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Portuguese Pages 152 [156] Year 2020
Editionen der Iberoamericana Reihe 1 Texte 4 Brasiliana
Manuel Bandeira
DER WEG NACH PASARGADA Gedichte und Prosa
Ausgewählt und aus dem brasilianischen Portugiesisch übertragen von Karin von Schweder-Schreiner
VERVUERT
ISBN 3-921600-38-3 © dieser Ausgabe: Verlag Klaus Dieter Vervuert, 1985 Alle Rechte vorbehalten
Inhaltsverzeichnis
Vorwort 7
Gedichte: Paisagem Noturna / Nächtliche Landschaft 8 Rufo / Fahl 12 A Sombra das Araucarias / Im Schatten der Araukarien 14 Ä Beira d'Água / Am Wasser 18 Poemeto Irónico / Ironisches Gedicht 20 Poemeto Erótico / Erotisches Gedicht 24 Paráfrase de Ronsard / In Anlehnung an Ronsard 28 A Minha Irma / An meine Schwester 30 Boda Espiritual / Geistige Vermählung 32 Vulgivaga / Freudenmädchen 34 A Silhueta / Die Silhouette 38 A Dama Branca / Die Weiße Dame 40 Confidencia / Im Vertrauen 44 Sonho de uma Terfa-Feira Gorda / Traum von einem Karnevalsdienstag 46 Noturno da Mosela / Notturno in Mosela 50 Gesso / Gips 52 Näo Sei Danfar / Ich kann nicht tanzen 54 Pneumotórax / Pneumothorax 58 Comentario Musical / Musikalische Untermalung 60 Poética / Poetik 62 Belém do Para / Beiern in Pará 66 Evocafäo do Recife / Erinnerung an Recife 70 Vou-me Embora pra Pasárgada / Ich geh fort nach Pasárgada Estrela da Manhä / Schöne des Morgens 82
Momento num Café / In einem Café 86 Mozart no Céu / Mozart im Himmel 88 A Mario de Andrade Ausente / An Mario de Andrade, abwesend 90 Belo Belo / Belo Belo 92 Arte de Amar / Kunst des Liebens 94 Infancia / Kindheit 96 Consoada / Nachtmahl 102 Lua Nova / Neumond 104 Ovalle / Ovalle 106 Canyäo do Suicida / Lied des Selbstmörders Antologia / Anthologie 110
Prosatexte: Der Bildhauer 112 Litanei 113 Kafkaeske Welt 115 Von Goethe lernen 117 Poesie und Dichtung 119 Der Weg nach Pasárgada 121
Bella Jozef: Manuel Bandeira
Bibliographie
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Vorwort Ursprünglich sollte Manuel Bandeira dem deutschen Publikum zwei Jahre früher vorgestellt werden. Das Schicksal wollte es anders. KayMichael Schreiner, der Herausgeber von Vinicius de Moraes, Saravà, Gedichte und Lieder, des ersten Bandes der Reihe Brasiliana, konnte sein Vorhaben, einen zweiten, Manuel Bandeira gewidmeten Band herauszugeben, nicht mehr verwirklichen. Er starb im August 1983 in Rio de Janeiro. Er war mein Mann. Ich habe mich bemüht, diesen Band ganz im Sinne meines Mannes zu gestalten. Die Auswahl der Gedichte habe ich nach seinen Aufzeichnungen getroffen. Jede andere als eine chronologische Anordnung hätte dem Werk des Dichters Gewalt angetan. Ergänzend zu den Gedichten habe ich einige Passagen aus Itinerario de Pasargada, der künstlerischen Autobiographie Manuel Bandeiras, sowie kürzere Prosatexte aus seinem journalistischen Schaffen aufgenommen, außerdem einen Auszug aus einem Vortrag, den Manuel Bandeira in der Casa do Estudante do Brasil gehalten hat. Obwohl Manuel Bandeira sagt, Gedichte seien unübersetzbar, habe ich mich an der Übersetzung seiner Gedichte versucht. Für wertvolle Hilfe dabei danke ich meinen Freunden Gilberto Bessa und Wolfgang Eitel. Hamburg, im Juni 1985 Karin von Schweder-Schreiner
8 Paisagem Noturna A sombra imensa, a noite infinita enche o vale . . . E lá no fundo vem a voz Humilde e lamentosa Dos pássaros da treva. Em nos, - E m nossalma criminosa, O pavor se insinúa . . .
U m carneiro bale. Ouvem-se pios funerais. U m como grande e doloroso arquejo Corta a amplidáo que amplidáo continua . . . E cadentes, metálicos, pontuais, O s tanoeiros do brejo, - O s vigías da noite silenciosa, Malham nos aguafais. Pouco a pouco, porém, a muralha de treva Vai perdendo a espessura, e em breve se adelgaza C o m o um diáfano crepe, atrás do qual se eleva A sombría massa Das serranías. O plenilunio vai romper . . . Já de penumbra Lentamente reslumbra A paisagem de grandes árvores dormentes. E cambiantes sutis, tonalidades fugidias, Tintas deliqüescentes Mancham para o levante as nuvens langorosas.
Nächtliche Landschaft Der riesenhafte Schatten, die unendliche Nacht durchflutet das Tal . Und fern im Grund erhebt sich Demütig, klagend die Stimme Der Vögel der Finsternis. In uns - In unsere Frevlerseele Schleicht das Entsetzen ein . . . Das Blöken eines Schafes. Trauerschreie ertönen. Einer, so tief wie ein schmerzhafter Atemzug Zerreißt die Weite, die in der Weite sich verliert . . . Und trommelnd, metallisch, in maßvollem Takt Hämmert in Schlamm und Morast - Als Wächter der schweigenden Nächte, Der Schmiedende Laubfrosch am Pfuhl. Langsam und stetig jedoch verflüchtigt sich die dichte Mauer der Finsternis, und bald schon offenbart sie sich Als ein durchsichtiger Flor, und hinter ihm erhebt sich Das schattige Massiv Der Bergesketten. Der Vollmond bricht sich Bahn . . . Schon schimmert zögernd Aus dem Dämmerlicht Die Silhouette großer schlafender Bäume. Und zartes Schillern, fliehende Schattierungen, Sanft zerfließende Farben Tönen zum Morgen hin die schmachtend ziehenden Wolken.
10 Enfim, cheia, serena, pura, Como urna hostia de luz erguida no horizonte, Fazendo levantar a fronte Dos poetas e das almas amorosas, Dissipando o temor ñas consciéncias medrosas E frustrando a emboscada a espiar na noite escura, - A Lúa Assoma á crista da montanha. Em sua luz se banha A solidáo cheia de vozes que segredam . Em voluptuoso espreguifar de forma nua As névoas enveredam N o vale. Sao como alvas, longas charpas Suspensas no ar ao longo das escarpas. Lembram os rebanhos de carneiros Quando, Fugindo ao sol a pino, Buscam oitóes, adros hospitaleiros E lá quedam tranqüilos ruminando . . . Assim a névoa azul paira sonhando . . . As estrelas sorriem de escutar As baladas atrozes Dos sapos. E o luar úmido . . . fino . . . Atávico . . . tutelar . . . Anima e transfigura a solidáo cheia de vozes . . . Teresópolis, 1912
Endlich, vollkommen, still und lauter, Gleich einer Hostie von Licht, am Horizont erhoben, Die den Dichter und liebestrunkene Seelen Die Stirne heben läßt, In den furchtsamen Gemütern die Schrecken zerstreut Und jeden Hinterhalt, die Lauer in der dunklen Nacht vereitelt, Erklimmt den Gipfel des Gebirges - Der Mond. In seinem Licht badet sich Die Einsamkeit, erfüllt von raunenden Stimmen . . . Im lustvollen Ausgreifen nackter Formen Wenden die Nebelschwaden sich Zum Tal. Gleich blütenweißen, langen Schärpen Schweben sie in den Lüften vor der Felsenwand Sie erinnern an Herden von Schafen, Wenn sie Getrieben von der Sonne im Zenith, An Mauern und auf Kirchhofplätzen Zuflucht suchen Und dort friedlich wiederkäuend verweilen . . . So schweben auch die blauen Nebelschwaden träumend . . . Die Gestirne lauschen mit Lächeln Den gräßlichen Balladen Der Kröten. Und der feuchte . . . dünne Mondschein . Altehrwürdig . . . beschützend . . . Beschenkt die Einsamkeit voll Stimmen mit neuer Gestalt und Leben . Teresopolis, 1912
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Rufo Muda e sem tregua Galopa a névoa, galopa a névoa. Minha janela desmantelada Dá para o vale do desalentó. Sombrío vale! Nao vejo nada Senáo a névoa que toca o vento. Lá váo os dias da minha infancia - Imagens rotas que se desmancham: O vento do largo na praia, O meu vestidinho de saia: Aquele corvo, o vóo torvo, O meu destino aquele corvo! O que eu cuidava do mundo mau! Os ladróes com cara de pau! As historias que faziam sonhar; E os livros: Simplicio olha pra o ar, Joao Felpudo, Viagem a Roda do Mundo Numa Casquinha de Noz. A nossa infancia, ó minha irmá, táo longe de nós!
13 Fahl Lautlos und unermüdlich Jagen die Nebel, jagen die Nebel. Mein zerbrochenes Fenster Blickt in das Tal der Mutlosigkeit. Düsteres Tal! Nichts anderes seh' ich Als nur die Nebel, vom Wind getrieben. Weit fort die Tage meiner Kindheit - Kaputte Bilder, die zerfallen: Der Wind von der offenen See am Strand, Mein Kinderanzug mit einem Rock: Jener Rabe mit schlimmem Flug, Er ist mein Schicksal, jener Rabe! Wie drückte mich die schlechte Welt! Die Einbrecher mit Schurkengesicht! Die Geschichten, die uns träumen ließen; Und die Bücher: Hans-Guck-in-die-Luft, Struwwelpeter, Reise um die Welt In einer Nußschale. Unsere Kindheit, ach, meine Schwester, so fern von uns!
Á Sombra das Araucarias Nao aprofundes o teu tedio. Nao te entregues á mágoa va. O próprio tempo é o bom remedio: Bebe a delicia da manhá. A névoa errante se enovela Na folhagem das araucarias. Há um suave encanto nela Que enleia as almas solitarias . . . As cousas tém aspectos mansos. Um após outro, a bambolear, Passam, caminho dágua, os gansos. Váo atentos, como a cismar . . . No verde, a beira das estradas, Maliciosas em tentafáo, Riem amoras orvalhadas. Colhe-as: basta estender a máo. Ah! fosse tudo assim na vida! Sus, nao cedas á va fraqueza. Que adianta a queixa repetida? Goza o painel da natureza. Cria, e terás com que exaltar-te No mais nobre e maior prazer. A afeifoar teu sonho de arte. Sentir-te-ás convalescer.
Im Schatten der Araukarien Laß deinen Überdruß nicht wachsen. Gib dich dem eitlen Schmerz nicht hin. Die Zeit allein ist eine gute Medizin: Schlürfe den wonnevollen Morgen. Der irrende Nebel kreist gefangen Im Blätterwerk der Araukarien. Ein sanfter Zauber liegt darin, Umschlingt die einsamen Seelen . . . Die Dinge sehen friedlich aus. Der Reihe nach, im Watschelgang, Ziehn die Gänse vorbei, zum Wasser hinab. Ganz aufmerksam, als grübelten sie . . . Im Grün am Rande der Straßen Verführen dich lockend und listig Lachende Maulbeeren, taubenetzt. Pflück sie: sie sind zum Greifen nah. Ach, wär' doch alles so im Leben! Gib nicht der eitlen Schwäche nach! Was hilft das wiederholte Klagen? Genieße doch das Bildnis der Natur. Erschaffe etwas, und du wirst dich freuen In edelster und größter Lust. Gib deinem Traum von Kunst Gestalt. Dann wirst du dich gesunden fühlen.
A arte é urna fada que transmuta E transfigura o mau destino. Prova. Olha. Toca. Cheira. Escuta. Cada sentido é um dom divino.
Die Kunst ist eine Fee, sie wandelt Das böse Schicksal und verändert es. Probiere. Schaue. Fühle. Rieche. Höre. Ein jeder Sinn ist eine Gottesgabe.
18 Á Beira d'Água Dágua o fluido lengol, onde em ascuas cintila O sol, que no cristal argénteo se refrata, Crepitando na pedra, a cuja borda oscila, Cai, gemendo e cantando, ao fundo da cascata. Parece a grave queixa, atroando em torno a mata, Contar nao sei que mágoa inconsolada, e a ouvi-la A alma se nos escapa e vai perder-se abstrata Na avassalante paz da solidáo tranquila . . . Ás vezes, a tremer na fraga faiscante, Passa urna folha verde, e sobre a veia ondeante Abandona-se toda, ansiosa pelo mar . . . E vendo-a mergulhar na espuma que a sacode, N a o sei que íntimo e vago anseio ali me acode D e cair como a folha e deixar-me levar . . . Teresópolis, 1906
19 Am Wasser Aus Wasser das fließende Laken, w o glühend funkelt Die Sonne, im Silberkristall sich brechend, Es prasselt über den Fels, schwankt zögernd an seinem Rand, Stürzt stöhnend und singend hinab in den Wasserfall. Mir scheint, die schwere Klage, sie kündet im Walde tosend Von ungestilltem Schmerz, und lauscht unsere Seele, Entschwindet sie uns, verloren in Träumerei, Im knechtenden Frieden der stillen Einsamkeit . . . Bisweilen, auf glitzerndem Felsen erzitternd, Gleitet ein grünes Blatt und läßt auf der wogenden Ader Sich willenlos treiben, sehnsuchtsvoll hin zum Meer . . Ich seh' es wirbelnd im Schaume versinken und sinne, Welch vages, heimliches Sehnen mich dort ü b e r k o m m t , Gleich dem Blatt zu fallen und zu treiben im Sog . . . Teresöpolis, 1906
Poemeto Ironico O que tu chamas a tua paixáo, E táo-somente curiosidade. E os teus desejos ferventes váo Batendo as asas na irrealidade . . . Curiosidade sentimental D o seu aroma, da sua pele. Sonhas um ventre de alvura tal, Q u e escuro o linho fique ao pé dele. Dentre os perfumes sutis que vém Das suas charpas, dos seus vestidos, Isolar tentas o odor que tem A trama rara dos seus tecidos. Encanto a encanto, toda a prevés. Afagos longos, carinhos sabios, Caricias lentas, de urna maciez Q u e se diriam feitas por labios . . . Tu te perguntas, curioso, quais Seráo seus gestos, balbuciamento, Q u a n d o descerdes ñas espiráis Deslumbradoras do esquecimento . . . E acima disso, buscas saber O s seus instintos, suas tendencias . . . Espiar-lhe na alma por conhecer O que há sincero ñas aparéncias.
21 Ironisches Gedicht Was deine Leidenschaft du nennst, Ist einzig und allein nur pure Neugier. U n d dein Verlangen glüht so heiß in dir, D a ß es dir durchbrennt ins Unwirkliche . . . Sentimentale Neugier, wie denn wohl K ö n n t ' ihr G e r u c h sein, ihre H a u t . D u träumst von einem Leib so schimmernd hell, D a ß weißes Linnen dunkel scheint daneben. V o n all den Wohlgerüchen, die A u s Schärpen und G e w ä n d e r n strömen, Versuchst den D u f t du zu erkennen, Der ihren seltenen Fasern eigen ist. Im T a u m e l des Entzückens ahnst du sie. Geschicktes Streicheln, wohlverstandnes K o s e n , Hastlose Zärtlichkeiten, so geschmeidig weich, Als hätten einzig Lippen sie vollbracht . . . Neugierig fragst du dich, wie mögen wohl Ihre Gebärden, ihr G e s t a m m e l sein, Wenn ihr hinabsinkt in den Strudel D e r Wonne, die Vergessen bringt . . . U n d überdies willst du erkunden Ihre Gelüste, ihre Neigungen . . . In die Seele ihr schaun, u m zu erkennen, Was echt und wahrhaft ist am äußren Schein.
E os teus desejos ferventes váo Batendo as asas na irrealidade . . O que tu chamas tua paixáo, E táo-somente curiosidade.
U n d dein Verlangen glüht so heiß in dir, D a ß es dir durchbrennt ins Unwirkliche. Was deine Leidenschaft du nennst, Ist einzig und allein nur pure Neugier.
Poemeto Erotico Teu corpo claro e perfeito, - Teu corpo de maravilha, Quero possuí-lo no leito Estreito da redondilha . . . Teu corpo é tudo o que cheira Rosa . . . flor de laranjeira . . . Teu corpo, branco e macio, E corno um véu de noivado . . Teu corpo é pomo doirado . . . Rosai queimado do estio, Desfalecido em perfume . . . Teu corpo é a brasa do lume . Teu corpo é chama e flameja Como à tarde os horizontes . . E puro como nas fontes A agua clara que serpeja, Que em cantigas se derrama . . Volúpia de agua e da chama . . A todo o momento o vejo . . . Teu corpo . . . a única ilha No oceano do meu desejo . . .
25 Erotisches Gedicht Deinen Körper, hell und vollkommen, - Deinen Körper, den wunderbaren, Will ich besitzen auf dem schmalen Lager der Redondilha . . . Dein Körper gleicht allem, was duftet . . . Der Rose . . . Orangenblüte . . . Dein Körper, weiß und geschmeidig, Ist wie der Schleier einer Braut . . . Dein Körper ist eine goldene Frucht . . . Ein Rosengarten, vom Sommer versengt, Verklungen in seinem Wohlgeruch . . . Dein Körper ist wie die Glut des Feuers . . . Dein Körper ist flammend und lodernd Wie zur Abendstunde der Horizont . . . Er ist so rein wie das Wasser, Das sprudelnd klar dem Quell entspringt Und in Gesänge sich ergießt . . . Sinnliche Lust des Wassers und der Flamme . . . Zu jeder Stunde seh' ich ihn . . . Deinen Körper . . . die einzige Insel In den Ozeanen meines Verlangens . . .
26 Teu corpo é tudo o que brilha, Teu corpo é tudo o que cheira . . . Rosa, fior de laranjeira . . .
Dein Körper gleicht allem, was schimmert, Dein Körper gleicht allem, was duftet. Der Rose . . . Orangenblüte . . .
Paráfrase de Ronsard Foi para vos que ontem colhi, senhora, Este ramo de flores que ora envió. Nao no houvesse colhido e o vento e o frió Té-las-iam crestado antes da aurora. Meditai nesse exemplo, que se agora Nao sei mais do que o vosso outro macio Rosto nem boca de melhor feitio, A tudo a idade altera sem demora. Senhora, o tempo foge . . . e o tempo foge . . C o m pouco morreremos e amanhá J á nao seremos o que somos hoje . . . Por que é que o vosso cora^áo hesita? O tempo foge . . . A vida é breve e é va. . . Por isso, amai-me . . . enquanto sois bonita.
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In Anlehnung an Ronsard Für euch, o Herrin, hab' ich gestern Den Blumenstrauß gepflückt, den heut' ich schicke. H ä t t ' ich sie nicht gepflückt, der Wind, die Kälte, Die hätten sie geknickt noch vor dem Morgen. Bedenkt an diesem Beispiel, wenn auch heute Kein andres Antlitz lieblich wie das Eure Ich wüßte, keinen M u n d , der schöner wäre, Dies alles hat das Alter schnell verdorben. Die Zeit, o Herrin, rinnt . . . die Zeit verrinnt . . . Bald heißt es sterben, und morgen schon Sind wir nicht mehr das, was wir heute sind . . . Was ist's, was euer H e r z noch zögern läßt? Die Zeit verrinnt . . . Umsonst und k u r z das Leben . . . D r u m liebet mich . . . solang noch hübsch ihr seid.
A Minha Irma Depois que a dor, depois que a desventura Caiu sobre o meu peito angustiado, Sempre te vi, solícita, a meu lado, Cheia de amor e cheia de ternura. É que em teu corafào inda perdura, Entre doces lembranfas conservado, Aquele afeto simples e sagrado De nossa infancia, ó meiga criatura. Por isso aqui minhalma te abenfoa: Tu foste a voz compadecida e boa Que no meu desalentó me susteve. Por isso eu te amo, e, na misèria minha, Suplico aos céus que a mào de Deus te leve E te fa^a feliz, minha irmàzinha . . . Clavadel, 1913
31 An meine Schwester Seitdem der Schmerz, seitdem das U n g l ü c k Hereinbrach über meine angstgepreßte Brust, Sah ich dich ständig sorgenvoll an meiner Seite, Erfüllt von Liebe und von Zärtlichkeit. In deinem H e r z e n hält sich noch lebendig Bewahrt inmitten süßen Erinnerns, Jenes Gefühl der schlichten, reinen Liebe Aus unsrer Kindheit, du sanftes Wesen! Dafür b e k o m m s t du meinen Segen hier. D u warst die mitleidvolle, gute S t i m m e , D i e mich in meinem Zagen aufrecht hielt. Ich liebe dich darum und fleh' in meinem Elend Z u m H i m m e l , daß G o t t e s H a n d dich leite U n d Glück dir beschere, mein Schwesterlein . . . Clavadel, 1913
Boda Espiritual Tu nao estás comigo em momentos escassos: No pensamento meu, amor, tu vives nua - Toda nua, púdica e bela, nos meus bracos. O teu ombro no meu, ávido, se insinúa. Pende a tua cabefa. Eu amacio-a . . . Afago-a . . . Ah, como a minha máo treme . . . Como ela é tua . Póe no teu rosto o gozo urna expressáo de mágoa. O teu corpo crispado alucina. De escorfo O vejo estremecer como urna sombra nágua. Gemes quase a chorar. Suplicas com esforyo. E para amortecer teu ardente desejo Estendo longamente a máo pelo teu dorso . . . Tua boca sem voz implora em um arquejo. Eu te estreito cada vez mais, e espió absorto A maravilha astral dessa nudez sem pejo . . . E te amo como se ama um passarinho morto.
33 Geistige Vermählung Du bist nicht nur in seltnen Stunden bei mir. Ich halt' dich immer, Liebste, in Gedanken Ganz nackend, schamvoll, schön in meinen Armen. Begierig schmiegt sich deine Schulter an. Dein Kopf sinkt hin. Ich kose, streichele ihn . . . Ach, wie die Hand mir zittert . . . wie auch deine . . . Die Lust umschattet dein Gesicht mit Schmerzen. Dein Leib krümmt sich verzückt, und einen Lidschlag lang Erbebt er wie ein Schatten auf dem Wasser. Du wimmerst, weinend fast und flehst inständig. U m dir den heißen Liebesdrang zu mildern, Laß meine Hand ich über deinen Rücken gleiten . . . Dein Mund stößt wortlos keuchend Bitten aus. Ich zieh' dich näher heran und schau versunken Das Sternenwunder dieser freien Nacktheit. Und ich liebe dich wie einen toten Vogel.
Vulgívaga N a o posso crer que se conceba D o amor senáo o gozo físico! O meu amante morreu bébado, O meu marido morreu tísico! Nao sei entre que astutos dedos Deixei a rosa da inocencia. Antes da minha pubescencia Sabia todos os segredos . . . Fui de um . . . Fui de outro . . . Este era médico . Um, poeta . . . Outro, nem sei mais! Tive em meu leito enciclopédico Todas as artes liberáis. Aos velhos dou o meu engulho. Aos férvidos, o que os esfrie. A artistas, a coquetterie Que inspira . . . E aos tímidos, — o orgulho. Estes, cafóo-os e depeno-os: A canga fez-se para o boi . . . Meu claro ventre nunca foi De sonhadores e de ingenuos! E todavia se o primeiro Que encontro, fere toda a lira, Amanso. Tudo se me tira. Dou tudo. E mesmo . . . dou dinheiro . . .
Freudenmädchen Ich kann nicht glauben, daß so mancher Die Liebe nur für Lust des Fleisches hält! Mein Liebster hat sich totgetrunken, Mein Ehemann starb an der Schwindsucht. Ich weiß nicht, in welch frechen Fingern Die Rose meiner Unschuld blieb. Bevor ich richtig reif geworden bin, Kannt' ich schon sämtliche Geheimnisse . . . Mit diesem mal . . . und mal mit jenem . . . Dieser, Arzt . Ein andrer, Dichter . . . Jener, was weiß ich! Enzyklopädisch war mein Bett, Sämtliche freien Künste schliefen dort. Den Alten geb' ich meinen Ekel. Den Hitzigen, was ihnen Kühlung bringt. Die Künstler kriegen Koketterie, Die inspiriert . . . Angsthasen, Stolz. Diese verspotte ich und nehm' sie aus. Ins Joch gehört nun mal der Ochse . . . Mein weißer Leib war nie bereit Für Träumer und naive Burschen! Kommt aber einer da des Weges Und legt sich gleich mit aller Kraft ins Zeug, Dann werd ich zahm und lasse mir alles nehmen. Geb' alles. Geld sogar geb' ich dann her . . .
Se bate, entáo como o e s t r e n u o ! Oh, a volúpia da pancada! Dar-me entre lágrimas, quebrada Do seu colérico arremesso . . . E A E O
o ció atroz se nao me leva valhacoutos de canalhas, porque temo pela treva fio fino das navalhas . . .
Nao posso crer que se conceba Do amor senáo o gozo físico! O meu amante morreu bébado, O meu marido morreu tísico!
Und schlägt er mich, wie zärtlich werd ich dann! Oh, Wollust einer Tracht von Prügeln! Mich unter Tränen geben. Uberwältigt Von seinem zornig wilden Ungestüm . . . Und wenn die Liebeswut mich nicht In finstre Pöbelhütten treibt, Dann, weil ich in der Dunkelheit Den scharfen Schliff der Messer fürchte . . . Ich kann nicht glauben, daß so mancher Die Liebe nur für Lust des Fleisches hält! Mein Liebster hat sich totgetrunken, Mein Ehemann starb an der Schwindsucht.
A Silhueta Na sala obscura, onde branqueja A mancha ebúrnea do teclado, Morre e revive, expira, arqueja O estribilho desesperado. Um Pierrot de vestes de seda Negra, ele próprio toca e canta. O timbre murmuro segreda Urna dor que sobe á garganta. E urna tristeza de tal sorte Vem nessa pobre voz humana, Que se pensa em fugir na morte A miseria cotidiana. Como a voz, também a máo geme. E na parede se debrufa A sombra pálida, que treme, De urna garganta que solu9a . . .
Die Silhouette Im dunklen Saal, wo weißlich schimmert Der Fleck aus Elfenbein der Tasten, Stirbt und erhebt sich, röchelt, keucht Der Kehrreim, hoffnungslos, verzweifelt. Ein Pierrot in schwarzen Kleidern Aus Seide, selber spielt und singt er. Und aus den Flüstertönen dringt Ein Schmerz, der zu der Kehle aufsteigt. Mit einer Traurigkeit von solcher Tiefe Spricht diese arme Menschenstimme, Daß in den Tod man fliehen möchte, Dem Alltagselend sich entziehend. Wie in der Stimme, in der H a n d ein Beben, Und auf der Wand erscheint gebeugt Der bleiche Schattenriß, erzitternd, Von einer Kehle, schmerzgeschüttelt . . .
A Dama Branca A Dama Branca que eu encontrei, Faz tantos anos, Na minha vida sem lei nem rei, Sorriu-me em todos os desengaños. Era sorriso de compaixáo? Era sorriso de zombaria? Nao era mofa nem dó. Senáo, Só ñas tristezas me sorriria. E a Dama Branca sorriu também A cada júbilo interior. Sorria como querendo bem. E todavía nao era amor. Era desejo? - Credo! De tísicos? Por histeria . . . Quem sabe lá? . . . A Dama tinha caprichos físicos: Era urna estranha vulgívaga. Ela era o genio da corrupfáo. Tábua de vicios adulterinos. Tivera amantes: urna porfáo. Até mulheres. Até meninos. Ao pobre amante que lhe queria, Se lhe furtava sarcástica. Com uns perjura, com outros fria, Com outros má,
41 Die Weiße Dame Die Weiße Dame, die ich traf Vor so viel Jahren In meinem Leben als Vagabund, Hat mir bei allen Schicksalsschlägen zugelacht. War es Lächeln aus Mitgefühl? War es Lächeln aus Spötterei? Nicht Mitleid war es, auch kein Hohn. Sonst Hätt' sie mir nur im Unglück zugelacht. Die Weiße Dame, sie lächelte auch Bei jedem Jubel in meiner Brust. Sie lächelte, als wär sie mir gut. Und dennoch war es Liebe nicht. Vielleicht Begehren? - Wie? nach Schwindsüchtigen? Aus Hysterie? . . . Man kann nie wissen . . . Die Dame hatte sinnliche Kapricen: War eine Dirne besonderer Art. Sie war das Sinnbild der Verderbtheit. Ein Register der Treulosigkeit. Geliebte hat sie viele gehabt. Sogar auch Frauen. Ja, auch Knaben. Dem armen Liebhaber, der sie liebte, Dem entzog sie sich sarkastisch. Zum einen verlogen, zum andren kalt, Zu manchen schlecht,
42 A Dama Branca que eu encontrei, H á tantos anos, Na minha vida sem lei nem rei, Sorriu-me em todos os desengaños. Essa constancia de anos a fio, Sutil, captara-me. E imaginai! Por urna noite de muito frió A Dama Branca levou meu pai.
43 Die Weiße Dame, die ich traf Vor so viel Jahren In meinem Leben als Vagabund, Hat mir bei allen Schicksalsschlägen zugelacht. Diese Beständigkeit über die Jahre Hatte mich sanft erobert. Stellt euch vor! In einer eiseskalten Nacht hat Die Weiße Dame meinen Vater geholt.
Confidencia Tudo o que existe em mim de grave e carinhoso Te digo aqui como se fosse ao teu ouvido . . . Só tu mesma ouvirás o que aos outros nao ouso Contar do meu tormento absurdo e impressentido. Em tuas máos de morte, ó minha Noite escura! Aperta as minhas máos geladas. E em repouso Eu te direi no ouvido a minha desventura E tudo o que em mim há de grave e carinhoso. 1913
Im Vertrauen Was in mir ist an Schwere und Zärtlichkeit Sag' ich dir hier, als war' es in dein O h r . . . Allein du sollst hören, was ich anderen nicht Wag' zu gestehen von rätselhafter Qual. In deine Todeshände, meine dunkle Nacht, N i m m meine kalten Hände! Wenn ich ruhe, Sag ich mein Unglück dir ins Ohr und alles, Was in mir ist an Schwere und Zärtlichkeit. 1913
Sonho de urna Terfa-Feira Gorda Eu estava contigo. Os nossos dominós eram negros, e negras eram as nossas máscaras. Iamos, por entre a turba, com solenidade, Bem conscientes do nosso ar lúgubre Tao contrastado pelo sentimento de felicidade Que nos penetrava. Um lento, suave júbilo Que nos penetrava . . . Que nos penetrava como urna espada de fogo . . . Como a espada de fogo que apunhalava as santas extáticas! E a impressào em meu sonho era que se estávamos Assim de negro, assim por fora interamente de negro, - Dentro de nos, ao contrario, era tudo claro e luminoso! Era ter^a-feira gorda. A multidào inumerável Burburinhava. Entre clangores da fanfarra Passavam préstitos apoteóticos. Eram alegorias ingenuas ao gosto popular, em cores cruas. Iam em cima, empoleiradas, mulheres de má vida, De peitos enormes - Venus para caixeiros. Figuravam deusas, - deusa disto, deusa daquilo, já tontas e seminuas. A turba, ávida de promiscuidade, Acotovelava-se com algazarra, Aclamava-as com alarido E, aqui e ali, virgens atiravam-lhes flores.
47 Traum von einem Karnevalsdienstag Ich ging mit dir. Unsere Dominos waren schwarz, und schwarz waren unsere Masken. W i r schritten feierlich durch die Menge, Durchaus bewußt unserer düsteren Miene, Die so im Gegensatz stand zu dem Glücksgefühl, Das uns durchdrang. Ein langsamer, sanfter Jubel, Der uns durchdrang . . . Der uns durchdrang wie ein Feuerschwert . . . Wie das Feuerschwert, das die Heiligen in Ekstase erdolchte! In meinem Traum war der Eindruck, daß wir so ganz In Schwarz, äußerlich so vollkommen in Schwarz gingen, - Doch in uns war alles hell und leuchtend! Es war Karnevalsdienstag. Die unüberblickbare Menschenmenge Wogte tosend. Unter schmetternden Fanfaren Zogen Apotheosengefährte vorbei. Einfältige Allegorien, wie das Volk sie liebt, in grellen Farben. Obenauf thronten liederliche Frauen Mit riesigen Brüsten - als Venus für Vertreter. Sie spielten Göttinnen - diese oder jene - schon benommen und halbnackt. Die Menge, gierig nach wahlloser Paarung, Drängelte sich lärmend um sie U n d feierte sie lauthals johlend. Hier und da warfen Jungfrauen ihnen Blumen zu.
Nós caminhávamos de máos dadas, com solenidade, O ar lúgubre, negros, negros . . . Mas dentro em nós era tudo claro e luminoso! Nem a alegría estava ali, fora de nós. A alegría estava em nós. Era dentro de nós que estava a alegría, - A profunda, a silenciosa alegría . . .
49 W i r wandelten feierlich Hand in Hand, Mit düsterer Miene, Schwarz, nur Schwarz . . . Aber in uns war alles hell und leuchtend! Auch keine Freude war dort, außerhalb von uns. Die Freude war in uns. In unserem Inneren war die Freude, Die tiefe, lautlose Freude . . .
Noturno da Mosela A noite . . . O silencio . . . Se fosse só o silencio! Mas esta queda d'água que nao pára! Q u e nao para! N a o é de dentro de mim que ela flui sem piedade? . . . A minha vida foge, foge, - e sinto que foge inútilmente!
O silencio e a estrada ensopada, com dois reflexos intermináveis
F u m o até quase nao sentir mais que a brasa e a cinza em minha boca. O fumo faz mal aos meus pulmóes comidos pelas algas. O fumo é amargo e abjeto. F u m o abenfoado, que és amargo e abjeto! U m a pequenina aranha urde no peitoril da janela a teiazinha levíssima. Tenho vontade de beijar esta aranhazinha . . . N o entanto em cada charuto que acendo cuido encontrar o gosto que faz esquecer . . . O s meus retratos . . . O s meus livros . . . O meu crucifixo de marfim . . . E a noite . . . Petrópolis, 1921
Notturno
in Mosela
Die Nacht . . . Die Stille . . . Wenn es doch nur die Stille wäre! Doch dieser Wasserfall, er hört nicht auf! Er hört nicht auf! Fließt er nicht eigentlich erbarmungslos aus mir heraus? . . . Mein Leben rinnt und rinnt - und ich merke, es verrinnt ohne Sinn! Die Stille und die aufgeweichte Landstraße, dazu zwei endlose Reflexe . . . Ich rauche, bis ich fast nichts im Mund mehr spüre als die Asche und die Glut. Der Rauch schadet meiner von Aigen zerfressenen Lunge. Der Rauch ist bitter und abscheulich. Gesegneter Rauch, der du bitter bist und abscheulich! Eine winzige Spinne webt auf der Fensterbank ihr federleichtes Netz. Ich möchte diese kleine Spinne küssen . . . Indes, in jeder Zigarre, die ich entzünde, suche ich den Genuß, der mich alles vergessen läßt . . . Meine Bilder . . . Meine Bücher . . . Mein Kruzifix aus Elfenbein Und die Nacht . . .
Petropolis, 1921
52 Gesso Esta minha estatuazinha de gesso, quando nova - O gesso muito branco, as linhas muito puras, Mal sugeria imagem de vida (Embora a figura chorasse). H á muitos anos tenho-a comigo. O tempo envelheceu-a, carcomeu-a, manchou-a de pátina amarelo-suja. O s meus olhos, de tanto a olharem, Impregnaram-na da minha humanidade irònica de tisico. U m dia mào estúpida Inadvertidamente a derrubou e partiu. Entào ajoelhei com raiva, recolhi aqueles tristes fragmentos, recompus a figurinha que chorava. E o tempo sobre as feridas escureceu ainda mais o sujo mordente da pátina . . . Hoje este gessozinho comercial E tocante e vive, e me fez agora refletir Que só é verdadeiramente vivo o que já sofreu.
53
Gips Als meine kleine Gipsskulptur noch neu war - Der Gips ganz weiß, die Linien rein und klar, Wirkte sie kaum wie etwas Lebendes (Obwohl die kleine Figur weinte). Seit vielen Jahren begleitet sie mich. Die Zeit ließ sie altern, fraß an ihr, befleckte sie mit schmutziggelber Patina. So oft haben meine Augen sie angesehen, Daß mein ironisch schwindsüchtiges Wesen sie durchtränkte. Törichte Hände stießen sie Eines Tages achtlos um, und sie zerbrach. Ich kniete zornig nieder, las die traurigen Scherben auf, fügte sie neu zur weinenden Figur zusammen. Und auf den Narben ließ die Zeit den schmutzigen Belag der Patina noch dunkler werden . . . Heute ist diese billige Gipsfigur Anrührend, und sie lebt und hat mich jetzt nachdenken lassen, Daß nur wahrhaft lebendig ist, was schon gelitten hat.
54 N à o Sei D a r ^ a r Uns tomam éter, outros cocaína. Eu já tornei tristeza, hoje tomo alegría. T e n h o todos os motivos menos um de ser triste. Mas o cálculo das probabilidades é urna pilhéria . . . Abaixo Amiel! E nunca lerei o diario de Maria Bashkirtseff. Sim, já perdi pai, màe, irmàos. Perdi a saúde também. E por isso que sinto como ninguém o ritmo do jazz-band.
Uns tomam éter, outros cocaina. Eu tomo alegria! Eis ai por que vim assistir a este baile de terja-feira gorda.
Mistura muito excelente de chás . . . Esta foi a9afata . . . - Nào, foi arrumadeira. E está dannando com o ex-prefeito municipal: T a o Brasil! De fato este salào de sangues misturados parece o Brasil . . . Há até a fra^ào incipiente amarela Na figura de um japonés. O japonés danfa maxixe: Acugélé banzai!
Ich kann nicht tanzen Die einen nehmen Äther, andre Kokain. Traurigkeit hab ich schon probiert, heute trink ich Freude. Ich habe alle Gründe bis auf einen, traurig zu sein. Aber die Rechnung der Wahrscheinlichkeit ist Narretei . . . Nieder mit Amiel! U n d das Tagebuch der Maria Bashkirtseff werd ich nie lesen. Ja, ich hab schon Vater, Mutter, Geschwister verloren. Auch meine Gesundheit verlor ich. Das ist's, warum ich wie keiner den R h y t h m u s der Jazzband fühle. Die einen nehmen Äther, andre Kokain. Ich trinke Freude! Das ist's, warum ich zu diesem Ball am Karnevalsdienstag gekommen bin. Eine ganz großartige Mischung von Manieren . . . Die da war Kammerfrau bei Hof . . . Nein, sie war Stubenmädchen. U n d tanzt mit dem früheren Bürgermeister. Typisch Brasilien! Überhaupt, dieser Saal voll gemischten Bluts ist wie Brasilien selbst . . . Sogar die aufkommende gelbe Fraktion Ist vertreten durch einen Japaner. Auch der Japaner tanzt Maxixe: Acugele bansai!
A filha do usineiro de Campos Olha com repugnancia Para a crioula imoral. No entanto o que faz a indecencia da outra E dengue nos olhos maravilhosos da mo^a. E aquele cair de ombros . . . Mas eia nào sabe . . . Tao Brasil! Ninguém se lembra de politica . . . Nem dos oito mil quilómetros de costa . . . O algodào do Seridó é o melhor do mundo? . . . Que me importa? Nào há malària nem molestia de Chagas nem ancilóstomos. A sereia sibila e o ganza do jazz-band batuca. Eu tomo alegria! Petrópolis, 1925
Die Tochter des Zuckerbarons aus Campos Wirft angewiderte Blicke Auf die schamlose Mulattin. Doch was der einen unziemlich scheint, Ist Liebreiz in der andren wundervollen Augen. Und wie sie die Schulter wirft . . . Aber sie weiß es nicht . . . Typisch Brasilien! Niemand denkt an die Politik . . . Noch an die achttausend Kilometer Küste . . . Die Baumwolle aus Serido ist die beste der Welt? . . . Und wenn schon! Es gibt keine Malaria, auch nicht den Hakenwurm noch die Chagaskrankheit. Die Sirene lockt, und die Rassel der Jazzband klopft. Ich trinke Freude! Petropolis, 1925
Pneumotórax Febre, hemoptise, dispnéia e suores noturnos. A vida inteira que podia ter sido e que nao foi. Tosse, tosse, tosse. Mandou chamar o médico: - Diga trinta e tres. - Trinta e tres . . . trinta e très . . . trinta e très . . . - Respire.
- O senhor tem urna escavafáo no pulmáo esquerdo e o pulmáo direito infiltrado. - Entáo, doutor, nao é possível tentar o pneumotórax? - Nao. A única coisa a fazer é tocar um tango argentino.
Pneumothorax Fieber, Blutsturz, Atemnot und nächtlicher Schweiß. Das ganze Leben, das hätte sein können und nicht war. Husten, Husten, Husten. Er ließ den Arzt holen. „Sagen Sie dreiunddreißig." „Dreiunddreißig . . . dreiunddreißig . . . dreiunddreißig . . ." „Einatmen."
„Sie haben im linken Lungenflügel eine Kaverne, und der rechte ist infiltriert." „Kann man es nicht mit einem Pneumothorax versuchen, Herr Doktor?" „Nein. Da kann man nur noch einen argentinischen Tango spielen."
Comentario Musical O meu quarto de dormir a cavaleiro da entrada da barra. E n t r a m por ele dentro O s ares oceánicos, Maresias atlánticas: Sao Paulo de Luanda, Figueira da F o z , praias gaélicas da Irlanda . . . O comentario musical da paisagem só podia ser o sussurro sinfònico da vida civil. N o entanto o que 0U90 neste m o m e n t o é um silvo agudo de sagüim: M i n h a vizinha de baixo comprou um sagüim.
Musikalische Untermalung Mein Schlafzimmer mit Blick über die Hafeneinfahrt. Von da draußen k o m m e n Die ozeanischen Lüfte, Atlantische Meereswinde: Säo Paulo de Luanda, Figueira da Foz, die gälischen Strände Irlands . . . Die musikalische Untermalung dieser Stimmung müßte doch das symphonische Brausen des Stadtlebens sein. Doch höre ich statt dessen gerade den schrillen Schrei eines Seidenäffchens. Meine Nachbarin unter mir hat sich ein Seidenäffchen gekauft.
Poética Estou farto do lirismo comedido D o lirismo bem comportado D o lirismo funcionario público com livro de ponto expediente protocolo e m a n i f e s t a r e s de aprefo ao Sr. diretor Estou farto do lirismo que para e vai averiguar no dicionário o cunho vernáculo de um vocábulo Abaixo os puristas Todas as palavras sobretudo os barbarismos universais Todas as construfóes sobretudo as sintaxes de excegáo Todos os ritmos sobretudo os inumeráveis
Estou farto do lirismo namorador Político Raquítico Sifilítico D e todo lirismo que capitula ao que quer que seja fora de si mesmo. D e resto nao é lirismo Será contabilidade tabela de co-senos secretário do amante exemplar com cem modelos de cartas e as diferentes maneiras de agradar as mulheres, etc.
Poetik Ich bin sie leid, die gemessene Lyrik Die Lyrik, die sich wohl verhält Die Beamtenlyrik mit Anwesenheitsliste Bürostunden Protokoll und Achtungsbezeugungen vor dem Herrn Direktor
Ich bin die Lyrik leid, die stockt und im Wörterbuch den ursprünglichen Sinn einer Vokabel nachschlägt Nieder mit den Puristen Mit allen Wörtern, vor allem den universellen Barbarismen Mit allen Konstruktionen, vor allem den syntaktischen Ausnahmen Mit allen Rhythmen, vor allem den nicht zählbaren Ich bin die liebeswerberische Lyrik leid, die Politische Rachitische Syphilitische Jede Lyrik, die vor allem und jedem außer vor sich selbst kapituliert. Im übrigen ist das keine Lyrik Eher Buchhaltung Kosinus-Tabelle Sekretär des perfekten Liebhabers mit hundert Musterbriefen und den verschiedensten Möglichkeiten, den Frauen zu gefallen, etc.
64 Quero antes o lirismo dos loucos O lirismo dos bébedos O lirismo difícil e pungente dos bébedos O lirismo dos clowns de Shakespeare - Nao quero mais saber do lirismo que nao é libertado.
65 Da lobe ich mir die Lyrik der Verrückten Die Lyrik der Trinker Die schwierige, quälende Lyrik der T r i n k e r Die Lyrik der Narren bei Shakespeare - Ich will nichts mehr von Lyrik wissen, die nicht Befreiung ist.
Belém do Pará Bembelelém Viva Belém! Belém do Pará porto moderno integrado na equatorial Beleza eterna da paisagem Bembelelém Viva Belém! Cidade pomar (Obrigou a polícia a classificar um tipo novo de delinqüente: O apedrejador de mangueiras.) Bembelelém Viva Belém! Belém do Pará onde as avenidas se chamam Estradas: Estrada de Sao Jerónimo Estrada de Nazaré Onde a banal Avenida Marechal Deodoro da Fonseca de todas as cidades do Brasil Se chama líricamente Brasileramente Estrada do Generalissimo Deodoro Bembelelém Viva Belém! Nortista gostosa Eu te quero bem.
67 Beiern in Para Bembelelem Es lebe Beiern! Beiern in Para, moderner Hafen, eingebettet in die ewige Äquatoriale Schönheit der Landschaft Bembelelem Es lebe Beiern! Obstgartenstadt (Die Polizei mußte einen neuen T y p von Straftat einführen: Steinwurf auf Mangobäume.) Bembelelem Es lebe Beiern! Beiern in Para, wo die „A venidas" „Estradas" heißen: Estrada de Säo Jeronimo Estrada de Nazare Hier heißt die Avenida Marechal Deodoro da Fonseca aller Städte Brasiliens nicht so banal Sondern höchst lyrisch Ganz brasilianisch Estrada do Generalissimo Deodoro Bembelelem Es lebe Beiern! Du Schöne des Nordens Du gefällst mir sehr.
68 Terra da castanha Terra da borracha Terra de biribá bacuri sapoti Terra da fala cheia de nome indigena Que a gente nào sabe se é de fruta pé de pau ou ave de plumagem bonita. Nortista gostosa Eu te quero bem. Me obrigarás a novas saudades Nunca mais me esquecerei do teu Largo da Sé C o m a fé macina das duas maravilhosas igrejas barrocas E o renque ajoelhado de sobradinhos coloniais tao bonitinhos
Nunca mais me esquecerei Das velas encarnadas Verdes Azuis Da doca de Ver-o-Peso Nunca mais E foi pra me consolar mais tarde Que inventei esta cantiga: Bembelelém Viva Belém! Nortista gostosa Eu te quero bem. Belém, 1928
Heimat der Paranuß Heimat des Gummis Heimat der Biriba Bacuri Sapoti Heimat einer Sprache voll indianischer Namen Bei denen wir nicht wissen, ob es eine Frucht ist, ein Baum oder ein Vogel mit hübschem Gefieder. Du Schöne des Nordens Du gefällst mir sehr. Du wirst in mir neue Sehnsüchte wecken Nimmer mehr vergesse ich deinen Largo da Se Mit dem massiven Zeugnis der beiden prächtigen Barockkirchen Und der Zeile wunderschöner kolonialer Stadtpalais zu ihren Füßen Nimmer mehr vergesse ich Die Segel in dunklem Rot Grün Blau Am Anleger von Ver-o-Peso Nimmer mehr Zu meinem Trost für spätere Zeiten Habe ich dieses Liedchen erdacht: Bembelelem Es lebe Beiern! Du Schöne des Nordens Du gefällst mir sehr. Beiern, 1928
Evocafào do Recife Recife N a o a Veneza americana N a o a Mauritsstad dos armadores das Indias Ocidentais N a o o Recife dos Mascates N e m mesmo o Recife que aprendi a amar depois Recife das revolufóes libertarias Mas o Recife sem historia nem literatura Recife sem mais nada Recife da minha infancia A Rúa da Uniáo onde eu brincava de chicote-queimado e partia as vidra9as da casa de Dona Aninha Viegas Totónio Rodrigues era muito velho e botava o pincené na ponta do nariz Depois do jantar as familias tomavam a calfada com cadeiras, mexericos, namoros, risadas A gente brincava no meio da rúa O s meninos gritavam: Coelho sai! N a o sai! A distancia as vozes macias das meninas politonavam: Roseira dá-me urna rosa Craveiro dá-me um botáo (Dessas rosas muita rosa Terá morrido em botáo . . .) D e repente nos longes da noite um sino
71 Erinnerung an Recife Recife Nicht das amerikanische Venedig Nicht das Mauritsstad der westindischen Kompanien Nicht das Recife der Mascates Auch nicht das Recife, das ich später lieben lernte Recife der Befreiungsrevolutionen Sondern das Recife ohne Geschichte und Literatur Recife und nichts sonst Recife meiner Kindheit Die Rua da Uniäo, wo ich Fangen spielte und die Fensterscheiben im Haus von Dona Aninha Viegas zerbrach Torónio Rodrigues war sehr alt und hatte den Kneifer auf der Nasenspitze Nach dem Abendessen füllten die Familien den Bürgersteig mit Stühlen, Klatsch, Liebelei, Gelächter Wir spielten mitten auf der Straße Die Jungen riefen: Eins, zwei, drei! Ich komme! Aus der Ferne kam der Chor der weichen Mädchenstimmen: Rosenstrauch schenk mir eine Rose Nelkenstrauch schenk mir eine Knospe (So manche Rose dieser Rosen Sollte als Knospe sterben . . .) Plötzlich aus der Abendferne eine Glocke
72 Urna pessoa grande dizia: Fogo em Santo Antonio! Outra contrariava: Sào José! T o t ó n i o Rodrigues achava sempre que era Sào José. O s homens punham o chapéu saiam fumando E eu tinha raiva de ser menino porque nào podia ir ver o fogo
Rua da Uniào . . . C o m o eram lindos os nomes das rúas da minha infancia Rua do Sol (Tenho medo que hoje se chame do Dr. Fulano de Tal) Atrás de casa ficava a Rua da Saudade . . . . . . onde se ia fumar escondido D o lado de là era o cais da Rua da Aurora . . . onde se ia pescar escondido Capiberibe -
Capibaribe
Là longe o sertàozinho de Caxangá Banheiros de palha U m dia eu vi urna mofa nuinha no banho Fiquei parado o corafào batendo Eia se riu Foi o meu primeiro alumbramento Cheia! As cheias! Barro boi morto árvores destrofos redemoinho sumiu E nos pegòes da ponte do trem de ferro os caboclos destemidos em jangadas de bananeiras Novenas Cavalhadas
73 Ein Erwachsener sagte: Es brennt in Santo Antonio! Ein anderer entgegnete: Säo Jose! T o t o n i o Rodrigues meinte immer, es sei Säo Jose. Die Männer setzten die Hüte auf, gingen rauchend los Und ich ärgerte mich, daß ich ein Kind war und darum nicht mitgehen und dem Feuer zusehen durfte Rua da Uniäo . . . Wie schön waren die Namen der Straßen meiner Kindheit Rua do Sol (Ich fürchte, heute heißt sie nach Dr. Sowieso) Hinter unserm Haus lag die Rua da Saudade . . . . . . wo man heimlich rauchen ging Drüben war der Kai der Rua da Aurora . . . . . . wo man heimlich angeln ging Capiberibe -
Capibaribe
Weit hinten der hübsche Sertäo von Caxanga Badehütten aus Stroh Eines Tages sah ich ein Mädchen ganz nackt im Bad Ich blieb mit klopfendem Herzen stehen Sie lachte Das war mein erstes großes Erlebnis Hochwasser! Das Hochwasser! Lehm tote Rinder Bäume Trümmer Strudel alles weg Und an den Pfeilern der Eisenbahnbrücke die furchtlosen Caboclos auf Flößen aus Bananenstauden Novenen Reiterspiele
74 Eu me deitei no colo da menina e ela comefou a passar a máos nos meus cábelos Capiberibe - Capibaribe
Rúa da Uniáo onde todas as tardes passava a preta das bananas com o xale vistoso de paño da Costa E o vendedor de roletes de cana O de amendoim que se chamava midubim e nao era torrado era cozido Me lembro de todos os pregóes: Ovos frescos e baratos Dez ovos por urna pataca Foi há muito tempo . . . A vida nao me chegava pelos jornais nem pelos livros Vinha da boca do povo na língua errada do povo Língua certa do povo Porque ele é que fala gostoso o portugués do Brasil Ao passo que nós O que fazemos E macaquear A sintaxe lusíada A vida com urna porfáo de coisas que eu nao entendia bem Térras que nao sabia onde ficavam Recife . . . Rúa da Uniáo . . . A casa de meu avó . . . Nunca pensei que ela acabasse! Tudo lá parecia impregnado de eternidade
75 Ich legte mich auf den Schoß des Mädchens und sie strich mir über das Haar Capiberibe - Capibaribe Rua da Uniäo, wo jeden Nachmittag die schwarze Bananenverkäuferin mit ihrem prächtigen afrikanischen Tuch vorbeikam Und der Verkäufer mit Zuckerrohrstücken Und der mit Erdnüssen die „midubim" hießen und nicht geröstet waren, sondern gekocht Ich weiß noch alle Ausrufe: Eier, frisch und billig Zehn Eier für eine Pataca Das war vor langer Zeit . . , Vom Leben erfuhr ich weder durch Zeitungen noch durch Bücher Sondern aus dem Mund des Volkes in der fehlerhaften Sprache des Volkes Der richtigen Sprache des Volkes Denn das Volk spricht das würzige Portugiesisch Brasiliens Wohingegen das Was wir machen Ein Nachäffen der Lusitanischen Syntax ist Das Leben und eine ganze Reihe von Dingen, die ich nicht richtig verstand Gegenden von denen ich nicht wußte wo sie lagen Recife . . . Rua da Uniäo . . . Das Haus meines Großvaters . . . Nie hätte ich gedacht, es könnte einmal nicht mehr sein! Alles sah dort aus wie mit Ewigkeit getränkt
76 Recife . . . Meu avo morto. Recife morto, Recife bom, Recife brasileiro corno a casa de meu avo Rio, 1925
Recife . . . Mein toter Großvater. Totes Recife, gutes Recife, Recife, brasilianisch wie das Haus meines Großvaters Rio, 1925
Vou-me Embora pra Pasárgada Vou-me embora pra Pasárgada Là sou amigo do rei Là tenho a mulher que eu quero Na cama que escolherei Vou-me embora pra Pasárgada Vou-me embora pra Pasárgada Aqui eu nào sou feliz Lá a existencia é urna aventura De tal modo inconseqüente Que Joana a Louca de Espanha Rainha e falsa demente Vem a ser contraparente Da ñora que nunca tive E como farei ginástica Andarei de bicicleta Montarei em burro brabo Subirei no pau-de-sebo Tomarei banhos de mar! E quando estiver cansado Deito na beira do rio Mando chamar a máe-d'água. Pra me contar as historias Que no tempo de eu menino Rosa vinha me contar Vou-me embora pra Pasárgada
Ich geh fort nach Pasärgada Ich geh fort nach Pasargada Dort ist der König mein Freund Dort hab ich die Frau die ich will Im Bett meiner eignen Wahl Ich geh fort nach Pasargada Ich geh fort nach Pasargada Hier kann ich nicht glücklich sein Dort ist das Leben ein Abenteuer Und so voll Überraschungen Daß Johanna die Wahnsinnige Königin Spaniens und falsche Irre U m sieben Ecken verwandt ist mit Meiner Schwiegertochter die ich nie Ich will tüchtig Gymnastik machen Auf dem Fahrrad will ich fahren Auf einem wilden Esel reiten Hoch auf den Klettermast steigen Im Meer werde ich baden! Und wenn ich dann müde bin Leg ich mich an den Fluß Laß die Wassergöttin rufen. Sie soll mir die Märchen erzählen Die ich in meiner Kinderzeit Aus Rosas Mund so oft gehört Ich geh fort nach Pasargada
Em Pasárgada tem tudo E outra civilizado T e m um processo seguro De impedir a concepfào T e m telefone automático T e m alcaloide à vontade T e m prostitutas bonitas Para a gente namorar E quando eu estiver mais triste Mas triste de nào ter jeito Quando de noite me der Vontade de me matar - Là sou amigo do rei Terei a mulher que eu quero Na cama que escolherei Vou-me embora pra Pasárgada.
81 In Pasargada gibt es alles D o r t ist eine andre Welt Da gibt es eine Methode Der sicheren Empfängnisverhütung Automatische Telefone Drogengifte soviel man will Es gibt hübsche Flittchen Mit denen man turteln kann U n d wenn ich einmal traurig bin So sehr daß nichts mehr hilft Wenn ich dann nachts daran denke Mir das Leben zu nehmen - D o r t ist der König mein Freund Dann hab ich die Frau die ich will Im Bett meiner eignen Wahl Ich geh fort nach Pasargada.
Estrela da Manhá Eu quero a estrela da manhá Onde está a estrela da manhá? Meus amigos meus inimigos Procurem a estrela da manhá Ela desapareceu ia nua Desapareceu com quem? Procurem por toda a parte Digam que sou um homem sem orgulho Um homem que aceita tudo Q u e me importa? Eu quero a estrela da manhá Tres dias e tres noites Fui assassino e suicida Ladráo, pulha, falsario Virgem mal-sexuada Atribuladora dos aflitos Girafa de duas cabefas Pecai por todos pecai com todos Pecai Pecai Pecai Pecai
com os malandros com os sargentos com os fuzileiros navais de todas as maneiras
Com os gregos e com os trojanos Com o padre e com o sacristáo Com o leproso de Pouso Alto
83 Schöne des Morgens Ich will die Schöne des Morgens W o ist die Schöne des Morgens? Meine Freunde meine Feinde Sucht mir die Schöne des Morgens Sie ist verschwunden sie war nackt Verschwunden ist sie, mit wem? Sucht allerorten nach ihr Sagt ihr, ich sei ein Mann ohne Stolz Ein Mann, dem alles recht ist Was kümmert es mich? Ich will die Schöne des Morgens Drei Tage und drei Nächte Hab ich gemordet, mich getötet War Dieb, Halunke, Fälscher Jungfrau, noch fast ohne Geschlecht Peinigerin der Bedrängten Doppelköpfige Giraffe Sündigt für alle sündigt mit allen Sündigt mit den Ganoven Sündigt mit den Sergeanten Sündigt mit den Marineinfanteristen Sündigt auf jede erdenkliche Art Mit den Griechen und den Trojanern Mit dem Priester und dem Küster Mit dem Leprakranken von Pouso Alto
Depois comigo Te esperarei com mafuás novenas cavalhadas cornerei terra e direi coisas de urna ternura tao simples Que tu desfalecerás Procurem por toda a parte Pura ou degradada até a última baixeza Eu quero a estrela da manhà.
85 U n d dann mit mir Ich will dich empfangen mit Kirmes N o v e n e n Turnieren, will Erde essen und Dinge sagen von so schlichter Zärtlichkeit D a ß die Sinne dir schwinden Sucht allerorten nach ihr G a n z gleich ob sie rein oder tief gesunken Ich will die Schöne des Morgens.
86 Momento num Café Q u a n d o o enterro passou O s homens que se achavam no café Tiraram o chapéu maquinalmente Saudavam o morto distraídos Estavam todos voltados para a vida Absortos na vida Confiantes na vida. U m no entanto se descobriu num gesto largo e demorado Olhando o esquife longamente Este sabia que a vida é urna agitafáo feroz e sem finalidade E saudava a matèria que passava Liberta para sempre da alma extinta.
87 In einem Cafe Als der Trauerzug vorbeikam Nahmen die Männer im Cafe Mechanisch die Hüte vom Kopf Grüßten den Toten zerstreut Sie waren alle dem Leben zugewandt Dem Leben verhaftet Ins Leben vertrauend. Einer indes entblößte den Kopf mit weit ausladender Geste Sein Blick verweilte auf dem Sarg Er wußte, das Leben ist ein wilder und sinnloser Trubel Wußte, das Leben ist Verrat Und grüßte die Materie, die nun für immer Von der erloschenen Seele befreit war.
Mozart no Céu No dia 5 de dezembro de 1791 Wolfgang Amadeus Mozart entrou no céu, como um artista de circo, fazendo piruetas extraordinarias sobre um mirabolante cavalo branco. Os anjinhos atónitos diziam: Que foi? Que foi? Melodías jamais ouvidas voavam nas linhas suplementares superiores da pauta. Um momento se suspendeu a c o n t e m p l a l o inefável. A Virgem beijou-o na testa E desde entào Wolfgang Amadeus Mozart foi o mais mofo dos anjos.
Mozart im Himmel Am 5. Dezember 1791 kam Wolfgang Amadeus Mozart in den Himmel und drehte wie ein Zirkusartist die erstaunlichsten Pirouetten auf einem wunderschönen weißen Pferd. Die kleinen Engel fragten staunend: Was ist? Was ist? Nie gehörte Melodien schwebten auf den oberen Hilfslinien der Notenzeilen. Einen Augenblick wurde die unsagbare Andacht unterbrochen. Die Heilige Jungfrau küßte ihn auf die Stirn Und von da an war Wolfgang Amadeus Mozart der jüngste der Engel.
90 A Mario de Andrade Ausente Anunciaram que voce morreu. Meus olhos, meus ouvidos testemunhavam: A alma profunda, nào. Por isso nào sinto agora a sua falta. Sei bem que eia vira (Pela força persuasiva do tempo). Vira subito um dia, Inadvertidamente para os demais. Por exemplo assim: A mesa conversarào de urna coisa e outra. U m a palavra lançada à toa Baterá na franja dos lutos de sangue, Alguém perguntará em que estou pensando, Sorrirei sem dizer que em você Profundamente. Mas agora nào sinto a sua falta. (E sempre assim quando o ausente Partiu sem se despedir: Você nào se despediu.) Você nào morreu: ausentou-se. Direi: Faz tempo que eie nào escreve. Irei a Sào Paulo: você nào vira ao meu hotel. Imaginarei: Está na chacrinha de Sào Roque. Saberei que nào, você ausentou-se. Para outra vida? A vida é urna só. A sua vida continua Na vida que você viveu. Por isso nào sinto agora a sua falta.
91 An Mario de Andrade, abwesend Die N a c h r i c h t von deinem T o d e kam. Mein O h r , meine Augen nahmen sie auf. In meine Seele drang sie nicht. D a r u m vermisse ich dich jetzt nicht. W o h l weiß ich, daß es einmal k o m m t (Die Zeit wird es mir aufzwingen). J ä h , eines Tages, wird es da sein, V o n allen anderen u n b e m e r k t . Z u m Beispiel so: Bei Tisch ein Gespräch über dieses und jenes. Ein achtlos dahergesagtes W o r t R ü h r t an schmerzliche Verluste. D a n n fragt jemand, woran ich denke, Ich lächele und sage nicht, an dich, T i e f innerlich. A b e r jetzt vermisse ich dich nicht. (So ist es, wenn jemand fortgeht O h n e einen Abschiedsgruß. D u hast nicht L e b w o h l gesagt.) D u bist nicht tot, nur fortgegangen. Ich werde sagen: E r hat lange nicht geschrieben. Ich fahre nach Säo Paulo: D u k o m m s t nicht in mein H o t e l . Ich denke mir: E r ist auf dem Land in Säo R o q u e . U n d weiß doch, du bist fortgegangen. In ein anderes Leben? Es gibt nur ein Leben. D e i n Leben setzt sich fort In dem Leben, das du gelebt hast. D a r u m vermisse ich dich jetzt nicht.
92 Belo Belo Belo belo minha bela Tenho tudo que nào quero N à o tenho nada que quero N à o quero óculos nem tosse N e m obrigafào de voto Q u e r o quero Q u e r o a solidào dos píncaros A água da fonte escondida A rosa que floresceu Sobre a escarpa inacessivel A luz da primeira estrela Piscando no lusco-fusco Q u e r o quero Q u e r o dar a volta ao mundo Só num navio de vela Q u e r o rever Pernambuco Q u e r o ver Bagdá e Cusco Q u e r o quero Q u e r o o moreno de Estela Q u e r o a brancura de Elisa Q u e r o a saliva de Bela Q u e r o as sardas de Adalgisa Q u e r o quero tanta coisa Belo belo Mas basta de lero-lero Vida noves fora zero. Petrópolis, fevereiro, 1947
Belo Belo Belo belo meine Schöne Ich hab alles was ich nicht will Ich hab nichts was ich will Ich will keine Brille keinen Husten Ich will auch keine Wahlpflicht Ich will ich will Ich will die Einsamkeit der Gipfel Das Wasser der verborgnen Q u e l l e Die R o s e die erblühte Auf dem unwegsamen Berghang D a s Licht des ersten Sternes Sein F l i m m e r n in der D ä m m e r u n g Ich will ich will Ich will rund um die Welt reisen Allein in einem Segelboot Ich will P e r n a m b u c o wiedersehen Ich will C u z c o und Bagdad sehen Ich will ich will Ich will den dunklen Teint Estelas Ich will die weiße H a u t Elisas Ich will den Speichel Belas Ich will die Sommersprossen Adalgisas Ich will ich will so vieles Belo belo D o c h genug der Litanei Des Lebens N e u n e r p r o b e stimmt. Petropolis, Februar
94 Arte de Amar Se queres sentir a felicidade de amar, esquece a tua alma, A alma é que estraga o amor. Só em Deus eia pode encontrar s a t i s f a r ò , Nào noutra alma. Só em Deus — ou fora do mundo. As almas sào incomunicáveis. Deixa o teu corpo entender-se com outro corpo. Porque os corpos se entendem, mas as almas nào.
Kunst des Liebens Willst du das Glück des Liebens erfahren, vergiß deine Seele, D e n n die Seele verdirbt die Liebe. N u r in G o t t kann sie Befriedigung finden, In einer anderen Seele nicht. N u r in G o t t - oder außerhalb dieser Welt. Seelen können sich nicht mitteilen. Laß deinen Körper sich mit einem anderen verständigen, D e n n die Körper verstehen einander, aber die Seelen nicht.
Infancia Corrida de ciclistas Só me recordo de um bambual debruçado no rio. Très anos? Foi em Petrópolis. Procuro mais longe em minhas reminiscencias. Quem me dera me lembrar da teta negra de minh'ama-de-leite . . . . . . meus olhos nào conseguem romper os ruços definitivos do tempo Ainda em Petrópolis . . . um patio de hotel . . . brinquedos pelo chao . . .
Depois a casa de Sào Paulo. Miguel Guimaràes, alegre, miope e mefistofelico, Tirando reloginhos de plaqué da concha de minha orelha. O urubu pousado no muro do quintal. Fabrico urna trombeta de papel. Comando . . . O urubu obedece. Fujo aterrado do meu primeiro gesto de magia. Depois . . . a praia de Santos . . . Corridas em círculos riscados na areia . . . Outra vez Miguel Guimaràes, juiz de chegada, com os seus presentinhos. A ratazana enorme apanhada na ratoeira. Outro bambual . . . O que inspirou a meu irmào o seu único poema:
97 Kindheit Ein Fahrradrennen. Ich weiß nur noch von Bambusbüschen, die sich über den Fluß neigten. Drei Jahre? Es war in Petropolis. Ich grabe tiefer in meinen Erinnerungen. Ach, könnte ich mich doch an die schwarze Brustwarze meiner A m m e erinnern . . . . . . mein Blick vermag den endgültigen Nebelschleier der Zeit nicht zu durchdringen Noch in Petropolis . . . ein Hotelinnenhof . . . Spielzeug auf der Erde Dann das Haus in Säo Paulo. Miguel Guimaräes, lustig, kurzsichtig und mephistophelisch, Zaubert kleine Doubleuhren aus meiner Ohrmuschel. Der Aasgeier, der auf der Gartenmauer hockt. Ich bastele eine Trompete aus Papier. Ich gebe das Kommando . . . Der Aasgeier gehorcht. Erschrocken über meinen ersten Zauberstreich lauf ich davon. Dann . . . der Strand von Santos . . . Wettläufe auf Kreisbahnen, in den Sand gezogen . . . Wieder Miguel Guimaräes, mit seinen Preisen am Ziel. Die riesige Ratte, mit der Falle gefangen. Noch ein Bambusbusch . . . Der meinen Bruder zu seinem einzigen Gedicht inspirierte:
Eu ia por um caminho, Encontrei um maracatu. O qual vinha direitinho Pelas flechas de um bambú. As mares de equinócio. O jardim submerso . . . Meu tio Claudio erguendo do chao urna ponta de mastro destrocado. Poesía dos naufrágios! Depois Petrópolis novamente. Eu, junto do tanque, de linha amarrada no incisivo de leite, sem coragem de puxar. Véspera de Natal . . . Os chinelinhos atrás da porta . . . E a manhá seguinte, na cama, deslumhrado com os brinquedos trazidos pela fada. E a chácara da Gávea? E a casa da Rúa Don'Ana? Boy, o primeiro cachorro. Nao haveria outro nome depois (Em casa até as cadelas se chamavam Boy). Medo de gatunos . . . Para mim eram homens com cara de pau. A volta a Pernambuco! Descoberta dos casaroes de telha-vá. Meu avó materno - um santo . . . Minha avó batalhadora.
Ich ging auf einem Wege Und traf einen Karnevalszug. Er kam geradewegs auf mich zu Durch den Torbogen eines Bambushains. Die Fluten der Tag- und Nachtgleiche. Der Garten unter Wasser . . . Mein Onkel Claudio, der eine zerbrochene Mastspitze aufrichtet.
Poesie der Schiffbrüche! Dann wieder Petropolis. Ich, neben dem Teich, mit einem Bindfaden um den Milchzahn, und habe Angst zu ziehen. Heiligabend . . . Die Pantoffeln vor der Tür . . . U n d am nächsten Morgen im Bett Staunen über das Spielzeug, das die gute Fee gebracht hat. Und das Landhaus in Gavea? U n d das Haus in der Rua Don'Ana? Boy, so hieß mein erster Hund Und später auch alle anderen (Selbst Hündinnen hießen bei uns Boy). Angst vor Dieben . . . Für mich waren das Männer mit Schurkengesichtern. Die Rückkehr nach Pernambuco! Villen mit unverputztem Dach, eine Entdeckung! Mein Großvater mütterlicherseits - ein Heiliger . . . Meine Großmutter streitsüchtig.
100 A casa da Rua da Uniào. O pàtio - núcleo de poesia. O banheiro - núcleo de poesia. O cambrone - núcleo de poesia (la fraîcheur des latrines!) A alcova de música - núcleo de mistério. Tapetinhos de peles de animais. Ninguém nunca ia là . . . Silencio . . . Obscuridade . . . O piano de armàrio, teclas amarelecidas, cordas desafinadas. Descoberta da rua! Os vendedores a domicilio. Ai mundo dos papagaios de papel, dos piòes, da amarelinha! Urna noite a menina me tirou da roda de coelho-sai, me levou, imperiosa e ofegante, para um desvào da casa de Dona Aninha Viegas, levantou a sainha e disse mete.
Depois meu avo . . . Descoberta da morte! Com dez anos vim para o Rio. Conhecia a vida em suas verdades essenciais. Estava maduro para o sofrimento E para a poesia!
Das Haus in der Rua da Uniäo. Der Patio - poetischer Ort. Das Badezimmer - poetischer Ort. Der Abort - poetischer Ort (la fraîcheur des latrines!) Der Musikalkoven - geheimnisvoller Ort. Kleine Teppiche aus Fellen. Niemand setzte seinen Fuß dorthin . . . Stille . . . Dunkelheit . . . Das Klavier darin, die Tasten vergilbt, die Saiten verstimmt. Das Erlebnis der Straße! Die Händler an der Haustür. Schöne Welt der Papierpapageien, der Kreisel und des Hinkelsteinspiels! Eines Abends lockte das Mädchen mich aus der Runde unseres Spiels, zog mich bestimmt und atemlos in einen Winkel bei Dona Aninha Veigas' Haus, hob das Röckchen und sagte, faß an. Dann mein Großvater . . . Entdeckung des Todes! Mit zehn Jahren kam ich nach Rio. Ich kannte die wesentlichen Wahrheiten des Lebens. Ich war reif für das Leiden Und für die Poesie!
Consoada Quando a indesejada das gentes chegar (Nào sei se dura ou caroável), Talvez eu tenha medo. Talvez sorria, ou diga: - Aló, iniludível! O meu dia foi bom, pode a noite descer. (A noite com os seus sortilegios.) Encontrará lavrado o campo, a casa limpa, A mesa posta, C o m cada coisa em seu lugar.
103 Nachtmahl Wenn der den Menschen Unerwünschte kommt ( O b hart, ob liebevoll, das weiß ich nicht), Vielleicht hab' ich dann Angst. Vielleicht lächle ich oder sage: Hallo, du Untäuschbarer! Mein Tag war schön, die Nacht mag kommen. (Die Nacht mit ihren Zauberstücken.) E r wird das Feld bestellt, das Haus gesäubert finden, Den Tisch gedeckt, Ein jedes Ding an seinem Platz.
Lua Nova Meu novo quarto Virado para o nascente: Meu quarto, de novo a cavaleiro da entrada da barra. Depois de dez anos de pàtio Volto a tomar conhecimento da aurora. Volto a banhar meus olhos no menstruo incruento das madrugadas. Todas as manhàs o aeroporto em frente me dá linóes de partir.
Hei de aprender com ele A partir de urna vez - Sem medo, Sem remorso, Sem saudade. Nào pensem que estou aguardando a lua cheia - Esse sol da demencia Vaga e noctámbula. O que eu mais quero, O de que preciso E de lua nova. Rio, agosto, 1953
Neumond Mein neues Zimmer Dem Sonnenaufgang zugewandt. Mein Zimmer, wieder mit Blick über die Hafeneinfahrt. Nach zehn Jahren im Innenhof Nehme ich wieder das Morgenrot wahr. Bade wieder meinen Blick in der unblutigen Blutung der Morgenröte. Jeden Morgen erteilt der Flughafen gegenüber mir Lektionen im Abschiednehmen. Ich muß es von ihm lernen, Das endgültige Abschiednehmen Ohne Angst, Ohne Bedauern, Ohne Sehnsuchtsschmerz. Glaubt nur nicht, ich wartete auf den Vollmond, Diese Sonne des vagen und Nachtwandlerischen Wahns. Viel lieber mag ich, Viel mehr brauche ich Den Neumond. Rio, August 1953
Ovalle Estavas bem mudado Como se tivesses posto aquelas barbas brancas Para entrar com major decoro a Eternidade Nada de nós te interessava agora Calavas sereno e grave Como no fundo foste sempre Sob as fantasias verbais enormes Q u e faziam rir os teus amigos e Punham bondade no corafáo dos maus O padre orava: - „O coro de todos os anjos te receba . . . " Pensei comigo: Cantando Estrela brilhante Lá do alto-mar! . . . Levamos-te cansado ao teu último endere90 Vi com prazer Q u e um dia afinal seremos vizinhos Conversaremos longamente De sepultura a sepultura N o silencio das madrugadas Quando o orvalho pingar sem ruido E o luar for urna coisa só.
Ovalle Du warst ganz verändert Als hättest du jenen weißen Bart angelegt U m festlicher geschmückt in die Ewigkeit zu treten Nichts an uns war jetzt für dich bedeutsam Du warst stumm, gelassen und ernst Was du im Grunde immer gewesen Unter den großartigen Wortkostümen Die deine Freunde lachen ließen und Den Schlechten Gutes ins Herz legten Der Priester betete: „Mögen alle Engel dich in ihrem Chor aufnehmen . . Ich dachte für mich: Und dabei singen: Leuchtender Stern Dort auf hoher See! . . . Wir brachten dich müde zu deiner letzten Stätte Ich sah mit Freuden Eines Tages werden wir endlich Nachbarn sein Von einem Grab zum anderen Lange Gespräche führen In der Stille des Morgengrauens Wenn der Tau geräuschlos tropft Und der Mondschein nur ein Ding ist.
Cangáo do Suicida Nao me matarei, meus amigos. Nao o farei, possivelmente. Mas que tenho vontade, tenho. Tenho, e, muito curiosamente, Com um tiro. Um tiro no ouvido, Vinganfa contra a condifáo Humana, ai de nós!, sobre-humana De ser dotado de razáo.
109 Lied des Selbstmörders Ich werde mich nicht töten, Freunde. Das tu ich nicht, vermutlich nicht. Aber Lust dazu hätte ich schon. Ja, und zwar, seltsam genug, Mit einer Kugel. Einer Kugel in den Kopf, Aus Rache an unserer Natur, Der menschlichen, ach, übermenschlichen, D a ß uns Verstand gegeben ist.
Antologia A vida Com cada coisa em seu lugar. Nao vale a pena e a dor de ser vivida. Os corpos se entendem mas as almas nao. A única coisa a fazer é tocar um tango argentino. Vou-me embora p'ra Pasárgada! Aqui eu nao sou feliz. Quero esquecer tudo: - A dor de ser homem . . . Este anseio infinito e váo De possuir o que me possui. Quero descansar Humildemente pensando na vida e ñas mulheres que amei . . . N a vida inteira que podia ter sido e que nao foi.
Quero descansar. Morrer. Morrer de corpo e alma. Completamente. (Todas as manhás o aeroporto em frente me dá lÍ9Óes de partir.)
Quando a indesejada das gentes chegar Encontrará lavrado o campo, a casa limpa. A mesa posta, Com cada coisa em seu lugar. Rio,1965
Anthologie Das Leben, Ein jedes Ding an seinem Platz. Es lohnt nicht die Mühe und den Schmerz, gelebt zu werden. Die Körper verstehen einander, aber die Seelen nicht. Da kann man nur noch einen argentinischen Tango spielen. Ich geh' fort nach Pasargada! Hier kann ich nicht glücklich sein. Ich will alles vergessen: Den Schmerz, ein Mensch zu sein . . . Das Streben, unendlich und vergeblich, Zu beherrschen, was mich beherrscht. Ich will ausruhen, Demütig an das Leben denken und an die Frauen, die ich geliebt An das ganze Leben, das hätte sein können und nicht war. Ich will ausruhen. Sterben. Sterben mit Körper und Seele. Ganz und gar. (Jeden Morgen erteilt der Flughafen gegenüber mir Lektionen im Abschiednehmen.) Wenn der den Menschen Unerwünschte kommt, Wird er das Feld bestellt, das Haus gesäubert finden. Den Tisch gedeckt, Ein jedes Ding an seinem Platz. Rio, 1965
Der Bildhauer Der Künstler hielt im Modellieren inne, schlug seufzend mehrfach mit dem Spachtel auf den Arbeitstisch, wie ein Vogel, der sich an seiner Sitzstange den Schnabel wetzt, und zitierte betrübt den Satz, den er einmal von dem großen Bourdelle gehört hatte:
Quel malheur d'etre sculpteur! Er machte seinem Herzen Luft, allerdings aus anderen Gründen als Bourdelle. Oder anders gesagt: er hatte dieselben Gründe wie Bourdelle und dazu noch die Schwierigkeiten, auf die ein bildender Künstler mit seiner Arbeit in Brasilien stößt. Ein Dichter braucht nur einen Bleistift und ein Blatt Papier (und das kann sogar Packpapier sein), um sein Gedicht zu schreiben; wieviel teure Dinge aber braucht ein Bildhauer! Und das Problem mit Modellen? Genau dieses Problem hatte meinen Freund so tief seufzen lassen, als er Bourdelles Worte sprach. „Sie können sich nicht vorstellen, wie schwierig es ist! Wenn ich die Büste eines Freundes machen will, nicht, um Geld zu verdienen, sondern um das zu realisieren, was ich in mir trage und was außerhalb von mir leben will, gelingt es mir nicht, diesen Freund dazu zu bewegen, mir mit Ausdauer Modell zu sitzen; erst kommt er vier-, fünfmal hierher, dann kommt er mit Ausflüchten und schließlich kommt er gar nicht mehr. Viele von denen, die so etwas mit mir machen, sind gebildete Männer und wissen sehr wohl, daß Despiaux für eine Büste drei Jahre brauchte. Aber wenn der Bildhauer die Ähnlichkeit mit dem Modell eingefangen hat, glauben sie hier immer gleich, die Arbeit sei fertig, der Bildhauer wolle nur rumtrödeln, und bekommen Angst, der Ton könnte bei der weiteren Feinarbeit an Lebendigkeit und - wer weiß - sogar auch noch an Ähnlichkeit verlieren." „Und was ist mit Berufsmodellen?" fragte ich. „Entsetzlich! In Brasilien taugen Modelle nur von achtzehn bis zwanzig. Alle älteren haben keine Brüste mehr, nur noch Hängebu-
sen. Die Zeitungen sind viel zu puritanisch, Anzeigen wie diese zum Beispiel nehmen sie gar nicht erst an: Junges Mädchen, achtzehn bis zwanzig Jahre alt, indianischer Typus, als Modell für Bildhauer gesucht. Statt dessen muß man annoncieren: Hausangestellte für leichte Tätigkeiten gesucht. Und wenn die Kandidatin sich vorstellt und sich als Modell eignet, ihr erklären, worum es geht. Manche sind solche Tölpel, daß sie es beim Anblick dieser Köpfe hier mit der Angst kriegen und weglaufen. Andere weigern sich, sich auszuziehen. Einmal ist es mir passiert, daß so ein Mädchen sich ausgezogen hat, es war ein fabelhaftes Modell, ich machte alles mit ihr ab und war überglücklich. Endlich kann ich meinen Brunnen machen, dachte ich. Doch am nächsten Morgen erschien sie hier und erklärte, sie nähme alles zurück, was sie gesagt hätte, sie geniere sich, Modell zu sitzen. ,Aber Sie haben sich doch gestern vor mir ausgezogen? Wieso genieren Sie sich jetzt?' J a , gestern war das nur kurz. Aber für länger genier ich mich.' Es war nicht möglich, sie umzustimmen. Quel malheur d'être sculpteur!" 9.10.1955
Litanei Als ich vorgestern in der längsten Schlange stand, die ich je in meinem ausgedehnten Leben erlebt habe (und zwar mittags um ein Uhr an einem sonnenheißen Tag im Finanzamt), ging Mestre Alceu Amoroso Lima an mir vorüber und ließ mich euphorisch katholisch wissen: „Heute ist der Tag des Heiligen Johannes Chrysostomos, dessen größte Tugend die Geduld war." Das war Wasser auf meine Glut. Ich klammerte mich also an den heiligen ökumenischen Gelehrten der griechischen Kirche, den Patriarchen von Konstantinopel, den „Goldmund", der Eutropius und Eu-
sen. Die Zeitungen sind viel zu puritanisch, Anzeigen wie diese zum Beispiel nehmen sie gar nicht erst an: Junges Mädchen, achtzehn bis zwanzig Jahre alt, indianischer Typus, als Modell für Bildhauer gesucht. Statt dessen muß man annoncieren: Hausangestellte für leichte Tätigkeiten gesucht. Und wenn die Kandidatin sich vorstellt und sich als Modell eignet, ihr erklären, worum es geht. Manche sind solche Tölpel, daß sie es beim Anblick dieser Köpfe hier mit der Angst kriegen und weglaufen. Andere weigern sich, sich auszuziehen. Einmal ist es mir passiert, daß so ein Mädchen sich ausgezogen hat, es war ein fabelhaftes Modell, ich machte alles mit ihr ab und war überglücklich. Endlich kann ich meinen Brunnen machen, dachte ich. Doch am nächsten Morgen erschien sie hier und erklärte, sie nähme alles zurück, was sie gesagt hätte, sie geniere sich, Modell zu sitzen. ,Aber Sie haben sich doch gestern vor mir ausgezogen? Wieso genieren Sie sich jetzt?' J a , gestern war das nur kurz. Aber für länger genier ich mich.' Es war nicht möglich, sie umzustimmen. Quel malheur d'être sculpteur!" 9.10.1955
Litanei Als ich vorgestern in der längsten Schlange stand, die ich je in meinem ausgedehnten Leben erlebt habe (und zwar mittags um ein Uhr an einem sonnenheißen Tag im Finanzamt), ging Mestre Alceu Amoroso Lima an mir vorüber und ließ mich euphorisch katholisch wissen: „Heute ist der Tag des Heiligen Johannes Chrysostomos, dessen größte Tugend die Geduld war." Das war Wasser auf meine Glut. Ich klammerte mich also an den heiligen ökumenischen Gelehrten der griechischen Kirche, den Patriarchen von Konstantinopel, den „Goldmund", der Eutropius und Eu-
doxia die Stirn geboten hatte, und vertrieb mir, bis ich zur Öffnung des weit entfernten Schalters vordrang, die Zeit mit stummem Rezitieren einer improvisierten Litanei, von der ich nur diese Zeilen im Gedächtnis behalten habe, die ich hiermit den Einwohnern von Rio in diesem Monat der Gründung und diesem Jahr der Prüfung ihrer von Tag zu Tag weniger wunderbaren Stadt schenke, widme und weihe: „Heiliger Johannes Chrysostomos, gib mir Geduld, daß ich in dieser Schlange in Demut und guter Laune warte, bis ich an die Reihe komme; Gib mir auch Geduld, daß ich in dieser überquellenden Stadt auch noch andere Schlangen ertrage, deren hoffnungsloseste jene ist, in der die Menschen noch immer auf bessere Tage in Brasilien warten; Heiliger Johannes Chrysostomos, gib mir Geduld, daß ich ohne Ekel die Scheußlichkeiten ansehe, die die Stadt verhunzen, wie die Statuen von Floriano und Deodoro, das Kriegsministerium und das Arbeitsministerium, die gelbe Mietskaserne, die man an die Stelle des ehemaligen Hotel dos Estrangeiros gesetzt hat, etc.; Heiliger Johannes Chrysostomos, gib mir Geduld, daß ich ohne Ekel die Grobheit der Busschaffner, die Arroganz der Regierungsautos, die Unfreundlichkeit der Taxichauffeure zur rush hour und anderes Unglück ertrage; Guter Heiliger Johannes Chrysostomos, gib uns Geduld, daß wir die jungen Kritiker der geragäo de 45 zu Ende lesen, denn zwar scheinen mir einige ihrer Dichter ausgezeichnet zu sein, aber die Kritiker sind nicht zu ertragen; Heiliger Johannes Chrysostomos, gib mir Geduld, daß ich die vor über zwanzig Jahren angekündigte Veröffentlichung des Buches Joäo Ternura meines lieben Freundes Anibal Monteiro Machado erlebe, Gott schütze ihn; Heiliger Johannes Chrysostomos, gib mir ebenso Geduld, daß ich nicht fluche, wenn auf einem Geburtstag die Gäste ,Hoch soll er leben' anstimmen; Heiliger Johannes Chrysostomos, gib mir Geduld, daß ich lächelnd
jene e m p f a n g e , die zu mir k o m m e n und m i c h u m meine M e i n u n g bitten über die Gedichte, die sie selbst verfaßt haben oder der Teufel, der sie holen soll; A b e r gib uns keine G e d u l d , daß wir den A u s n a h m e z u s t a n d u n d die Z e n s u r ertragen! D a s geht zu w e i t . " 29.1.1956
Kafkaeske Welt H i e r m i t teile ich s o w o h l meinen F r e u n d e n als auch meinen F e i n d e n mit, daß der alte Barde Bandeira, o b w o h l er k u r z v o r V o l l e n d u n g des einundsiebzigsten J a h r e s einer qualvollen E x i s t e n z steht, noch imm e r , o h n e großen N u t z e n f ü r seine Schüler, H i s p a n o a m e r i k a n i s c h e Literatur an der Faculdade N a c i o n a l de F i l o s o f i a lehrt. D i e s e s dürfte eigentlich nicht sein, denn im vergangenen J a h r hat der Präsident J u s c e l i n o K u b i t s c h e k in einer schönen G e s t e die Resolution des K o n g r e s s e s bestätigt, die d e m R e s t a u r a t o r v o n Pasargada den R u h e s t a n d gewährte. D o c h k a u m war das G e s e t z bestätigt, fiel die A k t e in den Keller der B ü r o k r a t i e und nun weiß n i e m a n d mehr, w o sie sich rumtreibt. C i r o d o s A n j o s ist ein M a n n v o n u n g e w ö h n l i c h e m Scharfblick sow o h l in der Welt der F i k t i o n als auch in dieser Welt meines H e r r gotts. In begründeter V e r z w e i f l u n g wandte der Barde sich an ihn, d e n n schon einmal hatte er, als er U n t e r l a g e n und Schriften zu der verehrten Sor J u a n a Ines de la C r u z benötigte, C i r o geschrieben, der sich gerade in M e x i k o befand, und p o s t w e n d e n d nicht nur das Erbetene, sondern noch mehr erhalten. Jetzt befindet C i r o sich im Catete, u n d er hat versprochen, die verzauberte A k t e ausfindig zu machen. A u f alle Fälle mache ich darauf a u f m e r k s a m , daß ich in der ersten H ä l f t e J u l i nach Pasargada gehe. D a s ist meine Geschichte. J e t z t k o m m t die G e s c h i c h t e v o n D o n a Frederica, einer H o l l ä n d e r i n mit der Berechtigung, sich auf brasilia-
jene e m p f a n g e , die zu mir k o m m e n und m i c h u m meine M e i n u n g bitten über die Gedichte, die sie selbst verfaßt haben oder der Teufel, der sie holen soll; A b e r gib uns keine G e d u l d , daß wir den A u s n a h m e z u s t a n d u n d die Z e n s u r ertragen! D a s geht zu w e i t . " 29.1.1956
Kafkaeske Welt H i e r m i t teile ich s o w o h l meinen F r e u n d e n als auch meinen F e i n d e n mit, daß der alte Barde Bandeira, o b w o h l er k u r z v o r V o l l e n d u n g des einundsiebzigsten J a h r e s einer qualvollen E x i s t e n z steht, noch imm e r , o h n e großen N u t z e n f ü r seine Schüler, H i s p a n o a m e r i k a n i s c h e Literatur an der Faculdade N a c i o n a l de F i l o s o f i a lehrt. D i e s e s dürfte eigentlich nicht sein, denn im vergangenen J a h r hat der Präsident J u s c e l i n o K u b i t s c h e k in einer schönen G e s t e die Resolution des K o n g r e s s e s bestätigt, die d e m R e s t a u r a t o r v o n Pasargada den R u h e s t a n d gewährte. D o c h k a u m war das G e s e t z bestätigt, fiel die A k t e in den Keller der B ü r o k r a t i e und nun weiß n i e m a n d mehr, w o sie sich rumtreibt. C i r o d o s A n j o s ist ein M a n n v o n u n g e w ö h n l i c h e m Scharfblick sow o h l in der Welt der F i k t i o n als auch in dieser Welt meines H e r r gotts. In begründeter V e r z w e i f l u n g wandte der Barde sich an ihn, d e n n schon einmal hatte er, als er U n t e r l a g e n und Schriften zu der verehrten Sor J u a n a Ines de la C r u z benötigte, C i r o geschrieben, der sich gerade in M e x i k o befand, und p o s t w e n d e n d nicht nur das Erbetene, sondern noch mehr erhalten. Jetzt befindet C i r o sich im Catete, u n d er hat versprochen, die verzauberte A k t e ausfindig zu machen. A u f alle Fälle mache ich darauf a u f m e r k s a m , daß ich in der ersten H ä l f t e J u l i nach Pasargada gehe. D a s ist meine Geschichte. J e t z t k o m m t die G e s c h i c h t e v o n D o n a Frederica, einer H o l l ä n d e r i n mit der Berechtigung, sich auf brasilia-
nischem Boden aufzuhalten, und die sich jetzt anschickt, ihre Heimat zu besuchen. Man verlangte von ihr einen Abstammungsnachweis und ein polizeiliches Führungszeugnis. Also ging ich zum Instituto Félix Pacheco, um dieses zu besorgen. Dort hieß es, die Dame müsse unbedingt persönlich erscheinen. Sie solle die Formulare ausfüllen und zwei Wertmarken zu C r $ 20,00, zwei zu 10 und zwei Bildungsmarken mitbringen. Wir taten, wie uns geheißen. Daraufhin teilte man uns mit, es fehle nun noch eine Wertmarke zu Cr$ 30,00 und eine weitere Bildungsmarke. Wir gingen die Marken kaufen. W i r kehrten zurück. Nachdem man meiner Freundin die Fingerabdrücke abgenommen hatte, wurde uns ein Zettel überreicht, auf dem vermerkt war, die beantragten Papiere würden nach zehn Tagen ausgehändigt. Ich ging nach zehn Tagen wieder dahin. Die Abteilung zog gerade um, weiter weg in die Rua Venezuela. Zwei Tage später ging ich ein zweites Mal dahin. An der Praça Maua gab es keine Schalter, das Publikum wurde nur durch eine simple Barriere von den Beamten getrennt; es war eine menschlichere Atmosphäre. In der Rua Venezuela hingegen bekam der Dienstbetrieb durch die Schalter die hundertprozentig bürokratische Atmosphäre von Dir-werd-ich'sschon-zeigen. Ich stellte mich in die Reihe der Unglücklichen, und als ich zum Schalter vorgedrungen war, sah der Beamte in den Akten nach, fand die Unterlagen von Dona Frederica, las sie durch, kam zu mir und teilte mir mit, daß noch ein Dokument fehle - die beglaubigte Abschrift des Ausweises Nr. 19 (Personalausweis für Ausländer); ich solle damit und mit einer Wertmarke von C r $ 20,00 zurückkommen. Ob ich auch eine Bildungsmarke mitbringen müsse, fragte ich vorsichtshalber. Nein, das brauchte ich nicht. Ich ging die Abschrift beglaubigen lassen, C r $ 40,00. Ich kaufte die Wertmarke. Ich kam zurück. Endlich geschafft! rief ich, als ich wieder vor dem Schalter in der Rua Venezuela stand. Wie konnte ich nur so naiv sein! Der Beamte (diesmal ein anderer) sah sich die Abschrift an, sah mich von der Seite an, als wäre ich ein Verbrecher, las das Dokument von oben bis unten durch, ließ mich mit der Wertmarke in der ausgestreckten Hand warten und überreichte mir schließlich wieder einen Zettel,
117 auf dem stand, die Papiere könnten in zwölf Tagen abgeholt werden! Wollen wir nur hoffen, daß in Brasilia, wo, wie der Dichter Augusto Frederico Schmidt sagt, der Präsident Kubitschek es Aneas gleich macht und ein neues Rom gründet, die Dinge anders laufen als in der kafkaesken Welt, die diese unbewohnbare Stadt Säo Sebastiäo do Rio de Janeiro zur Zeit ist. 14.4.1957
Von Goethe lernen Noch hatte ich keine Zeit, O A legre Arcipreste e Outros Temas de Literatura Espanhola, das neueste Ruch von Eduardo Frieiro, zu lesen, aber seine beiden Anmerkungen zu Machado de Assis in der letzten Nummer der Zeitschrift Kriterion haben mir großes Vergnügen bereitet. In der ersten, in der er versucht, die Legende von der Kälte und Gefühllosigkeit des Autors von Dom Casmwrro zu zerstören, verweist er uns auf die Vorsichtsmaßnahmen, mit denen sich Goethe im reifen Alter umgab, um sich in seiner Arbeit, Freiheit und Ruhe vor Belästigungen zu schützen. Die Maxime des großen Dichters lautete: „In einer Zeit, die nichts bewahrt noch schont, muß jeder sich selbst schonen." Und wie Frieiro erzählt, „antwortete er systematisch nur auf die Briefe, in denen ihm etwas angeboten wurde, und sah sich nicht verpflichtet, junge Dichter mit guten Ratschlägen anzuspornen oder ihnen durch Empfehlungen zu helfen". Ein fürwahr großer Egoismus, den man nur einem genialen Menschen zugestehen kann, der andererseits in seinem großartigen Werk so viel von sich selbst gegeben hat. Aber haben auch wir das Recht, uns genauso zu schonen, auch wenn wir in einer Zeit leben, in der noch weniger als zu Goethes Zeiten weder Menschen noch irgend etwas anderes geschont wird?
117 auf dem stand, die Papiere könnten in zwölf Tagen abgeholt werden! Wollen wir nur hoffen, daß in Brasilia, wo, wie der Dichter Augusto Frederico Schmidt sagt, der Präsident Kubitschek es Aneas gleich macht und ein neues Rom gründet, die Dinge anders laufen als in der kafkaesken Welt, die diese unbewohnbare Stadt Säo Sebastiäo do Rio de Janeiro zur Zeit ist. 14.4.1957
Von Goethe lernen Noch hatte ich keine Zeit, O A legre Arcipreste e Outros Temas de Literatura Espanhola, das neueste Ruch von Eduardo Frieiro, zu lesen, aber seine beiden Anmerkungen zu Machado de Assis in der letzten Nummer der Zeitschrift Kriterion haben mir großes Vergnügen bereitet. In der ersten, in der er versucht, die Legende von der Kälte und Gefühllosigkeit des Autors von Dom Casmwrro zu zerstören, verweist er uns auf die Vorsichtsmaßnahmen, mit denen sich Goethe im reifen Alter umgab, um sich in seiner Arbeit, Freiheit und Ruhe vor Belästigungen zu schützen. Die Maxime des großen Dichters lautete: „In einer Zeit, die nichts bewahrt noch schont, muß jeder sich selbst schonen." Und wie Frieiro erzählt, „antwortete er systematisch nur auf die Briefe, in denen ihm etwas angeboten wurde, und sah sich nicht verpflichtet, junge Dichter mit guten Ratschlägen anzuspornen oder ihnen durch Empfehlungen zu helfen". Ein fürwahr großer Egoismus, den man nur einem genialen Menschen zugestehen kann, der andererseits in seinem großartigen Werk so viel von sich selbst gegeben hat. Aber haben auch wir das Recht, uns genauso zu schonen, auch wenn wir in einer Zeit leben, in der noch weniger als zu Goethes Zeiten weder Menschen noch irgend etwas anderes geschont wird?
118 Ich habe Kollegen meiner Generation befragt, ob sie sich schriftlich für Bücher bedanken, die sie von Unbekannten erhalten, und immer dieselbe Antwort erhalten: nein. Ich fühle mich versucht, diesem Beispiel zu folgen, aber eingedenk der Enttäuschung, die Bilac mir bereitet hat, indem er mir nicht den E m p f a n g meines ersten Buches bestätigte, fehlt mir der Mut, mich zu schonen. Allerdings wird die Lage für mich allmählich zur Katastrophe. Es sind nicht nur Hunderte von dünnen Broschüren mit Gedichten, die mir ins Haus flattern (und heutzutage ist jede Zeile ein Gedicht, außerdem haben bereits zwei Schulen - die Konkreten und die Neokonkreten - den Vers, die Syntax und anderes störendes Zeug aus der Dichtung verbannt), sondern auch Briefe mit handgeschriebenen Gedichten, um deren Beurteilung der Autor oder die Autorin oder ein Verwandter oder ein Freund oder eine Freundin des Autors oder der Autorin mich bitten! Es ist wirklich erstaunlich, wieviele junge Menschen hierzulande die Frage quält, ob sie nun wahre .Dichter sind oder nicht. Ich fühle mich erschöpft, ich glaube, ich werde Goethes Lektion annehmen. Das heißt, bei Goiäs, Mato Grosso und dem Landesinneren von Minas und den Küstenbundesstaaten mache ich eine Ausnahme. Denn es ist doch allzu traurig, wenn jemand für teures Geld in der ortsansässigen Druckerei von C o n c e i f ä o de M a t o Dentro ein unseliges Büchlein drucken läßt, es voller Hoffnungen den Literaten in der Hauptstadt schickt und dann keine einzige Zeile als Antwort erhält, oder? 19.8.1959
Poesie und Dichtung (Auszug) Eines Tages, als ich mich daran machte, ein Lehrbuch über Literatur zu schreiben, mußte ich Poesie definieren und wußte nicht, wie. Und das passierte mir, der ich seit meinem zehnten Lebensjahr Gedichte schreibe; mir, der ich so oft gespürt hatte, wie die Poesie gleich elektrischem Strom mich durchströmte und mir in Gestalt von unerklärlichen Tränen der Freude in die Augen gestiegen war; ich war in diesem Augenblick nicht in der Lage, eine, ich sage nicht einmal rationale, Definition zu formulieren, eine Definition, wie sie nach den Regeln der Logik jedem Bestimmten und nur dem Bestimmten zukommt, sondern eine rein empirische, künstlerische, literarische Definition. In meiner Not griff ich auf Schiller zurück, der ein ebenso großer Kritiker wie Dichter gewesen ist, und sagte mit seinen Worten: „Poesie ist die Kraft, die jenseits und über das Bewußtsein hinaus auf göttliche, nicht greifbare Weise wirkt." Weiß jemand, was „auf göttliche Weise wirken" bedeutet? Ehrlich gestanden, ich weiß es nicht. Aber dieses nicht greifbare Wirken der Poesie kenne ich aus eigener Erfahrung: so manches Mal wußte ich keinerlei Erklärung für die Emotion, die mich beim Hören oder Lesen bestimmter Verse, bestimmter Wortkombinationen überkam. An dieser Stelle möchte ich eine Anekdote erzählen. Es gab in der Avenida Marechal Floriano ein Hotel, das „Hotel Peninsula Fernandes" hieß. Jedesmal wenn ich daran vorüberging und auf dem Schild den Namen „Hotel Peninsula Fernandes" sah, empfand ich eine unerklärliche leichte Freude - kurz, eine Freude über etwas Poetisches. Und ich wurde immer neugieriger. Warum hieß dieses Hotel „Peninsula Fernandes"? Eines Tages hielt es meinen Cousin Antonio Bandeira, der ebenso auf den merkwürdigen Namen aufmerksam geworden war, nicht mehr; er stieg die Treppe hinauf und ging zum Besitzer, einem schlichten Portugiesen ohne jeden Dunst von Literatur. „Entschuldigen Sie bitte meine Neugier, aber warum heißt Ihr Hotel ,Peninsula Fernandes'?"
„Ganz einfach", antwortete der Mann. „F'rnandes, weil ich so heiße, und P'ninsula, weil es hübsch ist!" Damit war in der Tat der Name erklärt, nicht aber die poetische Emotion: sie wirkte auf nicht greifbare Weise. Genauso wirken viele Dinge im Straßenleben auf unsere Empfindungen. Zwei Autos stoßen zusammen, eine Dame wird ohnmächtig, ein Mann wird ermordet oder eine Ausländerin auf der Durchreise nach Buenos Aires geht an der Prafa Maua in kaum mehr als der notwendigsten Bekleidung an Land: sofort gibt es einen Auflauf, wobei die einen, die gerade dazu kommen und sich zu der Gruppe gesellen, genau wie die andren, die aus der Entfernung zusehen, noch gar nicht wissen, was eigentlich geschehen ist. Ein gewisser emotionaler Aufruhr schwebt in der Luft und schafft so etwas wie eine poetische Atmosphäre. Ja, und genau dasselbe bewirkt der Dichter, nur macht er es mit Hilfe von aufeinander prallenden Wörtern. Als Schiller sagte, die Poesie sei eine Kraft, die jenseits und über das Bewußtsein hinaus wirkt, meinte er damit anscheinend jene Welt des Unterbewußtseins, die wir alle in uns tragen. Die Poesie wäre demnach die Brücke zwischen dem Unterbewußtsein des Dichters und dem Unterbewußtsein des Lesers. Wenn ich in meinem Buch Schillers Definition übernommen habe, dann deshalb, weil sie meines Erachtens ein Licht auf die weniger zugängliche Poesie wirft, die Poesie, die nicht in vollem Bewußtsein zustande kommt. Selbstverständlich kann Poesie auch aus vollem Bewußtsein zustande kommen und folglich klar faßlich sein. In meinem Gedicht „Palinodia" ist die mittlere Strophe voll verständlich. Aber selbst ich kann weder die erste noch die letzte Strophe erklären. Sie gehören zu einem Gedicht, das ich im Traum gemacht habe. Als ich aufwachte, wollte ich es noch einmal formulieren, was mir aber nur zum Teil gelang. Die verständliche Strophe ist das Ergebnis geistiger Arbeit bei vollkommen klarem Bewußtsein; die anderen beiden sind auf nicht greifbare Weise am Rande des Bewußtseins zustande gekommen. Ich wüßte schon, wie sie zu interpretieren sind, aber das verrate ich nicht. Das ist ein Berufsgeheimnis.
Das gleiche wie für „Palinodia" gilt auch für mein Gedicht „O lutador", das ebenfalls im Traum entstanden ist. Hier reduziert sich der Eingriff in wachem Zustand auf ein Minimum. Das ganze Sonett ist mitsamt Titel und allem genau das Sonett, das ich im Traum gedichtet habe. Ich mußte es interpretieren, als wäre ich mir selbst fremd, so wie jeder andere es entsprechend den Suggestionen meines stimulierten Unterbewußtseins interpretieren könnte. Für mich ist es eine Botschaft meines Unterbewußtseins an mein Bewußtsein, eine von diesem nur höchst vage wahrgenommene und erneut zu ihrem Ursprung zurückgesandte Botschaft.
Der Weg nach Pasärgada Ich muß gestehen, daß ich inzwischen ziemlich heftig bereue, diese Memoiren angefangen zu haben. Dazu gedrängt haben mich Fernando Sabino und Paulo Mendes Campos. Die Abmachung mit ihnen hatte überhaupt nichts Unwiderrufliches, denn alle beide sind verständnisvolle menschliche Lebewesen. Aber die Zeitschrift, für die sie arbeiteten, ging ein, und ehe ich mich's versah, war ich meinem Freund Joäo Conde in die Hände gefallen, der mich mit weiser Unerbittlichkeit anhält, unermüdlich für seine Archive und das Jomal de Letras zu arbeiten, und zu diesem Zweck die unglaublichsten Hilfsmittel einsetzt wie zum Beispiel seine persönliche Liebenswürdigkeit, das Fernsehen, den Namen Caruaru etc. Ich bereue deshalb, weil diese Erinnerungen derart mittelmäßig sind, daß sie mir überhaupt keine Freude bereiten, und weil ich im übrigen auf Schwierigkeiten stoße bei dem Versuch, meinen Werdegang in dem Zeitabschnitt 1904-1917 zu rekonstruieren, also von dem Jahr meiner Erkrankung bis zum Jahre der Veröffentlichung meines ersten Gedichtbandes, A Cinza das Horas. In diesen dreizehn Jahren bin ich mir meiner Grenzen bewußt geworden, in diesen dreizehn Jahren habe ich mir meine Technik erarbeitet.
Das gleiche wie für „Palinodia" gilt auch für mein Gedicht „O lutador", das ebenfalls im Traum entstanden ist. Hier reduziert sich der Eingriff in wachem Zustand auf ein Minimum. Das ganze Sonett ist mitsamt Titel und allem genau das Sonett, das ich im Traum gedichtet habe. Ich mußte es interpretieren, als wäre ich mir selbst fremd, so wie jeder andere es entsprechend den Suggestionen meines stimulierten Unterbewußtseins interpretieren könnte. Für mich ist es eine Botschaft meines Unterbewußtseins an mein Bewußtsein, eine von diesem nur höchst vage wahrgenommene und erneut zu ihrem Ursprung zurückgesandte Botschaft.
Der Weg nach Pasärgada Ich muß gestehen, daß ich inzwischen ziemlich heftig bereue, diese Memoiren angefangen zu haben. Dazu gedrängt haben mich Fernando Sabino und Paulo Mendes Campos. Die Abmachung mit ihnen hatte überhaupt nichts Unwiderrufliches, denn alle beide sind verständnisvolle menschliche Lebewesen. Aber die Zeitschrift, für die sie arbeiteten, ging ein, und ehe ich mich's versah, war ich meinem Freund Joäo Conde in die Hände gefallen, der mich mit weiser Unerbittlichkeit anhält, unermüdlich für seine Archive und das Jomal de Letras zu arbeiten, und zu diesem Zweck die unglaublichsten Hilfsmittel einsetzt wie zum Beispiel seine persönliche Liebenswürdigkeit, das Fernsehen, den Namen Caruaru etc. Ich bereue deshalb, weil diese Erinnerungen derart mittelmäßig sind, daß sie mir überhaupt keine Freude bereiten, und weil ich im übrigen auf Schwierigkeiten stoße bei dem Versuch, meinen Werdegang in dem Zeitabschnitt 1904-1917 zu rekonstruieren, also von dem Jahr meiner Erkrankung bis zum Jahre der Veröffentlichung meines ersten Gedichtbandes, A Cinza das Horas. In diesen dreizehn Jahren bin ich mir meiner Grenzen bewußt geworden, in diesen dreizehn Jahren habe ich mir meine Technik erarbeitet.
Ich wurde mir meiner Grenzen bewußt. Aus den Mißerfolgen zog ich nach so vielen Jahren die Lehre, daß ich niemals in der Lage sein würde, Gedichte zu komponieren, wie Valéry sie geschrieben hat. In Mémoires d'un poème (Variété V) hat der große Dichter uns verraten, die erste Voraussetzung für seine schöpferische Arbeit als Dichter sei, daß er sich zu le plus de conscience passible zwinge; sein ganzer Wunsch war, essayer de retrouver avec volonté de conscience quelques résultats analogues (entre cent mille coups quelconques) le hasard mental. Früher war er sogar noch weiter gegangen und hatte gesagt, es sei ihm lieber, avoir composé une oeuvre médiocre en toute lucidité qu'un chef-d'oeuvre a éclairs, dans un état de transe ... Ich persönlich machte im Laufe der Zeit die Erfahrung, daß meine bewußte Anstrengung nur in Unzufriedenheit mündete, während das, was aus meinem Unterbewußtsein in einer Art von Trance oder Erleuchtung kam, zumindest den Vorteil hatte, mich von dem zu befreien, was mich bedrückte. Weit davon entfernt, mich gedemütigt zu fühlen, frohlockte ich, als wäre ich in den Gnadenzustand versetzt worden. Aber A Cinza das Horas, Camaval und selbst O Ritmo Dissoluto sind noch voll von Gedichten, die en toute lucidité gefertigt wurden. Von Libertinagem an fand ich mich in mein Schicksal, dann Dichter zu sein, wenn es Gott gefällt. Ich wurde mir bewußt, daß ich ein minderer Dichter war; daß die Welt der großen, großzügigen Abstraktionen mir für immer verschlossen bleiben würde; daß es in mir nicht diese Art von Schmelztiegel gab, in dem durch die Wärme des Gefühls moralische Emotionen zu ästhetischen Emotionen werden; daß ich dieses Edelmetall mit beständiger Mühe oder besser mit beständigem Warten aus dem armseligen Gestein meiner kleinen Schmerzen und noch kleineren Freuden würde herausmeißeln müssen. Aber gleichzeitig begriff ich, noch ehe ich Maliarmes Lehre kannte, daß Poesie in der Literatur in den Wörtern liegt und mit Wörtern und nicht mit Ideen und Gefühlen geschaffen wird, wobei es wohlgemerkt die Kraft des Gefühls oder die geistige Anspannung sind, die dem Dichter die Wortkombinationen eingeben, die von poetischem
123 Gehalt sind. Das habe ich dank Gedächtnislücken und Vergleichen von Varianten entdeckt. Wie oft habe ich, wenn ich mir eine Gedichtstrophe, ein Volkslied in Erinnerung rufen wollte und es mir nicht wortgetreu gelang, die bestmögliche remplissage zu Hilfe genommen; wenn ich dann die beiden Versionen, das Original und meine, miteinander verglich, stellte ich fest, welche besser war, versuchte, das Geheimnis ihrer Überlegenheit zu ergründen, und wenn ich es aufgedeckt hatte, ging ich dazu über, sie in meinen Versen zu verwenden. Wie oft auch habe ich bei Dichtern mit sicherem Geschmack beim Korrigieren erlebt, daß ein mangelhafter oder ausdrucksloser Vers poetische Kraft erhielt allein durch die Zauberwirkung eines oder mehrerer Wörter, die doch nur dasselbe Gefühl oder denselben Gedanken des ersetzten Wortes ausdrückten. (. . .) Durch derartige Gegenüberstellungen habe ich mit der Zeit die plastischen und musikalischen Werte der Phoneme kennengelernt; daraus habe ich gelernt, daß Poesie mit kleinen Nichtigkeiten geschaffen wird und daß zum Beispiel ein Zahnlaut statt eines Lippenlautes einen ganzen Vers verderben kann. Ich muß sagen, daß ich sehr viel von schlechten Dichtern gelernt habe. Bei ihnen wird, viel mehr als bei den guten, deutlich, was wir vermeiden müssen. Nicht, daß die Fehler, die bei den schlechten in großer Zahl auftreten, bei den guten nicht vorhanden wären. Natürlich finden wir sie dort auch. Es gibt perfekte Gedichte, aber nicht perfekte Dichter. Nur fallen manche mangelhaften Verse bei den besten Dichtern oft gar nicht auf. Literarisch beeinflußt haben mich unzählige Autoren. Und zwar der Reihe nach, nicht gleichzeitig. Ich kann mich an eine Musset-Phase erinnern, an eine Verhaeren-Phase . . . an Villon . . . Eugenio de Castro . . . Lenau . . . Heine . . . Charles Guerin . . . Sully Prudhomme . . . Sogar Prudhomme?, werden Schöngeister mich fragen. Sogar Prudhomme! Er brachte mich darauf, die silbenmessende französische Dichtung zu studieren, was ich dann mit Hilfe des Kompendiums von Dorchain tat. Von daher erklärt sich, daß ich einige Zeit lang auf festen Formen beharrte; von daher erklärt sich der Wechsel
124 zwischen stumpfen und klingenden Reimen in der Mehrzahl der Gedichte in A Cinza das Horas. *
Den wirklich freien Vers mußte ich mir mühsam erobern. Die Gewohnheit des metrischen Rhythmus, der abgerundeten Komposition schliff sich bei mir allmählich durch die merkwürdigsten Desensibilisatoren ab: Ubersetzungen in Prosa (Poe durch Mallarmé), Gedichte, von ihren Autoren désavoués, wie jenes berühmte Gedicht, das Léon Deubel auf der Place du Carroussel eines Nachts um 3 Uhr im Jahre 1900 schrieb (Seigneur! je suis sans pain, sans rêve et sans demeure), Menus, Kochrezepte, Rezepturen für Hautpräparate. Im echten freien Vers muß das Metrum so weit vergessen werden, daß der strengste Alexandriner darin vorkommen kann, ohne die Funktion eines metrischen Verses zu besitzen. Ich kann mich nicht erinnern, daß ich irgendein Problem der Versmetrik nicht sofort gelöst hätte. Die ersten Verse des Gedichtes „Gips" hingegen, das in freien Versen geschrieben ist, haben mir jahrelang hart zu schaffen gemacht. Meine ursprüngliche Fassung lautete: Aquela estatuazinha de gesso, quando ma deram, era nova E o gesso muito branco e as linhas muito puras Mal sugeriam imagem de vida. Unmöglich, dieses „ma deram" beizubehalten, das dem Geist der brasilianischen Sprechweise derart zuwider läuft. Außerdem klang der Vers schwerfällig und ungraziös. Ich mußte ihn verändern, aber so, daß die kleine Gipsfigur am Strophenanfang stehenblieb. Erst im Jahre 1940 („Gips" stammt von vor 1924, vielleicht von 1922 oder 1923), als ich die Fahnen der Poesias Complétas korrigierte, fand ich die Lösung. Eine feste Silbenanzahl mit ihren Pausen erzeugt eine bestimmte rhythmische Bewegung, aber man muß nicht zwangsläufig im selben Metrum bleiben, um den Rhythmus zu erhalten. Als ich mir dies vergegenwärtigt hatte, fühlte ich mich regelrecht von der Tyrannei der Metrik befreit.
m Die Rua do Curvelo hat mich so manches gelehrt. C o u t o (Ribeiro C o u t o lebte in derselben Straße; Manuel Bandeira nahm seine Mahlzeiten in C o u t o s Pension ein. A n m . d. Üb.) war ein aufmerksamer Zeuge dessen und weiß, daß das Element des bescheidenen Alltäglichen, das sich von diesem Zeitpunkt an in meiner Dichtung bemerkbar machte, keinerlei modernistischer Intention entsprang. Es war ganz schlicht und einfach die Frucht der Atmosphäre des M o r r o do Curvelo. C o u t o hat dies besser gesagt, als ich selbst es heute ausdrücken könnte: „Von deinen breiten Fenstern aus, auf der einen Seite zur Straße hin, w o Kinder spielten, auf der anderen zum Fels, w o arme Frauen singend ihre Wäsche in den Trögen wuschen, bekamst du Einblick in viele Dinge. Der M o r r o do Curvelo gab dir gerade rechtzeitig das, was die Lektüre der großen Bücher der Menschheit nicht ersetzen kann: das Leben auf der Straße." Zu dem - sehr gesunden - Einfluß durch den Menschen Ribeiro C o u t o und den Dichter Ribeiro C o u t o mit seinen geliebten zweitrangigen Symbolisten — Samain, Jammes, etc. - kam der Einfluß durch Mario de Andrade. Eines Tages sah ich bei Di Cavalcanti ein Buch auf dem Tisch liegen, dessen Seiten ich mit einem gewissen Widerwillen überflog. Die W i d m u n g darin lautete - man stelle sich vor: „Für Di Cavalcanti, den Spielmann der samtenen Töne, von Mario de Andrade." Es war Ha uma Gota de Sangue em Cada Poema. Ich fand diese Gedichte schlecht, aber, wie ich später Mario selbst erklärte, auf merkwürdige Weise schlecht. 1921 kam Mario nach Rio; bei dieser Gelegenheit lernte ich den A u t o r von Pauliceia Desvairada persönlich kennen. (. . .) Abgesehen von einer gewissen Kantigkeit, die mir an seiner D i c h t u n g immer weh getan hat, spürte ich auf der Stelle die Kraft des Dichters, und in vielem, was ich später geschrieben habe, erkannte ich wieder, wie sehr er mich in meiner Art, Poesie zu empfinden und auszudrücken, geprägt hat. Dies war, scheint mir, der letzte bedeutende Einfluß. Danach hat mich nichts mehr geformt,
ich hatte mich bereits in meiner definitiven Art gefestigt. Ein bedeutender Einfluß, wiederhole ich, und ich war mir dessen derart bewußt, daß ich bestimmte Gedichte wie z.B. „Ich kann nicht tanzen" (. . .), nachdem ich sie geschrieben hatte, um ein Haar unbrauchbar gemacht hätte, weil sie mir wie echte a la maniere de vorkamen. Ich habe es nur deshalb nicht getan, weil Mario persönlich mir meinen Irrtum klarmachte und mit schlagkräftigen Argumenten bewies, daß sie so typisch „Manuel" waren, wie sie nur sein konnten. Die Begegnung im Haus von Ronald de Carvalho fand ihre Fortsetzung in einer Freundschaft, die durch fleißigen Briefwechsel immer enger wurde. Jahrelang schrieb keiner von uns beiden ein Gedicht, ohne es vorher der Kritik des anderen zu unterziehen, und ich glaube, diese doppelte Beurteilung ist für die Bereinigung unserer Verse sehr nützlich gewesen. *
In Libertinagem habe ich zwei auf französisch geschriebene Gedichte aufgenommen: „Chambre Vide" und „Bonheur Lyrique". Zu der Zeit, als ich diese beiden Gedichte schrieb, habe ich, wie auch in den Jahren davor, noch andere auf französisch komponiert, sie aber nie veröffentlicht; später schrieb ich noch eins mit dem Titel „Chanson des Petits Esclaves", das sich in Estrela da Manha findet. Diese Verse gerieten mir französisch, ohne daß ich erklären könnte, warum. Als ich einmal mit der Vorbereitung zu einer Ausgabe der Poesias Completas beschäftigt war, wollte ich mit diesen auf französisch geschriebenen Gedichten Schluß machen, weil man sie mir vielleicht als Überheblichkeit anlasten konnte, und gab mir die größte Mühe, sie zu übersetzen. Ich versagte auf ganzer Linie - ich, der ich so viele fremde Verse übersetzt habe. Ein zweites Erlebnis: Eines Tages erhielt ich eine französische Ubersetzung eines meiner Gedichte mit der Bitte, nicht nur dazu Stellung zu nehmen, sondern auch beliebig zu verbessern und zu verändern. Ich machte mich an die Arbeit und stellte fest, daß ich bestimmte Dinge weglassen und andere hinzufügen
127 mußte, wenn ich meinern Empfinden treu bleiben wollte. Zum Schluß kam genauso wenig Brauchbares heraus. All das bestätigte mich in der Auffassung, daß Gedichte wirklich nicht zu übersetzen sind. *
„Ich geh fort nach Pasargada" ist das Gedicht, das ich am längsten in mir herumgetragen habe. Der Name Pasargada begegnete mir zum erstenmal, als ich gerade sechzehn war, und zwar bei einem griechischen Autor. Ich war überzeugt, es sei bei Xenophon gewesen, aber ich habe bereits zwei- oder dreimal die Kyrupädie durchstöbert, ohne die Passage zu finden. (. . .) Der Name Pasargada, der „Land der Perser" oder „Schatz der Perser" bedeutete, ließ in meiner Vorstellung eine märchenhafte Landschaft, ein wunderbares Land erstehen, ähnlich dem aus Baudelaires „L'invitation au Voyage". Uber zwanzig Jahre später, als ich allein in meinem Haus in der Rua do Curvelo lebte, kam in einem Augenblick tiefer Mutlosigkeit und überdeutlicher Bewußtwerdung all dessen, was ich in meinem Leben aufgrund meiner Krankheit nicht getan hatte, plötzlich aus meinem Unterbewußtsein dieser eigentümliche Aufschrei: „Ich geh nach Pasärgada!" Ich ahnte in dem Vers die erste Keimzelle eines Gedichtes und versuchte, es zu gestalten, aber es gelang mir nicht. Damals "zwang ich mich schon nicht mehr zum Dichten. Ich ließ von dem Gedanken ab. Ein paar Jahre später, unter ähnlichen Begleitumständen der Mutlosigkeit und des Überdrusses, brach der gleiche Gedanke an Flucht aus dem „verdammten Leben" aus mir heraus. Und diesmal floß das Gedicht ganz mühelos, als wäre es schon fertig in mir gewesen. Ich liebe dieses Gedicht, weil ich darin knapp und bündig mein ganzes Leben sehe; und auch, weil ich anscheinend vielen anderen Menschen dadurch die Vorstellungen und Hoffnungen meiner Jugend zu vermitteln wußte - dieses Pasargada, wo wir im Traum erleben können, was das stiefmütterliche Leben uns nicht zu geben be-
reit war. Ich bin kein Architekt, wie mein Vater es sich gewünscht hat, ich habe kein einziges Haus gebaut, aber ich habe eine berühmte Stadt wieder aufgebaut und „zwar nicht als unvollkommene Form in dieser Welt des trügerischen Scheins", nämlich das Pasárgada, das heute nicht mehr das des Kyrus ist, sondern „mein" Pasárgada. Als Dichter habe ich in meinem Leben immer mit jungen Leuten zu tun gehabt, womit sich vielleicht erklären läßt, daß ich so langsam altere. Dabei habe ich selbst mich nie um den Kontakt zu den Jungen bemüht; ich habe mich nie um jemanden bemüht, aber nicht aus Stolz, sondern aus Schüchternheit. Doch seit Afonso Lopes de Almeida und Ribeiro Couto haben sich immer Menschen, die jünger waren als ich, um mich bemüht. Ich habe mit einer Generation angefangen, die nicht die meine war, und in den folgenden Generationen habe ich unter ihren größten Vertretern enge Freunde gefunden. Neuerdings macht sich die sogenannte geragäo de 45 lauthals bemerkbar; es gibt da ein halbes Dutzend Talente, die mich weder als Dichter noch als Menschen leiden können. Ich gebe ihnen recht, denn wie der Dr. Strauss meines Kollegen Austregésilo „mag ich mich, offengestanden, selbst nicht". Aber irgendwann werden sie mich doch mögen; aus Erfahrung weiß ich, daß jeder intelligente Mensch in Brasilien mich irgendwann doch mag. Ich habe auch meine Fans in der geranio de 45; das sage ich voll Stolz. Zwei von ihnen, Thiago de Mello und Geir Campos, ließen mir keine Ruhe, ehe ich ihnen nicht Material für eine Ausgabe des „Hipocampo" geliefert hatte. Das ist der Grund, weshalb in diesem Jahr mein schmales „Opus 10" erschienen ist; es wird in die zukünftige Ausgabe der Completas aufgenommen werden. (. . .) Lassen Sie mich jetzt einen Blick zurückwerfen. Als ich im Jahre 1904 krank wurde, war ich überzeugt, daß ich innerhalb kurzer Zeit sterben würde. Tuberkulose war damals noch das „Leiden, das nicht verzeiht". Aber ich lebte weiter, immer zwischen Leben und Tod, und 1914 gab mir Dr. Bodmer, der Chefarzt des Sanatoriums von Clavadel, auf meine Frage, wie lange ich noch zu leben hätte, folgende Antwort:
129 „Sie haben Schäden, die theoretisch nicht mit dem Leben vereinbar sind; andererseits sind Sie bazillenfrei, haben guten Appetit, schlafen gut, kurz, Sie zeigen keinerlei alarmierende Symptome. Sie können noch fünf, zehn, fünfzehn Jahre leben . . . Wer will das entscheiden?" Ich rechnete also weiterhin jederzeit mit dem Tod und lebte sozusagen nur provisorisch. In den ersten Jahren meiner Krankheit bedrückte mich der Gedanke zu sterben, ohne etwas getan zu haben, dann der mir auferzwungene Müßiggang. Wie bereits gesagt, veröffentlichte ich A Cinza das Horas, um mir auf irgendeine Weise das Gefühl der Leere und Nutzlosigkeit zu nehmen. Dieses Gefühl fing erst an zu schwinden, als mir bewußt wurde, welche Wirkung meine Verse auf Freunde und vor allem auf Unbekannte hatten. Eines Tages ging ich tief beeindruckt nach Hause, nachdem Rachel Queiroz in der Livraria Jose Olympio zu mir gesagt hatte: „Sie wissen gar nicht, was Ihre Gedichte für uns bedeuten." Dank solcher Aussagen, die gelegentlich von Menschen kamen, denen Literatur fast ganz fremd war, lernte ich, mein Schicksal ohne Verbitterung zu akzeptieren. Heute habe ich mit ihm Frieden geschlossen und bin für alles bereit, was da kommen mag. Otto Maria Carpeaux sagte, als er einmal über mich schrieb, mit gewisser Intuition, wenn er meine Dichtung in einem ideellen Buch strukturieren sollte, würde er sagen, sie ginge aus „von dem ganzen Leben, das hätte sein können und nie war, zu einem anderen Leben, das sich immer mehr mit allem füllte". In der Tat haben sich meine Unzufriedenheit und mein Aufbegehren mit der Erkenntnis beruhigt, daß ich so manchem von Ängsten Gequälten ein brüderliches Wort gegeben habe. Jetzt kann der Tod kommen - dieser Tod, auf den ich seit meinem achtzehnten Lebensjahr warte; ich habe das Gefühl, wenn er kommt, wird er, wie es in „Nachtmahl" heißt, das Haus gesäubert finden, Den Tisch gedeckt, Ein jedes Ding an seinem Platz.
Bella Jozef
Manuel Bandeira 1. Das Leben Manuel Carneiro de Sousa Bandeira Filho wurde am 19. April 1886 in Recife in der damaligen Rua Ventura (der heutigen Rua Joaquim Nabuco) geboren. Er war das jüngste von drei Kindern eines Bauingenieurs. Noch als Kind kam er nach Petropolis. Anschließend verbrachte er einige Zeit in Rio und Säo Paulo, bis er im Alter von sechs Jahren nach Recife zurückkam und bis 1896 bei seiner Großmutter lebte. Während seines zweiten Aufenthaltes in Rio wohnte er im Stadtteil Laranjeiras und besuchte als Externer das Ginasio Nacional (heute Pedro II). Seine Mitschüler waren Antenor Nascentes und Sousa da Silveira, und zu seinen Lehrern zählten Joäo Ribeiro und Jose Verissimo. Nach dem natur- und geisteswissenschaftlichen Abschlußexamen schrieb er sich 1902 als Siebzehnjähriger an der Escola Politecnica von Säo Paulo für den Studiengang Bauwesen/Architektur ein. Da er sich seinen Lebensunterhalt verdienen mußte, arbeitete er gleichzeitig im technischen Büro der Eisenbahngesellschaft „Estrada de Ferro Sorocabana". Neben den Vorlesungen am Vormittag und den anstrengenden Nachmittagen im Büro lernte er abends im Liceu de Artes e Oficios künstlerisches Zeichnen. Nach dem ersten Jahr an der Escola Politecnica legte er eine glänzende Abschlußprüfung mit Auszeichnung in sämtlichen Fächern ab. Doch die Anstrengung war zu groß gewesen. Krankheit zwang ihn 1904, das Studium aufzugeben. Neun Jahre lang hatte er mit Gesundheitsproblemen zu kämpfen, bis er schließlich 1913 in die Schweiz reiste. Während des Aufenthaltes im Sanatorium Clavadel in Davos-Platz lernte er einen jungen Mann kennen, auf den er einen gewissen Einfluß ausübte und der später un-
ter dem Pseudonym Paul Eluard berühmt wurde. Dort in Clavadel dachte er zum erstenmal ernsthaft daran, seine Gedichte zu veröffentlichen. Als sein erstes Buch, A cinza das horas, erschien (1917), war er bereits 31 Jahre alt. 1919 publizierte er, finanziell unterstützt durch seinen Vater, der 1920 starb, den Band Carnaval. Von 1920 bis 1933 lebte er in Rio auf dem Morro do Curvelo, der damit in die Literatur einging. Der Dichter schrieb: „Ich weiß nicht, ob ich übertreibe, wenn ich sage, daß ich in der Rua do Curvelo die Wege der Kindheit wiederentdeckt habe." Mit dem Umzug zum Morro do Curvelo nahm er mit der Außenwelt Kontakt auf und öffnete die Fenster des Zimmers des „kranken Jungen". Das Alltägliche verlieh nun Bandeiras Gedichten neue Klänge. In der Rua do Curvelo schrieb er drei Bücher: Ritmo dissoluto, Libertinagem, Crönicas da provincia do Brasil, und viele Gedichte aus dem Band Estrela da manha. 1921 lernt er Mario de Andrade, mit dem er bereits korrespondierte, persönlich kennen. An der „Semana de Arte Moderna", die für die Entwicklung des Modernismo in Brasilien entscheidende Bedeutung hatte, nahm er nicht teil, reiste aber im selben Jahr nach Säo Paulo und machte die Bekanntschaft von Paulo Prado und Menotti del Picchia; aus dieser Zeit datiert auch seine Freundschaft mit Rodrigo M.F. de Andrade, Dante Milano, Sergio Buarque de Holanda, Jaime Ovalle und Prudente de Morais Neto. In dieser Zeit schrieb er für verschiedene Zeitungen Artikel, Wochenchroniken sowie Musik- und Filmkritiken. 1927-28 unternahm er eine Reise in den Norden Brasiliens, wo er nach Stationen in Salvador, Recife, Paraiba, Fortaleza und Säo Luis schließlich bis Beiern gelangte. 1933 zog er aus der Rua do Curvelo (später lebte Rachel de Queiroz im selben Haus) in die Rua Morais e Vala im Stadtteil Lapa. 1935 wurde er zum Inspetor do Ensino Secundario ernannt, und von 1938 bis 1943 lehrte er am Colegio Pedro II Allgemeine Literatur. 1943 übernahm er den Lehrstuhl für hispano-amerikanische Literatur an der Faculdade Nacional de Filosofia, bis er 1957 in den Ruhestand ging.
Manuel Bandeira wurde am 29. August 1940 in die Academia Brasileira de Letras gewählt und am 30. November desselben Jahres eingeführt. Er hatte den von Garcia Redondo begründeten Sitz N r . 24 inne, dessen Schirmherr Julio Ribeiro ist. Der erste Nachfolger auf diesem Sitz war der Dichter Luis Guimaräes Filho. Manuel Bandeira starb im Jahre 1968.
2. Das Werk Manuel Bandeira war nicht nur der Initiator des Modernismo, wie Mario de Andrade ihn genannt hat, sondern er wurde darüber hinaus zu einem Symbol der Dichtung Brasiliens und zu einem wesentlichen Teil ihrer Entwicklung. Er ist ein Beispiel für die Kontinuität der brasilianischen Dichtung; er verbindet in einer ersten Phase den Modernismo mit dem traditionellen Erbe und partizipiert später an den Hauptmerkmalen aller folgenden Strömungen, wobei er aus jeder von ihnen das Beste zur Bereicherung seiner poetischen Schreibweise aufnimmt. Das Werk Manuel Bandeiras ist eine ästhetische Projektion seines Ich auf die Welt. Wie jede authentische Dichtung definiert sich seine Poesie durch die Transfiguration dessen, was an diesem „signifikativen" und „unpersönlichen" Gefühl persönlich ist, „das im Gedicht und nicht in der Biographie des Dichters lebt" (Eliot). Er konnte, seinen eigenen Worten zufolge, die aus seinen Erinnerungen stammende Empfindung mit der künstlerischen Empfindung identifizieren. Mehr noch: Er stellte fest, daß der „Gefühlsinhalt jener Erinnerungen an die erste Kindheit der gleiche war wie in bestimmten seltenen Augenblicken" seines Erwachsenenlebens und daß es „in dem einen wie dem anderen Fall etwas (gibt), das sich der Analyse durch den Intellekt und die bewußte Erinnerung entzieht". Das ist individualistische Dichtung in beständiger Selbstdefinition und zutiefst subjektiv. Sein erstes Buch, A cinza das horas, enthielt nicht alles, was er bis zum Datum der Veröffentlichung (1917) geschrieben hatte. Er wählte Ge-
133 dichte aus, „die in der Machart durch dieselbe Gefühlslage, dieselben Intentionen verbunden zu sein schienen". Neben der übersteigerten romantischen Sentimentalität zeigt dieses Werk eine neue Sensibilität und neue Ausdrucksformen, da es sich mehr durch die Subtilität der Symbole als durch die sprachliche Üppigkeit des Parnassianismus auszeichnet. Es hob sich von den Normen einer Epoche ab, die zum Teil noch im Banne des überwältigenden Einflusses von Olavo Bilac lag. In der Tat stand es dem Symbolismus sehr nahe. Der Parnassianismus mit seiner metrischen Strenge paßte nicht zu dem Geist des Dichters, der zwar immer um formale Schönheit bemüht war, dies aber innerhalb einer emotiven Ausdruckskraft, die vorgegebene Modelle ablehnt. Das autobiographische Gedicht „Epigrafe", das den Band eröffnet, zeigt, daß der Dichter die Anliegen des Parnassianismus, die gepflegte, verhaltene Form, und den symbolistisch beeinflußten Vers noch nicht aufgegeben hat. In diesem ersten Rand taucht auch eine seiner thematischen Konstanten auf: der Tod und die akzeptierende Einstellung ihm gegenüber. Das zweite Buch - Carnaval (1919) - zeigte in der Tat das Ende einer literarischen Epoche an. Es war ein Schrei der Auflehnung und des Nonkonformismus. Eines der Gedichte aus diesem Band, „Os sapos", ist die Synthese der Forderungen des Modernismo, vor allem der Kampf gegen den Parnassianismus und seine „eingefrorenen Regeln". Darüber hinaus zeigt das Gedicht eines der Hauptanliegen Bandeiras, die lyrische Aufwertung der Dichtung. Dieses Werk besitzt weder formale Einheit, noch stellt es eine abrupte Erneuerung dar. Man findet darin, wie auch im vorausgegangenen, Rondeaus, Baladilhas, Romancetes und Madrigale als Ausdruck eines literarischen Arkadismus neben Gedichten modernen Gehaltes, die einen bittertraurig, andere ironisch, manche von alltäglichem Lyrismus, womit der Dichter seine Vielseitigkeit in dichterischen Themen und Formen bewies. Schon hier beherrschte er sämtliche Instrumente lyrischer Komposition. Es ist eine Bekenntnispoesie in der ersten Person, die in einem Crescendo zunehmender Angst („fruchtlose Wollust", „Pierrot in nahtlo-
ser Tunika aus Träumen und Unglück") in einen Sarkasmus übergeht, der zynisch wirkt, in Wirklichkeit aber lebendiger Ausdruck seiner Verzweiflung ist, seiner „dunklen, ungeahnten Qual". Bandeiras Verse nehmen immer mehr das Alltägliche auf, während die Bekenntnisse gleichzeitig indirekt werden und die Welt einbeziehen, die ihn umgibt. Die Generation von Säo Paulo, die die modernistische Revolution in Gang setzen sollte, war von Carnaval auf der Stelle hingerissen. Laut Mario de Andrade wies als erster Guilherme de Almeida die Gefährten auf das Buch hin, und anläßlich der „Semana de Arte Moderna" trug Ronald de Carvalho das Gedicht „Os sapos" im Teatro Municipal vor. Dann folgt die Befriedung und Ruhe von Ritmo dissoluto (1924), das zuerst zusammen mit A cinza das horas und Carnaval in dem Band Poesias veröffentlicht wurde. In diesem Buch spürt man, daß das Leben sich sanfter gibt und ein Verlangen nach mehr Zärtlichkeit erscheint. Glücksempfinden und Unglauben wechseln sich mit den Geräuschen der Natur, den materiellen, einfachen Freuden ab, Nacht und Murmeln des Wassers, dessen „Kühlung so wohltuend ist" für seinen Schmerz, und er gelangt zu dem Schluß, daß nur das wahrhaftig lebendig ist, was gelitten hat. Die modernistische Haltung verdeutlicht sich in diesem Buch mit der Einführung neuer Themen. In den Vordergrund treten Kompositionen, die mit modernistischer Technik Bilder des alltäglichen Lebens und den Menschen betreffende Situationen einfangen und in denen der Vers die Prosa imitiert, das innerste Denken wiedergibt und es vertieft. Nach Aussage des Autors selbst ist es ein Buch des Ubergangs zwischen zwei Phasen seiner Dichtung. Es führt bestimmte Versuche aus Carnaval fort, wie Assonanzen, Verbindungen von ungereimten und gereimten Versen sowie freie Verse, in denen dennoch ein gewisser Rhythmus von Versmaß und Reim vorhanden ist. Ein Teil der Gedichte ist zur selben Zeit wie die Gedichte aus Carnaval oder sogar schon früher entstanden („Na solidäo das noites ümidas", „Felicidade", „Mar bravo", „A vigilia de Hero", „Quando perderes o gosto
humilde da tristeza"). Die übrigen wurden ab 1920 in der Rua do Curvelo oder im Ortsteil Mosela von Petröpolis geschrieben. Im Jahre 1930 veröffentlichte Bandeira Libertinagem, das sich mehr in die Technik und Ästhetik des Modernismo einbettet. Mit diesem Band zeichnete sich eine neue Position des Dichters ab. Bis Ritmo dissoluto war der Atmosphäre seiner lyrischen Kompositionen noch der Einfluß der traditionellen Dichtung anzumerken. Die Gefühle spiegelten sich in der äußeren Realität. Von Libertinagem an wandte er sich dem Natürlichen und Realen zu und projizierte in sie seine spezifische poetische Welt. Das Onirische verwandelte sich durch „die künstlerische Aufwertung der unlogischen Aspekte des Denkens" in Logik und Klarheit. Die Außenwelt dringt in seine Einsamkeit ein, und er vernimmt „das symphonische Rauschen des gesellschaftlichen Lebens". Der Dichter erwacht zu allem, was seine Dichtung bis dahin nicht gekannt hat. Um mit dem Titel nicht den Eindruck des Zynismus zu erwecken, entwarf er einen Umschlag, auf dem das Wort „Libertinagem" auf drei Zeilen verteilt war. Manche sahen darin die Absicht, Schule machen oder originell sein zu wollen. Laut Casais Monteiro enthält Libertinagem mehr an Poesie als die drei anderen Bände zusammen; und es ist sicherlich nicht zu gewagt, dieses Buch als das reichste aller „modernistischen" Bücher zu bezeichnen, „denn es findet sich darin sozusagen alles, was diese Phase der brasilianischen Dichtung uns an Reichtum gegeben hat." In Lira dos cinquent'anos (1940) erreicht Bandeira, indem er sich auf einer Vielfalt poetischer Ebenen bewegt, dabei seine Dichtung einerseits ständig bereinigt und andererseits thematisch und formal bereichert, den Höhepunkt seiner Poesie. Der Band zeichnet sich durch die Freiheit der Gedanken aus, nachdem der Autor die Freiheit der Form bereits errungen hatte. Seine Innenwelt identifiziert sich mit dem Kosmos in einer Sehnsucht nach Vereinigung mit den Menschen. In diesem Band kehrt er ohne modernistische Vorurteile zum Sonett und ganz allgemein zum metrisch genauen und gereimten Vers zurück.
Belo belo (1948) ist eine Dichtung auf der Suche nach extremer Einfachheit und geläuterter Ausdruckskraft. In Opus 10 ( 1952) bemüht sich Bandeira weiter um äußerste Strenge sowohl in der Form als auch in der Thematik und findet seine endgültige Form. In Estrela da Tarde (1963) finden sich seine wesentlichen Themen in ganz unterschiedlichen metrischen Ausprägungen. Besondere Erwähnung verdient der 1954 veröffentlichte Band Itinerario de Pasdrgada, eine lyrische Autobiographie des Dichters. Während seiner Tätigkeit als Professor an der Faculdade Nacional de Filosofia galt die Vorlesung, in der der Dichter auf beständiges Drängen der Studenten über sich selbst sprach, als die mit größter Ungeduld erwartete Veranstaltung des gesamten Studienjahres. Im Laufe der Jahre entstand und entwickelte sich so der zukünftige Itineràrio, der auf Drängen von Condé, Sabino und Paulo Mendes Campos niedergeschrieben wurde. Manuel Bandeira beschreibt seinen poetischen Werdegang und zeigt auf, daß Leben und Dichtung für ihn ein und dasselbe sind, denn er setzt sein tiefstes Wesen mit Poesie gleich. So wird es schwierig, den Menschen vom Dichter zu trennen. Wir finden hier die Geschichte seiner Poesie als die seines Lebens, ein Zeugnis demütiger Dankbarkeit an das Leben, die Freundschaft und die Dichtung.
3. Die Technik Bandeira sagt, er sei, schon bevor er Mallarmé kennenlernte, der Auffassung gewesen, „daß in der Literatur die Poesie in den Wörtern liegt, mit Wörtern gemacht wird und nicht mit Ideen und Gefühlen, wobei es allerdings wohlverstanden die Kraft der Gefühle und die geistige Spannung sind, die dem Dichter die Wortkombinationen eingeben, die dann von poetischem Gewicht sind". 1 Ebenfalls im Itinerario beklagt Bandeira das Ungenügen der Sprache, seinem inneren Drama Ausdruck zu verleihen, denn die Dichte dieses Dramas er-
leidet im Bereich der Logik, dem die Wörter angehören, gewisse Einbußen. „Ich habe das Gefühl, daß ich mich in der Musik vollständig ausdrücken könnte. Sich ein Thema nehmen und es in Variationen bearbeiten oder wie in der Form der Sonate zwei Themen nehmen und sie gegeneinander setzen, sie miteinander kämpfen, sich schützen, sich verletzen und sich zerfetzen und das eine siegen lassen oder aber sie zu vollkommen friedlichem Einvernehmen zu besänftigen . . Die Dichtung hatte die Bewertung des Wortes vergessen. Die brasilianischen Symbolisten bemühten sich um einen konfusen Musikalitätsbegriff und vergaßen dabei die eigentlichen Wurzeln der Bewegung. Sie beschränkten sich wie Bandeira in seinen ersten Kompositionen darauf, in impressionistischer Weise den fliehenden Augenblick, die vertrauliche Stunde, eine ausdrucksvolle Szene zu notieren. Die symbolistische Dichtung hatte in ihrem aristokratischen Eifer Wörter mit prosaischer Bedeutung ausgeklammert. Bandeira kümmerte sich nicht um diesen Aspekt, sondern wählte sein Vokabular mit dem Ziel, neue Effekte und Kombinationen zu erreichen. Das poetische Wort in seinen vielfältigen Projektionen war nicht nur an seinem Klangwert zu erkennen, sondern auch an seinem syntagmatischen Zusammenhang. Das Neue an der poetischen Sprache des Modernismo bestand nicht in der Schöpfung von Neologismen. Man bemühte sich, eine lebendige Sprache zu verwenden und die Überbleibsel der romantischen Dichtung zu nutzen, die sich die gewöhnliche Sprache einverleibt und zu „festen Redewendungen" gemacht hatte. Als großer Kenner sämtlicher sprachlicher Möglichkeiten, der meisterhaft mit ihnen umzugehen wußte, hat Bandeira immer die exakte Lösung für das gefunden, was er suchte, wenn auch manche seiner Gedichte spontan und im Bereich des Unbewußten entstanden sind. E r rehabilitierte die Inspiration und negierte das Handwerkliche: „Aufgrund meiner persönlichen Erfahrung habe ich mit der Zeit festgestellt, daß meine bewußte Anstrengung nur in Unzufriedenheit mündete, wohingegen das, was in einer Art Trance oder Eingebung aus meinem Unterbewußtsein kam, zumindest die Fähigkeit besaß,
mir in meinen Ängsten Erleichterung zu verschaffen. Weit davon entfernt, mich gedemütigt zu fühlen, jubelte ich, als hätte man mich plötzlich in den Zustand der Gnade versetzt. . . Seit Libertinagem habe ich mich damit abgefunden, Dichter zu sein, wenn es Gott gefällt." 2 In dieser Hinsicht näherte Bandeira sich beträchtlich der Forderung des Surrealismus Bretons und seiner Freunde, die sich zum Ziel setzten, das tatsächliche Funktionieren des Denkens durch Übungen der écriture automatique zum Ausdruck zu bringen. Für Bandeira bedeutete das Nichtrationale die Möglichkeit zur Ich-Erforschung und damit eine Uberwindung des romantischen Subjektivismus. Der Surrealismus gründete sich auf die Allmacht des Traums und das interesselose Spiel des Denkens; er ließ das Werk sich selbst alogisch organisieren, damit seine Struktur sich dem Unbewußten annäherte. Manuel Bandeira selbst bezeugte, daß ganze Gedichte so entstanden sind, wie zum Beispiel „Ultima cançào do beco", „Oraçào do Saco de Mangaratiba" und andere. Der Unterschied, zumindest zu den wesentlichen Postulaten des Surrealismus, liegt in der ästhetischen Intention des Dichters Bandeira, während die ersten Surrealisten in ästhetischer Hinsicht eher destruktiv als konstruktiv waren. Aber wenn wir tiefer forschen, erkennen wir, daß sich im Surrealismus eine Spannung findet zwischen der rational-begrifflichen Ordnung, in der sich unsere durch die komplexe historische Bildung unserer Gesellschaft strukturierten Erfahrungen darstellen, und der Welt des Arbiträren, des Wunsches und des Traums (eine Spannung, die wir in der Struktur von „Evocaçào do Recife" feststellen können). Gemeinplätze und feste Redewendungen werden unter geringen Änderungen des Blickwinkels verwendet, indem die durch übermäßigen Gebrauch abgenutzten semantischen Strukturen und syntagmatischen Formen umgesetzt und aufgebrochen werden und mittels neuer Verwendungen eher rational denn suggestiv hinübergerettet werden. Der Dichter selbst schrieb in einem Artikel über „Konkrete Poesie" (10.2.1957): „Niemand kann leugnen, daß die Sätze in Fibeln
von dichter Poesie sind, nur ist dies eine nicht beabsichtigte Poesie. So, dann kommt ein Dichter und fängt an, absichtlich in gleicher Weise vorzugehen, allerdings in umgekehrter Richtung. Der Analphabet lernt am Ende die Bedeutung der Aussage, die Jungfräulichkeit der Wörter geht verloren, sie verfestigen sich zu toten Bildern. Aufgabe des Dichters ist es, das Wort von seinen Leichentüchern befreit hervortreten zu lassen." Wortschatz, Ton und Symbolik der Gedichte Bandeiras sind Konstanten, und eine sorgfältige Lektüre kann die poetische Sprache erfassen, die aus ihnen hervorgeht. Es gelingt ihm, eine eigene poetische Diktion zu schaffen, als expressives Instrument jener Art von Erfahrungen, die er mitteilen möchte. Diese Diktion ist das Ergebnis einer Assimilierung von Mitteln, die schon in seiner Jugend begann und aus den verschiedensten Quellen genährt wurde. Sie drückt ein „Klima" von Lebenserfahrungen aus, wie wir es nennen; von daher erklären sich auch die Aufzählungen, Wiederholungen und Parallelismen. Uber die Musikalität des Stils können wir von Bandeira sagen, was der englische Dichter G.S. Fräser über Neruda gesagt hat, daß nämlich seine poetische Sprache wie die Musik funktioniert, wobei allerdings „nicht der Klang der Wörter den Vergleich rechtfertigt, sondern die Form, in der die Inhalte assoziiert werden". Nur größte Kenntnis der poetischen Mittel ermöglicht einen derart meisterhaften Gebrauch von Assonanzen, rhythmischen Kontrapunkten und Alliteration. Zur Musikalität könnte man Franklin de Oliveira zitieren, der sagt, „bis zu Bandeira war die vorherrschende Meinung, einem Vers nur dann Musikalität zuzuerkennen, wenn diese sich in einer ungemein aggressiv hörbaren Form offenbarte. Der Vers, gestützt auf Alliterationen oder Assonanzen, war der einzige, dem man aufgrund seines inflatorischen Wohlklangs zubilligte, daß er auf Klangmustern beruhte. Manuel Bandeira hat mit seiner Dichtung bewiesen, daß eine musikalische Lösung möglich ist, und zwar um so feiner und subtiler, je weniger ostentativ sie ist. Eine innere, nicht eine äußerliche Musikalität." 3 Der Dichter Bandeira bestätigt dies mit
140 den Worten: „Schon früh habe ich begriffen, daß nicht die ,runde' Schreibweise gut ist, sondern jene, in der jedes Wort genau am richtigen Platz ist und jedes Wort eine exakte Funktion hat, entweder in bezug auf das Verständnis oder rein musikalisch, und daß nur das Wort taugt, dessen Phoneme jeden einzelnen Teil des Satzes in ihren vorausgegangenen und folgenden Klängen in Schwingungen versetzen." F ü r die neue Kritik liegt die Musikalität eines Dichters nicht nur in der rhythmischen oder musikalischen Wirkung der äußeren Gedichtform, vielmehr besteht sie darin, in der poetischen Welt des Autors die Musikalität des Bildes, d.h. die eigentümlichen Kombinationen seiner aus Klängen geformten Bilder, aufzudecken. Dies erhellt, auf welche Weise das dichterische Werk mehr oder weniger von akustischen Bildern zehrt und wie Synästhesien sich aus Elementen kombinieren lassen, die dem Sinnesorgan des Hörens fremd sind. Bei den Dichtern des Symbolismus waren solche Verschmelzungen von Wahrnehmungen gang und gäbe. Wir können also von einem inneren Klang der Poesie sprechen, der bedeutsamer ist als ihr äußerer. A u f diese Weise läßt sich die L y r i k des Klangs bei Bandeira erklären. In seiner inneren Welt heften sich die auditiven Bilder an die Erinnerungen. Die Stimmen der geliebten Lebewesen, jener, die schon nicht mehr sind, die in tiefem Schlaf liegen, klingen in seinen Ohren nach. Die Ansichten der äußeren Welt verwandeln sich in Klang: Aus Wasser das flüssige Laken, w o glühend funkelt Die Sonne, im Silberkristall sich brechend, Es prasselt über den Fels, schwankt zögernd an seinem Rand, Stürzt stöhnend und singend hinab in den Wasserfall. („A beira d'agua")
Geruch: . . . Und aus dem duftenden Dickicht steigt das Aroma der Myrtenbüsche in den heiteren Himmel.
Farbe: Im dunklen Saal, wo weißlich schimmert Der Fleck aus Elfenbein der Tasten.
und in „ A sombra das araucarias": Ein jeder Sinn ist eine Gottesgabe.
Bandeira speist seine Gedichte mit intimen Bildern, dem Spiegelbild einer inneren, onirischen, in der Kindheit verwurzelten Welt, die durchtränkt von Düften und Farben, F o r m e n und T r ä u m e n zwischen Stimmen und Melodien verstreicht: Mein zerbrochenes Fenster Blickt in das Tal der Mutlosigkeit. Düsteres T al! Nichts anderes seh' ich Als nur die Nebel, vom Wind getrieben. („Ru f o")
D e r dominierende Akzent sind die Klänge, die Musikalität, die sich auch in den Titeln der Gedichte andeutet: R o n d o , Baiada, Baladilha, Canfäo. In den Bandeira-Texten, in denen man auf einen isolierten Klang verwiesen wird, stammt dieser meistens nicht von der menschlichen S t i m m e ; er besitzt lautmalerischen Wert. Man muß zwischen der annähernden Lautmalerei, mit der etwa ein Laut der N a t u r durch Wörter mit annäherndem akustischem Effekt imitiert wird („A estrugir, rugir e mugir"), und der eigentlichen Lautmalerei unterscheiden, d.h. d e m eigens zur Darstellung des Geräusches gebildeten Wort („bem, b e m , b e m " , - „bäo, bäo, bäo"). H ä u f i g finden sich Synästhesien. Darin erkennt man unschwer das symbolistische Erbe: „heisere A n g s t " , „bleiches Lächeln", „kalter H i m m e l " , „ Ü b e r d r u ß der D ä c h e r " und andere.
4. Themen und Konstanten Als Leitfaden für seine Inspiration wählte Bandeira die Freiheit, indem er das poetische Wesen der Dinge, angefangen von den prosaischsten bis hin zu den erhabensten, einfing. Sein thematisches Register umfaßt Kindheit, Krankheit und Liebe, die drei Triebfedern seiner Dichtung, wie der Dichter sagt. Wenn wir noch das Leben und den Tod hinzufügen, haben wir die Gesamtheit seiner Themen. Daraus leiten sich seine Konstanten ab.4 Seine Themen gruppieren sich um die wesentlichen Dinge, mit denen sich der menschliche Geist beschäftigt. Kindheit. In der Kindheit liegt der Ursprung seines reinsten Sehnens, wie in „Rufo": Unsere Kindheit, ach, meine Schwester, so fern von uns!
Es sind die kindlichen Reminiszenzen an Folklore und Lektüre, die Welt eines immer gegenwärtigen, doch nie erreichbaren Kindes. Er vergleicht seine Kindheit mit der anderer und betont, wie glücklich er war: Ich bin aus gutem Haus. Wie andere W a r ich ein glücklicher Junge. Dann kam das böse Schicksal U n d machte mit mir, was ihm gefiel.
Später gesteht er in „Infäncia": Mit zehn Jahren kam ich nach Rio. Ich kannte die wesentlichen Wahrheiten des Lebens. Ich war reif für das Leiden U n d für die Poesie!
Durch die Beobachtung von Kindern beim Spiel entdeckte er die Wege der Kindheit von neuem. Für die Kinder hat er zärtliche Worte, weil sie ihn an seine Hoffnungen, seine „verlorene Freude" erinnern.
143 Als Junge war er so glücklich wie die anderen. In ihm steckt „der Junge, der nicht sterben will", der lebt, indem er sämtliche Desillusionen herausfordert, die das Leben ihm gebracht hat. D i e Erzählungen aus der Kindheit vermitteln ihm das erste Verlangen nach Evasion und einen Begriff v o n der Existenz einer schöneren, anderen Wirklichkeit als der alltäglichen; von daher erklärt sich die Dichte dieser Kindheitsjahre, die nie aus seinem Gedächtnis ausgelöscht und immer klarer werden, je mehr Macht das Unglück über den Dichter bekommt. Später beschwört er diese Jahre mit einem ironischen Unterton herauf, der eine Konstante in seiner Dichtung darstellt: A l s ich sechs J a h r e alt w a r B e k a m ich ein Meerschweinchen. Mein Meerschweinchen w a r mein erstes Liebchen,
oder im Kontrast zu der Zeit der Gegenwart: A l s ich sechs J a h r e alt w a r konnte ich nicht das Ende des Johannisfestes erleben Weil ich v o r h e r einschlief . . .
Heute höre ich nicht mehr die Stimmen jener Zeit
oder indem er die Sehnsucht nach der Vergangenheit ausdrückt, die sich zu dem Wunsch der Flucht aus der Gegenwart gesellt: W e n n ich dann müde bin L e g ich mich an den F l u ß Laß die Wassergöttin rufen Sie soll m i r die M ä r c h e n erzählen Die ich in meiner Kinderzeit A u s R o s a s M u n d so oft gehört.
In „ E v o c a f ä o do Recife" erreicht das Wiederaufleben der Kindheit eine große Beschwörungskraft.
Die tiefste Wurzel seiner Poesie war aufgedeckt, und sie führte dazu, seine innere Welt zu vertiefen. Krankheit. Der einzige direkte Hinweis auf die Krankheit findet sich in „Pneumotorax": Fieber, Blutsturz, A t e m n o t und nächtlicher Schweiß.
Im übrigen finden sich nur indirekte Klagen und eine gewisse Todessehnsucht. In der Evokation eines gewissen ambiente erscheint die Krankheit, die ihn lange Jahre schwächte und die ihn im Innern des zum Ingenieur bestimmten Individuums den Dichter entdecken ließ. Davon zeugen Gedichte wie „Desalentó" (Mutlosigkeit), „Desesper a b a " (Hoffnungslosigkeit) und weiterhin die indirekte, aber ständige Präsenz in seinen ersten Büchern: „árida fönte" (vertrocknete Quelle), „Minhalma é um menino doente" (Meine Seele ist ein krankes Kind), „minhalma sombria" (meine düstere Seele), „depois que a dor, depois que a desventura/Caiu sobre o meu peito angustiado" (seitdem der Schmerz, seitdem das Unglück/hereinbrach über meine angstgepreßte Brust). Nach der Gesundung öffnet er sich erneut der Außenwelt und wird wieder so, wie er früher gewesen ist, von fröhlichem Gemüt und immer zu Scherzen bereit. Nun kann er ausleben, was das Leben ihm bietet und was er sich so sehr gewünscht hatte. Friede und innere Ruhe überkommen den Dichter, er hatte sein „Pasargada" gefunden. Er wendet sich von dem Spiegel ab, in dem er sein bleiches Antlitz betrachtet hatte, und entdeckt die Welt: Mein Schlafzimmer mit Blick über die Hafeneinfahrt.
Liebe. Sie stellt ein fundamentales Thema im Werk von Manuel Bandeira dar. Entweder tritt sie als Zärtlichkeit und liebevolle Sublimierung auf oder als höchst erotisches Gefühl, verbunden mit dem Leben und dem Tod.
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In „Poemeto erotico" besingt er den weiblichen Körper und seine Reize; in „Ternura" läßt er den sexuellen Besitz erahnen. Die Liebe erscheint als Wunsch, zu lieben und geliebt zu werden. Sie kann mit dem Weiblichen gleichgesetzt werden. In diesem Fall verschmilzt sie mit der Motivation zu dichterischer Schöpfung. Die Frau als Ort der Realisierung der Liebe steht für die Poesie: Dein Körper, hell und vollkommen, Deinen Körper, den wunderbaren Will ich besitzen auf dem schmalen Lager der Redondilha . . .
Sie kann, wie in „Vulgivaga", ganz schonungslos als geschlechtliche Liebe dargestellt werden: Ich kann nicht glauben, daß so mancher Die Liebe nur für Lust des Fleisches hält.
Hinter dieser scheinbar ostentativen Haltung scheint der Schmerz, das innere Leiden durch. Unter diesem Aspekt kann eine Landschaft in einer weiblichen Gestalt verkörpert werden und sinnliche Züge annehmen, wie in „Beiern do Para": Es lebe Beiern! D u Schöne des Nordens D u gefällst mir sehr.
Die Poesie der geschlechtlichen Liebe ist ein Zeichen von Auflehnung in der Sinneserregung, dem Durst nach Lust - in einem durch Mutlosigkeit bedrohten Leben. Sie findet sich in jenem Gesang bitterer Freude des Bandes Carnaval. Der Augenblick der „flüchtigen Einheit" findet in der Begegnung der Körper statt. Willst du das Glück des Liebens erfahren, vergiß deine Seele. Denn die K ö r p e r verstehen einander, aber die Seelen nicht. („Arte de amar")
Sie kann die Gestalt von zärtlicher Liebe annehmen, im allgemeinen in Verbindung mit dem Thema Kindheit, wie in „Porquinho-daindia". Mein Meerschweinchen war mein erstes Liebchen
oder in „Boda Espiritual": U n d ich liebe dich wie einen toten Vogel.
Sie kann in Verbindung mit der Todesthematik erscheinen, wie in „O silencio" und „Na solidäo das noites ümidas": Dein Fleisch war aus demselben Stoff Aus dem das Schweigen ist Das die Seele verletzt mit einem Tödlich scharfen und sanften Zauber. Ach, so sanft und so scharf! Es war, als käme der T o d . . .
Leben. In „Pneumotorax" stellt Bandeira sich das Leben vor, das er aufgrund seiner Krankheit nicht gelebt hat, aber hätte leben können, und setzt es gegen das tatsächlich gelebte Leben: Das ganze Leben, das hätte sein können und nicht war.
Damit eröffnet er sich den Ausweg zu den ebenso phantastischen wie notwendigen „Pasärgardas". Der Ablauf der Entwicklung begann mit der Ronsard-Paraphrase: „Umsonst und kurz das Leben". Es folgte „Das Leben ist bitter" („Imagem"); „Das Leben ist eitel wie der Schatten, der vorübergeht" („Renüncia"); „Das Leben ist ein wilder und sinnloser Trubel" („Momento num cafe"); „Es hinterläßt einen sauren Geschmack im Mund" - das alles, weil „ich fühle, daß mein Leben ziellos, gegen-
standslos ist" („Desesperan^a") und „Mein Leben rinnt und rinnt und ich merke, es verrinnt ohne Sinn" („Noturno da Mosela"). Mit der Zeit gibt ihm der Schmerz Kraft und verleiht ihm den Panzer eines gleichmütigen Stoizismus, der es ihm ermöglicht, allem zu trotzen. Er versöhnt sich mit dem Leben: Ich habe alles was ich nicht will Ich habe nichts was ich will („Belo belo")
Der Tod ist aufgeschoben, an seine Stelle tritt ein ganz der Dichtung und intellektuellen Betätigung zugewandtes Leben. Der Jubel in der erleichterten Brust drückt sich aus in: Glockc von Beiern Glocke der Passion
Er gelangt zu der Uberzeugung, „daß nur wahrhaft lebendig ist, was schon gelitten hat" („Gesso"). Zur selben Zeit sprechen ihn Freunde und auch Unbekannte, denen er begegnet, auf den Wert seiner Dichtung an, und der Dichter spürt, „daß das Leben sich allmählich mit allem füllt" („Canfäo do vento e da minha vida"). Er spürt auch, daß „es nur ein Leben gibt", und sagt in „A Mario de Andrade Ausente": Es gibt nur ein Leben. Dein Leben setzt sich fort In dem Leben, das du gelebt hast. D a r u m vermisse ich dich jetzt nicht.
Tod. Er ist eines der Hauptthemen in Bandeiras Lyrik. Der Dichter begegnet ihm als etwas Natürlichem und konstruiert keine Welten, um ihn zu transzendieren (wohl aber, um das Leben zu transzendieren). In „Itinerario de Pasargada" ist nachzulesen, daß er von seinem 18. Lebensjahr an mit dem Tod rechnet und von Tag zu Tag „stirbt", wobei ihm nur Kummer bereitet, daß er nichts getan hat; wenn er
aber sein Werk vollendet hat, könnte der Tod kommen. Anfangs begegnet er dem Tod mit großer Niedergeschlagenheit: Ach, wie schmerzhaft zu leben, wenn die Hoffnung fehlt.
Dann empfängt er ihn mit großem Humor als treuen ständigen Begleiter: Hallo, du Untäuschbarer!
Mit seiner Dichtung gab er den anderen den Glauben an das Wunder des Lebens. Auf diese Weise „hat er verstanden, seine alte Krankheit, die Quelle persönlicher Sorgen, durch eine Art von moralischer Ansteckung zu einem auf die anderen ausgedehnten Leiden zu machen". In dem Gedicht „A Antonio Nobre" ist sterben „in Frieden schlafen wie Kinder". Er nennt den Tod seinen Vertrauten, als Ersatz für seine Schwester, die schon fortgegangen war: In deine Todeshände, meine dunkle Nacht, Nimm meine kalten Hände. W e n n ich ruhe, Sag ich mein Unglück dir ins O h r und alles, Was in mir ist an Schwere und Zärtlichkeit. („Confidencia")
Häufig verleiht er dem Tod einen erotischen Anstrich wie in „A dama branca": Die Weiße Dame, die ich traf V o r so viel Jahren, In meinem Leben als Vagabund, Hat mir bei allen Schicksalsschlägen zugelacht.
Der Tod könnte ihm denselben Frieden und dieselbe heitere Ruhe wie die Liebe bringen, er könnte die wahre Befreiung des Menschen sein, der sein Leben sterbend gelebt hat:
So wünsche ich mir mein letztes Gedicht Es soll zärtlich sein und die einfachsten, ehrlichsten Dinge sagen, Es soll brennen wie tränenloses Weinen Es soll die Schönheit fast duftloser Blüten haben Die Reinheit der Flamme, in der sich die saubersten Diamanten verzehren Die Passion der Selbstmörder, die sich ohne Erklärung töten.
Mit dem T o d ist er i m m e r zärtlich umgegangen, wie in dem Gedicht „Ovalle": Wir brachten dich müde zu deiner letzten Stätte Ich sah mit Freuden Eines Tages werden wir endlich Nachbarn sein Von einem Grab zum anderen Lange Gespräche führen In der Stille des Morgengrauens Wenn der Tau geräuschlos tropft Und der Mondschein nur ein Ding ist.
Manuel Bandeira war z w a r nicht der führende K o p f und M e n t o r des M o d e r n i s m o , aber er hat ästhetische Überlegungen geweckt und neue W e g e aufgezeigt. E r wird als ein Klassiker der brasilianischen D i c h t u n g fortbestehen, weil er über die Zeitumstände hinaus eine allgemeingültige E b e n e erreicht. A u s dem „kranken J u n g e n " wurde der „König v o n Pasárgada" (nach Ribeiro C o u t o ) , indem er eine D i c h t u n g schuf, die sich auf das A b e n teuer der formalen W e r t e einließ und sie dann d u r c h inhaltliche W e r te ersetzte. Seine G e g e n w a r t , die auf seine Zeit wirkte, wird auch die Geschichte der brasilianischen L y r i k mit einem W e r k prägen, das sich über alle Schulen und Strömungen erhebt. Anmerkungen 1 2 3 4
Manuel de Bandeira: Itinerario de Pasárgada. Rio de Janeiro, 1954. S. 22. Ebd. In: Correio da Martha, Rio de Janeiro, 4.1.1958. Vgl. Pedro Salinas: La poesía de Rubén Darío. Buenos Aires: Losada 1948, S. 47 ff. Er stellt fest, daß man bei jedem Dichter ein zentrales Thema findet, von dem sich die anderen als Unterthemen ableiten.
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