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German Pages 272 Year 1989
Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft
Band 39
Der Zugang des Minderjährigen zum Zivilprozeß Ein Problem der „Grundrechtsmündigkeit“
Von
Michael Reinicke
Duncker & Humblot · Berlin
MICHAEL REINICKE
Der Zugang des Minderjährigen zum Zivilprozeß
Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft Herausgegeben im Auftrag der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster durch die Professoren Dr. Hans-Uwe Erichsen Dr. Helmut Kollhosser Dr. Jürgen Welp
Band 39
Der Zugang des Minderjährigen zum Zivilprozeß Ein Problem der „Grundrechtsmündigkeit"
Von
Prof. Dr. Michael Reinicke
Duncker & Humblot * Berlin
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Reinicke, Michael Der Zugang des Minderjährigen zum Zivilprozeß: ein Problem der „Grundrechtsmündigkeit" / von Michael Reinicke. - Berlin: Duncker u. Humblot, 1989 (Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft; Bd. 39) Zugl.: Münster, Univ., Habil.-Schr., 1983/84 ISBN 3-428-06749-5 NE: GT
Alle Rechte vorbehalten © 1989 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Druck: Druckerei Gerike GmbH, Berlin 36 Printed in Germany ISSN 0935-5383 ISBN 3-428-06749-5
Vorwort Die vorliegende Arbeit stellt einen Teil einer umfassenderen Untersuchung über „Die Prozeßfähigkeit des Minderjährigen im Zivilprozeß und der Zugang des Minderjährigen zum Zivilprozeß" dar, die im Wintersemester 1983/84 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität als Habilitationsschrift angenommen worden ist. Die späte Veröffentlichung hängt u.a. mit der „natürlichen" Hemmung eines Zivilrechtlers zusammen, sich bei einem Thema zu Worte zu melden, das ausschließlich verfassungsrechtlicher Natur ist. Angesichts einer Verfassung, welche die Grundrechte als unmittelbar geltendes Recht ausgestaltet hat, sind indes solche Bedenken fehl am Platze. Diese Erwägung und der Umstand, daß die Frage der Grundrechtsmündigkeit inzwischen zum Gegenstand einer lebhaften Diskussion geworden ist, haben den Verfasser bewogen, seine Gedanken zu diesem Thema zur Diskussion zu stellen. Diejenigen - nach meiner Habilitationsschrift erschienenen - Publikationen, in deren Mittelpunkt die Grundrechtsmündigkeit, die Frage nach dem Verhältnis zwischen Elternrecht-Kindeswohl-Staatsgewalt und/oder nach der Drittwirkung der Grundrechte steht, sind in der vorliegenden Arbeit berücksichtigt worden (bis zum Sommer 1988). Dank zu sagen habe ich meiner Familie, die ihre berechtigten Ansprüche oft zurückgestellt hat, Herrn Prof. Dr. Helmut Kollhosser, der meine Schrift betreut hat, der DFG, die mir ein Habilitationsstipendium gewährt hat, sowie den Herausgebern der „Münsterischen Beiträge zur Rechtswissenschaft" für die Aufnahme dieser Arbeit in ihre Schriftenreihe. Münster, im Juli 1989 Michael Reinicke
Inhaltsverzeichnis I. Ausgangslage
11
1. Der Autonomiekonflikt
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2. Die Berücksichtigung der Autonomieinteressen des Minderjährigen im einfachen Recht
12
a) Die Betrachtungsweise der Verfasser des BGB's
12
b) Aufnahme der Autonomieproblematik in den § 1666 BGB - dargestellt am Beispiel der Umgangsregelungen
14
c) § 1626 Abs. 2
20
d) Die Rechtsprechung des BGH's zur Operationseinwilligung Minderjähriger als Beispiel für eine Lösung des Autonomiekonflikts, die von den Normen des einfachen Rechts nicht getragen wird
23
e) Zwischenergebnis
30
3. Anwendung des bisher gefundenen Ergebnisses auf die Konstellation der von dem Kind gewünschten, von den Eltern aber verweigerten Prozeßführung
31
I I . Die Prozeßführung Minderjähriger als Problem der Grundrechtsmündigkeit
32
1. Verfassungsrechtliche Fragestellungen und Konsequenzen der möglichen Antworten
32
2. Die Problematik der Grundrechtsmündigkeit als eine Problematik, die mit einem zivilistischen Ansatz nicht richtig erfaßt werden kann
36
3. Der gefundene Untersuchungsansatz bedarf keiner Modifizierung unter dem Aspekt sog. funktionaler Grundrechte
55
a) Ablehnung rein funktionaler Grundrechte
60
b) Unschlüssigkeit eines funktionalen Ansatzes
72
4. Zusammenfassung der bisherigen Erörterung und endgültige Kennzeichnung der Grundrechtsmündigkeitsproblematik
75
8
Inhaltsverzeichnis 5. Elterliches Sorgerecht und Kindesgrundrechte. Die interne Grundrechtsmündigkeitsproblematik
82
a) Die Eltern-Kind-Beziehung - ein ungeeigneter Ansatzpunkt für die interne Grundrechtsmündigkeitsproblematik?
83
b) Die Harmonisierung von Kindesrechten und Elternrecht als ein Versuch, die interne Grundrechtsmündigkeitsproblematik durch Negierung des Konfliktes zu lösen
88
c) Die Grundrechtswirkung in der privatrechtlichen Binnenbeziehung zwischen Eltern und Kind
91
aa) Die Grundrechtsfähigkeit des Minderjährigen
100
bb) Das Kindesgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG als alleiniger „Gegenspieler" der elterlichen Befugnisse 108 cc) Probleme können sich nur bezüglich der Rechtsstellung des selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden ergeben 113 dd) Irrelevanz der Frage nach der Wirkungsweise der Grundrechte im Eltern-Kind- Verhältnis für die Lösung der internen Grundrechtsmündigkeitsproblematik? 114 ee) Die Frage nach der Wirkung des Kindesgrundrechts gegenüber den elterlichen Befugnissen ist die Frage nach einer Grundrechtswirkung gegenüber Privatpersonen 123 ff) Das verfassungsrechtliche Postulat der staatsfreien Familie als Hinderungsgrund für eine Geltung des Kindesgrundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG im privatrechtlichen Binnenraum der Familie? . . . . 125 gg) Die allgemeine Diskussion über die „Drittwirkung" der Grundrechte und die Wirkung des Kindesgrundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG in der Eltern-Kind-Beziehung 130 aaa) Die Ansicht Schwabes
132
bbb) Ablehnung der Schwab'schen Ansicht
134
ccc) Die Ansicht von Canaris
137
ddd) Der Streit um die horizontale Wirkung der Grundrechte . . 139 aaaa) Grundrechte als Fundamentalnormen
140
bbbb) Argumentum a maiore ad minus
141
cccc) Wortlaut und Systematik der Verfassung
141
dddd) Entstehungsgeschichte
144
eeee) Die geistesgeschichtliche Grundrechtsidee
147
Inhaltsverzeichnis ffff) Teleologische Erwägungen
151
gggg) Teleologische Erwägungen, die eine Lösung für das Eltern-Kind-Verhältnis liefern d) Lösung der internen Grundrechtsmündigkeitsproblematik aa) Die Gewährleistung des Art. 6 Abs. 2 GG
160 168 168
bb) Die Entscheidungsbefugnisse der Eltern gegenüber dem konkret selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden und das Kindesgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG 185 6. Die Rechtslage im Außenverhältnis a) Schlichtes Handeln
199 199
b) Grundrechtsausübung durch auf Rechtswirkungen gerichtetes Verhalten 206 7. Die Durchsetzung der Selbstbestimmung
213
a) § 1666 BGB
215
b) Analogie zu den §§ 3 Abs. 3 EheG, 1612 Abs. 2 BGB
221
c) Analogie zu dem Gesetz über die religiöse Kindererziehung
223
8. Anwendung der zur Grundrechtsmündigkeit entwickelten Grundsätze auf die Prozeßfähigkeit des Zivilprozeßrechts
228
a) Der Zugang zur Zivilgerichtsbarkeit
229
b) Die Regelung der zivilprozessualen Prozeßfähigkeit als Einschränkung des Grundrechts aus Art. 103 Abs. 1 GG 240 c) Die Prozeßkosten Literaturverzeichnis
254 261
I. Ausgangslage Aufgrund des § 52 ZPO kann ein Minderjähriger prinzipiell durch eigenes Handeln nicht bewirken, daß sich ein Zivilgericht eines von ihm geäußerten Rechtsschutzbegehrens annimmt. Prozessuale Handlungsmacht hat der Minderjährige nur dort, wo er partiell voll geschäftsfähig ist (§§ 112, 113 BGB) oder wo es um bestimmte Streitgegenstände geht, die seine höchstpersönliche Sphäre betreffen (§§ 607, 640 b ZPO). Liegt keiner dieser Ausnahmefälle vor, so liegt es nicht in der Macht des Minderjährigen, durch eigene Tätigkeit seine Sache vor Gericht zu bringen. Die Klage eines un vertretenen Minderjährigen wird, wenn überhaupt ein Termin anberaumt worden ist, durch Prozeßurteil abgewiesen. Gegen einen ordnungsgemäß verklagten Minderjährigen ergeht - bei schlüssiger Klage - ein Versäumnisurteil, wenn er ohne Vertreter im Termin erscheint 1. Der Zugang zum Zivilprozeß liegt prinzipiell außerhalb der externen Rechtsmacht Minderjähriger. Dieses Fehlen externer Rechtsmacht deckt sich mit dem Fehlen interner Entscheidungsbefugnis. Gemäß § 1626 Abs. 1 S. 1 BGB ist es die Sache der sorgeberechtigten Eltern, die Entscheidung darüber zu treffen, ob in einer Angelegenheit des Kindes ein Prozeß geführt werden soll. Entscheiden sich die Eltern für eine Prozeßführung, so ist diese ebenfalls ihre Sache. Gemäß § 1629 Abs. 1 S. 1 BGB umfaßt die elterliche Sorge die Vertretung des Kindes, zu der auch die prozessuale Vertretung gehört. Die Eltern können aber auch aufgrund der ihnen zustehenden Entscheidungskompetenz die Angelegenheit des Kindes - aus was für Gründen auch immer - nicht vor Gericht bringen. Daraus ergibt sich die Frage, welche rechtlichen Möglichkeiten einem Minderjährigen zur Verfügung stehen, der von ihm behauptete materielle Rechte prozessual geltend machen will, dessen Eltern aber nicht willens sind, für ihn prozessual zu handeln. Die §§ 1666, 1667 BGB - einfachrechtliche Ausformungen des staatlichen Wächteramtes, das in Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG verfassungsrechtlich verankert ist 2 - erlauben eine vormundschaftsgerichtliche Kontrolle von Entscheidungen, die Eltern in Ausübung ihres Sorgerechts treffen. Es fragt sich, ob und inwieweit diese Vorschriften dazu geeignet sind, den Konflikt zwischen Eltern und minderjährigem Kind sachgerecht zu lösen. 1
Vgl. etwa Rosenberg-Schwab § 108 I I 3a. BVerfG NJW 1968, 2233, 2235; Gernhuber § 5 I V 9; Soergel-Strätz § 1666 RdNr. 2; MünchKomm-Hinz § 1666 RdNr. 1. 2
12
I. Ausgangslage
1. Der Autonomiekonflikt Der Autonomiekonflikt ist ein Entscheidungskonflikt im Eltern-Kind-Verhältnis 3 . Im Laufe der Entwicklung des Kindes zum Jugendlichen und Heranwachsenden bis hin zum Volljährigen tritt dem Erziehungswillen der Eltern ein kontinuierlich wachsender Selbstbestimmungswille des Kindes entgegen. Dies beruht im wesentlichen darauf, daß die Eltern mit der fortschreitenden Entwicklung des Kindes ihr Monopol der Wertvermittlung immer mehr verlieren. Der Minderjährige löst sich Schritt für Schritt vom Elternhaus, orientiert sich auch an außerfamiliären Personen, nimmt soziale Sachverhalte wahr, die außerhalb der Familie liegen, und wird mehr und mehr von gesellschaftlichen Einflüssen geprägt (Schule, Vereine, Medien, Kirche usw.). Daraus ergibt sich, daß sich eigenständige Vorstellungen des heranwachsenden Kindes herausbilden, die mit denjenigen der Eltern in Konflikt geraten können. Parallel dazu machen die seelische Reife, die Einsichts- und die Handlungsfähigkeit des Kindes ständig Fortschritte. Das Wachsen der eigenständigen Vorstellungen geht also konform mit einer Zunahme der Entscheidungsfähigkeiten. Vom psychologischen und pädagogischen Standpunkt aus ist es geboten, daß die Eltern bei den Entscheidungen, welche die Angelegenheiten des Kindes betreffen, diesem Faktum Rechnung tragen. Erziehungsziel ist der selbstbestimmungsfähige und eigenverantwortliche Mensch. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn in der Familie schon vor dem Volljährigkeitsdatum Selbstbestimmung des Heranwachsenden praktiziert wird. Der Volljährige kann nicht zur Selbstbestimmung fähig sein, wenn diese vorher niemals stattgefunden hat. Eine sinnvolle Erziehung wird deshalb dem Jugendlichen schon vor der Volljährigkeit die Selbstbestimmung in denjenigen Angelegenheiten seines Lebens einräumen, in denen er zu einer selbständigen Entscheidung schon in der Lage ist. In denjenigen Angelegenheiten, in denen das Kind noch nicht selbst entscheiden kann, ist dagegen nicht Selbstbestimmung, sondern zum Schutze des Kindeswohls - bevormundende Fürsorge durch die Eltern am Platze. Das Gebot einer sachgerechten Erziehung geht also dahin, eine Kongruenz von „Entscheidendürfen" und „Entscheidenkönnen" anzustreben. 2. Die Berücksichtigung der Autonomieinteressen des Minderjährigen im einfachen Recht a) Ein Autonomiekonflikt als Rechtskonflikt lag außerhalb der Vorstellungswelt des Gesetzesverfasser des BGB's 4 . Für sie stand es außer Frage, daß die Eltern in allen Kindesangelegenheiten bis zur Volljährigkeit des Kindes 3
Zum Autonomiekonflikt vgl. insbesondere Zenz S. 86 ff.; Lüderitz AcP 178, 263, 274 ff.; AK-Münder § 1666 RdNr. 23 ff. 4 Vgl. auch Zenz S. 86 ff.; AK-Münder vor § 1626 ff. RdNr. 16.
2. Autonomieinteressen des Minderjährigen im einfachen Recht
13
ungeachtet bereits vorhandener Selbstbestimmungsfähigkeiten dieses Kindes - die uneingeschränkte Entscheidungsgewalt haben. Die vormundschaftsgerichtliche Kontrolle gem. den §§ 1666, 1667 BGB sollte nicht daran Anstoß nehmen, daß Eltern gegen den Willen des Kindes entscheiden, sondern nur überprüfen, ob das, was entschieden worden war, das Kindes wohl gefährdete. In keinem der Lebenssachverhalte, die in den Gesetzesmaterialien als Beispiele für staatliches Eingreifen herausforderndes Elternverhalten genannt werden (Kindesmißhandlung; Verleitung des Kindes zum Bösen; Vernachlässigung der Pflege des Kindes; ungenügende Ernährung des Kindes; ehrloses und unsittliches Verhalten der Eltern als schlechtes Beispiel für das Kind) 5 , geht es um einen Entscheidungskonflikt im Eltern-Kind-Verhältnis. Eine Kindeswohlgefährdung darin zu sehen, daß Eltern den Willen eines selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden in einer wichtigen Angelegenheit seines Lebens übergehen, lag dem Gesetzgeber des BGB's fern. Er ging von einem patriarchalischen Weltbild aus, in dem die elterliche Gewalt als Macht zur Fremdbestimmung unzweifelhaft war und Kindesinteressen nicht unter dem Aspekt der Selbstbestimmung gesehen wurden. Geht man von diesen Prämissen aus, so kann ausreichender Kindesschutz dadurch gewährleistet werden, daß die Ausübung der elterlichen Fremdbestimmungsmacht inhaltlich auf das Kindeswohl verpflichtet wird. A n einer einzigen Stelle der Gesetzgebungsmaterialien zu § 1666 BGB bekommt der Selbstbestimmungswille des Heranwachsenden für die Gesetzesverfasser Bedeutung. Unter den Beispielen für Elternverhalten, das vormundschaftsgerichtliches Eingreifen notwendig machen soll, findet sich nämlich: „die Bestimmung des Kindes zu einem den Neigungen, Fähigkeiten oder den sonstigen Verhältnissen desselben nicht entsprechenden Berufe" 6 . Obwohl die Neigungen des Kindes unzweifelhaft im Bereich seines Selbstbestimmungswillens anzusiedeln sind, widerspricht die hier geforderte Rücksichtsnahme auf die Selbstbestimmung des heranwachsenden Kindes in keiner Weise der eben geschilderten Vorstellungswelt, für die § 1666 BGB nur danach fragt, ob die Elternentscheidung von ihrem Inhalt her eine Fehlentscheidung ist, die das Wohl des Kindes gefährdet. Bei der Berufswahl besteht nämlich - im Gegensatz zu anderen Entscheidungen - die Besonderheit, daß der Selbstbestimmungswille des Heranwachsenden, der sich in seinen Neigungen äußert und der im Konfliktfall dem Eltern willen entgegentritt, nicht nur unter dem Aspekt der aktuellen Entscheidungssituation zu sehen ist, sondern gleichzeitig auch Relevanz dafür hat, ob die Elternentscheidung inhaltlich eine Fehlent5
Mugdan Bd. I V Motive S. 426 ff., Protokolle S. 986 ff. Mugdan Bd. I V Motive S. 426. Schon nach dem Preußischen Allgemeinen Landrecht war bei der Berufswahl „auf die Neigung, Fähigkeiten und körperlichen Umstände des Sohnes vorzügliche Rücksicht zu nehmen"; A L R I I 2 § l l O . Der durch das Sorgerechtsgesetz eingefügte § 1631 a BGB emanzipiert den Jugendlichen nicht mehr als diese Vorschrift des Preußischen Allgemeinen Landrechts. 6
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I. Ausgangslage
Scheidung darstellt. Nehmen wir als Gegenbeispiel eine Entscheidung über die Vermögensinteressen eines Heranwachsenden, so hat dort der Umstand, daß die Eltern den Willen des selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden nicht beachten, keinen Einfluß auf die inhaltliche Güte der Elternentscheidung. Dasselbe gilt für viele Entscheidungen, die personale Interessen des Kindes betreffen. So ist es z.B. für die inhaltliche Sachgerechtigkeit einer Elternentscheidung darüber, ob der Heranwachsende sich einer Operation unterziehen soll, ohne Belang, ob diese Entscheidung mit seinem Willen konform geht. Bei der Berufswahl liegen die Dinge anders, weil der gegen einen bestimmten Beruf gerichtete Selbstbestimmungswille des Minderjährigen - seine fehlende Neigung zu diesem Beruf - Einfluß auf den Erfolg der späteren Berufsausübung haben kann. Man kann in einem Beruf deshalb scheitern, weil man zu ihm keine Neigung hat. Die Neigungen des Minderjährigen sind somit eines der Kriterien für die sachliche Richtigkeit der Beruf s Wahlentscheidung, die für ihn getroffen wird 7 . Eine Berücksichtigung dieser Neigungen liegt also durchaus im Rahmen der Vorstellungen des BGB-Gesetzgebers, für den ein Autonomiekonflikt nicht in der Reichweite des § 1666 BGB lag und in dessen Sichtweise diese Vorschrift nur die Funktion haben sollte, Elternentscheidungen daraufhin zu überprüfen, ob sie von ihrem Inhalt her das Kindeswohl gefährden. b) Es liegt auf der Hand, daß eine solche Sicht der Dinge, die dem elterlichen Entscheidungsrecht den absoluten Vorrang einräumt und das Postulat der staatsfreien Familie in rigoroser Form verwirklicht, den emanzipativen Bestrebungen unseres Jahrhunderts nicht standhalten konnte. Ein sich wandelndes Rechtsbewußtsein, für das Persönlichkeitsrecht und Entfaltungsfreiheit die höchsten Rechtswerte wurden, wollte ein Fremdbestimmungsrecht dieser Art nicht hinnehmen 8 . Will man aber den Autonomieinteressen des Minderjährigen zu rechtlicher Relevanz verhelfen, so steht dafür im Rahmen des BGB's nur die Norm des § 1666 BGB zur Verfügung. Wie man sich dieser Vorschrift zu diesem Zwecke bedient hat, soll an einem typischen Autonomiekonflikt dargestellt und kritisch beleuchtet werden. Das Personensorgerecht umfaßt das Recht der Eltern, ihre Kinder zu erziehen und zu beaufsichtigen (§ 1631 Abs. 1 BGB). Hieraus ergibt sich die Befugnis der Eltern, den Umgang des Minderjährigen mit anderen Personen zu regeln. Demgemäß sind die Eltern grundsätzlich dazu berechtigt, Umgangsverbote zu erlassen, die sowohl gegenüber dem Kind, als auch gegenüber den Personen wirken, die von dem Kind ferngehalten werden sollen (§ 1632 Abs. 2 BGB) 9 . 7 Deshalb ist auch der heutige § 1631 a BGB mit seiner Berücksichtigung der Neigungen des Minderjährigen keine „Emanzipationsnorm". 8 Vgl. dazuMnsbesondere Gernhuber FamRZ 1962, 89 ff.
2. Autonomieinteressen des Minderjährigen im einfachen Recht
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D i e Problematik elterlicher Umgangsverbote ist eine typische A u t o n o m i e problematik. D e r heranwachsende Jugendliche, der i m Laufe des Ablösungsprozesses v o m Elternhaus K o m m u n i k a t i o n und Orientierung auch außerhalb der Familie sucht, w i l l über seinen U m g a n g - insbesondere m i t dem anderen Geschlecht - selbst entscheiden. D a U m g a n g m i t anderen Menschen für die Sozialisation notwendig ist, ist es unzweifelhaft kindeswohlgefährdend, wenn E l t e r n jeglichen U m g a n g ihres Kindes m i t familienfremden Personen zu verhindern versuchen. Zweifelhafter ist es dagegen, wie - unter dem A s p e k t des § 1666 B G B ; eine andere Vorschrift zur K o n t r o l l e der Elternentscheidung ist i m B G B nicht ersichtlich 1 0 - zu entscheiden ist, wenn die E l t e r n i n einem Einzelfall einen bestimmten U m g a n g untersagen, den der Heranwachsende aufrechterhalten w i l l . Wendet man § 1666 B G B auf Umgangsverbote in der A r t an, die der Sichtweise der Verfasser des B G B ' s entspricht, so sind keine Fälle denkbar, in denen ein solches V e r b o t an § 1666 B G B scheitert. D a es nach dieser Betrachtungsweise für die A n w e n d u n g des § 1666 B G B belanglos ist, ob sich die 9 Die Wirkung gegenüber Dritten ergibt sich heute aus § 1632 Abs. 2 BGB. Eine solche Wirkung war aber auch schon vor dem Sorgerechtsgesetz, das diese Vorschrift eingefügt hat, in Rechtsprechung und Rechtslehre allgemein anerkannt. Die Eltern konnten schon immer aufgrund ihres - nach außen hin absolut wirkenden - Elternrechts von Dritten verlangen, einen Umgang mit dem Kind zu unterlassen (§ 1 0 0 4 BGB analog). Neu ist dagegen die verfahrensrechtliche Regelung des § 1632 Abs. 3 BGB, nach der das Vormundschaftsgericht zu entscheiden hat, wenn die Eltern mit Dritten über das Umgangsverbot streiten. Früher war das Prozeßgericht der streitigen Gerichtsbarkeit dazu berufen, diesen Streit zu entscheiden. Daraus ergab sich das Problem, ob dieses Gericht überhaupt die Befugnis hatte, im Rahmen der Rechtsbeziehungen zwischen den Eltern und Dritten der Frage nachzugehen, ob das Umgangsverbot im Verhältnis zwischen Eltern und Kind aufgrund des § 1666 BGB zu beanstanden war. Einige Gerichte lehnten dies - zu Recht - ab und verwiesen das Kind auf den Weg der Mißbrauchskontrolle vor dem Vormundschaftsgericht (§ 1666 BGB), so ζ. B. O L G Bremen FamRZ 1977, 555, 556; O L G Stuttgart FamRZ 1972, 264, 265; K G FamRZ 1965, 448, 449. Andere Prozeßgerichte nahmen die Mißbrauchskontrolle im Verfahren gegen Dritte selbst vor und verstießen damit gegen die Zuständigkeitsordnung. So zu Recht Lüderitz AcP 178, 263, 280 gegen O L G Schleswig FamRZ 1965, 224, 225; L G München NJW 1962, 809, 810; O L G Koblenz FamRZ 1958,137 ff. Dieses Zuständigkeitshindernis wurde durch § 1632 Abs. 3 BGB beseitigt. Für Streitigkeiten mit Dritten ist jetzt das Vormundschaftsgericht zuständig, so daß die Mißbrauchskontrolle im ElternKind-Verhältnis (§ 1666 BGB) ohne Verstoß gegen die Zuständigkeitsordnung im Rechtsstreit mit Dritten erfolgen kann. 10 Für § 1666 BGB als ausschließliche Schranke elterlicher Umgangsverbote: O L G Frankfurt NJW 1979, 2052, 2053; O L G Bremen FamRZ 1977, 555, 556; L G Tübingen FamRZ 1967, 108, l l O ; O L G Schleswig FamRZ 1965, 224; Lüderitz AcP 178, 263, 279 ff.; Bosch FamRZ 1958, 140; Staudinger-Donau § 1626 RdNr. 6; Erman-Ronke § 1632 RdNr. 21; Palandt-Diederichsen § 1632 Anm. 4 a; Jauernig-Schlechtriem zu § 1631-1633 Anm. 5 d. Daß § 1666 BGB dann auch im Rechtsstreit zwischen Eltern und Dritten herangezogen werden kann, ist in der vorigen Fußnote dargelegt worden. Dies muß sogar geschehen. Das Vormundschaftsgericht kann nicht im Verhältnis zu einem Dritten eine elterliche Maßnahme bestehen lassen, die es im Verhältnis zu dem Kind zu dessen Schutz von Amts wegen aufzuheben hat.
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I. Ausgangslage
Eltern mit dem Umgangsverbot über den Willen eines Heranwachsenden hinwegsetzen, der schon fähig ist, über seinen Umgang selbst zu entscheiden, kommt es für ein vormundschaftsgerichtliches Eingreifen ausschließlich darauf an, ob der Entscheidungsinhalt, der einen bestimmten Umgang unterbindet, das seelische Wohl des Kindes gefährdet. Vormundschaftsgerichtliches Handeln ist nur dann möglich, wenn positiv festgestellt werden kann, daß ein nicht unerheblicher Schaden für das seelische Wohl des Kindes allein deshalb droht, weil es den Umgang mit einer bestimmten Person nicht mehr pflegen kann. Eine solche Prognose wird praktisch niemals möglich sein. Dies beruht darauf, daß man nicht weiß, wie der Heranwachsende sich bei einem Abbruch des Umganges entwickeln wird, es also niemals auszuschließen sein wird, daß sich der Heranwachsende dann neu orientiert und einer anderen Person zuwendet 11 . So ist es denn auch nur konsequent, daß Rechtsprechung und Rechtslehre, ohne sich mit dem Kindeswohl überhaupt explizit auseinanderzusetzen, es lange Zeit als selbstverständlich angesehen haben, daß Eltern das Recht zusteht, einen von ihnen nicht gewünschten Umgang ihres Kindes allein deshalb zu untersagen, weil sie ihn mißbilligen 12 . Dies entspricht den Vorstellungen des BGB-Gesetzgebers. Die Entscheidungsbefugnis steht - unabhängig von einer etwaigen Autonomiefähigkeit des Minderjährigen - den Eltern zu. Der Entscheidungsinhalt - Verbot eines bestimmten Umgangs - läßt die Prognose einer nicht unerheblichen Schädigung des Kindes nicht zu. Im Laufe der Zeit ging dann aber das Rechtsgefühl immer mehr in die Richtung, daß es nicht angeht, einen Heranwachsenden, der der Volljährigkeit zustrebt, bezüglich seiner personalen Interessen rechtlich nicht anders zu behandeln als ein Kind, das aufgrund seiner mangelnden Einsichts- und Handlungsfähigkeit unzweifelhaft der bevormundenden Fürsorge der Eltern bedarf. Das psychologische Faktum bereits vorhandener Entscheidungsfähigkeiten und die pädagogische Forderung, daß Selbstbestimmung schon vor der Altersgrenze der Volljährigkeit praktiziert werden muß, drängten nach rechtlicher Relevanz. Aus der - erziehungswissenschaftlich sicher richtigen - Aussage, daß die Entwicklung des Kindes zu einem Funktionswandel der elterlichen Erziehung führen müsse, der darin bestehe, daß mit zunehmender Reife des Kindes an die Stelle der Direktion durch die Eltern die Kontrolle durch die Eltern trete, wurde ein rechtlicher Standard dafür, wie das Personensorgerecht zum Wohl des Kindes auszuüben ist 13 . Für elterliche Umgangsverbote, die in aller Regel in die personale Sphäre des Minderjährigen schwerwiegend eingreifen, führte diese Entwicklung dazu, daß einige Gerichte solche Verbote 11
Vgl. dazu O L G Frankfurt NJW 1979, 2052, 2053; Lüderitz aaO S. 282. 12 So z.B. K G O L G E 24, 23; O L G Dresden L Z 1933, 1159, 1160; Palandt-Lauterbach, 25 Aufl., § 1631 Anm. 3; Staudinger-Engelmann, 9. Aufl., § 1631 Anm. I 2 e. 13 Paradigmatisch Gernhuber § 49 V I 8.
2. Autonomieinteressen des Minderjährigen im einfachen Recht
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nicht mehr dem Belieben der Eltern anheim gaben, sondern triftige Gründe verlangten, wenn Eltern einem einsichtsfähigen Heranwachsenden einen bestimmten Umgang versagen wollten 14 . Der in diesen Entscheidungen zum Ausdruck kommende Gedanke, daß der einsichtsfähige Heranwachsende prinzipiell die Freiheit haben müsse, sich - ohne Einmischung der Eltern seine Freunde auszusuchen, fand auch in der Literatur Anhänger 15 . Bei dieser Betrachtungsweise schrumpft das elterliche Entscheidungsrecht bei Umgangsregelungen gegenüber einsichtsfähigen Heranwachsenden zu einem Kontrollrecht. Die elterliche Entscheidung hält der vormundschaftsgerichtlichen Kontrolle nur dann stand, wenn sie durch triftige Gründe legitimiert wird. Daß das Vormundschaftsgericht nicht eingreifen darf, wenn das Umgangsverbot durch triftige Gründe des Kindeswohls (Gefahrenabwehr; dem Heranwachsenden wird z.B. der Umgang mit Personen untersagt, die der Drogenszene angehören) gerechtfertigt wird, ist unzweifelhaft. Es fragt sich indes, ob es mit der Regelung des § 1666 BGB zu vereinbaren ist, daß das Vormundschaftsgericht immer dann eingreifen darf, wenn die Eltern gegenüber dem einsichtsfähigen Heranwachsenden solche Gründe nicht anführen können. Bei der Beantwortung dieser Frage muß man insbesondere im Auge behalten, daß das erfolgsbezogene Merkmal der Kindeswohlgefährdung die Tatbestandsvoraussetzung ist, mit der die Zulässigkeit des vormundschaftsgerichtlichen Eingriffs steht und fällt. Zunächst einmal ist es offensichtlich, daß die zuletzt geschilderte Ansicht die Vorstellungswelt der Verfasser des BGB's verläßt, indem sie den Umstand, daß Eltern in einer wichtigen Kindesangelegenheit gegen den Willen des einsichtsfähigen Heranwachsenden entscheiden, im Rahmen des § 1666 BGB nicht für bedeutungslos hält. Dieser Ansatz ist indes richtig. Aus der Tatsache, daß die Entscheidungsbefugnis der Eltern nicht durch die konkrete Einsichtsfähigkeit, sondern durch die Volljährigkeit des Kindes beendet wird, folgt nicht, daß der Wille des selbstbestimmungsfähigen Kindes im Rahmen des § 1666 BGB ohne Relevanz ist. Aus der typisierenden Mündigkeitsregelung ergibt sich nur, daß - im Rahmen des BGB's - die Entscheidungskompetenz der Eltern durch einen Hinweis auf die konkrete Selbstbestimmungsfähigkeit des Kindes nicht zu Fall gebracht werden kann. Die typisierende Regelung des Gesetzes verbietet es, mit der konkreten Einsichtsfähigkeit des Heranwachsenden die Entscheidungsbefugnis von den Eltern auf 14
So ζ. B. O L G Schleswig FamRZ 1965, 224, 226; L G Wiesbaden FamRZ 1974, 663; L G Koblenz FamRZ 1957, 325, 326. 15 Lüderitz AcP 178, 263, 279 ff.; Bosch FamRZ 1973, 489, 5 0 0 ; Gernhuber § 49 V I 8; Klocke JuS 1974, 75 ff.. Letzterer fixiert allerdings für ein diesbezügliches Selbstbestimmungsrecht des Heranwachsenden eine Altersgrenze von 15 Jahren. De lege lata läßt sich eine solche Altersgrenze sicher nicht finden. 2 Reinicke
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I. Ausgangslage
ihn übergehen zu lassen. Dies bedeutet, daß - auf dem Boden des BGB's § 1666 BGB nicht in der Weise interpretiert werden kann, daß ein vormundschaftsgerichtliches Handeln schon immer dann zulässig ist, wenn eine Elternentscheidung die konkrete Mündigkeit des Minderjährigen mißachtet. Die konkrete Einsichts- und Handlungsfähigkeit des Minderjährigen kann keinesfalls das ausschließliche Kriterium sein, wenn es im Rahmen des § 1666 BGB um die vormundschaftsgerichtliche Kontrolle einer Elternentscheidung geht. Zu einem solchen - mit dem BGB unvereinbaren - Ergebnis kommt indes die o.g. Betrachtungsweise nicht. Sie steht nicht auf dem Standpunkt, daß Eltern gegenüber einsichtsfähigen Heranwachsenden zu einer Umgangsregelung nicht mehr berechtigt sind. Beim Vorliegen triftiger Gründe (Gefahrenabwehr) wird den Eltern das Recht zugebilligt, ein Umgangsverbot auszusprechen. Somit wird nicht die starre Mündigkeitsregelung des Gesetzes unzulässig zugunsten einer konkret-individuellen Mündigkeit aufgegeben. Diese starre Mündigkeitsregelung verlangt es nun aber nicht, daß bei der Beantwortung der Frage, ob eine elterliche Entscheidung das seelische Wohl des Kindes gefährdet, der Umstand auszublenden ist, daß die Eltern in einer wichtigen Kindesangelegenheit gegen den Willen eines schon selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden entscheiden, obwohl die am Erziehungsziel ausgerichtete Forderung dahingeht, das „Entscheidungsdürfen" des Kindes an seinem „Entscheidungskönnen" auszurichten. Den Verfassern des BGB's, die im Zusammenhang mit § 1666 BGB einen Autonomiekonflikt nicht vor Augen hatten, ist - historisch verständlich - der Umstand nicht in das Blickfeld geraten, daß das Wohl eines Kindes auch dadurch beeinträchtigt werden kann, daß in einer wichtigen Frage seines Lebens trotz bei ihm vorhandener Selbstbestimmungsfähigkeit über seinen Kopf hinweg entschieden wird. Daß ein der Volljährigkeit zustrebender Heranwachsender von einem Umgangsverbot verletzt wird, wenn sein Streben, nach Maßgabe seiner Entscheidungsfähigkeit selbst entscheiden zu dürfen, von den Eltern mißachtet wird, wird in aller Regel sogar greifbarer sein als die Gefahr, daß das Unterlassen eines bestimmten Umganges bei ihm zu einem nicht unerheblichen seelischen Schaden führen wird. Deshalb liegt es dem Rechtsgefühl nicht fern, die Voraussetzungen des § 1666 BGB zu bejahen, wenn die Eltern dem Heranwachsenden diese Beeinträchtigung zufügen, ohne dafür triftige Gründe (Gefahrenabwehr) anführen zu können. Nichtsdestoweniger ist dies so nicht richtig. Die Kindeswohlgefährdung muß nämlich konkret - d.h. auch unter Würdigung der individuellen Persönlichkeit des Kindes - festgestellt werden 16 . Eine Kindeswohlgefährdung kann im Rahmen des § 1666 BGB nicht einfach damit begründet werden, daß ein bestimmtes Elternverhalten abstrakt geeignet ist, Schäden für das Kind her16 Vgl. etwa Zenz S. 325, 326; Reuter S. 194; BayObLGZ 33, 65; Staudinger-Göppinger § 1666 RdNr. 236; Soergel-Strätz § 1666 RdNr. 32; Gernhuber § 49 V I I I 14.
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beizuführen. Es muß vielmehr dargelegt werden, daß der individuelle Heranwachsende, der von der Elternentscheidung betroffen wird, im konkreten Fall durch die Nichtberücksichtigung seiner Autonomiefähigkeit der Gefahr eines nicht unerheblichen seelischen Schadens ausgesetzt ist 17 . Droht nämlich ein solcher Schaden für das personale Wohl des Kindes nicht, so ist es nicht die Aufgabe des Staates, sich von Amts wegen in innerfamiliäre Entscheidungskonflikte einzumischen. Der Staat hat nicht „ex officio" elterliches Fehlverhalten gegenüber den Autonomieinteressen eines Heranwachsenden zu ahnden, wenn dieses Fehlverhalten ohne schädliche Auswirkungen für den Heranwachsenden bleibt. Bei der Würdigung der individuellen Persönlichkeit, die bei § 1666 BGB geboten ist, kann es sich aber durchaus ergeben, daß einem Heranwachsenden kein Schaden droht, wenn er von seinen Eltern einmal ohne triftige Gründe bevormundet wird. Bei einem Heranwachsenden mit stabiler Persönlichkeit besteht ohne weiteres die Möglichkeit, daß er sich schnell mit der Elternentscheidung abfindet und es versteht, aus der gegebenen Situation für sich das Beste zu machen, während eine instabile Persönlichkeit möglicherweise nicht in der Lage ist, mit einer Elternentscheidung zu leben, die in einer wichtigen Frage ihres Lebens ihre Selbstbestimmungsfähigkeit willkürlich übergangen hat. Willkürliche Bevormundung eines selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden in einem Einzelfall kann zu einer Kindeswohlgefährdung führen, muß aber beileibe nicht dazu führen. Ob Schäden für das seelische Wohl drohen, hängt von der individuellen Persönlichkeit des betroffenen Heranwachsenden ab. So richtig es ist, daß - entgegen dem Vorstellungsbild der Verfasser des BGB's -der Autonomieaspekt im Rahmen des § 1666 BGB relevant werden kann, so wenig eröffnet § 1666 BGB die generelle Möglichkeit, vormundschaftsgerichtlich einzugreifen, wenn Eltern einem einsichtsfähigen Heranwachsenden ohne triftige Gründe einen bestimmten Umgang verbieten. Letzteres scheitert daran, daß § 1666 BGB ein erfolgsbezogener Tatbestand ist, der eine konkrete Gefährdung des individuellen Kindes verlangt, dem gegenüber die elterliche Maßnahme erfolgt. Dieser Forderung wird eine Betrachtungsweise nicht gerecht, die Umgangsverbote gegenüber einsichtsfähigen Minderjährigen generell scheitern läßt, wenn sie nicht durch triftige Gründe des Kindeswohls gerechtfertigt sind. Die Unzulässigkeit solcher Umgangsverbote läßt sich somit nicht mit § 1666 BGB begründen 18 . Deshalb nimmt es auch nicht wunder, daß einige Autoren dieses Ergebnis ausdrücklich nicht mit Hilfe dieser Vorschrift gewinnen, sondern es damit begründen, daß das elterliche Entscheidungsrecht mit dem Heranwachsen des Kindes entsprechend dessen wachsender Reife immanent - aus 17
Zum folgenden vgl. insbesondere Reuter aaO. « A . A . : O L G Schleswig FamRZ 1965, 224, 226; den Entscheidungen O L G Koblenz FamRZ 1958,137 und L G Koblenz FamRZ 1957, 325, 326 läßt sich nicht ganz klar entnehmen, ob sie das NichtVorliegen triftiger Gründe im Rahmen des § 1666 BGB berücksichtigen wollen; Palandt-Diederichsen § 1632 Anm. 4 a. 2*
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I. Ausgangslage
sich heraus - einen stufenweisen Abbau erfahre 19 . Aus dem BGB läßt sich indes ein solcher Abbau des Elternrechts nicht ableiten 20 . Nach dem BGB sind die Eltern bis zur Grenze der Volljährigkeit des Kindes in dessen Angelegenheiten entscheidungsbefugt. Diese Befugnis findet ihre Schranke ausschließlich in § 1666 BGB. Daß die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht schon immer dann vorliegen, wenn Eltern gegenüber ihrem autonomiefähigen Kind ohne triftige Gründe entscheiden, ist dargelegt worden. Da eine andere elterliche Entscheidungsmacht einschränkende Bestimmung im BGB nicht ersichtlich ist, bleibt es - auf dem Boden des BGB's - unerfindlich, woraus sich der behauptete Abbau elterlicher Entscheidungsbefugnisse ergeben soll. Ausschließlich von der Regelung des BGB's her gesehen ist somit den Gerichten zuzustimmen, die in einem Fehlen triftiger Gründe allein noch keinen Anlaß für ein vormundschaftsgerichtliches Eingreifen gegenüber einem elterlichen Umgangsverbot sehen21. c) Die vom Sorgerechtsgesetz neu geschaffene Regelung des § 1626 Abs. 2 BGB ändert an dem bisher gefundenen Ergebnis nichts. Diese Vorschrift verpflichtet die Eltern dazu, die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbständigem verantwortungsbewußtem Handeln bei der Erziehung zu berücksichtigen, Fragen der elterlichen Sorge mit dem Kind zu besprechen und dabei Einvernehmen anzustreben. A n dieser Norm wird heftige Kritik geübt. Sie sei banal und überflüssig 22, als „lex imperfecta" ohne jede Bedeutung 23 und außerdem im Hinblick auf das Elternrecht verfassungsrechtlich bedenklich 24 . Diese Kritik ist unberechtigt. Zur Bedeutung: § 1626 Abs. 2 BGB hat nicht den Sinn, den Eltern das Entscheidungsrecht zu nehmen, wenn ihr Kind konkret selbstbestimmungsfähig ist. Eine solche Emanzipation des Jugendlichen, die mit § 1626 Abs. 1 BGB, der den Eltern die Entscheidungskompetenz bis zur Grenze der Volljährigkeit des Kindes einräumt, unvereinbar wäre, findet schon im Wortlaut der Vorschrift („berücksichtigen", „besprechen", „anzustreben") keine Deckung. Weiterhin zeigen die Gesetzesmaterialien eindeutig, daß die Regelung nicht die Entscheidungsrechte der Eltern schmälern soll, sondern ihnen - als prozedurale Norm - den Weg weisen soll, wie Entscheidungen in Kindesangelegen19 Gernhuber § 49 V I 8; MünchKomm-Hinz § 1631 RdNr. 18: skeptisch demgegenüber Soergel-Strätz § 1632 RdNr. 15. 20 Zutreffend Lüderitz AcP 178, 263, 281. 21 O L G Frankfurt NJW 1979, 2052, 2053; O L G Bremen FamRZ 1977, 555, 556; O L G Köln FamRZ 1963, 447, 448. 22 So Bosch FamRZ 1973, 489, 498. 23 So Gernhuber, Neues Familienrecht S. 51. 24 So Palandt-Diederichsen § 1626 Anm. 5 a.
2. Autonomieinteressen des Minderjährigen im einfachen Recht
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heiten zu finden sind. Im Weg des Generationendialoges sollen Eltern und Kind gemeinsam nach der richtigen Lösung für die zu entscheidende Frage suchen, und bei dieser Suche sollen die Eltern den Willen des Kindes zur Kenntnis nehmen und in ihre Erwägungen einbeziehen. A m Ende dieses Entscheidungsfindungsprozesses soll es den Eltern aber freistehen, nach Abwägung aller Gesichtspunkte eine Entscheidung auch gegen den Willen des selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden zu treffen 25 . § 1626 Abs. 2 BGB führt also nicht dazu, daß die starre Mündigkeitsregelung durch eine konkret-individuelle Mündigkeit ersetzt wird 2 6 . Die Vorschrift stellt vielmehr ein gesetzliches Leitbild für die elterliche Erziehung auf. Dieses Leitbild ist eine Auslegungsrichtlinie, die überall dort zu beachten ist, wo elterliche Erziehung rechtlich zu würdigen ist 27 . Zur Sanktionslosigkeit: Da die Vorschrift des § 1626 Abs. 2 BGB keine Sanktion enthält, kann diese Bestimmung nur auf dem „Umweg" über § 1666 BGB Rechtsfolgen zeitigen. Das gesetzliche Leitbild des § 1626 Abs. 2 BGB kommt im Rahmen des § 1666 BGB als Auslegungsrichtlinie zum Tragen. Es vermag den unbestimmten Rechtsbegriff des Kindeswohls in der Hinsicht zu präzisieren, daß es dem Wohl des Kindes entspricht, wenn die Eltern mit ihm partnerschaftlich-argumentativ verkehren und ihm Raum zu selbständigem Handeln gewähren 28. Daß der in § 1626 Abs. 2 BGB vorgeschriebene Erziehungsstil für die Interpretation des Begriffs des Kindeswohls etwas hergibt, ändert indes nichts daran, daß die Voraussetzung der Kindeswohlgefährdung ein erfolgsbezogenes Merkmal ist. Der Staat ist als Wächter erst dann dazu aufgerufen, sich von Amts wegen in familieninterne Konflikte einzumischen, wenn eine nicht unerhebliche Schädigung des Kindes konkret droht. Es kann aber keine Rede davon sein, daß dem Kindeswohl jedesmal dann ein nicht unerheblicher Schaden droht, wenn die Eltern bei einem Entscheidungsfindungsprozeß den Verhaltensstandard des § 1626 Abs. 2 BGB verfehlen. Eine Kindeswohlgefährdung ist erst dann gegeben, wenn die Eltern ständig - habituell - dem Erziehungsstil des § 1626 Abs. 2 BGB zuwiderhandeln, indem sie beharrlich den Generationendialog verweigern und andauernd ohne Berücksichtigung des Kindeswillens in den Kindesangelegenheiten entscheiden29. 25
Insoweit eindeutig BT-Drucks. 8/2788 S. 34. Allgemeine Meinung. Vgl. etwa Knöpfel FamRZ 1977, 6 0 0 , 607; Simon JuS 1979, 752, 753; Erman-Ronke § 1626 RdNr. 24; Palandt-Diederichsen § 1626 Anm. 5 a; Erichsen S. 73; Schmitt Glaeser, Das elterliche Erziehungsrecht, S. 13. 27 Zutreffend Knöpfel FamRZ 1977, 6 0 0 , 607; vgl. auch Erichsen S. 72 ff. 28 Vgl. etwa Schlüter § 22 V I 2; MünchKomm-Hinz § 1666 RdNr. 25; Erichsen S. 73. 29 Vgl. auch die Stellungnahme des Bundesjustizministers in der 2. Lesung des Sorgerechtsgesetzes, BT-Protokoll 8/151 S. 12032; Simon JuS 1979, 752, 753; Belchaus § 1626 RdNr. I O ; Erman-Ronke § 1626 RdNr. 24; Erichsen S. 75; Böckenförde, Elternrecht, S. 54, 65. 26
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I. Ausgangslage
Eine solche Erziehung kann nur die Unselbständigkeit und Unverantwortlichkeit des Kindes zum Erfolg haben. Daß die Eltern in einem Einzelfall den Geboten des § 1626 Abs. 2 BGB zuwiderhandeln, vermag dagegen für sich allein - es geht hier nur um die Folgen eines „fehlsamen" Entscheidungsfindungsprozesses, nicht um die Folgen der Entscheidung selbst - ein vormundschaftsgerichtliches Eingreifen gem. § 1666 BGB nicht zu rechtfertigen. Zur Verfassungswidrigkeit: Die weder bedeutungslose noch sanktionslose Norm ist auch nicht verfassungswidrig. Soweit der Erziehungsstil der Eltern auf die Erziehungsziele der Selbständigkeit und des Verantwortungsbewußtseins des Kindes verpflichtet wird, bestehen gegen § 1626 Abs. 2 BGB keine verfassungsrechtlichen Bedenken, weil es sich um inhaltlich neutrale Erziehungsziele handelt, auf die sich Eltern verständigen können, die inhaltlich diametral verschiedene Erziehungsziele verfolgen 30 . Was das Dialoggebot angeht, so entfallen verfassungsrechtliche Bedenken deshalb, weil eine Sanktion erst dann droht, wenn dieses Gebot dermaßen verletzt wird, daß eine nicht unerhebliche Schädigung des Kindes zu erwarten ist 31 . In diesem Fall ist der Staat als Wächter gerufen (Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG). Bezüglich der Bedeutung des § 1626 Abs. 2 BGB für den Autonomiekonflikt läßt sich abschließend feststellen: Der Vorschrift liegt eine andere Sichtweise zugrunde als diejenige der Verfasser des BGB's. Der Minderjährige wird nicht als „Objekt" gesehen, für das die Eltern gut zu sorgen haben, sondern vielmehr als „Subjekt" betrachtet, das Autonomieinteressen hat. Die prozedurale Vorschrift stellt ein Leitbild elterlicher Erziehung auf, das die Selbstbestimmungschancen des Kindes dadurch verbessern will, daß es in seinen Angelegenheiten in den Entscheidungsfindungsprozeß miteinbezogen wird. Es ist indes nicht das Ziel dieser Norm, im konkreten Einzelfall der Entscheidung des autonomiefähigen Minderjährigen den Vorrang vor der Elternentscheidung einzuräumen. Der Wille des Sorgerechtsgesetzgebers ging expressis verbis dahin, das elterliche Entscheidungsrecht nicht an der konkreten Einsichtsfähigkeit des heranwachsenden Kindes enden zu lassen32. Es stellt keinen Verstoß gegen § 1626 Abs. 2 BGB dar, wenn Eltern nach einer argumentativen Auseinandersetzung mit dem einsichtsfähigen Kind anders entscheiden als dieses es wünscht. § 1626 Abs. 2 BGB betrifft nicht das Entscheidungsrecht der Eltern, sondern ausschließlich den Stil, in dem Eltern ihre Entscheidungen zu treffen haben. Selbst dann, wenn die Eltern im Einzelfall diesen Stil verfehlen, bleibt dies sanktionslos, weil eine Verletzung des § 1626 Abs. 2 BGB nur im Rahmen der erfolgsbezogenen Norm des § 1666 BGB zu 30
Vgl. dazu Lüderitz AcP 178, 263, 274; Erichsen S. 72, 73; Böckenförde, Elternrecht, S. 54, 65. 31 Vgl. dazu insbesondere Erichsen S. 74-76. 32 BT-Drucks. 8/2788 S. 34, 45.
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einem vormundschaftsgerichtlichen Eingreifen führen kann. Ein punktueller Verstoß gegen den Verhaltensstandard des § 1626 Abs. 2 BGB beim Entscheidungsfindungsprozeß ist aber nicht dazu geeignet, einen nicht unerheblichen Schaden für das Kindeswohl herbeizuführen. Diese erfolgsorientierte Schwelle des § 1666 BGB wird erst dann überschritten, wenn Eltern, was den Erziehungsstil angeht, die Erziehung auf dem Prinzip von Befehl und Gehorsam aufbauen. Ein selbstbestimmungsfähiger Minderjähriger kann somit eine von seinem Willen abweichende Einzelentscheidung seiner Eltern nicht dadurch zu Fall bringen, daß er sich auf § 1626 Abs. 2 BGB beruft. d) Was nun nicht den Weg zu einer elterlichen Entscheidung (vgl. oben c) ), sondern diese Entscheidung selbst angeht, so ist § 1666 BGB - wie unter b) gezeigt - nur sehr bedingt dazu geeignet, dem Selbstbestimmungswillen des einsichtsfähigen Heranwachsenden zum Siege zu verhelfen. Stehen den Eltern, die diesen Willen übergehen, für ihre Entscheidung triftige Gründe des Kindeswohls zur Seite, so kann von einem drohenden Schaden für das Kindeswohl nicht die Rede sein. Handeln die Eltern ohne solche Gründe, so ist dies zwar ein für das seelische Wohl des Kindes relevanter Umstand. Dieser Umstand muß aber im konkreten Einzelfall keineswegs dazu führen, daß dem Heranwachsenden ein nicht unerheblicher Schaden droht. Daß im Entscheidungskonflikt zwischen Eltern und einsichtsfähigem Kind die Elternentscheidung unangreifbar ist, wenn für sie triftige Gründe der Gefahrenabwehr ins Feld geführt werden können, erregt prima vista keinen Anstoß. Weitaus weniger leuchtet es dagegen ein, daß bei einer Elternentscheidung, die nicht durch solche Gründe gerechtfertigt wird, dafür aber den Willen des einsichtsfähigen Heranwachsenden bricht, der Jugendliche mit robuster Persönlichkeit im Gegensatz zu demjenigen, der sensibel und instabil ist, rechtsschutzlos dastehen soll. Dieses Ergebnis wird dem Wert der Selbstbestimmung nicht gerecht. Selbstbestimmung erscheint als ein Wert an sich, der nicht nur dann schutzwürdig ist, wenn die Vorenthaltung von Selbstbestimmung zu einem Schaden führt. Eine vom Schadensaspekt unabhängige Selbstbestimmung räumt aber das BGB dem Heranwachsenden nicht ein. Wenn es auch sinnvoll ist, daß der Staat von Amts wegen nur bei drohenden Schäden eingreift, so fragt es sich doch, ob es nicht geboten ist, daß der einsichtsfähige Heranwachsende von sich aus weitergehende Autonomierechte geltend machen kann. Da das BGB dies nicht zuläßt, stellt sich zwangsläufig die Frage, ob sich solche Rechte aus der Verfassung ableiten lassen. Es besteht die Möglichkeit, daß das Grundgesetz zu dem Autonomiekonflikt zwischen Eltern und Kind nicht schweigt. Schließlich finden sich in Art. 6 Abs. 2 und Art. 2 Abs. 1 GG Aussagen zum Elternrecht und zum Selbstbestimmungsrecht. Demgemäß ist zu fragen, ob es der Verfassung entnommen wer-
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I. Ausgangslage
den kann, daß sich ein Selbstbestimmungsrecht des einsichtsfähigen Heranwachsenden - über § 1666 BGB hinausgehend - auch dann durchsetzen kann, wenn elterliche Bevormundung zu keinem Schaden für das Kind führt. Dies läuft zwangsläufig auf eine verfassungsrechtliche Hinterfragung des - bürgerlichrechtlich unzweifelhaften - Rechtssatzes hinaus, daß die elterliche Entscheidungsbefugnis ihre Grenze nicht an der konkreten Entscheidungsfähigkeit des Heranwachsenden findet. Würde dieser Rechtssatz „fallen", so wären allerdings Elternentscheidungen gegenüber einsichtsfähigen Jugendlichen auch dann nicht mehr unangreifbar, wenn sie aus triftigen Gründen der Gefahrenabwehr erfolgen. Geht mit der konkreten Einsichtsfähigkeit des Heranwachsenden die Entscheidungskompetenz auf ihn über, so ist es seine Sache, darüber zu entscheiden, welchen Gefahren er sich aussetzen will. Daß eine solche Lösung des Autonomiekonfliktes nicht abwegig ist, kann daran gezeigt werden, daß sie von der Rechtsprechung in einem wichtigen Bereich des Zivilrechts praktiziert wird. Dieses Beispiel zeigt aber auch, daß eine solche Lösung nicht von der Regelung des BGB's her, sondern ausschließlich aus der Verfassung zu legitimieren ist. Eine Operation - ein Eingriff in das gem. § 823 Abs. 1 BGB geschützte Lebensgut der körperlichen Integrität - ist nur dann rechtmäßig, wenn der Patient in die Operation einwilligt. Soll ein Minderjähriger operiert werden, so stellt sich die Frage, ob für dessen Einwilligung die §§ 104 ff. BGB gelten. Ist dies zu bejahen, so kann ein Minderjähriger, da eine solche Einwilligung nicht nur rechtliche Vorteile zur Folge hat, ohne Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters nicht rechtswirksam einwilligen. Der B G H lehnt die Anwendung der §§ 104 ff. BGB ab 33 : Die Einwilligung in eine Operation sei keine Willenserklärung, sondern nur eine Gestattung zur Vornahme einer tatsächlichen Handlung, die in den Rechtskreis des Gestattenden eingreife. Folglich könne nur eine analoge Anwendung der §§ 104 ff. BGB in Betracht kommen. Eine solche Analogie sei jedoch nur dann geboten, wenn der Schutz des Minderjährigen sie verlange. Der Minderjährige bedürfe aber keines Schutzes mehr, wenn er nach seiner geistigen und sittlichen Reife die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und seiner Gestattung dazu zu ermessen vermöge. Sei der Minderjährige hierzu in der Lage, so könne er selbständig in einen Eingriff in seine körperliche Integrität rechtswirksam einwilligen. Für die Fähigkeit des Minderjährigen, rechtswirksam in die Verletzung eines höchstpersönlichen Rechtsgutes einwilligen zu können, wird somit nicht auf die typisierte - sich nach einer festen Altersgrenze richtende - Mündigkeit, sondern auf die konkrete Einsichtsfähigkeit des Minderjährigen abgestellt34. 33 B G H Z 29, 33, 36. Diese Entscheidung steht im Gegensatz zu der Rechtsprechung der Zivilsenate des Reichsgerichts (RGZ 68, 431, 433; RGZ 168, 206, 210), aber in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung der Strafsenate des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofes (RGSt 41, 392, 394; BGHSt 4, 88, 9 0 f.).
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In der Entscheidung, in der der B G H zum ersten Mal eine solche Einwilligungsfähigkeit bejaht hat, finden sich im Anschluß an diese Bejahung noch Erwägungen dazu, inwieweit eine solche Einwilligungsfähigkeit mit dem elterlichen Personensorgerecht zu vereinbaren sei 35 . Für den zu entscheidenden Fall wurde diese Frage dahingehend gelöst, daß das elterliche Entscheidungsrecht jedenfalls dann nicht entgegenstehe, wenn die elterliche Zustimmung aus besonderen Gründen - im zur Entscheidung anstehenden Fall lebten die Eltern in der D D R - nicht zu erlangen sei. Diese Erwägungen sind unklar. Es läßt sich ihnen nicht sicher entnehmen, ob der B G H die elterliche Entscheidungsbefugnis ins Spiel bringt, um die zuvor bejahte externe Handlungsfähigkeit des konkret einsichtsfähigen Heranwachsenden wieder beseitigen zu können, oder ob es dem B G H darum geht, die externe Handlungsmacht des einsichtsfähigen Minderjährigen intern an eine elterliche Erlaubnis zu binden. Beides ergibt indes keinen Sinn. Wenn es richtig ist, daß der konkret einsichtsfähige Minderjährige bei der Einwilligung in eine Operation keinen Schutz durch gesetzliche Vertretung benötigt, und es ferner zutreffend ist, daß er deshalb als fähig anzusehen ist, selbständig in einen ärztlichen Eingriff wirksam einzuwilligen, dann ist damit auch entschieden, daß die aus dem Personensorgerecht fließende Entscheidungsbefugnis der Eltern für die Operationseinwilligung eines einsichtsfähigen Minderjährigen nicht mehr - in Gestalt der Erforderlichkeit einer elterlichen Zustimmung - von Relevanz sein kann 36 . Eine solche Zustimmung kann auf dem Gebiet der Einwilligung in eine Operation nicht mehr erforderlich sein, wenn man für dieses Gebiet dahingehend gewertet hat, daß auf ihm der einsichtsfähige Minderjährige des Schutzes entraten und deshalb selbständig handeln kann. Ferner geht es auch nicht an, dem Minderjährigen unter Bezugnahme auf seine Einsichtsfähigkeit eine externe Handlungsmacht - die Einwilligungsfähigkeit - zu verleihen, diesen Minderjährigen dann aber intern im Eltern-Kind Verhältnis - unter dem Aspekt des elterlichen Personensorgerechts - an eine Erlaubnis der Eltern zu binden. Sieht man im Innenverhältnis aufgrund ihres Personensorgerechts die Eltern trotz der Einsichtsfähigkeit des Heranwachsenden als entscheidungsbefugt an, dann ist es sinnwidrig, dem einsichtsfähi34 Schon vor dem B G H wurde im zivilrechtlichen Bereich so entschieden von: O L G Celle NJW I 9 6 0 , 136, 137; O L G München NJW 1958, 633, 634. Der B G H hat seine Auffassung bestätigt in: B G H NJW 1964, 1177,1178; B G H NJW 1972, 335, 337. In der letzten Entscheidung sind dann allerdings an die konkrete Einsichtsfähigkeit des Minderjährigen extrem hohe Anforderungen gestellt worden. 35 B G H Z 2 9 , 33, 37. 36 Dies wird zutreffend erkannt von: O L G München NJW 1958, 633, 634; Boehmer M D R 1959, 705, 707; Staudinger-Donau § 1626 RdNr. 77.
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I. Ausgangslage
gen Heranwachsenden im Außenverhältnis eine Rechtsmacht zur Einwilligung einzuräumen. Eine in sich widerspruchsfreie Rechtsordnung kann den einsichtsfähigen Minderjährigen nicht gleichzeitig extern emanzipieren und intern der Entscheidungsgewalt der Eltern unterwerfen. Eine Regelung, die den Ungehorsam des Minderjährigen damit belohnt, daß sein pflichtwidriges Verhalten gegenüber den Eltern im Außenverhältnis zur Rechtswirksamkeit kommt, ist sinnlos 37 . Wer - wie der B G H - eine externe Einwilligungsfähigkeit aufgrund konkreter Einsichtsfähigkeit bejaht, der muß auch im Innenverhältnis zwischen Eltern und Kind insoweit von einer Entscheidungsbefugnis des konkret einsichtsfähigen Minderjährigen ausgehen. Die Rechtsprechung des BGH's zur Operationseinwilligung Minderjähriger ist somit - alles andere wäre in sich widersprüchlich - dahingehend zu interpretieren, daß es bei einem einsichtsfähigen Minderjährigen für diese Einwilligung - extern und intern - ausschließlich auf dessen Willen ankommt 38 . Ob diese Rechtsprechung im Ergebnis richtig ist, soll hier nicht endgültig entschieden werden. Es sollen aber Zweifel aufgezeigt und es soll - darauf kommt es hier entscheidend an - nachgewiesen werden, daß sich diese Rechtsprechung mit den Normen des BGB's nicht rechtfertigen läßt. Zunächst einmal ist es schon zweifelhaft, ob es zutreffend ist, die Einwilligung in eine Operation nicht als Willenserklärung zu qualifizieren 39 . Eine Willenserklärung ist ein finaler Rechtsakt, der auf die Herbeiführung eines Rechtserfolges gerichtet ist 40 . Nun ist es zwar richtig, daß die Einwilligungserklärung zunächst einmal darauf gerichtet ist, dem Arzt den tatsächlichen Eingriff in die körperliche Integrität des Patienten zu gestatten. Mit dieser „Gestattung" sind aber auch Rechtsfolgen verbunden. Die „Gestattung" macht das ärztliche Handeln zum rechtmäßigen Handeln. Ihr Vorliegen oder Nichtvorliegen ist entscheidend dafür, ob dem Patienten ein Schadensersatzanspruch zustehen kann, wenn eine lege artis vorgenommene Operation nichtsdestoweniger adäquat kausal zu Schäden führt. Eine wirksame Einwilligung des Patienten verhindert, daß ein solcher Schadensersatzanspruch ent37
Vgl. dazu auch Reuter S. 27 ff. Dies wird vom B G H nicht immer ausreichend klar erkannt. Nicht nur B G H Z 29, 33, 37, sondern auch B G H NJW 1972, 335, 337 enthält dubiose Ausführungen zum elterlichen Personensorgerecht. Dagegen ist B G H NJW 1974, 1947, 1949, 1950 i.S.d. obigen Ausführungen zu interpretieren. Ebenfalls eindeutig allein auf die konkrete Einsichtsfähigkeit abstellend und ohne Prüfung eines elterlichen Entscheidungsrechts, das dann möglicherweise immer noch entgegenstehen könnte: Gernhuber § 49 V I 4; MünchKomm-Hinz § 1626 RdNr. 44; Palandt-Heinrichs Anm. 2 c vor § 104; Jauernig Anm. 4 b vor § 104. Unklar dagegen: Erman-Ronke § 1626 RdNr. 16; Jauernig-Teichmann § 823 Anm. I V 2 b. 39 Für Willenserklärung z. B. R G Z 141, 262, 265 und Enneccerus-Nipperdey § 151 I I le. 40 Vgl. statt aller Wieacker JZ 1967, 385, 386; Larenz A T § 18; Flume § 1 Ziff. 2; Palandt-Heinrichs Anm. 1 a vor § 116. 38
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41
stehen kann . Dies ist dem Patienten bei der Abgabe seiner Erklärung auch bewußt. In Anbetracht dieser Ähnlichkeit mit unzweifelhaften Rechtsgeschäften wie Erlaß und Verzicht ist das Argument, daß die Einwilligung keine Willenserklärung sei, weil sie unmittelbar und direkt auf die Erlaubnis für das tatsächliche Handeln des Arztes gerichtet sei, dem Verdacht der Begrifflichkeit ausgesetzt. Folgt man dennoch diesem Argument, so ist die Einwilligung jedenfalls als geschäftsähnliche Erklärung einzuordnen. Eine solche Erklärung zeichnet sich nämlich dadurch aus, daß sie zwar nicht auf den Eintritt eines Rechtserfolges, sondern auf denjenigen eines tatsächlichen Erfolges gerichtet ist, nichtsdestoweniger aber für die Rechtsverhältnisse des Erklärenden von Bedeutung ist. Auf geschäftsähnliche Erklärungen sind nach allgemeiner und richtiger Ansicht die §§ 104 ff. BGB - zwar nicht schematisch, wohl aber der jeweiligen Interessenlage folgend - analog anzuwenden42. Betrachtet man die Interessenlage bei der Einwilligungsproblematik, so ist neben dem bereits erwähnten Gesichtspunkt, daß mit der Einwilligung über Schadensersatzansprüche entschieden wird, auch noch der Aspekt des Verkehrsschutzes zu berücksichtigen. Der erste Gesichtspunkt geht dahin, daß das Schutzbedürfnis eines Minderjährigen bei einer Operationseinwilligung nicht anders zu beurteilen ist als bei Rechtsgeschäften wie Erlaß oder Verzicht, die unzweifelhaft den §§ 104 ff. BGB unterfallen. Was den zweiten Aspekt angeht, so berücksichtigt der B G H bei seiner Ablehnung einer rechtsähnlichen Anwendung der §§ 104 ff. BGB in keiner Weise, daß der Umstand, daß diese Vorschriften dem Minderjährigen Schutz in typisierter Form gewähren, dem Interesse der Allgemeinheit an Rechtsklarheit und Rechtssicherheit dient 43 . Der konkret einsichtsfähige Minderjährige bedarf nicht mehr des Schutzes der Eltern. Nichtsdestoweniger hat das BGB die Geschäftsfähigkeit nicht an die konkrete Einsichtsfähigkeit des Jugendlichen geknüpft. Das Gesetz hat vielmehr - mit festen Altersstufen und den Erfordernissen elterlicher Konsensakte - im Interesse der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit dem Rechtsverkehr offenkundige Kriterien dafür an die Hand gegeben, unter welchen Voraussetzungen Verträge mit Jugendlichen rechtswirksam Zustandekommen. Ein Bedürfnis nach Offenkundigkeit besteht nun aber auch bei der Operationseinwilligung Minderjähriger 44 . Macht man bei ihr die Wirksamkeit von der konkreten Ein41 Vgl. dazu z.B. Boehmer M D R 1959, 705, 706; MünchKomm-Gitter vor § 104 RdNr. 95. 42 B G H Z 47, 352, 357; Flume § 9 Ziff. 2 b; Larenz A T § 26; MünchKomm-Gitter vor § 104 RdNr. 83; Palandt-Heinrichs vor § 104 Anm. 2 c; Jauernig vor § 104 Anm. 4 a. 43 Vgl. dazu statt aller Larenz A T § 6 I; MünchKomm-Gitter vor § 104 RdNr. 2; Palandt-Heinrichs vor § 104 Anm. 4. 44 Vgl. dazu insbesondere Lüderitz AcP 178, 263, 277; Bosch FamRZ 1959, 202, 203; MünchKomm-Gitter vor § 104 RdNr. 95; Staudinger-Donau § 1626 RdNr. 78.
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I. Ausgangslage
sichtsfähigkeit des Einwilligenden abhängig, so wird dem „außenstehenden" Arzt das Risiko einer unzutreffenden Beurteilung dieser Einsichtsfähigkeit aufgebürdet. Bejaht der Arzt zu Unrecht die geistige und sittliche Reife des jugendlichen Patienten und verläßt er sich infolgedessen auf dessen Einwilligung, so kann er, selbst wenn er lege artis operiert, für alle Schäden haften, die er adäquat kausal verursacht. Dies spricht dafür, daß der Arzt - ebenso wie der Geschäftsverkehr - ein schutzwürdiges Interesse daran hat, daß die Einwilligungsfähigkeit nicht an die konkrete Einsichtsfähigkeit geknüpft wird, über deren Vorliegen im Einzelfall man häufig trefflich streiten kann. Auch dieser Aspekt weist also in die Richtung, daß die starre, an der Rechtssicherheit orientierte Regelung der §§ 104 ff. BGB - zumindest im Wege der Analogie - die interessengerechte Lösung für die Einwilligungsproblematik ist. Aber auch dann, wenn man die zuletzt angestellten Erwägungen nicht für überzeugend hält, läßt sich die Auffassung des BGH's nichtsdestoweniger auf dem Boden des BGB's nicht halten. Selbst wenn man - zugunsten des BGH's unterstellt, daß die Einwilligung in eine Operation keine Willenserklärung ist und auch nicht einer analogen Anwendung der §§ 104 ff. BGB unterliegt 45 , so muß die Lösung des BGH's immer noch an der Regelung scheitern, die das BGB für das elterliche Sorgerecht getroffen hat. Eine dahingehende Problemlösung, daß der einsichtsfähige Minderjährige zwar extern in die Vornahme einer Operation rechtswirksam einwilligen kann, intern aber gegenüber den Eltern nicht darüber entscheiden darf, ob diese Operation vorgenommen werden soll, ist so sinnlos, daß sich - wie bereits dargelegt - die Auffassung des BGH's notwendigerweise auch auf das Innenverhältnis zwischen Eltern und Kind erstrecken muß. Intern findet nun aber einmal nach dem BGB die aus dem elterlichen Sorgerecht fließende Entscheidungsbefugnis der Eltern ihre Grenze nicht an der konkreten Einsichtsfähigkeit, sondern an der Volljährigkeit des Heranwachsenden. § 1666 BGB verhilft - wie bereits gezeigt - dem einsichtsfähigen Jugendlichen ebenfalls nicht zum Siege. § 1666 BGB greift niemals ein, wenn die Eltern aus triftigen Gründen des Kindeswohls gegen den Willen des einsichtsfähigen Heranwachsenden entscheiden. § 1666 BGB schafft weiterhin keineswegs in allen Fällen Abhilfe, in denen Eltern ohne solche Gründe den Willen des selbstbestimmungsfähigen Jugendlichen übergehen. § 1666 BGB kommt nur dann zur Anwendung, wenn einem solchen Jugendlichen durch die Elternentscheidung konkret ein Schaden droht. Wenn aber intern im Eltern-Kind Verhältnis eine Entscheidungsbefugnis des Kindes nicht mit seiner konkreten 45
Etwa mit der Erwägung, daß der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit bei einer Einwilligung in eine Operation nicht so wichtig sei wie bei dem juristischen „Massenphänomen" der Willenserklärung.
2. Autonomieinteressen des Minderjährigen im einfachen Recht
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Einsichtsfähigkeit begründet werden kann, dann kann man auch nicht unter Berufung auf eben diese konkrete Einsichtsfähigkeit eine externe Handlungsmacht des Kindes bejahen. Da die konkrete Einsichtsfähigkeit des Heranwachsenden nach dem BGB die Entscheidungsbefugnis der Eltern nicht beseitigt, kann es - auf der Grundlage des BGB's - auch nicht so sein, daß diese konkrete Einsichtsfähigkeit zu einer externen Handlungsmacht des Minderjährigten führt. Dem Minderjährigen, dem das BGB interne Entscheidungsmacht versagt, kann man eine externe Handlungsmacht nicht einräumen, ohne gegen das BGB zu verstoßen. Eine solche Handlungsmacht würde nämlich die elterliche Entscheidungsbefugnis „überspielen" und wäre zu nichts anderem als dazu gut, jugendlichen Ungehorsam zu prämieren. So nimmt es denn auch nicht wunder, daß die Rechtsprechung des BGH's zur Operationseinwilligung Minderjähriger in der Literatur mit Argumenten begrüßt worden ist, die sich nicht auf die Regelung des BGB's stützen. So wird diese Rechtsprechung z.B. als legitime Rechtsfortbildung qualifiziert, deren Legitimität sich aus jener Wertsteigerung ergeben soll, die alle höchstpersönlichen Rechtsgüter in der jüngsten Vergangenheit erfahren haben 46 . Andere Autoren 4 7 rechtfertigen das Entscheidungsrecht des konkret einsichtsfähigen Heranwachsenden als Ausfluß seines allgemeinen Persönlichkeitsrechtes und knüpfen damit mittelbar an Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG an 48 . Schließlich findet sich auch noch eine unmittelbare Ableitung aus Art. 2 Abs. 1 GG 4 9 . Der B G H selbst hat später in einem anderen Zusammenhang50 seine Rechtsprechung zur Operationseinwilligung dem Problemkreis der „Grundrechtsmündigkeit" zugeordnet und ihre innere Rechtfertigung in der Wertsteigerung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gesehen. Alle diese Stellungnahmen laufen letztlich darauf hinaus, das Entscheidungsrecht des einsichtsfähigen Heranwachsenden - unmittelbar oder mittelbar - aus dem Grundrechtskatalog der Verfassung abzuleiten.
46 Gernhuber § 49 V I 4. Boehmer M D R 1959, 705, 707 meint, daß die Rechtsprechung des BGH's deshalb zutreffend sei, weil die Einwilligung in eine Operation eine Entscheidung in einer höchstpersönlichen Lebensfrage sei, für die man dem einsichtsfähigen Minderjährigen ein Entscheidungsrecht zubilligen müsse. 47 Lenckner ZStrW 72, 446 ff., 457; Eisser S. 214 f. 48 Staudinger-Donau § 1626 RdNr. 78, der die Rechtsprechung des BGH's ablehnt, ist der Ansicht, daß als Legitimationsgrundlagen dieser Rechtsprechung ausschließlich Art. 1 und Art. 2 GG diskussionswürdig seien. 49 Reuter S. 25 ff., 207, der allerdings ein Entscheidungsrecht des selbstbestimmungsfähigen Minderjährigen nur für solche Operationen anerkennt, die von lebensgestaltender Bedeutung sind. 50 B G H NJW 1974, 1947, 1949, 1950. Die direkt zur Operationseinwilligung ergangenen Entscheidungen enthalten keine Hinweise auf die Verfassung.
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I. Ausgangslage
e) Zwischenergebnis: Aus dem BGB läßt sich kein wirkliches Autonomierecht eines selbstbestimmungsfähigen Minderjährigen ableiten. Das elterliche Entscheidungsrecht findet seine Grenze nicht an der konkreten Einsichtsfähigkeit, sondern an der Volljährigkeit des Kindes. Die Einführung der prozeduralen Vorschrift des § 1626 Abs. 2 BGB hat daran nichts geändert. Nach der Erörterung des Für und Wider verbleibt den Eltern das Recht, eine Entscheidung zu treffen, die dem Selbstbestimmungswillen des einsichtsfähigen Heranwachsenden nicht entspricht. Außerdem führt ein punktueller Verstoß gegen den Verhaltensstandard des § 1626 Abs. 2 BGB zu keiner Sanktion, weil er nicht dazu geeignet ist, einen nicht unerheblichen Schaden für das Kindeswohl herbeizuführen. Diese erfolgsorientierte Voraussetzung des § 1666 BGB ist auch der Grund dafür, daß - unabhängig vom Entscheidungsfindungsprozeß - die elterliche Entscheidung inhaltlich in aller Regel einer vormundschaftsgerichtlichen Kontrolle standhält. Stehen den Eltern, die den Willen des einsichtsfähigen Kindes übergehen, für ihre Entscheidung triftige Gründe des Kindeswohls zur Seite, so hat diese Entscheidung immer Bestand. Schon damit wird dem einsichtsfähigen Heranwachsenden wahre Autonomie verweigert. Wer wirklich autonom ist, der hat auch die Freiheit, solche Entscheidungen zu treffen, die Gefahren für das eigene Wohl mit sich bringen. Er ist nicht nur einer Fremdbestimmung, die ohne triftige Gründe ausgeübt wird, sondern auch einer solchen Fremdbestimmung enthoben, die seinem Wohl dient. Ein Freisein von sachlich nicht gerechtfertigter Bevormundung ist keine echte Autonomie. Außerdem gewährt § 1666 BGB noch nicht einmal allen selbstbestimmungsfähigen Jugendlichen eine solche Freiheit. Eine solche Freiheit wird vielmehr nur demjenigen zugebilligt, der durch eine solche Bevormundung seelischen Schaden zu nehmen droht. Eine solche Fixierung auf einen Schaden wird zwar dem Sinn und Zweck des staatlichen Wächteramtes, nicht aber dem Eigenwert der Selbstbestimmung gerecht. Daß der Staat „ex officio" erst dann gerufen ist, wenn dem Kind ein Schaden droht, bedeutet nicht, daß ohne einen solchen Schaden kein schutzwürdiges Interesse an Selbstbestimmung besteht. Selbstbestimmung bedeutet Handlungsfreiheit. A n Handlungsfreiheit hat aber auch derjenige ein schutzwürdiges Interesse, der sachlich nicht gerechtfertigte Bevormundungsakte ohne seelische Schäden verkraften kann. Von dieser Handlungsfreiheit kann er nämlich - genauso gut oder genauso schlecht - Gebrauch machen wie es derjenige tun kann, der durch die Vorenthaltung der Handlungsfreiheit seelisch geschädigt wird. Diesem Autonomieinteresse trägt das BGB keine Rechnung. Es fragt sich, ob dies mit der Verfassung zu vereinbaren ist.
3. Das Einfachrechtliche Ergebnis bezüglich der Prozeßführung
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3. Anwendung des bisher gefundenen Ergebnisses auf die Konstellation der von dem Kind gewünschten, von den Eltern aber verweigerten Prozeßführung Die Negativentscheidung der Eltern hält einer vormundschaftsgerichtlichen Kontrolle nicht stand, wenn sie das Kind schädigt. Führen die Eltern in einer vermögensrechtlichen Angelegenheit des Kindes einen aussichtsreichen Prozeß nicht durch, den ein vernünftig und wirtschaftlich denkender Mensch betreiben würde, so hat das Vormundschaftsgericht diese Entscheidung gem. § 1667 Abs. 1 BGB zu korrigieren. Wird ein nichtvermögensrechtliches Recht des Kindes - z.B. ein Anspruch auf Widerruf ehrverletzender Äußerungen von den Eltern prozessual nicht durchgesetzt, obwohl eine solche Durchsetzung hinreichende Erfolgsaussichten besitzt, und wird der Minderjährige durch die Vorenthaltung dessen geschädigt, was im Prozeß erstritten werden kann, so hat das Vormundschaftsgericht gem. § 1666 Abs. 1 BGB einzugreifen. Mit dem Autonomieaspekt hat dies nichts zu tun. Insoweit braucht der Minderjährige nicht auf seine Autonomieinteressen zu rekurrieren. Er kann vielmehr geltend machen, daß die Elternentscheidung sein Vermögen bzw. sein personales Wohl gefährdet. Problematisch und erörterungswürdig sind ausschließlich die Fälle, in denen nicht festgestellt werden kann, daß das Kind dadurch geschädigt wird, daß es etwas nicht erhält, was durch eine Prozeßführung zu erlangen ist. Hier bietet das geltende einfache Recht den Autonomieinteressen des einsichtsfähigen Minderjährigen nur einen schwachen Schutz. Können die Eltern für ihre Entscheidung triftige Gründe des Kindeswohls geltend machen (in dem Widerrufsprozeß muß so viel „schmutzige Wäsche gewaschen werden", daß zu befürchten ist, daß die Prozeßführung dem seelischen Wohl des Kindes mehr schadet als nutzt), so sind vormundschaftsgerichtliche Maßnahmen nicht möglich. Aber auch ohne solche Gründe findet - solange der Minderjährige nicht durch die Vorenthaltung dessen geschädigt wird, was im Prozeß erstritten werden kann - ein vormundschaftsgerichtlicher Eingriff noch lange nicht statt (Beispiel: die Eltern führen einen erfolgversprechenden Widerrufsprozeß aus Bequemlichkeit nicht; es kann nicht festgestellt werden, daß das Kindeswohl gefährdet wird, wenn nicht widerrufen wird). Hier kann das Vormundschaftsgericht nur dann handeln, wenn es zu der Überzeugung kommt, daß der einsichtsfähige Heranwachsende aufgrund seiner individuellen Persönlichkeit durch die elterliche Bevormundung, die nicht durch triftige Gründe des Kindeswohls gerechtfertigt wird, einen nicht unerheblichen seelischen Schaden zu nehmen droht. Es fragt sich, ob der einsichtsfähige Jugendliche diesem Ergebnis einen Autonomieanspruch entgegensetzen kann. Wie am Beispiel der Operationseinwilligung Minderjähriger gezeigt, gibt es Bestrebungen, die Entscheidungsbefugnisse einsichtsfähiger Minderjähriger gegenüber der Regelung des BGB's zu erweitern. Eine solche Erweiterung kann ihre Rechtfertigung nur in der Verfassung finden.
IL Die Prozeßführung Minderjähriger als Problem der Grundrechtsmündigkeit 1. Verfassungsrechtliche Fragestellungen und Konsequenzen der möglichen Antworten Bei den Fragen, die sich ergeben, wenn ein Minderjähriger von ihm behauptete materielle Rechte prozessual geltend machen will, sind zwei Bereiche zu unterscheiden. In dem einen Bereich geht es um die externe Handlungsmacht des Minderjährigen, während in dem anderen Bereich seine interne Entscheidungsbefugnis zur Diskussion steht. Soweit der Minderjährige nicht ausnahmsweise partiell voll geschäftsfähig (§§ 112, 113 BGB) oder in bezug auf bestimmte Streitgegenstände prozeßfähig (§§ 607, 640 b ZPO) ist, mangelt es ihm aufgrund des § 52 ZPO an der Fähigkeit, prozessual handeln zu können. Diese Vorschrift versagt dem Minderjährigen für einen bestimmten Bereich die Rechtsmacht, nach außen hin rechtswirksam zu handeln. Von der externen Handlungsmacht ist die interne Entscheidungsbefugnis zu trennen, bei der es darum geht, wer intern im Verhältnis zwischen Eltern und Kind zu der Entscheidung befugt ist, ob in einer Angelegenheit des Kindes ein Prozeß stattfinden soll. Diese Entscheidung steht aufgrund des Sorgerechts - auch gegenüber dem selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden - den Eltern zu. Bei inhaltlich nicht zu beanstandender Entscheidung kann eine Korrektur nur erfolgen, wenn dem selbstbestimmungsfähigen Kind durch willkürliche Bevormundung ein nicht unerheblicher Schaden droht. Wenn man nun prüft, ob die Rechtsposition des Minderjährigen von der Verfassung her anders zu bestimmen ist, dann ist sowohl der Bereich der externen Handlungsmacht, als auch derjenige der internen Entscheidungsbefugnis zum Gegenstand der Prüfung zu machen. Zum einen ist danach zu fragen, ob die Versagung externer Rechtsmacht durch § 52 ZPO mit der Verfassung zu vereinbaren ist. Zum anderen gilt es zu ermitteln, ob die interne Entscheidungsbefugnis der Eltern durch Kindesgrundrechte in einer Weise begrenzt wird, der das geltende einfache Recht (§§ 1626, 1666, 1667 BGB) nicht gerecht wird. Dabei ist es nicht so, daß die Antwort auf die Frage nach der Verfassungsgemäßheit der internen Regelung in jedem Fall die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der externen Regelung mitbeantwortet.
1. Verfassungsrechtliche Fragestellungen und mögliche Konsequenzen
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Ist aufgrund des Art. 2 Abs. 1 GG im internen Verhältnis zwischen Eltern und Kind dem Selbstbestimmungswillen des konkret einsichtsfähigen Heranwachsenden der Vorrang einzuräumen, so ist damit noch nicht gesagt, daß eine Norm, die diesem Heranwachsenden externe Handlungsmacht versagt, verfassungswidrig sein muß. Diese Vorschrift kann ihre Rechtfertigung - auch vor der Verfassung - darin finden, daß ein legitimes Allgemeininteresse an Rechtsklarheit und Rechtssicherheit bei der Zubilligung externer Rechtsmacht feste Altersgrenzen fordert, während ein solches Interesse bei der Frage der internen Entscheidungsbefugnis ohne Belang sein kann. Gebührt allerdings von Verfassungs wegen der Selbstbestimmung des einsichtsfähigen Minderjährigen nicht der Vorrang, so ist damit auch die Frage der externen Handlungsmacht entschieden. Eine Rechtsordnung, die dem einsichtsfähigen Heranwachsenden keine interne Entscheidungsbefugnis zubilligt, wohl aber eine externe Handlungsmacht einräumen würde, wäre in sich widersprüchlich. Man kann nicht den Elterninteressen den Vorrang gewähren und gleichzeitig eine externe Rechtsmacht Minderjähriger bejahen, die diesen Vorrang desavouiert, indem sie den Ungehorsam Minderjähriger prämiert. Die interne Entscheidungsbefugnis des einsichtsfähigen Heranwachsenden ist somit die notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für seine externe Handlungsmacht. Eine externe Emanzipation ohne interne Entscheidungsbefugnis wäre in sich widersprüchlich. Eine solche interne Entscheidungsbefugnis kann, muß aber nicht zu externer Handlungsmacht führen. Zur Bejahung externer Handlungsmacht - durch Verfassungswidrigkeit der entgegenstehenden Norm des einfachen Rechts - genügt es nicht, daß auf der Ebene der Verfassung ein Selbstbestimmungrecht des selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden das Elternrecht überwindet. Es ist vielmehr auch noch erforderlich, daß die entgegenstehenden einfachrechtlichen Vorschriften nicht durch ein Allgemeininteresse an Rechtsklarheit und Rechtssicherheit verfassungsrechtlich legitimiert werden. Zu demselben Befund kommt man, wenn man nicht von der internen Entscheidungsbefugnis, sondern von der externen Handlungsmacht ausgeht. Unterstellt man einmal, was gedanklich möglich ist, daß die Regelung des § 52 ZPO aus einem Allgemeininteresse an Rechtsklarheit und Rechtssicherheit nicht zu rechtfertigen wäre, so wäre diese Vorschrift nichtsdestoweniger verfassungsgemäß, wenn das Elternrecht und das Prinzip der staatsfreien Familie (Art. 6 Abs. 2 GG) es gebieten würden, daß Elternbefugnisse in der Art und Weise des BGB's ausgestaltet werden. Der Umstand, daß es nicht angehen kann, eine interne Entscheidungsbefugnis der Eltern durch eine „überschießende" externe Handlungsmacht des Minderjährigen zu desavouieren, führt zwingend zu der Konsequenz, daß die Nichtberücksichtigung konkreter Mündigkeit im Außenverhältnis nur dann verfassungswidrig sein kann, wenn die interne Entscheidungsbefugnis der Eltern gegenüber konkret selbstbestim3 Reinicke
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II. Prozeßführung und das Problem der Grundrechtsmündigkeit
mungsfähigen Heranwachsenden der Verfassung nicht standhält. Hält dagegen diese Entscheidungsbefugnis den Kindesgrundrechten stand, so folgt es aus der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung, daß auch die Bestimmungen, die die Rechtsmacht im Außenverhältnis entsprechend der Entscheidungsbefugnis im Innenverhältnis regeln, vor den Kindesgrundrechten Bestand haben. Eine externe Handlungsmacht des Minderjährigen aufgrund konkreter Einsichtsfähigkeit - entgegen einer typisierenden Norm des einfachen Rechts kann nur dann bestehen, wenn sich intern im Eltern-Kind Verhältnis eine Entscheidungsbefugnis des konkret einsichtsfähigen Heranwachsenden aus der Verfassung ableiten läßt. Ist diese notwendige Voraussetzung erfüllt, so ist damit noch nicht die Verfassungswidrigkeit der Vorschrift festgestellt, die die Rechtsmacht im Außenverhältnis typisierend regelt. Ihre Verfassungswidrigkeit, die den einsichtsfähigen Heranwachsenden im Außenverhältnis emanzipiert, setzt weiter voraus, daß kein Allgemeininteresse an Rechtsklarheit und Rechtssicherheit die Typisierung verfassungsrechtlich zu legitimieren vermag. Ist ein solches Allgemeininteresse vorhanden, so ist der einsichtsfähige Heranwachsende zwar nicht extern handlungsfähig, wohl aber intern entscheidungsbefugt. Ist der Heranwachsende - unter der notwendigen Voraussetzung der internen Entscheidungsbefugnis - extern handlungsfähig, so bedarf er keines gesetzlichen Vertreters mehr. Er kann selbst entscheiden und diese Entscheidung dann durch wirksames Handeln im Außenverhältnis verwirklichen. Für ein Handeln des Vormundschaftsgerichts ist kein Raum; es sei denn, daß die Eltern durch tatsächliche Maßnahmen ein selbständiges Handeln des Minderjährigen verhindern. Diesen Status hat der Heranwachsende ζ. Z. im Bereich der Einwilligung in eine Operation, wenn man die diesbezüglichen Grundsätze des BGH's konsequent anwendet. Der Heranwachsende, der aufgrund seiner geistigen und sittlichen Reife die Bedeutung und Tragweite eines operativen Eingriffs und der Gestattung dazu zu ermessen vermag, kann selbst darüber entscheiden, ob die Operation vorgenommen werden soll, und er hat die externe Rechtsmacht, die Erklärung gegenüber dem Arzt abzugeben51. Für ein Handeln der Eltern ist kein Raum. Stellt ein einsichtsfähiger Heranwachsender, der eine Operation wünscht, beim Vormundschaftsgericht den Antrag, seinen Eltern, welche die Operation nicht wollen, bezüglich der Einwilligung in die Operation das Sorgerecht zu entziehen, so kann eine dem Antrag stattgebende Entscheidung des Vormundschaftsgerichts nicht ergehen. Der einsichtsfähige Jugendliche ist bereits in der Lage, über diese Einwilligung selbständig zu entscheiden und diese Einwilligung gegenüber dem Arzt rechtswirksam zu erklären 52 . 51 Es ist bereits dargelegt worden, daß sich dieses Ergebnis ohne Heranziehung der Verfassung nicht begründen läßt. Vgl. dazu S. 28, 29.
1. Verfassungsrechtliche Fragestellungen und mögliche Konsequenzen
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Bezüglich der Prozeßführung würde ein solches Ergebnis bedeuten, daß der konkret einsichtsfähige Minderjährige kraft Verfassungsrechts als prozeßfähig anzusehen wäre 53 . Kommt man - wegen eines Allgemeininteresses an Rechtsklarheit und Rechtssicherheit - zu dem Ergebnis, daß der einsichtsfähige Heranwachsende zwar intern entscheidungsbefugt, nicht aber extern handlungsfähig ist, so muß man ihm einen Pfleger bestellen, der als sein Vertreter die extern erforderlichen Rechtshandlungen vorzunehmen hat, im Fall der Prozeßführung also den Prozeß für den Heranwachsenden zu führen hat. Dadurch hat der Rechtsverkehr dann die Sicherheit, daß im Außenverhältnis rechts wirksame Handlungen vorgenommen werden. Das geltende einfache Recht stellt für eine solche Pflegerbestellung, deren Notwendigkeit sich daraus ergeben würde, daß die Elternbefugnisse des BGB's ein Autonomierecht des selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden verfassungswidrig einschränken, selbstverständlich weder ein Verfahren, noch eine materiellrechtliche Grundlage zur Verfügung. Verfahrensrechtlich käme wegen der Sachnähe des Vormundschaftsgerichts sicherlich nur ein vormundschaftsgerichtliches Verfahren in Betracht 54 . Materiellrechtlich wird man dann entweder unmittelbar auf das Verfassungsrecht rekurrieren müssen oder aber den § 1666 BGB im Lichte des Grundgesetzes anders als bisher erörtert auslegen müssen. Kommt man zu einer Ablehnung der Ausdehnung interner Entscheidungsbefugnisse des einsichtsfähigen Heranwachsenden - mit der notwendigen Folge, daß es dann auch keine Erweiterung seiner externen Handlungsmacht gibt - , so bleibt es bei der bis jetzt dargestellten einfachrechtlichen Rechtslage. Die Fragen danach, welche Aussagen die Verfassung zur internen und externen Rechtsmacht Minderjähriger macht, stellen die Zentralfragen eines Problembereiches dar, der üblicherweise unter dem Stichwort der „Grundrechtsmündigkeit" erörtert wird 5 5 . Deshalb wollen wir uns im folgenden dieser Grundrechtsmündigkeit zuwenden.
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Insoweit zutreffend L G München NJW 1980 , 646. Dieses Ergebnis wird von Schwerdtner AcP 173, 227, 248 für Prozesse vertreten, in denen es um Persönlichkeitsrechte des Heranwachsenden geht. 54 In der Literatur werden insoweit folgende Vorschläge gemacht: Analogie zu §§ 3 Abs. 3 EheG, 1612 Abs. 2 S. 2 BGB von Krüger FamRZ 1956, 329, 334. Analogie zu § 7 Abs. 1 R K E G von Reuter S. 196 ff. Analogie zu § 1666 BGB von Maunz-Dürig Art. 19 Abs. 3 GG RdNr. 27 und Stöcker ZRP 1977, 211, 214. Dabei bezieht sich nur die Äußerung von Dürig auf den Fall der Prozeßführung. Allen Autoren geht es aber darum, einen verfahrensrechtlichen Weg für die von ihnen bejahte Möglichkeit aufzuweisen, daß der Heranwachsende aufgrund seiner Grundrechte mehr Entscheidungsrechte hat als es nach der einfachrechtlichen Regelung des BGB's den Anschein hat. 55 So zutreffend: Gernhuber § 7 11; Bleckmann S. 296. 53
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II. Prozeßführung und das Problem der Grundrechtsmündigkeit
2. Die Problematik der Grundrechtsmündigkeit als eine Problematik, die mit einem zivilistischen Ansatz nicht richtig erfaßt werden kann Die Problematik der Grundrechtsmündigkeit ist richtigerweise dahingehend zu kennzeichnen, daß es bei ihr darum geht, inwieweit Kindesgrundrechte verfassungsgemäß eingeschränkt werden können 56 . Diese Kennzeichnung wird indes zumeist verfehlt, weil ganz herrschend von einem unrichtigen Problemansatz ausgegangen wird. Ganz überwiegend wird die Grundrechtsmündigkeit als eine Kategorie der Handlungsfähigkeit angesehen, die - in der gleichen Weise wie im Zivilrecht die Geschäftsfähigkeit der Rechtsfähigkeit - der Grundrechtsfähigkeit gegenübergestellt wird. In Parallele zu der zivilrechtlichen Geschäftsfähigkeit wird für die Grundrechte eine - wie im Zivilrecht von der Kategorie der Rechtsfähigkeit getrennte - Handlungsfähigkeit gesucht57. Auf der Basis dessen, daß man - mehr oder weniger selbstverständlich - das Kind als grundrechtsfähig als Träger der Grundrechte - ansieht, stellt man die Frage danach, ab wann das Kind seine Grundrechte selbständig „ausüben" kann. Für diese Ausübungsmacht hat sich - im Anschluß an H. Krüger 58 - der Ausdruck „Grundrechtsmündigkeit" eingebürgert. Ausgehend von der Feststellung, daß eine solche Grundrechtsmündigkeit - anders als die Geschäftsfähigkeit im BGB in der Verfassung keine ausdrückliche Regelung gefunden habe, forscht man nach einer im Grundgesetz explizit nicht enthaltenen grundrechtlichen Handlungsfähigkeit, wobei man zu den unterschiedlichsten Lösungen gelangt. Es wird die Ansicht vertreten, daß für die Grundrechtsmündigkeit die Mündigkeitsvorschriften des BGB's heranzuziehen seien. Soweit dies nicht als Selbstverständlichkeit angesehen wird, die keiner weiteren Begründung bedarf 59 , sind dafür recht verschiedene Begründungen zu finden: Man könne nicht unterstellen, daß unsere freiheitliche Verfassung im Vergleich zu dem aus dem Kaiserreich stammenden BGB dem Willen Minderjähriger eine geringere Bedeutung beimessen wolle 60 . 56 Prinzipiell zutreffend Reuter S. 51 ff. und FamRZ 1969, 622, 623. In einigen wesentlichen Punkten ist allerdings - wie noch dargestellt wird - Reuter nicht zu folgen. Im Ansatz ähnlich wie Reuter Roell S. 19-21. Von einem ganz anderen Ausgangspunkt im Ergebnis wie hier Hohm NJW 1986, 3108 ff. und Hesse § 9 I I 2. Dazu später S. 52ff. 57 Typisch für diesen Ansatz: HessStGH D O V 1966, 51, 52; Leuschner S. 73 i L ; Perschel S. 8 0 ff.; Lepa S. 22; Dürig in Maunz-Dürig Art. 19 Abs. 3 RdNr. 9-16; von Münch Vorb. vor Art. 1-19 RdNr. 11 ff.; Krüger FamRZ 1956, 329, 330; Schwerdtner AcP 173, 227, 229; Woltereck AuR 1965, 193, 194 ff. 5 8 FamRZ 1956, 329 ff. 59 Als selbstverständlich sieht dies Nipperdey an; in: Die Grundrechte, Band I V , Halbband 2 S. 776. In derselben Richtung der BGH: „ I n der Rechtsprechung hat eine besondere Grundrechtsmündigkeit bisher keine Anerkennung gefunden" (BGH NJW 1974, 1947, 1949).
2. Ungeeignetheit eines zivilistischen Ansatzes zur Problemlösung
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Zwischen den Kindesgrundrechten und dem Elterngrundrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG soll es zu einer Kollision kommen, für die die Mündigkeitsvorschriften des BGB's die Kollisionsnormen seien 61 . Dem wird entgegengehalten, daß einfachrechtliche Vorschriften keine Kollisionsnormen für eine verfassungsrechtliche Kollisionslage sein könnten. Die im BGB enthaltene „mustergültige" Konfliktlösung sei aber als gedankliche Leistung für die Lösung der Grundrechtsmündigkeitsproblematik zu übernehmen 62 . Diese gedankliche Leistung soll nach a.A. für die Grundrechtsmündigkeit nur dann heranzuziehen sein, wenn es um Grundrechte geht, deren Ausübung mit privatrechtlichen Rechtsgeschäften verbunden ist (z.B. Art. 14 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 GG). Bei anderen Grundrechten soll auf andere unterverfassungsrechtliche Vorschriften als sachgerechte Normierungen der Grundrechtsmündigkeit zurückzugreifen sein, so z.B. auf § 5 R K E G für Art. 4 GG 6 3 . Im Vordringen begriffen sind indes solche Stimmen, die die Grundrechtsmündigkeit als das Ergebnis einer Grundrechtskollision betrachten, zu deren Lösung das BGB nicht viel beitragen kann. Die Kriterien, die für die Lösung der Kollisionslage zwischen Kindesgrundrechten und Elterngrundrecht angeboten werden, sind dabei vielfältiger Natur und führen bezüglich der Rechtsstellung Minderjähriger zu recht unterschiedlichen Ergebnissen. Dabei geht die weitestgehende Ansicht dahin, die individuelle Reife des Minderjährigen als das entscheidende Kriterium anzusehen und deshalb den konkret einsichtsfähigen Heranwachsenden vorzeitig zu emanzipieren 64. Andere Autoren plädieren dagegen für eine umfassende Interessenabwägung im konkreten Einzelfall, für die nicht nur die Selbstbestimmungsfähigkeit des Jugendlichen von Belang sein soll 65 . 60 Stein § 24 I V 3; in der 9. Aufl., S. 264/265 aufgegeben; auch die Grundrechtsmündigkeit beginne wie die Grundrechtsfähigkeit mit der Geburt. Scholz S. 7 0 , 71. 62 Woltereck AuR 1965, 193, 196. 63 von Münch Staatsrecht S. 61 ff.; Kuhn S. 38 ff. 64 So insbesondere Schwerdtner AcP 173, 227 ff., 245, 248; Stöcker ZRP 1974, 211 ff. Nach Schwerdtner erstreckt sich diese Emanzipation auch auf das Außenverhältnis, während sie bei Stöcker auf das Innenverhältnis zu den Eltern beschränkt bleibt. Bleckmann S. 299 spricht sich ebenfalls für eine weitgehende interne Emanzipation des individuell reifen Jugendlichen aus. Schick-Herzog S. 29 und Lepa S. 22 tendieren auch dazu, auf die konkrete Einsichtsfähigkeit abzustellen, wobei aber der Umfang der Handlungsmacht des einsichtsfähigen Heranwachsenden - nur intern oder auch extern - unklar bleibt. Bad.-Württ. V G H JZ 1976, 711, 712 scheint - im Außenverhältnis gegenüber öffentlicher Gewalt - die konkrete Einsichtsfähigkeit als den entscheidenden Gesichtspunkt anzusehen. 65 Perschel S. 87 ff.; Leuschner S. 76 ff.; H. Krüger aaO. S. 331; Dürig aaO RdNr. 21 ff.
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II. Prozeßführung und das Problem der Grundrechtsmündigkeit
So soll es z.B. entscheidend darauf ankommen, welche Folgen die Grundrechtsausübung für den Minderjährigen habe. Bei schwerwiegenden Folgen sei eine Entscheidungskompetenz des Minderjährigen zu verneinen 66 . Eine dieser Betrachtungsweise sehr ähnliche Sichtweise fragt danach, ob dem Kind durch die Grundrechtsausübung ein Schaden droht 67 . Nach anderer Ansicht sollen im Rahmen der konkreten Interessenabwägung insbesondere die Wertungen der unterverfassungsrechtlichen Normen fruchtbar gemacht werden, die - wie etwa § 5 RKEG und § 59 FGG - den Heranwachsenden vorzeitig emanzipieren 68. Schließlich findet sich die Meinung, daß es für den Abwägungsprozeß, der strikt am Einzelfall auszurichten sei, in erster Linie von Belang sei, ob ein konkretes Erziehungsbedürfnis des Kindes die Elternentscheidung legitimiere 69 . Betrachtet man die drei Grundpositionen zur Frage der Grundrechtsmündigkeit, so lassen sich unschwer für jede dieser Ansichten Argumente finden, die zu ihrer Rechtfertigung ins Feld geführt werden können. Für die Emanzipation des konkret einsichtsfähigen Jugendlichen als die Extremposition auf der einen Seite: Einerseits spricht die Verfassung nirgends davon, daß die Ausübung von Grundrechten an feste Altersstufen gebunden sein soll. Andererseits ist es ein Gebot der - von der Staatsgewalt gem. Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG zu schützenden - Menschenwürde, daß einsichtsunfähigen Personen durch bevormundende Fürsorge Hilfe geleistet wird 7 0 . Nimmt man beide Aussagen zusammen, so könnte sich daraus das Ergebnis ergeben, daß einsichtsfähige Menschen ihre Grundrechte selbständig ausüben können. Da unter der Herrschaft des Grundgesetzes die Grundrechte nicht im Rahmen der einfachen Gesetze gelten, sondern - umgekehrt herum - die einfachen Gesetze sich vor den Grundrechten zu verantworten haben (Art. 1 Abs. 3 GG), könnte es so sein, daß Typisierungen des einfachen Rechts daran scheitern, daß Grundrechte von Verfassungs wegen von konkret einsichtsfähigen Grundrechtsträgern selbständig ausgeübt werden können. Ein solches Ergebnis muß nicht gegen Art. 6 Abs. 2 GG verstoßen. Findet nämlich das Elterngrundrecht seine Legitimation ausschließlich in dem Schutzbedürfnis des Kindes, so steht dieses Grundrecht einer Lösung nicht entgegen, die den einsichtsfähigen Heranwachsenden, der des Schutzes nicht mehr bedarf, von der elterlichen Entscheidungsbefugnis emanzipiert. Für eine Grundrechtsmündigkeit nach Maßgabe der Vorschriften des BGB's als die Extremposition auf der anderen Seite: Elterngrundrecht 66 67 68 69 70
Perschel aaO. Leuschner aaO. H. Krüger aaO. Dürig aaO. So zu Recht Reuter S. 6 0 ; Gernhuber § 7 I 4.
2. Ungeeignetheit eines zivilistischen Ansatzes zur Problemlösung
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zumal wenn es nicht ausschließlich fremdnütziger Natur sein sollte - und das Prinzip der staatsfreien Familie könnten es fordern, daß die elterlichen Entscheidungsbefugnisse, die das BGB gewährt, unangetastet bleiben. Die Regelung des BGB's könnte auch dann der Verfassung standhalten, wenn in der privatrechtlichen Binnenbeziehung zwischen Eltern und Kind für eine Berücksichtigung der Kindesgrundrechte kein Raum ist. Wäre dem so, so könnten Minderjährige ihre Grundrechte nur nach Maßgabe der Bestimmungen des BGB's selbständig ausüben. Für die Zwischenlösung einer einzelfallbezogenen Interessenabwägung: Kollidieren Rechte miteinander, so stellt es an und für sich die juristische „Normallösung" dar, daß im Wege einer konkreten - auf den Einzelfall bezogenen - Interessen— und Güterabwägung entschieden wird 7 1 . Es fragt sich, von welchem methodischen Ansatzpunkt aus diese Argumente zu diskutieren sind. Dies muß - und soll - zuerst geklärt werden. Der gängige Ansatzpunkt ist derjenige, daß - in Parallele zum zivilrechtlichen Dualismus von Rechtsfähigkeit und Geschäftsfähigkeit - auf der Grundlage einer nicht bezweifelten Grundrechtsfähigkeit des Minderjährigen nach seiner grundrechtlichen Handlungsfähigkeit gesucht wird, bezüglich derer die Verfassung lückenhaft sein soll. Dieser Ansatz ist schon in sich unschlüssig. Selbst wenn man sich einmal darauf einläßt, daß die Frage nach der selbständigen Ausübung von Grundrechten durch Minderjährige eine Problematik ist, die mit der Kategorie einer - der zivilrechtlichen Geschäftsfähigkeit nachgebildeten - grundrechtlichen Handlungsfähigkeit zutreffend erfaßt werden kann, so ist dieser Ansatz, nach einer verfassungsrechtlich ungeregelten grundrechtlichen Handlungsfähigkeit zu suchen, immer noch abzulehnen. Bei dieser Suche geht man nämlich davon aus, daß mit der Feststellung, daß der Minderjährige Grundrechte hat, noch nichts darüber ausgesagt ist, ob er diese Rechte auch selbständig ausüben kann 72 . Diese Ausübungsfähigkeit - alias Grundrechtsmündigkeit - soll noch einer positiven Begründung bedürfen. Es stellt aber eine Besonderheit, die ihrerseits zu begründen wäre, dar, wenn man nach der Feststellung, daß jemand Inhaber eines Rechtes ist, noch nach Gründen dafür suchen muß, daß er dieses Recht auch ausüben kann. Unser objektives Recht erkennt stillschweigend die Regel an, daß derjenige, der ein Recht hat, dieses Recht auch ausüben kann 73 . Da die Regel dahin geht, daß 71
Vgl. etwa BVerfGE 3 0 , 173 ff.; Bleckmann S. 275. So ausdrücklich Woltereck AuR 1965, 193, 195 mit Nachweis der Autoren, die diesen Ansatz teilen. 73 Zutreffend Kittner AuR 1971, 280 , 284; Schwerdtner AcP 173, 227, 236; Hohm NJW 1986, 3107, 3111. Vgl. auch Staudinger-Coing Vorbem. I O vor § 104 BGB. Schon § 89 Einl. A L R - wem die Gesetze ein Recht geben, dem bewilligen sie auch die 72
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II. Prozeßführung und das Problem der Grundrechtsmündigkeit
Rechtsinhaberschaft und Ausübungsmacht zusammenfallen, bedarf der Umstand, daß der Rechtsinhaber sein Recht ausüben kann, nicht der Rechtfertigung, sondern es ist - umgekehrt herum - danach zu fragen, ob Gründe dafür vorliegen, daß der Rechtsinhaber sein Recht nicht ausüben kann. Es ist kein Grund ersichtlich, warum für minderjährige Grundrechtsinhaber diese Regel nicht gelten soll. Ein solcher Grund ist insbesondere nicht in der Regelung zu sehen, die das BGB für die Handlungsfähigkeit Minderjähriger enthält. Die Verfassung ist nicht anhand der einfachen Gesetze zu interpretieren, sondern die einfachen Gesetze haben den Anforderungen der Verfassung zu genügen. Gewährt man - wie es der hier behandelte Ansatz tut - dem Minderjährigen die Grundrechte, so gilt für ihn auf der Ebene der Verfassung die Regel, daß er diese Grundrechte auch ausüben kann. Die unterverfassungsrechtlichen Normen des BGB's können daran nichts ändern. Dies bedeutet natürlich nicht, daß sie für die Grundrechtsausübung Minderjähriger irrelevant sind. Geht man aber auf der Ebene der Verfassung davon aus, daß - entsprechend der allgemeinen Regel unseres objektiven Rechts - der Grundrechtsträger sein Grundrecht auch ausüben kann, so stellt sich die Normierung des BGB's als Grundrechtseinschränkung durch einfaches Gesetz dar, die dann Bestand hat, wenn sie von den Vorbehalten der Verfassung her gerechtfertigt werden kann. Es ist auch nicht so, daß die „Natur der Sache" es gebietet, daß für minderjährige Grundrechtsinhaber die Regel der Ausübungsfähigkeit nicht gelten kann. Begreift man die Grundrechtsmündigkeit als Kategorie der Handlungsfähigkeit, so kann eine solche Mündigkeit nur für solche Minderjährige zur Debatte stehen, die schon die natürlichen Fähigkeiten haben, die erforderlich sind, um die Tätigkeiten auszuüben, die in den Grundrechten geschützt werden. Für den Säugling in der Wiege stellt sich noch nicht die Frage, ob er bezüglich des Grundrechtes der Versammlungsfreiheit - im Sinne einer selbständigen Handlungsfähigkeit - grundrechtsmündig ist 74 . Berücksichtigt man dies, so kann keine Rede davon sein, daß die „Natur der Sache" - im Sinne einer außerrechtlichen Vorgegebenheit, die das Recht nicht negieren kann es fordert, die allgemein geltende Regel, daß der Rechtsinhaber sein Recht auch ausüben kann, im Bereich der Grundrechtsausübung durch Minderjährige nicht anzuwenden. Läßt man sich also auf den Ansatzpunkt der ganz h. M. ein und begreift man die Grundrechtsmündigkeit als Kategorie der Handlungsfähigkeit, so ist - entgegen dieser Meinung - nicht nach Gründen zu suchen, aus denen sich eine Handlungsfähigkeit ergibt, sondern es ist vielmehr - umgekehrt herum -
Mittel, ohne welche dasselbe nicht ausgeübt werden kann - liegt der Gedanke zugrunde, daß der Träger eines Rechts dieses auch ausüben kann. 74 Vgl. dazu Dürig aaO RdNr. 16; Hohm NJW 1986, 3107, 3112.
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danach zu fragen, warum der minderjährige Grundrechtsinhaber handlungsunfähig sein soll 75 . Es gilt dann nicht die Grundrechtsmündigkeit, sondern die Grundrechtsunmündigkeit zu finden. Siedelt man das Problem auf der Ebene der Handlungsfähigkeit an, so ist es - unter der Voraussetzung, daß der Minderjährige Grundrechtsinhaber ist - nicht ein Problem der Begründung von Handlungsmacht, sondern ein Problem der Einschränkung von Handlungsmacht. Der Ansatz, nach einer verfassungsrechtlich nicht geregelten Handlungsfähigkeit minderjähriger Grundrechtsinhaber zu suchen, ist indes nicht nur in sich unschlüssig, sondern auch prinzipiell ungeeignet, die anstehende Grundrechtsproblematik adäquat zu erfassen. Wo die Fehlerhaftigkeit dieses Ansatzes liegt, beginnt man zu ahnen, wenn man sich eine Vielzahl der Antworten ansieht, mit denen die Frage nach der Handlungsfähigkeit des Minderjährigen versehen wird. Gemeint sind die Antworten, welche die Grundrechtsmündigkeit als das Ergebnis einer Kollision zwischen dem Elterngrundrecht und den Kindesgrundrechten ansehen. Kollidieren Rechte miteinander, so wird aber nicht über Handlungsfähigkeiten der Rechtsträger, sondern über die inhaltliche Reichweite von Rechten entschieden 76 . Sieht man z.B. das Grundrecht des Kindes, seine Persönlichkeit frei entfalten zu können (Art. 2 Abs. 1 GG), als mit dem Grundrecht der Eltern, zur Erziehung und Pflege des Kindes in dessen Angelegenheiten entscheiden zu können (Art. 6 Abs. 2 GG), kollidierendes Recht an und räumt man - aufgrund welcher Erwägungen auch immer - dem Elterngrundrecht den Vorrang ein, so wird das Grundrecht des Kindes aus Art. 2 Abs. 1 GG eingeschränkt. Gefragt wird nach einer Handlungsfähigkeit des minderjährigen Grundrechtsträgers. Geantwortet wird mit einer Einschränkung seines Grundrechts. Fragestellung und Antwort korrespondieren nicht miteinander. Dies beruht darauf, daß die der zivilrechtlichen Dogmatik verhaftete Fragestellung für die zu lösende Grundrechtsproblematik nicht paßt, was dazu führt, daß sich letztere eine Antwort sucht, ohne auf die verfehlte Fragestellung Rücksicht zu nehmen. In Wirklichkeit ist es so, daß sich für viele Grundrechte die Frage nach einer grundrechtlichen Handlungsmacht überhaupt nicht stellt und daß dort, wo von grundrechtlicher Handlungsmacht gesprochen werden kann, Parallelen zum zivilrechtlichen Dualismus von Rechtsfähigkeit und Geschäftsfähigkeit fehl am Platz sind. Dies soll im folgenden näher dargelegt werden.
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Im Ergebnis ebenso: Kittner aaO S. 284-286; Schwerdtner aaO. S. 236; Hohm NJW 1986, 3107,3111. Vgl. dazu auch Gernhuber FamRZ 1962, 89, 91.
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Eine Problematik, inwieweit Minderjährige, denen von Geburt an - diese Prämisse soll weiterhin zugrundegelegt werden - die Grundrechte zustehen, diese Grundrechte selbständig ausüben können, kann sich nur dort ergeben, wo im Grundrechtsbereich Raum für Ausübungshandlungen ist. Dies ist bei den Grundrechten nicht der Fall, die kein bestimmtes Verhalten des Grundrechtsträgers schützen. So sind z.B. Grundrechtsnormen, die sich darauf beschränken, dem Staat bestimmte Handlungsweisen gegenüber dem Grundrechtsträger zu verbieten, nicht darauf angelegt, ausgeübt - durch ein Handeln des Grundrechtsträgers aktualisiert - zu werden. Dies gilt z.B. für das Diskriminierungsverbot des Art. 3 GG, das Ausbürgerungsverbot des Art. 16 Abs. 1 GG und das Auslieferungsverbot des Art. 16 Abs. 2 GG. Auf derselben Ebene liegen die Anordnung des Art. Ι Ο Ι Abs. 1 GG, daß niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf, und die Rechtsgarantien des Art. 104 GG, die Freiheitsentziehungen nur unter bestimmten Voraussetzungen zulassen. Der Sinn dieser Vorschriften erschöpft sich darin, den Grundrechtsträger vor bestimmten Verhaltensweisen des Staates zu bewahren. Gegenstand des Schutzes ist dagegen nicht ein Verhalten des Grundrechtsträgers. Bezüglich solcher Grundrechte kann sich nur die Frage des Habens und nicht diejenige des Handelns stellen. Bejaht man hier die Grundrechtsfähigkeit des Minderjährigen, so genießt er als Grundrechtsträger den Schutz dieser Grundrechte, ohne dafür eine Handlungsmacht zu benötigen. Im Schutzbereich dieser Grundrechte gibt es für den Grundrechtsträger nichts zu handeln. Daß die Grundrechtsinhaberschaft des Minderjährigen, auf die sich bei diesen Grundrechten die Grundrechtsproblematik beschränkt, hier zu bejahen ist, liegt auf der Hand. In bezug auf Diskriminierung, Ausbürgerung, Auslieferung, Willkür der Justiz und Freiheitsentziehung ohne Einhaltung der Rechtsgarantien ist das Schutzbedürfnis eines Minderjährigen nicht geringer als das Schutzbedürfnis eines Volljährigen. A n die Grundrechts Widrigkeit staatlicher Eingriffe kann hier kein verschiedener Maßstab anzulegen sein, je nachdem, ob ein Minderjähriger oder ein Volljähriger von einem Eingriff betroffen wird 7 7 . Für den Bereich dieser Grundrechte, in dem für ein Handeln des Grundrechtsträgers kein Raum ist, ist nichtsdestoweniger von einer Grundrechtsmündigkeit als einer Kategorie der Handlungsfähigkeit die Rede. So soll z.B. die „Ausübung" des Grundrechts aus Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG an keine bestimmte Altersgrenze gebunden sein 78 . Das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. Ι Ο Ι Abs. 1 S. 2 GG) soll für Jugendliche ab 14 Jahre „selbstän77
Vgl. insoweit auch Dürig aaO RdNr. 18. So von Münch Staatsrecht S. 62, weil dieses Grundrecht an die menschliche Existenz als solche anknüpfe und keine Einsichts- und Handlungsfähigkeit voraussetze. 78
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dig ausübbar" sein . In bezug auf Art. 3 GG wird davon gesprochen, daß es für das Interesse des Unmündigen, im Verhältnis zu anderen gleichbehandelt zu werden, gleichgültig sei, ob der „Schutz" dieses Interesses durch den Berechtigten selbst oder durch seinen gesetzlichen Vertreter „besorgt" werde 80 . Es fragt sich, was unter „Ausübung", „selbständig ausübbar" und „Schutz besorgen" zu verstehen ist. Da diejenigen, die diese Begriffe verwenden, sie nicht erläutern, ist man auf eigene Erwägungen angewiesen. Es handelt sich um Begriffe, die ein Handeln auf der Seite des Grundrechtsträgers im Auge haben. Bei diesen Grundrechten, deren realer Nutzen für den Grundrechtsinhaber darin liegt, daß sie ihm Schutz vor staatlichem Handeln garantieren, gibt es keinen Raum für grundrechtlich geschütztes Handeln des Grundrechtsträgers. Diese Grundrechte sind nicht dazu da, durch ein Tun des Bürgers aktualisiert zu werden. Wird ihm die Freiheit entzogen, so hängt die Einhaltung der Rechtsgarantien des Art. 104 GG ausschließlich vom Verhalten der staatlichen Organe ab. Für die Frage, ob der Prozeß des Bürgers vom gesetzlichen Richter entschieden wird, gilt genau dasselbe. Gleichbehandlung des Menschen knüpft nicht an dessen Handeln, sondern an dessen Behandeltwerden an. Die einzige Form des Handelns, die bei diesen Grundrechten für den Grundrechtsträger denkbar ist, ist diejenige, daß er als „Opfer" - in Reaktion auf staatliches Verhalten - unter Berufung auf diese Grundrechte Rechtsschutz sucht. Die Frage der Grundrechtsmündigkeit kann hier also nur auf die Frage hinauslaufen, inwieweit der Minderjährige eine Verletzung dieser Grundrechte prozessual selbständig geltend machen kann 81 . Dies ist indes keine Frage der Grundrechte, die hier zur Debatte stehen. Die Rechtsmacht, eine Grundrechtsverletzung prozessual geltend machen zu können, fließt nicht aus dem verletzten Grundrecht. Auch derjenige, der an und für sich die prozessuale Durchsetzbarkeit dem Begriff des subjektiven Rechts zurechnet 82 , muß anerkennen, daß gegenüber der öffentlichen Gewalt das Grundgesetz diese Durchsetzbarkeit nicht den Einzelgrundrechten, sondern dem Art. 19 Abs. 4 GG zugewiesen hat, der die Justizgewährung bei Rechtsverletzungen durch die öffentliche Gewalt garantiert. Der Staat, der den Minderjährigen willkürlich ungleich behandelt, verletzt dessen Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG. Verwehrt man es diesem Minderjährigen, daß er diese Grundrechtsverletzung selbständig prozessual geltend machen kann, so 79 So H. Krüger aaO. S. 331. Dies soll aus einem „inneren Zusammenhang von Schuld und Würde" folgen. § 1 JGG knüpft die Strafmündigkeit an das Alter von 14 Jahren, so So Reuter S. 53, 54. 81 Zwiespältig sind die Ausführungen Roells, die bezüglich der hier angesprochenen Grundrechte den unklaren Begriff „sich berufen können" (S. 42, 46) verwendet, dann aber bezüglich aller Grundrechte die Bedeutung des Art. 19 I V richtig erkennt. 82 Vgl. dazu Dürig in Maunz-Dürig Art. 1 Abs. 3 RdNr. 96.
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kann dies den Art. 19 Abs. 4 GG, nicht aber den Art. 3 Abs. 1 GG verletzen. Formuliert man die Frage der Grundrechtsmündigkeit dahingehend, inwieweit der Minderjährige bei Grundrechtsverletzungen selbständig prozessual handeln kann (eine andere Form des Handelns steht bei den hier diskutierten Grundrechten nicht zur Debatte), so fragt man danach, inwieweit der Minderjährige in bezug auf Art. 19 Abs. 4 GG grundrechtsmündig ist. Es ist somit verfehlt, bei den Grundrechten, die sich darauf beschränken, dem Staat gegenüber dem Grundrechtsträger ein bestimmtes Verhalten zu untersagen, nach einer grundrechtlichen Handlungsmacht Minderjähriger zu suchen. Diese Grundrechte sind nicht darauf angelegt, durch ein Handeln des Grundrechtsinhabers aktualisiert zu werden, und gewähren dementsprechend diesem keine Handlungsmacht. Ein Handeln ist im Zusammenhang mit diesen Grundrechten nur in der Form möglich, daß sich der Rechtsinhaber gegen Grundrechtsverletzungen prozessual wehrt. Eine prozessuale Durchsetzungsmacht hat aber ihren Standort nicht in diesen Grundrechten, sondern in Art. 19 Abs. 4 GG. Weiterhin kann die Frage nach einer Handlungsfähigkeit Minderjähriger bei solchen Grundrechten nicht akut werden, deren Funktion dahin geht, bestimmte Lebens- und Rechtsgüter des Grundrechtsträgers vor Verletzungen zu schützen. Solch ein Güterschutz findet z.B. statt durch: Art. 1 Abs. 1 GG (Unantastbarkeit der Würde des Menschen); Art. 2 Abs. 2 GG (Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit); Art. 13 Abs. 1 GG (Unverletzlichkeit der Wohnung); Art. 14 GG, soweit es um die Funktion dieses Grundrechts geht, den - durch Arbeit oder sonstige Leistung erworbenen - Bestand an Vermögenswerten Gütern des Grundrechtsträgers vor ungerechtfertigten Eingriffen durch die öffentliche Gewalt zu bewahren 83 . Auch diese Grundrechte sind nicht darauf ausgerichtet, ausgeübt - durch Handeln des Grundrechtsinhabers aktualisiert - zu werden. Da kein Verhalten des Grundrechtsträgers, sondern ein Bestand an Lebens- und Rechtsgütern beim Grundrechtsträger geschützt wird, gewähren auch diese Grundrechte keine Handlungsmacht. Folglich stellt sich beim Minderjährigen wiederum nicht die Frage nach seiner Handlungsfähigkeit, sondern ausschließlich die Frage nach seiner Grundrechtsfähigkeit. Diese Frage ist zu bejahen. Die Güter eines Minderjährigen sind nicht weniger schutzwürdig als die entsprechenden Güter eines Volljährigen. Erfolgen staatliche Eingriffe, so kann der Maßstab der Grundrechtswidrigkeit bei einem Minderjährigen kein anderer als bei einem Volljährigen sein. Wenn auch bezüglich dieser - rechts- und lebensgüterschützender - Grundrechte von einer Grundrechtsmündigkeit als Kategorie der Handlungsfähigkeit gesprochen wird 8 4 , so mag dies zum einen auch hier darauf beruhen, daß 83 Vgl. BVerfGE 31, 229, 239.
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man diesen Grundrechten den prozessualen Schutz im Falle der Grundrechtsverletzung zuordnet. Die prozessuale Durchsetzungsmacht ist aber auch hier keine Frage einer Handlungsmacht im Rahmen dieser Grundrechte, sondern eine Frage einer Handlungsmacht im Rahmen des Art. 19 Abs. 4 GG. Zum anderen ist man bei diesen Grundrechten, die bestimmte Lebens- und Rechtsgüter schützen sollen, dazu geneigt, auch ein über diese Güter disponierendes Handeln des Grundrechtsträgers als Ausübung dieser Grundrechte anzusehen. So soll z.B. das Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 GG sich nicht darin erschöpfen, daß der Grundrechtsinhaber vor Eingriffen in die körperliche Integrität geschützt wird, sondern außerdem den „positiven" Inhalt haben, daß der Grundrechtsträger dazu befugt ist, solchen Eingriffen zuzustimmen85. Eine solche Betrachtungsweise ist fehlsam. Wer darin einwilligt, daß in seine körperliche Integrität eingegriffen wird, der macht nicht von seinem Recht auf körperliche Unversehrtheit Gebrauch, sondern der verzichtet in diesem Fall auf dieses Recht. Der Grundrechtsträger, der mit einem solchen Eingriff einverstanden ist, macht damit nicht von seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 GG, sondern von seiner Entfaltungsfreiheit, seinem Selbstbestimmungsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG Gebrauch 86 . Somit gilt auch für die zuletzt erörterten Grundrechtsnormen, daß bei ihnen im grundrechtlich geschützten Bereich kein Raum für Handeln des Grundrechtsträgers ist. Diese Vorschriften schützen kein Handeln, sondern einen Bestand an Gütern. Handeln ist nur in zwei Formen denkbar, die beide außerhalb des Schutzbereiches dieser Grundrechte liegen. Handeln, das darauf gerichtet ist, auf den Schutz dieser Güter zu verzichten, ist dem Art. 2 Abs. 1 GG zuzuordnen. Prozessuales Handeln bei Verletzung dieser Güter gehört dem Bereich des Art. 19 Abs. 4 GG an. Während die bisher behandelten Grundrechte - mit der Folge, daß eine Kategorie der Handlungsfähigkeit bei ihnen fehl am Platze ist - mit einer Handlungsmacht des Grundrechtsträgers nichts zu tun haben, gehören Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 GG Kategorien von Grundrechten an, bei denen von einer Handlungsmacht die Rede sein kann. Im folgenden wollen wir uns diesen Grundrechten zuwenden. In ihrer unstreitigen Funktion sind die Grundrechte subjektive Rechte des Bürgers, die sich gegen den Staat richten. Im Verhältnis zwischen Staat und Bürger besteht ein Machtsaldo zugunsten des Staates. Die Grundrechte sollen es gewährleisten, daß sich der Bürger gegenüber der überlegenen Sozialmacht 84
Vgl. statt vieler von Münch aaO und H. Krüger aaO. So z.B. Lenckner ZStrW 72, 446, 457. 86 Zutreffend bezüglich der rein negativen Wirkung der Abwehrrechte Bucher S. 181; Reuter S. 210, 211. Vgl. auch Bleckmann S. 281 ff., der bei der Erörterung des Grundrechtsverzichts auf der Seite des Verzichtenden den Art. 2 Abs. 1 GG als mögliche Legitimationsgrundlage ansieht.
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des Staates behaupten kann. Die Grundrechte sichern die Sphäre des - schwachen - Individuums vor ungerechtfertigten Eingriffen der - mächtigen Staatsgewalt87. Diese unstreitige Funktion der Grundrechte ist auch heute noch - unabhängig davon, ob und inwieweit diesen Rechten nach heutigem Grundrechtsverständnis auch noch andere Funktionen zukommen 88 - die zentrale Wirkungsdimension der Grundrechte 89 . Auch im demokratisch verfaßten Staat besteht nämlich zwischen Bürger und Staat ein Machtungleichgewicht, das Gefahren des staatlichen Machtmißbrauches und der staatlichen Willkür mit sich bringt. Die bisher behandelten Grundrechte schützen die Sphäre des einzelnen dadurch, daß sie dem Staat ein bestimmtes Verhalten gegenüber der Person des Grundrechtsträgers verbieten oder dem Staat Eingriffe in bestimmte Lebens- und Rechtsgüter des Grundrechtsinhabers untersagen. In beiden Fällen wird der Staat nicht dazu verpflichtet, ein Handeln des Bürgers zu dulden. Die Verpflichtung des Staates erschöpft sich vielmehr darin, etwas zu unterlassen. Folglich kann für diese Grundrechte eine Kategorie der Handlungsfähigkeit des Grundrechtsträgers nicht von Belang sein. Ein Schutz, dessen Intention nur ein staatliches Unterlassen ist, fragt nicht danach, ob der zu Schützende handlungsfähig ist. Die meisten im Grundrechtskatalog enthaltenen Abwehrrechte - insbesondere die klassischen Freiheitsrechte - lassen sich nun aber nicht darauf reduzieren, daß sie zum Schutz der Sphäre des einzelnen dem Staat ein Unterlassen gebieten. Diese Grundrechte verpflichten den Staat vielmehr dazu, ein bestimmtes Verhalten des Grundrechtsträgers zu dulden. Diese Grundrechte - z.B. Entfaltungsfreiheit, Glaubensfreiheit, Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit, Freizügigkeit, Berufsfreiheit - haben den Sinn, dem Grundrechtsinhaber eine Sphäre staatsfreier Betätigung zu sichern. Der negativen - gegen den Staat gerichteten - Seite korrespondiert eine positive Seite, die dem Grundrechtsträger Freiheit zum Handeln einräumt. Das Verbot staatlicher Eingriffe dient dazu, es dem Bürger zu ermöglichen, durch Tätigwerden die in diesen Grundrechten garantierten Freiheiten zu aktualisieren 90 . Dieses „positive" Verständnis dieser Freiheitsrechte ist an und für sich etwas Selbstverständliches. Schließlich formuliert schon der Verfassungstext Handlungsfreiheiten des Individuums, nicht etwa Nichteingriffspflichten des Staates. Daß diese „positive" Seite nichtsdestoweniger gegenüber der negativen Seite leicht in das Hintertreffen zu gera87 Vgl. statt aller BVerfGE 7, 198, 204 f.; 24, 367, 396; Bleckmann S. 155 ff.; von Mangoldt-Klein Vorbemerkungen A I I ; Leibholz-Rinck vor Art. 1-19 RdNr. 1 u. 2. 88 Vgl. insbesondere Friesenhahn, Verhandlungen 5 0 DJT Bd. 2. 89 BVerfGE 5 0 , 290, 337; Bleckmann § 11 I; Schwabe Grundrechtsdogmatik S. 13 f.; Hesse § 9 I I 2; von Münch Vorbemerkung zu Art. 1-19 RdNr. 16. 90 Vgl. etwa BVerfGE 21, 362, 369; B G H Z 63, 196, 198; Bleckmann S. 160; Hesse § 9 I I 2; von Münch Vorbemerkungen zu Art. 1-19 RdNr. 16; Schmidt-Bleibtreu/Klein Vorbemerkungen vor Art. 1 RdNr. 2.
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ten droht, beruht zum einen darauf, daß die Eingrenzung staatlicher Macht das unstreitige Anliegen der Grundrechte ist, und zum anderen auf dem großen Einfluß der „Statuslehre" 91 . Der Begriff der negativen Statusrechte (status negativus), dem diese Freiheitsrechte im Rahmen der Statuslehre zuzuordnen sind, birgt die Gefahr in sich, daß Freiheit auf die Abwesenheit staatlicher Eingriffe reduziert wird 9 2 . Es liegt auf der Hand, daß bei Grundrechten, die Handlungsfreiheiten gewährleisten, im Gegensatz zu den bisher erörterten Grundrechten die grundrechtliche Stellung Minderjähriger Probleme aufwirft. Daß der Staat den Grundrechtsträger nicht ausliefern, ihn nicht seinem gesetzlichen Richter entziehen, ihn nicht ungerechtfertigt in seiner körperlichen Integrität beeinträchtigen darf: dies alles dient nicht dazu, dem Grundrechtsträger Handlungsfreiheit einzuräumen, und ist deshalb einer Kategorie der Handlungsfähigkeit des Grundrechtsträgers gar nicht zugänglich. Es kann nur um die Grundrechtsfähigkeit des Minderjährigen gehen, und auf dieser Ebene ist es unproblematisch, ihn - wie jeden anderen - in den Genuß dieser Grundrechte kommen zu lassen. Freie Entfaltung der Persönlichkeit, freie Meinungsäußerung, freie Berufswahl, Vereinigungsfreiheit usw.: dies alles ist auf die Gewährung von Handlungsfreiheit ausgerichtet. Die Kategorie der Handlungsfähigkeit ist hier nicht von vornherein fehl am Platze. Mangelnde Einsichtsfähigkeit Minderjähriger könnte ein relevanter Gesichtspunkt dafür sein, Minderjährigen die Ausübung der in diesen Grundrechten garantierten Handlungsfreiheiten zu versagen. Die Paralelle zum zivilrechtlichen Dualismus von „Haben" (Rechtsfähigkeit) und „Handeln" (Geschäftsfähigkeit) scheint nicht fern zu liegen. Eine solche Parallele ist indes verfehlt. Die Besonderheit der zuletzt genannten Grundrechte besteht nämlich darin, daß sich ihre Bedeutung darin erschöpft, daß sie Rechte zum Handeln sind. Solchen Rechten kann man mit einer von der Rechtsfähigkeit strikt getrennten Handlungsfähigkeit - mit einem Dualismus von „Haben" und „Handeln" - nicht gerecht werden. Im Zivilrecht ist die Frage der Rechtsfähigkeit - die Frage danach, wer Träger eines privaten Rechts sein kann - zu sondern von der Frage der Geschäftsfähigkeit - der Frage danach, wer bezüglich eines privaten Rechts rechtsgeschäftlich wirksam handeln kann. Ein geschäftsunfähiger Minderjähriger kann aufgrund seiner Rechtsfähigkeit (§ 1 BGB) Inhaber privater Rechte sein. Aufgrund seiner Geschäftsunfähigkeit (§ 104 Nr. 1 BGB) ist aber nur sein gesetzlicher Vertreter dazu in der Lage, bezüglich dieser Rechte rechtsgeschäftlich 91
Vgl. insbesondere G. Jellinek S. 94 ff., 103 f. Zu den Gefahren einer solchen Betrachtungsweise vgl. insbesondere Hesse § 9 I I 1; Bleckmann § 11 I. 92
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wirksam zu handeln. Dieser Trennung liegt der Gedanke zugrunde, daß das „Haben" von subjektiven Privatrechten realen Nutzen vermitteln soll 93 , der auch für solche Personen von Interesse sein kann, die noch nicht einsichtsfähig sind, während rechtsgeschäftliches „Handeln" bezüglich privater Rechte, das - wie jedes Handeln - eine Entscheidung zwischen Alternativen darstellt, mit Gefahren verbunden ist, vor denen nicht einsichtsfähige Personen geschützt werden müssen. So bringt z.B. eine verzinsliche Forderung auch dem nicht einsichtsfähigen Kind - als Forderungsinhaber - einen realen Nutzen in Form von Kapital und Zinsen. Ein Rechtsgeschäft wie z.B. der Forderungserlaß kann dagegen diesen realen Nutzen beseitigen. Deshalb ist es sachgerecht, daß das Privatrecht einsichtsunfähigen Personen zwar das Haben von subjektiven Privatrechten ermöglicht, ihnen aber die Rechtsmacht verweigert, in bezug auf diese Rechte rechtsgeschäftlich wirksam handeln zu können. Diese Handlungsmacht wird dem gesetzlichen Vertreter eingeräumt, der sie im Interesse der unmündigen Person auszuüben hat. Dieser zivilrechtliche Dualismus einer von der Rechtsfähigkeit scharf getrennten Geschäftsfähigkeit kann aber nur deshalb bestehen, weil realer Nutzen im Privatrecht auch durch das bloße Haben privater Rechte vermittelt werden kann. Der reale Nutzen einer verzinslichen Forderung, der darin besteht, daß dem Gläubiger Kapital und Zinsen gebühren, setzt kein Handeln voraus und läßt sich deshalb auch einer handlungsunfähigen Person dadurch zuordnen, daß sie als Forderungsinhaber Gläubiger ist. Der reale Nutzen, der in Gestalt von Gebrauchsvorteilen und Früchten dem Sacheigentümer zufließt, kann einer Person, die zu vernünftigem Handeln nicht in der Lage ist, dadurch zugeteilt werden, daß sie Eigentümer einer Sache ist. Neben realem Nutzen (man denke z.B. an einen Nutzen, der sich aus der Ausübung eines Gestaltungsrechts ergibt), der sich ohne Handeln nicht realisieren läßt, gibt es im Zivilrecht realen Nutzen, der kein Handeln voraussetzt und der deshalb auch handlungsunfähigen Personen zukommen kann. Forderungsinhaberschaft und Sacheigentum vermitteln - ohne daß gehandelt wird - realen Nutzen. Eine Forderung vermehrt auch das Vermögen eines handlungsunfähigen Minderjährigen. Das nicht einsichtsfähige Kind kann von den Gebrauchsvorteilen einer Sache genauso viel Nutzen haben wie ein erwachsener Eigentümer. Würde es im Zivilrecht keinen realen Nutzen geben, der ohne Handeln realisiert werden kann (positiv formuliert: könnte realer Nutzen im Zivilrecht nur durch Handeln verwirklicht werden), so würde es die strikte Trennung von Rechtsfähigkeit und Geschäftsfähigkeit nicht geben. Wäre realer Nutzen ohne Handeln nicht möglich, so müßte die Regelung der Handlungsfähigkeit notwendigerweise und immer die Zuordnung realen Nutzens tangieren, die von der Regelung der Rechtsfähigkeit vorgenommen werden soll. Eine strikte Trennung von Rechtsfähigkeit und Geschäftsfähigkeit - ein Dualismus von 93
Dazu später genauer S. 104ff.
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„Haben" und „Handeln" - kann es nur dort geben, wo es auch realen Nutzen gibt, der nicht auf ein Handeln angewiesen ist. Wo sich dagegen realer Nutzen im Handeln erschöpft, dort ist dieser Dualismus fehl am Platze. Dort muß nämlich die Regelung der Handlungsfähigkeit notwendigerweise und immer Auswirkungen auf die Zuteilung des realen Nutzens haben. Wo das „Haben" aus einem „Handeln" besteht, dort kann man die Handlungsfähigkeit nicht strikt getrennt von der Rechtsfähigkeit regeln. Wo der reale Nutzen, der durch das „Haben" des Rechts vermittelt werden soll, in einer Handlungsmacht liegt, dort wird durch eine Regelung der „Handlungsfähigkeit", die bestimmten Rechtsinhabern Handlungsmacht vorenthält, in Wirklichkeit das Recht dieser Rechtsinhaber eingeschränkt. Beispiel: Der Inhalt des Grundrechts aus Art. 8 Abs. 1 GG geht dahin, daß der Grundrechtsträger sich in geschlossenen Räumen ohne Anmeldung oder Erlaubnis mit anderen Personen versammeln kann, wenn diese Versammlung friedlich und ohne Waffen abgehalten wird. Die Verfassung garantiert dem Grundrechtsinhaber die Handlungsmöglichkeit, an Versammlungen, die die Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 1 GG erfüllen, teilnehmen zu können. Ist der Minderjährige Grundrechtsinhaber, so steht auch ihm diese Freiheit zu. Knüpft man nun über das Erfordernis einer Grundrechtsmündigkeit - einer grundrechtlichen Handlungsfähigkeit - für den Minderjährigen die Ausübung dieser Freiheit an eine - wie auch immer geartete - weitere Voraussetzung, so schränkt man das Grundrecht des Minderjährigen aus Art. 8 Abs. 1 GG ein. Läßt man z.B. für die Grundrechtsmündigkeit die Regelung des BGB's maßgebend sein, so hat dies die Folge, daß der Minderjährige nur dann an Versammlungen i.S.d. Art. 8 Abs. 1 GG teilnehmen kann, wenn seine Eltern, denen aufgrund ihres Sorgerechts die Entscheidungsbefugnis zusteht, damit einverstanden sind. Dem Minderjährigen wird dann nur die Möglichkeit eingeräumt, daß er sich, soweit seine Eltern dies erlauben, in geschlossenen Räumen ohne Anmeldung oder Erlaubnis mit anderen Personen versammeln kann, wenn diese Versammlung friedlich und ohne Waffen abgehalten wird. Damit ist das Grundrecht des Minderjährigen verkürzt. Ihm wird im Vergleich zu anderen - erwachsenen - Grundrechtsträgern weniger Handlungsfreiheit gewährt. Die Grundrechtsmündigkeit - als Kategorie der Handlungsfähigkeit eingeführt - stellt sich in Wahrheit als etwas heraus, das unter dem Aspekt der Einschränkung grundrechtlicher Rechtsmacht gewürdigt werden muß. Der reale Nutzen, der aus dem „Haben" von Grundrechten fließt, welche ausschließlich den Sinn haben, Handlungsmacht zu gewähren, wird notwendigerweise eingeschränkt, wenn die Handlungsmacht des Grundrechtsträgers vom Vorliegen einer bestimmten Handlungsfähigkeit abhängig gemacht wird. Eine strikte Trennung von Rechtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit läßt sich dort nicht durchhalten, wo es - wie hier - um ein Recht zum Handeln geht. Der Dualismus von „Haben" und „Handeln" paßt nur, wenn es realen Nutzen 4 Reinicke
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gibt, der von einem Handeln unabhängig ist. Dem Eigentümer, dem die rechtsgeschäftliche Handlungsmacht versagt wird, verbleiben die Gebrauchsvorteile und die Früchte; dem Träger eines Rechts zum Handeln, dem die Handlungsmacht versagt wird, verbleibt nichts. Rechtsfähigkeit ohne Handlungsfähigkeit vermag im Zivilrecht realen Nutzen zu vermitteln. Ein Recht zum Handeln ohne Handlungsmacht bringt keinen realen Nutzen. Wo aber die Vorenthaltung von Handlungsmacht von dem Recht nichts mehr übrig läßt, dort kann sie nicht mehr als eine von der Rechtsfähigkeit streng zu trennende Frage, sondern nur noch als Einschränkung des Rechts begriffen werden. Somit ist, wenn man davon ausgeht, daß der Minderjährige Grundrechtsträger ist, für den Bereich der Grundrechte, die Handlungsfreiheit gewähren, weder nach einer grundrechtlichen Handlungsfähigkeit, noch nach einer entsprechenden Handlungsunfähigkeit des Minderjährigen zu suchen, sondern vielmehr zu prüfen, ob und inwieweit die Grundrechte des Minderjährigen durch Regelungen eingeschränkt werden, die ihm Handlungsmacht vorenthalten. Bei diesen Regelungen ist danach zu fragen, ob sie Kindesgrundrechte verfassungsgemäß begrenzen. Für die noch verbleibenden Grundrechte des „status positivus" (z.B. Art. 17, Art. 19 Abs. 4, Art. 103 GG) gilt dasselbe. Auch diese Grundrechte gewähren nämlich dem Grundrechtsträger Handlungsmacht gegenüber dem Staat. So hat z.B. gem. Art. 17 GG der Grundrechtsinhaber das Recht, sich schriftlich mit Bitten oder Beschwerden mit der Wirkung an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden, daß der Petitionsadressat dazu verpflichtet ist, die Petition entgegenzunehmen, sich mit ihr zu befassen und die Art der Erledigung dem Petenten mitzuteilen 94 . Art. 103 Abs. 1 GG räumt dem Bürger die Handlungsmacht ein, in Verfahren, die ihn betreffen, zur Verteidigung seiner Rechte vor Gericht zum Verfahrensgegenstand Stellung zu nehmen. Art. 19 Abs. 4 GG ermöglicht es dem Grundrechtsträger, Rechtsschutz gegenüber Akten der öffentlichen Gewalt zu erlangen, die ihn tangieren. Ist der Minderjährige Grundrechtsträger, so steht ihm auch in diesen Fällen aufgrund dieser Grundrechte eine Handlungsmacht zu. Diese Grundrechte gewähren die Rechtsmacht zu einem Handeln, auf das der Staat „positiv" - mit einer „Leistung" - zu reagieren hat. Eine „Ausübungsregelung", die dem Minderjährigen Handlungsmacht verwehrt, kann auch hier nur als rechtseinschränkend aufgefaßt werden. Zwischenergebnis: Der Ansatz der ganz h . M . , die Grundrechtsmündigkeit - in Parallele zur zivilrechtlichen Geschäftsfähigkeit und wie diese strikt getrennt von der Kategorie der Rechtsfähigkeit - als verfassungsrechtlich ungeregelte grundrechtliche Handlungsfähigkeit aufzufassen, ist in sich unschlüssig und außerdem prinzipiell nicht geeignet, die anstehende Grundrechtsproblematik richtig zu erfassen. 94
Vgl. etwa BVerfGE 2, 225, 230.
2. Ungeeignetheit eines zivilistischen Ansatzes zur Problemlösung
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Dieser Ansatz ist in sich unschlüssig, weil auf der Basis einer Grundrechtsfähigkeit des Minderjährigen, von der dieser Ansatz ohne weitere Problematisierung ausgeht, nicht nach einer Handlungsfähigkeit, sondern nach einer Handlungsunfähigkeit des Minderjährigen gesucht werden muß. Auch auf der Ebene der Verfassung muß nämlich die allgemeine Regel gelten, daß ein Rechtsinhaber sein Recht auch ausüben kann. Soll etwas anderes gelten, so bedarf dies der Begründung. Der prinzipielle Fehler des Ansatzes liegt indes darin, daß der zivilrechtliche Dualismus von „Haben" und „Handeln" den Grundrechten nicht adäquat ist. Bei vielen Grundrechten ist eine Kategorie des Handelns des Grundrechtsinhabers von vornherein fehl am Platz. Es sind dies diejenigen Grundrechte, die sich darauf beschränken, dem Staat bestimmte Verhaltensweisen gegenüber der Person des Grundrechtsträgers oder Eingriffe in Lebens- und Rechtsgüter des Bürgers zu untersagen. Diese Grundrechte sind nicht darauf angelegt, durch ein Handeln des Grundrechtsinhabers aktualisiert zu werden. Die Verpflichtung des Staates erschöpft sich darin, etwas zu unterlassen, und besteht nicht darin, ein Handeln zuzulassen und zu dulden. Soweit im Zusammenhang mit diesen Grundrechten gehandelt wird, liegt kein Handeln im Schutzbereich dieser Grundrechte, sondern ein solches vor, das entweder im Schutzbereich des Art. 19 Abs. 4 GG (prozessuale Geltendmachung einer Grundrechtsverletzung) oder in demjenigen des Art. 2 Abs. 1 GG (Disposition über ein Rechts- oder Lebensgut) anzusiedeln ist. Im Bereich der Grundrechte, die nicht durch ein Handeln des Grundrechtsträgers realisiert werden, ist nur das „Haben" der Grundrechte - also die Frage der Grundrechtsfähigkeit - von Interesse. Ist die Grundrechtsfähigkeit des Minderjährigen bejaht, so kommt dieser damit in den Genuß des Schutzes dieser Grundrechte, ohne daß es eines Handelns bedarf. Eine Handlungsfähigkeit des Grundrechtsträgers kann erst und nur dann zur Debatte stehen, wenn es um Grundrechte geht, die Handlungsfreiheiten des Bürgers gegenüber dem Staat schützen oder die an ein Handeln des Grundrechtsinhabers ein positives Tun des Staates knüpfen. Der Sinn dieser Grundrechte erschöpft sich darin, dem Bürger Handlungsmacht zu verleihen. Der reale Nutzen, der vermittelt wird, besteht ausschließlich aus der Möglichkeit zum Handeln. Insoweit liegen die Dinge hier anders als im Zivilrecht, wo es auch realen Nutzen gibt, der nicht auf ein Handeln angewiesen ist. Deshalb ist für den zivilrechtlichen Dualismus von „Haben" und „Handeln" - die strikte Trennung von Rechtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit - hier kein Raum. Die Regelung der Handlungsfähigkeit kann hier nicht isoliert gesehen werden, sondern muß als Rechtseinschränkung begriffen werden. Wem das Recht zusteht, frei zu handeln, der wird in diesem Recht eingeschränkt, wenn seine Handlungsmöglichkeit von einer - wie auch immer gearteten - Handlungsfähigkeit abhängig gemacht wird. Unter der Prämisse, daß der Mensch 4*
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II. Prozeßführung und das Problem der Grundrechtsmündigkeit
von Geburt an grundrechtsfähig ist, stellt sich somit für die zuletzt genannten Grundrechte die Frage danach, ob diese Grundrechte des Minderjährigen durch Regelungen, die dem Minderjährigen Handlungsmacht vorenthalten, verfassungsgemäß eingeschränkt werden. Zu demselben Ergebnis gelangt Hohm 9 5 auf der Grundlage einer ganz anders gearteten Argumentation. Grundrechtsmündigkeit sei verfassungsrechtlich nicht begründbar. Aus dem Wortlaut, der Entstehungsgeschichte und der Systematik der Grundrechte lasse sich eine grundrechtliche „Sonderbehandlung" Minderjähriger nicht herleiten. Im übrigen widerspreche das Erfordernis einer Grundrechtsmündigkeit der in der Verfassung angelegten Tendenz zur prinzipiellen Verstärkung der Geltungskraft der Grundrechte, weil dieses Erfordernis zu einer Beschränkung von Grundrechtsausübung führe. Deshalb stelle sich ausschließlich die Frage, welche Einschränkungen der Grundrechtsausübung durch Minderjährige nach der Verfassung zulässig seien. Dieser letzten Feststellung ist zuzustimmen. Ob die verfassungsrechtlichen Argumente, die zu dieser Feststellung führen, zwingend sind, bedarf keiner Erörterung. Die Frage nach einer speziellen Handlungsfähigkeit ist von vornherein verfehlt, weil sie nur bei den Handlungsgrundrechten gestellt werden kann und dort zwangsläufig zur Frage danach wird, inwieweit grundrechtliche Handlungsmacht Minderjähriger verfassungsgemäß eingeschränkt werden kann. Hohms Ergebnis ist somit - unabhängig davon, ob seine verfassungsrechtliche Ableitung überzeugend ist - aus kategorialen Gründen richtig. Den weiteren Ausführungen Hohms 96 ist nicht zu folgen, weil er den Zusammenhang zwischen interner und externer Grundrechtsmündigkeit verkennt. Auf der einen Seite will Hohm jede einfachgesetzliche Regelung, die eine Grundrechtsausübung Minderjähriger begrenzt, daraufhin überprüfen, ob sie in bezug auf das jeweils betroffene Grundrecht verfassungsrechtlich zulässig sei, was davon abhänge, ab das im Lichte des jeweiligen Grundrechts zu betrachtende einfache Gesetz den Wesensgehalt dieses Grundrechts nicht verletze, nicht gegen das Übermaßverbot verstoße und außerdem der Selbstbestimmungsfähigkeit des Minderjährigen gerecht werde. Auf der anderen Seite ist Hohm der Ansicht, daß die einfachrechtliche Regelung der elterlichen Entscheidungsbefugnisse keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegne. Dies ergibt keinen Sinn. Interne Unmündigkeit verbietet „überschießende" externe Rechtsmacht. Wie bereits dargelegt (S. 32 ff.) kann eine solche Diskrepanz nur dazu führen, daß rechtmäßige Elternentscheidungen außer Kraft gesetzt werden. Wenn im Eltern-Kind-Verhältnis den Eltern - verfassungsrechtlich unbedenklich - die Entscheidungsbefugnis darüber 95 96
Hohm NJW 1986, 3107 ff. Hohm NJW 1986, 3112, 3113.
2. Ungeeignetheit eines zivilistischen Ansatzes zur Problemlösung
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zusteht, ob und welche Verträge ihr minderjähriges Kind abschließt (Ausübung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG), dann verstößt es gegen das Gebot der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung, wenn die Rechtsordnung diesem Kind die volle Geschäftsfähigkeit verleiht. Wo dagegen zur Ausübung eines Grundrechts - wie z.B. der Versammlungsfreiheit - keinerlei Rechtsmacht benötigt wird, dort geht die Grundrechtseinschränkung gerade von der elterlichen Entscheidungsbefugnis aus. Können die Eltern in Ausübung ihres Personensorgerechts dem Minderjährigen die Teilnahme an einer Versammlung verbieten und dieses Verbot - wegen der Folgepflicht des Minderjährigen - im Wege der „Selbsthilfe" durchsetzen, so nützt dem Minderjährigen eine Ausübungsbefugnis „in der Staatsrichtung" nichts, wenn die Eltern von ihrer Entscheidungsmacht repressiv Gebrauch machen. Hohm übersieht, daß die einfachrechtliche Ausgestaltung der - internen Entscheidungsbefugnisse der Eltern, die er für verfassungsrechtlich unbedenklich hält, für die Grundrechtsausübung Minderjähriger von zentraler Bedeutung ist. Halten die internen Rechte der Eltern den Anforderungen der Verfassung stand, so müssen diese Rechte auch bei denjenigen Grundrechtsausübungen Minderjähriger respektiert werden, die mit der Ausübung einer Rechtsmacht verbunden sind. Eine widerspruchsfreie Rechtsordnung kann bei der Zuteilung externer Rechtsmacht die Verteilung interner Entscheidungskompetenz nicht unberücksichtigt lassen. Soweit es also um eine Rechtsmacht voraussetzende - Grundrechtsausübung Minderjähriger geht, sind die Kriterien gegenstandslos, anhand derer Hohm einfachgesetzliche Regelungen überprüfen will, welche die Grundrechtsausübung Minderjähriger begrenzen. Da die interne Mündigkeit - nach Hohm - verfassungsgemäß ist, kann dem Minderjährigen extern kein Mehr an Rechtsmacht eingeräumt werden. Die Überprüfungskriterien von Hohm können also nur bei denjenigen Grundrechten Bedeutung gewinnen, deren Ausübung nicht mit - von der Rechtsordnung verliehener - Rechtsmacht verknüpft ist. Hier sind diese Kriterien durchaus dazu geeignet, staatliche Verbote bezüglich der Grundrechtsausübung Minderjähriger zunichte zu machen. Diese Freiheit im Verhältnis zum Staat ist aber für den Minderjährigen nicht von großem Nutzen, wenn seine Eltern - nur durch das Schädigungsverbot eingeschränkt - darüber bestimmen können, ob er diese Freiheit in Anspruch nehmen darf. Insgesamt verkennt Hohm also, daß die elterlichen Entscheidungsbefugnisse die entscheidende Begrenzung der Rechte des Minderjährigen sind. Ob diese Befugnisse dem GG standhalten, ist die zentrale Frage, die einer sorgfältigen Überprüfung bedarf 97 . 97 Dieser Einwand gilt auch gegenüber Hesse Rdnr. 285 und Starck in v. Mangoldt/ Klein/Starck Art. 1 I I I Rdnr. 163, die - wie Hohm - eine Kategorie der Grundrechtsmündigkeit (in der Staatsrichtung) ablehnen und bei der internen Mündigkeit - ebenfalls wie Hohm - der Meinung sind, daß das elterliche Erziehungsrecht durch die Grundrechte des Kindes nicht eingeschränkt werde.
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II. Prozeßführung und das Problem der Grundrechtsmündigkeit
Auch Fehnemann 98 lehnt eine spezielle Grundrechtsmündigkeit ab. Eine Diskrepanz zwischen der Mündigkeit, ein bestimmtes Grundrecht ausüben zu können, und einer - auf dieses Grundrecht bezogenen - einfachrechtlichen Mündigkeit könne es nicht geben. Die einfachrechtliche Mündigkeitsregelung könne nur verfassungsgemäß oder verfassungswidrig sein. Im ersten Fall stimmten einfachrechtliche und verfassungsrechtliche Mündigkeit überein. Im zweiten Fall hätte die einfachrechtliche Mündigkeit vor der Verfassung keinen Bestand. Diese Aussage kann man auch anders formulieren: Minderjährige können die Grundrechte nach Maßgabe des einfachen Rechts ausüben, es sei denn, daß das einfache Recht verfassungswidrig ist. Dies ist unzweifelhaft richtig. Es führt aber bei der Problemlösung nicht weiter. Die Frage geht dahin, unter welchen Voraussetzungen die einfachrechtliche Mündigkeitsregelung verfassungswidrig ist. Wer einen - wie auch immer gearteten - Grundrechtsmündigkeitsbegriff vertritt, der muß eine Verfassungswidrigkeit dann bejahen, wenn der einfache Gesetzgeber einem Minderjährigen grundrechtliche Handlungsmacht vorenthält, obwohl die Voraussetzungen des Grundrechtsmündigkeitsbegriffes gegeben sind. Wer das Erfordernis einer Grundrechtsmündigkeit leugnet, der muß die Verfassungswidrigkeit dann bejahen, wenn die einfachrechtliche Mündigkeitsregelung in den Vorbehalten der Grundrechte keine Rechtfertigung findet und somit einen unzulässigen Eingriff in die Grundrechte der Minderjährigen darstellt. Bei beiden Betrachtungsweisen hat eine verfassungswidrige Regelung des einfachen Gesetzgebers keinen Bestand. Bei beiden Sichtweisen gibt es nach der verfassungsrechtlichen Überprüfung nur eine Mündigkeit, die gilt: die der Verfassung gemäße. Deshalb ist der Hinweis auf diesen Umstand nicht dazu geeignet, die Behauptung einer speziellen Grundrechtsmündigkeit zu widerlegen. In der Sache kommt Fehnemann 99 zu folgenden Ergebnissen: Bei Grundrechten, die nicht auf das Hervorbringen von Rechtswirkungen zielten (z.B. Recht der Kunstfreiheit, Recht der freien Meinungsäußerung), sei eine Altersbindung unzulässig. Bei allen anderen Grundrechten sei eine Altersbindung zulässig, wenn sie aus Gründen der Rechtssicherheit, Zweckmäßigkeit oder des Schutzes Handlungsunfähiger notwendig sei. Im letzten Fall sei der Gesetzgeber daran gebunden, das Alter in einen Zeitraum zu legen, in dem die jeweilige Handlungsfähigkeit typischerweise vorhanden sei. Werde der Gesetzgeber dieser Forderung gerecht, so habe seine einfachrechtliche Regelung auch vor einem Grundrecht Bestand, das den geregelten Lebensbereich ohne Altersbeschränkung schütze. Zur Begründung dieser Ergebnisse wird in weitem Umfang auf außerverfassungsrechtliche Argumente rekurriert. Nach der hier vertretenen Ansicht ist dieses Vorgehen unzulässig. Eine Kategorie der Grundrechtsmündigkeit gibt es nicht. In Wirklichkeit geht es ausschließ98 99
Fehnemann S. 32 ff. Fehnemann S. 34 ff.
3. Der gefundene Untersuchungsansatz und sog. funktionale Grundrechte
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lieh um das Problem der Einschränkung grundrechtlicher Handlungsfreiheit Minderjähriger. Jede Einschränkung bedarf des konkreten Nachweises ihrer verfassungsrechtlichen Zulässigkeit. Aus welchem Vorbehalt der Grundrechte soll es z.B. folgen, daß Grundrechte, deren Ausübung Rechtswirkungen herbeiführt, aus Gründen der Zweckmäßigkeit an ein bestimmtes Alter gebunden werden können? Des weiteren ist zu beanstanden, daß auch Fehnemann die Verknüpfung von interner und externer Mündigkeit des Minderjährigen nicht erkennt. Es wird verkannt, daß dadurch, daß die einfachrechtlichen Befugnisse der Eltern jeglicher Beeinflussung durch die Kindesgrundrechte entzogen werden 100 , die Frage der Rechtsmacht im Außenverhältnis präjudiziert wird. Auch die nach Fehnemann einer Altersbindung nicht zugänglichen Rechte nützen dem Minderjährigen nicht viel, da er von ihnen - nach Fehnemann - nur nach Maßgabe der Elternentscheidung Gebrauch machen kann. Insoweit gilt dasselbe, was zu der Position von Hohm gesagt worden ist. 3. Der gefundene Untersuchungsansatz bedarf keiner Modifizierung unter dem Aspekt sog. funktionaler Grundrechte Der gefundene Untersuchungsansatz beruht darauf, daß eine Trennung von „Haben" und „Handeln", die das Handeln des Rechtsinhabers von einer Handlungsfähigkeit abhängig macht, bei Grundrechten, die Handlungsmöglichkeiten gewährleisten sollen, als Grundrechtseinschränkung aufzufassen ist. Wenn z.B. ein minderjähriger Grundrechtsträger an einer Versammlung i.S.d. Art. 8 Abs.l GG nur mit der Zustimmung seiner Eltern teilnehmen kann, während volljährige Grundrechtsinhaber sich ohne eine solche Erlaubnis versammeln können, dann wird der von der Verfassung garantierte Raum freier Handlungsmöglichkeit für den minderjährigen Grundrechtsträger im Vergleich zu anderen - erwachsenen - Grundrechtsinhabern eingeengt. Bei Grundrechten, die Möglichkeiten zum Handeln schützen, sind „Ausübungsregelungen", die Handlungsmacht versagen, auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu überprüfen. Diese Betrachtungsweise deckt sich partiell mit derjenigen von Reuter, der eine umfangreiche Studie „Kindesgrundrechte und elterliche Gewalt" vorgelegt hat. Reuter meint allerdings, daß die zivilrechtliche Trennung von Rechtsinhaberschaft und Handlungsfähigkeit auf den Bereich der Grundrechte dort ohne Bedenken übertragen werden könne, wo die verfassungsrechtlich geschützten Interessen auch durch ein Vertreterhandeln gewahrt werden könnten. Wo ein solcher Interessenschutz möglich sei, dort sollen die Grund100
Fehnemann S. 4 0 .
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II. Prozeßführung und das Problem der Grundrechtsmündigkeit
rechte nach Maßgabe der Regelung des BGB's „ausgeübt" werden. Dies soll auch für solche Grundrechte gelten 101 , bei denen nach der hier vertretenen Auffassung für ein Handeln im grundrechtsgeschützten Bereich überhaupt kein Raum ist. Für diesen Bereich ist eine Auseinandersetzung mit der Reuterschen These nicht erforderlich. Für diese Grundrechte ist diese These von vornherein gegenstandslos, weil diese Grundrechte einer „Ausübung" gar nicht zugänglich sind. Die Ansicht von Reuter kann nur für den Bereich der Handlungsgrundrechte von Relevanz sein. Insoweit ist eine Auseinandersetzung mit dieser Meinung geboten. Nach unserem bisherigen Untersuchungsansatz sind bei allen Handlungsgrundrechten „Ausübungsregelungen", die Handlungsmacht vorenthalten, unter dem Aspekt der Grundrechtseinschränkung zu würdigen. Dies sieht Reuter anders. Im Bereich sog. funktionaler Grundrechte, zu denen von den Handlungsgrundrechten z.B. die Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1, Art. 5 Abs. 3, Art. 8, Art. 9 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3, Art. 11 GG gehören sollen, soll sich im Rahmen der Grundrechtsmündigkeitsproblematik nicht die Frage stellen, ob Grundrechte Minderjähriger verfassungsgemäß eingeschränkt werden. Bei diesen Grundrechten soll es vielmehr verfassungsrechtlich unbedenklich sein, daß sie von Minderjährigen nur nach Maßgabe der Mündigkeitsregeln des einfachen Rechts ausgeübt werden können. Eine Beeinträchtigung verfassungsrechtlich geschützter Interessen soll hier nicht in Betracht kommen, weil ein Interessenschutz durch Vertreterhandeln möglich sei. Unsere Untersuchung ist bis jetzt als selbstverständlich davon ausgegangen, daß Grundrechte, die Handlungsmöglichkeiten des Bürgers schützen, dem Schutz der Interessen dieses Bürgers dienen. Legt man dies zugrunde, so muß man zu dem Ergebnis kommen, daß Regelungen, welche die Handlungsmöglichkeiten einschränken, als Eingriffe in die grundrechtlich geschützte Interessensphäre des Grundrechtsinhabers zu werten sind. Dies sieht Reuter differenzierter. Er unterscheidet nämlich zwischen personalen und funktionalen Handlungsfreiheiten 102 . Personale Freiheit soll Freiheit sein, die um ihrer selbst willen schutzwürdig ist. Sie soll ihren Sinn darin finden, daß der Grundrechtsinhaber in freier Selbstbestimmung sich selbst verwirklichen kann. Als personale Freiheitsrechte, die Freiheit als solche - Freiheit zur Selbstbestimmung - schützen, werden nur die Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 (Entfaltungsfreiheit), Art. 4 Abs. 1, Art. 4 Abs. 2 (Glaubens-Gewissens- und Bekenntnisfreiheit) und Art. 12 Abs. 1 GG (Freiheit des Berufs) angesehen103. Diese Autonomierechte - Selbstbestimmungsgarantien - sollen die Freiheit garantieren, weil die Freiheit als solche wertvoll ist. Diesen personalen werden funktionale Freiheitsrechte gegenübergestellt, deren Sinn es sein soll, Freiheit ιοί Reuter S. 51 ff. i°2 Reuter S. 63, 136 ff. 103 Reuter S. 177.
3. Der gefundene Untersuchungsansatz und sog. funktionale Grundrechte
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nicht um ihrer selbst willen - als Selbstzweck - zu schützen, sondern als Mittel zu einem anderen Zweck zu garantieren. Funktionale Freiheiten sollen nicht dazu da sein, daß der Grundrechtsträger in freier Selbstbestimmung sich selbst verwirklichen kann. Sie sollen vielmehr dem Grundrechtsinhaber nur deswegen gewährt werden, weil durch solche Freiheitsgewährungen soziale Anliegen gefördert werden 104 . Beispiele für solche „Funktionalisierungen": Das Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) soll nicht um der Selbstverwirklichung des Bürgers willen, sondern ausschließlich als ein Mittel geschützt sein, das eine Vorbedingung für das Bestehen einer freiheitlich demokratischen Staatsordnung schafft. Ohne Meinungsfreiheit kann es nämlich in politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Dingen nicht zu den öffentlichen geistigen Auseinandersetzungen und Diskussionen kommen, die das Lebenselement der freiheitlichen Demokratie sind 105 . Die Freiheit von Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre (Art. 5 Abs. 3 GG) soll nicht Künstlern und Wissenschaftlern mehr Autonomie als anderen Personen gewähren. Freiheit soll hier nicht um ihrer selbst willen, sondern deswegen schutzwürdig sein, weil Kunst und Wissenschaft, die staatlicher Einmischung ausgesetzt sind, nicht produktiv arbeiten und damit ihren gesellschaftlichen Auftrag nicht erfüllen können 106 . Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) und Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG) sollen nicht unter dem Aspekt spezieller Selbstverwirklichungsmöglichkeiten des Menschen, sondern ausschließlich als unerläßliche Funktionsbedingungen der Demokratie unter dem Schutz der Verfassung stehen. Ohne die Möglichkeiten der Bürger, sich frei zu versammeln und sich frei zu organisieren, kann Demokratie im materialen Sinne nicht stattfinden. Deswegen und nicht etwa deswegen, weil die in ihnen garantierten Freiheiten als solche wertvoll sind, gewähren die Art. 8 GG und Art. 9 GG Schutz 107 . Art. 9 Abs. 3 GG (Koalitionsfreiheit) soll nicht individuelle Selbstbestimmung sichern, sondern die Koalitionsfreiheit als ein Mittel schützen, das dazu dient, soziale Machtungleichheit im Arbeitsleben auszugleichen. Es wird nicht Autonomie um der Autonomie willen, sondern Freiheit als Vorbedingung der Sozialstaatlichkeit gewährt 108 . Dabei ist es wichtig, daß nach der Ansicht von Reuter die funktionalen Freiheitsrechte ausschließlich dem Funktionsschutz dienen sollen 109 . Funktions104 Reuter S. 141. 105 Reuter S. 137 ff. 106 Reuter S. 166, 167. 107 Reuter S. 168, 169. los Reuter S. 170 ff. 109 Reuter S. 142, 167.
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II. Prozeßführung und das Problem der Grundrechtsmündigkeit
schütz und Selbstbestimmungsschutz sollen unvereinbar sein. Wo Freiheit um ihrer selbst willen - als Selbstzweck - garantiert wird, dort muß ein Schutz der Freiheit erfolgen, der unabhängig davon ist, ob der Freiheitsgebrauch nach objektiven Maßstäben vernünftig oder unvernünftig ist. Wo dagegen die Freiheit als Mittel zum Zweck geschützt wird, dort ist - nach Reuter - mit diesem Zweck die Grenze des Freiheitsschutzes vorgegeben. Zweckwidrige Freiheitsausübung soll keinen Schutz beanspruchen können, weil ein funktionswidriges Verhalten gegen das Ziel des funktionalen Freiheitsrechts verstößt 110 . Bei den funktionalen Freiheitsrechten findet somit - bewußt und gewollt keinerlei Selbstbestimmungsschutz statt. Will der Grundrechtsträger in freier Selbstbestimmung von dem funktionalen Freiheitsrecht einen funktionswidrigen Gebrauch machen, so schützt ihn dieses Freiheitsrecht nicht. Der Schutz wird ihm nur dann zuteil, wenn er ein funktionsgerechtes Verhalten an den Tag legt. Dann wird er aber nicht deswegen geschützt, weil dieses Verhalten seinem freien Willen entspringt, sondern deswegen, weil durch sein Verhalten das soziale Anliegen, das hinter dem funktionalen Freiheitsrecht steht, gefördert wird. Bei der Übertragung des zivilrechtlichen Modells der Trennung von „Haben" und „Handeln" auf den Bereich der grundrechtlichen Freiheitsrechte kommt Reuter für seine verschiedenen Freiheitsrechte zu diametral verschiedenen Ergebnissen. Die personalen Freiheitsrechte, welche die Freiheit des Grundrechtsträgers um ihrer selbst willen schützen, vertragen es als Autonomierechte nicht, daß über die Ausübung der Freiheit ein anderer als der Grundrechtsträger selbst entscheidet. Es wäre ein Widerspruch in sich, Selbstbestimmung durch Bevormundung gewährleisten zu wollen. Autonomie und Fremdbestimmung sind direkte Gegensätze. Wer bevormundet, der befriedigt das Interesse des Berechtigten an Selbstbestimmung nicht, sondern er verletzt es notwendig, mag er auch im übrigen das Wohl des Berechtigten optimal fördern 111 . Für die personalen Grundrechte kommt Reuter demgemäß zu dem Ergebnis, daß Regelungen des einfachen Rechts, die dem minderjährigen Grundrechtsträger Handlungsmacht vorenthalten, als Grundrechtseinschränkungen zu würdigen sind, was dem hier entwickelten Ansatz entspricht. Bei dieser Würdigung kommt Reuter zu dem Ergebnis, daß sich bei Minderjährigen, die noch nicht konkret selbstbestimmungsfähig sind, keine Probleme ergeben. Sie sind von Verfassungs wegen (Art. 1 Abs. 1 S. 2, Art. 3 Abs. 1 GG) durch bevormundende Fürsorge zu schützen 112 .
110
ReuterS. 141. m Reuter S. 54. 112 ReuterS. 6 0 , 67.
3. Der gefundene Untersuchungsansatz und sog. funktionale Grundrechte
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Bezüglich konkret selbstbestimmungsfähiger Minderjähriger, die bereits wie Erwachsene - ihr Verhalten aufgrund vernünftiger Wertungen zu bestimmen vermögen, kommt Reuter bei der Prüfung, inwieweit die Vorenthaltung von Handlungsmacht durch die Vorbehalte der Verfassung gerechtfertigt wird, zu dem Ergebnis, daß die typisierenden Mündigkeitsregelungen des einfachen Rechts insoweit unverhältnismäßig und deshalb verfassungswidrig sind, als sie dem konkret einsichtsfähigen Minderjährigen für Gewissensentscheidungen und lebensgestaltende Entscheidungen keine eigenständige Handlungsfähigkeit einräumen 113 . Bei den funktionalen Freiheitsrechten ist es Reuter - aufgrund dessen, daß die Funktionalisierung dieser Grundrechte bei ihm so weit geht, daß durch sie nur noch soziale Anliegen geschützt werden - möglich, für die Grundrechtsausübung die Regelung des BGB's als maßgebend anzusehen, ohne mit grundrechtlich geschützten Interessen in Kollision zu geraten. Sieht man in den Handlungsgrundrechten die Interessen des Grundrechtsträgers geschützt, so läßt sich der zivilrechtliche Dualismus auf diese Grundrechte nicht übertragen, ohne daß dies verfassungsrechtlich geschützte Interessen - nämlich diejenigen des Grundrechtsinhabers - einschränkt. Handlungsinteressen werden durch die Vorenthaltung von Handlungsmacht denknotwendig beeinträchtigt. Sieht man dagegen die Handlungsfreiheit nur als ein Mittel an, das dazu dient, bestimmte soziale Anliegen zu verwirklichen, und sind ausschließlich diese Anliegen die verfassungsrechtlich geschützten Interessen, so kommt man zu keiner Interessenverletzung, wenn statt des minderjährigen Grundrechtsinhabers sein gesetzlicher Vertreter über die Ausübung der Handlungsfreiheit zu entscheiden hat. Fremdbestimmung steht im Gegensatz zur Selbstbestimmung (Bereich der personalen Freiheitsrechte). Die Verwirklichung sozialer Anliegen, die hinter funktionalen Freiheitsrechten stehen, wird dagegen durch Fremdbestimmung nicht behindert. Beispiel: Gewährleistet Art. 9 Abs. 3 GG keine Selbstbestimmung, sondern hat diese Vorschrift ausschließlich die Funktion, Machtgleichheit zwischen den Kontrahenten des Arbeitslebens sicherzustellen, so ist es für die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Interessen gleichgültig, ob der Minderjährige selbst über einen Beitritt zu einer Koalition entscheidet oder ob dies seine Eltern für ihn tun. Die grundrechtlich geschützten Interessen werden dann nur davon tangiert, ob funktionsgerecht entschieden wird. Ob dies geschieht, ist indes neutral gegenüber der Alternative, ob der einsichtsfähige Minderjährige selbst oder an seiner Stelle sein - ebenso einsichtsfähiger - gesetzlicher Vertreter zur Entscheidung befugt ist. Die Möglichkeit einer funktionsgerechten Ausübung von Handlungsfreiheit wird nicht dadurch beeinträchtigt, daß anstelle einer einsichtsfähigen Person eine andere einsichtsfähige Person über die Ausübung zu bestimmen hat 1 1 4 . us ReuterS. 95 ff., 185.
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Regelungen, die den Minderjährigen Handlungsmacht vorenthalten, stellen bei Grundrechten, die im oben beschriebenen Sinne funktionalisiert werden, keine Eingriffe in verfassungsrechtlich geschützte Postitionen dar. Folglich ist bei in diesem Sinne funktionalen Grundrechten nichts dagegen einzuwenden, daß sich die Grundrechtsausübung Minderjähriger nach den Mündigkeitsvorschriften des BGB's richtet 115 . Die Konzeption Reuters ist abzulehnen. Sie beruht auf einem Grundrechtsverständnis, dem nicht gefolgt werden kann (dazu unter a) ). Sie ist außerdem in sich nicht richtig. Denkt man den Reuterschen Ansatz konsequent zu Ende, so zeigt es sich, daß man auch bei einer Funktionalisierung bestimmter Freiheitsrechte nicht um die Feststellung herumkommt, daß alle Regelungen, die Minderjährigen bei Handlungsgrundrechten Handlungsmacht versagen, unter dem Aspekt der Rechtseinschränkung zu würdigen sind (dazu unter b)). a) Die Reutersche Konzeption steht und fällt mit der von ihr postulierten Trennung zwischen funktionalen und personalen Freiheitsrechten. Erst und nur die Funktionalisierung einer Handlungsfreiheit ermöglicht es, zu dem Ergebnis zu gelangen, daß ein Freiheitsrecht durch Fremdbestimmung nicht beeinträchtigt wird, weil die Verwirklichungschancen für das soziale Anliegen - das dann ausschließliche Schutzobjekt des Freiheitsrechts - von einer Fremdbestimmung nicht tangiert werden. Die Funktionalisierung wird in der Weise bewerkstelligt, daß aus der Rechtsgewährung des Freiheitsrechtes die individuelle Freiheit des Grundrechtsträgers restlos eliminiert wird, so daß nur noch ein objektiver Zweck der Rechtsgewährung übrig bleibt. Dieser Zweck - Förderung eines sozialen Anliegens - ist dann gegenüber den Kategorien „Selbstbestimmung" und „Fremdbestimmung" neutral. Zur Widerlegung der Konzeption genügt somit der Nachweis, daß die von ihr als funktional eingestuften Grundrechte - zumindest auch - individuelle Freiheitsgarantien enthalten. Individuelle Freiheit reagiert nämlich auf Bevormundung nicht neutral, sondern wird von dieser verletzt 116 . Eine Betrachtungsweise, die zugunsten objektiver Zwecke individuelle Freiheit aus den Grundrechten eskamotiert, steht in einem strikten Gegensatz zu einem liberalen Grundrechtsverständnis 117. 114
Reuter S. 222. 115 Reuter S. 222; ders. FamRZ 1969, 622, 623. 116 Dies wird zutreffend erkannt von Kittner AuR 1971, 280 , 287 ff. 117 Zu den verschiedenen Grundrechtstheorien vgl. etwa Ehmke VVDStRL 2 0 S. 69 ff.; Böckenförde NJW 1974, 1529 ff.; Bleckmann § 11. Beispiele liberaler Grundrechtsinterpretation: Geiger S. 9 f.; H. Klein S. 164 ff.; von Mandoldt D Ö V 49, 261; ders. AöR 75, 275.
3. Der gefundene Untersuchungsansatz und sog. funktionale Grundrechte
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Nach liberalem Grundrechtsverständnis schützen die Grundrechte den Bürger im Verhältnis zum Staat dadurch, daß sie Freiheitssphären des Individuums - von unterschiedlichem Umfang, der sich daraus ergibt, daß für verschiedene Freiheiten verschiedene Gefährdungssituationen historisch akut geworden sind - aus dem Bereich staatlicher Regelungskompetenz ausgrenzen. So verstandene Grundrechte sind negative Kompetenznormen für die Staatsgewalt 118 . In den unterschiedlich weiten Freiheitsräumen der verschiedenen Grundrechte ist der einzelne und nicht der Staat für die Verhaltensregulierung zuständig 119 . Folglich ist der Grundrechtsträger, der innerhalb eines grundrechtlich geschützten Freiheitsraumes handelt, auch nicht dazu verpflichtet, sein Verhalten an bestimmten Zielen und Zwecken zu orientieren, die auf das objektive Staats wohl ausgerichtet sind. Für liberales Grundrechtsverständnis wird im grundrechtlich geschützten Freiheitsraum, der aus der staatlichen Kompetenz ausgegrenzt und dafür der Kompetenz des Grundrechtsträgers unterworfen ist, die Freiheit an sich und nicht die Freiheit zu bestimmten Zwecken und Zielen garantiert 120 . Die Grundrechte gewährleisten Freiheit vom Staat. Diese Betonung der Freiheit vom Staat bedeutet keineswegs, daß liberales Grundrechtsverständnis eine „positive" Funktion der Grundrechte übersieht. Die Ausgrenzung des Freiheitsraumes - die Abwehr des Staates ist kein Selbstzweck, sondern soll es dem Grundrechtsträger ermöglichen, durch Tätigwerden von der garantierten Freiheit Gebrauch zu machen. Bei diesem Gebrauchmachen läßt es sich nicht bestreiten, daß erst durch eine i.S.d. Staatsziele - positive Aktualisierung der in den Grundrechten geschützten Freiheiten die verfassungsrechtlichen Prinzipien einer freiheitlichen, demokratischen und sozialen Staatsordnung zur Verfassungswirklichkeit werden können 121 . Ohne Staatsbürger, die ihre Meinungen zu politischen und gesellschaftlichen Dingen frei äußern, Versammlungen über öffentliche Angelegenheiten abhalten, im Arbeitsleben Koalitionen beitreten usw., kann die Staatsordnung, die das Grundgesetz im Auge hat, nicht zur Realität werden. Liberales Grundrechtsverständnis besteht nun darin, daß es dies zwar anerkennt, sich aber weigert, deswegen die Gewährleistung der Freiheit in der Weise zu verkürzen, daß nur noch das positive - i.S.d. Staatsordnung wertvolle - Gebrauchmachen der Freiheit geschützt wird. Eine Freiheit vom Staat ist umfassender als eine Freiheit zum Staat. Die Freiheit vom Staat umfaßt die Freiheit des Grundrechtsträgers, durch - i.S.d. Staatsziele - positive AktualiDas Bundesverfassungsgericht geht im Ansatz von einem liberalen Verständnis der Grundrechte aus: BVerfGE 7, 198, 204, 205; BVerfGE 24, 367, 396. Zur historischen Entwicklung der liberalen Grundrechtstheorie vgl. etwa J.P. Müller S. 105 ff. ns Vgl. Ehmke S. 29; Böckenförde aaO S. 1529, 1530; Hesse § 9 I I 3 a. 119 Vgl. Böckenförde aaO. 120 Vgl. Böckenförde aaO S. 1530, 1531; H. Klein S. 164; F. Müller S. 4 0 ff.; Hesse § 9 I I 2. 121 Vgl. dazu Häberle S. 17 ff.
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sierung der Grundrechte als aktiver Staatsbürger am Prozeß der freiheitlichen Demokratie teilzunehmen. Die Freiheit vom Staat beschränkt den Grundrechtsinhaber aber nicht auf diese Art der Ausübung von Freiheit. Es findet vielmehr auch ein Schutz von „privater" Grundrechtsausübung statt, und ferner wird die Entscheidung des Bürgers, von der im Grundrecht garantierten Freiheit keinen Gebrauch zu machen, ebenso respektiert wie der positive Gebrauch dieser Freiheit. Das liberale Grundrechtsverständnis sieht bewußt davon ab, die positive Funktion der Grundrechte als Grenze der grundrechtlich gewährten Freiheit aufzufassen 122. Ein funktionales Grundrechtsverständnis, das bei bestimmten Freiheitsrechten - insbesondere bei den demokratiebezogenen Grundrechten der Meinungs-, Presse-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit - die Gewährleistung der Handlungsfreiheit nur als ein Mittel zur Förderung eines sozialen Anliegens - insbesondere des Prozesses der Demokratie - ansieht, führt im Vergleich zu einem liberalen Grundrechtsverständnis zwangsläufig zu einem engeren Schutzbereich der Grundrechte 123 . Wird Freiheit funktional und nicht liberal definiert, so wird die von dem Grundrecht geschützte Freiheit von vornherein und „immanent" eingeschränkt. Dieser Verengungsprozeß soll beispielhaft am Grundrecht der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) aufgezeigt und kritisiert werden. Weiterhin soll hier belegt werden, daß das Grundrechtsverständnis der Verfassung Funktionalisierungsbestrebungen entgegensteht. Die Begründung dafür ergibt sich allerdings nicht nur aus einem liberalen Grundrechtsverständnis. Für Reuter 124 ist die Versammlungsfreiheit keine individuelle Selbstbestimmungsfreiheit, sondern ausschließlich funktionale Freiheit, die Mitbestimmung des Bürgers - Demokratie - ermöglichen soll. Die Versammlungsfreiheit soll dem Bürger zum einen die Informationen sichern, ohne die er nicht mitbestimmen kann 1 2 5 . Zum anderen soll er durch dieses Grundrecht die Möglichkeit erhalten, auf gesellschaftliche und politische Zustände einzuwirken 126 . 122 Vgl. Böckenförde S. 1531; H. Klein S. 167, 168; Hesse § 9 I I 2. 1 23 Solch eine funktionale Betrachtungsweise findet sich - mehr oder weniger ausgeprägt - bei: Ridder S. 243 ff.; Köttgen S. 291 ff.; Nawiasky S. 28; Smend S. 314, 315. Gegenüber Funktionalisierungstendenzen ablehnend: Böckenförde aaO S. 1537, 1538; H. Klein S. 164 ff.; J.P. Müller S. 184 ff.; Schwabe, Grundrechtsdogmatik S. 13 f.; Bleckmann S. 158, 159; Hesse § 9 I I 2. 1 24 Reuter S. 168, 169. 1 25 „Daß der einzelne Mensch sich durch private Erkundungen den notwendigen Überblick über die zu beurteilenden Sachverhalte und die in dem Zusammenhang berücksichtigenswerten Argumente verschaffen könnte, scheitert an unüberwindlichen praktischen Schwierigkeiten". 1 26 Die Versammlungsfreiheit gibt „demjenigen, der auf Gefahren für die Demokratie und auf gesellschaftliche Mißstände hinweisen möchte, die Gelegenheit, Gleichge-
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Ein Bezug zur personalen Autonomie des Grundrechtsträgers wird dagegen geleugnet. Es soll nämlich bei einer Bevormundung bezüglich der Teilnahme an Versammlungen - im Gegensatz etwa zu einer Bevormundung bei Fragen der Glaubens- und Berufswahl - nicht die Rede davon sein können, daß durch eine solche Bevormundung die personale Würde des Grundrechtsträgers verletzt werde 127 . Ein solches Grundrechtsverständnis, das die Versammlungsfreiheit nur als Funktionsbedingung der Demokratie würdigt, führt zwingend dazu, daß der Schutz dieses Grundrechts von vornherein auf Versammlungen beschränkt wird, die der gemeinsamen Erörterung öffentlicher Angelegenheiten dienen 1 2 8 . Damit werden kurzerhand zwei wichtige Bereiche menschlicher Kommunikation in den Schutzbereich des Art. 8 GG nicht aufgenommen. Zum einen kommt der Schutz des Art. 8 GG dann nicht zum Tragen, wenn Menschen zusammenkommen, um ihre privaten Angelegenheiten miteinander zu diskutieren 129 . Zum anderen bleiben dann die Zusammenkünfte von Menschen außerhalb des Schutzbereiches des Grundrechts, bei denen es den Teilnehmern nicht um Meinungsbildung oder Meinungsäußerung, sondern um andere Zwecke (Ausübung von Kunst, Sport usw.) geht 130 . Das Grundgesetz bietet nun aber keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß diese beiden Bereiche, die von einer funktionalen Betrachtungsweise dem Schutzbereich des Art. 8 GG nicht zugeordnet werden, von der Freiheitsgewährleistung dieses Grundrechtes nicht erfaßt werden sollen. Art. 8 Abs. 1 GG gewährt allen Deutschen das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Die Grundsinnte auf den Plan zu rufen und mit ihnen gemeinsam die anstehenden Fragen zu erörtern". 127 Reuter S. 169. 128 So außer Reuter z.B. auch: Füßlein S. 425, 443 f.; Stein § 22 I; Hesse § 12 I 7; von Mangoldt-Klein Art. 8 Anm. I I I 2. Es fällt auf, daß das Grundrecht der Versammlungsfreiheit auch von solchen Autoren funktionalisiert wird, die prinzipiell nicht als Vertreter eines funktionalen Grundrechtsverständnisses anzusehen sind. Dies dürfte unterschwellig damit zusammenhängen, daß die Anerkennung der Versammlungsfreiheit historisch gesehen die Legitimierung eines Kampfmittels der politischen Opposition darstellt. 129 Gegen eine Ausgrenzung dieses Bereiches: Hoffmann JuS 1967, 393, 397; Geck DVB11980, 798; Herzog in Maunz-Dürig Art. 8 RdNr. 3; von Münch Art. 8 RdNr. 12; Lepa Art. 8 RdNr. 6. 130 Gegen eine Ausgrenzung dieses Bereiches Herzog in Maunz-Dürig Art. 8 RdNr. 43. Nimmt man diese Ausgrenzung nicht vor, so stellt sich noch die - unter dem Aspekt der Funktionalisierung nicht interessierende - Frage, ob auch das Publikum von Veranstaltungen dieser Art den Schutz des Art. 8 GG genießt. Dies hängt davon ab, welche Intensität der Bindung zwischen den Teilnehmern man als unerläßlich für eine Versammlung i.S.d. Art. 8 GG ansieht; vgl. dazu BK-von Münch Art. 8 RdNr. 25. Auf jeden Fall fällt die gemeinsame Ausübung von Kunst, Sport usw. in den Schutzbereich des Art. 8 GG, wenn man dieses Grundrecht nicht funktionalisiert.
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rechtsnorm spricht nicht davon, daß allen Deutschen das Recht zusteht, sich zu bestimmten Zwecken zu versammeln. Es ist weder von der Erörterung öffentlicher Angelegenheiten, noch überhaupt von Meinungsbildung und Meinungsäußerung die Rede. So richtig es ist, daß Versammlungsfreiheit einen Bezug zum in Art. 2 0 GG verankerten Prinzip der Demokratie aufweist, so wenig läßt es sich bestreiten, daß die Versammlungsfreiheit nach dem Grundgesetz ein Grundrecht und nicht etwa ein Ausfluß der Staatsfundamentalnorm des Art. 2 0 GG ist. Tragendes Konstitutionsprinzip der Grundrechte ist nun aber Art. 1 Abs. 1 GG: der Anspruch des Menschen auf Achtung seiner Würde. Die dem Art. 1 GG nachfolgenden Grundrechte konkretisieren diesen Würdeanspruch für einzelne Lebensbereiche 131. Die Würde des Menschen als Ausgangspunkt und Sinnmitte aller Grundrechte ist für die inhaltliche Reichweite dieser Grundrechte von elementarer Bedeutung. Bei der Interpretation der einzelnen Grundrechte muß deshalb immer der Wertmaßstab des Art. 1 Abs. 1 GG beachtet werden 132 . Nun ist es zwar zuzugeben, daß die „Würde" ein recht unbestimmter Begriff ist 1 3 3 . Es ist aber unzweifelhaft, daß dieser Begriff auf den Eigenwert des Menschen Bezug nimmt: der Mensch ist nicht Mittel zum Zweck, sondern „Zweck an sich" 134 . Diese unbezweifelbare Feststellung genügt, um die Unzulässigkeit einer Funktionalisierung des Art. 8 GG zu belegen. Wenn der Mensch nicht Mittel zum Zweck, sondern „Zweck an sich" ist, dann kann es nicht so sein, daß eine Persönlichkeitsverwirklichung ohne Bezug zu öffentlichen Angelegenheiten weniger schutzwürdig ist als eine Persönlichkeitsverwirklichung, die einen solchen Bezug aufweist. Wer den Schutz des Art. 8 GG auf Meinungsbildung und Meinungsäußerung in öffentlichen Angelegenheiten beschränkt, der übersieht den Eigenwert des Menschen und sieht stattdessen den Menschen nur als Mittel an, das den Prozeß der Demokratie ermöglicht. Der Grundrechtsträger wird dann nicht um seiner selbst willen, sondern nur als „Funktionär" der Demokratie geschützt. Der Umfang grundrechtlicher Freiheit wird dann nicht nach Maßgabe des Freiheitsbedürf131 Vgl. etwa BVerfGE 35, 202, 235; 6, 32, 36; Leisner, S. 141 ff.; Wintrich S. I O ff.; J.P. Müller S. 76; Dürig in Maunz-Dürig Art. 1 RdNr. 13 und RdNr. 15. 132 Vgl. etwa J.P. Müller S. 129 ff.; Nipperdey, in: Die Grundrechte, Band I I , S. 12; von Mangoldt-Klein Art. 1 Anm. I I I 9. 133 Vgl. insbesondere Leisner S. 140 und Dürig in Maunz-Dürig Art. 1 RdNr. 28. Es ist allerdings nicht ersichtlich, warum der Begriff der Menschenwürde problematischer als andere unbestimmte Rechtsbegriffe sein soll. Wie bei allen unbestimmten Rechtsbegriffen gibt es einen unzweifelhaften Begriffskern (Beispiel: die Achtung der Menschenwürde verbietet Folterungen), der von einem unscharfen Begriffshof umgeben ist. Innerhalb dieses Begriffshofes kann Rechtssicherheit nur durch Fallgruppenbildung hergestellt werden. Diese Fallgruppen sind dann Leitlinien für die - immer unerläßliche - Würdigung des Einzelfalles. 134 Vgl. etwa BVerfGE 45, 187, 228; 3 0 , 1, 39 f.; Dürig in Maunz-Dürig Art. 1 RdNr. 14 ff.; BK-Zippelius Art. 1 RdNr. 12; Reuter S. 104.
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nisses des einzelnen, sondern nach Maßgabe gesellschaftlicher Nützlichkeit bestimmt. Einem solchen „Freiheitsrecht" fehlt - wie man es treffend ausgedrückt hat 1 3 5 - das Ethos der Grundrechte. Ein solches „Freiheitsrecht" weist nicht den - für Grundrechte essentiellen - Bezug zum Grundwert der freien und eigenverantwortlichen Persönlichkeit auf, die um ihrer selbst willen einen Anspruch darauf hat, daß sie in ihrem Eigenwert respektiert wird. Stellt man diesen notwendigen Bezug her, so muß man Art. 8 GG als ein Grundrecht auffassen, das in umfassender Weise garantiert, daß der Grundrechtsinhaber seine Persönlichkeit in freier Kommunikation entfalten kann. Zur Persönlichkeitsverwirklichung durch Kommunikation gehören auch alle Formen „privater" Kommunikation; selbstverständlich auch solche, die nicht auf Meinungsbildung oder Meinungsäußerung gerichtet sind. Zutreffend ist darauf hingewiesen worden 136 , daß staatliche Maßnahmen, die darauf abzielen, den Menschen durch Verhinderung privater Kommunikation zu isolieren, den Kern der menschlichen Existenz treffen. Daß solche Maßnahmen zu den „subtilen" Methoden totalitärer Herrschaft gehören, ist hinreichend bekannt. Der Schutzbedürftigkeit privater Kommunikation wird man nur dann effektiv und widerspruchsfrei gerecht, wenn man sie dem Schutzbereich des Art. 8 GG zuordnet. Würde man dies nicht tun, so würde die private Kommunikation durch das Auffanggrundrecht des Art. 2 Abs. 1 geschützt. Dies würde aber bedeuten, daß sie auch innerhalb geschlossener Räume unter dem Vorbehalt der „verfassungsmäßigen Ordnung" stehen würde, während Art. 8 Abs. 1 GG die Versammlungsfreiheit innerhalb geschlossener Räume vorbehaltlos garantiert. Ein vorbehaltloses Grundrecht - ein Grundrecht, das seine Grenzen ausschließlich in der Verfassung selbst findet 137 - gewährt einen stärkeren Schutz als ein mit einem Vorbehalt versehenes Grundrecht. Versteht man mit der ganz h.M. unter dem Vorbehalt der „verfassungsmäßigen Ordnung" bei Art. 2 Abs. 1 GG die Gesamtheit der Normen, die formell und materiell der Verfassung gemäß sind 138 , so ist gerade der Schutz des Art. 2 Abs. 1 GG ein recht schwacher Schutz. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit vermag also die Sphäre privater Kommunikation effektiver zu schützen als das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit, das diesen Schutz übernehmen würde, wenn man den Schutzbereich des Art. 8 GG auf Versammlungen begrenzen würde, die öffentlicher Meinungsbildung und Meinungsäußerung dienen. In Anbetracht dessen, daß private Kommunikation für den Menschen von zentraler Bedeutung ist, ist dem effektiveren Schutz der Vorrang einzuräumen. 135
J.P. Müller S. 188. Herzog in Maunz-Dürig Art. 8 RdNr. 5. 137 BVerfGE 32, 98, 107 f.; 33, 23, 29; F. Müller S. 55, 56; Hesse § 12 14; LeibholzRinck Art. 19 Anm. 1. 138 BVerfGE 6, 32 ff. Dazu später genauer S. 189. 136
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Außerdem wäre es in sich widersprüchlich, über Art. 2 Abs. 1 GG private Kommunikation, die Interessen an öffentlicher Sicherheit und Ordnung sicherlich weniger tangiert als eine „politische" Versammlung, weniger zu schützen als eine „politische" Versammlung, die unzweifelhaft dem vorbehaltlosen Art. 8 Abs. 1 GG unterfällt 139 . Zusammenfassend läßt sich somit feststellen, daß Wortlaut, Grundrechtscharakter der Versammlungsfreiheit sowie teleologische Erwägungen dazu führen, den Schutzbereich des Art. 8 GG - entgegen einer funktionalen Betrachtungsweise - nicht auf Versammlungen zu beschränken, die öffentlicher Meinungsbildung oder Meinungsäußerung dienen. Ferner ist Kritik gegenüber der Art anzumelden, in der eine funktionale Betrachtungsweise die sog. negative Freiheit ( = Freiheit, die in einem Grundrecht geschützte Tätigkeit nicht auszuüben) behandelt. Sieht man bei einem Freiheitsrecht nur die soziale Funktion der geschützten Tätigkeit und nicht die Selbstbestimmung des Grundrechtsträgers als Schutzobjekt an, so ist es nur konsequent, die entsprechende negative Freiheit nicht über die betreffende funktionale Grundrechtsnorm, sondern über Art. 2 Abs. 1 GG zu schützen. Beispiel: Schützt Art. 9 Abs. 3 GG nur das soziale Anliegen, daß durch Bildung von Koalitionen eine gerechte Gestaltung des Arbeitslebens ermöglicht werden soll, so ist vom Schutzzweck der Grundrechtsnorm her derjenige nicht schutzwürdig, der einer Koalition nicht beitreten will. Er verschließt sich dem Anliegen des Art. 9 Abs. 3 GG und leistet keinen Beitrag zur gerechten Gestaltung des Arbeitslebens. Es ist dann nur konsequent, ihm den besonderen Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG (kein Gesetzesvorbehalt) zu verweigern. Einer funktionalen Betrachtungsweise fehlt es an einem rechtfertigenden Grund, die negative Koalitionsfreiheit höher als die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG zu bewerten 140 . Auch hier wird der Grundrechtsträger von einem funktionalen Grundrechtsverständnis nicht als Persönlichkeit mit Eigenwert, sondern als Funktionär eines Anliegens gewürdigt. Derjenige, der dem sozialen Anliegen positiv gegenübersteht, wird - durch den vorbehaltlosen Art. 9 Abs. 3 GG - in einem weiteren Umfang geschützt als derjenige, der für dieses Anliegen nichts übrig hat. Ihm wird nur der Schutz des - mit einem weiten Eingriffsvorbehalt versehenen - Art. 2 Abs. 1 GG zugebilligt. Staatliche Maßnahmen, die eine Tendenz zur Zwangsmitgliedschaft aufweisen, sind eher möglich als staatliche Koalitionsbehinderungen. Eine solche Differenzierung widerspricht der For139 Dieser Aspekt wird zutreffend herausgestellt von Herzog in Maunz-Dürig Art. 8 RdNr. 3. 140 So folgerichtig Reuter S. 142, 172, 173. Zum Streit über die negative Koalitionsfreiheit vgl. im übrigen BVerfGE 5 0 , 290, 367 u. Scholz in Maunz-Dürig Art. 9 RdNr. 169 m.w.N.
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derung, den Menschen nicht als Mittel zum Zweck, sondern als „Zweck an sich" anzusehen. Will der Staat dieser Forderung gerecht werden, so muß er den Nichtgebrauch einer bestimmten Freiheit ebenso respektieren wie den postiven Gebrauch eben dieser Freiheit. A l l dies zeigt, daß eine Funktionalisierung bestimmter Freiheitsrechte mit Art. 1 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren und deshalb abzulehnen ist. Der Würdeanspruch des Menschen verbietet es, menschliche Handlungsfreiheit nur unter dem Aspekt zu sehen, daß ein positiver Gebrauch dieser Freiheit ein soziales Anliegen fördert. Die Funktionalisierung der Freiheit verbannt aus den Grundrechten, die funktionalisiert werden, sowohl private, als auch negative Freiheit. Die funktionalen Grundrechte schützen nur noch gesellschaftlich nützliches Handeln. So richtig es nun ist, daß der Staat, den das Grundgesetz im Auge hat, nur dann Realität wird, wenn die in der Verfassung garantierten Freiheiten durch Handlungen politischer Bürger positiv aktualisiert werden, so wenig läßt es sich bestreiten, daß eine freiheitliche Ordnung mit sich selbst in Widerspruch gerät und das Zentrum des eigenverantwortlichen Menschen aus den Augen verliert, wenn sie diese - i.S.d. Staatsziele - positive Aktualisierung nicht als freie Aktualisierung versteht. Der eigenverantwortliche Mensch hat frei darüber zu entscheiden, welchen Gebrauch er von den Freiheiten machen will, die ihm die Verfassung gewährleistet 141 . Eine materiale Freiheit setzt aber voraus, daß der Staat die verschiedenen Entscheidungen des Grundrechtsträgers in gleicher Weise achtet. Dies geschieht nicht, wenn privater Gebrauch und Nichtgebrauch bestimmter Freiheiten dem Auffanggrundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG zugewiesen werden, das weitgehende Einschränkungen zuläßt. Es ist somit - entgegen einem funktionalen Grundrechtsverständnis - davon auszugehen, daß alle Freiheitsrechte dem Menschen um seiner selbst willen Freiheit sichern, von der er in freier Selbstbestimmung und eigener Verantwortung den von ihm gewünschten Gebrauch machen kann. Alle Grundrechte haben als Zentrum den Grundwert der Menschenwürde 142 , um den herum - und auf den ausgerichtet - sie die Freiheit in einzelnen Lebensbereichen in unterschiedlicher Intensität schützen 143 . Würde in einem einzelnen Lebensbereich durch das auf ihn bezogene Einzelgrundrecht nur noch ein funktionaler Gebrauch der Freiheit geschützt, so würde die Verbindung zum Zentrum der Menschenwürde aufgegeben. Der nichtfunktionale Gebrauch der Freiheit 141
Zu diesem Aspekt vgl. insbesondere Böckenförde aaO S. 1529, 1531; H. Klein S. 167, 168; Hesse § 9 I I 2. 142 Vgl. dazu insbesondere Leisner S. 139 ff.; J.P. Müller S. 184; Wintrich S. 19. 143 Bildlich ausgedrückt: „Die einzelnen Grundrechte gleichen Wachtposten, die rings um eine belagerte Festung, den Grundwert der Menschenwürde, errichtet sind. Die einzelnen Posten sind an den Stellen angelegt, die sich in geschichtlicher Erfahrung als besonders verletzlich erwiesen haben . . . " . J.P. Müller S. 76. 5*
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käme nicht - wie es die Ausrichtung auf die Menschenwürde fordert - in den Genuß der spezifischen Absicherung dieses Lebensbereiches. Ein solcher Gebrauch würde vielmehr - entgegen dieser Ausrichtung, die Gleichbehandlung verlangt - durch eine Zuordnung zu Art. 2 Abs. 1 GG gegenüber einem funktionalen Gebrauch diskriminiert. Der Schutz des beliebigen Gebrauchs der Freiheit deckt sich, was kein Zufall ist, mit dem oben geschilderten liberalen Grundrechtsverständnis. Die Väter des Grundgesetzes haben nämlich als Antwort auf das Unrechtsregime des N.S.-Staates weitgehend auf die Freiheitskonzeption des liberalen Rechtsstaates zurückgegriffen 144 . Soweit die Grundrechte nicht im liberalen Gedankengut fundiert sind, sondern sich aus anderen Quellen speisen, besteht nichtsdestoweniger, was die Funktionalisierung von Grundrechten angeht, eine Konvergenz mit einem liberalen Grundrechtsverständnis. So wurzelt z.B. ein dem Recht vorgegebener Grundwert der Menschenwürde nicht in liberalen, sondern in naturrechtlichen Kategorien 145 . Dieser - auf naturrechtlichen Vorstellungen basierende - Würdeanspruch fordert indes - wie gezeigt - ebenso wie die liberale „Freiheit vom Staat", daß die Grundrechte einen beliebigen - nicht nur einen funktionalen - Gebrauch der Freiheit schützen 146 . Es ist somit nicht der These Reuters zu folgen, daß bei bestimmten Freiheitsrechten in grundrechtlich geschützte Interessen nicht eingegriffen wird, wenn dem minderjährigen Grundrechtsträger Handlungsmacht versagt wird. Die dieser These zugrundeliegende Annahme funktionaler Grundrechte, die ausschließlich soziale Anliegen schützen, ist nicht zutreffend. Alle Freiheitsrechte gewährleisten dem Grundrechtsträger Raum zu freier Selbstverwirklichung, die nicht darauf begrenzt ist, soziale Anliegen zu fördern. Da Selbstbestimmung durch Fremdbestimmung nicht zu realisieren ist, sind bei allen Freiheitsrechten Regelungen, die einem minderjährigen Grundrechtsträger Handlungsmacht vorenthalten, unter dem Aspekt der Einschränkung von Rechtsmacht zu würdigen. A n dieser Stelle braucht nicht mehr näher darauf eingegangen zu werden, daß die Grundrechte nach der ständigen - in der Literatur überwiegend gebilligten - Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht nur subjektive Rechte des Bürgers beinhalten, sondern zugleich auch objektive Wertentscheidungen enthalten, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidungen für alle Bereiche des Rechts von Bedeutung sind 147 . Ein solches Wertdenken 144
Vgl. etwa Böckenförde aaO S. 1537. Dazu später genauer S. 111 ff. Vgl. etwa Leisner S. 127 ff. Dazu später genauer S. 145 ff. 146 Bei anderen Grundrechtsproblemen besteht dagegen zwischen einem liberalen und einem naturrechtlichen Ansatz keine Konvergenz. Dazu später S. 145 ff. 145
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könnte möglicherweise für die Reutersche These von der Funktionalität bestimmter Grundrechte fruchtbar gemacht werden, weil es dazu geeignet ist, grundrechtliche Freiheiten inhaltlich darauf auszurichten, daß sie die in den Grundrechten inkorporierten objektiven Werte zu realisieren haben 148 . Dieser Gedanke würde aber nur dann zu einer Rechtfertigung der Reuterschen These führen, wenn der objektivrechtliche Wertgehalt die subjektivrechtliche Freiheitsgewährung aus den Grundrechten verdrängen könnte. Auf einen solchen Gedanken ist indes das Bundesverfassungsgericht noch niemals gekommen: „Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ist als unmittelbarer Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt. Für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung ist es schlechthin konstituierend, denn es ermöglicht erst die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselement ist 1 4 9 ." „Meinungs- und Pressefreiheit sollen die freie geistige Betätigung und den Prozeß der Meinungsbildung in der freiheitlichen Demokratie schützen 150 ." „Für die in Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG gewährleistete Informationsfreiheit sind danach zwei Komponenten wesensbestimmend. Einmal ist das der Bezug zum demokratischen Prinzip des Art. 2 0 Abs. 1 GG: ein demokratischer Staat kann nicht ohne freie und möglichst gut informierte öffentliche Meinung bestehen. Daneben weist die Informationsfreiheit eine individualrechtliche aus Art. 1, Art. 2 Abs. 1 GG hergeleitete Komponente auf. Es gehört zu den elementaren Bedürfnissen des Menschen, sich aus möglichst vielen Quellen zu unterrichten, das eigene Wissen zu erweitern und sich so als Persönlichkeit zu entfalten 151 ." Das Bundesverfassungsgericht denkt also nicht daran, die individualrechtliche Komponente der grundrechtlichen Freiheitsgewährleistungen zu negieren. Nur eine solche Negation - die Reduktion auf einen Schutz objektiver Werte - würde aber die Reutersche Aussage ermöglichen, daß eine Vorenthaltung von Handlungsmacht bei minderjährigen Grundrechtsträgern verfassungsrechtlich unbedenklich sei, weil objektive Werte durch den gesetzlichen 1 47 Vgl. etwa BVerfGE 7, 198, 205; 2 0 , 162, 175 f.; 39, 1, 41 ff.; 46, 160, 164; 49, 89, 141 f.; 53, 5 0 , 57. Zustimmend z.B.; von Mangoldt-Klein Vorbemerkung Β I I I 4 vor Art. 1 GG; Schmidt-Bleibtreu/Klein Vorbemerkung vor Art. 1 RdNr. 8. Ablehnend z.B. Podlech AöR 95, 185 ff., 2 0 1 ff.; Goerlich S. 131 ff. 148 Vgl. dazu Böckenförde aaO S. 1533. 149 BVerfGE 7, 198, 208. 150 BVerfGE 25, 256, 268. 151 BVerfG JZ 1970, I O O , Ι Ο Ι . Im übrigen vgl. auch noch BVerfGE 21, 362, 372 f.; 5 0 , 290,337 f.
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Vertreter genauso gut realisiert werden könnten wie durch den selbstbestimmungsfähigen Minderjährigen selbst. Das Wertdenken des Bundesverfassungsgerichts kann somit nicht zur Stützung des Reuterschen Ansatzes herangezogen werden 152 . Wird in Freiheitsrechten, die auch den Schutz objektiver Werte im Auge haben, auch die individuelle Freiheit geschützt, so müssen Regelungen, die dem Individuum Handlungsmacht vorenthalten, auch als Einschränkungen grundrechtlich garantierter individueller Freiheit betrachtet werden. Würde man - über die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes hinausgehend - nicht auf subjektive Selbstverwirklichung und objektive Wertrealisierung, sondern nur noch auf den Schutz objektiver Werte abstellen, so wäre dagegen - unter dem Aspekt einer unzulässigen Verengung grundrechtlicher Freiheit - genau das zu sagen, was am Beispiel des Art. 8 GG dargelegt worden ist. Auch auf ein sog. institutionelles Grundrechts Verständnis braucht in unserem Zusammenhang nicht genauer eingegangen zu werden. Einem solchen Grundrechtsverständnis liegt folgende Betrachtungsweise zugrunde 153 : Ein Grundrecht, das eine bestimmte Freiheit des Grundrechtsträgers schützt, ist zugleich auch ein objektives Ordnungsprinzip für den Lebensbereich, in dem die geschützte Freiheit realisiert wird. Diese Ordnungsidee wird für den ihr zugeordneten Lebensbereich durch die Gesetzgebung normativiert 1 5 4 . Durch Normenkomplexe, die - orientiert an der Ordnungsidee des Grundrechts - dieses Grundrecht ausgestalten, sowie dadurch, daß die Grundrechtsberechtigten durch Tätigwerden diese Normenkomplexe aktualisieren, konstituiert sich ein freiheitlicher Lebensbereich; das Grundrecht als Institut 1 5 5 . Das Grundrecht als Institut - der von der objektiven Ordnungsidee des Grundrechts aus freiheitlich geordnete, ausgestaltete und „gelebte" Bereich ist eine objektive Gegebenheit 156 , die neben die individualrechtliche Seite des Grundrechts tritt und die diese Seite auch begrenzen kann 1 5 7 .
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Ebenso Kittner AuR 1971, 280, 287 f. Vgl. insbesondere Häberle S. 7 0 ff. 154 Häberle S. 116. 155 Häberle S. 104 ff., insbesondere S. 106-108. Dieser Ansatz ist nicht unbedenklich. Dadurch, daß die Tätigkeit des Gesetzgebers in erster Linie unter dem Aspekt der Grundrechtsausgestaltung gesehen wird, können die Barrieren unterlaufen werden, die das Grundgesetz Grundrechtseinschränkungen in den Weg legt. Vgl. dazu Böckenförde aaO S. 1532; H. Klein S. 161, 162; Bleckmann S. 180, 181. Das institutionelle Grundrechtsverständnis teilt dieses Bedenken nicht, sondern fordert insoweit eine Befreiung von einem traditionellen Eingriffs- und Schrankendenken. Vgl. Häberle S. 222 ff. 156 Häberle S. 99. 153
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Der Treffpunkt eines institutionellen Grundrechtsverständnisses und einer funktionalen Grundrechtsbetrachtung liegt dort, wo es um den beliebigen Gebrauch der Freiheit geht. Es liegt nahe, daß es in der Konsequenz institutionellen Denkens liegt, nicht einen beliebigen, sondern nur einen solchen Gebrauch der Freiheit zuzulassen, der sich im Rahmen des Instituts bewegt und der in Übereinstimmung mit dem objektiven Ordnungsprinzip des Grundrechts steht, das diesem Institut zugrundeliegt. Ob dem so ist, bedarf indes keiner abschließenden Erörterung. Das institutionelle Grundrechtsverständnis will eine solche Konsequenz der Freiheitsverengung ausdrücklich nicht ziehen. Die individualrechtliche und die institutionelle Komponente sollen gleichrangig sein. Der Gedanke, daß das objektive Institut die individuelle Freiheit in die Pflicht nehmen könne, wird „expressis verbis" abgelehnt. Das Individuum darf „nicht zum Organ der überindividuellen Ordnungen und Lebensbezüge erniedrigt werden. Der Institutionalisierung der Grundrechte geht kein Verblassen der individuellen Freiheit parallel, im Gegenteil, sie bezweckt und bewirkt eine Stärkung der Freiheit. In dieser Sicht der Grundrechte wird dem unvermeidlich Institutionellen im Recht ebenso Rechnung getragen wie dem Personalen. Aus dem Verhältnis der Gleichrangigkeit und der Wechselbeziehung beider Grundrechtsseiten folgt für den Gesetzgeber die Unantastbarkeit der institutionellen Seite der Grundrechte um der Grundrechte als subjektive Individualrechte willen und umgekehrt. In den so verstandenen Grundrechten vollzieht sich das Leben der einzelnen und der Gesamtheit 158 ." „Bei aller Anerkennung der Bedeutung der Grundrechte für das politische Leben darf indessen nicht übersehen werden, daß die Grundrechte auch die Sicherung des privaten Lebens bezwecken. Eine Politisierung der Grundrechte droht allzuleicht zu einer Einengung der Privatsphäre zu führen. Die Grundrechte schützen private Bereiche individuellen und sozialen Lebens um ihrer selbst willen, sie schützen diese zugleich als Voraussetzung politischen Lebens. ... Ein Denken in Alternativen und Primaten würde die Gleichrangigkeit ihrer beiden Seiten verkennen 159 ." Versteht man institutionelles Grundrechtsverständnis so, so läßt sich die für die Reutersche Konzeption unerläßliche „totale" Funktionalisierung von Grundrechten nicht über ein solches Grundrechtsverständnis gewinnen.
157 Häberle S. l O O , Ι Ο Ι . Diese Betrachtungsweise birgt die Gefahr in sich, daß die Verfassung nach Maßgabe der einfachen Gesetze gilt. Außerdem droht eine Petrifizierung einfachgesetzlicher Regelungen, die - auf dem Weg über das Institut - Verfassungsrang gewinnen können. Vgl. dazu Böckenförde aaO S. 1533. ι 5 « Häberle S. 72. 159 Häberle S. 2 0 .
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Hält man es dagegen160 für in der Eigengesetzlichkeit eines institutionellen Denkens liegend, daß aus einem beliebigen Freiheitsgebrauch ein Freiheitsgebrauch nach Maßgabe der objektiven Ordnungsidee des Institutes wird, so könnte zwar ein so verstandenes institutionelles Grundrechtsverständnis zur Stützung der Reuterschen Funktionalisierungsthesen herangezogen werden. Ein solches Grundrechtsverständnis ist dann aber - aus den bereits dargelegten Gründen - mit Art. 1 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren 161 . Ergebnis: Alle Freiheitsrechte gewährleisten - zumindest auch - individuelle Freiheit zur Selbstverwirklichung. Ob und inwieweit diese Rechte auch noch Funktionsschutz ermöglichen, auch noch objektive Wertentscheidungen enthalten und auch noch eine institutionelle Seite aufweisen, bedarf in unserem Zusammenhang keiner weiteren Klärung. Der Ansatz einer strikten Trennung' zwischen personalen und funktionalen Freiheitsrechten läßt sich nämlich nur dann halten, wenn eine völlige Funktionalisierung bestimmter Freiheitsrechte möglich ist. Da dies nicht möglich ist, alle Freiheitsrechte vielmehr - zumindest auch - personale Freiheit schützen, kann man nicht sagen, daß im Bereich bestimmter - funktionaler - Freiheitsrechte die Anwendung der Mündigkeitsregelung des BGB's verfassungsrechtlich geschützte Interessen nicht verletzen kann. b) Das Modell Reuters ist auch in sich brüchig. Es läßt sich, wenn man seinen Ansatzpunkt konsequent zu Ende denkt, nicht in der Weise anwenden, die von Reuter vertreten wird. Bei personalen Freiheitsrechten - den Selbstbestimmungarantien - sollen, da Selbstbestimmung durch Fremdbestimmung ein Widerspruch in sich ist, Regelungen, die dem minderjährigen Grundrechtsträger Handlungsmacht vorenthalten, Eingriffe in die grundrechtlich geschützte Sphäre des Minderjährigen darstellen, die auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu überprüfen sind. Bei funktionalen Grundrechten sollen solche Regelungen verfassungsrechtlich unbedenklich sein, weil als verfassungsrechtlich geschütztes Interesse nur das hinter dem funktionalen Grundrecht stehende soziale Anliegen angesehen wird und dieses Interesse nicht beeinträchtigt wird, wenn anstelle des selbstbestimmungsfähigen Minderjährigen selbst sein ebenso einsichtsfähiger gesetzlicher Vertreter zu entscheiden hat.
160 Wie z.B. Böckenförde aaO S. 1532; Bleckmann S. 179, 180; von Münch Vorbem. Art. 1-19 RdNr. 124. 161 Insoweit ist dann H. Steiger S. 91 ff., 111 zuzustimmen: „Es folgt wie von selbst, daß die individuelle Freiheit um des Instituts Freiheit willen eingeschränkt werden kann. Freiheit als Institut ist also die Konfrontation der individuellen Freiheit mit den ihr aufgegebenen Inhalten. Jene nimmt diese in Pflicht. Wo hier noch Selbstbestimmung möglich sein soll, bleibt offen".
3. Der gefundene Untersuchungsansatz und sog. funktionale Grundrechte
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Dies verblüfft schon im Ergebnis. Eine elterliche Entscheidung bezüglich eines Schwimmbadbesuches eines insoweit schon entscheidungsfähigen Kindes ist dann nämlich verfassungsrechtlich bedenklicher als eine Elternentscheidung, die den Gewerkschaftsbeitritt des insoweit schon selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden betrifft. In wichtigen Freiheitsbereichen (Art. 5 Abs. 1, 5 Abs. 3, 8, 9 Abs. 1, 9 Abs. 3,11 GG) wird der konkret selbstbestimmungsfähige Jugendliche ohne verfassungsrechtliche Problematisierung unter Kuratel gestellt, während im Residualbereich des Art. 2 Abs. 1 GG, der so relativ belanglose Freiheiten wie die Badefreiheit umfaßt, der elterlichen Entscheidungsgewalt in Gestalt des Autonomierechtes des Kindes ein verfassungsrechtlicher Widerstand erwächst. Daß dies nicht richtig sein kann, liegt auf der Hand. Der Fehler liegt in folgendem: Wenn man, was - wie gezeigt - falsch ist, die individuelle Freiheit des Grundrechtsträgers aus den funktionalen Freiheitsrechten eliminiert, dann muß diese - aus diesen Rechten „vertriebene" - Freiheit ihren Schutz in Art. 2 Abs. 1 GG finden. Zwar schließen die besonderen Freiheitsrechte als „lex specialis" die Anwendung des allgemeinen Freiheitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG aus. Ein solcher Ausschluß greift aber - dies folgt aus dem Spezialitätsgrundsatz - nur dann ein, wenn eine Verletzung des Art. 2 Abs. 1 GG und eine Verletzung eines besonderen Freiheitsrechts unter demselben sachlichen Gesichtspunkt in Betracht kommen, nicht aber dann, wenn Art. 2 Abs. 1 GG möglicherweise unter einem Gesichtspunkt verletzt ist, der nicht in den Bereich eines besonderen Freiheitsrechts fällt 1 6 2 . Wenn funktionale Grundrechte nur Funktionsschutz und keinen Autonomieschutz gewähren, dann ist die Autonomie ein Aspekt, der von dem Schutzbereich dieser speziellen Grundrechte nicht erfaßt wird. Eine Versagung von Handlungsmacht, die eine funktionale Grundrechtsausübung Minderjähriger betrifft, mag dann zwar unter dem Blickwinkel der funktionalen Grundrechtsnorm verfassungsrechtlich unbedenklich sein. Es bleibt dann aber noch der „unverbrauchte" - für diese Norm irrelevante - Umstand, daß in die Freiheit eines minderjährigen Grundrechtsträgers eingegriffen wird. Für diesen „unverbrauchten" Autonomieaspekt muß dann aber das Auffanggrundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG zum Zuge kommen. Im Rahmen dieser Vorschrift (personales Grundrecht) ist - auch nach Reuter - das Faktum, daß einem minderjährigen Grundrechtsinhaber Handlungsmacht vorenthalten wird, als Grundrechtseinschränkung zu würdigen. Die Unterscheidung zwischen personalen und funktionalen Freiheitsrechten ist damit ein Schlag ins Wasser. Die durch die strikte Funktionalisierung bestimmter Freiheitsrechte bewerkstelligte Eliminierung der Selbstbestimmung des Grundrechtsträgers, die es ermöglicht, im Bereich dieser 162 BVerfGE 19, 206, 225; Hesse § 9 I I I ; Dürig in Maunz-Dürig Art. 2 Abs. 1 RdNr. 6.
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II. Prozeßführung und das Problem der Grundrechtsmündigkeit
Grundrechte der Handlungsfreiheit des Minderjährigen keine Bedeutung beizumessen, ist ein Pyrrhussieg, weil durch eben diese Funktionalisierung in bezug auf die Autonomie Art. 2 Abs. 1 GG anwendbar wird, in dessen Bereich die Handlungsfreiheit des minderjährigen Grundrechtsträgers nicht ohne Bedeutung sein kann. Selbstbestimmung durch Bevormundung gibt es nicht. Bevormundung kann nur als Einschränkung der Selbstbestimmung begriffen werden. Eine scharfe Trennung zwischen funktionalen und personalen Freiheitsrechten muß also im Ergebnis dazu führen, daß alle Regelungen, die Minderjährigen bei funktionaler Grundrechtsausübung Handlungsmacht versagen, daraufhin zu überprüfen sind, ob sie dem Art. 2 Abs. 1 GG standhalten. Die Reutersche Grundvoraussetzung, daß bestimmte Grundrechte nur Funktionsschutz gewähren, ist unvereinbar mit dem Reuterschen Teilergebnis, daß dort, wo funktionale Grundrechtsausübung zur Debatte steht, keinerlei verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber Handlungsbeschränkungen bestehen, die sich aus der Mündigkeitsregelung des BGB's für Minderjährige ergeben. Reuter übersieht, daß reiner Funktionsschutz bei den besonderen Freiheitsrechten für den Aspekt der Autonomie das allgemeine Freiheitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG auf den Plan ruft, das gegenüber Fremdbestimmung nicht neutral ist, sondern das durch Fremdbestimmung beschränkt wird. Die Aussage Reuters, daß die Mündigkeitsregeln des einfachen Rechts bei funktionalen Freiheitsrechten ohne Bedenken angewendet werden können, ist somit aus zwei Gründen abzulehnen. 1) Entgegen Reuter gibt es keine Freiheitsrechte, die ausschließlich ein soziales Anliegen schützen. Aus der Sinnmitte der Grundrechte - aus Art. 1 Abs. 1 GG - folgt vielmehr, daß alle Freiheitsrechte - zumindest auch - individuelle Freiheit zur Selbstverwirklichung verbürgen. 2) Würde man funktionale Grundrechte im Reuterschen Sinne anerkennen, so wäre damit - entgegen Reuter - noch nicht die von ihm behauptete verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit dargetan. Dies folgt daraus, daß Art. 2 Abs. 1 GG als Auffanggrundrecht überall dort von Bedeutung ist, wo Erscheinungsformen der Freiheit von den Spezialfreiheiten des Grundrechtskatalogs nicht erfaßt werden. Diese Konstellation ist gegeben, wenn funktionale Freiheitsrechte nur noch einen Funktionsschutz für soziale Anliegen gewährleisten. Der Ansatz, daß bei Handlungsgrundrechten die Nichtgewährung von Handlungsmacht als Grundrechtseinschränkung zu würdigen ist, bedarf somit keiner Modifikation unter dem Gesichtspunkt funktionaler Grundrechte.
4. Endgültige Kennzeichnung der Grundrechtsmündigkeitsproblematik
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4. Zusammenfassung der bisherigen Erörterung und endgültige Kennzeichnung der Grundrechtsmündigkeitsproblematik Abzulehnen ist der Ansatz der ganz überwiegenden Meinung, in Parallele zum Zivilrecht mit seinem Dualismus von „Haben" und „Handeln" nach einer verfassungsrechtlich ungeregelten grundrechtlichen Handlungsfähigkeit zu suchen, die Antwort auf die Frage geben soll, ab wann Minderjährige, die als grundrechtsfähig - also als Träger der Grundrechte - angesehen werden, Grundrechte selbständig ausüben können. Zunächst einmal gibt es viele Grundrechte, die einer Kategorie der Handlungsfähigkeit gar nicht zugänglich sind, weil bei ihnen ein Handeln des Grundrechtsträgers nicht der Gegenstand des grundrechtlichen Schutzes ist. Es sind dies die Grundrechte, die sich darauf beschränken, dem Staat ein bestimmtes Verhalten gegenüber der Person des Grundrechtsträgers zu verbieten (z.B. Art. 3; Art. 16 Abs. 1; Art. 16 Abs. 2; Art. Ι Ο Ι Abs. 1: Art. 104 GG) oder Eingriffe in Lebens- und Rechtsgüter des Grundrechtsträgers zu untersagen (z.B. Art. 2 Abs. 2; Art. 13; Art. 14 GG, soweit ein Bestand an Vermögenswerten Gütern vor Eingriffen geschützt wird). Diese Grundrechte sind nicht darauf angelegt, durch ein Handeln des Grundrechtsinhabers aktualisiert zu werden. Dementsprechend gibt es bei ihnen keine grundrechtliche Handlungsmacht, bezüglich derer man nach einer Handlungsfähigkeit fragen kann. Handeln ist hier nur in zwei Formen denkbar, die beide nicht im Schutzbereich dieser Grundrechte angesiedelt sind. Die prozessuale Durchsetzung ist dem Art. 19 Abs. 4 GG zuzuordnen. Dispositionen über Lebens- und Rechtsgüter unterfallen dem Art. 2 Abs. 1 GG. Die zuletzt genannten Grundrechte gehören den Handlungsgrundrechten an. Diese zeichnen sich dadurch aus, daß der Grundrechtsinhaber etwas Bestimmtes tun kann, auf das der Staat mit Duldung („status negativus"; z.B. Art. 2 Abs. 1; Art. 4; Art. 5; Art. 8; Art. 9; Art. I O ; Art. 11; Art. 12 GG) oder mit positivem Tun („status positivus"; z.B. Art. 17; Art. 19 Abs. 4; Art. 103 Abs. 1 GG) zu reagieren hat. Eine Kategorie der Handlungsfähigkeit ist hier zwar nicht von vornherein fehl am Platz. Der zivilrechtliche Dualismus von „Haben" und „Handeln" mit seiner strikten Trennung zwischen Rechtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit wird aber den Handlungsgrundrechten nicht gerecht, deren Sinn sich darin erschöpft, dem Grundrechtsinhaber Handlungsmacht zu verleihen. Das „Haben" eines Handlungsgrundrechts bedeutet für den Grundrechtsträger nichts anderes als eine „Handelnkönnen". Der reale Nutzen, den diese Grundrechte vermitteln, liegt ausschließlich darin, daß dem Berechtigten Handlungsmöglichkeiten garantiert werden. Wird nun beim minderjährigen Grundrechtsinhaber die Möglichkeit zum Handeln von einerwie auch immer gearteten - Fähigkeit zum Handeln abhängig gemacht, so läßt sich eine solche Regelung, die dem Minderjährigen Handlungsmacht vorent-
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II. Prozeßführung und das Problem der Grundrechtsmündigkeit
hält, nur unter dem Aspekt einer Grundrechtseinschränkung würdigen. Ist der Minderjährige Grundrechtsträger, so kann bei den Handlungsgrundrechten keine Grundrechtsmündigkeitsproblematik bestehen, die dahin geht, daß eine von der Verfassung übersehene Handlungsfähigkeit gesucht werden muß. Die Frage muß dann vielmehr lauten, ob und inwieweit grundrechtliche Handlungsmacht Minderjähriger, die durch die Innehabung von Handlungsgrundrechten gewährt wird, durch Regelungen verfassungsgemäß eingeschränkt wird, die dem Minderjährigen in Bereichen, für die diese Grundrechte einschlägig sind, Handlungsmacht verwehren. Zur Ermittlung der Grundrechtsmündigkeit ist nicht eine spezielle Handlungsfähigkeit zu suchen, sondern nach den verfassungsgemäßen Schranken der Kindesgrundrechte zu fragen. Wo solche Schranken nicht zu finden sind, dort ist der Minderjährige grundrechtsmündig. Er ist es aber nicht deshalb, weil ihm eine besondere grundrechtliche Handlungsfähigkeit zukommt, sondern deshalb, weil ihm als Grundrechtsinhaber durch das Handlungsrecht eine Handlungsmöglichkeit garantiert wird, die nicht verfassungsgemäß eingeschränkt ist. Einer solchen Betrachtungsweise, die im Bereich aller Handlungsgrundrechte - bei anderen Grundrechten stellt sich die Frage der Grundrechtsmündigkeit nicht - nach den verfassungsgemäßen Schranken der Kindesgrundrechte fragt, kann - wie unter I I 3 gezeigt - nicht entgegengehalten werden, daß bei bestimmten Freiheitsrechten, bei denen ausschließlich soziale Anliegen als verfassungsrechtlich geschützte Interessen anzusehen seien, durch die Vorenthaltung von Handlungsmacht kein Eingriff in verfassungsrechtlich geschützte Interessen des Grundrechtsinhabers erfolge. Alle Freiheitsrechte gewähren - zumindest auch - dem Grundrechtsträger um seiner selbst willen Handlungsfreiheit. Die Möglichkeit zum Handeln wird ihm immer - zumindest auch - zum Zwecke der Selbstverwirklichung garantiert. Deshalb ist bei allen Handlungsgrundrechten nach der verfassungsrechtlichen Legitimation zu fragen, wenn die Handlungsmacht minderjähriger Grundrechtsinhaber eingeschränkt wird. Vom Ansatz der gängigen Betrachtungsweise aus, die nach einer grundrechtlichen Handlungsfähigkeit sucht, wird gesagt 163 , daß die Grundrechtsmündigkeit selbstverständlich und zunächst einmal die natürliche Fähigkeit des Minderjährigen voraussetze, die in dem Grundrecht geschützte Tätigkeit ausüben zu können. Dies sei die Mindestvoraussetzung der Grundrechtsmündigkeit. Wer sich z.B. noch nicht fortbewegen könne, der sei nicht grundrechtsmündig im Hinblick auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG). Für eine Sichtweise, die nach einer Handlungsfähigkeit forscht, ist dies konsequent. Für ein Denken, das nach den verfassungsgemäßen Schranken grundrechtlicher Handlungsmacht Minderjähriger fragt, ist dieser Aspekt 163
Dürig in Maunz-Dürig Art. 19 Abs. 3 RdNr. 16.
4. Endgültige Kennzeichnung der Grundrechtsmündigkeitsproblematik
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ohne Bedeutung. Das Grundrecht aus Art. 8 GG garantiert dem Grundrechtsträger die Möglichkeit, an Versammlungen teilnehmen zu können. Diese grundrechtliche Garantie einer Handlungsmöglichkeit wird von dem Umstand nicht berührt, daß ein bestimmter Grundrechtsträger aus tatsächlichen Gründen, die in seiner Person liegen, von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch machen kann. Dies ist zum einen nicht minderjährigenspezifisch und hat zum anderen mit dem Recht nichts zu tun. Der Umstand, daß Säuglinge und Erwachsene, die an das Krankenbett gefesselt sind, sich nicht versammeln können, liegt ausschließlich auf der Ebene des Tatsächlichen und stellt keine rechtliche Einschränkung grundrechtlicher Handlungsmacht dar 1 6 4 . Minderjährigenspezifische rechtliche Einschränkungen sind dagegen dort zu finden, wo Rechtsnormen des einfachen Rechts Minderjährigen - wegen ihres Alters und ohne Berücksichtigung ihrer konkreten Handlungsfähigkeit Handlungsmöglichkeiten versagen. Damit sind wir bei den - anfangs bereits erwähnten - Rechtsnormen angelangt, die Minderjährigen interne Entscheidungsbefugnisse und externe Rechtsmacht nicht gewähren. Das elterliche Entscheidungsrecht in allen Angelegenheiten des Kindes (§§ 1626 ff. BGB), das erst und nur an den § 1666,1667 BGB seine Grenze findet, beschränkt die Handlungsfreiheit Minderjähriger. Rechtsnormen des einfachen Rechts, die - wie z.B. §§ 52 ZPO dem Minderjährigen ein rechtswirksames Handeln im Außenverhältnis nicht ermöglichen, sind ebenfalls freiheitsbeschränkender Natur. Sind nun aber Minderjährige von Geburt an Grundrechtsträger mit grundrechtlich garantierten Handlungsmöglichkeiten, so sind diese Rechtsnormen, die Minderjährigen interne und externe Rechtsmacht versagen, daraufhin zu überprüfen, ob sie Kindesgrundrechte verfassungsgemäß einschränken. Um zu einer sinnvollen Prüfungsreihenfolge für die weitere Untersuchung zu gelangen, ist festzustellen, in welcher Beziehung zueinander diese beiden Bereiche einschränkender Rechtsnormen stehen, die einerseits die interne Entscheidungsbefugnis im Eltern-Kind-Verhältnis, andererseits die externe Rechtsmacht Minderjähriger betreffen. Dabei kann zum großen Teil auf bereits früher angestellte Erwägungen zurückgegriffen werden (vgl. S. 32ff.). Die Frage nach der Entscheidungsbefugnis im internen Eltern-Kind-Verhältnis ist umfassender als die Frage nach der externen Handlungsmacht Minderjähriger. Der auf die Sorgerechtsregelung des BGB's gestützte elterliche Entscheidungswille kann mit dem Selbstbestimmungswillen des minderjährigen Kindes in allen Angelegenheiten konfligieren, die dieses Kind betreffen. Ein solcher Konflikt ist sowohl bei Entscheidungen möglich, die sich nur auf 164
Bei der Grundrechtsfähigkeit wird dann allerdings danach zu fragen sein, welchen Sinn es haben kann, z.B. den Säugling in bezug auf das Grundrecht aus Art. 8 GG als Grundrechtsträger anzusehen.
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den familieninternen Bereich auswirken, als auch bei Entscheidungen denkbar, die sich mit dem Verhalten des Minderjährigen außerhalb der Familie beschäftigen. Soweit es um eine Entscheidung geht, die ausschließlich für den Binnenraum der Familie von Relevanz ist (die Eltern verbieten dem Kind z.B. die Lektüre eines bestimmten Buches), beschränkt sich die rechtliche Problematik darauf, ob sich die Sorgerechtsregelung des BGB's als verfassungsgemäße Schranke der Kindesgrundrechte darstellt. Es ist ausschließlich danach zu fragen, ob die Entscheidungsbefugnisse der Eltern gegenüber dem Kind - in der Ausgestaltung, die sie durch das BGB erfahren haben - grundrechtlicher Handlungsfreiheit des Kindes standhalten. Soweit im Innenverhältnis zwischen Eltern und Kind darüber entschieden wird, ob und wie der Minderjährige nach außen hin tätig werden soll, erschöpft sich die rechtliche Problematik nicht in der Frage nach der internen Entscheidungskompetenz im Eltern-Kind-Verhältnis. Welche weitere Frage sich stellt, hängt davon ab, ob im Außen Verhältnis rechts wirksames Handeln des Minderjährigen zur Debatte steht. Ist dies der Fall, geht es also um ein Verhalten des Minderjährigen, das auf die Herbeiführung von Rechtswirkungen gerichtet ist, so ergibt sich die weitere Frage, ob Regelungen, die dem Minderjährigen externe Rechtsmacht verweigern, verfassungsgemäße Schranken der Kindesgrundrechte sind. Es ist bereits gezeigt worden (vgl. S. 32 ff.), daß die Antwort auf die „interne Frage" für die Beantwortung der „externen Frage" nicht ohne Bedeutung ist. Eine Verfassungswidrigkeit von Normen, die externe Rechtsmacht Minderjähriger typisierend und ohne Rücksicht auf deren konkrete Selbstbestimmungsfähigkeiten regeln, kann nur dann in Betracht kommen, wenn im Innen Verhältnis die typisierende Regelung des elterlichen Sorgerechts, die prinzipiell der konkreten Selbstbestimmungsfähigkeit keine Bedeutung beimißt, der Verfassung nicht standhält. Da es ein Wertungswiderspruch wäre, den Heranwachsenden intern der Entscheidungsgewalt der Eltern zu unterwerfen, ihn aber extern mit Rechtsmacht zu versehen, ist der Sieg der Autonomie des Heranwachsenden im Innenverhältnis die notwendige, wenn auch nicht hinreichende Voraussetzung dafür, daß der Heranwachsende im Außenverhältnis von typisierenden Normen emanzipiert werden kann, die ihm ungeachtet seiner Selbstbestimmungsfähigkeit keine externe Rechtsmacht gewähren. Die Verfassung kann nicht gleichzeitig die interne Gehorsamspflicht des einsichtsfähigen Minderjährigen billigen und die Versagung externer Rechtsmacht für diesen Minderjährigen mißbilligen. Lassen sich dagegen aus der Verfassung interne Entscheidungskompetenzen des konkret selbstbestimmungsfähigen Minderjährigen herleiten, so ist damit die Frage der externen Rechtsmacht noch nicht beantwortet. Allgemeininteressen an Rechtsklarheit und Rechtssicherheit können die Versagung externer Rechtsmacht möglicher-
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weise auch dann noch vor der Verfassung rechtfertigen, wenn intern im Verhältnis zu den Eltern der Autonomie des einsichtsfähigen Minderjährigen der Vorrang einzuräumen ist. Es ist somit geboten, mit der Erörterung der internen Grundrechtsmündigkeitsproblematik zu beginnen. Die Frage, ob die Sorgerechtsregelung des BGB's vor den Kindesgrundrechten bestehen kann, ist im Verhältnis zur externen Grundrechtsmündigkeitsproblematik die umfassendere Frage und außerdem die Vorfrage dieser externen Problematik. Ist die Sorgerechtsregelung verfassungsgemäß, so ist auch die - uns interessierende - Regelung der Prozeßfähigkeit in § 52 ZPO verfassungsgemäß. Erst und nur dann, wenn die Regelung der §§ 1626 ff. BGB - in Gänze oder partiell - verfassungswidrig ist, sind bezüglich der Verfassungswidrigkeit des § 52 ZPO weitere Erwägungen erforderlich. Schließlich besteht auch noch die Möglichkeit, daß im Innen Verhältnis zwischen Eltern und Kind über ein Außenverhalten des Minderjährigen entschieden wird, das zwar Grundrechtsausübung darstellt, für das sich aber eine Problematik externer Rechtsmacht nicht ergibt, weil es um ein schlichtes Handeln geht, das nicht auf die Herbeiführung von Rechtswirkungen gerichtet ist. Beispiel: Der Minderjährige will auf einer Demonstration seine politische Meinung bekunden; die Eltern verbieten ihm dies, weil nach ihrer Ansicht eine Teilnahme an dieser Demonstration mit Gefahren für das Kindeswohl verbunden ist. Hier stellt sich im Anschluß an die Frage nach der Entscheidungsbefugnis im Innenverhältnis nicht die Frage nach einer externen Rechtsmacht des Minderjährigen. Es gibt keine Normen, welche die Fähigkeit zum Demonstrieren regeln, und dementsprechend keine Vorschriften, die Minderjährigen eine Handlungsmacht zum Demonstrieren verweigern. Hier kann sich vielmehr nur die Frage stellen, ob es für das Verhältnis des Staates zum Minderjährigen von Belang ist, wie es mit den Entscheidungsbefugnissen dieses Minderjährigen im Verhältnis zu seinen Eltern bestellt ist. Bezogen auf das Beispiel geht die Frage also dahin, ob dem Staat gegenüber keine grundrechtlich geschützte Meinungsäußerung des Minderjährigen - mit der Folge einer Eingriffsbefugnis des Staates - gegeben ist, wenn im Innenverhältnis der Elternwille der Vorrang hat, der Minderjährige aber nichtsdestoweniger demonstriert 165 . Dieser Bereich externer Grundrechtsmündigkeitsproblematik, der mit unserem Thema nichts zu tun hat, soll nichtsdestoweniger - zum Zwecke einer vollständigen Antwort auf die Frage der Grundrechtsmündigkeit - mitbehandelt werden.
165
So in der Tat z. B. Perschel S. 8 0 , 89, 90.
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II. Prozeßführung und das Problem der Grundrechtsmündigkeit
Der Zusammenhang zwischen interner und externer Mündigkeit wird insbesondere von Roell verkannt, die sich in ihrer Dissertation mit der Geltung der Grundrechte für Minderjährige beschäftigt hat. Roell geht davon aus 166 , daß eine Unterscheidung zwischen dem Haben und dem Ausüben von Grundrechten möglich sei, wenn ein grundrechtlich geschütztes Interesse auch dadurch befriedigt werden könne, daß anstelle des Grundrechtsträgers sein gesetzlicher Vertreter handele. Dies sei für alle grundrechtlich geschützten Interessen mit Ausnahme des Autonomieinteresses - des Interesses, über das Ob und Wie der Selbstentfaltung zu entscheiden - zu bejahen 167 . Diese Feststellung überrascht, weil nicht ersichtlich ist, wie stellvertretendes Glauben, stellvertretendes Sich versammeln, stellvertretende Meinungsäußerung usw. möglich sein soll. Die Aussage wird indes dadurch verständlich, daß nach Roell „die Frage nach der Grundrechtsmündigkeit danach zu stellen ist, ob der Minderjährige seine Grundrechte im Verhältnis zum Staat selbständig ausüben kann" 1 6 8 . Bei der Grundrechtsmündigkeit soll es darum gehen, von wem ein Grundrecht „bei staatlichen Übergriffen geltend gemacht werden kann" 1 6 9 . Ein „sichberufen" 170 auf Grundrechte gegenüber dem Staat kann in der Tat durch einen Vertreter erfolgen. Wieso dies allerdings bezüglich des Autonomieinteresses nicht möglich sein soll, bleibt unklar. Eine solcher Ansatz versperrt den richtigen und umfassenden Zugang zur anstehenden Sachproblematik, weil er die positive Seite der Handlungsgrundrechte außer Betracht läßt. Entfaltungsfreiheit, Glaubensfreiheit, Meinungsfreiheit , Versammlungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit, Freizügigkeit und Berufsfreiheit haben in erster Linie den Sinn, den Grundrechtsträgern Freiheit zum Handeln einzuräumen. Das Verbot staatlicher Übergriffe ist nur Mittel zum Zweck. Es dient dazu, die Handlungsfreiheit in der Staatsrichtung zu schützen. Die Frage danach, inwieweit Minderjährige ihre grundrechtlich geschützten Interessen befriedigen können, ist somit die Frage danach, inwieweit Minderjährige von Handlungsfreiheiten Gebrauch machen können, die das Grundgesetz gewährt. Stellt man die Frage so, so erkennt man sofort, daß primär die elterlichen Entscheidungsbefugnisse als Einschränkungen der grundrechtlichen Freiheiten des Kindes auf ihre Verfassungsgemäßheit zu untersuchen sind. Geht man dagegen - wie Roell - von der negativen Seite der Grundrechte - der Abwehr staatlicher Übergriffe - aus, so wendet man sich zuerst der sekundären Frage der externen Rechtsmacht Minderjähriger zu und außerdem nur einem Teilbereich: der Rechtsmacht gegenüber staatlichen Übergriffen. Eine solche Rechtsmacht billigt Roell dem Minderjährigen zu 1 7 1 . 166 Roell S.20, 115. 167 Roell S. 21, 116. 168 Roell S. 24. 169 Roell S. 21. 1 70 Roell S. 42, 44, 46. 171 Roell S. 32-34
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Die Menschenwürde verlange das Recht Minderjähriger, sich dem Staat gegenüber selbst auf die durch die Grundrechte gesicherten Freiräume berufen zu dürfen 172 . Die Einführung einer Grundrechtsmündigkeit als Voraussetzung selbständiger Grundrechtsausübung - im Roellschen Sinne - sei weder aus der Verfassung abzuleiten noch geboten oder erforderlich 173 . Nach der Begründung einer solchen externen Grundrechtsgeltung wendet sich Roell dem Elterngrundrecht (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG) und dem elterlichen Sorgerecht als der einfachgesetzlichen Ausgestaltung dieses Grundrechts zu 1 7 4 . Da Roell eine unmittelbare Geltung der Grundrechte im Eltern-KindVerhältnis ablehnt, sieht sich nach ihrer Ansicht der Staat im Konfliktfall - das Kind will entgegen einem elterlichen Verbot von einem Grundrecht Gebrauch machen - mit der Grundrechtsausübung durch den Minderjährigen selbst und der Ausübung des Elterngrundrechts konfrontiert. In Anbetracht der externen Grundrechtsgeltung für Minderjährige und der Verpflichtung des Elterngrundrechts auf das Kindeswohl habe der Staat der Kindesentscheidung den Vorrang einzuräumen, wenn die Eltern nicht darlegen könnten, daß das Kind sich selbst oder anderen einen Schaden zufügen würde 175 . Hier liege auch die Grenze der Gestaltungsfreiheit des einfachen Gesetzgebers. Nur zum Schutze des Kindes notwendige elterliche Erziehungsmaßnahmen hätten den Vorrang vor der Selbstbestimmung des Minderjährigen 176 . Ob alle zivilrechtlichen Normen dieser Wertordnung der Grundrechte entsprechen würden, sei fraglich 177 . Zur Verfassungsgemäßheit der §§ 1626, 1666, 1667 BGB wird keine Aussage gemacht. Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. Es bleibt unerfindlich, wieso aus einer - zudem noch auf die Abwehr staatlicher Übergriffe begrenzten - externen Rechtsmacht Minderjähriger eine interne Entscheidungskompetenz im Eltern-Kind Verhältnis abgeleitet werden kann. Wieso soll aus dem Recht des Minderjährigen, sich als Teilnehmer einer verfassungsrechtlich zulässigen Versammlung gegen eine unberechtigte Auflösung dieser Versammlung durch die Polizei wehren zu können, das Recht des Minderjährigen folgen, gegen den Willen der Eltern an einer solchen Versammlung teilzunehmen? Gegenüber der Ansicht von Roell ist vielmehr von Folgendem auszugehen: Die §§ 1626, 1666, 1667 BGB treffen für die Entscheidungskompetenz im Eltern-Kind-Verhältnis eine Regelung, die der Roellschen Lösung diametral widerspricht. Nach dieser Regelung liegt die Grenze der elterlichen Entscheidungsbefugnis erst dort, wo durch eine Elternentscheidung dem Kindeswohl 1 72 Roell S. 66, 121. 1 73 Roell S. 68, 122. 174 Roell S. 50 ff. 17 5 Roell S. 50-52. 176 Roell S. 53. 1 77 Roell S. 54. 6 Reinicke
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II. Prozeßführung und das Problem der Grundrechtsmündigkeit
ein nicht unerheblicher Schaden droht. Elternentscheidungen, die das Kind nicht schädigen, sind nicht deshalb illegitim, weil sie dem Willen des selbstbestimmungsfähigen Minderjährigen widersprechen. Nach Roell sind solche Elternentscheidungen rechtswidrig. Nur zum Zwecke der Schadensabwehr darf in die Selbstbestimmung des Minderjährigen eingegriffen werden. Solange es sich oder andere nicht schädigt, liegt die Entscheidungsbefugnis bei dem Kind. Dies kann nur dann gelten, wenn die einfachrechtliche Sorgerechtsregelung des BGB's verfassungswidrig ist. Dies muß offen dargelegt und begründet werden. Die verfassungsrechtliche Überprüfung der Rechte im Eltern-Kind-Verhältnis ist der richtige Ansatzpunkt dafür, die grundrechtliche Rechtsposition des Minderjährigen zu bestimmen. Soweit es um eine Grundrechtsausübung geht, für die eine externe Rechtsmacht benötigt wird, ist die interne Mündigkeit die notwendige Voraussetzung für eine externe Emanzipation. Soweit es um schlichte Grundrechtsausübung geht, stehen dem intern mündigen Minderjährigen keine Schranken mehr im Wege.
5. Elterliches Sorgerecht und Kindesgrundrechte - die interne Grundrechtsmündigkeitsproblematik Das Sorgerecht gewährt den Eltern in allen Angelegenheiten des minderjährigen Kindes die Entscheidungsgewalt (§ 1626 Abs. 1 BGB). Diese Entscheidungsgewalt findet ihre Grenzen erst an den §§ 1666, 1667 BGB. Diese erfolgsorientierten Normen, die den Staat von Amts wegen - als Wächter eingreifen lassen, kommen nur dann zum Zuge, wenn dem Kindeswohl ein nicht unerheblicher Schaden droht. Autonomieinteressen des Minderjährigen können somit ausschließlich unter dem Aspekt rechtliche Relevanz gewinnen, daß die Nichtberücksichtigung des Selbstbestimmungswillens des schon selbstbestimmungsfähigen heranwachsenden Kindes dieses zu schädigen droht. Außerhalb dieses Schadensaspektes kommt den Autonomieinteressen nach der Regelung des BGB's keine Bedeutung zu. Es fragt sich, ob diese Regelung, die sich einseitig an dem staatlichen Eingriff „ex officio" orientiert, der grundrechtlichen Position des Minderjährigen gerecht wird. Daß der Staat von sich aus - von keinem gerufen - in die interne Eltern-Kind-Beziehung nur dann eingreifen kann, wenn dem Kind ein Schaden droht, ist eine Sache. Eine andere Sache ist es, daß Minderjährige, die durch eine Elternentscheidung nicht geschädigt werden, gegenüber dieser Entscheidung ihren eigenen Willen nicht geltend machen können. Unter der Prämisse, daß der Minderjährige grundrechtsfähig ist, führt letzteres zwangsläufig zu einer Verkürzung der Grundrechte, die Minderjährigen Handlungsmöglichkeiten garantieren. Die - einfachrechtliche - Sorgerechtsregelung des BGB's stellt grundrechtliche Handlungsmacht Minderjähriger unter den Vorbehalt der elterlichen Zustimmung. Aus dem grundrecht-
5. Die interne Grundrechtsmündigkeitsproblematik
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lieh gewährleisteten „ D u kannst etwas Bestimmtes tun" wird „ D u kannst mit Zustimmung der Eltern etwas Bestimmtes tun". Im folgenden ist zu prüfen, ob sich diese Verkürzung legitimieren läßt. Zur Legitimation bietet sich die Vorschrift des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG an, nach der die Pflege und die Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht sind. a) Die Eltern-Kind-Beziehung - ein ungeeigneter Ansatzpunkt für die interne Grundrechtsmündigkeitsproblematik? Gegen den Ansatz, die interne Grundrechtsmündigkeitsproblematik als eine Frage der Verkürzung grundrechtlicher Handlungsmacht Minderjähriger zu sehen, die möglicherweise von dem Elterngrundrecht her gerechtfertigt werden kann, ist der prinzipielle Einwand erhoben worden, daß eine solche Problemsicht von vornherein zu kurz greife, weil sie sich auf das Eltern-KindVerhältnis beschränke 178 . Dieser Einwand knüpft an den Umstand an, daß dem Vormund nach herrschender und auch richtiger Ansicht das Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG nicht zusteht 179 . Unmündige Kinder bedürfen des Schutzes; sie müssen gepflegt und erzogen werden. Der Staat ist verpflichtet, dafür zu sorgen, daß dieser Schutz gewährt wird (Art. 1 Abs. 1 S. 2, Art. 3 Abs. 1 GG). Sind Eltern vorhanden, so findet der Staat ein vorstaatliches und privates Handlungssystem vor, das prinzipiell in der Lage ist, den Bedürfnissen der Kinder Genüge zu tun. Diejenigen, die einem Kind das Leben geben, sind in aller Regel aufgrund ihrer liebevollen Zuneigung zu diesem Kind dazu bereit und deswegen auch am besten dazu geeignet, dieses Kind pflegerisch und erzieherisch zu betreuen 180 . Die Eltern sind von Natur aus die „geborenen" Sachwalter der Kindesinteressen. Kindesschutz durch die Eltern hat schon zu Zeiten funktioniert, als es Aussagen des Rechts zu diesem Thema noch nicht gab 181 . Deswegen erkennt der Staat in Art. 6 Abs. 2 GG das „natürliche" Recht der Eltern - auf Pflege und Erziehung der Kinder - an. Gegenüber dem von ihm vorgefundenen privaten Handlungssystem der „Elternschaft", das sich in der Geschichte als funktionstauglich erwiesen hat, ist der Staat zur Subsidiarität und zur Zurückhaltung ™ Gernhuber § 7 I 3; ders. FamRZ 1962, 89, 92; Schwerdtner AcP 173, 227, 236, 237; Kittner AuR 1971, 280, 286. 179 BVerfGE I O , 302, 328; Maunz in Maunz-Dürig Art. 6 RdNr. 25 a; Dürig in Maunz-Dürig Art. 19 Abs. 3 RdNr. 2 0 ; Hampel FamRZ 1963, 537, 539, 540; Lepa Art. 6 RdNr. 17; a.A.; von Mangoldt-Klein Art. 6 Anm. I V 2 b; Lindacher FamRZ 1964, 116 ff.; Schüler-Springorum FamRZ 1961, 296, 298. 180 Vgl. dazu BVerfGE 24, 119, 150. 181 Vgl. dazu Reuter S. 93 ff., 95.. 6*
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verpflichtet. Dies hat in dem gegen den Staat gerichteten Elterngrundrecht des Art. 6 Abs. 2 GG seinen Ausdruck gefunden 182 . Beim Vormund trifft dies nicht zu. Vormundschaft ist kein vorstaatliches und privates Handlungssystem, das von dem Staat vorgefunden wird und von ihm wegen seiner prinzipiellen Funktionsfähigkeit zu respektieren ist. Es ist vielmehr so, daß der Staat selbst, weil ein solches funktionsfähiges System fehlt, durch den Hoheitsakt der Bestellung den Vormund erst zu dem macht, was er dann ist. Der Vormund ist ein Repräsentant des fürsorgenden Staates. Ihm steht kein „natürliches" und originäres, sondern nur ein vom Staat abgeleitetes Recht auf Pflege und Erziehung der Kinder zu. Einem solchen Recht gebührt nicht der Schutz des Art. 6 Abs. 2 GG. Auf diesem Hintergrund wird gegenüber einem Ansatz, der bei der internen Grundrechtsmündigkeitsproblematik auf das Eltern-Kind-Verhältnis und damit auf Art. 6 Abs. 2 GG rekurriert, der Vorwurf erhoben, daß eine umfassende Frage mit einer Teilantwort versehen werde, die außerdem wohl an einem nicht entscheidungserheblichen Punkt ansetze. Es wäre nämlich merkwürdig, wenn Freiheitsbeschränkungen, die von einem Vormund ausgingen, anders zu beurteilen sein sollten als elterliche Bevormundungsakte 183 . Andere Autoren 1 8 4 kritisieren den Ansatz, der von der Eltern-Kind-Beziehung ausgeht, noch schärfer. Er könne nur zu einer Scheinantwort führen. Es liege offensichtlich neben der Sache, bei der Untersuchung der umfassenden Frage der verfassungsrechtlichen Legitimation sorgerechtlicher Maßnahmen auf den unerheblichen Begleitumstand abzustellen, daß die gesetzliche Vertretung von den Eltern - und nicht von einem Vormund - wahrgenommen werde. Dies impliziert die Behauptung (von Unerheblichkeit könnte sonst nicht die Rede sein), daß es unzweifelhaft ist, daß die Rechtsstellung des Kindes, was seine Freiheitsrechte angeht, gegenüber Eltern und Vormund die gleiche sein muß. Wäre dem so, so wäre Art. 6 Abs. 2 GG, der dem Vormund nicht zur Seite steht, für die interne Grundrechtsmündigkeitsproblematik ohne Relevanz. Diesem Einwand kann nicht gefolgt werden. Es ist keineswegs von vornherein auszuschließen, daß die Rechtsposition des Minderjährigen, was seine Handlungsfreiheiten betrifft, gegenüber den Eltern eine andere als diejenige gegenüber dem Vormund ist. Daß eine solche Verschiedenheit nicht außerhalb des Bereiches des Möglichen liegt, beruht gerade darauf, daß den Eltern im Gegensatz zum Vormund das Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG zusteht. Daß eine Identität von vormundschaftlicher und elterlicher Rechtsmacht nicht generell vorgegeben ist, zeigt schon ein Blick auf die Regelung der Ver182 Vgl. BVerfGE I O , 59, 83. ι 8 3 So Gernhuber aaO. ι 8 4 Schwerdtner aaO; Kittner aaO.
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mögenssorge. Für den Vormund ist der Kreis genehmigungsbedürftiger Rechtsgeschäfte größer als für die Eltern (vgl. §§ 1643, 1821, 1822 BGB). Auch bei der Verwaltung des Kindesvermögens stehen die Eltern freier als der Vormund (vgl. §§ 1642,1806 f. BGB). Ob dieses Mehr an elterlicher Rechtsmacht etwas mit Art. 6 Abs. 2 GG zu tun hat, ist indes nicht unproblematisch, weil es nicht unzweifelhaft ist, ob sich Art. 6 Abs. 2 GG auch auf die Vermögenssorge erstreckt 185 . Außerdem steht im Bereich der Vermögenssorge nicht die Freiheit des Minderjährigen im Vordergrund. Daß ein Mehr an elterlicher Rechtsmacht diskussionswürdig ist, das zum einen auf Art. 6 Abs. 2 GG gestützt werden kann und das zum anderen für die Freiheitssphäre des Minderjährigen von Belang ist, kann indes am Beispiel freiheitsentziehender Unterbringungen aufgrund des privatrechtlichen Aufenthaltsbestimmungsrechts gezeigt werden. Früher gab es im BGB keine Vorschriften, die sich mit freiheitsentziehenden Unterbringungen beschäftigten, die der Sorgerechtsberechtigte in Ausübung seines Aufenthaltsbestimmungsrechts vornimmt. Heute ordnet das BGB an, daß alle Unterbringungen Minderjähriger und entmündigter Volljähriger, die mit einer Freiheitsentziehung verbunden sind, nur mit der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts zulässig sind (§ 1631 b für das Eltern-Kind-Verhältnis; § 1 8 0 0 für die Vormundschaft über Minderjährige; § 1897 für die Vormundschaft über Volljährige). Diese Regelungen sind wie folgt entstanden: Früher 186 wurde eine freiheitsentziehende Unterbringung, die auf dem privatrechtlichen Aufenthaltsbestimmungsrecht des Sorgeberechtigten beruht, nicht als eine Freiheitsentziehung i.S.d. Art. 104 Abs. 2 GG angesehen. I 9 6 0 entschied dann das Bundesverfassungsgericht 187, daß wegen Art. 104 Abs. 2 GG eine richterliche Entscheidung erforderlich ist, wenn der Vormund den volljährigen Entmündigten in einer geschlossenen Anstalt unterbringt. Der Vormund, dessen Rechtsmacht auf einem staatlichen Hoheitsakt beruhe, sei Repräsentant der öffentlichen Fürsorge des Staates. Gegenüber diesem Tatbestand sei es nicht von Bedeutung, daß der Vormund bei der Ausübung des privatrechtlichen Aufenthaltsbestimmungsrechts von einer privaten Rechtsmacht Gebrauch mache. Das privatrechtliche Mittel könne den Staat, der zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe tätig werde, von der Grundrechtsbindung nicht befreien. Da Vormundschaft über Volljährige und Vormundschaft über Minderjährige strukturell gleich sind, war es nur konsequent, daß sich in der Folgezeit die Meinung herausbildete, daß der Vormund zur freiheitsentziehenden 185 Vgl. dazu etwa MünchKomm-Hinz § 1626 RdNr. 11 m.w.N. 186 Vgl. z.B. B G H Z 17, 108 ff. 187 BVerfGE I O , 302 ff.
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Unterbringung des minderjährigen Mündels ebenfalls der richterlichen Entscheidung bedarf 188 . A m 1.1.1962 trat dann § 1 8 0 0 Abs. 1 a.F. in Kraft, der auch für solche Unterbringungen das Erfordernis der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung einführte. Für das Eltern-Kind-Verhältnis wurde eine solche Regelung nicht getroffen. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hatte sich nämlich ganz herrschend die Ansicht entwickelt, daß Eltern - im Gegensatz zum Vormund - für eine freiheitsentziehende Unterbringung des Kindes nicht auf eine richterliche Zustimmung angewiesen seien 189 . Dies wurde damit begründet, daß wegen Art. 6 Abs. 2 GG danach zu differenzieren sei, ob ein Kind elterlicher Entscheidungsgewalt unterliege oder unter Vormundschaft stehe. Nicht gegenüber dem Vormund, wohl aber gegenüber den Eltern sei der Staat zur Subsidiarität und zur Zurückhaltung verpflichtet. Der Staat habe das Elternrecht zu respektieren und der elterlichen Entscheidung den Vorrang gegenüber staatlichen Maßnahmen einzuräumen, zu denen auch eine richterliche Entscheidung gem. Art. 104 Abs. 2 GG gehöre 190 . Es sei - bis zur Grenze des Mißbrauchs (§ 1666 BGB) - die Sache der Eltern und nicht diejenige des Staates, die für das Kind gebotenen Erziehungsmittel auszuwählen, zu denen auch das Mittel des Freiheitsentzuges gehöre 191 . Nach ganz h.M. war also wegen Art. 6 Abs. 2 GG die Rechtsstellung des Kindes gegenüber Eltern eine andere als diejenige gegenüber einem Vormund. Mit Rücksicht auf Art. 6 Abs. 2 GG wurde zwar den Eltern, nicht aber dem Vormund gegenüber dem Kind die Rechtsmacht eingeräumt, ihm ohne richterliche Entscheidung die Freiheit entziehen zu können. Durch das Sorgerechtsgesetz vom 1. 1. 1980 wurde dann - entgegen der h. M. zum alten Recht - in § 1631 b BGB auch für Eltern die Zulässigkeit einer freiheitsentziehenden Unterbringung des Kindes von einer vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung abhängig gemacht. Die Mehrheit der Mitglieder des Rechtsausschusses war der Ansicht, daß es sich bei einer solchen Unterbringung um eine Entscheidung von so einschneidender Tragweite handele, daß eine Mitwirkung des Vormundschaftsgerichts geboten sei 192 . Die Ausschußminderheit lehnte dies ab, weil die gerichtliche Kontrolle über den Vormund, iss O L G Hamm NJW I960, 2239; Böning NJW I960, 1374, 1378; Potrykus ZB1JR I960, 233, 235; Becker ZB1JR 1961, 1, 7. 189 L G Augsburg FamRZ 1961, 323; L G Stuttgart FamRZ 1961, 325; Bosch FamRZ I960 , 365; Anders FamRZ I 9 6 0 , 475, 477; Schüler-Springorum FamRZ 1961, 296, 299; Hampel FamRZ 1963, 537, 540; a.A.; Erdsiek NJW I 9 6 0 , 1385, 1386; Franke NJW I960, 1369, 1370. Die abweichende Ansicht stellte entscheidend darauf ab, daß es für das betroffene Kind gleichgültig sei, von wem die freiheitsentziehende Unterbringung vorgenommen werde. 190 Vgl. insbesondere Hampel aaO S. 540. 191 Vgl. insbesondere Anders aaO S. 477. 1 92 Vgl. BT-Drucks. 8/2788 S. 38.
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der lediglich ein ihm verliehenes Amt verwalte, nicht auf die Eltern erstreckt werden dürfe, die ihre Befugnisse aus dem verfassungsrechtlich garantierten natürlichen Elternrecht herleiteten 193 . Diese verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den § 1631 b BGB sind bis heute noch nicht verstummt 194 . Die mit der freiheitsentziehenden Unterbringung Minderjähriger durch Vormund und Eltern verbundene Sachproblematik soll hier unerörtet bleiben. Diese Problematik soll hier nur als Beispiel dafür dienen, daß es nicht a priori feststeht, daß die Rechtsposition des Minderjährigen gegenüber den Eltern derjenigen gegenüber dem Vormund entsprechen muß. Dann geht es aber auch nicht an, kurzerhand zu postulieren, daß der Umstand, wem (Eltern oder Vormund) das Sorgerecht zustehe, für die interne Grundrechtsmündigkeitsproblematik unzweifelhaft ein unerheblicher Begleitumstand sei. Den Eltern steht nun einmal im Gegensatz zum Vormund das Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG zu. Deshalb ist es möglich, daß Eltern gegenüber grundrechtlicher Handlungsmacht des Kindes weitergehende Befugnisse als ein Vormund haben. Dies muß allerdings nicht so sein. Es ist z.B. denkbar, daß sich die Befugnisse des Vormundes über die Schranke der „verfassungsmäßigen Ordnung" in Art. 2 Abs. 1 GG in demselben Umfang legitimieren lassen wie Elternbefugnisse über Art. 6 Abs. 2 GG. Dies bedeutet, daß der o.g. Kritik an dem Ansatz, die interne Grundrechtsmündigkeitsproblematik vom Eltern-Kind-Verhältnis aus und damit unter dem Aspekt des Art. 6 Abs. 2 GG anzugehen, zu konzedieren ist, daß von diesem Ansatz aus zunächst einmal nur eine Teilantwort möglich ist. Unzutreffend ist es dagegen, wenn dem Art. 6 Abs. 2 GG mit der Behauptung, daß die Rechtslage bei den Eltern nicht anders als beim Vormund sein könne, von vornherein jegliche Bedeutung abgesprochen wird. Im Untersuchungsansatz ist somit zwischen dem Eltern-Kind-Verhältnis und dem Vormund-Mündel-Verhältnis zu unterscheiden. Ein praktischer Vorrang, der dafür sprechen würde, mit dem einen oder mit dem anderen zu beginnen, ist nicht ersichtlich. Es ist jeweils eine Antwort möglich, die die Gesamtproblematik erledigt, aber auch eine andere, die dies nicht tut. Halten die sorgerechtlichen Befugnisse des Vormundes den Kindesgrundrechten nicht stand, so ist damit noch nicht gesagt, daß dies auch für die elterlichen Entscheidungsrechte gilt, denen das Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG zur Seite steht. Werden dagegen die Kindesgrundrechte durch das Sorgerecht des Vormundes verfassungsgemäß eingeschränkt, so werden sie dies sicherlich auch durch die „grundrechtsbewehrte" elterliche Sorge.
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Vgl. BT-Drucks. aaO S. 38.51. Vgl. etwa Palandt-Diederichsen § 1631 b Anm. 1; Erman-Ronke § 1631 b RdNr. 2.
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Vermögen die Kindesgrundrechte im Eltern-Kind-Verhältnis nichts zu bewirken, so ist damit das Vormund-Mündel-Verhältnis, in dem Art. 6 Abs. 2 GG nicht zur Anwendung kommt, noch nicht präjudiziert. Hält dagegen sogar das grundrechtlich abgesicherte elterliche Sorgerecht den Kindesgrundrechten nicht stand, so wird das Sorgerecht des Vormunds erst recht keinen Bestand haben können. Wenn im folgenden mit der Erörterung des Eltern-Kind-Verhältnisses fortgefahren wird, so beruht dies schlicht darauf, daß es den Normalfall des Lebens darstellt. Bei dieser Erörterung kann man sich ein Eingehen auf den Art. 6 Abs. 2 GG nicht mit dem Hinweis darauf ersparen, daß dem Vormund dieses Grundrecht nicht zusteht. Für die Eltern läßt sich der Art. 6 Abs. 2 GG nicht wegdiskutieren, und es ist an einem Beispiel dargelegt worden, daß es keineswegs auszuschließen ist, daß für den Umfang elterlicher Entscheidungsmacht - im Vergleich zum Vormund - Art. 6 Abs. 2 GG von Relevanz sein kann 1 9 5 . b) Die Harmonisierung von Kindesrechten und Elternrecht als ein Versuch, die interne Grundrechtsmündigkeitsproblematik durch Negierung des Konfliktes zu lösen Einer Betrachtungsweise, die die Sorgerechtsregelung des BGB's als Verkürzung grundrechtlicher Handlungsfreiheit des Minderjährigen begreift, die möglicherweise durch Art. 6 Abs. 2 GG legitimiert wird, wird entgegengehalten, daß sie vom Ansatz her verfehlt sei, weil sie zu Unrecht von einem antagonistischen Verhältnis zwischen den Kindesrechten und dem Elternrecht ausgehe. Der Gedanke eines Widerstreites zwischen dem Elternrecht und den Freiheitsrechten des Kindes verfehle das Verhältnis, in dem die familienrechtliche Fürsorge zu dem Freiheitsbedürfnis des Kindes stehe. Insoweit sei keine dialektische, sondern eine harmonische Betrachtungsweise geboten 196 . Das elterliche Sorgerecht sei kein Widerstand, an dem sich die Freiheit des Kindes breche, sondern ein Mittel zur Entfaltung dieser Freiheit, das einen sinnvollen Freiheitsgebrauch in solchen Lebensphasen ermögliche, in denen das Kind allein dazu noch nicht fähig sei 197 . Elterliches Bestimmungsrecht und Selbstbestimmungsrecht des Minderjährigen als Gegenrechte aufzufassen, sei ein Widerspruch in sich, weil es die Funktion des pflichtgebundenen Elternrechtes sei, dem Kind die Entfaltung seiner Persönlichkeit zu ermöglichen. Der Erfolg
195
Im Kern ebenso Dürig in Maunz-Dürig Art. 19 Abs. 3 RdNr. 20. Gernhuber § 7 I 2 u. 4; ders. FamRZ 1962, 89, 91 f.; Diederichsen FamRZ 1978, 461, 463; Schwab JZ 1970 , 745, 746; Dölle § 91 I; Staudinger-Donau § 1626 RdNr. 81 ff.; Palandt-Diederichsen Einführung vor § 1626 Anm. 5 b. 197 So insbesondere Gernhuber § 7 I 3 u. 4; zustimmend Roell S. 49; im Ergebnis ebenso Erichsen S. 41. 196
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der Persönlichkeitsförderung, der sich in den selbständigen Regungen der eigenen Individualität des Kindes äußere, könne nicht in Gegensatz zu den elterlichen Befugnissen gesetzt werden, deren pflichtgerechte Ausübung diesen Erfolg erst herbeigeführt habe 198 . Einer solchen harmonisierenden Betrachtungsweise kann nicht zugestimmt werden. Bei einem minderjährigen Grundrechtsträger, der bezüglich einer ihm eingeräumten grundrechtlichen Freiheit noch nicht einsichts- und handlungsfähig ist, fehlt es noch an der Fähigkeit, selbständig zur Förderung seiner eigenen Belange von dieser Freiheit einen sinnvollen Gebrauch zu machen. Dieser Minderjährige bedarf bezüglich dieser Freiheit noch der fürsorgerischen Bevormundung. Diese bevormundende Fürsorge für den konkret Unmündigen wird von der Verfassung sogar positiv gefordert. Würde es für ihn den Schutz durch den gesetzlichen Vertreter nicht geben, so würde er verfassungswidrig diskriminiert (Art. 1 Abs. 1 S. 2; Art. 3 Abs. 1 GG). Für ihn trifft der Gedanke zu, daß die elterliche Sorge ein Mittel ist, das zu seinen Gunsten dafür sorgt, daß grundrechtliche Freiheiten schon in Lebensphasen genutzt werden können, in denen er allein dazu noch nicht in der Lage ist. Anders sieht es dagegen aus, wenn es um einen konkret selbstbestimmungsfähigen Minderjährigen geht, der bezüglich der Freiheit, deren Ausübung in Frage steht, sein Verhalten wie ein normaler Erwachsener vernünftig wertend zu bestimmen vermag. Er bedarf - im Gegensatz zum konkret unmündigen Minderjährigen - nicht der fürsorgerischen Bevormundung, damit im Vergleich zu erwachsenen Grundrechtsträgern ein ihn benachteiligendes Defizit beseitigt wird. Beim konkret mündigen Heranwachsenden führt die elterliche Bevormundung vielmehr dazu, daß sein Freiheitsraum im Vergleich zum Freiheitsraum anderer Grundrechtsträger, die nicht einsichtsfähiger als er sind, eingeschränkt wird. Er kann - im Gegensatz zu den erwachsenen Grundrechtsträgern - von der grundrechtlichen Freiheit, zu deren Nutzung er schon fähig ist, nur dann Gebrauch machen, wenn seine Eltern damit einverstanden sind. Eine harmonisierende Betrachtungsweise, die das elterliche Sorgerecht im Verhältnis zu den Kindesgrundrechten ausschließlich unter dem Aspekt der Rechtsentfaltung und nicht unter demjenigen der Rechtseinschränkung sieht, wird dem Umstand nicht gerecht, daß selbstbestimmungsfähige Heranwachsende - ebensogut wie Erwachsene - ihre Grundrechte selbst entfalten können. Wo der Grundrechtsträger selbst dazu fähig ist, das grundrechtlich geschützte Interesse zu verfolgen, dort kann von einer Grundrechtsentfaltung nicht die Rede sein, wenn ihm die Entscheidung über die Grundrechtsausübung entzogen wird.
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So insbesondere Diederichsen aaO S. 463.
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Grundrechtlich garantierte Handlungsfreiheiten schützen immer - zumindest auch - das Interesse des Grundrechtsträgers in freier Selbstbestimmung sich selbst zu verwirklichen. Wo der Grundrechtsträger noch nicht selbst bestimmen kann, dort lassen sich diese Grundrechte für ihn, ohne Verletzung seines Selbstbestimmungsinteresses, durch Fremdbestimmung nutzbar machen. Bevormundung eines selbstbestimmungsfähigen Grundrechtsträgers schränkt dagegen denknotwendig das grundrechtlich geschützte Selbstbestimmungsinteresse ein 1 9 9 . Die harmonisierende Betrachtungsweise meint, daß der Einwand müßig sei, daß der Entzug der Selbstbestimmung nicht als Entfaltung der Selbstbestimmung gedacht werden könne. Eine am Zweck der Grundrechte orientierte Verfassungsinterpretation müsse die familienrechtlichen Formen der Fürsorge in ihrer Gesamtheit - und damit auch mit ihren Repressionsmöglichkeiten - in die Freiheitsrechte des Minderjährigen integrieren 200 . Weiterhin wird gesagt, daß auch dann, wenn Eltern und Minderjähriger in einer Lebensfrage des Minderjährigen sich konträr gegenüberstehen würden, die Aufspaltung der gegensätzlichen Interessen in Recht und Gegenrecht gedanklich nicht förderlich sei, weil der Konflikt aus der Erziehung nicht wegzudenken, sondern umgekehrt eines ihrer wichtigsten Mittel sei 201 . Elterninteressen und Kindesinteressen sind auf dasselbe Ziel gerichtet. Eltern und Kind sind daran interessiert, daß das Kind sich zu einer selbständigen und eigenverantwortlichen Persönlichkeit entwickelt. Allein schon deshalb und außerdem wegen der ihm immanenten Pflichtbindung - seiner Orientierung am Kindeswohl - steht das Elternrecht den Kindesinteressen nicht konträr gegenüber. Dies ändert indes nichts daran, daß das Sorgerecht des BGB's Elternentscheidungen zuläßt, die - unter der Prämisse, daß das Kind Grundrechtsträger ist - grundrechtlich geschützte Autonomieinteressen des Minderjährigen nicht berücksichtigen. Die Eltern können nun einmal nach dem BGB - solange sie dem Kind dadurch keinen Schaden zufügen - ohne Rücksicht auf die Autonomiewünsche des selbstbestimmungsfähigen Minderjährigen entscheiden. Ein Konflikt wäre nur dann ausgeschlossen, wenn die Eltern gemäß den §§ 1626 ff. BGB anstelle des Minderjährigen nur so viel entscheiden dürften, wie dieser unter Berücksichtigung seiner konkreten Einsichts- und Handlungsfähigkeit noch nicht entscheiden kann. Daß dem nach der Regelung des BGB's nicht so ist, ist bereits ausführlich dargelegt worden. § 1667 BGB berücksichtigt den Autonomieaspekt überhaupt nicht. § 1666 BGB nimmt ihn nur dann zur Kenntnis, wenn das Übergehen von Autonomieinteressen zu einem nicht unerheblichen Schaden für den Minderjährigen zu 199 So zutreffend Reuter S. 54; ders. FamRZ 1969, 622, 623; Stöcker ZRP 1974, 211. Reuter macht diese Aussage allerdings - seinem Ansatz entsprechend - nur für die personalen Grundrechte. Es ist aber bereits dargelegt worden, daß alle Freiheitsrechte zumindest auch - die Selbstbestimmung des Grundrechtsträgers schützen. 200 So Gernhuber § 7 I 4. 201 So Diederichsen aaO S. 463.
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führen droht. Die prozedurale Norm des § 1626 Abs. 2 führt zu keinen Entscheidungskompetenzen des einsichtsfähigen Heranwachsenden. Das BGB hat für den Minderjährigen das „objektiv Richtige" - sein objektives Wohl und nicht seine Autonomie im Auge. Würdigt man dies richtig, so ist der Feststellung 202 zuzustimmen, daß die „Verfestigung" des Elternrechts im BGB in einem Spannungsverhältnis zu den Kindesgrundrechten steht, das mit einer harmonisierenden Betrachtungsweise nicht richtig erfaßt werden kann. Die einfachrechtliche Ausformung des Elternrechts im BGB läßt sich nicht zur Gänze in die grundrechtlichen Freiheitsrechte des Kindes integrieren. Die Repression des Selbstbestimmungswillens des selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden ist Einschränkung grundrechtlicher Handlungsfreiheit. Diesen Charakter verliert die Bevormundung weder dadurch, daß Eltern und Kind letztlich dasselbe Ziel verfolgen, noch dadurch, daß sie im übrigen das objektive Kindeswohl zu fördern vermag. Gegenüber diesem Befund kann man nicht einwenden, daß eine Aufspaltung der gegensätzlichen Interessen in Recht und Gegenrecht gedanklich nicht förderlich sei. Da die Konfliktmöglichkeiten realiter bestehen, läuft ein solcher Standpunkt nur darauf hinaus, daß nicht sein kann, was nicht sein darf. c) Die Grundrechtswirkung in der privatrechtlichen Binnenbeziehung zwischen Eltern und Kind Betrachtet man die interne Grundrechtsmündigkeitsproblematik unter dem Aspekt, daß die Sorgerechtsregelung des BGB's den Eltern Befugnisse gewährt, die grundrechtliche Handlungsfreiheiten des Minderjährigen verkürzen, so kommt man zwangsläufig zu der Frage, ob und wie die Grundrechte im Eltern-Kind-Verhältnis wirken. Sieht man das Eltern-Kind-Verhältnis als relevanten Untersuchungsgegenstand der internen Grundrechtsmündigkeitsproblematik an (vgl. oben a) und ist man der Ansicht, daß sich die privatrechtlichen Entscheidungsrechte der Eltern nicht durch Harmonisierung mit den Kindesgrundrechten versöhnen lassen (vgl. oben b), so kann man der Frage nach der Wirkungsweise der Grundrechte in der privatrechtlichen Binnenbeziehung zwischen Eltern und Kind nicht mehr ausweichen. Können die Eltern nicht mit Erfolg geltend machen, daß die Ausübung des elterlichen Sorgerechts nur der Entfaltung der Kindesgrundrechte diene, sondern ist diese Ausübung auch unter dem Blickwinkel der Grundrechtseinschränkung zu würdigen, so muß man sich damit auseinandersetzen, ob Kindesgrundrechte zwar den Staat, möglicherweise aber nicht die Eltern binden. Vielfach wird für das Eltern-Kind-Verhältnis von einer unmittelbaren Grundrechtswirkung ausgegangen. So wie die staatlichen Organe, so sollen 202
Dürig in Maunz-Dürig Art. 19 Abs. 3 RdNr. 22.
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auch die Eltern Adressaten der Kindesgrundrechte sein. Der Unterschied der Eltern-Kind-Beziehung zu dem allgemeinen Gewaltverhältnis zwischen Bürger und Staat, in dem der Staat nur Grundrechtsverpflichteter ist, besteht nun aber darin, daß die Eltern - unter der Voraussetzung einer unmittelbaren Grundrechtswirkung - nicht nur Grundrechtsverpflichtete, sondern gleichzeitig auch Grundrechtsträger sind. Ihnen steht das Elterngrundrecht aus Art. 6 Abs. 2 zu. Dem Ansatz einer unmittelbaren Grundrechtswirkung stellt sich also die Aufgabe, das Verhältnis zwischen den Kindesgrundrechten und dem Elterngrundrecht, die einander unmittelbar begegnen, zu bestimmen und an diesem Ergebnis dann die Regelungen des einfachen Rechts zu messen. Bei der Lösung dieser Aufgabe werden die unterschiedlichsten Standpunkte vertreten, die von einer verfassungsrechtlichen Sanktionierung der Sorgerechtslösung des BGB's bis hin zu der Auffassung reichen, daß der selbstbestimmungsfähige Heranwachsende aufgrund des Verfassungsrechts vom elterlichen Sorgerecht emanzipiert ist. Die „elternfreundlichste" Lösung geht dahin, das elterliche Sorgerecht - so wie es im BGB normiert ist - in seiner Gesamtheit als durch das Elterngrundrecht verfassungsrechtlich gewährleistet anzusehen. Dabei wird davon ausgegangen, daß - anders sei der Erziehungs- und Pflegeauftrag des Art. 6 Abs. 2 GG nicht zu erfüllen - die Grundrechte des Minderjährigen so weit eingeschränkt werden, wie die durch Art. 6 Abs. 2 GG garantierten Elternbefugnisse reichen. Der Umfang dieser Befugnisse wird dann mit dem Umfang der Elternbefugnisse nach dem BGB identifiziert. Das die Elternbefugnisse begrenzende staatliche Wächteramt des Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG wird mit der vormundschaftsgerichtlichen Kontrolle nach Maßgabe der §§ 1666,1667 BGB gleichgesetzt. Elterliche Entscheidungen, welche die Versagensschwelle der §§ 1666, 1667 BGB nicht überschreiten, sind Ausfluß einer durch Art. 6 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich sanktionierten elterlichen Entscheidungsgewalt203. 203
So z.B. L G Augsburg FamRZ 1961, 323, 324; Hampel FamRZ 1963, 537, 540. Zu demselben Ergebnis kommt auch Anders FamRZ I960, 475, 477, der allerdings nicht direkt auf Art. 6 Abs. 2 GG abstellt, sondern Art. 6 Abs. 2 GG über die Konstruktion eines besonderen Gewaltverhältnisses zwischen Eltern und Kind wirken läßt. Konstruktiv noch anders - im Ergebnis aber ebenfalls übereinstimmend - SchülerSpringorum FamRZ 1961, 296, 297, 3 0 0 , der die Sorgerechtsregelung des BGB's der verfassungsmäßigen Ordnung i.S.d. Art. 2 Abs. 1 GG zurechnet und auf diesem Wege die Kindesgrundrechte einschränkt. Auf einem komplizierteren Weg kommt Woltereck AuR 1965,193,196 zu demselben Ergebnis: Unmittelbar auf der Ebene der Verfassung finde eine Kollision von Kindesgrundrechten und Elterngrundrecht statt. Da nicht die Verfassung nach Maßgabe des einfachen Rechts, sondern vielmehr das einfache Recht nach Maßgabe der Verfassung gelte, müßten Regelungen des einfachen Gesetzes zunächst einmal außer Betracht bleiben. Die Kollision sei aus der Verfassung selbst zu lösen. Dies könne nur im Wege einer Güter- und Interessenabwägung geschehen. Bei dieser Abwägung könne man dann aber auf die erprobte Kompromißlösung des BGB's zurückgreifen. Die zivilrechtlichen Bestimmungen seien nicht in ihrer Eigenschaft als Normen des einfachen Gesetzesrechts als Kollisionsnormen zu verwenden; es könne aber die in ihnen enthaltene mustergültige Konfliktlösung als gedankliche Leistung auf der Ebene der Verfassung verwendet werden.
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Der Ansicht, die - über einen Vorrang der durch Art. 6 Abs. 2 GG geschützten Elternbefugnisse, die mit den Elternbefugnissen des BGB's parallelisiert werden - der Sorgerechtsregelung des BGB's in ihrer Gesamtheit die verfassungsrechtliche Garantie des Art. 6 Abs. 2 GG zubilligt, stehen - auf der Basis der Bejahung einer unmittelbaren Grundrechtswirkung - differenziertere Ansichten gegenüber, die den Minderjährigen in unterschiedlichem Umfang vorzeitig emanzipieren. Viele dieser Ansichten laufen darauf hinaus, daß eine Interessenabwägung zwischen den Kindesgrundrechten und dem Elterngrundrecht, die als kollidierende Grundrechte gesehen werden, vorzunehmen ist, die im Falle des Vorranges des Kindesgrundrechts zu dem Ergebnis führt, daß der Minderjährige entgegen den Normen des BGB's kraft Verfassungsrechts vorzeitig mündig ist. Darüber, welche Kriterien im Rahmen dieser Interessenabwägung ausschlaggebend sein sollen, herrscht keine Einigkeit. Nach einer Meinung soll danach zu fragen sein, welche Einschränkungen der Kindesgrundrechte von der Erziehungs- und Pflegefunktion des Elternrechts unabdingbar gefordert werden. Nur solche Beschränkungen seiner Freiheit, die zur Erziehung oder Pflege des Minderjährigen unerläßlich notwendig sind, sollen vor der Verfassung Bestand haben. Wo die „wesensgemäße Funktion" des Elternrechts die Vorenthaltung von Freiheit nicht zwingend verlangt, dort soll die grundrechtliche Freiheit des Jugendlichen den Sieg davontragen. Bei den verschiedenen grundrechtlichen Freiheiten sollen sich von dieser „wesensgemäßen Funktion" her unterschiedliche Einschränkungen der Freiheit als erforderlich erweisen. Bei der Beurteilung der Erforderlichkeit soll es insbesondere darauf ankommen, ob die Ausübung der Freiheit, die zur Debatte steht, für den Minderjährigen schwerwiegende Folgen haben kann 2 0 4 . Eine andere Ansicht will in einer Art von topischem Denken die unterschiedlichsten Gesichtspunkte für die Interessenabwägung fruchtbar machen. So sollen z.B. unterverfassungsrechtliche Vorschriften, die dem Jugendlichen schon vor der Volljährigkeit Rechtsmacht verleihen (vgl. z.B. § 5 RKEG, § 59 FGG), dort analog anzuwenden sein, wo die ihnen zugrundeliegenden Wertungen passen. Dies sei deshalb gerechtfertigt, weil diese Normen nichts anderes als gesetzgeberische Konkretisierungen der Güterabwägung zwischen dem Elterngrundrecht und den Kindesgrundrechten seien. Außerdem sollen die Heranwachsenden der elterlichen Entscheidungsgewalt z.B. dann entwachsen sein, wenn es um Entscheidungen geht, die im Rahmen eines Rechtsund Pflichtenkreises außerhalb des Elternhauses (Schule, Studium, Arbeitsverhältnis usw.) zu treffen sind 205 . 204 So z.B. Perschel S. 8 0 ff., 86 ff.; Leuschner S. 73 ff. So H. Krüger FamRZ 1956, 329 ff.
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Schließlich gibt es Autoren, die - ebenfalls vom Ausgangspunkt einer unmittelbaren Grundrechtswirkung - entscheidend darauf abstellen, daß das Elternrecht als strikt fremdnütziges Recht nur von seiner Schutzfunktion her definiert werden könne. Im Verhältnis zu Heranwachsenden, die für bestimmte Entscheidungen die notwendige Einsichts- und Handlungsfähigkeit besäßen, würde aus einer Schutzordnung eine Zwangsordnung, wenn die Eltern die Befugnis hätten, diese Heranwachsenden bei diesen Entscheidungen bis zur Grenze des Mißbrauches zu bevormunden. Dieses Verständnis des Elterngrundrechts führt dazu, daß selbstbestimmungsfähige Jugendliche unmittelbar aufgrund ihrer Grundrechte in einem weiten Umfang der elterlichen Entscheidungsgewalt nicht mehr unterliegen 206 . Vielfach wird in der Literatur aber auch die These vertreten, daß in der Eltern-Kind-Beziehung, in der keine öffentliche Gewalt geübt werde, kein Raum für eine unmittelbare, sondern nur Platz für eine mittelbare Grundrechtswirkung sei 207 . Aus einer solchen mittelbaren Grundrechtsgeltung werden dann aber teilweise Folgerungen abgeleitet, die nicht weniger weit gehen als die Konsequenzen, die von den Vertretern einer unmittelbaren Grundrechts Wirkung gezogen werden 208 . Die Autoren, die von einer mittelbaren Grundrechtswirkung im ElternKind-Verhältnis ausgehen, knüpfen daran an, daß nach herrschendem Grundrechtsverständnis die Grundrechte zwischen Privaten nicht direkt zur Anwendung kommen, sondern insoweit nur unter dem Aspekt zu beachten sind, daß sie eine objektive Wertordnung konstituieren, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts verbindlich ist 2 0 9 . Betrachtet man die durch die Grundrechte konstituierte objektive Wertordnung, so lassen sich unzweifelhaft äußerste Grenzen markieren, jenseits derer Kindesgrundrechte verfassungswidrig eingeschränkt werden. So kann es z.B. keinem Zweifel unterliegen, daß es mit dem objektiven Wertsystem der Grundrechte nicht zu vereinbaren wäre, wenn die Volljährigkeit des Kindes auf das Ableben seiner Eltern hinausgeschoben würde. Die Autoren, die die interne Grundrechtsmündigkeitsproblematik anhand der objektiven Wertordnung der Grundrechte lösen wollen, beschränken sich indes nicht darauf, diese Ordnung zur Ermittlung äußerster Grenzen heranzuziehen. Nur vereinzelt ist der Standpunkt zu finden, daß das objektive Wertsystem der Grundrechte für die Feineinstellung der Abgrenzung zwischen Elternbefugnissen und Kindesrechten weder gedacht, noch ergiebig sei, und daß man in die Verfassung etwas 206 So Stöcker ZRP 1974, 211 ff.; Schwerdtner AcP 173, 227 ff.; 242. 207 So z.B. Dürig in Maunz-Dürig Art. 19 Abs. 3 RdNr. 16 ff.; Kuhn S. 33 ff.; Bekker S. 37, 43, 44; Soergel-Strätz § 1626 RdNr. 47; Roell S. 24, 5 0 ff.; Erichsen S. 16, 17. 208 So zu Recht AK-Münder vor §§ 1626 ff. RdNr. 17. 209 Dazu später genauer S. 139 ff.
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hineinlese, was aus ihr nicht herausgelesen werden könne, wenn man die Wertordnung des Grundgesetzes für diese Feineinstellung bemühe 210 . Ganz überwiegend werden indes aus der Ausstrahlungswirkung der objektiven Wertordnung der Grundrechte auf die privatrechtliche Sorgerechtsregelung recht detaillierte Schlußfolgerungen für das Eltern-Kind-Verhältnis gezogen. So wird von Anhängern einer mittelbaren Grundrechtsgeltung - ebenso wie von einigen Vertretern einer unmittelbaren Grundrechtswirkung - im Wege der Interessenabwägung das Ergebnis gefunden, daß elterliches Handeln nur dann den Kindesgrundrechten standhalte, wenn es konkret zum Zwecke der Erziehung oder Pflege erforderlich sei 211 . Dieses Ergebnis wird allerdings getreu dem Ansatz einer mittelbaren Grundrechtswirkung - nicht dadurch gewonnen, daß Grundrechte, die unmittelbar miteinander kollidieren, gegeneinander abgewogen werden, sondern dadurch erreicht, daß im Rahmen des § 1666 BGB die Wertentscheidungen der Freiheitsrechte gegenüber dem Elternrecht zur Geltung gebracht werden 212 . Zu ähnlichen Konsequenzen kommt Dürig 2 1 3 : Da das elterliche Sorgerecht privatrechtliche Befugnisse verleihe, komme im Eltern-Kind-Verhältnis nur eine mittelbare Grundrechtswirkung in Betracht. Bei der Auslegung des einfachen Rechts (§§ 1626 ff., 1666 BGB) seien sowohl das Elterngrundrecht (Art. 6 Abs. 2 GG), als auch das grundrechtliche Selbstbestimmungsrecht des Kindes (Art. 2 Abs. 1 GG) zu berücksichtigen. Die Kinder dürften von Verfassungs wegen erwarten, daß der Staat ihre Würde und ihre Freiheit nicht durch die familienrechtlichen Gewalthaber beeinträchtigen lasse. Die Verfassung fordere aber auch, daß der Staat das natürliche Entscheidungsrecht der Eltern in den Kindesangelegenheiten nicht durch die Entscheidungsunterworfenen beeinträchtigen lasse. Da das Elternrecht in erster Linie ein fremdnütziges Recht sei, das im Interesse des Kindes bestehe, habe man sich bei der Abwägung zwischen den Elterninteressen und den Kindesinteressen primär daran zu orientieren, ob das Kind noch selbstbestimmungsunfähig und erziehungsbedürftig sei. Es sei aber auch zu bedenken, daß das Grundgesetz das Elternrecht als subjektives Recht ausgestaltet habe, das trotz seines Pflichtcharakters den Eltern Möglichkeiten freier Entscheidung einräume. Anhand dieser Erwägungen sei im Einzelfall die Grenze elterlicher Entscheidungsbefugnis zu ermitteln. In Zweifelsfällen müsse das elterliche Bestimmungsrecht sein Gewicht behalten. 210 So Diederichsen FamRZ 1978, 461, 462. Verhältnismäßig zurückhaltend auch noch Strätz aaO, der die „immanenten" Schranken elterlicher Entscheidungsbefugnisse mit Rücksicht auf die Werturteile der Verfassung neu durchdenken und ggfs. neu setzen will. Becker aaO; Kuhn S. 65 ff. 212 Kuhn S. 65. 213 In Maunz-Dürig aaO; ähnlich Roell S. 50 ff.
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Letztendlich gibt es Autoren, die, indem sie die Eltern-Kind-Beziehung sowohl von einer unmittelbaren, als auch von einer mittelbaren Grundrechtswirkung der zuletzt beschriebenen A r t 2 1 4 gänzlich oder weitgehend freihalten, einer Emanzipation des Minderjährigen aufgrund verfassungsrechtlicher Erwägungen ablehnend gegenüberstehen. So kann man auf der Grundlage einer strikten Ablehnung einer unmittelbaren Grundrechtswirkung zwischen Privaten und einer skeptischen Haltung gegenüber einer mittelbaren Grundrechtswirkung im Privatrecht die Auffassung finden, daß eine Grundrechtsmündigkeit, die dem Minderjährigen im Verhältnis zum BGB zu mehr Autonomie verhelfe, nichts anderes als eine „petitio principii" sei 215 . Eine Verneinung einer Erweiterung der Autonomie des Jugendlichen aufgrund unmittelbar oder mittelbar wirkender Kindesgrundrechte ist auch dort zu konstatieren, wo einerseits betont wird, daß der Jugendliche sich gegenüber seinen Eltern niemals auf seine „öffentlichrechtlichen" Grundrechte, sondern immer nur auf den Mißbrauch des „bürgerlichrechtlichen" Sorgerechts berufen könne, und wo andererseits ohne jegliche Einschränkungen festgestellt wird, daß Eltern ihren Kindern die Mitgliedschaft in Vereinen, die Teilnahme an Versammlungen, freie Meinungsäußerungen usw. untersagen oder gebieten können 216 . Ferner wird die Ansicht vertreten, daß innerhalb sozialer Gruppen, die sich durch ein sittliches und die menschliche Persönlichkeit als Ganzes forderndes und formendes Wesen auszeichnen, für eine Grundrechtsgeltung keinerlei Raum sei 217 . Schließlich ist auch noch die Idee entwickelt worden 218 , daß unterhalb der Schwelle der §§ 1666, 1667 BGB bezüglich der Kindesgrundrechte von einem Grundrechtsgeltungsverzicht auszugehen sei. Familiäre Beziehungen zeichneten sich durch Intimität aus; die Familie sei ein Asyl der Privatheit. Durch Verrechtlichung des Binnenraumes der Familie erleide dieses intime und private Wesen der familiären Lebensgemeinschaft einen erheblichen Schaden. Dadurch würden dann auch Kindesinteressen verletzt, weil das Kind auf die Funktionsfähigkeit dieser Lebensgemeinschaft existentiell angewiesen sei. 214
Es kann als selbstverständlich unterstellt werden, daß niemand bestreiten wird, daß die objektive Wertordnung der Grundrechte äußerste Grenzen vorgibt. Auch die Autoren, die im folgenden behandelt werden, würden sicherlich nicht die Feststellung bestreiten, daß es verfassungswidrig wäre, das elterliche Sorgerecht bis zum Tod der Eltern fortbestehen zu lassen. 215 Flume A T § 13 Ziff. 11 f. 216 Peters S. 369, 393 ff. 217 Reimers S. 15. 218 Von Reuter S. 190 ff. Allerdings, worauf noch einzugehen sein wird, nicht für den gesamten Bereich des Eltern-Kind-Verhältnisses und - ohne Begründung - gerade nicht zu dem hier interessierenden Bereich der Autonomieinteressen.
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Deshalb habe das Kind selbst ein Interesse daran, daß der Binnenraum der Familie von rechtlichen Bindungen frei bleibe und daß seine Grundrechte gegenüber den Eltern nicht zur Geltung kämen. Dieser Geltungsverzicht finde erst dort seine Grenze, wo die Staatsfreiheit in eine Gefahr für das Kind umschlage. Dies sei dann der Fall, wenn dem Kind ein Schaden drohe, also die Grenze der §§ 1666, 1667 BGB - im herkömmlichen Sinne und ohne Berücksichtigung von Kindesgrundrechten interpretiert - erreicht sei. Von den obersten Gerichten hat sich bis jetzt nur der B G H zu dem Problemkreis der Grundrechtsmündigkeit geäußert. Dabei hat er in unterschiedlicher Form Stellung bezogen. In seiner ersten Stellungnahme 219 vertrat der B G H die Ansicht, daß das Verhältnis zwischen dem Elternrecht und den Kindesrechten anhand der Mündigkeitsnormen des einfachen Rechts zu beurteilen sei, die insoweit als Kollisionsnormen anzusehen seien und deren Verfassungsgemäßheit nur in einem beschränkten Umfang überprüft werden könne. Art. 6 Abs. 2 GG mache keine Aussage darüber, wann das Recht der Eltern auf Pflege und Erziehung der Kinder erlösche. Daß das Elternrecht zeitlich nicht unbeschränkt sein könne, sei ohne weiteres klar. Das Grundgesetz setze voraus, daß es dann sein Ende finde, wenn die Kinder der Pflege und der Erziehung nicht mehr bedürften. Daraus, daß das Grundgesetz insoweit keinen Zeitpunkt fixiere, müsse geschlossen werden, daß die Entscheidung über diesen Zeitpunkt dem pflichtgemäßen Ermessen des einfachen Gesetzgebers überlassen sei, der die entsprechenden Mündigkeitsnormen zu schaffen habe. In Anwendung dieser Grundsätze führt der B G H dann aus, daß für das Aufeinandertreffen von Elterngrundrecht (Art. 6 Abs. 2 GG) und Kindesgrundrecht auf Bekenntnisfreiheit (Art. 4 GG) § 5 RKEG die einfachrechtliche Kollisionsnorm sei, bei der es nicht die Sache des Richters sei, darüber zu entscheiden, ob diese Mündigkeitsnorm nach heutiger Auffassung den Zeitpunkt für die religiöse Mündigkeit des Kindes richtig fixiere. Legt man diese Auffassung zugrunde, so bestehen keine Zweifel an der Verfassungsgemäßheit der Sorgerechtsregelung des BGB's. Im Gegensatz dazu steht die schon mehrfach erwähnte Entscheidung des BGH's zur Operationseinwilligung Minderjähriger 220 , in der das Gericht die verfassungsrechtlichen Implikationen seiner Aussagen allerdings nicht erkannt hat. Dem Minderjährigen wird die externe Handlungsmacht zu einer wirksamen Einwilligung verliehen, wenn er nach seiner geistigen und sittlichen Reife die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und seiner Gestattung dazu zu ermessen vermag. Es ist bereits dargelegt worden (vgl. S. 25ff.), daß die Verleihung einer solchen Rechtsmacht nur dann einen Sinn ergibt, wenn 219 22
B G H Z 21, 340,352, 353. 0 B G H Z 29, 33 ff.
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diesem Minderjährigen dann auch die interne Entscheidungsbefugnis bezüglich der Operation zugebilligt wird. Es wäre ein WertungsWiderspruch und zu nichts anderem als zu einer Prämierung jugendlichen Ungehorsams nütze, den Minderjährigen einerseits wegen seiner konkreten Selbstbestimmungsfähigkeit im Außenverhältnis (Einwilligung gegenüber dem Arzt) zu emanzipieren, ihn aber andererseits trotz seiner Selbstbestimmungsfähigkeit im Innenverhältnis (Entscheidung im Eltern-Kind-Verhältnis über die Vornahme der Operation) der Entscheidungsgewalt der Eltern zu unterwerfen. Im Innen Verhältnis setzt sich aber nun einmal nach der Regelung des BGB's der Wille des Minderjährigen gegenüber dem Elternwillen nicht allein schon deshalb durch, weil der Minderjährige konkret selbstbestimmungsfähig ist. Nach dem BGB sind die Eltern auch gegenüber dem konkret einsichts- und handlungsfähigen Jugendlichen entscheidungsbefugt. Auf dem Boden des BGB's kann diese Entscheidungsbefugnis nicht dadurch desavouiert werden, daß diesem Jugendlichen eine externe Handlungsmacht eingeräumt wird. Bezüglich der Operationseinwilligung läßt sich also feststellen, daß sich die für die Emanzipation im Außenverhältnis notwendige Emanzipation im Innenverhältnis aus den Normen des BGB's nicht herleiten läßt, so daß es - „reines" BGB ohne Grundrechtseinfluß zugrundegelegt - im Außenverhältnis bei dem Erfordernis der Zustimmung der Eltern zu der Operation bleiben muß. Die Entscheidung des BGH's zur Operationseinwilligung läßt sich somit nur dann halten, wenn im Eltern-Kind-Verhältnis dem Minderjährigen aufgrund der Verfassung Entscheidungsbefugnisse zuwachsen, die er nach dem BGB nicht hat. Diese Entscheidung, die den Zusammenhang zwischen externer Rechtsmacht und interner Entscheidungsbefugnis nicht erkennt, läßt die verfassungsrechtliche Begründung vermissen, ohne die ihr Ergebnis keinen Bestand haben kann. Später hat der B G H in einem anderen Zusammenhang 221 die Begründung nachgeliefert. In dieser Entscheidung, in der die Frage, ob zur Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung einer Nacktaufnahme einer Sechzehnjährigen die Einwilligung der Minderjährigen selbst erforderlich ist, angesprochen, aber letztlich nicht entschieden wird, weil im zu entscheidenden Fall vom Vorliegen einer solchen Einwilligung ausgegangen werden konnte, führt der B G H zum Eltern-Kind-Verhältnis folgendes aus: „Die Auffassungen vom Inhalt der elterlichen Gewalt haben sich unter dem Einfluß des Grundgesetzes (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1, 6 Abs. 2 S. 1 GG) und einer fortschreitenden Jugendemanzipation zunehmend gewandelt. Jetzt wird allgemein ihr Charakter als Pflichtrecht betont, dessen Ausübung ausschließlich am Wohl des Kindes auszurichten ist. Die mit der „elterlichen Gewalt" verbundenen Befugnisse sind den Eltern, so nimmt man überwiegend an, nicht um ihrer selbst willen verliehen, sondern nur als Hilfsmittel bei der Erziehung ihrer Kinder. Daraus folgert man, daß Inhalt und Gren221 B G H NJW 1974, 1947, 1949, 1950.
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zen der elterlichen Gewalt zuerst vom Erziehungsziel her zu bestimmen sind. Dieses Ziel kann aber in einer vom Menschenbild der freiheitlichen, eigenverantwortlichen Persönlichkeit geprägten Rechtsordnung nur in der Entfaltung der Persönlichkeit des Kindes zur Selbstverantwortlichkeit bestehen. Eine solche an der Wertordnung des Grundgesetzes gemessene Vorstellung von Funktion und Inhalt der elterlichen Gewalt hat zu der Frage geführt, inwieweit ihre überkommene gesetzliche Ausgestaltung heute noch als verbindlich anzusehen oder wie sie in verfassungskonformer Auslegung zu verstehen ist. Im Schrifttum hat man diese Frage weithin unter dem Stichwort „Grundrechtsmündigkeit" erörtert und ist zu sehr unterschiedlichen Lösungsvorschlägen gelangt. Im einzelnen braucht zu ihnen bei Beurteilung des vorliegenden Sachverhalts nicht Stellung genommen zu werden. In der Rechtsprechung hat eine besondere Grundrechtsmündigkeit bisher keine Anerkennung gefunden. Auch das Schrifttum äußert sich überwiegend zurückhaltend. Trotzdem sind für gewisse eng begrenzte Teilbereiche auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung eine selbständige Entscheidungsbefugnis des Minderjährigen oder ein echtes Mitspracherecht schon vor Erreichen der Volljährigkeit anerkannt worden."
Als Beispiel wird dann vom B G H - neben der selbständigen Wahrnehmung prozessualer Weigerungsrechte durch einsichtsfähige Minderjährige 222 - die Befugnis selbstbestimmungsfähiger Jugendlicher genannt, rechtswirksam in einen ärztlichen Eingriff einwilligen zu können. Solche selbständige Entscheidungsbefugnisse Minderjähriger werden vom B G H wie folgt gerechtfertigt: „Sie werden letztlich getragen von der Auffassung, die Rücksicht auf die Persönlichkeit des Minderjährigen gebiete es, ihm in bestimmten Bereichen schon vor Eintritt der Volljährigkeit einen eigenen Verantwortungsbereich einzuräumen. Neben dem individuellen Reifegrad des Jugendlichen wird es insbesondere darauf ankommen, in welchem Ausmaß die in Frage stehende Maßnahme den Persönlichkeitsbereich des Minderjährigen berührt."
Zusammenfassend kann man feststellen, daß der B G H dazu tendiert, im Wege einer mittelbaren Grundrechtswirkung den konkret selbstbestimmungsfähigen Jugendlichen - entgegen der Regelung des BGB's - in dem Bereich vorzeitig zu emanzipieren, in dem es um seine Persönlichkeitsrechte geht. Ergebnis: Zur Grundrechtswirkung in der Eltern-Kind-Beziehung werden alle Ansichten vertreten, die theoretisch denkbar sind (unmittelbare Grundrechtswirkung; mittelbare Grundrechtsgeltung; die Familie als grundrechtsfreier Binnenraum). Von Ansätzen, die dogmatisch diametral verschiedenartig sind, werden nichtsdestoweniger teilweise gleichartige Ergebnisse gewonnen. Zu dem Ergebnis, daß dem Minderjährigen nicht mehr Entscheidungsrechte zu gewähren sind als das BGB es vorsieht, kann man sowohl dadurch kommen, daß man das Eltern-Kind-Verhältnis von einer Grundrechtsgeltung gänzlich freistellt, als auch dadurch gelangen, daß man von einer unmittelbaren Geltung der Kindesgrundrechte ausgeht, diese Kindesgrundrechte dann aber hinter einem Elterngrundrecht zurückstehen läßt, das die im BGB ent222 Zuerst von der Rechtsprechung (BGHSt 14, 21, 24) ohne gesetzliche Grundlage entwickelt, dann in §§ 52 Abs. 2, 81 c Abs. 3 StPO Gesetz geworden.
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haltene Sorgerechtsregelung in vollem Umfang verfassungsrechtlich garantiert. Es kann also so sein, daß es für das Ergebnis auf die Frage der Grundrechtsgeltung überhaupt nicht ankommt. Ferner hat es sich gezeigt, daß - auf der Basis einer Grundrechtsgeltung im Binnenraum der Familie - die Stellungnahme zu der spezielleren Frage, wie (unmittelbar oder mittelbar) die Grundrechte wirken, kein bestimmtes Ergebnis präjudiziert. Es ist festzustellen, daß gleiche Ergebnisse von Autoren erzielt werden, die bezüglich der Art der Grundrechtswirkung (unmittelbar oder mittelbar) verschiedene Ansichten vertreten. Es kann also so sein, daß unter der Voraussetzung, daß die Grundrechte überhaupt eine Rolle spielen die Frage der unmittelbaren oder mittelbaren Grundrechtswirkung für das Ergebnis ohne Belang ist. Deshalb empfiehlt es sich, schrittweise vorzugehen und sich auf nicht mehr Fragen einzulassen, als unerläßlich ist, um zu einem gesicherten Ergebnis für die interne Grundrechtsmündigkeitsproblematik zu gelangen. aa) Die Grundrechtsfähigkeit des Minderjährigen
Bis jetzt ist von der Prämisse der Grundrechtsfähigkeit Minderjähriger aus argumentiert worden. Diese Prämisse bedarf noch der Begründung. Wenn Minderjährige keine Grundrechte haben könnten, so wäre die interne Grundrechtsmündigkeitsproblematik von vornherein gegenstandslos. Rechtsprechung und Literatur sehen es nahezu einhellig als selbstverständlich an, daß dem Menschen - gleichgültig in welchem Alter er steht und welche Fähigkeiten er besitzt - die Grundrechte zustehen 223 . Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach - ohne Einschränkungen und ohne Diskussion irgendwelcher Bedenken - den Minderjährigen als Grundrechtsträger bezeichnet 224 .
223 So z.B. Hessischer StGH D Ö V 1966, 51, 52; L G Augsburg FamRZ 1961, 323, 324 BayObLG FamRZ 1984, 1262, Dürig in Maunz-Dürig Art. 19 Abs. 3 RdNr. 11; Leuschner S. 73; Roell S. 22; H. Krüger FamRZ 1956, 329, 330; Schüler-Springorum FamRZ 1961, 296, 297; Hampel FamRZ 1963, 537, 538; Woltereck AuR 1965, 193, 194. 224 BVerfGE 24, 119, 144; 34, 165, 2 0 0 ; 53, 185, 203. Auch die etwas unklare Aussage in BVerfGE 47, 46, 73 - „Der Jugendliche ist von vornherein und mit zunehmendem Alter in immer stärkeren Maße eine eigene durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Persönlichkeit". - will wohl eine mit der Geburt gegebene Grundrechtsfähigkeit nicht in Zweifel ziehen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zur Fristenlösung bei der Abtreibung sogar erwogen, ob bereits dem nasciturus die Grundrechtsfähigkeit zukomme, diese Frage dann aber offen gelassen, weil schon aus dem objektiv-rechtlichen Gehalt des Art. 2 Abs. 2 GG die Pflicht des Staates zum rechtlichen Schutz des werdenden Lebens abzuleiten sei; BVerfGE 39, 1, 41.
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Nur ganz vereinzelt wurde bzw. wird die Ansicht vertreten, daß selbstbestimmungsunfähige Kinder nicht Inhaber solcher Grundrechte sein könnten, die den Schutz der Selbstbestimmung im Auge hätten 225 . Zur Begründung der Grundrechtsfähigkeit des unmündigen Kindes, die bedeutet, daß dieses von Geburt an Träger der Grundrechte ist, wird häufig auf die Regelung des Privatrechts Bezug genommen, welche die bürgerlichrechtliche Rechtsfähigkeit des Menschen mit der Vollendung der Geburt beginnen läßt (§ 1 B G B ) 2 2 6 . Eine direkte Parallele kann indes zwischen der bürgerlichrechtlichen Rechtsfähigkeit und der Grundrechtsfähigkeit nicht gezogen werden. Die Regelung der bürgerlichrechtlichen Rechtsfähigkeit besagt, daß von der Geburt des Menschen an ein Rechtssubjekt da ist, das Rechte und Pflichten haben kann 2 2 7 . Die bürgerlichrechtliche Rechtsfähigkeit konstituiert keinen Rechtsinhaber, der Rechte hat, sondern ein Rechtssubjekt, dem Rechte zugeordnet werden können. Das Kind wird dadurch, daß es rechtsfähig ist, nicht zum Inhaber privater Rechte. Kraft seiner Rechtsfähigkeit kann das Kind ζ. B. Eigentümer werden. Es ist aber erst dann Eigentümer, wenn sich in seiner Person ein Erwerbstatbestand realisiert, also z.B. Universalsukzession gem. § 1922 BGB eintritt oder ζ. B. eine Übereignung an den gesetzlichen Vertreter des Kindes erfolgt, der dabei im Namen des Kindes handelt. Ist das Kind auf diese Weise zum Eigentümer geworden, so kann es kraft seiner Rechtsfähigkeit zum Inhaber einer Schadensersatzforderung gem. § 823 Abs. 1 BGB werden. Es ist aber erst dann Inhaber einer solchen Forderung, wenn ein anderer rechtswidrig und schuldhaft das Eigentum des Kindes verletzt hat. Überträgt man dieses Modell auf das Gebiet der Grundrechte, so kommt man nicht zu dem Satz, daß der Mensch von Geburt an Grundrechte hat, sondern zu der Aussage, daß der Mensch von Geburt an Grundrechte haben kann. Es bleibt dann - bei einer Übertragung der zivilrechtlichen Kategorien auf die Grundrechte - die Frage, wann derjenige, der Grundrechte haben kann, diese auch tatsächlich hat. Hier versagt eine direkte Parallele zum Bürgerlichen Recht. 225 Stöcker ZRP 1974, 211 ist der Ansicht, daß Kinder, die zu einer eigenverantwortlichen Entscheidung absolut unfähig seien, nicht Inhaber des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG sein könnten. Stein meinte in früheren Auflagen seines Lehrbuches des Staatsrechts, daß für das Autonomierecht des Art. 2 Abs. 1 GG und für diejenigen Freiheitsrechte, die den Autonomieaspekt für bestimmte Lebensbereiche konkretisieren, die Grundrechtsfähigkeit erst in einem Alter beginnen könne, in dem der Wille Minderjähriger vernünftigerweise Beachtung verdiene. Zur Bestimmung dieser Altersgrenze lasse sich mangels anderer Anhaltspunkte nur das Zivilrecht heranziehen. Hier werde dem Willen Minderjähriger erst vom 7. Lebensjahr eine gewisse Beachtlichkeit eingeräumt. Stein hat diese Ansicht inzwischen ausdrücklich aufgegeben (9. Aufl. S. 264/265). 226 Dürig in Maunz-Dürig Art. 19 Abs. 3 RdNr. 13; Leuschner S. 73; Reuter-Säcker NJW 1965, 2037, 2038. 227 Vgl. statt aller Larenz A T § 5 Ziff. 1; Enneccerus-Nipperdey § 83 I; PalandtHeinrichs Überblick vor § 1 Anm. 1.
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Für originäre Grundrechte gibt es weder Erwerbs- noch Entstehungstatbestände. Als Alternativen zu der Rechtsinhaberschaft von Geburt an kommen theoretisch die Möglichkeiten in Betracht, die Grundrechtsfähigkeit von Altersgrenzen oder von Handlungsfähigkeiten in einem natürlichen Sinne oder von Selbstbestimmungsfähigkeiten abhängig zu machen. Welche Lösung die der Verfassung gemäße ist, ist anhand verfassungsrechtlicher Erwägungen zu beantworten 228 . Bei einer Erörterung der Grundrechtsfähigkeit ist insbesondere auch danach zu fragen, ob nach dem Sinn und Zweck der Grundrechte für diese Rechte das geboten ist, was im Privatrecht unzweifelhaft sinnvoll ist: Rechtsinhaberschaft ohne Handlungsfähigkeit. Eine unbefangene Lektüre des Verfassungstextes kann nur zu dem Ergebnis führen, daß das Grundgesetz für die Grundrechtsträgerschaft keine besonderen Qualifikationen (Alter; natürliche Handlungsfähigkeit; Selbstbestimmungsfähigkeit) verlangt. Die Würde des „Menschen" ist unantastbar (Art. 1 Abs. 1 GG). Alle „Menschen" sind vor dem Gesetz gleich (Art. 3 Abs. 1 GG). Aufgrund einiger Grundrechte ist „jeder" bzw. „jedermann" zu etwas berechtigt (Art. 2 Abs. 1, 5 Abs. 1, 9 Abs. 3, 17, 103 Abs. 1 GG). Andere Grundrechte sprechen davon, daß „niemand" etwas dulden muß (Art. 3 Abs. 3, 4 Abs. 3, Ι Ο Ι Abs. 1 GG). Wieder andere Grundrechte nennen nicht den Rechtsträger, sondern eine garantierte Freiheit bzw. ein geschütztes Rechtsgut (Art. 4 Abs. 1, 4 Abs. 2, 5 Abs. 3, I O Abs. 1, 13 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG). Letztendlich gibt es auch noch Grundrechte, die „allen Deutschen" bestimmte Freiheiten gewährleisten (Art. 8 Abs. 1, 9 Abs. 1, 11 Abs. 1, 12 Abs. 1 GG)229. 228
So auch zu Recht Hohm NJW 1986, 3107, 3108. Dies wird von Fehnemann S. 16 ff. verkannt, nach der die Kategorie der Rechtsfähigkeit eine unteilbare Kategorie sein muß. Wegen des Aufeinanderbezogenseins der Normen des einfachen Rechts und der Verfassungsnormen, der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse, die einfachrechtlich und verfassungsrechtlich geregelt werden, sowie der Identität der durch das einfache Recht und das Verfassungsrecht Betroffenen sei die Annahme unterschiedlicher Rechtsfähigkeiten - eine für die Ebene des einfachen Rechts, eine für die Ebene des Verfassungsrechts - verfehlt. Folglich gelte § 1 BGB für alle Rechtsgebiete, dessen Regelung seit Erlaß des Grundgesetzes auch als Ausfluß der Art. 11 und Art. 2 I GG angesehen werden könne. In dieser Argumentation wird der höhere Rang des Verfassungsrechts nicht richtig gewürdigt. Über die Grundrechtsfähigkeit kann nicht das einfache Recht, sondern nur das GG entscheiden. Soweit es keine direkte Antwort gibt, sind keine allgemeinen, sondern spezifisch verfassungsrechtliche Erwägungen anzustellen. Es geht nicht an, apriorische Argumente mit den verfassungsrechtlichen Wertungen aus Art. 11 und Art. 2 1 GG zu stützen. Es ist vielmehr danach zu fragen, was diese Grundrechte zur Grundrechtsfähigkeit aussagen. Im übrigen zeigen die Deutschengrundrechte, daß Grundrechtsfähigkeit und Rechtsfähigkeit nach bürgerlichem Recht nicht identisch sind. 229 Bei den „Deutschengrundrechten" können kraft Verfassung nur Deutsche Grundrechtsträger sein. Selbstverständlich kann der einfache Gesetzgeber - so wie er es in § 11 VersammlG getan hat - darüber hinausgehend Ausländer in den Genuß von
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Da das Grundgesetz an anderen Stellen (Art. 38 Abs. 2, Art. 54 Abs. 1 GG) durchaus altersmäßige Qualifikationen für die Innehabung von Rechten kennt, ist als erstes davon auszugehen, daß der Verfassung - als ganz selbstverständlich - die Vorstellung einer altersunabhängigen Grundrechtsfähigkeit zugrunde liegt. Ferner läßt sich dem Wortlaut der Grundrechte keinerlei Anhaltspunkt dafür entnehmen, daß für das „Haben" von Grundrechten natürliche Handlungsfähigkeiten oder Selbstbestimmungsfähigkeiten notwendig sein sollen. Dieser Befund wird durch Art. 1 Abs. 1 GG bestätigt. Art. 1 Ab. 1 GG, der der Ursprung und die Sinnmitte aller Grundrechte ist, verbietet es dem Staat, im Bereich der Rechtsfähigkeit danach zu differenzieren, ob der Mensch zu selbständigem Handeln in der Lage ist 2 3 0 . Art. 1 Abs. 1 GG erkennt eine unantastbare Menschenwürde als einen Wert an, der dem Staat vorgegeben ist und über den der Staat nicht verfügen kann. Diese Würde, die der Staat zu achten und zu schützen hat, entspringt dem Menschsein - als solchem - und nicht erst dem autonomen Menschsein. Der Würdeanspruch kommt dem Menschen deshalb zu, weil er Mensch ist. Geisteskranke, Säuglinge usw. sind ebenso Inhaber dieses Anspruches wie Menschen, die in vollem Umfang selbstbestimmungsfähig sind. Es ist nun allerdings so, daß die Forderungen, die sich aus dem Würdeanspruch des selbstbestimmungsfähigen Menschen ergeben, andere sind als diejenigen, die aus dem Würdeanspruch des selbstbestimmungsunfähigen Menschen folgen. Der selbstbestimmungsfähige Mensch verwirklicht sich dadurch, daß er selbst in eigener Verantwortung seine Interessen wahrnimmt. Sein Würdeanspruch fordert Autonomie. Der Würdeanspruch des selbstbestimmungsunfähigen Menschen, der seine Interessen nicht selbst in eigener Verantwortung wahrnehmen kann, verlangt dagegen bevormundende Fürsorge nach heteronomen Maßstäben 231 . Gewährung von Freiheit (für selbstbestimmungsfähige Menschen) und bevormundende Fürsorge (für selbstbestimmungsunfähige Menschen) sind verschiedene Mittel, die beide der Befriedigung des Würdeanspruches dienen. Die Bevormundung des selbstbestimmungsunfähigen Menschen ist nicht um objektiver Zwecke willen von Verfassungs wegen geboten, sondern deshalb ein Gebot der Verfassung, weil die Menschenwürde dieses Menschen eine solche Bevormundung fordert. Würde man die Rechtssubjektivität dieses Menschen leugnen, so könnte man „Deutschengrundrechten" kommen lassen. Diese Rechtsposition kann aber jederzeit durch einfaches Gesetz wieder beseitigt werden, da sie nicht verfassungsrechtlich garantiert ist. Vgl. dazu Hohm aaO. Insoweit ist die Feststellung von Fehnemann aaO S. 21, daß die für die „Deutschengrundrechte" behaupteten Unterschiede zwischen einfachem Recht und Verfassungsrecht nicht bestünden, unzutreffend. 230 Nipperdey in: Die Grundrechte, Bd. I I , S. 1 ff.; H. Westermann S. 9; Wintrich S. 15, 31; Bohne S. 3 ff.; 16; Dürig in Maunz-Dürig Art. 1 Abs. 1 RdNr. 17 ff. 231 So zutreffend Reuter S. 6 0 .
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ihn nicht mehr wegen seines Würdeanspruches, sondern nur noch um objektiver Zwecke willen schützen. Dies wäre mit Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar, der es verbietet, den Menschen als Mittel zum Zweck anzusehen, und der es dem Staat gebietet, den Menschen zu achten und zu schützen, weil er „Zweck an sich" ist. Der Staat, der bestimmte - autonomieunfähige - Menschen nur noch um objektiver Zwecke willen schützen würde, würde dieses Gebot des Art. 1 Abs. 1 GG nicht beachten 232 . Zu dem Ergebnis einer Grundrechtsfähigkeit, die von Handlungsfähigkeiten unabhängig ist, muß man auch dann kommen, wenn man vom Sinn und Zweck subjektiver Rechte ausgeht 233 . Für das Privatrecht ist bis zum Beginn unseres Jahrhunderts die Vorstellung zu finden, daß man subjektive Rechte solchen Personen nicht zuordnen könne, deren Wille von Rechts wegen keine Bedeutung habe. Diese Vorstellung beruht auf dem Gedanken, daß das subjektive Recht von der Rechtsordnung verliehene Willensmacht sei 234 . Sieht man das subjektive Recht nur unter dem Aspekt der Willensmacht, so ist es in der Tat recht schwierig und ohne gewagte Konstruktionen kaum möglich, willensunfähige Personen als Inhaber subjektiver Rechte anzuerkennen. Diese Betrachtungsweise subjektiver Rechte ist indes - wie frühzeitig erkannt wurde 235 - verfehlt. Willensmacht besteht nicht - als Selbstzweck - um ihrer selbst willen, sondern ist ein Mittel zum Zweck. Daß z.B. dem Eigentümer einer Sache Willensmacht zukommt, dient dem Zweck, dem Eigentümer den realen Nutzen der Sache zu sichern. Dieser reale Nutzen läßt sich - ohne Sinnentleerung des Begriffes - aus dem Eigentumsbegriff nicht wegdenken. Das Eigentum an einem Teller Suppe beschränkt sich nicht darauf, daß der Eigentümer andere davon abhalten kann, in die Suppe zu spucken 236 . Willensmacht ist etwas Sekundäres. Der Schutz realen Nutzens steht erst dann zur Debatte, wenn dieser reale Nutzen zugewiesen worden ist. Bevor geschützt wird, muß zunächst einmal verteilt werden 237 . Diese Zuteilung realen Nutzens ist die primäre Funktion subjektiver Privatrechte. Dem Eigentümer einer Sache stehen deren Früchte und Gebrauchsvorteile zu. Dem Gläubiger einer Forderung gebührt die von dem Schuldner geschuldete Leistung. Die aus der Mitgliedschaft in einem Verband sich ergebenden Vorteile fließen dem Mitglied zu. Das subjektive Recht ordnet dem Inhaber des Rechts realen Nutzen zu. Damit dieser reale Nutzen verwirklicht werden kann, kommt dem Rechtsinhaber - als Mittel zum Zweck 232 Zu diesem Aspekt vgl. auch HessStGH NJW 1966, 32; BVerfGE 47, 46, 74; Saladin, FS für Hinderling, S. 186 ff.; Hohm aaO. 233 Dazu, daß die Grundrechte in erster Linie subjektive Rechte des Bürgers sind, vgl. statt aller BVerfGE 1, 97, 104; 21, 362, 369; 24, 367, 396; 5 0 , 290, 337. 234 Puchta § 29; Bierling S. 160 ff.; Holder S. 123; Windscheid-Kipp § 37. 235 Ihering § 6 0 . 236 Esser S. 156; Larenz Methodelehre S. 31. 237 Esser aaO.
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Willensmacht zu . Versteht man das subjektive Recht so, so bereitet es keine Schwierigkeiten, willensunfähige Personen als Träger subjektiver Rechte anzusehen. Solchen Personen wird durch die Rechtsinhaberschaft der reale Nutzen zugewiesen, den das „Haben" von subjektiven Privatrechten vermittelt. Daran, daß dies möglich ist, besteht ein schutzwürdiges Interesse, weil dieser reale Nutzen für selbstbestimmungsunfähige ebenso wertvoll wie für selbstbestimmungsfähige Menschen sein kann. Daß der Selbstbestimmungsunfähige keinen Schaden erleidet, wird dadurch gewährleistet, daß ihm die Willensmacht, von der ein unvernünftiger Gebrauch gemacht werden kann, versagt bleibt. Durch das Institut der gesetzlichen Vertretung wird dafür gesorgt, daß für die willensunfähige eine willensfähige Person handelt 239 . Es fragt sich, ob und inwieweit dieser für subjektive Privatrechte unmittelbar einleuchtende Gedankengang auf den Bereich der Grundrechte übertragen werden kann, wo es doch - wie bereits dargelegt - Grundrechte gibt, deren Zweck sich darin erschöpft, Handlungsmacht zu gewähren. Dabei ist auch im Bereich der Grundrechte zunächst einmal von dem Aspekt des realen Nutzens auszugehen. Auch wenn es so ist, daß zwischen der Rechtsfähigkeit des BGB's und der Grundrechtsfähigkeit keine direkte Parallele gezogen werden kann (vgl. S. l O l f . ) , so ändert dies nichts daran, daß der hinter der privatrechtlichen Regelung der Rechtsfähigkeit stehende Gedanke des realen Nutzens für den Rechtsinhaber auch für die Grundrechte fruchtbar gemacht werden kann. Warum sollen jemandem subjektive Rechte zustehen, wenn er davon keinen realen Nutzen hat? Rechtsträgerschaft, die keinen Nutzen bringt, bedarf der besonderen Begründung. Dagegen stellt die Vermittlung realen Nutzens immer - auch auf der Ebene der Grundrechte - einen zureichenden Grund für die Bejahung von Rechtsfähigkeit dar. Ein realer Nutzen, den Grundrechte auch willensunfähigen Personen gewähren, liegt dort auf der Hand, wo die Grundrechte dem Staat bestimmte Verhaltensweisen gegenüber der Person des Grundrechtsträgers verbieten oder Eingriffe in Lebens- und Rechtsgüter des Grundrechtsträgers untersagen. Das Interesse Handlungsunfähiger daran, daß diese Verhaltensweisen und Eingriffe unterbleiben, ist ebenso stark und schutzwürdig wie das entsprechende Interesse Handlungsfähiger. Die Grundrechtswidrigkeit staatlichen Handelns kann bei diesen Grundrechten nicht danach differieren, ob ein handlungsfähiger oder ein handlungsunfähiger Mensch von diesem Handeln betroffen wird. Der Schutz dieser Grundrechte muß beiden - um des gleichen realen Nutzens willen - zukommen. Problematisch kann die Frage der Grundrechtsfähigkeit - vom Ansatzpunkt des realen Nutzens aus - nur dort sein, wo die Grundrechte Handlungsmög238 Vgl. z.B. Esser aaO; Raiser S. 145 ff.; ders. JZ 1961, 465, 472; Müller-Freienfels S. 147; Reuter S. 51 f.; Enneccerus-Nipperdey § 72. 239 Vgl. oben S. 103; Larenz A T § 5 Ziff. 1; Reuter aaO.
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lichkeiten schützen. Hier ist es unzweifelhaft, daß diese Grundrechte für solche Menschen von realem Nutzen sind, die im natürlichen Sinne handlungsfähig und selbstbestimmungsfähig sind. Sie können von den garantierten Handlungsmöglichkeiten selbständig und verantwortlich Gebrauch machen und sind deshalb sicherlich Träger dieser Grundrechte. Fraglich ist es indes, welchen realen Nutzen im natürlichen Sinne handlungsunfähige oder selbstbestimmungsunfähige Personen von Handlungsgrundrechten haben sollen. Welchen Nutzen bringt das Grundrecht der Versammlungsfreiheit dem Säugling in der Wiege 240 ? Er kann von diesem Recht keinerlei Gebrauch machen. Ist für einen Jugendlichen, der bezüglich einer grundrechtlich gewährten Handlungsmöglichkeit noch nicht vernünftig wertend zu entscheiden vermag, das entsprechende Handlungsgrundrecht von Nutzen? Selbständig und verantwortlich kann er von diesem Recht keinen Gebrauch machen. Es ist allerdings nicht so, daß bei allen Handlungsgrundrechten ein realer Nutzen für handlungsunfähige Menschen problematisch ist. Ein solcher Nutzen ist nämlich dort möglich, wo im grundrechtlich geschützten Raum durch ein Handeln des gesetzlichen Vertreters realer Nutzen für den Handlungsunfähigen realisiert werden kann. Dieser kann z.B. aus der in Art. 2 Abs. 1 GG garantierten Vertragsfreiheit dadurch Nutzen ziehen, daß sein gesetzlicher Vertreter in seinem Namen Verträge abschließt. Wo grundrechtlich garantierte Handlungsmacht durch rechtsgeschäftliches (wie bei Art. 2 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3, Art. 12 GG), prozessuales (wie bei Art. 19 Abs. 4, Art. 103 Abs. 1 GG) oder ähnliches Handeln (wie bei Art. 17 GG) ausgefüllt werden kann, dort ist eine Grundrechtsfähigkeit des willensunfähigen Menschen allein schon deshalb zu bejahen, weil bei diesen Grundrechten grundrechtliche Freiheit für den Willensunfähigen durch den gesetzlichen Vertreter nutzbar gemacht werden kann 2 4 1 . Problematisch sind also nur die Handlungsgrundrechte, die ausschließlich durch rein tatsächliches Handeln verwirklicht werden und deshalb nicht durch das Handeln eines Vertreters für den Handlungsunfähigen fruchtbar gemacht 240
Der Fall des „in der Wiege liegenden, versammlungsunfähigen Säuglings" wird üblicherweise bei der Frage erörtert, ob es neben der Grundrechtsfähigkeit überhaupt eine Kategorie der Grundrechtsmündigkeit gibt (Maunz-Dürig Art. 19 I I I RdNr. 13; Hohm NJW 1986, 3107, 3111, 3112; Roell S. 37 f.). Den Befürwortern einer solchen Mündigkeit, die von ihnen als eine Form der Handlungsfähigkeit begriffen wird, gilt dieser Fall als Beleg für die Notwendigkeit einer solchen Kategorie (vgl. Dürig aaO). Die Gegner einer von der Grundrechtsfähigkeit gesonderten Grundrechtsmündigkeit nehmen in diesem Fall ein faktisches Grundrechtsausübungshindernis ohne rechtliche Relevanz an (vgl. Hohm aaO). Beide Ansichten verkennen, daß - unter dem Aspekt realen Nutzens, den subjektive Rechte vermitteln sollen - bereits die Grundrechtsfähigkeit problematisch ist. 241 Hohm aaO S. 3110, 3111 ist der Ansicht, daß stellvertretende Grundrechtsausübung überhaupt nicht möglich sei, weil sie zu einer Schwächung der personalen Substanz grundrechtlicher Freiheitsverbürgungen führe. Dem ist für die oben genannten Grundrechte nicht zu folgen.
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werden können (z.B. Art. 4 Abs. 1, 5 Abs. 1, 8, 11 G G ) 2 4 2 . Man kann nicht stellvertretend für einen anderen glauben, Meinungen äußern, sich versammeln usw. Für diesen Bereich kann man auf den Gedanken kommen, daß derjenige, der die in dem Grundrecht umschriebene Tätigkeit noch gar nicht ausüben kann, auch noch nicht grundrechtsfähig sein kann. Es ist nicht ersichtlich, welchen realen Nutzen ein Säugling aus einem der zuletzt genannten Grundrechte ziehen könnte. Er selbst kann die grundrechtsgeschützte Tätigkeit nicht vornehmen. Eine Vermittlung realen Nutzens durch Vertreterhandeln ist bei diesen Tätigkeiten nicht möglich. Somit - dies wäre dann die Schlußfolgerung - kann es nicht von Schaden sein, wenn dem Handlungsunfähigen die grundrechtliche Freiheit, von der er sowieso keinen Nutzen hat, erst gar nicht zugebilligt wird. Eine solche Betrachtungsweise wird indes dem Wesen grundrechtlichen Schutzes nicht gerecht. Macht man sich diese Betrachtungsweise zu eigen, so kann man z.B. das Grundrecht der Versammlungsfreiheit auch demjenigen Erwachsenen versagen, der lebenslang an das Krankenbett gefesselt ist. Man kann dann auch auf die Idee kommen, demjenigen dieses Grundrecht vorzuenthalten, der fest entschlossen ist, von diesem Recht niemals Gebrauch zu machen. Auch für solche Menschen ist der grundrechtlich geschützte Freiheitsraum des Art. 8 GG ohne Nutzen. Eine solche Sichtweise führt zu erheblichen Gefahren für die grundrechtliche Freiheit des Bürgers. Es besteht dann nämlich die Gefahr, daß der Staat mit der Behauptung, daß eine Freiheitsbeschränkung gar nicht gegeben sei, weil die betroffene Freiheit für den Grundrechtsträger sowieso nicht von Nutzen sei, in alle Freiheitsräume des Bürgers eindringen kann, die von diesem nicht aktuell „besetzt" sind. Dieser Gefahr entgeht man nur dann, wenn man die grundrechtlich geschützten Freiheitsräume als abstrakte Bereiche eines Schutzes ansieht, der potentielles Handeln im Auge hat. „Der Abwehranspruch setzt nicht voraus, daß das Individuum die verbotene oder eingeschränkte Tätigkeit schon ausgeübt hat oder konkret ausüben will. Die Grundrechte schützen vielmehr das potentielle Handeln des Grundrechtsträgers in ihrem ganzen abstrakten Schutzbereich" 243 . Daraus folgt, daß bei den zuletzt genannten Grundrechten die Grundrechtsfähigkeit Minderjähriger nicht daran scheitert, daß sie aktuell von diesen Grundrechten noch keinen Gebrauch machen können 244 .
242 Böckenförde, Elternrecht-Recht des Kindes-Recht des Staates S. 64, bejaht auch hier die Möglichkeit einer Stellvertretung, führt aber nicht aus, wie eine solche Stellvertretung in concreto vor sich gehen soll. 243 Bleckmann S. 159; ganz ähnlich Geiger S. 11 f., 33 f. 244 Vgl. auch Dürig in Maunz-Dürig Art. 19 Abs. 3 RdNr. 13 und Leuschner S. 73, die beide - insoweit zutreffend - bei der Bestimmung der Grundrechtsfähigkeit den Aspekt des „potentiellen Dürfens" hervorheben. Im übrigen ziehen beide Autoren direkte Parallelen zu der zivilrechtlichen Rechtsfähigkeit, die verfehlt sind.
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Ergebnis: Mit der ganz überwiegenden Meinung ist eine allgemeine Grundrechtsfähigkeit Minderjähriger zu bejahen, die weder von einem Alterserfordernis, noch von natürlicher Handlungsfähigkeit oder Selbstbestimmungsfähigkeit abhängig ist. Dafür spricht schon der Wortlaut der Verfassung. Außerdem fordert die Wertentscheidung des Art. 1 Abs. 1 GG die Rechtssubjektivität eines jeden Menschen. Was den realen Nutzen angeht, so gilt: Die meisten Grundrechte sind auch für handlungsunfähige Menschen von realem Nutzen. Dies gilt für alle Grundrechte, die nicht darauf angelegt sind, durch ein Handeln des Grundrechtsträgers aktualisiert zu werden. Bei Handlungsgrundrechten ist ein realer Nutzen für handlungsunfähige Personen dann ohne weiteres möglich, wenn für sie im grundrechtlich geschützten Raum ihr Vertreter tätig werden kann. Nur bei Handlungsgrundrechten, bei denen nur der Grundrechtsträger selbst von den garantierten Freiheiten Gebrauch machen kann, ist ein realer Nutzen für Handlungsunfähige nicht ersichtlich. Nichtsdestoweniger ist auch hier eine Grundrechtsfähigkeit anzunehmen, die von aktuellem Können unabhängig ist. Eine Abhängigkeit grundrechtlicher Freiheit von einem solchen Können würde zu gefährlichen Konsequenzen für die Freiheit des Bürgers führen. bb) Das Kindesgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG als alleiniger „Gegenspieler" der elterlichen Befugnisse
Es fragt sich, ob für die interne Grundrechtsmündigkeitsproblematik alle Kindesgrundrechte von Relevanz sind. Für die Untersuchung, ob Handlungsgrundrechte des Kindes durch die Sorgerechtsregelung des BGB's verfassungswidrig eingeschränkt werden oder in dieser Regelung ihre verfassungsgemäße Schranke finden, stellt sich die Frage, ob auf der Seite des Minderjährigen ausschließlich auf das Hauptfreiheitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG abzustellen ist, das ihm Entfaltungsfreiheit garantiert, oder ob den elterlichen Entscheidungsbefugnissen aus allen Handlungsgrundrechten des Kindes Widerstände - von unterschiedlicher Stärke erwachsen können. Wäre letzteres der Fall, so wäre das elterliche Entscheidungsrecht jeweils mit dem Kindesgrundrecht zu konfrontieren, das für den Lebensbereich einschlägig ist, in dem die elterliche Entscheidung sich auswirkt. So wäre z.B. für das elterliche Verbot eines Gewerkschaftsbeitritts des Minderjährigen Art. 9 Abs. 3 GG heranzuziehen, während die Elternentscheidung, die dem Jugendlichen die Teilnahme an einer Demonstration verbietet, den Kindesgrundrechten aus Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 8 GG begegnen würde. Ein solches Heranziehen des jeweils „betroffenen" Kindesgrundrechts ist bei einigen Autoren zu finden, die dieses Vorgehen nicht weiter
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begründen 245 , während andere - ebenfalls ohne Begründung - bei der internen Grundrechtsmündigkeitsproblematik nur das Grundrecht des Minderjährigen aus Art. 2 Abs. 1 GG als „Gegenspieler" der elterlichen Entscheidungsbefugnisse ansehen 246 . Eine Begründung wird nur von Dürig 2 4 7 gegeben, der meint, daß die besonderen Grundrechtsabsicherungen und -gewichtungen gegenüber dem Staat, die bestimmten historisch akut gewordenen Gefährdungen durch den Staat begegneten, auf die ganz anders gelagerte Problematik von Elternrecht und Kindesselbstbestimmung nicht transponiert werden könnten. In der Beziehung zwischen Eltern und Kind komme es nur darauf an, ob das Kind von der letztlich in Art. 2 Abs. 1 GG statuierten Selbstbestimmung Gebrauch machen dürfe. Der Ansicht von Dürig ist zu folgen, weil sie für das Eltern-Kind-Verhältnis die richtige Schlußfolgerung aus dem Verhältnis zieht, in dem das „Muttergrundrecht" aus Art. 2 Abs. 1 GG zu den im Grundrechtskatalog nachfolgenden Einzelgrundrechten steht. Man ist sich heute zu Recht nahezu allgemein darüber einig, daß das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit der Freiheitssphäre des Individuums einen umfassenden Schutz gewähren soll, der dadurch realisiert wird, daß man als Schutzgut des Art. 2 Abs. 1 GG die allgemeine Handlungsfreiheit ansieht. Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet dem Grundrechtsträger das Recht, sein Leben aktiv so zu gestalten, wie er es will, und außerdem das Recht auf Freiheit von unberechtigten staatlichen Eingriffen 248 . Eine restriktive Auslegung des Art. 2 Abs. 1 GG, nach der diese Vorschrift nur den Kernbereich des Menschseins schützen soll 2 4 9 , hat sich zu Recht nicht durchgesetzt. Die ihr zugrundeliegende - nicht unverständliche - Sorge, daß das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in kleiner Münze ausgegeben und entwertet werde, wenn Hundesteuergesetze, Körordnungen, das Verbot von Mitfahrzentralen, Marktregelungen für Milch und ähnliches mehr zu Fragen der „freien Entfaltung der Persönlichkeit" würden 250 , vermag letztlich nicht zu überzeugen. Die heute ganz h.M., die sich außerdem auch noch auf die insoweit eindeutige Entstehungsgeschichte des Art. 2 Abs. 1 GG berufen kann 2 5 1 , erfährt ihre Rechtfertigung 245
So Perschel S. 86; Leuschner S. 77; Kittner AuR 1971, 280 ff.. So erörtert Stöcker ZRP 1974, 211 ff. - ohne Begründung - nur das Verhältnis zwischen Art. 6 Abs. 2 GG und Art. 2 Abs. 1 GG. H. Krüger FamRZ 1956, 323, 333 zieht - ohne dies zu begründen - bei ihren Beispielen für die interne Grundrechtsmündigkeitsproblematik nicht das jeweils einschlägige Einzelgrundrecht des Kindes, sondern immer dessen Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit heran. Gernhuber FamRZ 1962, 89, 91 f. prüft - ohne Erläuterung - nur, ob dem Elterngrundrecht aus dem Kindesgrundrecht gem. Art. 2 Abs. 1 GG ein Widerstand erwachsen kann. 247 In Maunz-Dürig Art. 19 Abs. 3 RdNr. 22. 248 So insbesondere die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts; vgl. etwa BVerfGE 6, 32 ff.; 9, 83, 88; 2 0 , 150, 154; 44, 59, 68 f. 249 Vgl. insbesondere Peters Festschrift S. 669 ff. 250 So Hesse § 12 I I O . 246
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daraus, daß der Katalog der speziellen Freiheitsrechte - aus der Natur der Sache heraus - lückenhaft ist, die Würde des Menschen aber einen lückenlosen grundrechtlichen Schutz menschlicher Freiheit fordert 252 . Gewährt nun aber Art. 2 Abs. 1 GG der Freiheitssphäre des Menschen einen derart umfassenden Schutz, so ist diese Vorschrift damit die „lex generalis" für die Freiheitssphäre des Bürgers 253 . Jeder Eingriff in den Schutzbereich eines der nachfolgenden Grundrechte ist denknotwendig gleichzeitig ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG. Diese nachfolgenden Grundrechte sind aber Spezialregelungen, welche die „lex generalis" des Art. 2 Abs. 1 GG verdrängen, soweit sie bestimmte Ausschnitte der allgemeinen Freiheitssphäre zum Thema haben und diesbezügliche Regelungen treffen. Daß dem so sein muß, folgt daraus, daß der Grundrechtskatalog für die verschiedenen grundrechtlichen Freiheiten keinen Generalvorbehalt 254 , sondern ein differenziertes System von Einschränkungsmöglichkeiten enthält. Das Grundgesetz stellt - von einfachen Gesetzesvorbehalten über qualifizierte Gesetzesvorbehalte von unterschiedlicher Intensität bis hin zum Fehlen von Gesetzesvorbehalten - ein sorgfältig abgestuftes Eingriffssystem zur Verfügung. Qualifizierte Gesetzesvorbehalte und das Fehlen von Gesetzesvorbehalten sind spezielle Wertungen der Verfassung, die nicht überspielt werden dürfen. Deshalb ist im Anwendungsbereich der nachfolgenden Grundrechte kein Platz für einen Rückgriff auf Art. 2 Abs. 1 GG, der über den Vorbehalt der „verfassungsmäßigen Ordnung" in weitem Umfang einschränkbar ist. Art. 2 Abs. 1 GG kann nur dann zum Zuge kommen, wenn ein Aspekt - ein Ausschnitt menschlicher Freiheit betroffen wird, der in den dem Art. 2 Abs. 1 GG nachfolgenden Grundrechten thematisch nicht „verbraucht" ist. Nur dort, wo die Freiheitssphäre unter einem Gesichtspunkt tangiert wird, für den die Verfassung keine spezielle Wertung enthält, kann auf die allgemeine Wertung des Art. 2 Abs. 1 GG rekurriert werden 255 . Betrachtet man die historische Entwicklung der Grundrechte, so ist festzustellen, daß sich die Kodifikation von Grundrechten in aller Regel als eine Reaktion auf vorangegangene Unterdrückungszustände darstellt. Bestimmten Beschränkungen der Freiheit folgten - meist nach einem erfolgreichen Kampf gegen die Mächte, von denen die Einschränkungen der Freiheit ausgingen 251 Vgl. dazu BVerfGE 6, 32, 36 ff. Zur Begründung der h.M. vgl. insbesondere Dürig in Maunz-Dürig Art. 2 RdNr. 1-11; Nipperdey in; Die Grundrechte, Bd. I V , Halbband 2 S. 742 ff. ; J. Müller S. 122 ff. 253 So schon von Mangoldt in seinem Bericht an das Plenum des Parlamentarischen Rates S. 6, 7. Im übrigen vgl. etwa BVerfGE 19, 206, 225; 23, 5 0 , 55; Dürig-MaunzDürig Art. 2 RdNr. 6, 7; Nipperdey aaO S. 761 ff.; Laufke S. 159 f. 254 Wie ihn noch der Entwurf von Herrenchiemsee zugunsten der öffentlichen Sicherheit, Sittlichkeit und Gesundheit vorgesehen hatte. Vgl. dazu von Mangoldt aaO S. 5. 255 Zum ganzen vgl. BVerfGE 19, 206, 225; 23, 5 0 , 55; Dürig in Maunz-Dürig Art. 2 RdNr. 6-9; Böckenförde S. 262. 252
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- bestimmte Freiheitsrechte. Die einzelnen Grundrechte beziehen sich - als Antworten - auf Freiheitsgefährdungen, die in bestimmten Situationen der Menschheitsgeschichte akut geworden sind 256 . Dies gilt auch für die Grundrechte des Grundgesetzes, die in hohem Maße eine Antwort auf die elementaren Freiheitsverletzungen der NS-Zeit sind 257 . Dies läßt sich mit vielen Beispielen belegen. So waren z.B. die Erfahrungen aus der Zeit vor 1945 der Anlaß dafür, die Freiheit, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert unterrichten zu können, als ein Grundrecht anzuerkennen (Art. 5 Abs. 1 GG). Es soll dem Staat nicht mehr möglich sein, das Anhören von „Feindsendern" zu verbieten 258 . Auch die unterschiedlich starken Grundrechtsabsicherungen mittels der differenzierten Vorbehalte, die den einzelnen Grundrechten beigefügt sind, sind weitgehend ein Ausfluß der Erfahrungen, die die Väter des Grundgesetzes mit dem NS-Staat gemacht hatten. Jene Freiheitsbereiche, die im Dritten Reich einer besonders intensiven Bedrohung ausgesetzt waren, sollten gegen staatliche Eingriffsmöglichkeiten besonders effektiv gesichert werden. Solche Bereiche waren ζ. B. diejenigen der Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit. „Gegenüber der tausendfachen Bedrohung gerade der Freiheit von Glauben, Gewissen und Bekenntnis im Dritten Reich sollte nun ein jedem staatlichen Zugriff entzogener Bereich natürlicher Freiheit des Individuums gewährleistet und gesichert werden. . . . Über den Vorbehalt der allgemeinen Gesetze und über Schranken wurde nur bei Absatz 2 des Artikels 4 GG gesprochen, im Hinblick auf die Gewährleistung der öffentlichen Religionsausübung, und auch hier wurde die Aufnahme einer einschränkenden Klausel schließlich abgelehnt - wiederum aus der normativen Intention gegen das Dritte Reich - , obwohl man darüber einig war, daß gewisse Einschränkungen, z.B. ein polizeiliches Prozessionsverbot wegen Seuchengefahr, zulässig bleiben sollten" 259 . Die Anerkennung spezieller Einzelfreiheiten als Reaktion auf bestimmte historische Freiheitsgefährdungen und die Normierung differenzierter Absi256 Vgl. dazu z.B. J.P. Müller S. 74 ff., der an Beispielen aus der englischen und französischen Verfassungsgeschichte darzulegen versucht, wie Grundrechte der Religionsfreiheit, der Pressefreiheit und der Wirtschaftsfreiheit in Reaktion auf Unterdrückungsmaßnahmen des absoluten Staates entstanden sind. Vgl. dazu auch Leisner S. 22 ff., der allerdings in erster Linie nicht den absoluten Staat, sondern die intermediären Mächte im absoluten Staat für die Repressionszustände verantwortlich macht. BVerfGE 6, 32, 37; „Neben der allgemeinen Handlungsfreiheit, die Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet, hat das Grundgesetz die Freiheit menschlicher Betätigung für bestimmte Lebensbereiche, die nach den geschichtlichen Erfahrungen dem Zugriff der öffentlichen Gewalt besonders ausgesetzt sind, durch besondere Grundrechtsbestimmungen geschützt 257 Vgl. dazu insbesondere von Mangoldt aaO S. 5 ff.; Böckenförde S. 262. 258 Vgl. dazu J.P. Müller S. 77. 259 Böckenförde S. 263. Zur Entstehungsgeschichte des Art. 4 GG vgl. DoemmingFüsslein-Matz JöR 1951 NF 1 S. 74, 75.
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cherungen, weil im Lauf der Geschichte verschiedene Freiheiten unterschiedlich intensiv bedroht worden sind: all dies hat mit der Eltern-Kind-Beziehung nichts zu tun. Herrschaft von Eltern über Kinder weist ζ. B. keinen - wie auch immer gearteten - Bezug zu der Herrschaft der NS-Gewalthaber auf. Die historisch akut gewordenen Gefährdungen menschlicher Freiheit, die zu speziellen Freiheitsrechten mit spezifischen Absicherungen geführt haben, haben keine Parallele in der Eltern-Kind-Beziehung. Deshalb können die speziellen Freiheitswertungen der Verfassung in dieser Beziehung nicht zur Anwendung kommen. Für diese Wertungen waren Umstände maßgebend, die ohne Relevanz für die Frage sind, wie elterliche Befugnisse und grundrechtliche Freiheit des Kindes sich zueinander verhalten. Wenn die grundrechtliche Freiheit des Kindes in der Binnenbeziehung zu den Eltern eine Rolle spielt, dann kann sie dies nur unter dem Aspekt der allgemeinen - in Art. 2 Abs. 1 GG garantierten - Entfaltungsfreiheit tun. Die speziellen Freiheitsrechte des Kindes sind für die interne Grundrechtsmündigkeitsproblematik ohne Belang. Nur dieses Ergebnis wird dem „materiellen" Konflikt zwischen Eltern und Kind gerecht. In der Sache findet nämlich immer ein Konflikt zwischen dem Selbstbestimmungswillen des Kindes und dem Erziehungswillen der Eltern statt, für den es ein akzidenteller Umstand ist, welches grundrechtlich geschützte Interesse der Jugendliche gegen den Willen seiner Eltern verfolgen will. Verbieten ζ. B. die Eltern aus pädagogischen Gründen dem Kind das Anhören bestimmter Radiosendungen und wendet sich das Kind gegen dieses Verbot, so ist in Wirklichkeit zwischen Eltern und Kind nicht das durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG grundrechtlich geschützte Interesse „streitbefangen". Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG schützt die Informationsfreiheit um der Persönlichkeitsentfaltung des Grundrechtsträgers und um des demokratischen Prinzips willen. Persönlichkeitsentfaltung setzt die Möglichkeit der Unterrichtung aus vielen Quellen voraus. Das demokratische Prinzip kann nur auf der Grundlage einer gut informierten öffentlichen Meinung funktionieren. Im Normalfall des pädagogisch begründeten Verbots wenden sich nun aber die Eltern - anders als der totalitäre Staat, der das Anhören von „Feindsendern" untersagt - gar nicht dagegen, daß diese hinter Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG stehende Zwecke realisiert werden. Der totalitäre Staat verhindert die freie Information, weil er der Persönlichkeitsentfaltung seiner Bürger und dem demokratischen Prinzip feindlich gegenübersteht. Davon kann bei einem pädagogisch motivierten Verbot der Eltern keine Rede sein. Die Eltern sind in diesem Fall weder der Persönlichkeitsentfaltung durch Information, noch der Demokratie feindlich gesonnen. Sie sind nur der Meinung, daß ihr Kind in dem Stadium, in dem es sich befindet, im Interesse seines objektiven Wohls einen bestimmten - von ihm gewünschten - Gebrauch eines bestimmten Informationsmittels unterlassen soll. Der „Angriff" der Eltern gilt nicht der Informationsfreiheit als sol-
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eher. Die Eltern bestreiten nicht den Nutzen der Informationsfreiheit, sondern sie bestreiten die Fähigkeit ihres Kindes, von dieser Freiheit in freier Selbstbestimmung - selbständig - einen sinnvollen Gebrauch machen zu können. Dementsprechend wird das Kind in diesem Konflikt nicht auf die - von den Eltern nicht in Zweifel gezogenen - Zwecke des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG, sondern vielmehr auf seine Selbstbestimmungsfähigkeit rekurrieren. Das Kind wird darauf verweisen, daß es einsichtsfähig genug sei, um selbst zu entscheiden, ob es durch das Anhören bestimmter Radiosendungen Schaden erleide. Zwischen Eltern und Kind wird also darum gestritten, ob die Entscheidungsbefugnis, welcher Gebrauch von der Informationsfreiheit gemacht werden soll, bei den Eltern oder beim Kind liegt. Für diesen Konflikt ist es ein akzidenteller Umstand, daß er sich an der Frage der Informationsfreiheit entzündet. In anderen Lebensbereichen, die durch andere Grundrechte geschützt werden, ist ein solcher Konflikt, in dem um die Entscheidungsbefugnis gestritten wird, ebensogut möglich. Die Konfliktlage stellt sich dort nicht anders dar. Immer steht den Eltern, die - unter Berufung auf das objektive Kindeswohl einen grundrechtlich geschützten Freiheitsgebrauch des Kindes untersagen, der Heranwachsende gegenüber, der - unter Berufung auf seine Autonomiefähigkeit - eben diesen Freiheitsgebrauch wünscht. Sind nun aber die verschiedenen - durch spezielle Freiheitsrechte geschützten - Lebensbereiche für den zur Lösung anstehenden - immer gleichen - Autonomiekonflikt nur akzidentelle Umstände, so kann es für die Lösung der Problematik nicht auf die speziellen Freiheitsrechte, sondern nur auf die Selbstbestimmungsgarantie des Art. 2 Abs. 1 GG ankommen. Ergebnis: Im Innenverhältnis zu den Eltern kann nur das Kindesgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG zum „Gegenspieler" der elterlichen Befugnisse werden. Die interne Grundrechtsmündigkeitsproblematik läßt sich somit dahingehend präzisieren, daß danach zu fragen ist, ob die grundrechtliche Handlungsmacht des Kindes aus Art. 2 Abs. 1 GG durch die Sorgerechtsregelung des BGB's verfassungswidrig eingeschränkt wird oder in dieser Regelung ihre verfassungsgemäße Schranke findet. cc) Probleme können sich nur bezüglich der Rechtsstellung des selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden ergeben
Wie bereits erwähnt (vgl. S. 103), bedürfen selbstbestimmungsunfähige Menschen nicht der Freiheit, sondern der bevormundenden Fürsorge. Art. 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 GG fordern nicht Selbstbestimmung, sondern Fremdbestimmung, wenn Kinder noch unfähig sind, Vor- und Nachteile verschiedener Handlungsweisen vernünftig wertend gegeneinander abzuwägen, aufgrund solcher Abwägungen Entscheidungen zu treffen und dann dementsprechend zu handeln. Würde der Staat es hier nicht gewährleisten, daß durch fürsorgerische 8 Reinicke
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Bevormundung dafür gesorgt wird, daß das Defizit an Einsichts- und Handlungsfähigkeit dem selbstbestimmungsunfähigen Minderjährigen nicht zum Nachteil gereicht, so würde der Staat seiner Schutzpflicht gegenüber der Würde dieses Minderjährigen (Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG) nicht Genüge tun und diesen minderjährigen Grundrechtsträger im Vergleich zu erwachsenen Grundrechtsträgern verfassungswidrig diskriminieren (Art. 3 Abs. 1 GG). Die sich aus der Sorgerechtsregelung des BGB's ergebenden elterlichen Entscheidungsbefugnisse sind somit in bezug auf selbstbestimmungsunfähige Kinder verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Frage, ob das Selbstbestimmungsrecht des Kindes aus Art. 2 Abs. 1 GG durch die Regelung des BGB's verfassungswidrig eingeschränkt wird, stellt sich also nur für Heranwachsende, die zwar schon konkret selbstbestimmungsfähig, aber noch nicht volljährig sind. Für das selbstbestimmungsunfähige Kind spielt es keine Rolle, ob und ggfs. wie das Kindesgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in der privatrechtlichen Binnenbeziehung zwischen Eltern und Kind wirkt. Selbst wenn das Kindesgrundrecht gegenüber den Eltern unmittelbar wirken würde, so wären deren einfachrechtliche Entscheidungsbefugnisse durch Art. 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich legitimiert. Ob diese Befugnisse einer - unmittelbaren oder mittelbaren - Wirkung des Kindesgrundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG ausgesetzt sind, kann nur für das selbstbestimmungsfähige Kind von Belang sein. Der Würdeanspruch des selbstbestimmungsfähigen Menschen ist nämlich nicht auf Fürsorge nach heteronomen Maßstäben, sondern auf die Gewährung von Autonomie gerichtet. Wird einem selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden, der wie ein normaler Erwachsener sein Tun vernünftig wertend zu bestimmen vermag, Autonomie vorenthalten, so bedarf dies in Anbetracht des Kindesgrundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG einer Begründung, wobei diese Begründung die Frage nach der Wirkung des Kindesgrundrechts im privatrechtlichen Binnenraum der Familie nicht mit einem Hinweis auf Art. 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 GG offenlassen kann. Es fragt sich indes, ob die zu entscheidende Frage, die dahin geht, ob das Grundrecht des selbstbestimmungsfähigen Kindes aus Art. 2 Abs. 1 GG durch die einfachrechtliche Sorgerechtsregelung verfassungswidrig eingeschränkt wird, es wirklich verlangt, daß die Wirkungsweise der Grundrechte im ElternKind-Verhältnis geklärt wird. dd) Irrelevanz der Frage nach der Wirkungsweise der Grundrechte im Eltern-Kind-Verhältnis für die Lösung der internen Grundrechtsmündigkeitsproblematik?
Wie bereits dargestellt (vgl. S. 92), gibt es Ansichten, die einerseits davon ausgehen, daß die Grundrechte zwischen Eltern und Kind unmittelbar wirken, andererseits aber keine Zweifel daran haben, daß die Sorgerechtsregelung des BGB's wegen Art. 6 Abs. 2 GG verfassungsgemäß ist 2 6 0 . Diese Ansichten
5. Die interne Grundrechtsmündigkeitsproblematik
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basieren - ungeachtet konstruktiver Unterschiede in Einzelheiten - darauf, daß sie zunächst einen unbedingten Vorrang des Art. 6 Abs. 2 GG gegenüber Art. 2 Abs. 1 GG postulieren und dann die Elternbefugnisse des BGB's kurzerhand mit dem grundrechtlich gewährleisteten Elternrecht (Art. 6 Abs. 2 GG) identifizieren. Wäre dem - auf der Grundlage einer einmal unterstellten unmittelbaren Grundrechtswirkung - zuzustimmen, so könnte für die Lösung der internen Grundrechtsmündigkeitsproblematik die Frage unbeantwortet bleiben, ob und wie das Kindesgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG im Verhältnis zu den Eltern gilt. Es ist gleichgültig, ob die Elternbefugnisse deswegen Bestand haben, weil sie einer Wirkung dieses Rechts nicht ausgesetzt sind, oder deswegen nicht zu beanstanden sind, weil sie durch Art. 6 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich gewährleistet sind. Die letztere Aussage ist indes nicht zutreffend. Sie beschreibt den Umfang des verfassungsrechtlich garantierten Elternrechts nicht richtig. Das Elternrecht knüpft an die vom Staat vorgefundene „natürliche" Tatsache an, daß in der Gesellschaft für die Erziehung und Pflege von Kindern ein privates und funktionsfähiges Handlungssystem vorhanden ist, das darauf beruht, „daß diejenigen, die einem Kinde das Leben geben, von Natur aus bereit und berufen sind, die Verantwortung für seine Pflege und Erziehung zu übernehmen" 261 . Die Eltern, die ihrem Kind prinzipiell mit Verständnis und Liebe begegnen, sind die geborenen Sachwalter der Kindesinteressen, bei denen das Kindeswohl grundsätzlich besser aufgehoben ist als bei der Fürsorge des Staates. In Konsequenz dieses natürlichen Befundes ordnet Art. 6 Abs. 2 GG für den Bereich der Pflege und Erziehung von Kindern den Vorrang der Eltern vor dem Staat an. In diesem Bereich ist es primär („zuvörderst") die Sache der Eltern und nicht diejenige des Staates, in den Kindesangelegenheiten tätig zu werden 262 . Demzufolge stellt Art. 6 Abs. 2 GG zunächst 260 V g l . F n . 2 0 3 .
261 BVerfGE 24, 119, 150; vgl. weiterhin BVerfGE 59, 360, 376; 6 0 , 79, 88; Erichsen S. 28; Böckenförde S. 54; Ossenbühl S. 46; Schmitt-Kammler S. 15. 262 Selbstverständlich steht es - was aber im Rahmen dieser Untersuchung nicht von Interesse ist - jedermann frei, diese Entscheidung der Verfassung rechtspolitisch als falsche Entscheidung anzusehen. So war ζ. B. der Bundeskongreß der Jungsozialisten von 1972 (vgl. die Nachweise bei W. Becker S. 37 ff.) der Ansicht, daß eine Fixierung der Kinder an das Elternhaus - schon für Kinder ab dem 2. Lebensjahr - aufgehoben werden müsse. Dies sei die Voraussetzung dafür, daß die Kinder später aktiv an der Veränderung der Gesellschaft im Sinne einer Demokratisierung mitarbeiten könnten. Schon die Erziehung im Kindergarten müsse herrschaftsfrei und auf eine kritische Haltung des Kindes ausgerichtet sein. Deshalb müßten ζ. B. auch staatliche Vorschulen an die Stelle konfessioneller Kindergärten treten. Solche Vorstellungen können ausschließlich rechtspolitisch - auf der Ebene der Verfassungsänderung - diskutiert werden. Sie widersprechen nämlich sämtlich dem - Art. 6 Abs. 2 GG - grundrechtlich abgesicherten Elternrecht. Rechtspolitisch sind diese Vorstellungen ebenfalls abzulehnen. Sie dienen nicht dem Wohl des Kindes. In der Psychologie ist es unstreitig, daß die Identifikation des Kindes *
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II. Prozeßführung und das Problem der Grundrechtsmündigkeit
einmal ein klassisches Grundrecht des „status negativus" - ein Abwehrrecht der Eltern gegen den Staat - dar 2 6 3 . Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG schützt einen staatsfreien Raum, in dem ausschließlich die Eltern das Sagen haben. Diese Aussage für das Eltern-Staat-Verhältnis ist auch für das Eltern-KindVerhältnis von Bedeutung. Pflege und Erziehung von Kindern durch die Eltern sind ohne elterliche Entscheidungsmacht in den Kindesangelegenheiten nicht möglich. Sind von Verfassungs wegen die Eltern für die Pflege und die Erziehung der Kinder zuständig, so ist damit der Verfassung denknotwendig die Aussage zu entnehmen, daß die Eltern in den Kindesangelegenheiten ein Bestimmungsrecht gegenüber den Kindern haben 264 . Garantiert die Verfassung in Art. 6 Abs. 2 GG den Eltern bezüglich der Pflege und der Erziehung ihrer Kinder einen staatsfreien Raum, so bedeutet dies zwangsläufig, daß durch Art. 6 Abs. 2 GG den Eltern im Verhältnis zu den Kindern Entscheidungsbefugnisse garantiert werden, die nicht zur Disposition des Staates stehen. In die durch Art. 6 Abs. 2 GG den Eltern gewährleisteten Befugnisse darf der Staat in keiner Form eingreifen. Insoweit ist es dem Staat nicht nur verboten, sich selbst Entscheidungskompetenzen anzumaßen, sondern auch untersagt, Entscheidungskompetenzen von den Eltern auf die Kinder zu verlagern 265 . Könnte nämlich der einfache Gesetzgeber, ohne damit das Elterngrundrecht zu verletzen, elterliche Entscheidungsbefugnisse dadurch beliebig minimieren, daß er in beliebigem Umfang eine eigene Entscheidungsgewalt der Kinder begründen könnte, so könnte keine Rede davon sein, daß den Eltern ein staatsfreier Raum grundrechtlich garantiert wird. Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung des Staates haben das grundrechtlich garantierte Entscheidungsrecht der Eltern in Kindesangelegenheiten in der Weise zu respektieren, daß sie es nicht beeinträchtigen und auch nicht seitens der Entscheidungsunterworfenen beeinträchtigen lassen 266 . mit den Eltern als ständigen Bezugspersonen für die Grundorientierung des Kindes von hohem Nutzen ist. Außerdem kann die Aufgabe des freiheitlichen Staates nur darin bestehen, Bedingungen dafür zu schaffen, daß aus unmündigen Kindern eigenverantwortliche Persönlichkeiten werden können. Darüber hinausgehende inhaltliche Erziehungsziele - Erziehung der Kinder zu einer kritischen Haltung, die der Veränderung der Gesellschaft im Sinne der Demokratisierung dienen soll - kann der freiheitliche Staat den Eltern nicht aufoktroyieren. Das oben geschilderte Erziehungskonzept ist letztlich ein Ausfluß totalitären Denkens. Zum ganzen vgl. auch die zutreffenden Ausführungen von W. Becker S. 37-41; vgl. auch Erichsen S. 29, 3 0 . 263 Vgl. etwa BVerfGE 24, 119, 138; Gernhuber § 5 I V 1; Hesse § 12 I V ; Maunz in Maunz-Dürig Art. 6 RdNr. 25e; E.M. von Münch in von Münch Art. 6 RdNr. 15; MünchKomm-Rebmann Einleitung zum Familienrecht RdNr. 35; Erichsen S. 3 0 ; Bökkenförde S. 59. 264 So zutreffend Maunz in Maunz-Dürig Art. 6 RdNr. 25e und Dürig in MaunzDürig Art. 19 Abs. 3 RdNr. 2 0 ; Erichsen S. 32; Böckenförde S. 54, 6 0 . 265 Abwegig AK-Münder vor §§ 1626 ff. RdNr. 14, wonach Entscheidungen des Staates für vom Kind vertretene Positionen nicht am Elternrecht zu messen sind. 266 Zutreffend Dürig in Maunz-Dürig Art. 19 Abs. 3 RdNr. 2 0 .
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Grundrechtsmündigkeitsproblematik
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Die zuletzt angestellten Überlegungen haben mit der Problematik einer Drittwirkung der Grundrechte nichts zu tun. Der grundrechtliche Abwehranspruch aus Art. 6 Abs. 2 GG weist die Besonderheit auf, daß er in der Staatsrichtung Befugnisse schützt, die privatrechtliche Befugnisse der Eltern gegenüber den Kindern sind. Deshalb unterliegt es keinem Zweifel, daß staatliche Regelungen, die privatrechtliche Entscheidungsbefugnisse im Eltern-KindVerhältnis verteilen, unmittelbar an Art. 6 Abs. 2 GG zu messen sind. Dabei kann dann aber eine Regelung nur unter dem Aspekt verfassungswidrig sein, daß sie den Eltern weniger Entscheidungsmacht gewährt als ihnen durch Art. 6 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich garantiert wird. Räumen Regelungen des einfachen Rechts den Eltern mehr Befugnisse ein als ihnen verfassungsrechtlich gewährleistet sind, so verstößt dies selbstverständlich nicht gegen Art. 6 Abs. 2 GG. Im Bereich der verfassungsrechtlichen Garantie des Art. 6 Abs. 2 GG - also im Bereich der Befugnisse, die den Eltern ohne Verletzung des Art. 6 Abs. 2 GG nicht entzogen werden können - kann eine verfassungswidrige Einschränkung des Kindesgrundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG nicht zur Debatte stehen. Selbst wenn das Kindesgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG im privatrechtlichen Binnenraum der Familie gegenüber den Eltern wirkt, so ändert dies nichts daran, daß Art. 6 Abs. 2 GG eine spezielle Aussage der Verfassung zu den Elternbefugnissen gegenüber Kindern enthält. Was Art. 6 Abs. 2 GG den Eltern garantiert, das kann nicht gleichzeitig eine verfassungswidrige Beeinträchtigung eines Kindesgrundrechts sein. Wie jedes andere Gesetz, so ist auch die Verfassung in der Weise auszulegen, daß sie keine Wertungswidersprüche enthält. Es wäre aber ein eklatanter Wertungswiderspruch, auf der einen Seite bestimmte Elternbefugnisse gegenüber dem Kind durch das Elterngrundrecht zu gewährleisten, auf der anderen Seite aber eben diese Befugnisse als verfassungswidrige Einschränkung des Kindesgrundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG zu werten. Die Forderung des Kindes nach verfassungsgemäßer Behandlung ließe sich dann nur durch einen verfassungswidrigen Eingriff in das Elterngrundrecht realisieren. Eine Verfassungsinterpretation, die solche Wertungswidersprüche vermeidet, kann nur dahin gehen, daß - wegen der speziellen Regelung des Art. 6 Abs. 2 GG - elterliche Befugnisse, die durch das Elterngrundrecht garantiert werden, eine verfassungsgemäße Schranke des Kindesgrundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG darstellen. Damit ist aber noch nicht die Frage beantwortet, was bezüglich einfachrechtlicher Regelungen gilt, die den Eltern eine über die Garantie des Art. 6 Abs. 2 GG hinausgehende Rechtsmacht verleihen und damit natürlich nicht gegen Art. 6 Abs. 2 GG verstoßen. Für diese „überschießenden" Elternbefugnisse und ihr Verhältnis zu dem Kindesgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG ist die Regelung des Art. 6 Abs. 2 GG ohne Belang. Elterliche Befugnisse, die nicht den Schutz des Grundrechts aus Art. 6 Abs. 2 GG im Rücken haben, können,
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II. Prozeßführung und das Problem der Grundrechtsmündigkeit
wenn sie verfassungsgemäß sind, jederzeit - ohne Verletzung des Elterngrundrechts - durch einfaches Gesetz beseitigt werden. Eine Verfassungswidrigkeit solcher Befugnisse wegen Verstoßes gegen das Kindesgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG wäre - im Gegensatz zur Verfassungswidrigkeit von Befugnissen, die durch Art. 6 Abs. 2 GG garantiert werden - kein Wertungswiderspruch zu Art. 6 Abs. 2 GG. Fragt man danach, wie sich das Kindesgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG zu den „überschießenden" Elternbefugnissen verhält, so stellt man eine Frage, die mit dem Problemkreis der Drittwirkung der Grundrechte verknüpft ist. Art. 2 Abs. 1 GG weist nämlich - im Gegensatz zu Art. 6 Abs. 2 GG - keinen unmittelbaren Bezug zu der privatrechtlichen Beziehung zwischen Eltern und Kind auf. Es ist somit zu differenzieren zwischen elterlichen Befugnissen, die durch Art. 6 Abs. 2 GG garantiert werden, was denknotwendig eine verfassungswidrige Einschränkung des Kindesgrundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG ausschließt, und elterlichen Befugnissen, die mehr Entscheidungsmacht umfassen als Art. 6 Abs. 2 GG garantiert und die damit zwar nicht gegen Art. 6 Abs. 2 GG, wohl aber möglicherweise gegen das Kindesgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG verstoßen können. Die o.a. Meinungen 267 begehen den Fehler, daß sie - mehr oder weniger unreflektiert - die Rechtsmacht, welche das BGB den Eltern gewährt, mit der Rechtsmacht gleichsetzen, welche durch Art. 6 Abs. 2 GG den Eltern grundrechtlich garantiert wird. Der Umstand, daß die Sorgerechtsregelung des BGB's sicherlich nicht gegen Art. 6 Abs. 2 GG verstößt, verführt zu einer Identifikation von bürgerlichrechtlichem Sorgerecht und verfassungsrechtlich garantierten Elternbefugnissen 268. Wäre diese Identifikation zutreffend, so brauchte die Frage nach einer verfassungswidrigen Einschränkung des Kindesgrundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG in der Tat nicht weiter erörtert zu werden. Eine solche Identifikation ist indes verfehlt. Wer für eine Identität von bürgerlichrechtlichem Sorgerecht und grundrechtlich geschütztem Elternrecht plädiert, also die Elternbefugnisse des BGB's in ihrer Gesamtheit durch Art. 6 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich garantieren will, der muß zuerst die Frage beantworten, welche der Sorgerechtsregelungen des BGB's (etwa die von 1 9 0 0 oder die vom Verfassungsgeber vorgefundene oder die nach dem Gleichberechtigungsgesetz oder die nach dem Sorgerechtsgesetz) denn nun diejenige sein soll, welche durch das Elterngrundrecht garantiert wird. Auf keinen Fall kann es die jeweils geltende Regelung des BGB's sein, da Art. 6 Abs. 2 GG nicht nach Maßgabe der einfachen Gesetze gilt, sondern vielmehr die einfachen Gesetze an Art. 6 Abs. 2 267
Vgl. Fn. 203. Eine solche Identifikation findet sich z.B. auch noch bei Beitzke § 26 I I 1; RGRK-Scheffler vor § 1626 Anm. 7; Maunz in der 4. Auflage von Maunz-Dürig Art. 6 RdNr. 25, in der 5. Auflage aufgegeben. 268
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Grundrechtsmündigkeitsproblematik119
GG zu messen sind. Berücksichtigt man dies, so kann für eine „Identitätslösung" nur diejenige Sorgerechtsregelung in Betracht kommen, die der Verfassungsgeber bei der Schaffung des Grundgesetzes im BGB vorgefunden hat 2 6 9 . Es kann indes nicht angenommen werden, daß die Väter des Grundgesetzes die von ihnen vorgefundene Sorgerechtsregelung petrifizieren wollten 2 7 0 und - ohne Rücksicht auf mögliche Wandlungen der Gesellschaft und die Möglichkeit neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse - von Verfassungs wegen den Eltern die überwiegend aus der Kaiserzeit stammenden Befugnisse garantieren wollten. Von einer solchen Versteinerung elterlicher Entscheidungsrechte, die der rechtspolitischen Forderung widersprechen würde, daß familienrechtliche Regelungen gegenüber gesellschaftlichem Wandel und gegenüber neuen Erkenntnissen der Erfahrungswissenschaften offen sein müssen, ist man in der Folgezeit auch nicht ausgegangen, wenn Fragen des elterlichen Sorgerechts diskutiert wurden. Zwar ist in solchen Diskussionen häufig das Argument verwendet worden, daß geplante Neuerungen verfassungswidrig seien, weil sie gegen das Elterngrundrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG verstoßen würden. Es ist aber niemals behauptet worden, daß Neuregelungen allein schon deshalb verfassungswidrig seien, weil durch Art. 6 Abs. 2 GG alle Elternbefugnisse, die sich zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Grundgesetzes aus dem BGB herleiten ließen, verfassungsrechtlich festgeschrieben worden seien. Wäre eine solche Festschreibung durch das Grundgesetz erfolgt, so wäre es z.B. unzweifelhaft, daß sowohl die Beseitigung des Verschuldenserfordernisses in § 1666 BGB, als auch die Herabsetzung des Volljährigkeitsalters verfassungswidrig wären. In beiden Fällen ist nachkonstitutionell elterliche Entscheidungsmacht gegenüber demjenigen Umfang eingeschränkt worden, den sie bei der Verabschiedung der Verfassung hatte. Nun kann man zwar ernsthaft darüber diskutieren, ob diese Neuregelungen dem Elterngrundrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG standhalten. In einer solchen ernsthaften Diskussion ist aber kein Raum für die Erwägung, daß der Verfassungsgeber den Eltern die Entscheidungsrechte gewährleisten wollte, die sich im Jahre 1949 aus den Regelungen des einfachen Rechts ergaben. Es ist somit davon auszugehen, daß dem Art. 6 Abs. 2 GG nicht die Intention zugrundeliegt, eine bestimmte Regelung des bürgerlichrechtlichen Sorgerechts von Verfassungs wegen vorzuschreiben. Art. 6 Abs. 2 GG kann vielmehr nur die Funktion haben, einen Kernbereich des Elternvorrangs grundrechtlich abzusichern 271. 269 So zutreffend MünchKomm-Hinz § 1626 RdNr. 11. Eine solche Identität wurde wohl von Klein vertreten, der einerseits das Elternrecht auch als Einrichtungsgarantie einordnete und andererseits in bezug auf Einrichtungsgarantien der Ansicht war, daß alle bis zum Inkrafttreten des Grundgesetzes ergangenen niederrangigen Rechtssätze Inhalt der auf sie bezogenen Einrichtungsgarantien seien; von Mangoldt-Klein Art. 6 Anm. 2 a und Vorbem. A I I 4 e. 270 Zutreffend Gernhuber § 5 I V 3; MünchKomm-Hinz aaO.
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II. Prozeßführung und das Problem der Grundrechtsmündigkeit
Dies bedeutet, daß der Umfang elterlicher Befugnisse, der sich aus der heutigen Fassung des Sorgerechts im BGB ergibt, nur dann durch Art. 6 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich gewährleistet ist, wenn er - zufällig - den Kernbereich des Elternvorranges bei Pflege und Erziehung der Kinder genau umschreibt. Davon kann indes nicht die Rede sein. Die Sorgerechtsregelung des BGB's geht dahin, daß die Eltern ihre noch nicht 18jährigen Kinder unabhängig davon, inwieweit diese schon selbstbestimmungsfähig sind - bis zu der Grenze hin bevormunden können, an der ein nicht unerheblicher Schaden für das Kindeswohl droht. Wenn heute in einigen Bereichen - man denke an das Beispiel der Operationseinwilligung Minderjähriger - zugunsten der Autonomie des Minderjährigen anders entschieden wird, so läßt sich dies wie dargelegt (vgl. S. 28f.) - nicht aus der Regelung des BGB's herleiten. Dies kann nur aus der Verfassung folgen. Da deren Verhältnis zu dem Sorgerecht des BGB's hier aber den Gegenstand der Prüfung bildet, kann hier nur die „reine" - von der Verfassung noch nicht beeinflußte - BGB-Lösung zugrundegelegt werden. Die „reine" BGB-Lösung geht aber immer noch - § 1626 Abs. 2 BGB hat als prozedurale Norm daran nichts geändert - dahin, daß das Entscheidungsrecht der Eltern seine Grenze erst am Schädigungsverbot findet. Daß indes ein Recht dann keine Befugnis mehr verleiht, wenn es zur Schädigung anderer eingesetzt wird, ist eine Selbstverständlichkeit, die für alle subjektiven Rechte gilt. Deshalb kann auch nicht angenommen werden, daß Art. 6 Abs. 2 GG den Eltern unterhalb der „Schädigungsschwelle" eine unantastbare Entscheidungsmacht garantieren und staatliche Regelungen verbieten will, die den Autonomieinteressen des Minderjährigen im Vergleich zur Sorgerechtsregelung des BGB's eine größere Bedeutung zukommen lassen. So eingeschränkter Natur kann die Regelungskompetenz des Staates nicht sein. Schon in dem Wort „zuvörderst" in Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG kommt zum Ausdruck, daß prinzipiell auch der Staat in bezug auf die Pflege und Erziehung von Kindern eine Funktion hat 2 7 2 . Außerdem hat gem. Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG die staatliche Gemeinschaft über die Betätigung der Eltern zu wachen. Mit diesen beiden Aussagen kann nicht gemeint sein, daß der Staat von Verfassungs wegen dazu verpflichtet ist, die Eltern nach ihrem Belieben frei schalten und walten zu lassen, solange sie es nur unterlassen, dem Wohl des Kindes Schaden zuzufügen. Würde man dies anders sehen, so würde Art. 6 Abs. 2 GG bezüglich der Funktion des Staates nur die Banalität zum Ausdrück bringen, daß eine Eingriffskompetenz des Staates besteht, wenn die Eltern ihre Kinder schädigen273. Dies unterliegt aber schon unabhängig von Art. 6 Abs. 2 271
Im großen und ganzen ebenso Gernhuber § 5 I V 3; Engler FamRZ 1969, 63 f.; Schwoerer FamRZ 1969, 367 f.; Staudinger-Donau vor § 1626 RdNr. 8; MünchKommHinz § 1626 RdNr. 11; Maunz in Maunz-Dürig Art. 6 RdNr. 24 b; E.M. von Münch in von Münch Art. 6 RdNr. 15 a. 272 Vgl. dazu auch BVerfGE 24, 119, 135, 136; Leibholz-Rinck Art. 6 RdNr. 6; Erichsen S. 50. 273 Vgl. dazu auch Maunz in Maunz-Dürig Art. 6 RdNr. 26 d.
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Grundrechtsmündigkeitsproblematik121
S. 2 GG keinem Zweifel. Wegen seiner aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG folgenden Pflicht, für den Schutz Unmündiger zu sorgen, ist der Staat nicht nur berechtigt, sondern sogar dazu verpflichtet, von Amts wegen Maßnahmen zu ergreifen, wenn Eltern ihr Sorgerecht so ausüben, daß das Kind zu Schaden kommt 2 7 4 . Daß der Staat von Amts wegen handeln muß, wenn dem Kind ein Schaden droht, ist eine Selbstverständlichkeit, auf die sich die Regelungskompetenz des Staates nicht beschränken kann. Dem Art. 6 Abs. 2 GG kann nicht die Aussage entnommen werden, daß es dem Staat von Verfassungs wegen untersagt ist, die Autonomieinteressen Minderjähriger in einem weitergehenden Umfang zu berücksichtigen als es die Sorgerechtsregelung des BGB's tut. Schließlich ist das elterliche Erziehungsrecht, das die Fähigkeit des Kindes zur Selbstbestimmung und Selbstverantwortung herbeizuführen hat, darauf angelegt, sich selbst überflüssig zu machen: „es muß seinem Wesen und Zweck nach zurücktreten, wenn das Kind ein Alter erreicht, in dem es eine genügende Reife zur selbständigen Beurteilung der Lebensverhältnisse und zum eigenverantwortlichen Auftreten im Rechtsverkehr erlangt hat" 2 7 5 . Der Kernbereich des Elternvorrangs, den Art. 6 Abs. 2 GG garantieren will, läßt sich somit nicht dahingehend definieren, daß Eltern auch gegenüber autonomiefähigen Kindern eine Entscheidungsmacht haben müssen, die nur durch das Schädigungsverbot begrenzt wird. Die Sorgerechtsregelung des BGB's verleiht den Eltern aber eine solche Rechtsmacht. Es kann somit festgestellt werden, daß die elterlichen Befugnisse, die aus der Sorgerechtsregelung des BGB's fließen, nicht in ihrer Gesamtheit durch Art. 6 Abs. 2 GG garantiert werden. Es gibt vielmehr Elternbefugnisse, die durch Art. 6 Abs. 2 GG gewährleistet sind, als auch solche Befugnisse, bei denen dies nicht der Fall ist. Bezüglich der ersten Befugnisse kommt eine Verletzung des Kindesgrundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG nicht in Betracht, weil eine von der Verfassung garantierte Befugnis der Eltern, über das Kind zu bestimmen, nicht gleichzeitig ein verfassungswidriger Eingriff in die Entfaltungsfreiheit des Kindes sein kann. Was die übrigen Elternbefugnisse angeht, die nicht der Gewährleistung des Art. 6 Abs. 2 GG unterfallen, so kann eine verfassungswidrige Beeinträchtigung des Kindesgrundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Einfachrechtliche Elternbefugnisse, die nicht durch Art. 6 Abs. 2 GG grundrechtlich abgesichert sind, können - ohne daß dies ein Wertungswiderspruch wäre - die Entfaltungsfreiheit des Kindes verfassungswidrig einschränken. Die Frage nach der Wirkungsweise der Grundrechte in der privatrechtlichen Eltern-Kind-Beziehung kann also nicht mit der Begründung offengelassen werden, daß eine Verletzung des Kindesgrundrechts aus Art. 2 274
Vgl. dazu auch BVerfGE 24, 119, 144. BVerfGE 59, 360, 387; im übrigen vgl. Böckenförde S. 54; Ossenbühl S. 58; Erichsen S. 35. 275
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II. Prozeßführung und das Problem der Grundrechtsmündigkeit
Abs. 1 GG spätestens an Art. 6 Abs. 2 GG scheitere. Dies wäre nur dann möglich gewesen, wenn - was aber nicht der Fall ist - Elternbefugnisse nach dem BGB und grundrechtlich garantierte Elternmacht (Art. 6 Abs. 2 GG) deckungsgleiche Größen wären. Daraus, daß insoweit keine Kongruenz gegeben ist, ergibt sich die Notwendigkeit, der internen Grundrechtsmündigkeitsproblematik weiter nachzugehen. Eine verfassungswidrige Einschränkung des Kindesgrundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG durch elterliche Entscheidungsrechte, die nicht durch Art. 6 Abs. 2 GG gewährleistet sind, kann allerdings nur dann vorliegen, wenn das Kindesgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG für das privatrechtliche Eltern-KindVerhältnis von Relevanz ist. A n dieser Stelle der Untersuchung ist es nun aber nicht mehr zweckmäßig, die Frage nach der Wirkungsweise des Kindesgrundrechts weiter offenzuhalten. Zum Nachweis dessen, daß es auf diese Grundrechtswirkung nicht ankommt, wäre folgendes erforderlich: Zunächst müßten die elterlichen Befugnisse ermittelt werden, die nicht durch Art. 6 Abs. 2 GG garantiert werden. Diese Befugnisse müßten dann daraufhin überprüft werden, ob sie verfassungswidrig in das Kindesgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG eingreifen. Im Rahmen dieser Überprüfung müßte insbesondere der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz berücksichtigt werden 276 . Würden die elterlichen Entscheidungsrechte, die vom Elterngrundrecht nicht gewährleistet werden, dieser Prüfung standhalten, so wäre die Feststellung möglich, daß es für das Ergebnis der internen Grundrechtsmündigkeitsproblematik auf die Wirkungsweise des Art. 2 Abs. 1 GG im Eltern-Kind-Verhältnis nicht ankommt. Die elterlichen Befugnisse wären dann auf jeden Fall verfassungsgemäß. Sei es, weil Elternbefugnisse von einem Kindesgrundrecht gar nicht tangiert werden, sei es, weil ein gegenüber den Eltern wirkendes Kindesgrundrecht durch elterliche Entscheidungsrechte eingeschränkt wird, die teilweise von der Verfassung garantiert und teilweise von der Verfassung zugelassen sind. Es ist indes - allein schon aus Gründen der Konsensfähigkeit - nicht zweckmäßig, die Frage nach der Grundrechtswirkung mit einer Begründung offenzuhalten, die notwendigerweise eine Verhältnismäßigkeitsprüfung umfassen muß. Über das Ergebnis einer Verhältnismäßigkeitsprüfung läßt sich häufig trefflich streiten. Ist das Kindesgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG für die Beziehung zwischen Eltern und Kind von Relevanz, so läßt sich diese Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht umgehen. Ist dagegen das Kindesgrundrecht gegenüber den Eltern ohne Wirkung, so ist eine solche Prüfung überflüssig. Deshalb soll der Frage nach dieser Wirkung nicht länger ausgewichen werden. Brauchen die privatrechtlichen Elternbefugnisse sich vor dem Kindesgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG nicht zu verantworten, so sind weitere diffizile Erwägungen 276 V g l . e t w a
BVerfGE 19, 342, 348
f.;
17, 306, 314
ff.;
2 0 , 150, 154.
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Grundrechtsmündigkeitsproblematik123
zum Kernbereich des Elternvorrangs und zum Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht erforderlich. ee) Die Frage nach der Wirkung des Kindesgrundrechts gegenüber den elterlichen Befugnissen ist die Frage nach einer Grundrechtswirkung gegenüber Privatpersonen
Bis jetzt ist als ganz selbstverständlich davon ausgegangen worden, daß das Eltern-Kind-Verhältnis eine Rechtsbeziehung ist, innerhalb derer die Eltern als Privatpersonen handeln. Dies ist indes nicht so evident, daß es jedem Zweifel entzogen wäre. Anlaß zu Zweifeln kann der Umstand bieten, daß Elternschaft und Vormundschaft die gleiche Funktion zu erfüllen haben. Von Müller-Freienfels sind unter diesem Aspekt folgende Gedanken entwickelt worden: Der Vormund habe ein sozialrechtliches Amt öffentlich-rechtlicher Natur. Nur deshalb, weil der Vormund publizistisch gebunden sei und so vom Staat zur Erfüllung seiner Pflichten angehalten werden könne, sei die Vertretung durch den Vormund zum Mündelschutz geeignet. Das bloße Innehaben von Rechten sei für das Mündel nur deshalb sinnvoll, weil durch die öffentlichrechtliche Gebundenheit des Vormunds das Willkürmoment ausgeschaltet werde 277 . Zwischen der gesetzlichen Vertretung durch den Vormund und der gesetzlichen Vertretung durch die Eltern bestehe kein Wesensunterschied. Der gesetzliche Vertreter werde in beiden Fällen durch konstitutiven Staatsakt bestellt, das eine Mal unmittelbar durch Gesetz (Eltern), das andere Mal durch Einzelanordnung aufgrund eines Gesetzes (Vormund). Die Eltern würden nur deshalb in genereller Form zum gesetzlichen Vertreter bestimmt, weil es zweckmäßig sei, auf den Tatbestand sozialer Verbundenheit zwischen Eltern und Kind Rücksicht zu nehmen 278 . In Konsequenz dieses Gedankenganges sieht Müller-Freienfels die Elternschaft als sozialrechtliches Amt an, dessen Pflichtbindung eine publizistische Bindung sei 279 . Wäre dem zu folgen, wären also die Eltern als öffentlichrechtliche Amtswalter anzusehen, so spräche viel für eine Geltung des Kindesgrundrechts im Verhältnis zu den Eltern. Daß die Eltern ihr „ A m t " mit privatrechtlichen Mitteln 277
Müller-Freienfels S. 179, 180. 8 Müller-Freienfels S. 348, 349. 279 Müller-Freienfels S. 180. Habscheid FamRZ 1957,109, 111 stimmt dem zu, legt aber Wert darauf, daß das Amt der Eltern kein Amt vom Staate sei, auch wenn dem Staat eine gewisse Aufsichtsfunktion zukomme. Siebert NJW 1955, 1, 2 spricht von einer amtsähnlichen Rechtsstellung der Eltern, betont aber, daß der Begriff des Amtes in einem privatrechtlichen Sinne zu verstehen sei. Raiser JZ 1961, 465, 470 erwähnt den Amtscharakter der Rechtsstellung der Eltern, ohne Herkunft und Rechtsnatur dieses Amtes näher zu erläutern. 27
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II. Prozeßführung und das Problem der Grundrechtsmündigkeit
erfüllen, würde - wie die Parallele des Verwaltungsprivatrechts zeigt - einer solchen Grundrechtsgeltung nicht im Wege stehen. Diese Auffassung ist indes abzulehnen. Elternschaft und Vormundschaft sind wesensverschieden. Darum geht es auch - wie bereits dargelegt (vgl. S. 83f.) - nicht an, dem Vormund das Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG zuzubilligen. Ein grundrechtlich abgesicherter staatsfreier Raum steht dem Vormund, der Repräsentant des fürsorgenden Staates ist, nicht zu, wohl aber den Eltern, deren natürliches Erziehungsrecht der Staat anerkennt. Die Funktionsgleichheit vormundschaftlicher und elterlicher Tätigkeit führt also nicht dazu, daß der Vormund in seiner Rechtsstellung den Eltern gleichgestellt wird. Dann kann es aber „erst recht" nicht angehen, wegen dieser Funktionsgleichheit - und darauf läuft die Betrachtungsweise von Müller-Freienfels hinaus - die Rechtsstellung der Eltern derjenigen des Vormunds anzugleichen. Bei den Eltern besteht die Besonderheit 280 , daß der Staat bezüglich der Pflege und Erziehung von Kindern in der Gesellschaft ein funktionsfähiges privates Handlungssystem als natürliche Gegebenheit vorfindet. Für die Pflege und Erziehung von Kindern, die Eltern haben, stehen kraft Natur der Sache die Eltern als die geborenen Sachwalter der Kindesinteressen zur Verfügung. Für diese Kinder ist schon gesorgt, bevor der fürsorgende Staat tätig wird. Den Eltern wird nicht vom Staat ein sozialrechtliches Amt verliehen. Das Recht der Eltern ist vielmehr ein originäres Recht, das nicht vom Staat geschaffen wird, sondern diesem vorgegeben ist und von ihm anerkannt wird. Bei der Vormundschaft ist dies anders. Hier muß der fürsorgende Staat tätig werden, weil für die Pflege und Erziehung von Kindern keine - oder keine „tauglichen" - Privatpersonen vorhanden sind. Das Erziehungsrecht der Personen, die vom Staat zum Vormund bestellt werden, besteht ausschließlich deshalb, weil es ihnen vom Staat verliehen wird. Hier kann man von einem sozialrechtlichen Amt sprechen. Die Eltern stehen somit ihren Kindern nicht als Amtswalter gegenüber 281 . Eine Geltung des Kindesgrundrechts im Verhältnis zu den elterlichen Befugnissen kann also nicht damit begründet werden, daß es sich um die Befugnisse vom Amtswaltern handele.
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Vgl. insbesondere Reuter S. 93 ff. Dies entspricht der ganz herrschenden Meinung. Vgl. etwa Gernhuber § 49 I I 2; Dürig in Maunz-Dürig Art. 19 Abs 3. RdNr. 18; Reuter aaO. 281
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Grundrechtsmündigkeitsproblematik
ff) Das verfassungsrechtliche Postulat der staatsfreien Familie als Hinderungsgrund für eine Geltung des Kindesgrundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG im privatrechtlichen Binnenraum der Familie?
Zur Beantwortung steht also die Frage an, ob und wie ein Grundrecht - das Kindesgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG - in einer privatrechtlichen Rechtsbeziehung - derjenigen zwischen Eltern und Kind - gilt. Damit ist der Problemkreis der sog. „Drittwirkung" der Grundrechte erreicht ( = horizontale Wirkung der Grundrechte im Verhältnis zwischen Privatpersonen), in dem die Wirkungen der Grundrechte, die unzweifelhaft in vertikaler Richtung gegenüber dem Staat gelten, in privatrechtlichen Beziehungen zwischen koordinierten Rechtsgenossen zur Diskussion stehen. Für Art. 6 Abs. 2 GG taucht diese Problematik nicht auf. Zwar ist auch diese Vorschrift ein vertikales Grundrecht, das den Eltern im Verhältnis zum Staat einen Abwehranspruch gewährt. Art. 6 Abs. 2 GG zeichnet sich aber anders als andere Grundrechte - durch die Eigenart aus, daß der durch den Abwehranspruch geschützte Bereich (Pflege und Erziehung der Kinder durch die Eltern) ein privatrechtlich ausgestalteter Bereich ist, in dem Privatpersonen (die Eltern) durch die Ausübung privatrechtlicher Rechtsmacht (des bürgerlichrechtlichen Sorgerechts) gegenüber anderen Privatpersonen (den Kindern) handeln. Die den Eltern im Verhältnis zum Staat durch Art. 6 Abs. 2 GG gewährleistete Freiheit wird dadurch realisiert, daß die Eltern im Verhältnis zu ihren Kindern von ihren privatrechtlichen Befugnissen Gebrauch machen. Damit ist es unzweifelhaft, daß Art. 6 Abs. 2 GG eine unmittelbare Aussage zum privatrechtlichen Eltern-Kind-Verhältnis enthält. Aus dieser Aussage ergibt sich - wie bereits dargelegt - zwingend die Schlußfolgerung, daß in dem Umfang, in dem im Verhältnis zum Staat privatrechtliche Elternbefugnisse durch Art. 6 Abs. 2 GG grundrechtlich garantiert werden, eine verfassungswidrige Einschränkung des Kindesgrundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG - unabhängig davon, ob dieses Recht gegenüber den Eltern wirkt - nicht in Betracht kommen kann. Bei der hier nun anstehenden Frage nach der Wirkungsweise des Kindesgrundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG, der nicht ausgewichen werden kann, weil nicht sämtliche Elternbefugnisse des einfachen Rechts durch Art. 6 Abs. 2 GG gewährleistet werden, handelt es sich dagegen um eine Frage, die dem Problemkreis der „Drittwirkung" der Grundrechte zuzurechnen ist. Bei dem Grundrecht auf Entfaltungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG), das im Gegensatz zum Elterngrundrecht keinen unmittelbaren Bezug zu einer privatrechtlichen Beziehung aufweist, stellt sich das allgemeine Problem, welche Bedeutung die Grundrechte für Rechtsverhältnisse des Privatrechts haben. In der allgemeinen Drittwirkungsdiskussion - der Diskussion des Problems außerhalb des hier behandelten Spezialfalles der Eltern-Kind-Beziehung -
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II. Prozeßführung und das Problem der Grundrechtsmündigkeit
vertritt heute niemand mehr den Standpunkt, daß die Grundrechte für das Privatrecht bedeutungslos seien. Dies folgt schlicht daraus, daß eine Rechtsordnung, die auf der einen Seite in den Grundrechten bestimmte Werte als höchste Rechtswerte anerkennt, nicht auf der anderen Seite in einem wichtigen Teilbereich des Rechts diese Werte negieren kann. So kann z.B. eine Rechtsordnung, die in Art. 2 Abs. 2 GG die körperliche Integrität des Menschen als einen schutzwürdigen Grundwert ansieht, nicht - ohne mit sich selbst in Widerspruch zu geraten - Körperverletzungen zivilrechtlich regreßlos lassen 282 . Es ist somit nicht darüber zu streiten, ob die Grundrechte für das Privatrecht von Relevanz sind, sondern nur darüber zu diskutieren, welche Bedeutung die Grundrechte für das Privatrecht haben 283 . In dieser Diskussion stehen sich Befürworter einer unmittelbaren und Anhänger einer mittelbaren Grundrechtswirkung im Privatrecht gegenüber. Für die Vertreter einer unmittelbaren Geltung der Grundrechte im Privatrecht, die das Grundgesetz nicht nur als Ordnung des staatlichen Lebens, sondern auch als Verfassung des Lebens im Staate ansehen 284 , sind die Grundrechte für das gesamte soziale Leben von unmittelbarer Aktualität. Der private Rechtsverkehr der Bürger untereinander soll demgemäß einer unmittelbaren Grundrechtsbindung unterliegen. Nach dieser Betrachtungsweise sind die Grundrechte nicht nur gegen den Staat gerichtet, sondern vielmehr absolute, gegen jedermann - auch gegen den Staat - gerichtete Rechte 285 . Gegen eine solche - über die klassische Staatsgerichtetheit hinausgehende horizontale Wirkungsweise der Grundrechte wird insbesondere das für das Privatrecht konstitutive Prinzip der Privatautonomie ins Feld geführt, das einer unmittelbaren Grundrechtsbindung Privater entgegenstehen soll. Auf dieser Grundlage wird eine nur mittelbare Grundrechtswirkung bejaht, die dahin gehen soll, daß alle bürgerlichrechtlichen Vorschriften im Geist der objektiven Wertordnung auszulegen sind, die in den Grundrechten verkörpert ist 2 8 6 . Schließlich gibt es noch eine Auffassung, die ausschließlich von einer vertikalen Wirkungsweise der Grundrechte ausgeht, nichtsdestoweniger aber zu denselben Ergebnissen gelangt wie diejenigen, die die Grundrechte im Privatrechtsverkehr unmittelbar wirken lassen. Nicht die koordinierten Rechtsgenossen in ihrem Verhältnis zueinander, sondern nur die Organe des Staates seien an die Grundrechte gebunden. Die privatrechtlichen Befugnisse der 282 So zu Recht Reuter S. 186. Vgl. auch Kuhn S. 33; Forsthoff S. 35, 45; Dürig in Maunz-Dürig Art. 1 Abs. 3 RdNr. 102. 283 Zu den Ansichten, die früher - unter Geltung der Weimarer Verfassung - jegliche Bedeutung der Grundrechte für das Zivilrecht verneinten, vgl. Anschütz S. 556. 284 Vgl. dazu insbesondere Laufke S. 145, 150 ff. 285 Dazu später genauer S. 139 ff. 286 Dazu später genauer S. 139 ff.
5. Die interne Grundrechtsmündigkeitsproblematik
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Rechtsgenossen beruhten aber ihrerseits auf Regelungen der Staatsmacht, die auch im privatrechtlichen Bereich - durch Schaffung privatrechtlicher Normen und durch Richterspruch - grundrechtsgeschützte Sphären tangiere. Gegenüber diesen Regelungen der Staatsmacht wirkten die Grundrechte schon in ihrer vertikalen Richtung 287 . Auf diese Argumente der allgemeinen Drittwirkungsdiskussion ist aber erst und nur dann einzugehen, wenn auch für den hier behandelten Untersuchungsgegenstand - die Rechtsbeziehung zwischen Eltern und Kind - das unzweifelhaft ist, was als heute unstreitige Prämisse diesem Streit über das „Wie" der Grundrechtswirkung zugrundeliegt: die Relevanz der Grundrechte für das Privatrecht. Es könnte sein, daß - trotz prinzipiell nicht zu bestreitender Bedeutung der Grundrechte für private Rechtsverhältnisse - in dem speziellen Rechtsverhältnis zwischen Eltern und Kind für eine Berücksichtigung von Kindesgrundrechten kein Platz ist. Der Verfassung selbst könnte die Wertung enthalten, daß gegenüber den privatrechtlichen Befugnissen der Eltern ein Kindesgrundrecht weder von unmittelbarer, noch von mittelbarer Bedeutung ist. Eine solche Wertung könnte das Postulat der staatsfreien Familie sein (Art. 6 Abs. 1, Art. 6 Abs. 2 GG). In Art. 6 Abs. 1 GG - Schutz von Ehe und Familie - garantiert das Grundgesetz eine Sphäre privater Lebensgestaltung, die grundsätzlich der staatlichen Einwirkung entzogen sein soll 288 . In Art. 6 Abs. 2 GG wird für die Pflege und Erziehung von Kindern den Eltern der Vorrang vor dem Staat gewährleistet. Das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern soll prinzipiell von staatlicher Einflußnahme frei sein 289 . Der Staat ist somit im gesamten Bereich des Art. 6 GG zur Zurückhaltung verpflichtet. Das Grundgesetz, dem auch eine Abkehr von der Allstaatlichkeit des nationalsozialistischen Staates zugrundeliegt 2 9 0 , postuliert die staatsfreie Familie. Diese Staatsfreiheit wurzelt letztlich in der - allen Grundrechten zugrundeliegenden - Wertentscheidung der Verfassung, daß die Würde des Menschen unantastbar ist (Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG). Der Staat, der die Würde des Menschen zu achten hat, hat sich prinzipiell nicht in die intimen und privaten Beziehungen einzumischen, die zwischen Ehegatten, Eltern und Kindern bestehen. Dies verlangt die personale Würde der Familienmitglieder. Auf dieser Basis ist nun die These entwickelt worden, daß es der Würdeanspruch des Kindes selbst sei, der die Grundlage dafür bilde, daß die Geltung von Kindesgrundrechten im Verhältnis zu den Eltern partiell ausgeschlossen sei 291 . Ein Rechtsschutz, der Kindesgrundrechte gegen die Eltern 287
Dazu später genauer S. 132 ff. 288 vgl. etwa BVerfGE 6, 55, 81; 51, 386, 398. 289 Vgl. etwa BVerfGE I O , 59, 83; 24, 119, 144. 290 Vgl. BVerfGE 6, 55, 71.
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II. Prozeßführung und das Problem der Grundrechtsmündigkeit
durchsetze, könne nur bei einer vordergründigen
Betrachtungsweise
als
Schutz bezeichnet werden. I n W i r k l i c h k e i t werde dadurch die personale W ü r d e des Kindes verletzt. Gerade das K i n d , das auf die familiäre Lebensgemeinschaft besonders angewiesen sei, habe ein Interesse daran, daß das intime und private Wesen dieser Lebensgemeinschaft nicht durch Verrechtlichung zerstört werde. Eine solche Verrechtlichung würde aber stattfinden, wenn der Vormundschaftsrichter auf der Grundlage der Wertrangordnung des Grundgesetzes Kindesgrundrechte gegen die E l t e r n durchsetzen würde. Dadurch würde den K i n d e r n weit mehr genommen als gegeben. Deshalb verlange das Interesse des Kindes daran, daß die familiäre Intimsphäre von rechtlichen Bindungen frei bleibe, einen Verzicht auf die A n w e n d u n g von Kindesgrundrechten i m Verhältnis zu den Eltern. Dieser aus dem Würdeanspruch des Kindes abzuleitende Geltungsverzicht ende erst dort, wo er zu einer Gefahr für das K i n d werde. Dieser Punkt sei dort erreicht, w o dem K i n d durch die Ausübung der elterlichen Befugnisse ein Schaden drohe. D i e Grenze des Geltungsverzichts bezüglich der Kindesgrundrechte liege also dort, wo die Voraussetzungen der §§ 1666, 1667 B G B gegeben seien 2 9 2 . 291 Reuter S. 190 ff.; ähnlich Reimers S. 15; andeutungsweise auch Hampel FamRZ 163, 537, 540. 292 So Reuter aaO. Diese These wird nun allerdings von Reuter nicht für den - hier ausschließlich interessierenden - Bereich des Kindesgrundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG entwickelt. Bei seinen personalen Grundrechten (Art. 2 Abs. 1, 4,12 GG), die als Selbstbestimmungsgarantien dem Grundrechtsträger Freiheit zur Selbstverwirklichung gewährleisten sollen, geht Reuter, da Selbstbestimmung durch Fremdbestimmung nicht möglich ist, davon aus, daß die elterlichen Befugnisse nach dem BGB Grundrechtseinschränkungen sind. Diese, an die starre Altersgrenze der Minderjährigkeit geknüpften, Elternbefugnisse sieht Reuter - indem er sie an dem verfassungsrechtlichen Vorbehaltssystem mißt (S. 146 ff.) - insoweit als verfassungswidrig an, als sie konkret selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden eine Eigenentscheidung in Gewissensentscheidungen und lebensgestaltenden Entscheidungen versagen. Im Bereich personaler Grundrechte ergibt sich somit für Reuter aus der Verfassung eine zeitliche Grenze der elterlichen Befugnisse. Der Minderjährige kann, sobald er konkret einsichts- und urteilsfähig ist, Gewissensentscheidungen und lebensgestaltende Entscheidungen selbst treffen. Für den Bereich seiner funktionalen Freiheitsrechte findet Reuter keine aus der Verfassung folgende zeitliche Grenze der elterlichen Befugnisse. Für die geschützten sozialen Anliegen ist es gleichgültig, ob der selbstbestimmungsfähige Heranwachsende oder sein gesetzlicher Vertreter entscheidet (vgl. etwa S. 222). Für diesen Bereich, in dem es nach Reuter nicht um das Selbstbestimmungsinteresse geht und in dem folglich die Eltern ohne Rücksicht auf die konkrete Selbstbestimmungsfähigkeit des Kindes entscheiden können, stellt Reuter dann die Frage (S. 185), ob sich wenigstens der Inhalt der Elternentscheidung in dem Sinne vor den Kindesgrundrechten zu rechtfertigen habe, daß die Eltern bei ihren Entscheidungen in den Kindesangelegenheiten an die Wertrangordnung der Grundrechte gebunden seien (vgl. auch S. 72, 73). Dies wird mit der o.a. Begründung des Grundrechtsgeltungsverzichts verneint. Entgegen Reuter gibt es indes keine bloß funktionalen Grundrechte. Alle Grundrechte weisen vielmehr - dies folgt aus Art. 1 Abs. 1 GG - eine individualrechtliche Komponente auf. Die Achtung der Würde des Menschen gebietet die Annahme, daß alle Grundrechte - zumindest auch - den Zweck haben, der Selbstverwirklichung des
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Diese Ansicht, die den Kindesgrundrechten unterhalb der Schwelle der §§ 1666, 1667 BGB jegliche Relevanz versagt, ist abzulehnen. Sie stellt nichts anderes als den - durch das Etikett der Staatsfreiheit der Familie kaschierten - Versuch dar, die einfachgesetzliche Regelung des BGB's in Verfassungsrang zu erheben. Eine Staatsfreiheit der Eltern-Kind-Beziehung kann nur in dem Umfang bestehen, in dem Art. 6 Abs. 2 GG den Eltern gegenüber dem Staat einen Abwehranspruch zubilligt. Gegenüber den Elternbefugnissen, die durch Art. 6 Abs. 2 GG grundrechtlich garantiert werden, ist der Staat zur Abstinenz verpflichtet. Es ist bereits dargelegt worden, daß die Garantie des Art. 6 Abs. 2 GG nicht alle Rechte abdeckt, die aus der Sorgerechtsregelung des BGB's fließen. Wäre es anders, so würde sich - was nicht anzunehmen ist - die in Art. 6 Abs. 2 GG vorgesehene Regelungskompetenz des Staates darauf beschränken, daß der Staat regelnd einzugreifen hat, wenn Eltern ihre Kinder schädigen. Art. 6 Abs. 2 GG sichert einen Kernbereich des Elternvorranges grundrechtlich ab. Dieser Kernbereich ist nicht identisch mit der einfachrechtlichen Regelung des BGB's, die elterliche Entscheidungsmacht zwar unter dem Gesichtspunkt der Schadenszufügung, nicht aber unter dem Aspekt der Autonomie des heranwachsenden Kindes begrenzt. Dem Art. 6 Abs. 2 GG kann nicht die Aussage entnommen werden, daß Regelungen, welche die Autonomieinteressen des Kindes weitergehend als das BGB berücksichtigen, dem Staat von Verfassungs wegen verboten sein sollen. Das elterliche Sorgerecht des BGB's umfaßt „überschießende" Elternbefugnisse, die nicht durch Art. 6 Abs. 2 GG gewährleistet werden. Diese Befugnisse beruhen ausschließlich auf dem Willen des einfachen Gesetzgebers. Der einfache Gesetzgeber kann keiMenschen zu dienen. Im Verhältnis zum Staat werden dem Bürger durch die dem Art. 2 Abs. 1 GG nachfolgenden Grundrechte spezielle Möglichkeiten der Selbstverwirklichung gewährleistet. Diese speziellen Ausformungen der allgemeinen Handlungsfreiheit sind die Ergebnisse historischer Gefährdungssituationen im Verhältnis Staat-Individuum. Dies ist der Grund dafür, daß im Verhältnis des Kindes zu seinen Eltern auf der Seite des Kindes nur das Muttergrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG - das Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit - zu beachten ist. Die elterlichen Befugnisse treffen stets und nur - auf die Entfaltungsfreiheit des Kindes. Deshalb ist die These, daß die Staatsfreiheit der Familie für Kindesgrundrechte einen Geltungsverzicht fordere, nur für das Kindesgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG zu erörtern. Eine solche Erörterung, die nach dem Reuterschen Ansatz von Reuter bei der Diskussion der personalen Grundrechte durchgeführt werden müßte, findet dort nicht statt. In bezug auf Gewissensentscheidungen und lebensgestaltende Entscheidungen wird der konkret selbstbestimmungsfähige Jugendliche als entscheidungsbefugt angesehen, ohne daß dies unter dem Aspekt der Staatsfreiheit der Familie als bedenklich angesehen wird. Dies verwundert, weil nach Reuter (S. 193 ff.) das Vormundschaftsgericht (analog § 7 Abs. 1 RKEG) zu entscheiden hat, wenn das Selbstbestimmungsrecht des Jugendlichen in Gewissensentscheidungen und lebensgestaltenden Entscheidungen zwischen den Eltern und dem Jugendlichen streitig ist. Wenn es um das Selbstbestimmungsinteresse des Jugendlichen geht, darf also genau die Verrechtlichung stattfinden, die ansonsten unter Berufung auf die Staatsfreiheit der Familie strikt abgelehnt wird. Dies ist widersprüchlich. 9 Reinicke
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nen Verzicht auf Grundrechtsgeltung anordnen. Die Grundrechtsgeltung richtet sich ausschließlich nach den Vorschriften der Verfassung, vor der das einfache Recht sich zu verantworten hat. Eine Argumentation, die sich auf ein Kindesinteresse an einer ungestörten familiären Intimbeziehung stützt, die unterhalb der Schwelle der §§ 1666, 1667 BGB von Verrechtlichung freigehalten werden müsse, läßt sich als rechtspolitische Begründung für die Regelung des geltenden einfachen Rechts anführen. Diese Regelung zu rechtfertigen, vermag diese Argumentation aber nur dann, wenn sie ihre These vom Grundrechtsgeltungsverzicht im Eltern-Kind-Verhältnis aus der Verfassung herleiten kann. Aus der Verfassung folgt zwingend, daß eine Verletzung des Kindesgrundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG nicht in Betracht kommt, soweit es um Elternbefugnisse geht, die durch Art. 6 Abs. 2 GG garantiert sind. Darüber, wie sich weitergehende Elternbefugnisse des einfachen Rechts zu dem Kindesgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG verhalten, enthält das Grundgesetz keine spezielle Aussage. Mit der allgemeinen Wertung des Art. 1 Abs. 1 GG läßt sich ein Grundrechtsgeltungsverzicht nicht zwingend begründen. Schließlich ist der Würdeanspruch des selbstbestimmungsfähigen Menschen - hier geht es nur noch um die Rechtsstellung des selbstbestimmungsfähigen Jugendlichen (vgl. oben cc) - auf Autonomie gerichtet. Der autonomiefähige Mensch kann dem Postulat der Staatsfreiheit entgegensetzen, daß es seine Sache sein müsse, darüber zu entscheiden, ob er einem staatsfreien Familienfrieden oder der Durchsetzung seiner grundrechtlichen Freiheit den Vorzug geben will. Da sich ein Grundrechtsgeltungsverzicht aus der allgemeinen Wertung des Art. 1 Abs. 1 GG nicht zwingend herleiten läßt und es im übrigen keine spezielle Aussage der Verfassung dazu gibt, wie sich das Kindesgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG zu den „überschießenden" elterlichen Befugnissen verhält, muß auf die Diskussion eingegangen werden, wie es ganz allgemein mit der Grundrechtswirkung zwischen Privatpersonen bestellt ist. gg) Die allgemeine Diskussion über die „Drittwirkung" der Grundrechte und die Wirkung des Kindesgrundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG in der Eltern-Kind-Beziehung
In der allgemeinen Drittwirkungsdiskussion, in der es unzweifelhaft ist, daß die Grundrechte, die elementare Rechtswerte schützen, auch für die Privatrechtsordnung von Relevanz sind, stehen sich zwei Hauptrichtungen gegenüber, zwischen denen Streit darüber besteht, ob die Grundrechte auch horizontal und damit im Privatrecht unmittelbar oder nur vertikal und damit im Privatrecht mittelbar wirken. Nach dem Grundrechtsverständnis der einen Ansicht sind die Grundrechte allseitig wirkende Normen. Die Grundrechte gelten horizontal (Bürger-Bür-
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ger) ebenso wie vertikal (Staat-Bürger). Die Grundrechte des einzelnen binden nicht nur den Staat, sondern auch die Privatpersonen, mit denen es der einzelne zu tun hat. Für den rechtsgeschäftlichen Bereich führt dies dazu, daß die so im Privatrechtsverkehr wirkenden Grundrechte für rechtsgeschäftliche Regelungen im Rahmen des § 134 BGB - als Verbotsgesetze - bedeutsam sind. Da der Geltungsanspruch der Grundrechte von jedermann zu beachten ist, fließen im außervertraglichen Bereich aus den Grundrechten subjektive Privatrechte, die als absolute Rechte den Schutz der §§ 823, 1 0 0 4 BGB genießen 293 . Legt man diese Betrachtungsweise der Grundrechtswirkung im Privatrecht zugrunde, so sind die elterlichen Befugnisse direkt mit dem Grundrecht des Kindes aus Art. 2 Abs. 1 GG konfrontiert. Nach der anderen Meinung wirken die Grundrechte als subjektive Rechte nur in der vertikalen Richtung. Die übergeordneten Organe des Staates, nicht aber die gleichgeordneten Zivilpersonen sind an die Grundrechte gebunden. Eine Grundrechtswirkung im Privatrecht kann nur in der Weise stattfinden, daß sich der objektiv-rechtliche Gehalt der Grundrechte durch das Medium der privatrechtlichen Vorschriften entfaltet. Die in den Grundrechten enthaltene objektive Wertordnung strahlt auf das Privatrecht aus. Keine bürgerlichrechtliche Vorschrift darf im Widerspruch zu dieser Wertordnung stehen; in ihrem Geiste muß jede Privatrechtsnorm ausgelegt werden. Dies führt dazu, daß die Realisierung der Grundrechtswerte im Privatrecht insbesondere dadurch erfolgt, daß bei den ausfüllungsbedürftigen Generalklauseln das Wertsystem der Grundrechte in das Privatrecht „einfließt" 294 . Legt man diese Betrachtungsweise der Grundrechtswirkung im Privatrecht zugrunde, so stehen die elterlichen Befugnisse dem Kindesgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG nicht direkt gegenüber. Es ist dann vielmehr so, daß die Wertung des Art. 2 Abs. 1 GG bei der Auslegung der §§ 1626 ff., insbesondere der Generalklausel des § 1666 BGB zu aktualisieren ist. Es ist nicht auszuschließen, daß beide Ansätze für die interne Grundrechtsmündigkeitsproblematik zu einem identischen Ergebnis führen. Um dies nachzuweisen, wäre aber eine umfangreiche doppelspurige Untersuchung erforderlich, bei der besondere Aufmerksamkeit der Frage gewidmet werden müßte, wie weit bei der Annahme einer mittelbaren Grundrechtsgeltung das Kindesgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG die Elternbefugnisse nach dem BGB zu beeinflussen vermag. Die Autoren, die eine mittelbare Grundrechtswirkung bejahen, kommen hier zu diametral verschiedenen Ergebnissen 295. Diese 293
Paradigmatisch Nipperdey S. 14 ff. Paradigmatisch Dürig in Maunz-Dürig Art. 1 Abs. 3 RdnNr. 127 ff.; ders. Festschrift S. 157, 176 ff. 295 Vgl. einerseits Diederichsen FamRZ 1978, 461, 462, 463, bei dem die BGB-Regelung den Grundrechtseinfluß „unbeschadet" übersteht, und andererseits Dürig in 294
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II. Prozeßführung und das Problem der Grundrechtsmündigkeit
- mit der größeren Flexibilität der Lehre von der Ausstrahlungswirkung zusammenhängenden - Schwierigkeiten brauchen indes nicht zu interessieren, wenn für die Eltern-Kind-Beziehung von einer unmittelbaren Grundrechtsgeltung auszugehen ist. Deshalb soll im folgenden auf die allgemeine Drittwirkungsdiskussion eingegangen werden. Allerdings soll dies nur in dem Umfang geschehen, in dem es erforderlich ist, um für das Eltern-Kind-Verhältnis zu einem Ergebnis zu gelangen. aaa) Die Ansicht Schwabes Es wird die These vertreten 296 , daß sich eine unmittelbare Relevanz der Grundrechte für den Privatrechtsverkehr, die zu den Ergebnissen der Lehre von der horizontalen Wirkung der Grundrechte führe, schon aus der herkömmlichen - immer praktizierten und anerkannten - Grundrechtswirkung gegenüber dem Staat ergebe. Eine Diskussion darüber, ob die Grundrechte im horizontalen Bereich - zwischen Privatpersonen - eine Bindungswirkung entfalteten, sei verfehlt. Adressat der Grundrechte sei ausschließlich der Staat 297 . Zur staatsgerichteten Wirkungsweise gehöre aber auch die Bindung des Zivilgesetzgebers an die Grundrechte (Art. 1 Abs. 3 GG). Daraus folge eine unmittelbare Bedeutung der Grundrechte für den Privatrechtsverkehr, die von der Lehre der mittelbaren Grundrechtswirkung (Ausstrahlungswirkung) verkannt werde 298 . Dies wird im einzelnen wie folgt begründet 299 : Ein Schutz durch Grundrechte kann im Privatrecht nur dort aktuell werden, wo eine Privatperson in die Rechtssphäre einer anderen Privatperson eingreift oder wo eine Privatperson von einer anderen Privatperson etwas fordert. Dabei bedarf der Betroffene aber nur dann des Schutzes durch ein Grundrecht, wenn dem Eingriff in seine Rechtssphäre oder der gegen ihn gerichteten Forderung eine privatrechtliche Rechtsmacht zugrundeliegt. Privates Fordern ohne eine solche Rechtsmacht kann zu nichts zwingen. Ein Eingriff in eine Rechtssphäre, dem eine solche Rechtsmacht nicht zur Seite steht, braucht von dem betroffenen Rechtsträger nicht geduldet zu werden. Beschwerende „private Gewalt" gibt es nur dort, wo ein Privater aufgrund privatrechtlicher Befugnisse - sei es vertraglicher, sei es außervertraglicher Art - handelt 300 . Nur gegenüber einer Maunz-Dürig Art. 19 Abs. 3 RdNr. 2 0 ff., bei dem die bürgerlichrechtlichen Elternbefugnisse durch das Kindesgrundrecht ganz erheblich modifiziert werden. 296 Insbesondere von Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte; in der Sache wie Schwabe Schnur VVDStRL 22, 140 f.; Schwabe zustimmend Bethge S. 395 ff. 297 Schwabe S. 32. 29 8 Schwabe S. 14 ff., 26 ff., 56 ff., 154. 299 Die folgende - der Einfachheit halber im Indikativ gehaltene - Passage gibt ausschließlich die Ansicht Schwabes wieder. 300 Schwabe S. 16, 17.
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solchen „Gewalt", die vom Privatrecht legitimiert ist, können Grundrechte zur Abwehr vonnöten sein. Hier bestehen dann aber auch keine Bedenken gegen die Anwendbarkeit der Grundrechte, weil eine solche „private Gewalt" keine staatsunabhängige (horizontale), sondern eine von der staatlichen Rechtsordnung verliehene - also vertikal legitimierte - „Gewalt" ist. Alle privatrechtlichen Befugnisse leiten sich aus der Privatrechtsordnung ab, die staatlich gesetztes Recht ist. Dies gilt sowohl für nichtvertragliche Befugnisse Privater (vgl. z.B. §§ 904, 906, 912, 917 BGB), als auch für vertragliche Befugnisse. Daß ein Vertragsschuldner zu leisten hat, kann nämlich nicht allein mit dem Willen der Vertragsparteien begründet werden, sondern setzt weiterhin voraus, daß eine vom Staat geschaffene Rechtsnorm diesen Willen berücksichtigt, ihn in ihren Tatbestand aufnimmt 3 0 1 . Rühren nun aber alle privatrechtlichen Befugnisse von der Staatsmacht her, so sind sie auch an den Grundrechten derer zu messen, die von diesen Befugnissen betroffen werden. Zivilrechtliche Befugnisse beruhen auf der Zivilgesetzgebung; die Gesetzgebung ist gem. Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte als unmittelbar geltendes Recht gebunden 302 . Somit geht es bei der „sogenannten Drittwirkung" der Grundrechte nicht darum, ob auf der horizontalen Ebene die Privatpersonen an die Grundrechte gebunden sind, sondern die Frage geht vielmehr dahin, ob - in vertikaler Richtung - der grundrechtsgebundene Zivilgesetzgeber die Grundrechte einer Privatperson dadurch verletzt, daß er einer anderen Privatperson bestimmte zivilrechtliche Befugnisse einräumt 303 . Der Zivilgesetzgeber, der den Schutz und den Ausgleich privater Interessen zu regeln hat, erfüllt diese Aufgabe dadurch, daß er subjektive Privatrechte definiert und gegeneinander abgrenzt. Der Schutz privater Interessen wird durch subjektive Privatrechte gewährleistet, aus denen Befugnisse fließen. Wo verschiedene - sich jeweils aus subjektiven Privatrechten ergebende - Befugnisse aufeinandertreffen, dort grenzt der Zivilgesetzgeber diese Befugnisse gegeneinander ab. Aufgrund einer Wertung der miteinander kollidierenden Interessen bestimmt er, welche Befugnis den Vorrang haben soll. Diese Abgrenzung, die der Zivilgesetzgeber bezüglich der Reichweite subjektiver Privatrechte vornimmt, ist deshalb verfassungsrechtlich von Belang, weil diese Rechte auf der horizontalen Ebene des Privatrechts Bereiche - wie z.B. denjenigen des Eigentums - schützen, die in der vertikalen Richtung gegenüber dem Staat - wie z.B. das Eigentum durch Art. 14 GG - grundrechtlich abgesichert sind. Indem der Zivilgesetzgeber auf der horizontalen Ebene des Privatrechts Bereiche gegeneinander abgrenzt, trifft er grundrechtsrelevante Regelungen, weil er in Ausübung grundrechtsgebundener Staatsmacht über den Schutz von Bereichen entscheidet, die im Verhältnis zum Staat durch Grundrechte abgesichert sind. Durch die Schaffung einer zivilrechtlichen Befugnis, von der auf der horizontalen Ebene eine begünstigte Zivilperson Gebrauch machen kann, wirkt der Staat in der vertikalen Richtung auf das Grundrecht derjenigen Zivilperson ein, der gegenüber diese Befugnis gilt. Wird nun die zivilrechtliche Bereichsabgrenzung von dem grundrechtsgebundenen Zivilgesetzgeber in einer grundrechtswidrigen Weise vorgenommen, wird 3
°i Schwabe S. 19 ff. Schwabe S. 26. 303 Schwabe S. 154, 155. Gleiche Problemsicht bei: Schnur VVDStRL 22, Ι Ο Ι , 140; Reuter-Säcker NJW 1965, 2037, 2038. 302
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also ζ. B. ein Bereich, der auf der horizontalen Ebene durch ein subjektives Privatrecht geschützt und in der Staatsrichtung durch ein Grundrecht gesichert wird, einer zivilrechtlichen Eingriffsbefugnis unterworfen, die mit dem Wesensgehalt des Grundrechts unvereinbar ist, so kommt die staatsgerichtete Abwehrfunktion der Grundrechte zum Tragen 304 .
Die Grundrechte werden also nicht dazu bemüht, auf der horizontalen Ebene des Privatrechtsverkehrs die Rechtsmacht der Privatpersonen zu begrenzen, sondern sie dienen als staatsgerichtete Grundrechte dazu, den Zivilgesetzgeber zu begrenzen, der durch seine Normsetzung die privatrechtliche Rechtsmacht konstituiert, von der die Privatpersonen auf der horizontalen Ebene Gebrauch machen. bbb) Ablehnung der Schwäbischen Ansicht Diese Anschauung von der Wirkungsweise der Grundrechte im Privatrechtsverkehr ist abzulehnen. Sie ist in sich nicht schlüssig und stellt letztlich nur eine „petitio principii" dar. Schwabe geht davon aus, daß sich die Grundrechte ausschließlich gegen den Staat richten. Deshalb sieht er es als prinzipiell verfehlt an, nach einer horizontalen Grundrechtsgeltung zwischen Privatpersonen zu fragen. Im Verhältnis zwischen Privatpersonen gibt es nach Schwabe von vornherein keine Grundrechtsgeltung, sondern nur eine Wirkung subjektiver Privatrechte. Da die subjektiven Privatrechte aber nun von der Staatsmacht - dem Zivilgesetzgeber - definiert und gegeneinander abgegrenzt werden, soll der Grundrechtsschutz - in der herkömmlichen vertikalen Richtung - greifen, wenn durch die Normsetzung des Zivilgesetzgebers ein grundrechtlich geschützter Bereich beeinträchtigt wird. Damit läuft die Ansicht von Schwabe - was bei dem Ansatz der strikten Staatsgerichtetheit der Grundrechte überraschend ist - auf dasselbe Ergebnis hinaus wie dasjenige der Lehre von der unmittelbaren horizontalen - Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht 305 . Für das Ergebnis spielt es nämlich keine Rolle, ob eine Privatperson auf der horizontalen Ebene einer anderen Privatperson ihre Grundrechte entgegenhalten kann oder ob sie dies nicht tun kann, dafür aber ihre Grundrechte der privatrechtlichen Rechtsnorm entgegensetzen kann, aus der die andere Privatperson Befugnisse herleiten will 3 0 6 . Die „betroffene" Privatperson kann sowohl nach der einen, als auch nach der anderen Ansicht ihr Grundrecht zur Abwehr einsetzen. Ob dieser Einsatz unmittelbar auf der horizontalen Ebene des Privatrechts erfolgt oder ob das Grundrecht dazu verwendet wird, den staatlichen Erlaubnissatz zu Fall zu bringen, aus dem der „Angreifer" eine Befugnis ablei304
Schwabe S. 56 ff. So zutreffend von Münch Vorbemerkung Art. 1-19 RdNr. 33; Canaris AcP 184, 201,203. 306 Zutreffend Reuter S. 74. 305
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ten will, ist für das Ergebnis belanglos. In beiden Fällen erfolgt ein Schutz nach Maßgabe des Schutzbereiches des tangierten Grundrechtes. Die Lehre von der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte begründet dieses Ergebnis nun mit einer Erwägung, die sich unmittelbar an dem privaten Rechtsverhältnis orientiert, für das dieses Ergebnis gelten soll: die Grundrechte gelten als Grundsatznormen für das gesamte soziale Leben nicht nur gegenüber dem Staat, sondern gegenüber jedermann. Schwabe rekurriert dagegen bei der Begründung dieses Ergebnisses auf die Bindung des Zivilgesetzgebers an die Grundrechte. Zwischen den Privatpersonen sollen die Grundrechte ja gerade nicht gelten. Warum soll dann aber der Zivilgesetzgeber, wenn er im Zivilgesetz die Interessenbereiche dieser Privatpersonen gegeneinander abgrenzt, diese Bereichsabgrenzungen nach Maßgabe der Grundrechte dieser Privatpersonen vornehmen müssen? Kann der Zivilgesetzgeber bei der Definition und Abgrenzung von subjektiven Privatrechten, die auf der horizontalen Ebene des Privatrechts wirken, an die Grundrechte der Privatpersonen gebunden sein, wenn diese Grundrechte auf dieser horizontalen Ebene belanglos sind? Muß die Negierung der Grundrechte auf der horizontalen Ebene des Privatrechts nicht zwingend zu einer Verneinung der Grundrechtsbindung des Zivilgesetzgebers führen? Geht man mit Schwabe von einer ausschließlichen Staatsgerichtetheit der Grundrechte aus, so muß man den Art. 1 Abs. 3 GG wie folgt lesen: „Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung, nicht aber Privatpersonen untereinander als unmittelbar geltendes Recht". Wieso ist aber eine Privatperson nicht an die Grundrechte anderer Privatpersonen gebunden, wenn ihr aufgrund der Grundrechtsbindung des Zivilgesetzgebers immer nur so viele zivilrechtliche Befugnisse zukommen können, wie es die Grundrechtssphären der anderen Privatpersonen erlauben? Führt die Grundrechtsbindung des Zivilgesetzgebers nicht zwingend dazu, daß auf der horizontalen Ebene des Privatrechts die Grundrechte der Privatrechtssubjekte nicht belanglos sind? Die Unstimmigkeit der Argumentation von Schwabe liegt darin, daß er einerseits den Grundrechten für die Rechtsbeziehungen zwischen den Zivilpersonen jegliche Bedeutung aberkennt, andererseits dann aber diesem Umstand bei der Grundrechtsbindung des Zivilgesetzgebers keinerlei Beachtung schenkt. Haben aber die Grundrechte für die Rechtsverhältnisse Privater keinerlei Relevanz, so kann dies für den Zivilgesetzgeber, der die Interessenkonflikte zwischen den Privaten zu regeln hat, nicht ohne Belang sein. Die Normen des Zivilgesetzgebers weisen - ebenso wie die Urteile des Zivilrichters 307 - die Besonderheit auf, daß sie Rechtsverhältnisse regeln, an 307 Früher hat man den Versuch unternommen, eine Grundrechtsgeltung im Privatrecht mit der Grundrechtsbindung des Richters zu begründen, der das Privatrecht anzu-
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denen der Staat - in seiner Eigenschaft als Hoheitsträger - nicht beteiligt ist. Der Privatperson, die möglicherweise in ihren Grundrechten betroffen wird, steht im Rahmen eines privatrechtlichen Rechtsverhältnisses eine andere Privatperson gegenüber. Der Staat gehört - in seiner Eigenschaft als Hoheitsträger - nicht zu den Subjekten eines solchen Rechtsverhältnisses. Der Staat ist insoweit nicht unmittelbar Beteiligter, sondern seine Beteiligung besteht darin, daß er in bezug auf privatrechtliche Rechtsverhältnisse regelnd tätig wird 3 0 8 . Unmittelbar Handelnde und Beteiligte des Privatrechts sind die Privatrechtssubjekte, die sich in privatrechtlichen Rechtsverhältnissen gegenüberstehen. Die Staatsgewalt wird in der Weise tätig, daß sie durch die Zivilgesetzgebung für das Handeln der Privatrechtssubjekte abstrakt-generelle Regeln aufstellt und daß sie durch die Zivilrechtsprechung den Privatrechtssubjekten dazu verhilft, daß im konkret-individuellen Streitfall die abstraktgenerellen Regeln durchgesetzt werden können. Die zu entscheidende Frage geht nun dahin, inwieweit der Staat bei diesem privatrechtliche Rechtsverhältnisse regelnden Handeln den Grundrechten der unmittelbar handelnden Privatpersonen verpflichtet ist, denen er unzweifelhaft unterworfen ist, wenn er selbst als unmittelbar Handelnder in die Rechtssphäre dieser Privatpersonen eingreift. Bei der hier zur Beantwortung anstehenden Frage geht es also nicht darum, daß der Staat - auch in dem hier interessierenden Bereich des Zivilrechts selbstverständlich dann an die Grundrechte gebunden ist, wenn er nicht die Rechtsbeziehungen Privater untereinander regelt, sondern wenn er selbst dem Bürger unmittelbar gegenübertritt. So ist es z.B. dem Zivilrichter natürlich wegen Art. 3 Abs. 3 GG verwehrt, bei der Verfahrensgestaltung eine Partei wegen ihrer Rasse zu benachteiligen oder zu bevorzugen. Ebenso unzweifelhaft ist es dem Zivilgesetzgeber z.B. verboten, Eheverbote zu normieren, die an die rassische Zugehörigkeit von Heiratswilligen anknüpfen. Die zu lösende Problematik hat nicht das Handeln des Staates im Auge, das unmittelbar gegenüber dem Bürger wirkt und deshalb sicherlich der Grundrechtsbindung unterliegt, sondern betrifft das Handeln des Staates, das - abstrakt-generell oder konkret-individuell - die Rechtsbeziehungen zwischen Privatpersonen regelt. Die Frage, inwieweit der Staat bei dieser regelnden Tätigkeit den Grundrechten der Privatpersonen verpflichtet ist, läßt sich nicht ohne Rückgriff darauf beantworten, wie es mit der Grundrechtsgeltung zwischen den Privatpersonen bestellt ist 3 0 9 . Zivilgesetzgebung und Zivilrechtsprechung können wenden hat. Vgl. dazu Dürig Festschrift S. 157, 158 m.w.N. Gegenüber dieser Begründung gilt dasselbe wie gegenüber der Argumentation von Schwabe, die auf die Grundrechtsbindung der Zivilgesetzgebung abstellt. Deshalb wird im folgenden der Zivilrichter in die Erörterung mit einbezogen. 308 Ganz ähnlich Bleckmann S. 139, 140, 142; Hesse § 11 II. 309 Im Prinzip ebenso: Bleckmann aaO; Hesse aaO; Dürig Festschrift aaO; F. Müller S. 37, 39; Reuter S. 76, 77 unter Aufgabe seiner Ansicht in NJW 1965, 2037, 2038.
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bei den von ihnen vorzunehmenden Regelungen privater Rechtsverhältnisse bezüglich des Inhalts dieser Regelungen nur in dem Umfang einer Grundrechtsbindung unterworfen sein, in dem die zur Entscheidung anstehenden Rechtsverhältnisse ihrerseits einer Grundrechtsbindung unterliegen. Eine Grundrechtsbindung kann nicht allein mit dem Umstand begründet werden, daß es der Staat ist, der regelnd tätig wird 3 1 0 . Eine solche Begründung übersieht, daß zivilrechtliche Regelungen des Staates, welche die Rechte Privater untereinander abgrenzen, einen Bereich betreffen, in dem der Staat - in seiner Eigenschaft als Hoheitsträger - nicht agiert. Würden die Grundrechte zu diesem Bereich keinerlei Aussage machen 311 , so wären sie auch bei der Regelung dieses Bereichs nicht zu beachten. Es wäre ein Widerspruch in sich, grundrechtsfreie Bereiche nach den Prinzipien der Grundrechte zu normieren und über grundrechtsfreie Rechtsverhältnisse nach Maßgabe der Grundrechte zu judizieren. Somit kommt es - entgegen Schwabe - doch auf die Frage an, welche Relevanz die Grundrechte für das horizontale Verhältnis zwischen den Privatpersonen haben. Die unmittelbare Wirkung der Grundrechte im Privatrechtsverkehr, zu der Schwabe im Ergebnis kommt, setzt - und dies wird von ihm verkannt - denknotwendig voraus, daß die Grundrechte für das Verhältnis der Privatpersonen zueinander Aussagen enthalten. Dies bedarf der Begründung. Rekurriert man zur Begründung auf die Grundrechtsbindung des Zivilgesetzgebers, so ist dies eine „petitio principii" 3 1 2 . Diese Begründung setzt das voraus, was sie beweisen soll: die unmittelbare Wirkung der Grundrechte im Privatrecht. Wo der Staat - sei es durch Normsetzung, sei es durch Richterspruch - die Rechtssphären Privater gegeneinander abgrenzt, dort hat er die Grundrechte dieser Personen in dem Umfang zu berücksichtigen, in dem diese Grundrechte für das Verhältnis der Rechtssphären Privater zueinander Lösungen bereithalten. ccc) Die Ansicht von Canaris 313 Canaris geht ebenfalls davon aus, daß nicht der Bürger sondern ausschließlich der Staat der Adressat der Grundrechte sei und daß die Wirkung der Grundrechte im Privatrecht daraus folge, daß der Zivilrechtsgesetzgeber nach 310
Vgl. auch Leisner S. 315: „ A u f die Bindung der Rechtsprechung an die Grundrechte als unmittelbar geltendes Recht (aus Art. 1 Abs. 3 GG) kann allerdings nicht, wie manche wollen, eine unmittelbare Drittwirkung gestützt werden: sie besagt nur, daß die Grundrechte mit demjenigen Inhalt, welchen sie nun einmal haben, auch die Rechtsprechung binden, sagt aber nichts über diesen Inhalt selbst aus". 311 Dies soll hier nicht zur Debatte gestellt werden, sondern ausschließlich die „petitio principii" im Gedankengang von Schwabe aufzeigen. 312 So beiläufig, aber zutreffend Ramm S. 41. 313 AcP 184, 2 0 1 ff.
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Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebunden sei 314 . Alle Normen des Privatrechts seien deshalb unmittelbar an den Grundrechten zu messen. Dabei sei zu beachten, daß die Grundrechte nicht nur Eingriffsverbote sondern auch Schutzgebote315 beinhalteten. Die Normen des Privatrechts seien daraufhin zu überprüfen, ob sie Grundrechte Privater verfassungswidrig einschränkten. Insoweit seien die Grundrechte in ihrer herkömmlichen Funktion als Eingriffsverbote und Abwehrrechte zu beachten 316 . Zu dieser Aussage von Canaris ist dasselbe zu sagen, was zu der Position von Schwabe gesagt worden ist. Soweit eine Norm des Zivilrechts sich darauf beschränkt, einem Privaten etwas zu verbieten oder gebieten, greift der Schutz der Grundrechte ein. Soweit es aber um die Regelung von Rechtsverhältnissen zwischen Privaten geht, ist der Zivilgesetzgeber an die Grundrechte nur dann gebunden, wenn sie zwischen Privaten Geltung beanspruchen können. Insoweit liegt bei Canaris dieselbe petitio principii wie bei Schwabe vor. Eine besondere Bedeutung mißt Canaris den Schutzgeboten an den Staat zu, die in den Grundrechten enthalten sind. Diese Schutzgebote folgen daraus, daß der Staat gem. Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG die Würde des Menschen - und damit auch die nachfolgenden Grundrechte als spezifische Ausprägungen des Würdeanspruches - nicht nur zu achten, sondern auch zu schützen hat. Da ein Schutz in der Staatsrichtung bereits durch das „Achtungsgebot" gewährleistet wird, kann mit dem „Schutzgebot" nur gemeint sein, daß der Staat - und damit auch der Privatrechtsgesetzgeber - verpflichtet ist, die Grundrechte in der horizontalen Richtung zu schützen. Demnach sind nach Canaris Privatrechtsnormen insbesondere auch daraufhin zu untersuchen, ob sie das verfassungsrechtlich gebotene Schutzminimum unterschreiten (sog. Untermaß verbot) , also das Grundrecht eines Privaten im Verhältnis zu anderen Privaten zu wenig schützen 317 . Dies ist - wie Canaris zu Recht feststellt 318 - keine Anerkennung der Lehre von der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte. Der Grundrechtsträger kann sich nicht in der horizontalen Ebene auf sein Grundrecht berufen, sondern nur in der vertikalen Richtung monieren, daß der Staat - entgegen einem verfassungsrechtlichen Schutzgebot - sein Grundrecht nicht genügend schütze. Dieses - in sich schlüssig begründete - Untermaßverbot setzt vielmehr sogar voraus, daß es keine unmittelbare Drittwirkung gibt. Wirken nämlich die Grundrechte im Privatrechtsverkehr unmittelbar, so kann der Grundrechtsträger sein Grundrecht Dritten unmittelbar entgegensetzen. Der Grundrechtsträger ist dann nicht darauf angewiesen, beim Staat einen unge314 315 316 317
AcP AcP AcP AcP
184, 201, 184, 201, 184, 201, 184, 201, 318 A c P 184, 201,
210, 245. 225 ff. 212 ff. 228; zu dem Schutzgebot vgl. auch BVerfGE 39, 1, 42 ff. 227.
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nügenden Schutz seines Grundrechtes „einzuklagen". Dies bedeutet, daß man den verfassungsrechtlichen Schutzgeboten erst dann und nur dann nachzugehen braucht, wenn man - wie Canaris - eine horizontale Geltung der Grundrechte ablehnt. Die Beantwortung dieser Frage, die hier noch nicht erfolgt ist, ist vorrangig. ddd) Der Streit um die horizontale Wirkung der Grundrechte Damit ist das Zentrum der Drittwirkungsdiskussion erreicht, wo darüber gestritten wird, ob die Grundrechte in ihrem subjektivrechtlichen Gehalt ausschließlich staatsgerichtete oder absolute - gegen jedermann gerichtete Rechte sind. Es wird insbesondere unter Berufung darauf, daß die Grundrechte als elementare Grundsatznormen für das soziale Leben ihre freiheitssichernde Funktion nur dann erfüllen könnten, wenn sie gegenüber jeder Freiheitsbedrohung wirkten, die Ansicht vertreten, daß die Grundrechte allseitig wirkende Rechte seien 319 . Dies bedeutet natürlich nicht, daß die Grundrechte in ihrer Eigenschaft als subjektive öffentliche Rechte im Verhältnis zwischen den Privatpersonen wirken sollen. Da aber, was den vertraglichen Bereich angeht, die Grundrechte als Verbotsnormen i.S.d. § 134 BGB angesehen werden und aus den Grundrechten, was den außervertraglichen Bereich betrifft, subjektive Privatrechte abgeleitet werden, die den Schutz der §§ 823,1004 BGB genießen, läuft diese Ansicht darauf hinaus, daß die Privatpersonen in ihrem Verhältnis zueinander an die Grundrechte gebunden werden. Die Lehre von der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte verhilft dem subjektivrechtlichen Gehalt dieser Rechte zur Geltung im Privatrecht. Die h. M. lehnt dies, insbesondere unter Bezugnahme auf die Entwicklungsgeschichte der Grundrechte und auf das Prinzip der Privatautonomie, das mit einer Bindungswirkung der Grundrechte im horizontalen Bereich unvereinbar sein soll, ab 3 2 0 . Privatpersonen sollen nicht an die Grundrechte anderer Privat319
Nipperdey S. 14 ff.; Enneccerus-Nipperdey § 15 I I 4; Nipperdey in: Die Grundrechte, Bd. I V , Halbband 2 S. 742,747 ff. ; Leisner S. 285 ff. ; Ramm S. 38 ff. ; J.P. Müller S. 160 ff.; Laufke S. 145 ff., 155; H. Krüger RdA 1954, 365, 368; von Münch Staatsrecht S. 88 ff.; Gamillscheg AcP 164, 386, 419 ff.; Steindorff S. 12. Das Bundesarbeitsgericht vertritt diese Meinung in ständiger Rechtsprechung; vgl. etwa B A G E 1, 185, 191 ff.; 4, 274, 276 ff.; 13, 168, 175 ff. Auch der Bundesgerichtshof ist in einzelnen Entscheidungen dieser Ansicht gefolgt; vgl. etwa B G H Z 24, 72, 76; 33, 145, 149 ff. 320 Dürig Festschrift S. 157 ff.; Dürig in Maunz-Dürig Art. 1 Abs. 3 RdNr. 127 ff.; von Mangold-Klein Vorbem. A I I 4; Schmidt-Bleibtreu/Klein Vorbem. vor Art. 1 RdNr. 6, 8; Leibholz-Rinck vor Art. 1-19 RdNr. 2; Maunz § 14 I I 11; Hesse § 11 I I ; Stein § 38 I I ; Flume § 1 Ziff. I O b; Larenz SchuAT § 4 I V ; Geiger S. 7 ff.; Reimers S. 13 ff.; Koebel JZ 1961, 521, 524 ff. Das Bundesverfassungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung, ohne die Lehre von einer unmittelbaren Grundrechtswirkung abschließend abzulehnen, von einer mittelba-
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personen gebunden sein. Nicht die subjektivrechtliche Komponente, sondern ausschließlich der objektivrechtliche Gehalt der Grundrechte soll für die Privatrechtsordnung Relevanz haben. Die Lehre von der mittelbaren Wirkung der Grundrechte im Privatrecht beschränkt sich darauf, die objektive Wertordnung der Grundrechte für das Zivilrecht fruchtbar zu machen. aaaa) Grundrechte als Fundamentalnormen Eine unmittelbare - Zivilpersonen untereinander bindende - Wirkung der Grundrechte kann nicht allein aus dem Umstand hergeleitet werden, daß die Grundrechte Fundamentalnormen unserer Rechtsordnung sind, die höchste Werte - teilweise vorstaatlicher Natur - schützen 321 . Daraus folgt nur, daß die Grundrechte für den Bereich des Privatrechts nicht belanglos sein können. Es wäre ein Widerspruch in sich und mit der Einheit der Rechtsordnung nicht zu vereinbaren, wenn die fundamentalen Werte, die in den Grundrechten Schutz gefunden haben, für die Privatrechtsordnung irrelevant wären. Es gibt heute auch niemanden mehr, der eine solche Irrelevanz behauptet 322 . Der Fundamentalcharakter der Grundrechte führt indes nicht zwingend zu der Schlußfolgerung, daß die Grundrechte Privatpersonen untereinander binden müssen. Privatrechtliche Rechtsverhältnisse weisen - im Gegensatz zu öffentlichrechtlichen Rechtsverhältnissen, bei denen der Bürger als Grundrechtsträger dem „grundrechtslosen" Staat gegenübertritt - die Eigenart auf, daß an ihnen nur Grundrechtsträger beteiligt sind, denen allen das Freiheitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG zusteht. Wer wegen dieser Besonderheit des Zivilrechts eine Grundrechtsbindung Privater ablehnt, gleichzeitig aber die Grundrechtswerte bei der Auslegung der Privatrechtsnormen und insbesondere bei der Ausfüllung der Generalklauseln aktualisiert (wobei die §§ 138, 242, 826 BGB im Zivilrecht von eminenter Bedeutung sind), dem kann nicht der Vorwurf gemacht werden, daß er fundamentale Werte der Gesamtrechtsordnung in einem Teilbereich der Rechtsordnung außer acht lasse. Diese Betrachtungsweise mag unrichtig sein. Der Beweis der Unrichtigkeit ist aber noch nicht mit dem Hinweis darauf geführt, daß die Grundrechte Fundamentalnormen sind, die im gesamten Recht Geltung beanspruchen. Befürwortet man - gerade wegen der grundrechtlichen Besonderheit, daß im Zivilrecht alle Beteiligten Grundrechtsträger sind - eine mittelbare Einwirkung der Grundrechte auf das Privatrecht, so setzt man sich nicht in Widerspruch zu dem Fundamentalcharakter der Grundrechte.
ren Wirkung der Grundrechte im Privatrechtsverkehr aus; vgl. etwa BVerfGE 7, 198, 204 ff.; 7, 230 , 233 f.; 24, 278, 282; 25, 256, 263; 34, 269, 280 ; 42, 143, 148. 321 Eine solche Herleitung findet sich bei: Leisner S. 138 ff. ; 333; Laufke S. 155; Reuter S. 186. 322 Vgl. dazu von Münch Vorbemerkung Art. 1-19 RdNr. 29 u. Canaris aaO. 225.
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bbbb) Argumentum a maiore ad minus Zur Rechtfertigung einer unmittelbaren Grundrechtsbindung Privater ist angeführt worden, daß sich der einzelne gegenüber gleichgeordneten Rechtsgenossen auf seine Grundrechte berufen könne, weil er dies sogar gegenüber dem übergeordneten Staat tun könne. Wenn sogar die Staatsgewalt - gem. Art. 1 Abs. 3 GG - an die Grundrechte gebunden sei, so müßten erst recht Privatpersonen an diese Grundrechte gebunden sein 323 . Dieses „argumentum a maiore ad minus" ist zu Recht als fehlsam verworfen worden 324 . Es basiert auf der Vorstellung, daß sich der weniger mächtige Staatsbürger das erst recht gefallen lassen müsse, was sogar gegenüber dem mächtigeren Staat gelte. Es ist schon zweifelhaft, ob eine Schlußfolgerung, die vom mächtigen Staat auf den ohnmächtigen einzelnen deduziert, in Übereinstimmung mit den Wertungen der Grundrechte steht. Dies kann aber dahinstehen, weil die Argumentation in sich unrichtig ist. Der Staat, dem gegenüber die Grundrechte gelten, kann der Grundrechtsbindung keine eigenen Grundrechte entgegensetzen. Der Private, der an die Grundrechte einer anderen Privatperson gebunden werden soll, kann dem seine eigenen Grundrechte entgegenhalten. Einer Bindung an Grundrechte kann der „grundrechtslose" Staat weniger entgegensetzen als der Bürger, der Grundrechtsträger ist. Dann folgt aber auch aus der Bindung des Staates noch nicht die Bindung der Privatperson. Bei der Schlußfolgerung von der Bindung des Staates auf die Bindung der Zivilperson wird methodisch unzulässig - vom „Weniger" auf das „Mehr" geschlossen. Globalaussagen über den Fundamentalcharakter der Grundrechte und „erst recht-Schlüsse" führen nicht weiter. Es empfiehlt sich, zunächst einmal mit den herkömmlichen Mitteln der Gesetzesauslegung zu beginnen.
cccc) Wortlaut und Systematik der Verfassung Wortlaut und Systematik des Grundgesetzes geben keine eindeutige A n wort. Für eine unmittelbare Geltung der Grundrechte im Privatrechtsverkehr lassen sich die Art. 1 Abs. 1 S. 2, Art. 1 Abs. 2 und Art. 2 Abs. 1 GG anführen. Bezüglich des Würdeanspruches des Menschen, aus dem alle Grundrechte fließen, ordnet Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG an, daß die staatliche Gewalt verpflichtet ist, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen. Diese Schutz323
So z. B. Hamel DVB11957, 618, 619; Nipperdey RdA 1950,121,125; O L G Hamburg (unveröffentlicht) zitiert in BVerfGE 7, 198, 220. 324 BVerfGE 7, 198, 220; Dürig Festschrift S. 157, 158; Reimers S. 15; Ramm S. 41; Maunz § 14 I I 11. Nipperdey hat dieses Argument in Ennccerus-Nipperdey § 15 I I 4 aufgegeben.
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pflicht des Staates spricht dafür, daß die Grundrechte nicht nur im vertikalen Verhältnis den Staat, sondern auch im horizontalen Bereich den Bürger binden 3 2 5 . Im Gegensatz zu der Achtungspflicht, die den Aspekt anspricht, daß der Staat bei seinem eigenen Handeln die Menschenwürde zu respektieren hat, bringt die Schutzpflicht des Staates die „Drittrichtung" der Grundrechte ins Spiel. Diese Schutzpflicht geht nämlich dahin, daß der Staat abwehrend tätig zu werden hat, wenn die Menschenwürde des Grundrechtsträgers von der außerstaatlichen Sphäre her bedroht wird 3 2 6 . Wenn aber der Staat die Grundrechte des Individuums - die einzelnen Grundrechte sind Konkretisierungen des Würdeanspruches - gegen Bedrohungen durch Private zu schützen hat, so impliziert dies, daß die Grundrechte gegenüber diesen Privaten wirken. Gegenüber einem „rechtmäßigen" Verhalten dieser Privatpersonen hätte der Staat keinen Eingriffstitel. Ferner bekennt sich gem. Art. 1 Abs. 2 GG das deutsche Volk zu den Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft. Dieser nicht auf das Verhältnis zwischen Bürger und Staat beschränkte Wortlaut deutet darauf hin, daß die Grundrechte nicht nur die Ordnung des staatlichen Lebens, sondern auch die Ordnung des Lebens im Staate im Auge haben. Sind aber die Grundrechte auch die Grundlage des Lebens im Staate, so spricht viel dafür, daß sie in dieser Funktion die gleiche Relevanz haben sollen wie für das Staat-Bürger-Verhältnis, wo ihnen eine unmittelbare Bindungswirkung zukommt 327 . Schließlich ist Art. 2 Abs. 1 GG zu nennen, der die „Rechte anderer" als Schranke des allgemeinen Freiheitsrechts enthält. Es ist unzweifelhaft, daß zu diesen Rechten anderer die subjektiven Privatrechte anderer gehören 328 . Ein Vorbehalt gegenüber einem Grundrecht ergibt nur dann einen Sinn, wenn ohne den Vorbehalt das Grundrecht die durch den Vorbehalt geschützten Interessen zu beeinträchtigen vermag. Dies läßt darauf schließen, daß das Grundgesetz von einer unmittelbaren Geltung der Grundrechte im Zivilrecht ausgeht. Wäre der Inhaber eines privaten Rechts dem Grundrecht aus Art. 2 325 Eine solche Interpretation des Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG findet sich bei: Leisner S. 139 ff., 148, 333; Laufke S. 145, 152; Nipperdey in: Die Grundrechte, Bd. I V , Halbband 2 S. 750. Bleckmann S. 145, 146 sieht Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG als ein mögliches Argument für eine unmittelbare Grundrechtswirkung an. Dürig in Maunz-Dürig Art. 1 Abs. 3 RdNr. 102, der eine solche Grundrechtswirkung entschieden ablehnt, räumt ein, daß Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG eine Verfassungsaussage zugunsten einer Grundrechtsbindung Privater sei. 326 Vgl. etwa BVerfGE 1, 97, 104; von Münch Art. 1 RdNr. 28; Dürig in MaunzDürig Art. 1 RdNr. 3. 327 Auf Art. 1 Abs. 2 GG wird Bezug genommen bei: Leisner S. 139 ff., 148; Laufke S. 145, 152; von Münch Staatsrecht S. 91. 328 Vgl. etwa Dürig in Maunz-Dürig Art. 2 RdNr. 13; von Münch Art. 2 RdNr. 26; Nipperdey aaO S. 741, 781.
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Abs. 1 GG nicht konfrontiert, so brauchte er nicht durch einen Vorbehalt gegen dieses Grundrecht geschützt zu werden 329 . Im übrigen umfassen die „Rechte anderer" - als Inbegriff aller privaten und öffentlichen Rechte, die von der Rechtsordnung als subjektive Rechte anerkannt werden - selbstverständlich auch die Grundrechte anderer. Wenn aber die Entfaltungsfreiheit einer Privatperson an den Grundrechten anderer Privatpersonen ihre Schranke finden soll, dann geht Art. 2 Abs. 1 GG offenbar davon aus, daß Grundrechte Privater auf derselben Ebene miteinander konfligieren können. Auf der anderen Seite läßt es sich nicht verkennen, daß das Grundgesetz Bestimmungen enthält, die sich nicht mit der Aussage vereinbaren lassen, daß Privatpersonen in ihrem Verhältnis zueinander an die Grundrechte gebunden sein sollen. In diesem Zusammenhang sind Art. 1 Abs. 3 GG und Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG anzuführen. Art. 1 Abs. 3 GG bindet mit der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung nur die Gewalten des Staates und nicht Privatpersonen an die nachfolgenden Grundrechte. Wie bereits gezeigt, lassen sich aus der Grundrechtsbindung der Zivilgesetzgebung und der Zivilrechtsprechung keine Argumente für eine unmittelbare Grundrechtsgeltung im Privatrechtsverkehr herleiten. Zivilgesetzgebung und Zivilrechtsprechung sind bei der Normsetzung und der Normanwendung in dem Umfang an die Grundrechte Privater gebunden, in dem diese Grundrechte zwischen diesen Privaten gelten. Mit der Grundrechtsbindung der Zivilgesetzgebung und der Zivilrechtsprechung eine unmittelbare Grundrechtswirkung im Privatrecht begründen zu wollen, stellt - wie gezeigt - eine unzulässige „petitio principii" dar. Hält man sich dies vor Augen, so spricht Art. 1 Abs. 3 GG gegen eine unmittelbare Grundrechtsbindung der Zivilpersonen, da diese Vorschrift diese Personen nicht als Adressaten der Grundrechte nennt 330 . Gem. Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG sind Abreden nichtig, die das Recht der Koalitionsfreiheit einschränken oder zu behindern suchen, hierauf gerichtete Maß329 Vgl. dazu insbesondere Schwabe S. 99 ff. Auf die „Rechte anderer" wird ebenfalls Bezug genommen bei: H. Krüger RdA 1954, 365, 368; Leisner S. 321 f. Bleckmann S. 146 meint, daß diese Schranke des Art. 2 Abs. 1 GG ein Argument für die Drittwirkung sei. 330 Auf Art. 1 Abs. 3 GG stützen sich: von Mangoldt-Klein Vorbem. A I I 4 c; Schätzel RdA 1950, 248, 250; Dürig Festschrift S. 157, 176; Flume § 1 Ziff. I O b; Canaris aaO. 204. Als ein Argument, das gegen eine unmittelbare Drittwirkung der Grundrechte spricht, wird Art. 1 Abs. 3 GG angeführt von: von Münch Vorbem. Art. 1-19 RdNr. 29; ders. Staatsrecht S. 89; Bleckmann S. 145.
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nahmen sind rechtswidrig. Es ist unzweifelhaft, daß mit dieser Anordnung dem Grundrecht der Koalitionsfreiheit im Privatrecht eine unmittelbare Wirkung zukommt. Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG ist die einzige Vorschrift des Verfassungstextes, die eine solche Wirkung ausdrücklich vorsieht 331 . Dies legt es nahe, im Wege eines „argumentum e contrario" eine Grundrechtsbindung Privater außerhalb des Bereiches des Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG abzulehnen 332 . Sind Privatpersonen in ihrem Verhältnis zueinander generell an die Grundrechte gebunden, so braucht dies für den speziellen Fall der Koalitionsfreiheit nicht noch einmal ausdrücklich geregelt zu werden. Gilt generell eine unmittelbare Grundrechtsbindung Privater, so kann Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG nur eine deklaratorische Bedeutung haben. Es ist aber nicht einzusehen, welchen Sinn eine solche deklaratorische Aussage bei einem einzigen speziellen Freiheitsrecht haben soll, das zwar wichtig, nicht aber wichtiger als andere spezielle Freiheitsrechte ist. Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG legt somit den Schluß nahe, daß das Grundgesetz Private nicht generell an die Grundrechte binden will. Argumente aus dem Wortlaut und der Systematik des Grundgesetzes führen somit zu keinem eindeutigen Ergebnis. Der Verfassungstext liefert bezüglich der Grundrechtsbindung Privater Argumente „pro" und „contra". dddd) Entstehungsgeschichte Sieht man sich die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes an 3 3 3 , so ist es auch nicht weiter erstaunlich, daß Wortlaut und Systematik des Grundgesetzes zur Drittwirkungsproblematik keine eindeutige Aussage machen. Grundsätzliche Stellungnahmen zur Wirkungsweise der Grundrechte im Privatrechtsverkehr sind in der Entstehungsgeschichte nicht zu finden. Die Väter des Grundgesetzes haben die grundsätzliche Problematik der Drittwirkung der Grundrechte nicht erkannt 334 . Ob die Grundrechte auch Privatpersonen binden, wird nur in einigen wenigen Einzelaussagen am Rande gestreift 335 . 331 Art. 118 Abs. 1 S. 2 der Weimarer Reichsverfassung ordnete bezüglich der Meinungsfreiheit an: „ A n diesem Rechte darf ihn kein Arbeits- oder Anstellungsverhältnis hindern, und niemand darf ihn benachteiligen, wenn er von diesem Rechte Gebrauch macht". Ob eine dementsprechende Regelung in den Art. 5 GG lediglich infolge eines Redaktionsversehens nicht aufgenommen worden ist, ist streitig. Vgl. dazu Reimers S. 23; Herzog in Maunz-Dürig Art. 5 RdNr. 169. In jedem Fall ist es so, daß der Verfassungstext nur in Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG die unmittelbare Drittwirkung eines Grundrechts anordnet. 332 So wird insbesondere argumentiert von: Reimers S. 14; Schmidt-Rimpler AöR 1950, 165, 170 f. Als ein gegen eine Grundrechtsbindung Privater sprechendes Argument wird Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG angesehen von: Bleckmann S. 145; von Münch Art. 1-19 RdNr. 29; ders. Staatsrecht S. 89. 333 Vgl v o n Doemming-Füsslein-Matz JöR 1951 NF 1. 334 33
So zu Recht Leisner S. 513. 5 Vgl. JöR 1951 NF 1 S. 48, 49, 63, 64, 118.
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Diese Äußerungen sind kontroverser Natur 3 3 6 . Insgesamt läßt sich somit feststellen, daß die unmittelbare Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes zur Lösung der anstehenden Problematik nichts hergibt 337 . Eine eindeutige Antwort ergibt sich auch dann nicht, wenn man den geistigpolitisch-philosophischen Hintergrund der Entstehungsgeschichte in die Betrachtungsweise miteinbezieht. Es läßt sich aus der Entstehungsgeschichte einwandfrei belegen 338 , und es ist auch hier bereits dargelegt worden (vgl. S. 111 ff.), daß die Grundrechte des Grundgesetzes in hohem Maße als Antwort auf die elementaren Freiheitsverletzungen der NS-Zeit zu begreifen sind 339 . In Reaktion auf das vorangegangene Unrechtsregime erfolgte weitgehend ein Rückgriff auf Freiheitsrechte und Freiheitsprinzipien des liberalen Rechtsstaates340. Für ein liberales Grundrechts Verständnis, das grundrechtliche Freiheit als Freiheit vom Staate sieht (vgl. oben S. 61 ff.), liegt es nahe, nur die Macht des Staates der Bindung der Grundrechte zu unterwerfen 341 . Die Reaktion auf die NS-Zeit beschränkte sich aber nicht darauf, auf die Ideen des liberalen Rechtsstaates zurückzugreifen. Schließlich hatte sich dieser Staat als unfähig erwiesen, es zu verhindern, daß Unrecht in den Formen des Rechts etabliert und praktiziert wurde. Die Grundrechte waren in der Rechtsordnung des liberalen Rechtsstaates nicht fest genug verankert gewesen, um in der Rechtswirklichkeit den Sieg davontragen zu können. Deshalb setzte nach dem Krieg eine Neubesinnung ein, für welche die folgende Äußerung aus dem Jahre 1946 paradigmatisch ist: „Wie sehr die Rechtswissenschaft der Vergangenheit daran beteiligt war, daß Recht und Rechtsanwendung im Dritten Reich als ein nur technischer Apparat erschienen, dessen sich jeder beliebiger Machthaber bemächtigen und bedienen konnte, ist nur allzu augenscheinlich - ebenso wie die Notwendigkeit einer nunmehr ganz anderen Leitungs- und Erziehungsaufgabe der Rechtswissenschaft und Rechtslehre. Heute hat deutsche Rechtswissenschaft ein Zeugnis von dem in menschlicher Natur und göttlicher Ordnung, im Naturrecht oder wie man es sonst nennen mag, tief begründeten Gebot der Gerechtigkeit abzulegen. Sie hat nicht einen Bestand von einzelnen Rechtssätzen zu konstatieren, sondern die Forderungen der Gerechtigkeit grundsätzlich zu verkünden" 3 4 2 . 336
Vgl. etwa einerseits S. 48, 49 und andererseits S. 63, 64. Im Prinzip ebenso Leisner S. 314. 338 Vgl. dazu eingehend von Mangoldt, Das Bonner Grundgesetz, Kommentar 1953, Einleitung zum Grundrechtsabschnitt S. 34 ff. 339 Vgl. dazu Böckenförde NJW 1974,1529, 1537; Leisner S. 313; von Münch Vorbemerkung Art. 1-19 RdNr. 5. 340 Vgl. Böckenförde aaO. 341 Vgl. dazu insbesondere Leisner S. 3 0 ff.; nach Canaris aaO S. 205 spricht der Aspekt der Reaktion auf die NS-Zeit entscheidend gegen eine unmittelbare Drittwirkung. 342 Smend S. 348. 337
10 Reinicke
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Dieses eine Beispiel könnte um eine Mehrzahl anderer vermehrt werden 343 , die alle ebenfalls zeigen würden, daß es eine Neuorientierung gab, der es darum ging, die Rechte des einzelnen tiefer zu fundieren und ihnen in der Rechts Wirklichkeit eine größere Bestandskraft zu sichern. Es kam zu einem Wiederaufleben naturrechtlichen Denkens 344 , welches allerdings - wiederum ein Reflex auf die vorangegangene Zeit - im Gegensatz zu vielen früheren naturrechtlichen Ansätzen nicht von einer transpersonalen und objektiven Ordnung aus deduzierte, sondern vielmehr den Grundwert der freien Persönlichkeit des Menschen in den Mittelpunkt seines Systems stellte. Im Zentrum dieses personalen neunaturrechtlichen Denkens stand der Mensch, der seinen Sinn in sich selbst trägt und der mit der ihm eigenen Würde dem Staat vorgelagert ist, der um dieses Menschen willen da ist 3 4 5 . Dieses Denken ist unmittelbar in die zentrale Norm der Grundrechte - in Art. 1 GG - eingegangen346. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Alle staatliche Gewalt ist verpflichtet, diese Würde zu achten und zu schützen. Wegen dieser Würde erfolgt das Bekenntnis zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft und aus dieser Würde fließen die einzelnen Grundrechte, die Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht binden. Die Würde des Menschen wird so zum obersten Konstitutionsprinzip der Verfassung 347. Gem. Art. 79 Abs. 3 GG sind die in Art. 1 GG niedergelegten Grundsätze sogar dem Zugriff des verfassungsändernden Gesetzgebers entzogen. Die Entscheidung für die freie und eigenverantwortliche Persönlichkeit des Menschen als Zentrum unserer Rechtsordnung ist eine „axiomatische Ewigkeitsentscheidung" 348 . Dieses personale - in Art. 1 GG positi vierte - neunaturrechtliche Grundrechtsverständnis erhebt für die Grundrechte einen Geltungsanspruch, der nicht nur staatsgerichtet ist. Ein Würdeanspruch des Menschen, der vorstaatlich vorhanden ist, bevor er vom staatlichen Recht rezipiert wird, kann nicht nur staatsgerichteter Natur sein. Die Würde des Menschen - eine Einheit, die nicht in eine „staatsgerichtete" und eine „privatgerichtete" Würde aufgeteilt werden kann - verlangt nach allseitigem Schutz 349 . 343 Maihofer S. 580 ff. 344 Vgl. dazu insbesondere J.P. Müller S. 129 ff., 165 f. 345 Vgl. dazu insbesondere Leisner S. 127 ff. 346 Zum naturrechtlichen Bezug des Art. 1 GG vgl. auch noch: Dürig AöR 1956, 117 ff.; Bohne S. 3, 31; Nipperdey in: Die Grundrechte, Bd. I I , S. 1, 2; Hubmann S. 4 0 f., 102, 104. 347 Vgl. etwa BVerfGE 6, 32, 36; 45, 187, 207; J.P. Müller S. 130; Wintrich S. I O ff.; Dürig in Maunz-Dürig Art. 1 Abs. 1 RdNr. 14. 348 Dürig in Maunz-Dürig Art. 1 Abs. 1 RdNr. 9. 349 Vgl. dazu J.P. Müller S. 133; Leisner S. 146 ff.; Dürig AöR 1956, 117 f.; ders. in Maunz-Dürig Art. 1 Abs. 1 RdNr. 2.
5. Die interne Grundrechtsmündigkeitsproblematik
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Betrachtet man somit den geistig-politisch-philosophischen Hintergrund der Entstehungsgeschichte, so zeigt es sich, daß neben einer liberalen Komponente, welche die Tendenz in sich trägt, nur die Staatsmacht der Grundrechtsbindung zu unterwerfen, von vornherein eine „drittgerichtete" Komponente vorhanden ist, die aus neunaturrechtlich-personalem Gedankengut besteht 350 . Damit steht aber nur fest, daß eine Grundrechtsbindung der Zivilpersonen untereinander nicht daran scheitert, daß hinter den Grundrechten eine Grundrechtskonzeption des Verfassungsgebers steht, welche die Grundrechte auf die Staatsrichtung fixiert. Eine dahingehende Grundrechtskonzeption der Verfassungsväter, daß die Grundrechte nur den Staat zum Anspruchsgegner haben können, kann nicht ermittelt werden. Wäre eine solche Grundrechtskonzeption zu finden, so könnte der Grundrechtseinfluß auf den Privatrechtsverkehr nur in der Weise realisiert werden, daß die objektive Wertordnung der Grundrechte bei der Auslegung des Privatrechts zu beachten wäre. Erkennt man dagegen, daß die neunaturrechtlich und personal geprägte Grundrechtskonzeption, die in Art. 1 GG ihren positivrechtlichen Ausdruck gefunden hat, die Grundrechte - in ihrem subjektivrechtlichen Gehalt - nicht auf die Staatsrichtung festlegt, so bleibt immer noch die Frage zu beantworten, ob die Allseitigkeit der Grundrechte durch eine unmittelbare Grundrechtsbindung der Privatpersonen untereinander oder durch einen mittelbaren Einfluß der Grundrechte auf das Privatrecht zu verwirklichen ist. Die Erkenntnis der Allseitigkeit der Grundrechte verhindert zwar eine vorschnelle, liefert aber noch nicht die gesuchte Anwort. eeee) Die geistesgeschichtliche Grundrechtsidee Für eine ausschließliche Staatsgerichtetheit der Grundrechte (in ihrem subjektivrechtlichen Gehalt), die eine Grundrechtsbindung Privater nicht zuläßt, wird die geistesgeschichtliche Entwicklung der Grundrechtsidee als Argument angeführt 351 . Diese Betrachtungsweise sieht in den klassischen Grundrechtskatalogen der westlichen Staatenwelt 352 ausschließlich ein antiabsolutistisches Streben nach einer Begrenzung der Staatsgewalt in ihrem Verhältnis zu dem Individuum, 350
Diese Komponente wird von Canaris AcP 184, 2 0 1 ff. übersehen. So z.B. von BVerfGE 7, 198, 205; Geiger S. 13; Reimers S. I O ff.; von Mangoldt-Klein Vorbemerkung A I I 4; Leibholz-Rinck vor Art. 1-19 RdNr. 2; SchmidtBleibtreu/Klein Vorbemerkung vor Art. 1 RdNr. 6. Von Münch Staatsrecht S. 89, 79 ff. und Bleckmann S. 142, 143 bezeichnen die Entwicklungsgeschichte der Grundrechte als ein Argument, das gegen die Grundrechtsbindung Privater spricht. 352 Z . B . Magna Charta libertatum von 1215; Bill of rights von 1776; Französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789; Paulskirchenverfassung von 1848. 351
10*
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II. Prozeßführung und das Problem der Grundrechtsmündigkeit
das dieser Gewalt unterworfen ist. Es ist von einem geschichtlich-klassischen Grundrechtsbegriff die Rede, der gegenüber der öffentlichen Gewalt - und nur ihr gegenüber - die Funktion haben soll, die Rechte des einzelnen dadurch zu sichern, daß seine Rechtssphäre gegen staatliche - und nur gegen staatliche - Eingriffe geschützt wird. Die Grundrechte werden nicht als allseitige Freiheitsverbürgungen, sondern ausschließlich als staatsgerichtete Freiheitsgewährleistungen begriffen 353 . Zunächst einmal ist es schon zweifelhaft, ob ein solcher Rückgriff in die Historie, der weit hinter die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes zurückgeht, für die Auslegung der Grundrechte, die dieses Grundgesetz gewährt, überhaupt von irgendeiner Relevanz sein kann. „Die historische Stoßrichtung der Grundrechte kann heute nicht mehr entscheidend sein. Die Grundrechte sollen Freiheit bewahren, nicht Historie konservieren" 354 . Auf jeden Fall kommt man, wenn man eine ausschließlich staatsgerichtete geistesgeschichtliche Grundrechtsidee in die Betrachtung mit einbezieht, nicht um den Beweis herum, daß diese Grundrechtsidee die Grundrechtsidee des Grundgesetzes ist 3 5 5 . Davon kann aber - wie gerade dargelegt - nicht die Rede sein. Der Verfassungsgeber stand unter dem Einfluß eines neunaturrechtlichen-personalen Denkens, das die vorstaatliche Würde des Menschen als den elementaren Grundwert ansieht. Dieser Grundwert ist in Art. 1 GG zum obersten Konstitutionsprinzip der Verfassung positiviert worden. Die Würde des Menschen ist unteilbar und verlangt nicht nach einem nur staatsgerichteten, sondern nach einem allseitigen Schutz. Selbst wenn also die geistesgeschichtliche Grundrechtsidee der klassischen Verfassungen rein staatsgerichteter Natur gewesen sein sollte, so ist dies ohne Belang, weil jedenfalls die Grundrechtsidee des Grundgesetzes nicht nur staatsgerichtet ist 3 5 6 . Im übrigen ist es - worauf es aber für die Lösung der Drittwirkungsproblematik nicht ankommt - zweifelhaft, ob eine klassische - rein staatsgerichtete Grundrechtsidee die Verfassungsgeschichte überhaupt richtig interpretiert. Diese Interpretation der Grundrechte ist heute nur noch für den Zeitraum des 19. Jahrhunderts unbestritten. Das liberale Bürgertum - die tonangebende Schicht dieser Zeit, die zwar wirtschaftlich etabliert war, politisch aber noch um die Macht kämpfte - brauchte nur den Staat als Angreifer zu fürchten. Auf 353
Vgl. insbesondere von Mangoldt-Klein aaO. Von Münch aaO S. 91. 355 Ebenso Laufke S. 145, 152. 356 Mit diesem „nicht nur" wird selbstverständlich die unzweifelhafte Staatsrichtung der Grundrechte und damit auch anerkannt, daß die Grundrechte des Grundgesetzes historische Erfahrungen im Verhältnis Staat-Bürger reflektieren. So ist - wie bereits gezeigt (S. l l O ff.) - die Schranken- und Vorbehaltssystematik der Grundrechte eine Antwort auf historische Gefährdungssituationen im Spannungsfeld zwischen Staatsmacht und Individuum. Dies ist aber nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist die in Art. 1 GG positivierte Wertentscheidung, die allseitigen Grundrechtsschutz fordert. 354
5. Die interne Grundrechtsmündigkeitsproblematik
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der Ebene des Privatrechts wurden die Interessen dieses Bürgertums durch das liberale Zivilrecht befriedigt, das die Institutionen des Eigentums, der Vertragsfreiheit und der Testierfreiheit zur Verfügung stellte. Kampfziel dieses Bürgertums war nicht mehr die Freiheitssicherung im horizontalen Bereich, sondern es ging ihm darum, im vertikalen Bereich den Staat von der - bereits erkämpften - privaten Sphäre fernzuhalten, und außerdem darum, gegenüber dem Staat weitere politische Freiheiten zu erringen 357 . Hier kann in der Tat von einer ausschließlichen Staatsgerichtetheit der Grundrechte gesprochen werden. Es ist indes die Frage, ob dieses Grundrechtsverständnis dieser Epoche zur geistesgeschichtlichen Grundrechtsidee erklärt werden kann. Es sind umfangreiche Untersuchungen vorgelegt worden 358 , die dies energisch bestreiten und stattdessen behaupten, daß die Grundrechte mit allseitiger Tendenz entstanden seien und erst im 19. Jahrhundert - dem Jahrhundert des liberalen Bürgertums - auf die Staatsrichtung eingeengt worden seien. Die absolute Geltung der Grundrechte sei der Ausgangspunkt der Geschichte der Grundrechte. Dies wird insbesondere auch an der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 exemplifiziert 359 , deren Art. 4 die Freiheit definiert als „alles tun zu können, was anderen nicht schadet" und bezüglich der Grenze dieser Freiheit ausführt „somit hat die Ausübung der natürlichen Rechte jedes Menschen keine Grenze als die, die den anderen Mitgliedern der Gesellschaft den Genuß derselben Rechte sichert". In Anbetracht eines solchen Verständnisses der Freiheit nimmt es nicht wunder, daß bezüglich der Deklaration von 1789 die These vertreten wird, daß die in ihr enthaltenen Grundrechte gerade auch der Realisierung der Freiheit im privatrechtlichen Raum dienen sollten 360 . Bezüglich des Art. 4 dieser Erklärung findet sich sogar die Ansicht, daß diese Vorschrift „bereits die heute aktuelle Lehre einer Drittwirkung der Grundrechte in eine allgemeine Formel eingefangen" habe 361 . Daß der Deklaration von 1789 kein rein staatsgerichtetes Grundrechtsverständnis zugrunde liegt, erscheint auch deshalb recht plausibel, weil die Stoßrichtung der französischen Revolution gerade gegen die intermediären Kräfte zwischen Staat und Individuum (Adel, Großgrundbesitz, Klerus, Zünfte usw.) gerichtet war 3 6 2 . Dies mag genügen, um anzudeuten, daß ein sog. klassischer Grundrechtsbegriff, der nur staatsgerichtet ist, erheblichen Zweifeln ausgesetzt ist. Es spricht vieles dafür, daß die Grundrechte ursprünglich nicht auf die „Staatsrichtung"
357
Vgl. dazu Ramm S. 44, 45; Leisner S. 3 0 f. Vgl. insbesondere Leisner S. 11 ff.; Ramm S. 42 ff.; J.P. Müller S. 113 ff.; diesen Untersuchungen zustimmend Nipperdey in: Die Grundrechte, Bd. I V , S. 741, 748. 359 Vgl. dazu Leisner S. 22 ff.; Ramm aaO; J.P. Müller aaO. 3 *o Leisner S. 25; J.P. Müller S. 114; Ramm S. 43. 3 61 J.P. Müller S. 15. 362 Vgl. dazu auch Laufke S. 145 ff. 358
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II. Prozeßführung und das Problem der Grundrechtsmündigkeit
festgelegt waren, sondern von grundlegender Bedeutung für alle Rechtsverhältnisse sein sollten 363 . Diese Frage braucht indes nicht endgültig geklärt zu werden. Es genügt die Feststellung, daß jedenfalls für das Grundgesetz ein ausschließlich staatsgerichteter Grundrechtsbegriff nicht maßgeblich ist. Zwischenergebnis: Einheit und Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung schließen es aus, daß die Grundrechte, die fundamentale Werte schützen, für das Privatrecht ohne Relevanz sind. Ob der Einfluß der Grundrechte auf das Privatrecht durch eine unmittelbare Bindung der Privatpersonen an diese Grundrechte zu realisieren ist oder dadurch stattfindet, daß das objektive Wertsystem der Grundrechte bei der Auslegung der privatrechtlichen Vorschriften zu berücksichtigen ist, läßt sich anhand der bisher erörterten Kriterien nicht abschließend beantworten. Wortlaut und Systematik des Grundgesetzes liefern Argumente dafür, daß die Zivilpersonen in ihrem Verhältnis zueinander an die Grundrechte gebunden sind (Art. 1 Abs. 1 S. 2, Art. 1 Abs. 2, Art. 2 Abs. 1 GG), aber auch Anhaltspunkte dafür, daß nur der Staat der Grundrechtsbindung unterliegen soll (Art. 1 Abs. 3, Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG). Aus der unmittelbaren Entstehungsgeschichte sind keine Aufschlüsse zu gewinnen. Es gibt keine grundsätzliche Aussage des Verfassungsgebers zur Wirkung der Grundrechte im Privatrecht. Einzelaussagen, die den Problemkreis am Rande berühren, sind kontroverser Natur. Auch die Einbeziehung des geistig-politisch-philosophischen Hintergrundes des Grundgesetzes führt zu keiner endgültigen Beantwortung der anstehenden Frage. Zwar greift das Grundgesetz - als Reaktion auf die NS-Zeit - auf die Freiheitsprinzipien des liberalen Rechtsstaates zurück und liberales Grundrechtsverständnis, das grundrechtliche Freiheit als Freiheit vom Staate begreift, legt es nahe, nur den Staat der Grundrechtsbindung zu unterwerfen. Gleichzeitig basiert das Grundgesetz aber auf einem neunaturrechtlichen Denken personaler Natur, in dessen Mittelpunkt - ebenfalls als Reaktion auf die NS-Zeit - die vorstaatliche - dem Staat vorgegebene - Würde des Menschen steht. Die Wertentscheidung des Art. 1 GG, der der Ursprung und die Sinnmitte aller Grundrechte ist, ist ein Ausfluß dieses Denkens. Ein vorstaatlicher Würdeanspruch des Menschen fordert nicht einen nur staatsgerichteten Schutz, sondern vielmehr einen allseitigen Schutz. Dies erlaubt indes nur die Schlußfolgerung, daß einer unmittelbaren Grundrechtsbindung Privater nicht der Einwand entgegengesetzt werden kann, daß die Grundrechtskonzeption des Grundgesetzes die Grundrechte auf die Staatsrichtung fixiere. Ein solcher Einwand ist wegen der Allseitigkeit des Würdeanspruches unzutreffend. 363 Ygi d a z u
auc
h Nipperdey aaO S. 748.
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Damit bleibt aber immer noch die Frage offen, ob ein allseitiger Schutz dadurch zu verwirklichen ist, daß die Privatpersonen in ihrem Verhältnis zueinander an die Grundrechte gebunden werden, oder dadurch zu realisieren ist, daß man für das Privatrecht von einer Ausstrahlungswirkung der objektiven Wertordnung der Grundrechte ausgeht. Die Entwicklungsgeschichte der Grundrechtsidee hilft bei der Beantwortung dieser Frage nicht weiter. Wenn in diesem Zusammenhang ein klassischer Grundrechtsbegriff behauptet wird, der rein staatsgerichteter Natur sei, so ist dies für die heutige Rechtslage ohne Belang, weil die Grundrechte des Grundgesetzes nicht auf die Staatsrichtung festgelegt sind. Davon abgesehen ist es im übrigen auch noch zweifelhaft, ob ein solcher Grundrechtsbegriff die Verfassungsgeschichte zutreffend interpretiert. ffff) Teleologische Erwägungen Die Frage danach, ob Private in ihrem Verhältnis zueinander unmittelbar an die Grundrechte gebunden sind, kann somit, da alle anderen Kriterien zu keinem eindeutigen Ergebnis führen, nur anhand teleologischer Erwägungen gelöst werden. Auf dieser Argumentationsebene, auf der vom Sinn und Zweck der Grundrechte und vom Sinn und Zweck des Zivilrechts her zu deduzieren ist, wird gegenüber einer unmittelbaren Grundrechtsbindung Privater insbesondere der Einwand erhoben, daß eine solche Bindung mit dem - für die Privatrechtsordnung konstitutiven - Prinzip der Privatautonomie unvereinbar sei 364 . Unmittelbar einleuchtender Ansatzpunkt dieser Kritik sind einige sehr weitgehende Äußerungen, die von Vertretern einer absoluten Drittwirkung der Grundrechte bezüglich der Bedeutung des Gleichheitssatzes für privatrechtliche Rechtsverhältnisse gemacht worden sind. So ist z.B. in bezug auf Art. 3 Abs. 3 GG die Feststellung getroffen worden: „Daher ist eine letztwillige Bestimmung nichtig, die jemanden wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Herkunft und Heimat, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt" 365 . Von einem anderen Autor ist im Zusammenhang mit Testament und Schenkung die Behauptung aufgestellt worden: „Willkür und freies 364 So insbesondere Dürig Festschrift S. 157, 159 ff.; Dürig in Maunz-Dürig Art. 1 Abs. 3 RdNr. 127 ff.; Reimers S. 14 f.; 19 f.; Geiger S. 37; Bydlinski S. 19 ff.; Hesse § 11 I I ; Maunz § 14 I I 11; Larenz SchuAT § 4 I V 3; Flume § 1 Ziff. I O b; im Prinzip auch Canaris AcP 184, 201, 204, 205. 365 Boehmer in: Die Grundrechte, Bd. I I , S. 422. In neuerer Zeit ebenso Canaris AcP 184, 201, 235 trotz Ablehnung einer unmittelbaren Dittwirkung; aus Art. 3 GG sei insoweit unter dem Aspekt der Schutzgebotsfunktion ein gesetzliches Verbot i.S.d. § 134 BGB abzuleiten.
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Belieben gibt es in unserem Staat eben nicht mehr" 3 6 6 . Bei Testament und Schenkung werde im allgemeinen nach Würdigkeit verfahren, in deren Beurteilung der Gebende frei sei; wenn es sich aber herausstelle, daß eine Differenzierung allein nach geschlechtlichen, rassischen oder religiösen Gründen vorgenommen worden sei, so müsse das Rechtsgeschäft als nichtig angesehen werden 367 . Daß eine solche Erstreckung des Gleichheitssatzes in das Privatrecht hinein den Grundsatz der Privatautonomie negiert und dem System des Zivilrechts fremd ist, unterliegt keinem Zweifel. Eine solche Betrachtungsweise schenkt dem Umstand keine Beachtung, daß der private Testator und der private Schenker - im Gegensatz zum Staat - sich auf ihr Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG berufen können. Der grundrechtsgebundene Staat kann dem an ihn gerichteten Diskriminierungsverbot nichts entgegenhalten. Der Staat hat keine Grundrechte. Der Private, der an das Diskriminierungsverbot gebunden werden soll, kann dem entgegensetzen, daß damit in sein Freiheitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG eingegriffen werde. Art. 2 Abs. 1 GG schützt die freie Entfaltung der Persönlichkeit. Die eminente Bedeutung der zivilrechtlichen Privatautonomie für diese freie Entfaltung der Persönlichkeit hat man - treffend und plastisch - wie folgt umschrieben: „Der frei gestaltete Vertrag ist das juristische Mittel zur Durchsetzung des persönlichen Willens, das Mittel, sich seine Welt nach seinem Bild zu gestalten, sich das Milieu zu schaffen, das man zur Entfaltung der Persönlichkeit benötigt. Er ist das juristische Mittel zur Befriedigung der Bedürfnisse, zur Nutzbarmachung der eigenen Fähigkeiten und des eigenen Vermögens, der Behelf, sich einen Anteil an den Gütern dieser Welt zu verschaffen, über seinen Anteil an diesen Gütern zu herrschen und zu Lebzeiten und über den Tod hinaus zu verfügen. Ohne Vertrag mag es eine Person im streng juristischtechnischen Sinne - Träger von Rechten und Pflichten - geben. Eine Persönlichkeit in jenem Vollsinn, in dem das Wort in Art. 2 GG verwendet wird, gibt es ohne Vertrag, den der einzelne nach seinem Willen abschließt und nach seinem Willen gestaltet, nicht" 3 6 8 . In Anbetracht dieser Bedeutung der Privatautonomie für die Persönlichkeitsentfaltung kann es keinem Zweifel unterliegen, daß Art. 2 Abs. 1 GG die Privatautonomie gewährleistet 369 . Privatautonomie bedeutet nun aber - dies ist ihr traditioneller Inhalt, den das Grundge-
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Leisner S. 359. Leisner aaO. Gegen Leisner vgl. insbesondere Bydlinski aaO, Flume aaO, Larenz aaO. Gegen Boehmer vgl. insbesondere Dürig Festschrift S. 169 und ders. in MaunzDürig Art. 1 Abs. 3 RdNr. 128. 3 68 Laufke S. 162. 3 69 Vgl. etwa BVerfGE 12, 341, 347; BVerwGE 4, 332, 336; Laufke aaO; Dürig in Maunz-Dürig Art. 2 RdNr. 53 ff.; Larenz SchuAT § 4 I V ; Enneccerus-Nipperdey § 15 115. 367
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setz vorgefunden hat und den es nicht abändern wollte - , daß Privatpersonen auf rechtsgeschäftlichem Gebiet die Freiheit zur Willkür haben, die erst an der Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) und an gesetzlichen Verboten (§ 134 BGB) ihre Grenzen findet. Rechtsgeschäftliches Handeln, das diese äußersten Grenzen nicht überschreitet, ist ein Gebrauchmachen von grundrechtlich eingeräumter und garantierter Freiheit. Durch ein solches Handeln macht der Private von seinem Recht aus Art. 2 Abs. 1 GG Gebrauch, sich beliebig verhalten zu dürfen. Ein solches Recht zur Beliebigkeit steht dem Staat dagegen gerade nicht zu. Dies hat zwei wichtige Auswirkungen. Zum einen - z.B. im Fall des Testierens - sind im Privatrecht prinzipiell Ungleichbehandlungen erlaubt, die dem Staat im Verhältnis zu den Bürgern verboten sind. Würde man den Gleichheitssatz im Verhältnis der Zivilpersonen untereinander so anwenden wie er im Verhältnis zwischen Staat und Bürger anzuwenden ist, so würde die in Art. 2 Abs. 1 GG garantierte Privatautonomie in ihrem Wesensgehalt verletzt. Zum anderen müssen Privatpersonen - wegen ihres Freiheitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG - prinzipiell Bindungen eingehen können, welche der Staat ihnen wegen ihrer Grundrechte nicht auferlegen kann. Es ist etwas Verschiedenes, ob der Staat in eine grundrechtlich geschützte Freiheit eingreift oder ob sich der Grundrechtsträger selbst - in einer frei getroffenen rechtsgeschäftlichen Vereinbarung - bezüglich dieser Freiheit gegenüber einem anderen Privaten bindet. Der freiwillige rechtsgeschäftliche Verzicht auf eine spezielle - grundrechtlich geschützte - Freiheitsbetätigung ist Ausfluß der allgemeinen Handlungsfreiheit und Mittel der Persönlichkeitsentfaltung. Prinzipiell kann sich der Grundrechtsträger in Ausübung seines allgemeinen Freiheitsrechts seines Rechts zur Beliebigkeit - dafür entscheiden, um eines Äquivalentes willen auf eine spezielle Freiheit zu verzichten. „Das Individuum bedient sich des Vertrages, um den von ihm erstrebten höchsten Genuß seiner Freiheit zu erreichen" 371 . Würde man entgegen dem Willen desjenigen, der sich vertraglich dazu verpflichtet, von einem bestimmten Grundrecht keinen Gebrauch zu machen, den anderen Vertragspartner an dieses Grundrecht binden, so würde man die grundrechtlich geschützte Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 GG) desjenigen negieren, dessen spezielles Grundrecht man schützen will. So muß es z.B. einem Arbeitnehmer in einem Tendenzbetrieb möglich sein, im Arbeitsvertrag auf das Vertreten bestimmter Meinungen rechtswirksam zu verzichten. Wäre eine solche Vereinbarung - wegen Verstoßes des Arbeitgebers gegen Art. 5 Abs. 1 GG - unwirksam, so würde die Selbstbestimmung des Arbeitnehmers verletzt. Einem selbständig denkenden Menschen wäre es 370 So z.B. von ganz unterschiedlichen Ausgangspunkten aus Larenz aaO und SchwabeS. 150, 151. 371 Ramm S. 56.
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dann nämlich nicht mehr möglich, seine Arbeitskraft in der von ihm gewünschten Weise zu verwerten. Der Tendenzbetrieb würde dann nämlich von vornherein nur noch „gesinnungstreue" Arbeitnehmer beschäftigen 372. Im Bereich der Privatautonomie kann es somit keine unmittelbare Grundrechtsbindung von Privatpersonen geben, die so ausgestaltet ist wie die Grundrechtsbindung des Staates. Die Respektierung des Selbstbestimmungsrechts gebietet es zwingend, daß im Privatrecht Ungleichbehandlungen und Selbstbindungen möglich sind, die einer solchen Grundrechtsbindung zum Opfer fallen würden. Die Ablehnung einer solchen Grundrechtsbindung ist ihrerseits grundrechtlich fundiert: sie folgt aus Art. 2 Abs. 1 G G 3 7 3 . Hält man sich letzteres vor Augen, so zeigt es sich, daß für den Bereich rechtsgeschäftlichen Handelns - entgegen einer weit verbreiteten Ansicht (vgl. Fn. 364) - der Streit um eine unmittelbare Grundrechtsbindung Privater kein Streit über die Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung der Privatautonomie sein kann. Über Art. 2 Abs. 1 GG kann man sich - und darüber sind sich die Anhänger einer mittelbaren Grundrechtswirkung und die maßgeblichen Vertreter einer unmittelbaren Grundrechtsbindung der Zivilpersonen auch einig - selbstverständlich nicht hinwegsetzen. Es ist unzweifelhaft, daß - wenn man die Privatautonomie nicht aufgeben will - dem Privaten eine Rechtsmacht zur Ungleichbehandlung eingeräumt werden muß, die dem Staat als Hoheitsträger nicht zur Verfügung steht, und daß der einzelne die Rechtsmacht haben muß, von sich aus Bindungen einzugehen, die der Staat ihm nicht aufoktroyieren kann. Ebenso unzweifelhaft ist es, daß unter der Herrschaft des Grundgesetzes, in dessen Zentrum die Würde des Menschen steht, weder die Freiheit zur rechtsgeschäftlichen Diskriminierung, noch die Freiheit zur rechtsgeschäftlichen Selbstbindung grenzenlos sein kann. So kann man sich z.B. sicherlich nicht selbst dadurch entmündigen, daß man sich rechtsgeschäftlich der Vormundschaft eines anderen Menschen unterstellt. Die Aufgabe kann also im rechtsgeschäftlichen Bereich nur dahin gehen, die Grenzen der prinzipiell zulässigen Ungleichbehandlung und diejenigen der prinzipiell zulässigen Selbstbindung zu finden. Verneint man eine unmittelbare Grundrechtsbindung Privater im rechtsgeschäftlichen Bereich, so muß man diese Aufgabe mit Hilfe der Generalklausel des § 138 BGB lösen, die für den gesamten rechtsgeschäftlichen Bereich zur Verfügung steht. Im Rahmen der Prüfung der Sittenwidrigkeit hat man dann sowohl die Wertentscheidung des Art. 2 Abs. 1 GG, aus der sich die prinzipielle Zulässigkeit von Ungleichbehandlungen und Selbstbindungen ergibt, als 372 Dazu zutreffend Reuter S. 191; Dürig Festschrift S. 157,160; Hesse § 11 I I ; a.A. Ramm S. 66, 7 0 . Auch Canaris aaO 204, 217 bindet den Vertrag - anders als die Privatrechtsnorm - nicht an die Grundrechte. 373 Vgl. dazu insbesondere Dürig Festschrift S. 157 ff.; ders. in Maunz-Dürig Art. 1 Abs. 3 RdNr. 127 ff.
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auch die Wertentscheidung der Grundrechte zu berücksichtigen, die ebenfalls involviert sind (in dem Testierbeispiel wäre dies Art. 3 GG; in dem Beispiel des Meinungsäußerungsverzichts im Tendenzbetrieb Art. 5 Abs. 1 GG). Letztlich läuft dies darauf hinaus, daß im Rahmen der privatrechtlichen Generalklausel des § 138 BGB in den Grundrechten verkörperte Wertentscheidungen gegeneinander abzuwägen sind. Geht man im rechtsgeschäftlichen Bereich von einer unmittelbaren Grundrechtsbindung aus - läßt man also z.B. Art. 3 Abs. 3 GG bzw. Art. 5 Abs. 1 GG direkt als Verbotsnormen gegenüber dem Testator bzw. dem Arbeitgeber des Tendenzbetriebes wirken - , so kommt man zu einem sehr ähnlichen Abwägungsprozeß. Es ist dann nämlich, was die oben zitierten Stellungnahmen von Anhängern der absoluten Drittwirkung 3 7 4 verkennen, neben den bindenden Grundrechten auch noch das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG auf die Waagschale zu legen. Neben der aus Art. 3 Abs. 3 GG sich ergebenden Bindung des Testators ist ebenso sein aus Art. 2 Abs. 1 GG folgendes Recht auf Ungleichbehandlung zu berücksichtigen. Neben dem Umstand, daß der Arbeitgeber an Art. 5 Abs. 1 GG gebunden ist, ist ebenso der Umstand zu beachten, daß der Arbeitnehmer aus Art. 2 Abs. 1 GG ein Recht auf Selbstbindung hat, das eine vertragliche Selbstbindung in einem anderen Licht erscheinen läßt als eine staatliche Zwangsbindung. Weil Ungleichbehandlung und Selbstbindung im Privatrecht prinzipiell durch Art. 2 Abs. 1 GG legitimiert werden, kann die unmittelbare Grundrechtsbindung Privater denknotwendig nicht so aussehen wie die Grundrechtsbindung des Staates. Dies wird von den maßgeblichen Vertretern einer unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht - zu Anfang des Drittwirkungsstreites allerdings noch nicht ganz so eindeutig wie heute - anerkannt. „Die Wirkungsstärke der Grundrechte ist im Verhältnis des einzelnen zum Staat eine etwas andere als im Verhältnis der Privatrechtssubjekte zueinander. In der Staatsrichtung gelten die Grundrechte uneingeschränkt, weil hier dem Grundrechtsträger ausschließlich der an die Grundrechte gebundene Staat gegenübersteht. Dagegen ist im Verhältnis der Privatrechtssubjekte zueinander zu beachten, daß jeder von ihnen Grundrechtsträger ist und sich auf die Freiheitsrechte berufen kann" 3 7 5 . „Allerdings darf die Anwendung des Art. 3 nicht zu einer ungebührlichen Einschränkung der durch Art. 2 Abs. 1 verbürgten privatrechtlichen Gestaltungs- z.B. Testierfreiheit und Vertragsfreiheit führen. Die Kollision zwischen Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 bedarf im Einzelfall sorgfältiger Abwägung" 3 7 6 . „Die durch Art. 2 Abs. 1 gewährleistete Freiheit zeigt sich gerade auch darin, Beschränkungen der eigenen Freiheitssphäre wirksam einzugehen. Verpflichtende Verträge sind daher durch die Verfassung gedeckt. Die Vertragspartner können sich grundsätzlich zu allen Handlungen und Unterlassungen verpflichten .. , " 3 7 7 . 374 375 376
Boehmer aaO; Leisner aaO. Nipperdey S. 18. Enneccerus-Nipperdey § 15 I I 4 (S. 103).
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„Auch die Privatautonomie, insbesondere die Vertragsabschlußfreiheit, ist grundrechtlich geschützt (nämlich in Art. 2 Abs. 1 GG). Der Vermieter kann sich auch bei unmittelbarer Drittwirkung der Grundrechte seinen Mieter aussuchen, ohne gegen das Grundgesetz - ζ. B. das Bevorzugungs- und Diskriminierungsverbot nach Art. 3 Abs. 3 GG - zu verstoßen. Die Privatautonomie ist also ein verfassungsrechtlich gesicherter Bestandteil unseres Rechtssystems, der die Berufung auf Grundrechte im Privatrechtsverkehr der Bürger untereinander im Einzelfall - aber eben nicht immer - ausschließen kann" 3 7 8 . „Als Hauptgrundsatz gilt, daß die Gestaltung des Zivilrechtsverkehrs von Erwägungen frei sein muß, die eine eigene Zielsetzung der Gesellschaft enthalten. Das Schuldwie das Sachenrecht wird ausschließlich vom Eigeninteresse des Individuums beherrscht" 379 . „Die unmittelbare Grundrechtsbindung führt aber noch nicht dazu, daß auch hier der Erblasser den Art. 3 Abs. 3 zu beachten hat oder daß es generell auch unter Privaten Willkür und freies Belieben in unserem Staat eben nicht mehr gibt. Dergleichen Thesen haben mit Recht wenig Gefolgschaft gefunden. Der Grund liegt darin, daß dem Grundrecht ein Widerpart entgegensteht, nämlich die gleichfalls verfassungsrechtlich garantierte Handlungs- und Entschließungsfreiheit. Die im Rahmen der Drittwirkung so viel berufene Privatautonomie hat in erster Linie hier ihren Platz. Kraft ihrer traditionell und auch aus dem Grundgesetz belegbaren überragenden Geltung neutralisiert sie den Gleichheitssatz" 380 . Auch bei Leisner, von dem der abzulehnende Satz stammt, daß es Willkür und freies Belieben in unserem Staat eben nicht mehr gibt, finden sich an anderen Stellen Ausführungen, die für den Privatrechtsverkehr die Auswirkungen des Art. 2 Abs. 1 GG berücksichtigen 381 . Eine totale Negierung der Privatautonomie ist nur bei ganz wenigen Anhängern der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte zu finden 382 . Somit kann für den rechtsgeschäftlichen Bereich der Streit u m eine unmittelbare Grundrechtsbindung Privater kein Streit über die Berücksichtigung der Privatautonomie sein. Diejenigen, die unter Berufung auf den A s p e k t der Privatautonomie eine unmittelbare D r i t t w i r k u n g der Grundrechte m i t Vehemenz ablehnen, verkennen, daß bei einer strikten Grundrechtsbindung Privater der Privatautonomie keine Gefahr droht. D i e von Vertretern der Lehre von einer mittelbaren W i r k u n g der Grundrechte i m Privatrecht immer wieder angeführte Sorge u m die P r i v a t a u t o n o m i e 3 8 3 ist gegenstandslos, weil die Privatautonomie durch A r t . 2 A b s . 1 G G grundrechtlich abgesichert ist u n d deshalb - was von den maßgeblichen Anhängern einer absoluten D r i t t w i r k u n g 377 378 379 380 381 382 383
Nipperdey in: Die Grundrechte, Bd. I V , Halbband 2 S. 754. von Münch Staatsrecht S. 91. Ramm S. 54. Schwabe S. 150. Leisners. 318 ff., 384 ff. Etwa bei Boehmer aaO und Frey AuR 1961, 234, 241. Vgl. Fn. 320.
5. Die i n t e e Grundrechtsmündigkeitsproblematik
157
klar erkannt wird - zu berücksichtigen ist, wenn man für den rechtsgeschäftlichen Bereich davon ausgeht, daß die Zivilpersonen in ihrem Verhältnis zueinander an die Grundrechte gebunden sind. Die Privat autonomie muß notwendigerweise dazu führen, daß die Grundrechte im Vertragsrecht andere Wirkungen zeitigen als im Verhältnis zwischen Staat und Bürger. Die Handlungsfreiheit auf rechtsgeschäftlichem Gebiet hat es zur Folge, daß privat autonomes Handeln als rechtmäßig anzusehen ist, das als staatliches Handeln gedacht grundrechtswidrig wäre. Diejenigen, die mit dem Argument der Privatautonomie gegen eine unmittelbare Grundrechtsbindung Privater kämpfen, erkennen dies richtig. Ihr Kampf ist aber überflüssig, weil eine unmittelbare Grundrechtsbindung der Zivilpersonen dieser Folge der Privatautonomie Rechnung trägt. Im rechtsgeschäftlichen Bereich kann es nur darum gehen, welche Reichweite die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Privatautonomie hat, wenn sie in einem Spannungsverhältnis zu anderen grundrechtlich geschützten Werten steht. Solche Konflikte können nur mit einer Abwägung gelöst werden. Damit schrumpft der Drittwirkungsstreit für den rechtsgeschäftlichen Bereich auf die Frage zusammen, ob unmittelbar miteinander kollidierende Grundrechte oder ob mittelbar - im Rahmen privatrechtlicher Normen (im Vertragsrecht sind immer die §§ 138, 242 BGB als Einbruchsteilen der Grundrechte vorhanden) - miteinander konfligierende Grundrechtswerte gegeneinander abzuwägen sind. Zu Anfang der Drittwirkungsdiskussion wurde der in sich unschlüssige Versuch unternommen, zur Lösung der Drittwirkungsproblematik das Prinzip der Privatautonomie auch für den außervertraglichen Bereich des Privatrechts heranzuziehen. Es wurde behauptet, daß „das Zivilrecht" einen nicht wiedergutzumachenden Schaden erleiden würde, wenn die Erkenntnis verlorenginge, daß „die primäre Entscheidung des Grundgesetzes für ein gegen den Staat gerichtetes generelles Freiheitsrecht (Art. 2 Abs. 1), das auch vorrangig gegenüber Art. 3 ist, begrifflich auch die Freiheit dem Staat gegenüber umschließt, von ihm ungehindert in der unter gleichgeordneten Privaten bestehenden Verkehrsund Tauschgerechtigkeit des Zivilrechts von Grundrechtssätzen, die für staatliches Handeln unabdingbar sind, abweichen zu können" 3 8 4 . Die folgenden Ausführungen, die „das Zivilrecht" von unmittelbaren Grundrechtsbindungen freihalten wollen, basieren auf dieser Erkenntnis, die bezeichnenderweise nur an rechtsgeschäftlichen Beispielen exemplifiziert wird, nichtsdestoweniger aber für das gesamte Zivilrecht gelten soll. Damit wird das gesamte Zivilrecht mit der unter gleichgeordneten Privaten bestehenden - auf der Privatautonomie beruhenden - Verkehrs- und Tausch384
Dürig Festschrift S. 158, 159.
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II. Prozeßführung und das Problem der Grundrechtsmündigkeit
gerechtigkeit identifiziert. Der der Zivilrechtsordnung ebenfalls zugehörige Bereich der außervertraglichen Rechtsbeziehungen hat indes mit dieser Verkehrs- und Tauschgerechtigkeit nichts zu tun. In diesem Bereich kann die - grundrechtlich geschützte - Privatautonomie kein Argument sein, weil es in diesem Bereich nicht um rechtsgeschäftliches Handeln geht. Privatautonomes Handeln spielt bei außervertraglichen - etwa deliktischen oder aus Statusverhältnissen herrührenden - Eingriffen in die Rechtssphären Privater keine Rolle. Rechtsgeschäftliche Ungleichbehandlungen und Selbstbindungen, die aus der rechtsgeschäftlichen Handlungsfreiheit zu legitimieren sind, stehen in diesem Bereich nicht zur Debatte. Deshalb ist es in sich unschlüssig, für den außervertraglichen Bereich eine unmittelbare Grundrechtsbindung mit dem Argument der Privatautonomie zu bekämpfen. Auf den zutreffenden Vorhalt, daß die Privatautonomie im außervertraglichen Bereich ohne Relevanz sei 385 , erfolgte dann eine Modifizierung, der im Ausgangspunkt zuzustimmen ist. „Mit der Trennung in vertragliche und außervertragliche Rechtsbeziehungen . . . wird nichts Entscheidendes erreicht. Auch im außervertraglichen Bereich steht man vor der nicht wegzudiskutierenden Tatsache, daß sich eben zwei Privatrechtssubjekte gegenüberstehen, die sich beide auf ihre Grundrechte berufen, eine Konstellation, die es im Verhältnis Bürger-Staat so eben nicht gibt und die die qualitativ andere Bedeutung der Grundrechte auch in außervertraglichen Rechtsbeziehungen unter Privaten rechtfertigt" 386 . Außervertragliche Rechtsbeziehungen im Privatrecht weisen in der Tat gegenüber den Rechtsbeziehungen zwischen Staat und Bürger ausschließlich die Besonderheit auf, daß sich zwei Grundrechtsträger gegenüberstehen, woraus sich die Möglichkeit ergibt, daß bei einem Eingriff in eine Rechtssphäre sowohl „Angreifer", als auch „Angegriffener" Grundrechte geltend machen. Damit kann es zu der - in dem allgemeinen Gewaltverhältnis zwischen Individuum und grundrechtslosem Staat nicht möglichen - Konstellation kommen, daß ein Grundrecht nur auf Kosten eines anderen Grundrechts realisiert werden kann. Hier führt dann kein Weg daran vorbei, die miteinander kollidierenden Grundrechte gegeneinander abzuwägen. Die Frage - unmittelbare Grundrechtsbindung der Privatpersonen oder mittelbarer Grundrechtseinfluß durch die Ausstrahlungswirkung der objektiven Wertordnung der Grundrechte auf das Privatrecht - mündet damit für den Bereich der außervertraglichen Rechtsbeziehungen in die Frage ein, welche der beiden Möglichkeiten für den notwendigen Abwägungsprozeß die adäquate Methode ist. 385
Leisner S. 319, 320; Schwabe S. 18, 19; ders. JR 1975, 13; Laufke S. 145.147. Dürig in Maunz-Dürig Art. 3 Abs. 1 GG RdNr. 513. Ähnlich Rupp DVB172, 66, 67, der von einer „grundrechtlichen Strukturverschiedenheit des Verhältnisses von personaler Freiheit zu personaler Freiheit einerseits und von personaler Freiheit zu staatlicher Herrschaftskompetenz andererseits" spricht. 386
5. Die interne Grundrechtsmündigkeitsproblematik
159
Dies ist im Prinzip dieselbe Fragestellung wie diejenige im vertraglichen Bereich. Der einzige Unterschied besteht darin, daß im rechtsgeschäftlichen Bereich immer die Reichweite der grundrechtlich geschützten Privatautonomie (Art. 2 Abs. 1 GG) im Verhältnis zu anderen Grundrechten zu ermitteln ist, während im außervertraglichen Bereich auf beiden Seiten der Kollisionslage beliebige Grundrechte stehen können. In beiden Fällen geht es aber dies ist die prinzipielle Übereinstimmung - darum, den sachgerechten Weg für die Lösung von Grundrechtskonflikten zu finden. Gegen eine unmittelbare Grundrechtsbindung Privater läßt sich das Schrankensystem der Grundrechte anführen. Es läßt sich gar nicht verkennen, daß das subtile und differenzierte Schrankensystem der Grundrechte eine Reaktion auf historische Freiheitsgefährdungen ist, die vom Staat ausgegangen sind (vgl. S. l l O f f . ) . Insoweit sind die Grundrechte unzweifelhaft am Staat ausgerichtet. Daraus läßt sich zwar keine Fixierung der Grundrechte auf die Staatsrichtung ableiten, weil auf der anderen Seite die - in Art. 1 GG positi vierte Grundentscheidung der Verfassung, in ihren Mittelpunkt die vorstaatliche Würde des Menschen zu stellen, die Allseitigkeit der aus der Menschenwürde fließenden Grundrechte fordert. Bei der Frage, ob diese Allseitigkeit durch eine unmittelbare Grundrechtsbindung Privater oder durch eine mittelbare Berücksichtigung der Grundrechtswerte zu verwirklichen ist, muß nun aber danach gefragt werden, welche Bedeutung dem an Gefährdungen aus der Staatsrichtung orientierten Schrankensystem zukommen soll, wenn Private an die Grundrechte gebunden werden 387 . Die Grundrechtsschranken haben die Konfrontation mit dem grundrechtslosen Staat, nicht aber die Kollision mit einem anderen Grundrechtsträger im Auge. Soll bei einer Grundrechtsbindung Privater die Intensität des Schutzes in der Staatsrichtung über die Reichweite des Grundrechtes in der horizontalen Richtung entscheiden? Soll etwa bei einer Grundrechtskollision zwischen Privaten das Grundrecht mit dem engeren Vorbehalt generell demjenigen mit dem weiteren Vorbehalt vorgehen? 388 Dies würde dann z.B. bedeuten, daß bei einem Konflikt zwischen 387
Diese Frage ist unter den Vertretern einer unmittelbaren Drittwirkung sehr umstritten. Vgl. einerseits Leisner S. 384 ff., der die Kollisionsfälle anhand der - den einzelnen Grundrechten beigefügten - Gesetzesvorbehalte lösen will, und andererseits Schwabe, S. 116, 117, der den Gesetzesvorbehalten für die Lösung der Kollisionsfälle jegliche Bedeutung abspricht; ebenso Gamillscheg AcP 164, 386, 428 ff. Ramm S. 64, 65 - ebenfalls ein Anhänger einer unmittelbaren Drittwirkung - steht zwischen diesen beiden extremen Positionen. Nach seiner Meinung sind bei der Abwägung die in der Verfassung angezeigten Grade der Einschränkbarkeit der Grundrechte mit zu berücksichtigen. Zu dieser Problematik vgl. auch Koebel JZ 1961, 521, 524 ff., der gerade deshalb eine unmittelbare Anwendung der Grundrechte im Zivilrecht ablehnt, weil er die Schrankensystematik der Grundrechte als ungeeignet für die Lösung privatrechtlicher Konflikte ansieht. Auch für Canaris AcP 184, 201, 204 ist dies ein Argument für seine Ablehnung dieser Lehre. 388 Vgl dazu insbesondere Koebel aaO.
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II. Prozeßführung und das Problem der Grundrechtsmündigkeit
Kunstfreiheit (geschützt durch den vorbehaltlosen Art. 5 Abs. 3 GG) und allgemeiner Entfaltungsfreiheit (nur unter dem Vorbehalt der „verfassungsmäßigen Ordnung" in Art. 2 Abs. 1 GG geschützt) der Kunstfreiheit von vornherein der Vorrang einzuräumen wäre. Solch eine starre Lösung erweckt Bedenken. Es erscheint als fraglich, ob die generelle Höherbewertung eines Grundrechts der Vielfalt der möglichen Interessenlagen gerecht werden kann. Die Problematik der Schrankensystematik ist paradigmatisch dafür, daß der Vorteil einer mittelbaren Grundrechtswirkung im Privatrecht darin liegen kann, daß die Rechtsanwendung vom Wortlaut der Grundrechte freigestellt wird und damit - durch einen freieren Zugang zu den Werten, die den Grundrechten zugrundeliegen - leichter zu angemessenen Einzelfallösungen kommen kann 3 8 9 . Andererseits kommt die Lehre von der mittelbaren Grundrechtswirkung dann in Schwierigkeiten, wenn - was zwar nicht im vertraglichen, wohl aber im außervertraglichen Bereich möglich ist - Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe als Einfallstore der grundrechtlichen Wertentscheidungen nicht zur Verfügung stehen 390 . Diesen Fragen soll hier indes nicht abschließend nachgegangen werden. Für den Zweck unserer Untersuchung genügt eine Antwort für die Eltern-KindBeziehung. gggg) Teleologische Erwägungen, die eine Lösung für das Eltern-Kind-Verhältnis liefern Bei der Suche nach einer Antwort für das Eltern-Kind-Verhältnis ist davon auszugehen, daß im außervertraglichen Bereich des Privatrechts die Besonderheit gegenüber der Staat-Bürger-Beziehung ausschließlich darin besteht, daß Grundrechtskollisionen möglich sind, die Grundrechtsabwägungen erforderlich machen, die mit Hilfe einer unmittelbaren Grundrechtsbindung Privater möglicherweise nicht interessengerecht bewältigt werden können. Beispiel: Greift ein Schriftsteller in einem Schlüsselroman, der als Kunstwerk zu qualifizieren ist, durch die Schilderung der Privatsphäre der Person, die der Gegenstand dieses Schlüsselsromanes ist, in deren Persönlichkeitssphäre ein, so sind die Grundrechte der Kunstfreiheit und der Entfaltungsfreiheit gegeneinander abzuwägen391. Der Künstler kann - was der eingreifende Staat niemals kann - sich auf ein Grundrecht berufen. Das ihm zur Seite stehende vorbehaltlose Grundrecht der Kunstfreiheit findet, wenn man von seinem Normbereich ausgeht, seine Grenze nicht von vornherein an den Persönlichkeitsrechten anderer Privatpersonen. Da es aber einen - durch Art. 2 389 390 391
Zutreffend Bleckmann S. 153. Vgl. dazu insbesondere Schwabe JR 1975, 13, 14. „Mephisto" BVerfGE 3 0 , 173, 191 ff.
5. Die interne Grundrechtsmündigkeitsproblematik
161
Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG - grundrechtlich geschützten Persönlichkeitsbereich gibt, kann die Freiheit der Kunst in bezug auf die Persönlichkeitsrechte anderer nicht grenzenlos sein. Es muß somit im Wege der Abwägung eine Grenze gefunden werden, diesseits derer der Kunstfreiheit der Vorrang vor der Entfaltungsfreiheit gebührt und jenseits derer die Entfaltungsfreiheit der Kunstfreiheit vorgeht. Diesseits und jenseits dieser Grenze geht die Realisierung grundrechtlich geschützter Interessen jeweils auf Kosten anderer ebenfalls grundrechtlich geschützter Interessen. In dem Bereich, in dem die Kunstfreiheit den Vorzug genießt, müssen Beeinträchtigungen der Privatsphäre hingenommen werden. Wo der Entfaltungsfreiheit der Vorrang eingeräumt wird, dort müssen künstlerische Interessen zurücktreten. Daß jeweils grundrechtlich geschützte Interessen zurückstehen müssen, folgt daraus, daß grundrechtlich geschützte Freiheitsbereiche Privater miteinander kollidieren. Die Realisierung der einen grundrechtlich geschützten Freiheit bedeutet denknotwendig, daß insoweit die andere grundrechtliche Freiheit nicht zum Zuge kommen kann. Im Wege des Abwägens muß eine Freiheit der anderen vorgezogen werden. Es ist zweifelhaft, ob dieses Abwägen und Vorziehen auf der Grundlage einer unmittelbaren Grundrechtsbindung Privater erfolgen kann. Die Schwierigkeiten ergeben sich daraus, daß sich das Schrankensystem der Grundrechte an dem grundrechtslosen Staat als „Gegenüber" orientiert und nicht auf Kollisionen mit den Grundrechten anderer Grundrechtsträger angelegt ist. Hier ist nun der Umstand zu beachten, daß es im Eltern-Kind-Verhältnis keine Grundrechtskollision gibt, die im Wege des Abwägens und Vorziehens zu lösen ist. In diesem Verhältnis steht eine Auswirkung des Kindesgrundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG nur für die einfachrechtlichen Elternbefugnisse zur Diskussion, die nicht durch das Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG garantiert werden. In dem Umfang, in dem Art. 6 Abs. 2 GG elterliche Entscheidungsrechte gewährleistet, liegt für die Beziehung zwischen Eltern und Kind eine spezielle Aussage der Verfassung vor, die denknotwendig eine Verletzung des Kindesgrundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG ausschließt. Verfassungsrechtlich garantierte Elternbefugnisse können nicht gleichzeitig verfassungswidrige Einschränkungen eines Kindesgrundrechts sein. Soweit das Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG reicht, ist das Kindesgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG von vornherein durch die Verfassung selbst eingeschränkt. Elternkompetenzen, die im Rahmen der Gewährleistung des Art. 6 Abs. 2 GG liegen, können mit dem Kindesgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG nicht konfligieren. Eine Grundrechtskollision kommt aber auch für denjenigen Bereich nicht in Betracht, für den - und nur für den - eine Auswirkung des Kindesgrundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG zur Debatte steht: nämlich für die Elternbefugnisse des 11 Reinicke
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II. Prozeßführung und das Problem der Grundrechtsmündigkeit
einfachen Rechts, die nicht durch Art. 6 Abs. 2 GG grundrechtlich abgesichert sind. Da diese Befugnisse kein Grundrecht im Rücken haben, besteht bei elterlichen Entscheidungen, die sich auf sie stützen, nicht die Besonderheit, die für die Drittwirkung der Grundrechte im außervertraglichen Bereich des Privatrechts die Schwierigkeiten verursacht. Es liegt keine Grundrechtskollision vor. Die Eltern können hier gegenüber dem Kindesgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG nicht geltend machen, daß auch sie von einer Rechtsmacht Gebrauch machen, die grundrechtlich geschützt ist 3 9 2 . Damit stellt sich dann auch nicht das Problem, ob sich grundrechtliche Kollisionslagen mit Hilfe einer unmittelbaren Grundrechtsbindung Privater sachgerecht lösen lassen. Der elterliche Eingriff in die grundrechtlich geschützte Sphäre des Kindes stellt sich nicht als „grundrechtsbewehrter", sondern als „grundrechtsloser" Eingriff dar. Der Struktur nach liegen die Dinge also wie bei einem Handeln des „grundrechtslosen" Staates, der unmittelbar an die Grundrechte gebunden ist. Für eine unmittelbare Grundrechtsbindung spricht außerdem noch folgendes: In der Drittwirkungsdiskussion wird darum gestritten, ob die Grundrechte, die unzweifelhaft den Staat binden, auch Privatpersonen untereinander binden. Für diesen Streit muß es von Belang sein, worauf es beruht, daß die Grundrechtsbindung des Staates unzweifelhaft ist. Im Verhältnis zwischen Staat und Bürger ist der Staat dazu befugt, gegenüber dem Bürger - in abstrakt-genereller und konkret-individueller Form - Gebote und Verbote auszusprechen, die den Bürger binden und die nötigenfalls von der Staatsmacht mit Gewalt durchgesetzt werden können. In der Staatsrichtung dienen die Grundrechte dazu, diese Befehls- und Durchsetzungsmacht des Staates einzugrenzen und so dem Bürger eine Freiheitssphäre zu gewährleisten. Insoweit geht die Funktion der Grundrechte dahin, zugunsten des Bürgers einen Machtsaldo auszugleichen, der zu seinen Ungunsten im allgemeinen Gewaltverhältnis vorgegeben ist 3 9 3 . Das Aufkommen der Lehre von einer unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte hängt in erheblichem Umfang mit der Vorstellung zusammen, daß in der heutigen Gesellschaft der Staat nicht mehr der einzige Träger einer überlegenen Sozialmacht sei, sondern daß es vielmehr in der Gesellschaft viele 392 Soweit Art. 6 Abs. 2 GG nicht greift, können elterliche Befugnisse auch nicht auf Art. 2 Abs. 1 GG gestützt werden. Beim Elternrecht geht es nicht um eine Freiheit, die um ihrer selbst willen geschützt wird. Elterliche Befugnisse sind gerade keine Befugnisse zu beliebigem Handeln. Dazu später genauer S. 171 f. 393 Vgl. statt aller etwa Geiger S. 13; J.P. Müller S. 161 ff.; Ramm S. 67; Stein § 28 II; Flume § 1 Ziff. I O b; MünchKomm-Säcker Einleitung vor § 1 RdNr. 57; Canaris AcP 184, 201, 205, 206.
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soziale Mächte (Industrie- und Pressekonzerne, Verbände, Parteien usw.) gebe, denen gegenüber der einzelne genauso geschützt werden müsse wie gegenüber dem Staat 394 . Es soll hier nicht näher untersucht werden, ob es sich bei diesem Phänomen außerstaatlicher sozialer Macht um ein Novum der heutigen Zeit handelt, das dazu zwingt, wegen eines inzwischen eingetretenen Bedeutungswandels der Grundrechte der Lehre von der absoluten Wirkung der Grundrechte zu folgen. Schließlich stand z.B. im 19. Jahrhundert der Arbeitnehmer der sozialen Macht des Arbeitgebers ziemlich ohnmächtig gegenüber. Nichtsdestoweniger ging man gerade in dieser Zeit von einer reinen Staatsgerichtetheit der Grundrechte aus 395 . Es soll auch nicht weiter ventiliert werden, ob ein solcher Ansatz es denn rechtfertigen kann, allgemein eine Grundrechtsbindung im Privatrechtsverkehr zu bejahen 396 . Unabhängig davon, ob überlegene Sozialmacht außerhalb staatlicher Macht eine neuartige Erscheinung ist, und unabhängig davon, ob diese Erscheinung generell eine Grundrechtsbindung Privater zu begründen vermag, läßt sich die Feststellung treffen, daß es teleologisch geboten ist, staatliche und nichtstaatliche soziale Macht, der gegenüber sich der einzelne in einer unterlegenen Position befindet, in der gleichen Weise an die Grundrechte zu binden. Es ist willkürlich, den einzelnen, weil er schwach ist, in bestimmter Weise vor staatlicher, nicht aber in eben dieser Weise auch vor einer solchen sozialen Macht zu schützen, der gegenüber er ebenso schwach ist. Handelt es sich bei der Situation der Machtungleichheit außerhalb der Staat-Bürger-Beziehung nicht um ein neuartiges Phänomen, so handelt es sich eben um einen Umstand, der früher nicht zutreffend gewürdigt worden ist. Die Entscheidung für eine unmittelbare Grundrechtsgebundenheit der Privatrechtssubjekte, die gegenüber einer anderen Zivilperson von einer sozialen Machtstellung Gebrauch machen, kann man treffen, ohne daß man gezwungen ist, die Frage zu beantworten, wie es generell mit der Grundrechtsgeltung 394 So insbesondere Nipperdey in: Die Grundrechte, Band I V , Halbband 2 S. 741, 747 ff.; Enneccerus-Nipperdey § 15 I I 4 S. 96; vgl. dazu auch noch Laufke S. 145, 147 f.; Ramm S. 67; Canaris aaO. 206 ff. 395 Zutreffend Bleckmann S. 143. 396 Immerhin ist es bedenkenswert, daß Nipperdey - im Gegensatz zu anderen Äußerungen von ihm und anderen Vertretern einer unmittelbaren Drittwirkung - in „Die Grundrechte, Band I V , Halbband 2" S. 722 ff. die Grundrechte nur noch dort uneingeschränkt anwenden will, wo der einzelne einer sozialen Gewalt oder einem einzelnen Privaten gegenübersteht, der eine wirtschaftliche oder sonstige Machtposition besitzt. Bei völliger oder jedenfalls annähernder rechtlicher und tatsächlicher Gleichheitslage soll der Schutzzweck der Grundrechte entfallen. Ebenso: MünchKomm-Säcker aaO; Gamillscheg AcP 164, 386, 407. Dagegen Canaris AcP 184, 201, 206, 207.
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im Verhältnis der Privatpersonen zueinander bestellt ist. Eine solche Entscheidung ist selbst dann möglich, wenn man prinzipiell eine Grundrechtsbindung Privater verneint. So sind z.B. bei einem Autor, der der absoluten Wirkung der Grundrechte grundsätzlich ablehnend gegenübersteht, folgende Ausführungen zu finden: „Es ist nicht der Sinn der Freiheit von den Bindungen der Grundrechte, freiheitsvernichtende Ausübung wirtschaftlicher oder sozialer Macht verfassungsrechtlich zu sanktionieren. Die Verfassung normiert in den Grundrechten nicht nur einen freiheitlichen staatlichen, sondern einen freiheitlichen Gesamtzustand. Dieser setzt voraus, daß auch nichtstaatliche Macht Einschränkungen unterworfen wird, soweit sie dazu dienen soll, neben einem staatlichen Bereich der Freiheit einen nichtstaatlichen Bereich der Unfreiheit zu schaffen. Trägt die Gesetzgebung dieser Lage nicht oder nur unvollkommen Rechnung, so müssen die einschlägigen Regelungen ,im Lichte der Grundrechte' ausgelegt werden. Ist es nicht möglich, die Grundrechte auf diesem Wege zur Wirkung zu bringen, oder fehlen gesetzliche Regelungen überhaupt, so entfalten die Grundrechte als Elemente objektiver Ordnung des Gemeinwesens ihre Bindungswirkung unmittelbar gegenüber jenen Inhabern wirtschaftlicher oder sozialer Macht" 3 9 7 . Diese Stellungnahme, der kein Denkfehler nachzuweisen ist, zeigt, daß die Möglichkeit besteht, selbst auf der Grundlage einer prinzipiellen Ablehnung einer absoluten Grundrechtswirkung eine unmittelbare Grundrechtsbindung solcher Privatpersonen zu bejahen, die Inhaber einer überlegenen sozialen Macht sind. Es gibt indes auch Verfechter eines mittelbaren Grundrechtseinflusses im Privatrecht, die eine solche Ausnahme expressis verbis ablehnen. Ihre Argumente vermögen aber nicht zu überzeugen. „Diskutabel wäre die Annahme einer unmittelbaren Grundrechtsdrittwirkung allenfalls bei außerstaatlichen Machtkonzentrationen, denen gegenüber der einzelne Private in Wirklichkeit gar keine Vertragsfreiheit hat. Auch hier ist jedoch am mittelbaren Wege der Grundrechtsverwirklichung festzuhalten" 3 9 8 . Anschließend wird dann dargelegt, daß das Vertragsrecht auch ohne eine unmittelbare Bindung der Privatrechtssubjekte an die Grundrechte mit einem Machtmißbrauch fertig werden kann. Diese Argumentation ist indes zu eng, weil sie auf den Bereich des Vertragsrechts beschränkt ist 3 9 9 . Es wird nicht begründet, warum für den außervertraglichen Bereich, in dem - im Gegensatz zum vertraglichen Bereich nicht immer Generalklauseln zur Realisierung der Grundrechtswerte bereit397
Hesse § 11 II. Dürig in Maunz-Dürig Art. 2 RdNr. 57. 399 Dies gilt auch für Canaris aaO., der das Problem sozialer Macht nur als „unselbständigen Ausschnitt des viel allgemeineren Fragenkreises der gestörten Vertragsparität" ansieht (207), für dessen Bewältigung ein vielfältiges Instrumentarium vorhanden sei. 398
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stehen, „am mittelbaren Wege der Grundrechtsverwirklichung festzuhalten" ist. „Der tiefere Grund für die Beschränkung der Grundrechte auf den Staat ist seine überlegene Sozialmacht. Nur deshalb war es erforderlich, ihm die Bindungen der Grundrechte aufzuerlegen. Daher ist eine unmittelbare Drittwirkung allenfalls gegenüber anderen Trägern einer überlegenen Sozialmacht diskutabel. Aber auch hier würde der Geltungsbereich der Grundrechte entgegen dem Willen des Verfassungsgebers ausgeweitet. Eine so weitreichende Änderung des Verfassungsrechts läßt sich nicht mit geistigen Argumenten vom Gelehrtenkämmerlein aus, sondern nur durch politische Aktionen im Wege einer Verfassungsänderung durchsetzen" 400 . Dem ist nicht zuzustimmen. Ein Wille des Verfassungsgebers, den Geltungsbereich der Grundrechte, was ihren subjektivrechtlichen Gehalt angeht, auf die Staatsrichtung zu beschränken, kann nicht festgestellt werden. Es gibt Grundrechtsnormen, die dafür sprechen, daß die Grundrechte auch Privatpersonen binden sollen. Außerdem fordert die - aus einem personalen neunaturrechtlichen Denken folgende - Grundentscheidung des Art. 1 GG eine allseitige Wirkung der Grundrechte. Diese Allseitigkeit, die nicht zwingend zu einer unmittelbaren Grundrechtsbindung Privater führen muß, verbietet es, eine solche Bindung mit dem Argument abzulehnen, daß die Grundrechte nach dem Willen des Verfassungsgebers nur den Staat binden können. Von anderer Seite wird eingeräumt, daß „in der Tat ein Bedürfnis nach verfassungsrechtlichem Schutz des einzelnen auch gegenüber nichtstaatlichen und sonstigen nichtöffentlich-sozialen Gewalten nicht zu verkennen" sei 401 . Es gebe aber keinen methodischen Ansatzpunkt, der es erlauben würde, mit Hilfe der Grundrechte diesem Schutzbedürfnis Genüge zu tun. Insbesondere sei man daran gebunden, daß die Grundrechte „nach der ausdrücklichen Vorschrift des Art. 1 Abs. 3 nur Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung, also Teile der hoheitlichen Staatsgewalt binden" 4 0 2 . Hier wird übersehen, daß es neben dem Art. 1 Abs. 3 GG, der für eine ausschließliche Staatsgerichtetheit spricht, auch noch andere Bestimmungen des Grundgesetzes gibt (Art. 1 Abs. 1 S. 2, Art. 1 Abs. 2, Art. 2 Abs. 1 GG), denen Argumente für eine horizontale Wirkung der Grundrechte entnommen werden können. Wortlaut und Systematik des Grundgesetzes sowie seine unmittelbare Entstehungsgeschichte sind bezüglich einer Grundrechtsbindung Privater widersprüchlich. Die Grundrechtskonzeption des Verfassungsgebers und die aus ihr fließende Wertentscheidung des Art. 1 GG legen die Grundrechte nicht auf die Staatsrichtung fest, sondern fordern Allseitigkeit. Außer400 401 402
Stein § 38 I I 2 a. von Mangoldt-Klein Vorbemerkung A I I 4 c. von Mangoldt-Klein aaO.
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halb der teleologischen Ebene gibt es zwar keine Argumente, die es zwingend gebieten, diese Allseitigkeit durch eine unmittelbare Grundrechtsbindung der Zivilpersonen zu realisieren. Außerhalb dieser Ebene gibt es aber auch keine Gründe, die dies zwingend verbieten. Somit kann allein aufgrund teleologischer Erwägungen entschieden werden. Da Freiheit durch überlegene nichtstaatliche soziale Macht genauso bedroht werden kann wie durch die überlegene Macht des Staates, ist es teleologisch geboten, die Inhaber solcher sozialer Macht genauso an die Grundrechte zu binden wie den grundrechtslosen Staat. Den Trägern überlegener sozialer Macht, die unter Ausnutzung ihrer faktischen Machtposition grundrechtliche Freiheiten anderer beeinträchtigen, ist für diese freiheitseinschränkende Ausübung von Macht die Berufung auf eigene grundrechtliche Freiheiten zu versagen 403 . In einer solchen Kostellation entfällt somit die Notwendigkeit einer Grundrechtsabwägung und damit dann auch das Moment, aus dem sich sonst die Bedenken gegen eine unmittelbare Grundrechtsgeltung ergeben 404 . Also ist es - unabhängig davon, wie man die Frage der unmittelbaren Grundrechtsbindung Privater prinzipiell beantwortet - aus teleologischen Gründen geboten, jedenfalls die Träger überlegener sozialer Macht so wie den Staat an die Grundrechte zu binden. Dieser Gedankengang führt dann zu einer unmittelbaren Bindung der Eltern an das Kindesgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 G G 4 0 5 , wenn die Eltern im Verhältnis zu ihren Kindern eine Position innehaben, die sich durch Machtüberlegenheit auszeichnet. Dies ist zu bejahen. Die Beziehungen zwischen Eltern und Kind sind in vielem dem Verhältnis vergleichbar, das zwischen Staat und Individuum besteht. Diese Vergleichbarkeit erschöpft sich nicht in der faktischen Machtungleichheit der jeweils Beteiligten (Staat-Bürger; Eltern-Kind) 406 .
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BVerfGE 25, 256, 263 ff. - „Blinkfuer" - ist von dieser Position nicht sehr weit entfernt. 404 Bezogen auf das Eltern-Kind Verhältnis ergibt sich die Entbehrlichkeit einer Abwägung schon daraus, daß nur noch die nicht durch Art. 6 Abs. 2 GG garantierten Elternbefugnisse zur Debatte stehen. Es handelt sich insoweit hier um eine kumulative Begründung. 405 Wohlgemerkt: soweit es um Befugnisse geht, die nicht durch Art. 6 Abs. 2 GG garantiert sind. 406 Vgl. insoweit auch Thomas ZRP 1977, 181, 183, der unter Hinweis darauf, daß die Eltern-Kind Beziehung in bezug auf die faktischen Machtverhältnisse der Konstellation Individuum-Staat sehr nahe komme, eine unmittelbare Geltung der Kindesgrundrechte gegenüber den Eltern bejaht. Auch Kuhn S. 65, der allerdings eine nur mittelbare Wirkung der Kindesgrundrechte befürwortet, spricht davon, daß die weit überlegene tatsächliche Durchsetzungsmacht der Eltern der Übermacht der hoheitlichen Gewalt entspreche, so daß es gerechtfertigt sei, die Wertentscheidungen der Freiheitsrechte so weit wie irgend möglich für das Eltern-Kind Verhältnis zu übernehmen.
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Es handelt sich vielmehr auch um eine Vergleichbarkeit rechtlicher Strukturen. Private Rechtsmacht ist dadurch gekennzeichnet, daß der Private prinzipiell nicht die Befugnis hat, sein Recht im Wege des Zwanges selbst durchzusetzen. Im Verhältnis koordinierter Rechtsgenossen ist die Selbsthilfe grundsätzlich verboten. Die Privatperson, die ihr Recht gegenüber einer anderen Privatperson verfolgen will, muß den Weg der Klage beschreiten. Im Subordinationsverhältnis zwischen Staat und Bürger ist der Staat prinzipiell nicht auf den Weg der Klage angewiesen. Im Verhältnis zum Bürger kann der Staat grundsätzlich - durch Verwaltungsakt und Verwaltungszwang - befehlen und zwingen. Will der betroffene Bürger dem nicht nachkommen, so muß er seinerseits - durch Widerspruch und Klage - aktiv werden. Im Eltern-Kind Verhältnis können die Eltern aufgrund des Sorgerechts in den Kindesangelegenheiten entscheiden. Das Kind ist verpflichtet, diesen Entscheidungen Folge zu leisten. Kommt es seiner Folgepflicht nicht nach, so brauchen die Eltern nicht - wie sonst ein Privater gegenüber einem anderen Privaten - zu klagen, sondern sie sind - wie sonst der Staat gegenüber dem Bürger - dazu befugt, ihre Entscheidungen im Wege des Zwanges selbst durchzusetzena 407. Durch die Art der Durchsetzung elterlicher Entscheidungen wird das „Kind in eine Objektstellung versetzt: Eltern handeln gleichsam in permanenter Selbsthilfe, setzen ihre Rechte unmittelbar durch" 4 0 8 . Die Eltern haben die - an und für sich genuin hoheitliche - Befugnis, ihre Entscheidungen mit Befehl und Zwang durchzusetzen. Will das Kind sich den Eltern nicht fügen, so muß es - wie sonst der Bürger im Verhältnis zum Staat - seinerseits aktiv werden. Es kann beim Vormundschaftsgericht die Einleitung eines Verfahrens gem. den §§ 1666,1667 BGB anregen. Diese subordinationsrechtliche Struktur der Eltern-Kind-Beziehung wurde von dem früheren Ausdruck „elterliche Gewalt" besser erfaßt als von der heutigen Bezeichnung „elterliche Sorge". Der Terminus „elterliche Sorge" ist zwar vorzuziehen, weil er - im Gegensatz zu „elterliche Gewalt" - zutreffend die Pflichtgebundenheit des Elternrechts betont. Diese Fremdnützigkeit ändert aber nichts daran, daß die Eltern dem Kind gegenüber von Zwangsbefugnissen Gebrauch machen. Auch derjenige, der zu seinem Glück gezwungen wird, wird gezwungen. Die Eltern-Kind-Beziehung stimmt mit dem Staat-Bürger-Verhältnis nicht nur bezüglich der subordinationsrechtlichen Struktur überein. Übereinstimmung besteht vielmehr auch bezüglich der Art und Weise, in der Eltern und Staat ihre Entscheidungsbefugnisse auszuüben haben 409 . Im Koordinationsverhältnis - im Verhältnis der Privatpersonen zueinander - wird autonom gehandelt. Die Zivilpersonen nehmen ihre Interessen in freier Selbstbestim407
Vgl. statt aller Gernhuber § 49 V I I . 08 Lüderitz AcP 178, 263, 271, 272. 409 So zu Recht Reuter S. 187 gegen Kuhn S. 65. 4
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mung wahr. Bei der Interessenwahrnehmung steht ihnen das Recht zur Beliebigkeit zu. Im Subordinationsverhältnis - im Verhältnis des Staates zum Bürger - handelt der Staat heteronom. Staatliches Handeln ist die Idee des objektiv Richtigen verpflichtet. Der Staat hat kein Recht zur Beliebigkeit. Letzteres gilt auch für das Eltern-Kind-Verhältnis. Bei Entscheidungen in Kindesangelegenheiten haben die Eltern kein Recht zur Beliebigkeit. Ihr Handeln ist vielmehr pflichtgebunden - am Wohl des Kindes orientiert - und somit heteronomer Natur. In Anbetracht dieser Strukturähnlichkeiten geht es nicht an, zwar Befugnisse des Staates durch die Grundrechte unmittelbar einzugrenzen, die ganz ähnlich gearteten Elternbefugnisse aber von solch einer Grundrechtsbindung freizustellen. Außerhalb des Bereichs, der durch die spezielle Aussage abgedeckt wird, die Art. 6 Abs. 2 GG für das Eltern-Kind-Verhältnis macht, müssen sich also die elterlichen Befugnisse direkt vor dem Kindesgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG verantworten. Der Zivilgesetzgeber, der bei der Zuteilung privater Rechtsmacht, die eine Zivilperson gegenüber einer anderen haben soll, die Grundrechte in dem Umfang zu beachten hat, in dem sie eine Aussage zu dem privatrechtlichen Rechtsverhältnis machen, das zur Regelung ansteht, darf den Eltern - jenseits des durch Art. 6 Abs. 2 GG garantierten Bereiches - nur so viele Befugnisse gewähren, wie es mit dem Kindesgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG vereinbar ist. Die Verfassung fordert nämlich für die Eltern-Kind-Beziehung eine unmittelbare Geltung des Kindesgrundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG. d) Lösung der internen Grundrechtsmündigkeitsproblematik Damit steht die Methode des weiteren Vorgehens fest. Zunächst ist zu ermitteln, welche Rechte der Eltern durch die spezielle - auf das Eltern-KindVerhältnis bezogene - Regelung des Art. 6 Abs. 2 GG von Verfassungs wegen garantiert sind. Soweit dies der Fall ist, braucht auf das Kindesgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG nicht mehr eingegangen zu werden. Einfachrechtliche Elternbefugnisse, die nicht durch Art. 6 Abs. 2 GG grundrechtlich abgesichert sind, sind dagegen unmittelbar an dem Kindesgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG zu messen. aa) Die Gewährleistung des Art. 6 Abs. 2 GG
Da kraft Natur der Sache Pflege und Erziehung von Kindern bei den Eltern besser aufgehoben sind als beim Staat, garantiert Art. 6 Abs. 2 GG den Eltern in den Kindesangelegenheiten den Vorrang vor dem Staat. Die Eltern haben gegenüber dem Staat einen Anspruch darauf, daß dieser es unterläßt, sich in einem von der Verfassung nicht gewollten Umfang in die Eltern-Kind-Bezie-
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hung einzumischen 410 . Es gibt einen staatsfreien Raum, in dem nur die Eltern und nicht die Organe des Staates das Sagen haben. Diesen Raum darf der Staat auch nicht dadurch einschränken, daß er Entscheidungskompetenzen von den Eltern auf die Kinder verlagert. Es ist indes bereits dargelegt worden (vgl. S. 118 ff.), daß die vom Grundgesetz garantierte Staatsfreiheit nicht identisch mit der Staatsfreiheit ist, die ζ. Z. aufgrund der heute geltenden einfachrechtlichen Regelungen den Eltern einfachgesetzlich zugebilligt wird. Es ist dem Staat nicht von Verfassungs wegen untersagt, Regelungen zu schaffen, welche die Autonomieinteressen des Kindes in einem stärkeren Umfang berücksichtigen als dies die Normen des BGB's tun, welche die Kindesinteressen nur unter dem Schadensaspekt sehen. Die Regelungskompetenz des Staates beschränkt sich nicht auf die Selbstverständlichkeit, daß der Staat zu handeln hat, wenn die Eltern ihren Kindern Schäden zufügen. Es fragt sich nun aber, wo die Grenzen des staatsfreien Raumes verlaufen, der den Eltern durch Art. 6 Abs. 2 GG gewährleistet wird. Diese Frage läßt sich nur dann beantworten, wenn man sich Klarheit darüber verschafft, welche Interessen durch die grundrechtlich geschützten Elternbefugnisse gewahrt werden sollen. Für den Umfang der verfassungsrechtlich garantierten Staatsfreiheit muß es von Relevanz sein, ob durch das Entscheidungsrecht der Eltern in den Angelegenheiten der Kinder nur den Kindesinteressen oder auch Eigeninteressen der Eltern Genüge getan werden soll. Die staatliche Abstinenz gegenüber elterlicher Entscheidungsmacht muß zwangsläufig eine Funktion dessen sein, wozu diese Entscheidungsmacht da ist. Sind elterliche Entscheidungsbefugnisse ausschließlich um der Kindesinteressen willen da, so kann der Staat diese Befugnisse nur unter dem Aspekt der Kindesinteressen zu respektieren haben. Ist dagegen das Bestimmungsrecht der Eltern auch um Eigeninteressen der Eltern willen da, so muß der Staat auch auf diese Interessen Rücksicht nehmen. Damit ist schon bei der Fragestellung von vornherein die Möglichkeit eliminiert, daß sich Elternbefugnisse womöglich ausschließlich aus Eigeninteressen der Eltern rechtfertigen lassen. Eine solche Betrachtungsweise ist spätestens seit Inkrafttreten des BGB's nicht mehr möglich. Die Pandektistik sah die elterliche Gewalt teilweise noch als ein Herrschaftsrecht an, das den Eltern um ihrer selbst willen am „Rechtsobjekt Kind" verliehen war 4 1 1 . Das Kind wurde nicht als eine Person angesehen, die ungeachtet ihrer Folgepflicht Rechtssubjekt ist, sondern wurde als ein vom Recht der Einwirkung der elterlichen Gewalt preisgegebenes Objekt betrachtet 412 . Ein solches Denken, für 410 Vgl. statt aller BVerfGE 24, 119, 138; 47, 46, 69 f.; Maunz in Maunz-Dürig Art. 6 RdNr. 25 e; Leibholz-Rinck Art. 6 RdNr. 6. 411 Vgl. etwa Windscheid (1862) § 41. 412 Holder Pandekten § 6 1 I V ; zustimmend(!) zitiert bei Enneccerus-Nipperdey § 73 I 2 Anm. 6.
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das Elternbefugnisse qualitativ nichts anderes waren als Eigentümerbefugnisse, war schon den Verfassern des BGB's fremd. Sie verstanden die elterliche Gewalt nicht als eigennütziges Herrschaftsrecht, sondern als Schutzinstitut, das dem Interesse des Kindes dienen soll 413 . In einem Schutzinstitut für das Kind ist aber kein Raum für Elternbefugnisse, die ausschließlich den Eigeninteressen der Eltern dienen. So kann es denn seit dem Inkrafttreten des BGB's keinen Zweifel daran geben, daß elterliche Befugnisse fremdnützige Rechte sind, die sich an dem Wohl des Kindes zu orientieren haben. Unter der Herrschaft des Grundgesetzes ist ein solches Verständnis sogar von Verfassungs wegen geboten: „Eine Verfassung, welche die Würde des Menschen in den Mittelpunkt ihres Wertsystems stellt, kann bei der Ordnung zwischenmenschlicher Beziehungen grundsätzlich niemandem Rechte an der Person eines anderen einräumen, die nicht zugleich pflichtgebunden sind und die Menschenwürde des anderen respektieren" 4 1 4 . Die Frage kann also nur dahin gehen, ob das Bestimmungsrecht der Eltern ausschließlich die Kindesinteressen oder aber neben den Kindesinteressen auch noch Eigeninteressen der Eltern schützen soll. In der Literatur findet sich der Hinweis darauf, daß die elterliche Sorge insoweit als eigennütziges Recht der Eltern zu begreifen sei als sie den Eltern nicht beliebig entzogen werden könne 415 . Das eigennützige Moment des Elternrechts sei darin zu sehen, daß dieses Recht es den Eltern ermögliche, die in Art. 6 Abs. 2 GG umschriebene Aufgabe wahrzunehmen 416 . Eine Eigennützigkeit in diesem Sinne kann nicht bestritten werden; sie ist aber für unsere Fragestellung ohne Belang. Unsere Fragestellung ist darauf gerichtet, die Grenzen des grundrechtlich garantierten staatsfreien Raumes zu finden. Dafür muß der Zweck elterlicher Befugnisse ermittelt werden. Ist durch eine an diesem Zweck orientierte Betrachtungsweise der Bereich fixiert, welcher der Regelungskompetenz des Staates entzogen ist, so haben die Eltern selbstverständlich ein auch eigennütziges Interesse daran, daß dieser Bereich vom Staat respektiert wird. Auch dann, wenn Elternbefugnisse ausschließlich fremdnütziger Natur sein sollten, die Eltern also - was sicherlich Konsequenzen bezüglich des Umfangs der Staatsfreiheit hätte - gegenüber den Kindern nur eine Aufgabe zu erfüllen hätten, so hätten die Eltern nichtsdestoweniger ein auch eigennütziges Interesse daran, vom Staat aus dieser Aufgabe nicht verdrängt zu werden. Daß dies 413
Motive Band I V S. 724. BVerfGE 24,119,144; vgl. im übrigen auch BVerfGE 7,198, 205; BVerfGE 56, 363, 384; BVerfGE 61, 358, 372. 4 5 * Gernhuber § 49 I I I 2. 416 Hahnzog FamRZ 1971, 334, 337. 414
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Interesse eigennütziger Natur ist, kann nur von demjenigen bestritten werden, der in materieller Verengung des Begriffes „Nutzen" verkennt, daß die Wahrnehmung und Erfüllung einer Aufgabe ideelle Befriedigung verschaffen kann 417 . Dieses eigennützige Interesse der Eltern ist indes für den Umfang der Staatsfreiheit ohne Relevanz. Es knüpft an die Staatsfreiheit als solche an und besteht bei jedem denkbaren Umfang der Staatsfreiheit. Dieses Interesse der Eltern ist darauf gerichtet, daß der Staat die Grenze der Staatsfreiheit - unabhängig davon, wo sie sich befindet - nicht überschreitet. Ein solches Interesse kann naturgemäß keine Antwort auf die Frage geben, wo diese Grenze verläuft. Daß die Eltern ein auch eigennütziges Interesse daran haben, daß sich der Staat nicht in den Tätigkeitsbereich einmischt, der ihnen durch Art. 6 Abs. 2 GG exklusiv zugeordnet wird, gibt keine Auskunft darüber, welcher Tätigkeitsbereich von der Verfassung in dieser Art und Weise den Eltern zugeordnet wird. Dieses Interesse ist unabhängig davon gegeben, welchen Tätigkeitsbereich Art. 6 Abs. 2 GG den Eltern garantiert. Dieses Interesse knüpft daran an, daß das Grundgesetz einen solchen Bereich anerkennt. Für den Umfang dieses Bereiches kommt es dagegen darauf an, warum die Verfassung dies tut. Für den Umfang der Staatsfreiheit ist es entscheidend, ob sie nur um der Kinder willen oder auch um der Eltern willen in der Verfassung postuliert wird. Bei der Frage, ob das Elternrecht auch Eigeninteressen der Eltern schützen soll, findet sich als weitestgehende Ansicht die Aussage, daß den Eltern die Befugnis eingeräumt werden solle, ihr Persönlichkeitsbild nicht nur für die eigene Person zu realisieren, sondern auch auf die Kinder auszudehnen. Dementsprechend wird Art. 6 Abs. 2 GG als Ausfluß des Rechts der Eltern auf Entfaltung ihrer Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) begriffen 418 . Dieser Auffassung ist nicht zu folgen. Der die Entfaltungsfreiheit schützende Art. 2 Abs. 1 GG enthält eine Selbstbestimmungsgarantie, die von der Garantie des Art. 6 Abs. 2 GG wesensverschieden ist. „Jeder kann tun und lassen, was er will, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt . . . " . Diese im Verfassungsgebungsverfahren für Art. 2 Abs. 1 GG vorgeschlagene Formulierung ist nur deshalb nicht Verfassungstext geworden, weil man sie als für eine Verfassung nicht würdevoll genug ansah. In der Sache sollte indes gegenüber diesem Formulierungsvorschlag nichts geändert werden. Art. 2 Abs. 1 GG soll jedem die Freiheit 417
Vgl. dazu Erichsen S. 32; Lüderitz AcP 178, 263, 267 ff. Peters S. 375 ff.; auch Lindacher FamRZ 1964, 116, 119 meint, daß das Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 GG das typische Beispiel einer Konkretisierung des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit sei; ebenso Richter Alternativ-Kommentar zum GG, 1984, Art. 6 RdNr. 34; offengelassen in BVerfGE 4, 52, 56 f.; nach Erichsen S. 32 bieten Pflege und Erziehung des Kindes auch den Eltern die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung und Daseinserfüllung. 418
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garantieren, daß er - solange er nicht die Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG überschreitet - tun kann, was er will 4 1 9 . Art. 2 Abs. 1 GG schützt die Freiheit zur Beliebigkeit. Daraus folgt, daß zwischen Art. 6 Abs. 2 GG und Art. 2 Abs. 1 GG ein essentieller Unterschied besteht. Die Freiheit, die den Eltern bei der Pflege und Erziehung ihrer Kinder verbürgt ist, kann keine Freiheit zur Beliebigkeit sein. Diese Freiheit der Eltern ist vielmehr dem Wohl des Kindes verpflichtet. Das Grundgesetz will die Kindesinteressen nicht geringer schätzen als das aus der Kaiserzeit stammende BGB, das die elterliche Gewalt als Schutzinstitut für das Kind normiert hat. Der Pflichtgehalt des Elternrechts kommt schon im Wortlaut des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG („ihnen obliegende Pflicht") eindeutig zum Ausdruck. Das anschließend in Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG vorgesehene Wächteramt des Staates wäre gegenstandslos, wenn die Eltern bei der Pflege und Erziehung ihrer Kinder das Recht zur Beliebigkeit hätten. Eine Freiheit, die zum Nutzen eines anderen auszuüben ist, unterscheidet sich strukturell von einer Freiheit, die dem Grundrechtsträger als Selbstverwirklichungsfreiheit gewährleistet wird. Für den Inhalt des Elterngrundrechts aus Art. 6 Abs. 2 GG können somit keine Schlüsse aus Art. 2 Abs. 1 GG hergeleitet werden 420 . Der oben geschilderten Interpretation elterlicher Befugnisse kann aber auch ganz unabhängig von der Möglichkeit eines Bezuges auf Art. 2 Abs. 1 GG nicht zugestanden werden, daß Eltern die Befugnis haben sollen, ihr Persönlichkeitsbild auf die Person des Kindes auszudehnen. Es ist vielmehr den Eltern von Verfassungs wegen verwehrt, sich selbst in ihren Kindern zu verwirklichen. Es ist nicht die Aufgabe der Eltern, die Persönlichkeit des Kindes zu einem Ebenbild ihrer eigenen Persönlichkeit zu formen, sondern es ist Elternpflicht, dem Kind bei der Entwicklung seiner eigenen Persönlichkeit zu helfen. Dies folgt daraus, daß Art. 6 Abs. 2 GG - wie jedes Grundrecht - von der Sinnmitte der Grundrechte - dem Würdeanspruch des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG) - aus zu interpretieren ist. Die Würde des Menschen besteht darin, daß er niemals „Mittel zum Zweck", sondern immer „Zweck an sich" ist 4 2 1 . Wird der Mensch zum bloßen Objekt fremder Interessen gemacht, so wird er in seinem Würdeanspruch verletzt 422 . Würde man den Eltern das Recht zubilligen, ihr Persönlichkeitsbild auf die Person ihres Kindes auszudehnen und sich selbst in der Person dieses Kindes zu verwirklichen, so würde man in einem mit Art. 1 Abs. 1 GG nicht zu vereinbarenden Maße das Kind zum Objekt elterlichen Handelns machen 423 . 419
Vgl. insbesondere BVerfGE 6, 32, 37 ff. ° Vgl. dazu auch Ossenbühl FamRZ 1977, 533, 534. 421 Vgl. oben S. 64. 422 Vgl. BVerfGE 27, 1, 6; BVerwGE 1, 159, 161; Dürig in Maunz-Dürig Art. 1 Abs. 1 RdNr. 28; von Münch Art. 1 RdNr. 15. 423 Im Kern übereinstimmend Stein § 32 I I 2; Reuter S. 81. 42
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Dies bedeutet natürlich nicht, daß es den Eltern verwehrt ist, in ihrer Vorbildfunktion die für sie verbindlichen Werte - soweit diese „im abendländischen Raum überhaupt diskutierbar" 424 sind - dem Kind vorzuleben und zu vermitteln. Ohne dies ist Erziehung nicht denkbar. Die Erziehung muß aber immer auf das Ziel ausgerichtet sein, daß sich das Kind zu einer eigenen Persönlichkeit entwickelt. In diesen Entwicklungsprozeß haben die Eltern ihr eigenes Wertsystem und ihr eigenes Bild von einer selbständigen und eigenverantwortlichen Persönlichkeit als „Angebot" einzubringen. Das Persönlichkeitsbild der Eltern kann nur eine fremdnützige und funktionale - der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes dienende - Bedeutung haben. Ein Eigeninteresse der Eltern, ihr Persönlichkeitsbild auf die Person des Kindes auszudehnen und sich in der Person des Kindes zu verwirklichen, verträgt sich nicht mit dem gem. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Würdeanspruch des Kindes. Eine Eigennützigkeit elterlicher Befugnisse kann somit nicht mit einem Bezug auf das Entfaltungsrecht der Eltern aus Art. 2 Abs. 1 GG begründet werden und auch nicht - unabhängig von einer solchen Bezugnahme - damit legitimiert werden, daß es den Eltern möglich sein soll, ihr Persönlichkeitsbild auf ihre Kinder auszudehnen. Nach einer anderen Auffassung sind elterliche Befugnisse - bei aller Fremdnützigkeit, die zugestanden wird - „zunächst" eigennützige Rechte. Das eigennützige - rechtlich geschützte - Interesse der Eltern wird in deren elementarem Bedürfnis gesehen, ein Objekt der Zuwendung zu besitzen und eine Persönlichkeit wachsen zu sehen, welche sie pflegen und schützen können 4 2 5 . Daß dieses elementare Liebesbedürfnis häufig ein Motiv für Elternschaft ist, kann gar nicht bestritten werden. Ferner ist es zutreffend, daß die Befriedigung dieses Bedürfnisses gefährdet wäre, wenn sich der Staat beliebig in die Eltern-Kind-Beziehung einmischen könnte. Für unsere Frage nach dem Umfang des grundrechtlich garantierten staatsfreien Raumes kann indes diesem personalen Interesse der Eltern keine eigenständige Bedeutung zukommen. Zunächst ist festzustellen, daß - entgegen dieser Ansicht, die von „zunächst" eigennützigen Rechten spricht - elterliche Entscheidungsrechte primär fremdnützig sind. Wäre es nämlich ihr erster Zweck, den Eltern die Befriedigung ihres Liebesbedürfnisses zu ermöglichen, so müßte im Konflikt zwischen den Liebesinteressen der Eltern und den objektiven Kindesinteres424
Gernhuber § 5 I V 8; ähnlich Erichsen S. 42, 43; Böckenförde S. 54, 66; Fehnemann S. 41 f. 425 Lüderitz AcP 178, 263, 267 ff.; dem zustimmend: Dieckmann AcP 178, 298, 3 0 0 ; Diederichsen FamRZ 178, 461, 462; nach Erichsen S. 32 sind elterliche Befugnisse aus diesem Grunde auch eigennützig.
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sen zugunsten der Elterninteressen entschieden werden. Davon kann indes keine Rede sein. Gegenüber Eltern, die durch ihr unverschuldetes Versagen das Kindes wohl gefährden und die, obwohl sie guten Willens sind, nicht dazu fähig sind, diese Gefahr wieder zu beseitigen, ist ein vormundschaftsgerichtliches Eingreifen gem. § 1666 BGB auch dann geboten, wenn diese Eltern sich ihrem Kind mit Liebe zuwenden. Wäre es der primäre Grund elterlicher Rechte, daß Eltern durch Pflege und Erziehung von Kindern ihre Liebesbedürfnisse befriedigen können, so dürfte der Staat erst dann eingreifen, wenn die Eltern gegenüber dem Kind schuldhaft versagen. Wer schuldhaft das Wohl seines Kindes gefährdet, der kann staatliches Eingreifen nicht mit der Begründung abwehren, daß der Staat ihn in seiner liebevollen Zuwendung zu dem Kind nicht stören dürfe. Schuldhafte Kindeswohlgefährdung und eine - in einem recht verstandenen Sinne - liebevolle Zuwendung zu dem Kind schließen einander aus. Schuldloses Eiternversagen und objektive Unfähigkeit der Eltern, Gefahren für das Kindes wohl abzuwenden, schließen dagegen eine liebevolle Zuwendung der Eltern zu dem Kind keineswegs aus. Darf der Staat - der reformierte § 1666 BGB enthält kein Verschuldenserfordernis mehr nichtsdestoweniger zum Schutz des Kindeswohls eingreifen, so zeigt dies, daß die Kindesinteressen höher bewertet werden als das personale Liebesinteresse der Eltern. Diese Bewertung, die als einfachrechtliche Wertung nicht auf der hier diskutierten Ebene der Verfassung liegt, entspricht auch den Forderungen der Verfassung. Die Beseitigung des Verschuldensmerkmals in § 1666 BGB entsprach einem Gebot des Grundgesetzes. Der Staat würde seine Schutzpflicht gegenüber der Würde des Kindes (Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG) verletzen, wenn er tatenlos zusehen würde, wie „schuldlose" Eltern ihrem Kind Schaden zufügen 426 . Wäre es der primäre Zweck des Elterngrundrechts aus Art. 6 Abs. 2 GG, das Eigentinteresse der Eltern an einer liebevollen Zuwendung zu dem Kind - manifestiert in Pflege und Erziehung des Kindes nach Maßgabe der Elternvorstellungen - vor staatlicher Einmischung zu schützen, so dürfte der Staat zugunsten der Kindesinteressen nicht schon dann einschreiten, wenn die Eltern in liebevoller Zuneignung zu dem Kind das Kindeswohl objektiv verfehlen. So könnte z.B. gegenüber dem Angehörigen einer Sekte, der für das körperliche Wohl seines Kindes erforderliche Maßnahmen unterläßt, weil er glaubt, nur so das Seelenheil des Kindes retten zu können, staatlicherseits nicht eingegriffen werden, wenn die Garantie des Art. 6 Abs. 2 GG primär dahin ginge, daß Eltern sich - unbehelligt vom Staat - ihrem Kind in Liebe zuwenden können. Dem Angehörigen der Sekte, der sich so verhält, kann nämlich nicht entgegengehalten werden, daß er seinem Kind nicht mit Liebe 426 Es ist der „verfassungsrechtliche Sinn" des staatlichen Wächteramtes (Art. 6 I I S. 2) „objektive Verletzungen des Wohles des Kindes zu verhüten" (BVerfGE IO, 59, 84); vgl. dazu auch Erichsen S. 48, 49.
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begegnet. Aufgrund der - verfassungsrechtlich gebotenen - Neufassung des § 1666 BGB ist es aber so, daß der Staat schon dann zu handeln hat, wenn Eltern ihrem Kind zwar subjektiv liebevoll gegenüberstehen, objektiv aber seinem Wohl schaden. Halten aber Elternentscheidungen, die von der Liebe der Eltern zu dem Kind getragen sind, objektiv aber das Kindeswohl gefährden, der Kontrolle des Vormundschaftsgerichts nicht stand, so müssen elterliche Entscheidungsbefugnisse primär fremdnütziger Natur sein. Ein Eigeninteresse der Eltern in dem hier erörterten Sinne kann somit nur von sekundärer Bedeutung sein. Als ein solcher Umstand vermag dieses Interesse aber den Umfang der Staatsfreiheit nicht zu beeinflussen. Soweit die primären Kindesinteressen zu einem eindeutigen Ergebnis - im Sinne staatlicher Regelungskompetenz - führen, vermögen - wie eben dargelegt - sekundäre „Liebesinteressen" der Eltern an diesem Ergebnis nichts zu ändern. Soweit aber die primären Kindesinteressen keine eindeutige Antwort geben, bedarf man keines Rückgriffes auf Eigeninteressen der Eltern, damit eine Entscheidung für die Eltern und gegen den Staat fällt. Kraft Natur der Sache spricht eine Vermutung dafür, daß die Eltern und nicht staatliche Organe die besten Interpreten des Kindeswohls sind 427 . Somit ist auch dann, wenn man ausschließlich von den Kindesinteressen her argumentiert, ein Elternvorrang zu bejahen, wenn die Kindesinteressen nicht eindeutig etwas anderes fordern. Ein Eigeninteresse der Eltern an einer vom Staat ungestörten liebevollen Zuwendung zu den Kindern hat somit keinerleit Einfluß auf den Umfang der Staatsfreiheit. Schließlich wird behauptet, daß die elterlichen Befugnisse auch zum Schutz materieller Eigeninteressen der Eltern da seien. Da die Unterhaltspflicht der Eltern den Zeitpunkt der Volljährigkeit der Kinder überdauert, hätten die Eltern ein materielles Eigeninteresse daran, die Kinder so zu erziehen, daß sie - die Eltern - später von den volljährigen Kindern nicht übermäßig in Anspruch genommen würden 428 . Eine solche Betrachtungsweise ist abzulehnen. Ob die Eltern Unterhaltsansprüchen ihrer volljährigen Kinder ausgesetzt sind, hängt davon ab, ob diese Kinder genug verdienen, um sich selbst unterhalten zu können. Die Entscheidung, die - wie keine andere Entscheidung Einfluß darauf hat, ob Kinder sich später selbst unterhalten können, ist die Berufswahl. Noch nicht einmal diese Entscheidung, die mehr als alle anderen 427 Vgl. BVerfGE 6 0 , 79, 94; BVerfGE 59, 360, 376; Erichsen S. 51, 52; Ossenbühl FamRZ 1977, 533, 534. 428 Dieckmann AcP 178, 298, 3 0 1 ff.
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Entscheidungen dazu beitragen kann, daß die Eltern später ihre volljährigen Kinder alimentieren müssen, darf von den Eltern unter dem Aspekt ihrer finanziellen Eigeninteressen getroffen werden. Ist das Kind - was heute nicht so selten ist - bei der Berufswahl bereits volljährig, so entscheidet es selbständig, welchen Beruf es ergreifen will 4 2 9 . Ist das Kind zu diesem Zeitpunkt noch minderjährig, so gilt § 1631 a BGB. Nach dieser Vorschrift haben die Eltern bei der Wahl des Berufes des Kindes insbesondere auf dessen Eignung und Neigung Rücksicht zu nehmen. Tun sie dies offensichtlich nicht und wird dadurch die Besorgnis begründet, daß die Entwicklung des Kindes nachhaltig und schwer beeinträchtigt wird, so entscheidet gem. § 1631 a Abs. 2 BGB das Vormundschaftsgericht. Ob diese Vorschrift, die den selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden nicht emanzipiert 430 , dem Autonomieanspruch dieses Heranwachsenden genügend Rechnung trägt, kann hier nicht beantwortet werden. Die Antwort hängt nämlich von der Lösung der Problematik ab, die hier gerade erörtert wird: wie es nämlich unter verfassungsrechtlichen Aspekten mit der Verteilung von Entscheidungsbefugnissen im internen Verhältnis zwischen Eltern und Kind bestellt ist. Diese Bestimmung, von der noch niemand behauptet hat, daß sie gegen Art. 6 Abs. 2 GG verstoße 431 , zeigt aber auf jeden Fall, daß - im Hinblick auf die überragende Bedeutung, welche die Wahl des Berufes für das weitere Leben des Jugendlichen hat - diese Wahl unter dem Aspekt der Kindesinteressen und nicht unter dem Blickwinkel elterlicher Eigeninteressen vorzunehmen ist. Der Beruf stellt einen Teil der personalen Identität des Menschen dar. Für die Wahl des Berufes können nur die Interessen desjenigen maßgeblich sein, der später mit diesem Beruf zu leben hat. Ein materielles Eigeninteresse der Eltern, später keinen Unterhaltsansprüchen des Kindes ausgesetzt zu sein, kann kein relevantes Kriterium für eine Entscheidung sein, welche für die personale Identität des Kindes von existentieller Bedeutung ist. Wenn aber dieses finanzielle Eigeninteresse der Eltern noch nicht einmal bei der Entscheidung von Relevanz ist, die wie keine andere dazu führen kann, daß die Eltern später Unterhaltsansprüchen des Kindes ausgesetzt sind, 429
Vgl. statt aller O L G Düsseldorf FamRZ 1978, 613; Palandt-Diederichsen § 1610 Anm. 4 a bb. 430 Nach allgemeiner Meinung sind nämlich - unabhängig von der Selbstbestimmungsfähigkeit des Jugendlichen - Neigungen, die durch keine Eignung gedeckt sind, nicht zu beachten; vgl. BT-Drucks. 8/2788 S. 49; Palandt-Diederichsen § 1631 a Anm. 2 a; Erman-Ronke § 1631 a RdNr. 4. Außerdem knüpft die Vorschrift für das Handeln des Vormundschaftsgerichts ausdrücklich an den Schadensaspekt an. Deshalb ist Gernhuber (§ 49 V I I I 8) zuzustimmen, der die Verwandtschaft zwischen § 1631 a und § 1666 betont. § 1631 a sei „von § 1666 allenfalls im prognostischen Zuschnitt der Gefährdung des Kindeswohls geschieden"; ganz ähnlich Erichsen S. 8 0 , 81; vgl. auch Schmitt-Glaeser S. 18. 431 Schließlich ist diese Vorschrift ja auch nicht fortschrittlicher als das Preußische Allgemeine Landrecht. Vgl. oben S. 13 f. Für Verfassungsmäßigkeit ausdrücklich Erichsen S. 81; Schmitt-Glaeser S. 18.
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dann kann dieses Interesse für andere Elternbefugnisse erst recht keine Rolle spielen. Die Entscheidungsbefugnisse der Eltern in den Angelegenheiten des Kindes lassen sich nicht von finanziellen Eigeninteressen der Eltern her legitimieren. Dies hat nichts damit zu tun, daß alle Verpflichtungen der Eltern gegenüber ihren Kindern selbstverständlich dort ihre Grenze finden, wo eine Förderung bestimmter Kindesinteressen den angemessenen Unterhalt der Eltern gefährden würde. Das kann, wenn andere - insbesondere öffentliche - Leistungsträger nicht einspringen, dazu führen, daß Entscheidungen, die für das Kindes wohl optimal wären, nicht realisiert werden können. Es ist aber etwas Verschiedenes, ob Entscheidungen in den Angelegenheiten des Kindes ausschließlich an dessen Interessen zu orientieren sind und an der finanziellen Leistungsfähigkeit der Eltern nur ihre faktische Grenze finden oder ob diese Entscheidungen nach dem Kriterium des finanziellen Eigeninteresses der Eltern getroffen werden dürfen. Beispiel: Das Kind ist zu den Berufen Α , Β und C geeignet. Seine Neigungen erstrecken sich auf A und B; in keiner Weise auf C. A ist für die Eltern nicht finanzierbar; andere Leistungsträger springen nicht ein. Β ist finanzierbar, birgt aber gewisse Risiken in sich, so daß spätere Unterhaltsansprüche des Kindes gegen die Eltern nicht von vornherein auszuschließen sind. C ebenfalls finanzierbar - verbürgt finanziell eine sichere Zukunft, so daß spätere Unterhaltsansprüche des Kindes mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden können. Hier ist Β zu wählen. A scheitert an den faktischen Gegebenheiten. Dürften die Eltern aufgrund ihres finanziellen Eigeninteresses entscheiden, so könnten sie dem Kind C aufdrängen. Letzteres wird indes durch Art. 1 Abs. 1 GG verboten. Das Kind darf nicht zum Objekt finanzieller Eigeninteressen der Eltern degradiert werden. Zwischenergebnis: Es sind somit keinerlei Eigeninteressen der Eltern ersichtlich, die es rechtfertigen könnten, den Umfang des grundrechtlich garantierten Elternrechts von ihnen aus zu definieren. Zwar ist es zutreffend, daß das Elternrecht insoweit ein eigennütziges Recht der Eltern ist als es ihnen die Verteidigung ihrer Pflege- und Erziehungsinteressen ermöglicht. Soweit das Elternrecht reicht, können sich die Eltern dagegen wehren, daß sich der Staat in die Eltern-Kind-Beziehung einmischt. Diese Eigennützigkeit gibt indes für den Umfang des grundrechtlich geschützten Elternrechts nicht her, weil sie bei jedem denkbaren Umfang gegeben ist. Daß die Staatsfreiheit als solche den Eltern einen eigenen Nutzen bringt, gibt keine Auskunft darüber, in welchem Umfang die Staatsfreiheit grundrechtlich garantiert wird. 12 Reinicke
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Für die Grenzen der Staatsfreiheit kommt es entscheidend darauf an, ob die - gegenüber dem Staat geschützten - Elternbefugnisse ausschließlich den Kindesinteressen oder auch eigenen Interessen der Eltern dienen sollen. Ein personales Eigeninteresse der Eltern daran, ihr eigenes Persönlichkeitsbild auf ihre Kinder auszudehnen und sich selbst in ihren Kindern zu verwirklichen, ist nicht anzuerkennen. Art. 6 Abs. 2 S. 1 und S. 2 GG sowie die Wertentscheidung des Art. 1 Abs. 1 GG verbieten es, das Elternrecht als ein Selbstverwirklichungsrecht der Eltern aufzufassen. Insbesondere der Würdeanspruch des Kindes verlangt es, daß Eltern dem Kind bei der Entwicklung einer eigenen Persönlichkeit helfend zur Seite stehen. Demgemäß sind Elternbefugnisse als pflichtgebundene Befugnisse zu begreifen. Diese Pflichtgebundenheit macht das Elternrecht zum fremdnützigen Recht, das den Kindesinteressen zu dienen hat. Ein personales Eigeninteresse der Eltern daran, sich bei der Pflege und Erziehung der Kinder - vom Staat ungestört - diesen mit Liebe zuwenden zu können, hat im Konfliktfall gegenüber den objektiven Kindesinteressen zurückzutreten. Aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG folgt die Pflicht des Staates, sich in diese liebevolle Zuwendung einzumischen, wenn sie das objektive Kindes wohl verfehlt. Kinder sind nicht nur dann schutzbedürftig, wenn Eltern aus mangelnder Liebe versagen, sondern bedürfen auch dann des Schutzes, wenn ihr objektives Wohl durch liebende Eltern gefährdet wird. Der neugefaßte § 1666 BGB trägt diesem Umstand Rechnung. Ist aber dieses personale Eigeninteresse - „Liebesinteresse" - der Eltern den objektiven Kindesinteressen nachgeordnet, so kommt einer sekundär an diesem Interesse orientierten gegenüber einer nur am Kindesinteresse ausgerichteten Betrachtungsweise keine eigenständige Bedeutung zu. Gibt nämlich das Kindesinteresse keine eindeutige Auskunft, so ist auch bei der Annahme einer ausschließlichen Fremdnützigkeit des Elternrechts zugunsten der Eltern und gegen den Staat zu entscheiden. Finanzielle Eigeninteressen der Eltern vermögen elterliche Entscheidungsbefugnisse nicht zu legitimieren. Es widerspricht der personalen Würde des Kindes, daß in seinen Angelegenheiten nach den Kriterien finanzieller Eigeninteressen der Eltern entschieden wird. Somit ist der Umfang des grundrechtlich garantierten Elternrechts - der Umfang der Staatsfreiheit - ausschließlich von den Kindesinteressen her zu bestimmen. Insoweit besteht im Ergebnis Übereinstimmung mit denjenigen Autoren, welche das Elternrecht als strikt fremdnützig und ausschließlich den Kindesinteressen dienend definieren 432 . Für den Umfang der Staatsfreiheit ist 432 Vgl. z.B. Stein § 32 I I 2, der bezüglich des Elternrechts meint, „daß es nicht um den Schutz von Elterninteressen geht, sondern ausschließlich um den Schutz des Kin-
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es in der Tat so, daß i m Ergebnis nur die Interessen des Kindes zählen. Z w a r haben die E l t e r n ein eigennütziges Interesse daran, daß sie die ihnen durch A r t . 6 A b s . 2 G G zugewiesene Aufgabe wahrnehmen können, ohne dabei v o m Staat gestört zu werden. Dieses Interesse gibt aber keinen Aufschluß darüber, i n welchem U m f a n g A r t . 6 A b s . 2 G G den E l t e r n einen bestimmten Tätigkeitsbereich exklusiv zuordnet. Z u r Beantwortung dieser Frage k o m m t es darauf an, ob diese Z u o r d n u n g auch u m der Eigeninteressen der E l t e r n willen erfolgt ist. A l s ein solches Interesse k o m m t ausschließlich das personale „Liebesinteresse" der E l t e r n in Betracht. D a dieses Interesse aber zurückzustehen hat, wenn es m i t dem Kindesinteresse konfligiert, kann man i m Ergebnis zur Bestimmung des grundrechtlich garantierten staatsfreien Raumes ausschließlich auf die Kindesinteressen abstellen.
Geht man von den Kindesinteressen aus, so stellt sich die Lage wie folgt dar: D e r Zustand des Erwachsenseins zeichnet sich dadurch aus, daß der Erwachsene fähig ist, seine Lebensverhältnisse selbständig zu regeln. Das des. Die elterliche Gewalt ist daher von allen eigennützigen Komponenten zu reinigen. Die Eltern haben als „Sachwalter des Kindes" die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1) zu fördern . . . Nur um dieser Aufgabe willen haben sie besondere Rechte in Beziehung auf das Kind. Das Elternrecht hat also dem Interesse des Kindes zu dienen und darf nicht gegen die Kindesinteressen ausgespielt werden". Simitis (Situation der elterlichen Gewalt) S. 68: „Elternrechte sind strikt fremdnützig. Sie ersetzen die noch fehlende Selbstbestimmung des Kindes und haben insofern die Aufgabe, die für ihre Entwicklung notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. Weil also das Kind nicht in der Lage ist, die eigenen Interessen selbst zu vertreten, erhalten die Eltern Rechte, die keinen anderen Sinn haben, als eben diesen beim Kind vorhandenen Mangel auszugleichen. Ihre Befugnisse sind mithin ebenso vorläufig wie subsidiär. Das Elternprivileg befreit nicht von der Verpflichtung, im Konflikt zwischen dem eigenen und dem Kindesinteresse diesem den Vorrang einzuräumen, im Gegenteil, es akzentuiert sie nur noch. Was den Bedürfnissen des Kindes entspricht, folgt deshalb keineswegs aus dem, was die Eltern wollen. Jede elterliche Entscheidung muß sich vielmehr am Kindesinteresse legitimieren". Simitis (Kindeswohl) S. 108: „Wenn das Grundgesetz sich für den Schutz der Elternrechte ausspricht, so geschieht dies in der Überzeugung, damit den Kindesinteressen am besten zu dienen. Elternrechte sind, so gesehen, von vornherein strikt fremdnützig. Sie konkretisieren die dem Kind gegenüber bestehende Aufgabe und müssen sich deshalb permanent von den Kindesinteressen her legitimieren". Auch Reuter S. 187 spricht davon, daß das elterliche Eigeninteresse immer zurücktreten müsse, sobald es mit den Interessen des Kindes kollidiere. Eine strikte Fremdnützigkeit in diesem Sinne wird ebenfalls bejaht von: Horndasch, Zum Wohle des Kindes, S. 25 f.; Gernhuber FamRZ 1962, 89, 9 0 ; Stöcker ZRP 1974, 211, 212; Schwerdtner AcP 173, 227, 242; Coester-Waltjen ZRP 1977, 177, 179. Üblicherweise wird zwar die Pflichtgebundenheit des Elternrechts stark betont, aber nicht klar erkannt, daß der Umfang der grundrechtlich abgesicherten Elternbefugnisse ausschließlich von den Kindesinteressen her zu bestimmen ist. Vgl. etwa: BVerfGE 24, 119, 143 ff.; B G H Z 66, 334, 337; Schwab JZ 1970, 745, 746; Becker FamRZ 1961, 104, 105; Strätz FamRZ 1975, 546, 547; Dölle Band I I S. 137; E.M. von Münch Art. 6 RdNr. 22; Erichsen S. 34, 35. 1*
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Kind ist dazu nicht in der Lage. Säuglinge und Kleinkinder können überhaupt noch nicht für sich sorgen. Sie können nur kraft der Fürsorge anderer Personen existieren. Auch in den darauf folgenden Lebensjahren kann trotz wachsender Handlungsfähigkeiten noch nicht die Rede davon sein, daß das Kind selbständig - wie ein Erwachsener - entscheiden kann. Es findet aber ein Entwicklungsprozeß statt, in dessen Verlauf die seelische Reife und die intellektuellen Fähigkeiten des Kindes permanent Fortschritte machen. Die Einsichtsfähigkeit und die Fähigkeit, gemäß der Einsicht zu handeln, nehmen im Laufe der Jahre bei dem Kind, das zum Jugendlichen und Heranwachsenden wird, ständig zu. Es erlangt in einem immer größer werdenden Umfang die Befähigung, seine Angelegenheiten - wie ein normaler Erwachsener - aufgrund von Erwägungen, die diskutabel sind, selbständig zu regeln. In einem kontinuierlichen Prozeß, der von gänzlich fehlender zur vollen Selbstbestimmungsfähigkeit hinführt, erwirbt der Minderjährige fortlaufend partielle Entscheidungsfähigkeiten. In dem Umfang, in dem Entscheidungsfähigkeiten bei dem Minderjährigen noch nicht ausgebildet sind, müssen andere für ihn entscheiden. Wenn eine Person ihre Lebensverhältnisse noch nicht selbständig regeln kann, dann muß dafür gesorgt werden, daß eine andere Person - im Wege der bevormundenden Fürsorge - die notwendigen Regelungen trifft. Der Staat ist - aufgrund seiner Schutzpflicht gegenüber der personalen Würde des Kindes (Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG) - dazu verpflichtet, Sorge dafür zu tragen, daß das Kind aufgrund des bei ihm vorhandenen Mangels an Selbstbestimmungsfähigkeit keinen Schaden erleidet. Bei der Erfüllung dieser Verpflichtung hat der Staat von dem natürlichen - ihm vorgegebenen - Umstand auszugehen, „daß diejenigen, die einem Kind das Leben geben, von Natur aus bereit und berufen sind, die Verantwortung für seine Pflege und Erziehung zu übernehmen" 433 . Eltern, die in aller Regel ihren Kinder Liebe und Zuwendung entgegenbringen, sind kraft Natur der Sache prinzipiell die geborenen Sachwalter der Kindesinteressen 434 . Die Sorge für das Kind ist bei den Eltern in besseren Händen als beim Staat. Daraus ergibt sich bezüglich des Kindes, das noch nicht selbst für sich sorgen kann, ein Vorrang der Eltern vor dem Staat 435 . Die Interessen des noch 433 BVerfGE 24, 119, 150. Der Ausdrucksweise („das natürliche Recht der Eltern") und der Aussageform des Art. 6 Abs. 2GG kann nicht die Bedeutung beigemessen werden, daß die Rechtsposition der Eltern aufgrund naturrechtlicher Rechtssätze zu bestimmen ist. A . A . insbesondere Baumgarte S. 15 ff.; Hansmann FamRZ 1962, 452, 453. Gegen ein solches Verständnis zutreffend Gernhuber § 5 I V 2; MünchKomm-Hinz § 1626 RdNr. 13; Erichsen S. 27, 28; Böckenförde S. 5 4 , 7 0 ; Ossenbühl S. 46; SchmidtKammler S. 15. Welches Naturrechtsverständnis sollte maßgebend sein? Außerdem wäre das Naturrecht, dem nur Fundamentalaussagen entnommen werden können, mit der Umschreibung der Rechtsposition der Eltern überfordert. 434 Vgl. Ossenbühl FamRZ 1977, 533, 534, der davon spricht, daß „die Norm der Natur uns sagt, daß Eltern sich gleichsam instinktiv vom Kindeswohl leiten lassen", und der die Ausdrucksweise des Art. 6 Abs. 2 GG - „das natürliche Recht der Eltern" - auf diesen Tatbestand bezieht.
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nicht entscheidungsfähigen und noch schutzbedürftigen Kindes, denen der Staat verpflichtet ist (Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG), fordern es, daß der Staat sich in das private Handlungssystem der Familie so lange nicht einmischt, wie dieses Handlungssystem zum Schutz des Kindes funktioniert. Der Staat erfüllt seine Verpflichtung gegenüber dem Minderjährigen, der zu einer eigenständigen Regelung seiner Lebensverhältnisse noch nicht fähig ist, dadurch, daß er die Eltern, die dazu besser in der Lage sind als er, die Lebensverhältnisse dieses Minderjährigen regeln läßt 4 3 6 . Von den Kindesinteressen her gesehen, die für den Umfang des grundrechtlich garantierten Elternrechts - für den Umfang der Staatsfreiheit - ausschlaggebend sind, rechtfertigt sich die Befugnis der Eltern, die Lebensverhältnisse ihrer Kinder regeln zu dürfen, daraus, daß die Eltern dazu prädestiniert sind, den Kindern den Schutz zu gewähren, den sie benötigen, weil sie zu einer selbständigen Regelung ihrer Lebensverhältnisse noch nicht in der Lage sind. Der Vorrang der Eltern vor dem Staat legitimiert sich daraus, daß die Eltern als die geborenen Sachwalter der Kindesinteressen vor dem Staat dazu berufen sind, anstelle des Kindes zu entscheiden, das noch nicht selbst entscheiden kann. Ist der Heranwachsende konkret selbstbestimmungsfähig, d.h. kann er - wie ein normaler Erwachsener - vernünftig wertend entscheiden, so bedarf er nicht mehr des Schutzes vor Gefahren, die sich daraus ergeben, daß ein Mensch zu einer eigenständigen Regelung seiner Angelegenheiten noch nicht fähig ist. Das - unter dem Aspekt der Kindesinteressen - das Elternrecht tragende Argument, daß die Eltern die Personen sind, die am besten dazu geeignet sind, den Kindern den erforderlichen Schutz zu gewähren, geht dort ins Leere, wo kein Schutzbedürfnis des Kindes besteht. Ist der Minderjährige 435
Vgl. dazu insbesondere Simitis (Situation der elterlichen Gewalt) S. 66. Vgl. dazu insbesondere Reuter S. 95. Eine klare Trennung der Begriffe „Pflege" und „Erziehung" in Art. 6 Abs. 2 GG ist kaum möglich. Manche verstehen unter „Pflege" nur die Sorge für das körperliche Wohl des Kindes, während „Erziehung" die Sorge für die seelisch-geistige Entwicklung des Kindes bezeichnen soll; so z.B. Reuter S. 82; Erichsen S. 31, 32; Ossenbühl S. 48; Schmitt-Kammler S. 19. Nach a.A. soll mit „Pflege" der Schutz und die Erhaltung der bereits vorhandenen Kindespersönlichkeit und mit „Erziehung" die Ausbildung neuer Fähigkeiten des Kindes angesprochen sein; so etwa Leuschner S. 77 und Perschel S. 87. Eine klare Trennung der beiden Begriffe ist nicht erforderlich; so zutreffend Maunz in Maunz-Dürig Art. 6 RdNr. 24 und E.M. von Münch in von Münch Art. 6 RdNr. 16. Ob eine Elternbefugnis der Pflege- oder der Erziehungsfunktion des Elternrechts zuzuordnen ist, ist gleichgültig, weil die Verfassung bezüglich der „Pflege" und der „Erziehung" keine unterschiedlichen Rechtsfolgen anordnet. Es steht somit nichts im Wege, „Pflege" und „Erziehung" als einheitlichen Begriff zu verstehen, der die Regelung der Kindesangelegenheiten zum Inhalt hat. Dieser Begriff umfaßt unzweifelhaft den gesamten Bereich der Personensorge. Zweifelhaft kann nur sein, ob die Vermögenssorge den Eltern durch Art. 6 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich garantiert wird; vgl. oben S. 85. Trotz des Wortlauts, der eher dagegen spricht, ist dies zu bejahen. Das Elterngrundrecht knüpft daran an, daß die Eltern die geborenen Sachwalter der Kindesinteressen sind. Es ist kein Grund ersichtlich, warum dies bei vermögensrechtlichen Interessen des Kindes nicht gelten soll. 436
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selbstbestimmungsfähig, so ist dem Recht der Eltern, bei einer Entscheidung anstelle des Kindes den V o r r a n g vor dem Staat zu besitzen, die Basis entzogen. Eine Entscheidung anstelle des Kindes ist nämlich nicht mehr geboten, weil der selbstbestimmungsfähige Minderjährige selbst entscheiden kann. I n bezug auf einen solchen M i n d e r j ä h r i g e n stellt sich nicht die Forderung, seine Interessen durch elterliche - und nicht durch staatliche - Interessenwahrnehmung zu schützen. E r kann seine Interessen selbst wahrnehmen. D i e Kindesinteressen fordern eine elterliche Entscheidungsmacht nur dort, w o M i n d e r jährige i n ihren Angelegenheiten noch nicht selbst entscheiden können. Elterliche Entscheidungskompetenzen gegenüber selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden werden nicht durch das Grundrecht aus A r t . 6 A b s . 2 G G garantiert 4 3 7 . 437 So zu Recht Dürig in Maunz-Dürig Art. 19 Abs. 3 RdNr. 22. Diese richtige Erkenntnis geht aber bei Dürig im folgenden wieder verloren. Dürig, der - seiner allgemeinen These folgend - im Eltern-Kind-Verhältnis von einer mittelbaren Grundrechtskollision im Privatrecht ausgeht, kommt letztendlich zu dem Ergebnis einer Interessenabwägung zwischen Art. 6 Abs. 2 GG und Art. 2 Abs. 1 GG, die sich zwar primär an der Erziehungsbedürftigkeit des Kindes orientieren, zugleich aber auch berücksichtigen soll, daß das Elternrecht als subjektives Recht ausgestaltet sei, das den Eltern trotz des Pflichtcharakters Möglichkeiten freier Entscheidung gebe; Maunz-Dürig aaO RdNr. 26. Dem ist nicht zu folgen. Soweit Art. 6 Abs. 2 GG Elternbefugnisse verfassungsrechtlich gewährleistet, findet eine Interessenabwägung zwischen Art. 6 Abs. 2 GG und dem Kindesgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG nicht statt. Vielmehr geht die Spezialregelung des Art. 6 Abs. 2 GG vor. Soweit elterliche Befugnisse nicht durch Art. 6 Abs. 2 GG garantiert werden, kann es ebenfalls nicht zu einer solchen Abwägung kommen. Es handelt sich insoweit nur um Regelungen des einfachen Rechts, die kein Grundrecht im Rücken haben und die als solche direkt an dem Kindesgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG zu messen sind. Elternbefugnisse gegenüber selbstbestimmungsfähigen Kindern gehören diesem Bereich an. Sie sind auf ihre Vereinbarkeit mit Art. 2 Abs. 1 GG zu überprüfen. Bei dieser Überprüfung spielt der Aspekt des Elterngrundrechts aus Art. 6 Abs. 2 GG keine Rolle. Ein konsequentes Abstellen auf den Schutzcharakter des Elternrechts findet sich bei: Stöcker ZRP 1974,211,212; Schwerdtner AcP 173, 227,242; Reuter-Säcker NJW 1965, 2037, 2038. Diese Autoren erkennen zutreffend, daß bei einem konkret selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden aus Art. 6 Abs. 2 GG keine Entscheidungsbefugnis der Eltern abgeleitet werden kann. Unzutreffend ist es dagegen, wenn Stöcker und Schwerdtner meinen, daß mit dieser Feststellung auch schon das Entscheidungsrecht des konkret selbstbestimmungsfähigen Minderjährigen feststehe. Das BGB hat nun einmal anders entschieden. Somit muß noch geprüft werden, ob diese einfachrechtliche Normierung, die nicht durch Art. 6 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich abgesichert ist, mit dem Kindesgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Einklang gebracht werden kann. Erst wenn dies nicht möglich ist, steht das Entscheidungsrecht des konkret selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden fest. Daß die einfachrechtliche Regelung nicht schon allein dadurch hinfällig wird, daß sie durch Art. 6 Abs. 2 GG nicht garantiert wird, wird von Reuter-Säcker zutreffend erkannt. Fehlsam ist es aber, daß diese Autoren bei der weiteren verfassungsrechtlichen Überprüfung des einfachen Rechts nicht ausschließlich auf das Kindesgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG, sondern auf das jeweils in Betracht kommende Spezialgrundrecht abstellen wollen; vgl. dazu oben S. 108ff.
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Bestimmt man den U m f a n g des grundrechtlich garantierten elterlichen E n t scheidungsrechts - so wie es teleologisch geboten ist - von den Kindesinteressen her, so gewährleistet A r t . 6 A b s . 2 G G keine elterlichen Entscheidungsbefugnisse gegenüber Heranwachsenden, die selbst entscheiden können. Diese Grenze des grundrechtlich garantierten Elternrechts ist allerdings erst dort erreicht, wo die konkrete Selbstbestimmungsfähigkeit des Jugendlichen aufgrund
erfahrungswissenschaftlicher
Aussagen zweifelsfrei
belegt
werden
kann. A u c h dies folgt aus dem Schutzcharakter, m i t dem ein Elternrecht steht und fällt, das von den Kindesinteressen her legitimiert wird. Entscheidet man i n Zweifelsfällen für das Elternrecht, so w i r d dadurch gewährleistet, daß alle Schutzbedürftigen in der v o m Verfassungsgeber gewünschten - den Kindesinteressen am besten entsprechenden - A r t und Weise geschützt werden. W ü r d e Perschel S. 86 ff.; Leuschner S. 76 ff.; H. Krüger FamRZ 1956, 329, 333 ff., die alle im Wege einer Interessenabwägung zu umfangreichen Selbstbestimmungsrechten des Heranwachsenden kommen, verkennen sämtlich, daß Art. 6 Abs. 2 GG eine Fremdbestimmung gegenüber selbstbestimmungsfähigen Kindern nicht rechtfertigt. Gernhuber FamRZ 1962, 89, 92 kommt von seinem ganz anderen Ansatz - Harmonisierung von Elternrecht und Kindesgrundrechten - zu dem Ergebnis: „Eine ihrem sinngebenden Prinzip konsequent folgende, jedem Vorwurf einer zwecküberschreitenden Bindung der Heranwachsenden entzogene elterliche Gewalt ist nur gegeben, wenn der wachsenden Reife des Jugendlichen im jeweiligen Einzelfall Rechnung getragen wird mit einer den Reifephasen getreulich folgenden Verminderung der elterlichen Befugnisse". Dies scheint dem oben vertretenen Standpunkt zu entsprechen. Kurz darauf fährt Gernhuber - aaO S. 93 - aber fort: „Nicht umsonst ist aber auch die Forderung nach einer dem jeweiligen Einzelfall folgenden elterlichen Gewalt nicht gestellt worden: aus Gründen der Rechtssicherheit läßt sich weithin nicht mehr erstreben als Sachgerechtigkeit in der Typik und nicht mehr als eine in ihren Differenzierungen überschaubare elterliche Gewalt. Es ist nicht nur der Rechtsverkehr, der vielfach unangreifbare Aussagen benötigt und überfordert wird, wenn wir ihm zumuten, in einer Unzahl von Teilmündigkeiten den jeweils richtigen Weg zu finden. Auch Eltern können legitim in Teilbereichen eine standardisierte elterliche Gewalt fordern: man kann die Grenzen ihrer Verantwortung nicht generell einer Generalklausel ausliefern, deren Anwendung auf den Einzelfall mit letzter Prägnanz allenfalls einem jugendpsychologischen Sachverständigen möglich sein mag". Diese Bedenken sind unzweifelhaft erörterungswürdig. Sie gehören indes nicht in den hier behandelten Bereich des Art. 6 Abs. 2 GG, sondern haben ihren Platz bei der nachfolgenden Untersuchung, ob die typisierende Regelung des einfachen Rechts dem Kindesgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG standhält. Aus der Schutzbefugnis des Art. 6 Abs. 2 GG läßt sich nun einmal kein Recht ableiten, wenn feststeht, daß keine Schutzbedürftigkeit gegeben ist. Von Kindesinteressen verschiedene Interessen - die von Gernhuber genannten Interessen sind solche Interessen können in Art. 6 Abs. 2 GG, der - zumindest primär und für den Umfang des Elterngrundrechts ausschlaggebend - den Schutz der Kindesinteressen im Auge hat, nicht integriert werden. Den Kindesinteressen wird nicht durch eine typisierende Regelung gedient, die elterliche Bevormundung trotz feststehender Selbstbestimmungsfähigkeit des Heranwachsenden erlaubt. Selbstverständlich besteht die Möglichkeit, daß eine solche Regelung mit der Verfassung vereinbar ist. Eine solche Vereinbarkeit kann sich aber nur daraus ergeben, daß die Verfassung ein Zurückstellen der Kindesinteressen zugunsten anderer Interessen erlaubt. Inwieweit das der Fall ist, gehört zu der bei Art. 2 Abs. 1 GG zu erörternden Problematik, inwieweit das Selbstbestimmungsinteresse des konkret selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden durch Regelungen des einfachen Rechts eingeschränkt werden kann.
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man dagegen in Zweifelsfällen gegen das Elternrecht entscheiden, so würde man in Kauf nehmen, daß in Einzelfällen trotz vorhandener Schutzbedürftigkeit dieser Schutz nicht gewährt würde. Der Schutz der Kindesinteressen erfordert es jedoch, daß die Eltern als die geborenen Sachwalter dieser Interessen in den Kindesangelegenheiten jedenfalls so lange entscheiden, wie es nicht feststeht, daß das Kind konkret selbstbestimmungsfähig ist 4 3 8 . Der Entwicklungsprozeß des Kindes beginnt mit dem gänzlichen Fehlen von Selbstbestimmungsfähigkeit. A m Anfang dieses Prozesses steht demgemäß nicht die Selbstbestimmung des Kindes, sondern die von seiner Selbstbestimmungsunfähigkeit geforderte umfassende Fremdbestimmung. Im Lauf der Entwicklung entstehen beim Kind Selbstbestimmungsfähigkeiten, welche Fremdbestimmung partiell entbehrlich machen. Solange Selbstbestimmungsfähigkeit nicht positiv festgestellt werden kann, muß von Selbstbestimmungsunfähigkeit und damit davon ausgegangen werden, daß Fremdbestimmung erforderlich ist. Fremdbestimmung ist zuerst da und muß solange fortbestehen, wie ihre Entbehrlichkeit unbewiesen ist. Diese Fremdbestimmung vertraut Art. 6 Abs. 2 GG den Eltern an. Ergebnis: Die einfachrechtliche Regelung des BGB's, die es den Eltern gestattet, in den Kindesangelegenheiten bis zur Grenze der Kindeswohlgefährdung nach ihrem freien Belieben zu entscheiden, wird nicht in ihrer Gesamtheit durch Art. 6 Abs. 2 GG garantiert. Die grundrechtliche Gewährleistung umfaßt nur den Bereich, in dem die Eltern in den Angelegenheiten ihrer noch nicht selbstbestimmungsfähigen Kinder entscheiden. Die Kindesinteressen, von denen aus der Schutzbereich des Art. 6 Abs. 2 GG zu definieren ist, fordern es hier, daß die Eltern als die geborenen Sachwalter dieser Interessen solange frei entscheiden können, wie sie durch ihre Entscheidungen das Kindeswohl nicht gefährden. Der Staat hat das private Handlungssystem zu respektieren, für dessen Funktionsfähigkeit eine tatsächliche Vermutung streitet. Der Staat hat erst dort zu handeln, wo diese Vermutung widerlegt ist, weil das Handeln der Eltern das Kindeswohl zu schädigen droht. Der Schutz der Kindesinteressen, von dem aus Art. 6 Abs. 2 GG zu interpretieren ist, verlangt es indes nicht, daß elterliche Entscheidungsbefugnisse auch gegenüber solchen Kindern bestehen, die eines Schutzes nicht bedürfen, weil sie bereits selbst entscheiden können. Daß im Interesse des Kindes in den Kindesangelegenheiten ein Entscheidungsvorrang der Eltern vor dem Staat besteht, vermag keine Befugnisse gegenüber Personen zu legitimieren, die weder eine Ent438 Abzulehnen sind deshalb Kittner AuR 1971, 280 , 291; Roell S. 52; Schwerdtner AcP 173, 227, 231, die in Zweifelsfällen dem Schutz durch das Elternrecht nicht den Vorrang einräumen wollen. Richtig dagegen Dürig in Maunz-Dürig aaO RdNr. 26, der betont, daß in dem Zwischenbereich, in dem klare Entscheidungen mangels hinreichend gesicherten Wissens nicht möglich sind, das elterliche Bestimmungsrecht sein Gewicht behalten müsse.
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Scheidung der Eltern, noch eine solche des Staates benötigen. Solche „überschießende" - zum Kindesschutz nicht erforderliche - Rechtsmacht der Eltern verstößt nun zwar nicht gegen Art. 6 Abs. 2 GG, weil die Fremdnützigkeit des Elternrechts nichts daran ändert, daß Art. 6 Abs. 2 GG ein gegen den Staat gerichtetes Grundrecht der Eltern ist, das nicht dadurch verletzt werden kann, daß die Rechtsordnung den Eltern mehr Rechtsmacht verleiht als es der Kindesschutz verlangt. Diese „überschießende" Rechtsmacht wird aber nicht durch Art. 6 Abs. 2 GG grundrechtlich garantiert. Ein fremdnütziges Grundrecht, das dem Grundrechtsträger den Schutz einer anderen Person anvertraut, kann keine Rechtsmacht gewährleisten, die zur Erfüllung der Schutzaufgabe nicht notwendig ist. Solche „überschießende" Rechtsmacht, die den Art. 6 Abs. 2 GG nicht verletzt, weil das Elterngrundrecht nur durch zu wenig, nicht aber durch zu viel Elternbefugnisse beeinträchtigt werden kann, hat nicht das Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG im Rücken, sondern steht zur Disposition des einfachen Gesetzgebers. Solche Elternbefugnisse des einfachen Rechts, die des Schutzes des Art. 6 Abs. 2 GG nicht teilhaftig werden, weil sie keinem Schutzbedürfnis des Kindes korrespondieren, müssen sich - wie bereits dargelegt (S. 168) - vor dem Kindesgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG verantworten. bb) Die Entscheidungsbefugnisse der Eltern gegenüber dem konkret selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden und das Kindesgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG
Die Entscheidungsbefugnisse, die das BGB den Eltern gegenüber dem selbstbestimmungsfähigen Jugendlichen einräumt, halten dessen Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG nur dann stand, wenn sie einem der Vorbehalte des Art. 2 Abs. 1 GG eingeordnet werden können. Es stellt eine Einschränkung der Selbstverwirklichungsfreiheit dar, wenn ein selbstbestimmungsfähiger Heranwachsender seine Lebensverhältnisse nur so weit nach seinen Vorstellungen gestalten kann, wie seine Eltern damit einverstanden sind. Eine bis zur Grenze der Kindeswohlgefährdung reichende Fremdbestimmungsmacht der Eltern schränkt die Entfaltungsfreiheit des selbstbestimmungsfähigen Jugendlichen ein und ist somit nur dann verfassungsgemäß, wenn sie durch eine jener Bindungen legitimiert werden kann, die Art. 2 Abs. 1 GG als Schranke der Entfaltungsfreiheit nennt. Es fragt sich also, ob das elterliche Entscheidungsrecht gegenüber Selbstbestimmungsfähigen durch „die Rechte anderer", „die verfassungsmäßige Ordnung" oder „das Sittengesetz" gerechtfertigt werden kann. Die Begrenzungen der allgemeinen Handlungsfreiheit durch „die Rechte anderer" und durch „das Sittengesetz", die neben der zentralen Schranke der „verfassungsmäßigen Ordnung" nur ein Schattendasein fristen, können die Regelung des BGB's nicht abdecken.
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Was den Begriff des Sittengesetzes angeht, so herrscht zwar keine Klarheit über den Inhalt dieses Begriffes. Als Inhalte werden z.B. diskutiert: Summe derjenigen sittlichen Normen, die Allgemeingut der abendländischen Kultur sind; die historisch überlieferte Moralauffassung; gute Sitten sowie Treu und Glauben; die allgemein anerkannten Wertvorstellungen unserer Rechtsgemeinschaft 439 . Es kann aber kein Zweifel daran bestehen, daß das Sittengesetz - was auch immer darunter zu verstehen sein mag - eine Freiheitseinschränkung nur dann zu legitimieren vermag, wenn es diese Einschränkung positiv fordert. Eine Regelung, die die allgemeine Handlungsfreiheit verkürzt, wird nicht schon dann durch das Sittengesetz gerechtfertigt, wenn sie diesem nicht zuwiderläuft. In die allgemeine Entfaltungsfreiheit kann nur dann unter Berufung auf das Sittengesetz eingegriffen werden, wenn dieses diesen Eingriff verlangt 440 . Wären unter dem Aspekt des Sittengesetzes Eingriffe schon dann zulässig, wenn sie vom Sittengesetz zwar nicht gefordert werden, sie ihm aber auch nicht widersprechen, so wären uferlose Einschränkungen des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG möglich. Es kann nun aber keine Rede davon sein, daß das Sittengesetz - wobei es gleichgültig ist, welche der diskutierten Definitionen die zutreffende ist - es positiv fordert, daß Eltern auch gegenüber selbstbestimmungsfähigen Kindern, solange diese noch nicht 18 Jahre alt sind, ein Recht zur Bevormundung haben, das erst an der Kindeswohlgefährdung seine Grenze findet. Das Sittengesetz - wie weit oder wie eng man diesen Begriff auch fassen mag - macht keine positive Aussage darüber, wann das Bestimmungsrecht der Eltern zu enden hat. Für bestimmte Altersgrenzen ist dies so evident, daß es keiner weiteren Ausführungen bedarf. Regelungen des einfachen Rechts, die Jugendliche unter 18 Jahren emanzipieren (vgl. z.B. § 5 RKEG; § 59 FGG), verstoßen sicherlich nicht gegen eine Forderung des Sittengesetzes. Dem Sittengesetz läßt sich aber auch keine Stellungnahme zu der Frage entnehmen, ob das elterliche Entscheidungsrecht an der konkreten Selbstbestimmungsfähigkeit des Kindes oder - aus Gründen der Rechtsklarheit und der Rechtssicherheit an einer Altersgrenze zu enden hat, die den Zeitpunkt der Selbstbestimmungsfähigkeit typisiert. Die Antwort auf diese Frage kann nur davon abhängen, ob es überwiegende Gegeninteressen gibt, die das Zurückstellen des Selbstbestimmungsinteresses des selbstbestimmungsfähigen Minderjährigen verlangen. Es ist nicht ersichtlich, wie ein notwendigerweise „globales" Sittengesetz, welchem dementsprechend nur elementare Aussagen zu entnehmen sind, für solch eine differenzierte Abwägung von Interessen ein bestimmtes Ergebnis fordern könnte. Sicherlich widerspricht die typisierende Lösung des BGB's dem Sittengesetz nicht. Es kann aber nicht gesagt werden, daß diese 439 Vgl. dazu Dürig in Maunz-Dürig Art. 2 Abs. 1 RdNr. 16; von Münch Art. 2 RdNr. 33; Nipperdey in: Die Grundrechte, Band I V , Halbband 2 S. 741, 819 ff. 440 Vgl. Dürig in Maunz-Dürig Art. 2 Abs. 1 RdNr. 18.
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Lösung einer Forderung des Sittengesetzes entspringt. Es ist denn auch noch niemand auf die Idee gekommen, der Rechtsprechung des BGH's, die bei der Einwilligung zur Operation auf die konkrete Einsichtsfähigkeit des Jugendlichen abstellt, den Vorwurf zu machen, daß sie im Widerspruch zu einer Forderung des Sittengesetzes stehe. Elterliche Entscheidungsbefugnisse gegenüber konkret selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden können somit nicht in jener Bindung der individuellen Freiheit Schutz finden, die durch das Sittengesetz verkörpert wird. Das Sittengesetz verlangt solche Befugnisse nicht 4 4 1 . Auch die Schranke der „Rechte anderer" vermag die bürgerlichrechtlichen Elternbefugnisse nicht in sich aufzunehmen. In diesem Zusammenhang hat das Elterngrundrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG außer Betracht zu bleiben. A n dieser Stelle der Untersuchung geht es nur noch um elterliche Entscheidungsbefugnisse, die nicht durch Art. 6 Abs. 2 GG abgesichert sind. Im Rahmen der „Rechte anderer" dürfen weiterhin keine Allgemeininteressen berücksichtigt werden 442 . Mit den die allgemeine Handlungsfreiheit begrenzenden Rechten anderer sind Individualrechte gemeint. Durch den Vorbehalt zugunsten dieser Rechte soll verhindert werden, daß der Grundrechtsträger seine Handlungsfreiheit auf Kosten anderer realisiert, die ebenso wie er - Inhaber grundrechtlich garantierter Freiheiten sind. Die begrenzenden „Rechte anderer" haben die Funktion, die Freiheit eines jeden einzelnen mit der Freiheit eines jeden anderen zu versöhnen 443 . Dies hat mit dem Schutz von Allgemeininteressen nichts zu tun. Letztere können deshalb nur über die Schranke der „verfassungsmäßigen Ordnung" eine das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG eingrenzende Wirkung entfalten 444 . Somit können bei dieser Schranke, da in der internen Beziehung zwischen Eltern und Kind keine Individualrechte von Personen involviert sind, die außerhalb dieser Beziehung stehen, nur Rechte der Eltern von Relevanz sein. Von diesen Rechten sind wiederum nur diejenigen von Bedeutung, die nicht durch Art. 6 Abs. 2 GG gewährleistet sind. Die durch Art. 6 Abs. 2 GG garantierten Elternrechte brauchen sich von vornherein vor dem Kindes441
Gernhuber FamRZ 1962, 89, 92 will das Sittengesetz deshalb nicht bemühen, weil es das Mißverständnis einer eigennützigen, von den Kindern um der guten Sitten willen zu respektierenden Rechtsstellung der Eltern viel zu nahe lege. Ist aber etwas in der Sache richtig, so ist es auch dann richtig, wenn es mißverstanden werden kann. Es ist indes von der Sache her unzutreffend, die Elternbefugnisse des BGB's durch das Sittengesetz zu legitimieren. 442 Vgl. B G H DVB1 1953, 471, 474; von Münch Art. 2 RdNr. 27; Dürig in MaunzDürig Art. 2 Abs. 1 RdNr. 15; von Mangoldt-Klein Art. 2 Anm. I V 1 a. 443 Gernhuber aaO S. 92. 444 Vgl. von Münch aaO.
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grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG nicht zu verantworten. Damit bleiben nur die einfachrechtlichen Elternbefugnisse gegenüber selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden übrig; also genau diejenigen Befugnisse, deren Verfassungsmäßigkeit hier geprüft werden soll. Würde man die Prüfung an diesem Punkt beenden, so würde das Kindesgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG leerlaufen. Es würde dann nach Maßgabe des einfachen Gesetzes gelten. Die einfachrechtlichen Elternbefugnisse würden als „Rechte anderer" - nämlich als Rechte der Eltern - die Entfaltungsfreiheit des selbstbestimmungsfähigen Jugendlichen verfassungsgemäß einschränken. Daß dies nicht zutreffend sein kann, liegt auf der Hand. Es müßte vielmehr eine Rückwirkung des eingeschränkten Rechts (Kindesgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG) auf die einschränkenden Normen (die einfachrechtliche Regelung der Elternbefugnisse) stattfinden, so wie das Bundesverfassungsgericht dies im Lüth-Urteil für das Grundrecht der Meinungsfreiheit im Verhältnis zu den allgemeinen Gesetzen i.S.d. Art. 5 Abs. 2 GG angenommen hat 4 4 5 . Dieser Gedanke braucht indes nicht weiter verfolgt zu werden. Die Schranke der „Rechte anderer" ist nämlich prinzipiell ungeeignet, die Elternbefugnisse in sich aufzunehmen. Diese Schranke soll die Freiheit eines jeden einzelnen mit der Freiheit eines jeden anderen in Einklang bringen. Das schutzwürdige Eigeninteresse, das ein Grundrechtsträger an Handlungsfreiheit hat, soll durch den Vorbehalt der „Rechte anderer" harmonisiert werden mit den ebenso schutzwürdigen Eigentinteressen, die andere Grundrechtsträger an grundrechtlich geschützten Freiheiten haben. Die Ausgangslage, welche die „Rechte anderer" auf den Plan ruft, geht also dahin, daß Rechtspositionen aufeinandertreffen, die jeweils um ihrer selbst willen bestehen. Genau dies trifft nun aber für die elterlichen Befugnisse gegenüber dem Kind nicht zu. Diese Befugnisse existieren nicht um ihrer selbst, sondern um des Kindes willen. „Allen kindgerichteten elterlichen Befugnissen korrespondieren Pflichten, diese Befugnisse zum Wohl des Kindes auszuüben" 446 . Die „Rechte anderer", welche die Aufgabe haben, Individualrechte zu schützen, welche der Handlungsfreiheit des Grundrechtsträgers konträr gegenüberstehen, eignen sich nicht zur Legitimation der elterlichen Befugnisse, die um des Kindeswohles willen da sind. „Die begrenzenden Rechte anderer müssen letztlich, versagen: was geschaffen wurde, um die Freiheit eines jeden einzelnen mit der Freiheit eines jeden anderen zu versöhnen, kann betont pflichtgebundene Rechtsstellungen, ohne sie zu denaturieren, nicht rechtfertigen" 447 .
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BVerfGE 7, 198 f. Gernhuber § 49 I I I 2. Dem zustimmend: B G H NJW 1974, 1947, 1949; Engler FamRZ 1969, 63, 65; Larenz A T § 13 I 2; MünchKomm-Hinz § 1626 RdNr. 5. 447 Gernhuber FamRZ 1962, 89, 92. 446
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Somit verbleibt nur noch die Schranke der „verfassungsmäßigen Ordnung". Bei der Erörterung dieser Schranke soll zunächst von der ganz h. M. ausgegangen werden, die - insbesondere unter Berufung darauf, daß dem weiten Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG (allgemeine Handlungsfreiheit) ein entsprechend weiter Vorbehalt korrespondieren müsse - unter dieser „verfassungsmäßigen Ordnung" die Gesamtheit der Normen versteht, die formell und materiell der Verfassung gemäß sind 448 . Bei der Prüfung der materiellen Verfassungsmäßigkeit - die formelle Verfassungsgemäßheit der Sorgerechtsregelung des BGB's bedarf keiner Erörterung - braucht, da andere Gründe, aus denen eine materielle Verfassungswidrigkeit folgen könnte, nicht ersichtlich sind, nur auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eingegangen zu werden. Daß bei Einschränkung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu berücksichtigen ist, ist unzweifelhaft und unstreitig 449 . Es wird nur darüber gestritten, ob die Geltung des Verhälnitsmäßigkeitsprinzips aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 2 0 Abs. 3 GG oder aus dem Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG oder aus dem Wesen der Grundrechte abzuleiten ist 4 5 0 . Dieser Streit ist indes für unsere Untersuchung ohne Interesse, weil die verschiedenen Geltungsgründe, die für das Prinzip der Verhältnismäßigkeit diskutiert werden, nicht zu verschiedenen Ausgestaltungen dieses Prinzips führen 451 . Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz - zutreffend auch als Übermaßverbot bezeichnet - verlangt es, daß Grundrechtseinschränkungen die Zwecke, die sie verfolgen, nicht im Übermaß auf Kosten der eingeschränkten Grundrechte realisieren. Ein solches Übermaß ist in folgenden Fällen gegeben: 1) Die Einschränkung des Grundrechts ist kein brauchbares Mittel, um den Zweck zu erreichen, den das einschränkende Gesetz anstrebt (Kriterium der Eignung).
448 Ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seit BVerfGE 6, 32, 37 ff. Vgl. weiterhin etwa BVerfGE 6, 389, 433; 17, 306, 314 ff.; 2 0 , 140, 154; 29, 402, 410; 35, 302, 320. Wie das Bundesverfassungsgericht z.B. Wintrich S. 2 0 , 31; Schwabe D Ö V 1973, 623 ff.; Scholz AöR 1975, 8 0 , 88; von Münch Art. 2 RdNr. 3 0 ; Schmidt-Bleibtreu/ Klein Art. 2 RdNr. 6 und 9. Zur Kritik an dieser Interpretation der „verfassungsmäßigen Ordnung" vgl. insbesondere Dürig in Maunz-Dürig Art. 2 Abs. 1 RdNr. 18 ff. ; Nipperdey in: Die Grundrechte, Band I V , Halbband 2 S. 741, 790 ff.; Hesse § 12 I I O ; Rupp NJW 1966, 2037 ff. 449 Vgl. insbesondere BVerfGE 17, 206, 314 ff.; 2 0 , 150, 154; 27, 344, 352; 29, 402, 410. 450 Vgl. dazu etwa BVerfGE 19, 342, 348; 38, 348, 368; Erbel S. 29 f. ; Dürig AöR 81, 117, 146 f. 451 Zutreffend Bleckmann S. 260.
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2) Die Grundrechtseinschränkung ist zwar zur Realisierung des angestrebten Zweckes geeignet, dieser Zweck könnte aber auch durch ein anderes Mittel erreicht werden, welches das Grundrecht weniger einschränken würde (Kriterium der Erforderlichkeit). 3) Das gewählte Mittel ist zwar zur Erreichung des Zweckes geeignet und erforderlich, der Grundrechtseingriff ist aber so schwerwiegend, daß er im Verhältnis zum verfolgten Zweck als unangemessen und als unzumutbar für denjenigen erscheint, der von dem Eingriff betroffen wird (Kriterium der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne) 452 . Die Grundrechtseinschränkung, deren Verfassungsmäßigkeit zu beurteilen ist, besteht darin, daß selbstbestimmungsfähige Heranwachsende der Entscheidungsgewalt ihrer Eltern unterworfen werden, so daß sie, obwohl sie dazu bereits fähig sind, in ihren Angelegenheiten nicht eigenständig entscheiden können. Um die Frage nach der Verhältnismäßigkeit beantworten zu können, müssen die Zwecke ermittelt werden, die mit dieser Regelung verfolgt werden. Nur von dem angestrebten Zweck her lassen sich Geeignetheit, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit einer Grundrechtseinschränkung überprüfen. Daß die Regelung des BGB's die konkreten Selbstbestimmungsfähigkeiten des Jugendlichen als unbeachtlich ansieht und stattdessen mit einer Altersgrenze die Mündigkeit typisierend festlegt, wird mit dem Interesse des Rechtsverkehrs an Rechtsklarheit und Rechtssicherheit gerechtfertigt. Man meint, daß die elterliche Sorge in ihrer Idealgestalt enden müsse, sobald das Kind zur Selbstbestimmung fähig sei. Die positivrechtliche Ausgestaltung der elterlichen Sorge könne aber dieser Idealgestalt nicht folgen, weil der jeweilige Reifegrad des Kindes kein Maßstab sei, dem jene Offenkundigkeit eigen sei, die der Rechtsverkehr benötige. „Wo klare, jedermann zugängliche Maßstäbe erforderlich sind, bleibt allein die Suche nach einem Standard, der Sachrichtigkeit nur mehr in typischer Sicht verbürgt" 453 . Es fragt sich, ob ein Interesse des Rechtsverkehrs an Offenkundigkeit der Rechtsverhältnisse ein Allgemeininteresse ist, das die typisierende Regelung des BGB's zu legitimieren vermag, die das Grundrecht des konkret einsichtsfähigen Heranwachsenden aus Art. 2 Abs. 1 GG einschränkt. Dies ist zu verneinen. Es ist zu beachten, daß es hier ausschließlich um den Problemkreis der internen Grundrechtsmündigkeit geht, in dem nur zur 452 Zum ganzen vgl. von Münch Vorbemerkung Art. 1-19 RdNr. 55; ders. Staatsrecht I I S. 73; Bleckmann S. 256 ff.; Grabitz AöR 1973 S. 568 ff. mit umfangreichen Nachweisen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Aus dieser Rechtsprechung vgl. insbesondere BVerfGE 17, 306, 413 ff.; 2 0 , 150, 154; 29, 402, 410. 453 Gernhuber § 49 V I 1; ders. FamRZ 1962, 89, 93; ebenso Säcker-Reuter NJW 1965, 2037, 2038; Reuter S. 91.
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Debatte steht, wie im Innenverhältnis zwischen Eltern und Kind - im Binnenraum der Familie - die Entscheidungsbefugnisse zwischen Eltern und Kind zu verteilen sind. Dies kann dem Rechtsverkehr und der Allgemeinheit gleichgültig sein. Für Entscheidungen, die auf den familieninternen Bereich beschränkt sind, also nicht durch ein externes Handeln nach außen hin „transformiert" werden, ist dieses Ergebnis evident. Außerhalb der Familie stehendende Dritte sind z.B. nicht daran interessiert, ob Eltern ihren einsichtsfähigen Kindern das Hören von Radiosendungen etc. verbieten können. Allgemeininteressen kommen erst dann ins Spiel, wenn es um externes Handeln Jugendlicher geht, das Rechtswirkungen herbeiführen soll. In diesem Fall beschränkt sich das Interesse der Allgemeinheit darauf, daß sich die Rechtswirksamkeit solchen Handelns nach klaren Maßstäben richtet. Der Rechtsverkehr hat ein Interesse daran, aufgrund eindeutiger Standards erkennen zu können, ob solches Handeln rechtswirksam ist. Die Verkehrsinteressen werden dagegen nicht davon berührt, wer im Innenverhältnis zwischen Eltern und Kind darüber zu entscheiden hat, ob ein solches Handeln stattfinden soll. Interne Entscheidungsbefugnis und externe Rechtsmacht können zwar - wie bereits gezeigt (S. 32 ff.) - nicht ohne Zusammenhang nebeneinander stehen. Externe Rechtsmacht ohne interne Entscheidungsbefugnis ist sinnlos. Es ergibt keinen Sinn, den Ungehorsam des intern nicht entscheidungsbefugten Jugendlichen damit zu belohnen, daß sein ihm intern untersagtes externes Handeln nichtsdestoweniger rechtswirksam wird. Externe Rechtsmacht setzt interne Entscheidungsbefugnis voraus. Daraus folgt aber nicht, daß eine interne Entscheidungsbefugnis des Heranwachsenden nur dort angenommen werden darf, wo auch seine externe Rechtsmacht zu bejahen ist. Im externen Bereich können die Interessen Dritter an Rechtsklarheit und Rechtssicherheit relevant werden. Werden diese Interessen dadurch berücksichtigt, daß für die Rechtswirksamkeit des externen Handelns typisierende - an feste Altersgrenzen und Zustimmungserfordernisse anknüpfende - Regelungen gelten, so sind diese Interessen damit befriedigt. Die Verkehrsinteressen erfordern es nicht, daß im Innenverhältnis zwischen Eltern und Kind dessen konkrete Selbstbestimmungsfähigkeit unbeachtet bleibt. Wird der Rechtsverkehr dadurch geschützt, daß für die Teilnahme an ihm typisierende Regelungen gelten, so kann es ihm gleichgültig sein, ob extern nicht handlungsfähigen Heranwachsenden aufgrund ihrer konkreten Selbstbestimmungsfähigkeit im Innenverhältnis zu den Eltern Entscheidungskompetenzen eingeräumt werden. Es ist auch keineswegs so, daß eine interne Entscheidungsbefugnis ohne externe Rechtsmacht keinen Sinn ergibt. Letzteres wäre nur dann der Fall, wenn die Entscheidung des entscheidungsbefugten Minderjährigen nicht nach außen hin „transformiert" werden könnte. Entscheidungsbefugnisse konkret selbstbestimmungsfähiger Heranwachsender, denen aus Gründen des Ver-
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kehrsschutzes keine externe Rechtsmacht gewährt wird, können dadurch „transformiert" werden, daß für die Vornahme der externen Rechtshandlungen Pfleger bestellt werden 454 . Ein Interesse der Allgemeinheit an Offenkundigkeit der Rechtsverhältnisse vermag somit nicht die Regelung des BGB's zu rechtfertigen, die es den Eltern - bis zur Grenze der Kindeswohlgefährdung - erlaubt, in den Angelegenheiten ihrer konkret einsichtsfähigen Kinder entgegen deren Willen zu entscheiden. Ein solches Interesse kann die Versagung externer Rechtsmacht, nicht aber die Vorenthaltung interner Entscheidungsbefugnis begründen. Führt man dieses Interesse zur Legitimation des letzteren an, so verstößt man gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der nur erforderliche Grundrechtseinschränkungen zuläßt. Zur Realisierung des Verkehrsschutzes ist es nicht erforderlich, dem selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden im Verhältnis zu seinen Eltern Entscheidungsbefugnisse vorzuenthalten. Bleibt noch das Elterninteresse, das angesprochen wird, wenn nach der Erwähnung des Interesses des Rechtsverkehrs an Rechtsklarheit fortgefahren wird: „Auch die Eltern können legitim in Teilbereichen eine standardisierte elterliche Gewalt fordern: man kann die Grenzen ihrer Verantwortung nicht generell einer Generalklausel ausliefern, deren Anwendung auf den Einzelfall mit letzter Prägnanz allenfalls einem jugendpsychologischen Sachverständigen möglich sein mag" 4 5 5 . Diese Argumentation vermag nicht durchzuschlagen. Zunächst ist gegenüber der Betonung der tatsächlichen Schwierigkeiten, welche die Ermittlung der konkreten Selbstbestimmungsfähigkeit mit sich bringt, festzuhalten, daß eine Berücksichtigung der konkreten Einsichts- und Handlungsfähigkeit Minderjähriger in unserem Recht keinen Fremdkörper darstellt. So muß z.B. für die strafrechtliche Verantwortlichkeit Jugendlicher gem. § 3 S. 1 JGG festgestellt werden, daß der Jugendliche zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug ist, um das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Weiterhin ist gem. § 828 Abs. 2 BGB ein Minderjähriger, der das 7. Lebensjahr vollendet hat, für einen Schaden, den er einem anderen zufügt, nicht verantwortlich, wenn er bei der Begehung der schädigenden Handlung nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht hat. Man ist sich darüber einig, daß damit gemeint ist, daß die Verschuldensfähigkeit von der konkret-individuellen Einsichtsfähigkeit des handelnden Minderjährigen abhängig ist 4 5 6 . Außer454 Vgl. außerdem § 1666 Abs. 2 BGB, wonach das Vormundschaftsgericht Erklärungen der Eltern oder eines der Eiternteile ersetzen kann. 4 *5 Gernhuber FamRZ 1962, 89, 93. 456 Vgl. statt aller Palandt-Thomas § 828 Anm. 2 a. Ob auch die Reife zu fordern ist, entsprechend dieser Einsicht handeln zu können, ist streitig. Verneinend z.B. B G H NJW 1970, 1038, 1039; bejahend z.B. Teichmann JZ 1970 , 617, 618.
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dem sind die prozessualen Weigerungsrechte des Kindes anzuführen. Über die Ausübung strafprozessualer Zeugnisverweigerungs- und Untersuchungsverweigerungsrechte entscheidet der Minderjährige selbst, wenn er aufgrund seiner individuellen Einsichtsfähigkeit eine genügende Vorstellung von der Bedeutung des jeweiligen Weigerungsrechts hat (§§ 52 Abs. 2 S. 1; 81 c Abs. 3 S. 2 StPO). Für die ZPO, wo entsprechende Vorschriften fehlen, wird eine Analogie zu diesen Regelungen der StPO befürwortet 457 . Schließlich ist noch einmal darauf hinzuweisen, daß die Rechtsprechung dem Jugendlichen die Einwilligung in eine Operaration überläßt, sobald er „nach seiner geistigen und sittlichen Reife die Bedeutung des Eingriffs und seiner Gestattung zu ermessen vermag" 458 . Für das Strafrecht ist dies schon vom Reichsgericht so entschieden worden 459 . A l l dies zeigt, daß das Anknüpfen an die konkrete Selbstbestimmungsfähigkeit des Jugendlichen eine Erscheinung ist, die unserem Recht vertraut ist. Es gibt gesetzliche Regelungen, die so verfahren. Die Rechtsprechung hat in anderen Fällen - über den Bereich der gesetzlich geregelten Fälle hinausgehend - so judiziert. Hält man sich dies vor Augen, so können die rein tatsächlichen Schwierigkeiten, die sich unzweifelhaft bei der Feststellung der konkreten Selbstbestimmungsfähigkeit eines Heranwachsenden ergeben, als solche - für sich allein betrachtet - kein ausschlaggebender Gesichtspunkt sein. Wo Rechtsgründe - und einen stärkeren Rechtsgrund als ein Gebot der Verfassung gibt es nicht - den Verzicht auf eine Typisierung fordern, dort ist - unter Inkaufnahme tatsächlicher Schwierigkeiten - auf die konkrete Selbstbestimmungsfähigkeit Minderjähriger abzustellen. Im übrigen geht es - wie bereits dargelegt (S. 183f.) - nicht darum, in Grenzfällen der Selbstbestimmungsfähigkeit „mit letzter Prägnanz" zu entscheiden. In Grenzfällen, in denen auch jugendpsychologische Sachverständige letzte Zweifel niemals auszuräumen vermögen, ist immer zugunsten des Elternrechts zu entscheiden. Die Kindesinteressen fordern es, daß im Zweifel der Schutz durch die Eltern den Vorrang hat. Für die Selbstbestimmung des Heranwachsenden ist nur dort Raum, wo seine Selbstbestimmungsfähigkeit unzweifelhaft ist. Daß der Richter auch für diese Feststellung auf die Hilfe von Sachverständigen angewiesen sein kann, ist zuzugeben. Ein solches Angewiesensein gehört indes zum täglichen Brot der Justiz und rechtfertigt es nicht, Rechtsfragen unter der Perspektive zu lösen, daß die Zuhilfenahme von Gutachtern möglichst vermieden werden soll.
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57 Vgl. etwa MünchKomm-Hinz § 1626 RdNr. 46. B G H Z 29, 33, 36. 459 RGSt 41, 392, 394. 458
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Der Umstand, daß eine Berücksichtigung der konkreten Selbstbestimmungsfähigkeit zu tatsächlichen Schwierigkeiten führen kann, kann somit für sich allein betrachtet kein entscheidender Aspekt sein. Der oben zitierte Autor argumentiert indes auch nicht mit diesen Schwierigkeiten als solchen und auch nicht mit der Situation des Richters, sondern damit, daß im legitimen Interesse der Eltern die Grenzen der elterlichen Verantwortung nicht einer Generalklausel ausgeliefert werden dürften, die zu diesen Schwierigkeiten führe. Nicht der Richter, sondern vielmehr die Eltern sollen vor den Problemen bewahrt werden, die mit der Feststellung der Selbstbestimmungsfähigkeit verbunden sein können. Es soll also offensichtlich ein Rechtssicherheitsinteresse der Eltern geschützt werden. Die elterlichen Befugnisse sind aber dergestalt zum Schutz der Kindesinteressen da, daß im Konflikt mit Eigeninteressen der Eltern die Kindesinteressen den Vorrang haben. Im Ergebnis zählen in der internen Beziehung zwischen Eltern und Kind nur die Kindesinteressen (vgl. S. 178ff.). Damit scheidet im Verhältnis zum Kindesgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG ein Eigeninteresse der Eltern, problemlos die Grenzen ihrer Entscheidungsbefugnisse erkennen zu können, als legitimer Anknüpfungspunkt für eine Einschränkung dieses Grundrechtes aus. Ein Anknüpfen an eigene Interessen der Eltern macht das Kind zu einem Objekt einer Verfolgung fremder Interessen. Da dies gegen Art. 1 Abs. 1 GG verstößt, haben Eigeninteressen der Eltern außer Betracht zu bleiben, wenn nach einem Zweck gesucht wird, der die Sorgerechtsregelung des BGB's vor dem Kindesgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG zu legitimieren vermag. Grundrechtseingriffe, die durch ihre Zweckverfolgung gegen die Würde des Menschen verstoßen, sind immer verboten 460 . Somit bleibt - Interessen des Rechtsverkehrs und Eigeninteressen der Eltern vermögen die Elternbefugnisse gegenüber selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden nicht zu rechtfertigen - nur noch die Erwägung anzustellen, ob Kindesinteressen es legitimieren können, daß Eltern auch ihre konkret selbstbestimmungsfähigen Kinder bevormunden dürfen. So lassen z.B. manche Autoren, die prinzipiell zugunsten der Selbstbestimmungsfähigkeit des Kindes entscheiden, dessenungeachtet elterliche Bevormundungsakte zu, die dazu dienen, den selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden vor Gefahren zu schützen 461 . Es wäre indes ein Widerspruch in sich, das Autonomierecht des selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden aufgrund seiner „eigenen" Interessen einzuschränken und dabei die Interessen nach objektiven und heteronomen Kriterien zu definieren. 460 Vgl. Gentz NJW 1968, 1 6 0 0 , 1602. 461 So z.B. Perschel S. 87; Leuschner S. 77; Stöcker aaO S. 213; Roell S. 5 0 ff.
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Einer staatlichen Lösung für einen Entscheidungskonflikt zwischen Eltern und Kind bedarf es nur dort, wo ein Heranwachsender, der mit einer elterlichen Entscheidung nicht einverstanden ist, bezüglich seiner Entscheidung einen Rechtsbehauptungswillen entwickelt, indem er den Staat um Hilfe angeht. Tut er dies nicht, so hat der Staat keinen Anlaß, von sich aus einzugreifen, es sei denn, daß die Eltern den Heranwachsenden mit Mitteln „überzeugen", welche die Schwelle des § 1666 BGB überschreiten. Ist dies aber nicht der Fall und zeigt der Minderjährige keinen Rechtsbehauptungswillen, so hat der Staat davon auszugehen, daß der Heranwachsende von seinem Autonomierecht in der Weise Gebrauch macht, daß er seinen Willen nicht zumindest nicht mit Hilfe des Staates - gegen den Willen seiner Eltern durchsetzen will. Im übrigen wäre es eine totale Überforderung des Staates, wenn das Vormundschaftsgericht - unterhalb der Schwelle des § 1666 BGB - von Amts wegen dazu verpflichtet wäre, allen Autonomiekonflikten nachzugehen, von denen es Kenntnis erlangt. Macht der Heranwachsende keine Anstalten zur Rechtsbehauptung, so hat sich der Staat - wohlgemerkt: unterhalb der Ebene des § 1666 BGB - auf den alten Satz „volenti non fit iniuria" zurückzuziehen. Eine staatliche Konfliktlösung ist erst dort gefragt, wo der Heranwachsende vom Staat Hilfe begehrt. Verhält sich nun ein selbstbestimmungsfähiger Heranwachsender in einem Autonomiekonflikt so, so definiert er dadurch auch, in welcher Art und Weise er sich selbst verwirklichen will. In Ausübung der ihm zustehenden Autonomie legt er fest, was seine Interessen sind. Dann kann man aber die Entscheidung des selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden nicht mehr mit einem Rückgriff auf seine „eigenen" Interessen angreifen. Darüber, was seine Interessen sind, hat der Heranwachsende entschieden. Der Einwand, seine „wahren" - objektiven - Interessen erforderten in Wirklichkeit eine andere Entscheidung, muß notwendigerweise die Interessen des Heranwachsenden heteronom definieren. Man kann aber nicht gleichzeitig auf der einen Seite einem Menschen Autonomie gewähren und auf der anderen Seite die Interessen dieses Menschen heteronom bestimmen. Es ist ein Widerspruch in sich, gleichzeitig den selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden und andere darüber entscheiden zu lassen, was seine Interessen sind. Gewährt man dem selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden Autonomie, so ist es zwar denkbar, daß diese Autonomie hinter anderen Interessen zurückzustehen hat 4 6 2 . Es ist aber nicht möglich, diese Autonomie mit dem Hinweis auf die „eigenen" Interessen des Heranwachsenden einzuschränken. Kraft seiner Autonomie kann der selbstbestimmungsfähige Heranwachsende selbst entscheiden, was seine Interessen sind. Objektiv und heteronom bestimmte „eigene" Interessen dieses Heranwachsenden kann es daneben nicht geben. 462 Daß dies bei den internen Entscheidungsbefugnissen im Eltern-Kind-Verhältnis nicht der Fall ist, ist bereits dargelegt worden.
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Solche Interessen vermögen somit auch nicht Einschränkungen des Kindesgrundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG zu legitimieren 463 . Entscheidungsbefugnisse, die das BGB Eltern gegenüber selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden gewährt, können also nicht damit gerechtfertigt werden, daß die Eltern auch gegenüber solchen Heranwachsenden die Möglichkeit haben müssen, sie vor gefährlichen Entscheidungen zu bewahren. Es ist zuzugeben, daß diese Aussage einen gefühlsmäßigen Widerstand hervorruft. Dieser Widerstand ist indes unbegründet. Dabei ist zunächst zu bedenken, daß mangelnde Einsichts- und Urteilsfähigkeit Minderjähriger sich häufig gerade darin äußert, daß Minderjährige drohende Gefahren noch nicht richtig einschätzen können. Für jugendliche Unreife ist es geradezu typisch, daß aus der Verkennung von Gefahren heraus von der Freiheit ein falscher Gebrauch gemacht wird, der dem Jugendlichen zum Schaden gereicht. In den meisten Fällen, in denen Heranwachsende von der Freiheit einen sie selbst gefährdenden Gebrauch machen wollen, wird es somit so sein, daß überhaupt nicht die Entscheidung eines konkret selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden vorliegt, der - wie ein normaler Erwachsener - vernünftig wertend abzuwägen und zu entscheiden vermag. Für selbstbestimmungsunfähige Heranwachsende steht indes eine verfassungswidrige Einschränkung des Kindesgrundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG sowieso nicht zur Diskussion. Solche Jugendliche bedürfen unzweifelhaft der bevormundenden Fürsorge der Eltern. Insoweit stellen die elterlichen Befugnisse des BGB's eine verfassungsgemäße Begrenzung des Kindesgrundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG dar (vgl. S. 113f.). Zur Debatte stehen also nur die - sicherlich nicht sehr häufigen - Fälle, in denen sich zweifelsfrei feststellen läßt, daß die Inkaufnahme von Gefahren und möglichen Schäden nicht auf mangelnder Einsichtsfähigkeit des Heranwachsenden beruht. Plädiert man hier für aufgezwungenen Schutz bei nicht vorhandener Schutzbedürftigkeit, so muß man sich fragen lassen, warum bei Sachverhalten verschieden entschieden werden soll, die sich nur durch das Lebensalter des Kindes unterscheiden. Ein volljähriges Kind kann von seinen 463
Man könnte auch sagen, daß Grundrechtseingriffe, die eigene Interessen des Kindes realisieren sollen und sich dabei an heteronom bestimmten Interessen des selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden orientieren, ungeeignete Mittel zur Zweckerreichung sind, weil das eigene Interesse des selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden immer das Interesse ist, das er selbst verfolgen will. Man könnte ferner der Ansicht sein, daß Eingriffe in das Selbstbestimmungsrecht, die nicht das Selbstbestimmungsrecht hinter anderen Rechten zurückstehen lassen, sondern durch heteronome Definition der Kindesinteressen das Selbstbestimmungsinteresse als solches negieren, unverhältnismäßig im engeren Sinne sind. Man könnte sogar an eine Verletzung der Wesensgehaltsgarantie denken. Dies sind aber ausschließlich Fragen der dogmatischen Einordnung. In der Sache ausschlaggebend ist der Umstand, daß es sich mit der Autonomie nicht verträgt, die Interessen des autonomiefähigen Rechtsträgers heteronom zu definieren.
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Eltern nicht unter Berufung auf seine - objektiven - Interessen zu seinem objektiven - Glück gezwungen werden. Einem solchen Begehren der Eltern kann das volljährige Kind sein uneingeschränktes Selbstbestimmungsrecht entgegenhalten. Der Volljährige ist dazu befugt, seine Interessen und sein Glück selbst zu definieren. Außerdem umfaßt das Selbstbestimmungsrecht auch das Recht, unglücklich zu werden. Es ist nicht einzusehen, warum bei einem konkret selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden, der noch nicht volljährig ist, aber bereits wie ein Volljähriger entscheiden kann, die Rechtslage anders sein soll. Im Innenverhältnis Eltern-Kind ändert sich mit dem Eintritt der Volljährigkeit nichts Entscheidendes. A m Morgen der Volljährigkeit ist der Heranwachsende einen Tag älter geworden. Dies mag zwar für Tatbestände von Relevanz sein, in denen es um Verkehrsschutz geht. Auf den Gesichtspunkt des Verkehrsschutzes können sich aber die Eltern nicht berufen. Ist die Selbstbestimmungsfähigkeit, die das BGB typisierend erfaßt, bei dem Jugendlichen schon vor der Volljährigkeit gegeben, so ist es angebracht, diesen Jugendlichen im Verhältnis zu den Eltern wie einen Volljährigen zu behandeln. Im Verhältnis zwischen Eltern und Kind wiegt das materielle Kriterium der konkreten Selbstbestimmungsfähigkeit schwerer als das formale Kriterium des Lebensalters. Somit kann - soweit interne Entscheidungsbefugnisse zur Debatte stehen der grundrechtlich geschützten Entfaltungsfreiheit des selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden nichts entgegengesetzt werden. Der Rechtsverkehr, der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit fordert, interessiert sich für das Innenverhältnis zwischen Eltern und Kind nicht. Eigeninteressen der Eltern haben wegen der primären Fremdnützigkeit elterlicher Befugnisse im Konflikt mit Kindesinteressen hinter diesen zurückzustehen. Objektive Kindesinteressen können gegenüber der Autonomie des autonomiefähigen Kindes nicht ins Feld geführt werden. In der Binnenbeziehung zwischen Eltern und Kind ist somit dem Willen des selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden der Vorrang einzuräumen. Soweit das BGB den Eltern die Rechtsmacht gewährt, entgegen diesem Willen zu entscheiden, liegt eine Einschränkung des Kindesgrundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG vor, die durch die Schranken dieses Grundrechts nicht legitimiert wird 4 6 4 . 464 Es sei noch darauf hingewiesen, daß in dem umgekehrten „Ausnahmefall", in dem trotz Vorliegens des formalen Kriteriums (Volljährigkeit) das materielle Kriterium (konkrete Selbstbestimmungsfähigkeit) nicht gegeben ist, es schon die Normen des einfachen Rechtes ermöglichen, daß sich das materielle gegenüber dem formalen Kriterium durchsetzen kann. Entsprechen bei Eintritt der Volljährigkeit die geistigen Fähigkeiten eines Jugendlichen denjenigen eines Minderjährigen, so kann gem. § 6 Abs. 1 Nr. 1 BGB eine Entmündigung wegen Geistesschwäche erfolgen. Gem. § 1899 Abs. 1 BGB sind dann die Eltern als Vormund berufen. Ist also trotz Volljährigkeitsalters keine konkrete Selbstbestimmungsfähigkeit vorhanden, so kann sich schon kraft einfachen Rechts das elterliche Bestimmungsrecht behaupten. Ist nun - umgekehrt herum trotz fehlender Volljährigkeit schon die Selbstbestimmungsfähigkeit entwickelt, so muß
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Bei der Schranke der „verfassungsmäßigen Ordnung" - die beiden anderen Schranken vermögen Elternbefugnisse gegenüber selbstbestimmungsfähigen Jugendlichen auf keinen Fall zu legitimieren - ist ausschließlich von der h. M. aus argumentiert worden, die solche Eingriffe in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG zuläßt, die formell verfassungsgemäß sind und materiell gegen keine anderen Bestimmungen der Verfassung, insbesondere nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, verstoßen. Dies ist die weitestgehende Möglichkeit der Einschränkung, die sich für Art. 2 Abs. 1 GG vertreten läßt. Die Regelung des BGB's, welche die Eltern auch gegenüber selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden entscheiden läßt, ist selbst dann nicht verfassungsgemäß, wenn man diese Möglichkeit zugrunde legt. Deshalb brauchen Ansichten, die über das Merkmal der „verfassungsmäßigen Ordnung" nur eine geringere Einschränkung des Art. 2 Abs. 1 GG zulassen, nicht erörtert zu werden. Wer noch nicht einmal alle verhältnismäßigen Eingriffe, die formell und materiell verfassungsgemäß sind, als gerechtfertigt ansieht, der muß erst recht alle unverhältnismäßigen Eingriffe als verfassungswidrig klassifizieren. Im Ergebnis läßt sich somit für das interne Eltern-Kind-Verhältnis feststellen, daß das elterliche Bestimmungsrecht in den Kindesangelegenheiten zurückzustehen hat, wenn ein Heranwachsender in einer Angelegenheit, für die er unzweifelhaft entscheidungsfähig ist, eine vom Elternwillen abweichende Entscheidung treffen will und bezüglich seiner Entscheidung einen Rechtsbehauptungswillen zeigt. Soweit die Eltern in den Kindesangelegenheiten zu entscheiden haben, können sie ihre Entscheidungen gegenüber den Kindern - quasi im Wege permanenter Selbsthilfe - unter Zuhilfenahme der ihnen zur Verfügung stehenden Erziehungsmittel durchsetzen, zu denen auch Strafen und Zwangsmittel gehören«*. Soweit indes ein konkret selbstbestimmungsfähiger Heranwachsender in einer Angelegenheit selbst zu bestimmen hat und von diesem Entscheidungsrecht auch Gebrauch machen will, die Eltern aber, wozu sie häufig in der Lage sind, die von dem Heranwachsenden gewünschte Selbstbestimmung faktisch nicht zulassen, stellt sich die Frage, auf welche Art und Weise - insbesondere in welchem Verfahren - der Heranwachsende sich durchsetzen kann. Soweit es um Entscheidungen geht, die ausschließlich den Binnenraum der Familie betreffen, also um solche, die kein Außen verhalten des Heranwachsenden zum Gegenstand haben, ist diese Frage die einzige Frage, die noch offen ist. Die Frage nach der Realisierung der Selbstbestimmung spielt aber das Selbstbestimmungsrecht des Kindes siegen. Dies ergibt sich zwar nicht aus der einfachrechtlichen Regelung des BGB's, es ist aber ein Gebot der Verfassung, dem die einfachrechtliche Regelung des BGB's nicht standhalten kann. 465 Entwürdigende Erziehungsmaßnahmen sind allerdings unzulässig; § 1631 Abs. 2 BGB.
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auch dort eine Rolle, wo im Eltern-Kind-Verhältnis Entscheidungen zur Debatte stehen, die sich darauf beziehen, wie sich der Minderjährige im Außen Verhältnis verhalten soll. Während im Innenverhältnis die konkrete Selbstbestimmungsfähigkeit dem Minderjährigen eine Entscheidungsbefugnis verleiht, kann es im Außenverhältnis so sein, daß sich externe Rechtsmacht - ohne daß dies die Verfassung verletzt - nach typisierenden Normen richtet. Wo dies so ist, dort ist dann die Frage zu beantworten, auf welche Art und Weise - in welchem Verfahren - der intern entscheidungsbefugte Minderjährige, dem externe Rechtsmacht fehlt, es erreichen kann, daß die von ihm gewünschte Rechtshandlung extern rechtswirksam vorgenommen wird. Hat der intern entscheidungsbefugte Jugendliche auch externe Rechtsmacht, so ist die Frage nach der Durchsetzung dieser Selbstbestimmung immer noch dann aktuell, wenn die Eltern durch tatsächliche Maßnahmen die Selbstbestimmung des Heranwachsenden verhindern. Die Frage der Durchsetzung der Selbstbestimmung, die sich somit sowohl für Fälle mit ausschließlicher Binnenrelevanz, als auch für Fälle mit Außenrelevanz ergeben kann, soll deshalb erst zum Schluß behandelt werden, wenn Klarheit über die bis jetzt noch nicht erörterten Fragen des Außenverhältnisses herrscht. 6. Die Rechtslage im Außenverhältnis a) Schlichtes Handeln Das Handeln im Außenverhältnis kann sich als ein solches darstellen, für das es keine typisierenden Rechtsnormen gibt, die „wirksames" Handeln - unabhängig von der konkreten Einsichtsfähigkeit - von dem Erreichen einer bestimmten Altersgrenze abhängig machen. Es geht dabei um schlichtes Handeln, das als reines Tathandeln nicht auf die Herbeiführung von Rechtswirkungen gerichtet ist. Besteht nun für solches Handeln im Außenverhältnis keine Altersgrenze und ist auch nicht - wegen der Sachnähe zu einer der typisierenden Regelungen - die analoge Anwendung einer Altersgrenze zu bejahen 4 6 6 , so steht keine externe Schranke dem entgegen, daß der Minderjährige handelnd tätig wird. Solch schlichtes Handeln, für das dem einfachen Recht weder direkt noch analog eine Altersgrenze entnommen werden kann, kann eine Tätigkeit sein, die durch ein Grundrecht geschützt wird. Dem Minderjährigen, der ζ. B. seine Meinung frei äußert (Art. 5 Abs. 1 GG) oder ein Kunstwerk produziert (Art. 5 Abs. 3 GG) oder sich mit anderen Personen versammelt (Art. 8 GG) oder 466 Eine solche analoge Anwendung fester Altersgrenzen ist ζ. B. bei der Operationseinwilligung wegen der Sachnähe zu den §§ 104 ff. BGB anzunehmen.
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für eine Gewerkschaft wirbt (Art. 9 Abs. 3 GG) oder sich freizügig im Bundesgebiet bewegt (Art. 11 GG), kann nicht entgegengehalten werden, daß er die von ihm vorgenommene Tätigkeit aufgrund direkt oder analog anzuwendender Normen des einfachen Rechts erst ab einem bestimmten Alter ausüben könne. Normen solchen Inhalts sind nicht ersichtlich. Die Grundrechte des Minderjährigen sind insoweit - extern - nicht eingeschränkt. Es kann also nur danach zu fragen sein, ob die interne - in der elterlichen Entscheidungsmacht liegende - Grundrechtsschranke externe Auswirkungen haben kann. Dabei ist zunächst zu beachten, daß es hier im Bereich der schlichten Tätigkeiten nicht um die Herbeiführung von Rechtswirkungen geht. Meinungsäußerung, künstlerische Betätigung, Sichversammeln, tatsächliche Aktivitäten für die Gewerkschaft, freie Fortbewegung im Bundesgebiet usw. sind nicht auf Rechtswirkungen gerichtet. Damit entfällt hier das Argument, daß es im Interesse der Eltern (und damit letztlich auch im Interesse des Kindes) nicht angeht, den Ungehorsam des intern nicht entscheidungsbefugten Minderjährigen damit zu belohnen, daß er die von ihm gewünschte - intern ihm aber untersagte - Rechtswirkung herbeiführen kann. Dies Argument setzt voraus, daß es möglich ist, mit den Mitteln des Rechts externe Folgen eines internen Ungehorsams zu verhindern. Bei einem Handeln, das auf Rechtswirkungen gerichtet ist, ist dies in der Weise möglich, daß man die interne Entscheidungsbefugnis des Jugendlichen zur notwendigen Voraussetzung seiner externen Rechtsmacht erklärt. Dadurch wird dann der Eintritt von Rechtswirkungen verhindert, welche von den entscheidungsbefugten Eltern nicht gewünscht werden. Tatsächliche Handlungen ungehorsamer Heranwachsender, die sich über den Willen der entscheidungsbefugten Eltern hinwegsetzen, können dagegen nicht mit den Mitteln des Rechts zu einem „nullum" gemacht werden. Da tatsächliche Handlungen von externer Rechtsmacht unabhängig sind, kann im Bereich schlichten Handelns eine interne Entscheidungsbefugnis des Heranwachsenden als notwendige Voraussetzung seiner externen Rechtsmacht nicht zur Debatte stehen. Eine solche Rechtsmacht, die wirksames Handeln erlaubt, gibt es hier nicht. In diesem Bereich kann jeder handeln, der die entsprechenden natürlichen Fähigkeiten hat. Folglich kann sich hier eine externe Grundrechtsmündigkeitsproblematik nur in Gestalt der Frage ergeben, ob der Staat in seiner Reaktion auf schlichtes Handeln Jugendlicher, das sich als Grundrechtsausübung darstellt, die Frage der internen Entscheidungsbefugnis im Eltern-Kind-Verhältnis zu berücksichtigen hat. Dazu ist von dem hier vertretenen Ansatz aus folgendes zu sagen: Eine minderjährigenspezifische Grundrechtsproblematik kann es nur bei Handlungsgrundrechten geben. Ein Handlungsgrundrecht hat denknotwendig den Inhalt, daß der Grundrechtsträger dazu befugt ist, die in dem Grundrecht geschützte Tätigkeit auszuüben. Da der Minderjährige Grundrechtsträger ist,
6. Die Rechtslage im Außenerhältnis
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ist die Suche nach einer positiv zu definierenden grundrechtlichen Handlungsfähigkeit Minderjähriger (alias Grundrechtsmündigkeit) verfehlt. Es ist vielmehr danach zu fragen, welchen Schranken die Handlungsgrundrechte der minderjährigen Grundrechtsträger unterworfen sind. Eine interne Schranke der Kindesgrundrechte ergibt sich daraus, daß die Eltern nach dem BGB aufgrund ihres Sorgerechts Entscheidungsbefugnisse gegenüber ihren Kindern haben. Ferner existieren externe Schranken, die darauf beruhen, daß das einfache Recht für bestimmte Handlungen, die auf die Herbeiführung von Rechtswirkungen gerichtet sind, bestimmte Alterserfordernisse aufstellt. Interne und externe Schranken des einfachen Rechts sind als Einschränkungen der Kindesgrundrechte an diesen zu messen, wobei die internen Elternbefugnisse nur dem Kindesgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG zu konfrontieren sind. Die Überprüfung dieser internen Schranke hat zu dem Ergebnis geführt, daß Entscheidungsbefugnisse der Eltern gegenüber konkret selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden mit dem Kindesgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren sind. Daraus folgt, daß der konkret selbstbestimmungsfähige Heranwachsende in seinen Angelegenheiten selbständig entscheiden darf. Nimmt nun ein Heranwachsender eine schlichte grundrechtsgeschützte Tätigkeit vor, für die es keine externe Altersgrenze gibt (wie z.B. für Meinungsäußerung, künstlerische Betätigung, Sichversammeln usw.), und besitzt er die für die Vornahme dieser Tätigkeit notwendige Einsichts- und Handlungsfähigkeit, so läßt sich nur feststellen, daß ein Grundrechtsinhaber, der intern und extern dazu befugt ist, eine grundrechtsgeschützte Tätigkeit ausübt. Dies kann aber nur bedeuten, daß der Staat diesem Minderjährigen gegenüber bezüglich dieser Grundrechtsausübung nicht mehr und nicht weniger Eingriffsbefugnisse haben kann als gegenüber einem erwachsenen Grundrechtsträger. Fraglich kann es - für den Bereich des schlichten Handelns, in dem es keine Altersgrenzen gibt - somit nur sein, was in der Staatsrichtung gilt, wenn ein Minderjähriger handelt, der sich mit diesem Handeln über das Verbot der intern entscheidungsbefugten Eltern hinwegsetzt. Die Frage geht dahin, ob der Staat in grundrechtsgeschützte schlichte Tätigkeiten, deren Vornahme extern an keine Qualifikationen geknüpft ist, mit der Begründung eingreifen kann, daß das Verhalten des Minderjährigen intern gegen ein Verbot der entscheidungsbefugten Eltern verstößt. Es gibt Autoren, die dies in der Tat bejahen 467 . Dem kann indes nicht gefolgt werden. Zunächst einmal können Allgemeininteressen einen solchen Eingriff nicht rechtfertigen. Bei solchen schlichten - nicht auf die Herbeiführung von Rechtswirkungen gerichteten - Tätigkeiten (wie z.B. Meinungsäußerung, Kunstausübung, Sich467
So z.B. Perschel S. 9 0 ; H. Krüger FamRZ 1956, 329, 332.
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versammeln usw.) gibt es keine Allgemeininteressen an Rechtsklarheit und Rechtssicherheit, die dahin gehen, die „Befugnis" zur Vornahme solcher Tätigkeiten an offenkundige Standards zu knüpfen. Es gibt hier - anders als bei Handlungen, die Rechtswirkungen herbeiführen - keine Rechtswirksamkeit, auf die andere Personen vertrauen und in Korrespondenz zu der andere Personen ihrerseits rechtswirksam handeln. Das Fehlen von Verkehrsinteressen zeigt sich gerade daran, daß das einfache Recht für diesen Bereich schlichter Tätigkeiten keine typisierenden Regelungen kennt und daß eine analoge Anwendung dieser Regelungen hier nicht paßt. Des weiteren kann es bei solchen staatlichen Eingriffen auch nicht um die Wahrnehmung derjenigen öffentlichen Interessen gehen, die in den Grundrechtsvorbehalten ihren Schutz gefunden haben. „Grundrechtsausübungen", die diese Interessen verletzen und so die Schranken der Grundrechte überschreiten, sind per se - unabhängig von der Frage der Minderjährigkeit - illegitim und staatlichen Eingriffen preisgegeben. Daß Minderjährige den allgemein geltenden Grundrechtsbegrenzungen unterworfen sind, ist eine Selbstverständlichkeit und steht hier nicht zur Debatte. Zu diskutieren sind ausschließlich Handlungsweisen Minderjähriger, die als Grundrechtsausübungen Volljähriger gedacht gegenüber dem Staat Bestand hätten. Da somit Allgemeininteressen als Rechtfertigung ausscheiden, verbleibt als Ansatzpunkt nur die Interessenlage im Eltern-Kind-Verhältnis. Dieser Interessenlage wird der Staat hier nun aber in einer ganz anderen Art und Weise konfrontiert als im Bereich der externen Rechtsmacht. Soweit es im Außenverhältnis um Rechtsmacht - die Macht, Rechtswirkungen herbeizuführen - geht, kann nur durch die staatliche Rechtsordnung erreicht werden, daß das externe Handelnkönnen mit dem internen Entscheidendürfen dergestalt verknüpft wird, daß von den Eltern nicht gewollte Rechtswirkungen selbst dann nicht eintreten, wenn der nicht entscheidungsbefugte Jugendliche gegen den Willen der Eltern handelt. Durch ein Handeln ohne Rechtsmacht wird in dem Bereich, in dem es um die Herbeiführung von Rechtswirkungen geht, nichts bewirkt. Da diese Rechtsmacht vom Staat verliehen wird, ist es der Staat, der dafür verantwortlich ist, ob in diesem Bereich legitime Elternentscheidungen durch externes Handeln Jugendlicher desavouiert werden können. Dieser Verantwortung muß der Staat gerecht werden. Im Bereich schlichten Handelns, in dem es rechtswirksames Handeln aufgrund von Rechtsmacht nicht gibt, kann ein darauf gerichtetes Interesse, externes Handelnkönnen ohne internes Entscheidendürfen zu verhindern, durch die staatliche Rechtsordnung nicht befriedigt werden. Es läßt sich nun einmal mit den Mitteln des staatlichen Rechts nicht realisieren, daß dem nicht selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden, dem die Eltern die Teilnahme
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an einer Demonstration verbieten, die tatsächliche Fähigkeit zum Demonstrieren abhandenkommt. Die hier zur Beantwortung anstehende Frage nach der Zulässigkeit des Grundrechtseingriffs - ergibt sich vielmehr gerade daraus, daß es dazu kommen kann, daß ein nicht entscheidungsbefugter Minderjähriger entgegen dem elterlichen Verbot eine schlichte Tätigkeit ausübt, die durch ein Grundrecht geschützt wird. Es steht hier nicht zur Diskussion, daß es dem Staat wegen Art. 6 Abs. 2 GG verboten ist, Kindern eine externe Rechtsmacht zu verleihen, welche dazu geeignet ist, die grundrechtlich garantierten - den Kindesinteressen dienenden - elterlichen Befugnisse zu überspielen. So ist es z.B. dem Gesetzgeber unzweifelhaft von Verfassungs wegen verboten, die unbeschränkte Geschäftsfähigkeit mit dem 7. Lebensjahr beginnen zu lassen. Könnten Jugendliche von solch einer - durch die staatliche Rechtsordnung verliehenen - Rechtsmacht Gebrauch machen, so würden die - grundrechtlich abgesicherten - Elternbefugnisse gegenüber selbstbestimmungsunfähigen Kindern in einem erheblichen Umfang ausgehöhlt. In diesem Fall wäre es der Staat, der dafür verantwortlich zu machen wäre, daß entgegen dem Willen der Eltern und entgegen den Kindesinteressen - rechtliche Bindungen selbstbestimmungsunfähiger Kinder entstehen könnten. Davon kann bei der hier vorliegenden Konstellation nicht die Rede sein. Hier kann dem Staat nicht der Vorwurf gemacht werden, daß er grundrechtlich geschützte Elternbefugnisse illusorisch mache. Im Bereich des schlichten Handelns räumt der Staat den Heranwachsenden keine Handlungskompetenz ein. Es ist vielmehr so, daß ein Kind aufgrund seiner natürlichen Handlungsfähigkeit etwas tun kann, was jeder andere handlungsfähige Mensch auch tun kann: nämlich eine Tätigkeit auszuüben, die durch ein Grundrecht geschützt ist. Wird dabei von einem selbstbestimmungsunfähigen Kind eine legitime Entscheidung der Eltern negiert, so ist der Staat daran nicht beteiligt. Dies beruht vielmehr ausschließlich darauf, daß die Eltern nicht in der Lage sind, ihre Entscheidung durchzusetzen. Die Frage geht dahin, ob es in einem solchen Fall die Aufgabe des Staates ist, für die Realisierung der Elternentscheidung zu sorgen, obwohl ihm gegenüber nichts anderes als eine „normale" Grundrechtsausübung vorliegt. Diese Frage ist zu verneinen. Für die Eingriffsbefugnis des Staates muß es ausschlaggebend sein, daß er einem Handeln eines Grundrechtsträgers gegenübersteht, das durch ein Grundrecht gedeckt ist. Würde sich ein Erwachsener so verhalten wie es der Minderjährige tut, so bestünde kein Eingriffsrecht des Staates. Die öffentlichen Interessen, deren Vertreter der Staat ist, rechtfertigen keinen Eingriff. Der Staat, der nicht dafür verantwortlich ist, daß bei dieser Grundrechtsausübung eine legitime Elternentscheidung nicht beachtet wird, hat nicht die Aufgabe, dafür Sorge zu tragen, daß die Kinder ihrer Folgepflicht gegenüber den Eltern nachkommen. Für die Durchsetzung ihrer Entscheidungen sind viel-
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mehr - Art. 6 Abs. 2 GG! - die Eltern selbst zuständig. Dies gilt ganz allgemein und auch für die Grundrechtsausübung selbstbestimmungsunfähiger Kinder. Die Eltern können eine solche Grundrechtsausübung verbieten. Aufgrund der ihnen zur Verfügung stehenden Erziehungsmittel können sie dieses Verbot gegenüber den Kindern durchsetzen 468. Mißlingt ihnen diese Durchsetzung, so ist der Staat nicht dazu berufen, im Außenverhältnis das nachzuholen, was den Eltern im Innenverhältnis mißglückt ist. Wollte man anders entscheiden, so müßte man im Außenverhältnis - bei der Zulässigkeit staatlicher Maßnahmen - darauf abstellen, ob die grundrechtsgeschützte Tätigkeit des Minderjährigen im Innenverhältnis die Zustimmung der Eltern findet 469 . Wer die Ansicht vertreten will, daß die interne Grundrechtsschranke im Verhältnis zu dem - gegenüber „schlichter" Grundrechtsausübung eingreifenden - Staat von Relevanz sein soll, der muß notwendigerweise zu dieser Differenzierung kommen, weil nämlich an einem grundrechtlich geschützten Handeln eines Kindes, dem keine externe Schranke entgegensteht und das intern mit der Zustimmung der Eltern erfolgt, mit Sicherheit nichts zu beanstanden ist. Es geht indes nicht an, eine solche Differenzierung - nach fehlendem oder vorhandenem Elternkonsens - vorzunehmen. Es ist - um ein Beispiel zu geben - eine abwegige Vorstellung, daß die Polizei gegenüber demonstrierenden Jugendlichen, die bei der Demonstration die Grenzen der einschlägigen Grundrechte nicht überschreiten, danach zu unterscheiden hat, ob diese Jugendlichen mit oder ohne Zustimmung der Eltern handeln, und dann diejenigen Minderjährigen nach Hause zu schicken hat, die ohne Erlaubnis der Eltern demonstrieren. Ein Recht des Staates zum Eingriff kann sich nur daraus ergeben, daß der Grundrechtsträger ein Verhalten an den Tag legt, das Grundrechtsschranken nicht respektiert. Ist an dem Verhalten des Minderjährigen unter diesem Aspekt nichts auszusetzen, so ist es für das Recht des Staates ohne Belang, ob sich der Minderjährige mit seinem Verhalten über ein elterliches Verbot hinwegsetzt. Aus diesem Verbot erwächst keine Befugnis des Staates. Es ist - wegen Art. 6 Abs. 2 GG - die Sache der Eltern und nicht die des Staates, dieses Verbot durchzusetzen. Daß die Eltern dem Kind eine Grundrechtsausübung untersagen, bedeutet im übrigen noch lange nicht, daß die Eltern für den Fall des Ungehorsams des Kindes den Eingriff des Staates wünschen. Für das, was im Verhältnis zum selbstbestimmungsunfähigen Kind geschehen soll, kommt es aber auf den Willen der Eltern an.
468 Eltern, die allein mit der Pflege und der Erziehung ihrer Kinder nicht mehr fertig werden, können die Hilfe des Staates in Anspruch nehmen; vgl. §§ 55 ff. JWG. 469 So in der Tat Perschel S. 9 0 , der den Grundrechtsschutz im Außenverhältnis davon abhängig machen will, ob die Eltern dem Handeln des Minderjährigen zustimmen. Ohne eine solche Zustimmung soll es dem Minderjährigen versagt sein, sich gegenüber dem Staat auf sein Grundrecht zu berufen.
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Bei einer Grundrechtsausübung Minderjähriger, für die keine externe Schranke besteht, ist somit der Staat nicht dazu berechtigt, unter Berufung auf die interne Schranke in die Grundrechtsausübung einzugreifen 470 . Ergebnis: Der selbstbestimmungsfähige Heranwachsende kann selbst entscheiden, ob er eine durch ein Grundrecht geschützte schlichte Tätigkeit ausüben will. Übt er sie - innerhalb der jeweiligen Grundrechtsschranken - aus, so hat der Staat unzweifelhaft keinerlei Eingriffsbefugnisse. Für den selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden ist nur noch die Frage offen, wie er sich gegenüber seinen Eltern durchsetzen kann, wenn diese ihn - rein tatsächlich an der von ihm gewünschten Grundrechtsausübung hindern. Über die „schlichte" Grundrechtsausübung des selbstbestimmungsunfähigen Kindes haben die Eltern zu entscheiden. Sprechen sie ein Verbot aus, so können sie dieses durch die ihnen zur Verfügung stehenden Erziehungsmittel gegenüber dem Kind durchsetzen. Mißglückt ihnen dies, gelingt es also dem selbstbestimmungsunfähigen Kind, eine schlichte Tätigkeit auszuüben, die durch ein Grundrecht geschützt wird, so ergeben sich daraus keine Eingriffsbefugnisse des Staates. Es ist nicht seine Aufgabe, elterliche Verbote gegenüber den Kindern durchzusetzen. Im Bereich „schlichter" Grundrechtsausübung hat also der Staat generell gegenüber minderjährigen Grundrechtsträgern nicht mehr Befugnisse als gegenüber erwachsenen Grundrechtsinhabern. In beiden Fällen kommt es ausschließlich darauf an, ob ein Handeln gegeben ist, das die Schranken der Grundrechte nicht überschreitet.
470 Es ist somit Dürig in Maunz-Dürig Art. 19 Abs. 3 RdNr. 18 zuzustimmen, wenn er ohne Einschränkung feststellt: „Die Grundrechtswidrigkeit staatlicher Eingriffe bemißt sich beim Minderjährigen, soweit er nur grundrechtsfähig ist, ebenso wie beim Volljährigen". Ebenfalls zutreffend Hesse § 9 I I 2, der im Anschluß an die Aussage, daß die Eltern einem Minderjährigen eine Tätigkeit auch dann verbieten können, wenn sie Grundrechtsausübung ist (der hier vertretenen Ansicht nach ist dies nur gegenüber dem selbstbestimmungsunfähigen Minderjährigen möglich), ausdrücklich betont, daß die öffentliche Gewalt Minderjährige keinen anderen als den allgemein zulässigen Grundrechtsbegrenzungen unterwerfen kann. So wohl auch - wenn auch ziemlich unklar - Peters S. 396. Ebenfalls zutreffend Herzog in Maunz-Dürig Art. 6 RdNr. 24, nach dem sich der Staat im Verhältnis zum Minderjährigen nicht auf die grundrechtseinschränkende Funktion des Art. 6 GG berufen kann, weil Art. 6 GG „nicht im Interesse des Staates, sondern im Interesse der Familie steht".
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b) Grundrechtsausübung durch auf Rechtswirkungen gerichtetes Handeln Grundrechtsausübung kann nicht nur durch schlichtes, sondern auch durch ein solches Handeln vonstatten gehen, das darauf gerichtet ist, Rechtswirkungen herbeizuführen. Das einfache Recht knüpft hier die Fähigkeit, selbständig rechtswirksam handeln zu können, an das Erreichen bestimmter Altersgrenzen. Im rechtsgeschäftlichen Bereich können materiellrechtliche und im prozessualen Bereich können prozessuale Rechtswirkungen nur von demjenigen selbständig herbeigeführt werden, dem aufgrund der jeweiligen typisierenden Regelungen des einfachen Rechts eine entsprechende Rechtsmacht zusteht. Wird einem konkret selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden auf einem grundrechtsrelevanten Gebiet vom einfachen Recht eine solche externe Rechtsmacht versagt, so liegt darin eine Einschränkung des betreffenden Grundrechts des Minderjährigen, die nicht damit gerechtfertigt werden kann, daß dieser Minderjährige noch der bevormundenden Fürsorge bedarf. So stellt z.B. die dahingehende Regelung der §§ 104 ff. BGB, daß auch konkret einsichtsfähige Jugendliche unter 18 Jahren keine Verträge selbständig abschließen können, die für sie nicht lediglich rechtlich vorteilhaft sind, eine Einschränkung des Grundrechts dar, das diesen Jugendlichen aus Art. 2 Abs. 1 GG zusteht. Diese Regelung muß sich vor diesem Grundrecht legitimieren, und diese Legitimation ergibt sich nicht aus dem Umstand, daß selbstbestimmungsunfähige Menschen durch fürsorgerische Bevormundung geschützt werden müssen.
Vorschriften des einfachen Rechts, die in einem grundrechtsrelevanten Bereich externe Rechtsmacht typisierend vorenthalten, sind direkt an den Grundrechten derer zu messen, denen diese Rechtsmacht nicht gewährt wird. Um diese Aussage treffen zu können, bedarf es keines Eingehens auf den Drittwirkungsstreit. Beim Innenverhältnis zwischen Eltern und Kind - bei den internen Befugnissen der Eltern gegenüber dem Kind - war auf diesen Streit einzugehen, weil es zweifelhaft war, ob und in welchem Umfang den Grundrechten Aussagen entnommen werden können, wenn in Privatrechtsnormen Bereichsabgrenzungen zwischen Privatinteressen vorgenommen werden. Im Außenverhältnis, wo es darum geht, inwieweit Jugendliche im Rechtsverkehr - im weitesten Sinne - selbständig handeln können, bringt die Rechtsordnung durch typisierende, nicht auf konkrete Mündigkeit abstellende Regelungen unzweifelhaft ein Allgemeininteresse an Rechtsklarheit und Rechtssicherheit zur Geltung. Hinter den Normen des einfachen Rechts, die rechtliches Können im Rechtsverkehr nicht an konkrete, sondern an typisierte Selbstbestimmungsfähigkeit knüpfen, steht ein Interesse der Allgemeinheit an Offenkundigkeit der Rechtsverhältnisse 471. Gegenüber diesem Interesse kann sich der
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selbstbestimmungsfähige Heranwachsende auf seine Grundrechte berufen, ohne daß man dafür eine Drittwirkung der Grundrechte bemühen muß. Soweit Privatrechtsnormen nicht die Interessen Privater gegeneinander abgrenzen, sondern Privaten zum „Wohl der Allgemeinheit" Opfer zumuten, liegen sie unzweifelhaft im Bereich der unmittelbaren Grundrechtswirkung. Hier wird die Abgrenzung angesprochen, die der Gegenstand der staatsgerichteten Grundrechtsgeltung ist: die Abgrenzung zwischen Individualinteressen und Gemeinschaftsinteressen 472. Notwendige Voraussetzung für die externe Emanzipation des Heranwachsenden ist seine konkrete Selbstbestimmungsfähigkeit. Im Verhältnis zum selbstbestimmungsunfähigen Jugendlichen fordert das - dem Kindesinteresse dienende - Elternrecht seinen Tribut. Im Innen Verhältnis zwischen Eltern und Kind haben für das selbstbestimmungsunfähige Kind seine Eltern zu entscheiden. Dieses Entscheidungsrecht darf nicht dadurch illusorisch gemacht werden, daß man dem selbstbestimmungsunfähigen Minderjährigen eine externe Rechtsmacht gibt, die ihm die Möglichkeit eröffnet, im Außen Verhältnis vollendete Tatsachen zu schaffen und dadurch das elterliche Entscheidungsrecht zu überspielen. Externe Rechtsmacht entgegen den typisierenden Normen des einfachen Rechts kann somit von vornherein nur vom konkret selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden beansprucht werden. Konkrete Selbstbestimmungsfähigkeit, welche die notwendige Bedingung für externe Emanzipation ist, ist aber keine hinreichende Bedingung für diese Emanzipation. Der konkret selbstbestimmungsfähige Jugendliche, der intern entscheidungsbefugt ist, sieht sich im Außen Verhältnis dem Allgemeininteresse an Rechtsklarheit und Rechtssicherheit konfrontiert. Wo Art. 6 Abs. 2 GG einer externen Mündigkeit nicht entgegensteht, dort kann es immer noch dieses Allgemeininteresse fordern, daß trotz konkreter Selbstbestimmungsfähigkeit keine externe Rechtsmacht besteht. Wo allerdings die Verkehrsinteressen die Vorenthaltung externer Rechtsmacht nicht rechtfertigen, die Typisierung also nicht erforderlich ist, dort wird der selbstbestimmungsfähige Heranwachsende durch die typisierende Regelung des einfachen Rechts verfassungswidrig eingeschränkt. Dabei ist es gleichgültig, um welches Grundrecht es sich handelt. Un verhältnismäßige Grundrechtseinschränkungen sind immer verfassungswidrig 473. Wo eine solche Verfassungswidrigkeit anzunehmen ist, dort wird der konkret selbstbe471
So zutreffend Gernhuber § 49 V I 1; Reuter S. 79; Reuter-Säcker NJW 1965, 2037, 2039. 472 Zutreffend Reuter S. 76 ff. Dazu, daß im übrigen - also bei Privatrechtsnormen, die nur Bereichsabgrenzungen zwischen Privatinteressen vornehmen - die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit von Privatrechtsnormen eine Frage nach der Drittwirkung von Grundrechten ist, vgl. oben S. 134 ff. 473 Vgl. statt aller von Münch Vorbemerkung Art. 1-19 RdNr. 55.
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stimmungsfähige Heranwachsende durch Wegfall der verfassungswidrigen Grundrechtseinschränkung extern handlungsfähig. Wo dagegen die Verkehrsinteressen eine typisierende Regelung externer Rechtsmacht zu legitimieren vermögen, dort ist bezüglich der Verfassungsgemäßheit noch nicht das letzte Wort gesprochen. Es besteht dann nämlich immer noch die Möglichkeit, daß die Art und Weise der Typisierung nicht der Verfassung gemäß ist. Eine solche Verfassungswidrigkeit führt indes nicht zu einer externen Rechtsmacht aufgrund konkreter Selbstbestimmungsfähigkeit. Im einzelnen gilt bezüglich der Verfassungsgemäßheit einfachrechtlicher Vorschriften, die externe Rechtsmacht typisierend regeln, folgendes: Jede Typisierung auf grundrechtsrelevantem Gebiet führt denknotwendig zu Grundrechtseinschränkungen, die vor der Verfassung zu legitimieren sind. Probleme der Legitimation tauchen nur dort nicht auf, wo - z.B. bei den strafprozessualen Weigerungsrechten - auf die konkrete Einsichts- und Handlungsfähigkeit abgestellt wird. Eine solche Regelung wird sowohl dem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG gerecht, da das elterliche Entscheidungsrecht gegenüber selbstbestimmungsunfähigen Kindern gesichert ist, als auch den Kindesgrundrechten gerecht, da nur selbstbestimmungsunfähigen Jugendlichen, bei denen von Verfassungs wegen bevormundende Fürsorge am Platz ist, eine selbständige Grundrechtsausübung verwehrt wird. Bei typisierender Zuteilung von externer Rechtsmacht ist dies in beiden Richtungen anders. Mit der Festsetzung einer starren Altersgrenze, die Sachrichtigkeit nur in typischer Form - für den Regelfall - verbürgen kann, wird denknotwendig in Kauf genommen, daß - auf der einen Seite - in Einzelfällen konkret selbstbestimmungsfähige Heranwachsende, bei denen nicht von Verfassungs wegen eine fürsorgerische Bevormundung geboten ist, an einer selbständigen Grundrechtsausübung gehindert werden und daß - auf der anderen Seite - in anderen Einzelfällen konkret selbstbestimmungsunfähige Jugendliche im Widerspruch zu Art. 6 Abs. 2GG eine externe Rechtsmacht erhalten. Das Grundrecht des selbstbestimmungsfähigen Jugendlichen, auf dessen Ausübung sich die typisierende Regelung bezieht, wird eingeschränkt. Außerdem greift diese Regelung notwendigerweise in den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 2 GG ein. Diese Grundrechtseinschränkungen, die mit der Schaffung fester Altersgrenzen logisch zwingend verbunden sind und die vom Gesetzgeber bewußt in Kauf genommen werden, können nur durch das Allgemeininteresse an Offenkundigkeit der Rechtsverhältnisse legitimiert werden. Ob eine solche Legitimation gegeben ist, muß für jede Norm gesondert geprüft werden, die auf grundrechtsrelevantem Gebiet externe Rechtsmacht typisierend verleiht. Läßt es sich nicht feststellen, daß Rechtsklarheits- und Rechtssicherheitsinteressen für das betreffende Gebiet eine Typisierung erforderlich machen, so ist
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die typisierende Norm verfassungswidrig. Weder die Eltern selbstbestimmungsunfähiger Kinder, noch selbstbestimmungsfähige Heranwachsende dürfen in ihren Grundrechten - durch nicht erforderliche Altersgrenzen - unverhältnismäßig eingeschränkt werden. Liegt eine solche UnVerhältnismäßigkeit vor, so führt dies - die typisierende Regelung des einfachen Rechts fällt aufgrund ihrer Verfassungswidrigkeit weg; Altersgrenzen sind nicht erforderlich - zu einer externen Rechtsmacht nach Maßgabe der konkreten Selbstbestimmungsfähigkeit. Erfordern es dagegen die Verkehrsinteressen, daß externe Rechtsmacht an feste Altersgrenzen gebunden wird, so steht damit fest, daß den grundrechtlich geschützten Individualinteressen Allgemeininteressen gegenüberstehen, die nur auf Kosten dieser Individualinteressen zu realisieren sind. Zwar steht damit die Verfassungsmäßigkeit der Typisierung - als solcher - noch nicht endgültig fest, da noch danach zu fragen ist, ob diese Allgemeininteressen in den Vorbehalten der jeweils einschlägigen Grundrechte ihren legitimen Platz finden und ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne gewahrt ist. Es spricht aber alles dafür, daß diese beiden Fragen wohl immer in einem bejahenden Sinne zu beantworten sind, was dann zur Verfassungsmäßigkeit der Typisierung - als solcher - führt. Was die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne angeht, so ist es kaum denkbar, daß die mit einer Typisierung notwendigerweise verbundenen Grundrechtseinschränkungen für die betroffenen Grundrechtsträger unzumutbar sind, wenn Rechtsklarheit und Rechtssicherheit auf einem bestimmten Gebiet eine solche Typisierung fordern. Was die Vorbehalte der jeweils einschlägigen Grundrechte angeht, so werden die Verkehrsinteressen in einer solchen Konstellation so wichtig sein, daß sie sich sogar gegenüber vorbehaltlosen Grundrechten durchsetzen werden. Dies gilt auch dann, wenn man vorbehaltlose Grundrechte nicht so weitgehend einschränkt, „daß sie nicht in Anspruch genommen werden dürfen, wenn dadurch die für den Bestand der Gemeinschaft notwendigen Rechtsgüter gefährdet werden" 474 bzw. daß sie ihre Grenze dort finden, wo vorrangige Interessen der Allgemeinheit verletzt werden 475 , sondern wenn man mit der heute h.M. davon ausgeht, daß die Grenzen vorbehaltloser Grundrechte aus der Verfassung selbst zu bestimmen sind 476 . Legt man letzteres zugrunde, so ist das Menschenbild des Grundgesetzes zu berücksichtigen, das nicht an einer schrankenlosen Persönlichkeit ausgerichtet ist, sondern das den Menschen innerhalb der sozialen Gemeinschaft sieht und eine Gemeinschaftsbindung 474 So früher die ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - vgl. etwa BVerwGE 1, 303, 307 - bis BVerwGE 49, 202, 208. 475 So z.B. Gallwas S. 66 f. 476 BVerfGE 28, 243, 261; 3 0 , 173, 193; 32, 98,107 f.; BVerwGE 49, 202, 208; F. Müller S. 55; Hesse § Ι Ο I I 1; von Münch Vorbemerkung Art. 1-19 RdNr. 57.
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des Individuums anerkennt 477 . Dabei ist zu beachten, daß von der Verfassung anerkannte Gemeinschaftsbindungen nicht nur im Grundrechtsteil, sondern in allen Teilen der Verfassung - insbesondere den Staatszielbestimmungen und den Kompetenznormen des Grundgesetzes - zu finden sind. Eine solche Bindung ist zu bejahen, wenn sie zwingend notwendig ist, um Bestand und Funktion einer „verfassungsrechtlich vorgesehenen Einrichtung" zu bewahren 478 . Hält man sich dies vor Augen, so muß man zu dem Ergebnis kommen, daß sich Verkehrsinteressen, die für ein bestimmtes Gebiet eine Typisierung fordern, wohl immer sogar gegenüber vorbehaltlosen Grundrechten behaupten können. Zum einen wird sich für die Rechtssicherheit das Staatsziel „Rechtsstaat" heranziehen lassen. Zum anderen werden sich bestimmte Gebiete-wie z.B. das Privatrecht - als verfassungsrechtlich vorgesehene Einrichtungen nachweisen lassen, die ohne Typisierung nicht „funktionieren". Die zuletzt angestellten Überlegungen bezogen sich auf die Typisierung „als solche". Aber auch dann, wenn diese vor der Verfassung Bestand hat, bleibt immer noch die Frage, ob die konkrete Typisierung - die spezielle Altersgrenze, die der Gesetzgeber gewählt hat - mit der Verfassung zu vereinbaren ist. Für diese Frage sind die Verkehrsinteressen ohne Belang. Rechtsklarheit und Rechtssicherheit verlangen zwar eine Altersgrenze, sind aber indifferent bezüglich der Frage, welche Altersgrenze zu wählen ist. Offenkundigkeit ist bei jeder Altersgrenze gegeben. Steht fest, daß typisiert werden muß, so steht damit auch fest, daß der Gesetzgeber nicht mehr als eine Lösung finden kann, die für den Regelfall das verwirklicht, was von der Sache her geboten ist. Von der Sache her ist an die Selbstbestimmungsfähigkeit des Jugendlichen anzuknüpfen. Nur für den selbstbestimmungsfähigen Menschen ist Autonomie gefordert. Da eine Altersgrenze aus der Natur der Sache heraus die reale Selbstbestimmungsfähigkeit nicht in allen Fällen richtig treffen kann, kann der Gesetzgeber nur dazu verpflichtet sein, unter Heranziehung der Erfahrungswissenschaften den Zeitpunkt zu bestimmen, für den typischerweise - für die Mehrzahl der Jugendlichen - für die Tätigkeit, für die eine externe Rechtsmacht verliehen wird, die Selbstbestimmungsfähigkeit zu bejahen ist. Daß dem Gesetzgeber extreme Lösungen versagt sind, folgt daraus, daß der Staat sowohl dem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG, als auch den Kindesgrundrechten verpflichtet ist. Würde der Staat - vom Elterngrundrecht ausgehend - einen Zeitpunkt wählen, für den aufgrund erfahrungswissenschaft477
Vgl. BVerfGE 32, 98, 107, 108. Vgl. BVerfGE 28, 243, 260 f.; Schnapp JuS 1978, 729, 735; teilweise kritisch Bleckmann S. 249. 478
6. Die Rechtslage im Außenverhältnis
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licher Erkenntnisse eine konkrete Selbstbestimmungsunfähigkeit Jugendlicher mit Sicherheit auszuschließen ist, so würde ein späterer Zeitpunkt als derjenige gewählt, für den aufgrund dieser Erkenntnisse die Selbstbestimmungsfähigkeit der Mehrzahl der Jugendlichen zu bejahen ist. Dies wäre ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Kindesgrundrechte. Es geht nicht an, einer Mehrzahl von selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden die Selbstbestimmung zu verweigern, weil eine Minderheit von selbstbestimmungsunfähigen Jugendlichen noch des elterlichen Schutzes bedarf. Insoweit gilt dort, wo Selbstbestimmungsfähigkeit für eine Mehrzahl von Fällen typisiert werden muß, denknotwendig etwas anderes als dort, wo im Einzelfall auf konkrete Selbstbestimmungsfähigkeit abzustellen ist. Wo es um letzteres geht, dort ist - zum Schutz des Kindes - eine Entscheidungsbefugnis des Heranwachsenden erst dann zu bejahen, wenn seine Selbstbestimmungsfähigkeit unzweifelhaft ist. Andere Heranwachsende werden davon nicht betroffen. Bei ihnen wird zwar in der gleichen Art und Weise, aber eben in bezug auf ihre individuelle Selbstbestimmungsfähigkeit entschieden. Die typisierende Regelung trifft dagegen in allen Fällen, die ihrem Anwendungsbereich unterfallen, die gleiche Entscheidung bezüglich des Zeitpunktes der Mündigkeit. Diese Entscheidung gilt für verschiedene Jugendliche mit unterschiedlichen Selbstbestimmungsfähigkeiten. Sie werden alle im gleichen Alter emanzipiert. Eine Entscheidung für den Schutz der „Spätentwickler" beeinträchtigt automatisch die Grundrechte der „Normalentwickler". Da der Staat den Grundrechten aller Grundrechtsträger verpflichtet ist, muß dieser Umstand bei der Frage nach der Verhältnismäßigkeit der typisierenden Regelung berücksichtigt werden. Würde der Gesetzgeber von den Kindesgrundrechten ausgehend einen Zeitpunkt wählen, für den aufgrund erfahrungswissenschaftlicher Aussagen eine Selbstbestimmungsfähigkeit Jugendlicher nicht auszuschließen ist, so wäre ein früherer Zeitpunkt als derjenige zu wählen, für den die Selbstbestimmungsfähigkeit der Mehrheit der Jugendlichen zu bejahen ist. Dies wäre ein unverhältnismäßiger Eingriff in das Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG. Eine Mehrheit von selbstbestimmungsunfähigen Kindern, die noch des Schutzes durch die Eltern bedürfen, darf nicht - worauf eine externe Emanzipation hinausläuft - dem elterlichen Entscheidungsrecht entzogen werden, weil eine Minderheit von Heranwachsenden schon die Fähigkeit zur Selbstbestimmung besitzt. Eine Norm, die externe Rechtsmacht typisierend verleiht, ist wegen Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 2 GG verfassungswidrig, wenn sie eine Altersgrenze enthält, für die nach dem heutigen Stand der Erfahrungswissenschaf ten festgestellt werden kann, daß die Mehrzahl der Jugendlichen dieses Alters noch selbstbestimmungsunfähig sind. Eine solche Norm ist wegen Verstoßes gegen das jeweils einschlägige Kindesgrundrecht verfassungswidrig, wenn die Erfah14*
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II. Prozeßführung und das Problem der Grundrechtsmündigkeit
rungswissenschaften die Aussage zulassen, daß die Mehrzahl der Heranwachsenden bereits zu einem Zeitpunkt selbstbestimmungsfähig ist, der unterhalb der Altersgrenze dieser Norm liegt 479 . Es ist also jeweils danach zu fragen, ob den Erfahrungswissenschaften die gesicherte Erkenntnis entnommen werden kann, daß die Altergrenze, welche die typisierende Norm des einfachen Rechts nennt, „falsch" ist, weil die Selbstbestimmungsfähigkeit der Mehrheit der Jugendlichen bezüglich der Tätigkeit, die geregelt ist, früher oder später eintritt. Der Problematik, inwieweit die Erfahrungswissenschaften (Psychologie, Pädagogik, Medizin und Soziologie) heute in der Lage sind, die insoweit an sie gestellten Fragen befriedigend zu beantworten, soll im Rahmen dieser Arbeit nicht näher nachgegangen werden. Es muß allerdings darauf hingewiesen werden, daß bei der Annahme einer Verfassungswidrigkeit aus dem zuletzt erörterten Grund große Vorsicht am Platz ist. Den Erfahrungswissenschaften läßt sich nicht so leicht das eindeutige „Falsch" entnehmen, das für diese Begründung der Verfassungswidrigkeit erforderlich ist. „Bei der Lektüre von soziologischen und psychologischen Arbeiten drängt sich der Eindruck auf, daß auch diese Wissenschaften nicht mit einem gesicherten Bezugssystem von Mündigkeitskriterien und festen Altersstufen aufwarten können" 4 8 0 . Solange sich dieses „Falsch" nicht feststellen läßt, geht es nicht an, das Ermessen des Gesetzgebers durch das Ermessen des Gesetzesanwendenden zu verdrängen. Der rechtspolitische Wunsch nach anderen Lösungen vermag den Vorwurf der Verfassungswidrigkeit nicht zu legitimieren. Sollte einmal eine einfachrechtliche Regelung der Verfassung nicht standhalten, weil sie „falsch" typisiert, so kann dies - im Gegensatz zu einer Verfassungswidrigkeit, die daraus folgt, daß eine Typisierung auf einem Sachgebiet nicht erforderlich ist - nicht dazu führen, daß eine externe Emanzipation nach 479
Kuhn S. 41 ff. und Bleckmann S. 298 f. weisen darauf hin, daß der Gesetzgeber mit Rücksicht auf die Grundrechte die Mündigkeit weder zu spät, noch zu früh ansetzen dürfe. Kuhn meint im übrigen, daß zwischen den Kindesgrundrechten und den Vorschriften des einfachen Rechts, die Rechtsmacht verleihen, kein Widerspruch bestehe, weil die Grundrechte auf die zu ihnen gehörenden Mündigkeitsvorschriften des einfachen Rechts verwiesen, wobei die positivrechtliche Ausgestaltung dieser Mündigkeitsvorschriften dem Regelungsspielraum des Gesetzgebers anheim gegeben sei. Dies ist vom Ansatz her abzulehnen. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß ein selbstbestimmungsfähiger Heranwachsender, der einen Vertrag abschließen will, aber noch nicht 18 Jahre alt ist und ihn deshalb nach der Regelung der §§ 104 ff. BGB nicht selbständig abschließen kann, durch die einfachrechtliche Regelung der Geschäftsfähigkeit in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG eingeschränkt wird. Deshalb muß diese Regelung des einfachen Rechts an dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG gemessen werden. 480 So Schwab JZ 1970 , 745, 748. Vgl. auch Bosch FamRZ 1973, 489 ff.; Beitzke AcP 172, 240 ff. Jeweils mit ausführlichen Hinweisen auf die einschlägigen erfahrungswissenschaftlichen Werke.
7. Die Durchsetzung der Selbstbestimmung
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Maßgabe der konkreten Selbstbestimmungsfähigkeit erfolgt. Da in diesem Fall - anders als im ersten Fall der Verfassungswidrigkeit - der Rechtsverkehr die Typisierung benötigt, kann nur die Verfassungswidrigkeit der „falschen" Typisierung festgestellt und der Gesetzgeber aufgefordert werden, eine verfassungsgemäße Regelung zu schaffen. Im Bereich externer Rechtsmacht kann es somit zu einer Handlungsmacht des konkret selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden, der durch eine Altersgrenze des einfachen Rechts an selbständigem Handeln gehindert wird, nur dann kommen, wenn diese einfachrechtliche Regelung verfassungswidrig ist, weil eine Typisierung nicht erforderlich ist. In allen anderen Fällen bleibt es dabei, daß auch der konkret selbstbestimmungsfähige Jugendliche extern nicht rechtswirksam handeln kann 4 8 1 . Es kann also zu der Konstellation kommen, daß der selbstbestimmungsfähige Heranwachsende zwar intern - gegenüber seinen Eltern - entscheidungsbefugt, extern - im Rechtsverkehr - aber ohne Rechtsmacht ist. In diesem Fall fragt es sich, auf welche Art und Weise die Selbstbestimmung eines solchen Jugendlichen durchgesetzt werden kann.
7. Die Durchsetzung der Selbstbestimmung Abschließend muß noch die Frage geklärt werden, auf welche Art und Weise der konkret selbstbestimmungsfähige Heranwachsende seinen legitimen Selbstbestimmungswillen gegenüber den Eltern durchsetzen kann. Im Prinzip stellt sich diese Frage für alle drei Bereiche, die zur Erörterung anstanden. Sowohl dort, wo es um ausschließlich familieninterne Entscheidungen geht, die kein Außenhandeln des Jugendlichen betreffen, als auch dort, wo Grundrechtsausübung durch schlichtes oder rechtswirksames Handeln im Außenverhältnis zur Diskussion steht, kann es zum Konflikt zwischen dem selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden und den Eltern kommen. Nichtsdestoweniger bedarf es häufig keiner Konfliktlösung in einem rechtlichen Verfahren. Zunächst einmal können sich alle Autonomiekonflikte dadurch erledigen, daß eine der beiden Seiten nachgibt. Geben die Eltern nach, so steht der Selbstbestimmung des Heranwachsenden nichts mehr im Wege. Stellt der Heranwachsende - aus was für Gründen auch immer und sei es nur um des lie481 Sei es, daß die einfachrechtliche Regelung verfassungsgemäß ist. Sei es, daß sie nur „falsch" typisiert. Im zweiten Fall ändert sich erst dann etwas, wenn der Gesetzgeber eine neue Typisierung schafft. Auch dann besteht aber keine externe Rechtsmacht aufgrund konkreter Selbstbestimmungsfähigkeit. Es kann aber - wenn ein Verstoß gegen ein Kindesgrundrecht zu korrigieren ist - dazu kommen, daß der Selbstbestimmungsfähigkeit ein niedrigeres Altershindernis entgegensteht.
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II. Prozeßführung und das Problem der Grundrechtsmündigkeit
ben Friedens willen - sein Autonomiebegehren zurück, so ist für eine staatliche Konfliktregulierung kein Raum mehr. Von einem Selbstbestimmungsrecht kann man auch in der Weise legitimen Gebrauch machen, daß man sich einer Fremdbestimmung fügt. Ferner wird sich bei Streitigkeiten, die sich darauf beziehen, was der Minderjährige im Binnenraum der Familie tun darf, aber auch bei Streit über schlichtes Handeln im externen Bereich wohl kaum einmal die Notwendigkeit ergeben, einen Autonomiekonflikt in einem staatlichen Verfahren mit den Mitteln des Rechts zu lösen. Fügt sich der Heranwachsende nicht und beharren auch die Eltern auf ihrer Position, so besteht bei Konflikten, die rein familieninterner Natur sind oder die sich auf schlichtes Handeln im Außenverhältnis beziehen, die Möglichkeit, daß der Heranwachsende seine Vorstellungen einfach dadurch durchsetzt, daß er das tut, was er will. Damit erledigt sich dann der Autonomiekonflikt. Hat der Minderjährige das Buch gelesen, dessen Lektüre ihm verboten worden war, oder hat er an der Demonstration teilgenommen, an der er nicht teilnehmen sollte, so stellt sich nicht mehr die Frage, ob der Heranwachsende lesen oder demonstrieren darf. In diesem Bereich kann somit nur dann ein Bedürfnis für eine staatliche Konfliktlösung bestehen, wenn es dem selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden nicht gelingt seinen Willen, an dem er festhält, gegen den Willen der ebenfalls nicht nachgebenden Eltern in die Tat umzusetzen. Eine solche Behauptung des Elternwillens wird aber häufig nur durch den Einsatz solcher „Zwangsmittel" möglich sein, die schon dem normalen Anwendungsbereich des § 1666 BGB unterfallen. Für diese Fälle braucht kein besonderes „Autonomieverfahren" gesucht zu werden. Dem Jugendlichen ist schon mit dem normalen Verfahren des § 1666 BGB geholfen, in dessen Rahmen das Vormundschaftsgericht dafür Sorge zu tragen hat, daß Eltern ihren Kindern keinen Schaden zufügen. Es bleibt also nur die Konstellation übrig, daß ein Heranwachsender eine Angelegenheit seines Lebens, für die er schon konkret selbstbestimmungsfähig ist, in einem bestimmten Sinne regeln will, seine Eltern aber aufgrund ihrer faktischen Machtposition ihre entgegenstehende Entscheidung mit einem Mittel durchsetzen, das unter dem Aspekt des § 1666 BGB unbedenklich ist. In diesem Fall und nur in diesem Fall muß man sich - im Bereich der Entscheidungen, die Familieninterna oder schlichtes Außenhandeln des Jugendlichen betreffen - Gedanken darüber machen, wie der Heranwachsende für seine legitime Selbstbestimmung Rechtsschutz erlangen kann. Behält man diesen Fall im Auge, so ist im übrigen der Äußerung zuzustimmen, die für den Bereich der schlichten Lebensführung feststellt, daß sich dort „die Auseinandersetzung von Eigen- und Fremdbestimmung ab einem Alter, in dem physischer Zwang als pädagogisches Mittel ausscheidet, primär in einem rechtstechnisch nicht erfaßten Raum ereignet und sich daher als ein bloß psychologisch-pädagogisches Problem des jeweiligen Kindschaf tsverhält-
7. Die Durchsetzung der Selbstbestimmung
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nisses darstellt" 482 . Eine praktische Relevanz der Verfahrensfrage ist dagegen für den Bereich unzweifelhaft, in dem der selbstbestimmungsfähige Heranwachsende zwar intern gegenüber seinen Eltern zu der Entscheidung befugt ist, ob eine rechtswirksame Handlung im Außenverhältnis vorgenommen werden soll, ihm aber die externe Rechtsmacht fehlt, diese Handlung selbständig vorzunehmen. Beharren hier Eltern und Kind auf ihren konträren Standpunkten, so kann der Heranwachsende, der externe Rechtswirkungen will, diesen Willen nicht durchsetzen, wenn ihm kein Verfahren zur Verfügung steht, in dem er es erreichen kann, daß ihm zwecks Herbeiführung dieser Rechtswirkungen ein Pfleger bestellt wird. Wo externe Rechtsmacht verfassungsgemäß an feste Altersgrenzen geknüpft ist, dort können Personen, die diese Altersgrenzen noch nicht erreicht haben, auch bei bestehender Selbstbestimmungsfähigkeit nichts bewirken. Insoweit sind sie auf die Hilfe eines gesetzlichen Vertreters angewiesen, für dessen Bestellung ein Verfahren benötigt wird. a) § 1666 BGB Es ist naheliegend, zuerst an das Verfahren zu denken, in dem die Entscheidungen gem. § 1666 BGB ergehen. Schließlich geht es darum, Interessen des Kindes zu schützen, und § 1666 BGB ist nun einmal in unserem Recht die zentrale Norm für den Kindesschutz. Zu Beginn der Untersuchung ist gezeigt worden, daß auf der materiellrechtlichen Seite der Begriff des Kindeswohls nicht von vornherein gänzlich ungeeignet ist, den Autonomieaspekt in sich aufzunehmen. Die materiellrechtliche Seite bedarf ebenfalls noch der abschließenden Erörterung. Ist nämlich dem Heranwachsenden - verfahrensmäßig - der Weg zum Richter geebnet, so bleibt noch die Frage, ob der „einfache" Richter das von der Verfassung gebotene Selbstbestimmungsrecht des selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden im Rahmen des geltenden einfachen Rechts berücksichtigen kann. Hier drängt es sich auf, eine verfassungskonforme Auslegung des § 1666 BGB in Erwägung zu ziehen. Somit bietet sich formell und materiell zur Verwirklichung der Selbstbestimmung des selbstbestimmungsfähigen Jugendlichen der Weg über § 1666 BGB an 4 8 3 .
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«2 Schwab JZ 1970, 745, 747. Kuhn hält diesen Weg de lege lata für gangbar. Kuhn erkennt allerdings im Bereich des rechtswirksamen Verhaltens keine Selbstbestimmungsrechte des Heranwachsenden an, weil er insoweit davon ausgeht, daß die Grundrechte auf das einfache Gesetzesrecht verweisen; vgl. oben S. 212. Damit wird einerseits der einschränkende Charakter des einfachen Gesetzesrechts und andererseits verkannt, daß die Versagung externer Rechtsmacht nicht auf das interne Verhältnis zwischen Eltern und Kind zurückzuschlagen braucht. Die Verfassungsmäßigkeit von Normen, die dem Minder483
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II. Prozeßführung und das Problem der Grundrechtsmündigkeit
Dieser Weg ist indes weder formell, noch materiell gangbar. Würde § 1666 BGB für das Selbstbestimmungsanliegen des Heranwachsenden in Anspruch genommen, so würde diese Norm denaturiert. Bei der formellen Seite ist zu beachten, daß das Verfahren, in dem die Entscheidungen gem. § 1666 BGB ergehen, ein Amts verfahren ist. Im Anwendungsbereich des § 1666 BGB überwacht das Vormundschaftsgericht die Eltern von Amts wegen. Insbesondere macht das Vormundschaftsgericht sein Einschreiten nicht davon abhängig, ob das Kind dies wünscht. Eine solche Verfahrensregelung paßt für den Autonomieaspekt nicht. Ein gerichtliches Eingreifen von Amts wegen würde dem Wesen der Autonomie geradezu widersprechen. Solange sich der Heranwachsende nicht selbst mit einem Autonomiebegehren zu Wort meldet, solange muß der Staat davon ausgehen, daß der selbstbestimmungsfähige Heranwachsende, der Meinungsverschiedenheiten mit seinen Eltern hat, von seinem Autonomierecht in der Weise Gebrauch macht, daß er die elterliche Entscheidung nicht - zumindest nicht mit staatlicher Hilfe - angreifen will. Ein Selbstbestimmungsrecht schließt immer das Recht ein, den eigenen Willen zurückzustellen. Außerdem ist es rechtspolitisch nicht wünschenswert und praktisch auch gar nicht zu realisieren, daß das Vormundschaftsgericht von Amts wegen allen Autonomiekonflikten nachgeht, von denen es Kenntnis erlangt. Im Bereich der Autonomie ist somit der Staat nur dann gerufen, wenn sich der Selbstbestimmungswille des Heranwachsenden in einem Rechtsbehauptungswillen manifestiert. Ein Amtsverfahren wird diesem Tatbestand nicht gerecht. Eine Integration des Autonomieaspektes wird auch nicht dadurch möglich, daß man sich in dem alten Streit, ob dem Kind - zumindest ab 14 Jahren - für das Verfahren gem. § 1666 BGB ein Antragsrecht zustehen soll, für ein solches Antragsrecht entscheidet 484 . Die Bejahung eines solchen Antragsrechts jährigen externe Rechtsmacht vorenthalten, besagt nicht, daß keine Selbstbestimmung des Minderjährigen stattfinden kann. Außerhalb des Bereichs rechtswirksamen Verhaltens kommt Kuhn - S. 65 ff. - zu einer weitgehenden Relevanz der Kindesgrundrechte. Alle elterlichen Maßnahmen, die nicht unmittelbar durch die Erziehungs- und Pflegefunktion elterlicher Tätigkeit legitimiert sind, sollen unzulässige Eingriffe in die Kindesgrundrechte darstellen. Die Abwehr solcher Angriffe soll formell und materiell über § 1666 BGB geschehen; S. 119 f. Stöcker ZRP 1974, 211, 213, der bezüglich des selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden zu ähnlich weitgehenden Selbstbestimmungsrechten wie wir kommt (zu den Unterschieden vgl. oben S. 182) und im übrigen zutreffend zwischen Innen- und Außenverhältnis unterscheidet, hält - ohne weitere Begründung - § 1666 BGB de le lege lata nicht für anwendbar. Das geltende Recht soll den Heranwachsenden bei unzulässigen Bevormundungsakten der Eltern darauf verweisen, wegen Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts gegen seine Eltern zu klagen. 484 Gegen ein solches Antragsrecht und damit für eine bloße Anregungsmöglichkeit z.B. : Becker S. 37, 61 ff.; Knöpfel FamRZ 1977, 6 0 0 , 608; Strätz FamRZ 1975, 543; Jansen § 59 FGG RdNr. 12.
7. Die Durchsetzung der Selbstbestimmung
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bedeutet nämlich nur, daß das Vormundschaftsgericht nicht nur von Amts wegen, sondern auch auf Antrag hin tätig werden muß. Die Verfahrenseröffnung durch Antrag tritt neben die Verfahrenseröffnung ex officio. Die Anerkennung eines Antragsrechts des Minderjährigen ändert nichts daran, daß das Vormundschaftsgericht von Amts wegen überwacht und - ohne Rücksicht darauf, ob ein Antrag des Kindes vorliegt - dann eingreift, wenn das Wohl des Kindes Schaden zu nehmen droht. Ein Antragsrecht des Jugendlichen führt nicht zu einem reinen Antragsverfahren. Ein solches Verfahren wäre mit dem Zweck des § 1666 BGB, objektiven Kindesschutz zu gewährleisten, auch unvereinbar. Der Autonomieaspekt erfordert indes gerade ein solches Verfahren. Der Heranwachsende, der Selbstbestimmung begehrt, macht nicht geltend, daß die Eltern in einer Angelegenheit seines Lebens schlecht entscheiden, sondern er moniert, daß die Eltern überhaupt noch für ihn eine Entscheidung treffen. Vor schlechten Entscheidungen, die ihr Wohl gefährden, müssen die Kinder unabhängig davon geschützt werden, ob sie diesen Schutz begehren. Daß die Eltern für das Kind entscheiden, kann nur unter dem Aspekt illegitim sein, daß das selbstbestimmungsfähige Kind eine andere Entscheidung wünscht. Ein Interesse, dem verfahrensmäßig ein reines Antragsverfahren adäquat ist, kann nicht in ein Verfahren integriert werden, das essentiell kein reines Antragsverfahren sein kann. Für die materiellrechtliche Seite, die wegen des Sachzusammenhanges hier gleich mitbehandelt werden soll, gilt im Prinzip dasselbe: § 1666 BGB ist nicht dazu geeignet, der Selbstbestimmung des selbstbestimmungsfähigen Minderjährigen zum Siege zu verhelfen.
Für diese Ansicht läßt sich insbesondere der eindeutige Wille des Gesetzgebers ins Feld führen; vgl. insoweit BT-Drucks. 7/2060 S. 29 und BT-Drucks. 8/2788 S. 37. Für ein förmliches Antragsrecht z.B.: Hinz S. 56; Krüger FamRZ 1956, 329, 334; Franz FamRZ 1964, 571 f.; Lüderitz AcP 178, 265, 296; Dürig in Maunz-Dürig Art. 19 Abs. 3 RdNr. 27; AK-Münder § 1666 RdNr. 43. Für diese Ansicht spricht insbesondere die grundrechtliche Position des Kindes. Wenn das Kind bei objektivem Eltern versagen einen verfassungsrechtlich abgesicherten Anspruch (Art. 6 Abs. 2 S. 2, Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG; vgl. dazu insbesondere BVerfGE 24, 119,144) auf ein - Kindesschutz sicherstellendes - Tätigwerden des Staates hat, so muß das Kind auch die verfahrensrechtliche Möglichkeit haben, diesen Anspruch durchzusetzen. Dies ist bei einem Antragsrecht des Kindes auf jeden Fall gewährleistet. Es ist aber auch denkbar, daß diese Möglichkeit - jedenfalls für Kinder über 14 Jahre - auch bei einem bloßen Anregungsrecht gesichert ist. Dies hängt davon ab, ob das anregende Kind, wenn das Vormundschaftsgericht der Anregung nicht folgt, gem. § 59 FGG Beschwerde einlegen kann. Ist dies zu bejahen, so ist der Streit um das Antragsrecht weitgehend bedeutungslos. Vgl. dazu Lüderitz aaO. und O L G Hamm FamRZ 1974, 29 f. Es ist weiterhin in Erwägung zu ziehen, ob die Figur „bloßer Anregungen" überhaupt noch mit heutigen rechtsstaatlichen Erfordernissen zu vereinbaren ist. Vgl. dazu insbesondere Kollhosser S. 303 ff. Allen diesen Fragen braucht indes hier nicht näher nachgegangen zu werden.
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Zwar ist § 1666 BGB - obwohl historisch nicht dazu bestimmt - nicht von vornherein gänzlich ungeeignet, den Autonomieaspekt in sich aufzunehmen. Der Begriff des Kindeswohls ist gegenüber elterlicher Fremdbestimmung nicht indifferent. Läßt man die Verfassung zunächst einmal aus dem Spiel, so kommt man aber nicht darum herum, daß der erfolgsbezogene § 1666 BGB dies ist das zentrale Merkmal dieser Vorschrift - eine Gefahr für das Kindeswohl verlangt. Es muß - konkret nachweisbar - eine nicht unerhebliche Schädigung des Kindes drohen. Dies hat auch seinen guten Sinn. Von Amts wegen und als Wächter ist der Staat zu einer Einmischung in die interne Beziehung zwischen Eltern und Kind erst dann gerufen, wenn das Kind Schaden zu nehmen droht. In bezug auf die Autonomie läßt sich dies dort mit Sicherheit bejahen, wo Eltern habituell - ständig und andauernd - dem selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden Selbstbestimmung vorenthalten. Dies ist aber nicht der Normalfall des Autonomiekonflikts, in dem es um eine Einzelentscheidung geht, bei der die Vorstellungen von Eltern und Kind einander kontrovers gegenüberstehen. Bei solchen Einzelkonflikten ist der erfolgsbezogene § 1666 BGB nicht das geeignete Vehikel, um die Autonomie des autonomiefähigen Heranwachsenden durchzusetzen. Lassen sich für die Elternentscheidung triftige Gründe des Kindeswohls anführen, so kann - sonst wären die Gründe nicht triftig - dem Kind kein erheblicher Schaden drohen. Liegen solche Gründe vor, so kann dem Umstand, daß gegenüber einem selbstbestimmungsfähigen Menschen Fremdbestimmung geübt wird, keine entscheidende Bedeutung zukommen. Auf der Waagschale des objektiven Kindeswohls wiegen die triftigen Gründe schwerer. Eine Anwendung des § 1666 BGB kann somit erst dann zur Diskussion stehen, wenn sich für die Enternentscheidung keine triftigen Gründe des Kindeswohls finden lassen. Heute neigen - wie am Beispiel der Umgangsregelungen gezeigt (S. 14ff.) - viele dazu, die Voraussetzungen des § 1666 BGB zu bejahen, wenn Eltern einen selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden in einer wichtigen Angelegenheit seines Lebens bevormunden, ohne dies mit triftigen Gründen des Kindeswohls rechtfertigen zu können. So sehr man dem empfindungsmäßig folgen möchte und so sehr es auch - wie inzwischen dargelegt - der Forderung der Verfassung entspricht, den selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden zu emanzipieren, so wenig läßt es sich übersehen, daß dies mit der einfachrechtlichen Regelung des § 1666 BGB nicht zu vereinbaren ist. Es läßt sich nämlich nicht die generelle Feststellung treffen, daß das seelische Wohl eines selbstbestimmungsfähigen Jugendlichen immer dann einen Schaden zu erleiden droht, wenn die Eltern in einem einzelnen Fall diesen Jugendlichen bevormunden, ohne dafür einen triftigen Grund des Kindeswohls zu haben 485 . Unter dem Aspekt der Kindeswohlgefährdung muß vielmehr danach gefragt werden, ob der konkrete Heranwachsende, der von dem Bevormundungsakt betroffen wird, aufgrund 485 Bei neutralem Entscheidungsinhalt. Gefährdet der Entscheidungsinhalt das Wohl des Kindes, so greift § 1666 BGB immer ein.
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seiner individuellen Konstitution Schaden zu nehmen droht. Ein robuster Charakter, der mit Widrigkeiten und Widerständen fertig zu werden weiß, wird in aller Regel durch einen einmaligen Bevormundungsakt keinen Schaden erleiden. Dies zeigt, daß die Vorschrift des § 1666 BGB - von verfassungsrechtlichen Erwägungen unbeeinflußt - nicht in der Lage ist, den Autonomieaspekt in sich zu integrieren. Autonomie ist ein Wert an sich, der unabhängig davon ist, ob derjenige, der autonom zu handeln begehrt, einen robusten oder einen sensibelen Charakter hat. Die Möglichkeit, frei handeln zu können, ist für robuste und sensibele Menschen von gleichem Nutzen. Die Autonomieforderung des selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden, der wie ein normaler Erwachsener vernünftig wertend zu entscheiden vermag, geht dahin, daß sein Wohl nicht heteronom definiert wird, sondern daß er selbst - wie ein Erwachsener - sein Wohl autonom interpretieren kann. Dies Anliegen ist letztlich mit § 1666 BGB unvereinbar, weil diese Norm ein objektives - also heteronom definiertes - Kindeswohl im Auge hat. Da andererseits aber der Freiheitsanspruch des selbstbestimmungsfähigen Jugendlichen vor dem elterlichen Entscheidungsrecht von Verfassungs wegen den Vorrang hat, muß jetzt noch danach gefragt werden, ob das Autonomierecht des Heranwachsenden durch verfassungskonforme Auslegung im Rahmen des § 1666 BGB zur Geltung gebracht werden kann. Dabei geht es hier nicht - wie sonst häufig bei der verfassungskonformen Auslegung - darum, eine Norm durch verfassungskonforme Auslegung vor dem Schicksal der Verfassungswidrigkeit zu retten. Der objektive Kindesschutz, den § 1666 BGB leistet, begegnet keinerlei verfassungsrechtlichen Bedenken. Es ist vielmehr im Gegenteil so, daß dieser Schutz von der Verfassung positiv gefordert wird (Art. 6 Abs. 2 S. 2, Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG). Der Grundsatz der verfassungskonformen Auslegung beschränkt sich aber auch nicht auf die Aussage, daß eine Bestimmung nur dann verfassungswidrig und deshalb ungültig ist, wenn sie nicht in einem Sinne ausgelegt werden kann, der mit der Verfassung vereinbar ist 4 8 6 . Verfassungskonformität ist vielmehr ein allgemeines Auslegungskriterium, das nicht erst beim Verdacht der Verfassungswidrigkeit zum Zuge kommt, sondern das bei jeder Gesetzesauslegung in dem Sinne zu berücksichtigen ist, daß das Gesetz so auszulegen ist, daß die Wertentscheidungen des Grundgesetzes so weit wie möglich realisiert werden 487 . In diesem Sinne ist danach zu fragen, ob § 1666 BGB - als zentrale Vorschrift des Kindesschutzes - nicht doch die Funktion übernehmen kann, neben dem verfassungsrechtlich gebotenen objektiven Kindesschutz auch den - ebenfalls von der Verfassung geforderten - Autonomieschutz zu gewähren.
486 Zu dieser Funktion der verfassungskonformen Auslegung vgl. etwa BVerfGE 9, 197 ff.; 12, 49 ff. 487 Vgl. dazu Larenz Methodenlehre S. 319; Spanner AöR 1966, 503, 507 ff.
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Diese Frage ist zu verneinen. Zunächst einmal ist es schon unter systematischen Gesichtspunkten bedenklich, mit einer Norm zwei Zwecke verfolgen zu wollen, die im Einzelfall in einem direkten Gegensatz zueinander stehen können. Dies ist dann der Fall, wenn der Elternentscheidung triftige Gründe des Kindeswohls zur Seite stehen, während der selbstbestimmungsfähige Heranwachsende eine Entscheidung durchsetzen will, die ihm objektiv schadet. Mag dieser Fall auch äußerst selten sein, weil sich in aller Regel in einem solchen Begehren des Minderjährigen der Umstand manifestieren wird, daß von einer Selbstbestimmungsfähigkeit noch keine Rede sein kann, so ist eine solche Konstellation doch immerhin möglich. Entscheidender ist indes der Gesichtspunkt, daß jede verfassungskonforme Auslegung dort ihre Grenze finden muß, wo sie mit dem Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch gerät 488 . Der Wortlaut des § 1666 BGB nennt als zentrales Merkmal die Kindeswohlgefährdung. Dem Gefährdungsbegriff ist ein Schadensaspekt immanent, der es nicht erlaubt, Autonomie auch demjenigen zu gewähren, der durch die Vorenthaltung von Autonomie nicht geschädigt wird. Für den Gesetzgeber des BGB's hatte § 1666 BGB mit Autonomieschutz nichts zu tun. Der Gesetzgeber des Sorgerechtsgesetzes, der das Eltern-KindVerhältnis neu geordnet und dabei den § 1666 BGB - zu einer vom Verschulden der Eltern unabhängigen Eingriffsnorm - modifiziert hat, hatte es nicht im Sinn, den selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden in dem Sinne zu emanzipieren, der hier zur Diskussion steht. Der Aspekt der Autonomie des Kindes wurde nur in der prozeduralen Vorschrift des § 1626 Abs. 2 BGB aufgegriffen. Aus den Gesetzgebungsmaterialien ergibt es sich eindeutig, daß die Gesetzesverfasser zwar die Eltern bezüglich ihrer Entscheidungen zum Generationendialog verpflichten wollten, daß sie aber keineswegs - unter dem Gesichtspunkt konkreter Selbstbestimmungsfähigkeit Jugendlicher - den Eltern Entscheidungsrechte nehmen wollten 489 .
4
88 BVerfGE 8, 28, 33, 34; 9, 194, 2 0 0 ; 18, 97, 111; 48, 4 0 , 47. Vgl. BT-Drucks. 8/2788 S. 45: „Wo trotz Bemühung ein Einvernehmen nicht zu erzielen ist, werden die Eltern aus ihrer Verantwortung heraus allein entscheiden müssen". BT-Drucks. 8/2788 S. 34; „Auch wenn die Eltern nach Abwägung aller Gesichtspunkte eine Entscheidung gegen den Willen des Kindes treffen, so soll dies im Gespräch geschehen, das gegenseitiges Verständnis erleichtert und Spannungen im Eltern-Kind-Verhältnis vermeiden oder wieder abbauen hilft". Das Sorgerechtsgesetz wird dementsprechend allgemein nicht dahingehend verstanden, daß es Entscheidungskompetenzen für konkret beurteilungsfähige Jugendliche schaffen will. Vgl. etwa: Knöpfel FamRZ 1977, 6 0 0 , 607; Simon JuS 1979, 752 f.; Erman-Ronke § 1626 RdNr. 24; Palandt-Diederichsen § 1626 Anm. 5 a; Erichsen S. 73. 489
7. Die Durchsetzung der Selbstbestimmung
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Die von der Verfassung geforderte Emanzipation des selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden kann somit weder formell, noch materiell mit Hilfe des § 1666 BGB realisiert werden. Formell: der Autonomieaspekt fordert ein reines Antrags verfahren, welches in Diskrepanz zu dem Verfahren steht, das für den unzweifelhaften Anwendungsbereich des § 1666 BGB - den des objektiven Kindesschutzes - erforderlich ist. Materiell: § 1666 BGB vermag auch im Wege einer verfassungskonformen Auslegung den Autonomieaspekt nicht in sich aufzunehmen, weil Wortlaut und eindeutiger Wille des Gesetzgebers dem entgegenstehen490. Aus den zu § 1666 BGB angestellten Überlegungen kann generell der Schluß gezogen werden, daß für die Lösung der Problematik, wie das legitime Selbstbestimmungsinteresse des selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden verfahrensmäßig durchgesetzt werden kann, nur solche Regelungen des einfachen Rechts herangezogen werden können, die nicht am Schutz objektiver - heteronom definierter - Kindesinteressen orientiert sind. Würde man Normen, die eine am Kindeswohl ausgerichtete Fremdbestimmung im Auge haben, zur Realisierung der Selbstbestimmung verwenden, so wäre dies eine Normerschieichung. Die notwendige Rechtsähnlichkeit zu unserer Autonomieproblematik kann nur bei Vorschriften zu finden sein, welche dem Minderjährigen Entscheidungsfreiheit einräumen wollen. b) Analogie zu den §§ 3 Abs. 3 EheG, 1612 Abs. 2 BGB Aus dem zuletzt genannten Grunde ist die im Schrifttum vorgeschlagene Analogie zu den §§ 3 Abs. 3 EheG, 1612 Abs. 2 B G B 4 9 1 abzulehnen. Gem. § 3 Abs. 3 EheG kann der Vormundschaftsrichter auf Antrag des Minderjährigen, der zur Eingehung einer Ehe der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters bedarf, die von diesem Vertreter verweigerte Einwilligung 490
Der Weg über § 1666 BGB wird ebenfalls abgelehnt von Reuter S. 194 f. Vorsichtiger dagegen Schwab JZ 1970, 745, 747: „Gewiß könnte man in der erziehungswidrigen Unterdrückung des Eigenwillens des Kindes einen Mißbrauch des Sorgerechts sehen. Doch sind die Voraussetzungen des vormundschaftsgerichtlichen Eingreifens, insbesondere im Gefährdungsbegriff, derartig kumuliert, daß es zweifelhaft erscheint, ob die Rechtsprechung das Spannungsverhältnis von Eigen- und Fremdbestimmung mit Hilfe dieser Vorschrift adäquat einfangen kann". 491 Vorgeschlagen von H. Krüger FamRZ 1956, 329, 334. H. Krüger faßt die Grundrechtsmündigkeitsproblematik als Grundrechtskollision zwischen Art. 6 Abs. 2 GG und Art. 2 Abs. 1 GG auf, die durch konkrete Interessenabwägung zu lösen ist. Siegt materiellrechtlich bei dieser Abwägung das Selbstbestimmungsrecht des Jugendlichen, so soll dieses verfahrensrechtlich durch einen Antrag analog §§ 3 Abs. 3 EheG, 1612 Abs. 2 S. 2 BGB durchgesetzt werden können. Verfahrensrechtlich werden auch noch - ohne weitere Erläuterung - § 89 Einl. A L R und Art. 19 Abs. 4 GG herangezogen. Darauf wird noch zurückzukommen sein.
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II. Prozeßführung und das Problem der Grundrechtsmündigkeit
ersetzen. Gem. § 1612 Abs. 2 S. 2 BGB kann das Vormundschaftsgericht auf Antrag des Kindes die von den Eltern vorgenommene Bestimmung der Art des Unterhalts ändern. Beide Verfahren weisen gegenüber dem Verfahren des § 1666 BGB den Vorzug auf, daß sie reine Antragsverfahren sind, was dem Autonomieaspekt adäquat ist. Eine Analogie muß aber in beiden Fällen daran scheitern, daß diese Bestimmungen nicht die Intention verfolgen, elterliche Fremdbestimmung durch Selbstbestimmung des Heranwachsenden abzulösen 492 . § 3 Abs. 3 EheG will nicht Selbstbestimmung des Jugendlichen anstelle der elterlichen Fremdbestimmung etablieren. Die Regelung will vielmehr nur in den Fällen Abhilfe schaffen, in denen die Fremdbestimmung mißbräuchlich ausgeübt wird. Gem. § 3 Abs. 3 EheG kann nämlich der Vormundschaftsrichter die verweigerte Einwilligung nur dann ersetzen, wenn der gesetzliche Vertreter für seine Weigerung keine triftigen Gründe geltend machen kann. Die Autonomieforderung des selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden fragt indes nicht nach triftigen Gründen und greift auch die Entscheidungsbefugnis desjenigen an, der mit triftigen Gründen Fremdbestimmung übt. Die Analogie zu § 1612 Abs. 2 S. 2 BGB liegt noch ferner. Bestimmen die Eltern gem. § 1612 Abs. 2 S. 1 BGB gegenüber einem unverheirateten Kind, daß sie ihre Unterhaltsverpflichtung nicht in Form einer Geldrente, sondern durch Naturalunterhalt erfüllen wollen, so machen sie von einem „Wahlrecht" Gebrauch, welches sie als Schuldner des Unterhaltsanspruches des Kindes haben. Sie entscheiden insoweit nicht anstelle des Kindes in einer Kindesangelegenheit, sondern ausschließlich in einer eigenen Angelegenheit. Durch diese Entscheidung können allerdings die Interessen des Kindes - insbesondere diejenigen des volljährigen - erheblich tangiert werden. Darauf beruht das Antragsrecht des Kindes gem. § 1612 Abs. 2 S. 2 BGB. Einen solchen Antrag kann das Kind aber nicht damit begründen, daß es aufgrund seiner konkreten Selbstbestimmungsfähigkeit eine andere Form der Unterhaltsleistung wünsche. Selbstbestimmungsfähigkeit kann zur Entscheidungskompetenz in eigenen, nicht aber in fremden Angelegenheiten führen. Folglich kann das Kind, was auch allgemein anerkannt ist 4 9 3 , seinen Antrag nur darauf stützen, daß sein objektives Wohl eine andere Form der Unterhaltsleistung fordere. Die „besonderen Gründe", aus denen heraus gem. § 1612 Abs. 2 S. 2 BGB das Vormundschaftsgericht auf Antrag des Kindes die Unterhaltsbestimmung der Eltern ändern kann, sind solche Gründe, die sich aus dem wohlverstandenen Interesse des Kindes ergeben. Es geht also wieder um den objektiven Kindesschutz, der zur Durchsetzung der Autonomie nicht herangezogen werden kann. 492
Im Kern ebenso Reuter S. 195 f. Vgl. etwa MünchKomm-Köhler § 1612 RdNr. 17; Erman-Küchenhoff § 1612 RdNr. 4; Palandt-Diederichsen § 1612 Anm. 3. 493
7. Die Durchsetzung der Selbstbestimmung
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c) Analogie zu dem Gesetz über die religiöse Kindererziehung Von Reuter 4 9 4 wird zur Durchsetzung von Selbstbestimmungsrechten des Kindes eine Analogie zu dem Gesetz über die religiöse Kindererziehung vorgeschlagen. Reuter gibt dem Selbstbestimmungsinteresse des konkret einsichts- und handlungsfähigen Jugendlichen, das durch das „personale" Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG geschützt wird, dann den Vorrang vor den Regelungen des einfachen Rechts, wenn für diesen Jugendlichen Gewissensentscheidungen oder lebensgestaltende Entscheidungen anstehen. Diese Emanzipation soll im Innen- und Außenverhältnis gelten. Eine Trennung wird im Bereich des Selbstbestimmungsinteresses nicht vorgenommen. Diese Lösung geht im Außenverhältnis zu weit und im Innenverhältnis nicht weit genug. Im Außenverhältnis kann Typisierung auch dann erforderlich sein, wenn es für den konkret selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden um elementare Lebensfragen geht. So fordern es die Rechtssicherheitsinteressen z.B., daß die §§ 104 ff. BGB zumindest analog - auf die Einwilligungen Minderjähriger in Operationen ohne Ausnahme anzuwenden sind. Es geht nicht an, das Risiko einer falschen Beurteilung der konkreten Einsichtsfähigkeit des Jugendlichen dem „außenstehenden" Arzt aufzubürden. Im Innenverhältnis ist dagegen die Beschränkung der Selbstbestimmung auf elementare Lebensfragen nicht plausibel zu machen. Wer reif genug ist, um Wichtiges zu entscheiden, der muß auch reif genug sein, um Unwichtiges zu entscheiden 495 . Insoweit orientiert sich die Differenzierung von Reuter letztlich gar nicht an dem grundrechtlich geschützten Selbstbestimmungsinteresse, von dem aus es nicht zu rechtfertigen ist, daß man zwar Elementares, nicht aber Unbedeutsames entscheiden darf. Mit dieser Differenzierung wird vielmehr die „Betroffenheit" des Jugendlichen angesprochen. Fremdbestimmung in elementaren Lebensfragen trifft den Minderjährigen, der selbst bestimmen will, härter als eine Fremdbestimmung in unwichtigen Angelegenheiten. Dies ist aber kein Gesichtspunkt der Autonomie, sondern ein solcher, der auf der „Schadensebene" und damit auf der Ebene des objektiven Kindesschutzes liegt. Insgesamt ist der gesamte Gedankengang Reuters, dessen Aussagen punktuell jeweils dort erörtert worden sind, wo sie sachlich hingehörten, ebenso kompliziert wie verfehlt. Zuerst werden sog. funktionale Freiheiten erfunden, welche nicht mehr die Freiheitsträger, sondern nur noch soziale Anliegen schützen. Für diese Anliegen ist es dann gleichgültig, ob der minderjährige Freiheitsträger oder sein gesetzlicher Vertreter über die Ausübung der Freiheit entscheidet. Im Innenverhältnis zu seinen Eltern - im Bereich funktionaler Freiheit wird zwischen Innen- und Außenverhältnis unterschieden - kann der Minderjährige diese Ausübung nicht beeinflussen, weil ihm bis zur Grenze des § 1666 BGB ein Grundrechtsgeltungsverzicht abgefordert wird. 494
S. 196 ff. Insoweit ist der Kritik zuzustimmen, die Gernhuber § 7 I 2 und Dürig in MaunzDürig Art. 19 Abs. 3 RdNr. 26 an Reuter üben. 495
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II. Prozeßführung und das Problem der Grundrechtsmündigkeit
Damit wird dem Minderjährigen zu Unrecht ein weiter Bereich freiheitlicher Betätigung versperrt. Es kann nämlich weder die Rede davon sein, daß es rein funktionale Freiheitsrechte gibt, noch ist im Innenverhältnis zu den Eltern ein Grundrechtsgeltungsverzicht bis zur Grenze des § 1666 BGB anzuerkennen. Alle Freiheitsrechte des Grundgesetzes schützen auch die Freiheit zur Selbstverwirklichung. Im Innenverhältnis zwischen Eltern und Kind halten die Entscheidungsbefugnisse, die das BGB den Eltern gegenüber selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden einräumt, dem Kindesgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG nicht stand. Für den verbleibenden Bereich personaler Freiheit, den Selbstbestimmungsbereich, kommt Reuter, ohne Trennung zwischen Innen- und Außenverhältnis, zu dem o.g. Ergebnis, das teilweise zu weit (Außenverhältnis), teilweise nicht weit genug (Innenverhältnis) geht. Innen- und Außenverhältnis - interne Befugnis und externe Rechtsmacht - werden zu Unrecht als Einheit gesehen. Richtig ist, daß es externe Rechtsmacht ohne interne Entscheidungsbefugnis nicht geben kann. Trotzdem besteht keine Einheit, weil es interne Entscheidungsbefugnis ohne externe Rechtsmacht durchaus geben kann. Siegen im Außenverhältnis die Verkehrsinteressen über die konkrete Selbstbestimmungsfähigkeit, so tut dies der internen Entscheidungsbefugnis des konkret selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden keinen Abbruch. Entgegen dem Konzept Reuters gilt folgendes: Alle grundrechtlich geschützte Freiheit dient - zumindest auch - der Selbstverwirklichung. Diese Freiheit steht Minderjährigen zu. Interne Elternbefugnisse und Regelungen, die externe Rechtsmacht typisierend verleihen, sind als Begrenzungen dieser Freiheit auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu überprüfen. Aufgrund ihres Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG sind selbstbestimmungsfähige Heranwachsende im Verhältnis zu ihren Eltern entscheidungsbefugt. Bezüglich der externen Regelungen gilt, daß jede für sich daraufhin untersucht werden muß, ob ein Allgemeininteresse an Offenkundigkeit der Rechtsverhältnisse die vorgenommene Typisierung externer Rechtsmacht zu rechtfertigen vermag. Ist dies der Fall, so ist der selbstbestimmungsfähige Jugendliche zwar intern entscheidungsbefugt, nicht aber extern handlungsfähig. In diesen Fällen, aber auch in den Fällen, in denen legitime Selbstbestimmung Heranwachsender im reinen Binnenbereich oder im Bereich schlichten Außenhandelns durch tatsächliches Verhalten der Eltern gehindert wird, ist nach der Durchsetzungsmöglichkeit für die Selbstbestimmung zu fragen. Dies geschieht hier. Bezüglich dieser Durchsetzungsmöglichkeit schlägt Reuter, der eine solche dann benötigt, wenn Eltern ihre selbstbestimmungsfähigen Kinder bei Gewissensentscheidungen und lebensgestaltenden Entscheidungen nicht selbständig handeln lassen, eine Analogie zu dem Gesetz über die religiöse Kindererziehung vor. Gem. § 5 S. 2 R K E G kann das K i n d , welches das 12. Lebensjahr vollendet hat, nicht gegen seinen W i l l e n in einem anderen Bekenntnis als bisher erzogen werden. Gem. § 5 S. 1 R K E G kann das K i n d nach V o l l e n d u n g des 14. Lebensjahres selbst darüber entscheiden, zu welchem Bekenntnis es sich halten will. K o m m t es über das religiöse Bekenntnis des Kindes zu Streitigkeiten zwischen E l t e r n und K i n d , so obliegt die Streitentscheidung dem V o r m u n d schaftsgericht, das auf A n t r a g h i n tätig w i r d ( § 7 R K E G ) . A b dem 12. Lebensjahr kann also das K i n d einen von i h m nicht gewollten Bekenntniswechsel verhindern, und ab dem 14. Lebensjahr kann es seine eigenständige Bekenntniswahl durchsetzen. I n beiden Fällen braucht das K i n d nur einen entsprechen-
7. Die Durchsetzung der Selbstbestimmung
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den Antrag beim Vormundschaftsgericht zu stellen. Dies ist - abgesehen von den festen Altersgrenzen - der Autonomieproblematik adäquat. Zum einen handelt es sich um ein reines Antragsverfahren, und zum anderen - und dies ist der entscheidende Unterschied zu den bisher erörterten Vorschriften - ist es Sinn und Zweck dieser Regelung, dem Kind Selbstbestimmung zu ermöglichen. Bleibt das religionsmündige Kind bei seiner Entscheidung, so hat der Vormundschaftsrichter im Streit zwischen Eltern und Kind nicht danach zu entscheiden, was für das Kind objektiv richtig ist, sondern vielmehr die Aufgabe, die Entscheidung des Kindes gegen die Eltern durchzusetzen, die diese Entscheidung zu be- bzw. verhindern versuchen. Gegen eine Analogie zu dem Gesetz über die religiöse Kindererziehung könnte man einwenden, daß dieses Gesetz den Vormundschaftsrichter nicht damit befassen will, der schwierigen Frage der konkreten Einsichtsfähigkeit des Kindes nachzugehen. Dies ist indes in dieser Allgemeinheit nicht richtig. Hat z.B. das Vormundschaftsgericht gem. § 2 Abs. 3 RKEG in einem Elternstreit über die Frage des Bekenntnisses des Kindes zu entscheiden, so ist es nach allgemeiner und richtiger Ansicht für diese Entscheidung das ausschlaggebende Kriterium, daß das Kind keinen Gewissensnöten und seelischen Erschütterungen ausgesetzt wird 4 9 6 . Gewissensnöte und seelische Erschütterungen im Zusammenhang mit Fragen des Bekenntnisses können aber nur dann auftreten, wenn das Kind schon ein religiöses Bewußtsein hat. Dies setzt wiederum notwendig voraus, daß das Kind eine gewisse seelische und geistige Reife besitzt. Ob dies der Fall ist, muß vom Vormundschaftsrichter festgestellt werden. Ohne diese Feststellung kann er die von ihm geforderte Entscheidung nicht treffen. Es kann also nicht gesagt werden, daß es dem Vormundschaftsrichter in Verfahren nach dem Gesetz über die religiöse Kindererziehung generell nicht zugemutet wird, sich mit Fragen der konkreten seelischen und geistigen Reife von Kindern auseinanderzusetzen 497. Nun könnte man aber immer noch einwenden, daß der Umstand, daß für den Vormundschaftsrichter im Elternstreit die konkrete seelische und geistige Reife des Kindes von Relevanz ist, nichts daran ändert, daß bei Streitigkeiten zwischen Eltern und Kind das RKEG die Antragsrechte des Kindes an feste Altersgrenzen bindet, während für die Autonomieproblematik nach einem Antragsrecht gesucht wird, mit dessen Hilfe der konkret selbstbestimmungsfähige Jugendliche - ohne Bindung an ein bestimmtes Alter - sein sich aus Art. 2 Abs. 1 GG ergebendes Entscheidungsrecht verfahrensmäßig durchsetzen kann.
496 Gernhuber § 53 I 7; MünchKomm-Hinz Anhang zu § 1631 RdNr. 5 zu § 2 RKEG; Erman-Ronke § 1631 RdNr. 22; Palandt-Diederichsen Anhang zu § 1631 Anm. 3 zu § 2 RKEG. 497 Zutreffend Reuter S. 197.
15 Reinicke
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II. Prozeßführung und das Problem der Grundrechtsmündigkeit
Diesem Einwand kann man nicht mit Erwägungen entgegentreten, die sich auf das geltende einfache Recht beschränken. Das einfache materielle Recht erkennt im Prinzip eine interne Entscheidungsbefugnis des konkret selbstbestimmungsfähigen Kindes im Verhältnis zu seinen Eltern nicht an. Infolgedessen stellt das einfache formelle Recht auch kein Verfahren zur Verfügung, in dem ein prinzipieller Autonomieanspruch des konkret selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden durchgesetzt werden kann. Deshalb ist im Wege analoger - nicht direkter - Rechtsanwendung nach einem solchen Verfahren zu suchen. Gegenstand der Suche ist - nur dies ist dem Autonomieaspekt adäquat - ein reines Antragsverfahren, das im Dienst der Selbstbestimmung Jugendlicher steht. Das Verfahren, welches das Gesetz über die religiöse Kindererziehung für Streitigkeiten zwischen Eltern und Kind bereitstellt, ist ein solches Verfahren. Ferner ist es so, daß die Ermittlung der konkreten seelischen und geistigen Reife eines Kindes eine Aufgabe ist, die dem Vormundschaftsrichter in Verfahren nach dem R K E G nicht generell fremd ist. Die festen Altersgrenzen, an die das RKEG die Antragsrechte des Kindes knüpft, sind dagegen nur der Ausdruck dessen, daß das geltende einfache Recht im Prinzip die Forderung der Verfassung nicht verwirklicht, die für den konkret selbstbestimmungsfähigen Jugendlichen im Verhältnis zu seinen Eltern Autonomie verlangt. Sucht man Vorschriften, die im Wege der Analogie die Aufgabe erfüllen sollen, für diese Forderung der Verfassung eine verfahrensrechtliche Durchsetzungsmöglichkeit bereitzustellen, und läßt man dann eine - im übrigen mögliche - Analogie an den festen Altersgrenzen der analogiefähigen Norm scheitern, so wird man zwangsläufig ohne Ergebnis bleiben. Man opfert dann das verfassungsrechtliche Gebot dem einfachen Recht auf verfahrensrechtlichem Gebiet auf. Dies geht aber nicht an. Es ergibt keinen Sinn, dem selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden aufgrund der Verfassung im Verhältnis zu seinen Eltern eine Entscheidungskompetenz einzuräumen, ohne ihm verfahrensrechtlich für seine Entscheidung eine Durchsetzungsmöglichkeit zu gewähren. Hier kann auf den alten Rechtsgedanken des § 89 Einl. A L R zurückgegriffen werden, daß demjenigen, dem die Gesetze ein Recht geben, auch die Mittel bewilligt werden müssen, ohne die das Recht nicht ausgeübt werden kann 4 9 8 . Legitimiert wird dieses Vorgehen weiterhin auch noch durch die Vorschrift des Art. 19 Abs. 4 GG. Wenn man - wie hier vertreten - der Ansicht ist, daß die Wertungen der Grundrechte eine unmittelbare Bedeutung für das Verhältnis zwischen Eltern und Kind haben, weil die elterliche „Gewalt" strukturelle Ähnlichkeiten mit der staatlichen Gewalt hat, dann ist es nur konsequent, auf dieses Verhältnis auch die Wertung des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG anzuwen498
Hinweis auf § 89 Einl. A L R bei H. Krüger FamRZ 1956, 329, 334.
7. Die Durchsetzung der Selbstbestimmung
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den 499 . Dem selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden muß, wenn er sich dagegen wehren will, daß seine Eltern sein verfassungsrechtlich geschütztes Selbstbestimmungsrecht nicht respektieren, der Rechtsweg offenstehen. Der Rechtsweg, der dem Minderjährigen offensteht, ist hier - aus den o.g. Gründen - derjenige, daß er analog § 7 RKEG einen Antrag an das Vormundschaftsgericht stellen kann, gegenüber den Eltern die zur Durchsetzung seiner Entscheidung erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Dieses Begehren des Minderjährigen muß dann Erfolg haben, wenn seine Einsichts- und Handlungsfähigkeit bezüglich der Entscheidung, die zwischen ihm und seinen Eltern umstritten ist, unzweifelhaft ist. Ist dies der Fall und handelt es sich um einen reinen Autonomiekonflikt, der bei § 1666 BGB nicht eingeordnet werden kann, so hat das Vormundschaftsgericht gem. Art. l O O Abs. 1 GG das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen. Der nachkonstitutionelle Gesetzgeber des Sorgerechtsgesetzes hat nämlich eindeutig bestätigt (vgl. S. 20ff.), was insoweit auch schon der Wille des Gesetzgebers des BGB's war: die Autonomiefähigkeit des Heranwachsenden führt noch nicht zu seiner Autonomie. Elterliche Fremdbestimmung, die dem Kind nicht schadet, muß der Selbstbestimmung des Kindes nicht deshalb weichen, weil dieses selbstbestimmungsfähig ist. Dies entspricht zwar nicht der Forderung der Verfassung. Es ist aber das geltende einfache Recht. Die immer wieder unternommenen Versuche, außerhalb des § 1666 BGB, der seinerseits den konkret selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden nicht zu emanzipieren vermag, durch immanente Beschränkungen des elterlichen Personensorgerechts Freiräume der Selbstbestimmung für selbstbestimmungsfähige Jugendliche zu schaffen 500 , sind zwar verständlich, widersprechen aber dem BGB. Das Personensorgerecht der Eltern und das daraus folgende elterliche Entscheidungsrecht in den Kindesangelegenheiten bestehen gegenüber dem „minderjährigen Kind" (§ 1626 Abs. 1 BGB) und nicht gegenüber dem „minderjährigen Kind, das selbstbestimmungsunfähig ist". Zur Kontrolle der Elternentscheidungen stehen nur § 1631 a BGB (vgl. S. 176ff.) und § 1666 BGB (vgl. S. l l f f . ) zur Verfügung. Beide Vorschriften ermöglichen es nicht, reine Autonomiekonflikte zugunsten des selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden zu lösen. Das Gesetz täuscht nicht nur eine starre Haltung vor 5 0 1 , sondern es ist starr. Der selbstbestimmungsfähige Jugendliche kann nur - muß aber auch - aufgrund der Verfassung emanzipiert werden. 499
Ein Hinweis auf Art. 19 Abs. 4 GG findet sich - jeweils ohne weitere Begründung - bei H. Krüger aaO und Schwerdtner AcP 173, 227, 248. 500 Vgl. insbesondere Gernhuber § 49 V I 6. 501
15*
Wie Gernhuber § 49 V I 6 meint.
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II. Prozeßführung und das Problem der Grundrechtsmündigkeit
8. Anwendung der zur Grundrechtsmündigkeit entwickelten Grundsätze auf die Prozeßfähigkeit des Zivilprozeßrechts Nach dem hier vertretenen Standpunkt ist der konkret einsichtsfähige Heranwachsende, der - wie ein normaler Erwachsener - die Frage zu beurteilen vermag, ob zum Zwecke der Behauptung seiner privaten Rechte eine Prozeßführung angesagt ist, intern im Verhältnis zu seinen Eltern aufgrund des Art. 2 Abs. 1 GG zu der Entscheidung befugt, ob in seinen Angelegenheiten - mit ihm als Partei - ein Zivilprozeß geführt werden soll. Ist dieser Heranwachsende nicht ausnahmsweise prozeßfähig (§§ 112, 113 BGB, 607, 640 b ZPO), so kann ein von ihm gewünschter Zivilprozeß nach der Regelung des einfachen Rechts (§ 52 ZPO) - wegen der dort statuierten prinzipiellen Prozeßunfähigkeit Minderjähriger und der daraus folgenden Notwendigkeit der gesetzlichen Vertretung - von ihm nicht geführt werden. Prinzipiell fehlt den Minderjährigen nach der Regelung des einfachen Rechts die externe Rechtsmacht, über ihre materiellen Rechte selbständig prozessieren zu können. Der nicht vertretene Minderjährige kann es nicht erreichen, daß sich das Gericht mit den materiellen Rechten beschäftigt, die er behauptet. Im Zusammenhang mit der Grundrechtsmündigkeitsdiskussion ist die Ansicht geäußert worden, daß diese Regelung externer Rechtsmacht den Forderungen der Verfassung nicht gerecht wird 5 0 2 . Von dem hier bei der Grundrechtsmündigkeitsproblematik vertretenen Ansatz aus ist im folgenden danach zu fragen, ob der Jugendliche, bei dem die konkrete Selbstbestimmungsfähigkeit als notwendige Voraussetzung der 502 Vgl. Schwerdtner AcP 173, 227, 248: „Eine gegenständlich begrenzte Verfahrensfähigkeit kraft Verfassungsrechts muß jedoch für die Bereiche gelten, in denen nach der Wertung des Grundgesetzes Aspekte des Schutzes und der Erziehung von dem Grundsatz der Unverfügbarkeit der Persönlichkeit überragt werden. Wo der Minderjährige aus diesem Grunde in seinen Entscheidungen autonom ist, muß er es in gleichem Umfang auch bei der Rechtsverfolgung sein. In diesen Bereichen würde die Bevormundung bei der Rechtsverfolgung in sachlich nicht mehr zu rechtfertigender Weise den Rechtsweg unter Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG erschweren". Materiell will Schwerdtner den Heranwachsenden in dem Bereich emanzipieren, in dem ihm Rechte um seiner Persönlichkeit willen gegeben sind: „Handlungen, wenn sie das Persönlichkeitsrecht des Minderjährigen tangieren, sind von diesem selbst vorzunehmen, sobald die entsprechende Einsichtsfähigkeit vorhanden ist" (S. 245). Schwerdtner trennt in seiner Untersuchung der Grundrechtsmündigkeitsproblematik die verschiedenen Aspekte dieser Problematik (interne Befugnis, externes Können, Eingriffsbefugnis des Staates) nicht. Deshalb werden auch bei der Verleihung prozessualer Befugnisse, die in Kongruenz zu den materiellrechtlichen Befugnissen im Innenverhältnis stehen sollen, die Aspekte der Rechtsklarheit und der Rechtssicherheit in keiner Weise berücksichtigt. Gegen prozessuale Rechtsmacht im Außenverhältnis aufgrund konkreter Einsichtsfähigkeit insbesondere Dürig in Maunz-Dürig Art. 19 Abs. 3 RdNr. 27 und Stöcker ZRP 1974,211,214.
8. Ergebnis für die Prozeßfähigkeit des Zivilprozeßrechts
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externen Emanzipation gegeben ist, durch die Regelung, welche die externe Rechtsmacht der Prozeßfähigkeit typisierend verleiht, in seinen Grundrechten verfassungswidrig eingeschränkt wird. Wäre dies wegen Nichterforderlichkeit der Typisierung prozessualer Rechtsmacht zu bejahen, so könnte der konkret einsichtsfähige Heranwachsende selbständig prozessieren. Bleibt es im Außenverhältnis bei der Typisierung, weil eine solche verfassungsgemäß ist, so kann die interne Entscheidungsbefugnis des konkret selbstbestimmungsfähigen Minderjährigen nur auf dem Wege über ein vormundschaftsgerichtliches Verfahren - zwecks Bestellung eines Prozeßpflegers - nach außen hin „transformiert" werden. Die typisierende Regelung des einfachen formellen Rechts geht dahin, daß materielle Privatrechte, die von Jugendlichen unter 18 Jahren behauptet werden, unabhängig von der konkreten Selbstbestimmungsfähigkeit dieser Jugendlichen rechtsschutzlos bleiben, wenn der gesetzliche Vertreter nicht willens ist, das Rechtsschutzbegehren vor Gericht zu bringen. Minderjährigen wird der Zugang zur Zivilgerichtsbarkeit nicht in der gleichen Weise gewährt wie Erwachsenen. Dies kann nur dann Grundrechte von Minderjährigen verletzen, wenn der Zugang zur Zivilgerichtsbarkeit grundrechtlich abgesichert ist. a) Der Zugang zur Zivilgerichtsbarkeit Hierbei handelt es sich um eine Frage aus dem Problembereich des Justizgewährungsanspruches 503 . 503
Der Justizgewährungsanspruch wird zuweilen auch Justizanspruch genannt. Der Justiz(gewährungs)anspruch ist von dem sog. Rechtsschutzanspruch zu unterscheiden. Der sog. Rechtsschutzanspruch - ursprünglich von Wach ZZP 32, 1 ff. entwickelt, später von der Lehre mehrfach modifiziert und auch heute noch von Mindermeinungen in verschiedenen Modifizierungen vertreten - soll (in seiner ursprünglichen Gestalt) beinhalten, daß eine Partei bei Vorliegen sämtlicher materieller und prozessualer Voraussetzungen gegen den Staat einen Anspruch auf ein ihr günstiges Urteil hat; vgl. etwa Pohle in Stein-Jonas-Pohle, 19. Aufl., Einl. E I 3. Nach a.A. sollen beide Parteien einen Anspruch auf ein richtiges Urteil haben; vgl. etwa Blomeyer § 1 III. Ein Rechtsschutzanspruch ist weder von praktischer Relevanz, noch theoretisch zu begründen. Vgl. dazu insbesondere Schwab ZZP 81, 412 ff.; Rosenberg-Schwab § 3 I I 2; Jauernig § 36. Der sog. Rechtsschutzanspruch kann sich - wie immer man ihn auch definieren mag - nur gegen die Gerichte richten, die in einem Rechtsstreit zu entscheiden haben. Bleibt der Anspruch - nach Erschöpfung des Instanzenweges - unerfüllt, so gibt es keine Stelle, an die der Anspruchsinhaber sich wenden kann. Über die Erfüllung des sog. Rechtsschutzanspruches entscheiden ausschließlich die Anspruchsgegner, ohne daß ihre Entscheidung von einer dritten Seite, die weder Anspruchsinhaber noch Anspruchsgegner ist, kontrolliert werden kann. Die Konstruktion eines solchen Anspruches ist sinnlos. Es sei noch darauf hingewiesen, daß in Literatur und Rechtsprechung gelegentlich von dem Rechtsschutzanspruch die Rede ist, obwohl inhaltlich eindeutig der Justizgewährungsanspruch gemeint ist; so z.B. Bettermann S. 784 und BVerfG NJW 1974, 1079.
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II. Prozeßführung und das Problem der Grundrechtsmündigkeit
Dem Justizmonopol des Staates entspricht als Korrelat die Justizgewährungspflicht des Staates. Der Staat, der dem Bürger nur in einem engen Umfang ein Recht zur Selbsthilfe einräumt (vgl. insbesondere § 229 BGB), muß durch die Gewährung von Rechtsschutz dafür sorgen, daß die materiellen Rechte des Bürgers verwirktlicht werden können, welche dieser im Wege der Selbsthilfe nicht durchsetzen darf. In Erfüllung dieser Justizgewährungspflicht hat der Staat unabhängige Gerichte einzusetzen, ihre Zuständigkeiten gegeneinander abzugrenzen, die Verfahren vor diesen Gerichten zu regeln usw. 504 . Damit ist aber den Interessen des einzelnen Rechtsschutzsuchenden noch nicht Genüge getan. Er wird es dann zwar in vielen Fällen erreichen, daß ein von ihm angegangenes Gericht in seiner Sache tätig wird. Dies ist aber nur eine für ihn günstige Reflexwirkung des objektiven Rechts, in deren Genuß er kommt, weil die Gerichte gemäß den Normen des Prozeßrechts handeln. Der Zugang zum Gericht findet aber nur dort durch eine Reflexwirkung des Prozeßrechts statt, wo dieses einen solchen Zugang gewährt und wo die Richter die Normen dieses Rechts anwenden. Bearbeiten die Richter ein an sie gerichtetes Rechtsschutzbegehren nicht, so wird der Kläger der Reflexwirkung des objektiven Rechts nicht teilhaftig. Es ist auch keine Norm des Prozeßrechts ersichtlich, die dem Rechtsschutzsuchenden in einem solchen Fall helfen könnte. Insbesondere im Hinblick darauf - also auf die Konstellation der richterlichen Justizverweigerung - ist aus der Justizgewährungspflicht des Staates ein öffentlichrechtlicher Justizgewährungsanspruch des einzelnen Rechtsschutzsuchenden abgeleitet worden, der - gegen den Staat gerichtet - den Inhalt hat, daß der Staat dem Rechtsschutzsuchenden gegenüber zur Justizgewährung - zum Tätigwerden in seiner Sache - verpflichtet ist 5 0 5 . Derjenige, der sich an ein Gericht wendet, hat einen Anspruch darauf, daß sein Rechtsschutzbegehren den Gesetzen entsprechend erledigt wird. Der Justizgewährungsanspruch richtet sich aber auch - was, worauf zu Recht aufmerksam gemacht worden ist 5 0 6 , häufig übersehen wird - gegen den Gesetzgeber. Justizverweigerung durch den Staat liegt nicht nur dann vor, wenn der Richter im Einzelfall nicht tätig wird, sondern ist - erst recht - gegeben, wenn der Gesetzgeber für eine Mehrzahl von Fällen keine Normen schafft, die den Zugang zum Gericht ermöglichen. Wo schon die Normen des objektiven Rechts keinen Zugang zum Gericht vorsehen, dort kann ein solcher Zugang noch nicht einmal im Wege der Reflexwirkung vonstatten gehen. Im geltenden einfachen Recht ist durch die Generalklauseln - § 13 GVG und § 4 0 VwGO - gewährleistet, daß auf allen Gebieten der Weg zum Richter offen ist. In Anbetracht dieser Situation hat der gegen den Gesetzgeber gerichtete Justizgewährungsanspruch, was die Gebiete des Rechtsschutzes angeht, nicht mehr die Funk504
Vgl. etwa Baur AcP 153, 393, 396; Rosenberg-Schwab § 3 I; E. Schmidt S. 35 ff. Vgl. etwa B G H Z 17, 113, 120 f.; Baur aaO S. 396 f.; Blomeyer § 1 I I I 1; Rosenberg-Schwab § 3 1 ; Jauernig § 36 11. Baur aaO S. 397. 505
8. Ergebnis für die Prozeßfähigkeit des Zivilprozeßrechts
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tion, die Öffnung von neuen Rechtswegen zu gebieten, sondern vielmehr die Aufgabe, es dem Gesetzgeber zu verbieten, für bestimmte Gebiete den Rechtsschutz wieder abzuschaffen. Der Justizgewährungsanspruch ist, falls dafür nicht schon speziellere Vorschriften des Grundgesetzes herangezogen werden können, spätestens im Rechtsstaatsprinzip (Art. 2 0 Abs. 3 GG) verfassungsrechtlich abgesichert 507 . Mit dem Rechtsstaatsprinzip ist es unvereinbar, materielle Rechte im Streitfall rechtsschutzlos zu lassen und dadurch der Selbsthilfe Vorschub zu leisten. Letzteres widerspricht der Befriedungsfunktion, die dem Rechtsstaat immanent ist 5 0 8 . Ein solcher Rückgriff auf das allgemeine Rechtsstaatsprinzip ist indes in dem Umfang nicht erforderlich, in dem der Justizgewährungsanspruch grundrechtlich abgesichert ist. Die Frage nach einer grundrechtlichen Absicherung ist nicht nur von dogmatischem Interesse. Sie entscheidet vielmehr darüber, ob der Inhaber des Justizgewährungsanspruches bei Verletzung dieses Anspruches - durch Gericht oder Gesetzgeber - Verfassungsbeschwerde erheben kann. Außerdem gilt bei einer grundrechtlichen Absicherung des Justizgewährungsanspruches, daß Einschränkungen dieses Anspruches nach den Grundsätzen über Grundrechtseinschränkungen zu beurteilen sind. Letzteres ist der Aspekt, der im Rahmen dieser Untersuchung von Interesse ist. Wobei das Interesse - es geht um die Verfassungsgemäßheit der Regelung der Prozeßfähigkeit im Zivilprozeßrecht - darauf gerichtet ist, ob der Zugang zur Zivilgerichtsbarkeit grundrechtlich garantiert ist.
Es gibt Aussagen in Rechtsprechung und Literatur, die allem Anschein nach davon ausgehen, daß sich aus Art. 19 Abs. 4 GG ein allgemeiner - alle Gebiete umfassender - Justizgewährungsanspruch ergibt 509 . Art. 19 Abs. 4 GG gewährt indes dem Bürger keinen allgemeinen Justizgewährungsanspruch gegen den Staat. Diese Vorschrift garantiert nur demjenigen den Rechtsweg, der „durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt" wird. Will aber ein Bürger gegen einen anderen Bürger einen Zivilpro507
Zutreffend Bettermann S. 788. 508 Vgl d a z u Lerche ZZP 78, 1,8. Lerche meint allerdings, daß der vom Rechtsstaatsprinzip her gebotene Rechtsschutz nicht notwendigerweise Gerichtsschutz sein müsse. So sei es z.B. zulässig, für bestimmte zivilrechtliche Komplexe - z.B. nachbarrechtlicher Art - den Gerichtsweg auszuschließen, wenn für anderweitigen - monopolartig ausgestalteten - Rechtsschutz gesorgt werde. Diese Argumentation übersieht indes, daß gem. Art. 92 GG die rechtsprechende Gewalt exklusiv den Richtern anvertraut ist. 509 So spricht z.B. BVerwGE 16, 289, 291 generell von einem Justizgewährungsanspruch, „den nicht Art. 103 Abs. 1 GG, sondern Art. 19 Abs. 4 GG regelt." Schwerdtner AcP 173, 227, 248 rechtfertigt seine Verfahrensfähigkeit kraft Verfassungsrechts, die auch im Bereich des Zivilprozesses gelten soll, u.a. mit einem Hinweis auf Art. 19 Abs. 4 GG. Blomeyer § 1 I I I 3 erwägt, ob allgemein ein Grundrecht auf Rechtsschutz anzuerkennen sei, und nennt als ein Argument für ein solches Grundrecht den Art. 19 Abs. 4 GG.
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II. Prozeßführung und das Problem der Grundrechtsmündigkeit
zeß anstrengen, so steht eine Rechtsverletzung durch die öffentliche Gewalt nicht zur Debatte 510 . Ein Justizgewährungsanspruch auf zivilem Gebiet kann auch nicht auf dem Umweg aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG abgeleitet werden, daß derjenige, der auf diesem Gebiet das Opfer richterlicher oder gesetzgeberischer Rechtsverweigerung wird, vor Gericht geltend macht, daß das Gericht, das nicht tätig geworden sei, oder der Gesetzgeber, der den Zugang zum Gericht versperrt habe, als „öffentliche Gewalt" seine Rechte verletzt habe. Dabei kommt es gar nicht darauf an, daß - nach unbestrittener Ansicht - die Rechtsprechung und - nach umstrittener, aber richtiger Meinung - auch die Gesetzgebung nicht zur öffentlichen Gewalt i.S.v. Art. 19 Abs. 4 GG gehören 511 . Eine solche Argumentation ist nämlich nicht mehr als eine petitio principii. Sie setzt bei der Anwendung des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG das voraus, was mit Hilfe dieser Vorschrift bewiesen werden soll: den Justizgewährungsanspruch auf zivilem Gebiet. Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG beinhaltet einen Justizgewährungsanspruch, der eine Rechtsverletzung durch die öffentliche Gewalt voraussetzt. Will eine Privatperson gegen eine andere Privatperson ihre Rechte vor Gericht verfolgen, so öffnet Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG nicht den Zugang zum Gericht. Es ist kein Akt öffentlicher Gewalt ersichtlich, an den angeknüpft werden kann. Ein A k t öffentlicher Gewalt kommt erst dann in das Blickfeld, wenn die Rechtsprechung oder die Gesetzgebung den begehrten Rechtsschutz auf zivilem Gebiet verweigert. Art. 19 Abs. 4 GG kann dann aber den Rechtsweg nur öffnen, wenn diese Rechtverweigerungsakte öffentlicher Gewalt denjenigen, dem Rechtsschutz auf zivilem Gebiet verweigert wird, in seinem Recht verletzen, weil er eben ein Recht auf solchen Rechtsschutz hat. Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG kann in dieser Konstellation denknotwendig nur dann eingreifen, wenn außerhalb des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG ein solcher Justizgewährungsanspruch bereits besteht. Ist das aber der Fall, so ergibt sich dieser Anspruch nicht erst 510 Etwas anderes galt, als wir der Frage nachgingen, ob dem selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden ein Verfahren zur Verfügung steht, um im Innenverhältnis sein Selbstbestimmungsinteresse gegenüber seinen Eltern durchzusetzen. Dort konnten wir deshalb auf die Wertung des Art. 19 Abs. 4 GG rekurrieren, weil wir mit der strukturellen Ähnlichkeit von elterlicher und öffentlicher Gewalt argumentieren konnten. Soweit es aber um den Zivilprozeß geht, den der selbstbestimmungsfähige Heranwachsende im Außenverhältnis führen will, steht keine Rechtsverteidigung gegenüber der übergeordneten „Elterngewalt", sondern eine Rechtsverfolgung gegenüber einem gleichgeordneten Bürger zur Diskussion. Dieses Verhältnis bietet keine Parallele zu der in Art. 19 Abs. 4 GG vorausgesetzten Situation. 511 Es ist nicht die Aufgabe des Art. 19 Abs. 4 GG, die Rechtsprechung gegen die Rechtsprechung zu mobilisieren. Art. 19 Abs. 4 GG hat nicht den Sinn, daß der unabhängige Richter kontrolliert werden soll, sondern will eine Kontrolle durch den unabhängigen Richter sicherstellen. Vgl. statt aller BVerfGE 15, 275, 280 ; 22, 106, l l O . Für die Kontrolle von Gesetzen enthält die Verfassung spezielle Regelungen (vgl. etwa Art. 93, l O O GG), die der Vorschrift des Art. 19 Abs. 4 GG vorgehen. Vgl. dazu BVerfGE 24, 33, 49 ff. Zur Gegenansicht vgl. Herzog in Maunz-Dürig Art. 19 Abs. 4 RdNr. 18.
8. Ergebnis für die Prozeßfähigkeit des Zivilprozeßrechts
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aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG. Ist dies nicht der Fall, so kann auch Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG nicht weiterhelfen. Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG macht keine Aussage über einen Justizgewährungsanspruch in zivilrechtlichen Streitigkeiten. Deshalb ist Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG für einfachrechtliche Normen, die den Zugang zur Zivilrechtgerichtsbarkeit regeln, ohne Belang 512 . Art. 19 Abs. 4 GG besagt vielmehr nur, daß kein A k t der öffentlichen Gewalt - genauer: der Exekutive - der Nachprüfung durch den unabhängigen Richter entzogen werden darf 513 . Schafft der Gesetzgeber Vorschriften, welche die richterliche Kontrolle der Exekutive zum Gegenstand der Regelung haben, so sind diese Normen am Maßstab des Art. 19 Abs. 4 GG zu messen514. Das Bundesverfassungsgericht sieht in der Anordnung des Art. Ι Ο Ι Abs. 1 S. 2 GG, daß niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf, die Grundlage für einen Justizgewährungsanspruch 515. Dem kann nicht gefolgt werden. Der Sinn des Art. Ι Ο Ι Abs. 1 S. 2 GG geht nicht dahin, daß jede Rechtsstreitigkeit ihren Richter finden muß. Art. Ι Ο Ι Abs. 1 GG besagt nur, daß dort, wo ein Richter zu entscheiden hat, nur der „gesetzliche" Richter zur Entscheidung berufen ist. Art. Ι Ο Ι GG will verhindern, daß Gerichtsbestimmung durch staatliche Willkür stattfindet und so auf dem Umweg über die Richterbestimmung staatliche Opportunitätserwägungen die Streitentscheidung im Einzelfall beeinflussen können 516 . Deshalb verbietet Art. Ι Ο Ι Abs. 1 S. 1 GG das Ausnahmegericht, welches - ad hoc oder ad personam 517 gebildet - den Extremfall staatlicher Willkür darstellt. Aus demselben Grund bestimmt - darüber weit hinausgehend - der anschließende Satz 2, daß der Rechtsschutzsuchende einen Anspruch darauf hat, daß sein Rechtsstreit durch den Richter entschieden 512 Zutreffend Bettermann S. 779, 788; Lerche ZZP 78, 1, 6 ff. Im Ergebnis, aber nicht in der Begründung zutreffend Baur AcP 153, 393, 397 f. 513 Vgl. etwa BVerfGE I O , 264, 267; 41, 323, 326; 44, 302, 305. 514 Vgl. etwa BVerfGE 9, 194, 197 ff.; 22, 106, l l O . 515 BVerfGE 3, 359, 364. Dem zustimmend: Maunz in Maunz-Dürig Art. Ι Ο Ι RdNr. 53; Leibholz-Rinck Art. Ι Ο Ι RdNr. 6; Feiber NJW 1975, 2 0 0 5 , 2 0 0 6 . Blomeyer § 1 I I I 3 nennt u.a. auch den Art. Ι Ο Ι Abs. 1 S. 2 GG als Stütze für ein allgemeines Grundrecht auf Rechtsschutz, das er in Erwägung zieht, aber nicht abschließend bejaht. Rosenberg-Schwab § 3 I referiert die Ansicht des Bundesverfassungsgerichts ohne eigene Stellungnahme. Bettermann S. 523, 559 sieht die Heranziehung des Art. Ι Ο Ι Abs. 1 S. 2 GG als verfehlt an. 516 Vgl. etwa BVerfGE 4, 412, 416 f.; BGHSt 11,106, l l O ; 9, 367, 368; Bettermann S. 556. 517 Vgl. dazu Bettermann S. 572.
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wird, dessen Zuständigkeit - im weitesten Sinne - für diesen Rechtsstreit im Vorhinein rechtssatzmäßig, d.h. abstrakt-generell, festgelegt worden ist. Dies besagt aber nichts zu der Frage, ob dem Rechtsschutzsuchenden ein Anspruch auf Justizgewährung zusteht. Daß Justiz dort, wo sie gewährt wird, so zu gewähren ist, daß die Richterbestimmung frei von Willkür ist, macht keine Aussage darüber, wo Justiz zu gewähren ist. Verweigert der Gesetzgeber für ein bestimmtes Sachgebiet den Rechtsschutz, so kann nicht der Vorwurf erhoben werden, daß Richterbestimmung in willkürlicher Form erfolge. Es erfolgt dann nämlich überhaupt keine Richterbestimmung. Dasselbe gilt für den Fall der richterlichen Rechtsverweigerung. Art. 101 GG ordnet an, daß im Einzelfall der Richter tätig wird, der nach den allgemeinen Regelungen der Gesetze und der Geschäftsverteilungspläne der Gerichte für die Entscheidung in diesem Einzelfall vorgesehen ist. Damit staatliche Manipulation nicht möglich ist, darf dieser Richter nicht verdrängt werden. Wo der gesetzliche Richter untätig bleibt, dort kann keine Rede davon sein, daß er verdrängt wird. Fällt der Richter keine Entscheidung, so läßt sich nicht sagen, daß der Staat das Ergebnis einer Entscheidung manipuliert hat. In beiden Fällen - dem des Gesetzgebers und dem des Richters kann der Vorwurf der willkürlichen Rechtsverweigerung erhoben werden. Art. Ι Ο Ι GG beschäftigt sich aber nicht mit ihr, sondern mit der willkürlichen Richterbestimmung. A n dieser Stelle kann auch nicht „a maiore ad minus" argumentiert werden. Art. Ι Ο Ι GG soll verhindern, daß der Staat auf dem Umweg über die Richterbestimmung auf den Inhalt von Streitentscheidungen Einfluß nimmt. Eine solche Einflußnahme liegt aber nicht „erst recht" vor, wenn es zu Streitentscheidungen gar nicht kommt. Der Vorwurf der Justizverweigerung liegt auf einer anderen Ebene als der Vorwurf, daß durch willkürliche Richterbestimmung staatliche Opportunitätserwägungen den Inhalt richterlicher Entscheidungen unzulässig beeinflussen. Dem Art. Ι Ο Ι GG läßt sich somit kein Justizgewährungsanspruch entnehmen 5 1 8 . Ein Justizgewährungsanspruch auf zivilem Gebiet kann aber - soweit es um Rechtsschutz gegen Akte öffentlicher Gewalt geht, ergibt sich der Justizgewährungsanspruch aus Art. 19 Abs. 4 GG - aus Art. 103 Abs. 1 GG abgeleitet werden 519 . 518
Wie hier Bettermann S. 559. So zu Recht Baur AcP 153, 393, 398 ff.; E. Schmidt S. 41 f. Letztlich - wenn auch auf einem überflüssigen Umweg - ebenso Habscheid ZZP 67, 188, 193 ff. Blomeyer § 1 I I I 3 nennt die Regelung des Art. 103 Abs. 1 GG als eine der Grundlagen für das allgemeine Grundrecht auf Rechtsschutz, das er in Erwägung zieht. Gegen eine Heranziehung des Art. 103 Abs. 1 GG: Dürig in Maunz-Dürig Art. 103 RdNr. 88; Lerche ZZP 78, 1, 6 ff.; Kolb S. 59 f.; H. Dahs jun. S. 12 ff. 519
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Art. 103 Abs. 1 GG bestimmt, daß vor Gericht jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör hat. Ob diese Bestimmung einen Justizgewährungsanspruch enthält, hängt davon ab, ob sich ihre Aussage ausschließlich auf schon in Gang gekommene Verfahren bezieht oder ob sie auch den Zugang zum Gericht betrifft. Der Wortlaut des Art. 103 Abs. 1 GG ist keineswegs so eindeutig wie derjenige der Parallelvorschrift des Art. 6 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, die in der Bundesrepublik Deutschland im Rang eines einfachen Bundesgesetzes gilt. Art. 6 E M R K formuliert eindeutig; „Jedermann hat Anspruch darauf, daß seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklagen zu entscheiden hat". Damit ist unzweifelhaft auch der Zugang zum Gericht angesprochen. Es wird vertreten 520 , daß der Wortlaut des Art. 103 Abs. 1 GG ebenfalls in diesem Sinne zu interpretieren sei, weil er nicht auf die Gewährung eines beiderseitigen Gehörs abstelle, was auf ein bereits in Gang befindliches Verfahren hinweisen würde, sondern von einem „Anspruch auf rechtliches Gehör" spreche. Dem kann man entgegenhalten, daß Art. 103 Abs. 1 GG diesen Anspruch nur „vor Gericht" gewährt. Dies kann man zwanglos dahingehend deuten, daß nur derjenige, der bereits „vor Gericht" steht, nicht aber derjenige, der erst „zum Gericht" will, durch diese Vorschrift geschützt werden soll. Der Wortlaut des Art. 103 Abs. 1 GG kann somit sowohl für die eine, als auch für die andere Lösung als Argument angeführt werden. Dem Wortlaut läßt sich kein zwingendes Argument entnehmen. Dasselbe gilt für die Entstehungsgeschichte521. Der Entstehungsgeschichte läßt sich nur entnehmen, daß es dem Verfassungsgeber darum ging, durch Art. 103 Abs. 1 GG Mißbräuche der nationalsozialistischen Vergangenheit für die Zukunft auszuschließen. Es findet sich die Ansicht 5 2 2 , daß daraus folge, daß Art. 103 Abs. 1 GG den Zugang zum Gericht freihalten solle. Zu den Mißbräuchen der NS-Zeit habe es nämlich in erster Linie gehört, daß der Staat den Zugang zum Gericht versperrt habe. Es läßt sich indes den Materialien nicht entnehmen, daß diese - zuletzt genannte - Einschätzung auch diejenige der Väter des Grundgesetzes gewesen ist. Möglicherweise dachten diese auch - etwa unter dem Eindruck der Praktiken des Volksgerichtshofes - in erster Linie an den Strafprozeß, für den es keine Zugangsproblematik gibt. Die Hypostasierung bestimmter Vorstellungen des Verfassungsgebers ist unzulässig. Man kann nur von den Vorstellungen ausgehen, die in den Mate520 521 522
Baur aaO S. 398. Vgl. insoweit von Doemming, Füsslein, Matz JöR 1951 NF 1 S. 741 ff. Baur aaO S. 398, 399.
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rialien zum Grundgesetz zu finden sind. Dort kommt nur die Vorstellung des Verfassungsgebers zum Ausdruck, daß durch Art. 103 Abs. 1 GG den Mißbräuchen der NS-Zeit für die Zukunft der Boden entzogen werden sollte. Daß bei diesen Mißbräuchen - auch oder sogar in erster Linie - an die Justizverweigerung gedacht wurde, hat in den Materialien keinen Niederschlag gefunden. Wo Wortlaut und Entstehungsgeschichte als Kriterien der Auslegung versagen, dort kann nur aufgrund systematischer Zusammenhänge und anhand teleologischer Erwägungen entschieden werden. Was die Systematik angeht, so wird Art. 19 Abs. 4 GG gegen die Ansicht mobilisiert, die Art. 103 Abs. 1 GG nicht nur als Aussage über das Gehör innerhalb eines bereits in Gang befindlichen Verfahrens begreift, sondern über Art. 103 Abs. 1 GG auch den Zugang zum Gericht lückenlos garantieren will. Gerade weil Art. 19 Abs. 4 GG gerichtlichen Schutz nur gegenüber Akten öffentlicher Gewalt garantiere und die zivile Sphäre nicht miteinbeziehe, müsse eine Lücke bleiben und könne es nicht zutreffend sein, die von Art. 19 Abs. 4 GG ausgesparte Sphäre durch Art. 103 Abs. 1 GG zu erfassen 523 . Das systematische Argument, welches das Schweigen des Art. 19 Abs. 4 GG zur zivilen Sphäre als Negativentscheidung gegen einen grundrechtlichen Justizgewährungsanpruch auf zivilem Gebiet wertet, vermöchte nur dann zu überzeugen, wenn dargetan werden könnte, daß der Verfassungsgeber mit der positiven Entscheidung - bezüglich des Rechtsschutzes gegenüber Akten öffentlicher Gewalt - zugleich eine negative Entscheidung - bezüglich eines darüber hinausgehenden Justizgewährungsanspruches - treffen wollte. Dafür gibt es indes in den Materialien der Entstehungsgeschichte keinen Anhaltspunkt 5 2 4 . Läßt sich aber ein solcher Wille nicht feststellen, so geht es nicht an, aus einer Norm, die den Bürger auf einem Gebiet - Justizgewährung gegenüber der öffentlichen Gewalt - schützen will, für den Bürger negative Schlußfolgerungen auf einem anderen Gebiet - Justizgewährung im zivilen Bereich abzuleiten. Eine Vorschrift, die jemanden in einem Punkt begünstigt, kann nur dann dazu herangezogen werden, die Rechtsstellung des Begünstigten in einem anderen Punkt restriktiv auszugestalten, wenn sich ein dahingehender Wille des Gesetzgebers ermitteln läßt. Da sich ein solcher Wille nicht feststellen läßt, nimmt es denn auch nicht wunder, daß - wie bereits dargelegt - andere Autoren den Art. 19 Abs. 4 GG nicht gegen, sondern für einen umfassenden Justizgewährungsanspruch des Bürgers ins Feld führen. Dies ist falsch. Art. 19 Abs. 4 GG enthält keinen allgemeinen, sondern einen speziellen Justizgewährungsanspruch für den Fall, daß es um eine Rechtsverletzung durch die öffentliche Gewalt geht. Aus 523 Lerche aaO S. 7 ff.; Kolb S. 69 f. 524 Vgl. insoweit von Doemming, Füsslein, Matz JöR 1971 NF 1 S. 183 ff.
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diesem Anspruch läßt sich schon rein denkgesetzlich ein Justizgewährungsanspruch auf zivilem Gebiet nicht herleiten (vgl. S. 231 ff.). Die spezielle Garantie des Art. 19 Abs. 4 GG kann aber auch nicht dazu benutzt werden, eine über sie hinausgehende grundrechtliche Garantie abzulehnen. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, daß die spezielle Garantie eine über sie hinausgehende Garantie ausschließen soll. Da somit eine systematische Argumentation ebenfalls keine Aufschlüsse liefert, kann das Problem nur im Wege einer teleologischen Interpretation des Art. 103 Abs. 1 GG gelöst werden. Es ist nach der ratio dieser Vorschrift zu fragen, wobei, um der Gefahr einer petitio principii von vornherein zu entgehen, dieser Fragestellung der unzweifelhafte Fall des Art. 103 Abs. 1 GG also der Fall des bereits in Gang gekommenen Verfahrens - zugrunde zu legen ist. Da das Gericht in aller Regel ohne Anhörung derjenigen Personen, die von dem Verfahren betroffen werden, keine gerechte Entscheidung fällen kann, unterliegt es keinem Zweifel, daß das Gebot des rechtlichen Gehörs eine Unrechtsabwehrtendenz aufweist und insoweit dem Rechtsstaatsprinzip zuzuordnen ist 5 2 5 . Damit ist indes die Grundlage des Art. 103 Abs. 1 GG noch nicht hinreichend erfaßt. Ginge es ausschließlich um die Gewährleistung materieller Gerechtigkeit, so könnte auf die Gewährung von rechtlichem Gehör immer dann verzichtet werden, wenn sie - weil z.B. alle entscheidungsrelevanten Umstände unzweifelhaft sind - für das Ergehen einer richtigen Entscheidung nicht mehr erforderlich ist. Daß eine solche Einschränkung des rechtlichen Gehörs unzulässig ist, es vielmehr geradezu ein Kennzeichen des rechtlichen Gehörs ist, daß es unabhängig von der Erforderlichkeit für die Sachverhaltsfeststellung zu gewähren ist 5 2 6 , zeigt an, daß der tiefere Grund für das Gebot des Art. 103 Abs. 1 GG nicht im Rechtsstaatsprinzip wurzelt. Dieser Grund ist - und dies ist heute nahezu allgemein anerkannt - darin zu sehen, daß die Würde des Menschen, der Betroffener eines gerichtlichen Verfahrens ist, es fordert, „daß über sein Recht nicht kurzerhand von Obrigkeits wegen verfügt wird; der einzelne soll nicht nur Objekt der richterlichen Entscheidung sein, sondern er soll vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Worte kommen .. , " 5 2 7 . Eine Rechtsordnung, die anerkennt, daß der Mensch „Zweck an sich" ist, und die deshalb die Subjektqualität des Men525 Vgl. etwa BVerfGE 1, 332, 347, wo Art. 103 Abs. 1 GG ausschließlich als rechtsstaatlicher Grundsatz gewürdigt wird. 526 Vgl. etwa O L G Stuttgart NJW 1963, 1161; Bärmann § 17 I I I 1. 527 BVerfGE 9, 89, 95. Vgl. auch BVerfGE 7, 53, 57; 7, 275, 279. Zur Ableitung aus dem Würdeanspruch vgl. ferner: Dürig AöR 81, 117, 129; ders. in Maunz-Dürig Art. 103 RdNr. 5; Wintrich S. 18; Brüggemann JR 1969, 361, 362; von Winterfeld NJW 1961, 849, 850; Bärmann § 17 I I I 2 a; Leibholz-Rinck Art. 103 RdNr. 1. Zurückhaltend gegenüber dieser Herleitung: Kollhosser S. 91; Lerche aaO S. 5; Ule D V b L 1959,537, 541.
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sehen respektiert, kann nicht die Gerichte über die Rechte von Menschen entscheiden lassen, ohne daß diese dazu gehört werden. Die Achtung der Menschenwürde ist der Urgrund des Gebots des Art. 103 Abs. 1 GG. Legt man dies bei der Interpretation des Art. 103 Abs. 1 GG zugrunde, so muß man zu dem Ergebnis kommen, daß diese Vorschrift auch einen allgemeinen Justizgewährungsanpruch beinhaltet, der dort bedeutsam wird, wo die Justizgewährung des Art. 19 Abs. 4 GG nicht Platz greift. Um der Würde des Menschen willen ordnet Art. 103 Abs. 1 GG unzweifelhaft an, daß in einem vor Gericht anhängigen Verfahren diejenigen Personen zu hören sind, welche von ihm betroffen werden. Hört das Gericht einen Betroffenen nicht an, so negiert es ihn in einer Art und Weise, die nicht damit zu vereinbaren ist, daß der Staat dazu verpflichtet ist, die Würde des Menschen zu achten (Art. 1 Abs. 1 GG). Eine Negation der Menschenwürde liegt aber auch dann vor, wenn der Staat Rechtsschutzsuchenden den Rechtsschutz verweigert. Der Richter, der im Einzelfall der Behauptung materieller Rechte nicht nachgeht, und der Gesetzgeber, der durch abstrakt-generelle Regelung materielle Rechte rechtsschutzlos stellt, verletzen die Pflicht, welche Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG ihnen auferlegt. Unter dem Aspekt der Menschenwürde ist der Staat, der Rechtsschutzbegehren negiert, genauso zu verurteilen wie der Staat, der auf ein solches Begehren reagiert und ein Verfahren eröffnet, in diesem Verfahren dann aber einen Betroffenen nicht hört 5 2 8 . Der Staat, der es dem einzelnen verbietet, seine materiellen Rechte selbst durchzusetzen, ist dazu verpflichtet, diesem dafür ein Äquivalent zu gewähren. Ein Äquivalent kann nur ein durchsetzbarer Anspruch auf Rechtsschutz sein. Durch einen nicht in Art. 103 Abs. 1 GG verankerten - ζ. B. nur durch das Rechtsstaatsprinzip abgesicherten - Justizgewährungsanspruch auf zivilem Gebiet wird dem Bürger ein solches Äquivalent nicht eingeräumt. Ihm steht dann nämlich kein durchsetzbarer Anspruch zu. Verletzungen des Rechtsstaatsprinzips können nicht mit der Verfassungsbeschwerde gerügt werden. Weiterhin reagiert Art. 19 Abs. 4 GG nicht auf Rechtsverletzungen durch Rechtsprechung und Gesetzgebung (vgl. Fn. 511). Ein - sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebender - Justizgewährungsanspruch auf zivilem Gebiet kann aber denknotwendig nur durch die Rechtsprechung oder die Gesetzgebung verletzt werden. Somit ist eine grundrechtliche Absicherung des Justizgewährungsanspruches durch Art. 103 I GG geboten, die durch die Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde die Durchsetzbarkeit verbürgt.
528 Deshalb ist Nikisch § 2 V darin zuzustimmen, daß der Anspruch auf Rechtsschutz untrennbar mit der staatlichen Anerkennung der Einzelpersönlichkeit verbunden ist. Dieser Gedanke ist allerdings, was Nikisch unterläßt, methodisch dort fruchtbar zu machen, wo das Grundgesetz die Auswirkungen konkretisiert, welche die Anerkennung der Menschenwürde für den Rechtsschutz hat: nämlich in Art. 103 GG.
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D a die staatliche Verpflichtung gegenüber der Menschenwürde, i n welcher der Anspruch auf Justizgewährung wurzelt, für das Gebiet der Rechtspflege i n A r t . 1 0 3 G G grundrechtlich konkretisiert w i r d , ist diese Vorschrift dazu geeignet, den Justizgewährungsanspruch auf zivilem Gebiet - auf öffentlichem Gebiet hilft bereits A r t . 19 A b s . 4 G G - i n sich aufzunehmen. Dies Ergebnis ist teleologisch geboten. I h m können - wie gezeigt - von W o r t l a u t , Entstehungsgeschichte u n d Systematik her keine durchschlagenden Einwände entgegengesetzt werden. D i e letzteren K r i t e r i e n der Auslegung fordern diese Interpretation des A r t . 1 0 3 Abs. 1 G G zwar nicht. Sie stehen ihr aber auch nicht entgegen 5 2 9 .
529 Damit besteht im Ergebnis Übereinstimmung mit Baur aaO und E. Schmidt aaO, die beide - ohne allerdings dem Aspekt des Art. 1 Abs. 1 GG Beachtung zu schenken - den Anspruch auf Justizgewährung, soweit es nicht um Justizgewährung gegen Akte öffentlicher Gewalt geht, dem Art. 103 Abs. 1 GG zuordnen. Baur meint allerdings - zu Unrecht - , dieses Ergebnis schon aus dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte des Art. 103 Abs. 1 GG herleiten zu können. E. Schmidt argumentiert damit, daß es mit dem Rechtsprechungsauftrag der Gerichte nicht zu vereinbaren wäre, wenn zwar die in einem anhängigen Verfahren vorkommenden Verstöße gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs durch eine Verfassungsbeschwerde gerügt werden könnten, dies aber für den sehr viel schwerer wiegenden Verstoß der Justizverweigerung nicht gelten würde. Habscheid aaO meint, daß es einen Justizgewährungsanspruch im eigentlichen Sinne des Wortes nicht geben könne, weil weder die ordentlichen, noch die Verwaltungsgerichte dazu befugt seien, über eine Klage zu entscheiden, die mit dem Antrag erhoben werde, den Staat zur Gewährung von Rechtspflege zu verurteilen. Eine Justizverweigerung verstoße aber gegen die Art. 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 und 103 Abs. 1 GG. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs werde verletzt, wenn der Richter in einer Sache einfach nicht tätig werde. Jede andere Auslegung würde den Art. 103 Abs. 1 GG zu einer inhaltlosen Formalbestimmung herabwürdigen. Sei es durch Rechtsverweigerung zu den genannten Grundrechtsverletzungen gekommen, so könne der Rechtsschutzsuchende im Wege der Verfassungsbeschwerde vorgehen. Ein subjektives Recht im Sinne eines gerichtlich verfolgbaren Anspruches auf Rechtspflege erwachse dem Staatsbürger also erst dann, wenn er durch Justizverweigerung in seinen Grundrechten beeinträchtigt werde. Nur mit dieser Einschränkung könne von einem Justizgewährungsanspruch die Rede sein. In der Sache entspricht dies dem hier vertretenen Standpunkt. Der Unterschied ist terminologischer Natur. Wenn Art. 103 Abs. 1 GG beinhaltet, daß der Richter gegenüber dem Rechtsschutzsuchenden dazu verpflichtet ist, über dessen Rechtsschutzbegehren zu entscheiden, dann spricht nichts dagegen, einen Justizgewährungsanspruch zum Inhalt des Art. 103 Abs. 1 GG zu rechnen. Daß dieser Anspruch gegen den Staat nur dann „eingeklagt" werden kann, wenn der Staat die Justizgewährung verweigert, spricht nicht dagegen, daß dieser Anspruch - unabhängig von der Justizverweigerung - schon vorher besteht. Es besteht keine Notwendigkeit, den Justizgewährungsanspruch - so wie es Habscheid will - erst durch die Justizverweigerung entstehen zu lassen. Eine solche konstruktive Vorstellung ist aber auch unschädlich. Sie verkennt nämlich nicht, daß der Staat wegen Art. 103 Abs. 1 GG umfassend Justiz zu gewähren hat.
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b) Die Regelung der zivilprozessualen Prozeßfähigkeit als Einschränkung des Grundrechts aus Art· 103 Abs. 1 GG A n das Ergebnis, daß Art. 103 Abs. 1 GG den Zugang zum Zivilgericht sichert, muß sich die Frage anschließen, ob die Regelung der zivilprozessualen Prozeßfähigkeit als eine grundrechtseinschränkende Regelung zu qualifizieren ist. Eine Bejahung dieser Frage scheitert nicht daran, daß dem Art. 103 Abs. 1 GG die Grundrechtsqualität abzusprechen ist. Art. 103 Abs. 1 GG ist vielmehr ein echtes Grundrecht 530 . Daß Art. 103 Abs. 1 GG nicht nur eine Norm des objektiven Verfahrensrechts ist, sondern auch - wie für ein Grundrecht erforderlich - ein subjektives Recht gegenüber dem Staat verleiht, kommt schon in dem Wortlaut der Vorschrift, die vor Gericht einen „Anspruch" auf rechtliches Gehör gewährt, eindeutig zum Ausdruck. Die Grundrechtsqualität ergibt sich ferner daraus, daß Art. 103 Abs. 1 GG - wie die anderen Grundrechte auch - den Würdeanspruch des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG) für einen bestimmten Lebensbereich konkretisiert. Gegen diese Einordnung könnte der Einwand erhoben werden, daß Art. 103 Abs. 1 GG nicht im Grundrechtskatalog des Grundgesetzes enthalten ist und daß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG bei den Rechtsverletzungen, die durch Verfassungsbeschwerde gerügt werden können, die Rechte aus den Art. 2 0 Abs. 4, 33, 38, Ι Ο Ι , 103, 104 GG neben den Grundrechten nennt. Dies rechtfertigt es indes nicht, die Grundrechtsqualität des Art. 103 Abs. 1 GG zu verneinen. Die Rechte aus den Art. Ι Ο Ι , 103, 104 GG sind nur wegen des engen Sachzusammenhanges mit der Rechtspflege nicht in den Grundrechtskatalog, sondern in den Abschnitt über die Rechtsprechung aufgenommen worden 531 . Die gesonderte Erwähnung im Rahmen des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG ist nur eine Konsequenz dieses Gesetzesaufbaues und hat ausschließlich klarstellende Bedeutung. Hätte diese Vorschrift diese Rechte nicht ausdrücklich neben den Grundrechten angeführt, so hätte Streit darüber entstehen können, ob eine Verfassungsbeschwerde auch auf die Verletzung dieser Rechte gestützt werden kann, die nicht im Grundrechtskatalog enthalten sind. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG schafft Klarheit darüber, daß dies zu bejahen ist.
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BVerfGE 1, 332, 347; Dürig in Maunz-Dürig Art. 103 RdNr. 8; Leibholz-Rinck Art. 103 RdNr. 1 und 3; BK-Holtkotten Art. 103 Anm. I I 1; Kunig in von Münch Art. 103 RdNr. 1. Verschiedentlich - vgl. etwa Arndt NJW 1959, 6; Röhl NJW 1953, 1531 - ist von einer grundrechtsgleichen Gewährleistung bzw. einem grundrechtsähnlichen Recht die Rede, ohne daß klar wird, ob damit behauptet werden soll, daß der Anspruch auf rechtliches Gehör Merkmale aufweisen soll, die ihn von einem echten Grundrecht unterscheiden. 531 Vgl. Maunz § 29 I V ; Hendrichs in von Münch Art. 19 RdNr. 5.
8. Ergebnis für die Prozeßfähigkeit des Zivilprozeßrechts
241
Seinem materiellen Charakter nach ist der Anspruch auf rechtliches Gehör ein echtes Grundrecht, das der Verfassungsgeber genausogut zum Bestandteil des Grundrechtskatalogs hätte machen können. Daß er dies aus Gründen des Sachzusammenhanges nicht getan hat, vermag an dem materiellen Charakter des Art. 103 Abs. 1 GG nichts zu ändern 532 . Konkret selbstbestimmungsfähige Heranwachsende unter 18 Jahren, die wie Erwachsene vernünftig wertend zu entscheiden vermögen, können es, wenn ihre Eltern eine Prozeßführung ablehnen, im Außen Verhältnis - und nur dieses Außenverhältnis steht hier zur Debatte - nicht bewerkstelligen, daß sich auf ihr Begehren hin ein Gericht ihrer Sache annimmt. Minderjährigen fehlt es an der externen Rechtsmacht, durch ihr Handeln ein Tätigwerden des Gerichts in ihrer Sache herbeiführen zu können. Durch diese Regelung des einfachen Rechts wird das Grundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG eingeschränkt, das jedermann einen Anspruch darauf gibt, daß auf sein Rechtsschutzbegehren hin ein Gericht in seiner Sache tätig wird. Dem kann nicht entgegengehalten werden, daß eine Grundrechtseinschränkung deshalb nicht vorliege, weil die Prozeßfähigkeit eine Zulässigkeitsvoraussetzung sei, deren Fehlen nicht dazu führe, daß das Gericht untätig bleibe. Der Justizgewährungsanspruch soll garantieren, daß materielle Rechte nicht rechtsschutzlos bleiben. Diese ihm zugedachte Aufgabe kann er nicht erfüllen, wenn man Zulässigkeitsvoraussetzungen generell als unbedenklich ansieht, weil das Gericht zur Feststellung der Unzulässigkeit tätig werden muß. Bei der Annahme einer solchen Unbedenklichkeit könnte der Staat den Bürger in beliebigem Umfang rechtsschutzlos stellen. Der Gesetzgeber könnte dann nämlich unter Berufung darauf, daß dies den Justizgewährungsanspruch nicht tangiere, nach seinem Gutdünken Zulässigkeitsvoraussetzungen aufstellen. Das materielle Recht des Bürgers kann aber auch dadurch zum rechtsschutzlosen - zum nicht durchsetzbaren - Recht werden, daß Rechtsschutzbegehren des Bürgers von den Gerichten als unzulässig behandelt werden.
532 Die Bejahung der Grundrechtsqualität löst noch nicht die strittige Frage, ob Art. 19 Abs. 1 GG - Verbot des Individualgesetzes, Zitiergebot - auf Art. 103 Abs. 1 GG anzuwenden ist. Vgl. dazu einerseits BVerfGE 12, 6, 8; 21, 362, 373 und andererseits Hendrichs in von Münch Art. 19 RdNr. 4. Die Beantwortung dieser Frage hängt davon ab, ob man - mit der ganz h. L. - den Art. 19 Abs. 1 GG nur auf die Fälle des echten Gesetzesvorbehaltes anwendet oder ob man - mit einer Mindermeinung - Art. 19 Abs. 1 GG auch dort Platz greifen läßt, wo der Gesetzgeber zur Konkretisierung von Grundrechtsschranken tätig wird, die von der Verfassung selbst gezogen werden. Vgl. dazu Herzog in Maunz-Dürig Art. 19 RdNr. 15 und RdNr. 2 0 . Für uns ist diese Frage ohne Interesse. A n Art. 19 Abs. 1 GG scheitert die Regelung des § 52 ZPO auf keinen Fall. Es handelt sich nicht um ein Einzelfallgesetz. Das Zitiergebot gilt bei nachkonstitutionellen Gesetzen dann nicht, wenn diese eine vorkonstitutionelle Grundrechtsbeschränkung lediglich unverändert oder mit geringen Abweichungen wiederholen. Ständige Rechtsprechung seit BVerfGE 5, 13, 16 und - vgl. die Nachweise bei Herzog in Maunz-Dürig aaO RdNr. 52 - absolut h.M. in der Literatur.
16 Reinicke
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II. Prozeßführung und das Problem der Grundrechtsmündigkeit
Zulässigkeitsvoraussetzungen sind immer unter dem Aspekt zu sehen, daß sie den Justizgewährungsanspruch einschränken können. Daß sie dies nicht tun müssen, liegt auf der Hand. So schränkt z.B. die Regelung der örtlichen Zuständigkeit in der ZPO sicherlich nicht den Justizgewährungsanspruch ein. Der Kläger, dem vor dem örtlich unzuständigen Gericht kein Rechtsschutz gewährt wird, braucht nur vor dem zuständigen Gericht zu klagen, um eine Sachentscheidung über sein Rechtsschutzbegehren zu erlangen. Der Minderjährige, dessen Eltern eine Prozeßführung ablehnen, kann dagegen durch sein Begehren kein Gericht dazu veranlassen, sich mit seiner Sache zu beschäftigen. Eine solche beschränkende Regelung muß sich vor der grundrechtlichen Absicherung des Justizgewährungsanspruches verantworten. Der Justizgewährungsanspruch des einzelnen Bürgers geht dahin, daß er mit seiner Sache vor Gericht gehört wird. Vorschriften, die diesen Zugang einschränken, sind an dieser Zugangsgarantie zu messen. Insoweit kann für die Justizgewährung aufgrund des Art. 103 Abs. 1 GG im Prinzip nichts anderes gelten als für die Justizgewährung aufgrund des Art. 19 Abs. 4 GG, der gegenüber Akten der öffentlichen Gewalt den Zugang zum Gericht garantiert. Bezüglich des Art. 19 Abs. 4 GG hat das Bundesverfassungsgericht zu Recht festgestellt, daß es zwar nicht der Sinn dieser Garantie sei, alle herkömmlichen Grundsätze des Prozeßrechts außer Kraft zu setzen, die rechtlich oder tatsächlich eine Erschwerung des Zugangs zu den Gerichten bewirken; daß aber Prozeßnormen, die den Zugang in einer Weise erschweren würden, die aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigen wäre, mit Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG unvereinbar seien 533 . Ebenso wie Vorschriften, welche die gerichtliche Kontrolle der Exekutive betreffen, den verfassungsrechtlichen Maßstab des Art. 19 Abs. 4 GG zu beachten haben, haben die Bestimmungen, welche den Zugang zur Zivilgerichtsbarkeit regeln, den verfassungsrechtlichen Maßstab des Art. 103 Abs. 1 GG zu respektieren. Damit ist eine Aussage zu dem Verhältnis der Normen des einfachen Prozeßrechts zu der Verfassungs Vorschrift des Art. 103 Abs. 1 GG gemacht, die auf Widerspruch stoßen kann. Da nur wenige Autoren einen Justizgewährungsanpruch auf zivilem Gebiet aus Art. 103 Abs. 1 GG ableiten und diese Autoren den einfachrechtlichen Grenzen dieses Anspruches nicht näher nachgehen 534 , wird die Frage danach, in welchem Verhältnis die Normen des einfachen Prozeßrechts zu Art. 103 Abs. 1 GG stehen, üblicherweise nur für den 533
BVerfGE I O , 264, 267, 268. Nur Baur - aaO S. 4 0 1 - geht kurz auf die Problematik ein, indem er ausführt, daß der Justizgewährungsanspruch „den Zugang zum Gericht, ein Tätigwerden des Gerichts nur unter den Voraussetzungen öffnen will, die die einzelnen Prozeßgesetze festlegen. Nur dort, wo diese dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs nicht ausreichend Rechnung tragen . . . , ergibt sich aus Art. 103 GG ein notfalls im Wege der Verfassungsbeschwerde erzwingbarer Weg zum Gericht, ein Anspruch auf ein Tätigwerden des Gerichts". 534
8. Ergebnis für die Prozeßfähigkeit des Zivilprozeßrechts
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Bereich erörtert, in dem es um das rechtliche Gehör in einem bereits anhängigen Verfahren geht. Diese Erörterungen sind hier mit einzubeziehen, da sich die prinzipielle Frage nach diesem Verhältnis unabhängig davon stellt und auch unabhängig davon zu beantworten ist, ob der Anwendungsbereich des Art. 103 Abs. 1 GG neben dem Gehör im anhängigen Verfahren auch noch den Zugang zum Verfahren umfaßt. Verschiedentlich ist die These vertreten worden, daß das rechtliche Gehör immer nur im Rahmen des geltenden einfachen Verfahrensrechts zu gewähren sei**. Dafür läßt sich folgendes anführen: Das Gebot des rechtlichen Gehörs ist keine Erfindung des Grundgesetzes, sondern vielmehr ein alter Verfahrensgrundsatz rechtsstaatlicher Rechtspflege. Demgemäß tragen die vorkonstitutionellen Verfahrensordnungen diesem Gebot im allgemeinen genügend Rechnung. Das rechtsstaatswidrige Verhalten in der NS-Zeit bestand hauptsächlich darin, daß entgegen dem Buchstaben und dem Geist dieser Verfahrensordnungen rechtliches Gehör nicht gewährt wurde. Art. 103 Abs. 1 GG soll verhindern, daß sich solche Zustände wiederholen. Zu diesem Zweck genügt es aber schon, daß durch eine grundrechtliche Absicherung, welche die Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde eröffnet, dafür gesorgt wird, daß die Bestimmungen eingehalten werden, welche das rechtliche Gehör in den einfachrechtlichen Verfahrensordnungen - unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Sachgesetzlichkeiten der verschiedenen Verfahren - regeln. Art. 103 Abs. 1 GG geht dann davon aus, daß das rechtliche Gehör gemäß diesen - in vielen Fällen vom Verfassungsgeber schon vorgefundenen - Vorschriften gewährt wird, und hat dann lediglich die Funktion, diese speziellen verfahrensrechtlichen Ausformungen des allgemeinen Grundsatzes des rechtlichen Gehörs grundrechtlich abzusichern. Trotz dieser Argumente kann dieser Ansicht nicht gefolgt werden. Zunächst ist der Fall zu bedenken, daß das einfache Recht rechtliches Gehör nicht vorsieht, obwohl die Voraussetzungen des verfassungsrechtlichen Gehörsanspruches vorliegen. Dann kann es keinem Zweifel unterliegen, daß unmittelbar aufgrund des Art. 103 Abs. 1 GG rechtliches Gehör zu gewähren ist 5 3 6 . Dies ergibt sich schlicht daraus, daß der Richter aufgrund des Art. 1
«s BayVerfGH 4, 21, 28; 9, 123, 126; I O , 1, 3; 11, 9 0 , 94; BayObLG FamRZ 1966, 639, 640. Ähnlich K. Peters JZ 1958, 435, nach dessen Ansicht Art. 103 Abs. 1 GG abgesehen von dem Fall, daß das einfache Gesetz das rechtliche Gehör völlig versagt keinen über die vorhandenen gesetzlichen Regelungen hinausgehenden Schutz gewährt. 536 BVerfGE 6, 12, 14 f.; 7, 95, 98; 9, 89, 96; 19, 49, 51; Dürig in Maunz-Dürig Art. 103 RdNr. 23; Baur aaO S. 395; Bärmann § 17 I I I 2 b. 16*
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II. Prozeßführung und das Problem der Grundrechtsmündigkeit
Abs. 3 G G 5 3 7 dazu verpflichtet ist, das Grundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG zu beachten. Aus dieser Bindung des Richters folgt, daß das Gehörsrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG überall dort in das einfache Verfahrensrecht „einströmt", wo in ihm eine Regelung des rechtlichen Gehörs nicht zu finden ist. Der o.g. Ansicht ist aber auch dann nicht zuzustimmen, wenn man sie modifiziert und um den Fall reduziert, daß im einfachen Prozeßrecht eine Gehörsregelung fehlt 538 . Es geht nicht an, überall dort, wo einfachrechtliche Vorschriften rechtliches Gehör regeln, diese Regelungen unbesehen - d . h . ohne Beachtung der Reichweite der verfassungsrechtlichen Anordnung des Art. 103 Abs. 1 GG - anzuwenden. Daß der Anspruch auf rechtliches Gehör nicht im Rahmen der geltenden Verfahrensgesetze besteht, sondern daß - umgekehrt herum diese Verfahrensgesetze am Maßstab des Art. 103 Abs. 1 GG zu messen sind, folgt daraus, daß die Grundrechte nicht nach Maßgabe des einfachen Rechts gelten, sondern daß sich das einfache Recht vor den Grundrechten zu verantworten hat. Gem. Art. 1 Abs. 3 GG ist der einfache Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Verfahrensordnungen an das Grundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG gebunden. Dann kann er aber nicht dazu befugt sein, durch seine Regelungen die Reichweite des Art. 103 Abs. 1 GG zu bestimmen. Hätte er diese Befugnis, so stünde - bis auf den Fall der völligen Versagung - der Anspruch auf rechtliches Gehör zu seiner Dispostion, was mit Art. 1 Abs. 3 GG nicht zu vereinbaren wäre 539 . Das einfache Verfahrensrecht, welches Bezug zu Fragen des rechtlichen Gehörs aufweist, ist somit daraufhin zu überprüfen, ob es mit Art. 103 Abs. 1 GG zu vereinbaren ist. Dabei ist zu beachten, daß von einer Einschränkung des Art. 103 Abs. 1 GG erst dann die Rede sein kann, wenn demjenigen, dem von Verfassungs wegen das Gehörsrecht zusteht, das rechtliche Gehör in einer Art und Weise gewährt wird, die hinter dem verfassungsrechtlich festgelegten Anspruchsinhalt zurückbleibt. Es ist also zunächst - als Frage des Normbereichs des Art. 103 Abs. 1 GG - zu klären, wem der Anspruch aus Art. 103 Abs. 1 GG zusteht und welchen Inhalt dieser Anspruch hat. Für den allgemein anerkannten Bereich des Art. 103 Abs. 1 GG - denjenigen des rechtlichen 537 Daß unter „nachfolgende Grundrechte" nicht nur die im 1. Abschnitt des Grundgesetzes enthaltenen Grundrechte zu subsumieren sind, unterliegt keinem Zweifel. Vgl. etwa Hesse § 9 I; von Münch Art. 1 RdNr. 45. Es ist ausschließlich eine Frage des formalen Gesetzesaufbaues, daß Art. 103 Abs. 1 GG nicht im Grundrechtskatalog steht. Materiell ist Art. 103 Abs. 1 GG ein echtes Grundrecht. Deshalb muß auch die Bindungswirkung des Art. 1 Abs. 3 GG gelten. 538 In dieser Modifizierung wird diese Ansicht von Peters aaO vertreten. 539 In diesem Sinne: Grunsky § 25 I I 2 b; ders. FamRZ 1966, 642; Schlosser S. 172 ff.; Brüggemann JR 1969, 361, 363 ff.; Bärmann aaO; Dürig in Maunz-Dürig Art. 103 RdNr. 23. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 9, 89, 96) hat die Ansicht, daß das Gebot des rechtlichen Gehörs nur im Rahmen des einfachen Verfahrensrechts gelte, mit der Begründung abgelehnt, daß „das geltende Prozeßrecht wie seine Anwendung in der Praxis der Gerichte das rechtliche Gehör zwar weitgehend, aber doch nicht immer in ausreichendem Maße gewährleisten".
8. Ergebnis für die Prozeßfähigkeit des Zivilprozeßrechts
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Gehörs in bereits anhängigen Verfahren - liegen hier die entscheidenden Fragen. Da es unzweifelhaft ist, daß Art. 103 Abs. 1 GG nicht „jedermann" eine Popularberechtigung gewähren kann, sich in Verfahren äußern zu dürfen, die ihn nichts angehen, bereitet insbesondere die Bestimmung des Anspruchsinhabers Schwierigkeiten 540 . Im „traditionellen" Bereich des Art. 103 Abs. 1 GG fällt die Entscheidung - Verfassungswidrigkeit oder Verfassungsgemäßheit - fast immer auf dieser Ebene des Normbereiches. Eine Verfassungsgemäßheit wird in aller Regel damit zu begründen sein, daß der aus Art. 103 Abs. 1 GG folgende Anspruchsinhalt nicht so weit geht wie derjenige behauptet, der sich in seinem Grundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt fühlt, oder sich daraus ergeben, daß der „Beschwerdeführer" von dem Verfahren nicht in der Weise betroffen wird, daß er als Anspruchsberechtigter aus Art. 103 Abs. 1 GG anzusehen ist. Wird dagegen einem Anspruchsberechtigten das Gehör nicht in dem Umfang gewährt, der dem Anspruchsinhalt des Art. 103 Abs. 1 GG entspricht, so wird dies fast immer die Verfassungswidrigkeit konstituieren. Daß legitime Gegeninteressen erst auf dem Wege einer verfassungsgemäßen Grundrechtseinschränkung zur Geltung gebracht werden können, wird äußerst selten sein, weil solche Gegeninteressen schon weitestgehend auf der Ebene des Normbereiches berücksichtigt werden können. „Anspruchsberechtigung" und „Anspruchsinhalt" weisen keine festen Konturen auf und sind deshalb für Interessenabwägungen offen. In dem hier interessierenden Bereich des Art. 103 Abs. 1 GG - demjenigen des Justizgewährungsanspruches - sind dagegen Anspruchsinhaber und Anspruchsinhalt eindeutig fixiert. Anspruchsinhaber ist jedermann, der an das Gericht das Begehren richtet, materielle Rechte, die er behauptet, nicht rechtsschutzlos zu lassen. Der Anspruchsinhalt geht dahin, daß das Gericht in der Sache des Rechtsschutzsuchenden tätig zu werden hat. Im Gegensatz zum „traditionellen" Bereich des Art. 103 Abs. 1 GG liegt somit beim Justizgewährungsanspruch die Problematik nicht bei der Frage des Normbereiches, sondern ausschließlich bei der Frage, inwieweit Art. 103 Abs. 1 GG durch Vorschriften des einfachen Prozeßrechtes eingeschränkt werden kann. Die Antworten, welche Rechtsprechung und Literatur auf diese Frage geben, sind nicht sehr zahlreich, was eben darauf beruht, daß im „traditionellen" Bereich des Art. 103 Abs. 1 GG die Probleme weitestgehend schon auf der Ebene des Normbereichs ihre Erledigung finden. In diesem Bereich vertritt das Bundesverfassungsgericht zu der Frage der Einschränkbarkeit des Gehörsrechts den Standpunkt, daß der Grundsatz des rechtlichen Gehörs „mit anderen, aus der inneren Sachgerechtigkeit der einzelnen Verfahrensarten sich ergebenden Grundsätzen abgestimmt werden 540 Vgl. dazu insbesondere Schlosser S. 164 ff.; M. Wolf JZ 1971, 405 ff.; Grunsky § 25 II.
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II. Prozeßführung und das Problem der Grundrechtsmündigkeit
(muß). A n der Legitimität solcher Gegeninteressen und an der Notwendigkeit, zwischen ihnen und dem Interesse des Betroffenen an seiner Anhörung zu vermitteln, kann die Erhebung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs in ein Grundrecht nichts geändert haben . . . Es kann nicht der Sinn des Art. 103 Abs. 1 GG sein, sorgfältig überlegte Abwägungen zwischen den verschiedenen, in den einzelnen Verfahrensarten zu berücksichtigenden Interessen und darauf beruhende Einschränkungen des rechtlichen Gehörs schlechthin zu beseitigen" 541 . Den weiteren Gründen dieser Entscheidung, in der es um das rechtliche Gehör des Beschuldigten bei der Anordnung der Untersuchungshaft geht, ist zu entnehmen, daß überwiegende Gegeninteressen im Wege einer Güter- und Prinzipienabwägung eine Einschränkung der durch das rechtliche Gehör geschützten Interessen rechtfertigen können. Eine solche Einschränkung soll allerdings nur in dem Umfang zulässig sein, in dem sie unabweislich ist 5 4 2 . Weiterhin soll rechtliches Gehör, das in bestimmten Stadien des Verfahrens hinter legitimen Gegeninteressen zurückzustehen hat, sobald wie möglich nachzuholen sein 543 . Diese Rechtsprechung wird von Teilen der Literatur direkt gebilligt 544 . Bei anderen Autoren finden sich zwar etwas andere Formulierungen, in der Sache werden aber dieselben Einschränkungsmöglichkeiten zugelassen545. Teilweise wird auch etwas einschränkungsfeindlicher nuanciert, indem gesagt wird, daß Art. 103 Abs. 1 GG nur insoweit einschränkbar sei, wie überragende Gemeinschaftsgüter dies erforderten 546 . Auch dies eröffnet aber in der Sache 54
1 BVerfGE 9, 89, 95. BVerfGE aaO S. 105. 543 BVerfGE aaO S. 106, 107. Die aus dem Prinzip des mildesten Mittels abzuleitende Notwendigkeit der Nachholung rechtlichen Gehörs kann in dem Bereich, in dem es um den aus Art. 103 Abs. 1 GG folgenden Justizgewährungsanspruch geht, keine Rolle spielen. In einem Verfahren, das sich über einen Zeitraum erstreckt, muß rechtliches Gehör, dem zu einem Zeitpunkt des Verfahrens überwiegende Gegeninteressen entgegenstehen, dann nachgeholt werden, wenn diese Gegeninteressen nicht mehr von Relevanz sind. Liegt dagegen im Bereich des Justizgewährungsanspruchs eine verfassungsrechtlich zulässige Einschränkung des Zugangs zum Gericht vor, so stellt sich die Frage einer Nachholung nicht. Wird vom Gericht das Rechtsschutzbegehren „abgelehnt", so ist dieses damit erledigt. Das Gericht kann von sich aus nichts mehr nachholen. s 44 Vgl. z.B. Bärmann § 17 I I I 7; Schmidt-Bleibtreu/Klein Art. 103 RdNr. 6; Leibholz-Rinck Art. 103 RdNr. 13. 545 Vgl. etwa Dürig in Maunz-Dürig Art. 103 RdNr. 44, nach dem die Gewährung rechtlichen Gehörs nicht dazu führen darf, „daß gewisse gerichtliche Verfahren in ihrer Eigenart und in ihrem Sinn berührt und verändert werden und ihren legitimen Zweck nicht mehr erreichen können. Art. 103 Abs. 1 GG wirkt also nur unter Wahrung des Systems des Prozeßrechts und der Struktur der einzelnen Verfahrensarten. Deshalb muß Art. 103 Abs. 1 zurücktreten, wenn sich aus dem Zweck und der Besonderheit einzelner Verfahren system- und sachgerecht zwingend Beschränkungen des rechtlichen Gehörs ergeben". Dem zustimmend Brüggemann JR 1969, 361, 369. 546 Hamann AnwBl 1958, 141, 142 f.; wohl auch von Winterfeld NJW 1961, 849, 850. 542
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keine anderen Begrenzungsmöglichkeiten als diejenigen, die das Bundesverfassungsgericht zuläßt. Wegen des hohen Ranges, den das Grundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG angesichts seiner Verankerung im Würdeanspruch des Menschen und im Rechtsstaatsprinzip genießt, können im Wege der Güterund Prinzipienabwägung zwangsläufig nur Interessen von überragender Bedeutung den Vorrang vor Art. 103 Abs. 1 GG gewinnen. Es herrscht also wohl Konsens darüber, daß solche Einschränkungen des rechtlichen Gehörs verfassungsrechtlich zulässig sind, die zum Schutz überragend wichtiger Interessen erforderlich sind, die im Wege der Güter- und Prinzipienabwägung höher zu bewerten sind als die Interessen, die hinter dem Gebot des rechtlichen Gehörs stehen. Daß als solche Gegeninteressen nur verfassungsrechtlich anerkannte Interessen in Betracht kommen, liegt auf der Hand. Dieses Ergebnis wird durchgängig ohne eine Anwendung der Grundsätze über die Einschränkbarkeit vorbehaltloser Grundrechte gewonnen 547 . Eine Heranziehung dieser Grundsätze ist indes erforderlich. Art. 103 Abs. 1 GG ist nämlich ein echtes Grundrecht, dem kein Vorbehalt beigefügt ist. Dies kann nur zu der Konsequenz führen, daß für Regelungen, die in den Schutzbereich des Art. 103 Abs. 1 GG eingreifen, die Grundsätze heranzuziehen sind, die zur Einschränkbarkeit vorbehaltloser Grundrechte entwickelt worden sind. Dies führt indes zu keinem anderen als dem oben dargestellten Ergebnis, bezüglich dessen Konsens besteht. Bei der Problematik der Einschränkung vorbehaltloser Grundrechte 548 ist der engsten Ansicht zu folgen, welche solche Einschränkungen nur dann als verfassungsgemäß ansieht, wenn sie zwingend erforderlich sind, um kollidierende Grundrechte Dritter oder andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtswerte zu schützen. Alle anderen Meinungen - Gemeinschaftsvorbehalt, Mißbrauchsschranke usw. - finden nämlich in der Verfassung keine Stütze. Enthält ein Grundrecht keinen Vorbehalt, so kann dies, da es im strengen Wortsinne schrankenlose Grundrechte schlechterdings nicht geben kann, nur bedeuten, daß die Grenzen dieses Grundrechts aus der Verfassung selbst zu entnehmen sind. Da die verfassungsrechtlich anerkannten Interessen, die eine Einschränkung eines vorbehaltlosen Grundrechts zu legitimieren vermögen, selbstverständlich nicht geringerwertig sein können als die durch dieses Grundrecht geschützten Interessen 549 , läuft diese Betrachtungsweise ebenfalls auf das Ergebnis hinaus, daß nur mit Verfassungsrang ausgestattete Inter547 Auch dort, wo die Frage der Vorbehaltlosigkeit angesprochen wird - vgl. etwa Dürig aaO; Hamann aaO; Brüggemann aaO - , wird nicht auf diese allgemeinen Grundsätze rekurriert. 548 Vgl. dazu oben S. 209. 549 Vgl. etwa BVerfGE 28, 243, 260 f.
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II. Prozeßführung und das Problem der Grundrechtsmündigkeit
essen, die höherwertig als die kollidierenden Interessen sind, welche durch Art. 103 Abs. 1 GG geschützt sind, eine Einschränkung dieses Grundrechts rechtfertigen können. Dieses Ergebnis bedeutet für die hier zu lösende Problematik folgendes: Dem Minderjährigen steht das Grundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG zu. Solange der Jugendliche noch nicht konkret selbstbestimmungsfähig ist, ist dieses Grundrecht verfassungsgemäß eingeschränkt, weil der selbstbestimmungsunfähige Mensch nicht der Freiheit, sondern der bevormundenden Fürsorge bedarf (Art. 1 Abs. 1 S. 2, 3 Abs. 1 GG), welche von Verfassungs wegen (Art. 6 Abs. 2 GG) den Eltern übertragen ist. Da externe Rechtsmacht ohne interne Entscheidungsbefugnis keinen Sinn ergibt, muß die interne Entscheidungsbefugnis der Eltern dazu führen, daß den konkret unmündigen Kindern die externe Rechtsmacht zu versagen ist. § 52 ZPO ist also insoweit eine verfassungsgemäße Einschränkung des Art. 103 Abs. 1 GG als selbstbestimmungsunfähigen Kindern der Zugang zum Gericht versperrt wird, wenn ihre Eltern zur Prozeßführung nicht bereit sind. Konkret selbstbestimmungsfähige Heranwachsende bedürfen dagegen nicht von Verfassungs wegen der Bevormundung. Die in der Typisierung prozessualer Handlungsmacht liegende Einschränkung ihres Grundrechts aus Art. 103 Abs. 1 GG bedarf noch der Rechtfertigung aufgrund der o.g. Kriterien. Diese Rechtfertigung ergibt sich daraus, daß die Rechtssicherheit als mit Verfassungsrang ausgestatteter Rechtswert eine Typisierung der Prozeßfähigkeit fordert. Die Rechtssicherheit ist ein wesentlicher Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips 550 . Einen Rechtsstaat im materiellen Sinne, den das Grundgesetz im Auge hat, kann es ohne Rechtssicherheit nicht geben. Insbesondere ist ein effektiver Rechtsschutz nur dort möglich, wo Rechtssicherheit herrscht. Auf dem Gebiet der Rechtspflege geht die Forderung der Rechtssicherheit dahin, daß das Rechtsfindungsverfahren geregelt verläuft und außerdem dafür gesorgt ist, daß dieses Verfahren einen rechtsbeständigen Abschluß findet 551 . Wo Rechtssicherheitsinteressen bestehen, dort kann nicht auf das nicht offenkundige Kriterium der konkreten Einsichts- und Handlungsfähigkeit abgestellt werden. Dort bedarf es auch keiner langwierigen Abwägung zwischen dem Verkehrsinteresse auf der einen und den Interessen des Jugendlichen auf der anderen Seite. Besteht überhaupt ein Interesse des Verkehrs an Offenkundigkeit, so ist ihm gegenüber den Interessen des Heranwachsenden 550 Vgl. statt aller BVerfGE I O , 264, 267, 268; 35, 41, 47; 41, 323, 326; SchmidtBleibtreu/Klein Art. 2 0 RdNr. 12; Leibholz-Rinck Art. 2 0 RdNr. 26; Hamann-Lenz Art. 2 0 Bern. A 4; Maunz § 11 III. 551 Vgl. etwa BVerfGE 2, 403; Maunz § 11 III.
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der Vorrang einzuräumen. Dies beruht darauf, daß der Rechtsverkehr mit der Autonomieproblematik im Verhältnis zwischen Eltern und Kind nichts zu tun hat. Würden Eltern - idealtypisch - im Bereich rechtswirksamen Handelns immer in Kongruenz mit den Autonomieinteressen ihrer autonomiefähigen Kinder handeln, so bestünde keinerlei Bedürfnis für eine externe Emanzipation des konkret selbstbestimmungsfähigen Jugendlichen. Die Kindesinteressen und das Verkehrsinteresse an einer Altersgrenze stünden dann in keinerlei Gegensatz. Daß dem nicht so ist, Kindesinteressen also dem Verkehrsinteresse konträr gegenüberstehen können, hat seine Ursache nicht in der Sphäre des Rechtsverkehrs, sondern im Eltern-Kind-Verhältnis, in dem Eltern sich nicht idealtypisch verhalten. Deshalb ist dem Rechtsverkehr auch kein Opfer zugunsten der Interessen des Heranwachsenden zuzumuten. „Anspruchsgegner" des konkret selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden, der seine Emanzipation begehrt, sind seine Eltern. Nur die Eltern, nicht aber Dritte, befinden sich auch gegenüber dem Heranwachsenden in einer Rechtsposition, die durch strikte Pflichtbindung gekennzeichnet ist. Sind Rechtssicherheitsgründe vorhanden, so stellt die typisierende Regelung des einfachen Rechts, die dem konkret selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden prozessuale Handlungsmacht vorenthält, keine verfassungswidrige Einschränkung des Grundrechts aus A r t . 103 Abs. 1 G G dar. Die Rechtssicherheit ist ein mit Verfassungsrang ausgestatteter Rechtswert, der den Autonomieinteressen des Heranwachsenden vorgeht. Verlangt dieser Wert es, die Altersreife nach Altersgrenzen und nicht individuell zu bestimmen, so sind die Normen des einfachen Rechts, die diesem Verlangen nachkommen, immer dazu geeignet und auch erforderlich, um den gesetzgeberischen Zweck der Grundrechtseinschränkung - Herstellung von Rechtssicherheit - zu erreichen. Bei der Zumutbarkeit (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne) mutet das Mittel (Typisierung) dem konkret selbstbestimmungsfähigen Jugendlichen insbesondere deshalb kein unzumutbares Opfer zu, weil er auf dem Umweg über das Vormundschaftsgericht sein Begehren nach Autonomie durchzusetzen vermag. Ein schutzwürdiges Interesse an Rechtssicherheit und Rechtsklarheit, das noch zu begründen ist, ist dem Prozeßgegner einer jugendlichen Partei zuzubilligen, wenn es auch nicht so evident ist wie das entsprechende Interesse desjenigen, der mit einem Heranwachsenden einen materiellrechtlichen Vertrag abschließt. Würde sich materiellrechtliche Geschäftsfähigkeit nach individueller Einsichtsfähigkeit richten, so würde der rechtsgeschäftliche Verkehr mit erheblichen Unsicherheiten belastet. Wer einen Vertrag mit einem Heranwachsenden abschließen will, der hat ein legitimes Interesse daran, die Rechtswirksamkeit des rechtsgeschäftlichen Handelns des Heranwachsenden sicher feststellen zu können. Wird die Geschäftsfähigkeit an Altersgrenzen geknüpft, so
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wird diesem Interesse Genüge getan. Der Rechtsverkehr kann sich dann in bezug auf Jugendliche ohne besondere Schwierigkeiten darüber informieren, wie es mit ihrer Fähigkeit zu selbständigem Handeln bestellt ist. Ein Anknüpfen an die konkrete Selbstbestimmungsfähigkeit führt dagegen nicht zu dieser Sicherheit. Da Vertragsabschlüsse in aller Regel nur mit einem flüchtigen Kontakt der Geschäftspartner verbunden sind, ist es demjenigen, der mit einem Heranwachsenden kontrahieren will, nahezu unmöglich, zu einem sicheren Urteil über dessen konkrete Einsichtsfähigkeit zu gelangen. In einer Vielzahl von Fällen würde er auf die Wirksamkeit des Vertrages vertrauen und dann im Nachhinein von dessen Unwirksamkeit überrascht werden. Schließlich ist es bei einem flüchtigen Kontakt nicht so schwierig, den Anschein konkreter Einsichtsfähigkeit zu erwecken. Weiterhin würde die Wirksamkeit eines Vertrages häufig zweifelhaft sein. Die Klärung dieser Zweifel wäre mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, da ex post festgestellt werden müßte, wie es mit der Einsichtsfähigkeit im Augenblick des Vertragsabschlusses bestellt war. A l l dies ist mit den Interessen Dritter, die im rechtsgeschäftlichen Verkehr Jugendlichen gegenüberstehen, nicht vereinbar. Der rechtsgeschäftliche Verkehr verlangt für die materiellrechtliche Geschäftsfähigkeit ein klares und offenkundiges Kriterium. Die konkrete Einsichtsfähigkeit des Heranwachsenden wird dieser Forderung nicht gerecht. Es liegt nahe, daß dieses Ergebnis auch für die Prozeßfähigkeit gilt, die nichts anderes als das prozessuale Gegenstück der materiellrechtlichen Geschäftsfähigkeit ist. Eine Gleichschaltung von materiellrechtlicher Gestaltungsmöglichkeit und prozessualer Durchsetzungsmöglichkeit ist nur dort fehl am Platze, wo ihr Sachgesetzlichkeiten des Prozesses entgegenstehen. Beim Vertragsschluß des materiellen Rechts stehen sich zwei Privatpersonen flüchtig gegenüber, was eine sichere Beurteilung der konkreten Selbstbestimmungsfähigkeit nahezu unmöglich macht. Im Prozeß steht dagegen mit dem Gericht eine neutrale Instanz zur Verfügung, die von Amts wegen dazu verpflichtet ist, das Vorliegen der Prozeßfähigkeit zu prüfen. Wäre bei der Prozeßfähigkeit auf die konkrete Einsichtsfähigkeit abzustellen, so bräuchte der Prozeßgegner erst dann mit dem Heranwachsenden zur Sache zu verhandeln, wenn das Gericht zuvor dessen konkrete Selbstbestimmungsfähigkeit festgestellt hätte. Diese Abweichung verbietet es, das bei der Geschäftsfähigkeit gewonnene Ergebnis schematisch auf die Prozeßfähigkeit zu übertragen. Nichtsdestoweniger fordern es die Interessen des Prozeßgegners der jugendlichen Partei, die Prozeßfähigkeit nicht konkret, sondern typisierend zu regeln. Zwar würde - wegen der Einschaltung des Gerichts, das über die Prozeßvoraussetzung der Prozeßfähigkeit zu entscheiden hat - ein Anknüpfen an die konkrete Selbstbestimmungsfähigkeit im Bereich der Prozeßfähigkeit zu
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weniger Rechtsunsicherheit führen als im Bereich der Geschäftsfähigkeit. Die Rechtssicherheit würde dadurch aber immer noch in einem nicht akzeptablen Umfang Schaden erleiden. Dies folgt daraus, daß bezüglich konkreter Mündigkeit unterschiedliche Entscheidungen zweifelsohne häufiger sein werden als dies bei typisierter Mündigkeit der Fall ist. Folgt man z.B. der Ansicht des BGH's, daß eine auf den Mangel der Prozeßfähigkeit gestützte Nichtigkeitsklage auch dann erfolgreich ist, wenn die Prozeßfähigkeit im Hauptverfahren ausdrücklich - zu Unrecht - bejaht worden ist 5 5 2 , so wäre selbst der rechtskräftige Prozeßsieg des Prozeßgegners der jugendlichen Partei nicht unerheblichen Gefährdungen ausgesetzt. Es könnte jederzeit Nichtigkeitsklage mit der Behauptung erhoben werden, daß im Hauptprozeß die konkrete Einsichtsfähigkeit des Heranwachsenden zu Unrecht bejaht worden sei. Dadurch würde der im Verfahrensrecht eminent wichtige Rechtssicherheitsaspekt der Gewährleistung eines rechtsbeständigen Verfahrensabschlusses in Mitleidenschaft gezogen. Es ist zwar richtig, daß die Nichtigkeitsgründe zur Durchbrechung der formellen Rechtskraft führen und daß die Prozeßführung durch eine prozeßunfähige Partei solch ein Nichtigkeitsgrund ist. Eine Definition der Prozeßfähigkeit, die statt einer Altersgrenze die konkrete Selbstbestimmungsfähigkeit zum Maßstab machen würde, würde aber diesem Nichtigkeitsgrund im Vergleich zur heutigen Rechtslage eine ganz andere Dimension verleihen. Für eine Prozeßfähigkeit, die sich an einer Altersgrenze orientiert, spielt dieser Nichtigkeitsgrund eine geringe Rolle. Für eine Prozeßfähigkeit, die sich an konkreter Einsichtsfähigkeit ausrichten würde, würde dieser Nichtigkeitsgrund erheblich mehr Bedeutung gewinnen. Sein Vorliegen könnte - was den Prozeßgegner auch schon beeinträchtigt - jederzeit behauptet werden, und außerdem wären - wegen der größeren Möglichkeit unterschiedlicher Entscheidungen - zu Lasten des Prozeßgegners der jugendlichen Partei mehr Durchbrechungen der formellen Rechtskraft zu erwarten als bei einer typisierten Prozeßfähigkeit. Dem kann nicht entgegengehalten werden, daß auch der Prozeßgegner einer geisteskranken Partei einer solchen Durchbrechung nichts entgegensetzen könne. Geistige Normalität läßt sich nun einmal aus der Natur der Sache heraus mit einer typisierenden Prozeßvoraussetzung nicht erfassen. In diesem Bereich kann nur konkret entschieden werden. Altersmäßige Reife kann dagegen mit dem Anspruch typischer Sachrichtigkeit typisierend geregelt werden. Es spricht allerdings - entgegen der Ansicht des BGH's - viel dafür, daß die Nichtigkeitsklage nur bei einem schlichten Übersehen der Prozeßunfähigkeit, nicht dagegen dann Platz greift, wenn das Gericht die Prozeßfähigkeit zu 552 B G H NJW 1982, 2449 ff.
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Unrecht ausdrücklich bejaht hat 5 5 3 . Es ist nämlich nicht der Sinn der Nichtigkeitsklage, für bestimmte prozessuale Fragen eine weitere Instanz zur Verfügung zu stellen. Folgt man dieser Ansicht, so wird durch eine Definition der Prozeßfähigkeit, die an die konkrete Einsichtsfähigkeit anknüpft, die Bedeutung des Nichtigkeitsgrundes „Prozeßunfähigkeit" nicht aufgewertet. Die Annahme konkreter Selbstbestimmungsfähigkeit bedürfte nämlich immer der Begründung. Konkrete Selbstbestimmungsunfähigkeit könnte zu Unrecht verneint werden, nicht aber überhaupt nicht in das Blickfeld der Richter geraten. Aber auch dann, wenn man zur Nichtigkeitsklage dies vertritt, würde der Prozeßgegner des Heranwachsenden durch ein Abstellen auf die konkrete Mündigkeit immer noch einer nicht unerheblichen Rechtsunsicherheit ausgesetzt. Diese ist darin zu sehen, daß immer die Gefahr drohen würde, daß dem Prozeßgegner der Prozeßsieg in der Sache in der Rechtsmittelinstanz dadurch zunichte gemacht wird, daß das Gericht der höheren Instanz die Frage der konkreten Einsichtsfähigkeit anders beurteilt als das Gericht der unteren Instanz. Zwar ist es nach der hier vertretenen Ansicht so, daß der Heranwachsende nur dann zu emanzipieren ist, wenn seine konkrete Selbstbestimmungsfähigkeit unzweifelhaft ist. Ob ein solcher Fall der Unzweifelhaftigkeit gegeben ist, müßte aber vom Gericht entschieden werden. Es ist evident, daß es dabei leichter zu unterschiedlichen Entscheidungen der Instanzen kommen kann als dies bei einer typisierenden Regelung der Prozeßfähigkeit der Fall ist. Da außerdem Eltern, die eine Prozeßführung nicht wünschen, sich möglicherweise im Instanzenzug immer wieder mit der Behauptung zu Wort melden würden, daß die jugendliche Partei nicht selbstbestimmungsfähig und somit auch nicht prozeßfähig sei, wäre die Gefahr nicht von der Hand zu weisen, daß die Frage der Prozeßfähigkeit immer wieder aufgerollt und evtl. unterschiedlich beantwortet würde. Noch in der Revisionsinstanz könnte dem Prozeßgegner so der sichere Prozeßsieg in der Sache wieder aus der Hand geschlagen werden. Dem Prozeßgegner der jugendlichen Partei, dessen Interesse ausschließlich dem Streitgegenstand des Zivilprozesses gilt und der mit dem dem Streitgegenstand nicht zugehörigen - Autonomiekonflikt zwischen Eltern und Kind nichts zu tun hat, kann eine solche Verfahrensregelung nicht zugemutet werden. Der Prozeßgegner hat einen Anspruch darauf, daß der Autonomiekonflikt, der ihn nichts angeht, vorab geklärt wird und daß ihm dann, wenn sich intern der Prozeßführungswille des selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden gegenüber der Elternentscheidung durchsetzt, im Zivilprozeß eine Partei gegenübertritt, deren Prozeßfähigkeit nicht angezweifelt werden kann. Deshalb muß es für die Prozeßfähigkeit bei der typisierenden Regelung der ZPO bleiben. Dem konkret selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden ist für die Prozeßführung ein Pfleger zu bestellen.
553
So z.B. Jauernig § 2 0 I V 2; Stein-Jonas-Grunsky § 579 RdNr. 2.
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Eine an konkreter Selbstbestimmungsfähigkeit ausgerichtete Prozeßfähigkeit würde auch noch zu anderen Unzuträglichkeiten führen. Dies läßt sich am Beispiel des Prozeßvergleiches zeigen. Nach herrschender und richtiger Meinung weist der Prozeßvergleich eine Doppelnatur auf 554 . Er ist zugleich materiellrechtliches Rechtsgeschäft und Prozeßvertrag. Wäre nun bezüglich der Prozeßfähigkeit auf die konkrete Selbstbestimmungsfähigkeit abzustellen, so könnte die konkret einsichtsfähige, aber noch nicht volljährige Partei zwar den Prozeßvertrag selbständig abschließen, das materiellrechtliche Rechtsgeschäft aber nur mit der Zustimmung ihrer Eltern wirksam vornehmen. Für die materiellrechtliche Geschäftsfähigkeit muß es nämlich - wie dargelegt - bei der „starren" Regelung des BGB's bleiben. Es ist auch nicht ersichtlich, auf welcher dogmatischen Grundlage man materiellrechtliche Verträge, die vor einem Gericht abgeschlossen werden, anderen Grundsätzen unterwerfen könnte als Verträge, die außerhalb des Gerichts Zustandekommen. Selbst wenn man hier eine Ausnahme machen würde und die Geschäftsfähigkeit in diesem Fall der Prozeßfähigkeit angleichen würde, so würde dies den Interessen des Prozeßgegners der jugendlichen Partei nicht gerecht. Es könnte nach Abschluß des Verfahrens immer geltend gemacht werden, daß der Prozeßvergleich unwirksam sei, weil die konkrete Einsichtsfähigkeit zu Unrecht bejaht worden sei. Die Interessen des Prozeßgegners - an einem rechtsbeständigen Abschluß des Verfahrens - würden es erfordern, einen Prozeßvergleich mit der jugendlichen Partei nur dann abzuschließen, wenn die Eltern diesem Vergleich zustimmen. Richtigerweise wird man diese Zustimmung aber als Wirksamkeitsvoraussetzung für das materiellrechtliche Rechtsgeschäft ansehen müssen. Eine solche Zustimmung würden indes Eltern, welche die Prozeßführung ablehnen, häufig nicht erteilen. Dem Jugendlichen bliebe dann nur der Weg zum Vormundschaftsgericht, um die Zustimmung der Eltern ersetzen zu lassen. Das Vormundschaftsgericht könnte aber, da es an die Ansicht des Prozeßgerichts nicht gebunden ist, die konkrete Selbstbestimmungsfähigkeit und damit die Entscheidungsbefugnis des Jugendlichen verneinen. Damit wäre es diesem dann nicht möglich, einen prozeßbeendigenden Prozeßvergleich abzuschließen. Auch dies zeigt, daß es dem Prozeßgegner einer jugendlichen Partei nicht zugemutet werden kann, mit dieser Partei zu prozessieren, wenn deren Prozeßfähigkeit nach den Kriterien der konkreten Einsichtsfähigkeit bestimmt wird. 554 Vgl. etwa B G H NJW 1985,1963; Rosenberg-Schwab § 132 I I I 1 c; Jauernig § 481.
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Die dahingehende Lösung, daß es für die Prozeßfähigkeit bei der Regelung des § 52 ZPO bleibt und daß der konkret selbstbestimmungsfähige Heranwachsende seinen Prozeßführungswillen nur dadurch durchsetzen kann, daß ihm für die Prozeßführung vom Vormundschaftsgericht ein Pfleger bestellt wird, weist auch noch zwei Vorteile auf, die auf dem Gebiet der Zweckmäßigkeit liegen. Zum einen wird der allgemeine Prozeßbetrieb, an dessen zügigem Ablauf alle Rechtsschutzsuchenden ein Interesse haben, nicht mit Erwägungen über die konkrete Einsichtsfähigkeit jugendlicher Parteien belastet. Zum anderen werden diese Erwägungen dem Richter zugewiesen, der von seiner Sachkunde her für eine solche Entscheidung der kompetente Richter ist. Dies ist der Vormundschaftsrichter. c) Die Prozeßkosten Der letzte Einwand, der gegen das hier gefundene Ergebnis noch erhoben werden kann, liegt auf der Hand. Er ist dahingehend formuliert worden, daß sich eine generelle Wertung „wo grundrechtsfähig und grundrechtsmündig, da auch prozeßfähig" allein schon deshalb verbiete, weil ein Prozeß mit erheblichen finanziellen Risiken verbunden sein könne 555 . Nach der hier vertretenen Lösung ist der konkret selbstbestimmungsfähige Heranwachsende zwar nicht prozeßfähig, er kann es aber gegen den Willen seiner Eltern erreichen, daß ihm für den von ihm gewünschten Prozeß ein Pfleger bestellt wird. Es fragt sich, wie es mit den finanziellen Risiken einer solchen Emanzipation des Jugendlichen bestellt ist. Diese Risiken liegen ausschließlich auf der Ebene der Prozeßkosten. In nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten sind diese Kosten von vornherein der einzige Umstand, der finanzielle Interessen betrifft. Ist der Streitgegenstand vermögensrechtlicher Natur, so kann - in bezug auf ihn - durch eine Prozeßführung gegen den Willen der Eltern nur eine finanzielle Besserstellung, nicht aber eine Verschlechterung eintreten. Siegt der minderjährige Kläger, so erhält er etwas, was er nicht erhalten hätte, wenn der Wille der Eltern verwirklicht worden wäre. Siegt der minderjährige Beklagte, so braucht er einem Begehren des Klägers nicht nachzukommen, was er aber hätte tun müssen, wenn der Wille der Eltern realisiert worden wäre. Bei einer Prozeßniederlage tritt dagegen nur das ein, was die Eltern von vornherein - ohne Prozeß - akzeptieren wollten. Der minderjährige Kläger bekommt nichts. Der minderjährige Beklagte muß dem Begehren des Klägers Folge leisten. Das finanzielle Risiko besteht also in allen Streitigkeiten - sowohl nichtvermögensrechtlicher, als auch vermögensrechtlicher Art - „nur" darin, daß durch eine erfolglose Prozeßführung Gerichts- und Anwaltskosten entstehen, die nicht entstanden wären, wenn das Kind dem Willen der Eltern gefolgt wäre. 555
Dürig in Maunz-Dürig Art. 19 Abs. 3 RdNr. 27.
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Könnten diese Kosten zu Lasten der Eltern gehen, so müßten weitere Erwägungen angestellt werden. Die Emanzipation des einsichtsfähigen Jugendlichen und die Finanzierung dieser Emanzipation durch die Eltern sind zwei Paar Schuhe. Es ist indes nicht so, daß diese Emanzipation „auf Kosten" der Eltern vonstatten geht. Der konkret selbstbestimmungsfähige Heranwachsende wird bezüglich der Prozeßführung nur im Außenverhältnis - aus Gründen der Rechtssicherheit bis zum Erreichen der Volljährigkeitsgrenze noch wie ein entscheidungsunfähiges Kind behandelt. Die Frage, inwieweit Eltern Prozesse ihrer Kinder zu finanzieren haben, ist indes eine Frage des Innenverhältnisses zwischen Eltern und Kind. In diesem Innenverhältnis hat bezüglich der Prozeßführung die Entscheidung des einsichtsfähigen Heranwachsenden den Vorrang vor der abweichenden Elternentscheidung. Im Verhältnis zu seinen Eltern wird der Jugendliche, der bereits wie ein Erwachsener zu entscheiden vermag, auch schon wie ein Erwachsener behandelt. Daraus muß dann aber auch für die Frage der Prozeßkosten die Konsequenz gezogen werden, daß so zu verfahren ist, wie zu verfahren wäre, wenn ein volljähriges Kind den in Frage stehenden Prozeß führen wollte. Daraus folgt als erstes, daß die Prozeßkosten, wenn entsprechendes Kindesvermögen vorhanden ist, ausschließlich aus dem Kindesvermögen zu bestreiten sind. Eine Anwendung des § 1602 Abs. 2 BGB, der beim minderjährigen Kind die Substanz des Kindesvermögens schützt, kommt - unabhängig davon, inwieweit Prozeßkosten zum Unterhalt gehören - von vornherein nicht in Betracht. Dies bedeutet, daß der prozessualen Emanzipation des selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden, dessen Vermögen für die Prozeßführung ausreicht, keinerlei Schranken entgegenstehen. Hat dagegen dieser Heranwachsende das für die Prozeßführung erforderliche Vermögen nicht, so kann er - wie ein Erwachsener, der die Kosten eines Prozesses nicht aufbringen kann - einen solchen nur dann führen, wenn er einen realisierbaren Unterhaltsanspruch auf Prozeßkostenvorschuß hat oder wenn die Voraussetzungen der Prozeßkostenhilfe vorliegen (§§ 114 ff. ZPO). Die Gewährung der Prozeßkostenhilfe setzt als erstes voraus, daß die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 114 ZPO). Ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, so kann ein vermögensloser Erwachsener nicht prozessieren. Ein Anspruch auf Prozeßkostenhilfe besteht dann nämlich nicht, und es unterliegt auch keinem Zweifel, daß - gleichgültig welchen Standpunkt man ansonsten zu der umstrittenen Frage vertritt, inwieweit Prozeßkostenvorschuß als Unterhalt geschuldet wird - bei aussichtsloser oder mutwilliger Rechtsverfolgung oder -Verteidigung kein Unterhaltsanspruch auf Prozeßkostenvor-
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schuß existieren kann 5 5 6 . Das Unterhaltsrecht kann niemanden dazu verpflichten, sein Geld zum Fenster hinauszuwerfen. Eine aussichtslose oder mutwillige Prozeßführung steht Erwachsenen, die nicht über genügend Vermögen verfügen, nicht offen. Dies muß auch für konkret selbstbestimmungsfähige Heranwachsende gelten, die dort, wo es nicht um Rechtssicherheit im Außenverhältnis geht, wie Erwachsene zu behandeln sind. Es bleibt nur noch die Frage zu klären, ob im Falle einer hinreichend erfolgversprechenden und auch nicht mutwilligen Rechtsverfolgung dem „armen" selbstbestimmungsfähigen Heranwachsenden die Prozeßkostenhilfe mit der Begründung versagt werden kann, daß er einen unterhaltsrechtlichen Prozeßkostenvorschußanspruch gegen seine Eltern habe. Gem. § 115 Abs. 2 ZPO erhält eine Partei trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 114 ZPO keine Prozeßkostenhilfe, wenn es ihr zumutbar ist, die Kosten der Prozeßführung aus ihrem verwertbaren Vermögen aufzubringen. Es ist heute zu Recht allgemein anerkannt, daß zu diesem verwertbaren Vermögen auch unterhaltsrechtliche Ansprüche auf Prozeßkostenvorschuß gehören 557 . Will man für die Konstellation unserer Untersuchung klären, ob ein solcher Unterhaltsanspruch des selbstbestimmungsfähigen Jugendlichen besteht, so ist wiederum davon auszugehen, daß derjenige, der ohne Berücksichtigung des Elternwillens wie ein volljähriges Kind selbst entscheiden will, nicht gleichzeitig gegenüber seinen Eltern den Anspruch erheben kann, unterhaltsrechtlich wie ein minderjähriges Kind behandelt zu werden. Der Minderjährige, dem es mit Rücksicht auf seine konkrete Entscheidungsfähigkeit gelingt, sich über den Willen seiner Eltern hinwegzusetzen, kann unterhaltsrechtlich nur wie ein erwachsenes Kind einen Prozeßkostenvorschußanspruch gegen diese Eltern haben. Ob und inwieweit ein solches Kind einen solchen Anspruch hat, ist höchst umstritten. Bei der Beantwortung dieser Frage ist von § 1610 BGB auszugehen. Gem. § 1610 Abs. 1 BGB hat der Unterhaltsberechtigte gegen den Unterhaltsverpflichteten einen Anspruch auf angemessenen Unterhalt, welcher gem. § 1610 Abs. 2 BGB den gesamten Lebensbedarf umfaßt. Unter Orientierung an der Lebensstellung des Bedürftigen sollen dessen Lebensbedürfnisse befriedigt werden. Legt man dies zugrunde, so kann Prozeßkostenvorschuß unabhängig davon, ob der Unterhaltsberechtigte minderjährig oder volljährig ist - sicherlich nur dann als Unterhalt verlangt werden, wenn es sich um einen Prozeß handelt, der für das Leben des Unterhaltsberechtigten wichtig ist 5 5 8 . 556
O L G Köln FamRZ 1968, 42; Pastor FamRZ I 9 6 0 , 260, 265; Palandt-Diederichsen § 1610 Anm. 3 b bb. 557 O L G Köln FamRZ 1979, 964, 965; BVerwG FamRZ 1974, 370, 371; PalandtDiederichsen § 1610 Anm. 3 c; Erman-Küchenhoff § 1610 RdNr. 12; Thomas-Putzo § 115 Anm. 3 a.
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Es fragt sich indes, ob ein an diese einschränkende Voraussetzung geknüpfter Prozeßkostenvorschußanspruch nicht immer noch zu weitgehend ist. Ansatzpunkt weiterer Erwägungen muß - insbesondere unter dem Aspekt der Widerspruchsfreiheit der Familienrechtsordnung - die Regelung des § 1360 a Abs. 4 BGB sein, welche in den Unterhalt, den Ehegatten einander schulden, einen Prozeßkostenvorschußanspruch einbezieht, während die Normierung der Unterhaltspflicht zwischen Verwandten (§§ 1601 ff. BGB) eine solche Anordnung nicht enthält. Die Prozeßkostenvorschußpflicht unter Ehegatten, die vorher eine Angelegenheit des Güterrechts war (§ 1387 a. F. BGB), wurde erst durch das Gleichberechtigungsgesetz in § 1360 a Abs. 4 BGB zum Bestandteil der Unterhaltspflicht. Sahen aber die Verfasser des BGB's noch nicht einmal bei Ehegatten, bei denen eine besonders enge Verbundenheit gegeben ist, eine Prozeßkostenvorschußpflicht als zur Unterhaltspflicht gehörig an, so spricht vieles dafür, daß nach den Vorstellungen des Β GB-Gesetzgebers auch die Unterhaltspflicht zwischen Verwandten eine solche Vorschußpflicht nicht beinhalten sollte. Schließlich umfaßt die Unterhaltspflicht zwischen Verwandten auch Verhältnisse, bei denen die Verbundenheit nicht so eng wie bei Ehegatten ist. Die Gesetzesmaterialien bestätigen diese Vermutung 559 . Ein Anspruch auf Prozeßkostenvorschuß wurde auch unter Verwandten nicht als Bestandteil des Unterhaltsanspruches angesehen. „Die Kosten von Prozessen, die das Vermögen betreffen", wurden als „Aufwendungen zum Schutz und zur Erhaltung des Vermögens" angesehen, die „niemals zu den Kosten des Unterhalts gerechnet werden" können. Bezüglich „der Kosten solcher Prozesse, welche die persönlichen Verhältnisse des Unterhaltsberechtigten zum Gegenstande haben", wurde darauf hingewiesen, daß aufgrund des Armenrechts eine Prozeßführung „bei Unvermögen des Berechtigten auch ohne Aufwendung von Kosten möglich ist. Die Ausdehnung der Unterhaltspflicht auf die Prozeßkosten 558 Darin sehen viele, wenn - als weitere und selbstverständliche Voraussetzung - die Rechtsverfolgung weder aussichtslos, noch mutwillig ist, die entscheidende Voraussetzung für einen Prozeßkostenvorschuß. Vgl. etwa O L G Köln FamRZ 1979, 964, 965; O L G Köln FamRZ 1968, 42; MünchKomm-Köhler § 1610 RdNr. 14; Erman-Küchenhoff § 1610 RdNr. 11; Palandt-Diederichsen § 1610 Anm. 3 c; ähnlich B G H Z 57, 229, 234. Zumeist wird diese Voraussetzung allerdings aus § 1360 a Abs. 4 BGB hergeleitet. Dieses Kriterium kann indes zwanglos aus § 1610 BGB abgeleitet werden. Nach Köhler aaO soll es weiterhin darauf ankommen, ob der Anspruch, für dessen prozessuale Geltendmachung Prozeßkostenvorschuß verlangt wird, einen Bezug zu dem ElternKind-Verhältnis aufweist. Dies soll z.B. für einen Schadensersatzprozeß des Kindes gegen einen Dritten wegen Körperverletzung deswegen der Fall sein, weil das Kind gegenüber den Eltern einen Anspruch auf körperliche Unversehrtheit habe. Nach Diederichsen aaO soll es weiterhin darauf ankommen, ob der ins Auge gefaßte Rechtsstreit eigene Interessen des Unterhaltsverpflichteten verletzt oder aus sonstigen Gründen für diesen unzumutbar ist. 559 Motive Bd. I V S. 696.
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würde daher unmittelbar nicht dem Unterhaltsberechtigten, sondern dem Fiskus zugute kommen. Zu dessen Gunsten aber den Unterhaltspflichtigen zu belasten, fehlt es an einem genügenden Grund". Letzteres ist in Anbetracht des Subsidiaritätsverhältnisses zwischen Staat und Familie eine überraschende Wertung. Sei dem wie es sei. Die den Gesetzesanwendenden bindende Lösung des BGB's ging auf jeden Fall dahin, Prozeßkostenvorschüsse nicht in den Unterhalt zwischen Verwandten zu integrieren. Auf diesem Hintergrund muß heute folgendes gelten: Ursprünglich - bei Schaffung des BGB's - gehörte ein Prozeßkostenvorschußanspruch weder unter Ehegatten, noch unter Verwandten dem Bereich des Unterhaltsrechts an. Durch das Gleichberechtigungsgesetz wurde ein solcher Anspruch im Verhältnis zwischen den Ehegatten in das Unterhaltsrecht aufgenommen. Bei der Unterhaltspflicht zwischen Verwandten kann diese im Unterhaltsrecht der Ehegatten eingetretene Veränderung nicht unbeachtet bleiben. Diese Beachtung kann nicht so aussehen, daß von der Vorschrift des § 1360 a Abs. 4 BGB aus „e contrario" argumentiert wird 5 6 0 . Daß eine Änderung nur im Verhältnis zwischen den Ehegatten eingetreten ist, kann nicht dahingehend interpretiert werden, daß es nach dem Willen des Gesetzgebers zwischen Verwandten bei dem alten Zustand bleiben sollte. Eine solche Deutung scheitert allein schon daran, daß die Unterhaltspflicht zwischen Verwandten nicht zu dem Regelungsgegenstand gehörte, mit dem sich der Gesetzgeber des Gleichberechtigungsgesetzes, der § 1360 a Abs. 4 BGB geschaffen hat, zu beschäftigen hatte. Ist aber kein Wille des Gesetzgebers ersichtlich, der darauf gerichtet ist, durch die Regelung des § 1360 a Abs. 4 BGB gleichzeitig die Unterhaltsregelung zwischen Verwandten auf den Stand von 1 9 0 0 zu „fixieren", so muß die Wertung des § 1360 a Abs. 4 BGB beim Verwandtenunterhalt berücksichtigt werden. Die Ordnung familienrechtlicher Verhältnisse muß nämlich - wie jede Ordnung, die das Recht aufstellt - frei von Wertungswidersprüchen bleiben 561 . Dann müssen aber bei einem Prozeßkostenvorschußanspruch unter Verwandten nicht nur die sachlichen Einschränkungen des § 1360 a Abs. 4 BGB beachtet werden 562 , sondern dann muß insbesondere auch die Geltungsgrund560 Ansatzweise ist eine solche Argumentation in O L G Celle FamRZ 1970, 143,144 zu finden, bevor diese Entscheidung dann anschließend den richtigen Zugang zur Problemlösung findet. 561 Daß dies der tragende Grund für eine Heranziehung des § 1360 a Abs. 4 BGB beim Verwandtenunterhalt ist, wird zutreffend herausgestellt von Gernhuber § 41 V I I 5 und O L G Köln FamRZ 1968, 37. Entschieden, aber nicht überzeugend gegen eine Berücksichtigung des § 1360 a Abs. 4 BGB Roth-Stielow NJW 1965, 2046, 2047. 562 Prozeßkostenvorschuß wird nur insoweit geschuldet, als es sich um einen Rechtsstreit handelt, der eine persönliche Angelegenheit des bedürftigen Ehegatten betrifft; Prozeßkosten sind nur insoweit vorzuschießen, als dies der Billigkeit entspricht.
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läge dieser Regelung respektiert werden 563 . Geltungsgrundlage der Prozeßkostenvorschußpflicht unter Ehegatten ist die eheliche Lebensgemeinschaft, welche durch eine überaus enge Verbundenheit zweier Menschen gekennzeichnet ist. Hält man sich dies vor Augen, so kann im Unterhaltsrecht zwischen Verwandten eine Prozeßkostenvorschußpflicht nur dort bejaht werden, wo zwischen Unterhaltsverpflichtetem und Unterhaltsberechtigtem eine Lebensgemeinschaft besteht, die in ihrer Intensität der ehelichen Lebensgemeinschaft vergleichbar ist. Eine solche Vergleichbarkeit ist für das Verhältnis zwischen Eltern und erwachsenen Kindern zu verneinen. Volljährige Kinder haben sich in aller Regel aus der familiären Lebens- und Wohngemeinschaft so weit gelöst, daß die Eltern-Kind-Beziehung in ihrer Intensität der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht mehr gleichgestellt werden kann. Zwar ließe der Wortlaut des § 1610 BGB für gewisse - für das Leben des Unterhaltsberechtigten wichtige - Prozesse einen Prozeßkostenvorschußanspruch des erwachsenen Kindes gegen seine Eltern zu. Es ist aber zu berücksichtigen, daß Prozeßkostenvorschußansprüche nach dem eindeutigen Willen des BGB-Gesetzgebers generell nicht zum Bereich des Unterhaltsrechts gehören sollten. Im Unterhaltsrecht der Ehegatten ist die Prozeßkostenvorschußpflicht durch § 1360 a Abs. 4 BGB zur Unterhaltspflicht geworden. Diese Lösung läßt sich im Bereich des Unterhalts unter Verwandten auf das Verhältnis zwischen Eltern und erwachsenem Kind nicht übertragen, weil die Lebenssituation in diesem Verhältnis derjenigen zwischen Ehegatten nicht entspricht. Für diese anspruchsverneinende Lösung kann außerdem noch die Wertung der §§ 1602 Abs. 2, 1603 Abs. 2 BGB ins Feld geführt werden. Diese Vorschriften zeigen, daß die Eltern unverheirateter Minderjähriger, nicht aber die Eltern erwachsener Kinder, unterhaltsrechtlich besonderen Anforderungen ausgesetzt werden 564 . Der hier interessierende konkret selbstbestimmungsfähige Minderjährige ist nun zwar noch nicht erwachsen. Da er aber im Verhältnis zu seinen Eltern wie ein Erwachsener behandelt werden muß, steht ihm kein Prozeßkostenvorschußanspruch zu. Es bleibt, wenn die Voraussetzungen des § 114 ZPO vorliegen, bei der Prozeßkostenhilfe des Staates. Eine Emanzipation „auf Kosten" der Eltern findet somit nicht statt. Soweit der konkret selbstbestimmungsfähige Minderjährige ausreichendes Vermögen besitzt, trägt er selbst die finanziellen Risiken einer Prozeßführung. Hat er 563
Zutreffend Gernhuber § 41 V I I 5; H. Lange NJW 1970, 830, 831. Wie hier gegen einen Prozeßkostenvorschußanspruch erwachsener Kinder: O L G Köln FamRZ 1979,964,965; O L G Celle FamRZ 1970,143,144; H. Lange NJW 1970, 830, 831; Gernhuber § 41 V I I 5; Beitzke § 24 I 5; Soergel-Lange § 1610 RdNr. 6; Erman-Heckelmann § 1360 a RdNr. 23; Jauernig-Schlechtriem § 1610 Anm. 2 b. Für eine Anspruchsberechtigung auch volljähriger Kinder: BVerwG FamRZ 1974, 370, 371; O L G Düsseldorf FamRZ 1959, 292; MünchKomm-Köhler § 1610 RdNr. 14; Palandt-Diederichsen § 1610 Anm. 3 c. 564
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kein Vermögen, so kann er nicht prozessieren, wenn die von ihm gewünschte Rechtsverfolgung oder -Verteidigung aussichtslos oder mutwillig ist. Weder der Staat, noch die Eltern sind verpflichtet, ein solches Vorhaben des Minderjährigen zu finanzieren. Ist die Rechtsverfolgung weder aussichtslos, noch mutwillig, so erhält der „arme" Heranwachsende Prozeßkostenhilfe. Einen Prozeßkostenvorschußanspruch gegen die Eltern, der dieser Prozeßkostenhilfe vorangehen würde, hat er dagegen nicht. Daß der Staat in diesem Fall ein finanzielles Risiko trägt, ist nicht weiter zu beanstanden. Bei einem Erwachsenen trägt der Staat dieses Risiko auch. Dann ist es aber nicht zu monieren, daß dies auch dann gilt, wenn es um die Prozeßführung eines Heranwachsenden geht, der zwar noch nicht erwachsen ist, aber bereits wie ein Erwachsener zu entscheiden vermag.
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zum Grundgesetz
für
die
Bundesrepublik
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Literaturverzeichnis
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