L.)
Rankenhölzer, tee sakkauli = Polster der, tas silksnis, pohpis. Rauchwerk, Pelzwerk, kaschoka ahdas.
Rauchwerk, Pelzwerk, kaschoka ahdas
= zu den Mützen, putns
— zu den Mützen, putns. L.
Obwohl das von Stender erfaßte lexikalische Material auch in den früheren deutschlettischen Wörterbüchern vorhanden ist, zeugt eine identische Artikelstruktur erst mit dem Lexikon von Lange von dessen Relevanz als Quelle und Vorlage: Reiten
reiten
= ein Pferd müde
- ein Pferd müde
= im Galop
- im Galopp
= im Schritt
- im Schritt
= im Trabe
- im Trabe
= im kleinen Trabe
- im kleinen Trabe
= umher reiten, umher, - auf dem Stecken Tab. 9: Stichproben zur Struktur und zur lexikalischen Besetzung im Lexikon von J. Lange (1777) und im Lexikon von G.F. Stender (1789)
8. Das Lexikon von Jacob Lange als Quelle zur Erforschung der deutschen Sprache im Baltikum
Die Geschichte der deutschen Sprache im Baltikum reicht bis in das 13. Jahrhundert zurück, doch das linguistische Interesse an ihr erwacht erst um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Zuerst äußert es sich durch die Erfassung des regionalen Wortschatzes in den Wortschatzsammlungen (Lindner 1762, Gadebusch 1763ff.', Bergmann 1785, Hupel 1795, Gutzeit 1864), denen Untersuchungen und zahlreiche kürzere Aufsätze folgen. Die Erforschung der deutschen Sprache im Baltikum, darunter auch die Frage nach der Rolle des Lettischen in ihrer regionalen Spezifik, ist im Ansatz geleistet. Die tiefgreifenden Veränderungen in der osteuropäischen Politik als Folge des Zweiten Weltkrieges haben die weitere Forschungsarbeit auf diesem Gebiet verhindert. Dieses Kapitel gibt eine Übersicht über die lexikalischen und semantischen Besonderheiten in der deutschen Sprache des Baltikums, wie sie in der Fachliteratur und in anderen einschlägigen Abhandlungen widergespiegelt werden. Im weiteren wird hier der optimale theoretische Ansatz zur Erforschung der deutschen Sprache im Baltikum diskutiert. Es wird begründet, warum die trennbaren Präfixverben als Untersuchungsgegenstand im Lexikon gewählt wurden und anschließend wird beschrieben, auf welchen Wegen die wissenschaftliche Annäherung stattfand.
8.1. Die deutsche Sprache im Baltikum
8.1.1. Regionale Besonderheiten der deutschen Sprache im Baltikum Im 18. Jahrhundert ist die deutsche Sprache im Baltikum in einigen wenigen linguistischen Werken dargestellt worden. Deshalb müssen Angaben aus späteren Untersuchungen (Sallmann 1877 u. 1880; Masing 1926 u. 1931 u.a.) herangezogen werden. Als charakteristisch für die Zeit nach dem Schreibsprachwechsel im Baltikum wird variables gesprochenes Deutsch genannt, denn sein Abweichungsgrad vom Hochdeutschen variiert j e nach dem sozialen Stand der Sprecher, je nach der kommunikativen Situation, individualsprachlich oder auch regional. Demgegenüber wird hinsichtlich der geschriebenen Sprache betont: „Die Reichssprache erscheint rein als Schrift- und Literatursprache" (Stegmann v. Pritzwald 1952: 414). Das gilt durchaus auch fur die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts. Da es jedoch nicht möglich ist, die sprachlichen Erscheinungen nach Zeit und 1
F.K. Gadebusch liefert Ergänzungen verzeichnisse enthalten Lexeme, die Unter dem Titel „Zusätze zu Johann terverzeichnisse in den ,,Gelehrte[n] fentlicht.
zum Deutschen Wörterbuch (1741) von Frisch. Die Wörtervom Verfasser als regional bzw. baltisch ausgewiesen sind. Leonhard Frischens Deutschem Wörterbuche" sind die WörBeyträge[n] zu den Rigischen Anzeigen" 1 7 6 3 - 1 7 6 7 veröf-
92 Häufigkeit näher einzugrenzen, werden die betreffenden Ansichten bis zum 20. Jahrhundert zusammengefaßt. Aufschlußreich darf das Wiederfinden von Feststellungen der Gelehrten des 18. Jahrhunderts auch bei den späteren Autoren sein, da sie das Vorkommen bestimmter sprachlicher Erscheinungen konsequent und kontinuierlich belegen. In einigen Fragen gleichen die Ansichten grundsätzlich denen des 18. Jahrhunderts: (1) Es werden solche lexikalischen Besonderheiten in der Sprache der baltischen Deutschen anerkannt, die dem binnendeutschen 2 Hochdeutsch fremd sind (Bergmann 1785: XI; Hupel 1795: VII; Gutzeit 1864: IV; Masing 1923: 83; Stegmann v. Pritzwald 1951: 176; Mühlen 1994: 143f.). (2) Die lexikalischen Besonderheiten in der Sprache der baltischen Deutschen haben im wesentlichen drei Ursachen: A. Sie behält die niederdeutschen Sprachelemente (Lindner 1762: 218f.; Hupel 1795: VII; Gutzeit 1864: IV; Groß 1869: 31; Sallmann 1880: 6 u. 28; Masing 1926: 5), die, je fortgeschrittener die Zeit, die Sprache nur noch im einzelnen, nicht mehr durchgehend prägen (Stegmann v. Pritzwald 1952: 411 f.; Schönfeldt 1968: 660). Diese verbleiben in Form einzelner Wörter im Munde der „kleinen Leute", doch „über Handwerk, Markt, Küche und Keller" können sie auch „in die Haushalte der fuhrenden Schichten" eindringen (Stegmann v. Pritzwald 1951: 176). B. Sie weist archaische Züge im Vergleich zum zeitgenössischen Hochdeutschen auf (Lindner 1762: 218f.; Bergmann 1785: XI; Hupel 1795: V; Gutzeit 1864: IV; Groß 1869: 21; Stegmann v. Pritzwald 1952: 417). C. Die lexikalischen Besonderheiten sind ein Ergebnis der Kontakte mit unterschiedlichen Sprachen - sowohl mit den Sprachen der einheimischen Bevölkerung (Lindner 1762: 220; Gutzeit 1864: V; Sallmann 1880: 10), als auch mit den Sprachen der politischen Herrscher (Bergmann 1785: XI; Hupel 1795: Vf.; Sallmann 1880: 10). (3) Der fremdsprachliche Einfluß, besonders der einheimischen Sprachen, wird auf einzelne Lebensbereiche begrenzt und auf bestimmte Bevölkerungsgruppen oder kommunikative Situationen bezogen. Für die Entlehnungen werden folgende Bereiche als besonders aufnahmefähig erklärt: der internationale Handel (Lindner 1762: 243f.; Hupel 1795: VI), Politik (Hupel 1795: Vf.), landwirtschaftliche Bereiche des Gutsbetriebes (Hupel 1795: VI; Groß 1869: 35; Stegmann v. Pritzwald 1951: 180) und Haushalt (Stegmann v. Pritzwald 1951: 180). In den letzten zwei Bereichen dominieren die einheimischen Sprachen als Lehnquellen. Häufig entlehnt werden die „Bezeichnungen für nationale Verhältnisse und Gegenstände" (Sallmann 1880: 8). Der Einfluß der einheimischen Sprachen ist vorwiegend im täglichen Verkehr bemerkbar gewesen (Eckardt 1904: 47; Mühlen 1994: 144f.). In der Literatur wurden Entlehnungen jedoch vermieden (Mühlen ebd.). Einige Ansichten über die deutsche Sprache im Baltikum treten erst seit dem 19. Jahrhundert auf:
2
Binnendeutsch: auf das Gebiet innerhalb des heutigen Deutschland bezogen.
93 (1) Es werden neue territoriale Gebiete und neue Sprachbereiche vorgeführt, die auf die deutsche Sprache im Baltikum einwirkten. So wird die Verwandtschaft mit der deutschen Sprache im Ostpreußischen sowie ihr Einfluß 3 auf das Deutsche im Baltikum anerkannt (Laur 1955: 111; Masing 1926: 13). Die lexikalischen Gemeinsamkeiten erklärt Laur u.a. durch die „Beeinflussung [beider Varietäten] von mit einander eng verwandten nichtdeutschen Sprachen, nämlich Prussisch, Litauisch und Lettisch" bei der räumlichen Trennung vom „deutschen Kernraum" (Laur 1955: 112). Direkte ostpreußische Einflüsse, besonders im 18. Jahrhundert, werden als die Folgen der kulturhistorischen Entwicklung gesehen: die Tätigkeit der ostpreußischen Gelehrten im Baltikum, die Einwanderung von zahlreichen Handwerkern, besonders nach Kurland und Riga und auch das Studium vieler Balten an der Königsberger Universität (Laur 1955: 114f.). Für die Neuzeit wird insbesondere der Einfluß der hochdeutschen Schriftsprache betont, die den „ursprünglich landschaftlichen Charakter längst abgeschliffen" hat (Sallmann 1880: 9). (2) Die Sprachbetrachtung wird verstärkt von sozialen Aspekten unterstützt. Die Entlehnung aus den einheimischen Sprachen wird ζ. B. als von dem langjährigen Sprachkontakt und der Zweisprachigkeit der Deutschen gefordert angesehen (Gutzeit 1864: V). Als gegenwirkende Faktoren werden die soziale Abgrenzung den Einheimischen gegenüber (Groß 1869: 22; Stegmann v. Pritzwald 1951: 178) und der sprachliche Reinheitstrieb (Sallmann 1880: 9; Mitzka 1937: 96; Stegmann v. Pritzwald 1951: 176) genannt. (3) Im 19. Jahrhundert wird die kreative Kraft der deutschen Sprache im Baltikum entdeckt, der das Deutsche vorwiegend die sprachlichen Eigentümlichkeiten verdankt (Gutzeit 1864: IV). Sallmann schreibt von ,,eigentümliche[n] Wörter[n], Zusammensetzungen, Umbildungen und Wendungen", die „von deutschen Wurzeln gebildet" sind, doch in der jeweiligen Form oder Bedeutung „der hochdeutschen Sprache fremd, wenigstens ungewohnt" erscheinen (Sallmann 1880: 57). Als solche hebt er besonders „die Zusammensetzungen mit Präpositionen und Partikeln wie ab, an, auf, aus, be, bei, ein, durch, ver hervor (Sallmann 1880: 76; vgl. Masing 1923: 88). Seiner Ansicht nach bilden sie ein „besonders reiches Contingent" (Sallmann ebd.). Viele Lexeme sollen nur semantische Abweichungen vom Hochdeutschen aufweisen (Gutzeit 1864: IV). Viele als hochdeutsch erkennbare Lexeme sind in der „hier belegten eigentümlichen Bedeutung in Deutschland unbekannt oder ungebräuchlich" (Sallmann 1880: 74). Einer der Gründe für die semantischen Besonderheiten wird von Groß (1869) aufgedeckt: Es „werden Ausdrücke gebraucht, welche neuhochdeutsche Formen annahmen, ihre ursprüngliche Bedeutung jedoch behielten" (Groß 1869: 29). Im 20. Jahrhundert wird die Sprachsituation im Baltikum auch in historischen Untersuchungen und publizistischen Werken erläutert. Die Relevanz des Lettischen für die Entwicklung der deutschen Sprache im Baltikum, vor allem auf der lexikalisch-semantischen Ebene, wird jedoch kaum thematisiert. Die soziolinguistischen Ansätze in den 20er Jahren haben nicht 3
Beispiele dieses sprachlichen Einflusses glaubt Krüger u.a. im reflexiven Gebrauch vieler Verben gefunden zu haben: sich erkundigen (statt erkundigen), sich befreuen (statt erfreuen), sich belassen (statt überlassen) (Krüger 1832: 335).
94 dazu gefuhrt, daß sich die einheimischen Kontaktsprachen als wichtige Faktoren fur die Sprachentwicklung in der Forschung durchsetzten. Die grundsätzlichen Unterschiede bei der Einschätzung des Phänomens 'die deutsche Sprache im Baltikum' sind offensichtlich weniger auf die Erfassung der sprachlichen Eigentümlichkeiten zurückzuführen. Sie ergeben sich allein aus den unterschiedlichen Schwerpunkten in einzelnen Untersuchungen. So werden z.B: im 20. Jahrhundert phonetische und intonative Besonderheiten in der Sprache der baltischen Deutschen erforscht (Mitzka 1923, Hentrich 1925, Masing 1923); Wortschatzfragen werden zielgerichtet untersucht, ζ. B. über niederdeutsche Elemente in der deutschen Sprache des Baltikums (Masing 1926), über die deutsche Sprache in in Riga (Eckardt 1904) und der Wortschatz bestimmter thematischer Bereiche (Masing 1931). Ein wesentlicher Meinungsunterschied tritt vielmehr bei der Bewertung des fremdsprachlichen Einflusses auf das Deutsche im Baltikum hervor. Während im 18. Jahrhundert trotz der Warnung vor „ganz verkehrte[n] Redensarten" (Lindner 1762: 248) die Aufnahme des Lehnwortschatzes mit dem Hinweis auf die Bedürfnisse der Deutschen gerechtfertigt wurde (Hupel 1795: VI) und der Schluß, daß die vielen Entlehnungen „der hiesigen deutschen Sprache die Gestalt eines Mischmasches" verleihen (Hupel ebd.), nur eine Feststellung blieb, kommt die Ablehnung dieses Einflusses im 19. Jahrhundert deutlich zum Vorschein. Es wird vor allem die Reinheit der Sprache gepriesen (Gutzeit 1864: IV; Groß 1869: 23). Der Einfluß der einheimischen Sprachen wird als unwesentlich eingestuft (Gutzeit 1864: IV; Groß 1869: 35) und die sprachlichen Besonderheiten in stärkerem Maße als ein Ergebnis der historisch-geistigen Verbindung mit dem muttersprachlichen Ursprungsland oder durch die sprachschöpferische Kraft des Deutschen erklärt (Gutzeit 1864: IV). Die Aussagen einzelner Autoren vermitteln jedoch ein von den angeführten Ansichten stark abweichendes Bild. Die positive Bewertung des Einflusses der lettischen Sprache wie von Krüger (1832: 320f.) stellt eine Ausnahme unter allen Abhandlungen dar. Die „Güte des Dialects" vermutet er in der positiven Auswirkung der Zweisprachigkeit der Deutschen und des Sprachkontakts und zieht Parallelen zum niederdeutschen Sprachraum (Krüger 1832: 321 f.). In den 20er Jahren stellt Mitzka fest: „Die sprachliche Einwirkung der Nichtdeutschen ist bei allen Ständen der Deutschen als erheblich anzusetzen; sie ist am größten auf dem Lande, wo der Deutsche von Kind an gewöhnlich mehr lettisch oder estnisch hört und spricht als deutsch" (Mitzka 1923: 6). Diese Ansichten führen zur Frage, inwieweit die Aussagen über die Reinheit des Deutschen oder über den geringen fremdsprachlichen Einfluß den jeweiligen kulturpolitischen Strömungen oder den Wunschvorstellungen der Autoren entsprachen.
8.1.2. Entstehung und Gebrauch des Terminus' „Baltendeutsch" Im Blickpunkt des Interesses der Wortschatzsammler und Sprachforscher stand schon immer eine kleine gesellschaftliche Oberschicht, die sich der hochdeutschen Schriftsprache bediente und nur im mündlichen Ausdruck einige lautliche und intonative Eigentümlichkeiten sowie Besonderheiten im Wortschatz aufwies, die man als baltisch bezeichnete. Die Gelehrten des 18. und 19. Jahrhunderts bevorzugten noch Bezeichnungen wie die deutsche Sprache „unserer Provinz" (Bergmann 1785), „in Lief= und Ehstland" (Hupel 1795) u.dgl.
95 Schon frühzeitig zeigte sich die Tendenz, dieses Deutsch nur auf die gesprochene Sprache „der gebildeten und belesenen Klasse" und „des bürgerlichen Mittelstandes" einzugrenzen (Gutzeit 1864: Vif.). 4 Trotz der sozialen Abgrenzung der Sprachträger wurde das Deutsche im Baltikum als ein Dialekt bzw. eine Mundart betrachtet (Hupel 1795; Gutzeit 1864; Sallmann 1880; Krüger, 1832; auch Eckardt 1904). Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde auf die Problematik des Terminus' „Mundart" hingewiesen: Da die Sprache der „niederen Volksschichten" der Deutschen und Nichtdeutschen als Repräsentanten für die Mundart nicht in Frage kommen, könne nicht von einem deutschen „Volksdialekt" gesprochen werden; daher diene der Terminus „baltische Mundart" nur „in seiner weiteren Bedeutung als Sprecheigenart" (Eckardt 1904: 46f.), d. h., als gesprochene Sprache. In diesem Sinne oder ausschließlich in bezug auf die älteren Stufen der deutschen Sprachgeschichte im Baltikum vor der Ablösung des Mittelniederdeutschen durch das Frühneuhochdeutsche wurde der Terminus „Mundart" auch in einigen späteren Forschungsarbeiten verwendet (Mitzka 1923). Für das gesprochene Deutsch der gebildeten und sozial etablierten Schichten wurde der Begriff 'hochdeutsche Umgangssprache' eingeführt, deren regionale Eigentümlichkeit durch Ergänzungen wie „mundartlichefr] Färbung" (Masing 1923: 83), „mit provinzieller Färbung" (Masing 1926: 5) oder „mit besonderen landschaftlichen Eigentümlichkeiten" (Laur 5 1955: 111) u.ä. unterstrichen wurde. Die Sprache selbst, also die hochdeutsche Umgangssprache der sozialen und kulturellen Oberschicht, wurde „Baltendeutsch" oder „das baltische Deutsch" genannt (Hentrich 1925, Kiparsky 1942, Schönfeldt 1968 u.a.). Die Sprache der unteren Schichten wurde als „Kleindeutsch" bzw. „Halbdeutsch" 6 abgewertet und ihr Einfluß auf das „Baltendeutsch" als unwesentlich eingestuft (Eckardt 1904: 75; Stegmann v. Pritzwald 1952: 414f.). So beruht auch die Darstellung der deutschen Sprache im Baltikum mit wenigen Ausnahmen (ζ. B. Mitzka 1923; Masing 1926) auf der Untersuchung der gesprochenen Sprache eines kleineren Teils der deutschen Bevölkerung. 7 Die Belege fur die erfaßten regionalen 4
Wenn vor der Freilassung der Leibeigenen ab 1819 die deutsche ländliche Bevölkerung in Kurland auf 20 457 geschätzt wird, bildeten die kleinen deutschen Leute mit 4 646 etwa 23% (vgl. Hoheisel 1994: 234). Mit einem erheblichen Anteil der unteren Schichten im 18. Jahrhundert ist auch in den Städten zu rechnen. Bezüglich der Stadt Reval in Estland schließt Κεηέζ, daß in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts ihr Anteil zwischen 57% und 54% schwankte (Kenez 1981: 490f.). Die Zahlen weisen auf eine der ungelösten Fragen in der linguistischen Beschreibung der deutschen Sprache des Baltikums hin: Inwieweit bei einer starken Eingrenzung der Sprachträger der eigentliche Sprachstand dargestellt werden kann.
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Laur bietet eine ausfuhrliche Definition des baltischen Deutsch als „Umgangssprache auf hochdeutscher Grundlage einer bestimmten Volksgruppe mit besonderen landschaftlichen Eigentümlichkeiten, die sich im wesentlichen aus Relikten des [...] aus dem West- und Ostfälischen hergeleiteten baltischen Niederdeutsch (vom 13. bis zum 18. Jahrhundert) im Lautstand, Wortschatz und in Syntagmen und auch in Ortsnamen, aus Relikten älteren allgemeindeutschen Sprachgutes und Einflüssen der nichtdeutschen einheimischen Sprachen zusammensetzen [...], und die in sich wiederum stark soziologisch gegliedert ist" (Laur 1955: 111).
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Zur Terminologie hinsichtlich der deutschen Sprache bei den Vertretern aus den untersten Gesellschaftsschichten des Baltikums s. Schönfeldt 1968: 660ff. Die Sprache der zahlreichen Klein- oder Halbdeutschen im deutsch-lettischen Kontaktgebiet ist z. B. häufig als eine Mischsprache abgewertet worden, doch kaum auf eine Mischsprache hin untersucht worden. Thomason/Kaufman weisen in Anlehnung an Ilse Lehiste (1965) hin, daß die halb-
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96 Besonderheiten entstammen der jeweils untersuchten Gegenwartssprache oder den älteren Wortschatzsammlungen aus dem 18./19. Jahrhundert. Die Belegquellen im einzelnen sind jedoch meistens nicht ausgewiesen. Das Eingrenzen ihrer Präsenz auf eine bestimmte Zeitperiode kann daher nicht immer mit Sicherheit erfolgen. Für die Bestimmung ihrer Relevanz und Häufigkeit im Sprachgebrauch fehlt in den Untersuchungen ein sprachstatistischer Hintergrund. Nicht selten unterstützen einzelne Belege anscheinend aus einer empirischen Beobachtung erschlossene sprachliche Besonderheiten, die mangels einer sprachsystematischen Betrachtung keine umfassende Einsicht in den regionalen Charakter der Sprache ermöglichen.
8.1.3. Untersuchungsmöglichkeiten der deutschen Sprache im Baltikum unter Aspekten der Kontaktlinguistik Aus ethnokultureller Sicht ist die deutsche Bevölkerung des Baltikums als eine „Kolonie" bezeichnet worden (Mitzka 1923, Stammler 1922 u.a.). In bezug auf den Geltungsbereich ihrer Sprache ist die geographische Abgrenzung betont worden: „baltischer Sprachraum" (Stegmann v. Pritzwald 1952), „geographische Isolierung der deutschen Sprachträger" (Mitzka 1923: 5), „Sprache des Gebietes" (Mitzka 1923: 42) u.ä. Obwohl die ethnokulturellen „Siedlungskolonien" in der Sprachinselforschung in Verbindung mit dem Begriff 'Sprachinsel' 8 gebracht werden (Domaschnew 1991: 245), wird hinsichtlich des baltischen Deutschtums dieser Begriff vermieden. 9 Zwar sind in der deutschen Sprache des Baltikums mehrere Merkmale einer Inselsprache10 erkennbar (vgl. Kap. 8.1.1.), doch die bis jetzt unbeantworteten linguistischen Fragen bilden ein erhebliches Hindernis für die Klassifizierung des Deutschen im Baltikum als eine Inselsprache. Darüber hinaus sprechen auch einige außersprachliche Faktoren gegen diese Auffassung wie ζ. B. der ständige Zuzug neuer Bevölkerungsgruppen ins Baltikum aus anderen deutschsprachigen Gebieten (s. Kap. 3.1.).
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deutsche Sprache der Esten im 19. Jahrhundert einige für Mischsprachen zutreffende Charakteristika aufwies, ζ. B. das Fehlen der Substantivflexion und keine mit dem Substantiv koordinierte Adjektivdeklination. Als „a fully crystallized pidgin" ist diese halbdeutsche Sprache nicht klassifiziert worden - möglicherweise wegen einer mangelnden Stabilität (Thomason/Kaufman 1988: 198f.). Eine Definition der Sprachinsel s. Wiesinger 1980: 491. Neuere Erkenntnisse bezüglich der Exsistenzbedingungen einer Sprachinsel s. Mattheier 1996. Eine Ausnahme findet man bei Klein (1957), der das Baltikum als eine „klassische Sprachinsel" ansieht und den Übergang von der niederdeutschen zur hochdeutschen Sprache zwischen 1600 und 1700 als ein extremes Beispiel fur den inneren Sprachumbruch in einer Sprachinsel anführt (Klein 1957: 202f.). Im einzelnen hat Conze nur die relativ späten deutschen Bauernsiedlungen auf den Höfen Hirschenhof und Helfreichshof in Livland als deutsche Sprachinseln bezeichnet, da sie wesentliche Merkmale einer Volksinsel - die „Abschnürung vom geschlossenen deutschen Volkskörper" und die „Umschließung durch den fremden" (Conze 1963: 11) - aufweisen, doch sie gelten nicht als repräsentativ für das baltische Deutschtum insgesamt und werden in der vorliegenden Untersuchung nicht berücksichtigt. Linguistische Merkmale und soziokulturelle Existenzfaktoren einer Inselsprache s. Wiesinger 1980: 492ff. u. Domaschnew 1991: 245f.
97 Daß die Geschichte der deutschen Sprache in einem mehrsprachigen Kontext außerhalb des ethnischen Ursprungslandes auch ohne die Auseinandersetzung mit der Problematik der Inselsprache dargestellt werden kann, zeigt Winge (1992) in ihrer Abhandlung über das Deutsche in Dänemark von 1300 bis 1800. Sie berücksichtigt die „Methoden der historischen Soziolinguistik und der historischen Mehrsprachigkeitsforschung bzw. Kontaktforschung" (Winge 1992: 11). Da diese Konzepte durch ein gemeinsames Forschungsobjekt die Sprache in einer anderssprachigen Umgebung" - auch die Problemfelder der Sprachinselforschung erfassen können (Mattheier 1996: 812), darf auch das Deutsche im Baltikum vom Standpunkt der Kontaktlinguistik aus untersucht werden. Die Merkmale einer Inselsprache können einen zusätzlichen Aufschluß über die Sprache und die sprachliche Haltung der deutschen Minorität im Baltikum bieten. Als ausschlaggebend für die Auswirkungen des Sprachkontaktes auf die beteiligten Sprachen werden in der neueren Forschung besonders die sozialen Faktoren genannt. Sie und nicht die sprachlichen Strukturen sollen bestimmen, wie offen oder resistent eine Sprache den fremden Entlehnungen gegenüber auftritt (Thomason/Kaufman 1988: 19; vgl. Oksaar 1991: 170) und in welcher Richtung sich die Entlehnung vollzieht (Thomason/Kaufman 1988: 35). Hinsichtlich der Entlehnungen aus den Kontaktsprachen in der deutschen Sprache des Baltikums ist ζ. B. die sprachliche Bedarfsdeckung (Bechert/Wildgen 1991: 76) als ein fördernder Faktor anzusehen. Die Motive der sprachlichen Bedarfsdeckung sind auch bei anderen deutschen Sprachgemeinschaften in einer fremdsprachigen Umgebung belegt worden, ζ. B. Bedeutungsunterscheidungen zwecks Vermeidung von Homonymie oder ein Synonymbedürfnis (Clyne 1980: 642) - so nach affektiven Wörtern zum Ausdruck der sozialen Bewertung wie Verachtung 12 oder Komik (Weinreich 1964: 56ff). Dagegen ist das Prestige der Quellsprache (Weinreich 1964: 59f.), in diesem Fall des Lettischen, als sozialer Faktor (s. Kap. 3.3.) kaum in Erwägung zu ziehen. Je nach der Struktur der beteiligten Sprachen werden gewisse fremdsprachliche Erscheinungen leichter als andere übernommen (Thomason/Kaufman 1988: 15; Haugen 1956: 12), ζ. B. eher freie Elemente als gebundene Morpheme. 13 Haugen schließt aus seiner Untersuchung zum Norwegisch der Immigranten in Amerika darauf, daß hier wenige Neubildungen, dafür aber viele Entlehnungen vorkommen. Als einen fördernden linguistischen Aspekt nennt er die Ähnlichkeit in der sprachlichen Struktur des Norwegischen und des Englischen (Haugen 1956: 30f.). Deshalb werden bei der Analyse der Lehneinflüsse auf die deutsche Sprache im Baltikum ebenso die intralingualen Faktoren berücksichtigt, denn auch sie können die Lehnbeziehung mitbestimmen.
" Über die gegenseitigen Beziehungen der Forschungsbereiche „Kontaktlinguistik", „Inselsprachforschung" und „historische Soziolinguistik" s. Mattheier 1988: 1433f. 12 Beispiele für gegenseitige Entlehnungen mit einer pejorativen Konnotation führt Weinreich aus dem Tschechischen und dem von Sudetendeutschen gesprochenen Deutsch an: ksiht 'Fratze' < Gesicht; Nusch 'schlechtes Taschenmesser' < nu2 'Messer' (Weinreich 1964: 56). 13
Vgl. das Beispiel mit der Negationspartikel/dem Negationsaffix bei Thomason/Kaufman 1988: 73.
98 8.2. Wege der wissenschaftlichen Annäherung an die regionalen Besonderheiten der deutschen Sprache des Baltikums im Lexikon von Jacob Lange
Aufbauend auf der Darstellung der kulturhistorischen Situation in Kurland und Livland (s. Kap. 3.) und auf den Erkenntnissen der Kontaktlinguistik sind die regionalen Besonderheiten der deutschen Sprache im Baltikum vorerst auf den Sprachkontakt mit dem Lettischen und mit dem Niederdeutschen als auch auf die innere Mehrsprachigkeit14 der deutschen Bevölkerung zurückzuführen.
8.2.1. Die deutschen trennbaren Präfixverben als Analyseobjekt und ihre Repräsentanzfähigkeit für die deutsche Sprache im Baltikum Nicht selten wird hinsichtlich der Besonderheiten der deutschen Sprache im Baltikum auf den Reichtum und auf eine spezifische wortbildende und semantische Prägung der Präfixverben im Vergleich zum Hochdeutschen hingewiesen (Sallman 1880: 76ff.; Masing 1923: 88). G. Eckardt führt einige Beispiele authentischer Gespräche an, die trotz der zeitlichen Verschiebung vom 18. auf das 20. Jahrhundert die mit dem Gebrauch von Präfixverben in der Sprache der baltischen Deutschen verbundenen Besonderheiten im Vergleich zum Hochdeutschen beleuchten sollen: Was weinst du Junge? „ Ich bin heruntergefallen. " Herunter? Von wo herunter? Der Knabe machte ein verdutztes Gesicht. „Auf der Diele, und da hab ich mir den Kopf abgeschlagen. " Was hustest du denn so erbärmlich, Karl? „ Ich - ich habe mich verschluckt, Herr Meyer!" Was? dich - verschluckt? (Eckardt 1904: 45).
Mit den Beispielen könnte Eckardt folgende Besonderheiten angesprochen haben: 1) redundante Präfigierungen zur Lokaliätsangabe (*herunterfallen auf der Diele)·, 2) untypischer kontextueller Einsatz der Präfixverben (*abschlagen statt anschlagen)·, 3) redundanter Gebrauch der reflexiven Verbformen15 {sich Akk. verschlucken wird als eine Abweichung vom Hochdeutschen klassifiziert).
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Erklärung des Begriffs s. Wandruszka 1971: 8; Henne 1985: 18ff. In der vorliegenden Arbeit wird unter der inneren Mehrsprachigkeit vor allem die Koexistenz verschiedener Soziolekte unter der deutschen Bevölkerung verstanden, die auf kommunikativem Wege eine allgemeinsprachliche Ebene erreichen können, ebenso wie die verschiedenen Lernvarietäten der deutschen Sprache, deren Interferenzen für die Sprache des territorial abgegrenzten baltischen Deutschtums von Bedeutung sein können. Bei Adelung (4, 1124) ist die reflexive Form und die Bedeutung 'etw. in die Luftröhre bekommen' noch nicht verzeichnet; laut Grimm (DWB 2/25, 1115) ist das Reflexivum als 'falsch, unrichtig schlucken' zuerst bei Arnim, also Anfang des 19. Jahrhunderts, belegt. Wie das Beispiel von Eckardt zeigt, ist ihm die Form noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts unbekannt und wird deshalb als normwidrig empfunden.
99 Um die eventuellen Besonderheiten im Wortschatzbereich des Lexikons möglichst klar bestimmen zu können, sollte die Erhebungsquelle nicht stichprobenweise, sondern vollständig erfaßt werden. Deshalb schien die Abgrenzung auf eine lexikalische Kategorie aus methodologischen und arbeitstechnischen Gründen notwendig. Die häufigen Hinweise auf die regionalen Besonderheiten im Bereich der trennbaren Präfixverben (s. oben) veranlaßten ihre Wahl zum Gegenstand der Untersuchung. So wurden die im deutsch-lettischen Teil des Lexikons von Lange lemmatisierten trennbaren Verben mit den Präfixen ab-, an-, auf-, aus-, bei-, durch-, ein-, nach-, über-, um-, unter-, vor-, wider-, wieder- und zu- untersucht. Die Wahl spiegelt die von Kühnhold verzeichneten wichtigsten Verbalpräfixe wider in der Untersuchung über Wortbildungstendenzen im Deutschen seit dem 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart (Kühnhold 1973: 144f.).16 Ein Teil dieser Präfixe (durch-, über-, um-, unter-, wider-, wieder-) können sowohl trennbar als auch untrennbar sein. Da bei Lange die Trennbarkeit bzw. Untrennbarkeit der Präfixe nicht ausgewiesen ist und auch die lettischen Äquivalente nicht beurteilen lassen, ob es sich um ein trennbares oder ein untrennbares deutsches Verb handelt, konnten nur wenige dieser Präfixverben anhand des Kontextextes eindeutig als trennbar erschlossen werden. In Verbindung mit der untersuchten schriftlichen Quelle stellt sich auch die Frage, inwieweit das dort erfaßte Sprachmaterial die deutsche Sprache im Baltikum repräsentieren kann und welcher Erscheinungsform - der geschriebenen oder oder der gesprochenen Sprache bzw. der Umgangssprache 'Baltendeutsch' - die erkannten regionalen Besonderheiten zuzurechnen sind. Wie schon die Textsortenspezifik eines Wörterbuchs vorgibt, ist das lexikalische Material nicht auf den individuellen Sprachgebrauch des Verfassers zu beziehen. Vom Gegenteil „something does not have to be spoken before it can be written" (Romaine 1988: 1454), das sich in der Wörterbuchgeschichte gelegentlich dank der sprachschöpferischen Tätigkeit der Lexikographen bewahrt hat, ist im Fall Langes kaum auszugehen: Da der Schwerpunkt im Lexikon auf der Darstellung der lettischen Sprache lag und die neueingereisten Deutschen als die primäre Benutzergruppe galten, ist mit absichtlichen Sprachkreationen im Deutschen kaum zu rechnen. Vielmehr ist zu erwarten, daß der Verfasser sich eines überregionalen Hochdeutschen befleißigt. Das erlaubt die Abweichungen vom Hochdeutschen im Lexikon vorerst als Merkmale der deutschen Sprache im Baltikum festzuhalten. Die Untersuchungsergebnisse sollen zu keinen generalisierenden Aussagen führen, zudem im Blickpunkt nur ein einzelnes Werk steht und die deutsche Sprache im Baltikum als kein einheitliches linguistisches Phänomen aufzufassen ist, da auch innerhalb des Baltikums territorial gebundene und sozial bedingte Unterschiede im deutschen Sprachgebrauch vorhanden waren (Sallmann 1880; Eckardt 1904; Laur 1955). Unter Berücksichtigung des linguistisch repräsentativen Charakters eines Wörterbuchs sind die Feststellungen bezüglich
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Die Abhandlungen über die deutsche Wortbildungslehre fuhren keine identischen Verzeichnisse der deutschen Präfixe an. So werden von Fleischer/Barz auch dar- und los- als Präfixe zur Bildung der trennbaren Verben angeführt, dagegen wird wieder- als ein Kompositionsglied aus semantischen Gründen betrachtet (Fleischer/Barz 1992: 294). Bei Erben (1993) fehlen die Präfixe darund los-, das angeführte „wi(e)der-" erfaßt sowohl wider- als auch wieder- als ein Präfix (Erben 1993: 71). Bei Lange sind Verben mit diesen Präfixen selten vertreten: dar- (6), los- (-), wider(4), wieder- (5) und lassen keine Abweichungen vom Hochdeutschen erkennen.
100 der gewählten Kategorie, nämlich der trennbaren Präfixverben, als gültig im betrachteten sprachlichen Kontaktgebiet anzunehmen. Nicht selten wird darauf hingewiesen, daß nach dem Sprachwechsel im Baltikum die hochdeutsche Schriftsprache als maßgebend galt (Stegmann v. Pritzwald 1952: 414). Masing (1923: 83) begrenzt den Einfluß des gesprochenen „baltischen Deutsch" vor allem auf die geschriebene Sprache mit lokaler Gültigkeit. Die Aussagen der deutschen Wortschatzsammler des 18. Jahrhunderts im Baltikum zeugen allerdings davon, daß in der geschriebenen Sprache der baltischen Deutschen im 18. Jahrhundert noch häufig mit Abweichungen vom Hochdeutschen zu rechnen ist (vgl. Lindner 1762: 245; Bergmann 1785: Xf.). Hupel nimmt in sein Idiotikon auch solche „Ausdrücke" auf, die „in hiesigen Büchern vorkommen" (Hupel 1795: XI). Da die Erhebungsquellen für die deutsche Sprache im Lexikon vorläufig unbekannt sind, bietet sich kein Anlaß zur Einstufung der im weiteren erfaßten regionalspezifischen Präfixverben als Reflexe der gesprochenen Sprache in der geschriebenen Sprache des Deutschen im Baltikum.17 Eine Differenzierung zwischen den Elementen der Mündlichkeit und Schriftlichkeit bei den vom Hochdeutschen abweichenden Präfixverben bleibt damit unberücksichtigt. Sie greift ein weiteres untersuchungsbedürftiges Problemfeld auf, das im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht erfaßt werden kann.
8.2.2. Die deutschen trennbaren Präfixverben unter dem Aspekt lexikalischer Interferenz Lehnbeziehungen können alle sprachlichen Ebenen betreffen. In dieser Untersuchung werden sie auf der lexikalischen Ebene festgehalten. Hier unterscheidet man zwischen: 1) Lehnwort (übernommenes/entlehntes Wort); 2) Lehnbildung (nach fremdem Muster neu gebildetes Wort); 3) Lehnbedeutung (nach einem fremden Muster semantisch verändertes bereits vorhandenes Wort).18 Mit den Lehnwörtern aus dem Lettischen wird man in der vorliegenden Untersuchung nicht konfrontiert. Die Lehnbildungen aber können näher differenziert werden, je nach dem Grad, mit welchem sich die Neubildung dem fremdsprachigen Muster morphologisch und semantisch angleicht (Tesch 1978: 112; Wandruszka 1979: 154ff.; Bechert/Wildgen 1991: 69ff.). Diese Differenzierung wird in der Arbeit nicht immer angestrebt, da sie sich nicht mit dem semantischen Entsprechungsgrad jedes wortbildenden Elementes beschäftigt. Mehrere der untersuchten Lexeme zeichnen sich durch solche Merkmale aus, die in der Forschung auch als grammatische Interferenzen, d. h. als Teile der Syntax betrachtet werden (ζ. B. die Reflexivität und Transitivität/Intransivität der Verben) und fallen unter die Rubrik „Lehnsyntax" (vgl. Tesch 1978: 140). Dazu erwähnt Tesch (1978: 164ff.) solche Beispiele wie Funktionserweiterung des Reflexivpronomens aufgrund slawischer Interferenz in der deutschen Kontaktsprache, Transitivierung ursprünglich intransitiver Verben in der schwei17
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Eine Möglichkeit des Einflusses wird damit prinzipiell nicht abgelehnt. Wechselwirkungen von Mündlichkeit und Schriftlichkeit sind in der Forschung anerkannt und belegt: Über das Eindringen der Mündlichkeit des Verhörs in die Schriftlichkeit des Protokolltextes s. ζ. B. Rösler 1995. Arten der Entlehnung siehe bei: Tesch 1978: 112; Wandruszka 1979: 116ff.; Bechert/Wildgen 1991: 71; Hoffer 1996: 543f.
101 zerdeutschen Kontaktmundart nach dem englischen Modell, Verlust des Reflexivpronomens bei ursprünglich reflexiven Verben und umgekehrt. Wie Haugen betont, ist eine genaue Bestimmung der Grenzen zwischen Morphologie, Syntax und Lexik in einer bilingualen Analyse schwierig (Haugen 1956: 63). Er schließt sich der Ansicht von Weinreich an, daß zu den lexikalischen Entlehnungen solche Lexeme zählen, die in ihrer morphologischen Struktur mit dem fremdsprachigen Vorbild identisch sind (Haugen 1956: 63; Weinreich 1964: 48ff.). Deshalb können reflexive bzw. nichtreflexive Präfixverben unter Umständen als eine lexikalische Entlehnung betrachtet werden. Die Untersuchungseinheiten dieser Arbeit sind die im Lexikon von Lange verzeichneten Lemmata, die als Abweichungen vom Hochdeutschen anhand der lexikographischen Vergleichsquellen erst auf der Wortbildungsebene und lexikalisch-semantischen Ausdrucksebene festzuhalten sind. Die Ergebnisse lassen zwar in mehreren Fällen auf die syntaktischen Unterschiede schließen, die durch das Vorhandensein oder durch das Fehlen bestimmter sprachlicher Elemente bei den Präfixverben verursacht werden, doch insgesamt können solche Entscheidungen anhand des Lexikons nicht eindeutig getroffen werden. Deshalb wird eine Differenzierung in lexikalische und grammatische Interferenzen der Präfixverben nicht angestrebt. Die hier bevorzugte Sichtweise steht jedoch nicht im Widerspruch zu der erwähnten Auffassung von Tesch, sondern schafft erstmals eine Basis fur eine zukünftig differenziertere Betrachtung der Interferenzen.
8.2.3. Semantische Analysierbarkeit der deutschen Einträge im Lexikon Als ein Kriterium für die Erfassung der lexikalischen Abweichungen vom Hochdeutschen des 18. Jahrhunderts erlaubt die lexikalische Ausdrucksform der deutschen Präfixverben, nur einen Teil dieser Verben zu erfassen: nämlich diejenigen, die als Lexeme in den hochdeutschen Vergleichsquellen nicht verzeichnet sind. Schon in der Anfangsphase der Untersuchung wurde festgestellt, daß eine Vielzahl der Präfixverben bei Lange zwar nach formalen Kriterien den Präfixverben in den hochdeutschen Wörterbüchern gleich sind und sich als hochdeutsche klassifizieren lassen, jedoch in ihrer Semantik den bedeutungserklärenden Einträgen nicht entsprechen. Einen hypothetischen Aufschluß darüber gaben vorerst die lettischen Äquivalente aus diachronischer Sicht. Dies besagt, daß eine optimale Nutzung des Lexikons als eine Belegquelle für die Auswertung der sprachlichen Besonderheiten des Deutschen im Baltikum erst über die semantische Identifikation der deutschen Einträge ermöglicht werden kann. Deshalb müssen Prinzipien und Möglichkeiten fur die semantische Identifikation der im Lexikon verzeichneten Präfixverben festgelegt und vereinheitlicht werden. Gleichzeitig müssen die Grenzen verzeichnet werden, über die hinaus die ausgewiesene Semantik der Lexeme anhand der vorhandenen lexikographischen Vergleichsquellen als hypothetisch zu bewerten ist. Derartige Belege werden in der vorliegenden Arbeit für eine nähere sprachliche Auswertung ausgeschlossen. Semantisch orientierte Untersuchungen sind in der Linguistik reichlich vertreten, und zu einem wichtigen Diskussionsobjekt gehören seit langem die semantischen Beschreibungsmöglichkeiten des Wortschatzes. 19 Allerdings setzt jeder Beschreibungs- oder Strukturie19
Über die semantische Analysierbarkeit der Lexeme laut verschiedener Bedeutungstheorien s. Lyons 1991: Iff., Schippan 1992: 121ff.
102 rungsversuch ebenso wie der Zugang zu den jeweiligen Ergebnissen die Kenntnis der Inhalte des sprachlichen Materials voraus. Dafür aber, wie Lutzeier bemerkt, biete die Linguistik kein wissenschaftliches Verfahren an, und man muß „im semantischen Bereich bewußt sein Sprachgefühl als heuristisches Prinzip einsetzen" (Lutzeier 1985: 131; vgl. Schifko 1975: 35). Zur semantischen Ermittlung sollen verschiedene Wörterbücher, auch dialektale und fachsprachliche, verhelfen, denn „in ihnen sind allgemein anerkannte Inhalte kodifiziert" (Lutzeier ebd.). In der Praxis werden für die semantische Erschließung der Lexeme meistens mehrere Methoden angewandt, ζ. B. Kontextanalyse, interlingual-kontrastive Analyse, Definitionsanalyse und objektive Merkmalanalyse (Herberg 1974: 10). Schifko (1975) ζ. B. empfiehlt die semantische Bestimmung der Lexeme über die „Beobachtung der möglichen Klassen von Denotata", „Bestimmung der möglichen Synonyme und Paraphrasen" und Bestimmung „der entsprechenden Hyperonyme und Hyponyme" (1975: 35f.). Es wird auf Schwierigkeiten bei der praktischen Bestimmung der Sememe eines Lexems hingewiesen, ζ. B. bei der Unterscheidung zwischen einer Sememvariante und einem Semem (Schifko 1975: 35; s. auch Schippan 1992: 161 f.), anders gesagt, zwischen der Polysemie und der Polyvalenz eines Lexems. Wenngleich die Voraussetzungen zur Ausgliederung eines Semems von Herberg klar formuliert werden - „Bedeutungsunterschiede sind in der Regel der Ausdruck des Vorhandenseins distinktiver Bedeutungselemente oder aber unterschiedlicher Merkmalanordnung" (Herberg 1974: 9) - wird gleichzeitig eingeräumt, daß die Ermittlung und Beschreibung der Merkmale wegen eines unvollkommenen Methodenapparats ein noch ungelöstes Problem darstellen und aufgrund des Fehlens einer standardisierten Metasprache erschwert werden (Herberg 1974: 10). In der praktischen Lexikographie werden die einzelnen Sememe eines Lexems von den bedeutungswiedergebenden Wörterbucheinträgen gedeckt (Herberg 1974: 26). Da in einem zweisprachigen Wörterbuch das verzeichnete fremdsprachige Äquivalent samt den bedeutungsillustrierenden Glossen einem bedeutungswiedergebenden Eintrag des Lexems gleichzusetzen ist (vgl. Hartmann 1991: 2857), spiegelt es logischerweise auch die Semantik des in Frage kommenden Lexems wider. Gegen den Übersetzungsvergleich als Methode wird oftmals eine gewisse Skepsis geäußert, da es sich hier „um außersystematische Beziehungen handelt" (Schifko 1975: 36), und das „chimärische Wesen" der Übersetzungsäquivalenz (Lyons 1991: 16) mitberücksichtigt werden muß. Die Nutzung des Lettischen in der Untersuchung des zweisprachigen Lexikons bietet eine Möglichkeit, der ausgewiesenen Semantik der deutschen Präfixverben näher zu kommen. Trotz der erwähnten Nachteile wird der Äquivalentenvergleich als interlingual-kontrastive Methode angewandt, denn „die menschliche Sprache erforschen heißt Sprachen miteinander vergleichen; vergleichen können wir nur, was durch Übersetzung vergleichbar geworden ist" (Wandruszka 1971: 133). Während eine möglichst vollständige semantische Darstellung eines Lexems den einsprachigen Wörterbüchern zukommt, bieten die zweisprachigen Wörterbücher und so auch das betrachtete Lexikon von Lange nur einen gezielten Ausschnitt aus der ganzen semantischen Palette der einander gegenübergestellten meistens polysemantischen Lexeme. Bei der semantischen Identifikation eines deutschen Präfixverbs kommt es daher auf die Bestimmung des mit dem lettischen Äquivalent gemeinsamen Semems an.
103 In bezug auf das 18. Jahrhundert stößt man hinsichtlich der Kontrastsprache Lettisch auf erhebliche Schwierigkeiten, da sie zu dieser Zeit im Unterschied zum Hochdeutschen in ihrer semantischen Vielfalt in keinem einsprachigen lexikographischen Werk dargestellt worden ist. Deshalb wurden für die semantische Identifikation der deutschen Verben drei einander ergänzende Methoden angewandt, die hier einzeln angeführt werden, doch für die konkreten Ergebnisse jeweils nicht allein stehen: 1. Erschließung der Bedeutung des deutschen Lexems über die Äquivalenzbeziehungen in anderen deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Wörterbüchern, ζ. B.: Lange: Aufpropfen, peetuhzeht, Stender: tuhzeht, peetuhzeht, vollstopfen, folglich könnte aufpropfen laut den baltischen Quellen 'vollstopfen' bedeuten. 2. Erschließung der Bedeutung des deutschen Lexems über den deutschen Kontext, ζ. B.: Lange: anstreicheln sich, wie eine Katze könnte auf die Bedeutung 'sich anschmiegen, anschmeicheln' hinweisen; Zuschüssen wie die Milch - auf die Bedeutung 'zufließen (von Milch in der Brust/Euter)'. 3. Erschließung der Bedeutung des deutschen Lexems über die kontrastive Textanalyse der deutsch-lettischen Einträge im Lexikon, ζ. B.: Lange: Auswehen, nicht mehr wehen, wehjsch irr apstahjees. Die Bedeutung des Äquivalents 'der Wind hat aufgehört zu wehen' unterstützt die Paraphrase nicht mehr wehen die Bedeutung des Verbs wird als 'aufhören zu wehen' festgelegt. Der Kontext hat in der Sememanalyse eine monosemierende Funktion (Schifko 1975: 80) und kann als Beleg für ein Semem oder eine Sememvariante betrachtet werden, doch ist die „syntagmatische Dimension" allein keinesfalls ausreichend (1975: 82). Andere Autoren wie ζ. B. Blanär weisen auch daraufhin, daß die Veränderungen in der kontextuellen Distribution eines Lexems durchaus auf eine neue Bewegung der Bedeutungsentwicklung deuten kann (Blanär 1985: 81). Diese Ansicht ist bei der Auswertung der Präfixverben zu berücksichtigen, die bei Lange andere Kontextbeziehungen als in den hochdeutschen Wörterbüchern aufweisen. Die dritte Methode schließt sich dem von Hartmann (1985) vorgeschlagenen Weg zur semantischen Ermittlung der lexikographischen Einträge an. Allerdings plädiert Hartmann für die Schaffung einer Datenbasis mit zusätzlichen Paralleltexten, die für die Feststellung der semantischen Äquivalenz in den zweisprachigen Wörterbüchern behilflich sein kann (Hartmann 1985: 130), denn die Lexeme zweier Sprachen treten nicht generell, sondern in bestimmten kommunikativen, funktional gleichen Kontexten als Äquivalente auf (Hartmann 1985: 122f.). In mehreren Fällen (s. Kap. 9.4.) konnten die angewandten Methoden zu keinem befriedigenden Ergebnis führen. Gründe dafür waren fehlender Kontext und solche von Lange angeführten lettischen Äquivalente, die in anderen lexikographischen Quellen unzureichend oder überhaupt nicht ausgewiesen sind. Die polysemantische Äquivalenz konnte weder belegt noch auseinandergehalten werden. Obwohl die lettischen Äquivalente, ausgehend vom Wörterbuch Mühlenbachs (1923 ff.) und aus Sicht der Gegenwartssprache betrachtet, die Vermutung unterstützen konnten, daß die betreffenden deutschen Lexikonverben eine andere Semantik als ihre hochdeutschdeutschen Bezugslexeme aufweisen, wurden solche Fälle als hypothetisch ausgesondert und nicht erfaßt.
104 8.2.4. Die benutzten Untersuchungsquellen und ihre Kompatibilität Die bisherigen Untersuchungen und Wortschatzsammlungen der deutschen Sprache im Baltikum beruhen häufig auf einer sporadischen Wahl des Quellenmaterials. Aus diesem Grund bietet lediglich das Erscheinungsjahr dieser Arbeiten einen zuverlässigen Ausgangspunkt für eine synchrone Sprachbetrachtung. In einer komparativ ausgerichteten linguistischen Untersuchung ist eine adäquate Wahl des Quellenmaterials von entscheidender Bedeutung - nicht nur, weil sie vor allem die wissenschaftliche Korrektheit und Glaubwürdigkeit der Ergebnisse bestimmt, sondern auch diese Ergebnisse in thematisch anschließenden Studien leichter zugänglich und praktisch verwertbar macht. In der vorliegenden Untersuchung wurde das linguistische Material ausschließlich den Wörterbüchern und einzelnen Wörterverzeichnissen aus der Abhandlung über die deutsche Sprache im Baltikum von Sallmann (1880) entnommen. Da das Lexikon von Lange (1777) die Hauptquelle der vorliegenen Arbeit darstellte, richtete sich die Aufmerksamkeit bei der Wahl der Vergleichsquellen auf die hochdeutschen Wörterbücher der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Als seine wichtigste Vergleichsquelle wurde das umfangreichste hochdeutsche Wörterbuch dieser Zeit herangezogen: das „Grammatisch=kritische Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen" von Adelung (1793—1801).20 Als eine ergänzende Vergleichsquelle wurde das 1761 erschienene deutsch-englische Wörterbuch von Arnold benutzt, dessen frühere Auflage von 1736 auch Lange im Besitz hatte (s. Kap. 7.1.). Da die Bestimmung des endgültigen Textkorpus' erst nach einer genauen semantischen Identifikation der bei Lange verzeichneten deutschen Präfixverben und nach einer Überprüfung der semantischen Äquivalenz zwischen den deutschen und lettischen Präfixverben erfolgen konnte, mußten zu diesen Zwecken auch später erschienene Wörterbücher wie ζ. B. das „Deutsche Wörterbuch" von J. Grimm und W. Grimm samt der Neubearbeitung dieses Wörterbuchs herangezogen werden. Dieses Werk, in dem die sprachlichen Belege aus dem 18. Jahrhundert besonders reichlich vertreten sind, gilt bis heute als die zuverlässigste Quelle, wenn es darum geht, die lexikalischen und semantischen Abweichungen vom lexikographisch erfaßten Hochdeutschen aufzudecken. Angaben zur Semantik der Präfixverben in der deutschen Sprache des Baltikums konnten nur in wenigen Fällen bei Hupel im „Idiotikon der deutschen Sprache in Lief= und Ehstland" (1795) nachgeschlagen werden, doch zahlreicher und ausfuhrlicher waren sie bei Gutzeit im „Wörterschatz der Deutschen Sprache Livlands" (1864ff.) und im „Neue Beiträge zur deutschen Mundart in Estland" von Sallmann (1880). Eine umfassende semantische Darstellung der lettischen Sprache bietet zum ersten Mal Mühlenbach im „Lettisch-deutsches Wörterbuch" (ergänzt von Endzelin), doch das vierbändige Werk erschien erst in den Jahren 1923-1932. Darum wurde es nur dann als Vergleichsmaterial herangezogen, wenn die von Lange verzeichneten lettischen Äquivalente unbekannte Lexeme darstellten. Grundsätzlich wurde jedoch sowohl die Semantik der letti20
Vgl. auch die Erstausgabe „Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen" (1774-1786).
105 sehen Präfixverben als auch ihre Äquivalenzbeziehung mit den deutschen Präfixverben aus den deutsch-lettischen und lettisch-deutschen Wörterbüchern des 18. Jahrhunderts erschlossen: „ U B E R MEMORIALIS LETTICUS" von Elvers (1748) sowie „Lettisches Lexikon" von Stender (1789). Eine Ergänzung stellten zwei Wörterbücher aus dem 19. Jahrhundert dar: lettisch-deutsches Wörterbuch von Ulmann (1872) und deutsch-lettisches Wörterbuch von Ulmann/Brasche (1880). Als wichtiges Material erwiesen sich zwei von Lange hinterlassene Handschriften des Lexikons, von denen nur eine mit 1755 datiert ist. Die handschriftlichen Texte weichen nicht selten von der endgültigen, gedruckten Variante des Lexikons ab; Synonymreihen in beiden Sprachen, syntagmatische Anwendungsbeispiele und sogar einzelne metasprachliche Anmerkungen konnten zur semantischen Identifikation der deutschen Präfixverben beitragen. Nach der bisherigen Forschung sind die lexikalisch-semantischen Besonderheiten der deutschen Sprache im Baltikum meistens auf das niederdeutsche Erbe oder auf Reste eines älteren Hochdeutsch zurückzufuhren. Deshalb wurden die Präfixverben in erster Linie mit den Angaben im „Frühneuhochdeutschen Wörterbuch" (1986ff.) und in den Wörterbüchern verglichen, in denen die niederdeutschen Sprachgebiete erfaßt werden: im „Mecklenburgischen Wörterbuch" von Wossidlo/Teuchert (1937-1992), im „Schleswig-Holsteinischen Wörterbuch" von Mensing (1927-1935), im „Niedersächsischen Wörterbuch" (1965ff.) und im „Mittelniederdeutschen Wörterbuch" von Schiller/Lübben (1875-1881). Einige dieser Wörterbücher wie ζ. B. das „Frühneuhochdeutsche Wörterbuch" sind bis heute nicht vollständig erschienen. Hinsichtlich des frühneuhochdeutschen Sprachstandes konnten allerdings die meisten Präfixverben überprüft werden, da sowohl in der absoluten Zahl als auch anteilmäßig unter den festgestellten Abweichungen die Präfixverben aus dem Buchstabenabschnitt Α dominieren. Trotzdem dürfte mit gewissen Korrekturen bei einer zusätzlichen Exzerption anderer oder neuerer lexikographischer Quellen mit Rückblick auf die sprachliche Entwicklung des Deutschen gerechnet werden. Schon während der Arbeit mußten einige Verben ausgesondert werden, da sich laut der Angaben in der Neubearbeitung des „Deutschen Wörterbuchs" die vermuteten Besonderheiten der deutschen Verben bei Lange als Fehlschlüsse erwiesen.21 Da bei einem Teil der deutschen Präfixverben im Lexikon hinter der morphologischen Struktur und/oder der Semantik der Einfluß der lettischen Sprache vermutet wurde, schien es wichtig, die aufgestellten Hypothesen mit adäquaten Belegen für die morphologische Struktur und Semantik der lettischen Präfixverben aus der benachbarten und verwandten litauischen Sprache zu unterstützen. Die benutzten lettisch-litauischen und litauischlettischen Wörterbücher stammen aus dem 20. Jahrhundert, denn früher verfaßte Wörterbücher mit diesem Sprachenpaar liegen nicht vor.
21
So wurde das Verb ansagen in der Bedeutung 'auftragen, befehlen, nachdrücklich ermahnen' als eine Entsprechung zum niederdeutschen Verb anseggen (MecklWB 1, 372; NsWb 1, 414f.) eingestuft, da die hochdeutschen Wörterbücher diese Bedeutung nicht aufwiesen (s. A 1, 352; DWB 1/1, 433; FnhdWB 1, 1388f.; DE, 29). Das neubearbeitete DWB ließ diese Annahme als ungültig ausscheiden, denn das Verb ist schon frühzeitig in den Quellen aus dem hochdeutschen Sprachgebiet belegt (s. DWB 3/2, 1259 ansagen 'jmdm. etwas befehlen, anordnen'). Die gleiche Korrektur betraf das Verb sich ansezzen in der Bedeutung 'sich ansiedeln' (vgl. die Einträge: ansetten, refl. (NsWb 1, 417f.), ansetzen u. ansetzen sich (A 1, 369; DWB 1/1, 460; PreußWB 1, 177f.) mit ansetzen sich 'sich niederlassen, ansiedeln, etablieren' im DWB 3/2,1349f.
106 Im 18. Jahrhundert war das geistig-kulturelle Leben im Baltikum durch vielfache Kontakte mit Ostpreußen geprägt. Der sprachliche Einfluß des Ostpreußischen auf die deutsche Sprache im Baltikum ist in einigen Untersuchungen thematisch aufgegriffen worden (Laur 1955). In der vorliegenden Arbeit wurde auf dieses Thema nicht näher eingegangen, doch es kann nicht ausgeschlossen werden, daß der deutsche Sprachgebrauch Jacob Langes, eines gebürtigen Königsbergers, auch von seiner Herkunft bestimmt war. Deshalb wurde zur Ergänzung der lexikalisch-semantischen Ermittlungen auch das „Preußische Wörterbuch" (1939ff.) benutzt, obwohl sein Wortschatz ein viel größeres Sprachareal als das Gebiet des historischen Ostpreußens abdeckt. Es erübrigte sich auch als eine Absicherung gegen die möglichen Fehlschlüsse bei der Auswertung der Neubildungen oder semantischen Innovationen in Anlehnung an das Lettische. Zu ähnlichen Zwecken sollte auch das deutschrussische „Weismanns Petersburger Lexikon" (1731) herangezogen werden (Lange wirkte in den 30er Jahren in Petersburg; von gewissen Kenntnissen des Russischen könnten die Einträge auf Russisch in den Handschriften zeugen), doch diese Quelle - meistens zur Ergänzung der lexikographischen Belegreihe oder als Unterstützung bei der Bedeutungsbestimmung der deutschen Verben - erwies sich nur in einzelnen Fällen als effizient, da der deutsche Wortschatzteil einem als lexikographische Vorlage im 18. Jahrhundert geschätzten deutsch-lateinischen Wörterbuch von Weismann entnommen wurde. Lexikographische Werke als Quellenmaterial für eine kontrastiv vergleichende Wortschatzuntersuchung haben sowohl Vorteile als auch Nachteile. Der wichtigste Vorteil eines Wörterbuchs ist aus dem Bestreben der Verfasser abzuleiten, die Sprache korrekt und wahrheitsgetreu widerzuspiegeln. Das verleiht diesen Quellen nach wie vor hohe Autorität unter den jeweiligen zeitgenössischen Sprachdokumentationen (Dubois 1985: 120ff.). Aus dieser Eigenschaft läßt sich schließen, daß die Wörterbücher einen von der bestimmten Sprachgemeinschaft getragenen und akzeptierten und keinen individualsprachlichen Code darstellen.22 Wie bei jeder anderen Textsorte sind auch bei den lexikographischen Werken in der Betrachtung einer historisch weit zurückliegenden sprachlichen Entwicklungsstufe gewisse Nachteile im Erkenntnisprozeß wahrzunehmen, da man dieser Sprache gewissermaßen wie einer Fremdsprache begegnet. Aufgrund ihrer Textsortenspezifik bieten die Wörterbücher zwar die Quintessenz, doch gleichzeitig das Minimum der notwendigen Information. Besonders die semantische Spezifik bei den Präfixverben kann daher nur durch eine identische und kontextuell vergleichbare Information in wenigstens zwei Wörterbüchern aus dem Baltikum bestätigt werden. Andererseits setzen sich weder Lange noch die anderen Autoren der deutsch-lettischen und lettisch-deutschen Wörterbücher das Ziel, die Besonderheiten der deutschen Sprache des Baltikums hervorzuheben, obwohl Lange im Vorwort betont, daß einige deutsche Einträge nur für den lokalen Sprachgebrauch, also für das Baltikum spezifisch sein dürften. Wenn man die Tatsache berücksichtigt, daß die deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Wörterbücher als eigentliche Zielsprache das Lettische hatten und in erster Linie für neu eingewanderte Personen als Hilfsmittel zum Erlemen der lettischen Sprache gedacht waren, kön-
22
Obwohl die Geschichte der Lexikographie auch Fälle kennt, in denen den Verfassern willkürliche Sprachschöpfungen und eine unangemessene Darstellung des sprachlichen Usus zum Vorwurf gemacht wurden, haben die hier benutzten Hauptquellen und ihre Autoren Lange und Adelung bei ihren Nachfolgern große Anerkennung gefunden.
107 nen die Chancen auf die Feststellung einer ernstzunehmenden Anzahl der Abweichungen vom Hochdeutschen als ziemlich gering eingestuft werden. Umso überzeugender fur die Existenz solcher Abweichungen in der Sprache der baltischen Deutschen können Befunde gerade in einer solchen Quelle sein, in der man sie wenig oder kaum erwartet.
8.3. V o r g e h e n s w e i s e bei der Analyse der deutschen trennbaren Präfixverben
Die Untersuchung der Präfixverben im Lexikon gliederte sich in zwei Schritte, von denen der erste dem Erfassen solcher Präfixverben und solcher Bedeutungen galt, die anhand der Angaben im Wörterbuch von Adelung als abweichend vom Hochdeutschen der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts angesehen werden können. Im zweiten Schritt wurde die Art der Abweichungen untersucht und ihr Ursprung als ein mögliches Ergebnis der Beziehungen mit den Kontaktsprachen ergründet.
8.3.1. Erstellung des Textkorpus' Im Gegensatz zum Wörterbuch von Adelung, das eine lexikalisch (über das Lemma) und semantisch (über die Bedeutungsdefinitionen und sprachlichen Belege) umfassende Beschreibung der Präfixverben bietet, fehlt diese bei Lange, da eine dem bedeutungserklärenden Wörterbuch adäquate semantische Darstellung über einzelne lettische Äquivalente nicht gewährleistet wird. Während das Erfassen der lexikalischen Abweichungen im Vergleich zu den Präfixverben bei Adelung keine Schwierigkeiten darstellte und lediglich einige Unterschiede in der Orthographie (Lange: kk, zz; Adelung: ck, tz) oder einzelne Suffixvarianten (Lange: -len, -ren\ Adelung: -ein, -erri) beachten ließ - in dieser Untersuchung nicht als Abweichungen vom Hochdeutschen betrachtet - war der semantische Vergleich aus dem erwähnten Grund erheblich komplizierter. Die erste Auswahl der semantisch abweichenden Präfixverben mußte daher auf meine muttersprachliche Kompetenz gestützt werden: Erfaßt wurden solche Präfixverben, deren lettische Äquivalente aus meiner Sicht mit den Bedeutungsdefinitionen von Adelung nicht vereinbar waren. Diese hypothetische Herangehensweise diente ausschließlich praktischen Zwecken - die Zahl der untersuchten Präfixverben sollte eingeschränkt werden. Der endgültige Bestand der vom Hochdeutschen abweichenden Präfixverben bei Lange sowie seine Auswertung wurde ausschließlich auf die lexikographischen Angaben gestützt. Möglicherweise kann die ursprünglich hypothetische Selektion auch zu solchen Ergebnissen gefuhrt haben, welche die tatsächliche quantitative Situation unterschätzen, doch eine semantische Auswertung eines jeden Präfixverbs schien keine praktikable Lösung. Damit die vom Hochdeutschen abweichenden Präfixverben bei Lange endgültig bestimmt werden konnten und um mit ihnen eine adäquate Basis fur weitere Ermittlungen zu bilden, mußten die im Lexikon ausgewiesenen Bedeutungen der Präfixverben klar definiert werden. Nach der vorbestimmten Methode der semantischen Identifikation des Quellenmaterials
108 unter Einbeziehung der zweisprachigen Wörterbücher und der Wortschatzsammlungen für das Deutsche im Baltikum (s. Kap. 8.2.3.) konnten die Präfixverben des Lexikons mit einer deutschen Bedeutungsdefinition versehen werden, die sie direkt mit den Einträgen in den hochdeutschen Wörterbüchern vergleichbar machten, ζ. B.: Lange: Abborken nomisoht als abborken 'die Rinde eines Baums ablösen'. Nachdem die lettischen Äquivalente durch deutsche Bedeutungsdefinitionen abgelöst waren, wurden die Präfixverben noch einmal mit dem Wörterbuch von Adelung, ergänzend auch mit dem Wörterbuch von Grimm und mit dem deutsch-englischen Wörterbuch verglichen, um diejenigen Präfixverben ausfindig zu machen, deren semantische Darstellung bei Lange Unterschiede aufweist. Die Aufstellung des endgültigen spezifischen Verbenbestandes für Deutsch im Baltikum des 18. Jahrhunderts ist also in drei Schritten erfolgt: 1) Erfassung der lexikalisch abweichenden Präfixverben und eine hypothetische Vorauswahl der semantisch abweichenden Präfixverben; 2) semantische Identifikation der Präfixverben im Lexikon und Ersetzung des lettischen Äquivalents durch eine Bedeutungsdefinition; 3) endgültige Bestandaufnahme der semantisch abweichenden Präfixverben.
8.3.2. Ermittlung der Art und Ursache lexikalisch-semantischer Abweichungen vom Hochdeutschen Bei der Untersuchung der Präfixverben wurden als Hypothesen die in der Forschung erkannten Besonderheiten der deutschen Sprache des Baltikums in Erwägung gezogen: Bewahrung der Lexeme oder ihrer semantischen Eigenschaften aus dem älteren Hochdeutschen, lexikalisches und semantisches Erbe aus dem Niederdeutschen und der mögliche Einfluß des Lettischen. In erster Linie wurde daher ein Vergleich des gewählten Verbkorpus' mit dem „Frühneuhochdeutschen Wörterbuch" unternommen. Lexikalisch und semantisch identische Präfixverben wurden mit den relevanten Angaben vermerkt. Im weiteren wurde das gesamte Verbkorpus nach demselben Prinzip anhand der Wörterbücher für das Niederdeutsche unter Berücksichtigung der entsprechenden niederdeutschen lexikalischen Ausdrucksform der Verben bearbeitet. Die Verben, bei denen keine adäquate morphologische Struktur und Semantik zu den Verben in diesen Wörterbüchern belegt werden konnte, wurden hypothetisch als Entlehnungen aus dem Lettischen oder als autochthone Neubildungen betrachtet. Um die Fehlschlüsse diesbezüglich im voraus auszuschließen, wurden die Präfixverben auch mit den Einträgen im „Preußischen Wörterbuch" und im deutsch-russischen Wörterbuch verglichen. Für die Einstufung der deutschen Präfixverben als Entlehnungen aus dem Lettischen spielten die Äquivalente die entscheidende Rolle. Aus diesem Grunde war auch die Bestätigung für die Existenz adäquater lexikalisch-semantischer Entsprechungen im Litauischen von Bedeutung, da sie dem Gegenargument Stand halten können - die lettischen Äquivalente hätten Entlehnungen aus dem Deutschen darstellen können. Das aufbereitete Material wurde ausgewertet mit dem Ziel, Gesetzmäßigkeiten festzuhalten und die Verben dementsprechend zu gruppieren, damit ein möglichst systematischer Überblick über die regionalen deutschen Präfixverben bei Lange vermittelt wird. Die vermutete
109 Erfassungsmöglichkeit der Präfixverben je nach Präfixverben/Verbbedeutungen, die im Hochdeutschen zurücktreten oder veraltetet sind, und solchen, die niederdeutschen oder lettischen Ursprungs sein können, bestätigte sich. Allerdings sind die Verben, bei denen der lettische Einfluß unterstellt wird, mit gewissen Vorbehalten zu betrachten, nicht zuletzt, weil die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit diesbezüglich auf keine früheren kompatiblen Studien gestützt werden können. Obwohl der Einfluß des Lettischen auf die deutsche Sprache im Baltikum in den sozialhistorisch ausgerichteten Studien betont worden ist, ist er in den linguistischen Untersuchungen sporadisch erwähnt und nur mit einzelnen Belegen exemplifiziert. Die Verben, bei denen der Einfluß des Lettischen vermutet wurde, stellen keine einheitliche Gruppe dar, da die Merkmale wie die Wahl des Präfixes, Reflexivität, transitiver/intransitiver Gebrauch u.a., die sie von den hochdeutschen Verben in den Wörterbüchern außerhalb des Baltikums unterscheiden, eine Vielfalt aufweisen. Die Überlegungen, die fur ihre Einstufung als Entlehnungen sprechen können, werden in den jeweiligen Unterkapiteln dargelegt.
9. Lexikalisch-semantische Besonderheiten der trennbaren Präfixverben bei Jacob Lange im Vergleich zum lexikographisch erfaßten Hochdeutsch des 18. Jahrhunderts
Es wurden 1200 Präfixverben im deutsch-lettischen Teil des Lexikons untersucht, die 8% von 15 000 Eingangslemmata ergaben. Als Abweichungen vom Hochdeutschen, wie es in den Wörterbüchern außerhalb des Baltikums dargestellt worden ist, wurden 85 Verben (7,1% von 1200 Präfixverben) klassifiziert. Verben mit
Absolute Zahl
Zahl der Abweichungen
Abweichungen in %
den Präfixen: ab-
269
17
=
6,3
an-
158
12
=
7,6
auf-
145
14
aus-
238
29
= 9,7 = 12,2
bei-
10
durcheinfür-
-
37
2
140
7
3
= =
1
5,4 5,0 -
nach-
20
über-
41
um-
28
-
unter-
21
-
-
vor-
24
-
-
wider-
4
-
-
wieder-
5
-
-
zuInsgesamt:
-
-
(1)
-
57
3
=
5,3
1200
85
=
7,1
Tab. 9: Die deutschen trennbaren Präfixverben im Lexikon von Lange und die Zahl ihrer Abweichungen vom lexikographisch erfaßten Hochdeutschen außerhalb des Baltikums
Der Vergleich der Präfixverben mit den hochdeutschen Wörterbüchern1 zeigte, daß die Besonderheiten der Präfixverben bei Lange vorerst an der formalen Ausdrucksseite der Lexeme und an der Semantik festzumachen sind. Demzufolge konnten diese Verben in vier Gruppen eingeteilt werden. Dies sind: für das Hochdeutsche des 18. Jahrhunderts 1) nicht belegte Präfixverben; 2) nicht belegte Bedeutungen der Präfixverben; 3) mit Restriktionen belegte Präfixverben; 4) mit Restriktionen belegte Bedeutungen der Präfixverben. 1
Unter den hochdeutschen Wörterbüchern werden im folgenden jene einsprachigen hochdeutschen lexikographischen Vergleichsquellen verstanden, die außerhalb des Baltikums erschienen sind.
112 Nach der Auswertung der Angaben bei Lange und in den herangezogenen Vergleichsquellen ließen sich die möglichen Ursachen für die lexikalischen und semantischen Besonderheiten der trennbaren Präfixverben im Lexikon aufdecken. Hinsichtlich der Verben aus der 1. Gruppe konnten vielfach die Verbindungen mit den Angaben in den niederdeutschen Wörterbüchern belegt werden. Es zeigte sich, daß die Präfixverben bei Lange häufig aus dem Niederdeutschen stammen, doch zum Teil oder sogar vollständig nach dem hochdeutschen Muster veränderte Formen aufweisen. Ähnlich stellte sich ein großer Teil der Präfixverben aus der 2. Gruppe als Lehnübersetzungen aus dem Niederdeutschen ins Hochdeutsche heraus. Dabei handelt es sich um solche Präfixverben, die kaum als abweichend vom Hochdeutschen auffallen würden, bevor man sie nicht im Zusammenhang mit den lettischen Äquivalenten betrachtet hat. Bei den zahlenmäßig kleineren Gruppen 3 und 4 konnten in den hochdeutschen Wörterbüchern ebenso Hinweise auf den Gebrauch dieser Verben im ursprünglich niederdeutschen Sprachgebiet gefunden werden. In mehreren Fällen konnten dieselben Erscheinungen wie im Lexikon von Lange auch vom „Preußischen Wörterbuch" bestätigt werden, doch für den Einfluß des Ostpreußischen auf das Deutsche im Baltikum waren keine ausreichenden Anhaltspunkte vorhanden. Man kann jedoch auf ähnliche Tendenzen in der vom Sprachwechsel verursachten Entwicklung der ostpreußisch-deutschen Varietät schließen. Einen Teil der Abweichungen bei den Präfixverben könnte durch den Einfluß der lettischen Sprache verursacht worden sein. Er zeigte sich in der Verbstruktur und in der Semantik. Allerdings scheint bei diesen Feststellungen wie immer größere Vorsicht geboten - teils gründen sie in der Tradition, daß der Einfluß der lettischen Sprache auf das Deutsch im Baltikum, besonders auf die geschriebene Sprache, für insgesamt gering gehalten worden ist, teils in den methodologischen Einwänden gegen die Fremdsprache als eine unzuverlässige Vergleichsbasis bei derartigen Ermittlungen.
9.1. In hochdeutschen W ö r t e r b ü c h e r n nicht belegte Präfixverben
Im Lexikon von Lange findet man eine Reihe solcher Präfixverben (21), die in den herangezogenen hochdeutschen Wörterbüchern, darunter auch im „Frühneuhochdeutschen Wörterbuch", nicht verzeichnet sind: 1. abborken = Bast spleisen 'Rinde eines Baums ablösen' 2. abgleitschen 'herabrutschen, herabgleiten' 3. abschmieren, = sich 'sich beschmutzen, sich besudeln' 4. abschreuen sich, mit heiß Wasser 'sich versengen' 5. anstreicheln sich, wie eine Katze 'sich anschmiegen, anschmeicheln' 6. anstremmen 'sich anstrengen, sich bestreben' 7. anstremmen sich 'nach etwas streben; sich anstrengen' 8. anstriegeln sich 'an etwas streifen; sich anschmiegen' 9. aufgabeln sich 'mit Armen und Füßen (entgegen) strampeln' 10. aufsamlen, = sich 'sich versammeln'
113 11. aufstaaken Erbsen 'auf Stangengerüst aufstecken' 12. aufzwingen = sich jemand 'sich aufdrängen, lästig werden' 13. ausbolstern 'enthülsen, aus der Schale lösen' 14. ausglasiren 'etwas von innen glasieren' 15.ausplüsern 'auszupfen' 16.ausqvalstern 'Schleim ausspucken'; 'aushusten' 17. ausreffeln 'ausfasern, sich auftrennen' 18.ausstrappaziren sich 'sich abmühen, sich erschöpfen' 19. auswindigen Korn 'das Getreide im Wind reinigen' 20. einficheln sich 'sich anschmiegen; einschmeicheln' 21. einwuchern sich 'sich einnisten'. Der mögliche Ursprung der aufgelisteten Präfixverben in der deutschen Sprache des Baltikums konnte mit Hilfe einer interlingual-kontrastiven Analyse der Lexeme auf der lexikalisch-semantischen Ebene unter zusätzlichem Heranziehen der niederdeutschen und baltischen Wörterbücher 2 und des „Preußischen Wörterbuchs" bestimmt werden.
9.1.1. Präfixverben niederdeutschen Ursprungs Ein Teil dieser Präfixverben entspricht in der morphologischen Struktur den Verben aus dem niederdeutschen Sprachraum und weist eine diesen Präfixverben adäquate Semantik auf. Gelegentlich können die Entsprechungen auch im „Preußischen Wörterbuch" festgestellt werden: 1. abborken 'Rinde eines Baums ablösen' La: Abborken nomisoht = Bast spleisen luhkus plehst Das Verb mit der Bedeutung 'die Borke (Rinde eines Baums) ablösen' wird in den Vergleichsquellen als afborken (MecklWB 1, 95; NsWB 1, 122) und abborken (PreußWB 1, 12) verzeichnet. Im DWB 1 ist nur das Substantiv Borke 'Rinde' aufgenommen worden, mit einem Hinweis auf eine relativ späte Aufnahme in die hd. Wörterbücher (A 1, 1127; DWB 1/1, 243). Im Baltikum ist es im 19. Jahrhundert belegt (Gu 1, 3 abborken). 2. abschreuen (sich) '(sich) versengen' La: Abschreuen sich, mit heiß Wasser sadseldeht In den nd. Wörterbüchern werden nur die nichtreflexiven Verben afschrojen, afschrei(I)en in der Bedeutung 'abbrennen, absengen' (ζ. B. die Augenbrauen, wenn man dem Feuer zu nahe kommt) verzeichnet (NsWB 1, 214). Das von Lange angeführte lettische Äquivalent weist bei Stender die Semantik der nd. Verben auf: dseldeht, sadseldeht verschreyen mit Nesseln, it. mit heiß Wasser (St, 49; vgl. LD H, 60 dseldeht verschreueri). Auch andere baltische Vergleichsquellen belegen nur das nichtreflexive abschreuen als 'absengen, versengen' (St, 18; Gu 1, 18). Ein reflexives lettisches Verbäquivalent ist bei Lange nicht vorhanden. Die semantische Äquivalenz 'sich versengen' wäre dann er-
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Unter den baltischen Wörterbüchern bzw. baltischen Vergleichsquellen werden im folgenden jene ein- und zweisprachigen lexikographischen Vergleichsquellen verstanden, die im Baltikum erschienen sind.
114 reicht, wenn das lettische Verb die reflexive Form aufwiese. Hypothesen wie ein inadäquates Äquivalent oder sich als ein nicht übersetztes (ebenso wie der weitere Text mit heiß Wasser) Dativ- oder Akkusativobjekt sind anhand des Lexikons nicht belegbar. 3. ausbolstern 'enthülsen, aus der Schale lösen' La: Ausbolstern islaupiht Im MecklWB (7, 630) wird utbulstern als 'Getreidekörner aus den Hülsen lösen' verzeichnet. Laut MecklWB (2, 129) bedeutet das Substantiv Bulster - 'Sammelhülse von Korn und Klee'; laut NsWB (2, 104) Bulster, seltener Bolster - 'Fruchthülse'. Im DWB 1 werden das Substantiv Bolster und das Verb bülstern verzeichnet in Anlehnung auf das Nnl.: de noten uit den bolster doen, noten bolsteren (DWB 1/2, 234). Das Präfixverb ist vielfach in den baltischen Vergleichsquellen verzeichnet: ausbolstern 'aushülsen, Erbsen, Bohnen' (Gu 1, 69); auspulstern 'Schotenfrüchte, aushülsen' (S, 28) und ausbulstern 'aushülsen' (H, 11; S, 88). 4. ausplüsern 'auszupfen' La: Ausplüsern isknibbinaht Die nd. Wörterbücher verzeichnen utplusen als 'auszupfen (ζ. B. Wolle der Schafe beim Waschen)' (MecklWB 7, 689), als ein Iterativum wird dagegen nur die präfixlosen Verben pluustern, plustern 'zausen, rupfen' (SH 3, 1075) angeführt. Semantisch vergleichbar sind das Verb pliesern 'zerpflücken, zerreißen, zerrupfen' aus dem PreußWB (4, 515) und das plustern aus dem DWB (1/7, 1950). Die baltischen Vergleichsquellen belegen ausplüsern in der Bedeutung 'ausfasern, auszausen' (Gu 1,81). 5. ausqvalstern 'Schleim ausspucken'; 'sich aushusten' La: Ausqvalstern iskrehpaleht In der Bedeutung 'Schleim ausspucken oder auswerfen' werden utqualstern (MecklWB 7, 691) und ausqualstern (PreußWB 1, 320) belegt. Die baltischen Vergleichsquellen nehmen das Verb auch im 19. Jahrhundert auf, doch semantisch wird es je nach der reflexiven und nichtreflexiven Form differenziert: das Reflexivum als 'Schleim auswerfen' (Gu 1, 81; S, 90) und das nichtreflexive Präfixverb als 'aufhören zu qualstern bzw. fertig sein mit Geifern' (Gu 1, 81; S, 90). 6. ausreffeln 'ausfasern, sich auftrennen' La: Ausreffeln isirt, isspurt Die Bedeutung 'ausfasern' im intrans. Gebrauch vertritt im Nd. das Präfixverb utrebbeln - dat Linnen rebbelt ut sagt man von einem nicht gesäumten Stoff (SH 5, 282); im Hd. ist diese Bedeutung bei den präfixlosen Verben riffeln, reffein belegt: die leinwand riffelt, riffelt sich, d. h., wenn sich die fäden verziehen (DWB 1/8, 956). Das Verb ist in anderen baltischen Wörterbüchern belegt: ausreffeln 'ausfasern, zerfasern' (H, 12; S, 93); doch Gutzeit verbindet den trans, und intrans. Gebrauch des Verbs jeweils mit der nichtreflexiven und der reflexiven Form: ausreffeln, ausreffen für 'ausfasern, auseinandermachen' - Hede, Leinwand, einen Strumpf und sich ausreffeln für Das Loch des Strumpfes reffelt sich immer mehr aus (Gu 1,81). Es ist ersichtlich, daß die angeführten Verben infolge des Sprachwechsels vollständig wie ζ. B. ausreffeln oder zum Teil wie abborken in ihrer lexikalischen Ausdrucksform an das
115 Hochdeutsche angepaßt worden sind. Sie sind ähnlich wie Lehnbildungen aufzufassen, die durch Übersetzung der strukturellen Bestandteile eines Lexems entstehen. Die morphologische und semantische Struktur der deutschen Verben mit Ausnahme von abschreiten entspricht in allen anderen Fällen der Struktur ihrer lettischen Äquivalente: ab+dt. Verb = «o+lett. Verb, aus+dt. Verb = zz+lett. Verb (s. Kap. 9.1.2.). Insofern darf diese Entsprechung in der Kontaktsprache als ein Faktor fur die Bewahrung der niederdeutschen Verbstrukturen und ihrer Semantik in Erwägung gezogen werden. Einzelne Präfixverben sind in der morphologischen Struktur den niederdeutschen Verben adäquat, doch eine vollständige Übereinstimmung in der Semantik kann nicht belegt werden: 7. anstremmen 'sich anstrengen, sich bestreben' La: Anstremmen zenstees Im DWB wird das Verb stremmen auf strammen, strammen zurückgeführt (DWB 1/103, 1401), und im MecklWB wird stremmen als ein kausatives Verb zu stramm betrachtet (MecklWB 6, 952). So dürften auch die nd. Formen stremmen und anstrammen (NsWB 1, 437) als semantisch vergleichbar betrachtet werden, da beide eine ähnliche Semantik aufweisen wie 'stramm machen' (stremmen: MecklWB 6, 952) und 'straffer ziehen' (ianstrammen: NsWB 1, 437) bzw. 'stramm hernehmen, anstrengen' (anstrammen: MecklWB 1, 387). Im Nd. wird das Verb auch als 'sich sträuben' (SH 1, 144) ausgewiesen. Semantisch sind sie nicht identisch mit der Bedeutung des lettischen Äquivalents 'sich anstrengen, sich bestreben', wie es in den baltischen Wörterbüchern belegt ist: zenstees sich anstrengen, sich bestreben, sich sehnen (U, 347). Es kann auch vermutet werden, daß das lettische Äquivalent bei Lange unvollständig ausgewiesen ist: es fehlt eine präpositionale Ergänzung, die die Äquivalenzbeziehung verdeutlichen kann, vgl. ζ. B. den Eintrag bei Stenden, anstremmen, peewilkt, peestihweht ('straffer ziehen'); = alle mögliche Kräfte nahwitees us ko ('aus allen Kräften bestreben') (St, 52). Obwohl die bei Lange ausgewiesene übertragene Bedeutung eine logische Verbindung zu 'straffer ziehen' bzw. 'stramm hernehmen' aufweist, ist sie weder in den hd. noch in den nd. Wörterbüchern verdeutlicht. 8. aufstaaken 'auf Stangengerüst aufstecken' La: Aufstaaken Erbsen eesahrdeht Die Verben opstaken (SH 3, 893) und aufstaken (PreußWB 1, 260) werden in beiden Wörterbüchern als 'Heu, Getreide mit der Forke (aufladen' verzeichnet. Die von Lange notierte Bedeutung 'auf Stangengerüst aufstecken' wird im Nd. durch die Verben upstäken (MecklWB 7, 593), opsteken (SH 3, 893), ähnlich in den hd. Wörterbüchern 'aufrecht befestigen' durch das Verb aufstecken ausgedrückt (A 1, 541; FnhdWB 2, 730). Das läßt vermuten, daß dem Präfixverb bei Lange nicht das steken bzw. stecken zu Grunde liegt, sondern das nd. Substantiv Stake (MndWB 4, 351), Stak (MecklWB 6, 735f.) - 'längere (Holz)stange\ Bestätigt darf die Vermutung durch den Eintrag bei Stender: sahrdeht, eesahrdeht in Staaken aufstecken (St, 234) werden. Allerdings weist das Verb staken zwei unterschiedliche Bedeutungen auf: 'Stäbe in eine Flechtwand einsetzen' und 'Korn mit der Heugabel laden' (MndWB 4, 353; vgl. auch MecklWB 6, 737f.). Insofern kann auch dieses Verb die Basis zur Präfixbildung aufstaa-
116 ken 'auf Stangengerüst stecken' bilden. Das Präfixverb ist auch in anderen baltischen Wörterbüchern aufgeführt: aufstaken 'an einem Stecken aufhängen oder anspießen; eine Fläche, neu bestaken' (S, 87) und aufstaaken, eesahrdeht (St, 74). 9. ausglasiren 'etwas von innen glasieren' La: Ausglasiren iswahpeht (w), schkohreht Die lettischen Äquivalente lassen die Bedeutung des Verbs bei Lange sowohl als 'von innen glasieren' als auch '(be)malen' interpretieren. Ähnlich ist es in der LD H, 101 ausgewiesen: iswahpeht (w) ausglasiren aliis, mit färben mahlen. In den nd. Wörterbüchern ist die Lokalitätsangabe 'von innen' durch das Präfix nicht aus der semantischen Beschreibung, sondern nur in den Belegen erkennbar: utglasüren 'mit Glasur überziehen', doch belegt nur als 'scharf reinigen': du glasüürst all' de Ecken ut (MecklWB 7, 648) oder utgleisuren 'gänzlich mit Glasur versehen': sien Magen is utgleisuurt (SH 5, 268). Die baltischen Wörterbücher betonen dagegen die Bedeutungskomponente 'von innen': ausglasiren einen Topf (Gu 1, 75), ausglasieren (S, 92) - 'von innen glasieren'. Die Zahl der Verben mit der gleichen morphologischen Struktur wie im Niederdeutschen, doch mit gewissen semantischen Unterschieden ist zu gering, um daraus allgemeine Schlüsse zu ziehen. Einzeln betrachtet, stellt das Präfixverb aufstaaken möglicherweise eine lexikalische Neubildung in der deutschen Sprache des Baltikums dar: es steht in keiner direkten semantischen Verbindung mit dem niederdeutschen Verb opstaken, dafür aber (ähnlich wie das lettische Präfixverb zum Substantiv zärds 'Stangengerüst' und zum Verb zärdet 'auf Stangengerüst stecken' (ME 4, 699; Karulis 1992: 549) zum Substantiv Stak(e) und dem Verb staken. Bei anstremmen darf die Erweiterung der kontextuellen Distribution und seine Verwendung in einer metaphorischen Bedeutung vermutet werden, doch die Gründe dieser semantischen Erweiterung sind anhand der lexikographischen Werke nicht erschließbar. Allerdings erinnert diese Bedeutungsentwicklung auch an die allgemein bekannten Tendenzen in der Sprache unter dem Einfluß des Pietismus (Langen 1974: 67ff.; Polenz 1994: 31 Iff.). Das Verb ausglasiren deutet daraufhin, daß bei den semantischen Veränderungen der deutschen Verben im Baltikum mit dem Einfluß der Kontaktsprachen bzw. des Lettischen gerechnet werden kann. Die semantischen Modifikationen der Präfixe im Lettischen, ζ. B. 'von innen' beim Präfix iz- darf bei bestimmten in der Struktur adäquaten deutschen Verben eine entsprechende Bedeutungsentwicklung hervorgerufen haben, besonders weil das Präfix aus- ebenso im Deutschen die Lokalität 'von innen' ausdrücken kann.
9.1.2. Präfixverben mit „sich" als Lehnbildungen aus dem Lettischen Die untersuchten Präfixverben mit sich werden in der vorliegenden Arbeit als reflexive Verben bzw. Reflexiva bezeichnet. Terminologisch wird also keine Unterscheidung zwischen echten und unechten reflexiven Verben - solchen, die nur mit dem Reflexivpronomen sinnvoll sind, und den reflexiv gebrauchten Verben (Schulz 1991: 289ff.; Engel 1988: 663) - getroffen. Methodologische Einwände können in Verbindung mit der Frage entstehen, ob sich der isolierte deutsche Eintrag zwischen einem reflexiven Verb und einem nichtreflexiven Verb mit einer Objektergänzung in Form des in der Rede betonten reflexiven Pronomens unterscheiden läßt - es könnte ja aus benutzerorientierten Gründen als eine Art lexi-
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kaiische Umschreibung des reflexiven lettischen Äquivalents dienen bzw. auf die von der reflexiven Endung verursachte reziproke oder rezessive Handlungsart des äquivalenten Verbs hinweisen. 3 Dagegen sprechen die Angaben in den deutschen Wortschatzsammlungen des Baltikums und in deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Wörterbüchern, in denen ein Teil dieser deutschen reflexiven Verben belegt wird. Auch im Vorwort zum Lexikon wird von Lange diese in Frage kommende Darstellungsmethode nicht erwähnt. Die Beschreibungen der reflexiven Verben in den Grammatiken erlauben den Schluß, daß sie in der deutschen und lettischen Sprache insgesamt die gleichen Funktionen erfüllen: sie beziehen die verbale Handlung auf das Subjekt, markieren eine reziproke Beziehung der Handlung im Fall eines mehrzahligen Subjekts, dienen der Passivierung des verbalen Vorgangs und beseitigen das Verursacherargument in der Aussage (Engel 1988: 665f.; Fabricius-Hansen 1991: 695; Schulz 1991: 293f. u. Ceplite/Ceplitis 1991: 67). Darüber hinaus gibt es in der deutschen Sprache eine Gruppe lexikalisierter Reflexiva, die diese Funktionen eingebüßt haben. Eine vergleichende Studie der reflexiven Verben im Deutschen und im Lettischen liegt nicht vor; insofern ist eine Aussage über die Häufigkeit und funktionale Vertretung der Reflexiva in beiden Sprachen im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich. Es ist anzumerken, daß J. Grimm die Zahl der intransitiven Reflexiva im Deutschen für begrenzt hält, doch die „reflexiv werdenden transitiva lassen sich nicht zählen und verstehen sich mehr von selbst" (Grimm 1898: 30). Ebenso weist er auf mundartlich bedingte Unterschiede im Einsatz der reflexiven Verben hin (Grimm 1898: 39). So zeigen die niederdeutschen Varietäten im Vergleich zum Hochdeutschen „eine viel größere Neigung [...], reflexive Pronomen zu gebrauchen, wo sie dem an die hochdeutsche Schriftsprache gewöhnten Ohr als überflüssig erscheinen" (Bichel 1983: 106), obwohl das Pronomen sik ursprünglich dem Hochdeutschen entstammt (Niebaum 1973: 164; Stellmacher 1990: 168). Bezüglich des Lettischen ist zu betonen, daß die Reflexivität der Verben, sprachhistorisch gesehen, nicht in Verbindung mit den germanischen Sprachen betrachtet wird, sondern in einem gemeinsamen Kontext mit anderen baltischen Sprachen wie Preußisch, Litauisch 4 und mit den slawischen Sprachen (Endzelins 1938: 515ff. u. 1948: 585f.). Insofern sind die deutschen Interferenzen im Lettischen hinsichtlich der unten angeführten Verben kaum zu problematisieren, umso weniger, da die zum Vergleich herangezogenen litauischen Verben reflexive Formen aufweisen (s. Fußnote 8). Die Erkenntnisse schließen ebenso die Annahme aus, daß die Reflexivität der Verben als eine sprachliche Erscheinung in der deutschen Sprache des Baltikums auf den lettischen Einfluß zurückgeführt werden kann. Viele Autoren weisen aber darauf hin, daß die deutschen reflexiven Verben in anderen Sprachen (oder umgekehrt) nicht immer reflexive Äquivalente haben. Das gilt ζ. B. für solche Sprachen wie Deutsch und Bulgarisch (Slivkova 1991: 145) oder auch Deutsch und Russisch (Schulz 1991: 296). Eine Sprache bzw. das Deutsche im Baltikum zeigt die Auf-
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Zu dieser in Erwägung gezogenen Darstellungsmethode verleitet die Bemerkung von Stender in der lettischen Grammatik: man beurteile nach der Bedeutung des lettischen Verbs, „ob es ein Reciprocum habe oder nicht. z.E. es runnaju ich rede, hat kein Reciprocum, weil ich nicht sagen kan, ich rede mich. Hingegen es aprunnaju ich berede, hat das Reciprocum es aprunnajohs ich berede oder bespreche mich, nemlich mit einem andern" (Stender 1763: 36). Zur Reflexivität der Verben im Litauischen s. Senn 1966: 464ff.
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nahmefähigkeit eines Elements, wenn es insgesamt für die Rezipienten nachvollziehbar erscheint und dem Sprachsystem nicht fremd wirkt (vgl. Kap. 8.1.3.). Ein deutliches Beispiel dafür ist sich einwuchern, wobei laut Gutzeit beide Formen des Präfixverbs - die reflexive und die nichtreflexive - in der deutschen Sprache des Baltikums vorhanden sind (Gutzeit 1864: 250). Im Lexikon findet sich eine Reihe von Präfixverben mit dem Reflexivpronomen sich, welche in den hochdeutschen und in anderen zum Vergleich herangezogenen Wörterbüchern, abgesehen von den Wörterbüchern aus dem Baltikum, nicht verzeichnet werden. Ihre semantischen Äquivalente sind bei Lange unter nichtreflexiven Präfixverben, unter präfixlosen und anders präfigierten Reflexiva zu finden: 1. abschmieren sich 'sich beschmutzen, sich besudeln' La: Abschmieren, = sich gahnitees, apsmurgatees Der Gebrauch des Reflexivums bei der Wiedergabe der Bedeutung 'sich beschmieren, sich beschmutzen, besudeln' ist für das Baltikum belegt: St, 17; Gu 1, 17; S, 78. Diese Bedeutung des Verbs ist im DWB ausgewiesen, doch als Beleg wird nur die Wortschatzsammlung von Gutzeit angeführt (DWB 3/1, 841). Die Bedeutung 'beschmieren' ist im Hd. beim Verb abschmieren ausgewiesen: die kleider a. (DWB 1/1, 106), ζ. B. mit Tinte (PreußWB 1, 59), fehlt aber im Nd. bezüglich des Verbs afsmeren (vgl. MecklWB 1, 187; SH 1, 86; NsWB 1,225). 2. anstreicheln sich 'sich anschmiegen, anschmeicheln' La: Anstreicheln sich, wie eine Katze peelunzinatees Die Bedeutung 'sich anschmiegen; sich streicheln' ist aufgrund der Äquivalenzbeziehung in der Handschrift des Lexikons belegbar (DL H, 42; LD H, 201). Das reflexive Präfixverb ist in den baltischen Wörterbüchern des 19. Jahrhunderts belegt (Gu 1, 47). Die hd. Wörterbücher führen das nichtreflexive anstreicheln 'streicheln' (DWB 1/1, 491; DE, 32) und das präfixlose streicheln (A 4, 434) an, wobei die reflexive Form des letzten semantisch dem reflexiven Präfixverb bei Lange entspricht: inn allen geschlechten der thier seind die weiblein den männlein gehorsam, folgen jnen stättigs nach, streicheln sich an jn (DWB 1/10-3, 1181). Für das Nd. ist nur das präfixlose strakeln 'streicheln' (MecklWB 6, 929) ausgewiesen. 3. anstremmen sich 'sich nach etwas ringen, streben; sich anstrengen' La: Anstremmen sich zihstees, uszihstees Die Bedeutung des deutschen Verbs bei Lange kann als 'bestreben, trachten, sich befleißigen' identifiziert werden (vgl. LD H, 304; St, 52; St, 371). In den hd. und nd. Vergleichsquellen wird nur das nichtreflexive Präfixverb (s. anstremmen) angeführt. Die von Lange ausgewiesene Bedeutung des reflexiven Präfixverbs kann laut DWB 1 durch ein präfixloses Reflexivum sich stremmen bzw. sich strammen ausgedrückt werden (DWB 1/10-3, 827; DWB 1/10-3, 1401). Eine vergleichbare Bedeutung des reflexiven Präfixverbs ist im PreußWB (1, 182) ausgewiesen: De Schuhlke strembd söck an on schluhwd de Mangdel-Karmel. Obwohl das Beispiel nd. Sprachzüge zeigt, konnte ein entsprechender Beleg in den nd. Wörterbüchern nicht gefunden werden.
119 4. anstriegeln sich 'sich an etwas streicheln; sich anschmiegen' La: Anstriegeln sich peeluschinatees Die Bedeutung des Präfixverbs 'sich an etwas streicheln' oder im übertragenen Sinne als 'sich anschmiegen, sich einschmeicheln' kann aufgrund der Einträge in der Handschrift des Lexikons: anstreichen wie die Kazze mit dem Schwanz, peeluschinaht (DL H, 42), luschinaht (sirgu) ein Pferd hegen u. pfleg. (LD H, 151) und im Lexikon selbst: Einflcheln Sich peeluschinatees erschlossen werden. In anderen baltischen Wörterbüchern ist das Reflexivum nicht verzeichnet. Die hd. Wörterbücher fuhren die nichtreflexiven Verben an: anstriegeln - dem pferde die haare glatt a. (DWB 1/1, 493) und striegeln als 'putzen, säubern, glätten' (A 4, 451; DWB 1/10-3, 1596f.). Im PreußWB (5, 969) wird striegeln als 'liebkosen, streicheln'; 'bürsten, kämmen' erläutert. Die reflexive Form besitzt im Hd. nur das entsprechende präfixlose Verb: die tauben striegelten und putzten sich( DWB 1/10-3, 1596f). 5. aufgabeln sich 'mit Armen und Füßen (entgegen) strampeln' La: Aufgabeln sich atkepparotees Die Bedeutung des deutschen Verbs kann über das lettische Äquivalent bei Stender erschlossen werden: atkepparotees sperteln (St, 106; vgl. LD H, 114 kepparaht zappeln; kepparotees sich sperteln). In der Handschrift des Lexikons ist das deutsche Präfixverb mit einem in anderen Vergleichsquellen nicht verzeichneten und mir unbekannten Äquivalent versehen: aufgabeln sich, usbertees (DL H, 49). Die baltischen Wörterbücher des 18./19. Jahrhunderts führen das reflexive deutsche Präfixverb nicht an. In den Wörterbüchern außerhalb des Baltikums ist das nichtreflexive aufgabeln bzw. upgaffeln, upgaweln als 'mit der Gabel auffassen, aufspießen' erläutert (A 1, 491; DWB 2/1, 649; MecklWB 7, 543 u. 7, 544; vgl. St, 66; UB, 68). Im PreußWB wird das Verb gabeln verzeichnet, das semantisch dem bei Lange ausgewiesenen Verb entspricht: Met de Been dorch de Loft gawele - 'durch die Luft strampeln' (PreußWB 2, 230; vgl. DWB 2/4-1, 1122). 6. aufsamlen sich 'sich versammeln' La: Aufsamlen, = sich salehktees Die Bedeutung des Äquivalents läßt das deutsche Reflexivum als 'sich nach und nach einfinden (von Personen)' interpretieren; da auch Mühlenbach das entsprechende lettische Verb u.a. in Anlehnung auf Lange semantisch identifiziert (ME 3, 671). In den hd. Wörterbüchern wird das nichtreflexive aufsammeln (A 1, 523), aufsammlen (DE, 41) als 'sammeln und aufheben' erläutert - ebenso im Nd.: opsammeln (SH 3, 883). Diese Bedeutung liegt auch dem Reflexivum zu Grunde, das in einigen baltischen Vergleichsquellen verzeichnet ist (vgl. UB, 72). Das FnhdWB zeigt, daß die Eingrenzung der kontextuellen Distribution des Verbs aufsammeln auf sachliche Objekte später erfolgt ist, da hier das Präfixverb noch als '(Personen) zusammenholen, zusammenrufen' ausgewiesen ist (FnhdWB 2, 640). Denselben Bezug darf auch das reflexive Präfixverb bei Lange aufweisen, wogegen im Hd. dafür die Verben sich versammeln, sich ansammeln, sich sammeln eingesetzt werden. 7. aufzwingen sich 'sich aufdrängen, lästig werden' La: Aufzwingen = sich jemand usbahstees Die Bedeutung des deutschen Präfixverbs ist aufgrund der Äquivalenzbeziehungen in der handschriftlichen Fassung des Lexikons belegbar: usbahstees sich aufdringen (LD H,
120 302). In anderen baltischen Wörterbüchern ist das Reflexivum nicht verzeichnet. Für das Hd. ist nur das nichtreflexive Präfixverb als '(einem) etwas aufdringen, aufnötigen' belegt (A 1, 557; Gu 1, 787; DE, 45; PreußWB 1, 270). Für das Nd. kommen hier andere Präfixableitungen in Frage: af-, be-, daldwingen (MecklWB 2, 650). 8. ausstrappaziren sich 'sich abmühen, sich erschöpfen' La: Ausstrappaziren sich, ispuhletees Dieses Verb wurde in keinem anderen baltischen Wörterbuch gefunden. In den Wörterbüchern außerhalb des Baltikums ist die von Lange ausgewiesene Bedeutung 'sich abmühen, sich erschöpfen' bei dem präfixlosen Reflexivum (DWB 1/10-3, 876f.; MecklWB 1, 942) oder bei dem reflexiven Präfix verb sich abstrapazieren (DWB 1/10— 3, 876f.) bzw. afstrapzieren refl.: hüt hebben sick de Pier eens richtig afstrapzurt (MecklWB 1, 200) verzeichnet. 9. einflcheln sich 'sich anschmiegen; einschmeicheln' La: Einficheln sich, peeluschinatees Die Bedeutung des Verbs läßt sich als 'sich anschmiegen; streifen an etwas' oder im übertragenen Sinne als 'bei jm. einschmeicheln' bestimmen (vgl. Gu 1, 321 - einfeicheln, sich 'sich anstreicheln'; S, 31 - sich einfeicheln 'sich einschmeicheln'). Obwohl Sallmann dieses Verb als eine Entlehnung aus dem Nd. in der deutschen Sprache des Baltikums klassifiziert hat (Sallmann 1880: 31), ist das Präfixverb weder in den herangezogenen hd. Wörterbüchern noch in den nd. Wörterbüchern ausgewiesen. Hier werden die präfixlosen Verben verzeichnet: ficheln als 'hätscheln, schmeicheln, streicheln' (DWB 1/3, \6\2), ficheln als 'jn. streicheln, liebkosen' und 'schmeicheln, heucheln' (NsWB 4, 517f.); ficheln, fiecheln 'streicheln, kosen'; 'einschmeicheln': Ick will ficheln, ick will strakeln; dor hebben de Herrschaften giernfiechelt (MecklWB 2, 882). 10. einwuchern sich 'sich einnisten' La: Einwuchem sich eeperinatees Die Bedeutung des deutschen Verbs ist anhand der Handschrift des Lexikons belegbar: eeperrinatees sich einnistlen; seine Wirtschaft einrichten (LD H, 70). Das Reflexivum mit dieser Bedeutung wird auch in anderen baltischen Vergleichsquellen verzeichnet: einwuchern sich, von Unkraut und Wörtern (Gu 1, 250). Außerhalb des Baltikums weist das nichtreflexive Präfixverb den intrans. Gebrauch auf: einwuchern - da waukert se (unkraut) in (DWB 1/3, 346); ein eingewuchertes Unkraut (A 4, 1618); inwaukern (MecklWB 3, 1030). Der Gebrauch des reflexiven Pronomens bei Lange ist daher als redundant anzusehen. In mehreren der gezeigten Fälle (6 von 10) ist zu beobachten, daß die Reflexivität auch den hochdeutschen Verben eigen ist, die als Synonyme zu den Präfixverben bei Lange auftreten können. Die Unterschiede ergeben sich aus dem Gebrauch der Präfixableitungen statt der präfixlosen Verben wie im Hochdeutschen: sich anstreicheln statt sich streicheln, sich anstremmen statt sich stremmen, sich anstriegeln statt sich striegeln, sich aufsamlen statt sich sammeln oder aus dem Einsatz anderer Ableitungspräfixe als im Hochdeutschen bei den semantisch identischen Verben: sich ausstrappaziren statt sich abstrapazieren-, sich abschmieren statt sich beschmieren-, sich aufsamlen statt sich versammeln, sich ansammeln. In drei Fällen sind nichtreflexive Verben im Hochdeutschen mit derselben oder vergleichba-
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rer Semantik wie die reflexiven Präfixverben bei Lange belegt (Hd.: ficheln - La: sich einficheln; Hd.: einwuchern - La: sich einwuchern', Hd.: gabeln - La: sich aufgabeln) und in einem Fall liegen die Unterschiede beim Stammverb (Hd.: sich aufdrängen - La: sich auf zwingeri). Das kann die früheren Ansichten bestätigen, daß sich die deutschen Präfixverben im baltischen Sprachgebrauch vom Hochdeutschen häufig unterscheiden, indem andere Präfixe bevorzugt werden und daß die Präfixableitungen, die bei den Lokalitätsangaben besonders oft vorkommen, in vielen Fällen sogar als redundant zu betrachten sind.5 Die Präfixe sind polyfunktional in beiden Sprachen. Im 18. und 19. Jahrhundert weisen die Wörterbuchautoren hinsichtlich des Lettischen darauf hin, ζ. B. „Ee [...] wird zu verbis gesezzet, heißt: ein, hinein, hat aber auch noch sonst sehr viele und emphatische Bedeutungen" (Lange 1777: 97). Eine ausführliche semantische Beschreibung der Präfixe bietet Ullmann. Das Präfix at- ζ. Β. beschreibt er als „praepos. insepar. in den Bedeutungen" : 1. 'zurück', 2. 'her, herzu'; 3. 'los'; 4. 'weg (ent, ver)'; 5. „Vollendung einer Handlung" (Ullmann 1782: 15). Die Lexikographen erwähnen ebenso die Vielfalt der äquivalenten Präfixe in der deutschen Sprache je nach ihrer semantischen Funktion. Semantische Polyfunktionalität prägt die Präfixe ebenso in der deutschen Sprache (Fleischer/Barz 1992: 294). Dabei werden „die Ausdrucksmöglichkeiten, die der deutschen Sprache in ihren zahllosen Präfix- und Partikelbildungen - insbesondere im verbalen Bereich - zur Verfügung stehen" als „nahezu unerschöpflich" eingeschätzt (Herberg 1974: 3). Besonders betont werden die semantischen Funktionen der trennbaren Präfixe bei der Bedeutungsmodifizierung bezüglich der Lokalität, da die Präfixe ursprünglich in germanischen Sprachen als bedeutungsverstärkende Adverbien bei der Angabe eines Lokalkasus fungiert haben (Kolde 1964: 40). Möglicherweise gelten noch in der Gegenwartssprache gerade deshalb diejenigen Präfixmuster als lebendig, bei denen der Ableitungsprozeß semantisch nachvollziehbar ist wie ζ. B. bei den Verben aufbauen, ab-lassen (Engel 1988: 438). 5
Ausführlich zu den Funktionen der Präfixe in den verbalen Ableitungen in der deutschen Sprache des Baltikums s. Gutzeit 1864 u. Sallmann 1880. Die folgenden Zitate zeigen nur einige Besonderheiten in der Präfigierung im Vergleich zum Hochdeutschen: ab: „die Vollständigkeit, bis zu Ende, das Mühsame, Geringschätzige, oft = aus, ver" (Sallmann 1880: 76); „Eigentümlich ist die Vorliebe für Zusammensetzungen mit ab in Küchenausdrücken, gleichfalls meist elliptisch, ζ. B. absegen (Geflügel) (Sallmann 1880: 81); „Manche Zeitwörter erhalten durch dieses ab eine Bedeutung, die zu Missverständnissen Veranlassung geben kann, ζ. B. abdecken, abschärfen" (Gutzeit 1864: 2); an: „steht [...] häufig pleonastisch" , „elliptisch, oft = daran; meist zu ergänzen Wand, Leib oder ein besonderes Leibesglied (Sallmann 1880: 81); „wird noch gern der Dativ gebraucht, wenn auch das Zw. mit an zusammengesetzt ist, ζ. B. ich will das an der Wand anstellen, st. an die Wand stellen" (Gutzeit 1864: 34); auf: „ = vor (aufweisen vorweisen)", „ = darüber, darauf (aufnähen darauf nähen)", „= hinauf (aufstreichen Haare, hinaufstreichen)" (Sallmann 1880: 84); aus: „ = heraus, hinaus", „verstärkend = ab, ver, häufig mit dem Nebenbegriff des Schlechterwerdens, Verderbens" (Sallmann 1880: 88); „häufig st. heraus oder hinaus" (Gutzeit 1864: 67); durch: „Viele [...] werden anders betont, nämlich auf der Vorsilbe, wenn sie absolut stehn, und nehmen dann [...] ge an, ζ. B. durchschwuchten „er hat die Nacht durchschwuchtet", aber durchschwuchten „er hat am Sonnabend durchgeschwuchtet" (Sallmann 1880: 100); ein: „ = hinein (einhäkeln)", „= herein (einregnen)" (Sallmann 1880: 100); „Besonders häufig ist bei den Zusammensetzungen mit ein zu ergänzen „in die (der) Stadt" (Sallmann 1880: 104).
122 Der Unterschied zwischen mundartlichen Varietäten und dem schriftsprachlichen Hochdeutsch besteht bis heute darin, daß mitunter ein identischer Bedeutungsgehalt mittels verschiedener Präfixableitungen zum Ausdruck gebracht werden kann. Das gilt ζ. B. für die niederdeutschen Mundarten, in denen die trennbaren Präfixe „noch eine so starke Eigenbedeutung [haben], daß sie auch als selbständige Morpheme fungieren" (Stellmacher 1990: 186). Die Unterschiede ergeben sich aus den „spezifischen Anwendungsbereichen" der Morpheme, ζ. B. von af mit der adverbialen Bedeutung 'los, fertig': „drink mol a f ' 'trink aus' (Stellmacher 1990: 182). Eine allgemeine Erfassung der Funktionen von Präfixen kann nur auf einer entsprechend hohen Abstraktionsebene erfolgen, doch dann fallen ganze Präfixreihen unter gleiche semantische Gruppen. So gehören zu den Präfixen, die bei einer Richtungsangabe im Raum einen Kontakt signalisieren, solche wie an-, ein-, auf-, zu-, bei- (Kühnhold 1973: 165). Bei diesem Abstraktionsgrad treten verschiedene Präfixe in bestimmten Funktionen als Synonyme auf, ζ. B. Präfix ab- und aus-, an- und bei- oder zu- (Fleischer/Barz 1992: 347). Ein interlingualer Vergleich der semantischen Funktionen der Präfixe in den bei Lange ausgewiesenen deutsch-lettischen Verbpaaren läßt mehr oder weniger auf die Adäquatheit im Deutschen und Lettischen schließen: abschmieren sich = apsmurgatees {ab-: Zielzustand6 (Kühnhold 1973: 144); ap-\ Ausdruck des Bezugs der Tätigkeit auf etwas (Endzelins 1948: 600; 1938: 464; 1923: 491)); anstreicheln sich/ansiriegeln sich = peelunzinatees/peeluschinatees (an-: Kontakt, Annähern (Kühnhold 1973: 144);pee-: 'heran' (Endzelins 1923: 526; 1938: 473; 1948: 612)); anstremmen sich = uszihstees (an-: Intensivierung (Kühnhold 1973: 145); us-: 'hinauf, empor' (Endzelins 1923: 537)); aufgabeln sich = atkepparotees (auf-: Zustandekommen bzw. Herstellung eines Kontaktes (Kühnhold 1973: 145); at-: 'wider-, entgegen' (Endzelins 1938: 466; 1948: 602); 'her', wenn „die sich weg- oder zurückwendende Bewegung dem Sprechenden zugekehrt" ist (Endzelin 1923: 479)); aufsamlen sich = salehktees (auf: Intensivierung (Kühnhold 1973: 145); sa-: 'zusammen' (Endzelins 1938: 475; 1948: 613); „bedeutet sa-, daß die Handlung ihr Ziel erreicht hat" (Endzelin 1923:531)); aufzwingen sich = usbahstees (auf: Herstellung eines Kontaktes (Kühnhold 1973: 145); us-: 'hinauf (Endzelins 1923: 537; 1938: 476; 1948: 614f.)); ausstrappaziren sich = ispuhletees (aus-: vollständige Durchführung (Kühnhold 1973: 146); is-: Vollziehung der Handlung bis zum Überdruß (Endzelin 1923: 506)); einficheln sich = peeluschinatees (ein-: Intensivierung (Kühnhold 1973: 148); pee-: 'heran, hinzu' - „Verben mit weniger konkreter Bedeutung" (Endzelin 1923: 526)); einwuchern sich = eeperinatees (ein-: 'in etwas hinein' (Kühnhold 1973: 148); ee-: 'ein-' (Endzelins 1938: 468; 1948: 603f.)). Trotzdem bieten die semantischen Entsprechungen keinen Anlaß zur Annahme, daß der Einsatz bestimmter Präfixe durch den Einfluß des Lettischen hervorgerufen worden ist. Mit dieser Erklärung ist die Wahl des Präfixes aus der semantischen Synonymreihe der deutschen Präfixe jedoch nicht hinreichend begründet: vgl. ζ. B. einficheln sich = peeluschinatees und anstriegeln sich = peeluschinatees. Wie bekannt, können die Präfixe mit ähnlichen Inhaltsmerkmalen füreinander eintreten (Erben 1993: 80). 6
Vgl. die semantischen Modifikationsfunktionen der Präfixe auch bei Fleischer/Barz 1992: 328ff.
123 Häufig werden in der deutschen Sprache reflexive Verbformen gebildet - besonders häufig zu kausativen Verben. Insofern kann auch die Annahme plausibel erscheinen, daß die meisten der oben aufgelisteten reflexiven Präfixverben aus kausativen hochdeutschen Präfixverben gebildete Rezessiva darstellen, nämlich, aus: abschmieren 'besudeln', anstreicheln 'streicheln', anstriegeln 'glätten; liebkosen', aufsammeln 'Personen zusammenrufen', aufzwingen 'aufnötigen'. (Das kausative Verb anstremmen bzw. anstrammen 'stramm hernehmen, anstrengen' ist im Niederdeutschen belegt.) Ein genauer Nachvollzug der Wortbildung bei den von Lange ausgewiesenen deutschen reflexiven Präfixverben ist nicht immer möglich. Es läßt sich insgesamt schwer einschätzen, wodurch sich die ausgewiesenen Verben vom Hochdeutschen unterscheiden: durch eine Präfigierung des reflexiven Verbs oder durch den reflexiven Gebrauch eines präfigierten Verbs. Möglicherweise spielen semantische und/oder wortbildende Assoziationen zu anderen hochdeutschen oder niederdeutschen Verben ebenso eine Rolle, ζ. B. bei sich einßcheln zum hochdeutschen sich einschmeicheln. Markant ist allerdings das gleichzeitige Vorhandensein beider Elemente - des Präfixes und des reflexiven Pronomens (dt.)/der reflexiven Endung (lett.) - sowohl in den lettischen als auch in den von Lange angeführten deutschen Lexemen, wodurch sich die letzteren von den ihnen gegenübergestellten Verben aus den hochdeutschen Wörterbüchern unterscheiden. So lassen sich die angeführten reflexiven Präfixverben aus dem Lexikon als lettische Lehnbildungen durch die Nachahmung der Verbstruktur der Äquivalente klassifizieren, solange keine adäquaten Befunde aus dem binnendeutschen Sprachraum vorliegen. Einem Gegenargument - der sprachliche Einfluß hat sich in die entgegengesetzte Richtung auswirken können - widerspricht die Tatsache, daß die semantischen Äquivalente im Litauischen die gleichen morphologischen Elemente wie die lettischen Lexeme aufweisen, nämlich ein semantisch adäquates Präfix7 und ein reflexives Element. Insofern entsprechen die vom Hochdeutschen abweichenden Präfixverben im Lexikon in ihrer Struktur und Semantik nicht nur den lettischen, sondern auch den litauischen Verben.8 7
8
Über die Semantik der litauischen Präfixe s. Senn 1966: 245; über die semantische Entsprechung zwischen den lettischen und litauischen Präfixen s. Endzelins 1945: 600ff. Die reflexiven Elemente im Litauischen sind die Affixe -si und -s. Bei den Präfixverben befindet sich das Element -si- zwischen dem Präfix und dem Stammverb (Senn 1966: 244; Ambrazas 1997: 222): abschmieren sich = apsmurga/ees lett.smurgäties = smuleties (LL, 623); apsmuleties = lit. apsi'murzinti, aps/terlioti (LL, 64); apsismurgliuoti 'sich mit Rotz (smurgliai) besudeln' (Ku 1, 122), apsiterlioti 'sich beschmutzen' (Ku 1, 132); β/istreicheln sich = peelunzina/ees lett. pieluncinäties = lit. pmi'gerinti, pra/laiiyti (LL, 509); pns/gerinti prie ko/kam 'sich bei jemand einschmeicheln, jemand schmeicheln'; prai'lancyti prie ko 'sich an jemand anschmiegen' (Ku 3, 2004); anstremmen sich = wzihsiees lett. cisties, censties = lit. ruztis stengtis (LL, 136; LL, 130); stengtis 'sich anstrengen, sich Mühe geben, sich bemühen, sich bestreben' (Ku 3, 2258); ryitis 'sich etwas vornehmen, beabsichtigen' (Ku 3, 2096); α/tstriegeln sich =peeluschina/ees: s. sich anstreicheln; au/gabeln sich = afkepparo/ees
124 9.1.3. Einzelfälle Zu weiteren in den hochdeutschen und niederdeutschen Quellen nicht verzeichneten Präfixverben gehören: 1. abgleitschen 'herabrutschen, herabgleiten' La: Abgleitschen noschlukt =schluhdeht Dieses Verb ist in keiner anderen baltischen Vergleichsquelle ausgewiesen. Es ist entweder als abgleiten (UB, 8) oder abglitschen (St, 9; UB, 8) verzeichnet. Die Bedeutung beider Verben 'ins Gleiten kommen, abrutschen' weist keine regionalen Besonderheiten auf: vgl. abgleiten (A 1, 48; DE, 5; D W B 3/1, 317; FnhdWB 1, 148; PreußWB 1, 28); abglitschen (DWB 3/1, 317; DE, 5); afglitschen (NsWB 1, 158); afglieden (NsWB 1, 157) und afgliden (MecklWB 1, 119). In der handschriftlichen Fassung sind ebenso nur diese Verben auffindbar: abglitschen; er glitschete den ganzen Berg herab (DL H, 13) und noschluhkaht abgleiten mit dem Fus (LD H, 179). Bei Grimm (DWB 2/7, 8331) wird gleitschen 'ausgleiten' als eine Nebenform zu dem häufiger gebrauchten glitschen verzeichnet. Die von Lange ausgewiesene Präfixableitung verdankt daher ihre Eigentümlichkeit dem Basisverb, das im Hochdeutschen selten vorkommt. 2. auswindigen 'das Getreide im Wind reinigen' La: Auswindigen Korn wehtiht Das Verb ist in andere baltische Vergleichsquellen aufgenommen worden: auswindigen als 'Getreide windigen' (Gu 1, 90; S, 91), wobei Sallmann den Gebrauch des Präfixes als pleonastisch, d. h. redundant betrachtet (S, 91). In der Handschrift des Lexikons ist auch das lettische Äquivalent als ein Präfixverb ausgewiesen: auswindigen, Korn, iswehtiht (DL H, 65); iswehtitees auswindigen (LD H, 102). Im DWB ist nur das präfixlose Verb windigen 'getreide durch wind reinigen' verzeichnet (DWB 1/14-2, 308).
lett. kepurotics = lit. kapanotis (LL, 338); ato'kapanoti 'sich zappelnd wieder aufrichten' (Ku 1, 216);
ou/samlen sich = salehk/ees lett. sapulceties = lit. sas/rinkti (LL, 586); jHj/rinkti 'sich versammeln', ζ. B. i sale (in einem Saal) (Ku 4, 2339); au/zwingen sich = wibahsiees lett. uzbästies = lit. prikibti, pmi'kabinti (LL, 678); u&;'kabineti, H&ikabinti 'sich an jemand hängen' (Ku 4, 2578); ausstrappaziren sich = wpuhlefees lett. izpületies = lit. pra/darbuoti (LL, 272); i'&j'darbuoti 'eine Zeitlang arbeiten, sich bemühen' (Ku 2, 799); praidarbuoti 'sich sattarbeiten' (Ku 3, 2003); e/'/ificheln sich =peeluschina/eei lett. pieluncinäties = lit. pra/gerinti, /jw/rneilinti (LL, 509); primeilinti trans, 'mit Liebkosungen empfangen, bewillkommnen' (Ku 3, 1995); «'«wuchern sich = eeperinatees lett. ieperinäties = lit. jsiveisti (LL, 231); {sf'veisti 'zahlreich werden, sich verbreiten, einwurzeln, wuchern' (von Pflanzen) (Ku 2, 965).
125 Sowohl im Lettischen als auch im Litauischen existieren die präfixlosen Verben vetit = vetyti (LL, 705) und die Präfixableitungen izvetit = üvetyti, ζ. B. rugius (den Roggen) (LL, 285); isvetyti '(aus)worfeln, durch Worfeln reinigen' (Ku 2, 946). Zwar kann die deutsche Präfixableitung als eine Lehnbildung aus dem Lettischen bewertet werden (vgl. Kap. 9.1.2.), pro forma bietet jedoch der Eintrag bei Lange keinen Anlaß zu dieser Annahme, da als Äquivalent bei ihm ein präfixloses lettisches Verb verzeichnet ist.
9.1.4. Zwischenergebnis Bei den angeführten Präfixverben konnte der Einfluß beider Kontaktsprachen - des Niederdeutschen und des Lettischen - belegt werden. In einem anderen Zusammenhang, bezüglich der Zusammensetzungen, unterscheidet Weinreich (1964) drei Typen der fremdsprachigen Interferenz: „All the elements may be transferred, in analyzed form; all elements may be reproduced by semantic extensions; or some elements may be transferred, while others are reproduced" (Weinreich 1964: 50). Diese Feststellung kann durchaus auf die bei Lange ausgewiesenen trennbaren Präfixverben bezogen werden - auf die Lexeme, die aus mehreren Morphemen bestehen. Dabei kann als eine Tendenz beobachtet werden, daß die Verben niederdeutschen Ursprungs die letzten zwei Typen widerspiegeln, wobei eine semantisch adäquate Übersetzung der morphologischen Strukturelemente ins Hochdeutsche überwiegt. Der lettische Einfluß äußert sich ebenso durch die Nachbildung der lettischen Verbstruktur, wenn jedes Element semantisch adäquat in der Empfängersprache widergespiegelt wird. Eine lexikalische Entlehnung betrifft laut Erkenntnissen in der Sprachkontaktforschung vor allem diejenigen Lexeme einer Empfängersprache, die sich durch eine niedrige Frequenz auszeichnen. Frequente Wörter sind dagegen stabiler und weisen eine hohe Resistenz gegenüber Interferenzen auf (Clyne 1980: 642). Diese Erkenntnis darf mehr die Lehnwörter betreffen, für die laut Thomason/Kaufman eine verbreitete Zweisprachigkeit als Voraussetzung nicht notwendig ist. Zahlreiche Entlehnungen der Wortstruktur („structural borrowing") setzen dagegen voraus, daß die Zweisprachigkeit unter den Trägern der Empfängersprache über eine längere Zeitperiode bestanden hat (Thomason/Kaufman 1988: 37). Die angeführten Beispiele demonstrieren zwar keine Übernahme der für das Hochdeutsche fremden morphologischen Elemente (ζ. B. der lettischen reflexiven Endung oder der niederdeutschen Präfixe ut- u.dgl.), doch die Übersetzungen mit der Bewahrung der semantischen Intention der übersetzten morphologischen Bestandteile können von einer langzeitigen Auswirkung und tieferen Kenntnis der Kontaktsprachen zeugen. Die räumliche Trennung vom muttersprachlichen Ursprungsland kann als eine weitere Ursache für semantisch motivierte, doch dem hochdeutschen Usus fremde Präfixbildungen in der deutschen Sprache des Baltikums betrachtet werden.
126 9.2.
In h o c h d e u t s c h e n W ö r t e r b ü c h e r n n i c h t b e l e g t e B e d e u t u n g e n d e r P r ä f i x v e r b e n
Viele Präfixverben bei Lange zeichnen sich dadurch aus, daß sie über solche Bedeutungen verfügen, die bei den formal identischen Lexemen in den hochdeutschen Wörterbüchern außerhalb des Baltikums nicht ausgewiesen sind. Bevor diese Verben j e nach den vermuteten Ursachen für ihre semantischen Abweichungen vom Hochdeutschen näher analysiert werden, bietet das folgende alphabetische Verzeichnis ihre semantische Entschlüsselung in der von Lange aufgestellten Äquivalentenbeziehung (s. Kap. 8.2.3.): 1. abarbeiten sich 'sich abschleifen, sich abnutzen' La: Abarbeiten sich = die Wagenachse hat sich abgearbeitet, ass irr nodillusi (vgl. DL H, 2 abarbeiten sich wie die Mühlsteine nodillf, LD H, 175 nodilt verschleüßen; Ε, 1 abarbeiten 'stumpf machen') 2. abhalten 'bezwingen, bändigen, anhalten' La: Abhalten = ein Pferd, sirgu nowaldeht (vgl. abhalten E, 7; St, 10 abhalten, noturreht, nowaldihf, St, 343 nowaldiht, bändigen; UB, 8 abhalten = bewältigen notureht, nowaldihf, Gu 1, 8 Ich ließ auf ihn a. 'befahl dem Kutscher, auf ihn zu fahren oder vor ihm zu halten'; S, 79 abhalten 'auf jemanden zufahren, um bei ihm Halt zu machen') 3. abliegen 'schlafend beschädigen, zum Taubsein bringen' La: Abliegen, nogulleht (vgl. Gu 1, 11 abliegen 'ein Bein, einen Arm durch unpassendes Liegen zum Abtauben bringen' Ich habe mir mein Bein abgelegen; S, 78 abliegen Arme oder Beine 'durch falsche Lage oder zu hartes, langes Liegen zum Vertauben, zum Schmerzen bringen') 4. abschäuren 'abdachen' La: Abschäuren, nemlich den Dach, nojumt (vgl. St, 16 abschäuren den Dach, nojumt, Gu 1, 15 abschauern einen Platz 'mit einem Regendach versehen') 5. abschwizzen 'sich mit Schweiß bedecken' La: Abschwizzen, noswihst (vgl. LD H, 181 noswihst beschwizzen; St, 18 abschwitzen, noswihst-, UB, 18 abschwitzen intrans. noswihst, Gu 1, 18 Verschlagene (oder beschwitzte) Fensterrauten schwitzen ab, d. h. die Feuchtigkeit auf denselben dunstet ab) 6. abstehen sich 'abliegen, ablagern' La: Abstehen = sich, wie Bier, nostahtees (vgl. LD H, 181 nostahtees, sich abliegen wie bier, wein; St, 293 nostahtees, sich abliegen wie Bier; U, 176 nostahtees sich abliegen, ablagern wie Bier) 7. abwälzern sich 'sich zur Genüge herumwälzen' La: Abwälzern sich, wie die Pferde, iswahrtitees (vgl. LD H, 101 iswahrtitees, sich auswälzen wie die pferde; St, 340 wahrtitees, sich wälzen; iswahrtitees sich auswälzen) 8. anschieben '(ein wenig) öffnen' La: Anschieben die Thür, pawehrt durwis. durwis stahw pawerru, die Thür ist angeschoben (vgl. LD H, 199 pawehrt etwas öfnen; pawerru adv. halb ofen. durwis stahw pawerru, die thür steht etwas ofen.; St, 353 pawehrt, die Thiire anschieben, nicht ganz zumachen)
127 9. ansprengen 'aufjagen' La: Ansprengen = einen Haasen, sakki lezzinaht (vgl. St, 51 ansprengen einen Haasen, sakki lezzinaht; St, 141 sakki lezzinaht einen Hasen aufsprengen) 10.anstrekken 'sich stremmend abmühen, abquälen' La: Anstrekken, stihwetees (vgl. LD H, 141 stihwetees stremmen, pretti hindern & sperren; E, 45 anstrecken, ar wissu spehku ko darriht; St, 52 anstrecken, sich, ar wissu spehku ko darriht; St, 297 stihwetees, sich anstrecken, sich stremmen) 11. anthun 'hinzufügen, dazu tun' La: Anthun, usdarriht (vgl. LD H, 302 usdarriht hinzu thun, anmachen) 12. antrauen 'mit einander trauen' La: Antrauen, salaulaht (vgl. DL H, 43 antrauen, salaulaht, sadoht germ.; LD H, 238 salaulaht zusammen trauen; E, 46 antrauen, salaulaht, St, 53 antrauen, sadoht, salaulaht; St, 134 salaulaht, kopuliren, zusammentrauen) 13. anzerren 'necken, anreizen, vexieren' La: Anzerren die Kinder, kirzinaht. aliis, kehrzinaht (vgl. DL H, 44 anzerren pakirzinaht; LD Η, 113 kehrzinaht die Hüner indem man sie scheüchtert schreyend machen, it. die Kinder zerren, kirzinaht; St, 55 anzerren, kehrzinaht, kirzinaht; St, 105 kehrzinaht, auch kirzinaht, zörgen, ein Kind zum Krieschen bringen) 14.auffleihen 'aufschichten, aufstapeln' La: Auffleihen, kraustiht (vgl. St, 65 auffleihen, uskraustiht; St, 116 kraustiht, fleigen, d.i. aufeinander legen oder packen; Gu 1, 55 auffleihen 'aufschichten' blihweht; U, 33 blihweht, fleihen, stampfen, dicht zusammenpacken, schichten) 15. aufgehen 'zu Beine kommen, gesund werden' La: Aufgehen = wie ein Kranker, atspertees (vgl. LD H, 28 atspirgtees, zu Kräften kommen, sich stärken; U, 19 atspertees, atspirgtees frisch werden, gesund werden, sich erholen; S, 85 aufgehn (von Kranken) 'außer Bett sein': es geht auf) 16. aufgehnen '(kurz) gähnen' La: Aufgehnen, usschahwaht (vgl. E, 55 aufgehnen, aufgienen, hojanen, schahwaht, usschahwaht; St, 240 schahwaht, usschahwaht, jähnen, hojanen wie ein Schläfriger) 17. aufhüllen 'etwas (um)kippen' bzw. 'etwas (ein wenig) neigen' La: Aufhüllen, us= pagahst (vgl. LD H, 302 usgahst aufhüllen eine tonne; St, 64 pagahst, zu Boden werfen, - muzzu pagahst, eine Tonne, die auf die Neige ist, biegen; usgahst, aufstürzen, aufstülpen (it. eine Tonne auf hüllen); St, 68 aufhüllen usgahst, pagahst) 18. aufpropfen 'vollstecken, vollstopfen' La: Aufpropfen, peetuhzeht (vgl. St, 70 aufpropfen - ein Pferd, sirgu usbarroht, tuklu darriht St, 331 tuhzeht, peetuhzeht, vollstopfen) 19. aufstreifen 'auf etwas streifen, setzen, ziehen' La: Aufstreifen, usmaukt (vgl. St, 74 aufstreifen, usmaukt; St, 156 usmaukt, aufstreifen, aufzwängen)
128 20. aufstiizzen 'sich auf etwas stützen, sich anlehnen' La: Aufstüzzen, atsleetees (vgl. DL H, 53 aufstüzzen usbalstitees; St, 275 sleetees, sich anlehnen) 21. auftrennen 'sich auftrennen, auseinandergehen (von Näten)' La: Auftrennen, atirt (vgl. DL H, 54 auftrehen, irt neutr.; LD H, 23 atirt auftrennen, auseinander gehen; St, 75 auftrennen act. is-ahrdiht, at-ahrdiht, pass, is-irt, at-irt; Gu 1, 65 auftrennen 'auseinandergehn, von Näten': Die Handschuhe trennen auf. Dasselbe ist: sich auftrennen; S, 88 auftrennen intrans. 'in der Naht auseinandergehn') 22. aufzwängen 'aufstülpen, aufstreifen, anziehen' La: Aufzwängen, usmaukt (vgl. St, 77 aufzwängen usmaukt; St, 156 usmaukt aufstreifen, aufzwängen·, UB, 77 aufzwängen trans, usspraust, usdsiht) 23. ausbähnen = höhnen '(fertig) brühen' La: Ausbähnen = böhnen, issauteht (vgl. LD H, 98 issauteht ausbähnen, ausbrühen; St, 81 ausbähnen, issauteht, St, 239 issauteht, ausbähnen; sauteht - etw. wie die Kohlkräuter, Gu 1, 67 ausbähnen, ausbähen [...] nach Hupel, 'ein wenig kochen oder brühen lassen in einem verdeckten Gefäße und auf kleinem Feuer') 24. ausdrehen '(Garn, Wäsche) auswringen' La: Ausdrehen, isgreest (vgl. St, 82 ausdrehen isgreest; S, 92 ausdrehen Wäsche, 'ausringenGu 1, 71 ausdrehen 'Garn, Wäsche, ausringen') 25. ausfüllen 'Flüssiges umfüllen' La: Ausfüllen = aus einem Gefäß in ein anderes, pahrlaist (vgl. St, 84 ausfüllen, ispildiht, peepildiht; St, 131 pahrlaist aus einem Gefäß ins andere ausfüllen; brandwihnu pahrlaist, den Brantwein abziehen oder destilliren) 26. ausgehen 'paradieren, sich zeigen' La: ausgehen = viel, unter die Leute, plahtitees (vgl. St, 85 ausgehen, - viel unter die Leute, isplahtitees; St, 197 plahtitees, sich bräsen, sich viel den Leuten zeigen) 27. ausmunstern 'bei einer wiederholten Musterung als tauglich erkennen (von Soldaten)' oder 'jemanden umerziehen' La: Ausmunstern, pahrmunstereht (vgl. Gu 1, 79 ausmunstern, ausmustern 'bei angestellter Musterung auswählen - nicht ausschließen als untauglich' oder vgl. E, 73 ausmustern = einen zu einen vernünfftigen Kern machen, weenu par saprattigu wihru pataisiht) 28. ausqvellen 'anschwellen' La: Ausqvellen in die Dikke, sabreest (vgl. DL H, 61 ausqvellen, isbreest; LD H, 46 breest qvellen, in die dikke wachsen; St, 89 ausquellen, (in die Dicke) sabreest; Gu 1,81 Diese Grütze quillt mehr aus, als jene; Wenn die Rosinen gut ausgequollen sind) 29. ausrecken sich 'sich krümmen und sich reckein' oder 'sich faul dehnen und strekken' La: Ausrecken = sich wie bey den Febrillischen Anfällen, rohsitees (vgl. St, 89 ausrecken, - sich wie bey febrilischen Anfällen, rohsitees; St, 228 rohsitees, sich strecken und dehnen, welches auch nach dem Schlaf zu geschehen pflegt oder vgl. LD H, 231 roh-
129 sitees sich zu gut halten eine arbeit anzugreifen, winsch ne eet pee darba stahw ween rohsidamees. Er drehet sich hin und her, und schaut seine zarte fingerlein an) 30. ausrecken sich 'liegen und faul sein' La: Ausrecken = sich ungeberdig, slaistitees (vgl. LD H, 262 slaistitees sich der länge nach hinstrekken, hinschleichen, wenn es an die arbeit gehen sol.; LD Η, 100 isslaistitees sich der Länge nach hinstrekken auf die Faulbank·, St, 89 ausrecken, - sich wie ein Faullenzer, slaistitees; St, 274 slaistitees, liegen und faulen, sich recken wie ein Fauler, sich auf die faule Seite legen; UB, 86 ausrecken, - sich träge, slaistitees) 31. ausschmoren 'etwas (fertig) rösten, schmoren' La: Ausschmoren, istaukschkeht (vgl. St, 92 ausschmoren, istaukschkeht', S, 95 ausschmoren 'mit Schmoren fertig sein') 32. ausschnüffeln 'gründlich durchsuchen' La: Ausschnüffeln, issnohkereht (vgl. DL H, 63 ausschnüßen, islohsaht -lohschinaht; LD H, 97 islohsaht, thür und schlößer öfnen, um alles zu visitiren; LD H, 268 snohkereht durchschnüßen; St, 92 ausschniffeln, isschnohkerehf, St, 251 schnohkereht, schniffeln UB, 88 ausschniffeln isschnohkereht) 33.ausschrapen 'aushöhlen' La: Ausschrapen, isgrebt (vgl. DL H, 63 ausschrapen, = wie mit einem Hohleisen, grebf, LD H, 86 grebt Holz ausschrapen wie einen Löfel; St, 92 ausschrapen, isgrebt; St, 77 grebt, mit einem krummen Messer ausschrapen, ausholen) 34. ausschwizzen 'beschwitzen, durchschwitzen' La: Ausschwizzen, noswihst (vgl. LD H, 181 noswihst beschwizzen; St, 309 noswihst abschwitzen) 35. austokken 'Wolle auskämmen, auszupfen' La: Austokken, iskahrst (vgl. St, 97 austocken, iskahrst; St, 95 kahrst, tocken, kartetschen; H, 238 tocken, karteschen, kämmen; Gu 1, 88 austocken 'Wolle, Seide, durch Kratzen mit einer Tocke reinigen, auskämmen') 36. auswässern '(lange) im Wasser liegen' La: Auswässern, mirkt = mehrzeht (vgl. LD H, 163 mirkt eingewäßert seyn; St, 98 auswässern pass, ismirkt; St, 167 mirkt, weichen, im Wasser liegen, ζ. B. bis es fault) 37. auswehen 'aufhören zu wehen' La: Auswehen, nicht mehr wehen, wehjsch irr apstahjees (vgl. St, 98 auswehen, ispuhst, - der Wind hat ausgeweht, wehjsch apstahjees; UB, 92 auswehen, intrans. beigtpuhst) 38. auswettern 'auslüften' La: Auswettern Kleider, iswehjdinaht (vgl. DL H, 65 auswettern kleider, iswizzinaht jeb iskahrstiht drehbes; H, 13 auswettern Kleider oder Bettzeug und Pelzwerk, heißt sie an die freye Luft bringen; St, 98 auswettern, auslüften, iswehdinaht) 39. durchheizzen 'durch und durch heiß werden' La: Durchheizzen, issilt (vgl. St, 185 durchheizen issilt; St, 263 silt, sasilt, warm werden, atsilt, eesilt, sasilt, warm werden; H, 92 heitzen hört man zuweilen unrichtig st. brennen, ζ. B. der Ofen heizet.)
130 40. einhelfen 'etwas hineindrehen, zurecht richten' La: Einhelfen, eegrohsiht (vgl. St, 80 eegrohsiht, einrichten; rohku eegrohsiht, eine verrenkte Hand wieder einrichten; St, 197 einhelfen, - was verrenkt ist, eegrohsiht)
41. einkehren 'den Grund zum Haus legen' La: Einkehren = Grund=Balken, ehku eegrohsiht (vgl. St, 80 eegrohsiht den Grund zu einem Gebäude legen; St, 197 einkehren, - den Grundbalken, pamattu eegrohsiht; UB, 227 einkehren tr. eegreest, eegrohsiht, Gu 1, 235 den Grundbalken einkehren)
42. einschiessen 'einsinken (in einen Morast)' La: Einschiessen im Sumpf, apstigtees (vgl. UB, 230 einschießen intr. eestrigt, eestigt, eemukt; St, 201 einschiessen
= einsinken, stigt,
strigt; - im Sumpf, apstigtees; das Pferd schiest ein, sirgs eestreeg\ S, 103 einschießen in einem Morast
'einsinken'', Gu 1, 243 einschießen
'durchschießen, einsinken', wie das in Morästen u.
tiefen Schneelagen auf Wegen bei eintretendem Tauwetter geschieht. Nur von Pferden u. Vieh.)
43. zudrücken 'heftig schlagen' La: Zudrücken = brav mit der Peitsche, atraudams sist (vgl. LD H, 26 atraudams ar pahtagu sist mit der Peitsche brav anziehen·, DL H, 523 druck zu! (im schlagen) welz\ DL uH, 72 anziehen, - scharf im schlagen ar pahtagu atraudams sist, St, 730 zudrücken, - brav mit der Peitsche , atraudams sist)
44. zuhorchen 'sich erkundigen, nachforschen' La: Zuhorchen, apklausinaht (vgl. DL H, 525 zuhorchen apklausinaht; LD Η, 11 apklausinaht behorchen; apklausitees sich erkündigeni; St, 109 apklausinaht,
nachforschen-, St, 732 zuhören = nachforschen,
apklausitees,
apjautatees).
Hypothetisch kann in diesen Fällen angenommen werden, daß es sich hier um Bedeutungsentlehnungen aus den Kontaktsprachen handelt, denn der Wortschatz einer Sprache ändert sich nicht nur aufgrund der Wortentlehnungen, sondern auch aufgrund von Entlehnungen im Bereich der Semantik (Hoffer 1996: 546). Die lexikalische Entlehnung, darunter auch im Bereich der Semantik, kann insgesamt als ein Faktum betrachtet werden, das aus pragmatischen Gründen der Sprachbenutzer resultiert. Wie Weinreich (1964: 57) bemerkt, ist die Übernahme schon vorhandener Kennzeichnungen („designations") aus der Kontaktsprache viel praktischer als ihre Neuerfindung. Es zeigt sich, daß bei einzelnen Lexemen in der deutschen Sprache des Baltikums die Semantik nach dem Vorbild der kontaktsprachlichen Äquivalente - am häufigsten nach dem Vorbild adäquater Präfixableitungen - verändert bzw. erweitert oder verschoben sein kann.
9.2.1. Lehnübersetzungen aus dem Niederdeutschen Ein Vergleich mit den Angaben in den niederdeutschen Wörterbüchern erlaubt die Feststellung, daß die Abweichungen in der Semantik bei einem beträchtlichen Teil der aufgelisteten Lexeme darauf beruhen, daß diese Lexeme Lehnübersetzungen aus dem Niederdeutschen darstellen - also den Typ der Lehnbildungen, der eine „genaue Glied-für-GliedÜbersetzung" (Tesch 1978: 122; s. auch Wandruszka 1979: 154f.; Bechert/Wildgen 1991:
131
71 f.) aufweist: in den weiter unten betrachteten Fällen eine Übertragung morphologischer Bestandteile mit der Bewahrung ihrer ursprünglichen Bedeutung. Der niederdeutsche Ursprung kann bei folgenden Verben belegt werden: 1. anthun 'hinzufügen, dazu tun' - andon, andaun 'hinzufügen, dazu tun' In den nd. Wörterbüchern ist Sollt a. 'Salz dazu tun' verzeichnet (NsWB 1, 333f.); anders in den hd. Vergleichsquellen (s. anthun 'anzaubern'; 'Kleid anziehen'; 'einem etwas zu leide/etwas Gutes tun' u.ä. in A 1, 392; DWB 1/1, 499; FnhdWB 1, 1551f.), in den zweisprachigen Wörterbüchern (DE, 32) und im PreußWB (s. antun PreußWB 1, 185). 2. anzerren die Kinder 'necken, anreizen, vexieren' - antargen 'necken, anreizen' Diese Semantik des Verbs ist im NsWB (1, 439) dargestellt; anders im Hd. (s. DWB 1/1, 526). Hier wird die Bedeutung 'reizen, necken (Menschen u. Tiere)'durch das präfixlose Verb zerren ausgedrückt (DWB 1/15, 746f.). 3. aufgehnen '(kurz) gähnen' - uphojanen 'gähnen' Uphojanen als 'gähnen' führt das MecklWB (7, 549) an. Im Hd. wird das Präfixverb aufgienen (aufgähnen DWB 2/1, 650) nur in der Bedeutung '(den Mund) aufsperren' gilt zumal von jungen vögeln, die weit aufginen; der mensch gienet nach unflat auf, wie ein stork nach fröschen (DWB 2/1, 657) - verzeichnet. Die baltischen Vergleichsquellen belegen das Präfixverb als 'gähnen - (aus Müdigkeit) die Luft einziehen und ausstoßen' (St, 240). Das im MecklWB angeführte bedeutungserklärende Verb gähnen kann diese semantische Einschränkung nicht belegen. Beim Verb gähnen/nd. hojanen wird jedoch in erster Linie die 'Wirkung der Schläfrigkeit und langen Weile' (A 2, 388; DWB 1/4, 1148f.; vgl. MecklWB 3, 750) betont. Der nd. Ursprung des Verbs wird nicht zuletzt wegen des aufgezeigten Synonyms hojanen in den baltischen Wörterbüchern vermutet. 4. aufstreifen 'auf etwas streifen, ziehen' - upströpen 'auf etwas streifen, setzen' Im MecklWB (7, 598) wird das Präfixverb im Kontext se hett em ne Dodenmütz upströöpt demonstriert; anders im Hd., wo aufstreifen als 'hinauf/aufwärts streifen, zurückstreifen' ausgewiesen ist: den Ärmel, das Hemd a. (A 1, 544; DWB 1/1, 753), in den zweisprachigen Wörterbüchern (DE, 43) und im PreußWB (1, 263). 5. ausqvellen in die Dikke 'anschwellen' - utquellen, utquillen 'anschwellen' In den nd. Wörterbüchern werden kontextuelle Beispiele wenn dat Pick (zwischen den Schiffsplanken) utquillen deit; de Rogg' is utquulen (MecklWB 7, 692), de Dör klemmt sik, dat Holt is utquulen (SH 5, 282) angeführt; anders in den hd. Wörterbüchern (s. DWB 2/1, 927; FnhdWB 2, 1212). Im Hd. kommt in der ausgewiesenen Bedeutung das Verb aufquellen vor: aufquellendes brot, der hirse quillt im kochen auf(DWB 1/1, 702). 6. ausschwizzen Im MecklWB hadden wi uns s. ausschwitzen
'beschwitzen, durchschwitzen' - utsweiten trans, 'durchschwitzen' (7, 725) wird der trans. Gebrauch des Präfixverbs demonstriert: denn den Puckel all utsweit't 'waren ins Schwitzen gekommen'; anders im Hd.: (A 1, 643; DWB 2/1, 967; FnhdWB 2, 1351).
7. austokken 'Wolle auskämmen, auszupfen' - uttücken 'Wolle auszupfen' Uttücken als 'Wolle auszupfen' wird im SH (5, 299) verzeichnet; anders in den hd. Wörterbüchern ausdocken - (bei den Jägern) 'von der Docke ablaufen lassen' (A 1, 583)
132 in Anlehnung auf die Substantive Tocke, Docke (DWB 1/11-1, 537), also, 'ein aufrechtstehender (gedrechselter) Stab' (MndWB 1, 529). 8. auswässern intrans. '(lange) im Wasser liegen' und trans, 'einweichen' - utwätern, utwatern 'wässern' Kontextuelle Beispiele Päkelfleesch möt utwätert warden, süs kriggt'n Schörbuck; Gaus'fleisch würd' utwätert; de Tümmler smeckt fein, wenn he 'n bäten utwatert is sind im MecklWB (7, 734) gegeben; der trans. Gebrauch von auswässern 'durch Wasser ausspülen, ausziehen, ausbleichen' und 'durch Wasser ausfaulen' - im PreußWB (1, 345). Während in beiden Vergleichsquellen sowohl der intrans. als auch der trans. Gebrauch des Präfixverbs wie bei Lange ausgewiesen sind (vgl. auch: Auswässern, mirtkt =mehrzeht\ vgl. LD Η, 160 mehrkt einweichen; UB, 92; St, 98 auswässern act. ismehrzeht\ St, 160 mehrzeht tunken, eemehrzeht einweichen; die Belege fur den intrans. Gebrauch s. oben), zeigt sich das Präfixverb im Hd. nur als trans.: 'durch Einweichen vom Salze befreien' u.dgl. (s. A 1, 667; DWB 2/1, 1011; DE, 58). Als trans. und intrans. kommt im Hd. das präfixlose wässern vor (s. DWB 1/13, 2464). 9. auswettern Kleider 'auslüften' - utwedern, utweddern 'auslüften' Mit den Ergänzungen 7ug, Betten u.\ Petrus wedert (weddert) sien Bett ut 'es schneit' ist das Präfixverb im SH (5, 300) verzeichnet; anders im Hd. (s. DWB 2/1, 1017 auswettern). Die Bedeutung 'dem wetter aussetzen, in der freien luft trocknen' wird im Hd. durch das präfixlose wettern ausgedrückt (DWB 1/14-1,2, 754). 10. durchheizzen 'durch und durch heiß werden' - dörhitten 'durch u. durch heiß werden' Belege für diese Semantik des Verbs sind im MecklWB (2, 401) und im NsWB (3, 375) auffindbar. Laut MecklWB 3, 716 kommen die präfixlosen Verben hitten, hitzen, die in den Ableitungen mit dörch- erscheinen, im Nd. im trans. und im intrans. Gebrauch vor und können daher sowohl 'heiß machen, heizen' als auch 'heiß werden, sich erhitzen' bedeuten (vgl. die baltischen Vergleichsquellen: S, 99 durchhitzen 'wieder heiß machen'; St, 185 durchheizen 'heiß werden'). Laut den hd. Wörterbüchern ist das Verb durchheitzen an den trans. Gebrauch als 'heiß machen' gebunden (s. A 1, 1593; DWB 3/4, 1639), aber durchhitzen kann als ein intrans. Verb (A 1, 1593; DWB 3/6, 41) und als ein trans. Verb vorkommen: Die Sonne durchhitzt die Erde (A 1, 1593). 11. zuhorchen 'sich erkundigen, nachforschen' - tauhorken 'anfragen' Das Verb tauhorken ist in der ausgewiesenen Bedeutung 'anfragen' im MecklWB (7, 75) verzeichnet; in den hd. Wörterbüchern wird diese Bedeutung des Präfixverbs nicht verzeichnet (s. zuhorchen 'angespannt zuhören, hinhören' u.ä. in A 4, 1756; DWB 1/16, 456; DE, 573). In einem Fall unterscheidet sich das von Lange angeführte Präfixverb durch seine reflexive Form vom Niederdeutschen, doch einige baltische Wörterbücher führen in der ausgewiesenen Semantik ein nichtreflexives Verb an. Diese Variation zeugt möglicherweise von einer Schwankung beim Gebrauch des nichtreflexiven bzw. des reflexiven Verbs in der Sprache der baltischen Deutschen. Der Einsatz der reflexiven Form wäre durch das Vorhandensein der Reflexivität beim lettischen Äquivalent nostahtees zu erklären (s. Kap. 9.1.2.):
133 12. abstehen, = sich, wie Bier, nostahtees 'abliegen' - afstahn, intrans. 'stehen, damit ein Vorgang zu Ende kommen kann' Im Nd. wird das Verb als ein Ersatzausdruck für abkühlen, absetzen u.ä. de Backwaren möt ierst a. d. h. bis sie kalt sind (MecklWB 1, 194; NsWB 1, 232) benutzt. Ein nichtreflexives Präfixverb mit dieser Bedeutung kommt auch in einigen baltischen Vergleichsquellen vor (vgl. Gu 1, 20f.: ,ßer Wein muss abstehen-, das Öl, die Milch hat abgestanden; Ganz gew. sagt man auch von eingegossenem Bier, auf dessen Oberfläche Schaum sich gebildet und den man verschwinden lassen will, man wolle es (etwas) a. lassen"·, St, 20 abstehen, - wie Bier, Milch oder Schmant, Hefen, nostahtees-, S, 80 abstehn von Flüssigkeiten, nicht: durch Stehn verderben, sondern im Stehn klar werden durch Ausscheidung und Niederschlag der unreinen Theile) und im PreußWB: abstehen 'von der Milch, sie aufstellen zur Sahnenbildung' (PreußWB 1, 66). Im Hd. steht dafür abliegen (A 1, 69; DWB 3/1, 553), und abstehen wird in der Bedeutung 'verderben' angeführt (A 1, 116; E, 14). Im DWB wird auf die landschaftlich begrenzte Verwendung des Verbs abstehen in der Bedeutung wie bei Lange hingewiesen, doch als Beleg wird nur Gutzeit angeführt (DWB 3/1, 1032).
9.2.2. Veränderung der kontextuellen Distribution durch den Einfluß des Lettischen In der folgenden Betrachtung wird der Schwerpunkt auf die Erkenntnis gelegt, daß die Eigentümlichkeiten der deutschen Sprache im Baltikum nicht nur in offensichtlichen Unterschieden zum Hochdeutschen wie ζ. B. die Wortbildung der Lexeme festzuhalten sind, sondern daß sie sich womöglich auch in einem für das Hochdeutsche untypischen oder gar fremden kontextuellen Einsatz der Verben äußern können. Laut Haugen (1956) ist der fremdsprachliche Einfluß nicht selten „in nothing more tangible than the use of a more or less frequent word or the choice of the wrong stylistic nuance" zu sehen (Haugen 1956: 63; vgl. Hoffer 1996: 546). Der spezifische kontextuelle Gebrauch vieler Präfixverben im Lexikon läßt die Frage aufwerfen, inwieweit hier noch dieselbe Bedeutung wie im Hochdeutschen vertreten ist (s. unter: einschießen oder aufzwängen). Es ist an die Schwierigkeiten bei der Unterscheidung zwischen der Polysemie und der Polyvalenz der Lexeme, doch auch an die Rolle des Kontextes bei der Erkennung neuer selbständiger Bedeutungen zu erinnern. Wie schon betont wurde, schafft der Kontext keine neuen Bedeutungen, deckt aber gleichzeitig bestimmte, dem Lexem eigene Bedeutungen auf. Die intensive Beschäftigung mit den lexikographischen Werken haben zu der Erkenntnis geführt, daß die Autoren der einsprachigen deutschen Wörterbücher das Hochdeutsche tendenziell aus der Sicht der „langue" zu betrachten und darzustellen suchen, bzw. vielfach ihr Ausdruckspotential dem lebendigen Sprachgebrauch vorziehen.9 Das hat den Vorteil,
9
Auch in der Neubearbeitung des „Deutschen Wörterbuchs" sind Belege für Wortbildungen samt lexikalischen Bedeutungen verzeichnet, die dem lebendigen Sprachgebrauch fremd geblieben sind wie ζ. B. Präfixverben abforsten 'abholzen', das nur in Wörterbüchern auffindbar ist ( D W B 3/1, 263) oder abküpsen 'anspitzen', das einmal bei Lessing (1753), danach regelmäßig in den Wörterbüchern vorkommt (DWB 3/1, 465). Diesen Hinweis verdanke ich dem Mitarbeiter am „Deutschen Wörterbuch" Dr. W. Braun.
134 daß diese Wörterbücher als sichere Ermittlungsquellen bei der Ausgliederung der sprachlichen Besonderheiten in der deutschen Sprache des Baltikums gelten dürfen. Andererseits setzt diese Betrachtungsweise der Sprache ein hohes metasprachliches Abstraktionsniveau in einem Wörterbuch voraus, das besonders beim Fehlen sprachlicher oder kontextuell adäquater Belege weniger Freiraum für eine sichere Klassifizierung eines Lexems als semantische Abweichung zuläßt. Bei der folgenden Gruppe der Präfixverben sind gewisse Parallelen zwischen der semantischen Beschreibung in den hochdeutschen Wörterbüchern und den bei Lange ausgewiesenen Bedeutungen erkennbar. Unterschiede sind häufig in der kontextuellen Umgebung der Verben festzustellen, was davon zeugen könnte, daß die betreffenden Lexeme in der Sprache der baltischen Deutschen auch eine andere situativ-kommunikative Anwendung als im Hochdeutschen aufweisen. Um den vermuteten kontaktsprachlichen Einfluß auf die Semantik der Präfixverben des Lexikons zu veranschaulichen, werden sie semantisch zuerst nur den Präfixverben aus hochdeutschen, niederdeutschen und zweisprachigen Vergleichsquellen außerhalb des Baltikums gegenübergestellt. Ihre lettischen Äquivalente sind hier durch bedeutungserklärende Definitionen ersetzt. Erst danach wird ihre Verbindung mit den lettischen Äquivalenten dargestellt, und die Formen und Motive des Einflusses werden ergründet. 1. abarbeiten sich = die Wagenachse hat sich abgearbeitet 'sich abnutzen' Die Bedeutung 'etwas durch Arbeit abnutzen, verschleißen' ist bei dem hd. nichtreflexiven Verb abarbeiten (A 1, 8; DWB 3/1, 32; FnhdWB 1, 7) üblich; das Reflexivum dagegen tritt im Hd. und auch im Nd. in der Bedeutung 'durch vieles Arbeiten entkräften, seine Kräfte durch Arbeit verschwenden' auf (vgl. A 1, 8; afarbeiden refl MecklWB 1, 87; NsWB 1, 112f. und W, 1; DE, 1; PreußWB 1, 10). Die Bedeutung 'sich abnutzen' wird im Hd. u.a. durch die syntaktische Transformation des nichtreflexiven abarbeiten wie die Schneiden an den Sensen [...] waren abgearbeitet erreicht (A 1, 8; vgl. DWB 3/1, 32). In der handschriftlichen Fassung des Lexikons werden dagegen beide Bedeutungen 'sich abnutzen' und 'sich entkräften' des Reflexivums angezeigt: abarbeiten sich wie die Mühlsteine und sich selbst durch schwere Arbeit (DL H, 2). 2. abhalten, = ein Pferd 'das Pferd bezwingen, bändigen, anhalten' In den hd. Wörterbüchern ist die Bedeutung 'von etwas weg, zurück halten, in einer Entfernung von anderen Sachen halten' ausgewiesen (A 1, 50f; DWB 1/1, 53; FnhdWB 1, 161; auch W, 6; DE, 5), ζ. B. den bellenden hundmit dem stock a. (DWB 1/1, 53); ebenso auch in den nd. Wörterbüchern: afhollen (MecklWB 1, 126) und im PreußWB: abhalten (1, 30). Doch in bezug auf die bei Lange ausgewiesene Situation 'das Pferd still stehen lassen' wird im Hd. das Präfixverb anhalten eingesetzt (DWB 3/2, 1018). 3. abliegen 'schlafend beschädigen; zum Taubsein bringen' Laut den hd. Wörterbüchern weist das Präfixverb die Semantik 'verknautschen, abpressen' auf: Das Pferd hat sich die Haare abgelegen (A 1, 69; vgl. DWB 3/1, 553), doch es handelt sich um eine physische Veränderung des Bezugsgegenstandes ohne schmerzhafte Empfindungen oder das Taubsein als Folge (vgl. baltische Quellen: S, 79 abliegen ein Bett oder Kissen). Die semantische Nuance 'Schmerzen, Taubsein verursachend' unterscheidet die Semantik des von Lange ausgewiesenen Präfixverbs vom Hochdeutschen: Hier wird im ausgewiesenen Fall das Verb abdrücken eingesetzt (vgl. DWB 3/1, 116).
135 4. abschäuren, nemlich den Dach 'abdachen' In den hd. Vergleichsquellen ist das Verb abschauern in der Bedeutung 'einen Raum durch eine Scheidewand absondern' verzeichnet (A 1, 89; DWB 3/1, 769); ebenso auch in den nd. Wörterbüchern: afschuern (MecklWB 1, 177), afscheren (SH 1, 82). Die bei Lange festgestellte Veränderung des verbalen Bezugs ist möglicherweise auf die Semantik des Substantivs Schauer (DWB 1/8, 2328), Schur (MecklWB 4, 223f), in den baltischen Wörterbüchern Abschauer (UB, 16), abschaur der (DL H, 21; St, 16), zurückzuführen, da es auch die Bedeutung 'Überdach, Schutzdach' aufweist. Im Hd. wird für 'abdachen' das Verb beschauern (DWB 1/1, 1548) eingesetzt. 5. ansprengen = einen Haasen 'einen Hasen aufjagen' In den hd. Wörterbüchern erscheint ansprengen als 'antreiben, ein Pferd durch Spornen in den Galopp bringen' (A 1, 375; DWB 3/2, 1379f.), 'jemanden (militärisch) angreifen, überfallen' (DWB 3/2, 1379f.; FnhdWB 1, 1472) - beide Bedeutungen auch in den nd. Wörterbüchern (MndWB 6, 20 ansprengen). Die Bedeutung 'erschrecken, aufjagen' weidmännisch, einen Hirsch, Hasen, Vogel - wird im Hd. durch das Präfixverb aufsprengen (DWB 1/1, 743) ausgedrückt. 6. aufgehen, = wie ein Kranker 'zu Beine kommen, gesund werden' Im Hd. kann die Bedeutung 'sich mit seinen religiösen Kräften, mit seiner religiösen Erkenntnisfähigkeit erheben, auf-, emporsteigen' (FnhdWB 2, 434f.) belegt werden wie der mensch gehet auf wie eine blume und fallet ab (DWB 2/1, 653); 'in die Höhe gehen' (A 1, 494); ähnlich auch im Nd. (vgl. MecklWB 7, 543 upgahn, SH 3, 865f. opgahn). 7. aufzwängen 'aufstülpen, aufstreifen, anziehen' Das Präfix auf- weist bei Lange keine Bedeutung des Öffnens auf (s. A 1, 557; DWB 2/1, 787; DE, 45), sondern der Bewegung auf etwas hinauf. Eine metaphorische Bedeutung des Verbs als 'aufdrängen': dasz man [...] ihnen talente aufzwängt ist im DWB 2 (1, 787) belegt. Die Bedeutung 'aufstreifen' ist in den hd. Wörterbüchern beim Verb anzwängen (DWB 1/1, 532 enge handschuhe a.) ausgewiesen. In den nd. Vergleichsquellen konnte ein lexikalisch entsprechendes Präfixverb nicht gefunden werden. 8. ausbähnen, = böhnen 'im Gefäß auf kleinem Feuer (fertig) brühen' Während die Präfixverben ausbähen, ausbächeln (DWB 1/1, 826f.) und die präfixlosen bäen, bägen, bänen (FnhdWB 2, 1701), bähen, bächeln (DWB 1/1, 1076), bakern, boekern, bäkern (MecklWB 1, 587), bähen (NsWB 1, 579), bakern (SH 1, 217) sowohl in den hd. als auch in den nd. Wörterbüchern in der Bedeutung 'Körperteile mit Wärme, Dampf behandeln' ausgewiesen sind (vgl. die baltischen Wörterbücher: St, 81 ausbähnen, issauteht; St, 239 kahjas sauteht 'Füße böhnen'; Gu 1, 67 ausbähnen, ausbähen 'kranke Theile des Körpers, mit feuchter Wärme behandeln, dämpfen'), beziehen sich auf die Essenszubereitung nur die hd. präfixlosen Verben bähen, bächeln: 'schnitten und semmein in der pfanne rösten', ζ. B. gebähet brot, fleisch (DWB 1/1, 1076). 9. ausfüllen = aus einem Gefäß in ein anderes 'Flüssiges umfüllen' In den hd. ebenso wie in den nd. Wörterbüchern unterscheidet man bei diesem Verb zwischen 'durch Schöpfen leer machen, ausleeren' (A 1, 593; MecklWB 7, 645 u. SH 5, 266 utfüllen) und 'mit etwas voll machen' (A 1, 593; DWB 1/1, 863f.; FnhdWB 2, 1010; DE, 48; W, 54; MecklWB 7, 645 u. SH 5, 266 utfüllen).
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10. ausgehen, = viel unter die Leute 'paradieren, seine neue Kleidung zeigen' In den hd. Wörterbüchern ist eine pejorative Konnotation des Verbs nicht belegt: die mutter liesz das mädchen nur selten ausgehen (DWB 1/1, 868, vgl. W, 55), Ausgehen aus dem Hause, oder unter die Leute gehen (A 1, 395f.; vgl. DE, 49); änliches auch in den nd. Wörterbüchern (MecklWB 7, 646 utgahn 'lustwandeln, spazieren gehen'; SH 5, 226). Nur im MndWB (5, 151 f.) wird daraufhingewiesen, daß utgände wif möglicherweise ein 'unzüchtiges Weib, Hure' bezeichnet. 11. ausrecken = sich wie bey den Febrillischen Anfällen 'sich krümmen und sich rekkeln'oder 'sich faul dehnen und strecken' Die reflexive Form des Verbs wird nur im FnhdWB verzeichnet (das Verb ausrecken gilt insgesamt als veraltet für das 18. Jahrhundert). Hier weist es die Bedeutung 'sich ausdehnen (vom Leder)' auf: daz sein dünneu rind dont und sich auzreckt und 'sich erstrecken' dy (kraft) sych aus rekht ferr, weyt vnd tyef auf (FnhdWB 2, 1222) - ähnlich auch im Nd. (s. MecklWB 7, 694; MndWB 3, 456 utre(c)ken). 12. ausrecken = sich ungeberdig 'sich faul herumwälzen' Siehe die Anmerkung zu Ausrecken = sich wie bey den Febrillischen Anfällen. 13.ausschrapen 'aushöhlen' Das Präfixverb ist im deutsch-englischen Wörterbuch: ausschrapen, ausschrapfen, to scrape out a Pot (DE, 54) und im PreußWB (1, 329): ausschrapen '(aus dem Topf) auskratzen' verzeichnet. Auch in den nd. Wörterbüchern ist es als 'rein ausschaben' belegt (MecklWB 7, 705 u. SH 5, 286 utschrapen), doch bei Lange darf es sich auf die Anfertigung der Gegenstände (ζ. B. der Holzlöffel) durch das Aushöhlen beziehen. 14. auswehen, nicht mehr wehen 'aufhören zu wehen' In den hd. Vergleichsquellen ist das Präfixverb als intrans. in der Bedeutung 'erlöschen' (DWB 2/1, 1012: das licht weht aus\ die fackel ist ausgeweht) und als trans. in der Bedeutung 'durch Wehen auslöschen' (A 1, 667) belegt. Der trans. Gebrauch und die entsprechende Bedeutung wird auch in den nd. Wörterbüchern belegt (MecklWB 7, 735 utweihen, utweigen; MndWB 6, 296 utwei(g)en). Die Paraphrase des Präfixverbs im Lexikon läßt darauf schließen, daß es ebenso wie das lettische Äqivalent intrans. gebraucht wird und eine andere Semantik als in oben angeführten Vergleichsquellen aufweist. 15. einhelfen 'etwas hineindrehen, zurecht richten' In den hd. Wörterbüchern wird die Bedeutung 'hinein helfen' ausgewiesen, doch das Verb wird nur im Sinne 'eines Gedächtnisse zu Hülfe kommen' (A 1, 1708), 'bei der erledigung von aufgaben weiterhelfen' (DWB 3/7, 731; DE, 115) oder 'jm. behilflich sein, in etwas hineinzugelangen' (DWB 3/7, 731) gebraucht. Der Beleg im MeklWB läßt ebenso auf Unterschiede im Vergleich zu Lange schließen: inhelpen 'hineinhelfen' „keinesweges [...] Postillions oder Bothen an verdächtige Oerter senden, oder auch von dannen kommende in die Stadt einhelffen" (MecklWB 3, 988). 16. einkehren, = Grund=BaIken 'den Grund zum Haus legen' In den hd. Wörterbüchern ist der trans. Gebrauch des Präfixverbs in der Bedeutung 'etwas zu einem ziel hinwenden'; 'etwas in etwas leiten' als selten ausgewiesen (DWB 3/7, 776). Kontextuell vergleichbare Belege wie bei Lange fehlen sowohl im Hd. als auch im Nd. (vgl. MecklWB 3, 991 inkihren 'die Herde heimtreiben').
137 17. einschiessen im Sumpf 'einsinken in einen Morast' Im DWB ist einschießen als übertr. 'gewaltsam, heftig in etwas hineindringen' (DWB 3/7, 951) verzeichnet; ähnlich auch im MecklWB: inscheiten: nu schüft mi dat in (3, 1012). Es wird auch der trans. Gebrauch des Verbs in der Bedeutung 'hinein schieben' (A 1, 1736; DE, 117) angeführt. Es gibt mehrere Ursachen, die die semantischen Veränderungen und die Veränderungen in der kontextuellen Distribution möglicherweise bewirkt haben: 1. Kontextueller Einsatz des Verbs nach dem Vorbild des Lettischen. Etwa die Hälfte der erwähnten Lexeme entspricht in der Struktur und Semantik den lettischen Äquivalenten. Die Kombination semantisch adäquater Morpheme hat zu semantisch miteinander äquivalenten Lexemen gefuhrt. Die semantisch modifizierenden Funktionen der Präfixe sind hier in beiden Sprachen identisch: abhalten = nowaldeht = vollständige Durchführung (Kühnhold 1973: 144) - vollständige Durchführung (Endzelins 1948: 606); abliegen = nogulleht = vollständige Durchführung (Kühnhold ebd.) - vollständige Durchführung; Beschädigung; (Endzelins ebd.); abschäuren = nojumt (s. abhalten); aufzwängen = usmaukt = vollständige Durchführung (Kühnhold 1973: 145) - 'hinauf (Endzelins 1948: 615); ausbähnen, = höhnen = issauteht = vollständige Durchführung (Kühnhold 1973: 146) vollständige Durchführung (Endzelins 1948: 605); ausschrapen = isgrebt (s. ausbähnen); einhelfen = eegrohsiht = Bewegung in etwas hinein (Kühnhold 1973: 147) - Bewegung in etwas hinein (Endzelins 1938: 468; 1948: 604); einkehren = eegrohsiht (s. einhelfen). Morphologische und semantische Entsprechungen können auch im Litauischen10 festgestellt werden. Diese Adäquatheit ist als ein unterstützender Faktor für die semantische Entwicklung der deutschen Lexeme bei Lange zu betrachten. Die aufgelisteten Präfixverben könnten 10
abhalten = lett. nowaldeht = lit. nuvaldyti, trans. 'bändigen, bezwingen'; 'in seiner Gewalt haben, zu regieren (zu handhaben) wissen' (Ku 2, 1628); abliegen = lett. nogulleht = lit. nuguleti rank^ '(sich) den Arm liegend abdrücken' (LL, 422); nuguleti 'abliegen' (vom Flachs); nusiguleti 'sich Wundliegen' (Ku 2, 1560); abschäuren = lett.nojumt = lit. nustiegti trans. 'ein Dach decken' (Ku 2, 1616); aufzwängen = lett. usmaukt = lit. uzmauti ant pirsto ziedq 'einen Ring auf den Finger streifen' (LL, 682); uzmauti 'aufstreifen' ζ. B. pirstines uzmauti 'Handschuhe anziehen' (Ku 4, 2588); ausbähnen, = böhnen = lett. issauteht = lit. issutinti joval^ 'Viehfutter durchs Böhnen vorbereiten' (LL, 275); i§§utinti trans. 'ausbrühen'; 'garkochen, schmoren' (Ku 2, 923); ausschrapen = lett. isgrebt = lit. isskobti, iSskaptuoti; ζ. B. isskaptuoti medinj Saukstq 'einen Holzlöffel ausschnitzen' (LLj 259); isskaptuoti 'ausschnitzen, mit Stemmeisen aushöhlen' (Ku 2, 909), isskopti 'hohl schnitzen', iäskobti 'ausschnitzen, abhobeln' (Ku 2, 911); einhelfen = lett. eegrohsiht = lit. isukti 'hineindrehen'; 'einbiegen, einlenken' (Ku 2, 780); einkehren = lett. eegrohsiht = lit. jsukti 'hineindrehen'; 'einbiegen, einlenken' (Ku 2, 780); jkreipti trans. 'nach einer Seite hin kehren, wenden, richten, lenken' (Ku 1, 718).
138 als Bedeutungsentlehnungen aus dem Lettischen betrachtet werden, sie weisen jedoch deutliche semantische Parallelen zu den Belegen in den Vergleichsquellen auf. Deshalb sind sie vorläufig als Elemente regionalspezifischer Wortverbindungen zu klassifizieren, bei denen statt Semantik die Veränderungen in der kontextuellen Distribution in den Vordergrund rücken. 2. Nominationsbedürfnis für spezifische ortsgebundene Vorgänge. Die restlichen deutschen Lexeme weisen keine morphologisch adäquaten Äquivalente im Lettischen auf. Möglicherweise sind ihre semantischen Besonderheiten durch das Nominationsbedürfnis für spezifische oder als spezifisch empfundene ortsgebundene Vorgänge und Erscheinungen verursacht worden. Ähnlich, wie wenn das „Bedürfnis nach neuen Benennungen [...] durch die Übertragung der Benennungen aus einer Sphäre in eine andere befriedigt (wird)" (Schippan 1992: 138), kann in solchen Fällen vermutet werden, daß auch für die Bezeichnung regionalspezifischer Vorgänge solche Präfixverben angepaßt werden, die semantisch an das Hochdeutsche bzw. Niederdeutsche mehr oder weniger anschließen: abarbeiten sich 'sich abschleifen, sich abnutzen' = hd./nd. 'durch vieles Arbeiten entkräften, seine Kräfte durch Arbeit verschwenden'; ansprengen = einen Haasen 'einen Hasen aufjagen' = hd./nd. 'antreiben, ein Pferd durch Spornen in den Galopp bringen'; 'jemanden angreifen, überfallen'; ausfüllen 'umfüllen' = hd./nd. 'durch Schöpfen leer machen' und 'voll machen'; ausgehen, = viel unter die Leute 'paradieren, sich zeigen' = hd./nd. 'unter die Leute gehen', 'spazieren gehen' oder nd. „ütgände w i f ; ausrecken, = sich '(liegen und) faul sein' = hd./nd. 'sich ausdehnen', 'sich erstrecken'; ausrecken = sich 'sich faul dehnen und strecken'/'sich krümmen und sich reckein' = hd./nd. 'sich ausdehnen', 'sich erstrecken'; auswehen 'aufhören zu wehen' = hd. 'aufhören zu brennen, erlöschen'; einschiessen 'einsinken in einen Morast'= hd./nd. übertr. 'gewaltsam, heftig in etwas hineindringen'; hd. trans, 'hinein schieben'. In Einzelfällen können auch andere von der Kontaktsprache Lettisch unabhängige Ursachen für die semantischen Besonderheiten in Erwägung gezogen werden: 1. Einfluß des Pietismus. Die Bedeutung des Verbs aufgehen 'auf die Beine kommen, gesund werden' kann auf den Einfluß der pietistischen Strömung in der Sprachentwicklung zurückgeführt werden: Das Verb, besonders „das bewegungshaltige Verbum in der Sonderform der dynamisierenden, meist richtunggebenden Präfixbildung" tritt überall dort auf, „wo es um den Ausdruck dieses 'Entgegen' von Gott und Seele geht" (Langen 1974: 69). 2. Einfluß des Sprachgebrauchs in Ostpreußen. Das Verb einhelfen 'hineindrehen, zurecht richten' ist im „Preußischen Wörterbuch" semantisch wie bei Lange ausgewiesen: Die Wasser-Gang müssen 2 Zoll in die Balcken eingeholffen (PreußWB 1, 220). Der transitive Gebrauch des Verbs wird auch von den niederdeutschen Wörterbüchern bestätigt, doch die verbale Semantik zeichnet sich durch einen viel höheren Abstraktionsgrad aus - inhelpen: keineswegs [...] Bothen an verdächtige Oerter senden, oder auch von dannen kommende in die Stadt einhelfen (MecklWB 3, 988).
139 9.2.3. Veränderungen in der semantisch modifizierenden Funktion der Präfixe Bei einer Reihe der Präfixverben sind die semantischen Unterschiede vom hochdeutschen Sprachgebrauch mit den semantisch modifizierenden Funktionen der Präfixe in Verbindung zu setzen, wonach zwei Untergruppen der Präfixverben aufzustellen sind: 1) durch Präfixe semantisch modifizierte Verben nach dem Vorbild des Lettischen; 2) durch Präfixe semantisch modifizierte Verben unbestimmter Herkunft. Hinsichtlich der ersten Untergruppe kann festgestellt werden, daß die ableitenden Präfixe einem Stammverb an und fur sich dieselbe semantische Modifikation verleihen können, wie es im Hochdeutschen üblich ist. Trotzdem ergibt sich aus der Kombination mit dem betreffenden Stammverb laut des lettischen Äquivalents eine andere, dem Hochdeutschen fremde Bedeutung des Präfixverbs. Die zweite Untergruppe bilden die Verben, deren Präfixe in den hochdeutschen Quellen nicht belegte semantisch modifizierende Funktionen aufweisen als auch solche Verben, deren lettische Äquivalente eine dem deutschen Bezugsverb inadäquate morphologische Struktur besitzen. In beiden Fällen sind die Bedeutungen der Präfixverben vom Hochdeutschen unterschiedlich.
9.2.3.1. Semantisch modifizierende Funktionen der Präfixe nach dem Vorbild im Lettischen Hinsichtlich der Lehnbedeutungen setzt Tesch (1978) voraus, daß das betreffende Wortpaar schon vor der Entlehnung wenigstens eine identische Bedeutung aufweisen sollte (1978: 116). Soweit die vorhandenen Forschungsangaben und Einträge in den Wörterbüchern einen solchen Schluß zulassen, besitzen die angeführten deutschen und lettischen Präfixe wenigstens eine identische semantische Funktion, wonach sie die Stammverben auf gleiche Weise semantisch modifizieren können." Die Voraussetzung für eine semantische Entlehnung ist bei den lexemkonstituierenden Morphemen, nämlich bei den Präfixen, erfüllt. In den weiter unten angeführten Belegen werden die deutschen Präfixe im Lexikon mit keinen neuen semantischen Merkmalen belegt. Die vom Hochdeutschen unterschiedliche Semantik der Ableitungen ergibt sich lediglich daraus, daß hier andere semantisch modifizierende Funktionen der Präfixe als bei den gleichen hochdeutschen Präfixverben aktualisiert werden: während ζ. B. das Präfix auf- beim Verb aufliüllen im Hochdeutschen die Bedeutungskomponente des Öffiiens bzw. Entdeckens einbringt, tritt bei dem selben Präfix11
ab-: ('vollständige Durchführung bzw. Abschluß' Kühnhold 1973: 144 d. h. 'perfektiv' Fleischer/Barz 1992: 330) = no-: ('perfektiv' Endzellns 1948: 606); ab-: ('Intensivierung' Kühnhold ebd.; 'vollständige Durchführung bzw. Abschluß' Kühnhold ebd. d. h. 'perfektiv' Fleischer/Barz ebd.) = is-: ('bis zur Genüge' Endzellns 1948: 605); an-: ('teilweise Erfassung des betroffenen Objekts durch die Handlung' - hauptsächlich in den Partizipialformen, Infinitive sind kaum vorhanden (Fleischer/Barz 1992: 332)) = pa-: ('Eingrenzung der Handlung zeitlich und in der Intensität' (Endzellns 1938: 470)); auf-: ('auf die Oberfläche' Fleischer/Barz 1992: 333; 'vollständige Durchführung bzw. Abschluß' Kühnhold 1973: 145) = us-: ('hinauf Endzellns 1948: 614) = pa-: ('perfektiv' Endzellns 1938: 407 u. 1948: 608; 'diminutivierend' Endzellns 1948: 607); aus-: ('vollständige Durchführung bzw. Abschluß' Kühnhold 1973: 146 d. h. 'perfektiv' Fleischer/Barz 1992: 336) = is-: ('perfektiv' Endzellns 1948: 605).
140 verb im Lexikon die Bedeutungskomponente '(auf etwas) hinauf zum Vorschein. Es ist festzustellen, daß der spezifische Einsatz vor allem die deutschen Präfixe ab- und ausbetrifft. Besonders diese beiden sollen laut Gutzeit durch eine höhere Häufigkeitsfrequenz in der deutschen Sprache des Baltikums als im Hochdeutschen gekennzeichnet gewesen sein: „Die Zusammensetzungen von ab mit Zeitwörtern sind in Livland viel häufiger, als im Hochd.", besonders das „pleonastisch verstärkende ab [...] ebenso wie das pleonastisch verstärkende aus", die „in Livland einen viel ausgedehntem Gebrauch" als im Hochdeutschen aufweisen (Gutzeit 1864: 2; vgl. 1864: 67). Andere semantisch modifizierende Funktionen der Präfixe als jene im Hochdeutschen dürften bei folgenden Präfixverben festgestellt werden, wobei die semantischen Funktionen der deutschen Präfixe nicht nur mit denen der lettischen Äquivalente identisch sind, sondern sie treten auch bei den eventuellen litauischen Äquivalenten 12 auf: 1. abschwizzen noswihst: 'sich mit Schweiß bedecken' In den hd. Wörterbüchern ist diese Semantik des Präfixverbs nicht ausgewiesen; sie hängt hier mit einer anderen semantisch modifizierenden Funktion des Präfixes zusammen: 'Scheidung, von etwas weg' (A 1, 103 abschwitzen: die Felle a. \ seine Sünden im Fegfeuer a.\ DWB 3/1, 900 trans. 'etwas schwitzend absondern'). 2. abwälzern sich, wie die Pferde iswahrtitees: 'sich zur Genüge herumwälzen' Die bei Lange ausgewiesene Bedeutung kommt in den hd. Vergleichsquellen nicht vor: vgl. 'herab' (DWB 3/1, 1207 abwälzen sich: die Cimbern weltzten sich von den Alpen ab), 'fort, weiter' (DWB 3/1, 1207 es wälzet böse that vermehrend sich ab). Die nd. Wörterbücher zeigen die Bedeutung des entsprechenden Präfixverbs übertr. 'sich abmühen, sich abquälen' (MecklWB 1, 218). Im Mnd. wird die von Lange ausgewiesene Bedeutung des Verbs durch das präfixlose Reflexivum ausgedrückt: du wetterst dy im dreck als ein swyn (MndWB 5, 666f.). 3. anschieben die Thür, pawehrt durwis: 'die Tür (ein wenig) öffnen' In den hd. Wörterbüchern werden die Bedeutungen 'anfangen zu schieben' (A 1, 356; DWB 3/2, 1281), 'weiter bewegen' (FnhdWB 1, 1401f.), 'an etwas heranschieben; anlehnen' wie die angeschobne tiir öffnete sich (DWB 3/2, 1281) ausgewiesen; ähnlich auch in den nd. Wörterbüchern: anschuven 'anfangen zu schieben' den Wagen mit a.; 'aneinander schieben', 'herbeischieben' (NsWB 1,413). 4. aufhttllen, us= pagahst: trans. 'etwas (um)kippen' und trans. 'ein wenig neigen' Laut Adelung ist das präfixlose Verb hellen auf die „Niedersächsische Mundart" zurückzuführen, in der es 'etwas hinten in die Höhe heben, damit es abhängig wird', ζ. B. 12
abschwizzen = lett. noswihst = lit. nurasoti, intrans. 'sich mit Tau oder Tropfen bedecken'; 'ganz schwitzig werden', ζ. B. kakta nurasojusi 'die Stirn ist geschwitzt' (Ku 2, 1598); abwälzern sich = lett. iswahrtitees = lit. issivolioti (LL, 284), 'sich herauswälzen' (Ku 2, 949f.); anschieben die Thür = lett. pawehrt durwis = lit. praverti duris 'die Tür a.' (LL, 495); praverti, trans. 'öffnen, aufmachen, -tun'; praverus 'halboffen' (Ku 3, 1961); aufhüllen = lett. us-/pagahst = lit. uzversti (LL, 680), 'kippen' (Ku 4, 2613); paversti (LL, 457); ausdrehen = lett. isgreest = lit. iägreniti, iSgrpgti 'auswringen nasse Wäsche' (Ku 2, 822); ausschmoren = istaukschkeht; vgl. lett. taukSikt = lit. kepti (LL, 655) und lett. izcept = lit. iskepti, ζ. B. duonq, viäti} (das Brot, das Hähnchen) (LL, 255), 'garbacken' (Ku 2, 835).
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Eine Tonne h. bedeutet (A 2, 918; vgl. DWB 1/4-2, 222 hälden 'etwas neigen' einfasz hälderi). Die nd. Wörterbücher verzeichnen hellen als ein intrans. Verb 'nach einer Seite überhängen, abschüssig sein' (MecklWB 3, 606). Semantisch adäquate Belege mit einem entsprechenden Präfixverb zu aufhüllen fehlen hier. In den hd. Wörterbüchern ist ein solches nur als 'enthüllen' ausgewiesen (DWB 2/1, 672; FnhdWB 2,496; A 1, 501). 5. ausdrehen, isgreest: '(Garn, Wäsche) auswringen' Die verzeichneten Bedeutungen des Präfixverbs fallen anders in den Vergleichsquellen aus: 'ausdrechseln' (DWB 1/1, 845; FnhdWB 2, 954; DE, 47; W, 53); 'durch Drehen heraus bringen' wie einem etwas ausdrehen, aus der Hand (A 1, 583; DWB 1/1, 845; DE, 47); utdreien - dreih dat Licht doch ut (SH 5, 261); utdreihen, -dreigen 'auf spezielle Weise holen' wie Sperlingsnester, Karauschen aus dem Wasser (MecklWB 7, 634). 6. ausschmoren, istaukschkeht: 'etwas (fertig) rösten, schmoren' Anders ist das Präfixverb in den Vergleichsquellen dargestellt: ausschmoren intrans. 'den Saft verlieren' das fett musz a. (DWB 2/1, 957). Das präfixlose Verb schmoren (A 3, 1579; DWB 1/9, 1109f.) und smuren, smoren (MecklWB 6, 424; s. auch MndWB 4, 266) wird als trans, in der Bedeutung 'im verschlossenen Gefäß langsam kochen oder braten' ausgewiesen. 7. ausschnüffeln, issnohkereht: 'gründlich durchsuchen' Die hd. Wörterbücher zeigen die Bedeutung 'aufspüren' - die hunde schnüffeln die trüffeln aus (DWB 2/1, 959) - des Präfixverbs, und das Präfix bezeichnet damit den Zielzustand der verbalen Handlung; ähnlich auch im Nd. (SH 5, 292. u. MecklWB 7, 715 utsnüffeln 'herausschnüffeln', 'aufstöbern, aufspüren': hei snüffelt ja alls ut). So wird das Präfixverb auch von Gutzeit dargestellt: ausschnüffeln 'etwas nachspürend erfahren' (Gu 1, 84), doch im PreußWB erscheint dieselbe Bedeutung des Präfixverbs wie bei Lange: 'auskundschaften' schnöffelt alle Winkel ut (PreußWB 1, 329). Zum Ausdrücken der betreffenden Bedeutungen werden im Hochdeutschen präfixlose Verben oder Verben mit anderen Ableitungspräfixen bevorzugt, ζ. B. sich wälzen 'sich um die Achse bewegen (wie manche Tiere)' (A 4, 1372) oder beschwitzen 'von Schweiß triefen' (DWB 1/1, 1607), aufschieben 'durch Schieben öffnen' Ein Fenster a. (A 1, 525), durchschnüffeln 'durchsuchen' (A 3, 1609; DWB 3/6, 1727). Eine sichere Begründung der semantischen Abweichungen bei den Präfixverben als Interferenz des Lettischen wäre nur beim Vorhandensein deutlicher Unterscheidungskriterien zwischen einer autochthonen Sprachentwicklung und einem fremden Lehneinfluß möglich. Bei den ausgewiesenen Präfixverben fehlen rein linguistische Argumente, die eine vom Lettischen oder anderen Kontaktsprachen unabhängige Entwicklung des Deutschen im Baltikum widerlegen können. Auf die Problematik bei solchen Entscheidungen wird in der Sprachkontaktforschung hingewiesen (Bechert/Wildgen 1991: 80ff.). Unterstützend für die Annahme eines fremdsprachlichen Einflusses können u.a. die außersprachlichen Faktoren in der Geschichte der Sprachbenutzer wirken wie ζ. B. die durch die räumliche und soziale Trennung vom muttersprachlichen Ursprungsland und durch die fremdsprachige Umgebung verursachte „unvollkommene Weitergabe einer Sprache" und eine verbreitete Zweisprachigkeit (Bechert/Wildgen 1991: 95ff.), die das Eindringen fremdsprachiger Interferenzen in die Muttersprache ermöglicht. Deshalb ist zu vermuten, daß die Veränderungen in der
142 Semantik bei den Präfixverben aus dem Lexikon mit dem Einfluß der kontaktsprachlichen Äquivalente zusammenhängen. Die oben verzeichneten deutschen Präfixverben zeichnen sich durch lettische Lehnbedeutungen aus und werden zu lexikalischen Entlehnungen aus dem Lettischen gerechnet.
9.2.3.2. Nach Herkunft ungeklärte semantische Abweichungen Es werden nicht selten solche lexikalischen Mittel aus den Kontaktsprachen übernommen, die in der eigenen Sprache fehlen: so ζ. B. „einfache Wörter, die in der eigenen Sprache Zusammensetzungen oder längere Ausdrücke fordern" (Oksaar 1991: 173). Gleichzeitig wird bei der Reproduktion des fremdsprachigen Lexems bzw. lexikalischen Ausdrucks versucht, die schon vorhandenen, etablierten Ausdrucksmittel der eigenen Sprache zu benutzen. Insofern sind die von einer kontaktsprachlichen Situation verursachten Phänomene in der Empfängersprache mit zwei Tendenzen in der Übersetzungspraxis zu vergleichen: entweder wird der Leser bzw. Hörer „in die inhaltlich und sprachlich fremde Welt" eingeführt oder ihm wird ein „den Konventionen und Gewohnheiten" seiner Sprache angepaßtes Translat angeboten (Neubert 1996: 914). Als lexikaliche Entlehnungen, die im Ergebnis dieser Praxis entstanden sind, könnten auch die hier erfaßten Verben betrachtet werden. Ein Teil von ihnen weist solche semantisch modifizierenden Funktionen der Präfixe auf, die ihnen laut den lexikographischen Quellen im Hochdeutschen nicht eigen sind. Der zweite Teil unterscheidet sich in seiner Struktur von den Äquivalenten, er weist zwar Präfixe auf, die semantisch keinen Unterschied vom Hochdeutschen zeigen, doch in beiden Fällen sind die Präfixverben als semantische Abweichungen vom Hochdeutschen zu bewerten. Ihre Untergliederung kann nach den ausgewiesenen Merkmalen erfolgen: 1) Verben mit einer im Hochdeutschen nicht belegten semantischen Funktion der Präfixe; 2) von Äquivalenten in Wortbildung abweichende Präfixverben. Da jedoch beide Gruppen der deutschen Präfixverben zahlenmäßig gering sind und keinen Systemcharakter aufweisen, ist ihre Einstufung als Entlehnungen aus dem Lettischen problematisch. I. Verben mit einer im Hochdeutschen nicht belegten semantischen Funktion der Präfixe Die bei den lettischen Äquivalenten vorkommenden semantischen Funktionen der Präfixe sind laut den Forschungsangaben den deutschen Entsprechungen nicht eigen. So fuhrt das Präfix an- im Hochdeutschen die semantische Modifikation 'annähern'/'verbinden' (Fleischer/Barz 1992: 331 f.) mit sich, kann aber die verbale Handlung nur als das Annähern 'an etwas' oder die Verbindung 'mit etwas' ausdrücken , doch nicht das paritär auf beide Bezugsgrößen verteilte 'zusammen' wie vom lettischen Präfix sa- (Endzelins 1938: 475 u. 1948: 613) im weiter angeführten Beispiel. Das Präfix auf- verleiht der Ableitung die Semantik 'Hinüberführen in einen neuen Zustand', die häufig mit 'Verbesserung' verbunden ist (Ktlhnhold 1973: 145) wie ζ. B. beim Verb aufpolstern (Fleischer/Barz 1992: 333). Der verbale Vorgang wird häufig auf die Oberfläche des Handlungsobjekts bezogen (Fleischer/ Barz 1992: 333f.). Demgegenüber drückt das lettische Präfix im verzeichneten Äquivalent 'hinzu' und 'voll' (Endzelins 1948: 612) aus. Die Präfixverben mit aus- können im Hoch-
143 deutschen eine resultative Handlung bezeichnen (Fleischer/Barz 1992: 335), doch es fehlen ihnen die semantischen Schwerpunkte, die den lettischen Äquivalenten vom Präfix verliehen werden: 'eine qualitative Veränderung' und 'Wiederholung der verbalen Handlung' (Endzelins 1948: 610). 1. antrauen, salaulaht: 'trauen mit einander' Das Präfix des lettischen Äquivalents weist die Bedeutung 'zusammen' auf, in den hd. und auch in den nd. Wörterbüchern dagegen 'heran' (A 1, 395: Einem eine Frau a.\ DWB 1/1, 503; FnhdWB 1, 1541; vgl. MecklWB 1, 395 antrugen; NsWB 1, 447 antrueri). Im Hd. wird für 'ehelich miteinander verbinden' das präfixlose trauen eingesetzt. Die hd. Bedeutung des Präfixes in Verbindung mit dem Verb antrauen wird auch von einigen baltischen Vergleichsquellen bestätigt: „häufig verschieden von trauen: Sie wurde ihm angetraut setzt voraus, dass die Trauung gezwungener Maßen geschah" (Gu 1, 47); antrauen trans., peelaulaht, salaulaht (ar) (UB, 56). 2. aufpropfen, peetuhzeht: 'vollstecken, vollstopfen' Eine vergleichbare Semantik ist in den hd. und nd. Wörterbüchern bei dem präfixlosen Verb ausgewiesen: pfropfen als 'mit Gewalt in eine Öffiiung hinein zwingen oder stopfen, dadurch etwas ausfüllen' (A 3, 754; DWB 1/13, 1797) bzw. proppen als 'hinein·, vollstopfen, zwängen' (MecklWB 5, 613). Das Präfixverb zeigt im Hd. eine andere Bedeutung: 'auf etwas propfen' - wie im Bauwesen 'alte, eingegrabene Säulen über der Erde abschneiden, und auf neue eingegrabene Klötzer setzen' (A 1, 515). In den nd. Wörterbüchern konnte keine entsprechende Ableitung gefunden werden. 3. ausmunstern, pahrmunstereht: 'bei einer wiederholten Musterung als tauglich erkennen (von Soldaten)' oder 'jemanden umerziehen' In den hd. und nd. Vergleichsquellen wird das Präfixverb nur als 'auswählen, als untauglich aussondern, verabschieden' wie Soldaten ausmustern verzeichnet - s. ausmustern (A 1, 619; DE, 51; W, 57; FnhdWB 2, 1194f.) und utmunstern (MecklWB 7, 680; SH 5, 279); vgl. auch ausmustern im PreußWB 1,317. Die von Lange ausgewiesene Semantik der Präfixverben antrauen und aufpropfen wird im Hochdeutschen durch präfixlose Verben ausgedrückt: pfropfen (A 3, 754; DWB 1/13, 1797) und trauen (A 4, 1162; DWB 1/25, 1951). Insofern ist der Gebrauch der Präfixe bei Lange aus hochdeutscher Sicht als redundant zu betrachten. Ihr Einsatz ist möglicherweise als eine durch die Zweisprachigkeit verursachte Interferenz aus dem Lettischen 13 zu betrachten, doch diese Annahme erklärt kaum die Verwendung dieser semantisch inadäquaten Präfixe statt ver- wie vertrauen oder zu- wie zupfropfen. Ebenso läßt sich die Semantik des Verbs ausmunstern kaum als Ergebnis kontaktsprachlicher Beziehungen mit dem Lettischen begründen. In der vorliegenden Arbeit können diese Präfixverben nur als vorläufig nicht näher erklärte Belege für die Abweichungen vom Hochdeutschen angeführt werden. 13
Die Semantik der von Lange verzeichneten lettischen Äquivalente bestätigen auch die litauischen Entsprechungen wie: antrauen = lett. salaulaht = lit. sutuokti, trans, 'zusammentun, verheiraten', 'trauen' (Ku 4, 2363); aufpropfen = lett. peetuhzeht = lit. prikimSti 'hinzustopfen', 'vollstopfen, füllen' (Ku 3, 1991); ausmunstern = lett. pahrmunstereht = lit. permusteriauti, trans, 'durchmustern' (Ku 3, 1862).
144 II. Von Äquivalenten in Wortbildung abweichende Präfixverben In einzelnen Fällen weisen die Präfixverben im Lexikon semantische Unterschiede zum Hochdeutschen auf, doch gleichzeitig sind sie auch von der Struktur der lettischen Äquivalente unterschiedlich. Deshalb kann die semantisch modifizierende Funktion der deutschen Präfixverben nicht mit adäquaten Fällen im Lettischen verglichen werden. 1. auffleihen, kraustiht: 'aufschichten, aufstapeln' In den hd. und nd. Wörterbüchern weisen die Präfixverben die Bedeutung 'aufschmükken, aufzieren, herausputzen' auf: auffleihen (DWB 2/1, 645), upflien, upfliden, upfligen (MecklWB 7, 540), opfleen (SH 3, 863), opflien, opfliegen (SH 3, 864), upvlien (MndWB 5, 138). Noch im Mnd. weist das präfixlose Verb vlien, vligen neben der Bedeutung 'zieren, schmücken' auch die Bedeutung 'in Ordnung legen' - zunächst von Sachen, die man in Ordnung zurecht setzt oder stellt (MndWB 5, 273f.) auf; im Hd., so bei Adelung, ist diese semantische Trennung in der Definition 'in Ordnung legen, putzen, zieren' zu fleihen nicht mehr deutlich zu erkennen, wobei der Gebrauch des Verbs nur für den nördlichen deutschen Sprachraum als häufig geschätzt wird (A 2, 197). Im NsWB ist ebenso nur das präfixlose flien als 'aufschichten' verzeichnet (NsWB 4, 661). 2. zudrücken = brav mit der Peitsche, atraudams sist: 'heftig schlagen' In den hd. Wörterbüchern ist diese Bedeutung des Verbs nicht ausgewiesen (s. DWB 1/16, 331f.; DE, 571); der Eintrag bei Adelung zudrücken als intrans. 'anfangen, wacker zu drücken' (A 4, 1746) leitet zum Verb drücken/drucken, das eine mögliche Erklärung für die Semantik des Präfixverbs bieten kann, doch nicht bei Adelung, sondern im DWB lassen sich die semantischen Parallelen zum 'schlagen' erkennen. Aus der Bedeutung 'prägen' haben sich die Bedeutungen 'jemanden angreifen' und 'schlagen, prügeln' entwickelt, die noch im Beleg aus dem 17. Jahrhundert widergespiegelt werden: köpf und rücken/ die liebes-schläge ziemlich fühlt,/ wenn herr und knecht einander drücken (DWB 3/6, 1441). Keine semantischen Parallelen zur ausgewiesenen Bedeutung zeigen die nd. Verben taudrücken (MecklWB 7, 56) und todrücken (SH 5, 87). Das Präfixverb auffleihen wird von Lange durch ein präfixloses lettisches Verb ins Lettische übersetzt, obwohl im Lettischen und auch im Litauischen Präfixableitungen mit dem semantisch adäquaten Präfix ('hinauf) vorhanden sind: uskraustiht (St, 65) und uzkraustyti trans. 'aufladen, beladen' (Ku 4, 2584). Als 'aufschichten, übereinanderlegen, aufstapeln', ζ. B. Holz; 'ordentlich, reihenweise aufeinanderhäufen' ist auffleihen auch im PreußWB (1, 229) verzeichnet. Deshalb kann ein viel größeres Verbreitungs-areal des Lexems als die Gebiete Kurland und Livland angenommen werden. Es darf sowohl mit der Bewahrung einer im binnendeutschen Sprachraum zeitig abgelegten Semantik des Präfixverbs in den von den Deutschen besiedelten Ostregionen als auch mit den kontaktsprachlichen Beziehungen der baltischen Deutschen zu den ostpreußischen Gebieten gerechnet werden. 14 Die bei Adelung ausgewiesene Semantik des Präfixverbs zudrücken ist nicht auf die Bedeutung 'schlagen, prügeln' des Verbs drücken zurückzuführen, denn diese Bedeutung von
14
Es sollte die Herkunft des Verfassers berücksichtigt werden. Über den Einfluß des Ostpreußischen auf die Sprache der Deutschen in Kurland und Livland s. Laur 1955.
145 drücken wird von Adelung nicht verzeichnet. Eine hypothetische, doch plausible Begründung der vom hochdeutschen Präfixverb abweichenden Semantik ist das Behalten einer im Hochdeutschen schon abgelegten Bedeutung des Stammverbs und seine Ableitung mit dem handlungsverstärkenden Präfix zu-, um eine möglichst adäquate Bezeichnung für den lettischen Ausdruck zu schaffen. Die analysierten Fälle können möglicherweise auch als Lehnschöpfungen oder als Resultat einer autochthonen sprachlichen Entwicklung betrachtet werden, doch die beim jetzigen Untersuchungsstand vorhandenen unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten lassen die Ursachen für die Abweichungen vom Hochdeutschen vorerst nur hypothetisch ansehen.
9.2.4. Semantische Besonderheiten einzelner nichtreflexiver Präfixverben Einzelne Verben bei Lange unterscheiden sich vom Hochdeutschen lediglich dadurch, daß sie für die Wiedergabe der betreffenden Bedeutung statt der reflexiven Verbformen wie im Hochdeutschen die nichtreflexiven Verben einsetzen: 1. anstrekken, stihwetees: 'sich stremmend abmühen, abquälen' Die von Lange ausgewiesene Bedeutung wird von anderen baltischen Wörterbüchern bestätigt (s. LD H, 141 lausitees, gewaltig wozu dringen; E, 45 anstrecken, ar wissu spehku ko darriht), doch in einigen von ihnen werden in diesem Fall die reflexive Form des Verbs angeführt (s. St, 52 anstrecken, sich, ar wissu spehku ko darriht; St, 297 stihwetees, sich anstrecken, sich stremmeri). Die hd. Wörterbücher demonstrieren diese semantische Anwendung nur im Ausdruck alle seine Kräfte anstrecken (A 1, 387; s. auch DWB 3/2, 1425; DE, 32; PreußWB 1, 182), der von Lange zusätzlich im Artikel angeführt wird. 2. auftrennen, atirt: 'sich auftrennen, auseinandergehen (von Nähten)' In den hd. und nd. Vergleichsquellen weisen die nichtreflexiven Verben einen trans. Gebrauch in der Bedeutung 'etwas auseinander trennen' (A 1, 548; DWB 2/1, 764), uptrennen (MecklWB 7, 604), optrennen (SH 3, 898) auf, der intrans. Gebrauch und die Bedeutung 'auseinandergehen' wird im Hd. beim Reflexivum angezeigt: Die Naht trennt sich auf - 'gehet aus einander' (A 1, 548). Laut Adelung hat das reflexive Verb sich trennen das früher gebräuchliche trennen 'getrennt werden' abgelöst (A 4, 668). 3. aufstUzzen, atsleetees: 'sich auf etwas stützen, sich anlehnen' Der Gebrauch des nichtreflexiven Präfixverb in der ausgewiesenen Bedeutung wird auch von der Handschrift des Lexikons belegt (s. DL H, 53 aufstüzzen usbalstitees), doch in anderen baltischen Wörterbüchern ist diese Bedeutung nur bei der reflexiven Form verzeichnet (s. sich aufstützen UB, 75 und aufstützen St, 75). Eine differenzierte Verwendung des Präfixverbs aufstützen und sich aufstützen sehen auch die hd. Wörterbücher vor als trans, 'auf etwas stützen': die Arme aufstützen, auf den Tisch (A 1, 545; DWB 2/1, 756; FnhdWB 2, 755) und 'sich stützen auf etwas': sich aufstützen, mit den Armen (A 1, 545), da er mich sah, stützte er sich auf (DWB 2/1, 756), reft, 'sich erheben, aufkommen; sich aufrichten' (FnhdWB 2, 755). Vgl. auch die nd. Wörterbücher: upstütten (MecklWB 7, 598), opstütten (SH 3, 895).
146 Die Identität der morphologischen Struktur zwischen den deutschen und lettischen Präfixverben bei der Realisierung der von Lange angezeigten Bedeutungen ist nur in einem Fall feststellbar: auf-trennen = at-irt. Dieselbe Struktur und Semantik weist l auch das litauische Präfixverb auf: atirti - rankove atiro 'der Ärmel hat sich abgetrennt' (LL, 78); atirti intrans. 'sich loslösen, los-, abtrennen' (Ku 1, 176). In den restlichen zwei Fällen ist keine strukturelle Adäquatheit zwischen dem deutschen Lemma und dem lettischen Äquivalent ausgewiesen: dem nichtreflexiven auf-stüzzen steht das reflexive Präfixverb at-slee-tees gegenüber, so auch im Litauischen: atsiremti (i kq), atsiremti i sienq 'sich an die Wand stützen' (LL, 89); atsiremti 'sich entgegenstemmen; sich an-, zurücklehnen; sich aufstützen' (Ku 1, 208); das deutsche nichtreflexive an-strekken ist im Lettischen durch das reflexive präfixlose Verb stihwe-tees wiedergegeben. Es wäre übertrieben, anhand dieser einzelnen Belege vom lettischen Lehneinfluß zu sprechen, wobei er nur in einem Fall bezüglich der adäquaten Struktur samt der Semantik bei den Lexemen zu problematisieren wäre. Bei den Bemühungen doch eine plausible Begründung für diese sprachlichen Phänomene in der Sprache der baltischen Deutschen zu geben, ohne kurzerhand die Mängel im Schriftsatz als dafür verantwortlich zu erklären, ist hier an zwei schon vorher besprochene Tatsachen zu erinnern. Zum einen handelt es sich um Abweichungen vom Hochdeutschen beim Gebrauch der reflexiven Präfixverben (s. Kap. 9.1.2.) und um Schwankungen in der Reflexivität beim Gebrauch der Lehnübersetzung aus dem Niederdeutschen wie beim Verb abstehen (s. Kap. 9.2.1.), zum zweiten um die Belege aus der einschlägigen Literatur zur deutschen Sprache im Baltikum wie ζ. B. bei Eckardt (s. Kap. 8.2.1.). Wenn aus einzelnen Beispielen zu ersehen ist, daß die reflexiven Formen als redundant im Vergleich zum Hochdeutschen bzw. Niederdeutschen wirken oder sogar als fehlerhaft wie von Eckardt empfunden werden, obwohl sie im Hochdeutschen existieren, kann man logischerweise aus den hier betrachteten Fällen schließen, daß ein dem Hochdeutschen inadäquater Gebrauch auch die nichtreflexiven Präfixverben betreffen kann. Die reflexiven und die nichtreflexiven Verben summiert betrachtet, zeigen, daß in der Sprache der baltischen Deutschen eine gewisse Unsicherheit oder Schwankungen im Einsatz der reflexiven bzw. nichtreflexiven Verbformen bemerkbar sind. Bei einem Teil der Präfixverben entspricht die betreffende Verbform dem lettischen Äquivalent, bei einzelnen Verben weicht sie von dem lettischen Äquivalent ab, doch in allen Fällen sind Unterschiede zu den Angaben in den hochdeutschen Wörterbüchern zu beobachten. Wenn man die kontaktsprachliche Situation im Baltikum ins Auge faßt, so hat man zwei Sprachen - Deutsch und Lettisch - im Blickfeld, die gleichermaßen reflexive und nichtreflexive Verbformen aufweisen, die, interlingual betrachtet, bei den einzelnen semantisch äquivalenten Lexemen häufig unterschiedlich eingesetzt werden. Eine vollständige Adäquatheit der Wortstruktur ist bei den semantischen Äquivalenten nicht vorhanden. Wie in der Forschung betont wird, kann die räumliche und soziale Distanz vom historischen muttersprachlichen Herkunftsland zur Abschwächung des Sprachgefühls führen, da die aktuelle Sprachentwicklung im muttersprachlichen Herkunftsland nicht mehr nachvollzogen wird (Wiesinger 1980: 493). Zudem hinterläßt auch die fremdsprachige Umgebung, besonders bei einer fortgeschrittenen Zweisprachigkeit, gewisse Spuren im Sprachgebrauch. So kann man davon ausgehen, daß diese Faktoren zu einer dem Hochdeutschen inadäquaten Verwendung nichtreflexiver Präfixverben in der deutschen Sprache des Baltikums geführt haben.
147
9.3. Im hochdeutschen Sprachgebrauch des 18. Jahrhunderts zurücktretende Präfixverben und Verbbedeutungen bei Jacob Lange
Als zurücktretend im hochdeutschen Sprachgebrauchs des 18. Jahrhunderts werden solche Präfixverben und einzelne Bedeutungen der Präfixverben bezeichnet, die in den untersuchten ein- und zweisprachigen Wörterbüchern mit Angaben über eingeschränkte territoriale Verbreitung der Lexeme bzw. der Semantik der Lexeme im 18. Jahrhundert versehen sind und die für den betrachteten Zeitraum als selten oder veraltet ausgewiesen sind. Es werden auch solche Verben und verbale Bedeutungen betrachtet, die im FnhdWB verzeichnet sind, doch in den Wörterbüchern des 18. Jahrhunderts außerhalb des Baltikums fehlen. Je nach dem Inhalt der Anmerkungen sind die Verben samt ihren bei Lange ausgewiesenen Bedeutungen als lokal eingeschränkt, gelegentlich vorkommend und veraltet aufgelistet und durch kurzgefaßte Informationseinheiten über ihre Behandlung in den hochdeutschen Wörterbüchern ergänzt. Anhand dieser Angaben sowie der Angaben in den Wörterbüchern für den niederdeutschen Sprachraum und im PreußWB wird das Material am Ende des Kapitels ausgewertet.
9.3.1. Zurücktretende Präfixverben Nur einzelne Präfixverben sind in den hochdeutschen Wörterbüchern als solche ausgewiesen, die im Gebrauch territorial eingeschränkt sind: 1. abschmieden 'fertig, zurecht schmieden': DE, 11 to forge it = schmieden La: Abschmieden, kallibu nokalt 2. ausschlauben 'enthülsen, ausschälen' La: Ausschlauben islaupiht Laut Adelung (A 1, 637) ist ausschlauem „nur in einigen Gegenden bekannt"; im DWB wird fur das Präfixverb nur das „Preußische Wörterbuch" von Frischbier als Quelle angezeigt und auch die nd. Form des Verbs utsluen verzeichnet (DWB 1/15, 504). Eine entsprechende Angabe ist nur in einem Fall (ausschlauben) vorhanden. Im zweiten Fall (abschmieden) kann die lokale Geltung angenommen werden - das Verb ist nur im deutsch-englischen Wörterbuch von Arnold verzeichnet, dessen deutsches Wörterregister aus einer mir unbekannten Quelle stammt. Etwas zahlreicher sind die veralteten Präfixverben. Aufgrund ihrer Präsenz bei Adelung oder aufgrund entsprechender Belege im DWB können sie als gelegentlich gebräuchlich noch im 18. Jahrhundert angesehen werden: 3. abkleiden = die Füsse 'Fußkleid ablegen' (vgl. ÜB, 10) La: Abkleiden, = die Füsse kahjas noaut Im A 1, 58 ist das Verb als „ t " markiert; laut DWB 3/1, 341 war es „nur im 17. Jahrhundert [geläufig]"; ohne Bemerkungen ist es im DE, 6 angeführt. Im FnhdWB 1 , 1 8 8
148 wird die Bedeutung 'Kleider, Ausrüstung ablegen' ausgewiesen, doch keine der erwähnten Vergleichsquellen verzeichnet Belege mit der Ergänzung die Füße wie bei Lange. 4. abtrennen sich 'sich auftrennen (von der Naht)' (vgl. St, 21; UB, 22) La: Abtrennen, = sich, atirt Bei Adelung und im DWB ist die reflexive Form des Verbs nicht ausgewiesen (s. A 1, 125; DWB 3/1, 1162 abtrennen - trenne im die ermel abe und vgl. sich trennen als 'sich absondern' im A 4, 668). Das Reflexivum kommt im FnhdWB vor: 'sich absondern' übertr. sich nach unnd nach einsi freündtschafft Abtrennen (FnhdWB 1, 451). Sein kontextueller Einsatz darf anders als bei Lange ausfallen, ebenso wie der des nd. Verbs aftrennen refl.: up de Scheid, wo sik dat aftrennt 'wo die Ländereien zweier verschiedener Besitzer getrennt sind'. Im Nd. gilt es als ein „selten gebrauchtes Wort" (MecklWB 1, 209). 5. anfallen 'anfangen' (vgl. anfahen UB, 38) La: Anfahen, sahkt, ussahkt Laut A 1, 286 ist das „eine veraltete Oberdeutsche Form des Verbi anfangen, welche im Hochdeutschen gar nicht mehr gehöret wird"; laut DWB 3/2, 848 besteht anfahen als dichterisch empfundene Form bis ins 18. Jahrhundert; laut FnhdWB 1, 1075f. wird seit dem 16. Jahrhundert zunehmend häufig anfangen gebraucht. Die Form anfahen wird in den zweisprachigen Wörterbüchern wie W, 23, DE, 24 ohne Anmerkungen und im PreußWB (1, 144) angeführt. 6. ausblüsern 'ausscharren, ausschütteln' La: Ausblüsern ispurrinaht Als hypothetisch wird das Verb ausblusen im FnhdWB 2, 913 in der Bedeutung 'einen Wurzelstock ausreißen' betrachtet. Es ist nicht klar, ob das Verb ausblüsern ein Iterativum des letzten darstellt. In der Handschrift kommt sein Äquivalent ispurrinaht im Eintrag ausscharren, iskahrpiht, ispurrinaht (DL H, 62) vor und das präfixlose Verb purrinaht wird als mit der Schnauz schnüflen und wülen, wie die Schweine it. scharren (LD H, 220) ins Deutsche übersetzt. Deshalb wäre die Annahme von ausblüsern als ein Iterativum zu ausblusen in Erwägung zu ziehen. Eine semantische Parallele ist auch im präfixlosen Iterativum plustern 'zerzausen, die federn sträuben' < plusen (DWB 1/7, 1950) erkennbar. Die Verbfom ausblüsern ist in keinem anderen Wörterbuch gefunden worden. 7. fürnehmen, sich 'sich zu etwas bestimmen' La: Fürnehmen sich prahtä nemtees Diese Verbform wird im 18. Jahrhundert zunehmend vermieden. Laut A 4, 1284 wird vornehmen „von einigen sehr irrig fürnehmen geschrieben und gesprochen"; im DWB 1/4, 777 ist vermerkt: „schon Ludwig15 fuhrt die Form mit für- nicht mehr an". Die Erklärung für den Gebrauch dieser Verben in der Sprache der baltischen Deutschen ist ζ. B. in den Ansichten der Inselsprachforschung zu finden, die besagen, daß die vom ethnischen Ursprungsland territorial abgegrenzten Sprachgemeinschaften archaische Sprachzüge bewahren (Wiesinger 1980: 493). Das gilt bei solchen Verben wie anfahen und für sich fürnehmen. 15
Gemeint ist sein deutsch-englisches Wörterbuch aus dem Jahr 1716.
149 Die Funde in den Wörterbüchern, die dem niederdeutschen Sprachraum gelten und die die deutsche Sprache Ostpreußens widerspiegeln, zeigen, daß hier einige Verben mit derselben Bedeutung wie bei Lange vorhanden sind. Zu beachten wäre, daß diese Wörterbücher aus dem 20. Jahrhundert stammen: afsmäden (MecklWB 1, 187); ausschlauben (PreußWB 1, 328) oder utsluwen (MecklWB 7, 713; SH 5, 291). Möglicherweise sind diese Verben auch als Lehnübersetzungen aus dem Niederdeutschen zu betrachten. Das Verb abkleiden ist im PreußWB 1, 34 ausgewiesen, doch der Beleg mit der Ergänzung die Füße ist hier nicht vorhanden. Das Verb ausblüsern bleibt unvollständig erschlossen wegen mangelnder Belege. Die Angaben im FnhdWB lassen es hypothetisch mit dem Niederdeutschen in Verbindung setzen. Die Bestimmung der semantischen Identität der Präfixverben bei Lange mit den Präfixverben in den hochdeutschen und niederdeutschen Wörterbüchern kann gelegentlich Schwierigkeiten bereiten, weil die Verben wie ζ. B. sich abtrennen in verschiedenen Kontextumgebungen ausgewiesen sind. Die Ergänzung (wie) die Naat kommt in den baltischen Wörterbüchern vor (St, 21; UB, 22), wird beim lettischen Äquivalent belegt (ME 1, 161), doch fehlt in anderen Vergleichsquellen. Die im FnhdWB ausgewiesene kontextuelle Distribution zeugt eher vom Schwund der Bedeutung 'sich auftrennen' des Reflexivums im Hochdeutschen, während 'etwas auftrennen' beim nichtreflexiven Präfixverb bewahrt bleibt.
9.3.2. Zurücktretende und abgelegte Verbbedeutungen Eine verhältnismäßig größere Gruppe bei Lange bilden solche Präfixverben, deren Semantik im Hochdeutschen eine territoriale Einschränkung, einen seltenen Gebrauch oder archaische Züge aufweist. Folgende Bedeutungen gelten als lokal eingeschränkt: 1. abstehen 'stehend ein Zeitpensum leisten' (vgl. UB, 20 abstehen tr. nostahweht, er hat seine Tage abgestanden (abgedient)', Gu 1, 20f. eine Zeit, eine Strafe abstehen: Der Soldat hat seine Stunden abgestanden, d. h. so lange auf d. Wache gestanden, als er stehen musste. Der Schüler hat seine Strafe abgestanden.) La: Abstehen, nostahweht Bei Adelung ist diese Bedeutung nicht ausgewiesen, im DWB wird sie als landschaftlich begrenzt notiert, und einer der Belege entstammt der Wortschatzsammlung von Gutzeit (DWB 3/1, 1032). 2. anbelangen 'ankommen, erreichen' (vgl. LD H, 29 attiktXb, antrefen, anbelangen) La: Anbelangen, attikt Im A 1, 268 wird der trans. Gebrauch mit „ f " markiert, und die Verbform durch „eine unnötige Oberdeutsche Verlängerung des Zeitwortes" anlangen erklärt. Eine Synonymie 16
Das erste deutsche Äquivalent rückt die Bedeutung 'eintreffen, ankommen' in den Vordergrund, die am Präfixverb anlangen sowohl in den hochdeutschen als auch in den niederdeutschen Wörterbüchern notiert ist (vgl. dazu die Anmerkung von Adelung). Diese semantische Verbindung zwischen anbelangen und anlangen wird im UB, 36 u. 45 belegt: anbelangen, s. anlangen und anlangen intr. atnahkt. Das lettische Äquivalent bedeutet 'ankommen'. Die sprachlichen Belege für die kontextuellen Einbeziehungsmöglichkeiten des Präfixverbs anbelangen fehlen.
150 zwischen anbelangen und anlangen wird in den hd. Wörterbüchern nur in der Bedeutung 'betreffen' angezeigt, doch nicht in der Bedeutung, die das Verb anlangen semantisch mit der bei Lange notierten Bedeutung vergleichbar machen könnte, nämlich intrans. 'von einem entfernten Orte ankommen' wie bei einem anlangen, zu Schiffe, zu Pferde, zu Fuße anlangen (A 1, 268; vgl. DWB 3/2, 1127f.; s. auch NsWB 1, 380). Eine semantische Verbindung des Verbs anbelangen besteht laut den hd. Wörterbüchern auch zum angelangen 'einkommen, eintreffen' (DWB 3/2, 954) und zum Verb belangen, das nur „in den gemeinen Mundarten üblich" sei: 'an etwas langen, es mit ausgestrecktem Arme erreichen' (A 1, 838) - diese Bedeutung weise „das Niedersächsische" auf (A 1, 838). 3. einpfalen 'Pfahle einschlagen, hineindrängen' La: Einpfälen, eemeeteht In dieser Bedeutung ist das Verb nur im zweisprachigen deutsch-englischen Wörterbuch verzeichnet: DE, 116 einpfählen - to pile in, incompass with the Pales', allerdings erlaubt die Trennung durch das Komma und das Fehlen der sprachlichen Belege nicht genau zu bestimmen, ob to pile in als 'Pfähle einschlagen' aufzufassen wäre. 4. Zuschüssen wie die Milch 'zufließen (von Milch)' (vgl. zuschießen DL H, 532; UB, 791;U, 195) La: Zuschüssen wie die Milch, peens peereeta; = machen reetinaht Im A 4, 1771 wird nur eine Bedeutung vom zuschießen als gebräuchlich ausgewiesen: „nur von dem Gelde gebraucht". Im DWB 1/16, 815 wird das Substantiv Ζuschusz auf das intrans. zuschieszen zurückgeführt und folgendermaßen erklärt: „in Norddeutschland in der spräche der frauen der zudrang der milch bei stillenden frauen". Die Bedeutung 'als Milch zufließen' des Präfixverbs wird nur im zweisprachigen DE, 577 verzeichnet, doch die deutschen Quellen dieses Wörterbuchs sind unbekannt. Als gelegentlich gebräuchlich können die weiteren Präfixverben angesehen werden. Die betreffenden Bedeutungen werden als 'selten' oder 'vereinzelt', in Einzelfällen als charakteristisch für die Sprache der unteren sozialen Schichten bezeichnet: 5. abrollen 'etwas hinab rollen' oder 'etwas herab wälzen' (vgl. LD H, 181; Gu 1, 15 die Sat eineggen und abrollen und UB, 15) La: Abrollen, nowellinaht Im A 1, 84 wird der trans. Gebrauch und die Bedeutung 'hinab rollen' mit „ t " markiert; im DWB 3/1, 709 wird der trans. Gebrauch als „seltener" bezeichnet. 6. abspalten 'sich abspalten, sich ablösen' (vgl. UB, 19) La: Abspalten, noschkeltees Laut DWB 3/1, 975 erscheint das Präfixverb „selten intrans.". Es wird jedoch noch im 19. Jahrhundert belegt; die intrans. Bedeutung des nichtreflexiven Verbs ist auch im DE, 13 verzeichnet, doch A 1, 110 belegt diese Bedeutung nur mit der reflexiven Form des Verbs. 7. abstehen 'durch langes Stehen Beine ermüden' (vgl. LD H, 181; St, 294) La: Abstehen, nostahweht Laut DWB 3/1, 1030 kommt der trans. Gebrauch des Verbs nur vereinzelt vor wie die beine abstehen. Adelung führt in der Bedeutung 'sich müde stehen, von vielem Stehen
151 Schaden leiden' das reflexive Verb sich abstehen an: Das Pferd hat sich in dem Stalle ganz abgestanden und markiert das Reflexivum als „ t " (A 1, 116). 8. anstrekken 'sich stremmend abmühen, abquälen' La: Anstrekken, stihwetees; = seine Kräfte, laustees Die Bedeutung wird von anderen baltischen Wörterbüchern bestätigt (s. LD H, 141; E, 45 anstrecken, ar wissu spehku ko darriht), doch einige von ihnen fuhren in diesem Fall die reflexive Form des Verbs an (vgl. St, 52 anstrecken, sich, ar wissu spehku ko darriht', St, 297 stihwetees, sich anstrecken, sich stremmeri). Laut den Angaben in den hd. Vergleichsquellen ist ein personenbezogener Gebrauch des Verbs anstrecken als 'anstrengen' selten (DWB 3/2, 1425), und Adelung markiert das Verb als „ f . Es wird „nur im gemeinen Leben" fur anstrecken verwendet (A 1, 387). Kontextuell wird es als alle seine Kräfte anstrecken dargestellt (A 1, 387; s. auch DWB 3/2, 1425; DE, 32; PreußWB 1, 182), doch der Eintrag Anstrekken = seine Kräfte wird von Lange zusätzlich im Artikel angeführt. (Zur nichtreflexiven Form des Verbs s. Kap. 9.2.4.) 9. ausbannen 'ausweisen, verbannen, vertreiben' (vgl. E, 67; Gu 1, 97 bannen) La: Ausbannen, bannä likt; = den Teufel, atkahpinaht, isdsiht to wellu Das Verb ist laut A 1, 573 „wenig mehr gebräuchlich", doch im DE, 46 und im DWB 1/1, 828 in dieser Bedeutung ohne Anmerkung verzeichnet. 10. ausrecken, sich 'sich ausdehnen (von Schuhen)' bzw. 'eingelaufen, eingetreten werden' (vgl. UB, 86 eine frische Haut a. ) La: Ausrecken, = die enge Schuhe haben sich schon ausgerecket, kurpes jaw irr eemihtas Das Verb ist laut A 1, 623 in dieser Bedeutung „nur in der niedrigen Sprechart üblich"; laut DWB 2/1, 929 dem ausrecken wird das leder ausdehnen vorgezogen; FnhdWB 2, 1222 belegt ausrecken in der ausgewiesenen Bedeutung: daz sein dünneu rind dont und sich auzreckt. 11. durchseyn 'wund sein (vom menschlichen Körper)' (vgl. DL H, 130 Die Haut ist mir durch; St, 186 die Haut ist durch', Gu 1, 212 Die Zehen sind mir durch d. h. wund) La: Durchseyn wie die Haut, ahda irr jehla Das Adverb durch ist in den hd. Vergleichsquellen zur Kennzeichnung des Durchdringens vielfach belegt worden (A 1, 1582; DWB 3/4, 1541; DE, 109 durchseyn), doch seine Verwendung als 'wund' im adjektivischen Gebrauch und in Anlehnung auf das PreußWB wird als umgangssprachlich bezeichnet (DWB 3/4, 1541; vgl. durchen Mund, durchne Lippen PreußWB 1, 134; s. auch MecklWB 2, 394). Einige Präfixverben sind in der bei Lange ausgewiesenen Bedeutung im FnhdWB auffindbar, doch bei Adelung sind sie an den betreffenden Präfixverben nicht mehr verzeichnet. Solche Bedeutungen gelten als veraltet: 12. aufmachen = ein Bette 'das Bett zurecht machen' (vgl. Gu 1, 59; S, 86; UB, 71) La: Aufmachen, = ein Bette, taisiht weetu Nur im FnhdWB (2, 550f.) ist eine vergleichbare Bedeutung 'etwas aufbauen, errichten' des Verbs verzeichnet, doch Belege mit der Ergänzung das Bett sind nicht gegeben.
152 13. ausflammen 'in Flammen ausbrechen' La: Ausflammen = zur Flamme ausschlagen, leesmäs nemtees Eine vergleichbare Bedeutung des Verbs ist nur im FnhdWB 2, 996 ausgewiesen: 'aus etwas nach außen lodern, durchbrechen (von Feuer)'. 14. auslausen (den Pelz), no = utteht; = den K o p f , eeskaht: 'entlausen' (vgl. Gu 1, 78) La: Auslausen den Pelz, no = utteht; = den Kopf, eeskaht A 1, 612 führt nur fachsprachliche Bedeutungen aus dem Gebiet des Bergbaus an, doch insgesamt wird das Verb als „nicht gebräuchlich oder falsch" bezeichnet. Im FnhdWB 2, 1148 ist die bei Lange ausgewiesene Bedeutung nur aus dem Phraseologismus Nichts schaffen dan alte hosen auslausen 'Nutzloses tun' erkennbar. 15. ausrechten 'rechtlich entscheiden' (vgl. Gu 1, 81 eine Sache a.) La: Ausrechten, isteesaht Diese Bedeutung des Verbs ist im FnhdWB 2, 1221 ausgewiesen - 'rechtlich gegen jemanden vorgehen, jn. verklagen; vor Gericht Uber etwas verhandeln'. Im A 3, 1004 wird nur das präfixlose rechten in der Bedeutung 'recht sprechen, urtheilen, richten' verzeichnet, doch sie wird als völlig veraltet bezeichnet. 16. auswurfeln 'Getreide durch Worfeln reinigen' (vgl. Gu 1,91) La: Auswurfeln, mehtaht, wischkaht Im FnhdWB 2, 1546 ist auswörfeln aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts belegt; die Wörterbücher des 18. Jahrhunderts verzeichnen in dieser Bedeutung nur präfixlose Verben (A 4, 1613; DWB 1/14-2, 1458 - hier wird neben worfeln auch wurfein wie bei Lange verzeichnet). Zu dieser Gruppe wird auch das Verb einfallen gezählt, da die Belege für die selten vorkommende Bedeutung nur aus dem 15./16. Jahrhundert stammen: 17. einfallen 'zum Einsturz bringen', 'etwas stürzen, zerstören' La: Einfallen, graut, sagahst In den baltischen Wörterbüchern ist der trans. Gebrauch nicht ausgewiesen. DWB 3/7, 602 schränkt den Gebrauch des Verbs in der Bedeutung 'zum einsturz bringen' als „gelegentlich" ein, doch die angeführten Belege stammen aus dem 15. und 16. Jahrhundert; im A 1, 1696 ist nur der intrans. Gebrauch ausgewiesen. Einige dieser Verben sind sowohl in den Wörterbüchern für das Niederdeutsche, als auch im PreußWB mit den bei Lange ausgewiesenen Bedeutungen verzeichnet: afspalten 'abspalten': von 'n Steen spalt 7 wat af (MecklWB 1, 191); abspalten 'lostrennen' - mit einem Beleg für den intrans. Gebrauch im 14. Jahrhundert (PreußWB 1, 64); upmaken 'zurechtmachen (vom Bett)' (MecklWB 7, 564), opmaken 'fertig machen (vom Bett)' (SH 3, 877); aufmachen '(das Bett) für die Nachtruhe herrichten' (PreußWB 1, 243); utlusen 'entlausen' (MecklWB 7, 676); auslausen 'die Läuse ablesen' (PreußWB 1, 312). Die drei weiteren Präfixverben sind in den niederdeutschen Wörterbüchern verzeichnet, fehlen aber im PreußWB:
153 utflammen 'flammen' (SH 5, 264); inpahlen 'Pfähle einschlagen' (MecklWB 3, 1006); tauscheiten 'zusammenfließen' (MecklWB 7, 95), toscheten 'zuschießen' (SH 5, 130). Es fehlen hier sprachliche Beispiele des verbalen Gebrauchs mit der Ergänzung Milch, doch im SH WB wird auf das Substantiv Toschöt verwiesen - die Bezeichnung des Augenblicks, wenn bei der Kuh die erste Milch kommt: nu kriggt de Koh T. oder bezüglich der Frauen, wenn ihnen die Milch aus der Brust läuft: dat Kind kann den T. nich verneelen '. Im Einzelfall wird die gleiche Semantik des Präfixverbs in den baltischen Wörterbüchern des 19. Jahrhunderts und im PreußWB ausgewiesen. Sie wird jedoch nicht von den niederdeutschen Wörterbüchern belegt: auswürfeln 'das Getreide zur Reinigung mit der Wurfschaufel gegen den Wind werfen' (PreußWB 1, 349). Diese Beispiele zeigen, daß unabhängig von den Einschränkungen in den hochdeutschen Wörterbüchern die von Lange ausgewiesene Semantik der Präfixverben ihre Aktualität auch im niederdeutschen Sprachraum, zum Teil auch in Preußen bewahrt hatte. Möglicherweise spielen auch in diesen Fällen die kontaktsprachlichen Beziehungen, vor allem zwischen Niederdeutsch und Deutsch im Baltikum, die ausschlaggebende Rolle bei der Bewahrung der im Hochdeutschen abgelegten Bedeutungen.
9.3.3.
Zwischenergebnis
Ein relativ geringer Befund der Verben bei Lange, die im Hochdeutschen des 18. Jahrhunderts lexikalisch oder semantisch nicht mehr verbreitet sind, ist nicht verwunderlich, wenn man die Entwicklung der deutschen Sprache im Baltikum mit der Geschichte des baltischen Deutschtums in Verbindung setzt. Laut den historischen Angaben dominierten in der gesamten baltischen Geschichte die norddeutschen Sprachgebiete als Auswanderungsgegenden, und der alte deutschstämmige Kern (die seit Generationen im Baltikum beheimateten Familienbunde) bestimmte den Sprachgebrauch über Jahrhunderte. Deshalb darf die deutsche Sprache im Baltikum, wenn die trennbaren Präfixverben einen solchen Schluß zulassen, vergleichbar weniger archaische Züge der hochdeutschen Varietäten bewahrt haben als lexikalisch-semantische Beziehungen zum Niederdeutschen. In mehreren Fällen treten auch bei den im hochdeutschen Sprachgebrauch zurücktretenden Präfixverben Entsprechungen im Niederdeutschen auf.
9.4. A u s g e s c h i e d e n e Fälle
Die lexikographischen Werke als Quellenmaterial setzen oftmals gewisse Grenzen für die Erfassungsmöglichkeiten der regional spezifischen Präfixverben, vor allem in bezug auf die semantischen Besonderheiten. Problemsituationen entstehen in folgenden Fällen:
154 1. Werden im Lexikon zwei polysemantische Verben ohne kontextuelle Angaben gegenübergestellt, bei denen mehrfache semantische Äquivalenzbeziehungen möglich sind, ist die vom Verfasser beabsichtigte Äquivalenz nicht zu bestimmen. 2. Wird die semantische Äquivalenz von anderen lexikographischen Vergleichsquellen durch synonyme lexikalische Varianten nicht bestätigt oder nur durch Einträge vice versa belegt, kann die von Lange beabsichtigte Äquivalenz nicht bestimmt werden. Die weiteren Fälle veranschaulichen, mit welchen praktischen Schwierigkeiten bei der Anwendung der Methoden des kontrastiv semantischen Vergleichs in den Wörterbüchern zu rechnen ist. Zahlreiche Präfixverben als mögliche Belege fur die kontaktsprachlichen Interferenzen auf der lexikalisch-semantischen Ebene schieden aus: 1. La: Abschleppen = sich, nowassatees. NB. heißt auch sich verziehen als ein schweres Gewölk. Das lettische Äquivalent ist bei Stender als sich verziehen wie ein Gewölk (St, 347) ins Deutsche übersetzt, doch es spiegelt nicht die von Lange ausgewiesene Äquivalenz wider zwischen sich abschleppen und novassatees. Laut Mühlenbach bedeutet das lettische Präfixverb sowohl 'sich abnutzen, sich beschmutzen' als auch 'sich umhertreiben'. Die im UB, 16 verzeichneten Äquivalente zu sich abschleppen - kultees, wasatees - weisen ebenso die Bedeutung 'sich umhertreiben' auf (vgl. LD H, 311 wassatees umher schientern', St, 347 wasatees sich herumschleppen, schlendern). Diese unterscheidet sich jedoch von den Angaben in anderen Vergleichsquellen: sich abschleppen 'mühsam an einer Last tragen, sich dadurch ermüden' (DWB 3/1, 826), sich mit schweren Körben abschleppen (PreußWB 1, 58), ebenso auch afslepen refl. (NsWB 1, 223; SH 1, 86) oder vereinzelt belegt 'sich mühsam fortbewegen' (sie) schleppt sich rechts ab (DWB 3/1, 825). Eine Anknüpfung an die Bedeutung 'sich abnutzen, sich beschmutzen' bieten die Einträge in den hd. Wörterbüchern zum nichtreflexiven abschleppen 'durch vieles Tragen abnützen' wie die Kleider, die Schuhe abschleppen (A 1, 96; DWB 3/1, 826; DE, 11) und in den nd. Wörterbüchern: se släpt dat göde neie Kled in so 'n körten Tid of (NsWB 1, 223). Eine reflexive Form des Verbs für 'sich abnutzen' ist in diesen Vergleichsquellen nicht ausgewiesen. Diese Angaben können jedoch nicht weiter verwertet werden, da die Äquivalenzbeziehung zwischen dem deutschen und lettischen Verb semantisch nicht ausreichend unterstützt wird. 2. La: Abstrahlen, nosibbinaht Diese lexikalische Äquivalenz ist in anderen baltischen Wörterbüchern nicht ausgewiesen, abgesehen von Stender, der das Äquivalent von Lange als hypothetisch in Klammern setzt (St, 20). Mühlenbach deutet das von Lange angeführte lettische Äquivalent als intrans. 'aufblitzen' (ME 2, 890). In den baltischen Wörterbüchern angeführte Äquivalente zeigen das deutsche Präfixverb in der Bedeutung 'reflektiert werden' (St, 20; UB, 20), und insofern entspricht es semantisch den Angaben im DWB (DWB 3/1, 1073). Das Verb sibbinaht wird aber in den baltischen Wörterbüchern als beblizzen, bestraalen (LD H, 253), bestrahlen, blitzen, wetterleuchten (St, 261) ins Deutsche übersetzt. Da das Präfix ab- in der deutschen Sprache im Baltikum sowohl die Vollendung eines Vorgangs bezeichnet als auch zur Verstärkung des verbalen Vorgangs gebraucht werden kann (Sallmann 1880: 76), können auch die Bedeutungen 'aufblitzen, '(kurz) leuchten, blitzen'
155 oder die im DWB als vereinzelt vorkommend ausgewiesene Bedeutung 'mit einem Scheinwerfer suchend ableuchten'(s. DWB 3/1, 1073) in Erwägung gezogen werden. Der kommentarlose Eintrag im Lexikon und das Fehlen einer den Gebrauch des Verbs bestätigenden Information erlauben jedoch keine konkreten Aussagen über seine Semantik. 3. La: Abtragen, nonest. Laut Mühlenbach kann das lettische Verb 'herab-, heruntertragen' und 'weg-, hintragen' bedeuten. In anderen baltischen Wörterbüchern ist von beiden Bedeutungen nur 'wegtragen' ausgewiesen: abtragen = das Essen abtragen, Ehdeenu nonemt, nonest (E, 17), abtragen, nonest, nonemt (St, 21) u. nonemt, wegnehmen (St, 179). Diese Bedeutung ist sowohl in den hd. (A 1, 124) als auch in den nd. Vergleichsquellen (NsWB 1, 133) verzeichnet. Bei Adelung ist die Bedeutung 'heruntertragen' jedoch nur als „metonymisch" ausgewiesen. Dieser Fall setzt andere lettischen Äquivalente als bei Lange voraus (vgl. DL H, 26 abtragen einen Berg, kalnu ahrdiht). Die Semantik 'heruntertragen' weist das nd. Verb afdrägen auf, ζ. B. Ketüffel a. - vom Wagen in den Keller (MecklWB 1, 105). Auf eine andere Äquivalenzbeziehung bei Lange, die allerdings im Lexikon nicht ausgewiesen ist, läßt die Handschrift Langes schließen: abtragen, nonest. s. abnuzzen (DL H, 26). Die Bedeutung des deutschen Verbs ist aufgrund der Polyäquivalenz nicht zu bestimmen. 4. La: Annahen, peestahtees Anhand der Einträge in den baltischen Wörterbüchern läßt sich die Bedeutung des deutschen Verbs als 'sich zu jem. stellen, hinzugesellen' bestimmen (vgl. DL H, 39 annahen, attikt. peestahtees\ St, 46 annahen tuwu pee-eet, peestahtees; E, 39 annahen, annähern, tuwu pee=eet, nahkf, St, 293 peestahtees, sich nahen, sich zu einem gesellen; UB, 46 annahen, intr. tuwotees, jo klaht peenahkt oder peeeet). Diese semantische Interpretation läßt die Frage aufwerfen, ob der Gebrauch des deutschen Verbs im Baltikum identisch mit dem von annahen gewesen ist, wie er in den hd. Wörterbüchern - 'nahe kommen, näher rücken': der König mit dem Kriegsheere a. wird, Der Sommer nahet an (A 1, 342, vgl. DWB 3/2, 1192f.; FnhdWB 1, 1337 u. W, 30; DE, 28) - oder in den nd. Wörterbüchern - anneihen 'schnell herbeilaufen': angeneihet kuemen (NsWB 1, 391) - belegt ist. Für die Beantwortung der Frage fehlen kontextuelle Belege und metasprachliche Hinweise. Die semantischen Besonderheiten betreffen möglicherweise nur das lettische Verb. 5. La: Auffliegen, palehkaht Diese Äquivalenz ist in anderen baltischen Wörterbüchern nicht ausgewiesen, abgesehen von Stender, der das Äquivalent von Lange als hypothetisch in Klammern setzt (St, 65). Mühlenbach erklärt das lettische Präfixverb als 'hinaufhüpfen, zuweilen Sprünge machen' (ME 3, 58). Handschriftlich ist von Lange ein solches lettisches Äquivalent verzeichnet, das die Bedeutung des deutschen Verbs wie in den hd. Vergleichsquellen vermerckt: auffliegen usskreet, lehkt (DL H, 49), also, 'jähe emporschwingen' (s. A 1, 489; Gu 1, 646; FnhdWB 2, 413; vgl. W, 43; DE, 38; auch baltische Wörterbücher St, 65; UB, 68 und PreußWB 1, 229). Man fragt sich, warum Lange sich für dieses bestimmte Äquivalent entschieden hat. Mühlenbach fuhrt das Verb uzlekt an, zu dem er das litauische uzlekti und das deutsche hinauffliegen verzeichnet. Im Litauischen ist das Präfixverb palekiöti vorhanden, doch seine deut-
156 sehe Übersetzung auf-, wegfliegen, schweben, ein wenig fliegen (Ku 3, 1726) zeigt, daß es sich semantisch vom lettischen Präfixverb unterscheidet, es sei denn, das lettische Präfixverb ist in Wörterbüchern unvollständig dargestellt. Da Lange des Litauischen mächtig war, kann in diesem Fall auch ein Interferenzfehler vermutet werden. Die prinzipielle Ablehnung eines gewissen Bedeutungswandels beim deutschen Verb auffliegen ist aber beim jetzigen Forschungsstand ebenso unbegründet wie seine Annahme. 6. Lange: Ausdampfen, iskuhpinaht Die baltischen Wörterbücher belegen dieses Verb als 'hinausdampfen aus dem Hafen'(Gu 1, 70; S, 90) und intrans. 'aufhören zu dampfen' (S, 93). Äquivalenzbeziehung des Verbs iskuhpinaht zu ausdämpfen (vgl. St, 82 ausdämpfen act. iskuhpinaht·, St, 122 kuhpinaht Rauch Schmauch machen) läßt vermuten, daß auch beim ausdampfen ein trans. Gebrauch im Lexikon ausgewiesen ist. Die in den hd. Wörterbüchern ausgewiesenen Bedeutungen des Verbs ausdampfen sind aber nur mit dem intrans. Gebrauch verbunden (A 1, 581; DWB 2/1, 842). In den nd. Vergleichsquellen und im PreußWB wird der trans. Gebrauch des Verbs ausdampfen als 'das Getreide mit der dampfbetriebenen Drehmaschine ausdreschen' (MecklWB 7, 631; PreußWB 1, 290) belegt. Als ein Äquivalent ist das lettische Präfixverb auch für das Verb ausdämpfen 'mit Hilfe von Rauch verscheuchen' ausgewiesen. Diese Bedeutung ist sowohl in den hochdeutschen Wörterbüchern (A 1, 582; DWB 1/1, 842) als auch in den baltischen Vergleichsquellen (St, 82; UB, 79) verzeichnet. Der Lexikoneintrag bei Lange erlaubt keine weitere Entscheidung. 7. Lange: Ausnurgeln, isschullinaht Die semantische Deutung des deutschen Präfixverbs über sein lettisches Äquivalent läßt schließen, daß es 'die Wäsche langsam (oberflächlich) waschen' bedeutet, da nur diese Bedeutung des lettischen Präfixverbs von Mühlenbach ausgewiesen ist. Schon Gutzeit äußert eine gewisse Unsicherheit bei der semantischen Bestimmung des deutschen Präfixverbs, vermutet die Bedeutung 'nörgeln' und schlägt ein anderes lettisches Äquivalent vor (Gu 1, 80). Das Verb nörgeln, nurgeln deutet er als 'quälen mit allerlei Kleinigkeiten, murcheln', doch die Bedeutung 'ohne Ende lamentieren', die in den hd. Wörterbüchern ausgewiesen wird (A 3, 522; DWB 1/7, 609), ist ihm nicht bekannt (Gu 2, 296). Die von Gutzeit ausgewiesene Bedeutung 'quälen' des Verbs nörgeln ist dem Hd. bezüglich des Präfixverbs nicht unbekannt: ausnergeln 'extorquere': bis sie ihm ein paar zweideutige worte ausgenergelt (DWB 1/1, 922); und ähnlich auch im PreußWB: ausnorgeln 'abquälen' (1, 317). Aufschluß über die Bedeutung des von Lange verzeichneten lettischen Äquivalents kann der Eintrag bei Stender geben: Das präfixlose Verb schullinaht wird wie folgt übersetzt: sudeln, mit faulen Händen waschen, it. mit einem stumpfen Messer schneiden und nicht durchschneiden können (St, 253). Eine ähnliche semantische Beschreibung gilt dem Verb murkeln (bei Gutzeit: murcheln) aus dem 17. Jahrhundert im „Etymologischen Wörterbuch": 'in unordentliche Stücke schneiden, zerdrücken, krümmein, zerknittern, undeutlich sprechen' (EWdD 2, 1139). Im Rahmen dieser Arbeit wird die semantische Äquivalenz der deutschen und lettischen Verben anhand semantisch kompatibler Einträge und kontextueller Belege aus anderen Wörterbüchern bestimmt. Im gezeigten Fall jedoch wäre für die Bestimmung der semantischen Äquivalenz eine prinzipielle Auseinandersetzung mit der Problematik der Semenausgliederung in entsprechender textueller Umgebung notwendig.
157 Die anschaulichsten Belege für eigentümliche Präfixableitungen in der deutschen Sprache des Baltikums können längere Syntagmen liefern, die jedoch bei Lange nicht immer vorhanden sind. Das trennbare Verb überführen 'hinüberführen, -heben' gilt als ein seltenes Beispiel für mögliche regionale Besonderheiten auf der grammatisch-syntaktischen Ebene. Im Lexikon tritt es im Kontext Überführen übers Wasser auf und ist als Präfixverb pahrzelt ins Lettische übersetzt. Vergleicht man dieses Verb mit den Angaben in den hochdeutschen Wörterbüchern, kann man feststellen, daß das Präfixverb immer als ein Absolutum gebraucht wird: Reisende für das Geld ü., Ich muß mich ü. lassen, Getreide nach Sizilien ü. (A 4, 751; vgl. DWB 1/23, 234; DE, 459) - ebenso wie öwerfören in den niederdeutschen Quellen: lat di man ni vun'n Luftballon ö. (SH 3, 930). Diese Beispiele und auch die Bedeutungserklärungen des Präfixverbs zeigen, daß hier im Unterschied zu Lange keine doppelte Markierung der Lokalität durch das Präfix und durch die gleichlautende Präposition unternommen wird. Der möglich redundante Gebrauch des deutschen Präfixes in diesem Fall ist erst in einer syntagmatischen Fügung erkennbar. Ein Grund dafür kann die Übernahme des lettischen syntagmatischen Strukturmodells sein. Die von Lange angeführte doppelte Lokalitätsmarkierung ist eine häufige Erscheinung sowohl in der lettischen als auch in der litauischen Sprache, vgl.: lett. pärcelt = lit. perkelti; pärcelt kädu pär ezeru = perkelti kq nors per ezerq (LL, 437). In der deutschen Sprache erlauben die „Adverbien als Erstglieder verbaler Komposita [...] eine 'Doppelbesetzung': auf den Berg hinaufsteigen" (Fleischer/Barz 1992: 290). Noch häufiger ist diese Erscheinung in den niederdeutschen Mundarten anzutreffen, doch auch hier handelt es sich um die doppelte Besetzung von einem Adverb und einer Präposition, besonders bei der Richtungsangabe: oever de Muur roever (Bichel 1983: 108). Im Rahmen der vorliegenden Arbeit konnte diese Problematik nicht behandelt werden. Die Belege für lexikalische Lehnbildungen aus dem Lettischen und für Veränderungen in der kontextuellen Distribution, die eventuell den kontextuellen Gebrauch der lettischen Äquivalente reflektieren, lassen jedoch die weitere Vermutung zu, daß die lettischen Interferenzen ebenso auch andere Sprachebenen erreicht haben.
9.5. Zusammenfassung
In der Untersuchung wurden 85 deutsche Präfixverben des Lexikons von Lange betrachtet, die im Vergleich zu den Angaben in den hochdeutschen Wörterbüchern Abweichungen in der morphologischen Struktur und in der Semantik aufweisen. Von dieser Zahl wird nicht das Verb überführen erfaßt, da seine Eigentümlichkeiten sowohl die lexikalische als auch die syntaktische Ebene betreffen können, ebenso wie die restlichen 7 semantisch unvollständig erschließbaren Präfixverben (s. Kap. 9.4.). Sie stellen nur einige typische Beispiele aus der Reihe vieler ähnlicher in der Arbeit nicht behandelter Fälle dar. Die Verben abstehen und anstrekken wurden dagegen zweimal, das Verb ausrecken sich dreimal erfaßt, weil die Analyse des Eingangslemmas und der kontextuellen Verbindungen mit dem Lemma zu
158 unterschiedlichen Ergebnissen im Vergleich zum Hochdeutschen führte. Damit wurden insgesamt 89 Fälle demonstriert, in denen lexikalische und semantische Abweichungen vom lexikographisch erfaßten Hochdeutschen des 18. Jahrhunderts ausgewiesen sind. Die analysierten Präfixverben können in zwei große Gruppen je nach der Vertretung in den hochdeutschen Quellen gegliedert werden: 1) laut den Quellen im hochdeutschen Sprachgebrauch zurücktretende Präfixverben und Bedeutungen der Präfixverben (24 Fälle); 2) in diesen Quellen nicht verzeichnete Präfixverben und deren Bedeutungen (65 Fälle). Von 24 Präfixverben der ersten Gruppe (27% der insgesamt betrachteten Fälle) gelten 7 Verben als zurücktretend im Sprachgebrauch des 18. Jahrhunderts, und 17 Verben weisen zurücktretende Bedeutungen auf. Die zweite Gruppe dürfte die sprachliche Innovation in der deutschen Sprache des Baltikums demonstrieren. Auf die sprachliche Innovation entfallen 65 Belege oder 73% der insgesamt betrachteten Fälle. Die getrennte Betrachtung der Lexeme nach ihrer Wortbildungsstruktur und nach ihrer Semantik ermöglicht ein differenzierteres Bild über die Besonderheiten der Präfixverben bei Lange bzw. in der deutschen Sprache des Baltikums. So gesehen, betreffen die Besonderheiten in der Wortbildung im Belegbestand 28 Fälle oder 32%, von denen sieben Verben (25% von 28) im Hochdeutschen als zurücktretend gelten und 21 Präfixverben (75% von 28) in den hochdeutschen Quellen nicht ausgewiesen sind. Die semantischen Besonderheiten sind in 61 Fällen (68%) feststellbar, von denen 17 bei Lange ausgewiesene Bedeutungen der Präfixverben (28 % von 61) als zurücktretend im Hochdeutschen gelten und 44 Belege (72% von 61) keine semantisch adäquten Entsprechungen in den hochdeutschen Quellen aufweisen. Bei der Untersuchung der Präfixverben kann die formale Ausdrucksseite des Lexems, d. h. seine wortbildende Struktur, nicht von der Semantik getrennt werden, denn erst diese komplexe Betrachtung führt zur Erkenntnis von Ursachen für die innovativen Prozesse, die sich in der deutschen Sprache des Baltikums vollzogen haben und im Lexikon ihren Ausdruck finden. Die Trennung zwischen der lexikalischen Form und der Semantik spielte jedoch während der Bestandsaufnahme eine Rolle und wurde auch in der Ausführung zur Veranschaulichung der unterschiedlichen Abweichungsart und des Abweichungsgrades vom Hochdeutschen im wortbildenden und im semantischen Bereich beibehalten. Die Ursachen für die sprachliche Innovation der deutschen Sprache im Baltikum wurden in den kontaktsprachlichen Beziehungen vor allem mit dem Lettischen und Niederdeutschen vermutet. Der Vergleich mit den betreffenden Wörterbüchern und eine interlingual kontrastive Analyse der Lexeme konnte diese Annahme in den meisten Fällen nicht nur bestätigen, sondern auch zur Aufdeckung einzelner Mechanismen der innovativen Prozesse führen. So zeigte sich der niederdeutsche Einfluß bei 21 Präfixverben (32% der innovativen Fälle). Von diesen als Lehnbildungen aus dem Niederdeutschen klassifizierten Präfixverben weist nur ein Teil formale Abweichungen vom Hochdeutschen auf. Als kontaktsprachlich verursachte Erscheinungen können diese Verben vorerst aufgrund der Tatsache vermutet werden, daß sie in den hochdeutschen Quellen nicht belegt sind: abborken/nd. afborken; sich abschreuen/nd. afschrojen; ausbolstern/nd. utbulstem; auspliisern/nd. utplusen; ausqvalstern/nd. utqualstern; ausreffeln/nd. utrebbeln; anstremmen/nd. anstrammen; aufstaaken/nd. upstäken; ausglasiren/nd. utgleisuren.
159 Bei einem wesentlichen Teil der entlehnten Präfixverben stimmt die lexikalische Form mit der lexikalischen Form der hochdeutschen Präfixverben überein. Die Semantik der Präfixverben bei Lange, die nur mit Hilfe der lettischen Äquivalente erkennbar wird, weist jedoch Unterschiede zu den formal identischen Präfixverben im Hochdeutschen auf. Hingegen stimmt sie mit der Semantik der adäquaten Ableitungen im Niederdeutschen überein: anthun/nd. andon; anzerren/nd. antargen; aufgehnen/nd. uphojanen; aufstreifen/nd. upströpen; ausqvellen/nd. utquellen; ausschwizzen/nd. utsweiten; austokken/nd. uttiicken; auswässern/nd. utwätern; auswettern/nd. utwedern; durchheizzen/nd. dörhitten; zuhorchen/nd. tauhorken; sich abstehen/nd. afstahn.
Die Belege veranschaulichen, daß nach dem längst vollzogenen Schreibsprachwechsel im Baltikum - dem Übergang vom Niederdeutschen zum Hochdeutschen - noch im 18. Jahrhundert mit einer weitgehenden Nachwirkung des abgelegten Niederdeutschen zu rechnen ist. Sie lassen darauf schließen, daß während des sprachlichen Ablösungsprozesses die betreffenden niederdeutschen Verben nicht durch semantische Äquivalente aus dem Hochdeutschen ersetzt, sondern lediglich an seine lexikalische Ausdrucksform durch Übersetzung der morphologischen Bestandteile angepaßt worden sind. Über die betrachteten Fälle hinaus ist die Verwendung einiger im Hochdeutschen als zurücktretend ausgewiesener Verben sowohl im Niederdeutschen als auch bei Lange feststellbar: abschmieden/nd. afsmäden; abspalten/nd. afspalten; abtrennen sich/nd. aftrennen sik; aufmachen/nd. upmaken; ausflammen/nd. utflammen; auslausen/nd. utlusen; ausschlauben/nd. utsluwen; einpfälen/nd. inpahlen; zuschiissen/nd. tauscheiten.
Anteilmäßig ist davon mehr als ein Drittel der veralteten oder anders im Gebrauch eingeschränkten hochdeutschen Präfixverben betroffen. Unter der Berücksichtigung der außersprachlichen Faktoren im Baltikum wäre auch im Fall von diesen Verben ein direkter niederdeutscher Einfluß anstelle der Bewahrung archaischer hochdeutscher Verbformen oder abgelegter Verbbedeutungen zu vermuten. Eine plausible Erklärung für die lexikalische Form vieler Präfixverben und für ihre Semantik ist in den kontaktsprachlichen Beziehungen der deutschen Sprache zum Lettischen zu suchen. Der Einfluß der lettischen Sprache kann wenigstens in 35 Fällen problematisiert werden, welche anteilmäßig etwa 54% der innovativen Fälle entsprechen. Der Einfluß der lettischen Äquivalente kann bei zehn reflexiven Präfixverben festgestellt werden. Die betreffenden deutsch-lettischen Wortpaare zeigen nicht nur eine semantische Äquivalenz, sondern auch eine adäquate Wortstruktur, d. h., sowohl die deutschen als auch die lettischen Lexeme sind mit semantisch adäquaten Präfixen und reflexiven Elementen versehen: abschmieren sich, anstreicheln sich, anstremmen sich, anstriegeln sich, aufgabeln sich, aufsamlen sich, aufzwingen sich, ausstrappaziren sich, einficheln sich, einwuchern sich.
Von den Präfixverben in den hochdeutschen Wörterbüchern außerhalb des Baltikums unterscheiden sie sich entweder durch die reflexive Form, durch die Präfixe oder durch beides. In der litauischen Sprache können dagegen semantische Äquivalente zum Lettischen festgestellt werden, die ebenso eine dem Lettischen adäquate Wortstruktur aufweisen, was das
160 Gegenargument ausschließt, daß die lettischen reflexiven Präfixverben unter dem Einfluß der deutschen Sprache hätten entstehen können. Für die Realisierung der betreffenden Bedeutung wurde nur bei einem deutschen Präfixverb der Einsatz einer nichtreflexiven Form anstatt der reflexiven Form wie in den hochdeutschen Wörterbüchern festgestellt. Dieses deutsche Präfixverb ist semantisch und strukturell dem lettischen Äquivalent gleich: auftrennen als 'sich auftrennen, auseinandergehen'. Diese Fälle dürften als Lehnbildungen aus dem Lettischen bewertet werden. Als ein ursächlicher Faktor wäre hier die Tatsache zu betrachten, daß die übernommenen Strukturelemente keine der deutschen Sprache fremde Erscheinungen darstellen und in semantischer Hinsicht vielfach dieselben Funktionen in beiden Sprachen erfüllen. Die weiteren sieben bei Lange ausgewiesenen deutsch-lettischen Äquivalente verfugen über eine adäquate Wortstruktur. Die eingesetzten Verbpräfixe können einem Verb dieselbe semantische Modifikation in beiden Sprachen verleihen. Die deutschen Präfixverben weisen jedoch solche semantische Merkmale auf, die weder in den hochdeutschen noch in den niederdeutschen Wörterbüchern bei den entsprechenden Verben feststellbar sind. Dies sind: abschwizzen, abwälzern sich, anschieben die Thür, aufhüllen, ausdrehen, ausschmoren und ausschnüffeln.
Daher dürfte bei diesen deutschen Präfixverben eine Lehnbedeutung aus dem Lettischen angenommen werden. Zuletzt lassen sich bei 16 von Lange angeführten Präfixverben gewisse Veränderungen in der kontextuellen Distribution im Vergleich zum Hochdeutschen feststellen, wofür die niederdeutschen Wörterbücher ebenfalls keine Erklärung bieten. Bezüglich dieser Präfixverben kann die Entstehung neuer Bedeutungen angenommen werden, doch eine nähere Auseinandersetzung mit der Problematik der Polysemantik und Polyvalenz wie in den folgenden Fällen muß einer zukünftigen Untersuchung vorbehalten bleiben. Der kontextuelle Einsatz der Lexeme deckt keine vom Hochdeutschen abweichende Semantik der Präfixe auf und die Präfixverben selbst zeigen keine eindeutigen semantischen Unterschiede von den hochdeutschen Präfixverben: abarbeiten sich, abhalten ein Pferd, abliegen, abschäuren, ansprengen einen Haasen, aufgehen, aufzwängen, ausbähnen = böhnen, ausfüllen, ausgehen viel unter die Leute, ausrecken sich (zweimal erfaßt), ausschrapen, auswehen, einhelfen, einkehren Grund=Balken, einschiessen.
Nicht alle dieser Präfixverben weisen eine dem lettischen Äquivalent adäquate Struktur auf. Insofern darf hier nur bei einem Teil die kontextuelle Verschiebung nach dem Vorbild der strukturell adäquaten lettischen Äquivalente vermutet werden. In folgenden Fällen wäre die Entstehung der semantischen Besonderheiten bzw. des kontextuellen Einsatzes der Lexeme möglicherweise mit dem Nominationsbedürfnis für lokal spezifisch empfundene Vorgänge zu klären: abarbeiten sich, ansprengen einen Haasen, ausfüllen, ausgehen viel unter die Leute, ausrekken sich, auswehen und einschiessen.
161 Bei der nächsten Gruppe der untersuchten Präfixverben (insgesamt neun Verben oder 14% der innovativen Fälle) bieten sich bezüglich ihrer wortbildenden und semantischen Besonderheiten mehrere Erklärungsmöglichkeiten. Diesen Teil bilden Einzelfälle wie abgleitschen 'herabrutschen, herabgleiten', das nur im gedruckten Lexikon von Lange fixiert ist. Die Eigentümlichkeit ist auf die selten vorkommende Form des Stammverbs zurückzuführen. Die Wortbildung des Verbs auswindigen 'das Getreide im Wind reinigen' und die Semantik des Verbs auffleihen 'aufschichten, aufstapeln' konnten aus formalen Gründen nicht als lettische Lehnbildung bzw. Lehnbedeutung betrachtet werden, da im Lexikon ihre Äquivalente durch präfixlose Verben vertreten sind. Ableitungen mit semantisch adäquaten Präfixen als Äquivalente zu den deutschen Lemmata werden in anderen baltischen Quellen angeführt (s. DL H, 65; St, 65). Bei den Verben antrauen, aufpropfen, ausmunstern wurden semantische Unterschiede zum Hochdeutschen erkannt. Die semantisch modifizierenden Funktionen der Präfixe wie bei den Verben im Lexikon sind bei hochdeutschen Präfixen nicht feststellbar. Die einzelnen Fälle liefern vorläufig keine ausreichenden Belege, die eine semantische Veränderung der Präfixe nach dem lettischen Vorbild unterstützen können. Die semantischen Eigentümlichkeiten dieser Präfixverben sind möglicherweise durch das Nominationsbedürfnis für spezifisch empfundene Erscheinungen in der umgebenden Realität hervorgerufen worden. Das kann auch eine mögliche Erklärung für den Gebrauch des Präfixverbs zudrücken sein. Mit Unsicherheit und Schwankungen im Einsatz der reflexiven oder nichtreflexiven Verbformen in der Sprache der baltischen Deutschen kann die nichtreflexive Verwendung von anstrekken und aufstüzzen erklärt werden. Die lettischen reflexiven Äquivalente lassen hier auf keine direkte Lehnbeziehung schließen. Mehrere der hier angeführten Verben sind auch in das PreußWB aufgenommen worden. Der Anteil der gemeinsamen Präfixverben unter den untersuchten 85 Lexemen beträgt 17% (15 Verben), bezüglich nur der innovativen Fälle 12% (8 Präfixverben von 65 Fällen), wovon die Hälfte niederdeutschen Ursprungs sein könnte. Von den im hochdeutschen Sprachgebrauch zurücktretenden Präfixverben und Bedeutungen werden hier folgende belegt: abkleiden, abspalten, anfahen, aufmachen, auslausen, ausschlauben, auswurfeln.
Gemeinsam für das Niederdeutsche und die deutsche Sprache im Baltikum erweisen sich auch Präfixverben wie: abborken, abstehen, ausqvalstern, auswässern.
Eine vergleichbare Semantik mit Präfixverben nur aus dem Lexikon von Lange zeigen anstremmen sich, auffleihen, ausschnüffeln und einhelfen.
Die meisten Abweichungen vom Hochdeutschen bei den Präfixverben wurden im Buchstabenbereich Α festgestellt. Ihr Anteil beträgt 85% von den im Lexikon erfaßten 85 Präfixverben. Einen annähernd gleichen Prozentsatz vertreten die Präfixverben allein bei den 65 als innovativ klassifizierten Fällen. Hier bilden sie 88% (ab-: 11; an-: 10; auf-: 13; aus-: 23; durch-: 1; ein-: 5; zu-: 2). Die Präfixverben aus dem ^-Bereich werden nicht häufiger als die anderen durch Präfixverben im Lettischen wiedergeben. So sind ungefähr 34% der letti-
162 sehen Äquivalente zu den deutschen Präfixverben auf an- präfixlose Verben oder verbale Fügungen, bei den Verben mit dem Präfix auf- liegt dieser Prozentsatz bei ungefähr 32%. Dagegen liegt der Anteil präfixloser Äquivalente bei den Verben auf ein- bei 21%. Die lettischen Äquivalente weisen hier im Vergleich zu den anderen Verbgruppen die meist auffallende Homogenität in der Wortbildung durch die Präfigierungen mit ee- auf. Trotzdem ist die festgestellte Zahl der Abweichungen vom Hochdeutschen eher niedrig. Diese 'Überrepräsentanz' wäre daher anders zu erklären. Zum einen ist sie mit unterschiedlichen Möglichkeiten zur Einbeziehung der lexikographischen Vergleichsquellen verbunden. So ist ζ. B. der Buchstabenabschnitt aus- in der Neubearbeitung des Grimmschen Wörterbuchs noch nicht zugänglich, ebenso wie der Buchstabenabschnitt ut- im „Niedersächsichen Wörterbuch". Das Heranziehen dieser Vergleichsquellen wird möglicherweise einige Angaben neu bewerten lassen (s. Kap. 8.2.4.). Zum anderen ist zu bemerken, daß die Gesamtzahl der Präfixverben auf Λ im Lexikon von Lange ebenso überwiegt. Von insgesamt 1200 gezählten Präfixverben gehören 810 oder 68% zu den Präfixverben auf A. Nach W. Braun ist bei den älteren lexikographischen Werken gelegentlich festzustellen, daß der Anfangsteil im Vergleich zu dem Restteil eine Überrepräsentanz an Lemmata und eine detailliertere lexikographische Bearbeitung von diesen aufweist.17 Deshalb sind auch die zahlreichen Präfigierungen und eine höhere Zahl der festgestellten Abweichungen vom Hochdeutschen des 18. Jahrhunderts im Λ-Bereich des Lexikons auf einen umfassender ausgearbeiteten Anfangsteil des Lexikons zurückzufuhren. Eine systematische, alle betroffenen Lexeme erfassende Erforschung von Alternativen zum Ausdruck der von Lange verzeichneten Bedeutungen in den hochdeutschen Wörterbüchern außerhalb des Baltikums wurde in der vorliegenden Arbeit nicht unternommen. Deshalb liegen vorläufig keine Angaben zum spezifischen Systemcharakter beim Einsatz der Präfixe bei Lange bzw. in der deutschen Sprache des Baltikums vor. Bezüglich der betrachteten Fälle dürfen lediglich einige mögliche Tendenzen anhand des lexikalischen Materials aus den vorhandenen Bedeutungserklärungen (auch in den baltischen Wörterbüchern) und anhand der gelegentlich festgestellten Alternativen im Hochdeutschen skizziert werden. So besitzen die hochdeutschen Verben und die Verben bei Lange gelegentlich dieselben Präfixe beim Ausdruck gleicher semantischer Intention, ζ. B. Lange: ausplüsern, ausreffeln - Hd.: ausfasern; anstreicheln sich - anschmiegen sich; abstehen (sich) - abliegen; abliegen - abdrücken; ausrecken sich - ausdehnen sich u.a. Die Beispiele können die schon mehrmals erwähnte Feststellung bestätigen, daß die überwiegende Mehrheit der Innovationen weder im Widerspruch zu den Prinzipien der Wortbildung im Hochdeutschen, noch zu den semantisch modifizierenden Funktionen der Präfixe in den verbalen Ableitungen steht. In einigen Fällen kann der Einsatz von den trennbaren Präfixen dort festgestellt werden, wo im Hochdeutschen die semantisch adäquaten untrennbaren Präfixe eingesetzt werden, ζ. B., Lange: abschmieren sich - Hd. beschmieren sich; abschäuren - beschauern; abschwizzen beschwitzen; aufsamlen sich - versammeln sich; abschreuen (sich) - verschreuen sich. u.a. Diesbezüglich wäre an die verbreitete Tendenz in den Kontaktsprachen - Niederdeutsch und Lettisch - zu erinnern, die Präfixe zur genaueren Lokalitätsangabe und zur Intensivierung der verbalen Handlung in solchen Fällen einzusetzen, in denen sie im Hochdeutschen eher redundant wirken. Die Bewahrung des adverbialen Charakters der trennbaren Präfixe 17
Den Hinweis verdanke ich einem persönlichen Gespräch mit dem Mitarbeiter am „Deutschen Wörterbuch" Dr. W. Braun.
163 in den Ableitungen dürfte ähnlich wie im Niederdeutschen die deutsche Sprache im Baltikum stärker als im Hochdeutschen geprägt haben. Die lettische Sprache, in der die Präfixe untrennbar sind, doch zahlreiche und variationsreiche semantische Modifikationen in den Ableitungen mit sich führen, darf neben anderen möglichen Wirkungsfaktoren wie ζ. B. die Wortbildung unter dem Einfluß des Pietismus, die Vorliebe für die Betonung des adverbialen Charakters der Präfixe im Deutsch des Baltikums gestärkt haben. Zuletzt können in mehreren Fällen andere trennbare Präfixe bei den hochdeutschen Verben als bei den Verben im Lexikon festgestellt werden, ζ. B. Lange: ausstrappaziren sich - Hd.: abstrappazieren sich; abhalten - anhalten; aufzwängen - anzwängen; anschieben - aufschieben; ausschnüffeln - durchschnüffeln u.a. Diese Beispiele demonstrieren die verzweigte Synonymie unter den hochdeutschen Präfixen, lassen jedoch in jedem einzelnen Fall nach der Ursache ihres Austausches in der deutschen Sprache des Baltikums fragen. Wie die Ergebnisse zeigen, sind solche Fälle am häufigsten mit niederdeutschen oder lettischen Interferenzen zu verbinden. Aus den Untersuchungsergebnissen folgt, daß weder Niederdeutsch noch Lettisch das Deutsch im Baltikum mit neuen Wortbildungsmodellen bereichert hat. Es lassen sich Parallelen sowohl in den Möglichkeiten zu Präfixableitungen als auch in den semantischen Funktionen der gegenübergestellten Präfixe aufdecken. Unterschiede zwischen den Sprachen zeigen sich in der wortbildenden Praxis, d. h. in der vom sprachlichen Usus akzeptierten Kombination zwischen dem konkreten Präfix und dem konkreten Stammverb und in der jeweils aktualisierten semantischen Funktion des Präfixes in der verbalen Ableitung. In dieser Beziehung scheint sich aber die deutsche Sprache im Baltikum nicht selten nach dem Vorbild der Kontaktsprachen gerichtet zu haben, was zur Bildung von lexikalischsemantisch motivierten, doch im Hochdeutschen nicht gebräuchlichen Präfixverben oder zu 'ungewöhnlichen' Bedeutungen der Präfixverben geführt hat. Zum Abschluß folgen einige Anmerkungen zur Thematik des betrachteten Wortbestandes. Die Erfassung der Lexeme zu bestimmten semantischen Feldern fällt hier eher subjektiv aus, da der Großteil der deutschen Lemmata im Lexikon als isolierte Lexeme vorkommen und die lettischen Äquivalente ihnen gleichermaßen zugeordnet sind. Deshalb ist eine genaue Bestimmung der situativ-kommunikativen Einsatzbereiche für die Lexeme nicht möglich, und in vielen Fällen bieten sich mehrere Interpretationsmöglichkeiten. Die aufgestellten semantischen Felder geben nur ein grobmaschiges Raster vor; die unternommene thematische Erfassung lediglich ein annäherndes und allgemeines Bild, das in weiteren zu diesem Thema anschließenden Untersuchungen mit Recht zur Diskussion gestellt werden dürfte. Eine der zahlreichsten Gruppen der Präfixverben vertritt das semantische Feld 'Alltagsleben'. Die hier angeführten Verben bezeichnen verbale Handlungen und Vorgänge, die das alltägliche Dasein der Menschen prägen, doch nicht direkt auf die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit zu beziehen sind: abkleiden die Füße, abliegen, abschmieren sich, abschreuen sich, abschwizzen, abstehen, anbelangen, anfahen, anschieben die Thür, aufgabeln sich, aufgehen, aufgehnen, aufsamlen sich, aufstüzzen, ausqvalstern, ausrecken (sich), ausschnüffeln, ausschwizzen, durchseyn, zuhorchen, Zuschüssen.
164 Eine Reihe der Lexeme stellt solche verbalen Handlungen dar, die aus der psychischen Veranlagung des Menschen gewachsen sind und sein Verhalten den Mitmenschen gegenüber charakterisieren. Sie werden unter 'Persönliches Verhalten und zwischenmenschliche Beziehungen' erfaßt: anstreicheln sich, anstrekken, (anstrekken), anstremmen, anstremmen sich, anstriegeln sich, anzerren, aufzwingen sich, ausgehen viel unter die Leute, , ausrecken sich, einficheln sich, fürnehmen sich.
Am zahlreichsten sind jedoch die Bezeichnungen, die mit der Arbeitstätigkeit verbunden sind oder die Folgen der ausgeübten Tätigkeit verbalisieren. Das semantische Feld 'Arbeit' läßt gewissermaßen eine nähere Einteilung in einzelne (berufliche) Bereiche zu, wie 'Haushalt': abspalten, auffleihen, aufhüllen, aufmachen, aufpropfen, aufstreifen, aufzwängen, ausblüsern, ausdrehen, ausflammen, auslausen, ausplüsern, ausstrappaziren sich, auswettern, durchheizzen, einhelfen
'Kochen': abstehen sich, anthun, ausbähnen, = böhnen, ausbolstern, ausfüllen, ausqvellen, ausschmoren, auswässern
ausschlauben,
'Handwerk': abborken, abschäuren, abtrennen sich, abschmieden, auftrennen, ausglasiren, schrapen, austokken, einfallen, einkehren Grund=Balken, einpfälen
ausreffeln,
aus-
'Landarbeit': abarbeiten sich, abrollen, aufstaaken, auswindigen, auswurfeln, einwuchern sich
'Transport und Pferdezucht': abhalten ein Pferd, abgleitschen, abwälzern sich, auswehen, einschiessen,
zudrücken
'Jagd': ansprengen einen Haasen.
Einige Präfixverben wären zuletzt dem Feld 'Öffentlich-rechtliches Leben' zuzuordnen. Die folgenden Lexeme können das Gerichtswesen, den Militärdienst und die kirchlichen Belange betreffen: antrauen, ausbannen, ausrechten und ausmunstern.
Die thematische Darstellung der analysierten Präfixverben können einerseits die schon im 19. Jahrhundert geäußerte Ansicht bestätigen, daß der Einfluß der einheimischen Sprachen bzw. des Lettischen auf die deutsche Sprache im Baltikum hauptsächlich in den Bereichen der Landwirtschaft, des Haushalts, des ländlich geprägten Lebens insgesamt spürbar ist (s. Kap. 8.1.1.). Die thematische Gliederung des ganzen Wortmaterials erlaubt den Schluß, daß diese Bereiche nicht nur für den lettischen Einfluß, sondern für alle sprachlichen Innovatio-
165 nen offener als die anderen waren. Andererseits kann beobachtet werden, daß eine Reihe der Präfixverben auch den Bereich 'Persönliches Verhalten und zwischenmenschliche Beziehungen' betrifft, der - bis jetzt bezüglich der lettisch-deutschen Lehnbeziehungen allerdings unerwähnt - die schon anerkannten sprachlichen Kontaktgebiete ergänzt. Die Darlegung der sozialen Aspekte der sprachlichen Beziehung zwischen der deutschen und der lettischen Sprache in Kapitel 3 hat gezeigt, daß unterschiedliche Sprachträgergruppen zahlreiche Möglichkeiten zu Kontaktsituationen haben konnten. Zahlenmäßig darf davon der Großteil der deutschen Bevölkerung - jedenfalls die Bewohner des flachen Landes und der Kleinstädte - betroffen gewesen sein. Insofern können die Angaben zum sozialen Gemeinschaftsleben und die Ergebnisse der thematischen Erfassung des Wortschatzes einander gegenseitig unterstützen. Solche Fachgebiete wie die politische Verwaltung, Handel oder auch Bildungswesen, auf denen die außersprachlichen Faktoren keine vergleichbar hohe Motivation für die untersuchten kontaktsprachlichen Einflüsse erkennen lassen, bleiben von den fremdsprachlichen Interferenzen in der von Lange repräsentierten deutschen Sprache des Baltikums ausgeschlossen. Der Ertrag der vom Hochdeutschen abweichenden Präfixverben und ihrer semantischen Besonderheiten ist gemessen an der Gesamtzahl der Präfixverben im Lexikon gering. Diese Tatsache sollte jedoch kaum überraschen, wenn man auf die Forschungserkenntnisse zurückgreift, laut denen sich die Deutschen im Baltikum der hochdeutschen Schriftsprache bedienten und Regionalismen bestenfalls im privaten Schriftverkehr zuließen. So gesehen, sind die Abweichungen vom Hochdeutschen in einem von deutscher Hand verfaßten Wörterbuch noch weniger zu erwarten. Sie, wie der Verfasser im Vorwort ausweist, wären eher unter den Lehnwörtern zu suchen, die fur die Bezeichnung von Realien oder Vorgängen lokalen Charakters eingesetzt werden. Unter den trennbaren Präfixverben im Lexikon konnten aber keine Lehnwörter festgestellt werden. Da Lettisch keine Prestigesprache im Baltikum des 18. Jahrhunderts war, entspricht die Vermeidung lettischer Lehnwörter im Lexikon sowohl der Einstellung der gebildeten Schichten des Baltikums als auch den sprachpuristischen Tendenzen dieser Zeit. Die Belege bei Lange können als 'unbewußte' fremdsprachliche, darunter auch lettische, Interferenzen in der deutschen Sprache des Baltikums bewertet werden. Die als hochdeutsch akzeptierten Lexeme sind in vielen Fällen Lehnbildungen oder sie weisen den Kontaktsprachen entsprechende Veränderungen in der kontextuellen Distribution auf. Laut Forschungsansichten der Kontaktlinguistik werden gerade „Lehnbildungen und -bedeutungen [...] stärker als Lehnwörter in das System der aufnehmenden Sprache integriert" (Bechert/Wildgen 1991: 76) und in die Empfängersprache eingeführt. Das Lexikon von Lange kann daher auch weitere Untersuchungen zur geschriebenen deutschen Sprache im Baltikum anregen, insbesondere, was ihre Entsprechung mit dem zeitgenössischen hochdeutschen Usus betrifft.
10. Fazit
Ziel der vorliegenden Arbeit zum Lexikon von Lange war das Aufzeigen von solchen Merkmalen, die das Wörterbuch einerseits als ein traditionelles zweisprachiges lexikographisches Werk, andererseits als ein von regionaler Spezifik geprägtes Wörterbuch kennzeichnen. Dies schien durch eine genaue Analyse zweier Aspekte des Wörterbuchs erreichbar: Untersucht wurden zum einen die lexikographischen Aspekte des Werkes. Zu diesem Zweck wurde das Lexikon im europäischen Kontext der deutsch-fremdsprachigen/fremdsprachig-deutschen Lexikographie betrachtet und als Vertreter der deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Lexikographie untersucht. Zum anderen galt das Interesse dem bei Lange verzeichneten lexikalischen Material. Seine Untersuchung zielte auf die Erfassung der regionalen Eigentümlichkeiten bei den trennbaren Präfixverben, deren Existenzbedingungen es durch eine kontaktlinguistisch ausgerichtete Betrachtungsweise zu ergründen galt. Die lexikographisch konzeptionelle Anbindung des Lexikons an die theoretischen Forderungen des 17./18. Jahrhunderts an ein deutsches Wörterbuch sowie der Vergleich des Vorwortes bei Lange mit denen anderer deutsch-fremdsprachiger/fremdsprachig-deutscher Wörterbücher des 18. Jahrhunderts verdeutlichte, wie sich Langes Lexikon konzeptionell in das Gesamtbild der zweisprachigen Lexikographie des 18. Jahrhunderts mit Deutsch im Sprachenpaar einreiht und welche traditionellen Züge es enthält. Gleichzeitig wurden auch die Eigentümlichkeiten des Lexikons sichtbar. Die lexikographische Beschreibung und Auswertung des Lexikons forderte weiterhin einen Rückblick auf die deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Wörterbücher vor 1777 und eine Auseinandersetzung mit der bisherigen Forschung zur Entwicklung einzelner Aspekte in der betreffenden Wörterbuchschreibung. So wurde vor allem die praktische Leistung von Lange im Vergleich zu seinen Vorgängern erkennbar. Die Wortschatzuntersuchung wurde auf die trennbaren Präfixverben im deutsch-lettischen Teil des Lexikons eingegrenzt. Auf diese Weise konnte zwar nur ein kleiner lexikalischer Ausschnitt beleuchtet werden, doch wurde dadurch der Stichprobencharakter vermieden und das Quellenmaterial konnte in seiner Gesamtheit erfaßt werden. Der lexikalischsemantische Vergleich der trennbaren Präfixverben mit repräsentativen Quellen fur das lexikographisch erfaßte Hochdeutsche des 18. Jahrhunderts erlaubte, eines der regionalspezifischen Merkmale des Lexikons festzuhalten - den vom Hochdeutschen abweichenden Wortschatz. Die Analyse dieses Wortschatzes galt dem Ergründen des kontaktlinguistischen Einflusses, dessen Art und den Interferenzmechanismen, um den möglichen Ursprüngen der Regionalitätsmerkmale im Lexikon nahe zu kommen. Die Wortschatzuntersuchung dürfte insofern auch einen der praktischen Wege demonstrieren, wie das Lexikon zur Erforschung der deutschen Sprache im Baltikum des 18. Jahrhunderts verwendet werden kann. Eine Zusammenschau der Ergebnisse soll nun die endgültige Antwort auf die gestellte Frage nach Merkmalen der Tradition und Regionalität in der zweisprachigen Lexikographie (mit Deutsch) bei Lange geben.
168 In der europäischen deutsch-fremdsprachigen/fremdsprachig-deutschen Lexikographie des 18. Jahrhunderts ließ sich eine gemeinsame Tendenz beobachten: sie entstand in einer unmittelbaren Verbindung mit der deutschen Wörterbuchkonzeption oder wurde von ihr durch eine entsprechende Quellen- und Vorlagenbenutzung indirekt beeinflußt. Eine stärkere Vertretung von sprachdidaktischen Ansätzen ist vor allem mit dem Ziel der Vermittlung von Fremdsprachenkenntnissen zu verbinden. Eine sprachdidaktische Herangehensweise ist jedoch auch in der Konzeption zum deutschen Wörterbuch spürbar. In der bisherigen Forschung über die deutsch-lettische/lettisch-deutsche Lexikographie ist die Abhängigkeit der späteren Wörterbücher von den Vorgängern betont worden. Das Verfolgen einzelner Wörterbuchaspekte anhand zahlreicher Pilotstudien erlaubt in der vorliegenden Arbeit ein differenzierteres Bild der lexikographischen Entwicklung aufzustellen. Als eine Präambel in der Betrachtung galt eine strikte Trennung zwischen dem lexikalischen Material des Wörterbuchs und der Wörterbuchstruktur/Wortschatzdarstellungsprinzipien, demzufolge zweierlei Beziehungen zwischen den lexikographischen Werken bestehen können: Benutzung der Vorläufer als erstens lexikographische Quellen und/oder zweitens als lexikographische Vorlagen. So gesehen, konnten als allgemeine Merkmale für die deutschlettische/lettisch-deutsche Lexikographie vor 1777 folgende festgestellt werden: 1) lexikographische Quellenbenutzung; 2) Eigenständigkeit der Autoren beim lexikographischen Aufbau der Werke. Diese Merkmale gelten nur innerhalb der deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Lexikographie. Am Beispiel des „Lettus" von Manzel und der viersprachigen Vokabulare wurde sichtbar, daß die lexikographischen Einflüsse ebenso außerhalb der betreffenden Lexikographie zu suchen sind, doch eventuelle internationale Beziehungen sind bis jetzt in der Forschung nicht nachvollzogen worden. Bezüglich der Quellenbenutzung wurde festgestellt, daß der unterschiedliche Umfang der Wörterbücher ihre lexikalische Abhängigkeit relativieren läßt. Einzelne Stichproben und Quellenhinweise bei verschiedenen Autoren belegen zwar diese Beziehungen, doch generell, solange keine gezielten Untersuchungen es widerlegen können, wurde die Klassifizierung einzelner Wörterbücher - am häufigsten das von Manzel - als Grundlage fur die späteren Werke abgelehnt. Der lexikographische Aufbau der Werke konnte dagegen keine direkte Vorlagenbenutzung bestätigen. Die Verfasser der deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Wörterbücher haben nach ihren eigenen Möglichkeiten der Wortschatzdarstellung gesucht. Zur Erklärung der erkannten Tendenzen in der deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Lexikographie bieten sich mehrere Möglichkeiten: Zum einen sind hier die unterschiedlichen Zielgruppen und dementsprechend unterschiedliche Anwendungsbereiche der Wörterbücher in Betracht zu ziehen. Insofern wirken die enormen Abweichungen in der Struktur und bei den Wortschatzdarstellung zwischen einem Wörterbuch, das einem ersten Bekanntmachen mit der neuen Sprache oder dem Erwerb einer gewissen Gesprächskompetenz dienen sollte, und einem solchen, das für ein gelehrtes Publikum mit dem Anspruch auf vollständige Exzerption der schriftlichen Quellen verfaßt wurde, als durchaus einleuchtend. Handschriftlich überlieferte Wörterbücher wie ζ. B. das von Fürecker waren vermutlich zunächst für private Nutzung gedacht. Füreckers Wörterbuch stellt kein konzeptionell durchdachtes und druckreifes Werk dar. Zum anderen muß auf die unterschiedlichen Ausgangssprachen hingewiesen werden.
169 Einige der Wörterbücher tragen den Titel „Lettisches Wörterbuch", obwohl im Sprachenpaar immer das Deutsche auftritt. Diese Tatsache läßt hinterfragen, inwieweit sie bewußt oder unbewußt - überhaupt als Übersetzungswörterbücher konzipiert waren. Auf diese Frage konnte in der vorliegenden Arbeit nicht eingegangen werden. Beim jetzigen Untersuchungsstand kann lediglich darauf hingewiesen werden, daß diese Wörterbücher konzeptionelle Ähnlichkeiten mit den einsprachigen Wörterbüchern aufweisen, und daß die deutsche Sprache häufig die Funktionen der Metasprache übernimmt. Schließlich müssen auch die historischen Umstände und sozialen Verhältnisse der hier behandelten Zeitspanne von rund 140 Jahren berücksichtigt werden, da die Zeitläufte die Ansprüche an ein lexikographisches Werk mehrmals veränderten. Auch die Lebenserfahrungen einzelner Autoren und äußere Einflüsse, die ihre Tätigkeit als Lexikographen bestimmten, waren unterschiedlich. Das 1777 gedruckte Lexikon von Lange nimmt einen besonderen Platz sowohl in der deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Lexikographie als auch in der europäischen zweisprachigen Lexikographie mit Deutsch ein. Mit der ersten verbinden Lange die aufgestellten Merkmale: Ebenso wie die Vorgänger benutzt er die ihm zugänglichen Wörterbücher als Quellen und zeigt keine Wiederholung bei der Einrichtung des Wörterbuchs und bei den Darstellungsprinzipien des Wortschatzes. Insofern kann das Lexikon als 'traditionell' in der deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Lexikographie betrachtet werden. Zum ersten Mal aber begegnet man in seinem Fall einem zweiteiligen Werk je nach der Ausgangssprache; zum ersten Mal wird der Semantik der gegenübergestellten Lexeme eine verstärkte theoretische und praktische Rolle beigemessen und zum ersten Mal findet eine Symbiose zwischen einem linguistischen und einem enzyklopädischen Werk statt. Als Gründe fur manche Neuerung konnten insgesamt dieselben wie bei früheren Autoren der deutsch-lettischen/lettischdeutschen Wörterbücher erkannt werden, nämlich unterschiedliche Zielsetzung und Aufgaben des Wörterbuchs, ein veränderter Zeitgeist und eine veränderte gesellschaftliche Situation, sowie unterschiedliche persönliche Erfahrungen und äußere Einflüsse. Wie in der kulturhistorischen Betrachtung betont wurde, vermindert sich um die Mitte des 18. Jahrhunderts allmählich die soziale Kluft zwischen den Völkern im Baltikum. Die Aufklärungsideen prägen längst die Zeit, eine neue Pastorengeneration ist herangewachsen, die sich die Aufklärung der einheimischen Völker bzw. der Letten zum Ziel setzt. Deshalb werden die Anforderungen an ein lexikographisches, fur deutsche Muttersprachler gedachtes Werk bewußt formuliert: es muß die wichtigsten Lebensbereiche lexikalisch erfassen und die Sprachen semantisch korrekt gegenüberstellen. Das soll indirekt dem Zweck dienen, die Aufklärungsideen sprachlich adäquat vermitteln zu können. Die enzyklopädische Information soll zu einem tieferen Kennenlernen des Volkes und seiner Sitten beitragen. Dies alles bestimmt die Wortschatzwahl und seine Darstellung. Ein Kennzeichen, das Lange nicht nur in der deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Lexikographie, sondern auch im europäischen Kontext der zweisprachigen Lexikographie des 18. Jahrhunderts von anderen Autoren unterscheidet, ist ein enger Bezug auf die Konzeption eines deutschen Wörterbuchs des 17. Jahrhunderts. Im Vorwort zum Lexikon spiegelt sich der Einfluß sogar terminologisch wider, so ζ. B. in der Frage der „Analyse der Stammworte und ihrer Abstämmlinge", woraus eine „analogische Bedeutung" abzuleiten ist. Doch treten hier auch solche theoretischen Elemente hervor, die auf eine regionale Spezifik des Wörterbuchs schließen lassen wie beispielsweise die volle Anerkennung der regionalen
170 Besonderheiten des Deutschen und des mundartlichen Wortschatzes des Lettischen, die laut Lange von einem zweisprachigen Lexikon repräsentiert werden sollten. Beweggründe für diese Ansichten sind möglicherweise in der Auseinandersetzung mit der deutschen lexikographischen Diskussion zu suchen, die sich um die Mitte des 18. Jahrhunderts hinsichtlich des mundartlichen Wortschatzes lockerte, möglicherweise aber auch in der Bekanntschaft mit Jablonski begründet, der sich schon zu Beginn des Jahrhunderts für eine teilweise Akzeptanz des mundartlichen Wortschatzes einsetzte. Ebenso gehören die mundartlichen Varietäten der einheimischen Sprachen und die regionalen Besonderheiten des Deutschen zu den Themen, die in den Gelehrtenkreisen des Baltikums über Jahrzehnte hinweg in unterschiedlichen Zusammenhängen zur Diskussion gestellt wurden. Die Einmaligkeit des Lexikons von Lange im Vergleich zu anderen zweisprachigen Wörterbüchern im Baltikum ist in der Berücksichtigung der theoretischen Konzeptionen eines deutschen Wörterbuchs erkennbar; von den deutsch-fremdsprachigen Wörterbüchern außerhalb des Baltikums trennt es die gezielte Hinwendung zur regionalen lexikographischen Problematik - der Darstellung der lettischen Mundarten und der lokalen Besonderheiten des Deutschen. Schon die früheren Forschungsarbeiten haben gezeigt, daß die Eigentümlichkeiten des deutschen Sprachgebrauchs im Baltikum sich durch zahlreiche vom Hochdeutschen unterscheidende Präfixableitungen äußern. Die Bestandsaufnahme der lexikalisch und semantisch vom Hochdeutschen abweichenden trennbaren Präfixverben im deutsch-lettischen Teil des Lexikons belegt die regionale Spezifik des Werks im Wortschatzbereich. Vergleichbare Untersuchungen zum deutschen Wortschatz in anderen deutsch-lettischen Wörterbüchern liegen nicht vor, doch das Heranziehen der zweisprachigen Wörterbücher des 18. und 19. Jahrhunderts in der Arbeit hat gezeigt, daß auch in diesen Quellen mit einer gewissen Anzahl von Abweichungen zu rechnen ist. Daher kann angenommen werden, daß Lange mit seinem Werk in dieser Beziehung keine Ausnahme in der deutsch-lettischen/lettisch-deutschen Lexikographie darstellt, sondern daß die bewußte oder teils unbewußte Aufnahme des regional Spezifischen aus dem deutschen Wortschatz mehr oder weniger diese zweisprachige Lexikographie geprägt hat. Zur Ermittlung der lexikalisch-semantischen Abweichungen wurden repräsentative hochdeutsche Quellen als Vergleichsbasis benutzt. Da jedoch die Erfassung von semantischen Abweichungen im Gegensatz zu den lexikalisch abweichenden Präfixverben erhebliche Schwierigkeiten bereitet, wurde zuerst die Entwicklung einer prinzipiellen methodologischen Vorgehensweise fur die semantische Identifikation der Lexeme benötigt, die bei der Auswahl der regional spezifischen Lexeme von entscheidender Bedeutung ist. Die Forschung bietet bis jetzt kein generell einsetzbares semantisches Identifikationsverfahren an. Zudem ist nicht selten eine Skepsis dem interlingualen Vergleich gegenüber vernehmbar. In dieser Untersuchung wurden fur die Bedeutungsbestimmungen Kontextergänzungen, metasprachliche Angaben im Lexikon und Angaben in anderen deutsch-lettischen/lettischdeutschen Wörterbüchern als einander ergänzend zu Rate gezogen. Deshalb schieden solche Belege aus, bei denen die semantischen Abweichungen nicht ausreichend belegt waren und wenn die eventuelle Polyäquivalenz sich nicht beheben ließ. Insgesamt konnten bei 85 oder 7,1% aller als trennbar identifizierbaren deutschen Präfixverben im Lexikon lexikalische und/oder semantische Abweichungen vom lexikographisch bei Adelung erfaßten Hochdeutschen belegt werden. Es dominieren solche, die in
171 den hochdeutschen Wörterbüchern nicht verzeichnet sind und daher am deutlichsten die unabhängige Sprachentwicklung im Baltikum demonstrieren können. Es konnte festgestellt werden, daß die Abweichungen im semantischen Bereich doppelt so häufig wie im Wortbildungsbereich sind. Allerdings bietet das Lexikon in vielen Fällen keine eindeutigen Möglichkeiten zur Unterscheidung zwischen einer neu entwickelten Semantik und der Veränderung lediglich in der kontextuellen Distribution der Lexeme. Eine Reihe von Präfixverben wiesen Unterschiede beim Einsatz der reflexiven bzw. nichtreflexiven Formen auf, die vorerst als lexikalische Abweichungen klassifiziert wurden. Die bisherige Forschung und die Analyse der kulturhistorischen Situation im Baltikum bieten zahlreiche Anhaltspunkte fur die Vermutung, daß die sprachlichen Besonderheiten der erfaßten Präfixverben durch die kontaktsprachlichen Einflüsse bedingt sein können. Im betrachteten Kontaktgebiet ist vor allem mit dem Einfluß des Lettischen, des Niederdeutschen sowie mit dem Einfluß des deutschen Sprachgebrauchs in Ostpreußen zu rechnen. Unter Einbeziehung lexikographischen Vergleichsmaterials konnten diese Einflüsse im Fall der trennbaren Präfixverben belegt werden. In diesem Gesamtüberblick wird auf konkrete Zahlen verzichtet und nur ein allgemeines Bild über die kontaktsprachlichen Einflüsse und ihre Art gezeichnet, die bei den trennbaren Präfixverben im Lexikon von Lange zum Vorschein kommen. Beim jetzigen Forschungsstand können die ausgewiesenen sprachlichen Besonderheiten nicht immer eindeutig auf einen konkreten Einfluß zurückgeführt werden. Mehr als ein Drittel der erfaßten Präfixverben hat seine Besonderheiten aus der Kontaktsprache Lettisch erhalten. Das sind Verben, vor allem Reflexiva, deren Struktur und Semantik adäquate Entsprechungen bei den lettischen Äquivalenten aufweist oder Verben, deren Einsatz in den Kontext nach dem Vorbild der strukturell adäquaten lettischen Äquivalente erfolgt ist. Eine Kontaktbeziehung in entgegengesetzter Richtung schließen vor allem die den lettischen Äquivalenten semantisch und strukturell adäquaten Verben im Litauischen aus. Der niederdeutsche Ursprung wurde bei etwa einem Viertel der Präfixverben festgestellt. Doch auch von solchen Verben, die im hochdeutschen Gebrauch Einschränkungen aufweisen, war mehr als ein Drittel in den lexikographischen Quellen fur niederdeutsche Varietäten belegt. Einen relativ kleinen Teil der trennbaren Präfixverben bilden solche, die auch im „Preußischen Wörterbuch" verzeichnet sind. Einige von diesen erweisen sich als gemeinsam auch für das Niederdeutsche und fiir die deutsche Sprache im Baltikum, einige spiegeln den im Hochdeutschen zurücktretenden Verbenbestand oder die zurücktretenden Bedeutungen der Präfixverben wider. Nur einzelne Lexeme stellen semantische Entsprechungen allein zu den Verben im Lexikon dar. Die Möglichkeit, bestimmte Gruppen der Präfixverben aufzustellen und Gesetzmäßigkeiten aufzudecken, zeigt, daß diese trennbaren Präfixe keine zufälligen Funde darstellen, sondern daß sie für einen bestimmten Systemcharakter der fremdsprachlichen Einflüsse sprechen können. Die trennbaren Präfixverben niederdeutschen Ursprungs werden als Lehnbildungen betrachtet: Die Form der niederdeutschen Verben ist an das Hochdeutsche angepaßt, doch ihre ursprüngliche Semantik beibehalten worden. Nur ein Teil der Lehnbildungen weist eine vom Hochdeutschen abweichende lexikalische Form auf, beim Restteil fällt die formale
172 Ausdrucksseite mit den hochdeutschen Präfixverben zusammen. Dies läßt sich dadurch erklären, daß die semantisch partiell adäquaten Präfixe im Niederdeutschen und im Hochdeutschen in Kombination mit den semantisch adäquaten Stammverben zum Etablieren unterschiedlicher Bedeutungen der Lexeme beider Sprachen fuhren. Infolge des Sprachwechsels im Baltikum haben die niederdeutschen Verben eine hochdeutsche Form bekommen, doch ihr Vergleich mit den lettischen Äquivalenten belegt die Bewahrung ihrer niederdeutschen Semantik. Belege aus dem Lexikon demonstrieren daher noch eine deutliche Nachwirkung des allgemein abgelegten Niederdeutschen in der Sprache der baltischen Deutschen im 18. Jahrhundert. Unter Berücksichtigung der sozialhistorischen Entwicklung im Baltikum kann angenommen werden, daß auch einige im Hochdeutschen als zurücktretend ausgewiesene Präfixverben in der deutschen Sprache des Baltikums von niederdeutscher Herkunft sind. Es handelt sich um solche Verben, die fur das Niederdeutsche lexikographisch belegt sind. Der lettische Einfluß hat sowohl zu Lehnbildungen als auch zu Lehnbedeutungen gefuhrt. Fördernd fur die Lehnbildungen wirkte die Tatsache, daß die übernommenen Strukturelemente keine der deutschen Sprache fremde Erscheinungen darstellten und in semantischer Hinsicht vielfach dieselben Funktionen in beiden Sprachen erfüllten. Auch die semantisch vom Hochdeutschen abweichenden Präfixverben zeigen eine adäquate morphologische Struktur mit dem Lettischen, was ihre Verwendung nach dem Vorbild der lettischen Äquivalente förderte. In mehreren Fällen allerdings erweist sich die Motivation für formale und semantische Abweichungen vom Hochdeutschen als unklar. Sie demonstrieren möglicherweise die autochthone Entwicklung in der deutschen Sprache des Baltikums und ergeben sich aus dem Nominationsbedürfnis für lokalspezifisch empfundene Vorgänge. Bei den abweichenden reflexiven oder nichtreflexiven Formen kann aufgrund einer dauerhaften Trennung vom historischen muttersprachlichen Ursprungsland und durch den Einfluß der umgebenden Kontaktsprache auch mit gewisser Unsicherheit und Schwankungen beim Einsatz der Verbformen gerechnet werden. Insgesamt stimmen die Untersuchungsergebnisse mit den Forschungsansichten über die deutsche Sprache im Baltikum überein. Sie zeigen aber, daß die seit dem 19. Jahrhundert nicht selten vertretene Ansicht von der kontaktsprachlichen Irrelevanz und der unabhängigen sprachkreativen Kraft in der deutschen Sprache des Baltikums eine Überschätzung der realen Situation und eher ein vom nationalen Selbstbewußtsein gefordertes Wunschbild darstellt. Die Untersuchung führt zur Erkenntnis, daß sich viele Prozesse in der Sprache nicht isoliert, sondern unter dem kontaktsprachlichen Einfluß vollzogen haben, auch wenn die Rolle der Kontaktsprachen gelegentlich nur als unterstützend für die konkreten Entwicklungen einzustufen ist. Offen blieb in dieser Untersuchung die Frage, wie diese regionalen lexikalischsemantischen Erscheinungen im Lexikon zu bewerten sind: Sind sie als Elemente der gesprochenen Sprache bzw. der Umgangssprache 'Baltendeutsch' zu betrachten oder kann ihr Vorkommen in einer sprachlich repräsentativen Quelle gegen die verbreitete Ansicht sprechen, daß die regionalen Elemente in der geschriebenen Sprache der baltischen Deutschen vermieden wurden? Textsortenspezifische Untersuchungen zum schriftlichen Sprachgebrauch der baltischen Deutschen liegen bis heute nicht vor. Die Ermittlung dieser Frage bleibt einer zukünftigen Arbeit vorbehalten.
11. Literaturverzeichnis
11.1. Quellen
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Anhang
Wörterregister
abarbeiten sich 126; 134; 138; 160; 164 abborken 108; 112ff; 158; 161; 164 abgleitschen 112; 124; 161; 164 abhalten 126; 134; 137; 160; 163f. abkleiden 147; 149; 161; 163 abliegen 126; 134; 137; 160; 162f. abrollen 150; 164 abschäuren 126; 135; 137; 160; 162; 164 abschleppen sich 154 abschmieden 147; 159; 162; 164 abschmieren sich 112; 118; 120; 122f.; 159; 163 abschreuen sich 112f; 115; 158; 162f. abschwizzen 126; 140; 160; 162f. abspalten 150; 152; 159; 161; 164 abstehen 146; 149f.; 157; 161ff. abstehen sich 126; 133; 159; 164 abstrahlen 154 abtragen 155 abtrennen sich 148f.; 159; 164 abwälzem sich 126; 140; 160; 164 anbelangen 149f.; 163 anfahen 148f; 161; 163 annahen 155 anschieben 126; 140; 160; 163 ansprengen 127; 135; 138; 160; 164 anstreicheln sich 103; 112; 118; 120; 122f.; 159; 162; 164 anstrekken 127; 145/.; 151; 157; 161; 164 anstremmen 112; 115f.; 158; 164 anstremmen sich 112; 118; 120; 122f.; 159; 161; 164 an striegeln sich 112; 119f; 122f; 159; 164 anthun 127; 131; 159; 164 antrauen 127; 143; 161; 164 anzerren 127; 131; 159; 164 auffleihen 127; 144; 161; 164 auffliegen 155 aufgabeln sich 112; 119; 122f; 159; 163 aufgehen 127; 135; 138; 160; 163 aufgehnen 127; 131; 138; 159; 163 aufhüllen 127; 139; 160; 164
aufmachen 151f.; 159; 161; 164 aufpropfen 103; 127; 143; 161; 164 aufsamlen sich 112; U9f.; 122ff; 159; 162f. aufstaaken 113; 115f; 158; 164 aufstreifen 127; 131; 159; 164 aufstlizzen 128; 145f; 161; 163 auftrennen 128; 145f.; 160; 164 aufzwängen 128; 133; 135; 137; 160; 163'f. aufzwingen sich 113; 119f.; 122; 124; 159; 164 ausbähnen, = böhnen 128; 135; 137; 160; 164 ausbannen 151; 164 ausblüsem 148f.; 164 ausbolstern U3f.; 158; 164 ausdampfen 156 ausdrehen 128; 140f.; 160; 164 ausflammen 152; 159; 164 ausfüllen 128; 135; 138; 160; 164 ausgehen 128; 136; 138; 160; 164 ausglasiren 113; 116; 158; 164 auslausen 152; 159; 161; 164 ausmunstern 128; 143; 161; 164 ausnurgeln 156 ausplüsern 113f.; 158; 162; 164 ausqvalstem 113f.; 158f.; 161; 163 ausqvellen 128; 131; 159; 164 ausrechten 152; 164 ausrecken sich 128/.; 136; 138; 151; 157; 160; 162ff. ausreffeln 113f; 158; 162; 164 ausschlauben 147; 149; 159; 161; 164 ausschmoren 129; 140f.; 160; 164 ausschnüffeln 129; 141; 160f.; 163 ausschrapen 129; 136f.; 160; 164 ausschwizzen 129; 131; 159; 163 ausstrappaziren sich 113; 120; 122; 124; 159; 163f. austokken 129; 131; 159; 164 auswässern 129; 132; 159; 161; 164 auswehen 103; 129; 136; 138; 160; 164 auswettern 129; 132; 159; 164
188 auswindigen 113; 124; 161; 164 auswurfeln 152; 161; 164 durchheizzen 129; 132; 159; 164 durchseyn 151; 163 einfallen 152; 164 einficheln sich 113; 120ff; 124; 159; 164 einhelfen 130; 136ff.; 160f.; 164 einkehren 130; 136f; 160; 164 einpfölen 150; 159; 164
einschiessen 130; 133; 137f.; 160; 164 einwuchern sich 113; 118; 120ff; 124; 159; 164 fürnehmen sich 148; 164 überführen 157 zudrücken 130; 144; 161; 164 zuhorchen 130; 132; 159; 163 Zuschüssen 103; 150; 159; 163
189 Landkarte
Siehe Original bei Wittram, Reinhard (1954): Baltische Geschichte. Die Ostseelande Livland, Estland, Kurland 1180-1918. München: R.Oldenbourg
190
Vollständiges deutschlettisches und lettischdeutsches Lexicon von Jacob Lange
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ausgefertigt »OB 3lacob (Sfenmlfupcrintcntatttn iiefTiinl>. κ.
..^oir^jfti·. fiance, £«jont η ο φ an; bere teutfd^e Sfiamcit, , ale : 9Jfmgft»ogeI etc. 5fiht b a e , t a e « i n m a t e . f ©eroerf bet Oitgifc^jett fig* gete, p a ^ t i n e ( * ) p a t m a 6 a t b e ( * ) Slmtearbeit, unb p a ^ t i n e e f e ( * ) bee in bae
Stmt ge£0w. Siint verwalten,
a m m a f t t WCtl·
$ t n1, p e e . p r a e p . r e g . L oc D a t . plur.
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Ausschnitt aus dem deutsch-lettischen Teil
192
Vollständiges deutschlettisches und lettischdeutsches Lexicon von Jacob Lange
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Ausschnitt aus dem lettisch-deutschen Teil
Summary
The 18th century is considered the heyday of European lexicography. Close political, economic and intellectual contacts between different countries provided a powerful stimulus to the development of German and German-foreign-language lexicography. Extensive dictionaries contrasted languages such as English, Danish and Swedish with the German language. At the time, the country now known as Latvia did not even exist on the political map of Europe. Livonia, its historical territory, was incorporated into the Russian Empire as early as 1721. Courland continued to exist until 1795 as a Duchy under Polish sovereignty. Hence, the two languages, German and Latvian, obviously only played a marginal role in 18th-century German-foreign-language lexicography. This becomes quite evident when one considers the number of headwords (25,000 units) - rather modest in comparison with many other dictionaries of the period - in Jacob Lange's Latvian-German dictionary, published in 1777, which is analysed in the present work. This fact notwithstanding, Lange's dictionary was the fourth, and thus the most comprehensive of all the German-Latvian/Latvian-German dictionaries printed up to then, whose number can be augmented by the many handwritten dictionaries that were passed down. That Latvian was so often compared with German (rather than any other foreign language) in these dictionaries can be explained by the fact that Latvians shared their territory with Germans from the 13th century on. Consequently, contact with the outside world primarily took place through the German language. In the 18th century, the overwhelming majority of Latvians were still serfs. As knowledge of their mother tongue did not generally help them to become upwardly mobile, the question naturally arises as to the sense and purpose of such dictionaries, especially of that compiled by Lange. If, as is so often claimed, the dictionaries were primarily intended to help German pastors learn Latvian, which would mean that the dictionaries would have hardly served any purpose outside the Baltic, did they then differ conceptually, or in the vocabulary recorded, from other German-foreignlanguage dictionaries? These and similar considerations guided me in my choice of subject: 'Tradition and Regionality in German-foreign-language Lexicography'. Analysis centred on Jacob Lange's dictionary. My aim was to establish how his dictionary stands in relation to German-foreign-language lexicography at the time: where did the similarities and differences lie; where did a common basis exist, if at all; and is it possible to identify a certain tradition for this lexicography? Proceeding from similar considerations, the dictionary is to be situated in the tradition of German-Latvian lexicography, too. As a dictionary must be considered primarily as a socio-historical product, and represents a vocabulary collection of one or more languages arranged according to definite lexicographical and linguistic principles, the analysis focused on three aspects: the culturo-historical relevance of Lange's dictionary, its foreword, and an analysis of its structure as a reflection of both the concept underlying the dictionary and the vocabulary presented in lexical form. The theoretical basis of the analysis is derived from numerous analyses of lexicography, contact linguistics and semantic analysis of vocabulary.
194 An evaluation of the socio- and culturo-historical material on areas of German-Latvian contact in the 18th century gives grounds to doubt whether German pastors, in their role as clerics, were the dictionary's only addressees. From the viewpoint of lexicography, the hitherto emphasised role of dictionaries as an aid in starting to learn a language is equally contentious, because the German language is all too frequently assigned the role of a metalanguage, thus hindering easy access to exact equivalents. Lange's dictionary has quite distinct qualities, and these are stated in his foreword: the author focuses is on the Latvian language, proceeding from the assumption that only a genuine understanding of its essence can give users a sufficient command of Latvian to exclude mistakes and misunderstandings during communication. An appropriate presentation of the linguistic material was intended to encourage the user to intensify his language studies. A comparison with older German-Latvian/Latvian-German dictionaries reveals that Lange did not use one single dictionary as a main source for his dictionary. This observation applies to most of his predecessors too. And in both the structure and the lexicographical presentation of vocabulary, Lange is evidently guided by similar ambitions to those of his predecessors: each of them wanted to realise his own idea of the best and most practical dictionary rather than uncritically adopt existing approaches. Lange strove to go beyond simply presenting German-Latvian and Latvian-German pairs of equivalents. Furthermore, the basic aim of his work was intimately linked with his desire to enlighten. This is evident in the way he approaches the linguistic material, creating a symbiosis: a linguistic and encyclopaedic work devoted to the Latvians and their language. Subsequent lexicographers, such as G.F. Stender, used this dictionary as a source and as a lexicographical model, citing it extensively. Little attention has been given to this significant aspect of the dictionary in Latvian lexicographical history. In view of the fact that German was the lexical language in dictionaries, and given the traditionally close contact of the Baltic Germans to their historical country of origin, the search for conceptual models for Jacob Lange's lexicographical views led back to dictionary concepts prevailing in Germany during the 17th and 18th centuries. An analysis of the forewords of a number of German-foreign-language dictionaries dating from the 18th century reveals that these concepts also directly and indirectly influenced the organisation of other German-foreign-language dictionaries. Thus, reference to these dictionary concepts was classified as a tradition, in other words: as a common theoretical basis for Germanforeign-language dictionaries. In this connection, Lange displayed an almost exemplary deference to the German dictionary concepts current towards the end of the 17th century. Now, however, it was the Latvian language alone, and no longer German, which served as the medium of communication. In one question, however, his approach differs radically from traditional ones: in his acceptance of regionally shaped vocabulary (in both Latvian and German) and in his conscious decision to include it in his dictionary. He identified the regional character of the German language in the Baltic region primarily in the words borrowed from indigenous languages, also presenting some examples of these in his foreword. The vocabulary analysis in the lexicon is devoted to a borrowed type that differs from loan-words, whose presence is barely noticeable in the lexicon. These types are loan creations and borrowed meanings which are related to separable German prefix verbs, and which many researchers see as deviating, in Baltic German, from written High German.
195 For the present study, the German-Latvian part of the dictionary was used as a source. A lexical-semantic comparison of the separable prefix verbs with entries in numerous other dictionaries was intended to establish the extent to which such verbs appear in Lange's work, for which there are no entries in comparable High German sources. Hence, they ought to be classified as uncommon or rare in written High German. In the following, possible reasons and linguistic mechanisms that brought about the established deviations ought to be elucidated. Deviations among the separable prefix verbs account for approximately 7 per cent of entries in the lexicon. According to Adelung and the Deutsches Wörterbuch, they can be divided into four groups: lexical and semantic deviations, and verbs which High German comparative sources identify as either lexically or semantically archaic and unimportant for the 18th century. The reasons for the lexical and semantic peculiarities were suspected to lie primarily in the sphere of influence of the Lower German and Latvian contact languages. Comparisons with entries in dictionaries dealing with the original Low German regions revealed a significant share of verbs of Low German origin. Whilst the lexicon occasionally contains examples of Low German verb forms, most of the verbs are loan translations assimilated into the High German of the Baltic Germans. Only by taking into account the Latvian equivalents was it possible to establish this fact, as the verbs themselves do not reveal any formal deviations from High German. The assertion that the Latvian language also influenced German in the Baltic region has been expressed with somewhat greater caution, since very little research has been done on this aspect so far. Furthermore, it is generally considered as a marginal phenomenon occurring within colloquial German. Nevertheless, analysis of an entire series of examples in the dictionary reveals that this influence, together with non-linguistic factors, e.g. the territorial separation of the domestic-German language area, does provide a plausible explanation for some observable facts. Among those worth mentioning are the deviations among both reflexive forms and prefix verbs: the lexical-semantic equivalents among High German sources outside the Baltic region have either no, or different, prefixes. Archaic and insignificant forms as well as discarded verb meanings in written High German occur less frequently in the dictionary. These results indicate that the distinguishing regional characteristics of the dictionary are to be sought primarily in the domain of German vocabulary. As most of the verbs analysed are also contained in the other German-Latvian/Latvian-German dictionaries of the 18th and 19th centuries, Lange's dictionary certainly did not represent an isolated case within German-Latvian lexicography. The reasons for the relatively large number of such verbs, which are confirmed neither lexically nor semantically in the far-more-extensive High German sources, are related to the specific development of the German language in the Baltic region, including the influences of the two contact languages, Lower German and Latvian. The author hopes that this survey will make a contribution towards the history of lexicography, and that bilingual dictionaries will not be forgotten as sources for people doing research into the history of language. Translated by Robin Benson, B.A.Soc.Sc.
Resume
C'est au 18e sidcle que la lexicographic a connu son ipanouissement en Europe. En effet, c'est ä cette öpoque que des relations intensives entre les pays, tant au niveau politique, qu' öconomique et intellectuel, ont favorisö le developpement de la lexicographie allemande et de la lexicographie allemand-langue(s) 6trang£re(s). Pour la premiere fois 1'allemand a ete confrontö ä des langues telles 1'anglais, le danois ou le suedois dans des dictionnaires exhaustifs. La Lettonie actuelle n'existait meme pas sur la carte politique de l'Europe ä cette έροque-lä. La region historique de la Livonie avait döjä 6t6 annexee par l'Empire russe en 1721. La Curlande s'etait maintenue comme duche sous souverainetd polonaise jusqu'en 1795. D'oü sans doute la place plutot marginale accordee au couple allemand-letton au sein de la lexicographie bilingue du 18e siecle. En effet, si on considöre le lexique allemandletton/letton-allemand de Jacob Lange - publie en 1777 et qui fait d'ailleurs l'objet de la präsente thöse - on y trouve un nombre de lemmes assez modeste par rapport ä beaucoup d'autres dictionnaires de cette epoque (25 000 unites). Toujours est-il que le lexique de Lange fut le quatrteme ä etre imprime et s'avere etre jusque-lä le lexique le plus complet dans la s6rie d'ouvrages lexicographiques allemand-letton/letton-allemand, s6rie qui peut etre compldtee par plusieurs dictionnaires transmis sous forme manuscrite. Dans les dictionnaires on retrouve le letton beaucoup plus fräquemment confronts ä 1'allemand qu'ä d'autres langues. Ceci est dü au fait que les Lettons partageaient leur territoire avec les Allemands dejä depuis le 13e sidcle et que le contact avec le monde extörieur ötait assurä surtout ä travers la langue allemande. Comme la plupart des Lettons ötaient encore des serfs au 18e siöcle, et que la connaissance de leur langue ne favorisait gineralement pas l'ascension sociale, on arrive logiquement ä se poser la question du sens et de la fmalite de ces dictionnaires, en particulier du lexique de Lange. On affirme souvent qu'ils ötaient confus avant tout ä l'intention des pasteurs allemands comme outil de travail ä leur apprentissage du Letton et que pour cette raison ils etaient peu utiles en dehors des pays baltes. Dans ce cas, on peut se demander si ces dictionnaires difföraient des autres dictionnaires allemand-langue(s) 6trangere(s) dans leur conception ou dans le vocabulaire repertoπέ. Ce sont de telles reflexions qui nous ont conduite ä choisir le sujet de la präsente these: „Tradition et rägionalit6 dans la lexicographie allemand-langue(s) etrangere(s)" („Tradition und Regionalität in der deutsch-fremdsprachigen Lexikographie"), et qui examine la question en prenant pour exemple le lexique de Jacob Lange. II s'agissait d'etablir comment le lexique en question s'inserait dans la lexicographie allemand-langue(s) itrangäre(s) de 1'epoque dans un contexte europien ou s'en dötachait, et si tant est qu'on puisse constater une base commune, une certaine tradition concernant cette lexicographie. De meme, il s'agissait de placer le dictionnaire de Lange dans la tradition de la lexicographie allemandletton. Comme un dictionnaire doit etre consid^re avant tout comme un produit issu d'un contexte socio-historique et qu'il repräsente l'ensemble lexical d'une langue d'apres certains principes lexicographiques et linguistiques, il s'agissait d'etudier avant tout trois aspects principaüx: 1'importance historico-culturelle du lexique, sa präface et sa structure refletant
198 la conception du dictionnaire, enfin le vocabulaire du lexique. Du point de vue theorique ce travail se fonde sur de nombreuses recherches concernant la lexicographie, la linguistique de contact et 1'analyse semantique du vocabulaire. L Evaluation du materiel socio-historique et culturel des zones de contact germano-letton au 18e siecle, conduit a mettre en doute 1'affirmation selon laquelle les pasteurs allemands dans leur röle clerical auraient constitue le seul public vise du lexique. D'un point de vue lexicographique, il est ögalement peu probable que le lexique ait servi avant tout d'outil de travail ä l'apprentissage de la langue des debutants, car la langue allemande s'y voit attribuer trop souvent le role de metalangue, ce qui empeche de retrouver facilement un Equivalent precis. Cependant le lexique presente des qualites tout ä fait difKrentes, annoncees dejä dans la preface: c'est la langue lettonne qui occupe une place primordiale car selon l'auteur seule une comprehension veritable de sa nature permettrait une maitrise du letton telle qu'il n'y aurait plus dans la communication ni de fautes ni de malentendus. Une presentation adequate du materiel linguistique devrait inciter l'utilisateur ä entreprendre des etudes plus approfondies de la langue. La comparaison avec des dictionnaires allemand-letton/letton-allemand plus anciens a montrö que Lange a recouru a plus d'un dictionnaire comme source principale pour son lexique. Cette constatation vaut aussi pour la plupart de ses devanciers. On peut egalement constater chez Lange une aspiration semblable ä celle de ses devanciers en ce qui concerne la conception et la presentation lexicographique du vocabulaire: chacun avait 1'ambition de rdaliser ses propres representations d'un dictionnaire au maniement optimal au lieu de reprendre sans critiquer des methodes de travail existantes. L'ambition de Lange depasse le simple etablissement d'un couple d'equivalent allemand-letton/letton-allemand et la vocation propre de l'oeuvre est etroitement liee ä son ambition d'eclairer. Ceci se repercute dans son approche du materiel linguistique et mene ä la symbiose du linguistique et de Tencyclopödique dans une ceuvre au centre de laquelle se trouvent les Lettons et leur langue. Des lexicographes posterieurs comme par exemple G.F. Stender ont soigneusement depouille le lexique comme source et modele lexicographique. Cette signification du lexique a suscitäe jusqu'ä present peu de considerations dans l'histoire de la lexicographie lettonne. Etant donne que 1'allemand est la langue explicative dans le lexique et que les Allemands baltes ont toujours eu un contact etroit avec leur pays historique d'origine, Jacob Lange s'est tourne dans la recherche de modules conceptionnels pour les considerations lexicographiques vers les conceptions du dictionnaire allemand du 17e/18e siede. Ces conceptions out egalement influence directement ou indirectement la realisation d'autres dictionnaires allemand-langue(s) etrangere(s), comme le demontre l'analyse des prefaces de plusieurs dictionnaires allemand-langue(s) etrangere(s) du 18e siecle. C'est ainsi que la reference ä ces conceptions de dictionnaire est devenue une tradition c'est ä dire une base theorique commune pour les dictionnaires allemand-langue(s) etrangere(s). Lange montre dans ce contexte une fideiite presque exemplaire face ä la conception des dictionnaires allemands du 17e siecle finissant. Mais shez lui c'est le letton qui prend la place de la langue allemande en tant qu'objet de consideration. II se distingue cependant nettement de la tradition sur un point: il accepte le vocabulaire regional aussi bien letton qu'allemand et l'integre volontairement dans le lexique. II reconnait le caractere regional de la langue allemande dans les pays baltes notamment dans les
199 mots empruntes aux langues indigenes ce qu'il illustre par quelques exemples dans la preface. L'examen du vocabulaire dans le lexique s'applique cependant ä un autre type d'emprunt qu'aux mots d'emprunt dont on remarque ä peine la presence dans le dictionnaire. II s'agit lä de formations d'emprunt et de significations d'emprunt dans le domaine des verbes allemands ä prefixes söparables. Ce phenom£ne apparaissant dans la langue des allemands baltes est considere par divers chercheurs comme deviant du haut-allemand ecrit. Le präsent travail s'appuie sur la partie allemand-letton du lexique. II s'agissait de trouver, ä partir d'une comparaison sdmantico-lexicale des verbes ä prefixes separables avec des mentions dans de nombreux autres dictionnaires, la quantite de ces verbes chez Lange, qui η'est pas attestee par les autres sources de comparaison du haut-allemand et qui pour cette raison seraient considöree comme peu usuel ou rare dans le haut-allemand ecrit. En outre, nous voulions egalement 6claircir les m^canismes linguistiques et les raisons possibles qui ont conduit aux deviations constatöes. Le pourcentage de deviations dans le domaine des verbes ä prefixes separables s'eleve ä environ 7% dans le lexique. En s'appuyant sur les mentions d'Adelung et du „Deutsches Wörterbuch", on peut les classer en quatre groupes: les deviations d'ordre lexical et sömantique et les verbes qui sont considers lexicalement ou sömantiquement comme vieillis ou en voie de disparition pour le 18e si£cle dans les documents de comparaison du hautallemand. Les causes des particularitds lexicales et semantiques sont surtout supposdes dans le domaine d'influence des langues de contact bas-allemand et letton. Les resultats des comparaisons avec les mentions dans les dictionnaires qui, au niveau linguistique, embrassent les territoires bas-allemands d'origine, ont montre qu'une partie considerable des verbes etait d'origine basse-allemande: tandis que des formes verbales basses-allemandes apparaissent isolement dans le lexique, la plupart des verbes a ete reprise comme traductions d'emprunt dans le haut-allemand des Allemands baltes. Ces constatations ne sont possibles qu'apres consultation des Equivalents lettons parce que les verbes eux-memes ne demontrent pas de deviations formelles par rapport au haut-allemand. L'affirmation selon laquelle la langue lettonne aurait influence Γ allemand dans les pays baltes a ete emise plutöt timidement parce que ce sujet jusqu'ici n'a guere ete Studie et qu'il a ete considere surtout comme un phenomene marginal dans la langue allemande familiere. Malgre cela l'analyse de toute une sörie de references tiroes du lexique montre que cette influence est en relation immediate avec des facteurs extra-linguistiques comme par exemple la separation territoriale de l'espace linguistique allemand qui peut representer une explication possible pour quelques-unes des apparitions. Ce sont des deviations se trouvant dans les formes reflexives ou dans les verbes ä prefixes dont. les equivalents lexicosemantiques dans les sources du haut-allemand en dehors des pays baltes sont attestes comme etant sans prefixes ou se construisant avec d'autres prefixes. Dans le lexique on retrouve relativement peu de verbes du haut-allemand ecrit appartenant ä la categorie des formes vieillissantes ou en voie de disparition ou des significations verbales abondonnees. Les resultats permettent de conclure que les caracteristiques regionales du lexique doivent etre cherchees avant tout dans le domaine du vocabulaire allemand. Comme la plupart des verbes analyses sont repris egalement dans d'autres dictionnaires allemand-letton/lettonallemand du 18e siede, il devient evident que le lexique de Lange η'est ä cet egard pas un
200 cas unique dans la lexicographie allemand-letton. Les causes de l'existence d un nombre relativement grand de tels verbes qui ne sont attestes ni lexicalement ni semantiquement par des sources du haut-allemand beaucoup plus completes s'explique par le developpement particulier de la langue allemande dans les pays baltes, dont nottament l'influence des langues de contacts du bas-allemand et du letton. Le voeux de l'auteur est de contribuer, par le present travail, ä l'histoire de la lexicographie et d'eviter aux dictionnaires bilingues, sources de recherches de l'histoire de la langue, de sombrer dans l'oubli. Traduit par Angelika Sänger, M.A.