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German Pages 200 Year 1938
UNTERSUCHUNGEN ZUM NEUEN TESTAMENT HERAUSGEGEBEN VON H. WINDISCH f / HEFT 16
DER SINN DER BERGPREDIGT EIN BEITRAG ZUM GESCHICHTLICHEN VERSTÄNDNIS DER EVANGELIEN UND ZUM PROBLEM DER RICHTIGEN EXEGESE VON
HANS WINDISCH f D. D R . PROFESSOR DER THEOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT HALLE-WITTENBERG ZWEITE STARK UMGEARBEITETE, E R W E I T E R T E UND VERBESSERTE AUFLAGE
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J. C. H I N R I C H S
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VERLAG /
LEIPZIG
UNTERSUCHUNGEN ZUM NEUEN T E S T A M E N T H E R A U S G E G E B E N VON
D. DR. HANS WINDISCH f PROFESSOR AN DER UNIVERSITÄT HALLE-WITTENBERG
HEFT
PRINTED
IN
16
GERMANY
AUS DEM VORWORT ZUR 1. AUFLAGE Dies Buch sucht an einem der wichtigsten Dokumente der Jesusüberlieferung die Gegensätze der heutigen Exegese zu klären, die geschichtliche Grundanschauimg zu rekonstruieren und zuletzt von da aus zu einer theologischen Würdigung des Textes zu gelangen. Zu allererst wird die strenge U n t e r s c h e i d u n g zwischen historischer und theologischer Exegese gefordert. Eine Vermengung der geschichtlichen und der theologischen Behandlung des Bibeltextes ist zur Zeit das Charakteristische, nicht nur bei den Dogmatikern, den praktisch-erbaulichen Auslegern, sondern auch bei denen, deren vornehmste Aufgabe es ist, den Bibeltext in seiner ursprünglichen Fassung zur Geltung zu bringen. Die heutige Theologenwelt will eben auch von der Bibelwissenschaft sofort unmittelbar Theologie vorgesetzt erhalten und hat nicht mehr die Kraft und die innere Ruhe, um auf dem schwierigen Wege der Geschichte zur Theologie sich führen zu lassen. Unsere erste Aufgabe ist und bleibt, das Gregebene in seiner Art zu erfassen — dann erst haben wir das Recht, unsere eigene Theologie oder irgendeine uns überlieferte darüber oder daneben aufzubauen, insoweit wir Theologie überhaupt „aufbauen" können. Zur Besinnung auf diese Aufgabe will dieses Buch helfen. Nur in ständiger lebendiger Auseinandersetzung mit der Geschichtswissenschaft und der Geschichtsexegese darf theologische Exegese und Dogmatik ihre Arbeit tun. Historische Exegese, die verantwortlich getrieben wird, ist eine schwere Arbeit. Der Verfasser bekennt, daß er manches Mal zu Ergebnissen gekommen ist, die ihm persönlich nicht angenehm waren. Solche Exegese hat dann aber auch — in aller Bescheidenheit sei es gesagt — Anspruch darauf, daß sie gehört wird, und auch gerade dann, wenn sie nicht zeitgemäß ist.
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Vorwort
Aus dem konkreten Inhalt dieses Buches sei hervorgehoben, daß die historische Auslegung der Bergpredigt vor allem gegen zwei Formen der Exegese Front machen muß: die i d e a l i s i e rende und die p a u l i n i s i e r e n d e Exegese. Sie verbietet sie beide nicht, sie stellt aber fest, daß beide Formen gewaltige Umdeutungen des Textes darstellen. Vielleicht ist die idealistische Exegese in der theologischen Tradition am festesten gewurzelt. Gegen sie muß mit allem Nachdruck gesagt werden, daß die Begriffe, mit denen sie arbeitet: Gesinnung gegenüber Werk und Tat, Ethos, Ethik, Erlösung vom Gesetz, Moralität, ethischer Idealismus, zur Bergpredigt keine oder nur geringe Beziehung haben. Wer sie anwendet, muß wissen, daß er den Text damit in seine Sphäre übersetzt. Dogmatische Exegese ist insofern richtig, als sie sich auf eine richtige Ansicht vom Menschen stützt. Der Dogmatiker muß gleichwohl vom Exegeten lernen, daß diese Ansicht vom Menschen in der Bergpredigt nicht oder kaum berücksichtigt ist. Von Paulus, Luther, Calvin aus gesehen, ist die Soteriologie der Bergpredigt heillos ketzerisch. Am ehesten kann sich noch die katholische Theologie mit ihr abfinden. Doch wird gezeigt werden, daß solche Einsicht noch nicht das letzte Wort über die Theologie der Bergpredigt zu sein braucht; auch von ihr gibt es einen Weg zu dem, was bei Paulus, Luther und Calvin die Grundlage christlichen Glaubens ist: zur Rechtfertigung des Sünders durch Gott — sowenig die „korrekte" Fassung dieser Lehre von der Bergpredigt aus erreichbar ist. Zum Schlüsse sei noch gesagt, daß das, was im letzten Kapitel als Theologie der Bergpredigt vorgetragen wird, keineswegs erschöpfend sein will, daß ich nur: Theologie der B e r g p r e d i g t zu geben versucht habe, nicht eine Theologie des ganzen Jesusevangeliums. Leiden, Dezember 1928.
Hans Windisch.
VORWORT Der Verfasser dieses Buches, Hans Windisch, wurde am 8. November 1935 durch einen plötzlichen Tod in die Ewigkeit abgerufen. Ostern 1935 war er der Nachfolger Ernst von Dobschütz' an der Universität Halle-Wittenberg geworden. Vorher hatte er sechs Jahre in Kiel und davor fünfzehn Jahre in Leiden gelehrt; seine erste akademische Tätigkeit aber hatte er als Privatdozent der Leipziger Universität ausgeübt. Dieses Buch vom Sinn der Bergpredigt entstammt der Leidener Zeit; und der es am Ende einer ertragreichen Periode seines Wirkens schrieb, war zu solchem Unternehmen in mehr als einer Beziehung befähigt und berechtigt. Einmal hatte Hans Windisch in den Kriegs- und InflationsJahren, als uns Heimatdeutschen ausländische Bücher schwer erreichbar waren, die Forschung außerhalb Deutschlands gründlicher als wir anderen verfolgt. Er war durch Referate und eigene Schriften geradezu zu einem Vermittler zwischen den Theologien der verschiedenen Länder und Kirchen geworden. Sodann aber befähigte ihn seine ausgebreitete Kenntnis des jüdischen und hellenistischen Schrifttums ebenso wie seine strenge Methode der Interpretation in besonderem Maße zum kritischen Urteil. Man spürt in diesem Buch von der ersten Seite an, daß Windisch jedes theologische Verständnis auf gründlicher und allseitiger Orientierung und auf möglichst exakter historischer Exegese aufgebaut wissen wollte. Das Mißtrauen, das er gegen eine weitergreifende und, wie es ihm schien, voreilig weitergreifende theologische Exegese hatte, brachte ihn freilich zu vielen Fachgenossen in einen gewissen sachlichen Gegensatz, darunter auch zu dem Verfasser dieser Zeilen. Die Art dieses Gegensatzes — der übrigens das freundschaftliche Verstehen zwischen uns nie beeinträchtigte — wird jeder Leser aus diesem Buch erkennen. Gerade dieser Widerspruch Windischs gegen das, was er „Synthese von Historie und Theologie" nannte, trieb ihn dazu, das Verständnis der Bergpredigt in der neueren Theologie kritisch zu untersuchen. Aber die große Gewissenhaftigkeit, mit der er nicht nur die biblischen Texte, sondern auch ihre neueren Interpretationen zu würdigen wußte, gibt diesem Buch seinen Wert: es wurde schon in seiner ersten Auflage, die 1929 erschien, ein
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Vorwort
wertvolles Hilfsmittel auch für solche, die der Kritik des Verfassers nicht ohne weiteres beipflichteten. Notwendigkeit und Nutzen einer solchen zusammenfassenden Würdigung der Bergpredigt und ihrer Erklärungen sind seit 1929 nicht geringer geworden. Im Gegenteil, die große Wendung des deutschen Schicksals hat allen grundsätzlichen Fragen der christlichen Ethik besondere Gegenwartsnähe verliehen. Zugleich aber haben Angriffe gegen das Christentum in mehr als einem Teil der Welt die symbolische Bedeutung der Bergpredigt wesentlich gesteigert: hier findet der Bekenner des Christentums seine Losungen, hier der Gegner seine Ziele. Endlich hat die Verschiedenheit theologischer Auffassungen auf dem Gebiet der angewandten Sozialethik eine Orientierung am biblischen Evangelium als notwendig erwiesen. Und gerade weil das Buch nicht nur in die Bergpredigt, sondern auch in die Diskussion über die Bergpredigt einführt, erklärte ich das Erscheinen einer neuen Auflage für wünschenswert, als mich der Verleger bald nach dem Tode des Verfassers darüber befragte. Diese zweite Auflage war von Hans Windisch selbst insoweit völlig vorbereitet, als er in zahlreichen Einfügungen die Diskussion mit der inzwischen erschienenen Literatur durchgeführt hatte. Als mich Frau Sophie Windisch und der Verlag mit der Fertigstellung des Textes beauftragten, konnte ich mich auf formale Redaktorenarbeit beschränken. Ich habe keinen einzigen Gedanken, ja nicht einmal einen ganzen Satz beigesteuert. Ich habe lediglich die Einfügungen vorgenommen und dabei gelegentlich einen Satzteil eingeschoben; ich habe die Auswahl getroffen, wo Parallelentwürfe vorzuliegen schienen; ich habe auch gekürzt, um Verlagerungen des Schwergewichts zu vermeiden. Was der Leser vor sich hat, ist also wirklich Hans Windischs Werk, keine Bearbeitung seines Nachlasses von fremder Hand. Die Korrekturen hat Windischs Kollege in Halle, Professor Erich Klostermann, gelesen, da ich durch eine Vortragsreise in Amerika daran verhindert war. Das Register hat cand. theol. Ernst Egel, Heidelberg, angefertigt und damit Herausgeber und Leser zu Dank verpflichtet. Möge das Buch nun nicht nur Kunde geben von wissenschaftlichen Bemühungen um die Bergpredigt, sondern unmittelbar dem Verständnis des Evangeliums dienen! H e i d e l b e r g , A p r i l 1937.
Martin Dibelius
INHALTSÜBERSICHT Seite
EINLEITUNG
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1. K A P I T E L . B e r g p r e d i g t u n d E s c h a t o l o g i e 2. K A P I T E L . Der S i n n des G e b o t e s und das P r o b l e m der Ausführbarkeit I. Die neueren Interpretationen a) Die modernen Interpretationen der Imperative b) Dogmatische Lösungen des Problems der Unausführbarkeit II. Der Sinn der Gebote III. Die Ausführbarkeit der Lehre Jesu 3. K A P I T E L . Christus und der G e g e n s a t z z u m J u d e n t u m in d e r B e r g p r e d i g t 4. K A P I T E L . T h e o l o g i s c h e E x e g e s e d e r B e r g p r e d i g t . . I. Der Begriff der theologischen Exegese . . . . II. Theologie der Bergpredigt
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REGISTER
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EINLEITUNG Die neutestamentliche Wissenschaft in Deutschland ließ seit der Kriegszeit eine zweifache Entwicklung erkennen. Auf der einen Seite wurde die Arbeit treulich fortgesetzt, die die große Lehrergeneration, von der Wende des Jahrhunderts bis in die Kriegszeit hinein, geleistet hat. Überlieferungskritik, literarkritische Analyse, religionsgeschichtliche Vergleichung bilden noch immer die Hauptbetätigungen der wissenschaftlichen Arbeit am N. T. Die Forschungsrichtungen, die in der Gegenwart ihre besondere Ausbildung erfahren haben und für die gegenwärtige Lage bezeichnend sind, die Untersuchung der „Formen", die Vergleichung der mandäischen Gnosis und die Vergleichung des Talmud, hängen mit der Arbeit der Vorkriegszeit eng zusammen oder sind organisch aus ihr herausgewachsen. Vor allem erweist sich der Zusammenhang der heutigen Führergeneration mit der von gestern darin, daß jene wenigstens prinzipiell an der vor allem von J . Weiß und A. Schweitzer erkannten eschatologischen Grundhaltung des N. T. festhält. Daneben drängt sich dem Beobachter noch ein ganz anderer Aspekt auf. Es war ein Hauptanliegen der alten Lehrergeneration — ich nenne vor allem H. J . Holtzmann, 0 . Pfleiderer, A. Harnack, A. Jülicher —, daß sich der Bibelforscher von allen dogmatischen und modern theologischen Einflüssen möglichst freihalten solle, indem die Ausschaltung der eigenen und überhaupt der Gegenwartstheologie die Voraussetzung richtiger, objektiver Bibelforschung sei. Gewiß sind auch diese Forscher der Gefahr, die immer droht, das N. T. zu modernisieren, in manchen Punkten erlegen — ich denke vor allem an das sogenannte „liberale Jesusbild", das übrigens gewiß auch Anknüpfungen an die historische Überlieferung hat —, aber prinzipiell war die Forderung gestellt, daß man sich von j e d e r Dogmatik losmachen müsse, und großartige Ergebnisse hat diese oft nach inneren Kämpfen errungene Haltung gezeitigt; ich nenne vor .allem wieder die Eschatologie und die Einsicht in den UmbilUNT 16: W I n d i s c h .
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Einleitung
dungsprozeß des Evangeliums, wie er in den Thesen: Paulus contra Synopse, Johannes contra Synopse angedeutet ist. Man kann zweifeln, ob die Führer von heute diesen Grundsatz in ihrer Forschung des N. T. noch restlos maßgebend sein lassen, ob der Wille zur Objektivität im Sinne unserer Lehrergeneration wirklich noch allenthalben als Richtungsprinzip anerkannt wird. Man nehme drei Bücher von typischen Vertretern der heutigen Bibelforschung: M. Dibelius: Evangelium und Welt (1925/29); R. B u l t m a n n : Jesus (1926); E. L o h m e y e r : Die Apokalypse des Johannes (1927). Wer spürt nicht in allen drei Schriften eine allerdings jedesmal verschieden gerichtete neue E i n s t e l lung, die Basis und Richtung offenkundig nicht nur von den Dokumenten des N. T. empfängt, sondern von eigener persönlicher Weltanschauung, von eigener, spezifisch moderner Inspiration, von einer neuen oder modernisierten Philosophie ? Es ist für jedes dieser drei Bücher wesentlich, daß man ihre theologische und weltanschauliche Haltung nicht recht würdigt und begreift, wenn man nicht das geistige Milieu der drei Forscher kennt, das ist in erster Linie das ganz bestimmte Universitätsmilieu, in dem sie stehen (wofür die philosophische Fakultät meist bestimmender ist als die theologische!). Ich kann das hier nicht nachweisen, brauche das auch nicht; denn zu einem guten Teil sind die diesbezüglichen Nachweise geliefert: für Dibelius von Bultmann1, für Lohmeyer abermals von Bultmann2 und für Bultmann selbst von E. Foerster3. Diese Neutestamentier wollen in ihren Büchern nicht mehr nur „historische Kritik" und „kritische Historie" geben, sondern auch „Theologie", eine Synthese von Historie und Theologie, von Historie und Metaphysik oder Historie und Geschichtsphilosophie; und sie sind alle drei überzeugt, daß die Theologie oder Geschichtsspekulation, die sie mit ihrer historischen Forschung verbinden, organisch zu ihrer Arbeit am N. T. hinzugehört, entweder ihre Erfüllung oder gar ihre unentbehrliche Voraussetzung darstellt. Wobei freilich jeder vom anderen weiß, daß dessen „Spekulation" dem N. T. fremd und eine nicht ganz legitime oder sicher illegitime „Interpretation" oder „Konstruktion" darstellt. Dieser zweite Aspekt ist ein bedeutungsvolles Symptom un1 Zwischen den Zeiten 1926, H. 5. 2 Theol. Lit.-Zeit. 1927, Nr. 22.. 3 Z. f. Theol. u. Kirche 1928, H. 1, S. 28—50.
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Einleitung
serer heutigen Wissenschaftslage. Er zeigt, wie unsere Neutestamentler bemüht sind, die Einseitigkeit des Historismus an ihrem Teil zu überwinden und neben der ihnen verordneten historisch-kritischen Forschungsarbeit auch eine theologisch- spekulative Arbeit zu verrichten. Aber die Situation zeigt auch, daß dies Streben nach Vertiefung neue Konflikte heraufführt, daß hier ein Ruhmestitel unserer Wissenschaft und ein ehrwürdiges „Erbe der Alten" in Gefahr ist. Kein Wunder, wenn das am grünen Holz geschieht, daß auch die anders gefärbte, prinzipiell biblizistisch und reformatorischdogmatisch eingestellte Theologie (Bibelforschung wie Dogmatik) in Fortsetzung oder Wiederaufnahme großer Traditionen die neutestamentlichen Studien durchaus theologisch betreibt und je nachdem Exegese, Kritik und sogar religionsgeschichtliche Vergleichung auslaufen läßt in konfessionell dogmatische Lehrbetrachtungen, oder von der Systematik aus das Zeugnis des N. T. für den eigenen religiös-dogmatischen Glauben in Anspruch nimmt. Um so wichtiger, daß die Neutestamentier, denen es vor allem um die Bewahrung des guten Erbes der Alten zu tun ist, gerade in der heutigen Situation zur Besinnung auf die Grundlagen und Grenzen unserer Wissenschaft aufrufen. Hierzu gehört vor allem eine Aufforderung an die Fachgenossen und an alle, die die neutestamentliche Wissenschaft studieren, die Kunst des Unterscheidens anzuwenden. Es soll ja nicht eine theologische oder weltanschauliche Betrachtung des N. T. verdächtigt oder gar verurteilt werden. Ich erkenne das Verlangen nach theologischer Exegese und vor allem auch das nach biblischer Theologie neben Religionsgeschichte des Urchristentums durchaus an. Ich protestiere nur gegen eine Verschmelzung oder allzu enge Verknüpfung der zwei Disziplinen. Wir müssen prinzipiell unterscheiden lernen zwischen historischer und modern-theologischer Exegese, und es muß in jedem Falle der Punkt aufzuweisen sein, wo die historische Exegese aufhört und die „Interpretation", d. i. die theologische Exegese, einsetzt1. 1 loh spreche lieber von „theologischer" Exegese, da pneumatische Exegese ein anspruchsvolles und irreführendes Wort ist. Was uns als pneumatische Exegese vorgelegt wird, ist gewiß meist von Geist erfüllt, aber nicht immer von heiligem Geist oder von christlichem Geist. „Theologisch" erinnert von vornherein an den stark subjektiven, individuellen und zeit-
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Einleitung
Wie nötig es ist, auf solche Scheidung zu drängen und an die einzig soüden „Fundamente" aller Exegese zu erinnern, zeigt die oben skizzierte Situation der Gegenwart. Im folgenden soll an einem besonders wichtigen Dokument des N. T., an der Bergpredigt, gezeigt werden, was im Unterschied von aller modernen weltanschaulichen und theologischen Exegese die von unseren geistigen Vätern ererbte historisch-kritische Exegese dieses Textes uns sehen gelehrt hat. Es sollen und können nicht viel neue Resultate vorgetragen werden, es sollen vielmehr die neuen Deutungen in Frage gestellt und mit dem Urbestand verglichen werden, wie ihn strenge Exegese uns sehen läßt. Es ist ebensosehr meine Absicht, auch gewisse modern gewordene alte Auffassungen und Auslegungen einer Kritik zu unterziehen. Wir greifen einige Probleme der Bergpredigt heraus, die für die wissenschaftliche Exegese ebenso zentral sind wie für die theologische: Bergrede und Eschatologie; der Sinn des Imperativs und die Ausführbarkeit der Bergrede; Christus in der Bergpredigt und die Stellung zum Judentum. Wir suchen sie ohne Voreingenommenheit oder wenigstens in ständiger Kontrolle und Kritik unserer unvermeidlichen Voreingenommenheiten aus den Texten und aus ihrem historischen Milieu heraus zu verstehen und zu lösen. Es wird also zunächst ausschließlich historische Auslegung geben, und zwar wird sich eine gewisse, sehr unangenehme Eigenschaft solcher Exegese mehrfach empfindlich geltend machen: ihre Unerbaulichkeit. Da kann man dann gleich den Gegensatz zwischen geschichtlicher und theologischer Exegese kräftig spüren. Hoffentlich wird man aber auch sehen, daß solche Unerbaulichkeit nicht Schuld des Exegeten ist, sondern dem Dokumente zuzuschreiben ist, das darin einzig dasteht, daß es gegenüber kirchlich-christlichem Heilsverlangen wie gegenüber moderner Frömmigkeit besonders viel „unerbaulichen" Stoff in sich faßt. Danach wollen auch wir, nach einer eingehenderen Analyse der zwei exegetischen Methoden, der historischen und theologischen, den theologischen Gehalt und den Gegenwartswert der Bergpredigt zu erfassen versuchen, wobei wir die historische Exegese und ihre Ergebnisse als Ausgangspunkt nehmen. geschichtlichen Einschlag, den jede charaktervolle Theologie in sich trägt, man ist dann auf alles gefaßt und gibt sich keinen Illusionen hin. Hierüber weiteres im letzten Kapitel.
1. KAPITEL
BERGPREDIGT UND ESCHATOLOGIE 1. Durch Joh. Weiß 1 und Alb. S c h w e i t z e r 2 sind uns die Augen geöffnet worden für den eschatologischen Grundcharakter der Verkündigung Jesu und der apostolischen Predigt. Jesus, wie vor ihm der Täufer, erwartet in kürzester Frist die von Daniel und allen Propheten angekündigte Weltkatastrophe, die allen irdischen Reichen ein Ende macht und für die, die gerettet werden, das Paradies und den neuen Äon heraufführt, in dem sie ein Leben in seliger Gottesgemeinschaft ewig leben. Diesen kommenden Zustand nennt er Reich Gottes oder Herrschaft des Himmels. Für ihn die Hörenden vorzubereiten durch seinen Büß- und Weckruf und durch seine Verkündigung von der Gerechtigkeit des Reiches Gottes als der Bedingung, die für den „Eintritt" gestellt wird, ist der Sinn seiner ganzen Arbeit. Seine Predigt, vor allem seine Auslegung des Willens Gottes an uns, ist darum eschatologisch eingestellt, in doppeltem Sinn: (1) die Nähe des Heils und die Gefahr, das Heil zu verspielen, ist Hauptmotiv für diese Lehrverkündigung und (2) das Dringende des Augenblicks, der Interimscharakter der Gegenwart zwingt den eschatologischen Propheten Ausnahmegesetze zu verkünden, wie sie nur in Krisiszeiten gelten können. 1 Zuerst in seiner Schrift: Predigt Jesu vom Reiche Gottes 1892; 1900; später in den „Schriften des N. T.'s" I.Band. 2 Zuerst in: Das Messias- und Leidensgeheimnis. Eine Skizze des Lebens Jesu 1901: dann in: Von Reimarus zu Wrede. Geschichte der LebenJesu-Forschung 1906; 6. (photornech.) Aufl. 1933. Von Bedeutung war auch: E. E h r h a r d t , Der Grundgedanke der Ethik Jesu im Verhältnis zu den messianischen Hoffnungen seines Volks und zu seinem eigenen Messiasbewußtsein 1895 (von Schweitzer a. a. O. 243 nur flüchtig gestreift). Charakteristische Auseinandersetzung über „Gesinnungsethik, Interimsethik" bei H. J. H o l t z m a n n in Protest. Monatsh. 1910 und Neutest. Theologie a I241ff. Aus neuester Zeit s. J. W a r s c h a u e r , The historical life of Christ, 1927, bes. S. 178ff. K l a u s n e r , Jesus v. Naz. (1930) 21934 S. 562. a
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1. Kapitel
Schweitzer hat für diese Lehrform den treffenden Namen Interimsethik geprägt1. Er besagt, daß die Ethik Jesu keine allgemeingültige Sittenlehre, vor allem keine Kulturethik ist, sondern eine Ethik, die den einzelnen losreißt von seinen natürlichen Verbänden, die ihm heroische Opfer zumutet und deren Forderungen nur den Einzelnen, nur die Vorbereitung für das Reich, das kommt, im Auge haben und alle anderen Interessen, alle sonstigen Güter, alle anderen Menschen ausschalten. Als ein Hauptdokument, das solche eschatologische Ethik im angeführten Doppelsinn befaßt, gilt die Bergpredigt2. Es ist unbestreitbar, daß es eschatologische Ethik und insbesondere Interimsethik gibt. Klassische Dokumente religiöser Interimsethik findet man in Jeremia 16, 1 ff. und 1. Korinther 7, 25ff. Auch in den synoptischen Evangelien hat man Beispiele. Die Bußpredigt des Täufers ist Gerichtsethik, und viele Sprüche Jesu schließen sich ihr als sinnverwandte Ausdeutungen des mit einer nahen Katastrophe drohenden Gotteswillens an; vgl. etwa Mc. 8, 34ff.; 10, 23-45; Mtth. 10, 16ff.; Luc. 14. 25ff.3. Die Frage ist nur, ob die Gerichtsethik Jesu sich mit dem ganzen Bestand seiner überlieferten Lehre deckt, ob und wieweit auch die Bergpredigt eschatologische Reichs- und Gerichtspredigt, vielleicht auch exzeptionelle Interimsethik darstellt. Diejenigen, die zuerst den eschatologischen Grundgehalt der Lehre Jesu erkannten, fühlten diese Einsicht wie eine Entwertung, suchten die eschatologische Leidenschaft des Gerichtspredigers so viel wie möglich psychologisch zu erklären, gewissermaßen zu entschuldigen und dann die eschatologischen Sprüche durch bewußte Umdeutung für die moderne Welt wieder brauchbar zu machen4. Ein großer Teil der jüngeren Generation denkt hierüber anders. Sie feiert die Entdecker der Eschatologie und der Interimsethik als diejenigen, die dem Kulturprotestantismus den Todesstoß versetzt haben, willent1 .Zuerst in seiner Schrift: Das Messipnitäts- und Leidensgeheimnis 1901, S. 18ff.; dann Geschichte d. Leben-Jesu-Forschung6 594f. 2 Vgl. etwa J. Weiß' Auslegung der Bergpredigt, in den Schriften des N. T.'s I ; K. F. Proost, De bergrede 1914 (dazu Theol. Rundschau 1914, 425ff.); E. Peterson, Art. „Bergpredigt" in Rel. in Gesch. u. Geg. I» 907ff. 3 Vgl. H. J. Holtzmann, Neutest. Theol. 2 I 243. 4 Vg. A. S c h w e i t z e r : Gesch. d. Leben-Jesu-Forschung 6 631ff.; s. auch: Kultur und Ethik 1925, 62ff.
Bergpredigt und Eschatologie
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lieh oder nicht ; denn Eschatologie ist der Untergang der Kultur und ihrer Werte, Interim ist das Ende aller Kulturgeschichte. Dazu kommt eine von den ersten Bibeleschatologen kaum gewollte theologische Ausdeutung des Begriffes Eschatologie, durch die aus der Zeitvorstellung eine Seins- und Wertvorstellung wird, oder das naiverweise als zukünftig vorgestellte Letzte in ein ewiges, zeitloses und beständig drängendes Jetzt verwandelt wird1. Eschatologische Haltung, früher als etwas Anormales, historisch Gewordenes betrachtet, gilt heute als die normale Haltung des Christen. Eschatologie ist nicht die zeitlich bedingte geschichtliche Einkleidung, sondern der wesentliche und für alle Zeiten gültige Gehalt des Evangeliums2. So haben sich die Zeiten verändert: während es früher als Entleerung des Evangeliums galt, wenn man es eschatologisierte3, gilt es heute als eine Verflachung, wenn man den eschatologischen Gehalt einschränkt oder gar leugnet. Neutestamentliche Forschung, die das oben umschriebene Erbe der Väter bewahren will, wird sich von keiner dieser Bewertungen einschüchtern lassen, und zunächst — nicht auf die heutige Zeit, auch nicht auf die sogenannte eigene Existenz, sondern ganz allein auf den Text eingestellt — fragen, wie der S a c h v e r h a l t ist. Was diese Haltung bedeutet, sei gegenüber P e t e r s o n gezeigt, der betont, daß die Forderungen der Bergrede, als zeitliche Wahrheiten verstanden, der verpflichtenden Kraft ermangeln, daß sie (daher) als Ausnahmeforderungen gelten gegenüber dem, was das jüdische Gesetz gefordert hat, nur für die eschatologische Zeit gelten, die mit dem Kommen Christi in Verborgenheit bereits begonnen hat, wie denn die Verwischung dieser eschatologischen Grundlage zu einem moralistischen Mißverständnis der Bergpredigt oder zu einer falschen Humanisierung ihrer Forderungen führe4. Vorurteilsfreie Bibelforschung hat hiergegen zu bemerken: (1) vielleicht h a t Jesus wirklich Forderungen aufgestellt, die in unseren A u g e n und für unsere Zeit der verpflichtenden Kraft ermangeln; (2) 1 Vgl. T r o e l t s c h s Art. „Eschatologie" in Rel. in Gesch. u. Geg. II622ff. und den von A l t h a u s 2 II353ff. 2 Vgl. H. D. W e n d l a n d , D. Eschatologie des Reiches Gottes bei Jesus S. 102 ff.. 3 Vgl. P. P e i n e , Die konsequente Eschatologie (Neutest. Stud. f. G. Heinrici 1914, 201 ff.). 4 S. R.G.G. »I Sp. 910. 1
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1. Kapitel
nicht-eschatologische Haltung braucht noch nicht unberechtigte Moralisierung oder Humanisierung zu bedeuten, ganz abgesehen davon (3), daß noch zu untersuchen ist, ob nicht das Evangelium auch einen moralistischen oder humanistischen Einschlag hat. Auch im eschatologischen Zeitalter darf die Theologie der Gegenwart nicht Voraussetzung und Norm der wissenschaftlichen Bibelforschung sein. 2. Bei allen Fragen ist die Komposition des Ganzen und der Sinn jedes Teiles, jedes Einzelspruchs zu unterscheiden. Die Bergpredigt als Ganzes ist eine Komposition des Evangelisten, der durch die Wahl und Zusammenstellung der einzelnen Worte und Spruchgruppen, durch thematische Heraushebung einzelner Sprüche, durch die Gliederung des Ganzen und vor allem durch Einleitung und Schlußteil, der Rede einen bestimmten theologischen Charakter aufgeprägt hat. Einzelne Teile und Sprüche können erst durch die vom Evangelisten vorgenommene Einfügung in die Rede diesen Sinn erhalten haben; dies ist bei unserer Untersuchung fortgesetzt zu berücksichtigen. Dann ergibt sich für die eschatologische Frage (1), daß die Bergpredigt als Ganzes wie alle anderen großen Reden des Matthäus auf die eschatologische Erwartung eingestellt ist, daß aber (2) der Evangelist auch sehr viel Stoff dieser Einstellung dienstbar gemacht hat, der ursprünglich keineswegs auf die Eschatologie eingestimmt war. (1) Die erste These brauche ich nicht ausführlich an den Texten zu erweisen. Es genügt an die Seligpreisungen, an den thematischen Spruch von der besseren Gerechtigkeit 5, 20, an den Spruch von den zwei Wegen 7, 13f., an die Gerichtsworte 7, 21 — 23 und an die Schlußgleichnisse zu erinnern. Schon nach den Seligpreisungen wird einer bestimmten Haltung und bestimmten Leistungen der Zugang zum Reiche Gottes als Lohn oder Gnadenlohn verheißen. Die Verheißungen sind Trostworte; sie suchen aus der bunten Menschenwelt die Typen und Gruppen heraus, die nach dem prophetischen Wissen Jesu das eschatologische Heil erlangen werden, airäv und avroi ist betont: sie, und nicht andere. Darin liegt schon eine Abweisung der Pharisäer und Rabbinen 5, 20, der Heuchler 6, 1 ff. Die Seligpreisungen erklingen aber zugleich als Imperative: werdet arm am Geist, habt Hunger nach der Gerechtigkeit, werdet barmherzig,
Bergpredigt und Eschatologie
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werdet Friedensstifter, haltet aus in der Verfolgung, denn nur dann ist euch das Himmelreich gewiß. Es ist also schon hier etwas von der besseren Gerechtigkeit angegeben, die nach dem scharf polemischen Spruch 5, 20 die unerläßliche Bedingung für den Einlaß ins Himmelreich ist. Diesem Spruch ist die ganze folgende Lehre unterstellt. Die Gebote, die der unzulänglichen mosaischen oder rabbinischen Gesetzesüberlieferung entgegengestellt werden, sind damit als Einlaßbedingungen1 gekennzeichnet. Wie im Jerusalemer Tempel der Zugang zum Altar und die Teilnahme am Kultus an bestimmte kultische und ethische Bedingungen geknüpft war (die kanntesten Aufzählungen findet man Ps. 15 und Ps. 24 2 ), so öffnet auch das Himmelreich seine Tore nur für die Menschen, die den von Jesus offenbarten Einlaßvorschriften entsprechen. Die ganze Lehre der Bergpredigt will also alle Kräfte anspannen, um den Zugang zum Reich Gottes zu gewinnen; sie dient ganz und gar der Eschatologie. Sie ist P r o k l a m a t i o n der von Gott verfügten Einlaßbedingungen durch den Mund Jesu 3 . Damit ist die Bergrede des Matth, als Gegenstück zum Gesetzbuch des Moses ausgewiesen. Nach einer bestimmten Anschauung des Deuteronomiums ist der Gehorsam gegen die Satzungen Jahves nicht nur die Bedingung für ein gesegnetes Bleiben im Lande Kanaan, sondern schon die Voraussetzung für den „Einzug" und die Inbesitznahme (das „Erben") Deut. 4, 1; 16, 20. Auch die mosaischen Gebote sind Einlaßsprüche wie die Seligpreisungen. Wahrscheinlich ist die Seligpreisung der reinen Herzen Matth. 5, 8 bewußt einem solchen alttestamentlichen ,,Einlaß"-Text nachgebildet: Ps. 24, 4. Ebenso mag eine Wurzel des Spruches Matth. 5, 20 die griechische Fassung des Einlaß- und Erbspruches Deut. 16, 20 sein: „in gerechter Weise jaget dem nach, was g e r e c h t ist, damit ihr lebet und eingehet und erbet das Land, das der Herr dein Gott dir gibt" (s. Matth. 6, 33). Das Reich Gottes ist die heilige Stätte der messianischen Heilszeit, in der das heilige Land, die 1 Die französische Wissenschaft hat für diese „Einlaßsprüche" den treffenden Ausdruck paroles d'entrée. 2 Vgl. auch Ps. 118,19f., Jes. 33 und siehe dazu G a l l i n g , Der Beichtspiegel in ZAT 1929, 125—130. 3 Genauere Erläuterung findet man in meinem Aufsatz „Die Sprüche vom Eingehen ins Reich Gottes" ( Z N T 1928, 163 ff.).
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heilige Stadt und das heilige Gotteshaus zusammengeschmolzen sind, und die Bergpredigt umfaßt die von Jesus als neuem Gesetzgeber neu formulierten Einzugsbedingungen. Das wird am Schluß noch einmal in dem anderen Einlaßspruch 7, 21 bestätigt, wo uns unzweideutig versichert wird, daß allein der strikte Gehorsam gegen den Willen seines Vaters im Himmel, wie er in dieser neuen Gesetzesvorschrift vorliegt, den „Eingang" ins Reich der Himmel vermittelt. Gleiches sagt das warnende Wort von dem schmalen Weg, der zum ,,Leben" führt und den nur wenige finden 7, 13f.; wie Moses am Schluß seiner großen Gesetzesrede Deut. 30, 19f., stellt auch Jesus seine Hörer noch einmal vor die Wahl; Leben oder Tod, Segen oder Fluch, Einzug oder Ausstoßung hängt von dem Gehorsam gegen den in neuer Auslegung verkündeten Willen Gottes ab. Oder wie es in den Schlußgleichnissen ausgedrückt ist: nur das Tun dieser Worte verbürgt die Rettung in der Katastrophe, die der Eröffnung des Reiches Gottes vorangeht. Damit ist der „Sinn der Bergpredigt" für Matth, eindeutig festgelegt. Mit eschatologischen Texten ein- und ausgeleitet 5,3—12; 7,24—27, zwischen zwei Einlaßsprüche 5,20; 7,21 eingebettet, stellt sie die n e u e G e s e t z g e b u n g f ü r d a s e s c h a t o l o g i s c h e G o t t e s r e i c h dar: sie beschreibt die „Gerechtigkeit", die allein im Reiche Gottes gilt, sie tut den „Willen des Vaters im Himmel" kund, der getan werden muß, damit man Einlaß findet; sie beschreibt die Haltung gegen Gott und gegen die Nächsten, die in der Entscheidungszeit der Gegenwart gefordert und die im Reiche Gottes die einzig mögliche sein wird. Zu den Forderungen des Himmelreichs gehört also vollkommene Friedfertigkeit gegenüber dem Nächsten, vollkommene Beherrschung der Sinnlichkeit, vollkommene Wahrhaftigkeit, aller Verzicht auf Gegenwehr, radikale Nachgiebigkeit, Ausdehnung der Liebesgesinnung auch auf den Feind, Reinigung des religiösen Lebens von aller selbstsüchtigen Berechnung, unbedingte Hingabe an Gottes Reich und seine Gerechtigkeit, volle Gelöstheit vom Mammon, von irdischen Schätzen, rückhaltloser Kampf gegen die eigenen Schwächen. Das neue Gesetz geht nach der eschatologischen Umrahmung aufs Ganze, weil das Reich Gottes, das vor der Tür steht, seine Tore nur dem öffnen kann, dessen Hingabe an Gott und seine Herrschaft rückhaltlos und voll-
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kommen ist. Der eschatologische Gesichtspunkt fällt mit dem der radikalen Hingabe an Gott und der vollkommenen Freiheit von Selbstsucht, von Rachsucht, von Sinnenlust, von Gewinnsucht zusammen. Die Bergpredigt ist e s c h a t o l o g i s c h e Ges e t z g e b u n g , aber z u g l e i c h r a d i k a l - r e l i g i ö s e Gesetzgebung. Daraus folgt aber, daß die Begriffe der „Interimsethik" und der „Ausnahmegesetzgebung" nicht das Wesentliche treffen. Der Radikalismus hängt nicht so sehr an der Nähe der Endoffenbarung und an der zufälligen Kürze der Frist, sondern an dem wesentlichen Umstand, daß der Zustand, für den man sich bereiten muß, die Herrschaft G o t t e s ist, daß die Forderung von Gott ausgeht, der jetzt durch den Mund Jesu etwas Ganzes und Vollkommenes fordert. (2) Hiermit ist für die Beurteilung der E i n z e l s t ü c k e der Bergpredigt eine Grundlage gewonnen. Man kann geradezu den Kanon aufstellen: Stücke und Sprüche, in denen das nahe Gericht und die eschatologische Herrschaft Gottes nicht ausdrücklich genannt sind, brauchen auch exegetisch nicht ausdrücklich auf die eschatologische Situation bezogen zu werden1. Danach können als n i c h t e s c h a t o l o g i s c h herausgehoben werden folgende Sprüche: Die Worte vom Salz und Licht, der Opferspruch 5, 23f., das Wort vom geistigen Ehebruch, das Verbot der Ehescheidung, das Schwurverbot, das Racheverbot(!), das Gebot der Feindesliebe(!), der Spruch vom Auge, das Wort von den zwei Herren, der Spruch vom Splitter und Balken, die Versicherung der Gebetserhörung und die goldene Regel. Eine besondere Betrachtung verdienen die zwei Perikopen vom R a c h e v e r z i c h t und von der F e i n d e s l i e b e , die bei J. Weiß als klassische Ausprägungen der eschatologischen Ausnahmegesetzgebung gelten2. Es ist von großer Wichtigkeit, daß wir feststellen können; der Krisisgedanke, wie er 1. Kor. 7 so mächtig hindurchklingt, hat in beiden Spruchgruppen auszuscheiden. Die Auflösung von allem Rechts-, Selbst- und Rassebewußtsein hat mit der Erwartung baldigen Unterganges dieser Kultur nichts zu tun! Für das Wort von der Feindesliebe hegt die Ausschaltung eschatologischer Begründung am 1 Die gegenteilige Meinung bei W e n d l a n d , Eschatologie des Reiches Gottes 120, Joh. S c h n e i d e r , Der Sinn der Bergpredigt 1936, 19. 2 S. Schriften des N. T. 2I 267ff.
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Tage. Hier sind die Motive, die zur Gesinnung und Betätigung der Feindesliebe führen müssen, ausdrücklich genannt: die Vollkommenheit Gottes, die es nachzuahmen gilt, und der Anspruch, daß die Frommen, die zu Gott und zu Jesus gehören und einen Lohn von Gott erwarten, mehr leisten müssen als die Zöllner und Heiden, d. h. die Menschen, die (subjektiv) von Gott geschieden sind. Fast noch wichtiger ist, daß der Gott, dessen Vorbild die Liebe zum Feinde uns vorlebt, nicht der Gott der Eschatologie und der Katastrophengerichte, nicht der Gott des Zornes ist, sondern ein Gott, der in seinem an ewige Normen gebundenen Weltregiment zum mindesten vorläufig sich des Rechtes auf Bevorzugung der „Gerechten" und auf Bestrafung der „Gottlosen" begeben hat, gewissermaßen seit dem Bund mit Noah auf alle Katastrophen verzichtet hat 1. Mose 8, 21 f.; 9, 8 ff. Aller Katastrophenglauben und alle Katastrophenangst ist diesem schönen Spruche fremd. Die ewig sich gleichbleibende Erhabenheit Gottes ist das Motiv für diese höchste Steigerung des Liebesgebotes. Es ist eine Gottesanschauung, in der das eschatologische Pathos aufgehoben ist 1 und die in der Offenbarung Gottes nach der Sintflut begründet ist. Auch die Reichserwartung steht nicht im Hintergrunde 2 . Der den Modernen so fatale Gott, der nicht straft, sondern alle Menschen mit seiner Güte umfaßt, und der Mensch, der diese Gottesgüte zur Richtschnur seines Lebens macht, sind post-diluviale, postund anti-eschatologische Erscheinungen. Freilich ist anzuerkennen, daß diese Aufhebung der eschatologischen Weltanschauung in unserer Perikope nicht vollständig ist. Sie klingt noch an in der Anspielung auf den Lohn, den die Frommen freilich nur für außergewöhnliche Leistungen zu erwarten haben, und in dem Hinweis auf „Zöllner" und „Heiden", also Repräsentanten der Menschheit, von denen jeder Israelit weiß, daß sie in dem kommenden Gericht vernichtet werden. Aber das sind offenbar nur Nebenmotive. Dieser Tatbestand macht es wahrscheinlich, daß auch die mit dem V e r g e l t u n g s g e d a n k e n sich auseinandersetzende 1 Vgl. als schärfsten Kontrast etwa Luk. 18, l f f . und Rom. l,19ff.! 2 Sehr schön sagt M. D i b e l i u s , Das soziale Motiv im N. T. (vgl. u.) S. 26: Wer sich für das Reich Gottes rüstet, muß etwas von der übermenschlichen Liebe Gottes ausstrahlen können. Aber — ich kann ihm und mir nicht helfen: davon schweigt die Perikope ganz und gar.
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Spruchgruppe 5, 38—43 von jeder eschatologischen Bezogenheit freizuhalten ist. Bei Lukas ergibt sich das schon daraus, daß die parallelen Worte in die Sprüche von der Feindesliebe eingeschaltet sind (3, 29ff.); damit sind die für diese geltenden Beweggründe auch auf sie übertragen. Bei Matthäus, der beide Spruchgruppen deutlich voneinander trennt, ist erstere hinreichend motiviert mit dem Gegensatz zum alttestamentlichen Gebot, der ja auch in das Gebot der Feindesliebe hineinspielt. Es ist das formale Prinzip, daß Jesus das genaue G e g e n t e i l der den Alten gegebenen Vorschrift fordert. Erlaubt das alte Gesetz Vergeltung, Gegenwehr und Klage, so verbietet der neue Gesetzgeber dies alles: keine Gegenwehr, vielmehr Verzicht auf Recht und Klage, Überbietung der ungerechten Forderung durch doppelte Leistung ist sein Gebot — daß die Sprüche wörtlich verstanden und ausgeführt werden wollen, tritt schon mit dieser Erwägung als selbstverständlich heraus: abendländische Kultur und abendländische Philosophie haben leider vielen protestantischen Theologen die Fähigkeit genommen, diese Sprüche richtig zu verstehen. Der Radikalismus der Sprüche erklärt sich hinreichend aus der Tendenz, Vergeltungstrieb, Gegenwehr, Rachedurst bis auf die Wurzel auszutilgen. Diese Tendenz ist mit größter Einseitigkeit durchgetrieben. Die bedenklichen Folgen solcher Haltung für den Bestand des Rechtes und für die Sicherheit des Landes sind nicht beachtet. Insbesondere ist mit keiner Silbe an den Feind und an die Rückwirkung dieser überraschenden Haltung auf ihn gedacht. Unsere Spruchgruppe rechnet weder auf seine Beschämung, noch auf seine Bekehrung, auch nicht auf die künftige Bestrafung durch Gott, drei Aussichten, die für Paulus in seiner parallelen, übrigens von Jesus und der Synopse wahrscheinlich völlig unabhängigen Mahnung Rom. 12, 14ff. sehr wesentlich sind 1 . Oder sollte bei dieser Indifferenz gegenüber Recht und Feind nicht doch die eschatologische Situation einbezogen sein ? Ich halte diese Erklärung, der ich früher als Schüler von J. Weiß unbedenklich folgte, jetzt auch hier für nicht geboten: sie ist nirgends angedeutet und auch nicht erforderlich. Höchstens indirekt könnte sie von Einfluß gewesen sein, insofern das 1 Paulus ist lediglich von alttestamentlicher Spruchweisheit inspiriert, die übrigens bei Matth, ignoriert ist und seiner Antithese auch die Spitze abbricht. Derartiges ist in der Tat auch den Alten schon gesagt!
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Gebot für die kleinen Kreise der Jünger Jesu gegeben ist, die sich im Gehorsam gegen Jesu Wort und in Erwartung der nahen Krisis von aller Welt geschieden haben1. Man könnte an die Worte erinnern, mit denen Jesus die Jünger nach dem Gespräch mit den Zebedaiden belehrt, wo gleichfalls das dominierende Motiv ist: eure pflichtmäßige Haltung muß das Gegenteil der Haltung der Welt darstellen, Matth. 20, 25—28, und wo doch die Situation durch die Erwartung der auf das bevorstehende Leiden folgenden Herrlichkeit bestimmt ist. Aber auch da ist die Forderung an sich ausreichend durch den „Gegensatz" begründet; die eschatologische Situation wäre also nur letzter Hintergrund. Aber wahrscheinlich sind die Sprüche erst von Marcus (10, 42—45) mit dieser eschatologischen Szene kombiniert und hatten sie ursprünglich ihre ganz selbständige Geltung. Dann entfällt auch für die Gebote der Bergpredigt jede Nötigung, ihren Radikalismus vom Krisisgedanken her zu verstehen. Der Radikalismus ist vielmehr radikale Antithese gegenüber einer bisher herrschenden und im Alten Testamente geltenden Rechtsregel. Aus den übrigen nicht-eschatologischen Sprüchen ist nur noch die Warnung vor dem Mammonsdienst herauszuheben. Die Mahnung, alles Interesse am Besitz und an seiner Vermehrung in sich zu ertöten, kann auch eschatologisch begründet werden; vgl. Mt. 6, 19f.. Der Rat, der den Reichen erteilt wird Mt. 19, 21 par., ist sicher am eschatologischen Kairos bestimmt, desgleichen seine Verallgemeinerung in Sprüchen wie Lk. 12, 33 2 . Aber der Mammonsspruch Matth. 6, 24 ist rein religiös begründet. Das Motiv ist der Gedanke des eifersüchtigen Gottes, der den Menschen ganz beansprucht, der über ihn und in seinem Leben allein herrschen will3. Haben wir somit eine Reihe charakteristischer Aussprüche der Bergrede als nicht-eschatologisch begründet herausnehmen 1 So etwa auch C. G. Montefiore, The synoptic Gospels 2 II 1927, 70ff., ders., Rabbinic Literature a. Gospel teaching 52ff. Den obigen Ausführungen stimmt M. ausdrücklich zu. 2 Lk. 12, 33 f. ist die lukanische Passung von Mt. 6 , 1 9 f. Matth, hat den Spruch von den Schätzen in der Form eines eschatologisch ausgerichteten Weisheitsspruchs, Lukas hat Weisheit und Eschatologie auf den jetzt drohenKairos zugespitzt. 3 Vgl. G. S e v e n s t e r , Ethick en eschatologie in de synopt. evangelien p. 61f.
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können, so ist von der übrigbleibenden Hälfte keineswegs zu sagen, daß sie gänzlich dem eschatologischen Aspekt unterworfen sei. Es lassen sich noch einige wichtige Spruchgruppen herausholen, in denen das eschatologische Motiv zwar genannt ist, aber doch nicht dominiert. Hierzu gehört die Antithese, gegen das 5. Gebot, das Lehrgedicht von den drei Frömmigkeitsübungen und das vom Sorgen. Die Auslegung des 5. G e b o t e s ist insofern eschatologisch bedingt, als ihre letzte Drohung der Feuerpfuhl, die Gehenna, ist. Das Gottesgericht, das mit der Gehenna droht, ist die höchste Instanz, die für das häßlichste Schimpfwort Racha zuständig ist. Obwohl das Wort nach der Aufmachung des Matthäus gegen den Rabbinismus gerichtet ist, folgt es doch einem Schema der rabbinischen Auslegungsmethode. Die „Gehenna" ist ein fester Lehrbegriff der pharisäischen Eschatologie. Sie ist hier indes nur ein letzter Fall, und die Tendenz des Ausspruchs, ist nicht, eine eschatologische Lehre zu verkünden, sondern den Willen Gottes in seiner ganzen Schärfe auszulegen und die Ergänzungsbedürftigkeit des Dekalogs oder einer sich auf seinen Wortlaut beschränkenden Auslegung darzutun 1 . Die Sprüche über das verkehrte und richtige A l m o s e n g e ben, Beten und Fasten sind durch das L o h n m o t i v , das Jesus; auch für die richtige Ausübung der Frömmigkeit gelten läßt, mit der Eschatologie verknüpft. Dies Lohnmotiv ist keineswegs nur Akkommodation oder Form. Die charakteristische Fassung: „Dein Vater, der ins Verborgene sieht, wird's dir vergelten" zeigt vielmehr, daß „der Lohn des Vaters" für die Frömmigkeit Jesu keineswegs gleichgültig ist. Er ist weit entfernt, den Lohngedanken aufzulösen, auch im Gleichnis vom ,gleichen Lohn", Mt. 20, lff., geschieht das n i c h t — höchstens im Gleichnis vom Sklavendienst Luk. 17, 7—10 kommt es zur Entfernung aller Lohnerwartimg. Jesus geißelt die Heuchelei, daß man bei Ausübung seiner Frömmigkeitswerke auf die Menschen sieht, von Menschen Lohn erwartet, und deckt die Folgerung auf, daß der Heuchler mit solcher Haltung gänzlich von Gott sich scheidet, also auch von Gottes Lohn. Es ist ganz, selbstverständlich, daß r i c h t i g e Ausübung der Frömmigkeit 1 Wie die rabbinischen Parallelen (bei Billerbeck und Fiebig usw.) zeigen, ist der Gedanke auch den Babbinen erschwinglich gewesen.
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sich auch darin kennzeichnet, daß sie Vergeltung erlangt1. Gottes Lohn ist für Jesus von der Gemeinschaft mit Gott unablöslich. Das Lehrgedicht trägt also zwei Lehren vor: wie man r i c h t i g schenkt, bittet und fastet und wie man seinen Lohn von Gott sich nicht verscherzt. Es ist nur nicht gesagt, daß •die Vergeltung ausschließlich eschatologisch gemeint sei. Sie kann auch schon wie in der jüdischen Weisheit im diesseitigen Leben offenbar werden: beim Almosengeben als ständige Mehrung des Besitzes, wodurch der Fromme immer wieder in die Lage kommt, anderen von seinem Eigentum zu schenken (II. Kor. 9, 8 ff.), beim Beten in der Erhörung der Bitten, beim Fasten in der Erfüllung des jeweiligen Zweckes der Fastenübung. Der Evangelist, der das Wort vom Schätzesammeln anschließt, wird freilich vorwiegend den himmlischen Lohn im Auge gehabt haben, und in der Tat können die Anweisungen sehr gut in eine eschatologisch beherrschte Verkündigung eingestellt werden. Es muß indes anerkannt werden, daß neben dem Lohngedanken auch ein rein religiöses Prinzip den Inhalt der Lehre bestimmt: der Begriff der richtigen, sachgemäßen Ausübung der Frömmigkeitswerke. Jesus will den Frommen von allem Menschlichen, in das er verstrickt ist, losreißen und ihn ganz auf Gott hinwerfen. Daß Gott für solche richtigeHaltung auch eine Vergeltung bereit hat, steht ihm fest, der Gedanke ist aber hier etwas Zweites. Ähnlich sieht es mit dem eschatologischen Einschlag der Warnung vor dem Sorgen. Er findet sich nur in der dritten Strophe dieses herrlichen, harmonisch gebauten Lehrgedichtes, im dritten Verse, wo indes die Mahnung 6, 33, zuerst das Reich zu suchen samt der Verheißung, das andere werde dann hinzugeschenkt, ein ganz neues Motiv zu der bisherigen Beweisführung hinzufügt. Von diesem einen Spruche abgesehen, ist nämlich das ganze Gedicht wiederum auf einer der Eschatologie vielfach entgegengesetzten Weltanschauung aufgebaut, der der religiösen Weisheit (die wir schon im Spruch von der Feindesliebe feststellten). Die Welt ist ein großer Haushalt, in dem die einzelnen Vorgänge (Erhaltung von Leib und Leben; Speise und Kleidung des Menschen; Unterhalt der Vögel, Wachstum 1 Dabei ist die Frage, welcher Art die hier in Aussicht gestellte Vergeltung ist, ob verborgen oder öffentlich (vgl. den Zusatz der Koine-Kezeneion), ob diesseitig oder eschatologisch, von sekundärer Bedeutung.
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der Lilien) nach weiser Überlegung des Schöpfers auf einander eingestellt sind; sie können daher vom Menschen auch durch Überlegung begriffen werden1. Es ist eine Weltanschauung, die von starkem religiösen Optimismus durchdrungen ist, eine Art Aufklärungsfrömmigkeit, aber eine wirkliche strenge Frömmigkeit, die den Zweifel als heidnisch verdammt. Sie erscheint in sich geschlossen, daher die aus ihr geholten Beweisgründe für die Torheit des Sorgens eigentlich hinreichend sind. Das letzte, eschatologische „Argument" 6, 33 erscheint dann demgegenüber fast wie ein Fremdkörper, es ist ein Sprung in eine andere Sphäre des religiösen Glaubens. Man ist versucht, das Reich hier rabbinisch zu fassen: die Gottesherrschaft, die wir auf uns nehmen und annehmen (Mark. 10, 15), wenn wir uns Gottes Willen unterwerfen. Dann würde das Lied entschieden •ein harmonisches Ganzes darstellen: in den Haushalt Gottes «ingestellt, soll der Mensch, dem Gott die Sorge um sein leibliches Bestehen abnimmt, nun mit Leib und Seele sich der Herrschaft Gottes unterwerfen und nach der Gottesgerechtigkeit streben. Aber wir würden mit dieser Erklärung uns nicht nur in Gegensatz zum Evangelisten stellen, der das Wort sicherlich als „Einlaßspruch" verstanden hat (vgl. 5, 20)2, sondern auch den ursprünglichen Sinn des Wortes fälschen, der sicher ein von •eschatologischer Verheißung angeregtes Suchen und Ringen meint (vgl. Luk. 13, 24). Dann ist eben in ein von starkem Gottvertrauen durchdrungenes Weisheitslied als letztes und stärkstes Argument der eschatologische Imperativ eingestellt, 1 In der 1. Aufl. war hier von dem Kosmos und seinen harmonisch 'und logisch durchdachten Einrichtungen die Rede, die auch logisch erfaßt werden können. Nach B u l t m a n n (DLZ 1929, 989 vgl. auch Jesus S. 149 f.) habe ich die Worte Jesu damit im Sinne der populären Stoa und des Rationalismus gedeutet. Auch H. D. W e n d l a n d , Eschatologie des Reiches Gottes S. 22 A. 1 warnt vor einer „Verharmlosung Jesu" und wirft mir „böse Verflachung" vor, da er aus meiner Deutung eine Lehre von der Harmonie des Kosmos heraushört. Ich gebe zu, daß die Worte so verstanden werden konnten, kann aber versichern, daß sie nicht so gemeint waren. Ich hätte in der Tat die Terminologie der griechischen Weisheit vermeiden und Ausdrücke jüdischer Weisheit wählen sollen (wie es nun geschehen ist); sie sind sachgemäßer, weil die Sprüche von der Weisheit Israels her verstanden werden müssen. Wendland scheint seinerseits die Spannung zwischen Eschatologie und Weisheit nicht zu sehen, die ich allerdings nachdrücklich betonen möchte. 2 Vgl. m. Artikel ZNT 1928, S. 167. UNT 16: W l D d U e h .
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der sich indes in die Diesseitsbetrachtung der Weisheitsfrömmigkeit insofern harmonisch einfügt, als er auch eine Verheißung fürs Diesseits in sich befaßt: Gott sorgt für die diesseitige Existenz, damit der Mensch sich ganz der Bereitung für das kommende Reich hingeben kann. Der im Schöpferglauben begründete Vorsehungsglaube und der eschatologische Reichsglaube schließen sich darin zusammen, daß sie dem Menschen für sein irdisches Dasein völlige Sicherheit verbürgen1. Als eschatologisch beherrschter Stoff bleiben somit nur noch übrig: die Seligpreisungen, die Reichssprüche 5, 19. 20, der zweite Spruch von der Versöhnlichkeit 5, 25f., wenn er als eschatologische Parabel gefaßt wird, die Ärgernissprüche 5, 29f., das Vaterunsergebet, das Wort vom Schätzesammeln, der Spruch vom Richten 7, lf., das Wort von den zwei Wegen 7, 13f., die Gerichtswarnung 7, 21—23 und die Schlußgleichnisse. All diesen Worten ist gemein, daß sie Aufschluß geben über die Normen des Endgerichts und des Zugangs zum Gottesreich, daß sie dem Menschen raten, sein Leben rückhaltlos auf die zwei eschatologischen Möglichkeiten einzustellen. Sie drohen mit dem Schrecken der Gehenna und locken und trösten mit der Herrlichkeit des Gotteslohns und des Gottesheils. Über einige dieser eschatologischen Sprüche ist noch Besonderes zu sagen. Noch einmal sei betont, daß die meisten unter die Kategorie der eschatologischen Einlaßbedingungen fallen. Eine bestimmte geistige, religiöse, praktische Haltung, eine bestimmte heroische Leistung sichert uns, dem apokalyptischen Wissen Jesu (oder des Evangelisten) zufolge, den Zugang zum Himmelreich und die Rettung vor der Hölle. Die eschatologische Aussicht ist das entscheidende Motiv für die bestimmte Formulierung wie für die Entscheidung, Leistung, Haltung des Menschen. Meist hat die empfohlene Haltung ihren religiösen Wert in sich selbst; doch fehlt nie eine innere Beziehung zu dem Heil, das sie erwirkt, und zu dem Gott, der dies Heil verheißt. Das gilt besonders von den Seligpreisungen. Freilich kommt es auch vor, daß die empfohlene Leistung in sich selbst und in ihrer krassen Formulierung fest an der eschatologischen Situation und Entscheidung hängt: so in der heroischen Forderung, das Ärgernis gebende Glied sich abzuhauen, und in dem Wort von den falschen und den wahren Schätzen.. 1 Vgl. S e v e n s t e r a. a. O. 89.
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Zwar drängt sich in beiden Sprüchen zunächst ein echt rationales Weisheitsmotiv vor: Die Torheit, um eines Gliedes willen, das man sich scheut preiszugeben, das Heil des ganzen Leibes zu riskieren, die Sinnlosigkeit, Schätze zu sammeln, die einem geraubt werden können, und der Rat, sich nur solche Werte zu sammeln, die nicht geraubt werden können. Aber der für das Handeln entscheidende Gedanke ist doch wieder ein einseitigeschatologischer: bei jeder Anfechtung hat man ins Auge zu fassen, daß der Richter bereit steht, den ganzen Menschen in die Hölle werfen zu lassen, wenn die Anfechtung nicht überwunden wird, und bei jeder Tat hat man zu überlegen, ob damit ein Wert im Himmel geschaffen wird, der dann „am Ende" als himmlisches Heilsgut ausgeteilt werden kann. Der von der Eschatologie getragene Radikalismus wirkt sich darin aus, daß bei einem Ärgernis ein scheinbar unentbehrliches Glied geopfert werden muß und daß ein andersartiges Sammeln, wie es von den irdischen Daseinsbedingungen angeregt wird, verboten oder widerraten wird. Mit dem Mammonsspruch zusammengehalten, zeigen die Worte, wie der eschatologische und der religiöse Radikalismus in den praktischen Folgerungen völlig zusammenfallen. Die religiösen Glieder des V a t e r u n s e r s zeigen eine Lagerung, die der des Liedes vom Sorgen entgegengesetzt ist. In einen vorwiegend eschatologischen Bittenkomplex sind zwei Bitten eingesprengt, die die diesseitige Existenz berühren, so daß das Ganze den isoliert genommenen Spruch 6, 33 schön veranschaulicht: zuerst die Sorge um das Reich, dann die um die Nöte des täglichen Brotes. Das Vaterunser ist das Gebetsformular für eine eschatologische Gemeinde; von dem Gebet, das der Täufer seine Jünger gelehrt hatte (Luk. 11, 1), wird es sich kaum wesentlich unterschieden haben. Es ist weder das Gebet im Kämmerlein, das 6, 6 gemeint ist, noch das Gebet um die guten Gaben, dem 7, 7—11 die sichere Erhörung verheißen ist. Es ist rein religiöse Eschatologie wie die erste Hälfte der Seligpreisungen und steht auch jenseits der in Imperativen sich ausprägenden Eschatologie. Der Betende erwartet alles von Gott; nur in der Vergebungsbereitschaft macht er eine eigene Leistung geltend, deren Unentbehrlichkeit für die Fortdauer der religiösen Gemeinschaft allerdings durch einen besonderen Spruch unterstrichen wird 6, 14f. Unsere Untersuchung ist hiermit abgeschlossen. Die Berg2*
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rede als Ganzes ist eine Predigt, die die eschatologische Gerichts- und Heilserwartung zum Fundament, zum entscheidenden Richtpunkt für Leben und Tun, für die Haltung gegenüber den Menschen im diesseitigen Leben wie für die Haltung gegenüber Gott macht, die auch wirklich Spruchgruppen und Einzelworte in sich aufgenommen hat, die ausschließlich an der Krisis orientiert sind, die aber auch einen reichen Verkündigungsstoff diesem Richtpunkt dienstbar macht, in dem die eschatologische. Situation entweder nicht berücksichtigt ist oder nur als ein Zweites hinzukommt. Alle Predigt, alle Jesusüberlieferung läßt sich ja schließlich in die eschatologische Sphäre hinüberpflanzen; aber vieles läßt sich auch von ihr ablösen, weil die Lehre zu einem großen Teil ursprünglich in einer nichtdualistischen Sphäre gewachsen ist, oder weil das in ihr enthaltene eschatologische Motiv nicht wesentlich, daher ablösbar ist. In der Bergpredigt sammeln sich die zwei großen Hauptströme der synoptischen Jesusverkündigung, g e l ä u t e r t e und r a d i k a l i s i e r t e Weisheitslehre und p r o p h e t i s c h - e s c h a t o l o g i s c h e Heils- und Gerichtsverkündigung, und sie zeigen auch hier das Doppelbild: bald fließen sie unvermischt nebeneinander her, bald mischen sie sich, weil sie auch gemeinsame Motive haben. Zu diesem gehört vor allem der in seiner Reinheit aufgefaßte Gottesbegriff, der sowohl die „Weisheit" Jesu wie seine Profetie bestimmt und der beiderseits die Forderung zu radikaler Losgelöstheit von allem Nichtgöttlichen verschärft. Es ist das Bezeichnende der Bergpredigt, daß ihre Radikalismen aus beiden Strömen gespeist sind; überwiegend entstammen sie der religiösen Weisheit Jesu. Die Tatsache, daß sowohl die Weisheit als die Eschatologie bei Jesus zu radikaler Forderung vertieft ist, gibt eine der wichtigsten Erklärungen für die Verbindung der beiden von Haus aus einander wesensfremden Verkündigungsgestalten. Um die Spannung z w i s c h e n E s c h a t o l o g i e und Weisheit, wie sie dem Sehenden in der Bergpredigt und sonst in der evangelischen Überlieferung entgegentritt, richtig zu verstehen, muß man bedenken, daß die israelitisch-jüdische Weisheit wie die antike Weisheit überhaupt von Haus aus gegenüber Gesetzeslehre und Eschatologie ein eigenständiges Gebilde ist 1 . Erst 1 Vgl. zum folgenden J. F i c h t n e r , Die altoriental. Weisheit in ihrer israelit.-jüdischen Ausprägung (Beih. ZAT). 1933.
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in nachexilischer Zeit ist die Weisheit mit der Thorareligion einen Bund eingegangen, der bis zur völligen Identifizierung von Weisheit und Thora vorgeschritten ist. Erst damals hat sie auch Motive der Eschatologie (jenseitige Vergeltung, Weltgericht) in sich aufgenommen, aber doch nur als Randsätze. Wie sie gegenüber der Thoratradition sich ihre Selbständigkeit wahrt und viele Themen pflegt, die der Thora unbekannt sind, so ist ihre Lebensanschauung und Lebenshaltung auch noch nicht vom" Ernst der Gerichtspredigt so durchdrungen, daß Inhalt und Form ihrer Lehre ganz darauf eingestellt wären. Die Erfassung aller Lebensverhältnisse durch den klugen Rat des Weisen, d. h. des Erfahrenen, der Appell an die Vernunft und Einsicht, die Betonung des Nützlichen und Zweckmäßigen und die Forderung einer einsichtsvollen und vernünftigen Lebensführung bestimmen nach wie vor den Grundcharakter der Weisheit. Diese Interessen sind nun auch in der „Weisheit Jesu" und speziell in der Bergpredigt vertreten 1 . Es finden sich in ihr e c h t e W e i s h e i t s s p r ü c h e , die zum Teil noch das Stadium widerspiegeln, da die Weisheit weder mit der Thora noch mit der Eschatologie verknüpft war: 5, 44—47 — die praktische Feindesliebe ist von altersher ein Thema der Weisheitsliteratur; von dorther und nicht aus der Thora (Ex. 23, 4f.) stammt das Wort in Prov 25, 21 f., das Paulus Röm. 12, 20 zitiert. 6, 25f. 28—32; 6,27; 6,34; — daß das Lehrgedicht vom Sorgen ,,Weisheits"lehre ist, zeigt neben dem unverkennbaren Weisheitsspruch 6, 34 die Art der Beweisführung, speziell die Argumentation mit den Naturbeispielen; das Gegenstück steht Prov. 6, 6—8, wo die Ameise gerade Vorbild des Fleißes ist. 5, 25 f. — der Rat an Prozessierende ist seinem ursprünglichen Traditionsgehalt nach sicherlich als Weisheitsrat zu verstehen. Er wird zur eschatologischen Belehrung, wenn man ihn als Parabel faßt (,so mußt du dich dem drohenden Gericht Gottes gegenüber verhalten') 2 . 1 G. S e v e n s t e r , Ethik en Eschatologie in de synopt. evang. S. 60—118.
2 Dagegen S c h l a t t e r , Der Evangelist Matthäus 174f.: „in dieser Fassung sinkt der Spruch . . . unter die vorangehenden und die folgenden Sätze hinab, die nicht Einzelheiten ordnen, sondern das ganze Verhalten der Jünger . . . reinigen". Aber damit wäre nur bewiesen, daß der Zusammenhang bei Matthäus nicht ursprünglich ist.
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5, 29f. — die Sprüche vom Ärgernis sind trotz des apokalyptischen Stichwortes Gehenna ihrem Gehalt nach Weisheitssprüche, als solche erkennbar an dem Stichwort ovncpsQU und an der Überlegung: lieber ein Glied verlieren als den ganzen Leib! Als Weisheitssprüche sind ferner zu nennen 6, 14 f.; 6, 22f.; 6, 24.; 6, 27; 7, 1 - 5 . Auch die aus Jesus Sirach bekannte G l e i c h s e t z u n g d e r W e i s h e i t m i t d e m G e s e t z I s r a e l s wird in der Bergpredigt zum Ausdruck gebracht: 7, 12. Die zweite Hälfte der sog. goldenen Regel vollzieht den Anschluß der allgemeinen Weisheit, die in der ersten Hälfte gelehrt wird, an „Gesetz und Propheten". Etwas anders steht es mit der Einschmelzung der Weisheit in die e s c h a t o l o g i s c h e V e r k ü n d i g u n g ; sie geschieht in der Bergpredigt mit größter Entschiedenheit. Das W o r t von den Schätzen 6, 19 f. ist ein typisches Weisheitswort, aber der Zusatz ev ovqavm ist eschatologisch, sofern er im Sinne der neuen transzendenten Eschatologie ausgelegt werden soll. So läßt sich auch die Weisheitsbelehrung 6, 1 — 18 in die eschatologische Verkündigung einstellen, da sich das dreimal wiederholte ärtodmOEL nicht mehr, wie in der alten Weisheit, auf das Diesseits, sondern auf die jenseitige Vergeltung des Reiches Gottes bezieht. I m selben Sinn doppeldeutig ist das wohl aus der Täufertradition übernommene Drohwort 7, 19: der Akt, der gemeint ist, kann sowohl — nach altisraelitischer Lehre — in einem frühen Straftod als auch im Gericht des Menschensohnes vollzogen werden. Eigenartig liegt der Fall des Reichsspruchs 6, 33, der an eine ganz auf das „Diesseits" und seine Beleuchtung vom Schöpferglauben her eingestellte Weisheitslehre vom Sorgen angefügt ist. Mit einem Mal gleitet der Lehrer vom ersten Artikel (Gott der Schöpfer) in seinen zweiten Artikel über (Gott der Vollender und Richter) über. V. 33 a ist ein richtiger Reichsspruch vgl. Lk. 13, 24; V . 33 b ist seine Anwendung auf die konkrete Weisheitslehre. Die festeste Verbindung von Weisheit und Eschatologie in der Bergpredigt findet sich in dem Gleichnis vom „klugen" und „törichten" Mann 7, 24—27. Es ist „Weisheit", sein Leben auf die Gefahren, auf die Katastrophen, die, kommen können, auf die Endkatastrophe einzustellen. Auch hier ein Traditionsstoff,
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der wohl ursprünglich „Diesseitsweisheit" darstellte und nun in der Bergpredigt des Matth, (wie bei Lk.) auf die Eschatologie des Reiches und Gerichtes ausgerichtet ist. Die hier vertretene Unterscheidung von Weisheitslehre und eschatologischer Gerichts- und Heilspredigt ist von H. D. Wendland 1 bestritten worden mit dem Hinweis auf die sachliche Einheit von Ethik und Eschatologie im Gottesgedanken, „durch den die Ethik eschatologisch und die Eschatologie ethisch" wird. Aber der Tatbestand ist nur zu erfassen, wenn man — wie es oben geschehen ist — die Traditionszusammenhänge aufweist, in die die verschiedenen Worte Jesu hineingehören, und damit eine Aufgabe löst, der sich kein neutestamentlicher Exeget ungestraft entzieht. Nach Wendland soll ich einem „rein apokalyptischen Verständnis der Eschatologie Jesu erlegen" sein und darum ihre ethische Prägung nicht sehen. Das Problem ist aber dies, daß wir in der Bergpredigt neben der eschatologisch geprägten Ethik noch eine sehr charakteristische nicht-eschatologische Lebenslehre vor uns haben, die mit jener nicht völlig zusammengefügt werden kann. Daß diese Weisheit Jesu durch den ganzen Ernst des Gottesgedankens bestimmt ist, glaube ich nicht verkannt zu haben. Aber solche religiöse Weisheit anerkennen und von einer eschatologischen Ethik Jesu sprechen bedeutet nicht dasselbe. Vor solcher Verwirrung und Verdunkelung der Begriffe kann ich nur warnen. Das gleiche Urteil muß ich über die Erklärung Wendlands fällen: „Die Gottesherrschaft ist Wille Gottes an den Menschen, weswegen auch die Nichtverwendung des Terminus ßaaileia in den ethischen Sprüchen der Bergpredigt für den sachlichen Zusammenhang nicht das mindeste ausmacht." Der Gebrauch eines so einseitig-modernen Begriffs von der „Herrschaft Gottes" würde die neutestamentliche Exegese hinter die Arbeit von Joh. Weiß zurückführen. Es ist eben doch, wenn nicht absolut entscheidend, so doch wesentlich bestimmend für das richtige Verständnis eines Spruches, ob der eschatologische Terminus ßaoiltia darin vorkommt. Die Unterscheidung zwischen Eschatologie und Weisheit gibt nun auch Richtlinien für die t h e o l o g i s c h e E x e g e s e der Bergpredigt nach verschiedenen Richtungen. Wir können (1) 1 W e n d l a n d , D. Eschatologie des Reiches Gottes S. 108f.
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1. Kapitel
die Bergpredigt im Sinn des Matthäus radikal eschatologisieren, das Gericht und das Heil, das in Jahren oder auch täglich kommt, zum entscheidenden Richtpunkt für den ganzen Stoff, für jedes Wort machen, alle Radikalismen für die Krisis in Anspruch nehmen. Wir können (2) die echatologischen Motive zurückstellen oder in Gegenwartsvisionen verdampfen lassen und die Bergpredigt als Dokument eines radikal-religiösen Weisheitschristentums verstehen. Und wir können (3) eine Synthese suchen, die aus dem Zusammenstehen von Eschatologie und religiöser Weisheit den theologischen Gedanken schöpft, daß alle Weisheit eschatologisch ist und daß alle Eschatologie sich im Jetzt und in der Weisheit des Augenblicks und des diesseitigen Lebens verwirklicht, indem die eschatologische Zukunft doch nur vollendet, was die Weisheit jetzt schon offenbart. Man hüte sich nur davor, sich und anderen einzureden, daß einer dieser drei Wege der einzig richtige Weg und der Weg Jesu sei. Jesus ist vielseitiger, reicher gewesen als irgendeine einseitige Theologie es ist, allerdings auch ursprünglicher, weniger reflektiert (naiver) gewesen als wir es sind. Nur wenige können heutzutage seinen Weg ganz gehen. Für die meisten von uns sind es immer nur kurze Strecken, wo wir wirklich in seine Fußstapfen treten. Aber wir können immer wieder zu ihm zurückkehren und uns zu seinen Füßen setzen und hören, was er uns sagt. Und an jedem Orte unseres Weges können wir stehenbleiben und zurückschauen zu ihm.
2. KAPITEL
DER SINN DES GEBOTES UND DAS PROBLEM DER AUSFÜHRBARKEIT i
Die neueren Interpretationen Brennender als die Frage nach dem eschatologischen Hintergrund der Bergrede ist noch immer das Problem, welchen Sinn die Imperative der Bergpredigt im Rahmen des Evangeliums haben. Gegenüber der eigentlich nächstliegenden Auffassung, die offiziell wohl nur noch die katholische Tradition festhält, wonach die Gebote richtige Imperative seien, von deren Erfüllung das Heil abhängt, die also als ausführbare Vorschriften gegeben werden, ist man sich in weiten Kreisen protestantischer Theologie einig, daß die radikalen Forderungen der Bergrede nicht ausführbar seien, daß es mit ihnen eine besondere Bewandtnis haben müsse. In der näheren Bestimmung dieser Bewandtnis gehen die Forscher freilich weit auseinander1. a) Die modernen Interpretationen der Imperative. Für die ältere Generation ist W. Herrmanns klare und greifbare Erklärung charakteristisch2, daß die Gebote Jesu nimmermehr als Gesetzesvorschriften aufgefaßt werden dürfen. „Der verbreitetste und schlimmste Fehlgriff in der Erklärung 1 Eine gute Übersicht über die Diskussion der Vorkriegszeit siehe H. Preisker, Die Art und Tragweite der Lebenslehre Jesu (Th. Stud. u. Krit. 1919,1—45). Vgl. außerdem M. D i b e l i u s , Rezension von Piebig, Bergpredigt (1925, 200ff.) in Th. Lit. Z. R. Seeberg, Die Ethik der Bergpredigt 1934. Joh. Schneider, Der Sinn der Bergpredigt 1936, und H. W. B e y e r , Der Christ u. die Bergpredigt nach Luthers Deutung 1933, 5—9. 2 Die sittlichen Weisungen Jesu, 2. Aufl. 1907. Vgl. auch seine E t h i k , § 24: Das sittl. Gesetz nach der Auslegung Jesu Christi «1909, 147ff.
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2. Kapitel. Der Sinn des Gebotes u. das Problem der Ausführbarkeit
jener Worte ist der, daß man sie alle als Gesetze nimmt, die in jedem Fall erfüllt werden sollen." „Wenn er jene Worte als allgemeine Regeln gemeint hätte, so wäre er viel schlimmer gewesen als die Gesetzeslehre, die er bekämpft." Hillel mit seinen Bedenken über die Genießbarkeit der am Sabbat gelegten Eier wäre im Vergleich mit ihm ein gütiger Gesetzeslehrer gewesen. Neue Gesetze können sie schon darum nicht sein, weil Jesus uns gerade vom Gesetze hat erlösen wollen. Was ist dann ihre Bedeutung? Wir sollen in ihnen eine Ges i n n u n g aufleuchten sehen, die in dem Bewußtsein lebt, daß Gott unser Ein und Alles ist und daß die Liebe das einzige Gut ist, unbegrenzt in ihrem Willen, frei von allem äußeren Zwange. Gerade aus dieser Erkenntnis heraus werden wir die Zumutung ablehnen, wir sollten uns durch das Unverständliche, das aus manchem Worte uns entgegenzutreten scheint, unterjochen lassen. Aber wenn wir jene Forderungen auch als allgemeine Regeln ablehnen, halten wir sie doch fest als Forderungen, die auch für uns in jedem Augenblick in Wirksamkeit treten können; recht gebraucht, sind es herrliche Zeugnisse innerer Kraft und Freiheit. Die Darlegungen W. Herrmanns sind von außerordentlicher Wirkung gewesen. Sie wirken bis in unsere Tage nach 1 . Um sie recht zu verstehen, muß man sich klar machen, daß Herrmann kein Exeget, sondern Ethiker war, der das Wesen der Ethik nur in der Einheit der Gesinnung, in einem allgemeinen Grundsatz fassen kann; daß er sich in seiner Zeit mit zwei markanten Personen auseinandersetzen mußte, die ihm beide das Wesen der Ethik überhaupt und das Wesen der sittlichen Weisungen Jesu insbesondere, aber auch den Charakter der Persönlichkeit Jesu zu verkennen schienen: Tolstoi und Fr. Naumann. T o l s t o i mit seiner Lehre, daß gerade in den buchstäblich zu verstehenden rigoristischen Geboten Jesu der Inbegriff des Evangeliums zu suchen sei, wodurch er zum religiösen Anarchisten wurde 2 ; Fr. N a u m a n n mit seiner Erklärung, daß die sittlichen Weisungen Jesu, eben weil sie buchstäblich verstanden werden müßten, aber in unserer Kultur wörtlich nicht zu verwirklichen 1 Vgl. O. B a u m g a r t e n , Bergpredigt u. Kultur der Gegenwart 1921, bes. S. llOff. 2 Kurze Darlegung des Evangeliums 1882.
I. Die neueren Interpretationen
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seien, für unsere Zeit nicht mehr maßgebend sein könnten1. Unter der doppelten Voraussetzung, (1) daß buchstäbliche Ausführung für uns unmöglich sei, daß aber (2) die sittlichen Weisungen Jesu als solche auch für uns ihre Geltung behaupten müßten — jenes Zugeständnis teilte er mit Naumann, dieses Bekenntnis mit Tolstoi —, kam Herrmann zu der Lösung, daß nur die in ihnen aufleuchtende Gesinnung die Macht sei, an die wir unbedingt gebunden seien. Hinter der ganzen Darlegung ist noch eine dritte Voraussetzung wirksam und als selbstverständlich angenommen, (3) daß Jesus von Nazareth seine Gebote genau so gemeint haben müsse wie der moderne Ethiker, der Kant, Tolstoi, Naumann usw. gelesen hat, sie auslegt. Diese Überzeugung, die letztlich wurzelt in dem überlieferten Glauben an die göttliche Inspiration oder göttliche Herkunft Jesu als des Sohnes Gottes oder des göttlichen Logos, ist die letzte Triebkraft, die seinen Gedanken Form und Richtung gegeben, und in verschiedenartiger Fassung wirkt sie meist unausgesprochen bei fast allen Theologen nach, auch bei den freiesten, die sich in neuester Zeit zu dem Problem des Sinnes der Gebote Jesu geäußert haben. Sie sind alle diesen Fragen gegenüber wie Herrmann theologische Ethiker. Wundervoll und oftmals überzeugend weisen sie uns, wie wir mit den oft ärgerlichen und unverständlichen Worten Jesu fertig werden können. Aber fraglich ist, ob sie damit auch erklärt haben, wie Jesus selbst sie gemeint hat. Der Exeget wird zum mindesten erst fragen, ob denn auch Jesus jene rigorosen Forderungen für unausführbar gehalten, ob in seinen konkreten Worten wirklich nur nach einem allgemeinen Motiv gesucht werden soll, ob er uns wirklich radikal von allem Gesetz überhaupt hat erlösen wollen, ob wirklich die Auffassung, die Jesus zum authentischen Ausleger eines göttlichen, schlechthin normativen Gesetzes macht, die gröblichste Verkennung des Charakters der Bergpredigt ist 2 . Neben W. Herrmann ist als charakteristischer „Ausleger" der Bergpredigt aus der Vorkriegszeit Joh. Müller zu nennen. Sein vielgelesenes Buch „Die Bergpredigt verdeutscht und ver1 Fr. N a u m a n n , Briefe über Religion 1903. 2 So O. B a u m g a r t e n a. a. O. 111; vgl. auch H. W e i n e l , Theol. des N. T. *1928, S. 87f, (§ 16,1).
Bibl.
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2. Kapitel. Der Sinn des Gebotes u. das Problem der Ausführbarkeit
gegenwärtigt"1, hat vielen nach Gott und nach persönlichem Leben dürstenden Seelen geholfen, einen Sinn in der Bergpredigt zu finden und zu einem „lebendigen Verständnis" dieser Rede zu gelangen. Auch Müller beginnt damit, daß er zunächst Mißverständnisse beseitigt. Die Bergrede ist kein Sittengesetz; als solches ist sie eine Folter, mit der die Menschen sich fruchtlos quälen, oder eine überirdische Reliquie, die man in Demut verehrt, aber nicht befolgt (S. 9). Ein Sittengesetz muß allgemein gelten und seine Erfüllung menschenmöglich sein. Weder das eine noch das andere trifft die Bergrede. Über alle Mißverständnisse und über alle bloß antiquarischen Untersuchungen hinaus müssen wir zu einem lebendigen Verständnis hindurchdringen. Dies finden wir allein in der Einsicht, daß uns die Bergpredigt das neue Menschenwesen beschreibt, das in uns erstehen muß, sein Werden und die Gesetze seiner Entfaltung, und daß wir die Rede nur insoweit begreifen, als wir dies neue Sein in uns selbst haben und spüren. Joh. Müller ist der Typus des modernen Menschen der Vorkriegszeit, der eine neue religiöse Gnosis gefunden und diese nun in den alten Text der Bibel hineinliest. Da an dem Werden dieser Lebensanschauung auch das Evangelium seinen Anteil hat (sogar eine gewisse Kongenialität ist bei Joh. Müller zu erkennen), kommt er dem Sinn der Worte oftmals wirklich nahe oder findet er Erläuterungen, die sich nicht weit von ihm entfernen. Aber im ganzen bedeutet die Vergegenwärtigung, die er vornimmt, eine Umbiegung der ursprünglichen Tendenz, und die Gegenwart ist bei ihm stärker als der Text. Die Voraussetzungen, zu denen seine Gnosis ihn zwingt, machen es ihm von vornherein unmöglich, den richtigen Sinn der Bergpredigt zu erfassen, weil meistens das, was ihm „unmöglich" dünkt, in der Bergpredigt gerade selbstverständliche Prämisse ist. Das Buch ist das Musterbeispiel einer „Interpretation", die mit der Exegese einigen Zusammenhang wahrt, aber im ganzen etwas anderes, eigenes ist, eben lebenskräftige moderne Gnosis mit einigem neutestamentlichen Einschlag. Die exegetisch-wissenschaftliche Diskussion über die Bergpredigt wurde vor allem durch die eschatologische von J. Weiß eingeführte und von A. S c h w e i t z e r radikal durchgezogene 1 Vor mir liegt die 2. Aufl. von 1908.
I. Die neueren Interpretationen
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eschatologische Deutung der Sittenlehre Jesu angeregt. Liefert doch die Bergpredigt die Belege für eine heroische, Kultur verneinende Ethik Jesu, deren Zuspitzung aus der Eschatologie, der Erwartung einer nahen Gerichtskatastrophe und aus der daraus fließenden Beurteilung der Gegenwart als kurzer Interimszeit, als Zeit der Vorbereitung und Zurüstung auf das nahe Reich erklärt werden sollte. Diese eschatologische Deutung, von der wir im 1. Kapitel gehandelt haben, hat den Vorzug, daß sie den Sinn der Gebote klar und eindeutig bestimmt: es sind ernstgemeinte Vorschriften; ihre kultur-aufhebende Tendenz fließt mit unentrinnbarer Gewalt aus der Erwartung des nahen Endes dieses Weltenlaufs (1. Kor. 7). Diese Situation schließt auch die Ausführbarkeit der Gebote in sich, d. h. der Glaube an die eschatologische Situation ist auch die Kraft zum Entschluß und zur Ausführung. Diese eschatologische Fassung der Sittenlehre Jesu und damit auch der Bergpredigt wirkt in der Problematik der Nachkriegszeit fast überall noch nach. In neuester Zeit sind als „Ausleger" der Worte Jesu vor allem H M. Dibelius und R. Bultmann aufgetreten1. M. D i b e l i u s hatte schon in einer Rezension von P. Fiebigs Bergpredigt2 auf die Wichtigkeit der Bergpredigt und ihres richtigen Verständnisses für die Theologie hingewiesen: Die landläufigen falschen Urteile über Christentum und Welt hängen seines Erachtens mit einem oberflächlichen Verständnis der Bergpredigt zusammen, und zwar schwankt das Urteil zwischen einer historisierenden beschränkenden Betrachtung, die in ihr ein nur unter e s c h a t o l o g i s c h e r Voraussetzung gültiges, ehrwürdiges, aber antiquarisches Stück Überlieferung sieht — wir haben uns mit ihr oben auseinandergesetzt — und einer nomis t i s c h e n Betrachtung, die aus ihr eine für die Kirche gegebene, in gesetzlichem Sinn zu erfüllende und gesetzlich erfüllbare Verordnung macht: so habe sie schon der Evangelist aufgefaßt, so 1 Vgl. noch H. H a r t m a n n , Jesus, das Dämonische und die Ethik 2 1923, J. de Z w a a n , Jezus, Paulus en Rome 1927, H. D. W e n d l a n d , Die Eschatologie des Reiches Gottes bei Jesus 1931, J o h . S c h n e i d e r , Der Sinn der Bergpredigt (Aus der Welt der Bibel) o. J. 2 Theolog. Lit.-Z. 1925, 200 ff. Das Buch von Fiebig umfaßt „Rabbimische Texte zum Verständnis der Bergpredigt . . . mit Erläuterungen versehen" (1924).
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sei sie in der Aufklärungszeit und von Tolstoi beurteilt worden. Indem Dibelius die konfessionelle Deutung übergeht, wonach die Bergpredigt uns als Lex gegeben ist, die uns zur Erkenntnis unserer Sünden führen soll, stellt er den beiden falschen Interpretationen die richtige entgegen, die der geschichtlichen Situation wie dem übergeschichtlichen Hintergrund der Worte Jesu gleicherweise gerecht wird und den Gefahren der Modernisierung wie der Atomisierung gleicherweise entgeht: wer nämlich in der Komposition der Bergpredigt Sprüche erkennt, die einst zu besonderen Gelegenheiten gesprochen worden sind, wird nach Dibelius geneigt sein, in ihnen eher a l l g e m e i n g ü l t i g e M o t i v e in a k t u e l l e r A u s p r ä g u n g als allgemein gültige Vorschriften zu sehen. Die geistreiche Unterscheidung erinnert sehr an Herrmanns Theologie, und der Verdacht meldet sich, daß auch Dibelius der Gefahr der Modernisierung nicht entgangen ist. Er wird bestätigt, wenn wir nun an sein schönes; Buch G e s c h i c h t l i c h e u n d ü b e r g e s c h i c h t l i c h e R e l i g i o n im C h r i s t e n t u m (1925, seit 1929 unter dem Titel E v a n g e l i u m u n d Welt) herantreten, in dem die Andeutungen der Rezension ihre Ausführung erfahren haben. Hier will er im Sinne jener Definition die rigorosen Worte Jesu als „Paradoxien" fassen, die keine ethischen Lehren enthalten, deren Mission vielmehr ist, I m p u l s e zu geben, zu stoßen, zu treiben, indem sie Wahrheiten zu eindringenden Stacheln zuspitzen. Jesus gibt nach diesem Erklärer keine Gebote, auch wenn er in der den Juden geläufigen Form des Gebotes, der Mizwa redet. Was man E t h i k Jesu nennt, d. h. die Summe aller von ihm überlieferten Imperative, ist nicht, eine Sammlung von Geboten, sondern „eine große und nach der Gelegenheit immer erneute Variation des E t h o s , das allem Reden Jesu zugrunde hegt". Nicht das Tun des wörtlich Gebotenen ist das Wesentliche, sondern das Sein, aus dem Befehl wie Ausführung hervorgehen müssen. Hier steht eine bestimmte Ansicht über die Ausführbarkeit im Hintergrund: Dibelius begnügt sich nicht mit der Erklärung, buchstäbliche Ausführung des Befehls sei bisweilen schwer oder unmöglich, er ist noch radikaler und erklärt: sie sei immer unzureichend gegenüber dem, was Jesus meint, eben dem „Sein", das durch den kritischen Moment der Weltwende ausgelöst wird, aber selber von Zeit und Welt unabhängig sei. Dieses Sein wird als H a l t u n g
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näher veranschaulicht, die Jesus mit seinen Worten schaffen will und aus der das Gebotene hervorgehen kann. Haltung aber ist etwas Überzeitliches und hängt nicht mehr mit den Bedingtheiten der Welt zusammen. „Nicht Ethik, sondern Ethos, nicht Handeln, sondern Sein im Angesicht der kommenden Welt ist die Forderung Jesu." Die Verwandtschaft dieser Ausführungen mit denen Herrmanns und Joh. Müllers leuchtet ein. Dibelius hat nur andere z. T. modernere Begriffe; auch verleugnet sich bei ihm der sachkundige Exeget nicht, der fähig ist, die Evangelien zu allererst, als historische Dokumente zu lesen. Hieraus erklärt es sich, daß für seine Formulierungen ein eigentümlicher Begriff der „Welt" maßgebend ist, der jedenfalls zu einem Teil in den Zeitanschauungen des Evangeliums wurzelt: Welt ist die irdische Welt, die nach der Lehre der Eschatologie in Bälde untergeht, von der der Jünger Jesu gelöst sein muß, auf die die Gebote Jesu daher auch keinerlei positiven Bezug haben; daher die Anschauung, daß da, wo ein positives Eingehen auf die Welt, ein Aufstellen von weltlichen Pflichten im N. T. zu beobachten ist, eine „Verweltlichung", also Veränderung der ursprünglichen Haltung,, konstatiert werden muß. Die ganze Anschauung ist eine Erläuterung der eschatologischen Weltuntergangsstimmung des Evangeliums, aber zugleich die Herausarbeitung der bekannten Leitgedanken von Fr. Overbeck, dessen Einfluß auf unsere modernste Theologie kaum überschätzt werden kann1. Der geschichtlich-orientierte Exeget, dem es zunächst nicht um „Interpretation", sondern um richtige Exegese des Evangeliums zu tun ist, wird auch dieser geistvollen Erklärung der Bergrede gegenüber ernste Bedenken anmelden. So wertvoll die Unterscheidung zwischen Ethik und Ethos, Gebot und Impuls, Handeln und Sein für unsere wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den ethischen Traditionen und Theorien der Vergangenheit und für unsere Haltung gegenüber dem Evangelium und der Bergpredigt ist, so bedenklich ist es, diese Begriffe auch in das Bewußtsein Jesu einzutragen. Ist es bewiesen, daß die Worte Jesu nur die äußere Form der Mizwa, des Gebotes haben, daß sie aber anders gemeint sind ? Ist es erwiesen, daß Jesus zwischen Ethik und Ethos, Gebot und Haltung, 1 Vgl. jetzt W. N i g g : Die Kirchengeschichtsschreibung. München 1934.
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Handeln und Sein einen Unterschied gefühlt und nur das Zweitgenannte, nicht auch das Erstgenannte gewollt hat? Ist es zu beweisen, daß die buchstäbliche Erfüllung immer unzureichend gewesen sei gegenüber dem, was er gemeint hat ? Sind das wirklich Reflexionen, die bewußt oder auch nur unbewußt bei der Formulierung seiner Worte wirksam gewesen sind? Sind es nicht vielmehr Reflexionen des modernen Autors, der Kant, Herrmann und Joh. Müller gelesen hat? Ist nicht auch hier wieder die letzte Voraussetzung, daß unsere so und so beeinflußte Haltung auch die Meinung J e s u gewesen sein müsse, liegt nicht auch hier wieder Vermischung von Exegese und theologischer Interpretation vor? In einem Aufsatz: Die U n b e d i n g t h e i t des E v a n g e liums und die B e d i n g t h e i t der E t h i k (Chr. W. 1926, Nr. 22) hat Dibelius die von ihm gemeinte Antithese zwischen Evangelium und christlicher, auf die Welt eingestellter Ethik noch verdeutlicht. Das Element des Evangeliums ist das Unbedingte. Jesus macht ganz Ernst mit Gott, und dieser Glaube bewirkt es, daß von der Welt ganz a b g e s e h e n wird; denn gegenüber dem Gott, der kommt, wird alles andere gleichgültig. Ein neues Sein hat Jesus mit der Offenbarung Gottes und der kommenden Welt gebracht, ein Ethos, keine Ethik. („Alles, was nach Ethik im Evangelium aussieht, ist im Grunde nur die sehr bedingte Andeutung dieses Seins in einer imperativischen, gerade von diesem einen Fall aus gewonnenen Form.") Doch Hegt in dem Ethos „ein starker Anreiz zu ethischen Bildungen". Aber „der Weg vom Ethos des Evangeliums zur christlichen Ethik" ist „ein Weg vom U n b e d i n g t e n zum Bedingten" 1 . In interessanten Ausführungen zeigt Dibelius, wie diese Wandlung sich auf allen Gebieten des Lebens vollzogen hat und in der Gegenwart eine Krisis der Ethik zu spüren ist, die zu einer neuen Auseinandersetzung des Bedingten mit dem Unbedingten, des Ethos und der Ethik führen muß. Auch diesen Aufstellungen gegenüber regt sich die Frage, ob wirklich alle „Ethik" d. i. konkret Gehorsamsforderung aus der Überlieferung des Evangeliums zu bannen, ob der antithetische Begriff der Welt bei Jesus wirklich so radikal durchgeführt ist. Gewisse Einschränkungen, die schon Dibelius macht, weisen 1 Sp. 1107—1109; 1111.
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in andere Richtung. Wenn auch die pinzipielle Haltung Jesu intuitiv von Dibelius richtig erfaßt ist, dann ist doch noch zu fragen, ob Jesus überall die von Dibelius gezogene Konsequenz, die auf radikale Entwertung von allem, was nicht „Gott" ist, ausgeht, gezogen und festgehalten hat. Sehr problematisch ist auch die Gleichsetzung der Lehre Jesu mit dem Unbedingten; hier wirkt eine alte dogmatische Tradition (vgl. o.) auch bei Dibelius nach. Es sind bedeutende theologische Denklinien, die Dibelius zieht, aber ob sie auch im historischen Evangelium ihre volle Verwirklichung gefunden haben, ist noch eine offene Trage. Die Darlegungen machen den Eindruck einer einseitigen, rückhaltlosen Deutung, einer scharfsinnigen Konstruktion; der konkrete Tatbestand ist indes erst noch zu befragen, ob er sich in die Deutung und Konstruktion gutwillig einfügen läßt. Die Gedanken hat Dibelius neuerdings erläutert in dem anregenden Aufsatz Das soziale Motiv im N.T. 1 . Dem Evangelium eignet unbedingte Aktualität: mit seinen Einzelforderungen wie mit den pluralisch geformten Worten will er den Einzelnen in die Entscheidungssituation versetzen. Mit solcher Erklärung will D. die Eschatologie, die er anerkennt, nicht etwa in Aktualität umdeuten, wohl aber soll der Begriff der Aktualität die Bedeutung der Eschatologie für die Predigt Jesu erhalten. Auch aus den Widersprüchen ist nach D. zu ersehen, daß Jesus keine für alle Menschen gültigen Regeln gibt, sondern jeden in seiner Situation treffen und vor die Entscheidung stellen will. So sind die „scheinbaren Gebote" nicht Forderungen im jüdischen Sinn, von jedem gleichmäßig zu erfüllen, darum pünktlich „auszulegen und peinlich genau anzuwenden", sondern „aktuelle Beispiele, die die ewige Forderung Gottes konkretisieren". Hier wird abermals deutlich, daß das eine Hauptproblem dies ist, ob wirklich alle radikalen Forderungen unter den eschatologischen Aspekt gestellt sind2 — wir haben schon gezeigt, daß diese Voraussetzung für die Bergpredigt nicht zutrifft. Ein weiteres Problem ist das der Allgemeingültigkeit oder Aktualität. Sicher ist eines: die Überlieferer haben die Forderungen Jesu als allgemein gültig gefaßt, sollten sie damit 1 In: Kirche, Bekenntnis u. Sozialethos. Forschungsabteil, d. Ökumen. Rates f. Prakt. Christ. 1934, S. 9—32. 2 Vgl. D. soz. Motiv S.12. UNT l « : W l n d l ü e h .
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2. Kapitel. Der Sinn des Gebotes und das Problem der Ausführbarkeit
Jesus mißverstanden haben? Für manche Worte dieser Art trifft die Erklärung Dibelius' zu, aber kaum für alle. Schon B u l t m a n n hat eine eindringende Kritik des Dibeliusschen Buches gegeben1, der ich in wesentlichen Punkten zustimme2. Er hat den romantischen Hintergrund des weltanschaulichen und kulturkritischen Standpunkts von Dibelius aufgedeckt und bewiesen, wie stark Dibelius in seiner Interpretation von bestimmten neuzeitlichen Anschauungen und Begriffen abhängig ist. Daß der Theologe Bultmann in manchen Punkten dem Evangelium Jesu näher steht und sich von den Umdeutungen von Dibelius frei hält, fühlt man, wenn man (a. a. O. S. 399) liest, Dibelius könne mit den s i t t l i c h e n Weisungen Jesu nichts Rechtes anfangen, weil er sie als ein Andeuten und Ahnenlassen „des neuen Seins" in ihm fasse, statt als Gebote, die Autorität sind und Gehorsam fordern. Ebenso fühlt man sich näher an das Evangelium herangeführt, wenn Bultmann die Behandlung der Geschichte rügt, die bei Dibelius völlig ihre Bedeutung verliere (393f.). Aber Bultmann akzeptiert doch auch den Begriff der Welt, mit dem Dibelius arbeitet, will ihn nur noch radikaler anwenden, will auch von keiner „Ethik" wissen. Demgegenüber ist bedeutsam, daß er die Theorie vom „Abfall" ablehnt, da das „Unbedingte" für den Menschen immer nur in seiner Jeweiligkeit, d.h. im Jetzt seiner konkreten, geschichtlichen Existenz in der Zeit da sei. Etwas überscharf bezeichnet er schließlich die Weltanschauung, die Dibelius vertritt (wenn auch nicht in der Intention, sodoch in seiner „Begrifflichkeit"), als ein „zu einem romantischen Pantheismus umgedeutetes Christentum". Die Intention von Dibelius ist das auf keinen Fall, aber richtig ist hierin zum Ausdruck gebracht, daß Dibelius das Evangelium im Banne seiner eigenen Geistessphäre umgedeutet hat. Von Pantheismus möchte ich freilich nicht sprechen. Es sind pantheistisch klingende, oder zu Pantheismus hinführende Begriffe und Urteile 1 Zwischen den Zeiten 1926, H. 5; neu abgedruckt in: Glauben u.. Verstehen (Gesamm. Aufsätze) 1933, S. 85—84. 2 Neuerdings bemühen sich um eine Synthese zwischen Ethos und Ethik (d. i. zwischen Dibelius' und meinem Standpunkt) H. P r e i s k e r , Geis und Leben (1933) 39ff. auch H. D. W e n d l a n d , D. Eschatologie des Keiches Gottes bei Jesus 1931, S. 120ff. Beide erkennen an, daß die Weisungen Jesu wirkliche Gebote sind.
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zu finden; aber der Dualismus des Ausgangspunktes und der transzendente Gottesbegriff lassen die pantheistische Tendenz nicht zur Auswirkung kommen. Nach den Andeutungen, die B u l t m a n n in dieser Auseinandersetzung mit Dibelius gibt, weiß man schon ungefähr, was er in seinem eigenen „Jesus"-Buche (1926) vortragen wird. Auch er hat seine Kategorien, in die er die Gedanken Jesu und seine Interpretation derselben einfügt, nur entstammen sie ideologisch einer anderen Sphäre als der, in der Dibelius lebt. Ein wichtiger Unterschied ist, daß Bultmanns Theologie in einigen Grundbegriffen dem Evangelium näher steht als die von Dibelius, und daß er die Einsichten historischer Exegese, in der er ebensosehr Meister ist wie Dibelius, stärker auf seine theologische Interpretation einwirken läßt. Gleichwohl steht der Leser des Buches unter dem Eindruck, daß auch hier neben exegetischen Betrachtungen ausgeprägte Reflexionen theologischer und philosophischer Art geboten werden, die das, was historische Exegese zu sehen gibt, stark zu überwuchern drohen. Historische Exegese kommt indes zunächst voll zu ihrem Rechte. Für die Beurteilung der Sittenlehre Jesu ist die Erkenntnis grundlegend, daß sie als radikalisierte E t h i k des Gehorsams bezeichnet wird (69ff.). Es ist auch noch richtige Exegese, wenn Bultmann die Kategorien idealistischer Ethik von der Lehre Jesu fernhält und feststellt, daß die Begriffe Ideal, Zweck, Persönlichkeit, Tugend, Individualität, Sozialethik dem Evangelium fremd sind. Damit wird eine falsche idealistische Interpretation mit all ihren Folgerungen abgewiesen. Bultmann bleibt auch auf dieser Linie, wenn er die Auskunft Herrmanns abweist, es komme bei den Forderungen der Bergrede nur auf die Gesinnung an, und wenn er in ihnen den absoluten Charakter der Forderung Gottes ausgeprägt findet. Aber wir werden stutzig, wenn wir die Behauptung lesen, Jesu Worte seien weder als konkrete e t h i s c h e Forderungen noch als a l l g e m e i n g ü l t i g e e t h i s c h e Sätze anzusehen. Die Bergpredigt vor allem ist voll von konkreten Geboten, und es finden sich auch einige allgemeingültige Sätze, z. B. Mt. 7, 12. Es ist modernistische Ethik, die um bestimmter Prinzipien willen konkrete ethische Imperative und allgemeingültige Sätze nicht zuläßt, woraus dann seltsamer Weise gefolgert wird, daß auch der messianische Prophet und Rabbi Jesus sie nicht in seiner 3*
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Lehre und Verkündigung verwendet haben könne. Wenn Bultmann darauf hinweist (S. 84), daß Jesu ethische Forderungen gar nicht „neu" seien, da seine konkreten Weisungen ihre reichen Parallelen in der jüdischen Tradition haben, dann ist zu erwidern, daß das erst eine moderne Entdeckung ist, daß dagegen Jesus und jedenfalls Matthäus die Forderungen für „neu" gehalten haben; im übrigen sind seine Gebote ebenso konkret wie die dazugehörigen jüdischen Parallelen und finden sich allgemeingültige Sätze bei ihm genau so wie in der alttestamentlichen und in der talmudischen Ethik. Wenn Bultmann als Schüler W. Herrmanns es für ein Mißverständnis erklärt, wollte man jene Sätze des „Ich aber sage euch" wieder als formale gesetzliche Bestimmungen einer äußerlichen Autorität auffassen, weil sie ja nur an extremen Beispielen klarmachen wollen, daß es n i c h t darauf ankommt, einer äußeren Autorität genugzutun, sondern ganz gehorsam zu sein (S. 86f.), so ist hier eine falsche Alternative gestellt. Mit dem „Ich aber sage euch", mag die Formel nun von Jesus oder vom Evangelisten herrühren, wird ganz gewiß der Sprecher als eine von jetzt ab nachzufolgende Autorität der des Moses gegenübergestellt, und die innere Tendenz jedes Wortes, die es zur unverbrüchlichen Regel macht, kommt hinzu. Das Prinzip des völligen Gehorsams ist dabei nur ein Motiv neben anderen, das weiter unten näher ausgeführt werden soll1. Will man zusammenfassen, was die Essenz dieser ganzen Gedankenleistung darstellt, so läßt sich sagen: Die Voraussetzung ist immer eine geistige Einstellung, die von vornherein das Urteil über die Worte des Evangeliums bestimmt. Durch sie sind a priori Schwierigkeiten geschaffen, auf deren Beseitigung die theologische Deutung einseitig hinarbeitet. Ein erster Satz, auch bei den historisch geschulten Exegeten, ist der: die Bergpredigt muß so, wie sie lautet, das Dokument einer höchsten, auch für uns annehmbaren Kundgebung sein, deren Geltung durch keinerlei Veränderung der Kultur, des Lebensbewußtseins vermindert oder gar vernichtet werden kann; sie muß von dem Geist getragen sein, der auch für uns die höchste 1 Vgl. hierzu E. F ö r s t e r Z Th K 1928, 289ff.
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bindende Macht ist, darf keine minderwertigen Autoritätsmotive und keine antiken oder orientalischen Zeitmomente enthalten. Also: sie kann nicht Moral, Moralvorschriften, Ethik (sofern Ethik noch nicht dem höchsten Feiheitsbewußtsein entspricht), keine buchstäblich auszuführenden, allgemein verpflichtenden Gebote enthalten, nichts Konkretes, nichts Zeitgebundenes; sie kann vielmehr nur Gesinnungsethik, ethische Intuition, Beschreibung einer inneren Gesetzesmäßigkeit, eines Ethos, einer Haltung, Auswurf einer dämonischen Spannung, Aufhebung bloßer oder aller Moral, Auflösung des Gesetzes, Offenbarung eines Seins, einer Dämonie, Impulse, Ewig-Gültiges zur Darstellung bringen. D e n n — an diesem „denn" hängt alles — was seit Kant, seit Nietzsche, seit Herrmann seit Joh. Müller, seit Gogarten, seit der deutschen Revolution, seit dem Aufkommen, oder auch seit der Krisis der modernen Geistesbefreiung, als höchster und alleingültiger Ausdruck der Offenbarung, des Lebensbewußtseins, des Existenzbewußtseins, des Seins, der Haltung erkannt ist, das muß auch Jesus von Nazareth intuitiv, bewußt in sich getragen, aus sich herausgeworfen, gewollt und „gemeint" haben. Jesus kann nicht eine Haltung offenbart haben, die man in Heidelberg oder Marburg nicht mehr versteht oder billigt, die uns ernste Schwierigkeiten bereiten, die Abstände zwischen seiner und unserer Geisteshaltung offenbaren würde. Die ganze Bewegung ist also inspiriert von dem Dogma der G l e i c h g e a r t e t h e i t d e s E v a n g e l i u m s u n d u n s e r e r so und so bestimmten G e i s t e s s p h ä r e und dem Wunsche, die völlige Zusammenstimmung der Bergpredigt mit u n s e r e m Ethos und u n s e r e m Offenbarungsbegriff zu erweisen. Unsere modernen geisteswissenschaftlichen, weltanschaulichen und theologischen Ausdrucksmittel und Begriffe sind allein dem Evangelium und der Bergrede adäquat; nur mit ihnen sind wir heute imstande, den Sinn der Lehre Jesu richtig zu erfassen. Die ganze Geistesrichtung ist also durch und durch d o g m a t i s c h und a p o l o g e t i s c h bestimmt — es ist nur eine andere Dogmatik als die von Nieaea und Lausanne, eine andere als die von Jerusalem, eine andere als die vom „Berge". Sie will die Autorität der Bergpredigt und die Jesu für alle, d. h. für unsere Zeit begründen, indem sie sie als äußere Autorität abweist. Sie will durch richtige Interpretation alle Schwierigkeiten, alle Mißverständnisse, alle Kritikmöglichkeiten aufheben,
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sie will die Bergpredigt zu einem Dokument und Symbol moderner Kirchlichkeit und moderner Gnosis machen. Unausgesprochen — das ist ein zweiter Satz — liegt allen diesen Interpretationsversuchen das Eingeständnis zugrunde: so, wie sie lautet, ist die Bergpredigt für uns unannehmbar; wir weigern uns, ihre Gebote als Gottesgebote anzunehmen und auszuführen; wir können sie gar nicht ausführen. Sie wären, wörtlich gefaßt, moralisch oder unmoralisch, absurd, unmöglich, überspannt, jüdisch, uns ganz fremd. Nun gäbe es, wenn das richtig wäre, noch zwei andere Wege. Man könnte entweder sagen: also sind wir der Bergpredigt entfremdet, entwachsen; Jesus steht unter uns, muß von uns überwunden werden; wir haben jetzt andere Begriffe vom Sein, vom Ethos, von Gott, vom Menschentum in seiner konkreten Entfaltung; er hielt für ausführbar und geboten, was wir kraft jahrhundertelanger, kraft eigener Erfahrung für unausführbar und darum auch für nicht verpflichtend halten (vgl. etwa die Stellung zum N. T., die Ed. v. Hartmann einnahm oder die Beurteilung der Bergpredigt bei A. Rosenberg, der Mythos des 20. Jahrhunderts). Oder man könnte den Ausweg suchen: es ist das gerade der Sinn der Bergpredigt und die Absicht Jesu, uns die Unausführbarkeit der Forderung Gottes zu demonstrieren und uns so zu zwingen, nach einem ganz anderen Heilsweg auszuschauen. Die obengenannten Theologen wollen weder die eine noch die andere Folgerung ziehen. Sie wollen christliche Theologen bleiben, die als solche in der Bergpredigt eine auch an sie gerichtete Manifestation Gottes oder des göttlichen Seins erblicken; aber sie wollen doch auch, wenigstens der Bergpredigt gegenüber, sich nicht in die Verzweiflung werfen lassen, die nur im Kreuz oder bei dem gegenwärtigen Heiland ihre Rettung findet. So bleibt ihrer Meinung nach nur der Ausweg übrig, durch richtige Interpretation die Aporien des oberflächlichen Eindrucks und der historischen Exegese aufzulösen und nach Wegräumung aller „Mißverständnisse" und unter Zulassung kleiner Zugeständnisse an die historische Betrachtung die wesentliche Übereinstimmung der Intention der Bergrede mit der Intention moderner Theologie, Ethik oder Überethik zu erweisen. Es fragt sich, ob dies ein richtiger, ob es der einzige Ausweg aus dem Dilemma ist.
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b) D o g m a t i s c h e Lösungen des P r o b l e m s der Unausführbarkeit. Es ist soeben angedeutet worden, daß für Unvoreingenommene noch ein anderer Ausweg aus der Problematik der Bergrede sich zu öffnen scheint: die U n a u s f ü h r b a r k e i t als Moment der Heilserkenntnis hinzunehmen und die Absicht Jesu gerade darin zu sehen, daß er uns für einen ganz anderen, jenseits von Gebot und Vorschrift hegenden Heilsweg empfänglich machen will, für den Heilsweg, der ein Aufstieg zum Kreuze ist. Dieser Standpunkt der „Orthodoxie"1 hat auch in jüngster Zeit bedeutsame Vertretung gefunden. Ich beschränke mich zunächst auf einen Vertreter der systematischen Theologie, C. Stange, und auf einen Neutestamentier, G. Kittel, der in einem Aufsatz über die Bergrede am Schlüsse überraschend zu sehr markanten theologischen Betrachtungen und Bekenntnissen überspringt. Carl S t a n g e erinnert im Ausgangspunkt seiner Darlegungen „Zur Ethik der Bergpredigt"2 sehr an W. Herrmaim. Die Ethik Jesu ist die Darstellung der rechten Gesinnung und des richtigen Handelns. Die Absicht der Bergrede entspricht dem Kantischen Worte vom „guten Willen". Gegenüber dem Pharisäismus repräsentiert sie eine neue Stufe des sittlichen Lebens. Aber weder der Katholizismus, noch Tolstoi, noch der Kulturprotestantismus haben sie richtig erfaßt. Sie scheitern an dem Problem der Ausführbarkeit. Der Katholizismus erkennt die Unerfüllbarkeit der Gebote Jesu für die Masse an und macht aus der Ausführung ein besonderes Verdienst, wodurch er dem Geist der Bergrede zuwiderhandelt. Tolstoi will uns die Gebote der Bergrede als erfüllbar auflegen, was eine Unmöglichkeit ist. Der Kantische Kulturprotestantismus, der der Losung folgt: du kannst, denn du sollst!, also an den sich selbst durchsetzenden menschlichen Willen sich wendet, übersieht, daß Jesus in seiner Kritik der pharisäischen Moral gerade auch den e t h i s c h e n I d e a l i s m u s widerlegt. Demgegenüber ist das eigentliche Problem der Bergpredigt, daß die Bekehrung des Willens als Voraussetzung für das sittliche Tun 1 Inwieweit Luther ihn schon vertreten, zeigt G. Wünsch, Die Bergpredigt bei Luther S. 32f. 2 Zeitschr. f. syst. Theol. 1924, 37—74.
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dasteht, also ist die Voraussetzung für das richtige Verständnis die Erfahrung: du sollst, aber du kannst nicht!, und die Absicht, die die Bergrede verfolgt: die S e l b s t v e r u r t e i l u n g des Hörers. Die Bergrede vertieft das ethische Ideal, aber ebensosehr die sittliche Selbsterkenntnis. So führt sie vom Imperativ zum Gericht, vom Ideal zur Buße. Sie weist aber nach Stange auch über Gericht und Buße hinaus. Denn hinter den sittlichen Gedanken Jesu steht sein Selbstbewußtsein; beider Voraussetzung ist die L e b e n s g e m e i n s c h a f t mit Gott, die er besitzt und die er in uns begründet. Diese Lebensgemeinschaft bedeutet die Überordnung des Gottesbewußtseins über das sittliche Bewußtsein; in ihr hat man die Lösung des Problems. Stange bietet eine schöne theologische Interpretation der Bergpredigt. Wir haben nur zu untersuchen, ob sie auch die wirkliche Intention der Bergpredigt wiedergibt. Es könnte sein, daß er ihr näher stände als mancher der genannten Interpreten. Bemerkenswert ist jedenfalls, daß er die Überwindung der Ethik aus der Bergrede selbst zu begründen sucht. Zu dem Systematiker gesellt sich der Neutestamentier G. K i t t e l . Er schrieb einen Aufsatz ,,Die B e r g p r e d i g t und die E t h i k des Judentums" 1 , den er leicht überarbeitet in sein Buch: Die Probleme des palästinischen Spätjudentums und das Urchristentum (1926)2 aufnahm. Das Verdienst dieser Studie ist, daß hier von einem Kenner des talmudischen Judentums die Bergrede aus dem Milieu des Talmudismus heraus begriffen wird. Wir werden überrascht mit der wohl begründeten These: ,,es gibt nicht eine einzige unter den ethischen Forderungen Jesu, von der man apriorisch behaupten dürfte, sie sei als Einzelforderung etwas schlechthin Singuläres". Diese Tatsächlichkeit erklärt sich zu einem guten Teil aus dem gemeinsamen alttestamentlichen Mutterboden, vielleicht auch aus einer gewissen Kenntnis rabbinischer Überlieferung bei Jesus 3 , seltener aus einer Einwirkung der christlichen Tradition auf die Rabbinen. Dann muß der Unterschied zwischen Evangeüum 1 Z. f. syst. Th. (1925) II 555—594. 2 Vgl. m. Anzeige in Orient. Lit.-Z. 1927, Nr. 4, Dibelius in ThLZ 1927, Nr. 12, H. Greßmann (leider sehr einseitig) in D . L . Z. 1926, Nr. 30; R. Baltmann in Gnamon 1928, S. 297ff.; Dienemann in Mon. f. Gesch. u. Wiss. d. Jud. 1927, S. 401ff. 3 Vgl. m. Buch: Paulus u. Christus 1934 S. 206f.
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und Judentum nicht in der Neuigkeit seiner Einzelforderungen gesucht werden, sondern in der einzigartigen K o n z e n t r a t i o n auf das Religiös-Sittliche, in der absoluten I n t e n s i t ä t der Ethik Jesu. Das Urteil J . K l a u s n e r s 1 über die praktische Undurchführbarkeit dieser, dem rabbinischen Judentum im ganzen in der Tat fremden ethischen Rigorosität leitet nun zur theologischen Würdigung der Bergpredigt hinüber. Die Bergpredigt mit der Absolutheit ihrer Forderung hat ihren S i n n n i c h t in ihrer Erfüllbarkeit hier zu einer idealen Menschheitsentwicklung. Es gehört zum W e s e n dieser Forderung, daß Menschen sie n i c h t erfüllen und nicht erfüllen k ö n n e n , solange sie . . . als Menschen der Sünde in einer Welt der Sünde leben. Wie ist dann diese „in Sinnlosigkeit, in Paradoxie übersteigerte Forderung" zu verstehen? Kittel gibt zwei Hinweise. Ihr U r s p r u n g ist das Selbstbewußtsein Jesu, sein Erfüllungsund Gottesreichsbewußtsein — hier liegt der tiefste Gegensatz zwischen Christentum und Judentum, zugleich die Unmöglichkeit, das Christentum auf die ethischen Maximen der Bergpredigt zu reduzieren. Und der S i n n der Bergpredigt ist: im Gegensatz zur Thora(!) u n e r f ü l l t e F o r d e r u n g zu b l e i b e n , niederzureißen, die große sittliche Not des empirischen Menschentums bloßzulegen, zur Verzweiflung zu führen, sofern nicht neben die F o r d e r u n g Jesu als ihr Korrelat das K r e u z Jesu tritt, neben die Aufdeckung von Not und Sündigkeit die Wirklichkeit und Gegenwärtigkeit der Vergebung. Nur in der Autorität, der „Exusia" des Christus, findet die Bergrede schließlich ihre Erfüllung. Kittel unterstreicht hier (1) noch einmal, daß das theologische Problem des Imperativs der Bergpredigt auf die Erkenntnis des Zusammenbruchs des ethischen Idealismus hinausführt. Mit großer Energie behauptet er (2) den Zusammenhang der Singularität und Absolutheit der ethischen Paradoxien mit der Singularität und Absolutheit der Person Jesu: das Problem der Bergpredigt wächst sich bei ihm zum Christusproblem aus. Endlich (3) findet er die Lösung, auf die die Bergpredigt hinsteuert, im paulinischen Evangelium vom Kreuze. Auch hier drei gewichtige Thesen, die näher zu prüfen sind 2 . 1 Jesus of Nazareth 1926, S. 374. Klausners Äußerung bezieht sich indes nur auf Mt. 5, 38ff. 2 Dies geschieht für die erste in diesem Kapitel, für die zweite im
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2. Kapitel. Der Sinn des Gebotes u. das Problem der Ausführbarkeit
Die vorgeführten Theologen suchen das Problem der Bergpredigt rein theologisch zu lösen. Über Form und Ursprung, über die historisch-antike Bedingtheit der Worte wird nicht reflektiert. Die theologische Deutung wird vielmehr auf zwei theologischen Axiomen aufgebaut: (1) daß die Forderungen der Bergrede den Willen Gottes adäquat darstellen und daher unbedingt verpflichtend sind, (2) daß sie für uns unerfüllbar sind. Für eine christliche Gläubigkeit scheint sich daraus mit Notwendigkeit das Postulat zu ergeben, daß dann die Lösung nur in einem Eingreifen Gottes gefunden werden kann, sei es, daß diese Heilsoffenbarung schon innerhalb der Rede angeboten wird, sei es, daß sie außerhalb der Bergpredigt gesucht werden muß. Zu beiden Auffassungen haben wir Stellung zu nehmen. II Der Sinn der Gebote Wir wenden uns von diesen modernen Interpretationen zur Bergpredigt zurück. Wir haben Bedeutendes und Erbauliches vernommen und keineswegs ist unsere Einstellung: was bisher gesagt worden ist, ist unzulänglich; jetzt geht das Licht auf! Wir wollen auch nicht Auffassungen, die wir mit Kritik betrachtet haben, rundweg ablehnen. Für die theologische Auslegung haben sie sicher großen Wert, die der Reihe Herrmann angehörenden wie die der christologisch orientierten Theologen. In Frage steht nur, wie weit sie in die historische Exegese hineingehören. Diese Frage muß mit großem Nachdruck und Ernst gestellt werden, weil der Verdacht nahe liegt, daß hier Ansprüche an die Bergpredigt gestellt werden, mit denen diese nicht gerechnet hat, daß ethische und religiöse Theorien und Erfahrungen in sie hineingelegt werden, die ihrer Sphäre fremd sind. Es wird daher gut sein, diese modernen Betrachtungen für einen Augenblick zu vergessen, weder vom Ethos, noch von der Ethik, weder vom unbedingten noch vom überweltlichen Charakter der Lehre, weder von unserer konkreten Situation noch gar von der unserer Verfügung entzogenen Existenz zu reden, sondern uns allein in den Text zu vertiefen, ihn folgenden, für die dritte im letzten, das über die theologische Exegese der Bergpredigt handelt.
II. Der Sinn der Gebote
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reden zu lassen, ihn aus sich und aus seinen uns bekannten Voraussetzungen, dem Alten Testament und dem Judentum, verständlich zu machen. Erst dann können wir zusehen, welche Anhaltspunkte die theologische Interpretation vielleicht doch am Text der Bergpredigt findet. Im einzelnen bestimmt sich der Inhalt der Bergpredigt so: 1. Einleitung: Lohn und Aufgabe der Heilsempfänger 5, 3—16; 2) das alte und das neue Gesetz 5, 17—48; 3) die richtige Ausübung der Frömmigkeit 6, 1 — 18; 4) die richtige Haltung gegenüber Geld und Gut 6, 19—34; 5) die richtige Haltung gegenüber dem Nächsten 7, 1 — 12; 6) Schluß: das Motiv des Handelns; das kommende Gericht 7, 13—23. Die Fragen sind dann diese: Welchen Charakter tragen die I m p e r a t i v e der Bergrede? Wie sind sie nach Wortlaut und Zusammenhang gemeint? Welche Bedeutung haben sie für die Religion, d. i. für die Begründung der Gemeinschaft mit Gott und für die Erlangung des Heils ? Sollen sie wörtlich ausgeführt werden? Sind sie als verpflichtende, aber unausführbare Forderungen gedacht? Wie verhalten sie sich zur Thora und zum rabbinischen Judentum? Zunächst ist noch eine V o r f r a g e zu untersuchen: a n w e n r i c h t e t eigentlich die Bergpredigt ihre Forderungen: an alles Volk (1), an die Gesamtheit der Jünger (2) oder an einen geschlossenen Kreis der Jünger, die Jesus zur Mitarbeit berufen hat (3)? Für die Frage der Ausführbarkeit ist dies Sonderproblem nicht ganz bedeutungslos. Wenn etwa die dritte Meinung die richtige wäre, dann wäre von vornherein gesagt: die Gebote sind ausführbar gedacht, aber nur für eine Elite, die besondere Verpflichtungen hat und vielleicht über besondere Kräfte verfügt. Diese Auffassung (3) hat in unserer Zeit vor allem an F. N ä g e l s b a c h und K. B o r n h ä u s e r beredte Vertreter gefunden 1 . Die Folgerungen, die sie ziehen, kommen katholischer Auslegung der Bergpredigt nahe, die aus den rigoristischen Forderungen ein Gesetz für einen besonderen Stand in der Kirche macht, die Priester und Mönche 2 . 1 Vgl. F. N ä g e l s b a c h , Der Schlüssel zum Verständnis der Bergpredigt 1916; Die hohen Forderungen der B. Matth. 5, 33—42 (Neue kirchl. Z. 1919, 510ff.). Die Einheit der B. (ebd. 927, 47ff.). K. B o r n h ä u s e r , Die Bergpredigt 1923, S. 4ff. 2 In diesem Sinn äußerte sich die 1. Aufl. S. 46, S t a n g e , Z. f. syst. Th. 1924, 55. S. dagegen M. M e i n e r t z , Theol. Revue 1929, 429; ders., Zur Ethik der B. (aus Ethik u. Leben 1931, 22f.). Danach bezieht sich diese Unterscheidung nur auf die drei „evangelischen Räte", die das Ordensleben begründen und für die die B. überhaupt nicht wesentlich in Betracht kommt. Gerade die schwersten Gebote der B. werden von den katholischen Erklärern niemals auf „Priester und Mönche" beschränkt.
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Neuerdings ist H . H u b er in kurzer scharfsinniger Begründung für die Meinung eingetreten, daß die Sentenzen der Bergpredigt trotz ihres generellen Charakters der Jüngerschaft allein gelten 1 . Die Entscheidung zwischen den drei Möglichkeiten ist schwer zu treffen. Die Schwierigkeit besteht darin, daß weder die Umrahmung der Bergpredigt noch ihr Gehalt ein eindeutiges Urteil für oder wider eine dieser Auffassungen ermöglichen. Vor allem wird Mt. 5 , 1 nicht ohne weiteres klar. Nach dem Wortsinn ist Jesus auf dem Berg mit den Jüngern allein; von den Volksmassen hat er sich zurückgezogen. Dem stehen aber zwei Beobachtungen entgegen. 1) Nach der von Mt. komponierten Vorbereitung 4, 23—25 erwartet man, daß Jesus an das zusammengeströmte Volk eine Rede hält. 2) Der Schluß 7, 28 f. berichtet von dem Eindruck der Rede auf die Volksmassen, nicht auf die Jünger. Huber folgert aus dieser Unstimmigkeit, daß 7, 28f. Glosse sei, die den literarischen Abschluß herstellen solle. Aber diese Schlußbemerkung rührt vom Evangelisten her, denn sie gehört wesentlich zur redaktionellen Einfügung der Rede und ist stereotyp. Die Unstimmigkeit liegt also schon im Text des Mt., und dann muß freilich 5, 1 nach 7, 28f. verstanden werden. Die Bergbesteigung Jesu und das Hinzutreten der Jünger schließt also das Volk nicht vom Hören der Rede aus. Diese ist also in erster Linie eine J ü n g e r r e d e , aber das Volk soll sie vernehmen: sie ist zugleich ein W e r b e r e d e : eine für die A l l g e m e i n h e i t bestimmte Proklamation der für das Reich Gottes und für das Gericht des Messias geltenden Normen 5, 20; 7, 21—27, eine an die Allgemeinheit sich richtende Auseinandersetzung mit den Schriftgelehrten und Pharisäern, also als eine jedermann angehende Belehrung über die richtige Haltung gegenüber Gott und dem Nächsten, über die wahre Gerechtigkeit und über die richtige Frömmigkeit. Eine Unterscheidung zwischen Juden und Jüngern wird ebensowenig durchgeführt, wie die zwischen Jüngern und Aposteln. Ausgeschieden sind nur die Schriftgelehrten, die Pharisäer, die Heuchler 6,1 ff die Zöllner und Heiden 5, 46f.; 6, 7, die Pseudopropheten 7, 15. Es gibt auch nur wenig Anzeichen dafür, daß es die Bergrede auf Bildung einer neuen Gemeinde abgesehen hat. Mag der Evangelist sie als das neue Gesetz komponiert haben, das für die Gemeinde des neuen Bundes und den Getauften 26, 28; 28,19f. gültig ist: den Sprüchen selbst ist ein konfessioneller Charakter wenig aufgeprägt. Andeutungen kann man 5, 46f., in dem ganzen Abschnitt 6, 1—18, weiter 7, 21—24 finden, wo der Bestand einer Jesusgemeinde, besser der apostolischen Gemeinde vorausgesetzt ist. Aber mit ihrer Polemik, mit ihrem Schema von These und Antithese, mit ihrer Abwehr, vor allem mit der apokalyptischen Scheidung zwischen den vielen und den wenigen 7, 13 f. bereiten die Sprüche der Bergpredigt eine n e u e G e m e i n d e b i l d u n g vor; diese tritt indes nur in Umrissen heraus. Die Bergpredigt versetzt uns noch in das Stadium des Werdens. Daher der uneinheitliche Eindruck, daher die Doppelrichtung, in die sie weist; es gibt Sprüche, die sich an alle, und solche, die sich an wenige richten; man kann aber auch sagen, daß sie g l e i c h z e i t i g a n a l l e u n d a n die w e n i g e n gerichtet sind. Nur die Unterscheidung einer Elite von Jüngern ist nirgends zu begründen. Was Bornhäuser hierfür anführt, ist meist willkürlich aufgefaßt. Und wenn einmal, wörtlich genommen, die Apostel allein gemeint sein sollten, so ist die Ausdehnung auf alle 1 Vgl. Die B. S. 9f. S. auch A. M. B r o u w e r , De bergrede 154ff.
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Hörer doch zum mindesten durch das Schlußgleichnis gefordert; vgl. Mc/l3, 35; 37; Mt. 10, 27. Damit ist für die Frage nach dem Sinn der Gebote schon ein gewisses Präjudiz gewonnen; eine gewisse Wahrscheinlichkeit hat die These, daß die Gebote unmittelbaren praktischen Zweck haben, daß sie Ratschläge und Regeln geben, die befolgt werden sollen, wenn das Jüngerverhältnis sich erhalten soll, bereits erreicht.
Wir tun auch bei diesem Problem am besten, zunächst die Komposition als Ganzes, dann erst die einzelnen Logien zu untersuchen; erstere gibt in dieser Hinsicht zunächst nur die Meinung des Evangelisten wieder. Hier kann gar kein Zweifel sein, der Evangelist hat die Bergrede als eine Sammlung von Geboten, als eine Erläuterung des an uns gerichteten Willens Gottes eingeführt. Er will uns Jesus als neuen Gesetzgeber zeichnen, der einerseits die Erfüllung des mosaischen Gesetzes, andererseits eine Verbesserung geben will. Die von den Theologen Herrmann, Baumgarten u. v. a. abgelehnte Interpretation ist im großen und ganzen die Meinung des Evangelisten, und ihre eigene Interpretation ist in Wahrheit scharfe, vernichtende K r i t i k an der Bergpredigt. Dieser Tatbestand ist zweifellos 1. aus dem Jüngerspruch 5, 16; 2. aus den allgemeinen Sprüchen über das Gesetz 5, 17— 20 und 7, 12; 3. aus den Antithesen 5, 21—48; 4. aus den eschatologischen Sprüchen und Gleichnissen, mit denen die Bergrede schließt, zu erheben. 1. Der Jüngerspruch 5, 16 enthält die Aufforderung, den inneren Besitz (den Glauben, die Kenntnis der Gebote und der Eingangsbedingungen für das Gottesreich, den Gehorsam gegen Jesu Wort) in guten Werken vor den Menschen leuchten zu lassen. Wenn dieser Spruch, wie Th. Zahn meint1, der beherrschende Grundgedanke der ganzen Rede ist, wenn er auch nur maßgebliche Bedeutung besitzt, dann ist er ein authentisches Zeugnis für den Sinn der Bergpredigt: sie erwartet von den Jüngern konkrete Taten; ihre Gebote haben den Zweck, solche Taten zu erzeugen; sie schafft die Gesinnung, aus der solche Taten fließen. Die Gebote sind wirklich Gebote, und ihr Sinn erfüllt sich nur in dem guten Werke. Die Forderung ist nicht etwas Vorletztes, sondern etwas Letztes. 1 Matthäus8 S. 205.
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2. Schon aus den einleitenden, programmatischen S p r ü c h e n ü b e r G e s e t z u n d G e r e c h t i g k e i t ergibt sich, daß die Kategorie, der der Evangelist die Bergrede unterstellt zu sehen wünscht, das „Gesetz", das „Gebot", die „Vorschrift" ist. Das W o r t itkrjQwaat, das dem ersten Spruch den Ton gibt, muß, da es im Gegensatz zu xavalvoai steht, in jedem Fall die Meinung befassen: durch Lehre u n d T a t zur Ausführung bringen, wobei in erster Linie an die im Gesetz bezeichneten W e r k e gedacht ist 1 . Auch 3, 15 heißt „alle Gerechtigkeit erfüllen" die Gerechtigkeit zur Geltung bringen durch die T a t 2 . W e n n auch vielleicht, im Blick auf den Abschnitt 5,21—48, der Begriff des Vervollkommnens u n d des Sinnverwirklichens mit einbezogen ist, die Grundbedeutung von 7tXrjQö>aai ist zur Vollendung bringen durch Lehre und durch Erfüllung, so wie v.azakvuv heißt: Gebote beseitigen, sie durch Lehrentscheidung aufheben u n d damit ihre Erfüllung verhindern 3 . Also keine Idee von ethischer Intuition, von Ablehnung eines nomistischen Standpunktes, von Erlösung vom Gesetz; die Autorität des Gesetzes wird aufs nachdrücklichste zur Geltung gebracht. E s ist eine heilige Urkunde, die unbedingte Nachachtung verlangt 4 . Der letzte Spruch 5, 20 schlägt einen neuen Ton an, indem er die Forderungen der bisherigen H ü t e r der Thorafrömmigkeit für unzulänglich erklärt. Prinzipiell bleibt auch er im R a h m e n der alttestamentlichen Religion, da er ganz im Sinne der alttestamentlichen Einlaßsprüche die Erfüllung einer bestimmten Fassung der „Gerechtigkeit" als Bedingung f ü r den Zugang zum Himmelreich fordert. Ihre nähere Erläuterung will der Evangelist in den n u n folgenden großen Spruchgruppen geben. Zu den Gesetzessprüchen gehört auch die goldene Regel 7, 12. Sie ist e i n m a l ein Beleg dafür, wie der Evangelist sich die E r füllung von Gesetz u n d Propheten gedacht h a t : das Gebot, durch Taten das Wohl der Menschen zu fördern, ist der I n 1 Vgl. D a l m a n , Jesus Jeschua 1922, 52ff. 2 Vgl. zu diesem Spruch A. F r i d r i c h s e n in Revue d'hist. et de phil. rel. 1927, 245ff. = Congrès d'Histoire du Christianisme (Jubilé A. Loisy) 1928, I p . 167ff. 3 Vgl. W. G. K ü m m e l , Jesus u. d. Traditionsged. ZNT 1934, 128 f . , der nur zu Unrecht das Tun nicht mit einschließt, das aber sehr wesentlich, selbstverständlich ist. 4 Vgl. über 5 , 1 8 f . F. G. M o o r e Judaism X 269f. 119.
II. Der Sinn der Gebote
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begriff der alttestamentlichen Gesetzgebung. Erfüllen heißt: handeln, schaffen, tun, den Menschen dienen. W e r k t ä t i g e M e n s c h l i c h k e i t ist der Wille Gottes, wie er im Alten Testament und im Evangelium als höchste und umfassendste Forderung gelehrt wird. Auch dies Wort bleibt im Rahmen einer Gesetzesreligion, wie der bekannte parallele Ausspruch des Rabbi H i l l e l beweist1. Dessen „Gerechtigkeit" fällt hiernach mit der Jesu zusammen. Der Unterschied ist nicht so sehr,, daß Hillel die negative, Jesus die positive Fassung des Spruche» bevorzugt, vielmehr daß Hillel als orthodoxer Rabbi trotz dieses. Ausspruchs die nicht auf den Bruder bezüglichen, kultischen und zeremoniellen Bestandteile der Thora mit derselben Ehrerbietung betrachtet wie die humanen oder mit einer uns unverständlichen Logik auch sie als Ableitungen aus der zentralen Regel erfaßt und legitimiert2. Matthäus scheint nach den echt rabbinisch klingenden Sprüchen 5, 18 f. zu urteilen, diesen Hillelschen Standpunkt zu teilen. Tatsächlich beschränkt sich auch bei ihm die Gesetzesauslegung auf das Gebiet der sittlichen Religion, Humanität, Selbstzucht und Hingabe an Gott. Will er doch mit seiner goldenen Regel, und dies ist die z w e i t e Bemerkung, die über unseren Spruch zu machen ist, auch die im großen Mittelstück der Bergrede 5, 21—7, 11 mitgeteilten Lehren Jesu in einem großen Grundsatz zusammenfassen und sagen: alles, was Jesus über den Willen Gottes gelehrt hat, ist nur Erläuterung der im Alten Testamente offenbarten Gesetzgebung. In der Tat läßt sich ein guter Teil der Thora wie der Bergrede unter das Motto werktätiger Menschenhebe zusammenfassen (vgl. vor allem 5, 16: Die Jünger sollen mit guten Werken glänzen; 5, 17—48; 7, 1—5)3. 1 Zu Hillel vgl. S. D u b n o w , Weltgeschichte d. jüd. Volkes, Oriental. Periode Bd. II (1935), S.313ff., bes. S. 318f. und S . L a n w e r , Der Gegensatz der Ethik Jesu zur Ethik der Rabbinen am Beispiel der Goldenen Regel (Mt. 7,12) aufgezeigt in: Theologie u. Glaube 1934, 478—482. 2 Vgl. seinen Schluß: das ist die ganze Thora und das andere ist Erklärung; geh und lerne! Schabb. 31a; Billerb. I 460. 3 Man wundert sich, daß der Sprach nur die Nächstenliebe, bzw. die 2. Tafel des Dekalogs umfaßt. Dafür ist aber nur die Weisheit verantwortlich und die aus ihr stammende Tradition (vgl.o. S. 20ff.). Die notwendige Ergänzung liefert die Bergpredigt selbst mit dem anderen zentralen Spruch 5, 48: hier tritt zur anthropozentrischen Begründung die theozentrische. In beiden Sprüchen faßt sich die „Gerechtigkeit" Jesu zusammen,.
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3. Wie der Evangelist die sechs mit ,ich aber sage euch' eingeführten Aussprüche aufgefaßt sehen will, ergibt sich eindeutig aus der jedesmaligen Antithese und aus dieser Einführung. In den beiden ersten Fällen haben wir es mit Zusätzen zu einem überlieferten Verbot zu tun, und zwar im ersten Fall mit einer verschärfenden Ergänzung, die das alte Gebot fast überflüssig macht, da das darin vorgesehene Verbrechen für die Gemeinde der Jetztzeit gar nicht mehr in Betracht kommt, im zweiten Fall mit einer verschärfenden Erläuterung des im Gesetz gebrauchten Begriffs („Ehebruch"). Beide Zusätze haben imperativische Kraft: du sollst nicht zürnen und keine Scheltworte gebrauchen; du sollst das Weib auch nicht begehren. Im ersten Spruch ist ausdrücklich gesagt, daß die Übertretung der Gebote strafbar ist, die schlimmste Äußerung wird sogar mit der Hölle, d. i. dem Ausschluß vom Himmelreich, bestraft. Dasselbe gilt vom zweiten Spruch, wenn man die Drohung 5, 29 mit ihm (5, 28) verbindet, was sicher die Meinung des Evangelisten ist: wenn wir zweiäugig in die Hölle geworfen werden, so geschieht das, weil wir mit den Augen Ehebruch begangen haben. Der dritte Spruch 5, 32 verbietet die Ehescheidung — sie wird nur bei Untreue zugelassen — genau so, wie das alte Gesetz den Ehebruch verbietet. Bei Ehescheidung versperren sich Mann und Frau den Zugang zum Himmelreich. Unbeschränkter Gebrauch der Konzession des Moses (5, 31 = Deut. 24,1) gehört offenbar zu der unzulänglichen „Gerechtigkeit" der Schriftgelehrten. Spruch vier verbietet den Eid und verlangt unbedingte Wahrhaftigkeit im Reden, während die Gerechtigkeit (des Moses und die) der Pharisäer zufrieden ist mit dem Verbot des Meineides und dem Gebot, den geschworenen Eid zu halten. Die fünfte Spruchreihe setzt das alte Prinzip der Vergeltung außer Kraft und fordert Verzicht auf Widerstand und Vergeltung. Die folgenden Worte sind natürlich „Beispiele", „Illustrationen", aber genau so wie die Illustrationen und Beispiele, die auch im Gesetzbuch vorkommen. Die sechste Spruchreihe endlich verbietet jede Äußerung des Hasses und dehnt das alttestamentliche Liebesgebot auf den die nach 5, 20 den Einlaß in das Reich verbürgt; sie regeln die „guten Werke", die auch nach 5,16 uns als echte Kinder unseres Vaters im Himmel •erweisen.
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Feind aus. Das iyaitäie (liebet) der neuen Kundgebung hat •denselben Gehalt wie das äyaTtrfoeis (du sollst lieben) der Thora. Es ist ein richtiges Gebot. Über die Frage, ob man Liebe „vorschreiben" kann1, hat der Evangelist (und Jesus) sich eben so wenig Bedenken gemacht wie „Moses". Sie haben sie einfach geboten, weil sie an Taten gedacht haben und weil moderne Feinfühligkeit ihnen unbekannt war2. So ist auch der letzte gewaltige Spruch 5, 48 genau so ein Gebot wie das alttestamentliche Vorbild: ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig (vgl. 1. Petr. 1, 15f.). In ihm faßt sich die neue, die pharisäische Gerechtigkeit überbietende Gerechtigkeitsforderung des Himmelreichs sinnvoll zusammen. Natürlich darf das •Gebot nicht philosophisch, auch nicht theo-logisch im Sinne höchster Betrachtung des göttlichen Wesens, sondern nur praktisch ethisch ausgelegt werden. Daß der Evangelist mit seinen Imperativen richtige Gebote {Mizwoth) gemeint hat, ergibt sich somit aus der Form der Sprüche und aus der Vergleichung mit den alttestamentlichjüdischen Geboten, nicht zuletzt auch aus der ständig wiederkehrenden Einleitungsformel ,ich aber sage euch'. Denn ,sage' ist soviel wie ,gebiete'. Der Sprecher ist ein neuer Gesetzgeber, der seine Lehrautorität der der Rabbinen und des Moses gegenüberstellt. Die Kategorie des Gesetzgebers, der Lehrautorität, ist in keinem Teile verlassen. Wenn B u l t m a n n 3 erklärt, es wäre ein völliges Mißverständnis, wollte man jene Sätze des „Ich aber sage euch" auch wieder als formale gesetzliche Bestimmungen einer äußerlichen Autorität auffassen, die man durch sein äußerliches Verhalten erfüllen könnte, so hat er nur insofern recht, als natürlich von bloß „äußerlicher" Gesetzlichkeit keine Rede sein kann. Die Betonung des „Äußerlichen" ist indes hier durch nichts veranlaßt. Dem Wortlaut und dem Sinne nach geben sich vielmehr die hier in Antithese gefaßten Gebote als Vorschriften, die von höchster Autorität getragen, so wie sie lauten, Anerkennung und Gehorsam verlangen4. 1 Vgl. etwa B a u m g a r t e n , a . a . O . 60. 2 Richtig S t a u f f e r , in Kittel's Theol. Wtb. I, 45. 3 Jesus S. 86f. 4 Über den Charakter dieser Autorität ist aus Text und Zusammenhang nicht viel zu ermitteln. Ob die Haltung, die die neuen Forderungen bei dem Sprecher wie bei dem, der ihnen gehorchen soll, wesentlich anders ist •als die, die die abgelehnten oder kritisierten Gebote erfordern, kann hier UNT 10: Windlach. 4
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4. Daß für Matthäus „Werkgerechtigkeit" den Inbegriff der Himmelreichsbotschaft Jesu darstellt, ergibt sich auch aus dem e s c h a t o l o g i s c h e n A b s c h l u ß seiner Redekomposition. Der echte Jünger Jesu ist ein guter Baum, der gute Früchte hervorbringt, worunter gute Werke, Beweise echter Menschlichkeit und Brüderlichkeit, echter Gotteshingabe zu verstehen sind (7, 16—20). 7, 21 haben wir abermals einen Einlaßspruch, in dem der thematische Eingangsspruch 5, 20 wieder aufgenommen wird: das Tun des Willens Gottes ist die „Gerechtigkeit", ohne die niemand ins Himmelreich eingelassen wird. Christentum ist Verehrung Jesu als des Herrn, und werktätiger Gehorsam gegen den von ihm verkündeten Willen Gottes. Daß der Gehorsam unerläßlich ist, wird sich beim Gerichte zeigen, das über den Einlaß entscheidet1. Christliche Propheten und Teufelbanner werden hinausgestoßen, wenn sie „Täter der Gesetzlosigkeit" gewesen sind, 7, 22f., d. h. das von Jesus gelehrte Gesetz nicht gelehrt und getan haben. Wie die Schlußgleichnisse zeigen, wird von den Hörern (und Lesern) der Bergrede in der bevorstehenden Katastrophe nur bestehen, d. h. die Gerechtsprechung beim Gericht und den Zugang zum Himmelreich finden, der sie auch „getan" hat. Die „Worte" Jesu, die Worte der Bergpredigt sind die Einlaßbedingungen, die in furchtbarer Strenge zur Anwendung kommen. So rundet sich mit dem Schlußgleichnis der Charakter der Komposition des Matthäus einheitlich ab. Es bestätigt sich, daß sie nur ein geläutertes und überbotenes, humanisiertes und radikalisiertes, vereinfachtes, konzentriertes und damit „aufgehobenes" Judentum darstellen will, das sich vollendet in dem Bekenntnis zu Jesus, als dem von Gott gesandten Deuter des noch nicht untersucht werden. Es ist sehr die Frage, ob die Texte auf solche Prägen wirklich eingestellt sind und gutwillig Bescheid erteilen. Dies zu B u l t m a n n DLZ 1929, 989. 1 Wie weit moderne Ausleger von diesem Ursinn sich entfernen können, zeigt etwa K. Eger, Die Botschaft Jesu von der Herrschaft Gottes (1925), wenn er (S. 150) erklärt: „Das kann nicht schlimmer mißverstanden werden als so, daß wir durch das, was wir tun, uns den Eingang ins Reich Gottes gewinnen könnten." In Wahrheit ist das das richtige Verständnis, nur daß diese Grundlehre der Bibel dem reformatorischen Protestantismus abhanden gekommen ist; dieser ist ja wesentlich ein großer Protest gegen diese Lehre Jesu und der ganzen Bibel und kann sich dafür nur auf eine allerdings zentrale Lehre des Paulus berufen.
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Willens Gottes. Diese Einsicht wird bestätigt durch die bekannten talmudischen Parallelen zu der Parabel1 und vor allem durch den ähnlichen Abschluß, den das Gesetzbuch des Moses aufweist. Man lese etwa die Schlußmahnung Deut. 30, 15—20. Auch in der Bergpredigt hat Jesus „heute Leben und Heil, Tod und Unheil" den Hörern vor Augen gestellt (vgl. Deut. 30, 15). Auch hier gilt: „wenn du dem Gebote deines Gottes gehorchst, das ich dir heute gebiete, auf seinen Wegen wandelst und seine Satzungen und Rechte beobachtest, wirst du am Leben bleiben, und dein Gott wird dich segnen in dem Lande, in das du einziehest, um es in Besitz zu nehmen", d. h. (in die synoptische Lehre vom Himmelreich übertragen): er wird dir dann den Zugang in sein Reich gewähren (vgl. 5. Mose 30, 16), usw.2. Wie die Thora bringt auch die Bergrede die Gebote, die getan werden müssen, wenn man den Zugang zum Leben begehrt. Der Charakter ihrer Lehre ist G e h o r s a m s e t h i k ; die Gehorsamslehre des Alten Testaments ist mit der Gehorsamslehre Jesu, die teils Erläuterung und Bekräftigung des Gesetzes, teils seine Überbietung darstellt, in einer höheren Einheit zusammengefaßt. Wenn die Bergrede auch irgendwie über die Thora und über den Rabbinismus hinausführt, der Unterschied kann doch unmöglich auf die Antithesen: Ethik gegenüber Moral, Ethos gegenüber Ethik, Intuition gegenüber Vorschrift hinausgeführt werden. Ebensowenig vollzieht sich in der Bergrede ein Gericht über den ethischen Idealismus; und von den religiösen Erfahrungen des Paulus (Römer 7) scheint sie unberührt. Nachdem wir die Bergrede als Komposition des Evangelisten zu deuten versucht haben, können wir an die schwierigere Frage herantreten, ob auch die E i n z e l s p r ü c h e dieser Interpretation entsprechen. Da unsere Deutung des ursprünglichen Sinnes der Bergpredigt in der Hauptsache aus den Sprüchen selbst erhoben worden ist, ist anzunehmen, daß der Gedanke, die Gesetzgebung des Moses zu bestätigen und zu verbessern und neue Gebote zu geben, auch den Schöpfer dieser Sprüche beseelt hat. Eigene Nuancen, die in dem Schema des großen Redebaues nicht zur Geltung kommen, können sich dabei natürlich heraus1 Vgl. Billerb. I 469f.; K l o s t e r m a n n , Matthäusev.2 z. St. 2 Vgl. hierzu m. oben angeführten Aufsatz über „Die Sprüche vom Eingehen in das Reich Gottes" (ZNT 1928, 163 ff).
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stellen. Es fragt sich dann nur, ob der ganze Stoff den Leitmotiven der Bergrede sich willig einfügt: es könnte sein, daß auch Sprüche eingebaut sind, die in eine andere Sphäre als die der Gesetzlichkeit führen. Wir beginnen mit der Feststellung, daß eine radikale und konsequente Absage an die ,, Gesetzlichkeit" den überlieferten Jesussprüchen fremd ist. Dabei verstehe ich unter „Gesetzlichkeit" eine Lehre vom Verhältnis des Frommen zu seinemGott, die v o r n e h m l i c h durch das Gebot und durch den Gehorsam gegen das Gebot bestimmt ist. Schon die Gleichnisse (Hören und Tun der Worte) und das ihnen nahestehende Logion 7, 21, dessen einfachere Fassung bei Lukas 6, 46 vielleicht ursprünglicher ist, lehren deutlich, daß Jesus mit seinen Sprüchen das Wollen und Tun der Hörer in eine bestimmte Richtung lenken wollte, ganz wie Moses oder irgendein anderer Gesetzeslehrer, Weisheitslehrer oder Ethiker. Wenn der Evangelist ihn als eine neue, für die Gemeinde verbindliche Lehrautorität kennzeichnet, so gibt er damit mindestens eine Seite in dem Sendungsbewußtsein Jesu richtig wieder. Diese Feststellung wird bestätigt durch die Sprüche über das Gesetz, sofern wir ihren Wortlaut auf Jesus zurückführen können1. Leider unterliegen sie in ihrer polemischen Zuspitzung auf die Thora einem nicht unbegründeten Verdacht, da drei von ihnen (Mt. 5, 17, 19 und 20) dem Lukas nicht bekannt sind. Eine besondere Schwierigkeit ist, daß sie in ihrer Tendenz einander entgegenlaufen: drei Richtungen sind in ihnen vertreten: (1) rabbinische Orthodoxie 5, 18f.; 5, 17, (2) freisinniges Judentum 7, 12; 5, 17 und (3) Marcionitismus (in den Antithesen 5, 21 ff.). Den schärfsten Gegensatz stellen die rabbinischen Sprüche 5, 18f. und die vier letzten Antithesen (5, 31 ff.) dar. Es ist ebensogut möglich, daß judaistische, nomistische Sprüche aus apostolischen Kreisen in die Jesusüberlieferung Aufnahme fanden, wie daß überlieferte Worte, die ursprünglich nur an der befohlenen Gesinnung und Tat orientiert waren, in stark antirabbinisch gesinnten Gemeindekreisen ausdrücklich auf die ,,marcionitische" Antithese eingestellt wurden. Beide Vorgänge haben ihre Belege. Lukas bringt Apg. 15, 1 ein judaistisches Logion, das offenbar gewissen Herrenworten nachgebildet ist 1 Vgl. zum folgenden u. a. Weinel, Bibl. Theol. 4 80f., B r a n s c o m b , Jesus and the Law of Mose 226 ff. 213 ff.
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und gut auch in die Jesusüberlieferang eingeführt werden konnte. So k a n n auch der Spruch 5, 19 ursprünglich ein judaistisches Logion gewesen sein. Eine vortalmudische Parallele aus dem Judentum steht IV. Makk. 5, 19—21. Auf der anderen Seite ist zu beachten, daß Lukas die zwei letzten Antithesen des Matth, in nicht antithetischer Fassung hat 6, 27—36. Gewiß sind die Antithesen außerordentlich wirkungsvoll und theologisch von weittragender Bedeutung. Aber sie können auch von einem Spruchsammler, einem antinomistisch gesinnten Evangelisten geschaffen sein. Große Wahrscheinlichkeit hat die vermittelnde Ansicht, daß die zwei ersten Antithesen (vielleicht auch die vierte) überliefert und daß die anderen nach ihrem Schema in der Überlieferung gestaltet worden sind. Bei dieser Annahme wären die eigentlichen Belege für Bestreitung und Auflösung der Thora (5, 31 ff., 5, 38ff. ev. auch 5, 33ff.) aus der echten Überlieferung auszuscheiden; denn die übrigbleibenden Antithesen 5, 21 f.; 5, 27f. und 5, 43ff. greifen den Text der Thora nicht an, sondern geben nur verschärfende Erläuterung1. Bemerkenswert ist außerdem, daß der Name des Moses nicht genannt wird: wer die Thora nicht kennt, könnte meinen, daß es sich um ungeschriebene Halacha handele. Dann ist aus den Sprüchen kein Beweis für eine bewußt kritische Haltung Jesu gegenüber dem Gesetz zu ziehen. Vor radikalen Ausscheidungen warnt jedenfalls die Einsicht, daß sich für jede der drei Richtungen in vertrauenswürdiger Überlieferung Belege nachweisen lassen2. Daß Jesus (1) prinzipiell seine Sendung und seine Lehre an die Thora und die Propheten angeknüpft und das auf dem A. T. begründete Judentum nicht hat sprengen wollen, beweist die Haltung der ältesten Gemeinde. Diese Anschauung erhält überraschenderweise auch in der von Paulus bezeugten Überlieferung von seiner menschlichen Erscheinung Phil. 2, 7f.; Gal. 4, 4; Röm. 15, 7 ihre Bestätigung3. Der Spruch 5, 18 findet denn auch 1 S. zur Kritik der Antithesen M. Albertz, Die synopt. Streitgespräche 1921, 146ff. 2 s. M. Goguel, Jesus et la tradition religieuse de son peuple (Revue d'hist. et de phil. relig. 1927,154ff., 219ff.). Vgl. auch B r a n s c o m b a. a. O. 234; K ü m m e l , Jesus u. d. jüd. Traditionsgdken. ZNT 1934, 127f. 3 Vgl. M. Brückner, Der Apostel Paulus als Zeuge wider das Christusbild der Evangelien (Protest. Monatsh. 1906, 352ff.); mein Buch: Paulus u. Christus 1934 S. 163.
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Unterstützung in Luk. 16, 17. Wir können hier mit einem echten Ausspruch Jesu rechnen, wenn wir auch die ursprüngliche Fassung nicht mehr finden können. Dann besteht aber die Möglichkeit, daß selbst 5,19 auf einem echten Worte beruht. Es kann im Leben Jesu einmal eine Situation gegeben haben (vielleicht im Anfang seines Auftretens, als der Konflikt mit den Rabbinen noch nicht zum Ausbruch gekommen war), wo er sich genötigt sah, im Sinne von Deut. 4, 2 vor jeglicher Kritik zu warnen, die Thora vielmehr in ihrem ganzen Umfang anzuerkennen. Es kann auch sein, daß er sich einmal veranlaßt fühlte, gegen antinomistische Folgerungen, die aus seinen Äußerungen gezogen wurden, in dieser zugespitzten Fassung Front zu machen oder daß er leichtfertiger Emanzipation von einem bestimmten Gebot entgegentreten wollte (vgl. das Wort an den Sabbatarbeiter Luk. 6, 4 D). In jedem Fall ist mit dem Wort 5, 17 seine prinzipielle Haltung richtig charakterisiert. Dann ist erwiesen, daß er mit seiner Lehre seinen Standort durchaus auf der Ebene der Gesetzlichkeit einnimmt, insofern er wie alle frommen Juden der Überzeugung war, das Verhältnis zwischen Gott und Mensch werde durch göttliche Gebote mitbestimmt, die der Mensch zu erfüllen habe, und alle Wahrscheinlichkeit spricht dann dafür, daß eigene Worte, die die Form von „Geboten" haben, wirklich als Vorschriften gemeint sind. Mindestens ebenso fest sind (2) Äußerungen, die man als „entschränktes, geläutertes Judentum" bezeichnen kann, in der echten Tradition verankert. Ich nenne die Entscheidung der Frage nach dem größten Gebot Mt. 22, 34ff., die sich mit der goldenen Regel 7, 12 berührt. Mag der Zusatz „Gesetz und Propheten" dem Evangelisten zuzuschreiben sein (er fehlt Luk. 6, 31), der Gedanke kann Jesus nicht fremd gewesen sein. Daß sich solche freieren Sprüche mit konservativer Haltung vertragen, zeigt das Beispiel Hillels und Akibas1. Auch in diesen Worten ist jene Ebene der Gesetzlichkeit nicht verlassen, es wird nur der Gehalt der Forderung Gottes auf ein umfassendes, allerdings auch kritisches Prinzip zurückgeführt oder auf die religiös-ethische Sphäre eingeschränkt. Der Grundgedanke aller religiösen Gesetzlichkeit, daß es eine Forderung Gottes gibt, der wir uns in unbedingtem Gehorsam zu unterwerfen 1 Auch Akiba nannte Lev. 19, 18 einen großen allgemeinen Grundsatz in der Thora; s. Sifr. Lev. 19, 18 u. Billerb. I 357; 907.
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haben, kommt in solchen Sprüchen gerade zu seiner reinsten Formulierung. R a d i k a l e Aussprüche endlich (3), die zur Negierung und „Auflösung" großer Bestandteile der Thora führen müssen, sind auch außerhalb der Bergrede bezeugt. Nur ist nirgends ausdrücklich die gesetzgeberische Autorität des Moses angegriffen. In dem Gespräch über die Ehescheidung Mt. 19, 3 ff. beruft sich Jesus für seine Ablehnung der Ehescheidungserlaubnis auf Moses selbst, und die Verwerfung der jüdischen Reinheitsgebräuche Mt. 15, lff. betrifft nach dem Wortlaut die rabbinische Halacha, nicht die Thora. Ob Jesus beachtet hat, daß die Halacha sich auf die Thora stützte, können wir nicht sagen1. Man kann also weder auf die konservativen Sprüche gestützt, die Echtheit der radikalen bestreiten, noch das Umgekehrte tun. Im äußersten Falle hat Jesus gewisse Bestandteile der Thora als minderwichtig bezeichnen wollen2. Der scheinbare Widerspruch zwischen Thora-strengen und Thora-freien Worten ist daraus zu erklären, daß Jesus einerseits die Thora als Urkunde der göttlichen Willensoffenbarung anerkannte, aber neben der Thora und gelegentlich im Gegensatz zu ihr andere Quellen der Erkenntnis des Gotteswillens besaß. So geht seine prinzipielle Thora-Gläubigkeit mit tatsächlicher Freiheit zusammen: die Thora ist Gottes Wort, aber sie ist nicht suffizient und ist nicht in jedem Einzelwort Ausdruck des ewigen Wollens Gottes. Wichtiger ist die mehrdeutige Feststellung, daß auch die „radikalen" Sprüche keineswegs die Ebene der Gesetzlichkeit verlassen. Aus dem Gespräch über die Ehescheidung ergibt sich das strenge Gebot, eine (von Gott zusammengefügte) Ehe niemals aufzulösen Mt. 19, 6. Dann hat auch das Logion 5, 32 = 19, 9 ganz gewiß imperativische Geltung. Die Beschreibung, eine Form der Beurteilung, ist durchaus eine Stilform des „Gesetzes". ' . . . e r bricht die Ehe' bedeutet: er übertritt das 6. Gebot. Jesus verbietet die Ehescheidung und erwartet, daß seine Jünger dieses Gebot befolgen. Man „versteht ihn nicht", 1 Vgl. M o n t e f i o r e , Syn. Gosp. I 2 130ff. — Auch das Sabbatgebot hat Jesus nicht als solches angegriffen, nur die Ausführung, die die Rabbinen vorschrieben, hat er bekämpft. 2 Darin sind ihm auch schon gewisse Propheten vorangegangen; vgl. vor allem Ezechiel, 20, 25f.
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wenn man ihm unsere Auffassung von Ehe und Ehescheidung unterschiebt; insbesondere ist der Begriff einer „unhaltbaren Ehe" ihm nicht geläufig gewesen1. Das Gebot ist ganz gewiß ein allgemeingültiger Satz; es steht letztlich die Autorität einer göttlichen Stiftung dahinter. Wenn somit die einleitenden Sprüche über das Gesetz; Mt. 5, 17—20 sich als durchaus gesetzlich — nur eben nicht als rabbinisch-gesetzlich — erweisen, so gilt dasselbe von den A n t i t h e s e n 5, 21—48. Sie sind sehr verschiedenartig gebaut. Meist lehnt sich die Form des Jesuswortes an die des alttestamentlichen Gebotes an. Schon daraus ergibt sich, daß auch das neue Gebot als unbedingt gültig gedacht ist. Gemeint ist also: du sollst nicht zürnen; du sollst keine Schimpfworte gebrauchen usw.; liest man die neuen Worte in dieser Weise, dann fällt eigentlich alle Problematik dahin. Es sind richtige Gebote, wie die der Alten. Auch Gefühl, Begierde, Leidenschaft soll beherrscht, unter den Gehorsam gegen Gott gebeugt werden. Reinheit, Güte, Wahrhaftigkeit darf keine Grenzen kennen. Hier liegt der entscheidende Gegensatz zu den alten Geboten, nicht in einer Entgegensetzung von Moral und Recht, von Ethos und juristischer Kasuistik. Die erste Antithese stellt dem 5. Gebot einen Spruch über Zürnen und Schelten in Form einer Strafrechtsregel gegenüber. Der Charakter der Gesetzlichkeit ist dem Wort unverkennbar aufgeprägt. P. F i e b i g 2 will besonders bei diesem Spruch zwischen dem, was Jesus sagt und was er meint, scharf unterscheiden. Formuliert ist der Satz zweifellos als Paragraph eines Strafgesetzbuchs; aber auf eine Reform des Strafrechts reflektiert Jesus gar nicht, sondern er will in der juristischen Form etwas rein Moralisches zum Ausdruck bringen. Juristisch genommen, so meint nun Fiebig, sei das Gebot undurchführbar, der Form nach sei es eine Übertreibung, eine Paradoxie, eine Sinnlosigkeit, aber dem Sinne nach sei es etwas Durchführbares und Wichtiges, wenn man es als Ausdruck sittlicher Forderung fasse. Ich würde daraus aber nicht folgern, daß Jesus dem juristischen Denken und Handeln das moralische entgegensetze. Eher würde ich sagen: das Juristische ist ihm ein Gleich1 Gegen B u l t m a n n , Jesus S. 86f. 2 Zeitschr. f. system. Theol. 1929, 502ff. 510.
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nis für das Sittliche. Er lehrt Sittlichkeit, nicht Recht, aber er lehrt sie in diesem Spruch, als ob es sich um Rechtsordnung handelte. Eine ähnliche Zweideutigkeit findet sich in dem von Mt. hier angehängten Prozeßrat 5, 25f., der Form nach ist es ein Weisheits- oder Klugheitsrat, der Kenntnis der Rechtspflege und ihres Geschäftsganges voraussetzt. Ist es auch so gemeint ? Oder ist gemeint ein soteriologischer Rat: erledige deine Angelegenheiten und Verpflichtungen, ehe es zu spät ist, d. h. ehe das Gericht kommt? Die meisten Exegeten vertreten diese Auffassung (man kann sich für sie schon auf Lk. berufen 12, 57—59). Ich halte trotzdem die erstgenannte für sehr erwägenswert. Dann gehört das Wort in die nüchterne, den meisten Theologen natürlich viel zu nüchterne, viel zu weltliche Weisheitslehre Jesu. Anders als beim 5. Gebot ist beim 6. Gebot das Neue nicht wieder juristisch gefaßt, sondern rein persönlich, sittlich; der Nachdruck liegt nicht auf etwaigen juristischen Folgerungen, sondern auf der bitterernsten Sache: der von Gott verbotene (und mit Strafe belegte) Ehebruch beginnt schon bei der aufsteigenden Begierde. Jesus lehrt Sittenzucht, aber nicht Recht. Von einer Entgegensetzung (Sittlichkeit contra Recht) kann aber auch hier keine Rede sein. Die dritte Antithese 5, 31 f. bedeutet die Aufhebung einer rechtlich festgelegten Konzession. Hier könnte man schon eher von einer Gegensätzlichkeit von Recht und Sittlichkeit reden, doch nicht in absolutem Sinn. Das Urteil ,veranlaßt sie zum Ehebruch', ,er begeht Ehebruch' bedeutet, daß wer seine Ehe schändet, ein anderes, ein Elementargebot übertritt (auf dessen Übertretung nach der Rechtsordnung des Mose der Tod steht). Der Gegensatz ist also nicht bloß ,Sittenzucht gegen Recht', sondern „Rechtssetzung gegen Rechtssetzung". Schwieriger ist wieder der Fall der vierten Antithese zu beurteilen 5, 33—37. Die These „kein Meineid" ist ein Satz, der Recht und Sitte verbindet; ,halte dem Herrn deine Schwüre' ist als ein rein religiöser Satz formuliert. Die Antithese hebt insofern beide Sätze auf, als jede formelle Schwuraussage verboten wird. Entweder wird hier ein schlechter Rechtsbrauch aufgehoben — falls nämlich noch Schwören und Eidabnehmen vor Gericht gemeint ist —, oder die neue Lehre bewegt sich
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rein auf dem Gebiet der persönlichen Haltung, ohne damit das positive Recht zu kritisieren. In die fünfte These 5, 34—42 endlich ist eine grundlegende Rechtsregel (ius talionis), die aber zugleich Regel für persönliches, privates Handeln geworden ist, die der Antithese ist Vorschrift für das persönliche Leben. Das Rechtsleben berührt sie insofern, als ihre Erfüllung alle Klagen vor Gericht unterbinden und die Tätigkeit der Gerichte erheblich einschränken würde. Die drei Einzelgebote 5, 39b—41 sind Anwendungen auf konkrete Fälle, die sich auf der Straße oder an der Haustür abspielen können. Nur das xQi&rjvai 5, 40 kann auch eine Szene vor dem Richter meinen, vgl. 5, 25: dann ist der Spruch eine Regel für das Verhalten vor dem Richter, die freilich dann insofern die ordentliche Rechtspflege aufheben würde, als ja solch Verhalten auch dann geraten erscheint, wenn die Forderung des Anderen rechtlich unzulässig wäre und vom Richter nicht gestattet werden dürfte. Doch ist vielleicht mehr an den (mit 5, 25 analogen) Fall gedacht, daß der Andere im Recht ist; der Rat ist dann: gib ihm mehr als er nach dem Recht verlangen kann. Die anderen Sprüche haben nur negativ mit der Rechtspflege zu tun, insofern sie die Möglichkeit, das Recht und den Richter anzurufen, ganz unterbinden. Hier liegt also eine Gegensätzlichkeit zwischen überliefertem Recht und neuer Sittenlehre vor; sie ist nur nicht deutlich herausgearbeitet. Jedenfalls wird prinzipiell und allgemein R e c h t s v e r z i c h t proklamiert. Nun stellt Fiebig die Frage: kann nicht etwas juristisch „unausführbar und moralisch durchaus sachgemäß" und „ausführbar" sein? 1 Der Fall ist durchaus denkbar und würde auf erste, zweite, vierte und fünfte Antithese zutreffen. Zornregungen und Schimpfworte, Begehrlichkeit in der Richtung auf Ehebruch zu strafen, auf Vereidigung und auf jegliche Vergelgeltung und Bestrafung des Unrechts verzichten, ist juristisch und staatsrechtlich genommen unmöglich; all diese Verletzungen der sittlichen Pflicht und der Liebespflicht meiden, ist moralisch geboten und gilt dem Sittenlehrer als ausführbar. Ohne daß es betont oder auch nur zum Ausdruck gebracht wäre, laufen die Antithesen auf solche Unterscheidung der juristi1 a. a. O. 510.
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sehen und der sittlichen Sphäre hinaus. Das Entscheidende ist indes nicht die Gegenüberstellung von Recht und Sittlichkeit, oder die Befreiung des Sittlichen von seiner Umklammerung durch das Recht, aber auch nicht die Vergleichgültigung oder Aufhebung der Rechtsordnung, vielmehr die Verschärfung des überlieferten Rechts, und die Aufhebung des unterwertigen oder schlechten Rechts- und Sittengebote im Sinne der höchsten Forderung, die an den Menschen und an sein persönliches Verhalten gestellt werden können: vollkommene Versöhnungsbereitschaft, Freiheit von jeglicher Bitterkeit und Vergeltungssucht, volle Reinheit des Trieblebens, volle Wahrhaftigkeit. Die Beispiele für bestimmte konkrete Situationen, die Jesus gibt, sind übrigens nicht so paradox, wie sie zunächst erscheinen. Als Antithesen gegen das gewöhnliche Verhalten sind sie durchaus sachgemäß, und schon die Parallelen in der griechischen Ethik beweisen, daß sie wörtlich gemeint sein müssen und keineswegs „unmöglich" sind1. Sogar die jüdische Literatur hat vereinzelte Parallelen; vgl. Jes. 50, 6; slav. Henoch 50, 4. Vor allem war wieder Hillel um seiner vorbildlichen Sanftmut willen berühmt2. Er hätte wohl ähnliches lehren können und würde die Sprüche Jesu gut geheißen haben. Sie sind keineswegs so radikal unjüdisch, wie manche moderne jüdische Gelehrte meinen. Dem Durchschnittsbewußtsein der Rabbinen wie jedes natürlichen Menschen schlagen sie allerdings ins Gesicht3. Aus alledem folgt: auch diese Sprüche sind als Gebote zu verstehen. Es ist unrichtige Exegese, wenn man sie abzuschwächen sucht. Daß wir darin keine allgemeingültigen Vorschriften sehen, steht auf einem ganz anderen Blatte. Dann muß aber auch die Empfehlung der Feindesliebe 1 Zu den Parallelen, die G. H e i n r i c i , Die Bergpredigt, begriffsgeschichtlich untersucht 1905, S. 45ff., anführt, füge etwa hinzu das schöne Beispiel von der „Sanftmut" des Lykurg (Plutarch, Lyk. 11) und Epiktet, Diss. 124, 11 ff. Noch deutlicher wird die Selbstverständlichkeit des Gebotscharakters dieser und der folgenden Spruchgruppe durch H . H a a s : Idee und Ideal der Feindesliebe in der außerchristlichen Welt, 1927. 2 Vgl. die Anekdoten bei Billerb. 1198f. P. F i e b i g , D. Erzählungsstil d. Evgln. 1925, 99f. Die Traditionen hätten auch zu Mt. 11, 29 angeführt werden müssen, was Billerbeck leider versäumt! 3 Moore, Judaism II 152 weist darauf hin, daß schon die Thora utopistische Vorschriften gibt, z. B. Deut. 20.
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als ein „Gebot" gemeint sein. Es wird hier wirklich dem Affekt des Feindeshasses nicht nur der Affekt der Feindesliebe in seiner Größe entgegengestellt, sondern auch die „Sonderleistung der Feindesliebe"1. Hier und nur hier steht eine ausführliche Begründung. Jesus zeigt, wie wir uns dem Feinde gegenüber verhalten müssen, wenn wir echte Gottessöhne und besser als Zöllner und Heiden sein wollen. Das sind zwei starke Motive, die uns zum Tatbeweise unserer grenzenlosen Liebe bewegen sollen. Es ist höchstes Ethos und zugleich — für Jesus ist auch diese Unterscheidung nicht am Platze — höchste Ethik, d. h. höchstes „Gebot". Jesus argumentiert gerade mit dem Motiv des „Beispiels": des erhabenen „Beispieles" Gottes, das nachgeahmt werden soll, und des minderwertigen Beispiels der Zöllner und Heiden. Wo derartige Paradigmen gebraucht werden, befinden wir uns in der Sphäre der sittlichen Lehre und der sittlichen Erziehung. Gewiß ist in diesem Spruch ein Mysterium, die Gemeinschaft von Kind und Vater, als Untergrund der Lebensäußerungen und als innere Motivation vorausgesetzt. Trotzdem sind die Imperative richtige Gebote. Jesus will auch hier, daß man ihm aufs Wort gehorcht. Der Spruch von der V o l l k o m m e n h e i t 5, 48 ist dann ein allgemeines Prinzip oder Regulativ, das noch andere Anwendungen zuläßt als die auf die Behandlung unserer Feinde. Es ist nicht im Sinn des griechischen und des theologisch-spekulativen Vollkommenheitsbegriffs auszulegen2, sondern meint die aus der konkreten Offenbarung Gottes in Schrift, Geschichte und Natur bekannten, auf die Menschen gerichteten Taten Gottes, die in dem Erweisen alles Guten keine Grenzen kennen3. Die besten Kommentatoren sind hier nicht die christlichen Theologen, die aus dem Worte Jesu eine übersteigerte, rigoristische, unmögliche Forderung machen, sondern die Rabbinen, ein Rabbi Meir z. B., der nach Ex. 17, 5 Gott zu Moses sprechen läßt: sei mir gleich; wie ich Gutes für Böses vergelte, so vergilt auch du Gutes für Böses (vgl. Micha 7, 18)4, oder ein Rabbi Chama, der das Deut. 13, 5 geforderte Einhergehen hinter der Schechina so auslegt: es sei gemeint, daß man den Eigenschaften 1 Gegen Dibelius S. 61. 2 B u l t m a n n , Jesus S. llOf. 3 Übersetzung von T o r r e y , The four Gospels (1933) S. 12 be therefore all-including (in your good will), even as your heavenly Father includes all. Dazu Note p. 291! 4 Ex. R. 26, Billerb. 1372.
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Gottes nachgehe, nämlich wie Gott Nackte gekleidet hat (Gen. 3, 21), so kleide auch du Nackte; wie Gott Kranke besucht hat (Gen. 18, 1), so besuche auch du Kranke usw. 1 . Die „Vollkommenheit" Gottes ist die Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Frömmigkeit, Güte Gottes, und zwar in ihrer Grenzenlosigkeit und Ausnahmslosigkeit, anschaulich und konkret offenbart in den Worten und Geschichten der heiligen Schrift. Alle Lehre von Gott hat keinen anderen Sinn, als dem Menschen zu sagen: Gehe hin und tue desgleichen! Dabei standen auch die Rabbinen vor der Frage, ob es denn einem Menschen „möglich" sei, etwa hinter der Schechina einherzugehen. Ihre Auslegungen wollen zeigen, wie die Forderung Gottes die Grenzen des Menschenmöglichen einhält. Ähnlich meint es Jesus. Auch er hat mit dem Vorbild der Vollkommenheit Gottes durchaus ein dem Jünger vollziehbares Verhalten kennzeichnen wollen. Ist hiermit gezeigt, daß die Imperative des 5. Kap. durchaus als Gebote verstanden werden müssen, dann kann auch die übliche Meinung, Jesus habe kein neues Gesetz, sondern eine neue Gesinnung gebracht, nicht richtig sein. Die Antithese ist falsch. Selbstverständlich braucht man nicht zu leugnen, daß Jesus eine neue Gesinnung fordert; das ist aber in Kap. 5 nicht ausdrücklich gesagt. Die neue Gesinnung ist zumeist in Einzelgeboten, die den überlieferten Einzelgeboten an die Seite oder entgegengestellt sind, zum Ausdruck gebracht2. In Einzelgeboten zeigt Jesus, wie die Gesinnung sich betätigen soll, und daraus ist zu schließen, wie die neue Gesinnung beschaffen sein soll. Daß zwischen Gesinnung und Vorschrift eine Spannung bestehen sollte, daß Gesinnung etwas Höheres sei, in dem das Einzelgebot sich auflöst, hat Jesus nicht empfunden. Auch hier wird eine Einsicht moderner, idealistischer Ethik ihm untergeschoben. Auch wo er dem ethischen Gedanken eine ganz allgemeine Fassung gibt (5, 48 und 7, 12), kleidet 1 Sota 14a, Billerb. 1372; vgl. noch die schöne Auslegung Sifre Dt. 11, 22 bei Billerb., a. a. O. und bei Kittel, Sifre S. 130 und die gute jüdischhellenistische Parallele Aristeas Brief 210. S. noch J. A b r a h a m s , The Imitation of God (Pharisaism and the Gospel 1924, II 138ff.). 2 Schon in der 1. A. habe ich nirgends gesagt, Jesus habe keine neue Gesinnung gebracht, wie L a n w e r , Grundgedanken der Bergpredigt S. 184 mir zuschiebt.
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er ihn in imperativische Form, aus der das Verhalten im konkreten Einzelfall als Einzelvorschrift abzuziehen ist. Über die sonstigen Mahnungen und Beschreibungen des richtigen Verhaltens in der Bergpredigt ist nicht mehr viel zu sagen. Der Abschnitt über die drei überlieferten religiösen Pflichten, die auch Jesus anerkennt, Almosen, Gebet und Fasten, ist deutlich auf den Gegensatz des falschen und des richtigen Verhaltens eingestellt. Die Imperative ,laß die linke Hand es nicht wissen', ,gehe in dein Zimmer', ,salbe dich' zeigen den Stil des religiösen Gesetzgebers, der für überlieferte Übungen einen neuen, bestimmten Brauch vorschreibt. Jesus regelt die Ausübung der pflichtmäßigen Frömmigkeitsübungen, um ihnen zu ihrem Sinn zu verhelfen, und wir haben hier durchaus „sein eigentliches Wort" über die drei Dinge1. Der verkehrten Ausübung, die heuchlerisch ist und dem Frommen den Lohn Gottes entnimmt, stellt er die richtige Art entgegen, die sich darin als richtig erweist, daß sie die erhoffte Erhörung und Vergeltung erwirkt. Im Wort vom verkehrten und richtigen Schätzesammeln mischen sich Weisheitsstil und apokalyptisch bestimmter Rat. Eine bestimmte, auf den Himmel abzielende Tätigkeit, wird als die einzig kluge und weise empfohlen. Auch hier kann man wieder an die Schlußmahnung des Deut. (30, 15ff.) erinnern, ein Beweis, daß auch hier „Gesetzlichkeit" die Basis ist. Nur ist, im Gegensatz zu Thora und Weisheit, das Ziel des Handelns ins Jenseits verlegt; Gesetz und Weisheit haben einen apokalyptischen Hintergrund erhalten. Die Perikope vom Sorgen hat mit der von der Feindesliebe gemein, daß das Gebot mit Argumenten gestützt wird. Man sieht, wie es dem religiösen Lehrer darauf ankommt, seine Hörer zu überzeugen. Jesus kommt hier dem hellenischen Sittenlehrer nahe, der auch gern mit logischer Beweisführung seine Hörer zu überreden sucht, daß sie ihre törichte Lebenshaltung ändern2. Aber auch die jüdische Weisheit in Kanon und Talmud liefert schöne Belege3. Das Gedicht ist eines der schönsten Proben antiker Lebensweisheit. Keineswegs tritt Jesus aus der Ebene der religiösen Weisheit und Gesetzlichkeit heraus. 1 Gegen H. Weinel, Die Bergpredigt S.53. 2 Vgl. vor allem die Diatriben des Epiktet. 3 Vgl. Billerb. 1435 ff.
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In der Hauptsache ist damit der Beweis geliefert, daß die Interpretation, die der Evangelist mit der Komposition seiner Rede den ihm überlieferten Worten Jesu gegeben hat, richtig ist. Es fragt sich nur noch, ob es einige Sprüche gibt, die doch in eine andere Richtung weisen. In Betracht kommen die Seligpreisungen, der Spruch vom Zweiherrendienst und das Bildwort vom Baum und seinen Früchten. Nach D i b e l i u s (S. 56) hätte Matthäus aus der Beschreibung einer Haltung, wie sie die S e l i g p r e i s u n g e n bei Lukas aufweisen, eine Tugendtafel gemacht. Ich würde sagen, die Makarismen, die Matthäus mit Lukas gemeinsam hat, dazu die Seligpreisung der Reinen, stellen eine bestimmte religiöse Haltung dar, die anderen bestimmte Betätigungen. Aus Matthäus; hören wir also beide Imperative herausklingen: ,sei so oder so' und ,handle so oder so' mit der angeschlossenen Versicherung: dann wirst du des Himmelreichs und seines Trostes und Lohnes teilhaftig werden1. Die zweite Gruppe braucht aber keineswegs als eine Jesu wesensfremde Schöpfung des Evangelisten betrachtet zu werden. Wenn Jesus in den anderen Seligpreisungen bestimmte Haltungen preist, so ist damit nicht der alttestamentlich-jüdische Gedankenkreis gesprengt. Diese „Haltungen" kennt und preist auch die Prophetie, die Weisheit und gelegentlich sogar der Talmud. Haltung und Leistung sind hier sowenig Gegensätze wie dort2. Die Warnung vor Mammonsdienst und die Betrachtung über den Baum und seine Früchte haben verwandte Züge. Beide Male wird aus einem profanen Beispiel die Unmöglichkeit einer Synthese von Gegensätzen auf ethisch-religiösem Gebiete dargetan. Die Betrachtung dringt beidemal sehr tief. In anschaulicher Bildsprache wird der Begriffeines e i n h e i t l i c h e n Charakters erfaßt: der religiöse Mensch, der gute Mensch stellt 1 Die Makarismen stellen eine „eschatologische Tugendtaiel" dar, vergleichbar als solche mit der „Kultischen Tugendtafel" Ps. 15 und Ps. 24, 3—6. Der Eingangsfrage 'wer darf hinaufsteigen auf den Berg des Herrn' usw. entspricht bei Mt. die Frage: wer wird eintreten in das Himmelreich? Eine der Seligpreisungen hat in den Ps. ihre Entsprechung: wer reines Herzens ist Ps. 24, 4. Die Ps. 24, 5 gegebene Verheißung „er wird Barmherzigkeit empfangen...." ist im fünften Makarismus aufgenommen. Die Seligpreisungen sind geradezu als „Einlaßbedingungen" zu bewerten. 2 Die Seligpreisung der Barmherzigen ist das Band, das beide Gruppen zusammenhält.
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ebensosehr einen geschlossenen Typus dar wie sein Widerpart, der Mammonsdiener, der schlechte Mensch. Das ist prophetische Weisheit in volkstümlicher Formgebung. Der erste Spruch Mt. 6, 24 hat seine Wurzel im sogenannten 1. Gebot des Dekalogs 1 , nur daß aus dem ,ihr sollt nicht' ein ,ihr könnt nicht' geworden ist. Das ist aber kein Unterschied, sondern schärfere Herausarbeitung des Psychologischen, und das strikte Verbot ,ihr sollt', ,ihr dürft nicht' klingt natürlich als Unterton und Folgerung mit 2 . Das W o r t vom B a u m und seinen Früchten ist das einzige in der Bergpredigt, aus dem man einen Gegensatz von Ethos und Ethik, von Beschreibung und Forderung, von Gesinnung und Gesetz herauslesen könnte. Denn folgerichtig durchgedacht besagt es, daß das Gute nur getan werden kann, wo der Grund des Menschen, der Charakter gut ist, daß also alle Ethik und Moral, alles Fordern und Befehlen sinnlos ist, wo kein Ethos, kein richtiger Charakter, keine gute Gesinnung vorhanden ist, und daß es nur den Zweck haben kann, das natürliche Wachstum zu fördern. Dann wäre die Bergpredigt mit ihren vielen Imperativen nur sinnreich unter der Voraussetzung, daß ihre Hörer in ihrem geistigen Wesen dem guten Baume glichen, oder es würde die fundamentale Forderung laut, erst einmal ein guter Baum zu werden, ehe man die in dieser Rede geforderten guten Früchte hervorbringen kann, erst eine neue rechtschaffene Gesinnung zu schaffen, aus der das richtige Verhalten im konkreten Falle von selbst sich ergibt, womit die Autonomie des guten Menschen proklamiert wäre. Entsprechen diese Folgerungen dem ursprünglichen Sinn des Spruches? Matthäus hat in der Bergpredigt diese Worte an die Warnung vor den Pseudopropheten angehängt, also einseitig auf die schlechten Typen und ihre Erkennung bezogen. Er hat damit wohl einfach vorausgesetzt, die Hörer, die Jünger, gehören dem Typus des guten Baumes an. Er hat den Spruch noch einmal in imperativischer, freilich nicht ganz eindeutiger Fassung (rj Ttorfoaze.. fj jtonqaarB), in einer Streitrede gegen die Pharisäer (12, 33) gebracht, wo zu seiner Erläuterung noch der Spruch vom guten Schatz des Herzens hinzugefügt ist (wie bei 1 Vgl. auch Deut. 6,13 = Mt. 4,10. 2 Mammon figuriert hier als Gegengott, Götze oder als Inkarnation •des Teufels.
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II. Der Sinn der Gebote
Luk. 6, 43—45). Er hat auch da sagen wollen: Pharisäer können keine guten Früchte hervorbringen. Prinzipielle Bedeutung im Rahmen der Bergpredigt hat er dem Spruche nicht verliehen. Welche Tragweite hat Jesus dem Parabelspruch geben wollen? Auch wenn die polemische Einstellung ursprünglich sein sollte, würde Jesus doch auch seinen Jüngern eine Mahnung erteilt haben, die für ihr Hören und für ihr Heil entscheidend sein mußte, etwa ähnlich der Lehre, die die Parabel vom viererlei Ackergrund enthält. Wieweit er sonst bei seiner Lehrtätigkeit die hier angegebene Voraussetzung aller Ethik und von allem Ethos sich bewußt gemacht hat, ist schwer zu sagen. Verhältnismäßig selten rührt er sie an. Nimmermehr geht es an, von diesem Worte aus seinen Imperativen einen anderen Sinn zu geben. Man kann ihm auch die Meinung zuschreiben, daß den Hörern ein guter Grund, ein gutes Herz, Bereitschaft zum Gehorsam gegeben oder vonnöten ist. Aber ebensogut ist mit dem Fall zu rechnen, daß er von der Einzelforderung eine Einwirkung auf den Hörer erwartete und seinem Wort die Kraft zutraute, die richtige Gesinnung und die richtige Tat in einem zu schaffen. Seine Einzelforderungen sind jedenfalls nur selten an dem Zentrum der Gesinnung orientiert und die Autonomie des guten Menschen hat er auch mit diesen Worten nicht gelehrt. Ebensowenig kann man sich auf dies eine Wort berufen, um den Gegensatz von Gesinnung und äußerer Tat als Leitgedanken der Bergpredigt festzustellen. Genau genommen, gibt es nach ihm bei den einzelnen Menschen nur gute Werke und die dazu gehörige, sie schaffende gute Gesinnung, schlechte Früchte und schlechte Gesinnung. Die Möglichkeit, daß man bei schlechter Gesinnung äußerlich gute Werke verrichten könnte, wird gerade in Abrede gestellt, ebenso das Umgekehrte. Gut scheint bei den Pseudopropheten nur die äußerliche Haltung. Ein Gegensatz besteht also zwischen dem äußeren Schein einerseits, dem Charakter und den Werken andererseits. Eher ist die Antithese: äußerliche Tat — wirkliche Gesinnung bei den religiösen Werken der Heuchler (6, 1 ff.) anzutreffen; aber auch da ist die wirkliche Gesinnung bei scharfem Zusehen gerade aus den Werken zu ersehen. Wir sind hiermit schon zu Betrachtungen allgemeiner Art übergegangen. Man pflegt als hervorstechendste WesenseigenDXT 1 « : W i n d l s c b .
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tümlichkeit der Forderungen der Bergpredigt ihren R a d i k a l i s mus oder R i g o r i s m u s zu bezeichnen. Diese Charakterisierung ist von großer Tragweite. An sie hängt sich die ganze Problematik unserer Tage, vor allem die Meinung, daß sie wörtlich nicht ausführbar sei, also — folgert vielfach die neuere „Exegese" — nicht wörtlich gemeint sei, desgleichen die Überzeugung, daß sie, weil sie unausführbare Forderungen stelle, uns auf einen anderen Heilsweg drängen wolle, den der göttlichen Gnade, des Kreuzes, der Ausführung durch Gott. Für die Beurteilung der Bergrede ist es nötig, daß wir diesen Begriff des Radikalismus noch näher untersuchen. B u l t m a n n hat ihn treffend so formuliert: die Ethik Jesu ist, genau wie die jüdische, /eine E t h i k des Gehorsams; der einzige, freilich fundamentale Unterschied ist, daß Jesus den Gedanken des Gehorsams radikal g e d a c h t hat 1 . Diese Beschreibung trifft die meisten der in der Bergpredigt vorkommenden radikalen Gebote. Der Gehorsam, den Jesus lehrt, geht immer aufs Ganze: Gott straft nicht nur die schlechte Tat, auch die schlechte Begierde und das häßliche Wort. Die Liebe muß auch den Feind erfassen; der Mensch soll nur Schätze im Himmel sammeln, darf nur Gott dienen, darf nur um das Reich sorgen; der Jünger, der Sohn soll vollkommen sein wie Gott, der Vater. Unsere Würdigung darf aber zweierlei nicht übersehen: 1. daß solchen Radikalismus auch schon die israelitisch-jüdische Ethik kennt; 2. daß er in der Bergrede keineswegs paradox erscheint, sondern durchaus sachgemäß. (1) Für die Sicherung der ersten These genügt es, an das große Gebot der G o t t e s l i e b e zu erinnern: von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit aller deiner Kraft (Deut. 6, 5). In diesem Worte ist die Forderung der radikalen Hingabe, des vollkommenen Gehorsams bereits unüberbietbar ausgesprochen. Jesus hat sie selbst (Matth. 22, 37) als das größte Gebot bezeichnet 2 . Seine Radikalismen sind also nur Umschreibungen dieses überlieferten Moseswortes. Auch die Forderung der Heiligkeit Lev. 19, 2, das Vorbild für Mt. 5, 48, ist radikal gedachter Gehorsam. 1 Jesus S. 69. 2 Wie sehr sie im Babbinismus lebte, zeigt die ergreifende Geschichte vom Martyrium des Rabbi Akiba, die jeder Theologe kennen muß; vgl. Billerb. I905f.
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Seine eigene Tat scheint dann die zu sein, daß er die Forderung der rückhaltlosen Hingabe auch auf das zweite große Gebot der N ä c h s t e n l i e b e (Lev. 19, 18) übertragen hat. Sicher hat niemand von ihm und unabhängig von ihm die Unterdrückung des Racheaffektes und des Vergeltungstriebes und die Liebe zum Feinde mit solcher Eindrücklichkeit gefordert wie er; aber daß der Gedanke des vollen „Gehorsams" im Umgang mit den Menschen dem Judentum ganz fremd gewesen, darf man nicht sagen1. Die Antithese ist schon dem A. T. gegenüber ungerecht, da sie die klassischen Zeugnisse altjüdischer Feindeshebe Ex. 23, 4f. und Spr. 25, 21 f. ignoriert. Aus letzterem Spruche leitet Paulus, wahrscheinlich unabhängig von Jesus 2 , sein christliches Gebot des Racheverzichts und der auch dem Feinde schuldigen Humanitätsübung ab (Röm. 12, 19 ff.). (2) Wer die Radikalismen der Lehre Jesu richtig würdigen will, muß sich auf den Standpunkt des Predigers versetzen. Ein Materiahst, ein Nur-Humanist wird sie anders beurteilen als der, der die Voraussetzungen bejaht, die Jesus in sich trug und die er bei seinen Hörern vorausgesetzt hat. Diese Haltung ist bestimmt durch den Gottesglauben, durch den Glauben an die Offenbarung Gottes in der Natur und im Gesetz und durch die Erwartung des kommenden Reiches Gottes. Es ist also die Haltung des frommen Israeliten, des echten Schriftgelehrten (Mt. 13, 52), des gläubigen Jesusjüngers. Von diesem Standpunkt aus erscheinen alle Rigorismen der Bergpredigt als durchaus f o l g e r i c h t i g und sachgemäß. Wer jene Voraussetzungen teilt, kann die von Jesus gezogenen Folgerungen unmöglich als sinnlos ablehnen. Es kommt hinzu, daß Jesus als echter Weisheitslehrer mit großem Nachdruck diesen logischen Sachverhalt zu demonstrieren weiß. Seine Mittel sind die logische Argumentation (mit Prämisse und Schlußfolgerung) und die Parabel. Durch logischen Schluß und durch veranschaulichenden Vergleich wird die Richtigkeit vor Augen geführt, so daß der Hörer die Forderung anerkennen muß. Beispiele logischer, rationaler Beweisführung fanden wir vor allem in der Perikope von der Feindeshebe und in der von der verkehrten Sorge. Beide Male sucht Jesus den Hörer zu der 1 S. M o n t e f i o r e , a . a . O . II83ff. 2 S. mein Buch Paulus u. Christus 212. 5*
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Einsicht zu bringen, daß, vom Gottesglauben aus gesehen, die von ihm gezeichnete Haltung die „einzig richtige", die „einzig normale" ist. Dieselbe Wirkung wird in dem Wort vom Schätzesammeln erzielt: klug ist allein, wer Schätze im Himmel sammelt. Veranschaulichung durch die Parabel bedeutet Hinweis auf den gleichen Sachverhalt „im Leben". Die Tatsachen, daß Vögel und Blumen nicht „sorgen", daß der Mensch durch „Sorgen" seiner Größe (oder seiner Lebenslänge) nichts zusetzen, daß ein Sklave nicht zwei feindlichen Herren dienen kann, daß ein verständiger Mann sein Haus nicht auf Sand baut, überzeugen, daß die volle Hingabe, der volle Gehorsam die einzig sachgemäße Haltung ist. Dann hört aber die religiöse und die ethische Forderung auf, „paradox" zu sein. Die Radikalismen sind gottgläubige Vernunft einleuchtend und evident gemacht. Allerdings muß man, um der rationalen Beweisführung Jesu überall zustimmen zu können, auch noch ein besonderes Prinzip seiner „Logik" annehmen, das Motiv der direkten A n t i these. Was Gott fordert, ist immer das Gregenteil dessen, was gewisse Menschen lehren und tun. Auch dies Prinzip ist keine Entdeckung Jesu, es ist auch kein irrationaler Einschlag in seiner rationalen Weltanschauung und Denkweise. Wohl setzt es einen gewissen Dualismus, aber er ist logisch begründet in der Gottesanschauung Jesu und — ein Wesenselement aller Weisheitslehre. Der Weise und der Tor sind die zwei typischen Gegensätze der Weisheitsliteratur. Das Verfahren ist rein logisch. Aus dem falschen Beispiel ist das Richtige zu deduzieren, indem man jeden Charakterzug in sein Gegenteil umkehrt. Vor allem in seinen Gleichnissen hat Jesus diese Veranschaulichungsmethode zur Anwendung gebracht. Der klassische Beleg ist die „Beispielerzählung" vom Pharisäer und Zöllner. Nicht weniger einleuchtend ist das Gleichnis vom zweifachen Hausbau, mit dem die Bergrede schließt. Sehr nahe verwandt mit der Gattung der „Beispielerzählung" ist auch die streng antithetisch gehaltene Veranschaulichung des falschen und des richtigen Almosengebens, Betens und Fastens. Der Unterschied ist nur der, daß das richtige Beispiel nicht nur beschrieben, sondern auch vorgeschrieben wird. Die Sachgemäßheit der Vorschrift beruht darauf, daß das richtige Verhalten das genaue Gegenteil des falschen ist. So wird, was scheinbar paradox klingt, evident gemacht.
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Das Motiv, daß „das Gegenteil das Richtige" ist, wirkt aber auch in die Antithesen des fünften Kapitels hinein; am deutlichsten tritt es in dem Verbot der V e r g e l t u n g hervor. Was hier „übertrieben" erscheint, ist in Wahrheit die sachgemäße Anwendung des Prinzips der Antithese. Die nächste Analogie hierzu finden wir in dem Gebot der Selbsterniedrigung zum Allerweltssklaven, das einfach aus dem Gegenbild des „Herrschers" abgeleitet wird (Mt. 20, 21ff.). Aber auch die Forderung der F e i n d e s l i e b e gehört hierher. Das Motiv des Gegenteils ist das erste in der Reihe der logischen Argumente, die hier zur Verwendung kommen, und zwar in doppelter Form: (1) die unvollkommene Lehre gebietet, den N ä c h s t e n zu lieben; ich gebiete: auch den Feind, (2) die falsche Lehre erlaubt, den Feind zu h a s s e n ; ich gebiete: ihn zu lieben. Endlich ist als Grundsatz noch zu beachten, daß das Gute g a n z getan, das Böse g a n z gelassen werden muß. Es hängt mit dem vorher genannten zusammen und gehört durchaus zur Haltung der religiösen Weisheit. In dem Logion 5, 20 ist es zum leitenden Motiv der ganzen Lehre der Bergpredigt und ihrer Polemik erhoben, wenn auch nicht in absoluter Schärfe formuliert, doch ist mit Tteqiaaevetv der Begriff des Ganzen, Vollständigen, alles Umfassenden gemeint. Illustriert wird dies Prinzip vor allem in den zwei ersten Antithesen (vgl. o. S. 47ff.), und in dem Wort von der Unmöglichkeit, Mammon und Gott zusammen dienen zu wollen. Auch diesem Prinzip wohnt die Kraft der Evidenz oder Einsichtigkeit inne. Forderungen, die auf ihm aufgebaut sind, leuchten unmittelbar ein und hören auf, paradox, „radikal", „überstreng" zu sein, wenn man nur die Voraussetzung sich klar macht, daß der Herr, dem man dienen soll, Gott ist und daß das Gute, das getan werden soll, Gottes Forderung ist. Die rigoristische Form der Forderungen der Bergpredigt ist somit eine Wesenseigentümlichkeit religiöser Weisheitslehre. Sie bringt deren innere, logische Struktur zur Anschauung, verleiht den Geboten ihre suggestive Kraft und offenbart ihren Sinn in vollendeter Deutlichkeit.
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III Die Ausführbarkeit der Lehre Jesu 1. Mit den Betrachtungen über den Sinn der Gebote haben wir den Boden bereitet für die Beantwortung der Frage nach der A u s f ü h r b a r k e i t . Das Problem ist alt. Es gehört einmal in das große dogmengeschichtliche Kapitel von der Fähigkeit des Menschen oder Christen, die Gebote Gottes zu erfüllen. So ist auch hier die gesamte Sittenlehre Jesu mit einzubeziehen. Sodann spitzt es sich zu auf einzelne konkrete Gebote der Bergpredigt, die wörtlich gefaßt und wörtlich befolgt, unsere Rechtsund Staatsordnung bedrohen würden und in der Tat in der Kirchengeschichte zu Staat-verneinendem Sektierertum geführt haben1. Daher bald der theologische Konfessionalismus, bald die politische Theologie, aber in sehr verschiedenem Sinne, die Ausführbarkeit angezweifelt, ein wörtliches Verständnis bekämpft haben — um der Reinheit der Lehre oder um der Aufrechterhaltung der staatlichen Ordnung willen. Wir haben auch diese Frage nicht von unserer Situation aus zu behandeln, sondern die Antwort aus dem Text, aus seinen Voraussetzungen und Wesenseigentümlichkeiten zu geben. Aus dem Gesagten ergibt sich, daß die Ausführbarkeit für den Evangelisten wie für Jesus kein P r o b l e m ist. Da die Forderungen evidente Folgerungen aus dem Wesen der religiösen Weisheit sind, muß und kann jeder Fromme sie anerkennen und erfüllen. Der Gedanke der Unausführbarkeit erscheint im Rahmen der richtig verstandenen Bergrede geradezu sinnlos. Jesus gibt neue Gebote, Grundsätze und Beispiele für die richtige Ausübung der Frömmigkeit, nicht nur um von der Richtigkeit seiner Vorschriften zu überzeugen, sondern um den vollen Gehorsam gegen Gott unter den Menschen zu verwirklichen. Das Nichttun wäre ebenso töricht wie das Nichtsehen. Die Erwartung ist, daß jeder, der die Forderungen hört und liest, sie auch ausführt. Das Tun ist durchaus der natürliche, der normale Fall. Das ist nicht nur im Schlußgleichnis und in den anderen Worten vom ,,Tun" ausgesprochen, auch in den sonstigen vom Prinzip der Sachgemäßheit getragenen Betrachtungen und Geboten ist es gemeint. Die Ausführbarkeit ergibt sich in erster Linie aus der Sache selbst. Weil die Gebote „einsichtig" sind, sind sie >) Vgl. die Übersicht bei A . M. B r o u w e r , De bergrede 171ff.
III. Die Ausführbarkeit der Lehre Jesu
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auch erfüllbar; weil es richtige Gebote sind, sind sie auch ausführbar. Auf dieser, uns gewiß fremdartigen Schlußfolgerung beruht die Lehre der Bergpredigt. Wer sie hört und liest, mag erschrocken sein, aber wenn er sie richtig verstanden hat, hat er gelernt, was er t u n muß, um gerettet zu werden. Die Problematik des Könnens, wie sie in der paulinischen und kirchlichen Theologie entfaltet ist und in dem Dogma von der Unfähigkeit des Menschen und der göttlichen Heilswirkung ihre Lösung gefunden hat, ist der Bergpredigt ebenso unbekannt wie dem Gesetz. Da es vorgeschrieben ist und da der Anteil am Himmelreich von der Erfüllung abhängt, ist es selbstverständlich, daß der Mensch auch „kann". Für die Bergrede existiert die Problematik der Ausführung im allgemeinen nicht. Nur ein Text rührt sie an, das Wort von den „vielen" und den „wenigen" 7, 13fA Für die meisten Menschen bleibt danach allerdings das Gebot der Bergrede etwas Übermächtiges, Unausführbares; ihr Radikalismus und Rigorismus ist ihnen unerreichbar. Aber e r s t e n s wird doch auch in diesem Spruche konstatiert, daß die Forderungen an sich „ausführbar" sind. Wenn „viele" sie nicht erfüllen können, liegt das nicht an der Bergrede, sondern an ihnen, und wenn sie für viele unerfüllbar ist, dann ist damit ihr Verderben besiegelt — es gibt hier keinen andersartigen Heilsweg im Hintergrund, der für die „vielen" schließlich noch geöffnet wird 2 . Z w e i t e n s verstößt unser Spruch mit seiner pessimistischen Perspektive gegen den sonstigen Geist der Bergrede, den wir soeben als rationale, aussichtsfreudige religiöse Weisheitslehre erfaßt haben. Hier bricht eine eschatologische Tradition, die auch in dem Spruche Mt. 22, 14 und in den jüdischen Parallelen aus den Apokalypsen niedergelegt ist 3 , in die Weisheitslehre ein und verändert die Sachlage: die religiöse Glaubensfreudigkeit zerbricht oder wird zum mindesten stark geschwächt. Doch ist 1 Nur bei Matth, ist die Antithese 'viele—wenige' scharf herausgearbeitet, bei Lk. erscheint das Motiv der „Wenigen" nur in der Frage 13,23; die Antwort „ringet darum; denn viele" u. besagt dann: ihr sollt zu den wenigen gehören, aber ihr müßt dafür kämpfen. 2 Gleiches gilt von dem eschatologischen Mahnwort Mk. 8, 35f., in dem gleichfalls die Auskunft Mk. 10, 45 noch nicht vorgesehen ist. M o n t e f i o r e Rabbinic literature p. 151 stimmt dieser Erklärung insofern zu, als das Moment, das er gegen mich vorbringt, schon von mir beachtet ist. 3 Vgl. K l o s t e r m a n n , Matth, z. St.
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2. Kapitel. Der Sinn des Gebotes u. das Problem der Ausführbarkeit
auch diese eschatologische Beurteilung der Wirklichkeit in die Weisheitssphäre sehr gut einzugliedern. Sie besagt eben, daß die Zahl der „Klugen" in dieser Welt gering ist und daß die meisten Menschen trotz der Evidenz der Forderung Gottes doch Toren sind und Toren bleiben1. Doch darf man die in dem Spruch Mt. 7, 13f. niedergelegte Einsicht nun nicht verallgemeinern, sie zu jeder Forderung hinzudenken und behaupten, Jesus sehe zugleich die Erfüllbarkeit des Gebotes und die immer neue tatsächliche Nichterfülltheit des Gebotes, er sehe beides „in einem"2. Das geht nicht, weil damit der Charakter des Spruchs als Einzelspruch verkannt ist und überdies das Wort so ausgelegt ist, als stände schließlich da: „und niemand ist, der ihn findet". Die Voraussetzung der Ausführbarkeit der Bergrede ist aus dem Wesen der Gebote abzuleiten. Sie teilt diese Voraussetzung mit der Thora, mit der Chokma (Weisheit) und mit der E s c h a t o l o g i e ; besser: weil sie Thora, Weisheit und Eschatologie umfaßt, setzt auch sie die Möglichkeit der Verwirklichung ihrer Forderungen voraus. Daß das A. T. in seinen drei großen Schriftgruppen die Ausführbarkeit der Gebote anerkennt, braucht kaum bewiesen zu werden. Sie kennen alle keinen anderen Heilsweg als das gehorsame Tun, die praktische Betätigung der „Furcht Jahves", das „Halten der Gebote". Das gilt vor allem vom Gesetze. Daß der Satz: „wer nach ihnen (nämlich den Satzungen und Rechten) tut, wird durch sie leben" (Lev. 18, 5) die Quintessenz der Thorafrömmigkeit darstellt, hat Paulus, der gewesene Rabbi und christliche Schriftgelehrte, richtig herausgefühlt (Gal. 3, 12; Röm. 10, 5). Wenn die Thora diesen Grundsatz auf das diesseitige Leben bezieht, so hat doch schon die rabbinische Exegese ihn eschatologisch verstanden3: durch Deutung des Begriffes „Leben" auf die kommende Welt oder das „ewige Leben". So ist er auch zum Leitmotiv der Eschatologie geworden. Jesus setzt 1 Vgl. den sehr pessimistischen „Weisheitstext" in Henoch 42, weiter Sir. 6,22; 8 , 2 ; 37,31. Freilich im Ganzen ist die jüdische Weisheit optimistisch gestimmt, im Gegenteil zur Weisheit der Stoa, die erklärt, daß die Mehrzahl der Menschen Toren sind und bleiben, s. Ed. Zeller, D. Philos. d. Griechen III 1, 4. A„ S. 258ff. 2 So H. D. W e n d l a n d S. 129; die Sperrungen von mir. 3 S. Billerb. III 278.
III. Die Ausführbarkeit der Lehre Jesu
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schon diese Übertragung voraus (Luk. 10, 25 u. 28). Daß sie zu seiner Zeit bereits populär war, zeigt die Frage des reichen Jünglings. Er fragt nur nach dem Was; daß man nur durch ein Tun sich das ewige Leben „erwirbt", steht ihm fest. Auch Jesus zeigt in seiner Antwort, daß er die Vorstellung anerkennt, nur fügt er für diesen Reichen zu den überlieferten Geboten noch das Doppelgebot der Besitzaufgabe und des Eintritts in seinen Schülerkreis hinzu. Ganz ähnlich ist die Haltung der Bergpredigt. Der Dekalog und das Gebot der Nächstenliebe 5, 44; 7, 12 sind auch hier vorausgesetzt; es kommt nur noch weiteres hinzu; aber der Sinn ist auch hier: durch Hören und Tun wird man leben, wird man die Katastrophe überstehen, wird man in das Reich Gottes eingelassen. Es gibt zum Überfluß in der Thora einen Spruch, in dem die Möglichkeit ihrer Ausführung ausdrücklich versichert wird: denn dies Gebot, das ich dir heute gebiete, übersteigt deine Kräfte nicht (ist nicht unerreichbar); man braucht es nicht erst aus dem Himmel oder von jenseits des Meeres herbeizuholen; „sondern überaus nahe liegt dir das Wort, in deinen Mund und in dein Herz (ist es gelegt), so daß du darnach tun kannst" (Deut. 30, 11 — 13). Das schöne Wort will den Frommen ermutigen: die Thora ist seinen Kräften angepaßt und ihm in Mund und Herz gelegt, so daß der Segen, der an ihre Erfüllung gebunden ist, ihm nicht entgeht. Die Ausführbarkeit ist ein wesentliches Stück in dem göttlichen Heilsplan. Dieser Gedanke ist auch die stillschweigende Voraussetzung der Bergpredigt und der ganzen Lehre Jesu. Ausgesprochen ist er nur in dem Worte: „mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht" (Mt. 11, 30), in einem Zusammenhang, wo Jesus durchaus als Weisheitslehrer seine Hörer an sich zu locken sucht; in der bekannten Parallele, dem alphabetischen Weisheitsgedicht, mit dem das Buch Sirach schließt (51, 13—30), ist wohl auoh auf den Spruch des Deut, angespielt1. Es ist für P a u l u s wiederum bezeichnend, daß er diesen Spruch des Deut., der seiner Erfahrung (Röm. 7, 7ff.!) und seiner christlichen Theologie aufs schärfste widerspricht, auf das neu offenbarte Wort vom Glauben umdeutet (Röm. 10, 6—10). Solche radikale Umkehrung seines Sinnes liegt der 1 Vgl. 51,26: nahe ist sie denen, die sie suchen; und wer sich daran hingibt, findet sie.
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Bergpredigt fern. Sie widerspricht dem Deuteronomisten nur insofern, als sie mit dem Wort von dem schmalen Weg, den nur wenige finden, die Schwierigkeit des Findens betont. Aber das ist keineswegs die Voraussetzung aller Sprüche, und 7, 13 f. wird anerkannt, daß bei den „Wenigen" das Gebotene die Kräfte keineswegs übersteigt. Auch das Jesuswort vom „gütigen Joch" und von der „leichten Last", die er auflegt Mt. 11, 2 9 f. bedeutet nicht die Aufhebung der Gesetzesreligion und das Angebot einer Gabe in seinem Wort und seiner Person, dessen Hinnahme sich allein im Glauben an ihn als den Christus vollzieht 1 . Solche Auslegung, besser Eintragung, ist sehr gewagt, zum mindesten ist die neue Auslegung des Willens Gottes und der Gehorsam gegen seine Worte einzuschließen. Aber will denn die Bergrede nicht gerade vom „Gesetz" und von den Schriftgelehrten uns „erlösen" ? Das ist indes das große Mißverständnis vieler Theologen, daß der Gegensatz Jesu gegen die Schriftgelehrten die Thora selbst und ihr Prinzip treffe. Der Streit geht vielmehr 1. um die Auslegung und Anwendung einzelner Gesetzesstücke, 2. um die Wichtigkeit bestimmter Gesetze, 3. um die Gültigkeit einzelner Vorschriften, 4. um die Halacha. Einen Kern der Thora hat Jesus als offenbarten Gotteswillen anerkannt und den Grundcharakter der jüdischen Religion als o f f e n b a r t e r Gehorsamsethik hat er nicht verändert. „Erlösen" will uns Jesus in der Bergpredigt nicht vom Gesetz2, sondern von der Oberflächlichkeit der Schriftgelehrten, von der Halacha, von der Heuchelei in der Religion, vom Mammonsdienst, von der Sorge um unser natürliches Bestehen. Im übrigen bietet er nicht Erlösung, sondern „Gesetz", dem wir gehorchen sollen, und dafür die Aussicht auf die große eschatologische Erlösung, die mit dem Kommen des Reiches Gottes anhebt (Lk. 21, 28). Daß die P r o p h e t e n sich an den Willen des Volkes wenden und vom gehorsamen Tun der Gebote Jahwes alles Heil erwarten, braucht nicht bewiesen zu werden. Typisch ist der Bußruf des Jesaja (1, 17): Hört auf Böses zu tun, lernt Gutes tun! und dann der Verheißung und Drohung vereinende Grundsatz 1 So R e n g s t o r f in Kittel's Theol. Wtb. II902. Insbesondere ist sehr fraglich, ob entgegensteht „das Joch der Thora" und nicht vielmehr das Joch der Uberlieferungen der Rabbinen, vgl. Mt. 23, 4. 2 Vgl. Paulus u. Christus S. 212f.
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(1, 19f.): wenn ihr willig seid und gehorcht, sollt ihr das Beste des Landes verzehren; wenn ihr widerstrebt und euch widersetzt, sollt ihr vom Schwert verzehrt werden. Die einfachen Worte bilden auch die Grundlage der Büß- und Heilspredigt Jesu. Wohl erst nach dem Exil haben einige Propheten die Einsicht gewonnen, daß nur durch innere Erneuerung und durch Eingreifen Gottes der Gehorsam ermöglicht werden könne: Jer. 31, 33f.; Ez. 36, 25—27. Aber nirgends bezieht sich Jesus auf diese Weissagungen — sein Ruf zur Umkehr setzt voraus, daß der innere Zustand bei seinen Hörern und bei seinen Jüngern derart ist, daß sie „nach Gottes Satzungen wandeln können" oder er ist es selbst, der durch sein Wort das Gebot Gottes „in ihr Innerstes legt" und „in ihr Herz schreibt". Den Gedanken der Propheten hat die W e i s h e i t übernommen und zur Grundvoraussetzung ihrer Erziehungslehre gemacht. Weisheit ist entweder volkstümliche Lehre, wie sie außerhalb der Prophetenkreise gepflegt wurde, oder rational gemachte ProphetenVerkündigung. Klagt Jeremia darüber: sie w o l l t e n n i c h t Zucht annehmen (Jer. 5, 3), so redet Sirach seinen Jüngern zu: w e n n du w i l l s t , Kind, w i r s t du Z u c h t a n n e h m e n (6, 32); w e n n du w i l l s t , w i r s t du die G e b o t e bew a h r e n ; er hat Feuer und Wasser vor dich hingestellt: wohin du willst, magst du deine Hand ausstrecken; vor dem Menschen steht das Leben und der Tod: was er wählt, wird ihm gegeben werden (15, 15—17). An den Willen wendet sich auch die Bergrede. Ganz wie die Propheten klagt Jesus am Ende seiner mühevollen, erfolglosen Arbeit: ihr habt nicht gewollt! (Matth. 23, 37). Es ist auch sein Wunsch gewesen, auf den Willen seiner Hörer einzuwirken. Eine Lehre, daß das unmöglich sei, hat er nicht gehabt. Wie der Weise Jesus Sirach ermutigend auf sein Vorbild hinweist: Sehet mit euern Augen, daß ich mich wenig gemüht und viel Ruhe gefunden habe (51, 27), und damit die Erreichbarkeit des in seiner Weisheitslehre gesteckten Ziels bezeugt, so wäre zu fragen, ob dies M o t i v des e i g e n e n B e i s p i e l s und des vorbildlichen Gehorsams des Lehrers nicht auch der Bergrede beigegeben ist. Leider sucht man nach persönlichen Zügen dieser Art vergeblich. Wohl aber erwecken viele Forderungen den Eindruck, daß Jesus sie aus seiner eigenen Seele schöpft,
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und daß für die Hörer die Forderung und der Mann ein Ganzes gewesen sein muß. Ich denke an die Vorschriften für Almosengeben, Beten, Fasten, an die Stellung zu Geld und Gut, an die Freiheit von irdischen Sorgen, an die volle Hingabe an Gott. So wie er es da beschreibt, hat Jesus selbst sein Almosen gegeben, sein Gebet verrichtet, vielleicht auch einmal gefastet (trotz Mt. 9, 14ff. scheint mir das möglich); desgleichen hat er in den radikalen Geboten: nur himmlische Schätze sammeln, nur Gott dienen, nur um Gottes Reich sorgen, seine eigene, freie und völlig Gott ergebene Haltung gezeichnet. So erklärt sich der Radikalismus und das Vertrauen in seine Verwirklichung aus der eigenen gewaltigen Gottergriffenheit. Wir möchten dasselbe auch von den sechs Antithesen sagen. Nur müssen dann erst die Bedenken zerstreut werden, die aus dem Vergleich der ersten und der zwei letzten Spruchgruppen mit der Haltung Jesu gegenüber seinen eigenen „Feinden" herausgeholt werden können1. Wir können auf diese Schwierigkeit nicht ausführlich eingehen und müssen uns mit der Erinnerung begnügen, daß jene gewaltigen Invektiven in Mt. 23, mit ihren Scheltworten: Heuchler, Toren(!) und Blinde, Schlangen, Otternbrut, aus der erregten Seele des tief empörten Propheten herausquellen, dessen Worte mit anderem Maß zu messen sind als die des gewöhnlichen Menschen2. Denn der sich hier äußernde Zorn gegen Heuchelei, Verführung, Vernachlässigung der wichtigsten Aufgabe ist etwas anderes als der Zorn, der seinen Ursprung in Mangel an Selbstbeherrschung, Liebe und Einsicht hat. Ein unaufgelöster Rest zwischen dem Gebote, für den Glaubensfeind zu beten und den „Wehe"-Rufen und Scheltworten bleibt freilich bestehen, und wir haben ihn stehen zu lassen3. Auch ist hier des Widerspruchs zu gedenken zwischen dem Spruch vom Backenstreich 5, 39, und der Haltung Jesu vor Hannas Joh. 18, 22f.: Jesus nimmt den Schlag nicht stumm hin, noch zeigt er sich bereit, weitere Schläge auf sich zu nehmen. Es darf aus Joh. 18, 22 f. natürlich nicht geschlossen werden, daß Mtth. 5, 39 nicht wörtlich verstanden werden 1 Vgl. K l a u s n e r , Jesus of Nazareth p. 394; M o n t e f i o r e , a. a. 0 . 81* u. o. S. 26 f.; H. H a r t m a n n , a . a . O . 2 W e i n e l , Bibl. Theol. »S. 91. 3 Bei Paulus steht man vor derselben Antinomie; vgl. Rom. 12,14 gegenüber Rom. 16,17f.; Gal. 1,6—8; 5,12.
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dürfe1; eine solche harmonistische Exegese, die dem klaren Wortlaut Gewalt antun würde, wäre ein Verstoß gegen die elementarsten Grundsätze der Auslegung. Auch ist der Gegensatz zwischen den beiden Stellen nicht zufällig: dem Wort Mt. 5, 39 entspricht auch die Haltung in der Passion bei Matthäus — es ist die Haltung des Knechtes Gottes Jes. 53 —, und die überlegene, fast möchte ich sagen: hellenische2 Haltung Jesu bei Johannes steht nicht nur zum Wort vom Backenstreich, sondern auch zur synoptischen Passion im Widerspruch3. Jedenfalls ist also zu behaupten, daß Jesus, als er das Wort Mt. 5, 29 sprach, gewiß war, daß auch er selbst so handeln würde. Darum mutet er den Jüngern den heroischen Verzicht auf Vergeltung zu. Er setzt dabei offenbar voraus, daß auch dies Gebot nicht sinnlos überspitzt, sondern sachgemäß und erfüllbar ist. Die Sachlage wird noch deutlicher, wenn wir auf die sonstigen Worte Jesu einen Blick werfen, die die Frage der Erfüllbarkeit anrühren. Es kommen in Betracht die Geschichte vom reichen Jüngling, die Gespräche mit den Zebedaiden und über die Ehescheidung, die Parabel vom Sklavendienst, die Rede über die Bedingungen der Jüngerschaft und die Erzählung von Gethsemane. Im Gespräch mit dem R e i c h e n wird die Frage der „Ausführbarkeit" einmal ausdrücklich erörtert4. Der Inhalt der Forderung berührt sich mit dem der Bergrede: der Deka1 So z.B. P.W. G r o s h e i d e , Het N. Ev. volgens Mattheus 1922, S. 66, der gegen die wörtliche Auffassung von Mt. 5, 39 außer dem Hinweis auf Joh. 18, 22 auch anführt, der Backenstreich sei gar nicht wirklichkeitsgemäß dargestellt; man schlage doch mit der rechten Hand auf die linke Backe. Aber s. dazu K l o s t e r m a n n z. St. 2 Damit wird nicht etwa das Wort Mt. 5, 39 und die entsprechende Haltung als „semitisch" gekennzeichnet. Den Araber oder Abessinier möchte ich erst einmal sehen, dem es ein leichtes wäre, sich nach Mt. 5, 39 zu richten. 3 Dabei sei nicht übersehen, daß Joh. 19,1—3 auch der Tradition vom Stummen Dulder Raum gibt; der Widerspruch ist also kein absoluter. 4 Vgl. M. Werner, Der Einfluß paulinischer Theologie im Markusevgl. 1923, S. 95ff., der nur auf die Punkte, wo der „Paulinismus" in der Tat eine gewisse Anknüpfung hat, nicht eingeht! Treffende Bemerkungen bei H. Preisker, Die Ethik der Evangelien und die jüdische Apokalyptik 1915, S. 38.
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log ist die Grundlage; darüber hinaus gibt es noch eine (neue) Forderung, die wohl beim ersten Hören schwer erscheint. Das Urteil über die Reichen Mt. 26, 23f. par. entspricht dem Wort von den Wenigen Mt. 7, 13f.: die Reichen werden wohl meist zu den „Vielen" gehören. Hier ist nun der einzige Fall in der Überlieferung, daß angesichts der offenkundigen Unfähigkeit und Unwilligkeit eines von Jesus Angerufenen die große Frage aufgeworfen wird „wer kann denn (wenn es so schwer gemacht wird) noch gerettet (und in das Reich der Himmel eingelassen) werden?" Mt. 19, 25 (von Mk. übernommen, also nicht neue Überlieferung des Matth.). Die Einführung der Antwort Jesu „er schaute sie an" (Mk. und Matth.) zeigt, daß Jesus etwas Neues und Bedeutsames lehren will, „bei den Menschen ist dies unmöglich, bei Gott ist alles möglich, (also auch dies)" 19, 26. Ob zovzo die allgemein gestellte Frage nach der Rettung meint oder sich auf das Bildwort von Kamel und Nadelöhr zurückbezieht, ist schwer zu sagen; mir ist letzteres wahrscheinlicher 1 . Dann ist gemeint, daß jenes scharfe Bildwort von Gott aus gesehen n o c h n i c h t d a s l e t z t e W o r t ist, daß das Unmögliche von Gott möglich gemacht werden kann. Gott kann auch den widerspenstigen Reichen in das Reich hineinbringen durch einen Eingriff in sein Herz, durch ein Wunder. Die verallgemeinernde Deutung jenes romo, die mir exegetisch ferner hegend erscheint, wird heute von vielen Exegeten bevorzugt. Wenn sie hier gemeint sein sollte, so ist sie doch auf keinen Fall ein Schlüsselwort für sämtliche sittlichen Weisungen Jesu 2 . Ein so fundamentaler Gedanke müßte oftmals durchbrechen, wenn Jesus ihn in sich getragen hätte, und wenn die Evangelisten ihn aus der Botschaft Jesu heraus gelesen hätten. Der tröstliche Hinweis auf die Möglichkeit göttlichen Eingreifens betrifft nur einzelne, verzweifelte Fälle. Diese Auskunft ist der Bergrede unbekannt. Ihr letztes Wort ist das eschatologische von den Wenigen, die das Hören und Tun vollbringen und von den Vielen, die untergehen müssen. Wie die Jünger in Fragen des Besitzes stolz erklären: wir haben ausgeführt, was du von uns verlangst, so bekennen die 1 Vgl. J . W e i ß in „Die Schriften des N . T . " »1170; O. H o l t z m a n n , Das N . T . 147; A. S o h l a t t e r , Der Evangelist Matthäus 581; B . W e i ß , Die Evangelien des Mc. und Lc. 1901, S. 165. 2 So S c h n i e w i n d in „Das Neue Testament deutsch" 1131.
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Zebedaiden auf die Frage Jesu: könnt ihr. . ? freudig: wir können es (Mt. 20, 22). In diesem kurzen Gespräch wird einmal ausdrücklich zur Sprache gebracht, daß für die, hier allerdings von hochstrebenden messianischen Hoffnungen beschwingten Jünger auch die schwersten Anforderungen (vgl. Mt. 5, 11 f.) nicht unerschwinglich sind. Das Gespräch bestätigt unseren Eindruck von der Bergpredigt: es ist vorausgesetzt, daß die Jünger alles „können", was gefordert wird, und daß sie zum mindesten zu den Wenigen gehören, die das Leben gewinnen. Einmal hat auch Jesus diesem Vertrauen Ausdruck gegeben und eine paradoxe Mahnung daran geknüpft: in dem Gleichnis vom Sklavendienst, das mit der „Anwendung" schließt: Darum auch ihr, wenn ihr alles g e t a n habt, was euch aufgetragen, sprecht: wir sind unnütze Sklaven und haben nur getan, was wir zu tun schuldig waren (Luk. 17, 7—10). Nirgends wird der Stand des Frommen herber und ausschließlicher als ein Sklavenstand, als Gehorsamsdienst bezeichnet. Daran liegt es, daß ohne Bedenken angenommen wird, der Diener Gottes könne wirklich alles tun, wozu er verpflichtet ist. Als ein kluger und gehorsamer Sklave Gottes wird der Jünger auch im Schlußgleichnis der Bergpredigt vorgestellt, nur daß da auch ein Lohn in Aussicht gestellt ist. Das Paradoxe der Sklavenparabel ist also, daß sich der Stand des Dieners Gottes in dem H a l t e n aller Gebote erschöpft. In der Abweisung jedes eigenen Ruhmes scheint sie der paulinischen Lehre nahe zu kommen. Auch sie ist indes ganz unpaulinisch, da sie die Erfüllung der Gebote als etwas Selbstverständliches voraussetzt, und sie bestätigt unseren Satz, daß die Heilslehre der Bergpredigt zu der des Paulus in schärfstem Gegensatz steht, jedenfalls zu der Lehre von Rom. 3—8. Hier tut sich eine Kluft zwischen Jesus und Paulus auf, die keine Kunst theologischer Exegese überdecken kann. Der typische Jünger ist für Jesus in diesem Gleichnis und in der Bergpredigt nicht der arme Sünder, der nach Erlösung schreit, sondern der Diener Gottes, der seinem Herrn ganz gehorsam ist. Endlich die Gleichnisse vom Turmbau und der K r i e g s führung, die in die Rede von den Bedingungen der Jüngerschaft eingefügt sind, Luk. 14, 28—33. Nach dem Schlußwort 14, 33, das die Moral des Parabelpaares angibt, macht Jesus
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den Zutritt zu seiner Jüngergemeinde und vielleicht auch den Zugang zum Gottesreich von der Hingabe allen Besitzes abhängig — das entspricht dem Gespräch mit dem reichen Jüngling —, er verlangt Schweres, ist sich dessen auch bewußt, erwartet aber doch, daß er Jünger findet. Nach dem eigenen Gehalt der Gleichnisse soll man nur dann zu ihm kommen, wenn man nach ernster Prüfung die Überzeugung gewonnen hat, daß man die Bedingungen der Jüngerschaft Jesu wirklich ausführen kann. Jener Spruch gibt also die eigentliche Meinung der Parabel nicht ganz richtig wieder1. Aber nach beiden Wendungen des Gedankens verlangt doch Jesus einen gewaltigen Entschluß, gewaltigen Verzicht und gewaltige, dauernde Anstrengung. Er erwartet, daß manche „können", was er zur Bedingung stellt. Den anderen rät er nur, es gar nicht erst zu versuchen. Mitleid hat er mit ihnen nicht, einen Trost für sie gibt es nicht. Hier befinden wir uns wirklich, wie im Gespräch mit dem Reichen, in der Sphäre der apokalyptischen Lehre, wo Schwerstes auf dem Spiele steht und geleistet werden muß, wo ein Nichtkönnen den Ausschluß bedeutet. Die Forderung findet auch in der Bergrede ihre Illustration. Der herbe Ernst der eschatologischen Situation klingt indes nur im Worte von den Wenigen wider. Aber die Bergrede teilt mit dieser Rede Luk. 14, 28ff. die Voraussetzung, daß die Gebote dazu da sind, daß man sie tut, daß auch die überschwenglichsten Forderungen in der Erwartung formuliert werden, daß wenigstens einige sie erfüllen können. Nur das eine wird in den zur Vergleichung herangezogenen Jüngersprüchen und Jüngergesprächen noch stärker unterstrichen, daß sich in der Predigt Jesu zwei v e r s c h i e d e n e S t a n d p u n k t e voneinander abheben. Nach dem einen Standpunkt, der in der Bergrede vorherrscht, bemüht sich Jesus, die Sachgemäßheit und Evidenz seiner Forderungen so anschaulich wie möglich darzustellen, um damit jedermann zu ihrer Erfüllung zu bewegen; nach dem anderen macht er seine Hörer selbst darauf aufmerksam, daß er Schwerstes verlangt. Dort gibt er sich offenkundig der freudigen Erwartung hin, daß die Menschen in größerer Zahl den Willen Gottes tun können, wenn man ihnen nur zuredet und die Einzelforderungen einleuch1 Vgl. A. J ü l i c h e r , Gleichnisreden Jesu
2
II208f.
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tend macht; hier ist der Prediger von allen Illusionen frei und sucht auch seinen Hörern den Ernst der Situation zu enthüllen. Dort befinden wir uns in der ruhigen Sphäre sich gleichbleibender Gottesfurcht und des stetigen Gottvertrauens, hier in der aufgeregten, ganz besonderen, einmaligen Situation der Gerichtsnähe und der Gerichtsentscheidung. Diese „Doppelheft" der Situation kann nicht geleugnet werden. Ihr entspricht, allerdings nur bis zu einem gewissen Grade, das Vorhandensein einer „doppelten" Moral1 (allgemein menschlich-religiöse und heroisch-eschatologische Moral). Die Doppelheit ist nicht durch Streichung des einen oder anderen Überlieferungskomplexes, ncoh weniger durch Zurückführung auf verschiedene soziologische Schichten, die die Traditionen geschaffen hätten 2 , zu erklären, sondern aus der Struktur der Predigt und der Persönlichkeit Jesu. Jesus war ein Mann der Thora, ein Mann der Weisheit und zugleich prophetisch-eschatologischer Bußprediger, der mit seiner Predigt das Volk zu bekehren suchte, dann, durch Mißerfolge, Feindschaft und Unbußfertigkeit veranlaßt, mehr und mehr sich darauf beschränkte, Gruppen von Jüngern zu formen, die, vom Ernst der Stunde ergriffen, auch das Höchste zu leisten bereit waren, was Jesus, eben im Blick auf die „Situation", den furchtbaren Kairos, zur Bedingung stellte. Auch in dieser Haltung blieb die Ausführbarkeit und die Ausführung «einer Einlaßgebote die Voraussetzung seiner Heilslehre. In eigenartigem Kontrast zu der in diesen Gesprächen und Worten heraustretenden Haltung Jesu und seiner Jünger steht nur die Szene im Garten Gethsemane bei Matth, und den beiden anderen Synoptikern. Das (bei Matth, (freilich gegenüber Mk. etwas abgeschwächte) Zittern und Beben Jesu verrät, daß die volle Bereitschaft, den Becher zu trinken, ihm in diesem Augenblicke nicht gegeben ist. Er „kann" noch nicht und klammert sich an die Möglichkeit, daß der Vater ihm das schwere Schicksal noch erspart. Das Gebet ist ihm ein Mittel, um eines überschweren, unausführbar scheinenden Auftrages enthoben zu werden, zugleich aber, wie der Fortgang zeigt, das beste Mittel, um zum Können zu gelangen und das Gebot ausführbar zu machen. Wie Jesus aufsteht, hat er die Schwäche überwunden: er „kann" jetzt wieder. In dem Spruch, den er 1 Vgl. A. B a y e t , Les morals de l'övangile 1927. UNT 16: W i n d l s o b .
2 So B a y e t . 6
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den Jüngern sagt (Mt. 26, 41), faßt er seine Erfahrung zusammen. Die Schwäche, die uns die Unausführbarkeit eines konkreten göttlichen Gebotes vorspiegelt, ist die Schwäche des Fleisches, der niederen Natur des Menschen, und der Geist, der will, hat eine Hilfe nötig: Wachen und Beten sind die Möglichkeiten, die Schwäche zu überwinden: Konzentration auf das, was Gott will, Ringen mit Gott um Befreiung von dem furchtbaren Muß, oder wenn das nicht sein darf, Ringen um Einsicht, um Stärkung des menschlichen guten Willens. Dann ist keine Gefahr, daß die Situation zur Versuchung und die Schwäche des Fleisches uns zum Verhängnis werde. Das Letzte ist auch hier: ich kann und: ihr könnt, wenn ihr bereit seid, bleibt und anhaltet am Gebet. Gethsemane ist die einzige Perikope, wo Jesus der Erfahrung menschlicher Ohnmacht (gegenüber dem Gebote) nahekommt, die P a u l u s Röm. 7, 7ff. beschreibt und die die Voraussetzung seiner Erlösungslehre ist. Daß Jesus sich zum Gehorsam und zum Können hindurchrang, ist auch paulinische Überlieferung Phil. 2, 8 (vgl. auch Hebr. 5, 7 f. x ). In der Beurteilung der dem Jünger gegebenen Möglichkeiten weicht Paulus von Jesus ab. Einmal wird bei Jesus die kritische Situation nur in konkreten Einzelfällen akut, den sog. Versuchungen, während sie bei Paulus für das ganze Leben des unerlösten Menschen typisch ist. Sodann gibt Jesus bestimmte Mittel an die Hand, um in solchen Fällen nicht zu fallen und ihnen überhaupt entzogen zu werden. Davon, daß Jesus sterben muß, um das Fleisch und seine Schwäche für die Gläubigen zu vernichten und den Geist zu entbinden, der die Kraft der Erfüllung ist (Röm. 8, 1—4), weiß die synoptische Perikope nichts. Die radikale Krisis, in die das göttliche Gebot uns hineinwirft, ist ihr fremd. Doch gibt es einige Worte und Parabeln, die an die Haltung des Paulus wenigstens heranführen: das Gleichnis vom verlorenen Sohn, die Geschichte vom Pharisäer und Zöllner; die Worte vom Kindessinn, der für den Einlaß zur Bedingung gestellt wird; in der Bergpredigt selbst die S e l i g p r e i s u n g e n der Armen und der nach Gerechtigkeit Hungrigen. Hier scheint 1 Hier fragt es sich, ob gemeint ist, daß Jesus bei seinem Schreien erhört ward oder nicht erhört ward. Vgl. m. Komm, zum Hebr. 2. A. 1931 S. 44.
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in der Tat eine andere Soteriologie vorzuliegen und die der Thora, die der Bergpredigt aufgehoben zu sein. Auf keinen Fall haben wir indes die Bergpredigt nun nach diesen Texten anders zu interpretieren; ihr Sinn ergibt sich unzweideutig aus der Evidenz ihrer eigenen Worte, und ihre Eigentümlichkeit ist, daß der Bußruf und das Wort von der Gnade nur an der Peripherie anklingt: sie ist eine Predigt für Bekehrte, für die Kinder Gottes innerhalb des israelitischen Bundes oder der christlichen Gemeinde. Dann ist aber auch kein absoluter Widerspruch gegen jene Texte anzuerkennen. Der zurückgekehrte Sohn wird als gehorsamer Sohn im Hause seines Vaters bleiben. Das Urteil Luk. 18, 14 ist nicht das letzte Wort über den Zöllner; zu seiner Bekehrung, wenn sie vollständig ist, gehört auch was Luk. 19, 8—10 steht; und die Verurteilung des Pharisäers ist mit Matth. 5, 20 in Übereinstimmung. Der Einlaßspruch vom Kindessinn Matth. 18, 3 scheint dem entgegen mit dem Eingangsspruch Matth. 5, 20 unvereinbar; gleichwohl kann die Unschuld, Demut und Empfänglichkeit des Kindes auch dem Begriff der da gemeinten „Gerechtigkeit" eingefügt werden. In diesem Sinne wird Matthäus die beiden Makarismen im Einklang mit der Gesamtstruktur der Bergpredigt interpretiert haben. In der Tat wird die in all diesen Sprüchen beschriebene Haltung für Jesus immer nur ein Anfang gewesen sein. Ganz anders steht es mit dem Wort vom Lösegeld und den Abendmahlssprüchen: das ist richtiger, vielleicht auch wirklich vorpaulinischer, Paulinismus. Hier erscheint aber Jesu Evangelium und Werk auch wirklich auf ein absolut neues Fundament gestellt. Hier bricht eine neue Soteriologie durch, die in der Bergpredigt und in vielen anderen Reden, Spruchgruppen noch nicht vorgesehen ist. «ft Es ist bezeichnend für die Bergpredigt und die evangeüsche Überlieferung überhaupt, daß Überlegungen und Versicherungen, wie sie sich im „Hirten" des Hermas im 12. Gebot finden 1 , in ihr fehlen. Jesus setzt stillschweigend die Meinung des „Hirten" voraus, daß der Mensch, wenn er in der richtigen geistigen Verfassung ist, die Gebote auch bewältigen kann. Die Herbigkeit des Evangeliums gegenüber Hermas wie gegenüber Plato tritt 1 Gebote XII, 3 u. 4. S. H e n n e c k e , Neutest. Apokryphen 2. A. S. 354f. M. D i b e l i u s in Die apostol. Väter 1923, S. 546ff. 6*
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darin zutage, daß ein göttlicher Beistand nicht verheißen wird. Die Verheißung des Geistes Matth. 10, 19 f. par. gilt nur für eine bestimmte Situation, die Verteidigung des Glaubens vor Gericht1. Nur in den Schlußworten des Matth. 28, 20 kann man die Versicherung finden, daß der erhöhte Christus immer bei seinen Jüngern sein will, um ihnen zu helfen, alles zu bewahren, was er ihnen aufgetragen hat. Das wäre aber nur ein Gedanke des Evangelisten, und ob er es so gemeint hat, ist mir nicht sicher. Oder ist doch eine derartige Hilfe auch in der Bergpredigt oder ein neues Sein, um mit Dibelius zu reden, stillschweigend irgendwie vorausgesetzt? Jesus verlangt in der Bergpredigt ein „Hören und Tun" 7, 24—27, d. h. ein Hören, das zugleich Gehorchen ist, aus dem die Tat unmittelbar folgt, vgl. Joh. 1. Wie dieses wirksame Hören entstehen muß, welches etwa seine Voraussetzungen sind, wird in der Bergpredigt nicht gelehrt. Aber Jesus findet empfängliche Hörer vor; das ist die Voraussetzung des Schlußgleichnisses: es sind die Wenigen, die den Weg zum Leben finden 7, 14; es sind vielleicht auch die Armen im Geist. Sie hören, weil sie, johanneisch gesprochen, aus der Wahrheit und aus Gott sind. Das ist freilich eine Theologie des Hörens, die den leitenden Gedanken der paulinischen Heilslehre fremd ist. Im Gesamtrahmen der biblischen Geschichte ist sie aber keineswegs befremdlich: Der Jesus der Evangelien ist ja doch nicht wie der Christus des Markion als Bringer einer anknüpfungslosen Botschaft vom Himmel herabgestiegen, sondern ist aus der israelitischen Synagogalgemeinde hervorgegangen, und die Hörer, die er vorfindet, stehen schon im Bunde, in der Gemeinde, unter der Zucht des Wortes Gottes. Nur daß in dieser Theologie vorausgesetzt ist, daß es noch eine Gemeinde und einen Bund gibt. Die Gemeinde hat freilich in der Gegenwart schlechte Hirten, und das in ihr gepflegte Wort bedarf der Vertiefung und auch der Berichtigung. Die Gemeinde bedarf der Belehrung darüber, was nun in Wahrheit das richtige Wort an sie ist, was ihre Glieder als Kinder Gottes, die sie schon sind, leisten sollen und leisten können, damit sie dies Prädikat in 1 Gegen H. H. Wendt, Lehre Jesu »238f.; vgl. dazu H. Preisker, a. a. O. und H. Windisch, Jesus und der Geist nach synoptischer Überlieferung (Studies in Early Christianity 1928, p.209ff.).
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ihrem Wandel auch verwirklichen. Ist das richtig, dann ist das Sein, aus dem der Gehorsam fließt, schon gegeben, desgleichen der Gnadenstand, aus dem der gewaltigste Anspruch wie mit Selbstverständlichkeit abgeleitet wird, die Gotteskindschaft. Will man die Gedanken der Perikopen, die an die Gotteskindschaft appellieren, (5, 16; 5, 44—48; 6, 4. 6. 9ff. 18; 6, 26 ff.; 7,11) verallgemeinern, dann wendet sich die Bergpredigt an die wahren Gotteskinder, die es im Rahmen der von den Rabbinen falsch geleiteten Bundesgemeinde noch gab; sie sind es, die hören können, die die neue Lehre verstehen, die auch die höchsten, bisher noch nicht offenbar gewordenen Zumutungen zu vollbringen vermögen. Diese Fähigkeit zu wahrem Gehorsam wird nun bei ihnen dadurch gesteigert, daß der neue Bote Gottes vor sie tritt mit seiner neuen Botschaft: das von Euch ersehnte Reich steht vor der Tür, d. h. wir haben das programmartige Verkündigungswort 4,17 in die Voraussetzungen der Bergpredigt einzubeziehen. Die Seligpreisungen 5, 3ff., die Einlaßsprüche 5, 20; 7, 21 und die Zurufe 6, 33 stehen auf dieser Ankündigung, sie geben auf die sofort in den Gemütern der Reichsgläubigen auftauchende Frage, wer hoffen darf in dies Reich eingelassen zu werden (vgl. Ps. 15, 1; 24,3!), den autoritativen Bescheid. Die so durch Jesu Kerygma entfachte Reichsgläubigkeit ist denn nun auch die besondere Haltung, die die Willigkeit und Kraft zum Gehorsam gegen diese neuen Reichsgebote auslöst. Man kann die Bewegung, die sich hier vollzieht, einem Elan vergleichen, der über alle sonst gefühlten Hemmnisse hinwegträgt, man kann die Haltung als ein „Stehen im Ansturm des Reiches Gottes" bezeichnen1. Je mehr wir diese neue Wirkung der Verkündigung Jesu und der Gestalt des Verkündigers als Voraussetzung der Gebotstheologie der Bergpredigt erkennen, um so entschiedener wandelt sich vor unsern Augen das vorgefundene „Sein", von dem wir sprachen, in ein „neues Sein", das freilich zunächst nicht als „Ethos", sondern als eine Erneuerung, Vertiefung, Lebendigmachung des Gotteskindschaftsbewußtseins und als intensive Reichsgläubigkeit zu werten ist. Das Gesagte vertieft sich und verschiebt sich ein wenig, wenn wir nun auch die erste Hälfte der Ankündigung Jesu 4,17 1 So P r e i s k e r Geist u. Leben S. 46.
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in unsere Betrachtung einbeziehen: fisTävoelTS — ändert euere Gesinnung, kehrt um auf den richtigen Weg — was zunächst als Bußruf an „die verlorenen Schafe vom Hause Israel" zu verstehen ist. Hiernach wendet sich das Wort Jesu, für Matth, die Bergpredigt, insbesondere nicht nur an die vorgefundenen zerstreuten Kinder im Lande selbst, sondern auch an die Abgefallenen, die ihr Kindschaftsverhältnis von sich aus gelöst haben. Ihnen wird eine „Umkehr" zugemutet, und für sie ist die Bergpredigt die Lehre, in der der Weg des Lebens genauer beschrieben wird. So behebt diese Deutung der Bergpredigt ist, so sehr muß betont werden, daß sie zwar durch 4, 17 als Auffassung des Matthäus erwiesen werden kann, daß die Wirkung der Bergpredigt auch weithin als Wirkung zur Umkehr gedacht werden kann, daß aber die Bergpredigt, auf die Kernposition des Ganzen wie auf den Stil und den Gehalt der einzelnen Stücke gesehen, nicht den Charakter einer Bußpredigt trägt, keine Rede vor „Sündern" im absoluten Sinn des Wortes ist. Vielleicht hat Matthäus mit der Bergpredigt eine Ausführung des fiEravoBlTE geben wollen, nur trug sein Material nicht oder nur in geringem Grade die Züge einer Bußlehre. Insoweit nun aber die Bergpredigt wirklich als Bußrede verstanden werden soll und kann, ist die ¡IETävoia, die Bekehrung beides, die menschliche Voraussetzung für die Ausführung ihrer Gebote und der Vollzug des Gehorsams selbst. Bei dieser Anschauung schwindet das „Problem" der Ausführbarkeit fast noch gründlicher als bei unseren bisherigen Betrachtungen. Die Kraft zum Gehorsam ist in der Umkehr selbst gelegen, der Gehorsam ist die Umkehr. Beides wird umfaßt und erzeugt durch die Aussicht der ßaaiXeia, die nur dem Bekehrten, dem gehorsam gewordenen Gotteskind geöffnet wird. Diese Aussicht impliziert die Kraft, die über den Reichsgläubigen kommt. Reichsgläubigkeit und Gehorsam sind unlöslich miteinander verbunden, wie echte Gotteskindschaft und Gehorsam, Gehorsam gegen diese Auslegung des Willens Gottes. 2. So haben wir für eine Auseinandersetzung mit den Theologen, die den Sinn der Bergrede in der Unerfüllbarkeit ihrer Forderungen sehen, einen soliden Grund gelegt. Mit G. K i t t e l das Gebot der Bergrede eine „in Sinnlosigkeit, in Paradoxie
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übersteigerte Forderung" zu nennen, ist vielleicht das Unzutreffendste, was man über sie sagen kann. Es gehört gerade zum Charakteristischen der Bergpredigt, daß ihre Forderung als sinngemäß erscheint, so daß selbst der Eindruck des Paradoxen sich nicht halten läßt 1 . Kittel schließt sich hier zu sehr an das Urteil J. Klausners an, der die nicht auf das praktische Leben, auf das gewöhnliche Volkstum bezogenen Forderungen als übersteigerte ethische Religiosität stempelt. Während aber der Jude daraus folgert, daß diese Ethik eben für den Israeliten aus gesunden ethischen Prinzipien abgelehnt werden muß, sucht der christliche Theologe darin den Hinweis auf ein Mysterium. Aber erstens ist das Rigoristische in der Bergpredigt durchaus nicht völlig unjüdisch; zweitens ist die Bergrede auch durch nicht-rigoristische Forderungen charakterisiert; drittens ist auch das Rigoristische von religiöser Logik getragen, viertens ist überall die Erfüllbarkeit, höchstens gelegentlich die Schwererfüllbarkeit vorausgesetzt, fünftens kennt die Bergrede kein anderes Mysterium als die Herrlichkeit der Basileia Gottes, die sich dem erschließt, der durch Entschlossenheit und Unterwerfung unter Gottes Willen, wie ihn Jesus verkündet hat, die für die Basileia geforderte Gerechtigkeit erworben hat. Was nach Kittels richtiger Bemerkung von der Thora gilt, daß sie nur den einen Sinn habe, erfüllt zu werden, gilt genau so von der Bergrede. Sie will vielleicht die große sittliche und religiöse Not der von den Rabbinen irregeleiteten Menschheit aufdecken, aber nur, um sie durch Enthüllung der richtig verstandenen Gerechtigkeit zu beseitigen. Wenn sich Kittel für seine Auffassung darauf beruft, daß an den Anfang der Bergrede die Seligpreisungen gestellt wurden — nicht derer, die in einem stolzen Menschentum die nun folgende Forderung restlos erfüllen, sondern der Armen, derer, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit2 —, so ist zu erwidern, daß der ursprüngliche Text und Sinn dieser Seligpreisungen schwer festzustellen ist, 1 Auch S c h l a t t e r , Der Evangelist Matth., S. 167f. wendet sich gegen die Behauptung, „daß er kein Gebot Jesu, keine christliche Ethik und Verpflichtung, sondern nur eine christliche Gnadenlehre gebe". Gegenüber der reformatorischen Auslegung, die in der Bergpredigt nur Enthüllung unseres Unvermögens sah, verweist er auf Mt. 7,24: dort sei dier Absicht der Rede feierlich bezeugt. 2 Z.f. syst. Th„ a.a.O. 583 f.
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daß sie auf keinen Fall Hinweise auf das Kreuz sind 1 und daß im Rahmen der Bergpredigt ihr Sinn unzweifelhaft der ist: die Armen von Geist sind die Demütigen, die bereit sind, auf Jesus zu hören und sich von ihm eine leichte Last auferlegen zu lassen (Mt. 11, 28—30!), und die Gerechtigkeit, nach der sie hungern und dürsten, ist die Gerechtigkeit, die Jesus ihnen in der nun folgenden Rede darbietet (vgl. 5, 20). Stehen doch bei Matth, die Makarismen, die das Bewußtsein eines inneren Mangels preisen, mit solchen zusammen, die eine positive Haltung verherrlichen, in der also schon etwas von der besseren Gerechtigkeit erfüllt ist (s. o. S. 61). Gewiß ist ein Unterschied zwischen Jesus und dem Judentum darin zu finden, daß das Judentum der inneren Verhärtung (Mt. 19, 8), d. h. den empirischen Zuständen Zugeständnisse macht und Jesus diese Zugeständnisse aufhebt; aber unrichtig ist es, daraus zu folgern, Jesus frage nicht, ob die Gottesforderung in dieser Welt der Herzensstumpfheit und natürlichen Bosheit Wirklichkeit werden kann oder nicht 2 . Jesus fragt w o h l danach, er will, daß sie Wirklichkeit werde, auch wenn er zu gewissen Zeiten sich sagt, daß es schließlich nur „wenige" sind, die die Verhärtung überwinden und die Gottesforderung auch im praktischen Leben verwirklichen. Es ist mir eine Genugtuung, daß ich mich gegenüber dem gelehrten und verdienten Talmudkenner G. Kittel auf einen anderen Theologen berufen kann, der ebenso wie Kittel, wenn auch in der Einzelerklärung mit weniger Glück, sich bemüht, Evangelium und Bergrede, vor allem aus dem Talmud zu erläutern, K. B o r n h ä u s e r 3 . Auch dieser sieht in den Geboten der Bergrede konkrete EinzelWeisungen für das rechte Verhalten der Jünger in wichtigen Lebensbeziehungen, er erklärt, daß die Forderungen bei richtigem Verständnis keineswegs so hochgespannt seien, daß ihre Erfüllung unmöglich und ihre Geltendmachung nur unter der Voraussetzung der in Bälde erwarteten Weltvollendung begreiflich erscheine, und daß die Frage: kann man im Ernste so etwas fordern, völlig falsch gestellt sei. Zu solchem Resultate hätte auch der Talmudkenner
1 Näheres s. im 4. Kap. 2 Die Probl. d. paläst. Spätjud. S. 127. 3 Die Bergpredigt (vgl. o. S. 44) S. 111.
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G. Kittel kommen können; auch vom Alten Testament her, das ihm gleichfalls nicht fern liegt, hätte er es gewinnen können. Von Bornhäuser trennt mich dessen Meinung, die Gebote Mt. 5, 39ff. seien nur Überforderung, wenn Gott nicht zu ihrer Erfüllung fähig machen kann; es sei Rückfall in Pharisäismus, wenn man auch für die Bergrede an der Gegenüberstellung festhalte: der fordernde Gott und der Mensch als Leistender. Aber im Text der Bergrede wird uns Gott nur als der Gehorsam fordernde, das Vorbild gebende und Lohn und Heil verheißende Gott offenbart. Von seiner Mitwirkung bei der Verwirklichung der Forderungen (im Sinne von Phil. 2, 13) ist nirgends etwas verheißen (auch 7, 11 ist das nicht gemeint). B u l t m a n n hat in seiner Anzeige (a. a. O. Sp. 990) und dann in einer Anmerkung seines Aufsatzes über „Die Bedeutung des geschichtlichen Jesus für die Theologie des Paulus" 1 die Erörterungen der 1. Auflage einer anregenden Kritik unterzogen. Verschiedenes ist durch die Ergänzungen der 2. Auflage erledigt, so die wichtige Frage nach den Voraussetzungen des „Könnens" und der „Ausführbarkeit". Bultmann meint aber, die (entscheidende und von mir gar nicht beachtete) Frage sei die, ob die F o r d e r u n g e n f a k t i s c h e r f ü l l t s i n d 2 , und richtet seinerseits an mich die Fragen, ob ich denn trotz meiner Verteidigung der Erfüllbarkeit der Forderungen Jesu behaupte, daß ich sie erfülle, oder annehme, daß ein anderer sie erfülle, und warum wohl (beides) nicht. Daß ich mit diesen Fragen gerechnet habe, stand schon in der 1. Auflage zu lesen (s. S. 142). Bultmann führt in seinem Aufsatz zwei verschiedene Gründe an, die uns an einer Erfüllung der Gebote Jesu hindern, die aber schärfer von einander zu unterscheiden sind: 1. Wir können unmöglich auf das Recht verzichten und 2. gegenüber Mt. 5, 21. 28 müssen wir uns zu Röm. 3, 12 bekennen. Beides erkenne ich an. Was ich behaupte und jetzt wiederhole, ist dies, daß Jesus und Matth, weder das eine noch das andere anerkennen, daß diese u n s selbstverständliche Unausführbarkeit der Bergpredigt ihnen fernliegt. Jesus mutet uns den Rechtsverzicht eben zu, ebenso die Fernhaltung unseres Inneren von „Zorn, lüsterner Begierde und Haß". Und es besteht die Gefahr, wenn wir 1 In: Glaube u. Verstehen S. 199. 2 Von Bultmann gesperrt.
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zu rasch unsere Bedenken anmelden und unsere Situation zu Worte kommen lassen, daß Sinn und Ernst der Worte Jesu nicht verstanden wird. Man mag die Fragen, Erörterung der Fragen, die Bultmann hier erhebt, zur „richtigen Exegese" rechnen; darf es aber nur dann tun, wenn das erste und entscheidende Anliegen der Exegese dadurch nicht geschädigt und verkürzt wird. Das letzte Wort in richtiger Exegese muß immer wieder der Text haben und nicht „ich" oder sonst jemand. Dann ergibt sich freilich auch, daß Paulus keineswegs bloß „expliziert", was Jesus gesagt hat, und daß die Situation des Menschen vor Gott in Jesu Worten doch anders gesehen ist als in der Theologie des Paulus, weil das, was Paulus in Bekenntnis und Lehre breit ausführt, unser Unvermögen, (ohne den Geist) das Gebot zu tun, in den Worten Jesu nicht erörtert und nicht vorausgesetzt wird und nur gelegentlich durch besondere Anlässe hervorgerufen, angedeutet wird. Bei dem Systematiker S t a n g e ist zwischen seiner geschichtlichen und seiner theologischen Exegese zu unterscheiden. Von letzterer kann ich mir vieles aneignen. Gegen erstere habe ich ernste Bedenken. Ich beschränke mich auf folgendes: An T o l s t o i macht Stange die Ausstellung, daß sein Problem: wie können wir die Kultur christlich machen, nicht das Problem Jesu ist. Allerdings ist das nicht darum abzulehnen, weil auf diesem Wege ein Ergebnis überhaupt nicht erreicht werden kann, sondern allein darum, weil Jesus sich nicht für die Kultur, eine christliche oder nichtchristliche, sondern allein für das Reich Gottes und für die Menschen, die er dafür gewinnen wollte, interessiert hat. Wenn daher Stange gegen Tolstoi bemerkt, die Forderung, daß man alles Unrecht über sich ergehen lassen solle, habe nur dann einen Sinn, wenn man bei anderen die Anerkennung von Recht und Unrecht voraussetzen dürfe, so ist zunächst darauf hinzuweisen, daß das nicht nur „Tolstoi mit besonderem Nachdruck fordert", sondern auch Jesus, den Tolstoi hier richtig verstanden hat, weiter aber, daß die von Stange geltend gemachte Voraussetzung gewiß von uns persönlich bejaht werden wird, aber für Jesus nicht unbedingt in Betracht kommt: wir sollen gerade darauf gefaßt sein, daß wir noch ärger mißhandelt werden. Und mag der Ethiker Tolstois Meinung, die äußere Erfüllung der Gebote Jesu sei möglich, als einen Rückschritt gegenüber der katholischen Ethik be-
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zeichnen: dieser Rückschritt Tolstois ist doch wohl eine Rückkehr zu der ursprünglichen Meinung des Wortes! Die richtige Deutung der Bergpredigt muß nach Stange über die Vorstufe des sittlichen Idealismus hinausführen und die Erweckung des Sündenbewußtseins als eigentlichen Zweck erfassen lernen. Ich halte diese Ansicht für eine treffende theologische Interpretation der Worte Jesu, aber nicht für eine auf richtiger Exegese beruhende Deutung der Bergpredigt. Gewiß ist in den meisten Worten vorausgesetzt, daß die meisten Menschen nicht so sind, wie Jesus wünscht, und daß sie nicht gleich für das Richtige gewonnen werden können, sondern erst überzeugt werden müssen, daß Gottes Wille wirklich nichts geringeres fordern kann. Aber das ist alles mehr eine Situation, die vorausgesetzt wird. Es ist nirgends Jesu Absicht, seine Hörer auf die Erkenntnis ihrer Sünde, ihres Ungehorsams, ihres unvollkommenen Gehorsams festzunageln, sondern sie durch die Kraft seines Gebotes und seiner Argumentation auf die Höhe seiner Forderungen hinaufzuführen. Hier zeigt sich Jesus von jenem hinreißenden Optimismus beseelt, der alle rechten Gesetzgeber und Verkünder göttlichen Willens auszeichnet, und wenn er einmal seine Hoffnungen herabschraubt, so ist ihm doch sicher, daß er immer Menschen findet, die den schweren Weg bis zu Ende gehen. Die Bergpredigt ist keine B u ß p r e d i g t . Diejenigen, die hier zur Buße gerufen werden müßten, die Schriftgelehrten und Pharisäer, sind nicht unter den Hörern zu denken. Eine Bußpredigt, die zur Straf- und Gerichtspredigt wird, ist die große Rede Matth. 23. Die Bergrede wird immer wieder Bußstimmung erzeugen und als Gerichtspredigt wirken, ihrem Charakter und ihrer Absicht nach ist sie eine (teilweise polemisch gehaltene, imperativische) Darstellung der vollkommenen Frömmigkeit, wie sie Jesus im Kreise seiner Hörer, seiner Jünger zu verwirklichen wünscht. Stanges Satz (S. 63): man verstehe die Ethik Jesu erst, wenn man das eigentliche Ziel seiner Unterweisung in der Erweckung der Sündenerkenntnis sehe, ist also eine einseitige Interpretation der Bergrede im Sinne des Paulus und der Reformatoren. Aber die Bergpredigt als geschichtliches Dokument ist eine vorpaulinische und vorreformatorische Größe. Sie ist durchaus p e r f e k t i o n i s t i s c h gedacht. Die Einsicht, daß die Vollkommenheit nur durch Umwandlung des Willens zu erreichen sei, kann man aus einzelnen Sprüchen der Bergrede
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herausziehen; sie ist aber nicht betont, überhaupt fehlt jede Reflexion über die Art, wie die Forderungen erfüllt werden müssen. Es ist Gehorsamsethik, für die die zwei Hauptsätze gelten, daß Gott seinen Willen jetzt durch Jesus verkündigen läßt und der fromme, gottergebene Mensch nun gehorchen soll. Nur da trifft Stange wieder den historischen Sinn der Bergpredigt, wo er nach 5, 48 die Lebensgemeinschaft mit Gott für die Voraussetzung unseres sittlichen Lebens erklärt (S. 71). Das ist in der Tat Mt. 5, 45 ff. gemeint, aber auch sonst vorausgesetzt. Da ist aber weder die paulinisch-reformatorische Lehre von der Buße unterzulegen, noch die Unterscheidung zwischen Ethik, worauf es weniger ankomme, und dem Hinweis auf Gott oder dem Gottesbewußtsein, worauf der Schwerpunkt liege. In jenem Abschnitt wenigstens ist gerade die innigste Synthese und Ethik und Gottesbewußtsein gelegt, die sich denken läßt, und die religiöse Ethik zu ihrer höchsten Vollendung geführt. In keinem Abschnitt ist zugleich deutlicher zu sehen, daß Jesus überzeugt ist, mit diesem Aufweis der Zusammengehörigkeit von Gotteskindschaft und liebevoller Gesinnung gegen den Verfolger diese Gesinnung auch wirklich in die Herzen seiner frommen Hörer gepflanzt zu haben. Dieser Optimismus ist gewiß nicht naiv, sondern religiös bestimmt, und wenn wir hier von Idealismus reden wollen, dann ist es ein ethisch-religiöser. Jesus glaubt, daß der Fromme, der sich seiner Beziehung zu Gott bewußt ist und der die Forderung Gottes an ihn sich bewußt macht, das Geforderte tun wird. Wir haben das nicht zu kritisieren; es ist unsere Pflicht, das festzustellen. Was oben gegen Kittel u. a. ausgeführt ist, trifft auch die in theologischer Hinsicht bedeutsamen Ausführungen über die Bergpredigt und ihre Ethik, die man bei E. Brunner, Der Mittler (1927) liest (S. 376ff.). Richtig wird hervorgehoben, -daß die Ethik der Bergpredigt keine Kulturethik ist; aber einseitig zugespitzt erscheint auch hier die „Unmöglichkeit" als Wesensmerkmal dieser Ethik. Daß nur „das Unmögliche" der Wille Gottes sei, ist ein moderner Gedanke, der, nur teilweise bei Paulus (Rom. 7) vorbereitet, der Bergpredigt fremd ist. Jesus ist von der Überzeugung getragen, daß der Wille Gottes im Bereich des Menschen liegt. Selbst das „du kannst, denn du sollst" liegt vielleicht auf der Linie seiner Paränese; ob er diesen Grundsatz dann von der alten Muhme, der Schlange gelernt, wie man nach Brunner annehmen müßte, ist eine Frage für sich (dann wäre übrigens auch das Gesetz und die jüdische Weisheit satanisch inspiriert)1. In der 1 Natürlich würde ein „du kannst, denn du sollst" im Munde Jesu
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Bergpredigt liegt keineswegs die Entwertung dessen, was „sittliche Religion" als das Entscheidende anzusehen gewohnt ist. Ihre Tendenz ist nach richtiger Exegese — dies Ärgernis bleibt Brunner nicht erspart — als Vollendung der sittlichen Religion zu bezeichnen. Auch im Gleichnis vom verlorenen Sohn und in den verwandten Texten ist die Entwertung der sittlichen Religion nicht so zu finden, wie Brunner meint (S. 380). Denn die Buße und die Vergebung oder Begnadigung des Sünders haben auch in der sittlichen Religion ihre Statt, man müßte denn einen einseitig pharisäischen oder pelagianischen Begriff von „sittlicher Religion" zugrundelegen, wozu die Bibel keinen Anlaß gibt (der Nomismus des Ezechiel z. B. setzt durchaus die Bekehrung und die Vergebung voraus). Freilich, die Bergpredigt deutet nirgends etwas von der Buße an. Wir können den Begriff von der Erfahrung aus an sie herantragen, daß für uns der in ihr gelehrte Wille Gottes in seiner Ganzheit allerdings eine „Unmöglichkeit" ist. Das ist aber schon theologische Exegese, auf die die Bergpredigt ihrer ursprünglichen Konzeption nach nicht eingestellt war (vgl. Kap. 4). Dogmatisch eingestellt ist leider auch P. B i l l e r b e c k in dem 1. Exkurs zur Bergpredigt im 4. Band seines Kommentars zum N . T . (1927). E r beschreibt hier S. 19f. die Haltung Jesu als „Kampf gegen die Soteriologie der Schriftgelehrten". Dieser Kampf besteht darin, daß Jesus (1) die buchstäbliche Bedeutung der Gebote Gottes und damit auch ihre buchstäbliche Erfüllung als ungenügend abweist und (2) dementsprechend seinen Hörern zum Bewußtsein bringt, daß ihre eigene Kraft unzulänglich sei, Gottes Gebote zu erfüllen. Das erste ist richtig, das zweite abzulehnen. Billerbeck beruft sich für diese Ausdeutung der Bergpredigt auf Mt. 5, 3; 5, 6 und 7, 24f. Aber gerade Mt. 7, 24f. wird ganz wie in der Thora und im Rabbinismus aller Nachdruck auf das T u n gelegt, und jene Seligpreisungen sind die einzigen Worte in der Bergpredigt, in denen zum Ausdruck kommt, daß für das Heil auch noch eine andere Haltung Vorbedingung ist als der praktische, konkrete Gehorsam gegen die Gebote. Die Haltung des Gehorsams bleibt die herrschende in der Bergpredigt, also kann der Kampf, den Jesus gegen die Schriftgelehrten führt, nur mit großer Einschränkung ein Kampf gegen ihre Soteriologie genannt werden. Er teilt mit ihnen die Lehre, daß die Bedingung für den Einlaß ins Reich eine bestimmte Gerechtigkeit ist: in dieser Hinsicht ist seine Soteriologie dieselbe wie die der Rabbinen und der Thora (vgl. meinen Aufsatz ZNT 1928, 172ff.). Was er bekämpft, ist die ungenügende Fassung dieser Gerechtigkeit. So findet auch die Seligpreisung Mt. 5 , 6 , auf die auch Th. Z a h n (Grundr. d. neut. Theol. 1928,37) sich zur Erhärtung der gleichen Meinung beruft, in dem Leitsatz 5, 20 ihre Auflösung und Erfüllung: in dem Aufnehmen der Worte Jesu und in dem Gehorsam gegen sie findet der Hunger nach Gerechtigkeit seine Sättigung. Die Einsicht, daß eigene Kraft hierzu unzulänglich sei, ist kein beherrschendes Prinzip der Bergpredigt 1 . bedeuten: du kannst, denn Gott fordert es, und: du kannst, denn dein künftiges Heil hängt daran! 1 Lehrreich ist die Auseinandersetzung mit diesem Exkurs von Billerbeck bei M o n t e f i o r e , Rabbinic literature 163ff., besonders über die Sündenlehre und die Soteriologie der Rabbinen.
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Wir fassen zusammen. Jesu Lehre ist H e i l s - und Unheilsp r o p h e z e i u n g und Gehorsamsethik g e w e s e n wie der Prophetismus. Will man sie richtig verstehen, muß man ganz die Lehren ausschalten, die Paulus in Röm. 3—8 entfaltet, in erster Linie, was er Röm. 7 entwickelt — dies Kapitel ist überhaupt in der ganzen Bibel singulär. Jesu Gebote sind richtige Gebote. Wenn er Gebote gibt, sind sie das Letzte, das vor der Eschatologie kommt: das richtig erfaßte und gehorsam erfüllte Gebot ist das Leben. Diese Gedanken sind der protestantischen Theologie fremd, weil sie die Bergpredigt paulinisch auslegt. Theologische Exegese darf das vielleicht tun. Richtige historische Exegese, die nur eines kennt, die Ehrfurcht vor dem Text, den sie auslegt, hat sich davor zu hüten. Von diesen Ergebnissen aus (die Gebote wörtlich auszuführen) ergibt sich nun auch ein klares Bild von der S o z i a l e t h i k , die die Bergpredigt, die die gesamte Sittenlehre Jesu im Auge hat. Sie ist absolut u n p o l i t i s c h auf den Nächsten, auf den Bruder, auf den Feind, auf den Richter eingestellt, aber nicht auf den Volksgenossen, Mitbürger, Vorgesetzten, politischen Führer, Wirtschaftsführer. Sie ist i n d i v i d u a l i s t i s c h insofern, als die Konflikte, die ins Auge gefaßt sind, immer nur Zusammenstöße von Mann zu Mann darstellen. In dieser doppelten Einschränkung ist das vorgeschriebene Verhalten eindeutig: kein Widerstand, keine Beteiligung am Bösen! Darüber hinaus gehen die Anweisungen nicht. Volksverband, Wirtschaftsverband, Staatsverband und die daraus hervorgehenden sittlichen Bindungen sind in der Bergpredigt und in der sonstigen Sittenlehre Jesu nicht berücksichtigt, nicht bewertet, auch nicht abgewertet — ausgenommen das e i n e Wort von Cäsar und Gott Mt. 22, 211. Und für die Wirtschaftslehre gibt es in der Bergpredigt nur die Weisungen: kein Mammonsdienst, keine Ansammlungen von Kapitalien und Gütern, keine Maßregeln der wirtschaftlichen Vorsorge — weil (1) Besitzespflege und wirtschaftliche Sorge den Jünger abzieht von dem, was seine erste, seine eigentliche und einzige Aufgabe ist, dem Dienste Gottes und der Bereitung für das Ziel des kommenden Reiches Gottes —weil (2) die wirtschaftliche Existenz des Einzelnen bereits durch Gott, dessen Schöpfung eine vollkommene ist, gesichert ist — 1 Vgl. m. Schrift Imperium u. Evangelium im N. T. 19.
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und weil (3) derselbe Gott, wenn das Kind um seiner Gebote willen in den Tod geben muß, mit dem eschatologischen Ziel, mit dem Geschenk und Lohn eines neuen Lebens bereit steht. Die ganze Sozialethik, wie sie in den einzelnen wörtlich zu fassenden und buchstäblich auszuführenden Sprüchen der Bergpredigt niedergelegt ist, steht unter der positiven Losung ,Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen' und ist deren radikalere Anwendung.
3. KAPITEL
CHRISTUS UND DER GEGENSATZ ZUM JUDENTUM IN DER BERGPREDIGT Es ist folgerichtig, daß theologische Ausleger die Bergpredigt als ein Manifest des Christus auffassen. Sie erstreben eine letzte Lösung aller Probleme, und die kann für sie nirgends anderswo gefunden werden als im Christus. So führt Stange aus (S. 70ff.), wie die Bergpredigt mit dem messianischen Selbstbewußtsein Jesu unlöslich verbunden ist. Im Gegensatz zu Moses beginnt sie mit Seligpreisungen, deren Grund darin liegt, daß der messianische König zu den Menschen gekommen ist. „Die Gegenwart Jesu ist das Neue des Evangeliums. In ihm kommt das Gottesreich, Gottes Herrschaft, Gottes Leben zu ihnen." Die Lebensgemeinschaft mit Gott, die Voraussetzung des sittlichen Lebens, ist durch die Gegenwart Jesu begründet. Und K i t t e l stellt als zweite Komponente der Botschaft Jesu (neben die Aufnahme der Werte der israelitisch-jüdischen Religionsgeschichte) das Absolutheitsbewußtsein, Erfüllungsbewußtsein, Gottesreichsbewußtsein Jesu, dessen Heil sich vollendet im Kreuz 1 ; hiermit ist zugleich das Judentum gesprengt und die neue Religion, die Christusreligion, begründet. An Kittel ist zu sehen, wie das Christusproblem in der Bergpredigt aufs engste mit der Stellung der Bergpredigt zum Judentum und — dem Verhältnis des Judentums zu ihr zusammenhängt. Die Bergpredigt auf den Christus zu beziehen, ist schon darum geboten, weil Matthäus sie ganz deutlich als eine Offenbarung des Christus kennzeichnet. Der Mann, der dort auf dem Berge sitzt, umringt von seinen Jüngern, die Massen zu seinen 1 Z. f. syst. Theol. II 585ff.; Probleme 131ff.
Christus und der Gegensatz zum Judentum in der Bergpredigt
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[Füßen, ist für den Leser des Matthäus bereits als Messias kundgetan. Der Evangelist hat schon in den Geburts- und Kindgeschichten dargetan, daß alle Umstände seiner Geburt und ersten Lebensschicksale ihn als den Christus Gottes erweisen. Bei der Taufe ist er als Christus geweiht und zum Sohn proklamiert worden. Der Teufel hat ihn nicht aus der Haltung und Würde des gehorsamen Sohnes herausdrängen können. Dann zeigt der Evangelist (4, 12—16), wie sich gleich im Beginn seines öffentlichen Wirkens eine konkrete Weissagung des Jesaia (8, 23; 9, 1) in ihm erfüllt. In jedem Fall hat Matthäus in der Bergpredigt (wie ähnlich Lukas 4, 17 ff. mit der NazarethPerikope) eine große messianische Kundgebung komponieren wollen. Es fragt sich nur, ob in der Rede selbst messianische Motive heraustreten und welche das sind. Wir stellen zunächst die direkten Zeugnisse messianischen Bewußtseins im Text des Matthäus zusammen1. In der Introduktion (5, 3—16) tritt das messianische Ich des Predigers nur in dem zweiten Makarismus der Verfolgten auf: man schmäht sie . . . wegen mir (5, 11). Der Trost ist, daß die Jünger das Los und darum auch den Lohn der Propheten haben. Als eine von der Autorität des Christus getragene Kundgebung ist dann das erste Hauptstück eingekleidet, das über das Gesetz handelt 5, 17—48. Sie steht auf zwei sich widersprechenden Sätzen. (1) Der Messias erklärt, daß das Gesetz in Allen Teilen seine Gültigkeit behalten soll: dies zu verkünden, „ist er gekommen", und mit einem: ,Amen, ich sage euch' leitet er die weiteren Versicherungen ein. Den jüdischen Erwartungen entsprechend, bestätigt er die Autorität der Thora. (2) Gegenüber dem, was „den Alten gesagt worden ist", gibt er kraft eigener Autorität („ich aber sage euch") in sechs Antithesen neue Gebote, die die alten Gesetzesüberlieferungen wesentlich ergänzen, überbieten oder gar aufheben. Zwar wird hier der Name des Moses nicht genannt, aber was zitiert wird, ist meistens Thora. Der Messias steht vor uns, der mit gleicher Autorität wie Moses, oder mit höherer Autorität zu dessen Thora die richtige Auslegung, die von nun an gültig ist, die 1 Vgl. L. v. Sybel, Vom Wachsen der Christologie im synoptischen Evangelium (in Th. Stud. u. Krit. 1928,379ff.). UNT 1 « : W l n d i s c h .
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3. Kapitel
nötigen Ergänzungen und die nötigen, sehr eingreifenden Korrekturen gibt1. Freilich nur in der mächtigen Einleitung („ich aber sage euch") macht sich seine Person geltend, nicht in dem Inhalt, der sich vielmehr ganz auf die Sachen beschränkt: die menschliche Sünde, die geforderte Tat des Menschen, Gottes Vorbild und Gottes Gericht. Das gleiche gilt von den weiteren Lehrstücken. Der Inhalt 6, 1 — 7, 12 ist „sachlich" gehalten; nur in der Einleitung zu den Sorgensprüchen erscheint das Ich des Sprechers (6, 25), doch ohne besonderes Gewicht. Erst in dem eschatologischen Schlußteil tritt das Ich und das Selbstbewußtsein des Yerkünders wieder heraus. Er wird hier auf Erden „Herr" genannt; sein „Name" hat solche Kraft, daß er zu prophetischer Rede, zu Dämonenbeschwörungen und zu Machtwundern befähigt, und in der Zukunft wird er das Gericht über sie alle halten und verwerfen, die er nicht „kennt" (7, 21—23). Und nach den Schlußgleichnissen (7, 24—27) hängt von dem Tun seiner Worte, dieser Rede das Bestehen in der eschatologischen Katastrophe ab. Vier große Christusprädikate ergeben sich somit, die der Prediger der Bergrede in Anspruch nimmt: das des autoritativen G e s e t z e s a u s l e g e r s (1) und neuen Gesetzgebers (2) und Propheten, der freilich im wesentlichen nur die alten Propheten auswahlsweise erneuert und aktualisiert, (3) und das des künftigen W e l t r i c h t e r s (4). Sie bekunden den Willen, eine Gemeinde zu bilden, die dem von ihm ausgelegten Willen Gottes gehorcht und dermaleinst auf Grund dieses Gehorsams von ihm in das Reich des Himmels eingelassen wird, Lk. 12, 32. Hierzu kommen noch einige i n d i r e k t e Zeugnisse für das Messiastum des Predigers. Die Seligpreisungen besagen zwar nicht, wie S t a n g e will, daß das Heil des Reiches Gottes in seiner Person Gegenwart geworden, wohl aber, daß der gekommen ist, der die Verheißungen der Propheten erneuert, bestätigt und sie besonders seinen Jüngern zusichert. Die Jüngersprüche vom Salz und vom Lichte fußen auf der Gewißheit, daß sie von ihm eine Kraft empfangen haben, die Salz und Licht in die Welt bringt; das johanneische ,ich bin das Licht der Welt' scheint also die Vor1 Vgl. G. D a l m a n , Jesus Jeschua 1922, S. 68f.
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aussetzung für das ,ihr seid das Licht' des Matthäus zu sein, was indes auch im Matthäus angedeutet ist (4, 16). Aber diese Macht ist im Matthäus doch nicht Christus selbst, sondern sein Wort, seine Heilspredigt, seine Lehre vom Willen Gottes (vgl. 5, 16), und eine Kundgebung für die Welt wird sie erst durch die Jünger, die in ganz anderem Ausmaß, als Jesus selbst es getan, in der Welt sich bewegen (vgl. 10, 27). So gibt er sich auch in dem Abschnitt über die religiösen Pflichten (6, 1 — 7, 12) als den gottgesandten Propheten kund, der weiß, wie man sachgemäß Gott dienen, wie man zu ihm b e t e n muß; wie man das richtige Verhältnis zum Himmel und zum Reiche Gottes, zu irdischem Gut und zu den Bedürfnissen des irdischen Lebens gewinnt; wie man dem N ä c h s t e n richtig dient; der weiß, welche Wege offen stehen und welches der Weg zum Leben ist; der weiß, wie man die Heuchler und die falschen Propheten entlarvt. Das ist alles nicht spezifisch messianisch; es ist auch die Funktion des P r o p h e t e n und des Weisen, die sich hier kundgibt. Beide Funktionen sind bei Matthäus in die Manifestation des Christus mit aufgenommen. Der Christus der Bergrede tritt also als G e s e t z e s a u s l e g e r , Gesetzgeber, Prophet, k ü n f t i g e r W e l t r i c h t e r und als der Herr der G e m e i n d e vor uns. Hierauf beschränkt sich ihre Christologie. Dem entspricht die Kundgebung des Auferstandenen Mt. 28, 19: ihm ist jetzt alle Gewalt gegeben, d. i. Gericht und Herrschaft; in seinem Namen soll jedermann getauft werden, und die Getauften sollen lernen alles zu halten, was er während seines Erdenlebens den Jüngern geboten hat. Das ist die Erfüllung und Bestätigung des in der Bergrede kundgegebenen Selbstbewußtseins. Jesus ist der „Herr", weil er neue Gebote verkündet hat, denen die Seinen gehorchen sollen, weil er Gesetzgeber, Lehrer, Prophet und Herr für sie ist, weil er das richtige Verhältnis zu Gott, die Gotteskindschaft und den unbedingten Gottesgehorsam gelehrt und gebracht hat. Hierin e r s c h ö p f t sich offenbar die Christologie der Bergrede. Dieser Christus ist n i c h t Erlöser und Mittler im eigentlichen, im paulinischen Sinne des Wortes, auch noch nicht im Sinn der später fallenden Herrenworte 20, 28 und 26, 28. Gewiß, erlösende Worte fehlen nicht. Aber es ist die Erlösung von der falschen Autorität der Rabbinen und Schriftgelehrten, die Erlösung von religiösen Wahnvorstellungen, die Erlösung von 7*
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niederdrückenden Sorgen, die Erlösung von der Schuld durch die Zusicherung der freien Gnade Gottes, kurz gesagt: die Erlösung durch das richtige Wort von Gott und seinem Willen 1 ; dazu die eschatologische Erlösung, wie sie in den Seligpreisungen und im Vaterunser verheißen und erbeten wird; aber es ist n i c h t d i e E r l ö s u n g v o m G e s e t z — nur die oberflächliche Gesetzesanwendung und die minderwertigen Bestandteile des Gesetzes schafft er ab —, n i c h t d i e E r l ö s u n g v o n der S ü n d e , die durch Offenbarung oder Schaffung einer n e u e n Vergebung entsteht, nicht die Erlösung durch mystischen Beistand Gottes, durch göttliche Kraft, die er mitteilt oder in Aussicht stellt. Für das K r e u z und für den G e i s t ist offensichtlich im Rahmen der Bergpredigt kein Raum. Auch ein M i t t l e r t u m Jesu kennt die Bergpredigt nur in eingeschränktem, nämlich eschatologischem Sinn, und es kommt auch nur zu leiser Andeutung: einmal in dem evexev sfiov 5, 11, das wohl nach 10, 32 verstanden werden kann — sodann in den Sprüchen vom eigenen Gericht des Christus 7, 21 u. 22f.: seinen Jüngern, die er „kennt", die seinem Wort Gehorsam bewiesen haben, vermittelt er durch Freispruch den Eingang ins Himmelreich. Typisch f ü r die Bergpredigt ist das V a t e r u n s e r , obwohl es erst vom Evangelisten an seinen Platz eingestellt ist. Die religiösen Gedanken sind vormessianisch und vorchristlich. Es stellt die Vollendung israelitisch-jüdischen Bittgebetes dar. E s ist im wesentlichen eschatologisches Gebet, nur ist seine Eschatologie die geläuterte des Prophetismus — vor allem ist die nationale Idee völlig ausgeschaltet. Für die Gegenwart bittet der Fromme um sein Brot, damit er sein Leben fristen kann, und u m die Vergebung, damit ihn Gottes Zorn nicht hinraffe. Einen Mittler und Erlöser kennt das Vaterunser sowenig wie der Psalter. Insbesondere kennt es nicht die neue Vergebung, die in der Vollmacht des Menschensohnes eingeschlossen ist. Wenn auch Matthäus gleich im nächsten Hauptabschnitt seines Evangeliums (Kap. 8—9) in einem Logion 9, 6, vgl. 9, 21, diese Vergebung bezeugt, so hat er diese (in allen Evangelien fast singulare Überlieferung) in die Bergpredigt nicht eingearbeitet, vielmehr die von Jesus durchgehends vorgetragene Lehre von der Sündenvergebung (in der seine Vollmacht ausgeschaltet ist), unverändert stehen gelassen. Gegen G. S t ä h l i n 2 , der erklärt, wenn Jesus sich als neuer „Gesetzgeber" Moses gegenüberstellt, tue er das als der, der allein auf Erden Macht hat, Sünden zu vergeben, ist zu sagen, daß der Evangelist Matthäus diese Kombination noch nicht vollzogen h a t , und daß der Wortlaut der 5. Bitte wie der Sprüche 6 , 1 4 f . dem absolut widerspricht. 1 Vgl. R . A. H o f f m a n n , Die Erlösergedanken des geschichtl. Christus 1911; H . W e i n e l , Bibl. Th. d. N. T.'s *1928, 122ff.; K . B o r n h a u s e n , Der Erlöser 1927. 2 Th. Lit. Bl. 1932, 229.
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S t r a t h m a n n hat gegen meine Auffassung den Einwand erhoben (Theologie d. Gegenwart 1929, 400): Matthäus habe doch sein Evangelium als erlösungsgläubiger Christ geschrieben; also müsse er doch den Gegensatz dieser von ihm so zusammengestellten Rede . . . gegen den eigentlichen Sinn seines ganzen Werkes gemerkt haben, müßte empfunden haben, daß er (wenn meine Deutung im Recht wäre) Jesus Christus sowohl vorpaulinischjudenchristlich wie paulinisch geschildert habe. Schon diese Überlegung müsse zu den schwersten Zweifeln an der Richtigkeit meiner Deutung führen. Und er fügt die für die richtigere Erfassimg der Methode grundsätzlich wichtigen Worte hinzu: beruht diese Deutung „nicht auf einem Grundverstoß gegen die Grundsätze der historischen Exegese", sofern ich „die Worte aus dem großen G e s a m t b i l d e , in dem sie überliefert sind", i s o l i e r e . Ist nicht die elementare Tatsache um ihr Recht gekommen, daß die Bergpredigt von einem erlösungsgläubigen Mitglied der Urgemeinde niedergeschrieben ist? Daß sie also auch mit deren Überzeugung doch wohl übereinstimmt?" Ich habe hingegen hierzu folgendes zu sagen: 1) die Grundsätze historischer Exegese, gegen die ich verstoßen haben soll, erkenne ich für die Synoptiker nicht an. „Zusammenhangsexegese", Exegese aus irgend einem „Gesamtbilde" ist synoptischen Texten gegenüber sehr gefährlich, in der historischen Exegese zunächst strikte verboten. Richtige Synoptikerexegese ist zunächst P e r i k o p e n e x e g e s e , E i n z e l s p r u c h e x e g e s e . Denn die synoptischen Evangelien sind Sammelwerke; auch Matthäus hat seine Sprüche zusammengetragen. Was er für ein „Gesamtbild" erzeugt, ergibt sich erst aus dem Zusammenwirken der einzelnen Bestandteile. 2) Daß Matthäus „erlösungsgläubiges Glied der Urgemeinde" (bzw. einer palästinisch-syrischen Gemeinde im letzten Viertel des 1. Jhdts.) war, ist richtig. Damit hat aber die Sammel- und Kompositionsarbeit, die er als Evangelist leistete, wenig zu tun. Seine persönliche Erlösungsgläubigkeit würde nur dann für uns wichtig werden, wenn er entweder die Sprüche, die die Soteriologie der Bergpredigt ausmachen oder die der Bluttheologie, selbst geformt oder umgeformt hätte. Letzteres kommt auf keinen Fall in Frage, denn diese Sprüche hat er wörtlich aus Markus übernommen. Was die Sprüche der Bergpredigt anlangt, so ist aus Lukas beim Vergleich nur zu ersehen, daß er das Charakteristische teils ebenso aus seiner Quelle übernommen hat, teils — vielleicht — selbst hineingebracht hat, z. B. 7, 21. Darm ergibt sich, daß seine eigene Gläubigkeit nicht so sehr auf eine (paulinisch gedachte) Erlösung, als vielmehr auf eine uns bevorstehende Vergeltung nach der Leistung ausgerichtet war. Und wenn er sein Evangelium als Exponent seiner Kirche geschrieben hat, dann lernen wir daraus, daß auch diese Kirche des Matthäus neben die Erlösung durch das Blut mit großem Ernst das Gericht nach den Werken gestellt hat. Der Christus des Matthäus und der Christus seiner Kirche ist also nicht bloß, wie Strathmann meint, „der Offenbarer der göttlichen Gnade" (wie auf Schritt und Tritt zu sehen sei), sondern eben so sehr der Offenbarer des göttlichen Vergeltungsrechtes. 3) Das ist nun freilich in unseren Augen ein Widerspruch und Matthäus war doch nicht so unscharfsichtig, daß er solche Widersprüche nicht gemerkt haben würde. Welche Geistesgaben ein Evangelist besaß und welche nicht, kann man — wenn man überhaupt auf diese heikle Frage eingehen will —
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erst ersehen, nachdem man das Werk durchforscht hat. Auch der Hinweis auf ein Urteil Schlatters (der Vf. des ersten und mächtigsten der Evangelien) kann uns von diesem Satz nicht dispensieren und kann uns in dieser Streitfrage in keiner Weise als Argument dienen. Tatsache ist: Matthäus hat eben, wie die anderen Synoptiker, allerlei Spruchgut in sein Evangelium aufgenommen, ohne auf Systematisierung bedacht zu sein. Widersprüche sind in solchem Sammelwerke nicht auffallend. Das Unsystematische ist für den Juden jener Tage kennzeichnend. Auch bei scharfsinnigen Juden finden sich Widersprüche. Somit können Gegensätze, die sich bei der Exegese eines judenchristlichen Evangeliums ergeben, nimmermehr als Indizien falscher Exegese gewertet werden1.
Nun hat ja Matthäus in den zwei Herrenworten, dem vom Lösegeld 20, 28 und dem vom Bundesblut 26, 28 die „apostolisch-paulinische" Lehre vom Kreuz in sein Evangelium eingeführt; aber beides ist, von der Bergpredigt aus gesehen, ein absolutes Novum. Zusammengenommen drängt sich in diesen zwei, von Markus herübergenommenen Sprüchen eine n e u e S o t e r i o l o g i e ein, die von der der Bergpredigt, auch von der der Seligpreisungen, wesentlich verschieden ist, so verschieden wie die Soteriologie des Joh. von der der Gal. und Röm. Der Untergang der Vielen, der Nichthörenden 7, 13. 27 ist endgültig. Das Lösegeld des Menschensohnes ist in der Bergpredigt ebenso wenig vorausgesetzt wie in den bitter ernsten Sprüchen 16, 24—27: Die Hingabe des eigenen Lebens in der Nachfolge und der Gehorsam gegen Jesu Wort sind die letzten Mittel und Möglichkeiten der „ R e t t u n g " ; der Mensch kann kein Lösegeld geben (¿vrällayfia ist dasselbe wie IVTQOV), und der Menschensohn wird jedem nach seinem Handeln vergelten. Die neue Kunde 20, 28, daß der Menschensohn gekommen sei, um für die Vielen sein Leben als Lösegeld hinzugeben, kann in diese Spruchfolge unmöglich eingestellt werden: sie ist die Aufhebung dieser Soteriologie. Und der zweite Spruch 26, 28 ist nur insofern in der Bergrede vorbereitet, als Matth. 5—7 sozusagen das neue Gesetz darstellt, das — in Analogie zur Thora des Mose — die Grundlage für den neuen Bund, in den man einzeln durch die Taufe eingeführt wird, 28, 19 liefert; vgl. Ex. 24, 8 und Jer. 31, 3 1 - 3 4 . 1 L a n w e r (Grundgedanken der Bergpredigt S. 243) erkennt zwar an, Kreuz und Erlösertätigkeit Christi seien in der Bergpredigt nicht enthalten, aber den Satz, daß für das Kreuz im Rahmen der Bergpredigt kein Raum sei, hätte ich nicht beweisen können. Ich glaube den Beweis nunmehr geliefert zu haben.
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Hiermit ist der t h e o l o g i s c h e Charakter der Bergpredigt bestimmt. Ihre Heilslehre ist vorchristlich und vorpaulinisch, vielleicht am besten frei-juden-christlich zu nennen. Das „Freie" ist sogar so stark ausgeprägt, daß Matthäus als Vorläufer der Antithesen Marcions gelten könnte1. Hierin scheint er sich mit dem zweiten Marcioniten vor Marcion im N. T., mit P a u l u s zu berühren2. Aber Paulus ist nur da Marcionit, wo er lehrt, daß Christus das Gesetz durch die mystische Kraft seines Todes abgeschafft und an seiner Stelle das Evangelium der Gnade und des Glaubens gestiftet habe. Der Marcionitismus des Matthäus besteht darin, daß er an S t e l l e des Gesetzes Moses das neue Gesetz des Christus vom Berge kundmacht! Es ist also mehr christlich-antijüdischer, antimosaischer Nomismus. Das Judentum ist hier gesprengt, aber nicht durch die Erscheinung des Christus an sich, sondern durch sein Werk d. h. die Offenbarung eines neuen, besseren Gesetzes und einer neuen, besseren Lehre vom Gottesdienst, nicht durch die Schaffung einer neuen Erlösung. Dieser antijüdische, marcionitische Zug geht — ohne daß der Widerspruch behoben wird — mit dem Willen zusammen, die den Juden gegebene Gottesoffenbarung in Gesetz und Propheten zu bestätigen und zu erfüllen! Matthäus und sein Christus verfolgen also in der Bergrede zwei Tendenzen: Überwindung und Erfüllung des Judentums. Wie erklärt sich dieser Widerspruch ? Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß die „Überwindung" im Rahmen der Bergpredigt nicht auf dem noch viel radikaleren Wege der paulinischen Erlösungslehre sich vollzieht, sondern am J u d e n t u m orientiert bleibt. Das Richtige, das Bessere bleibt doch im Rahmen der jüdischen Lehre und Überlieferung, auch wenn 1 Vgl. A. v. H a r n a c k , Marcion 21924, 256*ff„ bes. 292*. Daß Matthäus mit seinen Antithesen die des Marcion vorbereitet, wird noch immer zu wenig beachtet. Marcion ist aber, ohne Matth, zu kennen, zu den seinen gekommen; vgl. noch Z. f. syst. Theol. 1927, S. 46; Joh. u. d. Synoptiker S. 174, Paulus u. Christus S. 210ff.. G. A. v a n d e n B e r g h v a n E y s i n g a hat in seiner Anzeige dieses Buches (Nieuw Theol. Tijdschr. 1929, 268) sogar erwogen, ob Matth, nicht marcionitische Gedanken abgeschwächt habe. Der von uns geltend gemachte Marcionitismus des Matth, beschränkt sich natürlich auf die diversitas legis et evangelii; die radikale Konsequenz, den Schluß auf die Verschiedenheit der Götter, hat der Evangelist nicht gezogen, s. oben. 2 Der dritte Marcionit ist Johannes (der Evangelist).
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inhaltlich das Gegenteil gefordert wird. Weiter ist nicht zu übersehen, daß das dominierende Motiv das der E r f ü l l u n g ist. Die Gesetzgebung der Bergpredigt wird mit „Erfüllungsworten" eröffnet (5, 17—19) und mit einem Erfüllungswort (7, 12) geschlossen, das auch im Talmud seine Analogie hat 1 . Der Radikalismus der Antithesen (5, 21—48) ist doch vielleicht nicht so ernst, nicht so marcionitisch vom Evangelisten gemeint, wie es der Wortlaut fordert. Drittens ist, wie die Sammlungen von Parallelen aus dem A. T. und aus den jüdischen Schriften ergeben und wie prinzipiell auch von Kittel anerkannt wird (s. o. S. 41)2, der Inhalt der Antithesen im Judentum nicht so unerhört neu und fremd, wie der Leser zunächst meinen möchte. Das, was die Antithesen der Bergpredigt als Forderung Jesu enthalten, kann man auch hier und da im A. T. und in jüdischen Dokumenten lesen. Aber die Sätze der Bergpredigt sind im Judentum nur vereinzelt vertreten — in einzelnen Schriften (namentlich nicht-talmudischen) und von einzelnen Rabbinen — und für das Judentum nicht immer charakteristisch; auch hat die kräftige, plastische Formulierung der Jesusworte meist keine Parallele im jüdischen Schrifttum3. Vor allem steht daneben der „Talmudismus," dem solche Gedanken, wenn mit ihnen Ernst gemacht wird, wesensfremd sind, während im christlichen Evangelium diese tiefen Gedanken das Einzige sind, was vom Judentum übrigbleibt. Immerhin ist anzuerkennen, daß gleichartige Erkenntnisse oder Ansätze dazu auch im talmudischen Judentum auftauchen. Also muß unter dem Eindruck der Parallelen unser Urteil dahin gehen, daß in diesen Antithesen gewiß eine bestimmte Richtung des Judentums bekämpft und erledigt wird, nämlich diejenige, die einen starren Nomismus verfolgte und sich den Einwirkungen des geistigen Prophetismus verschloß, daß sie aber keineswegs eine Überwindung des Gesamtjudentums darstellen; eher wird man von einer „Aufhebung" des Judentums reden müssen, insofern die „christlichen" Gedanken, die auch im Judentum nachweisbar sind, in der Bergpredigt zu alleiniger Geltung gelangen. Damit 1 Vgl. außer B i l l e r b e c k und P i e b i g z. Mt. 7 , 1 2 noch L. E. P h i l i p p i d e s , Die „goldene Regel" religionsgeschichtlich untersucht 1929, dessen talmudisches Material das von B. und F.beigebrachte Material noch ergänzt. 2 Vgl. auch J. K l a u s n e r , Jesus of Nazareth 1927, p. 384. 3 Das gilt insbesondere für 5, 39 b—41; 5, 44; 5, 48; 6,17f.
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wird das Judentum g e s p r e n g t , da nun das ganze S y s t e m des Rabbinentums dahinsinken muß. Dabei ist aber zu beachten, daß die Möglichkeit zu solcher Sprengung auch schon in der goldenen Regel des Rabbi H i l l e l enthalten ist (s. o. S. 47); nur hat sie diese sprengende Kraft im Bereich der rabbinischen Lehrherrschaft nicht auswirken können! 1 In diesem Zusammenhang wäre noch die Entscheidung eines der 70 Übersetzer der Thora im A r i s t e a s b r i e f (227) zu erwähnen: der König fragt, gegen wen man seine Gunst bezeigen solle, und der Schriftgelehrte antwortet: „Die allgemeine Auffassung geht dahin: nur denen, die uns wohlgesinnt sind, müsse man sie erweisen; ich aber meine, daß man (gerade) den Widersachern bereitwillig seine Gunst erweisen muß, damit wir sie auf diese Weise zur Pflicht und zu ihrem Nutzen hinführen." Das ist nach Form und Inhalt eine weitgehende Parallele zur letzten Antithese der Bergpredigt. Der allgemeinen Auffassung stellt der Schriftgelehrte seine Meinung gegenüber. Jene ist im Grunde eine verallgemeinernde Umschreibung und Gräzisierung des Gebots der Nächstenliebe; diese hat die Übertragung und Ausweitung des Verhaltens auf die Feinde im Auge. Der Unterschied ist der, daß der Schriftgelehrte einer communis opinio seine „Meinung" entgegenstellt wie ein griechischer Philosoph, während Jesus bei Matthäus sein „Gebot" einem (erweitert formulierten) Gebot des Mose gegenüberstellt. Das Selbstbewußtsein beider Lehrer ist also verschieden bestimmt. Dort ein Weiser, der dem unzulänglichen Urteil der Masse entgegentritt, hier ein Lehrer, der einen Satz der heiligen Thora zu überbieten wagt. In der Sache berühren sich und decken sich beide Aussagen weithin. Endlich ergibt die Kritik, daß Matthäus der einzige Zeuge 1 L a n w e r (Grundgedanken S. 181 f.) befaßt sich in einer mir etwas spitzfindig erscheinenden Weise mit meiner hier und S. 47 gegebenen Behandlung des Hillel-Wortes. Das Recht, dieses Wort als isolierten Spruch mit dem Logion Jesu zu vergleichen, ergibt sich aus der eigenen Dynamik des Spruches; er gibt sich bei Hillel von vornherein als übernommenes Traditionsgut und bei genauerer Vergleichung als Fremdkörper in Hillels Gesamtlehre — wogegen er sich in der Bergrede als wesensverwandt mit seiner Umgebung erweist. — Wenn L. mich übrigens als Opfer des irreführenden Satzes von Kittel (s. o. S. 40) bezeichnet (a. a. O. S. 15), so hätte er merken können, daß dieses Buch nicht auf einem Satz von Kittel beruht, sondern auf langjährigem Studium des Judentums und der christlichen Quellen.
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für diese „marcionitische" Einstellung der Gebote Jesu ist. Es könnte also sein, daß er oder seine Quelle (M)1 sie geschaffen hätte, so wie 60 Jahre später Marcion, wohl ohne von Matthäus zu wissen, sie im Dienste seiner Theologie geschaffen hat. Dann wären die Antithesen kein ursprünglicher Bestand der Tradition. Man wird in jedem Falle vorsichtig sein müssen und aus den Antithesen sowie aus dem „ich aber sage euch", das nur durch sie einen so gewaltigen Inhalt bekommt, nicht allzuviel für das Selbstbewußtsein Jesu erschließen dürfen. Ob Jesus selbst mit den Worten irgend Kritik am Gesetz des Moses hat üben und auf das Neue gegenüber Moses solchen Nachdruck hat legen wollen, ist ungewiß, (vgl. o. S. 52ff.). Der schlichte Text bei Lukas (6, 27—36) wird niemanden auf den Gedanken bringen, daß hier gegen das Gesetz polemisiert und die Thora überboten werden solle. Wer Stellen wie Jes. 50,6, Ex. 23, 4f., Lev. 19, 17-18, Sprüche 20, 22; 24, 29 (44) und 25, 21 f. im Kopfe hat, wird vielmehr sagen, Jesus setzt auch hier eine in Gesetz, Propheten und Weisheit gezogene Linie fort! Eine der sicher von Matthäus geschaffenen Antithesen (5, 31 f.) hat ihre Parallele in dem ausführlichen Streitgespräch über die Ehescheidung (Mt. 19, 16). Man sieht, wie vorsichtig Jesus die „Kritik", die er am Wortlaut der Thora üben muß, umkleidet, so daß die Pietät gegen die Person des Moses und die Achtung vor seinem Buch gewahrt bleibt. Der radikale, antimosaische Unterton ist bei dieser Antithese erst vom Evangelisten hineingebracht. Dann hat die Hypothese, daß auch die beiden letzten Antithesen erst von Matthäus oder seiner Quelle geformt seien, im Blick auf Lukas große Wahrscheinlichkeit. Und die theologische Tendenz des Matthäus, der hier radikaler scheint als Jesus selbst war, wird wohl weniger gewesen sein, die Autorität des Moses und der Thora zu brechen, als vielmehr die A u t o r i t ä t der R a b b i n e n und Pharisäer zu vernichten und J e s u prophetisch-messianische L e h r a u t o r i t ä t zu bezeugen vgl. 5, 20. Die Antithesen stellen also vornehmlich (1) Christologie und (2) Polemik gegen die Synagoge dar. (1) Freilich mit dieser Christologie hat es seine Bewandtnis. Wenn das Neue und Unjüdische im Christentum die Lehre von dem durch Christus Jesus gebrachten und verbürgten 1 Vgl. S t r e e t er, The four gospels 1924, 224ff.
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Heil ist, dann ist die Bergrede noch kein D o k u m e n t dieser Christusreligion. Weder ist die auf Tod und Auferstehung begründete Gottesgemeinschaft in ihr gelehrt, noch ist die Lehre von der Gotteskindschaft, von Gottes Willen, von Gottes Reich derart mit seiner Person verschmolzen, daß wir mit G. K i t t e l von seinem Absolutheitsbewußtsein, Gottesreichsbewußtsein als zweiter Komponente des Evangeliums reden könnten. Das Selbstbewußtsein Jesu und die Bedeutung, die ihm für die Erkenntnis Gottes und für den Zugang zum Reiche zugeschrieben wird, hält sich in der Bergrede im Rahmen der israelitisch-jüdischen Religionsgeschichte. Weder ist alles auf seine Person bezogen, noch ist seine Person die des Erlösers und Mittlers. Gewiß verrät fast jeder Spruch ein kräftiges religiöses Bewußtsein, aber Einzigartigkeit in absolutem Sinne wird nicht bezeugt. Die meisten Sprüche haben ihren Wert, ihre Evidenz in sich selbst, unabhängig von der Person des Verkünders. Es gilt hier dasselbe Verhältnis, wie es auch bei „Moses", bei den Propheten, bei „Salomo" und Sirach, bei Hillel und den anderen Rabbinen festzustellen ist 1 . Für Matthäus ist die Bergpredigt gewiß eine Christusproklamation, analog der von Lukas in der Nazarethperikope skizzierten messianischen Kundgebung 4, 16 ff. Jesus offenbart in ihr die ihm vom Vater verliehene „Vollmacht", Vollmacht des Gesetzesauslegers, Gesetzgebers und des erwählten Weltrichters, d. i. des Menschensohnes von Dan. 7. Die Bergpredigt ist das Instrument, mit dem dieser einzige Bevollmächtigte Gottes die von Gott verworfenen Lehrer Israels und selbstgewissen Überfrommen abstößt und sich eine neue Gemeinde schafft, der er den Weg zum Reich weist und Regeln für ihren Wandel vor Gott und den Menschen gibt. Der Tatbestand, aber auch seine Problematik wird noch deutlicher, wenn wir ein anderes großes Christuswort 1 Sehr gut hat G. H e i n r i c i in den Schlußsätzen seiner „begriffsgeschichtlichen" Untersuchung der Bergpredigt (1905) den Gegensatz Jesu zu Judentum und Hellenismus bezeichnet. Nur der letzte Satz (S. 98) ist problematisch: „Jesus ist nicht der letzte Jude, sondern der Schöpfer einer neuen wurzelechten Religion; er ist der erste Christ (Rom. 8, 29)". Die Religion Jesu wurzelt durchaus im A. T.; sie ist, wie Heinrici selbst feststellt, geläuterte prophetische Religion. Der „erste Christ" ist Jesus nur insofern, als seine Religion und Lehre auch in seinem Sendungsbewußtsein wurzelt.
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des Matthäus mit ihm vergleichen: alles ist mir überliefert von meinem Vater, und niemand kennt den Sohn als der Vater, und niemand kennt den Vater als der Sohn und wem der Sohn es offenbaren will (11, 27). Es lassen sich einige Linien von diesem Spruch zur Bergrede ziehen. Wenn in ihm der Anspruch erhoben wird, daß die Lehre des Sohnes eine absolut neue Offenbarung ist, so h a t der Evangelist auch in seiner Bergrede wirklich eine „neue Lehre" (Mk. 1, 27) geben wollen. Wenn die Massen unter dem Eindruck stehen, daß er wie ein „Bevollmächtigter" und daher anders als die Schriftgelehrten lehre (7, 28 f.), so ist damit das unerhört Neue, das dem Bisherigen Entgegengesetzte gemeint, das vor allem in den Antithesen (5, 21 — 6, 18) zum Ausdruck kommt. Wenn Jesus vom Willen seines Vaters im Himmel spricht 7, 21, so ist damit das besondere Sohnesbewußtsein angedeutet, das in dem Logion 11, 27 in voller Klarheit enthüllt wird. Als der Sohn kennt Jesus den Willen des Vaters anders und besser als alle, die vor ihm gewesen sind; die „Vollmacht" ist die „Überlieferung", die er vom Vater empfangen hat. Insoweit ist der Spruch 11, 27 auf die Bergrede beziehbar. Die Anwendung hat aber ihre Grenzen. Sie ergeben sich aus dem Text der Bergrede selbst, sodann aus dem Vergleich mit jüdischen und nichtjüdischen Überlieferungen. Nach dem Spruch ist der eigentliche Inhalt der Kenntnis und der Offenbarung Jesu das Geheimnis des Vaters und des Sohnes. Beide waren bisher unbekannt, nun werden sie durch Jesus offenbar gemacht. Auch dies Logion ist also g n o s t i s c h - m a r c i o n i t i s c h gedacht, nur daß es sich nicht um das Gesetz handelt, das als minderwertig abgetan und durch ein neues ersetzt wird, sondern um die göttlichen Personen selbst. Dem entspricht aber die Bergpredigt sehr wenig. Sie ist ein herrliches Zeugnis von der Vaterschaft Gottes. Aber schon der Text erhebt keinen Anspruch darauf, daß diese Predigt von Gottes Güte und väterlicher Fürsorge n e u e Weisheit, n e u e Offenbarung sei. Daß Gott unser Vater ist, wissen die Hörer schon. Neu sind nur die Folgerungen, die aus dieser Gewißheit gezogen werden. U n d die Selbstoffenbarung des Sohnes nimmt in der Bergpredigt einen sehr bescheidenen Platz ein. Diese Selbstkundgebung ist in der Bergrede aber auch kein Mysterium, das nur den Auserwählten mitgeteilt wird. Seinem wesentlichen Gehalte nach
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widerstreitet also jenes Logion der Bergrede. Nicht in der Synopse, nur in Johannes findet es seine Realisierung, und das ist der Hauptgrund, weshalb man es als ein „johanneisches W o r t " in der synoptischen Überlieferung bezeichnen muß 1 . Der Abstand zwischen dem Wort und der Bergrede wird noch größer, wenn wir die Ergebnisse religionsgeschichtlicher Vergleichung heranziehen. Eine Rede, von der sogar ein ausgesprochen traditionsgläubiger christlicher Theologe anerkennen muß,daß jedes Wort darin potentiell auch im Talmud enthalten ist, ohne daß dieser Tatbestand auf den Einfluß und die Nachwirkung dieser Rede zurückgeführt werden könnte, ist k e i n e n e u e O f f e n b a r u n g , so wie der Spruch 11, 27 es beansprucht. Ihre „Überlieferungen" sind ja weder neu noch einzigartig. Nicht alles ist unmittelbar vom Vater überkommen, es ist manches von Gesetz und Propheten angeregt oder ungeschriebener Überlieferung entnommen. Daher ist der Sprecher nicht der einzige, der diese Überlieferungen erhalten hat. Das Prädikat der Absolutheit, das das Logion für Person und Lehre in Anspruch nimmt, kann der Bergrede in keiner Weise zuerkannt werden. W e n n von der Absolutheit Jesu geredet werden kann, so ist die Bergpredigt als Beweis dafür nicht zu gebrauchen. Die Absolutheit Gottes bezeugt sie mit großer Kraft, nicht die Absolutheit Jesu. Ihre Christologie ist eine andere als die des Logions Mt. 11, 27, die ausgesprochen postexistential (vgl. Mt. 28, 18) ist und die volle Verabsolutierung, j a Vergnostisierung Jesu voraussetzt. Mit obigen (in der 2. Auflage nur etwas ergänzten) Darlegungen setzt sich L a n w e r Die Grundgedanken der Bergpredigt S. 191f. auseinander. Er meint, ich hätte erst den „gewaltigen" Abstand zwischen Mt. 11, 27 und der Bergpredigt geschaffen. Das Wort sei gewiß gegenüber der Bergpredigt ein Fortschritt, aber es komme nicht unerwartet. Der Kritiker sucht den Abstand dadurch zu verringern oder einzuebnen, daß er die Christusprädikate, die auch die Bergpredigt aufweist, ins „Göttliche" übersteigert und umgekehrt die Gedanken von Mt 11,27 etwas abschwächt. Der Christus der Bergpredigt ist gewiß der Bevollmächtigte des Vaters, darum 1 Vgl. P.W. S c h m i e d e l , Die johann. Stelle bei Mt. u. Lc. u. d. Messiasbewußtsein Jesu (Prot. Mh. 1900, 1 ff.); H. J. H o l t z m a n n , Neutest. Theol. 2 I 345ff. Als „Fremdkörper" in der synoptischen Überlieferung (so Aufl. 1) möchte ich das Logion jetzt freilich nicht mehr bezeichnen. Vor allem läßt sich die Gleichnisrede mit ihren Sprüchen vom Mysteriencharakter der Lehre Jesu und von der „Auswahl" (Mt. 13,10—15) dem Logion zuordnen. Vgl. noch Mt. 28,18.
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doch nicht uneingeschränkt mit „göttlicher Autorität" bekleidet. Auch „am Gegensatz der Forderungen Jesu zum Gesetz Jahwes" ist keineswegs „die gleiche Autorität Jesu mit Jahwe" zu erkennen, vielmehr ergibt sich daraus e n t w e d e r Gegensatz Jesu auch gegen Jahwe im Sinne gnostischmarcionitischer Theologie (s. o. S. 103), oder eine über die Propheten hinausgehende Vollmacht, die aber keineswegs als „Göttlichkeit" zu bewerten ist. Die „Vollmacht-Christologie" des Matthäus darf nicht mit der Substanzchristologie der griechisch-christlichen Dogmatiker, die das Dogma der Kirche geschaffen haben, zusammengeworfen werden. Vgl. noch DLZ. 1935, 357f.
Formgeschichtlich betrachtet, spiegelt sich das Zurücktreten des Chiistusbewußtseins in dem relativ geringen Vorkommen von „ I c h w o r t e n " in der Bergpredigt wider. E s sind folgende: ein „Meisterspruch" 5, 11 (evexev efiov), ein tfl-9-ovSpruch 5, 17 (vgl. 10, 34), fünf ärfv iU'yw-Sprüche (5, 18; 5, 26; 6, 2. 5. 16), drei Sprüche mit Myco vfilv 5, 20; 6, 25; 6, 29, die sechs Antithesen: lyw de Uyw vfüv (5, 22. 28. 32. 34. 39. 44), ein Doppelspruch über seine Worte 7, 24. 26, ein -/.VQLOC,- und Sohnesspruch 7, 21, die Beschreibung der Gerichtsszene, bei der Jesus als Weltrichter spricht 7, 22. E s überwiegen also die Sprüche, in denen Jesus seine Lehrautorität hervorhebt: Kraft der ihm verliehenen Lehrvollmacht gibt er Versicherungen über die Bedingungen des göttlichen Gerichts und der göttlichen Vergeltung, gibt er seine neuen Gebote. Um dieser Autorität willen werden seine echten Jünger Heil finden (5, 11), seine unechten Jünger verloren gehen (7, 21 — 23). Nur einmal bezeichnet er diese Autorität als die des S o h n e s 7, 21 und einmal als die des künftigen W e l t e n r i c h t e r s 7, 22f. Die sonst so häufigen Sendungs- und Meister-Sprüche treten also sehr zurück; es fehlen ganz die Christus-Sprüche wie die Menschensohn-Sprüche. Der Evangelist wollte offenbar in dieser Rede vor allem die Lehrbefugnis Jesu herausheben und sah keinen Anlaß, soteriologische Worte, etwa über die Heilsbedeutung des Todes Jesu, in die Bergpredigt hineinzustellen. Was der Bergpredigt (und den meisten anderen synoptischen Christusreden) fehlt, ist die r a d i k a l e C h r i s t i a n i s i e r u n g des Lehrstoffes, d. i. die durchgeführte Begründung der Gottes- und Heilsgemeinschaft auf die Person des Christus und die Aufnahme der M i t t l e r - und E r l ö s e r f u n k t i o n in den Christusgedanken, dazu noch die Aussicht auf den Empfang des Geistes. Gottes. Immerhin, bedeutsame Keime zum paulinisch-johan-
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neischen Christusglauben sind auch in ihr gelegt. Der Messiasgedanke, den sie ausprägt: Lehrautorität, prophetische Autorität und Anwartschaft auf das Amt des Weltrichters besitzt schon eine kirchenbildende Kraft. Und vor allem ist schon der entscheidende Faktor vorhanden, der diesen Trieb zur Kirche zu rascher Entfaltung bringen sollte, der bewußte Gegensatz zur Synagoge und zu ihren Autoritäten, den Rabbinen und Pharisäern. (2) Dieser „Gegensatz J e s u zu den R a b b i n e n u n d Pharisäern" stellt noch immer ein sehr verwickeltes Problem dar1. Wenn wir feststellen, daß man fast zu allen Sprüchen der Bergrede, auch zu den „Antithesen" Parallelen aus dem jüdischen Schrifttum nachweisen kann, dann wird dieser Gegensatz ganz problematisch. Auf keinen Fall kann man sagen, daß die Angegriffenen in ihrer Totalität in der Bergrede getroffen sind und ihr Urteil empfangen. Was die Bekämpfung der religiösen Heuchelei Matth. 6 angeht, so ist nicht gesagt, daß alle Rabbinen und Pharisäer Heuchler seien; auch der Talmud kennt heuchlerische Pharisäer2. Durch den Eingangsspruch 5, 20 und durch die stereotype Einleitung der Antithesen wird allerdings der Eindruck erweckt, als ob hier die typische Religionslehre der Schriftgelehrten und Pharisäer getroffen werde. Einzelne Vertreter werden Jesus und der Überlieferer der Antithesen gekannt haben, für die die gegeißelte Haltung charakteristisch war: die oberflächliche Auslegung des Dekalogs, große Weitherzigkeit in Ehescheidungssachen, Zulassung unverbindlicher Eidschwüre, Rechtfertigung der Vergeltung, der Unnachgiebigkeit und einer unfreundlichen oder gar rachgierigen Hal1 Aus älterer Literatur nenne ich vor allem den Streit zwischen dem Leidener Professor H. Oort (f 1927) und dem Rabbiner T. Tal: T. Tal, Een blik in Talmoed en Evangelie 1881; H. Oort, Evangelie en Talmoed 1881; dazu J. Tal, Jood en Jodendom 1917. Von neuerer Literatur vgl. die genannten Arbeiten von G. K i t t e l , die Sammlungen bei P. F i e b i g , Die Bergpredigt 1924 und B i l l e r b e c k I 189—470, auch das „Nachwort" S. 470ff. dazu IV, l f f . , die Auslegungen von Montefiore, The Synoptic Gospels S II 27ff.; s. auch M. Goguel's oben S. 53 angeführten Aufsatz und W. Bauer, Jesus d. Galiläer in: Festgabe f. Ad. Jülicher 1927) u. a. m. J. K l a u s n e r , Jesus v. Naz. 1930 (2. A. 1934) S. 513ii.: „Die Gegensätze zw. dem Judentum u. der Lehre Jesu". G. S e v e n s t e r , Ethiek en Eschatologie. Kap. IV (nicht-eschatologisch bestimmte Ethik verglichen mit der rabbin. Literatur) 119—188. 2 Vgl. Billerb. I388f., IV336ff.
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tung gegenüber dem „Feinde". Kein Zweifel indes, daß andere Rabbinen in der Auslegung und Anwendung der Gebote strenger waren, leichtsinnige Ehescheidungen verboten, zur Vorsicht beim Schwören mahnten, dem Verzicht auf Vergeltung und der Großmut gegen den Feind das Wort redeten. Kein Zweifel insbesondere, daß viele von ihnen die positiven Lehren Jesu, namentlich wenn der Gegensatz gegen die Überlieferung nicht betont wurde, durchaus gebilligt haben würden1. Die polemische Einfassung, wem sie auch zuzuschreiben ist, wird ihrer Wirkung auf die Rabbinen und Pharisäer daher eher schädlich als förderlich gewesen sein2. Wie ist dann die Schärfe und Einseitigkeit der Polemik zu erklären? Man hat wohl, wie bei aller derartigen „konfessionellen" Polemik, zu erwägen, ob Jesus vielleicht deshalb so einseitig und scharf ist, weil er eine Zeitlang stärker unter der Leitung und dem Einfluß des pharisäisch gerichteten Rabbinats gestanden hat (vgl. Luther, den Ex-Katholiken), oder weil umgekehrt seine Berührung mit ihm nur oberflächlich gewesen ist, so daß ihm nur die Äußerlichkeiten und die nach außen sich geltend machenden Vertreter in die Augen fallen konnten, "während die inneren Tendenzen und die mehr innerlich religiös gerichteten Lehrer seinem Gesichtskreis fern blieben3. Auch christliche Exegeten haben darauf zu achten, daß die Polemik in Matth. 5—7 und 23 und das Gesamtzeugnis der spätjüdischen Dokumente sich nicht völlig entsprechen und daß hier irgend etwas nicht in Ordnung ist. Das Judentum, mit dem sich die Bergpredigt auseinandersetzt, ist vornehmlich das pharisäisch-rabbinische. Von einem Abschnitt, den zwei letzten Antithesen 5, 38—48, könnte man sagen, daß er auch mit dem Programm der Zeloten abrechne4. Jesus scheint den Zeloten seine Losung eines politischen Quietismus 1 Der Schriftgelehrte von Mk. 12, 28—34 wird kaum vereinzelt gewesen sein. 2 Das gilt in noch stärkerem Maße von den Invektiven in Mt. 23, die •die Juden gern mit Mt. 5 , 4 4 kontrastieren! 3 Es ist die Frage, ob es in Galiläa viel Pharisäer gab; Rabbinen muß es in den galiläischen Städten natürlich gegeben haben; vgl. W. B a u e r , Jesus der Galiläer (a. a. 0 . ) . und mein Buch „Paulus und Christus" 124f. 4 So z. B . S. D u b n o w , Weltgesch. d. jüd. Volkes. Oriental. Periode I I S. 537f.; M. H u g h e s Antizelotism in the Gospels in Expos. Times 1 9 1 6 , 1 5 1 ff.
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entgegenzusetzen. Es ist aber die Frage, ob diese Worte direkt die Zeloten meinen. Eine Auseinandersetzung mit deren Partei, die vom Haß gegen die Römer beseelt war, und den nationalen Widerstand propagierte, stellen die Sätze Jesu nicht dar. Der „Feind" ist nicht speziell der Römer; der Böse, dem man nicht Widerstand leisten soll 5, 38, ist es auf keinen Fall. Richtig ist aber, daß die Gesinnung, die Jesus verlangt und die seine Jünger und Hörer betätigen sollen, im Umkreis der zelotischen Aktion schwerlich Raum findet. Wer diese Worte Jesu ernst nimmt, scheidet sich von den „Eiferern". Mit den Sadduzäern weist die Bergpredigt keine besondere Berührung auf; die Weisung 5, 23 f. wäre, trotzdem sie das Opfer anerkennt, doch wohl von ihnen verworfen worden. Aber wahrscheinlich sind die Sadduzäer in den Gesichtskreis Jesu in Galiläa überhaupt noch nicht getreten und haben dort noch nicht von ihm Notiz genommen. Positive, nur auch wieder nicht ausgesprochene Berührungen hat dagegen die Bergpredigt mit Lehre und Brauch der Essener. Zwar ist der Bergpredigt fremd das Ordensmäßige als Institution, der Sakramentalismus, das überspannte Heiligkeitsideal mit seinen seltsamen Bräuchen und das Asketische, also alles, was das Essenertum zu einer Erscheinung des jüdischen Synkretismus macht. Aber die ethischen Grundsätze der Essener sind denen der Bergpredigt verwandt. Sofern die Glieder des Ordens im Verkehr miteinander und mit Fremden höchste Gerechtigkeit, Hilfs- und Opferbereitschaft, Friedfertigkeit, Versöhnlichkeit, Genügsamkeit betätigten, war Gesinnung und Tat, wie sie die Bergpredigt verlangt, in ihren Kreisen verwirklicht. Die Gebote der Bergpredigt, vor allem die uns problematisch erscheinenden, wären von essenischen Hörern freudig begrüßt worden. Ein Problem der Ausführbarkeit wäre ihnen lächerlich vorgekommen. Den Spruch vom Ärgernis 5, 2 9 f. hätte ein Essener unbedenklich wörtlich gefaßt, und, wenn es sein mußte, buchstäblich ausgeführt. Ganz spezifisch essenisch ist die Haltung der Bergpredigt zu Geld und Gut, die Verwerfung des Zornes und vor allem das strenge Verbot des Schwörens und der Eidesformeln. Auch die Essener müssen mit der Thora, Kult und rabbinischer Praxis in Konflikt gekommen sein. Zwar ehrten sie den Namen des Gesetzgebers Mose hoch und bestraften jede Lästerung dieses Namens mit dem Tode. Aber ihr EidDNT 1 8 : W l Q d l s o h .
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verbot konnte ebenso gut gegen die Bestimmungen des Gesetzes ausgespielt werden, wie das in der vierten Antithese des Matthäus geschieht, desgleichen ihre Verwerfung der Ehe. Obgleich also der Essenerorden als religionsgeschichtliches Phänomen etwas total anderes ist als die Jüngergemeinschaft, die nach dem Katechismus der Bergpredigt lebt, ist doch die Gesinnung, die den Verkehr mit den Brüdern regelt, weitgehend der Gesinnung gleich, die die Bergpredigt praktisch gepflegt haben will. Das Essenertum ist eine Gemeinschaft, in der wirklich weitgehend ein „Christentum" oder besser „Judentum" der Bergpredigt getätigt worden ist. Wie dem auch sei, daß Jesus in der Bergrede die Schriftgelehrten und Pharisäer, die religiösen Führer und Lehrer des damaligen Judentums und die einflußreichste religiöse Sekte angriff, war für die weitere Geschichte seiner Sendung und seines Jüngerkreises wie für die Entwicklung des Judentums von größter Bedeutung. Das Judentum erkannte entweder die Kritik, die neue Lehre und den Träger des Wortes an, oder es lehnte Lehre und Lehrer ab. Indem es in seinen maßgebenden Führern die Sendung und Botschaft Jesu abwies, hat es im Sinne seines eigenen Systems konsequent gehandelt, aber doch dabei viel Echtjüdisches, gut Alttestamentliches abgestoßen und verleugnet. Für den Jüngerkreis aber bedeutete die Verwerfung Jesu durch die Rabbinen und die Aburteilung Jesu durch den Hohenrat, daß sich die Lehrautorität ihres Meisters und die Bedeutung seines Messiastums verstärkte (vgl. Mt. 23, 8—10; 28, 19). Sie wurden von den Juden selbst darauf gestoßen, die Lehrautorität ihres Meisters mehr und mehr zu verabsolutieren und den Glauben an seine Messianität zur fundamentalen Bedingung der Jüngerschaft zu machen. Die Bergrede des Matthäus ist schon ein Ausdruck dieses Verabsolutierungsprozesses. Er hat hier dazu geführt, daß die Lehre der Rabbinen und Pharisäer einseitig zu einer Religion der äußerlichen Gesetzlichkeit, des sittlichen und religiösen Leichtsinnes, der unmoralischen Vergeltungssucht und der Heuchelei gestempelt wird, und daß andererseits Jesu Lehre von der richtigen und vollkommenen Religion wie eine neue, dem Judentum völlig unbekannte Offenbarung erscheint. Man hat das richtige Augenmaß verloren für die Beurteilung des Judentums und der eigenen Lehre; man hat das Verständnis für das relativ
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Gute und das Gemeinsame, das man mit dem Judentum teilte, in sich ausgelöscht und die Größe und Neuheit der Lehre Jesu ins Absolute gesteigert. Matthäus will gewiß mit semer Bergrede die „Absolutheit J e s u " erweisen. Nur h a t dieser Beweis heutzutage keine volle Überzeugungskraft mehr, und die christlichen Theologen müssen daher entweder auf ihn verzichten oder ihn in ganz anderer Weise führen. K i t t e l , der trotz seiner guten Kenntnis der Tatsachen die Absolutheit des geschichtlichen Jesus festhält, hat sich nicht klar gemacht, daß dank unserer neuen Erkenntnisse in der Würdigung Jesu und in der Rechtfertigung seiner Ansprüche ganz neue Wege gegangen werden müssen. Jedenfalls haben wir dem Rechnung zu tragen, daß die meisten Antithesen nicht ganz scharf sind und daß die Sprüche, dem A. T. wie dem Spätjudentum gegenüber, weder absolut Neues, noch absolut Anderes bringen. Das so gewaltig klingende „Ich aber sage euch" hat nur noch relative Geltung 1 , was den Gegensatz zum Judentum anlangt — positiv ist dies „Ich aber sage euch" natürlich für den Christen verbindlich. Unser Satz, daß die Bergrede durchaus in die israelitischjüdische Religionsgeschichte hineingehört, kann freilich nicht besagen, daß der jüdische Rabbinismus ihr k o n g e n i a l sei. Dann würde ja die Möglichkeit schwinden, die Opposition der Rabbinen gegen Jesus und die Verurteilung Jesu durch den Hohen R a t zu verstehen. An diesen zwei Tatsachen findet jeder Versuch, die Predigt Jesu an die Lehre der Rabbinen anzunähern, seine Grenze. Die Rabbinen müssen in Jesus und in seiner Predigt Elemente und Tendenzen herausgefühlt haben, die i h r e r Auffassung vom Judentum fremd, die ihnen darum für die Erhaltung i h r e r Tradition und Lehre gefährlich erschienen. Das Wesentliche ist schon aus der Bergpredigt herauszuholen. Es handelt sich erstens um die besondere Gestalt, die 1 S. hierzu meinen Aufsatz: Die Absolutheit des Joh.-Evgls. (Z. f. syst. Th. 1927, 45ff.). Die naive Vorstellung von der Einzigartigkeit und Absolutheit der Lehre Jesu scheitert auch an dem reichen Material, das H. H a a s in seinem schon oben angeführten Buch: Idee und Ideal der Peindesliebe i. d. außerchristl. Welt 1927 ausgebreitet hat. Hier zeigt sich, daß die Forderungen der Feindesliebe und des Verzichts auf Rache Allgemeingut höchster menschlicher Weisheit sind; vgl. das schöne Bekenntnis von Haas auf S. 82f.! 8*
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Jesus der überlieferten Gehorsamsethik gibt, und zweitens um sein Selbstbewußtsein, um das persönliche Verhältnis, das er zu seiner Lehre einnahm1. (1) Daß die Gotteskindschaft vornehmlich in den Formen einer Gehorsamsethik ausgelebt werden muß, hat Jesus von Moses, von den Propheten, von der Weisheit, auch vom Rabbinismus übernommen. Auch das Material seiner Einzelforderungen dankt er weitgehend der Überlieferung. Dennoch ist seine Gehorsamslehre in vieler Hinsicht ein anderes Gebilde als die der Rabbinen. Die Lehre der Rabbinen umfaßt die ganze Thora; d. h. das Zeremonielle, Nationalbedingte, Kultische ist ihr ebenso wichtig wie das Ethisch-Religiöse. Jesus bestreitet die kultischen Gebote nicht prinzipiell2 (Ausnahme das Wort Mt. 15, 11, von dem man aber nicht weiß, ob ihm auch bewußt war, daß es sich auch gegen die Thora richtete und nicht nur gegen die Reinigungsgebräuche der Schriftgelehrten); aber Jesus befaßt sich sehr einseitig mit dem sittlich-humanen und dem sittlich-religiösen Gehalt der mosaisch-prophetischen Überlieferung. Die goldene Regel 7, 12, die er vielleicht von Hillel übernahm, ist bei ihm ein viel gefährlicheres Prinzip, weil es in seinem Munde zum kritischen Prinzip wurde und die Tendenz enthalten konnte, wirklich alles andere, das nicht auf der Linie der Nächstenliebe lag, auszuscheiden. Hiergegen mußte der Rabbinat opponieren. Er konnte einen Wertunterschied zwischen sittlich-religösen und rituellen Geboten unmöglich anerkennen; das widersprach der Überlie1 Vgl. zum Folgenden vor allem jetzt W. G. Kümmel in d. Kirchenblatt f. d. ref. Schwz. 1933, Nr. 15 und von demselben: Jesus u. der jüd. Traditionsgedanke ZNT 1934,105ff. 2 Das Wort Mtth. 5, 23 f. ist sogar viel weniger radikal als die bekannte Kulturpolemik der Propheten. Es setzt sich zwar nicht geradezu für die Heiligkeit des Opfers ein (so Aufl. 1; dagegen Lanwer Grundgedanken 234), sondern für die rücksichtslose Erfüllung der Liebespflicht, vor der sogar die Portführung einer angefangenen Opferhandlung zurücktreten muß (s. dazu P. F i e b i g , Zeitschr. f. syst. Theol. 1929, 499—501). Aber das Wort steht schließlich noch unter dem Gesichtspunkt: wie man opfern soll — und gehört damit in eine reiche jüdische Tradition hinein. Im' Hintergrund steht also eine Lehre Jesu vom Opfer: es wird nur angenommen, wenn du dich mit deinem Bruder versöhnt hast vgl. dazu den Satz aus M. Joma VIII9: Sünden jemandes gegenüber seinem Nächsten sühnt der Versöhnungstag nicht, bis er seinen Nächsten besänftigt hat. Vgl. noch S c h l a t t e r , Der Evangelist Matthäus 172f.
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ferung, der Thora selbst (Deut. 4, 2). Die beste Rechtfertigung des rabbinischen Standpunkts ist der Ausspruch des Rabbi J o c h a n a n b. Sakkai 1 : „Bei eurem Leben 2 , nicht der Tote verunreinigt, und nicht das Wasser macht rein 3 , aber es ist eine Verordnung des Königs aller Könige; Gott hat gesagt: Eine Satzung habe ich festgesetzt, eine Verordnung habe ich angeordnet; kein Mensch ist berechtigt, meine Verordnung zu übertreten; denn es heißt: Dies ist die Satzung der Thora, die Jahve geboten hat" (Num. 19, 2). Jedes Wort in dieser Erklärung muß mit Nachdruck gelesen werden. Hier zeigt sich der Rabbinismus in seiner Größe und in seiner Beschränktheit. Man darf es nicht Buchstabenknechtschaft nennen, denn es ist die heilige Überlieferung, wofür er eintritt. Der Rabbi beugt sich in Ehrfurcht vor dem Deus dixit, so wie es ursprünglich im biblischen Text gemeint ist. Daß Jahve selbst das Verordnete geboten, steht geschrieben. Es i s t Offenbarung, es i s t Jahvegebot. Dies Heiligtum verteidigt der Rabbi gegen den Zweifel, gegen die Auflösung, gegen die gefährliche Konsequenz des aufgeklärten Urteils, das er selber teilt (er glaubt eben nicht mehr an die Magie des Opfers, die ursprünglich in der Thora gemeint war). Das Wort kann auch gegen Jesus (und Paulus) gerichtet sein. Jedenfalls trifft es Jesus mit seiner Hintansetzung der zeremoniellen Thora zugunsten der ethisch-religiösen Thoralehre. Damit hängt ein Z w e i t e s zusammen. Jesus verfährt auch insofern ganz anders mit dem Gesetz als die Rabbinen, als er einzelne Gesetze herausgreift, sie für fundamental erklärt, andere zurückstellt oder gar für mangelhaft und minderwertig erklärt — und dies alles, ohne sich um Tradition zu bekümmern, mit Berufung auf andere Gebote, die höhere Gültigkeit haben, oder mit Berufung auf einen höheren Grundsatz, den er formuliert. Solches Verfahren mußte den Rabbinen größten Anstoß geben. Hier war wirklich der Bestand der Thora gefährdet, 1 Pesiktha 40b, vgl. B i l l e r b e c k 1719, der das Wort aber nur „sehr freies Urteil" zu Matth. 15,11 anführt: es spricht ebensosehr die bundenheit des Babbi an die ganze Thora daraus, auch hätte es Böm. 14,14 wiederholt werden müssen. 2 Dieser Schwur entspricht dem „Amen, ich sage euch" bei Jesus, eben solche schwurartige Einsätze mied. 3 Es handelt sich um das Gesetz Num. 19 (die Kuh).
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ihre Handhabung und Auslegung scheinbar der Willkür ausgeliefert, der Wortlaut und die Sache angegriffen. Der Thorabuchstabe und das Thoraanliegen galt nicht mehr als unantastbar, etwas anderes ihm übergeordnet, für sie nicht greifbar. Es kommt ein D r i t t e s hinzu. Abwertungen und Ausschaltungen einzelner Gesetzesstücke waren den Rabbinen schon darum unmöglich gemacht und verboten, weil das Ganze der Thoraauslegung durch ein festgefügtes System von Sätzen ungeschriebener T r a d i t i o n geschützt war. Solcher Tradition hat sich auch Jesus gefügt, wo er sie für gut hielt und wo sie ihm keinen Anstoß gewährte, dagegen hat er sie überlegen abgestoßen, wo sie ihm hinderlich und schädlich erschien. Thora und Tradition waren für die Rabbinen ein festgefügtes Ganzes. Eine Unterscheidung nach Herkunft und Gültigkeit kam für sie nicht in Frage. Die souveräne Haltung Jesu bedeutete auch hier die Infragestellung und Aufhebung des Fundaments der rabbinischen Schriftgelehrsamkeit. Sie war für die Juden untragbar. Dazu gesellt sich noch ein v i e r t e r Anstoß. Jüdische Überlieferung hat immer, auch in der humanen Ethik, Beziehung auf das V o l k als Ganzes, dem die Verheißungen, dem die Gebote galten, also auch auf das n a t i o n a l e Leben, das Volksleben in seiner nationalen und wirtschaftlichen Konkretheit. Jesus weiß sich zwar an das ganze Zwölfstämmevolk gesandt, hebt auch gelegentlich die Zugehörigkeit der einzelnen Menschen zum Volk Abrahams hervor, also den Anspruch, den sie an seine Hilfe haben und zögert zunächst, wenn stammfremde Menschen sich an ihn wenden. Aber seine konkreten Anweisungen ignorieren diesen Zusammenhang von Gottes Willen und jüdischem Volkstum und heben den einzelnen aus seiner gottgegebenen Umgebung heraus1. Die p e r s o n a l i s t i s c h e Tendenz ist zwar schon bei den Propheten angebahnt und in der jüdischen Weisheit weit entwickelt, aber erst bei Jesus tritt sie konsequent heraus. Jesu Ethik ist nicht mehr Ethik, d. i. Gemeinschaftslehre für ein Volk, das seine Einheit vor allem in seinem Glauben erlebt, sondern Gehorsamsethik für einzelne und für eine Gemeinde, die sich durch sie erst wieder zu einem neuen Ganzen zusammenschließt. 1 Hiermit hängt zusammen, daß Jesus nicht als Messias im jüdischen Sinne anerkannt werden kann.
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In allen vier Tendenzen wirkt sich der den Formulierungen Jesu eigene Trieb nach ganz radikaler Erfassung des überlieferten und des neu erkannten Willens Gottes aus, die radikale Durchführung des Gedankens, daß der Gehorsam ganz getan werden muß (Bultmann). So sehr das Prinzip der radikalen Hingabe auch schon im Gesetz betont war, und so ernst es einzelne Juden insbesondere in Verfolgungszeiten zu verwirklichen suchten, so neu und so fremd war den Juden doch die konsequente Anwendung auf alle Verhältnisse des konkreten Lebens unter Hintansetzung elementarer Bedürfnisse und Ansprüche von Volk, Familie, geistlicher und kultischer Obrigkeit. (2) Hier liegen die wesentlichen Motive für die schicksalhafte Ablehnung der Botschaft Jesu durch die Rabbinen. Sie hängen aufs engste mit dem Zweiten, der P e r s ö n l i c h k e i t Jesu, zusammen. Wer den überlieferten Gehorsam so radikal und losgelöst von der Tradition der Rabbinen auslegte und anwandte, der war seinem Wesen nach von den Schriftgelehrten geschieden. Matthäus hat das auf eine sehr glückliche Formel gebracht (7, 29): er lehrte wie einer, der „Vollmacht" hatte, und nicht wie die Schriftgelehrten. Vollmacht bezeichnet hier die Freiheit von der die ganze Thora umfassenden Überlieferung, die Unabhängigkeit von der Überlieferung (Thora und Halacha), die als ein Ganzes angenommen sein wollte, positiv: die Gewißheit, zu solcher neuartigen Lehre ermächtigt zu sein, also ein gegen die Überlieferung gerichtetes Sendungsbewußtsein in sich zu tragen. Trotzdem Jesus seine Lehre aus Thora und Propheten zu begründen wußte, trotzdem er vieles lehrte, was auch bei den Rabbinen zu finden war, als Persönlichkeit war er etwas anderes als sie. Man kann ihn einen Rabbi, einen Weisheitslehrer, einen Propheten, einen Messias nennen. Aber das sagt nicht genug, denn Rabbi, Weisheitslehrer, Prophet, Messias waren auch bei den Rabbinen anerkannte Größen. Das Arge in ihren Augen war, daß er das alles sein wollte, ohne die Überlieferung als Ganzes zu schützen, ohne dem Volk als Ganzem zu dienen, ohne den Anschluß an den Rabbinat und an den Priesterstand zu suchen. Solche „Exusia", solche Haltung war ihnen unheimlich, befremdlich, unerlaubt, frevelhaft. Und darum wurde er verworfen und verurteilt. Jesus stellte die Juden vor eine Entscheidung peinlichster und schwierigster Art: e n t w e d e r Jesus war mehr als sie, ein Gesandter, ein Bevoll-
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mächtigter: dann brach ihr kunstvoll aufgebautes System der Thoralehxe und der Tradition zusammen — oder Thora und Tradition blieben bestehen: dann war Jesus kein Gesandter, sondern ein Falschlehrer, ein Pseudoprophet, Pseudomessias. Die Rabbinen entschieden sich für das Zweite. Damit war das äußere Schicksal Jesu besiegelt. Hiermit glaube ich das schwierige Problem des Verhältnisses Jesu und seiner Lehre zum Judentum zu einer einigermaßen befriedigenden Lösung gebracht zu haben. In manchem berühre ich mich mit der interessanten Skizze, die der Rabbiner D i e n e m a n n in seiner Anzeige von Kittels Buch gegeben hat 1 . Dienemann wendet sich scharf gegen die Meinung, die Jesus zu einem j ü d i s c h e n R e f o r m a t o r macht, dessen ethische Forderung als eine jüdische in das Judentum einbezogen werden müsse, und macht u. a. folgende gewichtige Einwendung: wenn Jesus nur ein Reformator und Glaubenskämpfer i n n e r h a l b der Sphäre des Judentums war, wie kam es, daß er so entschieden a b g e l e h n t wurde ? Dieser Tatbestand ist (nach Dienemann) psychologisch nicht anders zu erklären, als daß in Jesu Rede und in seinem Tun von Anfang an Züge waren, die man als dem J u d e n t u m wesensfremd und aus dem J u d e n t u m herausführend spürte und erkannte. Dienemann weist hin vor allem auf Jesu Art, sittliche Forderungen aufzustellen, ohne auch nur den Versuch zu machen, sie für die Ordnung des alltäglichen Lebens fruchtbar zu gestalten, weiter auf sein selbstherrliches Schalten mit den Worten der Thora und auf seine Äußerungen des Bewußtseins persönlicher Vollmacht. In all dem erkannte man von Anfang an mit Treffsicherheit, daß hier kein Wille, das Judentum zu verinnerlichen und zu vertiefen am Werke war, sondern daß ein dem Judentum Fremdes und es Verneinendes zum Ausdruck kam. Man wird diese Betrachtung, die keineswegs die allgemeine Auffassung der jüdischen Gelehrten darstellt (sie weicht in Wichtigem z. B. von der Montefiores stark ab), sehr ernst nehmen müssen. Zur Verständigung diene die Bemerkung, daß Dienemann einen bestimmten Begriff vom „Judentum" vor1 S. Judentum und Urchristentum im Spiegel der neuesten Literatur (außer Kittel noch B o r n h ä u s e r , Bergpredigt und P. F i e b i g , Die Umwelt des N. T.) in: Monatsschr. f. Geschichte u. Wissensch, d. Judent. 1927, 401 ff.
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aussetzt, den des orthodoxen, talmudisch-rabbinischen Judentums. Diesem Judentum ist Jesus allerdings unerträglich, denn er sprengt es sowohl durch seine Verwendung der Thora, wie durch seine eigene Auslegung der göttlichen Forderung und durch sein „Vollmachts"- und „Sendungsbewußtsein". D i e s e s Judentum hat Jesus nicht reformiert, sondern zerstört, trotz vielem Gemeinsamen, das sich findet. Versteht man aber unter Judentum das Ganze der im Alten Testament dokumentierten und vom Alten Testament getragenen Religionsbewegung, dann gehört Jesus durchaus in diese Sphäre hinein, als die einzigartige Person, die Züge des Propheten, des Weisheitslehrers und des Schriftgelehrten in sich vereint und mit dieser Vereinigung einen neuen Typus des messianischen Lehrers und Propheten schafft. Die Bergpredigt ist insofern ein wichtiges Zeugnis seiner Lehre und Person, als sie dies souveräne Schalten mit der Thora, die darauf gegründete Opposition gegen die Rabbinen, die ganz auf das Individuum eingestellte, Volkstum und Staat ignorierende Richtung seiner Forderungen in klassischer Weise dokumentiert1. Ihr überjüdischer Charakter erweist sich vor allem daraus, daß trotz der vielen Parallelen keine jüdische Schrift existiert, die zu dem Ganzen der Bergpredigt ein Äquivalent darstellt. Wir kommen zum Schluß. Wir haben das paradoxe Ergebnis, daß der Jesus der Bergpredigt seinen Standpunkt durchaus innerhalb der israelitisch-jüdischen Religionsgeschichte einnimmt und doch dem rabbinischen Judentum e n t w a c h s e n und fremd ist, während umgekehrt der Rabbinismus keineswegs reinen Abfall vom A. T. bedeutet, vielmehr gerade in seiner Opposition gegen Jesus sich auf das A. T. stützt. Dieser paradoxe Tatbestand erklärt sich aus dem komplexen Charakter der a l t t e s t a m e n t l i c h e n Schriftensammlung, der eben Bergrede und Mischna als legitime Fortbildungen erscheinen läßt. Jesus verkündet einen geläuterten Prophetismus, die Mischna will das Ganze der Überlieferung konservieren, bevorzugt aber, vielleicht abgesehen von dem Traktat „Sprüche der Väter", einseitig die kultisch-nationale Tendenz in ihr. Hinzu kommt eine große Einseitigkeit in der gegenseitigen Beurteilung. Die Gefahr ist, daß der Leser aus der Bergrede wie aus der großen 1 S. hierzu auch R. Tr. Herford, The Pharisees 1924; deutsch: Die Pharisäer 1928. 237ff.
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Scheltrede Mt. 23 eine Karikatur des Rabbinismus in sich aufnimmt. Noch schlimmer freilich ist das verzerrte Bild von Jesus, das sich aus dem Talmud zusammenstellen läßt. Und doch, in ihren wesentlichen Punkten ist die beiderseitige Polemik berechtigt und vor allem vom A. T. aus wohl begründet. Es ist das Tragische in der Geschichte Jesu und in der Geschichte des Judentums, daß Jesus und die Rabbinen sich gegenseitig in die Hölle verdammen und daß beider Verdikt aus den eigenen, vom A. T. her genommenen Prinzipien folgerichtig sich ergibt1, wobei freilich bei Jesus die sittlich-religiöse Vergeistigung und Vertiefung durch die Propheten die Grundlage ist, bei den Rabbinen der zeremoniale Nomismus. In der Mischna findet sich das furchtbare Wort: „Wer die heiligen Dinge entweiht, wer die Festtage verachtet, wer den Bund unseres Vaters Abraham bricht und wer in der Thora seine Person hervorkehrt (durch willkürliche Erläuterungen), der hat, auch wenn er gute Werke aufzuweisen hat, keinen Anteil an der zukünftigen Welt (AbothUI, II) 2 ." Dieser Ausspruch ist völlig im Geist des Pentateuchs, und er ist auf Jesus wie auf Paulus anwendbar. Umgekehrt setzt Jesus mit seinem Verdammungsurteil über das Judentum seiner Zeit die Linie des Prophetismus fort. Die Bergrede enthält manches Jüdische, aber als Ganzes ist sie antijüdisch. Im Talmud findet sich „Christliches", aber als Ganzes ist er antichristlich3. Im Umkreis der rabbinischen Tra1 S. m. Bemerkungen ZNT 1928, S. 172ff.; 188f. Dazu jetzt Lanw e r , Grundgedanken a . a . O . S. 106. 2 Nach der Übersetzung und Erklärung von M a r t i in der Gießener Mischnaausgabe 1927; vgl. auch G. K i t t e l , Rabbinica (Paulus im Talmud) 1920, l f f . ; Tr. H e r f o r d in seiner Ausgabe der Pirke Aboth (1925). 3 M o n t e f i o r e , Rabbinic literature 160f. bemerkt dazu, der Talmud sei antichristlich 1. wenn Christentum den Glauben an die Gottheit Jesu, die Versöhnung und die Trinität einschließe, 2. wenn es die Aufhebung der Verpflichtung umfasse, das ganze Gesetz, das moralische wie das zeremoniale, zu beobachten, 3. wenn es die Leugnung der vollen Inspiration des ganzen Gesetzes einschließe. Das erste ist selbstverständlich, das dritte vollzieht sich in einigen Antithesen, in Matth. 15, l f f . 23 ausdrücklich, das zweite ist in den obigen Ausführungen in erster Linie gemeint. Montefiore fährt aber fort, der Geist der Bergpredigt sei jüdisch und stehe in voller Übereinstimmung zu den höchsten Lehren des A. T. und der Rabbinen. Was hier „jüdisch" genannt wird, ist in Wahrheit alttestamentlich-prophetisch, die rabbinischen Parallelen stellen erfreuliche Nachwirkungen rabbinischer Lehre
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dition hätte die Bergpredigt als eine suffiziente, alles Wesentliche enthaltende Umschreibung der göttlichen Forderung nicht entstehen und sich nicht halten können. Wenn der Rabbinismus sich dem Geist der Bergrede erschlossen hätte, wären Mischna und Talmud nie entstanden, hätten nur „Lichtstrahlen aus dem Talmud" zur Erscheinung kommen können. So ist die Bergrede trotz ihres vorpaulinischen Charakters ein Manifest des christlichen Messias, in dem die Kluft zwischen Christengemeinde und orthodoxer Synagoge aufreißt, ein Dokument zugleich für die Tragik des Judentums und für die Tragik des geschichtlichen Lebens Jesu. Hinter der Bergrede sehen wir schon das K r e u z sich aufrichten, noch nicht das Kreuz als Heilsymbol (dieses hat zur Bergpredigt keine Beziehung), wohl aber das Kreuz als Symbol für das Urteil, das das sadduzäische und pharisäische Judentum über Jesus fällen m u ß t e : wer die Thora und die dem Volke als Ganzem gegebenen Verheißungen mit Auflösung bedrohte und sich über die Halacha hinwegsetzte, die Autorität der Rabbinen nicht respektierte und sich gar über Moses zu stellen schien, dessen Messiasanspruch mußte als Betrug und Gotteslästerung gelten, und er selbst mußte als Betrüger und als Gefahr für das Volk an den Pfahl gehängt und ausgerottet werden 1 . Nur seine eigenen Jünger konnten dieses Urteil nicht annehmen. Es war nur folgerichtig, daß die Juden auch sie aus den Synagogen hinausdrängten (Mt. 5, 11!). Damit wurde aber die Konstituierung der Jüngergemeinde als einer neuen Kirche, die das wahre Israel vertrat, beschleunigt. Das eigentliche Fundament der neuen Religionsbildung war indes der Glaube an die Erweckung und Erhöhung ihres Meisters, und die eigentliche Schwungkraft war der Geist, den die Gemeinde empfing und der der Synagoge dar, nur sind diese Gedanken im rabbinischen Judentum verquickt mit dem zeremonialen Nomismus, während sie in der Bergpredigt von ihm losgelöst auftreten. 1 Das ist der eigentliche Grund seiner Verurteilung gewesen. Die Evangelisten haben das nicht mehr verstanden und stellen es in dem „Verhör" so dar, als ob Jesus nur verurteilt worden sei, weil er sich für den Messias, Gottes- und Menschensohn erklärt hat. Nur wegen seiner antijüdischen Haltung galt dieser Anspruch als Gotteslästerung. Oder er ist einfach als Pseudomessias, d. h. Rebell und Häretiker in einer Person, dem Gericht des Pilatus übergeben worden; s. J. K r e n g e l in Monatsschrift f. Gesch. u. Wiss. d. Jud. 1916, 422.
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3. Kapitel
und dem Rabbinat in diesem Ausmaß vorenthalten blieb. Von beiden Faktoren ist freilich in der Bergrede keine Spur zu finden.
Zwei Fragen hat G. S t ä h l i n 1 diesem Kapitel (in seiner alten Passung) entgegengehalten: 1. Was war das überwältigend Neue an Jesus, wenn er (a) nach der Bergpredigt nur Gesetzgeber und Weisheitslehrer war, wenn er (b) über die Ausführbarkeit der Gebote ebenso naiv-optimistisch dachte wie manche Teile des A. T., wenn (c) der Heilsweg der Bergpredigt durchaus dem Bereich der Gesetzesreligion angehören soll? 2 . Wie haben denn die Christusbilder des Paulus und Johannes auf Grund der Überlieferung von Jesus entstehen können, wenn er (a) so stark auf alttestamentlichem Boden stand, wenn sich (b) sein Gegensatz zum Judentum auf die freie Auslegung der Thora, die Ablehnung der Halacha und der Autorität der Rabbinen beschränkte? Ich habe zu 1 zu bemerken, daß zu den Qualitäten des Gesetzgebers und Weisheitslehrers ja noch die des Propheten und Weltrichters hinzukommen, daß aber in der Tat in der Bergpredigt die Qualitäten des Erlösers (im Sinne des Paulus), des absoluten Heilsmittlers, des vom Himmel herabgestiegenen Sohnes und des ewigen Wortes fehlen. Das Neue, das Jesus nach Johannes und Paulus gebracht hat, ist in der Bergpredigt nicht dokumentiert. Dies den Theologen einmal wieder klar zu machen, war und ist ein Hauptanliegen dieses Buches. Das „Neue" ist für M a t t h ä u s , der die Parallelen im A. T. nicht beachtete und die des jüdischen Schriftentums, auch die damals schon vorliegenden, nicht kannte, die in den Seligpreisungen und Geboten dargelegte Lehre von den Bedingungen des Himmelreichs 2 , die Aufhebung und Überbietung der Lehre der Schriftgelehrten und Pharisäer, die Lehre vom Gesetz (die Auslegung, Zusammenfassung, Aufhebung einzelner Gebote), die Reinigung der Frömmigkeit von aller Verderbnis und Schwäche, die Verkündigung einer neuen Lehre und die an alle ergehende Aufforderung, im Glauben an die Autorität Jesu dieser Lehre in Gesinnung und Tat zu gehorchen. Wem das zu wenig ist, richte seine Frage nicht an den Ausleger, sondern an den Evangelisten. Dieser wird antworten: Die Lehre vom Heilstod des Christus habe er späteren Orts zum Ausdruck gebracht; im übrigen sei er weder ein Schüler des Paulus noch ein Schüler des sog. Johannes, sondern ein Schüler der Urapostel Jesu selbst. Der A u s l e g e r der Bergpredigt ist verantwortlich für die von ihm gegebene kritische Beurteilung dieser Überlieferung. Ich kann nur verweisen auf meine aufs neue überlegten und gegenüber der 1. Aufl. schärfer gefaßten Formulierungen. Was unten 2 b aufgeführt ist, ist schon sehr gewichtig, revolutionierend, hat die Kraft in sich, das Gefüge der jüdischen Religionsgemeinde zu sprengen und den Grund zu einer neuen Gemeinschaft zu legen. Es kommt hinzu — 1 Theol. Lit. Bl. 1932, Sp. 230. 2 Nur als „naiv-optimistisch" würde ich diese Stellungnahme nicht mehr charakterisieren.
Christus und der Gegensatz zum Judentum in der Bergpredigt
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in der 2. Auflage etwas stärker betont als in der 1. —- die Person des Verkünders und Lehrers, sein Vollmachts-, sein (latentes) Christusbewußtsein. Der Weg von hier zu Paulus und Johannes ist in der Tat kein direkter. Die Probleme Paulus und Matthäus, Paulus und Jesus, Synoptiker und Johannes sind eben keine eingebildeten Probleme der Theologie der Vorkriegszeit und des 19. Jahrhunderts, sondern wirklichkeitsvolle Probleme der Überlieferung, die immer wieder unsere Aufmerksamkeit und unsere Denkkraft in Anspruch nehmen. Für die Bergpredigt ist zu sagen, daß immerhin Hinweise auf eine Lösung in ihr zu finden sind. Das Verbindende ist die Vollmacht des Christus und des Sohnes, die Souveränität gegenüber Synagoge und Gesetz — Matthäus bildet ja mit Paulus und Johannes die Trias der neutestamentlichen Marcioniten. Eine Soteriologie des Gehorsams hat auch Johannes (der Inhalt der Gebote ist nur bei Joh. stärker christianisiert), schließlich in Resten sogar Paulus. Im übrigen kennt j a Matthäus auch den Stifter des neuen Bundes und den Herrn, dem jetzt Macht gegeben ist im Himmel und auf Erden — nur daß er diese seine Christusreligion in die Bergpredigt eben nicht eingearbeitet hat.
4. KAPITEL
THEOLOGISCHE EXEGESE DER BERGPREDIGT i
Der Begriff der theologischen Exegese 1. Was ist die Aufgabe theologischer Exegese, und wie verhält sie sich zur historisch-wissenschaftlichen Exegese ? 1 Theologische Exegese hat die Aufgabe, den von der historisch-wissenschaftlichen Exegese erarbeiteten religiös-theologischen Gehalt eines Textes dem Menschen der Gegenwart anschaulich zu machen, so daß er ihn als ein an ihn gerichtetes Wort Gottes ins Herz trifft. 1 Aus der Literatur nenne ich: K. B a r t h , Der Römerbrief, *1922 (Vorwort!); dazu A. J ü l i c h e r , Christi. Welt 1920, Nr. 29/30 und Theol. Lit.-Z. 1922, Nr. 25; K. G i r g e n s o h n , Gesohichtl. u. übergeschiohtl. Schriftauslegung (Allg. ev.-luth. KZ. 1922 Nr. 40—43); J. B e h m , Pneumatische Exegese? 1925; dazu A. O e p k e in Th. Lit.-Z. 1926, Nr. 16; R. B u l t m a n n , Das Problem einer theologischen Exegese (Zwischen den Zeiten 1925, 334ff.) und: Die Bedeutimg der „dialektischen Theologie" für die neutest. Wissenschaft (Theolog. Blätter, März 1928); E. v. D o b s c h ü t z , Vom Auslegen des N. T. 1927; R. S e e b e r g , Die Frage nach dem Sinn und Recht einer pneumatischen Schriftauslegung (Z. f. syst. Theol. 1927,3—59); H. P r i c k , Wissenschaftliches und pneumatisches Verständnis der Schrift 1927; E. S e e b e r g , Zum Problem der pneumat. Exegese (Sellin-Pestschrift 1927, 127—138); Fr. T r a u b , Wort Gottes u. pneumatische Schriftauslegung (Z. Th. K. 1927,. 83—111; R. J e l k e , Hist.-kritische u. theol.-dogmatische Schriftauslegung (Festschrift f. Ihmels 1928, 215—235). Fr. Torrn, Hermeneutik des Neuen Testaments 1930, dessen Ausführungen im wesentlichen mit meinen Intentionen zusammentreffen; A. O e p k e , Geschichtl. und übergeschichtl. Schriftauslegung 1931; dazu M. D i b e l i u s , DLZ 1935, 1640—42. Weiter vgl. den schönen posthumen Aufsatz von W. H e i t m ü l l e r , N. T. und evangelisches Christentum in: Der Protestantismus der Gegenwart 1926, S. 519ff. Für die prinzipiellen Gesichtspunkte sind auch die Arbeiten von J. W a c h lehrreich: Religionswissenschaft 1924 und Das Verstehen. Grundzüge einer Geschichte der hermeneutischen Theorie im 19. Jahrhundert 1926—29 (vgl. bes. die Einleitung zu Bd. II).
I. Der Begriff der theologischen Exegese
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Die historische Exegese hat es mit der „Urkunde", die theologische mit der „Sache" zu tun 1 . Da aber die Sache nur in der Urkunde bezeugt, nur in ihr zu finden ist, kann theologische Exegese nur in engster Verbindung mit der historischen Exegese arbeiten. Andrerseits stößt auch schon die historische Exegese bei der Erarbeitung des religiös-theologischen Gehalts immer wieder auf die Sache, wird auf sie gestoßen, und muß gleichsam am Rande, auf sie hindeuten. Sie muß das um so mehr, als sie ja schließlich auch darüber Aussagen zu machen hat, was die Sache dem Autor, was sie den Lesern, an die der Autor gedacht hat, gewesen ist. Nur wird der historische Exeget bei dieser Arbeit sich streng daran binden, daß er auch da in der geschichtlichen Sphäre des Textes bleiben muß und keine fremden Gesichtspunkte einmischt — denn er darf nur e i n e n Affekt kennen: Achtung vor dem gegebenen Text als einem historischen und Interesse an ihm —, während theologische Exegese bei solcher Wesensschau geneigt sein wird, die Gedanken des Textes einer oft jenseits des Textes liegenden theologischen Gesamtanschauung dienstbar zu machen und nach einer besonderen, konfessionell, philosophisch, kritisch, persönlich bestimmten Einstellung den Text zu meistern, wodurch leicht ein Umbiegen, Mißdeuten, im schlimmsten Falle ein Vergewaltigen entsteht. Das Verhältnis beider Exegesen zu einander ist also dieses: 1. Fördernde e x e g e t i s c h - h i s t o r i s c h e Arbeit am N . T . kann auch der nicht mehr zur christlichen Glaubensgemeinschaft gehörige Philologe oder Historiker leisten, vorausgesetzt,, daß er über die für die wissenschaftliche Arbeit am N. T. erforderliche gelehrte Schulung verfügt. Denn (ich zitiere Strathmann): die Exegese des Theologen unterscheidet sich grundsätzlich von der des Philologen durch keinerlei methodische Grundsätze2. 2. Für das Verständnis des tiefsten Anliegens der neutestamentlichen Schriftsteller ist eine Anerkennung oder vielmehr eine gläubige Bejahimg der zentralen Stücke der neutestamentlichen Glaubenswelt erforderlich, ein inneres Beteiligtsein des Exegeten an dem Glaubensleben des Neuen Testaments. Die1 Vgl. E. v. D o b s c h ü t z , Von der Auslegung des N. T. S. 61. 2 Theol. d. Gegenwart, 1929, 402.
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4. Kapitel. Theologisohe Exegese der Bergpredigt
ses muß indessen gepaart sein mit innerer Freiheit gegenüber der Historie und gegenüber der dogmatisch-lehrhaften Einkleidung der Botschaft im einzelnen. Größte Schwierigkeit macht nur die nähere Bestimmung von Gebundenheit und Freiheit. Bejahung der „biblischen Offenbarung"1 ist ein vieldeutiger, aber vielleicht gerade darum für die Verständigung brauchbarer Ausdruck. Nur wo man, wie es meist geschieht, unter „biblischer Offenbarung" die gesamte Historie im Sinne einer Zusammenfügung sämtlicher in den verschiedenen Einzelschriften vorgetragenen geschichtlichen, übergeschichtlichen und mythischen Einzeldaten und die Gesamtheit der im N. T. sich findenden Aussagen über den „Sohn Gottes" versteht2, ist eine Verständigung für mich ausgeschlossen, aber auch fruchtbare, richtige und förderliche Exegese nur mit Einschränkung möglich. Solche ist meiner Einsicht nach nur da gegeben, wo man die theologische Voraussetzung nicht in festen Aussagen über Historie und Lehrgehalt der Offenbarung festlegt 3 . Neben diese historisch-wissenschaftliche Exegese tritt nun die t h e o l o g i s c h e Exegese. Ihr Wesen, ja ihre Existenzberechtigung, d. h. ihre Selbständigkeit neben der grammatischhistorisch-psychologischen Interpretation ist sehr umstritten. Der hier geforderten Zweistufigkeit der Exegese gegenüber wird die Verschmelzung der beiden Interpretationsarten gefordert: theologische Exegese zu bieten, sei die letzte Aufgabe, die dem wissenschaftlichen Exegeten gestellt sei; es gehöre zur „Exegese", zum „Verstehen", zum „Erklären" eines biblischen Textes, daß er a u c h theologisch gedeutet werde. Aber die Richtigkeit der Unterscheidung zwischen historischer und theologischer Exegese ist eigentlich schon durch die soeben gegebene Charakteristik der ersteren erwiesen. Theologische Exegese — das ist ein entscheidender Grund für jene Unterscheidung — 1 S t r a t h m a n n a . a . O . ; vgl. auch O. M i c h e l in der Anzeige einer Leipoldt'schen Schrift Th. Lit. Z. 1935, 398. 2 Wobei entgegenstehende Passungen in älteren Schriften übergangen oder exegetisch beseitigt werden und das Ganze dann noch byzantinisch, d. h. im Sinne der dogmatischen Formulierungen von Nicaea-Konstantinopel und Chalkedon ausgeweitet wird. 3 Vorbildlich S t r a t h m a n n , wenn er S. 402 von der „Uberzeugung" spricht, „daß Gott hier irgendwie in einzigartiger Weise zu den Menschen spricht und mit ihnen handelt".
I. Der Begriff der theologischen Exegese
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setzt eine ganz andere Einstellung voraus, die in ganz neuer, intensiverer Weise den ganzen Menschen beansprucht und in Bewegung setzt. Sie läßt sich charakterisieren durch Beziehung auf drei Größen: Kirche, Gott und Gegenwart. Theologische Exegese nimmt das N. T. und jeden in ihm enthaltenen Text hin als Zeugnis und Gabe der Kirche. Sie sucht in diesen Texten nach dem autoritären Wort von Gott, und legt den Nachdruck auf das „von Gott her", das der echten Vollmacht und dem echten Charisma aufgeprägt ist. Sie hebt endlich die Distanz zwischen Vergangenheit und Gegenwart auf und sucht die Zeugnisse des N. T., seine Berichte, Mahnungen, Warnungen, Drohungen und Verheißungen als an uns heute gerichtet zu deuten. Alles das aber will erarbeitet sein, da die drei Größen — Kirche, Gott und Gegenwart — uns in den überlieferten Texten nicht unmittelbar gegeben sind, sondern aus Verhüllung, Vermenschlichung, Vergeschichtlichung herausgefunden werden müssen. Darin liegt zugleich beschlossen, daß die theologische Exegese die historische voraussetzt und an sie anknüpft, nur eben auch über sie hinausgreift. Historische und theologische Exegese sind also zwei verschiedene Disziplinen, die, obwohl sie aneinander gebunden sind und dasselbe Objekt bearbeiten, doch zwei ganz verschiedenen Wissenschaftssystemen angehören: die eine der Relig i o n s w i s s e n s c h a f t , die andere der Theologie 1 . Religionswissenschaft ist eine allgemeine Geisteswissenschaft, ihrem Wesen nach über- oder besser a-konfessionell: durch nichts getrieben als durch das Interesse an ihrem Gegenstand und durch ein aus der Sache selbst zu gewinnendes und durch intensive Beschäftigung mit dem Objekt ständig vertieftes Verständnis für den Gegenstand2. Theologie dagegen geht von einem bestimmten Bekenntnis oder Glauben aus und will die eigene Glaubenserkenntnis aus den Texten präzisieren: fides quaerens intellectum. Religionswissenschaft, und so auch historische Exegese, ist Phänomenologie: ganz aufs Objekt eingestellte Untersuchung und Erklärung des Gegebenen, wobei Analyse und Kleinarbeit mit Synthese und intuitiv aus den Texten ge1 Vgl. zu dieser Unterscheidung die Ausführungen von J. Wach, Religionswissenschaft 1924, bes. die 2 ersten Kapitel. 2 Vgl. W a c h , a. a. O. S. 137ff., über die Voraussetzungen w i s s e n s c h a f t l i c h e n Verstehens. 9 UXT 18: Wtndtseh.
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4. Kapitel. Theologische Exegese der Bergpredigt
wonnener Gesamtschau sich vereinigen. Theologie und dementsprechend auch theologische Exegese geht von der Voraussetzung aus, daß der Text kein gewöhnliches Objekt der Religionsgeschichte und kein gewöhnliches religiöses Wort ist, sondern ein von Gott geschaffenes Objekt und Wort Gottes. , Aus dem Gesagten geht hervor, daß die beiden Exegesen in der theologischen Enzyklopädie mit zwei anderen, wichtigen Fächern der Bibelwissenschaft eng zusammenhängen: der b i b l i s c h e n R e l i g i o n s g e s c h i c h t e und der b i b l i s c h e n T h e o logie. Zwischen beiden Disziplinen waltet dasselbe Verhältnis ob wie zwischen historischer und theologischer Exegese: die biblische Religionsgeschichte wächst aus der wissenschaftlichen. Exegese heraus wie die biblische Theologie aus der theologischen Schriftauslegung. Oder besser gesagt: die Wechselwirkung, die zwischen historischer Exegese und biblischer Religionsgeschichte besteht, findet genau so zwischen theologischer Exegese und biblischer Theologie statt. Diese Gemeinschaft zwischen biblischer Theologie und theologischer Exegese bewährt sich auch darin, daß lange Zeit die kritische Theologie von bestimmten Voraussetzungen aus beiden Disziplinen die Existenzberechtigung abgesprochen h a t . Die kritische Exegese hat sich im Kampf mit der dogmatischkirchlichen Schriftauslegung durchgesetzt und war oftmals von dem Bewußtsein durchdrungen, daß theologisch-kirchliche Exegese eine unwissenschaftliche oder überflüssig gewordene Beschäftigung mit der Bibel sei. Noch schärfer hat sich die Religionsgeschichte des A. T. und N. T. aller biblischen Theologie gegenübergestellt, von der Überzeugung getragen, daß diese als eine auf unwissenschaftlichen Voraussetzungen beruhende,, nach unwissenschaftlichen Methoden betriebene und nichtwissenschaftliche Ziele verfolgende Disziplin von ihr nun abgelöst und erledigt sei. Diese Sachlage ist anders geworden, zu einem nicht geringen Teil unter dem Einfluß Karl B a r t h s . Wir haben die Notwendigkeit einer theologischen Exegese und die Daseinsberechtigung einer biblischen Theologie erkannt; n u r fordern wir strenge Scheidung der historischen und theologischen Fächer. Es soll nicht die ganze Bibelwissenschaft einem alten oder neuen theologischen Dogmatismus wieder ausgeliefert werden. Die theologischen Disziplinen sollen sich n e b e n den historischen entfalten, sie sollen diese in ihrem Wesen und in
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ihren Ergebnissen respektieren, sie sollen sich auf ihnen aufbauen. Wie verhalten sich biblische Religionsgeschichte und biblische Theologie zueinander?1 B i b l i s c h e R e l i g i o n s g e s c h i c h t e faßt die Bibel als ein Dokument antiker Religionsgeschichte ; sie legt die Bücher nach historisch-kritischer Methode aus und sucht die Geschichte der biblischen Religion im Zusammenhang mit der antiken Gesamtgeschichte, insbesondere mit der antiken nichtbiblischen Religionsgeschichte zu rekonstruieren und zu verstehen. Sie legt Wert auf den antiken Charakter dieser Religion, auf die Mannigfaltigkeit der religiösen Gestalten, auf die Entwicklung, auf die Relativitäten, auf die inneren Spannungen und Gegensätze. Ihre Ergebnisse werden von der b i b l i s c h e n T h e o l o g i e übernommen (soweit sie ihr sicher oder wahrscheinlich gemacht erscheinen), nur daß diese die erhobenen Gedanken der Bibel von einem der historischen Wissenschaft unzugänglichen Standpunkt aus beleuchtet. Dieser Standpunkt ist ein religiöser, eine bestimmte religiöse Überzeugung. Die biblische Theologie will den religiösen Gehalt der Bibel in seinem geschichtlichen und sachlichen Zusammenhang zur Anschauung bringen, wie er sich dem christlichen Glauben der Gegenwart darbietet. Sie treibt zu diesem Zwecke theologische Exegese, geht aber darauf aus, die Exegese von einheitlichen Gesichtspunkten aus zu gestalten und zu einer Synthese zu gelangen, in der die entscheidenden Gedanken zu einem geschichtlich-übergeschichtlichen Ganzen zusammengebaut werden. Richtige biblische Theologie wird immer vom ursprünglichen Sinn der Schriftsteilen ausgehen, sie bleibt aber dabei nicht stehen, sondern sucht, immer im Anschluß an den überlieferten Text, den Sinn in seiner Tiefe zu erfassen, das Ganze von seiner antiken Gewandung zu lösen und ein dem gläubigen, Gott suchenden Menschen der Gegenwart verständliches Zeugnis von Gott und von seiner Offenbarung zu erarbeiten. Diese biblische Theologie ist immer auch theologisch, dogmatisch, modern eingestellt; 1 Vgl. hierzu verschiedene Arbeiten von W. Stärk, z. B. Religionsphilosophie und alttest. Theologie (Z. Th. u. K. 1923), und vor allem Eißfeldt, Israelitisch-jüdische Religionsgeschichte und alttest. Theologie (ZAT 1926, lff.), weiter H. Weinel, Bibl. Theol. des N. T.'s, 4. Aufl., 1928, S.9f, 9*
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4. Kapitel. Theologische Exegese der Bergpredigt
aber ihr Streben ist doch, den biblischen Text für die Gegenwart und für die Konfession, zu der sie sich bekennt, transparent zu machen 1 . Ihre wichtigste Operation ist die richtig geführte theologische Exegese. Von biblischer Theologie und theologischer Exegese ist demgemäß prinzipiell eine andersartige Bearbeitung des biblischen Textes scharf zu scheiden: die entschiedene V e r g e g e n w ä r t i gung, die Transponierung der biblischen Gedanken in eine bestimmte moderne Gläubigkeit oder Philosophie. Hier ist der Standort eine entschieden moderne Einstellung, ein stark philosophisch beeinflußtes modernes Gottes- und Weltbewußtsein, das gewiß nicht ohne Einwirkung der Bibel zustandegekommen, in dem die Bibel aber nur ein Ferment neben anderen, oft wirksameren, darstellt. Dieser modernen, theologischen, philosophischen, individualistischen Einstellung und Denkweise wird nun die Bibel oder irgendein Dokument aus ihr unterworfen. Ihr Text wird im Sinne der persönlichen Gläubigkeit und Lebensphilosophie „interpretiert", sie wird im Namen der modernen Religiosität „annektiert". Es ist ein moderner Biblizismus, eine Religionsphilosophie der Bibel oder der Bergpredigt, eine Interpretation der Bibel im Sinne einer neuen, der Bibel im ganzen fremden Theologie. Meist gilt die mehr oder weniger naive Meinung, daß mit dieser Interpretation erst der eigentliche oder tiefere Sinn der Schrift entdeckt sei, sonst zeigt der Interpret aber auch ein Bewußtsein davon, daß er überträgt, umbiegt, umformt, nur daß er seine Transponierungsarbeit für durchaus berechtigt hält: das antike Buch kann nur in jeweilig modernisierter Fassung Geltung behalten. Klassische Beispiele solcher Modernisierungen oder Re-Interpretationen hat man an J o h . M ü l l e r s Bergpredigt oder an weiten Partien von K. B a r t h s Römerbrief, da, wo eine dem Paulus fremde Gottes- und Weltanschauung in den Text hineininterpretiert wird 2 . In gemäßigter Form findet man solche, die Grenzen biblischer Religionsgeschichte und biblischer Theologie überschreitende und den biblischen Gedanken stark umformende Interpretation auch in
1 Der lutherische Exeget wird die Texte liegen lassen, die jüdisch-katholisch sind und sich nie und nimmer protestantisch-lutherisch deuten lassen. 2 Die schlimmste Vergewaltigung ist wohl K. Barths Interpretation von Rom. 13.
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den eingangs genannten Schriften von R. Bultmann, M. Dibelius, E. Lohmeyer u. a. 1 . Biblische Theologie hält also die Mitte zwischen biblischer Religionswissenschaft und modernem Biblizismus, theologische Exegese dementsprechend die Mitte zwischen historischer Exegese und modernistischer Interpretation. Prinzipiell sind die drei Formen von Bibelforschung zu unterscheiden, in der Praxis fließen sie vielfach zusammen, wobei meist eine Tendenz überwiegt. Am ehesten läßt sich die historische Exegese und die Religionsgeschichte von fremden dogmatischen und modernen Gedanken reinhalten. Biblische Theologie und theologische Exegese steht immer in Gefahr, unbewußt moderne, sehr subjektive, überzeitgemäße Anschauungen in die biblischen Texte mit einfließen zu lassen. Umgekehrt wird ein modernistischer Bibelinterpret selten von der historischen Bibelwissenschaft und von richtiger biblischer Theologie sich völlig unbeeinflußt zeigen. Theologische Exegese ist also in praxi von moderner Interpretation oft schwer zu unterscheiden; oft handelt es sich nur um eine verschiedene Verteilung der biblischen und der moderntheologischen Elemente. So kann man auch die theologische Exegese in weiterem Sinne fassen: als t h e o l o g i s c h e D u r c h dringung und B e a r b e i t u n g des b i b l i s c h e n T e x t e s m i t s t ä r k e r e m oder schwächerem m o d e r n i s t i s c h e m Einschlag. 2. Strenge S c h e i d u n g zwischen historischer und theologischer Exegese ist unser Programm. Es sind zwei verschiedene Aufgaben, die mit verschiedener Ein- und Zielstellung in Angriff zu nehmen sind. Eine Vermischung derselben gefährdet beider Arbeit. Der historische Exeget hat nur bis zum geistigen Verstehen des Schriftdokumentes vorzudringen. Er hat nur zu sagen, was dasteht und was gemeint ist. Eine innere Beziehung des Exegeten zum geistigen Gehalt der Schrift darf nur soweit zur Geltung kommen, als er den Wert, den die in der Schrift bezeugte Uberlieferung und Verkündigung für den Verfasser und für die erste Lesergemeinde besitzt, begreiflich machen kann. Insoweit gehört religiöses Verständnis auch zur kritischen Exegese. Auf keinen Fall soll er „seinen Christenstand" mit zur 1 Vgl. meine Anzeige zu L o h m e y e r s Philipperbrief in Theol. Lit. Z. 1928, No. 72.
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4. Kapitel. Theologische Exegese der Bergpredigt
Schrift bringen und sie „mit dem Auge des Glaubens" lesen1, denn das bedeutet nichts anderes als Konfessionalisierung, Modernisierung, Subjektivierung der Exegese, und das Resultat ist „gereformeerde" oder „lutherische" Schriftexegese, „Dibeliussche" Evangeliumsinterpretation, „Bultmannsche" Paulus„Exegese", „Lohmeyersche" Interpretation der Apokalypse oder des Philipperbriefs. All diese an sich wertvollen Größen gehören nach ihrem wesentlichen Gehalt in den Bereich der theologischen Exegese oder der dogmatischen oder modernisierenden Umdeutung oder Umdichtung, d. i. Exegese op gereformeerden grondslag, dialektische Bibelexegese usw. Gerade die hier geforderte Kongenialität wird immer eine Gefahr für die Sauberkeit der Exegese sein. Denn was man Kongenialität nennt, ist meist die bestimmte Genialität eines konkreten Theologen, die in die Schrift eingetragen wird. Wer wie R. Seeberg 2 die Trennung als einen Rückschritt gegenüber der Erkenntnis Luthers von dem e i n e n Sinn der Schrift bezeichnet und darum verwirft, der übersieht, daß unsere Situation eine andere ist als die Luthers. Luther kennt Anfänge der Bibelkritik und der kritischen Exegese und hat sich ihrer gelegentlich bedient, hat aber nicht einmal die ihm zugänglichen und verständlichen kritischen Erkenntnisse konsequent durchgedacht und festgehalten. Und wenn Luther die Erkenntnis gefunden hat, daß die Schrift etwas E i n h e i t l i c h e s sei, so dankte er sie dem Umstand, daß für ihn das paulinische Evangelium das Wort und die Schrift geworden war3. Uns hat die fortschreitende exegetische Arbeit gelehrt, daß die Schrift nicht die einheitliche Größe ist, die Luther in ihr sah, daß es keine einheitliche Schrifttheologie gibt, und daß insbesondere das paulinische Evangelium im N. T. keineswegs dominiert, ganz abgesehen davon, daß seine Struktur auch einigermaßen anders aufzufassen ist, als Luther sie interpretiert. Wir ehren Luthers Deutung der Schrift als eine geniale theologische Interpretation, machen aber gegen ihn geltend, daß die Schrift, historisch ausgelegt, doch ein wesentlich anderes Gesicht zeigt, als Luther zu sehen meinte. So ergibt sich gerade gegenüber Luther die Folgerung, daß die theologische Verarbeitung der verschiedenen Schriftzeugnisse im Dienste der Gemeinde oder der per1 So J. B e h m S. 28 naoh K. H o f m a n n . 2 A. a. O. S. 39. 3 K. H o l l , Luther S. 416.
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sönlichen Heilserkenntnis eine eigene, neue Aufgabe ist, die neben der Feststellung des Schriftinhaltes, besser der Schriftinhalte, einhergehen muß. Vielleicht ist die Trennung der Aufgaben von einem bestimmten Standpunkt aus als Rückschritt zu bezeichnen. Sie ist aber notwendig durch die Lage der Gegenwart, die man natürlioh als eine unerwünschte N o t l a g e bewerten kann. Sie ist aber auch gewiß gegenüber konfessioneller und individueller Willkür ein großer Fortschritt, denn sie wacht darüber, daß nicht willkürlich fremde Gedanken, mögen es nun konfessionelle Lehren oder in die Bibelbücher eingetragene persönliche Lieblingsgedanken sein, eindringen und daß die Worte und Gedanken der Bibel zu ihrem Rechte kommen. So ist es ein Ruhmesblatt moderner protestantischer Exegese, daß sie gezeigt hat, wieviel „Katholisches" im N. T., bei Matthäus wie bei Paulus, steckt — gegenüber der Engherzigkeit und Einseitigkeit gereformeerder oder lutherischer Schriftexegese; wie wenig Humanistisches, wie wenig Aufklärungstheologie im N. T. niedergelegt ist — dies gegenüber dem modernen Kulturprotestantismus. Solche Erkenntnisse wären den Exegeten nicht erschwinglich gewesen, wenn sie „ihr Christentum" zur Schrift herangebracht hätten oder sie mit den Augen ihres Glaubens gelesen hätten. Indem ich historische und theologische Exegese trenne, kann ich mir auch nicht den Standpunkt der Dialektik aneignen, durch die B u l t m a n n die alte historische Methode zu vertiefen hofft 1 . Ich kann sie nur gelten lassen als eine konkrete Gestalt theologischer Exegese, die indes der Ergänzung durch anders orientierte, weniger einseitig eingestellte theologische Fragestellungen bedarf. Es handelt sich bei unserem Dissensus vor allem um die Problematik des V o r v e r s t ä n d n i s s e s , das der Erklärer an den Text heranbringt, und das eben meist durch seine weltanschauliche, kirchliche, theologische Bildung und Stellung verursacht ist. Es beeinflußt die Auffassung und Erklärung eines Textes in jedem Fall, und zwar im guten wie im bedenklichen Sinne. Wenn solches Vorverständnis völlig fehlen würde, dann gäbe es vielleicht überhaupt kein Verständnis beim Erklärer. Dann fehlte der Trieb, den Text zur Hand 1 Vgl. Die Bedeutung der „dialektischen Theologie" für die neutest. Wissenschaft in: B u l t m a n n , Glauben u. Verstehen, 114ff.. Zur Kritik 8. F. T r a u b a. a. 0 . ZThK 1927, 90ff.
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zu nehmen und sich mit ihm zu beschäftigen. Auf der anderen Seite kann ein bestimmtes Vorverständnis einer sachgemäßen Erfassung des Textes auch große Schwierigkeiten bereiten, insofern die meisten Begriffe, die wir im Texte vorfinden, in unserem Bewußtsein schon festliegen; daher wird sofort, wenn ein konkreter Begriff — Gerechtigkeit, Freiheit, Sünde, Tod, Verderben, Seligkeit — im Text erscheint, unwillkürlich die in unserem Bewußtsein bereits vorhandene Fassung des Begriffs in uns lebendig und von uns in den Text hineingetragen. Wir erwarten ja zumeist, daß unsere Vorstellungen von dem Text sich bei erneuter Lesung bestätigen werden und sind von Haus aus gar nicht bereit, unsere Begriffe irgendwie zu ändern oder uns auch nur auf eine Prüfung ihrer Richtigkeit einzulassen. Wir denken gar nicht daran, das vielleicht mühsam von uns angeeignete Vorwissen in Frage zu stellen und in irgend einer Richtung umprägen zu lassen. Wir sind zu beidem um so weniger bereit, als unsere Voraussetzungen meist mit bestimmten existentiellen Bindungen zusammenhängen, die wir nicht gern gelockert oder gar gelöst sehen wollen. Wenn dieser Tatbestand sich nicht in verhängnisvoller Weise bei unserem Deuten des Textes auswirken soll, gilt zweierlei: wir haben uns zunächst einmal ihn bewußt zu machen, also die besonderen individuellen Bestimmtheiten unserer Vorstellungswelt, unseres Vorwissens und Vorverständnisses zu ergründen und uns gegenständlich zu machen, und wir haben zweitens unser Bewußtsein auf die Möglichkeit einzustellen, daß wir neue Fassungen der uns geläufigen Begriffe im Texte finden werden, daß unser Vorwissen sich Ergänzungen und Richtigstellungen gefallen lassen muß, daß unser Vorverständnis peripherisch, aber auch zentral umgebildet werden muß. Um dazu bereit zu sein, muß der Exeget mit der Einsicht ernst machen, daß seine historische Situation eine total andere ist als die, aus der heraus der Text entstanden ist, und daß zum richtigen Verstehen die Berücksichtigung dieses Verschiedenseins Grundbedingung ist. Es ist darum eine nichtbegründete Einschränkung jenes Vorwissens, wenn Bultmann es auf die Möglichkeiten meiner Existenz bezieht. Es gibt sehr viel Dinge im N. T., die mit meiner Existenz durchaus nichts zu tun haben, z. B. der Dämonenglaube Jesu und der Evangelisten, die Vorstellung von
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einem Höllenpfuhl, die sichere Prophezeiung, daß Krisis und Parusie (vor fast 1900 Jahren) nahe bevorständen. Gewiß schließt alles tiefere Verstehen immer zugleich Entschluß, Entscheidung, Urteil ein; aber der Text wird vom Ausleger zunächst nicht gelesen, damit in ihm eine Entscheidung vollzogen werde, sondern damit er feststelle und verstehe, was für Entscheidungen der Autor bei sich selbst voraussetzt und bei seinen ursprünglichen Lesern verwirklicht sehen wollte. Also wird es besser sein, wenn der Exeget s e i n e Entscheidungen nicht zu rasch und nicht zu energisch in die Interpretation hineinreden läßt. Verstehen und Beurteilen, notitia und assensus, „Erkennen" und „Wählen" sind zwei in sich verschiedene Funktionen 1 . Bultmann gibt selbst Beispiele dafür, wie es — von seinem Standpunkt aus — verhängnisvoll ist, die Begriffe, etwa der paulinischen Anthropologie, aus einer ihr fremden Daseinsauffassung heraus zu interpretieren. Ich glaube vorläufig nicht, daß s e i n e Interpretation richtig ist, bin vielmehr der Meinung, daß auch er eine dem Paulus fremde Auffassung von der Existenz des Menschen und eine ihm fremde Terminologie dem Texte auflegt, daß man „Paulus wirklich in manchem griechisch" interpretieren muß, weil er Piaton näher steht als der dialektischen Theologie von heute; dann folgt aber, daß das, was er hier Exegese nennt, etwas anderes ist als unsere historische Schriftauslegung, ein bedeutsamer Versuch, moderner theologischer Interpretation einen neuen Weg zu bahnen. Bultmann hat schon früher das Problem der theologischen Exegese behandelt 2 . Ich glaube, daß er da in manchem deutlicher gewesen ist. Denn obwohl er da fordert, daß die beiden Exegesen zusammengetan werden müssen, gibt er doch ihre Unterscheidung zu, erklärt ausdrücklich die ganze historischphilologische Arbeit für legitimiert, da der Exeget erst die Geschichte der Wörter kennen muß, ehe er an das Wort herangeht, und definiert er die theologische Exegese sinngemäß als ein Reflektieren über Sinn und Anspruch des Gesagten oder als Sachexegese, die dem Hinweis auf Sachverhalte nachgeht, und untersucht, was mit dem Gesagten nun gemeint ist. Damit sind aber ganz n e u e Fragestellungen eingeführt, die am besten 1 Vgl. J. W a c h , Religionswissenschaft 1924, S. 27f. 2 S. Zwischen den Zeiten 1925, H. 4.
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in einem „anderen Räume" behandelt werden. Denn hier wirkt sich seine schon beschriebene komplizierte Einstellung aus, die den Text einerseits als eine Autorität anerkennt, andererseits bei dem Suchen nach dem, was gemeint ist, die Kategorien des eigenen, subjektiven, zeitbestimmten Denkens und Selbstbewußtseins hinzunimmt. Wenn Bultmann verschiedene nicht sachgemäße Standpunkte der Exegese ablehnt, so hat er im ganzen recht. Solche Auslegungsweisen (idealistische, romantische, zum Teil auch psychologische) sind aber auch vom Standpunkt der historischen Exegese zu verwerfen, sofern sie den Sinn des Textes nicht richtig wiedergeben. Daß historische und theologische Arbeit am N. T. tatsächlich in zwei verschiedenen Räumen getan wird, beweist Bultmann auch insofern, als etwa seine „Geschichte der synoptischen Tradition" und seine Aufsätze in „Zwischen den Zeiten" wirklich in zwei getrennten Räumen geschrieben sind. Es dürfte kaum eine Förderung der neutestamentlichen Wissenschaft sein, wenn er die Wand zwischen den Räumen durchbräche1. 3. Wir bleiben also bei der scharfen Unterscheidung historischer und theologischer Exegese2, wollen aber diese durchaus an jene gebunden sehen. Drei wichtige Erkenntnisse, zu denen historische Kritik uns verholfen hat, muß der theologische Exeget stets berücksichtigen: einmal das starke Verschlungensein des Bibelwortes mit der antiken Weltanschauung und mit den jeweiligen historischen Situationen, kurz gesagt den eminent historischen Charakter aller Bibelbücher; z w e i t e n s den nach seinem Umfang freilich sehr verschieden beurteilten Einschlag der Legende und des Mythus in der biblischen Lehr- und Geschichtsüberlieferung; drittens, speziell im N. T., die große Verschiedenheit der Evangeliumstypen in den verschiedenen Schriftgruppen. Die zuerst genannte Einsicht in die h i s t o r i s c h e B e d i n g t heit der Bibel nötigt der Theologie die schwierige Aufgabe auf, das Bibelwort aus der antiken Zeitlichkeit zu lösen und in die 1 Nach seinem Aufsatz über die Eschatologie des Joh. (Zw. d. Z. 1928, H. 1) möchte ich annehmen, daß das Verhängnis schon geschehen ist. Möchte es in dem mit Spannung erwarteten Kommentar zum Joh. wieder beschworen sein! 2 Es freut mich, daß auch E. S e e b e r g jedenfalls für prinzipielle Scheidung der zwei Exegesen eintritt.
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moderne Zeitlichkeit zu verpflanzen, um es den Menschen unserer Zeit als Bibelwort verständlich zu machen und damit den Anspruch des Bibelwortes auch auf unsere Zeit zu erweisen. Im zweiten Falle sieht sich die Theologie dem Problemkomplex Glaube und Geschichte, Glaube und M y t h u s gegenübergestellt. Sie kann hier verschiedene Wege gehen. Sie kann prinzipiell oder gar radikal den Glauben von der Historie, d. i. vom historischen Einzelgeschehen, losmachen, sie kann die Glauben zeugenden Worte auf die von Geschichte und Mythe unberührten Überlieferungen einschränken, sie kann andererseits gerade den Mythus für das wesentliche Glaubensgebilde und Glauben zeugende Uberlieferungsstück erklären. Oder sie kann sich ermächtigt fühlen, die Grenzen zwischen Geschichte und Sage anders zu ziehen als die gangbare historische, nicht theologisch berührte Kritik es tut 1 . Hier hat sie sich freilich auf scharfe Antikritik der Historie gefaßt zu machen. Auch dem an dritter Stelle genannten Problemkomplex gegenüber kann theologische Exegese verschiedene Wege einschlagen. Sie kann e i n e n der verschiedenen Lehrtypen zur Norm erheben und danach die anderen interpretieren. So wird man etwa die Synopse paulinisch oder johanneisch auszulegen versuchen, d. h. mit Luther die paulinische Heilserfahrung und Heilstheologie oder die johanneische Christustheologie in die Synopse einlegen (was historische Kritik freilich nur gestatten kann, wenn der Exeget „weiß was er tut"). Oder man wird mit den Modernen der Vorkriegszeit das synoptische Christentum zur Grundlage nehmen und Johannes und Paulus nur soweit mit einbauen, als diese Typen organisch in die Synopse einfügbar sind. Man kann auch e k l e k t i s c h - s y n t h e t i s c h vorgehen und eine Gesamtschau anstreben, bei der man glaubt, alle Typen zu ihrem Rechte kommen zu lassen. Bei dieser Arbeit vornehmlich ist die ständige Orientierung an der geschichtlichen Exegese erstes Erfordernis, damit die Willkür der Konstruktion auf ein möglichst geringes Maß beschränkt bleibe. Der Prozeß der theologischen Exegese ist also viel komplizierter als der der historischen. Diese hat nur die Aufgabe, die Intentionen des Textes zu verstehen. Jene hat nicht nur die Aufgabe, aus dem historisch erfaßten Text den etwaigen über1 Vgl. z. B. E. Brunner, Der Mittler 1927.
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geschichtlichen Gehalt herauszuheben, sondern sie soll diesen Gehalt auch so bearbeiten, daß er, um den Ausdruck K . Barths zu brauchen, für die Gegenwart transparent wird. Hier ergibt sich nun weiter, daß auch das Verfahren der theologischen Exegese ein k r i t i s c h e s sein muß, und zwar in dreifachem Sinne: 1. wird der theologische Exeget weithin die objektive Kritik der historischen Exegese aufnehmen und sie gegebenenfalls auch gegen bestimmte kirchliche Überlieferungen kehren müssen. Natürlich soll er weder das eine noch das andere kritiklos tun. 2. hat er die K r i t i k am T e x t weiterzuführen, nun aber nach anderen Gesichtspunkten. Er ist im Besitz einer Theologie mit bestimmten Sätzen und Normen; zwar sind diese im wesentlichen aus der Bibel genommen, aber da die Bibel vorkonfessionell und weithin vordogmatisch und vormodern ist, kommen sie nicht in allen Teilen der Bibel gleichmäßig zum Ausdruck. So wird er die einzelnen biblischen Bücher nach einer bestimmten konfessionellen oder theologischen Norm, seinem Verständnis vom Evangelium, beurteilen müssen — das klassische Beispiel ist Luthers Grundsatz: „was Christum treibt" und seine Anwendung desselben. Auch bei dieser theologischen Kritik hat die historische einen sehr wesentlichen Anteil. Sie zwingt zur Korrektur bestimmter überlieferter konfessioneller und theologischer Sätze; sie gibt aber auch Hinweise, wo und wie die theologische Kritik einsetzen muß, um zu einer richtigen Wertung der biblischen Zeugnisse und zu Neuformulierungen zu gelangen. Kritik am Texte üben, heißt dann: unterwertige Gedanken, die im Prinzip von den biblischen Zeugen selbst überwunden sind, aber eben nur im Prinzip, als solche kenntlich machen und abstoßen, oder: fragen, ob ein Zeuge den von ihm klar formulierten Grund- und Glaubenssatz schon wirklich konsequent durchgeführt hat. Theologische Exegese h a t also die Glaubenserkenntnis der biblischen Zeugen weiterzuführen und zu vertiefen. 3. h a t die theologische Exegese die Aufgabe, auf Grund des von ihr neu erschlossenen Bibelzeugnisses zum Angriff auf die Gegenwart vorzugehen und a n W e l t u n d Z e i t u n d K i r c h l i c h k e i t i h r e K r i t i k z u ü b e n . Zugespitzt kann man sagen: der Historiker kritisiert seinen Text, der Theolog mit Hilfe seines Textes sich selbst und seine Zeit. Der Historiker hat soviel wie möglich von seiner Zeit abzusehen. Der Theolog hat den
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aus seiner eigenen Zeit herausgenommenen Text in die Gegenwart zu transponieren und mit ihr zu konfrontieren. Hier mag sich der theologische Exeget, wenn er den Beruf dazu hat, zum Propheten auswachsen. Neben dieser dreifach kritischen Haltung ist eine eigentümliche M i s c h u n g v o n O b j e k t i v e m u n d S u b j e k t i v e m für die theologische Exegese bezeichnend. Sie geht vom Objektiven aus, dem Glauben und der Offenbarung, und sie strebt zum Objektiven hin, indem sie ihr Zeugnis der Welt als Gottes Wort an sie vorhält. Und doch ist sie durch und durch von persönlichen Bedingtheiten durchzogen. Das subjektive Element, das die Stärke und Schranke aller theologischen Exegese darstellt, wurzelt einmal in der besonderen Einstellung des interpretierenden Subjekts, in der Sphäre, in der Kirchgemeinschaft, in der religiös-theologischen Gemeinschaft, in die der Exeget hineingehört, hineingewachsen oder auch mehr oder weniger zufällig hineingeraten ist. Es dokumentiert sich zum anderen in der Ordnung und Gruppierung der Texte, in der Bevorzugung bestimmter Textworte und Textgedanken, in der Bestimmung dessen, was wesentlich ist. Es liegt im Wesen theologischer Exegese, daß sie e k l e k t i s c h ist, und die unendliche Mannigfaltigkeit theologischer Exegesen beruht darauf, daß das Prinzip der Auswahl und der Wesensbestimmung verschieden gestaltet sein kann. Theologische Exegese w e r t e t , und sie wertet sehr verschieden. Alle Wertung öffnet die Augen für bestimmte Worte und Gedanken und macht blind und gefühllos für andere. Darum ist alle theologische Exegese e i n s e i t i g und unvollkommen. Darum ist alle theologische Exegese aber auch polemisch und kritisch. Jeder theologische Exeget muß sich seine Einstellung und seine Interpretation erst erkämpfen gegenüber andersartigen Einstellungen. Alle theologische Exegese ist ein Kampf um die richtige Erfassung der Worte, und von diesem Kampfe l e b t sie, in diesem Kampfe offenbart sich, welche Einstellung die kräftigere ist, welche einer bestimmten Konfession oder Zeitsphäre am besten entspricht, ihre Tendenzen und Bedürfnisse, auch ihre Unzulänglichkeiten am reinsten zum Ausdruck gibt. Indem die einzelnen Gestaltungen theologischer Exegese einander bekämpfen, kommt es zur Einsicht in die verschiedenartigen Einstellungen und damit zur Einsicht in das relative Recht und Unrecht jedweder Einstellung.
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Richtige theologische Exegese wird daher immer b e s c h e i den sein, bei aller Entschiedenheit, mit der die eigene Einstellung geltend gemacht wird. In der Wirklichkeit ist solche Bescheidenheit, die auf der Einsicht in die Grenzen und in die Bedingtheit der eigenen Einstellung beruht, im Umkreis theologischer Exegese noch weniger anzutreffen als im Umkreis historischer Exegese. In scharfer Beweisführung sucht fast jeder Vertreter einer bestimmten theologischen Interpretation seine Methode und seine Einstellung als die einzig richtige und einzig mögliche darzutun. Aber schon die Vielheit der Konfessionen, Theologien und Standpunkte beweist dem objektiven Beurteiler, daß dies Selbstbewußtsein keine Allgemeingültigkeit besitzt, und sowie man sich die Bedingungen vergegenwärtigt, unter denen jede theologische Interpretation zustande kommt, weiß man, daß jede Form und Gestalt theologischer Exegese immer nur für einen bestimmten Lebenskreis Geltung haben kann. Der theologische Exeget wird daher gut tun, diese persönlichen, zeitbedingten Voraussetzungen seiner Arbeit im Bewußtsein zu halten und soviel wie möglich seine Voraussetzungen, seine Interessen, seine Ausdrucksformen von denen des Textes zu unterscheiden. Er wird auch gerne neben seiner Exegese die Möglichkeit anderer Exegesen anerkennen. Aus obigem ergibt sich, warum wir von theologischer, n i c h t von p n e u m a t i s c h e r Exegese reden wollen1. Der Ausdruck pneumatische Exegese ist zu anspruchsvoll, vor allem: er ist nicht sachgemäß. Das Pneuma ist das Objektive selbst, das Pneuma ist das Wort. Aber alle konkrete theologische Exegese ist auch mit Subjektivem belastet; sie hat das Wort nur „im Spiegel"; es bleibt selbst immer ein unenthülltes Mysterium. Pneumatische Exegese im V o l l s i n n des Wortes hat es nie gegeben und kann es nicht geben. Der Anspruch ist oftmals geltend gemacht für die eigene Person und für die großen geschichtlichen Träger des Wortes. Sachgemäße geschichtliche Exegese hat aber gezeigt, daß dieser Anspruch nicht anzuerkennen ist. Es hat nie einen Träger des Wortes gegeben, dessen Zeugnis nicht zeitbedingt gewesen wäre, abhängig von älterer, gleichfalls zeitbedingter Überlieferung, abhängig von den Meinungen 1 Vgl. zur Beurteilung der pneumatischen Exegese auch W. Torm Hermeneutik des N. T. S. 18 ff.
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seiner Zeit. So wäre es eine Vermessenheit, wenn heutzutage Theologen den Anspruch erheben wollten, ihre Exegese wäre pneumatisch im Vollsinn des Wortes. Dennoch soll das Prädikat pneumatisch von unserer vielgestaltigen theologischen Exegese nicht ganz ferngehalten werden. Im Gegenteil, wir müssen sagen: theologische Exegese wäre sinnlos, wenn nicht hinter all den zeitlichen Bedingtheiten das Weben des Geistes verspürt werden könnte, wenn in dem Muß, das den Exegeten treiben soll, nicht auch der Impuls des Geistes enthalten wäre. Nur das Ganze kann nicht mehr pneumatisch genannt werden. Die Bibel ist kein Diktat des heiligen Geistes; kein Exeget, auch kein Dogmatiker ist Pneumatiker im eigentlichen Sinne des Wortes. Es ist möglich, daß er bisweilen „im Geiste" und ex cathedra redet. Aber wann das ist, weiß niemand, er selbst am wenigsten. Das ist Mysterium. Es ist schon viel, wenn uns gesagt wird, daß wir immer mit der Möglichkeit rechnen müssen, daß der andere doch einmal, vielleicht gerade gegen uns, im Geiste redet.
II Theologie der Bergpredigt Wir kehren nach diesen allgemeinen Betrachtungen zu der Berpredigt zurück und suchen uns den Weg zu ihrer theologischen Exegese zu bahnen. Unserem Grundsatz getreu bauen wir sie auf dem Fundament der historischen Exegese auf. Wir beabsichtigen theologische Exegese zu geben, wollen aber stärkeres Übergreifen in die Sphäre moderner „Interpretation" möglichst vermeiden, ebensosehr eine Interpretation in paulinischem und johanneischem Geiste. Wir vergegenwärtigen uns die gewonnenen Ergebnisse und ergänzen sie zugleich, um erst noch einmal den t h e o l o g i s c h e n Charakter der Bergpredigt als eines historischen Dokument» umfassend zu bestimmen1. Wir knüpfen unsere theologischen 1 Eine vortreffliche Behandlung des theologischen Gehaltes der Bergpredigt gibt G. W ü n s c h in s. Evangelischen Wirtschaftsethik 1927, 212—• 228; vgl. auch s. Buch: Die Bergpredigt bei Luther 1920 u. Theologische Ethik (Samml. Göschen) 1925, § 33. Für theologische Exegese kommen weiter die Aufsätze von S t a n g e in Betracht (s. o.). Sonst nenne ich: A.
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Betrachtungen so eng wie möglich an die ursprünglichen theologischen Intentionen des Textes an und legen Wert darauf, deutlich zu sagen, an welchen Stellen und mit welchen Motiven wir von ihnen abbiegen. 1. In der uns vorliegenden geschlossenen Redekomposition erscheint die Bergrede als eine Lehre von der G e r e c h t i g k e i t , deren Erfüllung das Bestehen im Gericht und den Eintritt in das Himmelreich verbürgt (5, 20; 7, 21; 5, 3ff.). Die Gerechtigkeit ist einerseits im Gesetz niedergelegt, das prinzipiell für die Anwärter des Gottesreichs seine Geltung behält, aber doch schärfer auszulegen ist, als üblich, und in einigen Punkten wichtige Ergänzungen und Korrekturen sich gefallen lassen muß, anderseits in der neuen Lehre des Christus Jesus. Die Bergrede enthält also Verheißung und Forderung. Aber die Forderung schlägt am stärksten durch und gibt der ganzen Rede den Charakter. Die Verheißung hat das erste Wort, die Forderung das letzte, und die ganze Mitte ist nur Forderung. Die Religion der Bergpredigt ist vorwiegend e s c h a t o l o g i s c h e H e i l s - u n d L e i s t u n g s r e l i g i o n wie das Judentum, nicht ausgesprochen Sünderreligion1. Der Verheißung entsprechend ist auch die Forderung auf die Offenbarung des Reiches Gottes eingestellt. Wie die Thora stellen die Gebote der Bergpredigt die Einlaßbedingungen für das Himmelreich dar. Der Wille des Vaters und die eschatologische Prüfung sind somit die zwei Hauptmotive, die Inhalt und Zweck der Gebote bestimmen. Die Bergpredigt ist an S c h u l l e r u s , Die Bergrede in Predigt und Unterricht 1918; H. W e i n e l , Die Bergpredigt (Aus Nat. u. Geisteswelt) 1920, S. 42ff.; 80ff.; O. B a u m g a r ten, Die Bergpredigt und die Kultur der Gegenwart 1921; K. Eger, Die Botschaft Jesu von der Herrschaft Gottes. Worte Jesu aus der Bergpredigt, für die Gegenwart ausgelegt 1925. R. Seeberg, Zur Ethik der Bergpredigt 1934. Auch Joh. Müllers Bergpredigt sei noch einmal genannt. Dazu die parallel laufende, aber nun den Text im Sinne eines monistischen Idealismus auslegende Schrift von B. W e h n e r t , Jesu Bergpredigt psychologisch u. philosophisch erklärt f. Lehrer u. Schüler, 1914. Von Auslegungen vgl. u. a. F. N i e b e r g a l l s Prakt. Auslegung des N. T. I, A. S c h l a t t e r s Erläuterungen zum N. T. I. und sein Buch: Die Gabe des Christus. Eine Auslegung der Bergpredigt. 1928. 1 Vgl. zu diesem Gegensatz G. K i t t e l , Urchristentum, Spätjudentum, Hellenismus 1926, S. 19ff.
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Menschen gerichtet, die Gott dienen wollen und nach dem Reich begehren. Die Bergpredigt lehrt eine „Ethik", die an die Autorität des Vaters im Himmel und an die schrecklich herrliche Erwartung seines Gerichts und seines eschatologischen Heiles gebunden ist, eine Ethik, die Gehorsamsethik und Bedingungsethik ist. Sie richtet sich an Menschen, deren Situation und Existenz dadurch bestimmt ist, daß sie Gott über sich und d a s Gericht vor sich haben. Die Forderungen — das ist die selbstverständliche Folgerung — sind dazu gegeben, daß sie richtig e r f ü l l t werden. Die Bergpredigt ist Weisung für die Diener und Kinder Gottes, •Gottes Wille und Forderung an uns; ganz unzweideutig ist mehrmals eingeschärft, daß nur, wer die Gebote getan hat, im Gericht bestellt und ins Reich eingelassen wird. Das Tun und Halten der Gebote ist der Heilsweg1. Die Autorität Gottes manifestiert sich für die Hörer der Bergpredigt in der Autorität Christi. Diese deckt sich nicht völlig mit jener. Denn das Gesetz, das die Grundlage der göttlichen Forderung bildet, ist nicht von Christus gegeben, und es ist schließlich der Wille Gottes, den Christus verkündet. Aber Christus ist doch derjenige, der das Gesetz in eine neue Fassung bringt, so daß von nun an die Gebote Gottes mit den „Wort e n Christi" zusammenfallen, und deren Autorität wird dadurch erhöht, daß Christus auch auf dem Richterstuhl und an der Eingangspforte des Himmelreichs sitzen wird. Damit ist alle Garantie dafür gegegeben, daß wirklich an „seinen" Worten die Entscheidung über Leben und Tod des Menschen hängt. Christus ist somit der Lehrer, der Prophet, der Richter, der Gesandte Gottes im Vollsinn des Wortes, der jetzt und in der Zukunft die Entscheidung bringt. Nur als Erlöser und als Mittler bietet er sich nicht an. Dazu hat er nach der Bergpredigt keine Vollmacht. Die Bergpredigt kennt nur die Vergebung, die Gott gewährt, und nur eine Erlösung, die Gott schenkt, wenn Christus sein Werk getan hat. Ihrem Wesen nach ist daher die Bergrede einerseits Gehorsams- und (eschatologische) B e d i n g u n g s e t h i k , Gerichtsethik, andererseits das Programm des von Gott be1 So schon P. Ch. Baur, Das Christentum u. d. christl. Kirche der •drei ersten Jhdte. 1853, S. 32. CHT I S : W l n d l u c h .
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stellten Weltrichters, der in ihr den Willen seines Vaters und die Normen des Gerichts proklamiert. Damit ist der theologische und religionsgeschichtliche Charakter der Bergrede eindeutig bestimmt. Sie stellt die Erfüllung und Vollendung der israelitisch-jüdischen Religion dar, insoweit auch diese eine Gehorsams- und Geschichtsreligion ist, und sie bedeutet ebenso sehr die Sprengung des rabbinischen Judentums. Sie stellt aber auch, als Gesamtkomposition genommen, ein Selbstzeugnis Jesu dar von seiner religiösen und richterlichen Vollmacht, wenn dies auch nicht in jedem einzelnen Wort sichtbar wird. In ähnlicher Weise bildet auch die Spruchsammlung der Täuferrede ein solches Zeugnis. Die Bergpredigt bietet aber nicht ein christologisches Zeugnis von der Art, wie es die Reden im Johannesevangelium enthalten,, noch ist sie eine Verkündigung von dem Christus, der durch sein Blut die Erlösung geschaffen hat und sie den Glaubenden anbietet. Diese Botschaft erscheint bei Matthäus erst im Zusammenhang der Ereignisse von Jerusalem, in dem Menschensohn-Spruch 20, 28 und in dem feierlichen Akt der Bundschließung 26, 28. Im Evangelium von Galiläa — und somit auch in der Bergpredigt — wird auf dies „Evangelium von Jerusalem"1 noch in keiner Weise hingedeutet2. Es ist also ein v o r j o h a n n e i s c h e s und v o r p a u l i n i s c h e s Christentum, das in der Bergpredigt sichtbar wird. Das Heil ist die Gotteskindschaft, das Bestehen im Gericht und die Teilnahme am Reich. Heilsweg ist die Nachahmung Gottes, das Hören und Tun der Worte Christi, das Vertrauen auf Christus als den von Gott gegebenen Wegweiser und Weltenrichter, dazu die Anrufung Christi als des Herrn und der Gehorsam gegen seine Gebote. Das ist noch kein Evangelium im paulinischen Sinne. Gewiß sind Fragmente der Bergrede auch bei Paulus zu finden. Auch er lehrt Gehorsams- und Gerichtsethik, das „Gesetz des Christus" und die Gebote als „Einlaßbedingungen" zum Gottesreich3. Aber diese Elemente gehören nicht zu seiner 1 Zur Unterscheidung „Evangelium von Galiläa — Evangelium von Jerusalem" vgl. meinen Aufsatz „Jesus und Paulus", Theol. Stud. u. Krit. 106 (1934/35) 438. 2 Es wäre eine willkürliche Kombination, wollte man etwa das Stichwort TtoXXoC Mt. 26, 28 zu den noXkoi in 7, 13 in Beziehung setzen. 3 Paulinische Sprüche vom Eingehen in das Reich Gottes hat man I. Kor. 6, 9f. Gal. 5, 21; vgl. ZNT 1928,171.
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eigentlichen Botschaft, zum „Evangelium von Damaskus"1. Ihr „Sitz" ist in der propädeutischen Bekehrungspredigt und in der Gemeindeparänese: sie gehören zu der Galiläisch-Jerusalemer Tradition, die er seinem neuen Evangelium an bestimmter Stelle einverleibt hat. Die besondere Botschaft des Paulus von der Rechtfertigung ist der Bergrede fremd. Mit diesem theologischen Charakter der Bergrede: auf Christus ausschauende Gehorsams- und Gerichtsethik, keine Propädeuse für das Sünderevangelium — hat die theologische Exegese zu rechnen. Sie steht hier bereits vor einer wichtigen Entscheidung. Soll sie das Dokument der Bergrede als bindende Autorität anerkennen, oder darf sie freien Gebrauch von ihm machen ? Im ersteren Falle muß sie das Gesetz, die Gehorsamslehre, die Erfüllbarkeit der Gebote Christi, den Gehorsam als Bedingung der Rettung rückhaltlos als Elemente des universalen Christentums anerkennen. Hat sie einen anderen Begriff von Gesetz, Evangelium und Heil, dann muß sie ebenso rückhaltlos bekennen, daß die Ethik und die Heilslehre der Bergpredigt in ihrer ursprünglichen Gestalt für uns nicht mehr maßgebend sind, daß wir seit dem Abschluß der Geschichte Jesu in Jerusalem, seit der Passion, seit Ostern und Pfingsten nur noch Elemente von ihr als göttliche Kundgebung des Herrn der Kirche an uns annehmen können, daß wir ihren Forderungen und Verheißungen einen anderen Unterbau geben müssen. Je und je sind Kinder Gottes den ersten Weg gegangen. Tolstoi ist keineswegs der einzige Vertreter. Es gehören auch die vielen Taufgesinnten dazu, die man keineswegs als „Schwärmer" oder „Sektenmenschen" abtun darf. Wenn sie das waren, dann ist auch Jesus ein Schwärmer und Sektenstifter gewesen. Diese Leute haben nämlich — das ist das unverrückbare Ergebnis unserer Exegese — die Bergpredigt richtig verstanden. Die Bergrede will Gebote verkünden. Sie stellt Forderungen, die wörtlich verstanden und ausgeführt werden sollen. Polemik gegen die „Schwärmer" ist weithin Polemik gegen die Bergpredigt und Kritik an Jesus selbst. Man setze diese Polemik und Kritik ruhig fort, aber wisse, was man tut. Welches sind die Bedenken, die wir der wörthchen, d. h. 1 Vgl. meinen oben genannten Aufsatz „Paulus und Jesus" Th. Stud. u. Krit. 1934/35, 441. 10*
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richtigen oder ursprünglichen Auslegung entgegenbringen ? E r s t e n s richten sie sich gegen das Prinzipielle, gegen die Einstellung der Ethik in die Gerichtspredigt; z w e i t e n s gegen die besondere Formulierung einzelner Forderungen. Das erste, prinzipielle Bedenken ist das wichtigere. Denn die Worte, die ihrem Wortlaut nach beanstandet werden, sind nicht zahlreich. Im ganzen wird der religiöse Mensch von heute anerkennen, daß die Worte Christi in der Bergpredigt klassische Ausprägungen richtiger Gesinnung, richtigen Verhaltens gegen Gott und den Nächsten darstellen. Aber mit gleicher Entschiedenheit wird er bekennen, daß die Realisierung der geforderten Gesinnung und Tat, wovon doch unser Heil und Leben abhängig gestellt ist, außerordentlich problematisch ist, und er wird es vermissen, daß weder ein Beistand von oben, eine Kraft aus der Höhe verheißen wird, noch anscheinend ein Ausweg aus der furchtbaren Not, in die die Bergpredigt uns stürzt, gewiesen wird. Es ist also an sich ganz richtig, was Stange, Kittel u. a. über die Wirkung der Bergrede ausgeführt haben 1 ; richtig gelesen wirkt sie niederschmetternd auf uns; jeder ernste Versuch, sie im eigenen Leben zu verwirklichen, führt zur Einsicht, daß das Christentum der Bergpredigt zur Verzweiflung treibt; denn wenn wirklich die Worte „getan" werden müssen, dann wird unsere Gotteskindschaft ein problematischer Besitz und wird die Tür zu Gottes Reich für uns verschlossen bleiben. Wir dürfen nur nicht mehr sagen: in diese Not und Verzweiflung will uns die Bergpredigt hineinreißen. Sie erkennt diese Not als solche gar nicht an, und sie hat auch zunächst keine Rettung aus ihr anzubieten. Diese Not ist ja die Not der „Vielen" (Matth. 7, 13), sie ist das definitive Verderben ! Wenn ein Ausweg vorhanden ist, dann ist er der Bergpredigt ihrer Struktur nach unbekannt. Ehe wir den Ausweg suchen, ist die Situation, in der wir uns befinden, noch näher zu bestimmen. Die Bergpredigt in ihrer ursprünglichen Fassung weissagt das Gericht, das Christus abhalten wird und das uns mit dem Höllenbrand bedroht. Für uns ist sie das Gericht. In unseren Ohren klingt schon jetzt die Stimme: warum ist die Güte, die Reinheit, die volle Hingabe 1 Vgl. auch etwa K. B a r t h in seinem Aufsatz: Das Halten der Gebote, Zw. d. Zeit. 1927, H. 3, S. 218ff.
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nicht in euch, die Gott fordert, warum ist euer Auge nicht gesund, euer Herz nicht rein? 1 Und mit angehaltenem Atem lauschen wir, ob die Stimme noch weitergeht, ob das furchtbare Wort des Richters auch gegen uns geschleudert wird: weichet von mir, ihr Übeltäter. Gott sei Dank, wir hören sie nicht. Es ist ja noch unser Gott und Vater, der das strafende Wort an uns ergehen läßt. Aber es könnte doch sein, daß Gott nur wartete; es könnte sein, daß die Verurteilung doch noch ausgesprochen werden müßte. Dann wäre uns nur eine Frist gegeben. Was tun wir in dieser Frist ? Wo suchen wir Hilfe, Aufrichtung und Erhebung ? Das p a u l i n i s c h e Evangelium (d. h. das Evangelium von Röm. 3—8 und Gal. 2—4) ist die klassische Ausprägung der Botschaft, die den zur Erkenntnis seiner Sünde, Ohnmacht und Verworfenheit gekommenen Menschen aufrichtet. Sie faßt sich in die zwei Sätze zusammen: (1) von dem Fluche des Gesetzes, von dem Fluch des Ungehorsams hat uns Christus durch sein Blut losgekauft; und (2) uns ist der Geist gegeben, der die Erfüllung der Gebote möglich macht und der die von Gott geforderten Gesinnungen und Tugenden als seine Früchte in uns hervorbringt. Man kann diese Sätze auch auf die Bergpredigt anwenden. In solcher Anwendung ist uns Paulus selbst vorangegangen, insofern er seine auch Bergpredigt-Worte enthaltende Paränese Röm. 12 an seine Lehre vom Zeugnis von der Erlösung durch den Christus und den Geist angehängt hat. Matthäus hat eine Brücke gebaut zu solcher Umschaltung mit dem Wort vom Bunde durch das Blut Jesu Christi 26, 28, das der Verkündigung Jesu einen überraschend neuen Abschluß gibt, und mit dem Befehl des Auferstandenen 28, 20: diese Gebote sollten den getauften neuen Jüngern auferlegt werden. Theologische Exegese, die ihren Standort bei Paulus nimmt (bei Röm. 7; Röm. 3; Röm. 8), wird dann die Bergrede so werten, wie Paulus die Thora gewertet hat: Ausdruck des göttlichen Willens, dem indes niemals durch den Menschen genug getan werden kann, dem genug getan ist, ein für allemal, durch den Sühntod Christi, dem nun im empirischen Leben jedes Gläu1 Dieser Abschnitt, der im wesentlichen so schon in der 1. Aufl. stand, erübrigt die Fragen, die B u l t m a n n in s. Aufsatz über „Die Bedeutung des geschichtl. Jesus für dieTheol. des Paulus" (Glauben u. Verstehen 199 Anm.); vgl. auch noch u. S. 89, stellt.
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bigen genug getan wird durch den Geist, der das Bewußtsein der Gotteskindschaft in uns schafft und das Gebot in uns erfüllt. Wir haben freilich zunächst Bedenken gegen diesen Weg. Die gewaltige Lehre von der Tilgung eines Gottesfluchs durch Christi Blut, diese großartige Konzentrierung der Heilsoffenbarung in dem Schmach- und Sühnetod Christi, ist uns in ihrer ursprünglichen Fassung nicht ohne weiteres annehmbar. Sie schließt eine allzu radikale Entwertung der Bergpredigt und überhaupt des Evangeliums Jesu ein1. Dies Evangelium kennt doch auch eine Heilsgemeinschaft, die nicht in der Eschatologie offenbart wird und die keineswegs erst mit dem Sterben Christi sich verwirklicht. Und obwohl die Bergrede ihrer Struktur nach eschatologische Heils- und Gerichtspredigt ist, hat sie doch Sprüche, die auch schon von dieser innerzeitlichen Gottesgemeinschaft zeugen. Theologische Exegese kann die in ihnen bezeugte Religion und Gottesoffenbarung aus ihrer historischen Verengung herausziehen und ihre Heilslehre auf ihr aufbauen. Das ist dann eine freie Auslegung, die weniger gewaltsam ist. Wir entnehmen dann die theologischen Hinweise auf die Rettung und Hilfe aus der Not, in die die Bergpredigt uns versetzt, aus ihr selbst. Wir bleiben in engerem Anschluß an sie, auch wenn wir Kombinationen und Anschlüsse vornehmen, an die der Evangelist wohl nicht gedacht hat 2 . Bei den S e l i g p r e i s u n g e n setzen wir ein. In ihnen, insbesondere in ihrer ersten Folge 5, 3—6, erneuert Jesus die prophetische Heilsverkündigung und bekräftigt er die Heilshoffnung der frommen Psalmensänger3. Es ist Gottes Heilswille, so versichert auch er, daß gerade die Bedürftigen, die Trauernden, die Hungernden und Durstigen sich hier schon „selig" fühlen dürfen und dort die Fülle finden sollen bei Gott, wenn nur ihr Verlangen ein Verlangen nach Gottesgemeinschaft, nach Heiligkeit ist. Es muß in diesem Zusammenhange betont werden — denn theologische Exegese muß in jedem Augenblick bereit sein, auf die historische Exegese zu hören —, daß auch das Evangelium in der Bergpredigt kein absolut neues Evangelium ist, sondern nur Wiederaufnahme einer längst gehörten Frohbotschaft und Bestätigung einer längst schon lautgewor1 Vgl. meinen Aufsatz „Paulus und Jesus". Th. Stud. u. Krit. 1984/35, 456ff. 2 So ähnlich schon Stange, vgl. o. S. 40. 3 Vgl. bes. Jes. 61, l f f . ; 55,1; Ps. 37,11; 24,3f. usw.
XI. Theologie der Bergpredigt
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denen Heilserwartung. Das Evangelium in der Bergrede ist fast in demselben Maße vorpaulinisch und vorchristlich, wie das Evangelium des zweiten Jesaja und das der Psalmisten, wobei freilich nicht übersehen werden darf, daß auch Paulus Heilstexte der Psalmen und des zweiten Jesaja in seine Evangeliumsverkündigung hineingenommen hat, vg. Rm. 4, 6ff.; 10, 15ff. Deutlich fühlen wir, daß die Seligpreisungen mit den strengen Forderungen der Bergpredigt „konkurrieren". Am stärksten kommt der Gegensatz zum Ausdruck, wenn hier der Zugang zum Reich den Armen im Geist, dort denen, die den Willen Gottes tun, verheißen wird. Es sind also doch mancherlei Wege, die zu Gott führen, und das Bewußtsein, arm zu sein, vor Gott nichts vorbringen zu können, ist zum mindesten eine Station auf dem richtigen Wege. Daß außerhalb der Bergpredigt ein Spruch überliefert ist (Mt. 18, 3), und zwar ein Eingangsspruch wie Matth. 5, 20, der die Umkehr zu demütiger Kindesgesinnung zur Bedingung für die Zulassung zum Reiche macht, verstärkt die Wichtigkeit dieses Gedankens und dieser Haltung; vgl. o. S. 82 f. Gottesgemeinschaft und Gerechtigkeit sind die Heilsgaben, die uns verheißen werden. Das bedeutet die Überwindung der Sünde, das Umschlagen des Gerichtes in gnädige Freisprechung, Anteil für uns an Gottes Herrschaft. So klingen doch gleich im Eingang der Bergpredigt Evangeliumsklänge an unser Ohr, und wenn sie auch im weiteren Verlauf immer schwächer werden und am Ende ganz verklingen, wo nur noch die furchtbar ernste Glocke der Forderung und des Gerichtes ertönt — wir lassen sie immer wieder anklingen, und wenn wir zu Ende sind mit dem Lesen der Rede, dann lauschen wir aufs neue nach den Klängen der Seligpreisungen, weil wir wissen, hier erschließt sich uns das letzte und tiefste Wort, das Gott in der Bergpredigt uns sagen will, das Wort vom Heil, das er uns Unwürdigen, aber Verlangenden schenken will. Was gibt uns die zweite Viererreihe der Makarismen zu bedenken ? Hier wird nicht mehr reiner Trost geschenkt. Hier wird etwas von uns erwartet, eine Haltung, eine Gesinnung, die sich nach außen erweist: barmherziges Wesen, wirksame Friedfertigkeit, Herzensreinheit, Ausharren in Geduld* wenn uns um der Gerechtigkeit willen, der wir dienen, Leid angetan wird. Diese Seligpreisungen und Verheißungen gelten den
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Frommen, die schon aus dem bloßen Verlangen, aus der reinen Selbstverurteilung herausgetreten sind, bei denen schon eine Bewegung in der Sphäre der Gerechtigkeit begonnen hat. Wenn wir zaghaft sind und nicht wissen, ob wir sie auch wirklich auf uns beziehen dürfen, ob sie uns nicht vielmehr in die Sphäre des Gerichtes zurückwerfen, dann wollen wir uns an die erste Verheißung dieser Reihe anklammern: sie sollen Barmherzigkeit finden. Wer unter dem Gerichte steht, wird nur durch die Zusage der Barmherzigkeit wieder aufgerichtet. Aber wenn wir einmal die sich nach uns ausstreckende Hand der Barmherzigkeit ergriffen haben, dann wird nach evangelischer Lehre und nach eigener Erfahrung durch dieselbe Gnade auch in uns der Wille zur Güte und zur Barmherzigkeit geschaffen — das Umgekehrte, das in dem Gleichnis vom Schalksknecht beschrieben wird, ist doch das Unnatürliche, und seit es Jesus uns in all seiner Unnatürlichkeit aufgezeigt hat, ist es auch das Unmögliche —, und dann blüht wie von selbst, aber durch Gottes Gnade, die Freude am Heil- und Friedenschaffen in uns auf. Wir werden unversehens Organe der göttlichen Barmherzigkeit und des göttlichen Friedenswillens für die Menschen, und die herrliche Aussicht rückt uns ganz nahe, Gottes Kinder zu werden, Kinder, die zum Vater gehören, weil sie schaffen lernen, wie der Vater schafft, weil sie in ihrem Wirken Werkzeuge Gottes darstellen dürfen (vgl. Joh. 5, 19). So klingt schon in den Seligpreisungen eine reiche Verheißung an, die uns die Erlösung ankündigt: Gottes Vaterschaft, Gottes Barmherzigkeit, Gemeinschaft mit Gott. Wir werden sie in der Auslegung des göttlichen Willens bestätigt und erläutert finden. Vielleicht dürfen wir noch weiter gehen und sagen, auch der Geist von Gott ist ihnen nicht so fern, als man nach dem Wortlaut denken sollte. Bilden nicht in dem Gebet des Psalmisten (Ps. 51) die Bitte um das reine Herz und die um den Geist einen synthetischen oder gar synonymen Parallelismus ? Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz, und gib mir einen neuen, g e w i s s e n Geist; verwirf mich nicht von deinem A n g e s i c h t und nimm deinen h e i l i g e n Geist nicht von mir!
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Aufs neue bestätigt sich unsere These, daß die Heilsbotschaft der Bergpredigt ganz aus der Heilserfahrung des Alten Bundes geschöpft ist. Schon der Psalmist verlangt das Angesicht Gottes zu schauen; schon er weiß, was dazu gehört, der Besitz eines reinen Herzens, und er sagt noch mehr (worüber Jesus freilich schweigt!): daß das Herz nur durch den Geist von Gott gereinigt und rein gehalten wird. Jesus beschränkt sich darauf, zu versichern, daß die reinen Herzen zum Schauen Gottes in der Vollendung, im Reich Gottes, gelangen werden. Wir, die wir wissen, daß unser Herz durch Sünde befleckt ist und vergehen würde, wenn wir in diesem Zustande vor Gottes Angesicht gestellt würden — dies Vergehen ist wieder das Gericht, in dem wir stehen —, wir führen die Seligpreisung weiter, indem wir hinzufügen: Selig sind, die den Geist v o n G o t t haben, denn sie werden Gott schauen, und dann wird sie in unserem Munde zur Bitte: gib uns, Gott, deinen heiligen Geist, daß er unser Herz reinige, uns vor dein Angesicht führe und uns vor deinem Angesicht bestehen lasse. Und weil die Bitte „gottgemäß" ist (Rm. 8, 27), so wissen wir, daß die Seligpreisung, wenn auch nicht im Sinne des Wortlautes der Bergpredigt, so doch gewiß im Sinne des in seiner Ganzheit erfaßten Evangeliums, die gewisse Verheißung ist, daß der Geist uns geschenkt werden wird, und wir dürfen kraft dieser Gewißheit die Seligpreisung in die neue Form umgießen: Selig, die nach einem reinen Herzen verlangen, denn es soll ihnen geschenkt werden. Selig sind die hungern und dürsten nach dem h e i l i g e n Geist, denn sie sollen gesättigt werden1. Einen großen Gedanken hat noch die siebente Seligpreisung, der uns weiterhilft, die Verheißung der G o t t e s k i n d s c h a f t . Wie bekannt, spielt der Gedanke der Gotteskindschaft in den uns überlieferten Sprüchen Jesu keineswegs die Rolle, die man ihm in der erbaulichen Auslegung und in der Glaubenslehre zuweist. Die siebente Seligpreisung und die Verwendung 1 Daß wir hier Worte Jesu aus dem A. T. ergänzen und nach ihm interpretieren, ist wichtig für unsere theologische Schätzung des A. T. Wir kommen unten auf diesen Punkt noch einmal zurück.
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des Begriffs in der Empfehlung der Feindesliebe sind die Hauptstellen. Im erstgenannten Spruch wird die Gottessohnschaft als eine besondere Würde bezeichnet, die, wohl beim Gericht und im kommenden Reiche, denen zuerkannt wird, die auf Erden den Frieden gefördert haben1. Weil Gott der Friedensstifter ist, erwerben sich die, die ihm hierin helfen und ihn nachahmen, ein besonderes Anrecht auf diesen Namen. Dieser eschatologische Sinn des Titels scheint auch in den Spruchkomplex von der Feindesliebe hineinzuspielen (vor allem bei Lukas, vgl. 6, 35). Matthäus, der ständig Gott „unseren Vater im Himmel" nennt, hat wohl sagen wollen, daß dies Vater-Sohn-Verhältnis schon diesseits des Gerichtes und der Apotheose der Frommen besteht und in der Nachahmung des Vaters, seiner Vollkommenheit und grenzenlosen Güte sich verwirklichen soll. Dann ist also schon jetzt eine Gottesgemeinschaft vorhanden, und es ist das Werk Jesu, sie durch sein Wort und durch sein eigenes Gottesleben zu sichern, ihr zur Auswirkung im Dienste des Nächsten und vor allem im Dienste des Feindes zu verhelfen. Über ihre Begründung gibt Jesus keine besondere Lehre. Aber daß sie auf einer „Erklärung" oder Offenbarung Gottes beruht (genau so, wie die künftige Proklamation der Friedensstifter zu „Söhnen Gottes" ein göttlicher Akt ist), ist wohl selbstverständlich vorausgesetzt. Jesus übernimmt hier einfach das religiöse Bewußtsein des im Alten Testamente lebenden jüdischen Frommen (vgl. Ps. 103). Er kann an den Sinaibund gedacht haben (vgl. Ex. 4, 22), vielleicht auch an den Davidsbund (II. Sam. 7, 14), indem er die dem Davidssohn gegebene Verheißung auf alle Frommen übertragen hat. Sehr wahrscheinlich spielt aber auch die Überlieferung vom N o a h b u n d hinein, in dem Gott sich verbürgt hat, daß die Erde, trotz der Bosheit des menschlichen Herzens, nicht mehr geschlagen werden und daß Säen und Ernten nicht mehr aufhören soll, daß keine Katastrophen mehr über die Erde kommen sollen, Gen. 8, 20ff.; 9, 8ff. 2 . Denn was Jesus von Sonne und Regen sagt, ist eine Folge und Verwirklichung dieser Gottesverheißung und hat in ihr seinen Grund: Sonne und Regen ermöglichen es ja auch den Gottlosen, alljährlich zu säen und zu ernten. Durch die ständige Erfüllung seiner 1 S. meinen Artikel „Friedensbringer-Gottessöhne" in der ZNT 1925, 240 ff. 2 Vgl. o. S. 12.
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Verheißung ermöglicht Gott den Menschen die Existenz und das Leben. Nun teilen sich aber die Menschen in „Schlechte und Gute", in „Gerechte und Ungerechte". Die Guten und Gerechten sind diejenigen, die von jenem Bunde wissen, die die Naturerscheinung als Offenbarung der Treue Gottes anerkennen, die diesen Gott bekennen und ihm gehorsam sind. Als die Dankbaren, die Bekennenden, Gläubigen, Guten, Gerechten sind sie auch seine Söhne. Ihre Gottesgemeinschaft wird also anerkannt. Nur soll sie sich in noch Höherem betätigen, in der Verwirklichung unbegrenzter Güte und Vollkommenheit. So erst gliedert sich der Fromme völlig in den von Gott regierten Kosmos, in die von Gott gegebene und offenbarte Ordnung der Natur ein. Das ist der Sinn der Gotteskindschaft, wie sie hier gelehrt wird. Was bedeutet sie uns ? Ist sie ein Trost für uns, wenn wir uns vor das Unmögliche gestellt sehen? In jedem Falle wird uns aus diesem Spruch gewiß, daß die Offenbarungen Gottes in der Heilsgeschichte und in der Natur, zuletzt in dem Worte Jesu uns die Bestimmung und den Beruf zuweisen, als Gottes Kinder unser Leben zu führen. Gotteskind sein ist beides, höchste Gnade und höchste Aufgabe. Wenn Gott unser Vater ist, dann will und erwartet er auch etwas von uns. Aber als Vater weckt er in uns auch das Vertrauen, daß unsere „Bestimmung" ausführbar ist, und — daß die Gemeinschaft nicht zerbricht, wenn die Bestimmung sich im Leben nicht voll auswirkt. Dies letztere muß freilich ausdrücklich gesagt und offenbart sein. Im Gebot der Feindesliebe ist die Kundgebung nicht zu finden, wohl aber im Vaterunser und in dem auf die fünfte Bitte bezüglichen Spruch 6, 14f. Im Vaterunser ermächtigt uns Jesus, den „Vater" immer wieder wie um das Brot, so auch um die Tilgung der Schulden zu bitten. Die Gewißheit der Sündenvergebung ist damit als Grundlage unserer Gottesgemeinschaft verbürgt. Theologische Exegese kann den Gedanken gerade auch mit dem Gebot der Feindesliebe verbinden. Nicht nur ist beide Male das Tun Gottes mit dem Tun des Frommen verknüpft; das Vergeben kann auch speziell als eine Betätigung der Feindesliebe gewertet werden. Wenn wir wenigstens dem Feinde Vergebung gewähren, dann können wir in vollem Vertrauen den Vater um Vergebung anderer Schulden bitten. Und umgekehrt: wenn wir durch unsere Sünde uns immer wieder
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Gottes Zorn zuziehen und zu Gottes Feinden werden, dann ist auf Gottes Seite die Vergebung, die er uns schenkt und die uns wieder zu Kindern Gottes macht, ein Erweis seiner „Feindes"Liebe (vgl. Röm. 5, 10). Die Vergebung der Sünden ist keine neue Offenbarung Jesu (vgl. o. S. 109). Der israelitische Fromme und der von den Rabbinen geleitete Jude sind ihrer auch gewiß, wenn auch nicht in der Unbedingtheit wie der Jünger Jesu 1 . Das wird auch in der Form der Sprüche in der Bergpredigt anerkannt. Was Jesus betont, ist die Pflicht der Versöhnlichkeit auf unserer Seite2. Daß der Vater vergibt, ist keine neue Offenbarung, sondern Bestätigung eines bestehenden Glaubens, nur daß Jesus kraft der ihm gegebenen Vollmacht, einer Vollmacht, wie sie kein Schriftgelehrter besaß, aufs neue die Botschaft vom vergebenden Vater verkündet und sie mit seiner Vollmacht und mit dem Glauben an seine Person verbindet. Dieser Glaube an die Vergebung ist unsere Rettung in der geistigen Not, in die der Versuch, die Bergpredigt „auszuführen", uns hineinstößt. Wenn wir uns vom Worte sagen lassen müssen, daß der zornige Affekt, die lüsterne Begierde, das Rachegefühl, die Berechnung im religiösen Leben sündig sind; dann ruft dasselbe Wort uns zu, daß es eine Vergebung gibt und daß durch die Sünde die Gemeinschaft nicht zerbrochen wird, daß Gott bereit ist, die Gemeinschaft immer wieder zu erneuern. Die Vergebung, wenn sie tief erfahren wird, stärkt aber auch das Bewußtsein unserer Gotteskindschaft. Sehr schön und deutlich ist das in dem Schlußwort des Spruches über die Gebetserhörung 7, 11 zum Ausdruck gebracht. Obwohl wir „böse" sind, heißt es da, können wir doch wenigstens unseren Kindern Gutes erweisen ; wieviel gewisser ist es, daß unser Vater im Himmel denen, die ihn bitten, Gutes geben wird. Unwillkürlich und sicher nicht gegen den Sinn Jesu fügen wir hinzu: denen, die doch böse sind. Unser Schlechtsein hebt die Gemeinschaft mit dem, der allein gut ist, nicht auf: trotzdem dürfen wir beten, trotzdem auf Erhörung hoffen3. Schließt sich beides, unser Schlechtsein und 1 Vgl. I. A b r a h a m s , Studies in Pharisaism and Gospel I 1917 über: God's Porgiveness 139ff. und über: Man's Forgiveness 150ff. 2 Diese Verpflichtung kennt aber auch schon die jüdische Weisheit; vgl. Sirach 28,1 ff.; Moore Judaism II 154f.; Billerbeck und Fiebig zu Mt. 6,14. 3 Vgl. M. Goguel, Leben Jesu 383: „soweit es sich um die Welt
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Gottes auch dem Schlechten sich öffnende Güte (vgl. auch 5, 45) in unserem Bewußtsein zusammen, dann wird unser Gebet vor allem auch unsere Schlechtheit zum Ausgang nehmen. Das ist aber nichts anderes als die Bitte um die Vergebung und um den heiligen Geist. Das höchste „Gut", um das Gotteskinder zum Vater flehen, ist ja doch die Gnade, daß wir in der Gotteskindschaft bleiben mögen; diese Gnade aber verwirklicht sich im diesseitigen Leben in der Vergebung, die das Trennende und Fremde wegnimmt, und — im Geist, der das Kind dem Vater verwandt und ähnlich macht. Wir kommen auf diese Gabe Gottes hier noch einmal zurück. Es ist eines der wichtigsten Kennzeichen für den vorchristlichen Charakter der Bergpredigt, daß der heilige Geist in ihr fehlt, besser nirgends ausdrücklich genannt, vorausgesetzt oder verheißen wird. Und doch hegt er ihren Einzelworten nicht so ganz fern. Wir tun der Bergpredigt keine Gewalt an, wenn wir die inneren Vorgänge, die in ihren Sprüchen beschrieben oder vorausgesetzt werden, im Sinne christlicher Erfahrung als geistgewirkt bezeichnen. Den Geist als Träger unseres ganzen religiösen Bewußtseins zu fassen, ist paulinische Theologie; aber schon Psalmisten und Propheten haben den Ausdruck und die Erfahrung gekannt. So war Lukas von einem richtigen Instinkt geleitet, als er die „guten Dinge" des Matthäus durch den „heiligen Geist" interpretierte und ersetzte 11, 13. Das ist natürlich Christianisierung eines vorchristlichen Spruches1. Aber theologische Exegese darf sie vornehmen und sie auch in den Text des Matthäus übertragen. Wenn es der geschichtliche Jesus auch nicht gesagt und noch nicht in Aussicht gestellt hat — nur Matth. 10, 20 Par. verheißt er den Zeugen beim Gericht seine Inspiration —, wir wissen seitdem, daß der Geist gegeben wird, daß es Geist gibt, und wir haben gelernt, um ihn zu bitten. Heiliger Geist ist vor allem auch das Bewußtsein unserer Gemeinschaft und Verwandtschaft mit Gott (Röm. 8, 15); wie sollten wir „unseren Vater im Himmel" nicht vor allem um diese gute Gabe bitten dürfen ? In manchen Lukastexten ist die Bitte um den Geist auch und die Mensehen handelt, ist Jesus Pessimist, soweit es sich um Gott handelt, ist er Optimist." 1 Vgl. hierzu meinen Aufsatz: Jesus und der Geist nach synoptischer Überlieferung (Studies in early Christianity ed. by Sh. S. Case, 1928).
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in das Vaterunser eingetragen1. Auch dies ist ein Versuch der Christianisierung eines ausgesprochen vorchristlichen und vorpaulinischen Textes. Und doch gehört der Geist in die Reihe der Güter, um die uns Jesus im Vaterunser bitten heißt. In eine Sphäre, in der der Name in seiner Heiligkeit sich manife-. stiert, wo das Reich sich offenbart und der Wille Gottes erfüllt wird, gehört auch der Geist hinein. Wenn die drei Bitten erfüllt werden, dann muß auch der Geist da sein. Ist der Geist doch schon in der prophetischen Eschatologie eine Gabe der Endzeit (Ezech. 36, 22ff.), und bittet im Psalter der Fromme um seine erneuernde Kraft (Ps. 51). Historische Exegese wird es immer als eine merkwürdige Eigenheit der Bergrede ansehen, daß sie die Notwendigkeit des Geistempfangs und die Bitte um den Geist nicht kennt, vielleicht als einen auffallenden, empfindlichen Mangel. Theologische Exegese wird mit Berufung auf die Gesamtoffenbarung der Heiligen Schrift den Geist in all seiner Fülle in die Bergrede hineintragen. Ohne den Geist ist es unmöglich, Gott mit ganzer Seele zu dienen, den Nächsten und auch den Feind mit ganzer Seele zu heben, das Reich mit ganzer Seele zu suchen, das Herz von aller bösen Lust rein zu halten und in voller Hingabe zum Vater zu beten. Und wenn Matthäus dies auch nicht bedacht hat, wir schreiben mit großen Buchstaben über alle Seiten der Bergpredigt die Bitte, die uns aus tiefster Seele kommt, weil unsere Existenz und unsere Gottesgemeinschaft auf dem Spiele steht: D e i n heiliger Geist komme über uns und reinige uns! Wir kehren noch einmal zu dem Spruch 7,11 zurück. Dieser Zusatz „die ihr doch böse seid", der für die Argumentation in unserem Spruche so wichtig ist, ist auch für die religiöse Lehre Jesu belangreich: im Vergleich zu Gott bleiben wir immer „schlecht", aber doch sind und bleiben wir Gottes Kinder. Luthers Formel: „Sünder und doch Kinder" ist echte Jesusreligion, echte Lehre der Bergrede. Ich glaube, daß der Gedanke auch in dem Worte Jesu anklingt: „was nennst du mich gut; niemand ist gut als Gott allein" (Mk. 10, 18): Gott gegenübergestellt will auch Jesus nicht „gut" heißen. Jesus braucht damit nicht sagen zu wollen, daß er sich den „Schlechten" einrechnet: zwischen schlecht und gut gibts noch ein Tertium, jedenfalls 1 Vgl. A. v. Harnack, Erlebtes und Erforschtes 1923 S. 24ff.
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für den Propheten, für den Gottesmann und Gottessohn auf Erden. Aber mit Mt. 7, 11 verglichen, sagt das Wort deutlich, daß die absolute Gutheit, die Vollkommenheit allein bei Gott zu finden ist. (Wenn der Sohn nicht gut ist, sind es natürlich auch die Engel nicht; vgl. Mk. 13, 32; Hiob 4, 18; 15, 151.) Dann befaßt der Spruch 7,11 auch einen Gegensatz oder eine Einschränkung zu dem Wort von der V o l l k o m m e n h e i t und Ganzheit Gottes, die wir nachahmen sollen 5, 48. Wir werden diesen hochfliegenden Gedanken jedenfalls nur mit der Einschränkung auf uns beziehen können, die in 7, 11 angedeutet ist. Anders ausgedrückt: wir können unsere Existenz als Gotteskinder (ich sage mit Bewußtsein nicht: als Menschen; denn der „Mensch" wird durch dies Wort vernichtet) diesem Anspruch gegenüber nur behaupten, wenn wir uns an die Gewißheit klammern, daß es eine Vergebung und einen heiligen Geist gibt. Vielleicht ist das auch die ursprüngliche Meinung des Wortes (5, 48). In jedem Fall gibt die Bergpredigt uns die Möglichkeit, auch diesem Worte gegenüber uns in Gott zu retten. Christlicher Glaube weiß, daß der Gott, der die Vollkommenheit fordert und den Unvollkommenen richtet, zugleich der Gott ist, der die Vergebung und den Geist schenkt. Mit Vorstehendem wird die Probe einer theologischen Exegese gegeben, die organisch aus dem Text und seiner geschichtlichen Gestalt herauswächst. Obschon dem Theologen verschiedene Möglichkeiten offenstehen, die Bergrede religiös zu werten, so meine ich doch, daß die oben befolgte Gedankenführung, von der Bergrede aus gesehen, richtiger ist als die theologische Erklärung, die K i t t e l gibt. Es ist jedenfalls nicht richtig, wenn Kittel sagt, die Bergpredigt köne nur zerbrechen; falsch „Gottseidank" die furchtbare Äußerung: Die Bergrede sei wirklich nichts als ein trostloses: „Ihr laßt den Armen schuldig werden"2; und einseitig die Erklärung, die Wirklichkeit und Gegenwärtigkeit der Vergebung sei nur im Kreuz zu finden 3 . Gewiß, die Bergpredigt enthält vorwiegend Forderung, deckt also unsere Not und Sündigkeit auf, ohne daß dies die ursprüng1 Wort 10,18 2 3
Es scheint mir möglich, daß die Aussage Hiobs über die Engel Jesu und Selbstbewußtsein mit bestimmt hat. Zur Auslegung von Mk. vgl. m e i n Buch „Paulus und Christus" S. 266ff. Zeitschr. f. syst. Th. S. 590. So fasse ich die Äußerung Kittels auf.
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liehe Absicht, geschweige das letzte Ziel ist, das sie verfolgt. Aber sie läßt den Menschen keineswegs in der Erkenntnis seiner Gottlosigkeit und Ohnmacht stecken. Das Wort von der unzerstörbaren Gottesgemeinschaft, von der Vergebung, von der Gnade und Hilfsbereitschaft des Vaters, das Wort vom Heil für die Heilsbedürftigen ist auch in ihr zu lesen. Das Kreuz, das als Heilssymbol der Bergpredigt vollkommen unbekannt ist, ist keineswegs die einzige Zuflucht für den, der die Worte „gehört" hat und weiß, daß er sie noch nicht „tut". Es ist nur seine letzte Zuflucht. Wir können dann auch mit S t a n g e — der übrigens die Meinung, Jesus habe nur die Forderungen des sittlichen Bewußtseins so sehr vertieft und verschärft, daß ihre Unerfüllbarkeit deutlich werde, gleichfalls als eine Einseitigkeit verwirft 1 — sagen, der Grund der Seligpreisung sei, daß der messianische König gekommen sei, indem in ihm das Gottesreich, Gottes Herrschaft und Gottes Leben komme 2 . Das ist freilich erst Erfahrung und Bekenntnis der Kirche, und steht so nirgends in der Bergpredigt. Jesu Funktion ist zunächst nur die, daß er das Wort aufs neue kräftig verkündet: daß „Gottes Reich" den Heilsbedürftigen offen steht, daß Gott seinen Kindern alles gibt, was sie verlangen, daß Gott vergibt. Er ist ein neuer, kräftiger Zeuge dieses Heilsglaubens. Aber insofern ein eigenes Gottesbewußtsein als der Hintergrund dieses Zeugnisses zu erfühlen ist, können wir bekennen, daß für uns diese Gottesgemeinschaft in ihm zu uns „gekommen ist" 3 . Doch wir müssen uns nun auch noch, mit der Bergpredigt in der Hand, unter das Kreuz Jesu stellen. Unser e r s t e r Satz muß sein: nicht daß das Kreuz unsere Übertretungen der Bergpredigt sühnt, sondern: a u c h die B e r g p r e d i g t h a t J e s u s a n d a s K r e u z g e b r a c h t 4 . Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß Jesus durch seine öffentliche Lehre vom Gesetz und durch seine öffentlichen Angriffe gegen die Schriftgelehrten und ihr theologisches System bei den theologischen Führern des Volkes den Wunsch erweckt hat, ihn zu beseitigen. Ein Teil dieser Ärgernis weckenden Botschaft ist in der Bergpredigt gesammelt. Nach fester jüdischer Lehre gehörte ein Mann, der 1 Z. f. syst. Th. S. 69. 2 A. a. 0 . S. 70f. 3 Die 1. Aufl. redete in diesem Absatz zurückhaltender. 4 Vgl. o. S. 123.
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Thora und Tradition angriff und behauptete, zum Messias berufen zu sein, ans Kreuz, denn er war ein Falschlehrer, ein falscher Prophet, ein falscher Messias, ein Störer der kirchlichen wie der politischen Ordnung. Die Bergpredigt hat Jesus an das Kreuz gebracht. Der Satz ist richtig, auch wenn der Evangelist ihn nicht deutlich bezeugt und ihn in seiner Darstellung vom Prozeß Jesu nicht herausgearbeitet hat. Diesem historischen Satz setzt nun Kirche und Theologie (noch nicht Matthäus) einen zweiten Satz aus ihrer Verkündigung entgegen: Das Kreuz sühnt alle Sünden der Gläubigen, auch die vielfachen Ü b e r t r e t u n g e n der Lehre Jesu in der Bergpredigt. Wenn der Text der Bergpredigt mit seinen Einzelvorschriften und mit seinen eindeutigen eschatologischen Sätzen 5, 21; 7, 13; 7, 21; 7, 24—27 den Christen in Verzweiflung bringt, die Botschaft vom Kreuz löst die Verzweiflung in Heilsgewißheit auf. 2. Die ausschließliche Beziehung der Bergrede auf den Gerichtsgedanken hat sich somit als eine Einseitigkeit herausgestellt, die teils der Komposition des Evangelisten, teils einer einseitigen Einstellung der theologischen Exegeten zur Last fällt. Wenn wir den Inhalt richtig zur Geltung bringen, erscheint eine Sphäre von Gottesgnade und Gottesgemeinschaft, der sich die Imperative organisch eingliedern. Diese Imperative haben nun aber auch in ihrer E i n z e l g e s t a l t u n g Anlaß zu viel Kritik und Umdeutung gegeben. Man bezeichnet „die" Forderungen der Bergpredigt wörtlich gefaßt als paradox, rigoristisch, unsinnig, überspannt und will damit entweder sagen, daß sie nicht wörtlich gefaßt werden können, oder daß in ihnen die Absolutheit der göttlichen Forderung heraustrete und damit die Verurteilung des Menschen und die negative Ankündigung eines anderen Heilsweges, auf dem der Imperativ seine Auflösung findet. Schon aus unseren rein exegetischen Betrachtungen hat sich ergeben, daß wir mit den üblichen Bezeichnungen: paradox, rigoristisch, absolut usw. vorsichtig sein müssen (s. o. S. 65ff.). Das hervorstechende Merkmal der Forderungen der Bergrede ist vielmehr ihre Sachgemäßheit. Sie fließen zumeist aus einer religiösen Weisheitserkenntnis, die ihre Wurzel in der populären „Weisheit" Israels hat. Es sind klassische Ausprägungen richtiger Gesinnung, richtigen Tuns, richtigen Verhaltens gegen Gott und den Nächsten, die als solche im allgemeinen UNT IC: W i n d i s c h -
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nicht beanstandet werden können. Bedenken erwecken nur die Gebote, in denen das Richtige in starker Einseitigkeit herausgestellt wird und mit anderweitigen Rücksichten, Verpflichtungen, Umständen und Bedürfnissen nicht gerechnet wird. Noch einmal sei davor gewarnt, zu meinen, die Einseitigkeit sei dem Spruchredner bewußt gewesen und die Sprüche seien überhaupt nicht wörtlich gemeint gewesen. Der Spruchredner folgt in den „rigoristischen" Sprüchen dem Zwange einer bestimmten religiösen Logik; was er fordert, ist von der Überzeugung getragen, daß das Richtige nur in dieser radikalen Fassung ausgedrückt werden kann, und die Einseitigkeit ist durchaus in seinem eigenen Willen, in seiner eigenen Haltung verwirklicht. Er ist selbst so frei von den Verlockungen und dem Zwangsdienst des Mammons, wie es eben für den religiösen Menschen das einzig Richtige ist. Er sammelt nur Schätze im Himmel. Er kennt keine Sorgen um die Erhaltung seiner natürlichen Existenz. Er ist bereit, roher Gewalt sich zu fügen und persönliche Verunglimpfung mit Fürbitte und Wohltat zu beantworten. Und wie diese Haltung in ihm selbst verwirklicht ist, so glaubt er, daß sein Wort und sein Vorbild auch die anderen Gotteskinder zu gleicher rückhaltloser Hingabe an Gott und gleicher Gültigkeit fortreißen wird. Wenn dieser Erfolg bei uns nicht erreicht wird, so hat das zumeist zwei verschiedene Gründe: einmal, daß unsere Kraft der Hingabe und der Güte viel zu schwach ist, um das Äußerste zu erreichen, was hier vorgelebt und gefordert wird — hier ist dann unsere Zuflucht die Verheißung, die gerade denen gilt, die Gott gegenüber „schlecht" sind und dennoch Gottes Kinder bleiben; sodann der Umstand, daß wir nicht gewillt sind, uns in unserem empirischen Leben, in den ethischen und religiösen Ansprüchen, die wir uns stellen lassen, von unseren empirischen konkreten Notwendigkeiten loszumachen. Wir sehen in Volk und Staat, Familie, Recht, Kultur Gebilde, die jeweils auch Erscheinungsformen der Sünde sind, aber ebensosehr Gestaltungen eines nach dem Guten hinzielenden Willens, denen wir uns nicht versagen dürfen. So kommen wir zu der Lösung, die wir nur nicht mit der „Meinung" der Bergpredigt oder Jesu gleichsetzen dürfen (wie Hermann, Dibelius u. a.), daß f ü r uns die Forderungen der Bergrede keine imperativischen Gebote, keine wörtlich bindenden Vorschriften sind, sondern individuell
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bedingte Ausprägungen einer heiligen Gesinnung, die unter anderen Voraussetzungen zu anderen Ausprägungen gelangt. Wir werden, wenn wir geschlagen, beleidigt, in unserem Besitze geschädigt werden, von den uns zur Verfügung stehenden Rechtsmitteln Gebrauch machen, um Wiederholungen vorzubeugen, aber doch dabei uns bemühen, jedes Gefühl von Rachgier und Vergeltungssucht in uns zu bekämpfen. Wir werden dann nicht sagen, daß wir das Gebot erfüllen, wie Jesus es gemeint habe, denn was Jesus gemeint hat, ist die wörtliche Erfüllung. Aber wir werden sagen dürfen, daß wir der Gesinnung, auf die er abzielte, auch in unserer Haltung Ausdruck geben können und wollen1. In anderen Fällen wird unsere Haltung nur als ein Kompromiß beurteilt werden können. „Schätze sammeln" werden auch wir, wenn wir die Gelegenheit dazu haben, sei es für uns und unsere Familie, sei es für die Gruppe, der wir zugehören, und werden dann, wie wir uns auch ausreden mögen, von dem Spott und der Kritik seiner Weisheitsrede getroffen 6, 19. Ebenso halten wir es für unsere Pflicht, die natürlichen Existenzfragen, wie sie durch unser Wirtschaftsleben uns aufgezwungen werden, nicht als Zeichen von Kleinglauben abzuschütteln, sondern herzhaft anzugreifen, da wir glauben, daß die Logik der Beweisführung, die wir im Grundsatz anerkennen, für uns nur Bestand hat, wenn vernünftiges Nachdenken über die Wege zur Erhaltung unserer Existenz und tapferes Arbeiten zu diesem Zweck der von Jesus ausgesprochenen Überzeugung zur Seite treten. Wir dehnen also die 6, 34 gemachte Konzession auch auf die kommenden Tage aus, sogar über Jahre hinaus. Wir wissen, daß „Schätze sammeln" und arbeiten für die Existenz oft genug den religiösen Antrieb in uns und das Leben in Gott und Hören auf Gott stört. Aber es ist das eben unsere Situation und unsere vom Mann der Bergpredigt so nicht vorgesehene oder nicht anerkannte Aufgabe2, darum zu kämpfen, daß wir über 1 Vgl. hierzu die vortreffliche Auslegung des Wortes „Vom Backenstreich" bei K. Eger, a. a. O. S. 70ff.; irrig ist nur die Meinung, das Jesuswort werde nur dann in seinem ursprünglichen Sinn verstanden, wenn es auf dem Boden der natürlichen menschlichen Gemeinschaftsordnung, die Bechtsordnung ist, begriffen werde (S. 78). Davon erscheint der Mensch gerade losgelöst. 2 Vgl. hierzu noch O. B a u m g a r t e n , Bergpr. u. Kultur d. Gegenwart, 81 ff. 11*
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4. Kapitel. Theologisohe Exegese der Bergpredigt
der durch die Wirtschaftsverkettung uns aufgezwungenen Arbeit für diesseitige und begrenzte Ziele das Ringen um das Reich und die Ehre Gottes nicht außer acht lassen, oder auch daß wir lernen, die beiden Richtungen, die Jesus streng geschieden hat, zusammenzuschließen zu einer Einheit, in dem Bewußtsein, daß der Gott der Schöpfungsordnung, der uns die Arbeit verordnet, und der Gott, der sein Reich kommen lassen will und auch einen Himmel für uns bereit hat, ein und derselbe sind. Der Konflikt zwischen ,den Forderungen Jesu und den realen Bedingungen unserer Existenz wird von uns durchaus anerkannt. G. Wünsch nennt es einen Konflikt zwischen der Bergpredigtmoral und der Schöpfungsmoral, zwischen der Forderung Jesu und der Forderung unserer Daseinsbehauptung, und verlangt, daß jene durch die Moral der Schöpfungsordnung korrigiert werde. Das ist im wesentlichen richtig, nur nicht ganz korrekt ausgedrückt1. Auch Jesus rechnet mit der Schöpfungsordnung, er sieht sie nur anders, er will uns den enthusiastischen Glauben inspirieren, daß schon die Schöpfungsordnung uns all diese Sorgen abnimmt und daß schon in ihr für unsere Daseinsbehauptung gesorgt ist. Die Korrektur, die wir auf Grund einer anderen Wirklichkeitsbetrachtung vornehmen müssen, geht also darauf, daß wir unsere Pflicht zur Arbeit und zur ökonomisch-sozialen Vorsorge in die Schöpfungsordnung einrechnen und so zu einem Arbeiten in zwei Sphären kommen mit all den Konflikten und Kompromissen, die das Sorgen und Streben nach zwei Welten notwendig erzeugt. Wir lassen uns gern auf die Blumen und auf die Vögel hinweisen Mt. 6, 26. 28, aber legen noch die besondere Anwendung ein: „um wieviel mehr wird Gott uns nähren und kleiden, die wir im Gehorsam gegen seine Schöpfungsordnung säen und ernten und in die Scheuern sammeln oder das von anderen Volksgenossen in harter Arbeit 1 Eine Kritik an Wünschs These gibt A. D. M ü l l e r (Z. Th. K. 1928, 372f.). Er meint, die Bergpredigt verliere damit die Bedeutung eines letzten Maßstabes, überhaupt werde so der Universalcharakter der Offenbarung in Christus in Frage gestellt. Das hat M. in der Tat richtig gesehen. In ihrer ursprünglichen Fassung kann die Bergpredigt keinen „letzten Maßstab" abgeben. Die synoptische Jesus-Überlieferung ist antik und nicht suffizient; sie muß ergänzt und korrigiert werden. Das letzte Wort hat hier aber nicht etwa der Kritiker, sondern die Gesamtwirklichkeit und der Gott, der hinter ihr steht und größer ist als der Christus im Fleisch. Diesem von Gott uns aufgegebenen Tatbestande hat die Theologie sich zu beugen.
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hergestellte Brot uns geben lassen — gegen anderweitige Berufsarbeit, die wir leisten im Dienst des Volkes und der Kultur, in die uns Gott hineingestellt hat". Und wir verbinden mit der frommen Weisheit der Bergpredigt die herbe strenge Weisheit der Sprüche König Salomos mit ihrem Hinweis auf die emsig und vorsorglich arbeitende Ameise (Sp. 6, 8). Schwieriger ist es, von der Bergpredigt aus die richtige Haltung gegenüber dem Feinde im Falle eines K r i e g e s zu finden. Man kann sagen, über oder gegen den Krieg enthalte die Bergpredigt keinerlei Anweisung, da auch in diesem Gebot der Umkreis des Privatlebens nicht überschritten sei. Aber es gibt Worte, die lassen sich kraft einer ihnen innewohnenden Logik ungekünstelt auch auf weitere Verhältnisse anwenden, und zu ihnen gehören gewiß die siebente Seligpreisung, das Verbot der Notwehr und das Gebot der Feindesliebe. Christen m ü s s e n wünschen, daß Volk und Regierung auch dem nationalen Gegner gegenüber sich von den hier ausgesprochenen Grundsätzen leiten lassen1. Wenn sie nachdenken, müssen sie alle l e i c h t f e r t i g e Rechtfertigung des Krieges aufs schärfste verurteilen und können nur die Darlegungen ernst nehmen, die zeigen, daß hier um die Lösung eines Konfliktes gerungen wird und daß man einer Zwangslage gehorcht, die das an Jesu Wort gebundene Gewissen nach wie vor belastet. Wenn wir Lagen und Fälle anerkennen, wo dem Kriege ein sittliches Recht zusteht, tun wir das in dem Bewußtsein, daß hier ein Konflikt von entgegenstehenden Pflichten vorliegt, in dem wir eine Wahl zu treffen genötigt sind, und daß wir mit der Billigung des Krieges und der Beteiligung an ihm den uns vorgesetzten Führern und unserem Volke dienen, aber ein Gebot Jesu, das wir doch auch auf den Kriegsfall anwenden möchten, verletzen. Wir können uns dann darauf berufen, daß der Konflikt die Konkurrenz zwischen dem Gebot der Nächsten- und dem der Feindesliebe ist, daß wir also, auch wenn wir uns gegen die Feindesliebe entscheiden, doch einem Gottes- und Jesusworte gehorsam bleiben2, aber wir werden auch so den Gedanken nicht los, das Richtigere wäre, eine Lage zu schaffen, in der diese verhängnisvolle und ge1 Treffliche Worte in diesem Geiste s. bei P. Wernle, Antimilitarismus und Evangelium 1915, S. 62f. 2 Der Gedanke ist wohl von A. S c h l a t t e r . Eine andere Rechtfertigung bei M. D i b e l i u s , Ev. u. Welt 165f.
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fährliche Konkurrenz aus der Welt geschafft wäre. Die heilige Aufgabe derer, die hierzu die Macht und den Beruf haben, bleibt, als echte pacifici mitzuarbeiten, daß ein Zustand, der uns immer wieder in den furchtbaren und auf die Dauer unerträglichen Konflikt hineinwirft, beseitigt werde: Über jedem, der hier mitarbeitet, leuchtet etwas vom Glanz und vom Segen der siebenten Seligpreisung. Daß das Wort P a c i f i s m u s ebenso wie das damit bezeichnete Ideal von dem Text dieses Jesuswortes (beati pacifici!) herzuleiten ist, darf ein christlicher Theolog, der den Krieg zu rechtfertigen sucht und den Pacifismus bestreitet, nicht einen Augenblick außer acht lassen. Wir haben es hier nur mit dem Beitrag der Bergpredigt zum Problem des Krieges zu tun. Wichtige Texte außerhalb der Bergpredigt sind noch das Wort des Täufers an die Soldaten Lk. 3 , 1 4 (der keineswegs fordert: tretet aus dem Heer aus oder verweigert den Dienst!), das Gespräch Jesu mit dem Hauptmann von Kapernaum, wo Jesus die Anwendung eines militaristischen Prinzips auf seine Person in hohen Worten preist, das Kriegsgleichnis Lk. 14,31 f., in dem Jesus zeigt, wie gut er die realistischen Bedingungen des Krieges zu beurteilen weiß, das ganz singulare Gebot des Schwertgebrauchs Luk. 22,36, die Androhung des Strafgerichts gegen Jerusalem Mt. 22,7; Luk. 19,41—44, wobei das .feindliche Heer offenbar als Organ des göttlichen Strafgerichts bezeichnet ist; die Kriegsprophezeiung Mk. 13, 7 Par., die sich indes nur auf die eschatologische Zeit bezieht; andererseits dann das Verbot aller Gewaltmaßregeln Mt. 20, 25f. und das dementsprechende Christuswort Joh. 18, 36. Einige dieser Worte bestätigen die unzweideutige Tendenz der Bergrede, die anderen widersprechen ihr oder sind neutral, da sie sich nicht auf die Jünger Jesu beziehen. Der Widerspruch (Lk. 22, 36) bezieht sich indes nicht auf die Stellung zum Krieg, sondern lediglich auf den privaten Schwertgebrauch 1 . Daß das Kriegführen eine natürliche Äußerung jeder weltlichen Macht ist, hat Jesus anerkannt. Über die Chancen hat er sehr realistisch geurteilt(Lk. 14, 31 f). Aber die Begriffe Vaterlandsliebe und Vaterlandsverteidigung sind dem Horizonte Jesu fremd. Man kann sie nur rechtfertigen, wenn man dem Staat und dem organisierten Volksstaat einen ethischen Charakter zuweist, der ihm im Evangelium Jesu nicht zugebilligt wird. Auch dann ist der Krieg als solcher noch nicht gerechtfertigt, wohl aber eine Basis geschaffen, auf der das Recht des Krieges dem Evangelium und der Bergpredigt gegenüber wenigstens diskutabel wird. Wir werden uns dann dem Evangelium gegenüber nicht nur auf die Geschichte des alten Äon berufen, die eben ganz anders verlaufen ist, als im Evangelium „prophezeit" und vorgesehen i s t ' — der Einfluß der Eschatologie auf die Ethik des Evangeliums, insbesondere auf die der Bergpredigt, ist nicht so 1 Nur ist in diesem Falle deutlich einmal gesagt, daß die Vorschrift sich zu bewaffnen neu ist und der veränderten Situation entspricht ; es ist Interimsethik, die nur gilt, solange die Zeiten unsicher sind. 2 Hierauf habe ich mich Theol. Rundsch. 1915, 349 berufen.
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umfassend, wie oft, auch von mir behauptet ist (vgl. Kap. 1) — sondern vor allem auf den individualistischen und „gemeinsohaits"artigen Charakter dieser Ethik, die kein Interesse an den durch Schöpfungsordnung, Natur und Geschichte gebildeten Gemeinschaften zeigt. Das Entscheidende ist, daß wir sittliche Bindungen und Werte haben und anerkennen, die im Evangelium, speziell in der Bergrede, ignoriert oder negiert sind 1 , und die Frage ist, wie wir uns bei evidenten Konflikten zwischen diesen Bindungen und den Weisungen der Bergrede zu verhalten haben. Ein entschiedener Christ wird in solchen Konflikten anders handeln, anders reden, anderes wünschen müssen als jemand, der nur ethisch gesinnter Politiker, Patriot, Staatsmann ist. Ein Christ wird dafür eintreten, daß auch im Leben dieser im Evangelium ausgeschalteten Gemeinwesen die christlichen Grundsätze soviel als möglich durchgesetzt werden. Jeglicher Konflikt zwischen Christenpflicht und Bürgerpflicht scheint nach der Meinung Vieler in dem Christuswort Joh. 18, 36 „mein Reich ist nicht von dieser W e l t . . . " beseitigt. Hier findet man zweierlei ausgesprochen: 1. Die Gebote und Interessen Christi berühren die Reiche dieser Welt nicht und 2. in den irdischen Reichen ist es selbstverständliche Pflicht der „Diener", f ü r ihre Herrscher und Führer zu kämpfen —• also radikale Scheidung der Sphären und der Pflichten und Anerkennung auch der irdischen Sphäre und ihrer Existenzbedingungen und Prinzipien, wie ähnlich in dem synoptischen Jesuswort von Cäsar und Gott. So positiv ist indes die Anerkennung der weltlichen Ansprüche gewiß nicht gemeint (auch in dem Cäsarwort nicht) 2 . Wohl aber können wir sagen: wir gehören zwei Welten an; Gott hat uns auch durch Geburt und Geschichte in ein diesseitiges Reich hineingestellt und uns damit die Verpflichtung auferlegt, auch für diese Gemeinschaft uns einzusetzen. Nur daß mit solcher Unterscheidung dem Anspruch der Bibel noch nicht genug getan ist. Denn der Herr unseres Glaubens hat auch für die Gemeinschaften dieser Welt und für uns, die wir in irdischen Gemeinschaften uns bewegen und seines himmlischen Reiches Anwärter sind, seine Weisungen gegeben. Wohl dem Christen, der einem Reiche dient, wo wie im Evangelium der Eigennutz bekämpft, Opfersinn und Opfermut f ü r die Gemeinschaft für die notleidenden Brüder, Hingabe, Gehorsam und Einsatz der Person verlangt und „positives", d. h. praktisch-produktives Christent u m zur Grundlage der Volksgemeinschaft gemacht ist. Zur Literatur verweise ich auf meine Schrift: Der messianische Krieg und das Urchristentum 1909 und auf meine Berichte: Jesus und der Krieg in Theol. Rundschau 1915—1917; weiter auf J o h . W e n d l a n d , Handbuch der Sozialethik 1916, 269ff., E d . G r i m m , Ethik Jesu »1917, 290ff.; eine umfassende Studie, die das Problem nach seiner exegetischen, politischen und theologischen Seite ausführlich, aber doch sehr einseitig erörtert: 1 Das ist eben die „ I n s u f f i z i e n z " der Ethik Jesu für unsere Zeit — oder für die, die nicht wie Mönche oder wie die Taufgesinnten und „Schwärmer" leben können. 2 Vgl. meine Schrift Imperium u. Evgl. i m N . T . S . l l f f . ; M. D i b e l i u s , Das soz. Motiv im N.T. (a. a. O.) S. 12f.; E . S t a u f f e r , Gott und Kaiser im N. T. 1935, S. 12ff.
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4. Kapitel. Theologische Exegese der Bergpredigt
G. J. H e e r i n g , De zondeval van het christendom. Een studie over christendom, staat en oorlog. 1928.
Noch eine letzte allgemeine Betrachtung über die Beziehungen der Bergpredigtethik zu Welt und Kultur. Welt- und kulturfeindlich im eigentlichen Sinne des Wortes ist die Bergpredigt nicht. Davor schützt sie ihr Schöpferglaube und ihr Vertrauen in die Zweckmäßigkeit und Güte der Schöpferordnung. Aber Kulturzwecke und Aufgaben in der Kultur kennt sie nicht. Diese Gleichgültigkeit hat einmal ihren Grund in der eschatologischen Perspektive und in der einseitigen Richtung der Gedanken auf die künftige Weltordnung, das Reich Gottes, dann in der radikal individualistischen Ausprägung ihrer Ethik, die nur das Ich, den Nächsten und den Feind als Objekte kennt, nicht den Staat oder die Menschheit, endlich in der „Soziallehre" der Bergpredigt, die wie die des jüdischen Pietismus und die des ganzen N. T.s als einzige Norm das nötige Auskommen anerkennt, das eben durch den Schöpferglauben jedem garantiert ist, während etwaiges überschüssiges Verdienst oder Besitztum weder für Luxus oder Kunst, noch für Kapitalansammlung verwendet wird, sondern nur für Almosen. An soziale Revolutionierung der Gesellschaft denkt die Bergpredigt und das Evangelium ebensowenig wie an kritiklose und passive Anerkennung des Bestehenden: vor beidem bewahrt uns die Erwartung des Gerichtes und des Reiches Gottes, aber auch der Glaube an Gott, den Schöpfer und gerechten Versorger aller, der Guten wie der Bösen. Es ist bis zu einem gewissen Grade mögüch, auch in unserer Gesellschaft diese Haltung zu bewahren, und allen derartigen ernsthaften Versuchen haben christliche Theologen ihre Achtung entgegenzubringen1. Denn das ist die Haltung, die Jesus vorgelebt und seinen Jüngern vorgeschrieben hat. Man darf auch nicht einwenden: das heiße, die Bergpredigt zum Gesetze machen; denn so ist die Rede Jesu in der Tat gemeint. Man kann nur einwenden, daß solche Haltung undurchführbar ist, weil auch der religiöse Anarchist seine Existenz niemals ganz von der von ihm bekämpften Staats- und Kulturgemeinschaft loslösen kann. Unannehmbar wäre für uns aber auch eine Scheidung zwischen persönlicher Moral, die dann die der Bergpredigt wäre, 1 Ich denke z. B. an den Holländer K e e s B o e k e i n Bilthoven; vgl. Die evangel. Kirchen der Niederlande (Ekklesia III 9) 1934, S. 168.
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und Kultur- und Staatsmoral, die wesentlich auf der sogenannten E i g e n g e s e t z l i c h k e i t der Kultur zu begründen wäre. Dagegen protestiert in unserem Gewissen unser auch von der Bergpredigt genährter Glaube, daß die Schöpfungsordnung Gottes ist und daß der Wille Gottes an alle Kreatur ergeht. Ehrlich haben wir dann anzuerkennen, daß wir in dieser Hinsicht die Bergpredigt nicht mehr wörtlich erfüllen, und uns damit zu begnügen, statt der absoluten Vergleichgültigung der „irdischen Dinge" eine relative Vergleichgültigung zu fordern und gegen die Versuchungen anzukämpfen, die von der Welt her gegen unsere Glaubenshaltung herandrängen. Andererseits werden wir das Leben in der Welt als eine Bewährung des Gehorsams gegen Gott verstehen und darin einen Ausfluß der göttlichen Schöpfungsordnung sehen, die wir also anders auffassen als Jesus in der Bergpredigt. Wir können uns für solche Haltung auf gewisse Gleichnisse berufen, aus denen hervorgeht, daß Jesus Treue und Ausdauer in der Arbeit auf profanem Gebiete als sachgemäße Haltung anerkannt hat, auch wenn es sein Beruf nicht gewesen, dazu anzumahnen; hierfür war er zu wenig Weisheitslehrer im umfassenden Sinne des Wortes und unterscheidet er sich wesentlich von Jesus Sirach. Hier können uns „Gesetz und Propheten" gute Dienste leisten, wo im Namen desselben Gottes, von dem Jesus sich gesandt wußte, gelehrt wird, wie auch in einer empirischen Volksund in der empirischen Völkergemeinschaft die Ordnung der Dinge auf Recht und Liebe gegründet sein soll. Indem wir uns auf das Wort von der Erfüllung von Gesetz und Propheten berufen, nehmen wir diese Forderungen in das Evangelium auf und ergänzen dieses mit den als richtig und bleibend erkannten Richtschnuren, die das A. T. uns darreicht. Natürlich können nur solche Gedanken des A. T.s ins Evangelium eingefügt werden, die sich dessen Geiste anpassen lassen. Die brutalen Kriegsund Staatsgebote des A. T. kommen für den, der die Antithesen der Bergrede verstanden hat, nicht in Frage. Es sind vor allem die sozialen, die humanen, die auf dem Begriff der Gerechtigkeit gegründeten Gebote, die wir im Evangelium zur Erfüllung bringen wollen, insofern sie in ihm nicht recht zur Geltung kommen oder ausdrücklich als gleichgültig behandelt sind. Man kann ja leider zweifeln, ob überhaupt der Begriff der sozialen Gerechtigkeit im Evangelium seinen Platz hat (vgl.
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4. Kapitel. Theologische Exegese der Bergpredigt
Lk. 12, 13f.; 17, 7—9)! Das humane Verhalten, das im Evangelium gefordert wird, beschränkt sich jedenfalls auf Heilsarmeearbeit, Caritas, Samariterarbeit und Innere Mission. Direkte Motive für Rechtsordnung und soziale Arbeit reicht nur der im A. T. offenbarte Gotteswille dar. Wer sie daraus entnimmt, wird sie dann als Erläuterungen und Anwendungen des allgemeinen Grundsatzes der „Nächsten"- und ,,Feindes"-Liebe auch ins Evangelium einzufügen wissen. Für christliche Rechts- und Staatspolitik bleibt ja doch die Liebe das oberste Prinzip und allen Gesetzes Erfüllung. Das bedeutet, daß wir die Eigengesetzlichkeit mit allem Untermenschlichen, das ihr anhaftet, nicht als etwas Gegebenes hinnehmen, sondern im Namen von Gesetz und Evangelium umzubrechen suchen; daß wir Grundlinien für eine christliche Volksmoral, christliche Wirtschaftsethik und christliche Staatspolitik entwerfen, daß wir Staat und Kultur als Größen fassen, die auch anders werden können, in dem Bewußtsein, daß Gottesglaube etwas Kritisches ist, ein Angriff, eine Anzweiflung von allem Positiven, geschichtlich Gewordenen, natürlich Gegebenen1. Es bedeutet freilich auch, daß wir uns nicht einbilden, das Reich Gottes auf Erden schaffen zu können. Wir können nur Richtlinien ziehen, Ziele aufstellen und einige Schritte tun, um die Richtung zu gewinnen und dem Ziele näher zu kommen. Theologisch ist an dieser Stellungnahme vor allem wichtig, daß wir das A. T. auf eine Weise zur Geltung bringen, die zwar den Prinzipien der Bergpredigt nicht widerspricht, aber doch so in ihr nicht vorgesehen ist. Den radikalen Marcionitismus lehnen wir ab. Unsere Haltung hat aber auch eine weitere Konsequenz, die in theologischer Hinsicht bedeutsam ist: sie erweist die I n s u f f i z i e n z der B e r g p r e d i g t und des Evangeliums für unsere Erkenntnis des Gotteswillens. Daß diese Einsicht auch für die Christologie Folgerungen hat, sei nur noch angedeutet. Wer Augen hat, zu sehen, der sehe! Unsere Wertung der Bergpredigt kommt somit schließlich der von Herrmann und D i b e l i u s sehr nahe, nur daß wir ausdrücklich ihren Abstand von der ursprünglichen Meinung des Textes anerkennen. Wir sind es, die in den Worten Jesu keine 1 Vgl. die schönen Ausführungen von E. Brunner, Christlicher Glaube nach reformierter Lehre in: Der Protestantismus der Gegenwart 1926, 265ff. und das Buch desselben Verf. „Das Gebot u. die Ordnungen".
XI. Theologie der Bergpredigt
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Regeln und wörtlich zu befolgende Vorschriften sehen. Wir sind es, die sie nur als allgemeine Prinzipien und konkret historische, als solche aber nicht verbindliche Veranschaulichungen dieser Prinzipien für uns gelten lassen. Wir sind es, in denen aus einzelnen Worten intuitiv in großen Zügen das Charakterbild eines Gotteskindes, eines Jesusjüngers, eines nach Gottes Reich und nach seiner Gerechtigkeit verlangenden, sündigen und doch in der Gnade Gottes lebenden Menschen zusammenschießt — ein Ethos, das immer im Werden ist und das unmöglich auf eine Summe von Einzelgeboten sich festlegen läßt, eine Gesinnung, die in ihrem Werden und Wesen an das in Jesus offenbarte Evangelium sich gebunden fühlt, die aber auch den Ruf der Stunde als einen Gottesruf zu vernehmen weiß. „Jesus ist eine Kritik der Kultur der Gegenwart, nicht die Kultur der Gegenwart eine K r i t i k an Jesus, wie es nach Baumgarten erscheinen könnte", hat Wünsch in seinem Artikel über O. Baumgartens Schrift (über die Bergpredigt) bemerkt1. Diese Antithese ist, wie sich ergeben hat, nicht richtig gestellt. Die Kritik hat sich nach beiden Seiten zu wenden. Jede Beurteilung der Bergpredigt, die darauf hinausläuft, daß die Worte Jesu nicht wörtlich ausführbar sind, ist tatsächlich Kritik an Jesus. Wir alle kritisieren die Bergpredigt, nur daß wir es nicht alle eingestehen. Diese Kritik darf nur unsere Haltung nicht restlos bestimmen. Wir haben uns auch vor der Kritik zu beugen, die die Bergpredigt trotz allem Widerstande, den wir leisten, an uns übt und mit der sie uns niederschlägt. Und diese Kritik ist das letzte kritische Wort, das im Bereich der Bergpredigt hörbar wird. 3. Wir fassen noch einmal die religiösen H a u p t g e d a n k e n der Bergpredigt zusammen. Eine systematische Zusammenstellung ist freilich unmöglich, denn die Bergrede ist keine theologische Einheit. Es gilt also die Gedanken nach ihren verschiedenen Zentren zu gliedern. Als Mittelpunkte führen wir auf: (1) das eschatologische Reich und das eschatologisch gedachte Gericht; (2) das richtig verstandene Gesetz, die Absolutheit der Forderung Gottes und die radikale Hingabe an Gott; (3) die unbegrenzte Güte Gottes und unsere Gotteskindschaft; 1 Christi. Welt 1921, a. a. 0 . Wünschs damalige Kritik an Baumgarten ist leider recht einseitig ausgefallen. Eine Synthese zwischen beiden Standpunkten ist durchaus möglich.
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4. Kapitel. Theologische Exegese der Bergpredigt
(4) das Vertrauen zum Christus als dem von Gott gegebenen Wegweiser und Weltenricliter. Keiner dieser Mittelpunkte beherrscht das Ganze; manche stehen miteinander in Spannung; und doch ist jeder Mittelpunkt eigentlich absolut gedacht. Theologische Exegese ist leicht geneigt, eins dieser Zentren zum Mittelpunkt zu erklären und die anderen Gedanken als seine Ausstrahlungen zu fassen. Wir werden von der historischen Exegese lernen, daß solche Auffassung dem Sinne der Spruchsammlung nicht entspricht. Vielleicht sprechen wir am besten von verschiedenen Ausgangspunkten, die wir abwechselnd bevorzugen, indem wir uns klar machen, daß wir niemals von einem Ausgangspunkte aus das Ganze erfassen werden. Natürlich gehören R e i c h und Gericht (1) zusammen. Es ist niemandem zu verbieten, beide Begriffe in ihrer ursprünglichen, echt eschatologischen, d. h. mythologischen Fassung zu nehmen1. Wer die mythologische Einkleidung fallen läßt, muß sich doch immer wieder an die Urbedeutung erinnern lassen. Die historische Exegese läßt sich nie ganz in das Gebiet des Vorläufigen und Überwundenen zurückdrängen. Folgendes ist in jedem Falle zu beachten. Das Gericht ist nach seiner ursprünglichen Bedeutung, wie sie auch in der Bergpredigt herauskommt, die Entscheidung Gottes über unser Leben und über unser Wesen, wie es sich in unseren Taten entfaltet. Es ist von unserem Dasein aus gesehen ein Letztes, das Wort, das Gott über uns ausspricht. Absolut genommen, ist es ein Vorletztes. Denn das Gericht Gottes ist nicht nur eine Entscheidung „worüber", sondern auch eine Entscheidung „wozu"; erst in dem „wozu" enthüllt sich das Letzte. Das Gericht ist also immer Abschluß und Durchgang. Diese Wahrheit gilt auch für das Gericht, dem wir täglich uns unterziehen müssen. Es ist für die Kinder Gottes nach einhelliger biblischer Lehre eine Erschütterung unseres ganzen Menschen, ein Iniragestellen unserer Existenz, aber diese Erschütterung ist die notwendige Vorbereitung zu einer neuen Setzung unserer Existenz vor Gott. Das liegt nicht im Wesen des Gerichts, ist keine Dialektik des Gerichts. Denn im Gericht wird nur ein Nein über uns ausgesprochen. Aber es liegt im Wesen Gottes, der im Gericht und durchs Gericht seine Gnade, sein Heil offenbart. Es ist der „Vater", der uns richtet. 1 Vgl. o. S. 28 f.
II. Theologie der Bergpredigt
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B u l t m a n n bezeichnet als die große Grundanschauung der eschatologischen Botschaft Jesu die „Auffassung vom Menschen als in die Entscheidung gestellt durch Gottes zukünftiges Handeln"1. Wir können uns diese theologische Interpretation aneignen, wenn wir hinzufügen, daß sich in ihr keineswegs Jesu Auffassung vom Menschen, geschweige seine religiöse Botschaft erschöpft. Gottes zukünftiges Handeln stellt uns nicht nur in die Entscheidung, es r e t t e t uns auch aus der Entscheidung. Und Gottes Handeln ist nicht nur zukünftig, es ist auch gegenwärtig: auch die Vergebung und die Gotteskindschaft sind Überwindungen des Entscheidungszustandes. Dasselbe gilt von dem Zustand, wo der Mensch ein guter Baum geworden ist. Gleichwohl soll den echten Entscheidungssprüchen alles Recht werden; vgl. etwa 5, 20; 6, 1 9 - 2 1 ; 6, 24; 7,13f.; 7,24-27.Wir übertragen die Entscheidung nur aus der Zukunft in unsere Gegenwart2 und sehen die religiöse Bedeutung der vergegenwärtigten Eschatologie darin, daß wir in ihr unmittelbar vor Gott oder, um mit Wünsch zu reden3, in die unmittelbare Nähe der Realität Gottes gestellt werden. Unsere Situation ist dann nicht viel anders als die der Adventsgläubigen: auch wir sind mit diesem Glauben an die Nähe Gottes unter das Gericht gestellt, das ohne Aufhören die Welt und uns bedroht und erzittern macht; zugleich aber bedeutet die „Nähe Gottes" eine Berührung mit der Macht unendlicher Güte, die uns verzeiht und uns zum Dienst und zum Werke aufruft. Für „Heil" sagt die Bergpredigt: Reich Gottes. Darin faßt sich alle Eschatologie zusammen, wie Jesus sie gesehen hat. Das ist wirklich das Letzte. Das Wesentliche des Heilszustandes ist also, daß Gott herrscht, Gott allein wirklich herrscht. Bedingung für den „Zugang" kann daher nichts anderes sein als die volle Unterwerfung unter Gott, die rückhaltlose Anerkennung seiner Herrschaft. Die Gerechtigkeit, die Matthäus verlangt, ist der radikale Gehorsam, der aus der Anerkennung von Gottes absolutem Herrschaftsanspruch herauswächst. Der Begriff ist individuell und universell zugleich. Indem ich mich von Gott beansprucht weiß, erfüllt mich zugleich das Bewußtsein, daß dieser selbe Anspruch an alle Welt ergeht. 1 Jesus S. 53. 2 Vgl. o. S. 21. 3 Evangelische Wirtschaftsethik S. 218. Vgl. auch Christi. Welt 1921, Nr. 33, Sp. 588 o.
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4. Kapitel. Theologische Exegese der Bergpredigt
Der Reichsgedanke Jesu ist eschatologisch. In der Bergpredigt ist keinerlei Erweichung der eschatologischen Gestalt wahrzunehmen. Theologische Exegese wird indes dankbar von der wichtigen Feststellung der historischen Bibelwissenschaft Gebrauch machen, daß das Wort, das Jesus hier brauchte» (malkuth), im Talmud fast durchweg die Herrschaft Gottes bedeutet, die sich überall verwirklicht, wo Menschen Gottes Gesetz auf sich nehmen1. Diese in der Geschichte sich vollziehende Offenbarung und Anerkennung der Herrschaft Gottes ist die unerläßliche Vorbereitung für den Anteil an dem transzendenten Reiche Gottes. Nur wer die „Herrschaft" als ein Kind, als gehorsamer Knecht und Sohn annimmt, kommt hinein. So erfahren wir schon in unserem geschichtlichen Leben etwas von der Herrschaft Gottes und warten auf die volle Offenbarung, die am Ende unserer Geschichte, im Jenseits aller Geschichte ausgegossen werden soll. Aber das „Reich Gottes" hat noch eine andere Meinung; es ist auch Gemeinschaft mit Gott. Die Bergpredigt hat diesen Gedanken, in dem sich das höchste Verlangen aller Gotteskinder erfüllt, in der Seligpreisung der Reinen zum Ausdruck gebracht. Gott schauen ist das Letzte und Erhabenste. Aber nur den Reinen wird es zuteil. Dem Zugang zu Gott muß ein Prozeß der Läuterung vorangehen; sie vollzieht sich nach der Bergpredigt im Gehorsamwerden gegen Gott, in dem Ausleben unserer Gotteskindschaft, wodurch unsere Gottähnlichkeit sich von Stufe zu Stufe entfaltet. Das schließt nicht aus, daß der Prozeß letzten Endes ein eschatologischer ist. Alles, was Gott in der Zeitlichkeit schafft, ist nur Vorausschattung, im Grunde nur Verheißung. Die eigentliche Erfüllung kann erst kommen, wenn die Zeitlichkeit abgebrochen wird. Denn das wirklich reine Herz gehört zu den eschatologischen Dingen, die noch kein Auge gesehen, kein Ohr gehört und die auch noch in keines Menschen Inneres gelangt sind. Das Prinzip des richtig verstandenen Gesetzes (2) sichert die Kontinuität der neuen und der alten Berggesetzgebung, aber auch das Recht der Kritik am alten Gesetz. Die Bergpredigt hält im allgemeinen die Mitte zwischen radikalem Marcionitismus und christlichem Rabbinismus. Das einzige Mal, wo auch 1 Vgl. etwa Billerb. 1172ff.
I I . Theologie der Bergpredigt
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sie in extremen Rabbinismus verfällt (5, 18f.), sind wir auch, zur Kritik an ihr berechtigt. Wir richten gegen diese Sprüche die kritische Norm, die sie selbst an die Hand gibt: 7, 12. Wie die Thora, bietet auch die Bergpredigt Einzelforderung und allgemeine Grundsätze, Moral und Ethik, vorschriftsgemäße und spontane Moralität. Die wichtigsten Prinzipien inhaltlicher Art sind die zwei großen Sprüche 5, 48 und 7, 12. Ihr Zusammenstehen in einer Rede kennzeichnet die synthetische Art der Lehre Jesu. Sie ist religiös fundamentierte Ethik, die den ganzen Inhalt der sittlichen Forderung aus dem Gottesbegriff, aus der Selbstenthüllung Gottes herausholt, und zugleich am Menschen orientierte und auf den Menschen abzielende Ethik. Gott und der Mensch, beide werden abwechselnd — horribile dictu — als das „Maß der Dinge" vorgestellt! Hierzu kommen dann die Grundsätze ethischer Psychologie oder organischer Ethik. In zwei Sprüchen, 6, 22f. und 7, 16—20 1 lehrt auch die Bergpredigt, daß Haltung und Handeln des Menschen nicht atomistisch bald diesem, bald jenem Impulse folgen» sondern einheitlich von einem Zentralorgan aus bestimmt werden: dem Auge oder dem inneren Organ, das sich im Auge spiegelt und durch das Auge mit der Außenwelt verkehrt, der inneren Natur, die unsere Handlungen organisch als Früchte hervorbringt. Beide Sprüche stehen in der Bergpredigt verhältnismäßig isoliert, der zweite dient sogar nur einer ganz konkreten Warnung2. Sie können indes beide zur Grundlage einer Lehre von der menschlichen Natur, von der organischen Entstehung: und Entwicklung des menschlichen Handelns, der menschlichen Sittlichkeit wie der menschlichen Sündigkeit gemacht werden. Es ist für die Bergrede bezeichnend, daß die gewaltige Tragweite dieser Gedanken in ihr nicht zur Geltung kommt. Erst theologische Ethik hat sie herausgearbeitet; die klassischen Worte von L u t h e r : Gute fromme Werke machen nimmermehr einen guten frommen Mann, sondern ein guter frommer Mann macht gute fromme Werke3 — und von K a n t : Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als. allein ein guter Wille4, sind richtige philosophische Interpreta1 Vielleicht auch 5 , 1 6 . 2 Vgl. o. S. 64f. 3 Von der Freiheit eines Christenmenschen 1520, § 23. 4 Aus der Grundlegung der Metaphysik der Sitten 1795.
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4. Kapitel. Theologische Exegese der Bergpredigt
tionen dieser Weisheitssprüche der Bergpredigt und von ihr angeregt. Die Ethik hat daraus dann eine Lehre vom guten Willen, von seiner Entstehung, d. h. der Umwandlung unseres natürlichen Willens, und seiner Entfaltung abgeleitet. In der Bergpredigt liegen dazu nur Ansätze vor. Sie ist wie die Philosophie Heraklits eine „Philosophie" in Sentenzen und in Einzelgeboten. Bezeichnend ist namentlich, daß die beiden Sprüche sich auf die Feststellung einer inneren Gesetzmäßigkeit beschränken und nicht durch einen radikalen Imperativ, einen Bußruf den Willen angreifen. Das richtige Verständnis des Gesetzes lehrt vor allem die Absolutheit der göttlichen Forderung. Wie die Ethik des Gesetzes ist auch die der Bergrede Gehorsamsethik, aber das Eigentümliche ist, daß an zahlreichen konkreten Beispielen aufgezeigt wird, daß und wie der Gehorsam, den Gott fordert, völliger Gehorsam sein muß. Das Prinzip, die restlose Hingabe des ganzen Menschen, im Gesetz nur auf das Gebot der Liebe zu Gott und auf den Dienst der Gottheit angewandt, wird auch hier in mehreren allgemeinen Sentenzen 5, 48; 6, 24 zum Ausdruck gebracht, außerdem aber an verschiedenen Teilerscheinungen des frommen Verhaltens und des menschlichen Ethos: Gebet, Herrschaft über die Affekte und Begierden, Versöhnlichkeit, Liebe zum Nächsten usw. demonstriert. Die Forderung Gottes hat keine Grenzen, und der Mensch soll das, was er tut, immer ganz und rückhaltlos tun. Jesus verwirft kraft dieses Grundsatzes alles Halbe in unserem Wesen und Tun. Alles muß ganz und mit ganzer Seele getan werden; in einem Augenblick und in dem Leben, das wir haben, kann immer nur eines auf einmal getan werden. Wenn dieser Grundsatz uns unausführbar erscheint, so ist das der Fluch und die Tragik unseres Daseins, unserer Natur. Wir haben das Gefühl, daß in Jesus die Einseitigkeit fast restlos seine Natur gewesen ist. In jedem Falle ist die Einseitigkeit und Ganzheit, die Jesus fordert, in Gott anzuschauen. Gott ist radikale Güte (3). Er fordert sie von uns, weil er sie selbst verwirklicht und vor unseren Augen und in unseren Herzen offenbart. Das Erlebnis der radikalen Güte gibt sich einmal in der Erschütterung kund, die über uns kommt, wenn wir unsere Natur mit Gottes Wesen vergleichen; dann zittern wir vor dem Numen und vor dem Abgrund, der zwischen ihm und uns sich auftut. Wir erleben
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aber auch, daß der Abgrund sich schließt, wenn wir die Kundgebung der göttlichen Güte an uns, ihr Handeln mit uns erfahren. Die Bergpredigt nennt zwei Sphären, in denen sich die radikale Güte Gottes offenbart: Gottes urgütiges Walten in der Natur, das alle Menschen umschließt, auch die bösen, und sein von Güte und väterlicher Gesinnung getragener Verkehr mit uns, die wir von ihm in seinen Dienst gestellt und zu seinem Reich berufen sind. Es ist höchste Gottesgüte, daß wir ihn Vater nennen, im Gebet ihn bitten und ehren, von seiner Vergebung leben, sein Handeln nachahmen dürfen. In ihrer Vollkommenheit ist und bleibt die Güte nur in Gott zu schauen. Absolut gesprochen hat niemand die Liebe außer Gott allein, ist niemand gut außer Gott allein, ist niemand sittlich gerecht außer Gott allein. In dieser Erkenntnis liegt unsere Erlösung begriffen. Denn sie besagt, daß Gottes Vollkommenheit für Menschen unerreichbar ist, und daß Gott, der die Liebe ist, die Sünde und den Ungehorsam uns vergibt. Aber wir dürfen doch nie von dem Gedanken der Bergpredigt ablassen, daß auch der Mensch Träger dieser Liebe und Güte werden soll, und zwar in ihrer göttlichen Vollkommenheit, d. i. Unbegrenztheit 5, 48. Die Forderung bleibt an uns gerichtet, auch wenn wir immer Menschen bleiben, die „arg" sind, auch wenn unsere Liebe immer Stückwerk und mit Bösem verbunden bleibt. Wenn im biblischen Schrifttum zwei Eigenschaften im göttlichen Wesen heraustreten, seine Heiligkeit und seine Güte, so überwiegt im Zeugnis der Bergpredigt die Güte Gottes. Gewiß das Numinose kommt in einzelnen Sprüchen erschreckend zur Geltung, in der Unerbittlichkeit des Höllengerichts, in der Heiligligkeit des Gottesnamens, in dem eifersüchtigen Anspruch Gottes auf den ganzen Menschen (6, 24). Aber die meisten Veranschaulichungen der Offenbarung Gottes gelten doch seiner Vatergüte. Die Bergpredigt ist kein Zeugnis vom Zorne Gottes. Der Gottesgedanke hat nichts Problematisches, nichts Mysteriöses. Wir ahnen nicht, daß es auch einen Deus absconditus, einen „verborgenen" Gott, gibt. Etwas Ungelöstes könnte der Leser nur darin finden, daß die zwei Gruppen von Gotteszeugnissen unvermittelt nebeneinander stehen, daß sogar ein Widerspruch empfunden werden kann zwischen dem Gott, der auch die Sünder mit seinen Wohltaten überschüttet, und dem Gott, der die UnUNT 18: Wlndisch.
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gehorsamen in die Hölle wirft. Der Evangelist wird den Ausgleich in der Lehre von den zwei Äonen gefunden haben (der Noahbund gilt eben nur für diesen Äon, d. i. „solange diese Erde steht"). Die Sphäre, in der wir nach der Bergpredigt Gottes Güte am augenscheinlichsten erfahren, ist das Gebetsleben. An zwei Stellen bringt Matthäus Sprüche über das Gebet. 7,7—11 ist in jedem Falle eine Mahnung von großer Eigenart. Hier ist wieder wichtig, daß die theologische Exegese sich eng an die wissenschaftliche anschließe; das bedeutet konkret: wir dürfen hier nicht sofort das Vorbild Jesu von Gethsemane als Erläuterung heranziehen1. Denn das Charakteristische dieser Gebetsvermahnung (was auch in dem ersten Gebetswort 6, 5—15 vorausgesetzt ist) ist gerade die sichere E r h ö r l i c h k e i t des Gebets. Der Sinn des Gebets ist die Erfüllung unserer Wünsche, die Befriedigung unserer Bedürfnisse durch Gott, und das Merkwürdige ist das Fehlen jeder Einschränkung ! Man könnte eine Beschränkung in den „guten Gaben", „guten (Dingen") sehen, die ein menschlicher Vater und so auch sein Vorbild Gott dem Kinde gibt; doch ist das nicht betont. Daß wir nur um gute, nützliche, heilsame Dinge bitten, ist vorausgesetzt. Und der Ton liegt auf der stark herausgestrichenen Versicherung, daß Gott alles „Gute" gibt, was wir nötig haben und was wir erbitten. Die Erhörlichkeit jeden Gebetes ist also kein Mißverständnis, sondern gerade das Leitmotiv der Vermahnung. Ein bestimmter Typus des Gebets, das B i t t g e b e t oder Wunschgebet, das seinen Sinn ausschließlich in seiner Erfüllung hat, kommt in ihr zur reinsten Ausprägung. Die Worte sind von einer geradezu erstaunlichen Folgerichtigkeit und Deutlichkeit. Wenn Christenmenschen um gute Gaben bitten und die Erhörung ihres Gebets erwarten, so können sie sich auf dies Wort berufen: hier steht die große Verheißung Gottes für alle Bittgebete, mit prophetischer Sicherheit, mit prophetischem Vollmachtsbewußtsein ausgesprochen! Wenn Christenmenschen die Erfahrung machen, daß ihr Bittgebet nicht erhört ist, dann hat diese Spruchreihe keine Erklärung, keinen Trost für sie, dann erlebt der aus der 1 So u. a. K. Eger, a. a. O. 133ff.: Die schönen Betrachtungen ergänzen und korrigieren den Text mehr im Sinne von Gethsemane und im Geiste christlicher Gebetserfahrung, als daß sie ihn auslegen.
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Bergpredigt geschöpfte Glaube vielmehr seine größte Erschütterung. Wir stehen hier vor einer großen Schwierigkeit, die wir Theologen recht ernst nehmen sollen1. Die Enttäuschten, Verbitterten können sich auf diese Worte Jesu berufen. Hier hegt kein Laienmißverständnis vor, sondern richtiges Auffassen des Gemeinten. Wir haben das Wort in seiner Eigenart zu begreifen. Zunächst ist zu sagen, daß hier noch einmal ein wesentliches Element der Religion, das Gebet, in seiner ursprünglichen, primitiven, vorproblematischen Fassung rein zum Ausdruck gekommen ist. Was die „Erfahrung" und was nachgeborene religiöse oder theologische Theorie auch sagen möge, die Erhörlichkeit ist eine Wesensqualität des Gebets, in ihr erfüllt es seinen Sinn. Die Spruchreihe ist die denkbar korrekteste Veranschaulichung des Bittgebets. Religionsgeschichtlich, phänomenologisch betrachtet, ist nicht der Text das Problematische, sondern die Erfahrung, die dem Texte tausendfach widerspricht. Es gehört zur Eigenart Jesu, daß er in diesem Spruche den ursprünglichen Sinn des Bittgebets ohne Einschränkung, ohne Rücksicht auf Erfahrung und Wirklichkeit zum Ausdruck gebracht hat. Sodann, neben der inneren Logik der Sache: die Erfüllung gehört zum Gebet wie das Auftun der Türe zum Klopfen, erscheint als zweites Motiv (am Ende) die Güte Gottes. Die Erfüllung des Gebets ist kein bloßer Mechanismus, sondern Offenbarung und Auswirkung der göttlichen Güte. Es wirkt sich in diesem Gebetsoptimismus eine bestimmte Gottesanschauung aus, freilich auch hier ist es eine Seite der Gottesoffenbarung, die uneingeschränkt herausgekehrt ist, der gütige Gott, der seinen Kindern ausschließlich als gütiger Vater sich offenbart. Der Begriff eines Deus absconditus und eines von ihm zu verrichtenden „fremdartigen" Werkes (opus alienum) ist dieser Spruchreihe ganz fern. Zwar klingt etwas von der Erhabenheit Gottes in ihr an und von unserer schlechthinnigen Abhängigkeit. Aber es ist die schenkende Güte Gottes, von der wir uns in unserem Gebetsleben abhängig wissen, nicht der unergründliche, 1 Richtig gezeichnet von O. Baumgarten, Die Bergpredigt u. d. Kultur d. Gegenwart 96 ff. 12»
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oftmals unheimliche Wille Gottes, der über uns verhängt, was wir nicht erbitten und was wir nicht wünschen. Die theologische Exegese hat die Pflicht, den Tatbestand anzuerkennen, wie wir ihn beschrieben haben. Sie hat weiter hinzuweisen auf die kindlich große Sicherheit, mit der Jesus hier vom Gebet und von Gottes Güte zeugt: das Pathos der Vermahnung liegt gerade in dem Streben, mit allen Mitteln uns zu gleicher Sicherheit zu führen. Sie hat aber drittens ehrlich auszusprechen, daß die Worte für uns problematisch sind, ja gefährlich werden können — es gibt noch mehr solcher „gefährlicher W o r t e " Jesu, z. B. Mt. 17, 20 —, wenn wir sie uneingeschränkt stehen lassen. Das Recht zu solcher Einschränkung und „Erläuterung" gibt uns das Vorbild Jesu im Gethsemane. Von Matth. 7, 7—11 aus verstehen wir den tiefen Sinn des Wortes, daß Jesus in Gethsemane Gehorsam hat l e r n e n müssen, Hebr. 5, 8. Dies Bitten und Flehen Hebr. 5, 7 empfängt seinen ergreifenden Sinn erst dann, wenn wir es nach Matth. 7, 7—11 verstehen. Die synoptische Überlieferung von Gethsemane bringt deutlich die große Korrektur zu dem Gebetsspruch der Bergpredigt. Bei Markus (14, 36) kommt zunächst noch der Standpunkt der Bergrede kräftig zum Ausdruck: jtävtct dvvara aoi- itaqsveyxs . . . Alles ist Gott möglich, darum kann er ja eigentlich alle guten Gaben schenken, die die Kinder verlangen. Das Gut, um das es hier geht, ist die Ersparung des Kelches, die Erhaltung des Lebens. Dann folgt sofort die Wendung, die Bescheidung des Beters: nicht was ich will, sondern was du willst. Damit ist ein ganz neues Motiv für das Gebet zur Geltung gebracht: der Wille Gottes, der ü b e r seiner Güte steht, und die Ergebung in diesen Willen, die die Erwartung der Erhörung verdrängt. W e r diese Ergebung gelernt hat, stellt seine Wünsche nur noch unter „ K o n d i t i o n " : wenn es möglich ist; wenn du „willst". Damit ist ein zweiter elementarer Typus des Gebets geschaffen, das G e h o r s a m s g e b e t , in dem der Sinn des Gebets nicht mehr Erhörung, Erreichung, Erfüllung ist — das ist absolut unsicher und problematisch geworden —, sondern Ergründung des göttlichen Willens, Fragen nach Gottes Willen und Ergebung in ihn. Auch in dem veränderten Gottesbegriff gibt sich der neue Typus kund. W i r stehen nicht mehr vor dem gütigen Gott, der jedem Bittgebet zur Verwirklichung seines Sinnes verhilft, sondern vor dem verborgenen, unergründlichen
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Gott, dessen tiefstes Wesen schwerlich mit Güte zu bezeichnen ist, der vielmehr zunächst der „Fremde", Unbegreifliche ist. Theologische Exegese kann schließlich sagen, daß der verborgene Gott in dem Unbegreiflichen letztlich doch auch Güte offenbart, und daß auch die Gabe des Unergründlichen „gut" ist; sie kann in diesem Sinne die Worte Matth. 7, 11 — 7 „auslegen". Der Theologe muß aber wissen, daß er damit nicht den eigentlichen und einzig gemeinten Sinn dieser Worte wiedergibt, sondern daß er sie korrigiert und glücklicherweise durch Jesus und die Jesusüberlieferung selbst zu solcher korrigierenden Erläuterung ermächtigt ist. Der Christus der Bergpredigt ist Gesetzgeber der Gemeinde und künftiger Weltenrichter (4). Den Begriff des Mittlers dagegen haben wir unter den Hauptthemen der Bergrede nicht aufgeführt, weil, wie schon oben (S. 99) gesagt, ihr dieser Begriff eigentlich fehlt. Der Gesetzgeber und Träger der göttlichen Forderung und göttlichen Verheißung ist an sich ebensowenig ein Mittler als der künftige Richter. Erst tiefer eindringende theologische Exegese entdeckt in der Bergpredigt etwas von Mittlerqualitäten Jesu. Er ist es, der den Jüngern die Kraft und die Aufgabe „übermittelt" hat, um „Salz" und „Licht" den Menschen zu bringen; ihm danken sie alles, was sie haben. Wie dieses Mittlertum, das natürlich etwas ganz anderes ist, als was christliche Dogmatik darunter versteht, sich auswirkt, können wir nachfühlen, wenn wir die gewaltigen Worte und Zeugnisse Jesu von Gottes Güte und Gottes Ansprüchen an uns als Zeugnisse seines eigenen Gottesbewußtseins zu erfassen suchen. Dann steht er vor uns als der Mann von absoluter Gottergriffenheit, der durch sein Zeugnis auch uns entflammt und in die Nähe Gottes versetzt, wo wir durch das Gericht hindurch die Güte Gottes und den Ruf zur Arbeit im Dienste Gottes erfahren. Das ist der Mittlergedanke, den die Bergpredigt, theologisch ausgelegt, erzeugt. Kein Zweifel, Schleiermachers Lehre von der stetigen Kräftigkeit des Gottesbewußtseins, in die uns Christus aufnimmt (Glaubenslehre § 100), und W. Herrmanns Beschreibung von dem in Jesus gegebenen Erlebnis der uns richtenden Gewalt des Guten und der uns suchenden Liebe (Ethik 4 1909, S. 124)1 sind korrekte Interpretationen dieser hinter der 1 S. hierzu m. Aufsatz: Das Erlebnis des Sünders in den Evangelien (Z. f. Th. u. K. 1917, 292ff.). Vgl. auch K. B o r n h a u s e n , D. Erlöser 1927.
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Bergpredigt stehenden Christologie. Wer diese Auffassung von der Mittlerschaft für unzulänglich hält, muß seinen Zorn nicht gegen den Exegeten richten, der nur feststellt, was in seinem Texte gegeben ist, sondern gegen den Text, der nicht die Christologie enthält, die in Nicaea, Zürich und Basel vorgeschrieben ist und die nach einer bestimmten Gotteserfahrung die einzige Möglichkeit zur Wiederherstellung unserer Gottesgemeinschaft darstellt. Man kann diese Christologie auch an die Bergpredigt heranbringen, indem man die Drohungen 5, 20. 22. 29f.; 7, 13. 19. 23. 24—27 als letzte Worte Gottes diesseits der Erlösung wertet. Man muß dann aber anerkennen, daß man alle sonstigen Heilsworte, die in der Bergpredigt und im Evangelium stehen, souverän beiseite schiebt, für vorläufig oder gar für illusionär erklärt. Brunner scheint hierzu geneigt zu sein, wenn er die Forscher in höchst simplistischer Zeichnimg der Situation in zwei Lager teilt: die einen, die in Jesus einen Lehrer oder Yerkünder einer religiösen Moral oder einer sittlichen Religion sehen; die anderen, die in seiner moralisch-religiösen Verkündigung nur etwas Untergeordnetes erkennen, gegenüber einer uns seltsam anmutenden Geltendmachung eines persönlichen religiösen Geltungsanspruches1. Natürlich gibt es diese zwei Gruppen von Theologen. In ihnen sind aber die Möglichkeiten, die der Tatbestand des Stoffes bietet, nicht erschöpft, und gegen beide Formulierungen lassen sich erhebliche Einwendungen machen. Daß Jesus Lehrer und Verkündiger gewesen, ist gewiß richtig; nur würde es, wenn wir uns darauf beschränken oder diese Titel griechisch-abendländisch verstehen wollten, in der Tat, wie Brunner bemerkt, unbegreiflich sein, wie die spätere Gemeinde aus einem solchen Lehrer den Gottessohn machen konnte. Ein persönlicher Geltungsanspruch ist also gewiß hinzuzunehmen, nur ist es eine durch die älteste Schicht der Überlieferung strikt verbotene Übersteigerung, wenn man aus dem prophetischmessianischen Sendungsbewußtsein unversehens den Gottmenschen von Chalcedon macht. Die Alternative: Lehrer oder Gottmensch ist falsch und sollte von modernen Theologen auch in populären Schriften nicht mehr vorgetragen werden. Jene 1 S.: Die Absolutheit Jesu 1926, S. 10. Vgl. zum folgenden meine christologischen Ausführungen in: Die Absolutheit des Joh.-Evgls. (Z. f. syst. Theol. 1927, S. 43ff.) und H. Weinel, Bibl. Theol. d. N. T. 4 1928,162ff.
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Dogmatisierung des überlieferten Zeugnisses rechnet nicht mit dem stufenweisen Wachstum des Selbstzeugnisses innerhalb der Synopse und dann in Joh., ebensowenig mit dem Menschentum des geschichtlichen Jesus als einer Erscheinung der antiken Religionsgeschichte, das noch etwas anderes ist als die „Menschheit" Jesu, wovon das Dogma redet, oder das Fleischgewordensein, das Paulus und Johannes lehren1. Es wäre auch völlige Verkennung des Charakters der ursprünglichen Lehrverkündigung Jesu, wenn man ihr für das Bewußtsein Jesu eine untergeordnete Bedeutung zuschreiben wollte. Die Bergpredigt, richtig verstanden, ist e i n großer Protest gegen solch einen Gewaltstreich, der von wenig Ehrfurcht vor der ältesten Überlieferung zeugen würde. Es ist aber bezeichnend, daß die Geltendmachung des kirchlichen christologischen Dogmas zu solcher radikalen Kritik und Negierung der ältesten Überlieferung zwingt. Die von Brunner gestellte Alternative und die von ihm gemeinte Verabsolutierung der geschichtlichen Erscheinung Jesu ist von der auf die Überlieferung sich stützenden Kritik abzulehnen, und solide theologische Exegese hat dieser Ablehnung Rechnung zu tragen. Die Theologie hat vielmehr, wenn sie mit der Historie Fühlung behalten will, dies beides zur Geltung zu bringen: das Zeugnis Jesu von Gott, dem absoluten Herrn, Schöpfer, Vater, Erlöser und Richter — und das Selbstbewußtsein Jesu als des letzten, die Reihe der Zeugen Gottes abschließenden Gesandten Gottes. Auch bei dieser Formulierung bleibt eine Spannung zwischen der mittlerlosen Verkündigung und dem zum Mittlertum hindrängenden Selbstbewußtsein. Aber die Zurückschiebung des Selbstzeugnisses wäre ein weniger schlimmer Gewaltstreich als die Erklärung der Verkündigung zu etwas „Untergeordnetem". Warum ? Weil hinter der angeblich untergeordneten Verkündigung doch Gottes Majestät und absolute Vatergüte steht, vor der vielmehr alle Christologie, jedenfalls alles Streiten der Menschen um Wesen und Würde des Christus, schließlich etwas Untergeordnetes ist (Mk. 10, 18; 1. Kor. 15, 28; Jes. 43,11; 44, 61). Wer mit solcher Theologie nicht zufrieden ist, hat vielleicht noch zwei Auswege 2 . Der eine ist eine p n e u m a t i s c h e Chri1 S. hierzu meinen Vortrag: Brunners Mittler en het N. T. 2 Vgl. hierzu meine Schrift: De tegenwoordige stand van het Christusprobleem. 2. ed. Assen 1925.
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stologie, eine Lehre vom verklärten Christus, der die Verkündigung seiner Erdentage durch neue Offenbarungen, die er etwa einem Petrus, einem Paulus, einem „Johannes" zuteil hat werden lassen, ergänzt und vollendet hat. Die religionsgeschichtliche Forschung bietet solcher Christologie bedeutende Hemmungen, und nur sehr starkes Überzeugtsein von der Wirklichkeit und Erfahrbarkeit solcher postexistentiellen Wirksamkeit ist imstande, diese Schwierigkeiten zu überwinden. Wem auf diesem Gebiete konkrete Erfahrung mangelt, wird eher seinen Gottvaterglauben und seinen Jesusglauben durch eine Art Logoslehre ergänzen, wobei der Logos als der in die Geschichte eintretende, aber nie sich völlig konkretisierende und nie in absoluter Gestalt sich offenbarende Gottes- oder Christusgeist erfaßt wird, der uns in alle Wahrheit leitet, und zwar so, daß jeder, der sich ihm hingibt, die Wahrheit in der Fassung erhält, die er tragen und erfahren kann. Die Bergrede des Matthäus ist dann gewiß ein Dokument dieses Christusgeistes, so wie er sich im Zeitalter und in dem Milieu des Matthäus kundgegeben hat. In unseren Zeiten offenbart sich derselbe Christusgeist, gewiß auch mit viel Menschlichem und viel Historischem vermischt, in all den in gläubigem Geiste vorgetragenen Umdeutungen der Bergpredigt.
In seinem Artikel „Bergpredigt"1 führt W. B o u s s e t zur Bestimmung des E w i g k e i t s g e h a l t s der Bergpredigt drei Punkte an, auf die es wesentlich anzukommen scheine: 1. das Streben nach Einheit und Ganzheit sittlicher Lebensführung, das Drängen auf die Gesinnung; 2. den kräftigen I n d i v i d u a lismus, der immer in einer starken Spannung mit den Arbeiten und Aufgaben an den konkreten Gütern des menschlichen Gemeinschaftslebens stehen wird, ohne den andererseits diesen Arbeiten und Aufgaben ständig die Gefahr der Veräußerlichung und gänzlichen Verweltlichung droht; 3. die enge Durchdringung der sittlichen Forderungen mit dem G o t t e s g l a u b e n und ihren in diesem Gottesglauben wurzelnden Charakter der opferw i l l i g e n H i n g a b e und opferwilligen Begeisterung. Man wird Bousset keinen Vorwurf daraus machen, daß er den Ge1 R. G. G. 'I Sp. 1040 (1909).
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halt der Bergpredigt modernisiert und umdeutet; denn wenn wir Theologen von Ewigkeitsgehalt sprechen, handelt es sich meist um eine Übertragung des Gehalts in die Anschauungen und in die Sprache einer bestimmten Zeitperiode. Wenn Bultmann, Dibelius und andere Zeitgenossen den Geist der Bergrede ganz anders zum Ausdruck bringen, so offenbart sich darin, daß unsere Geisteshaltung seit der Vorkriegszeit in vielem eine andere geworden ist. Das Charakteristische an Boussets Umschreibung ist wohl, daß er den Menschen zum Ausgangspunkt nimmt. Gottes Forderung, Gottes Gericht, Gottes Güte, unsere Hingabe an Gott in radikalem Gehorsam haben keine Aufnahme gefunden. Gewiß findet auch ein religiös begründeter Humanismus in der Bergpredigt seine Anknüpfung, vgl. 7, 12; 5, 44—47; 6, 14f.; 6, 22f.; 6,25: 7 , 3 - 5 ; 7, 17f., aber man muß solche Spuren suchen. Ihrem Wesen nach ist die Bergpredigt vorwiegend prophetisches Zeugnis von Gott und von dem, was der Mensch v o n G o t t zu hören und für G o t t zu schaffen hat. Wer den Gottesglauben der Bergpredigt nicht teilt (der unter (3) natürlich auch bei Bousset noch zur Geltung kommt), kann aus ihr nicht sehr viel Ewigkeitsgehalt herausholen. Immerhin soll zum Schlüsse noch einmal betont werden, daß über dem religiösen Radikalismus der Humanismus doch nicht radikal zurückgedrängt ist. Das ist ein Erbe der jüdischen Weisheit, das sich auch sonst in der Überlieferung der Worte Jesu nicht verleugnet. Hier tritt die Vielseitigkeit der Lehre und Gestalt Jesu zutage. Er kann vielen etwas geben, auch den Humanisten. Daß theologische Exegese, d. i. das Fragen nach dem Gegenwarts- und Ewigkeitsgehalt, die Beziehung der Texte auf die eigene Zeit und das eigene Milieu, in ständigem Wandel durch die Zeiten sich bewegt, hat auch hierin seinen Grund, daß die Überlieferung in der Tat nicht einheitlich und eindeutig ist. Jede Zeitdeutung ist einseitig und zugleich eine Ergänzung jeder anderen. Auch die „liberale" Deutung der Bergpredigt hat ein Element herausgegriffen, das andere Deutungen vernachlässigen. So hat vor und neben und gegenüber all diesen theologisch inte: ressierten Zeitdeutungen die historische Deutung der Bergpredigt ihre bleibende Aufgabe: aus der Zeit, dieimmerim Wandel und im Flusse sich befindet, in die Vergangenheit zurückzurufen, die das Feste, das Stillstehende ist, jeder Zeitdeutung, auch der mit pneumatischem Anspruch auftretenden (ihr vor allem), einen
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Spiegel vorzuhalten, indem sie gegenüber dem Eklektizismus, in den alle t h e o l o g i s c h e Auslegung verfällt, immer wieder das Ganze des gegebenen Textes, gegenüber den dogmatischen und modernisierenden Umdeutungen die ursprüngliche Struktur und die u r s p r ü n g l i c h e n M o t i v i e r u n g e n des gegebenen Textes aufweist. Das ist der Sinn der historischen Exegese. Nur sie vermag den Sinn der Bergpredigt richtig zu erklären.
REGISTER 1. Autoren
Abrahams, J . 61. 156 Albertz, M. 53 Althaus, P. 7 Barth, K. 126. 130. 132. 140. 148 Bauer, W. U l f . Baumgarten, O. 26f. 45. 49.144.163. 171. 179 Baur, F. C. 145 Bayet, A. 81 Behm, J . 126. 134 Beyer, H. W. 25 Billerbeck, P. 93. 111. 116. 156 Boeke, K. 168 Bornhausen, K. 100. 181 Bornhäuser, K. 43. 88f. 120 Bousset, W. 184f. Branscomb, B. H. 52f. Brouwer, A. M. 44. 70 Brückner, M. 53 Brunner, E. 92f. 139. 170. 182f. Bultmann, R. 2. 17. 29. 34ff. 40. 49. 56. 60. 66. 89f. 126. 133ff. 149. 173. 185 Dalman, G. 46. 98 Dibelius, M. 2. 12. 25. 29 ff. 40. 60. 63. 84. 126. 133f. 162. 165. 167. 170f. 185 Dienemann, M. 40. 120f. Dobschütz, E. v. 126f. Dubnow, S. 47. 112 Eger, K. 50. 144. 163. 178 Ehrhardt, E. 5 Eißfeldt, O. 131 Eysinga, G. A. v. d. Bergh v. 103 Peine, P. 7 Pichtner, J . 20 Piebig, P. 29. 56ff. 104. 116. 120.156 Form, W. 142 Förster, E. 2. 36
Frick, H. 126 Fridrichsen, A. 46 Galling, K. 9 Girgensohn, K. 126 Gogarten, F. 37 Goguel, M. 53. 111. 156 Gressmann, H. 40 Grimm, E. 167 Grosheide, F. W. 77 Haas, H. 59. 115 Harnack, A.v. 1. 103. 158 Hartmann, E. v. 38 Hartmann, H. 29. 76 Heering, G. J . 168 Heinrici, G. 59. 107 Heitmüller, W. 126 Heraklit 176 Herford, R. Tr. 121 f. Hermann, W. 25ff. 31. 37. 45. 162. 170f. Hofmann, R. A. 100 Hofmann, K. 134 Holl, K. 134 Holtzmann, H. J . 1. 5f. 78. 109 Huber, H. 44 Hughes, M. 112 Jelke, R. 126 Jülicher, A. 1. 80. 126 Kant, I. 27. 32. 37. 39. 175 Kittel, G. 39ff. 87f. 96.104.107.111. 115. 144. 148. 159 Klausner, J . 5. 41. 76. 87. 104. 111 Klostermann, E. 51. 71. 77 Krengel, J . 123 Kümmel, W. G. 46. 116 Lanwer, S. 47.61.102.105.109f. 116. 122 Lohmeyer, E. 2. 133f. Luther, M. 39. 134. 139 f. 158. 175
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Register
Meinertz, M. 43. Michel, O. 128 Montefiore, C. G. 14. 55. 67. 71. 76. 93. 111. 122 Moore, G. F . 46. 59. 156 Müller, A. D. 164 Müller, J . 27f. 31. 37. 132. 144 Nägelsbach, P. 43 Naumann, P. 26f. Niebergall, F. 144 Nietzsche, F . 37 Nigg, W. 31 Oepke, A. 126 Oort, H. I l l Overbeck, F . 31 Peterson, E . 6f. Pfleiderer, 0 . 1 Philippides, L. E . 104 Preißker, H. 25. 34. 77. 84 Proost, K . F. 6 Rengstorf, H. 74 Rosenberg, A. 38 Schlatter, A. 21. 78. 87. 102. 116. 144. 165 Schleiermacher, F . 181 Schmiedel, P. 109 Schneider, J . 11. 25. 29 Schniewind, J . 78 Schullerus, A. 144 Schweitzer, A. 1. 5f. 28f. Seeberg, E . 126. 138 Seeberg, R. 25. 126. 134. 144
Sevenster, G. 14. 18. 21. 111 Stählin, G. 100. 124 Stange, C. 39ff. 43. 90f. 96. 98. 143. 148ff. 160 Staerk, W. 131 Stauffer, E. 49. 167 Strathmann, H. 101. 127f. Streeter, B . H. 106 Sybel, L . v. 97 Tal, T. 111 Tolstoi, L. 26f. 30. 39. 90f. 147 Torrn, F. 126 Torrey, C. C. 60 Traub, F . 126. 135 Troeltsch, E . 7 Wach, J . 126. 129. 137 Warschauer, J . 5 Wehnert, B. 144 Weinel, H. 27, 52. 62. 76. 100. 131. 144. 182 Weiß, B . 78 Weiß, J . 1. 5f. l l f . 23. 28. 78 Wendland, H. D. 7. 11. 17. 23. 29. 34. 72 Wendland, J . 167 Wendt, H. H. 84 Werner, M. 77 Wernle, P. 165 Wünsch, G. 39. 143. 164. 171. 173 Zahn, Th. 45 Zeller, E . 72 Zwaan, J . de 29
2. Sachen Altes Testament 169 f. Antithesen 48. 53. 56ff. 68f. 97ff. Aristeasbrief 105 Bergpredigt Christus 40 f. 75 f. 96 ff. 119 ff. 145 ff. 160 Einteilung 43. Erfüllbarkeit 25 ff. 39 ff. 70 ff.145 ff. Erfüllung 104. 146. 174. Eschatologie 5ff. 72. 100. 144. 171 ff. Gesamtcharakter 8 ff. 20 ff. 143 ff. 171 ff.
Hauptgedanken 171 ff. 184f. Insuffizienz 55. 164. 167. 170 Judentum 96 ff. Jüngerrede 43 ff. Kreuz 160f. Neues Gesetz u. Gesetzgeber 10 f. 13f. 45ff. 52ff. 61f. 98ff. 144ff. 171. 181 Nichteschatologisches 11 ff. 23.150 Biblische Theologie 3. 130 ff. Biblische Rel.-Geschichte 129 ff. Buße 86. 91 Christologie 99. 106ff. 170ff. 184f.
189
Register Doppelte Moral 81. 166 f. Erlösung 74. 99 ff. 149. 152. 177 Eschatologie 5 ff. 171 ff. Essener 113 f. Ethik 6. 23. 30ff. 60. 64f. 145. 175f. Ethos 30ff. 60. 64f. Exegese, historische 3 f. 101 f. 126 ff. Exegese, pneumatische 3f. 142f. Exegese, theologische 3f. 23f. 126ff. Gebet 81 f. 178 ff. Gehorsamsethik 9f. 14. 35f. 50ff. 66f. 74. 79. 85ff. 116. 145ff. 176 Geist 100. 152. 157ff. Gerechtigkeit 8ff. 46ff. 144. 173. Gericht 6. 20f. 98f. 144ff. 171 ff. Gesetz (Pharis. u. Rabb.) 7ff. 13 ff. 17. 39 f. 45 ff. 52 ff. 72 ff. 144. 169. 174f. Gesinnungsethik 5. 26f. 35. 37. 39. 61. 64f. 148. 151. 162f. Gottesanschauung 176 ff. Hermas 83 f. Humanität 47. 185 Idealismus 39. 92 Imperative 25 ff. Interimsethik 5 ff. 11. 29 Judaismen 52 f. Judentum 96 ff. Kirche 129. 160 f. Kongenialität 37. 134 Kultur 7. 29. 9ü. 168ff. Krieg 165 ff. Kritik 140f. 171
Kreuz 38. 41.66. 88. lOOff. 123.159ff. Mammon 14. 19. 63f. Marcion 84. 103 ff. Marcionitismus 52. 103 ff. 170. 174 Messiasbewußtsein 97ff. Mittlertum 99 f. 181 f. Moral 17f. 56 Noahbund 12. 154f. Pacifismus 166 f. Paulus 13. 73 . 76. 90f. 149ff. 183 Profeten 74f. 179 f. Radikalismus 14. 19. 55ff. 104. 162. 176 f. Rechtsordnung 57ff. Reich Gottes 5f. 8ff. 46. 85. 144ff. 171 ff. Einlaßbedingungen 17f. 63. 85. 144 ff. Sadduzäer 113. Schöpferglaube 18. 22. 164f. 168f. Seligpreisungen 8f. 18f. 63. 85. 100. 150f. Soteriologie 83. 101 ff. Soziallehre 94. 168 ff. Täufer 5 f. 146 Theologie 129 f. Vaterunser 19. lOOf. 155f. 158 Vergebung 19. 100. 156f. Weisheitslehre 17f. 20ff. 47. 57. 62f. 68fi. 161 Werkgerechtigkeit 50. 65. 144 Zeloten 112;.
3. Wichtige Stellen a) B e r g p r e d i g t Matth. 5,3ff. . . 8ff. 19.85.97.144. Matth. „ 150 ff. „ 5,16 47 „ 5,i7ff 45 ff. 5,i8f 53 f. „ 5,2lff.. . 15. 45ff. 56f. 97ff. „ 5,32 55 „ 5,39ff 11 ff. „ 5,44ff llf. „ 5,48 49. 60f. 66. 159 „
6,1 ¡7 15f. 65 6,19' 14 6,25 if 16ff. 7,7—11 178 ff. 7,il 158f. 7,12 . . . 45f. 54.61.104.116 7,13 t' 72 7,i«ff 50. 64 7,24ff 50f. 7,28f 108. 119
190
Begister
Matth. 11,27 11,80 15,11 18,8 19,3ff 19,i«ff 20,22 20,25ff 20,28 22,34ff 23 26,28 26,3«ff 28,18—20 Marc. 10,18 Luc. 3,14 14,28ff
Exod. 23,4f Lev.
18,5
Dtn.
4,if 16,20 30,15 ff 30,i9f
» » »
Akiba Chama Hfllel
b) Neues T e s t a m e n t Luc. 14,sif 108 ff. 15,uff 73 . 88 17,7ff 116 18,iff 82f. 151 18,9ff 55 22,36 77f. 79 Acta 15,i 14. 69 Römer 3—8 102 7,7 54 8,1—4 76 10,5 102 10,«ff 82.180f. 12,i4ff 99. 109 1. Korr. 7,25ff 158. 181 Galater 2—4 166 3,12 79 f. c) A l t e s T e s t a m e n t Psalm 67 24 i> 72 51 3! 9.54 118,i«f 9 Jesaja 33 51. 62 Jerem 10 31,33ff ft
d) B a b b i n e n 54. 66 Jochanan b. Sakkai 60 Meir 26. 47. 54. 59. 105. 116
166 82 f. 15. 79 12 82 f. 166 52 149 f. 73.82 82 72 73 f. 13.67 6 149 f. 72
9.63 152 9 9 75
117 60
Druck von Wilhelm Hopp«, Boradorf - Leipzig