165 108 104MB
German Pages 342 [381] Year 1922
RELIGIONSPHILOSOPHIE ALS WISSENSCHAFT AUS DEM SYSTEMGEISTE DES KRITISCHEN IDEALISMUS
VON
ALBERT GÖRLAND
BERLIN UND LEIPZIG 1922
VEREINIGUNG
WISSENSCHAFTLICHER
VERLEGER
WALTER DE GRUYTER & CO. VORMALS G.J. G Ö S C H E N ' S C H E V E R L A G S H A N D L U N G — J. G U T T E N T A G , VERLAGSB U C H H A N D L U N G — G E O R G REIMER — KARL J. T R Ü B N E R — VEIT & C O M P .
Textänderungen. 129, 28 Natorps [Natorp]. 146, 23 ein. [eine], 166, 4 Wegdifferential 174, 20 des Ich [das Ich], 175, 36 heiterem [bunterem], 175, 40 Offenbarungswahrheit. 179, 33 Dionysische. 1 8 1 , 1 3 mich [auch], 2 0 7 , 1 nun [nur], 225, 6 seliger. 243, 2 Unzugänglichkeit [Unzulänglichkeit]. 249, 34 Gottes.
Druck der Vereinigung: wissenschaftlicher V e r l e g e r W a l t e r de Gruyter & Co., Berlin W . io.
Inhalt. Einführung
1
1. Die Arbeitsgemeinschaft zwischen Philosophie Wissenschaften 2. Der kritische Wahrheitsbegriff
und den
besonderen
I. Methodische Disposition § 1. Religion ist ein tatsächlicher Bestand der Kultur § 2. Die Mannigfaltigkeit der besonderen Religionswissenschaften und die Einheit der Kultur § 3. Die Religionsphilosophie als viertes Glied eines Systems kritischer Philosophie § 4. Die Stufen im systematischen Aufstieg der kritischen Philosophie . § 5. Das Urmateriale § 6. Der systematische Aufstieg durch das Moment der Transzendenz.. § 7. Die Transzendenz als Moment der Individuation
II. Die Schwelle des religiösen Erlebens § 1. Der Gegensatz des Endlichen und des Unendlichen nicht die Schwelle des religiösen Erlebens; Idee und Idol § 2. Not lehrt — arbeiten § 3. Schleiermachers „Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit" § 4. Hiob § 5. Das Motiv der Verzweiflung § 6. Die totale Zufälligkeit des Erlebens a) Die totale Zufälligkeit des Erlebens in Hinsicht auf die Naturbezogenheit ß) Die totale Zufälligkeit des Erlebens in Hinsicht auf die Gemeinschaftsbezogenheit Y) Die totale Zufälligkeit des Erlebens in Hinsicht auf die Stilbezogenheit § 7. Die Sünde
III. Der Ursprung der Religion § § § § § §
1. 2. 3. 4. 5. 6.
Die Die Die Die Die Die
Einzigkeit Egoität des Monachos Gegeneinzigkeit polare Transzendenz als Grenzbegriff polare Transzendenz als absolute Weite der Befassung „Nähe" Gottes; die „Ferne" Gottes
1 3
19 19 21 24 27 34 37 44
55 55 62 63 69 72 79 81 84 92 95
98 98 100 'Ol ¡03 J04 L06
—
IV
—
§ 7. Terminus a quo — Terminus ad quem § 8. Die negativen Attribute Gottes § 9. Gott, in polarer Transzendenz zum Monachos, als Monarchos
IV. Das Urphänomen des religiösen Bewußtseins § § § § § §
1. 2. 3. 4. 5. 6.
Einheit in der Besonderung der Wahrheit Der Glaube D a s Gefühl Die Ahnung ; D a s gotterkennende D e n k e n des Rationalismus Der Gott erheischende W i l l e ; moralisches Postulieren Gottes . . . .
V. Die religiöse Kategorie der „Welt" Die Der Die Das Die
118 118 121 127 129 134 138
142
Totalität der Welt neue Anblick der Wirklichkeit totale Geborgenheit in Welt Gebet Ahnungswelt der „Schöpfung'' oi) Die Ewigkeit ß) Die Schöpfung y) Die K r e a t u r . § 6 . Die Ahnungswelt des Messianismus a) Der ewige Friede ß) Messianismus
142 149 153 156 163 165 169 174 180 181 192
r ) M e Seele § 7. Die Ahnungswelt der Heiligung a) Die ewige Seligkeit ß) Die Heiligung Y ) D e r Geist
202 206 206 214 219
VI. Kritik der Religionswissenschaften
227
§ § § § §
1. 2. 3. 4. 5.
109 110 112
§ 1. D i e philosophische Kategorie des Ursprungs als Forderung t o t a l e r Offenbarung a) Die Orthodoxie als Schranke gegen die Forderung t o t a l e r Offenbarung ß) Der Anthropologismus als Schranke gegen die Forderung totaler Offenbarung Y) Der Nativismus als Schranke 8) Der Rationalismus als Schranke c) Der Gnostizismus als Schranke 0 Der Phänomenalismus als Schranke § 2. Die philosophische Kategorie der totalen Bestimmung als Forderung totaler Heiligung a) Der Dualismus der Seinsprinzipien ß) Der Pantheismus § 3. Die philosophische Kategorie der Einheit der Begründung als F o r derung der E i n h e i t der Offenbarung, d. i. der T o l e r a n z a) Die Einheit der „Religion" und die Mannigfaltigkeit „der Religionen" ß) Katholizität und Sektierertum Y ) Die Einheit der Toleranz und apologetische „Glaubenstreue"
231 231 241 246 251 254 268 262 268 ¡¿73 276 276 279 283
V
—
S 4. Die philosophische Kategorie der Einheit der Bestimmung als Forderung der i m m a n e n t e n S y s t e m a t i k d e r W e l t w i r k l i c h k e i t e n d. h. die Forderung der V o l l e n d u n g a) Die Mannigfaltigkeit der Weltwirklichkeiten ß) Die Erziehung des Menschengeschlechts (Lessing) Y) Von den besonderen Kirchen (Gemeinden) und den besonderen Kultsystemen 5) Von Motiven religiöser Weltgestaltung, die ihres legitimen Blutes noch nicht bewußt sind 1. Der Vegetarismus als Ahnungserleben. Der Einsiedler 2. Das Siedlungswesen als Ahnungserleben. Der Kommunismus 3. Das Ahnungserleben des Mysteriums von „Geist und Leben" Sach- und Namenfolge
( i ö r I a n cl . Religioufiphilosophio.
288 288 297 300 313 316 316 320 324
Einführung. 1. Die Arbeitsgemeinschaft zwischen Philosophie and den besonderen Wissenschaften. Es wird behauptet, daß ein breiteres Publikum heute mehr als sonst mit Philosophie sich beschäftige. Ob Philosophie im Sinne einer W i s s e n s c h a f t dabei gewinnt, ob sie überhaupt davon betroffen wird, ist fraglich. Schlechthin bedeutsam aber ist, daß so strenge Wissenschaften wie Mathematik und Physik unter der Last ihrer neuen Probleme sich nach der Hilfe der Philosophie umsehen. Die Auswirkung der metageometrischen Entdeckungen zunächst, dann heute die Durchdringung des Relativitätsproblems führen zwingend in „erkenntniskritische" Überlegungen; das heißt: sie bedürfen der Mitarbeit der L o g i k , sofern wir unter „Logik" die philosophische „Kritik der Naturwissenschaften" verstehen. Damit ist für die Philosophie der Zusammenhang mit den besonderen Wissenschaften zurückgewonnen, der nach Kants klassischer Formulierung die Bedingung ihrer Wissenschaftlichkeit ist. Und da aus dem Verlangen dieser strengsten Wissenschaften eine Arbeitsgemeinschaft von besonderen Wissenschaften und Philosophie wieder hergestellt ist, so wird auch wohl bei den übrigen die Einsicht sich wieder frei machen, daß die spezifischenWissenschaften und eine Philosophie im strengen Sinne der Wissenschaftskritik nun einmal aufeinander angewiesen sind. Es ist zwar sonderbar, daß diejenigen Wissenschaften, die noch während der deutschen spekulativen Überkühnheit nach Kant den Zusammenhang mit Philosophie aufrecht erhalten hatten, wie z. B. die Religionswissenschaften (man denke an die Schleiermacherschen und Friesschen Theologenschulen), bis heute mit wenigen Ausnahmen sich gegen sie zurückgehalten haben. Soll man die Abneigung der Religionswissenschaften gegen die Berührung mit der kritischen Philosophie, wie sie in aller Schärfe bei Troeltscii zum Ausdruck kommt, daraus begreifen, daß ihnen die ungeheure G ö r l a n d , ReligiuDsphilosophitt.
;
—
2
—
Kraft neuer Fragestellungen, wie sie in Metageometrie und Relativitätstheorie zum Durchbruch gekommen ist, bislang noch fehlt ? Und soll man den Ruf nach einer neuen Metaphysik, wie er heute aufdringlich sich hören läßt, im Zusammenhang mit dieser Frage verstehen? Zwar ist Metaphysik nicht Religionswissenschaft. Aber der vage Ruf nach einer neuen Metaphysik ist vielleicht nichts anderes als der Ruf nach einer zutiefst neuen Stellung des religionswissenschaftlichen Problems. Dieser Ruf nach metaphysischem Geiste ist verführerisch, ist eine große Gefahr für die Religionswissenschaften. Denn nicht die Gnosis erfaßte das religiöse Erleben in neuer Tiefe; klassische Höhen religionswissenschaftlicher Problemstellungen bezeichnen Geister wie Augustin und Eckehard. Und begäben sich die Religionswissenschaften auf neue metaphysische Wege, so wäre es unmöglich, zwischen ihnen und der kritischen Philosophie eine Arbeitsgemeinschaft zu erhoffen, wie sie heute mit Mathematik und Physik wirklich wird; wir gerieten dann wieder an den alten Zwiespalt der Kulturbereiche, der beseitigt schien durch die Forderung der kritischen Philosophie: die E i n h e i t d e r K u l t u r als ein g e s c h l o s s e n e s S y s t e m i m m a n e n t e r g e i s t i g e r G r u n d l e g u n g e n aufzubauen. Wo immer solchergestalt metaphysischer Geist in den Religionswissenschaften maßgeblich ist, da vermögen sie in der „Logik" nur ein formal-technisches Instrument zur Bearbeitung ihrer Angelegenheiten, in der „ E t h i k " nur ein ihnen zukommendes Kapitel und in der „Ästhetik" nur eine Symbolsprache für die ihnen eigene Gegenständlichkeit zu sehen. Wie sollte dann noch die Frage sich hervorwagen, ob die kritische Religionsphilosophie eine eigene philosophische Aufgabe und damit: einen Platz neben den Religionswissenschaften behaupten könne ? Das sind entscheidende Umstände, die einer Arbeitsgemeinschaft zwischen kritischer Religionsphilosophie und Religionswissenschaften in den Weg treten. Unser Interesse daran wird beschwert obendrein noch dadurch, daß die Stellung einer Religionsphilosophie im eigenen System der kritischen Philosophie noch unausgemacht ist. Bei Kant gelangt diese Angelegenheit zu keiner systematischen Klärung. Die Vermischung dann von Ästhetik und Religionsphilosophie bei Fries ist für beide Disziplinen ein schlimmer Nachteil gewesen. Endlich Hermann Cohen hat wohl eine jüdische R e l i g i o n s w i s s e n s c h a f t als letzte seiner Gaben uns beschert; aber das System seiner Philosophie kennt keine den anderen drei Disziplinen neben- und zugeordnete R e l i g i o n s p h i l o s o p h i e . Dieser besonderen Schwierigkeit müssen wir im Gange unserer Arbeit Herr
—
3
—
zu werden versuchen; hier geht uns zunächst die allgemeine Schwierigkeit an, die eine Arbeitsgemeinschaft von Religionswissenschaften und kritischer Philosophie in Frage stellen. Diese Schwierigkeit ist letztenendes darin begründet, daß die Religionswissenschaften den W a h r h e i t s b e g r i f f , den die kritische Philosophie entwickelt, meinen ablehnen zu müssen. Hierüber bedarf es einer besonderen Aussprache, ehe an eine Arbeitsgemeinschaft zwischen beiden gedacht werden kann. 2. Der kritische Wahrheitsbegriff. Wir treten in die Erörterungen mit der bestimmten Absicht, einer Verständigung mit den gegnerischen Gedanken zu dienen. Dafür ist Vorbedingung, daß nur diejenigen Äußerungen zu Worte kommen, die Von den gegensätzlichen Stellen ausdrücklich selbst vertreten werden. Es geht nicht an, den Gegner nach einer philosophiegeschichtlichen Schulschablone zu beurteilen, also etwa den „kritischen Standpunkt", den wir zur Geltung zu bringen versuchen werden, unbesehen mit „dem Apriorismus" oder „dem Rationalismus" gleichzusetzen. Wie sehr wir unseres Ausganges von Kant uns bewußt sind, so wenig sind wir dafür verantwortlich zu machen, daß und wie eine philosophische Publizistik bestimmte kantische Motive zu Schlagwörtern verhärtet hat. Wir müssen daher erwarten, daß in unsere Worte kein anderer Sinn gelegt werde, als den wir selbst hierorts hineinlegen. Wir unterstellen uns natürlich gleichfalls dieser Forderung. Darum müssen wir zur Auseinandersetzung einen bestimmten Autor wählen, selbst auf die Gefahr hin, dann nicht die ganze Weite der Gegensätzlichkeit gegen unsere Stellungnahme zu umfassen. Nehmen wir aber als bislang gegnerischen Autor einen Mann vom Range eines T r o e l t s c h , um eine Verständigung zu versuchen, so wird ein immerhin genügend breites Fundament für unsere Erörterung gewählt sein. j Troeltsch begründet seinen Gegensatz zur „kritischen Philosophie" durch die Behauptung, sie sei die Philosophie der mathematischen Naturwissenschaft und dadurch methodisch und gegenständlich getrennt von einer Philosophie der Erlebniswerte, zu der er sich bekennt. Dieser Gegensatz deckt sich mit dem Gegensatz, wenn nicht gar Widerspruch zwischen mathematisch-naturwissenschaftlichem R a t i o n a l i s m u s und historischem I r r a t i o n a l i s m u s 1 ) . Dieser erkenne die reine Faktizität des Wirklichen an, 1
) Troeltsch, Über Maßstäbe Protest. Monatshefte 1916, S. 280.
zur Beurteilung
historischer 1*
Ding«.
—
3
—
zu werden versuchen; hier geht uns zunächst die allgemeine Schwierigkeit an, die eine Arbeitsgemeinschaft von Religionswissenschaften und kritischer Philosophie in Frage stellen. Diese Schwierigkeit ist letztenendes darin begründet, daß die Religionswissenschaften den W a h r h e i t s b e g r i f f , den die kritische Philosophie entwickelt, meinen ablehnen zu müssen. Hierüber bedarf es einer besonderen Aussprache, ehe an eine Arbeitsgemeinschaft zwischen beiden gedacht werden kann. 2. Der kritische Wahrheitsbegriff. Wir treten in die Erörterungen mit der bestimmten Absicht, einer Verständigung mit den gegnerischen Gedanken zu dienen. Dafür ist Vorbedingung, daß nur diejenigen Äußerungen zu Worte kommen, die Von den gegensätzlichen Stellen ausdrücklich selbst vertreten werden. Es geht nicht an, den Gegner nach einer philosophiegeschichtlichen Schulschablone zu beurteilen, also etwa den „kritischen Standpunkt", den wir zur Geltung zu bringen versuchen werden, unbesehen mit „dem Apriorismus" oder „dem Rationalismus" gleichzusetzen. Wie sehr wir unseres Ausganges von Kant uns bewußt sind, so wenig sind wir dafür verantwortlich zu machen, daß und wie eine philosophische Publizistik bestimmte kantische Motive zu Schlagwörtern verhärtet hat. Wir müssen daher erwarten, daß in unsere Worte kein anderer Sinn gelegt werde, als den wir selbst hierorts hineinlegen. Wir unterstellen uns natürlich gleichfalls dieser Forderung. Darum müssen wir zur Auseinandersetzung einen bestimmten Autor wählen, selbst auf die Gefahr hin, dann nicht die ganze Weite der Gegensätzlichkeit gegen unsere Stellungnahme zu umfassen. Nehmen wir aber als bislang gegnerischen Autor einen Mann vom Range eines T r o e l t s c h , um eine Verständigung zu versuchen, so wird ein immerhin genügend breites Fundament für unsere Erörterung gewählt sein. j Troeltsch begründet seinen Gegensatz zur „kritischen Philosophie" durch die Behauptung, sie sei die Philosophie der mathematischen Naturwissenschaft und dadurch methodisch und gegenständlich getrennt von einer Philosophie der Erlebniswerte, zu der er sich bekennt. Dieser Gegensatz deckt sich mit dem Gegensatz, wenn nicht gar Widerspruch zwischen mathematisch-naturwissenschaftlichem R a t i o n a l i s m u s und historischem I r r a t i o n a l i s m u s 1 ) . Dieser erkenne die reine Faktizität des Wirklichen an, 1
) Troeltsch, Über Maßstäbe Protest. Monatshefte 1916, S. 280.
zur Beurteilung
historischer 1*
Ding«.
—
4
das seinerseits aus unzähligen, rein faktischen und momentanen Lebensinhalten bestehe; diese grenzenlose Überfülle des rein Faktischen halte sich in sich beständig zusammen und sei darum i r r a t i o n a l . Deshalb aber gäbe es keinen ruhenden, als Formgesetz alles Wirklichen vom Denken ergreifbaren A l l g e m e i n b e g r i f f , der durch seine allgemeine Notwendigkeit l e t z t e W a h r h e i t lind l e t z t e r W e r t sein müßte, in den alles Sein g l e i c h a r t i g e i n g e s c h l o s s e n und an dem aller Wert v e r n u n f t n o t w e n d i g gem e s s e n werden könnte 1 ). Dieser Gegensatz des Irrationalen und Rationalen ist für die Stellung Troeltschens entscheidend. Alle weiteren Bestimmungen, mit denen er seinen Gegensatz zu unserer „kritischen Philosophie" ausspricht, sind nur Auswirkungen dieses Begriffsgegensatzes. So sagt er: Die grenzenlose Überfülle der momentanen Lebensinhalte ist a b s o l u t i n d i v i d u e l l , einmalig und widerstrebt einem vom Denken zu ergreifenden Allgemeinbegriff, in dem sie zu rationaler Endlichkeit, zu einem in ruhendem Formbegriff Erfaßten werden könnte. Zwar bleibt dieses Ganze der Wirklichkeit nicht ein Unzugängliches; aber die E r l e b n i s k a t e g o r i e n , in denen es Klarheit gewinnt, sind k o n k r e t , nicht rational begrifflich; sind spontan, autonom, n i e m a l s r u h e n d e E r z e u g u n g e n , nicht, wie ein „kritischer Rationalismus" wolle: e w i g f e r t i g e , z e i t l o s g e l t e n d e , a b s o l u t a b s t r a k t e Maßstäbe, die aus dem Nichts, a u s d e r V e r n u n f t k o n s t r u i e r t , v o n a u ß e n h e r an die Wirklichkeit h i n a n g e b r a c h t werden. Vielmehr müßten diese Erlebniskategorien in einem spontanen Schaffen, durch eine intuitive Einstellung, durch Einfühlung in den inneren Zug der Entwicklung, in den Gang der göttlichen inneren Wesensbewegung entspringen und aus dem Gefühl zwingender Notwendigkeit und Klarheit sich rechtfertigen. Wir dürfen behaupten, daß Troeltsch durch den so scharf von ihm abgelehnten „Rationalismus" meint unsere kritische Philosophie gekennzeichnet zu haben. Er hat mehrfach Gelegenheit genommen, meine „Ethik als Kritik der Weltgeschichte" als derartigen „Rationalismus" schroff zu beurteilen; wiewohl er zur Schärfe dieses seines Widerspruches nicht hätte kommen können, wenn er sorgfältiger und weniger voreingenommen der Methodik dieser kritischen Ethik nachgegangen wäre. Um nun der Möglichkeit eines Verständnisses vorzuarbeiten, müssen wir die Meinung durchaus zu beseitigen versuchen, als könne von der „reinen Faktizität des Wirklichen, das aus unzähligen, rein faktischen und momen*) Troeltsch, Die alte Kirche.
Logos Bd. VI, Heft 3.
—
5
-
tanen Lebensinhalten besteht", geredet werden, wenn man den mathematisch-naturwissenschaftlichen — „Erlebensbereich" vorweg ausschließt; als beginne die „Faktizität des Wirklichen" erst im „Historischen". Das ist der verhängnisvolle Irrtum Troeltschens, ohne dessen Beseitigung nicht nur eine Verständigung mit „kritischer Philosophie" allerdings ausgeschlossen ist, sondern auch seine eigene Methodik nicht gesunden k a n n 1 ) . Absichtlich bezeichnete ich das Mathematische und das Naturwissenschaftliche als E r l e b e n s b e r e i c h ; und zwar aus folgendem Grunde. Es gibt zwei Ausdrücke, die die Weise bezeichnen, durch die sie zu ihren Sachlichkeiten gelangen; in der Arbeit beider Wissenschaften handelt es sich um B e o b a c h t u n g und E n t d e c k u n g . Nicht auf ihre begriffliche Bedeutung kommt es hier an, sondern auf das A t m e n d e s t i e f s t e n E r l e b e n s , in dem sich beide Weisen der Arbeit vollziehen. Es gibt keine umfassendere S c h a u als die des Naturforschers, in der das Geschehen der Atome und das der Fixsternwelten als Einheit eines kosmischen Gewebes „ e n t d e c k t " , a u f g e d e c k t wird. Sei es in Newton, sei es in Einstein — hier ist die ungeheuerste Erlebensallgewalt, die aus dem Bewußtsein der „ O f f e n b a r u n g " aufstürmt. „Vernunft" und „Welt" ist hier ununterschieden Eines, Eines als Totalgehalt des Erlebens. In diesen Weiten der Wirklichkeit zergeht alle Grenzabzirkelung der Subjektivität gegen die Objektivität, der Objektivität gegen die Subjektivität. Und es gibt ebensowenig eine umfassendere S c h a u als die der mathematischen Entdeckung. Wer da meint, daß die Mathematik in der Unmittelbarkeit ihrer Schöpferkraft, wie etwa in den metageometrischen Entdeckungen, ein Verstandesgewerkel in „allgemeinen" Regeln und Formeln sei, die gegeneinander ausgetauscht, in und aus einander verwandelt, mannigfach hin- und hergesetzt würden, der weiß nichts davon, wie das B e w u ß t s e i n des mathematischen Arbeitens unermeßlich voll ist der F a k t i z i t ä t d e s W i r k l i c h e n , das eingegangen ist in das Gewebe seiner Funktionen, aber in keinem Augenblioke darin untergeht; in jedem Moment muß vielmehr das Wirklichkeitssinnvolle der mathematischen Gesichte dem Forscher erlebensgegenwärtig sein. Denn entdeckt der mathematisch-naturwissenschaftliche Forscher ein Gesetz, so entdeckt er nicht eine „Zeitlosigkeit", eine „letztliche Allgemeinheit", sondern es offenbaren sich ihm aus der Erlebenstiefe seiner Schau die C h a !) Vgl. Natorp, Sozialidealismus;
Springer 1920, S. 172 ff.
—
6
—
r a k t e r e d i e s e s G a n z e n der W i r k l i c h k e i t , die I n d i v i d u a l i t ä t s g a r a n t e n dieser e i n e n allgegenwärtigen N a t u r . Wir genießen das Glück, in einer Zeit mathematisch-naturwissenschaftlicher Genialität allerersten Ranges zu leben; wir müssen erkennen, daß hier Erlebensquellen fließen und kein Formalismus dörrt, daß hier gerungen wird, das Antlitz d i e s e r u n s e r e r einzigen W e l t zu enthüllen und nicht bettlerpfiffig mit Rechenpfennigen eines leeren Verstandes gespielt, ein Reichtum aus einem Nichts konstruktiv ergaukelt wird. Ist dies aber der Erlebensgehalt der mathematisch-naturwissenschaftlichen Forschung, so ist eben dasselbe der W e s e n s g e h a l t der m a t h e m a t i s c h - n a t u r w i s s e n schaftlichen Methode. Wir nannten das, was, aus mathematisch-naturwissenschaftlicher Entdeckung entspringend, „Gesetz", „Naturgesetz" heißt, die I n d i v i d u a l i t ä t s g a r a n t e n , die W e s e n s c h a r a k t e r e d i e s e r e i n e n u n s a l l g e g e n w ä r t i g e n N a t u r . Das versteht ohne weiteres, dem klar ist, warum der Schritt Vom Newtonschen Trägheitssystem zum allgemeinen Relativitätstheorem getan werden mußte; warum der metageometrischen Rauminterpretationsmannigfaltigkeit das Dogma des euklidisch bestimmten, absoluten Raumes Platz machen mußte: es waren Schritte der Methode notwendig, um dem I n d i v i d u a i s i n n d i e s e r u n s e r e r e i n e n N a t u r i n t e r p r e t a t o r i s c h m e h r u n d m e h r zu g e n ü g e n . Die Wissenschaftsrevolution, in der wir stehen, gilt der Schaffung eines neuen Programms, um kraft seiner das neue Erlebnis „Natur" ihm zulänglich neu beschreiben zu können; ein Programm, völlig „spontanen" und „autonomen" Geistes, gewählt auf Selbstkündigung, wenn das Erleben „Natur" zu neuem Stande gelangt ist. So entwicklungsbedingt, so — erlebensbedingt sind die Interpretationsansätze und -Grundsätze der mathematischen Naturwissenschaft. Auch die mathematisch-naturwissenschaftliche „Natur" ist Gehalt ewiger Entwicklung; wie könnte die Naturwissenschaft entwickelte, — ausgewickelte Ewigkeit sein, eine „Zeitlosigkeit", ein ergriffener „Allgemeinbegriff", ein ruhendes, d . h . totes „Formgesetz", also eine Hülle des Nichts, ein „Nichts als Hülle"? 1 ). Hat es eine „Vernunft" gegeben, die behauptete, durch SelbstDas ist der schlechte Sinn des A p r i o r i s m u s , gegen den Troeltsch ankämpft. Wir sagten dagegen in unserer „Ethik" (S. 275): „Unsere Philosophie ist also keine Philosophie des Apriorismus. Mit dieser Ablehnung glauben wir uns die Freiheit vom Verdachte einer doktrinalen Philosophie jeglicher Art zu gewinnen. Wie die Geschichte aller Kulturarbeit unabgeschlossen ist . . . " .
—
7
ausrollung des D e n k e n s im apriori „ewige Wahrheiten" und ein zeitloses Weltwissen zu haben, so wird als Triebfeder zu dieser Feindschaft gegen den Sinn der Entwicklung und des Erlebens n i c h t ein mathematisch-naturwissenschaftliches Interesse, sondern zutiefst allein ein metaphysisches und theologisches Bedürfnis erkannt werden. Im apriori schneiden sich eben zwei Richtungen spekulativer Interessen. Die eine Richtung bedarf zur Befriedigung ihrer metaphysischen Absichten eines Mittels, um k r a f t eines „Denkens" Aussagen über ein jenseitiges „Sein an sich" leisten zu können; dieses Mittel muß enthoben sein aller Bedingtheit durch das Erleben des Menschen, aller Bedingtheit nach Ursprung und Entwicklung; es muß „ewige Wahrheit", ein „natürliches Li ") a. a. O. 368.
—
247
—
findung". „Ich habe gut sagen: Gott ist so oder so; ich empfinde es, ich beweise es m i r ; ich begreife aber um nichts besser, wie Gott so sein k a n n 1 ) . " Es ist ein unmittelbarer Gehalt meines Erlebens, ein Innen-Finden von sinnlicher Art; „ich f ü h l e " eben „in mir das Werk und das Werkzeug des erhabenen Weesens, das das Gute w i l l 2 ) . " Darum wird der Nativist seine Vernunft über die Natur Gottes nur dann befragen (je ne raisonnerai jamais sur la nature de Dieu), wenn er durch das Gefühl (sentiment) der Beziehung Gottes zu ihm dazu gezwungen ist 3 ). Das Religiöse ist also eine „ N e i g u n g " 4 ) , j a , ein Instinkt, ein göttlicher Instinkt, dadurch dem Menschen Gottähnlichkeit gegeben wird 5 ). Es ist dem Menschen von der Natur selbst das Gefühl der Dankbarkeit gegen den Schöpfer meines Geschlechtes aufgegeben (dicté), aus dem das religiöse Erleben natürlich sich ergibt 6 ). Nicht, was Gott an sich selbst sein möge zu erklügeln, gibt uns dieses Gefühl auf, sondern in ihm spricht sich die Gottbezogenheit unseres Wandels auf Erden und im Verhältnis zu unseren Mitmenschen aus. Ist das religiöse Erleben begründet in unmittelbarer und ursprünglicher Empfindung, so muß auch der ideelle Gehalt dieser Religion des „natürlichen Lichtes" unverwickelt und der Einfalt voll ergreifbar sein. Man betrachte das Schauspiel der Natur in ihrer Harmonie und ihrem Ebenmaß; man höre auf die Vernunft, auf die innere Stimme, so muß sich unseren Augen, unserm Gewissen und unserer Urteilskraft alles offenbar zeigen. Denn die Hauptwahrheiten der Religion in ihrer Schlichtheit sind einfache Folgerungen aus dem Eindruck der umgebenden Welt und dem inneren Gefühl. Darum enthält diese gefühlsnatürlich sich offenbarende Religion nur diese zwei Glaubensartikel: daß ein Wille das Weltall beseele und daß dieser Wille auf einen Verstand hindeute Inwiefern ist nun der Nativismus eine Schranke gegen unsere Forderung totaler Offenbarung ? Nicht darin ist er eine Schranke gegen diese Forderung, daß er seiner Grundbehauptung getreu ablehnt, über das Wesen Gottes an sich selbst zu klügeln, sondern Gott nur in und aus seinen Beziehungen zum Menschen sieht. E r bleibt streng im Bereiche des Erlebens. Zwar setzt auch er Gott als ein Dasein, aber es ist ein bloßes Wort für die E m p f i n d u n g , daß das religiöse Verhältnis ein ü b e r w e l t l i c h e s ist; er gesteht sofort, daß es ihm an Vermögen fehlt, einzusehen, w i e Gott „ s o s e i n k a n n " . E r will nicht über Gott Bescheid wissen, denn er weiß, daß er es nicht kann, sofern er weiß, ')
338.
2
) 347.
3
) 327.
4
) 348, 18.
s
) 345, 18.
6
)
328.
—
248
—
daß seine Empfindung, sein „sentiment" des Religiösen eine Tatsache des Erlebens ist, jenseit derer ihm keinerlei Zulänglichkeit gegeben ist. Nun aber ist das Gottverhältnis gesichert in einem eingeborenen Sentiment, dessen Gehalt jedem menschlichen Gemüt als eine ewige Wahrheit innewohnt und sich der Einfalt des Herzens unmittelbar und schlicht, völlig offenbart. Der unmittelbare, unverklügelte Blick auf die Welt macht uns gewiß, daß so, wie wir durch unsern Willen Verursacher unserer Bewegungen sind, so auch die Veränderungen der Welt einen Willen zeigen; und, wie in unseren Angelegenheiten Ordnung wird aus Chaos durch den Verstand, so auch das Ebenmaß und die Harmonie der Welt einen Verstand zeigt, der plangebend sich den Weltveränderungen überordnet. Dieses Sentiment steht ganz auf der gleichen Stufe mit dem Gewissen, das als ein leitender Instinkt unbeirrbar und unmittelbar, frei von Raisonnement, das Gute gebietet. Diesem Nativismus ist also das Gottverhältnis eine Empfindung, die jedem unmittelbar zugängig, die in allem ihrem Gehalt offenbar, einfach „natürlich", in vollem Sinne „selbstverständlich" ist, in der es keine Tiefen unendlicher Ahnung, keine „Prophetie", keine — F o r d e r u n g totaler Offenbarung gibt; denn alles, was dieses Sentiment zu geben hat, gibt es der Einfalt des Herzens unverhüllt ganz. Aus diesem grundsätzlichen Mangel, der seine Schranke gegenüber dem Urerleben des Religiösen bezeichnet, sofern er es verendlicht und zu einer platten „Natürlichkeit" macht, ergibt sich auch die Stellung des Nativismus zu den verschiedenen Konfessionen und zum Atheismus. Auch hier taucht ein Motiv auf, das den Nativismus überaus sympathisch erscheinen läßt und zu der Vermutung verführt, als wolle es doch der Forderung totaler Offenbarung genügen. Das ist Rousseaus Gebot der T o l e r a n z 1 ) . „Ich meine, jemand zu bewegen, daß er die Religion verlasse, in der er geboren ist, heißt, ihn zu einem Unrecht aufzufordern." Zwar ist die Toleranz die notwendige Bedingung, wenn die Forderung totaler Offenbarung sich gegen den Orthodoxismus soll überhaupt durchsetzen können; aber sie ist doch noch nicht zugleich die zureichende Bedingung. Dies beweist gerade der Nativismus Rousseaus. Die nativistische „Toleranz" der „natürlichen" Religion des Theismus entspringt nämlich nicht der Einsicht, daß in der Geschichte der Konfessionen (wie verschleiert und durch staats- und *) Emile 372, 9; 373, 11.
—
249
—
kirchenpolitische Interessen gehemmt und abgebogen), im letzten Grunde doch die unausgesetzte E r g r ü n d u n g und E n t h ü l l u n g , d. h. totale Offenbarung des religiösen Erlebens erstrebt worden ist. Vielmehr sind, mit dem Auge dieser Sentiment-Wahrheit angesehen, die mannigfachen Konfessionen zeiträumliche Zutateil ohne Belang, ohne beweisbaren Wahrheitswert. Das religiöse Erleben enthüllt sich, wo immer es sich enthüllt, eben als Sentiment und Instinkt, völlig und zureichend so weit, als es dem Menschen ü b e r h a u p t gegeben ist. Demnach sind die verschiedenen „Bekenntnisse" Umschreibungen, die dem einzelnen durch Heimat und Gebrauch wohl vertraut und lieb geworden sein mögen, aber keineswegs eine höhere Wahrheit beanspruchen können, als das schlicht sich darbietende „natürliche L i c h t " . Die „Toleranz" des Theismus ist demnach nichts weniger als die Forderung, einer unbegrenzten Enthüllung der religiösen „Wahrheit" Freiheit zu lassen, sondern das Eingeständnis, daß die eine Konfession so wenig wie die andere einen besonderen Wahrheitswert für sich beanspruchen kann. Die „Toleranz" gegenüber den Bekenntnissen ist also die Behauptung unserer völligen Unzulänglichkeit, irgend etwas auszumachen, was über das unmittelbare Sentiment der natürlichen Religion hinausgeht. Daher ist es „eine unverzeihliche Anmaßung (pre;omption), sich zu einer anderen Religion zu bekennen als zu der, in der man geboren i s t " denn wir sind in einer U n g e w i ß h e i t in Hinsicht a l l e r Konfessionen, sodaß die eine so unbewahrheitbar ist, wie die andere. Die Toleranz ist hier also nicht das Pathos, das unendliche Weite für s e i n e unendliche Apologetik und darum die gleiche für jedes andere religiöse Erleben verlangt, sondern ist das Fehlen jeglichen Pathos, ist Gleichgültigkeit aus der Insuffizienz unserer religiösen K r a f t , durch die Oberflächlichkeit des Sentiment hindurch Tiefen unendlicher, selbeigener Offenbarung freizulegen. Die nativistische „Toleranz" erschöpft sich in eben diesem Sentiment, verendlicht sich in der Plattheit eines Gefühls von jedermann „in jedem Lande und jeder Religion 2 ) " und ermangelt des sie erst rechtfertigenden, unendlichen Ringens um „Gotes Nähe", von dem ein Zeugnis die Konfessionen sind. Insuffizienz statt Selbstbewußtheit, Desinteressement statt eines apologetischen Pathos ist hier die Toleranz. Hier erst, in diesem Sinne der Toleranz zeigt sich erst vollends, daß der Nativismus zur Schranke gegen die Forderung totaler Offenbarung werden muß. Eine l
erschreckliche
) 3 7 5 , 9.
2
) 375, 19.
Auswirkung des
Nativismus
als
solche
—
250
—
Schranke ist die nicht zu überbietende I n t o l e r a n z gegen einen „philosophischen IndifTerentismus", die durchaus der toleranten Indifferenz, gegenüber der Mannigfaltigkeit von Bekenntnissen und „positiven Religionen", entspricht. Jener philosophische Indifferentismus ist gleichgültig gegen die religiösen Wahrheiten aus dem „göttlichen Instinkt" des Nativismus; hierin muß der Nativismus seinen grundsätzlichen Feind sehen; seine schärfste Intoleranz gegen den philosophischen A t h e i s m u s ist also konsequent. „Die Irreligiosität. allgemein der raisonnierende und philosophische Esprit fesselt an das Leben, verweichlicht die Seelen, bezieht alle Leidenschaften auf die Kleinlichkeit des Einzelinteresses und untergräbt so geräuschlos die wahren Fundamente der ganzen Gesellschaft. Wenn der Atheismus nicht zum Blutvergießen treibt, so geschieht es weniger aus Liebe zum Frieden als aus Gleichgültigkeit gegen das Gute. Der philosophische IndifTerentismus ähnelt der Ruhe des Staates unter dem Despotismus; er ist zerstörender als selbst der Krieg 1 )." Diese Verfehmung des philosophischen Atheismus ist ohne bezwingende Wahrheit; die eine Gestalt des Spinoza kann uns belehren. Aber, nicht was der Atheismus an sich selbst sei, sondern dessen grundsätzliche Gegnerschaft zu einem theistischen N a t i v i s m u s bestimmt Rousseau zum unversöhnlichen Feind und enthüllt in diesem — Revolutionär die starken doktrinalen Untergründe. Muß das religiöse Bewußtsein zu seiner Rechtfertigung auf ein Eingeborenes, ein Sentiment, ein natürliches Licht und einen göttlichen Instinkt sich stützen, so bedeutet der Atheismus die Bestreitung gerade dieser letzten Stütze, bedeutet, daß die Berufung auf eine „eingeborene Wahrheit" an sich keinen größeren Wahrheitswert habe als die auf irgendein Dogma entgegengesetzter Art. Damit schwebte der Nativismus in der Luft. Somit macht, wie vorhin die „Toleranz", so hier auch jetzt die Intoleranz offenbar, daß der Nativismus eine Schranke gegen die Forderung totaler Offenbarung bedeutete. Dagegen kennt das Pathos unerschöpflicher Apologetik und Hermeneutik keine Schranke, weder gegen Atheismus noch gegen Konfessionalität, sondern ringt mit beiden um unbegrenzte Rechtfertigung der Ureigenheit der Ahnung. Der Nativismus ist von dogmatischer Anmaßung wie der Literalismus, die Ausartung des Orthodoxismus. Aber weil er sich gründet auf das Dogma der „Natur", der „Erfahrung" und des „Instinkts", also auf Qualitäten des a n t h r o p o l o g i s c h e n Individuums, so wird ihm auch die z e r s e t z e n d e K r i t i k d e s A n !) :i76, Anm.
—
251
—
t h r o p o l o g i s m u s zum Verhängnis. Die „natürliche offenbart unserer Kritik Schwächen auf allen Seiten.
Religion"
ö) Der Rationalismus als Schranke. Unsere Überlegungen bedürfen einen scharf umgrenzten Begriff des Rationalismus. Es geht nicht an, wie es aus dem Gesichtspunkt orthodoxer Theologie geschehen i s t a l s Rationalismus auch Kants Stellung zum Religiösen, wie die der Jacobischen und Friesschen Philosophie zu bezeichnen. Das Gemeinsame wäre dann nur das im Grunde völlig Uneinheitliche, daß uns zum Religiösen ein Zugang, abseits oder neben der Offenbarung, durch den Gebrauch solcher geistigen Vermögen eröffnet werden soll, die, von ursprünglich außerreligiöser Befugnis, nun auch für die Absichten des religiösen Problems verwendet werden; so bei Kant das praktische Vermögen, bei Fries das ästhetische. Zweifellos aber besteht der Charakter des k l a s s i s c h e n Rationalismus darin, daß er vermöge der Zergliederung eines Begriffs und vermittelst Schlußketten das Dasein Gottes und seiner Eigenschaften k r a f t d e s t h e o r e t i s c h e n D e n k e n s als eine Wirklichkeit beweisen will, und zwar mit einer Bündigkeit, die der geometrischen gleich ist. Das spezifische Verfahren des Rationalismus ist also ,,die Demonstrationsmethode", und sein reinster Ausdruck ist Moses Mendelssohns Preisarbeit „Über die Evidenz in metaphysischen Wissenschaften" (1763) und seine „Morgenstunden oder Vorlesungen über das Dasein Gottes" (1785) 2 ), der Schwanengesang des klassischen Rationalismus. Gewiß meint der Rationalismus nicht, das Religiöse sei nur das D e n k e n d e r r e l i g i ö s e n „ W a h r h e i t e n " ; er anerkennt vielmehr, daß es unsere gesamte „Lebensart, Glückseligkeit und Meinung" erfüllt. Er schließt auch keineswegs das Wunder noch die Offenbarung aus. Aber er behauptet, daß auf allen diesen Gebieten eine kritiklose Zustimmungsbereitschaft des Gemütes sich zeigt, durch die Glaube mit Aberglauben sich vermengt. Soll die Wahrheit festgestellt und gesichert werden, so bedürfe es des D e n k e n s ; nicht allein für die Gläubigen, sondern auch für Bezwingung der Ungläubigen. Man hat daher sehr wohl zu unterscheiden zwischen demonstrativer Uberzeugung und einer auf das Gemüt wirkenden Überredungskraft. Die Beweistümer letzterer Art besitzen „eine weit größere Beredungskraft als selbst die demonstrativen. Sie machen durch ihre Lebhaftigkeit einen stärkeren Eindruck auf das Gemüt, er') z . B . V. S a c k , a . a . O . 175—176. Leipzig, Voß, 1880.
-) Zitiert nach A u s g a b e B r a s c l i ,
—
252
—
wecken die Seele zu werktätigen Entschließungen und bringen diejenige, praktische Überzeugung hervor, die bei der Betrachtung der göttlichen Eigenschaften unsere vornehmste Absicht sein sollte 1 )." Sie befolgen die „Methode, aus der Schönheit, Ordnung und den Absichten der Natur ihren Schöpfer zu erkennen", woraus das Gemüt die süßeste Beruhigung, den erquickendsten Trost und dasjenige Feuer und Leben „der Erkenntnis" schöpft, „das in das Begehrungsvermögen übergeht und Entschließungen veranlaßt, die in Handlungen ausbrechen 2 )." — A b e r die d e m o n s t r a t i v e n Ü b e r z e u g u n g e n w o l l e n m e h r l e i s t e n ; sie wollen mehr leisten, als selbst von der Mathematik je gefordert werden kann 3 ): nämlich gegen die Begriffe des Atheisten unerschütterlich, ja, ihn selbst überführend 4 ), die gründliche Überzeugung, daß das Etwas, um dessenwillen sie sich bemühen: G o t t , w i r k l i c h v o r h a n d e n sei, und nicht eine, wie immer wertvolle, Einbildung des Gemütes. Diese demonstrativen Beweistümer sind wahrhaft erst „die Festungen, die ein Land wider feindliche Anfälle schützen", für gutwillige und friedliche Einwohner allerdings „weder die bequemsten noch die anmutigsten Wohnplätze" 5 ); sind aber auch für sie doch letzten Endes Notdurft und Rettung. Darum muß bei so entscheidender Wichtigkeit dieser demonstrativen Erkenntnis aller Anteil außer acht gelassen werden, „den wir an dem Resultate nehmen" und unseren Wünschen jeder Einfluß auf unsere Überzeugungen verschlossen bleiben 6 ). Diese demonstrative Erkenntnis gelangt r e i n aus der V e r n u n f t zum wirklichen Dasein G o t t e s und s e i n e r E i g e n s c h a f t e n 7 ) . Auf diesem Grunde ruht das ganze Gebäude unserer Beziehungen zu Gott und Welt. Es handelt sich für uns hier gar nicht darum, kritisch zu untersuchen, ob es überhaupt möglich ist, durch „die Vernunft", d. h. durch Zergliederung irgendeines Begriffes und daran sich anschließende Schlußketten ein Dasein erweisen zu können, ob also ein w i r k l i c h e s D a s e i n „Gottes" und seiner Eigenschaften aus der Vernunft erkennbar sei, oder ob dies ganze Unterfangen als „Metaphysik" und „dialektischer Schein" sich enthüllen müsse. Wir haben allein darauf zu achten, daß hier behauptet wird, für die religiöse Grundtatsache „Gott" sei der allein zulängliche Wahrheitsbeweis von einem Denken rein logischer Art zu beschaffen und auch beschaffbar. I n d i e s e r B e h a u p t u n g d e f i n i e r t s i c h d e r R a t i o n a l i s m u s . Gott ist eine Tatsache, die aus eben dem Er-
5
2 3 ») Über die Evidenz 88. ) S. 89. ) S. 75. c ) S. 89. ) S. 361. ') S. 73 u. S. 358.
4
) S. 74 u. S. 367.
—
253
—
kenntnismittel abgeleitet ist, aus dem die Wahrheit alles Daseienden überhaupt, z. B. die geometrischen Wahrheiten, abgeleitet sind. Aber die Wahrheit des „Möglichen", wie sie in den geometrischen Demonstrationen sich darstellt, ist doch von der des Daseins Gottes unterschieden. Die geometrischen Wahrheiten sind in diesen Demonstrationen ganz immanent dem Gebiete der Möglichkeiten. Aber die Demonstration des Daseins Gottes geht eben auf das transzendente Gebiet des Daseins hinaus; „ein wunderbarer und einziger Fall der Erkenntnis". Die geometrischen Wahrheiten breiten sich innerhalb der Beweiskette aus; das Dasein Gottes hängt am Schlußglied, ist an die Kette angeschlossen. Damit gewinnt das „Abgeleitetsein" einen verschärften Sinn. Die Erkenntnis Gottes ist eine, durch das Denken erst vermittelte Erkenntnis. Erst dadurch, daß die Dinge der Erfahrung „zufällig" sind, wird ein „Notwendiges" abgeleitet. Nur weil das Zufällige ein Daseiendes i s t , so ist das „Notwendige" notwendiges — Dasein. Sonach entspringt der Begriff Gott und damit sein Dasein durch ein „Also" aus dem Denken der Dinge. Dies „Also" bringt den Begriff Gottes und sein Dasein erst hinzu. Wie sehr immer der höchste Begriff eines Daseins, so i s t „ G o t t " d o c h k e i n U r m o t i v d e s E r l e b e n s , a u s d e m sich alles andere „beweise", sondern er ist ein aus dem Denken Abgeleitetes, obwohl auf es hin die Wege des Denkens „zwingend" führen; eines Denkens, dessen homogenes Gebiet das Geometrische ist. Und weil „das Denken" B e g r i f f e denkt, die es in i h r e P r ä d i k a t e z e r g l i e d e r t , so ist auch „das Dasein" das Dasein eines D i n g e s (dessen logisches Analogon so ein S u b s t a n z - B e g r i f f ist). So ein „ D i n g " ist Gott; es ist „das Ding schlechthin", das Absolute, in sich Notwendige, das keines anderen Dinges bedarf. Auch so ergibt sich, daß das religiöse Erleben kein Urerleben ist; es ist vielmehr gesichert erst durch die Ableitung aus dem Begriffs- und Beweisdenken. D a s r e l i g i ö s e E r l e b e n h a t in s i c h k e i n U r p r i n z i p h o m o g e n e r W a h r h e i t . Somit kann es sich selbst nicht begründen. Die Offenbarung hat kein Prinzip, Glauben und Aberglauben zu scheiden. Und „Schönheit, Ordnung und die Absichten der N a t u r " lassen auf einen Schöpfer wohl h i n a u s b l i c k e n ; aber nicht wird aus einem religiösen Urerlebnis „Schönheit, Ordnung und Absicht der Natur" in der Welt erst sich offenbarend geahnt. „Offenbarung" ist kein Prinzip ureigentümlicher Wahrheit. Denn sie bedarf zu ihrer Voraussetzung das Dasein Gottes und seiner Eigenschaften. Dieses aber muß vermittelt werden durch dac'
—
254
—
Denken, aus dem Denken kraft der in ihm sich vermittelnden Begriffe. Der Rationalismus ist eine Schranke gegen die Forderung, daß die Offenbarung unbegrenzt tiefer aus sich selbst als ein Urmotiv des Erlebens sich zu rechtfertigen habe. Und es ist nicht so, als wäre durch Kant das rationalistische Unternehmen einfürallemal brachgelegt. Der „alles Zermalmende" hat den Rationalismus in der Form, die ihm Mendelssohn gegeben hat, beseitigt. Aber „das Denken" versucht immer von neuem, das religiöse Erleben auf Begriffe zu logifizieren und, wie immer als ein ihm Fremdes, gleichwohl aus sich „abzuleiten". e) Der Gnostizismus als Schranke. Schroff gegensätzlich zum Rationalismus steht der Gnostizismus. Wird dort das Religiöse durch eine Geistigkeit zu begründen versucht, die einer ganz anderen Wirklichkeit des Erlebens zu dienen hat, dem Gebiete des g e g e n s t ä n d l i c h e n D a s e i n s , so wird hier eine Geistigkeit in Anspruch genommen, die so durchaus allein diesem religiösen Gebiete zugeschrieben wird, daß alle Fäden zu sonstigen Gestaltungen des Erlebens zerrissen sind. Aber, was uns hier allein angeht: der Gnostizismus versagt vor der Forderung, das spezifisch religiöse Erlebensmotiv unbegrenzt als Ursprünglichkeit, als Selbstoffenbarung zu bewähren. Dieses Motiv ist die TviDcriq der TTVeU|UaTlKOi.
Das geschichtliche Bild des Gnostizismus ist nicht durchaus einheitlich. Gleichwohl geht durch ihn hindurch, daß die Menschen, sofern sie unter religiösen Gesichtspunkt gestellt sind, über drei Reiche verteilt sind, die mehr oder weniger scharf voneinander getrennt sind. Das unterste Reich ist das der u\r), der bloßen Materie, das Reich des bösen Weltwesens. Die Menschen, die diesem Reich verfallen sind, die ÜXIKOI, sind die Menschen der blinden Triebe und wilden Begierden. Im mittleren Reiche, dem des Demiurgen, sind die Menschen, die zwar rechtlich handeln, aber vom eigentlichen Leben in göttlichen Dingen nichts ahnen: die HJUXIKOI'. Über dieses Reich sind Samen aus dem dritten Reiche, dem Reiche des Ewigen, Göttlichen, ausgestreut: ffTrepiuara T r v e u | u a T i K d , die in den i j j u x i K o i ganz neue, ihnen wesensfremde Menschen schaffen: die r r v e u i n a T i K o i . Sie erst sind die Wesen göttlichen Erlebens; das Vermögen zu diesem religiösen Erleben ist ihnen aufgespart, ihnen verliehen. Schon Philo beginnt mit einer solchen Scheidung der Vermögen. Das göttliche Wesen, das Eine, ist für alle Verstandes-
255
—
erkenntnis unzugänglich. Aber über diese hinaus gibt es ein unmittelbar noetisches Erfassen (KonrdXriMJ's; voryriKii), wodurch der Geist eine Gewißheit und Klarheit erlange, die über allen Xoyoc; und alles XOTIKOV erhaben s e i 1 ) . Gottes Erkenntnis aus der Schöpfung gibt nur einen S c h a t t e n des Wahrhaften; wer aber die klare Offenbarung des Ewigen selbst und unmittelbar erkennt, erfaßt die Wahrheit selbst. Nicht das ist nun der Kritik ausgesetzt, daß das religiöse Erlebnis auf eine Geistigkeit gegründet wird, die der Art nach unterschieden ist vom logischen Erkennen. Das setzt die Forderung unbegrenzter Selbstoffenbarung religiöser Geistigkeit vielmehr notwendig voraus. Aber wir lernen aus dem, über Philo hinaus erst eigentlich einsetzenden Gnostizismus, daß das Pneumatische alle übrige Geistigkeit des Menschen nicht nur nicht auf eine höhere Stufe, in ein neues Licht erhebt, sondern daß es sich von ihnen scheidet, zu ihnen in Widerspruch setzt. Denn das Pneumatische ist außermenschlicher Herkunft, ist auf die Menschen ausgestreut; es ist seiner inneren gesetzlichen Struktur nach ein Göttliches, ein Nicht-Menschliches; vermittelst des Pneumatischen offenbart das göttliche Wesen sich an den Menschen; aber nicht offenbart der Mensch aus sich selbst die Tiefen des göttlichen Erlebens, e r a h n t es nicht. Wie bei den Gnostikern ein schroffer Dualismus der Mächte besteht, die das Sein gestaltet haben (zwar mit einem zeitlichen Zwischenreich des Demiurgen, das aber bei der chiliastischen Erlösung verschwindet), so wirken auch in den Menschen Kräfte, die von ihnen nicht verantwortet werden, sondern in ihnen fremdher gesetzt sind und sie in drei Klassen scheiden, die einander inkommensurabel sind. Für das religiöse Erleben kommen nur diese beiden in Betracht: die i|juxiKoi und die TTveuiuaxiKoi. Jene sind nur zu einer niederen Stufe der Seligkeit bestimmt; sie sind nur zugänglich für äußere Bildungsmittel: für die Wunder und den Autoritätsglauben 2 ); sie gleichen denen, die vor der Kammer des Bräutigams warten müssen; zwar auch selig, weil sie die Stimme des Bräutigams wenigstens vernehmen. Aber zur unmittelbaren Brautschaft mit dem Göttlichen sind allein die Ttveu|uaTiKoi berufen. Diesen zwei geschiedenen Naturen der Menschen entsprechen zwei Gestaltungen des Erlösers (weil auch er auf eine Vermischung mit dem Hylischen sich einlassen muß): der psychische Messias (Jesus) und der pneumatische (Christus, Sote^). steme.
Neander, Genetische E n t w i c k l u n g der v o r n e h m s t e n gnostischen 2 ) Neander u. a. O. Berlin 1818, S. 16. 128.
Sy-
—
256
—
Nach Valentinus sind TrveufioeriKoi auch die Propheten des Judentums. Sie sind Organe der Kräfte des oberen, göttlichen Reiches (des irXtipiuiucx), werden von diesen in einzelnen Momenten über ihr Bewußtsein hinausgehoben und sagen dann Dinge, deren voller Sinn ihnen selbst verschlossen ist 1 ). Die Offenbarung der göttlichen Weltordnung erschien hier in einzelnen Strahlen: jeder Prophet war das Organ eines einzelnen höheren Geistes, durch ihn zu dieser Funktion geeignet gemacht dadurch, daß dessen vyuxn von einem pneumatischen Samen getroffen wurde, womit er dann in die Dienstschaft eines Engels gelangt 2 ). Die pneumatischen Menschen sind also nur „Kanäle", durch die das Göttliche in das Reich des Demiurgen geleitet wird; ein Bild, das die Gnostiker auf Maria als die Mutter des Erlösers anwandten. Bei dieser Einstellung der Gnostiker ist die messianische Erlösung der Schwerpunkt ihres Gedankengebäudes. Aber diese Erlösung bleibt rein eine Angelegenheit des Göttlichen selbst; geschieht nicht um des Menschen willen, als Handreichung und Hilfe, für das nach Befreiung ringende ureigen Menschliche der Ahnung. Vielmehr war die Erlösung ein dramatischer Ausdruck f ü r die Übermacht der guten Weltkraft gegenüber der bösen. Die Erlösung war der Vollzug der A b l ö s u n g dieser beiden Reiche von einander aus der größeren Macht der guten Gottheit. Die Erlösung war also der chiliastische Akt kosmogonischer Auseinandersetzung, war gar keine spezifische Angelegenheit eines Urverhältnisses Ich — Gott. Nicht „der Mensch" kam in Frage, sondern darum handelte es sich: die göttlichen Samen, von göttlichen Kräften über das Mittelreich des Demiurgen ausgestreut, nach ihrer Wirkung in den betroffenen Menschen dieses Mittelreiches durch die „Erlösung" aus ihrer Vermischung mit dem Hylischen herauszuheben und damit Grenzklarheit und das heißt Harmonie der Welt Verfassung herzustellen. Die pneumatischen Menschen sind, weil ein pneumatischer Same in sie gelangt war und in ihnen reifte 3 ), d a m i t ihrer Natur Gott verwandt geworden und zum ewigen Leben ausgewählt (exAtK-ro!). Aber beide Menschenklassen, die psychischen und die pneumatischen, werden von Gott eben streng verschieden erzogen, jene durch Wunder zum autoritativen Glauben an die Gottheit, diese durch unmittelbare Schau ihrer Kräfte. Sie selbst haben keinerlei eigenen Anteil an den kosmogonischen Erlösungsvorgängen. Der Gnostizismus ist also als Schranke gegen die Forderung der unendlichen Erahnung der religiösen Quellen und Ursprünge zu J
) S. 130.
2
) 151.
3
) Neander, a. a. O. S. 145.
—
257
—
bezeichnen. Dieser Behauptung scheint zu widersprechen, daß der Gnostizismus ganz frei mit dem kanonischen Texte schaltet. Aber die „Erklärungen" und Deutungen an den Texten dienen entscheidend nur der N a t u r d e r G o t t h e i t und ihrer Beziehung zu kosmogonischen Gestaltung, nicht aber der Religiosität, der Korrelation Ich — Gott. Der Gnostizismus deutet also das Religiöse auf objektive Hintergründe, erfindet kosmische Vorgänge, die vom Ich — Erleben entbunden sind, Vorgänge, als deren Abglanz, Neben- und Nachwirkung dann im Menschen religiöse Regungen auftauchen. Nicht verkleinert werden darf dem Gnostizismus das Verdienst, daß er für das Religiöse eine Geistigkeit besonderer Ursprünglichkeit behauptet hat. Dies Verdienst wird uns um so lebendiger vor Augen stehen, als wir vom Rationalismus herkommen. Hier gerade fehlte der Sinn dafür, daß das religiöse Erleben ein Gebiet ureigener Gesetzlichkeit und ebensolcher Gegenständlichkeit ist. In dieser Behauptung einer spezifischen, religiösen Ursprünglichkeit liegt also das Wertvolle des Gnostizismus; und es würde wahrlich nicht auf den Namen ankommen, möge man sie nun „Ahnung" oder TVUKTIC; oder er Treppet uveunaTiKov nennen; wenn nur nicht dieses Verdienst entwertet würde dadurch, daß es durch die TVÜJCTI? schließlich gar nicht zu einer Ursprünglichkeit des religiösen Erlebens kommt; vielmehr kommt es am Ende auf das Gleiche hinaus, das auch der Rationalismus will: eine „jenseitige" Wirklichkeit, von demselben Daseinscharakter mit der diesseitigen, zu erschließen; sei es nun mit dem Sinnlich-Geistigen der TVOICTI? oder dem Logischen deduktiver Rationalität; beiden ist das Interesse gemeinsam: für Angelegenheiten des Erlebens außererlebliche Erklärungen herbeizuschaffen, Wesenheiten zu erlangen, die als Bewerkstelliger dieser religiösen Erlebensbesonderheit in ganz demselben Naturdaseinscharakter stehen, wie die Dinge der Denkerfahrung, mag immerhin diese Identität verschleiert werden, indem dies absolut erklärende Wesen selbst als unerkennbar und unnennbar bezeichnet wird. Aber es ist ein daseiendes Wesen und gelangt als solches zur Auswirkung. Darin liegt der ungeheure Abstand des Gnostizismus von der Mystik eines Eckehart. Die Gnosis ist wirklich nur ein anderes A u g e , wie ein Sinnesorgan auf Daseiendes, auf Weltgeschehen, auf Ursachen und Wirkung eingestellt; ein Organ für ein Äußeres, nur gesteigert Äußeres; darum aber gerade um so mehr entwertet für die Urtatsache des religiösen Erlebens. Zügellos durch die Phantastik einer Welterklärung verdrängt der Gnostizismus die Besinnung des Gemütes über die Ahnungstiefen seines religiösen Erlebens von Ich O ö r l a n d , Rcligionsphilosophie.
17
—
258
—
und Gott, weil sein genialer Anhub, f ü r die E r f a s s u n g d e r religiösen Problematik eine Ursprünglichkeit des G e i s t e s zu fordern, methodisch sich nicht auszuwirken vermag. Der Phänomenalismus als Schranke. Wir bezeichnen als Phänomenalismus die Behauptung, daß die gesamte sinnfällige Welt die E r s c h e i n u n g eines jenseitigen wahren Seins reiner Geistigkeit sei, — daß die uns umgebende Sinnenwelt geahnt werde als das B i l d eines sinnenfreien Reiches wahrhaft absolut seiender Vollkommenheiten, deren wir uns durch den Glauben in religiösen Überzeugungen versichert halten, auf die wir für den Verstand jedoch nur durch „schrankenverneinende Aussprüche" zulangen. Als solchen Phänomenalismus bezeichnen wir z. B. die religionsphilosophische Darstellung bei Jak. Friedr. Fries und legen sie unserer Kritik zum Grunde: Die unmittelbar für sich gültige, notwendige s i t t l i c h e Überzeugung enthielt in sich das Bewußtsein der Freiheit des Willens und begründet einen Glauben der reinen praktischen Vernunft an die Unsterblichkeit der Seele und das Dasein Gottes. Wer von der Notwendigkeit der sittlichen Gebote überzeugt ist und Unsterblichkeit und Gottheit als die Bedingungen ihrer Gültigkeit anerkennt (eine ganz unkantische Formulierung bei dem Kantianer Fries!), muß auch von der Wahrheit der letzteren überzeugt sein. Diese Grundideen der religiösen Überzeugung gehen aus Verneinungen der Schranken unserer sinnlichen Erkenntnis hervor 1 ). Diese Schranken unserer Erkenntnis liegen im Wesen unseres Geistes selbst. Denn, weil alle Naturerkenntnis (die allein uns zusteht) in der Sinnlichkeit von Raum und Zeit vor sich geht und daher auch nur endliche Wahrheit bieten kann, die immer unvollendbar bleibt, und weil diese so sinnlich bedingte Vernunft für den Gehalt ihrer Erkenntnis von einem ihr fremden, äußeren Gesetz abhängt, so kennt die menschliche Vernunft zwar die Art, wie allein sie zu erkennen vermag, aber der eigentliche Gehalt dessen, w a s sie erkennt, wird ihr nur von außen durch Anregungen zugeführt, die ihrem Leben zufällig und fremd bleiben 2 ). Die subjektiven Beschränkungen meines Lebens können also wohl darauf Einfluß haben, wie ich mir die Welt vorstelle, aber nicht darauf, wie die Welt i s t . Vielmehr dadurch, daß meine Vernunft nicht die welterschaffende Kraft ist, kann ich inne werden, daß ich „das Wesen", d. h. das wahre, Fries, Religionsphilosophie S. 37/38.
2
) 8. 49.
259
—
absolute, an sich seiende, ewige Wesen der Dinge nicht erkenne Es bleibt also dies ewige und allein wahre Sein der Dinge an sich ein für uns unerreichbares Gebiet, ein undurchdringliches G e h e i m n i s , von dem wir aus dem Anlaß unserer sinnlich zufälligen Erfahrungen nur sagen können, d a ß es sein muß; aber wie es sei, davon vermögen wir nur zu reden, indem wir sagen, daß es alle die Schranken dieser sinnlich zufälligen und stückweisen Erfahrung n i c h t habe. Diesem Ausdruck des unmittelbaren, unauflöslichen Wahrheitsgefühls des G l a u b e n s verbindet sich jetzt ein ebensolches Wahrheitsgefühl der A h n u n g : nämlich, daß die Sinnenwelt eine Erscheinung des ewig wahren Wesens der Dinge an sich sei 2 ). Kraft dieses Wahrheitsgefühls der Ahnung wird uns die Sinnenwelt zu einem Symbol der wahren Welt, zur Welt des Schönen und Erhabenen als B i l d und E r s c h e i n u n g des A b s o l u t e n , dessen Welt an sich uns zufolge unserer sinnlichen Beschränktheit absolut Geheimnis bleiben muß. Fries sieht in „dieser subjektiven Wendung der Untersuchung" eine weise Zügelung des Denkens. „Die meisten verirren sich in oft veränderten Weisen doch immer wieder in dogmatische metaphysische Hypothesen, indem sie meinen, durch irgendeine Art von Monadologie mit bloßen dialektischen Hilfsmitteln oder gar durch mystische phantastische Hypothesen eine wissenschaftliche Theologie erhalten zu können 3). Unseres Erachtens bezeichnet „diese subjektive Wendung" die Schwäche des Phänomenalismus und enthält die Schranke gegen unsere Forderung, dem religiösen Erleben einen autonomen Ursprung und damit die Möglichkeit unbegrenzter Selbstverantwortung zu gewinnen. Fries' „Subjektivismus" ist unrein in seinem Prinzip. Es beginnt mit dem Dualismus einer Zweiweltlichkeit. Zwischen beiden Welten besteht eine Kluft, die jeden Versuch, von einer zur andern hinüberzublicken, unmöglich macht. Nun meint Fries allerdings, daß zwar ein Hinüberschreiten uns versagt sei, nicht aber ein Hinüberblicken. Somit soll sein „Subjektivismus" nur dies besagen: daß wir nicht in beiden gleichsam leiblich zuhause seien, sondern nur in einer der Welten, der sinnlichen Natur, auf jene andere aber doch geistig zulangen könnten. Sein „Subjektivismus" entspringt aus der Behauptung einer Organisationsbeschränktheit „des Menschen", wie etwa das Blindsein einem Menschen bestimmte Weisen „der Welt" verschließt, die a b e r d o c h da sind (nämlich *) S. 50.
s
) S. 64.
3
) S. 51.
17*
—
260
für normal vollorganisierte Menschen). Wie nun aus bestimmten Anlässen der Blinde dazu kommt, anzunehmen, daß es Daseinsweisen gebe anderer, ihm verschlossener Art, die eines Organs bedürfen (ähnlich dem ihm gegebenen Ohr oder der Nase), das er aber nicht habe, so kommen auch wir, als „die Menschen" überhaupt, zu der Annahme, daß wir in unseren Wahrnehmungsmitteln beschränkt sind und die Daseinsweisen der vollwirklichen Welt „da draußen" nicht erschöpfend erfassen können. Sodaß, was wir als „Natur" in Raum und Zeit erkennen, nur den Wert eines B i l d e s gegenüber dem „wahrhaften Sein" besitze. Es ist immer dieselbe Metaphysik, die auch hier bei Fries aus einem M a n g e l an m e t h o d i s c h e r E x a k t h e i t entspringt. Denn ganz, wie der Blinde dann, wenn er das vermeintliche Vollganze „der Welt" zu bestimmen unternehmen wollte, indem er dieses „Vollganze" durch Verneinung der durch seine Blindheit gesetzten Schranken der Erkenntnis der Welt zu konstruieren begönne, nur auf ein völlig Unbestimmtes gerät, ja bloß räte, — ganz so haben auch wir „subjektiv Beschränkten" keinerlei Belang auf „die wahre Welt an sich". Nützen wir das Beispiel des Blinden noch weiter: Unser Blinde kommt zum Bewußtsein seines „Subjektivismus" durch die Äußerungen seiner glücklicheren Nebenmenschen, aus deren Mitteilungen ihm bestimmte Richtungen für seine, die Schranken s e i n e s Wahrnehmungskomplexes „verneinenden Ideen" gegeben werden, die ihn berechtigen, außerhalb s e i n e r Erfahrungsmannigfaltigkeit ein l e e r e s G e b i e t (aber nur eben ein l e e r e s ) zu setzen: ein Wahrnehmungsbereich, in dem ein Entferntes gekannt wird, o h n e es zu hören oder o h n e es zu riechen, ohne es zu t a s t e n . Hieraus ergibt sich, daß solch ein Blinder, inmitten seiner sinnlich voll begabten Menschen, gar nicht ein Analogon sein kann für einen philosophischen „Subjektivismus". Wir müssen als Analogon ein n o r m a l e r w e i s e gefühlsloses Wesen setzen, das von keinem reicher ausgestatteten Wesen zur Selbstkritik angeregt werden würde. Ein solches Wesen aber müßte sich dann sein Weltbild aufbauen, wie es qualitativ und gesetzlich allein aus dem Umfang des ihm sinnlich Zugänglichen möglich wäre. Ein solches Weltbild wäre eine p r i n zipienund methodenreine ,,Subjektivität". (Wir wollen uns hier nicht darüber auseinandersetzen, ob d i e s e „Subjektivität" nicht vollsinnig „Objektivität" genannt werden müßte.) Nun aber behauptet allerdings Fries, daß uns Menschen solch ein Wahrsager dessen innewohne, daß unsere Sinnlichkeit (nach Umfang und Art) nur eine Beschränktheit sei, unzureichend, um
—
261
-
die Welt in ihrer vollen Wirklichkeit und in der Wahrheit ihres Seins zu erfassen. Das sei unser sittliches Bewußtsein, das Bewußtsein unserer Freiheit, die nicht zum Gehalt unserer „subjektiv" erreichbaren Welt gehöre und gleichwohl Wahrheit in unserer Vernunft sei, die zwar sinnlich eingeschränkt, aber dieser Schranke sich bewußt, eben aus dem Freiheitsbewußtsein über diese Schranke hinausweise. Hier enthüllt sich die Metaphysik, die aus einer U n z u l ä n g l i c h k e i t d e r M e t h o d e entspringt: Gewiß besteht kein Zweifel, daß das Gebiet des Handelns ganz anderen Bedingungen untersteht, als die im Gebiet kausalen Ger schehens herrschen; hier das Gesetz ursachlicher Verknüpfung, dort das P r i n z i p d e r F r e i h e i t . Aus diesem Prinzip der Freiheit gestaltet sich eine ganz andere Welt als aus jeneiii der Kausalität. Diese Welt der Handlung ist also „transzendent" gegenüber jener Welt der Bewegungen. A b e r sie i s t „ t r a n s z e n d e n t " l e d i g l i c h im m e t h o d i s c h e n S i n n e , wie entsprechend die Welt der mechanischen Gestaltung gegenüber der mathematischen Gestaltung; es ist k e i n e d i n g h a f t e T r a n s z e n d e n z ; es gibt nur e i n Bereich des Erlebens; auch das Beich der Sittlichkeit hat sich in diesem einen Bereich zu verwirklichen; d a s R e i c h d e r F r e i heit heißt Geschichte. Das hat uns Kant gewiesen, „die Freiheit" nicht als ein „Vermögen" zu betrachten, das in einem anderen Daseinsgebiet seine Heimatlichkeit hätte; sondern in e i n e m u n d d e m s e l b e n Geb i e t e d e s E r l e b e n s haben a u s m e t h o d i s c h e r A u t o n o m i e Durchgestaltungen zum „Naturgebiet" und, aus anderer, a u t o n o m e r G e s t a l t u n g s g e s e t z l i c h k e i t , in i h m weiter zum „Gemeinschaftsgebiet" sich zu vollziehen. Fries (und jeglicher Phänomenalismus) mißdeutet eine m e t h o d i s c h e Transzendenz (des autonomen Freiheitsprinzips gegenüber dem seinerseits autonomen Kausalitätsprinzip) zu einer d i n g l i c h e n Transzendenz. Das heißt: die Möglichkeit, die „Transzendenz" als A u t o n o m i e v o n P r i n z i p i e n b e r e i c h e n zu fassen, ist preisgegeben und damit die Sache der „Transzendenz" zur leeren Dogmatik geworden. Dem Phänomenalismus ist, wie das sittliche Prinzip, so auch das Religiöse im Menschen nur ein subjektiver Reflex einer transzendenten Objektivität; es ist also kein Gebiet autonomer Gesetz- und dadurch Gegenstandsgestaltung, sondern eine ins Subjekt gegebene Abhängigkeit; der Phänomenalismus ist also eine Schranke gegen unsere Forderung unendlicher Selbstrechtfertigung, autonomer Offenbarung.
—
262
—
Das „Wahrheitsgefühl", das bei Fries so anmaßlich auftrumpft, ist ohne gegenständlichen, selbst ohne negativ-gegenständlichen Belang, weil methodisch eine in der Luft schwebende subjektive „Unverantwortlichkeit"; es vermag sowenig auf dem religiösen, wie auf irgendeinem anderen Gebiete eine Autonomie zu begründen. Mit diesen Erörterungen meinen wir die Schranken, die einer totalen Offenbarung, d. h. einem totalen Genügen autonomer Vertiefung der Ahnung, sich entgegenstellen, in ihrer Mannigfaltigeit dargestellt zu haben. § 2.
Die philosdphische Kategorie der totalen Bestimmung als Forderung totaler Heiligung.
Das Urerlebnis, das an die Schwelle des neuen Erlebensgebietes der Religion führte, war der Zerfall zwischen dem Ich und den Wirklichkeitsbereichen, die wir (vermöge der religiösen Kategorie) nun als „Welt" zusammenfassen können. Auf mannigfache Weise hat der Geist mit diesem letzten und tiefsten Probleme sich auseinanderzusetzen versucht. Die Versuche, die von weitesttragender Wirkung wurden, hatten diesen Auseinanderfall von Dasein und Wirklichkeit einerseits und von Geistigkeit andererseits anerkannt, verschärft und mit ungeheurem Scharfsinn ihn durch eine systematische Geschlossenheit zu rechtfertigen versucht. Was hätte auch der K i r c h e mit ihrem Interesse, die Macht über die Gläubigen unumschränkt ausüben zu können, mehr nützen können, als daß der Zerfall mit dem „Irdischen" die Menschen hilfsbedürftig hielt, so daß ihnen ein seelischer Ersatz geboten werden mußte, wofür dann eben die Kirche als die „Mittlerin" zum „Jenseitigen" da stand. So war es denn die Kirche, die diese Zwiegespaltenheit von Diesseits und Jenseits mit voller Absicht in ihren Dienst stellte; die Kirche war die Hüterin dieses m e t a p h y s i s c h e n Geistes, denn die M e t a p h y s i k w a r die b r a u c h b a r s t e Magd für die weltlichen Herrschinstinkte der Kirche. Unter Metaphysik verstehen wir also die Lehre von zwei schärfstens getrennten Daseinsweisen und Daseinsbereichen, die in jedem der beiden das, was in ihnen „ist", als E i n z e l w e s e n denkt, sei es Stein, Sonne oder eine andere Kreatur, sei es Gott, Seele oder Geist oder ein anderes „ewiges Wesen". Zu diesem Atomismus alles Seienden bestimmt die Metaphysik unser Erleben. Nichts ist urwesentlich verbunden. „Welt" ist der Ausdruck für eine in sich bezuglose Menge alleinstehender Einzelwesen. Der Begriff „Welt" scheint nur geschaffen, um durch die widersinnige Fiktion einer
—
262
—
Das „Wahrheitsgefühl", das bei Fries so anmaßlich auftrumpft, ist ohne gegenständlichen, selbst ohne negativ-gegenständlichen Belang, weil methodisch eine in der Luft schwebende subjektive „Unverantwortlichkeit"; es vermag sowenig auf dem religiösen, wie auf irgendeinem anderen Gebiete eine Autonomie zu begründen. Mit diesen Erörterungen meinen wir die Schranken, die einer totalen Offenbarung, d. h. einem totalen Genügen autonomer Vertiefung der Ahnung, sich entgegenstellen, in ihrer Mannigfaltigeit dargestellt zu haben. § 2.
Die philosdphische Kategorie der totalen Bestimmung als Forderung totaler Heiligung.
Das Urerlebnis, das an die Schwelle des neuen Erlebensgebietes der Religion führte, war der Zerfall zwischen dem Ich und den Wirklichkeitsbereichen, die wir (vermöge der religiösen Kategorie) nun als „Welt" zusammenfassen können. Auf mannigfache Weise hat der Geist mit diesem letzten und tiefsten Probleme sich auseinanderzusetzen versucht. Die Versuche, die von weitesttragender Wirkung wurden, hatten diesen Auseinanderfall von Dasein und Wirklichkeit einerseits und von Geistigkeit andererseits anerkannt, verschärft und mit ungeheurem Scharfsinn ihn durch eine systematische Geschlossenheit zu rechtfertigen versucht. Was hätte auch der K i r c h e mit ihrem Interesse, die Macht über die Gläubigen unumschränkt ausüben zu können, mehr nützen können, als daß der Zerfall mit dem „Irdischen" die Menschen hilfsbedürftig hielt, so daß ihnen ein seelischer Ersatz geboten werden mußte, wofür dann eben die Kirche als die „Mittlerin" zum „Jenseitigen" da stand. So war es denn die Kirche, die diese Zwiegespaltenheit von Diesseits und Jenseits mit voller Absicht in ihren Dienst stellte; die Kirche war die Hüterin dieses m e t a p h y s i s c h e n Geistes, denn die M e t a p h y s i k w a r die b r a u c h b a r s t e Magd für die weltlichen Herrschinstinkte der Kirche. Unter Metaphysik verstehen wir also die Lehre von zwei schärfstens getrennten Daseinsweisen und Daseinsbereichen, die in jedem der beiden das, was in ihnen „ist", als E i n z e l w e s e n denkt, sei es Stein, Sonne oder eine andere Kreatur, sei es Gott, Seele oder Geist oder ein anderes „ewiges Wesen". Zu diesem Atomismus alles Seienden bestimmt die Metaphysik unser Erleben. Nichts ist urwesentlich verbunden. „Welt" ist der Ausdruck für eine in sich bezuglose Menge alleinstehender Einzelwesen. Der Begriff „Welt" scheint nur geschaffen, um durch die widersinnige Fiktion einer
—
263
—
Zusammenfassung diese Unbezogenheit der Wesen nur krasser noch zum Ausdruck bringen zu können. Und die Unterscheidung der beiden „Welten" des Diesseits und des Jenseits hat keinen anderen Sinn als den, durch eine Art Systematik noch eine Steigerung dieser Unbezogenheit der Wesen zu erfinden. Es soll eben die innere Aufteilung des Seins in dinglich vereinzelte Unbezogenheit geistig unüberwindlich gemacht werden. Nicht auf Zusammenfassung kommt es der Fiktion „Welt" an, sondern auf Steigerung der Zersplitterung; das ist böse Paradoxie dieses Sammelbegriffs „Welt." Die Metaphysik zerstört die Einheit des Erlebens bis zum Grunde. Der Verzweiflung sucht der Mensch dadurch zu entgehen. daß er eine der beiden W elten peisgibt: die diesseitige als der Grund der Verzweiflung; um auf jene zu warten als auf eine Verheißung, die sich sichern muß aus Quellen, die erlebensfremd sind: seien es „Beweise" des Verstandes oder autoritäre Zumutungen an die Gläubigkeit. Um in die Einheit des Erlebens, die Schwelle der Verzweiflung überwindend, auch das religiöse Erleben hineinzustellen, dazu können Reformen an diesem metaphysischen Geiste nicht verhelfen; dazu bedarf es einer „Revolution der Denkungsart". Das Religiöse ist Erlebensform; als solche muß sie im Ganzen eines Gefüges alles Erlebens stehen. Und offenbart sich der Besinnung ein Aufstieg der Erlebensbereiche, deren höchstes der Mensch das religiöse Erleben nennt, so muß und kann es sich einzig darum handeln, die Bedingungen aufzuzeigen, die zu diesem systematischen Gefüge der Einheit des Erlebens nun auch vom religiösen Bereiche herbeigetragen werden. Nichts ist dem Erleben „gegeben", wofern dieses vor der inneren Selbstgesetzlichkeit des Erlebens Schranken aufrichten könnte. Alles ist im Erleben „gegeben", sei es als gestaltende Gesetzlichkeit, sei es als gestaltete oder zu gestaltende Gegenständlichkeit. Daß diese beiden Pole des Erlebens in unaufhebbarer Korrelativität stehen, diese Autonomie ist der Mittelpunkt, um den sich alles dreht. Diese Umkehr der Weltbetrachtung ist auch hier zu vollziehen, wenn es ein religiöses Erleben in der Einheit des Erlebens soll geben können. Nicht was die Kirche für ihre Machtstellung nötig hat, nicht, was die Metaphysik als Magd der Kirche fingiert, geht uns an; wir haben uns über die ursprüngliche R e l i g i o n zu besinnen. Dieser R e l i g i o n aber wird jedwedes „Ding" ein „Fußstapfe Gottes" 1 ) zum Ich hin, ein Fußstapfe des Ich zu Gott hin. Und also ist „Welt" ') Eckehart (Ed. PfeilT.) S. 11, 7.
—
L'64
—
nichts anderes als die Wegweite, auf der sich die „Nähe Gottes" ergeht. So ist denn jedes „Ding" zugleich „ W e l t " ; denn „Welt" besagt nicht „Menge der Dinge", sondern „ W e l t " besagt lediglich dies, daß an jeder Statt und in jedem Nu das Ich Gott ahnet, und Gott das Ich belangt. Diese Bezogenheit bedeutet das religiöse Wort „Welt". Und ist die Bezogenheit von Ich und Gott die Ewigkeit, die Bezogenheit von Ich und Welt die Zeitlichkeit, so b e d e u t e t W e l t , als das totale Inmitten von Gott und Ich, F i n d u n g d e r E w i g k e i t in d e r Z e i t l i c h k e i t , d e r Z e i t l i p h k e i t in der Ewigkeit. In dieser Bezogenheit beider wird die Welt g e h e i l i g t . Das heißt H e i l i g u n g d e r W e l t , daß sie die Stätte ist, in der das Ich Findung Gottes erlebt, in der das Ich Findung seiner durch Gott erlebt. Nichts steht außerhalb der Ewigkeit; alles Ding ist Zeitlichkeit als ein Nu der Ewigkeit, ist in Ewigkeit gehalten, ist durchwirktes und durchleuchtetes von Ewigkeit. Ein Jedes ist aus Zeichen der Wahrheit erbaut, der einen Wahrheit, die die Wahrheit der Ewigkeit ist. T o t a l e H e i l i g u n g d e s D i n g e s als d e r „ W e l t " heißt die Forderung des religiösen Erlebens. Denn jedwedes Ding muß dem Ich Fußstapfe Gottes sein; nichts kann es geben, das aus diesem totalen Suchegang der Ahnung verloren werden dürfte; nichts kann es geben, das dunkel und fremd und feindselig abseits stände; jedwedes Ding, jedwedes an jedem Dinge muß ein Zeichen, ein Wink, ein Numen zur Findung Gottes vom Ich her, zum Ich hin werden. Das heißt uns t o t a l e H e i l i g u n g d e r W e l t . In aller Religion, in klarster Form auch in der deutschen Mystik eines Eckehart liegen die Zeugen vor, daß die Forderung totaler Heiligung der Welt aus dem tiefsten Grunde religiösen Erlebens aufsteigt. Es kann nicht unsere Aufgabe sein, die religiöse Genialität der deutschen Mystik auf Vorgänger, wie das Ev. Johannis, Paulus, den Piatonismus und Augustin zurückweisend darzustellen; wiewohl diese Aufgabe von der deutschen Philosophie (nicht nur der Religionsphilosophie) notwendig zu lösen ist; und zwar nicht nur aus bloß geschichtlichem Interesse (um dabei auch die klobigen und für das Wesentliche Eckehartscher Genialität durchaus blinden Angriffe Denifles abzuwehren), sondern im Dienste der systematischen Gesamtgestaltung der Philosophie. Wir genügen uns, das Gut zu nutzen, wie wir es in den Quellen finden. Da sagt nun Eckehart: „Das Äußere der Erscheinungen (uzerkeit der bilde) ist dem geübten Menschen nicht äußerlich, w e i l a l l e
—
265
—
Dinge sind dem i n w e n d i g e n M e n s c h e n eine inwendige (Töttliche W e i s e . Und das vor allem nicht, wenn der Mensch seine Vernunft ganz und gar an Gott gewöhnt und übet; so w i r d ihm a l l e Z e i t g ö t t l i c h . Der Vernunft ist nichts so eigen, noch so gegenwärtig, noch so nahe als G o t t 1 ) . " „Wer etwas ohne Gott sieht, de;' sieht Gott nicht 2 ) . " So ist denn Gott „der Reifen um alle Kreaturen 3 ) " . „Nimm Gott in allen Dingen, weil Gott ist in allen Dingen 4 )." „Nimm Gott in allen Dingen, und das ist ein Zeichen, daß er dich geboren hat, seinen eingeborenen Sohn 5 ) . " Die totale Heiligung der Welt ist der u n e n d l i c h e Weg der Findung Gottes in jeglichem Dinge. Dadurch verwandeln alle Dinge nicht nur ihr Antlitz; auch ihr Innerstes wird ein Neues. „Alle Kreaturen, die schmecken meinem äußeren Menschen als Kreaturen, als Wein und Brot und Fleisch. Aber meinem inneren Menschen schmecket nichts als Kreatur, sondern als Gabe Gottes 6 ) . " Diese Umwandlung erfolgt, weil die Wahrheit der Ewigkeit, die die Ewigkeit der Wahrheit ist, das Ding, das Nu der Zeitlichkeit durchwirkt und durchleuchtet. An sich, abseits der Ewigkeitsbezogenheit, ist das Ding in seiner Vereinzeltheit ein Nichts; erst wenn in ihm die Züge ewiger Wahrheit erkannt werden, wenn erkannt wird, daß auch das Winzigste und Entlegenste das lebendige Werk der lirlebendigen Wahrheit, das Ebenbild aus der Einfältigkeit des Urbildes ewiger Seligkeit ist, erst dann und nun zu ungeheurer Steigerung wird aus dem Nichts ein Ichts, aus einem bloßen „ B i l d e " ein Wesen. Was ist ein Mücklein in seiner Einzelheit ? Ein Spotten seiner selbst. Was ist es dem religiösen B l i c k e ? Ein Wunderbau, ein Kosmos gestaltender Kräfte, die in ewigen Gesetzen ruhsam gehalten sind; ist die Wirklichkeit und Zeitlichkeit der „Idee der Mücke", die an keinem Ort und keiner Zeit preisgegeben, in aller Vergänglichkeit das Eine und die Weihe der Ewigkeit, das W e s e n ist. „Der eine Fliege nimmt, als sie in G o t t ist. die ist edeler denn der höchste Engel an i h m s e l b e r 7 ) . " Somit ist denn dadurch die totale Heiligung der Welt zu vollziehen, die Findung Gottes zu erringen, daß in den Kreaturen nicht die Mannigfaltigkeit und der „Unterschied" erlebt wird, sondern das Eine und Allgemeine; daß nicht die „ B i l d e " und „ F o r m e n " (die von außen in die Sinne ziehen), das, was Kreatur bedeute, vermitteln, sondern daß wir aus dem Innersten unserer Seele her durch allen Unterscheid der Dinge hindurch brechen auf das Eine und die
5
!) a. a. O. 569, 6—11. 6 ) 180, 30. ) 208, 20.
7
2 ) 178, 30. ) 311, 17.
3
) 96, 30.
4
) 208, 10.
—
266
—
Wahrheit und vom Innern der Seele her das W e s e n erfassen, in dem w i r G o t t f i n d e n 1 ) . Nicht um „ E r k e n n t n i s der D i n g e " handelt es sich hier; darum ist es der Ahnung nicht zu tun. Sondern die Ahnung findet mit dem Innersten des Geistes durch die Dinge hindurch die Ewigkeit der Wahrheit, den ewigen Frieden, die ewige Seligkeit, die da Eine ist; denn sie ist die W e i s e , in der I c h und G o t t einander belangen. W o Einfältigkeit über Mannigfaltigkeit, wo Wesen ist über „Unterscheid", wo Allgemeinheit über Einzelheit, wo tiefster Grund seliger „Armut" über anhaftender Anderheit ist, da ist Gottes und der Seele Innerstes. Einheit der Wahrheit ist das Band zwischen dem Ich in seiner Tiefe und Gott in seiner Tiefe. So v o l l z i e h t die A h n u n g die ungeheure I d e n t i t ä t v o n M o n o t h e i s m u s und M o n a l c t h i e . „ G o t t ist die W a h r heit, und w e r in der W a h r h e i t b l e i b t , der b l e i b t in G o t t und G o t t in i h m . " Das ist der Sinn des unablässig sich wiederholenden Gedankens: „Das innere Erkennen ist, das sich vernünftiglich ist fundieret in unserer Seele Wesen. Und dies Erkennen ist ohne Zeit, ohne Statt, ohne Hier und ohne Nu. In diesem Leben sind alle Dinge Eines und alle Dinge gemein, alle Dinge all in all, und all geeinigt 2 ) . " „Das Höchste, dazu der Geist kommen kann in diesem Leibe, das ist, daß er eine stete Wohnung habe außer allem — in a l l e m 3 ) . " In einem schönen Wort spricht Eckehart die Beziehung der Ewigkeit auf die Zeitlichkeit aus; er sagt: Stehe die Vernunft in ihrem innersten Grunde, so habe sie ein Inneschweben in iler „Natur", die die ewige Wahrheit sei. Wer nun in der Bloßheit dieser „Natur" stehen solle, der müsse sich frei gemacht haben von allem zufällig Einzelnen; „also daß er dem Menschen, der jenseit des Meeres ist, den er mit Augen nie sah, allso viel Gutes gönne als dem, der bei ihm ist und sein naher Freund ist. Alldieweil du deiner Person mehr Gutes gönnest, denn dem Menschen, den du nie gesehen, so bist du wahrlich im Unrecht und nie noch l u g t e s t du in diesen einf ä l t i g e n Grund j e einen A u g e n b l i c k 4 )." In diesem G r u n d e der „Vernunft", im Innersten der Seele muß das Ich wohnen; „da muß Gott dich rühren mit seinem einfältigen Wesen ohne Mittel irgendeines Bildes 5 ) . " Hier ist das Reich der lauteren Möglichkeit 6 ), hierinnen allein wird „das wahre Wort der Ewigkeit" in der Ewigkeit gesprochen, da der Mensch J ) Leuchtend klar zeigt sich hier die Beziehung des religiösen Motivs 2 ) 39, 15. 20. 3 ) 600, 32. 4 ) 65, 4. 6 ) 6, 24. auf den Genius Plato.
•) 26,
18.
— 267
—
ledig und arm an Selbst und aller Mannigfaltigkeit steht 1 ). „Wird es auch zeitlich von dir empfangen, so wird es doch von Gott geboren und gegeben über Zeit und in Ewigkeit über alle „Bilde" 2 )." Dies Ahnungserlebnis, daß Ich und Gott in Wahrheiten der Ewigkeit sich belangen und in diesem Belangen für Welt, Ding und Zeitlichkeit „Ursprung" und Wesen enlspiingt, dies steht im Gemüte wie ein L i c h t . „Nun sehet, dieser Mensch wohnet in einem Lichte mit Gott; darum ist in ihm k e i n E m p f a n g e n n o c h E r l a n g e n , s o n d e r n eine gleiche E w i g k e i t ; alle Dinge stehen wesentlich in ihm 3 )." Nicht das genügte der Ahnung, daß es ein Licht wäre, in dem Gott erschiene. Ein solcher Gott, den ein Licht erhellte, daß man ihn sehen könnte, wäre ein — D i n g . Daß Ich u n d G o t t eina n d e r b e l a n g e n , das ist das L i c h t der W e l t . Daß Welt und Ding und Zeitlichkeit ledig sei aller Finsternisse, daß in ihnen alles lichtig werde, daß sie ein einheitlich Eines Reich wahrheitdurchleuchteter Ganzheit seien, daß ihre Ohnendlichkeit von einem „ R e i f e n a l l e r K r e a t u r e n " gehalten wird, das alles gibt das ewig eine Licht der Wahrheit, das aus dem Gehaltensein des Ich auf Gott, Gottes auf Ich sich entzündet. Nicht leuchtet ein Licht sich selbst; so sieht denn das Ich nicht Gott, noch Gott das Ich; in diesem Lichte der Wahrheit ist Gott und Ich Eines und ist das Licht, in dem die W e l t g e h e i l i g t w i r d . „Darum, daß Gott unbegriffen ist, darum ist er ein Licht. Ich spreche mehr: Unbegriffenheit ist eine Lichtigkeit, und das ist also offen, weil seine Unbegriffenheit ist gegossen auf seine Ohnendlichkeit 4 )." Das allein ist es, worauf die unendliche Sehnsucht der Ahnung geht: daß aus dem Lichte der Ewigkeit die Zeitlichkeit ergreifbar wird als Zeuge der Wahrheit, die bei Gott ist und darum in mir, in mir und darum bei Gott. Im Lichte der ewigen Wahrheit, das, ein Reifen aller Kreaturen, über die Welt von Gott zu Ich, von Ich zu Gott sich spannt, ist jegliches Ding „ N ä h e G o t t e s " , ein Fußstapfe und Findling Gottes, ein Gebilde, an dem ich Gottes, an dem Gott meiner soll sicher und gewiß werden. Je ungeheurer das Ahnungserlebnis der ewigen Wahrheit als das Belangen von Ich und Gott im Mittel der Welt ist, je heiliger die Welt in jedem Dinge als Wink und Ahnungsnähe Gottes ist, um so klarer steht dieser selben Ahnung die F e r n e G o t t e s , die Ohnendlichkeit und Unbegriffenheit Gottes und des Ich im Gemüte. Nicht gibt die Ewigkeitsbezogenheit ein Licht, in dem Ich Gott ' ) 26, 35.
2
) 20, 15.
3
) 45, 5.
4
) 6 1 6 , 2.
—
268
—
noch Gott Ich sähe, sondern a u s dem die W e l t als ein G e b i n d e wahrheitsgehaltenen Geschehens geheiligt, zum Gebiete des Erlebens in letzter Weite, in letzter Tiefe wird. In ihr nur findet auf ohnendlichem Wege der Liebe, die darum Sehnsucht der Liebe ist, Gott — Ich, Ich — Gott. Nur durch die F e r n e G o t t e s geht die Ahnung d e n W e g d e r H e i l i g u n g d e r W e l t ; aber im L i c h t e d e r e w i g e n W a h r h e i t w e i ß sie den Weg, weiß sie die Nähe Gottes. Aus der religiösen Klarheit dieser Forderung totaler Heiligung der Welt lassen nun auch die Schranken sich aufzeigen, die gegen die Reinheit des religiösen Erlebnisses in der Beziehung von Ich, Welt und Gott auftauchen. a) Der Dualismus der Seinsprinzipien. Die A h n u n g v o l l z i e h t d i e I d e n t i t ä t v o n M o n o t h e i s m u s u n d M o n a l e t h i e . Die korrelative Transzendenz ist korrelativ gehalten in der E i n z i g k e i t d e s E w i g k e i t s b e z u g e s ; aber aus dieser Transzendenz und diesem ihrem Wechselbezug ist nun die Welt zur absoluten Immanenz geworden, ist ein Nu der Ewigkeit, ist g e h e i l i g t als Nu der E i n z i g k e i t d e r W a h r h e i t . Keines der beiden Motive kann preisgegeben werden, ohne das andere mit zu zerstören; Monotheismus und Monalethie sind ahnungsidentisch. Demnach muß vor der Forderung dieser Identität, die die Forderung der totalen Heiligung der Welt bedeutet, der Dualis,, m u s der Seinsprinzipien und Seinsbereiche als Schranke bezeichnet werden. Wir deuteten darauf in der Einleitung zur zweiten philosophischen Kategorie schon hin. Wir wollen den mannigfachen Formen des Dualismus nur nachgehen, soweit er spezifisch religionswissenschaftlich markante Gestaltung angenommen hat. Denken wir zunächst an den Dualismus parsischen Ursprungs, der sich, nach gnostischer Zersplitterung, schroff und konsequent im M a n i c h ä i s m u s zusammenrafft. In diesem System klafft das Sein in absoluter Scheidung auseinander. Gott und hylischer Dämon, Licht und Finsternis stehen unversöhnlich im Kampfe. Der Mensch ist das unglückselige Mittelgebilde, an dem die beiden Seinsprinzipien zerren, u m es herüber zu haben. Das Ende des Geschehens ist die gänzliche Trennung des Lichtes und der Finsternis. Nur die vollkommenen Menschen, d. h. die ,,Auserwählten", erlangen das Reich des Lichts. Ihnen ist nicht nur die Ehe, der Wein-, Fleisch- und Milchgenuß ver-
—
269
—
boten, sondern auch jeglicher Eingriff in das Lichtleben der Natur; sie dürfen keinen Grashalm knicken 1 ). Diese Lehre konnte keinen Anteil an der Gestaltung d e r Weltreligionen gewinnen. Aber in abgeschwächter Form blieb der Dualismus der religiösen Grundwerte ein immer erneuter Versuch religionswissenschaftlicher Ausgestaltung. In dieser abgeschwächten Form stellt der religionswissenschaftliche Dualismus in die Mitte seiner Erörterungen das Problem der Erbsünde, der ewigen Verdammnis und der Erlösung. Wir nennen diese Form eine abgeschwächte darum, weil der Dualismus nicht mehr als totaler gefaßt wird; die N a t u r soll Gottes Werk sein; er gilt als Schöpfer Himmels und der Erden. Aber innerhalb dieses gottentsprungenen monarchischen Gebietes breitet sich das Geschehen eines m o r a l i s c h e n Dualismus. Die Herzen der Menschen sind die „Quellpunkte böser Gedanken und Bestrebungen 2 )." „Der natürliche Mensch ist in sich selbst gänzlich unvermögend zum Guten 3 )." Diesem Unvermögen auf Seiten des Menschen entspricht dann, daß Gott sich dessen erbarmet, welches er will, und verstocket, welchen er will. Hat nicht ein Töpfer Macht, aus e i n e m Klumpen zu machen ein Faß zu Ehren und das andere zu Unehren 4 )." Dieser moralische Dualismus ist innerlich gebrochen, ein Produkt der Kirche und nicht des religiösen Urerlebens. Es bleibt ein Rätsei für die Ahnung, wie inmitten der gottgehaltenen Schöpfung ein ebenso eines, gottgehaltenes Reich des ewigen Friedens des Guten und Gerechten uns nicht beschieden sein sollte. Darum drängt die Konsequenz der Ahnung immer wieder von der dualen Schroffheit ab zu einem Kompromiß, das das Unheilbare des Dualismus zu verschleiern versucht, indem es eine a b s o l u t e Trennung des Menschengeschlechtes von Gott leugnet 5 ), und behauptet, daß durch die — Gnade Gottes kein Individuum der Menschheit in keinem Punkte der Zeit a b s o l u t unfähig zu allem Guten wäre 6 ). Die E r b s ü n d e , getrennt gedacht v o n d e r N a t u r (die stets etwas r e l a t i v Gutes sei) und v o n d e r G n a d e (die das a b s o l u t Gute sei und von der kein Mensch absolut geschieden sei), sei nur eine A b s t r a k t i o n , durch welche hindurch man zu der Erkenntnis von der Gemeinschaft der Sünde und der absoluten Notwendigkeit der Erlösung gelange 7 ). Ein solches Kompromiß entspringt immer einem lahmen religiösen Erleben, das der Klarheit des religiösen Gewißsens nicht 1 ) Vgl. Hasse, Kirchengeschichte, 3 Christi. Polemik S. 94. ) a. a. O. 155. «) a. a. O. 156. ') 157.
Leipzig 1864, S. 67. 4 ) Rom. 9, 18—21.
3
2 ) Sack, ) Sack 155.
—
270
—
dient. Nicht diese Abglättung und Verschleierung des Dualismus fördert das Problem der Religion, sondern gerade die Zuschroffung des moralischen Dualismus, die durch die L e h r e der P r ä d e s t i n a t i o n geschieht. Diese religionswissenschaftliche Richtung ist vorbereitet durch Augustin, geht über Gottschalk (um 847), Bradwardin und Calvin zur Dordrechter Synode. Nach dieser Lehre der Prädestination ist die Vorherbestimmung zur Seligkeit ganz eigentlich ein D e k r e t u m Gottes, das absolut frei, reine Gnade und durchaus nicht in Voraussicht des menschlichen Handelns gefaßt ist. Deshalb kann der Mensch weder dazu, noch dagegen etwas tun. Trotzdem bleibt Sünde verdammlich und des Menschen Schuld. Die Erwählungstheorie vergiftet das religiöse Erleben, das vom Manichäismus zermürbt wurde. Hier erscheint die Einzigkeit der ewigen Wahrheit noch quälender zersetzt, weil hier die Zersetzung in die Einzigkeit Gottes selbst eindringt. Ich und Gott sind nicht ewigkeitsbezogen im Ahnungserleben des ewigen Friedens und eines Primates des Guten, sondern Gott ist, im Widerspruch zur Korrelativität, zu einem P r i m a t der W i l l k ü r gemacht, eines absolut freien Dekretes zu Heil oder Verdammnis. Licht und Finsternis, beides, entspringt nun aus Gott, dessen Einzigkeit die Ahnung ohnmächtig preisgeben muß. Nicht der Bezug von Ich und Gott, sondern seine Verneinung ist der Sinn dieses Dualismus. Finitum non est capax infiniti. Auch an dieser Stelle wollen wir auf die ungeheure Reinheit des religiösen Erlebens hinweisen, die in der d e u t s c h e n M y s t i k zum Ausdruck kam. Sie stellt die Rechtfertigung des Menschen, über alle Finsternis seiner Zeitlichkeit hinaus, allein und zulänglich darauf, daß der Mensch zum Lichte seiner Ewigkeitsahnung sich bekennt. „Wahrhaftig, könnte ein Dieb, den man hängen wollte (der es wohl verdient, weil er gestohlen) und ein Mörder, den man von rechtswegen entleiben wollte — könnten sie in sich das finden: Sieh, du willst das leiden um der G e r e c h t i g k eit willen, weil m a n dir r e c h t t u t " — sie w ü r d e n ohne w e i t e r e s selig. Wahrhaftig, wie ungerecht wir seien — n ä h m e n wir von Gott, was er uns täte und l i t t e n wir um der G e r e c h t i g k e i t willen, so sind wir selig 1 )." Hier wird das Ich in seiner Zeitlichkeit gerettet, weil alle Zeitlichkeit in einem Nu der Ewigkeit ahnungsgehalten sein kann; wenn ') Eckehart 577, 17.
-
271
—
nur Ich und Gott in der Einzigkeit der ewigen Wahrheit, des ewigen Friedens einander suchen. Aus dieser Tiefe und Reinheit der Ahnung, die alles Zeitliche aus der Ewigkeit ansieht und das Ewige erfaßt im Zeitlichen, steigt das Wort Eckeharts auf, daß der wahrhafte Mensch alles tue ohne W a r u m ? : „In des Geistes Innerstem ist Gottes Grund mein Grund und mein Grund Gottes Grund. Aus diesem innersten Grunde sollst du wirken alle deine Werke ohne Warum. Solange du dein Werk wirkest um Himmelreich oder um Gott oder um deine ewige Seligkeit von a u ß e n her, so lange bist du im Unrecht. Wer nun fragte einen wahrhaften Menschen, der da wirket aus seinem eigenen Grunde: Warum wirkest du dein Werk ? Sollt er recht antworten, er spräche nichts anderes denn: Ich wirke darum, daß ich wirke 1 )." Niemals ist kühner und schöner die Autonomie alles Erlebens ausgesprochen als hier, eine Autonomie, die im letzten Grunde bei Eckehart religiöse Autonomie ist, das heißt die Ahnungsidentität von Monotheismus und Monalethie. Wir wiesen schon darauf hin, daß der religionswissenschaftliche Dualismus nicht eine p o l a r e Transzendenz, die unaufhebbare Korrelation von Ich und Gott denken kann, sondern alle Instanzen des religiösen Erlebens: Ich, Welt und Gott atomisiert, zu absoluten Wesen macht. Sei es als Manichäismus, sei es als Calvinismus mit all den Zwischenstufen, immer schafft dieser Dualismus den abs o l u t e n G o t t . So ist das Ich das schlechthin Abhängige, wie Gott da£ schlechthin Transzendente; und Welt ist das Verworfene. Hat der religionswissenschaftliche Dualismus den Satz: „Gott ist ewig", so ist die Ewigkeit eine Daseinsweise, nicht der Modus, in dem Ich — Gott einander belangen, ist absolut, nicht der Ausdruck der korrelativen Transzendenz. Hieraus entspringt dann die „Theologie" eigentlichen Sinnes, die Wissenschaft „von Gott": In Gott ist Sein (esse) und Wesen (essentia) eines (in der Kreatur sind beide reell verschieden); Gott ist absolut vollkommen; Gott ist unveränderlich, ohne Bewegung. In Gott ist keine Potentialität, sondern nur Wirklichkeit. Gott ist Schöpfer, ohne Bewegung, durch das Wort. Ist in Gott keine Veränderung, keine Zeit, keine Bewegung, keine Potentialität, so ist Gott ewig. Usw. Die Religionswissenschaft des absoluten Gottes ist Scholastik. Das Ich geht in Welt und Kreatur unter. Was Ich und Kreatur von Gott „aussagen" kann, ist nur Negation von Ich und Kreatur. M S. 66, 1—25.
—
272
Ewigkeit ist nicht Beziehungsweise von Geist zu Geist, von Ich zu Gott .und Gott zu Ich; sondern Ewigkeit ist Daseinsweise eines Wesens „Gott", das absolut losgestellt von aller Kreatur ist. Was an „Wahrheit" und Wahrheitsbezogenheit das Ich behaupten kann, ist nur, „was Gott n i c h t sein k a n n " . . . Gibt es für diese Aussage über ein absolutes „Nicht so sein" auch einen Wahrheitsbeweis ? Die Scholastik, d. i. die Religionswissenschaft v o m a b s o l u t e n G o t t , zersetzt den Wahrheitsbegriff selbst; und darum den Erlebenswert „Gott". Aber auch das Ich zergeht; denn ihm ist die Wahrheitsweite der Ewigkeit entzogen, dieser „Reifen aller Kreaturen", dadurch die Welt, in korrelativer Bindung von Ich und Gott, als „Nähe Gottes" befaßt ist. Nun läßt sich auch erkennen, daß der Calvinsche Dualismus (eines unzugänglichen Dekretums Gottes zu Heil und Verdammnis des Menschen) die rein zu Ende gedachte Absolutheit Gottes ist, die der Gegenstand der Scholastik bildet. Ist Gott ein Dasein, das ureigentliche, unbezogene Sein an sich selbst, so steht Ich und Kreatur in schlechthin einseitiger Abhängigkeit; denn es gibt keine Polarität Ich — Gott, Gott — Ich. Alle Mittel der „Geistigkeit" von der Kreatur und dem Ich aus sind unzulänglich; s o l l t e n als unzulänglich gelten!. Und gleichwohl erschleicht die Religionswissenschaft des a b s o l u t e n G o t t e s die geistigen Mittel derKreatur, um sie in Geltung ewiger Wahrheit und ewigen Wahrheitsbezuges zu verwenden: Wieviel Bemühen setzte die Scholastik daran, mit den Mitteln des „Denkens" den — a b s o l u t e n — Gott zu r e l a t i v i e r e n ! Mit dem Denken sollte Gott und sein Dasein b e w i e s e n werden. Aller „Beweis" lebt nur der Gewißheit, daß das „Sein", das dem Beweisgange unterworfen wird, ein Glied in einem Bereiche ist, in dem eine Einzigkeit der Wahrheit wirkt und herrscht. Alles, was von einem „Beweis" soll befaßt werden können, muß in und auf diese Einzigkeit des Wahrheitsbezuges r e l a t i v i e r t s e i n . Welch eine Brüchigkeit im Gefüge des geistigen Erlebens kommt darin zum Ausdruck, daß ein Wesen, an dem eine Religionswissenschaft von wahrhaft gigantischem Anscheine sich abmühte, ihm bis zur negativen Absolutheit jeglichen Relationscharakter zu nehmen, trotzdem auf die „Wahrheits"kraft eines Beweisganges wieder relativiert wird. Man sagt: Alle „Gottesbeweise" sind erlauchte Beispiele einer Petitio principii; das heißt: sie setzen das zu Beweisende schon voraus, beweisen a u s i h m h e r auf es h i n . Wären die „Gottesbeweise" nicht mehr, nicht Widersinnigeres als dies, so könnte man
—
273
sie als bloß formal logische Ungereimtheit abtun. Die „Gottesbeweise" enthüllen aber ein viel Tieferes: daß, wie immer versucht werden mag, eine Absolutheit, Unbedingtheit, Übererlebenswertiges zu setzen, immer zu seiner S i c h e r u n g die Relativierung dieses Absoluten nötig ist. Das heißt: M o n o t h e i s m u s u n d M o n a l e t h i e sind eine I d e n t i t ä t ; die Petitio principii der Gottesbeweise besteht in der P e t i t i o p r i n c i p i i des E r l e b e n s , der Petitio principii einer P o l a r i t ä t von Gegenständlichkeit und • Gesetzlichkeit kraft der I m m a n e n z des E r l e b e n s . Das enthüllen die „Gottesbeweise" wider Willen; sie sagen: es muß ein Transzendentes geben, damit die Welt als ein Gebinde Gottes gehalten werde; dieses Transzendente aber wird erlangt auf d e m W a h r h e i t s w e g e des „ D e n k e n s " . Dadurch wird nun die Transzendenz p o l a r , polar als korrelative Belangung von Geist zu Geist, von Ich zu Gott, von Gott zu Ich im Modus der Ewigkeit einzig bündiger Wahrheit. So zwingt die M e t h o d i k des „Beweises", d e r G e i s t i g k e i t die Absicht der scholastischen, dualistischen Religionswissenschaft in ihren Widerspruch; denn sie wollte die A b s o l u t h e i t , sei es „des höchsten" oder „des notwendigen" oder „des allervollkommensten" oder „des heilig guten Wesens". Das Kapitel der Gottesbeweise ist demnach nichts als das Kapitel von der Selbstzersetzung der Absolutheit Gottes und der blinden Abhängigkeit der Kreatur. Monotheismus und Monalethie ist ahnungsidentisch; es ist der Urgehalt religiösen Erlebens, daß es eine Bezogenheit von Ich zu Gott, von Gott zu Ich gibt, die sich als Ewigkeit einziger Wahrheit ausspricht, in der die Zeitlichkeit der Welt als „Gottes Nähe", die die „Ferne Gottes" ist, total gehalten wird. ß) Der Pantheismus. Der Dualismus widersprach der Forderung, daß durch die polare Transzendenz Ich — Gott die Welt total zu befassen ist, daß sie als Fußstapfe Gottes total geheiligt werde. Die Einzigkeit des Ich und die Einzigkeit Gottes sucht zwar der Dualismus scharf zum Ausdruck zu bringen, aber er kann es nur so, daß er zwei absolute Unbezogenheiten schafft, die einander transzendent sind. Denn der Willkürakt des absoluten Gottes auf das Ich mit seiner Erbsünde ist keine B e z o g e n h e i t ; das Dekretum Gottes wählt eine Kreatur zum Heiligen oder zum Verdammten; das Faktum der Erbsünde, wie das Faktum des „guten Willens", bleibt u n a n g e s e h e n , weder wird jene getilgt noch dieser ein Anlaß für das Dekretum. Sind Ich und Gott für einander dual transzendent — wie G o i l a n d , Religionsphilosophie.
18
—
274
—
sollte dann die W e l t dem Ich z u r G o t t n ä h e g e h e i l i g t werden können ? Alle diese Schwierigkeiten scheinen von den geistigen Einstellungen vermieden zu werden, die unter dem Worte Pantheismus zusammenzufassen sind. Der Pantheismus will der Widerspruch zum Dualismus absoluter Transzendenz sein. Es ist auch hier für unsere Kritik schwer, festen Fuß zu fassen, wenn wir uns nicht an einen Vertreter von klassischer Reinheit der Folgerichtigkeit halten; als solcher steht in der Geschichte der Pantheismus S p i n o z a s da. Der Stil seines Gedankengebäudes, der „more geometrico" sich ergeht, verführt, die Form für das Wesen zu nehmen, während doch die Intensität des Erlebens, aus dem dies Gebäude aufwächst, k e i n e s w e g s eine im philosophisch exakten Idiom redende r e l i giöse G e i s t i g k e i t ist. Darüber muß aufklären, daß die Geschichte gerade auch des spinozistischen Pantheismus mit der Geschichte der R o m a n t i k eng verknüpft ist. Nun ist aber die Romantik nicht eine Angelegenheit religiösen Erlebens, s o n d e r n des S t i l e r l e b e n s . Und so möchte das Problem zu stellen sein, den Pantheismus (statt ihn als eine Religionswissenschaft zu betrachten) als den „Weltanschauungsausdruck" des Stilerlebens der P e r s ö n l i c h k e i t nachzuweisen. Die Welt als Darstellungsform, als Stiltotalität der in ihr sich ausprägenden Gottwesenheit ist der Charakter des Pantheismus. Und so wenig sich die S t i l f o r m vom W e s e n der Persönlichkeit trennen läßt, so sehr ist W e l t u n d G o t t e i n e I d e n t i t ä t . Diese Identität scheidet den Pantheismus von Religion. Die r e l i g i ö s e K a t e g o r i e i s t d i e T r a n s z e n d e n z , mit der die andere Kategorie der totalen R e f a ß t h e i t der Welt als — „Nähe Gottes", die immerdar die „Ferne Gottes" ist, sich verbindet. Das ist die nicht zu überschreitende Scheidelinie zwischen Pantheismus und Religion. Aber diese Scheidelinie ist haarscharf. Ihre Nichtbeachtung geschieht zahllos oft. Daraus sind die die Reinheit des religiösen Problems a m t i e f s t e n gefährdenden geistigen Bewegungen entstanden; handle es sich um die Wirkungen der Schleiermacherschen Reden über die Religion oder um den Schellingschen pantheistischen Ästhetismus oder um philiströse „monistische" Bewegungen. Den Nachweis dieser Behauptung setzen wir als Aufgabe. Wir schickten diese Sätze vorauf, um vor der Erörterung der spinozischen Gedanken den wesentlichen Standpunkt der Beurteilung und Aufmerksamkeit zu bezeichnen. Spinoza beginnt mit Gott. Gott ist Substanz. Substanz ist das, was in sich ist und durch sich selbst begriffen wird; ist das,
—
275
—
dessen Begriff den Begriff eines anderen Dinges als Voraussetzung nicht bedarf. Dadurch ist Gott entstanden abseits jeglicher Korrelation. Gott ist Ursache seiner selbst. Zu dieser absoluten Einzigkeit muß in irgendeiner Weise das Besondere hinzugedacht werden; es muß zum Gottesbegriff der Weltbegriff hinzutreten. Weil aber Gott Substanz schlechthin, die Substanz ist, so muß, was „Welt" heißt, irgend wie ,,in" Gott, Gott muß „in" der Welt sein. Ist Gott Substanz schlechthin, so muß das Besondere, die „Welt", als Besonderheit der A t t r i b u t e dieser Substanz gedacht werden. Nur dieser Unterschied von Substanz und Attribut darf für den Unterschied von Gott und Welt in Anspruch genommen werden. Daraus entspringt zunächst die Gleichsetzung von Gott und Natur (natura sive deus) und innerhalb dieser Identität die Unterscheidung einer Natura naturans und einer Natura naturata. Konsequent denkt Spinoza die Substanz (also „Gott oder Natur") nicht als die Gesamtheit der Dinge, nicht als erzeugende und lenkende Kraft in den Dingen, nicht als Weltgeist oder Weltseele, sondern als W e l t o r d n u n g , als schlechthin oberste Regel, die alles Besondere bedingt, in dem Sinne „vor" allem Besonderen ist, aus der alles Besondere sich erst ableitet, ableitet nicht real und tatsächlich geschehend, sondern in der formalen Abfolge von Voraussetzungen zu den Schlußsätzen. Ist Gott lediglich als f o r m a l e Ursache zu denken (wie das ebene Dreieck die „Ursache" dafür ist, daß die hier auftretende Gruppe der drei Innenwinkel 180° mißt), so bezieht sich die „Kausalität" der Substanz nicht auf die Zwangsläufigkeit in der Abfolge der Geschehnisse, sie ist nicht der Realgrund dieser Dinge in dieser Zeit und diesem Orte, noch kann sie als Kraft gedacht werden, die gemäß Zwecken und A b s i c h t e n Entwicklungsreihen, nach einem Ziel hin gerichtetes Geschehen („Geschichte") gestaltet. „Unter der Leitung Gottes verstehe ich die feste und unabänderliche Ordnung der Natur oder die Verkettung der Naturdinge. Die allgemeinen Naturgesetze, durch die alles wird und geschieht, sind, wie gesagt, nichts anderes als die ewigen Dekrete Gottes, die immer ewige Wahrheit und Notwendigkeit einschließen. Es ist also gleich, ob wir sagen, alles geschehe nach den Naturgesetzen, oder ob wir sagen: alles geschehe kraft Dekret und Leitung Gottes 1 )." Der Mensch erkennt von Gott nur die beiden Attribute, für die er durch seine Körperlichkeit und seine Geistigkeit befähigt ist. Aber diese beiden Attribute Ausdehnung und Denken, die nur verTheol. polit. Traktat Kap. III.
18*
—
'276
—
schiedene Darstellungsformen einer und derselben inneren Ordnung und Notwendigkeit sind, erschöpfen keineswegs das Wesen der Substanz. Gott als schlechthin Vollkommenes enthält eine Unendlichkeit von Attributen, die aber dem menschlichen Geiste vermöge seiner bestimmten Enge grundsätzlich verschlossen bleiben. Dadurch wird die „Leitung Gottes" zum dunklen Fatum. Dieser knappe Bericht über den klassisch-spinozischen Pantheismus zeigt hinlänglich, daß die religiöse Kategorie der polaren Transzendenz Ich — Gott und die der totalen Immanenz der Welt diesen Spekulationen wesensfremd sind. Gottes Wesen ist unendlich, des Menschen Attributcharakter beschränkt. „Welt" ist im spinozischen Pantheismus unendlich mannigfaltiger, als die Erlebensweisen des Menschen begreifen können; somit ist die „Welt" nicht erlebensimmanent. Die spekulativen Fiktionen einer pantheistischen Identität von Gott und Welt wirken sich überall zu absoluten Jenseitigkeiten für das Erleben aus. Sei es in der spekulativen harten Form spinozischer Gedankenführung, sei es in der gefühlswarmen Gestalt romantischen Geistes — immer zeigte sich der Pantheismus, sofern er als Religionswissenschaft auftreten will, als Schranke gegen die Forderung totaler Heiligung der Welt. „Heiligung der Welt" heißt nicht „Natura sive deus", sondern „Welt" als inmitten Ich und Gott ewigkeitsgehaltener „Wink Gottes", heißt nicht Identität, sondern Nähe Gottes. § 3. Die philosophische Kategorie der Einheit der Begründung als Forderung der E i n h e i t der Offenbarung, d. i. der T o l e r a n z . a) Die Einheit der „Religion" und die Mannigfaltigkeit „der Religionen«. Man hat seit je zu einer Streitfrage gemacht, ob von „Religionen" geredet werden dürfe oder ob solches wider den Geist der Religion sei, weil Gott, der Einzige, nur in einer einzigen Weise zulänglich den Menschen sich habe offenbaren können. Die tiefsten Leidenschaften, die unser Geschlecht ergriffen haben, wurden von dieser Frage zum Kampfe aufgeboten; seien es Kreuzzüge, Konzile oder Ketzergerichte, in denen diese Leidenschaften sich den Schein einer Rechtsvollstreckung gaben. Ganz gewiß ist der Kampfgeist der mit dieser Frage in aller Religionsgeschichte verbunden gewesen ist, allerdings von k i r c h l i c h e m Geiste organisiert worden; aber die Kampfgewalten selbst mußten aus dem Quellgebiet wirklich religiösen Erlebens sich darbieten. Darum geht es nicht an, diese
—
'276
—
schiedene Darstellungsformen einer und derselben inneren Ordnung und Notwendigkeit sind, erschöpfen keineswegs das Wesen der Substanz. Gott als schlechthin Vollkommenes enthält eine Unendlichkeit von Attributen, die aber dem menschlichen Geiste vermöge seiner bestimmten Enge grundsätzlich verschlossen bleiben. Dadurch wird die „Leitung Gottes" zum dunklen Fatum. Dieser knappe Bericht über den klassisch-spinozischen Pantheismus zeigt hinlänglich, daß die religiöse Kategorie der polaren Transzendenz Ich — Gott und die der totalen Immanenz der Welt diesen Spekulationen wesensfremd sind. Gottes Wesen ist unendlich, des Menschen Attributcharakter beschränkt. „Welt" ist im spinozischen Pantheismus unendlich mannigfaltiger, als die Erlebensweisen des Menschen begreifen können; somit ist die „Welt" nicht erlebensimmanent. Die spekulativen Fiktionen einer pantheistischen Identität von Gott und Welt wirken sich überall zu absoluten Jenseitigkeiten für das Erleben aus. Sei es in der spekulativen harten Form spinozischer Gedankenführung, sei es in der gefühlswarmen Gestalt romantischen Geistes — immer zeigte sich der Pantheismus, sofern er als Religionswissenschaft auftreten will, als Schranke gegen die Forderung totaler Heiligung der Welt. „Heiligung der Welt" heißt nicht „Natura sive deus", sondern „Welt" als inmitten Ich und Gott ewigkeitsgehaltener „Wink Gottes", heißt nicht Identität, sondern Nähe Gottes. § 3. Die philosophische Kategorie der Einheit der Begründung als Forderung der E i n h e i t der Offenbarung, d. i. der T o l e r a n z . a) Die Einheit der „Religion" und die Mannigfaltigkeit „der Religionen«. Man hat seit je zu einer Streitfrage gemacht, ob von „Religionen" geredet werden dürfe oder ob solches wider den Geist der Religion sei, weil Gott, der Einzige, nur in einer einzigen Weise zulänglich den Menschen sich habe offenbaren können. Die tiefsten Leidenschaften, die unser Geschlecht ergriffen haben, wurden von dieser Frage zum Kampfe aufgeboten; seien es Kreuzzüge, Konzile oder Ketzergerichte, in denen diese Leidenschaften sich den Schein einer Rechtsvollstreckung gaben. Ganz gewiß ist der Kampfgeist der mit dieser Frage in aller Religionsgeschichte verbunden gewesen ist, allerdings von k i r c h l i c h e m Geiste organisiert worden; aber die Kampfgewalten selbst mußten aus dem Quellgebiet wirklich religiösen Erlebens sich darbieten. Darum geht es nicht an, diese
—
277
Frage und die durch sie bis zum Wahnwitz aufgestachelte Leidenschaft einfach aus kirchlicher Dogmensucht und de" Rabies theologorum zu erklären und sich bei dieser Abwälzung zu beruhigen. Wir müssen zu ihr ernstlich Stellung nehmen. Wir haben auf die Antwort hinzuweisen, die Lessing in seinem „Nathan" auf diese Frage gegeben hat. Seine Parabel von den drei Ringen sollte über die „wahre", „bessere" Religion, über den „rechten" Glauben entscheiden. Nun war der Entscheid so: An sich, rein „religiös" betrachtet, wäre die Frage nicht zu beantworten; da zwänge demnach ein „Unentscheidbar" zur „Toleranz". Aber es gäbe allerdings einen mittelbaren Maßstab: welche Wirkung ,,die Religion" auf das m o r a l i s c h e Verhalten der Menschen habe; welche Kraft in ihr wohne, „bei Gott und Mensch b e l i e b t zu machen". Damit ist unserer Frage aus dem Wege gegangen; nichts weiter. Käme dieser Maßstab des moralischen Verhaltens in Frage, so müßte auch eine „ g o t t f r e i e " Moralität dem Urteilsspruche, der auf „die beste Religion" rückwärts schließen will, sich unterstellen dürfen. Der Entscheid Lessings entspringt dem Geiste seiner Zeit; wurde nicht auch die „Schaubühne" diesem Maßstab des „Moralischen" unterstellt, auf ihn verunselbständigt ? Die „Toleranz", die dem unmittelbaren Entscheid aus dem Wege geht, ist nicht Weisheit, sondern S c h w ä c h e des r e l i g i ö s e n E r l e b e n s . Diese Auskunft, die Mehrheit der Religionen sei zu tolerieren, weil die Frage nach „der einen Religion" nicht zu entscheiden sei, ist unerträglich, wofern „religiösesErleben" bedeutet die A h n u n g s i d e n t i t ä t v o n M o n o t h e i s m u s und M o n a l e t h i e . Besinnen wir uns, daß wir im Gebiete unserer d r i t t e n kritischen Kategorie stehen. Sie spricht die Forderung aus, daß, wie sehr immer unbegrenzter Tiefengang, „Totalität" jeder Offenbarung gefordert werde (unsere e r s t e Kategorie!), gleichwohl E i n h e i t aller O f f e n b a r u n g aufgegeben sei. Damit ist beides gesetzt: erstens die M a n n i g f a l t i g k e i t der Wege totaler Offenbarung und zugleich die E i n h e i t dieser Offenbarungen. Um der Forderung der Einheit „der Religion" zu genügen, soll nicht die Mannigfaltigkeit der „Religionen" ausgelöscht sein. Vielmehr haben beide einander zu bedingen. Zur einleitenden Klärung über den Gehalt dieser dritten Forderung dürfen wir uns auf die analogen Anwendungen auf das naturwissenschaftliche und gemeinschaftswissenschaftliche Gebiet beziehen, Anwendungen, die wir in unserer „ E t h i k " versucht haben. Denn unsere kritischen Kategorien sind „rein philosophische", als
—
278
—
solche nicht „eingebettet" in oder „abgelesen" aus den s p e z i f i s c h e n Gebieten des Erlebens, sondern ihnen kritisch übergeordnet. Dort sagten wir unter der Leitung der dritten Kategorie folgendes: Eine Mannigfaltigkeit von Rechtfertigungswegen des Willens liegt vor; der ökonomische Wille nicht minder als der staatsrechtliche und der gemeindliche Willen haben je total sich zu rechtfertigen; in dieser totalen Rechtfertigung bewährt sich ihre Eigentümlichkeit, ihre Besonderheit. An keiner Stelle verläuft die eine in der Spur der anderen, noch gemäß der Anweisung der anderen. Dies zu fordern ist der Sinn der e r s t e n Kategorie, der Kategorie der t o t a l e n Rechtfertigung. Aber gerade diese in s i c h t o t a l e Rechtfertigung ist die Voraussetzung und positive Bedingung für eine E i n h e i t , durch die jene Besonderheit und Mannigfaltigkeit der Willensbegründungen geachtet und geschützt wird; diese Einheit wird sowohl der S e p a r a t i o n , der Absonderung widersprechen, wie der G e n e r a l i s a t i o n , durch die jede Mannigfaltigkeit vernichtet wird, weil ein einzelnes, nur spezifisch legitimiertes Prinzip anmaßlich seine Grenzen überschreitet und Herrschaft auf fremdem Gebiete beansprucht. Es kann in der Geschichte des Gemeinschaftslebens verfolgt werden, wie das ökonomische Willensdenken versucht, sich generalisierend, das Staatsprinzip zu einem bloßen Polizeigewaltprinzip zu entwerten; wie, umgekehrt, das staatsrechtliche Willens denken, sich generalisierend, im Ökonomischen oft nur die Instinktauswirkungen des Naturwesens Mensch sieht, die man unter dem bevormundenden Prinzip des „Allgemeinen Besten" in wohltätiger Dressur halten müsse; wie das Willensdenken der Kulturgemeinschaft entweder, als das allein wertvolle, gegenüber dem bloß „weltlichen", verderblich „zivilisatorischen" sich separiert oder aber, umgekehrt, vom ökonomischen und staatlichen Willensinteresse zum bloß ideologischen Übergespinnst „privater" Angelegenheit entwertet wird. Dieser Gefahr begegnet unsere dritte Kategorie: die Forderung einer kontinuierlichen Annäherung aller Willensrechtfertigungen an einander. Jedes Prinzip hat unausgesetzt sich daraufhin zu rechtfertigen, daß es immer geeigneter und bereiter werde, die ihm spezifisch auferlegten Probleme so zu beurteilen, daß diese ein Bildbares, der weiteren Gestaltung Harrendes für das andere, die anderen Prinzipien bleibe. E i n h e i t der Prinzipien bedeutet hiernach nicht Vernichtung der Mannigfaltigkeit bis auf nur ein Prinzip, sondern kontinuierlich methodische Annäherung zur Dienstbarkeit jedes Prinzipes für jedes andere, damit durch wechselweise Hilfsbereitschaft das ihnen allen auferlegte gemeinsame Problem „der Mensch-
—
279
—
heit" (trotz der Besonderheit der Einzelproblematik) auf unendlichem Wege lösbar werde Ganz so wird die dritte philosophische Kategorie ihres richterlichen Amtes nun auch im Gebiete der Ahnung und in ihrer inneren Mannigfaltigkeit zu walten haben. Im Bereiche dieser Kategorie richtet das Interesse sich darauf, daß es eine Mannigfaltigkeit von „Religionen" und demgemäß auch eine solche der R.W. tatsächlich gibt; diese Mannigfaltigkeit ist als solche anzuerkennen. Es geht nicht an, aus dem Erlebensbedürfnis der eigenen „Einen Religion" die anderen gewaltigen Gestaltungen als Minderwertigkeiten, gar als Unwertigkeiten und „Irrlehren" ansehen zu wollen; sowenig, als aus dem „Wahrheitsgehalte" aller Religion eine „Ideal"-Religion zu konstruieren. Vielmehr ist zu fordern, daß die Religionen in ihrer geschichtlich tatsächlichen Mannigfaltigkeit sich freihalten von jeglicher Starrheit, als wären sie ein einfürallemal Gegebenes, über uns sakrosankt Verhängtes. Mag es immerhin eine k i r c h l i c h e sakrale Starrheit geben; die steht nicht für uns in Frage; aber es darf keine religiöse Starrheit geben. Das und nichts anderes lebendig zu halten, ist der Sinn jedes religiösen Genies in der Geschichte der Menschheit. Denn durch das religiöse Genie erfolgt die Erlösung der Religion und des religiösen Lebens von der Kirche und ihrem Banne; es läßt die Hoffnung aufspringen, daß auf dem Wege der Mannigfaltigkeit der Religionen gleichwohl die Einheit der Religion aus der Tiefe der Offenbarungsabgründe entdeckbar werde. Das ist der Sinn und die Absicht des religiösen Genies, wenn es über alle nationalen oder Kultschranken hinaus seinen Ruf an die Weite „aller Menschen" richtet. Denn nicht um eine „neue" Religion geht es für das religiöse Genie, sondern um neue T i e f e n des religiösen Erlebens, der „Offenbarung", auf deren Grunde die Spuren alles religiösen Erlebens auf eine, wie immer ferne E i n h e i t gerichtet sind. D a s r e l i g i ö s e G e n i e ist s o w e n i g s e k t i r e r i s c h , sow e n i g a l s es b e k e n n t n i s h a f t „ k a t h o l i s c h " i s t . ß) Katholizität und Sektierertum. Die Schranke, die gegen die Forderung der kontinuierlichen Annäherung der religiösen Prinzipien, der „Offenbarungen", sich richtet, hat ihre klassische Bezeichnung im Wort „Katholizismus" sich geprägt; es ist die G e n e r a l i s a t i o n eines Offenbarungsprinzips als des „ a l l e i n s e l i g m a c h e n d e n G l a u b e n s " , wie sie durch i) Vgl. hierzu den Vortrag: „Neubegründung der Ethik". Berlin, Reuther u. Reichard, 1918, S. 35 ff.
280
—
alle Religionsgestaltungen hindurchgeht. Maßt sich eine Offenbarungsgestaltung an, die umfassend einzige zu sein, so werden alle anderen religiösen Ergründungen als U n g l ä u b i g k e i t , Aberglaube, Häresie, Apostasie und „Subjektivismus" bezeichnet. Diese Abwertung ist, wie gesagt, keineswegs der katholischen Kirche eigentümlich, sondern ist eine durch die gesamte Religionsgeschichte hindurchgehende Erscheinung. Es liegt im Wesen der Sache, daß aller „Katholizismus" sich auswirkt zur „ p o s i t i v e n R e l i g i o n " und damit zur K i r c h e . Das heißt aber, daß der Katholizismus eine Macht bedeutet, die das religiöse Erleben ertötet. An der Pforte der Kirche bleibt die Religion zurück. Denn nur dadurch, daß die Starrheit eines Bekenntnisses erwächst, kann sich die Generalisation „eines allein selig machenden Glaubens" durchsetzen, extra quam nemo salvus esse potest x ); sine qua impossibile est placere Deo 2 ). Nur aus der Anmaßung einer Katholizität des Glaubens erwächst die Kirche als der Zweckverband einer Heilsbeschaffung für jeden sich zu ihr „Bekennenden". Wo immer die religiöse „Offenbarungs"besinnung in schwebender Lebendigkeit bleibt, überall da ist Abkehr und Freihaltung von Kirchlichkeit. Hierfür ist das entscheidende Beispiel die deutsche Mystik; und auch der Protestantismus, dieser Sprößling aus deutscher Mystik, hält gerade so lange sich frei von der Positivität und das heißt: von Kirchlichkeit, solange er, aus dem Wissen um die Quelle seiner Kraft, die geschichtliche Aufgabe erfüllt, religiöses Urerleben freizulegen und wachzuhalten. In seiner „Evangelischen Polemik gegen die römische Kirche 3 )" schreibt Tschackert, eingedenk dieses Wesens des „Protestantismus" und im Gegensatz zur katholischen Kirche, das Wort: „Wegen der allgemeinen Sündhaftigkeit werden sich alle Teilkirchen n u r in d e r A n n ä h e r u n g an die volle Erkenntnis des göttlichen Wortes befinden." Wie immerh : n schief eingeleitet und auf den christlichen Standpunkt verengt dies Wort auch ist, so bleibt es doch getragen von der nicht zu tötenden Erkenntnis, daß Protestantismus nicht ein k i r c h l i c h e r Gegensatz gegen die katholische Kirche ist, sondern der b e s t ä n d i g e r e l i g i ö s e Gegensatz gegen „katholische" G e n e r a l i s a t i o n , die immer notwendig zur K i r c h l i c h k e i t sich auswirken muß. Es scheint sonderbar, wenn wir als Generalisationsschranke gegen die Forderung kontinuierlicher Annäherung aller Offenbarungswege, aller religiösen Ergründungen auch die „ n a t ü r l i c h e R e l i g i o n " bezeichnen. Die anmaßende Generalisation spricht aus Prof. Fid. Trid. 1885, S. 21.
Schluß.
2
) C. Trid. Sess. V, init.
3
) Gotha
—
281
—
dem Beiwort des „Natürlichen". Hier dieselbe Absicht wie dorl im Worte des „Katholischen". Es ist die Behauptung, daß eindeutig u n d — a u s d e u t i g das, was „Religion" sei, mit dem „natürlichen Faktum „Mensch" gegeben sei. Wie sich die allgemeinorganischen Entwicklungen vom Kinde bis zur Reife mit allgemeiner, gesetzhafter Selbstverständlichkeit vollziehen, wofern nur „die Natur" ungehindert zu Worte komme, ganz ebenso treten auch die religiösen Erkenntnisse und Gefühle ins Bewußtsein der Menschen, ohne äußeres Zutun und in überall gleicher Weise, wenn auch mit subjektivem, „konfessionellem" Milieu-Einschlag. Aber diese Unterschiede sind nur subjektive Unsauberkeiten vom Normaltyp, Zufälligkeiten, wie es solche Unterschiede des Entfernungsoder Farbensehens gibt. „Es kann sein, daß sich aus gewissen Eigenschaften Gottes das übrige, was wir von ihm erkennen, leichter und faßlicher herleiten läßt, und d a d i e s e F a ß l i c h k e i t v o n den E i n s i c h t e n a b h ä n g t , die b e i d e m zu überzeugenden M e n s c h e n v o r a u s g e s e t z t w e r d e n , so g i b t es a u c h v e r s c h i e d e n e M e t h o d e n , d i e s e W a h r h e i t e n zu d e m o n s t r i e r e n , die auf verschiedene Gemüter verschiedene Wirkungen tun. I n d e r S a c h e s e l b s t a b e r i s t h i e r k e i n U n t e r s c h i e d 1 )." Auch hier die gleiche Festleguag und Verendlichung der „Offenbarung" und, daraus entspringend, die A n m a ß u n g d e r K a t h o l i z i t ä t . Es spielt dabei keinerlei Rolle, daß die Generalisation der „natürlichen Religion" vermeint, auf dem sichereren Boden des „ i n d e r N a t u r des M e n s c h e n G e g e b e n e n " zu stehen. Der Sinn der „ N a t u r " wirkt in dieser Verwendung gerade so ,,positiv" und erstarrend, bekenntnishaft verengt und erlebensarm, wie jene „Offenbarungs"religion, die auf sakralen Fremddokumenten und deren exegetischer Zergliederung beruht. Auch das hat die Katholizität der „natürlichen Religion" mit der „Glaubens"-Religion gemein, daß jede selbständige Sehnsucht nach ureigener Ergründung als „Unglaube", als Apostasie und Häresie verfolgt und verdammt, zumindest als entwerteter und verdächtiger S u b j e k t i v i s m u s beurteilt wird. Wir konnten in den Erörterungen des Rousseauschen Naturalismus darauf aufmerksam machen. Die auch der „Natürlichen Religion" im Blute liegende Kirchlichkeit (die Auswirkung jeglicher Katholizität) tritt nur darum nicht so zutage, weil sie des Sinnes ist, daß sie (die Kirchlichkeit einer n a t u r g e g e b e n e n , selbstverständlich w i r k l i c h e n Religion) 1
) Mendelssohns Schriften (Ausg. Brasch). Z. 11 v. u.
Leipzig 1880, Bd. I, S. 73,
—
282
—
aller jener Mittel sich enthalten könne, auf die die „transzendenten Religionen" angewiesen seien; so verzichtet sie auf alle seelischen und geistigen Zwangsmittel gegen Ketzer und Abtrünnige, weil sie vermeint, mit den „idealen" und absoluten Mitteln der „ A u f k l ä r u n g " in souveräner Weise schmerzlos zwingen zu können. Das ist die unerträgliche Anmaßung dieser Katholizitat der „natürlichen" Religion, die mehr noch der Forderung kontinuierlicher Annäherung aller Offenbarungstiefen widerstreitet, als es die Katholizitat der „geoffenbarten" Religion vermag, die nie absolut verschlossen sich halten kann gegen „Reformation" und „Protestantismus", weil ihr U r s p r u n g einstmals doch auch ein religiöses Urerlebnis gewesen ist. Während der Gegensatz zwischen katholischer Kirche und deutscher Mystik flammend lebendig bleibt; jene den Einwirkungen dieser sich nicht entziehen kann; durch die Mystik die katholische Kirche (und nicht nur sie) zur Selbstkontrolle in ihr eigenes Innere gezwungen wird, bleibt demgegenüber die „natürliche Religion" völlig verständnislos für diese Erscheinung der Mystik; dort immer das Bewußtsein letzthin eines Geistes und, daraus ererklärt: die Kraft des Gegensatzes, der Feindschaft; hier nur die überlegene glatte und banausisch platte Ablehnung solcher unklaren „Schwärmerei" und „Exaltation". Als eine Form der Generalisation ist auch die Weise zu bezeichnen, in der einerseits das Christentum zum Judentum, andererseits das Judentum zum nichtpaulinischen Christentum sich stellte. Das Christentum sah und sieht im Judentum eine Propädeutik zu ihm; die jüdische Prophetie ist nicht ureigentümliche, homogene religiöse Genialität des Judentums (die religiöse Genialität der messianischen W e l t g e s c h i c h t e ) , sondern eine Ansage und Hinweisung auf den Christus des Christentums. Andererseits war das Christentum der ersten christlichen Gemeinden nach eigener und nach jüdischer Auffassung nichts als eine S e k t e des Judentums. Dort wie hier wurde die U r s p r ü n g l i c h k e i t der religiösen Ergründung und „Offenbarung" von seiten der anderen Glaubensform geleugnet. Die christliche G e n e r a l i s a t i o n machte das Judentum in seiner Prophetie zu einer unvollkommenen „Vorläufigkeit"; das Judentum betrachtete das Christentum als S e p a r a t i o n , als Sekte, als krankhafte Wucherung und also Entartung eines einzelnen religiösen Motivs: des Messianismus. Aus dieser Einsicht heraus zeigt sich die unermeßliche Bedeutung paulinischen Geistes darin, daß dem Christentum das Bewußtsein und die Kraft ureigentümlichen religiösen Prinzipiengehaltes entstand und gesichert wurde. Wir erkennen somit in der a t h o l i z i t ä t (der in Kirchlich-
—
'283
—
keit sich auswirkenden G e n e r a l i s a t i o n ) , die eine große Gefahr dafür, daß die Mannigfaltigkeit der religiösen Ergriindung, der „Offenbarung" verkümmere, ohne daß dadurch der wahrhaften Einheit „der Religion" gedient werde. Als die andere Gefahr für die auf unendlichem Wege religiöser Vertiefung zu gewinnende Einheit „der Religion" zeigt sich die S e p a r a t i o n , die in der S e k t e n b i l d u n g zum Ausdruck kommt. Die Sekte bildet sich, um ein religiöses Einzelmotiv zu pflegen; sie löst sich nicht von der Kirche ab, sondern ist in ihr vielmehr eine ecclesiola in ecclesia. In der „ K i r c h e " liegt das religiöse Urmotiv, nicht in der Sekte. Dadurch schon wird (Jie Sekte zu r e l i g i ö s e r U n f r u c h t b a r k e i t bestimmt. I h r f e h l t die r e l i g i ö s e G e n i a l i t ä t , weil ihr das religiöse Urerlebnis nicht ureigentümlich erwächst, sie vielmehr aus und in der Sorge um irgendein Nebenmotiv lebt. S i e i s t v i e l m e h r d e r O r t des r e l i g i ö s e n T a l e n t e s mit all den Eigenschaften des Talentes: Überschätzung des Formelhaften, Virtuosität der rituellen Kleinarbeit, Verdrängung jeder zu unendlicher Selbstvertiefung sti ebenden religiösen Rechtfertigung durch die Peinlichkeit des Äußerlichen. Weil der Sekte nur ein religiöses Nebenmotiv pflegerisch eigen ist, gelangt sie stets auf Schranken gegen die „ K i r c h e " ; sie bleibt religiös unfruchtbar und wird zum Philiströsen und Banausenhaften gedrängt. Entartet die Sekte nicht zum rituellen oder konfessionellen Formalismus oder zum Okkultismus, so verliert sie mehr und mehr spezifisch religiösen Charakter und wird zur Gemeinde eines moralistischen Lebensstiles, wie die Pietisten oder Quäker. Gleichwohl ist die Sekte der Ort, an dem sich die Geister sammeln, die an dem ,,Glaubens"leben der „Kirche" nicht genüge finden, die ihrer r e l i g i ö s e n Not bewußt sind. Aber die Separation in der Sekte macht diese Sehnenden in sich selbst und nach außen untauglich und wirkungslos, die „Offenbarung", die Gründe und Tiefen der religiösen Urerfahrung tiefer zu legen; sie werden der Sekte fremd und sind nun mitten inne zwischen Kirche und Sekte auf sich selbst gestellt. Aber Kirche und Sekte, beide verarmen, bis das Werk des religiösen Genius vollbracht ist, das nun, zur neuen Blutzuführung, von der Kirche in konfessionelle Assimilation genommen wird. Y) Die Einheit der Toleranz und apologetische „Glaubenstreue". Mit der Mannigfaltigkeit der Religionen sind die a p o l o g e t i s c h e n und p o l e m i s c h e n Bemühungen der besonderen R.W. wesentlich verknüpft. Gewaltige religiöse Kräfte wurden von der Apologetik und der Polemik in den Zeiten des jungen Christentums
—
284
—
von ihm, dem Heidentum und dem Judentum entwickelt. Durch nichts anderes als durch diese religionswissenschaftliche Arbeit war das religiöse Bewußtsein gedrängt, zu den Tiefen der Ahnung hinabzusteigen, in denen es sich seiner ureigenen Besonderheit vergewisserte. Es liegt im Wesen von Apologetik und Polemik, daß sie von religiöser Genialität allein dann getragen wird, wenn das religiöse Bewußtsein fern ist vom satten Stande eines statutarischen Bekenn tnisgefüges und den Tiefenweg der Selbstoffenbarung erst sucht oder zu beschreiten beginnt. Wird die Selbstsicherung von einer Selbstsicherheit verdrängt, dann bedürfen die besonderen Religionswissenschaften dieser Energien, scheints, nicht mehr; man ist nicht mehr um seine innere Wahrheit besorgt, weil man durch einen Formelwall sein Gebiet abgegrenzt glaubt. Wenn in solchen religionsmatten Zeiten die Apologetik und die Polemik nicht ganz aus dem religionswissenschaftlichen Interesse entschwinden, so liegt es daran, daß sie eine andere Richtung erhalten haben. Sie werden gleichsam r e i n h ä u s l i c h e Angelegenheiten der je besonderen Religionswissenschaften. Sie s i n d n a c h i n n e n g e r i c h t e t . „Denn alle Theologie, also auch die Apologetik, ist in d e r K i r c h e 1 ) . " Darum werden christlich-polemische Kapitel ,,de Judaismo", ,,de Mahomedanismo" und Disputationen „cum atheis", „cum Deistis" usf. als Fehler, als — Stilfehler empfunden. Damit scheint es, als müßten diese beiden, so höchst wertvollen Betätigungen der Religionswissenschaften, eben als besonderer, für unser Interesse unfruchtbar werden. Denn wir suchen doch nach denjenigen Anstrengungen der besonderen Religionswissenschaften, durch die im unausgesetzten Tiefengang der eigenen Selbstrechti'ertigung und aus der Erzwingung der Selbstrechtfertigung der anderen besonderen Wissenschaften der Weg zu einer Einheit aller Offenbarungsweisen beschritten werde. Aber nun wird in der religionswissenschaftlichen Arbeit ein Gegensatz zum Ausdruck gebracht, der den apologetischen und polemischen Bemühungen Schritt für Schritt das wieder zurückgibt, was sie durch diese Nach-Innen-Wendung an Wert für unsere Forderung einer Einheit aller besonderen Offenbarungswege verloren hatten. Dieser Gegensatz ist der von s i c h t b a r e r u n d u n s i c h t b a r e r K i r c h e . Schleiermacher sagt über diesen Unterschied 2 ): „Kirche und Welt sind räumlich und äußerlich nicht getrennt; das heißt: Glaube und Gemeinschaft des Glaubens ist J
Anm.
) Mit Berufung auf Schleiermacher: Sack, Christi. Polemik a. a. O. S. 2 ) Der christl. Glaube, a . a . O . S. 441 ff.
285
—
gemischt mit Sünde und Gemeinschaft der allgemeinen Sündhaftigkeit. Dieses Gemisch ist die s i c h t b a r e K i r c h e ; aber die Gesamtheit aller Wirkungen des G e i s t e s , die unsichtbar innerhalb jenes Gemenges gegen die Welt wirksam ist, ist die u n s i c h t b a r e K i r c h e . " — Wir sehen ab von der Art, in der dieser Gegensatz begründet wird; als wäre die s i c h t b a r e K i r c h e ein unerträgliches Gemenge von Geist mit Welt, das soll heißen: mit Sündhaftigkeit; dieser Gegensatz ist methodisch untauglich. Wir achten darauf, was dieser verengt theologische Gegensatz r e l i g i o n s w i s s e n s c h a f t l i c h besagen soll: ,, K e i n e v o n d e r s i c h t b a r e n K i r c h e ausgehende D a r s t e l l u n g christlicher Frömmigkeit trägt' l a u t e r e u n d v o l l k o m m e n e W a h r h e i t in s i c h 1 )." Um deswillen bedarf die Religionswissenschaft der Apologetik und Polemik, die nun und e b e n d a r u m nach innen zu richten sind. Erst in u n e n d l i c h e r religiöser S e l b s t v e r t i e f u n g und S e l b s t r e i n i g u n g gelangt das religiöse Erleben zur „unsichtbaren Kirche", zur „Offenbarung" des „Geistes". In diesem Gegensatz der beiden Kirchen kommt zum Ausdruck, daß „Offenbarung" total und unbegrenzt Forderung bleibt; dadurch entspricht dieser Gegensatz unserer e r s t e n Kategorie. Aber aus dem eigenen methodischen Leben der apologetischen und polemischen Interessen wird dieser Gegensatz für die dritte Forderung brauchbar. Das, was die „sichtbare Kirche" von der „unsichtbaren" fernhält, ist eine m a n n i g f a l t i g e Sorge des religiösen Erlebens, eine M a n n i g f a l t i g k e i t des „Irrtums". So geht denn auch die Apologetik und Polemik von mannigfaltigen Ausgangspunkten aus in religiöse Erlebenstiefen, in „Offenbarung"; auf allen diesen mannigfaltigen Wegen zur einen „unsichtbaren Kirche", die das in aller Mannigfaltigkeit wirkende Eine ist. „Es gilt allgemein, d a ß d e r G e i s t b i n d e t , und daß, was löset, immer eine fleisch-iche Gesinnung sein muß 2 ). Und diese am Ende aller Dinge stehende Einheit der Offenbarungsverinnerlichungen, die Einheit kontinuierlicher Annäherung muß selbst von der P o l e m i k gefördert werden können. „Ein polemisches Verhältnis ist allerdings eine Aufhebung der Gemeinschaft, aber doch nur teilweise. Denn, wenn ein Streit über ihre miteinander unverträglichen Eigentümlichkeiten wirklich hereinbricht, so hat er doch seinen Grund lediglich in dem Interesse, welches jede an der andern nimmt, und ist daher selbst nur die Art und Weise, wie unter den gegebenen Verhältnissen eine Gemeinschaft zwischen ihnen bestehen kann 3 )." ') Der christl. Glaube S. 459.
2
) Schleiermacher S. 450.
3
) S. 452.
286 „Offenbar ist auch zwischen a l l e n Religionsgesellschaften die Kirchengemeinschaft nicht ganz aufgehoben, und so stellt sich in d i e s e m g a n z e n U m f a n g e die E i n h e i t d e r u n s i c h t b a r e n Kirche her1)." Dieser Satz hebt jenes „Nach-Innen-Richten" der apologetischen und polemischen Bemühungen auf, befreit sie von der scheuklappenartigen Verengung auf gleichsam häusliche dogmatische Interessen und gibt ihnen notwendig die Tiefe und Freiheit religiösen Lebens zurück. Es ist unmöglich, daß die Behauptung, man dürfe nur von immanenter „christlicher" oder „jüdischer" Apologetik reden, mehr sein kann als eine Z e i t f o r m e l ; die Religionswissenschaft wird sich von ihr befreien, sobald sie wahrhaftem religiösen Erleben zu dienen sich bemüht. Wie es der Geist neuerer protestantischer Bibelkritik beweist. Darum kann auf diese Arbeit der neueren protestantischen Theologie Hermann Cohen, der große Apologet und Polemiker des J u d e n t u m s , sich berufen. „Die Bibelkritik der protestantischen Theologie ist das beste Gegengift gegen den Judenhaß. Der P r o p h e t i s m u s ist als U n i v e r s a l i s m u s nunmehr erkannt. Und die s o z i a l e Predigt der Propheten ist als ein sittliches Urelement der Religion fest begründet. Der M e s s i a n i s m u s wird sich bei ihnen der christologischen Umdeutung für die individuelle Erlösung auch noch entäußern lernen 2 )." Mit der neueren protestantischen Bibelkritik ist die Apologetik und Polemik ihrer Verengung auf Innenarbeit ganz entwachsen. Sie werden als Weisen religionswissenschaftlicher Arbeit sowohl nach innen wie auch nach außen gerichtet. Alle besonderen Religionen bedürfen einander. „Wir halten fest an der Zuversicht, daß die echten geistigen und sittlichen Kräfte der Religionen schon aus der Logik ihrer Tendenz heraus zu innerlicher Versöhnung und zu verbündeter Kulturarbeit streben müssen. Ihre Kämpfe, wenn sie nur wenigstens im Zusammenhang mit den Mitteln der Wissenschaft geführt werden, müssen zur Ausgleichung der dogmatischen Gegensätze hintreiben 3 )." Die Worte, die der Jude Hermann Cohen spricht, sind Worte eines reinsten Gewissens im religiösen Erleben. Und dieser Jude muß für alle gesprochen haben, denen die Aufgabe auferlegt ist, ihrer „sichtbaren Kirche" zu dienen zur Reinigung in die „unsichtbare". Denn alles religiöse Erleben muß in unendlicher Offenbarungstiefe der Einzigkeit Gott — Ich unbegrenzt zustreben und somit in unendlicher Annäherung unserer Forderung der Einheit des religiösen Urgrundes entsprechen. !) S. 453.
2
) Religion u. Sittlichkeit.
Berlin 1907, S. 78.
3
) S. 77.
287
—
Dazu gehört, wie in den Worten Hermann Cohens mit monumentaler Klarheit zum Ausdruck kommt, eine T o l e r a n z , die ganz und.gar frei ist vom Ungeiste eines I n d i f f e r e n t i s m u s , der mit sich fertig ist aus der Weisheit: Weil man nicht wissen könne, welche der Religionen „die richtige" sei, so müsse ein jeder eben nach seiner Façon selig zu werden versuchen. Die Toleranz, die unsere dritte Kategorie fordert, ist andrerseits ganz fern vom E i f e r e r t u m , das in jedem Andersgläubigen nur einen zu Konvertierenden sieht. T o l e r a n z ist die T r e u e des religiösen Erlebens, eine Treue, der die zarte Aufgabe zufällt, die Geheimnisse der angestammten Religion aus den Urtiefen des Erlebens des jedem ureigenen Menschentums in dieser ungebrochen e i n e n Richtung ans Licht des Erlebnisses zu heben 1 ). Je ferner „Religion" dem Dogmatisch-Formalistischen eines Bekenntnisses steht, je mehr sie der Ausdruck für die letztmögliche Vergeistigung der Erlebenseinzigkeit ist, um so mehr wird die im Bunde mit der A p o l o g e t i k solcher Religion erwachsende P o l e m i k so sich betätigen, daß die P i e t ä t in der erlebensheimatlichen Religion sich bewähren wird zugleich in der A c h t u n g u n d S y m p a t h i e für ein heimatliches Erleben aus anderen Offenbarungstiefen 2 ). Die Polemik wird nicht auf Vernichtung abzielen, sondern darauf, dem andern Anreiz und Wegweisung zu geben, daß er das ihm ureigentümliche Offenbarungsleben auch seinerseits unbegrenzt vertiefe und ergründe. So wird die Polemik aus d i e s e m Geiste der Toleranz dahin wirken, daß nirgends in aller Mannigfaltigkeit religiösen Erlebens starre Klüfte auftauchen, Verketzerungen und Entfremdungen. Aber sie soll auch verhüten, daß die Mannigfaltigkeit der Offenbarungswege zur peinlichen „Union" einer gemachten „Einen" „Idealreligion" führe, verführe. Vielmehr sollen die mannigfaltigen Religionen einander dienen, dienen zu e i n e m G a n z e n k r a f t u n b e g r e n z t e r A u s p r ä g u n g des E i n z e l w e r t e s j e d e r religiösen Erlebensf o r m . So auch stehen die Nationalitäten — als unverlierbare Besonderungen da, die alle, unbegrenzt klarer sich ausprägend, gleichwohl bestimmt sind zum Ganzen des Völkerbundes der Menschheit, der ganz frei ist vom Schattenbilde eines Kosmopolitismus. Überall dieselbe Forderung: die Mannigfaltigkeit und Besonderung nicht preiszugeben an eine erlebensunwahre Einform, sondern unbegrenzt, einander dienend zum Ganzen, sich zu erhalten, in welchem „Ganzen": Einheit in der Besonderung und Besonderung in der Einheit ist. !) Vgl. Cohen, a. a. O. S. 74.
2
) Cohen S. 76.
—
288
—
Das auch ist das Wesen der Toleranz, die wir von den besonderen Religionswissenschaften fordern um i h r e r selbst willen. In dieser T o l e r a n z geht die Treue der unendlichen Apologetik innigst zusammen mit der Polemik aus dem Geiste der Sympathie zur anderen Religion, eine Polemik, die nicht sowohl sich selbst dient als auch dem andern, nicht sowohl dem andern, als ebenso sich selbst. Denn alle Offenbarungstiefen gehen in den Urgrund „Einer Religion", dienen einander zur Kraft des eigenen Weges und damit zur Richtungseinheit auf letzte Vergeistigung alles dessen, was „Leben" heißt. § 4. Die philosophische Kategorie der Einheit der Bestimmung als Forderung der i m m a n e n t e n S y s t e m a t i k der W e l t w i r k l i c h k e i t e n d. h. die Forderung der V o l l e n d u n g . a) Die Mannigfaltigkeit der Weltwirklichkeiten. Einheit der Offenbarung war die Einzigkeit der Wahrheit, die Einheit in allen Ewigkeiten, Monalethie. Kraft ihrer war Ich-Gott eine Korrelativität. Somit ist die Monalethie das, was wir die religiöse Geistigkeit, religiöse Gesetzlichkeit nennen. Aber das Geb i e t dieser Gesetzlichkeit, die W i r k l i c h k e i t dieser Geistigkeit ist die W e l t . Somit ist E i n h e i t der Welt, E i n h e i t der Ahnungswirklichkeit, entsprechend der Monalethie, gefordert. Für diese religiöse Wirklichkeit bietet sich die Bezeichnung Kirche an; Kirche will die Wirklichkeit sein, die aus der Kraft religiöser Geistigkeit .,verfaßt ', konstiluiert ist. Und da zeigt sich, daß es eine Mannigfaltigkeit solcher „Kirchen " gibt, und daß diese Weltwirklichkeiten in der Weise ihres Lebens die Sonderung mehr denn die Vereinigung betreiben. Wir gebrauchten als entsprechend für diese Weltwirklichkeiten den Ausdruck „Kirche"; nicht, als solle es für uns dabei bleiben, sondern weil in der Geschichte des religiösen Lebens diese Gleichsetzung sich anbietet. Je deutlicher sich uns zeigen wird, daß der Forderung einer immanenten Einheit der Weltwirklichkeiten der Sinn der Kirche, soweit er geschichtlich wirksam geworden ist, widerspricht, um so mehr muß unsere vierte Forderung sich den Ansprüchen der Kirche widersetzen. Schon die einfache Formulierung des Satzes: . Die Einheit der Religion in der Mannigfaltigkeit der Religionen bedeutet die Einheit der Kirche in der Mannigfaltigkeit der Kirchen' 1 zeigt das restlos Unzutreffende. Jede daseiende Kirche will die alleinige Weltwirklichkeit darstellen; diesem Anspruch entspricht die Katholizität ihrer Geistigkeit, ihres ,,Glau-
—
288
—
Das auch ist das Wesen der Toleranz, die wir von den besonderen Religionswissenschaften fordern um i h r e r selbst willen. In dieser T o l e r a n z geht die Treue der unendlichen Apologetik innigst zusammen mit der Polemik aus dem Geiste der Sympathie zur anderen Religion, eine Polemik, die nicht sowohl sich selbst dient als auch dem andern, nicht sowohl dem andern, als ebenso sich selbst. Denn alle Offenbarungstiefen gehen in den Urgrund „Einer Religion", dienen einander zur Kraft des eigenen Weges und damit zur Richtungseinheit auf letzte Vergeistigung alles dessen, was „Leben" heißt. § 4. Die philosophische Kategorie der Einheit der Bestimmung als Forderung der i m m a n e n t e n S y s t e m a t i k der W e l t w i r k l i c h k e i t e n d. h. die Forderung der V o l l e n d u n g . a) Die Mannigfaltigkeit der Weltwirklichkeiten. Einheit der Offenbarung war die Einzigkeit der Wahrheit, die Einheit in allen Ewigkeiten, Monalethie. Kraft ihrer war Ich-Gott eine Korrelativität. Somit ist die Monalethie das, was wir die religiöse Geistigkeit, religiöse Gesetzlichkeit nennen. Aber das Geb i e t dieser Gesetzlichkeit, die W i r k l i c h k e i t dieser Geistigkeit ist die W e l t . Somit ist E i n h e i t der Welt, E i n h e i t der Ahnungswirklichkeit, entsprechend der Monalethie, gefordert. Für diese religiöse Wirklichkeit bietet sich die Bezeichnung Kirche an; Kirche will die Wirklichkeit sein, die aus der Kraft religiöser Geistigkeit .,verfaßt ', konstiluiert ist. Und da zeigt sich, daß es eine Mannigfaltigkeit solcher „Kirchen " gibt, und daß diese Weltwirklichkeiten in der Weise ihres Lebens die Sonderung mehr denn die Vereinigung betreiben. Wir gebrauchten als entsprechend für diese Weltwirklichkeiten den Ausdruck „Kirche"; nicht, als solle es für uns dabei bleiben, sondern weil in der Geschichte des religiösen Lebens diese Gleichsetzung sich anbietet. Je deutlicher sich uns zeigen wird, daß der Forderung einer immanenten Einheit der Weltwirklichkeiten der Sinn der Kirche, soweit er geschichtlich wirksam geworden ist, widerspricht, um so mehr muß unsere vierte Forderung sich den Ansprüchen der Kirche widersetzen. Schon die einfache Formulierung des Satzes: . Die Einheit der Religion in der Mannigfaltigkeit der Religionen bedeutet die Einheit der Kirche in der Mannigfaltigkeit der Kirchen' 1 zeigt das restlos Unzutreffende. Jede daseiende Kirche will die alleinige Weltwirklichkeit darstellen; diesem Anspruch entspricht die Katholizität ihrer Geistigkeit, ihres ,,Glau-
—
289
—
bens"; als Kirche ist sie in ihrer Verfassung auf Absonderung eingestellt und betätigt ihre Anmaßung, andere religiöse Weltgestaltungen als Reiche der Sünde religiös zu entwerten. Nicht das aber kann uns Einheit der Weltwirklichkeit bedeuten, daß die Besonderheiten innerhalb der Welt durch das Diktum einer einzelnen Kirche erdrückt werden. Wir haben also die ,,Kirche' : aus alledem zurückzudrängen, was wir als religiöse Weltwirklichkeit würdigen müssen. Darüber wird alsbald noch mehr zu sagen sein. Beginnen wir unsere Betrachtung also abseits der Beirrung, die aus dem Ansprüche der Kirchen droht. Es kann zunächst scheinen, daß unsere vierte Forderung, die auf die Einheit der Weltwirklichkeit geht, von vornherein nicht mehr den Sinn einer Forderung haben kann, sondern kraft unserer religiösen Kategorien eine Selbstverständlichkeit ist. Die polare Transzendenz Ich-Gott bedingte die totale Immanenz der Welt; Ich-Gott belangen einander über diese Welt; sie ist ein Ganzes, das Gebiet der Offenbarung, das inmitten absoluter Grenzen steht. Allein: ist diese — Totalität schon identisch mit der E i n h e i t der Welt ? Im Ahnungsgehalte der Totalität liegt nur, daß, was immer als Wirklichkeit sich darbietet, Nähe Gottes sei, das heißt: Gebiet der Bereichung von Ich und Gott. Aber haben wir nicht selbst die Welt in drei Gestaltungen gesehen: als Schöpfung, als messianisches Geschehen und als die heilige Welt ? Nun enthalten diese Ahnungsgestaltungen der Wrelt erinnerungshaft in sich die drei Reiche: der Natur, der Menschheit und der Persönlichkeit. Stehen nun etwa diese drei Reiche schon in einer solchen gleichgewichteten Einheit, daß die Ahnung auf ihrem Gestaltungswege nicht beirrt werden kann; daß sie aus ihnen zwangsläufig nur die eine, gleichfalls gleichgewichtete Einheit i h r e r Weltwirklichkeit gestalten könnte ? Ganz abgesehen von der Frage, ob die Ahnung im Gange ihrer Geschichte auch ihrer selbst so mächtig ist, daß sie in ihren Gestaltungen nicht suchend fehlgriffel Wir wollen nicht das ungeheure Problem des Erlebens, das aus solchen Fragen auftaucht, hier in seiner ganzen Weite bedenken. Wir wissen 1 ), wie Logik und Ethik mit diesem Problem zu ringen haben; wie z. B. die Geschichte des Gemeinschaftslebens ein Auf und Ab von Versuchen ist, eine Einheit immanenter systematischer Bezogenheit von Ökonomie, Staat und sittlicher Gemeinschaft (Gemeinde) zu erringen. Wir wollen vielmehr in einem unmittelbaren Blick uns vergewissern, daß auch die Geschichte der Religionsgestaltungen selbst ganz 1 ) Siehe „Aristoteles und Kant", „ Ethik"'u. „Neubogründung" u ö i ' U u d , Rcligionephilosopliic. ]9
—
290
—
ebenso wie alle anderen Kulturbemühungen nur ein Suchen nach einer solchen Einheit ihrer Weltwirklichkeit darstellt, in aller der Zufälligkeit, die das Schicksal der Geschichte ist. Die Religionsgeschichte möge uns zunächst lehren, in welch unversöhnlicher Mannigfaltigkeit die Ahnungswirklichkeit der S c h ö p f u n g , die religiöse Umgestaltung der N a t u r , erlebt wird. Aus gnostischem Geiste ist die Natur ein feindselig dual Zerspaltenes, eine Kampfauswirkung von Licht- und Finsternisgewalten. Der kosmogonische Wettstreit der feindlichen Urwesenheiten schaltet über den Menschen ganz, als wäre er ein Ding. Wie immer diese Kosmogonie in einem Siege des Lichts, des einen Gottes, enden möge, es ist darin kein Platz für den Erlebenssinn des Ich, das Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit belangt. Nun muß die Schöpfung das Ahnungsgebilde sein, in dem als ihrer notwendigen Vorbedingung die Welt messianischen Geschehens sich darstellen kann. Alles Geschehen der Menschen, und zwar in dieser Natur, muß ein unendlicher Zug zur Gerechtigkeit sein. Für dieses Ahnungsgebilde des messianischen Geschehens ist die Schöpfungswelt des Gnostizismus von Anbeginn an unfruchtbar und widerspricht der Forderung einer systematischen Einheit der Weltwirklichkeiten. Der griechische Volksmythos faßte die Schöpfung als Verfügungsbereich für die Absichten der Göttergeschlechter, die in sich nach Rang und Obliegenheiten gestaffelt waren. Wenn der Mensch meinte, er stände innerhalb dieses göttlichen Verfügungsbereiches der Schöpfung in einem besonderen Interesse der Götter, so war es eine ihrer selbst unsichere Naivität; er mußte bei Inanspruchnahme des göttlichen Interesses auf die schwankende Brücke des Opfers und des Orakels sich begeben, die beide den Göttern ebenso bereit waren, diese Naivität des Menschlein grausam zu ironisieren. Von erschütternder Gewalt ist die Kritik, die Äschylos im gefesselten Prometheus an dieser Naivität übt. Dieser religiöse Genius Äschylos mußte dem Volke erst zum Bewußtsein bringen, daß die Welt der Schöpfung als Verfügungsbereich für die Willkür dieser Götter untauglich war, dem religiösen Erleben in seiner Reinheit zu genügen. Sein Prometheus muß diesem Göttergeschlecht, und das heißt: dieser Gestalt der Schöpfung den Untergang voraussagen, wenn es möglich sein sollte, daß die Ahnung von einer Weltgerechtigkeit in allem Geschehen, die Ahnung des oüduv und der eiiuotpjaevri entstehe. Man könnte versucht sein, als Grund dafür, daß die griechische volksmythische Weltwirklichkeit der Schöpfung für die Einheit des
—
291
—
religiösen Erlebens untauglich ist, den Polytheismus zu setzen. Es scheint uns vielmehr, als sei er die Auswirkung, denn daß er der Ursprung dieser Unzulänglichkeit wäre; es fehlte dem griechischen Mythos der Ahnungswert der Ewigkeit als Ewigkeit der Wahrheit. Auch dafür ist der gefesselte Prometheus ein Zeuge: die Göttergeschlechter sind der Zeitlichkeit, nach Ursprung und Ende, unterworfen; ihnen gegenüber richtet sich die unpersönliche „Ewige Weltgerechtigkeit" auf, die aus sich eine neue Zeitlichkeit gestalten wird, in der die Menschen nicht mehr beirrt werden sollen, eine Zeitlichkeit, in der die Schöpfung nicht mehr die Schaubühne sein kann, auf der die göttliche Willkür Spielleiter und ergötzter Zuschauer in einem wäre. Die Geschichte hat über den griechischen Mythos gerichtet. Seine Welt war nicht ewigkeitsgehalten; sein Richter wurde der griechische Genius in Äschylos und Plato. Er mußte erst geeignet gestaltet werden, der Forderung einer immanent systematischen Einheit aller Weltwirklichkeit dienen zu können. — Aus dem Verhalten gegenüber dieser Forderung erhält eine religiöse Weltgestaltung den Charakter des Mythos oder reifer Ahnungswirklichkeit. ,,Mythos" nennen wir diejenige Gestaltung, die dem systematischen Aufstieg religiöser Weltwirklichkeit von der Schöpfung zum messianischen Geschehen bis hin zur heiligen Welt, das heißt: der V o l l e n d u n g alles E r l e b e n s , nicht zu genügen vermag. Im Mythos und durch den Mythos zerbricht diese Einheit sich vollendender Weltwirklichkeit. Durch die gegebene Definition müßte eine Scheidung von Mythos und Religion zu vollziehen sein. Während die Mythen der Schöpfung, die wir bisher erwähnten, als Mythen sich dadurch zeigten, daß die Schöpfung nicht ewigkeitsgehalten, sondern ein Kampffeld feindsinniger Urkräfte oder Herrschgebiet der Willkür war, so scheint nun die Welt des P a r a dieses von diesem allen frei zu sein. Der Wert dieses Ahnungsversuches eines Paradieses liegt gerade darin, daß Pflanze, Tier und Mensch in einem reibungslosen Beieinander leben. Wie ein stilles Lebendigsein der ewigen Seinsgesetze in jeglicher Kreatur, so steht die Schöpfung als Paradies da. Das, was dem gnostischen und griechischen Mythos geschildeter Art fehlt: die Innigkeit des Beieinander jedweder Kreatur mit jedweder andern (mag der Mensch das edelste Geschöpf dieses Paradieses immerhin sein, so besteht doch nur ein Unterschied des Mehr oder Weniger) — das gerade ist es, was doch auch diesen Ahnungsversuch der Schöpfung, das Paradies, untauglich macht, den Grund und die Vorbedingung für die andere Weltwirklichkeit des messianischen Geschehens zu 19*
—
292
—
bilden. Es konnte das Paradies nicht der Ort dessen sein, worin der Menschheit Wesen aufgeht, dessen, was wir Z u k u n f t nennen. Überall gleiche und gleichwertige Gegenwart eines friedsam satten Genügens ist der Widerspruch zur Unendlichkeit einer Aufgabe der selbstverantworteten, und das heißt: freien Gemeinschaft eines selbstzwecklichen Lebens des Geistes. Der Mensch mußte erst lirwesentlich sich abheben vom Tier, geschweige von der Pflanze; als Bewußtheit ureigener Berufung von Stumpfheit, als ein SelbUngenügen von Instinktfertigkeit. So m u ß t e d i e A h n u n g e r s t d i e S ü n d e e r f i n d e n , damit sie eine Welt für Aufgaben und unendlichen Weg und Zukunft vorbereite. Im Sündenfall schafft sich die Welt die Möglichkeit zur neuen Weltwirklichkeit der Zukunft, indem sie sich als Paradies zerstört. Es mußten die Wesen: Pflanze, Tier und Mensch, zutiefst gesondert werden, mußten voneinander und selbst gegeneinander gestellt werden in Besonderheiten des Daseins, wie immer in ewigen Gesetzlichkeiten doch gehalten. Das aber heißt: die Welt des Paradieses als Mythos preisgeben. Der Sündenfall ist somit eine notwendige Erfindung, wenn die Weltwirklichkeiten sollen in die Einheit immanenter Systematik eingehen können. Es ist das Wort zu verstehen, das da sagt, „das Gesetz" habe die Sünde offenbar gemacht; aber mit tieferem Rechte ist zu sagen, daß die Erfindung der Sünde „das Gesetz", das heißt das Geschehen der Menschheit, Weltgeschichte zur Gerechtigkeit, Zukunft möglich gemacht hat. — Werfen wir sodann einen Blick auf diejenigen Weltgestaltungen, in denen das Geschehen unseres Geschlechtes seine Ahnungswirklichkeit empfangen soll. Auch hier eine gleich unversöhnliche Mannigfaltigkeit. Zunächst mag darauf geachtet werden, wie die Ahnungserfindung des Sündenfalls sich auswirkt. Auch wir gedachten der Sünde, die gleichwohl die Bezogenheit Ich-Gott durch Reue und Gnade aufrecht erhielt. Ein anderes ist es, ob sie zerrissen wird dadurch, daß die Sünde eine unausrottbare Wurzel empfängt im r a d i k a l e n B ö s e n , und nun diese Welt des menschlichen Geschehens als „Sündenpfuhl" verworfen wird. Dann ist nur eines möglich: das Wunder der Gnade (sei es der unmittelbaren Gnade Gottes oder der mittelbaren vermöge eines Heilandes), kann v o n dieser Weltwirklichkeit befreien, ,,erlösen"; nicht, als würde dies Weltgeschehen selbst erlöst. Dann ist dies Weltgeschehen nicht ein in sich messianisch Gerichtetes, kein Geschehen in Zukunft, sondern die Trennung von ihm ist zu vollziehen durch Übergang in ein J e n s e i t s . Und nicht unser Geschlecht selbst und als ganzes
—
293
—
geht den unendlich gerichteten Weg der inneren Erlösung, sondern je einzelne werden v o n ihm erlöst, je einzelne in es verworfen. Die Bezogenheit von Reue und Gnade ist zerrissen und ersetzt durch die einseitig gerichtete, unzugängliche und unverständliche Wirkung der den einzelnen heraushebenden Gnade. Dieser A h n u n g s v e r s u c h einer Welt des radikalen B ö s e n , d e r , , E r b s ü n d e " , i s t e i n M y t h o s . Weder kann in ihm die ewigkeitsgehaltene S c h ö p f u n g als Grund und Vorbedingung sich durchsetzen, noch vermag d i e h e i l i g e W e l t in ihm ihre Vorbedingung zu erfassen. Als entgegengesetzte Gestaltung können wir die Weltgestaltung des „auserwählten Volkes" ins Auge fassen. Im jüdischen Volk entwickelt sich dieser Ahnungsversuch als H e n o t h e i s m u s , in dem der jüdische Gott, als der mächtigste, die Götter der anderen Völker überwindet und vernichtet; und im „eigenen" Volke fand der im Kampfe um Alleinherrschaft mächtigste aller Götter das Werkzeug, eine Weltwirklichkeit des menschlichen Geschehens zu schaffen, die das Analogon des göttlichen Kräftemaßes ist. Wie dieser Gott eines Henotheismus zum alleinigen Gott wird, so wird auch die nationale Kraft des „erwählten Volkes" zur Weltkraft werden. Dieser Ahnungsversuch einer Weltwirklichkeit ist der Henotheismus, ist ein Mythos. Er mußte zersetzt werden, wenn die Ahnung sollte zur Reinheit ihrer Gestalt messianischen Menschheitsgeschehens gelangen können. Denn Menschheit heißt nicht das aus einem nationalen Imperialismus zu bändigende Ganze aller Menschen, sondern ist die Idee einer Gemeinschaft freier Wesen, deren Wirklichkeit als messianische Zukunft der Gerechtigkeit geahnt wird. Von diesem Henotheismus, der den Mythos der Weltwirklichkeit eines auserwählten Volkes erzeugte, mußte der religiöse Genius des jüdischen Volkes befreit werden; es geschah durch die Katastrophen, die das nationale Bewußtsein des Judentums in der Geschichte ertragen mußte. In diesen Schicksalsfällen des Volkes konnte die Ahnungstiefe der Propheten Halt nur gewinnen in einer Hoffnung auf ,,den gerechten Gott", der nun als einziger Gott ahnungsmöglich wurde und dem als Weltwirklichkeit alles Geschehens die messianische Menschheit entsprechen mußte. Weder jener Ahnungsversuch, die Welt als Wirklichkeit des radikalen Bösen zu sehen, noch der andere, einer Welt im Sinne des Imperialismus eines henotheistisch-nationalen Geistes vermag die Voraussetzung zu sein für die Ahnungsgestalt der heiligen Welt in der jedwedes Ding wesenhaft, Weitheit ist und als Weitheit
—
294
—
unun temheidbar von Ichheit und Gottheit. Es handelt sich also in beiden Ahnungsversuchen um Mythen. — Es bleibt nur noch übrig, zu erwägen, ob die dritte Gestalt nun der Welt, die wir als die heilige Welt bezeichneten, der Ahnung in eindeutiger Reinheit gewiß ist, oder ob auch auf dieser Höhe der Ahnung Gestaltungen sich zeigen, die der Vollendung alles Erlebens widerstreiten. Während auf den beiden systematisch früheren Stufen den entsprechenden Religionswissenschaften um ihrer selbst willen auferlegt war, darauf zu achten und kritisch zu werten, was ihnen als Vorbedingung der Weltwirklichkeit brauchbar und was als unwertiger Mythos zurückzuweisen war, fehlt an dieser obersten Stelle der Ahnungsgestaltungen die kritisierende Instanz. Hier hat die Religionsphilosophie ihre entscheidende Aufgabe als Wächter zu erfüllen; als Wächter, daß das Erleben in seiner Reinheit, d. h. als Immanenz zwischen dem Urmateriale „Leben" und dem Geiste nicht bedroht werde. Die Bedrohung geschieht hier, wie schließlich auf allen Stufen, dadurch, daß die polare Transzendenz an eine absolute und die totale Immanenz der Wirklichkeit an ein Zerfallensein von Diesseits und Jenseits preisgegeben wird. Somit richtet sich die Aufgabe der Religionsphilosophie darauf, daß .die Polarität und die Immanenz des Erlebens, der Erfahrung, der Wahrheit auch hier, und hier nun entscheidend, gehütet werde. Was immer an Ahnungswirklichkeit von den Religionswissenschaften aus den religiösen Dokumenten herausgestellt werden mag, es hat, wie alle Ahnungsgesetzlichkeit, j a : wie jedwedes Erleben früherer Erlebensstufen als eine Korrelativität und Immanenz des Erlebens sich zu rechtfertigen. Dann und nur dann wird der notwendige Wechselbezug der Befruchtung eintreten vom religiösen Genius auf die Religionswissenschaften, von den Religionswissenschaften auf den religiösen Genius. Daß unser Ausgang nun an unserem Ende sich bewähre, um deretwillen gibt es Religionsphilosophie, gibt es Philosophie überhaupt: alles Erleben, alle Erfahrung ist ein in sich geschlossenes System korrelativer Besonderung inmitten des Urmateriale ,,Leben". Durch das Ganze unserer Konstruktionen einer immanenten Korrelativität des Erlebens ist nichts anderes geschehen, als die Definition gegeben unseres dialektischen Anfanges mit dem Urmateriale „Leben". Die Forderung immanenter Systematik wird nun auf dieser letzten Stufe, der der heiligen Welt, von dem Ahnungsversuch einer „Unsterblichkeit" des Individuums bedroht, einer Unsterblichkeit, in der das Individuum die Einlösung aller seiner, in der Welt der Sterblichkeit ihm unerfüllt gebliebenen Idole erhofft. Wir sprachen (II, § 1)
—
295
—
von der üblen Entwertung der Zeitlichkeit durch die Idole eines Erlebens, das das, was bestenfalls nur das Gut einer unendlichen Bemühung unseres Geschlechtes sein kann, für seine kreatürliche Endlichkeit nutznießen möchte. Wohlsein, Friede, Glück in allen Formen und in derjenigen Gestalt, die aus den Bedingungen des Lebens dieses Individuums gewißlich nicht zu erwarten war; diese Erfülltheit aller kleinen und großen Sehnsüchte soll das Weiterleben dieses wünschenden Individuums beschaffen, damit es als ebendiesselbe Individuum die Genugtuung habe, daß es die Versagungen und „Entbehrungen" in diesem Leben durch Erfüllungen und Sättigungen wieder gutgemacht genießen könne. Diese Ortsveränderung zum Zwecke ausgleichender Gerechtigkeit (nach dem Sinne und aus dem Empfindungsmittelpunkte des Individuums) nennt der Mythos ein A b b e r u f e n in e i n b e s s e r e s J e n s e i t s und E i n g e h e n i n d i e h i m m l i s c h e n W o h n u n g e n . Was in dieser schlichten Form vom naiven und seelsorgerischeu Mythos erzeugt wird, das wird von dem Raffinement kirchlicher Zucht mit Stufengebilden einer scheußlichen Phantasie versehen, die für einen Dichter der gewaltige Vorwurf zu einer göttlichen Comedia sein dürfen, aber für die religiöse Empfindung die radikale Entwertung der Welt bedeuten. Nichts ließe sich erfinden, das unversöhnlicher dem entgegenstände, was die Mystik in der erhabenen Reinheit der „heiligen Welt" erahnt hat. In ihr wird jeder Augenblick zum Moment der Unsterblichkeit, ein jedes Ding unsterblich in seiner D ingheit, die Welt wird Unsterblichkeit der Weitheit, denn sie ist Ausgepräge der Ichheit, die wesenseins ist mit Gottheit. Es ist die entwürdigende Verwendung eines Ahnungswertes der Unsterblichkeit, die sich aus dem Weiterlebeverlangen des enttäuschten Individuums den Mythos eines „Himmels" schafft, abseitig der Welt. Eine Religionsphilosophie, die in dem Bemühen, diesen Wahn zu zertrümmern, nicht ihre Aufgabe sähe, bliebe ein Trabant eines egoistisch-naiven Mythos oder seelsorgerischer Übereifrigkeit oder aber der Herrschinteressen eines Klerus. Religionswissenschaft aber wird in eben dem Maße unmöglich, als sie die Forderung einer immanenten Systematik alles Erlebens an dieser entscheidenden Stelle nicht anerkennt. Die Schöpfung (dies in Ewigkeiten der Wahrheit Gehaltene) und der Messianismus des Weltgeschehens erhalten die letzte Erfüllung in einer WTelt, in der Ichheit, weil Gottheit, allebend ahnungsgegenwärtig ist. Die h e i l i g e W e l t i s t d i e W e l t d e r U n s t e r b l i c h k e i t . In ihr erfüllt sich der immanente Systembau, in dem das eine Ahnungsgebilde einer Weltwirklichkeit von dem andern resorbiert und in
—
296
—
neuer Ahnungsgestaltung zu gesteigerter Bedeutung gebracht wird. Keines verliert seinen Eigenwert und innere Ahnungsganzheit; und gleichwohl gehen alle ineinander ein zu letzter Höhe des Erlebens, in der: Zeitlichkeit und Ewigkeit von gleichem Umfang und gleicher Tiefe sind, das bedeutet für die Ahnung die Unsterblichkeit. — Wie alle früheren geht auch diese vierte Forderung an die Religionswissenschaften, und zwar, wie alle, aus deren Bedürfnis heraus. Und sie besagt folgendes: In der Geschichte der Ahnungsversuche bietet sich eine Menge von Weltwirklichkeiten dar, seien es solche der Schöpfung oder der Weltgeschichte oder der Welt der Unsterblichkeit. Aus der Mannigfaltigkeit derjenigen Weltgestaltungen, die die besondere Religionswissenschaft als ihre Voraussetzung und ihr systematisch Früheres erfaßt, wird sie auswählend diejenige Gestaltung als ahnungsrein werten, die die von dieser besonderen Religionswissenschaft verantwortete systematisch höhere Weltwirklichkeit in ihrer Besonderheit f r e i u n d u n g e h e m m t läßt, innerhalb dieser früheren Weltgestaltung sich als eine ureigene Weltwirklichkeit zu erbauen. Was an der früheren Weltwirklichkeit die eigene Ausgestaltung der höheren Weltwirklichkeit beschränkt und verfälscht, wertet die dergestalt einschränkende und auswählende Religionswissenschaft als Mythos. Wir können diese Forderung sonach nennen die Forderung einer E i n s c h r ä n k u n g systematisch früherer Weltgestaltungen auf I n d i f f e r e n z gegenüber den eigentümlichen Bedingungen systematisch höherer Weltgestaltung. Mit dieser Forderung an die besonderen Religionswissenschaften, an sich schon um ihrer selbst willen zu erfüllen, wird zugleich dem religiösen Genius gedient. Denn je lauterer die Welt der Ahnung ist, in der der religiöse Genius erwacht, um so gestaltungssicherer wird der Genius sich regen können. Also dient auch diese Forderung, wie die übrigen, der Kraft neuen religiösen Erlebens. — Wie auf andern Wissenschaftsgebieten, sei es z. B. der Naturwissenschaften oder der Gemeinschaftswissenschaften, so kommt auch in den Religionswissenschaften die Meinung zum Ausdruck, daß die durch das Problem der Religion geforderte Einheit trotz der Mannigfaltigkeit, die das geschichtliche Faktum darbietet, allmählich sich schon von selbst machen werde; gerade so, wie ja auch die privatwirtschaftlichen Auswüchse sich überleben und die genossenschaftliche Wirtschaftsform sich kräftigt, so daß das Staatsrechtsleben schon aus der mit der Zeit sich durchsetzenden „inneren Logik" der Wirtschaft ein mehr und mehr passendes Vorgebilde für seine eigenen, inneren Bedingungen erhalte. So wird auch das
—
297
—
Heil des religiösen Erlebens der aus sich selbst geschehenden Entwicklung der Geschichte überlassen: was in der religiösen Auffassung der Natur als Schöpfung ungesund ist, wird von selbst untergehen; ebenso hinsichtlich des religiösen Verhältnisses der Menschen zum allgemeinen Geschehen unseres Geschlechtes und endlich bezüglich des religiösen Verhaltens des einzelnen zur Unsterblichkeit. Dazu bedarf es nicht der künstlichen Mahnung einer ein Richteramt sich anmaßenden Religionsphilosophie. Nun, wir halten diesem naheliegenden Einwände getrost stand. In früheren Veröffentlichungen erlaubten wir uns, darauf hinzuweisen, daß es uns nicht dem Charakter der Wissenschaft zu entsprechen scheint, etwas, was zur Notdurft und Möglichkeit der Wissenschaft gehört, dies dem Zufallsgange und der Willkür geschichtlicher Erscheinungen apriori zu überlassen. Wenn einmal die Notdurft eines immanenten systematischen Gefüges alles Erlebens und darum aller Besinnung über ihm (d. h. der Wissenschaft) erkannt ist, so möchte es des gesammelten Bewußtseins bedürfen, dieser Notdurft zu entsprechen. An diesem „Wenn" allerdings hängen alle unsere Forderungen. Geben wir es zu, so bedarf es allerdings einer nicht mehr spezifischen Stelle, diese eben allgemeinen Forderungen zu erheben; als solche nicht mehr besondere Stelle definiert sich die kritische Philosophie, die sich als solche nur kritische, d. h. richterliche, keineswegs konstruktive Befugnis zuspricht. Die Gefahr, der Geschichte schlichtweg zu überlassen, was Aufgabe der Besinnung wäre (: immanente Systematik alles Er lebens zu wahren), ist auf dem religiösen Gebiete vornehmlich deutlich geworden. Es liegt dem religiösen Erleben im Blute, diese Mission der Geschichte als eine weltgeschichtlich sich auswirkende Absichtlichkeit Gottes zu deuten und nun diese immanente Systematik als in einem Plan Gottes mit der E r z i e h u n g d e s M e n s c h e n g e s c h l e c h t s gewollt zu setzen. ß) Die Erziehung des Menschengeschlechts (Lessing). Troeltsch urteilt über die Lessingschen Gedanken mit den Worten: „Das ist das große, neue Prinzip, das die ganze Betrachtung verändert: die Religion wird als ein Inhalt des Seelenlebens betrachtet, der analog dem sittlichen Urteil und dem künstlerischen Geschmack e n t s t e h t und sich e n t f a l t e t 1 ) . " Wir müssen zusehen, ob wir uns diesem Werturteil und seiner Begründung anschließen können. x
) Preußische Jahrbücher 114, 39 (cit. nach Kretzschmar, Lessing und die Aufklärung; S. 89 Anm.).
—
298
—
Zunächst ist festzustellen, daß in Lessings Darstellung die Religionen erscheinen als Erziehungsstufen des Menschengeschlechts, durch Gott geführt. Gottes Leitmittel, daß die Menschen, sei es als Judentum oder Christentum, eine religiöse Weltwirklichkeit darstellen, ist die Offenbarung, die nach pädagogischer Vorsicht gewählt, dem Kindheits-, Knaben- und Reifezustand angepaßt wird. Immer weniger verhüllt gibt sich die Offenbarung Gottes nach der wachsenden Vernünftigkeit der zu Erziehenden. Aus dem Roheitsstande der Naturreligion entwickelt sich das Menschengeschlecht, wenn auch zunächst nur an der Stelle eines Volkes, zur Weltwirklichkeit des Einen Gottes, zum Judentum; es ist dies nur ein Ausdruck des Ü b e r g a n g e s , ist ein Transitorisches in der Offenbarungsabsicht Gottes. Es wird überwunden vom Christentum; aber auch das ist nur eine vorläufige Stelle auf dem Wege, ein gleichfalls als Unreifes zu Überwindendes; der Stand der Entwickeltheit bleibt für Lessing unter dem Horizonte. Hiernach ist die E i n h e i t der Religion kein Problem, weder der Religionswissenschaften noch der Religionsphilosophie. Es gibt nur eine Religion, nach Gesetzlichkeit und nach Welt Wirklichkeit; aber es gibt über die Zeiten ausgebreitete K l a r h e i t s s t u f e n dieser Einen Religion; es gibt eine Mannigfaltigkeit von Vorläufigkeiten; die Endbestimmtheit ist eine Frage der E n t w i c k l u n g der V e r n ü n f t i g k e i t , eine F r a g e der Z e i t . Das Wresen der „positiven" Religionen ist gerade nicht ihre Positivität, ihre Stabilität, sondern sie sind innerlichst labil, sind Versuche, in einem Fließen Halte zu kennzeichnen. Und so entsprechen die religiösen Weltwirklichkeiten, in denen Lessing das Menschengeschlecht nach seiner wachsenden „Vernünftigkeit" durch Gott entwickelt werden läßt, der Stellung des N a t i v i s m u s gegenüber der religiösen Ofienbarungsgesetzlichkeit: auch hier im Nativismus die Behauptung der Einen Religion: „Jede, auch die christliche Religion, ist insofern wirklich Religion, als sie identisch ist mit der natürlichen Religion. Christus hat nur das alte Naturgesetz, die Naturreligion wiederhergestellt 1 )." Wie stellen wir uns nun zu dem Troeltschschen Urteil ? W e n n es so wäre, daß die Religion als ein entstehender und sich entfaltender Inhalt des Seelenlebens von Lessing betrachtet wäre, so ist damit noch nichts gesagt, wenn nicht zugleich diese Inhalte a u t o n o m e , selbstverantwortete sind; davon läßt sich aus Lessings Abhandlung gerade nichts verspüren. Die religiösen Werte werden der Vernünftigkeit des Menschengeschlechts vermittelt, wenn diese Ver') Matth. Tindal, Christianity as old as the creation (zitiert nach Kretzschmar, Lessing und die Aufklärung. Leipzig 1905, S. 46, Anm.).
299 nünftigkeit als allgemeines Organ des Verständnisses, auch für Religion, genügend entwickelt ist. Daß es sich ferner um einen, gesetzlich und gegenständlich betrachtet, s p e z i f i s c h e n autonomen Inhalt des Seelenlebens bei Lessing handelte, geht wiederum aus der Abhandlung nicht hervor. Und w e n n alles dieses bei Lessing als „das große neue Prinzip, das die ganze Betrachtung verändert", vorhanden wäre, so wäre dies neue Prinzip nur erkauft worden auf Kosten der Selbständigkeit der Religionen. Denn, was scheint natürlicher, als daß ein Vermögen der Seele, das für Religiöses disponiert ist, eben als Ein Vermögen nun auch Eine Religion, Eine religiöse Welt Wirklichkeit, Ein uniformes religiöses Menschengeschlecht erzeugt. Wie es Beirrungen des seelischen Vermögens gibt, sodaß es aus der eindeutig klaren Sicherheit seines Inhalts abgelenkt wird, so gibt es auch mannigfaltige Bildungen an der Einen Religion, die aber beseitigt werden, je mehr seiner selbst bewußt dieses seelische Vermögen wird. Es ist nun aber nicht so, daß, wollen wir von einem spezifisch religiösen Inhalt des Seelenlebens, ,,analog dem sittlichen Urteil und dem künstlerischen Geschmack" reden, wir dann dieses spezifische Seelenleben als eine ununterschiedliche Einheit setzen dürften. Nehmen wir die Analogie zum „sittlichen Urteil" auf: Es ist nun einmal nicht so, daß allein das Sittliche Angelegenheit des Willens wäre; sondern auch das Ökonomische wie das Rechtliche ist Willenssache. Also läßt sich „das sittliche Urteil" gar nicht definieren ohne den allgemeinen Umfang des Willens, innerhalb dessen das Sittliche ein Spezifisches ist. Das Spezifische nun, das in Analogie zum Religiösen steht, ist gar nicht das Spezifische im Spezifischen des Willens, nämlich: der sittliche Wille, sondern eben der Wille in seinem ganzen Umfang oder „der Geschmack" in seinem ganzen Umfang, was auch Troeltsch wohl meint. Dann aber wird gerade klar, wie tief die Differenz der Ansichten hier geht: Gerade so u n a u f h e b b a r besondert und eigengesetzlich wie eigengegenständlich das Ökonomische gegenüber dem Staats-Rechtlichen und gegenüber dem Sittlichen ist, ganz ebenso eigenwertig nach Offenbarungstiefen wie nach Weltwirklichkeit sind die großen Religionsgestaltungen, in denen erinnerungshaft zu der neuen Ahnungsgestaltung der Schöpfung, des messianischen Weltgeschehens und der Welt der Unsterblichkeit die früheren Wirklichkeiten der Natur, des Gemeinschaftslebens und der Stilgestaltung der Persönlichkeit gelangen. Nicht um die Eine Religion hat sich ein .,neues, großes Prinzip" zu bemühen, sondern um die E i n h e i t der Religion i n d e r M a n n i g f a l t i g k e i t d e r R e l i g i o n e n . Sie darf nur sein die einer immanenten Systematik. Analog: wie allp
—
300
—
Willenswirklichkeiten (der Ökonomie, des Staates und der kulturellen Gemeinschaft) in eine immanente Systematik eingehen, so daß das Materiale des Staates, in d e m a l l e i n er sich wirklich zu machen imstande ist, das ö k o n o m i s c h e Leben des Volkes ist, ganz so frei und selbstwertig stehen die einzelnen religiösen Weltwirklichkeiten da, dienen einander gleichwohl, ohne an Selbstwertigkeit zu verlieren, erhalten sich um ihrer selbst willen und um der andern willen. Es ist also zu fordern, daß alle Religionen in die Einheit einer immanenten Systematik eingehen. Nichts Beirrenderes gibt es, als das Problem einer s o l c h e n Einheit zu verstehen durch die Oberflächlichkeit einer „Einheit" „des Seelenlebens". Davon wissen wirnurdurch die Ä u ß e r u n g e n dieses „Seelenlebens". Stellen d i e s e aber das Problem einer Mannigfaltigkeit, so ist nicht sie, sondern diese vorgebliche „Einheit" unter Kontrolle zu stellen. Ganz gewiß ist keine Mannigfaltigkeit als solche ein beruhigendes Ende der Besinnung; Erleben ist gefordert als Einheit des Erlebens; aber als eine solche, die eben das Faktum der Mannigfaltigkeit nicht vergewaltigt, sondern als diejenige Einheit sich durchzusetzen versucht, in der die Mannigfaltigkeit mit ihren Ansprüchen zur Geltung kommt. Das möchte die Einheit systematischer Immanenz sein. Aber sie ist eben leider nur erst eine Forderung. Denn auch die Mannigfaltigkeit ist unter Kritik zu stellen. Nicht alle Ahnungsversuche sind reine Gestaltungen der Ahnung; wir nannten sie „Mythen". Welche dieser Ahnungsgestaltungen s i n d dann aber rein, welche Mythen ? Nun, das mögen die Religionswissenschaftler ausmachen, es ist ihre Aufgabe; aber es i s t auch eine Aufgabe. Sie wäre es nicht, wenn es nur die Eine Religion als Ausdruck des Einen „Seelenlebens" gäbe; unter Annahme dieses Dogmas hätte die Mannigfaltigkeit der Religionen nur psychopathologisches I nteresse. Weil Einheit der Religion in der Mannigfaltigkeit der Religionen eine Forderung an die Religionswissenschaften ist, so bedarf es der Religionsphilosophie (als der nicht mehr spezifisch interessierten Wissenschaft), um diese Forderung lebendig zu halten. f) Von den besonderen Kirchen (Gemeinden) und den besonderen Kultsystemen. Durch unsere gesamte Religionsphilosophie ging der systematische Gedanke, daß das Problem der Religion mit dem Erleben der Einzigkeit anhebe und im Erleben der Einzigkeit sich erfülle.
—
301
—
Über die Schwelle der absoluten Einzigkeit (der Verzweiflung) hinaus rettet das Erleben sich selbst zur polaren Einzigkei: I c h G o t t , durch die (als absolute Weite der Befassung) die W e l t zum totalen Innengehalt des Erlebens wird. Das war uns die gewaltige „Paradoxie" der Ahnung, daß sie die letzte Weite der Befassung schuf durch letzte Steigerung der Verdichtung des Erlebens, durch die Einzigkeit Ich-Gott, den Monotheismus, der ahnungsidentisch ist mit Monalethie. Nun zeigt die Geschichte aller großen Religionen, daß des religiösen Erlebens sich eine G e s e l l s c h a f t s f o r m bemächtigt, die von sich behauptet, dies religiöse Erleben nicht nur zu erhalten und zu steigern, sondern in sich allererst möglich zu machen. Ob nun vom Judentum „das harte Wort 1 )" gesprochen wird: „Wer sich absondert von der Gemeinde, hat keinen Anteil am ewigen Leben", oder ob es im katholischen Christentum heißt: .,Extra ecclesiam nulla salus" (ein Satz, den auch der Protestantismus sich zu eigen gemacht hat) 2 ) — es ist die gleiche Bindung des Menschen an eine in sich geschlossene Mehrheit von Menschen, durch die allein er zum „wahrhaft" religiösen Leben soll kommen können. Nun ist für diese Gesellschaftsform ein Begriff gewählt worden, der den Sinn innigster Gemeinschaft haben soll; sie nennt sich Gemeinde, Gemeinde der Heiligen. Somit scheint es, als könne das religiöse Erleben nur als das Ergebnis aus einem gewissen Gesellschaftsstande der Menschen, der den Sinn innigster Gemeinschaft zu haben beansprucht, zustande kommen und gar nicht als die Auswirkung der Einzigkeit des Erlebens. Die Kirche (Gemeinde) nennt sich das „allein selig Machende"; die Kirche als Gemeinschaftsanstalt allein ermöglicht dem einzelnen das Heil. Wir müssen uns fragen, ob diese Gesellschaftsform der sogenannten „Gemeinde" oder der Kirche ein reines Religionsgebilde, ob sie zweitens eine Gemeinschaftsform, nach den prinzipiellen Forderungen, die man (zwar nicht an eine bloße Gesellschaft, aber doch) an eine Gemeinschaft stellen muß, ist, und ob drittens diese Versammlung von Menschen, die sich Kirche oder Gemeinde nennt, eine Wirklichkeit ist, in dem Sinne, in dem die Ahnung von „Welt" redet. Und wir haben uns bewußt zu halten, daß unsere Erfassung des religiösen Problems als eines Erlebens der Einzigkeit falsch ist, wenn diese Gesellschaftsform, genannt Kirche oder Gemeinde, dem Sinne der Religion wesentlich ist, wenn der Satz: Nulla salus extra ecclesiam wesentlich zu recht besteht, also mehr ist als eine unhalt!) Cohen, Rel. d. Vernunft S. 457. 2 ) Tschackert. Evangel. Polemik, Gotha, 1885, S. 22 u. 25 unt.
—
302
—
bare Anmaßung, religiöses Erleben an Kanon, Sakrament oder Priesterregiment zu binden. Gehen wir aus von derjenigen Gestaltung der „Gemeinde", die unserer Auffassung am gefährlichsten werden muß, sofern sie sich freihält von heilsvermittelnden, sakralen Handlungen, wie Abendmahl, letzte Ölung usw., freihält auch von der Mittlergestalt des Priesters; sofern sie also das Religiöse in der „Hingabe unserer ganzen Persönlichkeit 1 )" sieht. Es ist dann zu fragen, ob und wodurch die „Gemeinde", die Kirche eine G e m e i n s c h a f t s f o r m werden könne. Diejenige Form, die der priesterlichen Vermittlung von Gnadenwerken am meisten ledig ist, scheint die „Gemeinde" im Judentume zu sein. Hermann Cohen, dem ich in der Darstellung folge, erklärt „Gemeinde" als „die Versammlung der Beter zum Bekenntnisse des einzigen Gottes 2). Das Gemeinschaftsmittel ist hiernach also das G e b e t . Es ist sofort zu fragen, wie das Gebet, dieses Ahnungsatmen der Ich-Einzigkeit, zum Gestalter der „Gemeinde" als einer vorgeblichen religiösen Lebenswirklichkeit werden könne. Cohen sagt: Die Selbstverbindung des Individuums mit Gott kann auch im Gebet nicht individuell gefaßt werden, sondern das Gebet wird zum allgemeinen menschlichen Mittel der Verbindung mit Gott 3 ). Es w i r d vielleicht dazu gemacht; aber als Ahnungsatmen der Ich-Einzigkeit ist es nichts weniger als ein a l l g e m e i n e s menschliches Vermittlungsmittel mit Gott; soll es das werden, so muß es seinen Sinn ändern. Auf folgendem Wege vollzieht sich diese Änderung: „Die Gemeinde hat die Religion zu erhalten 4 )." Und das Gebet ist das besondere Mittel für die Erhaltung und Fortentwicklung der Gemeinde. Somit wird das Gebet nun gefaßt als T r ä g e r i n u n d F o r t e n t w i c k l e r i n a u c h d e r R e l i g i o n kraft der Gemeinde, die durch den Vollzug des Gebetes sich gestaltet. Dadurch wird die obige Definition der Gemeinde erst voll verständlich: das B e t e n d i e n t dem B e k e n n t n i s s e . Kraft des Gebetes soll sich das Bekenntnis des einzigen Gottes erhalten und fortpflanzen. In das Gebet geht die Lehre ein, es ist eine Form der Lehre. Darum muß das Gebet, als das Mittel der Lehre, die „geistigen Differenzen unter den Individuen ausgleichen 5 )", das heißt unterdrücken; so wird das Individuum untergeordnet dieser in-individualen Form der Lehre, d. h. „der Religion", d. h. der Gemeinde untergeordnet. Dadurch erklären sich nun Wendungen wie diese: „Der Mensch, der sich als Individuum gründen will, kann l
) Tschackert a.a.O. S. 17. *) S. 457. •