Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe: Am Beispiel des geschlechtlichen Personenstands [1 ed.] 9783428556519, 9783428156511

Ausgehend von den Erkenntnissen der sozialwissenschaftlichen Identitätsforschung verbindet die Arbeit eine Analyse ident

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German Pages 281 [282] Year 2019

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Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe: Am Beispiel des geschlechtlichen Personenstands [1 ed.]
 9783428556519, 9783428156511

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1402

Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe Am Beispiel des geschlechtlichen Personenstands

Von

Annika Kieck

Duncker & Humblot · Berlin

ANNIKA KIECK

Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1402

Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe Am Beispiel des geschlechtlichen Personenstands

Von

Annika Kieck

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Universität Passau hat diese Arbeit im Jahr 2018 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2019 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-15651-1 (Print) ISBN 978-3-428-55651-9 (E-Book) ISBN 978-3-428-85651-0 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort und Dank Diese Arbeit wurde im Sommersemester 2018 von der Juristischen Fakultät der Universität Passau als Dissertation angenommen. Sie entstand ganz überwiegend neben meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Medien- und Informationsrecht der Universität Passau. Daneben wurde die Fertigstellung der Arbeit durch die Bayerische Gleichstellungsförderung unterstützt. Das Manuskript wurde bis einschließlich Anfang Januar 2019 aktualisiert. Neben aktueller Literatur wurde auch das Gesetz zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben vom 18. 12. 2018 berücksichtigt. Der Verlauf der Gesetzgebung wurde in die Arbeit aufgenommen. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Kai von Lewinski, der die Entstehung der Arbeit mit wertvollen Denkanstößen unterstützte und umsichtig betreute. Meine Tätigkeit an seinem Lehrstuhl wird mir in wertvoller Erinnerung bleiben. Dank gilt auch Herrn Prof. Dr. Meinhard Schröder für dessen freundliche Bereitschaft, das Zweitgutachten zu erstellen. Weiterhin gilt mein Dank meiner Familie und meinen Freunden für deren Unterstützung, Geduld und Zuspruch. Danken möchte ich zudem Herrn Dr. iur. Simon Schwichtenberg und Herrn Maximilian Gerhold für die kritische und kompetente Durchsicht des Manuskripts. Passau, im Januar 2019

Annika Kieck

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 I. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 II. Gang der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 B. Zum Identitätsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 I. Abgrenzungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1. Die persönliche Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2. Die virtuelle Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 3. Identifizierungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 II. Die numerische und die qualitative Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 III. Die Elemente individueller Identität nach der sozialwissenschaftlichen Identitätsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 1. Die individuelle und die kollektive Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 2. Die Ich-Identität und Identitätsbildung als dynamischer Prozess . . . . . . . . . 25 3. Identität als Reaktion auf das gesellschaftlich Vorgegebene . . . . . . . . . . . . . 28 4. Bastelexistenzen, „Patchwork“- und Teilidentitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 5. Das Fünf-Säulen-Modell nach E. Lippmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 IV. Fazit zum Kapitel B. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 C. Das Recht auf Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 I. Stellungnahme des interamerikanischen juristischen Komitees . . . . . . . . . . . . . . 35 1. Die Rechtsnatur des Rechts auf Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 2. Die Elemente des Rechts auf Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 3. Identität und Identifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 4. Kinderrechte als Ansatzpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 5. Abweichende Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 6. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 II. Das Recht auf Identität und die personenstandsrechtliche Registrierung . . . . . . 40

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Inhaltsverzeichnis III. Beschluss der Generalversammlung der OAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 IV. Urteile des IAGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 1. Die wesentlichen Grundzüge des Verfahrensrechts der Individualbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 2. Der Fall Gelman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 a) Sachverhalt und Verfahrensgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 b) Die Herleitung des Rechts auf Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 c) Abweichende Meinung des Richters E. Vio Grossi . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 d) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 3. Der Fall Serrano Cruz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 a) Festgestellte Rechtsverletzungen seitens des IAGMR . . . . . . . . . . . . . . . 49 b) Abweichende Meinungen hinsichtlich des Rechts auf Identität . . . . . . . . 50 c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 4. Der Fall vertriebener Dominikaner und Haitianer und der Fall Yean- und Bosico-Kinder gegen die Dominikanische Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 V. Fazit zum Kapitel C. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

D. Regelungsrahmen und Funktionen des Personenstandsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . 56 I. Der rechtliche Regelungsrahmen des Personenstandsrechts und föderale Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 II. Der Personenstand, die Personenstandsregister und die vorzunehmenden Eintragungen nach personenstandsrechtlichen Ordnungsmerkmalen . . . . . . . . . . . . 57 III. Zu den Funktionen der personenstandsrechtlichen Registrierung . . . . . . . . . . . . 59 1. Die Identifizierungs- und Unterscheidungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 2. Die Beweiswirkung der Personenstandsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 3. Die Sicherung rechtlicher Existenz durch personenstandsrechtliche Anzeigepflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 4. Die steuerrechtliche und die wehrrechtliche Funktion des Personenstandsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 5. Die statistikrechtliche Funktion des Personenstandsrechts . . . . . . . . . . . . . . 66 6. Der strafrechtliche Schutz des Personenstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 7. Kontinuität und Beständigkeit der Personenstandsregister . . . . . . . . . . . . . . 68 8. Zur Spiegelfunktion des Personenstandsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 a) Das klassische Verständnis von der Spiegelfunktion des Personenstandsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 b) Einführung einer neuen Perspektive auf die Spiegelfunktion . . . . . . . . . . 70

Inhaltsverzeichnis

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c) Zu den Wirkebenen personenstandsrechtlicher Eintragungen, Beurkundungen und Ordnungskategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 aa) Die Makroebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 bb) Die Individualsphäre und grundsätzlicher Identitätsbezug personenstandsrechtlicher Ordnungsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 IV. Fazit zum Kapitel D. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 E. Individuelle und selbstbestimmte Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

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I. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 1. Grundsätzliche Tauglichkeit der Grundrechte des Grundgesetzes für den Schutz individueller Identität und Eingrenzung anhand des Untersuchungsgegenstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 2. Zum persönlichen Schutzbereich grundgesetzlicher Gewährleistungen . . . . 76 3. Zur Bindungswirkung des europäischen Primärrechts und der völkerrechtlichen Gewährleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe . . . . . . . . 79 1. Identitätsschutz durch den Schutz von Persönlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 a) Persönlichkeit im Sinne des Grundgesetzes und Identität . . . . . . . . . . . . 79 b) Menschenwürdebezug des allgemeinen Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . . 82 c) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht als Auffangnorm . . . . . . . . . . . . . . . 82 d) Identitätsrelevante Teilgehalte des allgemeinen Persönlichkeitsrechts . . . 83 aa) Das Recht auf Selbstdarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 bb) Das Recht auf Anerkennung der selbstbestimmten geschlechtlichen Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 (1) Zur Binarität der Geschlechterordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 (2) Die Rechtsprechung des BVerfG zu Transsexualität . . . . . . . . . . 86 (3) Verfassungsrechtlicher Identitätsschutz als Individualitätsschutz

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(4) Recht auf positive Anerkennung der geschlechtlichen Identität 89 cc) Das Recht auf Neubeginn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 dd) Die Rechte auf Kenntnis der eigenen Abstammung und Vaterschaft

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ee) Das Recht auf Kenntnis und Nichtkenntnis von Krankheiten . . . . . . 91 2. Die Bedeutung der Menschenwürde für den Identitätsschutz . . . . . . . . . . . . 92 3. Identitätsschutz durch Privatsphärenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 a) Die Bedeutung des Privatsphärenschutzes für die individuelle Identität und das Recht auf Privatheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 b) Spezielle Grundrechte zum Schutz der informationellen und örtlichen Privatsphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 aa) Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . 95 bb) Das Recht auf die Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96

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Inhaltsverzeichnis cc) Das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis, Art. 10 Abs. 1 GG . . . . 97 dd) Zwischenfazit: Informationsschutz ist Identitätsschutz . . . . . . . . . . . 98 ee) Unverletzlichkeit der Wohnung, Art. 13 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . 99 c) Das Recht auf private Lebensgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 4. Identitätsschutz durch die Gewährleistung von Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . 101 a) Art. 2 Abs. 1 GG als allgemeines Freiheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 b) Die allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . 102 c) Spezielle, mit dem geschlechtlichen Personenstand potentiell verbundene Anwendungsbereiche der allgemeinen Handlungsfreiheit . . . . . . . . . . . . 104 d) Die körperliche Fortbewegungsfreiheit der Person und deren verfahrensrechtlicher Schutz, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG i. V. m. Art. 104 GG . . . . . . . . 105 e) Die Freizügigkeit der Person, Art. 11 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 5. Identitätsschutz durch Integritätsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 a) Das Recht auf körperliche Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG . . . . . . 109 b) Das Recht auf Leben, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 6. Identitätsschutz durch Freiheit der Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 a) Die Informationsfreiheit, Art. 5 Abs. 1 S. 1 2. Halbsatz GG . . . . . . . . . . 110 b) Die Meinungsfreiheit, Art. 5 Abs. 1 S. 1 1. Halbsatz GG . . . . . . . . . . . . . 111 c) Das Petitionsrecht, Art. 17 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 7. Identitätsschutz durch den freien Zusammenschluss mit anderen . . . . . . . . . 113 a) Die Versammlungsfreiheit, Art. 8 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 b) Die Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit, Art. 9 GG . . . . . . . . . . . . . . . . 115 c) Das Petitionsrecht, Art. 17 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 8. Zur Identitätsrelevanz der Eigentumsfreiheit und der Erbrechtsgarantie . . . 118 a) Materielle Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 b) Freiheit und Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 c) Persönliche Objekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 9. Der grundrechtliche Schutz von Teilidentitäten der Person . . . . . . . . . . . . . 122 a) Die eheliche Identität, Art. 6 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 aa) Art. 6 Abs. 1 GG als Freiheitsgrundrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 (1) Ehe als privater Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 (2) Abgrenzungsfragen zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dem Ehegrundrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 (3) Der Bezug des Ehegrundrechts zur beruflichen Identität . . . . . . . 125 bb) Institutsgarantie und wertentscheidende Grundsatznorm . . . . . . . . . . 125 (1) Schutz vor Aufhebung der Ehe als solcher . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 (2) Schutz vor der Umgestaltung der Ehe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 (3) Wertentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 b) Die Rolle des Familiengrundrechts für die individuelle Identität, Art. 6 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 aa) Familie als privater Rückzugsort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127

Inhaltsverzeichnis

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bb) Die familiäre Rollenidentität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 c) Die Rolle des Elternrechts für die individuelle Identität, Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 d) Die Rolle des Art. 6 Abs. 5 GG für die individuelle Identität . . . . . . . . . 129 e) Überzeugungen schützende Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 aa) Die religiöse und weltanschauliche Identität, Art. 4 Abs. 1, 2 GG i. V. m. Art. 140 WRV und Art. 7 Abs. 3 S. 1, 2 und Abs. 2 GG . . . . 130 bb) Die Rolle der Gewissensfreiheit für die individuelle Identität, Art. 4 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 cc) Die Rolle des Widerstandsrechts für die individuelle Identität, Art. 20 Abs. 4 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 f) Die berufliche Identität, Art. 12 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 aa) Die Rolle der Medienfreiheiten für die berufliche Identität, Art. 5 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 bb) Die Identität des Beamten, Art. 33 Abs. 4, 5 GG . . . . . . . . . . . . . . . . 139 cc) Die Identität des Abgeordneten, Art. 38 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 dd) Die Rolle der Privatschulfreiheit für die berufliche Identität, Art. 7 Abs. 4, 5 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 ee) Der Schutz beruflicher Identität durch die Grundfreiheiten des AEUV und der GrCh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 g) Die Identität des Wissenschaftlers, Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . 143 h) Die künstlerische Identität, Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 i) Die politische Identität, Art. 21 GG und Art. 38 GG . . . . . . . . . . . . . . . . 144 j) Die Identität als deutscher Staatsangehöriger, Art. 16 GG . . . . . . . . . . . . 146 10. Zur Rolle des Asylrechts für die individuelle Identität, Art. 16a Abs. 1 GG 147 11. Zwischenfazit zu den identitätsschützenden Freiheitsgrundrechten und dem grundrechtlichen Identitätsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 12. Identitätsschutz durch die speziellen Diskriminierungsmerkmale, Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 a) Minderheitenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 b) Persönliche Merkmale aus Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG als identitätsstiftende Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 c) Geschlecht und Geschlechtsidentität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 d) Die weiteren persönlichen und identitätsstiftenden Merkmale des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 aa) Glaube, religiöse und politische Anschauung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 bb) Abstammung und Rasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 cc) Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 dd) Herkunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 ee) Heimat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 ff) Der ausdrückliche Schutz sexueller Identität und sexueller Orientierung im Landesverfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162

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Inhaltsverzeichnis 13. Identitätsschützende Gehalte des Verbots der Benachteiligung wegen einer Behinderung, Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 14. Die Rolle der Gleichstellungsklausel für den Schutz individueller Identität, Art. 3 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 15. Identitätsschützende Gehalte des allgemeinen Gleichheitssatzes, Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 a) Feststellung der Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 b) Bestimmung des Rechtfertigungsmaßstabs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 16. Zwischenfazit zum gleichheitsrechtlichen Identitätsschutz . . . . . . . . . . . . . . 169 17. Die Bedeutung des grundrechtlich und grundrechtsähnlich gewährleisteten effektiven Rechtsschutzes und der Justizgrundrechte für den Schutz individueller Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 18. Zur Rolle des landesverfassungsrechtlichen Minderheitenschutzes für die individuelle Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 a) Zum Minderheitenbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 b) Zur Bedeutung des Normcharakters der landesverfassungsrechtlichen Normen des Minderheitenschutzes für den individuellen Identitätsschutz 174 c) Zusammenfassung: Faktoren des minderheitenschutzbasierten Schutzes individueller Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 d) Die minderheitenschützenden Normen der Landesverfassungen . . . . . . . 177 aa) Achtung ethnischer und sprachlicher Minderheiten, Art. 17 Abs. 4 RhPfVerf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 bb) Minderheitenschutz nach Art. 37 LSAVerf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 (1) Schutz kultureller Eigenständigkeit und politischer Mitwirkung, Art. 37 Abs. 1 LSAVerf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 (2) Schutz des freien Bekenntnisses, Art. 37 Abs. 2 LSAVerf . . . . . . 179 cc) Schutz kultureller Eigenständigkeit, Art. 18 MVVerf . . . . . . . . . . . . 180 dd) Sächsische Landesverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 (1) Bewahrung der Identität nationaler und ethnischer Minderheiten nach Art. 5 Abs. 2 SäVerf und die Achtensklausel des Art. 5 Abs. 3 SäVerf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 (2) Schutz des sorbischen Volkes, Art. 6 SäVerf . . . . . . . . . . . . . . . . 182 (3) Flankierender Identitätsschutz der sächsischen Landesverfassung 183 ee) Schutz nationaler Minderheiten und Volksgruppen nach Art. 6 SHVerf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 (1) Bekenntnisfreiheit, Art. 6 Abs. 1 SHVerf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 (2) Kulturelle Eigenständigkeit und politische Mitwirkung, Art. 6 Abs. 2 S. 1 SHVerf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 (3) Anspruch auf Schutz und Förderung, Art. 6 Abs. 2 S. 2 SHVerf 185 ff) Schutz der niederdeutschen Sprache, Art. 13 Abs. 2 SHVerf und Art. 16 Abs. 2 MVVerf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186

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gg) Art. 25 BbgVerf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 (1) Recht auf Schutz, Erhaltung und Pflege der nationalen Identität, des angestammten Siedlungsgebiets und Förderpflicht, Art. 25 Abs. 1 S. 1 BbgVerf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 (2) Sicherung kultureller Autonomie, Art. 25 Abs. 2 BbgVerf . . . . . 188 (3) Sorbische Sprache und Kultur, Art. 25 Abs. 3 BbgVerf . . . . . . . . 189 (4) Öffentliche Beschriftung und sorbische Flagge, Art. 25 Abs. 4 BbgVerf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 e) Fazit zum landesverfassungsrechtlichen Minderheitenschutz . . . . . . . . . . 191 19. Fazit zum verfassungsrechtlichen Schutz individueller Identität . . . . . . . . . 191 a) Umfang des identitätsbezogenen Schutzprogramms des Grundgesetzes 192 b) Abgleich mit den Erkenntnissen der sozialwissenschaftlichen Identitätsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 c) Modell des grundrechtlichen Schutzes individueller Identität . . . . . . . . . 193 F. Personenstandsrechtliche Restriktion individueller Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 I. Das Spannungsverhältnis zwischen dem grundrechtlichen Schutz individueller Identität und den personenstandsrechtlichen Kategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 II. Zur geschlechtlichen Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 1. Fall zur geschlechtlichen Identität und deren Eintragung in Personenstandsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 a) Die Entscheidung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 aa) Die Löschungsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 bb) Die Spiegelfunktion des Personenstandsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 cc) Der Nichtstatus der Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 dd) Staatliche Ordnungsinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 ee) Ähnliche Argumentation des französischen Kassationsgerichts . . . . 201 b) Beschluss des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 aa) Grundrechtsschutz abseits der binären Geschlechterstruktur . . . . . . . 202 bb) Zur eigenständigen Bedeutung des Personenstandsrechts für die Persönlichkeit des Individuums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 cc) Identität als Ausgangspunkt der verfassungsrechtlichen Prüfung . . . 203 dd) Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht durch die fehlende positive Anerkennung des geschlechtlichen Personenstands im Personenstandsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 ee) Eingriff in Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG durch fehlende und der geschlechtlichen Identität entsprechende Eintragungsmöglichkeiten . . 205 2. Zur Berücksichtigung des Geschlechts in Bankformularen . . . . . . . . . . . . . . 206 a) Einfaches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 b) Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 c) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208

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Inhaltsverzeichnis III. Zur ehelichen Rollenidentität und dem Familienstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 IV. Fazit zum Kapitel F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210

G. Gesetzgeberische Handlungsoptionen zur Berücksichtigung der Vielfalt geschlechtlicher Identitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 I. Gänzlicher Verzicht auf das Geschlecht als personenstandsrechtliche Ordnungskategorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 1. Das Argument laufender Gesetzesanpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 2. Die Stärkung von Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 3. Das Diskriminierungsargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 4. Das Argument der modernen Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 5. Umfassende Betrachtung abseits einseitiger Lösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 a) Grundrechtlicher Schutz der geschlechtlichen Identität . . . . . . . . . . . . . . 214 b) Regelungsmöglichkeiten ausgehend vom Recht auf Selbstdarstellung . . 215 c) Regelungsmöglichkeiten ausgehend von Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG . . . . . . . . 215 d) Regelungsmöglichkeiten ausgehend vom Recht auf positive Anerkennung der geschlechtlichen Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 e) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 6. In die Betrachtung einzustellende Belange im Falle einer Abschaffung der Kategorie Geschlecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 a) Keine Schutzbereichsbegrenzung des Rechts auf positive rechtliche Anerkennung der selbstbestimmten geschlechtlichen Identität auf von der binären Geschlechterordnung abweichende Identitäten . . . . . . . . . . . . . . 217 b) Die Funktionen des Personenstandsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 aa) Statistikrechtliche Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 bb) Identifizierungs- und Unterscheidungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 cc) Beweisfunktion im internationalen Rechtsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . 220 7. Fazit zur Abschaffung der Ordnungskategorie Geschlecht . . . . . . . . . . . . . . 220 II. Festhalten am Ordnungskriterium Geschlecht unter Anpassung des Personenstandsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 1. Anpassungen hinsichtlich der Optionenvielfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 a) Eine neue Option oder mehrere neue Optionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 aa) Schützenswerte Belange von Personen jenseits der binären Geschlechterordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 bb) Entgegenstehende Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 (1) Recht auf Anerkennung der geschlechtlichen Identität innerhalb der binären Geschlechterstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 (2) Die Funktionen des Personenstandsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 (3) Herausforderung für den Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 b) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225

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2. Anpassungen hinsichtlich des Eintragungsmodus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 3. Begutachtungspflicht als Anschlussfrage bei dritter Eintragungsoption . . . . 227 a) Die Begutachtungspflicht nach dem TSG in der jüngeren Rechtsprechung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 b) Übertragbarkeit der Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 c) Argumente gegen das Begutachtungserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 d) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 III. Fazit zu den gesetzgeberischen Handlungsoptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 IV. Zu den Gesetzesänderungen im Anschluss an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10. 10. 2017 (1 BvR 2019/16) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 1. Interministerielle Konflikte im Vorfeld der Gesetzesänderung . . . . . . . . . . . 233 2. Ausgewählte Entwicklungen auf Länderebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 3. Parallele Entwicklungen im benachbarten Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 a) Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 aa) Vorverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 bb) Der Prüfungsbeschluss des VfGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 cc) Die Entscheidung des VfGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 b) Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 4. Die Gesetzesänderung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 a) Kein Verzicht auf das Geschlecht als personenstandsrechtliche Kategorie 240 b) Freibleibender Eintrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 c) Weitere positive Eintragungsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 aa) Bezeichnung der neuen Option im Referentenentwurf . . . . . . . . . . . 241 bb) Bezeichnung der neuen Option im Gesetz zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben vom 18. 12. 2018 . . . . . . . 242 d) Eintragungszeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 e) Eintragungsmodus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 f) Das Bescheinigungserfordernis nach § 45b Absatz 3 PStG . . . . . . . . . . . 243 g) Möglichkeit der Versicherung an Eides statt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 h) Möglicher Anpassungsbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 aa) Änderung nur des PStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 bb) Aufnahme einer neuen Option nur in das Geburtenregister . . . . . . . . 247 i) Parlamentarische Gegenvorschläge zum Gesetzentwurf der Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 aa) Anträge der Fraktion Die Linke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 bb) Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen . . . . . . . . . . 248 cc) Änderungsanträge im Bundesrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249

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Inhaltsverzeichnis

H. Darstellung der Endergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 I. Zu den Erkenntnissen der sozialwissenschaftlichen Identitätsforschung . . . . . . 250 II. Das Recht auf Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 III. Zur Bedeutung der Funktionen des Personenstandsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 IV. Die Identitätsrelevanz personenstandsrechtlicher Ordnungskategorien . . . . . . . . 251 V. Grundgesetzlicher Identitätsschutz als Schutz von Individualität . . . . . . . . . . . . 251 VI. Zum Landesverfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 VII. Personenstandsrecht und geschlechtliche Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 VIII. Vom Gesetzgeber zu beachtende Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 IX. Zur Anschlussfrage des Begutachtungserfordernisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 Verzeichnis ausländischer Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 1. Interamerikanischer Gerichtshof für Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 2. Entscheidungen lateinamerikanischer Verfassungsgerichtshöfe . . . . . . . . . . . . . 278 3. Französisches Kassationsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 4. Österreichischer Verfassungsgerichtshof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 5. Oberösterreichisches Landesverwaltungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280

A. Einleitung I. Problemstellung Die staatliche Registrierung des Personenstands existiert in Deutschland seit dem ersten deutschen Personenstandsgesetz von 18751. Es löste das preußische Gesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Form der Eheschließung2 ab und entzog den Kirchen das Monopol für die Führung von Personenstandsregistern, die unter der vorherigen kirchlichen Führung aus Tauf-, Trau- und Totenbüchern bestanden3. § 3 PStG 1875 verbot die Übertragung des Amtes des Standesbeamten auf für sich im Amte befindliche Geistliche und andere Religionsdiener. Stattdessen sah das Gesetz die Schaffung von Standesamtsbezirken (§ 2 PStG 1875) und die Bestellung eines Standesbeamten4 sowie eines Stellvertreters vor (§ 3 PStG 1875). Als sogenannte Standesregister wurden nach § 12 PStG 1875 geführt das Geburtsregister, das Heiratsregister und das Sterberegister. Das Standesamtswesen wurde in den Verwaltungsaufbau des deutschen Reiches eingegliedert. Seitdem ist die personenstandsrechtliche Erfassung der Person staatliche Aufgabe. Die staatliche Erfassung personenbezogener Merkmale ermöglicht ein Anknüpfen des Staates an die personenstandsrechtlichen Ordnungsmerkmale. Die Macht des Personenstandswesens zeigte sich in besonderem Maße in der Zeit der Herrschaft der Nationalsozialisten. Mit dem zweiten deutschen Personenstandsgesetz aus dem Jahr 19375 wurde das Heiratsbuch in Familienbuch umbenannt. Mit der Umbenennung einher ging auch die Ausweitung des Registerinhalts zur Gewährleistung der sogenannten Sippenforschung. § 2 Abs. 1 PStG 1937 sah als Aufgabe des Familienbuches das Ersichtlichmachen verwandtschaftlicher Beziehungen im Sinne einer gezielten Erfassung vor. Nach § 9 PStG 1937 wurde bei einer Eheschließung im Familienbuch ein neues Blatt für die neu gegründete Familie geöffnet. Dieses neue Blatt bestand aus zwei Teilen, wovon der erste der Beurkundung der Heirat diente und im zweiten Teil die Familienangehörigen eingetragen wurden (§ 10 PStG 1937). Im zweiten Teil wurden nach § 14 Nr. 2 PStG Angaben der Eltern der 1

Reichsgesetz über die Beurkundung des Personenstandes und über die Eheschließung vom 6. 2. 1875, RGBl. I, S. 23. 2 Gesetz v. 9. 3. 1874, GS S. 95. 3 B. Gaaz/H. Bornhofen, S. 17. 4 In dieser Arbeit wird das maskuline Genus verwendet. Alle anderen Geschlechter sind aber eingeschlossen. 5 PStG v. 3. 11. 1937, RGBl. I, S. 1146.

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A. Einleitung

Ehegatten auch über die Staatsangehörigkeit, das Reichsbürgerrecht und die rassische Einordnung der Ehegatten festgehalten. Dieser, der Sippenforschung dienende zweite Teil des Familienbuchs wurde laufend fortgeführt und erfasste auch Angaben über Kinder der Eheleute. Das PStG wurde erst 1957 neu gefasst6, im Jahre 2007 nach äußerst langen Vorarbeiten7 reformiert8 und im Jahr 2013 unter anderem hinsichtlich der Möglichkeit eines freibleibenden Geschlechtseintrags angepasst.9 Eine weitere Reform erfolgte im Jahr 2017 mit dem 2. Personenstandsrechts-Änderungsgesetz.10 Hinsichtlich des geschlechtlichen Personenstands wurde das PStG geändert durch das Gesetz zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben11. Seit der Reform des PStG im Jahr 2007 enthält das Gesetz in § 1 eine Legaldefinition des Personenstands: „Personenstand im Sinne dieses Gesetzes ist die sich aus den Merkmalen des Familienrechts ergebende Stellung der Person innerhalb der Rechtsordnung einschließlich ihres Namens“. Das PStG knüpft den Personenstand eines Menschen rechtstechnisch an das Familienrecht an. Das bedeutet aber nicht, dass dem Personenstandsrecht als solchem, wie behauptet12, keine (verfassungs-) rechtliche Relevanz zukommt. Aus verfassungsrechtlicher Perspektive ist der Personenstand mehr als das bloße Abbild einer sich aus dem Familienrecht ergebenden Stellung der Person innerhalb der Rechtsordnung. Personenstandsrechtliche Eintragungen sind nicht nur personen-, sondern persönlichkeitsbezogen und betreffen die Identität der einzelnen natürlichen Person. Eingriffe in identitätsschützende Grundrechte und Verletzungen von identitätsschützenden Grundrechten durch das Personenstandsrecht werden damit möglich. Vor diesem Hintergrund muss die Annahme einer lediglich deklaratorischen Wirkung personenstandsrechtlicher Eintragungen für solche personenstandsrechtlichen Kategorien, deren Identitätsbezug sich direkt aus dem Personenstandsrecht ergibt, hinterfragt werden. Angezeigt ist vor dem Hintergrund eines umfassenden grundrechtlichen Schutzes individueller Identität der Person ein erweitertes Verständnis der Wirkungen des Personenstandsrechts. Dabei ist die grundlegende Frage, die es zu klären gilt, welches Maß an verfassungsrechtlich vermittelter Selbstbestimmung das Personenstandsrecht verträgt, ohne seine Funktionen einzubüßen.

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PStG v. 8. 8. 1957, BGBl. I, S. 1125. B. Gaaz/H. Bornhofen, S. 18 – 19; H. Bornhofen, StAZ 2007, S. 33 – 35. 8 Personenstandsrechtsreformgesetz v. 19. 2. 2007, BGBl. I, S. 122. 9 PStRÄndG v. 7. 5. 2013, BGBl. I 2013, S. 1122 ff. 10 BGBl. 2017 I, S. 2522 ff.; ausführlich zu den Änderungen U. Berndt-Benecke, StAZ 2017, S. 257 – 265. 11 Gesetz v. 18. 12. 2018, BGBl. I, S. 2635 f.; dazu ausführlich unter G. IV. 5. 12 BGH, Beschl. v. 22. 6. 2016 – XII ZB 52/15; M. Berkl, A. II. Rn. 11. 7

II. Gang der Arbeit

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II. Gang der Arbeit Die Rechtwissenschaft tut sich mit einer Definition des Identitätsbegriffs schwer. Hält sie auch sonst eine schier unüberschaubare Fülle an Definitionen bereit, so gibt es keine umfassende Definition der Identität im Sinne individueller, das Individuum betreffender Identität. Das mag daran liegen, dass der Identitätsbegriff kein originär rechtlicher Begriff ist. Die Sozialwissenschaften haben sich eingehend mit dem Thema Identität befasst. Der sozialwissenschaftlichen Identitätsforschung sind, trotz ihrer Vielheit an Erkenntnissen, Elemente des sozialwissenschaftlichen Identitätsbegriffs zu entnehmen, die für den weiteren Verlauf der Arbeit gelten und mit dem grundrechtlichen Verständnis von Identität abgeglichen werden (B.). Ein Beispiel des rechtlichen Umgangs mit dem Phänomen Identität ist das durch die Organe der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) entwickelte Recht auf Identität (C.). Auch wenn die Ausführungen der Organe der OAS an einigen Stellen kryptisch und unvollständig bleiben, so sind ihnen dennoch für den weiteren Verlauf der Arbeit einige Erkenntnisse zu den aus rechtlicher Sicht schützenswerten Elementen der individuellen Identität zu entnehmen. Ausführlich eingegangen wird auf die grundsätzliche Identitätsrelevanz und Zugänglichkeit des Personenstandsrechts für eine verfassungsrechtliche Betrachtung (D.). Auch werden an dieser Stelle die Funktionen des Personenstandsrechts, die unter G. als Schranken gesetzgeberischer Änderungen des Personenstandsrechts und Grenzen der Selbstbestimmung im Personenstandsrecht Anwendung finden, ausführlich erläutert. Die verfassungsrechtliche Betrachtung der individuellen Identität wird mit einem Schwenk ins deutsche Verfassungsrecht, namentlich der Grundrechte, eingeleitet (E.). Ausführlich untersucht wird, inwieweit die Identität des einzelnen Grundrechtsberechtigten als Schutzgegenstand der Grundrechte anzusehen ist. Die identitätsschützenden Grundrechte bilden den Prüfungsmaßstab, an dem sich alle rechtlichen Identitätsvorgaben, auch das Personenstandsrecht, zu messen haben. Es ergibt sich, entsprechend dem weitläufigen und alle Lebensbereiche umfassenden Identitätsbegriff, ein ebenso weitreichender Grundrechtsschutz individueller Identität, dessen wesentlicher Eckpfeiler das Selbstverständnis des Grundrechtsträgers ist. Die Ausführungen zum grundrechtlichen Schutz von Identität werden in ein der Anschaulichkeit dienendes Modell überführt. Ergänzend herangezogen werden identitätsschützende europa- und völkerrechtliche Verpflichtungen, die im Bereich der Deutschengrundrechte lückenfüllend wirken können. Auch vom sachlichen Schutzbereich der Grundrechte abweichende identitätsschützende Gewährleistungen des Landesverfassungsrechts werden ergänzend dargestellt, zumal sie das rechtliche Verständnis von der individuellen Identität der Person komplettieren. Ein auf Selbstbestimmung beruhender und grundrechtlich vermittelter Schutz individueller Identität steht in einem Spannungsverhältnis zu personenstandsrechtlichen Kategorien (F.). Die personenstandsrechtliche Kategorie Geschlecht ist die-

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A. Einleitung

jenige unter den personenstandsrechtlichen Ordnungsmerkmalen, die aufgrund ihrer derzeitigen Begrenztheit das größte Konfliktpotential mit der individuellen und selbstbestimmten Identität der Person aufweist. Sie wird daher im weiteren Verlauf der Arbeit beispielhaft herangezogen. Die vorherige Regelung des geschlechtlichen Personenstands verstieß gegen den grundrechtlichen Schutz geschlechtlicher Identität, was eine erneute Reform des PStG notwendig machte. Es existiert eine Reihe an gesetzgeberischen Möglichkeiten für eine Anpassung des PStG (G.). Gefragt ist eine Lösung, die nicht einseitig für oder gegen eine Anpassung des Personenstandsrechts streitet, sondern alle betroffenen Interessen, auch die einschlägigen Funktionen des Personenstandsrechts, in die Betrachtung einbezieht. Es folgt eine abschließende Zusammenfassung der Ergebnisse (H.).

B. Zum Identitätsbegriff Um den verfassungsrechtlichen Schutz von Identität näher untersuchen zu können, ist vorab zu klären, was genau unter Identität zu verstehen ist. Durch den Versuch, Identität zu definieren, mag zwar ganz grundsätzlich die Gefahr bestehen, dass der Begriff inhaltsleer wird.1 Für die sich anschließende Untersuchung des verfassungsrechtlichen Schutzes von Identität ist es aber unumgänglich, sich dem Identitätsbegriff definitorisch zu nähern und den Begriff mit greifbaren Inhalten zu füllen. Die Definition des Schutzgutes ist schließlich Voraussetzung für einen (effektiven) Rechtsschutz. Es mag exakt definierbare Begriffe geben, bei denen eine Definition nicht schwerfällt, und solche, wie Identität, bei denen eine Definition aufgrund ihrer Vielschichtigkeit Schwierigkeiten bereitet. Diese Vielschichtigkeit und die damit verbundenen Schwierigkeiten der Definition dürfen jedoch keinen Grund dafür bilden, gänzlich von einer Annäherung an den Identitätsbegriff abzusehen.

I. Abgrenzungsfragen Die Vielschichtigkeit des Identitätsbegriffs bringt neben der Frage nach dem Nutzen einer Begriffsbildung auch Abgrenzungsfragen mit sich.

1. Die persönliche Identität Da die personenstandsrechtlichen Ordnungsmerkmale die Identität der einzelnen natürlichen Person betreffen, soll es im Folgenden ausschließlich um die personenbezogene Identität gehen. Außer Betracht bleiben Fragen der Identität von Dingen und Gegenständen.

1 So ausdrücklich G. Hornung/Chr. Engemann, S. 11; zur begrifflichen Unschärfe A. Barkhaus, in: Dohrenbusch/Blickenstorfer, S. 55; vgl. Z. Tu, in: Tiedemann, Right to Identity, S. 89 (114).

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B. Zum Identitätsbegriff

2. Die virtuelle Identität Möglich ist auch das Herausbilden virtueller Identitäten.2 Aus Profilen in sozialen Netzwerken und auf Plattformen3 sowie durch Homepages4 wird diese digitale Variante der Identität gebildet. Im Mittelpunkt der Untersuchungen zur virtuellen Identität stehen die besonderen Auswirkungen der computergestützten Kommunikation und Selbstdarstellung auf die Identitätsbildung der Person gerade vor dem Hintergrund möglicher Anonymität.5 Teilweise wird die virtuelle Identität auch als ein konkretes Nutzerprofil verstanden.6 Diese besondere und digitale Variante der Identität soll im Folgenden nicht behandelt werden.

3. Identifizierungsfragen Identität wird im rechtlichen Kontext häufig im Zusammenhang mit der Identifizierung verwendet. Identifizierung kann dabei als Nachweis der Identität verstanden werden.7 Auch wird Identität im rechtlichen Kontext unter dem Aspekt des Identitätsmanagements betrachtet. Identitätsmanagement meint in diesem technischen Kontext „ein Identifizierungs-, Attributs- und/oder Berechtigungsmanagement“8. Eine Antwort auf die Frage, was Identität im Sinne der identitätsstiftenden Merkmale und der Identitätsbildung des Individuums ausmacht, liefert das Identitätsmanagement aber nicht und bleibt deshalb im Folgenden außer Betracht. In die Betrachtung einbezogen wird selbstverständlich die Identifizierungsfunktion der Personenstandsregister.9

II. Die numerische und die qualitative Identität Ursprünglich entstammt der Identitätsbegriff sowohl der mathematischen als auch der philosophischen Logik.10 Identität kann zum einen die völlige Übereinstimmung einer Person oder einer Sache mit dem, was sie ist oder als was sie bezeichnet wird, oder zum anderen Gleichheit und völlige Übereinstimmung mit je-

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Grundlegend: J. Meyer, passim. G. Danzer, S. 34. 4 S. Misoch, insb. S. 192 ff. 5 J. Meyer, S. 52 m. w. N.; A. Tillmann, passim. 6 J. Meyer, S. 54. 7 G. Hornung, Die digitale Identität, S. 29. 8 G. Hornung, in: Roßnagel, Wolken über dem Rechtsstaat?, S. 190. 9 Siehe dazu unter D. III. 1. 10 E. Beck, S. 15; P. Bohley, S. 113; D. Teichert, S. 1 f. 3

II. Die numerische und die qualitative Identität

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mandem oder in Bezug auf etwas bedeuten.11 Diese Gleichheit12 ergibt sich entweder aus einer zahlenmäßigen Einheit, sogenannte numerische Identität, oder aber auch aus Eigenschaften, Qualität und Beschaffenheit, sogenannte qualitative Identität.13 Mit „Identität“ wird eine Beziehung eines Gegenstands oder einer Person zu sich selbst beschrieben.14 Jeder Gegenstand und jede Person ist im Sinne der numerischen Identität ausschließlich mit sich selbst identisch, da er beziehungsweise sie nur einmal existiert. Das bedeutet, dass zwei Gegenstände, die identisch aussehen, im Sinne der numerischen Identität niemals identisch sind, da sie nicht ein, sondern zwei Gegenstände sind. Dieses Prinzip der numerischen Identität macht eine Identifizierung eines Gegenstands oder einer Person dem Grunde nach erst einmal überhaupt möglich und ist die theoretische Basis der Identifizierungs- und Unterscheidungsfunktion personenstandsrechtlicher Erfassung. Wäre es theoretisch unmöglich, zwei Personen anhand bestimmter Merkmale voneinander zu unterscheiden, liefe auch die personenstandsrechtliche Erfassung ins Leere. Zur numerischen Identität zählt auch die Bezeichnung eines Gegenstands beziehungsweise die Bezeichnung, das heißt der Name, einer Person.15 Da mehrere Personen den gleichen Namen tragen können, müssen für eine eindeutige Identifizierung weitere Eigenschaften der Person, wie zum Beispiel der Wohnort oder der Beruf, im Sinne der qualitativen Identität herangezogen werden. Zur eindeutigen Identifizierung einer Person werden beispielsweise die personenbezogenen Daten aus MMRG und PAuswG der zu identifizierenden Person herangezogen.16 Sowohl numerische als auch qualitative Identität machen Gegenstände und Personen unterscheidbar und unverwechselbar.17 Dies ist aus Sicht des Individuums besonders wichtig, um kommunikativ in das Sozialgefüge eingebunden zu werden.18 Nur wenn bei Abwesenheit einer Person diese klar identifiziert ist, ist sichergestellt, dass die Gesprächspartner auch wirklich dieselbe Person meinen.19 Identität wird so zu einer sozialen Kategorie.20 Numerische und qualitative Identität haben daneben auch rechtliche Bedeutung. So ist die eindeutige Identifizierung einer Person Voraussetzung beispielsweise für das Anknüpfen staatlicher Maßnahmen, die Inanspruchnahme staatlicher Leistungen und von hoher Bedeutung für den Rechtsverkehr. 11

Duden, Fremdwörterbuch, Stichwort „Identität“; D. Teichert, S. 2 f. Oder negativ formuliert: „Differenz“, P. Wagner, in: Assmann/Friese, S. 56. 13 Hierzu E. Angehrn, S. 306; D. Teichert, S. 3. 14 E. Angehrn, S. 306; E. Beck, S. 15; S. Reck, S. 21; D. Teichert, S. 1. 15 P. Tiedemann, in: ders., Right to Identity, S. 13. 16 Hierzu J. Meyer, S. 25 ff. 17 Ausdrücklich für die numerische Identität E. Angehrn, S. 306 f.; für die persönliche Identität allgemein S. Reck, S. 14. 18 P. Tiedemann, in: ders., Right to Identity, S. 14. 19 P. Tiedemann, in: ders., Right to Identity, S. 14. 20 P. Tiedemann, in: ders., Right to Identity, S. 14. 12

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B. Zum Identitätsbegriff

III. Die Elemente individueller Identität nach der sozialwissenschaftlichen Identitätsforschung Identität ist kein feststehender Rechtsbegriff.21 Die Kenntnis der Elemente von Identität ist aber unabdingbar für die rechtliche Betrachtung des verfassungsrechtlichen Identitätsschutzes. Daher soll nun ein Definitionsversuch unter Zuhilfenahme der sozialwissenschaftlichen22 Identitätsforschung unternommen werden.23

1. Die individuelle und die kollektive Identität In der sozialwissenschaftlichen Identitätsforschung wird grundlegend zwischen einer individuellen und einer kollektiven Identität unterschieden. Oft wird die individuelle Identität als personale Identität bezeichnet. Dabei wurde schon vor über zehn Jahren der Begriff der personalen Identität als veralteter, anachronistischer Ausdruck angesehen.24 Diese Einschätzung steht im Zusammenhang mit dem überkommenen Identitätsverständnis, welches davon ausging, die einzelne natürliche Person könne mit sich selbst identisch sein und eine vollkommene Identität herausbilden.25 Um die Identität der einzelnen Person von der Identität eines Kollektivs abzugrenzen, soll im Folgenden der Begriff der individuellen Identität verwendet werden. Dieser wird den Erkenntnissen der moderneren Identitätsforschung gerecht. Zum Teil wird der Begriff der kollektiven Identität in den Sozialwissenschaften als inhaltsleerer Begriff bezeichnet.26 Der Abgrenzung zur individuellen Identität dient der Begriff aber dennoch. Kollektive Identität meint die Teilhabe an einer Gruppe oder Gemeinschaft27 oder auch die Identifizierungen von Menschen untereinander28 im Sinne einer sozialen Identität einer Personenmehrheit. Die individuelle Identität bezieht sich auf eine Person beziehungsweise ein Subjekt im leiblichen Sinn29 und die kollektive Identität auf eine Personenmehrheit. Kollektive Identität ist

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J. Meyer, S. 23. Unter die Sozialwissenschaften in diesem Sinne fallen die Soziologie, die Sozialpsychologie, die Psychologie und die Pädagogik. 23 Zur Heranziehung der Sozialwissenschaften für die Rechtswissenschaft W. HoffmannRiem, in: Bräuerle/Hanebeck/Hausotter et al., S. 53 (55). 24 J. Straub, in: ders./Renn, S. 85 ff. 25 J. Straub, in: ders./Renn, S. 86. 26 So L. Niethammer, S. 55, der kollektive Identität als „Plastikwort“ bezeichnet. 27 K. Liebsch, in: Korte/Schäfers, S. 84. 28 P. Wagner, in: Assmann/Friese, S. 45. 29 J. Straub, in: Assmann/Friese, S. 98. 22

III. Die Elemente individueller Identität

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auf Gemeinsamkeiten, Verbindendes und Konsens innerhalb der Personenmehrheit gerichtet.30 Die individuelle Identität hingegen ist die Identität, die sich auf den einzelnen Menschen bezieht. Im Folgenden soll die Identität der einzelnen Person, das heißt die individuelle Identität, im Vordergrund stehen, zumal sich personenstandsrechtliche Ordnungsmerkmale in erster Linie auf die einzelne natürliche Person beziehen. Natürlich lässt sich über eine Gruppierung verschiedener, einzelne Personen betreffender Eintragungen auch ein Gruppenbezug personenstandsrechtlicher Eintragungen herbeiführen. Der einzelne Eintrag, die einzelne Beurkundung und das damit verbundene Ordnungsmerkmal bezieht sich aber zunächst stets auf die einzelne natürliche Person. An geeigneter Stelle soll auf Aspekte kollektiver Identität eingegangen werden, da kollektive und individuelle Identität in einer wechselseitigen Beziehung stehen. So hängt das Herausbilden von Identität von der Unterstützung des Individuums vom kollektiven Identitätsgefühl ab31 und die Herausbildung individueller Identität kann durch Gruppenzugehörigkeit beeinflusst werden32. Eine Form der kollektiven Identität ist beispielsweise die kulturelle Identität, die wiederum die nationale, sprachliche, ethnische und politische Identität umfasst.33

2. Die Ich-Identität und Identitätsbildung als dynamischer Prozess G. H. Mead entwickelte am Ende des 19. Jahrhunderts ein Identitätskonzept ausgehend vom sogenannten „self“, das heißt das Selbst, welches die Struktur der Selbstbeziehung einer Person meine.34 Diese Identitätskonzeption bezieht die Bezüge und Beziehungen des Selbst zu anderen Personen, Gruppen, Institutionen und Gegenständen mit ein35 und geht davon aus, dass Identität als Prozess zu verstehen sei, in dem das Individuum im Verlauf seines Lebens den Versuch unternimmt, die Bezüge und Beziehungen zu einer einheitlichen Gesamtheit zusammenzuführen.36 G. H. Mead teilte das Selbst in das „I“ und „me“.37 Dabei sei das „me“ die „organisierte Gruppe von Haltungen, die man selbst einnimmt“38. Hiervon umfasst seien 30

J. Straub, in: Assmann/Friese, S. 103 f. E. H. Erikson, Einsicht und Verantwortung, S. 84. 32 K. Liebsch, in: Korte/Schäfers, S. 84. 33 P. Wagner, in: Assmann/Friese, S. 48 f. 34 K. Liebsch, in: Korte/Schäfers, S. 82. 35 G. H. Mead, insb. S. 207 ff. 36 G. H. Mead, S. 207; hierzu K. Liebsch, in: Korte/Schäfers, S. 82; J. Straub, in: Assmann/ Friese, S. 91. 37 G. H. Mead, S. 216 ff.; hierzu J. Kopp/A. Steinbach, S. 127 f. 38 G. H. Mead, S. 218. 31

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B. Zum Identitätsbegriff

gesellschaftliche Erwartungen, denen die natürliche Person mit dem „me“ gerecht zu werden versucht.39 Das „I“ meine „die Reaktion des Organismus auf die Haltungen anderer“40, das heißt nicht steuerbare Impulse des einzelnen Menschen41. Identität sei bei der Geburt eines Menschen nicht vorhanden, sondern werde vielmehr im Laufe des Lebens erworben.42 Identität entwickle sich, „indem sie diese individuellen Haltungen anderer in die organisierte gesellschaftliche oder Gruppenhaltung hereinbringt und damit zu einer individuellen Spiegelung der allgemeinen, systematischen Muster des gesellschaftlichen oder Gruppenverhaltens wird, in die sie und die anderen Identitäten eingeschlossen sind“43, das heißt ein Abgleich der individuellen Haltung mit der gesellschaftlichen Haltung, ein Abgleich von Innen und Außen, von Eigen- und Fremdwahrnehmung. Zeitlich daran anschließend entstand ein psychoanalytischer und Ich-zentrierter Ansatz von E. H. Erikson, welcher von der Herstellung einer sogenannten „IchIdentität“44 ausgeht, die Personen sowohl bewusst als auch unbewusst durch die Herstellung einer Kontinuität, Konsistenz und Einheit ihrer Person herausbildeten.45 Ein Element dieser „Ich-Identität“ sei ein „Zuwachs an Persönlichkeitsreife“46 am Ende der Adoleszenz. Auch E. H. Erikson sieht wie G. H. Mead diesen Prozess als einen lebenslangen an47 und erkennt die Bedeutung von Anerkennung48 und die wechselseitige Beziehung49 zwischen dem Individuum und der Gesellschaft. Auch die moderne Identitätsforschung geht von einer Herausbildung von Identität als offenem Prozess, der sogenannten alltäglichen Identitätsarbeit, aus.50 Identität sei Ergebnis ihrer aktiven Bildung51 und gerichtet auf die Herausbildung eines Bewusstseins von sich selbst52 durch die Integration, Interpretation und Bewertung von Erfahrungen53. Damit sei Identität notwendigerweise ein Konstrukt.54 Das Konstrukt 39

A. Barkhaus, in: Dohrenbusch/Blickenstorfer, S. 60; P. Tiedemann, in: ders., Right to Identity, S. 37 ff. 40 G. H. Mead, S. 218. 41 A. Barkhaus, in: Dohrenbusch/Blickenstorfer, S. 60. 42 G. H. Mead, S. 177. 43 G. H. Mead, S. 201. 44 E. H. Erikson, Identität und Lebenszyklus, S. 17 ff. 45 K. Liebsch, in: Korte/Schäfers, S. 82. 46 E. H. Erikson, Identität und Lebenszyklus, S. 123. 47 E. H. Erikson, Identität und Lebenszyklus, S. 141 und S. 150 f. 48 E. H. Erikson, Identität und Lebenszyklus, S. 138. 49 E. H. Erikson, Identität und Lebenszyklus, S. 124. 50 H. Keupp et al., Identitätskonstruktionen, S. 189 ff.; J. Straub, in: Assmann/Friese, S. 93; V. Descombes, S. 35. 51 J. Kopp/A. Steinbach, S. 126. 52 J. Straub, in: Assmann/Friese, S. 86; P. Wagner, in: Assmann/Friese, S. 51. 53 H. Keupp et al., Identitätskonstruktionen, S. 217. 54 J. Straub, in: Assmann/Friese, S. 93, 95.

III. Die Elemente individueller Identität

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sei nicht als eine fertige Identität anzusehen, sondern könne in einer Teilidentität, einer teilidentitätsübergreifenden Identitätskonstruktion, in komplexen oder auch nur situationsabhängigen Identitätskonstruktionen bestehen.55 Die Entwicklung und Beständigkeit von Identität im Verlauf der Zeit wird auch diachrone Identität genannt.56 In der modernen Sozialwissenschaft wird individuelle Identität als ein Konzept zum Verständnis von Selbstbildern verstanden, mit dessen Hilfe sich ständig wandelnde Antworten auf die Frage „Wer bin ich?“ gegeben werden.57 Die Identifizierungsfunktion der numerischen und qualitativen Identität rückt damit in den Hintergrund. Im Vordergrund steht vielmehr die Selbstidentifizierung. Identität bilde in diesem Prozess den Kern der Persönlichkeit.58 Zudem sei Identität die Grundlage für die Handlungsfähigkeit eines Menschen59 und wichtige Quelle der Orientierung60. Die Herausbildung von Identitäten ermögliche es dem Menschen, sich zurechtzufinden.61 Identität ist damit kein feststehendes Produkt. Sie sei vielmehr dynamisch62, wandele sich ständig durch kommunikative und diskursive Prozesse und werde aktiv hergestellt, neu geschaffen und verändert63. Dieser Prozess könne bewusst und unbewusst geschehen.64 Auch in der heutigen Sozialwissenschaft wird der Prozess der Identitätsbildung als lebenslanger Prozess angesehen.65 Aufgrund dieser Dynamik und Beweglichkeit wird die individuelle Identität auch transitorische Identität genannt.66 Individuelle Identität kann auch als der „Zusammenhang, den jene höchst verschiedenen Elemente und disparaten Momente, welche das Leben einer Person ausmachen, bilden können“67 verstanden werden. Dieser Zusammenhang würde gedeutet und subjektiv gelebt werden.68 Umfasst seien das Selbstgefühl und Selbstverständnis einer Person.69 55

H. Keupp et al., Identitätskonstruktionen, S. 217. E. Angehrn, S. 306; D. Teichert, S. 3; P. Tiedemann, in: ders., Right to Identity, S. 15 ff. 57 H. Keupp, in: Petzold, S. 79. 58 P. Bohley, S. 37. 59 P. Bohley, S. 37 ff. 60 P. Bohley, S. 43. 61 M. A. Maliska, in: Tiedemann, Right to Identity, S. 151 (152); M. Storch, in: Dohrenbusch/Blickenstorfer, S. 81. 62 J. Kopp/A. Steinbach, S. 129. 63 K. Liebsch, in: Korte/Schäfers, S. 88. 64 K. Liebsch, in: Korte/Schäfers, S. 88 f. 65 H. Bilden, in: Keupp/Höfer, S. 236; H. Keupp et al., Identitätskonstruktionen, S. 215. 66 J. Straub/J. Renn, S. 13; kritisch K. Röttgers, S. 326 ff. 67 J. Kopp/A. Steinbach, S. 126. 68 J. Kopp/A. Steinbach, S. 126. 69 J. Kopp/A. Steinbach, S. 126. 56

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B. Zum Identitätsbegriff

Die zeitliche Komponente von Identität orientiert sich an Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft70. Identitätsbildung meine eine permanente Verknüpfungsarbeit des Individuums in zeitlicher, inhaltlicher und lebensweltlicher Hinsicht.71 Der einzelne Mensch ordne seine Selbsterfahrungen einer zeitlichen Perspektive unter, indem er Vergangenes mit Gegenwärtigem und Zukünftigem verknüpfe.72 Diese Verknüpfung vollzieht sich nicht nur anhand zeitlicher Dimensionen, sondern auch inhaltlich. In inhaltlicher Hinsicht verknüpfe der einzelne Mensch seine Selbsterfahrung mit Ähnlichkeiten und Unterschieden; gleiche also bereits gemachte Selbsterfahrungen mit neuen Erfahrungen auf Ähnlichkeiten und Unterschiede ab.73

3. Identität als Reaktion auf das gesellschaftlich Vorgegebene In den 1950er, 1960er und 1970er Jahren kamen Überlegungen über den normierenden Einfluss der Gesellschaft auf die Identitätsbildung der einzelnen natürlichen Person hinzu. Diese gehen von einer allgemeinen Prägung des Individuums durch die Gesellschaft aus. Aktuellere Betrachtungen nehmen zwar vor allem das Individuum und seine Gestaltungsmöglichkeiten in den Blick.74 Nichtsdestotrotz geht auch die aktuelle Identitätsforschung von einem Identitätsprozess zwischen dem Individuum, Kultur und Gesellschaft aus.75 Identität stünde in Beziehung zu Strukturen, Regeln und Normen der Gesellschaft76, sodass gesellschaftliche Vorgaben und Machtstrukturen Einfluss auf die Identitätsbildung nehmen77. Identität verbinde die mikrosoziologische Ebene, das heißt die Ebene des Handelns des Individuums, mit der makrosoziologischen Ebene, das heißt den gesellschaftlichen Strukturen.78 Dies sei Ausdruck einer Identitätsbildung an der Schnittstelle zwischen Innen und Außen.79 E. H. Erikson ging bereits von einer wechselseitigen Beziehung zwischen Identität als „Sich-Selbst-Gleichsein“ und der Teilhabe an gruppenspezifischen Charakterzügen aus.80 Auch nach der modernen Sozialwissenschaft werden Identitäten im Wechselspiel von bestehenden sozialen Strukturen und verändernder 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80

J. Kopp/A. Steinbach, S. 126; K. Liebsch, in: Korte/Schäfers, S. 88. H. Keupp et al., Identitätskonstruktionen, S. 190 ff. H. Keupp et al., Identitätskonstruktionen, S. 190. H. Keupp et al., Identitätskonstruktionen, S. 190. K. Liebsch, in: Korte/Schäfers, S. 83. K. Liebsch, in: Korte/Schäfers, S. 80. K. Liebsch, in: Korte/Schäfers, S. 80. H. Keupp et al., Identitätskonstruktionen, S. 216. K. Liebsch, in: Korte/Schäfers, S. 80. H. Keupp et al., Identitätskonstruktionen, S. 191; ders., in: Petzold, S. 79. E. H. Erikson, Identität und Lebenszyklus, S. 124.

III. Die Elemente individueller Identität

29

Aneignung gebildet. Dabei transportierten Identitäten sowohl Reaktionen auf Vorgegebenes wie auch selbstgestaltete Definitionen.81 Zudem konstituiere sich Identität im Sozialen82 und werden durch soziale Vorgaben strukturiert83. Identitätsbildung sei ein dialogischer Prozess.84 Diese Betrachtungsweise berücksichtigt insbesondere, dass das Individuum in aller Regel nicht isoliert existiert, sondern eine gesellschaftliche Einbindung erfährt.85 Im Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Einbindung des Individuums ist die Rollen-Identität von Bedeutung. Demnach verhalte sich eine Person in der sozialen Interaktion, auf der sogenannten Bühne des Lebens, so wie die anderen Personen, bildlich gesprochen die Zuschauer, es von ihr erwarten86. Die Person spiele eine Rolle, die der Rollenerwartung der anderen und die Person umgebenden Individuen entspreche.87

4. Bastelexistenzen, „Patchwork“- und Teilidentitäten Das Bild von der Herausbildung der einen Identität ist in der moderneren Identitätsforschung der Vorstellung von sogenannten „Bastelexistenzen“, „PatchworkIdentitäten“ und „Teil-Selbsten“ gewichen. Hintergrund dieser Entwicklung seien Individualisierung88, Enttraditionalisierung und der Verlust von Sicherheiten, welche einen neuen Umgang mit den neuen Rollenanforderungen und Situationen erforderlich machten.89 Zudem führten sie zu einer Herauslösung des Menschen aus vertrauten Bindungen und Kategorien90 und auch aus identitätsstiftenden Institutionen wie der Kirche und Gewerkschaften91 und weiter in der Vergangenheit Zünften, Ständen, Fürsten- und Herzogtümern92. Weitere Faktoren dieser Entwicklung seien Pluralisierung und Globalisierung.93 Diese Herauslösung wird auch „biografische Freisetzung“94 oder „Freisetzungsprozess“95 genannt. Es existieren 81

H. Keupp et al., Identitätskonstruktionen, S. 214 f.; K. Liebsch, in: Korte/Schäfers, S. 84. J. Kopp/A. Steinbach, S. 129. 83 K. Liebsch, in: Korte/Schäfers, S. 88. 84 J. Kopp/A. Steinbach, S. 129. 85 So für das Menschenbild des Grundgesetzes und anhand von Art. 2 Abs. 1 GG BVerfGE 4, 7 (15 f.). 86 E. Goffman, passim. 87 E. Goffman, passim; V. Descombes, S. 34 f. 88 Ausführlich H. Keupp, in: Petzold, S. 82 ff. 89 K. Liebsch, in: Korte/Schäfers, S. 84. 90 R. Eickelpasch/C. Rademacher, S. 6 f.; H. Keupp, in: Beck/Beck-Gernsheim, S. 342. 91 Danzer, S. 18 f. 92 Danzer, S. 15. 93 H. Keupp, in: Petzold, S. 81. 94 R. Hitzler/A. Honer, in: Beck/Beck-Gernsheim, S. 307. 82

30

B. Zum Identitätsbegriff

demnach weniger feststehende, gesellschaftlich vorgegebene Rollen und Identitäten. Das Individuum müsse sich nicht länger in soziale Bindungen einpassen, sondern gestalte das Soziale ausgehend von sich selbst und sei damit der „Baumeister des Sozialen“.96 Diese Entwicklung enthalte Chancen und Risiken. Zu den Chancen zählten der Zugewinn an Entscheidungschancen97, Möglichkeiten für die SelbstOrganisation und Entfaltungsmöglichkeiten98. Demgegenüber stünde der Verlust des „Sinn-Daches“.99 Die kulturell vordefinierten Identitätsmuster würden aufgelöst.100 Die Herausbildung von Identität, die auch Identitätsarbeit genannt wird101 und einer Konstruktionsarbeit des Individuums gleichkomme102, sei in diesem neueren Zusammenhang als Reaktion auf unterschiedlichen Lebenswelten und Rollenanforderungen sowie einer ausdifferenzierten sozialen Situation zu sehen.103 Andere halten vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen die Identität als solche für bedroht.104 Im Vordergrund der Identitätsarbeit stehe die Reflexion der Identität.105 Nach dieser Vorstellung gibt es nicht die eine Identität, sondern Identität müsse als aus mehreren Elementen zusammengesetztes Bild verstanden werden.106 Statt Identität wird von Identitäten ausgegangen. So sieht H. Bilden die einzelne Person als „dynamisches System vielfältiger Teil-Selbste“.107 Es würden Teilidentitäten gebildet, die Ausschnitte einer Person darstellten und die Basis für ein Identitätsgefühl bildeten.108 Teilidentitäten bezögen sich dabei auf einen bestimmten Lebensbereich oder eine bestimmte Lebensphase109 und entstünden durch die Reflexion situationaler Selbsterfahrungen und deren Integration110. Möglich sei auch die Herausbildung übergreifender Identitätskonstruktionen. Das sind solche, die einen bestimmten Lebensbereich/eine bestimmte Lebensphase mit anderen Lebensbereichen/anderen Lebensphasen verknüpfen.111 H. Keupp wählt zur Veranschaulichung dieses Pro95

H. Keupp, in: Beck/Beck-Gernsheim, S. 338. H. Keupp, in: Beck/Beck-Gernsheim, S. 342. 97 R. Hitzler/A. Honer, in: Beck/Beck-Gernsheim, S. 307. 98 H. Keupp, in: Beck/Beck-Gernsheim, S. 336. 99 R. Hitzler/A. Honer, in: Beck/Beck-Gernsheim, S. 307. 100 R. Eickelpasch/C. Rademacher, S. 7. 101 H. Keupp et al., Identitätskonstruktionen, S. 189 ff. 102 R. Eickelpasch/C. Rademacher, S. 7; H. Keupp et al., Identitätskonstruktionen, passim. 103 K. Liebsch, in: Korte/Schäfers, S. 84. 104 S. Reck, S. 154. 105 R. Eickelpasch/C. Rademacher, S. 22; K. Liebsch, in: Korte/Schäfers, S. 84. 106 H. Bilden, in: Keupp/Höfer, S. 227 ff.; K. Liebsch, in: Korte/Schäfers, S. 84. 107 H. Bilden, in: Keupp/Höfer, S. 233. 108 R. Hitzler/A. Honer, in: Beck/Beck-Gernsheim, S. 310; H. Keupp et al., Identitätskonstruktionen, S. 217 ff. 109 H. Keupp et al., Identitätskonstruktionen, S. 193. 110 H. Keupp et al., Identitätskonstruktionen, S. 217. 111 H. Keupp et al., Identitätskonstruktionen, S. 193. 96

III. Die Elemente individueller Identität

31

zesses das Bild einer „Patchwork-Identität“112 und rückt die Identitätsarbeit in den Vordergrund seiner Betrachtungen. Diese Identitätsarbeit sei durch die Suche des Individuums nach dem Verständnis von sich selbst geprägt.113 Die Patchwork-Metapher unterstreicht das kreative Moment der Identitätsarbeit, aber auch die Idee von Identitätsarbeit als Prozess. R. Hitzler und A. Honer beschreiben diese Entwicklung unter Zuhilfenahme des Bildes des Individuums als Bastler, der sich seine Existenz, die sogenannte „Bastelexistenz“ 114, zusammenbaue und mit Teil-Orientierungen115 den Sinn des Lebens suche. Die Bastelexistenz sei geprägt von der Möglichkeit, Teilidentitäten zu haben und zu einem beliebigen Zeitpunkt wieder aufzugeben.116 Identitätsarbeit sei eine „permanente Passungsarbeit zwischen inneren und äußeren Welten“117. So sammele das Individuum seine Erfahrungen in allen seinen Lebenswelten, beispielsweise als Mitglied einer Familie, aber auch als Berufstätiger oder Sportler118. Diese Erfahrungen werden ständig innerlich und äußerlich abgeglichen. Auch hieraus ergeben sich zunächst Teilidentitäten (die Identität als Familienmitglied, die berufliche Identität, die Sportleridentität).

5. Das Fünf-Säulen-Modell nach E. Lippmann Ein lebensnaher und greifbarer Ansatz der Identitätsforschung ist das FünfSäulen-Modell von E. Lippmann, der viele der genannten sozialwissenschaftlichen Ansätze in seinem Modell vereint. Nach dem Modell von E. Lippmann besteht die Identität des Individuums aus fünf Säulen, die miteinander verwoben sind und deren Inhalt sich prozesshaft wandelt. Diese Säulen sind: soziale Beziehungen, Arbeit/ Beruf/Leistung, Dasein/Leiblichkeit, Haben/materielle Sicherheit und Glaube/ Werte/Sinn.119 Jede Säule wiederum enthält verschiedene einzelne Elemente und Inhalte. Der Aufnahme der sozialen Beziehungen in das Modell liegt das Bild des Menschen als soziales Wesen zugrunde. Identität entstünde stets in Beziehungen.120 Zu diesen identitätsprägenden sozialen Beziehungen zählen nach dem Fünf-SäulenModell im Wesentlichen die familiäre Herkunft, Partnerschaften, die sogenannte

112 H. Keupp et al., Identitätskonstruktionen, passim; ders., in: ders./R. Höfer, S. 11; H. Keupp, in: ders./Bilden, Verunsicherungen, S. 64 f. 113 H. Keupp, in: ders./R. Höfer, S. 12. 114 R. Hitzler/A. Honer, in: Beck/Beck-Gernsheim, S. 311. 115 R. Hitzler/A. Honer, in: Beck/Beck-Gernsheim, S. 308. 116 R. Hitzler/A. Honer, in: Beck/Beck-Gernsheim, S. 311. 117 H. Keupp, in: Petzold, S. 81. 118 H. Keupp et al., Identitätskonstruktionen, S.190. 119 E. Lippmann, S. 20 – 22.; Übersicht auf S. 31. 120 E. Lippmann, S. 32 f., 165.

32

B. Zum Identitätsbegriff

Hinkunftsfamilie, Heimat und virtuelle Beziehungen über digitale Medien und Netzwerke.121 Die Säule Arbeit/Beruf/Leistung ist geprägt von Beruf, Karriere, Anerkennung sowie Aus- und Weiterbildung. Das Individuum forme eine soziale Position durch die berufliche Identität.122 Besonderen Einfluss auf die Identität haben die Prekarisierung und die Subjektivierung der Arbeit.123 Eine gefestigte berufliche Identität würde dadurch seltener.124 Zur leiblichen Säule von Identität zählen nach E. Lippmann die Dualität und Einheit von Körper und Seele, Gesundheit, biologisches und soziales Geschlecht, Sexualität und sexuelle Orientierung. Zur Säule der materiellen Werte zählen Objekte und Eigentum sowie finanzielle Ressourcen.125 Besitz, nicht im rechtlichen, aber im Sinne des Fünf-Säulen-Modells, habe fünf Identitätsfunktionen126 : Besitz werde als zur Person gehörend erlebt, da es ein Instrument der Person sei, welches sie beherrsche und über das sie verfügen könne. Zudem vergrößere Besitz den Handlungsspielraum einer Person und könne auf Fähigkeiten einer Person hinweisen. Objekte böten der Person ein relativ konstantes und vertrautes Umfeld, vermittelten so ein Gefühl der Vertrautheit und könnten auf diese Weise eine gewisse Kontinuität der Person mit sich selbst, das heißt ihre Identität, verstärken. Besitz biete auf diese Weise Stabilität in Form von Vertrautheit.127 Materielle Ressourcen seien damit Bedingung für eine gelingende Identität.128 Als fünfte Säule enthält Glaube/Werte/Sinn die Religion und den Glauben, Werte und Normen, den Lebenssinn, Spiritualität und die narrative Identität. Narrative Identität meint dabei Identitätsbildung durch das Erzählen der eigenen Lebensgeschichte.129

IV. Fazit zum Kapitel B. Es gibt in der sozialwissenschaftlichen Identitätsforschung nicht den einen Begriff von Identität. Sehr wohl lassen sich aus den Erkenntnissen der sozialwissen121 122 123 124 125 126 127 128 129

E. Lippmann, S. 33 – 70. Vgl. E. Lippmann, S. 78. E. Lippmann, S. 83. E. Lippmann, S. 80 f., 168. E. Lippmann, S. 31. E. Lippmann, S. 128. E. Lippmann, S. 175; T. Habermas, S. 51 f. E. Lippmann, S. 177. E. Lippmann, S. 140.

IV. Fazit zum Kapitel B.

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schaftlichen Identitätsforschung aber Elemente individueller Identität herausarbeiten. - Identität ist personenbezogen. Dabei steht die Identität des Individuums jedoch in Beziehungen zu anderen Personen/Gruppen/Institutionen sowie Gegenständen und wird mit diesen abgeglichen. In diesem Sinne vollzieht sich Identitätsbildung zwischen dem Individuum und seiner Außenwelt als dialogischer Prozess. - Durch die Verbindung von Innen und Außen ist die Herausbildung von Identitäten auch immer als Reaktion auf Vorgegebenes zu verstehen. Das Vorgegebene sind nach der sozialwissenschaftlichen Identitätsforschung vor allem gesellschaftliche Anschauungen und Konventionen. In diesem Kontext kann das Individuum Rollenidentitäten herausbilden. - Identitätsbildung ist als lebenslanger Prozess zu verstehen, in dem sich nicht die eine und vollkommene Identität, herausbildet, sondern Teilidentitäten, die einem dynamischen Anpassungsprozess unterworfen sind. Identität in diesem Sinne ist ein Puzzle aus Teilidentitäten. - Identitätsbildung ist gerichtet auf die Herausbildung eines Selbstverständnisses und Selbstbildes des Individuums. Dieses bietet dem Individuum Handlungsfähigkeit und Orientierung. - Identität ist in zeitlicher Hinsicht bezogen auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Damit können beispielhaft als Elemente von Identität im Sinne von Teilidentitäten genannt werden: soziale Beziehungen, Arbeit und Beruf, Körperlichkeit, materielle Sicherheit sowie Glaube, Werte und Sinn. Nach alledem bleibt festzuhalten, dass die Rolle des Rechts neben dem gesellschaftlich Vorgegebenen eine weitere Säule der durch die Außenwelt vorgegebenen Identitätserwartungen bilden kann. Möglich erscheint, dass rechtliche Vorgaben die Identitätsbildung als das äußerlich Vorgegebene beeinflussen.

C. Das Recht auf Identität Mit einem expliziten Recht auf Identität ausführlich auseinandergesetzt hat sich die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS).1 Bei der OAS handelt es sich um die älteste Regionalorganisation der Welt und eine internationale Organisation im völkerrechtlichen Sinne.2 Sie umfasst die Staaten Lateinamerikas, die Vereinigten Staaten von Amerika, Kanada sowie die karibischen Staaten und zählt insgesamt 35 Staaten. Zu ihren Zielen zählen nach Art. 2 ihrer Charta die Stärkung von Frieden und Sicherheit, die Förderung und Konsolidierung repräsentativer Demokratie und die Streitbeilegung. Die Überlegungen der Organe der OAS zu einem Recht auf Identität und zur Konzeption eines solchen Rechts sollen im Folgenden skizziert werden. Sie bieten möglicherweise Rückschlüsse zu den Funktionen des Personenstandsrechts und ein mögliches Modell für einen verfassungsrechtlichen Identitätsschutz. Anerkannt ist das Recht auf Identität auch durch die Rechtsprechung lateinamerikanischer Staaten wie dem kolumbianischen3 und peruanischen4 Verfassungsgericht. Die Ausführungen beider Gerichte sind allerdings viel zu knapp, als dass sie an dieser Stelle für eine rechtliche Beurteilung des Identitätsschutzes herangezogen werden könnten. Das Recht auf Identität auf Ebene der OAS ist das Ergebnis von Rechtsfortbildung. Ausführungen zum Recht auf Identität finden sich in verschiedenen Urteilen des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte (IAGMR) sowie den Arbeiten anderer Organe der OAS.

1

Teilweise ist ein Recht auf Identität auch in den nationalen Gesetzgebungen lateinamerikanischer Staaten niedergeschrieben. So enthalten beispielsweise die Kinder- und Jugendschutzgesetze von Costa Rica (Código de la Niñez y la Adolescencia, Nr. 7739, online abrufbar unter: www.oas.org/dil/esp/codigo_ninez_adolescencia_costa_rica.pdf, letzter Abruf 20. 12. 2018) in Art. 23 und Uruguay (Código de la Niñez y la Adolescencia Nr. 17823, online abrufbar unter: https://www.oas.org/dil/esp/Codigo_Ninez_Adolescencia_Uruguay.pdf, letzter Abruf 20. 12. 2018) in Art. 25, 9, 15 H) das Recht auf Identität als ein grundlegendes Kinderrecht. 2 J. Kokott, Das interamerikanische System, S. 11. 3 Corte Constitucional de Colombia, Urt. v. 23. 10. 1995, T-477/1995. Demnach ist „die persönliche Identität ein Recht auf umfassende Bedeutungsgebung, das weitere Rechte umfasst und eine Gesamtheit von Eigenschaften und Merkmalen sowohl biologischer Art als auch persönlichkeitsbezogene, die die Individualisierung des Subjekts in der Gesellschaft ermöglichen, voraussetzen“. 4 Tribunal Constitucional, Urt. v. 25. 7. 2005, 4444 – 2005-PHC/TC.

I. Stellungnahme des interamerikanischen juristischen Komitees

35

I. Stellungnahme des interamerikanischen juristischen Komitees Beachtenswert im Kontext mit dem Recht auf Identität ist zunächst die Arbeit des juristischen Komitees der OAS. Die Aufgaben und Funktionen des Komitees sind nach Artikel 99 der Charta der OAS als beratendes Organ in juristischen Fragen zu fungieren, die Entwicklung und Kodifikation des internationalen Rechts zu fördern sowie die Auseinandersetzung mit juristischen Problemen im Zusammenhang mit der Integration von Entwicklungsländern. Art. 100 der Charta der OAS sieht vor, dass das interamerikanische juristische Komitee Untersuchungen und Vorarbeiten entweder nach Beauftragung durch die Generalversammlung, dem Treffen der Außenminister oder des Rates der Organisation (Art. 100 S. 1 Charta der OAS) oder auf eigene Veranlassung durchführt, sofern das Komitee dies für ratsam hält (Art. 100 S. 2 Charta der OAS). Die Stellungnahme zum Recht auf Identität wurde von der Vorsitzenden des Ständigen Rates in Auftrag gegeben.

1. Die Rechtsnatur des Rechts auf Identität Kern der Untersuchung des juristischen Komitees bildet die Rechtsnatur des Rechts auf Identität. Das juristische Komitee grenzt seine Untersuchung insoweit ein, als dass es seine Überlegungen auf die rechtlichen Aspekte von Identität einschränkt.5 Im Zentrum der Stellungnahme steht die Frage, ob es sich bei dem Recht auf Identität um ein eigenständiges Recht oder ein anderen Freiheiten dienendes Recht handelt. Im Ergebnis legt sich das Komitee nicht auf eine der beiden Alternativen fest. Vielmehr geht es von einer doppelten Rechtsnatur als eigenständiges Recht und als der Ausübung anderer kultureller, wirtschaftlicher, politischer und sozialer Rechte dienendes Recht aus.6 In seiner Ausprägung als eigenständiges Recht solle das Recht auf Identität der Spezifität des Individuums mit einzigartigen Rechten gerecht werden und sei nicht anderen Rechten untergeordnet.7 Das Recht auf Identität knüpft also an den besonderen Status des Menschen aufgrund seines Menschseins an und soll das Individuum gerade in seiner Individualität schützen. Für die dienende Ausprägung des Rechts auf Identität zieht das Komitee eine Verbindung zur Demokratie. Da das Recht auf Identität der Ausübung bestimmter 5 Jahresbericht des interamerikanischen juristischen Komitees an die Generalversammlung 2007, CJI/doc.286/07, S. 28. 6 Jahresbericht des interamerikanischen juristischen Komitees an die Generalversammlung 2007, CJI/doc.286/07, S. 29. 7 Jahresbericht des interamerikanischen juristischen Komitees an die Generalversammlung 2007, CJI/doc.286/07, S. 30.

36

C. Das Recht auf Identität

und in der Stellungnahme nicht näher erläuterter, kultureller, wirtschaftlicher, politischer und sozialer Rechte sowie Bürgerrechte diene, (unter)stütze das Recht auf Identität die Demokratie und die Ausübung von Grundrechten.8 Das Recht auf Identität sei als ein Mittel der Ausübung von Rechten innerhalb der demokratischen Gesellschaft zu verstehen.9 Es fördere die effektive Ausübung von Bürgerrechten.10 Dabei ermögliche es soziale Teilhabe, Bürgerbeteiligung und Chancengleichheit.11 Der Entzug der eigenen Identität führe dementsprechend dazu, dass Personen ihre Grundrechte nicht mehr ausüben könnten.12 Auch wenn der genaue Zusammenhang zwischen dem Recht auf Identität und der Ausübung weiterer Rechte in der Stellungnahme nicht vollends deutlich wird, so klingt doch an, dass das Recht auf die eigene Identität Voraussetzung für die staatliche Anerkennung der Existenz des Individuums ist, die wiederum die Ausübung von Grundrechten, auch solcher mit demokratischem Bezug, ermöglicht. Das Komitee räumt dem Recht auf Identität einen hohen Stellenwert ein, indem es dieses als wesensgleich mit der Menschenwürde und daher unabdingbar sowie erga omnes durchsetzbar ansieht.13 Das Recht auf Identität sei ein wesentliches und grundlegendes Menschenrecht.14

2. Die Elemente des Rechts auf Identität Als eindeutig identifizierbare Kernelemente des Rechts auf Identität nennt das Komitee das Recht auf einen Namen, das Recht auf Staatsangehörigkeit und das Recht auf familiäre Beziehungen15, welche in Art. 7 Abs. 1 und 8 Abs. 1 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes (KRK) aufgelistet sind. Das Komitee

8

Jahresbericht des interamerikanischen juristischen Komitees an die Generalversammlung 2007, CJI/doc.286/07, S. 30. 9 Jahresbericht des interamerikanischen juristischen Komitees an die Generalversammlung 2007, CJI/doc.286/07, S. 30. 10 Jahresbericht des interamerikanischen juristischen Komitees an die Generalversammlung 2007, CJI/doc.286/07, S. 30. 11 Jahresbericht des interamerikanischen juristischen Komitees an die Generalversammlung 2007, CJI/doc.286/07, S. 30. 12 Jahresbericht des interamerikanischen juristischen Komitees an die Generalversammlung 2007, CJI/doc.286/07, S. 30. 13 Jahresbericht des interamerikanischen juristischen Komitees an die Generalversammlung 2007, CJI/doc.286/07, S. 29 f. 14 Jahresbericht des interamerikanischen juristischen Komitees an die Generalversammlung 2007, CJI/doc.286/07, S. 30. 15 Jahresbericht des interamerikanischen juristischen Komitees an die Generalversammlung 2007, CJI/doc.286/07, S. 30.

I. Stellungnahme des interamerikanischen juristischen Komitees

37

betont aber, dass die Aufzählung der Rechte aus Art. 8 KRK nicht abschließend zu verstehen seien.16 Art. 7 KRK enthält eine Reihe von im Zusammenhang stehenden17 Rechten. Dazu zählen das Recht des Kindes, unverzüglich nach seiner Geburt in ein Register eingetragen zu werden18, das Recht auf einen Namen sowie das Recht auf Staatsangehörigkeit. Zudem verbürgt Art. 7 Abs. 1 KRK das Recht des Kindes auf Kenntnis der Eltern und elterliche Betreuung, die aber unter einem Möglichkeitsvorbehalt steht. Art. 7 Abs. 2 KRK verpflichtet die Vertragsstaaten zur Verwirklichung der in Art. 7 Abs. 1 KRK genannten Rechte vor allem, wenn das Kind andernfalls staatenlos wäre. Art. 8 KRK ist eng mit Art. 7 KRK verbunden und hat darüber hinaus inhaltliche Überschneidungen mit Art. 9 KRK (Trennung des Kindes von den Eltern) und 18 KRK (Erziehungsrecht durch die Eltern). Art. 8 Abs. 1 KRK enthält die Verpflichtung der Vertragsstaaten, die Rechte des Kindes, insbesondere das Recht auf Erhalt ihrer Identität, zu achten (sogenannte Achtungspflicht19). Eine Definition des Identitätsbegriffs enthält die KRK nicht20, zählt aber die Staatsangehörigkeit, den Namen und die gesetzlich anerkannten Familienbeziehungen des Kindes als Elemente von Identität auf. Aufgrund der Formulierung „including“, was in die deutsche Rechtssprache wohl als „insbesondere“ übersetzt würde, seien die aufgezählten Elemente nicht abschließend für den Identitätsbegriff.21 Art. 8 KRK bezwecke einen umfassenden Schutz des rechtlichen Status des Kindes.22 Daher seien die Subsumtion weiterer Elemente unter Art. 8 KRK, wie beispielweise die sexuelle oder religiöse Identität des Kindes, denkbar.23 Art. 8 Abs. 2 KRK enthält einen Schutz vor rechtswidrigen Eingriffen in die Identität des Kindes. Zu Eingriffen in diesem Sinne zählen Handlungen und Unterlassungen Dritter, die Verletzungen gegen das Recht eines Staates oder gegen das Völkerrecht darstellen.24 In einem solchen Fall sind die Vertragsstaaten nach Art. 8 Abs. 2 KRK verpflichtet, die Identität des Kindes schnellstmöglich wiederherzu-

16

Jahresbericht des interamerikanischen juristischen Komitees an die Generalversammlung 2007, CJI/doc.286/07, S. 29; so auch G. Van Bueren, S. 119. 17 S. Detrick, S. 143. 18 Dies entspricht Art. 24 Abs. 2 IPbpR, der die unverzügliche Eintragung eines Kindes nach der Geburt und die Vergabe eines Namens vorsieht. 19 S. Schmahl, Art. 7/8 KRK, Rn. 11. 20 So auch D. Hodgson, IJLF 1993, S. 255 (265); S. Schmahl, Art. 7/8 KRK, Rn. 11; G. Van Bueren, S. 119. 21 S. Detrick, S. 163; D. Hodgson, IJLF 1993, S. 255 (265). 22 Vgl. S. Detrick, S. 162 f. 23 D. Hodgson, IJLF 1993, S. 255 (265). 24 G. Van Bueren, S. 119.

38

C. Das Recht auf Identität

stellen. In diesem Sinne umfasst Art. 8 KRK auch das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung in Gestalt eines Zugangsrechts zu staatlichen Adoptionsakten.25

3. Identität und Identifizierung Das Komitee verwendet die Begriffe des „right to identity“, also das Recht auf Identität und „right to identify“26, also einem Recht auf Identifizierung. Ob mit dieser sprachlichen Differenzierung auch inhaltlich ein Unterschied gemacht werden soll, stellt das Komitee nicht klar. Es führt aus, dass es sich bei dem Recht auf Identifizierung um ein präexistierendes Recht, welches unauflöslich mit dem Recht auf Menschenwürde verbunden sei, handle.27 Ob dieses „präexistierende Recht“ im Sinne von Naturrecht zu verstehen ist, bleibt in der Stellungnahme unklar. Die Identifizierung ist jedenfalls Vorbedingung für die Ausübung des Rechts auf Identität. Wie das Recht auf Identität werde das Recht auf Identifizierung nicht erst durch das Recht auf einen Namen, das Recht auf Staatsangehörigkeit oder das Recht auf familiäre Beziehungen gebildet, sondern ergebe sich direkt aus der Würde des Menschen.28 Mit der Ausübung des Rechts auf Identifizierung seien untrennbar die staatliche Registrierung der Person sowie ein effektives, zugängliches und allgemeines System der staatlichen Registrierung inklusive der Ausstellung von identitätsbeweisenden Dokumenten verbunden.29 Es liegt sachlich nahe, von einem Recht auf Identifizierung im Zusammenhang mit dem staatlichen Personenstandswesen auszugehen. In seiner Stellungnahme verbindet das Komitee das staatliche Personenstandwesen jedoch nicht nur mit dem Recht auf Identifizierung, sondern auch mit dem Recht auf Identität. In diesem Zusammenhang führt es aus, dass aus dem Recht auf Identität ein Recht auf eine staatliche Registrierung nach der Geburt folge.30 Diese Registrierung sei Ausgangspunkt für die Ausübung der Rechte einer Person vor dem Staat und anderen Personen sowie dafür, als Person im juristischen Sinne auch im Sinne der Gleichbehandlung vor dem Gesetz wahrgenommen zu werden.31 Diese Ausfüh25

G. Van Bueren, S. 120 f. Jahresbericht des interamerikanischen lung 2007, CJI/doc.286/07, S. 29. 27 Jahresbericht des interamerikanischen lung 2007, CJI/doc.286/07, S. 29. 28 Jahresbericht des interamerikanischen lung 2007, CJI/doc.286/07, S. 29. 29 Jahresbericht des interamerikanischen lung 2007, CJI/doc.286/07, S. 29. 30 Jahresbericht des interamerikanischen lung 2007, CJI/doc.286/07, S. 29. 31 Jahresbericht des interamerikanischen lung 2007, CJI/doc.286/07, S. 29, 30. 26

juristischen Komitees an die Generalversammjuristischen Komitees an die Generalversammjuristischen Komitees an die Generalversammjuristischen Komitees an die Generalversammjuristischen Komitees an die Generalversammjuristischen Komitees an die Generalversamm-

I. Stellungnahme des interamerikanischen juristischen Komitees

39

rungen des Komitees legen nahe, dass zwischen dem Recht auf Identität und dem Recht auf Identifizierung hinsichtlich der Schutzbereiche keine wesentlichen Unterschiede bestehen. Gesamthaft ergibt sich folgendes Bild: Der Einzelne hat ein Recht auf Identifizierung, welches durch das staatliche Personenstandswesen sichergestellt wird, sich direkt aus der Menschenwürde ergibt und in einem engen Zusammenhang mit dem Recht auf Identität steht. Gleichwohl ist die Identifizierung Vorbedingung für die Ausübung des Rechts auf Identität.

4. Kinderrechte als Ansatzpunkt Bezüglich der zeitlichen Dimension macht das Komitee deutlich, dass der Ursprung des Rechts auf Identität zwar in der KRK liegt, dieses Recht jedoch auch über das Kindesalter hinaus einen Menschen durch sein ganzes Leben begleite.32 Dies ist nur konsequent, zumal das Recht auf Identität nach Ansicht der OAS Ausfluss der Menschenwürde ist und die Schutzwirkung der Menschenwürde keineswegs mit Abschluss des Kindesalters endet. Dennoch hätte der Rückgriff auf die Kinderrechte klarer begründet werden können. Er rührt wohl daher, dass die mit dem Recht auf Identität verbundenen Fälle das Verschwindenlassen von Kindern zum Gegenstand haben.

5. Abweichende Meinung Zu dieser Stellungnahme des juristischen Komitees wurde eine abweichende Meinung des Mitglieds Pérez abgegeben. Pérez erachtet die Ausführungen zum Recht auf Identität als zu umfangreich und sieht die Büchse der Pandora geöffnet.33 Das Komitee hätte sich strikt auf eine Analyse des Umfangs des Rechts auf Identität beschränken sollen.34 Pérez zweifelt an der Rechtsgrundlage und an der Notwendigkeit der Schaffung eines ungeschriebenen Rechts auf Identität. Es gäbe kein überzeugendes Argument für die Existenz eines generalisierten Rechts auf Identität.35 Der Wortlaut des Art. 8 KRK biete keine ausreichende Grundlage für die Ableitung eines generalisierten Rechts auf Identität.36 Zudem 32

Jahresbericht des interamerikanischen lung 2007, CJI/doc.286/07, S. 29. 33 Jahresbericht des interamerikanischen lung 2007, CJI/doc.286/07, S. 26. 34 Jahresbericht des interamerikanischen lung 2007, CJI/doc.286/07, S. 26. 35 Jahresbericht des interamerikanischen lung 2007, CJI/doc.286/07, S. 25. 36 Jahresbericht des interamerikanischen lung 2007, CJI/doc.286/07, S. 25.

juristischen Komitees an die Generalversammjuristischen Komitees an die Generalversammjuristischen Komitees an die Generalversammjuristischen Komitees an die Generalversammjuristischen Komitees an die Generalversamm-

40

C. Das Recht auf Identität

enthielten eine Reihe weiterer Regelungswerke identitätsschützende Rechte. Hierzu nennt Pérez Art. 6 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (right to recognition), Art. 16 und Art. 24 IPbpR, die American Decalaration of the Rights and Duties of Man und die AMRK.37

6. Fazit In der Tat fehlt es in der Stellungnahme an einer substantiierten Auseinandersetzung mit der rechtlichen Regelungslücke, die durch das ungeschriebene Recht auf Identität geschlossen werden soll. Dennoch liefert die Stellungnahme Anhaltspunkte für Rechte, die im Zusammenhang mit der individuellen Identität stehen. Es nennt die Existenz des Individuums für den Staat zu Recht als Grundlage der Ausübung weiterer Rechte und enthält mit dem Namen, der Staatsangehörigkeit, der Kenntnis der Identität der Eltern und dem Recht auf familiäre Beziehungen eine ganze Reihe identitätsschützender Rechte. Zutreffend beschreibt das Komitee das Recht auf Identität als ein Recht, das den Vorgang der personenstandsrechtlichen Registrierung ebenso betrifft wie Bereiche der individuellen Identität im Sinne der Persönlichkeitsentfaltung.

II. Das Recht auf Identität und die personenstandsrechtliche Registrierung Die im Jahr 2007 veröffentlichten „Preliminary Thoughts on Universal Civil Registry and the Right to Identity“ des Ständigen Rates der Organisation Amerikanischer Staaten und des Komitees für juristische und politische Angelegenheiten beschäftigen sich mit dem Zusammenhang des Rechts auf Identität und der personenstandsrechtlichen Registrierung.38 Die Ausführungen betonen vor allem die Bedeutung der personenstandsrechtlichen Registrierung für die Ausübung des Rechts auf Identität. Sie entstanden vor dem Hintergrund, dass ein größerer Teil der Bevölkerung lateinamerikanischer Staaten nicht personenstandsrechtlich erfasst ist und eine Unterregistrierung herrscht. Die „Preliminary Thoughts on Universal Civil Registry and the Right to Identity“ sind Teil des interamerikanischen Programms für eine universelle Personenstandsregis-

37

Jahresbericht des interamerikanischen juristischen Komitees an die Generalversammlung 2007, CJI/doc.286/07, S. 26. 38 Preliminary thoughts on universal civil registry and the right to identity, CP/CAJP-2482/ 07 vom 16. 4. 2007.

II. Das Recht auf Identität

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trierung in den amerikanischen Staaten39 und müssen auch vor diesem Hintergrund verstanden werden. Das Recht auf Identität beinhalte vor dem Hintergrund staatlicher Registrierung eine Pflicht des Staates, das Recht auf Registrierung nach der Geburt, das Recht auf einen Namen, das Recht auf Staatsangehörigkeit und das Recht, vor dem Gesetz als Person anerkannt zu werden, zu wahren.40 Dem stehe spiegelbildlich das Recht des Individuums auf eine staatliche Registrierung gegenüber.41 Das Recht auf Identität diene in diesem Kontext als ein wesentlicher und struktureller Teil der Entwicklung einer einheitlichen Personenregistrierung.42 Die staatliche Registrierung der Person ermögliche erst den Genuss der individuellen Identität und gebe dem Staat die Möglichkeit, die Person anzuerkennen und ihre subjektiven Rechte zu schützen.43 Insofern decken sich die Aussagen aus den „Preliminary Thoughts on Universal Civil Registry and the Right to Identity“ mit der Stellungnahme des juristischen Komitees. Beispielhaft für diese subjektiven Rechte werden unter den Bürgerrechten das Wahlrecht, das Recht auf Gleichheit und das Recht auf Familie genannt.44 Für kulturelle Rechte werden das Recht auf Gesundheit und das Recht auf Bildung aufgeführt.45 Die Registrierung des Individuums sei Ausgangspunkt auch für die Erfüllung staatlicher Schutzpflichten.46 Auch die weiteren Ausführungen zu den rechtlichen Grundlagen des Rechts auf Identität decken sich. In den „Preliminary Thoughts on Universal Civil Registry and the Right to Identity“ wird abweichend von der Stellungnahme des juristischen Komitees näher auf das Recht auf Staatsangehörigkeit und das Recht auf einen Namen eingegangen. Das Recht auf Staatsangehörigkeit bilde die Verbindung zwischen der einzelnen Person und dem Staat und ermögliche die Ausübung solcher Rechte, die an die Staatsangehörigkeit gebunden sind sowie aller politischen Rechte.47 Darüber hinaus ermögliche die Staatsangehörigkeit einer Person die Ausübung einer kulturellen und 39 Zum Programm siehe Protokoll der 38. Sitzung der Generalversammlung Amerikanischer Staaten vom 1.–3. Juni 2008, AG/RES 2362 (XXXVIII-O/08), S. 35 – 46. 40 Preliminary thoughts on universal civil registry and the right to identity, CP/CAJP-2482/ 07, S. 5. 41 Preliminary thoughts on universal civil registry and the right to identity, CP/CAJP-2482/ 07, S. 5. 42 Preliminary thoughts on universal civil registry and the right to identity, CP/CAJP-2482/ 07, S. 1. 43 Preliminary thoughts on universal civil registry and the right to identity, CP/CAJP-2482/ 07, S. 2. 44 Preliminary thoughts on universal civil registry and the right to identity, CP/CAJP-2482/ 07, S. 3. 45 Preliminary thoughts on universal civil registry and the right to identity, CP/CAJP-2482/ 07, S. 3. 46 Preliminary thoughts on universal civil registry and the right to identity, CP/CAJP-2482/ 07, S. 2. 47 Preliminary thoughts on universal civil registry and the right to identity, CP/CAJP-2482/ 07, S. 4.

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C. Das Recht auf Identität

sozialen Identität.48 Das Recht auf einen Namen gestatte der einzelnen Person überhaupt eine rechtliche Existenz und ermögliche die Ausübung anderer – nicht weiter bezeichneter – Rechte.49 Zudem erlaube das Recht auf einen Namen die Unterscheidung von Personen, sei Ausdruck von Abstammung und definiere die einzelne Person.50 In den Ausführungen wird neben dem Zusammenhang von Identität und staatlicher Registrierung näher auf das dem Recht auf Identität zugrundeliegende Verständnis von Identität eingegangen. Dabei wird Identität als Voraussetzung zur Entwicklung psychologischer, sozialer und kultureller Bindungen sowie menschlicher Gruppen wie Familie, Gesellschaft und einer Nation verstanden.51 Identität ermögliche dem Einzelnen, seinen Platz in diesen Gruppen zu finden.52 Umfasst ist demnach eine individuelle Identität, die zu einer Bindung an ein Kollektiv befähigt. Identität habe sich in historischer Hinsicht durch die Angaben von Namen und Nachnamen, Geburtsort, Kultur und Religion verwirklicht53 und sei eine dem Individuum innewohnende Notwendigkeit.54

III. Beschluss der Generalversammlung der OAS In ihrer 37. Sitzung ordnete die Generalversammlung die Bildung einer Arbeitsgruppe, bestehend aus dem Ständigen Rat und dem Komitee für juristische und politische Angelegenheiten, zur Vorbereitung eines Programms zur universellen Personenstandserfassung und dem Recht auf Identität, an.55 Der dieser Anordnung zugrundeliegende Beschluss enthält keine über die Ausführungen aus der Stellungnahme des juristischen Komitees oder den „Preliminary Thoughts on Universal Civil Registry and the Right to Identity“ hinausgehenden Erkenntnisse zum Recht auf Identität. 48

Preliminary thoughts on universal civil registry and the right to identity, CP/CAJP-2482/ 07, S. 4. 49 Preliminary thoughts on universal civil registry and the right to identity, CP/CAJP-2482/ 07, S. 4. 50 Preliminary thoughts on universal civil registry and the right to identity, CP/CAJP-2482/ 07, S. 5. 51 Preliminary thoughts on universal civil registry and the right to identity, CP/CAJP-2482/ 07, S. 2. 52 Preliminary thoughts on universal civil registry and the right to identity, CP/CAJP-2482/ 07, S. 2. 53 Preliminary thoughts on universal civil registry and the right to identity, CP/CAJP-2482/ 07, S. 2. 54 Preliminary thoughts on universal civil registry and the right to identity, CP/CAJP-2482/ 07, S. 2. 55 General Assembly Organisation of American States, Proceedings Volume I, AG/ RES. 2286 (XXXVII-O/07), S. 97.

IV. Urteile des IAGMR

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IV. Urteile des IAGMR Wichtig für die Entwicklung des Rechts auf Identität ist die Arbeit des IAGMR. Der IAGMR nahm seine Arbeit nach längeren Vorarbeiten56 im Jahre 1979 auf der Grundlage der AMRK, die 1978 in Kraft trat, sowie der Charta der OAS, die 1951 in Kraft trat, auf.57 Der IAGMR ist neben der interamerikanischen Kommission für Menschenrechte für die Durchsetzung und den Schutz der Menschenrechte in den Vertragsstaaten zuständig.58 Der Gerichtshof hat die Anwendung und Auslegung der AMRK zur Aufgabe und hat im Laufe der Zeit seinen Beitrag zur Stärkung der Menschenrechte in Amerika geleistet59.

1. Die wesentlichen Grundzüge des Verfahrensrechts der Individualbeschwerde Die für das Recht auf Identität einschlägigen Verfahren sind als Individualbeschwerde zum IAGMR getragen worden. Parteifähig und antragsbefugt vor dem IAGMR sind im Verfahren der Individualbeschwerde gemäß Art. 61 Abs. 1 AMRK nur die Vertragsstaaten der AMRK und die interamerikanische Kommission (im Folgenden Kommission); nicht jedoch der Beschwerdeführer selbst60. Daraus ergibt sich in Fällen von Individualbetroffenheit ein zweistufiges Verfahren. Einzelne natürliche Personen, Personenvereinigungen und nichtstaatliche Organisationen (Art. 44 AMRK) müssen Rechtsverletzungen im Verfahren der Individualbeschwerde zunächst bei der interamerikanischen Kommission für Menschenrechte einreichen.61 Die Kommission ist gemäß Art. 41 AMRK neben dem IAGMR für die Durchsetzung der Menschenrechte innerhalb der OAS zuständig und besteht gemäß Art. 34 AMRK aus sieben Mitgliedern höchster moralischer Autorität und mit ausgewiesener Expertise im Bereich der Menschenrechte. Die Mitglieder werden durch die Generalversammlung auf der Grundlage von Listen der Mitgliedstaaten (Art. 36 Abs. 1 AMRK) für die Dauer von vier Jahren (Art. 37 Abs. 1 AMRK) gewählt. Eine Wiederwahl ist einmalig möglich (Art. 37 Abs. 1 AMRK). Im Rahmen einer Individualbeschwerde prüft die Kommission vor allem die Zulässigkeit der Beschwerde62, wobei keine strikte Trennung zwischen Zulässigkeit

56

Zur Entstehungsgeschichte des IAGMR K. Seifert, S. 67 ff. J. Kokott, Das interamerikanische System, S. 1, 10, 117. 58 M. Herz, S. 25. 59 K. Oellers-Frahm, in: Hasse/Müller/Schneider, S. 385. 60 W. Heinz, in: Janz/Risse, S. 81 (92); Th. M. Antkowiak, in: Moeckli/Shah/Sivakumaran, S. 425 (432). 61 K. Seifert, S. 73. 62 K. Oellers-Frahm, in: Hasse/Müller/Schneider, S. 385 (387). 57

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C. Das Recht auf Identität

und Begründetheit stattfindet.63 Dabei steht das Recht einer Verfahrenseinleitung bei der Kommission nicht nur dem Opfer oder dessen Angehörigen, sondern jedermann zu, der die Verletzung von Menschenrechten geltend macht (Art. 44 AMRK). Insofern ist die Individualbeschwerde Popularklage. Dies ist aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes notwendig, da der IAGMR häufig über Fälle verschwundener Personen entscheidet, denen eine eigene Klageerhebung nicht möglich ist.64 Für eine Behandlung der Beschwerde durch die Kommission bedarf es einer Erklärung des betroffenen Mitgliedstaates der OAS, in der der Staat die Kompetenz der Kommission anerkennt (Art. 45 Abs. 1 AMRK). An die Entscheidung der Kommission schließt sich ein schriftliches Verfahren zwischen dem angeschuldigten Staat, der Kommission und dem Beschwerdeführer an65, in dem auch auf eine außergerichtliche Streitbeilegung hingewirkt wird (Art. 49 AMRK). Für den Fall, dass es zu keiner Beilegung des Streits kommt, fertigt die Kommission einen Bericht über den Fall an, der den beteiligten Staaten übermittelt wird (Art. 50 Abs. 1, 2 AMRK). Sowohl der betroffene Staat als auch die Kommission kann den Fall sodann vor den IAGMR bringen (Art. 61 AMRK). Der IAGMR prüft sodann, ob eine Verletzung individueller Rechte vorliegt. Der IAGMR hat seinen Sitz in San José in Costa Rica und besteht aus sieben Richtern, die jeweils Juristen mit höchster moralischer Autorität und anerkannter Kompetenz im Bereich der Menschenrechte sein müssen (Art. 52 Abs. 1 AMRK). Dabei müssen die Richter Staatsangehörige der Mitgliedstaaten der OAS sein (Art. 52 Abs. 1 AMRK) und es dürfen keine zwei Richter mit derselben Staatsangehörigkeit am IAGMR vertreten sein (Art. 52 Abs. 2 AMRK). Die Wahl der Richter erfolgt in einem rollierenden System durch die Generalversammlung der OAS. Die Amtszeit beträgt sechs Jahre und eine Wiederwahl ist nur einmalig zulässig (Art. 54 Abs. 1 S. 1 AMRK). Im Rahmen der Individualbeschwerde können Verletzungen der durch die Konvention garantierten Rechte durch einen Unterzeichnerstaat der AMRK geltend gemacht werden. Der IAGMR entscheidet über das Vorliegen einer Verletzung individueller Rechte seitens des Staates und bestimmt im Falle einer Rechtsverletzung die Entschädigung zugunsten des Opfers/der Opfer. Der Gerichtshof kann zudem die vorhergegangene Entscheidung der Kommission überprüfen.66 Die Entscheidung des IAGMR ist für den betroffenen Staat bindend. In dringenden Fällen ist im Wege eines Eilrechtsschutzes auch die Vornahme vorläufiger Maßnahmen seitens des IAGMR zur Abwendung von irreparablen Nachteilen möglich (Art. 63 Abs. 2 AMRK). Der Beitritt eines Staates zur AMRK begründet nicht die Gerichtsbarkeit des IAGMR. Art. 62 Abs. 1 AMRK sieht vor, dass sie Staaten der OAS eine Erklärung 63 64 65 66

J. Kokott, Das interamerikanische System, S. 63. Vgl. K. Oellers-Frahm, in: Hasse/Müller/Schneider, S. 385 (397). J. Kokott, Das interamerikanische System, S. 78. K. Oellers-Frahm, in: Hasse/Müller/Schneider, S. 385 (396).

IV. Urteile des IAGMR

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angeben müssen, mit der sie sich der Rechtsprechung des IAGMR unterwerfen. Die Erklärung kann ohne weitere Bedingungen, aber auch unter der Bedingung der Gegenseitigkeit, für einen bestimmten Zeitraum oder nur für bestimmte Fälle (Art. 62 Abs. 2 AMRK) abgegeben werden. Neben den bindenden Entscheidungen im Einzelfall kann der IAGMR im Wege von beratenden Gutachten tätig werden.67 Der IAGMR hatte bislang im besonderen Maße unter anderem über Fälle zu Freiheitsentziehungen und dem Verschwinden von Personen zu entscheiden,68 so auch in seinen zwei wichtigsten Entscheidungen zum Recht auf Identität.

2. Der Fall Gelman Das Gelman-Urteil69 des IAGMR ist das Urteil, in dem der Gerichtshof sich am ausführlichsten mit dem Recht auf Identität befasst. Es ist in zeitlicher Hinsicht jedoch nicht der Ursprung der Überlegungen zu einem Recht auf Identität auf Ebene der OAS.70 Die „Preliminary Thoughts on Universal Civil Registry and the Right to Identity“ und die Stellungnahme des interamerikanischen juristischen Komitees aus dem Jahr 2007 gingen dem Gelman-Urteil voran. a) Sachverhalt und Verfahrensgang Folgender Sachverhalt liegt dem Urteil zugrunde. María Claudia García Iruretagoyena de Gelman (im Folgenden María Gelman) wurde 1976 aus ihrer Haft in Argentinien zwangsweise in ein illegales Foltergefängnis nach Uruguay verbracht. Diese zwangsweise Verbringung war Teil des Plan „Cóndor“ der „Operation Condor“, einer Zusammenarbeit der südamerikanischen Militärregimes in den 1970er und 1980er Jahren.71 Zu diesem Zeitpunkt war María Gelman schwanger und brachte in einem Geheimgefängnis in Montevideo in Uruguay ihre Tochter María Macarena Gelman García Iruretagoyena (im Folgenden María Macarena Gelman) zur Welt. Der Vater des Kindes, Juan Gelman, war zuvor ebenfalls inhaftiert worden. Kurz nach der Geburt, vermutlich 1 – 2 Monate72 danach, wurde María Macarena Gelman ihrer Mutter zwangsweise und gewaltsam weggenommen. In einem Korb wurde María Macarena Gelman auf die Türschwelle der Familie des uruguayischen Poli67 Hierzu K. Oellers-Frahm, in: Hasse/Müller/Schneider, S. 385 (412 ff.); J. M. Pasqualucci, S. 11, 37 ff. 68 K. Oellers-Frahm, in: Hasse/Müller/Schneider, S. 385. 69 IAGMR, Urt. v. 24. 2. 2011, Series C No. 221 – Gelman vs. Uruguay, EuGRZ 2012, S. 702 ff.; zum Urteil in spanischer Sprache A. Peralta, in: Fried/Lessa, S. 203 – 215. 70 So aber wohl P. Tiedemann, in: ders., Right to Identity, S. 7. 71 Näher hierzu K. Theurer, EuGRZ 2012, S. 682 f. 72 IAGMR, Urt. v. 24. 2. 2011, Series C No. 221 – Gelman vs. Uruguay, Rn. 85, 88.

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C. Das Recht auf Identität

zisten Ángel Julián Tauriño in Montevideo gelegt.73 Dem Korb lag eine Notiz bei, die besagte, dass das Kind am 1. 11. 1976 geboren worden sei und ihre Mutter sich nicht um sie kümmern könne.74 Àngel Julián Tauriño und seine Ehefrau Vivián Tauriño behielten das Kind bei sich und registrierten es als ihre leibliche Tochter, die später auf den Namen María Macarena Tauriño Vivian getauft wurde. María Macarena Gelman wurde demnach unter falscher Identität von dem uruguayischen Paar aufgezogen. María Gelman ist seitdem verschwunden. Erst der Großvater von María Macarena Gelman, der argentinische Dichter und Journalist Juan Gelman, machte nach eigenen Recherchen seine Enkeltochter in Uruguay ausfindig.75 Zu diesem Zeitpunkt war María Macarena Gelman 23 Jahre alt. Ein genetischer Test im Jahre 2000 belegte die Abstammung von María Macarena Gelman von der Gelman-Familie.76 Nach der gerichtlichen Nichtigkeitserklärung ihrer Geburtsurkunde ließ María Macarena Gelman ihren Namen in allen standesamtlichen Eintragungen ändern.77 Die interamerikanische Kommission für Menschenrechte reichte den Fall am 21. 1. 2010 beim IAGMR ein. Im Jahre 2007 hatte die Kommission den Fall angenommen und im Jahre 2008 die Republik Uruguay aufgefordert, die ihr vorgeworfenen Verletzungen der AMRK abzuhelfen. Im Verfahren vor dem IAGMR beantragte die Kommission die Feststellung diverser Konventionsverletzungen78, darunter zu Lasten von María Macarena Gelman Verletzungen des Rechts auf Anerkennung der Rechtsfähigkeit (Art. 3 AMRK), des Namensrechts (Art. 18 AMRK), des Rechts auf Familie (Art. 17 AMRK) und des Rechts auf Staatsangehörigkeit (Art. 20 AMRK).

b) Die Herleitung des Rechts auf Identität In dem Verfahren vor dem IAGMR galten als Opfer María Macarena Gelman, ihre leibliche Mutter María Gelman und ihr Großvater Juan Gelman. Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf die seitens des Gerichtshofs festgestellten Rechtsverletzungen zu Lasten von María Macarena Gelman, zumal nur hinsichtlich ihrer Person Aussagen zum Recht auf Identität Eingang in das Urteil gefunden haben. Der Aufarbeitung des Sachverhalts wird im Urteil eine wesentliche Bedeutung eingeräumt, wohingegen die rechtliche Würdigung vergleichsweise knapp ausfällt. Ob dies an der Komplexität des Falles oder dem Befund, dass im interamerikanischen 73 IAGMR, Urt. v. 24. 2. 2011, Series C No. 221 – Gelman vs. Uruguay, Rn. 106; zu dieser Entwicklung in Argentinien insgesamt G. Van Bueren, S. 119. 74 IAGMR, Urt. v. 24. 2. 2011, Series C No. 221 – Gelman vs. Uruguay, Rn. 106. 75 IAGMR, Urt. v. 24. 2. 2011, Series C No. 221 – Gelman vs. Uruguay, Rn. 35. 76 IAGMR, Urt. v. 24. 2. 2011, Series C No. 221 – Gelman vs. Uruguay, Rn. 114. 77 IAGMR, Urt. v. 24. 2. 2011, Series C No. 221 – Gelman vs. Uruguay, Rn. 115 f. 78 Eine detaillierte Auflistung auch der nicht identitätsrelevanten Rechte bietet der auszugsweise Abdruck der Entscheidung in EuGRZ 2012, S. 702 f.

IV. Urteile des IAGMR

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Menschenrechtsschutz Rechtsnormen eine geringere Rolle spielen als im europäischen Menschenrechtsschutz79, liegt, kann hier dahinstehen. Bei der rechtlichen Bewertung des Sachverhalts prüft der Gerichtshof zunächst Verletzungen der persönlichen Integrität von María Macarena Gelman durch die Umstände ihrer Geburt und ihrer ersten Lebenswochen. Die Kenntnis über die Umstände des Todes ihres Vaters, die Verletzung der Kenntnis über die eigene Abstammung sowie die mangelnde Aufklärung bezüglich des Verbleibens ihrer Mutter haben laut Feststellung des Gerichtshofs zu einer Verletzung der mentalen Integrität von María Macarena Gelman in Form von Frustration, Hilflosigkeit und Angst geführt.80 Einen Bezug der Integritätsverletzung zur Identität von María Macarena Gelman stellt der IAGMR jedoch nicht her. Der Gerichtshof stellt fest, dass María Macarena Gelman durch das Aufwachsen unter falscher Identität und der zwangsweisen Trennung von ihrer leiblichen Familie in ihren Rechten aus Art. 3 (Recht auf Anerkennung der Rechtsfähigkeit), 17 (Recht auf Familie und Rechte der Familie), 18 (Namensrecht) und 20 (Recht auf Staatsangehörigkeit) AMRK verletzt sei. Diese Rechte sind als Teil des Rechts auf Identität zu verstehen. Zudem leitet der Gerichtshof das Recht auf Identität aus dem „corpus iuris der Kinderrechte“ und Art. 7, 8, 9, 11, 16 und 18 KRK ab.81 Der Gerichtshof räumt ein, dass es sich um ein ungeschriebenes Recht handle, das vor allem aus Art. 8 KRK abgeleitet werden könne.82 Dieser stellt die Identität des Kindes, die demnach aus Staatsangehörigkeit, Name und familiäre Beziehungen besteht, unter Schutz. In Abs. 2 der Norm wird klargestellt, dass von staatlicher Seite angemessene Unterstützung und Schutz in Fällen von illegalem Identitätsentzug geleistet werden soll. Das ungeschriebene Recht auf Identität sei begrifflich weiter zu fassen als der Inhalt von Art. 8 KRK.83 Was genau das „Mehr“ des Rechts auf Identität gegenüber Art. 8 KRK ausmacht, bleibt offen. Der Gerichtshof betont als Elemente des Rechts auf Identität das Recht auf eine Staatsangehörigkeit, das Recht auf einen Namen und das Recht auf familiäre Beziehungen. Der Gerichtshof versteht Identität als Bündel von Attributen und Eigenschaften, die eine individuelle Entwicklung der Person in der Gesellschaft erlauben.84 Dies umfasse je nach Einzelfall und Rechtssubjekt auch eine Reihe anderer Rechte85, die das Gericht nicht näher benennt. Nach der Herleitung eines Rechts auf Identität

79 80 81 82 83 84 85

J. Kokott, Das interamerikanische System, S. 2. IAGMR, Urt. v. 24. 2. 2011, Series C No. 221 – Gelman vs. Uruguay, Rn. 118. IAGMR, Urt. v. 24. 2. 2011, Series C No. 221 – Gelman vs. Uruguay, Rn. 122. IAGMR, Urt. v. 24. 2. 2011, Series C No. 221 – Gelman vs. Uruguay, Rn. 122. IAGMR, Urt. v. 24. 2. 2011, Series C No. 221 – Gelman vs. Uruguay, Rn. 122. IAGMR, Urt. v. 24. 2. 2011, Series C No. 221 – Gelman vs. Uruguay, Rn. 122. IAGMR, Urt. v. 24. 2. 2011, Series C No. 221 – Gelman vs. Uruguay, Rn. 122.

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C. Das Recht auf Identität

vermochte der Gerichtshof im Fall Gelman keine Verletzung des Rechts auf Identität als solchem festzustellen.86 c) Abweichende Meinung des Richters E. Vio Grossi Dem Urteil ist eine abweichende Meinung des Richters Vio Grossi beigefügt. Darin äußert sich Vio Grossi unter anderem zum Schutzumfang des Rechts auf Identität, welches dieser vor allem auf die AMRK stützt. Dabei geht Vio Grossi davon aus, dass sich der Schutzumfang des Rechts auf Identität nicht in den durch die AMRK verbürgten Rechte erschöpfe, sondern auch weitere Rechte umfasse.87 So sei der Schutzumfang weiter als die Summe des Rechts auf Familie, einen Namen, eine Staatsangehörigkeit und die Rechte des Kindes aus der AMRK.88 Welche Elemente nach dieser Auffassung noch zum Recht auf Identität zählen, wird nicht benannt. Vio Grossi betont weiter, dass die zuständigen Organe der OAS oder die Vertragsstaaten der AMRK ausgehend von Gelman-Urteil ein Recht auf Identität in die AMRK aufnehmen und weiterentwickeln könnten. Eine solche Aufnahme in die AMRK würde dem IAGMR bei der Auslegung des Rechts auf Identität sowie der Bestimmung dessen Schutzumfangs helfen. d) Fazit Das Gericht geht nicht näher auf die Rechtsnatur und den Schutzumfang des Rechts auf Identität ein, weshalb die Konturen dieses Rechts unscharf bleiben.89 Übersehen werden darf aber nicht, dass es sich bei dem Urteil um eine Entscheidung im Einzelfall handelt. So zeigt das Urteil entsprechend seines urteilsimmanenten Einzelfallcharakters nur einen Ausschnitt des Rechts auf Identität, der sich entsprechend des dem Urteil zugrundeliegenden Sachverhalts in erster Linie auf Fragen der Abstammung und der familiären Beziehungen richtet. An der Gelman-Entscheidung ist wie bei den Arbeiten der anderen Organe der OAS zu kritisieren, dass die Voraussetzungen für Anerkennung eines ungeschriebenen Rechts nicht näher geprüft worden zu sein scheinen.90 Nichtsdestotrotz verdeutlichen die Ausführungen im Gelman-Urteil den Zusammenhang zwischen der individuellen Identität und den familiären Beziehungen sowie der Kenntnis der Abstammung. Auch wird durch die Annahme des Gerichtshofs, dass das Recht auf Identität nicht so sehr ein vollkommendes Konstrukt, 86

IAGMR, Urt. v. 24. 2. 2011, Series C No. 221 – Gelman vs. Uruguay, Rn. 312. Abw. Meinung E. Vio Grossi, S. 4 88 Abw. Meinung E. Vio Grossi, S. 4 89 So auch P. Tiedemann, in: ders., Right to Identity, S. 12. 90 So auch P. Tiedemann, in: ders., Right to Identity, S. 12, 28; Z. Tu in: Tiedemann, Right to Identity, S. 113. 87

IV. Urteile des IAGMR

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sondern vielmehr ein Bündel an Rechten ist, deutlich, dass ein rechtlicher Schutz individueller Identität vom Schutzbereich her umfangreich zu sein hat, um möglichst viele Facetten der Identität abzudecken.

3. Der Fall Serrano Cruz91 Auch der Fall Serrano Cruz hat die Gefangennahme, Entführung und das zwangsweise Verschwinden von Menschen zum Gegenstand. Entführt wurden in diesem Fall Ernestina und Erlinda Serrano Cruz im Alter von sieben und drei Jahren im Juni 1982 durch Soldaten der Armee von El Salvador im Rahmen der militärischen Operation „Operación Limpieza“ während des Krieges in El Salvador. Durch militärische Operationen während des Krieges wurden hunderte Kinder seitens der Armee ihren Familien weggenommen und zur Adoption im In- und Ausland freigegeben.92 Insgesamt sind 721 Fälle von verschwundenen Kindern während des Krieges in El Salvador bekannt.93 Während einer Aktion der „Operación Limpieza“ versuchte die Familie Serrano Cruz sich in Sicherheit zu bringen. Dabei wurden die Familienmitglieder getrennt, sodass sich die beiden Kinder Ernestina und Erlinda Serrano Cruz getrennt vom Rest der Familie zusammen in einem Versteck befanden. Ernestina und Erlinda Serrano Cruz wurden von einer Militärpatrouille entdeckt und mit einem Helikopter des Militärs zu einem Ort namens „La Sierpe“ in der Stadt Chalatenango in El Salvador gebracht. Im Jahre 1993 reichte die leibliche Mutter der beiden Kinder, María Victoria Cruz Franco, am Amtsgericht Chalatenango Klage wegen des Verschwindens ihrer Töchter ein. Daran anschließend reichte María Victoria Cruz Franco 1995 einen Antrag vor dem Obersten Gerichtshof El Salvadors ein, welcher zurückgewiesen wurde. Sodann stellte der IAGMR in seinem Urteil aus dem Jahr 2005 Rechtsverletzungen zu Lasten der engsten Angehörigen von Ernestina und Erlinda Serrano Cruz fest. a) Festgestellte Rechtsverletzungen seitens des IAGMR Der IAGMR prüft nicht ausdrücklich eine Verletzung des Rechts auf Identität. Vielmehr werden mehrere Verletzungen prozessualer Rechte (Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 8 Abs. 1 AMRK und Recht auf gerichtlichen Schutz aus Art. 25 AMRK) festgestellt. 91 IAGMR, Urt. v. 1. 3. 2005, Series C No. 120 – Case of the Serrano-Cruz Sisters v. El Salvador. 92 M. Feria Tinta, S. 6. 93 M. Feria Tinta, S. 173.

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C. Das Recht auf Identität

Im Hinblick auf die Angehörigen von Ernestina und Erlinda Serrano Cruz stellt das Gericht eine Verletzung von Art. 5 AMRK, welcher das Recht der Person auf körperliche, geistige und moralische Integrität schützt und Folter und unmenschliche Bestrafung verbietet, fest. Das Gericht sieht Art. 5 AMRK zu Lasten der nächsten Angehörigen von Ernestina und Erlinda Serrano Cruz dadurch verletzt, dass der Verbleib der Schwestern nicht geklärt wurde. Diese Unklarheit führte bei den nächsten Angehörigen zu einem familiären Zerfall, Unsicherheit, Frustration, Angst und Ohnmacht.94 Ein Identitätsbezug wird nicht deutlich herausgearbeitet. Über die identitätsbezogenen und vor Gericht vorgebrachten Verletzungen des Rechts auf Familie aus Art. 17 AMRK, des Rechts auf einen Namen aus Art. 18 AMRK und die Rechte des Kindes aus Art. 19 AMRK entschied das Gericht ausdrücklich nicht, da diese Verletzungen vor der Anerkennung der Rechtsprechung des IAGMR durch den Staat El Salvador liegen.95 Nach Art. 62 AMRK muss der Mitgliedstaat der OAS die Rechtsprechung des Gerichts ausdrücklich anerkennen beziehungsweise sich ihrer unterwerfen. Möglich ist eine generelle Anerkennung der Rechtsprechung und eine spezielle Anerkennung im Einzelfall. b) Abweichende Meinungen hinsichtlich des Rechts auf Identität Zu dem Urteil existieren mehrere abweichende Meinungen. Hinsichtlich des Rechts auf Identität ist zum einen die abweichende Meinung des Richters Cançado Trinidade relevant. Cançado Trinidade weist darauf hin, dass eine Prüfung der Verletzung des Rechts auf Identität von Ernestina und Erlinda Serrano Cruz hätte stattfinden müssen, um so die Rechtsprechung auf diesem Gebiet weiterzuentwickeln.96 Er sieht den Hinweis des Gerichtshofs auf die fehlende Anerkennung der Rechtsprechung durch den Staat El Salvador als nicht zutreffend an, zumal die Rechtsverletzung fortbestehe97 und inzwischen eine Anerkennung der Rechtsprechung erfolgt ist. Das Recht auf Identität setze das Recht auf Kenntnis persönlicher und familiärer Information voraus und sei Voraussetzung für eine Beziehung des Individuums zur Gesellschaft, des individuellen Verständnisses der Umwelt und des Verständnisses des eigenen Platzes hierin.98 Cançado Trinidade hebt die kulturelle, soziale, familiäre, psychologische und geistige Bedeutung99 des Rechts auf Identität hervor, ohne im Einzelnen ausführlich auf diese Aspekte einzugehen. Ohne Identität 94 IAGMR, Urt. v. 1. 3. 2005, Series C No. 120 – Case of the Serrano-Cruz Sisters v. El Salvador, Rn. 112. 95 IAGMR, Urt. v. 1. 3. 2005, Series C No. 120 – Case of the Serrano-Cruz Sisters v. El Salvador, Rn. 125. 96 Abw. Meinung A. A. Cançado Trinidade, Rn. 13. 97 Abw. Meinung A. A. Cançado Trinidade, Rn. 43. 98 Abw. Meinung A. A. Cançado Trinidade, Rn. 14. 99 Abw. Meinung A. A. Cançado Trinidade, Rn. 14.

IV. Urteile des IAGMR

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sei die Person nicht denkbar.100 Es sei gerade Wesensmerkmal der Person, dass ihr oberster Zweck in ihr selbst liege und sie diesen Zweck in ihrem Leben in eigener Verantwortung realisiere.101 Genau hierfür sei der Schutz des Rechts auf Identität Notwendigkeit.102 Als Elemente des Rechts auf Identität nennt Cançado Trinidade für den Fall Serrano Cruz das Recht auf einen Namen nach Art. 18 AMRK und die Rechte der Familie nach Art. 17 AMRK.103 Die Rechtsgrundlage des Rechts auf Identität könne aber in jedem Einzelfall anders zusammengesetzt sein.104 Auch die abweichende Meinung des Richters Ventura Robles enthält Überlegungen zum Recht auf Identität. Er hält eine Verletzung des Rechts auf Identität zu Lasten von Ernestina und Erlinda Serrano Cruz für logisch, zumal deren Recht auf einen Namen (Art. 18 AMRK) und das Recht auf Familie (Art. 17 AMRK) verletzt worden und Familie sowie Name konstitutiv für die Identität seien.105 Das Problem der fehlenden Anerkennung der Rechtsprechung des IAGMR durch den Staat El Salvador löst Ventura Robles durch die Annahme, dass Erlinda und Ernestina Serrano Cruz zum Zeitpunkt der Urteilsfindung noch leben und mit ihrer leiblichen Familie wiedervereint werden könnten.106 Er bezeichnet das Recht auf Identität als ein komplexes Recht mit dynamischen und die Person einzigartig machenden Aspekten.107 Ventura Robles stellt klar, dass das Recht auf Identität eine Person ihr Leben lang begleite und ein kontinuierlichen Prozess mit einer Vielheit von Elementen sei.108 Zu diesen Elementen zählten kulturelle, historische, religiöse, ideologische, politische, berufliche, familiäre und soziale Aspekte sowie statischere Elemente wie Name, Staatsangehörigkeit und körperliche Eigenschaften.109 Ventura Robles sieht Art. 3 (Recht auf Anerkennung der Rechtsfähigkeit), Art. 4 (Recht auf Leben), Art. 5 (Recht auf einen menschenwürdigen Umgang), Art. 11 (Recht auf Privatheit), Art. 12 (Gewissens- und Religionsfreiheit), Art. 13 (Meinungsfreiheit), Art. 17 (Recht auf Familie und Rechte der Familie), Art. 18 (Recht auf einen Namen), Art. 19 (Rechte des Kindes) und Art. 20 (Recht auf Staatsangehörigkeit) AMRK als Rechtsgrundlagen des Rechts auf Identität, wobei die Verletzung des Rechts auf Identität immer einzelfallbezogen zu beurteilen sei.110 Eine Begründung des genauen Zusammenhangs dieser Rechte mit der individuellen Identität unterbleibt. 100 101 102 103 104 105 106 107 108 109 110

Abw. Meinung A. A. Cançado Trinidade, Rn. 15. Abw. Meinung A. A. Cançado Trinidade, Rn. 15. Abw. Meinung A. A. Cançado Trinidade, Rn. 15. Abw. Meinung A. A. Cançado Trinidade, Rn. 20 ff. Abw. Meinung A. A. Cançado Trinidade, Rn. 20 ff. Abw. Meinung M. E. Ventura Robles, Rn. 5. Abw. Meinung M. E. Ventura Robles, Rn. 4. Abw. Meinung M. E. Ventura Robles, Rn. 132. Abw. Meinung M. E. Ventura Robles, Rn. 132. Abw. Meinung M. E. Ventura Robles, Rn. 132. Abw. Meinung M. E. Ventura Robles, Rn. 133.

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C. Das Recht auf Identität

c) Fazit Im Urteil selbst fehlt es, bedingt durch die fehlende Anerkennung der Rechtsprechung des IAGMR durch den Staat El Salvador, an substantiellen Ausführungen zum Recht auf Identität. Die beiden abweichenden Meinungen zum Urteil Serrano Cruz nennen ungeachtet der Frage des zeitlichen Anwendungsbereichs eine ganze Reihe von Ansatzpunkten für einen rechtlichen Schutz individueller Identität. So wird wieder die Bedeutung der Kenntnis der eigenen Abstammung und der familiären Beziehungen betont. Darüber hinaus wird aber gerade in der abweichenden Meinung von Cançado Trinidade verdeutlicht, dass Identität mit der Orientierung des Einzelnen in seiner Umwelt und seinem Platz in der Gesellschaft zusammenhängt. Auch stellt Cançado Trinidade die Identität des Individuums in dessen eigene Verantwortung. Die Ausführungen von Ventura Robles deuten Komplexität, Dynamik und einen prozesshaften Charakter von Identität an. Zudem wird eine ganze Reihe an möglichen Elementen individueller Identität genannt (kulturelle, historische, religiöse, ideologische, politische, berufliche, familiäre und soziale Aspekte sowie Name, Staatsangehörigkeit und Körperlichkeit). Ventura Robles nennt zudem viele Ansatzpunkten für die rechtliche Einkleidung dieser Elemente von Identität. Darunter sind auch die in den sonstigen Arbeiten der OAS zum Recht auf Identität nicht angesprochenen Rechte auf Privatheit, Gewissens- und Religionsfreiheit und Meinungsfreiheit.

4. Der Fall vertriebener Dominikaner und Haitianer111 und der Fall Yean- und Bosico-Kinder gegen die Dominikanische Republik112 Der IAGMR entschied zwei weitere Fälle gegen die Dominikanische Republik, die Recht auf Identität betreffen. In beiden Urteilen fallen die Ausführungen zum Recht auf Identität aber sehr kurz aus und liefern gegenüber den bereits genannten Arbeiten der OAS nur einige wenige neue Erkenntnisse. Der Fall vertriebener Dominikaner und Haitianer betrifft 24113 Einzelpersonen. Die Kommission machte in dem Verfahren geltend, dass die Dominikanische Republik für willkürliche Verhaftungen und eine massenhafte Vertreibung von Haitianern und Dominikanern haitianischer Herkunft mit permanentem Aufenthalt in 111 IAGMR, Urt. v. 28. 8. 2014, Series C. No. 282 – Case of expelled Dominicans and Haitians vs. Dominican Republic. 112 IAGMR, Urt. v. 8. 9. 2005, Series C. No. 130 – Case of The Yean and Bosico Children vs. Dominican Republic. 113 IAGMR, Urt. v. 28. 8. 2014, Series C. No. 282 – Case of expelled Dominicans and Haitians vs. Dominican Republic, Rn. 78.

IV. Urteile des IAGMR

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der Dominikanischen Republik verantwortlich sei. Der IAGMR leitet – wie im Fall Gelman – das Recht auf Identität aus Art. 3, 17, 18 und 20 AMRK ab114 und verweist für alle weiteren Ausführungen auf das Gelman-Urteil, die o.g. Stellungnahme der Generalversammlung der OAS und die o.g. Stellungnahme des interamerikanischen juristischen Komitees der OAS. Das Gericht stellt sachverhaltsbedingt den Zusammenhang zwischen der Anerkennung der Nationalität einer natürlichen Person und dem Recht auf Identität besonders heraus.115 Der IAGMR hält fest, dass das Recht auf Identität dadurch verletzt wurde, dass die Ausweispapiere einiger Betroffener seitens dominikanischer Offizieller zerstört wurden und anderen Betroffenen vor ihrer Abschiebung keine Gelegenheit zum Vorzeigen ihrer Ausweisdokumente gegeben wurde.116 Die Verweigerung einer Identifikationsmöglichkeit kann mithin auch eine Verletzung des Rechts auf Identität darstellen. Ebenso als Verletzung des Rechts auf Identität kann die Tatsache angesehen werden, dass einer natürlichen Person niemals ein ihre Nationalität beweisendes Dokument bereitgestellt wird. Hier wird explizit die Beweisfunktion von Ausweispapieren angesprochen. Ein weiterer Fall mit Identitätsbezug ist der Fall der Yean- und Bosico-Kinder gegen die Dominikanische Republik. Den beiden Minderjährigen Dilcia Yean und Violeta Bosico wurde das Ausstellen von Geburtsurkunden seitens der Dominikanischen Republik im Wege einer späten und nicht direkt nach der Geburt stattfindenden Registrierung aufgrund ihrer haitianischen Herkunft117 verweigert. In der Folge erhielten sie keine Schulausbildung, weil der Besuch einer Schule in der Dominikanischen Republik ohne Geburtsurkunde nicht möglich ist.118 Zudem konnten sie ihre Staatsangehörigkeit nicht nachweisen119 und waren für den Zeitraum von vier Jahren, bis zu einer durch die Kommission erwirkten Ausstellung von Geburtsurkunden, staatenlos. Der Gerichtshof stellte Verletzungen des Rechts auf Anerkennung der Rechtsfähigkeit (Art. 3 AMRK), des Namensrechts (Art. 18 AMRK), des Rechts auf gleichen Schutz (Art. 24 AMRK), des Rechts auf eine Staatsangehörigkeit (Art. 24 AMRK), der Rechte des Kindes (Art. 19 AMRK) sowie der Verpflichtung des Staates, diese Rechte zu wahren (Art. 1 AMRK), fest.120 114 IAGMR, Urt. v. 28. 8. 2014, Series C. No. 282 – Case of expelled Dominicans and Haitians vs. Dominican Republic, Rn. 265 – 268, 276. 115 IAGMR, Urt. v. 28. 8. 2014, Series C. No. 282 – Case of expelled Dominicans and Haitians vs. Dominican Republic, insb. Rn. 273. 116 IAGMR, Urt. v. 28. 8. 2014, Series C. No. 282 – Case of expelled Dominicans and Haitians vs. Dominican Republic, Rn. 273, 276. 117 IAGMR, Urt. v. 8. 9. 2005, Series C. No. 130 – Case of The Yean and Bosico Children vs. Dominican Republic, Rn. 170. 118 IAGMR, Urt. v. 8. 9. 2005, Series C. No. 130 – Case of The Yean and Bosico Children vs. Dominican Republic, Rn. 5. 119 Zum Problem mangelnder Staatsangehörigkeit bei Kindern P. Rodrigues/J. Stein, in: Liefaard/Sloth-Nielsen, S. 390 – 413. 120 IAGMR, Urt. v. 8. 9. 2005, Series C. No. 130 – Case of The Yean and Bosico Children vs. Dominican Republic, Rn. 136 ff.; 260.

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C. Das Recht auf Identität

Die Kommission hat in dem Verfahren auf die Beziehung zwischen der rechtlichen Identität des Individuums und der Garantie von Grundrechten hingewiesen. Dabei leitet die Kommission das Recht auf Identität aus der Menschenwürde ab121, ohne näher auf den Schutzumfang und die Elemente des Rechts auf Identität einzugehen. Damit wird in beiden Urteilen die Bedeutung der Beweisfunktion von Ausweispapieren für die individuelle Identität und der Zusammenhang zwischen der rechtlichen Identität und der Ausübung von (politischen) Grundrechten sowie weiteren Rechten angedeutet. Zudem wird der Zusammenhang von Identität und Herkunft angedeutet.

V. Fazit zum Kapitel C. Dem von den Organen der OAS entwickelten und untersuchten Recht auf Identität liegt kein umfassendes Konzept zugrunde. Dennoch können den Arbeiten der OAS für den weiteren Verlauf der Untersuchung einige Ansatzpunkte abgewonnen werden. In den Arbeiten der OAS wird häufig die Doppelnatur des Rechts auf Identität als dienendes und eigenständiges Recht zugleich hervorgehoben. Der rechtliche Schutz von Identität bildet demnach die Basis für die Inanspruchnahme weiterer Grundrechte und schützt die Identität per se. Was genau unter den Identitätsschutz im Sinne des eigenständigen Rechts auf Identität fällt, wird nicht abschließend dargestellt. In keiner der Arbeiten der OAS wird umfassend auf das dem Recht auf Identität zugrundeliegende Identitätsverständnis eingegangen. Das Identitätsverständnis wird eher nur angerissen, als „Bündel von Attributen und Eigenschaften, die eine individuelle Entwicklung der Person in der Gesellschaft erlauben“122, als Voraussetzung zur Entwicklung psychologischer, sozialer und kultureller Bindungen sowie zu menschlichen Gruppen wie Familie, Gesellschaft und einer Nation123 sowie als Voraussetzung zum Finden des eigenen Platzes in einer Gruppe124. Zudem werden die Dynamik und der Prozesscharakter von Identität und der Bezug zu aber auch kulturellen, historischen, religiösen, ideologischen, politischen, familiären, sozialen und beruflichen Aspekten in der abweichenden Meinung des Richters Ventura Robles angesprochen.125 121 IAGMR, Urt. v. 28. 8. 2014, Series C. No. 282 – Case of expelled Dominicans and Haitians vs. Dominican Republic, Rn. 113 b. 122 IAGMR, Urt. v. 24. 2. 2011, Series C No. 221 – Gelman vs. Uruguay, Rn. 122. 123 Preliminary thoughts on universal civil registry and the right to identity, CP/CAJP-2482/ 07, S. 2. 124 Preliminary thoughts on universal civil registry and the right to identity, CP/CAJP-2482/ 07, S. 2. 125 Abw. Meinung M. E Ventura Robles, Rn. 132.

V. Fazit zum Kapitel C.

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Was den rechtlichen Schutz dieser nicht näher definierten Identität betrifft, liefern die Arbeiten der OAS einige nicht abschließend zu verstehende Elemente. Diese sind der Name, die Staatsangehörigkeit, familiäre Beziehungen, die Kenntnis der Abstammung beziehungsweise Identität der Eltern, die physische und psychische Integrität der Person aber auch der rechtliche Schutz der Meinungs-, Gewissens- und Religionsfreiheit, des Lebens, der Menschenwürde und der Privatheit. Neben dieser im weitesten Sinne persönlichkeitsrechtlichen Komponente des rechtlichen Schutzes der Identität wird in den Arbeiten die Verknüpfung von Identität mit dem Personenstandswesen und der personenstandsrechtlichen Registrierung hervorgehoben. Dies betrifft den Schutz der rechtlichen126 Identität des Individuums. Dass sich das Recht auf Identität nicht in seiner Bedeutung als eigenständiges Recht erschöpft, sondern auch eine dienende Komponente hat, liegt sicherlich an dem Hintergrund, vor dem das Recht auf Identität seitens der OAS entwickelt wurde. Die dem Gelman- und Serrano-Cruz Urteil zugrundeliegenden Sachverhalte handeln von militärisch erzwungenem Verschwinden von Menschen und sind eng mit der politischen Vergangenheit einiger südamerikanischer Staaten verbunden. Vor diesem historischen Hintergrund entstand Art. 8 Abs. 2 KRK. Der Vorschlag zu dieser Norm stammt aus Argentinien und entstand vor dem Eindruck der Kindesverschleppungen in den 1970er und 1980er Jahren127, die der IAGMR in den Fällen Gelman und Serrano-Cruz rechtlich zu beurteilen hatte. Der durch das Recht auf Identität vermittelte Identitätsschutz setzt gewissermaßen vor der freien Entfaltung des Individuums an und ist Vorbedingung für den persönlichkeitsrechtlichen Schutz des Rechts auf Identität. In einem ersten Schritt des Identitätsschutzes geht es um die schiere Möglichkeit, die eigene Identität zu kennen, nachweisen und die mit der Identität verbundenen Rechte wahrnehmen zu können. In diesem Sinne macht die rechtliche Identität das Individuum überhaupt erst (rechtlich) sichtbar für den Staat und lässt es zu einem Träger von Rechten und Pflichten werden.128 Diese Anerkennung rechtlicher Identität ist in erster Linie über die staatliche Personenstandsregistrierung und Ausweispapiere gewährleistet.

126

So auch D. Hodgson, IJLF 1993, S. 255, der von „the child’s right to a legal identity“ spricht. 127 UN Doc. E/CN.4/1985/64, Annex II, S. 1; S. Detrick, S. 159; D. Hodgson, IJLF 1993, S. 255 (264); G. Van Bueren, S. 118 f. 128 G. Van Bueren, S. 117.

D. Regelungsrahmen und Funktionen des Personenstandsrechts Bevor auf die individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut eingegangen wird (E.), soll an dieser Stelle eine kurze Einführung zum rechtlichen Regelungsrahmen des einfachen Personenstandsrechts und den personenstandsrechtlichen Eintragungen erfolgen. Die Ausführungen zum Recht auf Identität der OAS haben gezeigt, dass das Personenstandsrecht Anknüpfungspunkt der rechtlichen Identität der Person sein und auch darüber hinaus Identitätsrelevanz besitzen könnte. Auch ist auf die Funktionen des Personenstandsrechts einzugehen. Diese sind als Erwägungen im Rahmen von gesetzgeberischen Änderungen des Personenstandsrechts in die Betrachtung einzubeziehen.

I. Der rechtliche Regelungsrahmen des Personenstandsrechts und föderale Abgrenzung Die Regelungen des Personenstandsrechts finden sich nicht in einem zentralen Regelungswerk, sondern verteilt im Personenstandsgesetz (PStG), in der auf der Ermächtigungsgrundlage des § 73 PStG beruhenden Personenstandsverordnung (PStV) und der auf Art. 84 Abs. 2 GG beruhenden Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Personenstandsgesetz (PStG-VwV). Das PStG regelt die Grundlagen des Personenstandsrechts, wohingegen die PStV das PStG mit hohem Detailgrad konkretisiert. Die PStG-VwV enthält Erläuterungen, die die einheitliche Durchführung des PStG sicherstellen sollen und die allgemeine Verkehrsauffassung abbildet.1 Als Verwaltungsvorschrift entfaltet die PStG-VwV keine Bindungswirkung nach außen, sondern hat Verbindlichkeit nur innerhalb der Verwaltung.2 Da Kernanliegen dieser Arbeit eine verfassungsrechtliche Bewertung der Rechtswirkungen ausgewählter Bereiche des Personenstandsrechts auf das Individuum sind, beziehen sich die weiteren Ausführungen in erster Linie auf das PStG und an gegebener Stelle auf die PStV. Neben dem Bund sind auch die Länder personenstandsrechtlich involviert. Da die Länder das Personenstandsrecht als eigene Angelegenheit nach Art. 83 GG ausführen, haben sie auch die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren nach Art. 84 Abs. 1 S. 1 GG zu regeln. Dies haben einige Länder in ihren Ausfüh1 2

M. Berkl, A. II. Rn. 10. M. Berkl, A. II. Rn. 10; kritisch dazu B. Schaffarzik, DÖV 2009, S. 899 (901 f.).

II. Der Personenstand, die Personenstandsregister

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rungsvorschriften zum PStG durch förmliche Gesetze3 getan. Daneben besteht eine ganze Reihe landesrechtlicher Verordnungen zur Durchführung des PStG.4 Die landesrechtlichen Regelungen zum Personenstandsrecht beziehen sich entsprechend Art. 84 Abs. 1 S. 1 GG nur auf die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren. Sie befassen sich nicht mit den personenstandsrechtlichen Ordnungsmerkmalen, schaffen insbesondere keine neuen personenstandsrechtlichen Kategorien und regeln auch nicht die Zulässigkeit von Eintragungen in die Personenstandsregister. Dies hat der Bund mit seiner personenstandsrechtlichen Gesetzgebung im Wege der konkurrierenden Gesetzgebung nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 2 GG getan, zumal ohne bundeseinheitliche Regelung die Gefahr erheblicher Rechtsunsicherheit und Probleme im länderübergreifenden Rechtsverkehr bestünden.5 Auch die sich auf das Personenstandsrecht auswirkenden familienrechtlichen Fragen hat der Bund im Wege der konkurrierenden Gesetzgebung nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 GG durch das bürgerliche Recht, insbesondere im BGB, geregelt. Gegenstand der Arbeit ist daher das Personenstandsrecht des Bundes, aus dem sich die personenstandsrechtlichen Ordnungsmerkmale ergeben.

II. Der Personenstand, die Personenstandsregister und die vorzunehmenden Eintragungen nach personenstandsrechtlichen Ordnungsmerkmalen Die Definition des Personenstands ergibt sich aus dem PStG. Nach § 1 Abs. 1 PStG ist der Personenstand die sich aus den Merkmalen des Familienrechts ergebende Rechtsstellung der Person. Das PStG nimmt also explizit Bezug auf das Familienrecht und stellt klar, dass sich die Rechtsstellung der Person aus dem Familienrecht und nicht aus dem PStG selbst ergibt (sogenannte Spiegelfunktion des Personenstandsrechts6). Erfasst sind Rechtsstellungen der Person, die durch Geburt oder Rechtsakt7 begründet und durch Tod, Scheidung oder sonstige Rechtsakte, die familienrechtliche Verhältnisse beenden, beendet werden. 3 AGPStG Baden-Württemberg, AGPStG Bayern, AG-PStG Brandenburg, BremAGPStG, HAG PStG für Hessen, LPStAG M-V für Mecklenburg-Vorpommern, PSTG-AG-LSA für Sachsen-Anhalt, SächsAGPStG für Sachsen und ThürAGPStG für Thüringen. Keine förmlichen Gesetze erlassen haben: Berlin, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein, die aber jeweils Verordnungen zur Ausführung beziehungsweise Durchführung des PStG erlassen haben. Das Saarland hat ein Personenstandszuständigkeitsgesetz (PersStaZustG) erlassen. 4 Übersicht bei M. Berkl, S. 3. 5 BT-Drs. 16/1831, S. 39. 6 Siehe dazu unter D. III. 8. 7 Dazu zählen die Eheschließung, die Lebenspartnerschaftsbegründung, die Adoption, eine Feststellung der Vaterschaft nach § 1600d BGB oder auch eine Vaterschaftsanerkennung nach §§ 1594 ff. BGB.

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D. Regelungsrahmen und Funktionen des Personenstandsrechts

Der Personenstand umfasst nach heutiger Rechtslage gemäß § 1 S. 1 PStG Daten über Geburt, Eheschließung, Begründung einer Lebenspartnerschaft und Tod sowie die damit in Verbindung stehenden familien- und namensrechtlichen Tatsachen.8 Personenstandsrechtliche Ordnungsmerkmale sind demnach allgemein der Vorund Familienname, Angaben zur Abstammung, Angaben zu Beginn und Ende der Rechtsfähigkeit, das Geschlecht und der Familienstand.9 Diese Angaben werden in den Personenstandsregistern eingetragen. Die personenstandsrechtlichen Register sind das Eheregister, das Lebenspartnerschaftsregister, das Geburtenregister und das Sterberegister, § 3 Abs. 1 S. 1 PStG. In den vier Personenstandsregistern werden eingetragen: - Vor- und Geburts- beziehungsweise Familienname der den Eintrag treffenden Person (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 PStG für das Eheregister, § 15 Abs. 1 Nr. 2 PStG i. V. m. § 17 S. 1 PStG für das Lebenspartnerschaftsregister, § 21 Abs. 1 Nr. 1 PStG für das Geburtenregister und § 31 Abs. 1 Nr. 1 für das Sterberegister), - Vornamen und Familiennamen der Eltern (§ 21 Abs. 1 Nr. 4 für das Geburtenregister), - die nach der Eheschließung geführten Vor- und Familiennamen der Ehegatten (§ 15 Abs. 1 Nr. 3 PStG beziehungsweise der Lebenspartner nach § 15 Abs. 1 Nr. 3 PStG i. V. m. § 17 S. 1 PStG), - Vor- und Familienname des Ehegatten beziehungsweise Lebenspartners oder des letzten Ehegatten beziehungsweise Lebenspartners des Verstorbenen im Sterberegister (§ 31 Abs. 1 Nr. 3 PStG), - Tag und Ort der Personenstandsereignisse (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 PStG für das Eheregister, § 15 Abs. 1 Nr. 1 PStG i. V. m. § 17 S. 1 PStG für das Lebenspartnerschaftsregister, § 21 Abs. 1 Nr. 2 PStG für das Geburtenregister, § 31 Abs. 1 Nr. 4 PStG für das Sterberegister), - das Geburtsdatum und der Geburtsort (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 PStG für das Eheregister, § 15 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 17 S. 1 PStG für das Lebenspartnerschaftsregister, § 31 Abs. 1 Nr. 1 PStG für das Sterberegister), - auf Wunsch die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft, die Körperschaft des öffentlichen Rechts ist (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 PStG für das Eheregister, § 15 Abs. 1 Nr. 2 PStG i. V. m. § 17 S. 1 PStG für das Lebenspartnerschaftsregister, § 21 Abs. 1 Nr. 4 PStG für die Religionszugehörigkeit der Eltern im Geburtenregister, § 31 Abs. 1 Nr. 1 PStG für das Sterberegister),

8

In die Personenstandsregister der Vereinigten Arabischen Emirate beispielsweise werden hingegen nur die Geburt und der Tod der Person eingetragen. Dazu H. Krüger, StAZ 1999, S. 65 (66). 9 M. Berkl, A. III. Rn. 22.

III. Zu den Funktionen der personenstandsrechtlichen Registrierung

59

- der letzte Wohnsitz und der des Verstorbenen im Sterberegister nach § 31 Abs. 1 Nr. 2 PStG und - das Geschlecht (der Ehepartner bei Eintragungen in das Eheregister nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 PStG, der Lebenspartner in das Lebenspartnerschaftsregister nach § 17 PStG i. V. m. § 15 Abs. 1 Nr. 2 PStG, für das Kind im Geburtenregister nach § 21 Abs. 1 Nr. 3 PStG und im Sterberegister nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 PStG).

III. Zu den Funktionen der personenstandsrechtlichen Registrierung Das Bedürfnis nach der Erfassung persönlicher Merkmale des Menschen ist bereits in den biblischen Versen 1 bis 3 des 2. Kapitels des Lukasevangeliums festgehalten.10 Es fragt sich aber, welche Funktionen die personenstandsrechtlichen Eintragungen in die Personenstandsregister heute verfolgen. Dem Personenstandsrecht wird landläufig eine reine Ordnungsfunktion zugeschrieben. So würden neue personenstandrechtliche Kategorien staatliche Ordnungsinteressen konterkarieren.11 Diese allgemeine Ordnungsfunktion gilt es genauer zu beschreiben und um einige Funktionen zu ergänzen.

1. Die Identifizierungs- und Unterscheidungsfunktion Der Erfassung personenstandsrechtlicher Merkmale in den Personenstandsregistern kommt eine Identifizierungsfunktion zu.12 Die Angabe von Vor- und Familiennamen13, der Abstammung, des Geburtsdatums- und Geburtsorts14, des Geschlechts, des Familienstands und gegebenenfalls des Sterbeortes und Sterbedatums ermöglicht die Identifizierung der einzelnen Person unter vielen anderen Personen anhand der personenstandsrechtlichen Merkmale. In diesem Sinne dienen die personenstandsrechtlichen Eintragungen der Identifizierung einer Person durch deren

10

„Es begab sich aber zu der Zeit, daß ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, daß alle Welt geschätzt wurde. Und diese Schätzung war die allererste. Und jedermann ging, daß er sich schätzen ließe, ein jeglicher in eine Stadt“. 11 BGH, Beschl. v. 22. 6. 2016 – XII ZB 52/15, Rn. 27. 12 Ebenso A.-M. Leroyer, in: Azoulai/Barbou des Places/Pataut, S. 275 (281); J. Theile, S. 37, 39. 13 Zur Identifizierungsfunktion des Namens D. Klippel, S. 157 ff. und S. 355 ff.; zum öffentlichen Recht insb. S. 161. 14 Zur eindeutigen und zweifelsfreien Bezeichnung des Geburtsortes OLG Nürnberg, Beschl. v. 8. 11. 2016 – 11 W 594/16 = StAZ 2017, S. 18 – 19.

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D. Regelungsrahmen und Funktionen des Personenstandsrechts

Unterscheidung von anderen Personen und Herstellung einer formalen Unterscheidbarkeit15 im Sinne einer numerischen Identität16. Diese Möglichkeit der Identifizierung des Menschen ist kein Selbstzweck, sondern von großer Bedeutung für den Rechtsverkehr. Möchte eine natürliche Person beispielsweise ihr eingeräumte Rechte gegenüber dem Staat oder gegenüber Privaten geltend machen, so kann nur eine zweifelsfreie Identifizierung der Person sicherstellen, dass die richtige natürliche Person in den Genuss der ihr zustehenden Rechte kommt. Zu denken ist in diesem Zusammenhang an Erbschafts- oder Rentenansprüche.17 Damit dient die Identifizierungsfunktion der Sicherheit des Rechtsverkehrs in personaler Hinsicht.18 Zudem erfüllt die Identifizierungsfunktion ihrerseits eine sicherheits- und gefahrenabwehrrechtliche Aufgabe. Personenstandsrechtliche Merkmale machen die Person identifizier- und unterscheidbar, was beispielsweise den Sicherheitsbehörden die Auffindbarkeit und Identifizierung von Personen ermöglicht. Die Identifizierungsfunktion dient darüber hinaus der Einhaltung der staatlichen Eheordnung. Strafrechtlich verboten ist das Eingehen einer Doppel- oder Vielehe. Doppelehe meint das Eingehen einer Ehe mit zwei Personen (Bigamie) wohingegen die Vielehe das das Eingehen einer Ehe mit mehr als zwei Personen betrifft. Nach § 172 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer verheiratet ist oder eine Lebenspartnerschaft führt und mit einer dritten Person eine Ehe schließt (Nr. 1) oder gemäß § 1 Absatz 1 des Lebenspartnerschaftsgesetzes gegenüber der für die Begründung der Lebenspartnerschaft zuständigen Stelle erklärt, mit einer dritten Person eine Lebenspartnerschaft führen zu wollen (Nr. 2). Ebenso wird bestraft, wer mit einer dritten Person, die verheiratet ist oder eine Lebenspartnerschaft führt, die Ehe schließt oder gemäß § 1 Absatz 1 LPartG gegenüber der für die Begründung der Lebenspartnerschaft zuständigen Stelle erklärt, mit dieser dritten Person eine Lebenspartnerschaft führen zu wollen. Sowohl die Doppel- als auch die Vielehe sind familienrechtlich durch § 1306 BGB verboten und bilden ein Ehehindernis19. Eine Doppel- oder Vielehe kann gerichtlich gemäß § 1314 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 1313 BGB aufgehoben werden. Die Identifizierung von Personen mit Hilfe der Personenstandsregister dient der Durchsetzung der zivilrechtlich und strafrechtlich abgesicherten Eheordnung. Zur Aufrechterhaltung der Identifizierungs- und Unterscheidungsfunktion wiederum ist erforderlich, dass die Erfassung des Personenstands im Personenstands-

15

So schon H. Thomsen, S. 2. Siehe dazu unter B. II. 17 M. Berkl, A. II. Rn. 15. 18 W. Schütz, S. 7, A. Dutta/T. Helms, StAZ 2017, S. 98 (99). 19 Auch der EGMR nimmt die Verhinderung von Bigamie als legitimen Zweck des Personenstandsrechts an: EGMR, Urt. v. 20. 7. 2012 – 38816/07, Dadouch/Malta, S. 5. 16

III. Zu den Funktionen der personenstandsrechtlichen Registrierung

61

register eindeutig20 erfolgt. Zur Wahrung der Eindeutigkeit der Personenstandsregister müssen die personenstandsrechtlichen Kategorien einen eindeutigen Inhalt kennzeichnen.21

2. Die Beweiswirkung der Personenstandsregister Den Personenstandsregistern kommt eine Beweiswirkung zu. Schon das im Rahmen der bismarckschen Zivilstandsgesetzgebung erlassene PStG von 187522 sah nach § 15 vor, dass die damaligen Standesregister23 diejenigen Tatsachen beweisen, zu deren Beurkundung sie bestimmt und welche in ihnen eingetragen sind. Dies galt bis zum Nachweis der Fälschung einer unrichtigen Eintragung. Detaillierte Regelungen zur Berichtigung des Registers enthielt § 65 des PStG von 1875. Auch heute kommt den Beurkundungen24 in den Personenstandsregistern nach § 54 Abs. 1 PStG Beweiskraft zu.25 Das gleiche gilt für Personenstandsurkunden26 gemäß § 54 Abs. 2 PStG. Der Inhalt der Eintragung ist zudem widerlegbar gemäß § 54 Abs. 3 S. 1 PStG. Die Beweiswirkung ist kein Selbstzweck, sondern sichert ihrerseits wiederum die Identifizierungs- und Unterscheidungsfunktion des Personenstandsrechts ab. Die einzelne natürliche Person erhält Unterlagen, namentlich Urkunden, mit denen sie ihren Personenstand, das heißt eine Eheschließung, eine Lebenspartnerschaftsbegründung, eine Geburt oder den Tod und alle weiteren Angaben aus den Personenstandsregistern, beweisen kann.27 Damit diese Beweisfunktion erfüllt wird, müssen personenstandsrechtliche Eintragungen zum einen inhaltlich zutreffend, widerspruchsfrei und eindeutig sowie dauerhaft28 und aktuell sein.

20

A. Dutta/T. Helms, StAZ 2017, S. 98 (100). A. Dutta/T. Helms, StAZ 2017, S. 98 (100); dazu jüngst BGH, Beschl. v. 25. 4. 2018 – XII ZB 155/17= FuR 2018, S. 436 f. 22 Gesetz über die Beurkundung des Personenstands und die Eheschließung vom 6. Februar 1875, RGBl. S. 23. 23 Dies waren das Geburtsregister, das Heiratsregister und das Sterberegister. 24 Die Hinweisteile sind nach § 54 Abs. 1 S. 2 PStG von der Beweiswirkung ausgenommen. 25 A.-M. Leroyer, in: Azoulai/Barbou des Places/Pataut, S. 275 (281); W. Zeyringer, StAZ 1999, S. 193. 26 Dies sind nach § 55 Abs. 1 PStG beglaubigte Registerausdrucke, Eheurkunden, Lebenspartnerschaftsurkunden, Geburtsurkunden, Sterbeurkunden und beglaubigte Abschriften aus der Sammlung der Todeserklärungen. 27 M. Berkl, A. II. Rn. 15; H. Berger, KommJur 2017, S. 169 (170). 28 Dazu A. Dutta/T. Helms, StAZ 2017, S. 98 (101). 21

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D. Regelungsrahmen und Funktionen des Personenstandsrechts

3. Die Sicherung rechtlicher Existenz durch personenstandsrechtliche Anzeigepflichten Verbunden mit der Beweiswirkung ist auch die Sicherung der rechtlichen Existenz der einzelnen natürlichen Person vor dem Staat. Durch die personenstandsrechtliche Registrierung wird eine natürliche Person vor dem Staat rechtlich existent. Dies ist Voraussetzung beispielsweise für die Inanspruchnahme staatlicher Leistungen, aber auch den Genuss weiterer Grundrechte und den damit verbundenen staatlichen Schutzpflichten. Dies entspricht in etwa der dienenden Funktion eines „Rechts auf Identität“, wie es die OAS entwickelte.29 Die rechtliche Existenz wird durch eine ganze Reihe von Anzeigepflichten, die mit der Geburt und dem Tod der natürlichen Person einhergehen, abgesichert. Daneben dienen die Anzeigepflichten dadurch, dass sie die Erfassung von Geburt und Tod der natürlichen Person sicherstellen, auch der statistikrechtlichen sowie steuerund wehrrechtlichen Funktion.30 Für das Geburtenregister sind die Anzeigepflichten bezüglich der Geburt eines Kindes in den §§ 18 – 20 PStG geregelt. § 19 PStG i. V. m. § 18 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 PStG verpflichtet jedes sorgeberechtigte Elternteil und jede andere Person, die bei der Geburt zugegen war oder von der Geburt aus eigenem Wissen unterrichtet ist, zur mündlichen Anzeige der Geburt gegenüber dem Standesamt binnen einer Woche. § 20 S. 1 PStG i. V. m. § 18 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 PStG verpflichtet Krankenhäuser und anderen Geburtshilfeeinrichtungen zur schriftlichen Anzeige der Geburt gegenüber dem Standesamt ebenfalls binnen einer Woche. Gleiches gilt nach § 20 S. 2 PStG für psychiatrische Einrichtungen, Jugendhilfeeinrichtungen und Anstalten, in denen eine Freiheitsstrafe, ein Jugendarrest oder eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung vollzogen wird. Wer ein neugeborenes Kind findet (Findelkind), muss dies nach § 24 Abs. 1 S. 1 PStG spätestens am darauffolgenden Tag der Gemeindebehörde anzeigen. Eine Anzeigepflicht besteht auch bei einer vertraulichen Geburt31, bei der die Mutter des Kindes gemäß § 18 Abs. 2 PStG ihre Identität nicht preisgibt, sondern die Geburt unter einem Pseudonym bestehend aus einem Vor- und Familiennamen (§ 26 Abs. 1 Nr. 1 SchKG) erfolgt. Die Mutter wählt auch einen oder mehrere mögliche Namen für das Kind aus (§ 26 Abs. 1 S. 2 SchKG). Die wahre Identität der Mutter ist nur dem von der Beratungsstelle auszustellenden Herkunftsnachweis (§ 26 Abs. 3 SchKG) zu entnehmen. Dieser wird in einem gegen Öffnung besonders geschützten Umschlag an das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben gesendet. Dort wird er verwahrt und kann vom vertraulich geborenen Kind nach Vollendung des 16. Lebensjahres eingesehen werden (§ 31 SchKG). 29

Siehe dazu unter C. Siehe dazu unter D. III. 4. und 5. 31 Zum Themenkomplex der vertraulichen Geburt siehe U. Busch/C. Krell/A.-K. Will (Hrsg.), passim. 30

III. Zu den Funktionen der personenstandsrechtlichen Registrierung

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Der Deutsche Ethikrat hatte in seiner Stellungnahme zur anonymen Kindesabgabe noch davor gewarnt, dass eine solche anonyme Kindesabgabe nicht mit den Anzeigepflichten des PStG vereinbar sei.32 Nunmehr stellt das PStG die Anzeigepflicht für Fälle einer anonymen Geburt sicher. Die Geburtshilfeeinrichtung oder zur Leistung von Geburtshilfe berechtigte Person, die in der Regel eine Hebamme ist, zeigt dem Standesamt die Geburt unter Hinweis auf die Vertraulichkeit der Geburt und durch Nennung des Pseudonyms der Mutter, der gewünschten Vornamen, dem Geschlecht sowie Datum, Uhrzeit und Ort der Geburt an (§ 18 Abs. 1, 2 PStG i. V. m. § 21 Abs. 1 PStG). Über den Vor- und Familiennamen des Kindes entscheidet die jeweils zuständige Verwaltungsbehörde. Unter diesem Namen wird das Kind sodann in das Geburtenregister eingetragen. Die zuständige Verwaltungsbehörde meldet die Geburt dem Familiengericht nach § 168a Abs. 1 FamFG zwecks Bestellung eines Vormunds und meldet dem Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben den Namen des Kindes und das Pseudonym der Mutter. Diese Fülle an Meldepflichten zeigt das Bemühen des Personenstandsrechts, die Registrierung eines Kindes nach der Geburt sicherzustellen. Die große Bedeutung der Anzeigepflicht der Geburt eines Kindes ergibt sich daraus, dass das Kind durch die Registrierung für den Staat und die staatlichen Behörden überhaupt erst existent wird.33 Die tatsächliche Existenz des Kindes beginnt natürlich weitaus früher im Mutterleib. Auch kommen dem nasciturus Rechte, wie beispielsweise eine mögliche Erbenstellung nach § 1923 Abs. 2 BGB, zu. Im personenstandsrechtlichen Sinne aber beginnt die rechtliche Existenz der Person mit der Geburt und durch die Meldung der Geburt an das Standesamt. Die Registrierung des Kindes ist Ausgangspunkt für die Erfüllung des staatlichen Wächteramts nach Art. 6 Abs. 2 GG.34 Spiegelbildlich zur Geburt ist auch der Tod eines Menschen dem Standesamt gegenüber anzuzeigen. Zur mündlichen Anzeige sind verpflichtet jede Person, die mit dem Verstorbenen in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 PStG), die Person, in deren Wohnung sich der Sterbefall ereignet hat (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 PStG), und jede andere Person, die bei dem Tod zugegen war oder von dem Sterbefall aus eigenem Wissen unterrichtet ist (§ 29 Abs. 1 Nr. 3 PStG). Zur Anzeige verpflichtet sind auch Bestattungsunternehmen, die die Anzeige gemäß § 29 Abs. 2 PStG schriftlich vornehmen können, wenn sie bei einer Handwerkskammer oder Industrie- und Handelskammer registriert sind. Nur für die so registrierten Unternehmen nimmt das Gesetz die erforderliche Sachkunde und Zuverlässigkeit an.35 Zur schriftlichen Todesanzeige sind verpflichtet die Krankenhäuser, Alten- und Pflegeheime und sonstige Einrichtungen, in denen ein Mensch verstirbt (§ 30 Abs. 1 PStG), die für den Sterbeort zuständige Gemeindebehörde, sofern sie Kenntnis vom Tod erlangt und ein Anzeigepflichtiger nicht vorhanden oder sein Aufenthaltsort 32 33 34 35

Deutscher Ethikrat, Stellungnahme zum Problem der anonymen Kindesabgabe, S. 36. Deutscher Ethikrat, Stellungnahme zum Problem der anonymen Kindesabgabe, S. 36. Deutscher Ethikrat, Stellungnahme zum Problem der anonymen Kindesabgabe, S. 36. B. Gaaz/H. Bornhofen, § 29 PStG Rn. 10.

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D. Regelungsrahmen und Funktionen des Personenstandsrechts

unbekannt ist (§ 30 Abs. 2 PStG), und durch die zuständige Behörde im Falle einer amtlichen Ermittlung über den Tod der Person (§ 30 Abs. 3 PStG). Das Standesamt kann nach § 69 S. 1 PStG die zur Anzeige Verpflichteten zu einer Anzeige durch die Festsetzung eines Zwangsgelds sowohl zu Anzeige einer Geburt als auch einer Todesanzeige anhalten. Zudem ist die Nichtanzeige eine bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeit nach § 70 PStG. Das Zwangsgeld soll zur Einhaltung der Anzeigepflicht beitragen.36

4. Die steuerrechtliche und die wehrrechtliche Funktion des Personenstandsrechts Die Registrierung von Personen wurde zunächst eingeführt, um eine Grundlage für die Steuererhebung und die Wehrpflicht zu schaffen.37 Die staatliche Registrierung der Person bietet die Basis für ein weiteres staatliches „Herantreten“ an die Person, sei es für die Erhebung von Steuern und Abgaben oder für die Heranziehung zum Wehrdienst. Im Jahr 2011 wurde die Wehrpflicht auf den Spannungs- und Verteidigungsfall beschränkt38, sodass der tatsächliche Anwendungsbereich der wehrrechtlichen Funktion des Personenstandsrechts inzwischen eingeschränkt ist. Für die Finanzverwaltung bleibt die personenstandsrechtliche Registrierung aber von Bedeutung. Die Standesämter sind nach § 68 Abs. 1 PStG zur Mitteilung von Angaben über eine Beurkundung an eine andere Behörde oder ein Gericht verpflichtet, sofern sich diese Mitteilungspflicht aus einer Rechtsvorschrift ergibt. Zwischen inländischen Behörden ist der Mitteilungsverkehr in §§ 56 ff. PStV39 geregelt. Die Beurkundungen von Geburten werden seitens des Standesamts nach § 56 Abs. 1 Nr. 3 PStV der Meldebehörde mitgeteilt. Gleiches gilt für Folgebeurkundungen über die Anerkennung oder gerichtliche Feststellung der Vaterschaft nach § 67 Abs. 2 Nr. 3 PStV, für die Folgebeurkundung über die gerichtliche Feststellung des Nichtbestehens einer Vaterschaft nach § 57 Abs. 3 Nr. 2 PStV, Folgebeurkundungen über die Änderung oder Angleichung des Namens des Kindes oder eine Änderung der Angabe des Geschlechts nach § 57 Abs. 3 Nr. 4 PStV und über die Folgebeurkundung über die Annahme als Kind nach § 57 Abs. 5 Nr. 6 PStV. Weitere Mitteilungspflichten des Standesamts an die Meldebehörden ergeben sich für Beurkundungen im Eheregister aus § 58 Abs. 1 Nr. 5 PStV (Eheschließung), § 58 Abs. 2 Nr. 4 PStV (Folgebeurkundung über Namensänderung oder Namensangleichung) und § 58 Abs. 3 Nr. 3 PStV (Folgebeurkundung bei Aufhebung der Ehe, 36

H. Thomsen, S. 152. W. Schütz, S. 7. 38 Gesetz zur Änderung wehrrechtlicher Vorschriften 2011 (Wehrrechtsänderungsgesetz 2011), G. v. 28. 4. 2011, BGBl. I S. 678. 39 Personenstandsverordnung v. 22. 11. 2008, BGBl. I S. 2263. 37

III. Zu den Funktionen der personenstandsrechtlichen Registrierung

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Scheidung oder Nichtbestehen). Parallel dazu sieht § 59 PStV Mitteilungen an die Meldebehörde bei Beurkundungen im Lebenspartnerschaftsregister vor. Zudem ergeben sich aus § 62 PStV Mitteilungspflichten des Standesamts. Dies betrifft in erster Linie Standesämter, die für die Entgegennahme einer Namenserklärung zuständig sind oder familienrechtliche Erklärungen beurkunden oder aufbewahren (§ 62 Abs. 1 Nr. 1 PStV) oder ein Standesamt, das einen Hinweis über einen im Ausland beurkundeten Personenstandsfall in ein deutsches Personenstandsregister einträgt (§ 62 Abs. 1 Nr. 2 PStV). Die Meldebehörden wiederum sind gemäß § 34 Abs. 1 S. 1 BMG befugt, anderen öffentlichen Stellen, das heißt auch der Finanzverwaltung, Daten aus den Melderegistern zu übermitteln, sofern diese Datenübermittlung zur Erfüllung der Zuständigkeit des Finanzamts oder der Erfüllung öffentlicher Aufgaben erforderlich ist. Übermittelt werden dürfen eine Vielzahl von Angaben, die sich aus § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 – 14 BMG ergeben. Im Zusammenhang mit den Personenstandsregistern stehen davon Angaben zum Familiennamen (§ 34 Abs. 1 Nr. 1 BMG), frühere Namen (§ 34 Abs. 1 Nr. 2 BMG), Vornamen (§ 34 Abs. 1 Nr. 3 BMG), Geburtsdatum und Geburtsort (§ 34 Abs. 1 Nr. 8 BMG), das Geschlecht (§ 34 Abs. 1 Nr. 9 BMG), das Sterbedatum (§ 34 Abs. 1 Nr. 14 BMG) sowie die Namen, das Geburts- und Sterbedatums des gesetzlichen Vertreters (§ 34 Abs. 1 Nr. 10 BMG). Die Angaben können nach § 38 Abs. 1 BMG durch einfache Behördenauskunft im Abrufverfahren übermittelt werden. Ist die Finanzbehörde strafverfolgend tätig, so können gemäß § 34 Abs. 4 S. 1 Nr. 11 BMG i. V. m. § 34 Abs. 3 BMG weitere Daten ohne die in § 34 Abs. 3 BMG vorgeschriebene Erforderlichkeits- und Verhältnismäßigkeitsprüfung übermittelt werden. Zudem sieht § 36 Abs. 1 BMG regelmäßige Datenübermittlungen ohne Ersuchen vor. Hierzu zählen auch regelmäßige Datenübermittlungen seitens der Meldebehörden an Finanzbehörden.40 Direkt an das für die Veranlagung der Erbschaftssteuer zuständige Finanzamt meldet das Standesamt nach § 58 Abs. 4 Nr. 3 PStV Folgebeurkundungen über die Auflösung der Ehe durch Tod sowie nach § 59 Abs. 3 Nr. 3 PStV über die Auflösung der Lebenspartnerschaft durch Tod. Sterbefälle werden nach § 60 Abs. 1 Nr. 8 PStV ebenfalls direkt vom Standesamt an das für die Veranlagung der Erbschaftssteuer zuständige Finanzamt gemeldet. Damit dienen die Angaben aus den Personenstandsregistern der Aufgabenerfüllung der Finanzverwaltung.

40

J. Breckwoldt, in: ders., § 36 Rn. 7.

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D. Regelungsrahmen und Funktionen des Personenstandsrechts

5. Die statistikrechtliche Funktion des Personenstandsrechts Die personenstandsrechtliche Erfassung hat auch Bedeutung für die Bevölkerungsstatistik.41 § 61 PStV sieht die Mitteilung von Daten anlässlich der Beurkundung einer Geburt, Eheschließung, Begründung der Lebenspartnerschaft und eines Sterbefalls an die statistischen Landesämter vor. Die Standesämter melden monatlich die Daten zu Eheschließungen, Begründungen von Lebenspartnerschaften, lebendund totgeborenen Kindern und Sterbefällen (§ 2 Abs. 1 S. 1 BevStatG) auf elektronischem Wege (§ 2 Abs. 1 S. 2 BevStatG) an die statistischen Landesämter. Welche Daten zu übermitteln sind, ergibt sich aus § 2 Abs. 2 bis 7 BevStatG. Diese Daten dienen unmittelbar der Erstellung der Statistik der natürlichen Bevölkerungsbewegung, welche untergliedert ist in die Statistik der Eheschließungen, Statistik der Begründungen von Lebenspartnerschaften nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz, Geburtenstatistik, Sterbefallstatistik einschließlich Todesursachenstatistik. Die Daten für die Statistik der rechtskräftigen Beschlüsse in Eheauflösungssachen und die Statistik der rechtskräftigen Aufhebungen von Lebenspartnerschaften werden den statistischen Landesämtern von den erstinstanzlich zuständigen Gerichten übermittelt (§ 3 S. 1 BevStatG). Die Gerichte wiederum können die Angaben zur Person über die Standesämter im Wege des Mitteilungsverkehrs erhalten haben, sodass eine mittelbare Beteiligung der Standesämter an dieser Statistik nicht auszuschließen ist. Die Wanderungsstatistik stützt sich in erster Linie auf mitgeteilte Daten der Meldebehörden (§ 4 Abs. 1 S. 1 BevStatG). Da aber auch personenstandsrechtliche Merkmale erhoben werden (Geschlecht, Tag der Geburt und Familienstand nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 BevStatG, Ort der Geburt nach § 4 Abs. 2 Nr. 4 BevStatG) sowie die rechtliche Zugehörigkeit zu einer öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft, die ebenfalls in die Personenstandsregister eingetragen werden kann, ist auch hier eine mittelbare Beteiligung der Standesämter wahrscheinlich. Gleiches gilt für die Fortschreibung des Bevölkerungsstandes nach § 5 BevStatG, die getrennt nach den personenstandsrechtlichen Kategorien Geschlecht und Familienstand und darüber hinaus Alter, Wohnort und Staatsangehörigkeit erfolgt. Damit gehen die Daten der Standesämter durch unmittelbare Meldung an die statistischen Landesämter zum Zwecke der Statistik oder auch mittelbar über den behördlichen Mitteilungsverkehr in die genannten Bundesstatistiken ein. Die Bundesstatistiken dienen wiederum nach § 1 S. 4 BStatG der Aufschlüsselung gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und ökologischer Zusammenhänge für Bund, Länder einschließlich Gemeinden und Gemeindeverbände, Gesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung. Die Bundesstatistik ist nach § 1 S. 5 41

W. Schütz, S. 7.

III. Zu den Funktionen der personenstandsrechtlichen Registrierung

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BStatG Voraussetzung für eine am Sozialstaatsprinzip ausgerichtete Politik.42 In der amtlichen Statistik werden laufend Informationen zu wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Zusammenhängen gesammelt.43 Die Bundesstatistik dient in erster Linie der zahlenmäßigen Erfassung der „wesentlichen staats- und wirtschaftspolitischen Vorgängen“44 für die Staatsverwaltung. Das Zahlenmaterial der Bundestatistiken dient dem Erkenntnisgewinn45, auf dessen Grundlage wiederum Schlussfolgerungen gezogen und Planungen getätigt werden können. Ist beispielsweise die Errichtung eines neuen Krankenhauses geplant, so ist für die Auswahl des genauen Standorts die Bevölkerungszusammensetzung wichtig. Die Informationen zur Bevölkerungszusammensetzung können der amtlichen Statistik entnommen werden. Damit kommt den Bundesstatistiken eine bedeutende Rolle bei der Beobachtung gesellschaftlicher sowie wirtschaftlicher Entwicklungen und als Maßstab der Kontrolle von Auswirkungen von Entscheidungen zu.46 Die Bundesstatistik ist damit für die Staatstätigkeit von großer Bedeutung.47 Daneben liefert sie auch Zahlenmaterial für Wissenschaft und Forschung.48

6. Der strafrechtliche Schutz des Personenstands Um die Funktionen des Personenstandsrechts, insbesondere die Identifizierungsund Beweisfunktion, zuverlässig erfüllen zu können, ist es erforderlich, dass personenstandsrechtliche Eintragungen inhaltlich zutreffend sind. Die Richtigkeit der Eintragungen in den Personenstandsregistern ist strafrechtlich abgesichert. § 169 Abs. 1 StGB sieht eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe für denjenigen vor, der den Personenstand eines anderen (nicht des eigenen Personenstands) gegenüber einer zur Führung von Personenstandsregistern oder zur Feststellung des Personenstands zuständigen Behörde falsch angibt oder aber auch unterdrückt. Dabei ist gemäß § 169 Abs. 2 StGB auch der Versuch der Personenstandsfälschung strafbar. Das von § 169 StGB geschützte Rechtsgut ist das Allgemeininteresse49 an der Feststellbarkeit des Personenstands.50 Diese Feststellbarkeit bildet die Grundlage für Rechte und Rechtsbeziehungen der natürlichen Person.51 42

Dazu BVerfGE 27, 1 (9); 65, 1 (47). BVerfGE 65, 1 (47). 44 I. Hiller, S. 1. 45 B. Kolleck, in: Appel/Hummel, S. 53; sehr kritisch zur Volkszählung U. Erb, in: Appel/ Hummel, S. 82, die den Zweck u. a. in der „obrigstaatlichkeitlichen Verwaltung der Bürger/ innen in allen Lebensbereichen“ und im „profitablen Jonglieren mit Arbeitsplätzen“ sieht. 46 Vgl. BT-Drs. 8/2517, S. 8. 47 BVerfGE 65, 1 (47); vgl. I. Hiller, S. 36. 48 Vgl. § 1 S. 4 BStatG, I. Hiller, S. 10. 49 So schon J. Baumann, StAZ 1958, S. 225. 50 Th. Fischer, § 169 Rn. 2; M. Heuchemer, in: v. Heintschel-Heinegg, § 169 Rn. 1. 51 Th. Fischer, § 169 Rn. 2. 43

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D. Regelungsrahmen und Funktionen des Personenstandsrechts

Die Falschangabe oder Unterdrückung des Personenstands muss gegenüber einer zur Führung von Personenstandsregistern oder zur Feststellung des Personenstands zuständigen Behörde geschehen. Zur Führung von Personenstandsregistern in diesem Sinne berechtigt sind die Standesämter nach §§ 1 und 2 PStG wohingegen zu den Behörden, die zur Feststellung des Personenstands zuständig sind, das Gericht zählt, das in Statussachen nach § 1600d BGB (gerichtliche Feststellung der Vaterschaft) zuständig ist.52 Zudem tragen § 271 StGB (mittelbare Falschbeurkundung), § 348 StGB (Falschbeurkundung im Amt) und § 267 StGB (Urkundenfälschung) durch die Verhinderung beziehungsweise strafrechtliche Ahndung von Falschbeurkundungen zur Wahrung der Richtigkeit der Angaben im Personenstandsregister bei.

7. Kontinuität und Beständigkeit der Personenstandsregister Die genannten Funktionen des Personenstandsrechts werden durch einige Sicherungen der Kontinuität der Personenstandsregister gewährleistet. Auf diese Weise wird die Dauerhaftigkeit des Personenstands53 sichergestellt. Nach § 5 Abs. 5 PStG sind Ehe- und Lebenspartnerschaftsregister 80 Jahre lang fortzuführen (Nr. 1), Geburtenregister 110 Jahre (Nr. 2) und Sterberegister 30 Jahre (Nr. 3). Sterberegister des Sonderstandesamts in Bad Arolsen54 sind sogar 80 Jahre lang fortzuführen (§ 5 Abs. 5 Nr. 3 2. Halbsatz). Nach dem Ende dieser Fristen sind die personenstandsrechtlichen Akten und Register den zuständigen öffentlichen Archiven nach § 7 Abs. 3 PStG anzubieten. Sowohl während der Zeit der Fortführung seitens der Standesämter als auch in der Archivierungsphase sind die Personenstandsunterlagen nutzbar. Für die Zeit der standesamtlichen Fortführung gelten die §§ 61 ff. für die Benutzung der Personenstandsregister. Benutzung meint nach § 61 Abs. 1 S. 2 PStG die Erteilung von Personenstandsurkunden aus einem Registereintrag, die Auskunft aus einem und die Einsicht in einen Registereintrag sowie die Durchsicht mehrerer Registereinträge und die entsprechende Verwendung der Sammelakten. Für die Phase der Archivierung gelten nach § 61 PStG die archivrechtlichen Vorschriften. Dies sind die einschlägigen Archivgesetze sowie die archivrechtlichen Benutzungs- und Gebührenverordnungen und die kommunalen Satzungen.55

52

Th. Fischer, § 169 Rn. 6; M. Heger, in: Lackner/Kühl, § 169 Rn. 4. A. Dutta/T. Helms, StAZ 2017, S. 98 (101). 54 Das Sonderstandsamt in Bad Arolsen ist zuständig für die Beurkundung von Sterbefällen von Häftlingen in ehemaligen deutschen Konzentrationslagern. 55 J. Hausmann, S. 17. 53

III. Zu den Funktionen der personenstandsrechtlichen Registrierung

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Dies alles dient der Kontinuität der Personenstandsregister als solchen sowie deren Benutzbarkeit. Der Inhalt der Personenstandsregister soll auch beständig im Sinne von Schutz vor dessen Verlust sein. Es ist nicht nur das Personenstandsregister an sich, sondern auch ein Sicherungsregister nach § 4 Abs. 1 PStG zu führen, das der Wiederherstellung eines Registers nach dessen Verlust dient (§ 8 Abs. 1 S. 1 PStG). Das Sicherungsregister wiederum kann bei Verlust durch das Personenstandsregister wiederhergestellt werden (§ 8 Abs. 2 S. 1 PStG). Bei Verlust beider Register ist eine Neubeurkundung nach amtlicher Sachverhaltsermittlung vorzunehmen (§ 8 Abs. 2 S. 2, 3 PStG). Seit der Reform des PStG aus dem Jahr 201756 kann ein Verlust im Sinne des § 8 PStG auch darin bestehen, dass die Daten eines Registereintrags wegen eines nicht zu behebenden technischen Fehlers nicht mehr zu verwenden sind (§ 8 Abs. 1 S. 2 PStG).

8. Zur Spiegelfunktion des Personenstandsrechts Nach § 1 Abs. 1 S. 1 PStG meint Personenstand die sich aus den Merkmalen des Familienrechts ergebende Stellung einer Person innerhalb der Rechtsordnung einschließlich ihres Namens. Damit knüpft das PStG an das Familienrecht an und stellt klar, dass sich die Stellung der Person innerhalb der Rechtsordnung nicht direkt aus dem Personenstandsrecht, sondern vielmehr über familienrechtliche Merkmale ergibt. Aus der Bezugnahme des Personenstandsrechts auf das Familienrecht wird klassischerweise die Spiegelfunktion des Personenstandsrechts hergeleitet. a) Das klassische Verständnis von der Spiegelfunktion des Personenstandsrechts Dem klassischen Verständnis von der Spiegelfunktion folgend wird davon ausgegangen, dass das Personenstandsrecht reines Verfahrensrecht sei, welches lediglich das „Ob und Wie der Registrierung“57 regele. Nach diesem Verständnis ergibt sich der im Personenstandsregister festgehaltene Status und der Inhalt der Eintragung materiell-rechtlich aus dem Familienrecht und die Eintragungen in Personenstandsregister haben eine lediglich dienende Funktion.58 Das Personenstandsrecht hingegen spiegelt auf Ebene des Verfahrensrechts die Inhalte, die materiell-rechtlich 56

2. Personenstandsrechts-Änderungsgesetz, BGBl. 2017 I, S. 2522. M. Berkl, A. II. Rn. 11; für das Merkmal Geschlecht S. Wiggerich, StAZ 2017, S. 8; a. A. womöglich W. Thieme, S. 57 f., der in aller Kürze und ohne nähere Darstellung anmerkt, dass das Personenstandsrecht neben dem Verfahrensrecht auch materiell-rechtliche Fragen regele. 58 A. Dutta/T. Helms, StAZ 2017, S. 98 (99); A. Dutta, Familie und Personenstand, S. 54; J. Froese, JZ 2016, S. 1069 (1072); T. Helms, Drittes Geschlecht, S. 26; vgl. S. Wiggerich, StAZ 2017, S. 8; kritisch J. T. Theilen, StAZ 2016, S. 295 (299). 57

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D. Regelungsrahmen und Funktionen des Personenstandsrechts

nur im Familienrecht verankert sind.59 Das Personenstandsrecht als formelles Recht60 spiegelt nach der Vorstellung von der Spiegelfunktion also das materielle Recht. In diesem Sinne sind personenstandsrechtliche Eintragungen als eine Abbildung der familienrechtlichen Stellung einer natürlichen Person anzusehen. Konsequenz einer auf diese Weise verstandenen Spiegelfunktion ist, dass die personenstandsrechtlichen Kategorien denen der sonstigen Rechtsordnung zwangsweise entsprechen und dass allein durch das Personenstandsrecht keine neuen, originär personenstandsrechtlichen Ordnungskategorien eingeführt werden können. Neue personenstandsrechtliche Kategorien bedürfen nach der Spiegelfunktion einer Änderung des materiellen Rechts, insbesondere des Familienrechts, dem das Personenstandsrecht sodann folgt. Personenstandsrecht und Familienrecht sind mithin inhaltlich gleichlaufend. Zudem zieht das klassische Verständnis der Spiegelfunktion des Personenstandsrechts die Bewertung von personenstandsrechtlichen Kategorien als rein deklaratorisch nach sich. Ihnen kommt, folgt man der Spiegelfunktion konsequent, keine konstitutive Wirkung zu. b) Einführung einer neuen Perspektive auf die Spiegelfunktion Hält man an der so verstandenen Spiegelfunktion fest, so wird ein Perspektivenwechsel auf und das verfassungsrechtliche Anknüpfen an das Personenstandsrecht von vornherein vereitelt. Ein Festhalten an der Spiegelfunktion führt dazu, dass eine verfassungsrechtliche Bewertung der personenstandsrechtlichen Ordnungsmerkmale nur über eine verfassungsrechtliche Bewertung des Familienrechts möglich ist. Das Personenstandsrecht knüpft mit seinem Personenstandsbegriff nach § 1 Abs. 1 S. 1 PStG zwar an das materielle Familienrecht an. Diese rechtstechnische Anknüpfung darf aber den Blick auf das Folgende nicht verbauen: Die Eintragungen in die Personenstandsregister und die Ausstellung personenstandsrechtlicher Urkunden bilden reale Lebenssachverhalte ab. Die Ausstellung einer Heiratsurkunde und der Eintrag in das Eheregister gehen mit der tatsächlichen Heirat und einer Hochzeit einher. Die Ausstellung der Geburtsurkunde und ein Eintrag in das Geburtenregister folgen auf die tatsächliche Geburt eines Kindes. Eine Sterbeurkunde wird ausgestellt und ein Eintrag ins Sterberegister wird vorgenommen, wenn ein Mensch tatsächlich verstorben ist. Durch den Standesbeamten beurkundet und eingetragen wird damit zum einen das, was nach der Idee der Spiegelfunktion dem materiellen Recht folgend im Bereich des rechtlich Möglichen liegt. Die Eintragungen und Beurkundungen betreffen aber gleichzeitig auch reale Lebensvorgänge. Das sind namentlich die großen Lebensereignisse Geburt, Heirat beziehungsweise Lebenspartnerschaftsbegründung und Tod sowie alle damit verbundenen Vorgänge wie auch eine Namensänderung nach Aufhebung der Ehe oder Lebenspartnerschaft und die Namensgebung nach der Geburt eines Kindes. 59 60

R. Bockstette, StAZ 2013, S. 169 (172). W. Thieme, S. 153.

III. Zu den Funktionen der personenstandsrechtlichen Registrierung

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Damit mag das Personenstandsrecht rechtstechnisch zwar das Spiegelbild des Familienrechts sein. Das Personenstandsrecht ist aber gleichzeitig das rechtliche Abbild wichtiger Lebensereignisse des Menschen. Es bietet einen rechtlichen Regelungsrahmen für ein rechtliches Abbild von Realität. Die Eintragungen und Beurkundungen beispielsweise von Vor- und Familiennamen, Geburtsdatum und Geburtsort, einem Wohnsitz, die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft und dem Geschlecht weisen einen eindeutigen Personenbezug auf. Jeder Eintrag bezieht sich auf eine ganz bestimmte natürliche Person. Gerade dieser Personenbezug ist Sinn und Zweck des Personenstandsrechts, welches die rechtliche Existenz der einzelnen natürlichen Person61 beweisbar62 macht und anhand personenstandsrechtlicher Merkmale für die Identifizierbarkeit und Unterscheidbarkeit63 jeder einzelnen natürlichen Person über einen langen Zeitraum64 sorgt. c) Zu den Wirkebenen personenstandsrechtlicher Eintragungen, Beurkundungen und Ordnungskategorien Zur Verdeutlichung der Wirkungen personenstandsrechtlicher Eintragungen, Beurkundungen und Ordnungskategorien müssen zwei Wirkebenen betrachtet werden. Dies sind eine Makroebene, die Wirkungen außerhalb der individuellen Lebenssphäre des Individuums umfasst, und eine Mikroebene, die die Wirkungen innerhalb der individuellen Lebenssphäre des Individuums beinhaltet. aa) Die Makroebene Das Personenstandsrecht entfaltet Wirkungen in einer weitgehen außerhalb der persönlichen Lebenssphäre des Individuums liegenden gesellschaftlichen Sphäre. Die Identifizierungs- und Unterscheidungsfunktion und die damit verbundene Beweiswirkung der Personenstandsregister dient nicht (ausschließlich) dem Individuum, sondern auch der gesamthaften Verwaltung der Vielheit der Person. Das beschriebene gefahrenabwehr- und sicherheitsrechtliche Element der Identifizierungsfunktion fällt als Aspekt des Allgemeininteresses ebenfalls in die gesellschaftliche Sphäre. Ebenso weisen der Gedanke der Sicherheit des Rechtsverkehrs sowie der Einhaltung der staatlichen Eheordnung Bezüge zum Gemeinwesen auf. Die statistikrechtliche Erfassung von Personenstandsfällen dient, wie gezeigt, der Vorbereitung und Bewertung staatlicher Entscheidungen und weist damit auch eine außerhalb der individuellen Sphäre liegende Wirkung für das Gemeinwesen auf. Die steuerrechtliche Funktion dient der Heranziehung des einzelnen Steuerpflichtigen zur Erfüllung seiner Steuerpflicht. Daneben aber sichert die Heranziehung des 61 62 63 64

Siehe dazu unter D. III. 3. Siehe dazu unter D. III. 2. Siehe dazu unter D. III. 1. Siehe dazu unter D. III. 7.

72

D. Regelungsrahmen und Funktionen des Personenstandsrechts

Steuerpflichtigen zur Erfüllung seiner Steuerpflicht dem Steuerstaat Einnahmen aus Steuern, die für das Funktionieren staatlicher Aufgabenerfüllung unerlässlich sind. Gleiches gilt für die Wehrpflicht (im Spannungs- und Verteidigungsfall). bb) Die Individualsphäre und grundsätzlicher Identitätsbezug personenstandsrechtlicher Ordnungsmerkmale Daneben sorgt der Personenbezug personenstandsrechtlicher Eintragungen sowie Beurkundungen und Ordnungsmerkmale notwendigerweise für Wirkungen des Personenstandsrechts innerhalb der individuellen Lebenssphäre. Die natürliche Person kann durch die beweiskräftig in den Personenstandsregistern und Personenstandsurkunden festgehaltenen Merkmale eindeutig identifiziert werden und ihre Existenz sowie familienrechtliche Beziehungen beweisen. An diese Identifizierung und bestehenden familienrechtlichen Beziehungen können sodann das Individuum betreffende Rechtsfolgen geknüpft werden. Durch die staatliche Registrierung wird das Individuum überhaupt rechtlich existent. Die rechtliche Existenz ist Basis von Rechten und Pflichten der natürlichen Person. Die personenstandsrechtliche Registrierung als solche, das heißt das „Ob“ der Registrierung, ist damit Ausgangspunkt ihrer Teilhabe am wirtschaftlichen, politischen und rechtlichen Leben. Daneben nimmt die natürliche Person als Teil des Gemeinwesens an den oben genannten das Gemeinwesen und das Allgemeininteresse betreffenden Funktionen der Makroebene teil. Das „Wie“ der personenstandsrechtlichen Erfassung betrifft das Individuum in besonderer Weise. Es handelt sich bei den personenstandsrechtlichen Ordnungsmerkmalen nicht lediglich um personenbezogene, sondern um persönlichkeits- und identitätsbezogene Merkmale. Das Personenstandsrecht kann Einfluss auf die Identitätsbildung haben.65 Als Beispiel sei die Eintragung des Geschlechts in das Geburtenregister nach § 21 Abs. 1 Nr. 3 PStG, welcher entweder „männlich“ oder „weiblich“ lautet oder aber nach § 22 Abs. 3 PStG freibleibt, sofern das Kind weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugeordnet werden kann, genannt. Die Frage, ob eine natürliche Person dem männlichen, weiblichen oder (vorerst) keinem Geschlecht zuzuordnen ist, mag aus einer strengen personenstandsrechtlichen Sicht eine Frage formaler Eintragung sein. Lenkt man die Perspektive abseits der Spiegelfunktion des Personenstandsrechts, so zeigt sich, dass personenstandsrechtliche Ordnungsmerkmale nicht nur personen-, sondern persönlichkeitsbezogen sind. Ob eine natürliche Person rechtlich als männlich oder weiblich eingeordnet wird oder ihr Geschlecht gar nicht erfasst wird, betrifft sie in ihrer Persönlichkeitsentfaltung und Identität. Die 65 A. Schmidt, Rechtsphilosophie 2016, S. 169 (169, 180); A. Büchler/M. Cottier, Freiburger FrauenStudien 2005, S. 115 (124).

III. Zu den Funktionen der personenstandsrechtlichen Registrierung

73

Geschlechtszugehörigkeit ist ein wesentlicher Faktor der individuellen Identität und wesentlicher Orientierungspunkt im Prozess der Identitätsbildung.66 Das Geschlecht kann sinnstiftend wirken.67 Nicht nur die geschlechtlichen Zuschreibungen des sozialen Umfelds prägen das Geschlechtsempfinden einer Person. Gerade die Kategorienzuschreibung im Rahmen der personenstandsrechtlichen Registrierung durch den Staat kann Einfluss auf die individuelle Identität haben. Die Zuerkennung eines Geschlechts bedeutet gleichzeitig die Zuerkennung einer Geschlechterrolle im Sinne des sozialen Geschlechts68, mit der Erwartungen beispielsweise an Aussehen und Verhalten der Person verknüpft sind.69 In den Personenstandsregistern und Urkunden wird das Geschlecht nicht in einer unverbindlichen Weise, sondern beweiskräftig festgehalten. Zwar ist der Mensch nicht tagtäglich mit den Angaben zu seiner Person im Personenstandsregister konfrontiert. Der im Personenstandsregister oder der Urkunde dokumentierte geschlechtliche Status wird für eine Person aber in besonderen Situationen aktuell. Dies betrifft beispielsweise die Vorlage der Geburtsurkunde oder einer beglaubigten Abschrift aus dem Geburtenregister im Rahmen einer Prüfungsanmeldung, bei der Beantragung eines Personalausweises oder der Anmeldung einer Eheschließung bei einer Behörde. Auch ist zu berücksichtigen, dass der Stellenwert der personenstandsrechtlichen Eintragung für Personen, die sich in einer Identitätskrise befinden, steigen kann und es dann auf die Häufigkeit der Verwendung von Auszügen aus dem Geburtenregister oder Geburtsurkunden nicht mehr maßgeblich ankommt.70 Hinsichtlich der Zuschreibung personenstandsrechtlicher Kategorien ist in der Terminologie des BVerfG ist – zumindest hinsichtlich des Geschlechts der Person – von einer Vermessung des Individuums die Rede.71 Es handle sich nicht um eine vollständige Vermessung der Persönlichkeit, sondern um die Festhaltung spezifischer Punkte der rechtlich relevanten Identität der Person.72 Personenstandsrechtliche Ordnungsmerkmale bilden einzelne Persönlichkeitsmerkmale der Person und Teile ihrer Identität ab. Zwar werden personenstandsrechtlich nicht Beruf oder Charakterzüge des Individuums steckbriefartig erfasst. Dennoch stehen die personenstandsrechtlichen Daten zumindest potentiell in einem engen Zusammenhang zur 66

K. Schweizer, in: dies./Richter-Appelt, S. 459. E. Holzleithner, Rechtsphilosophie 2016, S. 133 (140). 68 E. Holzleithner, Rechtsphilosophie 2016, S. 133 (138); dies., Querelles 2009, S. 37 (38 f.). 69 M. Petricˇ evic´, S. 209; C. Röhner, Juridikum 2015, S. 516. 70 A. A. A. Dutta/T. Helms, StAZ 2017, S. 98 (102); T. Helms, FamRZ 2017, S. 2054 f. 71 BVerfGE 147, 1 = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16, Rn. 45; abgedruckt u. a. JZ 2018, S. 351 – 357; DÖV 2018, S. 328 – 332; NZFam 2017, S. 1141 – 1140 mit Anmerkungen von B. Frie, NZFam 2017, S. 1141 – 1152; aus der Ausbildungsliteratur: M. Sachs, JuS 2018, S. 399 – 401, JA 2018, S. 154 – 157 mit kurzen Anmerkungen v. S. Muckel; Zusammenfassung bei M. Petricˇ evic´, Juridikum 2018, S. 29 (31 f.) sowie M. Bäumerich, FuR 2018, S. 239 (239 f.); so auch F. Boll, KJ 2015, S. 421 (422). 72 BVerfGE 147, 1 (22) = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16, Rn. 45. 67

74

D. Regelungsrahmen und Funktionen des Personenstandsrechts

individuellen Persönlichkeit des Menschen.73 Findet sich unter dem Namen einer Person der Geschlechtseintrag beispielsweise als weiblich, so steht dies aufgrund der zugewiesenen Geschlechterrolle in einem engen Zusammenhang mit der Identität der Person als Frau. Zwar ist der Stellenwert des jeweiligen Eintrags für die Persönlichkeit und Persönlichkeitsentwicklung so individuell wie diese selbst und daher nur im Einzelfall zu ermitteln. Über den Personenbezug personenstandsrechtlicher Eintragungen ergibt sich aber grundsätzlich die Möglichkeit eines Persönlichkeitsbezugs der Eintragungen.

IV. Fazit zum Kapitel D. Das Personenstandsrecht weist eine Reihe von Funktionen auf, die sich teilweise gegenseitig bedingen und verstärken. Diese Funktionen entfalten ihre Wirkung sowohl außerhalb als auch innerhalb der individuellen Lebenssphäre des Individuums. Personenstandsrechtliche Eintragungen, Beurkundungen und Ordnungsmerkmale sind notwendigerweise personenbezogen. In der Individualsphäre entfaltet das Personenstandsrecht insbesondere über seine Ordnungsmerkmale und deren Zuordnung zur natürlichen Person einen potentiellen Identitätsbezug.

73

So auch A.-M. Leroyer, in: Azoulai/Barbou des Places/Pataut, S. 275 (281).

E. Individuelle und selbstbestimmte Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut Es wurde gezeigt, dass das Personenstandsrecht als ein rechtlicher Ausschnitt und das rechtliche Spiegelbild der Lebenswirklichkeit des Individuums verstanden werden kann und dass ein grundsätzlicher Zusammenhang zwischen der Identität des Individuums und den personenstandsrechtlichen Eintragungen und Beurkundungen zugrundeliegenden Ordnungsmerkmalen besteht. Unter C. wurden die wesentlichen Elemente des Identitätsbegriffs unter Zuhilfenahme der Erkenntnisse aus der sozialwissenschaftlichen Identitätsforschung herausgearbeitet. Zu untersuchen ist nun, inwieweit das deutsche Verfassungsrecht auf Bundesebene identitätsschützende Gewährleistungen aufweist, zumal ein explizites „Recht auf Identität“ nicht verfassungsrechtlich verbürgt ist. Zu untersuchen ist auch, ob und wenn ja inwieweit der verfassungsrechtliche Identitätsschutz mit den Erkenntnissen der sozialwissenschaftlichen Identitätsforschung korrespondiert. In die Betrachtung einbezogen werden neben den Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten des Grundgesetzes an geeigneter Stelle auch Normen des Landesverfassungsrechts, deren sachlicher Schutzbereich sich im Hinblick auf den Identitätsschutz von den Gewährleistungen des Grundgesetzes unterscheidet. Anknüpfungspunkte bieten die landesverfassungsrechtlichen besonderen Diskriminierungsverbote, der landesverfassungsrechtliche Minderheitenschutz sowie der landesverfassungsrechtliche Schutz der Heimat. Ergänzend herangezogen werden zudem Regelungen des europäischen Primärrechts sowie des Völkerrechts, denen im Bereich der Deutschengrundrechte für den Identitätsschutz eine lückenfüllende Wirkung zukommt.

I. Vorbemerkungen 1. Grundsätzliche Tauglichkeit der Grundrechte des Grundgesetzes für den Schutz individueller Identität und Eingrenzung anhand des Untersuchungsgegenstands Der folgende Abschnitt widmet sich der Untersuchung des identitätsbezogenen Schutzprogramms insbesondere der Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte des Grundgesetzes. Der Identitätsschutz kann entsprechend des dynamischen Prozesscharakters im gesamten Prozess der Identitätsbildung, Identitätswahrung und

76

E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

Identitätsänderung angesiedelt sein. Die grundrechtlichen Schutzgehalte bilden die Grundlage für den Prüfungsmaßstab, an dem sich das einfachrechtliche Personenstandsrecht einzelfallbezogen zu messen hat. Das Grundgesetz stellt „den einzelnen Menschen und seine Würde in den Mittelpunkt aller seiner Regelungen“1, garantiert eine „Lebensführung gemäß dem eigenen Selbstverständnis“2 und scheint daher als Ansatzpunkt für einen verfassungsrechtlichen Schutz der Identität des Individuums passend. Zudem beziehen sich die Grundrechte auf Teilbereiche der Lebenswirklichkeit von Individuen3, was der Idee der Herausbildung von Teilidentitäten nahekommt. Aufgrund des komplexen und sehr individuellen Prozesses der Identitätsbildung4 und der Tatsache, dass die individuelle Identität sich aus Teilidentitäten zusammensetzt, kann im Vorhinein keinem Grundrecht pauschal die Identitätsrelevanz abgesprochen werden. Dem Untersuchungsgegenstand entsprechend handelt es sich bei den folgenden Ausführungen nicht um vollständige Darstellungen der Schutzbereiche der Grundrechte. Die Darstellungen konzentrieren sich auf die identitätsschützenden Gehalte der sachlichen Schutzbereiche der Grundrechte.

2. Zum persönlichen Schutzbereich grundgesetzlicher Gewährleistungen Zu berücksichtigen ist, dass sich im Hinblick auf das personale Element des grundrechtlichen Identitätsschutzes Unterschiede zwischen grundrechtlichem Identitätsschutz und dem sozialwissenschaftlichen Ansatz ergeben. Die sozialwissenschaftliche Identitätsforschung stellt auf den Menschen als solchen ab. Der verfassungsrechtliche Ansatz des persönlichen Schutzbereichs ist komplexer und enthält neben Menschenrechten auch Grundrechte, die nur Deutschen im Sinne des Art. 116 GG zustehen. Zu diesen Grundrechten zählen die Grundrechte Art. 8, 9, 11, 12, 16 Abs. 1, 2, 20 Abs. 4, Art. 33 Abs. 1, 2 GG und 38 i. V. m. Art. 20 Abs. 2 GG5. Unionsbürgern muss aufgrund des europäischen Diskriminierungsverbots aus Art. 18 AEUV und den Grundfreiheiten auch im Hinblick auf die identitätsschützenden Grundrechte ein mit den Deutschengrundrechten vergleichbarer Schutz gewährt werden. Dieser kann darüber erreicht werden, dass die Deutschengrundrechte aufgrund des Art. 18 AEUV für alle Unionsbürger Anwendung finden.6 Nach

1

BVerfGE 39, 1 (67). M. Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, S. 67. 3 W. Hoffmann-Riem, in: Bräuerle/Hanebeck/Hausotter et al., S. 53 (55). 4 Siehe dazu unter B. 5 Vgl. BVerfGE 83, 37 (50 – 53). 6 R. Breuer, in: Isensee/Kirchhof, HStR2 VI, § 147 Rn. 21, R. Wernsmann, Jura 2000, S. 657 (659), der allerdings auf die Subsidiarität des allgemeinen Diskriminierungsverbots gegenüber 2

I. Vorbemerkungen

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weitverbreiteter Auffassung können Ausländer sich auf Art. 2 Abs. 1 GG berufen.7 Sofern man auf Grundlage des Art. 18 AEUV das Schutzniveau des Art. 2 Abs. 1 GG nicht auf das der Deutschengrundrechte hebt8, bleibt der Grundrechtsschutz und damit auch der grundrechtliche Schutz individueller Identität gegenüber den speziellen Verbürgungen jedoch leichter einschränkbar. Deshalb lohnt sich ein Blick auf europa- und völkerrechtliche Verbürgungen, denen im Bereich der Deutschengrundrechte des Grundgesetzes eine lückenfüllende Funktion zukommen kann.

3. Zur Bindungswirkung des europäischen Primärrechts und der völkerrechtlichen Gewährleistungen Lückenfüllende und identitätsschützende Gewährleistungen finden sich auf Ebene des europäischen Primärrechts im AEUV und der GrCh sowie auf völkerrechtlicher Ebene in der EMRK und dem IPbpR. Die Grundfreiheiten des AEUV entfalten unmittelbare Wirkung im innerstaatlichen Recht.9 Damit verpflichten die Grundfreiheiten nicht nur die EU selbst, sondern auch die Mitgliedstaaten und dabei alle mitgliedstaatlichen Träger von Staatsgewalt.10 Der Einzelne kann sich auf die Grundfreiheiten berufen. Sie dienen gerade dem Schutz des einzelnen Wirtschaftsteilnehmers.11 Die GrCh steht im Rang des europäischen Primärrechts, Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 Halbs. 2 EUV. Eine Einschränkung erfährt der Anwendungsbereich der GrCh dadurch, dass sie nur für die Organe, Einrichtungen und sonstige Stellen der EU gilt. Für die Mitgliedstaaten gilt die Charta nur bei der Durchführung des Unionsrechts, Art. 51 Abs. 1 GrCh. Solange die Mitgliedstaaten im Rahmen der nationalen Kompetenzen handeln, findet die GrCh keine Anwendung.12 Dem BVerfG ist es aber unbenommen, bei seiner Rechtsprechung Bezug auf die GrCh zu nehmen. So nahm das BVerfG in seiner Entscheidung zur eingetragenen Lebenspartnerschaft13 ausdrücklich Bezug auf Art. 13 EG (heute Art. 19 AEUV) und Art. 21 Abs. 1 GrCh. Das BVerfG stellte fest, dass beide Normen des europäischen Primärrechts die sexuelle Ausrichtung als Diskriminierungsmerkmal enthalten und stellte auf die Rechtsentden Grundfreiheiten hinweist; vgl. D. Ehlers, JZ 1996, S. 776 (781); J. Isensee, in: ders./ Kirchhof, HStR2 V, § 118 Rn. 47. 7 BVerfGE 35, 382 (399); 49, 168 (180); 78, 179 (196 f.); 104, 337 (346); M. Kloepfer, § 49 Rn. 20; K. Stern/M. Sachs, Bd. III/1 S. 1041; kritisch E. Klein, in: FS für Stern, S. 1301 (1310). 8 BVerfG NJW 2016, S. 1436 (1437) m. w. N. 9 Grundlegend EuGH, Urteil v. 5. 2. 1963, Rs. 26/62 – Van Gend & Loos; D. Ehlers, in: ders., § 7 Rn. 7. 10 D. Ehlers, in: ders., § 7 Rn. 52. 11 D. Ehlers, in: ders., § 7 Rn. 10. 12 Vgl. hierzu BSG, Urt. v. 20. 7. 2011 – B 13 R 40/10 R, Rn. 34; Q. C. Goldsmith, CMLRev 2001, S. 1201 (1205). 13 BVerfGE 124, 199.

78

E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

wicklung im Europarecht im Bereich der sexuellen Orientierung ab.14 Insofern können die GrCh als solche und deren Auslegung durch den EuGH vom BVerfG durchaus argumentativ herangezogen werden. Die EMRK ist ein verbindlicher völkerrechtlicher Vertrag, der in Deutschland nach allgemeiner Ansicht Geltung beansprucht.15 Die EMRK steht nach ganz überwiegender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur im Rang eines einfachen innerstaatlichen Bundesgesetzes16 und ist unmittelbar anwendbar, da der innerstaatliche Gesetzgeber die EMRK gemäß Art. 59 Abs. 2 GG ins deutsche Recht transformiert hat17. Der EMRK kommt in Deutschland, anders als in Österreich,18 ausdrücklich kein Verfassungsrang zu.19 Die Konvention verpflichtet die Staatsorgane aber zur konventionsfreundlichen Auslegung innerstaatlichen Rechts.20 Die Garantien der EMRK sind aber von den deutschen staatlichen Organen zu berücksichtigen21 und als Auslegungshilfe für das Grundgesetz heranzuziehen22 Die Rechtsprechung des EGMR, der im Wege von Menschenrechtsbeschwerden über Verletzungen der EMRK entscheidet, ist von den nationalen Gerichten ebenfalls zu berücksichtigen. Alle Träger öffentlicher Gewalt sind grundsätzlich an Entscheidungen des EGMR gebunden.23 Um dem gerecht zu werden, müssen nach Ansicht des BVerfG die zu berücksichtigenden Texte und Judikate in den Willensbildungsprozess des entscheidenden Gerichts, insbesondere im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung, einfließen.24 Dabei ist wegen des Grundsatzes der völ-

14

BVerfGE 124, 199 (220). Th. Giegerich, in: Dörr/Grote/Marauhn, Kap. 2 Rn. 45 m. w. N. 16 BVerfGE 128, 326 (367 ff.); Th. Giegerich, in: Dörr/Grote/Marauhn, Kap. 2 Rn. 18, Rn. 47 m. w. N.; Chr. Grabenwarter/K. Pabel, § 3 Rn. 8; F. C. Mayer, in: Karpenstein/Mayer, Einleitung Rn. 78; kritisch F. Hoffmeister, Der Staat 2001, S. 349 (364 ff.); E. Klein, JZ 2004, S. 1176 ff.; M. Ruffert, EuGRZ 2007, S. 245 (246 f.); zu den Versuchen, der EMRK einen höheren Rang als den des einfachen Bundesrechts einzuräumen: Chr. Walter, ZaöRV 1999, S. 961 (972 – 978). 17 BGBl. II 1954, S. 14; T. Haug, AfP 2016, S. 223 (225); J. Meyer-Ladewig/M. Nettesheim, in: dies./v. Raumer, Einleitung Rn. 18. 18 Chr. Grabenwarter/K. Pabel, § 3 Rn. 2. 19 St. Rspr., bspw. BVerfGE 10, 271 (274); 64, 135 (157); 74, 102 (128); 111, 307 (317); a. A. J. Abr. Frowein, in: Dicke et al., S. 279 (280); ausführlich Chr. Grabenwarter/K. Pabel, § 3 Rn. 8 ff. m. w. N.; zu den Versuchen, einen Verfassungsrang zu begründen Th. Giegerich, in: Dörr/Grote/Marauhn, Kap. 2 Rn. 51 ff.; Chr. Langenfeld, in: Bröhmer, S. 95 ff. 20 F. C. Mayer, in: Karpenstein/Mayer, Einleitung Rn. 78; J. Meyer-Ladewig/M. Nettesheim, in: dies./v. Raumer, Einleitung Rn. 19. 21 BVerfG, Beschl. v. 10. 5. 2007 – 2 BvR 304/07 = NVwZ 2007, 246 (947) mit Verweis auf BVerfGE 111, 307 (315); kritisch zum Terminus „berücksichtigen“ M. Breuer, NVwZ 2005, S. 412 (413). 22 BVerfGE 111, 307 (317, 329); 74, 358 (370). 23 BVerfGE 111, 307 (323). 24 BVerfGE 111, 307 (324). 15

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

79

kerrechtsfreundlichen Auslegung das nationale Recht grundsätzlich völkerrechtsfreundlich auszulegen.25 Auch der IPbpR ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der im Rang eines einfachen Bundesgesetzes steht. Nach Art. 2 Abs. 1 IPbpR sind die Vertragsstaaten zur Achtung der verbürgten Rechte und zur Gewährleistung der Rechte zugunsten aller in seinem Gebiet befindlichen und seiner Herrschaftsgewalt unterstehenden Personen verpflichtet. Um den im Pakt genannten Rechten zu Wirksamkeit zu verhelfen, sind die Vertragsstaaten zu gesetzgeberischen und sonstigen Vorkehrungen verpflichtet gemäß Art. 2 Abs. 2 IPbpR.

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe 1. Identitätsschutz durch den Schutz von Persönlichkeit Den zentralen Anknüpfungspunkt des grundrechtlichen Schutzes der Persönlichkeit bildet das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Nach ganz überwiegender Auffassung ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht in Abgrenzung zur aktiven26 und nach außen gerichteten allgemeinen Handlungsfreiheit27 mit dem Schutz der inneren und passiven28 Seite der freien Persönlichkeitsentfaltung befasst.29 Dies ist aber nur eine faustformelartige Abgrenzung, zumal vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht auch die Selbstdarstellung nach außen und in der Öffentlichkeit geschützt wird.30 a) Persönlichkeit im Sinne des Grundgesetzes und Identität Vorab ist zu klären, ob der von Art. 2 Abs. 1 GG verwendete Begriff „freie Entfaltung der Persönlichkeit“ dem in dieser Arbeit verwendeten Identitätsbegriff entspricht. Was unter Persönlichkeit im Sinne des Art. 2 GG zu verstehen ist, ergibt sich aus einer Abgrenzung zum Begriff der Person. Auf Wortlautebene enthält Art. 2 GG sowohl den Begriff der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) als auch den der Person 25

BVerfGE 111, 307 (328 f.). BVerfGE 54, 148 (153 f.). 27 Siehe dazu unter E. II. 4. b). 28 BVerfGE 54, 148 (153 f.). 29 Die ganz überwiegende Auffassung geht davon aus, dass Art. 2 Abs. 1 GG zwei Grundrechtsgarantien enthält: G. Britz, in: Bumke/Röthel, S. 353 (358); M. Cornils, in: Isensee/ Kirchhof, HStR3 VII, § 168 Rn. 27; H. Dreier, in: ders., Bd. I, Art. 2 I Rn. 22; H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 2 Rn. 1; M. Kloepfer, Rn. 386 ff.; Ph. Kunig, in: v. Münch/Kunig, Bd. I, Art. 2 Rn. 3 ff.; a. A. H. Kube, in: Isensee/Kirchhof, HStR3 VII, § 148 Rn. 107 ff. 30 Siehe dazu unter E. II. 1. d) aa). 26

80

E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

(Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG). Aufgrund der Verwendung beider Begriffe – Person und Persönlichkeit – ist davon auszugehen, dass mit beiden Begriffen etwas Unterschiedliches gemeint ist.31 Person meint den Menschen als einzelnes Lebewesen.32 Der Begriff der Persönlichkeit hingegen steht in Art. 2 Abs. 1 GG in direkter Verbindung mit deren freien Entfaltung. Die Garantie freier Entfaltung der Persönlichkeit sichert jedem Menschen einen „autonomen Bereich privater Lebensgestaltung, in dem er seine Individualität entwickeln und wahren kann“33 zu. Diese Definition des Schutzguts des allgemeinen Persönlichkeitsrechts enthält viele Elemente, die auch nach sozialwissenschaftlicher Vorstellung zum Identitätsbegriff zählen. Die Definition des BVerfG rückt den einzelnen Menschen und dessen Autonomie ins Zentrum der eigenen Lebensgestaltung. Dies entspricht der Idee des Menschen als Konstrukteur der eigenen Identität. Die Definition des BVerfG spricht gerade nicht von einer fertigen Persönlichkeit, sondern von einer Entwicklung der Individualität des Individuums. Nichts anderes meint die sozialwissenschaftliche Identitätsforschung mit dem dynamischen Prozess der Selbstidentifizierung. Die Definition des BVerfG offenbart aber auch, dass Persönlichkeitsentwicklung im rechtlichen Sinne etwas sehr Individuelles ist, welches das Innere des Menschen und sein Selbstverständnis34 betrifft. Auch dies entspricht den Erkenntnissen der sozialwissenschaftlichen Identitätsforschung. Die rechtliche Definition von Persönlichkeit betont die autonomen und privaten Gehalte von Identität etwas stärker als die Sozialwissenschaft, die das Individuum stets im Kontext zu seiner Umwelt und zum Sozialen setzt. Auch das Grundgesetz geht zwar von einem Menschenbild aus, das den Menschen als soziales Wesen anerkennt.35 Im Bereich der Persönlichkeitsentfaltung steht die Wahrung des Privaten und gerade auch der Schutz des Privaten gegenüber Eingriffen Dritter im Sinne einer Abwehrperspektive aber im Fokus des Persönlichkeitsschutzes. Dies hängt womöglich damit zusammen, dass die einzelnen Teilgehalte des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und das Recht auf die Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer System vom BVerfG vor dem Hintergrund möglicher Bedrohungen für die Privatheit und die Integrität des Individuums entwickelt wurden. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wird nach Auffassung des BVerfG dort aktuell, wo Gefährdungen der menschlichen Persönlichkeit aufgrund des wissenschaftlich-technischen Fortschritts oder der gesellschaftlichen Entwicklung drohen.36 31 32 33 34

140. 35 36

(303).

Ph. Kunig, in: v. Münch/Kunig, Bd. I, Art. 2 Rn. 10. V. Beuthien, in: Götting/Schertz/Seitz, § 17 Rn. 1. BVerfGE 79, 256 (268); 117, 202 (225); vgl. BVerfGE 35, 202 (220). Grundlegend M. Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, insb. S. 8 f.; 15, S. 67 – Dazu V. Beuthien, in: Götting/Schertz/Seitz, § 17 Rn. 3, 8; J. M. Wintrich, S. 6. BVerfGE 54, 148 (153); 65, 1 (41); 101, 361 (380); 106, 28 (39); 118, 168 (183); 120, 274

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

81

Persönlichkeit im Sinne des allgemeinen Persönlichkeitsrechts meine die „individuelle personale Identität“ einer Person37. Damit ist Persönlichkeit auf die Merkmale einer Person bezogen.38 Die freie Entfaltung der Persönlichkeit entspricht also der Herausbildung der eigenen individuellen Identität. Damit meint der Schutz von Persönlichkeit gleichzeitig den Schutz der Identität des Individuums und Schutz der freien Persönlichkeitsentfaltung den Schutz des Identitätsbildungsprozesses. In der juristischen Konzeption von Persönlichkeit findet sich neben der engen persönlichen Lebenssphäre ein nach außen gerichteter Persönlichkeitsschutz. Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG schützt in Form des allgemeinen Persönlichkeitsrechts die Persönlichkeit des Einzelnen nach innen gerichtet in passiver Form und in Form der allgemeinen Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG aktiv und nach außen gerichtet.39 Auch diese Dualität, zum einen von innen und außen sowie von aktiven und passiven Anteilen, findet sich in der sozialwissenschaftlichen Anschauung der Identitätsbildung wieder. Identitätsbildung ist, wie zuvor beschrieben40, ein Prozess, der sich auf der einen Seite als innerlicher Prozess vollzieht, auf der anderen Seite aber auch auf die Interaktion nach außen angewiesen ist. Sowohl das allgemeine Persönlichkeitsrecht als auch die allgemeine Handlungsfreiheit dienen der verfassungsrechtlichen Sicherung des Selbstentwurfs des Menschen. Dieser Selbstentwurf entspricht der aus den Sozialwissenschaften entstammenden Idee von Identität als durch Konstruktionsarbeit erlangtes Selbstverständnis41 eines Menschen. Aus dieser Idee der Dualität der Persönlichkeit zwischen innen und außen ergibt sich die Unterscheidung nach individueller und sozialer Identität. Das Recht auf Selbstbestimmung im engeren Sinne sei auf die Sicherung der individuellen Identität gerichtet, wohingegen das Recht auf Selbstdarstellung die soziale Identität des Individuums gewährleiste.42 Diese Schutzrichtungen leuchten hinsichtlich der sachlichen Schutzbereiche der grundrechtlichen Gewährleistungen grundsätzlich ein. Es muss aber beachtet werden, dass eine solche Trennung leicht zu einer künstlichen werden kann, zumal die individuelle Identität nicht ausschließlich durch die inneren, vor allem reflexiven Prozesse der Identitätsbildung gebildet wird, sondern immer auch die Interaktion des Einzelnen mit der Außenwelt umfasst.43

37

G. Britz, Freie Entfaltung durch Selbstdarstellung, S. 1, 19; H. Dreier, in: ders., Bd. I, Art. 2 I Rn. 22; Ph. Kunig, in: v. Münch/Kunig, Bd. I, Art. 2 Rn. 10; kritisch K.-H. Ladeur, in: Götting/Schertz/Seitz, § 7 Rn. 8. 38 V. Beuthien, in: Götting/Schertz/Seitz, § 17 Rn. 2. 39 G. Britz, Freie Entfaltung durch Selbstdarstellung, S. 23; H.-D. Horn, in: Stern/Becker, Art. 2 Rn. 19. 40 Siehe dazu unter B. III. 2. 41 Siehe dazu unter B. III. 2. und 4. 42 H. D. Horn, in: Stern/Becker, Art. 2 Rn. 47. 43 Siehe dazu unter B. III. 3.

82

E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

Rechtliche Definitionen und Kategorien eignen sich nur begrenzt, innere Vorgänge in ihrer Individualität zu erfassen. Das mag ein Grund für die zurückhaltende Verwendung des Identitätsbegriffs in der rechtswissenschaftlichen Literatur sein. Bedient man sich stattdessen des Wortlauts des Grundgesetzes und verwendet den Begriff der Persönlichkeit oder aber auch den Terminus der freien Persönlichkeitsentfaltung, so wähnt man sich auf der sicheren Seite des Grundgesetzes. Dies ist insofern unschädlich, als dass das rechtliche Verständnis von Persönlichkeitsentfaltung im Wesentlichen dem entspricht, was nach der sozialwissenschaftlichen Identitätsforschung unter Identitätsbildung zu verstehen ist. Der Begriff der Identität kann in die Rechtswissenschaft über den Persönlichkeitsbegriff Einzug halten. b) Menschenwürdebezug des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Anerkannt ist, dass Grundlage des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG ist.44 Der Menschenwürdebezug bietet dabei eine Verstärkung des grundrechtlichen Schutzes der Persönlichkeit45 und dient als Auslegungsrichtlinie46. Im Wege der Auslegung ist demnach zu beachten, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht dem sich aus der Menschenwürde ergebenden „Wert- und Achtungsanspruch“47 dient. Die Menschenwürdegarantie bildet einen nicht einschränkbaren Kern des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.48 Insoweit schützt das allgemeine Persönlichkeitsrecht die engere persönliche Lebenssphäre und ihre Grundbedingungen.49 c) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht als Auffangnorm Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist gegenüber den speziellen Freiheitsverbürgungen als Auffanggrundrecht anzusehen.50 Es gewährleistet die Elemente individueller Identität, die „nicht Gegenstand der besonderen Freiheitsgarantien des 44

St. Rspr. des BVerfG: bspw. BVerfGE 35, 202 (219); 72, 155 (170); 82, 236 (269); 90, 263 (270); 120, 180 (197); 120, 274 (302); 130, 1 (35); U. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Rn. 128 mit umfangreichen Nachweisen; wohl auch K.-P. Nanz, in: Becker, S. 189 (190); H. D. Jarass, NJW 1989, S. 857; H. Dreier, in: ders., Bd. I, Art. 2 I Rn. 69; W. Schmitt Glaeser, in: Isensee/ Kirchhof, HStR2 VI, § 129 Rn. 27; a. A. G. Britz, die Art. 2 Abs. 1 GG allein als Rechtsgrundlage ansieht, Freie Entfaltung durch Selbstdarstellung, ausdrücklich S. 25, auch S. 16 ff., S. 67, dies., in: Bumke/Röthel, S. 353 (358). 45 U. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Rn. 131; K.-H. Ladeur, in: Götting/Scherz/Seitz, § 7 Rn. 2. 46 BVerfGE 33, 367 (377); 34, 328 (345); 80, 367 (372); H. Dreier, in: ders., Bd. I, Art. 2 I Rn. 69; A. Friedrich, S. 33; K.-H. Ladeur, in: Götting/Scherz/Seitz, § 7 Rn. 3. 47 BVerfGE 87, 209 (228). 48 BVerfGE 75, 369 (380). 49 BVerfGE 54, 148 (153); 72, 155 (170); 79, 256 (268). 50 K.-H. Ladeur, in: Götting/Schertz/Seitz, § 7 Rn. 5.

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

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Grundgesetzes sind, diesen aber in ihrer konstitutiven Bedeutung für die Persönlichkeit nicht nachstehen“51. Da das allgemeine Persönlichkeitsrecht die Entfaltung individueller Identität des Individuums direkt adressiert, soll es hier trotz seiner Auffangfunktion den Ausgangspunkt der Untersuchung des grundrechtlichen Identitätsschutzes bilden. d) Identitätsrelevante Teilgehalte des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Die Gegenüberstellung des rechtlichen Persönlichkeitsbegriffs und des sozialwissenschaftlichen Identitätsbegriffs hat gezeigt, dass freie Persönlichkeitsentfaltung Identitätsbildung meint. Der Schutz der freien Entfaltung der Persönlichkeit umfasst daher den Schutz des Vorgangs der Identitätsbildung.52 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht enthält identitätsrelevante Teilgehalte, die nicht abschließend53 zu verstehen sind, sondern das allgemeine Persönlichkeitsrecht lediglich konkretisieren. Damit entfaltet das allgemeine Persönlichkeitsrecht seinen Schutz in verschiedenen Lebensbereichen des Individuums. aa) Das Recht auf Selbstdarstellung Das allgemeine Persönlichkeitsrecht vermittelt dem Individuum ein Recht auf Selbstdarstellung. Dieses Recht umfasse das Bild, welches sich andere von der einzelnen natürlichen Person machen und die damit verbundenen Erwartungen, die sie an diese stellen.54 Der Mensch solle „selbst darüber befinden dürfen, wie er sich gegenüber Dritten oder der Öffentlichkeit darstellen will, was seinen sozialen Geltungsanspruch ausmachen soll und ob oder inwieweit Dritte über seine Persönlichkeit verfügen können, indem sie diese zum Gegenstand öffentlicher Erörterung machen“55. Es handelt sich also um die Selbstdarstellung des Individuums nach außen in der Öffentlichkeit. Dies entspricht dem oben genannten Ansatz der Herausbildung von Rollenidentitäten.56 Der Schutzbereich des Rechts auf Selbstdarstellung darf dabei nicht auf die Selbstdarstellung in der breiteren Öffentlichkeit beschränkt werden. Sinn und Zweck des Rechts auf Selbstdarstellung ist der Schutz eines inneren Freiheitsraums, der die Identitätsentwicklung vor einschränkenden Fremdbildern schützt.57 Daher ist es 51

BVerfGE 120, 274 (303); 99, 185 (193); 114, 339 (346). G. Britz, Freie Entfaltung durch Selbstdarstellung, S. 27. 53 BVerfGE 65, 1 (41). 54 H.-D. Horn, in: Stern/Becker, Art. 2 Rn. 49. 55 BVerfGE 63, 131 (142); 54, 148 (155); vgl. 35, 202 (220); 114, 339 (346). 56 Siehe dazu unter B. III. 3.; M. Albers, S. 400 – 404. 57 G. Britz, Freie Entfaltung durch Selbstdarstellung, S. 37; dies., Einzelfallgerechtigkeit versus Generalisierung, S. 180. 52

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

ausreichend, dass sich die einzelne Person gegenüber Dritten, die auch aus einer kleineren Gruppe bestehen können58, darstellt. Konsequenterweise findet das Recht auf Selbstdarstellung nicht nur dort Anwendung, wo die Selbstdarstellung des Individuums in der Öffentlichkeit oder vor einer kleineren sozialen Gruppe betroffen ist, sondern auch dort, wo die Selbstdarstellung durch staatliche Identitätserwartungen eingeschränkt wird. Auch der Staat ist in diesem Sinne Dritter, gegenüber dem sich die einzelne Person darstellt. Dies ist nur konsequent, zumal das Recht auf Selbstdarstellung vor dem Einfluss fremder Identitätserwartungen auf den inneren Freiheitsraum schützen soll.59 Identitätserwartungen kann nicht nur die Öffentlichkeit oder das soziale Umfeld einer Person stellen, sondern auch der Staat. Er tut dies beispielsweise über die personenstandsrechtliche Erfassung.60 Dabei gilt das Recht auf Selbstdarstellung nicht unbegrenzt. Umfasst ist nicht das Recht, nur so dargestellt zu werden, wie das Individuum sich selbst sieht oder als was es angesehen werden möchte.61 Wohl aber geschützt wird die einzelne Person vor Darstellungen in der Öffentlichkeit, die sie verfälschend, entstellend oder gar herabsetzend oder aber auch inhaltlich ungewollt darstellen.62 Bestandteile des Rechts auf Selbstdarstellung sind das Recht am eigenen Bild und am eigenen Wort, das Recht auf Gegendarstellung, das Recht auf die persönliche Ehre und das Recht auf Schutz und Wahl des eigenen Namens63, der wiederum ein Identitätsmerkmal der Person sein kann.64 Nach einer Ansicht in der Literatur schütze das Recht auf Selbstdarstellung in erster Linie die soziale Identität des Individuums.65 Zu bedenken ist aber, dass die soziale Identität nicht ohne die individuelle Identität gedacht werden kann und andersherum. Beide bedingen einander und sind zwei Seiten der Ich-Identität.66 Das Recht auf Selbstdarstellung erlegt dem Staat auf, den inneren Freiheitsraum, auf den das Individuum zur Identitätsbildung angewiesen ist, zu schützen. Dieser Schutz richtet sich auch gegen Identitätserwartungen, die das Individuum in seiner freien Identitätsentfaltung einschränken können.67 Daher ist der Staat durch das im allgemeinen Persönlichkeitsrecht wurzelnde Recht auf Selbstdarstellung ver-

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So auch G. Britz, Freie Entfaltung durch Selbstdarstellung, S. 44. G. Britz, Einzelfallgerechtigkeit versus Generalisierung, S. 191. 60 Siehe dazu unter D. II. 61 BVerfGE 101, 361 (380); 82, 236 (269); 97, 125 (149); 97, 391 (403); 99, 185 (194); 120, 180 (198); BVerfG NJW 2011, S. 740, 742 f. (Rn. 56). 62 H. Dreier, in: ders., Bd. I, Art. 2 I Rn. 75; H.-D. Horn, in: Stern/Becker, Art. 2 Rn. 49. 63 H. Dreier, in: ders., Bd. I, Art. 2 I Rn. 76; H.-D. Horn, in: Stern/Becker, Art. 2 Rn. 49 m. w. N. zur „Individuierungsfunktion“ des Namens D. Klippel, S. 358 ff. 64 Kritisch D. Klippel, S. 360. 65 W. Schmitt Glaeser, in: Isensee/Kirchhof, HStR2 VI, § 129 Rn. 32. 66 Vgl. auch W. Schmitt Glaeser, in: Isensee/Kirchhof, HStR2 VI, § 129 Rn. 32. 67 G. Britz, Freie Entfaltung durch Selbstdarstellung, S. 37. 59

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

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pflichtet, den Einzelnen vor den Auswirkungen von Identitätserwartungen zu schützen.68 bb) Das Recht auf Anerkennung der selbstbestimmten geschlechtlichen Identität Von besonderer Bedeutung für den geschlechtlichen Personenstand ist das aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleitete Recht auf Anerkennung der selbstbestimmten geschlechtlichen Identität. Dabei handelt es sich um einen Teilgehalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, der die engere persönliche Lebenssphäre und die Sexualsphäre betrifft. In diesem Sinne seien grundsätzlich das Erkennen und Finden der geschlechtlichen Identität geschützt.69 (1) Zur Binarität der Geschlechterordnung Nun fragt sich, welche geschlechtliche Identität das Individuum in diesem Sinne finden und erkennen soll. Das Grundgesetz kennt von seinem Wortlaut her nur die binäre Geschlechterordnung, das heißt Mann und Frau als biologisches Geschlecht. Die ältere Rechtsprechung hielt an diesem Konzept fest und sah allein die körperlichen Eigenschaften der Person als entscheidend für die Geschlechtszugehörigkeit an.70 Die seelische Einstellung des Individuums zu seinem Geschlecht sei für die Geschlechtszugehörigkeit hingegen unbedeutend.71 Das Kammergericht setzte die Entfernung der männlichen Geschlechtsorgane durch plastische Operation ausdrücklich einem Unfall, einer Kriegsverletzung oder „Entmannung“ gleich72. Der zeitliche Kontext der Entscheidung darf nicht übersehen werden. Dennoch verkennt die Entscheidung, dass die geschlechtsumwandelnde Operation und die Einnahme von Hormonpräparaten auf dem freien Willen der betroffenen Person und ihrer Selbstbestimmung über die eigene geschlechtliche Identität beruht. Die Argumentation des Gerichts ist zwar in sich stimmig, zumal es allein auf körperliche Merkmale abstellt und die Psyche des Betroffenen außer Acht lässt. Gerade dieses Außerachtlassen der psychischen Komponente steht aber im Widerspruch mit den Grundrechten, insbesondere dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, des Betroffenen.

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G. Britz, Freie Entfaltung durch Selbstdarstellung, S. 37. BVerfGE 115, 1 (14) mit Verweis auf BVerfGE 96, 56 (61); 121, 175 (190); 128, 109 (124); K. Stern, in: ders., Bd. IV/1, S. 208 f. 70 KG NJW 1965, S. 1084. 71 KG NJW 1965, S. 1084. 72 KG NJW 1965, S. 1084. 69

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

(2) Die Rechtsprechung des BVerfG zu Transsexualität Das hat das BVerfG in seiner Rechtsprechung zur geschlechtlichen Identität klargestellt und zunächst die Rechte von transsexuellen Personen in seinen acht Transsexuellen-Entscheidungen73 und sodann auch die Rechte von intersexuellen Personen74 im Hinblick auf die geschlechtliche Identität und Persönlichkeitsentwicklung gestärkt. Bereits in seiner ersten Transsexuellen-Entscheidung zweifelt das BVerfG an der These der Unwandelbarkeit des Geschlechts und an der bis dato weit verbreiteten Auffassung, man könne den Menschen einem überwiegenden Geschlecht zuordnen, das entweder männlich oder weiblich sei.75 Im Falle von Transsexualität weisen Personen zwar phänotypisch und biologisch die Merkmale eines bestimmten Geschlechts auf. Psychisch fühlen sie sich aber nicht dem phänotypischen und biologischen Geschlecht, sondern einem anderen zugehörig.76 Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gebiete es, den „Personenstand des Menschen dem Geschlecht zuzuordnen, dem er nach seiner psychischen und physischen Konstitution zugehört“77. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hält demnach nicht an rein physischen Kriterien fest, sondern bezieht die psychische Komponente geschlechtlicher Identität mit ein. Das ist insofern richtig, als dass die Leiblichkeit78 eine Säule von Identität, aber keineswegs die einzige ist. In seiner vierten Transsexuellen-Entscheidung betont das BVerfG, dass aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG ein Anspruch des Individuums auf Achtung seines Sexualbereichs als Teil seiner Privatsphäre gegenüber staatlichen Organen folge und spiegelbildlich die staatlichen Organe verpflichtet seien, die individuelle Entscheidung der Person über die Geschlechtszugehörigkeit zu respektieren.79 Hier stellt das BVerfG deutlich und zu Recht auf die Individualität der Entscheidung über die Geschlechtszugehörigkeit ab und stellt klar, dass die Deutungshoheit über die eigene Geschlechtszugehörigkeit beim Individuum liegt. Das Gericht führt weiter aus, dass § 1 TSG, der die Möglichkeit einer Änderung des Vornamens vorsieht, eine Rollenentscheidung der Person, die die Namensänderung begehrt, enthielte.80 Diese 73

BVerfGE 48, 286 (Transsexualität I); 60, 123 (Transsexualität II); 88, 87 (Transsexualität III); BVerfG, Kammerbeschluss v. 15. 8. 1996, NJW 1997, S. 1632 f. (Transsexualität IV); 115, 1 (Transsexualität V); 116, 243 (Transsexualität VI); 121, 175 (Transsexualität VII) und 128, 109 (Transsexualität VIII). 74 BVerfGE 147, 1 = BVerfG, Beschl. v. 10.10. 2017 – BvR 2019/16; ausführlich dazu unter F. II. b). 75 BVerfGE 49, 286 (298 f.). 76 Deutscher Ethikrat, Intersexualität, S. 26. 77 BVerfGE 49, 286 (298); 116, 263 (264); BVerfG, Kammerbeschluss v. 15. 8. 1996, NJW 1997, S. 1632. 78 Siehe unter B. III. 5. 79 BVerfG, Kammerbeschluss v. 15. 8. 1996, NJW 1997, S. 1632. 80 BVerfG, Kammerbeschluss v. 15. 8. 1996, NJW 1997, S. 1632.

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Rollenentscheidung und die Wertentscheidung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gebiete es, die Person gemäß ihrer Entscheidung anzureden und anzuschreiben.81 In seiner fünften Entscheidung rückt das BVerfG die Identitätsrelevanz des Vornamens der Person auch als Ausdruck geschlechtlicher Identität82 in den Fokus, sieht gerade die Deckung von Vornamen und geschlechtlicher Identität als vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht geschützt an83 und hält daran fest, dass die Geschlechtszugehörigkeit nicht allein aufgrund physischer Merkmale bestimmt werden könne, sondern auch an das nachhaltig selbst Empfundene anknüpfen müsse84. In seiner sechsten Transsexuellen-Entscheidung bekräftigt das BVerfG seine bisherige Rechtsprechung und weitet den Schutz des Rechts auf Anerkennung des Personenstands und der Selbstbestimmung der geschlechtlichen Identität nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG über Art. 3 Abs. 1 GG auf ausländische Transsexuelle, die sich nicht nur vorübergehend und rechtmäßig in Deutschland aufhalten, aus.85 Das BVerfG stellt auch in dieser Entscheidung wieder auf die „empfundene Geschlechtlichkeit“86 ab und betont, dass die rechtliche Anerkennung des nachhaltig empfundenen Geschlechts es dem Menschen ermögliche, nach seinem empfundenen Geschlecht zu leben und gerade keinen Widerspruch zwischen seiner empfundenen Geschlechtsidentität und der rechtlichen Behandlung erfahren dürfe87. In der siebten und achten Entscheidung zur Transsexualität betont das BVerfG jeweils die aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abzuleitende gebotene Anerkennung der geschlechtlichen Identität des Individuums. Dabei handelt es sich in der siebten Transsexuellen-Entscheidung um die rechtliche Anerkennung der geschlechtlichen Identität nach einem geschlechtsangleichenden operativen Eingriff88, wohingegen in der achten Entscheidung zu Transsexualität das Erfordernis der rechtlichen Anerkennung der empfundenen Geschlechtsidentität zwecks Vermeidung von Widersprüchen zwischen der Geschlechtsidentität und der rechtlichen Behandlung des Individuums im Vordergrund steht89. Die zweite und dritte Transsexuellen-Entscheidungen betreffen altersbedingte Gleichheitsverstöße und nicht das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Damit ist für den Personenstand zwar das biologische Geschlecht weiterhin als Ausgangspunkt anzusehen. Der verfassungsrechtliche Schutz der Geschlechts81 82 83 84 85 86 87 88 89

BVerfG, Kammerbeschluss v. 15. 8. 1996, NJW 1997, S. 1632. BVerfGE 115, 1 (14) mit Verweis auf BVerfGE 109, 256 (266). BVerfGE 115, 1 (14 f.). BVerfGE 115, 1 (15). BVerfGE 116, 243 (259 ff.). BVerfGE 116, 243 (261) und (263) mit Verweis auf BVerfGE 115, 1 (15). BVerfGE 116, 243 (264). BVerfGE 121, 175 (190 f.) mit Verweis auf BVerfGE 49, 286 (298); 116, 243 (264). BVerfGE 128, 109 (124).

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

identität gebietet aber eine Anerkennung der vom Individuum empfundenen Geschlechtsidentität gerade deshalb, um Widersprüche zwischen dem empfundenen Selbstbild und der rechtlichen Realität in der Außenwelt zu vermeiden. Dabei besteht aus grundrechtlicher Sicht kein „fundamentaler Unterschied“90 zwischen den Konstellationen der Trans- und der Intersexualität.91 In beiden Fällen fehlt es an der rechtlichen Anerkennung der empfundenen Geschlechtsidentität.92 Es ist auch nicht sachgerecht, im Fall von Intersexualität im Vergleich zur Transsexualität auf eine fehlende rechtliche Relevanz abzustellen.93 Richtig ist, dass ein Geschlechtswechsel Transsexueller rechtliche Konsequenzen nach sich zieht, da das Recht an die Kategorien männlich und weiblich anknüpft.94 Sehr wohl haben Transund Intersexualität aber grundrechtliche Relevanz. In beiden Fällen ist das Recht auf Anerkennung des selbstbestimmten geschlechtlichen Personenstands betroffen95, zumal sowohl ein unzutreffender als auch ein fehlender Geschlechtseintrag im Personenstandsregister zu einer fehlenden Anerkennung der Geschlechtsidentität führt. (3) Verfassungsrechtlicher Identitätsschutz als Individualitätsschutz An dieser Stelle ist es notwendig, einige Erkenntnisse aus der TranssexuellenRechtsprechung des BVerfG für den weiteren Verlauf der Untersuchung festzuhalten. Der Ausgangspunkt des Rechts auf Anerkennung des Personenstands und Selbstbestimmung der geschlechtlichen Identität und die damit verbundenen Aussagen des BVerfG liefern Erkenntnisse zum auf dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht basierenden Identitätsschutz auch abseits der geschlechtlichen Identität. Ausgangspunkt der Überlegungen zur Anerkennung des Personenstands bildet Art. 1 Abs. 1 GG. Dass Art. 1 Abs. 1 GG die Würde des Menschen schützt, ergibt sich bereits aus seinem Wortlaut. Für die Frage des verfassungsrechtlichen Identitätsschutzes maßgeblich ist aber die Erkenntnis des BVerfG, dass Art. 1 Abs. 1 GG die Würde des Menschen auf eine Weise schützt, wie der Mensch „sich in seiner Individualität selbst begreift und sich seiner selbst bewusst wird“96. In diesem Sinne 90

A. Dutta/T. Helms, StAZ 2017, S. 99 (100). So auch F. Brachthäuser/J. Remus, NJW 2016, S. 2887. 92 So auch J. T. Theilen, StAZ 2014, S. 1 (3), a. A. J. Froese, JZ 2016, S. 1069 (1070). 93 A. Dutta/T. Helms, StAZ 2017, S. 99 (102), T. Helms, Drittes Geschlecht, S. 26. 94 Überblick über die rechtlichen Bezugnahmen auf das Geschlecht bei A. Schmidt, Rechtsphilosophie 2016, S. 169 (170 f.) und M. Siedenbiedel, S. 61 – 63; D. Coester-Waltjen, JZ 2010, S. 852 (853); C. Röhner, Juridkum 2015, S. 516; J. Froese, AöR 2015, S. 598 (602). 95 Deutscher Ethikrat, Intersexualität, S. 128 – 130; A. Kolbe, in: Schweizer/Richter-Appelt, S. 415 (416); wohl auch K. Plett, in: Schweizer/Richter-Appelt, S. 131 (137); S. L. Gössl, NZFam 2016, S. 1122 (1123); M. Petricˇ evic´, S. 296 f. 96 BVerfGE 49, 286 (298); 115, 1 (14); BVerfG, Kammerbeschluss v. 15. 8. 1996, NJW 1997, S. 1632. 91

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

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rückt das BVerfG das Selbstempfinden, Selbstbewusstsein und Selbstverständnis des Individuums in den Vordergrund. Zugleich wird deutlich, dass das Selbstempfinden gerade in seiner Individualität geschützt wird. Dadurch, dass das BVerfG klar auf das subjektive Empfinden und das Eigenbild des Individuums abstellt und damit von objektiven Kriterien der Geschlechtszugehörigkeit Abstand nimmt, wird deutlich, dass das Selbstverständnis des Individuums das maßgebliche Kriterium ist und die Deutungshoheit über die eigene Identität beim Individuum liegt. (4) Recht auf positive Anerkennung der geschlechtlichen Identität Konsequent zu Ende gedacht folgt aus dem Recht auf Selbstdarstellung und dem Recht auf Anerkennung der selbstbestimmten geschlechtlichen Identität aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG nicht nur das Recht auf irgendeine, sondern eine positive Anerkennung der geschlechtlichen Identität.97 Die Deutungshoheit über die geschlechtliche Identität liegt – dem Recht auf Anerkennung der selbstbestimmten geschlechtlichen Identität folgend – beim Individuum. Das Recht auf Selbstdarstellung gebietet staatliche Zurückhaltung hinsichtlich der Identitätserwartungen, wie sie in den personenstandsrechtlichen Kategorien zahlreich enthalten sind, sodass das Individuum selbst über seine Eigendarstellung entscheiden kann. Diese Darstellung betrifft auch das Geschlecht als wesentlichen und intimen Bestandteil der individuellen Identität. Ein beim Selbstverständnis des Einzelnen anknüpfender Schutz individueller Identität bliebe eine leere Hülle, sofern nicht auch das Recht auf eine positive Anerkennung individueller Identität verbürgt ist. Dieses Recht gilt freilich nicht absolut und unterliegt den Schranken des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG. cc) Das Recht auf Neubeginn Zum Recht auf Neubeginn zählen der Schutz Minderjähriger vor Überschuldung98, die Begrenzung der Haftung Minderjähriger99 und der Anspruch auf Resozialisierung100. Das Recht auf Neubeginn bündele damit verschiedene Grundbedingungen der Persönlichkeitsentfaltung.101 Schutzzweck des Rechts auf Neubeginn ist die Vermeidung fremder Erwartungen, die Auswirkungen auf die Identitätsbildung haben.102 Minderjährige sollen in rechtlicher und materieller Hinsicht und 97

Ähnlich A. Röthel, JZ 2016, S. 116 (122). BVerfGE 72, 155 (170 ff.). 99 BVerfG NJW 1998, S. 3557 (3558); dazu K. Goecke, NJW 1999, S. 2305 ff.; H. Kube, in: Isensee/Kirchhof, HStR3 VII, § 148 Rn. 57. 100 BVerfGE 35, 202 (235 f.); 45, 187 (238 f.); 64, 261 (276); 109, 133 (151) vgl. BVerfGE 36, 174 (188). 101 H. Dreier, in: ders., Bd. I, Art. 2 I Rn. 78. 102 Vgl. G. Britz, Freie Entfaltung durch Selbstdarstellung, S. 74; H. Dreier, in: ders., Bd. I, Art. 2 I Rn. 78. 98

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

verurteilte Straftäter in rechtlicher Hinsicht nicht unnötig durch fremde Erwartungen vorbelastet werden. In diesem Sinne kann das Verschweigen von Tatsachen aus der Vergangenheit hinzuzählen, sofern diese Tatsachen einen Neubeginn erschweren oder vereiteln würden.103 dd) Die Rechte auf Kenntnis der eigenen Abstammung und Vaterschaft Ein Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung ist ganz überwiegend anerkannt. Teilweise wird es direkt aus der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG hergeleitet.104 Ganz überwiegend wird aber das allgemeine Persönlichkeitsrecht als Rechtsgrundlage gesehen.105 Insbesondere für den Identifikationsprozess im Kindesalter, der sich an Bezugspersonen orientiert, spielt die Kenntnis der Abstammung eine große Rolle.106 Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung ist von großer Bedeutung für die Identität des Individuums jeden Alters.107 Die tatsächliche Kenntnis um die Abstammung mag für die Person positive oder aber auch belastende Effekte haben. Nichtsdestotrotz beeinflusst sie das eigene Selbst- und Rollenbild. So stellte das BVerfG fest: „Verständnis und Entfaltung der Individualität sind dabei mit der Kenntnis der für sie konstitutiven Faktoren eng verbunden. Zu diesen zählt auch die Abstammung“108. Die Abstammung nehme eine „Schlüsselstellung“ in der „Individualitätsfindung“ und für das Selbstverständnis sowie das familiäre Verhältnis ein.109 Die Kenntnis der eigenen Abstammung wird als Grundbedingung der Selbstbestimmung110 oder aber auch als Grundbedingung für die Persönlichkeitsentfaltung111 angesehen. Die Identitätsrelevanz der Kenntnis der Abstammung wird durch die Vergangenheits- und Herkunftsbezogenheit von Identität112 bestätigt. Die Kenntnis über die

103

O. Mallmann, S. 38 f. N. Mansees, NJW 1988, S. 2984 f.; Chr. Starck, DJT 1986, A 7 (A 24); aber später ders., JZ 1989, S. 338 (339). 105 BVerfG NJW 1989, S. 891; BVerfGE 117, 202 (225 ff.); 90, 263 (270 f.); 96, 56 (63); ausführlich zur Rechtsprechung des BVerfG zum Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung D. Schwab, in: FS für Steiner, S. 758 – 775; BGHZ 82, 173 (179); H. Deichfuß, NJW 1988, S. 113; U. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Rn. 128 mit umfassenden Nachweisen; H. Dreier, in: ders., Bd. I, Art. 2 insb. Rn. 78; Chr. Enders, NJW 1989, S. 881 (884); H.-D. Horn, in: Stern/ Becker, Art. 2 Rn. 47; H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 2 Rn. 50, 78a; wohl auch B. Zypries/ M. Zeeb, ZRP 2014, S. 54 ff. 106 Th. Donhauser, S. 45 ff.; vgl. P. Meyer, S. 65. 107 A. A. P. Tiedemann, Menschenwürde als Rechtsbegriff, S. 356. 108 BVerfGE 117, 202 (225); 79, 256 (268). 109 BVerfGE 117, 202 (225 f.); Chr. Degenhart, JuS 1992, 361 (367). 110 H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 2 Rn. 50. 111 H. Dreier, in: ders., Bd. I, Art. 2 I Rn. 78. 112 Siehe dazu unter B. III. 2. 104

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eigene Herkunft bildet den „Ausgangspunkt für die eigene Geschichte“113. Es geht um die Herstellung von Kontinuität zwischen Vergangenheit und Gegenwart.114 Weiß das Individuum, wo in familiärer und vielleicht auch geografischer und kultureller Hinsicht seine Wurzeln liegen, so können gewonnenen Erfahrungen über die eigenen Wurzeln in die Identitätsbildung einbezogen werden. Insofern prägt die Abstammung die Persönlichkeit des Einzelnen.115 Spiegelbildlich wird auch die Nichtkenntnis der Abstammung geschützt. Das Individuum entscheidet also selbst über Kenntnis und Nichtkenntnis der Abstammung und steuert dadurch sein Selbstbild.116 Die Kenntnis über die Abstammung hat auch medizinische Relevanz. Die Kenntnis der eigenen Abstammung erst ermöglicht die Kenntnis über genetische Dispositionen117, die zu genetisch bedingten und vererbbaren Krankheiten führen können. Für eine umfassende und lückenlose genetische Beratung, wie sie häufig im Zusammenhang mit einem Kinderwunsch erfolgt, ist die Kenntnis über die eigene Abstammung unerlässlich. Demnach erscheint es möglich, dass das Wissen über genetische Dispositionen Lebensentscheidungen, namentlich die für oder gegen ein Kind beziehungsweise Kinder, beeinflusst. Das Spiegelbild zum Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung bildet das vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht vermittelte Recht auf Kenntnis der eigenen biologischen Vaterschaft.118 Dies schützt nicht nur die Selbstwahl über Kenntnis oder Nichtkenntnis der Vaterschaft, sondern hat bei dessen Inanspruchnahme unter Umständen Auswirkungen auf die soziale und rechtliche Rolle des Individuums. Erfährt ein Mann von einer biologischen Vaterschaft, so wird er möglicherweise seine soziale Rolle als Vater und die mit der biologischen Vaterschaft gegebenenfalls einhergehenden rechtlichen Rechte und Pflichten wahrnehmen. Er entwickelt sodann womöglich eine Rollenidentität als Vater. ee) Das Recht auf Kenntnis und Nichtkenntnis von Krankheiten Auch die Kenntnis oder Nichtkenntnis von Krankheiten hat Identitätsrelevanz119. Gemeint sind nicht geläufige Krankheiten, sondern vielmehr solche, die genetisch bedingt sind und/oder Sterblichkeitsrisiken mit sich bringen.120 Die Kenntnis einer 113

Deutscher Ethikrat, Stellungnahme zum Problem der anonymen Kindesabgabe, S. 74. F. Badenberg, S. 28. 115 OLG Hamm ZD 2013, S. 185 (187). 116 Vgl. G. Britz, Freie Entfaltung durch Selbstdarstellung, S. 73. 117 Th. Donhauser, S. 51. 118 BVerfGE 108, 82 (105); 117, 202 (226). 119 A. A. P. Tiedemann, Menschenwürde als Rechtsbegriff, S. 356, der für eine Identitätsrelevanz einen Verstoß gegen die Menschenwürde voraussetzt. 120 G. Britz, Freie Entfaltung durch Selbstdarstellung, S. 73; U. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Rn. 192 m. w. N. 114

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genetischen Disposition kann Auswirkungen auf den Kinderwunsch und die Familienplanung und damit die familiäre und elterliche Identität des Individuums haben. Weiß eine Person um eine vererbbare krankhafte Disposition, so wird sie bewusster und womöglich vorsichtiger mit dem Kinderwunsch und der Familienplanung umgehen als jemand, der keine Kenntnis über eine genetische Disposition hat. Ebenso kann die Kenntnis über eine krankheitsbedingte frühere Sterblichkeit die Lebensführung des Individuums beeinflussen. Mit dem Wissen über eine baldige oder mittelfristige Sterblichkeit lebt eine Person ihr Leben unter Umständen auf andere Weise, vielleicht bewusster oder auch risikofreudiger, als ohne diese Kenntnis.

2. Die Bedeutung der Menschenwürde für den Identitätsschutz Der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG können als der Schlüsselnorm121 des Grundgesetzes einige Aussagen zum Stellenwert des Individuums in der grundgesetzlichen Ordnung und zum Menschenbild des Grundgesetzes entnommen werden. Den besonderen Stellenwert der Menschenwürde als oberster Wert der freiheitlichen Demokratie betonte das BVerfG früh.122 Der Mensch sei eine mit der Fähigkeit zu eigenverantwortlicher Lebensgestaltung begabte „Persönlichkeit“.123 Dem Menschen müsse „um seiner Würde willen“124 die freie Entfaltung der Persönlichkeit garantiert werden. Der Mensch sei ein geistig-sittliches Wesen, das sich in Freiheit selbst bestimmt und entfaltet.125 Diese anfänglichen Ausführungen des BVerfG zur Menschenwürde zeigen die Nähe der Menschenwürdegarantie zur freien Entfaltung der Persönlichkeit. In diesem Sinne kommt der Menschenwürde für den Identitätsschutz über die Anreicherung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts126 Bedeutung zu. Ebenso einen engen Bezug zwischen Menschenwürde und Persönlichkeitsentwicklung stellen die Leistungstheorien her, die Würde als Produkt des Identitätsbildungsprozesses ansehen.127 Dem ist entgegenzuhalten, dass Würde nicht das Ergebnis eines Identitätsbildungsprozesses ist. Ein Mensch hat nicht mehr oder weniger Würde, je mehr oder weniger er Identität herausbildet.128 Wie die Erkenntnisse der sozialwissenschaftlichen Identitätsforschung gezeigt haben, gibt es 121 122 123 124 125 126 127 128

Vgl. Chr. Hillgruber, in: Epping/Hillgruber, Art. 1 Rn. 1. BVerfGE 5, 85 (204). BVerfGE 5, 85 (204). BVerfGE 5, 85 (204). BVerfGE 133, 168 (197); 45, 187 (227); 123, 267 (413). Siehe dazu unter E. II. 1. b). H. Dreier, in: ders., Bd. I, Art. 1 I Rn. 58 m. w. N. Vgl. P. Tiedemann, Menschenwürde als Rechtsbegriff, S. 268.

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

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nicht das eine Produkt beziehungsweise Ergebnis am Ende eines Identitätsbildungsprozesses. Ihre ganz eigene Bedeutung für den Schutz individueller Identität erlangt die Menschenwürde darüber, dass sie die Individualität des Menschen in den Vordergrund rückt.129 Eine weitere identitätsschützende Funktion erfüllt die Menschenwürde als Wurzel der Kernbereichsdoktrin130 im Bereich des Privatsphärenschutzes. Die Menschenwürde bildet mit ihren Aussagen über das Menschenbild des Grundgesetzes das Fundament, auf dem auch der verfassungsrechtliche Schutz individueller Identität fußt. Ausdruck der Menschenwürde des Grundgesetzes ist es, dass jedem Menschen ein von der staatlichen Gewalt unbedingt zu achtender Wert zukommt.131 Ausdruck der Menschenwürde ist ferner die Anerkennung des Menschen als selbstverantwortliche Persönlichkeit132, die Anerkennung personaler Autonomie und der Subjektqualität des Menschen133, die mit der Fähigkeit des Menschen zu Selbstbewusstsein134 verbunden ist. Genau diese Anerkennung des Menschen als Subjekt hat Bedeutung für den durch die Menschenwürde vermittelten Identitätsschutz. Die verfassungsrechtliche Anerkennung einer individuellen Identität basiert auf der Prämisse der Subjektqualität des Menschen. Sachen und Dinge, denen keine Subjektqualität zukommen, sondern als Objekt betrachtet und behandelt werden, werden zwar Eigenschaften zugeschrieben, aber gewiss keine eigene und im Wege der Identitätsarbeit herauszuarbeitende Identität. Ihnen fehlt es dafür schon an der für den Identitätsbildungsprozess notwendigen potentiellen Willensfreiheit und einem entsprechenden Reflexionsvermögen.135 Ein PKW mag Eigenschaften wie seine Farbe, Motorisierung, Innen- und Sonderausstattung aufweisen. Der PKW kann – beispielsweise durch Vermenschlichung aufgrund von Namensgebung und dergleichen – zum persönlichen Objekt, das der Identitätsbildung des Menschen dient136, werden. Zur Herausbildung einer eigenen Identität im Stande ist aber der Mensch gerade wegen seines Menschseins und seiner Willensfreiheit137, auf der all seine in die Identitätsarbeit einfließenden Erfahrungen, Handlungen und Entscheidungen beruhen.

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Siehe dazu unter E. II. 1. b). Siehe dazu unter E. II. 3. c). 131 BVerfGE 109, 279 (312 f.). 132 BVerfGE 45, 187 (228). 133 H. Dreier, in: ders., Bd. I, Art. 1 I Rn. 42, 150. 134 Vgl. J. M. Wintrich, S. 6. 135 Vgl. P. Tiedemann, Menschenwürde als Rechtsbegriff, S. 238 ff., 268; ähnlich schon J. M. Wintrich, S. 6. 136 Siehe dazu unter E. II. 8. c). 137 P. Tiedemann, Menschenwürde als Rechtsbegriff, S. 243 ff. 130

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

Mögen die anderen Grundrechte138 als die konkreteren Normen auch vorrangig zu prüfen139 sein, so bleibt Ausgangspunkt für eine verfassungsrechtliche Anerkennung der individuellen Identität die von der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG umfasste Subjektqualität des Menschen.

3. Identitätsschutz durch Privatsphärenschutz Wie bereits dargestellt, spielt der verfassungsrechtliche Schutz der Privatsphäre eine bedeutende Rolle für das Recht auf Anerkennung der selbstbestimmten geschlechtlichen Identität. Aber auch über die geschlechtliche Identität hinaus kommt dem verfassungsrechtlichen Privatsphärenschutz eine grundlegende Identitätsrelevanz zu. a) Die Bedeutung des Privatsphärenschutzes für die individuelle Identität und das Recht auf Privatheit Kennzeichnend für den aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleiteten verfassungsrechtlichen Privatsphärenschutz ist das Zugestehen eines „Bereichs menschlichen Eigenlebens“ und eines „autonomen Bereichs privater Lebensgestaltung“, in dem das Individuum „seine Individualität entwickeln und wahren kann“.140 Die nach innen gerichtete Identitätsarbeit des Individuums ist auf einen individuellen Freiheitsraum141 angewiesen. Privatheit ist in diesem Sinne Grundvoraussetzung für Freiheit.142 Schon früh betonte das BVerfG, dass es für die freie Entfaltung der Persönlichkeit Momente geben müsse, in denen der Einzelne „sich selbst besitzt“143. Diese Momente, in denen der Mensch sich selbst reflektieren kann, in Ruhe gelassen wird144 und Momente des Ausgleichs abseits sozialen Zwangs145 sowie des Zu-Sich-Selbst-Kommens und der Entspannung146 erlebt, sind jene Mo138 Für eine Auslegung des Art. 1 Abs. 1 GG als Grundrecht BVerfGE 125, 175 (22); dagegen: H. Dreier, in: ders., Bd. I, Art. 1 Rn. 125; G. Dürig, in: Maunz/Dürig, Erstbearbeitung 1958, Art. 1 Rn. 4 (zitiert nach Michael/Morlok); Chr. Enders, Die Menschenwürde in der Verfassungsordnung, S. 102 ff.; 152. 139 W. Höfling, in: Sachs, Art. 1 Rn. 67; H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 1 Rn. 5; Ph. Kunig, in: Münch/Kunig, Bd. I, Art. 1 Rn. 69; K. Stern, in: ders., Bd. IV/1, S. 75; a. A. H. Dreier, in: ders., Bd. I, Art. 1 Rn. 160. 140 BVerfGE 27, 1 (6); vgl. 117, 202 (225); J. M. Wintrich, S. 15 f. 141 G. Britz, Freie Entfaltung durch Selbstdarstellung, S. 27 f.; D. Suhr, S. 95 f. 142 H. D. Horn, in: Isensee/Kirchhof, HStR3 VII, § 149 Rn. 10. 143 BVerfGE 27, 1 (6). 144 BVerfGE 27, 1 (6 f.); 120, 180 (199); 109, 279 (309); 103, 142 (150); 51, 97 (107). 145 Vgl. BVerfGE 101, 361 (383). 146 BVerfGE 101, 361 (382 f.); 120, 180 (199); H. D. Horn, in: Isensee/Kirchhof, HStR3 VII, § 149 Rn. 11.

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

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mente, die den komplexen Prozess der Identitätsbildung durch Selbstreflexion und Ungestörtsein ermöglichen und die Identitätsbildung begünstigen. Der grundrechtliche Schutz der Privatsphäre adressiert mithin in erster Linie die individuelle Identität.147 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht erlegt dem Staat auf, den inneren und äußeren Freiraum des Individuums im Sinne der Privatsphäre und zum Zwecke der Identitätsbildung zu schützen. Der Privatsphärenschutz nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG hat zwei grundsätzliche Komponenten. Zum einen umfasst er das Recht auf Schutz beziehungsweise vor körperlicher Zugänglichkeit des Privatbereichs, das heißt den Raum im wörtlichen Sinne, und zum anderen die „kognitive Zugänglichkeit“148, welche Verfügbarkeit und Verwendung oder gerade Nichtverfügbarkeit und Nichtverwendung von personenbezogenen und privaten Informationen meint. Dabei sei der auf diese Weise gewährte Geheimnisschutz Selbstzweck149 des Wertes der Persönlichkeit und der Identitätsbildung. b) Spezielle Grundrechte zum Schutz der informationellen und örtlichen Privatsphäre Sowohl zum Schutze der kognitiven Zugänglichkeit des privaten Bereichs (aa)–cc)) als auch zum Schutze der tatsächlichen Zugänglichkeit des privaten Raums (ee)) existieren spezielle grundrechtliche Gewährleistungen. aa) Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verbürgt das Recht, „selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu bestimmen“150. Dabei sind Daten solche, die personenbezogen sind.151 Ganz überwiegend wird das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Unterfall des allgemeinen Persönlichkeitsrechts angesehen.152 Auch wenn das Recht auf informationelle Selbstbestimmung weitgehend verselbständigt wurde, so verbleiben seine grundrechtsdogmatischen Wurzeln im allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Hintergrund des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ist der Schutz des Individuums vor Gefährdungen der Persönlichkeit seitens computergestützter Da147

So auch W. Schmitt Glaeser, in: Isensee/Kirchhof, HStR2 VI, § 129 Rn. 32. H.-D. Horn, in: Stern/Becker, Art. 2 Rn. 40. 149 Ph. Kunig, in: v. Münch/Kunig, Bd. I, Art. 2 Rn. 32. 150 BVerfGE 65, 1 (42 f.). 151 BVerfGE 65, 1 (43); 113, 29 (46). 152 BVerfGE 65, 1 (41 f.); 115, 166 (187); 117, 202 (228); 118, 168 (184); BVerwGE 121, 115 (124); U. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 1 Rn. 173; K. Stern, in: ders., Bd. IV/1, S. 230 f.; a. A. wohl D. Lorenz, in: BK-GG, Art. 2 Abs. 1 Rn. 334; E. Gurlit, NJW 2010, S. 1035 (1036). 148

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tenverarbeitungen und insbesondere der damit einhergehenden Verknüpfungsmöglichkeiten.153 Die Bedeutung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung liegt also gerade in denen durch die Informationstechnologie hervorgerufenen Gefahren des Persönlichkeitsschutzes. Trotzdem findet das Recht nicht nur im Bereich der automatischen Datenverarbeitung Anwendung154, sondern umfasst die staatliche Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten generell155. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung weist Bezüge zum ebenfalls dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht entspringenden Gedanken des Privatsphärenschutzes auf. Durch die eigene Entscheidung über die Preisgabe personenbezogener Daten ist es dem Einzelnen grundsätzlich möglich, diese Daten vom Zugriff Dritter abzuschirmen. Das wirkt zugleich autonomiefördernd.156 Die Entscheidung über die Preisgabe von Daten ist eine, die das Bild der Außenwelt von einer Person und damit ihr Fremdbild beeinflussen kann. Entscheidet sich das Individuum, bestimmte personenbezogene Daten gegenüber Dritten preiszugeben, so steuert es die Fremdwahrnehmung dadurch, welche und wie viele Daten es wem zu welchem Zeitpunkt preisgibt. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung weist damit enge Bezüge zum Recht auf Selbstdarstellung auf und kann als „praktischer Schutzmechanismus“157 des Rechts auf Selbstdarstellung begriffen werden. bb) Das Recht auf die Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme Dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht entstammt auch das Recht auf die Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme. Ähnlich wie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wurde das Recht auf die Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme seitens des BVerfG vor dem Hintergrund technischer Entwicklungen, namentlich eines lückenhaften158 Schutzes vor heimlichen Zugriff auf informationstechnische Systeme im Wege der Online-Durchsuchung, entwickelt.159 Geschützt werden informationstechnische Systeme, die wegen ihrer technischen Vernetzung eine vielfältige und umfangreiche Sammlung personenbezogener Daten enthalten, 153

BVerfGE 65, 1 (42 und 45); 113, 29 (45 f.); 115, 320 (342); 120, 378 (397 f.). Zur Möglichkeit sozialer Kontrolle durch Datenbanken P. J. Müller, in: Krauch, S. 141 ff. 154 BVerfGE 78, 77 (84); U. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. Rn. 176. 155 BVerfGE 78, 77 (84). 156 B. Rössler, S. 203; ähnlich jüngst dies., in: Baer/Sacksofsky, S. 93 – 118 passim; dazu auch S. Elsuni, in: Baer/Sacksofsky, S. 119 (120 – 122). 157 G. Britz, Freie Entfaltung durch Selbstdarstellung, S. 52 ff.; dies., in: Bumke/Röthel, S. 353 (361); dies.: Einzelfallgerechtigkeit versus Generalisierung, S. 183. 158 Kritisch G. Britz, DÖV 2008, S. 411 (412 f.); H. Gersdorf, in: ders./Paal, Art. 2 Rn. 23 m. w. N.; E. Gurlit, NJW 2010, S. 1035 (1037). 159 BVerfGE 120, 274 (302); ausführlich zur Entstehungsgeschichte Chr. Herrmann, S. 25 – 85.

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

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welche bei einem Zugriff auf das System „einen Einblick in wesentliche Teile der Lebensgestaltung einer Person“ gewährt oder auch „ein aussagekräftiges Bild der Persönlichkeit“ vermittelt.160 Die Schutzrichtung ist damit die freie, dem Zugriff Dritter entzogene private Lebensgestaltung und die Persönlichkeit, das heißt Identität, des Individuums. Der Schutz von Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme dient dem Persönlichkeitsschutz und ist nicht als bloßer Schutz des informationstechnischen Systems als solchem zu interpretieren.161 Das Recht auf die Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme zielt auf einen Vertraulichkeitsschutz ab. Es handelt sich um einen Schutz vor Ausforschung der Persönlichkeit162, der wiederum durch den Schutz des Vertrauens in die Integrität eines informationstechnischen Systems gewährleistet werden soll. Dadurch wird insbesondere ein Schutz vor unberechtigten Zugriffen Dritter auf das System gewährt. Personenbezogene Daten, die ein Bild der Persönlichkeit, das heißt Identität, der Person vermitteln, sollen privat und nur ihr zugänglich sein können. Aufgrund des Persönlichkeitsbezugs des „Rechts auf die Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme“ wurde als Titel auch vorgeschlagen „Grundrecht auf Gewährleistung der personalen Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme“163. cc) Das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis, Art. 10 Abs. 1 GG Art. 10 Abs. 1 GG schützt die Vertraulichkeit der individuellen Fernkommunikation vor dem Zugriff Dritter.164 Dabei werden die Kommunikationsinhalte165 und die Art und Weise der Kommunikation166 geschützt. Schutzgut der Norm ist die Privatsphäre.167 Gewährleistet werden soll „Privatheit auf Distanz“168. Insofern gewährleistet Art. 10 Abs. 1 GG die freie Entfaltung der Persönlichkeit durch einen privaten und gerade vor der Öffentlichkeit geschützten Kommunikationsaustausch.169 Diesem Schutz liegt die Annahme zugrunde, dass das Wissen von einer möglichen Einflussnahme auf die Kommunikation oder einer möglichen Überwachung der Kommunikation die Freiheitswahrnehmung hemmen kann.170 Diese 160

BVerfGE 120, 274 (314). Chr. Herrmann, S. 126 f.; W. Hoffmann-Riem, JZ 2008, S. 1009 (1012 f.). 162 BVerfGE 120, 274 (306). 163 Chr. Herrmann, S. 127. 164 R. P. Schenke, in: Stern/Becker, Art. 10 Rn. 21, 27. 165 BVerfGE 113, 348 (364); 130, 151 (179); 124, 43 (54) m. w. N. 166 BVerfGE 115, 166 (183); 129, 208 (240 f.); 130, 151 (179). 167 BVerfGE 85, 386 (395 f.); vgl. BVerfGE 67, 157 (171); M. Kloepfer, § 65 Rn. 1. 168 BVerfG NJW 2007, S. 351 (353); Chr. Gusy, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 7. Aufl. 2018, Bd. I, Art. 10 Rn. 19. 169 BVerfGE 110, 33 (53). 170 Vgl. BVerfGE 115, 320 (354 f.); 113, 29 (46); 65, 1 (42). 161

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

„Einschüchterungsthese“171 entspricht der Rechtsprechung des BVerfG zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung.172 Art. 10 Abs. 1 GG ist lex specialis zu Art. 2 Abs. 1 GG.173 Geschützt wird die Übermittlung per Brief, die Erbringung weiterer Postdienstleistungen sowie die nicht verkörperte Informationsübermittlung im Sinne des Fernmeldegeheimnisses an einen individuellen Empfänger.174 Damit schützt Art. 10 Abs. 1 GG einen der Öffentlichkeit und nicht am jeweiligen Kommunikationsvorgang beteiligten Dritten entzogenen Freiheitsraum der Kommunikation. dd) Zwischenfazit: Informationsschutz ist Identitätsschutz Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und das Recht auf die Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme wurzeln im allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Beide Rechte weisen eine wesentliche Persönlichkeits- und Identitätsrelevanz auf, indem sie eine Vermeidung der Kenntnis personenbezogener Daten seitens Dritter entweder per se oder über den Schutz der Vertraulichkeit des Systems ermöglichen. Auch das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis dient dem Schutz der Privatsphäre, indem es den freien Informationsaustausch schützt. Der auf dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dem Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis beruhende Datenschutz dient somit über den Schutz der Privatsphäre dem Identitätsschutz. Ein solcher informationsrechtlich verbürgter Identitätsschutz ist einfachrechtlich in Art. 9 DSGVO verankert. Art. 9 Abs. 1 DSGVO enthält ein grundsätzliches Verarbeitungsverbot von sogenannten „besonderen Kategorien personenbezogener Daten“.175 Von dem Verarbeitungsverbot macht Art. 9 Abs. 2, 3 DSGVO Ausnahmen, die in § 22 BDSG ins deutsche Recht umgesetzt wurden und erhöhten Rechtfertigungsanforderungen unterliegen. Das sind zum einen solche personenbezogenen Daten, aus denen sich die rassische oder ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen oder die Gewerkschaftszugehörigkeit ergibt. Zum anderen zählen zu den von Art. 9 DSGVO geschützten personenbezogenen Daten genetische und biometrische Daten, Gesundheitsdaten oder aber auch Daten, die das Sexualleben oder die sexuelle Orientierung einer natürlichen Person betreffen. In Erwägungsgrund 51 zur DSGVO heißt es, es 171

Kritisch R. P. Schenke, in: Stern/Becker, Art. 10 Rn. 17. BVerfGE 65, 1 (43 ff.). 173 BVerfGE 67, 157 (171); 100, 313 (358); 110, 33 (53). 174 H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 10 Rn. 3 – 9. 175 Eine Auflistung der anderen, sensitive Daten schützenden Normen der DSGVO findet sich bei Th. Weichert, in: Kühling/Buchner, Art. 9 Rn. 5. 172

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handle sich bei den genannten Kategorien von Daten aus Art. 9 Abs. 1 DSGVO um Daten, die „ihrem Wesen nach hinsichtlich der Grundrechte und Grundfreiheiten besonders sensibel“ seien und deshalb „erhebliche Risiken für Grundrechte und Grundfreiheiten“ implizierten. Es handelt sich also nicht nur um personenbezogene, sondern um „höchstpersönliche“176 und sensible177 beziehungsweise sensitive178 Daten.179 Es ist die hohe Identitätsrelevanz180, die die Daten aus Art. 9 Abs. 1 DSGVO gegenüber anderen personenbezogenen Daten zu besonders sensiblen, höchstpersönlich und besonders schützenswerten Daten werden lässt. ee) Unverletzlichkeit der Wohnung, Art. 13 Abs. 1 GG Als räumlicher Rückzugsort des Einzelnen ist die Wohnung ein verfassungsrechtlich besonders geschützter Ort. Dieser besondere Schutz zielt auf die Unverletzlichkeit der Wohnung als Ort, an dem die Person in Ruhe gelassen wird181, ihr Privatleben ausleben und entfalten kann182 und in dem die Privatsphäre räumliche Abschirmung erfährt183. Dabei steht Art. 13 GG im Zusammenhang mit der freien Entfaltung der Persönlichkeit184, zumal die freie Entfaltung nicht nur innerlich erfolgt, sondern einzelfallabhängig auch einen geschützten Raum im Wortsinne benötigt. Für den Rückzug ins Private, der erst eine Selbstreflexion und ein Innehalten der Person ermöglicht, bedarf es nicht selten eines geeigneten Raumes im tatsächlichen und körperlichen Sinne. Einen solchen Rückzugsort kann die Wohnung bieten. Art. 13 GG ist in Fällen von räumlichen Eingriffen lex specialis im Verhältnis zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht.185 Freilich soll hier kein Landesverfassungsrecht zur Auslegung des Grundgesetzes herangezogen werden. Gleichwohl ist der Wortlaut des Art. 106 BV, der das landesverfassungsrechtliche Pendant zu Art. 13 GG bildet, für den Identitätsbezug des Schutzes der Wohnung erhellend. Nach Art. 106 Abs. 3 BV ist die Wohnung für 176

E. M. Frenzel, in: Paal/Pauly, Art. 9 Rn. 1, 6. J. P. Albrecht/F. Jotzo, S. 77; A. Schiff, in: Ehmann/Selmayr, Art. 9 Rn. 1. 178 S. Schulz, in: Gola, Art. 9 Rn. 1; Th. Weichert, in: Kühling/Buchner, Art. 9 Rn. 1. 179 Kritisch zur Einstufung als sensitiv S. Simitis, in: ders., § 3 Rn. 251. 180 Ähnlich, aber ohne eingehende Begründung der Identitätsrelevanz einzelner Merkmale E. M. Frenzel, in: Paal/Pauly, Art. 9 Rn. 6; auf persönliche Merkmale abstellend Th. Weichert, in: Kühling/Buchner, Art. 9 Rn. 3; zur Identitätsrelevanz für das Merkmal Herkunft E. II. 12. d) dd); für politische Meinungen E. II. 6. b); zu religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen E. II. 9. e) aa). 181 BVerfGE 109, 279 (309) m. w. N; 89, 1 (12). 182 Vgl. BVerfGE 89, 1 (12); vgl. B. Rössler, S. 254 f. 183 BVerfGE 97, 228 (265); vgl. BVerfGE 65, 1 (40). 184 So auch H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 13 Rn. 1; BVerfGE 103, 142 (150); 109, 279 (313); 42, 212 (219). 185 BVerfGE 51, 97 (105); 109, 279 (325 f.); H.-J. Papier, in: Maunz/Dürig, Art. 13 Rn. 144; J. Ziekow/A. Guckelberger, in: Friauf/Höfling, Art. 13 Rn. 35. 177

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

jedermann eine „Freistätte“ und als solche unverletzlich. Insofern deutet der Wortlaut der Norm bereits die Bedeutung des Grundrechts als räumlicher Privatsphärenschutz186 an. Das Grundrecht verbürgt damit ein „Unbehelligtsein“187 in den eigenen Räumen. Zudem weist bereits der Begriff „Freistätte“ auf einen Bezug zur individuellen Freiheit hin.188 Des Weiteren impliziert der Begriff Freistätte einen Ort, an dem das Verhalten der Person frei im Sinne von einer Freiheit von Beobachtung und Bewertung Dritter sein kann und sich die Person frei sowie unbehelligt von Fremdbildern entfalten kann. c) Das Recht auf private Lebensgestaltung Im Zusammenhang mit dem verfassungsrechtlichen Schutz der Privatsphäre wurde die Kernbereichsdoktrin durch die Rechtsprechung des BVerfG entwickelt.189 Demnach existiert ein absolut geschützter Kernbereich privater Lebensgestaltung innerhalb des Bereichs privater Lebensgestaltung, der dem staatlichen Zugriff schlichtweg entzogen ist. Grundsätzlich ausgeschlossen ist im Kernbereich privater Lebensgestaltung deshalb beispielsweise eine Telekommunikationsüberwachung.190 Erhobene Informationen aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung sind jedenfalls nach der Auswertung unverzüglich zu löschen.191 Eine abschließende Umschreibung der Inhalte des Kernbereichs existiert nicht. Das BVerfG hat aber Kriterien für die Bestimmung des Kernbereichs herausgearbeitet.192 Allgemein gilt, dass Angelegenheiten, „die wegen ihres Informationsgehalts typischerweise als privat eingestuft werden, weil ihre öffentliche Erörterung oder Zurschaustellung als unschicklich gilt, das Bekanntwerden als peinlich empfunden wird oder nachteilige Reaktionen der Umwelt auslöst“193, zum Kernbereich privater Lebensgestaltung zählen. Erforderlich ist zum einen eine objektiv berechtigte Vertraulichkeitserwartung und der subjektive Wille der Geheimhaltung.194 Zum anderen ist zu trennen zwischen Sachverhalten, die in den Kernbereich fallen, das heißt höchstpersönlich sind, und Sachverhalten, die einfach privat sind, ohne dabei höchstpersönlich zu sein.195 Als

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BayVerfGH, Entsch. v. 30. 1. 2006, NVwZ-RR 2006, S. 585 (585 f.). J. Fr. Lindner, in: ders./Möstl/Wolff, Art. 106 Rn. 5. 188 Vgl. J. Fr. Lindner, in: ders./Möstl/Wolff, Art. 106 Rn. 5. 189 Ausführlich zur Entwicklungsgeschichte J. M. Barrot, S. 36 – 74; Chr. Enders, in: Merten/Papier, Bd. IV, § 89 Rn. 1; Chr. Rottmeier, S. 7 – 35. 190 BVerfGE 113, 348 (391 f.). 191 BVerfGE 129, 208 (246) m. w. N. 192 Zu diesen Kriterien sehr ausführlich Chr. Rottmeier, S. 37 – 100. 193 BVerfGE 101, 361 (382); vgl. 120, 274 (311). 194 Chr. Rottmeier, S. 38 m. w. N. 195 Chr. Rottmeier, S. 38 m. w. N. 187

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

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höchstpersönlich in diesem Sinne anerkannt hat das BVerfG Empfindungen und Gefühle196 sowie den Bereich der Sexualität197. Der Kernbereichsschutz wurde seitens des BVerfG aus der Garantie des Wesensgehalts der Grundrechte nach Art. 19 Abs. 2 GG und aus dem Würdegehalt des Art. 2 Abs. 1 GG hergeleitet.198 Inzwischen leitet das BVerfG den Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung nicht mehr aus dem Wesensgehalt der Grundrechte nach Art. 19 Abs. 2 GG, sondern aus dem Menschenwürdegehalt des jeweils im Einzelfall einschlägigen Grundrechts199 oder auch nur aus der Menschenwürde200 ab.

4. Identitätsschutz durch die Gewährleistung von Freiheit Freiheit ist neben Gleichheit einer der zentralen Grundpfeiler der grundgesetzlichen Ordnung. So entschied das BVerfG bereits früh: „Dieser Grundordnung liegt letztlich nach der im Grundgesetz getroffenen verfassungspolitischen Entscheidung die Vorstellung zu Grunde, daß der Mensch in der Schöpfungsordnung einen eigenen selbstständigen Wert besitzt und Freiheit und Gleichheit dauernde Grundwerte der staatlichen Einheit sind“201. Der grundrechtlich durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Freiheit des Individuums kommt für dessen Identitätsbildung eine entscheidende Rolle zu. a) Art. 2 Abs. 1 GG als allgemeines Freiheitsrecht Art. 2 Abs. 1 GG ist im Verhältnis zu den anderen Grundrechten des Grundgesetzes als Auffanggrundrecht einzuordnen.202 Dennoch darf die grundlegende Bedeutung der Norm als allgemeines Freiheitsrecht203 für den Identitätsschutz nicht übersehen werden. Art. 2 Abs. 1 GG sei „umfassender Ausdruck der persönlichen Freiheitssphäre und zugleich Ausgangspunkt aller subjektiven Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat“204. Gerade die Abwehrfunktion der bislang untersuchten Grundrechte hat sich als privatsphärenschützend erwiesen. 196

BVerfGE 120, 274 (335); 109, 279 (313). BVerfGE 47, 46 (73 f.); 96, 56 (61); 101, 361 (382); 116, 243 (264); 117, 202, (233); 119, 1 (34); 138, 377 (387). 198 BVerfGE 6, 32 (41); 27, 344 (351); 80, 367 (373 f.). 199 BVerfGE 124, 43 (69); 113, 348 (391); 109, 279 (313); zu dieser Entwicklung J. M. Barrot, S. 77, 85; Chr. Rottmeier, S. 31. 200 BVerfGE 120, 274 (335). 201 BVerfGE 2, 1 (12). 202 H.-D. Horn, in: Stern/Becker, Art. 2 Rn. 9. 203 BVerfGE 6, 32 (37); 18, 38 (46); 63, 45 (60), dazu H. D. Jarass, NJW 1998, S. 857. 204 BVerfGE 49, 15 (23). 197

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

Die Ausführungen zur sozialwissenschaftlichen Identitätsforschung haben gezeigt, dass Identitätsbildung ein komplexer Prozess zwischen der Person und ihrer Umwelt ist.205 Fremdbilder spielen eine große Rolle für die Identität der Person und Identitätsbildung vollzieht sich nicht nur frei und im Inneren des Individuums, sondern auch in Abhängigkeit zum Umfeld des Individuums. Nichtsdestotrotz ist persönliche Freiheit die Grundbedingung für ein Durchlaufen des Identitätsbildungsprozesses.206 Dabei darf nicht verkannt werden, dass Art. 2 Abs. 1 GG dem Individuum keine ungezügelte Freiheit garantiert, sondern nur unter Berücksichtigung der Rechter anderer, der verfassungsmäßigen Ordnung und des Sittengesetzes. Damit wird betont, dass die grundgesetzlich gewährte Freiheit stets von einem gemeinschaftsbezogenen und gemeinschaftsgebundenen Individuum ausgeht.207 Äußerste Grenze der Gemeinschaftseinbindung bleibt aber die Eigenständigkeit der Person.208 b) Die allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG Art. 2 Abs. 1 GG schützt die Handlungsfreiheit der Person umfassend, sofern nicht ein spezielles Freiheitsrecht einschlägig209 ist. Umfasst ist „jedes menschliche Verhalten“210. Ob die Erheblichkeit der Bedeutung des Tuns oder Nichttuns für die Persönlichkeitsentfaltung für die Eröffnung des sachlichen Schutzbereichs von Bedeutung ist, ist umstritten. Nach einer Ansicht kommt es auf die Bedeutung für die Persönlichkeitsentfaltung nicht an.211 Jedes Tun oder Unterlassen sei von Art. 2 Abs. 1 GG geschützt. Eine andere Ansicht will das Schutzbereichsverständnis enger ziehen und nur solches Verhalten vom sachlichen Schutzbereich umfassen, welches Bedeutung für die Persönlichkeitsentfaltung hat.212 Eine solche Einengung des sachlichen Schutzbereichs erscheint vor dem Hintergrund des Identitätsschutzes nicht sachgerecht. Die Frage, ab wann und unter welchen Umständen einem Tun oder Unterlassen eine Bedeutung für die Persönlichkeitsentfaltung zukommt, kann weder pauschal noch im Einzelfall genau be205

Siehe dazu unter B. III. 3. G. Britz, Freie Entfaltung durch Selbstdarstellung, S. 27 f. In diesem Sinne sieht P. Tiedemann nicht Menschenrechte als passenden Identitätsschutz an, sondern das Prinzip der Freiheit, P. Tiedemann, in: ders., Right to Identity, S. 10 (34). 207 BVerfGE 4, 7 (15 f.); jünger BVerfGE 45, 187 (227); 33, 303 (334) m. w. N. 208 BVerfGE 4, 7 (15 f.). 209 BVerfGE 67, 157 (171); 116, 202 (221). 210 BVerfGE 113, 29 (45); vgl. U. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 1 Rn. 16; H. Dreier, in: ders., Bd. I, Art. 2 I Rn 26. 211 BVerfGE 80, 137 (152 f.); vgl. 54, 143 (146); U. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Rn. 12; H. Dreier, in: ders., Bd. I, Art. 2 I Rn. 26; W. Höfling, in: Friauf/Höfling, Art. 2 Rn. 54; K. Stern, in: ders., Bd. IV/1, S. 889. 212 Abw. Meinung D. Grimm, BVerfGE 80, 137 (165); W. Cremer, S. 80 – 83 m. w. N.; G. Duttge, NJW 1997, S. 3353 ff.; P. Lerche, in: FS für Schmitt Glaeser, S. 41, 47 f. 206

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

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antwortet werden. Eine Erheblichkeitsschwelle, ab deren Überschreiten ein Tun oder Unterlassen Bedeutung für die Persönlichkeitsentfaltung zukommt, ist nicht bestimmbar. Persönlichkeit und Identität sind zu vielschichtig, als dass irgendeinem Tun oder Unterlassen jegliche Bedeutung für die Persönlichkeitsentfaltung abgesprochen werden könnte. Jedes Tun oder Unterlassen kann einen Bezug zur Persönlichkeitsentfaltung aufweisen213, auch wenn im Einzelfall die eine Handlung näher an der Persönlichkeitsentwicklung liegt als die andere. Dennoch kann eine nach außen banal wirkende Handlung einen Persönlichkeitsbezug aufweisen. Wenn eine Person beispielsweise Tauben füttert214, so kann dies Ausdruck der eigenen Identität als Tierfreund sein und die Identität als Tierfreund maßgeblich prägen. Durch das von der allgemeinen Handlungsfreiheit geschützte aktive Tun sammelt die Person Erfahrungen. Diese Erfahrungen kann sie sodann in den Prozess der Identitätsbildung bewusst oder auch unbewusst einbringen. Eine Einengung des Schutzbereichs begrenzt den verfassungsrechtlichen Schutz dieser Erfahrungen und widerspricht zudem dem Begriff der freien Entfaltung215. Eine Schutzbereichsverengung widerspricht auch der der Menschenwürde zu entnehmenden Wertung, dass Art. 1 Abs. 1 GG die Würde des Menschen auf eine Weise schütze, wie der Mensch „sich in seiner Individualität selbst begreife und sich seiner selbst bewusst werde“216. Diese Deutungshoheit des Individuums über seine eigene Identität darf nicht durch eine Schutzbereichsbegrenzung unterwandert und die Deutungshoheit über die Persönlichkeitsrelevanz auf Dritte verlagert werden. Es widerspricht auch dem Konzept der Freiheit der Persönlichkeitsentfaltung, wenn ein Dritter bestimmt, welches Verhalten und welche Erfahrung für das Individuum persönlichkeitsrelevant ist und welche(s) nicht. Zu einer Persönlichkeitsentfaltung in Freiheit zählt, dass die Deutungshoheit über die Persönlichkeitsrelevanz beim Individuum liegt. In diesem Sinne ist es nur folgerichtig, dass auch unvernünftige und risikoträchtige Handlungen grundsätzlich von der allgemeinen Handlungsfreiheit erfasst werden.217 Die allgemeine Handlungsfreiheit öffnet den grundrechtlichen Identitätsschutz daher für die gesamte Bandbreite von Handlungen und Unterlassungen. Der Streit um die Schutzbereichseinengung offenbart zugleich die Bedeutung der allgemeinen Handlungsfreiheit für die Identität des Menschen. Keinem Verhalten kann pauschal oder von einem Dritten die Relevanz für die Identitätsbildung abgesprochen werden. Diese ist einzelfall- und unter Umständen auch situationsab213

In diesem Sinne auch N. Luhmann, AöR 1965, S. 257 (264). BVerfGE 54, 143 (146 f.). 215 So auch H.-D. Horn, in: Stern/Becker, Art. 2 Rn. 27. 216 BVerfGE 49, 286 (298); 115, 1 (14); BVerfG, Beschl. v. 15. 8. 1996, NJW 1997, S. 1632 (1633). 217 Ausführlich H. Dreier, in: ders., Bd. I, Art. 2 Abs. 1 Rn. 29. 214

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

hängig. Gerade im Respekt der Einzelfallbezogenheit liegt die Bedeutung der allgemeinen Handlungsfreiheit für den Identitätsschutz. Das Individuum bestimmt selbst über den Prozess seiner Identitätsbildung durch die Entscheidung für oder gegen ein Verhalten und der Wahl zwischen Handlungs- und Verhaltensalternativen. Dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht die individuelle Identität als Schutzgegenstand hat, wohingegen die allgemeine Handlungsfreiheit die Entscheidung über Tun oder Unterlassen schützt218, ist grundsätzlich richtig. Der soeben dargestellte Identitätsbezug der allgemeinen Handlungsfreiheit darf aber nicht verkannt werden. Sowohl die allgemeine Handlungsfreiheit als auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht wurzeln in Art. 2 Abs. 1 GG. Beide Grundrechtsgarantien sind wechselbezüglich.219 Von der allgemeinen Handlungsfreiheit umfasst ist die Freiheit, Orte nach Belieben aufsuchen und verlassen zu dürfen. Diese kann für die Identitätsbildung des Individuums von Relevanz sein.220 Orte können, wie die Ausführungen zum Recht auf Heimat221 zeigen, identitätsstiftende Bedeutung haben. Durch das tatsächliche Aufsuchen eines solchen identitätsstiftenden Ortes kann eine Person diesem Ort näherkommen als beispielsweise in seiner inneren Vorstellung. Auf diese Weise kann das Aufsuchen eines bestimmten Ortes identitätsstiftend sein.

c) Spezielle, mit dem geschlechtlichen Personenstand potentiell verbundene Anwendungsbereiche der allgemeinen Handlungsfreiheit Aufgrund des weiten sachlichen Schutzbereichs sind Anwendungsfälle der allgemeinen Handlungsfreiheit in jedem Lebensbereich denkbar.222 Im faktischen und lebensweltlichen Zusammenhang mit dem Familienstand und dem geschlechtlichen Personenstand des Menschen ist an zwei Anwendungsfälle der allgemeinen Handlungsfreiheit zu denken. Dies ist zum einen die sexuelle Selbstbestimmung und zum anderen die freie Wahl des Lebenspartners. Die sexuelle Selbstbestimmung ist am Schnittpunkt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und der allgemeinen Handlungsfreiheit zu verorten und verdeutlicht den Zusammenhang beider Grundrechtsgewährleistungen. Die auf ein Verhalten abzielende und aktive sexuelle Handlungsfreiheit ist in der allgemeinen Hand218

H. Dreier, in: ders., Bd. I, Art. 2 I Rn. 22. Ausdrücklich E. Stein, Staatsrecht, 15. Aufl. 1995, S. 251; vgl. E. Stein/G. Frank, Staatsrecht, 21. Aufl. 2010, S. 255; G. Britz, Freie Entfaltung durch Selbstdarstellung, S. 23 f.; M. Germann, Jura 2010, S. 734 (735); W. Höfling, in: Friauf/Höfling, Art. 2 Rn. 34 f.; vgl. H. D. Jarass, NJW 1989, S. 857 (859); Chr. Degenhart, JuS 1990, S. 161 (162 f.). 220 Vgl. L. Michael/M. Morlok, § 9 Rn. 326. 221 Siehe dazu unter E. II. 12. d) ee). 222 Eine ausführliche Übersicht zu den Fallgruppen findet sich bei H. Lang, in: Epping/ Hillgruber, Art. 2 Rn. 6. 219

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

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lungsfreiheit zu verorten, wohingegen eine vor dem staatlichen Eingriff zu verbergende Sexualsphäre in den Bereich des Privatsphärenschutzes und damit unter das allgemeine Persönlichkeitsrecht fällt.223 Die von der allgemeinen Handlungsfreiheit geschützte sexuelle Selbstbestimmung bildet das aktive, auf Verhalten und Handlung oder Unterlassen gerichtete Pendant zum Schutz der Sexualsphäre durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht und ist damit potentiell in gleicher Weise identitätsstiftend wie der Rückzug ins Private.224 Die Frage, mit wem eine Person auf welche Weise ihre sexuelle Handlungsfreiheit in Verhalten oder Unterlassen umsetzt, ist wichtiger Bestandteil der persönlichen Identität.225 Zwar sind geschlechtlicher Personenstand und sexuelle Handlungsfreiheit keinesfalls gleichzusetzen. Dennoch kann bei der Herausbildung des geschlechtlichen Rollenverständnisses die sexuelle Handlungsfreiheit potentiell eine Rolle spielen. Im Verhältnis zu Art. 6 Abs. 1 GG ist dahingehend abzugrenzen, dass das eheliche Sexualverhalten von Art. 6 Abs. 1 GG umfasst ist, wohingegen das außereheliche Sexualverhalten von der allgemeinen Handlungsfreiheit geschützt wird.226 Zum anderen umfasst die allgemeine Handlungsfreiheit auch die freie Wahl eines Lebenspartners und die Wahl der Art der Lebenspartnerschaft.227 So sei die Entscheidung für ein Leben in eheähnlicher Gemeinschaft von der allgemeinen Handlungsfreiheit geschützt.228 Für die Ehe geht Art. 6 Abs. 1 als lex specialis vor.229 Je nachdem, wie weit oder eng der Ehebegriff in Art. 6 Abs. 1 GG zu fassen ist, fallen die nicht vom Ehebegriff aus Art. 6 Abs. 1 GG umfassten Formen des Zusammenlebens unter die allgemeine Handlungsfreiheit als Auffangnorm. d) Die körperliche Fortbewegungsfreiheit der Person und deren verfahrensrechtlicher Schutz, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG i. V. m. Art. 104 GG Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG schützt die körperliche Fortbewegungsfreiheit der Person in materieller Hinsicht. Bedeutung erlangt das Grundrecht vor allem im Hinblick auf Freiheitsbeschränkungen mittels körperlichen Zwang durch Verhaftungen, Festnahmen oder vergleichbare Maßnahmen.230 Art. 104 GG regelt als grundrechtsgleiches Recht231 die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen und formellen Vorga223

H. Dreier, in: ders., Bd. I, Art. 2 I Rn. 40; siehe dazu unter E. II. 3. Siehe dazu unter E. II. 3. a). 225 So auch E. Wicks, S. 86. 226 M. Kloepfer, § 56 Rn. 21. 227 M. Kloepfer, § 56 Rn. 22. 228 BVerfGE 82, 6 (16). 229 M. Kloepfer, § 56 Rn. 22. 230 BVerfGE 22, 21 (26). 231 Chr. Degenhart, in: Sachs, Art. 104 Rn. 3; H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 104 Rn. 1; S. Müller-Franken, in: Stern/Becker, Art. 104 Rn. 3; für ein eigenständiges Grundrecht: 224

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

ben für Fälle von Freiheitsbeschränkungen (Art. 104 Abs. 1 GG) und Freiheitsentziehungen (Art. 104 Abs. 2 – 4 GG). Abs. 1 verlangt ein förmliches Gesetz für Freiheitsbeschränkungen und Abs. 2 – 3 machen die Zulässigkeit einer Freiheitsentziehung vom Richtervorbehalt abhängig. Damit konkretisiert Art. 104 GG den Gesetzesvorbehalt aus Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG.232 Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG i. V. m. Art. 104 GG räumt der körperlichen Fortbewegungsfreiheit der Person Verfassungsrang ein. Ob über die körperliche Bewegungsfreiheit hinaus auch die positive Bewegungsfreiheit von Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG geschützt ist, ist umstritten.233 Bei einer weiten Auslegung des Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG im Sinne einer positiven Bewegungsfreiheit würde Art. 2 Abs. 2 S 2 GG das Aufsuchen und das Verlassen von Orten umfassen.234 Aber auch nach diesem weiten Verständnis gilt die Bewegungsfreiheit nicht unbegrenzt und umfasst nicht das Recht, „sich unbegrenzt überall aufhalten und überall hinbewegen zu dürfen“235. Schon gar nicht sei Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG eine „Mobilitätsgarantie“236. Überzeugender ist, das Aufsuchen beliebiger Orte als von der allgemeinen Handlungsfreiheit umfasst zu sehen237, zumal der Schutz vor Freiheitsbeschränkungen und Freiheitsentziehungen aus Art. 104 GG nur das Verlassen eines Aufenthaltsortes schützt.238 Der Identitätsbezug der körperlichen Bewegungsfreiheit der Person und ihrer verfahrensrechtlichen Absicherungen als solche ist demnach gering. e) Die Freizügigkeit der Person, Art. 11 GG Art. 11 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, seinen Aufenthalt und Wohnsitz zu wählen.239 Dies gilt für Bewegungen zwischen den Bundesländern ebenso wie für Bewegungen zwischen Gemeinden und innerhalb von Gemeinden.240 Damit gewährleistet Art. 11 Abs. 1 GG allen Deutschen im Sinne des Art. 116 GG das Recht, BVerfGE 10, 302 (318); BVerwGE 1, 229 (231); 4, 196 (197); G. Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 104 Rn. 1; P. Hantel, JuS 1990, 865 (866); a. A. H. Sodan, in: ders., Art. 104 Rn. 1, der kein eigenständiges Grundrecht sieht. 232 S. Müller-Franken, in: Stern/Becker, Art. 104 Rn. 4. 233 Dagegen U. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. 2 Rn. 22; H. D. Jarass, in: ders./ Pieroth, Art. 2 Rn. 112; M. Sachs, in: Stern, Bd. IV/1, S. 1080; S. Müller-Franken, in: Stern/ Becker, Art. 104 Rn. 22; dafür: BVerfGE 94, 166 (198); 96, 10 (2); Ph. Kunig, in: v. Münch/ Kunig, Bd. I, Rn. 1, 73; D. Murswiek/S. Rixen, in: Sachs, Art. 2 Rn. 235a; Chr. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 7. Aufl. 2018, Bd. I, Art. 2 Abs. 2 Rn. 189. 234 H.-D. Horn, in: Stern/Becker, Art. 2 Rn. 59. 235 BVerfGE 94, 166 (198); bestätigend BVerfGE 96, 10 (21). 236 H. Schulze-Fielitz, in: Dreier, Bd. I, Art. 2 II Rn. 98 m. w. N. 237 Siehe dazu unter E. II. 4. b). 238 So auch S. Müller-Franken, in: Stern/Becker, Art. 104 Rn. 22 m. w. N. 239 BVerfGE 2, 266 (273); 43, 203 (211); 80, 137 (150); 110, 177 (190 f.). 240 BVerfGE 8, 95 (97); 110, 177 (191).

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ihren Lebensmittelpunkt241 im Sinne eines Wohnsitzes oder auch einen vorübergehenden Aufenthaltsort innerhalb des Bundesgebiets frei zu wählen. Bei der Wahl eines Aufenthaltsortes ist näher abzugrenzen zu Art. 2 Abs. 2 GG, der die Fortbewegungsfreiheit im Sinne des Aufsuchens von Orten schützt.242 Für die Abgrenzung der durch Art. 11 Abs. 1 oder Art. 2 Abs. 1 GG243 erfassten Fortbewegungsvorgängen kann zum einen auf eine Mindestaufenthaltsdauer für den Schutz des Art. 11 GG abgestellt werden.244 Fraglich ist aber, wo hier die Grenze zu ziehen ist. So erscheint das Abstellen auf die Verweildauer von einer Nacht245 grundsätzlich möglich. Eine sachliche Begründung für den zeitlichen Umfang der Verweildauer findet sich aber kaum. Die Verweildauer kann daher nur eines von mehreren Abgrenzungskriterien sein.246 Sachgerechter erscheint es, die alltäglichen Fortbewegungsvorgänge, die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt sind, von solchen Aufenthaltsnahmen des Art. 11 Abs. 1 GG, die über die alltäglichen Fortbewegungsvorgänge hinausgehen, abzugrenzen.247 Für die Eröffnung des sachlichen Schutzbereichs zu verlangen ist ein Ortswechsel der Person, der in seiner Bedeutung über den reinen Ortswechsel hinausgeht und Bedeutung für „die räumlich gebundene Gestaltung des alltäglichen Lebenskreises“248 hat. Dies ergibt sich schon daraus, dass Art. 11 Abs. 2 GG höhere Anforderungen an die Einschränkbarkeit des Grundrechts stellt als Art. 2 Abs. 1 GG.249 Insgesamt liegt ein von Art. 11 Abs. 1 GG geschützter Ortswechsel vor, wenn eine über die alltägliche Bewegung hinausgehende Ortsveränderung stattfindet. Das „Mehr“ an Ortsveränderung ist insbesondere zu messen an der Dauer des Aufenthalts, der zurückgelegten Entfernung und der Persönlichkeitsrelevanz der Ortsveränderung.250 Das Kriterium der Persönlichkeitsrelevanz deutet schon an, dass einer Ortsveränderung im Sinne des Art. 11 Abs. 1 GG eine spezifischere Identitätsrelevanz zukommt, als der nach Art. 2 Abs. 1 GG. Für den Wohnsitz ergibt sich die Identitätsrelevanz daraus, dass dieser ganz regelmäßig den Lebensmittelpunkt der Person 241

F. Wollenschläger, in: Dreier, Bd. I, Art 11 Rn. 26. D. Merten, in: ders./Papier, Bd. II, § 42 Rn. 168; Chr. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, 7. Aufl. 2018, Bd. I, Art. 2 Abs. 2 Rn. 196. 243 Teilweise wird das Aufsuchen von Orten auch Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG zugeordnet: F. Wollenschläger, in: Dreier, Bd. I, § 11 Rn. 27 m. w. N. 244 D. Merten, in: ders./Papier, Bd. II, § 42 Rn. 166, ders., Freizügigkeitsrecht, S. 44, 51 f.; ähnlich H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 11 Rn. 2. 245 D. Merten, in: ders./Papier, Bd. II, § 42 Rn. 166, ders., Freizügigkeitsrecht, S. 44, 52. 246 W. Durner, in: Maunz/Dürig, Art. 11 Rn. 82; K. Hailbronner, in: Isensee/Kirchhof, HStR3 VII, § 152 Rn. 41; F. Wollenschläger, in: Dreier, Bd. I, Art. 11 Rn. 28; J. Ziekow, in: Friauf/Höfling, Art. 11 Rn. 46. 247 Dafür auch F. Wollenschläger, in: Dreier, Bd. I, Art. 11 Rn. 27 mit zahlreichen Nachweisen. 248 BVerfG, Beschl. v. 25. 3. 2008 – 1 BvR 1548/02, Rn. 25. 249 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 25. 3. 2008 – 1 BvR 1548/02, Rn. 25. 250 W. Durner, in: Maunz/Dürig, Art. 11 Rn. 82. 242

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

bildet. Es ist der geografische Ort, an dem sich regelmäßig zumindest Teile der Familie oder des Freundes- und Bekanntenkreises aufhalten und sich ein wesentlicher Teil des Lebens einer Person abspielt. Die Frage des Ortes eines Wohnsitzes ist damit ein wesentlicher Teil der Lebensgestaltung. Die Freiheit der Wahl eines Wohnsitzes und eines Aufenthalts ist auch eng mit der beruflichen Identität251 der Person verbunden.252 So erlaubt es die Freizügigkeit im Sinne des Art. 11 Abs. 1 GG, in der Umgebung der Arbeitsstätte Wohnsitz oder zumindest Aufenthalt zu nehmen, was die berufliche Mobilität und die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten potentiell fördert und das Ergreifen beruflicher Chancen ermöglicht. Die Freiheit der Wahl des Wohn- und Aufenthaltsortes ist auch insofern mit der Persönlichkeit des Einzelnen verbunden, als dass die Wahl beispielsweise zwischen Stadt und Land fallen kann. Ob jemand lieber in einer ländlichen oder städtischen Region lebt bzw. sich dort bevorzugt aufhält, ist neben familiären und beruflichen Faktoren eine Frage der Persönlichkeit des Individuums und seiner Präferenzen. Auch prägt das Leben in der Stadt/Kleinstadt/auf dem Land das Individuum und dessen Identität auf unterschiedlichste Weise. Die Umgebung, in der das Individuum lebt oder sich aufhält, beeinflusst die Identitätsentwicklung maßgeblich, da sich diese nicht nur innerlich, sondern immer dialogisch im Verhältnis zur Außenwelt vollzieht. Dies gilt auch noch vor dem Hintergrund, dass praktisch jede Information digital an fast jedem Ort und ein Großteil der Waren online verfügbar sind. Die räumliche Umgebung bleibt neben der digitalen ein wichtiger Identitätsfaktor. So kann die Stadt vom Einzelnen als Stressfaktor253, aber auch als Ort des vielfältigsten kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Angebots254 und damit vielfältiger Entfaltungsmöglichkeiten wahrgenommen werden. Beispielsweise das Freizeitangebot, die vorhandene Infrastruktur und die Bevölkerungsstruktur am Wohnort beeinflussen, welche Erfahrungen der Einzelne sammelt und in seine Identitätskonstruktion einbringen kann. Hat eine Person die Wahl zwischen schier unendlichen Freizeitangeboten im kulturellen, sportlichen oder gar handwerklich-technischen oder musischen Bereich, steht jegliche Verkehrs- und Versorgungsinfrastruktur bereit und ist die Bevölkerung sowohl vom Alter als auch von den kulturellen und ethnischen Hintergründen her vielfältig zusammengesetzt, erhöht dies potentiell die Breite des Erfahrungsschatzes des Einzelnen. Ist dieses Angebot an Entfaltungsmöglichkeiten hingegen begrenzter, so ist auch die Breite der Erfahrungen begrenzt. Die Freizügigkeitsgarantie aus Art. 11 Abs. 1 GG steht unmittelbar nur Deutschen im Sinne des Art. 116 GG zu. Eine Freizügigkeitsgarantie zugunsten der Unionsbürger innerhalb des Hoheitsgebiets der Mitgliedstaaten findet sich in Art. 21 251 252 253 254

Dazu unter E. II. 9. f). Vgl. BVerfGE 134, 242 (323). Zum Zusammenhang zwischen Stadt und Stress M. Adli, insb. S. 58 – 89. M. Adli, S. 17 – 22.

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Abs. 1 AEUV. Art. 45 Abs. 1 GrCh enthält eine korrespondierende Vorschrift und Abs. 2 eine Freizügigkeits- und Aufenthaltsfreiheit zugunsten von Drittstaatenangehörigen. Auf völkerrechtlicher Ebene garantiert Art. 2 Abs. 1 ZP IV zur EMRK die Freizügigkeit und freie Wohnsitznahme zugunsten von Personen, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates aufhalten. Auch die Ausreisefreiheit wird durch Art. 2 Abs. 1 ZP IV zur EMRK geschützt. Art. 12 IPbpR enthält eine Freizügigkeitsgarantie (Abs. 1) sowie eine Ausreisefreiheit (Abs. 2).

5. Identitätsschutz durch Integritätsschutz Der Schutz der physischen und psychischen Integrität der Person ist Grundvoraussetzung für deren Identitätsbildung. a) Das Recht auf körperliche Unversehrtheit, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG Das Recht auf körperliche Unversehrtheit schützt die Gesundheit und körperliche Integrität des Einzelnen.255 Dabei wird nicht das Wohlbefinden als solches geschützt, sondern vielmehr die Gesundheit im Sinne der Abwesenheit von Krankheit, Verletzungen und somatischen Funktionsstörungen sowie psychopatischen Zuständen.256 Ob das Wohlbefinden in psychischer Hinsicht umfasst ist, ist umstritten.257 Das Recht auf körperliche Unversehrtheit erfüllt in dieser Ausprägung für die Identitätsbildung eine allenfalls unterstützende, aber keine spezifische Funktion. Die Identitätsbildung kann durch einen krankhaften physischen oder psychischen Zustand beeinflusst werden. Ein kranker Patient kann einen Teil seiner Identität aus der Zugehörigkeit zur Gruppe der Kranken ziehen. Auf der anderen Seite ermöglicht die Abwesenheit krankhafter physischer oder psychologischer Zustände die Identitätsentfaltung auf anderen Lebensgebieten. Muss sich der Patient nicht (mehr) mit einer physischen und/oder psychischen Erkrankung beschäftigen, bleibt Raum für die Identitätsbildung in allen anderen Lebensbereichen. Ebenfalls besteht ein mittelbarer Bezug zur Teilidentität der elterlichen Identität258, zumal vom Recht auf körperliche Unversehrtheit auch die Fortpflanzungsfähigkeit umfasst ist.259 Zudem kann eine identitätsbezogene Verletzung einhergehen mit der Verletzung der physischen und psychischen Integrität der Person, wie der IAGMR im Fall 255

H.-D. Horn, in: Stern/Becker, Art. 2 Rn. 58. H.-D. Horn, in: Stern/Becker, Art. 2 Rn. 58. 257 Dafür U. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Rn. 55, H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 2 Rn. 83; vgl. auch BVerfGE 56, 54 (75); dagegen R. Müller-Terpitz, in: Isensee/Kirchhof, HStR3 VII, § 147 Rn. 44. 258 Siehe dazu unter E. II. 9. c). 259 BVerfGE 128, 109 (134). 256

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

Gelman angedeutet und im Falle Serrano Cruz weiter herausgearbeitet hat.260 So kann die Verletzung des identitätsrelevanten Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung und die dann schlagartige Kenntnis den Kenntniserlangenden, beispielsweise durch Angst und Verwirrung, in seiner psychischen und durch die körperlichen Auswirkungen eines Schockzustands auch in seiner physischen Integrität beeinträchtigen. b) Das Recht auf Leben, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG Geschützt ist die biologisch-physische Existenz des einzelnen Menschen vom Zeitpunkt seines Entstehens bis zum Tod.261 Dies umfasst den Schutz des Lebens gegenüber der Einwirkung Fremder.262 Der grundgesetzliche Lebensschutz weist keinen sehr spezifischen Zusammenhang zur Identitätsbildung auf. Leben und Dasein sind die äußersten Grundvoraussetzungen für das Durchlaufen des Identitätsbildungsprozesses. Damit ist auch die Frage, ob die Aufrechterhaltung von Leben durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG geschützt ist263, für die Identitätsbildung von keinem spezifischen Belang.

6. Identitätsschutz durch Freiheit der Kommunikation Auch die Kommunikationsfreiheiten können eine wesentliche Rolle für den Identitätsschutz des Individuums einnehmen. a) Die Informationsfreiheit, Art. 5 Abs. 1 S. 1 2. Halbsatz GG Die Informationsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 2. Halbsatz GG umfasst das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert, das heißt ohne staatliche Einflussnahme264, zu unterrichten. Unterrichten meint dabei alle Formen der Kenntnisnahme von Information, sei es durch Lesen, die Nutzung anderer Sinne265, durch ein aktives Sich-Informieren oder aber auch ein bloßes „Berieselnlassen“266. Dabei ist Träger der Information jeder Träger von Gedankeninhalten.267 Der einzelne

260

Siehe dazu unter C. IV. 2. und 3. BVerfGE 115, 118 (139). 262 H. Schulze-Fielitz, in: Dreier, Bd. I, Art. 2 II Rn. 25 m. w. N. 263 Dazu H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 2 Rn. 81 m. w. N. 264 F. Fechner, in: Stern/Becker, Art. 5 Rn. 102. 265 E. Schmidt-Jortzig, in: Isensee/Kirchhof, HStR3 VII, § 162 Rn. 35. 266 F. Fechner, in: Stern/Becker, Art. 5 Rn. 111. 267 H. Bethge, in: Sachs, Art. 5 Rn. 54, G. Manssen, Rn. 370; Chr. Starck/A. L. Paulus, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 7. Aufl. 2018, Bd. I, Art. 5 Abs. 1, 2 Rn. 106. 261

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

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Grundrechtsträger darf die Informationsquelle auswählen.268 Es sind grundsätzlich alle Informationen unabhängig ihres ohnehin schwerlich zu bestimmenden Wertes geschützt.269 Die Freiheit, aus einer selbst gewählten und allgemein zugänglichen Quelle Informationen in einer beliebigen Form aufzunehmen oder gerade bewusst nicht aufzunehmen270, beeinflusst durchaus den Identitätsbildungsprozess. Der Einzelne kann grundsätzlich frei steuern, zu welchem Themenkomplex er Informationen aufnehmen möchte. So kann er Themen, die für seine Identitätsbildung unwichtig oder unerwünscht sind, ausblenden und den Fokus auf die Themen legen, die im Fokus seiner Identitätsbildung und Interessen stehen. Die Aufnahme von Information ermöglicht gleichzeitig das Sammeln neuer Erfahrungen. So kann eine Information Ausgangspunkt für (neue) Erfahrungen sein. Nimmt der Einzelne beispielsweise die Information zu einer Veranstaltung mit einem Vortrag zum Umweltschutz auf und besucht diese in Ausübung seiner allgemeinen Handlungsfreiheit, so kann er alle im Rahmen der Veranstaltung gesammelten Erfahrungen in die Identitätsbildung einbringen. Die Informationsfreiheit kann auch im Zusammenhang mit der kulturellen Identität und der identitätsprägenden Herkunft der Person stehen. So entschied das BVerfG, dass dauerhaft in der Bundesrepublik Deutschland lebende Ausländer ein anerkennenswertes und besonderes Informationsinteresse haben, das den TVEmpfang von Heimatprogrammen umfasse.271 Der Empfang diene der Unterrichtung über das Geschehen im Heimatland und der Aufrechterhaltung der kulturellen und sprachlichen Verbindung ins Heimatland.272 b) Die Meinungsfreiheit, Art. 5 Abs. 1 S. 1 1. Halbsatz GG Die Meinungsfreiheit gewährleistet eine Äußerung von Meinungen ohne staatliche Einflussnahme. Meinung ist dabei weit zu verstehen.273 Ob neben Werturteilen auch Tatsachenbehauptungen vom sachlichen Schutzbereich umfasst sind274, ist für die Frage des Identitätsschutzes nicht von größerer Bedeutung. Zwar steht die demokratische Willensbildung im Zentrum der Meinungsfreiheit275, jedoch sind grundsätzlich alle Meinungen, auch die unpolitischen, wirt268

Chr. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 7. Aufl. 2018, Bd. I, Art. 5 Abs. 1 Rn. 103. F. Fechner, in: Stern/Becker, Art. 5 Rn. 105. 270 Zur negativen Informationsfreiheit J. Fenchel, insb. S. 70 – 148. 271 BVerfG, Beschl. v. 9. 6. 1994 – 1 BvR 439/93 Rn. 12. 272 BVerfG, Beschl. v. 9. 6. 1994 – 1 BvR 439/93 Rn. 12. 273 R. Wendt, in: Münch/Kunig, Bd. I, Art. 5 Rn. 8 mit Verweis auf BVerfGE 61, 1 (9); 71, 162 (179). 274 So F. Fechner, in: Stern/Becker, Art. 5 Rn. 87 m. w. N. 275 Vgl. H. Bethge, in: Sachs, Art. 5 Rn. 46. 269

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

schaftlichen und alltäglichen, von Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 GG geschützt.276 Der ohnehin objektiv kaum zu bestimmende Wert einer Meinung spielt für den Grundrechtsschutz keine Rolle.277 Schutzgegenstand ist die Kommunikation um ihrer selbst willen.278 Das Grundrecht sichert die freie Meinungsbildung, Meinungsäußerung und die Meinungsverbreitung. Dies entspricht zugleich dem natürlichen Prozess, in dem der Einzelne sich zuerst eine Meinung bildet, diese dann äußert und damit verbreitet. Für die Meinungsbildung ist der Einzelne auf Informationen angewiesen. Dies verdeutlicht die Rolle der Informationsfreiheit als Voraussetzung für die Meinungsbildung. Durch den Prozess der freien Meinungsbildung wird auch die Identitätsbildung beeinflusst. Bildet sich eine Person beispielsweise die Meinung, dass sie den Verzehr von tierischen Produkten unethisch und unökologisch findet, so beeinflusst dies ihr Einkaufsverhalten, ihre Nahrungsaufnahme sowie ihre Identität als tierschützender und umweltbewusster Verbraucher. Bildet sich eine Person ein positives Werturteil über eine andere Person, so eifert sie dieser und ihrer Persönlichkeit unter Umständen nach und lässt ihre Identität von der Persönlichkeit der bewunderten Person beeinflussen. Ebenso identitätsbezogen ist die Meinungsäußerung und Meinungsverbreitung. Identitätsbildung vollzieht sich zum einen im Inneren des Individuums, ist aber auf der anderen Seite auch auf die Interaktion mit der Außenwelt angewiesen. So gewährt die Meinungsäußerungsfreiheit dem Einzelnen die Freiheit, selbst zu entscheiden, ob er überhaupt eine Meinung nach außen tragen möchte. Tut er dies, erhält er unter Umständen Reaktionen der Außenwelt auf die geäußerte Meinung, die er wiederum als Erfahrung reflektieren und in den Identitätsbildungsprozess einbeziehen kann. Aus der Bildung und Kundgabe von Meinungen können schließlich Überzeugungen wachsen, aufgrund derer der Einzelne sein Leben gestaltet und seine Identität herausbildet. Umfasst ist auch die Freiheit, eine Meinung gerade nicht äußern oder sich keine Meinung bilden zu müssen (sogenannte negative Meinungsfreiheit).279 Auch dies hat Identitätsbezug. So kann der Einzelne eine gebildete Meinung für sich behalten, um beispielsweise eine aus dieser Meinung erwachsende Überzeugung aufrecht zu erhalten und sich nicht der Kritik anderer auszusetzen. Zudem kann er entscheiden, sich bezüglich eines bestimmten Themas keine Meinung bilden zu wollen, weil der Fokus seiner Identitätsbildung thematisch in eine andere Richtung fokussiert ist. 276

BVerfGE 30, 336 (352 f.); vgl. 71, 162 (175). BVerfGE 85, 1 (15); 61, 1 (17); H. Bethge, in: Sachs, Art. 5 Rn. 25; vgl. Chr. Grabenwarter, in: Maunz/Dürig, Art. 5 Rn. 47; D. Grimm, NJW 1995, S. 1697 (1698). 278 Fr. Fechner, in: Stern/Becker, Art. 5 Rn. 81 mit Verweis auf W. Hoffmann-Riem, Kommunikationsfreiheiten, S. 75. 279 E. Schmidt-Jortzig, in: Isensee/Kirchhof, HStR3 VII, § 162 Rn. 31. 277

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

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c) Das Petitionsrecht, Art. 17 GG Nach Art. 17 GG darf sich jeder einzeln (aber auch gemeinschaftlich280) mit schriftlichen Bitten und Beschwerden, das heißt Petitionen281, an zuständige Stellen und Volksvertretungen wenden. Mit Petitionen wird der Wunsch eines bestimmten staatlichen Verhaltens ausgedrückt282 oder aber auch Meinungen oder Unzufriedenheit gegenüber dem Staat artikuliert283. Dadurch kann der Einzelne seine Interessen und Wünsche außerhalb eines formalen Verfahrens den zuständigen Stellen vortragen und artikulieren (Artikulationsfunktion). Das Petitionsrecht fungiert als Brücke zwischen Bürger und Staat, genauer den zuständigen staatlichen Stellen.284 Das Petitionsrecht erfüllt eine Integrations- und Partizipationsfunktion. Der Petent erhält die Möglichkeit zur Integration im Gemeinwesen und partizipiert am öffentlichen und politischen Geschehen.285 Ein spezifischer Identitätsbezug ergibt sich nicht. Zwar können die Wünsche und Interessen des Einzelnen, die durch die Petition Ausdruck finden, durchaus identitätsrelevant sein. Für die Eröffnung des Schutzbereichs des Art. 17 GG ist das Verfolgen eigener Interessen aber nicht zwingend notwendig.286 Daher weist das Petitionsrecht keinen spezifischen Identitätsbezug auf.

7. Identitätsschutz durch den freien Zusammenschluss mit anderen Die Identitätsbildung vollzieht sich nicht nur im Inneren des Individuums, sondern dialogisch, das heißt in Interaktion mit seinem sozialen Umfeld.287 Grundrechte, die den freien Zusammenschluss des Individuums mit anderen Individuen schützen, beziehen gerade dieses soziale Umfeld der Person in den Identitätsschutz ein.

280

Siehe dazu unter E. II. 7. c). H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 17 Rn. 3; vgl. M. Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, 7. Aufl. 2018, Bd. I, Art. 17 Rn. 23 f. 282 H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 17 Rn. 42. 283 M. Brenner, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 7. Aufl. 2018, Bd. I, Art. 17 Rn. 11; Chr. von Coelln, in: Stern/Becker, Art. 17 Rn. 4. 284 Vgl. H. Bauer, in: Dreier, Bd. I, Art. 17 Rn. 19. 285 H. Bauer, in: Dreier, Bd. I, Art. 17 Rn. 19. 286 H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 17 Rn. 60, R. Stettner, in: BK-GG, Art. 17 Rn. 73. 287 N. Luhmann, Grundrechte als Institution, S. 61 f.; grundlegend D. Suhr, S. 88 – 95. 281

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

a) Die Versammlungsfreiheit, Art. 8 GG Von Art. 8 Abs. 1 GG geschützt ist die Freiheit, sich zu versammeln. Die umstrittene288 Mindestteilnehmerzahl ist dabei für die Identitätsbildung von keiner größeren Bedeutung. Die Teilnehmer müssen einen verbindenden Zweck haben.289 Ein rein zufälliges Aufeinandertreffen ohne gemeinsamen Zweck ist damit nicht vom sachlichen Schutzbereich umfasst. Welchen Inhalt dieser gemeinsame Zweck haben muss, ist umstritten und hat Auswirkungen auf den Schutzfokus des durch Art. 8 GG vermittelten grundrechtlichen Identitätsschutzes. Nach einem engen Versammlungsverständnis muss der die Teilnehmer einende Zweck die Meinungsbildung oder Meinungskundgabe sein.290 Dieses Verständnis wird weiter eingeengt, wenn sich die Meinungsbildung oder Meinungskundgabe auf öffentliche oder politische Angelegenheiten beziehen soll.291 Nach anderer Ansicht muss zwar zwischen den Versammlungsteilnehmern eine innere Verbindung bestehen. Diese muss sich aber nicht auf den Versammlungsgegenstand beziehen. In Betracht kommen dann eine ganze Reihe innerer Verbindungen, auch rein private Zwecke der Persönlichkeitsverwirklichung wie Zusammenkünfte zu geselligen Zwecken.292 Für die Identitätsbildung ist die Frage nach dem Zweck der Versammlung insofern bedeutend, als dass durch ein enges Versammlungsverständnis der grundrechtliche Schutz auf die (politische) Meinungskundegabe beschränkt wird. Dies bedingt eine Beschränkung der Bandbreite von geschützten Erfahrungen und Überzeugungen des Einzelnen auf öffentliche oder politische Themen. Bei einem weiten Verständnis würde der kollektive Ausdruck der Identitätsbildung auf mannigfaltigen Themengebieten geschützt. Die Breite des Identitätsschutzes und dessen Schutzfokus verändern sich demnach mit dem engen oder weiten Schutzbereichsverständnis. Lässt man das gesellige Zusammensein für den Versammlungsbegriff genügen, so schützt die Versammlungsfreiheit den Einzelnen als soziales, geselliges Wesen, wohingegen bei einer Einengung auf öffentliche und politische Erörterungen der Einzelne als an der öffentlichen Meinungsbildung beteiligtes und politisches Wesen Schutz erfährt. 288

H.-J. Blanke, in: Stern/Becker, Art. 8 Rn. 18 m. w. N. BVerfGE 69, 315 (343); O. Depenheuer, in: Maunz/Dürig, Art. 8 Rn. 46; W. Höfling, in: Sachs, Art. 8 Rn. 14; M. Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof, HStR3 VII, § 164 Rn. 25 f. 290 BVerfGE 84, 203 (209); BVerwGE 56, 63 (69); M.-E. Geis, in: Friauf/Höfling, Art. 8 Rn. 19; Ph. Kunig, in: v. Münch/Kunig, Bd. I, Art. 8 Rn. 14, 17. 291 H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 8 Rn. 3a; BVerfGE 104, 92 (104); 128, 226 (250); BVerfG NJW 2001, S. 2459 (2460 f.); vgl. BVerwGE 82, 34 (38). 292 B. J. Hartmann, in: BK-GG, Art. 8 Rn. 165 – 176, insb. Rn. 168; H.-J. Blanke, in: Stern/ Becker, Art. 8 Rn. 35; O. Depenheuer, in: Maunz/Dürig, Art. 8 Rn. 50; Chr. Gusy, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 7. Aufl. 2018, Bd. I, Art. 8 Abs. 1 Rn. 18; R. Herzog, in: Maunz/ Dürig (1968), Art. 8 Rn. 3, 5, 41, 43, 60 (zitiert nach H.-J. Blanke, in: Stern/Becker, Art. 8 Rn. 21); W. Höfling, in: Sachs, Art. 8 Rn. 18 ff.; S. Kraujuttis, S. 122 f.; S. Müller-Franken, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Rn. 3 f.; H. Schulze-Fielitz, in: Dreier, Bd. I, Art. 8 Rn. 26. 289

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

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Eine wesentliche Schutzlücke im grundrechtlichen Identitätsschutz entstünde aber bei der Annahme des engen Versammlungsbegriffs nicht, zumal die Identität der Person umfassend und ohne thematische Einschränkung durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht geschützt ist.293 Die wesentliche identitätsschützende Wirkung weist die Versammlungsfreiheit ohnehin dadurch auf, dass sie einen anderen als den gänzlich privaten Raum schützt. Der durch Art. 8 GG geschützte Zusammenschluss mit anderen und die der Versammlung immanente gemeinsame Kommunikation und Erörterung ist gerade Ausdruck der dialogischen Identitätsbildung, die sich nicht nur im Privaten und im Alleinsein vollzieht, sondern auch gemeinsam mit anderen und unter Umständen öffentlich. Für die Identitätsbildung ist die Versammlungsfreiheit insofern von Bedeutung, als dass durch die Teilnahme an einer Versammlung zum einen gewonnene Überzeugungen von innen nach außen transportiert werden und zum anderen neue Erfahrungen und Überzeugungen, die Eingang in die Identitätsbildung finden können, gewonnen werden. Die Versammlungsfreiheit wird durch Art. 12 Abs. 1 GrCh geschützt, der im Bereich des Deutschengrundrechts Art. 8 GG lückenfüllend wirkt. Auf völkerrechtlicher Ebene schützt Art. 11 Abs. 1 EMRK die Versammlungsfreiheit. Es handelt sich um ein Menschenrecht, sodass der persönliche Schutzbereich grundsätzlich auch Drittstaatsangehörige umfasst. Zu beachten ist aber Art. 16 EMRK, nach dem die politische Tätigkeit von Ausländern, auch im Rahmen des Art. 11 EMRK, weitreichend beschränkt werden kann. Der IPbpR sieht den Schutz der Versammlungsfreiheit in Art. 21 vor. b) Die Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit, Art. 9 GG Art. 9 GG schützt die Vereinigungsfreiheit im Allgemeinen (Abs. 1) und die Koalitionsfreiheit im Speziellen (Abs. 3). Grundlage beider Freiheiten sind das „Prinzip freier sozialer Gruppenbildung“294 sowie das „Prinzip freier Assoziation und Selbstbestimmung“295. Damit steht der freie Zusammenschluss des einzelnen Menschen mit anderen im Fokus von Art. 9 GG. Diesem Zusammenschluss kommt dabei gerade über den Aspekt der Freiheit beziehungsweise Freiwilligkeit eine bedeutende Rolle für die Persönlichkeitsentfaltung296 und Identitätsbildung des Einzelnen zu. Sich einer selbstgewählten Vereinigung anzuschließen, eine Vereinigung

293 294 295 296

Siehe dazu unter E. II. 1. BVerfGE 38, 281 (303); 80, 244 (252). BVerfGE 50, 290 (355). S. Rixen, in: Stern/Becker, Art. 9 Rn. 11.

116

E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

zu bilden oder gerade auch bewusst nicht297 anzuschließen, ist zum einen Ausdruck des Selbstverständnisses der Person und kann zum anderen ihr Selbstbild maßgeblich prägen und verändern. Gleiches gilt für die Entscheidung, in einer Vereinigung zu verbleiben oder aus ihr auszutreten. Schließt sich eine natürliche Person beispielsweise dem örtlichen Taubenzüchterverein an, kann von einem anderen Selbstbild ausgegangen werden als bei dem Mitglied einer politischen Initiative. Tritt eine Person aus dem Taubenzüchterverein aus und tritt in eine politische Initiative ein, so kann dies Ausdruck einer sich verändernden Persönlichkeit und Identität sein. Der Verbleib in einer Vereinigung hingegen kann als Ausdruck von persönlicher Kontinuität aufzufassen sein. Da Koalitionen im Sinne des Art. 9 Abs. 3 GG Vereinigungen im Sinne des Art. 9 Abs. 1 GG sein müssen298, gelten die Ausführungen zur identitätsstiftenden Wirkung von Vereinigungen auch für die Koalitionen. Koalitionen dienen der Förderung und Wahrung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen.299 Ihr Koalitionszweck ist damit enger als der der Vereinigungen. Art. 9 Abs. 3 GG ist lex specialis zu Art. 9 Abs.1 GG.300 Ob eine einzelne, natürliche Person sich einem Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberverband301 oder bewusst keinem der beiden anschließt oder auch aus einer Koalition wieder austritt302, ist Ausdruck ihres Selbstverständnisses. Die Frage, auf welche Seite sich der Einzelne „schlägt“, das heißt, ob er für die Arbeitnehmer- oder die Arbeitgeberseite einsteht, kann Ausdruck eigener Überzeugungen und des Selbstbildes sein. Auch die Tatsache, dass sich eine Person überhaupt für oder gegen eine Zugehörigkeit zu einer Koalition oder einem Austritt aus einer Koalition entschließt, kann Ausdruck innerer Überzeugung und des Selbstbilds der Person sein. Die Teilnahme an Koalitionstätigkeiten kann durch den Erfahrungsgewinn ebenfalls Einfluss auf die Persönlichkeit des Individuums haben. Sowohl die Vereinigungs- als auch die Koalitionsfreiheit berechtigen neben natürlichen Personen im Wege der individuellen Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit auch das Kollektiv im Sinne einer kollektiven Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit.303 Beide Grundrechte sind daher sogenannte Doppelgrundrechte. In der kol297 Die negative Vereinigungsfreiheit soll nach BVerfG NJW 2001, S. 2617 nur auf privatrechtliche Vereinigungen Anwendung finden; so auch Th. Kingreen/R. Poscher, Rn. 847; a. A. M. Cornils, in: Epping/Hillgruber, Art. 9 Rn. 10. 298 S. Rixen, in: Stern/Becker, Art. 9 Rn. 30. 299 S. Rixen, in: Stern/Becker, Art. 9 Rn. 31. 300 S. Rixen, in: Stern/Becker, Art. 9 Rn. 97. 301 Gegen den Schutz von Arbeitgebern durch Art. 9 Abs. 3 GG M. Kittner/D. Schiek, in: AK-GG, Bd. 1, Art. 9 Abs. 3 Rn. 80 ff. 302 M. Cornils, in: Epping/Hillgruber, Art. 9 Rn. 54. 303 BVerfG NJW 1990, S. 37 (38); 1992, S. 549 ff.; M. Cornils, in: Epping/Hillgruber, Art. 9 Rn. 1 für die Koalitionsfreiheit und Rn. 41 – 52 für die Vereinigungsfreiheit; a. A. für die Vereinigungsfreiheit W. Höfling, in: Sachs, Art. 9 Rn 26 f.; für den Schutz des Kollektivs über Art. 19 Abs. 3 GG M. Kemper, in: von Mangoldt/Klein/Starck, 7. Aufl. 2018, Bd. I, Art. 9

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

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lektivrechtlichen Ausprägung ist Art. 9 GG für die institutionelle Identität von Bedeutung. Institutionen bilden demnach die Grundlage für eine kollektive Identität.304 Der Schutz des Kollektivs kann sich mittelbar und tatsächlich auf den des Individuums auswirken.305 Anders als beim gruppenspezifischen Minderheitenschutz306 wird das Individuum von Art. 9 Abs. 1, 3 GG aber auch rechtlich im Sinne einer individuellen Freiheit geschützt. Die Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit wird durch Art. 12 Abs. 1 GrCh geschützt, der im Bereich des Deutschengrundrechts Art. 9 GG lückenfüllend wirkt. Völkerrechtlich werden die Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit von Art. 11 Abs. 1 EMRK geschützt.307 Es handelt sich um ein Menschenrecht, sodass der persönliche Schutzbereich grundsätzlich auch Drittstaatsangehörige umfasst. Zu beachten ist aber Art. 16 EMRK, nach dem die politische Tätigkeit von Ausländern, auch im Rahmen des Art. 11 EMRK, weitreichend beschränkt werden kann. Art. 22 IPbpR gewährleistet die Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit ebenfalls. c) Das Petitionsrecht, Art. 17 GG Auch das durch Art. 17 GG verbürgte Petitionsrecht steht im Zusammenhang des Zusammenschlusses des Individuums mit anderen Menschen. Demnach darf sich jeder einzeln308, aber eben auch gemeinschaftlich mit schriftlichen Bitten und Beschwerden (Petitionen) an zuständige Stellen und Volksvertretungen wenden. Art. 17 GG weist keinen spezifischen Identitätsbezug auf. Abweichend von den obigen Ausführungen309 kann sich ein entfernterer Identitätsbezug aus der Solidarisierung mit anderen Petenten ergeben. Die Eröffnung des sachlichen Schutzbereichs des Art. 17 GG setzt nicht notwendigerweise das Verfolgen eigener Interessen voraus.310 Solidarisiert sich der Einzelne mit einem anderen Petenten und dessen Anliegen, so lässt dies unter Umständen Rückschlüsse auf dessen Persönlichkeit in sozialer Hinsicht, dessen Hilfsbereitschaft sowie Offenheit für die Themen und Probleme anderer zu. Der Identitätsbezug ist aber ein faktischer und bleibt auf rechtlicher Ebene unspezifisch. Abs. 1 Rn. 62; für einen kollektiven Schutz des Art. 9 Abs. 3 i. V. m. Art. 19 Abs. 3 GG G. Wiese, ZfA 2008, S. 317 ff.; für die kollektive Koalitionsfreiheit: BVerfGE NJW 1993, S. 1379 f.; NJW 1997, S. 513 ff.; NZA 2001, S. 777 (778). 304 R. Toivanen, S. 20. 305 Vgl. dazu die Ausführungen zum landesverfassungsrechtlichen Minderheitenschutzrecht unter E. II. 18. 306 Siehe dazu unter E. II. 18. 307 Zur Menschenrechtsqualität und zur Einschränkbarkeit nach Art. 16 EMRK siehe E. II. 7. a). 308 Siehe dazu unter E. II. 6. c). 309 Siehe unter E. II. 6. c). 310 H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 17 Rn. 60, R. Stettner, in: BK-GG, Art. 17 Rn. 73.

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

8. Zur Identitätsrelevanz der Eigentumsfreiheit und der Erbrechtsgarantie Die Eigentumsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG weist in dreierlei Hinsicht Identitätsrelevanz auf. Flankiert wird sie von der Erbrechtsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG. a) Materielle Sicherheit Art. 14 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG schützt zwar nicht das Vermögen als solches311, wohl aber den Bestand312, die Nutzung313 und die Verfügung314 über vermögenswerte Rechte315, die dem Einzelnen durch privatrechtliche Normen zugeordnet sind.316 Dazu zählen alle vermögenswerte Rechte, die dem Einzelnen auf eine Weise zugeordnet sind, dass „er die damit verbundenen Befugnisse nach eigenverantwortlicher Entscheidung zu seinem privaten Nutzen ausüben darf“317. Dies umfasst das privatrechtliche Eigentum318, alle privatrechtlichen Ansprüche und Forderungen319 und das geistige Eigentum320. Ob auch das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb unter den verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff fällt, ist umstritten321, für die Frage der grundsätzlichen Identitätsrelevanz von Eigentum aber auch nicht wesentlich relevant.

311

(145). 312

St. Rspr. seit BVerfGE 4, 7 (17); 95, 267 (300), BGHZ 83, 190 (194 f.); BSGE 60, 134

Vgl. BVerfGE 102, 1 (23). BVerfGE 88, 366 (377); 98, 17 (35); 101, 54 (75); BGHZ 157, 144 (147); O. Depenheuer, in: Merten/Papier, Bd. V, § 111 Rn. 56. 314 BVerfGE 50, 290 (339); 52, 1 (30 f.) m. w. N.; 91, 294 (308); BVerwGE 92, 322 (327); O. Depenheuer, in: Merten/Papier, Bd. V, § 111 Rn. 43, 53. 315 St. Rspr., BVerfGE 131, 66 (79) m. w. N. 316 Ausführlich zum Schutz der Eigentumsrechte U. Hösch, S. 15 – 57. 317 BVerfGE 112, 93 (107); 97, 350 (371); 123, 186 (258); 126, 331 (358); 70, 191 (199). 318 BVerfGE 97, 350 (371); 123, 186 (258). 319 BVerfGE 68, 193 (222); 83, 201 (208 f.); 112, 93 (107); BGHZ 197, 21 (29). 320 Für die Urheberrechte: BVerfGE 77, 263 (270); 79, 1 (25); 81, 12 (16); 97, 228 (264); 31, 229 (239); O. Depenheuer, in: Merten/Papier, Bd. V, § 111 Rn. 66 f.; für die Patentrechte BVerfGE 36, 281 (290); für das Warenzeichenrecht BVerfGE 51, 193 (217); 78, 58 (71); für Leistungsschutzrechte BVerfGE 81, 208 (219) und für das allgemeine Persönlichkeitsrecht BVerfG GRUR-RR 2009, S. 375 (376); BVerwGE 125, 40 (41 f.). 321 Für den Schutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs BGHZ 111, 349 (356); BVerwGE 81, 49 (54); O. Depenheuer/J. Froese, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 7. Aufl. 2018, Bd. I, Art. 14 Rn. 133 m. w. N.; J. Dietlein, in: Stern, Bd. IV/1, S. 2191 ff.; F. Ossenbühl/ M. Cornils, S. 175 ff.; bejahend noch BVerfGE 1, 264 (277 f.); inzwischen offengelassen BVerfGE 51, 193 (221). 313

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

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Hinzu kommen öffentlich-rechtliche Positionen, die eine Rechtsposition schaffen, die der des Eigentümers entspricht.322 Hier sind sozialrechtliche Ansprüche, die auf einer nicht unerheblichen Eigenleistung an den Versicherungsträger beruhen323 und der Existenzsicherung dienen324, zu nennen. Die von Art. 14 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG geschützten Positionen schaffen materielle Sicherheit. Materielle Sicherheit ist einer der entscheidenden Faktoren der Identitätsbildung.325 Ein Individuum, das materielle Sicherheit genießt, kann sich der Entwicklung der eigenen Persönlichkeit und Lebensereignissen abseits des Materiellen zuwenden. Das Individuum, das eine behagliche Wohnung, genügend Mittel für die Deckung des täglichen Lebensbedarfs und für die Befreiung der einen oder anderen alltäglichen Mühe hat, gewinnt Freiraum für die sonstige Lebensgestaltung und Persönlichkeitsentwicklung. Demjenigen, der seine Lebenszeit in die Sicherung des täglichen Überlebens investieren muss, bleibt demgegenüber kein beziehungsweise ein kleinerer Freiraum für Persönlichkeitsentwicklung und Lebensgestaltung. Der Raum zur Gestaltung öffnet sich erst, sobald die Grundbedürfnisse des Menschen gesichert sind. Durch Materielles kann das Individuum seine Grundbedürfnisse absichern. Materielle Sicherheit schafft damit Zeit und Raum für die Identitätsentwicklung. Materielle Sicherheit wiederum wird durch Vermögen im weiteren Sinne hergestellt. b) Freiheit und Eigentum Dieser Mechanismus spiegelt sich auch in einer Funktion der Eigentumsfreiheit wider. Eigentum gewährleistet dem Eigentümer Unabhängigkeit und damit zugleich Freiheit.326 Der Eigentümer kann grundsätzlich frei über sein Eigentum verfügen. Aufgabe der Eigentumsfreiheit im grundrechtlichen Gefüge sei die Sicherung eines Freiheitsraums zugunsten des Grundrechtsträgers im vermögensrechtlichen Bereich, der wiederum eine eigenverantwortliche Lebensgestaltung ermögliche.327 In diesem Sinne sei Eigentum „gespeicherte Freiheit“328. Erworbenes Eigentum wird durch die Eigentümerstellung „gespeichert“ und kann über die Nutzungs- und Verfügungs322

BVerfGE 45, 142 (170); 53, 257 (289); 40, 65 (82 f.) m. w. N.; BGHZ 92, 94 (106). BVerfGE 29, 22 (34); 116, 96 (121); 128, 90 (101) m. w. N.; a. A. O. Depenheuer, in: Merten/Papier, Bd. V, § 111 Rn. 75. 324 BVerfGE 69, 272 (300), 92, 365 (405) m. w. N.; 112, 368 (396); 126, 369 (390); vgl. 53, 257 (289 ff.); BSGE 69, 76 (77 f.); a. A. O. Depenheuer, in: Merten/Papier, Bd. V, § 111 Rn. 73; ders./J. Froese, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 7. Aufl. 2018, Bd. I, Art. 14 Rn. 182, 185 ; H. D. Jarass, NZS 1997, S. 545 (546); J. R. Sieckmann, in: Friauf/Höfling, Art. 14 Rn. 47. 325 Siehe dazu unter B. III. 5. 326 Fl. Becker, in: Stern/Becker, Art. 14 Rn. 1; O. Depenheuer, in: Merten/Papier, Bd. V, § 111 Rn. 8; P. Kirchhof, in: Merten/Papier, Bd. V, § 112 Rn. 1. 327 BVerfGE 30, 292 (334 f.); 111, 349 (357); 132, 181 (186); 134, 242 (290); J. MeyerAbich, S. 58. 328 W. Leisner, in: Isensee, Privateigentum als Grundlage der Freiheit, S. 4. 323

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

freiheit aus dem Speicher „entlassen“ werden. Die Möglichkeiten des Eigentümers wachsen mit dem Erwerb von Eigentum.329 So erkannte auch das BVerfG an, dass in der Ausprägung als freiheitssicherndes Grundrecht der Schutz der Eigentumsgarantie besonders ausgeprägt sei.330 Das private Eigentum sei Grundlage und wesentlicher Inhalt menschlicher Freiheit.331 Der Mensch habe so viel Freiheit, wie er Eigentum erwerben kann.332 Freiheit wiederum ist, wie sich aus der bisherigen Untersuchung des freiheitsrechtlichen Identitätsschutzes ergibt, ein wesentlicher Faktor der Identitätsbildung. Nur wer frei ist von übermäßigen fremden Identitätserwartungen und in Freiheit Erfahrungen sammeln und Entscheidungen treffen kann, ist in der Lage das ganze Potential seiner Persönlichkeit abrufen. Der Erwerb von Eigentumsrechten oder aber auch das Entledigen von einer Eigentümerstellung ist eng verbunden mit der Lebensführung und Lebensgestaltung der Person.333 Die Eigentumsgarantie wird von der Erbrechtsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG flankiert. Die Erbrechtsgarantie verlängert das Eigentumsrecht zeitlich über das Leben des Eigentümers hinaus334 und sichert als Grundrecht, Institutsgarantie und objektivrechtliche Gewährleistung die Nachhaltigkeit von Eigentum generationenübergreifend335. Das Erbrecht aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG sichert das Privateigentum grundsätzlich vor dem Staat und gewährleistet, dass im Todesfall Eigentum Privateigentum bleibt336 und dass die mit dem Eigentum verbundene Freiheit an den/die Erben weitergegeben wird337. Die Testierfreiheit des Erblassers wiederum ist ebenso wie die Verfügungsfreiheit über das Vermögen Ausdruck einer freien Verfügung des Eigentümers und seiner Selbstbestimmung über sein Vermögen.338 c) Persönliche Objekte Indem Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG das privatrechtliche Eigentum schützt, schützt die Norm auch das Eigentum an beweglichen und unbeweglichen Sachen. Nun mag es Investoren geben, die beispielsweise Kunstgegenstände oder Immobilien zum Zwecke reiner Geldanlage erwerben. In diesen Fällen steht der soeben skizzierte Schutz vermögenswerter Rechte im Sinne materieller Sicherheit im Vordergrund. 329 330 331 332 333 334 335 336 337 338

W. Leisner, in: Isensee, Privateigentum als Grundlage der Freiheit, S. 4. BVerfGE 134, 242 (290). W. Leisner, in: Isensee, Privateigentum als Grundlage der Freiheit, S. 3. W. Leisner, in: Isensee, Privateigentum als Grundlage der Freiheit, S. 4. Ähnlich U. Hösch, S. 154. BVerfGE 112, 332 (348). P. Kirchhof, in: Merten/Papier, Bd. V, § 112 Rn. 2. P. Kirchhof, in: Merten/Papier, Bd. V, § 112 Rn. 2, 9. P. Kirchhof, in: Merten/Papier, Bd. V, § 112 Rn. 30. P. Kirchhof, in: Merten/Papier, Bd. V, § 112 Rn. 63, 65.

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

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Für die Identitätsbildung des Individuums von Bedeutung ist das Eigentum an Sachen aber vor allem dann, wenn das Eigentum an persönlichen Objekten und Lieblingsdingen339 betroffen ist. Sprachlich passend scheint es, von Lieblingsobjekten zu sprechen. Dabei handelt es sich um Objekte, an denen eine Person hängt und die ihr teuer sind.340 Das können bestimmte Spielzeuge bei Kindern341 oder aber liebgewonnene Möbelstücke, Haustiere oder Kleidungsstücke des Erwachsenen sein342. Schon 1890 betonte der amerikanische Psychologe und Philosoph W. James, dass das Selbst eines Menschen die Summe all dessen sei, was er sein Eigen nennen kann.343 Dazu zählt W. James nicht nur den Körper und Geist eines Menschen, sondern auch seine Kleider, sein Haus, seine Ehefrau und Kinder, seine Vorfahren und Freunde, seinen Ruf, seine Arbeit, sein Land beziehungsweise Grundeigentum und seine Pferde, seine Yacht und sein Bankkonto. W. James spricht mit der Kleidung, dem Grundeigentum und der Yacht eigentumsfähige Objekte an, die Bestandteil des Selbst der Person seien. Ähnlich sieht D. Suhr Sachen als Medium der Entfaltung an.344 Bei der verfassungsrechtlichen Bewertung des Identitätsbezugs von Objekten ergibt sich eine inhaltliche Überschneidung mit dem aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleiteten Recht auf Selbstdarstellung. Unterschiedliche Objekte rufen unterschiedliche Assoziationen zur Persönlichkeit einer mit dem Objekt verknüpften Person in der Fremdwahrnehmung hervor. Betrachtet man eine Wohnung, die mit Designermöbeln bestückt ist, so denkt man über die Persönlichkeit des Bewohners anders als in Fällen, in denen die Wohnung mit von Trödelmärkten zusammengesammelten Möbelstücken ausgestattet ist. Diese Fremdwahrnehmung ist als die Kehrseite des Rechts auf Selbstdarstellung vorrangig von diesem geschützt. Zugleich sind der Besitz, der von der allgemeinen Handlungsfreiheit gedeckt ist, aber auch das nach Art. 14 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG geschützte Eigentum an Sachen, Ausdruck der eigenen Identität. Das Eigentum kann der Eigentümer nach außen sichtbar machen. Trägt eine Person beispielsweise die neuesten und teuersten Sportschuhe, möchte sie damit im Wege der Selbstdarstellung eine andere Identität nach außen transportieren, als beim Tragen zeitloser Businessschuhe. Hier offenbart sich wieder die Überschneidung mit dem Recht auf Selbstdarstellung, das auch die Entscheidung über das äußere Erscheinungsbild erfasst. 339 Die Begriffe wurden wesentlich geprägt von T. Habermas in seinem Werk „Geliebte Objekte“; aus der nicht-juristischen Literatur lesenswert A. Schäfer, Wir sind, was wir haben, 2012. 340 T. Habermas, S. 9. 341 Vgl. T. Habermas, S. 9 f. 342 Vgl. T. Habermas, S. 10. 343 W. James, S. 291. 344 D. Suhr, S. 101 f.

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

Eine Eigentumsrelevanz der persönlichen Objekte ergibt sich nun daraus, dass durch den Schutz des Bestands, der Nutzung und der Verfügung über die im Eigentum stehenden Lieblingsdinge im weiteren Sinne der freie Umgang einer natürlichen Person mit der Sache geschützt wird. Ist das Eigentum am Lieblingsobjekt geschützt, so schützt dies vor einem Entzug der Eigentumsposition. Das wiederum ermöglicht dem Eigentümer Schutz vor Zugriffen Dritter und damit ein ungestörtes Auseinandersetzen, das in einer von Art. 14 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG geschützten Nutzung liegen kann, mit dem Lieblingsobjekt. Möchte sich die Person nicht mehr mit einem Lieblingsobjekt beschäftigen und nicht mehr Eigentümer des Objekts sein, so ist auch die Veräußerung des Objekts nach Art. 14 Abs. 1 GG geschützt. Zu welcher Lebenszeit ein Objekt Lieblingsobjekt ist und zu welcher Zeit eine Person ihr Lieblingsobjekt aufgibt, spiegelt die individuelle Persönlichkeitsentwicklung wider. So legt ein Erwachsener oder Heranwachsender das Lieblingsstofftier aus Kindertagen womöglich dauerhaft beiseite und wendet sich erwachseneren Objekten zu. Nun stehen (Lieblings)Dinge nicht zwingend im Eigentum der Person. Der Einzelne kann auch geliehene Sachen zu seinen Lieblingsdingen zählen. In den meisten Fällen hingegen wird es sich bei den persönlichen Objekten auch um Sachen handeln, die im Eigentum der Person stehen. Geht es in erster Linie um Selbstdarstellung, so ist das Recht auf Selbstdarstellung aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht betroffen.

9. Der grundrechtliche Schutz von Teilidentitäten der Person Neben den genannten Freiheitsgrundrechten kommen für den grundgesetzlichen Identitätsschutz auch Grundrechte in Betracht, die Teilidentitäten einer Person schützen. Diese Teilidentitäten beziehen sich jeweils auf unterschiedliche Lebenskreise. a) Die eheliche Identität, Art. 6 Abs. 1 GG Die Ehe erfährt über Art. 6 Abs. 1 GG „besonderen“ Schutz. Der Normcharakter des Art. 6 Abs. 1 GG ist vielschichtig. Art. 6 Abs. 1 GG ist ein Freiheitsgrundrecht345, gilt als verbindliche Wertentscheidung346 und ist zugleich Institutsgaran-

345

BVerfGE 105, 313 (342); Chr. Seiler, in: BK-GG, Art. 6 Abs. 1 Rn. 101. St. Rspr. BVerfGE 137, 273 (342) m. w. N.; P. Badura, in: Maunz/Dürig, Art. 6 Rn. 67, D. Coester-Waltjen, in: v. Münch/Kunig, Bd. I, Art. 6 Rn. 35. 346

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

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tie347. Zudem schützt Art. 6 Abs. 1 GG vor Ungleichbehandlungen und Benachteiligungen, die an die Ehe geknüpft werden.348 aa) Art. 6 Abs. 1 GG als Freiheitsgrundrecht Als Freiheitsgrundrecht schützt Art. 6 Abs. 1 GG die Ehe vor staatlichen Eingriffen.349 Der freiheitsrechtliche Schutz der Ehe umfasst konkret die Eheschließung350 ebenso wie die Entscheidung gegen eine Eheschließung351. In diesem Zusammenhang erfahren auch die Wahl des Ehepartners352 sowie die Entscheidung über den Zeitpunkt der Eheschließung353 Schutz. Auch wird das Zusammenleben als Eheleute354 geschützt. Dies umfasst auch die Entscheidung über das gemeinsame Zusammenleben oder getrennte Lebensmittelpunkte.355 Ebenso geschützt wird die rechtliche Gestaltung der Ehe durch Eheverträge356, die Entscheidungen über das Ehegüterrecht357 und zu den finanziellen Beziehungen der Eheleute358. Auch die sonstige freie Gestaltung der Ehe wird vor staatlichen Eingriffen geschützt.359 Dies umfasst auch die Entscheidung über die Aufgabenverteilung innerhalb der Ehe.360 Schutz erfährt auch die Scheidung einer Ehe361.

347 BVerfGE 105, 313 (344 f.) m. w. N.; Chr. Seiler, in: BK-GG, Art. 6 Abs. 1 Rn. 106; F. Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Bd. I, Rn. 76; genauer dazu unter E. II. 9. a) bb). 348 BVerfGE 76, 1 (72); 99, 216 (232). 349 BVerfGE 6, 386 (388); 80, 81 (92). 350 BVerfGE 29, 166 (175) m. w. N.; 36, 146 (162); 105, 313 (342 ff.) m. w. N. 351 M. Burgi, in: Friauf/Höfling, Art. 6 Rn. 24; Chr. v. Coelln, in: Sachs, Art. 6 Rn. 25, H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 6 Rn. 6; G. Robbers, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 7. Aufl. 2018, Bd. I, Art. 6 Abs. 1 Rn. 57; A. Uhle, in: Epping/Hillgruber, Art. 6 Rn. 22; nach a. A. wird die Entscheidung gegen eine Ehe nur von Art. 2 Abs. 1 GG geschützt BVerfGE 56, 363 (384 f.); J. Ipsen, in: Isensee/Kirchhof, HStR3 VII, § 154 Rn. 59 ff. 352 H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 6 Rn. 7. 353 H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 6 Rn. 7. 354 J. Ipsen, in: Isensee/Kirchhof, HStR3 VI, § 154 Rn. 38; H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 6 Rn. 6. 355 BVerfGE 114, 316 (335 f.); BVerwGE 110, 99 (105); H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 6 Rn. 7. 356 H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 6 Rn. 6, 25; A. Uhle, in: Epping/Hillgruber, Art. 6 Rn. 26. 357 H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 6 Rn. 6, I. Richter, in: AK-GG, Bd. 1, Art. 6 Rn. 31. 358 Vgl. BVerfGE 53; 257 (296). 359 Vgl. BVerfGE 6, 55 (72) m. w. N. 360 BVerfGE 105, 1 (11); 107, 27 (53); 133, 377 (410); Chr. Seiler, in BK-GG, Art. 6 Rn. 125. 361 BGHZ 169, 249 (253); G. Robbers, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 7. Aufl. 2018, Bd. I, Art. 6 Abs. 1 Rn. 62; für den Schutz der Scheidung über Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG M. Kotzur, in: Stern/Becker, Art. 6 Rn. 24 m. w. N.

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

Dies alles führt zu einem umfassenden Schutz der Freiheit des mit einer Ehe in Verbindung stehenden Verhaltens und den ehelichen Entscheidungen. Im Hinblick auf den Identitätsschutz wird daher die Rollenidentität des Einzelnen als Ehemann oder Ehefrau geschützt. Die umfassenden und ehebezogenen Freiheiten des Art. 6 Abs. 1 GG ermöglichen gerade die Herausbildung, Wahrung und Änderung der Rollenidentität als Ehemann oder Ehefrau abseits staatlicher Einmischung. (1) Ehe als privater Raum Teilweise wird die vertragliche Gestaltung der Ehe auch der vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht geschützten Privatsphäre zugeordnet.362 Dies verdeutlicht den engen Zusammenhang zwischen Ehe und Privatsphäre. Die Ehe ist „die engste menschliche Lebensgemeinschaft“363 und bildet damit einen privaten Rückzugsort364. Steht ein Verhalten mit einem Rückzug nicht allgemein ins Private, sondern in die eheliche Gemeinschaft in Zusammenhang, so liegt es nahe, dass Art. 6 Abs. 1 GG einschlägig ist. Art. 6 Abs. 1 GG schützt also die Ehe als privaten, von außen und insbesondere gegenüber dem Staat geschützten Raum, in den sich die Ehepartner zurückziehen können, um beispielsweise eheliche oder aber auch individuelle Entscheidungen vorzubereiten oder zu treffen. Die Ehe als Rückzugsort bietet damit einen Raum, in dem die eheliche Rollenidentität gebildet, verändert und gewahrt werden kann. (2) Abgrenzungsfragen zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dem Ehegrundrecht Die weitere Abgrenzung zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dem Ehegrundrecht gestaltet sich schwierig. Das liegt daran, dass jede ehebezogene Entscheidung zugleich eine individuelle Lebensentscheidung bedeutet. So sei die Ehe als „eine besondere Lebensordnung der freien Entfaltung der Persönlichkeit“365 anzusehen. Das Eingehen einer Ehe beispielsweise kann die Verwirklichung der Persönlichkeit des Menschen bedeuten. Mit dem Entschluss, die Ehe einzugehen, entscheidet sich der Einzelne nicht nur für die Ehe als Lebensform, sondern gleichsam dazu, sein Leben als Ehepartner und mit dem Ehepartner gestalten zu wollen. Für die Abgrenzung des Ehegrundrechts und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wird vorgeschlagen, nicht jede Entscheidung, die im Zusammenhang mit einer Ehe steht, dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG zu unterstellen, sondern solche Verhaltensweisen und Entscheidungen, die in erster Linie der Verwirklichung der ei362 363 364 365

BVerfGE 81, 1 (10); 60, 329 (339). BGHZ 1, 87 (90). M. Kotzur, in: Stern/Becker, Art. 6 Rn. 9. P. Badura, in: Maunz/Dürig, Art. 6 Rn. 29.

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

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genen Persönlichkeit dienen, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG zuzuordnen.366 Verwiesen wird in diesem Zusammenhang darauf, dass Art. 6 Abs. 1 GG nicht den einzelnen Ehepartner, sondern die Ehe als Gemeinschaft schütze.367 Das leuchtet ein, da beim Ehegrundrecht – anders als beim Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts – nicht die individuelle Persönlichkeitsentwicklung im Vordergrund steht, sondern das Zusammenleben von Personen in der ehelichen Gemeinschaft in den Schutzfokus rückt. Es ist davon auszugehen, dass die durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht verbürgte Entfaltungsfreiheit im Bereich der privaten Lebensgestaltung bei Sachverhalten mit ehelichem Bezug durch Art. 6 Abs. 1 GG verstärkt wird.368 Dem Schutz von Art. 6 Abs. 1 GG unterfällt daher die spezifisch eheliche Identität des Einzelnen, das heißt seine Identität als Ehepartner, wohingegen Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG die Persönlichkeit des Einzelnen als Individuum schützt. (3) Der Bezug des Ehegrundrechts zur beruflichen Identität Zudem steht die Entscheidung über die Verteilung von Aufgaben der ehelichen Gemeinschaft im faktischen Zusammenhang mit der beruflichen Identität der Eheleute. Die Entscheidung über die Rollenverteilung zwischen der Erwirtschaftung des Einkommens, der Führung des Haushalts sowie gegebenenfalls der Betreuung der Kinder obliegt allein den Eheleuten.369 Mit dieser Entscheidung über Erwerbstätigkeit, Haushaltsführung und Kinderbetreuung ist automatisch die Entscheidung über die berufliche Laufbahn der Ehepartner verknüpft. Dabei handelt es sich aber um einen faktischen Zusammenhang. Art. 6 Abs. 1 GG schützt die berufliche Identität nicht spezifisch. bb) Institutsgarantie und wertentscheidende Grundsatznorm Die Ehe gilt als Institut beziehungsweise Einrichtung370 und wird als solche durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützt. (1) Schutz vor Aufhebung der Ehe als solcher In seiner Ausprägung als Institutsgarantie schützt Art. 6 Abs. 1 GG die Ehe gegen die vollständige Aufhebung oder auch eine wesentliche Umgestaltung.371 Der Schutz gegen eine Aufhebung der Ehe meine, dass die Ehe als Institut nicht abgeschafft 366 367 368 369 370 371

F. Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Bd. I, Art. 6 Rn. 48. F. Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Bd. I, Art. 6 Rn. 48. BVerfGE 42, 234 (236); 57, 170 (178). BVerfGE 66, 84 (94); 105, 1 (10 f.) m. w. N.; 107, 27 (53) m. w. N. M. Kotzur, in: Stern/Becker, Art. 6 Rn. 12. BVerfGE 6, 55 (72).

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

werden darf.372 Art. 6 Abs. 1 GG schützt damit natürlich nicht jede einzelne Ehe, zumal der Bestand der einzelnen Ehe maßgeblich von zwischenmenschlichen Beziehungen und Ereignissen abhängt und Art. 6 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Freiheitsgrundrecht die Entscheidung über die Eheschließung, die Ausgestaltung der Ehe und die Beendigung der Ehe den Ehepartnern überlässt. Art. 6 Abs. 1 GG schützt aber die Ehe als Einrichtung in ihrem Vorhandensein und Bestand. Damit kann die Ehe als solche für (zukünftige) Eheleute grundsätzlich einen festen Orientierungspunkt in ihrem Leben bieten. So kann nicht nur der Beruf Sinn- und Identitätsanker sein373, sondern auch das Institut der Ehe. (2) Schutz vor der Umgestaltung der Ehe Der Bestandsschutz gilt hinsichtlich einer Umgestaltung der Ehe nicht absolut.374 Vor einer solchen Beeinträchtigung geschützt seien laut BVerfG nur die „bestimmenden Merkmale des Bildes“ von der Ehe375, das heißt die wesenskernrelevanten376 Elemente der Ehe. Der Gesetzgeber ist über Art. 6 Abs. 1 GG an den Ordnungskern der Ehe gebunden.377 Belange, die außerhalb des Ordnungskerns der Ehe liegen, stehen hingegen zur gesetzgeberischen Disposition. (3) Wertentscheidung Art. 6 Abs. 1 GG ist gleichzeitig eine verbindliche Wertentscheidung für den Bereich des Ehe- und Familienrechts.378 Ehe und Familie sind demnach die „Keimzelle jeder menschlichen Gemeinschaft, deren Bedeutung mit keiner anderen menschlichen Bindung verglichen werden kann“379. Daraus folgt für den Staat das Verbot, die Ehe zu beeinträchtigen oder aber auch die Ehe zu benachteiligen380, sowie die Pflicht, die Ehe vor Beeinträchtigungen zu schützen und zu fördern381. Beeinträchtigungs- und Benachteiligungsverbot sowie die staatliche Schutz- und Förderpflicht wirken sich positiv auf die Stellung der Ehe aus und können damit auch potentiell Einfluss auf die Identität des Einzelnen als Ehemann oder Ehefrau haben.

372 373 374 375 376 377 378 379 380 381

D. Coester-Waltjen, in: v. Münch/Kunig, Bd. I, Art. 6 Rn. 13. Siehe dazu unter E. II. 9. f). BVerfGE 82, 60 (80 f.); 105, 313 (345) m. w. N. BVerfGE 76, 1 (49). A. Uhle, in: Epping/Hillgruber, Art. 6 Rn. 30. BVerfGE 31, 58 (69 f.); 105, 313 (345). BVerfGE 6, 55 (71 ff.). BVerfGE 6, 55 (71); 24, 119 (149). BVerfGE 6, 55 (76); 28, 324 (347); 55, 114 (126 f.); 105, 313 (346). BVerfGE 6, 55 (76); 87, 1 (35), 105, 313 (346); 82, 60 (81).

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

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b) Die Rolle des Familiengrundrechts für die individuelle Identität, Art. 6 Abs. 1 GG Ebenso wie die Ehe steht auch die Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung nach Art. 6 Abs. 1 GG. Familie im Sinne des Art. 6 Abs. 1 GG meint die tatsächliche Lebens- und Erziehungsgemeinschaft von Eltern und Kindern.382 Ob zwischen den Eltern eine Ehe besteht oder nicht, ist für den verfassungsrechtlichen Familienbegriff irrelevant.383 aa) Familie als privater Rückzugsort Die Familie384 bildet wie die Ehe einen vom Staat abgeschirmten Lebensbereich.385 Die Familie wird wie die Ehe vor staatlichen Eingriffen geschützt.386 Die Entfaltungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG wird durch den besonderen Schutz der Familie aus Art. 6 Abs. 1 GG verstärkt.387 Die Familie bildet damit wie die Ehe einen Ort des Rückzugs ins Private, auf den der Einzelne für seine Identitätsbildung angewiesen ist.388 In diesem Sinne ist die Familie auch eine Verantwortungsgemeinschaft, in der das einzelne Familienmitglied den für die Identitätsbildung notwendigen Rückhalt sowie Anerkennung erfahren kann.389 bb) Die familiäre Rollenidentität Als Freiheitsgrundrecht fallen familienbezogene Lebensentscheidungen des Einzelnen unter den Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG. Geschützt werden die Familiengründung390, die freie Entscheidung der Eltern darüber, Kinder haben zu wollen oder gerade auch nicht391, die Anzahl der Kinder und den Zeitpunkt.392 Diese familienbezogenen Lebensentscheidungen sind eng mit der Persönlichkeit des Einzelnen verknüpft. Die freie Entscheidung über familienbezogene Lebensentscheidungen trägt dazu bei, dass der Einzelne seine persönlichen Überzeugungen und

382

BVerfGE 127, 263 (287); 108, 82 (112). BVerfGE 79, 256 (267); 92, 158 (176 ff.); 133, 59 (83). 384 Zum Schutz von Familienformen M. Kotzur, in: Stern/Becker, Art. 6 Rn. 40 f. mit vielen Nachweisen. 385 BVerwGE 91, 130 (134). 386 BVerfGE 6, 386 (388). 387 BVerfGE 42, 234 (236); 57, 170 (178); 109, 279 (326), vgl. BVerfGE 35, 35 (40). 388 Siehe dazu unter E. II. 3. a). 389 Chr. Seiler, S. 16 f. 390 A. Uhle, in: Epping/Hillgruber, Art. 6 Rn. 26. 391 F. Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Bd. I, Art. 6 Rn. 115. 392 G. Robbers, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 7. Aufl. 2018, Bd. I, Art. 6 Abs. 1 Rn. 92; für eine Zuordnung zum Ehegrundrecht: A. Uhle, in: Epping/Hillgruber, Art. 6 Rn. 21. 383

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

Vorstellungen in die Familien- und Lebensplanung einbringen kann. Zudem wird die Rollenidentität des Einzelnen als Familienmitglied geformt, geändert und bewahrt. Auch die freie Gestaltung des Familienlebens nach innen wird von Art. 6 Abs. 1 GG geschützt.393 Dies umfasst beispielsweise die familiäre Rollenverteilung, das heißt die Verteilung familiärer Aufgaben wie die Erziehungsarbeit und die Aufgabenverteilung bei der Schaffung der finanziellen Lebensgrundlage der Familie.394 Dadurch, dass die Gestaltung des Familienlebens frei im Sinne von frei von staatlicher Einmischung ist, ermöglicht Art. 6 Abs. 1 GG dem einzelnen Familienmitglied die Ausformung seiner Rollenidentität als Familienmitglied. c) Die Rolle des Elternrechts für die individuelle Identität, Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG schützt die freie Entscheidung über die Pflege und Erziehung des Kindes. Pflege umfasst dabei die elterliche Sorge um das leibliche Wohl des Kindes, wohingegen Erziehung auf die seelische und geistige Entwicklung des Kindes abzielt.395 Zur Erziehung zählt auch die Wissens- und Wertevermittlung.396 Die Eltern haben die Verantwortung für die Lebens- und Entwicklungsbedingungen des Kindes.397 Sie legen die Ziele der Erziehung autonom fest.398 Ob dies zu einem Persönlichkeitsschutz der Eltern führt, ist unklar.399 Das Persönlichkeitsrecht der Eltern kann auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gestützt werden.400 Dennoch drücken Eltern ihre Persönlichkeit durch ihre Erziehung aus.401 In diesem Sinne erlangt Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG hinsichtlich der Eltern Identitätsrelevanz in seiner Eigenschaft als Abwehrrecht. Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG schützt grundsätzlich vor staatlichen Eingriffen in die Erziehung und Pflege des Kindes. Insofern gewährt es einen Freiheitsraum, innerhalb dessen die Eltern ihre Rolle als erziehende und pflegende Eltern finden können. Die Rollenidentität als Eltern ist in diesem Sinne durch Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG geschützt. 393 394 395 396

(17).

BVerfGE 80, 81 (92). Vgl. BVerfGE 80, 81 (92). H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 6 Rn. 42. BVerfGE 93, 1 (17); zur religiösen Wertevermittlung BVerfGE 52, 223 (235 f.); 93, 1

397 W. Höfling, in: Isensee/Kirchhof, HStR3 VII, § 155 Rn. 18; M. Jestaedt, in: BK-GG, Art. 6 Abs. 2 und 3 Rn. 103. 398 St. Rspr. BVerfGE 107, 104 (117); 60, 79 (88); 59, 360 (376); 24, 119 (143 f.); F. BrosiusGersdorf, in: Dreier, Bd. I, Art. 6 Rn. 160; D. Merten, in: ders./Papier, Bd. II, § 42 Rn. 160. 399 Dafür: W. Höfling, in: Isensee/Kirchhof, HStR3, Bd. VII, § 155 Rn. 16, M. Kotzur, in: Stern/Becker, Art. 6 Rn. 44; Chr. Seiler, S. 48; dagegen: F. Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Bd. I, Art. 6 Rn. 142. 400 F. Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Bd. I, Art. 6 Rn. 142. 401 M. Kotzur, in: Stern/Becker, Art. 6 Rn. 44.

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

129

Erziehung und Pflege durch die Eltern beeinflussen ein Kind maßgeblich. Insofern besteht ein faktischer Zusammenhang zwischen der Identität der Eltern als Eltern und der Persönlichkeit des Kindes. Ob sich dieser Zusammenhang auch rechtlich in Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG widerspiegelt, ist umstritten. Grundrechtsträger des Art. 6 Abs. 2 GG sind laut dem Wortlaut die Eltern. Mit dem Elternrecht korrespondiert nach e. A. aber ein Grundrecht des Kindes auf Pflege und Erziehung.402 Teilweise wird dieses Recht auch aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 6 Abs. 2 GG hergeleitet.403 Die Identitätsrelevanz des Elternrechts ergibt sich für das Kind nur mittelbar. Die Eltern handeln im Rahmen von Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG nicht völlig frei, sondern sind verpflichtet, ihr Elternrecht treuhänderisch im Interesse des Kindes auszuüben.404 Hierin liegt die Identitätsrelevanz von Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG für das Kind. Das Pflegeund Erziehungsrecht aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG dient mittelbar der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes.405 An diesem Ziel sind Pflege und Erziehung auszurichten. Das Erziehungsrecht der Eltern wird im Bereich der Schulausbildung flankiert von der Privatschulfreiheit aus Art. 7 Abs. 4 S. 1 GG. Die Eltern können anstatt einer öffentlichen Schule auch eine Privatschule für ihr Kind wählen. d) Die Rolle des Art. 6 Abs. 5 GG für die individuelle Identität Art. 6 Abs. 5 GG ist ein spezielles Gleichheitsrecht, das den unehelichen Kindern die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft wie den ehelichen Kindern ermöglichen soll. Es ist in diesem Sinne als Grundrecht der unehelichen Kinder zu verstehen406 und richtet sich gleichzeitig an den Gesetzgeber und die anderen Träger von Hoheitsgewalt407, die verpflichtet sind, die Bedingungen der unehelichen Kinder an die der ehelichen Kinder anzupassen. Art. 6 Abs. 5 GG kann für Fälle der nichtehelichen Abstammung des Kindes eine Rolle spielen. So findet ein Auskunftsanspruch des nichtehelichen Kindes gegenüber seiner Mutter seine verfassungsrechtliche Rechtfertigung in Art. 6 402 BVerfGE 121, 69 (89); 56, 363 (381); 68, 256 (269); Chr. v. Coelln, in: Sachs, Art. 6 Rn. 68. 403 H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 6 Rn. 48; F. Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Bd. I, Art. 6 Rn. 152; P. Badura, in: Maunz/Dürig, Art. 6 Rn. 133; W. Höfling, in: Isensee/Kirchhof, HStR3 VII, § 155 Rn. 32. 404 BVerfGE 121, 68 (92); 72, 122 (137); 103, 89 (107). 405 BVerfGE 103, 89 (107); 121, 69 (92); 24, 119 (144); vgl. M. Kloepfer, in: Merten/Papier, Bd. II, § 43 Rn. 75; W. Höfling, in: Isensee/Kirchhof, HStR3 VII, § 155 Rn. 35; vgl. H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 6 Rn. 42, 48; E.-W. Böckenförde, in: Krautscheidt/Marré, S. 54 (65). 406 Chr. v. Coelln, in: Sachs, Art. 6 Rn. 100; K. Stern, in: ders., Bd. IV/1, S. 568; R. Wendt, in: Merten/Papier, Bd. V, § 127 Rn. 86. 407 BVerfGE 8, 210 (217); 96, 56 (65); K. Stern, in: ders., Bd. IV/1, S. 568, 618.

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

Abs. 5 GG.408 Verfassungsrechtliche Grundlage des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung bleibt jedoch das allgemeine Persönlichkeitsrecht. e) Überzeugungen schützende Grundrechte aa) Die religiöse und weltanschauliche Identität, Art. 4 Abs. 1, 2 GG i. V. m. Art. 140 WRV und Art. 7 Abs. 3 S. 1, 2 und Abs. 2 GG Art. 4 GG schützt zum einen die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses (Abs. 1) und zum anderen auch die ungestörte Religionsausübung (Abs. 2) als einheitliches Grundrecht409. Gemeinsam formen Art. 4 Abs. 1, 2 GG i. V. m. den über Art. 140 WRV inkorporierten Normen den verfassungsrechtlichen Schutz der Glaubensfreiheit. Vom sachlichen Schutzbereich umfasst sind Glaube, Religion und Weltanschauung, wobei sich ein Glaube aus der Religion oder einer Weltanschauung entwickelt.410 Der Glaube, die Religion und Weltanschauung des Einzelnen erfahren umfassenden Schutz. Geschützt wird religiöse und weltanschauliche Überzeugungen zu haben und zu bilden im Sinne einer inneren Freiheit sowie sich zu diesen Überzeugungen zu bekennen und diese auch zu verbreiten im Sinne einer nach außen gerichteten Freiheit.411 Nach außen gerichtet ist auch der Schutz der Religionsausübung aus Art. 4 Abs. 2 GG. Geschützt werden kultische Handlungen ebenso wie religiöse Feiern und Gebräuche.412 Auch die Weltanschauung wird in ihrer Ausübung geschützt.413 Zudem erfährt die Gründung einer religiösen oder weltanschaulichen Vereinigung nach Art. 4 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 140, 137 Abs. 2 S. 1, Abs. 7 WRV Schutz, sodass jeder Einzelne seinen Glauben über die Gründung einer Vereinigung verbreiten kann. Geschützt ist außerdem die negative Glaubensfreiheit414, das heißt einen Glauben gerade nicht zu bilden oder zu haben und den Glauben dann auch nicht auszuüben sowie aus einer religiösen oder weltanschaulichen Vereinigung auszutreten. 408 BVerfG, Beschl. v. 18. 1. 1988 – 1 BvR 1589/87 = NJW 1988, S. 3010; BVerfGE 8, 210 (214 f.). 409 BVerfGE 108, 282 (297); 125, 39 (79); 137, 273 (309); 138, 296 (329); 24, 236 (245 f.); 32, 98 (106); 44, 37 (49); 83, 341 (354); a. A. K.-H. Kästner, in: Stern/Becker, Art. 4 Rn. 49 f. 410 J. Kokott, in: Sachs, Art. 4 Rn. 12 – 15 m. w. N.; U. Mager, in: v. Münch/Kunig, Bd. I, Art. 4 Rn. 12; U. Sacksofsky, Juridikum 2016, S. 461 (464). 411 H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 4 Rn. 10, M. Morlok, in: Dreier, Bd. I, Art. 4 Rn. 63, 66; ähnlich K.-H. Kästner, in: Stern/Becker, Art. 4 Rn. 54 ff. 412 H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 4 Rn. 10. 413 BVerfGE 24, 236 (245 f.). 414 BVerfGE 41, 29 (49); 108, 282 (301); K.-H. Kästner, in: Stern/Becker, Art. 4 Rn. 88 ff.; i. E. auch M. Morlok, in: Dreier, Bd. I, Art. 4 Rn. 69, der aber die Begriffe positiver und negativer Freiheit im Hinblick auf die staatliche Neutralitätspflicht kritisiert, Rn. 70; kritisch zur Differenzierung nach Tun und Unterlassen D. Zacharias, in: FS Rüfner, S. 987 (991).

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

131

Der verfassungsrechtliche Schutz von Glaube, Religion und Weltanschauung ist für die Identität des Einzelnen von besonderer Bedeutung. Woran ein Mensch glaubt oder auch gerade nicht glaubt, ist Ausdruck seiner Selbst. Religion und Weltanschauung können die Ziele des Menschen maßgeblich beeinflussen und dem menschlichen Leben Sinn geben.415 Diese Sinnentwürfe sind konstitutiv für die Identität des Individuums.416 Sie können auch die Rolle des Menschen in seinem Leben prägen und damit Antwort auf die grundlegende Frage der Identitätsbildung „Wer bin ich?“417 geben. Auch kann ein Glaube oder gerade Nichtglaube bei der Integration und Bewertung von Erfahrungen eine Rolle spielen und maßgeblich Einfluss auf die Entscheidungen des Einzelnen nehmen. Der Glaube fließt in die Entscheidungen des Einzelnen ein. So wird sich eine gläubige Christin im Falle eines in Frage stehenden Schwangerschaftsabbruchs gegebenenfalls anders entscheiden als eine Atheistin. Beispielhaft sei hier der Fall Eweida u. a./The United Kingdom des EGMR genannt.418 Eine der Beschwerdeführer ist Frau Ladele, die Mitarbeiterin des Zentralstandesamts (Register General Office) im Stadtbezirk Islington im Norden Londons war und die aus religiösen Gründen keine Zeremonien zur Schließung von Lebenspartnerschaften abhalten wollte, da ihrer religiösen Überzeugung nach allein die Ehe zwischen Mann und Frau zähle. In der Folge kam es zu Beschwerden von Kollegen über diskriminierendes Verhalten der Frau Ladele. Dies ist ein gutes Beispiel dafür, dass religiöse Überzeugungen auch mit Personenstandsfragen zusammenhängen und ihrerseits Diskriminierungen auslösen können. Die Glaubensfreiheit gewährleistet „dem Einzelnen einen Rechtsraum, in dem er sich die Lebensform zu geben vermag, die seiner Überzeugung entspricht“419. Die mit der Glaubensfreiheit im Zusammenhang stehenden Überzeugungen werden also gerade im Hinblick auf die Lebensführung des Einzelnen geschützt, was die Identitätsrelevanz der Glaubensfreiheit unterstreicht. Jedenfalls bringt ein unterschiedlicher Glaube unterschiedliche Gewissensfragen und Gewissenskonflikte mit sich, sodass die Glaubensfreiheit in Zusammenhang mit der Gewissensfreiheit stehen kann. Die Erfahrungen, die sich an Entscheidungen anschließen, werden wiederum Eingang in die Identitätsbildung finden. So kann Glaube oder Nichtglaube zur Grundlage menschlichen Handelns werden. Zudem beeinflusst ein Glaube womöglich die Rollenidentität des Einzelnen. Als Angehöriger einer Religionsgemeinschaft beispielsweise kann diese Gemeinschaft religiös geprägte Erwartungen

415

BVerfGE 105, 279 (293); S. Mückl, in: BK-GG, Art. 4 Rn 70; vgl. M. Morlok, in: Dreier, Bd. I, Art. 4 Rn. 43; vgl. M. Germann, in: Epping/Hillgruber, Art. 4 Rn. 12 f. 416 M. Morlok, in: Dreier, Bd. I, Art. 4 Rn. 45. 417 Siehe dazu unter B. III. 2. 418 EGMR, Urt. v. 15. 1. 2013 – 8420/10 u. a., Eweida u. a./The United Kingdom, NJW 2014, S. 1935 ff. 419 BVerfGE 12, 1 (3).

132

E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

an das einzelne Mitglied stellen. Dies prägt den einzelnen Angehörigen potentiell in seiner Rollenidentität. Als persönlichkeitsprägende Freiheit hat die Glaubensfreiheit potentiell Einfluss auf alle Teile der Persönlichkeit. Glaube, Religion und Weltanschauung können als Grundlage menschlichen Handelns und der Entscheidungsfindung Einfluss auf alle weiteren Teilidentitäten haben, zumal Art. 4 Abs. 1 GG das Recht des Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten und dieser Überzeugung gemäß zu handeln, schützt.420 Daraus ergibt sich ein enger Zusammenhang zwischen der Glaubensfreiheit und den anderen identitätsschützenden Grundrechten. Zur Vermeidung einer Verdrängung anderer Grundrechte wird teilweise eine Begrenzung des Schutzbereichs des Art. 4 Abs. 1, 2 GG gefordert.421 Diese Begrenzung besteht im Erfordernis eines engen Zusammenhangs zwischen der Tätigkeit und dem Glauben. Angelehnt an die Gewissensfreiheit wird gefordert, dass der Einzelne nicht glaubensbedingt „ohne innere Not“422 von einer Handlung absehen kann. Nach anderer Ansicht sind im Falle einer Einschlägigkeit eines weiteren Grundrechts neben Art. 4 GG beide Grundrechte zu prüfen.423 Dieses Zusammenspiel zwischen der religiösen und weltanschaulichen Identität und den weiteren identitätsschützenden Grundrechten kann hier nur beispielhaft dargestellt werden. So ist die Glaubensfreiheit beispielsweise im Rahmen der Berufsfreiheit zu berücksichtigen424 und das Tragen eines Kopftuchs aus religiösen Gründen unter Umständen wegen der Ausstrahlungswirkung der Religionsfreiheit vom Arbeitgeber zu dulden425. Außerdem kann der Glaube die Berufswahl beeinflussen. Wenn der Einzelne aufgrund seines Glaubens und der damit verbundenen Bekleidungsvorschriften bestimmte Hygienevorschriften nicht einhalten kann, wird er womöglich keinen Beruf wählen, in dem die Einhaltung von Hygienevorschriften zwingend zu beachten ist. Zudem kann die Berufswahl in positiver Hinsicht religiös oder weltanschaulich motiviert sein. Glaubt eine Person daran, dass der Sinn des Lebens darin besteht, anderen Menschen zu helfen, begünstigt das die Wahl eines sozialen Berufes. Eine religiöse oder weltanschauliche Überzeugung kann die eheliche Identität des Einzelnen prägen. Hat eine Person ein streng biblisches Verständnis davon, dass eine Ehe nur zwischen Mann und Frau geschlossen werden kann, so wird sie sich wo420

BVerfGE 108, 282 (297); 32, 98 (106); 33, 23 (28). H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 4 Rn. 12a, ähnlich U. Mager, in: v. Münch/Kunig, Bd. I, Art. 4 Rn. 17; für eine möglichst konkrete Schutzbereichsbestimmung K.-H. Kästner, in: Stern/Becker, Art. 4 Rn. 30 – 48. 422 H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 4 Rn. 12a m. w. N. 423 M. Morlok, in: Dreier, Bd. I, Art. 4 Rn. 190. 424 BVerfGE 104, 337 (346) für den über Art. 2 Abs. 1 GG vermittelten Schutz beruflicher Identität eines Ausländers. 425 BVerfGE 138, 296 (330, 346). 421

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

133

möglich nicht für eine andere Form des Zusammenlebens oder der Ehe entschließen. Gleiches gilt für die Haltung gegenüber dem Geschlecht. Ist eine Person aufgrund einer Religion oder Weltanschauung überzeugt davon, dass es nur Männer und Frauen geben kann, so wird sie kein davon abweichendes Geschlecht für sich selbst und unter Umständen auch bei anderen akzeptieren oder tut sich mit einer solchen Akzeptanz zumindest schwer. Eine religiöse oder weltanschauliche Überzeugung kann so auch Einfluss auf die durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht geschützte sexuelle Orientierung haben. In diesem Sinne kann einzelfallbezogen auch die Glaubensfreiheit für Rechtsfragen des geschlechtlichen Personenstands und des Familienstands eine Rolle spielen. Art. 7 Abs. 2 GG konkretisiert als Grundrecht der Erziehungsberechtigten, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu entscheiden, die Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1, 2 GG und das Erziehungsrecht der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 GG. Die religiöse Identität von Lehrern wird im beruflichen Kontext durch die Abwehrfunktion des Art. 7 Abs. 3 S. 3 GG konkretisiert. Demnach dürfen Lehrer nicht zur Erteilung von Religionsunterricht gezwungen werden, was als Konkretisierung von deren negativer Glaubensfreiheit zu verstehen ist.426 Flankiert wird der Schutz religiöser Identität durch Art. 7 Abs. 3 S. 1, 2 GG, der ein Grundrecht der Religionsgemeinschaften auf Einrichtung eines Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen enthält.427 bb) Die Rolle der Gewissensfreiheit für die individuelle Identität, Art. 4 Abs. 1 GG Auch die Gewissensfreiheit ist für die Identität des Einzelnen von Bedeutung. Schutzgut der Gewissensfreiheit ist nämlich die moralische Identität und Integrität des Individuums.428 Geschützt wird das Gewissen, das naturgemäß nur schwerlich zu definieren ist. Eine Gewissensentscheidung meint jedenfalls eine „ernstliche sittliche, d. h. an den Kategorien von „Gut“ und „Böse“ orientierte Entscheidung […], die der Einzelne in einer bestimmten Lage als für sich bindend und unbedingt verpflichtend erfährt, so daß er gegen sie nicht ohne ernste Gewissensnot handeln könnte“429. Das Kriterium der Gewissensnot bildet damit die Schwelle der Gewissensfreiheit430, die gerade vor der „Preisgabe seelischer Substanz“431 schütze. Daher 426

H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 7 Rn. 23. F. Brosius-Gersdorf, in: Dreier, Bd. I, Art. 7 Rn. 89 m. w. N. 428 M. Morlok, in: Dreier, Bd. I, Art. 4 Rn. 45; vgl. M. Herdegen, in: Listl/Pirson, Bd. I, S. 482; H. Otto, in: FS für Schmitt Glaeser, S. 21 (24). 429 BVerfGE 12, 45 (55); BVerwGE 127, 302 (325 f.); BAG NJW 1990, S. 203 (204); kritisch H. Otto, in: FS für Schmitt Glaeser, S. 21 (24). 430 M. Herdegen, in: Listl/Pirson, Bd. I, S. 482; K.-H. Kästner, in: Stern/Becker, Art. 4 Rn. 118. 427

134

E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

wird bei einer Gewissensentscheidung zwingend ein existenzieller Persönlichkeitsbezug vorausgesetzt.432 Voraussetzung für das Vorliegen einer Gewissensentscheidung ist, dass ein Abweichen von der bindenden Entscheidung die Identität und Integrität des Einzelnen gefährden würde.433 Das Gewissen ist in diesem Sinne „Kontrollinstanz“434 der Persönlichkeit des Individuums. Das Gewissen ermögliche dem Individuum die Reflexion der eigenen Persönlichkeit abseits gesellschaftlicher Normen vor sich selbst.435 In diesem Sinne ist es nur konsequent, dass nicht eine bestimmte Gewissensentscheidung geschützt wird, sondern die Individualität jeder Gewissensentscheidung.436 Dies ist wiederum richtig, zumal auch die Identität und die Integrität des Einzelnen höchst individuell sind. Der Identitätsbezug von Gewissensentscheidungen spiegelt sich auch darin wider, dass sich die „autonome sittliche Persönlichkeit“ in der Gewissensentscheidung unmittelbar äußert.437 Mit einer Gewissensentscheidung bringt der Einzelne demnach seine für sich im Innersten heraus gebildeten Maßstäbe für das eigene Verhalten zum Ausdruck.438 Geschützt wird das innere439 Bilden und Haben eines Gewissens und das Handeln entsprechend einer Gewissensentscheidung.440 Der Schutz der Gewissensbetätigung steht im Zusammenhang mit der ebenfalls identitätsbezogenen Selbstdarstellung des Individuums.441 Es soll ihm durch die Gewissensfreiheit gerade ermöglicht werden, eine Gewissensentscheidung zu treffen und zu äußern, die seiner inneren Überzeugung entspricht. Ebenso wie die Glaubensfreiheit ist die Gewissensfreiheit daher Grundlage menschlicher Entscheidungen und Handlungen und kann potentiell in vielen Lebenslagen zum Tragen kommen.442 431

M. Herdegen, in: Listl/Pirson, Bd. I, S. 482. M. Herdegen, in: Listl/Pirson, Bd. I, S. 482 f.; K.-H. Kästner, in: Stern/Becker, Art. 4 Rn. 118. 433 BVerwGE 127, 302 (328); H. Bethge, in: Isensee/Kirchhof, HStR3 VII, § 158 Rn. 21. 434 N. Luhmann, AöR 1965, S. 257 (264). 435 N. Luhmann, AöR 1965, S. 257 (266). 436 K.-H. Kästner, in: Stern/Becker, Art. 4 Rn. 116; M. Morlok, in: Dreier, Bd. I, Art. 4 Rn. 97. 437 BVerfGE 78, 391 (395). 438 M. Herdegen, in: Listl/Pirson, Bd. I, S. 482; H. Otto, in FS für Schmitt Glaeser, S. 21 (22). 439 Dagegen N. Luhmann, AöR 1967, S. 257 (258). 440 Vgl. BVerfGE 78, 391 (395); M. Herdegen, in: Listl/Pirson, Bd. I, S. 491 f.; K.-H. Kästner, in: Stern/Becker, Art. 4 Rn. 121; S. Muckel, NJW 2000, S. 689. Teilweise wird eine Erstreckung der Gewissensfreiheit auf das forum externum verneint; vgl. dazu die Nachweise bei K.-H. Kästner, in: Stern/Becker, Art. 4 Rn. 123. 441 M. Herdegen, in: Listl/Pirson, Bd. I, S. 492. 442 Vgl. M. Morlok, in: Dreier, Bd. I, Art. 4 Rn. 100. 432

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

135

Im inhaltlichen Zusammenhang mit der Gewissensentscheidung des Einzelnen steht auch die durch Art. 4 Abs. 3 S. 1 GG geschützte Kriegsdienstverweigerung im Falle des Kriegsdienstes mit Waffen. Art. 4 Abs. 3 ist für gewissensbasierte Entscheidungen gegen den Kriegsdienst mit Waffen lex specialis gegenüber Art. 4 Abs. 1 GG.443 Der Anwendungsbereich des Art. 4 Abs. 3 GG ist demnach deutlich enger als der der allgemeinen Gewissensfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 GG und auf die gewissensgestützte Verweigerung des Kriegsdienstes mit Waffen in Kriegs- und Friedenszeiten444 beschränkt. Aufgrund der Wertung des Art. 12a Abs. 2 GG umfasst Art. 4 Abs. 3 GG entgegen seinem Wortlaut auch die Verweigerung in Friedenszeiten.445 Dementsprechend beschränkt ist auch der Identitätsbezug des Art. 4 Abs. 3 GG. Die Norm zielt auf einen Schutz der „Integrität der moralischen Selbstvorstellung“446 des Einzelnen ab. Hat der Einzelne in moralischer Hinsicht ein Eigenbild, das einen Waffengebrauch ausschließt, so würde der Zwang zum Waffengebrauch diesem Eigenbild, das letztlich Teil eines Identitätsentwurfs ist, widersprechen. cc) Die Rolle des Widerstandsrechts für die individuelle Identität, Art. 20 Abs. 4 GG Art. 20 Abs. 4 GG ist neben seiner Funktion als Sicherung der Verfassungsordnung auch ein Grundrecht.447 Im Falle eines Versuchs der Beseitigung der verfassungsmäßigen Ordnung darf jeder Deutsche im Sinne des Art. 116 GG und in seiner Eigenschaft als Bürger448 diese durch Widerstand verteidigen, sofern eine Abhilfe durch andere Maßnahmen als den Widerstand unmöglich ist. Die praktische Bedeutung des Widerstandsrechts ist insofern gering, als dass Abhilfe gegen eine Beseitigung der verfassungsmäßigen Ordnung in aller Regel durch die Judikative oder Exekutive erreicht werden kann.449 Ansonsten besteht der Zusammenhang zur individuellen Identität darin, dass der einzelne Grundrechtsberechtigte durch seinen Widerstand wohl seine innere Überzeugung zugunsten der verfassungsmäßigen Ordnung nach außen trägt.

443

K.-H. Kästner, in: Stern/Becker, Art. 4 Rn. 137 m. w. N. BVerfGE 12, 45 (56); 48, 127 (164); 80, 354 (358). 445 BVerfGE 12, 45 (56); 48, 127 (164); 80, 354 (358). 446 M. Morlok, in: Dreier, Bd. I, Art. 4 Rn. 174. 447 Fr. E. Schnapp, in: v. Münch/Kunig, Bd. I, Art. 20 Rn. 80. Für eine Einordnung als grundrechtsgleiches Recht: B. Grzeszick, in: Maunz/Dürig, Art. 20 Abs. 4 Rn. 13; M. Kloepfer, § 77 Rn. 6; K. Stern, Bd. II, S. 1510 f. 448 M. Kloepfer, § 77 Rn. 13. 449 M. Kloepfer, § 77 Rn. 11; ähnlich Fr. E. Schnapp, in: v. Münch/Kunig, Bd. I, Art. 20 Rn. 79. 444

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

f) Die berufliche Identität, Art. 12 GG Die berufliche Identität hat in der sozialwissenschaftlichen Identitätsforschung einen besonderen Stellenwert und wird dort vermehrt als Beispiel für eine Teilidentität hervorgehoben.450 Der Beruf bilde eine „Identitätsschablone“, die der Einzelne selbst nach außen kehre und anhand derer der Einzelne andere Personen einordne.451 In diesem Sinne ist der Beruf häufig beim Kennenlernen von natürlichen Personen eines der ersten Gesprächsthemen und erlaubt eine vorläufige Einordnung der Person. Der Beruf sei „Sinn- und Identitätsanker“452, das heißt ein wesentlicher Eckpfeiler der eigenen Identität beziehungsweise eine bedeutende Teilidentität. Arbeit im Sinne von Erwerbsarbeit wird auch als der wesentlichste „Stützpfeiler von Identität“453 bezeichnet. Der Einzelne will nicht bloß seine Arbeit verrichten, sondern sich mit seiner Arbeit identifizieren. Er bezieht die Arbeit auf sich selbst.454 Diese Entwicklung wird „normative Subjektivierung der Arbeit“455 genannt. Arbeit vermittle Sicherheit, Klarheit und Kontinuität456 und biete einen roten Faden457 im Leben. Art. 12 Abs. 1 GG schützt Berufswahl und Berufsausübung. Auch die freie Wahl des Arbeitsplatzes zählt zur Berufsfreiheit.458 Unter Beruf wird jede Tätigkeit, die in ideeller wie in materieller Hinsicht der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dient, verstanden.459 Damit enthält die Berufsfreiheit ein ideelles und ein materielles Element, die auch beide Bezüge zur Identität des Einzelnen aufweisen. In ideeller Hinsicht spiegeln die Berufswahl und die Berufsausübung die Persönlichkeit des Einzelnen wider. So sei die Berufsfreiheit als Konkretisierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts für den Bereich der individuellen Leistung und Existenzerhaltung anzusehen.460 Damit ist die Berufsfreiheit eindeutig persönlichkeits-461 und somit identitätsbezogen.

450 M. Baethge, in: Beck/Beck-Gernsheim, S. 245 ff.; R. Eickelpasch/C. Rademacher, S. 30 ff.; H. Keupp et al., Identitätskonstruktionen, S. 111 ff. 451 R. Eickelpasch/C. Rademacher, S. 30. 452 R. Eickelpasch/C. Rademacher, S. 30. 453 H. Keupp et al., Identitätskonstruktionen, S. 111. 454 M. Baethge, in: Beck/Beck-Gernsheim, S. 248. 455 M. Baethge, in: Beck/Beck-Gernsheim, S. 245. 456 R. Eickelpasch/C. Rademacher, S. 31. 457 R. Eickelpasch/C. Rademacher, S. 32. 458 BVerfGE 84, 133 (146), M. Nolte, in: Stern/Becker, Art. 12 Rn. 41. 459 BVerfGE 105, 252 (265) m. w. N.; 110, 304 (321); 111, 10 (28); 115, 276 (300). 460 BVerfGE 103, 172 (182 f.); 75, 284 (292) m. w. N.; 97, 12 (25); 1, 264 (274); 19, 330 (336 f.). 461 BVerfGE 30, 292 (334); D. C. Umbach, in: ders./Clemens, Art. 21 Rn. 32; vgl. H. P. Schneider, in: Merten/Papier, Bd. V, § 113 Rn. 2.

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

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Entwickelt sich eine Person beruflich weiter, beispielsweise durch den Wechsel des Arbeitsplatzes, so entwickelt sich gleichzeitig oder auch zeitversetzt ihre Persönlichkeit weiter. Auch die von der Berufswahlfreiheit umfasste Freiheit, einen Beruf unter vielen frei zu wählen, spiegelt die Persönlichkeit des Einzelnen wider. Art. 12 Abs. 1 GG schützt im Sinne eines Abwehrrechts zudem vor Freiheitsbeschränkungen im Bereich der beruflichen Ausbildung.462 Entscheidet sich der Einzelne beispielsweise für eine handwerkliche Ausbildung, spricht dies für eine anpackende und praktisch begabte Person, wohingegen die Entscheidung für ein Studium der Philosophie für eine geistige und theoretische Veranlagung der Person spricht. Auch die Wahl, selbstständig oder unselbstständig463 tätig zu sein, sagt beispielsweise etwas über eine mögliche unternehmerische und anpackende Eigenschaft des Einzelnen aus. Zudem prägen die Berufswahl und die Berufsausübung, sei es in Hinblick auf die Form der Ausbildung, das Fach oder den Modus der Tätigkeit als Angestellter oder Selbstständiger, die Identität des Individuums. Geschützt ist auch ein Berufswechsel.464 Ein solcher Wechsel hat ebenfalls Identitätsbezug. So kann Auslöser eines Berufswechsels eine Krise der beruflichen Identität sein. Versteht sich der Einzelne beispielsweise in seiner ärztlichen Identität als jemand, der dem Menschen bestmöglich dienen möchte, erfährt dann aber im Laufe seines Berufslebens, dass das Gesundheitssystem ihm dafür weder zeitlichen noch wirtschaftlichen Raum lässt, so kann dies zu einem Berufswechsel führen. Auch die Weiterentwicklung der Persönlichkeit kann zu einem Berufswechsel führen. Findet der Einzelne im Alter von 19 Jahren beispielsweise eine kaufmännische Ausbildung passend für sich, so kann sich dies im Verlaufe des Lebens ändern, wenn beispielsweise neue fachliche Interessen hinzukommen. Ebenso dient die Freiheit von Berufswahl und Berufsausübung der Schaffung und Erhaltung der materiellen Lebensgrundlage. Die Berufsfreiheit hat damit ebenso wie die Eigentumsfreiheit ein materielles Element. In Abgrenzung zur Eigentumsfreiheit umfasst die materielle Seite der Berufsfreiheit die berufliche Betätigung im Sinne des Erwerbs, wohingegen die materielle Seite der Eigentumsfreiheit das Erworbene schützt.465 Gegenstand der materiellen Berufsfreiheit ist also die berufliche Betätigung zur Schaffung einer materiellen Lebensgrundlage und zur Sicherung materieller Existenz. Dies wiederum schafft materielle Sicherheit, die Identitätsrelevanz hat.466 Flankiert wird der Schutz der freien Berufswahl und Berufsausübung von Art. 12 Abs. 2 GG, der grundsätzlich die Zwangsarbeit verbietet. Dies unterstreicht die 462

BVerfGE 33, 303 (329); 7, 377 (401, 406). H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 12 Rn. 9. 464 BVerfGE 43, 291 (363); 62, 117 (146); 103, 172 (183); 7, 377, 398 f.; vgl. BVerfGE 45, 393 (397 f.). 465 BVerfGE 30, 292 (334 f.); 84, 133 (157); 88, 366 (377); 102, 26 (40); 126, 112 (135); BGHZ 132, 181 (187); 111, 349 (357). 466 Siehe dazu unter E. II. 8. a). 463

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

grundsätzliche Freiheit, einen Beruf und einen Arbeitsplatz frei zu wählen und den Beruf frei auszuüben. aa) Die Rolle der Medienfreiheiten für die berufliche Identität, Art. 5 Abs. 1 GG Das Grundgesetz schützt zudem die Freiheit der Medien. Art. 5 Abs 1 GG unterscheidet Presse, Rundfunk und Film, wobei diese drei Formen sich im Sinne einer Medienkonvergenz immer mehr annähern und nicht mehr scharf zu trennen sind.467 Ob aus der Konvergenz der Medien nun eine Anschauung von Art. 5 Abs. 1 GG als einheitliches Grundrecht der Medienfreiheit468 abseits der klassischen Trennung zwischen Presse, Rundfunk und Film folgt, kann hier für die Frage des Identitätsbezugs dahinstehen. Träger der Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit sind neben juristischen Personen solche natürliche Personen, welche die jeweils von der Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit geschützten Tätigkeiten ausführen.469 Auch für die Medienfreiheit als einheitliches Grundrecht gilt der verfassungsrechtliche Schutz denjenigen natürlichen Personen, die sich in den Medien betätigen.470 Geschützt ist die Gründung von Medienunternehmen471, die Bestimmung der Ausrichtung des Medienangebots abseits staatlicher Einflussnahme (Programmautonomie)472 sowie der Tendenz473, ganz allgemein die Sammlung von Informationen, deren Verarbeitung und Verbreitung474 und im Besonderen die Vertraulichkeit der redaktionellen Arbeit475. Damit weisen die Medienfreiheiten beziehungsweise die Medienfreiheit für solche natürlichen Personen, die in den Medien zur Schaffung und Erhaltung der Lebensgrundlage tätig sind, einen Bezug zu deren beruflichen Identität auf, indem sie deren Betätigung umfassend schützt beziehungsweise schützen. Dabei ist es unerheblich, ob die Tätigkeit hauptberuflich ausgeführt wird.476 Denkbar ist auch eine Tätigkeit, die nicht unmittelbar in einem beruflichen Zusammenhang steht.

467

F. Fechner, in: Stern/Becker, Art. 5 Rn. 121; W. Hoffmann-Riem, in: AK-GG, Bd. 1, Art. 5 Rn. 144 f. 468 F. Fechner, in: Stern/Becker, Art. 5 Rn. 122, 134 ff.; wohl auch J. Kühling, in: Gersdorf/ Paal, Art. 5 passim. 469 H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 5 Rn. 38, 53, 63 m. w. N. 470 F. Fechner, in: Stern/Becker, Art. 5 Rn. 135 ff. 471 F. Fechner, in: Stern/Becker, Art. 5 Rn. 135. 472 F. Fechner, in: Stern/Becker, Art. 5 Rn. 137. 473 BVerfGE 52, 283 (296 f.). 474 St. Rspr. BVerfGE 10, 118 (121); 20, 162 (176); 91, 125 (134); 103, 44 (59); 119, 309 (318); F. Fechner, in: Stern/Becker, Art. 5 Rn. 141. 475 BVerfGE 66, 116 (133); 117, 244 (258). 476 Vgl. BVerfGE 95, 28 (34 f.).

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

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bb) Die Identität des Beamten, Art. 33 Abs. 4, 5 GG In Betracht kommt auch ein von der Garantie des Berufsbeamtentums ausgehender Identitätsschutz als besondere Ausprägung beruflicher Identität. Art. 33 Abs. 4 GG stellt klar, dass die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse in der Regel den Angehörigen des öffentlichen Dienstes übertragen werden und dass diese in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen. Art. 33 Abs. 4 ist kein Grundrecht, sondern eine Organisationsnorm477 zur Sicherung der Kontinuität der hoheitlichen Funktionen des Staates478 und einer loyalen, qualifizierten und gesetzestreuen Aufgabenerfüllung479. Die Norm enthält zusammen mit Art. 33 Abs. 5 GG eine institutionelle Garantie des Berufsbeamtentums.480 Durch Art. 33 Abs. 4 GG wird das öffentlich-rechtliche Dienst- und Treueverhältnis verfassungsrechtlich verankert. Dieses umfasst eine beiderseitige und gerade keine einseitige Pflicht.481 Den Dienstherrn trifft eine Fürsorge- und Schutzpflicht, die sich wiederum in den Grundsätzen des Berufsbeamtentums nach Art. 33 Abs. 5 GG widerspiegelt. Hierzu zählt beispielsweise das Alimentationsprinzip, das den Dienstherrn zu angemessenem Unterhalt des Beamten verpflichtet. Auch der Beamte hat eine auf Art. 33 Abs. 4 GG basierende Treueplicht, die seine berufliche Identität prägt und andere identitätsprägende Freiheiten beschränkt. Konkretisierungen dieser Treuepflicht sind in §§ 60 – 64, 67, 71 – 73, 75 BBG geregelt. Der Inhalt dieser Regelungen soll hier kurz skizziert werden. Für das Berufsbild und die berufliche Identität maßgeblich ist § 60 BBG, welcher die Grundpflichten regelt. Beamtinnen und Beamte dienen nach § 60 Abs. 1 S. 1 BBG dem ganzen Volk, nicht einer Partei. Sie haben nach § 60 Abs. 1 S. 2 ihre Aufgaben unparteiisch und gerecht zu erfüllen und bei ihrer Amtsführung auf das Wohl der Allgemeinheit Bedacht zu nehmen. Beamtinnen und Beamte müssen sich gemäß § 60 Abs. 1 S. 3 BBG durch ihr gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten. Nach § 60 Abs. 1 haben Beamtinnen und Beamte bei politischer Betätigung diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren, die sich aus ihrer Stellung gegenüber der Allgemeinheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten ihres Amtes ergeben. Der Spielraum ihrer politischen Identität ist insofern eingeschränkt. Nach § 61 Abs. 1 S. 1 BBG haben Beamtinnen und Beamte sich mit vollem persönlichem Einsatz ihrem Beruf zu widmen. Sie haben das ihnen übertragene Amt uneigennützig nach bestem Gewissen wahrzunehmen (§ 61 Abs. 1 S. 2 BBG). Das Verhalten der Beamtinnen und Beamten muss innerhalb und außerhalb des Dienstes 477 BVerfGE 6, 376 (385); vgl. BVerfG, Beschl. v. 18. 2. 1988 – 2 BvR 1324/87 = NVwZ 1988, S. 523. 478 BVerfGE 88, 103 (114). 479 BVerfGE 119, 247 (261); vgl. BVerfGE 130, 76 (109). 480 U. Battis, in: Sachs, Art. 33 Rn. 45. 481 BVerwGE 12, 273 (275 f.).

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die ihr Beruf erfordert (§ 61 Abs. 1 S. 3 BBG). Dadurch werden Handlungen, die mit dem Bild des Beamten nicht vereinbar sind, unterbunden und die berufliche Identität in den Vordergrund beruflicher aber auch privater Tätigkeiten gestellt. Es finden sich weitere, die berufliche Identität von Beamtinnen und Beamten prägende Regelungen. Beamtinnen und Beamte trifft eine Folgepflicht. Demnach haben sie ihre Vorgesetzten grundsätzlich zu beraten und zu unterstützen (§ 62 Abs. 1 S. 1 BBG) und sind verpflichtet, deren dienstliche Anordnungen auszuführen und deren allgemeine Richtlinien zu befolgen (62 Abs. 1 S. 2 BBG). Auch bei organisatorischen Veränderungen haben Beamtinnen und Beamte dem Dienstherrn Folge zu leisten (§ 62 Abs. 2 BBG). In ihrer Stellung als Beamte tragen sie die volle persönliche Verantwortung für die Rechtmäßigkeit ihrer dienstlichen Handlungen (§ 63 Abs. 1 BBG). Beamtinnen und Beamte sind nach § 67 Abs. 1 S. 1 BBG über die ihnen bei oder bei Gelegenheit ihrer amtlichen Tätigkeit bekannt gewordenen dienstlichen Angelegenheiten zur Verschwiegenheit verpflichtet. Nach § 71 Abs. 1 S. 1 BBG dürfen Beamtinnen und Beamte, auch nach Beendigung des Beamtenverhältnisses, keine Belohnungen, Geschenke oder sonstigen Vorteile für sich oder einen Dritten in Bezug auf ihr Amt fordern, sich versprechen lassen oder annehmen. Die Pflichten der Beamtinnen und Beamten reichen bis in ihren privaten Bereich hinein. Beamtinnen und Beamte haben ihre Wohnung gemäß § 72 Abs. 1 BBG so zu nehmen, dass die ordnungsmäßige Wahrnehmung ihrer Dienstgeschäfte nicht beeinträchtigt wird. Nach § 72 Abs. 2 BBG kann die oder der Dienstvorgesetzte anweisen, dass die Wohnung innerhalb einer bestimmten Entfernung von der Dienststelle zu nehmen oder eine Dienstwohnung zu beziehen ist, wenn die dienstlichen Verhältnisse es erfordern. Wenn besondere dienstliche Verhältnisse es dringend erfordern, kann die Beamtin oder der Beamte angewiesen werden, sich während der dienstfreien Zeit in erreichbarer Nähe des Dienstortes aufzuhalten (§ 73 BBG). Damit prägen die in Art. 33 Abs. 4 GG wurzelnden beamtenrechtlichen Regelungen das Berufsbild und die berufliche Identität des Beamten maßgeblich auch ins Private und in die Zeit nach Beendigung des Dienstverhältnisses hinein. Art. 33 Abs. 5 GG enthält einen Regelungsauftrag für den Gesetzgeber482 zur Regelung und Fortentwicklung des Rechts des öffentlichen Dienstes unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums. Die Norm enthält unmittelbar geltendes objektives Recht 483 und eine institutionelle Garantie des Berufsbeamtentums484. Sofern ein hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums die Rechtsstellung des Beamten betrifft, enthält Art. 33 Abs. 5 GG ein 482

BVerfGE 117, 330 (344). BVerfGE 8, 1 (11 ff.); 9, 268 (286); 117, 330 (344); 15, 167 (195); 107, 218 (236); BGHZ 9, 322 (325 ff.); 13, 265 (317 ff.). 484 BVerfGE 8, 332 (343); 107, 218 (236); 117, 330 (344). 483

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

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grundrechtsgleiches Recht.485 Zu den von Art. 33 Abs. 5 GG geschützten hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums zählt der Kernbestand an Strukturprinzipien, die während eines längeren Zeitraums als verbindlich anerkannt und gewahrt worden sind.486 Hierzu zählen die hauptberufliche Anstellung auf Lebenszeit487, die gegenseitige Treupflicht488, die Verfassungstreue489, die Fürsorgepflicht des Dienstherrn490 und das Alimentationsprinzip491. Aus den genannten Pflichten des Beamten gegenüber dem Staat folgt eine umfassende Treuepflicht des einzelnen Beamten gegenüber seinem Dienstherrn. Wie der einzelne Beamte diese ihm auferlegten Pflichten empfindet, ist einzelfallabhängig und sehr individuell. Eine Identifikation mit diesen Pflichten im Sinne eines Selbstbilds des Beamten als „Diener“ seines Dienstherrn ist aber nicht ausgeschlossen. Zu diesem Selbstbild beitragen können auch die Pflichten des Dienstherrn gegenüber dem Beamten, da auch diese das Berufsbild des Beamten formen und die Rechtsstellung des Beamten, das heißt seinen Status, maßgeblich prägen. cc) Die Identität des Abgeordneten, Art. 38 GG Eine weitere, durch das Grundgesetz besonders geschützte, berufliche Betätigung ist die des Abgeordneten des Deutschen Bundestags. Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG ist ein grundrechtsgleiches Recht492 und beschreibt die Rechtstellung der Abgeordneten des Deutschen Bundestags in ihren Grundzügen. Demnach sind die Abgeordneten Vertreter des ganzen Volkes und an Aufträge sowie Weisungen nicht gebunden (Mandatsfreiheit), sondern nur ihrem Gewissen (Gewissensfreiheit) unterworfen. Die Mandatsfreiheit stellt sicher, dass die Abgeordneten des Deutschen Bundestags in rechtlicher Hinsicht keiner Fremdbestimmung unterliegen.493 Sie sind nicht an Weisungen seitens Partei, Fraktion oder der Bundesregierung gebunden. Dadurch werden die Selbstständigkeit und Unabhängigkeit der Mandatsausübung gewährleistet.494 Auch können die Abgeordneten frei nach ihrem Gewissen entscheiden und handeln. Sowohl Weisungs- als auch Gewissensfreiheit sichern die 485

BVerfGE 117, 330 (344); 43, 167; kritisch und differenzierend B. Pieroth, in: Jarass/ Pieroth, Art. 33 Rn. 45; ablehnend Ph. Kunig, in: v. Münch/Kunig, Bd. I, Art. 33 Rn. 55. 486 St. Rspr. BVerfGE 8, 332 (342 f.); 70, 69 (79); 114, 258 (281 f.); 83, 89 (98); 106, 225 (232); 107, 218 (237); 117, 372 (379). 487 BVerfGE 71, 39 (60); 44, 249 (262 f.). 488 BVerfGE 43, 154 (165); BVerwGE 99, 56 (59). 489 BVerfGE 39, 334 (346 f.). 490 BVerfGE 43, 154 (165 f.); 46, 97 (117); 83, 89 (100). 491 BVerfGE 3, 160 (288); 4, 115 (135); 8, 1 (16); 11, 203 (210); 61, 43 (56 f.); 130, 263 (292). 492 BVerfGE 108, 251 (266); 134, 141 (170). 493 W. Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 38 Rn. 72. 494 H. Butzer, in: Epping/Hillgruber, Art. 38 Rn. 94.

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

politische Selbstbestimmung und Entscheidungsfreiheit des einzelnen Abgeordneten und können zu dessen politischer und beruflicher Profil- und damit Identitätsbildung beitragen. Für den Zugang zum öffentlichen Amt ist für den einzelnen Abgeordneten das passive Wahlrecht, das in Art. 38 GG verfassungsrechtlich verankert ist, von großer Bedeutung. Auch folgen aus Art. 38 GG die Statusrechte des Abgeordneten wie das Stimmrecht, das Rederecht, das Antragsrecht, das Recht zur Teilnahme an parlamentarischen Beratungen, das Informationsrecht, das Recht auf Mitwirkung an der parlamentarischen Kontrolle, das Recht zur Kandidatur für parlamentarische Ämter und ein positives wie negatives Koalitionsrecht495. All diese Rechte ermöglichen die Ausübung des freien Mandats durch die Sicherung von Teilhabe am parlamentarischen Geschehen und sichern damit wiederum die politische und berufliche Selbstbestimmung des Abgeordneten. dd) Die Rolle der Privatschulfreiheit für die berufliche Identität, Art. 7 Abs. 4, 5 GG Eine weitere besondere Form des grundrechtlichen Schutzes beruflicher Identität ist die Privatschulfreiheit aus Art. 7 Abs. 4, 5 GG. Demnach darf jedermann unter den näheren Voraussetzungen des Abs. 4 und 5 Privatschulen gründen und auch betreiben.496 ee) Der Schutz beruflicher Identität durch die Grundfreiheiten des AEUV und der GrCh Da Art. 12 GG unmittelbar nur Deutsche im Sinne des Art. 116 GG schützt, sind die mit der beruflichen Identität im Zusammenhang stehenden und binnenmarktbezogenen Grundfreiheiten des AEUV und Regleungen der GrCh in die Betrachtung einzubeziehen. Zu ihnen zählen die Freiheit des Warenverkehrs nach Art. 28, 34, 35 AEUV, die Arbeitnehmerfreizügigkeit aus Art. 45 AEUV, die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV sowie die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs nach Art. 56 AEUV und die Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs nach Art. 63 AEUV. Diese Grundfreiheiten sind auf den freien Binnenmarkt und die Wirtschaftsteilnehmer ausgerichtet und haben einen subjektiv-rechtlichen Charakter.497 Ausgelegt sind die Grundfreiheiten in erster Linie auf die Gewährleistung eines funktionie-

495

BVerfGE 80, 188 (218 f.) m. w. N., ausführlich H. Butzer, in: Epping/Hillgruber, Art. 38 Rn. 108 – 120. 496 H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 7 Rn. 26; A. Uhle, in: Epping/Hillgruber, Art. 7 Rn. 77 m. w. N.; H. Wißmann, in: BK-GG, Art. 7 Rn. 215. 497 EuGH, Urteil v. 5. 2. 1963, Rs. 26/62 – Van Gend & Loos.

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

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renden Binnenmarktes durch die Gewährung von Marktzugang.498 Mögen viele Lebens- und Rechtsbereiche unter den Begriff „Binnenmarkt“ subsumierbar sein, so ist der Bezug des Binnenmarkts zur Identität des Individuums ein begrenzter. Der Identitätsbezug der europäischen Grundfreiheiten beschränkt sich auf wirtschaftsund berufsbezogene Tätigkeiten und adressiert damit die berufliche Identität des Einzelnen als Teilidentität ohne einen gesamthaften Identitätsbezug.499 Art. 15 Abs. 1 GrCh gewährleistet die Berufsfreiheit und nach Abs. 2 auch eine grenzüberschreitende Berufsbetätigung. Im Zusammenhang mit der beruflichen Identität steht auch der Schutz der unternehmerischen Freiheit nach Art. 16 GrCh. g) Die Identität des Wissenschaftlers, Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG Eine spezielle Ausprägung der beruflichen Identität ist die Identität als Wissenschaftler, wobei anders als bei der Berufsfreiheit die wissenschaftliche Tätigkeit nicht zwingend zum Bestreiten des Lebensunterhalts dienen muss. Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG schützt neben der Freiheit der Wissenschaft als Abwehrrecht und objektive Wertentscheidung500 auch die Persönlichkeit des Wissenschaftlers501 als Wissenschaftler. Insofern wird eine wissenschaftsbasierende Identität des Einzelnen durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG gesichert. Als Unterfälle von Wissenschaft werden von Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG auch Forschung und Lehre geschützt. Schutz erfahren demnach die forschende und lehrende Tätigkeit inklusive deren Organisation.502 h) Die künstlerische Identität, Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG Art. 5 Abs. 3 S. 1 1. Alt. GG schützt die Freiheit der Kunst umfassend in Form eines Abwehrrechts, einer wertentscheidenden Grundsatznorm und durch einen Förderauftrag. In ihrer Ausprägung als Abwehrrecht will die Kunstfreiheit vor Eingriffen des Staates in die Kunst schützen.503 In personeller Hinsicht geschützt werden Personen, die Kunstwerke herstellen ebenso wie Personen, die Kunstwerke der Öffentlichkeit zugänglich machen als auch die (staatlichen) Kunst- und Musikhochschulen und Personen, die in staatlichen Kunsteinrichtungen künstlerisch tätig sind. Als Tätigkeiten geschützt werden die künstlerische Tätigkeit, die Vermittlung der Kunst an Dritte504 und auch die Werbung für Kunst505. Die Anknüpfungspunkte für 498 499 500 501 502 503 504

D. Ehlers, in: ders., § 7 Rn. 23. Zur beruflichen Identität als Teilidentität siehe unter E. II. 9. f). H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 5 Rn. 133. Fr. Fechner, in: Stern/Becker, Art. 5 Rn. 67. Vgl. H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 5 Rn. 137 – 139. BVerfGE 30, 173 (191); 31, 229 (238 f.). BVerfGE 30, 173 (189); 67, 213 (224); 119, 1 (21 f.); 36, 321 (331); 81, 278 (292).

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

einen Identitätsschutz des Einzelnen sind – wie die Kunst selbst – recht vielfältig. Dient die künstlerische Betätigung auf Dauer der Schaffung und dem Erhalt einer Lebensgrundlage, so kann die künstlerische Identität als Unterfall der beruflichen Identität gesehen werden. Denkbar ist aber auch eine künstlerische Betätigung ohne beruflichen Hintergrund. Die Zusammenhänge zwischen Kunst und der Identität des Künstlers werden anhand der weiten Definition von Kunst deutlich. Demnach ist Kunst eine „freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formsprache zur unmittelbaren Anschauung gebracht werden“506. Im Mittelpunkt des Grundrechtsschutzes steht die künstlerischschöpferische Persönlichkeit507, das heißt die Persönlichkeit des Künstlers. Nach der sozialwissenschaftlichen Identitätsforschung vollzieht sich auch der Identitätsbildungsprozess durch die Verarbeitung von Eindrücken, Erfahrungen und Erlebnissen einer natürlichen Person.508 Der verfassungsrechtlich geschützte künstlerische Schöpfungsprozess entspricht damit in Teilen dem Identitätsbildungsprozess. Kunst und Kunstwerke können deshalb grundsätzlich Ausdruck der Identität oder Teile der Identität des Kunstschaffenden sein. Zieht eine natürliche Person einen Teil ihrer Identität aus der Vermittlung von Kunst, sei es als Aussteller oder Verkäufer von Kunst, ist auch dieser Bereich grundrechtlich durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG geschützt. Durch die Verpflichtung des Staates sowohl zu Pflege als auch zur Förderung der Kunst509 werden mittelbar510 alle Tätigkeiten im künstlerischen Umfeld, sei es als Kunstschaffender, Kunstvermittelnder oder auch sonst künstlerisch Tätiger, gefördert. i) Die politische Identität, Art. 21 GG und Art. 38 GG Art. 21 GG regelt die verfassungsrechtliche Stellung der Parteien. Dabei stehen der Status und die Funktion der Partei als solche im Fokus der Regelung und nicht das einzelne Parteimitglied. Parteien erfüllen eine wichtige und verfassungsrechtlich anerkennenswerte Funktion in der politischen Willensbildung des Volkes und sind deshalb als verfassungsrechtliche Institutionen anzuerkennen.511 Sie sind ein ver505 506

(82). 507

BVerfGE 77, 240 (251). BVerfGE 30, 173 (188 f.); 67, 213 (226); 119, 1 (20 f.); 75, 369 (377); BVerwGE 77, 75

F. Fechner, in: Stern/Becker, Art. 5 Rn. 67. Siehe dazu unter B. III. 2. und 4. 509 BVerfGE 81, 108 (116); 36, 321 (331). 510 Ein unmittelbarer Anspruch auf Förderung erwächst aus Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG nicht: BVerfGE 36, 321 (332); BVerwG NJW 1980, S. 718; A. v. Arnauld, in: Isensee/Kirchhof, HStR3 VII, § 167 Rn. 79 m. w. N.; F. Wittreck, in: Dreier, Bd. I, Art. 5 III Rn. 72 m. w. N. 511 St. Rspr. seit BVerfGE 1, 208 (255); BVerfGE 73, 40 (85); 41, 399 (416). 508

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

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fassungsrechtlich notwendiger Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung.512 Bedeutung für die Identitätsbildung des Einzelnen gewinnen Parteien ausgehend von ihrer Stellung. Sie sind zwischen dem Einzelnen und dem Staat angesiedelt.513 Als Vereinigung natürlicher Personen schlagen sie die Brücke zwischen Bürger und Staat und bieten so den institutionellen Rahmen für ein aktives politisches Engagement des Einzelnen oder aber auch für ein passives „Konsumieren“ parteipolitischer Positionen, das die politische Anschauung des Einzelnen beeinflussen kann. Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG schützt die freie Gründung und Auflösung514 von Parteien. Freiheit in diesem Sinne meint Freiheit vor staatlicher Prüfung der Gründung beziehungsweise Auflösung. Durch Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG werden der Beitritt und Austritt des Einzelnen in eine Partei und der Verbleib in einer Partei geschützt.515 Spiegelbildlich wird die negative Freiheit, nicht Mitglied einer Partei zu werden oder zu sein, ebenfalls geschützt.516 Auch die aktive Betätigung des Einzelnen in der Partei517 wird von Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG geschützt. Insofern hat die Betätigung des Einzelnen auch Bezüge zu einer auf dem Zusammenschluss mit anderen basierenden Identitätsbildung518, wobei Art. 21 GG für den parteilichen Zusammenschluss lex specialis ist519. Die freie Wahl, sich einer Partei anzuschließen, vielleicht sogar eine Partei zu gründen oder aus einer Partei auszutreten, ist Ausdruck der politischen Überzeugungen und der politischen Identität des Einzelnen. Sollte dies zu der Überzeugung führen, Berufspolitiker zu werden, kann die politische Identität zugleich den Kern beruflicher Identität bilden. Beitritt, Austritt, Gründung, Auflösung und bewusster Nichteintritt, Nichtaustritt, Nichtgründung und Nichtauflösung können das Zwischenergebnis politischer Identität sein oder aber auch die Bildung einer neuen, veränderten politischen Identität einläuten. Die Herausbildung politischer Anschauungen kann auch durch das reine Konsumieren parteipolitischer Positionen erfolgen, ohne aktiv als Mitglied einer Partei am Prozess der politischen Meinungsbildung mitzuwirken. In diesem Sinne ist das

512

BVerfGE 44, 125 (145); 73, 40 (85); 91, 262 (267). BVerfGE 44, 125 (145 f.). 514 H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, Art. 21 Rn. 273. 515 Chr. Gusy, in: AK-GG, Bd. 2, Art. 21 Rn. 62; B. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 21 Rn. 20; U. Volkmann, in: Friauf/Höfling, Art. 21 Rn. 42. 516 M. Morlok, in: Dreier, Art. 21 Rn. 60. 517 BVerwGE 110, 126 (131); J. Ipsen in: Sachs, Art. 21 Abs. 1 Rn. 31; R. Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 7. Aufl. 2018, Bd. II, Art. 21 Rn. 100; U. Volkmann, in: Friauf/ Höfling, Art. 21 Rn. 42. 518 Siehe dazu unter E. II. 7. 519 BVerfGE 2, 1 (13, 78); 12, 296 (304); 13, 174 (177); 17, 155 (166); 25, 69 (78). 513

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

Hineinwirken der Partei in die gesellschaftliche Sphäre im Rahmen ihrer Mitwirkung an der politischen Willensbildung unter Umständen identitätsstiftend. Das Wahlrecht nach Art. 38 GG ermöglicht es dem Einzelnen, seiner politischen Überzeugung entsprechend Einfluss auf die Zusammensetzung des Parlaments zu nehmen und erlaubt jedem Einzelnen, abseits eines aktiven politischen Engagements politische Teilhabe. Insbesondere die Allgemeinheit der Wahl aus Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG soll die Teilhabe jedes Bürgers an der Wahl sichern und vor einem unberechtigten Ausschluss von der Wahl schützen. Die Freiheit der Wahl wiederum sichert den freien und offenen Prozess der politischen Meinungsbildung, der zur Wahlentscheidung führt520, die letztlich Ausdruck politischer Anschauungen ist. Dass eine positive Wahlentscheidung, das heißt die Stimmabgabe eines Einzelnen, den gleichen Zählwert und auch ganz grundsätzlich den gleichen Erfolgswert wie die Stimmabgabe eines anderen Wählers hat, wird durch den Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit gesichert. Dass der Einzelne seine politischen Anschauungen im Zusammenhang mit einer Wahl nicht offenbaren muss, sondern diese privat halten darf, ist Ausdruck der geheimen Wahl. Auch diese sichert dem Einzelnen einen politischen Eigenbereich zu, den er gegenüber Dritten, insbesondere dem Staat, nicht offenbaren muss. Das aktive und passive Wahlrecht wird für die Wahlen zum Europäischen Parlament von Art. 39 GrCh geschützt. Bei Kommunalwahlen steht den Unionsbürgern im Mitgliedstaat ihres Wohnsitzes das aktive und passive Wahlrecht nach Art. 40 GrCh und Art. 22 Abs. 1 AEUV zu. Ein Schutz des aktiven und passiven Wahlrechts besteht auch auf völkerrechtlicher Ebene durch Art. 3 ZP I zur EMRK521 und Art. 25 lit. b) IPbpR. j) Die Identität als deutscher Staatsangehöriger, Art. 16 GG Art. 16 Abs. 1 GG schützt den einzelnen deutschen Staatsangehörigen vor dem willkürlichen Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit und vor einer Staatenlosigkeit. Zudem wird die deutsche Staatsangehörigkeit institutionell geschützt.522 Hinzukommt das Auslieferungsverbot nach Art. 16 Abs. 2 S. 1 GG. Es wird vertreten, Art. 16 Abs. 1 GG schütze nicht die mit der Staatsangehörigkeit verbundenen Rechte als solche, sondern den Status als deutscher Staatsangehöriger.523 In seiner Ausprägung als Freiheitsgrundrecht schützt Art. 16 Abs. 1 GG aber vor dem Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit, mit der wiederum staatsbür-

520

BVerfGE 79, 161 (165 f.); 44, 125 (139). F. Arndt, in: Karpenstein/Mayer, Art. 3 ZP I Rn. 3 m. w. N. 522 W. Kluth, in: Stern/Becker, Art. 16 Rn. 53; F. Wittreck, in: Dreier, Bd. I, Art. 16 Rn. 41. 523 W. Kluth, in: Stern/Becker, Art. 16 Rn. 47; A. Zimmermann/Chr. J. Tams, in: Friauf/ Höfling, Art. 16 Rn. 27. 521

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

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gerliche Rechte eng verbunden sind.524 Der Schutz vor dem Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit bildet damit eine Grundvoraussetzung für die Ausübung staatsbürgerlicher Rechte und entspricht dem im Rahmen des lateinamerikanischen Rechts auf Identität behandelten525 Schutz der rechtlichen Existenz vor dem Staat in der besonderen Ausprägung als Staatsangehöriger. So kann sich beispielsweise auf die Deutschen-Grundrechte nur berufen, wer Deutscher im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG ist.526 Insbesondere die staatsbürgerlichen Rechte stehen nach Art. 33 Abs. 1 GG nur Deutschen zu. Gleiches gilt für den Zugang zu öffentlichen Ämtern nach Art. 33 Abs. 2 GG. Dies gilt für die Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG, die Vereinigungsfreiheit nach Art. 9 Abs. 1 GG, das Recht auf Freizügigkeit nach Art. 11 Abs. 1 GG, für die Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG, das Widerstandsrecht und Art. 16 Abs. 1 und 2 GG selbst. Zudem sind auch nur Deutsche vom persönlichen Schutzbereich der Wahlrechte aus Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG umfasst.527 All diese Deutschen-Grundrechte haben, wie gezeigt, Bedeutung für die Identitätsbildung, sodass Art. 16 Abs. 1 GG als Basis für den grundrechtlichen Identitätsschutz wesentliche Bedeutung zukommt. Zudem kann das Innehaben der deutschen Staatsangehörigkeit identitätsprägend sein.528

10. Zur Rolle des Asylrechts für die individuelle Identität, Art. 16a Abs. 1 GG Art. 16a GG schützt politisch verfolgte natürliche Personen529. Die Verfolgungshandlung muss in einer schwerwiegenden Verletzung von grundlegenden Menschenrechten liegen.530 Genau aus dieser Verfolgungshandlung ergibt sich die identitätsschützende Relevanz der Norm. Eine Verletzung grundlegender Menschenrechte ist immer gegeben, wenn Leib, Leben oder aber auch die persönliche Freiheit des Menschen verletzt wird.531 Dies knüpft wieder an das Thema Identitätsschutz durch Integritätsschutz an.532 Die Integrität von Leib, Leben und Freiheit der Person sind Grundvoraussetzungen für die Identitätsbildung und Persönlichkeitsentfaltung des Einzelnen.

524

Inkonsequent insofern W. Kluth, in: Stern/Becker, Art. 16 Rn. 48. Siehe dazu unter C. II. 526 Dazu J. A. Kämmerer, in: BK-GG, Art. 16 Rn. 53, 55. 527 BVerfGE 83, 37 (50 f.); H. Butzer, in: Epping/Hillgruber, Art. 38 Rn. 83; a. A. H. Meyer, in: Isensee/Kirchhof, HStR3 III, § 46 Rn. 7 ff. 528 Fr. Ebert, S. 96. 529 H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 16a Rn. 6. 530 A. v. Arnauld, in: v. Münch/Kunig, Bd. I, Art. 16a Rn. 13; U. Becker, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, 7. Aufl. 2018, Bd. I, Art. 16a Rn. 36, F. Wittreck, in: Dreier, Bd. I, Art. 16a Rn. 55. 531 BVerwGE 79, 143 (147); BVerwGE 87, 141 (146). 532 Siehe dazu unter E. II. 5. 525

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

Denkbar ist eine Verletzung grundlegender Menschenrechte aber auch durch eine Verletzung anderer und grundsätzlich aller533 Individualrechte. Dabei wird gefordert, dass der Eingriff in die anderen Individualrechte nach Art, Schwere und Intensität des Eingriffs her die Menschenwürde verletzt, um als Verfolgung im Sinne des Art 16a GG qualifiziert zu werden.534 Demnach muss eine Ausübung der Individualrechte schlechthin unmöglich gemacht werden.535 Hier zeigt sich die enge Verknüpfung von Menschenwürde und Asylrecht.536 So ist hier beispielsweise zu denken an eine Verletzung der Religionsfreiheit.537 Für das Vorliegen eines asylerheblichen Merkmals muss eine schwere Verletzung der Religionsfreiheit, die eine Glaubensprägung der Person unmöglich macht, gegeben sein.538 In einer Verletzung der Religionsfreiheit, die den Kernbereich der Religionsfreiheit betrifft539, liegt zugleich regelmäßig eine Beeinträchtigung der Entfaltung religiöser Identität. Die Rechtsprechung und Teile der Literatur fordern zudem, das Vorliegen sogenannter asylerheblicher Merkmale für die Annahme einer politischen Verfolgung im Sinne des Art. 16a GG.540 Daher muss die politische Verfolgung des Einzelnen auf eine Form seines Andersseins beruhen.541 Dieses Anderssein kann sich aus den politischen Überzeugungen des Einzelnen, seinen religiösen Überzeugungen542 aber auch anderen Merkmalen ergeben, die für ihn zwingend und unverfügbar sind.543 Das können beispielsweise das Geschlecht544 oder auch die sexuelle Orientierung545 sein. Geschlechtliche und sexuelle Identität zählen also zu den asylerheblichen Merk533 H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 16a Rn. 7; vgl. A. v. Arnauld, in: v. Münch/Kunig, Bd. I, Art. 16a Rn. 13; F. Wittreck, in: Dreier, Bd. I, Art. 16a Rn. 56. 534 BVerfGE 54; 341 (357); 76, 143 (158); BVerwGE 80, 321 (324); A. v. Arnauld, in: v. Münch/Kunig, Bd. I, Art. 16a Rn. 13; H.-G. Maaßen, in: Epping/Hillgruber, Art. 16a Rn. 17 m. w. N. 535 A. Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, Art. 16a Rn. 41. 536 H. Dreier, in: ders., Bd. I, Art. 1 I Rn. 164 m. w. N. 537 BVerfGE 54, 341 (357); 76, 143 (158); 81, 59 (66); BVerwGE 120, 16 (20 f.); dazu ausführlich G. M. Liegmann, S. 62 ff. 538 BVerfGE 76, 143 (158); BVerwGE 120, 16 (20); G. M. Liegmann, S. 83 ff. 539 BVerwGE 111, 223 (229 f.). 540 BVerfGE 80, 315 (333); 94, 49 (103); BVerfG NVwZ 2015, S. 1204 Rn. 11; BVerwGE 87, 141 (145); A. Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, Art. 16a Rn. 31; F. Wittreck, in: Dreier, Bd. I, Art. 16a Rn. 61. 541 BVerfGE 80, 315 (333); 76, 143 (157 f.). 542 F. Wittreck, in: Dreier, Bd. I, Art. 16a Rn. 54 m. w. N.; Art. 1 A Nr. 2 Genfer Flüchtlingskonvention. 543 BVerfGE 80, 315 (333); 94, 49 (103); 54, 341 (357); 76, 143 (157 f.); BVerfG NVwZ 2015, S. 1204 Rn. 11; BVerwGE 87, 141 (145); 67, 184 (187). 544 U. Becker, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 7. Aufl. 2017, Bd. I, Art. 16a Abs. 1 Rn. 55; W. Kluth, in: Stern/Becker, Art. 16a Rn. 34; dazu jüngst I. Rössl, Juridikum 2017, S. 498 – 507. 545 BVerwGE 79, 143 (144) zur Homosexualität; vgl. EuGH, Urt. v. 25. 1. 2018 – C-473/16 = NVwZ 2018, S. 643 – 648.

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

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malen. Hinzu treten die Merkmale der Rasse und der Nationalität.546 Insofern ähneln die asylerheblichen Merkmale den besonderen Diskriminierungsverboten aus Art. 3 Abs. 3 GG. Auch kann sich ein asylerhebliches Merkmal aus der Zugehörigkeit des Einzelnen zu einer sozialen Gruppe und der daraus folgenden individuellen Betroffenheit des Einzelnen ergeben.547 Die Qualifikationsrichtlinie (QRL)548 stellt maßgeblich auf die Identität des Einzelnen sowie die der Gruppe ab. So definiert Art. 10 Abs. 1 lit. d) RL 2011/95/EU als soziale Gruppe, eine Gruppe deren Mitglieder angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten und dass diese Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird. Besonders hervorgehoben wird in Art. 10 Abs. 1 lit. d) QRL, dass das gemeinsame Merkmal der Gruppenmitglieder die sexuelle Orientierung oder auch die geschlechtliche Identität sein kann. Damit knüpft das Merkmal der politischen Verfolgung an persönliche und potentiell identitätsstiftende Merkmale der Person an. Art. 16a Abs. 1 GG gewährt dem politisch Verfolgten nach einer positiven Asylanerkennung grundsätzlich die Möglichkeit eines legalen Aufenthalts549. Asylbewerbern wird der Aufenthalt für die Zeit der Durchführung des Asylverfahrens nach § 55 Abs. 1 S. 1 AsylG gestattet. Asylberechtigte und auch Asylbewerber dürfen an der Grenze grundsätzlich nicht zurückgewiesen und auch grundsätzlich nicht in den Verfolgerstaat abgeschoben werden.550 Diese Verbürgungen wiederum tragen für Asylbewerber zur vorübergehenden und bei Asylberechtigten zu einer endgültigen Beendung der politischen Verfolgung aufgrund der identitätsstiftenden Merkmale bei.

546

H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 16a Rn. 11. BVerfGE 83, 216 (231 f.); BVerfG, DVBl. 1996, S. 611 (612); BVerwGE 96, 200 (203 ff.); W. Kluth, in: Stern/Becker, Art. 16a Rn. 47; F. Wittreck, in: Dreier, Bd. I, Art. 16a Rn. 54; vgl. Art. 1 A Nr. 2 Genfer Flüchtlingskonvention. 548 Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. v. 20. 12. 2011, L. 337/9. 549 H.-G. Maaßen, in: Epping/Hillgruber, Art. 16a Rn. 50. 550 A. Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, Art. 16a Rn. 132, 135. 547

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

11. Zwischenfazit zu den identitätsschützenden Freiheitsgrundrechten und dem grundrechtlichen Identitätsschutz Als wesentliche Elemente der identitätsschützenden Freiheitsgrundrechte haben sich erwiesen Freiheit, Individualität, Privatheit und das Zusammenwirken des Individuums mit anderen Menschen. Allen Freiheitsgrundrechten immanent ist die Gewährleistung von Freiheit zugunsten des Individuums insbesondere gegenüber dem staatlichen Zugriff. Diese Freiheit ermöglicht dem Individuum in den verschiedenen Lebensbereichen Handlungs- und Entscheidungsfreiheit. Die dadurch gewonnenen Erfahrungen können Eingang in den Prozess der Identitätsbildung finden. Dadurch, dass der Einzelne innerhalb der Schranken der Grundrechte frei in seiner Grundrechtsausübung ist, entscheidet er individuell und für sich, ob und wenn ja wann und wie er seine grundrechtlichen Freiheiten nutzt. Die identitätsschützenden Freiheitsgrundrechte respektieren gerade die Individualität des einzelnen Grundrechtsträgers, indem sie ihm Handlungs- und Entscheidungsfreiraum abseits staatlicher Einmischung und Bewertung einräumen und sein Selbstverständnis in den Mittelpunkt des Identitätsschutzes rücken. Damit ist freiheitsrechtlicher Identitätsschutz als Schutz individueller Identität zu sehen. Im freiheitsrechtlichen Identitätsschutz zeigt sich deutlich die Dualität des Prozesses von Identitätsbildung, die sich zwischen dem Einzelnen und seiner sozialen Umwelt als dialogischer Prozess vollzieht. So sind Privatheit und das Zusammenwirken des Individuums mit anderen Menschen gleichermaßen im freiheitsrechtlichen Identitätsschutz verankert. Die Bandbreite identitätsschützender Freiheitsrechte ist groß und umfasst das gesamte Spektrum von Freiheitsrechten inklusive grundrechtsgleicher Rechte. Neben dem spezifisch persönlichkeitsschützenden allgemeinen Persönlichkeitsrecht, das den Mittelpunkt des freiheitsrechtlichen Identitätsschutzes bildet, haben alle anderen Freiheitsgrundrechte einen Identitätsbezug. Dieser kann, wie beispielsweise beim Petitionsrecht, unspezifisch oder auf eine ganz spezifische Teilidentität, wie die elterliche oder familiäre Identität, bezogen sein. Alle untersuchten Freiheitsgrundrechte leisten entsprechend ihres sachlichen, aber auch persönlichen Schutzbereichs ihren Beitrag für den freiheitsrechtlichen Schutz individueller Identität.

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

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12. Identitätsschutz durch die speziellen Diskriminierungsmerkmale, Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG schützt vor Ungleichbehandlungen aufgrund des Geschlechts, der Abstammung, der Rasse, der Sprache, der Heimat und Herkunft sowie des Glaubens und der religiösen und politischen Anschauungen der Person. a) Minderheitenschutz Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG wurde vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft aufgenommen551 und soll der Verhinderung von Diskriminierungen von Minderheiten dienen552. Das Grundgesetz kennt, anders als die Landesverfassungen553, die Paulskirchenverfassung (Art. 188)554, die Weimarer Reichsverfassung (Art. 113 WRV)555 und die Verfassungen der DDR (Art. 11 der Verfassung der DDR von 1949556 und Art. 40 der Verfassungen von 1968 und 1974557) keine spezifischen Regelungen zum Minderheitenschutz. Eine angedachte Minderheitenschutznorm fand keinen Eingang in das GG.558 Der von der Gemeinsamen Verfassungskommission erarbeitete Art. 20b GG559 fand nicht 551

J. Englisch, in: Stern/Becker, Art. 3 Rn. 66; W. Heun, in: Dreier, Bd. I, Art. 3 Rn. 126; Chr. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 6. Aufl. 2010, Bd. I, Art. 3 Abs. 3 Rn. 367; S. Baer/ N. Markard, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 7. Aufl. 2018, Bd. I, Art. 3 Abs. 3 Rn. 388, die neben der bewussten Abkehr von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft auch die Verfassungsrevision nach 1989 nennen. 552 BVerfGE 136, 152 (180 f.); vgl. BVerfGE 88, 87 (96); 124, 199 (220); zum Minderheitenschutz durch Art. 3 Abs. 3 GG G. Rüdiger, S. 199 – 209; M. Schwarz, DÖV 2016, S. 972. 553 Siehe dazu unter E. II. 18. 554 „Den nicht Deutsch redenden Volksstämmen Deutschlands ist ihre volkstümliche Entwicklung gewährleistet, namentlich die Gleichberechtigung ihrer Sprachen, soweit deren Gebiete reichen, in dem Kirchenwesen, dem Unterricht, der inneren Verwaltung und der Rechtspflege.“ 555 „Die fremdsprachigen Volksteile des Reichs dürfen durch Gesetzgebung und Verwaltung nicht in ihrer freien, volkstümlichen Entwicklung, besonders nicht im Gebrauch ihrer Muttersprache beim Unterricht, sowie bei der inneren Verwaltung und der Rechtspflege beeinträchtigt werden.“ 556 „Die fremdsprachigen Volksteile der Republik sind durch Gesetzgebung und Verwaltung in ihrer freien volkstümlichen Entwicklung zu fördern; sie dürfen insbesondere am Gebrauch ihrer Muttersprache im Unterricht, in der inneren Verwaltung und in der Rechtspflege nicht gehindert werden.“ 557 „Bürger der Deutschen Demokratischen Republik sorbischer Nationalität haben das Recht zur Pflege ihrer Muttersprache und Kultur. Die Ausübung dieses Rechts wird vom Staat gefördert.“ 558 Vgl. Stenographischer Bericht d. 238. Sitzung am 30. 6. 1994, S. 21045 f.; hierzu ausführlich A. H. Stopp, in: Ellwein/Grimm/Hesse/Schuppert, S. 9, 39 ff.; zu den Bestrebungen D. Blumenwitz, S. 114 ff.; sehr für eine solche Regelung R. Hofmann, ZaöRV 1992, S. 64 f.

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

die erforderliche Zweidrittelmehrheit.560 Interessant an dem damals geplanten Art. 20b GG ist aber, dass sich die Formulierung des Schutzguts gegenüber Art. 113 WRV änderte. Sprach Art. 113 WRV noch von einer Nichtbeeinträchtigung der volkstümlichen Entwicklung, so lautete der Entwurf des Art. 20b GG auf die Achtung der Identität ethnischer, kultureller und sprachlicher Minderheiten.561 Der Schutz der Minderheitenidentität ist demnach stärker in das Bewusstsein gerückt. Auf Bundesebene enthält nur der Einigungsvertrag eine Minderheitenschutzklausel zugunsten der Sorben562 und das Bundeswahlgesetz mit § 6 Abs. 3 S. 2, wonach die 5 %-Klausel für Parteien nationaler Minderheiten nicht anwendbar ist. Dabei handelt es sich aber freilich um einfaches Bundesrecht. Einzelne Angehörige von nationalen beziehungsweise ethnischen Minderheiten können sich aus einer verfassungsrechtlichen Perspektive auf den Schutz durch die Freiheits- und Gleichheitsrechte berufen.563 Einen wesentlichen Anknüpfungspunkt für den Schutz von Minderheitenangehörigen auf Ebene des Grundgesetzes bilden die persönlichen Merkmale aus Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG.

b) Persönliche Merkmale aus Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG als identitätsstiftende Merkmale Es gibt zwei unterschiedliche Sichtweisen für die Begründung des Verbots der Ungleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG. Das Dominierungsverbot geht davon aus, dass in der Geschichte bestimmte Merkmale zu Ungunsten bestimmter Gruppen angewendet wurden.564 Es handelt sich demnach um einen gruppenbezogenen Ansatz. Dem Schutz individueller Identität kommt hinsichtlich des Schutzzwecks das Differenzierungsgebot, das beim Individuum ansetzt, näher. Demnach kommt Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG für den Schutz der individuellen Identität des Einzelnen gerade deshalb eine große Bedeutung zu, weil es eine Ungleichbehandlung nicht per se, sondern nur solche Ungleichbehandlungen, die aufgrund der in Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG genannten persönlichen Merkmale erfolgen, verbietet. Dabei ist Ungleichbehandlung im Sinne von Benachteiligung und Bevorzugung zu verstehen. Man wird bei lebensnaher Auslegung in Art. 3 Abs. 3 GG aber ein Differenzierungsverbot565 sehen können, zumal eine Differenzierung, die aufgrund persönlicher Merkmale erfolgt, in 559 BT-Drs. 12/6000 v. 5. 11. 1993, S. 71 ff. Der Art. 20b GG sollte lauten: „Der Staat achtet die Identität der ethnischen, kulturellen und sprachlichen Minderheiten“. 560 Hierzu ausführlich M. Pallek, S. 391 ff.; Th. Pastor, S. 63 ff. 561 „Der Staat achtet die Identität der ethnischen, kulturellen und sprachlichen Minderheiten“. 562 Protokollnotiz Nr. 14 zu Art. 35, Anlage I., Kapitel III, Sachgebiet A, Abschnitt III r). 563 Hierzu A. Siegert, S. 101 ff. 564 Ausführlich U. Sacksofsky, S. 312. 565 W. Heun, in: Dreier, Bd. I, Art. 3 Rn. 199.

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

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aller Regel gleichzeitig Benachteiligung oder Bevorzugung ist. Bei den Merkmalen des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG handelt sich um persönliche Eigenschaften des Menschen, die als solche grundsätzlich identitätsstiftend566 sind. Das grundsätzliche Verbot einer Differenzierung nach den persönlichen und identitätsstiftenden Merkmalen führt zur verfassungsrechtlichen Anerkennung der identitätsstiftenden Merkmale. Viele der Merkmale des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG weisen Schnittmengen mit den freiheitsrechtlichen Verbürgungen des Grundgesetzes auf. So stehen die Merkmale Glaube und religiöse Anschauung der in Art. 4 GG verbürgten Glaubens- und Religionsfreiheit nahe. Sowohl Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG als auch Art. 4 Abs. 1 GG schützen die religiöse Identität des Einzelnen. Anders als im Rahmen der Freiheitsrechte zielt der Schutz durch Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG aber nicht primär auf die Gewährung eines Freiheitsraums vor staatlichen Eingriffen oder der Statuierung einer staatlichen Schutzpflicht gegen Ungleichbehandlungen wegen einer von Art. 4 GG geschützten Tätigkeit ab, sondern schützt vor Ungleichbehandlungen, die allein auf dem persönlichen Merkmal der Person als solchem beruhen. Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG knüpft seinen Identitätsschutz also allein daran an, dass die Person eines der in Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG genannten Merkmale aufweist und aufgrund dessen ungleich behandelt wird. Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG schützt die Identität des Individuums daher über den Schutz vor Ungleichbehandlung. Die Verbindung zu den Freiheitsrechten des Grundgesetzes zeigt sich aber auch darin, dass durch das Entgegenwirken struktureller Ungleichbehandlungen durch die Gleichheitsrechte, die freie Entfaltung der Persönlichkeit gefördert wird.567 Indem Art. 3 Abs. 3 GG vor der Ungleichbehandlung aufgrund persönlicher Merkmale schützt, wirkt dieser Schutz auch unzutreffenden Fremdbildern entgegen.568 So kann bei der Kenntniserlangung über die Herkunft einer Person allein über das Innehaben einer bestimmten Herkunft ein Fremdbild entstehen, mit dem dann Erwartungen an die Persönlichkeit und Identität des Einzelnen gebunden werden. Ob bei Kenntnis eines persönlichen Merkmals gleich ein umfassendes Persönlichkeitsbild entsteht569, darf zwar bezweifelt werden. Dennoch schützt Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG vor auf Fremdbildern beruhenden Ungleichbehandlungen, die an das persönliche Merkmal als solches anknüpfen. Ob die von Art. 3 Abs. 3 GG geforderte Kausalität nun als Kausalität im eigentlichen Sinne, als Finalität, als absolutes Anknüpfungsverbot oder aber als Begründungsverbot aufzufassen ist570, spielt für die Frage des Identitätsschutzes eine untergeordnete Rolle. Gleiches gilt für die Frage, ob auch eine indirekte Un566 U. Sacksofsky, S. 311; vgl. S. Baer/N. Markard, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 7. Aufl. 2018, Bd. I, Art. 3 Abs. 3 Rn. 439. 567 E. Holzleithner, Rechtsphilosophie 2016, S. 133 (135). 568 Grundlegend dazu G. Britz, Freie Entfaltung durch Selbstdarstellung, S. 51 ff. 569 G. Britz, Freie Entfaltung durch Selbstdarstellung, S. 55 m. w. N. 570 Dazu ausführlich und m. w. N. W. Heun, in: Dreier, Bd. I, Art. 3 Rn. 122 – 125.

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

gleichbehandlung, bei der an ein mit den in Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG ausdrücklich genannten Merkmalen verwandtes Kriterium angeknüpft wird, unter Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG fällt.571 c) Geschlecht und Geschlechtsidentität Für den verfassungsrechtlichen Schutz geschlechtlicher Identität von besonderer Bedeutung ist das Verbot der Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts. Das Merkmal schützt zum einen vor Ungleichbehandlungen und Differenzierungen aufgrund einer Anknüpfung an die Eigenschaft als Mann oder Frau. Hieraus ergibt sich eine gewisse Schnittmenge mit Art. 3 Abs. 2 GG, der die Gleichberechtigung von Mann und Frau zum Gegenstand hat. Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG schützt den Mann vor Ungleichbehandlungen wegen seiner männlichen Geschlechtsidentität und die Frau vor Ungleichbehandlungen wegen ihrer weiblichen Geschlechtsidentität. Geschlechtsidentität in diesem Sinne meint zunächst einmal die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht.572 Der Anwendungsbereich des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG beschränkt sich nach zutreffender Ansicht aber nicht auf Männer und Frauen. Die Ansicht, ein Mensch sei „immer ein Mann (definiert als Spermien-Produzent) oder eine Frau (d. h. Bereitstellerin von Eizellen mit Gebär-Funktion)“573, greift viel zu kurz, berücksichtigt fälschlicherweise nicht die mit der Geschlechtszuschreibung verbundenen Rollenzuschreibungen und ignoriert das Selbstverständnis des Individuums. Das Grundgesetz orientiert sich nicht zwingend und nicht unumstößlich an „der biologischen Natur des Menschen“574. So wird der Anwendungsbereich des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG richtigerweise auf einen Bereich außerhalb der binären Geschlechterordnung erstreckt.575 Das BVerfG entschied zu Recht, dass Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG auch Menschen schütze, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen

571 Dafür BVerfGE 121, 241 (254 f.); J. Englisch, in: Stern/Becker, Art. 3 Rn. 67, 85; H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 3 Rn. 119; A. Nußberger, in: Sachs, Art. 3 Rn. 255. Differenzierend und für die Merkmale Geschlecht sowie Behinderung bejahend Chr. Langenfeld, in: Maunz/Dürig, Art. 3 Rn. 38. Nur für das Merkmal Geschlecht bejahend U. Kischel, in: Epping/ Hillgruber, Art. 3 Rn. 215. Generell dagegen S. Boysen, in: v. Münch/Kunig, Bd. I, Art. 3 Rn. 143 f.; W. Heun, in: Dreier, Bd. I, Art. 3 Rn. 125; M. Sachs, in: Isensee/Kirchhof, HStR3 VIII, § 182 Rn. 32, 95. 572 Vgl. L. Adamietz, S. 29. 573 K. Märker, NZFam 2018, S. 1 (3). Diesem Verständnis zu Recht widersprechend A. Sanders, NZFam 2018, S. 241 (242). 574 K. Märker, NZFam 2018, S. 1 (3 f.). 575 S. Baer/N. Markard, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 7. Aufl. 2018, Bd. I, Art. 3 Abs. 3 Rn. 447; A. Sanders, NZFam 2018, S. 241 (242); F. Brachthäuser/J. Remus, NJW 2016, S. 2887; W. Sieberichs, FamRZ 2013, S. 1180; M. Sachs, in: Isensee/Kirchhof, HStR3 VIII, § 182 Rn. 42; a. A. W. Heun, in: Dreier, Bd. I, Art. 3 Rn. 127; Th. Kingreen/R. Poscher, Rn. 537; U. Kischel, in: Epping/Hillgruber, Art. 3 Rn. 219, 183 f.

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

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Geschlecht zuordnen lassen.576 Dies betrifft Fälle von Intersexualität. Intersexualität meint den Fall, dass die körperlichen Geschlechtsmerkmale uneindeutig sind, was eine Zuordnung innerhalb der binären Geschlechterordnung erschwert.577 Vereinzelt wurde eine Erstreckung des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG auf intersexuelle Personen schon vor dem Beschluss des BVerfG in der juristischen Literatur vertreten.578 In seiner Argumentation stellt das Gericht zum einen auf den Wortlaut der Norm ab, welcher nicht gegen eine Einbeziehung eines Geschlechts jenseits der binären Geschlechterordnung spreche.579 Das ist zutreffend. Der Wortlaut ist mit „Geschlecht“ recht offen formuliert und damit für die weitere Auslegung und auch eine Subsumtion anderer Geschlechter als männlich und weiblich offen. Teilweise wird vertreten, dass die Erweiterung des Merkmals Geschlecht in systematischem Widerspruch zu Art. 3 Abs. 2 GG steht, welcher nur von Männern und Frauen spricht.580 Für eine Auslegung des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG anhand von Art. 3 Abs. 2 GG besteht jedoch keine Notwendigkeit. Es handelt sich um eigenständige Grundrechte, deren Wortlaut im Übrigen nicht identisch ist. Richtig ist, dass Art. 3 Abs. 2 GG von Männern und Frauen ausgeht. Der Wortlaut des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG enthält jedoch eine solche Binarität gerade nicht581 und ist deshalb für eine Einbeziehung anderer Geschlechter als Mann und Frau offen. Weiter stellt das Gericht auf den Zweck des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG ab, nach dem die Norm Angehörige strukturell diskriminierungsgefährdeter Gruppen vor Benachteiligungen schützen solle.582 Zu diesen diskriminierungsgefährdeten Gruppen zählten intersexuelle Personen gerade deshalb, weil die Gesellschaft ansonsten von der Binarität der Geschlechterordnung geprägt sei.583 Auch das ist einleuchtend. Die Binarität von männlich und weiblich ist gesellschaftlich immer noch vorherrschend. 576 BVerfGE 147, 1 (28) = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16, 2. Leitsatz, Rn. 58; ebenso M. Sachs, in: Isensee/Kirchhof, HStR3 VIII, § 182 Rn. 42. 577 V. Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Kapitel VII. Rn. 36 f.; K. Schweizer, in: dies./ Richter-Appelt, S. 19 (26 f.); J. Froese, DÖV 2018, S. 315 (316). 578 L. Adamietz, S. 246 ff.; H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, 14. Auflage (2016), Art. 3 Rn. 120; ebenso mit Verweis auf die Entscheidung des BVerfG v. 10. 10. 2017 (1 BvR 2019/16 = BVerfGE 147, 1) H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, 15. Auflage (2018), Art. 3 Rn. 138; A. Kolbe, S. 120 ff.; H. Krieger, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 3 Rn. 77; Chr. Langenfeld, in: Maunz/Dürig, Art. 3 Abs. 3 Rn. 42; M. Sachs, in: Isensee/Kirchhof, HStR3 VIII, § 182 Rn. 42; A. Schmidt, in: Schochow/Gehrmann/Steger, S. 231 (245, 251). 579 BVerfGE 147, 1 (28) = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16, Rn. 59. 580 W. Heun, in: Dreier, Bd. I, Art. 3 Rn. 127; U. Kischel, in: Epping/Hillgruber, Art. 3 Rn. 219, 183 f.; vgl. Chr. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 6. Aufl. 2010, Bd. I, Art. 3 Abs. 3 Rn. 383, Art. 3 Abs. 2 Rn. 305; a. A. S. Baer/N. Markard, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 7. Aufl. 2018, Bd. I, Art. 3 Abs. 3 Rn. 447, 451 ff. 581 BVerfGE 147, 1 (28 f.) = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16, Rn. 60. 582 BVerfGE 147, 1 (28) = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16, 2. Leitsatz, Rn. 59 mit Verweis auf BVerfGE 88, 87 (96) und Osterloh/Nußberger, in: Sachs, Art. 3 Rn. 236, 344. 583 BVerfGE 147, 1 (28) = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16, Rn. 59.

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG dient nach Sinn und Zweck dem Minderheitenschutz. Insbesondere die Merkmale Sprache, Abstammung, Rasse, Heimat und Herkunft aus Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG wirken minderheitenschützend. Eine Beschränkung auf diese Merkmale ist nicht ersichtlich. Zwar sind Sprache und herkunftsbezogene Merkmale häufig die Merkmale, die die Angehörigen einer Minderheit vereint.584 Neben den ethnischen, sprachlichen und kulturellen Minderheiten sind aber auch geschlechtliche Minderheiten jenseits der binären Geschlechterstruktur anzuerkennen und in Schutz des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG einzubeziehen. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Verfassungsinterpretation nicht an Annahmen zum Zeitpunkt der Entstehung des Grundgesetzes haftet. Dies würde dem Begriff der Auslegung nicht gerecht und würde das Grundgesetz seiner Entwicklungsoffenheit berauben. Zwar wird bei der Entstehung des Grundgesetzes kaum jemand an ein Geschlecht abseits der binären Geschlechterordnung gedacht haben.585 Dennoch ist heute medizinisch anerkannt, dass es geschlechtliche Inkongruenzen zwischen dem somatischen, psychischen und sozialen Geschlecht geben kann.586 Daher ist dem BVerfG hier Recht zu geben, dass angesichts des heutigen Wissen über die Geschlechtsidentität die Entstehungsgeschichte des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG der Einbeziehung weiterer Geschlechter nicht entgegensteht.587 Die Länder Berlin, Brandenburg, Bremen, Rheinland-Pfalz und Thüringen und später auch Hamburg stellten am 30. 5. 2018 im Bundesrat einen Gesetzesantrag zur Änderung des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG.588 Demnach soll in Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG nach dem Diskriminierungsverbot wegen des Geschlechts auch ein Diskriminierungsverbot wegen der sexuellen und geschlechtlichen Identität eingefügt werden. Die Sache wurde dem Rechtausschuss (federführend), dem Ausschuss für Frauen und Jugend und dem Ausschuss für Innere Angelegenheiten zugewiesen.589 Der Ausschuss für Frauen und Jugend empfahl die Einbringung des Gesetzentwurfs beim Bundestag, wohingegen der federführende Ausschuss und der Ausschuss für Innere Angelegenheiten empfahlen, den Gesetzentwurf nicht einzubringen.590 Das Thema wurde vertagt.591

584 585 586 587 588 589 590 591

Siehe dazu unter E. II. 18. a), d) aa). So auch BVerfGE 147, 1 (29) = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16, Rn. 61. Pschyrembel, Stichwort Geschlecht. So auch BVerfGE 147, 1 (29) = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16, Rn. 61. BR-Drs. 225/18. Plenarprotokoll des Bundesrates 968 v. 8. 6. 2018, S. 167. BR-Drs. 225/1/18. Plenarprotokoll des Bundesrates 969 v. 6. 7. 2018, S. 214.

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

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d) Die weiteren persönlichen und identitätsstiftenden Merkmale des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG Neben der geschlechtlichen Identität der Person schützt Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG auch vor Ungleichbehandlungen aufgrund von Abstammung, Rasse, Sprache, Heimat und Herkunft sowie des Glaubens, der religiösen und der politischen Anschauungen. Diese Merkmale weisen schon deshalb einen grundsätzlichen Identitätsbezug auf, weil sie persönliche Eigenschaften der Person sind. aa) Glaube, religiöse und politische Anschauung Die über diesen Zusammenhang hinausgehende spezifische Rolle des Glaubens und der religiösen Anschauungen für die individuelle Identität wurde bereits im Rahmen des Art. 4 GG thematisiert.592 Glaube und religiöse Anschauung können konstitutive Sinnentwürfe für den Einzelnen bereithalten. Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG schützt den Einzelnen vor Ungleichbehandlungen aufgrund des Habens eines Glaubens und religiöser Anschauungen und vermittelt auf diese Weise einen Schutz der religiösen Identität als Teilidentität. Das Verbot einer Ungleichbehandlung wegen der politischen Anschauungen der Person ist eng verknüpft mit der politischen Identität der Person.593 bb) Abstammung und Rasse Abstammung meint die natürliche biologische Beziehung eines Menschen zu seinen Vorfahren.594 Wie bereits oben gezeigt595, ist diese Abstammung eines Menschen identitätsstiftend. Ihr Schutz vor Ungleichbehandlung wirkt daher identitätsschützend. Das Verbot der Ungleichbehandlung aufgrund der Rasse schützt vor Ungleichbehandlungen, die an wirkliche oder vermeintliche Rassemerkmale, die biologisch vererbbar sind, anknüpfen.596 Geschützt werden soll insbesondere vor Vorurteilen, die mit der Rasse in Verbindung stehen.597

592

Siehe dazu unter E. II. 9. e) aa). Siehe dazu unter E. II. 9. i). 594 BVerfGE 9, 124, 128; W. Heun, in: Dreier, Bd. I, Art. 3 Rn. 128; H. D. Jarass, in: ders./ Pieroth, Art. 3 Rn. 139. 595 Siehe dazu unter E. II. 1. d) dd). 596 W. Heun, in: Dreier, Bd. I, Art. 3 Rn. 129; H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 3 Rn. 140; U. Kischel, in: Epping/Hillgruber, Art. 3 Rn. 223; W. Rüfner, in: BK-GG, Art. 3 Abs. 2 und 3 Rn. 830. 597 W. Heun, in: Dreier, Bd. I, Art. 3 Rn. 129; kritisch zum Merkmal der Rasse S. Baer/ N. Markard, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 7. Auflage 2018, Bd. I, Art. 3 Abs. 3 Rn. 471 – 474. 593

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

cc) Sprache Das Merkmal der Sprache schützt vor Diskriminierungen aufgrund der Sprache. Unter den Schutz des Art. 3 Abs. 1 S. 1 GG fallen Muttersprachen598 und auch Dialekte599. Sprachen sind identitätsprägend.600 Sowohl die Muttersprache als auch der Dialekt einer Person sind eng verknüpft mit der Heimat der Person. Freilich kann eine Person einen von seiner Heimat unabhängigen Dialekt erlernen. Aber auch dieser Wunsch oder Wille zum Erlernen eines neuen Dialekts ist Ausdruck der Identität des Einzelnen und sei es des Wunsches nach einer Veränderung der eigenen Identität. Sie offenbart die Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer sprachlichen Gruppe oder auch sprachlichen Minderheit. Sprache ist auch als Instrument der Meinungsäußerung zu sehen. Sie ist auch Instrument für die Teilhabe der Person in ganz vielen und unterschiedlichen Lebens- und Gesellschaftsbereichen. So kann eine Person einer kulturellen oder politischen Veranstaltung nur in einer von ihr beherrschten Sprache zur Gänze folgen und an Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren nur effektiv teilnehmen, wenn die Amtssprache beherrscht wird.601 Die Muttersprache einer Person ist von besonderer Bedeutung für die individuelle Identität. Sie ist eng verbunden mit der Herkunft einer Person und die Sprache, in welcher das Individuum in seine „geistige Welt“ hineinwächst602 und in der es lernt, sich auszudrücken und mitzuteilen. Sprache ist damit Ausdruck der eigenen Identität. dd) Herkunft Das Merkmal Herkunft betrifft die „ständisch-soziale Abstammung und Verwurzelung“603 der Person und hebt damit vor allem auf die soziale Stellung der Eltern und gerade nicht auf die eigene Lebenssituation ab604. Das Verbot einer Ungleichbehandlung wegen der Herkunft zielt auf Chancengleichheit und eine soziale

598 S. Boysen, in: v. Münch/Kunig, Bd. I, Art. 3 Rn. 179; M. Sachs, in: Isensee/Kirchhof, HStR3 III, § 182 Rn. 45. 599 M. Eckertz-Höfer, in: AK-GG, Bd. 1, Art. 3 Rn. 117; J. Englisch, in: Stern/Becker, Art. 3 Rn. 80; L. Osterloh/A. Nußberger, in: Sachs, Art. 3 Rn. 298; S. Baer/N. Markard, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 7. Auflage 2018, Bd. I, Art. 3 Abs. 3 Rn. 485. 600 S. Baer/N. Markard, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 7. Auflage 2018, Bd. I, Art. 3 Abs. 3 Rn. 484; L. Osterloh/A. Nußberger, in: Sachs, Art. 3 Rn. 298. Zum landesverfassungsrechtlichen Schutz sprachlicher Minderheiten siehe unter E. II. 18. d). 601 M.-Th. Tinnefeld, S. 7 f. 602 M.-Th. Tinnefeld, S. 5. 603 BVerfGE 5, 17 (22); 23, 258 (262); 48, 281 (287 f.); BVerwGE 106, 191 (194); zum landesverfassungsrechtlichen Herkunftsschutz siehe unter E. II. 18. d). 604 W. Heun, in: Dreier, Bd. I, Art. 3 Rn. 132; H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 3 Rn. 143.

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

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Durchlässigkeit ab.605 Dies bietet dem Einzelnen Schutz vor an dessen soziale Abstammung anknüpfende Fremdbilder. Die bremische (Art. 2 Abs. 2 Var. 8 BremVerf) und die thüringische Landesverfassung (Art. 2 Abs. 3 Var. 4 ThürVerf) enthalten mit der sozialen Stellung ein weiteres und von den Merkmalen des Art. 3 Abs. 3 GG abweichendes606 und identitätsbezogenes Merkmal. Demnach ist eine Ungleichbehandlung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht der Gesellschaft607 verfassungsrechtlich verboten. Anders als das Merkmal der Herkunft, das die soziale Stellung der Vorfahren umfasst608, knüpfen Art. 2 Abs. 2 Var. 8 BremVerf und Art. 2 Abs. 3 Var. 4 ThürVerf an die Lebensumstände der Person selbst609 und nicht die ihrer Vorfahren an. Damit stellen beide Landesverfassungen das Individuum selbst und unabhängig von der sozialen Stellung seiner Vorfahren unter den Schutz des Gleichbehandlungsgebots. Durch das Verbot der Ungleichbehandlung aufgrund der sozialen Stellung des Individuums wird eine von der sozialen Stellung unabhängige Chancengleichheit angestrebt, die wiederum für eine von der sozialen Stellung entkoppelten Entwicklungsmöglichkeit der Persönlichkeit der einzelnen Person streitet. Die bremische Landesverfassung enthält neben dem Ungleichbehandlungsverbot aufgrund der sozialen Stellung (Art. 2 Abs. 2 Var. 8 BremVerf) ein Recht auf gleiche wirtschaftliche und kulturelle Entwicklungsmöglichkeiten in Art. 2 Abs. 1 BremVerf. Es handelt sich dabei um ein Recht auf soziale Chancengleichheit, das strukturellen und gesellschaftlichen Hindernissen für die tatsächliche Ausübung der Persönlichkeitsrechte entgegenwirken soll.610 Nach Wortlaut und systematischer Stellung der Norm ist von einem (sozialen) Grundrecht auszugehen, dem aber im Hinblick auf die Bindung des Staates „vor allem eine objektiv-rechtliche Komponente“611 zu entnehmen sein soll. Richtig ist, dass soziale Grundrechte stets unter einem Möglichkeitsvorbehalt stehen. Für die Identitätsbildung des Menschen ist Art. 2 Abs. 1 Var. 8 BremVerf dennoch von Bedeutung, zumal die Norm – sei es als einklagbares Recht oder über die objektiv-rechtliche Bindung der drei Staatsge605 M. Eckertz-Höfer, in: AK-GG, Bd. 1, Art. 3 Rn. 120; J. Englisch, in: Stern/Becker, Art. 3 Rn. 82; W. Heun, in: Dreier, Bd. I, Art. 3 Rn. 132; Chr. Langenfeld, in: Maunz/Dürig, Art. 3 Abs. 3 Rn. 60; W. Rüfner, in: BK-GG, Art. 3 Abs. 2 und 3 Rn. 845, Chr. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 6. Auflage 2010, Bd. I, Art. 3 Abs. 3 Rn. 401; vgl. S. Baer/N. Markard, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 7. Aufl. 2018, Bd. I, Art. 3 Abs. 3 Rn. 502; vgl. M. Sachs, in: Isensee/Kirchhof, HStR3 VIII, § 182 Rn. 49. 606 A. A. Th. Spitta, Art. 2 Abs. 2, der die soziale Stellung auch von Art. 3 Abs. 1 GG umfasst sieht. 607 P. Sperlich, in: Fischer-Lescano/Rinken/Buse et al., Art. 2 Rn. 10; J. Linder, in: Linck/ Baldus/Lindner et al., Art. 2 Rn. 22. 608 J. Linder, in: Linck/Baldus/Lindner et al., Art. 2 Rn. 22 mit Verweis auf BVerfGE 48, 281 (287 f.). 609 P. Sperlich, in: Fischer-Lescano/Rinken/Buse et al., Art. 2 Rn. 10. 610 P. Sperlich, in: Fischer-Lescano/Rinken/Buse et al., Art. 2 Rn. 8. 611 Insoweit unentschlossen P. Sperlich, in: Fischer-Lescano/Rinken/Buse et al., Art. 2 Rn. 8.

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

walten – die Persönlichkeitsentwicklung des Individuums gegen die Auswirkungen sozialer Ungleichheiten durch wirtschaftliche und kulturelle Entwicklungsmöglichkeiten zu schützen versucht. ee) Heimat Als weiteres Merkmal des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG schützt die Heimat die „örtliche Herkunft eines Menschen nach der Geburt oder Ansässigkeit im Sinne der emotionalen Beziehung zu einem geografisch begrenzten […] Raum“612. Dabei sei dieser Raum für den Einzelnen „mitprägend“.613 Dies deutet schon an, dass Heimat einer von vielen Faktoren ist, die die Identität des Menschen prägen. In diesem Sinne ist Heimat ein identitätsstiftender und soziokultureller Zusammenhang, der frei gewählt wird und einen territorialen Bezug aufweist.614 Heimat ist etwas Gefühlsbetontes und bezeichnet eine emotionale Bindung615, die enger ist als die Bindung zu einem bloßen Aufenthaltsort616. Entsprechend des Prozesscharakters der Identitätsbildung617 ist Identität vergangenheits-, gegenwarts- und zukunftsbezogen. Auch Heimat kann, je nach geografischer Verortung und Verwurzelung, eine, mehrere oder alle drei Phasen für den Einzelnen enthalten. Heimat kann also vergangenheits-, gegenwarts- und zukunftsbezogen sein. So ist in Fällen, in denen Heimat für eine Person besonders eng mit ihrer Herkunft verknüpft ist, Heimat unter Umständen etwas vor allem Vergangenheitsbezogenes. Der zeitliche Bezug von Heimat ist aber sehr individuell und einzelfallabhängig. In jedem Fall ist die emotionale Bindung zur Heimat, wie auch immer sie aussehen mag, identitätsstiftend.618 Heimat hat gewiss nicht für jede Person denselben Stellenwert und dieselben Eigenschaften. Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass das territoriale Umfeld, in dem eine Person aufwächst beziehungsweise beheimatet ist, die Identität dieser Person prägt, zumal mit Heimat Mannigfaltiges verknüpft werden kann. Heimat hat eine materielle und emotionale Seite. Zum einem können mit der Heimat mobile und immobile Besitztümer verbunden sein. Vermögen und Einkommen können, auch in der heutigen mobilen Arbeitswelt, heimatbezogen sein. Auf der anderen Seite ist sind heimatliche Geborgenheit und emotionale Verbundenheit mit der Heimat etwas Emotionales. Gerade die emotionale Verbundenheit mit der Heimat ist besonders identitätsstiftend.619

612

BVerfGE 102, 41 (53). BVerfGE 102, 41 (53). 614 B. Kunzmann, in: Baumann-Hasske/Kunzmann, Art. 5 Rn. 8. 615 K. Müller, in: ders., Art. 5, S. 80. 616 K. Müller, in: ders., Art. 5, S. 80. 617 Siehe dazu unter B. III. 2. 618 So auch E. Lippmann, S. 49 ff.; S. Baer/N. Markard, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 7. Auflage 2018, Bd. I, Art. 3 Abs. 3 Rn. 497. 619 So auch D. Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, HStR2 VIII, § 201 Rn. 40. 613

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

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Flankiert wird der Schutz vor Ungleichbehandlung aufgrund der Heimat aus Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG durch heimatschützende Regelungen der Verfassung des Landes Baden-Württemberg (BaWüVerf), der Verfassung des Freistaates Sachsen (SäVerf) sowie der Niedersächsischen Verfassung (NDSVerf). Ein Recht auf Heimat ist grundrechtlich620 in Art. 2 Abs. 2 BaWüVerf und Art. 5 Abs. 1 S. 2 SäVerf explizit normiert.621 Geschützt wird der „gelebte Zusammenhang von Menschen“622. Nach Art. 2 Abs. 2 BaWüVerf bekennt sich das Volk von BadenWürttemberg zu einem unveräußerlichen Menschenrecht auf die Heimat. Historisch gesehen steht die Regelung im Zusammenhang mit der Eingliederung der Heimatvertriebenen des Zweiten Weltkriegs.623 Art. 2 Abs. 2 BaWüVerf war Vorbild für die Sächsische Verfassung624, nach deren Art. 5 Abs. 1 S. 2 das Land Sachsen das Recht auf die Heimat anerkennt. Durch die Formulierung „die“ Heimat in beiden Regelungen wird eine bestimmte und selbstgewählte625 Heimat in den Schutzbereich einbezogen. Damit rückt die Entscheidung des Individuums über den geografischen Ort der Heimat in den Fokus der Regelung. Im inhaltlichen Zusammenhang mit dem Recht auf Heimat steht Art. 72 NDSVerf.626 Art. 72 Abs. 2 NDSVerf bestimmt, dass die durch die Schaffung des Landes Niedersachsen überkommenen heimatgebundenen Einrichtungen627 der ehemaligen Länder Hannover, Oldenburg, Braunschweig und Schaumburg-Lippe dem heimat620

Für Baden-Württemberg B. Kunzmann, in: Baumann-Hasske/Kunzmann, Art. 5 Rn. 6; P. Chr. Fischer, S. 106; a. A. K. Braun, Art. 2 Rn. 13; wohl auch A. Hollerbach, in: Feuchte, Art. 2 Rn. 29; J. H. Eisert, S. 245. Für Sachsen K. Müller, in: ders., Art. 5, S. 80; a. A. B. Kunzmann, in: Baumann-Hasske/Kunzmann, Art. 5 Rn 10; M. Pallek, S. 590; D. Hahn, S. 159; Th. Rincke, S. 87; Th. Mann, in: Merten/Papier, Bd. VIII, § 241 Rn. 85. 621 Zur Gesetzgebungshistorie V. Schimpff/C. J. Partsch, LKV 1994, S. 47 ff. Teilweise wird Art. 11 GG als Recht auf Heimat bezeichnet: A. Randelzhofer, in: BK-GG, Art. 11 Rn. 55 ff.; S. Baer, NVwZ 1997, S. 27 (28). 622 A. H. Stopp, in: Ellwein/Grimm/Hesse/Schuppert, S. 27. 623 A. Hollerbach, in: Feuchte, Art. 2 Rn. 27; M. Schröder, in: Merten/Papier, Bd. VIII, § 245 Rn. 28 m. w. N.; vgl. M. Strohs, in: Haug, Art. 2 Rn. 32. 624 B. Kunzmann, in: Baumann-Hasske/Kunzmann, Art. 5 Rn. 6; P. Chr. Fischer, S. 106. 625 O. Kimminich, S. 19; ders., in: Blumenwitz/v. Mangoldt, S. 40; Th. Rincke, S. 88; F. du Buy, S. 29; A. Hollerbach, in: Feuchte, Art. 2 Rn. 26. 626 Zur Historie der Norm W. Weber, Neues Archiv für Niedersachsen 1962/1963, S. 178 (183 ff.). 627 Auflistung der Einrichtungen bei H. Butzer, in: Epping/Butzer, Art. 72 Rn. 38 ff.; W.-R. Reinicke, S. 393 ff. Laut Beschl. v. 10. 12. 1952 (MBl. S. 612) und Beschl. v. 10. 8. 1954 (MBl. S. 383) sind dies das Landesmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte Oldenburg, das Museum für Naturkunde und Vorgeschichte Oldenburg (inzwischen Landesmuseum für Natur und Mensch), die Landesbibliothek Oldenburg, das Oldenburgische Staatstheater, das Staatsarchiv Oldenburg, das Siedlungsamt Oldenburg, das Braunschweigische Landesmuseum für Geschichte und Volkstum, das Naturhistorische Museum Braunschweig, das Braunschweigische Staatstheater, das Staatsarchiv Wolfenbüttel und das Landesgestüt Bad Harzburg, welches nach der Konzentration der Pferdezucht beim Landgestüt Celle als solches nicht mehr betrieben wird (vgl. Niedersächsischer Landtag Drucksache 17/5962).

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

lichen Interesse grundsätzlich dienstbar zu machen sowie zu erhalten sind. Diese Erhaltungsgarantie628 dient dem Erhalt der kulturellen und geschichtlich gewachsenen Eigenarten der ehemaligen Länder in institutioneller Hinsicht629 und schützt diese Einrichtungen vor Änderung oder gar Aufhebung630. Art. 72 Abs. 2 NDSVerf dient damit der Traditionsbewahrung631. Es handelt sich um eine institutionelle Garantie.632 Dem Ziel der Traditionsbewahrung dient auch Art. 72 Abs. 1 NDSVerf, der das Land verpflichtet, die kulturellen und historischen Belange der ehemaligen Länder zu wahren und zu fördern. Die nach Abs. 1 zu schützenden Belange sind solche, die identitätsstiftend wirken, wie zum Beispiel Bräuche und Sprache.633 Durch Art. 72 Abs. 1 NDSVerf wird kein individueller Anspruch des Einzelnen begründet. Teilweise wird die Regelung für nicht einmal justiziabel gehalten.634. Sowohl die Wahrung und Förderung nach Abs. 1 als auch die institutionelle Erhaltungsgarantie des Abs. 2 der Norm dienen der Integration der Einzelidentitäten der ehemaligen Länder.635 Die von Art. 72 Abs. 2 NDSVerf geschützten Einrichtungen und die von Art. 72 Abs. 1 NDSVerf angesprochenen Belange der ehemaligen Länder sind als solche nicht individualbezogen. Art. 72 NDSVerf stellt nicht Individualrechte unter Schutz. Für die Identität des Einzelnen ist Art. 72 NDSVerf damit nicht von unmittelbarer Bedeutung. In speziell gelagerten Einzelfällen, in denen sich die individuelle Identität aus einer Verbundenheit mit einer von Art. 72 Abs. 1 NDSVerf umfassten Einrichtung speist, kann sich ein mittelbarer und indirekter sowie von der jeweiligen Institution abgeleiteter Identitätsbezug ergeben. Gleiches gilt für Art. 72 Abs. 2 NDSVerf. Auch hier ergibt sich ein höchstens mittelbarer Bezug zur individuellen Identität in speziell gelagerten Einzelfällen, in denen sich die individuelle Identität aus einem kulturellen oder historischen Belang der ehemaligen Länder – wie beispielsweise einem bestimmten Brauch – speist. ff) Der ausdrückliche Schutz sexueller Identität und sexueller Orientierung im Landesverfassungsrecht In gleichheitsrechtlicher Hinsicht erwähnenswert ist der Schutz sexueller Identität beziehungsweise sexueller Orientierung, die in den Gleichheitsrechten einiger Landesverfassungen als besonderes Diskriminierungsverbot aufgenommen wurden. 628 629 630 631 632 633 634 635

Niedersächsischer StGHE 1, 120, (134, 137 f.); B. Rebe, in: Korte/Rebe, S. 137. L. Hagebölling, Art. 72, S. 252. W. Weber, Neues Archiv für Niedersachsen 1962/1963, S. 178 (185). H. Butzer, in: Epping/Butzer, Art. 72 Rn. 14. W. Weber, Neues Archiv für Niedersachsen 1962/1963, S. 178 (185 f.). H. Butzer, in: Epping/Butzer, Art. 72 Rn. 18. W. Weber, Neues Archiv für Niedersachsen 1962/1963, S. 178 (185). Ähnlich H. Butzer, in: Epping/Butzer, Art. 72 Rn. 15.

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

163

So bieten die speziellen Differenzierungsverbote aus Art. 10 Abs. 2 Verfassung von Berlin (BLNVerf), Art. 12 Abs. 2 Brandenburgische Verfassung (BbgVerf), Art. 12 Abs. 3 Verfassung des Saarlandes (SaarVerf)636 und Art. 2 Abs. 2 BremVerf637 Schutz vor Ungleichbehandlung, das heißt Schutz sowohl vor Bevorzugung als auch vor Benachteiligung, aus Gründen der sexuellen Identität. Die landesverfassungsrechtlichen Bestimmungen enthalten mit der sexuellen Identität ein über Art. 3 Abs. 3 S.1 GG hinausgehendes Merkmal.638 Motiv der Aufnahme der sexuellen Identität war der Schutz Homosexueller.639 Art. 2 Abs. 3 ThürVerf schützt vor Benachteiligung aus Gründen der sexuellen Orientierung. Der Begriff der sexuellen Orientierung ist spezifischer als der der sexuellen Identität640 und umfasst beispielsweise Homosexualität, Transsexualität und Bisexualität641. Demgegenüber sei der Begriff der sexuellen Identität weiter gefasst und meint das geschlechtliche Selbstverständnis des Menschen.642 Dabei soll der Begriff der sexuellen Identität über die Homosexualität hinausgehen und die sexuelle Identität des Menschen umfassend im Sinne seiner sexuellen Selbstidentifikation schützen.643 Weder die sexuelle Identität noch die sexuelle Orientierung wurde bislang ausdrücklich in Art. 3 Abs. 3 GG aufgenommen.644 Die Aufnahme der sexuellen Identität in das Grundgesetz wurde in der Gemeinsamen Verfassungskommission im Juni 1993 diskutiert. 27 Vertreter stimmten für die Aufnahme und verwiesen auf den gesellschaftlichen Wandel sowie den Persönlichkeitsschutz und den Abbau von Nachteilen, während 22 Vertreter den Schutz insbesondere homosexueller Menschen 636 Die sexuelle Identität wurde im Jahr 2011 durch Gesetz v. 13. 4. 2011 (Amtsbl. I S. 210) eingefügt. 637 Die sexuelle Identität wurde im Jahr 2001 durch Gesetz v. 4. 9. 2001 (Brem.GBl. S. 279) eingefügt, nachdem zuvor Berlin, Brandenburg und Thüringen eine entsprechende Änderung vorgenommen hatten. Es handelt sich damit nicht um eine spezifisch berlinerische Regelung (so aber Th. Siegel/Chr. Waldhoff, Rn. 62). 638 Diese Besonderheit verkennt für die saarländische Verfassung scheinbar Chr. Gröpl, in: ders./Gucklberger/Wohlfarth, § 1 Rn. 183. 639 Für Berlin K.-J. Stöhr, in: Pfennig/Neumann, Art. 10 Rn. 16 mit Verweis auf M. Finkelnburg, S. 111 zum Merkmal sexueller Orientierung in der Verfassung von Ostberlin. Für Brandenburg M. Sachs, in: Simon/Franke/Sachs, § 5 Rn. 32. 640 So i. E. auch Bericht des nichtständigen Ausschusses gem. Art. 125 der Landesverfassung – Änderung von Art. 2 Abs. 2 LV, Bremische Bürgerschaft (Landtag), Drs. 17/723, S.1 für die Wahl des Begriffs „Identität“ gegenüber „Orientierung“. 641 J. Lindner, in: Linck/Baldus/Lindner et al., Art. 2 Rn. 23. 642 K.-J. Stöhr, in: Pfennig/Neumann, Art. 10 Rn. 16, Th. Siegel/ Chr. Waldhoff, Rn. 62; P. Sperlich, in: Fischer-Lescano/Rinken/Buse et al., Art. 2 Rn. 11; H.-J. Driehaus, in: ders.; Art. 10 Rn. 16. 643 S. J. Iwers, in: Lieber/Iwers/Ernst, S. 150; ähnlich M. Sachs, in: Simon/Franke/Sachs, § 5 Rn. 32. 644 A. A. wohl M. Brenner, in: Merten/Papier, Bd. VIII, § 260 Rn. 61, der in Art. 2 Abs. 3 ThürVerf keine grundsätzlichen Unterschiede gegenüber dem GG sieht. Zu einer dementsprechenden Bundesratsinitiative siehe unter E. II. 12. c).

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

durch Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG und der Rechtsprechung des BVerfG und einfachem Recht als ausreichend ansahen.645 Der einzelne Grundrechtsberechtigte wird durch die genannten besonderen Diskriminierungsverbote des Landesverfassungsrechts vor Ungleichbehandlungen aufgrund der sexuellen Identität beziehungsweise vor Benachteiligungen aufgrund der sexuellen Orientierung geschützt. Dieser Schutz ist kein mittelbarer oder von einem Kollektiv abgeleiteter Schutz. Vielmehr steht das Individuum im Zentrum der genannten landesverfassungsrechtlichen Diskriminierungsverbote. Gewährt wird ein subjektiver Abwehranspruch646 gegen Ungleichbehandlung aus Gründen der sexuellen Identität beziehungsweise Benachteiligung aufgrund der sexuellen Orientierung.

13. Identitätsschützende Gehalte des Verbots der Benachteiligung wegen einer Behinderung, Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG beinhaltet ein striktes Benachteiligungsverbot647 zugunsten behinderter Menschen. Die Norm bezweckt eine Stärkung der Stellung behinderter Menschen in Recht und Gesellschaft.648 Der Staat wird verpflichtet, auf eine gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen hinzuwirken.649 Damit wird ähnlich wie bei Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG die Benachteiligung aufgrund einer persönlichen Eigenschaft verfassungsrechtlich verboten, wobei in Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG der Gleichstellungsgedanke noch greifbarer ist. Das Benachteiligungsverbot dient dazu, dass behinderte Menschen die ihnen trotz ihrer Behinderung verbliebene Handlungsfähigkeit nutzen können.650 Jedes Tun und Unterlassen, das der Einzelne im Rahmen seiner Handlungsfreiheit unternimmt, kann einen Identitätsbezug aufweisen.651 Die handlungsbasierten Erfahrungen fließen in die Identitätsbildung ein. Der Schutz der bestmöglichen Nutzung verbliebener Handlungsfähigkeit bei bestehender Behinderung dient insoweit dem Prozess der Identitätsbildung.

645

BT-Drs. 12/6000, S. 54. R. Wendt, in: ders./Rixecker, Art. 12 Rn. 25; H.-J. Driehaus, in: ders., Art. 10 Rn. 3; S. J. Iwers, in: Lieber/Iwers/Ernst, S. 145; P. Sperlich, in: Fischer-Lescano/Rinken/Buse et al., Art. 2 Rn. 5; J. Lindner, in: Linck/Baldus/Lindner et al., Art. 2 Rn. 1, 7. 647 W. Heun, in: Dreier, Bd. I, Art. 3 Rn. 135. 648 BT-Drs.12/8165, S. 28 f. 649 H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 3 Rn. 160; W. Rüfner, in: BK-GG, Art. 3 Abs. 2 und 3 Rn. 884; vgl. U. Kischel, in: Epping/Hillgruber, Art. 3 Rn. 237, 237.1; a. A. J. Englisch, in: Stern/Becker, Art. 3 Rn. 100, vgl. S. Baer/N. Markard, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 7. Aufl. 2018, Bd. I, Art. 3 Abs. 3 Rn. 543. 650 Für die UN-Behindertenrechtskonvention R. Pitschas, in: FS für Jarass, S. 89 (95). 651 Siehe dazu unter E. II. 4. b). 646

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

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Zudem bedeutet ein Abbau von Benachteiligung aufgrund einer Behinderung auch immer einen Zugewinn an sozialer und wirtschaftlicher Teilhabe. Damit kann die Identitätsentwicklung behinderter Personen nicht nur innerlich stattfinden, sondern sich auch nach außen richten und die Identitätsbildung zum dialogischen Prozess nicht bloß mit sich selbst und dem nächsten Umfeld, sondern einem breiteren sozialen Raum und einer größeren Umwelt werden lassen. Dem Benachteiligungsverbot aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG kommt daher eine wesentliche Funktion für den Identitätsschutz behinderter Menschen zu.

14. Die Rolle der Gleichstellungsklausel für den Schutz individueller Identität, Art. 3 Abs. 2 GG Art. 3 Abs. 2 S. 1 GG hält fest, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sind. S. 2 der Norm verpflichtet den Staat zur Förderung der tatsächlichen Durchsetzung dieser Gleichberechtigung und zum Hinwirken auf die Beseitigung bestehender Nachteile. Die inhaltliche Reichweite der Gleichstellungsklausel ist unklar. Ansichten hierzu reichen von der Annahme der Garantie einer rechtlichen, aber nicht tatsächlichen Gleichheit von Mann und Frau als Staatsziel durch Art. 3 Abs. 2 S. 1 GG652 bis hin zu einer extensiven Auslegung, die von einem Fördergebot ausgeht, das auf die Gleichstellung allein von Frauen in Wirtschaft und Gesellschaft abziele und Differenzierungen in diesem Sinne ungeachtet des Art. 3 Abs. 3 GG zulasse.653 Vereinzelt wird sogar noch weiter gegangen und Art. 3 Abs. 2 GG eine tatsächliche654 und weitgehende Parität der Geschlechter entnommen.655 Die Reichweite hat keine wesentliche Bedeutung für den Identitätsschutz. Für die Frage des Schutzes individueller Identität durch Art. 3 Abs. 2 GG ist insbesondere relevant, ob die Norm einen Gruppen- oder Individualschutz vorsieht. Die Formulierung deutet mit der Adressierung von „Männern und Frauen“ zunächst auf einen Gruppenbezug der Norm hin.656 Gerade im Vergleich mit Art. 3 Abs. 3 GG, der deutlich den Einzelnen in den Fokus nimmt und ihn vor Ungleichbehandlungen schützen will, wird klar, dass Art. 3 Abs. 2 GG Männer und Frauen als Gruppen adressiert, während Art. 3 Abs. 3 GG das Individuum deutlich fokussiert.657 Dies 652 S. Boysen, in: v. Münch/Kunig, Bd. I, Art. 3 Rn. 162; Chr. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, 6. Aufl. 2010, Bd. I, Art. 3 Abs. 2 Rn. 309 ff. 653 M. Eckertz-Höfer, in: AK-GG, Bd. 1, Art. 3 Rn. 41 f., 77 ff. 654 S. Baer/N. Markard, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 7. Aufl. 2018, Bd. I, Art. 3 Abs. 2 Rn. 355, 366. 655 V. Slupnik, S. 86 – 98. 656 U. Sacksofsky, S. 319; G. Robbers, DÖV 1988, S. 749 (753). 657 A. A. für Art. 3 Abs. 2 S. 1 GG wohl S. Baer/N. Markard, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 7. Aufl. 2018, Bd. I, Art. 3 Abs. 2 Rn. 356.

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

spricht dafür, Art. 3 Abs. 2 GG abweichend von Art. 3 Abs. 3 GG nicht als Differenzierungsverbot, sondern als Dominierungsverbot auszulegen. Dominierungsverbote bezwecken die Verhinderung nachteiliger Auswirkungen von Regelungen auf bestimmte Gruppen. Es handelt sich dabei um eine gruppenbezogene Sichtweise, die die gesellschaftliche Wirklichkeit mit einbezieht.658 In diesem Sinne verbietet Art. 3 Abs. 2 GG Regelungen, welche die Frauen nachteilig behandeln.659 Das einzelne Gruppenmitglied (Frau) erfährt dabei über die gruppenbezogene Sicht (Frauen) Schutz vor Nachteilen, die an die Gruppenzugehörigkeit geknüpft sind. In diesem Sinne dient Art. 3 Abs. 2 GG dem Schutz der individuellen Identität insoweit, als dass Nachteile, die allein aus der von der Person in der Regel nicht zu beeinflussenden Zugehörigkeit zu einer Gruppe folgen und dem Einzelnen den Raum für individuelle Entwicklung nehmen, zu beseitigen sind. Damit öffnen sich Möglichkeiten für die Entwicklung des Individuums, zumal die einzelne Person mit ihren Eigenschaften und Fähigkeiten in den Vordergrund rückt, wenn von gruppenspezifischen Zuschreibungen und Fremdbildern abgewichen wird. Auch spielt für die Frage des Identitätsschutzes das Verhältnis von Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG zu Art. 3 Abs. 2 GG eine Rolle. Eine Ansicht geht von gleichen Schutzzwecken des Merkmals Geschlecht aus Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG und der Gleichstellungsklausel aus.660 Beide Normen dienten der Gleichberechtigung von Mann und Frau und daher spreche vieles für die Annahme eines einheitlichen Grundrechts.661 Dagegen spricht jedoch, dass der Gesetzgeber mit Art. 3 Abs. 3 GG explizit den Schutz vor Ungleichbehandlungen aufgrund des Geschlechts normiert und in Art. 3 Abs. 2 GG ausdrücklich eine Gleichberechtigung fordert. Zwar besteht zwischen diesen beiden Varianten ein faktischer Zusammenhang dahingehend, dass eine Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts auch dem Prinzip der Gleichstellung der Geschlechter widerspricht. Dennoch sind die Schutzrichtungen der Normen nicht identisch. Der Begriff der Gleichstellung ist umfassender als der der Ungleichbehandlung. Beide Normen haben demnach eine eigenständige Bedeutung.662 Art. 3 Abs. 3 GG schützt die Person vor Ungleichbehandlungen aufgrund des Geschlechts während Art. 3 Abs. 2 GG auf eine Gleichberechtigung der Geschlechter ausgerichtet ist. Gleichberechtigung in diesem Sinne meint gerade im Vergleich zu Art. 3 Abs. 3 GG eine Verpflichtung des Staates auf das Hinwirken auf Chancengleichheit.663 In diesem Sinne bewirkt sowohl eine rechtliche664 als auch eine tatsächliche665 658

U. Sacksofsky, S. 312 ff. W. Heun, in: Dreier, Bd. I, Art. 3 Rn. 103. 660 H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 3 Rn. 100, 138. 661 H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 3 Rn. 100; U. Kischel, in: Epping/Hillgruber, Art. 3 Rn. 183. 662 Für eine eigenständige Bedeutung des Art. 3 Abs. 2 GG gegenüber Art. 3 Abs. 3 GG BVerfGE 147, 1 (28 f.) = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16 Rn. 60. 663 J. Englisch, in: Stern/Becker, Art. 3 Rn. 93; W. Heun, in: Dreier, Bd. I, Art. 3 Rn. 103; A. Nußbeger, in: Sachs, Art. 3 Rn. 282; W. Rüfner, in: BK-GG, Art. 3 Abs. 2 und 3 Rn. 694 ff.; 659

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

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Gleichberechtigung für den einzelnen Mann einen von der Gruppe „Männer“ und für die einzelne Frau einen von der Gruppe „Frauen“ abgeleiteten Schutz der Gleichheit in den individuellen Entfaltungs- und Entwicklungschancen.

15. Identitätsschützende Gehalte des allgemeinen Gleichheitssatzes, Art. 3 Abs. 1 GG Der allgemeine Gleichheitssatz tritt in den Bereichen, in denen die speziellen Gleichheitssätze Anwendung finden, zurück.666 Sachbereiche wie die von Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG geschützte geschlechtliche Identität oder auch die sprachliche Identität des Individuums beurteilen sich demnach nicht nach Art. 3 Abs. 1 GG, sondern nach Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG. Art. 3 Abs. 1 GG enthält einen von besonderen Merkmalen der Person grundsätzlich losgelösten und auch in diesem Sinne allgemeinen Gleichheitssatz. Dieser schützt grundsätzlich vor Ungleichbehandlungen vergleichbarer Sachverhalte beziehungsweise Gleichbehandlung verschiedener Sachverhalte. Der allgemeine Gleichheitssatz wurde maßgeblich von der Rechtsprechung des BVerfG geprägt und entfaltet in dieser richterrechtlichen Prägung seine identitätsschützende Wirkung auf zwei Ebenen. a) Feststellung der Ungleichbehandlung Dies ist zum einen die Tatbestandsebene mit der Feststellung der Ungleichbehandlung. Zur Feststellung einer solchen Ungleichbehandlung wird zunächst die Vergleichbarkeit von Personen, Gruppen aber auch Sachverhalten geprüft. Eine solche Vergleichbarkeit ergibt sich bei Personen über deren gemeinsame Merkmale. Die in Art. 3 Abs. 3 GG genannten Merkmale sind identitätsstiftend. Bei ihnen handelt es sich aber keineswegs um die einzig denkbaren identitätsstiftenden persönlichen Merkmale. Wie die Untersuchung der identitätsschützenden Gehalte der Freiheitsgrundrechte gezeigt hat, ergeben sich aus der Vielzahl von Lebensbereichen des Individuums identitätsstiftende Merkmale. Deren Grad des Identitätsbezugs ist zwar natürlich einzelfallabhängig. Nichtsdestotrotz kann grundsätzlich jeder LeK. Schweizer, Der Gleichberechtigungssatz, S. 128 ff.; vgl. J. Kokott, NJW 1995, S. 1049 (1050); D. König, DÖV 1995, S. 837 (845). 664 J. Englisch, in: Stern/Becker, Art. 3 Rn. 92. 665 U. Sacksofsky, S. 320, die ausgehend vom Wortlaut der Norm von mehr als Rechtsgleichheit, nämlich dem Innehaben gleichen Status’ und gleicher Macht, ausgeht; BVerfGE 147, 1 (24) = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16 Rn. 50 mit Verweis auf BVerfGE 85, 191 (207). 666 S. Huster, in: Friauf/Höfling, Art. 3 Rn. 92; H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 3 Rn. 4; U. Kischel, in: Epping/Hillgruber, Art. 3 Rn. 2; M. Sachs, in: Isensee/Kirchhof, HStR3 VIII, § 182 Rn. 19.

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

bensbereich gemeinsame Merkmale von Personen hervorbringen, die zu einer Vergleichbarkeit im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG führen. Auch die für die Ungleichbehandlung erforderliche unterschiedliche Behandlung wird auf der Grundlage eines Differenzierungsmerkmals festgestellt. b) Bestimmung des Rechtfertigungsmaßstabs Ein anderer Anknüpfungspunkt für den Identitätsschutz bildet die Bestimmung des Prüfungsmaßstabs im Rahmen des Rechtfertigungsmaßstabs des allgemeinen Gleichbehandlungssatzes. Art. 3 Abs. 1 GG war vor einer Änderung der Rechtsprechung des BVerfG verletzt, wenn „eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen den beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie eine ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten“667. Nach dieser neuen Formel wurde an personenbezogene Ungleichbehandlungen ein strengerer Prüfungsmaßstab angelegt als an sachverhalts- oder verhaltensbezogene Ungleichbehandlungen, deren wesentlicher Maßstab das Willkürverbot bildete.668 Inzwischen ist die Differenzierung nach sachverhalts- und verhaltensbezogenen Ungleichbehandlungen auf der einen und personenbezogenen Ungleichbehandlungen auf der anderen Seite aufgegeben und der Maßstab um das Verhältnismäßigkeitsprinzip erweitert worden.669 In seiner jüngeren Rechtsprechung hat der Erste Senat des BVerfG die Bestimmung des Prüfungsmaßstabs für Ungleichbehandlungen durch Gesetz aber von einem anderen Kriterium abhängig gemacht. Nunmehr ist eine engere Bindung des Gesetzgebers anzunehmen in Fällen, in denen eine Differenzierung an Persönlichkeitsmerkmale anknüpft.670 Dabei verschärfen sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen in dem Maße, wie sehr sie der Beeinflussbarkeit oder der Verfügbarkeit671 des Individuums entzogen sind oder sich den Merkmalen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern672. Insofern finden die Schutzgedanken der Art. 3 Abs. 3 und Art. 2 Abs. 1 GG Niederschlag im allgemeinen Gleichheitssatz.673 Zu den Fällen, in denen sich ein personenbezogenes Merkmal den Merkmalen aus Art. 3 Abs. 3 GG annähert, zählen Fälle der sexuellen Identität der Person674 oder Fälle, in denen eine Ungleichbehandlung an die Staatsangehörigkeit der Person anknüpft675. 667

BVerfGE 55, 72 (88); 60, 123 (133 f.); vgl. BVerfGE 22, 387 (415); 52, 277 (280). BVerfGE 55, 72 (88 f.); 22, 387 (415); 52, 277 (280); 60, 123 (133 f.); G. Britz, NJW 2014, S. 346 (347). 669 Dazu G. Britz, NJW 2014, S. 346 (347 ff.). 670 BVerfGE 127, 263 (280). 671 BVerfGE 129, 49 (69); 130, 240 (254); 132, 179 (189); vgl. BVerfGE 88, 87 (96). 672 BVerfGE 88, 87 (96); 124, 199 (220); 129, 49 (69); 130, 240 (254); 132, 179 (189). 673 G. Britz, NJW 2014, S. 346 (348). 674 BVerfGE 124, 199 (220); 126, 400 (419); 131, 239 (256); 133, 59 (98). 668

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

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Damit hängt nunmehr die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG von persönlichen Merkmalen des Individuums ab. Die Tatsache, dass ein strengerer Maßstab für Ungleichbehandlungen, die in der Nähe der persönlichen und identitätsstiftenden Merkmale des Art. 3 Abs. 3 GG stehen und/oder vom Einzelnen nur schwer oder gar nicht zu beeinflussen sind, rückt den Gedanken des Identitätsschutzes in den Fokus des allgemeinen Gleichbehandlungssatzes.

16. Zwischenfazit zum gleichheitsrechtlichen Identitätsschutz Auch die von Art. 3 GG vermittelten Gleichheitsrechte tragen zum grundgesetzlichen Identitätsschutz bei. Kernstück des gleichheitsrechtlichen Identitätsschutzes bildet aufgrund der persönlichen Anknüpfung das Verbot von Ungleichbehandlungen aufgrund persönlicher Merkmale. Die berlinerische, saarländische, thüringische und bremische Landesverfassung enthalten jeweils von Art. 3 Abs. 3 GG abweichende und identitätsschützende Merkmale. Flankiert wird der gleichheitsrechtliche Identitätsschutz persönlicher Merkmale zum einen von der durch Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG vermittelten Gewährleistung von Handlungsfähigkeit zugunsten behinderter Menschen und zum anderen von der durch Art. 3 Abs. 2 GG anzustrebenden Gleichstellung der Geschlechter, die wiederum Chancengleichheit von Frauen und Männern vermittelt. Der allgemeine Gleichheitssatz sichert den Schutz individueller Identität für Fälle ab, in denen kein besonderer Gleichheitssatz einschlägig ist.

17. Die Bedeutung des grundrechtlich und grundrechtsähnlich gewährleisteten effektiven Rechtsschutzes und der Justizgrundrechte für den Schutz individueller Identität Zum Abschluss der Untersuchung identitätsschützender Gehalte des Grundgesetzes auf Grundrechtsebene bleibt noch die Rolle eines effektiven Rechtsschutzes für die individuelle Identität zu untersuchen. Art. 19 Abs. 4 GG sieht vor, dass demjenigen, der durch die öffentliche Gewalt in seinen subjektiven Rechten verletzt ist, der Rechtsweg offensteht. Es handelt sich bei der Rechtsweggarantie um ein prozessuales Grundrecht.676 Der Zugang zu den Gerichten erfährt in Fällen einer möglichen677 Verletzung subjektiver Rechte des 675 676 677

BVerfGE 130, 240 (255). M. Kloepfer, § 74 Rn. 2. H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 19 Rn. 35; M. Kloepfer, § 74 Rn. 21.

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

Individuums, auch aller identitätsschützenden Grundrechte, verfassungsrechtliche Absicherung. Daneben gewährt Art. 19 Abs. 4 GG nicht nur den Zugang zu den Gerichten, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes.678 Damit kommt Art. 19 Abs. 4 GG für die effektive Durchsetzung subjektiver Rechte – auch der identitätsschützenden Grundrechte – große Bedeutung zu. Der allgemeine Justizgewährleistungsanspruch garantiert einen effektiven Rechtsschutz in Fällen möglicher Rechtsverletzungen durch Private. Grundlage des allgemeinen Justizgewährleistungsanspruchs ist das Rechtstaatsprinzip. Auch in diesen Fällen sind von den (ordentlichen) Gerichten die Ausstrahlungswirkungen der Grundrechte – auch der identitätsschützenden Grundrechte – zu berücksichtigen. Flankiert werden die Rechtsweggarantie und der allgemeine Justizgewährleistungsanspruch von Art. 101 und 103 GG, die verfassungsrechtliche Vorgaben an die Organisation der Gerichte und die Ausgestaltung des Gerichtsverfahrens enthalten. Dem Verbot rückwirkender Bestrafung aus Art. 103 Abs. 2 GG und dem Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG kann neben ihrer allgemeinen verfahrenssichernden Funktion kein sehr spezifischer Bezug zum Schutz individueller Identität entlockt werden. Art. 103 Abs. 2 GG vermittelt dem Einzelnen zumindest die Sicherheit, dass er seine identitätsrelevanten Freiheiten innerhalb des strafrechtlich Zulässigen ausleben kann, ohne rückwirkend bestraft zu werden. Besonders im Bereich des Strafprozesses von Bedeutung ist das Verbot der Doppelbestrafung (Art. 103 Abs. 3 GG). Es weist Ähnlichkeiten mit dem aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleiteten Recht auf Neubeginn auf.679 Dieses enthält einen Anspruch auf Resozialisierung nach verbüßter Strafe und soll gerade vor Vorbelastungen beim Start in einen neuen Lebensabschnitt schützen. Diesem Ziel dient auch das Verbot der Doppelbestrafung insofern, indem es eine erneute Strafverfolgung aufgrund derselben Tat grundsätzlich ausschließt. Der Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG ist eine Konkretisierung der Menschenwürde680 für das gerichtliche Verfahren. Ausdruck der Subjektqualität des Menschen ist es, dass die einzelne natürliche Person durch Wortbeiträge im Prozess auf das Verfahren und dessen Ausgang Einfluss nehmen kann.681 Auch kann der einzelne Prozessbeteiligte durch seine Äußerungen dazu beitragen, dass seine (identitätsschützenden) Grundrechte ausreichend Eingang in den Prozess finden.682

678 BVerfGE 40; 272 (274 f.); 46, 166 (178 f.); 54, 94 (96 f.); 88, 118 (123); 93, 1 (13); 94, 166 (226); 67, 43 (58); 35, 263 (274); 35, 282 (401); 112, 185 (207); 113, 273 (310); 117, 244 (268); P. M. Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 7. Aufl. 2018, Bd. I, Art. 19 Abs. 4 Rn. 461 m. w. N., W.-R. Schenke, in: BK-GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 637. 679 Siehe dazu unter E. II. 1. d) cc). 680 BVerfGE 55, 1 (6); 63, 332 (337) m. w. N.; BGHZ 118, 312 (321) m. w. N. 681 BVerfGE 9, 89 (95); 107, 395 (409); vgl. BVerfGE 7, 53 (57); 7, 275 (279). 682 Vgl. M. Kloepfer, § 75 Rn. 35.

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

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18. Zur Rolle des landesverfassungsrechtlichen Minderheitenschutzes für die individuelle Identität Regelungen mit Identitätsbezug sind im Landesverfassungsrecht im Bereich des Minderheitenschutzes zahlreich vorhanden. Der landesverfassungsrechtliche Minderheitenschutz sichert die Pflege der Traditionen durch die Minderheitsangehörigen verfassungsrechtlich ab. Traditions- und Brauchtumspflege sind identitätsstiftend.683 Dies gilt sowohl für das Kollektiv, als auch für den einzelnen Angehörigen einer Minderheit.684 Minderheitenrecht ist klassischerweise Gruppenrecht.685 Grundsätzlich kann das Minderheitenrecht neben kollektiven Rechten auch Individualrechte verbürgen.686 Damit können die landesverfassungsrechtlichen Minderheitenschutznormen neben einem kollektiven Identitätsschutz grundsätzlich auch einen individuellen Identitätsschutz verbürgen. Dieser individuelle Identitätsschutz kann auf zwei Wegen aus den Minderheitenschutznormen folgen. Zum einen ist die Wirkung als Rechtsreflex denkbar. Rechtsreflex meint die tatsächliche Auswirkung einer rechtlichen Regelung.687 So wirkt sich die Gruppenidentität tatsächlich auf die individuelle Identität des einzelnen Gruppenmitglieds aus. Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe kann die Identität des einzelnen Mitglieds einer Gruppe beeinflussen, indem dieses an der Gruppenidentität teilnimmt. Allein die Zuordnung und die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe kann sich auf die Identität der Person als Gruppenmitglied auswirken. Ebenso Einfluss auf die Identität kann eine Ausgrenzung oder schlichte Nichtzugehörigkeit zu einer Gruppe haben. Mit einem kollektiv ausgestalteten Minderheitenschutzrecht ist somit per Rechtsreflex immer ein mittelbarer Schutz des einzelnen Kollektivmitglieds verbunden. Zum anderen ist eine rechtliche Wirkung zugunsten des Einzelnen möglich. Ob neben dieser tatsächlichen Wirkung zugunsten des einzelnen Gruppenmitglieds auch eine rechtliche Wirkung zugunsten des einzelnen Mitglieds besteht, ist anhand der Schutznormtheorie688 für die jeweilige Norm durch Auslegung zu ermitteln. Demnach sind die minderheitenschützenden Normen daraufhin zu untersuchen, ob sie zumindest auch Individualinteressen zu dienen bestimmt sind.

683 684 685 686 687 688

So auch A. Siegert, S. 78; vgl. Fr. Ebert, S. 96. Vgl. G. Britz, Kulturelle Rechte und Verfassung, S. 181, 209 – 216. D. Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, HStR2 VIII, § 201 Rn. 9. D. Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, HStR2 VIII, § 201 Rn. 9. G. Köbler, S. 354. S. Bendig, NJ 1998, S. 171.

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

a) Zum Minderheitenbegriff Klassischerweise wird im Völkerrecht bei Minderheiten zwischen ethnischen, nationalen, sprachlichen, kulturellen und religiösen Minderheiten unterschieden.689 Teilweise werden andere Begriffe für die Kategorien verwendet690, ohne aber inhaltlich wesentliche Unterschiede zu machen. In den Minderheitenschutznormen der Landesverfassungen wird von den Kategorien der nationalen und ethnischen Minderheit (Art. 18 Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern [MVVerf], Art. 5 Abs. 2 SäVerf, Art. 37 Abs. 1 und 2 Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt [LSAVerf]), nur der ethnischen Minderheit (Art. 17 Abs. 4 Verfassung für Rheinland Pfalz [RhPfVerf]) oder nur der nationalen Minderheit (Art. 6 Verfassung des Landes Schleswig-Holstein [SHVerf]) sowie von Volksgruppen (Art. 6 SHVerf, Art. 18 MVVerf), sprachlichen Minderheiten (Art. 17 Abs. 4 RhPfVerf) und kulturellen Minderheiten (Art. 37 Abs. 2 LSAVerf) ausgegangen. Diese Begriffe sind in den Landesverfassungen nicht definiert691 und werden auch im Völkerrecht, dessen inkorporierten Bestimmungen bei der Auslegung der landesverfassungsrechtlichen Normen zu beachten sind, nicht einheitlich verstanden692. Weitgehende Akzeptanz genießt aber die völkerrechtliche Minderheitendefinition von F. Capotori, der Berichterstatter der Unterkommission über die Verhinderung der Diskriminierung und den Schutz der Minderheiten der UNO war. Demnach ist eine Minderheit „eine der übrigen Bevölkerung eines Staates zahlenmäßig unterlegene Gruppe, die keine herrschende Stellung einnimmt, deren Angehörige – Bürger dieses Staates – in ethnischer, religiöser und sprachlicher Hinsicht Merkmale aufweisen, die sie von der übrigen Bevölkerung unterscheiden, und die zumindest implizit ein Gefühl der Solidarität zeigen, das auf die Bewahrung der eigenen Kultur, der eigenen Traditionen, der eigenen Religion oder der eigenen Sprache gerichtet ist“693. Von dieser Definition ausgehend wurde in der Empfehlung 1201 (1993) der Parlamentarischen Versammlung des Europarats vom 1. 2. 1993 betreffend eines

689

D. Blumenwitz, S. 29 ff.; G. Dahm/J. Delbrück/R. Wolfrum, S. 280 f. So beispielsweise bei M. Krugmann, S. 93 ff. 691 S. Riedinger, in: Caspar/Ewer/Nolte/Waack, Art. 5 Rn. 7; D. Franke/R. Hofmann, EuGRZ 1992, S. 401; B. Kunzmann, in: Baumann-Hasske/Kunzmann, Art. 5 Rn. 2; H.-J. Schütz, in: Classen/Litten/Wallerath, Art. 18 Rn. 10 ff.; A. Siegert, S. 23; für die nationale Minderheit R. Hofmann, ZaöRV 2005, S. 587, 599. 692 H.-J. Schütz, in: Classen/Litten/Wallerath, Art. 18 Rn. 11. Zur historischen Entwicklung des Begriffs A. Siegert, S. 23 ff.; O. Kimminich, APuZ 1985, S. 14. 693 Study on the rights of persons belonging to ethnic, religious and linguistic minorities, E/CN.4/Sub.2/384 v. 20. 6. 1977. Original: „A group numerically inferior to the rest of the population of a State, in a non-dominant position, whose members – being nationals of the State – possess ethnic, religious or linguistic characteristics differing from those of the rest of the population and show, if only implicitly, a sense of solidarity, directed towards preserving their culture, traditions, religion or language“, F. Capotori, § 568. Ausführlich zu den Elementen dieser Definition A. Siegert, S. 34 – 38; Th. Mann, in: Merten/Papier, Bd. VIII, § 241 Rn. 9 – 12. 690

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

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Zusatzprotokolls zur EMRK694 ein Definitionsversuch der nationalen Minderheit unternommen, der im Wesentlichen mit der Definition nach F. Capotori übereinstimmt. Auch in der Denkschrift zum Rahmenübereinkommen des Europarates vom 1. 2. 1995 zum Schutz nationaler Minderheiten695 definiert die Bundesregierung nationale Minderheiten angelehnt an die völkerrechtliche Minderheitendefinition. Durch die Erklärung Deutschlands anlässlich der Unterzeichnung des Rahmenübereinkommens des Europarates vom 11. 5. 1995696 werden einzelne Gruppen benannt, die der Definition der nationalen Minderheit unterfallen sollen. Demnach sind ausdrücklich als nationale Minderheiten der Bundesrepublik Deutschland anerkannt die Dänen deutscher Staatsangehörigkeit und die Angehörigen des sorbischen Volkes mit deutscher Staatsangehörigkeit.697 Das Rahmenübereinkommen zum Schutze nationaler Minderheiten vom 11. 5. 1995 wird aber auch auf die friesische Volksgruppe sowie Sinti und Roma angewandt.698 Von dem Erfordernis angestammter Siedlungsgebiete wird im Falle der verstreut lebenden Sinti und Roma eine Ausnahme gemacht.699 Diese Erklärung wurde mit den Ländern abgestimmt700, wodurch die Länder zur Ausführung der Erklärung verpflichtet sind701 und bei der Auslegung des Minderheitenbegriffs den Inhalt der Erklärung zu berücksichtigen haben702. Je nach regionaler Ansiedlung dieser nationalen Minderheiten finden sich Regelungen zu ihrem Schutz in verschiedenen Landesverfassungen. Die landesverfassungsrechtlichen Minderheitenschutznormen verwenden nicht nur den Begriff der nationalen Minderheit, sondern auch den der ethnischen Minderheit. Wesentliche Unterschiede zwischen nationaler und ethnischer Minderheit 694 EuGRZ 1993, S. 152. Demnach sei eine nationale Minderheit „eine Gruppe von Personen in einem Staat, die im Hoheitsgebiet dieses Staates ansässig und dessen Staatsbürger sind, langjährige, feste und dauerhafte Verbindungen zu diesem Staat aufrechterhalten, besondere ethnische, kulturelle, religiöse oder sprachliche Merkmale aufweisen, ausreichend repräsentativ sind, obwohl ihre Zahl geringer ist als die der übrigen Bevölkerung dieses Staates oder einer Region dieses Staates, und von dem Wunsch beseelt ist, die für ihre Identität charakteristischen Merkmale, insbesondere ihre Kultur, ihre Traditionen, ihr Religion oder Sprache, gemeinsam zu erhalten“. 695 BT-Drs. 13/6912, S. 19 ff. Demnach sind nationale Minderheiten solche Gruppen der Bevölkerung, die die folgenden fünf Kriterien erfüllen: Ihre Angehörigen sind deutsche Staatsangehörige, sie unterscheiden sich vom Mehrheitsvolk durch eigene Sprache, Kultur und Geschichte, also eigene Identität, sie wollen diese Identität bewahren, sie sind traditionell in Deutschland heimisch und sie leben in Deutschland in angestammten Siedlungsgebieten. 696 BGBl. 1997 II, S. 1418. 697 S. Riedinger, in: Caspar/Ewer/Nolte/Waack, Art. 5 Rn. 7. 698 Erklärung der Bundesrepublik Deutschland bei der Zeichnung des Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten am 11. 5. 1995, BGBl. 1997 II, S. 1418; H. Klebes, EuGRZ 1995, S. 263; R. Hofmann, in: Hofmann/Angst/Lantschner et al., S. 87; M. Schwarz, DÖV 2016, S. 972 (973 ff.). 699 BT-Drs. 13/6912, S. 21. 700 BT-Drs. 13/6912, S. 21. 701 Vgl. O. Rojahn, in: v. Münch/Kunig, Bd. I, Art. 32 Rn. 55. 702 H.-J. Schütz, in: Classen/Litten/Wallerath, Art. 18 Rn. 13.

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

ergeben sich aber nicht.703 Oft werden die Begriffe der nationalen und ethnischen Minderheit und der Volksgruppe synonym verwendet.704 Gleiches gilt für den ebenfalls nicht einheitlich definierten705 Begriff der Volksgruppe, für die jedenfalls die ethnische Minderheit als Oberbegriff anzusehen ist.706 Art. 17 Abs. 4 RhPfVerf umfasst als einzige der landesverfassungsrechtlichen Minderheitenschutznormen ausdrücklich sprachliche Minderheiten. Darunter fallen Angehörige einer Gruppe, die „im privaten Bereich und in der Öffentlichkeit mündlich und/oder schriftlich eine Sprache benutzen, die sich von der in einem bestimmten Gebiet benutzten Sprache unterscheidet und die nicht als die Staatssprache angesehen wird, sofern das Ziel der Gruppe ist, ihre Sprache zu bewahren und zu pflegen“707. Daneben sieht Art. 37 Abs. 2 LSAVerf den Schutz des Bekenntnisses zu einer kulturellen Minderheit vor. Die Kommentarliteratur zu Art. 37 LSAVerf enthält keine Ausführungen zur Definition einer kulturellen Minderheit. In Anlehnung an die Definition der sprachlichen Minderheit kann die kulturelle Minderheit als eine Gruppe verstanden werden, deren Kultur sich von der in einem bestimmten Gebiet gelebten Mehrheitskultur unterscheidet und deren Ziel es ist, die eigene Kultur zu bewahren und pflegen. b) Zur Bedeutung des Normcharakters der landesverfassungsrechtlichen Normen des Minderheitenschutzes für den individuellen Identitätsschutz Die Rechtsnatur vieler landesverfassungsrechtlicher Minderheitenschutzregelungen ist umstritten. Dabei sind Staatszielbestimmungen von Grundrechten abzugrenzen. Diese Abgrenzung ist für die Frage des individuellen Identitätsschutzes von Bedeutung, da Grundrechte und Staatszielbestimmungen sich grundsätzlich in der Schutzintensität zugunsten des Individuums und gerade hinsichtlich der Stärke der individuellen Rechtsposition unterscheiden. Grundrechte binden nach Art. 1 Abs. 3 GG Legislative, Exekutive und Judikative unmittelbar.708 Es bedarf für ihre Anwendung daher keiner weiteren Umsetzung.709 703 H.-J. Schütz, in: Classen/Litten/Wallerath, Art. 18 Rn. 22; A. Siegert, S. 22; S. Pritchard, S. 44 f.; D. Blumenwitz, S. 31; a. A. wohl M. Pallek, S. 14. 704 D. Blumenwitz, S. 29 ff., S. 263, D. Franke/R. Hofmann, EuGRZ 1992, S. 401 f.; vgl. H. Klebes, EuGRZ 1995, S. 263; A. Siegert, S. 119. 705 H.-J. Schütz, in: Classen/Litten/Wallerath, Art. 18 Rn. 22. 706 D. Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, HStR1 VII, § 201 Rn. 8. 707 G. Dahm/J. Delbrück/R. Wolfrum, S. 280. 708 Freilich handelt es sich bei Art. 1 Abs. 3 GG nicht um eine landesverfassungsrechtliche Norm. Die Landesverfassungen weichen aber von der in Art. 1 Abs. 3 GG statuierten Bindungswirkung nicht ab, sondern enthalten ihrerseits vergleichbare Bindungsklauseln (bspw.

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

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Sie vermitteln dem Grundrechtsberechtigten subjektive Rechte und sind in ihrer grundsätzlichen Ausprägung Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat.710 Als solche dienen sie dem Grundrechtsberechtigten als Schutz vor Eingriffen in die Freiheitssphäre.711 Sie gewähren neben positiven Freiheiten des sachlichen Schutzbereichs zudem negative Freiheiten und enthalten darüber hinaus objektivrechtliche Grundrechtsgehalte712. In ihrer Eigenschaft als unmittelbar geltendes Recht müssen Grundrechte notwendigerweise justiziabel sein.713 Im Vergleich zu Staatszielbestimmungen gewähren Grundrechte dem Grundrechtsberechtigten damit über ihre Justiziabilität eine starke Rechtsposition. Ein grundrechtlich vermittelter Schutz individueller Identität ist damit – zumindest rechtstechnisch und im Vergleich zu Staatszielbestimmungen gesehen – ein starker Schutz. Staatszielbestimmungen sind nach anerkannter714 Definition „Verfassungsnormen mit rechtlich bindender Wirkung, die der Staatstätigkeit die fortdauernde Beachtung oder Erfüllung bestimmter Aufgaben – sachlich umschriebener Ziele – vorschreiben. Sie umreißen ein bestimmtes Programm der Staatstätigkeit und sind dadurch eine Richtlinie oder Direktive für das staatliche Handeln, auch für die Auslegung von Gesetzen und sonstigen Rechtsvorschriften. Im Regelfall wendet sich eine Staatszielbestimmung an den Gesetzgeber, ohne daß damit ausgeschlossen sein muss, dass die Norm auch eine Auslegungsrichtlinie für Exekutive und Rechtsprechung ist. Eine Staatszielbestimmung überlässt es der politischen Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, in welcher Weise und zu welchem Zeitpunkt er die ihm eingeschärfte Staatsaufgabe durch Gesetz erfüllt und dabei etwa auch Ansprüche einzelner natürlicher Personen auf öffentliche Leistungen oder gegen Dritte entstehen läßt“715. Staatszielbestimmungen räumen damit grundsätzlich keine subjektiven Rechte zugunsten des Individuums ein716. Staatszielbestimmungen enthalten nur abgeleitete Ansprüche meist in Verbindung mit dem Gleichheitssatz717, aber keine originären Ansprüche.718 Sie haben eine objektiv-rechtliche719 Bindungswirkung. Damit kann Art. 1 Abs. 3 Landesverfassung Sachsen-Anhalt, Art. 4 Landesverfassung Mecklenburg-Vorpommern, Art. 2 Abs. 5 Landesverfassung Brandenburg). 709 H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, Art. 1 Rn. 31. 710 BVerfGE 7, 198, 204; J. Isensee, in: ders./Kirchhof, HStR3 IV, § 73 Rn. 11. 711 BVerfGE 7, 198 (204 f.). 712 BVerfGE 7, 198, 204 f.; 81, 242 (254). 713 Vgl. Chr. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, 7. Aufl. 2018, Bd. I, Art. 1 Abs. 2, Rn. 169; vgl. BVerfGE 107, 299 (311). 714 M. Schladebach, JuS 2018, S. 118 (119) m. w. N. 715 Bericht der Sachverständigenkommission, S. 21; so auch BT Drs. 15/5560, S. 2. 716 BT Drs. 15/5560, S. 2; J. Isensee, in: ders./Kirchhof, HStR3 IV, § 73 Rn. 9; K.-P. Sommermann, S. 5, 326; W. Vitzthum, in: GS für Grabitz, S. 829. 717 K.-P. Sommermann, S. 394 ff. 718 D. Merten, DÖV 1993, S. 370. 719 D. Merten, DÖV 1993, S. 370; J. Isensee, in: ders./Kirchhof, HStR3 IV, § 73 Rn. 9; W. G. Vitzthum, in: GS für Grabitz, S. 829.

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

das individuelle Selbstverständnis, anders als bei den Grundrechten, keine prominente Rolle einnehmen. Im Hinblick auf das Individuum finden Staatszielbestimmungen bei der Gesetzesauslegung durch die Judikative Anwendung.720 Bei Ermessensentscheidungen bilden Staatszielbestimmungen zu beachtende Kriterien der Abwägung721 und sind auch bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe zu beachten.722 Sie strahlen grundsätzlich auf die gesamte Rechtsordnung aus.723 Eine Einschränkung des durch Staatszielbestimmungen vermittelten Identitätsschutzes ergibt sich zudem aus ihrer begrenzten Justiziabilität. Staatszielbestimmungen sind zwar grundsätzlich justiziabel724. Die gerichtliche Durchsetzung von Staatszielbestimmungen ist aber komplexer725 als die der Grundrechte. Diese erhöhte Komplexität ergibt sich für die Staatszielbestimmungen insbesondere aus der ihnen in ihrer Eigenschaft als Handlungsaufträge immanenten Unbestimmtheit sowie den großen Freiheiten in der Umsetzung der Staatszielbestimmungen seitens des Gesetzgebers. Der Spielraum des Gesetzgebers bei der Umsetzung und Konkretisierung von Staatszielbestimmungen ist aus Gründen der Gewaltenteilung auch von der Rechtsprechung zu beachten726, was den Umfang der gerichtlichen Kontrolle einschränkt. Insgesamt steigt der Umfang einer gerichtlichen Kontrolle der Einhaltung von Staatszielbestimmungen mit deren Konkretisierungsgrad.727 Entscheidender Faktor der Bindungswirkung von Staatszielbestimmungen ist der normative Gehalt der Staatszielbestimmung aus der jeweiligen Verfassung728 und insbesondere die Bestimmtheit729 der jeweiligen Regelung. Damit wird, im Vergleich zu den Grundrechten, durch Staatszielbestimmungen grundsätzlich die schwächere identitätsschützende Rechtsposition730 vermittelt. Nichtsdestotrotz ist jede Staatszielbestimmung auszulegen, um ihren normativen Gehalt zu ermitteln. Den grundsätzlich objektivrechtlichen Staatszielbestimmungen 720 K.-P. Sommermann, S. 386; D. Hahn, S. 92; kritisch D. Merten, DÖV 1993, S. 368 (371); ebenso kritisch Th. Rincke, S. 163. 721 Chr. Degenhart, LKV 1993, S. 35; K.-P. Sommermann, S. 396; kritisch D. Merten, DÖV 1993, S. 371; ähnlich M. Schladebach, JuS 2018, S. 118 (121). 722 M. Schladebach, JuS 2018, S. 118 (121); kritisch hierzu Th. Rincke, S. 163 f. 723 K.-P. Sommermann, S. 396. 724 BT-Drs. 15/5560, S. 11; W. Vitzthum, in: GS für Grabitz, S. 829; P. Chr. Fischer, S. 16; a. A. zu Art. 25 BbgVerf wohl S. Bendig, NJ 1998, S. 169; H. v. Mangoldt, S. 44. 725 Für die sozialen Grundrechte G. Lübbe-Wolff, S. 6. 726 M. Kutscha, ZRP 1993, S. 343; G. Lübbe-Wolff, S. 7. 727 K.-P. Sommermann, S. 438. Für die verfassungsgerichtliche Kontrolle W. Heun, S. 36. 728 Chr. Degenhart, LKV 1993, S. 35; D. Merten, DÖV 1993, S. 370 mit Verweis auf BVerfGE 6, 55 (76). 729 J. Isensee, in: ders./Kirchhof, HStR3 IV, § 73 Rn. 8. 730 Th. Mann, in: Merten/Papier, Bd. VIII, § 241 Rn. 34; M. Schladebach, JuS 2018, S. 118 (120).

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

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können anspruchsbegründende Wirkungen seitens des Gesetzgebers hinzugefügt werden, die durch Auslegung zu ermitteln sind.731 Durch diese anspruchsbegründenden Wirkungen können grundrechtlich geschützte Positionen verstärkt werden.732 Die Bestimmung der Wirkung von Staatszielen muss in letzter Konsequenz daher im Einzelfall anhand einer konkreten Norm erfolgen.733 c) Zusammenfassung: Faktoren des minderheitenschutzbasierten Schutzes individueller Identität Der individuelle Identitätsschutz durch die landesverfassungsrechtlichen Minderheitenschutznormen hängt von drei Faktoren ab. Erstens muss, wie bei dem durch das Grundgesetz vermittelten Identitätsschutz, der sachliche Schutzbereich der in Frage kommenden Norm überhaupt einen Identitätsbezug aufweisen. Für die Frage der Stärke des Identitätsschutzes kommt es schließlich zum einen auf die Rechtsnatur der Norm an. Zum anderen ist bei kollektivrechtlich formulierten Normen zu untersuchen, inwieweit sie Individualinteressen zu dienen bestimmt sind. Ist eine Bezweckung von Individualschutz nicht ersichtlich, ergibt sich eine identitätsschützende Wirkung tatsächlich, das heißt per Rechtsreflex, über die Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit des Individuums zum Kollektiv. d) Die minderheitenschützenden Normen der Landesverfassungen Einige Länder haben im Rahmen ihrer Verfassungsautonomie Regelungen zum Minderheitenschutz getroffen. Die landesverfassungsrechtlichen Vorschriften zum Minderheitenschutz sind inhomogen. Der Schutzumfang der Normen und ihre Rechtsnatur unterscheiden sich in nicht unerheblicher Weise. Eine Kategorisierung der landesverfassungsrechtlichen Minderheitenschutznormen kann anhand des Norminhalts erfolgen.734 So existieren minderheitenschützende Normen, die nur Schutz- und Achtungsregelungen ohne Förderauftrag enthalten (aa)–dd)), und solche, die vom Wortlaut der Norm her allgemeine Schutz- und Achtungsregelungen mit positiven Förderaufträgen verbinden (ee)–gg)). Diese Kategorisierung ist – je nach weiterer Auslegung der Normen – aber nicht in jedem Falle trennscharf.

731

Bericht der Sachverständigenkommission, S. 20. H.-J. Schütz, in: Classen/Litten/Wallerath, vor Art. 11 Rn. 11; a. A. wohl Chr. Gröpl, in: ders./Guckelberger/Wohlfarth, § 1 Rn. 164 f., der klar zwischen subjektiv-öffentlichen Rechten und Staatszielbestimmungen trennt. 733 So auch P. Chr. Fischer, S. 12. 734 D. Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, HStR2 VIII, § 201 Rn. 23 f. 732

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

aa) Achtung ethnischer und sprachlicher Minderheiten, Art. 17 Abs. 4 RhPfVerf Art. 17 Abs. 4 RhPfVerf sieht in aller Knappheit vor, dass der Staat ethnische und sprachliche Minderheiten achtet. Die rheinland-pfälzische Verfassung ist die einzige Landesverfassung, die die sprachliche Minderheit als solche ausdrücklich nennt. Der Begriff der sprachlichen Minderheit hebt auf die Sprache als gemeinsames Merkmal der Mitglieder der Minderheit ab. Sprache als solche weist einen engen Bezug zur Identität auf. Das Sprechen, Verstehen und Hören einer Minderheitensprache grenzt deutlich von der Mehrheitssprache ab und ist ein persönliches Erkennungsmerkmal für die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Minderheit. Die Verwendung einer Sprache kann auf die identitätsstiftenden Merkmale Heimat und Herkunft oder auch ein vom Individuum gewünschtes Selbstbild hinweisen. Einen besonderen Förderanspruch oder eine weitergehende Konkretisierung enthält die Norm nicht. Es handelt sich um eine Staatszielbestimmung.735 Hintergrund der Regelung ist das Setzen eines deutlichen Zeichens gegen den Rechtsextremismus.736 Der Gesetzgeber und die anderen Gewalten sind an Art. 17 Abs 4 RhPfVerf in der Weise gebunden, als dass ethnische und sprachliche Minderheiten zu schützen und zu achten sind. Auf welche Weise dieser Schutz und diese Achtung erbracht wird, steht den Adressaten der Norm frei. Dass durch die Norm Individualinteressen geschützt werden sollen, ist nicht ersichtlich. Die Norm wendet sich vielmehr an die ethnischen und sprachlichen Minderheiten als Kollektiv. Damit ergibt sich für den Einzelnen eine tatsächliche Wirkung nur per Rechtsreflex über seine Zugehörigkeit zu einer sprachlichen Minderheit. bb) Minderheitenschutz nach Art. 37 LSAVerf Eine weitere minderheitenschützende Regelung trifft die Landesverfassung Sachsen-Anhalts in Art. 37 LSAVerf. Demnach stehen die kulturelle Eigenständigkeit und die politische Mitwirkung ethnischer Minderheiten unter dem Schutz des Landes und der Kommunen (Abs. 1) und das Bekenntnis zu kulturellen und ethnischen Minderheiten ist frei (Abs. 2).

735

M. Hummerich, in: Brocker/Droege/Jutzi, Art. 17 Rn. 43; P. Caesar, in: Grimm/Caesar, Art. 17 Rn. 29; K. Korger, in: Lahmann/Hans/Korger, Ergänzungslieferung Juli 2005, Art. 17, S. 15. 736 Bericht der Enquete-Kommission „Verfassungsreform“ des Landtags Rheinland-Pfalz v. 16. 9. 1994, LT-Drs. 12/5555, S. 51; K. Korger, in: Lahmann/Hans/Korger, Ergänzungslieferung Juli 2005, Art. 17, S. 15.

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

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(1) Schutz kultureller Eigenständigkeit und politischer Mitwirkung, Art. 37 Abs. 1 LSAVerf Art. 37 Abs. 1 LSAVerf geht insofern über die ganz allgemeine Schutz- und Achtensklausel des Art 17 Abs. 4 RhPfVerf hinaus, als dass nicht der Bestand der Minderheit als solcher unter Schutz gestellt wird, sondern explizit deren kulturelle Eigenständigkeit und politische Mitwirkung. Die kulturelle Eigenständigkeit einer Minderheit ist für diese identitätsprägend, zumal sie sich über ihre eigene Kultur von der Mehrheitskultur abgrenzt. Die politische Mitwirkung sichert das Einbringen der Minderheitsinteressen in den politischen Diskurs und sichert damit die Minderheitenidentität in politischer Hinsicht ab. Art. 37 Abs. 1 LSAVerf ist unbestritten eine Staatszielbestimmung. Geschützt werden sollen die kulturelle Eigenständigkeit und die politische Mitwirkung ethnischer Minderheiten, ohne konkrete oder gar subjektive Rechtspositionen einzuräumen. Die Norm berechtigt nicht den Einzelnen, sondern die ethnische Minderheit als Kollektiv. Damit ergibt sich ein Schutz des einzelnen Mitglieds einer ethnischen Minderheit nur per Rechtsreflex über die Zugehörigkeit zur Minderheit. (2) Schutz des freien Bekenntnisses, Art. 37 Abs. 2 LSAVerf Art. 37 Abs. 2 LSAVerf schützt das freie Bekenntnis zu einer kulturellen oder ethnischen Minderheit. Damit schützt die Norm vor einem zwangsweise herbeigeführten Bekenntnis zu einer Minderheit und ermöglicht es dem Einzelnen, die Entscheidung für oder gegen eine Zugehörigkeit zu einer ethnischen oder kulturellen Minderheit seinem eigenen Selbstbild, das heißt seiner Identität, entsprechend zu treffen. Der rechtliche Charakter des Art. 37 Abs. 2 LSAVerf ist umstritten. Mit Hinblick darauf, dass ein Bekenntnis zu einer Minderheit etwas sehr Individuelles ist, ist aber ein subjektiv-rechtlicher Gehalt anzunehmen.737 Es ist zwar denkbar, dass sich mehrere Menschen gemeinsam, das heißt als Gruppe, zu einer kulturellen und/oder ethnischen Minderheit bekennen. Praktisch gesehen ist ein Bekenntnis, das heißt der Ausdruck, Teil einer ethnischen oder kulturellen Minderheit sein zu wollen oder aber gerade auch nicht sein zu wollen, eine individuelle Entscheidung, bei der der Einzelne äußeren Einflüssen ausgesetzt sein mag, die er in letzter Konsequenz aber im Sinne eines freien Bekenntnisses allein trifft. Eine Auslegung des Bekenntnisses als kollektives Bekenntnis widerspricht insofern unter Umständen dem Postulat der Freiheit des Bekenntnisses. Freies Bekenntnis meint eigenes Bekenntnis oder gerade auch eigenes Nichtbekenntnis. Aus der Freiheit des Bekenntnisses folgt ein sub737 So auch S. Faisst, S. 229 f. Für einen subjektiv-rechtlichen Gehalt: A. Siegert, S. 120; A. H. Stopp, in: Ellwein/Grimm/Hesse/Schuppert, S. 36; S. Faisst, S. 229 f.; Th. Mann, in: Merten/Papier, Bd. VIII, § 241 Rn. 94. A. A. A. Reich, Art. 37 Rn. 2.; M. Pallek, S. 635, H. v. Mangoldt, S. 58.

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

jektiv-rechtlicher Gehalt der Norm. Der Einzelne ist berechtigt, ein Bekenntnis frei zu treffen oder gerade nicht zu treffen. Die Zugehörigkeit zu oder bewusste Abgrenzung von einer Gruppe wirkt sich unmittelbar auf die individuelle Identität aus. Zwar ist eine Gruppenzugehörigkeit nur ein Baustein in der Identitätskonstruktion. Dennoch ist die eigene Identität als Zugehöriger einer Minderheit eine andere als bei Nichtzugehörigkeit zu einer Minderheit. Die individuelle Identität ist bei einer beispielhaften Zugehörigkeit zur Minderheit der Ostfriesen eine andere als bei Zugehörigkeit beispielsweise zur dänischen Minderheit. Zählt sich eine Person zu den Ostfriesen, so zeugt dies von einer Verbundenheit zum Siedlungsgebiet in den Landkreisen Aurich, Leer, Wittmund oder Friesland oder aber auch zu den kreisfreien Städten Emden oder Wilhelmshaven, des Landkreises Cuxhaven oder der Wesermarsch, zur niederdeutschen Sprache und zu friesischen Trachten und Bräuchen. Zählt sich eine Person zu der dänischen Minderheit, so spricht dies für eine Verbundenheit zum Norden Schleswig-Holsteins und der dänischen Sprache. Bekennt sich eine Person zu keiner ethnischen Minderheit, so sind ihr geografischer Bezug sowie ihr Verhältnis zu Sprache, Sitten und Gebräuchen höchstwahrscheinlich anders als im Falle einer Minderheitenzugehörigkeit. Insofern kann Art. 37 Abs. 2 LSAVerf ein Schutz individueller Identität durch das Einräumen einer subjektiven Rechtsposition attestiert werden. cc) Schutz kultureller Eigenständigkeit, Art. 18 MVVerf Art. 18 MVVerf stellt die kulturelle Eigenständigkeit ethnischer und nationaler Minderheiten sowie Volksgruppen deutscher Staatsangehöriger unter den besonderen Schutz des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Die Norm begründet einen „staatlichen Identitätsschutz“738 dergestalt, dass ein kultureller Freiheitsraum zugunsten der sprachlich-kulturellen Identität739 geschaffen wird. Kultur im Sinne kultureller Eigenständigkeit weist entsprechend dem Kulturbegriff aus Art. 16 MVVerf eine Nähe zu Kunst, Sport und Wissenschaft auf. Umfasst sind demnach beispielsweise die (Erwachsenen-)Bildung, Volkshochschulen, Hochschulen und Universitäten, Sprache, Sporteinrichtungen, Kunst, Bibliotheks- und Archivwesen, Denkmäler, Gedenkstätten, Religion, Presse und Rundfunk.740 Geschützt wird die Kultur in ihrer jeweiligen Eigenheit, das heißt in ihrer Identität.741 Es handelt sich ausweislich des Wortlauts der Norm und ihrer systematischen Stellung bei Art. 18 MVVerf um eine Staatszielbestimmung.742 Art. 18 MVVerf

738

B. Thiele, in: ders./Pirsch/Wedemeyer, Art. 18 Rn. 4. B. Thiele, in: ders./Pirsch/Wedemeyer, Art. 18 Rn. 2. 740 H.-J. Schütz, in: Classen/Litten/Wallerath, Art. 18 Rn. 40. 741 H.-J. Schütz, in: Classen/Litten/Wallerath, Art. 18 Rn. 40. 742 H.-J. Schütz, in: Classen/Litten/Wallerath, Art. 18 Rn. 8; A. Siegert, S. 121; A. H. Stopp, in: Ellwein/Grimm/Hesse/Schuppert, S. 38; S. Faisst, S. 234; M. Pallek, S. 643; B. Thiele, in: 739

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

181

begründet kein Abwehr-743 oder Leistungsrecht744. Ansprüche zugunsten des Einzelnen werden nicht geschaffen.745 Der Wortlaut der Norm spricht auch nicht für einen individualrechtlichen Schutz. Unter Schutz gestellt wird die kulturelle Eigenständigkeit ethnischer und nationaler Minderheiten und Volksgruppen, nicht die kulturelle Identität deren Angehöriger.746 Eine über den bloßen Rechtsreflex hinausgehende Wirkung des gruppenrechtlichen Identitätsschutzes auf den individualrechtlichen Identitätsschutz ist somit nicht erkennbar. Durch den Schutz des kulturellen Freiheitsraums der Gruppen erfährt das einzelne Gruppenmitglied daher nur mittelbar Schutz seines gruppenbezogenen kulturellen Freiheitsraums. dd) Sächsische Landesverfassung Art. 5 und 6 SäVerf gewähren ebenfalls Minderheitenschutz. Dabei ist Art. 6 SäVerf speziell auf Sorben ausgerichtet, während Art. 5 SäVerf nationale, ethnische und ausländische Minderheiten im Allgemeinen schützt. (1) Bewahrung der Identität nationaler und ethnischer Minderheiten nach Art. 5 Abs. 2 SäVerf und die Achtensklausel des Art. 5 Abs. 3 SäVerf Art. 5 Abs. 2 SäVerf verpflichtet das Land zu Gewährleistung und Schutz des Rechts auf Bewahrung der Identität nationaler und ethnischer Minderheiten deutscher Staatsangehörigkeit sowie des Rechts auf Pflege ihrer Sprache, Religion, Kultur und Überlieferung. Die sächsische Landesverfassung ist neben der brandenburgischen Landesverfassung die einzige, die die Identität der Minderheiten wörtlich in den Gesetzestext aufgenommen hat. Dabei ist der Norm ein Recht auf Bewahrung der Minderheitenidentität sowie ein Recht auf Kulturpflege im weiteren Sinne zu entnehmen. Trotz der Formulierung „Recht auf“ handelt es sich aufgrund des Verpflichtungsadressaten und der systematischen Stellung im Abschnitt 1 „Grundlagen des Staates“, auf den der zweite Anschnitt mit den Grundrechten folgt, um eine objektivrechtliche Norm.747 Im Sinne einer objektiv-rechtlichen Norm kann Art. 5 Abs. 2 ders./Pirsch/Wedemeyer, Art. 18 Rn. 4; Th. Mann, in: Merten/Papier, Bd. VIII, § 241 Rn. 103; in aller Kürze P. Chr. Fischer, S. 142 und H. v. Mangoldt, S. 58. 743 H.-J. Schütz, in: Classen/Litten/Wallerath, Art. 18 Rn. 41. 744 H.-J. Schütz, in: Classen/Litten/Wallerath, Art. 18 Rn. 42. 745 A. A. H.-J. Schütz, in: Classen/Litten/Wallerath, Art. 18 Rn. 42, der die Norm aufgrund der Formulierung des „besonderen“ Schutzes als Förderklausel auslegt. 746 A. H. Stopp, in: Ellwein/Grimm/Hesse/Schuppert, S. 38; A. Siegert, S. 121. Für die Auslegung als neutrale Formulierung H.-J. Schütz, in: Classen/Litten/Wallerath, Art. 18 Rn. 40. 747 U. Fastenrath, in: Degenhart/Meissner, § 4 Rn 35; S. Faisst, S. 204; M. Pallek, S. 560; G. Rüdiger, S. 220; A. Siegert, S. 117, Th. Mann, in: Merten/Papier, Bd. VIII, § 241 Rn. 79. In

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

SäVerf sodann verstanden werden als Verpflichtung des Landes, „Beeinträchtigungen der Rechte auf Identitätswahrung und Kulturpflege seitens Dritter abzuwehren“748. „Gewährleisten“ meint, dass das Land Sachsen zu dem bisher für die Ausübung des Rechts auf Identitätswahrung und Kulturpflege Geleistetem verpflichtet bleibt.749 Die Formulierung „Recht auf Bewahrung ihrer Identität sowie Pflege ihrer Sprache, Religion, Kultur und Überlieferung“ weist keinen individualrechtlichen Gehalt auf, sondern ist gruppenbezogen.750 Eine Abstufung der Schutzintensität von den nationalen und ethnischen Minderheiten deutscher Staatsangehörigkeit751 hin zu den ausländischen Minderheiten vollzieht Art. 5 Abs. 3 SäVerf. Die Interessen ausländischer Minderheiten werden demnach geachtet. Die Achtenspflicht meint vor allem das Unterlassen von Handlungen, die die Interessen der ausländischen Minderheit nicht angemessen berücksichtigen.752 Bei Art. 5 Abs. 3 SäVerf handelt es sich damit um eine im Vergleich zu Art. 5 Abs. 2 SäVerf eher unbestimmte Staatszielbestimmung. Auch hier ist der Schutz des einzelnen Angehörigen der ausländischen Minderheit ein mittelbarer, aber kein originärer, zumal das Kollektiv adressiert wird753. (2) Schutz des sorbischen Volkes, Art. 6 SäVerf Art. 6 Abs. 1 S. 1 SäVerf stellt klar, dass die in Sachsen lebenden Bürger sorbischer Volkszugehörigkeit gleichberechtigter Teil des Staatsvolkes sind. Nach Art. 6 Abs. 1 S. 2 SäVerf gewährleistet und schützt das Land Sachsen das Recht auf Bewahrung der Identität der Bürger sorbischer Volkszugehörigkeit sowie auf Pflege und Entwicklung ihrer angestammten Sprache, Kultur und Überlieferung. Die Norm entspricht insofern Art. 5 Abs. 2 SäVerf. Gewährleistung und Schutz der sorbischen Identität und der sorbischen Kultur werden abweichend von Art. 5 SäVerf insbesondere durch Schulen, vorschulische und kulturelle Einrichtungen erfüllt. Demnach ist das Land verpflichtet, für alle Kinder und Jugendliche, deren Erziehungsberechtigte den Besuch muttersprachlichen Unterrichts wünschen, in zumutbarer Entfernung sorbische Schulen vorzuhalten.754 Die Nennung von Schulen, vorschualler Kürze H. v. Mangoldt, S. 58. A. A. B. Kunzmann, in: Baumann-Hasske/Kunzmann, Art. 5 Rn. 15; ähnlich wohl M. J. Hahn, in: Frowein/Hofmann/Oeter, S. 81. 748 U. Fastenrath, in: Degenhart/Meissner, § 4 Rn 34. 749 B. Kunzmann, in: Baumann-Hasske/Kunzmann, Art. 5 Rn. 15. 750 A. H. Stopp, in: Ellwein/Grimm/Hesse/Schuppert, S. 31; B. Kunzmann, in: BaumannHasske/Kunzmann, Art. 5 Rn. 15. 751 Zur Diskussion um das Merkmal der Staatsangehörigkeit als Differenzierungskriterium A. H. Stopp, in: Ellwein/Grimm/Hesse/Schuppert, S. 31 f.; J. Isensee in: Stern, Deutsche Wiedervereinigung, Bd. III, S. 73 f. 752 S. Faisst, S. 197. 753 A. Siegert, S. 118. 754 OVG Bautzen, Beschl. v. 22. 8. 2001 – 2 BS 183/01, LKV 2002, S. 521.

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

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lischen und kulturellen Einrichtungen konkretisiert zwar den Inhalt der Norm, der aber dennoch keine subjektive Rechtsposition zu entnehmen ist. Die systematische Stellung im ersten Abschnitt „Grundlagen des Staates“ und der Verpflichtungsadressat Staat sprechen für eine Einordnung als Staatszielbestimmung.755 Ob Art. 6 Abs. 1 SäVerf abweichend von Art. 5 Abs. 2 SäVerf ein individueller Bezug entnommen werden kann, erscheint fraglich. Zwar adressiert Art. 6 Abs. 1 SäVerf nicht wie Art. 5 Abs. 2 SäVerf nationale und ethnische Minderheiten als solche, sondern etwas konkreter die in Sachsen lebenden Bürger sorbischer Volkszugehörigkeit. Auch diese werden jedoch als Kollektiv adressiert.756 (3) Flankierender Identitätsschutz der sächsischen Landesverfassung Flankiert wird der Schutz der sorbischen Identität und Kultur durch Art. 6 Abs. 2 S. 2 SäVerf, welcher das Land Sachsen zum Erhalt des deutsch-sorbischen Charakters des sorbischen Siedlungsgebiets verpflichtet. Dabei sind in der Landes- und Kommunalplanung die Lebensbedürfnisse des sorbischen Volkes zur berücksichtigen (Art. 6 Abs. 2 S. 1 SäVerf). Ein angestammtes Siedlungsgebiet weist enge Verbindungen zur Minderheitenidentität auf. Es ist – ähnlich wie die Heimat für den Einzelnen – der geografische und räumliche Bezugspunkt der Minderheitenidentität. Die Norm richtet sich als Staatszielbestimmung an das Land Sachsen. Der Einzelne wird durch die Norm nicht adressiert, sodass sich kein subjektiver Anspruch ergibt. Enge Verbindungen zur Bewahrung der Identität nationaler und ethnischer Minderheiten deutscher Staatsangehörigkeit hat auch Art. 2 Abs. 4 SäVerf, nach dem im Siedlungsgebiet der Sorben die Farben und Wappen der Sorben gleichberechtigt geführt werden dürfen. Die Regelung soll der Identifizierung der Sorben mit dem sächsischen Staat dienen.757 Der Norm ist kein individueller Anspruch zu entnehmen. ee) Schutz nationaler Minderheiten und Volksgruppen nach Art. 6 SHVerf Einen verfassungsrechtlichen Schutz von nationalen Minderheiten und Volksgruppen bietet Art. 6 Abs. 1, 2 SHVerf. Die Norm hat gleich drei verschiedene Schutzgegenstände und enthält daneben einen Förderanspruch.

755 U. Fastenrath, in: Degenhart/Meissner, § 4 Rn 34. A. a. A. K. Müller, in: ders., Art. 6, S. 81; S. Faisst, S. 203; wohl auch B. Kunzmann, in: Baumann-Hasske/Kunzmann, Art. 5 Rn. 15, der von „Rechten der Sorben“ spricht. 756 M. Pallek, S. 565; Th. Pastor, S. 91; vgl. B. Kunzmann, in: Baumann-Hasske/Kunzmann, Art. 5 Rn. 15. 757 Vgl. E. Klein, in: Isensee/Kirchhof, HStR2 I, § 17 Rn. 1 m. w. N.

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

(1) Bekenntnisfreiheit, Art. 6 Abs. 1 SHVerf Art. 6 Abs. 1 SHVerf statuiert die Freiheit des Bekenntnisses zu einer nationalen Minderheit. Umfasst sein soll auch das freie Bekenntnis zu den nicht explizit genannten Volksgruppen.758 Art. 6 Abs. 2 SHVerf nennt als für Schleswig-Holstein relevante nationale Minderheiten Dänen sowie Sinti und Roma. Die Friesen fallen ebenfalls unter Art. 6 SHVerf, sind jedoch nicht nationale Minderheit, sondern Volksgruppe.759 Die Bezeichnung der Minderheiten als nationale Minderheit oder Volksgruppe beruht auf deren Wünschen und begründet keine unterschiedlichen Rechte und Pflichten.760 Die Ausführungen zum Identitätsbezug der Bekenntnisfreiheit im Rahmen der Analyse der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt761 gelten entsprechend. Die Bekenntnisfreiheit wird durch Art. 12 Abs. 4 SHVerf konkretisiert. Demnach entscheiden die Eltern, ob ihre Kinder eine Schule einer nationalen Minderheit besuchen. Es handelt sich um ein subjektiv öffentliches Recht.762 Auch die Bekenntnisfreiheit aus Art. 6 Abs. 1 SHVerf ist ein subjektives Recht763 und schließt als Abwehrrecht die staatliche Einwirkung im Zusammenhang mit dem Bekenntnis und eine Benachteiligung aufgrund des Bekenntnisses aus.764 Die Bekenntnisfreiheit adressiert auch nicht lediglich das Kollektiv, sondern berechtigt jeden Einzelnen zum freien Bekenntnis oder gerade auch Nichtbekenntnis zu einer nationalen Minderheit. (2) Kulturelle Eigenständigkeit und politische Mitwirkung, Art. 6 Abs. 2 S. 1 SHVerf Art. 6 Abs. 2 S. 1 SHVerf stellt als Staatszielbestimmung765 die kulturelle Eigenständigkeit und die politische Mitwirkung nationaler Minderheiten unter den 758

S. Riedinger, in: Caspar/Ewer/Nolte/Waack, Art. 5 Rn. 6; A. Siegert, S. 109. S. Riedinger, in: Caspar/Ewer/Nolte/Waack, Art. 5 Rn. 8. Zum historischen Streit um die Begriffe nationale Minderheit oder Volksgruppe Th. Steensen, in: Hansen/Johannsen/Runge/ Steensen, S. 174 f. 760 R. Hofmann, in: Hofmann/Angst/Lantschner et al., S. 87. 761 Siehe dazu unter E. II. 18. d) bb) (2). 762 N. Helle-Meyer, in: Caspar/Ewer/Nolte/Waack, Art. 8 Rn. 2. 763 A. H. Stopp, in: Ellwein/Grimm/Hesse/Schuppert, S. 21. Für den gleichlautenden Art. 5 LV Schleswig-Holstein a. F. U. Barschel/V. Gebel, Art. 5 S. 105; S. Riedinger, in: Caspar/Ewer/ Nolte/Waack, Art. 5 Rn. 11; A. v. Mutius, in: ders./Wuttke/Hübner, Art. 5 Rn. 2; ders., Nordfriesland 1990, S. 39, 40; Th. Mann, in: Merten/Papier, Bd. VIII, § 241 Rn. 41; vgl. G. Rüdiger, S. 213; J. Lemke, S. 258 f. 764 S. Riedinger, in: Caspar/Ewer/Nolte/Waack, Art. 5 Rn. 11; A. v. Mutius, in: ders./ Wuttke/Hübner, Art. 5 Rn. 2. 765 S. Riedinger, in: Caspar/Ewer/Nolte/Waack, Art. 5 Rn. 13; C.-A. Conrad/J. K. Rogosch, A 3 SH, S. 29; S. Faisst, S. 186; A. v. Mutius, in: ders./Wuttke/Hübner, Art. 5 Rn. 6; M. J. Hahn, in: Frowein/Hofmann/Oeter, S. 76; G. Rüdiger, S. 214; A. Siegert, S. 110 f. 759

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

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Schutz des Landes, der Gemeinden und der Gemeindeverbände. Die kulturelle Eigenständigkeit umfasst den Schutz der von der Mehrheit abweichenden Kultur ebenso wie den Schutz vor gesellschaftlicher Einwirkung seitens der Mehrheitskultur.766 Auf diese Weise bedeutet Schutz der Eigenständigkeit die staatliche Nichteinmischung in die kulturellen Angelegenheiten der nationalen Minderheiten zur Verhinderung eines Assimilierungsdrucks.767 Durch den Schutz der kulturellen Eigenständigkeit und der politischen Mitwirkung werden nationalen Minderheiten und Volksgruppen zum einen ein kultureller Eigenbereich und zum anderen politische Teilhabe gesichert. Beides schützt die Minderheitenidentität. Dem Schutz politischer Mitwirkung wird insbesondere über das einfache Wahlrecht Rechnung getragen. Nach § 3 Abs. 1 S. 2 Landeswahlgesetz Schleswig-Holstein entfällt die 5 %-Hürde für die Parteien der dänischen Minderheit. Adressiert werden von Art. 6 Abs. 2 S. 1 nationale Minderheiten und Volksgruppen als Kollektiv. Ein rechtlicher Schutz des einzelnen Minderheitenangehörigen ist nicht erkennbar. (3) Anspruch auf Schutz und Förderung, Art. 6 Abs. 2 S. 2 SHVerf Art. 6 Abs. 2 S. 2 SHVerf gewährt der nationalen dänischen Minderheit und der friesischen Volksgruppe einen Anspruch auf Schutz und Förderung. Schutz meint dabei die Bewahrung des „status quo“768 vor Eingriffen sowie Beeinträchtigungen.769 Förderung meint Maßnahmen zur Herstellung von (materieller) Gleichheit zwischen Minderheit und Mehrheitsbevölkerung.770 Konkrete Fördermaßnahmen werden nicht benannt. Die Minderheitenidentität wird zwar nicht ausdrücklich in den Wortlaut der Norm einbezogen. Dennoch wird durch den Schutz der Minderheit und deren Förderung mittelbar auch deren Identität geschützt. Der genaue Inhalt des Schutz- und Förderanspruchs bleibt zu unklar und zu unbestimmt für die Annahme eines durchsetzbaren Anspruchs. Deshalb ist Art. 6 Abs. 2 S. 1 SHVerf als Staatszielbestimmung einzuordnen.771 Die Norm nennt nicht den einzelnen Angehörigen der dänischen Minderheit oder friesischen Volksgruppe, sondern richtet sich an das Kollektiv.772 766

A. H. Stopp, in: Ellwein/Grimm/Hesse/Schuppert, S. 17. S. Riedinger, in: Caspar/Ewer/Nolte/Waack, Art. 5 Rn. 16. 768 J. Lemke, S. 263. 769 A. v. Mutius, Nordfriesland, S. 40. 770 J. Lemke, S. 300 ff. mit einer detaillierten Darstellung möglicher Fördermaßnahmen. 771 S. Faisst, S. 186 f.; A. v. Mutius, in: ders./Wuttke/Hübner, Art. 5 Rn. 6; ders., Nordfriesland 1990, S. 39, 41; S. Riedinger, in: Caspar/Ewer/Nolte/Waack, Art. 5 Rn. 19; G. Rüdiger, S. 217; J. Lemke, S. 261 ff.; a. A. A. Siegert, S. 111; ähnlich M. J. Hahn, in: Frowein/ Hofmann/Oeter, S. 76. Für einen einklagbaren Anspruch auf Förderung i. V. m. Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG M. Pallek, S. 549. 772 Th. Mann, in: Merten/Papier, Bd. VIII, § 241 Rn. 45. 767

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

ff) Schutz der niederdeutschen Sprache, Art. 13 Abs. 2 SHVerf und Art. 16 Abs. 2 MVVerf Im Hinblick auf die sprachliche Identität sind Art. 13 Abs. 2 SHVerf und Art. 16 Abs. 2 MVVerf bedeutsam. Sprache ist Teil kultureller Identität773, sodass die Minderheitensprachen generell über die Normen zum Schutz der kulturellen Identität von Minderheiten geschützt werden. Dies sind für Schleswig-Holstein Art. 6 Abs. 2 SHVerf und für Mecklenburg-Vorpommern Art. 18 MVVerf. Für die niederdeutsche Sprache bestehen in beiden Landesverfassungen mit Art. 13 Abs. 2 SHVerf und Art. 16 Abs. 2 MVVerf vom Wortlaut her identische Förderaufträge. Es handelt sich bei beiden Normen um Staatszielbestimmungen774, aus denen keine direkten oder individuellen Ansprüche auf Förderung erwachsen775, die den Staat aber zur Förderung der Pflege der niederdeutschen Sprache verpflichten. Für Schutz und Förderung der niederdeutschen Sprache ist beispielsweise an eine ideelle oder finanzielle Förderung der Angebote niederdeutscher Kultur zu denken.776 Die sprachliche Identität ist – entsprechend dem Charakter der Normen als Staatszielbestimmungen – aber eher unspezifisch geschützt. Der Schutz beschränkt sich auf die Tatsache, dass der Schutz und die Förderung der bestimmten Sprache mittelbar und einzelfallabhängig auch immer dem Einzelnen, der diese Sprache beherrscht, zu Gute kommt, indem beispielweise kulturelle Angebote in niederdeutscher Sprache Förderung erfahren. Es ergibt sich zugunsten der sprachlichen Identität des Einzelnen also kein unmittelbarer rechtlicher Schutz, sondern ein vom Kollektiv abgeleiteter Schutz. gg) Art. 25 BbgVerf Art. 25 BbgVerf sieht einen umfangreichen Schutzkatalog für die Rechte des sorbischen/wendischen Volkes vor. (1) Recht auf Schutz, Erhaltung und Pflege der nationalen Identität, des angestammten Siedlungsgebiets und Förderpflicht, Art. 25 Abs. 1 S. 1 BbgVerf Art. 25 Abs. 1 S. 1 BbgVerf enthält ein Recht auf Schutz, Erhaltung und Pflege der nationalen Identität des sorbischen/wendischen Volkes sowie dessen angestammten Siedlungsgebiets. Nationale Identität meint alle Elemente, die prägend für das Selbstverständnis, das heißt die Identität, einer ethnischen Gruppe sind und ihren 773

S. Riedinger, in: Caspar/Ewer/Nolte/Waack, Art. 5 Rn. 21. N. Helle-Meyer, in: Caspar/Ewer/Nolte/Waack, Art. 8 Rn. 18 für Art. 13 SHVerf; B. Thiele, in: ders./Pirsch/Wedemeyer, Art. 16 Rn. 6, 1. 775 N. Helle-Meyer, in: Caspar/Ewer/Nolte/Waack, Art. 8 Rn. 20. 776 N. Helle-Meyer, in: Caspar/Ewer/Nolte/Waack, Art. 8 Rn. 20. 774

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

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Charakter ausmachen.777 Die Formulierung „Erhaltung“ legt nahe, dass die nationale Identität in ihrem Bestand geschützt werden soll.778 Das angestammte Siedlungsgebiet ist für die nationale Identität der Sorben/Wenden von Bedeutung, zumal dieses als Heimat, in dem ihr soziales Leben stattfindet, identitätsstiftend ist. Die Verwirklichung des Rechts auf Schutz, Erhaltung und Pflege der nationalen Identität und des angestammten Siedlungsgebiets wird nach Art. 25 Abs. 1 S. 2 BbgVerf von Land, Gemeinden und Gemeindeverbänden gefördert. Diese Förderung gilt dabei insbesondere der kulturellen Eigenständigkeit sowie der politischen Mitwirkung des sorbischen/wendischen Volkes. Die wirksame politische Mitgestaltung wird durch das einfache Recht gewährleistet. Nach § 5 Sorben-WendenGesetz (SWG) wird für jede Legislaturperiode ein Rat für sorbische und wendische Angelegenheiten gewählt. § 6 SWG sieht einen Beauftragten für sorbische und wendische Angelegenheiten bei den Kommunen vor. Ein solcher Beauftragter ist nach § 5a SWG auch bei der Landesregierung einzurichten. Nach § 3 Abs. 1 S. 2 BbgLWahlG entfällt die 5 %-Sperrklausel bei den von Parteien, politischen Vereinigungen oder Listenvereinigungen der Sorben/Wenden eingereichten Landeslisten. Beide Sätze der Norm sollten aufgrund ihrer inhaltlichen Verbundenheit nicht ungeachtet voneinander ausgelegt werden.779 Es handelt sich bei der Regelung insgesamt um eine Staatszielbestimmung.780 Aufgrund des Förderauftrags aus Art. 25 Abs. 1 S. 2 BbgVerf können Schutz, Erhaltung und Pflege der nationalen Identität und des angestammten Siedlungsgebietes nicht unmittelbar eingefordert werden.781 Die Tatsache, dass der Gebietsschutz bei der Verfassungsgebung lange erörtert wurde782, lässt keinen Schluss auf den Normcharakter zu. Auch die Intention des Gesetzgebers, Vertreibung aus den angestammten Siedlungsgebieten zu vermeiden783, streitet nicht für einen Normcharakter als Grundrecht. Eine Vertreibung kann durch eine, auf einer Staatzielbestimmung fußenden, gesetzgeberische oder exekutive Maßnahme verhindert werden.

777

Bbg. LVerfG, Urt. v. 18. 6. 1998 – 27/97, LKV 1998, S. 395 (404) mit nicht ganz zutreffendem Verweis auf D. Murswiek, in: Isensee/Kirchhof, HStR2 VIII, § 201 Rn. 11. 778 So auch M. Ernst, in: Lieber/Iwers/Ernst, S. 215. 779 So aber Th. Pastor, S. 98 – 101. 780 M. Ernst, in: Lieber/Iwers/Ernst, S. 214; A. Siegert, S. 113; S. Faisst, S. 218. Bei nicht gezielten Eingriffen gegen das Sorbentum Bbg. LVerfG, Urt. v. 18. 6. 1998 – 27/97, LKV 1998, S. 395, 4. Leitsatz; D. Hahn, S. 169 m. w. N. A. A. D. Franke/R. Kier, in: Simon/Franke/Sachs, § 10 Rn. 5; A. H. Stopp, in: Ellwein/Grimm/Hesse/Schuppert, S. 25; M. Pallek, S. 601 ff.; Th. Pastor, S. 100; S. Bendig, NJ 1998, S. 170. 781 A. Siegert, S. 113. 782 S. Bendig, NJ 1998, S. 170. 783 S. Bendig, NJ 1998, S. 170.

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

Die bis dato einzige784 Entscheidung des brandenburgischen LVerfG zum Minderheitenschutz, in der auf den Normcharakter des Art. 25 Abs. 1 S. 1 BbgVerf eingegangen wird, ist die Entscheidung zur durch den Braunkohleabbau bedingten Auflösung der Gemeinde Horno aus dem Jahr 1998.785 Das brandenburgische LVerfG stellte fest, dass der Schutz des angestammten Siedlungsgebiets nach Art. 25 Abs. 1 S. 1 BbgVerf solange als Staatsziel von herausgehobenem Stellenwert anzusehen sei, wie kein gezielter Eingriff gegen das Sorbentum vorliege.786 Ob die Norm subjektivrechtliche Wirkungen bei einem gezielten Eingriff entfaltet, ließ das Gericht ausdrücklich offen.787 Die Differenzierung nach der Zielgerichtetheit des Eingriffs überzeugt indes nicht, da der Normcharakter dadurch einzelfallabhängig wird. Der Normcharakter muss vielmehr einzelfallunabhängig und einheitlich durch Auslegung der Norm bestimmt werden. Auch das Recht auf Schutz, Erhaltung und Pflege der nationalen Identität sei als Staatszielbestimmung zu verstehen.788 Die Regelung ist kollektivrechtlich ausgestaltet.789 Sie adressiert das sorbische/ wendische Volk und nicht den einzelnen Volkszugehörigen. Ob aus der Entstehungsgeschichte auf eine sowohl kollektiv- als auch individualrechtliche Interpretation der Norm geschlossen werden kann790, erscheint fraglich. Hätte der Landesgesetzgeber sowohl einen individual- als auch einen kollektivrechtlichen Schutz bezweckt, so hätte er dies im Wortlaut deutlich machen können. Der durch Art. 25 Abs. 1 BbgVerf vermittelte Schutz wirkt zugunsten des einzelnen Minderheitenangehörigen daher nicht rechtlich, sondern tatsächlich und mittelbar über den Gruppenschutz. (2) Sicherung kultureller Autonomie, Art. 25 Abs. 2 BbgVerf Die kulturelle Autonomie der Sorben/Wenden ist Landesgrenzen übergreifend nach Art. 25 Abs. 2 BbgVerf zu schützen. Damit gemeint ist die länderübergreifende Zusammenarbeit mit den in Sachsen angesiedelten Sorben. Das Land hat auf die Sicherung der kulturellen Autonomie hinzuwirken, wobei die Elemente der kulturellen Autonomie nicht näher beschrieben sind.791 Gemeint ist ein kulturelles

784 Die Entscheidung des BbgVerfG zur Reform der Gemeindestruktur (Beschl. v. 16. 5. 2002 – 57/01, LKV 2002, S. 515) enthält keine Ausführungen zum Normcharakter des Art. 25 Bbg. LVerf. 785 Bbg. LVerfG, Urt. v. 18. 6. 1998 – 27/97, LKV 1998, S. 395 – 408; dazu S. Baer, NVwZ 1997, S. 27 f. 786 Bbg. LVerfG, Urt. v. 18. 6. 1998 – 27/97, LKV 1998, S. 395, 4. Leitsatz und S. 398. 787 Bbg. LVerfG, Urt. v. 18. 6. 1998 – 27/97, LKV 1998, S. 395 (398). 788 Bbg. LVerfG, Urt. v. 18. 6. 1998 – 27/97, LKV 1998, S. 395 (404). 789 M. Ernst, in: Lieber/Iwers/Ernst, S. 214; S. Faisst, S. 216 f.; A. H. Stopp, in: Ellwein/ Grimm/Hesse/Schuppert, S. 25. A. A. S. Bendig, NJ 1998, S. 171. 790 Th. Pastor, S. 103. 791 M. Ernst, in: Lieber/Iwers/Ernst, S. 214.

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

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Selbstbestimmungsrecht.792 Aus diesem kulturellen Selbstbestimmungsrecht kann sodann die kulturelle Identität des sorbischen/wendischen Volkes entstehen beziehungsweise abgesichert oder auch weiterentwickelt werden. Art. 25 Abs. 2 BbgVerf ist eine Staatszielbestimmung793, zumal Verpflichtungsadressat das Land ist und Mittel und Wege der Sicherung der kulturellen Autonomie offengelassen werden. Eine Berechtigung des Einzelnen kann der Norm nicht entnommen werden. Vielmehr wird die kulturelle Autonomie des sorbischen/wendischen Volkes als Gruppe794 gesichert. (3) Sorbische Sprache und Kultur, Art. 25 Abs. 3 BbgVerf Flankiert wird der Schutz der sorbischen nationalen Identität und des Siedlungsgebietes aus Art. 25 Abs. 1 BbgVerf durch Art. 25 Abs. 3 BbgVerf, der dem sorbischen Volk das Recht auf Bewahrung und Förderung der sorbischen Sprache und Kultur im öffentlichen Leben sowie deren Vermittlung in Schulen und Kindertagesstätten gewährleistet. Dies umfasst die Verwendung der sorbischen Sprache im staatlichen, beispielsweise behördlichen Bereich, wodurch der Assimilierungsdruck gemindert wird.795 Diese Regelung ist für die kollektive Identität von hoher Bedeutung, zumal eine gemeinsame Sprache und Kultur potentiell Kernelemente einer Gruppenidentität sind. Die gemeinsame Sprache und Kultur unterscheiden die Minderheit von der anderssprachigen Bevölkerung. Zugleich ist die Verwendung einer Sprache Ausdruck der Identität als Angehöriger eines Sprachraums. Die Vermittlung einer Minderheitensprache bewahrt die Sprache vor dem Aussterben796 und bildet die Basis für den Identitätserhalt der Minderheit. Das brandenburgische LVerfG entschied, dass das enthaltene Recht der Sorben auf Bewahrung ihrer Kultur im öffentlichen Leben eine reine Staatszielbestimmung sei797, wohingegen es sich bei dem Recht der Sorben auf Bewahrung ihrer Sprache im öffentlichen Leben um ein auf normative Ausgestaltung angewiesenes Grundrecht handele.798 Eine überzeugende Begründung für diese Differenzierung liefert das Gericht indes nicht. Eine solche Differenzierung erscheint nicht geboten. Das Recht auf Bewahrung und Förderung der sorbischen Sprache und Kultur im öffentlichen Leben ist vielmehr einheitlich zu sehen, zumal Sprache und Kultur in einem engen inhaltlichen Zusammenhang stehen. Damit sind sowohl Sprache und Kultur des sorbischen/wendischen Volkes zu bewahren und zu fördern. Neben der Verwendung 792

A. H. Stopp, in: Ellwein/Grimm/Hesse/Schuppert, S. 25. A. Siegert, S. 113; Th. Mann, in: Merten/Papier, Bd. VIII, § 241 Rn. 63. 794 A. Siegert, S. 113. 795 Bbg. LVerfG, Urt. v. 18. 6. 1998 – 27/97, LKV 1998, S. 395 (404). 796 Ähnlich A. H. Stopp, in: Ellwein/Grimm/Hesse/Schuppert, S. 28. 797 Bbg. LVerfG, Urt. v. 18. 6. 1998 – 27/97, LKV 1998, S. 395 (405). 798 Bbg. LVerfG, Urt. v. 18. 6. 1998 – 27/97, LKV 1998, S. 395 (404); D. Franke/R. Kier, in: Simon/Franke/Sachs, § 10 Rn. 5; A. H. Stopp, in: Ellwein/Grimm/Hesse/Schuppert, S. 25, 18. 793

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

der Minderheitensprache im öffentlichen Leben darf über Art. 25 Abs. 3 BbgVerf auch die sorbische Kultur, beispielsweise über Sitten und Gebräuche oder traditionelle Kleidung, ins öffentliche Leben eingebracht werden. Art. 25 Abs. 3 BbgVerf ist danach einheitlich als Staatszielbestimmung799 auszulegen. Bewahrung und Förderung richten sich an den Staat, der von ihm näher zu konkretisierende Maßnahmen zur Bewahrung und Förderung der sorbischen Sprache und Kultur treffen muss. Die Maßnahmen werden auch nicht durch den Zusatz der Vermittlung in Schulen und Kindertagesstätten zu einem konkreten Anspruch verdichtet. Vielmehr bleibt dem Gesetzgeber ein nicht unerheblicher Gestaltungsspielraum bei den Maßnahmen zur Bewahrung und Förderung der sorbischen Sprache und Kultur. Hinsichtlich der Frage, ob von Art. 25 Abs. 3 BbgVerf das Kollektiv800 oder das Individuum801 oder gar beide802 geschützt wird, bleibt zu sagen, dass sich ein Identitätsschutz des Einzelnen nur vom kollektiven Schutz in sprachlicher und kultureller Hinsicht ergibt. (4) Öffentliche Beschriftung und sorbische Flagge, Art. 25 Abs. 4 BbgVerf Darüber hinaus ist die sorbische Sprache Bestandteil der öffentlichen Beschriftung (Art. 25 Abs. 4 S. 1 BbgVerf). Durch diese Einbeziehung soll der Assimilierungsdruck abgemildert werden.803 Es handelt sich als Konkretisierung des Art. 25 Abs. 2 BbgVerf um eine Staatszielbestimmung.804 Art. 25 Abs. 4 S. 1 BbgVerf richtet sich nicht an das Individuum.805 Einbezogen in die öffentliche Beschriftung wird die sorbische Sprache als solche. Die Farben der sorbischen/wendischen Fahne sind in Art. 25 Abs. 4 S. 2 BbgVerf verfassungsrechtlich festgeschrieben. Fahnen und Flaggen können der Übertragung von Informationen oder dem Transport von Botschaften dienen und sind im Hinblick auf Identität aber jedenfalls Ausdruck kollektiver Identitäten.806 Sie sind das Symbol und Erkennungsmerkmal von Nationen, Gruppen, Vereinen, Bewegungen und sonstigen Zusammenschlüssen. Der Einfluss auf die Identität des Individuums ist 799 Th. Pastor, S. 103 f.; vgl. Th. Mann, in: Merten/Papier, Bd. VIII, § 241 Rn. 64; a. A. A. Siegert, S. 114; D. Franke/R. Kier, in: Simon/Franke/Sachs, § 10 Rn. 5. 800 So zumindest für die Vermittlung der sorbischen Sprache A. H. Stopp, in: Ellwein/ Grimm/Hesse/Schuppert, S. 25. 801 So A. Siegert, S. 113 f.; die in der Möglichkeit des Unterrichts in der Minderheitensprache einen individuellen Schutz sieht. 802 Th. Pastor, S. 103. 803 Bbg. LVerfG, Urt. v. 18. 6. 1998 – 27/97, LKV 1998, S. 395 (404). 804 S. Faisst, S. 221; ausdrücklich offengelassen M. Ernst, in: Lieber/Iwers/Ernst, S. 224; a. A. D. Franke/R. Kier, in: Simon/Franke/Sachs, § 10 Rn. 5; A. Siegert, S. 113. 805 So auch A. Siegert, S. 114. 806 Fr. Ebert, S. V.

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

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damit ein tatsächlicher und vom Kollektiv abgeleiteter. Ob die Festschreibung von Farben der sorbischen/wendischen Fahne als rein symbolischer Akt807 oder als Festschreibung im Rang eines Verfassungsguts808 zu verstehen ist, kann hier dahinstehen. Art. 25 Abs. 4 S. 2 BbgVerf beschreibt lediglich das Aussehen der sorbischen Fahne, ohne konkrete Ansprüche oder Rechte zu formulieren. Ein Schutz der Identität des Einzelnen über die Wirkung der Fahne als Symbol und Erkennungsmerkmal hinaus wird durch Art. 25 Abs. 3 S. 2 BbgVerf nicht formuliert. e) Fazit zum landesverfassungsrechtlichen Minderheitenschutz Subjektive Rechte des einzelnen Minderheitenangehörigen und ein gegenüber den anderen Minderheitenschutznormen starker Schutz individueller Identität ergeben sich nur aus Art. 37 Abs. 3 LSAVerf und Art. 6 Abs. 1 SHVerf, die das freie Bekenntnis zu einer kulturellen oder ethnischen beziehungsweise nationalen Minderheit schützen. Elemente des ansonsten in Form von Staatzielbestimmungen gewährleisteten landesverfassungsrechtlichen Identitätsschutzes sind Sprache, Kultur, politische Mitwirkung und (kulturelle) Eigenständigkeit. Diese sind jedoch nicht individualrechtlich, sondern kollektivrechtlich als Minderheitenschutznormen verbürgt. Ihre identitätsschützende Wirkung entfalten diese Normen daher für das Kollektiv und nur mittelbar für das einzelne Mitglied oder gerade Nichtmitglied. Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit zu einer Minderheit sind aber jeweils auch nur ein Bestandteil individueller Identität unter vielen weiteren. Kollektivrechtlicher und individualrechtlicher Identitätsschutz bestehen grundsätzlich nebeneinander.809

19. Fazit zum verfassungsrechtlichen Schutz individueller Identität Der Schutz individueller Identität wird durch die Grundrechte des Grundgesetzes umfangreich gewährleistet. In Bereichen, in denen der persönliche Schutzbereich der identitätsschützenden Grundrechte des Grundgesetzes staatsangehörigkeitsbedingte Einschränkungen erfährt, greifen völkerrechtliche und europarechtliche Gewährleistungen ein. Das Landesverfassungsrecht enthält eine Reihe an identitätsschützenden Gehalten, die insbesondere im Bereich des Minderheitenschutzes zahlreich sind.

807

S. Faisst, S. 221. D. Franke/R. Kier, in: Simon/Franke/Sachs, § 10 Rn. 5. 809 So i. E. auch A. H. Stopp, in: Ellwein/Grimm/Hesse/Schuppert, S. 51 f.; O. Kimminich, APuZ 1985, S. 14 (21 f.). 808

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

a) Umfang des identitätsbezogenen Schutzprogramms des Grundgesetzes Sowohl die freiheits- als auch die gleichheitsrechtlichen Garantien des Grundgesetzes schützen die individuelle Identität des Menschen. Es handelt sich um ein in sachlicher Hinsicht sehr umfangreiches Schutzprogramm, wobei den sachlichen Schutzbereichen der Grundrechte mannigfaltige Ansatzpunkte für den Schutz individueller Identität zu entnehmen sind. Aus diesem Grund sind die Ausführungen nicht abschließend zu verstehen. Sie können dem dynamischen Prozesscharakter und der Individualität von Identität entsprechend keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Je nach Lage des Einzelfalls sind die einschlägigen Grundrechte und deren identitätsschützende Wirkung zu berücksichtigen. Schutzlücken, die durch eine Einschränkung des persönlichen Schutzbereichs identitätsschützender Grundrechte auf Deutsche im Sinne des Art. 116 GG entstehen, können für Unionsbürger über Art. 18 AEUV oder aber auch eine Anhebung des Schutzniveaus des Art. 2 Abs. 1 GG geschlossen werden. Zudem können sich Unionsbürger auf identitätsschützende Grundfreiheiten des AEUV und beim Vollzug des Unionsrechts durch die Mitgliedstaaten auf identitätsschützende Gewährleistungen der GrCh berufen. Lückenschließende und identitätsschützende Gewährleistungen finden sich auch in der EMRK und dem IPbpR, die bei der Auslegung des Grundgesetzes zu berücksichtigen sind. b) Abgleich mit den Erkenntnissen der sozialwissenschaftlichen Identitätsforschung Der grundrechtliche Identitätsschutz entspricht in weiten Teilen dem, was in den Sozialwissenschaften unter Identität verstanden wird. So findet sich im grundrechtlichen Identitätsschutz deutlich der Ansatz dialogischer Identitätsbildung zwischen dem Inneren der Person (Privatheit und Privatsein) und der äußeren Umgebung der Person (Zusammenschluss mit anderen). Dass Identität die Reaktion auf Vorgegebenes ist, spiegelt sich insbesondere im Recht auf Selbstdarstellung wider. Auch geht das Grundgesetz entsprechend der sozialwissenschaftlichen Identitätsforschung nicht von einer vollkommenen Identität, sondern einem Entwicklungsprozess im Sinne eines Entfaltungsprozesses aus. Grundrechtlich geschützt werden entsprechend dem sozialwissenschaftlichen Verständnis Teilidentitäten. Dadurch, dass der grundrechtliche Identitätsschutz das Individuum und sein Selbstverständnis grundsätzlich in den Schutzfokus rückt, wirkt auch der grundrechtliche Identitätsschutz auf die freie Herausbildung eines individuellen Selbstverständnisses hin. In zeitlicher Hinsicht begleitet der grundrechtliche Schutz das Individuum ebenso lebenslang wie der Prozess der Identitätsbildung. Der grundrechtliche Identitätsschutz ist wie der sozialwissenschaftliche Identitätsbegriff bezogen auf Vergan-

II. Der Schutz individueller Identität als verfassungsrechtliche Aufgabe

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genheit (Herkunft, Heimat, Abstammung), Gegenwart (alle Grundrechtsgarantien) und Zukunft (Schutz des Lebensentwurfs der Person). c) Modell des grundrechtlichen Schutzes individueller Identität Wie die Untersuchungen gezeigt haben, ist der grundrechtliche Schutz der Privatsphäre von Bedeutung für die individuelle Identität. Verbunden mit dem Recht auf private Lebensgestaltung ist die sogenannte Sphärentheorie.810 Demnach wird strikt zwischen Privats- und Öffentlichkeitssphäre unterschieden und die Schutzdichte des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG je nach betroffener Sphäre ausgehend vom starken Schutz im Bereich des Kernbereichs privater Lebensgestaltung hin zu einem geringeren Schutz in der Öffentlichkeitssphäre variiert. Nun verlockt es, dieses Modell auch zur Ordnung des grundrechtlichen Identitätsschutzes heranzuziehen und die Grundrechte, die ihre identitätsschützende Wirkung über den Schutz der Privatsphäre herstellen, von denen zu unterscheiden, die den Schutz der individuellen Identität in der Öffentlichkeit bezwecken. Aus Sicht des grundrechtlichen Schutzes individueller Identität ist das Modell aber unpassend. Neben dem Schutz der Privatsphäre sind für die individuelle Identität des Einzelnen auch der Schutz seiner Rollenidentitäten, der Selbstdarstellung, seiner handlungsbezogenen Freiheiten und der außerhalb des Privaten liegende Zusammenschluss mit anderen auch in der Öffentlichkeit maßgeblich. Hier kann es auch keine Abstufung der Bedeutung von besonders bedeutenden und damit schützenswerten Grundrechten im Bereich der Privatsphäre und solchen weniger bedeutenden und dadurch weniger schützenswerten Grundrechten im Bereich der Öffentlichkeitssphäre geben, zumal die Bedeutung für die Identität höchstindividuell ist. Die identitätsrelevanten Gehalte der Grundrechte erstrecken sich gerade über die private Sphäre hinaus in die öffentliche Sphäre, wobei dem öffentlichen Bereich keine geringere Identitätsrelevanz zu entnehmen ist als dem privaten Bereich. Die Identitätsbildung ist auf beide Bereiche gleichermaßen angewiesen. Eine Abstufung nach Sphären widerspricht dem höchst individuellen Charakter von Identität und den Grundlagen des Identitätsbildungsprozesses. Gerade die geschlechtliche Identität ist etwas höchst Intimes und wird durch die Erfassung im Personenstandsregister nicht zum Teil der Sozialsphäre811, der Privatsphäre 812 oder weniger identitätsrelevant. Aus der Untersuchung der identitätsschützenden Gehalte der Grundrechte des Grundgesetzes ergibt sich folgendes Bild: Grundrechtlicher Identitätsschutz hat im Wesentlichen drei Ebenen. Da sind zunächst die Grundbedingungen, ohne die ein Schutz der Identität des Menschen nicht möglich ist. Hierzu zählen die sich insbesondere aus der Menschenwürde speisende Anerkennung der Subjektqualität des Menschen und die insbesondere durch Art. 2 Abs. 2 GG geschützte physische und 810 811 812

Zur Entwicklungsgeschichte J. M. Barrot, S. 29 ff. A. A. J. Froese, JZ 2016, S. 1069 (1070). A. Kolbe, S. 106.

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E. Individuelle Identität als verfassungsrechtliches Schutzgut

psychische Integrität des Menschen. In eingeschränktem Umfang zählt hierher auch die Staatsangehörigkeit als Voraussetzung der Inanspruchnahme staatsbürgerlicher Rechte. Eine umfangreiche Bindung deutscher Staatsgewalt ergibt sich für die Deutschengrundrechte aus dem Grundgesetz, aber auch aus dem Völker- und Europarecht, sodass der Schutz der Staatsangehörigkeit allenfalls eingeschränkt zu den Grundbedingungen grundrechtlichen Identitätsschutzes zählen kann. Die zweite Ebene betrifft Faktoren, die unabhängig von einer bestimmten Teilidentität und einem bestimmen Lebensbereich die wesentlichen und übergreifenden Faktoren des grundrechtlichen Identitätsschutzes bilden. Sie beanspruchen Geltung für den grundrechtlichen Identitätsschutz aller Teilidentitäten und aller Lebensbereiche. Diese übergreifenden Faktoren grundrechtlichen Identitätsschutzes sind Freiheit, Selbstbestimmung, Selbstverständnis und Individualität. Sie bilden – in unterschiedlicher Ausprägung – das Fundament der identitätsschützenden Gehalte der Grundrechte. Freiheit hat sich als wesentlicher Faktor des Identitätsschutzes aller Freiheitsgrundrechte im Sinne von Handlungs- und Entscheidungsfreiheit erwiesen. Einher damit geht die zentrale Stellung von Selbstbestimmung. Es hat sich gezeigt, dass die Deutungshoheit über die eigene Identität beim Individuum liegt, dessen Selbstverständnis im Zentrum grundrechtlichen Identitätsschutzes steht. Folge dessen ist die grundrechtliche Anerkennung der Individualität von Identität. Auf der dritten Ebene sind die verschiedenen durch die Grundrechte geschützten Teilbereiche im Sinne von Säulen des Identitätsschutzes zu nennen. Hierzu zählt die Dualität von Privatheit und der Beziehung des einzelnen Menschen zu anderen Menschen, das heißt das Soziale. Beide Bereiche sind von großer Bedeutung für den Schutz individueller Identität. Der Bereich der Kommunikation steht dabei an der Schnittstelle zwischen Privatem und Sozialem. Die geschützte Selbstdarstellung des Menschen zählt zum sozialen Bereich der Identitätsbildung. Eng mit der Selbstdarstellung verbunden ist der Schutz vor unzutreffenden Identitätserwartungen. Zur dritten Schutzebene zählt auch der grundrechtliche Schutz von Rollenidentitäten, der traditionellerweise für den Bereich Ehe und Familie besonders ausgeprägt ist, aber grundsätzliche jede Rollenidentität des Einzelnen umfasst. Zudem ist als materielle Säule des Identitätsschutzes der Schutz der materiellen Lebensgrundlage, die sich insbesondere aus Eigentum und Beruf ergibt, zu nennen. Immaterielle Säulen des grundrechtlichen Identitätsschutzes sind der Schutz der Überzeugungen des Menschen, der identitätsstiftenden Orte sowie des Berufs als identitätsstiftende Aufgabe. Das Hinwirken auf Chancengleichheit sowie der Respekt vor persönlichen Merkmalen der Person zählen ebenso zur dritten Schutzebene des grundrechtlichen Identitätsschutzes.

F. Personenstandsrechtliche Restriktion individueller Identität Es bleibt zu untersuchen, inwiefern die sehr umfangreich durch die Grundrechte geschützte individuelle Identität des Menschen durch rechtliche Identitätsvorgaben des Personenstandsrechts eingeschränkt wird.

I. Das Spannungsverhältnis zwischen dem grundrechtlichen Schutz individueller Identität und den personenstandsrechtlichen Kategorien Wie gezeigt wurde, ist Identität etwas höchst Individuelles und Vielfältiges. Die Grundrechte des Grundgesetzes schützen die individuelle Identität umfassend und gerade auch in ihrer dem Selbstverständnis des einzelnen Grundrechtsberechtigten entspringenden Individualität. An die Gewährleistungen der identitätsschützenden Grundrechte ist die staatliche Gewalt über Art. 1 Abs. 3 GG umfassend und unmittelbar gebunden. Das Individuum bildet seine Identität nicht völlig losgelöst von seiner Umwelt heraus. Der Prozess der Identitätsbildung vollzieht sich dialogisch zwischen dem Inneren und dem Äußeren des Menschen. Folge des Einbezugs der äußeren Umgebung des Menschen in den Prozess der Identitätsbildung ist, dass Identitätsentscheidungen des Individuums innerhalb der Bandbreite von äußerlich vorgegebenen Optionen erfolgen1. Diese äußerlichen Optionen hält nicht nur das soziale und wirtschaftliche Umfeld, das heißt private Dritte, bereit, sondern sie können auch in Form von identitätsrelevanten rechtlichen Vorgaben2 an den Einzelnen herangetragen werden. Wenn rechtliche Identitätserwartungen die grundrechtlich geschützte Individualität von Identität nicht abbilden oder gar negieren, kollidiert dies mit dem grundrechtlich gewährleisteten Schutz individueller Identität. Je konkreter die rechtliche Identitätserwartung ist und je geringer die rechtlich abgebildete Vielfalt, desto wahrscheinlicher wird eine Kollision mit dem Selbstentwurf des Individuums

1 G. Britz, Freie Entfaltung durch Selbstdarstellung, S. 15, die dieses Phänomen „graduelle Autonomie“ nennt. 2 Vgl. E. Holzleithner, in: Querelles 2009, S. 37 (43).

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F. Personenstandsrechtliche Restriktion individueller Identität

und ein Eingriff in die identitätsschützenden Grundrechte durch rechtliche Identitätsvorgaben. Identitätserwartungen seitens des Staates werden unter anderem durch das Personenstandsrecht an das Individuum herangetragen. Die Eintragungen in Personenstandsregister sind zum einen überhaupt personenbezogen. Gerade die personenstandsrechtlichen Kategorien3 sind darüber hinaus aber auch persönlichkeits- und identitätsbezogen.4 Die Funktionen des Personenstandsrechts und das Interesse an einer freien und selbstbestimmten Identitätsbildung stehen sich direkt gegenüber. Anliegen des Personenstandsrechts ist gerade nicht die Förderung der Persönlichkeitsentwicklung des Individuums, sondern eine möglichst genaue und lückenlose Erfassung der Person anhand personenstandsrechtlicher Eintragungen, die der Identifizierungsund Unterscheidungsfunktion, der statistikrechtlichen Funktion, sowie der steuerund wehrrechtlichen Funktion gerecht wird.

II. Zur geschlechtlichen Identität Eine besonders geringe Kategorienvielfalt und eine dadurch erhöhte Eingriffswahrscheinlichkeit in identitätsschützende Grundrechte besteht für die personenstandsrechtliche Eintragung des Geschlechts. Die begrenzten Eintragungsmöglichkeiten stehen dem Schutz der Anerkennung der selbstbestimmten geschlechtlichen Identität aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG und dem Diskriminierungsverbot aufgrund des Geschlechts aus Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG gegenüber.

1. Fall zur geschlechtlichen Identität und deren Eintragung in Personenstandsregister Das Spannungsverhältnis zwischen dem grundrechtlichen Schutz individueller Identität und dem Personenstandsrecht wird in Fällen der personenstandsrechtlichen Erfassung intersexueller Personen, die Gegenstand in einem Verfahren vor dem BVerfG war5, deutlich. In allen vier Personenstandsregistern wird das Geschlecht der betreffenden Person eingetragen (§ 21 Abs. 1 Nr. 3 PStG für das Geburtenregister, § 15 Abs. 1 Nr. 2 PStG für das Eheregister, § 15 Abs. 1 Nr. 2 PStG i. V. m. § 17 S. 1 PStG für das Le3

Zu den Eintragungen siehe unter D. II. Siehe dazu unter D. III. 8. c) bb). 5 BVerfGE 147, 1 = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16; abgedruckt in StAZ 2018, S. 15 – 21 mit Anmerkung v. S. Wiggerich, S. 21 – 23; instruktive Darstellung der Entscheidung bei M. Sachs, JuS 2018, S. 399 – 401; siehe auch U. Aichhorn, EF-Z 2018, S. 161 f. 4

II. Zur geschlechtlichen Identität

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benspartnerschaftsregister und § 31 Abs. 1 Nr. 1 PStG für das Sterberegister). Die zeitlich gesehen erste Eintragung des Geschlechts erfolgt im Geburtenregister. § 22 Abs. 3 PStG sah für die Eintragung des Geschlechts in das Geburtenregister neben der Möglichkeit des freibleibenden Eintrags nur die Eintragungsmöglichkeiten „männlich“ und „weiblich“ vor. Das Gleiche gilt nach Nr. 21.4.3 PStG-VwV, die freilich reines Innenrecht der Verwaltung ist: „Das Geschlecht des Kindes ist mit „weiblich“ oder „männlich“ einzutragen. Eine Eintragung unterbleibt, wenn das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden kann. Umschreibungen wie „ungeklärt“ oder „intersexuell“ sind nicht zulässig.“ Das Personenstandsrecht geht demnach von einer binären Geschlechterstruktur aus. Bei der Geburtsurkunde kann anders als im Geburtenregister auf Verlangen der Betroffenen nach § 59 Abs. 2 PStG der Geschlechtseintrag komplett entfallen. Die beschwerdeführende Person6 wurde als weiblich im Geburtenregister erfasst und begehrte zunächst beim Standesamt und sodann vor den Zivilgerichten eine Änderung des Geschlechtseintrags im Geburtenregister dahingehend, dass das Geschlecht mit „inter/divers“ oder hilfsweise „divers“ eingetragen wird.7 Als Nachweis der Intersexualität legte die antragstellende Person eine Analyse ihres Chromosomensatzes vor, nach der sie aufgrund eines fehlenden zweiten Gonosoms (TurnerSyndrom) weder als Mann noch als Frau einzuordnen sei.8 Das Standesamt lehnte eine solche Eintragung ab. Ebenso entschieden das AG Hannover9 und das OLG Celle10. Daraufhin wendete sich die antragstellende Person an den BGH.

a) Die Entscheidung des BGH Der BGH entschied im Sinne der vorangegangenen Instanzen, dass eine intersexuelle Person keinen Anspruch auf eine Eintragung als „inter“ oder „divers“ in das Geburtenregister habe.11 Stattdessen bliebe der Personenstandseintrag nach § 22 6 Das BVerfG, das in seinen Entscheidungen üblicherweise sprachlich der binären Struktur zwischen „Beschwerdeführer“ und „Beschwerdeführerin“ folgt, entschied sich in seiner Entscheidung zur Intersexualität für die geschlechtsneutrale und auf die Person abstellende Formulierung „beschwerdeführende Person“. Ebenso verwendete der BGH in der Ausgangsentscheidung den Begriff der „antragstellenden Person“. Dies ist im Falle einer intersexuellen beschwerdeführenden Person sachgerecht, zumal diese weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht eindeutig zuzuordnen ist. Es wird im Folgenden daher auch von den Begriffen der antragstellenden Person und beschwerdeführenden Person ausgegangen werden. 7 Eine solche Lösung bejahend S. L. Gössl, StAZ 2015, S. 171 (173 f.). 8 K. Märker hält dieses Gutachten unrichtigerweise als Beweis für unzureichend und verneint in der Folge zu Unrecht die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde beim BVerfG, NZFam 2018, S. 1 (2). 9 AG Hannover, Entsch. v. 13. 10. 2014 – 85 III 105/14. 10 OLG Celle, Entsch. v. 21. 1. 2015 – 17 W 28/14 = StAZ 2015, S. 107 f.; dazu S. L. Gössl, StAZ 2015 S. 171 – 174. 11 So i. E. auch schon LG München I NJW-RR 2003, S. 1590 (1591) und zuvor in gleicher Sache AG München NJW-RR 2001, 1586 (1587).

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F. Personenstandsrechtliche Restriktion individueller Identität

Abs. 3 PStG und Nr. 21.4.3 PStG-VwV frei.12 Dies ist insofern nicht zu kritisieren, als dass die Möglichkeit des freibleibenden Geschlechtseintrags seit dem Personenstandsrechts-Änderungsgesetz aus dem Jahr 201313 geltendes einfaches Recht ist. Vor der Gesetzesänderung aus dem Jahre 2013 fehlte im PStG eine gesetzliche Regelung. Eine Regelung zur Geschlechtszuordnung von sogenannten Zwittern enthielt schon das Allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten aus dem Jahre 1794 (ALR). Nach dem 1. Teil 1. Titel § 19 Abs. 1 S. 1 ALR bestimmten die Eltern im Falle von Zwittern, zu „welchem Geschlechte sie erzogen werden sollen“. Nach Vollendung des 18. Lebensjahres konnte die betroffene Person sodann selbst über ihre Geschlechtszugehörigkeit entscheiden, 3. Teil 1. Titel § 20 Abs. 1 S. 1 ALR. Nach § 2 S. 3 Hs. 1 des ersten Teils 3. Kapitel des Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis von 1756 wurden „Hermaphroditen“ nach Meinung Sachverständiger („Verständiger“) entweder dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zugeordnet oder aber im Falle der Unmöglichkeit der Zuordnung durch die Sachverständigen selbst entschieden. Nach § 46 S. 2 Sächsisches BGB von 1865 wurde eine Person, deren Geschlecht zweifelhaft ist, dem bei ihr vorherrschenden Geschlecht zugeordnet. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist kritikwürdig, dass der BGH die grundrechtlich geschützte Identitätsrelevanz des Geschlechtseintrags nicht würdigt14 und auch die Rechtsprechung des BVerfG zur Transsexualität nicht berücksichtigt15. Der Gerichtshof stellt fest, dass eine verfassungskonforme Auslegung des § 22 Abs. 3 PStG nicht angezeigt sei16 und dass er die §§ 21 Abs. 1 Nr. 3, 22 Abs. 3 PStG nicht für verfassungswidrig halte17. Der BGH überlässt die rechtliche Anerkennung der geschlechtlichen Identität vielmehr dem Gesetzgeber.18 Die rechtliche Umsetzung der Anerkennung geschlechtlicher Identität liegt zwar zweifelsohne beim Gesetzgeber. Eine kritischere Prüfung der beanstandeten Normen auf mögliche Grundrechtsverletzungen wäre aber vor dem Hintergrund des umfassenden grundrechtlichen Schutzes individueller Identität angemessen gewesen.19 Der BGH sieht in der Folge 12 BGH, Beschl. v. 22. 6. 2016 – XII ZB 52/15; zur Möglichkeit des freibleibenden Eintrags T. Helms, in: FS für Brudermüller, S. 301 (303 ff.). 13 Personenstandsrechts-Änderungsgesetz v. 7. 5. 2013, BGBl. I, S. 1122. 14 F. Brachthäuser/J. Remus, NJW 2016, S. 2887; J. Froese, JZ 2016, S. 1069 (1070); ähnlich J. T. Theilen, StAZ 2016, S. 295 (300). 15 So auch W. Sieberichs, FamRZ 2016, S. 1582. 16 BGH, Beschl. v. 22. 6. 2016 – XII ZB 52/15, Rn. 7. 17 BGH, Beschl. v. 22. 6. 2016 – XII ZB 52/15, Rn. 21. 18 BGH, Beschl. v. 22. 6. 2016 – XII ZB 52/15, Rn. 26. 19 In diesem Sinne entschied der BGH erst kürzlich in einem anderen Fall, dass ein Frau-zuMann-Transsexueller Mutter und nicht Vater im Sinne des Rechts und als solche auch im Geburtenregister des Kindes einzutragen sei. Auch in diesem Fall sah der Senat ausdrücklich keine Veranlassung für eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG (BGH, Beschl. v. 6. 9. 2017 – XII ZB 660/14, StAZ 2017, S. 369 – 373).

II. Zur geschlechtlichen Identität

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in den Eintragungsmöglichkeiten nach §§ 21 Abs. 1 Nr. 3, 22 Abs. 3 PStG keine Grundrechtsverletzung, was nach seiner Argumentation zwar folgerichtig, aber dennoch unzutreffend ist. Der BGH führt zwar keine Gründe für eine mögliche Verfassungswidrigkeit der §§ 21 Abs. 1 Nr. 3, 22 Abs. 3 PStG an. Wohl aber nennt er drei Aspekte, die dagegensprechen sollen. aa) Die Löschungsmöglichkeit Der BGH verweist auf die Möglichkeit, die bestehende Eintragung „weiblich“ aus dem Register löschen lassen zu können.20 Hierzu ist zu sagen, dass diese Möglichkeit nach geltendem Recht besteht. Der Verweis auf geltendes einfaches Recht taugt aber nicht als tragfähiges Argument gegen ein verfassungsrechtliches Spannungsverhältnis. Zudem widerspricht diese Argumentation der Normenhierarchie und der Verweis auf geltendes einfaches Recht führt dazu, dass das Verfassungsrecht bei der Prüfung außer Betracht bleibt. bb) Die Spiegelfunktion des Personenstandsrechts Außerdem führt der BGH gegen eine mögliche Grundrechtsverletzung die Spiegelfunktion des Personenstandsrechts an. Aufgrund der Spiegelfunktion komme dem Eintrag des Geschlechts in das Geburtenregister ohnehin keine konstitutive Wirkung und kein materieller Gehalt zu.21 Eintragungen in Personenstandsregister hätten lediglich dienende Funktion.22 Die fehlende konstitutive Bedeutung eines Eintrags als „inter“ oder „divers“ begründet der BGH damit, dass das materielle Familienrecht keine spezifischen Regelungen für ein durch „inter“ oder „divers“ bezeichnetes Geschlecht bereithielte.23 Für die Schaffung einer weiteren Geschlechtskategorie fehle es an entsprechenden materiell-rechtlichen Regelungen.24 An dieser Stelle zeigt sich das grundlegende Problem der Spiegelfunktion. Sie vereitelt von vornherein die verfassungsrechtliche Perspektive auf das Personen-

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BGH, Beschl. v. 22. 6. 2016 – XII ZB 52/15, Rn. 22; ebenso A. Dutta/T. Helms, StAZ 2017, S. 98 (99). 21 BGH, Beschl. v. 22. 6. 2016 – XII ZB 52/15, Rn. 24; zustimmend K. Märker, NZFam 2018, S. 1 (2), der in der Folge die für die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde notwendige mögliche Rechtsverletzung verneint; vgl. V. Lipp, in: Laufs/Katzenmeier/Lipp, Kapitel VII. Rn. 37, der davon ausgeht, dass die Personenstandsregister den Personenstand eines Menschen dokumentieren, aber nicht begründen. 22 BGH, Beschl. v. 22. 6. 2016 – XII ZB 52/15, Rn. 15; ähnlich wohl E. Richter, in: Schochow/Gehrmann/Steger, S. 279 (281), der von einer „wichtigen Hilfsfunktion“ des Personenstandsrechts für andere Rechtsbereiche spricht. 23 BGH, Beschl. v. 22. 6. 2016 – XII ZB 52/15, Rn. 24. 24 BGH, Beschl. v. 22. 6. 2016 – XII ZB 52/15, Rn. 16.

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F. Personenstandsrechtliche Restriktion individueller Identität

standsrecht.25 Dies ist vor dem Hintergrund des umfassenden grundrechtlichen Identitätsschutzes nicht sachgerecht. Das Grundgesetz geht grundsätzlich von einem individuellen Schutz auch der geschlechtlichen Identität aus. Das Personenstandsrecht enthält identitätsrelevante rechtliche Kategorien. Zwar mag sich das Personenstandsrecht nicht mit der geschlechtlichen Identität befassen26, an den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Schutzes der Geschlechtsidentität ist es aber allemal zu messen. Das Unterbleiben einer verfassungsrechtlichen Prüfung der personenstandsrechtlichen Regelungen wird der Bedeutung des grundrechtlichen Identitätsschutzes nicht gerecht. Das hergebrachte Verständnis von der Spiegelfunktion des Personenstandsrechts verhindert überhaupt das Anknüpfen an das Personenstandsrecht für eine verfassungsrechtliche Bewertung desselben. Zwar stimmt es, dass das materielle Recht keine Regelungen explizit für Intersexuelle bereithält. Dies ist aber kein Argument gegen die verfassungsrechtliche Möglichkeit der Schaffung neuer Optionen der Geschlechtsangabe. Vielmehr ist im Falle der Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Personenstandsrechts das mit den betroffenen Normen des Personenstandsrechts korrespondierende Recht anzupassen. cc) Der Nichtstatus der Person Folge der Spiegelfunktion ist auch, dass einem freibleibenden personenstandsrechtlichen Eintrag keine rechtliche Bedeutung zugemessen wird. Wegen des mangelnden materiellen Gehalts des Personenstandsrechts mache es nach Ansicht des BGH im Ergebnis für eine von einem personenstandsrechtlichen Eintrag betroffene Person keinen verfassungsrechtlich bedeutsamen Unterschied, ob ein Geschlechtseintrag offenbleibt oder ein positiver Eintrag vorgenommen wird, da dieser Eintrag nur deklaratorische Wirkung entfalte.27 Dies ist vor dem Hintergrund des Identitätsbezugs personenstandsrechtlicher Eintragungen und dem umfassenden grundrechtlichen Identitätsschutz kritikwürdig. Demnach kommt es nicht darauf an, welcher Unterschied sich aus einer personenstandsrechtlichen Eintragung materiellrechtlich ergibt.28 Bedeutsam ist vielmehr das verfassungsrechtlich verbürgte Recht auf positive Anerkennung des geschlechtlichen Personenstands.29

25 26 27

(121). 28 29

Siehe dazu unter D. III. 8. b). K. Märker, NZFam 2018, S. 1 (4). BGH, Beschl. v. 22. 6. 2016 – XII ZB 52/15, Rn. 24; kritisch A. Röthel, JZ 2017, S. 116 So auch A. Röthel, JZ 2017, S. 116 (121). Siehe dazu unter E. II. 1. d) bb) (4).

II. Zur geschlechtlichen Identität

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dd) Staatliche Ordnungsinteressen In der weiteren Begründung führt der BGH an, dass staatliche Ordnungsinteressen bei der Schaffung eines weiteren Geschlechts in „erheblicherem Umfang betroffen“ seien als bei der (verfassungs-)rechtlichen Anerkennung von Transsexualität, die sich innerhalb der binären Geschlechterstruktur vollziehe.30 Richtig ist, dass der durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht vermittelte Schutz der Geschlechtsidentität der Schranke der verfassungsmäßigen Ordnung aus Art. 2 Abs. 1 GG unterliegt. Zu kritisieren ist, dass der BGH nicht genauer auf diese staatlichen Ordnungsinteressen eingeht und diese insbesondere nicht deutlich benennt.31 Es kann nur vermutet werden, welche staatlichen Ordnungsinteressen der BGH meint. Vermutlich spricht der BGH mit den staatlichen Ordnungsinteressen die Identifizierungsund Unterscheidungsfunktion an, da diese durch die rechtliche Anerkennung weiterer geschlechtlicher Kategorien betroffen sein könnte. ee) Ähnliche Argumentation des französischen Kassationsgerichts Das französische Kassationsgericht32 argumentierte in einer Entscheidung aus dem Jahr 2017 ähnlich wie der BGH. Die antragstellende Person begehrte das Ersetzen des männlichen Geschlechtseintrags im Personenstandsregister durch „sexe neutre“ oder „intersexe“. Dem gab der Präsident des Tribunals de Grande Instance aus Tours in erster Instanz statt. Die Staatsanwaltschaft legte jedoch Beschwerde beim Berufungsgericht in Orléans ein. Nachdem das Berufungsgericht den Beschluss des Tribunals de Grande Instance aus Tours aufhob, legte die beschwerdeführende Person Revision ein und machte eine Verletzung des Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) geltend. Die erste Kammer des Kassationsgerichts bejahte zwar – anders als der BGH – einen Eingriff in Art. 8 EMRK durch den männlichen Geschlechtseintrag. Dieser sei aber verhältnismäßig, weil eine binäre Geschlechterordnung für die soziale und rechtliche Organisation der Gesellschaft unerlässlich sei. Zudem seien durch eine von der binären Geschlechterordnung abweichenden Eintragung die Ziele des Personenstands gefährdet. b) Beschluss des BVerfG Die betroffene Person im deutschen Verfahren erhob nach der Entscheidung durch den BGH Verfassungsbeschwerde beim BVerfG. Damit rügt die beschwerdefüh30

BGH, Beschl. v. 22. 6. 2016 – XII ZB 52/15, Rn. 27. So auch J. T. Theilen, StAZ 2016, S. 295 (300). 32 Cour de Cassation, Première chambre civile, Urt. v. 4. 5. 2017, Nr. 16 – 17.189 – D c./ Procureur général près la Cour d’appel d’Orléans; dazu F. Ferrand/L. Francoz-Terminal, FamRZ 2017, S. 1456 (1459). 31

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rende Person die Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG und eine auf dem Merkmal Geschlecht beruhende Diskriminierung nach Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG sowie einen Verstoß gegen das allgemeine Gleichbehandlungsgebot aus Art. 3 Abs. 1 GG durch § 21 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. § 22 Abs. 3 PStG. Die Normen sehen den Eintrag des Geschlechts in das Geburtenregister und das Freibleiben des Eintrags in Fällen, in denen ein Kind keinem der beiden Geschlechter zugeordnet werden kann, vor. Das BVerfG33 entschied deutlich mit 7:1 Stimmen, dass die angegriffenen Regelungen mit dem Grundgesetz unvereinbar seien. Konkret stellte das BVerfG Verstöße gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG und zudem gegen Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG fest. Mit seiner Entscheidung stellt das BVerfG höchstrichterlich und richtigerweise klar, dass abseits der Spiegelfunktion des Personenstandsrechts das PStG als solches einer verfassungsrechtlichen Prüfung zugänglich ist. Die weiteren wesentlichen Aussagen des Urteils werden im Folgenden skizziert. aa) Grundrechtsschutz abseits der binären Geschlechterstruktur Das BVerfG stellt ausdrücklich fest, dass vom Schutzbereich, sowohl des allgemeinen Persönlichkeitsrechts34 als auch des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG35, auch Personen, die weder als männlich noch als weiblich einzustufen sind, umfasst seien.36 Die Schutzbereiche sind also gerade nicht auf die binäre Geschlechterstruktur begrenzt, sondern beziehen auch Personen ein, die sich nicht in die binäre Geschlechterordnung einfügen. bb) Zur eigenständigen Bedeutung des Personenstandsrechts für die Persönlichkeit des Individuums Der Personenstand sei ausdrücklich „keine Marginalie“, sondern er umschreibe wesentliche Punkte der rechtlich relevanten Identität der Person im Sinne einer Vermessung der Person.37 Gerade aus dieser, vom Gesetzgeber selbst geschaffenen38, Identitätsrelevanz des Personenstandsrechts folgert das BVerfG eine spezifische Persönlichkeitsgefährdung unabhängig von den Folgen außerhalb des Personenstandsrechts.39 33

BVerfGE 147, 1 = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16. BVerfGE 147, 1 = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16, 1. Leitsatz. 35 BVerfGE 147, 1 = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16, 2. Leitsatz; so grundsätzlich auch W. Sieberichs, FamRZ 2012, S. 1180. 36 Ebenso A. Dutta/T. Helms, StAZ 2017, S. 98; A. Sanders, NZFam 2018, S. 241 (242). 37 BVerfGE 147, 1 (22) = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16, Rn. 45. 38 BVerfGE 147, 1 (22 f.) = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16, Rn. 47. 39 BVerfGE 147, 1 (22 f.) = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16, Rn. 45, 47. 34

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Zudem führt das BVerfG aus, dass die geschlechtliche Zuordnung in unterschiedlichen Lebenssituationen eine Rolle spiele.40 Das Gericht verweist hierzu auf § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 PassG, wonach der Reisepass das Geschlecht der Person enthält und § 291 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 SGB V, wonach auch die elektronische Gesundheitskarte eine Geschlechtsangabe enthält. Auch bei der Vorlage von personenstandsrechtlichen Urkunden oder Registerausdrucken bei Behörden, Gerichten oder Dritten sei die sich aus den Urkunden und Ausdrucken ergebende Geschlechtszuordnung relevant. cc) Identität als Ausgangspunkt der verfassungsrechtlichen Prüfung Hinsichtlich des Verstoßes gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG stellt das BVerfG deutlich und ausdrücklich auf dessen konkrete Ausprägung als Schutz der geschlechtlichen Identität ab. Ausgangspunkt der Überlegungen des BVerfG ist die Rolle der geschlechtlichen Identität für die Persönlichkeitsentwicklung, der das BVerfG besondere Bedeutung beimisst.41 Die geschlechtliche Identität sei „regelmäßig ein konstituierender Aspekt“42 der Persönlichkeit. Aus dieser besonderen Bedeutung der geschlechtlichen Identität für die Persönlichkeitsentwicklung leitet das BVerfG die „herausragende Bedeutung“43 der Zuordnung der Person zu einem Geschlecht ab. Dieser Zuordnung komme eine „Schlüsselposition“ im Selbstverständnis einer Person und der Fremdwahrnehmung der Person durch andere zu.44 dd) Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht durch die fehlende positive Anerkennung des geschlechtlichen Personenstands im Personenstandsrecht Darin, dass das Personenstandsrecht zu einer Geschlechtsregistrierung zwinge, gleichzeitig aber für Personen, die sich nicht in die binäre Geschlechterstruktur einordnen lassen, keinen positiven Geschlechtseintrag ermögliche, sei ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht zu sehen.45 Auch der deutsche Ethikrat war in seiner Stellungnahme zur Intersexualität von einem Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ausgegangen und begründete diesen mit der fehlenden Eintragungsmöglichkeit des Geschlechts für intersexuelle Personen.46 40

BVerfGE 147, 1 (6 f.) = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16, Rn. 8. Zustimmend A. Sanders, NZFam 2018, S. 241 (242). 42 BVerfGE 147, 1 (19) = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16, Rn. 39. 43 BVerfGE 147, 1 (19) = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16, Rn. 39. 44 BVerfGE 147, 1 (19) = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16, Rn. 39; ähnlich österreichischer Verfassungsgerichtshof, Prüfungsbeschluss E 2918/2016 – 29 v. 14. 3. 2018, Rn. 15, 37. 45 BVerfGE 147, 1 (20) = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16, Rn. 42. 46 Deutscher Ethikrat, Intersexualität, S. 128. 41

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Dieser Eingriff würde auch nicht durch die Möglichkeit des freibleibenden Eintrags nach § 22 Abs. 3 PStG beseitigt. Zwar entfiele durch den freibleibenden Eintrag die fehlerhafte Geschlechtszuordnung. Es bliebe aber bei einer Beeinträchtigung der geschlechtlichen Identität durch das Fehlen einer Geschlechtsangabe.47 Der freibleibende Eintrag bilde schlicht nicht das ab, als was sich die beschwerdeführende Person begreife, sondern erwecke den Eindruck einer noch ungeklärten Geschlechtsidentität oder des einer vergessenen Eintragung.48 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht erfordere insofern das rechtliche Anerkenntnis einer dem Empfinden des Menschen entsprechenden Geschlechtlichkeit.49 Dies ist die eigentlich bemerkenswerte Aussage der Entscheidung. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht vermittelt nach Ansicht des BVerfG nicht bloß ein Recht auf eine irgendwie geartete rechtliche Anerkennung der geschlechtlichen Identität der Person, sondern auf eine positive Anerkennung der empfundenen Geschlechtsidentität.50 Auf der Grundlage der Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als Recht auf Selbstdarstellung kann ebenso davon ausgegangen werden, dass das Recht auf Selbstdarstellung dem Staat gebiete, sich mit rechtlichen Identitätsvorgaben seinerseits zurückzuhalten.51 Dies würde nicht zwingend die positive Anerkennung empfundener Identität voraussetzen. Einen im Sinne des Rechts auf Selbstdarstellung verstandenen allgemeinen Persönlichkeitsrecht wäre Genüge getan, wenn die staatlichen Identitätserwartungen, beispielsweise durch Abschaffung personenstandsrechtlicher Kategorien, reduziert würden. Das BVerfG fordert nun aber für den Fall, dass am Ordnungskriterium Geschlecht festgehalten wird, ausdrücklich die positive Anerkennung geschlechtlicher Identität, der nur mit einem positiven Eintrag in das Geburtenregister genügt werden kann. Zum Schutzumfang des durch Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG vermittelten Schutzes der geschlechtlichen Identität führt das BVerfG mit Verweis auf seine ständige Rechtsprechung aus, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht gegen alles, was möglicherweise die Persönlichkeitsentfaltung des Einzelnen beeinflussen kann, sondern vielmehr nur solche Elemente der Persönlichkeitsentfaltung schütze, die „diesen in ihrer konstituierenden Bedeutung für die Persönlichkeit nicht nachstehen“52. Das BVerfG fordert eine nicht nur irgendwie geartete Gefährdung der geschlechtlichen Identität, sondern eine spezifische Gefährdung53 der selbstbe47

BVerfGE 147, 1 (21) = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16, Rn. 43. BVerfGE 147, 1 (21) = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16, Rn. 43. 49 BVerfGE 147, 1 (21) = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16, Rn. 43. 50 Vor diesem Hintergrund irritiert es auf den ersten Blick, dass das BVerfG die Abschaffung der Kategorie Geschlecht als gesetzgeberische Handlungsoption ansieht (siehe dazu unter G. I. 5. d)). 51 In diesem Sinne G. Britz, Freie Entfaltung durch Selbstdarstellung, S. 37. 52 BVerfGE 147, 1 (19) = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16, Rn. 38 mit Verweis auf BVerfGE 79, 256 (268); 99, 185 (193); 120, 274 (303). 53 Dazu eingehend S. Rixen, JZ 2018, S. 317 (323 f.). 48

II. Zur geschlechtlichen Identität

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stimmten Entwicklung und Wahrung der Persönlichkeit.54 Eine solche spezifische Gefährdung liege aber vor, wenn das PStG zum Geschlechtseintrag zwinge, jenseits von männlich und weiblich aber keine Eintragungen zuließe.55 Auch diese spezifische Gefährdung begründet das BVerfG wieder mit der fehlenden positiven Anerkennung der geschlechtlichen Identität. Abseits der binären Geschlechterordnung fände die geschlechtliche Identität keine rechtliche Anerkennung, was die Persönlichkeitsentwicklung und -wahrung spezifisch gefährden könne.56 Die betroffene Person könne sich in der Öffentlichkeit gerade nicht als die Person bewegen und von anderen als die Person angesehen werden, die sie sei.57 Personen abseits der binären Geschlechterstruktur würden gerade nicht im gleichen Maße und mit der gleichen Selbstverständlichkeit Anerkennung finden, wie Personen, die männlich oder weiblich sind.58 ee) Eingriff in Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG durch fehlende und der geschlechtlichen Identität entsprechende Eintragungsmöglichkeiten Bei der Feststellung des Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG stellt das BVerfG den Identitätsbezug nicht so deutlich in den Vordergrund wie bei der Prüfung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Es betont aber, dass Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG Angehörige strukturell diskriminierungsgefährdeter Gruppen vor Benachteiligung schützen solle.59 Zu diesen Gruppen zählen nach Ansicht des BVerfG auch Personen, deren geschlechtliche Identität von der binären Geschlechterordnung abweicht.60 Die Öffnung von Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG abseits der binären Geschlechterordnung widerspricht einer bisher in der Literatur weit verbreiteten Ansicht, dass in der Zusammenschau mit Art. 3 Abs. 2 GG nur Männer und Frauen umfasst seien.61 Intersexuelle Menschen würden durch § 21 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. § 22 Abs. 3 PStG benachteiligt, da sie anders als Männer oder Frauen nicht ihrem Geschlecht gemäß registriert werden könnten.62 Alle Personen, die nicht männlich oder weiblich seien, 54 BVerfGE 147, 1 (19) = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16, Rn. 38 mit Verweis auf BVerfGE 141, 186 (201 f.). 55 BVerfGE 147, 1 (22) = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16, Rn. 44. 56 BVerfGE 147, 1 (23) = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16, Rn. 47. 57 BVerfGE 147, 1 (23) = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16, Rn. 48. 58 BVerfGE 147, 1 (23) = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16, Rn. 48. 59 BVerfGE 147, 1 (28) = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16, Rn. 59 mit Verweis auf BVerfGE 88, 87 (96) und L. Osterloh/A. Nußberger, in: Sachs, 7. Aufl. 2014, Art. 3 Rn. 236, 244 (ebenso A. Nußberger, in: Sachs, 8. Aufl. 2018, Art. 3 Rn. 244 f.). 60 BVerfGE 147, 1 (28) = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16, Rn. 59. 61 F. Hufen, 6. Auflage, § 40 Rn. 3; inzwischen relativierend F. Hufen, 7. Auflage 2018, § 40 Rn. 2; U. Kischel, in: Epping/Hillgruber, Art. 3 Rn. 183, 219; a. A. M. Sachs, in: Isensee/ Kirchhof, HStR3 VIII, § 182 Rn. 42. 62 BVerfGE 147, 1 (27) = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16, Rn. 57.

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müssten sich entgegen ihrer geschlechtlichen Identität dennoch als männlich oder weiblich eintragen lassen oder aber einen freibleibenden Eintrag in Kauf nehmen.63 Ein freibleibender Eintrag erwecke den Eindruck, dass Menschen abseits der binären Geschlechterordnung kein Geschlecht hätten.64 Als Geschlecht im Sinne des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG könne aber auch qualifiziert werden, was jenseits von männlich und weiblich liege.65 Der deutsche Ethikrat war in seiner Stellungnahme zur Intersexualität von einem Eingriff in Art. 3 Abs. 1 GG ausgegangen und folgte damit der (damals) weit verbreiteten Meinung66, die Intersexuelle nicht unter das Merkmal Geschlecht im Sinne des Art. 3 Abs. 3 GG subsumierte.67

2. Zur Berücksichtigung des Geschlechts in Bankformularen Der BGH entschied einen weiteren Fall bezüglich des Geschlechts.68 Die Klägerin verlangte die Sparkasse Saarbrücken dazu verpflichten, in der mit ihr geführten Korrespondenz auf Vordrucken die weibliche Anrede zu verwenden. Im Ergebnis verneinte der BGH einen gesetzlichen Anspruch darauf, in Vordrucken und Formularen geschlechtergerecht angesprochen zu werden.69 a) Einfaches Recht Ein solcher Anspruch folge nicht aus § 28 S. 1 LGG Saarland, nach dem Dienststellen dem Grundsatz der Gleichberechtigung bei der Gestaltung von Vordrucken Rechnung zu tragen haben, zumal die Norm keinen subjektiven Anspruch

63

BVerfGE 147, 1 (27 f.) = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16, Rn. 57. BVerfGE 147, 1 (28) = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16, Rn. 57. 65 BVerfGE 147, 1 (28) = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16, Rn. 59. 66 A. Kolbe, S. 120 m. w. N. 67 Deutscher Ethikrat, Intersexualität, S. 132 – 135; H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, 14. Auflage 2016, Art. 3 Rn. 120. Sodann aber mit Verweis auf die Entscheidung des BVerfG v. 10. 10. 2017 (1 BvR 2019/16) = BVerfGE 147,1 H. D. Jarass, in: ders./Pieroth, 15. Auflage 2018, Art. 3 Rn. 138; ebenso L. Adamietz, S. 259 – 264; A. Kolbe, S. 123; H. Krieger, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, Art. 3 Rn. 77; Chr. Langenfeld, in: Maunz/Dürig, Art. 3 Rn. 42. 68 BGH, Urt. v. 13. 3. 2018 – VI ZR 143/17 = FamRZ 2018, S. 870 – 872, JZ 2018, S. 733 – 736; Zusammenfassung bei S. Omlor, JuS 2018, S. 575 – 577; kritisch und überzeugend M. Grünberger, JZ 2018, S. 719 – 736, A. K. Mangold, Frauen sind mitgemeint…?, Verfassungsblog, Beitrag v. 31. 3. 2018. 69 A. A. M. Grünberger, JZ 2018, S. 719 (720, 725). 64

II. Zur geschlechtlichen Identität

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enthalte.70 Auch der Weg über § 823 Abs. 2 BGB entfiele mangels Schutzgesetzqualität des § 28 S. 1 LGG Saarland.71 Der BGH verneint zudem einen Anspruch nach dem AGG. Es fehle bereits an einer Benachteiligung im Sinne des § 3 Abs. 1 S. 1 AGG, da die Anrede mit dem generischen Maskulinum72 keine weniger günstige Behandlung darstelle.73 Diese Anrede sei vielmehr üblich.74 Männliche Personenbezeichnungen könnten auch Personen umfassen, deren natürliches Geschlecht nicht männlich ist.75 Der BGH verneint auch eine mittelbare Benachteiligung i. S. d. § 3 Abs. 2 AGG.76 b) Verfassungsrecht Der BGH geht bei der Prüfung grundrechtlicher Ansprüche der Klägerin explizit auf die Entscheidung des BVerfG77 zur Eintragung eines weiteren Geschlechts in das Geburtenregister ein und sieht zutreffend die geschlechtliche Identität und die geschlechtergerechte Ansprache der Person als von Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG umfasst. Der BGH verneint aber einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Schutz der geschlechtlichen Identität.78 Die Beklagte nehme keine Einordnung zum natürlichen Geschlecht vor.79 Vielmehr verhalte sie sich durch die Verwendung des generischen Maskulinums neutral.80 Dies begründet der BGH mit Verweis auf die Entscheidung des BVerfG damit, dass die Wahrung der Persönlichkeit nicht spezifisch gefährdet sei, wenn die Geschlechtsangehörigkeit nicht angegeben oder bezeichnet wird und die konkrete

70 BGH, Urt. v. 13. 3. 2018 – VI ZR 143/17, Rn. 17 – 22; a. A. M. Grünberger, JZ 2018, S. 719 (721, 725); A. K. Mangold, Frauen sind mitgemeint…?, Verfassungsblog, Beitrag v. 31. 3. 2018. 71 BGH, Urt. v. 13. 3. 2018 – VI ZR 143/17, Rn. 26 – 28; kritisch U. Spangenberg, KJ 2018, S. 345 (349). 72 Hierzu M. A. Dauses, EuZW 2014, S. 801 f.; im Zusammenhang mit der Rechtssprache E. Foth, JR 2007, S. 410 – 412. 73 BGH, Urt. v. 13. 3. 2018 – VI ZR 143/17, Rn. 29 – 40; zustimmend P. Buck-Heeb, WuB 2018, S. 323 (326); B. Scholl/P. Fischer, EWiR 2018, S. 365 (366); a. A. M. Grünberger, JZ 2018, S. 719 (722 – 724); U. Spangenberg, KJ 2018, S. 345 (350). 74 BGH, Urt. v. 13. 3. 2018 – VI ZR 143/17, Rn. 34, 37; zu Recht kritisch M. Grünberger, JZ 2018, S. 719 (723). 75 BGH, Urt. v. 13. 3. 2018 – VI ZR 143/17, Rn. 35. 76 BGH, Urt. v. 13. 3. 2018 – VI ZR 143/17, Rn. 40; a. A. M. Grünberger, JZ 2018, S. 719 (725). 77 BVerfGE 147, 1 = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16. 78 BGH, Urt. v. 13. 3. 2018 – VI ZR 143/17, Rn. 46. 79 BGH, Urt. v. 13. 3. 2018 – VI ZR 143/17, Rn. 46. 80 BGH, Urt. v. 13. 3. 2018 – VI ZR 143/17, Rn. 46.

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F. Personenstandsrechtliche Restriktion individueller Identität

Geschlechtszugehörigkeit einer Person keinen Niederschlag fände.81 Dieser Schluss des BGH geht schon deshalb fehl, weil die Ausführungen des BVerfG sich auf die Eintragung des Geschlechts in Personenstandsregister, in die Einsicht genommen werden kann, beziehen, wohingegen der Fall der Bankformulare in erster Linie die Geschäftsbeziehung zwischen der Sparkasse und deren Kundin betreffen. Die Ausführungen des BVerfG, auf die der BGH verweist, bauen auf die Bedeutung der Personenstandsregister für die geschlechtliche Identität auf und sind nicht ohne Weiteres auf andere Fallkonstellationen übertragbar.82 Verletzungen der Art. 3 Abs. 1 – 3 S. 1 GG verneint der BGH ebenfalls. Die Beklagte würde Personen des männlichen Geschlechts und die Klägerin nicht ungleich behandeln und nicht aufgrund des Geschlechts benachteiligen.83 Eine Ungleichbehandlung ergibt sich aber gerade daraus, dass Personen männlichen Geschlechts in Vordrucken und Formularen mit der männlichen, d. h. der ihrer geschlechtlichen Identität entsprechenden Form, angesprochen werden, wohingegen Frauen gerade nicht ihrer geschlechtlichen Identität entsprechend angesprochen werden. Die andere Behandlung liegt gerade darin, dass Männer ausdrücklich gemeint und Frauen nicht ausdrücklich gemeint, sondern eher „mitgemeint“ sind.84 Ein Anspruch aus § 241 Abs. 2 BGB wird in der Folge verneint, zumal dieser über grundrechtliche Gewährleistungen nicht hinausgehen könne.85 c) Bewertung Im Ergebnis ist dem BGH insoweit zuzustimmen, als dass bei den Gleichheitsgrundrechten auf Rechtfertigungs- und beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht auf Eingriffsebene eine „Bagatellgrenze“ einzusetzen ist. Die Eingriffe wiegen jeweils nicht sehr schwer, sodass man sie entweder ablehnen oder jedenfalls verfassungsrechtlich rechtfertigen kann. Die Argumentation des BGH mit Verweis auf die Eintragungsmöglichkeiten in Personenstandsregister geht aber fehl. Ebenso die Annahme, es läge keine Ungleichbehandlung oder Benachteiligung vor. Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, warum sich die Sparkasse so sehr gegen die Aufnahme der weiblichen Form in Formulare und Vordrucke wehrt, da auch hier eine „Bagatellgrenze“ im Sinne des Mach- und Umsetzbaren nicht überschritten sein dürfte.86 Womöglich wollten sowohl die Beklagte als auch der BGH ein Ausufern der 81 BGH, Urt. v. 13. 3. 2018 – VI ZR 143/17, Rn. 45 mit Verweis auf BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16, Rn. 46, 50 = BVerfGE 147, 1 (22, 24). 82 So auch U. Spangenberg, KJ 2018, S. 345 (353). 83 BGH, Urt. v. 13. 3. 2018 – VI ZR 143/17, Rn. 48; a. A. U. Spangenberg, KJ 2018, S. 345 (352 f.). 84 Ähnlich G. Bachmann, NJW 2018, S. 1648 (1650); a. A. B. Scholl/P. Fischer, EWiR 2018, S. 365 (366). 85 BGH, Urt. v. 13. 3. 2018 – VI ZR 143/17, Rn. 50. 86 Ebenso G. Bachmann, NJW 2018, S. 1648 (1650).

III. Zur ehelichen Rollenidentität und dem Familienstand

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in Formularen und Vordrucken anzubietenden Geschlechter vor dem Hintergrund der Entscheidung des BVerfG87 zum „dritten Geschlecht“ verhindern. Möglich ist auch das Bestreben, sich vor der Änderung sämtlicher privatrechtlicher Vertragstexte zu schützen.88

III. Zur ehelichen Rollenidentität und dem Familienstand Fraglich ist, ob der grundrechtliche Schutz individueller Identität auch mit den personenstandsrechtlichen Vorgaben zum Familienstand kollidiert. In den vergangenen Jahren wurde politisch viel gerungen um eine Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. Im Juni 2017 stimmte der Bundestag dann für die sogenannte „Ehe für alle“.89 Das Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts90 vom 28. 7. 2017 trat am 1. 10. 2017 in Kraft. Seitdem heißt es in § 1353 Abs. 1 S. 1 BGB: „Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen.“. Der Familienstand ist strenggenommen keine originär personenstandsrechtliche Kategorie. Im Eheregister werden beurkundet Tag und Ort der Eheschließung (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 PStG), die Vor- und Familiennamen der Ehegatten, Tag und Ort ihrer Geburt, ihr Geschlecht und auf Wunsch die rechtliche Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 PStG) sowie die nach der Eheschließung geführten Vornamen und Familiennamen der Ehegatten (§ 15 Abs. 1 Nr. 3 PStG). Gleiches gilt analog nach § 17 i. V. m. § 15 PStG für die Lebenspartnerschaft. Aus dem Ehe- und Lebenspartnerschaftsregister ergibt sich daher die Tatsache, dass eine Person verheiratet oder verpartnert ist, mit wem sie verheiratet oder verpartnert ist, seit wann sie verheiratet oder verpartnert ist, wo geheiratet oder verpartnert wurde, wie die Ehegatten/Lebenspartner nach der Eheschließung oder Lebenspartnerschaftsbegründung heißen. Seine Identitätsrelevanz erhält der Familienstand nicht aus diesen Eintragungsmöglichkeiten, sondern aus der Exklusion bestimmter Personengruppen von der Eheschließung, die aber eine Frage des Familien- und nicht des Personenstandsrechts ist. In der Literatur wird eine Ausweitung der positiven Anerkennung, die für das Geschlecht ausdrücklich anerkannt ist, auf andere personenstandsrechtliche Merk87

BVerfGE 147, 1 = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16. G. Bachmann, NJW 2018, S. 1648 (1650); die aus dem Urteil folgende Rechtssicherheit für Sparkassen begrüßend Th. Schulteis, GWR 2018, S. 199. 89 BT-Drs. 18/6665 v. 11. 11. 2015; dazu T. Helms, StAZ 2018, S. 33 – 39; aus verfassungsrechtlicher Sicht beispielsweise Chr. v. Coelln, NJ 2018, S. 1 – 7; K. F. Gärditz, FF 2018, S. 8 – 22; W. Hecker, NVwZ 2018, S. 621 (622 ff.); internationaler Überblick bei D. CoesterWaltjen, ZEuP 2018, S. 320 (323 ff.). 90 BGBl. I, S. 2787. 88

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F. Personenstandsrechtliche Restriktion individueller Identität

male gefordert.91 Diese Ausweitung bezieht sich allerdings nicht ausdrücklich auf die personenstandsrechtliche Eintragung, sondern vielmehr auf den Schutz personenstandsrechtlicher Merkmale durch das Familienrecht. Rechtdogmatisch ergeben sich bei einer Ausweitung des grundrechtlich geschützten positiven Anerkenntnisses Schwierigkeiten. Der Geschlechtseintrag im Personenstandsregister erhält seine Bedeutung für die geschlechtliche Identität der Person dadurch, dass das Personenstandsrecht als solches zwingend die Angabe des Geschlechts vorsieht.92 Die Eintragungsmöglichkeiten ergeben sich ebenfalls aus dem Personenstandsrecht selbst, was dem Personenstandsrecht im Bereich der geschlechtlichen Identität seine Identitätsrelevanz verleiht. Nur aus der personenstandsrechtlichen Registrierung der konkreten Geschlechtszughörigkeit der Person als männlich oder weiblich beziehungsweise dem freibleibenden Eintrag ergibt sich die spezifische Gefährdung der geschlechtlichen Identität der Person93, die direkt aus dem Personenstandsrecht und nicht erst aus den materiell-rechtlichen Konsequenzen des personenstandsrechtlichen Eintrags folgt94. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährt gerade keinen Anspruch auf Anerkennung „beliebiger Identitätsmerkmale“95. Die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare ist daher eine Frage der Auslegung des Verfassungsrechts, namentlich der Reichweite des Ehebegriffs aus Art. 6 Abs. 1 GG, und nicht des Personenstandsrechts. Die Spiegelfunktion des Personenstandsrechts lässt sich im Falle des Familienstands gerade nicht durchbrechen.

IV. Fazit zum Kapitel F. Der grundrechtliche Schutz von Identität steht gerade wegen des verbürgten Schutzes von Individualität in einem Spannungsverhältnis zur personenstandsrechtlichen Kategorie Geschlecht, die nur mit männlich oder weiblich oder einem freibleibenden Eintrag gefüllt werden kann. Die diesbezüglich jüngste Entscheidung des BGH96 berücksichtigt die Tragweite des grundrechtlichen Identitätsschutzes nicht. Das BVerfG hat in dem freibleibenden Geschlechtseintrag nach § 22 Abs. 3 PStG zu Recht einen Verstoß gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG und das Diskriminierungsverbot aufgrund des Geschlechts aus Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG gesehen.97 Der Verstoß ist gerade in der fehlenden positiven Eintragungsmöglichkeit abseits der binären Geschlechterord91 92 93 94 95 96 97

Chr. Enders, in: Merten/Papier, Bd. IV, § 89 Rn. 6. BVerfGE 147, 1 (22) = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16, Rn. 46. BVerfGE 147, 1 (22) = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16, Rn. 46. BVerfGE 147, 1 (23) = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16, Rn. 47. BVerfGE 147, 1 (22) = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16, Rn. 46. BGH, Beschl. v. 22. 6. 2016 – XII ZB 52/15. A. A. T. Helms, Drittes Geschlecht, S. 26.

IV. Fazit zum Kapitel F.

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nung zu sehen. Zudem liegt der Eingriff darin begründet, dass sich Personen, die weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugeordnet werden können, zwangsweise einem Geschlecht zuordnen müssen, das nicht ihrer selbstempfundenen Geschlechtsidentität entspricht. Darin, dass Personen, die sich in die binäre Geschlechterstruktur einfügen, einen positiven und ihrem Geschlechtsempfinden entsprechenden Eintrag erhalten und Personen abseits der binären Geschlechterordnung gerade nicht, ist auch ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG zu sehen. Anders als beim Ordnungsmerkmal Geschlecht handelt es sich beim Familienstand der Person nicht um ein originär personenstandsrechtliches Ordnungsmerkmal. Aus der Erfassung im Ehe- oder Lebenspartnerschaftsregister folgt keine spezifische Gefährdung der Identität der Person, die eine Durchbrechung der Spiegelfunktion rechtfertigt.

G. Gesetzgeberische Handlungsoptionen zur Berücksichtigung der Vielfalt geschlechtlicher Identitäten Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zur positiven personenstandsrechtlichen Anerkennung von Intersexualität den Gesetzgeber bis zum 31. 12. 2018 zur Schaffung einer verfassungsmäßigen Regelung verpflichtet.1 Für die Änderung des PStG kommen prinzipiell zwei gesetzgeberische Lösungen in Betracht. Der Gesetzgeber kann entweder auf die Eintragung des Geschlechts gänzlich verzichten (I.) oder aber am Ordnungskriterium Geschlecht festhalten und die Optionenvielfalt im Bereich der Geschlechtseintragung erhöhen (II.).2 Die Erhöhung der Optionenvielfalt wiederum kann in verfahrensrechtlicher Sicht unterschiedlich umgesetzt werden (II. 1.–2.).

I. Gänzlicher Verzicht auf das Geschlecht als personenstandsrechtliche Ordnungskategorie In Frage kommt zunächst ein gänzlicher Verzicht auf die personenstandsrechtliche Erfassung des Geschlechts.3 Dass das BVerfG von der Möglichkeit eines Verzichts des Geschlechtseintrags ausgeht, verwundert angesichts dessen, dass es von einem Recht auf positive Anerkennung der geschlechtlichen Identität ausgeht.4

1 BVerfGE 147, 1 (30) = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16, Rn. 66. Für eine verfassungskonforme Auslegung des § 21 Abs. 1 Nr. 3 PStG hingegen S. L. Gössl, StAZ 2018, S. 40 (44 f.); dies., NJW 2017, S. 3648; dies.: NZFam 2016, S. 1122 (1128); dies.; StAZ 2015, S. 171 (172). Die Kompetenz des BVerfG für eine solche Entscheidung verneinend K. Märker, NZFam 2018, S. 1 (3 f.). 2 BVerfGE 147, 1 (30) = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16, Rn. 65. 3 L. Adamietz, S. 150, die diese Ansicht auf Probleme der rechtlichen Anerkennung von sogenannten Transidentitäten stützt; dies., APuZ 20 – 21 2012, S. 15 (21); A. Schmidt, Rechtsphilosophie 2016, S. 169 (185); A. Büchler/M. Cottier, Freiburger FrauenStudien 2005, S. 115 (131 f.); K. Plett, in: Schweizer/Richter-Appelt, S. 131 (139 – 143); wohl auch M. Petricˇ evic´, S. 364 – 370, die aber aufgrund verfestigter Rollenbilder an der Realisierbarkeit dieser Option zweifelt, S. 370. Eine Prüfung dieser Lösung fordernd Deutscher Ethikrat, Intersexualität, S. 178. A. A. D. Coester-Waltjen, JZ 2010, S. 852 (854); S. L. Gössl, StAZ 2018, S. 40 (45). 4 Ähnlich S. Rixen, JZ 2018, S. 317 (322).

I. Gänzlicher Verzicht auf das Geschlecht als Ordnungskategorie

213

1. Das Argument laufender Gesetzesanpassung Die Lösung der Abschaffung des Geschlechts als Ordnungskategorie hätte in der Tat den Vorteil, dass der Gesetzgeber seine Regelungen nicht laufend an vom BVerfG festgestellte Grundrechtsverstöße anpassen müsste.5 Dies ist aber mehr ein praktisches Argument6 der Bequemlichkeit, als ein durchschlagendes rechtliches Argument.

2. Die Stärkung von Selbstbestimmung Neben dem regelungspraktischen Argument wird stark auf die Betonung von Selbst- statt Fremdbestimmung gesetzt. Angeführt wird, dass das Geschlecht im Recht aufgrund des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes keine Rolle spielen dürfe und die Zuweisung eines Geschlechts nach der Geburt immer Fremdbestimmung und Zwangskategorisierung sei7. Auch ein drittes Geschlecht abseits der binären Geschlechterordnung sei ein unerwünschtes und im Sinne der Fremdbestimmung zugewiesenes Geschlecht.8 Selbstbestimmung und das Selbstverständnis des Menschen haben sich unter E. als ein wesentlicher Faktor der Identität des Individuums herausgestellt. Sie sind verfassungsrechtlich schützenswert und haben auch im Personenstandsrecht angemessene Berücksichtigung zu finden. Ob die Abschaffung der Kategorie Geschlecht aber der richtige Weg ist, darf bezweifelt werden. Fraglich ist, wie viel Selbstbestimmung das Personenstandsrecht verträgt, ohne seine Funktionen zu verlieren. Schafft man alle identitätsrelevanten Eintragungen im Geburtenregister ab, das heißt den Namen, das Geschlecht, die Namen der Eltern, die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft, verbliebe nur noch ein Rumpf an Eintragungen, dessen Funktion stark abgeschwächt wäre. Vor der Forderung der Abschaffung der Kategorie Geschlecht müsste geprüft werden, ob das Personenstandsrecht seine Funktion auch ohne Geschlechtseintrag erfüllen kann und insbesondere die Unterscheidungs- und Identifizierungsfunktion gewahrt bliebe.

3. Das Diskriminierungsargument Für die Lösung einer Abschaffung der Kategorie Geschlecht wird angeführt, dass die strikte binäre Geschlechterordnung für Personen, die sich in diese nicht einfügen, diskriminierend sei.9 Dem ist, wie bereits gezeigt, nicht zu widersprechen. Folge 5

L. Adamietz, S. 150. So auch S. Wiggerich, StAZ 2018, S. 21 (22), der vom „Charme der Einfachheit“ spricht; ähnlich W. Sieberichs, NZFam 2016, S. 1582 (1583). 7 A. Kolbe, S. 179 f. 8 J. Woweries, in: Schochow/Gehrmann/Steger, S. 189 (209). 9 A. Kolbe, S. 180. 6

214

G. Gesetzgeberische Handlungsoptionen

dessen muss aber nicht zwingend ein Verzicht auf die Ordnungskategorie Geschlecht sein. Wenn von einer Kategorisierung eine diskriminierende Wirkung ausgeht, ist die Aufhebung der Kategorisierung zwar die einfachste Lösung, nicht jedoch die, die allen beteiligten und verfassungsrechtlich schützenswerten Interessen gerecht wird. Der Blick ist gerade auch auf Interessen, die einer Abschaffung der personenstandsrechtlichen Kategorie Geschlecht entgegenstehen, zu lenken.

4. Das Argument der modernen Rechtsordnung Auch, dass die rechtliche Kategorisierung des Geschlechts nicht mit dem Selbstverständnis des modernen Rechts vereinbar sei10, ist kein durchschlagendes Argument für die Abschaffung der Ordnungskategorie Geschlecht. Die rechtliche Kategorie des Geschlechts an sich entspricht sehr wohl dem modernen Recht und auch der lebensweltlichen Realität. Es ist die Binarität der Geschlechterordnung, die nicht der lebensweltlichen Realität entspricht. Es gibt schlichtweg Menschen, die sich nicht in die binäre Geschlechterordnung einfügen lassen. Das Personenstandsrecht als Abbild lebensweltlicher Realität11 sollte dieser Realität entsprechen. Die Abschaffung der Kategorie Geschlecht entspricht aber nicht der lebensweltlichen Realität von Menschen, zumal das Geschlecht in der lebensweltlichen Realität doch ganz überwiegend existiert. Vergessen werden dürfen nicht die Menschen, die eine geschlechtliche Identität haben. Diese geschlechtliche Identität kann ein wesentlicher Grundpfeiler ihrer Identität sein und ist als solche verfassungsrechtlich schützenswert und vom Personenstandsrecht abzubilden.

5. Umfassende Betrachtung abseits einseitiger Lösungen Die Argumentation zu den personenstandsrechtlichen Regelungsmöglichkeiten der Eintragung des Geschlechts darf nicht einseitig ausfallen. Erforderlich ist eine genaue Betrachtung des grundrechtlich vermittelten Schutzes geschlechtlicher Identität und die Einbeziehung der einer Abschaffung der Kategorie Geschlecht entgegenstehenden Belange. a) Grundrechtlicher Schutz der geschlechtlichen Identität Grundrechtliche Ansatzpunkte des Schutzes der geschlechtlichen Identität sind, wie das BVerfG zu Recht herausgearbeitet hat, das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG. In besonders

10 11

A. Kolbe, S. 180. Siehe dazu unter D. III. 8. b).

I. Gänzlicher Verzicht auf das Geschlecht als Ordnungskategorie

215

gelagerten Einzelfällen kann beispielsweise die religiöse Identität der Person ebenfalls eine Rolle spielen. Im Rahmen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sind das Recht auf Selbstdarstellung und das vom Bundesverfassungsgericht im Wege der TranssexuellenEntscheidungen auf den Weg gebrachte und nun abseits der binären Geschlechterstruktur weiterentwickelte Recht auf Anerkennung der selbstbestimmten geschlechtlichen Identität relevant. b) Regelungsmöglichkeiten ausgehend vom Recht auf Selbstdarstellung Würde sich der Schutz geschlechtlicher Identität im Recht auf Selbstdarstellung erschöpfen, so wäre der Staat nur dazu verpflichtet, seine rechtlichen Identitätserwartungen so gering zu halten, dass nicht in den Prozess der Identitätsbildung hinsichtlich der geschlechtlichen Identität eingegriffen würde. Eine solche Reduktion staatlicher Identitätserwartungen wäre sicherlich am ehesten durch die Abschaffung der Kategorie Geschlecht entsprochen. Dennoch lässt das Recht auf Selbstdarstellung auch Raum für eine Erhöhung der Optionenvielfalt, zumal durch eine solche die Erwartungshaltung auf eine höhere Zahl von Optionen verteilt werden und der Zwang einer Zuordnung zu einer Kategorie, als die eine Person sich gerade nicht darstellen möchte, minimiert werden würde. c) Regelungsmöglichkeiten ausgehend von Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG Die gleichheitsrechtliche Betrachtung der personenstandsrechtlichen Kategorie Geschlecht eröffnet insofern eine neue Perspektive, als dass eine vergleichende Sichtweise zwischen Personen, die sich in die binäre Geschlechterstruktur einfügen und solchen, bei denen das gerade nicht der Fall ist, ermöglicht wird. Das besondere Diskriminierungsverbot des Geschlechts verbietet Ungleichbehandlungen aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit. Das BVerfG hat zu Recht eine Verletzung dieses Rechts für Personen, die sich in die binäre Geschlechterstruktur einfügen und solchen, bei denen das nicht der Fall ist, angenommen.12 Die beiden Personengruppen werden personenstandsrechtlich unterschiedlich behandelt. Personen mit männlicher oder weiblicher Geschlechtsidentität werden ihrer geschlechtlichen Identität entsprechend mit einem positiven Eintrag personenstandsrechtlich registriert, wohingegen Personen, die weder eine männliche noch eine weibliche Geschlechtsidentität haben, keine positive Eintragungsmöglichkeit offensteht. Dieser Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts kann durch die Aufgabe der Kategorie Geschlecht abgeholfen werden. Entfällt die Kategorie Geschlecht, so kann personenstandsrechtlich nicht mehr an diese angeknüpft werden. Auch eine Erhöhung der Optionenvielfalt in der Hinsicht, dass sowohl Personen mit männlicher oder weiblicher Geschlechtsidentität als auch Personen mit davon abweichenden Geschlechtsiden12

BVerfGE 147, 1 (27 – 30) = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16, Rn. 56 – 62.

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G. Gesetzgeberische Handlungsoptionen

titäten ihrer geschlechtlichen Identität gemäß registriert werden können, würde der Ungleichbehandlung abhelfen. d) Regelungsmöglichkeiten ausgehend vom Recht auf positive Anerkennung der geschlechtlichen Identität Ausgehend vom Recht auf positive Anerkennung der selbstbestimmten geschlechtlichen Identität verengen sich die gesetzgeberischen Gestaltungsoptionen. Demnach sind das Finden und Erkennen der eigenen geschlechtlichen Identität geschützt und das Selbstverständnis über die eigene geschlechtliche Identität rückt in den Fokus des grundrechtlichen Identitätsschutzes. Eine Person muss gerade dem Personenstand zugeordnet werden, dem sie nach ihrer Physis und Psyche zugehört. Die Zuordnung von Mann-zu-Frau- und Frau-zu-Mann-Transsexuellen ist aus personenstandsrechtlicher Regelungsperspektive eher unproblematisch, da sie sich innerhalb der binären Geschlechterordnung bewegt. Aus personenstandsrechtlicher Sicht kniffliger wird es in Fällen, in denen das Recht auf Anerkennung des selbstbestimmten geschlechtlichen Personenstands auf Fälle außerhalb der binären Geschlechterstruktur, beispielsweise in Fällen von Intersexualität, angewendet wird. Für diesen Fall hat das BVerfG einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht in der Ausprägung als Schutz der geschlechtlichen Identität bejaht.13 Der Eingriff sei gerade darin zu sehen, dass kein der Geschlechtsidentität entsprechender positiver Eintrag im Personenstandsregister erfolgen kann.14 Diesem Gedanken kann als Fortentwicklung des Rechts auf Anerkennung der selbstbestimmten geschlechtlichen Identität durchaus ein Anspruch auf positive rechtliche Anerkennung der geschlechtlichen Identität entnommen werden. Eine Abschaffung der Kategorie Geschlecht würde diesem Gedanken der positiven rechtlichen Anerkennung geschlechtlicher Identität widersprechen.15 Eine positive rechtliche Anerkennung geschlechtlicher Identität spricht für eine Erhöhung der Optionenvielfalt und gegen die Abschaffung der Kategorie Geschlecht, mit der auch die positive personenstandsrechtliche Anerkennung geschlechtlicher Identität entfiele. e) Fazit Eine gesetzgeberische Lösung, die das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Recht auf positive rechtliche Anerkennung des geschlechtlichen Personenstands ernst nimmt, setzt daher nicht auf die Abschaffung der Kategorie 13

BVerfGE 147, 1 (20 f.) = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16, Rn. 42. BVerfGE 147, 1 (20 f.) = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16, Rn. 42 f.; so auch N. Althoff/G. Schabram/P. Follmar-Otto, S. 45. 15 Allgemein auf die Sichtbarkeit von Intersexualität in der Gesellschaft abstellend H. Lindenberg, NZFam 2018, S. 1062 (1065). 14

I. Gänzlicher Verzicht auf das Geschlecht als Ordnungskategorie

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Geschlecht, sondern auf eine Erhöhung der Optionenvielfalt, die dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG sowohl in seiner Ausprägung als Recht auf positive rechtliche Anerkennung der geschlechtlichen Identität als auch als Recht auf Selbstdarstellung sowie dem Diskriminierungsverbot aufgrund des Geschlechts aus Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG gerecht wird.

6. In die Betrachtung einzustellende Belange im Falle einer Abschaffung der Kategorie Geschlecht Eine gesetzgeberische Lösung, die dennoch auf die Abschaffung der Kategorie Geschlecht setzt, hat die folgenden Belange zu berücksichtigen. a) Keine Schutzbereichsbegrenzung des Rechts auf positive rechtliche Anerkennung der selbstbestimmten geschlechtlichen Identität auf von der binären Geschlechterordnung abweichende Identitäten Das Recht auf Anerkennung der selbstbestimmten geschlechtlichen Identität wurde angesichts der spezifischen Gefährdungslage der geschlechtlichen Identität transsexueller Personen entwickelt. Es entfaltet seine identitätsschützende Wirkung daher zugunsten transsexueller Personen, deren Geschlechtsidentität vom Staat anzuerkennen ist. Auch intersexuellen Menschen steht ein aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleitetes Recht auf Anerkennung der geschlechtlichen Identität zu.16 Aus der Entwicklungsgeschichte des Rechts auf Anerkennung des Personenstands und der geschlechtlichen Identität ergibt sich aber gerade keine Beschränkung des persönlichen Schutzbereichs des Rechts auf Anerkennung der selbstbestimmten geschlechtlichen Identität auf trans- und intersexuelle Menschen. Vielmehr steht das Recht auf rechtliche positive Anerkennung der geschlechtlichen Identität Personen innerhalb und außerhalb der binären Geschlechterstruktur zu.17 Zu den Personen innerhalb der binären Geschlechterstruktur zählen solche, die eine männliche oder weibliche Geschlechtsidentität haben. Das Recht auf Anerkennung der selbstbestimmten geschlechtlichen Identität wurzelt im allgemeinen Persönlichkeitsrecht, das nicht nur einem bestimmten Personenkreis, sondern jedermann, das heißt auch solchen Personen, die sich eindeutig dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zuordnen lassen, zukommt. Der durch die Menschenwürde vermittelte Individualitätsschutz und die durch Art. 2 Abs. 1 GG vermittelte freie Entfaltung der „im Menschen angelegten Fähigkeiten und Kräfte“18 gilt auch zugunsten derer, deren 16

BVerfGE 147, 1 = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16, insb. Rn. 43. Ebenfalls für eine Berücksichtigung von Binarität und Diversität S. Rixen, JZ 2018, S. 317 (326 f.). 18 BVerfGE 49, 286 (298); BVerfG, Kammerbeschluss v. 15. 8. 1996, NJW 1997, S. 1632. 17

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G. Gesetzgeberische Handlungsoptionen

geschlechtliche Identität sowohl vom Physischen als auch von Psychischen her männlich oder weiblich ist. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt nicht nur geschlechtliche Minderheiten. Der Gedanke des Minderheitenschutzes ist vielmehr in den Gleichheitsgrundrechten verankert.19 Das Recht auf eine rechtliche und positive Anerkennung der selbstbestimmten geschlechtlichen Identität steht damit auch denen zu, die den Kategorien männlich oder weiblich zugeordnet werden können. Auch ihre geschlechtliche Identität ist als wesentlicher Aspekt ihrer Persönlichkeit und Orientierungshilfe im Identitätsbildungsprozess verfassungsrechtlich schützenswert. Das Recht auf eine rechtliche und positive Anerkennung der selbstbestimmten geschlechtlichen Identität von Personen mit männlicher oder weiblicher Geschlechtsidentität wäre im Falle der Abschaffung des Geschlechts als personenstandsrechtliches Ordnungsmerkmal betroffen und ist daher in die Betrachtung der rechtlichen Regelungsmöglichkeiten einzubeziehen. Das Recht auf Anerkennung der geschlechtlichen Identität von intersexuellen Menschen steht damit dem Recht auf Anerkennung der geschlechtlichen Identität von Personen, die sich in die binäre Geschlechterstruktur einfügen, gegenüber. Sie bilden im Rahmen der Rechte anderer aus Art. 2 Abs. 1 GG wechselseitige Schranken und sich direkt gegenüberstehende Interessen. Diese „Pattsituation“ ist im Wege praktischer Konkordanz aufzulösen. b) Die Funktionen des Personenstandsrechts Eine Untersuchung der rechtlichen Regelungsmöglichkeiten im Personenstandsrecht muss alle betroffenen Interessen in angemessener Weise berücksichtigen und in die Betrachtung einbeziehen. Hierzu zählen auch die Funktionen, die das Personenstandsrecht erfüllt. Dies sind generell die Identifizierungs- und Unterscheidungsfunktion, die Beweisfunktion, die Sicherung rechtlicher Existenz, die steuerrechtliche Funktion, die wehrrechtliche Funktion und die statistikrechtliche Funktion.20 Von einer Abschaffung der Kategorie Geschlecht im Personenstandsrecht betroffen wären vor allem die statistikrechtliche Funktion und die Identifizierungs- und Unterscheidungsfunktion. aa) Statistikrechtliche Funktion Die Abschaffung des Geschlechts als personenstandsrechtliche Kategorie hätte zum einen Auswirkungen auf die statistikrechtliche Funktion. So wird das Geschlecht in der Statistik der natürlichen Bevölkerungsbewegung, der Wanderungsstatistik und der Statistik der rechtskräftigen Aufhebung von Lebenspartnerschaften als Erhebungsmerkmal an die statistischen Landesämter übermittelt. 19 20

Siehe dazu unter E. II. 12. a). Siehe dazu unter D. III.

I. Gänzlicher Verzicht auf das Geschlecht als Ordnungskategorie

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Dies betrifft für die Bevölkerungsstatistik nach § 2 Abs. 4 Nr. 1 b) BevStatG das Geschlecht einer Person bei lebend- und bei totgeborenen Kindern, nach § 2 Abs. 3 Nr. 1. b) BevStatG das Geschlecht der Lebenspartner bei der Begründung von Lebenspartnerschaften und nach § 2 Abs. 5 Nr. 1 b) BevStatG das Geschlecht Verstorbener. Diese Daten werden gemäß § 2 Abs. 1 S. 1 BevStatG von den Standesämtern direkt an die statistischen Landesämter übermittelt. Die Übermittlung des Geschlechts seitens der Standesämter an die statistischen Landesämter könnte entfallen, wenn das Geschlecht von den Standesämtern nicht mehr als Ordnungskategorie geführt würde. Für die Wanderungsstatistik übermitteln die Meldebehörden nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 BevStatG im Falle einer Wohnungsverlegung im Sinne des § 4 Abs. 1 BevStatG das Geschlecht als Erhebungsmerkmal an die statistischen Landesämter. Dadurch ist das Standesamt nicht unmittelbar an der Datenübermittlung beteiligt. Zwischen Standesämtern und Meldebehörden besteht aber ein Mitteilungsverkehr. Nach §§ 57 ff. PStV meldet das Standesamt regelmäßig die dort genannten Daten an die Meldebehörde. Zu den übermittelten Daten zählt für Beurkundungen im Geburtenregister (§ 57 Abs. 6 Nr. 8 PStV), für Beurkundungen im Eheregister (§ 58 Abs. 5 Nr. 5 PStV), für Beurkundungen im Lebenspartnerschaftsregister (§ 59 Abs. 5 Nr. 5 PStV) und für Beurkundungen im Sterberegister (§ 60 Abs. 3 Nr. 5 PStV) das Geschlecht der die Übermittlung betreffenden Person. Damit können Geschlechtsangaben, die die Meldebehörden an die statistischen Landesämter übermitteln, originär den Personenstandsregistern und personenstandsrechtlichen Beurkundungen entstammen. Die Standesämter sind gemäß § 1 Abs. 4 BMG zur unverzüglichen Mitteilung einer Beurkundung der Geburt eines Kindes und jeder Änderung des Personenstands einer Person an die Meldebehörden verpflichtet. Es liegt also nahe, dass die Meldebehörde die Geschlechtsangaben, die es an das statistische Landesamt meldet, von den Standesämtern erhalten hat. Auch in der Wanderungsstatistik könnte im Falle der Abschaffung der personenstandsrechtlichen Ordnungskategorie Geschlecht das Erhebungsmerkmal Geschlecht fehlen, sofern dies nicht direkt von den Meldebehörden erhoben würde. Für die Statistik der rechtskräftigen Aufhebung von Lebenspartnerschaften wird seitens der zuständigen Gerichte ebenfalls das Geschlecht der Lebenspartner beziehungsweise Lebenspartnerinnen an die statistischen Landesämter gemäß § 3 S. 1 Nr. 2 b) BevStatG gemeldet. Hier ist aber eine Beteiligung der Standesämter im Wege des Mitteilungsverkehrs nicht ersichtlich. bb) Identifizierungs- und Unterscheidungsfunktion Von einer Abschaffung des Geschlechts als personenstandsrechtliche Ordnungskategorie wäre auch die Identifizierungs- und Unterscheidungsfunktion betroffen, die sich gerade aus einer möglichst genauen Erfassung der Person speist. Gerade die Vielheit personenstandsrechtlicher Kategorien sichert eine mögliche Identifizierung der Person auch im Falle, dass eine personenstandsrechtliche Ka-

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G. Gesetzgeberische Handlungsoptionen

tegorie als Identifizierungsmerkmal ausfällt. So kann das Geschlecht der Person nicht immer anhand des eingetragenen Namens identifiziert werden, da der gleiche Name in einigen Fällen sowohl für männliche als auch für weibliche Personen in Betracht kommt. Die Identifizierbarkeit der Person wird durch eine Kategorien- und Optionenvielfalt im Personenstandsrecht gefördert. cc) Beweisfunktion im internationalen Rechtsverkehr Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass ein Auszug aus einem deutschen Personenstandsregister oder eine deutsche personenstandsrechtliche Urkunde auch als Nachweis des Geschlechts im Ausland erforderlich sein kann.21 Solange in anderen Rechtsordnungen die Kategorie Geschlecht Bestand hat, schmälert die Aufgabe der Kategorie im deutschen Personenstandsrecht die Beweiswirkung personenstandsrechtlicher Eintragungen und Beurkundungen im internationalen Rechtsverkehr.

7. Fazit zur Abschaffung der Ordnungskategorie Geschlecht Zwar steht dem Gesetzgeber ein Einschätzungsspielraum hinsichtlich der personenstandsrechtlichen Relevanz von Merkmalen zu. Bei einer Neuregelung der personenstandsrechtlichen Erfassung des Geschlechts muss aus verfassungsrechtlicher Sicht aber das Folgende bedacht werden: Der Abschaffung der Kategorie Geschlecht als Ordnungskategorie stehen die betroffenen Funktionen des Personenstandsrechts, das Recht auf Anerkennung des selbstbestimmten geschlechtlichen Personenstands der Menschen, die sich in die binäre Geschlechterstruktur einfügen, und das Recht auf positive Anerkennung des Personenstands entgegen.

II. Festhalten am Ordnungskriterium Geschlecht unter Anpassung des Personenstandsrechts Der Gesetzgeber sollte demnach am Geschlecht als Ordnungskriterium festhalten. Da eine starre binäre Geschlechterstruktur mit der Verfassung unvereinbar ist22, sind aber Anpassungen im Personenstandsrecht notwendig. Die Möglichkeit des freibleibenden Geschlechtseintrags nach § 22 Abs. 3 PStG müsste, um dem vom BVerfG als Eingriff qualifizierten Zwang der Zuordnung zu einem Geschlecht entgegenzuwirken, beibehalten werden.23 21

B. Frie, NZFam 2017, S. 1149 (1150); S. L. Gössl, StAZ 2018, S. 40 (45); dies.: NJW 2017, S. 3648; T. Helms, in: FS für Brudermüller, S. 301 (308); ders.; Drittes Geschlecht, S. 23; ders., FamRZ 207, S. 2054 (2055); A. Sanders, NZFam 2018, S. 241 (243). 22 So wohl auch S. Muckel, JA 2018, S. 154 (157); a. A. K. Märker, NZFam 2018, S. 1 (2 ff.). 23 So i. E. auch J. Froese, DÖV 2018, S. 315 (319); A. Sanders, NZFam 2018, S. 241 (243).

II. Festhalten am Ordnungskriterium Geschlecht

221

1. Anpassungen hinsichtlich der Optionenvielfalt Den verfassungsrechtlich schützenswerten Interessen all derjenigen Personen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugehörig fühlen, kann grundsätzlich über die Erhöhung der Optionenvielfalt bei der Eintragung des Geschlechts Rechnung getragen werden. a) Eine neue Option oder mehrere neue Optionen In Betracht kommt die Schaffung einer neuen Option als wählbare, aber nicht zwingende Sammelkategorie für all diejenigen, deren geschlechtliche Identität außerhalb der binären Geschlechterstruktur liegt24 oder aber auch die Einfügung gleich mehrerer neuer Optionen zur Angabe der Geschlechtsidentität. Als Beispiel für die Schaffung einer weiteren Option sei hier die Eintragungsmöglichkeit „X“ für ein unbestimmtes Geschlecht im Reisepass aus dem internationalen Recht genannt, welche neben der Eintragungsmöglichkeit für männlich („M“) und weiblich („F“) vorgesehen ist.25 Diese Vorgaben berücksichtigt auch die VO 2252/2004.26 Die Schaffung einer neuen Option böte den Vorteil, dass die Grenze der aufzunehmenden Geschlechtsidentitäten leicht bestimmbar wäre, wohingegen bei der Lösung der Aufnahme mehrerer Optionen der Geschlechtsangabe fraglich wäre, wie viele Optionen und vor allem welche27 rechtlich aufzunehmen wären. Die Lösungsansätze reichen von älteren Ansätzen, fünf Geschlechter anzuerkennen28, bis hin zum neueren und in Zusammenarbeit mit verschiedenen LGBT-Organisationen entwickelten Ansatz des sozialen Netzwerks Facebook, zwischen 60 Geschlechtern zu wählen29 oder aber auch der Annahme von 86 von den Kategorien „männlich“ und „weiblich“ abweichenden Gruppen30.

24

Dafür auch M. Petricˇ evic´, S. 370 – 374. Kritisch S. Rixen, JZ 2018, S. 317 (321), der in der Differenz zur binären Geschlechterordnung keine positive Bezeichnung eines weiteren Geschlechts sieht. Entschieden gegen die Aufnahme einer weiteren Kategorie K. Märker, NZFam 2018, S. 1 (3). 25 ICAO, Dokument Nr. 9303, Teile 4 und 5. 26 Verordnung (EG) Nr. 2252/2004 des Rates v. 13. 12. 2004 über Normen für Sicherheitsmerkmale und biometrische Daten in von den Mitgliedstaaten ausgestellten Pässen und Reisedokumenten, ABl. L 385/1 v. 29. 12. 2004. 27 A. Dutta/T. Helms, StAZ 2017, S. 98 f.; N. Althoff/G. Schabram/P. Follmar-Otto, S. 46; vgl. D. Coester-Waltjen, JZ 2010, S. 852 (856); T. Helms, FamRZ 2017, S. 2054 (2055); A. Sanders, NZFam 2018, S. 241 (243). 28 A. Fausto-Sterling, The Science 1993; S. 20 (21); revidiert in The Science 2000, S. 19 – 23. 29 F.A.Z.NET v. 4. 9. 2014. 30 F.A.Z. vom 9. 11. 2017, S. 8.

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G. Gesetzgeberische Handlungsoptionen

aa) Schützenswerte Belange von Personen jenseits der binären Geschlechterordnung Beide Lösungen stehen nicht im Widerspruch zu den genannten verfassungsrechtlich schützenswerten Interessen von Personen jenseits der binären Geschlechterordnung. Der Ungleichbehandlung anhand des Geschlechts nach Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG wäre sowohl mit der Schaffung nur einer neuen Option abgeholfen als auch mit der Schaffung mehrerer Optionen. Es würde sowohl bei der Schaffung einer Sammelkategorie als auch bei einer Ausdifferenzierung der Geschlechtsoptionen keine Diskriminierung von Personen, die weder männlich noch weiblich sind, geben. Das Recht auf Selbstdarstellung fordert insbesondere eine staatliche Zurückhaltung bei Identitätserwartungen, damit das Individuum im Wege des Prozesses der Identitätsbildung seine Selbstwahl möglichst frei treffen kann. Diese Freiheit ist aber keine unbegrenzte. Das Recht auf Selbstdarstellung fordert keine unbegrenzte Selbstdarstellung im Sinne beliebiger Kategorien und Optionen. Es umfasst nicht, nur so dargestellt zu werden, wie das Individuum sich selbst sieht oder als was es angesehen werden möchte. Vielmehr schützt es die einzelne Person vor Darstellungen in der Öffentlichkeit, die sie verfälschend, entstellend oder gar herabsetzend oder aber auch inhaltlich ungewollt darstellen.31 Sowohl die Schaffung einer neuen Option als auch die Schaffung mehrerer neuer Optionen der Geschlechtsangabe bewahrt die Person vor einer ihrer geschlechtlichen Identität nicht entsprechenden Selbstdarstellung, indem eine oder mehrere Selbstdarstellungsmöglichkeiten abseits der binären Geschlechterstruktur eröffnet werden. Der Idealfall vollkommener Wirksamkeit des Rechts auf Selbstdarstellung wäre zwar eine Selbstdarstellung nach vom Individuum selbstgewählten Optionen. Eine solche kann es aber angesichts entgegenstehender Interessen, sofern man sie überhaupt als vom Recht auf Selbstdarstellung umfasst sehen mag, nicht geben. Es geht nicht um vollkommene Wirksamkeit des geschlechtlichen Selbstverständnisses der einzelnen Person, sondern darum, den verfassungsrechtlich geschützten Interessen von Personen mit von der binären Geschlechterordnung abweichenden Geschlechtsidentitäten ebenso gerecht zu werden, wie den entgegenstehenden Interessen. Für die Frage, welche Lösung dem Recht auf Anerkennung der geschlechtlichen Identität am ehesten entspricht, kommt es darauf an, in welchem Umfang ein Anspruch auf positive Anerkennung zu verstehen ist. Das BVerfG hat bislang nur entschieden, dass das Recht auf positive Anerkennung der geschlechtlichen Identität positive Eintragungsmöglichkeiten abseits der binären Geschlechterstruktur erforderlich macht. Zum Umfang der weiteren Eintragungsmöglichkeiten ist den Ausführungen des BVerfG nichts zu entnehmen. Die Entscheidung darüber obliegt dem Gesetzgeber. Aus verfassungsrechtlicher Sicht bleibt anzumerken, dass grundsätz31

Siehe dazu unter E. II. 1. d) aa).

II. Festhalten am Ordnungskriterium Geschlecht

223

lich beide Umsetzungsoptionen der Berücksichtigung des Rechts auf Anerkennung der geschlechtlichen Identität dienen. Eine spezifische Gefährdung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist immer dann anzunehmen, wenn eine Person einer personenstandsrechtlichen Kategorie oder Option zugeordnet wird, die im Widerspruch zu ihrem eigenen Identitätsempfinden steht. Identitätskonflikte könnten die Folge sein. Findet der Gesetzgeber eine dritte Option für die Eintragung des Geschlechts im Personenstandsregister, die alle Geschlechtsidentitäten abseits der binären Geschlechterordnung vereint, so werden spezifische Gefährdungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vermieden. Ein Anspruch auf eine exakt dem eigenen Selbstverständnis entsprechende Option hält das Recht auf positive Anerkennung der selbstbestimmten geschlechtlichen Identität nicht bereit. Auch hier geht es nicht um eine vollkommene Wirksamkeit eines Rechts auf Anerkennung jeder erdenklichen geschlechtlichen Identität, sondern darum, den verfassungsrechtlich schützenswerten Interessen von Personen mit von der binären Geschlechterstruktur abweichenden Geschlechtsidentitäten ebenso gerecht zu werden, wie den entgegenstehenden Interessen. bb) Entgegenstehende Interessen Bei einer verfassungskonformen Erhöhung der Optionenvielfalt müssen auch die dieser Regelungsoption entgegenstehenden Interessen berücksichtigt werden. (1) Recht auf Anerkennung der geschlechtlichen Identität innerhalb der binären Geschlechterstruktur Bei einer Erhöhung der Optionenvielfalt dürfen nicht die Interessen derjenigen Personen übersehen werden, deren Identität sich gerade aus der Zugehörigkeit zur binären Geschlechterstruktur speist. So ist die Identität als Mann oder Frau für viele Personen ein wesentlicher Faktor ihrer Identität. Diese Identität als Mann oder Frau ist auch über das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützt.32 Nun muss festgehalten werden, dass weder bei Einfügung einer noch mehrerer Optionen zur Angabe des geschlechtlichen Personenstands die Optionen männlich und weiblich genommen würden. Sie blieben bestehen. Eine Identifikation mit diesen beiden Optionen wäre weiterhin möglich und muss auch, wie oben gezeigt33, möglich bleiben. Die Erhöhung der Optionenanzahl könnte aber zu einem Identifikationsverlust mit den Optionen männlich oder weiblich führen. Die Identität des Individuums bestimmt sich auch maßgeblich danach, welchen Gruppen es sich zugehörig fühlt.34 Die Erhöhung der Wahloptionen bei der Gruppenzugehörigkeit 32 33 34

Siehe dazu unter G. I. 6. a). Siehe dazu unter G. I. 6. a). Vgl. dazu E. II. 18.

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G. Gesetzgeberische Handlungsoptionen

von zwischen „Mann“ und „Frau“ hin zu „Mann“, Frau“ und „anderes Geschlecht“ dürfte nicht allzu gravierend für die Identifizierung des Einzelnen mit der Gruppe sein. Jedenfalls aber eine weitere Erhöhung der Optionenvielfalt kann als ein Zuviel an Wahlmöglichkeit den Identitätsbildungsprozess auch im Sinne einer Überforderung mit Optionen oder der Auflösung bestehender Gruppenverständnisse behindern. Fraglich ist aber, ob es ein verfassungsrechtlich schützenswertes Interesse an der Vermeidung eines Zuviels an Optionen und gegen die Auslösung eines bestehenden Gruppenverständnisses gibt. Das Recht auf Anerkennung der geschlechtlichen Identität aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG schützt Personen, die sich als Mann oder Frau sehen, zwar vor der Abschaffung dieser beiden Optionen, da dadurch auch die rechtliche und positive Anerkennung des männlich und weiblichen Personenstands entfallen würde.35 Eine Erhöhung der Optionenvielfalt torpediert aber gerade nicht die positive Anerkennung der Geschlechter Mann und Frau. Das Recht auf Selbstdarstellung erlegt dem Staat den Schutz des inneren Freiheitsraums des Individuums auf und soll insbesondere vor solchen Identitätserwartungen, die die Identitätsentwicklung einschränken, schützen.36 Eine Erhöhung der Optionenvielfalt um gleich mehrere Optionen schränkt die Selbstwahlmöglichkeiten des Einzelnen aber nicht ein. Sie erhöht diese vielmehr. Ein Schutz vor einem Zuviel an Identitätsoptionen ergibt sich auch aus dem Recht auf Selbstdarstellung nicht. Wie unter E. ausgeführt, ist Freiheit ein wesentlicher und verfassungsrechtlich verankerter Grundpfeiler der Identitätsbildung. Ein grundrechtlich garantierter Schutz individueller Identität ist deshalb notwendigerweise einer, der Freiheitsgewährleistungen umfangreich gewährleistet. Einen Schutz vor einem Zuviel an Freiheit bietet er nicht. Die Erhöhung der Vielfalt an Identitätsoptionen ist Folge des oben skizzierten gesellschaftlichen Freisetzungsprozesses.37 Er erfordert wohl keine rechtliche, sondern eine gesellschaftliche Antwort. (2) Die Funktionen des Personenstandsrechts Von einer Erhöhung der Optionenvielfalt grundsätzlich betroffen wären auch die Funktionen des Personenstandsrechts. Dies betrifft zunächst die statistikrechtliche Funktion. In allen Vorgängen, in denen das Geschlecht an die statistischen Landesämter über eine unmittelbare oder mittelbare Beteiligung der Standesämter gemeldet wird38, würde sich die Vielfalt 35 36 37 38

Siehe dazu unter G. I. 6. a). G. Britz, Freie Entfaltung durch Selbstdarstellung, S. 37. Siehe dazu unter B. III. 4. Siehe dazu unter G. I. 6. b) aa) und D. III. 5.

II. Festhalten am Ordnungskriterium Geschlecht

225

innerhalb des Erhebungsmerkmals Geschlecht erhöhen. Das ist für die Aufnahme einer dritten Option der Geschlechtsangabe wohl eher unschädlich und würde auch Aufschluss darüber geben, in welchem Umfang von der Inanspruchnahme der dritten Option Gebrauch gemacht würde. Die statistischen Landesämter wären bei einer über die dritte Option hinausgehende Gestaltung aber wohl nicht zur Übernahme aller geschlechtlichen Kategorien verpflichtet, zumal die amtliche Statistik keinen direkten Personenbezug aufweist. Sowohl eine Erhöhung der Optionenvielfalt um eine weitere Option als auch um mehrere wäre also unschädlich für die statistikrechtliche Funktion. Die Identifizierungsfunktion des Personenstandsrechts wäre von der Erhöhung der Optionenvielfalt ebenfalls grundsätzlich betroffen. Es würden keine neuen Unterscheidungskriterien hinzutreten. Innerhalb des Unterscheidungskriteriums Geschlecht würde sich aber eine größere Vielfalt darstellen. Eine reine Erhöhung der Optionenvielfalt allein untergräbt aber noch nicht die Wirksamkeit der Identifizierungsfunktion. Erst eine zu große Bandbreite an Optionen, die unter Umständen nicht mehr trennscharf auseinander zu halten wären, wäre der Identifizierungsfunktion abträglich.39 (3) Herausforderung für den Gesetzgeber Im Zusammenhang mit der Schaffung von einer neuen personenstandsrechtlichen Option oder von mehreren neuen personenstandsrechtlichen Optionen wird häufig auf die damit zusammenhängenden Änderungen vor allem im Familienrecht verwiesen.40 Freilich zieht die rechtliche Anerkennung eines weiteren Geschlechts Änderungen in allen Rechtsbereichen, die an das Geschlecht anknüpfen, nach sich. Der Hinweis auf die gesetzgeberische Herausforderung ist aber vor dem Hintergrund, dass mit der Neuregelung Verfassungskonformität erreicht werden muss, ebenso wenig durchschlagend, wie das Argument der einfachsten Lösung einer Aufgabe geschlechtlicher Eintragungsoptionen.41 b) Fazit Im Ergebnis wird die Lösung, die eine oder auch mehrere weitere Option(en) für personenstandsrechtliche Eintragungen des Geschlechts schafft, sowohl den Belangen der Personen, die sich nicht in die binäre Geschlechterordnung einfügen lassen als auch den einer Erhöhung der Optionenvielfalt entgegenstehenden Interessen gerecht. Dabei sollte zugunsten der Aufrechterhaltung der Identifizierungs-

39

Vgl. N. Althoff/G. Schabram/P. Follmar-Otto, S. 49. B. Frie, NZFam 2017, S. 1149 (1151 f.); J. Froese, JZ 2016, S. 1069 (1971); dies., ÄöR 2015, S. 598 (610 ff.). 41 Siehe G. I. 1. 40

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G. Gesetzgeberische Handlungsoptionen

funktion darauf geachtet werden, die Optionenvielfalt nicht zu stark zu erhöhen und die Optionen möglichst trennscharf zu halten.

2. Anpassungen hinsichtlich des Eintragungsmodus Vorgeschlagen wird zudem, zwar an einem Geschlechtseintrag festzuhalten, aber dessen Zeitpunkt zu verschieben.42 So sollen nicht die Eltern für das Kind über dessen Geschlechtseintrag entscheiden, sondern die Person selbst43, wenn sich ihre Geschlechtsidentität herausgebildet hat. Bei der Geburt würden nach dieser Lösung alle Kinder mit „keine Angaben“ ins Geburtenregister eingetragen werden.44 Alternativ wird angebracht, dass die Eltern vorübergehend ein Geschlecht festlegen, welches zu einem späteren Zeitpunkt von dem Kind selbst geändert werden kann.45 Für diese beiden Lösungen spricht, dass die Selbstbestimmung über das eigene Geschlecht, die von Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützt ist, in den Vordergrund personenstandsrechtlicher Eintragungen des Geschlechts gerückt wird. Auch stehen keine grundrechtlich geschützten Interessen derjenigen Personen, die als männlich oder weiblich eingetragen sind, entgegen. Unklar bleibt aber, ob und wenn ja zu welchem Zeitpunkt und unter welchen Voraussetzungen ein Geschlechtseintrag vorzunehmen ist und wie dieser zu einem zu definierenden Zeitpunkt durchgesetzt werden soll. Eine mögliche Lösung ist das Abstellen auf die Einsichts- und Urteilsfähigkeit der betroffenen Person im Einzelfall46, was jedoch das Verfahren des Geschlechtseintrags um einen weiteren Schritt der Feststellung dieser Einsichts- und Urteilsfähigkeit verlängert. Für den Zeitraum, währenddessen der Geschlechtseintrag mit „keine Angaben“ geführt würde, ist die Identifizierungsfunktion zumindest eingeschränkt, da „keine Angabe“ keine präzise Identifizierung im Falle des Ausfalls anderer Kategorien erlaubt. Vorgeschlagen wird auch, dass die einzelne Person eine eigene Geschlechtsbezeichnung im Registereintrag ergänzen können solle.47 Damit würde die Optionenvielfalt aber in einem Maße erhöht, das der Unterscheidungs- und Identifizierungsfunktion zuwiderlaufen würde. Auch gibt es keinen grundrechtlichen Anspruch auf die Eintragung beliebiger Identitätsmerkmale.48 42

N. Althoff/G. Schabram/P. Follmar-Otto, S. 49, 51; M. Petricˇ evic´, S. 376. M. Petricˇ evic´, S. 222 – 235. 44 N. Althoff/G. Schabram/P. Follmar-Otto, S. 51. 45 M. Petricˇ evic´, S. 375 f.; M. Wiemers, DVBl. 2018, S. 247. 46 M. Petricˇ evic´, S. 377. 47 N. Althoff/G. Schabram/P. Follmar-Otto, S. 47; J. T. Theilen, StAZ 2016, S. 295 (300); A. Sanders, NZFam 2018, S. 241 (242), die diese Lösung i. E. aber verneint. 48 BVerfGE 147, 1 (22) = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16, Rn. 46; ähnlich J. Froese, DÖV 2018, S. 315 (319). 43

II. Festhalten am Ordnungskriterium Geschlecht

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3. Begutachtungspflicht als Anschlussfrage bei dritter Eintragungsoption Offengelassen hat das BVerfG, ob die Inanspruchnahme einer dritten Option von weiteren verfahrensrechtlichen Voraussetzungen, wie einer Begutachtungspflicht, abhängig zu machen wäre. Eine solche Begutachtungspflicht besteht im Hinblick auf den geschlechtlichen Personenstand derzeit für die Namensänderung transsexueller Personen nach § 4 Abs. 3 i. V. m. § 1 TSG. a) Die Begutachtungspflicht nach dem TSG in der jüngeren Rechtsprechung des BVerfG Das BVerfG hat eine Verfassungsbeschwerde gegen die Begutachtungspflicht nach dem TSG mangels Rechtsschutzbedürfnisses nicht zur Entscheidung angenommen.49 Die Beschwerde richtet sich mittelbar gegen § 4 Abs. 3 TSG, der eine gerichtliche Änderung des Vornamens transsexueller Personen nach § 1 TSG nur nach Einholung zweier Sachverständigengutachten zulässt. Die Sachverständigen müssen aufgrund ihrer Ausbildung und ihrer beruflichen Erfahrung mit „den besonderen Problemen des Transsexualismus ausreichend vertraut sein“ (§ 4 Abs. 3 S. 1 TSG) und unabhängig voneinander bei der Begutachtung tätig werden (§ 4 Abs. 3 S. 2 TSG). Voraussetzung einer Namensänderung nach § 1 Nr. 1 TSG ist, dass anzunehmen ist, dass sich mit hoher Wahrscheinlichkeit das Zugehörigkeitsempfinden der antragstellenden Person zum anderen Geschlecht nicht mehr ändern wird. Auch hierzu ist in den Sachverständigengutachten nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft Stellung zu nehmen (§ 4 Abs. 3 S. 2 TSG). Das Begutachtungserfordernis gilt nach § 9 Abs. 3 S. 1 TSG auch für die gerichtliche Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit und die damit verbundene Änderung des geschlechtlichen Personenstands im Geburtenregister. Die beschwerdeführende Person wendet sich gegen das Begutachtungserfordernis und hält dieses für verfassungswidrig. Sie sei in ihren Rechten aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG verletzt.50 Dies stützt sie im Wesentlichen auf eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und die Annahme, dass es der gesetzlichen Regelung zur Begutachtungspflicht an einem legitimen Zweck fehle, da die Begutachtungspflicht auf der nicht mehr haltbaren Annahme von Transsexualität als krankhaftem Zustand beruhe.51

49 50 51

BVerfG, Beschl. v. 17. 10. 2017 – 1 BvR 747/17. BVerfG, Beschl. v. 17. 10. 2017 – 1 BvR 747/17 Rn. 3. BVerfG, Beschl. v. 17. 10. 2017 – 1 BvR 747/17 Rn. 4 – 5.

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G. Gesetzgeberische Handlungsoptionen

Das BVerfG verweist im Nichtannahmebeschluss auf seine Entscheidung aus dem Jahre 2011.52 Diese Entscheidung führte zur Unanwendbarkeit von § 8 Abs. 1 Nr. 3 und 4 TSG, welche als Voraussetzungen für eine Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit die dauernde Fortpflanzungsunfähigkeit sowie die Vornahme einer geschlechtsumwandelnden Operation forderten.53 Das Begutachtungserfordernis hatte das BVerfG aber auch schon in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2011 für verfassungskonform gehalten. Demnach könne der Gesetzgeber die personenstandsrechtliche Anerkennung des Geschlechts eines Menschen grundsätzlich von bestimmten Voraussetzungen abhängig machen54 und das Begutachtungserfordernis sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden55. Mit dem Zweck, beliebige Personenstandswechsel auszuschließen, könne der Gesetzgeber einen auf objektivierte Kriterien beruhenden Nachweis über die Geschlechtsidentität verlangen.56 Dies stützt das BVerfG auf die Funktionen des geschlechtlichen Personenstands. Dieser sei Ausgangspunkt von Rechten und Pflichten und familiären Zuordnungen der Person.57 Deshalb sei der Personenstand möglichst dauerhaft und eindeutig festzuhalten. Das BVerfG hält in seinem Beschluss aus dem Jahr 2017 an dieser Einschätzung fest58 und stellt klar, dass dem Begutachtungserfordernis nicht eine Bewertung von Transsexualität als Krankheit zugrunde liegt.59 b) Übertragbarkeit der Erwägungen Nun handelt es sich bei Intersexualität und Transsexualität um unterschiedliche Geschlechtsidentitäten, sodass nicht unmittelbar vom Begutachtungserfordernis im Falle der Transsexualität auf ein Begutachtungserfordernis für Fälle der Intersexualität zu schließen ist. Beiden Geschlechtsidentitäten gemeinsam ist, dass sie zumindest mit einer strikten binären Geschlechterordnung nicht vereinbar sind.60 Rechtsfragen der Transsexualität spielen sich innerhalb der binären Geschlechterordnung ab und betreffen Rechtsfragen des Geschlechtswechsels zwischen männlich und weiblich, wohingegen im Falle von Intersexualität die binäre Geschlechterordnung verlassen wird und Kategorien jenseits von männlich und weiblich gefordert werden, sofern die betroffene Person keinem der beiden Geschlechter zuzuordnen 52

BVerfG, Beschl. v. 11. 01. 2011 – 1 BvR 3295/07. Zu ähnlichen Entscheidungen in anderen europäischen Ländern und insb. Frankreich A.-M. Leroyer, in: Azoulai/Barbou des Places/Pataut, S. 275 (279). 54 BVerfG, Entsch. v. 11. 1. 2011 – 1 BvR 3295/07 Rn. 66. 55 BVerfG, Entsch. v. 11. 1. 2011 – 1 BvR 3295/07 Rn. 67. 56 BVerfG, Entsch. v. 11. 1. 2011 – 1 BvR 3295/07 Rn. 66. 57 BVerfG, Entsch. v. 11. 1. 2011 – 1 BvR 3295/07 Rn. 66. 58 Kritisch hierzu A. Degner/M. Normanni, Gleichheit für alle!?, Grundundmenschenrechtsblog, Beitrag v. 27. 12. 2017. 59 BVerfG, Beschl. v. 17. 10. 2017 – 1 BvR 747/17 Rn. 9 ff., insb. Rn. 12. 60 S. Baudis, GreifRecht 2016, S. 25 (26); J. T. Theilen, StAZ 2014, S. 1 (2). 53

II. Festhalten am Ordnungskriterium Geschlecht

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ist. Beide Fälle betreffen aber die Geschlechtsidentität von Personen. Die Frage, wie dem empfundenen Geschlecht der Person rechtlich Rechnung zu tragen ist, stellt sich in beiden Fällen.61 Insofern würde die gesetzliche Regelung im Fall von Intersexualität auch Auswirkungen auf das Begutachtungserfordernis für Transsexuelle haben. Bei der Begutachtung in Fällen von Transsexualität betrifft die von den Sachverständigen zu klärende Frage, ob eine betroffene Person statt dem ursprünglich männlichen nun dem weiblichen Geschlecht zugehört oder andersherum. Möchte der Gesetzgeber ein Begutachtungserfordernis auch für Fälle von Intersexualität vorsehen, so muss dieses aufgrund des Vorbehalts des Gesetzes ähnlich dem § 4 Abs. 3 TSG auch für Fälle der Intersexualität gesetzlich normiert werden. Dabei ist zu beachten, dass bei einer Begutachtung im Falle der Feststellung von Intersexualität die Bandbreite der in der Begutachtung möglicherweise zu findenden geschlechtlichen Identitäten ungleich weiter ist als bei Fällen der Transsexualität.62 Entscheidet sich der Gesetzgeber zur Aufnahme einer dritten Option in das PStG, welche dadurch gekennzeichnet ist, dass eine Person sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lässt, so müssten die gesetzlich zu normierenden Begutachtungskriterien auch genau dahingehend lauten. Aufgabe der Sachverständigen wäre damit die Feststellung, dass sich eine Person dauerhaft nicht in die binäre Geschlechterstruktur einordnen lässt. Von dem Kriterium der Dauerhaftigkeit könnte schon deshalb nicht abgesehen werden, da kurzfristige und häufige Geschlechtswechsel der Dauerhaftigkeit der Personenstandsregister, auf die sich der Gesetzgeber beim Festhalten am Begutachtungserfordernis gerade beruft, entgegenstehen. Für die Normierung des Kriteriums der Dauerhaftigkeit erscheint eine grobe Orientierung an § 1 Abs. 1 Nr. 1 TSG, nach dem für das Geschlechtsempfinden eine Mindestdauer von drei Jahren gefordert wird, grundsätzlich möglich63, wobei die Einschätzungsprärogative freilich beim Gesetzgeber liegt. Entscheidet sich der Gesetzgeber für die Aufnahme einer größeren, auf den aktuellen medizinischen Erkenntnissen beruhenden Bandbreite von Optionen geschlechtlicher Identität oder gar jeder denkbaren geschlechtliche Identität, so würde nicht nur eine stetige und bei einer hohen Anzahl von Optionen sehr aufwendige Anpassung dieser Optionen an die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse notwendig, sondern auch genaue Begutachtungsvorgaben, damit jeder einzelne Betroffene der zutreffenden Option zugeordnet und damit seiner tatsächlichen geschlechtlichen Identität entsprechend behandelt würde.

61 62 63

Zur Vergleichbarkeit auch J. T. Theilen, StAZ 2014, S. 1 (3). Hierauf weisen zu Recht auch hin A. Dutta/T. Helms, StAZ 2017, S. 98 (101). S. Rixen, JZ 2018, S. 317 (321).

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G. Gesetzgeberische Handlungsoptionen

c) Argumente gegen das Begutachtungserfordernis Nach anderer Auffassung beziehe § 1 Abs. 1 TSG sich nicht mehr auf aktuelle Diagnosekriterien und führe damit zu Begutachtungen, die pathologisierend oder stigmatisierend wirken und dadurch in das allgemeine Persönlichkeitsrecht eingreifen können.64 Zudem wird generell ein Widerspruch zur freien Persönlichkeitsentfaltung gesehen.65 Viele plädieren für mehr Selbstbestimmung im Zusammenhang mit der rechtlichen Anerkennung geschlechtlicher Identität. So hat der Bundesrat auf Initiative des Landes Rheinland-Pfalz am 2. 6. 2017 eine „Entschließung zur Aufhebung des Transsexuellengesetzes sowie zur Erarbeitung eines Gesetzes zur Anerkennung der Geschlechtsidentität und zum Schutz der Selbstbestimmung bei der Geschlechterzuordnung“66 beschlossen. Darin wird eine Aufhebung des TSG und insbesondere die Abschaffung der „teuren und unnötigen“ Begutachtungspflicht gefordert.67 Ersetzt werden soll die Begutachtung durch ein „Verwaltungsverfahren zur Anerkennung der Geschlechtsidentität“, das aber nicht näher beschrieben wird. Gemeint sein könnte eine behördliche Befragung der Person zur geschlechtlichen Identität oder die Abgabe einer (schriftlichen) Erklärung des Betroffenen vor einer zuständigen Stelle. Hier bleibt Raum für Spekulation. Andere Länder haben das Prinzip der Selbsterklärung bereits umgesetzt. Hierzu zählen beispielweise Argentinien, wo eine Änderung des Geschlechts in den Personenstandsregistern ganz ohne gerichtliche Beteiligung auskommt oder aber Dänemark, wo eine neue Sozialversicherungsnummer auf der Grundlage einer schriftlichen Selbsterklärung zur geschlechtlichen Identität vergeben wird und in den Ausweispapieren an die Stelle des Geschlechts ein „X“ eingetragen wird.68 In Malta ist seit dem “Gender Identity, Gender Expression and Sex Characteristics Act“69 aus dem Jahre 2015 die rechtliche Anerkennung einer trans- oder intersexuellen Geschlechtsidentität auf der Grundlage einer Erklärung der betroffenen Person und ohne weitere Diagnostik möglich. Seit Herbst 2017 können Personen als „X“ registriert werden.70 Eine ähnliche Regelung sieht das portugiesische „Gesetz zur Selbstbestimmung über das Geschlecht“ vor.71 64 A. Degner/M. Normanni, Gleichheit für alle!?, Grundundmenschenrechtsblog, Beitrag v. 27. 12. 2017; ähnlich J. T. Theilen, StAZ 2014, S. 1 (2, 4 f.); S. Wielpütz, S. 256 – 258, 274. 65 S. Wiggerich, StAZ 2017, S. 8 (12); ähnlich F. Wapler, jM 2018, S. 115 (116). 66 BR-Drs. 362/17; bekräftigt durch BR-Drs. 226/18 (siehe dazu unter G. IV. 2.). 67 BR-Drs. 362/17, S. 2. 68 A.-M. Leroyer, in: Azoulai/Barbou des Places/Pataut, S. 275 (280). 69 Act No. XI of 2015 v. 14. 4. 2015, online abrufbar unter: http://tgeu.org/wp-content/ uploads/2015/04/Malta_GIGESC_trans_law_2015.pdf, letzter Abruf 20. 12. 2018; dazu M. Petricˇ evic´, S. 339 – 346. 70 Pressemitteilung des Ministry for European Affairs and Equality and the Parliamentary Secretariat for Reforms v. 5. 9. 2017. 71 Dazu Bergmann Aktuell, StAZ 2018, S. 199.

II. Festhalten am Ordnungskriterium Geschlecht

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Am 22. 4. 2015 debattierte die Parlamentarische Versammlung des Europarats über Fragen der Geschlechtsidentität und verabschiedete die Resolution 2048 (2015) über die „Diskriminierung von Transsexuellen“.72 Es handelt sich um eine gesetzliche Empfehlung, die die Mitgliedstaaten zu gesetzlichen Reformen in den unterschiedlichsten Rechtsbereichen auffordert. Für das Begutachtungserfordernis von Bedeutung sind die Ausführungen des Europarats zur rechtlichen Anerkennung der Geschlechtsidentität (6.2. des Dokuments), in denen unter Punkt 6.2.2. zu einer Aufgabe des Begutachtungserfordernisses aufgefordert wird. d) Bewertung Schafft der Gesetzgeber eine oder mehrere neue Optionen für den geschlechtlichen Personenstand, so sollte das Begutachtungserfordernis mit in die Neuregelung einbezogen werden.73 Auch ist zu klären, ob unterschiedliche verfahrensrechtliche Voraussetzungen für Personen, die sich sowohl biologisch als auch psychisch nicht dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zuordnen lassen und Personen, die sich zwar biologisch dem männlichen oder dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen, aber sich von ihrer Psyche her keinem der beiden Geschlechter zugehörig fühlen, gelten sollen. Grundrechtseingriffe durch die konkrete Begutachtungspraxis können im Einzelfall natürlich nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Die Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Begutachtung muss allerdings an dieser Stelle am gesetzlich verankerten Begutachtungserfordernis als solchem ansetzen. Dieses bietet den Ausgangspunkt für eine eingehende Begutachtung der Persönlichkeit Betroffener im Hinblick auf ihre geschlechtliche Identität. Da die geschlechtliche Identität etwas sehr Intimes und Privates ist, das aufgrund des Begutachtungserfordernisses einem Dritten offenbart werden muss, sind Eingriffe in alle die geschlechtliche Identität im Sinne von Privatheit schützenden Grundrechte, insbesondere dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, möglich. Die Schwere der Eingriffe könnte über einheitliche Vorgaben zur Begutachtungspraxis minimiert werden. 1997 wurden erste Standards zur Behandlung und Begutachtung von Transsexuellen veröffentlicht.74 Die deutsche Gesellschaft für Sexualforschung arbeitet derzeit an aktuellen Vorgaben. Über den Entwurf konnte bis April 2017 abgestimmt werden. Bislang wurde keine neue Leitlinie veröffentlicht. 2001 veröffentlichte der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V. eine Begutachtungsanleitung für geschlechtsangleichende Maßnahmen bei Transsexualität.75 72

Dazu in aller Kürze M. R. Will, StAZ 2016, S. 44 f. Für ein Festhalten am Begutachtungserfordernis für Fälle von Intersexualität auch J. Froese, DÖV 2018, S. 315 (321). 74 S. Becker/H. A. G. Bosinski et al., Zeitschrift für Sexualforschung 1997, S. 147 – 156. 75 Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V., Grundlagen der Begutachtung, Begutachtungsanleitung, Geschlechtsangleichende Maßnahmen bei Transsexualität. 73

232

G. Gesetzgeberische Handlungsoptionen

Allerdings geht auch diese Begutachtungsanleitung von Transsexualität als Krankheit aus und befasst sich konkret mit geschlechtsangleichenden Maßnahmen. Eine neuere Empfehlung der WPATH (World Professional Association für Transgender Health) sieht Transsexualität nicht mehr als Krankheit an.76 Möglich erscheint jedoch eine neue Begutachtungsrichtlinie abzufassen, die dem Stand der medizinischen Wissenschaft entspricht, die rechtliche Anerkennung der geschlechtlichen Identität in den Fokus stellt und nicht auf Intersexualität als Krankheit abhebt. Der Abschaffung des Begutachtungserfordernisses entgegen steht das staatliche Interesse an einer möglichst dauerhaften und eindeutigen Feststellung des geschlechtlichen Personenstands. Anders als im Falle der Abschaffung der Ordnungskategorie Geschlecht sind im Falle des Begutachtungserfordernisses aber nicht Interessen derjenigen Personen, die sich in die binäre Geschlechterordnung einfügen, betroffen. Es stehen sich nur die Grundrechte derjenigen Personen, die einer Begutachtungspflicht unterliegen und das staatliche Interesse an der Dauerhaftigkeit und Eindeutigkeit personenstandsrechtlicher Erfassung gegenüber. Dem staatlichen Interesse könnte mit einer gesetzlichen Regelung zu missbräuchlichen Personenstandswechseln entgegengewirkt werden. In diesem Fall spricht vieles für den Vorzug des Rechts auf Selbstbestimmung der eigenen geschlechtlichen Identität der vom Begutachtungserfordernis Betroffenen.77

III. Fazit zu den gesetzgeberischen Handlungsoptionen Die gesetzgeberischen Handlungsoptionen hinsichtlich der personenstandsrechtlichen Eintragungsmöglichkeiten des Geschlechts reichen grundsätzlich von einer Abschaffung der einzutragenden Angabe Geschlecht über die Einfügung einer dritten Option der Geschlechtsangabe bis hin zu einer darüber hinausgehenden Erhöhung von Geschlechteroptionen. Einer gänzlichen Abschaffung der Angabe des Geschlechs steht das Recht auf positive Anerkennung des geschlechtlichen Personenstands derjenigen Personen, die sich in die binäre Geschlechterstruktur einfügen, entgegen. Eine Erhöhung der Optionenvielfalt hingegen ist unter grundrechtlichen Gesichtspunkten möglich und aufgrund der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Ausprägung des Rechts auf positive Anerkennung der geschlechtlichen Identität und von Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG auch verfassungsrechtlich geboten. Bei der gesetzgeberischen Umsetzung einer Erhöhung der Optionenvielfalt sollte darauf geachtet werden, dass die Identifizierungsfunktion und die statistikrechtliche Funktion nicht unterlaufen werden. 76 Weltverband für Transgender Gesundheit, Standards of Care, Versorgungsempfehlungen für die Gesundheit von transsexuellen, transgender und geschlechtsnichtkonformen Personen, insb. S. 7. 77 Zum Bescheinigungserfordernis des Referententwurfs eines Gesetzes zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragende Angaben siehe G. IV. a) cc) (2).

IV. Gesetzesänderungen im Anschluss an die Entscheidung des BVerfG

233

IV. Zu den Gesetzesänderungen im Anschluss an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10. 10. 2017 (1 BvR 2019/16) Im Folgenden werden Verlauf und Inhalte der vom Bundesverfassungsgericht geforderten Änderung des Personenstandsrecht skizziert (1.–3. und 5.). Dabei werden vergleichbare verfassungsgerichtliche und gesetzgeberische Tätigkeiten im benachbarten Ausland (4.) berücksichtigt.

1. Interministerielle Konflikte im Vorfeld der Gesetzesänderung Zwischen den beteiligten Bundesministerien war einem Medienbericht zufolge bereits zu Beginn des Jahres 2017, das heißt noch vor der Entscheidung des BVerfG, strittig, ob ein drittes Geschlecht in amtliche Dokumente aufgenommen werden solle. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zeigte sich einem Medienbericht nach unter der Führung von Manuela Schwesig offen für die Aufnahme eines dritten Geschlechts in amtliche Dokumente78 und stellte im September 2017 einen dringenden gesetzgeberischen und gesellschaftspolitischen Handlungsbedarf79 hinsichtlich des Schutzes und der Akzeptanz von geschlechtlicher Vielfalt fest. Diese Haltung wurde kurz vor der Ernennung des neuen Kabinetts durch eine Hintergrundmeldung auf der Homepage des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend bekräftigt.80 Gefordert wurden eine Ersetzung des TSG durch ein Gesetz zum Schutz und zur Akzeptanz geschlechtlicher Vielfalt, eine Verbotsregelung im BGB hinsichtlich geschlechtsangleichender Operationen bei Kindern, ein Diskriminierungsverbot hinsichtlich geschlechtlicher Vielfalt, der Ausbau von Maßnahmen zur Akzeptanzförderung und zum Abbau von Diskriminierung, die Schaffung flächendeckender Beratungs- und Unterstützungsstrukturen für trans- und intergeschlechtliche Menschen und deren Familien sowie die Aufnahme einer weiteren Geschlechtskategorie im PStG als positives Anerkenntnis der geschlechtlichen Identität. Das Bundesministerium des Innern war aufgrund der zu erwartenden juristischen Komplikationen für Behörden dagegen.81 Wegen dieser Uneinigkeit unterblieb eine Stellungnahme der Bundesregierung im Rahmen des Verfahrens vor dem BVerfG.82 78 M. Amann/W. Wiedmann-Schmidt, Der Spiegel v. 4. 2. 2017, S. 21; ähnlich Redaktion beck aktuell, becklink 2005670 v. 6. 2. 2017. 79 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Positionspapier v. 21. 9. 2017, S. 1. 80 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Hintergrundmeldung v. 5. 3. 2018. 81 M. Amann/W. Wiedmann-Schmidt, Der Spiegel v. 4. 2. 2017, S. 21.

234

G. Gesetzgeberische Handlungsoptionen

Dieser Konflikt war auch nach der Entscheidung des BVerfG83 nicht beseitigt. Zwar war nun die zuvor vom Bundesministerium des Innern favorisierte Option des Nichthandelns keine Option mehr, da das BVerfG ausdrücklich eine Gesetzesänderung forderte. Nunmehr rückte ein Konflikt hinsichtlich der Umsetzung in den Vordergrund. Einer Meldung des Spiegels zufolge favorisierte das Bundesministerium des Innern eine minimale Gesetzesänderung, durch die „anderes“ als eine weitere Kategorie für Melderegister eingeführt werden sollte.84 Das Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend bevorzugte hingegen die umfassendere Lösung in der Form eines Mantelgesetzes, durch welches nicht nur das Personenstands- und Melderecht, sondern auch das Zivil- und Transsexuellenrecht betroffen gewesen wären.85 Nach der zeitlich aufwendigen Regierungsbildung im Anschluss an die Bundestagswahl 2017 hielt der interministerielle Konflikt über die Umsetzung der Entscheidung des BVerfG an. Nunmehr war neben dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auch das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz gegen die minimale Lösung des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat. Der Konflikt betraf zum einen die Bezeichnung der weiteren Kategorie für das Geschlecht. In einem Schreiben lehnte die Bundesministerin für Justiz und Verbraucherschutz Barley einen Entwurf des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat als „noch nicht ausgereift“ ab und forderte eine einheitliche gesetzliche Lösung für Inter- und Transsexuelle.86 Bei der Schaffung einer weiteren geschlechtsbezogenen Kategorie favorisiere Barley die Bezeichnung „weiteres“, wohingegen die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Giffey „divers“ oder „inter“ bevorzuge. Auch das Verfahren der Änderung des personenstandsrechtlichen Geschlechtseintrags war umstritten. Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wollte die Entscheidung über den Geschlechtseintrag für Personen mit uneindeutigem Geschlecht ab dem 14. Lebensjahr ermöglichen, während das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz in Erwägung zog, die Altersgrenze zu senken, eine Änderung des geschlechtlichen Personenstands Minderjähriger auch ohne die Zustimmung der Eltern bzw. Erziehungsberechtigten und auch einen späteren und erneuten Wechsel des geschlechtlichen Personenstands zu ermöglichen.

82

M. Amann/W. Wiedmann-Schmidt, Der Spiegel v. 4. 2. 2017, S. 21; so auch Redaktion beck aktuell, becklink 2005670 v. 6. 2. 2017. 83 BVerfGE 147, 1 = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16. 84 M. Amann, Der Spiegel 2/2018, S. 21; dies., Spiegel Online v. 5. 1. 2018. 85 M. Amann, Spiegel Online v. 5. 1. 2018. 86 M. Amann, Spiegel Online v. 19. 5. 2018; auf den Bericht des Spiegels bezugnehmend F.A.Z.NET v. 19. 5. 2018.

IV. Gesetzesänderungen im Anschluss an die Entscheidung des BVerfG

235

2. Ausgewählte Entwicklungen auf Länderebene Parallel zur Debatte um die Einführung einer weiteren Eintragungsmöglichkeit des geschlechtlichen Personenstands auf Bundesebene wurde die Thematik auch auf Länderebene diskutiert. Für eine zügige Umsetzung der Entscheidung des BVerfG vom 10. 10. 2017 sprach sich beispielsweise die Hamburger Bürgerschaft am 28. 3. 2018 aus. Ein Antrag87 der SPD- und der GRÜNEN-Fraktion, welcher auf die zügige Umsetzung der Entscheidung im Form einer umfassenden Reform und in Gestalt eines „Geschlechtsidentitätsgesetzes“ abzielte und der aus „Mitverantwortung in der bundesgesetzlichen Ausgestaltung“88 heraus gestellt wurde, wurde einstimmig bei Enthaltung der AfD angenommen.89 Der Antrag der Fraktion Die Linke90, in dem für das Personenstandsregister eine Einführung der Kategorien „inter“, „divers“ oder selbstgewählte Bezeichnungen, eine jederzeitige freie und selbstbestimmte Wahl des Geschlechts ohne Begutachtungserfordernis, eine Überprüfung der Notwendigkeit der Aufnahme des Geschlechts in das Personenstandsregister und die zügige Umsetzung des Urteils des BVerfG vorgeschlagen wurde, wurde abgelehnt.91 Der Bundesgesetzgeber ließ mit einer Gesetzesänderung weiter auf sich warten, sodass eine Initiative zur Umsetzung der Entscheidung des BVerfG vom 10. 10. 2017 im Bundesrat gestartet wurde. Die Länder Rheinland-Pfalz und Bremen reichten einen Entschließungsantrag des Bundesrates für ein Gesetz zur Anerkennung der Geschlechtsidentität und zum Schutz der Selbstbestimmung bei der Geschlechterzuordnung92 ein, dem die Länder Brandenburg und Schleswig-Holstein beitraten. Demnach nimmt der Bundesrat den Beschluss des BVerfG vom 10. 10. 201793 ausdrücklich zur Kenntnis, schließt sich der Argumentation des BVerfG an und erinnert an seine Entschließung vom 02. 06. 2017.94 Der Bundesrat forderte darin die Modernisierung des TSG durch ein Gesetz zur Anerkennung der Geschlechtsidentität und zum Schutz der Selbstbestimmung bei der Geschlechtszuordnung, welches das Begutachtungserfordernis im Vorfeld einer Vornamens- und Personenstandsänderung abschaffen und durch ein Verwaltungsverfahren zur Anerkennung der Geschlechtsidentität ersetzen sollte. Der Bundesrat forderte mit seiner neuen Entschließung95 die Bundesregierung auf, das Urteil des BVerfG vom 10. 10. 2017 so-

87 88 89 90 91 92 93 94 95

Drs. 21/12339. Plenarprotokoll v. 28. 3. 2018, S. 5535. Plenarprotokoll v. 28. 3. 2018, S. 5538. Drs. 21/12467. Plenarprotokoll v. 28. 3. 2018, S. 5538. BR-Drs. 226/18. BVerfGE 147, 1 = BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16. BR-Drs. 362/17, siehe dazu unter G. II. 3. c). BR-Drs. 226/18.

236

G. Gesetzgeberische Handlungsoptionen

wohl für inter- als auch für transsexuelle Personen umzusetzen.96 Dies sollte der Entschließung entsprechend nicht im Wege der vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat favorisierten Minimallösung geschehen, sondern im Rahmen eines umfassenden Gesetzes zur Anerkennung der Geschlechtsidentität und den Schutz der Selbstbestimmung bei der Geschlechtszuordnung.97 In der Sitzung des Bundesrates vom 08. 06. 2018 wurde beschlossen, die Sache dem Ausschuss für Innere Angelegenheiten (federführend), dem Ausschuss für Frauen und Jugend, dem Gesundheitsausschuss und dem Rechtsausschuss zuzuweisen.98

3. Parallele Entwicklungen im benachbarten Ausland a) Österreich Parallel zum gerichtlichen Verfahren bezüglich der personenstandsrechtlichen Erfassung intersexueller Personen in Deutschland fand ein ähnlich gelagerter Fall des Beschwerdeführers Alex Jürgen den Weg zum österreichischen Verfassungsgerichtshof (VfGH). Der VfGH unterzog § 2 Abs. 2 Nr. 3 des österreichischen PStG (öPStG) einer verfassungsrechtlichen Prüfung von Amts wegen nach Art. 140 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) B-VG. aa) Vorverfahren Die Beschwerde beim VfGH richtete sich gegen die Entscheidung des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich99, die eine ablehnende Entscheidung des Bürgermeisters der Stadt Steyr über die Berichtigung des Geschlechtseintrags von „männlich“ auf „inter“, hilfsweise „anders“, „X“, „unbestimmt“ oder einem sinngleichen Begriff oder auch die ganze Streichung des Geschlechtseintrags im österreichischen Zentralen Personenstandregister (ZPR) mit Verweis auf die binäre Geschlechterstruktur der österreichischen Rechtsordnung bestätigt hatte.100 bb) Der Prüfungsbeschluss des VfGH Die zu prüfende Norm (§ 2 Abs. 2 Nr. 3 öPStG) verlangt die Eintragung des Geschlechts in das ZPR, ohne aber die Kategorien für die Eintragung vorzugeben. Der VfGH geht in seinem Prüfungsbeschluss aber davon aus, dass das Personen96

BR-Drs. 226/18, S. 2. BR-Drs. 226/18, S. 2. 98 Plenarprotokoll 968 v. 8. 6. 2018, S. 180. 99 LVwG, Entsch. v. 5. 10. 2016, 750369/5/MZ/MR. 100 Verfassungsgerichtshof, Prüfungsbeschluss E 2918/2016 – 29 v. 14. 3. 2018, Rn. 1; ausführlich zum Prozess M. Petricˇ evic´, S. 179 – 185. 97

IV. Gesetzesänderungen im Anschluss an die Entscheidung des BVerfG

237

standsrecht der „in der Rechtsordnung (auch) sonst vorherrschenden“101 binären Kategorisierung entspreche. Als Ausgangspunkt geht der VfGH richtigerweise und ähnlich wie das BVerfG davon aus, dass das Geschlecht zum „Personenkern“102, also der Identität der Person, zählt. Der Gerichtshof geht bezugnehmend auf die Entscheidung des BVerfG davon aus, dass es sich bei der Zuordnung zu einem Geschlecht um einen „zentralen und intimen Aspekt des privaten Lebens“103 handle. Der VfGH formuliert in seinem Prüfungsbeschluss gleich mehrere Bedenken gegen die Angabe des Geschlechts im ZPR.104 Der Gerichtshof erachtet es für möglich, dass § 2 Abs. 2 Nr. 3 PStG gegen Art. 8 EMRK in dessen Ausprägung als Schutz der individuellen Geschlechtsidentität verstößt.105 Ähnlich der Argumentation des BVerfG zu Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG befindet der österreichische Verfassungsgerichtshof, dass eine Person aufgrund von Art. 8 Abs. 1 EMRK nur solche staatlichen Geschlechtszuschreibungen akzeptieren müsse, die ihrer Geschlechtsidentität entsprechen.106 Die EMRK bildet mangels geschlossenen Grundrechtskatalogs im B-VG und einer anderweitigen verfassungsrechtlichen Regelung des Schutzes des Privatlebens den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab.107 Der Gerichtshof leitet aus Art. 8 Abs. 1 EMRK das Recht, Varianten der Geschlechtsentwicklung als „eigenständige geschlechtliche Identität“ anerkennen zu lassen, her.108 Spiegelbildlich schütze Art. 8 Abs. 1 EMRK vor fremdbestimmten Geschlechtszuweisungen109, welche einen Eingriff in Art. 8 Abs. 1 EMRK darstellten110, und verpflichte den Staat, rechtliche Vorkehrungen für eine selbstbestimmte Festlegung der geschlechtlichen Identität zu schaffen111. Dies erfordere zum einen flexible gesetzliche Regelungen und insbesondere Änderungsmöglichkeiten hinsichtlich des geschlechtlichen Personenstands. Zum anderen seien die Möglichkeit des Offenlassens des Geschlechtseintrags112 und Eintragungsmöglichkeiten

101 102 103 104 105 106 107 108 109 110 111 112

Verfassungsgerichtshof, Prüfungsbeschluss E 2918/2016 – 29 v. 14. 3. 2018, Rn. 24. Verfassungsgerichtshof, Prüfungsbeschluss E 2918/2016 – 29 v. 14. 3. 2018, Rn. 15. Verfassungsgerichtshof, Prüfungsbeschluss E 2918/2016 – 29 v. 14. 3. 2018, Rn. 37. U. Aichhorn, EF-Z (Zeitschrift für Familien- und Erbrecht) 2018, S. 162 (162 f.). Verfassungsgerichtshof, Prüfungsbeschluss E 2918/2016 – 29 v. 14. 3. 2018, Rn. 29. Verfassungsgerichtshof, Prüfungsbeschluss E 2918/2016 – 29 v. 14. 3. 2018, Rn. 29. Dazu G. Holzinger, EuGRZ 2018, S. 1 (2 – 5). Verfassungsgerichtshof, Prüfungsbeschluss E 2918/2016 – 29 v. 14. 3. 2018, Rn. 29. Verfassungsgerichtshof, Prüfungsbeschluss E 2918/2016 – 29 v. 14. 3. 2018, Rn. 29. Verfassungsgerichtshof, Prüfungsbeschluss E 2918/2016 – 29 v. 14. 3. 2018, Rn. 33. Verfassungsgerichtshof, Prüfungsbeschluss E 2918/2016 – 29 v. 14. 3. 2018, Rn. 31. Verfassungsgerichtshof, Prüfungsbeschluss E 2918/2016 – 29 v. 14. 3. 2018, Rn. 31.

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G. Gesetzgeberische Handlungsoptionen

in öffentlichen Registern, die „die jeweilige individuelle Geschlechtsidentität zu reflektieren“113 vermögen, erforderlich. Der VfGH erkennt richtigerweise, dass der Personenstand als solcher, unbeschadet seiner dienenden Funktion, identitätsstiftend ist.114 Eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung insbesondere einer starren binären Geschlechterordnung hält der VfGH in seinem Prüfungsbeschluss für verfassungsrechtlich nicht möglich.115 cc) Die Entscheidung des VfGH In seiner Entscheidung vom 15. 6. 2018116 hält der VfGH richtigerweise an seinen Ausführungen zum Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK und der Anerkennung einer identitätsstiftenden Wirkung des Personenstands aus dem Prüfungsbeschluss fest. Im Ergebnis gelangt der VfGH zu einer verfassungskonformen Interpretation des § 2 Abs. 2 Nr. 3 öPStG. Der VfGH stellt fest, dass eine starre Binarität der Geschlechterordnung mit Art. 8 Abs. 2 EMRK unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nicht zu vereinbaren sei.117 § 2 Abs. 2 Nr. 3 öPStG könne aber dahingehend verfassungskonform interpretiert werden, dass die in der Norm vorgesehene Angabe des Geschlechts im ZPR Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung gegenüber männlich oder weiblich nicht den Ausdruck ihrer individuellen Geschlechtsidentität verwehre.118 Der VfGH stellt dazu auf den von § 2 Abs. 2 Nr. 3 öPStG verwendeten Begriff des Geschlechts ab, der so allgemein sei, dass er auch alternative Geschlechtsidentitäten einschließe.119 Konsequent geht der VfGH davon aus, dass die vorgenommene verfassungskonforme Interpretation den Zwang, die Bezeichnung „männlich“ oder „weiblich“ zu wählen, beseitige.120 Auch die Binarität der sonstigen Rechtsordnung stehe einer solchen Auslegung nicht im Wege.121 Personenstandsbehörden müssten angesichts dieser Auslegung Personen mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung gegenüber männlich oder weiblich auf Antrag mit der Angabe „divers“, „inter“, „offen“ oder einer vergleichbaren Bezeichnung eintragen.122 113

Verfassungsgerichtshof, Prüfungsbeschluss E 2918/2016 – 29 v. 14. 3. 2018, Rn. 32. Verfassungsgerichtshof, Prüfungsbeschluss E 2918/2016 – 29 v. 14. 3. 2018, Rn. 37. 115 Verfassungsgerichtshof, Prüfungsbeschluss E 2918/2016 – 29 v. 14. 3. 2018, Rn. 40. 116 Verfassungsgerichtshof, Entscheidung G77/2018 – 9 v. 15. 6. 2018 = FamRZ 2018, S. 1437 – 1441; dazu auch E. Greif, Tertium NON datur: Zweigeschlechtlichkeit als „Prinzip der österreichischen Gesamtrechtsordnung“?, Verfassungsblog, Beitrag v. 13. 11. 2017; dies., Juridikum 2018, S. 558 – 560; B. Simma, EF-Z 2018, S. 218 f. Zusammenfassung bei S. Kieber, MLMR 2018, S. 304 – 309. 117 Verfassungsgerichtshof, Entscheidung G77/2018 – 9 v. 15. 6. 2018, Rn. 34. 118 Verfassungsgerichtshof, Entscheidung G77/2018 – 9 v. 15. 6. 2018, Rn. 36. 119 Verfassungsgerichtshof, Entscheidung G77/2018 – 9 v. 15. 6. 2018, Rn. 37. 120 Verfassungsgerichtshof, Entscheidung G77/2018 – 9 v. 15. 6. 2018, Rn. 36, 38. 121 Verfassungsgerichtshof, Entscheidung G77/2018 – 9 v. 15. 6. 2018, Rn. 37. 122 Verfassungsgerichtshof, Entscheidung G77/2018 – 9 v. 15. 6. 2018, Rn. 38. 114

IV. Gesetzesänderungen im Anschluss an die Entscheidung des BVerfG

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Der VfGH hat damit dem Recht auf Anerkennung des geschlechtlichen Personenstands umfangreich Rechnung getragen. Zudem knüpft der VfGH die Inanspruchnahme einer weiteren Option nicht an ein Begutachtungs- oder sonstiges Diagnose- oder Bescheinigungserfordernis, was der Selbstbestimmung der Betroffenen größtmöglich Rechnung trägt. Der Weg der verfassungskonformen Interpretation wird in Deutschland durch den Wortlaut des § 22 Abs. 3 PStG, welcher ausdrücklich auf das männliche und weibliche Geschlecht abstellt, versperrt.123 b) Schweiz Auch in der Schweiz wird über die Einführung einer weiteren Kategorie des geschlechtlichen Personenstands diskutiert. Der Bundesrat hat ein Postulat des Ratsmitglieds Sibel Arslan zur Annahme empfohlen.124 In dem Postulat wird der Bundesrat beauftragt, die Folgen der Einfügung einer dritten geschlechtlichen Kategorie im Personenstandsregister und die Folgen eines Verzichts auf die geschlechtliche Erfassung in einem Bericht darzulegen. Dieser Bericht soll die Grundlage für mögliche Gesetzesänderungen zur Auflösung der binären Geschlechterstruktur bilden. In der Begründung des Postulats wird auf die Entscheidung des BVerfG vom 10. 10. 2018125 abgestellt. Das Postulat wurde am 18. 9. 2018 im Nationalrat angenommen, nachdem eine Diskussion des Postulats im März 2018 auf unbestimmte Zeit zunächst verschoben worden war.

4. Die Gesetzesänderung in Deutschland Die verfassungsrechtlich notwendige Gesetzesänderung des deutschen PStG wurde durch den Referentenentwurf des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat vom 5. 6. 2018 (im Folgenden Referentenentwurf)126 eingeleitet. Daraufhin verabschiedete die Bundesregierung am 15. 8. 2018 ihren Gesetzentwurf (im Folgenden Gesetzentwurf der Bundesregierung)127, der in den Bundestag eingebracht wurde. Der Bundesrat erhob keine Einwendungen gegen den Gesetzentwurf der Bundesregierung.128 In der Sitzung vom 13. 12. 2018 nahm der Deutsche Bun123

A. A. S. L. Gössl, StAZ 2018, S. 40 (44); dies., StAZ 2015, S. 171 (172). Postulat 17.4121 Drittes Geschlecht im Personenstandsregister, Geschäftsgang online abrufbar unter: https://www.parlament.ch/DE/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20174121, letzter Abruf 20. 12. 2018. 125 BVerfGE 147, 1 = Beschl. v. 10. 10. 2017 – 1 BvR 2019/16. 126 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben v. 5. 6. 2018; dazu O. Tolmein, in: F.A.Z. v. 8. 6. 2018, S. 11. 127 BT-Drs. 19/4669 v. 1. 10. 2018. 128 BR-Drs. 429/18 v. 19. 10. 2018; Protokoll der Bundesratssitzung v. 19. 10. 2018, S. 377. 124

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G. Gesetzgeberische Handlungsoptionen

destag den Gesetzentwurf der Bundesregierung in der geänderten Ausschussfassung an.129 Der Bundesrat rief den Vermittlungsausschuss nicht an und billigte in seiner Sitzung am 14. 12. 2018 die Gesetzesänderung. Das Gesetz zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben vom 18. 12. 2018130 trat am 22. 12. 2018 in Kraft. Im Folgenden werden die wesentlichen Punkte des Gesetzentwurfs sowie die durch den Ausschuss für Inneres und Heimat empfohlenen Änderungen skizziert und bewertet. a) Kein Verzicht auf das Geschlecht als personenstandsrechtliche Kategorie Der Gesetzgeber hält an der Eintragung des Geschlechts im Geburtenregister fest und machte mit der Gesetzesänderung von der durch das BVerfG benannten Möglichkeit, komplett auf den Geschlechtseintrag zu verzichten, keinen Gebrauch. Verwiesen wird für die Begründung im Referentenentwurf131 und im Gesetzentwurf der Bundesregierung132 auf die Beweiswirkung des Geschlechtseintrags im Geburtenregister und die Beweiskraft der Personenstandsregister nach § 54 PStG. Ein Verzicht auf die Aufnahme des Geschlechts ins Geburtenregister würde die Rechtsposition der Bürger empfindlich schwächen.133 Zudem verweist der Gesetzgeber auf die Vorgaben der ICAO und kollisionsrechtliche Regelungen des EGBGB.134 Die Entscheidung für das Festhalten am Ordnungskriterium Geschlecht ist zu begrüßen, zumal auf diese Weise dem im allgemeinen Persönlichkeitsrecht verankerten Recht auf Anerkennung der geschlechtlichen Identität Rechnung getragen wird.135 An einer solchen ausdrücklichen rechtlichen Anerkennung würde es fehlen, wenn auf das Ordnungskriterium Geschlecht völlig verzichtet würde. Dem diskriminierungsrechtlichen Aspekt der Eintragungsmöglichkeiten wäre durch einen Verzicht der Eintragung des Geschlechts Rechnung getragen. Für den freiheitsrechtlichen Aspekt darf dies bezweifelt werden. Für die Begründung des Festhaltens am Ordnungskriterium Geschlecht ist, ergänzend zu den Ausführungen im Referentenentwurf und im Gesetzentwurf der 129

Plenarprotokoll des Deutschen Bundestags, 71. Sitzung v. 13. 12. 2018, S. 8340. BGBl. I, S. 2635 f. 131 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben v. 5. 6. 2018, S. 7. 132 BT-Drs. 19/4669, S. 8. 133 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben v. 5. 6. 2018, S. 7; BT-Drs. 19/4669, S. 8. 134 BT-Drs. 19/4669, S. 8. 135 Dazu schon unter G. I. 130

IV. Gesetzesänderungen im Anschluss an die Entscheidung des BVerfG

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Bundesregierung, auf die statistikrechtliche und die Identifizierungs- und Unterscheidungsfunktion des Personenstandsrechts hinzuweisen.136 b) Freibleibender Eintrag Mit der Gesetzesänderung erhalten blieb zudem die Möglichkeit des freibleibenden Geschlechtseintrags nach § 22 Abs. 3 PStG. Diese Lösung ist ebenfalls begrüßenswert, da sie die Erwartungen an die geschlechtliche Identität minimaler hält und dem Prozesscharakter von Identität Rechnung trägt. Die Funktionen des Personenstandsrechts dürften aufgrund der geringen Fallzahlen nur ganz unerheblich beeinträchtigt sein. Nach neueren Erkenntnissen erfolgten im Zeitraum 2013 bis 2015 bundesweit 12 freibleibende Einträge nach § 22 Abs. 3 PStG.137 Positiv zu bewerten ist auch eine Änderung, die nach der öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Inneres und Heimat138 Eingang in den Gesetzentwurf fand. § 22 Abs. 3 PStG, der bisher den freibleibenden Eintrag als zwingende Ist-Vorschrift vorsah, wurde klarstellend sowie zur Aufrechterhaltung der Wahlmöglichkeit und zur Vermeidung eines Zwangsoutings in eine Kann-Vorschrift geändert. c) Weitere positive Eintragungsmöglichkeit Die eigentliche Umsetzung des vom BVerfG geforderten und verfassungsrechtlich notwendigen positiven Geschlechtseintrags für Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung erfolgte durch eine Ergänzung des § 22 Abs. 3 PStG um eine weitere Option der Geschlechtsangabe. Die Bezeichnung der neuen Option war bereits im Vorfeld der Gesetzesänderung interministeriell umstritten.139 aa) Bezeichnung der neuen Option im Referentenentwurf Die neue Eintragungsoption für den geschlechtlichen Personenstand sollte nach dem Referentenentwurf „weiteres“ heißen. Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat entschied sich bewusst gegen die vormals und auch seitens des Deutschen Ethikrats im Jahre 2012140 favorisierte Bezeichnung „anderes“, da der Begriff von Betroffenen eher negativ aufgefasst werde.141 Es handele sich bei 136

Dazu unter G. I. 6. b) aa) und bb). BT-Drs. 19/2654, S. 3. 138 Deutsches Institut für Menschenrechte, Stellungnahme v. November 2018, S. 7; K. Plett, Stellungnahme, S. 1 f.; Lesben- und Schwulenverband in Deutschland, Stellungnahme v. 23. 10. 2018, S. 4 f.; Intersexuelle Menschen e.V., S. 3; A. K. Mangold, Stellungnahme, S. 5. 139 Siehe dazu unter G. IV. 1. 140 BT-Drs. 17/9088, S. 59. 141 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben v. 5. 6. 2018, S. 6. 137

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G. Gesetzgeberische Handlungsoptionen

„weiteres“ um eine möglichst offene Formulierung, um einer möglichst großen Zahl an Betroffenen eine Identifikationsmöglichkeit zu eröffnen.142 Die Identifikationsmöglichkeit mit der Bezeichnung „weiteres“ darf durchaus bezweifelt werden.143 Eine Identifikation ist allenfalls dahingehend möglich, dass eine sprachliche Abgrenzung zum weiblichen und männlichen Geschlecht erfolgt. Diese Abgrenzung ist nicht per se diskriminierend. Die Bezeichnung „weiteres“ kann aber nur bei großem Wohlwollen als positive Anerkennung gewertet werden. Äußerst zweifelhaft ist, ob Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung ihre geschlechtliche Identität durch die Bezeichnung „weiteres“ positiv zum Ausdruck bringen können, zumal „weiteres“ nicht als Ausdruck einer geschlechtlichen Identität zu werten ist. Im Stadium des Referentenentwurfs war deshalb der Vorschlag, ein Hinweisfeld in alle Personenstandsregister mit begrenzter Zeichenanzahl einzufügen, in dem zusätzlich zur Option „weiteres“ eine selbstgewählte Geschlechtsoption angegeben werden kann, positiv zu bewerten.144 bb) Bezeichnung der neuen Option im Gesetz zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben vom 18. 12. 2018 Bereits der Gesetzentwurf der Bundesregierung wich hinsichtlich der Bezeichnung der neuen Option der Geschlechtsangabe vom Referentenentwurf ab und sah hierfür die Bezeichnung „divers“ vor. Auch das Gesetz zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben wählt die Bezeichnung „divers“ statt „weiteres“. Diese Änderung wurde entsprechend des Wunsches Betroffener nach der Beteiligung der Länder und Verbände aufgenommen.145 Die begriffliche Anpassung ist zu begrüßen, zumal mit ihr der Weg hin zu einer positiven Anerkennung geschlechtlicher Identität weiter gegangen wird, als mit der vormals favorisierten Bezeichnung „weiteres“. d) Eintragungszeitpunkt Die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Option „divers“ betrifft zum einen den Zeitpunkt direkt nach der Geburt. Für Kinder, die weder eindeutig dem männlichen 142

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben v. 5. 6. 2018, S. 6. 143 So auch Deutscher Juristinnenbund e. V., Stellungnahme, S. 2. 144 Lesben- und Schwulenverband in Deutschland, Stellungnahme v. 25. 6. 2018, S. 2; Deutsches Institut für Menschenrechte, Stellungnahme v. Juli 2018, S. 6. 145 BT-Drs. 19/4669, S. 7.

IV. Gesetzesänderungen im Anschluss an die Entscheidung des BVerfG

243

noch dem weiblichen Geschlecht zugeordnet werden können, besteht die Möglichkeit der Eintragung „divers“ nach § 22 Abs. 3 PStG. Nicht nur zu einem Zeitpunkt direkt im Anschluss an die Geburt ist eine solche Angabe möglich. Durch die Einfügung eines § 45b PStG kann zu einem späteren Lebenszeitpunkt die Geschlechtsangabe von Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung durch Erklärung gegenüber dem Standesamt entweder gelöscht oder durch die Angabe „divers“ ersetzt werden. Damit verbunden werden kann auch eine Bestimmung neuer Vornamen nach § 45b Abs. 1 S. 3 PStG. e) Eintragungsmodus Ein Kind kann ab dem 14. Lebensjahr die Erklärung gegenüber dem Standesamt mit Zustimmung des gesetzlichen Vertreters selbst abgeben gemäß § 45b Abs. 2 S. 1 und 2 PStG. Bis zum 14. Lebensjahr oder bei Geschäftsunfähigkeit sind Änderungen des geschlechtlichen Personenstands nur durch den gesetzlichen Vertreter möglich, § 45b Abs. 2 S. 1 PStG. Die Möglichkeit einer am Kindeswohl orientierten familiengerichtlichen Ersetzung der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters besteht nach § 45b Abs. 2 S. 3 PStG. Die Altersgrenze orientiert sich an § 1617c BGB146, der für die Namenserklärung gegenüber dem Standesamt eine mit § 45b PStG vergleichbare Regelung trifft. Dass eine einmal vorgenommene Eintragung bei Vorliegen der Voraussetzungen geändert werden kann, ist positiv zu bewerten. Die geschlechtliche Entwicklung und die selbstempfundene Geschlechtszugehörigkeit können im Laufe des Lebens Veränderungen unterworfen sein, die eine Änderung der Eintragung des geschlechtlichen Personenstands notwendig machen. Die Möglichkeit einer eigenständigen Erklärung ab dem 14. Lebensjahr trägt dem Selbstbestimmungsrecht und dem Recht auf Anerkennung der geschlechtlichen Identität Heranwachsender Rechnung. f) Das Bescheinigungserfordernis nach § 45b Absatz 3 PStG Für den Nachweis der Varianten der Geschlechtsentwicklung wird, anders als im TSG, von einem umfangreichen Begutachtungserfordernis abgesehen. Gefordert wird die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung nach § 45b Abs. 3 PStG. Diese Bescheinigung soll das Vorliegen einer Variante der Geschlechtsentwicklung nachweisen. Weitere Anforderungen an die ärztliche Bescheinigung, Diagnoseverfahren oder die fachliche Qualifikation des Arztes werden nicht gestellt. Die genauen Voraussetzungen, die die ärztliche Bescheinigung erfüllen muss, bleiben weitgehend offen und unklar. 146 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben v. 5. 6. 2018, S. 7; BT-Drs. 19/4669, S. 7 f.

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G. Gesetzgeberische Handlungsoptionen

Das BVerfG äußerte sich in seiner Entscheidung vom 10. 10. 2017 nicht zum Begutachtungserfordernis. Das Gericht rückte an vielen Stellen der Entscheidung das subjektive Selbstverständnis des Individuums in den Vordergrund. Vor diesem Hintergrund scheint ein Absehen von einer Nachweispflicht hin zu einer reinen Selbsterklärung verfassungsrechtlich möglich. Eine strikte Abkehr vom Begutachtungserfordernis wurde mit der Entscheidung des BVerfG vom 10. 10. 2017 aber nicht eingeläutet147, zumal das BVerfG am 17. 10. 2017 für Fälle von Transsexualität die Verfassungskonformität des Begutachtungserfordernisses unter Hinweis auf ein möglichst dauerhaftes und eindeutiges Festhalten des Personenstands bestätigte.148 Verfassungsrechtlich ist das Erfordernis einer ärztlichen Diagnose für eine Änderung der Geschlechtsangabe und auch für die erstmalige Geschlechtsangabe nach der Geburt zulässig und von der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers umfasst.149 Vor dem Hintergrund des höchstpersönlichen Charakters der Entscheidung über die geschlechtliche Identität ist erfreulich, dass abweichend von § 4 Abs. 3 TSG nicht mehr zwei Gutachten, sondern nur eine ärztliche Bescheinigung gefordert wird. Das Bescheinigungserfordernis wird dennoch teilweise und ähnlich wie das Begutachtungserfordernis als Pathologisierung eingestuft.150 In einem Stadium, in dem keine Fallzahlen zur Inanspruchnahme der Option „divers“ vorliegen und die neue Option der Angabe des geschlechtlichen Personenstands in der Praxis nicht erprobt ist, ist das Bescheinigungserfordernis vor dem Hintergrund des Interesses an der dauerhaften und eindeutigen Feststellung des Personenstands aber als verfassungsrechtlich vertretbar im Sinne von erforderlich und angemessen zu bewerten. Es bildet den Mittelweg zwischen einer vollständigen Selbsterklärung bei der Behörde und dem Erfordernis der Vorlage zweier Gutachten bei Gericht und versucht die Funktionen der Personenstandsregister zur wahren. g) Möglichkeit der Versicherung an Eides statt Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sah die Möglichkeit der Änderung des Eintrags hinsichtlich des geschlechtlichen Personenstands zunächst ausschließlich unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung vor. Das Bescheinigungserfordernis wurde in der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Inneres und Heimat vor dem Hintergrund der Gefahr einer (Re-)Traumatisierung und dem subjektiven Charakter

147

A. A. H. Lindenberg, NZFam 2018, S. 1062 (1063). BVerfG, Beschl. v. 17. 10. 2017 – 1 BvR 747/17, dazu unter G. II. 3. a). 149 Siehe unter G. II. 3. 150 Deutscher Juristinnenbund e.V., Stellungnahme, S. 5; Deutsches Institut für Menschenrechte, Stellungnahme v. Juli 2018, S. 4 f.; Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität dgti e.V., Stellungnahme v. 6. 7. 2018, S. 2 f. 148

IV. Gesetzesänderungen im Anschluss an die Entscheidung des BVerfG

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der Geschlechtsidentität deutlich und in vertretbarer Weise kritisiert.151 Daraufhin wurde der Gesetzentwurf der Bundesregierung geändert, sodass nunmehr nach § 45b Abs. 3 PStG an die Stelle der ärztlichen Bescheinigung in besonderen Fällen die Versicherung an Eides statt tritt. Dies gilt für Fälle, in denen betroffene Personen über keine ärztliche Bescheinigung einer bereits erfolgten medizinischen Behandlung verfügen und bei denen das Vorliegen der Variante der Geschlechtsentwicklung gerade wegen der Behandlung nicht mehr oder nur durch eine unzumutbare Untersuchung nachgewiesen werden kann. Das Kriterium der Unzumutbarkeit wird in den Gesetzgebungsmaterialien dahingehend konkretisiert, dass für deren Annahme eine vorhergehende ärztliche Behandlung dermaßen belastend gewesen sein muss, dass die erneute Einholung einer ärztlichen Bescheinigung die Gefahr der Retraumatisierung mit sich bringt.152 Diese Regelung ist zu begrüßen, da sie in verfassungskonformer Weise eine Änderung der Angabe des geschlechtlichen Personenstands für Personen, denen die Einholung einer ärztlichen Bescheinigung unzumutbar ist, ermöglicht und durch das Erfordernis der Abgabe einer Versicherung an Eides statt gleichzeitig die Funktionen des Personenstandsregisters wahrt. h) Möglicher Anpassungsbedarf Schon der Referentenentwurf war in mehrfacher Hinsicht als eine Minimallösung anzusehen. Dies betraf die Bezeichnung der neuen Option mit „weiteres“, die nicht einem positiven Abbild geschlechtlicher Identität entsprach. Trotz der Änderung der Bezeichnung auf „divers“ und den geschilderten Änderungen des Gesetzentwurfs nach der Anhörung im Ausschuss für Inneres und Heimat bleibt die Gesetzesänderung in zweierlei Hinsicht eine minimale Lösung. aa) Änderung nur des PStG Zum einen betrifft die Gesetzesänderung nur das PStG. Weitere Gesetzesänderungen seien laut Referentenentwurf153 und dem Gesetzentwurf der Bundesregierung154 nicht in hoher Zahl notwendig, da der „weit überwiegende Teil der Rechtsvorschriften“ nicht an das Geschlecht anknüpfe. Etwas widersprüchlich wird im Referentenentwurf ein möglicher Anpassungsbedarf für weitere Gesetze, die an 151

A. K. Mangold, Stellungnahme, S. 5; Intersexuelle Menschen e.V., Stellungnahme, S. 2 f.; Lesben- und Schwulenverband in Deutschland, Stellungnahme v. 23. 10. 2018, S. 5 ff.; Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität dgti e.V, Stellungnahme v. 26. 11. 2018, S. 1; K. Plett, Stellungnahme, S. 5 f.; Deutsches Institut für Menschenrechte, Stellungnahme v. November 2018, S. 4 ff. 152 BT-Drs. 19/6467, S. 13. 153 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben v. 5. 6. 2018, S. 7. 154 BT-Drs. 19/4669, S. 8.

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G. Gesetzgeberische Handlungsoptionen

das somatische Geschlecht anknüpfen, eingeräumt.155 Diese Aussage wird im Gesetzentwurf der Bundesregierung wiederholt.156 Die Ansicht, dass Gesetzesänderungen nicht in hoher Zahl notwendig werden, ist auch vor dem Hintergrund des Gutachtens zur Geschlechtervielfalt im Recht von N. Althoff/G. Schabram und P. Fellmar-Otto157, die zahlreiche Regelungen mit geschlechtsdifferenzierender Rechtsfolge identifiziert haben, als zu optimistisch anzusehen.158 Die Minimalität der Gesetzesänderungen führt unweigerlich dazu, dass an das Geschlecht anknüpfende Gesetze einer Prüfung hinsichtlich des Anpassungsbedarfs zu unterziehen sind. Ein Prüfungserfordernis räumte die Bundesregierung inzwischen ein.159 Vorsicht ist angesichts des Auseinanderfallens der Voraussetzungen zwischen TSG und PStG geboten. In den auch nach der Gesetzesänderung des PStG noch bestehenden höheren Anforderungen nach § 4 Abs. 3 TSG ist ein Gleichheitsverstoß zu sehen.160 Die Anforderungen nach dem TSG hätten zeitgleich mit der Änderung des PStG erfolgen müssen, um gesetzgeberisch hervorgerufene Gleichheitsverstöße zu vermeiden. Neben der Änderung des PStG und des TSG sind Gesetzesänderungen in allen Gesetzen, die an das Geschlecht anknüpfen und Auswirkungen auf alle Lebensbereiche, in denen das Geschlecht von Personen eine Rolle spielt und insbesondere Unterscheidungen anhand der Kategorien männlich und weiblich erfolgen, grundsätzlich denkbar. Aktuelle Rechtsfragen stellen sich beispielsweise hinsichtlich der möglichen Anerkennung eines weiteren Geschlechts im Sport und dem Sportrecht161 sowie dem Arbeitsrecht162. Im Arbeitsrecht sind vor allem die geschlechtsneutrale Stellenaus-

155 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben v. 5. 6. 2018, S. 7. 156 BT-Drs. 19/4669, S. 8. 157 N. Althoff/G. Schabram/P. Follmar-Otto, Gutachten Geschlechtervielfalt im Recht, online abrufbar unter: https://www.bmfsfj.de/blob/jump/114066/geschlechtervielfalt-imrecht—band-8-data.pdf, letzter Abruf 20. 12. 2018. 158 Ähnlich kritisch äußerte sich Senatorin D. Kolat (Berlin) in der 973. Sitzung des Bundesrates v. 14. 12. 2018, Plenarprotokoll des Bundesrates v. 14. 12. 2018, Anlage 5, S. 514 f. 159 BT-Drs. 19/2654, S. 3. 160 Ähnlich Deutsches Institut für Menschenrechte, Stellungnahme v. Juli 2018, S. 8 – 10; Das., Stellungnahme v. November 2018, S. 7 – 9; BT-Drs. 19/6476 v. 12. 12. 2018, S. 4; vgl. K. Plett, Stellungnahme, S. 3; Lesben- und Schwulenverband in Deutschland, Stellungnahme v. 23. 10. 2018, S. 6, 10 ff. 161 Dazu aktuell A. Jakob, SpuRt 2018, S. 143 – 148; B. Pfister, SpuRt 2018, S. I; P. Meier, NVwZ Extra 14/2018, S. 1 – 6, der Lösungsmöglichkeiten für den Sport diskutiert; früher schon und ausführlich J. Block, S. 319 – 379. 162 Dazu allgemein B. Schiefer, P&R 2018, S. 223 f.; B. Weller, BB 2018, S. I.

IV. Gesetzesänderungen im Anschluss an die Entscheidung des BVerfG

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schreibung163 und die Frage der Berücksichtigung eines dritten Geschlechts bei der Betriebsratswahl164 von Bedeutung. Auch ist das Geschlecht für die Eheschließung bedeutsam, sodass sich hinsichtlich intersexueller Personen die Frage nach der rechtlichen Möglichkeit der Eheschließung stellen kann.165 Zudem ist – nicht zuletzt nach zwei Entscheidungen des BGH166 – die rechtswissenschaftliche Diskussion über die Bedeutung des Geschlechts für die abstammungsrechtliche Zuordnung der Elternschaft167 wieder aktuell. Durch die Einführung des Eintrags „divers“ ist diese Zuordnung aber wohl nicht in erheblicher Weise betroffen. Durch eine Analogie können auch intersexuelle Personen die Mutter- bzw. Vaterstellung i. S. d. §§ 1591 und 1592 BGB einnehmen.168 bb) Aufnahme einer neuen Option nur in das Geburtenregister Die Angabe einer weiteren Geschlechtsoption betrafen nach dem Referentenentwurf nur das Geburtenregister. Die Option „weiteres“ sollte lediglich im Geburtenregister eintragungsfähig sein. Dies ist kritikwürdig, da auch die anderen Personenstandsregister die Angabe des Geschlechts vorsehen. Die aktuelle Fassung des § 45b PStG stellt statt auf die Angabe des Geschlechts im Geburtenregister auf eine Angabe des Geschlechts in einem deutschen Personenstandseintrag ab. Damit können dem Wortlaut nach neben dem Geburtenregister auch die anderen Personenstandsregister gemeint sein. In der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung wird hingegen auf den Geschlechtseintrag im Geburtenregister abgestellt.169 Eine gesetzgeberische Klarstellung über die von § 45b PStG betroffenen Personenstandsregister wäre wünschenswert gewesen.

163 U. Andelewski/C. Wiencke, ZMV 2018, S. 226 – 229; M. Bettinghausen, BB 2018, S. 372 – 375, die das dritte Geschlecht von einer Ausschreibung mit „m/w“ richtigerweise nicht umfasst sieht; so auch J. Joussen, Die Mitarbeitervertretung 2018, S. 221. A. A. S. Roloff, in: BeckOK Arbeitsrecht, § 22 AGG Rn. 14. Konkrete Gestaltungsvorschläge für Stellenanzeigen bei P. Körlings, NZA 2018, S. 282 – 285, insb. S. 283 – 284. 164 C. Verhoek/Chr. Weuthen, ArbRAktuell 2018, S. 65 (68); B. Pfister, SpuRt 2018, S. I, der sich für die Streichung des Geschlechts aus dem BetrVG und der WO BetrVG ausspricht. 165 M. Bäumerich, FuR 2018, S. 239 – 242 (insb. S. 240 – 242), der die Möglichkeit einer Eheschließung bejaht; so auch F. Wapler, jM 2018, S. 115 (116); allgemein zum Regelungsbedarf H. Lindenberg, NZFam 2018, S. 1062 (1064). 166 BGH, Beschl. v. 29. 11. 2017 – XII ZB 459/16; BGH, Beschl. v. 6. 9. 2017 – XII ZB 660/ 14 = NJW 2017, S. 3379 – 3384 mit Anmerkung v. O. Tolmein. 167 T. Helms, StAZ 2018, S. 33 (34 – 35); S. L. Gössl, ZRP 2018, S. 174 – 177; H. Lindenberg, NZFam 2018, S. 1062 (1064 f.). 168 Dazu M. L. Jäschke, FamRZ 2018, S. 887 (890). 169 BT-Drs. 19/4669, S. 10 f.

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G. Gesetzgeberische Handlungsoptionen

i) Parlamentarische Gegenvorschläge zum Gesetzentwurf der Bundesregierung Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens erfolgten einige parlamentarische Gegenund Änderungsvorschläge zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, die hier kurz skizziert werden sollen. aa) Anträge der Fraktion Die Linke Gemeinsam mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung reichte die Fraktion Die Linke einen Antrag170 ein, mit dem die Bundesregierung zu über ihren Gesetzentwurf hinausgehenden und umfassenderen Reformen aufgefordert wurde. Im Antrag wurde neben einigen weiteren Änderungen die Aufhebung des TSG und eine einheitliche und gemeinsame gesetzliche Neuregelung hinsichtlich Trans- und Intersexualität gefordert. Hinsichtlich des personenstandsrechtlichen Geschlechtseintrags enthielt der Antrag eine freie Wahl von Vornamen und Personenstand. Hierzu zählten neben der Wahl „männlich“ oder „weiblich“ eine frei wählbare Bezeichnung des geschlechtlichen Personenstands ohne Erfordernis der Vorlage eines Gutachtens oder eines Attests. Auch das Begutachtungserfordernis des TSG sollte demnach entfallen. Der Antrag wurde am 11. 10. 2018 gemeinsam mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung in die Ausschüsse Inneres und Heimat (federführend), Recht und Verbraucherschutz sowie Familie, Senioren, Frauen und Jugend überwiesen. Der Ausschuss empfahl die Ablehnung des Antrags171, welche sodann in der Sitzung des Deutschen Bundestags vom 13. 12. 2018 erfolgte172. Auch ein späterer Änderungsantrag der Fraktion Die Linke173 wurde in der Sitzung des Deutschen Bundestags vom 13. 12. 2018 abgelehnt174. Dieser Änderungsantrag zielte im Wesentlichen auf eine Verortung der geänderten Regelungen des PStG im Kapitel 8 des Gesetzes, der Ablehnung einer vom Gesetzgeber festgelegten Bezeichnung einer weiteren Kategorie für den geschlechtlichen Personenstand, dem Wegfall des Bescheinigungserfordernisses und einer Anpassung der Regelungen des TSG an das nunmehr für Intersexuelle vorgesehen Verfahren ab. bb) Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Zur zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung brachte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zwei Änderungsanträge ein. Einer der Anträge

170 171 172 173 174

BT-Drs. 19/4828. BT-Drs. 19/6467, S. 2. Plenarprotokoll des Deutschen Bundestags v. 13. 12. 2018, S. 8340. BT-Drs. 19/6476. Plenarprotokoll des Deutschen Bundestags v. 13. 12. 2018, S. 8339.

IV. Gesetzesänderungen im Anschluss an die Entscheidung des BVerfG

249

zielte auf die Ablehnung des Begutachtungserfordernisses175, wohingegen sich der andere Änderungsantrag176 gegen die Terminologie des § 45b PStG richtete. In den Anwendungsbereich des § 45b PStG explizit aufgenommen werden sollten demnach auch Personen, die in biologischer Hinsicht zwar männlich oder weiblich seien, sich aber keinem dieser beiden Geschlechter zugehörig fühlen. Damit wurde auch eine Angleichung des Verfahrens für Inter- und Transsexuelle beabsichtigt. Beide Änderungsanträge wurden in der Sitzung des Deutschen Bundestags vom 13. 12. 2018 abgelehnt.177 cc) Änderungsanträge im Bundesrat Die Empfehlungen des Ausschusses für Frauen und Jugend178 und der Antrag des Landes Brandenburg179, welche im Wesentlichen terminologische Änderungen zur Verhinderung einer Pathologisierung, die Einbeziehung von Personen, die zwar biologisch Mann oder Frau sind, sich aber keinem der beiden Geschlechter zugehörig fühlen und ein Absehen vom Bescheinigungserfordernis des § 45b Abs. 3 PStG vorsahen, wurden nicht angenommen.

175 176 177 178 179

BT-Drs. 19/6477. BT-Drs. 19/6478. Plenarprotokoll des Deutschen Bundestags v. 13. 12. 2018, S. 8339 f. BR-Drs. 429/1/18. BR-Drs. 429/2/18.

H. Darstellung der Endergebnisse Im Folgenden werden die Endergebnisse der Untersuchung thematisch sortiert dargestellt.

I. Zu den Erkenntnissen der sozialwissenschaftlichen Identitätsforschung Die Untersuchungen haben gezeigt, dass die Erkenntnisse der sozialwissenschaftlichen Identitätsforschung zum Verständnis des grundrechtlichen Schutzes individueller Identität wesentlich beitragen, zumal es an einer rechtlichen Definition von Identität bislang fehlt und der Begriff in der Rechtswissenschaft nicht einheitlich verwendet wird.

II. Das Recht auf Identität Als eine rechtliche Konstruktion des Identitätsschutzes ist das Recht auf Identität, das auf Ebene der OAS entwickelt wurde, bekannt. Die Arbeiten der OAS zum Recht auf Identität bieten erste Anhaltpunkte für rechtlich schützenswerte Elemente von Identität (Name, Staatsangehörigkeit, familiäre Beziehungen, Kenntnis der Abstammung, physische und psychische Integrität der Person, Meinungs-, Gewissensund Religionsfreiheit, Schutz des Lebens sowie der Menschenwürde und Privatheit). Die Arbeiten der OAS weisen auch auf die Bedeutung personenstandsrechtlicher Erfassung als Garantie rechtlicher Existenz hin. Das Recht auf Identität weist in diesem Sinne eine Doppelfunktion auf. Es sichert die rechtliche Existenz als Anknüpfungspunkt weiterer, insbesondere staatsbürgerlicher Rechte und Pflichten und schützt die Identität der Person per se.

III. Zur Bedeutung der Funktionen des Personenstandsrechts Das Personenstandsrecht verfolgt keinen Selbstzweck, sondern weist Funktionen auf, die sowohl für die Staatstätigkeit und das Allgemeininteresse, als auch für die einzelne Person von Bedeutung sind. Diese Funktionen sind differenziert zu be-

V. Grundgesetzlicher Identitätsschutz als Schutz von Individualität

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trachten, da sich nur aus einer solchen differenzierten Betrachtung Interessen herauskristallisieren, die in eine verfassungsrechtliche Bewertung gesetzgeberischer Handlungsoptionen im Bereich des Personenstandsrechts eingestellt werden können.

IV. Die Identitätsrelevanz personenstandsrechtlicher Ordnungskategorien Die personenstandsrechtlichen Eintragungen sind zwingend personenbezogen. Darüber hinaus weisen die personenstandsrechtlichen Ordnungskategorien eine grundsätzliche Identitätsrelevanz für die natürliche Person auf. Insbesondere vor dem Hintergrund der Identitätsrelevanz personenstandsrechtlicher Kategorien ist das überkommene Verständnis von der Spiegelfunktion des Personenstandsrechts in seiner Absolutheit und das Verfassungsrecht ausklammernden Wirkung nicht haltbar.

V. Grundgesetzlicher Identitätsschutz als Schutz von Individualität Die Identität der einzelnen natürlichen Person wird durch die Grundrechte des Grundgesetzes umfassend geschützt. Sowohl die Freiheits- als auch die Gleichheitsgrundrechte weisen, in jeweils unterschiedlicher Ausprägung, identitätsschützende Gehalte auf. Besonders im Zusammenhang mit der Rechtsprechung des BVerfG zur Transsexualität wird deutlich, dass ein verfassungsrechtlicher Schutz von Identität nicht nur hinsichtlich seines Bezugs auf das Individuum individuell ist, sondern auch gerade die Individualität des Menschen nach dessen Selbstverständnis schützt. Flankiert wird der grundrechtliche Schutz individueller Identität durch die Garantie effektiven Rechtsschutzes sowie die Justizgrundrechte. Einschränkungen im persönlichen Schutzbereich kann mit Verweis auf die europa- und völkerrechtlichen Verpflichtungen begegnet werden. Das in der Rechtswissenschaft vielseits bemühte Modell der Sphärentheorie taugt für den grundrechtlichen Identitätsschutz nicht, zumal Identität stets in höchstem Maße persönlich ist. Vielmehr bietet sich ein Modell auf drei Ebenen an, das die Grundbedingungen des individuellen Identitätsschutzes, vom Lebensbereich unabhängige identitätsschützende Faktoren und grundrechtlich geschützte Teilbereiche des Identitätsschutzes vereint.

252

H. Darstellung der Endergebnisse

VI. Zum Landesverfassungsrecht Das besondere Differenzierungsverbot aufgrund der sozialen Stellung und das Recht auf gleiche wirtschaftliche und kulturelle Entwicklungsmöglichkeiten flankieren den in Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG und Art. 3 Abs. 2 GG enthaltenen und identitätsschützenden Gedanken der Chancengleichheit. Die Regelungen des Landesverfassungsrechts im Bereich des Minderheitenschutzes sind zahlreich. Die wenigsten Verbürgungen enthalten aber subjektive Rechte zugunsten des Individuums. Nur Regelungen zur Bekenntnisfreiheit (Art. 37 Abs. 2 LSAVerf und Art. 6 Abs. 1 SHVerf) vermitteln subjektive Rechte zugunsten des Einzelnen. Ein auf dem landesverfassungsrechtlichen Minderheitenschutz beruhender Identitätsschutz ist daher ganz überwiegend ein mittelbarer, vom Kollektiv und der Zugehörigkeit zum Kollektiv abgeleiteter Schutz. Nichtsdestotrotz verdeutlicht die Untersuchung des landesverfassungsrechtlichen Minderheitenschutzes die identitätsstiftende Bedeutung der Zugehörigkeit zu einer (sozialen) Gruppe. Die heimatbezogenen Regelungen des Landesverfassungsrechts betonen den Ortsbezug von Identität. Das Landesverfassungsrecht enthält zudem als explizite Differenzierungsverbote die sexuelle Identität beziehungsweise die sexuelle Orientierung als weitere persönliche und identitätsbezogene Merkmale.

VII. Personenstandsrecht und geschlechtliche Identität Der grundrechtlich vermittelte und umfassende Schutz individueller Identität steht in einem grundsätzlichen Spannungsverhältnis zu den personenstandsrechtlichen Kategorien und Eintragungsoptionen. Dies ergibt sich aus der begrenzten Vielfalt personenstandsrechtlicher Kategorien und Optionen, die als Identitätserwartungen an das Individuum herangetragen werden und dessen Selbstverständnis nicht in jedem Fall positiv abbilden. In besonderer Weise gilt dies für die Eintragung des Geschlechts, welche nach altem Rechtsstand nur mit männlich, weiblich oder einem freibleibenden Geschlechtseintrag möglich war. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG schützt die geschlechtliche Identität gemäß dem individuellen Selbstverständnis. Die Aussagen des BVerfG zur Transsexualität sind insofern auf den Fall der Intersexualität übertragbar. In Bezug auf das Personenstandsrecht beinhaltet das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein Recht auf positive Anerkennung des geschlechtlichen Personenstands. Diese Anerkennung hat nicht auf irgendeine Weise zu erfolgen. Insbesondere ist ein rechtlicher Nichtstatus nicht mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht vereinbar. Gefordert ist vielmehr eine positive Anerkennung des geschlechtlichen Personenstands. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist neben seiner Ausprägung als Recht auf positive Anerkennung der geschlechtlichen Identität durch die fehlende positive

VIII. Vom Gesetzgeber zu beachtende Aspekte

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Anerkennung des geschlechtlichen Personenstands in dem vom BVerfG in seiner jüngsten Entscheidung zur geschlechtlichen Identität wenig beachteten Recht auf Selbstdarstellung betroffen. Eine fehlende positive Anerkennung von Geschlechtsidentitäten, die von der binären Geschlechterordnung abweichen, verstößt zudem gegen das Diskriminierungsverbot aufgrund des Geschlechts aus Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG.

VIII. Vom Gesetzgeber zu beachtende Aspekte Eine gesetzgeberische Lösung, die den Grundrechtsverstößen abhilft, kann grundsätzlich in einem Verzicht auf die Ordnungskategorie Geschlecht oder einer Erhöhung der Optionenvielfalt bestehen. In beiden Fällen sind die den Lösungen entgegenstehenden Belange (betroffene Funktionen des Personenstandsrechts und entgegenstehende verfassungsrechtlich geschützte Rechte Dritter) mit in die Betrachtung einzubeziehen. Keinesfalls ist auf einseitige Lösungen zu setzen. Sowohl das von der begrenzten Optionenvielfalt betroffene Recht auf Selbstdarstellung als auch das Recht auf positive Anerkennung der geschlechtlichen Identität und das Diskriminierungsverbot aufgrund des Geschlechts lassen eine Erhöhung der Optionenvielfalt zu. Eine positive Anerkennung im Sinne des Rechts auf positive Anerkennung der geschlechtlichen Identität wird durch eine Abschaffung der Kategorie Geschlecht aber vereitelt. Das Nichtvorhandensein der Kategorie Geschlecht widerspricht gerade der positiven Anerkennung der geschlechtlichen Identität. Eine Lösung, die dennoch auf die Abschaffung der Kategorie Geschlecht setzt, muss das der Abschaffung entgegenstehende Recht auf positive Anerkennung der geschlechtlichen Identität derjenigen Personen, die ihrem Verständnis nach gerade männlich oder weiblich sind, hinreichend berücksichtigen. Das Recht auf positive Anerkennung der geschlechtlichen Identität ist gerade kein Minderheitenrecht. Auch müssen die Auswirkungen einer Abschaffung der Kategorie Geschlecht auf die statistikrechtliche Funktion, die Auswirkungen auf die Identifizierungs- und Unterscheidungsfunktion und die Beweiswirkung im internationalen Rechtsverkehr Berücksichtigung finden. Ein Festhalten am Ordnungskriterium Geschlecht bei gleichzeitiger Erhöhung der Optionenvielfalt wird sowohl dem Recht auf positive Anerkennung der geschlechtlichen Identität derjenigen Personen, die sich in die binäre Geschlechterordnung einfügen, als auch dem Recht auf positive Anerkennung der geschlechtlichen Identität derjenigen Personen, die sich nicht in die binäre Geschlechterstruktur einfügen, gerecht. Auch wären die statistikrechtliche Funktion und die Identifizierungs- und Unterscheidungsfunktion nur im Fall einer wesentlichen Erhöhung der

254

H. Darstellung der Endergebnisse

Optionenvielfalt betroffen. Diese Aspekte sprechen daher für eine Erhöhung der Optionenvielfalt in einem geringen Umfang.

IX. Zur Anschlussfrage des Begutachtungserfordernisses Im Falle der Erhöhung der Optionenvielfalt im Bereich des geschlechtlichen Personenstands stellt sich die Anschlussfrage, in welchem Verfahren über die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht zu entscheiden ist. Dies sollte im Rahmen einer gesetzgeberischen Neuregelung der geschlechtlichen Optionen mitgeregelt werden. Die Regelungsmöglichkeiten in diesem Bereich sind angesichts des umfassenden grundrechtlichen Schutzes der individuellen Identität sorgfältig zu prüfen, um nicht mit einer gesetzgeberischen Neuregelung der Erfassung des geschlechtlichen Personenstands den nächsten Grundrechtsverstoß hervorzurufen. Das dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht entspringende Recht auf Selbstbestimmung des geschlechtlichen Personenstands spricht für das Absehen vom Begutachtungserfordernis, sofern der missbräuchliche Wechsel des geschlechtlichen Personenstands gesetzlich unterbunden wird.

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2. Entscheidungen lateinamerikanischer Verfassungsgerichtshöfe Verfassungsgerichtshof Kolumbien: Corte Constitucional de Colombia, Urteil vom 23. 10. 1995, T-477/1995, online abrufbar unter: https://corte-constitucional.vlex.com.co/vid/-43559202, letzter Abruf 20. 12. 2018 Verfassungsgerichtshof Peru: Tribunal Constitucional, Urteil vom 25. 07. 2005, 4444 – 2005-PHC/TC, online abrufbar unter: tc.gob.pe/jurisprudencia/2006/04444 – 2005-HC.pdf, letzter Abruf 20. 12. 2018

Verzeichnis ausländischer Entscheidungen

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3. Französisches Kassationsgericht Cour de Cassation, Première chambre civile, Urteil vom 04. 05. 2017, Nr. 16 – 17.189 – D c./ Procureur général près la Cour d’appel d’Orléans, online abrufbar unter: https://www.courde cassation.fr/jurisprudence_2/premiere_chambre_civile_568/531_4_36665.html, letzter Abruf 20. 12. 2018

4. Österreichischer Verfassungsgerichtshof Entscheidung vom 15. 06. 2018 – G 77/2018 – 9, online abrufbar unter: https://www.vfgh.gv.at/ downloads/VfGH_Entscheidung_G_77 - 2018_unbestimmtes_Geschlecht_anonym.pdf, letzter Abruf 20. 12. 2018 Prüfungsbeschluss vom 14. 03. 2018 – E 2918/2016 – 29, online abrufbar unter: https://www. vfgh.gv.at/downloads/VfGH_Pruefungsbeschluss_E_2918 - 2016_unbest_Geschlecht_ano. pdf, letzter Abruf 20. 12. 2018

5. Oberösterreichisches Landesverwaltungsgericht Entscheidung vom 05. 10. 2016, 750369/5/MZ/MR, online abrufbar unter: https://www.lvwgooe.gv.at/15008.htm, letzter Abruf 20. 12. 2018

Sachregister Abgeordneter 141 Abstammung 38, 42, 48, 52, 90, 130,157, 250 allgemeine Handlungsfreiheit 79, 81, 102, 111, 164 Anerkennung 26, 32, 85, 89, 93, 153, 194, 210, 216, 252 Anzeigepflichten 62 Asylrecht 147 Begutachtungserfordernis 227, 230, 244, 254 Begutachtungspflicht 227 Behinderung 164 Bekenntnisfreiheit 179, 184, 252 Bescheinigungserfordernis 239, 243, 248 Beweisfunktion 53, 61, 67, 220 Beweiswirkung 61, 71, 220, 240, 253 Chancengleichheit 36, 158, 166, 169, 194, 152 Eigentumsfreiheit 118, 137 Elternrecht 128 Elternschaft 247 Familie 31, 42, 47, 108, 127, 194 Geburtenregister 58, 197, 202, 247 Gelman 45 Geschlecht 32, 58, 63, 73, 85, 89, 133, 148, 151, 154, 165, 169, 196, 201, 206, 210, 212, 223, 226, 238 geschlechtlicher Personenstand 104, 200, 203, 216, 220, 227, 231, 239, 244, 252, 254 Gewissensfreiheit 131, 133, 141 Glaube 31, 33, 130, 151, 157 Gleichheit 22, 41, 101, 165, 185 Gleichstellung 169 Gleichstellungsklausel 165

Heimat 32, 75, 104, 157, 160, 178, 183, 193 Herkunft 31, 52, 91, 98, 111, 151, 158, 178, 193 Ich-Identität 25, 84 Identifizierungsfunktion 22, 27, 59, 71, 213, 219, 225, 232 Identität – berufliche 31, 108, 125, 136, 138, 139, 142, 143 – eheliche 122, 132, 209 – geschlechtliche 85, 89, 94, 149, 154, 167, 193, 196, 205, 207, 212, 214, 222, 228, 237, 244, 252 – kollektive 24, 117, 189, 190 – künstlerische 143 – nationale 25, 186, 189 – numerische 22, 27, 60 – persönliche 21 – politische 25, 139, 144, 157 – qualitative 22, 27 – Recht auf 34, 38, 40, 50, 52, 56, 75, 250 – religiöse und weltanschauliche 37, 130, 133, 148, 153, 157, 215 – sexuelle 37, 148, 156, 162, 168, 252 – virtuelle 21 informationelle Selbstbestimmung 80, 95 Informationsfreiheit 110 Koalitionsfreiheit 115 Kommunikation 97, 110, 194 körperliche Fortbewegungsfreiheit 105 körperliche Unversehrtheit 109 Lebensgestaltung 80, 92, 94, 97, 100, 108, 119, 193

Sachregister materielle Sicherheit 31, 118, 137 Medienfreiheiten 138 Meinungsfreiheit 51, 111 Menschenwürde 36, 39, 54, 82, 90, 92, 101, 103, 148, 170, 193, 217, 250 Minderheiten – ethnische 152, 156, 172, 178, 180, 181, 183, 191 – sprachliche 152, 156, 158, 172, 174, 178 Minderheitenschutz 117, 151, 156, 171, 177, 178, 181, 188, 191, 218, 252 Nichtstatus 200, 252 Ordnungsinteresse 59, 201 Personenstandsregister 22, 57, 61, 67, 72, 88, 193, 196 persönliche Objekte 120 Persönlichkeitsrecht 79, 82, 83, 85, 87, 90, 94, 96, 98, 104, 115, 121, 124, 128, 133, 136, 150, 159, 170, 201, 203, 205, 207, 210, 214, 217, 218, 223, 227, 230, 232, 240, 252, 254 Persönlichkeitsschutz 80, 96, 128, 163 Petitionsrecht 113, 117, 150 Privatheit 51, 55, 80, 97, 150, 192, 194, 231, 250

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Privatschulfreiheit 129, 142 Privatsphäre 86, 94, 98, 99, 100, 124, 193 Selbstdarstellung 22, 79, 81, 83, 89, 96, 121, 134, 192, 204, 215, 222, 253 Serrano Cruz 49, 110 Spiegelfunktion 57, 69, 199, 210, 251 Sprache 151, 156, 157, 158, 162, 172, 178, 180, 181, 186, 189, 190 Staatsangehörigkeit 18, 36, 38, 40, 44, 46, 51, 66, 146, 148, 181, 194, 250 statistikrechtliche Funktion des Personenstandsrechts 66, 218, 224, 232, 253 steuerrechtliche Funktion des Personenstandsrechts 64, 71, 218 Unterscheidungsfunktion 23, 59, 71, 196, 201, 218, 219, 241, 253 Vereinigungsfreiheit 115, 147 Versammlungsfreiheit 114, 147 wehrrechtliche Funktion des Personenstandsrechts 62, 64, 196, 218 Widerstandsrecht 135, 147 Wissenschaftler 143 Wohnung 99, 119, 121, 140