Deregulierung als ordnungs- und prozeßpolitische Aufgabe: Bericht über den wissenschaftlichen Teil der 48. Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft deutscher wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute e. V. in Bonn am 9. und 10. Mai 1985 [1 ed.] 9783428459674, 9783428059676


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Deregulierung als ordnungs- und prozeßpolitische Aufgabe: Bericht über den wissenschaftlichen Teil der 48. Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft deutscher wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute e. V. in Bonn am 9. und 10. Mai 1985 [1 ed.]
 9783428459674, 9783428059676

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Beihefte der Konjunkturpolitik Zeitschrift für angewandte Wirtschaftsforschung Begründet von Albert Wissler

Heft 32

Deregulierung als ordnungsund prozeßpolitische Aufgabe

Duncker & Humblot · Berlin

Deregulierung als ordnungsund prozeßpolitische Aufgabe

Beihefte der K o n j u n k t u r p o l i t i k Zeitschrift

für

angewandte

Wirtechafteforschung

Begründet von Albert Wissler

Heft 32

Deregulierung als ordnungsund prozeßpolitische Aufgabe Bericht über den wissenschaftlichen T e i l der 48. Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft deutscher wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute e. V . in Bonn am 9. und 10. M a i 1985



DUNCKER

&

HUMBLOT

/

B E R L I N

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutseihen Bibliothek Deregulierung als ordnungs- und prozesspolitische Aufgabe: i n Bonn am 9. u. 10. M a i 1985. — Berlin: Duncker u n d Humblot, 1986. (Bericht über den wissenschaftlichen T e i l der . . . Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute e. V.; 48) (Beihefte der K o n j u n k t u r p o l i t i k ; H. 32) I S B N 3-428-05967-0 NE: Arbeitsgemeinschaft Deutscher Wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute: Bericht über den . . . ; K o n j u n k t u r p o l i t i k / Beihefte

Schriftleiter: Herbert Wilkens

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1986 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Gedruckt 1986 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 ISBN 3-428-05967-0

Vorwort I n diesem Beiheft w i r d über den wissenschaftlichen Teil der 48. M i t gliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft deutscher wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute berichtet. Die Tagung stand unter dem Thema „Deregulierung als ordnungs- und prozeßpolitische Aufgabe" und fand am 9. und 10. Mai 1985 i n Bonn statt. Referate hielten Horst-Hermann Binnenbruck (Frankfurt/Main), Werner Hahn (München), Johannes Hoch (Bonn), Erich Kaufer (Innsbruck), Jörn Kruse (Hamburg), Rudi Kurz (Tübingen), Jürgen Müller (Berlin), Horst Nasko (München), Heinz Ruhnau (Frankfurt/Main), Klaus-Werner Schatz (Kiel), Helmut Schön (Bonn) und Günther Storsberg (Bonn). Die Beiträge sind i m folgenden i n voller Länge abgedruckt. Die Zusammenfassungen der Diskussionen erstellte Herbert Wilkens. Die 49. Mitgliederversammlung soll am 6./7. Mai 1986 i n Bonn stattfinden und das Thema „Steuersystem und wirtschaftliche Entwicklung" zum Gegenstand haben.

Köln, i m November 1985 Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Hans K. Schneider

Inhalt

I . Teil: Grundfragen von Regulierung und Deregulierung

9

Erich Kauf er Theoretische Grundlagen der Regulierung

11

Jörn Kruse Normative Bestimmung des Regulierungsbereichs

25

Rudi Kurz Entwicklung u n d gegenwärtiger Stand der Deregulierungsdiskussion Zusammenfassung der Diskussion

41 59

I I . Teil: Ausgewählte Problembereiche: Stand und Begründung der Regulierung; Möglichkeiten und Grenzen der Deregulierung. 1. Verkehrswesen Klaus-Werner

73

Schatz

Stand u n d Begründung der Regulierung i m L u f t v e r k e h r — Möglichkeiten u n d Grenzen der Deregulierung Heinz

Ruhnau

Korreferat: Z u r Deregulierung i m L u f t v e r k e h r Horst-Hermann

101

Binnenbruck

Korreferat: Z u r Regulierung i m Güterkraftverkehr Günther

75

105

Storsberg

Regulierung u n d Deregulierung i m Verkehrswesen

111

Johannes Hoch Regulierung u n d Deregulierung i m Verkehrswesen Zusammenfassung der Diskussion

117 124

8

Inhalt

2. Telekommunikation Jürgen

133

Müller

Möglichkeiten für Entregulierung i m Telekommunikationsbereich

133

Horst Nasko Möglichkeiten u n d Grenzen der Deregulierung i m Telekommunikationsbereich. Korreferat aus der Sicht der Industrie 167 Helmut

Schön

Möglichkeiten u n d Grenzen der Deregulierung i n der Telekommunikation 171 Zusammenfassung der Diskussion

181

Teilnehmerverzeichnis

187

Erster Teil

Grundfragen von Regulierung und Deregulierung

Theoretische Grundlagen der Regulierung Von Erich Kaufer, Innsbruck U m sich den ungefähren Umfang der staatlichen Regulierung zu vergegenwärtigen, könnte man einen Tag i m Leben des Herrn Maier verfolgen und bei jeder Station des Tagesablaufs fragen, was hier staatlich reglementiert ist. A m Abend würde man dann eine Liste mit hunderten Regulierungen beisammen haben. Begreift man Regulierung als staatlichen Eingriff i n die individuelle Vertragsfreiheit, so fallen zahlenmäßig vor allem die vielfältigen Verhaltensregulierungen etwa aus dem Bereich des Umweltschutzes, des Unfallschutzes oder der Gesundheitspolitik ins Gewicht. I m Hinblick auf die folgenden Referate dieser Tagung ist es zweckmäßig, den Regulierungsbegriff einzuschränken auf d i e öffentliche

Regulierung

sog. Versorgungsunternehmen,

d.h.

der-

jenigen Unternehmen, die i m Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) unter die Ausnahmebereiche fallen. Wettbewerbspolitische Ausnahmebereiche bestehen dort, wo man meint, funktionsfähiger Wettbewerb sei nicht möglich. Die Ordnung der Märkte durch Wettbewerb versage, weil sie natürlicherweise monopolistisch sind oder weil sie zu ruinöser Konkurrenz neigen. I n beiden Fällen gälte es, die Preise, Produktqualitäten sowie den Marktein- und -austritt zu regulieren. I n den USA w i r d die öffentliche Regulierung kompetenzmäßig i n Kommissionen zentralisiert und branchenweise spezialisiert auf der Bundes- und Einzelstaatsebene ausgeübt. Die Kommissionen sind von der Regierung relativ unabhängig, weil sie als A r m des jeweiligen Parlaments gelten. I n Deutschland sind die Regulierungskompetenzen über verschiedene Regierungsebenen, ζ. B. auf Ministerien und nachgeordneten Behörden verteilt. I n den USA sind die Objekte der Regulierung zumeist private Unternehmen. I n Deutschland spielen öffentliche Unternehmen i n vielen Ausnahmebereichen eine überragende Rolle und sie sind nicht bloß Objekt, sie sind Subjekte der Regulierung, insofern sie selber quasi-hoheitliche Regulierungsfunktionen ausüben. Wenn man die Bedeutung dieser geschichtlich gewachsenen Unterschiede herausarbeiten w i l l , so muß das Schwergewicht der Analyse auf geschichtlichen Tatsachen einerseits und auf der positiven Theorie der Regulierung andererseits liegen. Dementsprechend möchte ich i m

12

Erich Kauf er

folgenden die normative Theorie nur kurz skizzieren, damit die Begründung für regulierende Eingriffe klar wird. Sodann möchte ich am Beispiel der Post und des Verkehrs prüfen, ob die geschichtliche Entwicklung i n Deutschland m i t den Postulaten der normativen Theorie der Regulierung übereinstimmt. Von hier aus möchte ich zur positiven Theorie der Regulierung überleiten. I. Die normative Theorie der öffentlichen Regulierung Bereiche wie Eisenbahnen, Elektrizität oder Telekommunikation galten oder gelten ζ. T. heute noch als natürliche Monopole. Von einem natürlichen Mononpol spricht man dann, wenn i n Bezug auf die relevante Nachfrage die geringstmöglichen Kosten — infolge von produktspezifischen Größenvorteilen und — infolge von Verbundersparnissen aus dem gebündelten Angebot mehrerer Güter oder Dienstleistungen nur von einem einzigen Unternehmen ausgenutzt werden können. Aus der Tatsache, daß infolge solcher Ersparnisse i m Wettbewerb i m M a r k t nur ein einziges Unternehmen übrigbleibt, daß der Ausleseprozeß zu einem „Monopol" i. S. eines Alleinanbieters führt, aus dieser Tatsache folgt nicht, daß dieser Markt auch tatsächlich monopolisierbar ist, denn es sind Konstellationen denkbar, unter denen u m diesen Markt permanent konkurriert wird, obwohl i m Markt stets nur ein Anbieter vorhanden ist. Die Bedingungen, unter denen das zutrifft, sind i n der Theorie der kontestierbaren oder angreifbaren Märkte untersucht worden. Wenn der A n t e i l der irreversiblen Kosten vernachlässigbar klein ist, dann ist eine Hauptbedingung für „ultrafreien Marktzutritt" erfüllt, dann sind natürliche Monopole perfekt angreifbar, dann sind diese Marktstrukturen durch wettbewerbliches Verhalten geprägt. 1 Allerdings sind auch Konstellationen denkbar, i n denen der angreifende Wettbewerb u m das natürliche Monopol versagt. Bietet z.B. das natürliche Monopol zwei Produkte an, die enge Substitute sind und die jedes für sich stark ausgeprägte produktspezifische Größenersparnisse haben, dann muß das natürliche Monopol die Preise beider Güter ι Vgl. W. J. Baumol u. a., Contestable Markets and the Theory of I n d u stry Structure, New Y o r k 1982. Vgl. dazu auch M. A . Spence, Contestable Markets and the Theory of I n d u s t r y Structure: A Review Article, 21 J E L 981 - 990 (1983) u n d W. G. Shepherd , „Contestability" vs. Competition, 74 A E R 572 - 587 (1984). Ich lasse hier das v o n Gröner (1965) u n d später v o n Demsetz (1968) vorgeschlagene wettbewerbliche Ausschreibungsverfahren u m n a t ü r liche Monopole aus Zeitgründen unbehandelt. Vgl. dazu H. Gröner, Property Rights-Theorie u n d staatlich regulierte Industrien, S. 226 - 232, i n : A . Schüller, Hrsg., Property Rights u n d ökonomische Theorie, München 1983.

Theoretische Grundlagen der Regulierung

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so hoch zu einander setzen, daß es beide Größenersparnisse nutzt und noch kostendeckend produziert. I n dieser Situation hat ein Marktaußenseiter einen großen Anreiz, i n einen der beiden Produktmärkte einzutreten, das Monopol zu unterbieten und eine große Nachfrage m i t erheblichen Größenersparnissen an sich zu ziehen. Für den Monopolisten steigen dann die Kosten sowohl beim unmittelbar betroffenen Gut als auch beim Substitut an. Ferner gehen Verbundvorteile verloren. Die volkswirtschaftlichen Kosten der Produktion beider Güter steigen an. Das natürliche Monopol hat aber keine Möglichkeit, einen derartigen Marktzutritt durch „Rosinenpicken" abzuwehren. I n diesen Fällen ist es durch Marktzutrittsbeschränkungen zu schützen. Die Wahrscheinlichkeit, daß eine derartige Konstellation vorliegt, ist u m so größer — je stärker sich die Produkte substituieren und — je stärker die produktspezifischen Größenersparnisse i m Vergleich zu den Verbundvorteilen ins Gewicht fallen. So interessant die theoretische Anlayse des Falles ist, wo ein natürliches Monopol über keinen Preisvektor verfügt, der marktzutrittsresistent ist, so problematisch ist die Theorie zur Begründung von Marktzutrittsregulierungen, w e i l i m konkreten Fall meistens die Informationen darüber fehlen, ob denn die betreffende Unternehmung i m relevanten Güterraum tatsächlich ein natürliches Monopol ist. Wenn gemäß § 2 des Gesetzes über das Postwesen die Deutsche Bundespost das ausschließliche Recht zu entgeltlichen Beförderung von Sendungen m i t schriftlichen Mitteilungen von Person zu Person hat und wenn selbst die Versendung eines leeren Blattes Papier als Mitteilung interpretiert wird, dann verfügt die DBP über einen denkbar weiten Monopolanspruch. Wer soll denn hier m i t Hilfe der Theorie marktzutrittsresistenter Preisvektoren nachweisen, daß Marktzutritt erlaubt oder verboten sein sollte? W i r werden auf dieses Problem bei der positiven Theorie der Regulierung zurückkommen. I m übrigen weist Finsinger zutreffend darauf hin, daß die Schlußfolgerung, Marktzutrittsregulierung sei notwendig, weil kein marktzutrittsresistenter Preisvektor existiere, aus einem anderen Grund verfehlt ist. Wenn der Preisvektor nicht marktzutrittsresistent ist, so muß er es deshalb sein, weil der Neukonkurrent eine Form der Preisdifferenzierung anwendet, die dem natürlichen Monopolisten nicht erlaubt ist. Statt den Marktzutritt zu regulieren, kann man also den Weg beschreiten, dem natürlichen Monopol und den potentiellen Konkurrenten gleichermaßen die Preisdifferenzierung zu erlauben oder sie dem gleichen Kontrahierungszwang zu unterwerfen. 2 2 Jörg Finsinger, Z u r Anatomie v o n wohlfahrtsoptimalen Preisen für öffentliche Unternehmen, die unter zunehmenden Skalenerträgen produzieren, 136 Z g S 136 - 160 (1980).

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Erich Kaufer

Allerdings muß man einschränkend hinzufügen, daß die wettbewerbspolitische Kontrolle des diskriminatorischen Mißbrauchs von Marktmacht wohl das sumpfigste Gebiet der Wettbewerbspolitik überhaupt ist. Und historisch gesehen ist die systematische Diskriminierung durch marktmächtige Unternehmen ja eine der Hauptursachen für die Einführung der Institution der öffentlichen Regulierung gewesen. Bei natürlichen Monopolen ist die Regulierung der Preise und der Qualitäten des Leistungsangebots eine Folge des Kontrahierungszwangs und damit eine Folge der Einschränkung der Diskriminierungsmöglichkeiten. I n Bereichen mit vielen Anbietern ist die Regulierung der Preise, der Qualität und des Marktzutritts Teil eines Programmes zur Eindämmung von ruinöser Konkurrenz. Als ruinös bezeichnet man eine Konkurrenz, wo der Anbieter der besseren Produktqualitäten von denen schlechterer Produktqualitäten aus dem Markt verdrängt wird, weil sich die Lüge i m Wettbewerb lohnt. Ruinös ist ferner die Konkurrenz, die die Unternehmen m i t den niedrigsten Kosten aus dem Markt drängt. Dem Argument m i t der ruinösen Konkurrenz ist aus zwei Gründen mit Skepsis zu begegnen. Zum einen entstehen gerade i n Märkten m i t großer Qualitätsunsicherheit über die Produkte i n Verbindung mit Preissetzung, Werbung und Goodwill Markt Verhältnisse, die eine Prämierung der Lüge zwar nicht vollständig verhindern, jedoch weitgehend zurückdrängen. 3 Außerdem w i r d die Lauterkeit i m Wettbewerb durch den gewerblichen Rechtsschutz und durch das UWG geschützt. Zum zweiten ist aus dem Wettbewerbsrecht i m Bereich wettbewerbsbeschränkender Preisdiskriminierung bekannt, daß es i m konkreten Fall immer wieder zu einer Verwechslung der Schädigung eines Wettbewerbers mit der Schädigung des Wettbewerbs kommt. I n j u r y to Competition w i r d aus i n j u r y to competitors abgeleitet. Ebenso w i r d ruinöse Konkurrenz fälschlicherweise aus dem Ruin eines Konkurrenten gefolgert. Die normative Theorie der Regulierung ist so alt wie das Bestreben, Wettbewerbsbeschränkungen mit der Berufung auf das Öffentliche Interesse und das Gemeinwohl zu rechtfertigen. Sam Peltzman sagte einmal: „Sich Gründe für Regulierungen auszudenken ist ein leichter Sport. Man sollte ihn m i t einer Pigou'schen Steuer belegen." Ich möchte deshalb die normative Regulierungstheorie verlassen und i n einem kurzen historischen Exkurs untersuchen, wie denn einige der Paradefälle des natürlichen Monopols und der ruinösen Konkurrenz als Ausnahmebereiche entstanden sind. 3 Vgl. A . Gabor, C. W. Granger , Price as an Indicator of Quality, 33 Economica 43 - 70 (1966); Ph. Nelson , Advertising as Information, 82 JPE 729 -754 (1974); C. C. u. Weizsäcker, Barriers to Entry, Kap. 5 u n d 6, Heidelberg 1980,

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I I . Beispiele für das Entstehen öffentlich regulierter Bereiche in geschichtlicher Betrachtung Eisenbahnen und Post werden gemeinhin als natürliche Monopole angesehen. Ihre Monopolstellung entspringt jedoch nicht der staatlichen Sorge u m das Gemeinwohl. Hier haben sich vielmehr Interessentengruppen m i t der staatlichen Willensbildung vereinigt, u m unter dem Schleier der Gemeinwirtschaftsdoktrin einzelwirtschaftliche Interessen durchzusetzen. I n Deutschland leitete die heftige Depression der 1870'er Jahre eine lange Periode des Zweifels an der Fähigkeit des Wettbewerbs ein, die Märkte zu ordnen. Darüber hinaus führte das drastische Absinken der Frachtraten i n der Seeschiffahrt und i m Eisenbahntransport dazu, daß sowohl die Manufakturwarenhersteller etwa an der Ruhr als auch die ostelbischen Agrarinteressen unter starken Wettbewerbsdruck der ausländischen Manufakturwarenerzeuger und Getreidelieferanten gerieten. Aus dieser Konkurrenz erwuchs das Interesse an Schutzzöllen und an einer diskriminatorischen Frachtratenstruktur zu Gunsten der heimischen und zu Lasten der ausländischen Anbieter. Bismarck strebte Zölle und die Verstaatlichung der Eisenbahnen an, u m die Reichsregierung von den Zuweisungen der Länder unabhängiger zu machen. Er gewann das Zentrum für seine Pläne mit Versprechungen, den Kulturkampf zu beenden. Und zusammen m i t dem Zentrum und der Konservativen Partei, die für Schutzzölle und Frachtratendiskriminierung eintrat, gelang Bismarck 1879 die Einführung von Schutzzöllen und die Nationalisierung der Eisenbahnen i n Preußen. Nachdem die privaten Eisenbahnen beseitigt waren, wurde die Frachtratenstruktur so abgeändert, daß die ausländische Konkurrenz von den Häfen landeinwärts benachteiligt und die heimischen Anbieter landauswärts begünstigt wurden. 4 Die Begründung der Monopolstellung der Deutschen Reichsbahn geht so letztlich auf eine Koalition — von Regierungsinteressen an fiskalischen Einnahmen, — von konfessionellen Parteiinteressen und — von protektionistischen Interessen der heimischen Industrie und Landwirtschaft zurück. Trotz dieser Einflußnahme privater Interessengruppen blieb die Eisenbahn für lange Jahre eine Haupteinnahmequelle des Staates. Das än4 Vgl. E. Kauf er, Ch. Β . Blankart, Regulation i n Western Germany: the State of the Debate, 139 Z g S 435 - 451 (1983), Ch. Β . Blankart, Waves of Regulation and Deregulation i n the German Railroad and Trucking Industry 1830 - 1980, Diskussionsbeiträge des Instituts für Volkswirtschaftslehre der Hochschule der Bundeswehr München, Nr. 16, A p r i l 1983.

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Erich Kauf er

derte sich indessen drastisch mit der Niederlage des Deutschen Reiches i m 1. Weltkrieg. Die Reichsbahn unterlag einerseits einem starken Druck, die Beschäftigung aus arbeitsmarktpolitischen Gründen auszuweiten. Andererseits verhinderten die industriellen und agrarischen Interessentengruppen eine Anpassung der Frachtraten an die rapide Inflation. I n der Stabilisierungskrise von 1923 wuchsen die Defizite der Reichsbahn dramatisch an. Sie erzwangen eine A r t Entregulierung noch i m selben Jahr. Ein Viertel des aufgeblähten Personals mußte entlassen werden. Löhne und Frachtraten wurden neu und weitgehend frei von äußeren Einflüssen festgesetzt. Von 1924 -1933 wurde die Reichsbahn fast wie ein nicht-reguliertes, privates Unternehmen geführt, das äußerst profitabel war. So ist die Geschichte des Eisenbahnwesens i n Deutschland ein Beispiel dafür, wie eine Koalition verschiedener Interessenten eine Monopolisierung i n der Form eines öffentlichen Unternehmens durchsetzt, wie dieses Monopol unter dem Einfluß von spezifischen Interessentengruppen ineffizient w i r d und wie es infolge einer Krise für eine Zeitlang vom Einfluß dieser Interessentengruppen befreit wird, also entreguliert wird. Lehrreich ist auch die Entstehung des staatlichen Postwesens. Zu Beginn des 12. Jahrhunderts richteten i n Europa die großen Städte, die geistlichen Orden, die Universitäten, die Kaufmannschaften und die Fernhändler eigene Botensysteme ein. Seit dem 13. Jahrhundert besaß die Universität Paris das königliche Privileg zur Unterhaltung eines eigenen Botenstandes. 1464 schränkte Ludwig X I . die Briefbeförderungsrechte ein, u m die Ausbreitung von Ideen und Nachrichten kontrollieren zu können. A l l e privaten Sendungen wurden von königlichen Agenten geöffnet und inspiziert. Unter Ludwig X I V . wurde das Postwesen ein staatliches Monopol. Neben der Nachrichtenkontrolle stand auch der Gedanke der Einnahmenerzielung i m Vordergrund. I n England verlief die Entwicklung nicht anders. Noch 1660 erließ das b r i tische Parlament ein Gesetz, i n dem das ausschließliche Recht der Krone, Briefe zu befördern und zu zensurieren bestätigt und i n dem die Einnahmen der Krone zugesprochen wurden. Zu dieser Zeit begannen auch die einzelnen deutschen Territorien i n Konkurrenz zur kaiserlichen T h u m und Taxis-Post eigene Postanstalten zu organisieren. Preußen erzielte recht früh bereits beachtliche Gewinne aus seiner Post. Die weitere Geschichte der nationalen Postanstalten ist durch ein fortlaufendes Ringen u m das Ausmaß des Postzwangs zur Sicherung der Posteinnahmen gekennzeichnet. Jede sich i m Umfeld der Post etablierende Verkehrs- oder Kommunikationsmöglichkeit wurde i n dem Monopolanspruch aufgenommen. 1872 verbot die amerikanische Post ζ. B. die Beförderung firmeninterner Nachrichten per

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Rohrpost oder Boten. Und Blankart hat am Beispiel der schweizerischen Post nachgezeichnet, wie die Post jede neu sich bietende Kommunikationsmöglichkeit von der Télégraphié über die Telephonie bis h i n zur funkgesteuerten Öffnung von Garagentoren ihrem Monopolanspruch einzuverleiben trachtete. 5 Und als schließlich die Post, die schon bei den Eisenbahntransporten nicht zuletzt infolge ihrer eigenen Unfähigkeit, das innovatorische Potential der Dampflokomotive rechtzeitig zu erkennen, i h r Beförderungsregal verloren hatte, auch den motorgetriebenen Straßentransport zu verlieren drohte, da initiierte sie eine Gesetzgebung zur Wiederherstellung ihrer alten Privilegien. 1919 beschloß die deutsche Reichsregierung, — daß der kommerzielle Straßentransport von Fahrgästen und Fracht lizenzierungspflichtig sei, — daß jedes kommerzielle Transportunternehmen nachweisen müsse, daß es i m öffentlichen Interesse tätig sei, — daß die Reichspost von der Lizenzpflicht ausgenommen sei. So gehen also die ersten Regulierungen i m Autotransport auf den Versuch des Postmonopols zurück, sich vor Konkurrenz abzuschirmen. Später wurde diese Abschirmung auch von Seiten der Reichsbahn gesucht, und all diese Regulierungen mündeten dann letztlich auch i n die Reglementierung des Kraftwagenverkehrs unter Berufung auf die inhärente Neigung dieser Branche zu ruinöser Konkurrenz. N ä h e r t m a n sich d e m P h ä n o m e n d e r ö f f e n t l i c h e n R e g u l i e r u n g aus e i n e r geschichtlichen P e r s p e k t i v e , so e n t s t e h e n ernste Z w e i f e l a n d e r T r a g f ä h i g k e i t d e r v o n d e r n o r m a t i v e n T h e o r i e i m p l i z i e r t e n These, ö f f e n t l i c h e R e g u l i e r u n g geschehe z u r W a h r u n g ö f f e n t l i c h e n Interesses. Z w a r steht das Bismarcksche M o t i v d e r E i n n a h m e n e r z i e l u n g n i c h t i n W i d e r s p r u c h z u r These, E i s e n b a h n e n seien e i n n a t ü r l i c h e s M o n o p o l gew o r d e n , gewesen oder seien es noch. A b e r d i e Bismarcksche K o a l i t i o n m i t konfessionellen, i n d u s t r i e l l e n u n d l a n d w i r t s c h a f t l i c h e n I n t e r e s s e n zeigt i m m e r h i n , w i e dieses tatsächliche o d e r v o r g e b l i c h e n a t ü r l i c h e M o n o p o l v o n spezifischen I n t e r e s s e n t e n g r u p p e n i n Beschlag g e n o m m e n w u r d e . U n d d e r M o n o p o l a n s p r u c h der P o s t a n s t a l t e n geht i n h i s t o r i s c h e r B e t r a c h t u n g a u f die Z e n s u r d e r K o m m u n i k a t i o n , d a n n a u f fiskalische Ziele u n d w e i t e r h i n auf die Abschirmung v o r der K o n k u r r e n z durch neue T e c h n o l o g i e n z u r ü c k . D i e T h e o r i e des n a t ü r l i c h e n M o n o p o l s ist i n dieser H i n s i c h t eine statische T h e o r i e apologetischen C h a r a k t e r s . W o h l wissend, daß e i n e m außenstehenden K r i t i k e r die n o t w e n d i g e n I n f o r m a is Vgl. Ch. Β . Blankart, Reform des Postmonopols, Bern 1982; derselbe, Das Wachstum des Postmonopols — E i n wirtschaftlicher Beitrag zur ökonomischen Theorie der Verwaltung, Jahrbuch für neue politische Ökonomie, 1983. 2 Konjunkturpolitik, Beiheft 32

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tionen zum Gegenbeweis fehlen, w i r d die Fahne des Rosinenpickens immer dann hochgezogen, wenn eine neue technologische Möglichkeit die Marktstellung des monopolistischen Angebots der historisch überkommenen Produktpalette bedroht. Aber verlief die güter- und leistungsmäßige Ausweitung des Monopolanspruchs auf immer neue Technologien tatsächlich nach den von der normativen Theorie vertretenen Effizienzkriterien? Hätten ζ. B. bei der Einführung des Telefons die Eisenbahnen infolge ihres Netzes von Wegerechten und Telegraphieverbindungen nicht vielleicht größere Economies of Scope nachweisen können als die Post? Vieles spricht dafür, daß die Postanstalten das Telefonnetz zugesprochen erhielten, nicht weil sie über Economies of Scope verfügten, sondern weil das Telefon eine Konkurrenz für den Brief war. Hinsichtlich der spezifischen deutschen Entwicklung der Doktrin von der ruinösen Konkurrenz ist zu bemerken, daß bereits u m die Jahrhundertwende die Ansicht vorherrschte, Wettbewerb sei inhärent chaotisch. Unter Hitler endete das dann i n einer allgemeinen Zwangskartellierung der Wirtschaft. Es ist deshalb nicht verwunderlich, daß einige besonders einflußreiche Branchen wie etwa Banken und Versicherungen auch nach 1949 die These erfolgreich vertreten konnten, bei ihnen sei der Wettbewerb grundsätzlich nicht funktionsfähig. Diese Position ist auf dem jahrzehntelangen Hintergrund effektiver Kartellierung so unglaubwürdig, daß ich keinen weiteren Satz über die Regulierung dieser Branchen verwenden möchte. I I I . Die positive Theorie der staatlichen Regulierung Eine auf die deutsche Situation zugeschnittene positive Theorie der staatlichen Regulierung muß berücksichtigen, daß i n den als natürliche Monopole klassifizierten Bereichen zumeist öffentliche Unternehmen anzutreffen sind. 1. Was aber ist der spezifische Einfluß öffentlicher Untenehmen auf den Prozeß der Regulierung?

Dieser Frage möchte ich i m Falle der Bundespost beispielhaft nachgehen. Ein öffentliches Unternehmen wie die Deutsche Bundespost ist durch eine eigentümliche Verteilung und Streuung der Entscheidungskompetenzen gekennzeichnet. A u f seiner Output- oder Absatzseite besitzt das Unternehmen eine Monopolstellung, deren Ausmaß nicht von der eigenen Leistung, etwa durch fortlaufende Innovation abhängt. Das Ausmaß der Monopolstellung ist ein Regal, das vom Gesetzgeber verliehen w i r d und das deshalb i m politischen Prozeß erworben und ver-

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teidigt werden muß. Während ein privater Monopolist sein Monopol i m Marktprozeß erringen muß, erwirbt das öffentliche Unternehmen das Monopol außerhalb des Marktes i m politischen Feld. Spezifisch für die Post kommt dabei hinzu, daß sie i n Randbereichen der Konkurrenz die Bedingungen der Konkurrenz durch eigene Regulierungsauflagen quasi hoheitlich festlegen kann und daß sie die Reichweite ihres gesetzlichen Postregals faktisch selbst interpretativ festlegt. Hat so die Post einerseits eine starke und vor Wettbewerb geschützte Stellung, so ist sie andererseits i n der Freiheit der Entscheidung über Preise und Konditionen des Leistungsangebots außerordentlich beschränkt. I n den USA werden derartige Unternehmen durch unabhängige Regulierungskommissionen vor dem unmittelbaren Zugriff der Politiker und deren Klientel abgeschirmt. Die Bundespost ist dieser Entwicklung via Parlament und Regierung jedoch voll ausgesetzt. Auf seiner Inputseite ist das öffentliche Unternehmen dadurch gekennzeichnet, daß die Mitarbeiter unkündbar sind, daß Mitarbeiter geradezu ein Recht auf die Erfüllung spezifischer Funktionen haben. Ein öffentliches Unternehmen wie die Post unterscheidet sich nur wenig von einer Verwaltungsbehörde. Daß solche Unternehmen auf die Erfüllung solcher Zielfunktionen wie das öffentliche Interesse verpflichtet werden, kann eine soziale Kontrolle, wie sie vom funktionsfähigen Wettbewerb ausgeht, nicht ersetzen. Es liegt i n der Natur solcher Zielvorhaben, daß sie mehrdeutig sind. Damit ist die Tür geöffnet, durch welche die Preisbildung Individual- und Gruppeninteressen dienstbar gemacht wird. Für Politiker und politische Parteien sind öffentliche Unternehmen eine Quelle zur Verteilung von Privilegien und Pfründen; sie sind i m politischen Wettstreit eine viel brauchbarere Waffe als etwa die Transferleistungen i m Steuer- und Sozialbereich weil letztere viel stärker den verfassungsmäßigen Beschränkungen der Diskriminierung unterliegen. Bei öffentlichen Unternehmen m i t Monopolanspruch ist die Befriedigung von Sonderinteressen relativ leicht zu legitimieren. Es gilt eben als „politisch erwünscht", daß bestimmte Nachfrager, Firmen, Industrien, Regionen bloß Preise i n Höhe der oder sogar unter den zusätzlichen Kosten zu zahlen haben. Dafür müssen dann andere Gruppen — diejenigen, die i m politischen Prozeß weniger Ellbogen einsetzen können — mit beträchtlichen Aufschlägen bezahlen. So entstehen i m Laufe der Zeit aus der Einwirkung des politischen Prozesses auf das öffentliche Unternehmen diskriminatorische Preisstrukturen, die keine produktionstechnischen oder allokationstheoretischen Grundsätze, sondern politische Opportunität widerspiegeln. I n den Preisstrukturen manifestiert sich ein lang gewachsenes, differenziertes System von Pri2*

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vilegien und ökonomischen Renten. Diese Privilegien und Renten werden durch den Z u t r i t t neuer Konkurrenten gefährdet. Wo und wann immer sie auftauchen, geht deshalb sofort die Fahne des Rosinenpickens hoch, m i t der dann die Ausweitung des Monopolanspruchs begründet wird. Es kommt zu einer stetigen Ausweitung des öffentlichen Unternehmens i n private Märkte und zu einer schleichenden Nationalisierung oder Verstaatlichung der Wirtschaft. Die Ausbeutung des Postmonopols durch politisch einflußreiche Interessentengruppen ist besonders stark i n den Bereichen „Standardpost" und „Telefon", weil hier die stärksten Vorschriften und Bindungen i n der Tarif- und Konditionsbildung vorliegen. Für die „gelbe Post" bot deshalb ζ. B. das von den privatwirtschaftlichen Kurierdiensten entdeckte und entwickelte Marktpotential aus zwei Gründen eine w i l l k o m mene Gelegenheit, sich aus dem politisch gebundenen i n den ungebundenen Bereich hinaus zu entfernen. Erstens wäre die Ausweitung des Monopolanspruchs auf die internationalen Kurierdienste für die sog. „gelbe Post" deshalb so attraktiv gewesen, w e i l die Post dann Kapazitäten aus einer politisch preiskontrollierten, defizitären Bindung i n eine politisch ungebundene, monopolistisch ausbeutbare Nutzung hätte überführen können. Der zweite Grund hängt mit der Konkurrenzsituation zwischen „gelber" und „grauer" Post zusammen. Es spricht einiges dafür, daß i m Fernmeldebereich die Tarife über größere Entfernungen zu Gunsten der Kurzstrecken und Ortstarife überhöht sind.® Bei der heutigen Technologie i m Fernmeldewesen fallen die größten Fixkostenblöcke i m Ortsverkehr an. Die Grenzkosten des Ferngesprächs sind nahezu entfernungsunabhängig geworden. Hohe Ferntarife schützen die gelbe Post und verhindern das Wachstum der grauen Post. Bei niedrigen Ferntarifen würde, sofern der Endgerätbereich etwa entsprechend den Vorstellungen der Monopolkommission dem Monopolanspruch und dem Prinzip der Einheitstechnik der DBP entzogen wäre, ein wesentlich kräftigerer Nachfragesog die technische Entwicklung bei der elektronischen Post erheblich beschleunigen. Daran hat die Gesamtpost angesichts der Personalintensität der gelben Post und der Personalextensität der grauen Post jedoch kein Interesse. Wenn aber die DBP an ihrer Tarifstruktur i m Telekommunikationsbereich zu Gunsten der gelben Post festhält, und wenn sie zugleich nicht willens oder nicht fähig ist, die Qualitätsstandards der gelben Post so aufrechtzuerhalten, daß sich die zu hohen Ferntarife beim Telefon wenigstens i n Form von zusätzβ Vgl. hierzu Ch. Β . Blankart, F. Schneider, Sind die PTT-Fernmeldegebühren zu hoch? Neue Zürcher Zeitung, 19. Oktober 1984.

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liehen Gewinnen bei den Briefen i n etwa bezahlt machen, dann büßt die graue Post Gewinne ein, während die gelbe Post von dem Gewinnverzicht nicht profitieren kann. Die DBP stimuliert bloß das Wachstum der privaten Kurierdienste, indem sie einerseits die Entfaltung der elektronischen Post verzögert und indem sie die gelbe Post qualitativ abgleiten läßt. Absorbiert dagegen die gelbe Post die Kurierdienste, so hat sie für sich das Problem gelöst, daß die gelbe Post faktisch die graue Post kannibalisiert. Nun hat die Deutsche Bundespost den Versuch, die Kurierdienste auf Grund ihres umfassenden Monopolanspruchs zu eliminieren, unternommen, ohne auch nur die Fragen zu stellen, die vom Standpunkt einer normativen Theorie des natürlichen Monopols angebracht gewesen wären. Stellt man nämlich diese Fragen, dann ergibt sich — daß die Bundespost bei der Einrichtung eines Datapost-Service keine spürbaren Economies of Scope realisieren kann, — daß die Substitutionsbeziehungen zwischen Standardbriefpost und Kurierpost nicht nur nicht sehr gering sind, daß zwischen beiden vielmehr beachtliche Komplementaritäten der Nachfrage bestehen, — daß die Post die auf internationaler Ebene anfallenden produktspezifischen Größenersparnisse i m Unterschied zu einem privaten Kurierdienst gerade nicht ausschöpfen kann. Diese Erfahrung läßt vermuten, daß ein öffentliches Unternehmen m i t (natürlichem) Monopolanspruch den Legitimitätsvorsprung, den es gegenüber einem privaten Unternehmen bei der Regierung besitzt, ausnutzt, u m seinen Monopolanspruch auch auf Tätigkeiten auszuweiten, die effizienzmäßig nicht gerechtfertigt werden können. 2. Die Nachfrage nach wettbewerbsbeschränkendend Regulierungen

Seit dem Beginn der Industrialisierung — frühere Perioden möchte ich ausklammern — beobachten w i r Phasen, i n denen der Protektionismus zunimmt, Wettbewerbsbeschränkungen Umsichgreifen und Regulierungen sich ausbreiten. W i r beobachten jedoch auch Zeiten, i n denen die Wettbewerbspolitik intensiviert wird, der Freihandel aufblüht, und Regulierungen abgebaut werden. Ein solches A u f und A b beschäftigte bereits Schumpeter und beschäftigt Olson i n seinem jüngsten Buch. Manfred Neumann 7 hat die interessante Hypothese eingeführt, daß die soziale Zeitpräferenzrate positiv m i t dem zuvor erreichten Wohlstandsniveau verbunden ist. Nach einer langandauernden Periode des Wohl7 M. Neumann, Long Swings of Economic Development, Social Time Preference and Institutional Change, 141 ZgS 21 - 35 (1985).

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standes steigt die Zeitpräferenzrate, nach einer langen Periode der Depressionfällt sie. Eine hohe Zeitpräferenzrate induziert eine Verlagerung des sozialen Konsensus weg von den Quellen des Volkswohlstandes h i n zur Frage der Wohlstandsverteilung, eine Umorientierung von Adam Smith auf David Ricardo. Wettbewerb bedeutet für einige stets Verlust, wenngleich sie die Aussicht haben, morgen zu den Gewinnern zu zählen. M i t steigender Zeitpräferenzrate wächst das Bedürfnis, den heutigen Status quo zu erhalten und sinkt die A t t r a k t i v i t ä t morgiger Gewinnmöglichkeiten. Die Nachfrage nach Schutz vor Wettbewerb und Schutz vor Anpassung steigt. Diese These kann man noch u m die von Weizsäckers These ergänzen, daß sich die Präferenzen für Sicherheit und Schutz aus der Auflösung einer kognitiven Dissonanz endogen i n Richtung einer erhöhten Nachfrage nach Sicherheit verwandeln. 8 M i t beginnender Nachfrage nach Schutz vor Wettbewerb w i r d das Verlangen nach Schutz überzeichnet, u m überhaupt Gehör zu finden. Je mehr Sicherheit dann geliefert wird, u m so stärker w i r d die Diskrepanz zwischen dem, was i n der Öffentlichkeit diskutiert wird, und dem, was an Sicherheitsbedürfnis tatsächlich besteht. Aus dieser Diskrepanz heraus erfolgt dann eine Anpassung der Präferenzen i n Richtung mehr Sicherheit und Schutz vor Wettbewerb. Fügt man diesem Szenario die Olsonschen Gedanken hinzu, so ergibt sich folgendes Entwicklungsmuster für die Entstehung von Regulierungen. Immer wenn Märkte prosperieren und wachsen, entstehen auch Interessentengruppen, die i m Wege des politischen Prozesses eine Wohlstandsverteilung erreichen wollen, die sie i m Marktprozeß nicht erreichen können. Bis sich diese Interessentengruppen formiert haben, bis sie allfällige Trittbrettfahrerprobleme der Organisation gelöst haben, vergeht eine längere Zeit, i n der sich die Märkte unbehindert entfalten können. Der daraus erwachsende Wohlfahrtsgewinn stimuliert über eine Erhöhung der Zeitpräferenzrate allerdings eine wachsende Ungeduld m i t der marktwirtschaftlichen Verteilung. Diese Ungeduld kann i m Wege der von Weizsäcker aufgezeigten Rückkopplung an die Präferenzen leicht über das ursprüngliche Ziel hinausschießen. Das Ergebnis ist eine sich rasch ausbreitende und intensivierende Regulierung der Marktprozesse. Es wäre nun i n gewisser Weise tröstlich, wenn Regulierungsprozesse über die von ihnen ausgelösten Krisen i n geradezu selbstheilender Weise die Entregulierung einleiten würden. Diese Hoffnung ist jedoch unbegründet. Regulierungen beginnen zwar häufig m i t Krisen, sie werden indessen nicht häufig i n Krisen wieder beseitigt. Das ist eine Folge β C. C. von Weizsäcker, Staatliche Regulierung — positive u n d normative Theorie, Schw. Zft. V W u. Stat. 343, Heft 3 (1982) auf S. 340,

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des spezifischen Entstehens von Regulierungen. Die Capture Theory weist zwar zutreffend darauf hin, daß kleine, wohl-organisierte Interessentengruppen Begünstigungen nachfragen. Daß sie es aber m i t Erfolg tun können, das hängt, wie von Weizsäcker feststellt, entscheidend davon ab, ob ihre Nachfrage i n den Augen der politischen Mehrheit auch legitim ist. Krisenzeiten sind aber ein hervorragender Hintergrund zur Legitimierung von Regulierungen. Da Regulierungen häufig i n Krisen entstehen, werden sie anfänglich ohne Berücksichtigung von etwaigen Nebeneffekten i n allgemein, gar vage gehaltener Form eingeführt. Die mit der Durchführung der Regulierung beauftragte Behörde hat i n dieser Anfangsphase noch einen großen Ermessensspielraum. 9 I h n füllt sie i n der Konsolidierungsphase durch Konkretisierung aus. Dabei bevorzugt sie einfache Regeln und summarische Verfahren anstelle von komplexen, auf den Einzelfall bezogene Entscheidungen. Einfache Regeln haben ein geringes Fehlerrisiko, sie erscheinen als fair, sie sind leicht zu überwachen. Seitens der regulierten Firmen sind sie leicht zu antizipieren und i n ein strategisches K a l k ü l einzubauen. Sie erhöhen den Grad der Kooperation zwischen regulierender Behörde und regulierter Branche. A u f vielfältige Weise entsteht so die bekannte Ineffizienz und Fehlanpassung der Branche. Damit t r i t t die Regulierung i n die Phase der Krise ein, die nach Entregulierung ruft. Eine Entregulierung bedroht jedoch die Interessen der Regulierenden und der Regulierten. Die Regulierenden verlieren Kompetenzen, wenn der behördliche Eingriff durch den Wettbewerb als Ordnungsprinzip ersetzt wird. Und die Regulierten verlieren Schutz vor Wettbewerb, Renten und Privilegien, wenn die Regulierung abgebaut wird. Regulierende und Regulierte vereinigen sich deshalb i n dem Bestreben, die Entregulierung zu verwässern. Damit mündet die Regulierung nicht i n die Entregulierung, sondern i n die Verwässerung der Entregulierung. Folgt man der Neumann-Ohlson-Theorie einer wachsenden Ablehnung wettbewerblicher Marktprozesse, dann w i r d die Nachfrage nach Regulierung erst einsetzen, wenn die Branche die Phase der stürmischen Entwicklung bereits hinter sich hat und wenn die Phase der Oligopolisierung des Marktes beginnt, wenn die Wettbewerber also bei der Preis- und Investitionspolitik die Reaktionsverbundenheit zu spüren be» Vgl. zum folgenden J. Finsinger, Eine positive Theorie der Regulierung entwickelt am Beispiel der Geschichte des Kraftverkehrsversicherungsmarktes, Wissenschaftszentrum Berlin, I I M / I P 84 - 10, A p r i l 1984, Ch. Β. Blankart, J. Finsinger, W a r u m werden wettbewerbsfördernde Maßnahmen verwässert, W u W 688 - 692, Heft 9 (1983).

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kommen. Je größer ihre Angebotselastizität ist, u m so heftiger erfahren sie die Intensität der Reaktionsverbundenheit. Diese Erfahrung ist auch u m so stärker, je geringer die Preis- und die Einkommenselastizität der Nachfrage ist. 1 0 Aus dieser Datenkonstellation ergibt sich dann eine spezifische Nachfrage nach Regulierungsmaßnahmen. Jede Regulierungsmaßnahme, welche die Grenzkosten erhöht, w i r d aus zwei Gründen willkommen sein. Sie reduziert zum einen die individuellen Angebotselastizitäten der Firmen und sie senkt damit die verspürte Wettbewerbsintensität. Zum anderen erhöht sie ceteris paribus die Gewinne aller Branchenmitglieder. Dadurch steigt das Potential der monopolistischen Renten an. Dieses Potential w i r d dann i m weiteren Verlauf durch renten-suchende Aktivitäten zum größten Teil i n Kosten transformiert. I m Umkehrschluß kann man nun ableiten, i n welchen Branchen Entregulierungen möglicherweise erfolgreich werden. 1 1 Es müssen Branchen sein, die eine relativ hohe Preiselastizität der Nachfrage aufweisen und i n denen die Nachfrage auf Grund ζ. B. einer hohen Einkommenselastizität der Nachfrage rasch wächst. Solche Branchen sind beispielsweise der Luftverkehr und die Telekommunikation. I n Branchen m i t niedrigen Elastizitätswerten sind die durch die Entregulierung bedrohten Renten so hoch, daß sie auf erbitterten Widerstand stoßen und wahrscheinlich das Schicksal der Verwässerung erleiden werden.

10 So argumentiert auch N. Eickhoff, Wettbewerbspolitische Ausnahmebereiche u n d staatliche Regulierung, 36 Jb. Soz. Wiss. 63 - 79 (1985). 11 Vgl. Ch. Β . Blankart, Ökonomie der Öffentlichen Unternehmung, S. 179 181, München 1980.

Normative Bestimmung des Regulierungsbereichs Von Jörn Kruse, Hamburg I. Einleitung Nachdem noch i n den 70er Jahren i n der Bundesrepublik die Frage des „Marktversagens" eine zentrale Rolle i n der wirtschaftspolitischen Diskussion spielte, hat sich i n der Zwischenzeit das Augenmerk der Ökonomen stärker auf die verschiedenen Aspekte des „Staatsversagens" gerichtet. Dies gilt i n besonderem Maße für die verschiedenen Eingriffe des Staates i n einzelne Branchen und Unternehmen, die unter dem Begriff „Regulierung" zusammengefaßt werden. 1 Angesichts der großen Zahl staatlicher Eingriffe i n Unternehmensentscheidungen und Marktprozesse, ihren weitreichenden Wirkungen und den häufig damit verbundenen Ineffizienzen w i r d zunehmend dringlicher die Berechtigung der Regulierung i n Frage gestellt und eine weitgehende Deregulierung gefordert. Die aktuelle ökonomische Diskussion steht dabei i n der Gefahr, den Bogen für Deregulierungen zu überspannen und damit an Überzeugungskraft und Implementationschancen i m politischen Raum einzubüßen. Die Realisierung dringend erforderlicher Deregulierungsmaßnahmen würde dadurch eher erschwert. Benötigt w i r d zunächst eine ökonomisch fundierte Bestimmung der Grenze zwischen deregulierungsfähigen und regulierungsbedürftigen Bereichen. Der vorliegende Aufsatz ist ein solcher Beitrag zur normativen Theorie der Regulierung. Er untersucht, (1) welche der gegenwärtig typischerweise regulierten Bereiche für eine Deregulierung i n Frage kommen und für welche ein objektiver Regulierungsbedarf besteht, und (2), welche institutionellen Konsequenzen für die einzelnen Bereiche gezogen werden sollten. Die verschiedenen Regulierungsinstrumente haben sehr unterschiedliche Eingriffs-Intensitäten, nach denen w i r sie i n zwei Gruppen unterteilen wollen. Die Gruppe 1 m i t hoher Eingriffs-Intensität besteht i m ι Vgl. allgemein zur Regulierung Α. E. Kahn, The Economics of Regulation: Principles and Institutions, 2 Bde. New Y o r k 1970 u n d 1971; S. Brey er, Regulation and its Reform, Cambridge, Mass., 1982; J. Müller u n d I. Vogelsang, Staatliche Regulierung, Baden-Baden 1979; E. Kauf er, Theorie der öffentlichen Regulierung, München 1981.

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wesentlichen aus (a) der Preis-Regulierung und (b) der Marktzutritts-, -austritts- und Kapazitäts-Regulierung. Solche Regulierungsmaßnahmen bedürfen zu ihrer ökonomischen Begründung des Nachweises grundlegender Funktionsmängel der marktlichen Prozesse i n den betreffenden Bereichen. Zu einer Gruppe 2 mit relativ geringer (wenngleich i n sich unterschiedlicher) Eingriffs-Intensität können Qualitätsstandards, Informationsvorschriften, Kontrahierungsbedingungen usw. zusammengefaßt werden. Solche Regulierungsmaßnahmen können häufig m i t Informationsmängeln, Kollektivgutproblemen und/oder hohen Transaktionskosten vor allem für Haushalts- und Kleinverbraucher (HuK) begründet werden und sind i n ihren Erscheinungsformen meist stark einzelfallbezogen. Die folgenden Erörterungen werden sich auf die Gruppe 1 beschränken, die die gravierendsten Probleme für die Regulierung und Deregulierung beinhaltet. Der Maßstab der Analyse ist die gesamtwirtschaftliche Effizienz, die i n die drei Subkriterien der allokativen, technischen und qualitativen Effizienz unterteilt werden kann. Die allokative Effizienz bezieht sich auf die optimalen Mengen und Preise vorgegebener Produkte bei vorgegebenen Präferenz- und Kostenfunktionen. Sie ist i m einfachsten Fall bestimmt durch die Regel „Preis gleich langfristige Grenzkosten" und genereller ζ. B. bei Mehrproduktproduktion und/oder durchgängigen Scale Economies durch die Ramsey-Preisregel. Technische Effizienz ist gleichbedeutend mit der gesamtwirtschaftlich kostenminimalen Produktion eines vorgegebenen Output. Von qualitativer Effizienz kann bei vorgegebenen Kostenstrukturen dann gesprochen werden, wenn die qualitativen Merkmale der Produkte und das Ausmaß der Produktdifferenzierung den Präferenzen der Kunden entspricht. A u f funktionierenden Wettbewerbsmärkten erwarten w i r , daß alle drei Kriterien annähernd erfüllt sind, bzw. signifikante Ineffizienzen allenfalls vorübergehend sind und vom Invisible-Hand-Mechanismus quasi automatisch beseitigt werden. Wenn w i r von der Existenz regulierungsfreier, einigermaßen effizienter Wettbewerbsmärkte als „idealtypischen Normalfall" einer Marktwirtschaft ausgehen, besteht die A u f gabe einer normativen Regulierungstheorie i n der Identifizierung derjenigen ökonomischen Faktoren, die i n bestimmten Branchen das marktlich effiziente Funktionieren dauerhaft be- oder verhindern bzw. das Weiterbestehen von Ineffizienzen ermöglicht. Wenn Letzteres gegeben ist, sprechen w i r von der Existenz eines Regulierungsbedarfs. I n Abschnitt I I w i r d die These begründet, daß ein Regulierungsbedarf durch die Kombination von Subadditivität und Irreversibilität geschaf-

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fen wird. Abschnitt I I I skizziert einige ordnungspolitische Folgerungen hinsichtlich Deregulierung bzw. Regulierungs-Reform. I I . Regulierungsbedarf durch Subadditivitäten und Irreversibilitäten Marktliche Funktionsmängel mit der Folge von Ineffizienzen werden i m weiteren auf die beiden ökonomischen Strukturmerkmale „Subadditivität" und „Irreversibilität" zurückgeführt. Dazu w i r d hier die These vertreten, daß ein objektiver Regulierungsbedarf besteht, wenn ein Bereich sowohl Subadditivität als auch Irreversibilität aufweist. Zur I l l u stration dient die Vierfelder-Darstellung der Abb. 1. I L I Subadditivität bzw. Natürliches Monopol

Eine Standardbegründung für Regulierung i n vielen Sektoren ist das sogenannte Natürliche Monopol, das durch die Subadditivität der Kostenstruktur für einen vorgegebenen Output definiert ist. Subadditivität bedeutet, daß ein bestimmter Output von einem einzelnen Unternehmen zu geringeren Totalkosten produziert werden kann als von jeder größeren Zahl von Unternehmen. Die Ursache für das Vorliegen subadditiver Kostenstrukturen besteht typischerweise i n der Existenz signifikanter Economies of Scale und/ oder Economies of Scope (Verbundvorteile zwischen verschiedenen Produkten), auch wenn dies i m theoretischen Sinne keine notwendige Voraussetzung ist. 2 M i t dem Argument, ein bestimmter Bereich sei ein Natürliches Monopol, sind häufig sowohl Preisregulierungen als auch institutionelle Marktzugangsbarrieren 3 gerechtfertigt worden. Letztere machen jedoch gleichzeitig einen marktlichen Falsifikationstest auf die Subadditivitäts-Hypothese unmöglich. Empirische Untersuchungen zur Subadditivität bzw. zum Ausmaß der Economies of Scale und/oder Scope werfen i n einigen Fällen erhebliche methodische und Datenprobleme auf. Trotzdem sind zur Veranschaulichung für einige regulierte Wirtschaftszweige bzw. einzelne Produktionsstufen derselben i n Spalte (3) von Abb. 2 4 einfache Klassi2 Vgl. W. J. Baumol , O n the Proper Cost Tests for Natural Monopoly i n a Multiproduct Industry, in: American Economic Review 67 (1977), 809 - 822. » Institutionelle Markteintrittsbarrieren sind solche, die sich aus staatlichen Gesetzen, Verordnungen, Satzungen etc. ergeben bzw. durch solche ermöglicht werden, oder als Folge einer restriktiven Praxis staatlicher Lizenzveraben entstehen. 4 Abb. 2 i m Anhang.

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MarktIrreversibilität

hoch

3

4

gering

1

2

Com testable Marh :ets geringe rei. Economies of Scale / Scope

hohe rei. Economies of Scale / Scope Subadditivität

Abb. 1: Subadditivität u n d Irreversibilität

fizierungen vorgenommen worden 5 , die sich teils aus vorliegender empirischer Evidenz ergeben und teils auf Plausibilität beruhen. 6 Eine solche Einteilung muß m i t einer Reihe von Vorbehalten versehen werden. Nicht berücksichtigt sind hier unter anderem regionale Unterschiede (Besiedlungs- bzw. Verbrauchsdichte) und die nur schwer quantifizierbaren Kosteneffekte einer Netzbildung. Die vorliegende empirische Evidenz besagt, daß 1. wesentliche Teilbereiche der mit dem Argument des Natürlichen Monopols durch institutionelle Eintrittsbarrieren vor Wettbewerb geschützten Branchen nicht subadditiv sind, ß Die Angabe der Subadditivität i n Spalte (3) v o n Abb. 2 bedeutet nicht notwendigerweise, daß der betrachtete Bereich als Ganzes subadditiv ist, sondern nur, daß dies mindestens für wesentliche Teilbereiche gilt. β F ü r genauere Belege zu einzelnen Studien vgl. J. Kruse, Ökonomie der Monopolregulierung, Hamburger Habilitationsschrift, erscheint 1985.

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2. die Verteil- und Schienen-Netze von Versorgungs-, Kommunikations- und Verkehrs-Industrien typischerweise Natürliche Monopole darstellen. Signifikante Kostendegressionen mit steigender Versorgungsdichte sind der Grund dafür, daß eine wettbewerbliche Organisation dieser Bereiche zu höheren Totalkosten führen würde, 3. keine nennenswerten Kostenvorteile einer horizontalen Ausweitung zu größeren Versorgungsgebieten bestehen. Einen Regulierungsbedarf schafft das Natürliche Monopol allein jedoch noch nicht, wie w i r am theoretischen Extremfall eines „Contestable Market" 7 erörtern können. Ein Contestable Market ist durch eine Reihe restriktiver, theoretischer Prämissen definiert. Dazu gehört völlig freier und kostenloser Marktein- und -austritt, was die Abwesenkeit von Irreversibilitäten voraussetzt. A u f solchen Märkten w i r k t die potentielle Konkurrenz möglicher Newcomer auch bei Abwesenheit aktueller Wettbewerber disziplinierend und führt i m Ergebnis zu technischer und allokativer Effizienz. I n einem Contestable Market ist unter der Bedingung homogener Produkte auch ein etabliertes Unternehmen i m Natürlichen Monopol nur dann gegen Marktzutritt von Newcomern resistent, wenn es kostenminimal produziert und ohne supranormale Gewinne den Markt beliefert. Darüber hinaus bestehen starke Anreizwirkungen i n Richtung auf qualitative Effizienz, da ein monopolistisches Angebot m i t präferenzinadäquaten Qualitätsmerkmalen die Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Newcomer-Zutritts mit einem differenzierten Produkt erhöht. I n Märkten, bei denen die Kostenstrukturen der Unternehmen keinerlei Irreversibilitäten aufweisen, besteht auch kein Regulierungsbedarf. Solche Bereiche sind klassische Kandidaten für eine vollständige Deregulierung. Das Standardbeispiel i n der Literatur ist der Flugverkehr 8 , der auch dort weitgehend contestable bleibt, wo eine einzelne Flugrelation subadditiv ist. II.2 Irreversibilität

Von ordnungspolitisch größerer Bedeutung (als die Subadditivität) ist die „Irreversibilität" 9 , die die prinzipiell gleiche Eigenschaft von 7 Vgl. W. J. Baumol , J. C. Panzar u n d R. D. Willig , Contestable Markets and the Theory of Industry Structure, New Y o r k 1982, u n d W . J . Baumöl, Contestable Markets: A n Uprising i n the Theory of Industry Structure, in: American Economic Review 72 (1982), 1 - 15. » Vgl. E. E. Bailey u n d J. C. Panzar , The Contestability of A i r l i n e Markets during the Transition to Deregulation, i n : Journal of L a w and Contemporary Problems 44 (1981), 125 - 145. β Vgl. hierzu genauer J. Kruse, a.a.O., Kap. 1.

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Kostenstrukturen kennzeichnet wie „Sunk Costs". Irreversibilität entsteht durch Investitionen i n idiosynkratische Produktionsfaktoren, die auf eine mehrperiodische Nutzung ausgelegt und nicht ohne Wertverluste i n andere ökonomische Verwendungen transferierbar sind. M i t der Höhe der Irreversibilität der Kostenstruktur eines Produktionsbereichs wachsen auch die Marktaustrittsbarrieren für den Fall rückläufiger Nachfrage bzw. sinkender Preise und damit verbundener Verluste. Dies w i r d bestimmt durch die Höhe der irreversiblen (nicht lediglich der fixen) 10 Kosten an den kalkulatorischen Gesamtkosten einer Periode und durch die Länge der ökonomischen Lebensdauer der idiosynkratischen Produktionsfaktoren. Die durch die Irreversibilität bewirkten Austrittsbarrieren und die damit zusammenhängenden Verluste bei rückläufiger Nachfrage bestimmen bei Unsicherheit über die zukünftige Marktsituation das unternehmerische Risiko der Markteintritte bzw. der Investitionen. Dessen Antizipation w i r k t für potentielle Newcomer unter bestimmten Umständen wie eine natürliche Markteintrittsbarriere. Von wesentlicher Bedeutung ist die Unterscheidung i n IndustrieIrreversibilität und Markt-Irreversibilität. 1 1 I n einem gewissen Umfang industrie-irreversibel ist fast jedes branchenspezifische Investitionsgut, zum Beispiel eine Zapfsäule für das Tankstellengewerbe. Die meisten Branchen weisen solche Industrie-Irreversibilitäten auf. 12 Die MarktIrreversibilität bezieht sich auf einen von der Nachfrageseite her relevant abgegrenzten Markt, also zum Beispiel eine bestimmte Verkehrsrelation von A nach B, die Versorgung einer Straße m i t Wasser, Telefon usw. Bezogen auf alle Branchen der Wirtschaft ist signifikante Marktirreversibilität kein weitverbreitetes Phänomen, da meist die Verfügbarkeit preisgünstiger Transportmöglichkeiten einen Transfer zwischen einzelnen Märkten möglich macht. Wenn die gesamte Industrie als ein Markt betrachtet werden muß, gehen beide Irreversibilitäten ineinander über. 10 Die fixen Kosten einer Periode können w i r i n reversible u n d irreversible Fixkosten unterteilen. Die Kosten des Flugbetriebs A nach Β sind zwar fix (d.h. fast unabhängig v o n der Z a h l der Passagiere), aber nicht irreversibel, da sie entfallen, w e n n Fluggerät u n d Personal auf andere Flugrelationen transferiert werden, was hier m i t sehr geringen Kosten möglich ist. Dies ist bei verlegten Rohren, Kabeln oder Schienen nicht der Fall. 11 Eine weitere Steigerung ist die Transaktions-Irreversibilität bezüglich eines bestimmten Marktpartners. Vgl. die transaction specific investments bei Ο. E. Williamson , Transaction-Cost Economics: The Governance of Contractual Relations, in: Journal of L a w and Economics 22 (1979), 239 ff. is E i n Beispiel für eine Investition, die nicht industrieirreversibel ist, ist diejenige i n ein T a x i — es sei denn, es werden bestimmte Wagen n u r als Taxis verwendet.

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Hohe Marktirreversibilität i n wettbewerblichen Märkten — vgl. Feld 3 i n Abb. 1, Beispiele: Hotelgewerbe, Wohnungswirtschaft, Vermietung von Tennisanlagen — bewirkt für die Unternehmen ein hohes Risiko, wenn erhebliche Unsicherheiten über die Marktbedingungen während der ökonomischen Nutzungszeit der Investitionsgüter bestehen. Diese Risiken gehen i n die Markteintritts- und Investitionsentscheidungen ein, indem m i t höheren, risikokompensierenden Gewinnaufschlägen kalkuliert wird. Ein Regulierungsbedarf besteht i n solchen Bereichen nicht — auch wenn der Abbau von Marktungleichgewichten und Ineffizienzen typischerweise länger dauert als bei geringerer Irreversibilität und häufig ein Interesse an Regulierung auf Seiten der Anbieter oder Nachfrager geäußert wird. II.3 Kombination von Marktirreversibilität und Subaditivität

Eine ganz andere ordnungspolitische Qualität gewinnen hohe Marktirreversibilitäten i n Kombination mit weitreichenden Scale Economies bzw. mit Subadditivitäten. Dies folgt aus der Asymmetrie zwischen dem etablierten Unternehmen und potentiellen Newcomern bezüglich ihrer Opportunitätskosten. Betrachten w i r das Markteintrittskalkül eines potentiellen Newcomers: Wenn ein etabliertes Unternehmen i n einem natürlichen Monopol die Nachfrager beliefert und dann ein Newcomer m i t einer Betriebsgröße i n den Markt eintritt, die für diesen die kostenminimale Produktion ermöglicht, bestehen erhebliche Überkapazitäten. Aufgrund seiner durch die irreversiblen Investitionen bedingten Kostenstruktur ist es für den vormaligen Monopolisten die gewinnmaximale Reaktion, den Preis des Newcomers zu unterbieten, u m seine eigene Kapazität auszulasten. Dies ist rational, solange der Preis noch seine reversiblen Stückkosten deckt. Eine solche, für beide Unternehmen verlustbringende Post-EntrySituation w i r d vom Newcomer antizipiert, der seinerseits für eine Markteintrittsentscheidung m i t totalen Stückkosten kalkulieren muß. Durch die antizipierte Reaktion des etablierten Monopolisten und die Tatsache, daß der Newcomer ebenfalls mit seinem Eintritt marktirreversible Investitionen tätigt, entsteht für i h n eine natürliche Markteintrittsbarriere. I n dem Maße, i n dem solche Eintrittsbarrieren für Newcomer bestehen, w i r d die Position des etablierten Unternehmens als „resistent" bezeichnet. Für einen etablierten Monopolisten kann unter diesen Bedingungen sogar dann Resistenz gegeben sein, wenn er selbst erhebliche Ineffizienzen bezüglich seiner Kosten, Preise und Qualitäten aufweist. Je

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höher nun die Irreversibilitäten und je ausgeprägter die Subadditivitäten sind, desto sicherer w i r d das Monopolunternehmen auch ohne institutionelle Zugangsbarrieren vor Wettbewerb sein. Nachlassende Kostendisziplin, überhöhte Preise und falsche Preisstrukturen, inadäquate Produktpolitik, geringe Innovationsbereitschaft usw. sind i m Zeitablauf die typischen Folgen einer solchen Marktstellung. Da hier der Marktmechanismus zur Wiederherstellung von Effizienz versagt, besteht Regulierungsbedarf. I n Spalte 4 von Abb. 2 sind — m i t den gleichen Bedenken bezüglich der Vereinfachung wie bei der Subadditivität — die Marktirreversibilitäten verschiedener Regulierungsbereiche klassifiziert worden. Das hervorstechende Ergebnis für die Versorgungswirtschaft ist die hohe Marktirreversibilität von Leitungssystemen. Das Gleiche gilt analog für die Telekommunikation und bezüglich der Schienennetze für Eisenund U-Bahnen, sowie für Pipelines. Da diese i n den meisten Fällen auch subadditiv sind, besteht hier also Regulierungsbedarf. Eine hohe Marktirreversibilität ist dagegen häufig nicht gegeben i n der eigentlichen Produktion der Versorgungsgüter — vorausgesetzt, sie sind institutionell von den Leitungsnetzen getrennt. Bei einer vertikalen Integration wie i n der Bundesrepublik sind damit defacto auch die Produktionsanlagen marktirreversibel, so daß hohe Zugangsbarrieren für den Gesamtbereich bestehen. Entsprechendes gilt für Müllabfuhr und -Verbrennung, und würde gelten für Kabelfernsehverteilung und Programmproduktion. Ähnliches gilt bezüglich einer möglichen institutionellen Integration von Infrastruktur und Fahrzeugen bei verschiedenen Verkehrsträgern. Die durch Irreversibilitäten erzeugten, natürlichen Markteintrittsbarrieren, die einem etablierten Monopolisten i n Feld 4 der Abb. 1 selbst bei Ineffizienz gegebenenfalls noch die Resistenz gewährleisten, werden i n vielen Fällen weiter erhöht durch strategische Eintrittsbarrieren der etablierten Unternehmen. Die i n den letzten Jahren angewachsene Literatur zur strategischen Eintrittsabschreckung findet kaum bessere Anwendungsbeispiele als die hier betrachteten Sektoren. Besonders zu nennen sind Praktiken der internen Subventionierung eventuell eintrittsgefährdeter Teilmärkte, strategische Uberkapazitäten und frühzeitige Monopolisierung nicht vermehrbarer Inputfaktoren. 1 3 M i t der Errichtung solcher strategischer Eintrittsbarrieren, die wiederu m begünstigt werden durch (1) Irreversibilitäten und (2) eine hohe Integration verschiedener Produktbereiche und Produktionsstufen i n is Z u m Beispiel Wege u n d Flächen, Quellen, exklusive Nutzungsrechte u n d Importverträge etc.

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einem Unternehmen, wäre zu rechnen bei einer Abschaffung von institutionellen Zutrittsbarrieren. H.4 Ruinöse Konkurrenz

Gering sind die Marktirreversibilitäten typischerweise bei den nichtschienengebundenen 14 Verkehrsträgern. Sie sind i n Feld 1 von Abb. 1 einzuordnen. Was von einigen Verkehrsbranchen (Binnenschiffahrt, Güterkraftverkehr) als „Ruinöse Konkurrenz" bezeichnet w i r d und häufig als Rechtfertigung für Regulierungseingriffe dient, läßt sich ökonomisch allerdings auf Industrie-Irreversibilitäten zurückführen. Die Verluste durch „ruinöse Preise" bei Nachfragerückgang bzw. Überkapazität sind eine direkte Folge der Austrittsbarrieren durch hohe Irreversibilitäten bzw. geringe reversible Kosten. Auf der anderen Seite bestehen bei Kapazitätsengpässen entsprechende Gewinnmöglichkeiten i m Schutz hoher natürlicher Eintrittsbarrieren. Längerfristig lassen sich diese Branchenprobleme auf Informationsmängel beim Markteintritt zurückführen und werden am einfachsten und effizientesten durch informationspolitische Maßnahmen (Beratung) reduziert. Die Auswirkungen der Irreversibilität auf einzelne Transportmärkte werden außer durch die Substitutionskonkurrenz anderer Verkehrsträger noch begrenzt durch die Tatsache, daß sie zwar industriespezifisch, aber nicht marktspezifisch sind, da die Kapazitäten zwischen einzelnen Transportmärkten mobil sind. Wenn die Nachfragebedingungen sich jedoch i n den verschiedenen Teilmärkten weitgehend parallel entwickeln, führt die Industrie-Irreversibilität zu ähnlichen Wirkungen wie die Markt-Irreversibilität. Dies entspricht einer fiktiven Verschiebung von Feld 1 zu Feld 3 i n Abb. 1. Es besteht jedoch weder i n Feld 1 noch i n Feld 3 ein Regulierungsbedarf. Hier bietet sich also ein weites Feld für Deregulierung. I I I . Ordnungspolitische Folgerungen Die folgenden ordnungspolitischen Empfehlungen können w i r i n zwei generelle und drei feldspezifische unterteilen. I I I . 1 Institutionelle Desintegration

Eine generelle ordnungspolitische Folgerung aus den Überlegungen und Ergebnissen des vorangegangenen Abschnitts ist das Postulat einer weitgehenden institutionellen Desintegration (Entflechtung von UnterGemeint ist m i t dem üblichen Begriff „nicht-schienengebunden" meist der allgemeinere Sachverhalt, daß der Verkehrsbetrieb v o n der Erstellung der Verkehrsinfrastruktur institutionell separiert ist. 3 Konjunkturpolitik, Beiheft 32

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nehmen bzw. Auflösung von langfristigen Ausschließlichkeitsbindungen) i n vertikaler, horizontaler und gegebenenfalls (Bundespost, kommunale Versorgungsbetriebe) konglomerater Richtung. I n einer Reihe problematischer Regulierungsbereiche sind die konstitutiven Faktoren Subadditivität und Irreversibilität unterschiedlich für verschiedene Produktionsstufen. 15 I n diesen Fällen bewirkt die institutionelle Integration defacto eine Übertragung sowohl der Subadditivität wie der Irreversibilität auf die jeweils anderen Bereiche und erzeugt somit höhere Eintrittsbarrieren für Newcomer und höhere Marktzutritts-Resistenzen als dies i n den einzelnen Teilbereichen der Fall wäre. Eine Unternehmens-Entflechtung i n vertikaler Richtung zwischen den Produktionsstufen und horizontal entsprechend der jeweiligen Gegebenheiten (ζ. B. Ortsnetze) ermöglicht differenzierte ordnungspolitische Entscheidungen. A u f einigen Stufen w i r d dadurch funktionierender Wettbewerb möglich. Außerdem werden die interne Subventionierung und damit sowohl die direkten allokativen Ineffizienzen als auch die Möglichkeiten zur strategischen Eintrittsabschreckung stark reduziert. Der Informationsgehalt, die Vergleichs- und Kontrollmöglichkeiten der Unternehmensbereiche werden erhöht usw. Falls i n einzelnen Fällen erhöhte Transaktionskosten der Koordination zwischen den Stufen auftreten sollten, dürften diese von den genannten und anderen Vorteilen i n der Regel weit überwogen werden. ΙΠ.2 Abbau von institutionellen Marktzugangsbarrieren

Es ergibt sich aus den bisherigen Erörterungen keine ökonomisch rationale Begründung, warum die Unternehmen durch institutionelle Zugangsbarrieren vor Wettbewerb geschützt werden sollten. I m Gegenteil — sie bewirken fast immer technische und qualitative Ineffizienzen. Institutionelle Marktzugangsbarrieren sind zudem typischerweise besonders dauerhaft, unflexibel bei ökonomischen Veränderungen, beeinflußbar durch politische und Gruppeninteressen usw. Eine gängige Begründung für institutionelle Eintrittsbarrieren ist die Verhinderung sogenannten Rosinenpickens (Cream Skimming) von Newcomern i n Märkten etablierter Unternehmen. Da dies ein wohlfeiles Argument für die Verteidigung jedweden Status quo geworden ist, muß es besonders kritisch betrachtet werden. Grundsätzlich gilt, daß es i n einem Markt nur Rosinen gibt, wenn das bisherige Angebot technisch, allokativ und/oder qualitativ ineffizient 15 Vgl. hierzu Abb. 2.

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war. Institutionelle Eintrittsbarrieren würden diesen Zustand zementieren. Die theoretisch mögliche Unsustainability eines Natürlichen Monopols 16 liefert hierzu kein ordnungspolitisch relevantes Gegenargument, da dies auf gänzlich unrealistischen Kostenstrukturen und Verhaltensprämissen beruht. Selbst wenn es i n besonderen Ausnahmefällen Konstellationen geben sollte, bei denen ein Markteintritt profitabel ist, der zu einer gesamtwirtschaftlichen Kostensteigerung führt, spricht alles dafür, daß dieser Effekt wesentlich kleiner ist als die disziplinierende Wirkung freien Marktzugangs für die technische, allokative und qualitative Effizienz. Solche gemeinwirtschaftliche Auflagen, die durch bewußte Abweichungen von den effizienten Preisstrukturen zum Beispiel verteilungsoder regionalpolitische Ziele anstreben (ζ. B. Sozialtarife, Tarifeinheit i m Raum) würden durch Markteintritte unterlaufen werden. Dies ist ein häufig angeführtes Rosinenpicker-Argument. Hier dürfte jedoch generell gelten, daß die betreffenden Ziele durch direkte Transfers oder Subventionen bzw. Steuern wirksamer, transparenter und m i t weit geringeren Effizienzverlusten erreichbar sind als durch institutionelle Markteintrittsbarrieren. I n vielen Fällen können bestimmte Auflagen (ζ. B. Qualitätsstandards) auch auf die Newcomer angewendet werden, so daß von daher kein Grund für einen Zugangsausschluß besteht. Erheblich größere Probleme w i r f t die Frage des Rosinenpickens jedoch auf, wenn die Erfüllung von Auflagen, die i m Interesse der Gesamtheit der Kunden liegen, irreversible Investitionen erforderlich macht. Der typische Fall hierfür ist der Aufbau von Reservekapazitäten zur Herstellung einer höheren Versorgungssicherheit. Newcomer-Eintritt ist unter solchen Bedingungen sowohl profitabel möglich als auch gesamtwirtschaftlich unerwünscht, da es die Gesamtkosten erhöht. Hier ist die Ausdehnung der Auflagen auf die Newcomer nicht sinnvoll. Eine Abgeltung der Vorhaltung von Reservekapazitäten w i r f t erhebliche Transaktionsprobleme auf und erzeugt Asymmetrien für den intendierten Wettbewerbsprozeß. Hieraus w i r d deutlich, daß es i n bestimmten Ausnahmefällen durchaus effizienzorientierte Gründe für die Errichtung institutioneller Marktzugangsbarrieren geben kann. Deren negative Wirkungen auf die Effizienz können jedoch i m Gegensatz zur gegenwärtigen Praxis 16 Vgl. G. R. Faulhaber, Cross-Subsidization: Pricing i n Public Enterprises, in: American Economic Review 65 (1975), 966 - 977; Baumol, Panzar, u n d Willig, a.a.O., Kap. 8. 3*

J ö r n Kruse

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gering gehalten werden, wenn die Zutrittsbarrieren zeitlich, sachlich und regional begrenzt und differenziert werden. Dadurch können die jeweiligen Marktgegebenheiten, die Lebensdauer der idiosynkratischen Produktionsfaktoren, technischer Fortschritt, Nachfragedynamik usw. berücksichtigt werden. Generell gilt jedoch, daß der überwiegende Teil der aktuell bestehenden institutionellen Markteintrittsbarrieren abgebaut werden sollte. Das eigentliche Problem ist jedoch — wie oben erläutert — daß auch ohne institutionelle noch genügend andere Eintrittsbarrieren bestehen, die das Funktionieren der Marktprozesse beeinträchtigen. III.3

Deregulierung der nicht-subadditiven Bereiche

I n den wettbewerblichen Bereichen (Felder 1 und 3) liegen keine grundlegenden Funktionsmängel marktlicher Prozesse vor. Sie können — was die eingriffsintensive Preis- und Zugangs-Regulierung betrifft — weitgehend dereguliert werden. Dies gilt insbesondere für die nichtschienengebundenen Verkehrsträger, aber auch für die Gelbe Post (ohne Zustellung), sowie Banken und Versicherungen. Für diese ist i m Einzelfall zu prüfen, welche Maßnahmen der zweiten Regulierungsgruppe (vgl. Abschnitt I) per saldo zu Vorteilen gegenüber einer gänzlich freien Kontrahierung führt. Soweit öffentliche Unternehmen betroffen sind, sollten hier ebenso wie i n anderen Feldern die „Besonderheiten" bezüglich Besteuerung, Arbeitsbeziehungen usw. abgebaut werden, u m faire Wettbewerbsbedingungen herzustellen. ΠΙ.4 Natürliche Monopole mit geringer Irreversibilität

Das Feld 2 der Abb. 1 ist gekennzeichnet durch Subadditivität und allenfalls geringe Marktirreversibilität. Als ordnungspolitische Lösung bieten sich hierfür Ausschreibungsverfahren (Franchise Bidding) 1 7 an, durch die die jeweilige Produktionsaufgabe an denjenigen unter mehreren Bewerbern übertragen wird, der die günstigsten Konditionen bietet. Damit besteht ein Wettbewerb um den Markt m i t den damit verbundenen Effizienzwirkungen, ohne daß auf die Ausschöpfung der Subadditivitäten verzichtet werden muß. Allerdings besteht auch hier ein kollektiver Handlungsbedarf bezüglich der Entscheidungen der Ausschrei17 Vgl. zu Ausschreibungsverfahren i m Regulierungskontext H. Demsetz, W h y Regulate Utilities? in: Journal of L a w and Economics 11 (1968), 55 - 65; Ο. E. Williamson , Franchise Bidding for Natural Monopolies — I n General and w i t h Respect to C A T V , i n : B e l l Journal 7 (1976), 73 - 104; H. Gröner, Die Ordnung der deutschen Elektrizitätswirtschaft, Baden-Baden 1975, 425 ff.; R. Schmalensee, The Control of Natural Monopolies, Lexington 1979, Kap. 5; J. Kruse, a.a.O. Kap. 6.

Normative Bestimmung des Regulierungsbereichs

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bungsinstanz (Produktdefinition, Zuschlag, Vertragsgestaltung usw.). Kandidaten für eine Organisation durch Ausschreibungen sind die M ü l l abfuhr, der Betrieb von Buslinien, die Brief- und Paketzustellung, sowie einzelne Produktionsaufgaben der Versorgungswirtschaft. Beim Übergang von Feld 2 i n Richtung 4 verliert das Franchise-Bidding-Verfahren zunehmend Teile seiner Effizienzeigenschaften, wenn langlebige, marktirreversible Produktionsanlagen involviert sind, deren Technologie die Effizienz wesentlich mitbestimmt. Dies beruht vor allem auf Problemen der anreizkompatiblen Anlagen-Transfers von einem Franchise-Nehmer zum nächsten und den dadurch induzierten Verzerrungen des Wettbewerbs zwischen dem etablierten und anderen Unternehmen. Ungeeignet für Ausschreibungen sind also anlagenintensive Industrien bei starkem technischen Fortschritt oder schnellen Präferenzveränderungen (ζ. B. i n der Telekommunikation). I I I . 5 Der harte Kern der Monopolregulierung

Für das Feld 4 mit der Kombination von Subadditivität und Irreversibilität können aufgrund der vorangegangenen Erörterungen die ordnungspolitischen Folgerungen keine Abschaffung der Regulierung, sondern nur Reformvorschläge beinhalten. Hier sollen nur drei skizziert werden. a) Die berechtigte K r i t i k an der Regulierung sowohl i n den USA als auch i n der Bundesrepublik läßt sich zu einem erheblichen Teil darauf zurückführen, daß die Entscheidungen zu wenig an ökonomischen Effizienzkriterien orientiert sind und zu weitgehende Einflußmöglichkeiten für organisierte Partialinteressen und kurzfristigen politischen Opportunismus bieten. I m Vergleich beider Systeme weist allerdings das amerikanische erhebliche Vorteile auf. Die institutionelle Trennung zwischen Regulierern und Regulierten ist deutlicher ausgeprägt, die Entscheidungen sind wesentlich stärker an ökonomischen Prinzipien orientiert und die Regulierungsinstanzen sind unabhängiger vom allgemeinen politischen Prozeß. Die institutionelle Reform entsprechender Elemente i n der Bundesrepublik würde die Effizienz der regulierten Bereiche verbessern. b) Für einen Teil der Effizienzproblematik, nämlich die Preissetzung, existieren theoretische Optimalitätsbedingungen. Vorgeschlagen w i r d hier die Institutionalisierung von ökonomischen Allokationsregeln, die i n Form von Gesetzen effiziente Preisstrukturen kodifiziert und den Beteiligten einen einklagbaren Anspruch darauf verschafft. Dies führt zu einer Strukturierung der juristischen Argumente nach ökonomischen Prinzipien, zur Entwicklung praktikabler und justiti^bler Subregeln

38

Jörn Kruse

und zu erhöhten Anforderungen an die Aussagekraft und Transparenz von Kostenstrukturen usw. A u f diese Weise w i r d die Regulierung von bisher konfliktbeladenen, diskretionären Entscheidungen entlastet. Außerdem w i r d die Kontrolle der technischen und qualitativen Effizienz erleichtert. c) Der dritte Reformvorschlag bezieht sich auf die Schaffung einer effizienzorientierten Anreizstruktur für die Entscheidungsträger der Regulierung. Die Regulierungsinstanzen sollten sowohl von den regulierten Unternehmen als auch vom allgemeinpolitischen Prozeß so weit wie möglich unabhängig sein. Statt dessen sollten ihre Einkommensund Karriereperspektiven von der erzielten technischen und qualitativen Effizienz abhängig sein. Dies führt zu entsprechenden Anreizen hinsichtlich der Auswahl qualifizierter Manager, der Evaluierung der Kundenpräferenzen, des Widerstandes gegen effizienzmindernde Partialinteressen usw. Eine solche Abhängigkeit könnte i n Form eines kontinuierlichen Wahlprozesses zwischen Kunden und Regulierungsinstanz organisiert sein. 18

18 Für eine genauere Beschreibung und Analyse eines solchen institutionellen Anreizsystems („Kontroll-Wettbewerb") vgl. J. Kruse, a.a.O., Kap. 7.

Normative Bestimmung des Regulierungsbereichs

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Anhang

Industrie

Produktionsstufe

Subadditivität

MarktIrreversibilität

RegulierungsBedarf

(1)

(2)

(3)

(4)

(5)

VERSORGUNGSWIRTSCHAFT

Strom

Gas

Wasser

Fernwärme Müll

Abwasser

Erzeugung Ferntransport Verteilung H u K Großabnehmer

nein ja ja fraglich

gering hoch hoch hoch

Produktion/ Import Ferntransport Verteilung H u K

nein ja ja

gering hoch hoch

X X

Produktion Transport Verteilung

nein ja ja

idR gering hoch hoch

X X

Produktion Verteilung

nein ja

fraglich hoch

X

Sammlung/ Abfuhr Verbrennung

ja evtl.

gering idR hoch

Haushalte

ja

hoch

X

Ortsnetz H u K Ortsnetz Großkunden Fernverkehr zwischen Schwerpunkten Fernverkehr sonst Endgeräte

ja

hoch

X

fraglich

hoch

fraglich/ nein evtl. nein

hoch hoch gering

Programm Verteilung

nein ja

gering hoch

Annahme/ Transport Zustellung

fraglich ja

fraglich gering

X X

T E L E K O M M U N I K A T I O N u n d POST Telefon etc.

Kabelfernsehen Gelbe Post Briefe u. Pakete

X

X

Jörn Kruse

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Industrie

Produktionsstufe

Subadditivität

MarktIrreversibilität

RegulierungsBedarf

(1)

(2)

(3)

(4)

(5)

VERKEHR Eisenbahn

ja fraglich nein

hoch fraglich gering

X

U-Bahn Straßenbahn

ja

hoch

X

Buslinien

idR nein

gering

Taxi

nein

sehr gering

nein fraglich

sehr gering gering

Güterkraftverkehr

nein

sehr gering

Binnenschiffahrt

nein

gering

Pipelines

ja

hoch

nein nein

sehr gering sehr gering

Flugverkehr

Schienennetz Personenverkehr Güterverkehr

überregional regional

SONSTIGE, zum Beispiel Banken Versicherungen

Abb. 2: Subadditivität u n d Irreversibilität i n verschiedenen regulierten Bereichen

X

Entwicklung und gegenwärtiger Stand der Deregulierungsdiskussion* Von Rudi Kurz, Tübingen I. Einführung und begriffliche Abgrenzung Die gegenwärtige Deregulierungsdiskussion ist Teil einer breiteren Strömung i n Wissenschaft und Politik, die sich gegen eine fortschreitende „Verstaatlichung" der Gesellschaft wendet und der Eigeninitiative des einzelnen wieder verstärkt Geltung verschaffen möchte. 1 I m Verlauf der 70er Jahre hatte das Vertrauen i n die Möglichkeiten staatlicher Interventionen abgenommen, nachdem der — auf das keynesianische Paradigma gestützten — Wirtschaftspolitik praktische Erfolge versagt blieben. A u f der Suche nach Alternativen kam es zu einer Renaissance marktlichen Denkens. Als eine Voraussetzung für mehr Wachstum und Beschäftigung wurde die „Entfesselung" der Marktkräfte diagnostiziert. Deregulierung führt „zu einer Verbesserung der Angebotsbedingungen i n der Wirtschaft" (Sachverständigenrat 1981, Ziff. 433). Dies bedeutet nicht nur Verbesserung der Effizienz i m regulierten Sektor, sondern auch Erhöhung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit derjenigen Sektoren, die auf dessen Vorleistungen angewiesen sind. Die Deregulierungsdiskussion, die bis dahin über eng begrenzte wissenschaftliche Zirkel kaum hinausgedrungen war, wurde damit zum Gegenstand des öffentlichen Interesses. I m folgenden soll zunächst der Wandel i n der Behandlung des Regulierungsproblems i m wissenschaftlich-theoretischen Bereich skizziert werden. Anschließend w i r d auf einige Entwicklungslinien der Deregulierungsdiskussion i n der wirtschaftspolitischen Praxis eingegangen. Beide Ebenen der Deregulierungsdiskussion sind zwar nicht unabhängig voneinander; eine Untersuchung ihres Zusammenwirkens ist hier jedoch nicht möglich und w i r d durch das gewählte Vorgehen ausgeklammert. A m Ende der Ausführungen werden Erkenntnisse, offene Fragen und Perspektiven der Deregulierungsdiskussion angesprochen. * Entstanden i m Rahmen eines v o n der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts. F ü r w e r t v o l l e Anregungen danke ich meinen Kolleginnen u n d Kollegen i m I n s t i t u t für Angewandte Wirtschaftsforschung T ü b i n gen (IAW). ι Vgl. ζ. B. Friedman / Friedman (1979), Giersch (1983), Engels u. a. (1984).

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Rudi Kurz

Erforderlich erscheint vorab eine begriffliche Klärung. Deregulierung bedeutet Abschaffung oder Abschwächung von Regulierung. Regulierung ist eine spezifische Form des staatlichen Eingriffs i n den Wettbewerbsprozeß (bzw. die Vertragsfreiheit, die diesen konstituiert). Sie ist also nicht Teil dessen, was man als „Rahmenbedingungen" oder — m i t Eucken (1952) — als konstituierende und regulierende Prinzipien bezeichnet, die Wettbewerb überhaupt erst ermöglichen bzw. dauerhaft absichern (z. B. Privateigentum, Haftung, Monopolaufsicht). Regulierung unterscheidet sich von anderen Formen der Staatsintervention (z. B. den Subventionen) dadurch, daß sie die Beeinflußung des Wettbewerbsprozesses nicht durch (positive oder negative) Anreize vollzieht, sondern Marktstruktur, Marktverhalten oder/und Marktergebnis ge- oder verbietend vorschreibt. A u f eine weitere Präzisierung der Abgrenzung kann hier verzichtet werden 2 , da sich die Deregulierungsdiskussion i m wesentlichen auf solche Bereiche bezieht, i n denen die Abgrenzungsfrage (also die Frage, ob überhaupt Regulierung vorliegt) unstrittig ist. Konkret sind das i n der Bundesrepublik die durch das GWB i n den §§ 99 - 103 behandelten Ausnahmebereiche, i n den USA die der Obhut von Regulierungskommissionen unterstellten Bereiche, also i m wesentlichen Verkehrs-, Kommunikations-, Agrar-, Kredit-, Versicherungswirtschaft und (Elektrizitäts-, Gas-, Wasser-)Versorgungsunternehmen. 3 Der Begriff Deregulierung w i r d oft i n einen Atemzug genannt — und teilweise auch synonym verwendet — m i t den Begriffen Entbürokratisierung und Privatisierung. Zwischen den drei Problemfeldern bestehen zwar Zusammenhänge und Deckungsmengen, aber keine Identität. (Ent-)Bürokratisierung kann eine Folge von (De-)Regulierung sein; Bürokratiephänomene treten aber nicht nur i n regulierten Bereichen auf; selbst private Großunternehmen sollen nicht ganz frei davon sein. Privatisierung bezeichnet eine bestimmte Form der Deregulierung, die 2 Fließend u n d u m s t r i t t e n ist v o r allem die Grenze zwischen dem unabdingbaren Rahmen, der notwendige Grenzen der Handlungsfreiheit setzt, u n d der willkürlichen staatlichen Einschränkung individueller Handlungsfreiheit. W e n n heute bei einer Vielzahl v o n (wirtschaftlich relevanten) Rechtsvorschriften die Frage nach der Notwendigkeit zur Sicherung der marktwirtschaftlichen Ordnung gestellt w i r d , so ist auch dies Bestandteil der Deregulierungsdiskussion. Bei einer weiten Begriffsfassung gibt es p r a k tisch keine wirtschaftliche A k t i v i t ä t mehr, i n die der Staat nicht regulierend eingreift — „ v o n der Wiege bis zur Bahre u n d v o m morgendlichen Kaffee bis zum abendlichen Fernsehen." (Kaufer 1981, S. V). 3 Abgrenzungsprobleme ergeben sich hier lediglich insofern, als i n den U S A zu Beginn der 70er Jahre zu den traditionellen Regulierungsbereichen neue Bereiche, die sogenannten sozialen Regulierungen, hinzugetreten sind (z.B. Verkehrssicherheit, Umweltschutz, Arbeitsplatzsicherheit). I n der B u n desrepublik erstreckt sich die Deregulierungsdiskussion (neben den Ausnahmebereichen) p r i m ä r auf das Gesundheitswesen u n d die freien Berufe (Rechtsanwälte, Notare, Architekten usw.).

Entwicklung u n d Stand der Deregulierungsdiskussion

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dann auftritt, wenn sich Regulierung öffentlicher Unternehmen bedient. Es gibt darüber hinaus Privatisierung, die mit Deregulierung nichts zu t u n hat (ζ. B. der Verkauf von Vermögensbeteiligungen des Staates). Π . Entwicklung und Stand der theoretischen Diskussion M i t einigem Mut zur Abstraktion werden vier Entwicklungsphasen der Deregulierungsdiskussion unterschieden, die geprägt sind durch vier unterschiedliche wettbewerbstheoretische Konzeptionen: (1) Die (neuzeitliche) Nationalökonomie entstand i n der Auseinandersetzung mit dem Regulierungsproblem. A. Smith legte die Vorzüge freien Wettbewerbs dar und entwickelte ein — vor dem Hintergrund der damaligen merkantilistisch und kirchenrechtlich („gerechter Preis") geprägten Wirtschaftsordnung — radikales Deregulierungsprogramm. 4 Allerdings bedeutet sein Leitbild der „natürlichen Freiheit" nicht laissez faire, sondern nur, daß staatliche Interventionen die Ausnahme sein sollen, zugelassen i n den Fällen, i n denen die gesamtwirtschaftlichen Vorteile die Nachteile überwiegen. 5 (2) Die zweite Entwicklungsphase ist gekennzeichnet durch die Dominanz der neoklassischen Theorie. Freier Wettbewerb ist zum Modell der vollkommenen Konkurrenz geronnen und die Leistungsfähigkeit des Marktsystems auf die Gewährleistung größtmöglicher allokativer Effizienz (Pareto-Optimum) reduziert. Verglichen m i t der neoklassischen Modellwelt weist die Realität eine Reihe von „Störfaktoren" auf (natürliche Monopole, ruinöse Konkurrenz, externe Effekte, Informationsprobleme, meritorische Güter) 6 , die zu „Marktversagen" führen, d.h. ein Optimum an allokativer Effizienz verhindern. Eine Verbesserung der Marktergebnisse ist möglich durch gezielte Eingriffe eines wohlinformierten staatlichen Regulators. (3) Eine wesentliche Modifizierung dieses Ansatzes setzte u m 1960 ein, als man begann, die Effizienz des als Wettbewerbssurrogat agierenden staatlichen Regulators zu untersuchen und dabei z. B. feststellte, daß 4 „Die wirtschaftspolitischen Eingriffe des Merkantilismus . . . haben i n ganz besonderem Maße die Interessen unserer Manufakturbesitzer geschützt. I h n e n ist nicht n u r das W o h l des Verbrauchers, sondern weit mehr noch das Interesse anderer Gruppen v o n Produzenten geopfert worden." (Smith 1776, S. 559). 6 „Fischereiprämien können berechtigt sein, w e n n die externen Vorteile für die Landesverteidigung größer sind, als der A u f w a n d hierfür." „Handelsmonopole für Kaufleute, die m i t hohem Risiko u n d beträchtlichem A u f w a n d Handel m i t w e i t entfernten u n d unterentwickelten Ländern betreiben möchten, sollten ebenso Sonderrechte bekommen w i e Erfinder Patentrechte u n d Schriftsteller Urheberrechte." (Recktenwald i n Smith 1776, S. L X I I I f.). « Vgl. dazu Müller / Vogelsang (1979, S. 31 ff.).

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Rudi Kurz

Preis- und Mengenregulierung zu einem exzessiven Qualitätswettbewerb oder Gewinnratenregulierung zum Aufbau von Überkapazitäten führt. 7 Die Folgerung war: Eine Rechtfertigung für staatliche Intervention besteht nicht schon dann, wenn Marktbedingungen oder Marktergebnisse nicht dem neoklassischen Ideal entsprechen; erforderlich ist vielmehr der Nachweis, daß die alternative staatliche Regelung eine höhere Effizienz sicherstellen kann. 8 Damit — und m i t einigen weiteren Fortentwicklungen des neoklassischen Paradigmas 9 — entfällt die Rechtfertigung für eine Vielzahl von Regulierungen. Die Regulierungspraxis zeigte wenig Neigung, den neuen theoretischen Erkenntnissen zu folgen. Daher stellte sich die Frage nach den Bestimmungsfaktoren des Ablaufs tatsächlicher Regulierungsprozesse, die sich als recht robust gegenüber dem Wandel i n den Handlungsmaximen der normativen Theorie der Regulierung erwies. Es entstand die positive Theorie der Regulierung. 10 (4) Gegenwärtig sind Anfänge einer vierten Phase der Deregulierungsdiskussion zu erkennen, die dadurch gekennzeichnet ist, daß der Zusammenhang zwischen Innovation und Regulierung i n den Mittelpunkt gestellt wird. Die Bedeutung dieser Fragestellung verhält sich zu der (neoklassischen) Frage nach der allokativen Effizienz (mit Schumpeter formuliert) wie ein Bombardement i m Vergleich zum Aufbrechen einer T ü r . 1 1 Zugrunde liegt dieser Entwicklungsphase die wettbewerbstheoretische Vorstellung, daß das signifikante Kennzeichen der M a r k t wirtschaft ihre Entwicklungsfähigkeit ist, eine dynamische Eigenschaft also, die i n den statischen Betrachtungen neoklassischer Prägung unbeachtet bleibt. Nicht i n der Allokation gegebener Mittel auf gegebene Zwecke, sondern i n der Entdeckung neuer Mittel und neuer Zwecke liegt die Stärke marktlicher Koordinationsprozesse. 12 Theoriegebäude, 7

Genannt sei hier n u r die Pionierarbeit v o n Averch / Johnson (1962). 8 M i t Demsetz (1969) formuliert: Es w i r d der Wechsel v o m „ n i r w a n a approach" zum „comparative institution approach" vollzogen. 9 Ζ. Β . dem Transaktionskostenansatz (Regulierung als transaktionskostensparende Institution) oder der Theorie der contestable markets (von zentraler Bedeutung ist die potentielle Konkurrenz; ein „natürliches" Monopol k a n n n u r dann als Interventionsgrund gelten, w e n n die Kosten v o n M a r k t e i n t r i t t und/oder M a r k t a u s t r i t t p r o h i b i t i v sind.) 10 Vgl. zu beiden theoretischen Konzeptionen Joskow / Noll (1981), v. Weizsäcker (1982). u Vgl. Schumpeter (1950, S. 139 f.). ι 2 Der Marktprozeß ist ein Entdeckungsverfahren (υ. Hayek), i n dem ständig neue Problemlösungen erprobt u n d realisiert werden. Die Ergebnisse sind i m einzelnen (ohne Anmaßung v o n Wissen) nicht prognostizierbar. Möglich ist n u r die Mustervoraussage, daß freier Wettbewerb, d. h. ein W e t t bewerb, i n dem es insbesondere keine staatlich geschützten Monopole gibt, auch zu effizienten Ergebnissen führt. Verstreut vorhandenes Wissen w i r d optimal genutzt u n d damit ein Höchstmaß an innovativer A k t i v i t ä t gewährleistet. Vgl. dazu Kirzner (1978), Streißler (1980), Kurz J Rail (1983, S. 11 ff.).

Entwicklung u n d Stand der Deregulierungsdiskussion

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die dieses „essential" nicht i n den Mittelpunkt stellen, erfassen die Vorzüge des marktwirtschaftlichen Systems nicht adäquat und können daher auch Notwendigkeit und Kosten von Eingriffen in dieses System nicht zutreffend beurteilen. Aus den wenigen Arbeiten, die bislang den Zusammenhang zwischen Innovation und Regulierung untersucht haben, folgt, daß es i n einer dynamischen Umwelt kaum „echte" (ökonomisch und nicht politisch begründete) Ausnahmebereiche gibt. Ein natürliches Monopol, das als Begründung eines wettbewerblichen Ausnahmebereichs dienen kann, liegt nur dann vor, wenn die technologischen Bedingungen eines Marktes so weitgehend ausgereift sind, daß die Zulassung von Wettbewerb keine Produkt- oder Prozeßinnovationen erwarten läßt, sondern nur zu — i n diesem Fall — nicht rationalen Parallelinvestitionen führt. Technologische Ausreifung kann ζ. B. zugunsten des Schienenmonopols der Deutschen Bundesbahn vermutet werden, dagegen ist der Eisenbahnbetrieb insgesamt für Innovationen (ζ. B. i n bezug auf Geschwindigkeit, Fahrkomfort und Energieverbrauch) noch weitgehend offen und darf somit nicht der Regulierung unterliegen. 13 Fragt man vor diesem theoretischen Hintergrund, welches die relevanten Effekte sind, die es (empirisch) zu ermitteln gilt, wenn man die Kosten eines regulierenden Eingriffs bestimmen w i l l , so darf sich die Antwort nicht auf die Preis- und Mengeneffekte der neoklassischen Allokationstheorie beschränken. Ganz entscheidend für die Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen Kosten der Regulierung sind deren W i r k u n gen auf die Innovationsaktivität. Regulierende und deregulierende Maßnahmen beeinflussen aber nicht nur die statische und die dynamische Effizienz des Marktsystems, sondern auch andere wirtschafte- und gesellschaftspolitische Ziele. Solche gesamtwirtschaftlichen 14 und gesellschaftlichen spill-over-Effekte sind bislang theoretisch und empirisch kaum untersucht. Eine einigermaßen vollständige Ermittlung des Gesamteffekts von (De-)Regulierung müßte daher die folgenden Dimensionen beachten und soweit wie möglich quantifizieren. Fazit: Nimmt man ein solches Maximalprogramm zum Maßstab, so ist gegenwärtig eine theoretisch und empirisch gesicherte Basis für die Entscheidung über (De-)Regulierungsfragen nicht vorhanden. Eine geschlossene Konzeption zur Bestimmung der Wirkungen von regulierenden Eingriffen fehlt. 1 5 13 Vgl. dazu Graf (1981), Schoppe / Czege (1984). 1 4 Keynesianisch formuliert gilt es, den „Deregulierungs-Multiplikator" zu bestimmen. Es genügt nicht, die Anstoßeffekte i m deregulierten Sektor zu betrachten. is „Economists k n o w a lot less about government regulation than is sometimes thought." CJoskow / Noll 1981, S. 58).

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Rudi Kurz Übersicht 1 Effekte der (De-)Regulierung einzelwirtschaftlich

gesamtwirtschaftlich

(Güter-/ Faktor-) Preis

(Faktor) Preisänderungen

Inflation Verteilung

(Güter-/ Faktor-) Menge

Veränderungen Wachstum der A u s b r i n Beschäftigung gungsmenge Auslastungsgrad

Produktionsinnovation

Neuartige Güter/Dienstleistungen, Versorgungssicherheit, Wartezeiten

Internationale Wettbewerbsfähigkeit

Kosten(struktur)

Bürokratischer Aufwand

Staatsausgaben f ü r Regulierungsbehörden, Schattenwirtschaftliche Aktivität

Prozeßinnovation

Produktivität

Produktivität, internationale Wettbewerbsfähigkeit

Organisationsinnovation

Kooperation, Integration

(Dekonzentration

Effekt

Produkt

Produktionsprozeß

gesellschaftlich

Erwerbswirtschaftliche Motivation

Europäische Integration

Kontrolle wirtschaftlicher Macht

D a aber die politische N o t w e n d i g k e i t z u h a n d e l n w e i t e r reicht als es d u r c h wissenschaftliche E r k e n n t n i s abgesichert ist, s i n d — jenseits v o n e x a k t e n Kostenberechnungen — L e i t l i n i e n (guidelines16) f ü r politische E n t s c h e i d u n g e n gefragt. I n der wissenschaftlichen D i s k u s s i o n h a t sich eine ganze Reihe solcher L e i t l i n i e n h e r a u s g e b i l d e t , v o n d e n e n h i e r — o h n e A n s p r u c h a u f V o l l s t ä n d i g k e i t — e i n i g e g e n a n n t seien: (1) Es besteht eine — t h e o r e t i s c h u n d e m p i r i s c h b e g r ü n d b a r e — V e r m u t u n g zugunsten der Überlegenheit marktlicher Koordinationsprozesse. D a r a u s f o l g t : N i c h t D e r e g u l i e r u n g , s o n d e r n R e g u l i e r u n g b e d a r f 16 Vgl. dazu auch: Presidential Task Force on Regulatory Relief: Reagan A d m i n i s t r a t i o n Regulatory Achievements, August 11, 1983, insbesondere S. 19 ff.; Joskow/Noll (1981, S. 47).

Entwicklung und Stand der Deregulierungsdiskussion

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der Begründung; begründete Regulierung muß i m Zeitablauf immer wieder auf das Fortbestehen der Regulierungsgründe h i n geprüft werden. (2) Selbst die „klassische" Begründung für Regulierung — das Vorliegen eines „natürlichen" Monopols — greift nur dort, wo die technologische Basis eines Marktes als weitgehend ausgereift gelten kann. (3) Wegen der zu beobachtenden Remanenz von Regulierungen sollten diese möglichst reversibel gestaltet werden. Nach verbreiteter Auffassung 17 erfüllt die öffentliche Regulierung privater Unternehmen (wie sie i n den USA praktiziert wird) diese Bedingung eher als die Regulierung durch öffentliche Unternehmen. (4) Aus der empirisch feststellbaren Eskalationstendenz von Regulierungen läßt sich die Forderung ableiten, neue Regulierungen nur zuzulassen, wenn zur Kompensation eine alte Regulierung mit vergleichbarer (oder größerer) Bedeutung aufgehoben wird. Die Regulierungsdichte würde damit i m Niveau vorgegeben, Flexibilität i n der Regulierungsstruktur aber erhalten. Unter Aspekten der normativen Theorie hat diese — vom Durchsetzungaspekt geprägte — Leitlinie selbstverständlich nur second-best-Charakter. I I I . Entwicklungslinien der Deregulierungsdiskussion in der wirtschaftlichen Praxis Die neuere Deregulierungsdiskussion i n der Bundesrepublik ist stark geprägt vom Einfluß der US-Entwicklung. Dort setzten bereits i m Verlauf der 70er Jahre — noch unter den Präsidenten Ford und Carter —• unter dem Eindruck stagflationärer Erscheinungen erste Bemühungen u m eine Lockerung i n den traditionellen Regulierungsbereichen ein. I n diese Zeit fällt z.B. der Airline Deregulation Act (1978), der die Deregulierung des US-Luftverkehrs einleitete, die Ende letzten Jahres mit der Auflösung der zuständigen Regulierungsbehörde, des Civil Aeronautics Board (CAB) abgeschlossen wurde. Die Regierung Reagan forcierte dann zu Beginn der 80er Jahre den Deregulierungsprozeß und dehnte i h n auf die sog. soziale Regulierung (insbes. Produktsicherheit, Arbeitsplatz- und Umweltschutz) aus. 18 Verglichen m i t der Entwicklung i n den USA bewegen sich die Deregulierungsbestrebungen i n der Bundesrepublik gegenwärtig noch i n π Vgl. z. B. Kaufer (1981, S. 167 ff.). Kritisch dazu Thiemeyer (1983, insbesondere S. 26 ff., S. 52 f.). is Einen Überblick geben z. B. Andreae l Keuschnigg (1983), Crandall (1983), Majone (1984).

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Rudi Kurz

engen Grenzen. Ein Deregulierungsbedarf w i r d zwar i m Prinzip gesehen — praktische Konsequenzen sind aber bislang weitgehend ausgeblieben. Ein Überblick über Ausmaß und A r t der Regulierung i n der Bundesrepublik (vgl. Übersicht 2) zeigt, daß sich die regulierenden Eingriffe insbesondere i n den GWB-Ausnahmebereichen sowie i n den Bereichen Kohlebergbau, Stahlindustrie, Wohnungsvermietung, Gesundheitswesen und übrige Dienstleistungen konzentrieren. Der Anteil dieser Bereiche an der Bruttowertschöpfung aller Unternehmen beträgt ca. 40 Vo; der Anteil der Ausnahmebereiche allein liegt bei 20 ϋ /ο. Die Aussagekraft solcher Zahlen darf allerdings nicht überbewertet werden, da sie die unterschiedliche Regulierungsintensität der W i r t schaftszweige unbeachtet lassen und daher kaum mehr als ein erster Ausgangspunkt der Analyse der Regulierungsdichte i n der Bundesrepublik sein können. So reicht ζ. B. die Spannweite der Intensität bei Preisregulierungen von der lockeren Aufsicht anhand genehmigungspflichtiger Referenzpreise, über Höchst- und/oder Mindestpreise bis zur direkten Festlegung des Preises. Marktzutrittsregulierungen, die letztlich der Investitions- und Kapazitätskontrolle dienen — werden (in einer milden Form) als Definition von Mindestanforderungen an Newcomer praktiziert oder (im strengsten Fall) mittels Konzessionsvergabe durchgeführt. Das durch Übersicht 2 skizzierte Regulierungssystem i n der Bundesrepublik ist eher Produkt historisch-politischer Einflüsse als Ergebnis ökonomisch-systematischer Konstruktion. Allenfalls teilweise läßt sich Entstehen und Fortbestehen der regulierten Bereiche ökonomisch begründen (vor allem mit dem Argument „natürliches Monopol"). Ganz überwiegend sind die Regulierungen jedoch politisch motiviert. 1 0 Sie sollen i n irgendeiner Form Interessen des Allgemeinwohls dienen (ζ. B. Regionalentwicklung, Mindestversorgung, Einkommenssicherung, Verbraucher«, Umweltschutz), von denen vermutet wird, der Markt könne sie nicht i m gewünschten Ausmaß erfüllen. 2 0 Die Ergebnisse der Regulierungspraxis haben allerdings ständig Zweifel genährt, ob staatliche Interventionen (mittels öffentlicher Unternehmen und Fachaufsichtsbehörden) zu besseren Zielerreichungsgraden führen und damit immer wieder Deregulierungsbestrebungen ausgelöst. Solche Bestrebungen hat es i n verschiedenen Bereichen mit unterschiedlichem Antrieb und Erfolg gegeben. Als Beispiele seien genannt: die teilweise Ersetzung i» Vgl. dazu Möschel (1981). „Die wichtigste Seite eines allgemeinen Eisenbahnsystems ist für uns Deutsche nicht die finanzielle, nicht einmal die nationalökonomische, sondern die politische. Für keine andere Nation ist es v o n so unschätzbarem Wert als M i t t e l , den Nationalgeist zu wecken u n d zu nähren u n d die Verteidigungskräfte der Nation zu stärken." (List 1841, S. 331). 20

Entwicklung u n d Stand der Deregulierungsdiskussion

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von Fest- durch Margentarifen bei der kleinen Verkehrsreform (1961), die Grundsätze für staatliche Preisregulierung (formuliert 1970), die Freigabe der Tarife der Kfz-Versicherung (abgeschlossen 1979), die Beschränkung der Geltungsdauer von Demarkations-, Konzessions- und Verbundverträgen der Versorgungsunternehmen (im Zuge der 4. GWBNovelle 1980) auf 20 Jahre (§ 103 a I GWB). Einer radikalen Deregulierung, verbunden m i t der Entlassung aus dem Ausnahmestatus, kann bislang für keinen Bereich ernsthafte Durchsetzungschancen eingeräumt werden — obgleich dahingehende Empfehlungen der Wissenschaft vorliegen. 2 1 Angesichts des Beharrungsvermögens und der Eskalationstendenz einmal etablierter Regulierungen haben Deregulierungsbemühungen zumeist eher defensiven Charakter (ζ. B. die Abwehr einer weiteren Einbeziehung des Werkfernverkehrs i n das System der Verkehrsregulierung). Wirklich offensive, Regulierung spürbar und nachhaltig vermindernde Maßnahmen haben — seit Ludwig Erhards Beseitigung der Preisregulierung i m Zuge der Währungsreform — Seltenheitswert. Noch 1975 wurde i m Bericht der Bundesregierung über die Ausnahmebereiche 22 die bestehenden Regulierungen i m wesentlichen als zweckmäßig und notwendig bezeichnet. 28 Deregulierungsfragen i n der Bundesrepublik weisen zumeist auch eine europäische Dimension auf — was die Dinge ζ. T. weiter erschwert, teilweise aber auch neue Impulse bringt. Die EG-Kommission entfaltet verstärkte A k t i v i t ä t ζ. B. für eine Liberalisierung i m Luftverkehr. 2 4 Eine Intervention der EG-Kommission hat m i t dazu beigetragen, daß die Ausdehnung des Postmonopols auf den Markt für schnurlose Telefone verhindert und (unter Berufung auf A r t . 37 I I EWG-Vertrag) die Zulassung privater Anbieter erreicht werden konnte. Gestützt auf A r t . 59 EWG-Vertrag, der den uneingeschränkten Dienstleistungsverkehr innerhalb der Gemeinschaft garantiert, hat die EG eine Klage beim Europäischen Gerichtshof gegen die Bundesrepublik angestrengt. 21 Vgl. z . B . Kaufer (1981, S. I X ) , der die Ansicht v e r t r i t t , daß sich die historischen Bedingungen soweit gewandelt haben, „daß die wettbewerbspolitischen Bereichsausnahmen der §§ 99 - 103 G W B beseitigt werden k ö n nen." 22 Bundestags-Drucksache 7/3206 v o m 4. 2.1975. 23 Vgl. dazu auch Hamm (1978). 24 I n i h r e m 2. Memorandum Z i v i l l u f t f a h r t geht die Kommission zwar dav o n aus, „daß die Entregulierung i m L u f t v e r k e h r nach amerikanischem Muster i m derzeitigen europäischen Rahmen nicht funktionieren w ü r d e " ; sie empfiehlt aber — unter Beibehaltung der S t r u k t u r des derzeitigen Systems (d. h. insbesondere bilaterale zwischenstaatliche Abkommen) — u. a. mehr F l e x i b i l i t ä t bei den Flugtarifen, die Öffnung des Linienflugdienstes f ü r kleinere Fluggesellschaften, den Verzicht auf jegliche Beschränkung für Flugzeuge, die nicht mehr als 25 Sitze haben (vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften 1984). 4 Konjunkturpolitik, Beiheft 32

Elek.-, Gas-, Fernwärme-, Wasserversorgung Bergbau Chem. Ind., Spalt- u. Brutstoffe Mineralölverarbeitung Kunststoffwarenherstellung Gummiverarbeitung Steine und Erden Feinkeramik Glas Eisenschaffende Industrie NE-Metalle Gießereien Zieher., Kaltwalzw. Stahverformung Stahl- u. Leichtmetall-, Schienenfahrzeugbau Maschinenbau Büromasch., ADV-Geräte StraßenfahrzeugbauZ-reparat Schiffbau Luft- u. Raumfahrzeugbau

Land- u. Forstwi., Fischerei

Wirtschaftszweig

37 7

15,7

43,9 14,9

I

Art

11,3 58,8 7,8 58,9 3,0 3,8

XX XX xx 46,3 26,2 11,5 6,2 13,3 2,3 4,1 χ 4,7 5,6 11,8

I

χ

XX χ xx

χ

χ

Investition Menge (Mrd. DM) zugang

1982

Schöpfung _ _

BruttoWert-

xx

χ

χ

XX

Preis xx

&

des regulierenden Eingriffs

Übersicht 2: Regulierungs-Matrix für die Bundesrepublik

— Nebenleistungen

Jvonai-

50 Rudi Kurz

4· 1 339,6

xx χ

20,5 x

x x

χ xx xx xx xx

96,4

59,3 10,7 16,7 4,0 2,8 14,4 3,7 6,1 10,9 3,8 12,1 8,8

xx

x

χ

Quellen: Statistisches Bundesamt (1984, S. 244), Gerstenberger

xx

x

χ

χ

x x

x

x

xx xx

x

x

x

χ

x

xx

x

x

χ

x x xx

x

x

xx

χ

x

xx

u.a. (1984), S. 10), Fels / Schmidt (1980, S. 267).

xx überwiegend oder vollständig reguliert. — χ teilweise reguliert.

Unternehmen zusammen

71,7 16,9 93,7

Kreditinstitute Versicherungsunternehmen Wohnungsvermietung Gastgewerbe, Heime Bildung, Wissensch., Kultur Gesundheits- u. Veterinärwesen Übrige Dienstleistungen

23,7 35,8 130,3

72,5 80,3 13,3 6,1 36,8 37,3

63,5

Großhandel, Handelsvermittlg Einzelhandel Eisenbahnen Schiffahrt, Wasserstr., Häfen Deutsche Bundespost Übriger Verkehr

Elektrotechnik Feinmech., Optik, Uhren Eisen-, Blech, Metallwaren Musikinstrumente, Spielwaren Holzberbeitung Holzverarbeitung Zellstoff-, Papier-, Pappeerz Papier- u. Pappeverarbeitung Druckerei, Vervielfältigung Ledergewerbe Textilge werbe Bekleidungsgewerbe Nahrungs- u. Genußmittel Baugewerbe Entwicklung u n d Stand der Deregulierungsdiskussion 51

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Angegriffen werden damit Regelungen des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG), die ausländischen Versicherern — sofern sie keine Niederlassung i n der Bundesrepublik haben — den Marktzugang erheblich erschweren (Schwellenwerte) oder versperren. Insgesamt kann festgestellt werden, daß die i n der Bundesrepublik diskutierten Deregulierungsmaßnahmen von deutlich geringerer Reichweite sind als die i n den USA diskutierten und z. T. schon realisierten. Dies mag daran liegen, daß die institutionelle Gestaltung der Regulierung i n den USA (Regulierungskommissionen/private Unternehmen statt öffentliche Unternehmen und Fachaufsicht) sich flexibler an veränderte Bedingungen anpassen läßt; es mag aber auch daran liegen, daß die von Chicago ausgehende Welle der Markteuphorie europäische Denktraditionen 2 5 nicht völlig erschüttern konnte. Ein weiterer Grund für das geringere Deregulierungstempo i n der Bundesrepublik könnte der höhere Organisationsgrad der involvierten Interessengruppen sein. 26 IV. Erkenntnisse, offene Fragen, Perspektiven der Deregulierungsdiskussion (1) Wie die normative Theorie der Regulierung zeigt, gibt es letztlich keine Rechtfertigung für Regulierung aus Gründen der ökonomischen Effizienz — selbst das bislang sicherste Argument, das natürliche Monopol, unterliegt heftiger K r i t i k . Daher muß Regulierung ihre Existenzberechtigung primär von der Erfüllung anderer (evtl. höherrangiger) politischer Ziele ableiten. Es müßte dann gelten, daß (a) der Markt die gesetzten Ziele nicht i m gewünschten Ausmaß erfüllt und (b) Regulierung die kostengünstigste A r t ist, den gewünschten Zielerreichungsgrad zu realisieren. Über (a) bedarf es keiner langen Diskussion: Es gibt sicherlich eine ganze Reihe wohlbegründeter (regional-, sozial-, umwelt-, sicherheits-)politischer Ziele, die nicht zwangsläufig als Ergebnis des Wettbewerbs erfüllt werden. Bezüglich (b) erhebt sich die Frage nach der kostengünstigsten A r t , Marktergebnisse zu korrigieren bzw. zu ergänzen. Nun kann man natürlich versuchen, diese Frage durch Nutzen-Kosten-Analysen für verschiedene Interventionsalternativen zu klären; gerade die Verwendung dieser Entscheidungshilfe i n jüngster Zeit i m Rahmen der US-Deregulierungsbestrebungen hat jedoch deren eingeschränkte Tauglichkeit erneut verdeutlicht. 2 7 Daher ist als Faustregel die marktwirtschaftliche Uralt-Weisheit nach wie vor nicht obsolet, derzufolge es die billigste Lösung ist, die Effizienz unbeschränkten Wettbewerbs zu nutzen und seine (unerwünschten) Ergeb25 Vgl. Z. B. Euchen (1952), Lange (1985). 2 * Vgl. dazu Olson (1982). 27 Vgl. Moore (1983, S. 160 ff.); OECD (1983, S. 10 ff.).

Entwicklung und Stand der Deregulierungsdiskussion

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nisse gegebenenfalls ex post zu korrigieren. Eine „Instrumentalisierung des Wettbewerbs" (Immenga) muß unterbleiben. Daß Eingriffe i n den Wettbewerbsprozeß selbst teurer werden, zeigt sich deutlich am Beispiel der (garantierten Mindestpreise auf den) Agrarmärkte(n). Soweit sich der ordnungspolitische Rahmen (ζ. B. durch Etablierung von Eigentumsrechten) nicht so gestalten läßt, daß Wettbewerbsprozesse auch zentralen gesellschaftlichen Anliegen gerecht werden und deshalb staatlich interveniert wird, gilt: Nicht regulieren, sondern (direkt und offen) subventionieren (ζ. B. die Bauern für Landschaftspflege oder die Bundesbahn für die Aufrechterhaltung unrentabler Strecken). (2) Nach allem was (im Rahmen der positiven Theorie der Regulierung) an Erkenntnissen über den Verlauf von Regulierungsprozessen zu Tage gefördert worden ist, muß man sich fragen, welche Kräfte überhaupt i n der Lage sein könnten, sich gegen die Interessenkoalition der an der Regulierung Beteiligten (und von ihr Profitierenden) durchzusetzen. Wenig Hoffnung kann auf die Bildung von Gegenkoalitionen gesetzt werden, weil die Nachteile (Kosten) der Regulierung diffundieren und letztlich keinen spürbar belasten. Die historische Erfahrung hat gezeigt, daß immmer dann Bewegung i n einen regulierten Bereich kommt, wenn durch technischen Fortschritt neue potentielle Konkurrenten aufkommen. 28 I n solchen Umbruchphasen besteht die Chance, eine nachhaltige Deregulierung (und nicht nur Korrekturen einzelner Regulierungsparameter) vorzunehmen. Von der politischen Durchsetzbarkeit her erscheint es wesentlich leichter, die Aufnahme der Newcomer i n ein Regulierungssystem zu verweigern — und es damit der Erodierung auszusetzen — als ein etabliertes und i n gewisser Hinsicht „bewährtes" Regulierungssystem auf administrativem Wege abzuschaffen. Bei realistischer Betrachtung ist der administrative Weg eine Einbahnstraße; aus einer Regulierungssackgasse führt nur der historische Wandel von Technologien, Präferenzen, Organisationsstrukturen. Für Wissenschaft und Politik gleichermaßen entscheidend ist es, solche Chancen zu erkennen und konsequent zu nutzen. (3) Von den offenen Fragen i n der Deregulierungsdiskussion können hier nur zwei herausgegriffen werden: (a) Wettbewerbspolitik gilt allgemein als Teil des Ordnungsrahmens. Die Übergänge zur Regulierung sind aber fließend und werden — 28 E i n Beispiel dafür ist der Kommunikationsbereich. Dort hat die technologische Entwicklung insbesondere i m Endgerätemarkt i n den USA den entscheidenden Anstoß zur Auflösung des A T & T-Monopols gegeben; auch i n der Bundesrepublik läßt sich das Postmonopol insbesondere i m Endgerätebereich nicht mehr uneingeschränkt aufrecht erhalten. Eine ähnliche E n t w i c k l u n g scheint sich i m Kreditwesen anzubahnen,

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unter dem Einfluß der Chicago-Schule 29 — zunehmend problematisiert. Regulierungsähnlichen Charakter kann z. B. die kartellbehördliche Preismißbrauchsaufsicht haben. 30 Gegen eine Entschärfung (auch) des Kartellrechts i m Zuge der Deregulierung spricht allerdings, daß durch Deregulierung mehr wirtschaftliche A k t i v i tät staatlicher Kontrolle entzogen und der Kontrolle des Wettbewerbs unterstellt wird, so daß es zumindest bedenklich wäre, auch den letzteren Kontrollmechanismus zu schwächen. Nichts gegen eine Abkehr vom starren Interventionsmuster „groß ist schlecht" und von Marktergebniskontrollen. Es spricht aber nichts dafür, daß eine Entschärfung des Kartellrechts i n einem komplementären Verhältnis zur Deregulierung steht; viel eher dürfte es systemkonform sein, von einer substitutiven Beziehung auszugehen. 30a Es besteht sonst die Gefahr, daß Deregulierung zu einem Rückfall i n laissezfaire-Zeiten führt und einen deutlichen Bias zugunsten des Big Business erhält. 3 1 (b) Wenig beachtet und untersucht sind bislang die Verteilungseffekte deregulierender Maßnahmen. Dabei ist die Verteilung der Einkommensverluste derjenigen, denen zuvor i m regulierten Bereich „Monopolrenten" zuflössen (z. B. Flugkapitänen, Bank- und Versicherungsdirektoren, Ärzten), nur ein Aspekt. Ebenso bedeutsam dürften Fragen der intertemporalen Verteilung sein. 32 Regulierung ist ein mögliches Instrument, u m die i m freien Wettbewerb entstehende Belastung zukünftiger Generationen (z. B. durch Umweltverschmutzung, Landschaftszersiedelung, Rohstoffabbau) an eine politisch für vertretbar gehaltene Belastung anzupassen. Zu untersuchen wäre, inwieweit Regulierung i m Einzelfall unter diesem Aspekt gerchtfertigt sein kann, d.h. — trotz ihrer immanenten Schwächen — ohne gleichwertige Alternative ist. (4) Über Grenzen und Perspektiven der Deregulierung läßt sich abstrakt wenig sagen. Daher auch hierzu zwei Beispiele: 2» Deren wichtigste Vertreter sind Stigler, Demsetz, Alchian, Posner, Bork u n d Brozen. 30 I n den USA hat sich die Vorstellung durchgesetzt, daß eine Fusionskontrolle, die sich nicht auf horizontale Zusammenschlüsse beschränkt, über das ordnungspolitisch notwendige Maß hinausgeht u n d damit Regulierung ist. Vgl. dazu U.S. Department of Justice (1984). Eine extreme Position fordert sogar die Aufhebung der gesamten Antirust-Gesetzgebung (vgl. Smith 1983). 30a "The more one remover direct government controls from industry, the more vigorously one must w o r k to ensure the maintenance of competition i n their place." (Scherer 1984, S. 23). si Genau dies diagnostiziert Moore (1982, S. 162 ff.) f ü r die Reagan-Deregulierungspolitik. ß 2 Vgl. dazu JoskowiNoll 1981, S. 57 f.), Sartorius (1983).

Entwicklung u n d Stand der Deregulierungsdiskussion

55

(a) Konsequent zu Ende geführt — wenn auch nur regional begrenzt — w i r d die Idee der Deregulierung i m Konzept der Freien W i r t schaftszonen (free enterprise zones).88 I n solchen Oasen angesiedelte Unternehmen sind von den verschiedensten (vor allem sozial- und umweltpolitischen) Regulierungen freigestellt. Etwas überzogen formuliert kann man sagen: Es soll die Produktivität eines Industrielandes mit der Interventionslast eines Entwicklungslandes kombiniert werden. Bedenklich an solcher Deregulierung sind — neben den weltwirtschaftlichen (dumpingähnlicher Charakter) und regionalpolitischen (Eskalation des Förder- und Subventionswettlaufs) Implikationen — damit u. U. eingeleitete Tendenzen zur Erosion von Eckpfeilern unserer Wirtschaftsordnung (ζ. B. Tarifautonomie, Sozialversicherung). (b) Es wurde oben der weitgehend ungeklärte Zusammenhang zwischen Regulierung und Innovation angesprochen. Wohl begründet läßt sich hierzu die Auffassung vertreten, der (unbeschränkte) Wettbewerb als Entdeckungsverfahren werde auch für ein Höchstmaß an innovativer A k t i v i t ä t sorgen. Die Zweifler an dieser Position meinen, daß es sehr wohl möglich sei, Innovationsaktivität administrativ zu verstärken. Deregulierung würde demnach dort eine Grenze finden, wo durch Regulierung geschützte Unternehmen diesen Schutz zur Durchsetzung neuer Technologien nutzen, z.B. die Post i m Telekommunikationsbereich 84 , oder (etwas überholt) die EVUs zur Kernenergienutzung. Betrachtet man die industriepolitische Diskussion der jüngsten Zeit (zumal i n Baden-Württemberg), so darf es nicht überraschen, wenn der Deregulierung i n Zukunft von dieser Seite Grenzen erwachsen sollten. Abschließend sei das Thema dieser Veranstaltung aufgegriffen: Deregulierung als ordnungs- und prozeßpolitische Aufgabe. Die Erfahrungen m i t Regulierungen i n der wirtschaftspolitischen Praxis belegen, daß Deregulierung eine ständige Aufgabe ist. Aus der Remanenz einmal etablierter Regulierung und der Entdeckung neuer (vermeintlicher) Regulierungsbedarfe i m Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung resultiert eine „natürliche" Tendenz zu steigender Regulierungsdichte. Deregulierung ist prozeß politische Aufgabe, weil m i t steigender Regulierungsdichte der Raum für marktliche Anpassungsreaktionen immer enger w i r d und die Flexibilität und Innovationsfähigkeit des Systems als ganzes leidet. Deregulierung ist ordnungspoliiische Aufgabe, weil 33 Vgl. ζ. B. Schatz!Spinanger (1984). F ü r die USA sieht Chynoweth (1985, S. 61) die große Gefahr, „that the fragmentation of the n e t w o r k that is n o w qccuring w i l l i n h i b i t rather than stimulate innovation i n the n e t w o r k " .

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abnehmende Leistungsfähigkeit des Systems als ganzes dem Versagen des freien Wettbewerbs — nicht der Tatsache seiner Verdrängung — angelastet w i r d und weil m i t der Zahl der Privilegierten i n regulierten Bereichen die Zahl der Gegner der Wettbewerbsordnung wächst. Literaturverzeichnis Andreae, C.-A. / Keuschnigg, C. (1983): Neuere E n t w i c k l u n g der Ordnungsp o l i t i k i n den U S A : Regulierung u n d A n t i r u s t p o l i t i k , in: Integration oder Desintegration der Europäischen Wettbewerbsordnung, FIW-Schriftenreihe 107, K ö l n 1983, S. 107 - 127. Averch, H. / Johnson, L. L. (1962): The Behavior of the F i r m under Regulatory Constraint, American Economic Review 52, S. 1053 - 1069. Chynoweth, A . G. (1985): Competition, Innovation and Fragmentation, Telephony, February 11, S. 60 - 64. Crandell, R. W. (1983): Deregulation: The U.S. Experience, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 139, S. 419 - 434. Demsetz , H. (1969): I n f o r m a t i o n and Efficiency: Another Viewpoint, Journal of L a w and Economics 12, S. 1 - 22. Engels, W. u. a. (1984): M e h r M u t zum M a r k t . Stuttgart.

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Zusammenfassung der Diskussion (Referate

Kauf er, Kruse, Kurz)

Die Diskussion w i r d von Kantzenbach mit der Feststellung eröffnet, daß es i n der Praxis sehr weitgehende Regulierungseingriffe gebe. Er sei der Auffassung, daß in erheblichem Maße Deregulierungsprozesse i n der Bundesrepublik notwendig und auch möglich seien. Auf der anderen Seite sei die theoretische Diskussion schon als eine Deregulierungseuphorie zu bezeichnen. Der Kontrast sei extrem. Er meine, auch das Referat von Kurz unterliege i n einigen Punkten dieser Deregulierungseuphorie und gehe insofern zu weit. Das gelte ζ. B. für die Behauptung, es gebe keine Effizienzargumente für die Regulierung. Kantzenbach stellt vielmehr fest, aus dem Referat von Kruse sei hervorgegangen, daß es einen schmalen Bereich gibt, für den gewisse wohlbegründete Effizienzargumente existieren. Das gelte auch für ein dynamisiertes Modell. Auch sei die Frage zu stellen — und Kurz selbst habe sie gestellt und implizit auch beantwortet —, ob der unregulierte Bereich immer zu optimalen Innovationsraten führe. Auch Kantzenbach meint, daß dies sicher i n der Regel der Fall sei, aber man müsse genauer untersuchen, wo eine Intervention des Staates i n Einzelfällen zur Innovation beitragen könnte. Er nennt als Beispiele einmal öffentliche Unternehmen, i n denen der Staat für die Innovation zu sorgen hätte; zum anderen externe Effekte. Kurz wehrt sich gegen die Behauptung, er unterläge einer Deregulierungseuphorie. Er habe die Aufgabe gehabt, einen Überblick zu geben, und festgestellt, daß unter dem Gesichtspunkt der ökonomischen Effizenz das Spektrum dessen, was man an Regulierung rechtfertigen könne, sehr stark zusammenschrumpft. Er habe formuliert, daß letztlich das sicherste Argument, nämlich das natürliche Monopol, heftiger K r i t i k unterliegt. Das habe auch Kruse m i t seinem Referat bestätigt. Kantzenbach erwidert, Kurz habe als ein Argument die Umweltproblematik angeführt. Nach seinem (Kantzenbachs) Dafürhalten sei eine adäquate Berücksichtigung externer Effekte Bestandteil des Effizienzargumentes. Das gibt Kurz zu. Es gehe aber darum, daß man über die Effizienzargumente hinaus, statische Effizienz einerseits, dynamische

60

Zusammenfassung der Diskussion

Effizienz andererseits, i n der Theorie und i n der politischen Praxis Ziele formulieren könne, die mit diesen Kriterien nicht abzudecken seien. Dieser Zusammenhang sei, soweit er es überblicke, bislang theoretisch überhaupt nicht befriedigend geklärt. Auf eine Deregulierungseuphorie sei von daher überhaupt nicht zu schließen. A u f die Überlegungen zum natürlichen Monopol geht Willgerodt ein: Das Argument, Rosinenpicken sei schädlich, könne er nicht akzeptieren. Er sei vielmehr der Meinung, daß auch unter den Extrembedingungen, die i m Referat unter Punkt 4 genannt worden waren, das Rosinenpicken die einzige legitime Form des Wettbewerbs sei. Wenn man das Eindringen i n Bereiche, i n denen man billiger anbieten kann, mit Rücksicht darauf verbiete, daß damit Subventionierungschancen für andere Produkte wegfallen, müsse das zur Aufhebung der Marktwirtschaft führen. Willgerodt weist ferner darauf hin, es werde nicht genügend unterschieden — was die frühere Literatur noch getan habe — zwischen Ordnung und Regulierung. K a r l Schiller habe seine Habilitationsschrift noch m i t dem Titel „Marktregulierung und Marktordnung i n der Weltagrarwirtschaft" verfaßt. Heute sei dieser außerordentlich wichtige Unterschied, den man i n der Eucken-Ära gelernt habe, vollständig aus der Diskussion verschwunden. Es werde alles durcheinandergeworfen, m i t der Folge, daß man etwas als Regulierung bezeichne, was Ordnungspolitik ζ. B. i m Sinne des Umweltschutzes sei. Langfristig, ohne Ansehen der Person geltende Regeln wie das Bürgerliche Gesetzbuch könnten auch i n der Umweltschutzpolitik konzipiert werden. Das sollte man nicht als Regulierung bezeichnen. Regulierung sei zu definieren als Ad-hoc-Intervention der staatlichen Instanzen i n den wirtschaftlichen Prozeß m i t dem Ziel, das unmittelbare Marktergebnis zu optimieren. Der These von Kaufer, daß Krisen zur Regulierung führten oder sie begünstigten, widerspricht Willgerodt m i t einer entgegengesetzten These: Wie das Beispiel Ludwig Erhards zeige, könnten Krisen dazu führen, daß man zur Entregulierung gelange. Der politische Zusammenhang sei also nicht so einfach. Dem widerspricht Kaufer: Krisen seien zur Einführung von Regulierungen wichtig, aber heute werde eine Krise mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr dazu führen, daß eine Regulierung beseitigt wird. Der Unterschied zwischen der Zeit Ludwig Erhards und heute bestehe darin, daß nach dem verlorenen Krieg die Strukturen, die Machtverbände zerstört waren, inzwischen seien sie aber wieder etabliert worden. Man könne deshalb nicht erwarten, daß heute eine Krise zur Beseitigung von Regulierungen führen werde. Willgerodt bestreitet dies entschieden. Krisen i m internationalen Zahlungsverkehr hätten zur Freigabe der Wechselkurse geführt; ein Mu-

Zusammenfassung der Diskussion

sterbeispiel sei England, wo die Devisenzwangswirtschaft unter dem Eindruck einer Krise abgeschafft wurde. I n Frankreich habe man das entgegengesetzte Rezept angewandt, nachdem Miterrand die Regierung angetreten hatte. Er sei damit innerhalb von anderthalb Jahren gescheitert, und nun sei das umgekehrte Rezept, klassische Medizin, wieder an der Reihe. I n Spanien sei die Entwicklung ähnlich. I n allen Ländern sei die Schattenwirtschaft als Revolte gegen Regulierung aufzufassen. I m ganzen Ostblockbereich gebe es i m Augenblick eine w i r t schaftliche Krise, und man rede teilweise nicht mehr über eine Rationalisierung der Zentralverwaltungswirtschaft, sondern darüber, wie schnell und i n welchem Grade die Marktwirtschaft eingeführt werden solle, einschließlich des Privateigentums an Produktionsmitteln. Schließlich macht Willgerodt darauf aufmerksam, daß aus der Diskussion sehr häufig ausgeklammert werde, was an Kosten der Regulierung entsteht, insbesondere an Kosten durch Änderung von Ordnungsvorschriften. Hier leide die Diskussion darunter, daß man die Regulierungsqualität nicht i n die Betrachtung einbezogen werde. So sei es sehr leicht möglich, Ineffizienz nachzuweisen, indem man einen einzigen Markt i n der Welt funktionierender Marktwirtschaft betrachtet und dann analysiert, was sich ändert, wenn durch einen Staatseingriff auf diesem Markt etwas geschieht. Aber fast unmöglich sei es, ein ganzes System von Interventionen auf verschiedenen Märkten i n seiner W i r kung zu analysieren. Es sei vorgeführt worden, daß 40 °/o des BSP der Regulierung unterworfen seien. Wenn man das und die zahllosen Interventionen berücksichtigte — ζ. B. die Agrarpolitik, die Außenwirtschaftsregulierung, die Regulierungen der EWG und die ständigen Ä n derungen dieser Regulierungen —, sei es für eine rational handelnde behörde völlig ausgeschlossen, genau anzugeben, was eine bestimmte Spezialintervention an Prozeßwirkungen auslöse, weil sich die zahlreichen unkontrolliert und unbestimmt vorgenommenen Maßnahmen gegenseitig neutralisieren oder verstärken könnten. So könne man einen Verkehrstarif erhöhen und gleichzeitig einen Zollsatz senken, so daß sich die Ergebnisse dieser Maßnahmen neutralisieren. Allerdings gebe es Nebenwirkungen, die mit der Qualität der Regulierung zusammenhingen, und die nicht kontrolliert werden könnten. I m übrigen müsse man schon deswegen von einer abnehmenden Regulierungsqualität ausgehen, weil zum Regulieren i n Prozeßgrößen eine hochqualifizierte Bürokratie notwendig wäre und hier das „Gesetz vom abnehmenden Intelligenzgrad wachsender Bürokratien" einzubeziehen sei. A n das Referat von Kaufer knüpft Willeke einige grundsätzliche Fragen: Die Eisenbahn sei wohl Prototyp für natürliche Monopole, je-

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denfalls soweit die Bedeutung des Schienennetzes, der Infrastruktur i n den Vordergrund gestellt wird. Zu fragen sei nun nach dem Ziel und den Konsequenzen der K r i t i k . Zu prüfen sei, ob ein natürliches Monopol der zentrale Regulierungsgrund sei, oder ob die besonderen, mehr oder weniger zufälligen situationsgebundenen Motive und speziellen Ausgestaltungsformen auf eine Weiterführung des Regulierungsprozesses drängten. Kaufer habe m i t seiner K r i t i k bei den Koalitionen, bei deren Sonderinteressen angesetzt und damit auch deutlich machen können, wie hier Fehlentwicklungen ausgelöst wurden. Ob dies aber auch ein Argument gegen den Kern der Forderung nach Regulierung dieses Bereiches sei? Ob es nicht vielmehr ein Problem der Ausgestaltung und auch ein Problem der Leitlinien und Kriterien sei, nach denen eine adäquate Regulierung erfolge? Käufer erwidert, er habe versucht, das Schwergewicht auf die positive Theorie der Regulierung zu legen, weil er der Meinung sei, daß man, wenn man über Entregulierung debattieren wollte — wobei man durchaus i m Sinne von Kruse sagen könne, es gebe Kernbereiche, die man nicht entregulieren könne oder sollte —, dennoch wissen sollte, wie Regulierung entsteht, u m daraus zu erkennen, worauf bei der Entregulierung besonders zu achten sei. Deshalb habe er zwei historische Beispiele herangezogen, an denen er nur habe zeigen wollen, daß die normative Theorie der Regulierung, die heute zur Legitimierung aller möglichen Dinge i n Anspruch genommen werde, damals noch nicht verfügbar war. Darauf habe man sich nicht berufen können, als man faktisch natürliche Monopole schuf. Sein Hinweis auf die Kurierdienste habe denselben Zweck verfolgt: Die Bundespost, als Inhaberin des Postmonopols, habe neue Technologien i m Umfeld ihrer Kommunikationsmöglichkeiten i n ihren Monopolanspruch einbeziehen wollen, ohne überhaupt nach der Rechtfertigung durch die normative Theorie des natürlichen Monopols zu fragen. — Für ihn sei wichtig gewesen zu zeigen, daß bei natürlichen Monopolen, insbesondere bei öffentlichen Unternehmen, eine Tendenz entstehe, unabhängig von normativen Überlegungen, den Monopolanspruch auszuweiten. Dazu komme es wegen der vielen Ineffizienzen, die i n den Preisstrukturen des natürlichen Monopols i m Laufe der Zeit entstehen, weil es i m Laufe der Zeit von Interessentengruppen okkupiert werde. Zeppernick fragt nach den Kriterien für gute und für schlechte Regulierungen. Es seien zwei Bilder vorgeführt worden. Das eine war das des Bürgers Meier, der morgens aufsteht und mit vielfältigen Regulierungen konfrontiert wird. Das B i l d suggerierte natürlich, daß es eine Vielzahl schlechter Regulierungen gibt, denen er ausgesetzt ist. Er habe durchaus Sympathie für dieses Bild, teile auch dieses Vorurteil. Trotzdem bleibe die Frage: Welches sind die Kriterien, nach denen die Regu-

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lierungen, ausgesprochen oder auch nicht ausgesprochen, als negativ apostrophiert werden? Zweitens fragt Zeppernick, ob es ausreicht, wie es verschiedentlich geschehen sei, nur mit dem Effizienzkriterium zu argumentieren? Dann werde man bald i n eine Diskussion verwickelt, die da laute: Unter Effizienzgesichtspunkten mag dies zutreffen, aber i m Hinblick auf umweltpolitische, verkehrspolitische, wohnungspolitische, sozialpolitische oder andere Zielvorstellungen reicht es nicht aus. Zeppernick fordert dazu auf, nicht auf einer so engen Zielfunktion eine Diskussion zu bestreiten, die dann i m Hinblick auf die wirtschaftspolitische Umsetzung von vornherein überhaupt keine Chance hätte. Schließlich spricht Zeppernick den Zusammenhang zwischen Subventionen und Verteilungspositionen einerseits und Regulierungen andererseits an. Kurz habe i n seinem Referat anklingen lassen, daß jegliche Regulierung immense Verteilungskonsequenzen habe, die sie höchst attraktiv für diejenigen machten, die von der Regulierung profitieren. Nun sei nach den Ansatzpunkten zu fragen, u m ein solches Kartell der Regulierungen zu knacken. Wieland kritisiert, Kaufer habe sich zu abfällig über die Sustainability- und Contestability-Theorie geäußert. Erstens wisse man doch wirklich, was ein natürliches Monopol ist. Kaufer habe dieses Konzept als die „statisch-apologetische Theorie des natürlichen Monopols" bezeichnet. Das natürliche Monopol bedürfe aber als solches gar keiner Verteidigung. Die Marktzutrittsbarrieren bedürften der Verteidigung. Er glaube, es sei gerade für die empirische Wirtschaftsforschung äußerst nützlich, daß man sich jetzt klarer geworden sei, was ein natürliches Monopol ist. Gerade angesichts der manchmal etwas schöngeistigen Tendenz der Deregulierungsdiskussion sei das nicht unzweckmäßig. Insbesondere die Charakterisierung als eine statische Theorie sei unzutreffend: Tatsächlich habe sie auch eine starke dynamische Komponente. I m Falle der dynamischen Erweiterung sei das Problem der Marktzutrittsresistenz sehr viel interessanter und auch die Eintrittswahrscheinlichkeit sehr viel höher. Man wisse darüber zwar i m Moment noch nicht genug, aber gerade bei einem radikalen Technologiewechsel sei das Argument der Marktzutrittsresistenz sehr ernst zu nehmen und verdiene erheblichen Forschungsaufwand. Bei der Diskussion der Post habe Kaufer nicht unterschieden zwischen dem Argument für das natürliche Monopol, soweit es sich auf die Netzinfrastruktur bezieht, und soweit es sich auf die Dienstebene bezieht, die auf der Basis des Netzes möglich ist. Dabei ergäben sich aber unterschiedliche Aspekte hinsichtlich der sunk costs.

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Bei dem Argument hinsichtlich der Rosinenpickerei sei zu wenig zwischen dem Argument des natürlichen Monopols als solchem und dem der Tarifstrukturen, die dazugehören, unterschieden worden. Es gebe bei einem natürlichen Monopol Tarifstrukturen, die Rosinenpickerei leicht machten. Es gebe aber auch andere, kostenorientierte Tarifstrukturen, bei denen das Argument auf wirkliche Marktzutrittsresistenz hinauslaufe. Schatz greift das Thema auf: Er meint, die Möglichkeit des Rosinenpickens könne grundsätzlich kein Argument für die Regulierung sein. Man könne das auch an dem Beispiel erkennen, das Kurz noch zugelassen habe, dem des Kraftwerksbereichs: Oft werde davon ausgegangen, man müsse aus Sicherheitsgründen Überkapazitäten haben, und ein neuer Betreiber, der solche Auflagen nicht habe, könne kostengünstiger produzieren. Schatz meint man könne Wettbewerb ohne weiteres zulassen, und demjenigen, der aus Sicherheitsgründen Kapazitätsreserven unterhält, die Kosten dafür erstatten. Insofern sehe er i n diesem Argument überhaupt keinen Anlaß dafür, einen ganzen Bereich zu regulieren. Zu der Reform der Regulierung, die Kurz vorgetragen hatte, fügt Schatz einen weiteren Punkt an, der m i t der Beweislast zusammenhängt, die i m Zusammenhang m i t der Regulierung bestehe. I n Europa herrsche allgemein die Vermutung vor, daß Regulierung dem Gemeinwohl diene. I m Grundsatz sei es so, daß jeder, der das bezweifelt und als Anbieter neu i n einen Markt hinein w i l l , beweisen müsse, daß durch seinen eigenen Marktzutritt dem Gemeinwohl gedient würde. I n den USA sei i n den 70er Jahren die Beweislast umgekehrt worden. Ζ. B. stelle man beim Güterfernverkehr fest, daß diejenigen, die schon i n einem Markt seien, beweisen müßten, daß der Markteintritt eines zusätzlichen Anbieters das Gemeinwohl schädige — und nicht etwa die finanziellen Interessen der am Markt bereits präsenten Anbieter. A u f diese A r t und Weise sei der Güterfernverkehr, ebenso wie andere Bereiche i n den USA, sehr stark dereguliert worden, weil man die Möglichkeit des Marktzutritts stark erweiterte. Krupp plädiert dafür zu versuchen, die Sachprobleme nicht i n den begrifflichen Abgrenzungen zu verstecken. Er teile die Meinung von Willgerodt, daß es sinnvoll sei, zwischen Marktordnung und Marktregulierung zu unterscheiden, und daß sicher die Deregulierungsdiskussion heute eher von einer Euphorie getragen werde, die vielleicht i n den Abgrenzungen nicht ausreichend scharf sei. A u f der anderen Seite müsse man sich natürlich schon fragen, ob man das Problem damit lösen könnte, daß man sozusagen den unstrittigen Bereich i n die Marktordnung hineinnähme und alles andere dann zu Ad-hoc-Interventionen

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erklärte. Das Beipiel Willgerodts, die Umwelt, sei sehr gut und sehr brauchbar für die Diskussion. Wenn man Zeppernick folgte, indem man eine Zielfunktion m i t erweitertem Effizienzkriterium verwendete, werde man sehr schnell zu dem Ergebnis kommen, daß ζ. B. i m Umweltsektor etwas getan werden müßte. N u n sei die Frage, wie man das theoretisch und politisch einzuordnen hätte. Er bezweifle, ob man auch unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten gut beraten wäre, wenn man die notwendige Regulierung unter „Marktordnung" subsumierte. A n dem Beispiel zeige sich, wie dringend es wäre, aus der gegenwärtigen Alles-oder-nichts-Diskussion herauszukommen, die meist i m Zusammenhang mit der Regulierung geführt werde. Man müsse wohl anfangen, darüber zu reden, welche Intensität von Regulierung man haben wolle. Da wäre es denkbar, daß man ζ. B. sagte: I m Umweltsektor müssen gewisse Minimalregulierungen sein, aber i m übrigen arbeiten w i r an dieser Stelle m i t Wettbewerb. Krupp meint, es komme darauf an, genau über die Frage nachzudenken, wie man zu stärker wettbewerblichen Lösungen kommen könnte, ohne die erweiterte Zielfunktion zu gefährden. Das erscheine i h m als eine sehr viel wichtigere, konkretere Fragestellung für die Diskussion, die sozusagen das politische Spektrum der Probleme einbeziehe. Vor diesem Hintergrund werde man gegenüber der unbekümmerten Forderung skeptisch, daß man doch lieber die saubere Lösung wählen und subventionieren sollte. Käufer habe sehr überzeugend dargestellt, daß Regulierungen sehr schnell ihr Eigenleben führten und daß vieles an dem, was vielleicht an guter oder schlechter Begründung angeführt werde, am Anfang — und die Theoretiker seien der praktischen Entwicklung meist hinterher — noch gar nicht i n dieser Weise vorgebracht wurde — fortwährend würden also Rechtfertigungen für Regulierungsmaßnahmen nachgeschoben. Nur käme man bei einer Untersuchung über Subventionen wohl zu ähnlichen Ergebnissen. Er plädiert deshalb dafür, i n die Abwägung des anzuwendenden Instrumentariums unterschiedliche Grade von Regulierung, unterschiedliche Grade von Subventionierung und unterschiedliche Grade von Wettbewerb einzubeziehen. Sicherlich käme man zu dem Befund, daß i m Moment ein Abbau von Regulierungen wieder mehr Dynamik i n die Volkswirtschaft hineinbrächte. Aber auch an dieser Stelle warnt er davor, so zu tun, als ob von vornherein das amerikanische System überlegen wäre. Es scheine, i n der Bundesrepublik mache man sich keine Vorstellung davon, was das Ausgangsregulierungsniveau der Amerikaner war, von dem ab dann dereguliert worden ist. I h m scheine es keineswegs selbstverständlich zu sein, daß die deutsche Lösung — mehr öffentliche Unternehmen m i t niedrigerem Regulierungsniveau — von vornherein unterlegen sei; auch hier müsse man sehr genau abwägen. 5 Konjunkturpolitik, Beiheft 32

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Koch greift das Problem der Basiswahl auf: Die Frage nach dem Normzustand, von dem aus sich dann die Regulierung abspielt. Dieser Normzustand sei von allen Referenten mehr oder minder einmütig als freier Wettbewerb bezeichnet worden. Von hier aus werde man doch wieder auf die normative Theorie der Regulierung zurückverwiesen. Kruse habe sich dabei auf Bereiche beschränkt, für die man aus der Technologie oder aus der Gutseigenschaft heraus irgendwelche Normen darüber ableiten könne, wie der Wettbewerb funktioniert. Er habe ζ. B. für den Dienstleistungsbereich nicht zeigen können, was er als konstit u t i v für die Ausgangsregulierung oder: für eine Normalregulierung ansähe. Es sei unter diesem Aspekt auch kein Wunder, daß, wie aus der Tabelle von Kurz hervorgehe, i m industriellen Sektor relativ wenig reguliert war, i m Dienstleistungsbereich aber relativ viel. Dort mangele es für die Analyse an klar umrissenen und meßbaren Gutseigenschaften, also müßten die Gutseigenschaften offensichtlich über Rechte hergestellt und damit sozusagen ein Ausgangszustand konstituiert werden. Dieser Ausgangszustand i m Dienstleistungssektor führe dann praktisch weiter, dahin, daß man zu einer Theorie der Regulierung oder zu einer Deregulierung erst kommen könnte, wenn man einen wettbewerblichen Normzustand erarbeitet hätte, der durch ein weitergehendes Verständnis einer Aufgabenteilung zwischen Staat und privater Wirtschaft gekennzeichnet wäre. Scholz knüpft an Überlegungen von Zeppernick und Krupp an. Für ihn stelle sich die gegenwärtige Regulierungs- und Deregulierungsdiskussion so dar, daß die Ökonomen diese Diskussion i n der Abgrenzung auf ökonomische Sachverhalte h i n trimmten. Die Ökonomen dürften aber den Fehler nicht begehen, sich dieses Problem zurechtzulegen, daß es m i t den überkommenen wettbewerbstheoretischen Denkansätzen zu einem Weltbild geformt wird, das jenseits dessen liegt, was bei der heutigen Problemstellung i m Rahmen der Deregulierungsdiskussion eigentlich zur Debatte steht. Scholz schlägt vor, man möge sich bei der Deregulierungsdiskussion, insbesondere bei den noch zu behandelnden Einzelfällen, auf die Frage besinnen, wie heute aus ökonomischer Sicht bereits bestehende Regulierungsmaßnahmen greifen. I n bezug auf das dynamische Element solle man fragen, wo heute Regulierungsdiskussionen anstünden, die ökonomische oder nichtökonomische Entwicklungen vorprägten, die für die gesamtwirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen ausschlaggebend sein würden. Schließlich weist Scholz darauf hin, daß dort, wo i n den USA unabhängige Expertengremien i n die Deregulierungsdiskussion eingeschaltet worden waren, Trennlinien zwischen allgemeiner Politik und ökonomischen Überlegungen zumindest offengelegt würden. Diese Trennung sei gerade i n der Bundesrepublik sehr wünschenswert.

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Dagegen wendet Gutowski ein, man schalte sich wohl zu sehr aus der Diskussion aus, wenn man bei Fragen der Sozialverträglichkeit oder anderer Nebenziele sagte, der Ökonom sei nicht mehr zuständig. Man müsse doch mindestens sagen können, dieses oder jenes sei nicht das optimale Mittel. Allerdings gehöre die Frage der Sozialverträglichkeit doch meist eher i n die Diskussion u m den Steuertarif und nicht etwa i n die u m die Regulierung ganzer Wirtschaftszweige. Zu der Frage, wie man den goldenen Mittelweg der Regulierung bzw. Deregulierung finden sollte, merkt Willgerodt an, man könne i n der älteren deutschen ordnungspolitischen Literatur nachschlagen. Dort seien Interventionen verschiedener Typen und verschiedener Methoden, Prozeßinterventionen und Ordnungsrahmen i m Detail untersucht worden. Jedenfalls komme es auf die intelligente Dosierung an. Wenn man z.B. das Gefüge der EWG-Agrarpreise i m Rahmen des geltenden zwangswirtschaftlichen Systems nach unten führte, würde sich dieser Apparat verharmlosen. A l l e diejenigen, die sich damals gegen die Einführung dieses „Reichsnährstandes auf europäischem Sektor" wandten, seien damit beruhigt worden, daß man das Getreidepreisniveau nur so niedrig festsetzen müsse, daß Überschüsse nicht entstünden. Aber nun zeige sich — wie damals rechtzeitig vorausgesagt —, daß dies eben nicht stattfindet. Wenn ein solches Regulierungssystem eingeführt werde, habe man von vornherein vor, eine Dosierung zu wählen, die zur Sünde führt. Deswegen sei das ganze System abzuschaffen, etwas anderes werde nicht möglich sein. Kantzenbach kommt noch einmal auf die Ziele der Regulierung und der Deregulierung zurück. Die Regulierung sei wohl i n der Praxis, i n der positiven Theorie, weitgehend an Verteilungszielen orientiert. Auch sei die ökonomische Theorie fast ausschließlich an der ökonomischen Effizienz orientiert. Zu fragen sei nun, wie die beiden Dinge zusammenzubringen wären. Er halte nichts von einer ausschließlich am Effizienzziel orientierten Wirtschaftspolitik. Ökonomische Analyse hätte vielmehr die Aufgabe, zu zeigen, wie gewisse verteilungspolitische Ziele, die man eventuell als gegeben hinnehmen müsse, unter möglichst geringen Effizienzverlusten erreicht werden könnten. Dies könne zur Deregulierung führen. Ein Beispiel sei die Wohnungswirtschaft. I n den Begründungen für Wohnungssubventionen komme nach kurzer Zeit immer das Argument der kinderreichen Familien auf. Da stelle sich doch sofort die Frage, w a r u m man nicht das Kindergeld erhöht und die Wohnungen zu Marktpreisen anbietet. Dies hätte den gleichen Verteilungseffekt mit niedrigeren allokativen Verzerrungen. Oppenländer geht auf den von Kurz angesprochenen Zusammenhang zwischen Regulierung, Deregulierung und Innovation ein. Da der Inno5*

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vation eine entscheidende volkswirtschaftliche Bedeutung zukomme, sei dieser Zusammenhang wichtig. Kurz habe gesagt, Schutz durch Regulierung werde benutzt, u m neue Technologien durchzusetzen. Das sei wohl ironisch gemeint gewesen. Oppenländer stellt die Gegenthese auf: Kaufer habe einmal gesagt, daß die Innovation entscheidend durch die Nachfrage, durch die Wettbewerbsintensität angeregt werde. Daraus müsse man wohl den Schluß ziehen, daß i n den Bereichen, die stark reguliert sind, auch die Frage der Innovation mehr oder weniger i m argen liege. Hierzu geht Oppenländer auf einige Einzelprobleme ein: zunächst auf das natürliche Monopol. I n der Diskussion sei gesagt worden, dies sei eigentlich nur zu begründen, wenn eine gewisse technologische Reife erreicht worden sei. Nun sei aber zu fragen, ob man diese Reife konservieren könne, oder ob man nicht davon ausgehen müsse, daß immer wieder neue technische Fortschritte stattfinden und es dem natürlichen Monopol wahrscheinlich nicht gelingt, diese neuen technischen Fortschritte zu konservieren oder einzufangen. Zweitens, zum Inftrastrukturangebot hieße es, daß das Schienennetz und auch die Stromnetze dieses natürliche Monopol vertrügen. Es scheine aber doch heutzutage bei dem schnellen technischen Fortschritt, als ob das Infrastrukturangebot gerade dadurch beeinträchtigt werde, daß es die natürlichen Monopole gebe. Er erinnert an die Aufhebung des Postmonopols i n Japan und an die augenblickliche Entwicklung i n den Vereinigten Staaten. Deshalb sei die Frage zu stellen, ob man mit der Infrastrukturdarbietung i n Deutschland nicht schneller vorankäme, wenn dieses Monopol nicht bestünde. Drittens. Zum Einfluß des Staates sei es wohl unumstritten, daß der Staat überall da auf den Plan zu treten habe, wo grundsätzliche Fragen, ζ. B. der Grundlagenforschung, behandelt werden. Es sei aber keine Begründung ersichtlich, weshalb der Staat eingreifen müßte, weil sich ein öffentliches Unternehmen weiterentwickeln w i l l . Prinzipiell sollten dem Staat mehr als bisher Grenzen für seine Handlungen gesetzt werden. Die Frage der Effizienz der Technologiepolitik gehöre ebenfalls dazu. Müller kommt auf die Frage der positiven Theorie der Regulierung zurück. Die Probleme, die sich m i t der Regulierung ergeben, zeigten, wie wichtig gerade die Lehren aus der positiven Theorie sind. Sie ließen klarwerden, daß es unterschiedliche Arten der Regulierung gebe, u m gegebene Ziele zu erreichen, und daß es, wenn man international vergleicht, auch unterschiedliche A r t e n der Regulierung für die Erreichung derselben Ziele gebe. Hieraus lasse sich lernen, wie man eine Regulierungsreform ansetzen könnte. Kaufer habe gezeigt, daß Regulierungsinstitutionen ein Eigenleben entwickeln.

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Die Frage — auch für die anstehenden Probleme i n der Bundesrepub l i k — sei nun, welche A r t der Regulierungsreform man durchführen könnte, u m die gegebenen Ziele besser zu erreichen. Dabei müßten auch außerökonomische Ziele einbezogen und mit weniger allokativen Kosten erreicht werden. Müller nennt dazu einige Instrumente: Das erste sei auf jeden Fall, Marktzutritt und auch Rosinenpicken zu erlauben. Das heiße natürlich, daß man Verteilungsaspekte der Regulierung aufgeben müsse; denn Rosinenpicken heiße de facto, daß die Erreichung von Verteilungszielen nicht mehr durch die Regulierung gewährleistet werden kann. Das bedeutete auch, daß man m i t derselben Reformidee möglicherweise auch die Subventionierungspolitik untersuchen und verbesserte Subventionsinstrumente finden könnte. Wenn man die Verteilungsaspekte aufgäbe, würden gleichzeitig die Aspekte der Subventionierung viel wichtiger. Hätte man ζ. B. nicht mehr Tarifeinheitlichkeit i m Raum, so müßte dieses Problem explizit gelöst werden. Auch die Möglichkeit, die momentan bestehe, daß ζ. B. Gewinne, die durch Marktzutrittsbeschränkungen entstehen, dazu benutzt würden, u m Technologiepolitik zu betreiben, müßte dann explizit gewährleistet werden. Vor diesem Hintergrund sei es vielleicht auch interessant, daß die amerikanischen und auch die kanadischen Erfahrungen der Entregulierung und die positive Theorie der Regulierung gezeigt hätten, daß die Interessen derer, die den Status quo verteidigen wollen, stets besser organisiert werden könnten. I n bezug auf die Innovationen ergäben sich Vorteile erst i n der Zukunft. Diejenigen, die von diesen Vorteilen profitieren werden, könnten sich noch gar nicht zusammenschließen, so daß die Koalitionen für den Erhalt des Status quo natürlich immer stärker seien. Deswegen sei der wichtigste Punkt, Marktzutritt zu erlauben, u m Monopolgewinne vor Marktzutrittsbarrieren zu verhindern. Als zweiten Punkt nennt Müller den schon erwähnten Ansatz, die Beweislast nicht dem aufzuerlegen, der i n den Markt eintreten w i l l , sondern dem, der den Markt verteidigen w i l l . Als dritten Punkt erwähnt er, daß man auf jeden Fall versuchen müsse, eine Trennung der Regulierungsbehörde von der Branche und auch von der Politik zu erreichen. Deswegen seien auch die öffentlichen Unternehmen i n der Bundesrepublik nicht ganz unumstritten. Zwar gebe es hier die Möglichkeit, relativ schnell einzugreifen, weil das I n formationsproblem wegfalle, das sonst die Arbeit der Regulierungsinstitutionen behindere. Andererseits würden aber die an sich vorhandenen Informationen nicht weitergegeben, sondern für die eigenen Interessen benutzt.

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Schließlich empfiehlt Müller, dort, wo Regulierung neu geschaffen wird, eine Regulierungsform anzustreben, welche die positive Theorie der Regulierung berücksichtigt. Wie selten das i n der Praxis sei, könne man bei der aktuellen Regulierung des Kabelfernsehens sehen. Hier werde eine Ad-hoc-Politik gemacht, die nur von ganz kurzfristigen medienpolitischen Kriterien ausgehe und nicht langfristig günstige Rahmenbedingungen schaffe. Auch für Knieps ist die Frage nach dem harten Kern, der auch i n Zukunft reguliert werden sollte und andererseits nach den Bereichen, die durch Wettbewerb geregelt werden sollten, noch nicht hinreichend geklärt. Offenbar gebe es unterschiedliche Meinungen. Knieps weist auf die Schwierigkeit hin, daß sich die Schätzung der Größenvorteile auf das Gesamtsystem bezieht. Letztlich müßte sich dann der regulierte Bereich auf ein viel breiteres Gebiet beziehen als nur ein einzelnes Marktsegment (Beispiel: Endgeräte i m Telekommunikationsbereich). Die Frage sei, ob technologische Argumente die Grundlage dafür bieten könnten, daß der Wettbewerb ausgestaltet werden müßte. Weiterhin sei nach den minimalen Regulierungen zu fragen, und auch nach der Möglichkeit, kleine lokale Monopole getrennt zu verwalten, statt sie einer einheitlichen Lenkung zu unterstellen. Schließlich warnt Knieps davor, die Zielfunktion zu sehr auszudehnen. Externalitäten könne man aufgrund der normativen Sichtweise durchaus miteinbeziehen. Aber alles i n die normale Infrastrukturzielsetzung einzubeziehen, hieße alles zu vermischen. Dann könne man keinen minimalen Konsens dafür finden, wo aus Effizienzgründen reguliert werden sollte und wo nicht. I n seinem Schlußwort stellt Kruse fest, er sehe seine Aufgabe Ökonom darin, zu sagen, welches unter Vorgabe bestimmter Ziele voraussichtlich effizienten Verfahren und Institutionsformen sind. Effizienz schließe ζ. B. auch solche Aspekte wie Umweltschutz usw. Derartiges sei über den Begriff der externen Effekte völlig i n die trachtung integriert.

als die Die ein. Be-

Es gebe eine Reihe anderer Ziele, ζ. B. sozialpolitische oder regionalpolitische Ziele, über die man als Ökonom aber nicht so gut Aussagen machen könne, auch wenn man sie als Ziele akzeptierte. Vor allem sei die Gewichtung der Ziele i m konkreten Fall stets strittig. I n solchen Fällen sei es am vernünftigsten, das Effizienzziel i n den Vordergrund zu stellen. Kurz geht auf das Problem der notwendigen zweitbesten Lösungen ein. Subventionierung statt Regulierung habe er nicht als optimales Verfahren vorgeschlagen, sondern ganz klar als eine Second-bestLösung. Aber die Lösung, zu subventionieren und zunächst einmal den

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Marktmechanismus sich frei entfalten zu lassen, sei i n den meisten Fällen eine bessere Lösung als zu regulieren. Man brauche zunächst nicht i n den Marktmechanismus zu intervenieren und bestimmte Ergebnisse oder Strukturen festzulegen, sondern könne von der Vermutung ausgehen, daß die effizienten Lösungen durch den Markt zustande kommen. I n der Frage nach der Zielfunktion stimmt Kurz Kruse insofern zu, daß es wirklich ein Gewichtungsproblem sei. U m neben der allokativen Effizienz andere Ziele aufzunehmen, müsse man Gewichtungen durchführen, über die man ökonomisch-wissenschaftlich nicht entscheiden könne. Er bezweifelt aber, daß man sich allein auf allokative Effizienz zurückziehen könne; damit negiere man das Problem.

Zweiter Teil

Ausgewählte Problembereiche : Stand und Begründung der Regulierung; Möglichkeiten und Grenzen der Deregulierung 1. Verkehrswesen

Stand und Begründung der Regulierung im Luftverkehr — Möglichkeiten und Grenzen der Deregulierung Von Klaus-Werner Schatz, K i e l I. Einleitung 1. I m Jahre 1978 hat die amerikanische Regierung — noch unter dem demokratischen Präsidenten Carter — eine grundsätzliche Abkehr von ihrer bis dahin verfolgten Luftverkehrspolitik vollzogen. M i t dem „ A i r line Deregulation Act of 1978" wurde der inneramerikanische Markt für US-Fluggesellschaften i n den Folgejahren nahezu völlig freigegeben. Die Luftaufsichtsbehörde CAB (Civil Aeronautics Board) ist m i t Wirkung vom 1. Januar 1985 aufglöst worden, und noch verbleibende behördliche Funktionen wurden an andere Institutionen übertragen. Von vielen, vor allem den großen amerikanischen Fluggesellschaften wurde die Deregulierung für falsch gehalten, und die Entwicklung nach 1978 schien ihnen zunächst recht zu geben. A l l e Gesellschaften zusammen genommen erlitten nämlich steigende Verluste. I n der Zwischenzeit, auch angesichts der Gewinne, die wieder erzielt werden, haben die meisten amerikanischen Unternehmen wohl die Einsicht gewonnen, daß auch i m Luftverkehr Amerikas Platz für viele, für Wettbewerb und den Markt ist. 2. Die meisten Unternehmen und m i t dem Luftverkehr befaßten Behörden und Politiker i n Europa (und anderen Teilen der Welt) stehen der neuen amerikanischen Politik nach wie vor skeptisch gegenüber; zumindest aber halten sie die Regulierung i n ihrem eigenen Zuständigkeitsbereich für weiterhin dringend erforderlich. Dafür maßgeblich sind teils grundsätzliche Argumente, m i t denen auch bezweifelt wird, daß die amerikanische Politik selbst für die USA sinnvoll ist, teils handelt es sich u m Argumente, nach denen die Verhältnisse i n den Vereinigten Staaten anders als i n Europa sind und es verbieten, eine solche liberale Politik wie dort auch hier zu betreiben oder die amerikanischen Erfahrungen, sollten sie doch positiv sein, auf Europa zu übertragen. I m folgenden w i r d zunächst allgemein dargelegt, wie der Luftverkehr reguliert wird. Danach w i r d analysiert, wie i n den USA i m besonderen reguliert wurde, welche Erfahrungen dort zur Deregulierung

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geführt haben, wie dereguliert wurde u n d wie man die Ergebnisse der Deregulierung zu beurteilen hat. Darauf w i r d dargestellt, wie der L u f t verkehr i n Europa reguliert w i r d und ob man i h n nach amerikanischem Vorbild liberalilsieren sollte. Abschließend w i r d diskutiert, welche neueren Entwicklungen bei der europäischen Luftverkehrspolitik zu erkennen sind. Der Beitrag behandelt, sofern nicht ausdrücklich angemerkt, den Linienluftverkehr, das heißt, den regelmäßigen, nach einem festen Plan vorangekündigten Flugverkehr. Π . Staatliche Regulierungen des Luftverkehrs 3. Staatliche Eingriffe i n den zivilen Luftverkehr gibt es nahezu seit Entstehen dieses Wirtschaftszweiges i n den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts, als zahlreiche Luftverkehrsunternehmen gegründet w u r den. Ziel der Eingriffe w a r es zunächst vor allem, das Entstehen größerer Unternehmen zu fördern, w e i l man n u r sie auf die Dauer für existenz- und leistungsfähig hielt. Zu diesem Zweck wurden i n Europa Subventionen, die man anfangs recht gestreut gewährt hatte, schon bald nur noch unter Fusionsauflagen gegeben und auf einige wenige Gesellschaften konzentriert. Außerdem kauften die Regierungen Unternehmen auf und fusionierten sie selbst 1 . Schließlich spielte der Staat auch seine Nachfragemacht aus, indem er Beförderungsaufträge nur noch an große oder fusionswillige Unternehmen vergab. Dies hat i n den USA eine große Bedeutung gehabt; dort hat die Beförderung der Post für das Entstehen der Luftverkehrsgesellschaften eine besondere u n d größere Rolle als i n Europa gespielt. 1932 wurden 90 v H aller Postbeförderungen an n u r drei Unternehmen vergeben, wobei wichtig ist, daß erst 1936 die Einnahmen aus dem Passagierverkehr jene aus der Postbeförderung erreichten. Ähnlich wie i n Europa subventionierte der Staat auch i n den USA den Luftverkehr durch die kostenlose Bereitstellung von Infrastruktur (z. B. Flughäfen, Navigationshilfen), dagegen spielten direkte Subventionen an die Unternehmen k a u m eine Rolle 2 . 4. I n den zwanziger und dreißiger Jahren gingen sowohl i n Europa als auch i n den USA die wesentlichen behördlichen Kompetenzen für den Luftverkehr, die ursprünglich oft auf dezentraler Ebene gelegen hatten, an die Zentralstaaten über. I n Europa wurden diese Kompe1 A u f diese Weise entstand so i m Jahre 1925 auch die Deutsche Lufthansa A G , die i m folgenden allein noch v o m Reich subventioniert wurde; das Reich hatte 80 v H der A k t i e n der fusionsunwilligen Junkers L V G erworben u n d sie anschließend m i t dem fusions w i l l i g e n Deutschen Aero L l o y d verschmelzen können, die damals die größten Luftverkehrsunternehmen i n Deutschland waren. — Hans Krexa, Das Verhältnis v o n Staat u n d Luftfahrtunternehmen. Göttingen, 1937, s. bes. S. 5. 2 Vgl. z. B. Emery R. Johnson, Government Regulation of Transportation. New Y o r k , London, 1938, s. bes. S. 583 ff.

Stand u n d Begründung der Regulierung i m L u f t v e r k e h r

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tenzen verstärkt dazu eingesetzt, Unternehmen unter staatliche Kontrolle zu bringen. Flugverkehr wurde i n der Regel nur noch durch einzelne oder wenige Unternehmen genehmigt 3 . A n diesen Umständen hat sich bis heute wenig geändert. I n den USA blieb i m Gegensatz dazu der Markteintritt für Unternehmen bis 1938 offen, als m i t dem Civil Aeronautics Act der Luftverkehr staatlicher Genehmigung unterworfen wurde. Insbesondere wurde der großräumige Linienluftverkehr zwischen den Staaten der USA auf die 18 bestehenden Luftverkehrsgesellschaften (Trunk Carriers) beschränkt. Sie befanden sich alle i n privatem Besitz. Neue Genehmigungen sollte die Luftaufsichtsbehörde nur erteilen, wenn die Antragsteller beweisen konnten, daß der Markt groß genug war und zusätzlicher Wettbewerb weder die vorhandenen Unternehmen noch das antragstellende Unternehmen finanziell gefährdeten. Tatsächlich wurden aber (bis 1978) solche Genehmigungen nicht gewährt, obschon viele entsprechende Anträge gestellt wurden. Die Zahl der vorhandenen (Trunk) Unternehmen sank infolge von Fusionen auf zehn zu Ende der siebziger Jahre 4 . Sowohl die amerikanischen als auch die europäischen Behörden beschränkten sich aber nicht nur auf die Kontrolle des Marktzuganges, sondern sie behielten sich auch Eingriffe i n die Preisgestaltung und zum Teil i n Umfang und Struktur des Kapazitätsangebotes vor. Waren ursprünglich für solche Eingriffe i m wesentlichen „infant industry" -Argumente angeführt worden, so stützt man sich i m Laufe der Zeit immer stärker auf die Annahme, i m Luftverkehr würden sich ohne staatliche Regulierung natürliche Monopole her» Vgl. dazu L u f t v e r k e h r u n d Staat. Sonderarbeiten zur Förderung des Außenhandels. Die Organisation der Handelsluftfahrt i n sämtlichen L ä n dern. Herausgegeben v o n der Zentralstelle für Außenhandel gemeinsam m i t der Schriftleitung der Korrespondenz der Industrie u n d Handel. Berlin, 1933. 4 E i n Unternehmen mußte schließen. — Paul Biederman, The U.S. A i r l i n e Industry. End of an Era, New Y o r k , 1982, s. bes. S. 1 ff. — Dagegen hat das C A B regelmäßigen Verkehr m i t kleinen Flugzeugen m i t zunächst höchstens 19, ab 1972 höchstens 30 Sitzplätzen weiter zugelassen (commuter services). Später w u r d e regional begrenzter Linienverkehr über Staatsgrenzen hinweg durch zur Zeit der Deregulierung insgesamt sechs Unternehmen erlaubt (local services). E r w a r ursprünglich als Zubringerverkehr zu den v o n den Trunks bedienten Flughäfen gedacht. Außerdem wurde i n der Folgezeit Charterverkehr durch spezielle Charterunternehmen u n d Liniengesellschaften genehmigt. — John R. Meyer, Deregulierung u n d die Wiedergeburt des Unternehmers. M i t besonderer Berücksichtigung der Erfahrungen i n der U.S.-Luftfahrt. I n : Dieter Bös, Hans-Dieter Stolper (Hrsg.), Schumpeter oder Keynes? Z u r Wirtschaftspolitik der neunziger Jahre. Berlin, 1984, S. 147 - 176. — John R. Meyer, Clinton V. Oster, A i r l i n e Deregulation. The Early Experience. Boston, 1981, s. bes. Chapter I. Bis zur Deregulierung wickelten die Truncks aber r u n d 90 v H des Linienverkehrs ab (Tabelle 3), u n d der Charterverkehr für zivile Zwecke belief sich auf n u r r u n d 9 v H des gesamten zivilen Verkehrs (in Personenkilometern; 1977); v o n diesem zivilen Charterverkehr entfiel wiederum n u r etwas weniger als die Hälfte auf spezielle Charterunternehmen. — Henning Sichelschmidt, Die neue Luftverkehrspolitik der Vereinigten Staaten — ein Modell für Europa. Kieler Diskussionsbeiträge 81. Kiel, Oktober 1981, s. bes. Tabelle 1.

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ausbilden. Insbesondere die Regulierungspolitik des CAB beruhte explizit auf dieser Ansicht 5 . Allerdings überließ man den Flugverkehr weiterhin Unternehmen i n Privatbesitz, während man i n Europa an die Stelle möglicher privater Monopole ohnehin schon sehr frühzeitig gewöhnlich die Monopole von Unternehmen i n Staatsbesitz gesetzt hatte 6 . 5. I m internationalen Luftverkehr geht die gegenwärtige Ordnung auf das Abkommen von Chicago über die internationale Zivilluftfahrt von 1944 zurück, dem inzwischen die meisten Länder beigetreten sind, die Luftverkehr betreiben 7 . Das Abkommen räumt jedem Staat die ausschließliche Lufthoheit über seinem Territorium ein; dies bedeutet unter anderem, daß das Überfliegen des Hoheitsgebietes eines anderen Staates von diesem genehmigt werden muß. Zwar wurde auf der Konferenz versucht, zu Vereinbarungen zu gelangen, mit denen solche Genehmigungen auf multilateraler Basis erteilt werden sollten; die Versuche scheiterten aber vor allem am Widerstand des Vereinigten Königreiches, das wie die meisten anderen europäischen Länder befürchtete, unter einem solchen liberalen Regime würden die amerikanischen Unternehmen den internationalen Luftverkehr beherrschen 8 . Man konnte sich schließlich lediglich darauf verständigen, daß sich die Beitrittsstaaten zu dem Abkommen von Chicago multilateral zwei Rechte für ihre jeweiligen Fluggesellschaften einräumten, nämlich — das Recht, fremdes Hoheitsgebiet ohne Landung zu überfliegen, und — das Recht, auf fremdem Hoheitsgebiet zu nicht-gewerblichen Zwekken (z. B. zum Tanken) zu landen. Es handelt sich dabei u m die beiden ersten (eher technisch bedeutsamen) von fünf sogenannten Freiheiten, die i n einer Anlage zu dem Chicago-Abkommen definiert wurden. Wann immer dagegen eine Fluggesellschaft Personen, Fracht und Post — vom Heimatstaat i n einen anderen Staat (dritte Freiheit), — von einem anderen Staat i n den Heimatstaat (vierte Freiheit), — zwischen zwei beliebigen Staaten (fünfte Freiheit) s Vgl. z. B. George W. Douglas , James C. Miller, Economic Regulation of Domestic A i r Transport: Theory and Policy. Washington, 1974. — Michael W. Pustay , Deregulating A i r Transportation: The U.S. Experience. I n : Herbert Giersch (Hrsg.), Reassessing the Role of Government i n the M i x e d Economy. Symposium 1982. Tübingen, 1982, S. 265 - 286. β Vgl. ζ. Β . P. P. C. Haanappel , Pricing and Capacity Determination i n International A i r Transport. A Legal Analysis. Montreal, 1984, s. bes. S. 47 ff. 7 Das A b k o m m e n v o n Chicago hat i n der International Convention for A i r Navigation, die i m Zusammenhang m i t der Friedenskonferenz nach dem I. W e l t k r i e g 1919 i n Paris unterzeichnet wurde, einen ersten Vorgänger, der f ü r den L u f t v e r k e h r i n Europa maßgebend w a r u n d ebenfalls die L u f t hoheit einräumte. — Vgl. W i l l i a m E. O'Connor , Economic Regulation of the World's Airlines. New Y o r k , Washington, London, 1971, s. bes. S. 16. β Haanappel, Pricing . . . , a.a.O., S. 10 ff.

Stand u n d Begründung der Regulierung i m L u f t v e r k e h r

79

befördern w i l l , müssen dazu bilaterale Abkommen zwischen den jeweils beteiligten Staaten abgeschlossen werden. I n diesen und anderen Abkommen w i r d regelmäßig das gegenseitige Recht der Beförderung zwischen den Gebieten der vertragschließenden Parteien i n beide Richtungen eingeräumt (dritte und vierte Freiheit). Dagegen w i r d das Recht, Verkehr zwischen zwei Staaten durchzuführen, von denen keiner Heimatstaat der Fluggesellschaft ist (fünfte Freiheit), zum Beispiel innerhalb Europas zwar ebenfalls häufig gewährt; aber dies geschieht dann unter so restriktiven Bedingungen, daß solcher Verkehr unbedeutend geblieben ist, weil sich die Nutzung des Rechts kaum lohnt 9 . I I I . Die Regulierungs- und Deregulierungspolitik der USA 6. Die Deregulierungspolitik i n den USA fand zwar 1978 erst ihren endgültigen Durchbruch, einzelne vorsichtige Liberalisierungsschritte waren aber schon seit etwa 1973 vorgenommen worden. Anlaß dazu waren einmal Klagen von Verbrauchern, die Preise i m Flugverkehr innerhalb einzelner Bundesstaaten wie Kalifornien oder Texas, der nicht der Bundesregulierung unterlag, seien wesentlich niedriger als die Preise auf vergleichbaren Linien zwischen Bundesstaaten. Zum anderen beschwerten sich Unternehmen darüber, daß es ihnen nicht möglich sei, die Renditen, die das CAB selbst für angemessen und erforderlich hielt, tatsächlich auch zu erwirtschaften. 10 Solche seit längerem vorgebrachten Vorwürfe veranlaßten das CAB 1970 dazu, eine Überprüfung der Grundsätze seiner Preis- und Regulierungspolitik einzuleiten. 11 I m Zuge dieser Überprüfung, die öffentliche Anhörungen einschloß und bis 1974 anhielt, konnten Douglas und Miller überzeugend zeigen, daß erstens die Regulierung, die das CAB betrieb, direkte Ursache dafür war, daß die Luftverkehrsunternehmen die ihnen zugedachte Rendite nicht erzielen konnten, daß zweitens die Regulierung zu unnötiger Verschwendung von Ressourcen führte, und daß drittens die Annahme unbegründet sei, i m Luftverkehr der USA würden sich Monopole herausbilden, falls man i h n nicht reguliere; vielmehr seien i m Luftverkehr wie auch i n anderen Wirtschaftszweigen die Voraussetzungen für dauerhaften, dem Konsumenten dienlichen Wettbewerb gegeben. 12 » Henning Sichelschmidt, Wettbewerb statt staatlicher Regulierung — Wege zu einem besseren Luftverkehrssystem i n Europa. Kieler Diskussionsbeiträge 100. K i e l , August 1984. io Vgl. z. B. PiLstay, Deregulating . . . , a.a.O., S. 265. n Domestic Passenger Fare Investigation. — Vgl. ζ. Β. I v o r P. Morgan , Government and the Industry's Early Development. I n : Meyer, Oster (Hrsg.), A i r l i n e Deregulation . . . , a.a.O., S. 13 - 37. — Biederman, The U.S. A i r l i n e Industry, a.a.O. 12 Douglas , Miller, Economic Regulation . . . , a.a.O.

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Klaus-Werner Schatz

7. Die Politik des CAB basierte auf drei Grundsätzen. Einmal sollten keine neuen, m i t den existierenden Linienfluggesellschaften (Trunks) konkurrierenden Unternehmen zugelassen werden. Zum anderen sollten die genehmigten Preise sowohl die Kosten der Unternehmen abdecken und ihnen eine angemessene Rendite verschaffen als auch den Konsumenten gegenüber angemessen sein. Schließlich durfte das CAB aufgrund gesetzlicher Vorschriften nicht i n die Flugplangestaltung eingreifen, sobald die Aufnahme von Flugverkehr auf einer Linie durch eine Gesellschaft von i h m einmal zugelassen war. 1 3 Gewöhnlich wurde zwischen zwei und vier Unternehmen der Verkehr auf derselben Linie gestattet. 14 Damit schuf das CAB Oligopole auf den meisten Fluglinien. Da die zugelassenen Unternehmen nicht m i t Preisen konkurrieren durften, traten sie i n den offenstehenden Qualitätswettbewerb ein. Er betraf nicht nur die Serviceleistungen (beispielsweise Verpflegung, Sitzbreite, Abfertigung) an Bord oder am Boden, sondern insbesondere auch die Zahl der auf einer Linie angebotenen Flüge. Douglas und Miller konnten sogar zeigen, daß der Marktanteil eines Unternehmens auf einer Linie i m wesentlichen von der Zahl der angebotenen Flüge abhing. 1 5 Die durch das CAB-Regime angereizte oligopolistische Kapazitätskonkurrenz führte dazu, daß die Kapazitätsauslastung trendmäßig deutlich sank. Hatten die Sitzladefaktoren i m inneramerikanischen Linienverkehr zu Beginn der sechziger Jahre noch bei fast 60 v H gelegen, so betrugen sie zu Anfang der siebziger Jahre nur noch weniger als 50 v H . l e Zwar versuchte das CAB den Kostensteigerungen der Unternehmen, die sich aus der Abnahme der Kapazitätsauslastung ergaben, durch die Genehmigung von Preissteigerungen Rechnung zu tragen. Letztlich ermutigte es dadurch aber wieder nur neuerliche Kapazitätsausweitungen der Unternehmen m i t der Folge, daß sie die vom CAB angestrebten Erlöse wiederum nicht erwirtschaften konnten. 1 7 8. Z u Anfang der siebziger Jahre entschlossen sich einige große Gesellschaften zu Absprachen über Kapazitätsbeschränkungen auf bestimmten transkontinentalen Linien und beantragten entsprechende 13 Douglas, Miller, Economic Regulation . . . , a.a.O., S. 129. 14 Biederman, The U.S. A i r l i n e Industry, a.a.O., S. 8 ff. is Douglas, Miller, Economic Regulation . . . , a.a.O., S. 44 ff. ie Verkaufte Personenkilometer i n v H der angebotenen Personenkilometer. — Sichelschmidt, Wettbewerb statt staatlicher Regulierung . . . , a.a.O., S. 24. 17 Douglas, Miller, Economic Regulation . . . , a.a.O., S. 54 ff. — Biederman, The U.S. A i r l i n e I n d u s t r y . . . , a.a.O., S. 145 ff. — Z u diesem Verhalten der Fluggesellschaften t r u g auch ihre eigene Auffassung bei, daß die Grenzkosten i m Flugverkehr m i t zunehmender Kapazität fallen. — Morgan, Government . . . , a.a.O., S. 33/34. — I m Grunde geht es bei diesem Argument wieder u m die Behauptung, der Flugverkehr sei der F a l l eines natürlichen Monopols.

Stand u n d Begründung der Regulierung i m Luftverkehr

81

Genehmigungen durch das CAB. 1 8 Das CAB widersprach solchen Absprachen aus prinzipiellen Überlegungen, ließ sie gleichwohl und mehrfach verlängert zu, und zwar gegen den Widerstand kleinerer Gesellschaften, die befürchteten, die aus den transkontinentalen Strecken genommenen Kapazitäten würden i n ihre Märkte drängen. 19 I n der Folge stieg die Kapazitätsauslastung auf den betreffenden Märkten und i m inneramerikanischen Luftverkehr insgesamt an und m i t i h r die Gewinne. 1975 wurden solche Genehmigungen durch das CAB aber auf Antrag des Justizministeriums gerichtlich untersagt. 20 Zu diesem Zeitpunkt hatte sich i n der breiteren Öffentlichkeit nicht nur die Meinung durchgesetzt, die Absprachen der großen Unternehmen seien unfair gegenüber den kleineren, sondern vielmehr auch die Überzeugung, die Regulierungspolitik des CAB selbst sei Ursache der Überkapazitäten, w e i l die festgesetzten Preise — über einem möglichen Preis bei Wettbewerb — zu hoch seien. Sie verringerten die Nachfrage nach Flugleistungen und reizten gleichzeitig zur Kapazitätsausweitung an. 2 1 I m Februar 1975 kündigte Präsident Ford an, die Preiskontrollen durch das CAB sollten aufgegeben und der Markteintritt für Unternehmen freigegeben werden, und jedes Unternehmen solle selbst bestimmen können, welche Linien es befliegen wolle. 2 2 Gegen den Widerstand einiger großer Unternehmen und ab März 1975 unter seinem neuen Vorsitzenden John Robson wurde die Politik des CAB zunehmend liberaler, das bedeutet, sie ließ mehr Preis- und Anbieterwettbewerb zu. Diese Politik wurde unter Alfred Kahn seit Juni 1977 verstärkt fortgesetzt. I m Oktober 1978 unterzeichnete Präsident Carter den A i r l i n e Deregulation Act, der sofortige durchgreifende Deregulierungsmaßnahmen vorsah, insbesondere was die Preispolitik und die Zulassung neuer Unternehmen und neuen Verkehrs betraf, und die schrittweise völlige Deregulierung festlegte. Sie ist ab 1. Januar 1983 verwirklicht. 2 3 Eine besondere Rolle hat 18 Z w a r durfte das C A B solche Kapazitätsbeschränkungen nicht selbst verfügen, aber es konnte Absprachen der Unternehmen dazu genehmigen. Falls solche Genehmigungen erteilt wurden, verstießen die Unternehmen nicht gegen die Anti-Trust-Gesetzgebung, die sonst derartige Absprachen verbot. — Douglas, Miller, Economic Regulation . . . , a.a.O., S. 128 ff. io Morgan, Government . . . , a.a.O., S. 33 ff. — Zugleich lockerte das CAB seine Preispolitik u n d ließ Sondertarife auf verschiedenen L i n i e n zu, unter anderem, u m der bedeutsamer werdenden Konkurrenz durch den Charterflugverkehr zu begegnen, der weniger stark reguliert war. Tatsächlich n a h m die Bedeutung des Charterverkehrs i n der Folge ab. — Sichelschmidt, Die neue Luftverkehrspolitik . . . , a.a.O., S. 22 ff. so Morgan, Government . . . , ebenda. «ι Douglas, Miller, Economic Regulation . . . , a.a.O., S. 130. 22 I v o r P. Morgan, Towards Deregulation. I n : Meyer, Oster (Hrsg.), A i r l i n e Deregulation . . . , a.a.O., S. 41 - 52. 23 Die Unternehmen müssen w e i t e r h i n eine Fluglizenz beantragen. Gep r ü f t w i r d v o n den Behörden lediglich, ob sie technisch i n der Lage sind, den beantragten Verkehr durchzuführen. Wirtschaftliche Gesichtspunkte spielen keine Rolle. Anträge werden sehr selten zurückgewiesen; das Ge-

6 Konjunkturpolitik, Beiheft 32

82

Klaus-Werner Schatz

bei der Deregulierung des Luftverkehrs i n Amerika der Senat gespielt, der durch verschiedene intensive Anhörungen und sorgfältige Berichte auch i n der Öffentlichkeit das Bewußtsein weckte, daß die überkommene Politik, m i t der die etablierten Unternehmen geschützt werden sollten, zur Verschwendung von Mitteln geführt, für die Verbraucher überhöhte Preise gebracht und ihre Wahlfreiheit eingeschränkt hatte. IV. Entwicklungen im inneramerikanischen Luftverkehr nach 1978 9. Die amerikanischen Linienfluggesellschaften mußten i n den Jahren, die der Deregulierung folgten, noch niemals zuvor verbuchte Verluste hinnehmen. 2 4 Hatten die Gewinne 1978 noch 1,4 Mrd. US-Dollar betraden, so machten die Verluste 1982 0,8 Mrd. US-Dollar aus (Tabelle 1). Dies schien auf den ersten Blick die Auffassung zu bestätigen, daß Wettbewerb i m Luftverkehr zunächst ruinöse Konkurrenz und anschließend ein Monopol zur Folge haben müsse. Tatsächlich beruhte die Entwicklung aber teils auf Ereignissen, die nichts m i t der Deregulierung zu t u n hatten — so dem weltweiten Konjunktureinbruch 1979/80 und der Erhöhung der Treibstoffpreise 1979 infolge der erneuten Erdölpreiserhöhungen durch die OPEC, die bei dem Konjunktureinbruch nicht i n steigenden Flugpreisen weitergeben werden konnten; beispielsweise mußten die IATA-Gesellschaften von 1980 bis 1982 insgesamt Verluste hinnehmen (Tabelle 1), zu denen die amerikanischen Mitgliedsunternehmen — m i t Ausnahme von Flying Tiger allein (sechs) Trunks — zwar erheblich, aber doch nicht den überwiegenden Teil beitrugen. Teils signalisierte die Entwicklung aber auch nur die Tatsache, daß die Deregulierung Ineffizienzen i m bisherigen System deutlich machte. 25 Sie setzte die etablierten Unternehmen unter Anpassungsdruck, so wie man es ganz allgemein erwarten würde, wenn i n einem Wirtschaftszweig an die Stelle von Protektion der offene Wettbewerb t r i t t 2 6 10. Dies w i r d deutlich, wenn man einmal die Gewinne i m amerikanischen Luftverkehr nach Unternehmensgruppen untersucht. Zusammengenommen gab es von 1980 bis 1982 stets Verluste (Tabelle 1). M i t Ausnahme von 1982 war dies allerdings durch die Gruppe der 12 großen nehmigungsverfahren dauert n u r wenige Wochen. — James W. Callison, The A i r l i n e Deregulation A c t of 1978. I n : George W. James (Hrsg.), A i r l i n e Economics. Lexington, 1982, S. 169 - 183, s. bes. S. 172. 24 Vgl. hierzu auch: Henning Sichelschmidt, W e l t l u f t verkehr: I m Umbruch. Die Weltwirtschaft, 1981, Heft 2, S. 168 - 178. 25 A l f r e d E. Kahn , Is I t T i m e to Reregulate the A i r l i n e Industry? The W o r l d Economy, Vol. 5, No. 4, December 1982, S. 341 - 366. — Henning Sichelschmidt, Weltluftverkehr: I m Umbruch, a.a.O. 2β Die Verluste der sonstigen, nicht-amerikanischen I A T A - M i t g l i e d e r k o n zentrierten sich auf einige wenige Unternehmen. — Sichelschmidt, W e l t l u f t verkehr . . . , a.a.O., S. 172 ff.

Stand u n d Begründung der Regulierung i m Luftverkehr

83

Tabelle 1 Zur Gewinnentwicklung bei den IATA-Mitgliedsunternehmen und bei US-Liniengesellschaften, 1978 - 1983 (Mill. US-Dollar)*) Gesellschaften

1978

IATA-Mitgliedsgesellschaften . .

1900

US-Liniengesellschaften

1366

192

12 M a j o r Carriers

1249

88

Darunter: — Braniffb) — Cotinental — P A N American — United — Western

77 43 144 289 51

-

39 21 72 - 237 18

5 Gesellschaften zusammen

604

1979

1980

1981

1982

1983

1978 - 83

! 0 - 1200 - 1300

- 900

1400

- 222

-420

- 759

357

514

- 334

- 597

- 717

154

- 157

- 121 - 62 - 130 - 68 - 46

- 108 - 60 - 377 - 147 - 66

- 67 - 59 - 373 - 69 - 31

- 150 13 152 - 56

- 207

- 427

- 758

- 599

-

117

104

112

177

-

762

399

205

338



- 2900

-

258 309 651 80 130

41

- 1428

42

203

671

- 160

398

1942

US-Liniengesellschaften — ohne M a j o r Carriers — ohne Braniff, Continental, P A N American, United, Western

a) Gewinne aus dem Flugbetrieb, vor Zinsen und Steuern. — b) Konkurs 1982. Quelle: CAB, Air Carrier Financial Statistics, lfd. Vierteljahreshef te. — I A T A , World Airtransport Statistics, lfd. Jgg.

Unternehmen (Major Carriers) bedingt, zu der insbesondere auch die früher vom CAB lizensierten Linienunternehmen (Trunks) gehörten. Darüber hinaus waren die Verluste insbesondere auf fünf Unternehmen konzentriert. Diese Unternehmen häuften von 1978 bis 1983 zusammen 1,4 Mrd. US-Dollar Verluste an, während die übrigen amerikanischen Unternehmen i n derselben Zeit Gewinne von 1,9 Mrd. US-Dollar erzielten. Weiterhin zeigt sich, daß die Verluste der großen Unternehmen ihre Ursache vor allem i m amerikanischen Inlandsverkehr hatten (Tabelle 2). Die 12 großen Unternehmen verloren dort von 1978 bis 1983 zusammen gut 0,6 Mrd. US-Dollar, während sie i n ihrem internationalen Flugverkehr Gewinne von knapp 0,5 Mrd. US-Dollar erzielen konnten. Und während die fünf Gesellschaften, die auch i m gesamten Luftverkehr der USA die größten Verlustbringer waren, i n dieser Zeit fast 1,2 Mrd. US-Dollar Verluste i m Inlands verkehr hatten, erzielten die anderen Unternehmen Gewinne von 1,1 Mrd. US-Dollar. Diese Zahlen 6*

84

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lassen erkennen, daß es nach der Deregulierung i m amerikanischen Luftverkehr kein Anzeichen dafür gibt, daß sich ein Monopol herausbilden könnte. Vielmehr mußten einige Unternehmen spektakuläre Verluste verzeichnen, während sich andere selbst i n schwierigen Zeiten recht gut behaupten konnten. Inzwischen haben die Gewinne aber allgemein wieder kräftig zugenommen; schon 1984 lagen sie so hoch wie nie zuvor, und für 1985 w i r d ein weiterer Anstieg vorausgeschätzt. 27 11. Die wichtigsten Ergebnisse der Deregulierung sind: — Das Angebot an Flugleistungen ist wesentlich differenzierter als zuvor geworden, und auch die Flugpreise wurden stärker differenziert. Insgesamt gesehen sind nach der Deregulierung die Preise real kräftig gefallen (Tabelle 3); i m einzelnen sind sie auf den langen Strekken oder Strecken m i t hohem Verkehrsaufkommen relativ gesunken und auf den kurzen Strecken und den Strecken m i t wenig Aufkommen gestiegen. Dies hängt auch damit zusammen, daß das CAB die Gesellschaften früher gezwungen hat, den Kurzstrecken- und aufkommensschwachen Verkehr intern durch den Langstreckenverkehr zu subventionieren. Neue Flugverbindungen sind vor allem i m Verkehr zwischen großen Städten und von und nach solchen Städten aufgenommen worden, die sich viel stärker als zuvor zu Drehscheiben für die Verkehrsströme entwickeln konnten, was beträchtliche Produktivitätssteigerungen erlaubte; dagegen wurde eine Reihe von Verbindungen zwischen kleineren Orten eingestellt. 28 — Der Marktanteil (gemessen i n verkauften Passagierkilometern) der bislang (1977) als Trunk Carriers konzessionierten zehn Linienunternehmen am amerikanischen Linienflugverkehr hat von 88 v H i m Jahre 1977 über 84 v H (1980) auf 75 v H (1984) abgenommen. Kleine Unternehmen, die zuvor auf regionale Märkte beschränkt worden waren, drangen i n traditionelle Märkte der Großunternehmen, das bedeutet i n Verkehr auf längeren Strecken, ein. Innerhalb von nur fünf Jahren nach der Deregulierung stieg die Zahl der vollständig lizensierten Liniengesellschaften auf über fünfzig an, die zuvor nur sechzehn (Trunks sowie Local Services) betragen hatte. 2 9 Dies hatte auch zur Folge, daß die Zahl der Fluggäste, die auf ihrem Flug die Gesellschaft wechseln mußten, nach 1978 u m mehr als ein Drittel geringer war als zuvor. 8 0 Insbesondere auch neu gegründete Unternehmen konnten sehr rasch expandieren und sind — wie People * A i r Transport World, Vol. 22, No. 1, 1985, S. 16 ff. 28 D a v i d R. Graham , Daniel P. Kaplan , D a v i d S. Sibley , Efficiency and Competition i n the A i r l i n e Industry. The B e l l Journal of Economics, Vol. 14, No. 1, 1983, S. 118 - 138. — Pustay, Deregulating . . . , a.a.O. 2β Meyer , Deregulierung . . . , a.a.O., S. 157. so Vgl. zum folgenden Graham et al., Efficiency . . . , a.a.O.

Continental Pan American United Western

23

44

38

123

-

16

48

-

67

Quelle: Vgl. Tabelle 1.



-

64

- 747 — 274 — 637 0,9

56,5

— 55

1982

100,0

1983

158 -

- 490

243

- 515

43,5

26,7

1 140

582 251 - 260 67

3 98

- 243 - 1 199

73,3

47 - 47 - 53 - 170 - 146 3,6 - 85 — 229 - 277 — 201 — 859 2,8 147 - 69 179 - 53 16,1 44 - 24 - 51 - 77 3,5

-

1981

— 264 — 750 — 176

a) Gewinne aus dem Flugbetrieb, vor Zinsen und Steuern. -— b) Konkurs 1982.

207

132

382 - 84 - 249

6

1980

— 138 — 422



1979

44 127 — 27 — 40 289 - 237 - 68 53 22 - 33 -

906

1018

US-Liniengesellschaften — ohne Major Carriers 112 85 — ohne Braniff, Continental, Pan American, United, Western .. 636

5 Gesellschaften zusammen

— — — —

— Braniffb)

Darunter:

12 Major Carriers

US-Liniengesellschaften

1978

men (vH) 1982

1978 - 83

Anteil an den

Tabelle 2: Zur Gewinnentwicklung bei den US-Liniengesellschaf ten im Inlandsverkehr, 1978-1983 (Mill. US-Dollar)») Stand und Begründung der Regulierung i m Luftverkehr 85

86

Klaus-Werner Schatz

Express, M i d w a y Airlines oder New York A i r — inzwischen zu bedeutsamen Anbietern geworden (Tabelle 4 ) 3 1 Sowohl auf den langen als auch auf den kurzen Strecken und sowohl auf den aufkommenstarken als auch auf den aufkommenschwachen Verbindungen hat der Konzentrationsgrad, gemessen (durch den Herfindahlindex) am Marktanteil der einzelnen Unternehmen abgenommen. — Die Flugzeuge wurden intensiver genutzt als zuvor. So nahm die Zahl der installierten Sitze je Flugzeug i m allgemeinen spürbar zu, wenn i m einzelnen aber auch Qualitätsdifferenzierung durch weniger Sitze betrieben wurde, u n d die Flugzeuge waren länger i n der L u f t . 3 2 Der Auslastungsgrad der Kapazitäten ist dabei beträchtlich gestiegen, u n d zwar hat (im inneramerikanischen Linienverkehr) der Sitzladefaktor von 54,2 i m Durchschnitt der sechs Jahre vor der Deregulierung (1972 -1977) auf 59,6 v H i m Durchschnitt der sechs folgenden Jahre zugenommen (Tabelle 3). — Die Gesellschaften haben ihre Produktivität nicht nur sehr wesentlich steigern können, w e i l sie das Fluggerät besser ausnutzten, sondern auch, w e i l sie die Personalkosten teils erheblich reduzieren konnten. Ausgelöst wurde dies vor allem dadurch, daß neue und kleinere Unternehmen, i n denen die Gewerkschaften k a u m eine Rolle spielten, durchaus Personal fanden, das zu niedrigeren Einkommen zu arbeiten bereit w a r 3 3 , als denen, die sich bei den eta31 people Express hat erst 1981 den Flugverkehr aufgenommen, k a m i m gesamten Jahr 1984 schon auf einen A n t e i l am amerikanischen Inlandsmarkt v o n fast 3 v H (gemessen i n Passagierkilometern); die Gesellschaft steigerte i h r e n Absatz i n diesem Jahr u m 110 v H gegenüber 1983. — People Express erbrachte 1984 eine nahezu ebenso hohe Leistung i m Personenverkehr (ungefähr 12,5 M r d . verkaufte Passagierkilometer) w i e die Lufthansa (schätzungsweise 14 M r d . Passagierkilometer). 32 Pustay, Deregulating . . . , a.a.O. 33 So muß te die New Y o r k A i r , ein erst 1980 gegründetes Unternehmen, das 1984 i m m e r h i n schon 2,8 M i l l i o n e n Passagiere beförderte, seinen Piloten u n d Co-Piloten, die ausschließlich größere Düsenmaschinen des Typs Douglas DC 9-30 fliegen, i m Jahresdurchschnitt 1982 n u r 28 500 US-Dollar Gehalt zahlen. Die Pan American zahlte dagegen 88 297 US-Dollar, die U S - A i r 90 777 US-Dollar u n d die Pacific Southwest 96 406 US-Dollar. Z u m Vergleich: L u f t hansa 70 475 US-Dollar (1564 Piloten u n d Co-Piloten sowie 562 anderes Cockpit-Personal, das i m allgemeinen u m 25 bis 30 v H geringere Gehälter bezieht; Personalstand jeweils Jahresende 1982); A i r Canada 52 328 US-Dollar; A i r France 80 259 US-Dollar; K L M 100 053 US-Dollar; SAS 70 207 US-Dollar; Swiss A i r 100 899 US-Dollar; B r i t i s h A i r w a y s 35 785 US-Dollar. — Quelle: I C A O , Fleet Personnel. Digest of Statistics No. 297, 1982. — Bei den amerikanischen Fluggesellschaften sind große Gehaltsunterschiede auch bei Piloten gleicher Maschinen zu beobachten. Z u m Beispiel wurde v o n monatlich garantierten Gehältern zwischen 4 752 US-Dollar u n d 12 741 US-Dollar für Piloten v o n Maschinen des Typs Boing Β 747, zwischen 3 895 US-Dollar u n d 11 394 USDollar beim T y p Douglas DC 10 u n d zwischen 3 604 US-Dollar u n d 10 036 US-Dollar beim T y p Douglas DC 8 berichtet. — A i r Transport World, Vol. 21, No. 12, December 1984, S. 30 - 32.

Stand u n d Begründung der Regulierung i m L u f t v e r k e h r

87

Tabelle 3 Durchschnittliche Flugpreise und Kapazitätsauslastung (Sitzladefaktoren) I m Binnenverkehr*) der Vereinigten Staaten, 1970 - 1983 Durchschnittliche Jahr

Flugpreise*»)

Sitzladefaktor

Real

Nominal US-Cents j e Meile

1977 = 100

1970

6,40

5,50

107

48,9

1971

6,84

5,64

110

48,1

1972

6,92

5,52

107

52,1

1973

7,25

5,45

106

51,6

1974

8,21

5,56

108

55,5

1975

8,36

5,19

101

54,6

1976

8,83

5,18

101

55,6 55,8

1977

9,31

5,15

100

1978

9,18

4,71

91

61,0

1979

9,67

4,46

87

62,8

1980

12,43

5,03

98

58,0

1981

13,88

5,10

99

57,4

1982

13,08

4,53

88

58,5

1983

13,12

4,40

85

59,9

a) Linienverkehr der „Certificated Route Air Carriers"; einschließlich "Qbergepäckgebühren und 8 v H Steuer. — b) Ab 1981 Linien verkehr der Major, National, Large und Medium Regional Carriers. Quelle: Henning Sichelschmidt, Die neue Luftverkehrspolitik der Vereinigten Staaten — ein Modell für Europa. Kieler Diskussionsbeiträge 81. Kiel, Oktober 1981, Tabelle 2. — Eigene Berechnungen nach: CAB, Air Carrier Traffic Statistics, lfd. Bde. — Dass., Air Carrier Financial Statistics, lfd. Bde. — U.S. Department of Commerce, Survey of Current Business, lfd. Jgg.

blierten Großunternehmen dank der Regulierung herausbilden konnten und bei ihrem hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad zunächst auch noch hielten. A u f diese Weise konnten sie die anderen Gesellschaften unter Preiswettbewerbsdruck setzen. Dies hat sogar dazu geführt, daß mehrere Gesellschaften Konkurs anmeldeten und anschließend den Betrieb neu aufnahmen, nunmehr frei von den vorher m i t den Gewerkschaften vereinbarten Verträgen. A l l e vor der Deregulierung allein konzessionierten Liniengesellschaften haben nach der Deregulierung Versuche unternommen, ihre Arbeitskosten zu senken, auch durch Abbau überhöhter Gehälter, und dazu auch Vereinbarungen m i t Gewerkschaften erreicht. Teilweise wurde vereinbart, neuem Personal geringere Einkommen zu zahlen als bereits beschäftigtem. So wurde beispielsweise beschlossen, daß neu einge-

Klaus-Werner Schatz

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stellte Flugbegleiter bei der United Airlines 25 v H weniger Gehalt erhalten sollten. 34 Dennoch verbleiben große Unterschiede vor allem zu den neugegründeten Unternehmen. Teilweise wurden auch die Arbeitszeiten verlängert, u m auch i n dieser Hinsicht wettbewerbsfähiger gegenüber anderen Unternehmen zu werden. 3 5 Auch übten die neuen und kleineren Unternehmen Druck dadurch aus, daß sie völlig neue Unternehmenskonzepte erarbeiteten, wie zum Beispiel Gewinnbeteiligung der Beschäftigten, Belegschaftsanteile am Unternehmen, Finanzierung von Flugzeugkäufen durch Belegschaftskredite, Einsatz der Beschäftigten i n verschiedenen Funktionsbereichen je nach Arbeitsanfall. Insgesamt hat bei den amerikanischen Flugunternehmen die Beschäftigung von 1976 bis 1983 u m 8 v H zugenommen. Von der Beschäftigung entfielen 1983 ungefähr 71 v H auf die Trunk Carriers, nach 83 v H i m Jahre 1977 3 6 Zusammengenommen w i r d die Deregulierung des Luftverkehrs heute i n den USA als ein höchst überfälliges und gelungenes Unterfangen betrachtet, aus dem die amerikanischen Unternehmen gestärkt für den Wettbewerb i m weltweiten Luftverkehr hervorgegangen sind. 3 7 V. Regulierung des Luftverkehrs in Europa — Zweckmäßigkeit einer Deregulierung 12. Der Linienflugverkehr amerikanischer Unternehmen (gemessen i n Personenkilometern) ist zu vier Fünfteln Inlandsverkehr, der der europäischen Unternehmen (AEA-Mitglieder) dagegen nur zu einem Zehntel. 3 8 Dies bedeutet, daß die amerikanische Regierung unmittelbar 34

Vgl. dazu: J o h n V. Jansonius u n d Kenneth E. Broughton, Coping w i t h Deregulation: Reduction of Labor Costs i n the A i r l i n e Industry, Journal of A i r L a w and Commerce, Vol. 49, 1984, No. 3, S. 501 - 533. So betrug die durchschnittliche wöchentliche Flugzeit der Piloten der Mitgliedsgesellschaften der amerikanischen A i r Transport Association 1983 etwa 10 Stunden, während sie sich bei drei neuen Unternehmen auf 16 Stunden belief. — A i r Transport World, Vol. 21, No. 6, J u n i 1984, S. 20 ff. 36 Berechnet u n d geschätzt nach: A i r Transport Association. A i r Transport 1984. — I C A O , C i v i l A v i a t i o n Statistics of the World, 1976 u n d 1982. s? Eine wichtige Nebenfolge der Deregulierung ist auch, daß sie nach F o r t f a l l der für die Commuter bestehenden Begrenzung der Flugzeuggröße auf 19 Sitzplätze (ab 1972 30) den B a u v o n Flugzeugen m i t t l e r e r Größe (19 bis 60 Plätze) anreizte, f ü r die es vorher keinen M a r k t gab, u n d zu technischen Fortschritten geführt hat, die es gerade kleineren Unternehmen u n d auf weniger aufkommenstarken Strecken erlauben, wesentlich billiger u n d w e t t bewerbsfähiger als zuvor zu fliegen. Überdies w i r d durch die Entwicklung solcher Flugzeuge der M a r k t e i n t r i t t f ü r neue Unternehmen erleichtert. — Meyer, Deregulierung . . . , a.a.O., S. 161 ff. — Vgl. auch Fußnote 4 zu S. 26 u n d Fußnote 45 zu S. 34. 38 Vgl. i m einzelnen Sichelschmidt, Wettbewerb statt staatlicher Regulier u n g . . . , a.a.O.

100,0

0,1

Anderes)



100,0

0,1

1,0

2,4

8,8

86,5

1979

1,0 0,2

0

0

2,7

1,1

100,0

0,3



0

0,5



3,7

100,0

1,0

0,2

100,0

2,1

1,5 1,2

100,0

3,1

2,3

77,9

1982

1,4

2,0

4,2 1,4 1,3

12,6

80,1

1981

2,0 0,6

4,0

0,7 1,2

< 0,1

1,2

1,2

3,5