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German Pages 186 [200] Year 1930
Hamburger Beiträge
zur Philosophie des kritischen Idealismus heratugegeben von
Ernst Cassirer, Albert Görland, Hermann Noadc I.Band /Z.Heft
Der Immanenzgedanke in der
Kantisdien Erfahrungslehre Ein Beitrag zum Problem des Transzendenz« motivs als Faktor immanenter Systematik innerhalb des kritischen Idealismus von
Fritz Kölln
I
Friederichsen, de Gruyter&Co. m.b.H., Hamburg 1929
Die „ H a m b u r g e r B e i t r ä g e z u r P h i l o s o p h i e d e s k r i t i s c h e n I d e a l i s m u s " sollen dazu dienen, sowohl die Tradition der so bezeichneten Richtung der neueren Philosophie zu pflegen, als auch an ihrer Fortbildung in stets erneutem Problemansatz und engster Fühlung mit allen fruchtbaren Bemühungen der philosophischen und wissenschaftlichen Forschung zu arbeiten. Keineswegs handelt es sich dabei um die Verteidigung eines ein für allemal angenommenen Standpunktes oder um die einseitige Handhabung einer streng gebundenen Methode. Mit der „kritischen" und „idealistischen" Denkweise ist vielmehr die Selbstbesinnung und die Rechtfertigung der Philosophie hinsichtlich der Weite und der Grenzen ihrer Aufgabe im Ganzen der Kultur gemeint. Der betonte Anschluß an die Einzelwissenschaften, der zu den eigentlichen Voraussetzungen des Kritizismus gehört, hat deshalb nicht den Charakter einer „Erkenntnistheorie" oder „Methodenlehre", die beide zu den Obliegenheiten der autonomen Wissenschaften selbst gehören, sondern den einer allseitigen und grundsätzlichen Frage an deren Verfahren und Ergebnis im Dienste der zu fordernden Einheit des Geistes. In diesem Sinne wird die Interpretation der Wissenschaften das bevorzugte Thema der in dieser Schriftenreihe erscheinenden Untersuchungen bilden. Um die erstrebte Zusammenarbeit von Philosophie und SpezialWissenschaften zu fördern, sollen auch solche Abhandlungen in die Sammlung aufgenommen werden, die geeignet sind, das Verständnis schwieriger Hauptwerke der kritischen Philosophie für diejenigen zu erleichtern, der mit ihrer Methode und Sprache noch nicht vertraut ist. Die Hamburger Beiträge zur Philosophie erscheinen in einzelnen Heften, welche jährlich in einem Band zusammengefaßt werden. Die Herausgeber möchten an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich den Förderern des Unternehmens für ihre großzügige Unterstützung danken. Ernst Cassirer, Albert Görland, H e r m a n n N o a c k
Hamburger Beiträge zur Philosophie des kritischen Idealismus herausgegeben von
Ernst Cassirer, Albert Görland, Hermann Noack Heft 2
Der Immanenzgedanke in der Kantischen Erfahrungslehre Ein Beitrag zum Problem des Transzendenzmotivs als Faktor immanenter Systematik innerhalb des kritischen Idealismus von
Fritz Kölln
I
Friederichsen, de Gruyter & Co. m. b. H. / Hamburg
1929
D r a c k v o n J . J . A u g u s t i n io G l t t c k s t a d t u n d H a m b u r g .
Der Immanenzgedanke in der Kantischen Erfahrungslehre. Im System K a n t s hat das Transzendenzmotiv im Begriff des „Dinges an sich" einen stehenden Terminus gefunden. Die systematischeAuswirkung diesesMotivs bei K a n t wird zunächst dadurch gehemmt, daß dieser Begriff in der Erfahrungslehre lediglich als negativer Gegenbegriff zur „Erscheinung", dem Repräsentanten der Immanenz, verwendet wird. Für den Gesamtzusammenhang der Systematik leistet der Begriff des „Dinges an sich" zwar die methodische Freistellung des autonomen Gebietes der Ethik. Die systematische Ordnung des weiteren Systemgliedes, der Ästhetik, wird jedoch durch das Transzendenzmotiv des „Dinges an sich" nicht unmittelbar näher bestimmt. Die Ästhetik erhebt sich nicht oberhalb der Ethik wie im System Görlands als stetige Fortführung der Immanierung transzendierender Restbestände des Materialen, sondern ist als Verbindungsglied der Erfahrungslehre und der Ethik gedacht. Die Disposition der Systemglieder ist vielmehr an einer Vermögenspsychologie orientiert, die den Verstand der Sinnlichkeit, die Urteilskraft dem Verstand und die Vernunft der Urteilskraft überordnet. Der Aufbau der „Vermögen" des Verstandes, der Urteilskraft und der Vernunft entspricht wiederum der Einteilung der formalen Logik nach Begriff, Urteil, Schluß. Auch die Erfahrungslehre K a n t s ist nach diesem Gesichtspunkt disponiert. Da innerhalb dieser Erfahrungslehre der Dingan-sich-Begriff bewußt abgedrängt wird, so ist ersichtlich, daß auch der Sinn seiner Systematik der autonomen Bereiche nicht durch das Transzendenzmotiv des Dings an sich bedingt zu sein braucht. Beide Gesichtspunkte des Aufbaus, die Dichotomie: Erscheinung und Ding an sich und der Überbau: Verstand, Urteilskraft, Vernunft sind in ihrer Leistung innerhalb der Technik der Motivdisposition gesondert zu verfolgen. Der aus der formalen Logik gewonnene Gesichtspunkt des Überbaus setzt sich sowohl innerhalb der Erscheinung durch, wie er auch das Verhältnis von Erscheinung und Ding an sich in der Tranzsendenz des Praktischen gegenüber der Naturerfahrung bestimmt.
Inhalt. Uber Aufbau und Darstellungsweise der Untersuchung.... I m m a n e n z g e d a n k e in der K a n t i s c h e n E r fahrungslehre Kurzer Überblick über die systematische Gesamtdisposition Kants a) Provisorische Bestimmung des Erscheinungsbegriffs als Terminus der Methodenimmanenz — der Bezug auf die exakten Wissenschaften b) Die Analyse der Struktur des transzendentalen Begriffs c) Zeitbegriff und Zeitanschauung d) Der Bezug auf das Aposteriori und der Sinn der transzendentalen Deduktion e) Die „Erscheinung" und die Immanierungsstufen der Erfahrung f ) Der systematische Ort der Urteilsfunktion im Aufbau der Erfahrungslehre g) Die systematische Stellung der Ideenlehre im Aufbau der Erfahrungslehre des kritischen Idealismus
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Über Aufbau und Darstellungsweise der Untersuchung. Die Problemsituation, in die uns unser Thema führt, entspringt aus der systematischen Gesamteinstellung der Görlandischen Philosophie. In ihr ist das Transzendenzmotiv bewußt als konstruktive Richtlinie verwandt und in immanenter Systematik bewältigt; deshalb hat sie recht eigentlich im Mittelpunkt unserer Untersuchung zu stehen. Die ständige Rückorientierung an dieser systematischen Gesamteinstellung sichert uns die allgemeinste Bedingung jeder Lösimg: die homogene Aufnahme des Problems. Umgekehrt wird uns erst die Untersuchung der mannigfachen Verzweigung des Transzendenzmotivs den Vollgehalt dieser Systematik deutlich machen. Beide Richtungen der Betrachtung erhellen sich wechselseitig und müssen deshalb stets korrelativ zueinander gedacht werden. Somit fassen wir unsere Aufgabe auch nicht so sehr als Isolierung eines einzelnen systematischen Problems, sondern vielmehr als das Totalproblem der Systematik aus dem speziellen Gesichtspunkt eines einzelnen Motivs. Wo das Transzendenzmotiv eine so zentrale Stellung inne hat, wie in der Systematik Görlands, läßt sich eine solche Projektion des systematischen Gesamtproblems zwanglos durchführen. Man braucht nur der Grundstruktur dieses Systems selbst nachzugehen, um in ihm die konstitutive Auswirkung unseres Motivs beobachten zu können. Unsere Untersuchung wird sich um den Nachweis bemühen, daß noch weit über diese Grundstruktur hinaus das Transzendenzmotiv bis in die feinsten Verästelungen dieser Methodologie und Systematik hinein sich in verschiedenen Tendenzen als konstitutiver Faktor verfolgen läßt. Aber unsere Aufgabe ist damit nicht erschöpft. Wir haben unserem Problem in einem weiteren Bereich nachzugehen, als ihn der Begriff der Görlandischen Systematik abgrenzt. Das Transzendenzmotiv soll in seiner systembildenden Kraft ganz allgemein innerhalb des kritischen Idealismus untersucht werden.
— Die Gefahr, die einem solchen Unternehmen droht, wird unmittelbar erkennbar, wenn man sich vergegenwärtigt, wie erst im System Görlands das Transzendenzmotiv bewußt als konstruktiver Faktor aufgegriffen wird. Heißt da die Erweiterung unserer Aufgabe auf den ganzen Umfang des Begriffs des kritischen Idealismus nicht vielleicht soviel wie die Absicht, die älteren Systeme aus einem Gesichtspunkt auszulegen, der ihnen selbst nicht homogen ist ? Eine gleich zentrale Bedeutung wie bei Görland h a t das Transzendenzmotiv nirgends gefunden, j a bei einer Reihe systematischer Ansätze läßt es sich überhaupt nur mit Hilfe einer künstlichen Umdeutung aufweisen. Schon aus diesem Grunde ist es uns versagt, eine gerade historische Linie der Entwicklung unseres Motivs innerhalb der Geschichte des kritischen Idealismus zu entwerfen. Gleichwohl dürfen wir nicht auf jede historische Rückbesinnung überhaupt Verzicht leisten. Sehen wir im Transzendenzmotiv einen bedeutsamen F a k t o r der Systematik des kritischen Idealismus überhaupt, so müssen wir wenigstens Ansätze dieser Motiwerwendung bei K a n t als dem Begründer dieses Idealismus aufzuzeigen suchen. Auch bei K a n t werden wir uns den gesamten Aufbau seines Systems zu vergegenwärtigen haben, um die Bedeutung des Transzendenzmotivs in ihm richtig abschätzen zu können. Aber die Aufgabe, die uns hier gestellt ist, ist weniger einfach als in der Systematik Görlands, denn hier fällt das Konstruktionsgesetz des Systems nicht einfach mit dem Motiv zusammen, das in ihm aufgesucht u n d in seiner Auswirkung bestimmt werden soll. Gerade deshalb müssen wir uns die spezifisch Kantische Methodologie und systematische Technik in ihrem ganzen Umfang vor Augen halten, wenn mit dem Aufspüren unseres Motivs hier nicht eine Verzerrung in der Interpretation der ursprünglichen Intention K a n t s entstehen soll. Daß es sich bei K a n t nicht voll auswirken konnte, wird dadurch erklärt, daß es nicht selbst als methodologische Voraussetzung der Systematik antizipiert ist, wie im A u f b a u des Görlandischen Systems, sondern erst im Verfolg der Konstruktion hier und da als Ergebnis heraustritt. Daneben werden wir in der Methodologie K a n t s selbst eine Verwendung des Transzendenzmotivs aufweisen, die bei Görland nicht in dieser Weise hervortritt. Nach zwei Seiten wird somit
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die Auswirkung des Transzendenzmotivs in den Systemen K a n t s und Görlands nicht zur Deckung zu bringen sein. Die Differenz ist eindeutig bedingt durch die Verschiedenheit der Systemlage. Um das zu verstehen, müssen wir uns mitten in die Interpretationsarbeit der Kantischen Philosophie hineinbegeben. Wir müssen auch das wagen, weil der neue systematische A u f b a u an jenem älteren neue Probleme sichtbar macht, und wir dürfen es wagen, weil uns der allgemeine Sinn des kritischen Idealismus seit Hermann Cohen als sichergestellt gelten kann. Indem wir auf diese Weise der eigentümlichen Bedeutung des Transzendenzmotivs f ü r das System K a n t s nachgehen, führen wir eine neue Schwierigkeit herauf. Nicht f ü r e i n System, sondern f ü r zwei verschiedene Systeme des kritischen Idealismus erweist sich unser Motiv je nach seiner Verwendung als konstitutiver Faktor. Nur ein allen systematischen Ansprüchen entfremdeter Historismus könnte sich bei einem solchen Ergebnis beruhigen. Dem Anspruch des kritischen Idealismus aber kann nicht eine historische Untersuchung gerecht werden, die ohne jedes systematische Interesse hinsichtlich der Einheit der in ihr herausgestellten Gedankengänge angestellt wird. So m u ß denn auch unsere Arbeit in sich das systematische und historische Interesse vereinigen. Schon die bereits erwähnten Aufgaben kann sie n u r dann in Angriff nehmen, wenn sie die Systeme Kants und Görlands selbst philosophierend, das soll heißen: nicht lediglich referierend auf die mannigfachen Auswirkungen unseres Motivs untersucht. Aus der Differenz dieser Auswirkungen in beiden Systemen erwächst uns jedoch nunmehr eine rein systematische Aufgabe; denn mit der möglichen Einheit beider Systeme zerfiele zugleich die Einheit des Bereichs, in dem unser Problem gestellt ist und damit der exakte Sinn der Einheit dieses Problems überhaupt. Wir werden deshalb in einem eigenen systematischen Teil zu zeigen haben, daß eine so entgegengesetzte Auswirkung des Transzendenzmotivs, wie wir sie bei K a n t und Görland sehen, in der Einheit eines systematischen Ansatzes möglich ist, der Gegensatz also nicht den Charakter eines Widerspruches h a t . Ein solcher Gegensatz aber f ü h r t nicht zur gegenseitigen Isolierung, sondern zur wechselseitigen Bereicherung. Deshalb müssen wir versuchen, innerhalb des Bereiches, der von der allgemeinen Idee
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des kritischen Idealismus begrenzt wird, denjenigen Ort auszuzeichnen, von dem aus die verschiedenen Richtungen der systematischen Methodologie Kants und Görlands derart in eins gefaßt zu werden vermögen, daß ihre Differenz den Sinn der Ergänzung bekommt. Unsere Untersuchung, die in allen Teilen von einem rein systematischen Interesse geleitet ist, muß sich trotzdem noch aus einem allgemeineren Grunde zu dem historischen Ausgangsort des kritischen Idealismus zurückwenden. Die Auswirkung des Transzendenzmotivs ist bedingt durch die Bedeutung, die dem Immanenzgedanken in dem betreffenden philosophischen System zukommt. F ü r den kritischen Idealismus sehen wir diesen Gedanken am eingeheQdsten bei K a n t begründet. Das System Görlands setzt die methodologische Fundierung des immanenten Bereichs, die bei Kant f ü r das Gebiet der mathematischen Naturwissenschaft geleistet ist, im allgemeinen voraus, ohne im einzelnen an die von Kant aufgewiesenen Bedingungen anzuknüpfen. Wollen wir die systematische Einheit beider Systementwürfe verstehen, so müssen wir diese Aufgabe nachholen. Die Begründung der Erkenntnisimmanenz des Naturgegenstandes geschieht bei Kant in dem Nachweis der transzendentalen Bedingungen. Die Nachzeichnung dieser Bedingungen kann jedoch n u r dann zu dem systematischen Anknüpfungspunkt hinführen, von dem aus die Görlandische Methodologie als F o r t f ü h r u n g und Ergänzung verständlich wird, wenn wir die transzendentalen Bedingungen der Immanenz in ihrem systematischen Zusammenhang entwickeln. Zu diesem Zwecke müssen wir schon die Darstellung der von K a n t als Erkenntnisbedingungen angegebenen Momente von vornherein unter den Gesichtswinkel des systematischen Verhältnisses rücken, das zwischen den einzelnen Setzungen und Voraussetzungen anzunehmen ist. Damit ist eine systematische Freiheit in der Darstellung geboten, die sich nicht allein auf die Auswahl, sondern nunmehr auch auf die Anordnung der Motive erstreckt. Die systematische Tendenz unserer Untersuchung m u ß sich deshalb auch insofern in dem mehr historischen Teil betätigen, als wir den Nachweis eines transzendentallogischen Schichtungsverhältnisses zwischen den einzelnen von K a n t angegebenen Bedingungen zu führen haben.
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Wir haben damit den Grundplan und die Hilfsmittel für unsere Arbeit angegeben. Aber die Disposition in der Darstellung ist damit noch nicht eindeutig festgelegt. Wir wählen zu diesem Zwecke die einfache historische Folge vom zeitlich früheren zum späteren System, beginnen deshalb mit der Darstellung des Motivs bei Kant, lassen die Untersuchung des Görlandischen Systems folgen und schließen mit dem konstruktiven Entwurf. Diese Anordnung hat zwar den Vorteil der größten Einfachheit und klarsten Übersichtlichkeit, leistet aber auf der anderen Seite der irrtümlichen Auffassung Vorschub, als sei unser Interesse vorwiegend historisch gerichtet. Damit wäre unsere Grundabsicht verkannt, manche Teile müßten als zu kurz gefaßt erscheinen, die Beschränkung auf zwei Systeme müßte als willkürlich aufgefaßt werden und selbst in diesem relativ engen Umkreise könnte das Ziel, auf das wir die Untersuchung hinführen, den Eindruck einer geschichtsmetaphysischen Konstruktion machen. Deshalb stellte man allgemein problemhistorische Untersuchungen besser in der ihrer Absicht homogeneren umgekehrten Weise dar, indem man die Darstellung mit derjenigen Problemsituation beginnt, aus der das Problem als eine historisches aufgenommen wird und rückwärts, gleichsam als Erinnerung seiner früheren Phasen, in die Vergangenheit führte. Wir halten im folgenden nur der Einfachheit halber an jenem älteren, bisher allgemein gebräuchlichen Verfahren fest. Wir können das um so eher, als die Grundabsicht unserer Arbeit systematisch, das System aber gegenüber der Abfolge in der Darstellung seiner Momente relativ gleichgültig ist.
Der Immanenzgedanke in der Kantischen Erfahrungslehre. Im System Kants hat das Transzendenzmotiv im Begriff des „Dinges an sich" einen stehenden Terminus gefunden. Die systematischeAuswirkung diesesMotivs bei K a n t wird zunächst dadurch gehemmt, daß dieser Begriff in der Erfahrungslehre lediglich als negativer Gegenbegriff zur „Erscheinung", dem Repräsentanten der Immanenz, verwendet wird. Für den Gesamtzusammenhang der Systematik leistet der Begriff des „Dinges an sich" zwar die methodische Freistellung des autonomen Gebietes der Ethik. Die systematische Ordnung des weiteren Systemgliedes, der Ästhetik, wird jedoch durch das Transzendenzmotiv des „Dinges an sich" nicht unmittelbar näher bestimmt. Die Ästhetik erhebt sich nicht oberhalb der Ethik wie im System Görlands als stetige Fortführung der Immanierung transzendierender Restbestände des Materialerl, sondern ist als Verbindungsglied der Erfahrungslehre und der Ethik gedacht. Die Disposition der Systemglieder ist vielmehr an einer Vermögenspsychologie orientiert, die den Verstand der Sinnlichkeit, die Urteilskraft dem Verstand und die Vernunft der Urteilskraft überordnet. Der Aufbau der „Vermögen" des Verstandes, der Urteilskraft und der Vernunft entspricht wiederum der Einteilung der formalen Logik nach Begriff, Urteil, Schluß. Auch die Erfahrungslehre K a n t s ist nach diesem Gesichtspunkt disponiert. Da innerhalb dieser Erfahrungslehre der Dingan-sich-Begriff bewußt abgedrängt wird, so ist ersichtlich, daß auch der Sinn seiner Systematik der autonomen Bereiche nicht durch das Transzendenzmotiv des Dings an sich bedingt zu sein braucht. Beide Gesichtspunkte des Aufbaus, die Dichotomie: Erscheinung und Ding an sich und der Ü b e r b a u : Verstand, Urteilskraft, Vernunft sind in ihrer Leistung innerhalb der Technik der Motivdisposition gesondert zu verfolgen. Der aus der formalen Logik gewonnene Gesichtspunkt des Überbaus setzt sich sowohl innerhalb der Erscheinung durch, wie er auch das Verhältnis von Erscheinung und Ding an sich in der Tranzsendenz des Praktischen gegenüber der Naturerfahrung bestimmt.
— 13 — Die negative Bedeutung des Transzendenzbegriffs des Dinges an sich weist unsere Untersuchung der immanenten Systematik bei Kant zunächst auf den Erscheinungsbegriff zurück. Seit Cohen ist der Sinn der Immanenz aus seiner psychologistischen Deutung befreit, und in seiner sachlogischen Fundierungskraft erkannt. Die Bedingungen, von denen die Gegenstandserkenntnis auszugehen h a t , sind die Prinzipien der Wissenschaften, nicht Vermögen des Erkenntnissubjekts. Erkennt man die logische Wurzel des Immanenzgedankens des kritischen Idealismus, so wird nunmehr fraglich, auf welche Weise noch das Gegensatzpaar Ding an sich — Erscheinung f ü r diesen Gedanken klärend sein soll. Die Immanenz des Erkenntnisgegenstandes, d. h. seine Subordination unter die Bedingungen des Verstandes, scheint n u r dadurch bei K a n t gewonnen zu sein, d a ß dieser Gegenstand eben als Erscheinungsgegenstand ohne eigenen Realitätsanspruch gedacht wird. Die Bedingungen der Wissenschaft wollen aber den realen Naturgegenstand belangen. Was hilft da der Begriff Erscheinung ? Wie ist dieser Begriff mit diesem Anspruch auch n u r zu vereinbaren ? Unsere Untersuchung des Erscheinungsbegriffs könnte diese Frage nicht klarstellen, wenn sie sich lediglich auf die faktisch ausgesprochenen Definitionen dieses Begriffs bei K a n t stützen müßte. Wir müssen deshalb aus den systematischen Motiven der Immanenz des Kantischen Aufbaus die Bedingungen durch einen rekonstruktiven Versuch nachzuweisen unternehmen. Dabei dürfen wir nur gegebene Stücke aus der Kantischen Systematik verwenden. Die Anordnung dieser Stücke müssen wir hier und da anders gestalten, als sie in der Kantischen Darstellung vorliegt. Wenn wir an einigen Stellen eine Erweiterung der Motive selbst vornehmen, so darf diese Weiterführung der Systematik niemals die Grenze überschreiten, die mit der Festlegung der Kantischen Motive gezogen ist. Unsere Tendenz der sachlichen Interpretation des Erscheinungsbegriffs wollen wir damit terminologisch festhalten, daß wir von der Immanenz als einer methodologischen Immanenz reden. Nun ist unverkennbar, daß der Erscheinungsbegriff durch den Empfindungsbezug irgendwie zunächst an den psychologischen Bewußtseinsbereich gebunden ist. Wir formulieren unsere Frage
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a) Provisorische Bestimmung des Erscheinungsbegriffs als Terminus der Methodenimmanenz — der Bezug auf die exakten Wissenschaften. Sofern wir die Immanenz der Erkenntnis nicht als psychologisches F a k t u m verstehen, kann uns der Begriff der Erscheinung nicht als fertige Antwort genügen. E r selbst erweist sich vielmehr lediglich als der umfassende Ausdruck für das Problem einer immanenten Erkenntnis, deren eigentlicher Sinn uns erst durch den Hinweis auf die mathematische Naturwissenshaft aufgeht. D a ß wir nicht Dinge an sich erkennen, sondern alle unsere Erkenntnis immer nur im Bereiche der Erscheinung befangen bleibt, das bedeutet auf dieser Stufe der Überlegung, daß in der Wissenschaft der Gegenstaad nur dann als Problem aufgegeben, aufgenommen und gesichert werden kann, wenn es gelingt, ihn unter Bedingungen zu stellen, die in sich einen einheitlich geschlossenen Verband bilden. Das erreichen wir allein dann, wenn wir ihn in einer spezifischen Sehmethode intendieren, indem wir alles beiseite lassen, was er abseits dieser methodologischen Gesamteinstellung sonst noch sein und bedeuten möge. Alles, was in dieser methodischen Abstraktion ausgeklammert wird, können wir unter den Sammelnamen des Dinges an sich zusammenfassen. Dann ist der in den Bedingungen der spezifischen Methodologie eingefangene Gegenstand Gegenstand der Erscheinung, das heißt ein Gegenstand als spezifisches Phänomen. Mußte der Gegenstand als Ding an sich beziehungslos zu den Bedingungen der Erkenntnis gedacht werden, 60 erweist sich der Gegenstand als Erscheinung als durchaus von ihnen abhängig, weil aus ihnen selbst erzeugt. Die Umkehrung des Verhältnisses zwischen der Erkenntnis und ihrem Gegenstand, die damit gegeben ist, hat K a n t mit der
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Kopernikanischen Revolution der Denkungsart verglichen: „Bisher nahm man an, alle unsere Erkenntnis müsse sich nach den Gegenständen richten; aber alle Versuche, über sie apriori etwas durch Begriffe auszumachen, wodurch unsere Erkenntnis erweitert würde, gingen unter dieser Voraussetzung zunichte. Man versuche es daher einmal, ob wir nicht in den Aufgaben der Metaphysik damit besser fortkommen, daß wir annehmen, die Gegenstände müssen sich nach unserer Erkenntnis richten, welches so schon besser mit der verlangten Möglichkeit einer Erkenntnis derselben a priori zusammenstimmt, die über Gegenstände, ehe sie uns gegeben werden, etwas festsetzen soll. Es ist hiermit ebenso als mit den ersten Gedanken des Kopernikus bewandt, der, nachdem es mit der Erklärung der Himmelsbewegungen nicht gut fortwollte, wenn er annahm, das ganze Sternenheer drehe sich um den Zuschauer, versuchte, ob es nicht besser gelingen möchte, wenn er den Zuschauer sich drehen und dagegen die Sterne in Ruhe ließ" 1 . Der wissenschaftliche Sinn des Erscheinungsbegriffs, der eine derartige Drehung im Verhältnis zwischen Gegenstand und Erkenntnis ermöglicht, erhellt besonders aus den anderen Beispielen, die Kant aus der Wissenschaftsgeschichte anführt. Der Gegenstand als Ding an sich müßte gegenüber der spezifischen Erkenntnismethode eine absolute Transzendenz bedeuten; nur der ideale Gegenstand, der sich aus einer spezifischen Sehmethode konstruktiv erzeugen läßt, ist den Bedingungen der Erkenntnis selbst immanent. „Dem ersten, der den gleichschenkligen Triangel demonstrierte, (er mag nun Thaies oder wie man will geheißen haben), dem ging ein Licht auf; denn er fand, daß er nicht dem, was er in der Figur sah, oder auch dem bloßen Begriffe derselben nachspüren und gleichsam davon ihre Eigenschaften ablernen, sondern durch das, was er nach Begriffen selbst apriori hineindachte und darstellte (durch Konstruktion), hervorbringen müsse, und daß er, um sicher etwas apriori zu wissen, der Sache nichts beilegen müsse, als was aus dem notwendig folgte was er seinem Begriff gemäß selbst in sie gelegt hat" 2 . Selbst in der Physik wird 1 2
W. W. Bd. III, S. 18. W. W. Bd. III. S. 15. Die Werke Kants werden nach der Ausgabe von Cassirer zitiert. 11 Bände. Berlin, bei Bruno Cassirer. 1923.
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auf diese Weise der Gegenstand aus seinen Bedingungen spontan erzeugt und auch die Chemie hat nur dadurch den Charakter als exakte Wissenschaft erreicht, daß sie in eigener Methodologie den Gegenstand unter Bedingungen zu stellen vermochte, indem sie ihn als Erscheinung dachte, nämlich nur in der Hinsicht ihrer spezifischen Maßmethodik in ihre Betrachtimg eingehen ließ, von der er nun beherrscht werden konnte, weil er aus ihr erst seine exakte Definition erfuhr. „Als Galilei seine Kugeln die schiefe Fläche mit einer von ihm selbst gewählten Schwere herabrollen, öder Torricelli die Luft ein Gewicht, was er sich zum voraus dem einer bekannten Wassersäule gleich gedacht hatte, tragen ließ, oder in noch späterer Zeit Stahl Metalle in Kalk und diesen wiederum in Metall verwandelte, indem er ihnen etwas entzog und wiedergab; so ging allen Naturforschern ein Licht auf. Sie begriffen, daß die Vernunft nur das einsieht, was sie selbst nach ihrem Entwürfe hervorbringt, daß sie mit Prinzipien ihrer Urteile nach beständigen Gesetzen vorangehen und die Natur nötigen müsse, auf ihre Fragen zu antworten, nicht aber sich von ihr allein gleichsam am Leitbande gängeln lassen müsse; denn sonst hängen zufällige, nach keinem vorher entworfenen Plan gemachte Beobachtungen gar nicht in einem notwendigen Gesetz zusammen, welches doch die Vernunft sucht und bedarf. . . . Und so hat sogar Physik die so vorteilhafte Revolution ihrer Denkart lediglich dem Einfalle zu verdanken, demjenigen, was die Vernunft selbst in die Natur hineinlegt, gemäß, dasjenige in ihr zu suchen, (nicht ihr anzudichten) was sie von dieser lernen muß, und wovon sie für sich selbst nicht wissen würde. Hierdurch ist die Naturwissenschaft allererst in den sicheren Gang einer Wissenschaft gebracht worden, da sie so viel Jahrhunderte doch nichts weiter als ein bloßes Herumtappen gewesen war" 1 . Indem wir auf diese grundlegenden Stellen bei Kant, in denen er Bezug auf die Methodologie der exakten Wissenschaften nimmt, das größte Gewicht legen, fassen wir den Begriff der Erscheinung als Ausdruck und Garanten der Methodenimmanenz des Gegenstandes, mit dem allein es die Wissenschaft zu tun hat. Die erste (negative) Leistung des „Ding an sich"-Begriffs sehen wir deshalb darin, daß er in 1
W. W. Bd. III, S. 16/17.
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der Disjunktion „Erscheinung oder Ding an sich" die Erkenntniskritik f ü r einen möglichen Gegenstand der Erkenntnis an das F a k t u m der exakten Wissenschaft verweist. Hier erst findet der tiefere Anspruch, der im Sinn der Erkenntnis gegenüber der bloßen Kenntnis liegt, seine Erfüllung, daß sie nämlich den Gegenstand aus den Mitteln seiner Bedingungen beherrscht und darin Allgemeingültigkeit und strenge Notwendigkeit erreicht. Von Dingen an sich wäre, selbst wenn sie gegeben wären, lediglich eine Kenntnis möglich (Proleg. § 14,), weil sie sich den Bedingungen, in denen die Wissenschaft ihren Gegenstand einfängt, prinzipiell entziehen müßten, denn sie sind prinzipiell durch ihre Unbedingtheit definiert. Diese Definition wird immer dann stillschweigend mitgesetzt, wenn wir, wie in der Verwendung der naiven Dingbegriffe, den Gegenstand selbst Undefiniert lassen. I m Bereich der Erscheinung dagegen, als dem Orte möglicher Bedingungen, befinden wir uns in den mathematischen Naturwissenschaften, die ihren Gegenstand in der genetischen Definition selbst konstruktiv hervorgehen lassen. Mit dem Hinweis auf das F a k t u m der Wissenschaften ist aber zunächst nur der Ausgangspunkt der Kantischen Systematik erreicht. Die Orientierung an diesem F a k t u m schützt die Erkenntniskritik vor metaphysischen u n d psychologistischen Abirrungen, indem sie ihr den Wirklichkeitsbereich zuweist, auf den sie ihre Blickrichtung fest einzustellen h a t . Von hier auB kann sich in methodischer Strenge die transzendentale Frage erheben. Wissenschaft als Immanenz des Gegenstandes in den Methoden der Erkenntnis ist wirklich; wie ist sie möglich, welches sind die Bedingungen ihrer Möglichkeit ? Für die Stringenz, mit der in der Wissenschaft der Gegenstand von dem einheitlichen Prinzipienverband seiner Bedingungen aus beherrschbar wird, finden wir bei K a n t den Terminus „A priori". E r bedeutete uns keinerlei psychologische Eigentümlichkeit unseres Bewußtseins 1 , nicht Anfang sondern Ursprung der Erkenntnis; schlicht der Ausdruck ihrer Methodenreinheit. Diese Reinheit eines Bereichs aus der K r a f t methodischer Grundlegung des Denkens wäre allenfalls dort ohne weiteres einzusehen, wo das Denken rein in 1
H e r m a n n Cohen, Kants Theorie der Erfahrung, 3. Aufl., S. 105ff. 2
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seinem eigenen Umkreise verharrt, d. h. im rein Formallogischen. Aber dabei würde die Ablehnung des Dinges an sich als eines den methodischen Bedingungen seiner Erzeugung Transzendenten zugleich den Sinn der Gegenständlichkeit überhaupt zerstören. Dieser Ausweg ist mit allen seinen Konsequenzen bei Parmenides gewählt." Taurov 8' larí voelv re xal ouvsxsv écra vóv¡¡i.a oú yáp áveu TOÜ éóvzoc;, b» W 7I£9ATI(J[XÉVOV E A R Í V , sup^aei? XÓ vostv" 1 ). Hier wird die Immanenz des Gegenstandes in den Bedingungen des Denkens dadurch gewonnen, daß dieser Gegenstand selbst auf die allgemeinsten ganz formalen Bedingungen der Gegenständlichkeit überhaupt reduziert wird. Nur was der Forderung der Identität im strengen Sinne genügt, kann Anspruch darauf machen, ein Seiendes zu sein. Indem aber bei Parmenides diese negative Bedingung, der Ausschluß des Nichtseins aus der Erkenntnis, selbst als hinreichende Konstitutionsgrundlage gefaßt wird, kommt er zu einem leeren Begriff sowohl der Wahrheit als auch des Seins. U m dem strengen Wahrheitsbegriff den Charakter der Notwendigkeit und Unwandelbarkeit seines Gegenstandsanspruches zu sichern, mußte Parmenides ihm jeden Gehalt rauben. Mit der Ablehnung jeder Mannigfaltigkeit als Sinnentrug, — denn es ist dem wahren Sein wesentlich, wie die Wahrheit selbst E i n e s zu sein — bleibt ihm schließlich nur der inhaltlich so dürftige S a t z : „ D a s Seiende ist, das Nichtseiende ist nicht" 2 . So führt hier die eine wesentliche Forderung der Immanenz der Erkenntnis, die Forderung der Reinheit und des Primats des Formalen in ihr zum Ausschluß alles Inhalts. Hält sich der Gedanke auf diese Weise im Leeren der bloßen Formalität, so entsteht eine absolute K l u f t zwischen ihm und allem Inhalt. Inhalt ist dann etwas jenseits des Gedankens, das durch die bloße Gegebenheit dem Gedanken lediglich nachträglich konfrontiert werden kann. In diesem Sinne wird aller Inhalt dadurch zum ,,Ding an sich". Das Sein aber, das allein aus dem Moment der Identität seine Konstitution erfährt, schrumpft seinem Inhalt nach punktual zusammen. Wir sehen in ihm hier den historischen und systematischen Ursprung jener Setzung, die bei K a n t später unter dem Terminus des Noumenon auftritt. Die eminente syste1 2
D i e l s , Fragmente der Vorsokratiker. Parm. Fragm., 8, 34ff. und 4, 3. D i e l s , Fragmente der Vorsokratiker, Parm. Fragm. 4, 3.
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matische Bedeutung dieses Begriffs werden wir später zu betrachten haben. Hier handelt es sich für uns nur darum zu zeigen, daß die Momente der Reinheit, des Formalen, des Apriori in diesem leeren Sinne wenn auch notwendige, so doch noch nicht hinreichende Bedingungen für den Sinn der Erkenntnis sind, den wir in den mathematischen Naturwissenschaften sich vollziehen sehen. Wäre die Wissenschaft in ihrer gedanklichen Erzeugungskraft allein auf sie angewiesen, so müßten ihre Urteile gleichgültig gegen den Inhalt bleiben, der in ihnen zur Aussage gelangt. Sie könnte wohl allgemeingültige und notwendige Urteile fällen, d. h. ihren Charakter als apriori garantieren, niemals aber den Inhalt dieser Urteile selbst erzeugen und somit für dessen Reinheit einstehen. Dieser Inhalt müßte vielmehr selbst als den Methoden der Wissenschaften fertig gegeben gedacht werden; nur in der Auflösung dieses fertigen Bestandes, könnte sich das Denken in aller Strenge seines Anspruchs geltend machen. Sehen wir dagegen in der Wissenschaft die Erzeugung ihres Gehalts, so müssen wir in der transzendentalen Fragestellung außer dem Charakter der Stringenz als das Apriori ein weiteres Moment berücksichtigen. Nur so könnten wir die Immanenz auch des Inhalts verstehen, während aus den Methodenmitteln bloß analytischer Urteile der Inhalt schlechthin zufällig, weil ihrem Herrscherbereich absolut transzendent gedacht werden müßte. So formuliert denn Kant die transzendentale Frage: „Wie sind synthetische Urteile apriori möglich?" Macht man 6ich den von allen psychologischen Schlacken befreiten Sinn dieser Formulierung in der Weise zugänglich, wie wir es versuchten, so stellt sich die Differenz der analytischen und synthetischen Urteile apriori als eine methodologische Transzendenz dar. Eine methodologische Transzendenz der methodischen Grundlagen, die die Möglichkeit der synthetischen Urteile a priori garantieren gegenüber dem Minimum an Voraussetzungen, die als notwendige und hinreichende Bedingungen aller analytischen Urteile gesetzt werden müssen. „Das gemeinschaftliche Prinzip aller analytischen Urteile ist der' Satz des Widerspruchs"1. In ihm sehen wir den obersten Grundsatz aller Operationen der 1
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formalen Logik. In dem doppelten Hegeischen 1 Sinne sind diese gegen jeden Inhalt — der allein ihnen gemäß zur Aussprache gelangt — gleichgültig: sie gelten für jeden Inhalt gleich sehr — ( „ . . . .die Begriffe, die ihnen zur Materie dienen, mögen empirisch sein oder nicht" 2 ) — und sind ihm seiner eigenen Bedeutung nach fremd. Vor allen Dingen aber gilt vom letzteren die Umkehrung : Der Eigensinn dieses Inhalts will von sich aus mehr sein, sieht die Grundbedingungen, die ihm die formale Logik stellt, als Polizeigebote an, denen er sich selbstverständlich fügt, die aber sein Eigenleben garnicht tangieren, weil es sich erst jenseits ihrer Zuständigkeit erhebt. Und zwar ist die Transzendenz jedes Inhalts gegenüber den formalen Operationen der b l o ß e n Logik absolut. Soll dieser Inhalt selbst aus reinen Bedingungen seiner Möglichkeit aufgebaut werden, so müssen diese Bedingungen ihrerseits um wesentliche Momente bereichert sein gegenüber denen der bloßen Formallogik: „Synthetische Urteile bedürfen ein anderes Prinzip als den Satz des Widerspruchs" 3 . Wie immer diese Bereicherung in der Prinzipiierung zu bestimmen sein wird, so wird doch die Differenz im Prinzipienfundament beider Klassen von Urteilen apriori niemals den Sinn einer absoluten Kontingenz bekommen können, weil die synthetischen Urteile „jederzeit dem Satze vom Widerspruch g e m ä ß abgeleitet werden müssen; denn nichts darf diesem Grundsatze zuwider sein, obgleich eben nicht alles d a r a u s abgeleitet werden kann" 4 . Wir haben damit die Kernfrage der Kritik der reinen Vernunft dem Gesichtswinkel unserer Problemstellung zugänglich gemacht. Die Frage nach der Möglichkeit synthetischer Urteile apriori ist uns ihrem Gehalt nach gleichbedeutend mit der Frage: wie kann es notwendige und allgemeingültige Urteile geben, deren Prinzipien ihren Inhalt selbst hinreichend bestimmen ? Daß die Prinzipien, aus denen das Ausgesagte selbst konstituiert wird, die rein negativen Ansprücke der formallogischen Bedingungen des Aussagens überhaupt überschreiten müssen, leuchtet ein. Wie kommt aber dabei einerseits die Einheit beider Prinzipienver1 2 3 4
Hegel, Wissenschaft der Logik, I. Teil, S, 103 (Philos. Bibl. Bd. 56). W. W. Bd. IV, S. 15. W. W. Bd. IV, S. 15. W. W. Bd. IV, S. 16.
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bände z u s t a n d e u n d wie ist a u ß e r d e m ü b e r h a u p t ein solches Überschreiten der formallogischen Grundbedingungen möglich, ohne d a m i t den Charakter der Allgemeingültigkeit u n d strengen Notwendigkeit aufzuheben ? Das h e i ß t : wie ist bei der Transzendenz des Sinnes inhaltlich wissenschaftlicher Aussagen — etwa der M a t h e m a t i k — gegenüber der Formallogik die Methodenimmanenz der wissenschaftlichen Gegenstände möglich? D a ß sie möglich ist, beweist das F a k t u m der Wissenschaften. Die Bedingungen ihrer Möglichkeit nachzuweisen, ist Aufgabe der Transzendentalphilosophie. Diese Bedingungen wollen wir in einem systematischen Zus a m m e n h a n g entwickeln, der in dieser F o r m in der Darstellung K a n t s n i c h t h e r a u s t r i t t . Zu diesem Zweck greifen wir zunächst Analysen heraus, die bei K a n t im Schematismuskapitel geleistet sind. Wir sehen in ihnen Untersuchungen über die Begriffss t r u k t u r . Den Bezug auf das faktisch Gegebene der E m p f i n d u n g s daten lassen wir dabei zunächst außer B e t r a c h t . Das „ V e r m ö g e n " des Schematismus steht u n t e r dem Zeichen der E i n b i l d u n g s k r a f t . Da die Einbildungskraft das Vermögen ist, „einen Gegenstand auch ohne dessen Gegenwart in der Anschauung vorzustellen" 1 , so können wir in diesen Analysen die Bedingungen aufgreifen, die der bloß theoretischen Setzung transzendentaler Begriffe übergeordnet sind. I m Schematismus h a b e n zwei Quellen der E r k e n n t nis, die Anschauung u n d der V e r s t a n d , ihre Einheit. Beide Quellen sind zunächst als r e i n e Momente der E r k e n n t n i s aufzugreifen. Sie sind bei K a n t vor ihrer Einheit i m Schematismus in der t r a n s zendentalen Ästhetik u n d in der transzendentalen Logik gesondert erörtert. Gehen wir zunächst diesen Motiven in getrennter U n t e r s u c h u n g nach.
b) Die Analyse
der Struktur
des transzendentalen
Begriffs.
Innerhalb der transzendentalen Ästhetik schickt K a n t der transzendentalen E r ö r t e r u n g eine metaphysische E r ö r t e r u n g vorauf, auf die unsere Darstellung das größte Gewicht legen m u ß . 1
W. W. Bd. S. 126.
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In ihr sehen wir Ansätze einer rein phänomenologischen Deskription des einen Moments. Dagegen scheint uns die transzendentale Erörterung an dieser Stelle verfrüht; denn sie soll dieses Moment als Bedingung der „Möglichkeit anderer synthetischer Erkenntnisse apriori" 1 dartun. Der Beitrag, den eines der Momente für die Konstitution der Einheit beider leistet, läßt sich aber erst deutlich herausstellen, nachdem zunächst das komplementäre Moment auf seine Tendenz geprüft und der Sinn ihrer Einheit gesichert ist, das heißt in der Analytik der Grundsätze. So fällt denn auch die transzendentale Erörterung an dieser Stelle dürftig genug aus; beim Räume besteht sie in einem einfachen Hinweis auf die Geometrie und bei der Zeit wird sie zum Teil sogleich in die metaphysische Erörterung hineingenommen. Erst im Schematismuskapitel hätte sie ihren Ort gehabt, wo nun ihr Auftreten als Wiederholung empfunden wird und das Problem des „Subsumtionsschematismus" das eigentliche Problem des Schematismus, nämlich das der Einheit der Momente und die Frage nach ihrem Beitrag zu dieser Einheit, zu verdrängen droht. Darauf werden wir bei der Besprechung dieses Kapitels, in dem wir den Ort der Lösung der Kantischen Grundfrage sehen, eingehend zu achten haben. Da die Sinnlichkeit dem Verstand als dem Vermögen der Begriffe entgegengesetzt wird und gleichwohl als reines Motiv der Erkenntnis ausgezeichnet werden soll, so muß in der metaphysischen Erörterung der reinen Sinnlichkeit einerseits eine Abgrenzung von den empirischen, das heißt a u s der Erfahrung gewonnenen Begriffen, andererseits eine Unterscheidung von den Begriffen, mit denen die formale Logik arbeitet, angestellt werden. Die Sinnlichkeit als reines Moment der Erkenntnis nennt Kant Form der Anschauung im Gegensatz zur Empfindung als der Materie. Er hebt hervor, daß es zwei und nur zwei solcher Anschauungsformen gebe, den Raum und die Zeit, die Form des äußeren und inneren Sinnes. „Der Raum als die reine Form aller äußeren Anschauung ist als Bedingung a priori bloß auf äußere Erscheinungen eingeschränkt" 1 , während „die Zeit die formale Bedingung a priori aller Erscheinung überhaupt" 2 ist. Gehen wir zunächst der metaphysischen Erörterung des Raumes nach. 1 2
W. W. Bd. III, S. 59. W. W. Bd. IV, S. 65.
— 23 — Die beiden ersten Überlegungen wollen den R a u m als ein r e i n e s Motiv der Erkenntnis auszeichnen. Der R a u m ist nicht aus der E r f a h r u n g gewonnen, weil jede Erfahrung des Äußeren schon den Sinn des Außen- und Nebeneinander voraussetzt. Die äußeren Gegenstände, von denen er als empirischer Begriff gewonnen sein müßte, sind selbst erst durch ihn möglich. Wichtiger f ü r unsere systematische und interpretatorische Tendenz sind die folgenden Überlegungen, in denen der Raum als Anschauung im Gegensatz zum Begriff charakterisiert werden soll. Da uns aber nicht daran liegt, ein neues „Vermögen" aufzuweisen, wir vielmehr in ihm nur das Motiv herausheben wollen, für das es als bequeme Wortmarke verwandt wird, so müssen wir die Frage etwas vorsichtiger formulieren. Nicht o b der R a u m und die Zeit dem Anschauungs- oder Begriffsvermögen zugeordnet werden müssen, ist die Frage, die unser Interesse berührt. In ihr sehen wir n u r dann eine relative Berechtigung, wenn es uns gelingt, Anschauung u n d Verstand abseits aller psychologischen Verhaftung als logische Konstitutionsfaktoren der Erkenntnis zu begründen. D a r u m lautet die Frage in der metaphysischen Erörterung besser: w a s c h a r a k t e r i s i e r t den Raum und die Zeit als Anschauungsformen im Gegensatz zu den Begriffen ? — „Der R a u m ist kein diskursiver, oder, wie man sagt, allgemeiner Begriff von Verhältnissen der Dinge überhaupt" 1 . Denn der allgemeine Begriff bedeutet ein anderes Verhältnis der Einheit zum Mannigfaltigen, des Allgemeinen zum Besonderen. Dieses Verhältnis ist bei den Anschauungsformen ein viel innigeres; denn in ihnen sehen wir eine unmittelbare Einheit des „einigen R a u m e s " und der vielen Räume, die nur durch Einschränkung aus ihm hervorgehen. Das Gleiche gilt auch von der Zeit: „Verschiedene Zeiten sind n u r Teile ebenderselben Zeit" 1 . Hier steht jeder Teil unmittelbar f ü r das Ganze, weil sich dessen Struktur rein in ihm ausspricht. „Die Vorstellung, die nur durch einen einzigen Gegenstand gegeben werden k a n n , ist aber Anschauung" 2 . Das kann in unserem Zusammenhang als Definition gelten. Als weiteres Charakteristikum des Raumes als Anschauung im Unterschied zum Begriff findet sich die Bemerkimg „der R a u m wird als eine unendliche gegebene Größe vorgestellt" 3 1 2 3
W. W. Bd. IV, S. 65. W. W. Bd. III, S. 64. W. W. Bd. III, S. 59.
— 24 — Dabei begreift er eine Unendlichkeit i n s i c h , während ein. Begriff immer nur eine unendliche Menge von Vorstellungen u n t e r s i c h fassen könnte. Diese Differenzen lassen sich schon hier in der transzendentalen Ästhetik als Charakteristika der isolierten Quellen der Erkenntnis aufzeigen. Aber hier handelt es sich zunächst nur u m eine methodologische Abstraktion. Der Vollgehalt dessen, was die „Quelle" der Erkenntnis zu bedeuten vermag, kann erst sichtbar werden, wenn dieses Motiv sich im Aufbau des Systems vollständig entfaltet h a t . Erst dann kann auch seine transzendentale Erörterung den prägnanten Sinn der transzendentalen D e d u k t i o n erhalten; denn erst von dort aus läßt sich ihre Leistung und ihr Beitrag als Bedingung der Möglichkeit der mathematischen Naturwissenschaft übersehen. Dazwischen liegt aber noch die Analytik der Begriffe. „ I n der transzendentalen Logik isolieren wir den Verstand (so wie oben in der transzendentalen Ästhetik die Sinnlichkeit) und heben bloß den Teil des Denkens aus unserem Erkenntnisse hervor, der lediglich seinen Ursprung in dem Verstände h a t " 1 . Wir glauben, nur die systematische Technik Kants zu unterstreichen, indem wir die hier zu erörternde Quelle der Erkenntnis in denjenigen Äußerungen herauszustellen suchen, in denen diese Isolierung am radikalsten vollzogen ist. Gerade dabei wird es uns deutlich, wie hier diese Trennung die Glieder selbst zu unbrauchbaren, fiktiven Elementen zu machen droht, weil nur die Verbindung ihren logischen Wert aus ihren „Taten und Leiden" in der Konstitution des Sinnes inhaltlicher und dennoch reiner Erkenntnis sichtbar macht. Mehr noch als in der transzendentalen Ästhetik ist in der transzendentalen Logik die Erörterung des einzelnen Motivs ohne Rücksichtnahme auf die Einheit beider, aus der sie isoliert sind, Grund einer Beschränkung in der vorläufigen Darstellung, die den Sinn u n d die Fruchtbarkeit dieser Motivdisposition selbst undurchsichtig macht. Diese Schwierigkeit wurde verdeckt, wo die Terminologie der logischen Unselbständigkeit der isolierten Momente (die durch die getrennte Einführung ihren Charakter als Móndente zu verlieren drohen) dadurch aushalf, d a ß sie die 1
W. W. Bd. III, S. 87.
— 25 — gedanklich obdachlosen, weil aus der Korrelation gelösten Ansätze in den sicheren Hort eines „Vermögens" aufnahm. Kant benutzt zur Durchführung seiner systematischen Disposition den Umstand, daß er in der formalen Logik Verhältnisse vorfindet, die keinem spezifischen Inhalt verhaftet sind, formale Bedingungen der Aussage überhaupt, die er andererseits als Momente in den sachlogischen Bedingungen inhaltlicher Erkenntnis aufspürt. Auf diese Bedingungen der Gegenstandserkenntnis kommt es ihm an, deshalb hat die Kritik der reinen Vernunft in den Grundsätzen ihr positives Ziel. Sollen die reinen Bedingungen der Erkenntnis nun auf die Momente ihrer Konstitution untersucht werden, so müssen diese Momente selbst als rein ausgewiesen werden. Für die Sinnlichkeit hat K a n t das in der transzendentalen Ästhetik unternommen. Das scheint er jedoch bei der Einführung der Logik wieder aufzuheben, wenn er, um den Verstand als das Vermögen der Spontaneität hervorzuheben, ihm die Sinnlichkeit als „die Rezeptivität unseres Gemüts" entgegensetzt. Setzt man nun Spontaneität gleich Reinheit, so muß man darin eine nachträgliche Degradierung der Sinnlichkeit sehen und mit Zschocke 1 fordern, daß die Sinnlichkeit als reine Sinnlichkeit ebenso Spontaneität bedeute. Eben diese Gleichsetzung scheint uns aber Kants eigentliche Absicht in der Bestimmung des Gegensatzes von reiner Sinnlichkeit und Verstand zu verwischen, weil der Begriff der Spontaneität dabei die eigentümliche Bedeutung verlöre, die er an dieser Stelle zu vertreten hat. Sollte diese dennoch gerettet werden, so müßte man eine weitere und eine engere Bedeutung dieses Begriffs annehmen, für die nun wiederum ein Unterscheidungsterminus eingeführt werden müßte. Was ist aber dieser eigentliche Sinn einer reinen Spontaneität und sein Gegenbegriff, die reine Rezeptivität ? „Wenn ich aus A in der Weise des Nach und Neben heraus- und hinübergehe zu B, ist dieses Verhalten mit dem Begriffe des Empfangens vereinbar ? I m Gegenteil, es ist allein als eine Tätigkeit zu bezeichnen, sonst verlieren diese Worte jeden verständlichen Sinn!" 2 Mit der Antwort auf diese 1
2
W. Z s c h o c k e , Über Kants Lehre vom Schematismus der reinen Vernunft. Kantstudien X I I , S. 178. W. Z s c h o c k e , Über Kants Lehre vom Schematismus der reinen Vernunft. Kantstudien X I I , S. 178.
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F r a g e , o b u n d inwiefern der reinen Sinnlichkeit gegenüber dem V e r s t ä n d e eine Sonderstellung zugesprochen werden k a n n , die d u r c h d a s Motiv der reinen R e z e p t i v i t ä t bezeichnet wird, s t e h t u n d f ä l l t die Kantische Motivdisposition. Die A n t w o r t freilich, die u n s Zschocke sogleich gibt, m u ß auf dieser S t u f e der Analyse als u n g e n ü g e n d erscheinen. W e n n „ich " etwas t u e , so ist das n a t ü r l i c h immer eine T ä t i g k e i t ; aber u m „ m i c h " h a n d e l t es sich hier n o c h garnicht, sondern vielmehr d a r u m , ob d a s R a u m m o t i v selbst, d a s Zeitmotiv selbst durch das Moment der R e z e p t i v i t ä t gekennzeichnet wird. W e n n wir die endgültige A n t w o r t hierauf a u c h erst erwarten können, wenn der Sinn der E i n h e i t beider Quellen i m Schematismus sichergestellt ist u n d weiterhin in der U n t e r s u c h u n g der Grundsätze das Verhältnis von Apriori u n d Aposteriori geklärt ist, so k ö n n e n wir sie doch schon hier vorbereiten, wenn wir an die S t r u k t u r e i g e n t ü m l i c h k e i t der reinen Sinnlichkeit denken, soweit sie uns aus der m e t a p h y s i s c h e n E r ö r t e r u n g b e k a n n t ist. Wir sehen d a n a c h die R e z e p t i v i t ä t der reinen Sinnlichkeit in der U n m i t t e l b a r k e i t , in der in i h r das Ganze a n alles Einzelne hingegeben ist, in der in ihr jedes Besondere dieses Ganze in sich schließt u n d zu repräsentieren v e r m a g . D e s h a l b ist sie das Vermögen, „einen Gegenstand zu g e b e n " 1 , weil sie k r a f t dieser Eigent ümlichkeit das Besondere a n das Allgemeine zu verm i t t e l n erlaubt und hieße deshalb besser Rezeptibilität 2 , weil sie n i c h t selbst rezipiert wird, sondern t r a n s z e n d e n t a l e B e d i n g u n g der A u f n a h m e des Einzelnen i m Z u s a m m e n h a n g ist 3 . „ W o l l e n wir die Rezeptivität unseres Gemüts, Vorstellungen zu e m p f a n g e n , sofern es auf irgendeine Weise affiziert wird, Sinnlichkeit n e n n e n , so ist dagegen das Vermögen, Vorstellungen selbst h e r v o r z u b r i n g e n , oder die S p o n t a n e i t ä t des E r k e n n t n i s s e s der 1 2 3
W. W. Bd. III, S. 79. siehe auch C o h e n , Kants Begründung der Ethik, S. 43. Nicht R a u m und Zeit sollen somit als „gegeben" bezeichnet werden, wie Natorp den Terminus der Rezeptivität glaubt deuten zu müssen, (Kant und die Maxburger Schule S. 10—12), sondern in ihrer Struktur sollen reine Bedingungen ausgezeichnet werden, gemäß denen das Besondere an das Allgemeine hingegeben wird. Übrigens müssen wir im folgenden auf zwei verschiedene Auswirkungen des Rezeptionsmotivs achten, eine relativ selbständige in der Anschauung und eine nur als Begriffsmoment isolierbare in den Zeitbegriffen.
— 27 — Verstand". Wir müssen jetzt die Charakteristika des zweiten Moments in möglichst unpsychologischen Formulierungen herauszustellen suchen. Nannte Kant jene unmittelbare Einheit auch Affektion (wir verstehen dies des Besonderen durch das Allgemeine und umgekehrt), so bezeichnet er die Spontaneität als reine „Funktion". „Ich verstehe aber unter Funktion die Einheit der Handlung, verschiedene Vorstellungen unter einer gemeinschaftlichen zu ordnen". Demgemäß sehen wir in ihr lediglich das Prinzip der Ordnung oder genauer (in radikalerer Trennung vom geordneten Inhalt): die Tendenz des Ordnens selbst. Darin kommt der Sinn der Tätigkeit als ursprünglicher Tätigkeit zum Ausdruck, die als reine Spontaneität selbst allerdings nur dann fruchtbar werden kann, wenn ihr die reine Rezeptibilität den Boden möglichen Ansatzes bietet, indem sie Bedingungen bereitgestellt, gemäß denen das Datum zum Dabile wird. Von dieser Spontaneität „kann nun der Verstand keinen anderen Gebrauch machen, als daß er dadurch urteilt" 1 . Damit ist diesem „Vermögen" eine mittelbare Stellung gewiesen. „Das Urteil ist also die mittelbare Erkenntnis eines Gegenstandes" 1 In der Mittelbarkeit seines Ansatzes wird somit dem Verstände eine notwendige Bedingung seines Gegenstandsbelanges garantiert. Er selbst jedoch ist, wie immer auf Gegenständlichkeit gerichtet und unentbehrlich als mitwirkender Faktor von sich aus allein nicht imstande, seinen Inhalt zu erzeugen 2 . Die Möglichkeit gedanklicher Isolierung des spontanen Faktors von den Bedingungen „einen Gegenstand zu geben", ist für die fernere Entwicklung des Kantischen Systems von ausschlaggebender Bedeutimg. Sie ist es auch erst recht eigentlich, die die Systematik Kants in den Interessenkreis unseres Problems zieht. Die von aller Inhaltlichkeit befreiten gedanklichen Ansätze sucht nun Kant als die verschiedenen Funktionen des Verstandes herauszustellen. Sofern nun im Urteil die Spontaneität des Verstandes am unmittelbarsten zum Ausdruck gelangt, sieht sich Kant auf die verschiedenen Urteilsweisen verwiesen, um an ihnen 1 2
W. W. Bd. III, S. 91. Vergl. dagegen den Denkbegriff C o h e n s , der eine derartige Aufteilung der Motive nicht zuläßt.
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die verschiedenen. Richtungen, in denen die Spontaneität sich auswirkt, darzustellen. Die Disposition, gemäß welcher er nun die verschiedenen Richtungen seiner transzendentalen Urteilslehre feststellt, gibt ihm die Einteilung der formalen Urteilstafel. Dem Einwurf, daß K a n t damit seine Kategorien „ a u f g e r a f f t " habe, wäre etwa folgendermaßen zu begegnen: Daß K a n t überhaupt an die Arbeit anknüpft, die die Logiker vor ihm geleistet haben, braucht noch nicht einen Mangel in der Begründung seiner eigenen Urteilslehre zu bedeuten; es kommt darauf an, wie er das Übernommene verwendet. Nun hat er aber jene Tafel der formalen Urteile nur als Motivdisposition verwandt, aus der er lediglich die Fragerichtungen entnahm, gemäß denen er seine transzendentalenUrteilsfunktionen aufspürte.Uns scheint der Umstand, daß die formalen Urteile in geradezu grammatischer Leerheit zunächst ohne Rücksicht auf mögliche Inhalte aufgereiht sind, eine sehr große Weite und Unbefangenheit der Frage zu garantieren. Gegen diese Seite ließe sich nur dadurch ein fruchtbarer Einwand machen, wenn zugleich angegeben würde, welche (der Qualität, Quantität, Relation und Modalität nebenzuordnende!) Bedeutung möglicher Fragerichtung etwa übersehen sei. Dem entgegengesetzten Einwände aber, daß nämlich dieses Schema viel zu weit sei, um daraus die transzendentalen Urteilsrichtungen abzuleiten, ist K a n t mittelbar selbst dadurch begegnet, daß er diese Tafel selbst bereicherte, um sie seinem Zwecke gemäß zu gestalten. E r beweist damit, daß für ihn diese Tafel nur technisches Hilfsmittel seiner eigentlichen Absicht war. Die Abweichungen „von der gewohnten Technik der Logiker", die K a n t „wider den besorglichen Mißverstand" rechtfertigt, können uns zugleich den Unterschied der bloß formalen Logik zur transzendentalen Logik klar machen. Wir suchen, uns zunächst in schematischer Ableitung diejenigen Urteilsformen zu vergegenwärtigen, die allenfalls als bloß formale Bedingungen der Aussage ohne Rücksicht auf möglichen Inhalt angesehen werden könnten. — Die formale Grundstruktur aller Urteile bezeichnet die Formel: S ist P, d. h. zwei Begriffe, Subjekt und Prädikat, sind durch die Kopula verbunden. Die verschiedenen formalen Urteilsarten ergeben sich nun, indem diese Grundform in verschiedenen Hinsichten eingeschränkt wird. Zunächst hinsichtlich des bloßen Umfanges des Urteils lautet diese Ein-
— 29 — schränkung: Nur einige S sind P. So entsteht das besondere Urteil, und durch den Gegensatz zu ihm wird die ursprüngliche Form als die des allgemeinen Urteils ausgezeichnet. Weiter stellen wir dieser Grundform eine Antithesis radikalerer Art entgegen: S ist nicht P. So hebt sich das negative Urteil von der Grundform ab, an der dadurch der Charakter als positives Urteil sichtbar wird. Eine weitere Einschränkung der allgemeinen Form, von der wir ausgehen, ermöglicht das hypothetische Urteil: Wenn S ist, so ist P. Im Gegensatz zu ihm bestimmt sich die Form: S ist P als kategorisches Urteil. Endlich erfährt die allgemeine Ausgangsform im problematischen Urteil (S ist möglicherweise P) eine Entgegensetzung, durch die sie selbst als assertorisches Urteil gekennzeichnet wird. Es lassen sich also diese acht Urteilsformen, von denen Kant z. T. ausgeht, darstellen, indem man die Grundform als Thesis auffaßt, der in vierfacher Hinsicht eine Antithesis entgegengesetzt wird und die dadurch selbst als Thesis eine vierfache Bedeutung bekommt. Die Richtungen, in der wir diese Entgegensetzung nacheinander vollzogen, nennen wir dann die Quantität, Qualität, Relation und Modalität des Urteils. Diese Ableitung brauchte keinerlei Rücksicht auf mögliche Inhalte der Urteile zu nehmen, sondern konnte rein aus den formalen Gesichtspunkten der Urteilsmöglichkeit überhaupt vollzogen werden. Wir behaupten nun, daß z. B. die Zusätze, die Kant zur formalen Urteilstafel macht, nicht mehr aus gleich formalen Gesichtspunkten möglich sind, sondern daß hierin die Form schon mit Rücksicht darauf, daß sie als transzendentale Grundbedingung einen Inhalt zur Immanenz zu zwingen hat, eine Determination erfährt. Die erste „Abweichung von der gewohnten Technik der Logiker" besteht darin, daß Kant einen Unterschied in den allgemeinen und den „einzelnen" Urteilen auszeichnet, obgleich „man sie beim Gebrauch der Urteile in Vernunftsschlüssen gleich behandeln kann". Denn hier wird nur darnach gefragt, ob das Prädikat dem Subjekt ohne Ausnahme zugesprochen werden kann, oder ob der Umfang des Subjekts eine Einschränkung zu erfahren hat. Die neue Tendenz Kants, in den formalen Urteilsarten die transzendentalen Grundbedingungen möglicher inhaltlicher Erkenntnis
— 30 vorzubereiten, meldet sich nun in dem Interesse an, daß er abseits der Bedingungen des Gebrauchs in VernuDftsschlüssen für den Umfang des Begriffs zeigt. „Also wenn ich ein einzelnes Urteil (judicium singulare) nicht bloß nach seiner inneren Gültigkeit, sondern auch als Erkenntnis überhaupt nach der Größe, die es in Vergleichung mit anderen Erkenntnissen hat, schätze, so ist es allerdings von gemeingültigen Urteilen (judicia communia) unterschieden und verdient in einer vollständigen Tafel der Momente des Denkens überhaupt, (obzwar freilich nicht in der bloß auf den Gebrauch der Urteile untereinander eingeschränkten Logik), eine besondere Stelle" 1 . Die Bereicherung um eine Form der quantitativen Urteile entspringt somit einer veränderten Einstellung der Blickrichtung, nämlich auf „Erkenntnisse überhaupt" hinsichtlich ihres Umfanges. Die gleiche Tendenz sehen wir darin, daß K a n t in den Prolegomenen die besonderen Urteile als plurative Urteile bezeichnet 2 . „Ebenso müssen in einer transzendentalen Logik unendliche Urteile von bejahenden noch unterschieden werden, wenn 6ie gleich in der allgemeinen Logik jenen mit Recht beigezählt sind und kein besonderes Glied der Einteilung ausmachen". Deutlicher noch als beim einzelnen Urteil tritt hier die Orientierung an einem Gebiet möglichen Gehalts bei der Einführung und Rechtfertigung des unendlichen oder limitativen Urteils hervor: Ausdrücklich sagt hier deshalb Kant von der transzendentalen Logik, sie betrachte „das Urteil auch nach dem Werte oder Inhalt dieser logischen Bejahung vermittels eines bloß verneinenden Prädikats, und was diese in Ansehung des gesamten Erkenntnisses für einen Gewinn Verschaffe" 1 . Der bloßen Form nach sind die unendlichen Urteile den bejahenden gleichzusetzen; sie unterscheiden sich dagegen von ihnen dadurch, daß sie ihren Inhalt selbst unbestimmt lassen, indem sie ihn in die unendliche Sphäre dessen setzen, was nach Ausschluß einer Bestimmtheit übrigbleibt. Solange man nun im Formallogischen verharrt, muß deshalb die Auszeichnung des limitativenUrteils als eine besondere Art gegenüber dem bejahenden, als unbegründet erscheinen; denn hier gibt es kein Kriterium für Bestimmtheit oder Unbestimmtheit einer Späre, in die ein Begriff" 1 2
W. W. Bd. III, S. 93. W. W. Bd. IV, S. 52.
— 31 — gesetzt wird. Somit scheint diese Position der Negation durch die Sache selbst geboten sein zu müssen. Andererseits aber scheint doch, von der bloßen Sache aus gesehen, das limitative Urteil mit dem verneinenden zusammenzufallen, denn es ist von hier aus nicht einzusehen, wie durch die bloß positive Formulierung einer negativen Aussage ein fertig gegebener Inhalt eine Bereicherung soll erfahren können. Wenn K a n t dennoch f ü r seine transzendentale Logik diese Form besonders einführt, „weil die hierbei ausgeübte Funktion des Verstandes vielleicht in dem Felde der reinen Erkenntnis a priori wichtig sein k a n n " , so m u ß mit dieser transzendentalen Logik selbst die e n d g ü l t i g e Trennung zwischen bloß formalem Denken und fertig gegebenen Inhalten als aufgehoben gedacht werden. Bezeichnend f ü r das eigentliche Interesse des Transzendentalphilosophen ist auch die Behandlung der Relationsurteile. Hier verweilt die Betrachtung vor allem bei dem disjunktiven Urteil, der notwendigen Bedingung möglicher Realisierung formaler Begriffe und hypothetischer Urteile. Man spürt in dem Interesse an der totalen Disjunktion deutlich die Tendenz Kants, von der Seite der Logik her die Bedingungen f ü r die Methodenimmanenz der Wirklichkeit bereitzustellen. Die Modalität der Urteile, „die selbst nichts mehr zum Inhalt des Urteils beiträgt, bezeichnet nur die Phasen auf dem Wege zur Immanierung der Wirklichkeit, deren Ziel durch den Anspruch der apodiktischen Sätze vertreten wird. Das gegenständliche Interesse, das K a n t schon in den Urteilsformen teils aufgespürt, teils ergänzt, erhält n u n seinen legitimen Ausdruck in den reinen Verstandesbegriffen. Die substantivische Form, in die K a n t die reinen Funktionen des Verstandes kleidet, läßt deutlich die gegenständliche Tendenz erkennen, in der er sie aufnimmt. Mehr als eine Fixierung dieser Tendenz darf freilich auf dieser Stufe der isolierten Behandlung der Spontaneität als einer Quelle der Erkenntnis nicht gesucht werden. Der endgültige Beweis kann allein im Nachweis ihrer Fruchtbarkeit zur Konstitution gegenständlicher Erkenntnis bestehen, zu der sie zwar eine notwendige, nicht aber auch allein schon hinreichende Bedingung abgeben. Aber selbst der Hinweis auf die Anschauung 1 1
W. W. Bd. III S. 98.
— 32 — muß an dieser Stelle verfrüht erscheinen; denn bevor er beweiskräftig werden kann, müssen die Bedingungen der Einheit beider Quellen aufgezeigt werden. Ebenso können an dieser Stelle der Überlegung Einwände nur in einer ganz beschränkten Hinsicht gemacht werden. Sollen die Kategorien auch als konstitutive Bedingungen der gegenständlichen Erkenntnis nachgewiesen werden, so sind sie selbst doch nur als „Ursprung unserer Erkenntnis von Gegenständen" 1 zu denken. Als bloße Ansätze des Denkens sind sie selbst Nullpunkte inhaltlicher Erkenntnisgleichungen. Die „ T a f e l " solcher Denkansätze kann somit nur den Sinn einer Motivdisposition haben. So rechtfertigt denn auch K a n t diese Tafel nur nach der Seite der Weite ihrer Umspannung und auch das nur durch den Vergleich mit einer anderen faktisch gegebenen Tafel. Es genügt ihm zu zeigen, daß die Kategorien seiner eigenen Tafel diejenigen des Aristoteles umfassen (teils direkt aufgeführt sind, teils aus ihnen abgeleitet zu werden vermögen) und daß sie außerdem noch neue Gesichtspunkte bezeichnen. ( „ . . . oder es sind auch die abgeleiteten Begriffe mit unter die Urbegriffe gezählt, und an einigen der letztem fehlt es gänzlich" 2 . Die gesonderte Behandlung der reinen Sinnlichkeit in der transzendentalen Ästhetik erlaubt ihm andererseits, einige jener Aristotelischen Kategorien abzuweisen. Sofern Kant in Raum und Zeit die transzendentalen Bedingungen einer reinen Mannigfaltigkeit aufgewiesen hat, kann er nun die Bedeutung des anderen Zweiges der Erkenntnis, die reine Spontaneität, als Synthesis charakterisieren. Ohne Rücksicht auf das Ergebnis der transzendentalen Ästhetik käme der Funktion des Verstandes dieser Sinn nicht zu 3 ; nur von der reinen Mannigfaltigkeit aus gesehen ist die Spontaneität des Verstandes „Synthesis nach Begriffen". Ohne diesen Ausgang von der reinen Sinnlichkeit könnte es immer nur die Aufgabe des Verstandes sein, „verschiedene Vorstellungen u n t e r einen Begriff zu bringen, (ein Geschäft, wovon die allgemeine Logik handelt)". Dieses lose Verhältnis zwischen dem Allgemeinen (hier dem Begriff) und dem Besonderen (hier dem d a r u n t e r Begriffenen) wird nunmehr auch 1 2 3
W. W. Bd. III, S. 83. W. W. Bd. III, S. 99. Auch hierfür bringt eist das Schematismuskapitel den Nachweis.
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für den Verstand aufgehoben, wie es in der transzendentalen Ästhetik für die reine Sinnlichkeit von vornherein überwunden war (§ 2,4). War in der transzendentalen Ästhetik die Trennung von Einzelnem und Allgemeinem durch den phänomenologischen Aufweis der ursprünglichen Einheit des Ganzen und seiner Teile in den reinen Anschauungsformen überwunden, so wird hier jedes äußerliche Verhältnis des Begriffs zu den einzelnen Vorstellungen, die er „unter" sich begreift, durch die Einsicht abgewiesen, daß die Spontaneität des Begriffs nicht unmittelbar auf Vorstellungen als ihr Feld möglicher Anwendung bezogen ist. Denn die „transzendentale Logik lehrt nicht Vorstellungen, sondern die reine Synthesis der Vorstellungen auf Begriffe bringen" 1 . Das Gebiet, in dem sich der Verstand dagegen als seine Funktion auswirken kann, steht hier noch nicht zur Erörterung; wo es dennoch schon erwähnt wird, ist es verfrüht 1 ; denn dort kann es zunächst nicht anders als psychologisch gedeutet werden. Allgemein nennt nun Kant die Funktion des Verstandes auch Einheit (im Sinne der Synthesis), ihre verschiedenen Auswirkungsweisen ebensoviele „Einheitsfunktionen". Diese sind es daher, die er in der Kategorientafel fixieren will. In der transzendentalen Deduktion sollen sie ihre Rechtfertigung erfahren, d. h. in dem Nachweis, daß sie notwendige Bedingungen der gegenständlichen Erkenntnis sind. Erst liegt hier somit auch der bündige Beweis der Vollständigkeit der Kategorientafel, nicht in der Herleitung aus der Urteilstafel. Diese „Vollständigkeit" braucht nun nicht mehr „den Verdacht eines alle Ergänzung und Verbesserung ausschließenden Dogmatismus" 2 zu erregen, denn jetzt wird deutlich, daß in ihr nur die Vollständigkeit der Bedingungen gegenständlicher Erkenntnis gemeint war; da es sich in ihnen nur um einen Zweig der Erkenntnis handelt, so beschränkt sich dieser Anspruch der Vollständigkeit natürlich auf den Umkreis möglicher Einheitsfunktionen des Verstandes. Wie erwünscht auch immer diese Einsicht schon an dieser Stelle sein muß, daß Kant schon hier die transzendentale Deduktion der Verstandesbegriffe ausführt, scheint uns nicht nur für das V e r s t ä n d n i s des darauf folgenden, sondern auch für dessen systematische Auswirkung von großem Nachteil 1 2
W. W. Bd. III, S. 97. H e r m a n n C o h e n , Kommentar zu Kants Kr. d. r. V . " S. 45. 3
Kölln
— 34 — gewesen zu sein. Wir übergehen deshalb auch hier ebenso wie in der transzendentalen Ästhetik zunächst die transzendentale Deduktion. Dagegen wenden wir uns nunmehr dem Schematismuskapitel zu, in dem wir den Ort des Nachweises der Einheit der beiden Quellen sehen, die bisher isoliert verfolgt wurden. In der Diskussion dieses umstrittensten Teiles der Systematik Kants suchen wir nachzuweisen, daß weder die reine Sinnlichkeit noch auch die Funktionen des Verstandes unmittelbar als Bedingungen der Möglichkeit gegenständlicher Erkenntnis angesprochen werden können, daß vielmehr nach der getrennten Charakterisierung der beiden Quellen zunächst Sinn und Möglichkeit ihrer Einheit gesichert werden muß. Erst nachdem der Einheitsboden beider erreicht ist, glauben wir die Bedingungen der Möglichkeit gegenständlicher Erkenntnis aufzeigen zu können. In der Vernachlässigung dieser Reihenfolge sehen wir den eigentlichen Grund der Undurchsichtigkeit, über die die Interpreten von jeher geklagt haben 1 . Natürlich glauben wir nicht, daß eine einfache Umstellung der Kapitel, so wie sie nun vorliegen, das Dunkel hätte aufklären können; denn einerseits sehen wir schon in den früheren Teilen manches vorweggenommen, was erst hier seinen methodischen Ort hätte, andererseits glauben wir, daß im Schematismuskapitel selbst das eigentliche Problem der Einheit beider Stämme der Erkenntnis von dem technischen Apparat formallogischer Begriffe überschattet wird. Um der Bedeutimg dieses Problems nahe kommen zu können, sehen wir uns zu einer ähnlich freien Haltung gegenüber der Darstellung Kants genötigt, wie sie Zschocke in seiner Arbeit „Über Kants Lehre vom Schematismus der reinen Vernunft" einnimmt. Kant führt das Problem als Frage der Subsumtionsmöglichkeit ein. Daß aber die Subsumtion dabei selbst nur die Bedeutung eines einführenden Terminus besitzt, geht schon aus der Ungenauigkeit hervor, mit der er verwandt wird (Siehe hierfür Curtius, Seite 345—350). Das eigentliche Interesse betrifft das Mittlere selbst, das zur Ermöglichung dieser Subsumtion angenommen werden soll. Waren die beiden Vermögen, die bisher gesondert untersucht ' V g l . : E r n s t R o b e r t C u r t i u s , „Das Schematismuskapitel in der Kr. d. r. V . " , Philolog. Unters, in Kant-Studien X I V , S. 338ff.
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•worden waren, selbst durch den Gegensatz zueinander bestimmt, so scheint damit ihr Zusammenwirken zum Zwecke der Konstitution gegenständlicher Erkenntnis unmöglich zu sein. Bedingung der Möglicheikt dieses Zusammenwirkens ist, daß beide Motive von einem gemeinsamen gedanklichen Boden aus gedacht werden. Wir sehen deshalb hier nicht eine „Verfälschung des echten Kerns der transzendentalen Deduktion" 1 in der Subsumtion, sondern lediglich eine analogische Hinleitung zum Problem des „Dritten", in dem die beiden Quellen als Einheit zu begreifen sind. Es scheint uns deshalb interpretatorisch unzweckmäßig, wie Curtius und Bauch 2 von einem besonderen Subsumtionsschematismus im Gegensatz zum Synthesisschematismus zu reden und dann in dieser Doppelheit eine systematische Unausgeglichenheit zu erblicken. Daß aber ein Widerspruch zwischen dem Schema als „Tertium" und als „Regel" bestehe, glauben wir nicht zugeben zu brauchen 3 . Ebenso meinen wir den Vorwurf des Zirkels in der Beweisführung des Schemas, den Zschocke der Darstellung Kants macht, als die Sache nicht treffend zurückweisen zu müssen. „Das Schema sollte nach Kant ein Drittes sein, zwischen Anschauimg und Verstandesbegriff; und worin besteht es tatsächlich ? Es ist nichts mehr und nichts weniger als die Verbindung von Anschauung und Begriff selber, die doch eben das Problem war: die Zeit ist die Anschauung, die Kategorie ist der Verstandesbegriff, das Schema ist eine Vereinigung beider, sonst nichts; anstatt eines Dritten, welches wir suchten, legt Kant Eins und Zwei kurzerhand zusammen. Das Problem wird dadurch höchst einfach gelöst, daß es ignoriert wird. So heterogen Anschauung und Begriff sein mögen, wie Kant zunächst behauptet, im Schema verbindet er sie durch den Machtspruch: fügt euch zusammen. Das Dritte zur Anwendung wird Kant unter den Händen die Anwendung selber" 4 . Trotzdem beginnt hier erst eingentlich das Problem, denn es fragt sich eben, ob mit der möglichen Anwendung nicht mittelbar ein Drittes als transzendentale Bedingung gegeben sein muß. Kant würde auf diesen Einwand wohl geantwortet haben wie bei der 1 2 3 4
R i c h a r d K r o n e r : Von Kant bis Hegel, I. Bd., S. 93. B r u n o B a u c h , Immanuel Kant S. 235. E. R. C u r t i u s , S. 365. W. Z s c h o c k e , S. 169.
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— 36 — Rechtfertigung der dritten Kategorien als Stammbegriff des reinen Verstandes, trotzdem sie nichts sein sollen als die „Verbindung der zweiten mit der ersten ihrer Klasse". „Man denke aber j a nicht, daß darum die dritte Kategorie ein bloß abgeleiteter u n d kein Stammbegriff des reinen Verstandes sei. Denn die Verbindung des ersten und zweiten, um den dritten Begriff hervorzubringen, erfordert einen besonderen Actus des Verstandes, der nicht mit dem einerlei ist, der beim ersten und zweiten ausgeübt wird" 1 . Wie aber von der Eigenbedeutsamkeit der dritten Kategorie n u r der Blick auf den Sinn der Verbindung, den in ihr die beiden ersten eingehen, überzeugen konnte, so kann uns auch hier nur die Untersuchung die Schemata selbst über das „ D r i t t e " aufklären, das K a n t in ihnen als besondern „Actus" aufgefaßt wissen will. Statt dessen glaubt Curtius, auf die einzelnen Schemata nicht eingehen zu brauchen, „da für die prinzipiellen Fragen, die sich aus dem Schematismuskapitel ergeben, nichts dabei herauskommt". Wir sehen im Schematismuskapitel den rechtmäßigen Ort, an dem die methodische Isolierung der reinen Sinnlichkeit und des Verstandes als endgültige Trennung aufgehoben werden soll und statt dessen diese „Quellen" als Momente ins Licht gesetzt werden. Um den Sinn des Tertium, das diese Ansicht als Moment ermöglicht, herausstellen zu können, können wir den umgekehrten Weg gegenüber der Darstellung K a n t s benutzen, u m damit dem Verdacht auszuweichen, als sollte die Existenz des Schemas aus der Dualität von Anschauung und Verstand „erschlossen" werden. Wir wählen auch hier eine Abfolge, die der transzendentalen Methode, in der auch das Schema gegründet ist, entspricht: Der Sinn dessen, was Kant mit dem Schema meint, ist in der Tafel der Schemata und ihrer Umschreibung bei Kant deutlich ausgesprochen. Die transzendentale Frage kann da nur noch auf die Bedingungen der Möglichkeit dieses Sinnes gerichtet werden. Ergibt sich dabei, daß außer der notwendigen Bedingung der reinen Sinnlichkeit und derjenigen der Einheitsfunktion „noch ein besonderer Actus erfordert wird", so ist damit das Tertium bewiesen, (soweit man bei der transzendentalen Deduktion überhaupt von einem Beweis reden kann). 1
W. W. Bd. III, S. 101.
— 37 — Vergegenwärtigen wir uns deshalb zunächst den Sinn der Schemata. In der Zahl sieht K a n t das Schema der Größe 1 , die als bloßer Verstandesbegriff „ohne einige Restriktion auf unsere Sinnlichkeit" 1 nicht einmal „real zu definieren" 2 wäre, denn „den Begriff der Größe überhaupt k a n n niemand erklären als etwa so : d a ß sie die Bestimmung eines Dinges sei, dadurch, wie vielmal Eines in ihm gesetzt ist, gedacht werden kann. Allein dieses Wievielmal gründet sich auf sukzessive Wiederholung mithin auf die Zeit und die Synthesis (des Gleichartigen) in derselben" 2 . K a n t gibt nun zwar f ü r die Kategorienklasse der Quantität ganz allgemein als Schema die Zahl an, ohne die Differenzierung f ü r die besonderen Kategorien selbst im einzelnen durchzuführen. Wir sehen darin einfach eine Beschränkung der Durchführung, aus der man keineswegs folgern darf, d a ß es „ganz unmöglich sei, das durchzuführen, was K a n t unterließ", wie Zschocke 3 meint und Curtius 4 es ihm bestätigt. I m s c h e m a t i s i e r t e n Begriff der Quantität überhaupt werden vielmehr die einzelnen Kategorien dieser Klasse selbst erst „real definiert". So bekommt etwa die bloße Verstandesfunktion der Einheit erst dadurch ihren spezifisch zahlenmäßigen Sinn, daß sie sich der „Zeitbestimmung 5 ", der „ Z e i t r e i h e " 1 , einbildet. Dieser Sinn wird in der Grundzahlreihe der natürlichen Zahlen durch das Zeichen „ 6 " vertreten. Das sehen wir bei K a n t selbst bereits angedeutet, wenn er als Erläuterung in der Kategorientafel der Prolegomena die Kategorie der Einheit als „das Maß" 8 bezeichnet. Weniger bezeichnend f ü r die besondere Bedeutung, die innerhalb der allgemeinen Klasse der Quantität die Vielheit durch die nähere Bestimmung als Schema gewinnt, ist dagegen hier der Zusatz K a n t s ; denn die „ G r ö ß e " soll j a der allgemeine Ausdruck f ü r das Schema der ganzen Klasse der Quantität sein. Vielleicht wäre der besonderen Bedeutung der zweiten Quantitätskategorie als Bestimmung der Zeitreihe besser 1 2 3 4 5 6
W. W. Bd. III, S. 142, 144, W. W. Bd. I l i , S. 215. Z s c h o c k e , S. 169. C u r t i u s S. 361. W. W. Bd. III, S. 146. W. W. Bd. IV. S. 54.
— 38 — in dem Terminus der „Mehrheit" 1 zum Ausdruck verholfen. Analog der Zahleinheit dürfte da das „1 -j- . . . " als Schema gelten. Die Kategorie der Allheit endlich, die Kant in den Prolegomena 2 auch als „ d a s Ganze" bezeichnet, hätte dann in der bestimmten Zahl ihr Schema; nicht in e i n e r bestimmten Zahl natürlich, denn das wäre immer nur ein „ B i l d " . Die Umspannungstendenz, die die Kategorie der Allheit vertritt, dürfte dagegen im „(n + 1 ) " schematisiert sein 1 . Wie K a n t das Schema der Quantität durch Restriktion der entsprechenden Verstandesfunktion auf den reinen Sinn der Zeitr e i h e gewann, so erzeugt er das Schema der Qualität, indem er deren Kategorien in ihrer eigentlichen Fruchtbarkeit und faßbaren Bedeutung als „Zeitbestimmung a priori des Zeitinhalts " 3 nachweist. „Realität kann man im Gegensatze mit der Negation nur alsdann erklären, wenn man sich eine Zeit (als den Inbegriff von allem Sein) gedenkt, die entweder womit erfüllet oder leer ist" 4 . So sollen auch Realität und Negation ihre reale Definition erst durch ihre Verbindung mit einer Zeitbestimmung bekommen. Aber diese Zeitbestimmung muß sich selbst als reines Moment der Zeit ausweisen, sonst könnte auch das Schema nicht rein gedacht werden. Deshalb braucht uns jedoch die Exemplifikation auf die Empfindung an dieser Stelle nicht zu stören; denn die reine Zeitbestimmung, die hier als Bedingung der Möglichkeit sinnvoller Erklärung des Begriffsgegensatzes Realität und Negation aufgezeigt wird, ist nicht der Zeitinhalt selbst, sondern seine „Regel apriori". Realität und Negation sind nur dann als reale Gegensätze zu denken, wenn sie als Grenzmarken des graduellen Uberganges von „ E t w a s " in „Nichts" gefaßt werden. Die Kontinuität dieses 1
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H e r m a n n Cohen, Logik der reinen Erkenntnis, S. 145. „Viel weist auf Dinge hin, welche an sich gegeben wären; Mehrheit dagegen enthält in dem Mehr den Hinweis auf die gedankliche Operation, die daher zum Grunde der Mehrheit wird. W. W. Bd. IV, S. 54. Wir werden weiter unten darauf zu achten haben, daß mit unserer Durchführung der einzelnen Schemata der Quantität wie auch der Qualität (S. 42) ein Motiv des Schemas stärker unterstrichen wird, als es in der Darstellung Kants zur Auswirkung gelangt. W. W. Bd. III, S. 146. W. W. Bd. III, S. 215.
— 39 — Überganges ist somit die reine Zeitbestimmung, in die die bloßen Verstandesfunktionen der Realität und Negation eingebildet werden müssen, damit sie zu wissenschaftlich verwendbaren Begriffen werden. Vermöge der Restriktion auf die Bedingung der Stetigkeit des Überganges von der Realität zur Negation werden beide Momente wiederum als Größen denkbar, obgleich sie als Inhaltsbestimmungen der Zeit nicht unter den Gesichtspunkt extensiver Maßbestimmungen genommen werden können, weil sie sich deren notwendiger Voraussetzung des „Zugleichgegebenseins" prinzipiell entziehen. K r a f t der Beziehung auf die Grundvoraussetzung der Stetigkeit in der Abfolge aller Zustände des Realen in der Zeit gelingt es allein, die Realität selbst als Grad oder intensive Größe zu bestimmen. Die Beschränkung des Begriffs der Realität auf diese reine Zeitbedingung gibt ihm somit erst seine Eindeutigkeit und Bestimmbarkeit, während er ohne diese Restriktion mit dem Begriff des „Dinges an sich" 1 zusammenfallen müßte und dann nicht einmal vom bloßen Nichts inhaltlich zu unterscheiden wäre. „Daher ist ein Verhältnis und Zusammenhang oder vielmehr ein Übergang von Realität zur Negation, welcher jede Realität als ein Quantum vorstellig macht; und das Schema einer Realität als der Quantität von Etwas, sofern es die Zeit erfüllt, ist eben diese kontinuierliche und gleichförmige Erzeugung derselben in der Zeit, indem man von der Empfindung, die einen gewissen Grad hat, in der Zeit bis zum Verschwinden derselben hinabgeht, oder von der Negation zu der Größe derselben allmählich aufsteigt" 2 . So bezeichnet K a n t das Schema auch für die Klasse der Qualität nicht ausdrücklich für jede Kategorie. Als schematisierte Negation mag aber immerhin das Zero gelten ( „ O " ) , im Gegensatz zum Etwas als der schematisierten Realität; dennoch bleibt ohne die Erwähnimg der dritten Kategorie die Durchführung des Schematismus auch hier unvollständig. Doch auch hier glauben wir nicht an die Schranke prinzipieller Undurchführbarkeit zu stoßen, wie es Zschocke meint. Vielmehr scheint 1
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H e r m a n n C o h e n , Kommentar S. 74: „Man sieht also, daß der Ausdruck „Dinge an sich" nur auf die reine Kategorie der Realität gehen soll, sofern sie noch nicht schematisiert ist". W. W. Bd. III, S. 145.
— 40 — uns der Gedanke Cohens 1 einleuchtend, in dem „Übergange" selbst die Auswirkung der Limitation zu sehen. Als Einheitsbedingung des „ E t w a s " und des „ N i c h t s " würde die schematisierte Limitation dann vielleicht durch das „$•" vertreten. Sinnvoll werden also auch erst die reinen Kategorien der Qualität durch ihre Beschränkung auf eine reine Zeitbestimmung, nämlich die Bedingung der Stetigkeit der Abfolge. Erst so wird die Realität zum reinen Vertreter der Sachheit. Die Empfindung dagegen ist n u r die Illustration 2 des Kontinuitätsverhältnisses, nicht die eigenmächtige Instanz der Sinnerfüllung des formalen Anspruchs der Qualitätskategorien. F ü r die übrigen Kategorien sind die Schemata im einzelnen Falle bei K a n t angegeben. Sie müssen uns deshalb den Sinn des Schematismus erst recht deutlich machen, während wir bei der Quantität und Qualität durch Ergänzungsversuche n u r den Vorwurf prinzipieller Undurchführbarkeit zurückzuweisen versuchen konnten. „Lasse ich die Beharrlichkeit, (welche ein Dasien zu aller Zeit ist), weg, so bleibt mir zum Begriffe der Substanz nichts übrig, als die logische Vorstellung vom Subjekt, welche ich dadurch zu realisieren vermeine, daß ich mir Etwas vorstelle, welches bloß als Subjekt, (ohne wovon ein P r ä d i k a t zu sein), stattfinden kann. Aber nicht allein, daß ich gar keine Bedingungen weiß, unter welchen denn dieser logische Vorzug irgendeinem Dinge eigen sein werde: so ist auch gar nichts weiter daraus zu machen und nicht die mindeste Folgerung zu ziehen, weil dadurch gar kein Objekt des Gebrauchs dieses Begriffs bestimmt wird und m a n also gar nicht weiß, ob dieser überall etwas bedeute" 3 . Wiederum macht allein die Einbildung der Kategorie in die reine Zeitbestimmung (jetzt die Zeitordnung) diese zu einem sinnvollen Begriff. Nur als Gegenhalt des selbst unaufhaltsamen Flusses der Geschehnisse, n u r als dessen beharrliches Verhältnis kann die Funktion, die er vertritt, zur Auswirkung gelangen. Indem so Substanz als „das Unwandelbare im Dasein" 4 definiert wird, zwingt K a n t ein Motiv zur Immanenz, das zunächst als der Widerspruch zu aller Er1 2 3 4
Kommentar S. 74. C o h e n , Kants Theorie der Erfahrung, S. 542/43. W. W. Bd. III, S. 215/16. W. W. Bd. III, S. 145.
— 41 — kenntnis überhaupt erscheint. Denn der naiven Weltansicht scheint die Substanz als Ausdruck der Transzendenz der Wirklichkeit über alle bloße Methodologie gefaßt werden zu müssen, die Verwendung des Substanzmotivs aber notwendig mit einem unüberwindlichen Dualismus von Wahrheit und Wirklichkeit verknüpft zu sein. Bei K a n t wird dieser Aporie von vornherein dadurch ausgewichen, d a ß die Substanz sogleich als Kategorie gefaßt wird, die als solche lediglich als Motiv der Erkenntnis verstanden werden darf und allein im Zusammenwirken mit dem reinen Moment der Rezeptibilität f r u c h t b a r werden kann. Durch die Bestimmung als Moment, die die Substanz durch den Schematismus erfährt, wird sie selbst zum immanenten Kriterium der Erkenntnis. Ebenso kann auch die Kausalität n u r als „Regel in der Succession des Mannigfaltigen" 1 zum brauchbaren Begriff werden. Erst durch die Restriktion auf die Zeitfolge wird der Begriff der Ursache mögliches Artikulationsmittel der Mannigfaltigkeit und dadurch möglicher Beitrag zur Objektivierung selbst. Dagegen würde ich, „(wenn ich die Zeit weglasse, in der etwas auf etwas anderes nach einer Regel folgt) vom Begriffe der Ursache in der reinen Kategorie nichts weiter finden, als daß es so etwas sei, woraus sich auf das Dasein eines andern schließen läßt, und es würde dadurch nicht allein Ursache und Wirkung gar nicht voneinander unterschieden werden können, sondern weil dieses Schließenkönnen doch bald Bedingungen erfordert, von denen ich nichts weiß, so würde der Begriff gar keine Bestimmimg haben, wie er auf irgendein Objekt passe" 2 . Die Zeitbestimmung apriori, die allein der Kategorie den objektiven Belang als eindeutiges Verhältnis von Ursache und Wirkung ermöglicht, ist somit hier die Irreversibilität des reinen Sinnes der Zeitfolge selbst. Die dritte Kategorie der Relation endlich, die K a n t aus der F o r m des disjunktiven Urteils ableitet, k a n n ihre Bedeutung als Wechselwirkung, d. i. als „ V e r k n ü p f u n g in einem Ganzen der Dinge" 3 n u r entfalten, wenn sämtliche Teile des Ganzen unter der Zeitbestimmung des Zugleichseins stehen. Bei der Behandlung der Modalitätskategorien im Schematismus 1 2 3
W. W. Bd. III, S. 145. W. W. Bd. III, S. 216. W. W. Bd. III, S. 102.
— 42 — ist ein, Vergleich mit Aristoteles 1 für die gesamte Disposition der Erkenntnismotive Kants überaus belehrend. Schon daß Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit überhaupt unter die Kategorientafel fallen, ist für die Tendenz immanenter Systematik der Erkenntnis bei Kant bezeichnend, während sie bei Aristoteles als die drei Phasen des 8 U V « [ A S I OV, evepyeia 8v nnd evTeXs^sta ov, als Seinsbestimmung vor den Kategorien vorhergehen. Wurden sie aber nun bei Kant als Kategorien angesetzt, so konnten auch sie erst in der Restriktion auf Zeitbestimmung apriori real definiert werden. So würde die Möglichkeit für sich genommen ohne den Schematismus immer bloße innere Möglichkeit eines Begriffs bleiben müssen und lediglich die Widerspruchslosigkeit der in ihm angegebenen Definitionsmomente besagen können. Sie selbst aber „ h a t noch niemand anders als durch offenbare Tautologie erklären können, wenn man ihre Definition lediglich aus dem reinen Verstände schöpfen wollte" 2 . Sinnvoll erklären läßt sie sich allein durch die Beziehung auf die allgemeine Bedingung des Zeiti n b e g r i f f s , wie Kant die allgemeine Struktur der Zeit nennt, auf die er die Kategorien der Modalität hinweist. So ist „ d a s Schema der Möglichkeit die Zusammenstimmung der Synthesis verschiedener Vorstellungen mit den Bedingungen der Zeit überhaupt (z. B. da das Entgegengesetzte in einem Dinge nicht zugleich, sondern nur nacheinander sein kann)" 3 . Endlich gibt Kant noch als Schema der Wirklichkeit „ d a s Dasein zu einer bestimmten Zeit" an und bestimmt das Schema der Notwendigkeit als „Dasein eines Gegenstandes zu aller Zeit". Wir führten alle Schemata auf, weil wir den Schematismus für die eigentliche Lösung des Kantischen Zentralproblems halten, seine Bedeutung jedoch an den allgemeinen Erörterungen Kants über seine Funktion allein nicht glauben dartun zu können. Prüfen wir von dem fixierten Sinn der einzelnen Schemata aus zunächst die Behauptung Zschockes, K a n t habe im Schema die Sinnlichkeit und den Verstand durch einen Machtspruch, d. h. äußerlich zusammengefügt. Unter dieser Voraussetzung müßte die 1
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Siehe hierfür F r i t z H e i n e m a n n , Der Aufbau von Kants Kr. d. r. V. und das Problem der Zeit, S. 3 ff. W. W. Bd. III, S. 216. W. W. Bd. III, S. 145.
— 43 — Behauptung K a n t s unverständlich bleiben, daß die Kategorien erst im Schema ihre ,,reale Definition" erhalten. Nach der Vergegenwärtigung der Tafel der Schemata ist es aber unabweislich, d a ß K a n t das Schema so verstanden wissen wollte. Wir drehen deshalb das Verhältnis zwischen dem Erklärungsgrunde und dem der Erklärung Bedürftigen um. „Die Schemate der reinen Verstandesbegriffe" sind die „wahren und einzigen Bedingungen, diesen eine Beziehung auf Objekte, mithin B e d e u t u n g 1 zu verschaffen" 2 . „Die Schemate der Sinnlichkeit realisieren die Kategorien allererst", indem sie sie restringieren, d.i. auf Bedingungen einschränken, die außer dem Verstände liegen" 3 . Als logischer Ort der realen, d. h . sinnvollen, nicht lediglich nominalen Definition kann über die Bedeutsamkeit des Schemas selbst kein Zweifel sein. Die unmittelbare Einheit, die in ihm das Vermögen der Rezeptibilität als der Garant einer reinen Mannigfaltigkeit und das Vermögen der Spontaneität als Quellgebiet möglicher Einheitsfunktionen eingehen, ist als Bedingung der Möglichkeit sinnvoller und gleichwohl reiner Begriffsbestimmung das Erste, dessen Sinn durch keinerlei absolute Trennung in der Motivdisposition zweier Erkenntnisquellen zersetzt werden darf. Alle Zweifel, die sich vom absoluten Dualismus der beiden Stämme der Erkenntnis her gegen die logisch realisierende Instanz des Schematismus erheben, sind deshalb vielmehr umzuwenden und auf ihre Ausgangspunkte zu kehren. Das Zweite, wegen einer solchen Unausgeglichenheit in der Systemanlage erst zu Klärende ist der Sinn der Dualität der Erkenntnis quellen selbst, die bisher n u r in methodischer Abstraktion gesondert behandelt wurden. Dabei stellt sich die gedankliche Unselbständigkeit der reinen Motive heraus, die in den beiden getrennten „Vermögen" vertreten werden. Nur ihre Einführung in der Vermögensterminologie konnte das verbergen. Die enge Zusammengehörigkeit beider Quellen konnte deshalb zunächst auch da nicht heraustreten, wo ausdrücklich deren Unselbständigkeit in der Isolierimg ausgesprochen war. „Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind" 4 . Diese Er1 2 3 4
Von Kant gesperrt! W. W. Bd. III, S. 146. W. W. Bd. III, S. 80. W. W. Bd. III, S. 51.
— 44 innerung mußte zunächst f ü r eine psychologische Belehrung genommen werden, die überdies den Eindruck einer Selbstverständlichkeit machte. I m Schematismus erst sehen wir die Einheit der zwei Stämme der menschlichen Erkenntnis, die vielleicht aus einer gemeinschaftlichen, aber uns unbekannten Wurzel entspringen, nämlich Sinnlichkeit und Verstand, durch deren ersteren uns Gegenstände gegeben, durch den zweiten aber gedacht werden" 1 . Diese mögliche gemeinsame Wurzel mußte solange eine Unbekannte bleiben, als beide Stämme durch die Einbettung in die Terminologie der psychologischen Vermögenstheorie ohne Rücksicht auf die Korrelation, in der ihre reinen Motive als Momente gedacht werden können, in isolierender Abstraktion behandelt wurden. Die Korrelation selbst ist diese gemeinsame Wurzel; ihr Sinn klärt sich erst im Schema. „Der Schematismus unseres Verstandes in Ansehung der Erscheinungen und ihrer bloßen F o r m ist eine verborgene Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele, deren wahre Handgriffe wir der Natur schwerlich jemals abraten und sie unverdeckt vor Augen legen werden" 1 . Muß der Erkenntniskritiker somit zwar darauf verzichten, der menschlichen Seele abzuraten, wie sie es anstelle, aus zwei getrennten Quellen der Erkenntnis vermöge der Einbildungskraft die nahtlose Einheit der sinnvollen weil gehaltbeherrschenden Begriffe zu erzeugen, wie sie in den angegebenen Schemata vorliegen, so bedeutet das doch keine Kapitulation vor der Kernfrage nach der Möglichkeit synthetischer Urteile apriori: Die getrennten „Vermögen" müssen vor dem Ernst dieses Problems vielmehr selbst als bloße terminologische Vehikel der Motive erkannt werden, die sie als Beitrag zur Konstitution eines inhaltlichen und dennoch reinen Erkenntnisbegriffes über die Untiefen einer bloßen Assoziationspsychologie retten. Die Transzendentalphilosophie aber m u ß n u n diese Motive als konstitutive Bedingungen der Erkenntnis werten. Deshalb müssen beide auf einen neuen gedanklichen Einheitsboden gestellt werden, der es erlaubt, sie als Momente zu fassen. Aber eben dieses „ T e r t i u m " wird bestritten. Das „Dritte zur Anwendung" sei K a n t „unter der Hand zur Anwendung selber geworden". Nun handelt es sich aber im Schematismus doch zunächst noch garnicht u m 1
W. W. Bd. III, S. 144.
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die Anwendung der Kategorien auf Gegenstände, sondern allein um die Bedingungen der Möglichkeit einer solchen Anwendung. Es stellt sich dabei heraus, daß die reinen Verstandesbegriffe selbst zuvor einer Korrektur unterzogen werden müssen. Sie müssen um ein Moment bereichert werden, das ihnen als bloße Spontaneität fremd ist. Um auch nur als sinnvolle Begriffe verstanden zu werden, müssen die Einheitsfunktionen eine Verbindung eingehen mit dem Sinn einer reinen Mannigfaltigkeit, die Kant zunächst dem Vermögen der Rezeptivität zugewiesen hatte. Das bedeutet aber noch nicht die Anwendung der Verstandesbegriffe auf die Mannigfaltigkeit selbst, sondern lediglich die Beschränkung auf den Sinn der Erzeugung dieser Mannigfaltigkeit. Die allgemeinste Bedingung der Mannigfaltigkeitserzeugung hatte Kant als die Anschauungsform der Zeit bestimmt. Deshalb müssen die bloßen Verstandesfunktionen auf die formalen Bedingungen reiner Zeitbestimmungen restringiert werden, um real definiert werden zu können. Wie wenig damit schon eine Anwendung auf Gegenstände gemeint sein braucht, geht aus einer Stelle bei Kant hervor, in der es ausdrücklich heißt, daß die Mannigfaltigkeitsbedingungen in die Kategorie einzugehen haben. „Denn da haben wir gesehen..., daß reine Begriffe apriori außer der Funktion des Verstandes in der Kategorie noch formale Bedingungen der Sinnlichkeit (namentlich des inneren Sinnes) a priori enthalten müsse, welche die allgemeine Bedingung enthalten, unter der die Kategorie allein auf irgendeinen Gegenstand angewandt werden kann" 1 . Die reinen Zeitbedingungen selbst, die deshalb in die Kategorie eingehen müssen, nennt Kant Schemata. Die Restriktion der Einheitsfunktionen auf ihre Bedingungen heißt Schematismus des reinen Verstandes. In ihm erst konstituiert sich unseres Erachtens der eigentliche „Begriff" im Sinne der Transzendentalphilosophie, der allein den Bedingungen zu genügen vermag, die nach der kopernikanischen Drehung vom Denken gefordert wird, die Erzeugung des Gegenstandes. Treffend bemerkt Riehl die nahe Zusammengehörigkeit von eigentlichem Begriff und Schema. „Irre ich nicht, so sind es gerade diese Schemata selbst, welche allein im eigentlichen Sinne Begriffe sind, und was darüber hinaus liegt, ist nur 1
W. W. Bd. III, S. 142/43.
— 46 noch das Wort, das die Vorstellung bezeichnet, aber keine für sich, irgend faßbare Vorstellung mehr" 1 . Genauer noch scheint uns die Bestimmung des reinen Begriffs im Sinne der Transzendentalphilosophie mit dem schematisierten Verstandesbegriff zusammenzufallen. Ausdrücklich sagt K a n t einmal: „Daher bedürfen die Kategorien noch über den reinen Verstandesbegriff Bestimmungen ihrer Anwendung auf Sinnlichkeit überhaupt (Schema) und sind ohne diese k e i n e B e g r i f f e , wodurch ein Gegenstand erkannt und von andern unterschieden würde, sondern nur soviel Arten, einen Gegenstand zu möglichen Anschauungen zu denken und ihm nach irgend einer Funktion des Verstandes seine Bedeutung (unter noch erforderlichen Bedingungen) zu geben, d. i. i h n z u d e f i n i e r e n ; selbst können sie also nicht definiert werden" 2 . Deshalb muß K a n t schon in der transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe das Vermögen der Einbildungskraft einführen, das doch erst im Schematismus aus der psychologischen Einkleidung befreit werden kann. Hier bedarf es nicht einer psychologischen Definition dieses Vermögens (als die Kraft, „einen Gegenstand auch ohne dessen Gegenwart in der Anschauung vorzustellen" 3 , sondern hier ergibt sich seine Funktion von selbst aus dem sachlichen Verhältnis der beiden reinen Grundmotive der Spontaneität und der Rezeptivität zueinander. Weil und sofern die bloß logischen Einheitsfunktionen ohne die Beziehung auf die reinen Bedingungen der Sinnlichkeit" (wie man sagt), ohne S i n n 4 , d. i. ohne Bedeutung bleiben" 5 würden, müssen sie zunächst in die allgemeinen Zeitbestimmungen „eingebildet" werden. Das Dritte, das sich aus der Synthesis des reinen Moments der beiden „Erkenntnisquellen" ergibt, ist somit der sinnvolle Begriff selbst, der es erlaubt, die Mannigfaltigkeit, sei es reine oder empirische, zu b e g r e n z e n und somit seine Einheitsfunktion auswirken kann, weil er sie zuvor in seiner eigenen realen Definition gemäß den Zeitbedingungen der Schemata b e s c h r ä n k t hatte. 1 2 3 4 5
A l o i s R i e h l , Der philosophische Kritizismus II, 533. W. W. Bd. III, S. 631 f. W. W. Bd. III, S. 126. Von Kant gesperrt! W. W. Bd. III, S. 214/15.
— 47 — So sehen wir also im schematisierten Begriff die unmittelbare nahtlose Einheit der reinen Rezeptivität und der Spontaneität, die bei ihrer ersten Einführung beide nur durch den Gegensatz zueinander zu charakterisieren waren, und damit ein Tertium als mögliche Vermittlungsinstanz zwischen Sinnlichkeit und Verstand überhaupt. Nur d i e s e Vermittlung aber wollte K a n t im Schematismuskapitel nachweisen, keineswegs aber diejenige zwischen Begriff und Bild, wie es Curtius 1 aufzufassen scheint, der deshalb annehmen muß, daß bei K a n t eine Verschiebung des Verhältnisses zwischen dem Schema und den zu vermittelnden Instanzen unterlaufen sei. Curtius nimmt an folgendem Satze Kants Anstoß: „ I n der Tat liegen unsern reinen sinnlichen Begriffen nicht Bilder der Gegenstände, sondern Schemate zum G r u n d e " . . . . „Hier ist das Verhältnis: Begriff — Schema — Bild ganz verschoben, und es sieht so aus, als hätten die Schemata logische Priorität im Verhältnis zu den Begriffen" 2 . Uns scheint hier lediglich im ,zum Grunde liegen' die restringierende Tendenz der Schemas angedeutet zu sein, keineswegs aber eine Priorität im Rangverhältnis gegenüber dem Begriff. Vom Bild aber redet K a n t unseres Erachtens überhaupt nur in apagogischer Absicht, um davon die Reinheit des Schemas abzuheben, nicht aber um das Schema als Vermittlung zwischen Begriff und Bild aufzuweisen. Nur in diesem Falle aber hätte Kant statt des erwähnten Satzes wie Curtius sagen müssen: „unsern Bildern von reinen sinnlichen Begriffen liegen nicht diese Begriffe, sondern deren Schemata zu Grunde" 3 . Das Schematismuskapitel hat aber nach unserer Meinung eine sehr viel tiefgreifendere Bedeutung als nur diejenige, zwei Motive nachträglich zu vermitteln, die zunächst isoliert eingeführt waren. Wir sehen in ihm die Bestimmung desjenigen Denkbegriffs, der geeigenet ist, synthetische Urteile apriori zu begründen. Der schematisierte Begriff allein erfüllt die Forderung, die im synthetischen Urteil apriori liegt; er ist rein, denn die Momente seiner Konstitution sind rein. E r ist aber nicht bloße Identität und Starrheit, wie es der bloße Verstandesbegriff ist, von dem Kant C u r t i u s , S. 355. C u r t i u s , S. 355. 3 C u r t i u s , S. 355. 1
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— 48 — sagt, es „ist auch gar nichts weiter daraus zu machen und nicht die mindeste Folgerung zu ziehen, weil da durch gar kein Objekt der Gebrauch dieses Begriffs bestimmt wird u n d man also garnicht weiß, ob dieser überall etwas bedeute". Der schematisierte Begriff ist vielmehr von vornherein über diese bloße Beschränktheit auf sich hinweg, weil in seine „reale Definition" r e i n e M a n n i g f a l t i g k e i t s b e d i n g u n g e n eingegangen sind. Erst k r a f t der Einbeziehung dieser reinen Mannigfaltigkeitsbedingungen, die in der Definition des allein sinnvollen Begriffs mit der Restriktion auf die reinen Zeitbestimmungen gegeben ist, wird die bloße Einheitsfunktion zur möglichen Einheit über Mannigfaltigkeit. Nur der Begriff, der diese Bestimmung im Schematismus erfahren h a t , kann deshalb die Fesseln sprengen, die die eleatische Begriffsbestimmung u m das Element des reinen Denkens zu legen droht. Während die Eleatik von der Disjunktion ihren Ausgang n i m m t : Reinheit oder Mannigfaltigkeitsbelang des Begriffs, macht die Transzendentalphilosophie gerade die Durchbrechung dieser Alternative zum Problem. Sie löst die Frage nach den synthetischen Urteilen apriori durch die Forderung einer neuen Definition des Begriffs selbst, der als Element möglicher synthetischer Urteile apriori im Schematismus selbst als synthetischer Begriff bestimmt wird. Von hier aus läßt sich deshalb auch erst die Differenz im Denkbegriff der Eleatik und Kants exakt bestimmen und der Streit zwischen bloß analytischen u n d synthetischen Urteilen apriori zum Austrag bringen. Kant wollte die Bedingungen der Möglichkeit der exakten Wissenschaften nachweisen und ging deshalb vom F a k t u m ihrer Leistung, allgemeingültige und notwendige Urteile über Gegenständlichkeiten zu fällen, aus. Seine Frage richtete sich nur noch auf die Struktur der gedanklichen Mittel, die einen solchen Anspruch zu garantieren vermöchten. Schon diesen Ausgang aber würde die Eleatik bestreiten müssen. So greift sie denn auch in ihrem polemischen Vertreter das F a k t u m der Wissenschaft selbst an, wie wir heute sagen würden, indem sie dieser Wissenschaft den Sinn ihres Problems zu zersetzen droht. Zenon wendet sich deshalb gegen das Phänomen der Bewegung selbst, indem er es als in sich selbst widerspruchsvoll nachzuweisen sucht, weil es gegenüber dem Bereich der „wohlgerundeten Kugel" des starren
— 49 — eleatischen Seins- und Denkbegriffes transzendent gedacht werden muß. Der bewegte Gegenstand, der fliegende Pfeil selbst, sei deshalb schon eine contradictio in adjecto. Um von einem Ort zum andern zu gelangen, bedarf es einer gewissen Zeit, in der der fliegende Pfeil die zwischen dem Ausgangspunkt und dem Ziel gelegenen Orte zu durchlaufen hat. In jedem einzelnen Augenblick kann sich dabei der Pfeil nur an einem einzigen Orte befinden. Somit sei selbst der bewegte Körper an jedem Ort als ruhender zu denken. Ruht aber der fliegende Pfeil in allen Punkten, die zwischen Anfang und Ende seines Weges hegen, so ist seine Bewegung selbst unmöglich. Die Absicht dieses Zenonischen Beweises ist, darzutun, daß der strenge Anspruch des Denkens zerstört werde, sobald es „den Pfad zur 'Mannigfaltigkeit beschreite". Aber eben in der Kritik dieses Beweises bewährt sich die Überlegenheit des Denkbegriffes, der durch die Klärung der Kantischen Schematismuslehre hindurchgegangen ist. Eine solche Kritik muß die im Beweise verwendeten Begriffe auf ihre Struktur hin untersuchen. Dabei stellt sich heraus, daß der Begriff „Ruhe" in ihm in unzureichender Weise bestimmt und gebraucht wird. Nur dann wäre dieser Beweis Zenons bündig, wenn man die „Ruhe" bestimmen könnte als die Identität des Ortes in einem Moment. Eben diese Voraussetzung erweist sich aber bei näherem Zusehen als falsch. Der eigentliche Sinn, in dem allein der Begriff der Ruhe verwandt werden darf, transzendiert selbst die formallogischen Bedingungen, mit denen die Eleatik allein ihre Begriffe zu bestimmen vermag. Nicht die Identität des Ortes in einem Augenblick kann schon als Ruhe angesprochen werden, sondern mindestens in zwei Momenten der Zeitfolge muß die Identität des Ortes erhalten bleiben, wenn der Begriff der Ruhe real definiert werden soll. Von der Kantischen Schematismuslehre aus gesehen würde die Kritik des Zenonischen Beweises sich durch eine einfache Unterscheidung führen lassen. Der Zenonische Begriff der Ruhe ist als unschematisierter Begriff zur Unfruchtbarkeit in jeder gegenständlichen Problematik verurteilt, während erst im Schematismus, in der Beziehung auf reine Zeitbedingungen, dieser Begriff selbst seine eigentümliche Bedeutung erlangt. Eine Methodologie, die die besondere Bedeutung ihrer in realer Definition erzeugten 4
Kölln
— 50 — Begriffe nicht interesselos beiseite lassen braucht, kann deshalb die Gegenständlichkeit selbst u n t e r Bedingungen stellen. Die Struktur des Begriffs, der allein f ü r solchen Gegenstandsbelang tragfähig sein kann, definierte der Schematismus. Zugleich aber erfährt von hier aus der Sinn des Gegenstandes selbst eine Einschränkung. Weil u n d sofern von Gegenständen n u r in dieser Korrelation der beiden Konstitutionsmomente die Rede sein kann, so gibt uns schon die Analyse der Begriffsstruktur ein Kriterium an die H a n d , das uns zu entscheiden erlaubt, ob ein Begriff überh a u p t möglicherweise auf Gegenstände bezogen werden darf. Einen Begriff, der die allgemeine Bedingung der Bezogenheit auf die formale Struktur der Zeit erfüllt, nennen wir mit K a n t deshalb „Phänomenon", während die leere Verwendung des Begriffs, d. h. die Operation mit Setzungen, deren Bedeutung nicht durch den Bezug auf die reinen Mannigfaltigkeitsbedingungen definiert ist, von vornherein von derGegenstandsbestimmung ausgeschlossen ist. Solche bloße Gedanken „ohne einige Restriktion auf die Bedingungen der Sinnlichkeit" werden deshalb als „ N o u m e n a " abgewiesen, wenn sie den Anspruch erheben, die Sphäre bloßer Identitätssetzungen zu verlassen, u m etwas über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Gegenstände auszumachen. Wir sind uns bewußt, d a ß wegen unseres vorwiegend transzendentallcigischen Interesses unsere Deutung nicht als rein historische Interpretation des Schematismuskapitels auftreten darf. Wir wollten vielmehr innerhalb dieses Kapitels den Ursprungsort der Analyse einer Strukturbedingung des transzendentallogischen Begriffes aufweisen, der verschüttet zu werden droht, wenn man sich a u s s c h l i e ß l i c h an dasjenige zu halten sucht, w a s K a n t selbst bei diesen Untersuchungen vor Augen gestanden haben mag. Doch auch das systematische Interesse, das uns zu dieser Quelle zurückführt, kann sich mit der Deutung, die wir im Bisherigen f ü r die Analysen des Schematismuskapitels gaben, noch nicht zufrieden geben. Der ganze Versuch einer solchen rein logischen Interpretation muß gegenüber der tatsächlichen Funktion der Einbildungskraft als eine Verschiebung des Tatbestandes auf eine andere Ebene erscheinen. Der Fortgang unserer Untersuchung wird diesen Eindruck mehr und mehr bestätigen. Es wird sich
— 51 — zeigen, d a ß z. B. das Zeitmotiv, das als Bedingung der Sinnhaftigkeit der Kategorien verwendet wird, keineswegs in einer so abstrakten Weise gedacht ist, wie es unsere systematische Deutung verwendet. Wenn unserer Interpretation daran lag, die Restriktion der Begriffe auf die Zeit als eine logische Bedingung der Struktur dieser Begriffe aufzuzeigen, so sieht K a n t immer schon darauf, d a ß die Begriffe durch den Zeitbezug a n w e n d b a r werden. Der Begriff der Anwendbarkeit ist aber doppeldeutig. E r kann einmal als die sinnvolle Operation mit den gedanklichen Setzungen innerhalb der idealen Sphäre, etwa der reinen Mathematik bedeuten, wie er andererseits auch als die Möglichkeit der Betätigung dieser Mathematik selbst innerhalb der Erfahrung bedeuten kann. In der angewandten Mathematik sind jedoch Setzungen der reinen Mathematik schon in zweiter Instanz betätigt. Dieses Verhältnis wird innerhalb des Schematismuskapitels Kants nicht klar. Es heißt nur, der Bezug auf die Zeit macht die leeren Kategorien allein sinnvoll und gegenständlich anwendbar. Kant scheint bei der Möglichkeit der Anwendung ausschließlich an die Betätigung der Begriffe innerhalb der Empirie gedacht zu haben. Trotzdem muß sich unsere Nachkonstruktion für die andere, logisch umfassendere Bedeutung der Anwendung entscheiden. Denn es heißt einerseits, daß die unschematisierten Kategorien „ohne Sinn, d. i. ohne Bedeutimg" sein würden. Sie sind ganz leere Titel, man kann mit ihnen gar nichts anfangen usw. Andererseits sind aber doch zum mindesten die Begriffe der reinen Mathematik nicht n u r abseits der Empirie definierbar, sondern auch anwendbar, d. h. zu eindeutigen Operationen fähig. Selbst ohne den Sinn einer gewissen Gegenständlichkeit sind diese rein gedanklichen Operationen nicht. Auch die reine Mathematik h a t es mit s y n t h e t i s c h e n Urteilen a priori zu t u n . Der synthetische Charakter der Begriffe, rein innerhalb der gedanklichen Schicht mathematischer Setzungen, ist aber nicht weniger der transzendentalen Erklärung bedürftig als derjenigen reinen Begriffe, die innerhalb der Erfahrung die Synthesis vollziehen. Auch f ü r die mathematischen Begriffe bedarf es des Nachweises reiner Mannigfaltigkeitsbedingungen. Der Nachweis der Bedingungen der Möglichkeit der Anwendung ihrer Operationen in rein mathematischem Interesse muß also unabhängig von den4*
— 52 — jenigen der Anwendung in der zweiten Bedeutung geführt werden. Deshalb betonten wir bei der systematischen Interpretation zunächst den abstrakten Sinn der Restriktion auf die Zeitbedingung. Die weitergehende Beschränkung der Begriffe auf die Empirie nimmt die Zeit naturgemäß in einem konkreteren Sinn in Anspruch. Da Kant jedoch ausdrücklich behauptet, ohne die Restriktion des Schematismus seien die Kategorien ohne j e d e n angebbaren Sinn, so müssen wir in der systematischen Interpretation zunächst die weiterreichende Beschränkung des Begriffs zum Hilfsmittel der Befassung der in der tatsächlichen Zeit gegebenen Mannigfaltigkeit zurückstellen und auf die abstrakten Momente der Zeit achten, denen die leeren Titel der bloßen Kategorien die erste Sinngebung verdankt. Die zweite Sinngebung, die sich in der Darstellung Kants in den Vordergrund drängt, findet ja übrigens in den Kantischen Grundsätzen noch eine gesonderte Behandlung. Gerade damit dem systematischen Interesse kein fruchtbares Motiv verloren gehe, das in den Kantischen Analysen — und sei es auch nur als Oberton — mitschwingt, müssen wir im Schematismuskapitel deshalb die abstraktere Bedeutung der ersten Sinngebung aufspüren. Dadurch wird dann auch dem Einwand Zschockes ausgewichen, daß der Grundsatz lediglich eine Wiederholung des Schemas sei1. Eine Unklarheit bleibt aber bei einer derartigen Verschiebung des Interessenschwerpunktes in der systematischen Auswertung der transzendentallogischen Motive bestehen. Nur für die Schemata der Quantität und der Qualität trifft es zunächst zu, daß sie als mathematische Setzungen schon eine erste Deutung der entsprechenden Kategorien hergeben. Die Schemata der Relation dagegen sind in der Form, wie sie Kant darstellt, schon auf die Empirie verpflichtet. Es ist aber zu beachten, daß die Kantischen Schemata der Quantität und der Qualität nur dadurch in unserer Darstellung den rein mathematischen Sinn erhielten, daß unsere Interpretation von vornherein von der Tendenz geleitet war, die Funktion der ersten Sinngebung in der Einbildung der Kategorien in die Mannigfaltigkeitsbedingungen der Zeit hervortreten zu lassen und in dieser Tendenz auch die Ausführung der einzelnen 1
Zschocke, a. a. O. S. 171f.
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Schemata für die ersten beiden Klassen versuchten. In gleicher Weise ist es auch möglich, die Relationskategorien dadurch real zu definieren, daß man sie auf die reinen Mannigfaltigkeitsbedingungen der Zeit restringiert, ohne daß damit diese Kategorien schon sogleich im Sinne der zweiten Sinngebung auf die Erfahrung beschränkt würden. Auch die Mathematik verwendet sinnvoll die kategorialen Momente der Relation. Hebt man in der Nachkonstruktion des Schematismus seine Funktion als erste Sinngebungsinstanz der Kategorien hervor, so muß auch das Motiv der Relationskategorien durch die Beschränkung auf die reinen Mannigfaltigkeitsbedingungen der Zeit real (d. h. nicht bloß nominal) definierbar sein, ohne daß sie damit sogleich die Bedeutung der dynamischen Verhältnisse annehmen, die nur innerhalb der Naturerfahrung Geltung haben. Als eine erste Sinngebung der Relationskategorie, die Kant aus der Form des hypothetischen Urteils herleitet und die er als Kausalität bezeichnet, müssen wir den synthetischen Begriff der „ F u n k t i o n " bezeichnen. Das bloß „Wenn — so" wird allerdings erst dann gegenständlich-sinnvoll, wenn es als Ordnungsmotiv auf die reine Mannigfaltigkeit der Folge beschränkt wird; aber die Restriktion auf die Folge braucht die Kategorie nicht sogleich als Kausalität an die Erfahrung zu binden, sondern es ist auch möglich, daß die Beschränkung und damit die Sinnerfüllung des Begriffs schon dadurch zustande kommt, daß er auf die Folge bezogen wird, die wir nach unseren Schematen der Quantität und Qualität allein für den Sinn der Zahl voraussetzen brauchen. (Die abstraktere Bedeutung der Zeitbegriffe gegenüber der konkreten Zeit kann erst ganz klarwerden, wenn wir im Fortgang der Arbeit die anderen Bedeutungen des Zeitmotivs an ihrem systematischen Ort und in ihrem Zusammenhang aufgewiesen haben. Eine erste Unterscheidung dieser Art versucht das folgende Kapitel; den systematischen Überblick dagegen erlaubt erst unser System der Einbeziehungen1). Sucht man auf diese Weise die Fruchtbarkeit des Schematismus dadurch ins Licht zu rücken, daß man auf die logische Bedeutung der Funktion der Einbildungskraft zurückgeht, die darin besteht, daß die Begriffe an einer reinen Mannigfaltigkeit erzeugt, d. h. sinnvoll definiert werden, so müssen auch 1
s. S. 77 ff. und Kapitel e.
— 54 — die übrigen Schemata in einer abstrakteren Weise gefaßt werden, als es bei K a n t geschieht. Auch für die Kategorien der Substanz, der Wechselwirkung usw. ist eine solche erste Sinngebung schon innerhalb der Mathematik möglich. Es ist dabei nur nötig, daß man auf die ganz deutungsfreie Formulierung dieser Motive zurückgeht, die die Urteilstafel gestattet. Das soll hier nicht im einzelnen ausgeführt werden. Nur die Verschiebung der ganzen Schicht des Schematismusproblems ins rein Logische sollte hervorgehoben werden. Die Differenz der bei Kant dominierenden Bedeutung der zweiten Sinngebung von der von unserer Nachkonstruktion betonten ersten Sinngebung ist deutlich durch den Abstand der Begriffe der K a u s a l i t ä t und der F u n k t i o n bezeichnet. Da aber beide Sinngebungsarten dadurch ausgezeichnet sind, daß die reale Definition des Begriffes in ihnen dadurch zustande kommt, daß diese auf den Sinn der Zeit restringiert wird, so behält unsere Rekonstruktion für diese Funktion den Kantischen Terminus des Schematismus bei. F a ß t man den Zeitbezug, der zur Definition auch der mathematischen Begriffe erforderlich ist, mit uns auf eine so abstrakte Weise, daß man in ihm lediglich den Ausdruck für eine Struktureigentümlichkeit der synthetischen Begriffe sieht, so kann man in den zwei , , § t ä m m e n " der Erkenntnis, die K a n t zunächst gesondert verfolgt, nicht mehr unmittelbare Bedingungen der auf Gegenständlichkeit gerichteten Wissenschaften anerkennen. Anschauungsform und Verstand sind vielmehr Rohprodukte der Kantischen systematischen Technik. Ihre Motive sind auf die verschiedenste Art ineinander gewirkt zu denken. Eine erste Verbindung der Motive sehen wir schon in der bloßen Realdefinition synthetischer Begriffe. Um die weiteren Komplikationen davon abheben zu können, halten wir innerhalb des Schematismuskapitels zunächst einmal die abstrakteste Art fest, in der die beiden Stämme vereinigt zu denken sind. Der Fortgang wird dann weitere Auswirkungsweisen dieser Motive darzustellen haben. Erst das S y s t e m dieser verschiedenen Funktionen darf dann als Bedingung der Möglichkeit der Wissenschaft bezeichnet werden.
— 55 — c) Zeitbegriff und
Zeitanschauung.
Der Nachweis der unmittelbaren Einheit des Zeitmotivs und des Spontaneitätsfaktors im synthetischen Begriff konnte n u r dadurch geführt werden, daß wir zunächst eine Bedeutung dieses Motivs außer acht ließen, nämlich dasjenige, was man (gewöhnlich) u n t e r der Z e i t a n s c h a u u n g im eigentlichen Sinne versteht. In den Zeitbegriffen war uns das reine Mannigfaltigkeitsmoment erhalten, das uns die Begriffsstruktur f ü r mögliche synthetische Urteile apriori erklärte und in seiner Unselbständigkeit als bloßes logisches Moment des Begriffs unsere Analyse vor der Gefahr des Abgleitens in das Psychologische hinreichend sicherte. Die Zeitbegriffe der Folge, Stetigkeit usw. sind nicht identisch mit der Weise, in der die Zeitanschauung sämtliche Momente der Zeit gegenwärtig h a t . Die Zeitanschauung intendiert diese Momente ihrerseits in unmittelbarer Einheit und vor allen Dingen selbst aus einer zeitlichen Situation, d. h. perspektivisch von einem Zeitpunkt aus. Trotzdem dürfen wir das Motiv der Zeitanschauung keineswegs ganz aus dem Gebiet der Erkenntnissystematik in die Psychologie verweisen. I m Ganzen dieser Systematik wird es eine eigene Aufgabe zu erfüllen haben, wenn wir es auch aus dem Schematismus, sofern wir darin eine Analyse der Definitionsbedingungen sehen, glauben fernhalten zu müssen. Gerade a n diesem P u n k t , an dem K a n t durch die Entwicklung der modernen Mathematik „historisch" zu werden scheint, erweist sich eine Revision und weitere Durchführung seiner Systematik als nötig. Mit der Abweisung der Anschauung als Bedingung der mathematischen Begriffsbildung und Begriffsverwendung scheint zugleich die Zeit als wesentlicher F a k t o r der Synthesis ermöglichenden wissenschaftlichen Begriffe widerlegt zu sein. Nur als Beispiele f ü r begriffliche Verhältnisse, die ihren Rechtsgrund lediglich in der Logik der Operationen mit willkürlich festgelegten Begriffsbestimmungen haben, können anschauliche Gestalten f ü r die Mathematik in Betracht kommen. Seit der Entdeckung der nichteuklidischen Geometrien gilt es f ü r erwiesen, daß die Kantischen Analysen durch das F a k t u m der Wissenschaften widerlegt sind; denn der anschauungsfreie, rein logische Charakter der
— 56 — Mathematik überträgt sich n a t u r g e m ä ß auf diejenigen Wissenschaften, deren Sinn und Resultate diese Mathematik zum adäquaten Ausdruck zu helfen v e r m a g : die mathematischen Naturwissenschaften. Da unsere bisherigen Erörterungen den konkreten Sinn der Anschauung ganz außer Betracht lassen konnten, so werden sie jedenfalls nicht mitbetroffen von dem Vorwurf wissenschaftsgeschichtlicher Rückständigkeit; und sofern sie rekonstruktiv Kantische Analysen referieren, scheint uns K a n t an diesen Punkten ganz außerhalb einer möglichen Angriffslinie von Seiten der fortschreitenden Spezialwissenschaften zu stehen. Nicht u m die B e g r ü n d u n g der Begriffe der Zahl, der Kausalität usw. handelt es sich in den Analysen des Schematismus, sondern u m die Untersuchung der S t r u k t u r dieser Begriffe. Deshalb finden sie in der modernen Axiomatik schon d a r u m kein Fortführung und keine Widerlegung, weil es sich hier gar nicht u m eine analoge Problematik handelt. Die Begriffsanalyse ist eine intern philosophische Angelegenheit, u n d die Kantischen Ergebnisse finden somit auch angesichts der neuen Wissenschaftslage nur in philosophisch orientierten Büchern wie etwa Cassirers „Substanzbegriff und Funktionsbegriff" 1 und Rickerts Abhandlung über ,,Das Eine, die Einheit und die Eins" 2 ihre homogene Aufnahme und legitime Weiterführung. Die Untersuchungen Cassirers weisen in der Begriffsbildung der modernen mathematischen Naturwissenschaft die eminente Bedeutung und fundierende K r a f t des Reihenbegriffs auf. Darin sehen wir eine Parallele zu den Resultaten des Schematismuskapitels bei K a n t . Gleichwohl scheint e6 an einigen Stellen, als solle die Zeit im Gegensatz zu K a n t eliminiert werden, u m den rein logischen Charakter der Reihenbegriffe hervorzuheben. „Selbst die Anschauung der reinen Z e i t , auf die K a n t den Zahlbegriff gründet, ist hier zunächst noch nicht erfordert. Wir denken uns die Glieder der Zahlenreihe allerdings als geordnete F o l g e ; aber dieser Begriff der Folge enthält nichts von der konkreten Bestimmheit der zeitlichen Sukzession in sich. Die Drei „folgt" auf die Zwei nicht, wie etwa auf den Blitz der Donner, da beide keine 1 2
E r n s t C a s s i r e r , Substanzbegriff und Funktionsbegriff. Berlin 1910. H e i n r i c h R i c k e r t , Das Eine, die Einheit und das Eins; jetzt Tübingen 1924.
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zeitliche Wirklichkeit, sondern lediglich idealen logischen Bestand besitzen. Der Sinn des Folgens beschränkt sich darauf, daß die Zwei als P r ä m i s s e in die Begriffsbestimmung der Drei eingeht; daß die Bedeutung des einen Begriffs erst erhellt, wenn die des anderen feststeht. Die niedere Zahl ist der höheren „vorausgesetzt": aber dies bezeichnet nicht das physische oder psychologische Früher und Später, sondern ein reines Verhältnis der begrifflich systematischen Abhängigkeit. Was die „spätere" Stelle kennzeichnet, ist der Umstand, daß sie auf komplexere Weise durch Anwendung der erzeugenden Relation aus der Grundeinheit hervorgeht und somit die Elemente, die ihr vorangehen, als logische Bestandteile und Phasen in sich aufnimmt. So setzt die Zeit — wenn man darunter die konkrete Form des „inneren Sinnes" versteht — zwar die Zahl, aber nicht umgekehrt die Zahl die Zeit voraus" 1 . Unsere Untersuchung verlangt ein näheres Eingehen auf diese Ausführungen. — Dem Interesse, den konkreten Sinn der einen Zeit, in der die Empfindungen sich ablösen, von dem logischen Motiv fernzuhalten, das wir mit Kant Zeitbegriff nannten, glauben wir schon durch unsere Disposition entgegenzukommen, die die Frage nach den begriffskonstituierenden Momenten im Schematismus als Orientierungslinie und Ausgangspunkt unserer Rekonstruktion setzt. Die konkrete Zeit ist auch für diese Rekonstruktion nicht als Bedingung der Möglichkeit der Synthesis ermöglichenden reinen Begriffe angenommen. Gleichwohl glauben wir, daß Kant mit Recht die reinen Mannigfaltigkeitsbedingungen, die schon für die Definition synthetischer Begriffe nötig sind, als Z e i t b e g r i f f e bezeichnet. Zweifellos dürfen für die Konstitution rein theoretischer Begriffe nur logische Momente in Betracht gezogen werden; aber darin unterscheidet sich eben die transzendentale Logik von der bloß formalen, daß sie an ihren Begriffen ein inhaltliches Interesse nimmt, daß sie nicht allein auf die formalen Verknüpfungsweisen achtet, die sie in Urteilen und Schlüssen eingehen können, sondern die logischen Motive aufspürt, die in ihnen leben. Man braucht nur ein Lehrbuch der formalen Logik mit der reinen Erkenntnis Hermann Cohens zu vergleichen, um die Bereicherung vor Augen 1
C a s s i r e r . S. u. F. S. 51f.
— 58 — zu haben, die die Logik in dieser Richtung gewonnen hat. Eine Frage der transzendentalen Logik ist es daher auch, die nach einem die ganze transzendentale Logik durchdringenden Motiv sucht, das als umfassendes Charakteristikum diese vom bloß formalen Interesse abhebt. Seit Kant wird die S y n t h e s i s als ein solches Motiv ausdrücklich hervorgehoben; aber eben nach deren Möglichkeit wird doch gefragt. Das ergänzende Korrelat dieses Begriffes finden wir bei Kant allerdings an exponierter Stelle der Darstellung, wenn auch nicht als Resultat unterstrichen, im Schema und zwar in den reinen Mannigfaltigkeitsbedingungen, die die Zeitbegriffe bereit stellen. E s fragt sich nun noch, ob dieses weitere Moment, auch wenn sein Sinn für berechtigt erkannt wird, mit gleichem Recht die Verwandtschaft zur Zeit behaupten kann, die sein Name ausdrückt, wenn zugestanden werden muß, daß die konkrete Zeit jedenfalls außer Betracht bleiben muß. Zwischen den Gliedern der Grundreihe der natürlichen Zahlen liegt zweifellos ein logisches Rangverhältnis vor. Die Zahlen folgen sich „nicht im Sinne des Nacheinander von Ereignissen" 1 . E s handelt sich in ihrer Ordnung um ein Verhältnis, das dadurch bedingt ist, daß die Definition der späteren Zahl diejenige der früheren voraussetzt und ihre Momente in sich schließt. Aber damit ist das Phänomen doch noch nicht ganz umschrieben. An der Fundierung dieses Verhältnisses hat außer dem Moment der O r d n u n g der Sinn des Folgens überhaupt entscheidenden Anteil. E s lassen sich sehr wohl logische Rangverhältnisse denken, die in ihrer Ordnung ganz ohne den Sinn des Nacheinander gesetzt sind. Die Grundreihe der natürlichen Zahlen ist es nicht im gleichen Sinne. — Das Ordnungsverhältnis etwa, das zwischen den Prämissen und der Conclusio eines Schlusses besteht, stellt eine in dieser Hinsicht viel anspruchslosere Beziehung dar. Daß wir beim Schließen vom Begründenden zum Begründeten fortgehen, bringt nicht die Zeit und nichts von ihrem Wesen in den sachlichen Gehalt eines Schlusses hinein. Aber nicht allein um ein solches Verhältnis von Grund und Begründetem handelt es sich in der Zahlfolge. Als logische Bedingung sind z. B. die Irreversibilität und Stetigkeit Voraussetzungen bestimmter Zahlfolgen; sie sind somit auch 1
C a s s i r e r , S . u. F. S. 86.
— 59 — logisch früher als jedes Glied dieser Folgen. Trotzdem ist es nicht möglich, mit ihnen etwa die Zählung zu beginnen. Wir meinen also mit der Zahlfolge eine Bedingungsfolge besonderer Art. Damit auf die Eins die Zwei folgen kann, ist außer dem Aufbehalten des Ausgangspunktes eben der spezifische Sinn des Folgens vorausgesetzt, den wir nicht anders denn als die Bedingung des N a c h e i n a n d e r bezeichnen können. Und zwar ist im Gegensatz zu rein logischen Folgeverhältnissen, wie sie etwa zwischen spezielleren und allgemeineren Sätzen bestehen, hier das Nacheinander nicht lediglich als Umschreibung eines logischen Wert- und Rangverhältnisses gemeint, noch auch als psychologische Aneignungsbedingung des Begründenden vor dem zu Begründenden. D i e E i n s i s t n i c h t d e r G r u n d d e r Z w e i . Ebenso f o l g t die Zwei auch nicht a u s der Eins, sondern a u f die Eins. Das Folgen besagt in beiden Fällen etwas Grundverschiedenes. Eine besondere Zahl folgt a u s dem allgemeinen Gesetz der Zahlreihe, aber a u f ihren Vorgänger. Im Sinne der transzendentalen Logik ist dabei die A u f e i n a n d e r f o l g e zweifellos von größerer Ursprungskraft. Man denke dafür nur an die eminente Stellung, die Cohen dem Urteil der Mehrheit in seiner Logik einräumen muß. Aber eben damit kommt genau dasjenige, was bei Kant als Zeitbegriff bezeichnet wird, zur dominierenden Fortwirkung 1 . So bliebe denn nur noch die Frage über den Namen des Motivs offen. Wenn wir als Zeit im eigentlichen Sinn jene eine wirkliche Ablaufsform der realen Geschehnisse meinen, so scheint der abstrakte Sinn des Nacheinander, den die Zahlreihe verlangt, nicht mehr auf das gleiche Wort Anspruch erheben zu dürfen. In keinem Fall ist es aber erlaubt, den gordischen Knoten, der einer phänomenologischen Deskription zur Aufgabe wird, einfach durchzuhauen, indem man die Frage für eine Definitionsangelegenheit erklärt und frei über ein Wort verfügt, das einem anderen, in den Kreis der Untersuchung hineinwirkenden Motiv verhaftet ist. So wird es kaum angängig sein, mit Hamilton die Algebra als „Science of pure time or order in progression" zu definieren; denn die Zeit selbst kommt in dieser Wissenschaft nicht vor, und man kann nicht 1
Siehe dafür jetzt Benzion Kellermann: Das Ideal im System der Kantischen Philosophie. Berlin 1920, besonders das II. Kapitel: Der Schematismus und die logische Übervalenz der Zeit.
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aus diesem konkreten Begriff „alle inhaltlichen Sonderbestimmungen entfernen und lediglich das Moment der „Ordnung im F o r t s c h r i t t " festhalten", ohne damit auf einen abstrakteren Tatbestand zu kommen. Dennoch glauben wir auch nicht, mitCassirer das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Zeit und Zahl einfach umkehren zu dürfen (S. u. F. S. 52); denn wiederum m u ß bei einer Trennung der konkreten Zeit von der Zahlreihe diese Abstraktion auch auf der Seite der Zeit konsequent durchgeführt werden. Man k o m m t erst dann auf die wirklich konkrete Zeit, wenn man mit Bergson jede verstandesmäßige Setzung aus dem Fluß der „ d u r é e r e e l l e " ausschaltet. Für die durée réelle aber ist nicht die Zahl selbst Voraussetzung. Gleichwohl fallen auch f ü r uns Zahl u n d Zeit nicht völlig auseinander, denn in den Begriffen des Nacheinander, der Stetigkeit usw. sehen wir die Bedingungen sowohl f ü r die durée réelle als auch f ü r das Zahlenreich ; dieses entspringt aus den Zeitbegriffen durch Einbildung der spontanen Einheitsfaktoren der Synthesis, jene ist die materiale Ganzheit der wirklichen Zeit, aus der die Zeitbegriffe n u r essentialiter einige Momente isolieren. D a ß diese Bestimmungen nicht ohne Berechtigung als Zeitbegriffe bezeichnet werden, erhellt daraus, d a ß die Begriffe der Aufeinanderfolge, der Stetigkeit der Irreversibilität dann noch als Momente der Zeit übrigbleiben, wenn man, u m die durée réelle in ihrer Lebendigkeit zu erhalten, jedes atomisierende Denken und also auch die ganze Mathematik mit ihren festen und einschneidenden Bestimmungen fernhält. Wenn wir nun, um die Aufspaltung der Erkenntnismomente der Zeit terminologisch zu belegen, den Z e i t b e g r i f f e n die Z e i t a n s c h a u u n g als Erkenntnismotiv der durée réelle gegenüberstellen, so müssen wir damit der Terminologie widersprechen, die K a n t verwendet und die auch unsere Darstellung der Motive der transzendentalen Ästhetik aufnehmen mußte. Dort bezeichnete Anschauung einen Gegensatz zum analytischen Begriff, weil sie nicht wie dieser das Besondere unter sich begreift, sondern weil hier jedes Einzelne das Ganze zu repräsentieren vermag. „Die Vorstellung, die nur durch einen einzigen Gegenstand gegeben werden k a n n , ist aber Anschauung". Eben dieser Vorzug ist nun aber durch die Einbildung des Begriffs in die Zeitbedingungen im Schematismus auf den Begriff übertragen und h a t diesen zum
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Begriff möglicher synthetischer Urteile apriori erhoben. Dieser echte transzendentale Begriff konstituiert sich in der genetischen Definition. I m Reihenbegriff erweist diese Bedeutung ihre wissenschaftliche Fruchtbarkeit. Es ist eine Verkennung der f u n d a mentalsten begriffsanalytischen Ergebnisse, wenn Schlick 1 gegen Cassirer glaubt einwenden zu können, in der modernen mathematischen Naturwissenschaft wiederhole sich in der „ F o r m e l " das alte formallogische Verhältnis des Oberbegriffs zu den u n t e r ihn befaßten Elementen. Das eben ist der entscheidende Vorzug der Formel, daß sie nicht n u r durch Abstraktion von der Besonderheit der durch sie beschriebenen Fälle zustande k o m m t und dabei wie der bloße Abstraktionsbegriff eine leere Allgemeinheit darstellt, sondern daß sie die unter sie fallenden Spezialfälle ebenso methodisch eindeutig beherrscht wie andererseits die besonderen Fälle schon so gefaßt sind, daß in ihnen die Tendenz auf das allgemeine Gesetz schon implizite gesetzt ist. Diese methodische K r a f t gibt den modernen Begriffen der mathematischen Naturwissenschaft ihre Verankerung in der genetischen Definition, die ihrerseits durch die Beschränkung auf die Struktur der Reihenbegriffe ermöglicht wird, in denen sich das Motiv der Zeitbedingungen auswirkt. Die transzendentale Ästhetik spürt dieses Motiv in der Anschauung auf und belegte es mit deren Namen. Nun, wo uns seine Fortwirkung auch im transzendentalen Begriff durch den Schematismus einsishtig geworden ist, können wir dieses Motiv nicht mehr mit dem Terminus der Anschauimg decken, zumal wir auch über den Begriff der Anschauung gemäß seiner engeren Bedeutung systematisch verfügen müssen. Nennen wir Zeitbegriffe die gedanklich isolierten Momente, die im Schematismus den Sinn der Mannigfaltigkeit an den reinen Begriff ausliefern, so ist uns Zeitanschauung jenes Erkenntnismotiv, das sich zur empirischen Mannigfaltigkeit der faktischen Sinnesdaten wendet. Sie richtet den Blick auf diese Mannigfaltigkeit, indem sie sie u m einen bestimmten Zeitpunkt orientiert. Hier ist auch der Ort, wo die Zeit in völliger Gleichberechtigung den R a u m neben sich h a t , während 1
M o r i t z S c h l i c k , Allgemeine Erkenntnislehre, S. 23 ff. Es ist im übrigens zur Kritik Schlicks zu bemerken, daß das Symbol f (x, y) = 0 selbst keine Formel ist, sondern deren S c h e m a .
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sie im Schematismus eine Sonderstellung einnahm. Wie weit das gerechtfertigt ist, kann hier unentschieden bleiben, die Anschauung ist jedenfalls stets zugleich raum-zeitlich. Wir werden im folgenden sehen, welche bedeutsame Rolle dem Motiv der Anschauung im Ganzen der Erkenntnissystematik zukommt; in der Fundierung des Begriffs ist sie nicht nur zu entbehren, sondern entschieden abzuweisen, da mit der Bindung an sie dem Denken seine Ursprungskraft verloren ginge. In diesem Sinne glauben wir auch der Tendenz gerecht zu werden, die sich darin ausspricht, daß Cassirer einerseits den Nachweis der logischen Praevalenz der Reihenbegriffe in der modernen Mathematik und mathematischen Naturwissenschaft führt und andererseits die Zeitanschauung als Konstituens für deren Begriffe ablehnt. Ebenso glauben wir, durch unsere Unterscheidung von Zeitbegriff und Zeitanschauung unsere systematische Gesamteinstellung mit derjenigen der Logik Cohens ausgeglichen, die trotz der entscheidenden Rolle, die sie dem Zeitmotiv im Urteil der Mehrheit zugesteht, doch immer wieder darin über Kant hinausgehen will, daß sie eine besondere Form der Anschauung neben dem Denken nicht in ihrem Bereich duldet 1 . Natorps Bedenken2, ob die von Kant ausgehende Philosophie mit dem Dualismus von Anschauung und Denken nicht „vielleicht schon etwas zu entschlossen" gebrochen hat, erscheint uns trotzdem berechtigt, wenn man über den engeren Rahmen einer Logik der rein theoretischen Grundlagen der Erkenntnis auf das Ganze der Erfahrungslehre blickt. Wenn auch die Theorie in der Konstitution ihrer für die Erfahrung zugrunde zu legenden Setzungen sorgsam jedes denkfremde Moment ausschalten muß, wenn hier der Satz gilt, daß das Denken das Sein aus sich zu erzeugen hat, so kommen mit dem Bezug auf die Erfahrung doch notwendig Momente in den sorgfältig präparierten Bereich, den die Theorie bereitstellt, die sich gegenüber den bis dahin festgelegten Grundsetzungen dann als so inhomogen erweisen, daß die Erfahrung nur als ein Hereinbrechen der Empfindung in die stillen Räume der Theorie aufgefaßt werden kann, wenn die Erkenntniskritik nicht Wege gebahnt hat, die es gestatten, 1 2
Hermann Cohen, Logik der reinen Erkenntnis, S. 12, 126, 150f. 192 u. s. P a u l N a t o r p , Die logischen Grundlagen der exakten Wissenschaften, S. 2, 92.
— 63 — daß die reinen Denksetzungen der Mannigfaltigkeit des faktisch G«gebenen zugrunde gelegt und die Ergebnisse der Beobachtung den Gerüsten der Theorie eingezeichnet zu werden vermögen. Eine solche Brücke zur methodischen Fundierung auch der Erfahrung sehen wir in dem Erkenntnismotiv, das Kant als Anschauung bezeichnet und das wir im folgenden von dem Motiv der Zeitbegriffe abgehoben wissen wollen. Die Stelle im systematischen Aufbau, die wir bislang erreicht haben, entspricht den Begriffsanalysen des Schematismuskapitels bei Kant.Von hier aus ist zunächst jedoch nur verständlich, wcche Struktur die Begriffe haben müssen, um das synthetische Gewebe bilden zu können, das das Reich der reinen Theorie darstellt. Die mit den Zeitbedingungen gesättigten Reihenbegriffe gestatten es, die durch Formeln ersetzbaren Begriffe als ein Kontinuum aufzufassen, so daß das Netzwerk der faktisch ausgezeichneten Stellenwerte je nach Bedarf weiter ausgesponnen und enger gezogen zu werden vermag. Mag der Bedarf solcher Begriffsbildung auch durch die Erfahrung bedingt sein, im Vollzug ihrer Artikulation folgt die Theorie lediglich ihren eigenen Gesetzen, ohne sich um Anleihen aus der Anschauung und der Erfahrung bemühen zu müssen. Nehmen wir unsern Ausgang vom Bereich der „Logik im weiteren Sinn", wie Rickert 1 den vom „homogenen Medium" beherrschten Umkreis einmal bezeichnet und der im wesentlichen mit unserem Gebiet der reinen Theorie zur Deckung zu bringen ist, so erweisen sich Anschauung und Erfahrung als t r a n s z e n d e n t e M o t i v e . Sie weisen hinaus über den methodischen Innenbereich der reinen Theorie, müssen deshalb noch in ihrem Zusammenhang mit dem theoretischen Zentrum verstanden werden. Wir werden im folgenden aufzuweisen haben, welche methodischen Schritte bei Kant explizit oder implizit geleistet sind, um diese über die Grenzen der bloßen Theorie hinausweisenden Motive in einem weiteren Rahmen systematisch einzubeziehen. Der umfassendere Sinn der Erkenntnissystematik wird insbesondere die Bedeutung der Anschauimg als eine eigene Funktion zu erweisen haben und in den Grundsätzen die Fruchtbarkeit des Erscheinungsbegriffs neu zu beleuchten haben. Erst von dort aus können wir das Ganze der 1
H. R i c k e r t , Das Eine, die Einheit und die Eins, S. 4, 58ff.
— 64 — Kantischen Erfahrungslehre überblicken, und den weiteren Schritt, der in der Auswirkung der Erkenntnismomente der Urteilskraft und der regulativen Idee geleistet ist, werden wir erst von diesem P u n k t aus würdigen können.
d) Der Bezug auf das Aposteriori und der Sinn der transzendentalen Deduktion. Unsere bisherige Interpretation des Schematismuskapitels sollte in bewußter Einseitigkeit zunächst die Leistung der Schematisierung der Spontaneitätsfaktoren f ü r die Konstitution möglicher synthetischer Urteile apriori herausheben. Auf diese eminente Funktion h a t die bisherige Kantinterpretation ebenso wie die Fortbildung des kritischen Idealismus zu wenig Gewicht gelegt. Allerdings ist dieses Motiv schon im System K a n t s keineswegs zur Auswirkung gekommen. Da bei der Darstellung des Schemas zugleich auf die Funktion der Subsumtion Bezug genommen wird, so spielt fortwährend das andere Motiv der Anschauung hinein, das die Mannigfaltigkeitsformen von R a u m und Zeit auf die gegebenen Sinnesdaten richtet. Beide Problemkreise gilt es zunächst auseinander zu lösen; erst dann können wir ihr notwendiges Ineinandergreifen verstehen. In den Schematen sahen wir die real definierten rein begrifflichen Motive, die innerhalb der bloßen Theorie exakte Formulierungen möglicher Gesetze konstituieren. Über die Vollständigkeit der Schematafel braucht dabei nichts ausgemacht zu werden. F ü r den systematischen Zusammenhang bedarf es hier n u r der Korrektur am Relationsschema. Innerhalb der bloß theoretischen Sphäre hat der Begriff der Kausalität noch nicht den eindeutigen Sinn der Realnaturkausalität. Setzt man deshalb f ü r das Schema der Kausalität dasjenige der Funktion, so weicht m a n einer Komplikation aus, die sich mit der Verwendung dieses Motivs im Grundsatz ergibt. F a ß t man die Schemata in dieser abstrakten Weise, so wird aus ihrer Verwebung prinzipiell die Mannigfaltigkeit und die strenge Durchstrukturierung bloß theoretischerFormulierungen ermöglicht. Sie können ohne faktische Gegenwart der Sinnesdaten gehandhabt und in sich determiniert werden, liefern damit eine strenge Notwendigkeit, die gleichwohl nicht lediglich
— 65 — in Identitäten befangen bleibt, und stellen so den gedanklichen Apparat für die Erfahrungswissenschaft bereit. Die Erfahrungs Wissenschaft selbst erfordert jedoch darüber hinaus das Moment der Empfindung. Nur in der Empfindung ist die Realität des Naturgegenstandes repräsentiert. Mit welcher Berechtigung werden nun aber diese gedanklichen Konstruktionen auf die Sinnesgegebenheiten angewendet ? Der Sinn der Vermittlung, den wir zwischen den leeren Verstandesformen und den reinen Mannigfaltigkeitsbedingungen herauszustellen suchten, reicht zu diesem Zweck nicht zu. Eine ganz andere Bedeutung der Vermittlung dagegen ist es, die das Schema erst kraft dieser ersten unmittelbaren Einheit für die Erfahrung leisten soll. Bestand jene erste Leistung in einer unmittelbaren Vereinigung zweier reiner Motive, so hat es nun außerdem die Aufgabe der Vermittlung zwischen dem Reinen und dem Gegebenen selbst. Diese zweite Aufgabe sehen wir nun ausdrücklich durch die Grundsätze erfüllt und nehmen diese deshalb im folgenden auch dafür terminologisch in Anspruch. Es ist jedoch zunächst klar zu stellen, auf welche Weisen der kritische Idealismus diese grundsätzliche Oberherrschaft des Verstandes über die gegebene Sinnesempfindung ermöglicht. — Die Welt der Empfindung scheint sich einer exakten Bestimmung prinzipiell zu entziehen; denn der Sinnlichkeit sind niemals identische Elemente gegeben. In chaotischem Wechsel lösen sich in der Wahrnehmung die einzelnen Daten ab, und es ist nicht einzusehen, wie sich aus diesem radikalen Fluß jemals ein gleichbleibender Bestand soll herausheben lassen. Aus solchem Bedenken erwächst Humes Skeptizismus. Kant überwindet diese Aporie, indem er die Skepsis weiterführt und dabei gegen eine verborgene Dogmatik des Sensualismus wendet1. Dem konsequenten Sensualisten ist die Mannigfaltigkeit der wechselnden Empfindungen das allein Gewisse; die Voraussetzung des Gesetzeszusammenhanges muß ihm als Erschleichung gelten. Dabei wird übersehen, daß ebenso wie für die so energisch bekämpften Begriffe (etwa der Substanz und der Kausalität) doch auch für den Sinn der Ausbreitung und des Wechsels eben der 1
Siehe Werke XI, S. 197ff., III, S. 613f, 175ff., l l l f . 5
Kölln
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allein geduldeten sinnlichen Elemente selbst ein besonderes entsprechendes Korrelat in den E m p f i n d u n g e n fehlt. Dennoch ist das Nacheinandersein wie das Auseinandersein die Bedingung der Möglichkeit für die Gegebenheit dieser E m p f i n d u n g e n . Sollen die Sinnesdaten nicht selbst für unmöglich erklärt werden, so m u ß für eine neue A r t des Seins die Möglichkeit zugestanden werden (das „ w e d e r ein Ding noch ein U n d i n g " ist). A u f diese Weise gelingt K a n t Nachweis und Sicherung eines reinen Moments in der Mannigfaltigkeit des in der E m p f i n d u n g Gegebenen. Wiederum ist es auch hier die Zeit, die den Übergang der beiden zunächst getrennten Gebiete ermöglicht. A b e r der Sinn der Vermittlung ist j e t z t ein anderer. Nicht die ursprüngliche Einheit zweier formaler Momente wird nachgewiesen, sondern es wird gezeigt, d a ß das Materiale der E m p f i n d u n g e n niemals auch nur a l s Mannigfaltigkeit ohne die formalen Bedingungen der reinen A n s c h a u u n g s f o r m e n gedacht werden k a n n , weil alleEmpfindungen wenigstens in zeitlicher Sukzession gegeben sein müssen. Somit fällt der Zeit die Vermittlungsrolle auch zwischen dem Apriori und dem Aposteriori zu. Mit dem Apriori h a t sie das formale Moment gemein, mit dem Aposteriori dagegen den Sinn der Mannigfaltigkeit und Gegebenheit. Diese Bedeutung der Vermittlung würde jedoch allein noch nicht zum Ziele führen; denn bisher scheinen wir lediglich eine A r t Mittelbegriff gewonnen zu haben, die allein in formalen Schlüssen z u m Z w e c k e der Subsumtion des Unterbegriffs unter den Oberbegriff dienlich sein kann, W a s kann aber die Einsicht, d a ß die Zeit-Anschauung ein Mittleres zwischen dem bloß sinnlich Gegebenen und den reinen Denkbestimmungen sei, für die Lösung der Frage der Anwendbarkeit dieser Denkformen auf das Aposteriori leisten ? Ist es ein bloßer Analogieschluß, der, n a c h d e m das Zugeständnis eines Formalen i m Materialen dem Sensualisten abgerungen ist, nun auch eine gleiche Anwendungsbefugnis für die Verstandesformen glaubt beanspruchen zu dürfen ? Das wäre zweifellos ein übereilter Schluß und deshalb in dieser F o r m Dogma gegen D o g m a ; der Rationalismus würde hier lediglich einen schwachen Punkt in der Verteidigungslinie des Sensualismus mit seinen eigenen ebensowenig gesicherten Ansprüchen besetzen. Die K r i t i k dagegen befindet sich auch in diesem Fall auf neutralem
— 67 — Boden. Sie wäre aber nur ein Skeptizismus höherer Stufe, wollte sie in dieser Streitfrage in der eizoyy] verharren, vielmehr benutzt sie die dem Sensualismus abgerungene Stellung dazu, um von hier aus zunächst die dogmatischen Vorurteile sowohl des Sensualismus als auch des Rationalismus abzuweisen. In der Empfindung sind jedenfalls niemals Dinge gegeben, sondern immer nur Zustände. Ihr Zeugnis allein kann deshalb immer nur zu Wahrnehmungs- niemals zu Erfahrungsurteilen berechtigen. Zur positiven Behauptung einer Gegenständlichkeit hat der Sensualismus aus eigener Machtvollkommenheit somit niemals die Berechtigimg; auch die Eingebettetheit aller Empfindung im Formalen der Anschauung reicht dafür nicht hin. Soll auf dem Boden der Sinnlichkeit Gegenständlichkeit begründet werden, so ist die Stütze der Ratio wenigstens B e d ü r f n i s . Ebenso aber ist die Ratio als bloßes Begriffsvermögen auch nicht imstande, unmittelbar auf Gegenstände zu gehen. Versucht der Rationalismus diese Generalisation dennoch, so führt er auf methodologisch unfruchtbare Dingbegriffe. Hier braucht der Kritizismus nur auf jene Verhältnisse zurückzugreifen, die die Analyse der Struktur möglicher synthetischer Begriffe herausstellte, und die wir im vorigen Kapitel als die bedeutendste Leistung des Schematismus aufzuweisen und schärfer zu konturieren suchten: die Verstandesbegriffe erfahren ihre sinnvolle Definition allein in bezug auf die reinen Mannigfaltigkeitsbedingungen. Nur in dieser Modifikation, nur als reine Zeitbegriffe können somit die Verstandesbegriffe selbst sinnvoll gedacht werden. Von hier aus ist nun die Möglichkeit der Beziehung des gegebenen Mannigfaltigen auf die Einheitsformen des Verstandes ohne Schwierigkeiten zu verstehen; denn hier schließt sich der Kreis jener zunächst disparat aufgegriffenen Gegensätze. Das aposteriori Gegebene (datum) bedarf, um nur ein dabile zu sein, schon der formalen Bedingung der Zeit 1 ; ebenso zeigte es sich, daß schon die Verstandesformen (cogitatum) sich einer Restriktion auf die reinen Mannigfaltigkeitsbedingungen der Zeit unterwerfen müssen, um sinnvoll zu sein (cogitabile). In beiden Fällen ist es also die Zeit, die die „festen Gegensätze" des bloß Gedachten und des bloß Gegebenen aus ihrer abstrakten Isolierung 1
So wird der Gegenstand der Erscheinung zum „formale a priori dabile". R. I I I , S. 470 Zeile 27.
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befreit. Sie ist in dieser Funktion als das die metaphysischen Verhärtungen lösende Element zu begreifen, das in dieser die festen Gegensätze zersetzenden Arbeit zugleich im positiven Sinne homogenisierend wirkt. Denn zwischen den schematisierten Begriffen und dem realen Ablauf der Zeit besteht keine unüberwindliche Kluft mehr. Die Zeit selbst ist ein nahtlos Ganzes, das dadurch nicht in zwei Hälften zerfällt, daß sich in ihm in momentaner Isolierung nacheinander einmal das essentielle Moment (in den Zeitbegriffen) und dann das Moment der Existenz (als reale Dauer) vom korrelativen Moment getrennt intendieren läßt. Damit ist der Dogmatismus nach zwei Seiten hin zurückgewiesen und der Raum für ein mittleres Gebiet abgegrenzt. Nicht die Empfindungen sind die letzten Objektivitätsgaranten; denn die Generalisation ihres an sich berechtigten Anspruchs führt gerade zum Gegensatz aller Objektivität, zum Chaos blind durcheinander wirbelnder Sinneseindrücke. Noch auch ist der Ausgang zu nehmen von fertigen Verstandesbegriffen, in deren formallogischer Verknüpfung die Realität metaphysischer Wesen garantiert werden könnte; denn die reinen Verstandesbegriffe sind nur Spontaneitätsformen, d. h. Verstandesbegriffe, sofern sie ohne Bezug auf die reine Sinnlichkeit gedacht werden, repräsentieren lediglich leere Formen des Verstandes, die ebenso wie die reinen Anschauungsformen ohne jeden Inhalt bleiben müssen, solange sie als entia per se genommen werden. Erst in Verbindung mit diesen können sie als das aktiv skandierende und formierende Moment des Seins fruchtbar werden: forma dat esse rei. Von der Seite der Ratio kann deshalb ebensowenig ein fremdes, fertiges Sein vor aller methodischen Bestimmung gegeben werden. Nur als ein dieser methodischen Bestimmung selbst immanentes Motiv kann der Verstand die Festigkeit gegenständlicher Sicherung gewinnen. Als Gegenständlichkeiten bestimmt er die im Fluße der Erscheinung selbst nicht mit zerfließenden, bleibenden Verhältnisse. Nur in den Gesetzlichkeiten der Vorgänge bestimmt der Verstand sein Gegenständlichkeiten. Für den Ansatz der immanenten Gegenstandsbestimmung hat somit der Gegenstand keineswegs die Bedeutung jenes jenseitigen Fixpunktes, der der Erfahrung entgegensteht, sondern ihm ersteht die Gegenständlichkeit erst als Kristallisationsprodukt objektivierender Methodologie.
— 69 — Auf welche Weise der Verstand innerhalb des Flusses der Sinnes d a t e n z u m Zwecke dieser B e s t i m m u n g selbst F u ß zu fassen v e r m a g , wird u n s erst die Analyse der Grundsätze erklären. N i m m t ein rationalistischer D o g m a t i s m u s dennoch von gegeb e n e n G e d a n k e n d i n g e n seinen Ausgang, so k a n n er es n u r , weil er sie als f e r t i g e P r o d u k t e der Methode der Objektivierung entn o m m e n h a t . Auf diese Weise erweist sich der dogmatische R a t i o n a l i s m u s ebenso wie der dogmatische Sensualismus als Isolation, A b s o l u t s e t z u n g u n d Hypostase eines im Erkenntnisprozeß selbst u n s e l b s t ä n d i g e n Motivs. Die Schrankenbegriffe, die die dogmatischen B e h a u p t u n g e n sowohl des Sensualismus als auch des R a t i o nalismus der i m m a n e n t e n Methodologie der Erkenntnis e r r i c h t e n , sind somit aus i h r e m eigenen Ursprung zu korrigieren. I n dieser K o r r e k t u r , die i h r e n S t a n d o r t i m i m m a n e n t e n Bereich der wissenschaftlichen M e t h o d e inne h a t , erweist sich erst die eigentliche F r u c h t b a r k e i t der Skepsis. W ä h r e n d der Skeptizismus, sowohl auf d e m B o d e n des Rationalismus (Zenon) als auch auf d e m des Sensualismus ( H u m e ) eben durch die unbemerkt dogmatische P a r t e i n a h m e f ü r ein isoliertes Moment — die bloß d u r c h den G e d a n k e n g a r a n t i e r t e E i n h e i t oder das bloß in der E m p f i n d u n g gegebene Wirkliche — wiederum z u m Dogmatismus wird, ist i m Kritizismus n i c h t n u r inhaltlich das Moment des Sensualismus mit d e m des R a t i o n a l i s m u s a u f b e h a l t e n u n d ausgeglichen, s o n d e r n a u c h als philosophische H a l t u n g gegenüber dem Dogmatismus u n d d e m Skeptizismus eine n e u e Stellung gewonnen. I n d e m der Kritizismus die Motive des Sensualismus u n d des Rationalismus als M o m e n t e der E r k e n n t n i s a u f d e c k t , h a t er damit eine Problemsituation geschaffen, von der aus es unmöglich ist, eine S t a n d p u n k t l i e h e " Philosophie, zu errichten, die aus beliebigen K o m b i n a t i o n e n von R a t i o n a l i s m u s , Sensualismus, Skeptizismus und D o g m a t i s m u s ihr gedankliches R ü s t z e u g n i m m t . Denn nunmehr k a n n es n u r noch die A u f g a b e der Philosophie sein, über der E i n h e i t d e r Momente der E r k e n n t n i s zu wachen, keineswegs aber f ü r o d e r gegen eines dieser M o m e n t e selbst P a r t e i zu nehmen. W o sich in der philosophischen Diskussion eine solche P a r t e i n a h m e f ü r ein einzelnes Motiv z u u n g u n s t e n der Einheit aller geltend m a c h t , h a t die K r i t i k Schrankenbegriffe der Erkenntnis aufzuweisen. I n den beiden B e d e u t u n g e n des Ding-an-sich-Begriffs, die wir ein-
— 70 — gangs herauszustellen suchten.1, sehen wir derartige Markierungen, die im kritischen Interesse zur Wahrung der methodischen Immanenz unternommen sind. Beide fungieren lediglich als negative Setzungen zur Abwehr dogmatischer Motive. Die erste Bedeutung des zum Zwecke der Begrenzung der Erkenntnis aufgestellten Gegenbegriffs richtet sich gegen die dogmatischen Ansprüche, die das Ding vom naiven Sensualismus her stellt. Hier bietet sich das Ding als ein in der Empfindung fertig vorliegendes Faktum der Erkenntnis an, der somit nur eine aufnehmende, nachzeichnende Rolle zufällt. An diesem Ort der Überlegung bedeutet die Einführimg des Dinges an sich für den kritischen Idealismus nichts als die erstarrte platonische Geste des „die Dinge aber lassen wir". Die Abkehr von diesen Dingen an sich und die Hinwendimg zum immanenten, d. i. methodisch beherrschbaren Reich der Bedingungen, wird dem kritischen Idealismus nun noch erleichtert durch die Einsicht, die sich aus der Radikalisierung des Sensualismus selbst ergibt: in den Sinnendingen selbst ist nichts Festes, das der Skepsis sensualistischen Ursprungs standzuhalten vermöchte. Die andere Wurzel des Ding-an-sich-Begriffs macht sich in der Begriffsverwendung geltend, mit der die rationale Metaphysik ihre Gegenstände zu erweisen sucht, indem sie ohne jeden Bezug auf Erfahrung und die Bedingungen ihrer Möglichkeit ihre Gebäude errichtet und damit etwas über die Wirklichkeit glaubt ausmachen zu können. Auch dieser Schrankenbegriff wird im Geiste des kritischen Idealismus aufgelöst, d. h. in einer Analyse der zur Möglichkeit gegenständlicher Erkenntnis notwendigen Bedingungen oder Momente. Die Uberwindung dieses Schrankenbegriffs, der von K a n t zumeist als Noumenon bezeichnet wird, gelingt K a n t in dem Nachweis des Mangels der Bedingung der Möglichkeit der Synthesis, wie dem Ding-an-sich-Begriff der ersten Art des Moment des Apriori notwendig fehlen mußte. Das Noumenon dagegen erweist sich als leere Bestimmungsform des Verstandes, die entweder ohne Gegenstand bleiben — etwa als formale Weise der Urteilsverknüpfung in der Logik 2 — oder aber als Kategorie in die Mannig1 2
s. oben S. 9 ff. d. h. in der „bloß auf den Gebrauch des Urteils untereinander eingeschränkten Logik". W. W. Bd. III, S. 93.
— 71 — faltigkeitsbedingungen eingebildet werden m u ß ; d . h . n u r durch den Bezug auf die reine Zeitform wird die Kategorie zum Begriffe 1 . Das immanente Gebiet, das der Kritizismus der Erkenntnis zu sichern t r a c h t e t , h a t er auf diese Weise gegenüber dem Dogmatismus mit zwei negativen Begriffen abgesteckt. Gegen den Skeptizismus dagegen wendet er den positiven Nachweis seiner Zeitanalysen. Auch hier trifft die Kritik ebenso den rationalistischen wie den sensualistischen Skeptizismus. Wie K a n t in der Skepsis Humes der Zersetzung in die Atome der E m p f i n d u n g durch den Nachweis des im Wechsel selbst enthaltenen Zeitmoments als eines formalen Motivs Einhalt gebot, so suchten wir in unserer Analyse des Zenonischen Beweises ein Beispiel zu geben, auf welche Weise sich der Kritizismus eines Skeptizismus zu erwehren vermag, der aus dem Geiste des Rationalismus erwächst. Damit h a t der Kritizismus sich hinlänglich den R a u m geschaffen, indem er die transzendentale Deduktion ansetzen kann, ohne von dogmatischen und skeptischen Philosophemen einen Angriff fürchten zu müssen. Die transzendentale Deduktion soll „die Erklärung der A r t " sein, „wie sich Begriffe apriori auf Gegenstände beziehen können" 2 . Die polemischen Argumente, die der Kritizismus gegenüber den dogmatischen Hindernissen einer solchen Anwendung vorbringt, sind lediglich als negative Bedingungen des Bezuges von Apriori auf Aposteriori zu verstehen. Die transzendentale Deduktion h a t nicht lediglich den Sinn einer Analyse von Tatbeständen, sondern bringt ein teleologisches Moment in die Begründung hinein. Die verschiedenen Motive, die als Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung und ihres Gegenstandes notwendig sind, spricht die transzendentale Deduktion als Postúlate aus. Sie fordert damit jedoch keineswegs willkürlich die Verwirklichung eines unmöglichen Ideals, sondern geht von einem weiteren F a k t u m aus. Die Wissenschaft, für deren Möglichkeit der Bezug von Apriori und Aposteriori erforderlich ist, liegt als F a k t u m vor. Man k ö r n t e deshalb hier das bei Goethe allerdings in einem anderen Sinne gebrauchte Wort anwenden: „Alles Faktische ist schon Theorie". Wo immer wir einen Tatbestand der Wirklichkeit aufgreifen, da 1 2
W. W. Bd. III, S. 631 f. (zu 216, 39). W. W. Bd. III, S. 106.
— 72 — finden wir den Inhalt des in ihm Gemeinten schon mit gedanklichen Setzungen und Voraussetzungen durchwirkt, die sich niemals bloß auf das Formale der reinen Anschauung beschränken, sondern immer schon ebenso reine Urteilsleistungen in sich enthalten. Der Einwand, daß eben diese Durchdringung der gesonderten „Erkenntnisvermögen" eine irrtümliche Vermengung sei, ist an dieser Stelle nicht mehr zulässig. Er enthält in seiner Skepsis vielmehr ungeklärte dogmatische Voraussetzungen sensualistischer oder rationalistischer Art. Wir deuteten oben an, wie der Kritizismus zunächst darüber zu wachen hat, daß sich diese Motive aneinander korrigieren, Nur dann muß das Zusammenwirken der verschiedenen Motivgruppen als unerweislich oder doch wenigstens der Wirklichkeit gegenüber nachträglich erscheinen, wenn diese Motivgruppen als reale psychische Vermögen gefaßt werden. Solchen Vermögen müßte natürlich die Realität entweder fertig gegeben sein oder zur Illusion degradiert werden. Der Kritizismus kann beiden Konsequenzen ausweichen, indem er deren gemeinsame Voraussetzung negiert. Die Vermögen fungieren in seinem begrifflichen Apparat nur als Begriffsmarken zur Bezeichnung logisch verwandter Motive. Nachdem so der Weg geebnet ist, läßt sich der Gedanke der transzendentalen Deduktion als kontinuierlicher Schritt in der Darstellung des Ganzen verstehen. Alles Faktische ist immer schon Theorie. Dieser Satz bedarf nur einer leisen Akzentverschiebung: Erst das Theoretische verleiht und sichert dem Faktischen seinen Bestand. So erhält das Moment des Theoretischen eine logische Prävalenz. Das Apriori e r z e u g t aus dem Aposteriori den Gegenstand der Erkenntnis; ohne seine Funktion gäbe es für die Erkenntnis keine G e g e n s t ä n d l i c h k e i t . Das Gegebene wäre ohne die apriorischen Grundlagen allenfalls in Wahrnehmungsurteilen zu konstatieren, könnte aber niemals als Erfahrungsbestand ausgesprochen werden. Nun arbeitet aber alle Wissenschaft fortwährend mit solchen „Tatbeständen"; der sie bestreitende Skeptizismus dagegen erweist sich bei näherem Zusehen von dogmatischen Voraussetzungen durchsetzt. Die gewöhnliche Art des Beweisens und Widerlegens verliert nun aber hier deshalb jeden Ansatz, weil sich aus der Nichtgeltung der skeptischen Folgerungen keineswegs positive Bestände „ e r s c h l i e ß e n " lassen.
— 73 — So ist hier der einzig gangbare Weg, eine neue Richtung einzuschlagen, indem wir „das Problem in ein Postulat verwandeln". Ist Objektivität der Erkenntnis nicht unmöglich: so s e i s i e m ö g l i c h ! Diese Ermöglichung leistet aber allein die reine Grundlegung der Axiome, Antizipationen, Analogien und Postulate, da sich ohne ihre Leistung die bloß begrifflichen Setzungen u n d das bloß gegebene Mannigfaltige zunächst unvermittelt gegenüberstehen. Aber auch aus diesen Grundlegungen soll für den E r fahrungsgegenstand keineswegs etwas „ g e s c h l o s s e n " werden, noch auch sollen weder diese Grundlegungen, noch die Wirklichkeit in der transzendentalen Deduktion im eigentlichen Sinne „ b e w i e s e n " werden. Der Nachweis gilt vielmehr der Notwendigkeit ihrer Zugrundelegung zur Konstitution der Gegenständlichkeit im bloß aposteriori Gegebenen. Der letzte Grund und die letzte Rechtfertigung der reinen Verstandesbegriffe liegt somit in ihrer L e i s t u n g . Sie sind Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung, weil sie Bedingungen der Möglichkeit der Gegenständlichkeit der Erfahrung ausmachen. Diese Anwendungsberechtigung ist es, die nachgewiesen wird. Der Gegenstand der Erfahrung ist Z i e l b e g r i f f der Deduktion. Nur sofern sie Mittel zur Erreichung dieses Zieles hergeben, sind alle gedanklichen Mittel in ihrem Rechtsanspruch, etwas zu bedeuten, deduziert. Die Verstandesbegriffe selbst dagegen erscheinen an dieser Stelle „aufgerafft". „ W i r b e d i e n e n u n s einer Menge empirischer B e g r i f f e " . . . . „ E s g i b t indessen auch usurpierte Begriffe, wie etwa Glück, Schicksal, die zwar mit fast allgemeiner Nachsicht h e r u m l a u f e n . . . . " 1 . Auf gleiche Weise g i b t es nun auch reine Verstandesbegriffe mit dem Anspruch auf objektive Realität. K a n t geht hier offenbar von einem gegebenen Begriffsinventar aus. Da droht dem Begriff des Apriori ein neues Mißverständnis. Wir haben diese Begriffe vor aller Erfahrung, heißt das nicht, sie sind uns angeboren ? Auch von diesem Bedenken müssen wir die Apriorität zu befreien suchen. Zu diesem Zweck hilft uns wiederum die Vorwegnahme des Schematismuskapitels. Wir sahen in dessen Analysen sehr sorgfältige P r ä p a r a tionen derjenigen gedanklichen Elemente, die als synthetischer Begriff f ü r die wissenschaftliche Erkenntnis fruchtbar werden
1
W. W. Bd. III, S 105—106.
— 74 — konnten. Die Motivzerlegung selbst erwies sich als überaus kunstvoll, und die Elemente, aus denen diese Begriffe zusammengewirkt wurden, konnten ebensowenig als natürliche Mitgift des natürlichen Menschenverstandes angesprochen werden. Man denke nur an die Verwendung der Einteilungen, die Kant aus der Formallogik übernahm. Aber andererseits wird am Sinn der transzendentalen Deduktion erst deutlich, wieso eine derartige Zubereitung des synthetischen Begriffs nicht den Vorwurf einer unnatürlichen Künstelei verdient, die dort Luftgebilde baut, wo sie dem Sinn der Wahrheit nachforschen sollte 1 . Mag die Analyse dieses Kapitels in ihrem Verfahren immerhin künstlich sein, so sind doch die Trennungslinien wie die Zusammenfügung keineswegs willkürlich ausgeführt, sondern eben in der Absicht, um die Struktur der für die Fundierung der Gegenständlichkeit in der wissenschaftlichen Erkenntnis zugrunde zu legenden Begriffe durchsichtig zu machen. So waren denn die reinen Verstandesbegriffe von vornherein als E r k e n n t n i s m i t t e l gedacht. Nicht als Oberbegriffe, aus denen die Mannigfaltigkeit des Gegebenen abzuleiten wäre. Wer ihren Sinn so auffaßte, müßte bald mit dem Grundgedanken des kritischen Idealismus in Konflikt geraten. Erkenntnis ist Einheit über Mannigfaltigkeit; ist diese nur zu leisten durch eine unmittelbare „Subsumtion" unter die reinen Verstandesbegriffe, so würden wir nur eine neue, nun aber unüberbrückbare Mannigfaltigkeit — nämlich diskreter Oberbegriffe — für die erste eingetauscht haben. Zum Glück verfährt aber die Wissenschaft auch gar nicht auf diese Weise. Die „Oberbegriffe" ihrer Subsumtionen sind vielmehr sehr komplizierte logische Gebilde, sind Gleichungen, Gesetze, Funktionszusammenhänge. Ihre Einheit ist Einheit des Zusammenhanges der wie immer komplizierten und verzweigten Funktionen. Alle besonderen Ansätze, die wir als Motive der Erkenntnis herausstellen müssen, haben nur darin ihren Rechtsgrund, daß sie der Aufgabe ihrer Einheit dienen. Jeder besondere Schritt der Imma1
Schopenhauer meint (im Anhang der „Welt als Wille und Vorstellung"), die berühmte Dunkelheit des Schematismuskapitels helle sich erst auf, wenn man mit der „Absichtlichkeit des Verfahrens den zum voraus gefaßten Entschluß zu finden, was der Analogie entspräche und der architektonischen Symmetrie dienen könnte", durchschaue.
— 75 — iiierung der Mannigfaltigkeit der Sinnesdaten kann zwar nur als einzelner Ansatz analysiert werden; dennoch wird seine Bedeutung erst aus seiner Leistung für die Totalaufgabe der Einheit ersichtlich. Diesem Gedanken verhilft Cohen durch den Begriff der E r z e u g u n g zum Ausdruck. , , . . . .wir w i s s e n . . . . , daß es sich bei dem Denken, also bei demErzeugen, um die E i n h e i t handelt" 1 . Dabei ist darauf zu achten, daß „es bei dem Erzeugen nicht sowohl auf das Erzeugnis ankommt, als vor allem auf die Tätigkeit des Erzeugens selbst. Die E r z e u g u n g s e l b s t i s t d a s E r z e u g n i s . E s gilt beim Denken nicht sowohl, den Gedanken zu schaffen, sofern derselbe als ein fertiges, aus dem Denken herausgesetztes Ding betrachtet wird; sondern das Denken selbst ist das Ziel und der Gegenstand seiner Tätigkeit. Nicht nur jedes besondere Gesetz über besondere gegebene Tatbestände ist in diesem Sinne als Erzeugnis anzusehen, das nur darin für die Erkenntnis bedeutsam ist, weil und sofern die Erzeugung, d. h. der Wille zur Einheit in ihm einen Schritt vorwärts t u t ; sondern auch die einzelnen transzendentalen Bedingungen sind in dieser Bedeutung Erzeugnis, während die Erzeugung allein durch den Sinn ihrer Einheit vertreten wird. Auf die Einheit aber kommt allein alles an und damit allein auf den Sinn der Gegenständlichkeit. Aber ebenso wie im Cohenschen Begriff der Erzeugung, des Denkens, so scheint auf den ersten Blick auch bei Kant an dieser Stelle eine merkwürdige Ablenkung ins Subjektive einzusetzen. Auch die transzendentale Deduktion scheint so in eine Subjektivierung zu münden, indem sie die Objektivität der Erkenntnis auf die transzendentale Apperzeption zurückführt. Warum wird hier wiederum das Denken eingeführt, wo doch offenbar immer nur das Gedachte gemeint ist, sagt Natorp einmal, wo doch der psychische Prozeß des Denkens in Rechnung gesetzt werden darf ? Die transzendentale Deduktion ist jedoch lediglich ein Ausdruck für den obersten Begriff der Reinheit aller Erkenntnis. Die scheinbare Verankerung aller Erkenntnis im Subjekt, die sowohl im Cohenschen Begriff der Erzeugung wie im Kantischen Begriff der transzendentalen Apperzeption („das Ich denke" muß alle meine Vorstellungen begleiten können") die letzte Begründung des Erkenntnisgehalts in ein ihm 1
C o h e n , Logik der reinen Erkenntnis, S. 28, 29.
— 76 — fremdes Gebiet abzudrängen scheint, ist in Wahrheit n u r ein konzentrierter Ausdruck f ü r die immanente Begründungskraft der reinen wissenschaftlichen Methode 1 . In dieser gegenständlichen Bedeutung der transzendentalen Apperzeption sehen wir somit lediglich den abschließenden Ausdruck der transzendentalen Deduktion, d. h. der der Transzendentalphilosophie spezifischen Begründungsweise. Der kritische Idealismus entscheidet Fragen nach der Berechtigung bestimmter gedanklicher Motive, indem er sie als Bedingungen der Möglichkeit der Kultur in allen ihren Richtungen nachweist oder ablehnt. Für unser bisher vorliegendes Problem der Beziehung der rein theoretischen Setzungen auf die Mannigfaltigkeit der Empfindungsgegebenheiten sind mit der Hinsicht in den Sinn dieser Begründungsweise alle skeptischen und dogmatischen, sensualistischen und rationalistischen Einwände „suspendiert", und die Berechtigung der Anwendung der theoretischen Begriffe in der Erfahrung ist damit als prinzipiell nicht unzulässig erwiesen. Der positive Nachweis dieser Anwendung wird erst durch die Analyse der Grundsätze gegeben. Der Sinn der transzendentalen Deduktion macht sich aber nicht n u r in diesem einen Schritt der methodologischen Einbettung der Mannigfaltigkeit geltend, sondern ist prinzipiell als das Kriterium einer jeden solchen Erkenntnisbedingung anzusehen. Die einzelnen Erkenntnisbedingungen müssen nunmehr jedoch im Zusammenhang entwickelt werden. Wir müssen uns von vornherein vor Augen halten, daß sie alle nur im Sinne der transzendentalen Deduktion in ihrer Berechtigung deduziert werden können. Zur Übersicht vergegenwärtigen wir uns zunächst die hauptsächlichen Funktionen, die an der immanenten Systematik der E r f a h r u n g mitwirken, in schematischer Aufzählung. Weil unsere ganze Darstellung mit dem Abstrakten und Theoretischen beginnt und von dort erst zum Faktischen und Empirischen fortschreitet, so nehmen wir auch in der Zählung das rein Begriffliche zum Aus1
Weil es unserer Darstellung nur auf die sachliche Begründetheit der Erkenntnis ankommt, nicht auf die Bedingungen der Möglichkeit der A n e i g n u n g der Erkenntnis, so können wir — wie auch Kant in der 2. Auflage der Kr. d. r. V. selbst — auf die subjektive Deduktion verzichten, auf die die Psychologisten immer das größere Gewicht legen.
— 77 — gangspunkt und ordnen die Motive in der Weise an, wie sie schrittweise das Empirische an das Prinzipielle vermitteln. Schon im rein Theoretischen fanden wir in der Struktur der gemäß der transzendentalen Analyse einzig fruchtbaren Begriffsform eine enge Verschlingung zweier gedanklicher Motive. Wir spürten diese Gedanken im Schematismuskapitel auf und glaubten schon in dem Nachweis der logisch-ursprünglichen Einheit der reinen Mannigfaltigkeitsbedingungen (Zeitform) und der sie artikulierenden und nur in ihr — d . h . allein als nähereDeterminationen der Zeitbegriffe — real zu definierenden Begriffe eine erste Festigung des methodologisch tragsamen theoretischen Bodens erkennen zu dürfen. Der Dualismus der beiden „Erkenntnisquellen" verlor in dieser Motiwerwebung.der nur aus einer einheitlichen Methode zu leistenden immanenten Begründung der Erkenntnis die Gefahr der Zersplitterung. Ohne diesen formalen Zeitbezug würden sich die Begriffe in Leere und Starrheit einer sie durchwirkenden methodischen Quellkraft entziehen; ohne die Begriffseinbildung würde die bloße Zeitlichkeit der methodischen Rechtfertigung nicht stille halten. Wir nennen diese erste logische Anweisung beider Motive auf einander die „ e r s t e m e t h o d i s c h e E i n b e z i e h u n g " ; sie ist bei Kant im Begriff des S c h e m a s vertreten und hat den Sinn einer Vermittlung zweier f o r m a l e r Instanzen; sie spielt sich deshalb noch rein in der Sphäre des Apriorischen ab. Als „ z w e i t e m e t h o d i s c h e E i n b e z i e h u n g " bezeichnen wir nun das Verhältnis, das zwischen dem Aposteriorischen und der Anschauungsform der Zeit besteht. Alles Sinnliche ist immer wenigstens in der reinen Form der Zeit gegeben. Eine absolute Transzendenz über den immanenten Formbereich ist somit auch von der Mannigfaltigkeit des sinnlich Gegebenen nicht zu befürchten. Es gibt kein Material der Erkenntnis, das nicht mindestens in diesem weitesten Sinn als Inhalt von einer Form umschlossen wird. Diese „zweite Einbeziehung" vertritt der Begriff der r e i n e n A n s c h a u u n g s f o r m , die allen besonderen sinnlichen Gegebenheiten zugrunde liegt. Beide Bedeutungen der Einbeziehung sind noch ohne jeden Vollzugscharakter zu denken; sie haben vielmehr den statischen Sinn der logischen Zusammengehörigkeit, sei es als Ineinander-Gegründetheit oder als notwen-
— 78 — diges Miteinander-Gegebensein. Die Einheiten, die diese beiden logischen Vermittlungen zum Resultat haben, stehen sich nunmehr jedoch noch getrennt gegenüber; nicht im absoluten Zwiespalt — dafür leistet die in den beiden ersten Einbeziehungen wirksame Funktion der Zeit die Vermittlungsrolle — sondern im Sinne korrelativer Gegensätze .Der B e g r i f f — wie immer seiner Struktur nach durch den Zeitsinn bedingt — und das G e g e b e n e — wenn es auch nur in der Form der Zeit aufzufassen ist — sind durch die Vermittlung der Zeit zwar immer logisch aufeinander angewiesen (eine d r i t t e Bedeutung der E i n b e z i e h u n g getrennter Momente der Erkenntnis), bleiben als die Enden einer Korrelation jedoch dennoch stets im logischen Gegenüber. Die „ d r i t t e E i n b e z i e h u n g " , die durch die Zeit negativ ermöglicht wird, hat lediglich den Sinn der Beziehbarkeit der zuvor gesicherten Bereiche aufeinander. Ihre positive Begründung sprechen die Kantischen G r u n d s ä t z e aus. Erst der v i e r t e Sinn der E i n b e z i e h u n g trägt den dynamischen Charakter der S u b s u m t i o n des A p o s t e r i o r i s c h e n unter das A p r i o r i s c h e . Durch ihn erst konstituiert sich die Erkenntnis als Vollzug und Prozeß. Die früher aufgewiesenen Verhältnisse fundieren ihn nur als negative Bedingungen. Hier hat der in unserer Behandlung des Schematismuskapitels zunächst zurückgedrängte Gedanke seinen Ort. Überhaupt kommt erst hier nach der sicheren Fundierung des „synthetischen Begriffs" mit der Subsumtion auch die Funktion des U r t e i l s zur Auswirkung, unter deren Zeichen bei K a n t dagegen Schematismus und Grundsatz steht. Mußten wir unserer systematischen Disposition gemäß die Analysen des Schematismuskapitels der Behandlung der ersten Einbeziehung zuweisen, müssen wir ferner darin die Kantische Disposition durchbrechen, daß wir die Grundsätze aus der eigentlichen Urteilslehre entfernen und als deren Vorbedingung für die „dritte Einbeziehung" in Anspruch nehmen, so kommen wir darin nun doch wieder gerade der größeren Einteilung Kants entgegen, die sonst schon in der literarischen Gestalt des Kantischen Werkes durch die doppelte Inanspruchnahme eines Terminus die Übersicht der Motive stört. Die theoretischen Probleme der Subsumtion des Besonderen unter den allgemeinen Begriff, die die Kritik der Urteilskraft gleichsam nachholt, lassen sich nicht mit
— 79 — den sogenannten Urteilsproblemen des Schematismus u n d der Grundsätze auf eine Stufe stellen. Sie allein scheinen uns deshalb dem „ V e r m ö g e n " der Urteilskraft m i t R e c h t zugerechnet werden zu dürfen, w ä h r e n d die in der K r . d. r. V. u n t e r diesem Titel behandelten Probleme als deren Vorbedingungen zu erledigen sind. Ebenso scheint uns die Hineinnahme dieser eigentlichen Urteilsprobleme aus der K r . d. U. d a d u r c h erforderlich zu sein, weil erst von ihnen aus der F o r t g a n g zu den theoretischen regulativen Ideen möglich u n d notwendig wird, deren Tendenz sich d a n n gewisserm a ß e n als f ü n f t e s I m m a n i e r u n g s m o t i v an die f r ü h e r e n anschließt u n d die Erfahrungslehre zum Abschluß bringt. Die Beg r ü n d u n g unserer A n o r d n u n g der Motive k a n n erst die A u s f ü h r u n g liefern. U m diese in Angriff n e h m e n zu können, müssen wir jedoch zunächst den in der E i n f ü h r u n g n u r vorläufig bestimmten f u n d a mentalen Hilfsbegriff der Kantischen Systematik, den Begriff der Erscheinung in seiner tieferen B e d e u t u n g f ü r die Erfahrungslehre festzulegen suchen.
e) Die „Erscheinung" und die Immanierungsstufen der Erfahrung. Wir b e s t i m m t e n eingangs den Begriff der Erscheinung provisorisch als Ausdruck f ü r den Sinn der MethodenimmaDenz. Die Kriterien jedoch, die wir dabei angeben k o n n t e n , i n d e m wir den lichtvollen Sätzen der Vorrede zur 2. Auflage der K r . d. r. V. folgten, erweisen sich n u r zur ersten E i n f ü h r u n g dieses zentralen Begriffs als ausreichend, sobald wir dagegen auf die Leistung des Erscheinungsbegriffs im Ganzen der Erfahrungslehre hinblicken, bedarf es f ü r ihn näherer Bestimmungen, weil n u n m e h r der Sinn dieser I m m a n e n z selbst weniger einfach zu umschreiben ist. Schon die Beispiele, die K a n t in diesen Sätzen zur E r l ä u t e r u n g des Sinnes der kopernikanischen D r e h u n g a n f ü h r t u n d an denen wir uns die allgemeinste Bedeutung der Methodenimmanenz deutlich zu machen suchten, erweisen sich weiteren methodologischen Kriterien gegenüber keineswegs als gleichwertig. Allerdings gilt es in dem chemischen u n d physikalischen Beispiel ebenso wie in dem m a t h e m a t i s c h e n , d a ß der Gegenstand durch seine Methode „ b e d i n g t " i s t ; aber eben dieses Bedingtsein b e d e u t e t in den beiden
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ersten Fällen nicht das Gleiche wie im letzten Fall. Es ist nicht die gleiche Weise, in der der Gegenstand der empirischen Wissenschaften und in der die idealen Gebilde der reinen Mathematik „hervorgebracht" werden. Mit der reinen idealen Konstruktion ist nur im letzteren Falle alles geleistet; der Sinn der Methodenimmanenz des Gegenstandes wird zu einem neuen, schwerwiegenderen Problem, wenn dieser Gegenstand, wie in den beiden anderen Fällen, Momente in sich enthält, die einem völlig anderen Typus angehören. Mit der Notwendigkeit, das Experiment f ü r die Gegenstandsbestimmung in Anspruch zu nehmen, ist bereits die Transzendenz über den bisher allein gesicherten immanenten Umkreis rein theoretischer Setzungen gegeben. Das Moment der Empfindung scheint damit unsere Absicht zu durchkreuzen, den Erscheinungsbegriff für den Sinn einer rein methodischen Immanenz in Anspruch zu nehmen; denn nicht zur Erklärung der Möglichkeit allgemeiner und streng notwendiger Urteile im Umkreis der bloßen Theorie wird dieser Begriff bei K a n t eingeführt, sondern eben darin wird seine Leistung gesehen, daß die Beschränkung auf ihn ebensolche Urteile für die Erfahrung möglich macht. Trotzdem sich hier nun die Empfindung als ein bedrohliches f a c t u m brutum geltend macht, können wir nach dem Bisherigen doch nicht mehr in den gewöhnlichen Ausweg zurückgedrängt werden, den Anspruch methodischer Stringenz f ü r den Gegenstand der Erscheinung zu lockern und die Erscheinung f ü r ein Feld zu erklären, das objektive Erkenntnis nicht zulasse. Das gerade sollte nach den polemischen Überlegungen über den Skeptizismus, Dogmatismus, Rationalismus und Sensualismus klar sein, daß der Wissenschaft kein fertiger Objektivitätsbegriff gegeben ist, daß der Kritizismus den standpunktlichen Einstellungen vielmehr die Berechtigung abgerungen hat, als alleiniges Kriterium der Objektivität die Allgemeingültigkeit und strenge Notwendigkeit der Urteile zu setzen. Eben diese Bedingungen verlangt aber Kant gerade vom Gegenstand der Erfahrung, und gerade zur Erklärung der Möglichkeit solcher Objektivität soll der Erscheinungsbegriff dienen. Diesen obersten Zweck müssen wir als den Zielpunkt unserer Untersuchung fest ins Auge fassen, wenn wir die Aufgabe aufnehmen nunmehr klarzustellen, wie dieser Hilfsbegriff gedacht werden muß. Auf die „Idee seines Zweckes selbst
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hinblickend" dürfen für uns einzelne Definitionsversuche Kants nur die Bedeutung willkommener Hilfsmittel annehmen, niemals aber in solchem Sinn entscheidend berücksichtigt werden, in dem sie diesem ursprünglichen Zweck selbst zuwider laufen. Von der mißverständlichen letzteren Art ist vor allen Dingen die häufig wiederkehrende Formulierung, wir könnten nur deshalb synthetische Urteile apriori fällen, weil wir unter „subjektiven Bedingungen der Erkenntnis" stehen. Würde diese Begründung durch die Subjektivität einer Verankerung der Erkenntnis in dem psychologischen Apparat unserer Erkenntnisfunktionen gleichkommen müssen, so wäre nicht einzusehen, wie dann im Ergebnis dieser Funktionen noch Objektivität der Erkenntnis erreicht werden könnte; denn lassen wir uns einmal auf das reale, metaphysische Verhältnis ein, das in solcher psychologistischen Begründungsweise notwendig zwischen dem Erkenntnissubjekt und seinem Gegenstande gesetzt ist, so bestünde hier zweifellos der alte Satz zu R e c h t : „Manifestum est tantum realitatem ad minimum esse debere in causa efficiente, quantum in ejusdem causae effectu", und wir wären damit sehr schnell und um nichts belehrt an den Ausgangspunkt unseres Problems zurückverwiesen, da K a n t auch von dem Erkenntnissubjekt behauptet, es sei nur ein Gegenstand der Erscheinung. Unsere methodologische Kernfrage wird durch derartige Abwege jedoch keineswegs erschüttert: welche methodischen Bedingungen müssen im Begriff „Erscheinung" implizit gesetzt sein, damit er nicht nur gegenständliche Erkenntnis zuläßt, sondern an seinem Teile e r m ö g l i c h t ? So müssen wir auch dem Begriff der „Subjektivität unserer Erkenntnisbedingungen" seine methodologische Bedeutung abzugewinnen suchen. Erkennt man die Berechtigung der Begründungsweise der transzendentalen Deduktion an, so ist damit schon die Richtung gewiesen, in der dieser methodologische Sinn der Subjektivität zu suchen ist. Weil der transzendentalphilosophischen Erkenntnislehre die Gegenständlichkeit Zielbegriff der Erkenntnis ist, ist es verständlich, wenn sie die gedanklichen Mittel, vermöge deren sie die Objektivierung allein erreichbar sieht, nicht selbst als Objektivität bezeichnet, sondern diese dem Objektiven ausdrücklich entgegensetzt. Auch die rein logischen Bedingungen, durch deren Komplikation und Mitwirkung die Gegenständlich6
Kölln
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keit der Erkenntnis allererst garantiert wird, sind nicht im gleichen Sinne „objektiv", wie die von ihnen bedingten Gegenstände. „Subjektiv" sind sie in dem Sinne, daß alle Objektivität erst kraft ihrer Grundsetzungen Bestand und Gültigkeit hat. Diese Verwendung des Terminus „subjektiv" hängt aufs engste mit dem Sinn der transzendentalen Deduktion zusammen. Sie ist niemals ganz sicher vor Mißdeutungen geschützt, wenn es auch wegen der in ihr gemeinten Verhältnisse, die so ganz ohne hinreichendes Analogon in der gegenständlichen Welt sind, schwer fallen dürfte, sie durch eine treffendere Bezeichnung zu ersetzen 1 . Wie wir aber schon sahen, trifft das Mißverständnis der Subjektivität keineswegs allein den Erscheinungsbegriff, da das durch diesen Terminus ausgedrückte Verhältnis mit der spezifischen Begründungsweise des kritischen Idealismus selbst aufs innigste verwoben ist. Die Analyse der b e s o n d e r e n Bedeutung des Erscheinungsbegriffs für das Ganze der Erfahrungslehre darf also den Begriff der Subjektivität zunächst beseite setzen. Bei der Behandlung der Objektivationsleistung der Maßfunktion werden wir eine besondere Bedeutung des Subjektivitätsbegriffs für die Immanenz der Erfahrung noch zu beachten haben. Kant führt die Erscheinung als den Begriff ein, der im Abhängigkeitsverhältnis zwischen der Erkenntnis und ihrem Gegenstand die kopernikanische Drehung ermöglicht. Als Gegenstand der Erscheinung definierten wir deshalb zunächst den aus reiner Methode k o n s t r u k t i v erzeugten Gegenstand. Dabei konnten wir zunächst von Unterschieden absehen, die die Art dieser Erzeugung betrafen. Es durfte für die Einführung des Sinnes der Methodenimmanenz der Hinweis genügen, daß der Physiker und Chemiker ebenso wie der Mathematiker, um sicher etwas über seinen Gegenstand ausmachen zu können, diesen aus seinen Bedingungen h e r v o r g e h e n lassen müßte. Wollen wir nun den exakten Sinn der Methodenimmanenz für den Gegenstand der Erscheinung aufrecht erhalten, so müssen wir uns zunächst darüber klar werden, was es bedeutet, wenn wir sagen, daß der ErfahrungsWissenschaftler seinen Gegenstand kon1
C o h e n s Begriff der Erzeugung ist jedenfalls den gleichen Mißverständnissen ausgesetzt.
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struktiv beherrscht und durch welche Erkenntnisbedingungen ihm die Macht gegeben ist, etwas ,,in die Natur hineinzulegen", ohne es „ihr anzudichten". Solange man im Umkreise der rein theoretischen Wissenschaft der Mathematik verharrt, macht das Verständnis der Möglichkeit freier Konstruktion des Gegenstandes keinerlei Schwierigkeit; denn der ideale Gegenstand der Mathematik hat keine Realität außerhalb seiner Konstruktion. Seine Wirklichkeit begründet sich lediglich darin, daß bestimmte gedankliche Operationen in ihrem Zusammenwirken auf eindeutige, nicht willkürlich zu verändernde, wiederum rein gedankliche Verhältnisse führen. Zwar bedurfte es auch für dieses Gebiet eines Nachweises der Bedingungen dafür, daß in solchen gedanklichen Operationen überhaupt eine Setzung über die andere hinausgehen kann, ohne damit einfach eine andere Setzung ohne Bezug auf die erste zu sein. Ist aber einmal die Struktur dieser Operationen durchsichtig gemacht, ist die Immanenz eines Moments der r e i n e n Mannigfaltigkeit im synthetischen Begriff nachgewiesen, so ist auch unmittelbar verständlich, auf welche Weise hier die Freiheit der Konstruktion mit der Realität des Gegenstandes zusammenbestehen kann. In Wahrheit handelt es sich schon hier nicht um ein „ E r s c h a f f e n " des Gegenstandes, sondern lediglich um die B e t r a c h t u n g der Art, wie eine bestimmte Setzimg aus der Komplikation bestimmter Operationen s i c h e r g i b t . Willkürlich ist dabei nur, in welcher Komplikation die erzeugenden Operationen aufgegriffen werden. Alle weiteren „Freiheiten" sind — Rechenfehler. Die Möglichkeit der Immanenz des Gegenstandes der reinen theoretischen Wissenschaft der Mathematik ist also schon prinzipiell durch diejenige Funktion gewährleistet, die wir als „erste Einbeziehung" bezeichneten. Für die Erfahrungswissenschaften sind nun sehr viel kompliziertere Funktionen notwendig, um ihren Gegenstand einer streng methodischen Herrschaft zu unterstellen. Obgleich sie für ihre Gegenständlichkeit — im Gegensatz zur reinen Mathematik etwa — an das Faktum der Empfindung verwiesen sind, haben doch auch sie ihren Ausgang zu nehmen von dem sicheren Fond eines theoretischen Teiles. In ihm stellt die Mathematik für die mathematische Naturwissenschaft die technischen Mittel bereit, aus denen die theoretische Naturwissenschaft dann das ungeheuer
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— 84 — verästelte Geflecht herstellt, das sie als Netzwerk für ihre Gegenständlichjeit auszulegen hat, die sich ihr in der Empfindung ankündigt. Es wäre jedoch keineswegs verständlich, wie die Erfahrungswissenschaft jemals die gegebene Empfindung, die doch allen rein theoretischen Umwebungen ihrem Wesen nach transzendent bleiben muß, mit den Mitteln mathematischer Beziehungsnetze auf den festen Boden exakter wissenschaftlicher Gesetzesbestimmungen ziehen könnte, wie sie es tatsächlich vermag, wenn nicht zwischen diesen äußersten Polen der Erfahrung weitere methodische Mittel nachweisbar wären. Wir greifen hier zunächst das Moment auf, das Kant gegenüber dem skeptischen Sensualismus zur Geltung bringt: die reine Anschauung. In ihr müssen wir einen sehr wesentlichen Faktor des konkreten methodologischen Begriffs der Erscheinung anerkennen, um dessen Klärung wir uns hier zu bemühen haben. Um jede psychologistische Mißdeutung von diesem Moment fernhalten zu können, stellen wir es sogleich in unseren systematischen Zusammenhang hinein. Das den ersten, rein theoretischen Umkreis als solchen absolut transzendierende Moment der Empfindung wird nun durch die reine Anschauung gleichsam wieder aufgefangen. Weil jedes besondere Empfindungsdatum doch wenigstens in einer bestimmten Zeit gegeben sein muß; weil ferner eine gewisse Klasse solcher Daten auch einem räumlichen Zusammenhang angehört, so ist es zunächst als eminenter methodologischer Beitrag der reinen Anschauung zu erachten, daß sie die Möglichkeit der Fixierung des die erste Einbeziehung transzendierenden Faktors vermittelt. Es ist damit prinzipiell der methodischen Arbeit der „Beobachtung" der Weg gebahnt, die keineswegs aus den gedanklichen Mitteln, die ein bloßer Sensualismus zugestehen darf, geleistet werden kann 1 . Da der Raum und die Zeit, in denen alle Mannigfaltigkeit der Sinnesdaten gegeben ist, prinzipiell der Durchgliederung durch die theoretischen Setzungen der Mathematik zugänglich sind — denn beide haben in den reinen Mannigfaltigkeitsmomenten ihre Strukturbedingung — so ist auch verständlich, wie durch die Funktion der „zweiten Einbeziehung" das bloße Aposteriori der 1
Für die methodische Bedeutung des Begriffs der Beobachtung siehe A. Görland, Die Hypothese, Göttingen 1911.
— 85 — Empfindung zugleich mittelbar an die ordnende und fixierende Vorarbeit der Gegenstandsbestimmung ausgeliefert ist, die wir als Beobachtung bezeichnen. Zweifellos ist mit dieser Rezeptivitätsbedingung des Gegebenen eine wichtige Leistung des Erscheinungsbegriffs beschrieben; es wäre jedoch irrtümlich, diesen Begriff schon durch diese eine Funktion der Ausbreitung der Sinnesdaten für methodologisch erschöpft zu halten. Jedenfalls würde er dann nicht die Aufgabe erfüllen, die ihm nach Kants Erklärung zugewiesen werden muß, nämlich die Beantwortung der Frage, wie allgemeingültige und streng notwendige Urteile über reale Naturgegenstände möglich sind. Der eigentliche Gegenstand der exakten Erfahrungswissenschaften steht aber noch jenseits ihres methodischen Herrschaftsbereichs, wenn auch schon in der Beobachtung eine Vorarbeit zur Einbeziehung des transzendenten Faktors vorliegt. Gerade an diesem Punkte, an dem nun der eigentlich theoretische Teil der Erfahrungswissenschaften einer Reihe beschreibbarer Einzeldaten gegenübersteht, wird die Frage akut, wie die Theorie den Gegenstand zu denken hat, damit ihre allgemeinen Aussagen über ihn etwas in die Natur hineinzulegen vermögen, ohne es ihr anzudichten. Erst mit der Frage nach dem Sinn der Funktion dieser „dritten Einbeziehung" treten wir an das eigentliche Kernproblem der Kantischen Erfahrungslehre heran, das wir mit Cohen in den Grundsätzen zentriert sehen. Wie müssen deshalb diese Funktion eingehend analysieren. Es wird sich dabei erweisen, daß es gerade die Leistung dieses methodischen Schrittes ist, die es uns gestattet, den Erscheinungsbegriff in seiner objektivierenden Kraft aufzufassen. Weil erst dadurch der Naturgegenstand prinzipiell der Jurisdiktion der reinen Theorie unter6tellbar wird, daß er schon innerhalb der Grenzen aufgegriffen wird, die die methodischen Leistungen der dritten Einbeziehung abstecken, können wir erst das durch die Grundsätze beherrschbar gemachte Gebiet als das Reich der Erscheinung bestimmen. Mit dieser — wie wir meinen nur systematisch präziseren — „Erörterung" des Erscheinungsbegriffs scheinen wir uns in einen Zirkel zu verwickeln. Es muß nämlich zunächst dieser systematische Bestimmungsversuch den Anschein erwecken, als sollte hier der Ort möglicher Gegenstandsbestimmungen mit seinem eigenen
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«rsten Ergebnis erklärt werden; denn es ist eine feststehende Meinung, daß in den Kantischen Grundsätzen schon eine erste Gegenstandsbestimmung gegeben sei, die zwar weiterer Determinationen bedürfe, um zu den bestimmten Gesetzen besonderer Naturgegenständlichkeiten zu führen, prinzipiell jedoch mit diesen von einer und derselben Art sind, also von ihnen nicht zu trennen seien. Bestünde diese Ansicht zu Recht, so wäre es natürlich nicht angängig, die Grundsätze als rein methodische Setzungen in Anspruch zu nehmen, die der eigentlichen Gegenstandsbestimmung lediglich den Boden bereiten, indem sie durch Festlegung der gedanklichen Dimensionen das Feld der aposteriorischen Sinnesdaten nur soweit stabilisieren, daß die E r s c h e i n u n g e n durch ihre Funktion allererst den Sinn eines exakten, theoretischen Bestimmungen zugänglichen R e i c h e s der E r s c h e i n u n g bekommen. Wir müssen also zunächst die Frage untersuchen, ob in demjenigen, was faktisch bei Kant als Grundsatz angegeben ist, schon ein — wenn auch sehr allgemeines — N a t u r g e s e t z vorliegt. Kant selbst ist anscheinend dieser Meinung gewesen, wenn er in der Kritik der Urteilskraft Bedingungen zur Bestimmung der besonderen Naturgesetze aufsucht, die zu den gesicherten allgemeinen Gesetzen der Natur 1 hinzuzutreten haben, und wenn er sich in dem nachgelassenen unvollendeten Alterswerk um den „Übergang von den metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft zur Physik" bemüht. Für das rein systematische Interesse unserer Arbeit kann diese Frage nur durch eine Analyse des in den Kantischen Grundsätzen faktisch ausgesprochenen Gehalts und dessen Vergleichung mit dem Begriff des Naturgesetzes entschieden werden. Wir beginnen mit der Begriffsbestimmung des „Gesetzes". Die erste Bedingung dieses Begriffs ist der Sinn der Allgemeingültigkeit und strengen Notwendigkeit; und zwar ist nur dann der eigentliche Sinn des Gesetzes erfüllt, wenn beides sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht gilt, d. h. es wird nicht nur jedermann in jedem Zustand die Anerkennung des in ihm 1
W. W. Bd. V. S. 190 u. 255: „Die allgemeinen Gesetze desVerstandes, welche zugleich Gesetze der Natur sind, sind derselben ebenso notwendig, obgleich aus Spontaneität entsprungen, als die Bewegungsgesetze der M a t e r i e . . . "
— 87 — ausgesagten Tatbestandes zugemutet, sondern es wird ebenso verlangt, daß der Inhalt des Gesetzes f ü r alle diejenigen Fälle ausnahmslos zutrifft, f ü r die seine Formulierung geschaffen ist. Diese Bedingungen h a t das Gesetz noch mit dem durch Abstraktion gewonnenen Allgemeinbegriff der analytischen Logik gemein. Das auszeichnende Merkmal des modernen Gesetzes gegenüber dem alten Abstraktionsbegriff ist der Umstand, d a ß es die Struktur des Gesetzes gestattet, von der Formulierung durch Verfügung über Konstanten, deren Stelle in der allgemeinen Formel erhalten bleibt, die besonderen Fälle wiederum zu erreichen, während der Abstraktionsbegriff n u r dadurch seine Allgemeingültigkeit erkauft, daß er mit dem Fortlassen der differentia specifica sich zugleich den Rückweg zu dem besonderen Tatbestand abschneidet. Damit ist zunächst n u r die Struktur des Gesetzes überhaupt beschrieben, denn die bisher angegebenen Verhältnisse gelten ebensosehr von der rein theoretischen Formel der Mathematik, wie sie f ü r den eigentlichen Sinn des Naturgesetzes erforderlich sind. F ü r dieses kommt jedoch das weitere Moment hinzu, daß die von der Formel befaßten Fälle nicht n u r im Sinne der Bestimmtheit und Eindeutigkeit der durch bloße homogene Spezifikation allgemeiner theoretischer Bedingungen deduzierbaren idealen Gebilde „ R e a l i t ä t " haben, sondern daß durch seine Bestimmungen zugleich die in der Empfindung sich ankündigende Wirklichkeit der N a t u r methodisch beherrschbar sein soll. Sollte es sich als unmöglich erweisen, die Kantischen Grundsätze als allgemeine Naturgesetze in diesem exakten Sinne auszugeben, so läßt sich auch ihr exakter Gesetzescharakter nicht dadurch retten, daß man etwa auf den letzten Schritt unserer Determination verzichtete, u m sie f ü r rein theoretische Gesetze zu erklären. Zwar ist mit ihrer Apriorität irgendwie eine Verankerung in der theoretischen Sphäre gegeben; aber dennoch erfüllen sie in dieser Schicht keineswegs die Aufgabe eines wirklichen Gesetzes, wie es die Funktionsbezüge der reinen theoretischen Wissenschaft der Mathematik vermögen. Nicht einmal den axiomatischen Erstsätzen dieser Wissenschaft sind sie in dieser Hinsicht als gleichwertig zu erachten. Es ist unmöglich, auf die Grundsätze alle Mannigfaltigkeit zurückzuführen, wie man bestimmte mathematische Sätze auf die Axiome und Postulate des betreffenden
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mathematischen Systems zurückführt. Der Versuch einer derartigen Reduktion müßte in diesem Fall völlig ergebnislos verlaufen. Sie ist in der Mathematik nur deshalb fruchtbar, weil hier alle Gegenständlichkeit restlos aus den Verquickungen der ursprünglichen Setzungen aufgebaut ist und somit die Reduktion alle Fehlerquellen aufdeckt. Die Kantischen Grundsätze dagegen verharren keineswegs in der Sphäre rein theoretischer Setzungen. Sie sind vielmehr reine Setzungen für die E r f a h r u n g . „Die metaphysischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft sind nur in Hinsicht auf eine Physik bearbeitet worden, die den Zweck derselben ausmacht, und man erwartet also, und mit Recht, einen Fortschritt (progressus) zu der letzteren" 1 . Dieses Hinausweisen über den Umkreis der bloß theoretischen Wissenschaft gilt für die „mathematischen" Grundsätze ebensosehr wie für die dynamischen. Die mathematischen Grundsätze sind nicht etwa nur als Grundsätze der Mathematik gemeint, sondern als Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung. So reden denn auch die Axiome der Anschauung im Beweis von den „Erscheinungen", die „nicht anders apprehendiert werden können"2. Ebenso wird in den Antizipationen der Wahrnehmung die intensive Größe als ein reines Erkenntnismittel aufgewiesen und zwar an einem Ort, der zunächst als völlig unzugänglich für theoretische Einspannungsversuche erscheinen mußte, nämlich an der Empfindung. Für die dynamischen Grundsätze versteht sich dieser Bezug auf die Erfahrung von selbst. Wenn wir durch die Charakteristika die Kantischen Grundsätze von den rein theoretischen Gesetzesbestimmungen der Mathematik abrücken, so liegt es doch unserer Absicht fern, ihnen den Charakter der Apriorität zu bestreiten. Gerade um ihn erhalten zu können, glauben wir auch den weiteren Anspruch aufgeben zu müssen, der darin liegt, wenn man die Grundsätze für allgemeinste Naturgesetze erklärt. Naturgesetze sind wandelbar; zwar nicht in der Weise wie die Naturgeschichte Veränderungen in den Zuständen der Natur mit sich bringt 3 , sondern aus dem Interesse der Wissenschaftsgeschichte. 1 2 3
R. V. 62 Zeile 19/22. W. W. Bd. III, S. 157. Siehe Henri Poincaré: Sind Naturgesetze veränderlich? (in „Letzte Gedanken").
— 89 — Und zwar können hier kleine Ursachen sehr große Wirkungen haben. Eine unerwartete Beobachtung kann zu einer so weitgehenden Revision des Prinzipienmaterials führen, daß sämtliche bisher feststehenden Gesetze einer Neuformulierung bedürfen. Der Michelsonsche Versuch und die Relativitätstheorie sind dafür ein lehrreiches Beispiel. Der Empirismus folgert daraus einfach, auch die Grundsätze Kants seien deshalb als aposteriori anzusprechen. Gesetze seien nun einmal als Konventionen erkannt, und man könne sie deshalb niemals so allgemein formulieren, daß sie jeder Revision im Fortgang der Wissenschaftsgeschichte entrückt seien. Diesem Verdikt scheint auch die Apriorität der Kantischen Grundsätze verfallen, da Kant von der überwundenen Physik Newtons seinen Ausgang nimmt. Bleiben jedoch die allgemeinen Bestimmungen Kants trotzdem auch angesichts der Änderungen der Grundlagen der modernen Physik als invarianter Bestand erhalten, so kann das für die empiristisch-konventionalistische Einstellung nur als ein Zeichen dafür gelten, daß Kant seine Formeln eben etwas umfassender geprägt habe, so daß ihnen die Ablösung durch weitere, ebenso konventionelle Formulierungen eben noch bevorstünde. Wir wollen nun durch die Analyse der Grundsätze selbst zeigen, daß eine Variation von dieser Seite her prinzipiell unmöglich ist. Gelingt uns dieser Nachweis, so haben wir damit ein entscheidendes Kriterium gewonnen, vermöge dessen wir berechtigt sind, die Grundsätze von allen übrigen allgemeinen Naturgesetzen prinzipiell zu trennen. Da nun ferner die Grundsätze der positiven Bedingung des exakten Gesetzesbegriffs nicht genügen, die unter sie begriffenen Fälle eindeutig zu determinieren und zu fixieren, so wäre es zum mindesten eine sehr unbrauchbare „Konvention", die Grundsätze mit den exakten Maßbestimmungen der Physik unter den Oberbegriff des allgemeinen Naturgesetzes zusammenzufassen. Das Interesse jedoch, das unsere Untersuchung an dieser Frage nimmt, ist durch den Umstand bedingt, daß wir durch diese terminologische Freistellung die rein philosophische Leistung der Grundsätze Kants für die spezifische Systematik des kritischen Idealismus als Faktor immanenter Begründung der Erfahrungslehre zurückgewinnen können. Wir werden zugleich nachzuweisen haben, daß nur durch Mitwirkung dieses methodischen Faktors
— 90 — der Begriff des Erscheinungsgegenstandes als systematisch förderlich erklärt ist. Gehen wir in diesem Interesse zunächst die Grundsätze im einzelnen durch. — Die Axiome der Anschauung lauten: „Alle Anschauungen sind extensive Größen". Das ist ein mathematisch und naturwissenschaftlich völlig unerheblicher Satz. Den Mathematiker darf ein Inhalt überhaupt nicht interessieren, da er seine Beziehungen ohne Anleihe aus der Anschauung zu bestimmen h a t , und der Naturwissenschaftler kann in i h m n u r eine analytische Aussage sehen, die ihn in seiner bereits festliegenden Tendenz der Gesetzesforschung um nichts zu belehren imstande ist. Natürlich liegt es völlig außerhalb seiner Interesses, diesen Satz etwa zu variieren ; erst dort erwacht seine Anteilnahme an seinem Inhalt, wo es sich u m die nähere Determination seiner Angaben handelt, wo nach den bestimmten extensiven Größen bestimmter Anschauungen gefragt wird. Sicherlich würde jeder Naturforscher ein so billiges „Naturgesetz" gern dem „Philosophen" überlassen. Demgegenüber steht die große Bedeutung dieses Satzes als eines methodologischen Schrittes zur kategorischen Ermöglichung der immanenten Systematik der transzendentalphilosophischen Erfahrungslehre. An dem Punkte, bis zu dem wir unsere Konstruktion bisher führten, standen sich das Gebiet der reinen theoretischen Setzungen und die unübersehbare Mannigfaltigkeit der in R a u m und Zeit ausgebreiteten Sinnesdaten zunächst noch unvermittelt gegenüber. Mit dem Grundsatz der extensiven Größe t r i t t in diesem Verhältnis eine prinzipielle Wandlung ein. Indem nunmehr diese bloße M a n n i g f a l t i g k e i t als G r ö ß e gedeutet wird, wird damit ein erster Pfad von der Theorie aus in das ohne diese prinzipielle Grundlegung völlig unzugängliche Dickicht des Zugleichgegebenen gebahnt. Das Postulat prinzipieller Meßbarkeit der ausgebreiteten Anschauungsfakten blendet die verwirrende Fülle des gegebenen Mannigfaltigen ab, indem es diese unter den Gesichtsp u n k t möglicher Quantitätsbestimmungen spannt. Der M a ß b e g r i f f , der in dieser prinzipiellen Einspannung der Sinnlichkeit unter die theoretischen Bestimmungen der Mathematik entspringt, ist andererseits nicht selbst rein theoretischer Herkunft. E r stellt vielmehr, wiegegenüber derbloßen Mannigfaltigkeit des Gegebenen, so auch im Gegensatz zu den im homogenen Gebiet der bloßen
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Theorie verharrenden Setzungen ein grundsätzlich neues Motiv dar. Obgleich die „theoretische Wissenschaft" der Mathematik von der bloßen, ergänzungsbedürftigen „Theorie" der Erfahrungswissenschaften zu unterscheiden ist, ist der hier gemeinte Maßbegriff dennoch nicht einmal mit dem Begriff des Maßes von einer Art, der in der reinen Mathematik verwandt wird. Wegen dieser logischen Ursprünglichkeit der die beiden Bereiche der ersten und zweiten Einbeziehung verbindenden Funktion des Grundsatzes bezeichneten wir diese als die Funktion der „dritten Einbeziehung". Auch der zweite mathematische Grundsatz, die Antizipation der Wahrnehmung, legt lediglich eine Dimension zur Naturbestimmung fest, ohne daß er selbst als das Ergebnis einer solchen aufgefaßt werden könnte: „ I n allen Erscheinungen h a t das Reale, was ein Gegenstand der E m p f i n d u n g ist, intensive Größe, d. i. einen G r a d " . Der Weg, der in diesem Grundsatz methodologisch gebahnt wird, f ü h r t sehr viel tiefer in die Wildnis des Aposteriorischen hinein, als der erste. An der E m p f i n d u n g selbst, die doch sonst allgemein geradezu als das Widerspiel aller exakten wissenschaftlichen Bestimmungsversuche gilt, soll hier noch ein Moment antizipiert werden. Die Empfindung, die doch als bloße Zuständlichkeit lediglich dem Subjekt anzugehören scheint, soll nimmehr selbst auf ein Kriterium der Realität untersucht werden. Die Paradoxie dieses Unternehmens löst sich sofort, wenn wir bedenken, daß dieses Kriterium nicht a u s der E m p f i n d u n g , sondern f ü r die Empfindung gesucht werden soll und daß gerade sie wegen ihres den gewöhnlichen Maßbestimmungen entzogenen Charakters eines weiteren Kriteriums bedürftig ist, da ihr doch die wichtige Aufgabe zufällt, die Realität der N a t u r als „ I n d e x " zu vertreten. Nicht z u r Empfindung, sondern d u r c h die E m p f i n d u n g zur objektiven Realität der N a t u r soll der Weg führen. Diese Realität der Natur ist deshalb nicht unmittelbar f ü r die gedanklichen Bestimmungsmittel der Theorie zugänglich, weil sie darin mit ihrem subjektiven Repräsentanten, der E m p f i n d u n g , übereinstimmt, daß sie wie diese n u r in momentanen Z u s t ä n d e n gegeben sein kann. Wie das Subjekt im Erlebnis der roten Farbe stets n u r e i n e n solchen Zustand in e i n e m Zeitpunkt in der Empfindung unmittelbar gegenwärtig h a t , so ist auch der im
— 92 — objektiven Interesse angestellten Beobachtung zunächst nur eine direktionslsoe Mannigfaltigkeit besonderer Momentanstände der Natur gegeben, die in späteren Beobachtungsmomenten durch andere ersetzt sind. Diese Weise der Gegebenheit der Mannigfaltigkeit der Natur, die auf den ersten Blick als unüberwindliches Hindernis der exakten Bestimmungstendenz der objektiven Natur erscheint, ist schon durch ein Moment der „zweiten Einbeziehung" bedingt. Die Ausbreitung der Mannigfaltigkeit der Sinnesdaten in der Anschauungsform der Zeit bringt diese Schwierigkeit mit sich. Aber andererseits ist es auch gerade die Funktion dieses, wenn auch zunächst zerstreuenden so doch reinen Motivs, die den Ansatz zur Uberwindung dieser Zerstückelung der Beobachtungsdaten liefert. Als reine Form ist die Zeit in qualitativer Hinsicht durch das Moment der Stetigkeit charakterisiert. Das Motiv dieses Zeitbegriffs gibt andererseits die reine Mannigfaltigkeitsbedingung einiger ursprünglicher Begriffe her, aus deren näheren Determinationen in dem Zusammenwirken mit den Operationen der extensiven Größe sich das Gebäude der Differentialrechnung — zunächst als rein theoretische Wissenschaft — aufbaut. Damit ist die Möglichkeit der Formulierung von exakten Größenbestimmungen auch zwischen grundsätzlich nicht simultan realisierbaren Momenten geschaffen. Die Stetigkeit einer Funktion gestattet es, das prinzipielle Nacheinander der Realisation ihrer besonderen Werte im Bilde der Kurve zu repräsentieren. Zwar sind alle einzelnen Punkte dieser Kurve eben durch dieses Moment unmittelbar voneinander geschieden und deshalb auch nicht ohne Vermittlung aufeinander beziehbar und aneinander meßbar; aber eben durch den Bezug auf das gemeinsame Gesetz ihrer Funktion ist auch ihnen in einem neuen Sinne eine Größenbestimmung ermöglicht, indem sie ihr Maß als Stellenwert dieser Funktion empfangen. Diese neue Größe heißt im Gegensatz zur unmittelbaren Quantitätsbestimmung simultan gegebener extensiver Momente die intensive Größe oder der Grad. Diesem mathematischen methodischen Mittel, das zunächst ganz ohne das Interesse der Transzendenz des Bereiches der ersten Einbeziehung zu denken ist, steht nun auf der Seite des Aposteriorischen ein Tatbestand gegenüber, durch den es zur Hilfeleistung
— 93 — geradezu aufgefordert wird. Das methodische Hilfsmittel, das die Theorie nun in der intensiven Größe zur Rettung des Phänomens des an den Zeitpunkt gebundenen Beobachtungsdatums bereitstellt, kann jedoch nun wiederum nicht ohne weitere ursprüngliche, methodologische Grundlegung in das ihm zunächst heterogene Feld der empirischen Faktizität hineingetragen werden, wie andererseits die Mannigfaltigkeit der Sinnesdaten ohne eine solche Fundierung auch von den exaktesten theoretischen Bezugssystemen nicht regiert werden kann, weil dieses Feld dann gleichsam ein fruchtbares Land mit guter Verfassung aber ohne Exekutionsorgan darstellte. Wiederum sehen wir es als die entscheidende Leistung des Kantischen Grundsatzes an, hier ohne die Nivellierung der Gegensätze durch die Einführung eines logisch ursprünglichen Motivs den Sinn der Möglichkeit der Verbindung sichergestellt zu haben. Die methodologische Tragweite des Grundsatzes der intensiven Größe wird in der Darstellung Kants nicht ohne weiteres sichtbar 1 . Der „Beweis" schafft keine Klarheit über das Verhältnis, das zwischen der Realität und der Empfindung, der sie „korrespondiert", besteht. Gerade an diesem Punkte aber steht der exakte Sinn der methodischen Immanenz der Kantischen Erfahrungslehre besonders auf dem Spiel. Soll uns dieser Sinn nicht an den psychologistischen Dunkelheiten der Kantischen Erläuterungen verloren gehen, so muß unsere Rekonstruktion hier die systematischen Zügel etwas selbständiger in die Hand nehmen. Wir können mit Cohen in dem Verhältnis, das Kant zwischen der Realität und der Negation der Empfindung „ r o t " anführt, nur eine analogische Erläuterung des reinen Sinnes der Kontinuität sehen. Die systematische Verwendung dieses Motivs kann uns erst ihre Fruchtbarkeit zeigen, wenn sie die Möglichkeit für die Anwendung der exakten intensiven Größe erklärt. Und zwar muß kraft der Anwendung dieses Motivs zugleich das Beobachtungsfeld im Sinne der Realität den präzisen Bestimmungen der mathematischen Naturwissenschaft um einen Schritt näher geführt werden, als durch die dimensionale Einspannung unter den Gesichtspunkt der extensiven Größe. 1
Zur Kritik siehe Cohen, Kants Theorie der Erfahrung, S. 541 ff.
— 94 — Als die methodologisch ausschlaggebende Funktion des Grundsatzes der intensiven Größe müssen wir den Umstand ansprechen, daß durch die Antizipationen eine neue M a ß d i m e n s i o n festgelegt wird, die es verstattet, die bloßen Zuständlichkeiten der Beobachtung in einem gegenständlichen Sinn zu deuten. E s bedeutet noch keinerlei Vorgriff auf die Analogien, wenn wir behaupten, daß der bloße W e c h s e l der Zustände schon hier durch eine prinzipielle Grundlegung einem objektivierenden Kriterium unterstellt wird. Kraft dieses Gesichtspunktes vermögen wir alle wechselnden Zuständlichkeiten der durch die Empfindungen vertretenen Beobachtungsdaten derart zu gliedern, daß trotz des subjektiven Durchgangspunktes der Empfindung an ihnen ein Moment der Realität des Natur gegenständes sichtbar wird. Dieses Objektivitätskriterium wenden wir an, wenn wir fordern, daß alle realiter zusammengehörigen Beobachtungsdaten als Stellenwerte eines K o n t i n u u m s müssen gedacht werden können. Ein grundsätzlich in ein solches Kontinuum nicht einordbares Beobachtungsdatum müßte deshalb als „ B e o b a c h t u n g s f e h l e r " beiseite gestellt werden. Zwaf geht es nicht an, irgendeine wirkliche Beobachtung deshalb ganz aus dem Kreis der Realität verweisen zu wollen, weil es sich einer bestimmten Deutung nicht fügen will. Einerseits kann jede b e s t i m m t e Deutung darin irrtümlich angesetzt sein, daß sie zu eng gefaßt ist, andererseits ist es möglich, daß das Beobachtungsdatum, das einen „ S p r u n g " in einem bestimmten Umkreis von Phänomenen bedeuten würde, in einem anderen sich der Forderung der Stetigkeit zwanglos fügen würde. Grundsätzlich aber ist jedes Phänomen, das die Beobachtung fixiert, der Forderung der Kontinuität unterstellt. Durch die prinzipielle Unterordnung unter den Gesichtspunkt der Stetigkeit alles Realen empfangen nun die als Momentanstände fixierten Daten der Beobachtung die Richtung, in der sich ihre Realität erfüllt. Darum ist der grundsätzliche Bezug des bloßen „Zustandes" auf das Antizipationsmoment der Kontinuität von eminenter kategorialer und systematischer Bedeutung. E s i s t dies der kategoriale U r s p r u n g s o r t des f u n d a m e n t a l e n B e g r i f f s der B e w e g u n g und zwar eines Bewegungsbegriffs von der allgemeinen Spannkraft der Aristotelischen xivirjcri?, der die aXXoiwCTtc und