Rassismus als Selbstentmächtigung: Texte aus dem Arbeitszusammenhang des Projekts Rassismus/Diskriminierung 388619244X

Der alltägliche Rassismus wird hier einmal nicht den einzelnen angelastet. Das Übel liegt in den Verhältnissen. Vom Stan

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German Pages [236] Year 1996

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Table of contents :
Einleitung 4
Die Entstehung des Projekts Rassismus/Diskriminierung
»Ausländerfeindlichkeit«: Zur Funktion ihrer Psychologisierung (1983/84) 9
Politische Ausgangssituation und erste Erfahrungen (1987) 19
Der offizielle Projektantrag (1987) 31
Flüchtlingswohnheime von innen gesehen
Flüchtlingswohnheime als Mikrokosmos typischer Bewältigungs- und
Abwehrstrategien. Aus der Arbeit des Projekts Rassismus/Diskriminierung 41
Sinti und Roma: Eine neue »Problemgruppe« in der Flüchtlingsarbeit
(mit Corinna Wiesner) 75
Rassismus in der Theorie
Rassismus/Fremdenfeindlichkeit in der Psychologie/Psychoanalyse:
Theorien als Konfliktvermeidungsstrategien 85
»Rassismus/Antirassismus«:
Politische Widersprüche in theoretischen Konzepten 100
Antirassismus: Weitere Fallstricke und Problematisierungen 129
Rassistische Rede und Schweigen über Rassismus in der Öffentlichkeit 147
Selbstwidersprüche in öffentlichen Verurteilungen rassistischer Gewalt ... 148
Verleugnung des Rassismus im öffentlichen Diskurs 158
Das Boot ist voll! Typische Selbstrechtfertigungs- und Abwehrfiguren in der
Asyldebatte (mit Projekt Rassismus/Diskriminierung) 167
Rassismus und Normalisierung 199
Institutioneller Rassismus. Problematik und Perspektiven 201
Literaturverzeichnis / Quellenangaben 221
Personenregister 230
Sachregister 232
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Rassismus als Selbstentmächtigung: Texte aus dem Arbeitszusammenhang des Projekts Rassismus/Diskriminierung
 388619244X

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Ute Osterkamp

Rassismus als Selbstentmächtigung

Rassismus als Selbstentmächtigung Texte aus dem Arbeitszusammenhang des Projektes Rassismus/Diskriminierung Der alltägliche Rassismus wird hier einmal nicht den einzelnen angelastet. Das Übel liegt in den Verhältnissen. Vom Standpunkt Kritischer Psychologie wird nach Formen von Abwehr, Rechtfertigung und Konfliktvermeidung gefragt, mit denen die Subjekte den »institutionellen Rassismus« verarbeiten. Neben Diskurs- und Medienanalysen werden vor allem Ergebnisse eines Forschungsprojekts vorgestellt, das als einziges seiner Art in der Bundesrepublik die Beziehungen zwischen Flüchtlingen und Mitarbeiterinnen von Wohnheimen untersucht hat. Ute Osterkamp forscht seit mehr als zehn Jahren über die Entstehungsbedingungen von Rassismus. Dieser Band enthält ihre wichtigsten Arbeiten aus diesem Zusammenhang. Klaus Holzkamp hat sie noch kurz vor seinemTod zusammengestellt, redigiert und eingeleitet.

Argument-Sonderbände Neue Folge ISBN 3-88619-244-X 29,00 DM/225 ÖS/30,00 SF

Ute Osterkamp

Rassismus als Selbstentmächtigung Texte aus dem Arbeitszusammenhang des Projektes Rassismus/Diskriminierung

Mit einer Einleitung von Klaus Holzkamp

Argument-Sonderband Neue Folge AS 244

Redaktion: Klaus Holzkamp

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Osterkamp, Ute: Rassismus als Selbstentmächtigung: Texte aus dem Arbeitszusammenhang des Projekts Rassismus/Diskriminierung / Ute Osterkamp. Mit einer Einl. von Klaus Holzkamp. Berlin; Hamburg: Argument-Verl., 1996 (Argument-Sonderband; N.F., AS 244) ISBN 3-88619-244-X NE: Das Argument / Sonderband Originalausgabe Alle Rechte vorbehalten © Argument Verlag Berlin - Hamburg 1996 Rentzelstraße 1,20146 Hamburg Telefon 040 / 45 36 80 - Fax 040 / 44 51 89 Umschlag nach Entwürfen von Wolfgang Geisler, Berlin, unter Verwendung eines Bildes von Hieronymus Bosch Texterfassung durch die Autorin Fotosatz: Steinhardt, Berlin - Druck: Alfa-Druck, Göttingen Gedruckt auf säure- und chlorfreiem Papier Erste Auflage

Einleitung

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Die Entstehung des Projekts Rassismus/Diskriminierung

»Ausländerfeindlichkeit«: Zur Funktion ihrer Psychologisierung (1983/84) Politische Ausgangssituation und erste Erfahrungen (1987) Der offizielle Projektantrag (1987)

9 19 31

Flüchtlingswohnheime von innen gesehen

Flüchtlingswohnheime als Mikrokosmos typischer Bewältigungs- und Abwehrstrategien. Aus der Arbeit des Projekts Rassismus/Diskriminierung Sinti und Roma: Eine neue »Problemgruppe« in der Flüchtlingsarbeit (mit Corinna Wiesner)

41 75

Rassismus in der Theorie

Rassismus/Fremdenfeindlichkeit in der Psychologie/Psychoanalyse: Theorien als Konfliktvermeidungsstrategien »Rassismus/Antirassismus«: Politische Widersprüche in theoretischen Konzepten Antirassismus: Weitere Fallstricke und Problematisierungen

85 100 129

Rassistische Rede und Schweigen über Rassismus in der Öffentlichkeit 147

Selbstwidersprüche in öffentlichen Verurteilungen rassistischer Gewalt ... 148 Verleugnung des Rassismus im öffentlichen Diskurs 158 Das Boot ist voll! Typische Selbstrechtfertigungs- und Abwehrfiguren in der Asyldebatte (mit Projekt Rassismus/Diskriminierung) 167 Rassismus und Normalisierung

199

Institutioneller Rassismus. Problematik und Perspektiven

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Literaturverzeichnis / Quellenangaben Personenregister Sachregister

221 230 232 ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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Einleitung

Dieses Buch hat sicherlich zunächst die übliche Funktion einer Aufsatzsammlung: Hier sollen Texte, die verstreut an verschiedenen Orten, in teilweise (für manche) schwer zugänglichen Publikationsorganen veröffentlicht wurden ergänzt durch einige bisher unveröffentlichte Papiere leichter verfügbar und für die laufenden Diskussionen nutzbar zu machen sein. Darüber hinaus verdeudicht sich durch die (Wieder-)Veröffendichung der Texte in einem Buch aber auch ein Zusammenhang, der nicht nur daher rührt, daß sie von der gleichen Autorin stammen: Der (wenn auch verschiedenartige und verschieden enge) Bezug aller Arbeiten auf das Projekt Rassismus/Diskriminierung, dem Ute Osterkamp angehört und das seit 1986 regelmäßig (im türkisch-deutschen Nachbarschaftsladen »elele« in der Liberdastraße, Berlin-Neukölln) zusammentrifft. Das Projekt untersucht vor Ort die Beziehungen und Konflikte zwischen Flüchtlingen, Betreuerinnen, Verwaltungspersonal und Leitung in Flüchtlingswohnheimen, hauptsächlich des DRK. Daran beteiligten sich (außer der Autorin) zunächst Flüchtlinge sowie Praktikerinnen aus verschiedenen Bereichen der Ausländer- bzw. Flüchdingsarbeit; später auch einschlägig engagierte und vorerfahrene Kolleginnen aus dem Öffentlichen Dienst und dem Psychologischen Institut der FU (dessen Institutsrat das Projekt unterstützte). Mitglieder des Projekts sind oder waren: Said Akbarzadeh, Gerlinde Aumann, Isabel Bondzio, Azim Etessami, Massud Feyzee-Shandi, Konstantinos Gontovos, Sigrid Harnisch, Ina Heinze, Said Ibaidi, Reza Kazemeini, Wolfgang Keller, Ulla Lindemann, Wolfgang Lörzer, Steffen Osterkamp, Ute Osterkamp, Christoph Seeger, Petra Wagner, Corinna Wiesner. Das Projekt hat bis 1994 über zwanzig Veröffentlichungen hervorgebracht, die am Ende des Literaturverzeichnisses dokumentiert sind (Näheres zur Entstehung des Projekts in Teil I). Um den Zusammenhang der hier vorgelegten Texte zur Projektarbeit richtig einordnen zu können, muß man sich klar machen, daß es sich dabei nicht (auch nicht in Teilen) um den eigendichen Projektbericht handelt. Dieser von allen gemeinsam getragene Bericht steht vielmehr noch aus und ist gegenwärtig in Arbeit (wobei der Zeitpunkt seiner Beendigung schwer abzusehen ist): Erst dort wird das erarbeitete Material erschöpfend ausgebreitet, und erst dort werden das methodisches Vorgehen, die wissenschaftlich-politische Stoßrichtung und die während der Arbeit entstandenen Beziehungen zu politischen Instanzen und öffentlichen Einrichtungen samt der dabei auftretenden Widersprüche ausfuhrlich dargelegt. Die Aufsätze dieses Bandes verdanken sich dagegen meist aktuellen Anlässen (sind ausgearbeitete Fassungen von Referaten auf Kongressen und auf Einladung von Institutionen der Flüchtlingsbetreuung etc.), die sich naturgemäß auch in der Art der Texte ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

Einleitung

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spiegeln, wobei der (direkte oder indirekte) Rückbezug auf das Projekt ihren gemeinsamen Nenner darstellt. Wie aber ist dieser »gemeinsame Nenner« genauer zu umschreiben? Zunächst mit dem Hinweis auf den konkreten Arbeitszusammenhang des Projekts, in dem die jeweiligen Texte, mindestens aber ihre wesentlichen Thesen, ausfuhrlich diskutiert und gegebenenfalls gemäß den Gesprächsergebnissen (um-)gestaltet wurden - so daß man die Arbeiten, wenn auch in einem weiteren Sinne, zu den Veröffentlichungen »des« Projekts zählen kann (dies gilt natürlich besonders fur die Texte, an denen andere Projektmitglieder als Mitautorinnen beteiligt waren). Weiterhin stellt die Projektarbeit den empirischen Erfahrungshintergrund der Texte dar - und dies nicht nur, wo diese Arbeit direkt geschildert und kommentiert oder das Gemeinte an Beispielen daraus verdeutlicht wurde, sondern auch in vielen mehr indirekten Bezügen. Dies verweist auf den dritten Aspekt des benannten »gemeinsamen Nenners«: Eine bestimmte Art von Praxisbezug durch Einbeziehung des Standpunkts und der Perspektive der Betroffenen: Wenn man die inhumane und entwürdigende Lage der Flüchtlinge sowie die aus widersprüchlichen und behindernden politischen Vorgaben resultierenden existentiellen Belastungen der Mitarbeiterinnen in den Heimen und die daraus entstehende subjektive Problematik »hautnah« in allen Einzelheiten erfahren hat, so kann man beim Schreiben darüber schwerlich wieder den Außen- oder Drittstandpunkt einnehmen, der nach traditionellem Verständnis mit dem »wissenschaftlichen« Standpunkt zusammenfallt. Daraus versteht sich, daß sich die Projektmitglieder die Aufgabe gestellt haben, ihre theoretischen Konzeptionen vom Standpunkt und aus der Perspektive der involvierten Subjekte zu entwickeln - was dies speziell fur die hier vorgelegten Arbeiten bedeutet, wird später noch deutlich werden. Die Texte dieses Bandes stehen einerseits in einer bestimmten inhaltlichen Beziehung zueinander und reflektieren andererseits in der einen oder anderen Weise die Entwicklung des Projekts. Deswegen wurde versucht, bei der Anordnung der Texte beide Gesichtspunkte zu berücksichtigen: Sie sind zwar systematisch gegliedert, wobei in der Abfolge der Gliederungsgesichtspunkte aber auch (im großen und ganzen) jeweils spätere - zu den bisherigen hinzukommende - Betrachtungsebenen zum Ausdruck kommen. (Der Zusammenhang der Texte mit der Projektarbeit und untereinander ist, wo nötig, durch nachträglich eingefugte Kommentare erläutert worden). - Der historische Projektbezug ist in Teill am deutlichsten: Der hier abgedruckte Text wurde in eine Dokumentation der Entstehung des Projekts eingebunden; das deswegen, weil dieser Beitrag - in dem der Unterschied zwischen psychologischer und psychologisierender Fassung des Problems hervorgehoben wird - quasi den Kristallisationspunkt fur eine Arbeitsgruppe auf dem BdWi-Kongreß »Wissenschaftler gegen Ausländerfeindlichkeit« von 1984 darstellte, die ihrerseits später in die Projektgruppe ein- bzw. überging (s.u.). Dieser Teil endet mit der ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

Einleitung 6

Erstveröffentlichung des Projektantrags samt der (nachträglichen) Kommentierung seines »Schicksals«. - Teil II enthält sodann Beiträge, die sich unmittelbar auf die empirische Projektarbeit in den Flüchdingswohnheimen beziehen. Diese Texte können unter das Motto »wechselseitige Schuldzuschreibung statt Solidarität« (dies ein Untertitel des Projektnamens, s.u.) gestellt werden: Es ging (und geht) hier darum, minutiös »durch das Material hindurch« die verschiedenen Abwehr- und Rechtfertigungsfiguren herauszuarbeiten, durch welche objektive, auf politisch-institutionelle Vorentscheidungen zurückgehende Beschränkungen und Widersprüche, denen alle Mitarbeiterinnen und Flüchtlinge gemeinsam unterliegen, die subjektive Erscheinungsform bloß »sozialer« Konflikte und personalisierender Schuldzuschreibungen annehmen, so daß die Beteiligten außerstande sind, sich im Kampf gegen die inhumanen Lebensund Arbeitsbedingungen zu solidarisieren: Der Aufweis solcher Selbstentmächtigungen steht dabei natürlich immer unter der Perspektive von Möglichkeiten ihrer gemeinsamen Überwindung. - Die dominant theoretischen Beiträge in Teil III sind zwar auf jeweils bestimmte Anlässe und »Fronten« der einschlägigen konzeptionellen Auseinandersetzung gerichtet, stellen jedoch im Argumentationsduktus an kritischen Punkten Verallgemeinerungen der Resultate aus der Arbeit in den Flüchdingsheimen dar - besonders, wo, wenngleich auf anderer Ebene liegende und in anderen Formen erscheinende, subjektive Abwehr- und Rechtfertigungsfiguren gegenübergesellschaftlichen Machtinstanzen thematisiert sind: Es kommt bei den theoretischen Erörterungen letztendlich stets darauf an, die gängige Trennung zwischen politisch-institutionellen Verhältnissen und dem aufgrund seiner »Persönlichkeit« bzw. seinen Sozialisationsbedingungen »rassistischen« Subjekt zu überwinden, indem der »institutionelle Rassismus« als Voraussetzung des individuellen verdeutlicht wird. Dabei werden scheinbar bloß subjektive Äußerungen von »Rassismus« eben als unterschiedliche subjektive Abwehr- und Rechtfertigungsformen identifiziert, durch welche das Subjekt sich einerseits durch die politischinstitutionell »angebotenen« rassistischen Arrangements zur Konfliktvermeidung und um des scheinbaren individuellen Vorteils willen korrumpieren und bestechen läßt, sich aber andererseits die damit verbundene Selbstschädigung und Selbstentmächtigung systematisch verhehlt: Die traditionellen psychologisch/psychoanalytischen Rassismus-Theorien lassen sich unter diesem Aspekt oft weniger als Analysen denn als bloße »wissenschaftliche« Stilisierungen solcher Konfliktvermeidungs- und Abwehrstrategien verdeudichen, etc. - Im IV. Teil geht es dann wesentlich darum, mit dem früher erarbeiteten Konzept der Abwehr- und Selbstrechtfertigungsfiguren auch die veröffentlichte Meinung von Politikern, Verwaltungsleuten und anderen Multiplikatoren in den Massenmedien zu analysieren: Aufgrund der genauen Durcharbeitung von einschlägigen Zeitungsartikeln u.ä. wurden hier die jeweiligen öffentlichen Äußerungen daraufhin befragt, was mit dem, das jeweils gesagt wurde, tatsächlich gemeint ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

Einleitung

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ist, womit ein bestimmter Teil der konservativen, aber auch (und entgegen der Absicht der Macher) »linken« Medienwirklichkeit sich als Bestandteil und Sprachrohr des allgemeinen institutionell-rassistischen Arrangements verdeutlichen ließ. - Der Text des K 22/7 läßt deutlich werden, daß Analysen, die es nicht bei der Beschreibung und Kategorisierung rassistischer Phänomene belassen, sondern sich auf die konkreten Zusammenhänge einlassen, unter denen diese Zustandekommen, weit über den Bereich dessen hinausreichen, was üblicherweise unter »Rassismus« verstanden wird: indem sie auf die rassistischen Implikationen der herrschenden »Normalität« und Normalisierungsprozesse - einschließlich der Beteiligung der Sozialwissenschaften und insbesondere der Psychologie daran - verweisen. Aus dem Umstand, daß die hier vorgelegten Texte nicht nur in einem systematischen, sondern ebenso in einem Entwicklungszusammenhang» stehen, ergibt sich auch, daß sich deren Terminologie, besonders die Verwendung zentraler Konzepte, »mit der Zeit« geändert hat: So wird in den früheren Beiträgen - und dies, obwohl schon der erste Text dessen Kritik gewidmet ist dennoch der Begriff»Ausländerfeindlichkeit«(teils mit, teils ohne Anfuhrungszeichen) auch wieder positiv verwendet, später in einer Zwischenperiode abwechselnd mit dem Begriff »Rassismus«, bis dann nur noch von »Rassismus« (bzw. von »Ausländer-« oder »Fremdenfeindlichkeit« stets kritisch) die Rede ist und »Rassismus« sich schließlich auf das Konzept des »institutionellen Rassismus« hin einengt. Änderungen erfuhr auch die Verwendung des Oberbegriffs für die Betroffenen, insbesondere die Flüchtlinge. Zu Beginn werden sie Ausländer, dann »Ausländer«, dann Immigranten und schließlich (meist) Nichtdeutsche genannt. In solchen Begriffswandlungen spiegelt sich teilweise die theoretische Entwicklung, aber ebenso der einschlägige »Zeitgeist« in der allgemeineren Rassismus-Diskussion und in diesem Zusammenhang sicherlich auch das Bemühen, sich »politically correct« auszudrücken, wider. Man könnte sichfragen,ob es nicht vernünftig wäre, bei der hier vorgelegten Wiederveröffentlichung der Texte die Terminologie redaktionell zu vereinheidichen, also durchgehend nur die neuesten Begriffe zu verwenden. Wir haben uns nicht dazu entschließen können, und zwar nicht (nur) um der historischen Authentizität willen: In terminologischen Unsicherheiten dieser Art pflegen sich meist auch inhaldiche Unsicherheiten darüber auszudrücken, welche Sprache in dem hier zur Frage stehenden, von den Sozialwissenschaften lange vernachlässigten Gegenstandsbereich wohl die politisch wie wissenschaftlich angemessene sein könnte; eine Vereinheitlichung würde also eine theoretische Geschlossenheit vorspiegeln, die tatsächlich nicht besteht. Mehr noch: Wie aus den im V. Teil wiedergegebenen Diskussionen hervorgeht, müssen auch die jeweils »neuesten« Sprachregelungen keinesfalls das letzte Wort sein; so hat (wie sich immer deutlicher herausstellte) auch der von uns favorisierte Begriff des »institutionellen Rassismus« problematische Aspekte, ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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Einleitung 8

so daß man ihn - wenn auch vielleicht nicht gerade aufgeben/auswechseln - so doch mindestens »mit Vorsicht«, d.h. eingedenk seines vorläufigen Charakters, gebrauchen sollte. Nach alledem scheint es - auch im Hinblick auf den »Instruktionswert« des Buches - sinnvoller zu sein, die terminologischen Uneinheidichkeiten, wo sie gegeben sind, auch als solche stehen zu lassen. Dies fuhrt auf eine letzte Frage in dieser Einleitung, die der redaktionellen Behandlung der Texte anläßlich ihrer Wiederveröffendichung: Zunächst wurde dem Umstand, daß die Texte nunmehr in einem Band zusammen publiziert werden, dadurch Rechnung getragen, daß Wiederholungen so weit wie möglich durch Kürzungen oder Streichungen vermieden wurden und nur da stehen blieben, wo sie zum Verständnis des jeweils neuen Darstellungszusammenhanges unerläßlich schienen. Abgesehen davon bestanden die Schwierigkeiten bei der Vereinheitlichung der Texte gemäß dem gegenwärtigen Einsichtsstand, die mit Bezug auf die Terminologie schon erwähnt wurde, in andererWeise auch mit Bezug auf inhaltliche Aussagenzusammenhänge: Zwar bestand unserer Auffassung nach kein Problem darin, nach erneutem Lesen die eine oder andere Formulierung zu ändern. Manche Passagen spiegeln aber sozusagen epochale Beschränktheiten bestimmter politischer Positionen wider: In diesen Fällen wurde der Originaltext nicht verändert, aber durch nachträglich eingefugte Bemerkungen (kritisch) kommentiert. Die heutige Sicht kommt hier also auf verschiedene Weise, einmal durch direkte Textänderungen und einmal durch Kommentierungen von Originalstellen, zum Ausdruck. - Das Verhältnis dieses Buches zu den früher publizierten Arbeiten läßt sich also quasi als »redaktionell und inhaltlich überarbeitete, kommentierte Neuauflage« um schreiben. Die Herkunft der Texte wie die Art ihrer Überarbeitung ist im Anhang unter der Rubrik »Quellenangaben« genauer ausgewiesen. Die nachträglichen Kommentare aus heutiger Sicht - sowohl die Erläuterungen zum Darstellungsgang wie die selbstkritischen Bemerkungen zu bestimmten Passagen - sind kursiv gedruckt und von anderen kursiv gedruckten Stellen dadurch zu unterscheiden, daß sie entweder zusätzlich eingerückt oder wenn in den laufenden Text eingefugt - mit »/U.O.« abgeschlossen sind. Klaus Holzkamp

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ErsterTeil

Die Entstehung des Projekts Rassismus/Diskriminierung

»Ausländerfeindlichkeit«: Zur Funktion ihrer Psychologisierung (1983/1984)

Am 16. und 17. Dezember 1983fand in Frankfurt/M ein vom »Bund demokratischer Wissenschaftler« verunstalteter Kongreß zum Thema »Wissenschaftlergegen Ausländ feindlichkeit« statt. Für diesen Kongreß bildete sich eine Arbeitsgruppe, in der ich de folgenden Text als Referat (das dann 1984veröffentlicht wurde) hielt. Die Arbeitsgrupp beschloß - auch unter den Vorzeichen dieses Referats - nach dem Kongreß weiter zu sammenzuarbeiten und traf sich seit 1986regelmäßig. Einige Teilnehmerinnen der A G wurden dann quasi zu Gründungsmitgliedern des 1987endgültig konstituierten Projek Rassismus/Diskriminierung. Das Problem der Ausländerfeindlichkeit ist außerordentlich vielschichtig. Ich beschränke mich im folgenden Beitrag im wesendichen auf die psychologische Komponente. Bei dieser Einschränkung gehe ich davon aus, daß die »Ausländerfeindlichkeit« kein primär psychologisches, sondern ein gesellschaftlichpolitisches Problem ist: hierzulande ist sie wesendich der menschenfeindlichen Politik der Bundesregierung und des Westberliner Senats geschuldet, die in Krisenzeiten und im Rahmen der politischen Wende eine besondere Verschärfung findet. Durch diese menschenfeindliche Politik sind die Ausländer als »Randgruppe« einerseits im besonderen Maße betroffen, andererseits werden sie zugleich für diese Betroffenheit bzw. für die Krise insgesamt verantwortlich gemacht. Auf diese Weise versucht man - mehr oder weniger gezielt - die allgemeine Unzufriedenheit über die herrschende Politik gegen die Ausländer zu lenken und »die Deutschen« gegen den inneren und äußeren »Feind« zu formieren. Die Erzeugung der ausländerfeindlichen Stimmung in der Bevölkerung durch die Regierenden bzw. in der Öffentlichkeit erfolgt auf unterschiedlichen Ebenen: - etwa durch Statements wie solche des ehemaligen Westberliner Oberbürgermeisters und heutigen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, »daß die Bundesrepublik durch eine falsche Ausländerpolitik Arbeitsplätze für junge Menschen gefährde« (zit. nach Klaudia Jacobs, 1982); ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

Dritter Teil

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- dadurch, daß die Inanspruchnahme verbürgter Rechte (etwa im Rahmen der Familienzusammenführung) in der Öffentlichkeit zunehmend als Mißbrauch definiert und zum Anlaß genommen wird, diese weiterhin einzuschränken; - dadurch, daß die jahrelangen Versäumnisse gegenüber zentralen Lebensbedürfnissen der ausländischen Mitbürger (etwa im Wohnbereich, in Schule, Ausbildung etc.) sich auch auf die Lebens- und Entwicklungsmöglichkeiten der »inländischen« Bevölkerung auswirken, was sodann den Ausländern als Schuld attribuiert wird; - dadurch, daß die Ausländer im öffentlichen Sprachgebrauch als Plage und drohende Gefahr hingestellt werden, indem man von Überschwemmung, Überflutung, schleichender Landnahme, einer Zeitbombe etc. spricht: Bedrohungen, die es möglichst einzudämmen bzw. kleinzuhalten gelte etc. etc.

I. Wenn auch die »Ausländerfeindlichkeit« kein primär psychologisches Problem ist, so spielt dennoch die Psychologie im Zusammenhang mit der Ausländerfeindlichkeit eine nicht unbedeutende Rolle: indem die Politiker immer dann, wenn sie in Beweisnot geraten bzw. von den realen Ursachen der gesellschaftlichen Mißstände ablenken wollen, auf die menschliche Natur/Psyche zurückgreifen, die sie als unhinterfragbare Letztheit und damit als objektive Grenze aller politischen Bemühungen setzen. So etwa, wenn in CDU-Kreisen von dem Drang der Türken zur Ghettobildung die Rede ist, oder aber, wenn der DRK-Präsident Jürgen Schilling seine Verkündung als »psychologische Grundtatsache« hinstellt, »die nicht zur Disposition« stehe, daß nämlich das deutsche Volk in seiner großen Mehrheit nicht in einem »Völkerbrei« untergehen wolle und nicht bereit sei, »sich mit Massen von Menschen häuslich einzurichten, die es als ausgeprägt andersartig und nicht anpassungsfähig empfindet...« etc. (Die Zeit, Nr. 48,1980; vgl. auch Rolf Meinhardt, 1982). Die Politiker können jedoch nicht völlig von den konkreten gesellschaftlichen Verhältnissen abheben, für die sie von Amts wegen zuständig sind: Deswegen ist hier der Rückgriff auf die Psychologie bei der Uminterpretation gesellschaftlicher Entwicklungsbeschränkungen in individuelle Entwicklungsbeschränktheiten der durch die gesellschaftlichen Behinderungen Betroffenen noch relativ leicht durchschaubar. Anders steht es mit der traditionellen Fachpsychologie, die aufgrund ihres gängigen Selbstverständnisses von vornherein berechtigt scheint, sich in ihrem spezifischen Aufgabengebiet, der Analyse menschlichen Verhaltens und Erlebens, auf die Individuen zu konzentrieren und die Kritik/Behebung gesellschaftlicher Mißstände/Entwicklungsbehinderungen als einen Bereich zu sehen, der außerhalb ihrer Zuständigkeit liegt. Indem man aber das Verhalten der Menschen losgelöst von den ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

»Ausländerfeindlichkeit«: Zur Funktion ihrer Psychologisierung

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konkreten gesellschaftlichen Lebensbedingungen und den für den jeweils einzelnen gegebenen Handlungsmöglichkeiten und -behinderungen faßt, bleibt man notwendig und unabhängig von der jeweiligen politischen Einstellung an der Oberfläche und darauf beschränkt, das Handeln der Menschen tautologisch durch ihre individuelle »Disposition« bzw. durch ihre bloß individuelle Situation/Biographie zu erklären. Der Unterschied zwischen konservativer und vermeintlich progressiver politischer Einstellung besteht in diesem Kontext im wesendichen darin, daß die einen die ausländerfeindliche Haltung der Bevölkerung eher als einen gesunden arterhaltenden Ausdruck ihres Lebenswillens einschätzen, während die anderen hier eher eine Folge individueller Fehlentwicklung sehen, die es nach Möglichkeit nachträglich einzudämmen und zu neutralisieren gilt. So untersucht man z.B. Rassismus/Ausländerfeindlichkeit im allgemeinen in der Weise, daß man Befragungen in der Bevölkerung zu diesem Thema durchfuhrt und anhand der erhaltenen Antworten die Befragten in mehr oder weniger rassistisch Denkende aufteilt. Mehr sozialwissenschaftlich orientierte Forscher beziehen darüber hinaus die soziale Lage der Befragten als Determinante individuellen Verhaltens ein. Sie stellen dabei in der Regel fest, daß bestimmte soziale Gruppen, etwa Arbeitslose, im besonderen Maße rassistische Äußerungen zeigen. Da jedoch nicht jeder Arbeitslose rassistisch denkt, die soziale Lage also nicht eindeutig verhaltensbestimmend ist, kommt man dann letztlich doch wieder auf die psychische Disposition als eigenständige Ursache rassistischen Denkens zurück: Indem man etwa eine allgemein menschliche Fremdenfeindlichkeit (Xenophobie) oder eine besondere individuelle Fehlentwicklung/Ichschwäche fur rassistische Äußerungsformen verantwortlich macht, z.B. hinter dem rechtsradikalen Verhalten eine besondere »Selbstwert- und Identifikationsproblematik« und »extreme Geborgenheits- und Indentifikationswünsche« annimmt, die man dann wiederum auf die jeweiligen Sozialisationsbedingungen bzw. auffrühkindlicheTraumata zurückfuhrt (etwa in der Sinus-Studie, 99). Die Möglichkeit, daß die »Identitäts- und Selbstwertproblematik« sowie das »Sicherheitsstreben« durch die gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnisse bzw. die dadurch bestimmten Lebensbedingungen und durch die aktuelle Ungesichertheit und Bedeutungslosigkeit der individuellen Existenz entstehen könnte, bleibt systematisch ausgeblendet; ebenso die Tatsache, daß die Menschen nicht nur Produkte der individuellen Umwelt bzw. ihrer je individuellen Sozialisationsgeschichte sind, sondern sich zu beidem bewußt verhalten können, indem sie nicht nur aus der subjektiven Problematik heraus agieren bzw. diese als individuelles Schicksal begreifen, mit dem man sich abzufinden hat, sondern statt dessen gezielt die Voraussetzungen schaffen, um mit den objektiven gesellschaftlichen Ursachen ihrer Probleme diese selbst überwinden zu können. Das passiv-bewußtlose Verhalten, wie es in Anpassung an die kapitalistischen Verhältnisse nahegelegt ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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Dritter Teil

ist, wird somit als allgemeingültiges Modell menschlichen Verhaltens stilisiert und in seiner Problematik damit nicht mehr faßbar. Man kann derartige Psychologisierungen und die damit verbundene Handlungsunfähigkeit m.E. nur überwinden, wenn man begreift, daß die wesentliche Ursache der sogenannte »Ausländerfeindlichkeit« weder primär in der Vergangenheit der Individuen oder der menschlichen Gattung noch in lediglich individuell-zufälligen Umweltbedingungen liegt, sondern daß ihre Grundlage die durch die jeweils gegenwärtigen gesellschaftlichen Lebensverhältnisse bedingte Ohnmacht, Fremdbestimmtheit, Ausgeliefertheit und die daraus erwachsende Angst ist, durch die gesellschaftliche Entwicklung überrollt, übergangen, an die Wand, ins Abseits gedrängt zu werden etc.: eine Angst, wie sie in Krisenzeiten im besonderen Maße hervortritt. Das Gefühl der existentiellen Verunsicherung, das als Reaktion auf die mangelnde Aufgehobenheit der individuellen Existenz in der gesellschaftlichen Entwicklung »nahegelegt« ist, wird dann von den politischen Instanzen, die diese Verunsicherung mit zu verantworten haben, geschickt für ihre Zwecke genutzt: Indem sie die damit verbundene Grundstimmung der Angst, des Mißtrauens, der Aggressivität als Angst vor »Überschwemmung«, »biologischer Unterwanderung«, »völkischer Entwurzelung« etc. plastisch »authentisch« auf den Begriffbringen und gegen die »Ausländer« bzw. gegen die abstrakte Gefahr der »Überfremdung«, der Einebnung aller nationalen und individuellen Unterschiede wenden. Eine solche Einebnung der nationalen Unterschiede wird mit der Kollektivierung/Uniformierung der Massen, d.h. der absoluten Bedeutungslosigkeit/Austauschbarkeit der einzelnen gleichgesetzt, wie sie heute schon in den sozialistischen Ländern weitgehend Realität sei. Gerade aber auf Menschen, die gelernt haben, ihre »Identität« und subjektive Bedeutung in Abgrenzung/Konkurrenz zu anderen zu definieren, muß eine solche Vorstellung unmittelbar angstverstärkend wirken. Die Angst vor dem Verlust meiner »Identität« als Symptom und Instrument der eigenen Existenzsicherung auf Kosten anderer läßt sich dann mühelos in den Kampf gegen alles Fremde, Undeutsche überleiten (siehe z.B. R. Opitz 1984, und J. Sywottek 1976). Das heißt aber, daß der offizielle Begriff der »Ausländerfeindlichkeit« m.E. verschleiernde Funktion hat. Selbst von rechtsradikaler Seite kann man immer wieder hören, daß man persönlich nichts gegen Ausländer habe, daß es aber erlaubt sein müsse, »national«, an Deutschland, d.h. aber konkret: nur an sich selbst zu denken. Das, was in der Bevölkerung als »Ausländerfeindlichkeit« erscheint, ist vielmehr als Aspekt des Versuchs zu sehen, die individuelle Existenz bzw. den individuellen Vorteil unter fremdbestimmten und damit prinzipiell bedrohlichen Verhältnissen abzusichern. Daraus folgt aber, daß, wenn man die »ausländerfeindlichen« Äußerungen quasi wörtlich nimmt und der Bevölkerung als wirkliche Feindseligkeit zurechnet, man nicht nur über die realen ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

»Ausländerfeindlichkeit«: Zur Funktion ihrer Psychologisierung

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Ängste der Menschen hinweggeht, sondern diese noch zusätzlich mit der Kritik an der Äußerungsform ihrer Verunsicherung moralisch unter Druck setzt. Unter solchen Bedingungen wird dann in der Tat das eintreten, was DRKPräsident Schilling allgemein prognostiziert: nämlich daß alle aufklärerischen oder, wie er sagt, pädagogischen, seelsorgerischen und propagandistischen Bemühungen nur zur »seelischen Verhärtung« fuhren und die ausländerfeindlichen Tendenzen eher stärken als schwächen (a.a.O.). Das heißt nun nicht, wie Schilling u.a. letztendlich nahelegen, daß man der Ausländerfeindlichkeit/-angst nur dadurch begegnen kann, daß man ihre »Objekte«, d.h. die Ausländer selbst, entfernt; sondern man muß die realen Ängste, die hinter der sogenannten Ausländerfeindlichkeit stehen, in ihren wirklichen Zusammenhängen und Ursachen aufdecken und damit zugleich zugänglich machen. Das Verhalten der Menschen scheint nur in dem Maße »irrational«, d.h. durch vernünftige Argumentation unerreichbar, wie man es nicht in seinen wirklichen Motiven begreift oder sich an diesen vorbeizumogeln versucht.

II. Die Tendenz derjenigen, die sich wissenschaftlich mit dem Problem der »Ausländerfeindlichkeit« beschäftigen, vor deren eigendichen Ursachen die Augen zu verschließen, wird sicherlich dadurch gestärkt, daß man auf diese Weise den bedrohlichen Konflikten mit den Herrschenden aus dem Wege geht, d.h. die Gefahr vermeidet, selbst ins Abseits zu geraten und zum »Fremden« bzw. zum »Sicherheitsrisiko« zu werden: indem man die allgemeinen Abwehrmechanismen in Frage stellt und die Unsicherheit freisetzt, die durch diese verdeckt/eingegrenzt wurde. Wie die »ausländerfeindliche« Haltung als solche einerseits das Verhaftetsein im »Naheliegenden« bedeutet und andererseits immer auch eine Abwehr der Erkenntnis der Unzulänglichkeit dieser oberflächlichen Erklärungen und damit eine Abwehr der Erkenntnisse der wirklichen Zusammenhänge ist, so kann auch die Art und Weise, wie die Wissenschaft: die Frage der Ausländerfeindlichkeit angeht, eine Abwehr sein: Indem man auch hier der Oberfläche verhaftet bleibt und die ausländerfeindliche Haltung unmittelbar den Personen zurechnet, die diese Haltung offen zeigen. Durch den »Nebenkriegsschauplatz« gegen die Ausländer, aber auch gegen die »übertriebenen« bzw. offen ausländerfeindlichen Äußerungen, ist man sich auf einmal mit den Herrschenden einig und verliert die wirklichen Ursachen der Unterdrückung/Verunsicherung, die wirklichen Gegner aus dem Auge. Das heißt konkret, daß der Begriff der »Ausländerfeindlichkeit« für alle, die ihn benutzen, möglicherweise entlastende Funktion hat. Er macht das Problem an bestimmten, mehr oder weniger eng umrissenen Personengruppen, d.h. aber immer an anderen, fest. Und zwar gewöhnlich an solchen, deren ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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Dritter Teil

Situation kaum besser als die der Ausländer ist, die also am ehesten in der Gefahr sind, ausgegrenzt zu werden und sich angesichts dieser Bedrohung nicht anders zu helfen wissen, als ihre Zugehörigkeit zur »anständigen« Mehrheit zu betonen, wofür sie wiederum keine besseren Mittel haben, als sich von den ausländischen Mitbürgern durch deren direkte Diffamierung abzugrenzen. Unter der Bedingung, daß »Gleichheit« Gleichheit des Elends und der Ohnmacht bedeutet, wird man offen für alle Parolen der »natürlichen Ungleichheit« der Menschen sein, wie sie im zunehmenden Maße wieder in der Öffentlichkeit vertreten werden. Die Rede von »Ausländerfeindlichkeit« bedeutet nicht nur ein Abwälzen des Problems auf andere, sondern auch seine Verschiebung von der gesellschaftlichen Dimension, d.h. von der Ebene des konkreten Handelns, das immer unter bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen geschieht, auf die Ebene der bloß gefühlsmäßigen Einstellung bzw. sprachlicher Äußerungen der einzelnen Individuen. Es kommt in dieser Sicht nicht so sehr darauf an, was der einzelne tut, sondern was er sagt bzw. was er fühlt. Die Situation, daß ich unter den gegebenen Verhältnissen mich genötigt sehe, »ausländerfeindlich« zu handeln, d.h. meine aktuelle Besserstellung zu meinem unmittelbaren Vorteil und für mein eigenes Fortkommen und damit gegen die weniger privilegierten Mitbürger zu nutzen, ohne wirklich etwas gegen sie zu haben, bleibt dabei unsichtbar: Etwa wenn ich mein Kind, um dessen Lebensperspektive nicht zu verbauen (sofern ich die Möglichkeit dazu habe), selbstverständlich aus einer Klasse mit »hohem Ausländeranteil« und entsprechend politisch zu verantwortenden miserablen Lernbedingungen nehme und damit aktiv dazu beitrage, die Situation der Zurückgebliebenen zu verschlechtern. Die Tatsache, daß ich persönlich nichts gegen die Ausländer habe, scheint mich wiederum automatisch von der Verantwortung für die Auswirkungen meines Tuns bzw. Unterlassens auf deren Situation freizusprechen. »Moralisch schuldig« wird nach allgemeinem Verständnis in unserer Gesellschaft nur der, der anderen absichtlich Schaden zufügt, Freude daran hat, »sadistisch« und damit zugleich Opfer schicksalhafter Verstrickungen, d.h. aber auch jeglicher persönlicher Verantwortung zumindest auf der »rein menschlichen« Ebene enthoben ist. So konnten die NS-Verbrecher z.B. für die Morde, an denen sie beteiligt waren, nur dann belangt werden, wenn sie diese aus »Mordlust« oder aus anderen »niederen« Beweggründen, etwa zur direkten persönlichen Bereicherung, begangen, nicht aber nur routinemäßig bzw. in Ausübung ihrer Pflichten angeordnet oder ausgeführt hatten. Die persönliche Verpflichtung des einzelnen, die ihm übertragenen »Pflichten« auf ihre Berechtigung und die dahinter stehenden Interessen zu überprüfen, ist im öffendichen Bewußtsein nicht präsent.

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»Ausländerfeindlichkeit«: Zur Funktion ihrer Psychologisierung

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III. Menschen haben im allgemeinen keinen Spaß daran, anderen Schaden oder Leiden zuzufügen. Sie sind zumindest unter unseren Bedingungen im allgemeinen eher spontan darauf bedacht, diesen Schaden und dieses Leiden von sich selbst fern, d.h. aber auch den Abstand zu denen, die von diesem Schaden/ Leiden betroffen sind, möglichst groß zu halten. Auf diese Weise vermeiden sie die Gefahr, in deren Nähe gerückt oder gar von diesen in Anspruch genommen zu werden und damit möglicherweise selbst in Bedrängnis zu geraten. Kennzeichnender für die Haltung großer Teile der Bevölkerung gegenüber den ausländischen Mitbürgern (bzw. zu den Mitmenschen überhaupt) als der Begriff der »Feindlichkeit« ist offensichtlich der Begriff der Gleichgültigkeit: eine Gleichgültigkeit, die, wie Kershaw (1981,286) herausstellt, während der Nazizeit auch gegenüber dem Schicksal der Juden bestand und die nicht nur tödlich für diese bzw. für alle »Fremden«/»Undeutschen« war, sondern letztendlich auch für eine große Anzahl der Deutschen selbst. Diese Gleichgültigkeit, die Abschirmung gegenüber dem Schicksal anderer, hat die Funktion, sich aus den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen und aus der »Politik« herauszuhalten, um nicht der Schonung verlustig zu gehen, die man in der jeweiligen Nische bzw. bei entsprechender »Teilnahmslosigkeit« in der Regel erfährt. Diese Gleichgültigkeit/Teilnahmslosigkeit gegenüber der Situation anderer und letztendlich damit auch gegenüber dem eigenen Leben ist Ausdruck der mangelnden Handlungsfähigkeit, der fehlenden Einflußmöglichkeiten auf den gesellschaftlichen Entwicklungsprozeß oder genauer: sie ist Ausdruck des Sichabfindens mit dieser Situation der Ohnmacht und Ausgeliefertheit, d.h. der defensiven, auf die bloße Anpassung ausgerichteten Lebensführung. Sie ist zugleich wesentliche Voraussetzung, dieses angepaßte Leben führen, d.h. die individuelle Konkurrenzfähigkeit, unbelastet durch die Anteilnahme an den Problemen anderer, aufrechterhalten zu können. Diese allgemeine Gleichgültigkeit/Teilnahmslosigkeit wird durch die bürgerlichen Ideologien auf unterschiedliche Weise nahegelegt und abgesichert. Etwa indem über bestimmte Sprachregelungen die objektive Situation verschleiert und verharmlost bzw. »versachlicht« wird, ausländische Arbeitnehmer als »Gastarbeiter« und politische Flüchdinge als »Asylanten« verhandelt werden (vgl. z.B. Essinger, 1984, und Link, 1984). Die Gleichgültigkeit/Teilnahmslosigkeit wird aber auch dadurch gestützt, daß in der bürgerlichen Wissenschaft die spezifisch menschliche - d.h. allein der Gattung Mensch zukommende und diese von allen Tierarten unterscheidende - Potenz der bewußten Bestimmung der Lebensbedingungen statt der bloßen Anpassung an diese unberücksichtigt bleibt. Das heißt nichts anderes, als daß die spontane Reaktion auf die unmenschlichen Lebensbedingungen nämlich die defensive, auf den unmittelbar eigenen Vorteil bedachte asoziale Haltung, die sich aus der Ausgeschlossenheit von der Bestimmung der ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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Dritter Teil

relevanten Lebensbedingungen ergibt - zur menschlichen Natur verabsolutiert wird, die dann im unterschiedlichen Ausmaß durch gesellschaftliche Normen überlagert, also »sozialisiert« sein soll. Während solche Auffassungen in der Humanethologie offen vertreten werden, sind sie in den mehr soziologisch orientierten Theorien eher implizit enthalten. Unter der Bedingung, daß man sich innerhalb fremdbestimmter Verhältnisse einzurichten versucht, das individuelle Handeln sich nicht in bewußter Reflexion der eigenen Interessen gründet, hat die Emotionalität nicht handlungsanleitende, sondern handlungskompensierende Funktion. Nach der oben dargestellten Logik, daß die innere Distanz zum eigenen Handeln identisch mit der Entlastung von der subjektiven Verantwortung ist, wird man diese innere Distanz im allgemeinen um so stärker hervorkehren, je härter die angeordneten oder durchzuführenden Maßnahmen gegenüber den Mitmenschen sind. Die »persönliche Integrität« erweist sich in einem solchen Denken dann darin, daß man aller äußeren Härte zum Trotz, zu der man sich im höheren Auftrag gezwungen sieht, die innerliche Menschlichkeit/Empfindsamkeit etc. bewahrt hat. Diese Haltung nimmt in der Rechtfertigungslogik ehemaliger Nazis um so groteskere Formen an, je tiefer sie in die Greueltaten des NS-Regimes verwickelt waren (vgl. z.B. Osterkamp, 1981). Aber auch in der Ausländerfrage wird die eigene Menschlichkeit im allgemeinen um so penetranter hervorgekehrt, je rücksichtsloser die vertretenen politischen Ansichten/Maßnahmen sind. So sind alle mehr oder weniger verschleierten »Ausländer-raus«-Parolen ihren Vertretern zufolge nicht nur am Wohle der Menschheit als solcher (der Erhaltung der »Rassenvielfalt« oder der »Reinheit des Erbgutes« etc.), sondern zugleich am Interesse der Ausländer selbst ausgerichtet. Man will die Ausländer weg haben, um sie vor dem Zorn der Deutschen, aber auch vor dem Schicksal psychisch/völkischer Entwurzelung zu bewahren. Und man beweist seine eigene Feinsinnigkeit und seinen Idealismus zugleich darin, daß einem diese Gefahr der seelischen Entwurzelung schwerwiegender als das wirtschaftliche Elend (der anderen) erscheint.

IV. Die Ausländerfeindlichkeit ist nicht, wie dargestellt, lediglich psychologisch, d.h. aus sich selbst heraus, zu erklären. Sie ist auch nicht Ausfluß eines bestimmten gesellschaftlichen Zustands, etwa die zwangsläufige Folge ökonomischer Krisen und der herrschenden Politik. Und sie ist ebensowenig das Ergebnis des Zusammenspiels solcher (angeborener oder erworbener) individueller Dispositionen und gesellschaftlicher Einwirkungen. Die Menschen sind eben nicht, wie in den bürgerlichen Wissenschaften nahegelegt, bloße Produkte ihrer naturgeschichtlichen und individuellen Entwicklung einerseits und/oder ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

»Ausländerfeindlichkeit«: Zur Funktion ihrer Psychologisierung

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der aktuellen Umwelteinflüsse andererseits. Die Spezifik ihrer Existenz besteht vielmehr darin, daß sie sich bewußt sowohl zu den äußeren Lebensbedingungen wie auch zu ihrer eigenen Gewordenheit verhalten können: indem sie im Wissen um die Bedeutung der konkreten Realität fur die subjektive Situation/Befindlichkeit die Voraussetzungen dafür schaffen können, um ihren Bedürfnissen und Vorstellungen gemäß zu leben, und indem sie zugleich die Fähigkeit haben zu überprüfen, wieweit die spontanen Handlungstendenzen mit ihren angestrebten Zielen bzw. der Erweiterung ihrer Handlungsmöglichkeiten zur prinzipiellen Verbesserung ihrer Lebensbedingungen im Einklang oder Widerspruch stehen. Die menschliche »Spontaneität« unter Bedingungen der Fremdbestimmtheit und der Abhängigkeit vom Wohlwollen anderer bedeutet immer Unterwerfung und damit die Bestätigung der Unterdrückung. Dies zu begreifen, ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, daß man sich diesen spontanen Impulsen zu widersetzen, d.h. die Bedingungen zu schaffen sucht, unter denen diese nicht unmittelbar verhaltensbestimmend werden. Auf das Problem der Ausländerfeindlichkeit übertragen, bedeutet das: Die »Ausländerfeindlichkeit« ergreift nur dann von den Menschen Besitz, wenn sich diese anpassen, d.h. der äußeren Bedrohung durch die Demonstration individuellen Wohlverhaltens zu begegnen und sich von den unmittelbar Gefährdeten so scharf wie möglich abzugrenzen suchen - in der vagen Hoffnung, auf diese Weise deren Schicksal und der Gleichbehandlung mit ihnen entgehen zu können. Und Ausländerfeindlichkeit wird in dem Maße der Boden entzogen, wie die Menschen der Gefahr, ins gesellschaftliche Abseits gedrängt und als Belastung bzw. als »Ballastexistenz« gehandelt zu werden, dadurch begegnen, daß sie gemeinsam für Verhältnisse kämpfen, innerhalb derer mit den gesellschaftlichen Grundlagen der Aussonderung aller »Überflüssigen«, »Nicht-Dazugehörigen« auch die Gefahr behoben ist, selbst durch die Aussonderung betroffen zu werden. Die Ressentiments zwischen in- und ausländischen Arbeitnehmern sind, wie z.B. Untersuchungen von Gert Hautsch und Bernd Semmler (1983) zeigen, u.U. bereits in dem Moment aufgehoben, wo diese den gemeinsamen Kampf gegen die existentiell bedrohlichen Maßnahmen der Unternehmensleitung, etwa gegen die Stillegung ihres Betriebes, aufnehmen. Das Fremde/Neue gewinnt nur unter der Bedingung der allgemeinen Entfremdung, d.h. der Ausgeliefertheit an die Entscheidungen anderer bzw. an die gesellschaftliche Entwicklung bedrohlichen Charakter. Wenn hier als Alternative zur individuellen Anpassung, die immer auf Kosten der Schwächeren geht und somit die zumindest indirekte Beteiligung an deren Unterdrückung bedeutet, der bewußte Kampf gegen die unterdrückenden Bedingungen herausgestellt wird, ist das Problem der »Ausländerfeindlichkeit« damit keineswegs gelöst, sondern nur so gestellt, daß man sich adäquat, d.h. wirksam mit ihm auseinandersetzen kann. Die These, daß sich das Problem der Ausländerfeindlichkeit keineswegs auf diejenigen beschränkt, ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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Dritter Teil

die sich offen zu ihr bekennen, sondern bei uns die Ausländerfeindlichkeit primär ein Merkmal der Politik der Bundesregierung und des Westberliner Senats sei, impliziert also auch, daß jeder, der diese Politik toleriert, sich objektiv ausländerfeindlich und damit letzdidi auch gegen die eigenen Interessen verhält: Dies schon deswegen, weil die Duldung des Abbaus demokratischer Rechte für bestimmte Gruppen immer auch die allgemeine Schwächung dieser Rechte und damit die Erhöhung der Ausgeliefertheit des jeweils einzelnen an die herrschenden Verhältnisse bedeutet. Wenn die herkömmliche Psychologie in ihrer unreflektierten Beschränkung auf die Erklärung des individuellen Verhaltens unter den jeweils gegebenen, als naturhaft-unveränderlich angesehenen Bedingungen die gesellschaftlichen Probleme psychologisiert und somit deren wirkliche Entstehungsbedingungen ausblendet, so ist das nicht der Wissenschaft als solcher, sondern nur ihrer spezifischen Unentwickeltheit zuzuschreiben, die allerdings dadurch abgesichert wird, daß sie für die Stabilisierung der bestehenden Machtverhältnisse funktional ist und entsprechende Anerkennung findet. In dem Maße, wie die Psychologie das Verhalten der Menschen nicht nur in der verkürzten Form der objektiven Bestimmtheit (durch individuelle Eigenarten oder äußere Einwirkungen) faßt, sondern zugleich die prinzipielle menschliche Möglichkeit berücksichtigt, die äußere Lebenswirklichkeit und damit auch die eigene »Natur« zu bestimmen, kann sie auch bei der Bewältigung des Problems der »Ausländerfeindlichkeit« außerordentlich nützlich sein: indem sie zum einen die realen Ängste, unter denen die Ausländerfeindlichkeit greift, in ihren wirklichen Entstehungszusammenhängen aufdeckt und zugleich die spontanen Versuche/Versuchungen der Individuen, den Bruch mit den herrschenden Verhältnissen, Meinungeft, Beziehungen und die damit verbundenen Risiken zu vermeiden, in ihren mannigfachen Verkleidungen und konkreten Konsequenzen analysiert. Insofern die Psychologie diese Verdrängungstendenzen und -mechanismen aufdeckt, schafft sie wesentliche Voraussetzungen dafür, daß man ihnen nicht einfach aufsitzt, sondern sich auch dazu bewußt verhalten, d.h. aber die Handlungsmöglichkeiten schaffen kann, unter denen man vor der Gefahr nicht die Augen verschließen oder sie dort suchen muß, wo man mit ihr eher fertig werden zu können meint. Für uns muß also die Einsicht praktisch werden, daß man mit der (wie auch immer verbrämten) Abgrenzung von den »Ausländern«, indem man die Basis gemeinsamen Handelns schmälert, nicht nur diese, sondern letzdich genau so sich selbst entmächtigt und daß man den Kampf um menschenwürdige Lebensverhältnisse nur gemeinsam mit allen von den gegenwärtigen Einschränkungen und Repressionen Betroffenen, also auch gemeinsam mit den »Ausländern«, erfolgreich führen kann.

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Politische Ausgangssituation und erste Erfahrungen (1987)

Beimfolgenden Text handelt es sich um ein bisher unveröffentlichtes Arbeitspapierfür die 1987förmlich konstituierte Projektgruppe als Diskussionsgrundlagefür die Planun der weiteren Arbeit. Während im Teil I die Situation der damaligen Ausländerpolitik, insbesondere in West-Berlin, dargestellt und kritisch analysiert wird, sind im Teil II di initialen Erfahrungen bei ersten Gesprächen mit Bewohnerinnen und Mitarbeiterinnen in den Flüchtlingswohnheimen berücksichtigt und ist das aus diesem Anlaß recher chierte Material dokumentiert: Daraus ergaben sich die spezifische Motivation und Zielsetzungfür die zukünftige Projektarbeit.

I. Die Ausländerpolitik ist insgesamt ein Paradebeispiel für die Zwiespältigkeit der herrschenden Politik. Während die allgemeine Ausländerbeschäftigungspolitik primär den Interessen der Wirtschaft untergeordnet ist, mißt man in der Asylpolitik aus ideologischen Gründen mit zweierlei Maß: Die politisch genehmen Flüchtlinge aus den sogenannten Ostblock-Staaten werden mit offenen Armen aufgenommen, unabhängig davon, ob sie politisch verfolgt sind oder nur aus den sonst so diskriminierten »wirtschaftlichen« Gründen kommen. So dürfen nach dem heute noch gültigen Beschluß der Innenministerkonferenz vom 26. August 1966 Menschen aus dem »Ostblock«, aus welchen Gründen sie auch immer in den Westen gekommen sind, nicht in ihr Heimadand zurückgeschickt werden. Reißmüller wiederholt nur eine gängige Auffassung, wenn er meint, der Parlamentarische Rat, als er vor ca. vierzig Jahren das Recht auf Asyl ins Grundrecht schrieb, habe »nicht an FlüchtlingsSpringfluten aus aller Welt, sondern an politische Flüchdinge (gedacht), denen es gelingt, aus dem kommunistisch beherrschten Teil Europas - für dessen Nationen wir tatsächlich eine besondere Verantwortung haben - zu entkommen« (FAZ vom 15.7.86). Flüchtlinge, für die man keine Verwendung hat bzw. die sich nicht in die antikommunistische Propaganda integrieren lassen, werden dagegen - unabhängig von ihrer existentiellen Gefahrdung - nach Möglichkeit abgeschoben. Reale Lebensbedrohung durch Krieg, Hungersnot etc. werden nicht als Asylgrund anerkannt. Folter ist nicht »asylrelevant«, wenn sie - so das Lüneburger Oberverwaltungsgericht - zur Tradition des Landes oder »zum Selbstverständnis der Sicherheitskräfte« gehört, die dieses Mittel zum Schutz ihres Staates »nicht für verwerflich halten« (Der Tagesspiegel vom 24.9.85). Die Frage, ob eine Verfolgung politisch ist, beurteilt sich - so Horst Säcker, Richter am Bundesverwaltungsgericht Berlin - nicht nach den Mitteln, sondern allein nach den Motiven der Staatsmacht. Nur wenn ein Staat bestimmte ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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Dritter Teil

Gruppen der Bevölkerung auf Grund besonderer personaler Eigenschaften oder politischer und religiöser Einstellungen verfolgt, muß Asyl gewährt werden. Sofern ein Staat - um seine Herrschaftsstruktur aufrechtzuerhalten alle, die diese infrage stellen oder bekämpfen, ohne Ansehen der Person, mit welch menschenrechtsverletzenden Mitteln auch immer, bestraft, liegt kein Asylgrund vor. Wie das Grundgesetz, so Säcker, auch dem Faschisten Asyl zugesteht, wenn er wegen seiner Gesinnung »um seine Freiheit furchten muß«, so seien andererseits Maßnahmen, die sich nicht gegen die politische Meinung als solche, sondern gegen die »beleidigende oder gewalttätige Art ihrer Kundgabe« richten, kein Asylgrund. Die Verfolgung sogenannter politischer Straftaten wie etwa »separatistischer Umtriebe« ist nach herrschender Rechtsauffassung keine politische Verfolgung im Sinne des Asylrechts. Tamilen haben z.B. keinen prinzipiellen Anspruch auf Asyl, da sie nicht um ihrer ethnischen personalen Merkmale oder um ihrer bloßen Gesinnung willen, sondern allein deshalb verfolgt würden, »weil sie selbst oder ihre militanten Kampforganisationen in ihrem Namen die Staatsgewalt aktiv bekämpfen« (FAZ vom 26.7.86; siehe auch Tagesspiegel vom 4.12.85 zum Grundsatzurteil des 9. Senats des Bundesverwaltungsgerichts über Asylbegehren von Tamilen aus Sri Lanka). Die auslesende Asylpolitik, der gemäß die Aufnahme von Flüchtlingen sich im wesentlichen danach bemißt, wieweit sie fur die eigenen wirtschaftlichen und politischen Zwecke verwertbar sind, wird immer häufiger mit dem in der Präambel des Grundgesetzes festgeschriebenen »Wiedervereinigungsgebot« begründet. Dieses fordere, so z.B. Reißmüller, eine Änderung des Asylrechts, da wir sonst »in wenigen Jahrzehnten ein wegen Überfullung von sozialen, nationalen, religiösen Konflikten erschüttertes Land mit asiatischafrikanischer Bevölkerungsmehrheit« sein werden und »das ungehinderte Einströmen von Wirtschaftseinwanderinnen aus anderen Kontinenten... schließlich dazu fuhren (werde), daß die Bundesrepublik auch ihre Tore nach Osteuropa bis auf einen Spalt schließen müsse« (Reißmüller, FAZ vom 15.7. und 29.9.86). Das »unbesonnene internationalistische Verströmen« gefährde, so der ehemalige DRK-Präsident Jürgen Schilling in dem von Heiner Geißler 1982 herausgegebenen Buch zur Ausländerpolitik, die innenpolitische Stabilität der Bundesrepublik und sei somit eine »staatspolitische Gefahr«: »Während die Bundesrepublik bei stark vergreisender deutscher Bevölkerung die Grundlagen für ein sich schnell verfremdendes Staatsvolk schafft«, würden auch in zwanzig Jahren »Mecklenburger noch Mecklenburger und Thüringer noch Thüringer« sein und die DDR sich »als Gralshüter der deutschen Traditionen...präsentieren«. Diese Furcht Schillings nimmt schon Wahnform an, wenn er als symptomatisch hervorhebt, daß »die Stadt Düsseldorf über die Einrichtung eines islamischen Gemeindezentrums diskutierte, während die Regierung in Ost-Berlin zur gleichen Zeit beschloß, das Reiterstandbild Friedrich des Großen...unter den Linden wieder aufzustellen« (127). ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

Politische Ausgangssituation und erste Erfahrungen

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Vor dem Hintergrund der Diskussion um die deutsch-nationale Identität erhält der im Sommer 1986 von bundesrepublikanischen Politikern gegen die DDR erhobene Vorwürf, daß sie über die unkontrollierte Durchreise der Flüchtlinge nach Westberlin bzw. - so Dregger - »mit herbeigekarrten Asylströmen« die Bundesrepublik destabilisieren und erpressen wolle, seine spezifische Qualität. Nachdem die DDR seit dem 1. Oktober 1986 - unter dem Druck ständig wachsender (entspannungsfeindlicher Polemik seitens der Bundesrepublik - nur noch Ausländer mit gültigem Visum in die BRD einreisen läßt, wird in jüngsten Verlautbarungen nunmehr die Gefahr der Abhängigkeit von der DDR beschworen und gefordert, daß die Bundesrepublik »aus eigener Souveränität, aus eigener Kraft« fähig sein müsse, die Zahl der Asylbewerber »dauerhaft einzudämmen« (FAZ vom 8.1.87). Um die Notwendigkeit der Abwehr der politischen Flüchdinge zu beweisen, operiert man hemmungslos mit Zahlen, die die Grenzen zur manifesten Lüge längst überschritten haben: indem man etwa die 40000 »heimatlosen Ausländer«, die ehemals von den Nazis verschleppten Zwangsarbeiter und die »Heimatvertriebenen« sowie deren Nachfahren, anführt, die fast durchweg schon seit 1945 hier ansässig bzw. aufgewachsen und längst integriert sind; oder indem man die »De facto-Flüchtlinge« mitzählt, d.h. Polen und Flüchtlinge aus anderen sozialistischen Ländern, die zwar nicht politisch verfolgt, dennoch aber »geduldet« und gegenüber den wirklichen Asylbewerbern in vieler Hinsicht bevorzugt werden; oder indem man für jeden Asylbewerber automatisch zwei bis 5 Familienmitglieder mitrechnet, obwohl viele allein kommen bzw. viele Familienmitglieder eigene Asylanträge stellen etc. (vgl. z.B. Die Zeit Nr. 33 vom 8.8.86; Der Spiegel Nr. 31, 1986). Den Vogel bei diesen Zahlenmanipulationen hat Dregger abgeschossen, der - infolge des durch das Grundgesetz gewährten Anspruchs auf Asyl - nicht nur die 15 Millionen Flüchtlinge der Welt, wie das Kohl und andere tun, sondern die ganze Weltbevölkerung auf die BRD und Westberlin »zuströmen« sieht (vgl. z.B. FAZ vom 6.9.86; Spiegel Nr. 37, vom 8.9.86). Legt man die Statistik des hohen Flüchdingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) zugrunde, ergibt sich ein wesendich weniger dramatisches Bild: Im Dezember 1985 lebten 126000 Flüchtlinge, das sind 0.2 Prozent der Bevölkerung in der Bundesrepublik einschließlich West-Berlin (FAZ vom 12.7.86). Ähnliche Taschenspielertricks wie hinsichtlich der Flüchtlingszahlen verwendet man hinsichtlich der Kosten, die durch Aufnahme der Flüchtlinge entstehen sollen. Zum einen verschweigt man, daß wesentliche Unkosten gerade durch die »Sonderbehandlung« verursacht sind, die man den Flüchtlingen, um sie abzuschrecken, angedeihen läßt und an denen wiederum sehr viele Einheimische profitieren. So ist z.B. der von Senatsseite verordnete Zwangsaufenthalt der Flüchdinge in Sammellagern, indem pro Flüchding ein entsprechendes »Platzgeld« gezahlt wird, für deren Betreiber ein lukratives ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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Dritter Teil

Geschäft/Man kann hier ohne große Anstrengungen und Voraussetzungen über 150000 DM pro Monat verdienen, eine Aussicht, die dem »Wohltätigkeitsgeschäft« auch in Kreisen Zulauf verschafft, die sich bis dahin mit allem anderen als mit der Nächstenliebe befaßten (Die Zeit vom 8.8.86). Diese Verhältnisse erinnern an New York, wo die vom Staat und von der Stadt fur die Unterbringung von Obdachlosen aufgebrachten 100 Millionen Dollar im wesentlichen Besitzern von Hotels zugute kommen, die wegen der höheren Profite zunehmend vom Tourismus auf die »Wohlfahrt« überwechseln und ihre Häuser fur die Obdachlosen zur Verfugung stellen, die, wie es im Spiegel heißt, fur die Bewohner eine Hölle, fur die Besitzer jedoch eine Goldgrube sind (Spiegel Nr. 38 vom 15.9.86). Irrefuhrend sind die Veröffentlichungen der für Asylbewerber aufgewendeten Mittel auch dadurch, daß sie nicht in Vergleich zu anderen Senatsausgaben (oder gar zu den Gewinnen, die Senat und Wirtschaft durch die Beschäftigung ausländischer Arbeiter/innen gemacht hat) gesetzt werden. Die als solche beeindruckende Summe von 44, 74 oder 100 Millionen DM, die der Westberliner Senat z.B. für die Asylbewerber im Jahr 1984, 1985 und 1986 aufgebracht haben will (Tagesspiegel vom 25.5.84 und 12.9.86), klingen eher schäbig, wenn man erfährt, daß er sich 40 Millionen allein das Spektakel kosten läßt, die »Tour de France« im Jubiläumsjahr 1987 in Berlin starten zu lassen (Spiegel Nr. 2,1987). Die Unterordnung der Asylpolitik unter die eigenen innen- und außenpolitischen Interessen heißt für den überwiegenden Teil der Flüchdinge, daß sie nicht als Menschen in Not, sondern als Last und Bedrohung behandelt werden, die man möglichst gering zu halten versucht. Diese Politik bedeutet für die Flüchdinge eine alltägliche Ausgrenzung, Erniedrigung und Entwürdigung. Genau diese Wirkung ist aber Ziel der hiesigen Asylpolitik, die, wie es der ehemalige Westberliner Innensenator und jetzige Bundestagsabgeordnete Lummer nur besonders klar auf den Begriff bringt, eine »Politik der Schikanen« ist, deren Funktion in der Abschreckung von »Scheinasylanten« und der Unterbindung des »Mißbrauchs« des Asylrechts besteht (FAZ vom 6.1.87). Gegen diese Abschreckungspolitik haben die Kirchen im Sommer 1986 protestiert. In einer ausführlichen Stellungnahme mit dem Titel »Flüchdinge und Asylsuchende in unserem Land« warnt z.B. der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) vor »Dramatisierungen«, die »nur Ängste und Aggressionen« schüren; eine Versachlichung der Diskussion sei dringlich geboten; der EKD fordert konkret, daß zwischen Flüchdingen keine Unterschiede gemacht werden dürfen und äußert zugleich »ganz erhebliche Bedenken« gegen die verschärften Visabestimmungen und die »flankierenden Maßnahmen« des Asylverfahrens wie die zwangsweise Unterbringung in Sammelunterkünften und das Arbeitsverbot. Darüber hinaus betont er, daß die starken Tendenzen, sich gegenüber Asylsuchenden abzuschotten, »der Einsicht in die ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

Politische Ausgangssituation und erste Erfahrungen

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internationale Verantwortung fur die Ursachen und für die Lösung der Flüchtlingsnot« widersprechen. Die beste Flüchtlingspolitik bestehe darin, »den Frieden, die Entwicklung und den Schutz der Menschenrechte in den Entwicklungsländern und der ganzen Welt voranzutreiben« (FAZ und Tagesspiegel vom 3.9.86; Deutsche Volkszeitung vom 12.9.86). Diese überzeugende Argumentation greifen Politiker wie z.B. der Westberliner Oberbürgermeister Diepgen wiederum auf, um die notwendige Verbesserung der Situation der Flüchtlinge im eigenen Lande als »ein Jahrhundertwerk« weit von sich zu schieben (Tagesspiegel vom 12.9.86). Die Emotionalisierung der Asylpolitik, d.h. das Schüren von Ängsten und Aggressionen gegen Asylbewerber weckt, so Michael Mildenberger, Referent für Ausländerfragen der EKD - nicht zuletzt auch durch die Zahlenmanipulationen - rassistische Vorurteile. Die Flüchdingsfrage sei »auf abstrakte Zahlen und juristische Probleme« reduziert, wobei die betroffenen Menschen und damit die eigendiche Realität völlig aus dem Blick gerate (Tagesspiegel vom 3.9.86). Diese Art der Diskussion ist, wie es der stellvertretende Ratsvorsitzende der EKD, BischofJung, auf den Begriff bringt, auch wenn sie vorwiegend von den »christlichen« Parteien betrieben wird, zutiefst unchristlich (Tagesspiegel vom 24.8.86). Solche Stellungnahmen durch die Kirche hatten - trotz der täglichen alarmierenden Meldungen in Zeitungen und im Fernsehen über den »Zustrom« der Fremden und mannigfaltige »Gegenmaßnahmen« von Politikern und Bürgergruppen - unmittelbare Wirkung auf die öffendiche Meinung. So ergaben Emnid-Untersuchungen, daß im August 1986 noch 53 Prozent der Bevölkerung für eine Verschärfung des Asylrechts, im September jedoch bereits 59 Prozent dagegen waren (Spiegel Nr. 40 vom 29.9.86). Die bloße Gesinnung, wie sie sich in solchen Meinungsumfragen kundtut, bietet jedoch noch keinen Schutz davor, daß man unter dem konkreten Praxisdruck die ausländerfeindliche Politik übernimmt. Informationen über die wirklichen Fluchtgründe und die menschenunwürdige Behandlung, die Asylbewerber in unserem Land erfahren, können somit nur ein erster Schritt zur Bekämpfung der offiziellen Kampagne gegen Asylsuchende sein. Solche Aufklärung greift zu kurz und wird entsprechend unwirksam sein, wenn sie nicht gleichzeitig auf die objektiven und subjektiven Bedingungen eingeht, unter denen eine solche Kampagne greift. Die »abschottende« Haltung gegen Asylsuchende ist nicht primär Folge mangelnder Informationen über deren Situation, sondern dient vielmehr dazu, solches Wissen abzuwehren, um nicht gegen die herrschenden Interessen aktiv werden zu müssen und sich entsprechend zu gefährden. Das heißt: Die Ausgrenzung bestimmter Menschengruppen erfolgt nicht primär aufgrund ihrer »Fremdartigkeit«, sondern die »Fremdartigkeit« wird als solche konstituiert, um - zur kurzfristigen Sicherung der eigenen Existenz - mögliche Konkurrenten ausgrenzen zu können. Der gesellschaftlichen Funktion der Ausländerpolitik, nämlich die durch ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

Dritter Teil

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Arbeitslosigkeit, Aufrüstung, Umweltverseuchung etc. ausgelöste Verunsicherung und Unzufriedenheit der Bevölkerung gegen Gruppen zu lenken, die man ohnehin loswerden oder gefügig halten möchte, gewinnt dadurch auch eine individuelle Funktion, daß sie einen Ausweg zur Überwindung der persönlichen Existenzgefährdung zu bieten scheint, die das Einvernehmen mit den Herrschenden, die diese Verunsicherung zu verantworten haben, eher festigt als gefährdet. Die Ausgrenzung all jener, die sich nicht mehr dem herrschenden Interesse bzw. Konsens fügen, spricht - in der magischen Hoffnung, daß man nicht ausgegrenzt werden kann, wenn man doch zu jenen gehört, die ausgrenzen - gerade jene an, die selbst durch Ausgrenzung bedroht sind. Hinter der Realitätsverzerrung, die »um des lieben Friedens«, d.h. der Absicherung der individuellen Existenz unter den gegebenen Bedingungen willen, die Gefahr dort festmacht, wo man mit ihr besser fertig werden zu können meint, stehen i.d.R. massive gesellschaftliche Sanktionen, die jene erfahren, die aus dem herrschenden Konsens ausscheren und sich von den realen Ursachen ihrer subjektiven Verunsicherung nicht abbringen lassen. Ebenso wie die abwehrende Haltung vieler Deutscher gegen die »Ausländer« greift aber auch die unmittelbare Parteinahme für jene zu kurz, wenn sie sich auf die Anklage der »Deutschen« (die letztlich hinter jedem moralischen Appell steht) beschränkt und sich über deren reale Situation und Möglichkeiten hinwegsetzt. Damit wiederholt man - nur mit umgekehrten Vorzeichen - das Spiel, das sich unter den gegebenen Verhältnissen spontan ergibt und das immer im Sinne der Herrschenden ist: nämlich daß man sich mit Vorwürfen und Gegenvorwürfen lahmlegt und letztendlich enttäuscht über die allgemeine menschliche Unzulänglichkeit in Zynismus oder Resignation zurückzieht.

II. Der Kern der schikanösen, menschenfeindlich-ausgrenzenden Politik des Westberliner Senats gegenüber Asylbewerbern besteht darin, daß er den Flüchtlingen jede Selbständigkeit und Entscheidungsfreiheit nimmt. Das geschieht nicht nur durch allgemeine Kürzung der Sozialhilfe, Arbeitsverbot etc., sondern auch durch den Erlaß, daß Flüchtlingen Hilfe nur in Form von Sachleistungen zu gewähren ist. Eine solche Sachleistung ist z.B. der »Kostenübernahmeschein für Bekleidung«, in denen Menge, Gegenstand und Höchstpreise genau vorgegeben sind - und zwar erheblich unterhalb des für deutsche Sozialhilfeempfanger gelegenen Niveaus. Solch ein Schein für die drei Kinder einer iranischen Familie lautet z.B.: 3 Kinderanoraks ä 60.00 3 Hosen bzw. Röcke ä 45.00 ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

= 180.00 DM = 135.00 DM

Politische Ausgangssituation und erste Erfahrungen

3 Pullover ä 25.00 3 Hemden ä 15.00 3 Garnituren Unterwäsche ä 15.00

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= 75.00 DM = 45.00 DM = 45.00 DM

Die Familie ist, wie sie darstellt, gezwungen, diese Vorgaben - unabhängig von den subjektiven Bedürfnissen und objektiven Angeboten - genau einzuhalten; sie kann zwar für einen bestimmten Gegenstand weniger ausgeben, aber ihr ist keinesfalls erlaubt, den eingesparten Betrag auf ein anderes Kleidungsstück aufzuschlagen. Der Pullover der siebzehnjährigen Tochter darf nicht teurer sein als der des zwölfjährigen Bruders oder der dreijährigen Schwester. Ebensowenig ist es erlaubt, vom eigenen Taschengeld - selbst wenn es nur um einen Fehlbetrag von DM 2.50 geht - etwas abzuzweigen, um ein Kleidungsstück zu erstehen, das den eigenen Vorstellungen und Bedürfnissen etwas besser entspricht. Die Lage wird dadurch zusätzlich erschwert, daß man den Gutschein nur in jeweils einem Laden einlösen kann. Darüber hinaus gibt es genaue Bestimmungen über die Art der Kleidungsstücke: im allgemeinen sind Parka vorgeschrieben, weil sie eine Kapuze haben und damit eine Mütze überflüssig machen; wenn ausnahmsweise ein Mantel zugestanden wird, dann sollte er über die Knie gehen etc. Die allgemeine Logik ist offensichtlich: wer richtig friert, gibt sich auch mit völlig entstellender Kleidung zufrieden, selbst wenn er/sie sich dadurch - etwa in der Schule - zum Gespött der anderen macht und damit zusätzlich isoliert. Schließlich ist kein Asylbewerber gezwungen, in die Schule zu gehen oder seine Kinder dahin zu schicken. Kaufhäuser, die die Senatsbestimmungen großzügiger handhaben, bekommen Probleme bei der Rückerstattung der Gelder, und Verkäufer/innen, die den individuellen Bedürfnissen der Flüchdinge zu entsprechen suchen, bekommen wiederum Schwierigkeiten mit der Geschäftsleitung. Kein Wunder, wenn sie lernen, Asylbewerberinnen als zusätzliche Erschwernis ihrer Arbeitsbedingungen zu sehen, und das besonders dann, wenn diese die einschränkenden Maßnahmen unmittelbar dem Verkaufspersonal anlasten, das diese vermitteln muß. Für die Asylbewerber bedeuten diese Bestimmungen - über die unerträgliche und entwürdigende Bevormundung und die unendliche Suche nach Kleidungsstücken hinaus - selbst in Bereichen, wo man in der Regel als Kunde allgemein geachtet wird, als Sozialhilfeempfanger= Bettler bzw. »Wirtschaftsflüchtling« stigmatisiert zu werden. Eine noch zentralere, weil permanente Beschränkung der Lebensmöglichkeiten der Flüchdinge durch solche »Sachleistungen« bedeutet die Zwangseinweisung in Sammellager, in denen ihnen weitgehend jede Form sinnvoller Selbstbetätigung genommen ist und sie vielfaltigen Formen der Entmündigung und Erniedrigung ausgesetzt sind. Für die Heimbewohnerinnen sind die Sammellager, wie von ihnen immer wieder betont wird, ein Gefängnis. Außenkontakte sind schon wegen des Geldmangels bzw. der hohen Fahrkosten ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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praktisch unmöglich. Man ist von allem gesellschaftlichen Geschehen abgeschnitten. Die einzige Erholung bzw. Abwechslung besteht fur die meisten darin, um das Karree oder in den Park zu gehen, aber selbst dort sei man ständig darauf verwiesen, daß man außerhalb der Gesellschaft: steht, weniger als die übrigen Menschen gilt. Das beginnt, wie uns berichtet wurde, schon bei scheinbar geringfügigen Problemen: So muß die Mutter, wann immer andere Kinder Eis lutschen, mit der dreijährigen Tochter »Blinde Kuh« spielen, damit sie dies nicht sieht. »Nur wenn es irgendwo etwas umsonst gibt, ist Herr X und Familie dabei« sagt der Mann, dessen Selbstwertgefühl nach traditionellem Verständnis im wesentlichen durch seine Fähigkeit bestimmt ist, für die Sicherheit und das Wohlergehen seiner Familie Sorge zu tragen. Im Heim selbst sehen sich die Flüchtlinge mit willkürlichen - von Heim zu Heim unterschiedlichen - Vorschriften und Reglementierungen zugedeckt, entfremdet, erstickt, abgetötet. Die Flüchtlinge in den Sammellagern sind, so ein iranischer Jugendlicher, einem »dichten Netz von Nadelstichen« ausgesetzt. Die vielfältigen Schikanen ziehen ihnen quasi »das Mark aus den Knochen«, nehmen ihnen jeden Lebensmut. Das Schlimme ist, so die immer wiederkehrende Klage, daß man sich - selbst wenn man die deutsche Sprache beherrscht - kaum über diese Situation verständigen kann. Das Ganze ist wenig dramatisch, ein Tod in kleinen Raten, für den es keine Sprache gibt: jede einzelne Maßnahme ist für sich genommen trivial, so daß andere gar nicht verstehen können, daß man sich überhaupt darüber aufregt. Ob man nun eine Jacke nimmt oder einen Mantel, davon geht die Welt nicht unter, und sich über die Farbe eines Mantels zu erregen, beweist eigentlich nur, daß es einem noch ziemlich gut geht. Und dann ißt man eben jeden Abend die gleiche Wurst und holt sich die Post zum angegebenen Zeitpunkt und stellt die Koffer halt nicht auf den Balkon, wenn es nun einmal der Heimleitung nicht genehm ist, und Kantinenessen ist nun mal kein Luxusessen, schließlich kann in einem Heim nicht jeder machen, was er will etc. etc. Es seien eben weniger die einzelnen Maßnahmen, unter denen man leidet, als vielmehr das Gesamt dieser Maßnahmen oder noch richtiger: Die Entrechtung und Verachtung, die sich hinter diesen Maßnahmen verbirgt, sowie die Ohnmacht und Wehrlosigkeit, mit der man ihnen ausgeliefert ist. Das Kränkende bestehe vor allem darin, daß man nicht als gleichberechtigter Mensch behandelt werde, das heißt, daß die eigenen Bedürfnisse und Argumente nicht zur Kenntnis genommen und berücksichtigt, sondern nur als Anmaßung erlebt und entsprechend zurückgewiesen würden: Wer unser Brot ißt, hat dankbar zu sein, und das heißt: den Mund zu halten oder die »Freiheit« dahin zurückzukehren, wo er hergekommen ist. Angesichts der allgemeinen Polemik gegen die »Wirtschaftsflüchdinge« falle es außerdem schwer, über die eigene Situation zu sprechen, ohne Angst haben zu müssen, daß es beim Gegenüber entsprechend einrastet: »Die wollen was haben«. ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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Proteste auf der individuellen Ebene wirken zwar - da man sich nicht alles gefallen läßt und somit trotz aller Reglementierung und Fremdbestimmtheit sein »Mensch-Sein« behauptet - unmittelbar entlastend; sie bergen jedoch, wenn es bei ihnen bleibt, die Gefahr, daß der Widerstand letztlich wirkungslos oder gar kontraproduktiv ist, d.h. in der Regel keinen anderen Effekt hat, als daß man als Rädelsführer erscheint und sein eigenes Los verschlechtert. Kollektiver Widerstand der Flüchtlinge gegen ihre Behandlung ist aber nicht zuletzt auch durch die gezielte Spaltungspolitik des Senats erschwert, die sich bis auf das Weihnachtsgeld erstreckt. »Gewöhnliche« Flüchtlinge erhalten dieses z.B. nur dann, wenn sie mindestens zwei Jahre in Berlin leben. Aus dem »Ostblock« stammende Asylbewerberinnen bekommen die Weihnachtsbeihilfe dagegen sofort. Für ein konkretes Weihnachten in einem Heim sieht es dann so aus, daß einige Flüchtlinge Geld in die Hand und andere nichts bekommen, wofür sie in der Regel den Heimleiter bzw. die Flüchtlinge verantwortlich machen, die es ihrer Meinung nach verstanden haben, sich bei diesem anzuschmieren bzw. die Leerausgegangenen auszutricksen. So kann es vorkommen, daß das kleine Trostgeschenk, das sich der Heimleiter für jene, die kein Weihnächtsgeld erhalten, ausgedacht hat, von diesen als Verhöhnung bzw. als Zwang, sich für die erfahrene Entrechtung noch zusätzlich bedanken zu müssen, empfunden wird, worauf dieser wiederum entsprechend gekränkt reagiert etc. In einigen Sammelunterkünften erhalten Flüchtlinge Lebensmittel, mit denen sie sich selbst verpflegen können, in anderen Lebensmittelgutscheine, die sie nur in dem zum Heim gehörenden Lebensmittelladen in - bis zu 100 Prozent überteuerte - Ware umsetzen können (vgl. Die Wahrheit vom 22.1.87). In den meisten Heimen werden die Flüchdinge »vollverpflegt«, und das häufig so schlecht, daß sie sich genötigt sehen, das gesamte kärgliche Taschengeld für dessen Aufbesserung zu verwenden, indem sie sich auf einem kleinem Kocher selbst etwas kochen. Das ist offiziell zwar verboten, wird aber im allgemeinen, um den Ärger über das Essen möglichst gering zu halten, toleriert, kann aber jederzeit wiederum gegen die Flüchtlinge verwendet werden. Sammelunterkünfte werden von Privatpersonen und vor allem von Trägern der freien Wohlfahrt zur Verfugung gestellt, die zum Betrieb dieser Unterkünfte in der Regel Verträge mit dem für die Belegung zuständigen Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben (LfZSA) abschließen und sich zur »Neutralität« gegenüber der menschenrechtsverletzenden Politik des Berliner Senats als ihrem Auftraggeber verpflichtet sehen. Qualifizierte Flüchtlingsarbeit ist unter solchen Bedingungen, wie die Mitarbeiter immer wieder feststellen, auch bei größtem Engagement kaum möglich (vgl. auch Tagesspiegel vom 6.12.86). Unter dem unmittelbaren Handlungsdruck bleibt ihnen in der Regel gar nichts anders übrig, als quasi spontan, d.h. ohne weiter nachzudenken, die Politik des Senats zu betreiben. ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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Indem sie aber unter dem Druck der Situation immer weniger die Möglichkeit haben, sich auf die Probleme der Flüchtlinge einzulassen, erscheinen diese ihnen zunehmend als Problem. Damit haben sie aber zugleich die Politik des Senats verinnerlicht, sodaß sie diese scheinbar von sich aus, in eigener Person vertreten. An die Stelle der persönlichen Anteilnahme, die angesichts des allgemeinen Elends sowieso alsbald überstrapaziert ist, wird mehr und mehr eine »sachliche« Haltung gegenüber den Flüchdingen wirksam. Man sieht, so ein Heimleiter, nicht mehr das einzelne Schicksal, sondern nur noch Zahlen, die zu bewältigen sind: so und so viele Flüchtlinge, die weitergeleitet werden, so und so viele, die neu aufgenommen, eingewiesen, eingekleidet werden müssen etc. Die Beratung und Betreuung von Asylbewerberinnen beinhaltet unter diesen Voraussetzungen im wesentlichen nichts anderes, als diese daran zu hindern, rebellisch zu werden und sich gegen die Mißstände, unter denen sie leiden, zur Wehr zu setzen. Die vielfaltigen Beschränkungen der Arbeit sind keineswegs zufallig, sondern haben, wie Lummer in einem Brief an den Flüchtlingsrat vom 20.1.1984 kundtut, genau den Zweck hat, die Integration der Asylbewerberinnen zu verhindern, die, wie er meint, eine Abschiebung für sie nur unnütz schmerzlich machen würde. (Mit einer ähnlichen Argumentation wurde der Antrag der SPD, die Kinder von Asylbewerbern in die Schulpflicht einzubeziehen, von der Mehrheit von CDU und FDP abgelehnt: den Kindern würden auf diese Weise Kenntnisse vermittelt, die ihnen die Reintegration in ihre Heimat unnütz erschweren würde; vgl. Die Wahrheit vom 21.1.87). Die »Bereitschaft« der Mitarbeiter in Flüchtlingswohnheimen, trotz ihres sozialen Engagements die menschenrechtsverletzende Politik des Westberliner Senats umzusetzen, wird nicht zuletzt durch die vielfaltigen Behinderungen ihrer Arbeit bewirkt, die immer als subjektive Unfähigkeit interpretierbar ist und entsprechend verunsichernd wirkt. Die Widerstandskraft der Mitarbeiter wird aber auch durch eine besondere Personalpolitik untergraben: Hierzu gehört neben der allgemeinen Befristung der Arbeitsverträge das Fehlen von Arbeitsplatzbeschreibungen, so daß jeder Mitarbeiter in seinem Tun und Lassen weitgehend auf sich selbst bzw. darauf verwiesen ist, sich den an seiner Arbeitsstätte zufallig gegebenen Gepflogenheiten unterzuordnen. Ein möglicher Widerstand gegen die unzumutbaren Arbeitsbedingungen wird zusätzlich dadurch verhindert, daß die Verständigung untereinander über die konkreten Arbeitsbedingungen bzw. -behinderungen durch eine besondere Form der Personalpolitik erschwert ist: So werden für die Arbeit in Flüchtlingswohnheimen in der Regel sowohl Mitarbeiter mit akademischer Ausbildung beschäftigt, die gemessen an ihren Qualifikationen unterbezahlt und unterfordert sind, als auch Mitarbeiter, für die dieser Job einen Aufstieg bedeutet und die sich nicht selten durch die qualifizierteren und meist jüngeren Kollegen mißachtet sehen. Die Beziehungen zwischen den Mitarbeitern kompliziert ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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sich zusätzlich noch dadurch, daß es durchaus vorkommen kann, daß ein dem Heimleiter unterstellter Betreuer eine wesentlich bessere Ausbildung als jener hat: Dies trifft insbesondere für »ausländische« Kollegen zu, wobei manche - gerade der weniger qualifiziertem - deutschen Mitarbeiter daraus die Bestätigung »deutscher« Überlegenheit ableiten. Die Widerstandskraft der Mitarbeiter ist nicht zuletzt auch durch die allgemeine Konzeptionslosigkeit innerhalb der Flüchdingsarbeit behindert, die aus der Perspektivlosigkeit ihres Klienteis in diesem Land resultiert. Aufgabe eines Heimleiters ist es z.B. - unter Einhaltung der allgemeinen Rahmenrichtlinien, möglichst billig und reibungslos zu wirtschaften - »irgendwie« mit den jeweiligen Anforderungen fertig zu werden. Diese Vagheit der Anforderungen, die oberflächlich als Freiheit erscheint, erweist sich real jedoch als eine zentrale Bedingung seiner Disziplinierung. Der einzelne Heimleiter bewegt sich, wie es ein Kollege auf den Begriff bringt, wie in einer Gummizelle: es gibt keine festen Regelungen oder Begrenzungen, an die er sich halten oder mit denen er sich auseinandersetzen kann. Dies beginnt schon beim Essen: So gibt es nach Aussagen der Mitarbeiter keine einheitlichen Richtlinien darüber, was für das Essen ausgegeben werden kann. Dennoch hat der einzelne Heimleiter keineswegs freie Hand. Gibt er nach Meinung der HeimBetreiber zuviel aus, bekommt er eine entsprechende Ermahnung, billiger zu wirtschaften. Was das konkret heißt, wird ihm nicht gesagt. So wird er im allgemeinen, wie ihm geheißen ist, billiger fahren und die Ausgaben für das Essen, z.B. von 10.00 auf 6.50 DM, drastisch senken. Wenn er nicht schon völlig entmutigt ist, wird er anschließend die Mittel für die Essenausgabe langsam wieder hochschrauben, bis er sich der Gefahr einer erneuten Zurechtweisung nähert. Sofern er diesen Mut nicht mehr aufbringt oder seine Lage derart ist, daß er ohnehin befürchten muß, durch jüngere, dynamischere Kräfte ersetzt zu werden, wird er dem Konflikt mit den Heimbetreibern dadurch aus dem Wege zu gehen suchen, daß er von vornherein die Ausgaben für das Essen möglichst niedrig hält. So gibt es Heimleiter, die für das Essen pro Person nur 4.50 DM veranschlagen. Während die Flüchtlinge in einigen Heimen so viel essen können, wie sie wollen, wird in anderen streng portioniert: Jeder bekommt z.B. morgens zwei Brötchen, einen Klacks Butter und eine winzige Dose Gelee und jeden Dienstag und Sonntag ein Ei. Abends gibt es zwei Scheiben Brot sowie zwei Scheiben glibbriger Jagdwurst und eine welke, leicht gewellte Käsescheibe oder ähnliche Variationen, dazu einen mehlig-überreifen Apfel - und das unter Umständen Woche für Woche und Monat für Monat. Wer mittags nicht zum Essen da sein kann, hat Pech gehabt, ein doppeltes Frühstück gibt es nicht. Wünsche der Heimbewohner, zur Abwechslung einmal türkisches Brot oder türkische Wurst zu bekommen, werden als zu teuer abgelehnt etc. Mit einer solchen rigorosen Spar-Politik riskieren die Heimleiter allerdings ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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den Aufstand der Heimbewohner, der ihnen wiederum als Führungsschwäche angelastet werden und ihre Position ebenfalls gefährden kann. Die Kunst, ein guter Heimleiter zu sein, besteht also, so ein Mitarbeiter, im wesendichen darin, den Punkt zu finden, wo die Ausgaben relativ niedrig und die Heimbewohner noch friedlich sind. Die Frustrationstoleranz der Flüchtlinge ist, in Abhängigkeit von spezifischen objektiven und subjektiven Bedingungen, unterschiedlich groß, und es wäre pure Vergeudung, wenn man mehr herausrückte, als unbedingt erforderlich ist. Was eine solche Spar-Politik für die Betroffenen bedeutet, interessiert die jeweils Verantwortlichen offensichtlich nicht, solange auf der Gesamtebene die Kasse stimmt. Diese Politik gibt den Heimbetreibern zugleich die Möglichkeit, die Verantwortung für die unhaltbaren Lebensbedingungen den einzelnen Heimleitern anzulasten, die notfalls, wenn der Ärger zu groß oder publik werden sollte, zur Beruhigung der öffentlichen Meinung entlassen oder umgesetzt werden. Wenn also Heimleiter versuchen, bei den Ausgaben für die Flüchtlinge möglichst zu sparen, dann tun sie es nicht um der unmittelbaren Bereicherung willen, wie manche Heimbewohner argwöhnen, sondern um sich durch geringe Ausgaben bei ihren Arbeitgebern beliebt zu machen und damit die eigen Position zu sichern. Diese »Identifizierung« mit den Interessen der Heimbetreiber wird gewöhnlich nicht mehr auf die realen Ursachen, die Angst um die eigene Position zurückgeführt, sondern durch das Verhalten der Flüchdinge moralisch gerechtfertigt, wofür sich unter den gegebenen Bedingungen auch immer entsprechende Anlässe bieten.

An dieser Stelle sei die Wiedergabe des Projektpapiers abgebrochen: Die ursprüng Gründe, die dazuführten3 eine systematische Untersuchung der Bedingungen in d Flüchtlingswohnheimen in Angriff zu nehmen, sollten aus dem vorstehenden Text hi reichend deutlich geworden sein.

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Der offizielle Projektantrag (1987)

Dieser (bisher unveröffentlichte) Antrag wurde bei der Hans-Böckler-Stiftung eingereicht, um einefinanzielleFörderung des Projekts zu erreichen, das von nun an unter der ausfuhrlichen Bezeichnung »Projekt Rassismus/Diskriminierung: Wechselseitige Schuldzuschreibung statt Solidarität - am Beispiel von Flüchtlingswohnheimen« - lief. Außerdem diente der Antrag auch als Diskussionsgrundlage für die Beratungen des Institutsrats des PI, der daraufhin das Projekt als offizielles Institutsprojekt anerkannte und für Verhandlungen mit dem DRK, das die Untersuchungen in den von ihm betriebenen Flüchdingswohnheimen offiziell ermöglichen sollte. Arbeitszusammenhang Der Plan für die Untersuchung entstand in der Forschungsgruppe »Rassismus und Diskriminierung«. Diese Gruppe hat sich aus einer Arbeitsgruppe auf dem »Kongreß Wissenschaftler gegen Ausländerfeindlichkeit« entwickelt, der am 16. und 17. Dezember 1983 in Frankfurt a. M. vom Bund demokratischer Wissenschaftler durchgeführt wurde. Das zentrale Anliegen unserer Forschungsgruppe besteht darin, die Probleme der Ausländer in unserem Land sowie das Phänomen der »Ausländerfeindlichkeit« der Einheimischen in ihren strukturellen Zusammenhängen zu fassen, d.h. den Zusammenhang zwischen den objektiven Lebensbedingungen und den persönlichen Verhaltensweisen als bestimmte Bewältigungsform der konkreten Realität herauszuarbeiten. Seit Sommer 1986 haben wir uns - in Reaktion auf die öffentliche Kampagne gegen die »Asylantenflut« und die täglichen Alarmmeldungen in den Medien - mit der Situation der Flüchtlinge (als den primär durch die Flucht Betroffenen) beschäftigt. Gespräche mit Asylsuchenden ergaben, daß sich »Ausländerfeindlichkeit« für sie weniger in spektakulären Übergriffen von Skinheads o.ä. als vielmehr in den alltäglichen Lebensbedingungen zeigt, denen sie bei uns unterworfen sind. Ein zentrales Moment subjektiven Leidens ist, wie sich die bisherigen Eindrücke zusammenfassen lassen, offensichdich die allgemeine Rechdosigkeit und die damit verbundene Entmündigung. Wir gewannen bei unseren Gesprächen mit den Asylsuchenden weiterhin den Eindruck, daß sie der Situation zusätzlich ausgeliefert bleiben, indem sie spontan dazu neigen, die Beeinträchtigungen, die sie bei uns erfahren, unmittelbar dem Heimpersonal oder der deutschen Bevölkerung insgesamt anzulasten. Um diesen Eindruck zu überprüfen, ergab sich für uns die Notwendigkeit, auch das Heimpersonal und die Heimleitung in die Gespräche ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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einzubeziehen. Dabei zeigte sich, daß auch diese unter bestimmten Bedingungen offensichtlich die Tendenz haben, das Verhalten der jeweils anderen und insbesondere der Asylsuchenden sowie die Konflikte mit ihnen nicht im Zusammenhang mit den allgemeinen einschränkenden Lebens- und Arbeitsbedingungen zu sehen, sondern personalen oder kulturellen Differenzen zuzuschreiben. Daraus ergab sich für uns die Forschungsfrage, unter welchen Bedingungen und auf welche Weise bei den Betroffenen objektive Beschränkungen und Widersprüche, denen sie gemeinsam unterliegen, die subjektive Erscheinungsform bloß »sozialer« Konflikte und individueller Schuldzuschreibungen annehmen, so daß sie außerstande sind, solidarisch auf die Veränderung der bedrückenden und entwürdigenden Lebensverhältnisse hinzuwirken. Wir faßten somit den Plan, das Beziehungsgefüge zwischen den Asylsuchenden und dem Heimpersonal in Flüchtlingswohnheimen unter der geschilderten Fragestellung auf die Verflechtungen zwischen objektiven Beschränkungen und subjektiver bzw. »sozialer« Befindlichkeit hin zu untersuchen.

Untersuchungsziele Aus den im Sommer 1986 durchgeführten ersten Interviews mit Heimleiterinnen, Betreuerinnen und Asylsuchenden ergaben sich für uns folgende Ziele für die Hauptuntersuchung: 1. Ein wesentliches Ziel unserer Untersuchung ist die möglichst präzise Darstellung der objektiven Lebensbedingungen der Flüchtlinge in ihrem Zusammenhang mit der subjektiven Situation. Ein zentrales Problem wird es dabei sein, die allgemeine Sprachlosigkeit der Flüchtlinge zu überwinden, die keineswegs primär durch mangelnde Deutschkenntnisse bedingt ist. Eine wesentliche Ursache für diese liegt vielmehr darin, daß man sich über die eigene Situation kaum mit anderen verständigen kann: jede einzelne Maßnahme, der die Asylsuchenden unterworfen sind, ist für sich genommen relativ harmlos; die katastrophale Wirkung ergibt sich erst aus dem Gesamt der verschiedenen Maßnahmen, die sich - so die immer wiederkehrende Aussage - zu einem dichten Netz verknüpfen, das einen erstickt und jeden Lebensmut nimmt. Ein weiterer Grund für diese Sprachlosigkeit ist die Erfahrung der Asylsuchenden, daß sie nicht über ihre verheerenden Lebensbedingungen sprechen können, ohne Angst haben zu müssen, daß es beim Gegenüber einrastet: »die wollen was haben« und sie damit eigentätig die allgemeine Ideologie von den Wirtschaftsflüchtlingen stärken. 2. Ein weiteres Ziel der Untersuchung ist es, die Zusammenhänge von politischen Maßnahmen, institutionellen Bedingungen, sozialen Beziehungen ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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und subjektiven Verarbeitungsformen am Beispiel der Lebens- und Arbeitsbedingungen in Flüchdingswohnheimen zu analysieren. Dabei wollen wir zugleich die objektiven und subjektiven Entstehungsbedingungen von gegenseitigen Vorbehalten sowie deren gesellschaftliche wie individuelle Funktion analysieren. So haben sich z.B. in der Voruntersuchung mannigfaltige Hinweise darauf ergeben, daß viele Verhaltensweisen vom »Betreuungspersonal«, die die Asylsuchenden als »ausländerfeindlich« empfinden, wiederum »verordnet« sind, d.h. auf allgemeine Bestimmungen zurückgehen, denen jene selbst unterworfen sind. Andererseits bedeutet die objektiv widersprüchliche Anforderung, die an die Mitarbeiterinnen gestellt ist, nämlich den Asylsuchenden unter den vom Senat gesetzten Abschreckungsbedingungen Hilfe zu leisten, d.h. Menschlichkeit unter unmenschlichen Bedingungen zu praktizieren, eine subjektive Überforderung, die sie wiederum unter dem Druck der Situation nicht selten den Flüchtlingen anlasten, indem ihnen diese zunehmend als Problem und Bedrohung erscheinen. Das geschieht um so eher, als sich die Mitarbeiterinnen wiederum von diesen häufig in ihren konkreten Bemühungen mißachtet und fur Mißstände verantwortlich gemacht sehen, unter denen sie selbst zu leiden haben. Die Tatsache aber, daß sich die Mitarbeiterinnen in den Flüchtlingswohnheimen immer wieder gezwungen sehen, wider besseres Wissen bzw. Wollen zu handeln, stellt ein wesentliches Moment ihrer Arbeitsbelastung dar. Diese spezifische Belastung in der Sozialarbeit gilt es in ihren Auswirkungen zu fassen, damit man gezielt an ihrer Überwindung arbeiten kann. 3. Die Untersuchung hat zugleich das Ziel, die herkömmlichen Theorien, in denen Probleme der Sozialarbeit (etwa unter dem Stichwort Helfersyndrom, Burn-out-Phänomen etc.) aufgegriffen werden, daraufhin zu überpüfen, inwieweit sie der objektiven Widersprüchlichkeit der Situation der Flüchdings- bzw. Sozialarbeit überhaupt gerecht werden oder aber genau die Flucht in die Unverbindlichkeit der Privatheit »theoretisieren«, die sich unter dem Druck der Praxis spontan herstellt, womit nicht nur die konkreten Behinderungen und Konflikte der sozialen Berufspraxis unbegriffen bleiben, sondern auch all jene im Stich gelassen werden, die tagtäglich damit konfrontiert sind. Eine verbreitete Verarbeitungsform der objektiv überfordernden Situation ist offensichdich die Tendenz - um allen Konflikten aus dem Wege zu gehen - Gespräche untereinander im wesendichen auf das Private zu beschränken und sich gegenseitig mit Ansprüchen zu verschonen, die das Ungenügen der Arbeit verdeutlichen würden. Es scheint sich häufig eine perverse Form von Solidarität, ein Stillhalteabkommen untereinander herauszubilden, das zwar einerseits durch die allgemeine Ohnmacht aufgezwungen ist, andererseits aber die wirkliche Verständigung und Solidarität untereinander verhindert und die einzelnen mit ihren Problemen ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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allein läßt, sodaß immer wieder andere Formen der individuellen Endastung (Alkohol, Tabletten, Therapie) notwendig werden. Diese individuellen Entlastungsversuche bestätigen wiederum den Anschein des eigenen Versagens, der durch die einschlägigen psychologischen Theorien bestärkt wird, die häufig als wesendiche Ursache der gegenwärtigen Schwierigkeiten individuelle Fehlverhaltensweisen annehmen, die durch die Kindheit bedingt sein sollen. 4. Schließlich gilt es, die aus der Voruntersuchung zu entnehmenden Hinweise auf die Art der unmittelbaren Lebensbewältigungstechniken der Betroffenen, durch welche sie um kurzfristiger »Lösungen« und kurzschlüssiger »Entlastungen« willen ihre langfristigen gemeinsamen Interessen vernachlässigen, schärfer theoretisch zu durchdringen, um so zu gezielteren einschlägigen Fragestellungen für die weiteren empirischen Untersuchungen zu kommen: Von deren Realisierung werden sodann die erwähnten verallgemeinerbaren Aufschlüsse über Eigenart und Überwindbarkeit subjektivpersonalisierender Behinderungen der Beteiligung an organisierter, etwa gewerkschaftlicher Interessenvertretung erwartet. Allgemeiner methodologischer Rahmen Das geplante Forschungsprojekt ist nur dann sinnvoll durchzuführen, wenn die Asylsuchenden und Mitarbeiterinnen zu »Mitforscherinnen« werden; das deswegen, weil nur sie über die Erfahrungen verfügen, die es zu verallgemeinern und für andere zugänglich zu machen gilt, und weil es somit nur mit ihrer Hilfe möglich sein wird, Einseitigkeiten und Verkürzungen der theoretischen Erfassung der Probleme der Sozialarbeit zu korrigieren. Subjektwissenschaft bedeutet über die Einbeziehung der Betroffenen hinaus zugleich eine neue Form wissenschaftlicher Verallgemeinerung der Einzelbefunde: sie ist nicht darauf gerichtet, zu »repräsentativen« Aussagen über die Häufigkeit bestimmter Oberflächenmerkmale zu gelangen. Vielmehr geht es hier darum, die jeweils scheinbar bloß »subjektiven« oder »sozialen« Verhaltensweisen/Beziehungen so auf ihre Vermitteltheit mit objektiven Widersprüchen/Behinderungen hin zu durchdringen, daß sie als besondere Erscheinungsformen gesellschaftlicher Grundkonstellationen fassbar werden, womit gleichzeitig die Überwindung subjektiver Behinderungen und Leidensformen als Veränderung der Bedingungen, durch welche sie zustandegekommen sind, begreifbar wird. Dieses Konzept der »strukturellen Verallgemeinerung« erinnert an Lewins feldtheoretischen Ansatz der Verallgemeinerung vom Einzelfall auf den »typischen« Fall, unterscheidet sich aber von diesem, indem wir nicht von der Perspektive der »Herrschenden«, d.h. derjenigen aus argumentieren, die über die Mittel der Einflußnahme auf die gegebene Situation bereits verfugen und diese - unter ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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entsprechender wissenschaftlicher Anleitung - so einzusetzen suchen, daß die ihrem Einfluß Unterworfenen (unter dem Druck der Situation) quasi freiwillig tun, was sie tun sollen. Der subjektwissenschaftliche Standpunkt schließt vielmehr immer die Befreiungsperspektive ein. Wir diskutieren demzufolge den Zusammenhang zwischen Lebensbedingungen und Verhaltensweisen vom Standpunkt derjenigen, die sich die entsprechenden Einflußmöglichkeiten gegen äußere und innere Widerstände - schaffen müssen, wobei immer auch die vielfaltigen Mechanismen und Wirkungsvoraussetzungen der Entsolidarisierung und der damit verbundenen Selbstentmächtigung zusammen mit den Betroffenen herauszuarbeiten sind. (Zum allgemeinen methodologischen Hintergrund dieses subjektwissenschaftlichen Forschungsansatzes und der darin enthaltenen Konzepte von wissenschaftlicher Verallgemeinerung und Objektivität vgl. etwa Klaus Holzkamp, Grundlegung der Psychologie, 1983, speziell Kap. 9). Besondere Probleme der durchzuführenden Untersuchung Die Flüchtlinge sind, wie sich aus den Voruntersuchungen ableiten läßt, im allgemeinen bereit, über ihre Situation zu sprechen, offenbar deswegen, weil sie darin eine Chance sehen, ihre Anliegen zur Geltung zu bringen, und weil sie vor allem »Opfer« der Maßnahmen anderer sind und so gut wie keine Macht- und Einflußmöglichkeiten haben, für deren Ausübung sie persönlich verantwortlich gemacht werden könnten. Größere Schwierigkeiten sind offensichtlich bei den Mitarbeiterinnen zu erwarten. Das zum einen deshalb, weil sie durch ihre Arbeit im allgemeinen bereits überlastet sind und für zusätzliche Forschungsarbeit kaum Zeit erübrigen können; und das zum anderen aber auch infolge der verbreiteten Tendenz, Kritik an den Verhältnissen, die man partiell selbst repräsentiert, als Kritik am eigenen Verhalten aufzufassen, die man wiederum um so weniger vertragen kann, je belasteter und ungesicherter die jeweilige Position ist. Diese Tendenz, das eigene Verhalten (und damit die Verhältnisse, die dieses »nahelegen«) zu rechtfertigen, gilt es in der Untersuchung aber gerade zum Gegenstand der Diskussion zu machen. Ob das gelingt, wird im wesendichen davon abhängen, wieweit wir glaubhaft: machen können, daß nicht die Qualität der Arbeit bzw. der Arbeitenden, sondern die Qualität bzw. die Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Mittelpunkt der Untersuchung steht, die sich jedoch nur daran messen läßt, wieweit sie befriedigendes Arbeiten möglich oder unmöglich macht. Unser Untersuchungsanliegen erfordert somit, daß wir Probleme ansprechen und damit in gewisser Weise auch aktualisieren, die gewöhnlich um des allgemeinen Friedens willen gerade aus der Diskussion ausgeklammert bleiben. Das widerspricht zugleich den Erwartungen, die man im allgemeinen in die Wissenschaft setzt: nämlich daß sie Handlungsanleitungen bereitstellt, die es ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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ermöglichen, mit den jeweils gestellten Aufgaben besser fertig werden und sich anderen gegenüber effektiver durchsetzen zu können. Gerade diese Ausrichtung an der unmittelbaren Effektivierung der individuellen Bewältigungsstrategien bzw. Durchsetzungsfahigkeit gegenüber den jeweils anderen unter den gegebenen Bedingungen gilt es aber in ihren letzdich selbstentmächtigenden Konsequenzen und in ihrer gesellschaflichen Funktion zu hinterfragen. Solche »heiklen« Themen lassen sich nur diskutieren, wenn das gegenseitige Mißtrauen weitgehend überwunden wird. Eine wesentliche Voraussetzung dafür ist, daß alle, die sich an der Untersuchung beteiligen, bis zum letzten Moment Verfügung über ihre Daten und die Form ihrer Veröffentlichung behalten und nicht befürchten müssen, daß diese eines Tages gegen sie verwendet werden und ihnen zum Schaden gereichen können. (Zu dieser im Laufe der Untersuchung zu erarbeitenden Vertrauensbasis gehört u.a. auch, daß man die gegenseitigen Verdächtigungen nicht verschweigt, sondern zum Gegenstand der Untersuchung macht, d.h. diese auf ihren rationalen Kern und ihre Funktion hin analysiert. So ist z.B. der mehr oder weniger latente Verdacht der »Praktiker«, daß die »Wissenschaftler« die Situation der Asylsuchenden und der Mitarbeiterinnen in der Flüchtlingsbetreuung als ein spektakuläres Thema aufgreifen, um die eigene Karriere voranzutreiben, nur dadurch den Hinweis konstruktiv zu bewältigen, daß zwischen den Interessen der Flüchdinge und den wissenschaftlichen Interessen der Forscherinnen von unserem Ansatz her kein Widerspruch besteht.) Der Gewinn, der aus der geplanten Untersuchung für die »Praktiker« zu erwarten ist, besteht weniger in unmittelbaren Verbesserungen der objektiven Lebens- und Arbeitsbedingungen, als in der Erweiterung der Handlungsfähigkeit, die gerade dadurch möglich wird, daß sie die Bedingungen der eigenen Ermächtigung besser durchschauen und sich somit ihnen gegenüber effektiver zur Wehr zu setzen vermögen; er besteht also darin, daß man die realen Überforderungen veröffentlicht und auf diese Weise überhaupt erst angehbar macht - statt auf sie mit Gefühlen von Schuld zu reagieren, die man dann i.d.R. auf die jeweils anderen abzuschieben sucht, womit man die Beziehungen untereinander zusätzlich belastet und die allgemeine Widerständigkeit erschwert. In dem Maße, wie die objektiven Bedingungen der jeweils individuellen Schwierigkeiten auf den Begriff gebracht sind, werden sich zugleich Bündnismöglichkeiten und damit neue Perspektiven zur Überwindung der allgemeinen Probleme ergeben und ansatzweise realisieren lassen. Unser geplantes Forschungsprojekt hat somit nicht nur die Untersuchung der gegebenen Arbeitsmöglichkeiten zum Gegenstand, sondern ist selbst Teil der angestrebten Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten zur Verbesserung der konkreten Lebens- und Arbeitsbedingungen. Die Schwierigkeiten und Behinderungen, die bei der Realisierung dieser Perspektive entstehen, sind wiederum, ebenso wie die verschiedenen Formen des Umgangs mit ihnen, zu einem ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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zentralen Gegenstand der Untersuchung selbst zu machen. Die darin liegenden »typischen« bzw. »strukturellen« Züge sind ein wichtiger Aspekt der dabei anzustrebenden Verallgemeinerungen auf andere Situationen, in denen die Alternative zwischen der »psychologisierenden« Verkennung der objektiven Gründe für die eigene Misere oder der gemeinsamen Durchsetzung von Interessen an der Veränderung behindernder Lebensbedingungen besteht. Allgemeine theoretische Position des Projekts zur Ausländer-Problematik Der theoretische Hintergrund der Untersuchung läßt sich folgendermaßen umreißen: Ein wesentlicher Bestandteil der allgemeinen »Ausländerfeindlichkeit« und des Rassismus, der sich in dieser äußert, besteht u.E. vor allem in der relativen Entrechtung der »Ausländer« und in dem allgemein propagierten Herrim-Hause-Standpunkt, demzufolge die Existenzberechtigung der »Fremden« in unserem Land davon abhängt, wieweit sie für die »deutschen Belange« bzw. für die je private Existenz von Nutzen oder Nachteil sind. Der »Kulturschock«, den die Zugewanderten in unserem Lande erfahren sollen, ist somit unserer Auffassung nach weniger durch die Fremdheit des Landes* als vielmehr durch die Erfahrung bedingt, auf die bloße Existenz als Arbeitskraft reduziert zu sein oder gar als Belastung verhandelt zu werden und in der absoluten Verunsicherung der Existenz, die damit verbunden ist. Die »Ausländerfeindlichkeit« der Einheimischen wie auch die subjektiven Schwierigkeiten, die Einwanderer und Asylsuchende bei uns erfahren, sind somit weniger durch die individuelle oder auch kollektive Vergangenheit, als vielmehr durch die gegenwärtigen Handlungsmöglichkeiten der Menschen, d.h. durch ihre gesellschaftliche Integration bzw. gerade durch die fehlende Integration bestimmt. Unter gesellschaftlicher Integration verstehen wir nicht, wie das von den zuständigen Politikern immer wieder propagiert wird, die Bereitschaft der einzelnen, sich in die jeweils gegebenen Verhältnisse zu schicken, sondern vielmehr die gleichberechtigte Möglichkeit aller Menschen, auf die gesellschaftlichen Verhältnisse, innerhalb derer sie leben, Einfluß nehmen. So gesehen ist nicht nur die Integration der »Ausländer«, sondern auch die der Mehrheit der Inländer brüchig, wobei genau die mangelnde Aufgehobenheit der individuellen Existenz in der gesellschaftlichen Entwicklung ein zentrales Moment der allgemeinen Verunsicherung und damit der Manipulierbarkeit gemäß den herrschenden Interessen darstellt. Gerade diejenigen, deren Situation sich am wenigsten von der jener unterscheidet, die durch Ausgrenzung unmittelbar gefährdet sind, versuchen i.d.R. am offensten und militantesten, sich um der eigenen Absicherung willen von den jeweils noch Bedrohteren abzugrenzen, d.h. ihre »Höherwertigkeit« diesen gegenüber zu betonen. Die relative Entrechtung der »Ausländer« bzw. der »Nicht-Dazugehörigen« findet bei großen Teilen der Bevölkerung immer wieder dadurch ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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Zustimmung, daß sie ihnen als Privilegierung der Einheimischen/Dazugehörigen und damit als Absicherung der eigenen Existenz erscheint. Die Duldung der Einschränkungen menschlicher Lebens- und Entwicklungsmöglichkeiten, solange sie vorwiegend andere treffen, bedeutet auf längere Sicht gesehen jedoch nichts anderes, als die herrschende Ausgrenzungspolitik mitzutragen und wehrlos zu sein, wenn man selbst durch sie betroffen ist. Eine wesentliche Voraussetzung dafür, daß das Problem der »Ausländerfeindlichkeit« begreifbar und damit überwindbar wird, ist somit, daß wir es nicht primär im Zusammenhang mit der »Andersartigkeit« der Zuwanderer, sondern mit unserer eigenen Situation bzw. mit der Frage in Verbindung bringen, welche reale Notlage hinter den Ängsten steht, die wir auf die »Ausländer« projizieren bzw. die uns in der Ausgrenzung anderer unseren Vorteil sehen läßt. Zum Kampf gegen die Ausländerfeindlichkeit gehört immer auch, daß wir unsere Sensibilität für die vielfaltigen, mehr oder weniger verschleierten Formen der Diskriminierung schärfen und Bewußtheit nicht nur dafür entwickeln, wo wir selbst durch Ausgrenzung bedroht sind, sondern auch dafür, wo wir uns in die herrschende Ausgrenzungspolitik aktiv einbeziehen lassen. Mit der Hans-Böckler-Stiftung entwickelte sich, nachdem wir den vorstehende Projektantrag dort eingereicht hatten, ein Briefwechsel, in dem uns zwar bescheinigt wurde, daß es sich bei der geplanten Untersuchung um ein wichtiges forschungspolitisches Anliegen handelt. Aber dennoch konnte man sich (wohl auch, weil die rassistische Gewalt auf den Straßen 1987 noch kein öffentliches Thema war) wegen anderer organisationspolitischer Prioritäten nicht zu einer Förderung entschließen: Der AntragDer XAch so, der Repuntergebracht< wurden, um über die erwartbare Reaktion der Bevölkerung eine bestimmte politische Absicht zu realisieren« (vgl. Bohn, Hamburger und Rock 1993). Schwierigkeiten bereitete einigen - einheimischen - Mitarbeiterinnen auch die »Unterwürfigkeit« mancher Flüchdinge. Eine solche Unterwürfigkeit wurde wiederum nicht im Zusammenhang mit der weitgehenden Abhängigkeit der Flüchtlinge von der Willkür anderer in Zusammenhang gebracht, sondern als quasi persönliche oder nationale Eigenart mißdeutet. Offensichtlich sind wir aber weniger durch die Unterwürfigkeit unangenehm berührt als vielmehr durch die Erfahrung, daß diese nur scheinbar ist, d.h. im allgemeinen nur solange gilt, wie sie sich auszahlt. Die scheinbare Unterwürfigkeit ist somit in gewisser Weise ihr eigenes Gegenteil, nämlich der Versuch, aus der Situation der Ohnmacht heraus über diejenigen, denen man unterstellt ist, selbst wiederum ein gewisses Maß an Kontrolle zu gewinnen. Die Möglichkeit, sich über die Gründe fur auffallige und möglicherweise störende Verhaltensweisen bzw. für die Schwierigkeiten im Umgang miteinander zu verständigen, ist aber anscheinend gegenüber Roma im besonderen Maße erschwert. Dies nicht zuletzt deshalb, weil es unter den Mitarbeiterinnen ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

Sinti und Roma: Eine neue »Problemgruppe« in der Flüchtlingsarbeit

in solchen Heimen oder Lagern kaum Menschen gibt, die ihre Sprache sprechen. Die Konsequenz der begrenzten Kommunikation ist aber, daß das Verhalten der jeweils anderen unverständlich bleibt und diese selbst damit letzdich als bedrohlich erscheinen. Dies kann so weit gehen, daß auch solche Mitarbeiterinnen, die durchaus bereit sind, sich für die Roma im besonderen Maße einzusetzen, sie als gefahrlich erleben, etwa Angst haben, ihnen im Dunkeln zu begegnen oder meinen, im Umgang mit ihnen Handschuhe tragen zu müssen. Wo allen widrigen Umständen zum Trotz dennoch wirkliche Verständigung zustande kam - die eben nicht darauf reduziert war, den Roma mitzuteilen, wie sie sich zu verhalten haben, sondern die vielmehr deren Interessen und Bedürfnisse berücksichtigte - sind die gegenseitigen Vorbehalte sehr schnell überwunden worden. So berichtete beispielsweise eine Mitarbeiterin, daß es zunächst sehr problematisch anmutete und fast als Hausfriedensbruch geahndet werden sollte, als eine vielköpfige Roma-Familie sich rund um die Uhr im Krankenzimmer ihrer in der Klinik befindlichen Verwandten aufhalten wollte, dadurch Ruhe und Arbeitsablauf zu stören drohte und trotz mehrfacher Aufforderungen nicht bereit war, das Zimmer zu verlassen. Mit Hilfe eines Dolmetschers konnte das Problem jedoch bald geklärt und ein für alle Seiten befriedigender Kompromiß gefunden werden: Jeweils zwei Familienmitglieder durften bei der Kranken bleiben, während den anderen erlaubt war, sich bis in die Abendstunden in der Gartenanlage der Klinik vor dem Fenster des betreffenden Zimmers aufzuhalten, solange sie die Ruhe nicht störten. Aufgrund dieser Regelung war der Konflikt zur Zufriedenheit aller gelöst.

III. Die gleichen Tendenzen, nämlich letztlich das Klientel für die mangelnden Möglichkeiten, ihm effektiv zu helfen, verantwortlich zu machen, zeigen sich auch in anderen Arbeitsbereichen. So hatten wir u.a. auch Diskussionen mit Mitarbeiterinnen von Behörden, deren Kontakt mit Flüchdingen im wesentlichen darin besteht, diese in die verschiedenen Unterkünfte einzuweisen. Offensichtlich herrscht weitgehend die Tendenz vor, sich nach Möglichkeit um diese Arbeit zu drücken: »Wir prüfen zu allererst, ob sie bei uns richtig sind, ob wir sie nicht woandershin abschieben können« - so die Aussage eines Mitarbeiters. Dies trifft offensichdich insbesondere dann zu, wenn es sich bei den Flüchtlingen um Roma handelt - und zwar nicht unbedingt deshalb, weil die Kolleginnen persönlich besondere Vorurteile gegen diese Flüchdingsgruppe hätten, sondern weil es sich angesichts des allgemeinen Klimas in diesem Land als außerordendich schwierig erweist, gerade für Roma Unterkünfte zu finden. Angesichts der Schwierigkeiten, überhaupt eine Unterbringungsmöglichkeit aufzutun, lädt man sich i.d.R. nicht die Mühe auf, diese auf ihre Geeignetheit ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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hin zu überprüfen, sondern reagiert satt dessen »sauer«, wenn Flüchtlinge »Schwierigkeiten« machen, sich etwa weigern, in eine Unterkunft: zu ziehen, die man mit viel Mühe endlich aufgetrieben hat. Unter solchen Bedingungen, so ein Mitarbeiter, komme einem durchaus der Gedanke, daß es so schlimm mit der Bedrohung im Herkunftsland nicht sein könne, wenn Flüchtlinge hier noch Ansprüche stellen würden. Entsprechend hart sind mancherorts die Bestimmungen: Wer gegen die ihm zugeteilte Unterkunft protestiert, dem wird künftig keine mehr zugewiesen. Steffen Osterkamp, Mitarbeiter unseres Projekts, schilderte diese Misere aus seiner Sicht als Sozialarbeiter: »Wir haben den Druck, eine Wohnung zu finden und geben ihn nach unten weiter. Das ganze spitzt sich zu, wenn diese Leute kurz vor Feierabend oder am Freitagmittag, d.h. kurz vor dem Wochenende, auftauchen und abzusehen ist, daß man stundenlang mit dem Rumtelefonieren nach einer Unterkunft beschäftigt sein wird. In einer solchen Situation bin ich über jedes Loch, was ich auftun kann, froh und werde zig Gründe finden, daß es letztlich doch nicht so schlecht ist«. Die Versuchung, den Frust über die Schwierigkeiten, eine Unterkunft zu finden, unmittelbar den Roma selbst anzulasten, sei in solchen Fällen vorprogrammiert. Die allgemeine Maxime laute: Unterbringung ist das oberste Gebot, alles andere ist Luxus. Ein immer wiederkehrendes Argument, das solche Einstellung scheinbar plausibel macht, ist: Es herrschen Kriegszustände, da kann man nicht mit normalen Maßstäben messen. Entsprechend ist die einzige Meßlatte, mit der unter diesen Prämissen die Prostete der Flüchtlinge abgewehrt werden, daß sie deswegen keinen Grund zum Klagen haben, weil es anderen noch »dreckiger« geht. Das Wissen, daß man die Interessen und Bedürfnisse der Flüchtlinge sowieso nicht erfüllen können wird, fuhrt dann zu der Haltung, daß man sich diese von vornherein möglichst weit vom Halse zu halten sucht. Die Flüchtlinge zu fragen, ob sie mit der ihnen zugewiesenen Unterkunft zufrieden sind, heißt, so Steffen Osterkamp, nichts anderes, als schlafende Hunde zu wecken oder in ein Wespennest zu fassen. Die angebotenen Unterkünfte auf ihre Geeignetheit für die Unterbringung der Flüchtlinge zu überprüfen, würde, wie sich die entsprechenden Aussagen zusammenfassen lassen, nichts anderes als zusätzliche Arbeit und Konflikte bedeuten. Ganz abgesehen davon, daß der ohnehin schon beängstigend große Stapel an unerledigten Arbeiten auf dem eigenen Schreibtisch weiterhin anwachsen würde, impliziert die Kritik an spezifischen Unterkünften zugleich immer auch, sich mit Kolleginnen vom Gesundheits- oder Bauamt anzulegen, die diese Unterkünfte fur die Belegung durch Flüchdinge freigegeben haben. Die Auseinandersetzung mit solchen Kolleginnen wird man ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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um so eher scheuen, je unsicherer man sich hinsichtlich der gesetzlichen Bestimmungen für die Belegung derartiger Unterkünfte fühlt, je weniger man also den »Fachleuten« auf diesem Gebiet paroli bieten kann. Aber selbst wenn man mit seinen Einwendungen gegen eine spezifische Unterkunft Erfolg hätte, würde das für einen selbst nichts anderes bedeuten, als daß sich die Zahl der zur Verfügung stehenden Unterkünfte weiterhin verringert, d.h. die Suche nach geeigneten Unterbringungsmöglichkeiten noch schwieriger und frustrierender geworden ist. Hinzu kommt, daß man bei solchen »Extraleistungen« für einzelne Flüchtlinge in der Regel keine Unterstützung von den Kolleginnen erfährt, sondern diese es einem im Gegenteil eher übelnehmen, wenn dadurch die »normale« Arbeit liegenbleibt und möglicherweise auf sie selbst umverteilt werden muß. Kolleginnen, die versuchen, sich intensiver auf die Probleme der Flüchtlinge einzulassen, gelten eher als unfähig; sie »palavern«, so die allgemeine Meinung, oder schaffen sich eine persönliche Befriedigung, statt ihre Arbeit zu erledigen. Solche Einwendungen haben wiederum durchaus einen rationalen Kern. Wenn - wie dies unter den gegebenen Bedingungen die Regel ist - das Sich-Einlassen auf die Probleme der Flüchtlinge nur im Ausnahmefall möglich und selbst dann in seinem Erfolg fraglich ist, bedeutet dies letztlich nichts anderes, als daß man sich auf Kosten der übrigen Flüchtlinge und der Kolleginnen ein moralisches Alibi zu verschaffen sucht.

IV. Zum Schluß möchten wir noch ein besonders heißes Eisen ansprechen: Nämlich die Behauptung, daß Roma-Mütter, wie es heißt, ihre Kinder zum Betteln mißbrauchen. Darüber hatten wir in jüngster Zeit eine längere Diskussion, an der sich Sozialarbeiterinnen, Erzieherinnen und Psychologinnen beteiligten. Eine zentrale These lautete: Es ist nichts anderes als Rassismus, wenn man das Betteln der Roma auf der Straße einfach als kulturelle Eigenart toleriert. Damit würde man zugleich die Bedingungen akzeptieren, die zum Betteln treiben. Außerdem bedeute dies eine Diskriminierung aller Roma, die keineswegs in ihrer Gesamtheit die Gepflogenheit hätten zu betteln. Aber auch mildere Maßstäbe gegenüber Roma-Eltern als gegenüber deutschen Eltern gelten zu lassen, sei Ausdruck von Rassismus. Dieser These wurde wiederum entgegengehalten, es sei durchaus denkbar, daß es den Kindern, die zusammen mit ihrer Mutter, wenn auch unter äußerst mißlichen Bedingungen, zum Unterhalt ihrer Familie beitragen, möglicherweise besser als manchen einheimischen Kindern geht, die weniger »dazugehören« und im wesentlichen sich selbst überlassen sind. Auf jeden Fall sei es höchst zweifelhaft, daß diesen Kindern gedient ist, wenn man sie ihren Eltern ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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Dritter Teil

wegnimmt und in »ordentliche« Verhältnisse steckt - ganz abgesehen davon, daß diese bei genauerem Hinsehen so »ordentlich« häufig gar nicht sind. Das Resümee der Diskussion nach einigem Hin und Her war, daß man Entscheidungen, die so weitgehend in das Leben anderer eingreifen, kaum auf der Basis herrschender Vorstellungen darüber, was diesen guttut oder nicht, treffen kann, sondern sich schon die Mühe machen muß, die spezifischen Hintergründe und Voraussetzungen des Verhaltens der jeweils anderen zu begreifen und in den eigenen Entscheidungen zu berücksichtigen. Wolfgang Keller, Heimleiter im Flüchtlingswohnheim und Mitarbeiter unseres Projekts, veranschaulichte dies an einem konkreten Beispiel: Seine Mitarbeiterinnen wollten veranlassen, daß einem Elternpaar - Roma - die Kinder weggenommen wurden, weil sie diese offensichdich schlugen - ohne sie vorher auch nur einmal auf dieses Problem hin angesprochen zu haben. Bei näherer Diskussion mit den Eltern ergab sich, daß diese ihre Kinder im wesentlichen deshalb schlugen, damit sie im Heim nicht unangenehm auffallen. Das Schlagen war somit eher eine vermeintliche Anpassung an die deutschen Verhältnisse bzw. an die konkreten Heimbedingungen als Ausdruck ihrer persönlichen oder kulturellen Eigenart. Obwohl oder auch gerade weil die Richtigkeit dieser Forderung - nämlich sich detailliert auf den Einzelfall einzulassen, über den man entscheiden muß - unbezweifelbar ist, protestierten einige heftig gegen diejenigen, die diese Forderung noch einmal benannten: Diese seien Theoretiker, die von oben herab die Praktiker mit unerfüllbaren Anforderungen konfrontieren und ihnen damit nichts weiter als Schuldgefühle vermitteln würden. Um die eigene Position, nämlich daß der Mißbrauch der Kinder für das Betteln mit allen Mitteln zu unterbinden sei, zu rechtfertigen, tischten dann diese im allgemeinen außerordentlich bewußten und selbstkritischen Kolleginnen unversehens wahre Horrorgeschichten über Roma auf: Von Eltern, die ihre Kinder zur Prostitution zwingen, sie verkrüppeln, um auf diese Weise mehr Geld zu machen etc., etc. Es drängte sich unmittelbar der Eindruck auf, daß die Argumente gegen die Roma um so krasser waren, jefragwürdigereinem selbst insgeheim selbst die eigne Praxis ihnen gegenüber vorkam. Und genau an diesem Punkt fangt es an problematisch zu werden: nämlich da, wo man beginnt, das Handeln, zu dem man sich unter dem Druck der Situation genötigt sieht, als das einzig richtige zu verteidigen; bzw. wo man das Zurückfallen hinter die eigenen Ansprüche an gute Arbeit nicht im Zusammenhang mit deren vielfaltigen Behinderungen reflektiert, sondern als Notmaßnahme gegen das angeblich alle Normen verletzende Verhalten der Roma zu rechtfertigen sucht. Generell begegnet einem in der Flüchdingsarbeit - und sicherlich auch in anderen Bereichen - die Tendenz, den Anspruch schon für die Wirklichkeit zu nehmen. Ich arbeite natürlich für die Interessen der Flüchtlinge, war ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

Sinti und Roma: Eine neue »Problemgruppe« in der Flüchtlingsarbeit

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eine Aussage, auf die wir in unserer Untersuchung immer wieder gestoßen sind. Die allgemeinen Behinderungen schlagen sich dieser Sichtweise gemäß offensichdich nicht in der eigenen Arbeit, sondern nur in der Arbeit der jeweils anderen nieder. Und auch die Wohlfahrtsverbände und andere Institutionen geben Hochglanzbroschüren heraus, in denen sie durchaus ehrenwerte Ziele und Ansprüche für die Flüchtlingsarbeit propagieren, aber so gut wie gar nicht auf die vielfältigen Behinderungen eingehen, die dieser Arbeit entgegenstehen. Damit verhält man sich aber objektiv gegen die Interessen der Flüchtlinge, indem man auf diese Weise deren Beschwerden über die entmündigenden Bedingungen, unter denen sie hier zu leben gezwungen sind, den Boden entzieht und sie einmal mehr ins Unrecht setzt.

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DritterTeil

Rassismus in derTheorie

Rassismus/Fremdenfeindlichkeit in der Psychologie/ Psychoanalyse:Theorien als Konfliktvermeidungsstrategien

Dieser Text ist die stark überarbeitete Fassung eines Vortrags, den Ute Osterkamp auf einer Tagung des Instituts für Sozialpädagogische Forschung Mainz (ISM), »Einwanderungsland Rheinland-Pfalz - Begriffe, Denkweisen und Ansatzpunkte einer veränderten Praxis gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus«, im November 1992 an der Universität Mainz gehalten habe. Der Vortrag wurde u.a. 1993 in einem Berichtsband des ISM »Rassismus - Fremdenfeindlichkeit - Rechtsextremismus: Beiträge zu einem gesellschaftlichen Diskurs« unter dem Titel »Theoretische Zugänge und Abwehrformen psychologischer Analyse des Phänomens Rassismus/Fremdenfeindlichkeit« veröffentlicht (vgl. Quellenangaben). In den folgenden Texten ergeben sich aus dem Umstand, daß hier nicht, wie in den bisher abgedruckten Beiträgen, die Praxis des Projekts in den Flüchtlingswohnheimen theoretisch verarbeitet und verallgemeinert werden soll, sondern andere Theorien den Gegenstand der Diskussion bilden, bestimmte Mißdeutungsmöglichkeiten bezüglich der dadurch erforderten Art der Terminologisierung der gesellschaftlichen Bedingungen des Rassismus. Während nämlich in den früheren Beiträgen stets klar ist, was mit gesellschaftlichen Bedingungen gemeint ist, nämlich die konkreten Lebens- und Arbeitsbedingungen in den Heimen, wie sie vom Standpunkt der Flüchtlinge und Mitarbeiterinnen als Widersprüche und Behinderungen unmittelbar erfahren werden, fehlt naturgemäß dieser Bezug, wenn lediglich Theorien analysiert werden. So bleibt einem hier nichts anderes übrig, als die gesellschaftlichen Bedingungen - wenn etwa deren unzureichende oder unangemessene Konzeptualisierung in den jeweils diskutierten Theorien kritisiert werden soll - lediglich in sehr allgemeinen oder abstrakten Termini, als »gesellschaftliche Verhältnisse«, »strukturelle Verhältnisse«, »objektive Bedingungen« etc., zu benennen. Dadurch aber entsteht wiederum die Gefahr, daß hier gängige (alltägliche und sozialwissenschaftliche) Vorstellungen einrasten, die ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

Dritter Teil

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Berücksichtigung subjektiver Erfahrungen schließe die Berücksichtigung gesellschaftlicher Verhältnisse aus und umgekehrt - eine Polarisierung, die z.B. auch Norbert Elias und John Scotson als fatales Resultat der wissenschafdichen Arbeitsteilung zwischen Psychologie und Soziologie beklagt haben (1993,262ff). Vielleicht ist einem solchen Mißverständnis in diesem Band leichter zu begegnen, wenn man die Texte des II. und des III. Teiles in ihrem Zusammenhang rezipiert: Dann mag u.U. deutlich werden, daß z.B. an »strukturellen Verhältnissen« im Kontext unserer Theorienbildung - sofern man sie auf konkrete Lebens- und Arbeitsbedingungen, etwa in Flüchdingswohnheimen, hin spezifiziert - deren Charakteristik als Verhältnisse »für« Subjekte und »von« Subjekten gemeint ist, d.h. die »Weltseite« individueller Erfahrungen und Praxis, damit potentiell auch die persönliche Gestaltungsmöglichkeit dieser Welt und die Verantwortung für sie - ein Vermittlungsverhältnis, das demnach auch bei Terminologisierungen, in denen davon nicht unmittelbar die Rede ist, stets mitgedacht werden muß.

I. Die Erkenntnis, daß die vom Alltagsdenken nahegelegte personalisierende = psychologisierende Sichtweise das Verständnis rassistischer Phänomene massiv behindert, hat sich in jüngster Zeit mehr und mehr durchgesetzt (auch in diesem Band würde schon mehrfach daraufeingegangen/U. 0.). Solche Personalisierungen bestehen (um hier nur ein Beispiel zu nennen) etwa in der Tendenz, »Rassismus« an den extremen Äußerungsformen festzumachen und eine klare Trennlinie zwischen »Rassisten« und »Nicht-Rassisten« zu ziehen: Die einen verkörpern das Böse bzw. die »häßlichen Deutschen«, die anderen hingegen die »besseren Deutschen«. Die Möglichkeit, daß die »guten Deutschen« etwas mit dem Verhalten der »häßlichen Deutschen« zu tun haben könnten, bleibt in dieser Sicht ausgeschlossen. Die Handlungsfähigkeit beschränkt sich demgemäß auf die moralische Verurteilung der »Rassisten«. Je größer der Kreis derer ist, die man verdammt, um so reiner erstrahlt die eigene antirassistische Haltung. Die Frage nach den Bedingungen/Gründen rassistischen Verhaltens wird aus dieser Warte nicht selten als heimliche Sympathie für die Rassisten gewertet. Nicht die Opfer ihrer Übergriffe - so etwa Birgit Rommelspacher (1991,1992) -, sondern die deutschen Jugendlichen würden in den sozialwissenschaftlichen Untersuchungen des Rechtsextremismus als die eigendichen Leidtragenden unserer Gesellschaft erscheinen. Ihnen vor allem würden Anteilnahme und Mitgefühl gelten. Damit würden unversehens die Täter zu Opfern werden. Aber auch die scheinbar entgegengesetzte Haltung, nämlich die Aussage: »Wir sind alle Rassisten«, ist, da auch sie von den realen unterschiedlichen Voraussetzungen und Formen rassistischen Verhaltens abstrahiert, nichts anderes als eine Spielart personalisierender Sichtweise (Harnisch und Wagner ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

Rassismus/Fremdenfeindlichkeit in der Psychologie/Psychoanalyse

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1992). Die Pseudohaftigkeit bzw. der Abwehrcharakter solch pauschaler Proklamationen eigener rassistischer Denk- und Verhaltensweisen äußert sich nicht zuletzt darin, daß diejenigen, die solche Sprüche im Munde fuhren, in der Regel höchst empfindlich reagieren, wenn man sie konkret auf rassistische Aspekte ihres Denkens oder Handelns aufmerksam macht. Die zunehmende Problematisierung personalisierender Sichtweisen in der wissenschaftlichen Diskussion des Rassismus bedeutet keineswegs, daß diese damit schon überwunden wären. Im Gegenteil, hier beginnt erst die eigentliche Arbeit. Es gilt, die vielfältigen Formen und Mechanismen herauszuarbeiten, mit denen wir uns selbst - unter dem Druck der Praxis und in Anleitung durch entsprechende theoretische bzw. ideologische Angebote - immer wieder in personalisierendes Denken verstricken. Die allseits nahegelegte personalisierende Sicht der Dinge zu problematisieren, bedeutet, selbstverständliche alltägliche Formen auch der eigenen Daseinsbewältigung in Frage zu stellen. Dies schließt eine unmittelbare Verunsicherung ein, die zusätzlich dadurch erhöht wird, daß die Überwindung der personalisierenden Sichtweisen automatisch die gesellschaftlichen Verhältnisse in das Blickfeld der Kritik geraten läßt, was i.d.R. entsprechende - mehr oder weniger sublime - Sanktionen nach sich zieht. II. Die traditionelle Psychologie/Psychoanalyse, die aufgrund ihrer »arbeitsteiligen« Gegenstandszuweisung gehalten ist, das Individuum »aus sich heraus« zu erklären, ist in besondererWeise auf die personalisierende Sichtweise festgelegt. Eine solche Konzentration auf das Individuum, die von den gegenwärtigen gesellschaftlichen Voraussetzungen des jeweiligen Verhaltens weitgehend absieht, hat zur Folge, daß man die Individuen gemäß den herrschenden Normen bewertet bzw. zu trimmen sucht, ohne diese Normen selbst auf ihre Berechtigung bzw. die dahinterliegenden Interessen zu hinterftagen. Bezogen auf Rassismus bedeutet dies, »extreme«, die bestehende Ordnung gefährdende »rassistische Auswüchse« zu bekämpfen und damit zugleich von der gesellschaftlichen Normalität solcher Phänomene abzusehen. Die Konzentration auf das Individuum entzieht so den gesellschaftlichen status quo weitgehend der Kritik und erspart einem selbst die negativen Folgen, die eine solche Kritik fur die eigene Praxis und das eigene Fortkommen haben könnte. Entsprechend diesen gesellschaftlichen Vorgaben, denen zufolge die Probleme in einer Weise zu bewältigen sind, daß die herrschende Ordnung nicht in Frage gestellt ist, wird hier das Phänomen »Rassismus« im wesendichen als bloß gefühlsmäßige Einstellung gegenüber »Fremden« oder »Ausländern« verhandelt. Eine solche »Fremdenfeindlichkeit« wird entweder für »natürlich« = angeboren - so etwa bei Eibl-Eibesfeldt (1983) - oder aber als Sozialisationsschaden gesehen. Für Mario Erdmann (1992) ist das Fremde ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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naturgemäß ambivalent, sowohl angsterregend als auch anziehend. Die bedrohlichen Aspekte würden verhaltensbestimmend werden, wenn das Kind Aggressionen, die aus dem Verhältnis zu seinen Bezugspersonen erwachsen und dieses belasten könnten, auf Außenstehende projiziert. Statt das Böse in sich selbst zu erkennen, bekämpfe es dieses furderhin bei den jeweils anderen. Selbst wenn man den in solchen Erklärungen liegenden individualgenetischen Reduktionismus unproblematisiert lassen wollte, stellt sich die Frage, woher solche innerfamilialen Spannungen und Aggressionen kommen und vor allem: warum diese im Familienkreis nicht geäußert bzw. bewältigt werden können oder dürfen (vgl dazu Holzkamp, 1995a/U.O.). Auch Magarete Mitscherlich (1983) sieht als Ursache der »Fremdenfeindlichkeit« die Projektion von Haß-, Rache- und Neidaffekten, die ursprünglich den unterdrückenden Vätern oder Erziehern gegolten hätten. Das Ergebnis solcher Projektionen der Haßanteile in den innerfamilialen Beziehungen auf die Außenwelt sei die Idealisierung des Eigenen und die Verteufelung des Fremden. Dabei würden sich diese Minderheiten, gegen die sich solche Aggressionen vornehmlich richten, häufig selbst infolge ihres »inneren Zwangs zum Märtyrertum« für solche Projektionen anbieten. Die innere Quelle solcher Projektionen sei, so Mitscherlich, die fehlende Toleranz gegenüber Ambivalenzen, d.h. unsere mangelnde Fähigkeit zu ertragen, daß wir die Menschen, von denen wir abhängig sind, nicht nur lieben, sondern zugleich auch hassen. Solche Abhängigkeit wird von ihr, wie dies allgemein in der Psychologie der Fall ist, nicht in ihren Bezügen zu den konkreten Lebensverhältnissen, sondern nur als individuelles = emotionales Problem verhandelt. Damit gerät die reale Unterdrückung aus dem Blickfeld; übrig bleibt die individuelle Unfähigkeit, mit der Unterdrückung zu leben. Mit anderen Worten: Die Nötigung, kritische Impulse und Erkenntnisse zu verdrängen, um nicht der »Liebe« bzw. Zuwendungen derer verlustig zu gehen, auf die man existentiell angewiesen ist, wird in die Unfähigkeit uminterpretiert, das Nebeneinander von Liebe und Haß zu ertragen. Oder umgekehrt: Die subjektive Nodage und letztlich menschenunwürdige Situation, die einer solchen Ambivalenz zugrunde liegt - nämlich sich zur eigenen Existenzsicherung dem Willen und den Entscheidungen jener fugen zu müssen, die über die Mittel der Bedürfnisbefriedigung verfugen - wird unter der Hand zur wahrhaft reifen menschlichen Lebensbewältigungsform stilisiert und damit jeder Kritik entzogen. Die Projektions-Theorien enthalten zwar die wichtige Erkenntnis, daß »Fremdenfeindlichkeit« nicht primär den Eigenarten der Fremden, sondern der jeweils eigenen Situation geschuldet ist. Diese Erkenntnis fuhrt jedoch nicht weiter, wenn die strukturellen Voraussetzungen der Aggressionen sowie die Zusammenhänge, die hinter ihrer Verdrängung und Verschiebung liegen, im Dunkeln bleiben: dies fuhrt zu nichts anderem, als daß nunmehr statt ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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der Ausländer die Einheimischen bzw. große Teile von ihnen diffamiert werden. Die These, daß »Fremdenfeindlichkeit«, d.h. die rassistischen Gewaltakte, nicht eigentlich den »Fremden« gelten, gegen die sie sich richten, sondern Relikte mißglückter familialer Beziehungen sind, entlastet die gegenwärtigen Verhältnisse von der Verantwortung fur das Entstehen solcher Aggressionen. Man kann sich damit beruhigen, daß sie nicht den aktuellen Zuständen oder Verletzungen, sondern vergangenen Zurücksetzungen gelten oder vielmehr der Enttäuschung über die eigene Unzulänglichkeit entspringen, die sich darin äußert, daß man es nicht vermocht hat, die bedingungslose Liebe der Eltern fur sich zu gewinnen. Die Möglichkeit, daß solche Projektionen bzw. Aggressionsverschiebungen nicht eine Reaktion auf die in der Vergangenheit erfahrene Zurücksetzung und Ohnmacht sind, sondern vielmehr die Funktion haben, die gegenwärtige Ausgeliefertheit und Bedeutungslosigkeit zu kompensieren, gerät bei dieser Familialisierung der gesellschaftlichen Probleme von vornherein nicht in den Blick. Die Frage stellt sich in diesem Zusammenhang, inwieweit die Vertreterinnen solcher Projektionstheorien selbst Abwehrmechanismen aufsitzen. Statt der Projektion von der Vergangenheit in die Gegenwart würde es sich um die Projektion in umgekehrter Richtung handeln: Die aus der gegenwärtigen Situation erwachsenen Aggressionen würden in die Vergangenheit verlagert. Auf diese Weise leistet man einen Beitrag zur Verschleierung der gegenwärtigen Voraussetzungen existentieller Verunsicherung und zur Herstellung und Verfestigung des »Unbewußten«, nämlich der Verdrängung gesellschaftskritischer Impulse. Damit würde man - wie es für Projektionen typisch ist - die Probleme in einer Weise »bewältigen«, daß das Einvernehmen mit den herrschenden Verhältnissen und damit auch die eigene Existenz nicht gefährdet wird. Statt des Mechanismus der Projektion wäre der ebenfalls psychoanalytische Begriff der »Identifikation mit dem Aggressor« bei der Erklärung rassistischer Probleme weit eher angebracht. Dieser Begriff wird von Margarete Mitscherlich in ihren Erörterungen zum Problem der »Fremdenfeindlichkeit« zwar angeführt, aber um seinen kritischen Gehalt gebracht: Der Sieger, der Gewalttätige, der Angreifer würde idealisiert, zum Vorbild; man übernehme seine Wertvorstellungen, selbst wenn diese gegen die eigene Person oder die eigene Gruppe gerichtet seien. Auch in dieser Definition erscheint das Individuum als bloßes Opfer, das sein Opfertum dermaßen verinnerlicht, daß es sich anscheinend ohne äußere Nötigung jeder Kritik oder gar Gegenwehr gegen die Aggressoren enthält und statt dessen diese ob ihrer Stärke und Überlegenheit bewundert. Der eigentlich peinliche Aspekt an der »Identifikation mit dem Aggressor« bleibt hingegen systematisch ausgeblendet: nämlich daß man sich die Interessen der Herrschenden zu eigen macht, Widerständigkeiten gegen sie keineswegs nur bei sich, sondern auch bei anderen unterdrückt - um die ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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»Kastration«, d.h. die Beschneidung zentraler Lebens- und Handlungsmöglichkeiten, zu vermeiden, die man möglicherweise zu erwarten hätte, falls man sich den herrschenden Interessen widersetzt. Die »Identifikation mit dem Aggressor« ist somit gerade nicht masochistischen Tendenzen geschuldet, wie es in der Auslegung von Mitscherlich erscheint, sondern hat vielmehr die Funktion, die Aggressionen der Mächtigen von sich abzuwenden, indem man sich in ihre Dienste stellt, d.h. ihre Interessen gegenüber anderen durchzusetzen hilft. Die »Dazugehörigkeit« zu denen, die das Sagen haben bzw. über die Mittel der Bedürfnisbefriedigung verfügen, impliziert immer die aktive Abgrenzung gegenüber den »Nichtdazugehörigen« = »Fremden«. Dieses ausgrenzende Verhalten drängt sich einerseits unter dem Druck der eigenen Existenzsorge spontan auf, und wird andererseits auch durch die traditionelle Psychologie/Psychoanalyse systematisch nahegelegt: als Schutzwall gegen die, die wegen ihres weitgehenden Ausschlusses von den gesellschaftlichen Lebensmöglichkeiten eine ständige Gefahr für die herrschende Ordnung darstellen.

III. Der individuumzentrierten Grundposition der Psychologie/Psychoanalyse entspricht die praktische Forderung, das Phänomen Rassismus durch die pädagogisch-therapeutische Bearbeitung der Individuen in den Griff zu bekommen, ohne dessen gesellschaftliche Verflochtenheit sichtbar werden zu lassen. Wer dieser Forderung entspricht, hat gute Chancen, sich mit seinen »antirassistischen« Methoden ins Geschäft zu bringen. Mit anderen Worten: Wenn »Fremdenfeindlichkeit« bzw. Rassismus »in« den Menschen stecken soll, dann liegt es nahe, daß man den Rassismus auch unmittelbar an den Individuen auszutreiben sucht. Hierfür bieten sich mannigfaltige Programme an. Eines der verbreitetsten ist offensichdich das antirassistische Trainingsprogramm Lida van den Broeks. Lida van den Broek (1988) leugnet als progressive, politisch aktive Sozialwissenschaftlerin zwar keineswegs die Bedeutung der gesellschaftlichen Verhältnisse für die Entstehung von Rassismus, stellt ihnen jedoch dessen »menschliche Seite« gegenüber, für die sie sich als Psychologin im besonderen Maße zuständig sieht. Diese »menschliche Seite des Rassismus« gewinnt jedoch im Verlauf ihrer weiteren Ausführungen unter der Hand ihre ausschlaggebende Bedeutung: Auch wenn die Hauptursache für die Existenz des Rassismus ökonomischer Natur sei, sei die Ideologie der eigentliche und wesendiche Nährboden für sein Fortbestehen (28). Diese würde sich in der Mentalität der Menschen niederschlagen und zu einer »rassistischen« Persönlichkeitsstruktur verdichten, die dem gesellschaftlichen Fortschritt im Wege stünde, d.h. die Individuen daran hindern, sich den entwickelteren gesellschaftlichen Bedingungen ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

Rassismus/Fremdenfeindlichkeit in der Psychologie/Psychoanalyse

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anzupassen (45). Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Rassismus müsse somit am Beginn jeder wirkungsvollen antirassistischen Bewegung stehen (76, 107). Hierfür bietet Lida van den Broek ihr antirassistisches Trainingsprogramm an, das sowohl Anleihen bei der Verhaltenstherapie als auch bei der Psychoanalyse macht. Die rassistische Mentalität gelangt ihrer Auffassung nach per Konditionierung in der frühen Kindheit in die Menschen; diese Konditionierung habe prägenden Charakter und schließe Korrekturen durch spätere antirassistische Informationen weitgehend aus. Um eine solche Fehleinstellung zu veranschaulichen, benutzt Lida van den Broek das Bild einer Druckerpresse: Laufe bei der Papierzufuhr etwas schief, würden Fehldrucke entstehen. Werde der Fehler nicht sofort behoben, sei die Maschine blockiert und das Papier häufe sich an. Erst wenn das Papier beseitigt, die Maschine gereinigt und die Zufuhr korrigiert sei, sei das Übel behoben (62). So könne es auch auf psychischer Ebene infolge unzulänglich verarbeiteter frühkindlicher Erfahrungen zu einem »Stau« kommen, der die Aufnahme neuer Informationen weitgehend behindere. Solange dieser Stau nicht bearbeitet würde, stünden aber die Individuen, wie Lida van den Broek unter Bezugnahme auf Alice Miller bzw. deren Verflachung Freudscher Begriffe meint, unter einem psychischen Wiederholungszwang, durch welche sie die während des Prägungsprozesses erfahrenen seelischen Verletzungen und Ohnmachtsgefuhle bewußtlos an jeweils Schwächeren abreagieren würden (z.B. 48f). Solche Fehleinstellungen sollen dann in den antirassistischen Trainingsprogrammen »umkonditioniert« werden (105, 142): Methoden, die hierbei Anwendung finden, sind unter anderem, über die hohe Kultur der jeweils diskriminierten Völker zu informieren oder aber Schreibübungen, bei denen man in einem ersten Satz die Ängste vor den Fremden thematisiert, um in einem zweiten Satz das genaue Gegenteil dazu zu formulieren. Das wichtigste und offensichtlich attraktivste Moment an solchen antirassistischen Trainingsprogrammen ist aber, sich die Unterdrückung zu vergegenwärtigen, die man selbst in der Kindheit erfahren hat; damit soll u.a. auch die Identifikation mit den heutigen Opfern des Rassismus und damit zugleich die Solidarisierung mit ihnen erleichtert werden. Das heißt: Für Lida van den Broek sind auch »Rassisten« Opfer des Rassismus (93f); dies zu erkennen, sei ein wesendicher Schritt, um solche »Träger des Rassismus« zu erreichen und damit den Rassismus selbst zu bekämpfen. Statt von Schuld sollte man deshalb ihrer Auffassung nach lieber von »Verantwortung« sprechen. Darunter versteht sie, die rassistischen Voreinstellungen in der eigenen Person zu erkennen und an deren Überwindung - z.B. in solch antirassistischen Trainingsprogrammen - zu arbeiten. Ziel ihres antirassistischen Trainingsprogamms ist es, möglichst viele antirassistisch eingestellte Menschen zu produzieren und damit eine Veränderung ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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Dritter Teil

des allgemeinen Meinungsklimas zu erreichen. Sich auf wenige »Bekehrte« zu beschränken, würde zwar gewisse Freiräume verschaffen, in denen es sich ganz gut leben lasse; der Nachteil sei jedoch, daß man, sobald man diese Schonräume verließe, erneut dem Rassismus ausgeliefert sei (95).

IV. Sich mit den eigenen rassistischen Voreingenommenheiten sowie mit den selbst erfahrenen Verletzungen zu beschäftigen, ist sicherlich sinnvoll. Auch der Rekurs auf die Kindheit könnte durchaus eine nützliche Zwischenphase sein, da es einem möglicherweise leichter fallt, über vergangene als über gegenwärtige Kränkungen zu sprechen; dies nicht zuletzt auch deshalb, weil damit keine unmittelbaren Handlungsaufforderungen verbunden sind und man zudem für die Kindheit glaubhafter behaupten kann, wehrlos und bloßes Opfer gewesen zu sein. Problematisch wird es jedoch, wenn man über die in der Kindheit erfahrenen Kränkungen die gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklungsbehinderungen aus dem Blick verliert und damit zwangsläufig die Verhältnisse auf dem Kopf stellt: Nicht die Gesellschaft: behindert die Entwicklung der Individuen, sondern die Individuen behindern - infolge ihrer mangelnden Anpassungsfähigkeit - den gesellschaftlichen Fortschritt und haben sich deshalb im vorgeblich allgemeinen Interesse entsprechenden Umerziehungsprozeduren zu unterziehen. Theorien, die von den Verhältnissen abstrahieren und sich statt dessen scheinbar voll auf die Individuen einlassen, bedeuten somit letztlich nichts anderes, als diese gemäß den herrschenden Interessen umpolen zu wollen. Mit anderen Worten: Eine Selbstveränderung, die sich darauf beschränkt, sich gemäß den nunmehr neuen Normen - und seien sie noch so fortschrittlich - zu trimmen, ist genau besehen keine Selbstveränderung, sondern die Fortsetzung der alten Anpassung an nunmehr neue Machtverhältnisse. Wirkliche Selbstveränderung bestünde vielmehr darin, die defensive Haltung zu überwinden, der gemäß man sich den Erwartungen bzw. Vorstellungen jener, die das Sagen haben, anzupassen sucht, um sich auf diese Weise gewisse materielle oder auch ideelle Vorteile zu sichern. Wie weit Selbstveränderung in diesem Sinne möglich ist, hängt von den Unterstützungen ab, die man in diesem Kampf um die Selbstbestimmung erfahrt. Solche Hilfe kann durchaus auch wissenschaftlicher Art sein, indem hier die vielfältigen Behinderungen, die der individuellen Entwicklung unter den gegebenen Bedingungen gesetzt sind, so präzise wie möglich auf den Begriff gebracht werden, um so den betroffenen Subjekten die Möglichkeit zu geben, Handlungskonsequenzen daraus zu ziehen. Die Vielfalt und Spezifik der Behinderungen individueller Entwicklung wird man jedoch nur erfahren und somit begreifen können, wenn man sich bei der Suche nach den ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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Ursachen der Probleme nicht von vornherein auf die Vergangenheit zurückzieht, sondern sich auf die gegenwärtigen Lebens- und Arbeitsbedingungen einläßt bzw. deren konkrete Behinderungen zu überwinden sucht. Zentrale Ursachen des Leidens sind darüber hinaus keineswegs nur die Kränkungen, die man selbst erfahren hat, wie dies auch die hier genannten Theorien nahelegen, sondern vor allem diejenigen, die man um des eigenen Vorteils willen anderen zufügt oder zugefügt hat. Diese werden dementsprechend auch am gründlichsten verdrängt - und zwar so sehr, daß sie in den gängigen Theorien nicht einmal andeutungsweise Erwähnung finden. Gerade aber die Offenlegung der Kränkungen, die man anderen zufügt, ist im besonderen Maße »gefahrlich«: Während man sich mit dem selbst erfahrenen Leiden noch arrangieren, d.h. aus dem eigenen Opfer- bzw. Märtyrertum eine besondere Tugend machen und einen gewissen Gewinn ziehen kann, setzt einen das Leiden, das man anderen zufügt, eindeutig ins Unrecht und drängt zur Änderung des Verhaltens - es sei denn, man rechtfertigt die eigenen Aggressionen gegenüber anderen als Notwehr gegen ihnen unterstellte aggressive Absichten oder grenzt diese von vornherein als »Untermenschen« aus. Verantwortung steht somit nicht im Gegensatz zur Schuld, wie Lida van den Broek nahelegt, sondern ist vielmehr die Konsequenz daraus. Weil ich mich unter den gegebenen Bedingungen immer wieder in einer Weise verhalte, zu der ich nicht stehen kann, also »schuldig« werde, muß ich zur Änderung dieser Bedingungen beitragen. Die Verantwortung für mein Verhalten und die Verantwortung für die Verhältnisse ist eine Einheit. Ich kann Verantwortung für mein Verhalten nur in dem Maße übernehmen, wie ich Einfluß auf die Verhältnisse habe, die wiederum (in einem quasi dialektischen Prozeß) rückwirkend mein Verhalten beeinflussen; und meine Einflußnahme auf die Verhältnisse bedeutet zugleich, daß ich ebenfalls die Bedingungen für das Handeln der jeweils anderen mitbestimme und also auch für deren Tun und Lassen mitverantwortlich bin. Lida von den Broek ist also zuzustimmen, daß die Ausgrenzung der »Rassisten« nicht die Lösung des Problems ist - doch »Schuld« an ihrem Verhalten haben sie sehr wohl, aber eben nicht nur sie, sondern alle, die sich damit begnügen, ihnen die individuelle = alleinige Verantwortung für ihr »rassistisches« Handeln aufzuladen. Solange man an den Entstehungsbedingungen ihrer rassistischen Verhaltensweisen nichts ändert, solange kann man - so Heitmeyer (1992,678f) - sicher sein, daß sie ihr menschenverachtendes Handeln beibehalten werden, mit dem sie glauben, ihre Situation verbessern zu können. Wenn man - wie Lida van den Broek - die Verantwortung für das eigene Verhalten bzw. für die eigene Entwicklung unabhängig von den Einflüßmöglichkeiten auf die Verhältnisse behauptet, unter denen dieses Verhalten entsteht, bedeutet dies nichts anderes, als daß man es scheinbar in der Hand hat, ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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sich durch Wohlverhalten die Zuwendungen derer, von denen man abhängig ist, zu sichern. Eine solche Verantwortung impliziert immer die Ablehnung der Verantwortung fur die Verhältnisse und damit auch für das Verhalten der anderen, und dies ist wiederum gleichbedeutend mit der Akzeptanz der jeweils herrschenden Bedingungen. Dies bringt Fritz Perls, der Begründer der Gestalttherapie, besonders klar zum Ausdruck: So nennt er als Voraussetzung der Selbstentwicklung, Verantwortung für jedes Gefühl, für jeden Gedanken, für jede Bewegung, die man selbst hat, zu übernehmen - und die Verantwortung für jeden anderen abzuschütteln, wobei seine Maxime lautet: »Es ist, wie es sein soll, und es soll sein, wie es ist« (1976, 79). Die Hoffnung Lida van den Broeks, über die Aufarbeitung der Kindheit oder andere therapeutisch-pädagogische Maßnahmen könnte sich das allgemeine Meinungsklima so verändern, daß sich der Kampf um die gesellschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten erübrigt und man sich den gegebenen Verhältnissen bedenkenlos einfügen kann, ist verführerisch und entsprechend verbreitet. So wird z.B. auch in der Broschüre der »Beauftragten der Bundesregierung für die Integration der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen« mit dem Titel: »Ideen & Handlungshilfen gegen Fremdenfeindlichkeit vor allem in den fünf neuen Bundesländern« (1991) ein Kommunikationsprogramm zur Überwindung von Fremdenfeindlichkeit angeboten, das die Politik »über den Umweg der gestaltenden Beeinflussung des öffentlichen Meinungsklimas... unterstützen und positiv verstärken« soll (13). Übersehen wird dabei, daß dieses »fremdenfeindliche« Meinungsklima im wesentlichen durch die öffentliche Politik erzeugt wird, und daß die Verbesserung der Situation der Flüchtlinge somit keineswegs bedeuten kann, diese Politik zu unterstützen. Allen, die sich um die Überwindung allgemeiner Mißstände bemühen, wird es nicht erspart bleiben, das jeweils eigene Handeln in seinen gesellschaftlichen Implikationen zu reflektieren und die eigenen Ansichten und Erkenntnisse auch gegenüber Anders-Denkenden bzw. der herrschenden Politik vertreten zu lernen. Tut man dies nicht, geht man, wie Freud deutlich macht, zwar den Konflikten mit den Herrschenden aus dem Wege, die man, auf sich allein gestellt, höchstwahrscheinlich nicht bestehen wird: Der Preis für die Aussöhnung mit den herrschenden Verhältnissen ist jedoch die selbsttätige Unterdrückung aller kritischen Impulse und Erkenntnisse und damit die lebenslange Selbstentfremdung.

V. Es ist offensichtlich eine Illusion, - wie dies von den traditionell-psychologischen Rassismus-Theorien, also auch von Linda van den Broek, empfohlen wird - über die Veränderung der individuellen Einstellungen die rassistischen ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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Verhältnisse überwinden zu können (vgl dazu Holzkamp 1994/U.O.). So verdeutlichte sich auch in unserer Untersuchung über die Arbeits- und Lebensbedingungen in Flüchtlingswohnheimen immer wieder der Umstand, daß vom Standpunkt der Subjekte deren Einstellungen von den strukturellen Verhältnissen, unter denen sie leben, nicht zu trennen sind: Angesichts der widersprüchlichen Situation, mit denen sich die Mitarbeiterinnen im Flüchtlingsbereich konfrontiert sehen - nämlich Hilfe unter Bedingungen leisten zu sollen, die diese Hilfe weitgehend ausschließen - geraten unversehens die Flüchdinge zum Problem, das es kleinzuhalten gilt, damit es einem nicht über den Kopf wächst. Damit hat man aber, unter dem Druck der Situation, die herrschenden Abschreckungspolitik verinnerlicht. Die persönliche Einstellung gegenüber den Flüchdingen äußert sich dann im wesentlichen nur noch in der unterschiedlichen Art und Weise, wie man deren Ansprüche und Proteste, die wiederum das eigene Arrangement mit den bestehenden Bedingungen gefährden könnten, abzuwehren sucht. Ständiger Anlaß von Ärger in solchen Heimen ist z.B. das Essen bzw. die Klagen der Flüchtlinge über dieses. Während eher »rechte« Mitarbeiterinnen möglicherweise der Meinung sind, daß die Flüchtlinge ja »wieder abhauen könnten, wenn es ihnen bei uns nicht paßt«, versuchen vielleicht andere die Genießbarkeit des Folienfraßes, den man ihnen unter Protest auf den Tisch knallt, dadurch zu beweisen, daß sie ihn demonstrativ selbst essen. »Politisch bewußtere« Mitarbeiterinnen stimmen den Beschwerden über das Essen dagegen unter Umständen zu, verweisen aber auf die politisch Verantwortlichen als die eigentlichen Adressaten fur solche Proteste, wohl wissend, daß die Flüchtlinge - aus guten Gründen - sich in der Regel an diese nicht wenden werden. Welcher Umgang mit dem Problem für die Flüchtlinge am erträglichsten ist, ist durchaus offen. Ins Unrecht sind sie durch alle drei Methoden gesetzt, durch die »progressive« möglicherweise sogar im besonderen Maße, die ihnen scheinbar einen Ausweg zeigt und ihnen damit die Schuld aufbürdet, wenn sie diesen nicht gehen. Der Umstand, daß mit den antirassistischen Trainingsprogrammen vornehmlich »Einstellungen«, d.h. häufig konkret: bloße Redeweisen über Rassismus geändert werden, dürfte zu einer spezifischen Selektion des damit erreichbaren Klienteis fuhren, indem davon im wesendichen Leute angesprochen werden, die in der Regel bereits ein entsprechendes Problembewußtsein haben und ihrer antirassistischen Haltung nur noch den letzten Schliff geben oder sich diese - durch ein entsprechendes Zertifikat - offiziell bestätigen lassen wollen. Die »Rassisten«, denen solche Programme eigendich gelten, wird man damit kaum erreichen. Diese werden zum einen niemalsfreiwilligkommen, und zum anderen aber auch eine Aufklärung ablehnen, die von ihren realen Problemen absieht und sie damit von vornherein als moralisch minderwertig abqualifiziert. Phil Cohen (1991, 329) bezeichnet eine solche Form des Antirassismus, bei dem seine Vertreterinnen als Bannerträger von Vernunft und ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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Fortschritt die zurückgebliebenen Massen zu zivilisieren suchen, als eine spezifische Form mittelständischen Rassismus, als einen Diskurs der Macht und eine Strategie der Verhältensüberwachung sowie Denkkontrolle, die genau das, was sie erreichen will, verhindert. In diesem Zusammenhang stellt sich durchaus die Frage, inwieweit die Beliebtheit solcher antirassistischer Trainingsprogramme und ähnlicher Veranstaltungen gerade ihrer relativen Erfolglosigkeit geschuldet ist: man kommt indem hier nur die Änderung verbaler Einstellungen zur Frage steht - dem antirassistischen Auftrag und Anspruch in einer Weise nach, die die eigenen Handlungsmöglichkeiten nicht überfordert und »außerordentliche« Schwierigkeiten vermeidet, die unter Garantie auf einen zukämen, wenn man das »rassistische« Verhalten eben nicht nur an den jeweiligen Menschen wegzutrainieren, sondern im Kontext der konkreten Lebens- und Arbeitsbedingungen und der offiziellen Politik zu analysieren und zu ändern sucht.

VI. Wie gerade am Konzept der »Einstellung« demonstriert, ergibt sich die Unfähigkeit der traditionellen Psychologie/Psychoanalyse, Rassismus aus den wirklichen Lebensbedingungen der Individuen zu verstehen, schon aus der Art und Weise, wie dabei die wissenschaftlichen Grundbegriffe konstruiert sind. Dies läßt sich weiterhin an der Art, wie hier das Verhältnis zwischen »Denken« und »Emotionalität« gefaßt ist, verdeutlichen. - Die benannte hier übliche Abstraktion von den gesellschaftlichen Verhältnissen ist stets auch eine Abstraktion vom Handeln, das immer auf die gesellschaftlichen Bedingungen verweist. Wenn das gesellschaftsbezogene Handeln ausgeklammert ist, so verschwindet auch der Zusammenhang zwischen Erkenntnis und Emotionalität, der über das Handeln bzw. die Handlungsfähigkeit vermittelt ist. Dies führt wiederum zu der üblichen Trennung zwischen Denken und Fühlen, die sich in den entsprechenden Rassismus-Theorien - so auch bei Lida von den Broek (vgl. 1988, 28) - wiederfindet. Gefühl und Vernunft geraten aber nur unter Bedingungen der Fremdbestimmtheit in Gegensatz zueinander, wenn sich nämlich »Vernunft« auf Anpassung beschränkt, die darin besteht, alle unbotmäßigen Erkenntnisse und Impulse zu verdrängen: »Vernünftig« wäre demzufolge, das zu tun, was man tun soll, »unvernünftig« bzw. »irrational«, dagegen zu opponieren und sich auf diese Weise entsprechende Sanktionen einzuhandeln. Sofern man jedoch von der subjektiven Notwendigkeit der handelnden Einflußnahme auf die Verhältnisse ausgeht, wird klar, daß die Gefühle keineswegs als solche im Gegensatz zur Vernunft stehen, sondern selbst eine Form der Erkenntnis darstellen: sie sind die spontane Bewertung der jeweiligen Realität am Maßstab der individuellen Befindlichkeit bzw. am Maßstab der subjektiven Handlungsmöglichkeit dieser Realität gegenüber. ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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Gefühle haben orientierende und handlungsanleitende Funktion. Die Funktion der »Vernunft« im engeren Sinne besteht dann darin, die spontanen Stellungnahmen zu den jeweiligen Ereignissen, die sich in den Emotionen ausdrücken, zu konkretisieren: d.h. sie auf ihre strukturellen Hintergründe hin zu explizieren, um entsprechend aktiv werden zu können. Dies würde z.B. im Falle der Angst bedeuten, deren wirkliche Entstehungsbedingungen auszumachen, um mit diesen auch die Angst zu überwinden (vgl. Osterkamp, etwa 1978). Gefühle sind also keineswegs von sich aus irrational, sondern die Irrationalität ergibt erst aus der gesellschaftlichen Behinderung ihres Ausdrucks: bestimmte »kritische« Gefühle - wie etwa Angst und Aggression -, die auf die Ungesichertheit individueller Existenz sowie die mangelnde Befriedigung zentraler Lebensansprüche verweisen und damit eine Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen implizieren, werden in ihrem Ausdruck mehr oder weniger direkt eingeschränkt. Dies geschieht nicht zuletzt dadurch, daß man ihren Bezug zur Lebensrealität abstreitet und sie damit in die Irrealität = Irrationalität drängt oder sie, was letztlich auf das gleiche hinausläuft, als bloß privates Problem behandelt: Angst verweist demzufolge nicht auf reale Bedrohungen, sondern auf die eigene »Überängstlichkeit« oder Feigheit, die man, um nicht die allgemeine Anerkennung zuriskieren,im Zweifelsfall lieber verbirgt oder therapeutisch in den Griff zu bekommen sucht. So nennt z.B. Erich Fromm die »Angst vor der Freiheit« als zentrale Ursache menschlicher Entwicklungsbehinderung, nicht aber die Sanktionen, die jene treffen würden, die trotz ihrer realen Abhängigkeit sich die Freiheit nähmen, zu sagen und zu tun, was sie denken und fühlen. Die Irrationalisierung der Gefühle bedeutet somit nichts anderes, als die Kritik an den Verhältnissen gegen die Individuen zu kehren, die sie üben; sie ist ein Produkt der Unterdrückung, an deren Verschleierung und Festigung man ungewollt mitwirkt, wenn man Gefühle schon durch die Art der Begriffsbildung in Gegensatz zur Vernunft setzt. Von der Irrationalität der Angst zu sprechen, bedeutet, so auch Heitmeyer (1992, 678), daß man den Ursachen der Angst nicht auf den Grund zu gehen gedenkt. Man läßt sich (wie von uns immer wieder hervorgehoben) nicht auf die Probleme der Menschen ein, sondern macht diese selbst zum Problem. Dabei würde die dem Rassismus zugrundeliegende Angst häufig von den gleichen Leuten pathologisiert, die sich - etwa im Zusammenhang mit der Friedensbewegung - gegen die Pathologisierung ihrer eigenen Ängste heftig zur Wehr gesetzt hätten.

VII. Der Begriff der »Ausländerfeindlichkeit« - einschließlich von Varianten wie »Fremdenfeindlichkeit«, »Fremdenhaß« etc. der Lieblingsbegriff besonders psychoanalytischer Theorien über Rassismus (vgl Holzkamp 1995a/U.O) - ist ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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in vielfacher Weise irreführend: Es ist, wie viele Untersuchungen zeigen (z.B. Hoffmann und Even, 1985, Osterkamp, 1990,1992) weniger die individuelle Gemeinheit und Aggressivität einzelner, die Nichtdeutschen zu schaffen macht, als vielmehr ihre strukturelle Benachteiligung, die von der Mehrheit der Einheimischen widerstandslos akzeptiert wird; »Ausländerfeindlichkeit« beruht auf dem von fast allen Einheimischen geteilten Konsens, daß die Interessen der Deutschen Vorrang gegenüber denen der »Fremden« haben müßten. Die allgemeine Entrechtung der hier lebenden Nichtdeutschen ist in dieser Sichtweise die wesendiche Voraussetzung, die sie als Aggressionsobjekte besonders geeignet erscheinen läßt und zugleich ihre Gegenwehr massiv behindert - und nicht ihr »Märtyrertum« oder ihr angeblicher Masochismus, wie Margarete Mitscherlich meint. Aber selbst unmittelbar »ausländerfeindliche« Akte gründen sich unserer Auffassung nach weniger in Aggressionen gegenüber Nichtdeutschen, als vielmehr in der Angst vor gesellschaftlichen Veränderungen, durch die man überrollt und ins Abseits gedrängt zu werden droht. Solche Gefühle allgemeiner Ausgeliefertheit und Ohnmacht werden durch die offizielle Politik systematisch in Bereiche gelenkt, in denen man gewisse Einflußmöglichkeiten zuzugestehen bereit ist. Die Forderung »Ausländer raus« findet - im Unterschied zu den meisten anderen Forderungen - unmittelbar Gehör. Wenn Politiker wie Berlins Innenminister Heckelmann ernsthaft die endgültige Lösung des »Asylantenproblems« fordern und »Scheinasylanten rausschmeißen« wollen, um mit dem so ersparten Geld die Jugendarbeit in Ostdeutschland zu fordern (Seidel-Pielen, Freitag vom 16.10.92), ist es kein Wunder, wenn Jugendliche auf die Idee kommen, daß »Ausländer« auf ihre Kosten leben und sich demzufolge berechtigt fühlen, dem notfalls gewaltsam ein Ende zu setzen. »Aber Gewalt darf nicht sein. Erst müssen wirklich alle friedlichen Mittel ausgeschöpft werden« so die Bundesministerin für Frauen und Jugend, Angela Merkel, im Gespräch mit Skinheads aus Mecklenburg-Vorpommern (FAZ vom 2.9.92). »Fremdenfeindlichkeit« wird aber auch dadurch gefordert, daß Hilfeleistungen weitgehend unterbunden werden. So zeigten sich z.B. viele Deutsche spontan bereit, Flüchdinge aus Bosnien-Herzegowina privat aufzunehmen, weil die öffentlichen Unterbringungsmöglichkeiten angeblich nicht ausreichten. Zur »Belohnung« dafür sollten sie entsprechend den Vorstellungen der Regierenden nicht nur für die Unterkunft und Verpflegung der Flüchdinge, sondern auch für alle eventuell entstehenden Krankheitskosten aufkommen. Der öffendiche Druck in Richtung auf die personalisierende Interpretation der Probleme erweist sich nicht zuletzt auch in den wütenden Reaktionen, mit denen Hinweise auf die politische Verantwortung an den rassistischen Erscheinungen von vornherein als »unsinnig« = irrational abgetan werden. So unterstellt z.B. Eckhard Fuhr (FAZ, 30.10.92) allen, die für Beibehaltung des ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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individuellen Rechts auf Asyl eintreten, »ein gesinnungsethisches Delirium«; ebenso kann er es nur als Ausdruck von »Wahn« deuten, wenn man »Fremdenfeindlichkeit« fur keine natürliche, sondern für eine politisch erzeugte Einstellung hält. Argumente werden hier durch Diffamierungen ersetzt. Diese Einschüchterungstaktik kommt in besonders krasser Form in der Anzeigenkampagne der CSU zum Ausdruck, in der unter der Überschrift »Die ewig Gestrigen« alle SPD- und FDP-Politikerinnen, die sich gegen eine Asylrechtsänderung ausgesprochen haben, öffentlich genannt und damit zum Angriff freigegeben wurden (FAZ vom 13.10.92). »Ehrenrührig« handeln demnach nicht die, die wie Bundeskanzler Kohl vom »Staatsnotstand« in der Asylpolitik sprechen und damit die gegen alle Nichtdeutschen gerichtete Stimmung weiterhin aufheizen; und ehrenrührig handeln auch nicht die, die, wie große Teile der CDU-/CSU-Fraktion, nach Wegen suchen, um über die Verfassung hinweg das Individualrecht auf Asyl mit einfacher Mehrheit vom Tisch zu kriegen, sondern ehrenrührig handeln, so Kanzleramtsminister Bohl (FAZ, 5.11.92), vielmehr diejenigen, die solche Bestrebungen offen als das benennen, was sie sind: als Androhung des Verfassungsbruchs.

VIII. Die traditionellen psychologisch/psychoanalytischen Rassismus-Theorien und darin gegründeten pädagogisch-therapeutischen Programme sind also - wie gezeigt werden sollte - in dem Sinne Konfliktvermeidungsstrategien, daß sie im Einklang mit dem Alltagsdenken - das Problem des Rassismus in vielfaltiger Weise personalisieren und individualisieren und das Einvernehmen mit den herrschenden Verhältnissen »wissenschaftlich« stilisieren. Dies bedeutet auch, daß sie aufgrund der verkürzten, das Individuum von seinen gesellschaftlichen Lebensbedingungen isolierenden Fassung ihrer Basisbegriffe (wie Einstellung, Rationalität/Emotionalität, Angst, Irrationalität, Ausländer/bWlichkeit etc.) sich nicht die Denkmittel zu erarbeiten vermögen, um die in der offiziellen Politik enthaltenen mannigfachen Verdoppelungen und Bekräftigungen des Alltagsverstandes, mit denen eine Interessenübereinstimmung zwischen den Herrschenden und der Bevölkerung vorgetäuscht wird, analytisch durchdringen zu können. Um die Harmlosigkeit des apologetischen Geredes heutiger Psychologen/Psychoanalytiker über Rassismus zu überwinden, bedarf es also nicht nur guten Willens und antirassistischer Gesinnung, sondern einer Grundbegrifflichkeit, durch die mit der wissenschaftlichen Überschreitung des Naheliegenden die menschliche Befreiungsperspektive auch in der Psychologie zur Geltung kommt.

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»Rassismus/Antirassismus«: Politische Widersprüche in theoretischen Konzepten

Die Entstehung des Projekts »Rassismus/Diskriminierung« verdankte sich, wie dargestellt, den unmittelbaren Erfahrungen in den Flüchtlingswohnheimen. Ausgangspunkt waren dabei die Konflikte, Abwehrfiguren und selbstschädigenden Entsolidarisierungsprozesse unter den Flüchtlingen und Mitarbeiterinnen, die auf ihre Vermittlung mit den widersprüchlichen institutionellen Anforderungen, Hilfe unter Bedingungen leisten zu sollen, unter denen wirkliche Hilfe weitgehend ausgeschlossen ist, sowie den »dahinter stehenden« politischen Vorentscheidungen und Vorgaben hin analysiert werden wollten. Das Konzept »Rassismus« wurde dabei wesentlich zur Charakterisierung einschlägiger Tendenzen der offiziellen Politik sowie ihrer konfliktvermeidenden Übernahme als »Selbstverständlichkeiten« individuellen Handelns etc. herangezogen. Erst allmählich wurde klar, daß »Rassismus« auch noch in einem ganz anderen Kontext zu sehen ist, nämlich als Thema einer umfassenden sozialwissenschafdichen Diskussion. Der folgende (1991 im Forum Kritische Psychologie veröffentlichte) Text diente der Aufarbeitung wesendicher Konzepte dieser Diskussion. Es handelt sich dabei also ausnahmsweise um keine Auftragsarbeit, sondern um ein SelbstverständigungsPapier, mit dem die Erarbeitung der eigenen Position innerhalb der laufenden Kontroversen erleichtert und die spezielle Funktion der vom Projekt publizierten Beiträge im Rahmen dieser Kontroversen besser abschätzbar und vorhersehbar werden sollte. Erst im Ergebnis dieses Selbstverständigungsprozesse waren - wie es scheint - allmählich auch bisherige Unsicherheiten und Uneindeutigkeiten der Begriffsbildung und Terminologie überwindbar. »Rassifizierung« gesellschafilicher Ausgrenzungsbewegungen Der Begriff Rasse ist - so Robert Miles (1990) stellvertretend für viele andere ein soziales Produkt, dem eine biologische Realität unterstellt wird, die nachträglich wiederum zur Erklärung bzw. Rechtfertigung sozialer Verhältnisse und Differenzen herangezogen wird. Dieser Erkenntnis trägt der Begriff des »Rassismus ohne Rassen« Rechnung. Die Rassifizierung bzw. Biologisierung sozialer Probleme tritt als geschichtliche Größe offensichdich gerade in formal egalitären Gesellschaften auf, in denen der Status des einzelnen nicht mehr per Geburt bzw. Stand gesichert ist, sondern - zumindest scheinbar - von der individuellen Möglichkeit und Geschicklichkeit abhängt, sich anderen gegenüber durchzusetzen. Die Biologisierung bzw. Rassisierung der oberflächlichen Differenzen hat die Funktion, die jeweils anderen in der Position ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

».Rassismus/Antirassismus«:

Politische Widersprüche in theoretischen Konzepten

prinzipieller Unterlegenheit bzw. Ausbeutbarkeit festzuhalten. Dabei provoziert, so Balibar, gerade das Fehlen jeglicher empirischer Grundlage einen übermäßigen »Purismus«, die Suche nach einen Kern »authentischer« Identität als Garant der Zugehörigkeit zur privilegierten Gruppe, die sich wiederum nur aus der »halluzinatorischen Sichtbarkeit« der Andersartigkeit der »falschen Staatsangehörigen« ableiten lasse (1990, 76f). Rassismus ist immer ein Prozeß der Abwehr und Grenzziehung, d.h. mit einer Ausschließungspraxis verbunden, wobei die Ausschließung der jeweils anderen die Funktion hat, die eigene Position abzusichern. Die Ausgrenzung gilt i.d.R. nicht dem je einzelnen, sondern dem Angehörigen einer diskriminierten Gruppe. Bevorzugtes Objekt des Rassismus ist, so Balibar, nicht »der Araber« oder »der Schwarze«, sondern der »Araber« als »Drogensüchtiger«, »Krimineller«, »Vergewaltiger« usw., bzw. der Vergewaltiger und Kriminelle als »Araber« etc. (1990,63). Eine solche Subsumierung unter die Gruppe schließt eine Anonymisierung und Ent-Individualisierung ein, sodaß die üblichen Schutzmechanismen, die bekannten und vertrauten Menschen gelten, weitgehend wegfallen; sie enthebt zugleich der Notwendigkeit, die inkriminierten Eigenschaften am Verhalten des einzelnen auszuweisen: als Mitglied einer Gruppe teilt er automatisch deren Merkmale. Die Tatsache, daß die einzelnen nicht als Individuen, sondern als Teil einer »Masse« erscheinen, lassen sie zudem übermächtig und zugleich unberechenbar, damit aber auch die eigene Abwehr ihnen gegenüber nachträglich notwendig erscheinen. Die Ausgrenzung der »Fremden« zielt jedoch, wie Balibar immer wieder hervorhebt, i.d.R. keineswegs auf die prinzipielle Aufkündigung der Beziehungen zu diesen, sondern »nur« auf deren Unterordnung unter die Interessen der Angehörigen der dominanten Gruppe. Sie sei eine Einschließung in der Ausschließung. So kann z.B. die deutsche Wirtschaft keineswegs auf »ausländische Arbeitskräfte« verzichten, ist aber daran interessiert, deren allgemeine Verfügbarkeit zu erhalten, was wiederum durch die Position relativer Entrechtung, in der die Immigrantinnen hier leben, weitgehend gesichert ist. Die Menschen sollen, wie Wallerstein feststellt, innerhalb des Arbeitssystems bleiben und nicht hinausgeworfen werden (1990, 46). Die Ausgrenzung anderer bedeutet, so Balibar, stets auch die eigene Eingrenzung, d.h. die Konstituierung einer rassistischen Gemeinschaft oder einer Gemeinschaft von Rassisten, durch die wiederum die Individuen und Kollektive, die dem Rassismus (als dessen »Objekte«) ausgesetzt sind, sich gezwungen sehen, sich quasi spiegelbildlich nunmehr selbst als Kollektiv wahrzunehmen (1990,24). Die Tatsache, daß nicht die »Rasse«, sondern die allgemeine Tendenz, die Probleme zu rassifizieren, zentrales Problem des Rassismus ist, zeigt sich auch darin, daß dessen »Objekte« weitgehend beliebig wechseln können. Welche Gruppen ausgegrenzt werden, hängt von den jeweils konkreten Bedingungen ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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ab und hat nicht unbedingt etwas mit der »Andersartigkeit« der Ausgegrenzten zu tun. So mußte die Fremdheit der Juden durch die Nazis beispielsweise erst konstituiert werden, um sie ausschließen zu können (wobei die mangelnde Erkennbarkeit der »Andersartigkeit« wiederum als besondere »Heimtücke« interpretiert werden konnte). Es gibt, so Wallerstein, immer einige, die die »Nigger« sind. Wenn es keine Schwarzen gibt oder zu wenige, die die Rolle übernehmen könnten, werden eben »weiße Nigger« erfunden. Er spricht demzufolge von einem der Form und Bösartigkeit nach konstanten, bezüglich der Grenzziehung jedoch flexiblen Rassismus. Während die Muster der Ethnisierung gleich blieben, würden ihre Details sich je nach Zeit und Ort unterschiedlich gestalten. Rassismus behaupte somit die Kontinuität zwischen Vergangenheit und Gegenwart und verbinde dies zugleich mit einer gegenwartsbezogenen Flexibilität, wenn es um die Definition der exakten Grenzen jener verdinglichten Wesenheiten geht, die Rassen oder ethnische, nationale oder religiöse Gruppierungen genannt werden (1990, 45). Ähnlich argumentiert auch Balibar, indem er darauf hinweist, daß die durch die aktuelle Situation bedingten rassistischen Erscheinungen in Frankreich auf vielfaltige Weise am kolonialen Rassismus anknüpfen: indem es zum einen immer noch »Territorien« und »Ureinwohner« mit dem Status von Halbbürgerinnen gebe, die von der Entkolonisierung weitgehend unberührt geblieben seien; indem zum anderen der Neokolonialismus eine massive und unverkennbare Realität bilde, und weil darüber hinaus die bevorzugten Objekte des Neo-Rassismus Arbeiterinnen aus den früheren Kolonien seien, gegen die sich die imperiale Verachtung der ehemaligen Kolonisatoren und die Ressentiments der Bürgerinnen einer geschlagenen Macht, wenn nicht gar die Wahnvorstellung einer Revanche, richten würden etc. (1990,54). Die bloße Kontinuität rassistischer Tendenzen läßt diese bereits als »normal« und richtig erscheinen. Obwohl sich die Erkenntnis weitgehend durchgesetzt hat, daß nicht »Rassen«, sondern die alltägliche = »normale« Ausgrenzung anderer das Problem sind, konzentrieren sich die Bemühungen, das Phänomen »Rassismus« zu erfassen, immer wieder auf seine »Objekte« bzw. auf die extremen Formen seiner Äußerungen. Dies fuhrt dazu, daß die rassistischen Tendenzen losgelöst von ihrer Funktion der Daseinsbewältigung unter den gegebenen Bedingungen als autonome Kraft oder Wesenheit erscheinen, die sich ähnlich wie die »Triebe« im Verständnis der Freudschen Theorie über die Köpfe der Individuen hinweg in vielfaltigen Formen äußern, die wiederum in Wechselbeziehungen zueinander treten bzw. mannigfaltige »Legierungen« eingehen. So listet z.B. Balibar unterschiedliche Formen des Rassismus - theoretischen versus spontanen, selbstbezogenen versus fremdbezogenen, institutionellen versus soziologischen, ausschließenden versus einschließenden etc. - auf und zieht daraus den Schluß, daß es keinen invarianten Rassismus, sondern viele Rassismen ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

».Rassismus/Antirassismus«:

Politische Widersprüche in theoretischen Konzepten

gibt, die ein System sich ergänzender, miteinander verbundener Ausgrenzungs- und Herrschaftsformen bilden und eher bestimmte historische Entwicklungen als reine Verhaltens- und Strukturtypen darstellen (1990, 50, ff). Die Tatsache, daß der »Rassismus« von konkreten Menschen praktiziert wird und eine Form individueller Daseinsbewältigung unter konkreten historischen Bedingungen darstellt, gerät bei dieser Sichtweise aus dem Blickfeld. Solche Bemühungen, den »Rassismus« über seine unterschiedlichen Erscheinungsformen »Ausländerfeindlichkeit«, Sexismus, Antisemitismus zu fassen (statt die Bedingungen zu analysieren, unter denen die Ausgrenzung anderer sich als Form individueller oder kollektiver Daseinssicherung aufdrängt), fuhren wiederum zu endlosen Disputen darüber, wie eng oder weit der Begriff des »Rassismus« zu begreifen sei. So schlägt z.B. Giullaumin vor, unter Rassismus alle Formen von Ausgrenzung und Minorisierung (ethnische Gruppen, Frauen, sexuell »Perverse«, Geisteskranke, Lumpenproletarier etc.) zu fassen, während Rodinson befurchtet, daß auf diese Weise der Begriff seine historische Spezifität und konkreten Inhalte verliert (vgl. Balibar 1990, 62). Diese Gefahr besteht aber offensichdich nur dann, wenn man »Rassismus« über seine »Objekte« bzw. über seine Auswirkungen auf diese zu erfassen sucht, was i.d.R. mit einem Wiedergutmachungsanspruch verbunden ist und eine Konkurrenz um den größten Opferstatus einschließt (Meulenbelt, 1988; Osterkamp, 1989a). Unter dem Blickwinkel der passiven Betroffenheit ist es in der Tat eine unerträgliche Verharmlosung des Leidens, etwa die Verfolgung der Juden mit der alltäglichen Unterdrückung von Frauen oder Ausländern gleichzusetzen. Wenn man jedoch sich selbst nicht nur als passives Opfer, sondern auch als aktiven Träger rassistischer Tendenzen begreift, ist es absolut erforderlich, diesen Begriff so weit wie möglich zu fassen, d.h. die »normalsten« und »unauffälligsten« Formen ausgrenzender Verhaltensweisen in die Analyse einzubeziehen. - Versuche, »Rassismus« über seine äußeren Erscheinungsformen zu fassen, scheitern nicht zuletzt auch daran, daß sich rassistische Tendenzen in Abhängigkeit von der gesellschaflichen Situation und den unterschiedlichen Positionen in durchaus unterschiedlicher Weise als direkte Aggression, allgemeine Gleichgültigkeit, restriktive »Fürsorge« etc. äußern können. Die sichtbarste Form nehmen »rassistische« Verhaltensweisen gewöhnlich in den »unteren«, durch sozialen Abstieg bedrohten Schichten an, während sie in den herrschenden Schichten, deren »Überlegenheit« unangetastet ist, eher unauffällig bleiben oder gar als ihr Gegenteil, als Kampf gegen Rassismus, erscheinen können (s.u.). Vom biologischen zum ethnisierenden Rassismus:»Fremdenfeindlichkeit« Im allgemeinen bleiben die Notwendigkeiten individueller Daseinsbewältigung bei der Diskussion rassistischer Tendenzen weitgehend unreflektiert. ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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Rassistische Phänomene werden entweder als unmittelbarer Ausdruck persönlicher Vorurteile oder aber auf der allgemein-gesellschafdichen Ebene bzw. im Zusammenhang mit der kapitalistischen Wirtschaftsform diskutiert. So hat z.B. nach Auffassung von Miles Rassismus die Funktion, die anderen als besondere und minderwertige Kategorie auf bestimmte wirtschaftliche Positionen innerhalb der Arbeiterklasse zu verweisen und ihnen den Zugang zu Fürsorgeinstitutionen, zum Wohnungsmarkt sowie zu den politischen Rechten zu versperren (1990, 156). Ebenso schreibt Wallerstein dem Rassismus die Funktion zu, zu jeder Zeit und an jedem Ort entsprechend den aktuellen Bedürfnissen der Wirtschaft die Anzahl der Menschen, die die niedrigsten Löhne erhalten und die anspruchslosesten Arbeiten verrichten, zu vergrößern oder zu verringern (1990, 45). Zur Maximierung der Kapitalakkumulation sei es notwendig, zugleich die Produktionskosten (und mithin die Kosten der Arbeitskraft) sowie die Kosten, die durch politische Störungen entstehen, zu minimieren, d.h. den politischen Protest der Arbeiterschaft möglichst gering zu halten. Der Rassismus sei die Zauberformel, die diese Zielvorstellungen in Einklang bringe (1990, 44, 45 f). Derartige Auffassungen, die sich auf den kapitalistischen Produktionsbereich beschränken und die subjektiven Voraussetzungen kaum analysieren, auf Grund derer rassistische Tendenzen verhaltensbestimmend werden, erscheinen als ökonomistisch bzw. Drahtziehertheorien, die durch die Realität alsbald zu entkräften sind. So hat z.B. das Kapital von sich aus im allgemeinen kein Interesse daran, Immigrantinnen in die unteren Positionen zu verweisen, sondern dies geschieht vielmehr den inländischen Kolleginnen »zuliebe«, zielt also auf deren Befriedung ab. Die erhöhte Ausbeutbarkeit der Immigrantinnen wird von den einheimischen Kolleginnen durchaus widersprüchlich, zum einen als eigene Privilegierung, zum anderen aber auch als Unterlaufen der erkämpften sozialen Standards erfahren, die sie in spontaner Reaktion wiederum jenen anlasten, die sie durch ihre mangelnde Solidarität in die Nodage bringen, sich unter Wert verkaufen zu müssen (Lenhardt, 1990; Osterkamp, 1987; Ruf, 1989). Im Gegensatz zu Wallerstein und Miles interessiert sich Balibar weniger für die gesellschaftstrukturellen Voraussetzungen rassistischer Phänomene, als vielmehr für ihre ideologische Funktion, die seiner Auffassung nach darin besteht, die Klassendifferenzen zu verschleiern, d.h. »trotz der bestehenden Antagonismen eine ideologische Welt zu konstruieren, die den Ausgebeuteten und den Ausbeutern gemeinsam ist« (1990, 9). Im Rassismus würde sich auf unlösbare Weise die zentrale Funktion der Verkennung (ohne die Gewalttätigkeit nicht einmal für diejenigen, die sie ausüben, zu ertragen wäre) mit einem »heftigen Begehren nach Erkenntnis«, nach einer »unmittelbaren Einsicht in die gesellschaftlichen Verhältnisse« mischen. In diesem Sinne hätten die historisch wirksamen Ideologien durchaus »demokratische« Lehren ausgebildet, ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

».Rassismus/Antirassismus«:

Politische Widersprüche in theoretischen Konzepten

die unmittelbar zugänglich seien, d.h. in der Lage wären, »einen Schlüssel dafür an die Hand zu geben, nicht nur das zu interpretieren, was die Individuen erleben, sondern auch das, was sie innerhalb der gesellschaftlichen Welt sind« (1990, 25f). Ohne eine solche wissenschaftliche Rechtfertigung und Absicherung würde es demnach keinen Rassismus geben. Wesendiche Bedeutung für die Herausbildung rassistischen Verhaltens kommt nach Auffassung Balibars dabei dem Nationalismus zu, der das »Volk« als eine über den Klassenspaltungen stehende politische Gemeinschaft erscheinen lasse. Unter welchen Bedingungen das nationalistische Denken greift, und warum die einen diesem mehr als andere aufsitzen, wird von ihm jedoch nicht weiter analysiert. Die Uminterpretation sozialer Unterdrückungsverhältnisse in »natürliche« Unterentwickeltheiten, wie sie fur rassistisches Denken typisch ist, hat in neuerer Zeit eine gewisse Wandlung erfahren: Während der »alte« Rassismus von höher- und minderwertigen »Rassen« ausging, spricht man heute eher von der Vielfalt der Kulturen bzw. Ethnien, die an sich gleichwertig, jedoch nicht ohne weiteres miteinander vereinbar sind und deshalb getrennt gehalten werden sollten. Mit dieser »aufgeklärten« Fassung des »differentiellen« Rassismus, die nicht auf die »Minderwertigkeit«, sondern die »Andersartigkeit« setzt, geht zugleich die Tendenz einher, den Rassismus, statt an den Eigenarten der Ausgegrenzten, an der Fremdenfeindlichkeit der Ausgrenzer festzumachen, die wiederum biologisch begründet sein soll. Die Quintessenz lautet: Wenn man Rassismus vermeiden will, muß man auf strikte Grenzziehung achten und einen »abstrakten« Antirassismus vermeiden, der die »natürlichen Toleranzgrenzen« überfordern könnte. Auf diese Weise verkaufen sich, wie Balibar hervorhebt, die Theorien des differentiellen Rassismus als Träger des wahrhaften Antirassismus und Humanismus. Ihre Wirksamkeit zeige sich darin, daß im zunehmenden Maße auch von »vernünftigen« Menschen zu hören sei, der »Anti-Rassismus« bringe aufgrund der Vernachlässigung der notwendigen natürlichen Distanzen den Rassismus erst hervor (1990, 31). Die neue Sichtweise, der gemäß nicht die jeweils anderen, sondern die Fremdenfeindlichkeit der Einheimischen zum Gegenstand der Analyse gemacht wird, paßt sich geschmeidig der veränderten politischen Weltlage an: Während zur Zeit der direkten Expansion und Kolonisation die »Eingeborenen« der okkupierten Länder als Primitive dargestellt werden mußten, um den eigenen Einfall in ihr Land als Entwicklungshilfe verkaufen zu können, haben sich die Verhältnisse heutzutage insofern verkehrt, als nunmehr in Folge der systematischen Ausplünderung der »Dritten Welt« durch die westlichen Industriestaaten Millionen von Menschen gezwungen sind, ihre Heimatländer zu verlassen und in den reicheren Nationen ihre Existenzmöglichkeiten zu suchen. Die Abwehr dieses »Zustroms« läßt sich jedoch nur dann guten Gewissens praktizieren, wenn man von der »Gleichwertigkeit« der Zurückgewiesenen ausgeht, d.h. ihnen die prinzipielle Autonomie bzw. Fähigkeit ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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Dritter Teil

unterstellt, trotz weitgehender Vernichtung ihrer Existenzgrundlagen fur sich selbst zu sorgen (s.a. Balibar 1990,28; Finkielkraut 1989). Statt demokratischer Gleichberechtigung »nationale Belange« Die schon herausgehobene allgemeine Denkfigur, der zufolge Ausmaß und Qualität der Aufnahme der »Ausländer« bei uns davon abhängt, wieweit dies den »deutschen Belangen« dient, ist bei uns soweit institutionalisiert, daß sie nicht nur die Ausländergesetzgebung bestimmt, sondern bereits im Grundgesetz verankert ist. So steht zwar in Artikel 20,2 des Grundgesetzes der durchaus demokratische Satz: »Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus«; in Artikel 116,1 wird dann aber das Volk auf die Deutschstämmigen reduziert, sodaß alle im Lande lebenden Nicht-Deutschen von der Einflußnahme auf die gesellschaftlichen Lebensbedingungen weitgehend ausgeschlossen bleiben. In diesem Zusammenhang sind etwa die Arbeiten von Hoffmann (1988a, 1988b, 1990a, b, c) von besonderem Interesse. Der Begriff der Nation war, wie dieser darlegt, ursprünglich eine Prägung der französischen Revolution und hatte nichts mit Abstammung, Sprache und kultureller Eigenart zu tun. Man verstand darunter eine Rechtsgemeinschaft gleicher Bürger in einer demokratischen Republik. Diese Auffassung war im »ius solis«, dem Recht des Bodens, kodifiziert; dies besagt, daß alle, die auf dem Boden der Nation leben, Bürgerrechte haben. Dem gegenüber setzte sich vielerorts und speziell in Deutschland das »ius sanguinis«, das Recht des Blutes, durch, demzufolge die Zugehörigkeit zur Nation durch die Abstammung reguliert war. Nationalität und deutsche Staatsangehörigkeit wurden gleichgesetzt. Diese Verbindung von deutscher Abstammung, deutscher Staatsangehörigkeit und deutschem Wahlrecht hat sich über die verschiedenen staatlichen Verfaßtheiten Monarchie, Diktatur, Republik hinweg bis heute erhalten und ist gerade kürzlich durch das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteilsspruch über das kommunale Wahlrecht erneut bestätigt worden. Die Quintessenz aus der Vergegenwärtigung dieser Zusammenhänge kann nur sein, daß der Kampf gegen rassistische Tendenzen in unserem Land gleichbedeutend mit dem Kampf um die Gleichberechtigung aller hier lebenden Menschen ist und somit die Überwindung der nationalistischen Elemente des Grund- und Ausländergesetzes bzw. des herrschenden Denkens überhaupt einschließt. Diese Erkenntnis hat bereits eine lange Tradition, die zwischenzeitlich offenbar wieder in Vergessenheit geraten ist. So haben sich z.B. bereits 1913 bei der Debatte um die Verabschiedung des Staatsangehörigengesetzes im Deutschen Reichstag die Sozialdemokraten, u.a. auch Bernstein und Liebknecht, dafür eingesetzt, daß »Ausländer« nach zweijähriger Niederlassung im Inland einen Rechtsanspruch auf Einbürgerung erhalten. Sie begründeten ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

».Rassismus/Antirassismus«:

Politische Widersprüche in theoretischen Konzepten

diese Forderung damit, daß Gleichberechtigung Voraussetzung für ein friedliches Miteinander der im Lande lebenden Bürger sei. Man könne nicht einsehen, warum Menschen, die hier leben und arbeiten, von der politischen Einflußnahme ausgeschlossen sein sollen. Die Gegenargumente liefen mehr oder weniger verschleiert darauf hinaus, daß die Gleichstellung der Bürger anderer Nationalität ihre erhöhte Verfügbarkeit gemäß den Interessen des »deutschen Volkes« schmälern würde. Dabei versuchte man auch damals schon, die in- und ausländischen Arbeitnehmerinnen gegeneinander auszuspielen. Aus der Gleichberechtigung der »Ausländer« würde, so hieß es, vor allem den deutschen Arbeitern der schlimmste Schaden erwachsen, weil die immigrierten Arbeitskräfte infolge ihrer allgemeinen Bedürfnislosigkeit zu »billigen und willigen Lohndrückern« und damit für ihre deutschen Kollegen zu einer sehr gefahrlichen Konkurrenz würden (zitiert in Hoffmann 1988b, II, 25). Dem wurde wiederum entgegengehalten, daß gerade die relative Rechtlosigkeit der »Ausländer« diese in verschärfte Konkurrenz zur einheimischen Arbeiterschaft setze, Solidarität sich aber nur unter Bedingungen der Gleichberechtigung entwickeln könne (a.a.O., 26). Die Forderung nach Gleichberechtigung der Bürgerinnen anderer Nationalität ließ sich auch damals nicht durchsetzen. Die konservativen Kräfte lehnten zwar - wie dies auch heute der Fall ist - keineswegs die Einbürgerung als solche ab, sondern es ging ihnen um die Möglichkeit der Selektion der Bewerber. So forderte z.B. ein Zentrumsvertreter in dieser Reichstagsdebatte, daß nur »einwandfreie, moralisch und wirtschaftlich tüchtige Leute, Leute, die durch Intelligenz oder Vermögen hervorragen, in Deutschland eingebürgert werden, weil das einen Gewinn für unser Vaterland bringen würde« (zit. in Hoffmann 1988b, II, 25). Etwa zur gleichen Zeit hat sich auch Lenin zur nationalen Frage und dem Verhältnis von einheimischen und zugewanderten Arbeiterinnen geäußert. Die Herausbildung von Nationalstaaten gehöre, wie er darlegt, zu den unbedingten Erfordernissen des Kapitalismus, da die Förderung größtmöglicher Einheitlichkeit in der nationalen Zusammensetzung der Bevölkerung, die Gleichheit der Sprache etc. wichtige Faktoren für die vollständige Eroberung des inneren Marktes und für die ungehinderte Entfaltung des kapitalistischen Wirtschaftsverkehrs seien (LW 20,34). Dabei lassen sich, so Lenin, zwei Phasen unterscheiden: Die erste Phase sei durch die Konstituierung der Nationalstaaten bestimmt gewesen; hier hätte die Bourgeoisie noch zusammen mit dem Volk für die Freiheit von den Fesseln des Absolutismus und Feudalismus gekämpft und sei für die volle Gleichberechtigung aller Nationen eingetreten. Die zweite Phase des Nationalismus sei durch die zunehmende Überwindung der nationalen Schranken infolge des sich entwickelnden internationalen Verkehrs und der damit verbundenen weltweiten Migration der Arbeiterschaft sowie durch die Konfrontation der beiden Klassen Bourgeoisie und ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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Proletariat charakterisiert gewesen, die alle nationalen Differenzen überlagert hätte. »Jetzt furchtet die Bourgeoisie die Arbeiter und sucht ein Bündnis... mit der Reaktion. Sie verrät den Demokratismus, unterstützt die Unterdrükkung der Nationen, tritt gegen ihre Gleichberechtigung auf und demoralisiert die Arbeiter durch nationalistische Losungen« (LW, Bd. 19,74). Dieses Stadium sei zugleich die Epoche des Imperialismus, der fortschreitenden Unterdrückung der Nationen der ganzen Welt durch eine Handvoll »Groß«mächte (LW, Bd. 21, 318). Beide Stadien nationaler Entwicklung seien keineswegs scharf von einander zu trennen, sondern die bürgerlichen Befreiungsbewegungen der unterdrückten Nationen und die proletarischen Befreiungsbewegungen in der unterdrückenden Nation würden vielmehr vielfaltige Wechselbeziehungen eingehen, die es unter Berücksichtigung der jeweils konkreten historischen und ökonomischen Bedingungen genau zu bestimmen gelte (LW, Bd. 20,445). Das prinzipielle Recht auf Selbstbestimmung der Nationen schließt nach Lenin die Notwendigkeit ein, die jeweiligen nationalen »Befreiungsbewegungen« daraufhin zu überprüfen, wieweit sie die Demokratisierung der Verhältnisse und die Gleichberechtigung aller Nationen und Menschen zum Ziel haben. Nur dies könne verhindern, daß die Befreiungskämpfer zu Unterdrückern werden, die Verhältnisse fortsetzen, die sie bekämpfen. »Ein Volk, das andere unterdrückt, kann sich nicht selbst emanzipieren. Die Macht, derer es zur Unterdrückung der andern bedarf, wendet sich schließlich immer gegen es selbst«, stellt Engels in seiner »Flüchtlingsliteratur« fest (MEW 18, 527). Und Lenin ergänzt: »Ein Proletariat, das sich auch nur mit der kleinsten Gewalttat >seiner< Nation gegen andere Nationen abfindet, kann nicht sozialistisch sein« (LW, Bd. 21, 318). Es handelt »seinen eigenen Interessen, den Interessen des Sozialismus und den Interessen der Demokratie zuwider« (LW, Bd. 19,235). Die Gleichberechtigung als Voraussetzung des friedlichen Miteinander zwischen den Nationen hat nach Lenin auch fur alle nationalen Minderheiten innerhalb eines Staates zu gelten. Damit verschiedene Nationen frei und friedlich nebeneinander leben können, bedürfe es vollständiger Demokratie: »Keinerlei Privilegien fur irgendeine Nation, für irgendeine Sprache! Nicht die geringste Beschränkung, nicht die geringste Ungerechtigkeit gegenüber einer nationalen Minderheit! Das sind die Prinzipien der proletarischen Demokratie« (LW, Bd. 19, 75). Dies schließe ein, daß z.B. auch ein einziges georgisches Kind unter 50 000 Schülern das Recht auf muttersprachlichen Unterricht und Unterweisung in der georgischen Geschichte etc. habe (LW, Bd. 19, 529). Nur in dem Maße, wie die Kultur und Sprache der Mehrheit der Minderheit nicht aufgezwungen würde, könne sich diesefreizu dieser verhalten, sich diese also auch ungehindert aneignen. Die Anerkennung des Rechts auf Selbstbestimmung bedeute jedoch nicht, daß man für kleine Nationen und Partikularismus sei. Ganz im Gegenteil ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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gelte es der Erkenntnis Rechnung zu tragen, daß »die Verschmelzung der Nationen ein gewaltiger historischer Fortschritt und Grundlage des Sozialismus und der konsequenten Demokratie ist«, so daß alles zu begrüßen sei, »was dazu beiträgt, die nationalen Unterschiede zu verwischen, die Schranken zwischen den Nationen niederzureißen, alles, was den Zusammenhang zwischen den Nationalitäten immer enger gestaltet« (LW, Bd. 20, 21). Statt die jeweiligen nationalen Kulturen konservieren, d.h. gegeneinander abschotten zu wollen, gelte es vielmehr in der Erweiterung der Lebens- und Erlebnismöglichkeiten aller eine internationale Kultur zu schaffen, die sich ausschließlich auf die konsequent demokratischen Elemente der einzelnen Kulturen stütze (Bd. 19, 237). Nicht der Zusammenschluß als solcher, sondern allein der gewaltsam herbeigeführte sei das Problem (LW Bd. 20, 20).

Die vorstehenden programmatischen Äußerungen Lenins stehen sicherlich in eklatantem Widerspruch zur tatsächlichen sowjetischen Nationalitätenpolitik. So muß ich einersei die naheliegende Kritik akzeptieren, daß ich diese Passagen im Artikel unkommentiert stehen ließ. Andererseits aber sollte man bedenken, daß die Leninseben Äußerungen, dadurch, daß sie politisch nicht eingelöst wurden, keineswegs unwichtig oder gegenstandslos geworden sind. Vielmehr muß man - wenn man die Geschichte der Sowjetunion adäquat analysieren will- m.E. notwendigerweise beides berücksichtigen, sowoh solche essentiell demokratischen und humanistischen Entwürfe wie den von Lenin als auch das letztlich totale Scheitern des Versuchs ihrer politischen Umsetzung. In dem seit Januar 1991 gültigen neuen Ausländergesetz wird die Einbürgerung für länger ansässige Nichtdeutsche zwar erstmals wesendich erleichtert - dies zum einen jedoch nur für eine bestimmte Frist, und zum anderen nur unter Preisgabe der alten Staatsangehörigkeit. Während die bis dahin geltenden Einbürgerungsrichtlinien eine »freiwillige und dauerhafte Hinwendung zu Deutschland« verlangten, würde, so Hoffmann (1990c), diese Germanisierung im neuen Ausländergesetz nicht mehr offen gefordert. Sie komme aber darin zum Ausdruck, daß an der Ablehnung der doppelten Staatsangehörigkeit festgehalten wird: Die Einbürgerung ist nach wie vor an die Voraussetzung gebunden, daß der Antragstellende, wie es in den entsprechenden Paragraphen heißt, »seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oderverliert« (§ 85,86). Der Status der Zuwanderlnnen, die sich dieser Eindeutschungsprozedur entziehen, bleibt in Abstufungen weiterhin ungesichert. Selbst wenn ein Nichtdeutscher mit der Aufenthaltsberechtigung die höchste Stufe möglicher Sicherheit erklommen hat, bleibt er, so Hoffmann, ein potentieller Gegner, der jederzeit »aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung« des Landes verwiesen werden kann. Die öffendiche Sicherheit und Ordnung wird dabei keineswegs erst dann als beeinträchtigt angesehen, wenn ein Zuwanderer Verhaltensweisen zeigt, die auch bei einheimischen Bürgern sanktioniert ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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werden, sondern z.B. bereits dann, wenn er - nach §46 - »Sozialhilfe in Anspruch nimmt oder in Anspruch nehmen muß«. Die Grenzen der Toleranz sind, so Hoffmann, überschritten, wenn die »Ausländer« anfangen, zur Last zu fallen (1990c, 1358). Die Mehrstaatigkeit verbiete sich, so Hoffmann, nicht zuletzt auch deswegen, weil sie den staatlichen Zugriff auf die Individuen lockern würde und in Krisen- bzw. Kriegszeiten die einzelnen in Loyalitätskonflikte stürzen könnte, welchem Staat sie »die vom einzelnen bis zum Tod für das Vaterland geforderte unbedingte Hingabe« zu erbringen haben (1990,1362ff). Neben der Eindeutschung der zum Teil bereits über Generationen hier lebenden Immigrantinnen versucht das neue Ausländergesetz sicherzustellen, daß durch gezielte »Beschränkungen auf bestimmte Berufe, Beschäftigungen und Gruppen von Ausländern« sowie durch eine zeidiche Befristung ihres Aufenthalts dem Arbeitsmarkt jederzeit erneut die erforderliche Manövriermasse willfahriger Fremdarbeiter zur Verfügung gestellt wird, ohne daß daraus wie in der Vergangenheit eine de-facto Einwanderung erwächst (Hoffmann 1990c). Vor diesem Hintergrund erhält die aktuell eingeräumte Möglichkeit zur Einbürgerung die Funktion der Flurbereinigung, welche die effektivere Kanalisierung der künftigen »Migrantenströme« gemäß den »deutschen Interessen« gewährleisten soll. Die Wahl, die den Zuwanderlnnen für eine bestimmte Gnadenfrist offensteht, ist also die zwischen allgemeiner Entrechtung und freiwilliger Selbstaufgabe. Eine solche Politik steht, so Hoffmann, im eklatanten Widerspruch zu der Erkenntnis, daß sich die »Hinwendung zu Deutschland« nicht erzwingen läßt, sondern die Entscheidungsmöglichkeit zwischen wirklichen Alternativen voraussetzt. So hat sich z.B. Großbritannien nach ausführlicher Diskussion 1983 entschlossen, die Einbürgerung nicht vom vorherigen Verlust der alten Nationalität abhängig zu machen, weil man davon ausging, daß den Neubürgerinnen »die Niederlassung und Integration im britischen Inland leichter fallen werde, wenn sie ihre alten Nationalitätsbande aufrechterhalten können«. Die Bundesregierung vertritt dagegen - so etwa in der Begründung zum Regierungsentwurf des neuen Ausländergesetzes - die Ansicht, daß »das ernsthafte und nachhaltige Bemühen um Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit ein entscheidendes Kriterium für die Zuordnung des Ausländers zur Bundesrepublik Deutschland« sei, wobei die Aufkündigung der bisherigen Staatsangehörigkeit bestenfalls »im Einzelfall ein psychologisches Hemmnis unter vielen« sei, dessen Überwindung indessen erwartet werden« könne (vgl. Hoffmann 1990c, 1364f). Die Anerkennung der Mehrstaatigkeit wäre, so Hoffmann, eine wesendiche Voraussetzung dafür, den Zuwanderlnnen die Einbürgerung zu erleichtern, wie deren massenhafte Einbürgerung zugleich der Vorstellung, die Bundesrepublik sei ein homogener völkischer Nationalstaat, also der Gleichsetzung von deutschem Volk (im ethnischen Sinne) mit dem Staatsvolk der BRD ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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langfristig die Grundlage entziehen würde (1990b). Mit der Anerkennung der Mehrstaatigkeit tun sich jedoch auch große Teile der SPD schwer. Im großen und ganzen beschränken sich die Bemühungen darauf, die offiziellen Maßnahmen kritisch zu reflektieren. Damit besteht aber die Gefahr, daß man ebenfalls die Ausländerpolitik instrumentalisiert, d.h. diese nicht primär auf die Verbesserung der Lage der hier lebenden Nichtdeutschen ausrichtet, sondern nutzt, um die eigene Weltoffenheit und Menschlichkeit zu demonstrieren und sich gegenüber der CDU-Politik als humanere Alternative darzustellen. Dabei stellt sich m.E. durchaus die Frage, wieweit sich diese eher zögerliche Haltung hinsichtlich der Entwicklung einer positiven Integrationspolitik . nicht auch darin gründet, daß man die herrschende Ideologie, der gemäß die Zugewanderten gegenüber den Einheimischen zurückzustehen haben, letztlich teilt und sei es auch nur aus wahltaktischen Rücksichten heraus. Funktionalisierung von »Rassismus« zur Rechtfertigung/Durchsetzung der herrschenden Politik Die Anerkennung der Tatsache, daß die Bundesrepublik ein Einwanderungsland geworden ist, wäre der erste Schritt, um die mit der Einwanderung verbundenen Probleme konstruktiv, d.h. im Interesse aller zu lösen. Eine solche Anerkennung ginge jedoch nur dann über ein bloßes Lippenbekenntnis hinaus, wenn sie mit der politischen und sozialen Gleichstellung der hier lebenden Nichtdeutschen verbunden wäre. In Wirklichkeit fahrt jedoch die Bundesregierung eine genau entgegengesetzte Politik. Damit stellt sich aber die Frage, wieweit sie überhaupt an der Überwindung der Vorurteile gegenüber »Fremden« interessiert ist oder ob nicht vielmehr zutrifft, was Opitz immer wieder betont hat: nämlich daß »Rassismus« bzw. »Ausländerfeindlichkeit« durchaus gewollt, d.h. »Bestandteil eines strategischen Angriffssyndroms« sind (1983, 13), das sich sowohl gegen die sozialen Rechte und demokratischen Spielräume der Einheimischen richtet, als auch expansionistischen Zielen dient. Nur als Rassismus konnte sich - so auch Balibar - der Imperialismus aus einem einfachen Eroberungsunternehmen in ein System universeller Herrschaft verwandeln: indem die imperialistische Nation als das besondere Instrument einer höheren Mission oder eines höheren Schicksals dargestellt wurde, dem die anderen Völker die Anerkennung nicht verweigern könnten (1990, 79). Der Nationalismus würde durch den Rassismus die Flucht nach vorne antreten und seine materiellen Widersprüche in ideelle verwandeln, indem die brutale Ausbeutung anderer durch die Höherwertigkeit der eigenen »Rasse« gerechtfertigt würde (a.a.O., 69f). Für die Funktionalisierung rassistischer Ressentiments zur Durchsetzung expansionistischer Ziele sprechen viele Indizien, u.a. auch die kriegerische Sprache, mit der die hier lebenden »Nichtdeutschen« bedacht werden. So ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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Dritter Teil

unterstellte z.B. Rüdiger Conen, bis 1989 Staatssekretär beim Berliner Senator fur Inneres, den Flüchtlingen kürzlich wieder einmal die »Eroberung neuen Lebensraums in friedlich moderner Form durch schleichende Landnahme« und zeigt infolge des »eklatanten Widerspruchs« zwischen den Versprechungen der Politik, »den Ausländerzuzug einzudämmen, und der sich unbeirrt weiter unter Mißbrauch des Asylrechts vollziehenden Einwanderung« Verständnis fur die Gründung von Bürgerwehren, Einzäunung von Schwimmbädern, das Anheuern von bezahlten Schlägern etc. (Der Tagesspiegel vom 23.9.90). Wenn schon von Mißbrauch des Asylrechts die Rede ist, so trifft dieser Vorwurf jedoch viel eher auf die verantwortlichen Politiker zu, die dieses Recht immer wieder als Mittel des kalten Krieges nutzten: Indem sie etwa die Asylsuchenden aus den sozialistischen Ländern unabhängig von ihrer realen Verfolgung massiv gegenüber allen anderen bevorzugten und dies mit der Notwendigkeit begründeten, die Bundesrepublik für den Fall der Vereinigung beider deutscher Staaten vor Überfremdungen reinhalten zu müssen (Osterkamp 1989b). Anläßlich der Fluchtwelle aus der ehemaligen DDR im Spätsommer 1989 entdeckte dann auch Bundeskanzler Kohl plötzlich das »Menschenrecht auf wirtschaftliches Wohlergehen«, während im allgemeinen die »Wirtschaftsflüchtlinge« als diejenigen diffamiert werden, die das Asylrecht unterhöhlen. Für die Instrumentalisierung der Asylpolitik zu Zwecken des kalten Krieges bzw. der expansionistischen Politik gen Osten spricht auch die Tatsache, daß in dem Moment, wo die sozialistischen Länder in sich zusammengebrochen und die dort lebenden Menschen in reale Not geraten sind, diese wie »normale« Flüchtlinge behandelt, d.h. zunehmend als bloße Belastung gewertet werden, die man mit allen Mitteln, notfalls - wie dies zur Zeit in Österreich bereits geschieht und in der Schweiz diskutiert wird - durch militärische Sicherung der Grenzen abzuwehren sucht. Angesichts dieser Zusammenhänge ist es um so bedrückender, wenn nunmehr auch von SPD-Seite der Abbau des Asylrechts gefordert wird. Nationalismus, Rassismus und kriegerische Expansion bilden von je her eine komplexe Einheit: Jede kriegerische Auseinandersetzung setzt die Abwertung des sogenannten Feindes nicht nur im Ausland, sondern auch im Inland voraus und festigt rassistisches Denken, die Betonung der eigenen moralischen Überlegenheit und der Minderwertigkeit des anderen. Die anderen sind die Ungläubigen, Ungerechten, die unschädlich zu machen sind bzw. die - da sie aus dem Wege geräumt werden sollen - als entsprechende Un(ter)menschen dargestellt werden müssen. So ist z.B. nach einer Wortschatzanalyse, die der linksliberale Guardian anhand britischer Kriegsberichte vorgenommen hat, George Bush »mit sich im Reinen«, »resolut« und »staatsmännisch«, Saddam Hussein hingegen »wahnsinnig«, »ein böser Tyrann«, »ein verrücktes Monster«. Die Truppen der Alliierten sind »professionell«, »tapfer«, die des Feindes ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

».Rassismus/Antirassismus«:

Politische Widersprüche in theoretischen Konzepten

»abgerichtet« und »fanatisch«. Die Amerikaner und Briten »eliminieren« und »neutralisieren«, die Irakis »töten«, »morden« und »schlachten«. Die alliierten Soldaten »graben sich ein«, die irakischen »verkriechen sich in ihren Fuchslöchern«. Während »unsere Jungs« von »einem tiefempfundenen Pflichtgefühl« motiviert sind, werden die irakischen Soldaten einzig »durch Angst vor Saddam angetrieben«. Die Raketen der Alliierten »verursachen Begleitschäden«, die des Feindes »Opfer unter der Zivilbevölkerung«. Die Alliierten »bombardieren präzis«, die Irakis »feuern wild auf alles, was sich am Himmel bewegt«. »Unsere Boys« kämpfen »entschlossen«, ihre Soldaten »rücksichtslos«, »our boys« sind »Löwenherzen«, ihre Soldaten »in die Enge getrieben«, unsere »jugendliche Ritter des Himmels«, ihre »Bastarde aus Bagdad« etc. (Neues Deutschland vom 13.2.91). »Alle rechtschaffenen Leute sehen in Saddam Hussein den Aggressor«, heißt es in einer Rede Richard von Weizsäckers (Der Tagesspiegel vom 30.1.91). Alle, die diese Sicht nicht teilen und die Berechtigung der kriegerischen Auseinandersetzung in Frage stellen, werden somit aus dem Kreis der Rechtschaffenen ausgegrenzt und zu potentiellen Feinden, Terroristen oder Sympathisanten von Terroristen abgestempelt, die es entsprechend zu isolieren und zu überwachen gilt. Diese Ausgrenzungs- und Überwachungspolitik richtet sich dann wieder in besonders krasser Form gegen die hier lebenden Nichtdeutschen. So wurden z.B. während des irakischen Krieges in vielen Ländern insbesondere irakische und palästinensische Bürgerinnen unter Observation gestellt, prophylaktisch festgenommen oder des Landes verwiesen (z.B. Neues Deutschland vom 12.2., FAZ vom 14.2, Die Zeit vom 22.2.91). Übergriffe »aus dem Volke« gegen die im Lande lebenden Araber, wie sie aus den USA, Frankreich und Großbritannien gemeldet wurden, sind somit durch die herrschende Politik voll abgesichert. In diesem Zusammenhang sind auch die Überlegungen von Reemtsma (1990) interessant, denen zufolge sich Rassismus immer in der eigenen Gewalttätigkeit gegen andere gründet. Rassismus ist seiner Auffassung nach nicht Ursache, sondern Folge der Aggressionen gegen andere. Reemtsma veranschaulicht seine These am Beispiel der »Marranen« im Spanien des 15. und 16. Jahrhunderts. Als Marranen bezeichnete man Juden, die zur Übernahme des christlichen Glaubens gezwungen wurden, denen man aber eine solche Bekehrung, eben weil sie gewaltsam geschah, nicht glaubte, wobei man diese Zweifel, die sich im Wissen um die eigene Gewalttätigkeit gründeten, wiederum diesen Juden als Unglaubwürdigkeit anlastete, die alsbald als deren Charaktereigenschaft interpretiert wurde und deren weitere Überwachung und Verfolgung zu rechtfertigen schien. Einen solchen Mechanismus, durch welchen sich die Verfolgung von den ursprünglichen Bedingungen ablöst und zur Begründung ihrer selbst wird, wobei die ahistorische Ideologie unveränderlicher Eigenschaften von Menschengruppen zugleich den historischen ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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Ursprung jeder Verfolgung zusätzlich verdeckt, stellt Reemtsma als typisch für rassistisches Denken heraus: gemäß dieser Logik spricht die bloße Tatsache, daß andere verfolgt werden, dafür, daß ihnen Recht geschieht. Reemtsma stellt in diesem Zusammenhang die Frage, wieweit der Begriff Rassismus insgesamt nicht eher irreführend als hilfreich ist, da er die konkreten Verfolgungsgeschichten aus dem Blickfeld geraten läßt. Der »Konvertierungszwang«, dem damals die »Mammen« ausgesetzt waren, läßt sich, wie Hoffmann betont, wenn auch in abgemilderter Form, durchaus mit dem auf die Zuwanderlnnen ausgeübten Germanisierungsdruck vergleichen (1990c, 1366). Er wiederholt sich aber auch gegenüber den Bürgerinnen der ehemaligen DDR: Einerseits sehen sich diese über die systematische Vernichtung ihrer Existenzgrundlage in eine Lage gebracht, aus der heraus ihnen nichts anderes als die bedingungslose Übernahme der bundesrepublikanischen Ordnung übrig zu bleiben scheint. Andererseits aber läßt sie diese aufgezwungene »Bekehrung« verdächtig bleiben und den Ausbau entsprechender Kontroll- und Überwachungssysteme als gerechtfertigt erscheinen. »Antirassismus« als Vorspiegelung eigener Gesinnungsreinheit und Ableugung individueller Mitverantwortung Rassistische bzw. ausgrenzende Tendenzen sind, wie dargelegt, die mehr oder weniger latente Grundlage der öffendichen Politik. Sie werden in der Bevölkerung insbesondere dann virulent, wenn der Zugang zu den gesellschaftlichen Ressourcen erschwert ist; sie sind der Versuch, Krisen- und Mangelsituationen dadurch zu überwinden, daß man bestimmte Gruppen von Menschen aus dem Kreis der Empfangsberechtigten ausschließt. Zur Zeit stehen offensichtlich die eigenen »Brüder« und »Schwestern« aus der vormaligen DDR auf der untersten Stufe der Hackordnung, da sie es sind, durch die sich auch für viele in den alten Bundesländern und in WestBerlin die Lebens- und Konkurrenzbedingungen verschärfen. Die allgemeine Herabsetzung, die ehemalige DDR-Bürgerinnen erfahren, verstärkt nicht selten deren Tendenz, sich auf Kosten der »Ausländer« aufzuwerten, was wiederum viele »progressive« Westdeutsche sich berechtigt fühlen läßt, ihnen die Solidarität vorzuenthalten, die sie ihrem theoretischen Anspruch nach mit allen »Benachteiligten« zu üben haben. Typisch erscheinen mir in diesem Zusammenhang die Auslassungen von Thomas Schmid (1990), der die »zivilen« Errungenschaften der alten Bundesrepublik gegen den Zugriff der ehemaligen DDRler verteidigen zu müssen meint, also, wie Marz (1990) es auf den Punkt bringt, im Namen der Verteidigung der »zivilen« Errungenschaften diese selbst preisgibt (vgl. hierzu auch Schröder 1991). Aus der Höhe scheinbarer moralischer Überlegenheit und Fortschrittlichkeit, von der herab man die jeweils anderen ob ihrer rassistischen oder ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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Politische Widersprüche in theoretischen Konzepten

nationalistischen Neigungen ausgrenzt, stärkt man unversehens die Tendenzen, die man zu bekämpfen meint, und verliert zudem die sozialen und politischen Hintergründe rassistischer Tendenzen und damit auch die eigene Mitverantwortung an ihrer Überwindung aus dem Auge. Genau diese Mitverantwortung an den Verhältnissen läßt aber die eigene Überlegenheit durchaus zweifelhaft erscheinen und wird entsprechend abgewehrt. Dies zeigt sich nicht zuletzt auch darin, daß Bemühungen, das Verhalten der Menschen aus ihrer realen Situation heraus zu verstehen, häufig als Rechtfertigung erlebt werden. Diejenigen, die solche Hinweise wagen, müssen damit rechnen, als Steigbügelhalter der »Rassisten« verdächtigt zu werden, wobei man es i.d.R. offenläßt, wieweit diese Komplicenschaft aus Dummheit oder innerer Übereinstimmung erfolgt. In dieser Weise haben sich in letzter Zeit besonders Autoren von »konkret«, etwa Thomas Ebermann (1990) und Wolfgang Pohrt (1991), hervorgetan. Rassismus ist fur sie offenbar eine persönliche Unart der jeweils anderen, durch die man selbst nur passiv betroffen ist und die es zum eigenen Schutz mehr oder weniger gewaltsam auszutreiben gilt. Folgerichtig ruft Wolfgang Pohrt nach der Macht des Staates, um den rechtsradikalen »Menschenschindern« in der ehemaligen DDR mit Gewalt das Handwerk zu legen, und zwar nach Möglichkeit, bevor diese »ihre Zielgruppe erweitern und auch demokratischen Politikern und kritischen Journalisten droht, was derzeit Asylbewerber erleiden« (1991, 35). Daß der Staat, den man um Hilfe anruft, diese »Ausländerfeindlichkeit« miterzeugt hat und in vielfacher Weise funktionalisiert, bleibt unberücksichtigt. Gemäß dieser verkürzten Sichtweise, die sich nicht auf die Probleme der Menschen einläßt, sondern diese selbst zum Problem erklärt, hält es Pohrt durchaus für eine Denkmöglichkeit, von dem »Mob« einige abzuknallen, um den Rest in Schach zu halten. Die Gefahr, der Komplicenschaft überfuhrt zu werden, wenn man sich nicht hinreichend von den »Rassisten« abgrenzt, sondern sich statt dessen um Verständnis für ihr Verhalten bemüht und die »Alltäglichkeit« rassistischer Tendenzen benennt, trägt m.E. wesentlich dazu bei, daß die Diskussionen zum Thema Rassismus, wie Jacoby und Magiriba Lwanga (1990) feststellen, »so wenig ernsthaft, so alibihaft, so pantomimisch« gefuhrt werden. Sie sind im allgemeinen weit mehr darauf konzentriert, sich selbst von jedem Verdacht, rassistisch zu sein, freizuhalten als an der Erforschung des Problems orientiert, das sich nur dann adäquat analysieren läßt, wenn man die aktive Einbezogenheit des eigenen Verhaltens in die unterdrückende Realität mitreflektiert. Die allgemeine Aufregung um die Jenninger-Rede ist m.E. ein klassisches Beispiel dafür, was denjenigen passieren kann, die nicht den richtigen Ton unverbindlicher Anklage und allgemeiner Entlastung treffen. Die Überzeugung von der eigenen »antirassistischen« oder »antifaschistischen« Gesinnung gerät dann unter der Hand zur besonders effektiven Abwehr der Erkenntnis der Mitverantwortung an den rassistischen Erscheinungen, ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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was diese eher stärkt als schwächt. So hat z.B. nach Balibar die eindeutige Haltung gegen den Antisemitismus, zu der sich die französischen Intellektuellen im Verlaufe der Dreyfiis-Affare durchgerungen hatten, diese von der eigenen Liberalität derart überzeugt, daß sie um so widerspruchsloser die koloniale Politik ihres Landes unterstützten (1990, 68). Ruf verweist auf den Widerspruch, daß George Washington einerseits vehement fur die Durchsetzung der Menschenrechte und die Unabhängigkeit der amerikanischen Kolonien von der britischen Krone kämpfte, andererseits aber keine Probleme damit hatte, einer der größten Sklavenhalter zu sein (1989, 67). Die bürgerlichen Menschenrechte galten offensichtlich nur für die Bürger als bourgeois und schlössen die Diskriminierung breiter Teile der Bevölkerung ein (s.a. Wallerstein, 1990, 41). Ebenso hat auch der »bedingungslose« Kampf gegen Neofaschisten, der sich über die konkreten Lebensbedingungen und Schwierigkeiten der Menschen erhebt und diese selbst zum Problem erklärt, das es zu beseitigen gilt, eher die Funktion, die eigene antirassistische Gesinnung zu demonstrieren, als den Rassismus wirksam zu bekämpfen. Jemand, der »Rassisten« bekämpft, kann dieser Logik zufolge nicht rassistisch sein, auch wenn er in diesem Kampf gegen die Rechten zu gleichen Methoden wie diese greift, etwa den Ausländer-Raus-Parolen mit Nazis-Raus-Parolen begegnet oder sich im »antirassistischen Kampf« der gleichen Säuberungsterminologie bedient wie diese: Es gibt in Berlin eine antifaschistische Zeitung - Kök -, die ein Bild mit einem ausgestreckten Arm brachte, der das Republikaner-Symbol in einen Papierkorb fallen läßt; der Text dazu lautete: »Haltet den Betrieb sauber!«. - Auf solche Erscheinungen beziehen sich z.B. auch Möller (1989) und Heitmeyer (1990), wenn sie vom »ritualisierten Antirassismus« bzw. vom »ritualisierten Antifaschismus« sprechen, der weitgehend hilflos bleibe, weil er sich auf die jf Verfolgung neofaschistischer Gruppierungen konzentriere, d.h. die Jugend| liehen nur unter dem Gesichtspunkt sehe, welche Probleme sie machen, nicht aber, welche Probleme sie haben. Damit würde aber der gegenwärtige Antifaschismus den Eindruck erwecken, daß er das Problem des Rechtsextremismus wider besseres Wissen fur individuell verortbar halte. Indem er gegen die meist jugendlichen Träger dieser Orientierung zu Felde ziehe und nicht gegen die Verhältnisse, die dieses Verhalten nahelegen, fuge er sich nahtlos in eingeschliffene Rituale und Verfahrensweise der politischen Bearbeitung gesellschaftlicher Problemlagen ein, die er »an sich« vehement ablehne (1989,493). Den Anfangen zu wehren, kann also nicht heißen, die rechts-anfalligen bzw. rechts-auffälligen Jugendlichen auszugrenzen und sie damit noch mehr in die Arme rechter Organisationen zu treiben^sondern sensibel fur die vielfaltigen Ausgrenzungsmechanismen zu werden, die die Probleme nicht lösen, sondern eher verstärken. Nur wenn man die realen Probleme der Menschen benennt und angeht, wird man den rechtsradikalen Tendenzen den Boden ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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entziehen. Gegenpol zum Rassismus ist nicht Antirassismus, die Bekämpfung der sogenannten Rassisten, sondern Solidarität mit den jeweils Ausgegrenzten bzw. die Resistenz gegenüber allen möglichen Ausgrenzungstendenzen. Der Verweis auf die gesellschaftlichen Bedingungen individuellen Handelns ist immer auch ein Verweis auf die eigene Mitverantwortung an diesen, nimmt einem also die Möglichkeit, das Problem des Rassismus nur als eins der jeweils anderen zu definieren. Eine solche Hervorhebung der Tatsache, daß die Probleme der Individuen immer gesellschaftlich vermittelt sind, bedeutet also keineswegs, die Menschen von der Verantwortung für die rassistischen Verhaltensweisen zu entlasten, sondern ganz im Gegenteil die gesellschaftlichen Bedingungen vom Standpunkt der Subjekte aus zu analysieren, d.h. auch zu begreifen, daß sich diese Verhältnisse nur im Zusammenhang mit der von jeweils »uns selbst« zu leistenden Veränderung der Bedingungen der Ausgeliefertheit und Perspektivlosigkeit aufheben lassen. Für die Veränderung der Verhältnisse sind aber gerade nicht primär die rechtsradikalen Jugendlichen etc. verantwortlich, sondern vielmehr jene, die weniger existentiell entwurzelt und bedroht sind und über weit größere Einflußmöglichkeiten verfugen als jene.Tndem man sich darauf beschränkt, die Neonazis unmittelbar zu bekämpfen, zeigt man das gleiche Verhalten wie diese: Man sucht das Übel dort, wo es sich leichter bekämpfen läßt, also in einer Weise, die das Einvemehmen mit^en herrschenden % Kräften eher festigt als in Frage stellt und somit die eigenen Privilegien nicht r gefalirdet. Die Neigung, Lösungen da zu suchen, wo sie leichter fallen bzw. die Probleme auf weniger bedrohliche Bereiche zu verschieben, charakterisiert nicht nur das Verhalten der Rechten gegenüber den »Ausländerinnen«, sondern auch unsere eigene alltägliche Praxis. Das Arrangement mit den unzulänglichen Arbeitsbedingungen und widersprüchlichen Arbeitsanforderungen führt z.B., wie u.a. auch unsere Untersuchungen über die Probleme der Betreuungsarbeit in Flüchtlingswohnheimen gezeigt haben, dazu, daß man die objektiven Behinderungen der eigenen Arbeit der mangelnden Lernbereitschaft oder Förderungswürdigkeit der zu Betreuenden anlastet. Diese Haltung bestimmt offensichdich auch unser Verhalten gegenüber den Rechtsradikalen. So ist, wie eine Diskussion mit Erzieherinnen ergab, bei diesen eine häufige Reaktion: »Der ist ein Störenfried. Der ist sowieso nicht zu retten, der muß raus«, nicht aber: »Der wäre zu erreichen, wenn die entsprechenden Bedingungen gegeben wären, ich mehr Zeit und Möglichkeiten hätte, mich auf seine Probleme einzulassen, die Zukunftsaussichten weniger finster wären« etc. Wenn man sich aber mit den eigenen unzulänglichen Arbeitsbedingungen zu arrangieren sucht und den Widerspruch abwehrt, daß man um des persönlichen Überlebens willen ständig gezwungen ist, gegen die Interessen anderer zu verstoßen und sich ihren Nöten gegenüber zu verschließen, schreibt man ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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zwangsläufig die Jugendlichen ab. Ein erster Schritt, mit diesen ins Gespräch zu kommen, wäre aber, daß man von der pädagogischen Haltung herunterkommt, der gemäß man selbst im Besitz der Wahrheit und höheren Moral ist und diese nur noch den jeweils anderen zu vermitteln braucht. So klagen »rechtsradikale« Jugendliche, wenn sie überhaupt einmal zu Worte kommen bzw. Gehör finden, vor allem über die gerade auch unter linken Sozialarbeiterinnen verbreitete Tendenz, sie nur unter der Bedingung zu akzeptieren, daß sie anders werden als sie sind. Statt den Jugendlichen die eigenen Vorstellungen überzustülpen, gilt es jedoch, so unsere vorläufige Quintessenz aus den Gesprächen mit Erzieherinnen, gemeinsam zu klären, welche Handlungsmöglichkeiten die Jugendlichen und welche Handlungsmöglichkeiten die Betreuerinnen haben, um auf dieser Basis sich über gemeinsame Interessen und Ziele verständigen bzw. diese entwickeln zu können. Da die Jugendlichen häufig die Möglichkeiten der Sozialarbeiterinnen und Erzieherinnen überschätzen, sei es vor allem wichtig, daß nicht nur über die Probleme und Schwierigkeiten der Jugendlichen, sondern auch über die der Betreuerinnen gesprochen würde, vor allem aber auch über deren Frustrationen und Aggressionen sowie ihre Tendenz, diese zu Lasten der Jugendlichen zu managen. Damit wäre zugleich ein Zugang zum Thema »Rassismus« geschaffen, der die Jugendlichen nicht zu Außenseitern und Angeklagten macht und entsprechend in die Defensive drängt, sondern den Einstieg in die Diskussion ermöglicht. Offensichdich ist aber gerade dieser peinliche Umstand, daß man nicht nur negativ durch Unterdrückung und Rassismus betroffen ist, sondern diese aktiv mitträgt, weitgehend tabuiert. So würden, wie Baader und Magiriba Lwanga hervorheben, gerade auch deutsche Linke - selbst wenn sie »aus der Mittelschicht stammen, weiß, hetero, deutsch, männlich usw. sind« - jeden Hinweis auf ihre Teilhabe an der Macht mit Protestgeschrei beantworten. Solidarität würde jedoch den emanzipatorischen Anspruch verfehlen, wenn sie die Unterdrückungsformen, in die man aktiv einbezogen ist, und damit die Mitverantwortung an diesen ausblendet (1990, 60). Das heißt: Befreiung greift zu kurz, wenn sie nur als Befreiung von der Unterdrückung durch andere oder bestenfalls als Überwindung persönlicher Unterwerfungstendenzen verstanden wird. Man kann sich nur in dem Maße befreien, wie man Anstoß daran nimmt, daß man unter den gegebenen Bedingungen immer auch an der Unterdrückung anderer partizipiert und von ihr profitiert, wenn man also die Funktion der »Privilegien« begreift, uns mit der allgemeinen, d.h. aber auch eigenen, Unterdrückung auszusöhnen. Fallstricke der Propagierung einer »multikulturellen Gesellschaft« Antirassismus als politische Aufgabe bedeutet also - dies eine Quintessenz aus meinen Überlegungen - wesentlich mehr als die Auseinandersetzung mit ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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jenen Menschen und Gedanken, die offen rassistisch daherkommen. Zur Überwindung von Rassismus und Nationalismus gehört vielmehr, die Alltäglichkeit rassistischer Strukturen, d.h. aber auch die »rassistischen« Elemente des eigenen Denkens und Handelns zu begreifen. Unter dem unmittelbaren Praxis- und Handlungsdruck wird sich die personalisierende Sichtweise wahrscheinlich immer wieder spontan aufdrängen, aber man sollte sie nicht noch theoretisch absichern und damit die Problemlösung zusätzlich verstellen. Kennzeichnend fur das mangelnde Gefahrenbewußtsein hinsichtlich der eigenen rassistischen Tendenzen ist z.B., daß sich die Kosten-Nutzen-Rechnung, bei welcher der eigene Vorteil Bedingung der Akzeptanz anderer ist, durchaus auch in die Argumentation jener einschleicht, die sich für die möglichst uneingeschränkte Aufnahme der »Ausländer« in unserem Land aussprechen. So propagieren unter anderen auch die Grünen immer wieder die Vorzüge einer multikulturellen Gesellschaft: Multikulturalität wird als Chance gesehen, sich mit den unterschiedlichen Weltentwürfen auseinanderzusetzen, aus der Borniertheit konventioneller Identität herausgerissen zu werden und den eigenen Standpunkt zu relativieren (Brumlik 1990, 105; vgl. auch die 11. ordendiche Bundesversammlung der Grünen »Mut zur multikulturellen Stadt«, Mai 1988). Eine solche Argumentation übersieht, daß gerade die Relativierung des eigenen Standpunktes unter den gegebenen Bedingungen von vielen als bedrohlich erlebt wird und entsprechende Gegenreaktionen auslöst. Entwicklung wird im allgemeinen nur dann als positiv erlebt, wenn man ihr nicht ausgeliefert ist, sondern sie gemäß den eigenen Interessen beeinflussen kann. Außerdem leidet die These von der Bereicherung durch Angehörige anderer Kulturen auch daran, daß sie gerade dem am unmittelbar eigenen Vorteil ausgerichteten Denken verhaftet bleibt, das man doch eigentlich im Interesse allgemeiner Emanzipation überwinden will. Die bloße Propagierung der Vorteile einer multikulturellen Gesellschaft greift: darüber hinaus auch insofern zu kurz, als sie sich über die Sorgen und Nöte der Leute schlicht hinwegsetzt und ihnen weiszumachen versucht, daß das, was sie fürchten, schön ist. Wir werden jedoch niemanden überzeugen, wenn wir die realen Schwierigkeiten, für die viele die Anwesenheit der Bürgerinnen anderer Nationalität in unserem Lande verantwortlich machen, ignorieren. Die Propagierung der Multikulturalität, die sich über die konkreten Probleme der Menschen erhebt, nimmt zugleich elitäre Züge an, indem sie dem »reaktionären Mehrheitsbewußtsein« die eigenen »progressiven« Positionen entgegensetzt. Es liegt auf der Hand, daß man Leute nicht für die eigenen Auffassungen gewinnen wird, wenn man sie gleichzeitig ob ihrer mentalen und moralischen Minderwertigkeit oder Zurückgebliebenheit beschimpft. Typisch ist etwa die Aussage, die Lea Rosh in einer Talkshow zum Thema Rassismus/Fremdenfeindlichkeit gemacht hat, nämlich: »Wir sind fette, satte Spießer, die Angst vor Fremden haben«. Die dabei verwandte »Wir«-Formel ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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ist i.d.R. keineswegs ernst gemeint, da nach allgemeiner Auffassung derjenige, der andere Spießer nennt, selbst keiner sein kann (und dieser Begriff auf Lea Rosh in der Tat nicht zutrifft). Gerhard Schröder traf m.E. die Realität sehr viel eher, wenn er in der gleichen Sendung davon sprach, daß für viele die Ideologie der Republikaner, nämlich daß die »Ausländer« auf Kosten der Einheimischen leben, glaubhaft klingen müsse, wenn sie z.B. hören, daß riesige Summen für Deutschkurse für Aussiedler ausgegeben, gleichzeitig aber die Ausgaben für Umschulungen einheimischer Arbeitsloser gekürzt werden. Bei den verbreiteten Spießerbeschimpfungen fallt i.d.R. unter den Tisch, daß die unterschiedlichen Einstellungen zur »multikulturellen Gesellschaft« und gegenüber den Bürgerinnen anderer Nationalität mit den jeweils unterschiedlichen Lebensbedingungen und Handlungsmöglichkeiten zusammenhängen. Die scheinbare Offenheit der Intellektuellen, mit der sie sich über die »Ausländerfeindlichkeit« der sogenannten Masse erheben, ergibt sich nicht zuletzt daraus, daß sie nicht in unmittelbarer Konkurrenz mit diesen stehen und folglich auch weniger durch sie bedroht sind. Bei näherem Hinsehen zeigt sich immer wieder, daß auch die »aufgeklärtesten« Leute zu »AusländerRaus-Parolen« greifen, wenn sie sich selbst durch die Existenz der Bürgerinnen anderer Nationalität negativ betroffen fühlen, etwa wenn das eigene Kind in eine Klasse mit hohem »Ausländeranteil« kommt und damit in seinen Entwicklungsmöglichkeiten beeinträchtigt scheint oder wenn türkische Jugendliche die eigene Tochter anmachen. Die bloße Propagierung der multikulturellen Gesellschaft ist auch insofern problematisch, als sie auf die Bemühung hinausläuft, den Einheimischen die Anwesenheit der Zuwanderer in unserer Gesellschaft »schmackhaft« zu machen. Dies suggeriert immer auch die Möglichkeit, daß die bisherige Entwicklung, falls sie keinen Gefallen findet, rückgängig zu machen ist. Dagegen ist die Tatsache zu setzen, daß die Bundesrepublik allen gegenteiligen Äußerungen zum Trotz und gleichgültig, ob es einem gefallt oder nicht, faktisch ein Einwanderungsland geworden ist und man die damit verbundenen Probleme und Konflikte nur überwinden kann, wenn man diese Tatsache nicht verdrängt, sondern ihr bewußt Rechnung trägt. Alle Versuche, sich über dieses Faktum hinwegzusetzen und die Entwicklung rückgängig zu machen, gehen an der Realität vorbei und schaffen damit genau das Chaos, das sie zu vermeiden vorgeben. Von einer ganz anderen Ecke aus problematisiert auch Finkielkraut (1989) das Konzept der Multikulturalität. Es enthalte das »Paradox einer Kritik des Ethnozentrismus..., die dazu führt, jedes Individuum auf seine Ethnie zu zentrieren« (107). Vertreterinnen des Multikulturalismus würden »den geistigen Zusammenhalt der Menschheit in der alleinigen und edlen Absicht (sprengen), die Annäherung zwischen den Menschen zu fordern« (106). Um »die Grausamkeit der Entwurzelung zu mildern« (113) und im »löblichen Versuch, ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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jedermann seine verlorene Identität wiederzugeben«, würden sie »als höchste persönliche Freiheit das absolute Primat des Kollektivs« präsentieren (111). Zugleich würden sie jedoch gegen Chauvinismus und Segregation zu Felde ziehen und mit einer »Relativitätspädagogik« zu verhindern suchen, daß die Menschen ihren »naturgebenen Präferenzen« fur die jeweils eigene Gruppe verhaftet bleiben bzw. in ihrer eigenen Kultur versinken (lOlf). Das Konzept des Multikulturalismus schließe darüber hinaus die Relativierung aller Werte, die kritiklose Anerkennung aller Tradition als »kulturspezifisch« ein und beschränke damit die Anwendung der Menschenrechte auf die Menschen des Westens in dem Glauben, diese Rechte zu erweitern, wenn man jedem die Wahl läßt, seiner nationalen Kultur gemäß zu leben. Entstanden aus dem Kampf zur Befreiung der Völker würde ein solcher Relativismus zum Lob der Knechtschaft fuhren (113). Insgesamt würde die Forderung nach kultureller Autonomie, wenn sie nicht den Völkern der »Dritten Welt« in ihrem Kampf gegen die westliche Vormachtstellung vorbehalten sei, sondern zum allgemeinen Wert erhoben würde, unversehens die Funktion übernehmen, die »Invasion« Europas durch Staatsangehörige der »unterentwickelten« Länder abzuwehren (95). Statt die Individuen durch ihre besondere = partikulare Kultur zu definieren, käme es vielmehr darauf an, eine allgemeine = universale Kultur zu schaffen, in der die Individualität des einzelnen Vorrang vor der Gesellschaft habe, deren zufalliges Mitglied sie seien. Auch Radtke betont die Gefahr, daß das Konzept der Multikulturalität ein Moment der Ausschließlichkeit und Unduldsamkeit in die Diskussion bringt, die es gerade verabscheut und zugleich von den Einheimischen als Argument genutzt zu werden, sich ihrerseits auf ihr Recht auf unangefochtenes Deutschtum zu berufen (1990b, 32). Im allgemeinen hätte der Übergang vom mittlerweile allseitig inkriminierten Begriff der Rasse zur Kategorie der Ethnie nichts anderes bewirkt, als daß an die Stelle des biologischen Determinismus der Kulturdeterminismus und an die Stelle der Rassenkonflikte, denen die Absicht von Unterdrückung und Vernichtung noch anzusehen war, der »neutrale« Kulturkonflikt getreten sei (Dittrich und Radtke 1990, 30). Ebenso wie die Kategorie der Rasse hätten aber auch die Begriffe der Ethnizität und ethnischen Identität im wesentlichen die Funktion, gesellschaftliche Gegensätze als Gegensätze zwischen horizontal angeordneten Gruppen erscheinen zu lassen: »Sich (gegenseitig) ethnisch definierende Gruppen im unteren Abschnitt des sozialen Stratums konkurrieren gegeneinander oder werden gegeneinander ausgespielt« (29). Insgesamt ist das Konzept der Multikulturalität nach Auffassung Radtkes zumindest in der Bundesrepublik eher der repressiven Ausländerpolitik geschuldet als an den Interessen der Zuwanderer orientiert. Es habe, wie er am Beispiel der Sozialpolitik, der Sozialarbeit und der Pädagogik deutlich macht, vor allem die Funktion, den verwaltungstechnischen und betreuerischen ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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Umgang mit »Ausländerinnen« zu erleichtem, was gerade dadurch erforderlich werde, daß deren wirkliche Integration massiv behindert ist. Wäre diese erwünscht, sei eine Differenzierung der Zuwanderlnnen gemäß ihrer nationalen Zugehörigkeit überflüssig oder bestenfalls nach sachorientierten Kriterien wie Beruf, Alter etc. sinnvoll. Die Gruppierung der Immigrantinnen nach ethnischen und nationalen Gesichtspunkten habe mit entsprechender publizistischer und wissenschaftlicher Unterstützung eine gesellschaftliche Wirklichkeit geschaffen, in der zunehmend mit ethnischen Differenzierungen gearbeitet würde. Unter dem Dach des Multikulturalismus erfolge dann eine Ethnisierung der Migrantinnen sowie eine Selbstethnisierung sozialer Gruppen, die nun ihrerseits dazu neigen, sich in Reaktion auf ihre allseits erfahrene Ausgrenzung auf die eigene Gruppe zurückzuziehen und die Schwierigkeiten im Umgang mit der Mehrheitsgesellschaft als ethnisch verursachte Probleme zu deuten (1990b, 32). Der Rückgriff auf das Konzept der Multikulturalität bzw. Ethnizität stellt nach Radtke einen Rekurs auf die persönlichen individuellen oder gruppenspezifischen Probleme und damit einen Rückzug auf die Privatsphäre dar, zu dem man sich offensichdich in dem Maße genötigt sieht, wie in der politischöffendichen Sphäre nicht weiterzukommen ist. Die Folge dieser Beschränkung sei aber, daß die objektiven Behinderungen der sozialen Integration in subjektive Anpassungsschwierigkeiten uminterpretiert werden. Die Beobachtung, daß die Migrantinnen in ihrem alltäglichen Kampf um die Lebensmöglichkeiten im allgemeinen den kürzeren ziehen und die Ansässigen auf ihre Anwesenheit mit Feindlichkeit reagieren, würde in pädagogischer Sicht dann nur noch als Sozialisationsmangel oder als falsches Bewußtsein aufgefaßt und am Subjekt zu kurieren gesucht, indem man etwa gegen Nichtwissen und Vorurteile Aufklärung und den Appell zur gegenseitigen Toleranz und Achtung setzt (1990b, 31). Die heute anstehenden Probleme würden aber nicht durch eine Re-Ethnisierung, sondern bestenfalls durch eine Ent-Ethnisierung und Ent-Nationalisierung der Politik zu bewältigen sein. Es komme darauf an, die Fremden als Individuen zu behandeln und die vielen Hindernisse, die dem entgegenstehen, auf den Begriff zu bringen (Dittrich und Radtke 1990,35). An die Stelle des »enthusiasmierten Multikulturalismus«, der häufig eher der eigenen Psychohygiene als den Interessen der Einwandererinnen diene, hätte die politische Forderung nach rechdicher und sozialer Gleichstellung zu treten, die erst die Voraussetzung für Pluralismus jedweder Art schaffen würden. Billiger sei der soziale Friede nicht zu haben (1990a; 1990b, 34). Ähnliche Kritik am Konzept der Multikulturalität übt auch Lenhardt. Dieses würde mit seinem »monadologischen Bild« des Individuums von den Mißständen der herrschenden Sozialstruktur ablenken und die politische Frage, wie Menschen zusammenleben wollen, zu der technischen Frage umdefinieren, wie sie zusammenleben sollen und wie sie folglich zu behandeln ARGUMENT-SONDERBAND NEUfe FOLGE AS 244

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seien (1990, 212). Die gesellschaftliche Integration erscheine so als Sozialisationsproblem: Es komme nur noch darauf an, den einzelnen die richtige persönliche Innenausstattung zu verpassen (195). Die Gemeinsamkeiten zwischen In- und »Ausländerinnen« seien jedoch in Wirklichkeit weit größer als die Differenzen. Ohne Ansehen der Person würden in den Betrieben die Interessen aller Arbeitenden verletzt. Der Umstand, daß das Kapital ethnischen Kategorien indifferent gegenüber stehe, ließe sich auch daran ablesen, daß die Bundesregierung zu dem gesetzlichen Mittel des Inländerprimats greifen mußte, um die Diskriminierung von Ausländerinnen durchsetzen zu können (198). Ethnische Orientierungen unter den Minderheiten seien somit viel eher eine Folge sozialstruktureller Segregation als deren Ursache (204). So sei es auch für die Kinder der Immigrantinnen viel entscheidender als die ethnische Zugehörigkeit, daß sie die Nachkommen von Arbeitern sind, daß die deutsche Gesellschaft ihnen den Status von Minderheitenangehörigen auferlegt und »wichtiger noch, daß ihre Existenz die von Schülern in formalen Bildungseinrichtungen ist« (209). Hamburger konkretisiert solche Kritik am Konzept der interkulturellen Pädagogik: Die Abstraktion von den gesellschaftlichen Bedingungen individuellen Handelns führe dazu, daß man von den vielfältigen Ursachen unterschiedlichen Verhaltens sich einen Aspekt, nämlich den der nationalen Zugehörigkeit, herausgreift und damit die Fremdheit, die man zu überwinden sucht, nicht nur festigt, sondern geradezu konstituiert, etwa deutsche Kinder christlicher und türkische Kinder moslemischer erscheinen lasse, als sie es wirklich sind (1990, 314f, 321). Die Kultur des Einwanderungslandes würde i.d.R. als »universal«, die der Herkunftsländer jedoch als »partikular« bzw. traditional = zurückgeblieben definiert und entsprechende Kritik auf sich ziehen. Eine solche Darstellung würde dadurch eine prinzipiell schiefe, die Minderheit diskreditierende Dimension annehmen, daß - wie Hamburger am Beispiel der Familienstrukturen veranschaulicht - im allgemeinen den Prinzipien »hier« die Realität »dort« gegenüberstellt würde - wobei in einem solchen Vergleich nicht nur die Gründe für eine »traditionale« Ausrichtung in einer historisch bestimmten Situation unter den Belastungen der Migration übersehen würden, sondern auch die patriarchalische Realität der deutschen Gesellschaft verblasse. Das Konzept der Multikulturalität berge somit unabhängig von den jeweiligen Intentionen seiner Vertreterinnen die Gefahr, eine »Einweisung in die nationale Identität« zu praktizieren, die für die Minoritätsgruppen letztlich nichts anderes als die »Selbststigmatisierung mit Subordinationsfolgen« (318f) bedeute; dies würde darüber hinaus die gegenwärtige Ausländerpolitik unterstützen, die zwischen Rückkehrverpflichtung und Einbürgerungszwang keinen Spielraum für eine tatsächliche multikulturelle Entwicklung von Individuen und Gruppen lasse (321). Statt beliebige kulturelle Selbstdefinitionen zu bestätigen und damit zu verfestigen, wäre vielmehr ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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gefordert, an den allgemeinen humanen Ansprüchen der Kultur anzuknüpfen und die Blockierung dieser Ansprüche durch die konkreten sozialen und politischen Verhältnisse aufzudecken (320).

Partikularität/Universalität und die Fiktionen einer »antirassistischen« Avantgard Die Begriffe Partikularität und Universalität, die in den kritischen Stellungnahmen zum Konzept der Multikulturalität sporadisch auftauchen, haben in den Theorien von Balibar und Wallerstein einen zentralen Stellenwert. Deren Ausfuhrungen leiden jedoch daran, daß sie der bürgerlichen Konzeption der Universalität bzw. der universalen = allgemeingültigen Menschenrechte, die zwar die Rechte der Individuen gegenüber dem Staat behaupten, aber von der realen Verantwortung der einzelnen für die gesellschaftliche Entwicklung und den objektiven Voraussetzungen dafür abstrahieren, keine Alternative entgegensetzen. Die Problematik des Begriffs der bürgerlichen Menschenrechte hat bereits Marx in seinem Artikel »Zur Judenfrage« auf den Begriff gebracht: »Es ist schon rätselhaft, daß ein Volk, welches eben beginnt, sich zu befreien, alle Barrieren zwischen den verschiedenen Volksgliedern niederzureißen, ein politisches Gemeinwesen zu gründen, daß ein solches Volk die Berechtigung des egoistischen, vom Mitmenschen und vom Gemeinwesen abgesonderten Menschen feierlich proklamiert« (MEW 1, 366). Universalistisches Denken ist nach Auffassung von Wallerstein an die internationale Expansion des Kapitals gebunden und impliziert die Unbeschränktheit der Ausbeutung, welche die Überwindung aller partikularen Interessen erfordert, die dem eigendichen Ziel, der wirtschaftlichen Expansion, entgegenstehen. Die universalistische Ideologie sei demzufolge die der kapitalistischen Wirtschaftsordnung angemessene Weltanschauung, die, so Marx und Engels, »kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übriggelassen (hat), als das nackte Interesse, als die gefühllose >bare Zahlung«< (MEW 4, 464). Der Universalismus sei jedoch, so Wallerstein, nicht nur eine Frage technischer Effektivität, sondern zugleich auch ein Mittel zur Eindämmung des Rassismus und Sexismus, die für das Funktionieren des Systems nur so lange nützlich seien, wie sie nicht »irrational« werden, d.h. solange sie das Ziel einer »ethnisierten und zugleich produktiven Arbeiterschaft« nicht gefährden würden (1990, 47). Gegen den »überzogenen«, den praktischen Nutzen gefährdenden und damit »irrationalen« Rassismus würden auch die herrschenden Klassen zu Felde ziehen, womit sie zugleich ihre »universalistische« Haltung moralisch untermauern. Während die Bourgeoisie insofern universalistisch denke, als sie ihren individuellen Gewinn vor jede nationale Rücksichtnahme setze und gegen die rassistischen Auswüchse einschreite, seien die Arbeiter, so Wallerstein, eher den Ideen des Partikularismus der Klasse, der Nation oder der Rasse verhaftet, die ARGUMENT-SONDERBAND NEUfe FOLGE AS 244

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für sie Positionen der Zuflucht und der Verteidigung gegen die schlimmsten Auswüchse der »universalistischen« Ausbeutungsstrategie darstellen würden (1990,275f). Da Wallerstein »Universalität« als schrankenlose Nutzung aller Ressourcen zur eigenen Bereicherung faßt, bereitet es ihm auch keine Schwierigkeiten, eine symbiotische Beziehung der »mutmaßlichen Gegensätze« von Universalismus und Rassismus zu behaupten (1990,39). Universalismus und Sexismus/ Rassismus würden ein gemeinsames Netzwerk bilden, in welchem sich Herrschaft: und Befreiung gleichermaßen widerspiegeln (1990,278). Dabei gäbe es immer Bestrebungen, die eine oder andere Seite ins Extrem zu steigern. Da beide Seiten dieser Antinomie schon von der Konzeption her eng verbunden seien, könne es jedoch nicht darum gehen, einer von ihnen zum Siege zu verhelfen, sondern die Frage sei vielmehr, »ob und auf welche Weise wir Systeme erfinden werden, die weder der universalistischen, noch der rassistisch-sexistischen Ideologie bedürfen« (1990,48). »Universalistisch« und »partikular« handelnde Menschen unterscheiden sich nach Auffassung von Wallerstein im wesentlichen darin, daß die einen stark genug sind, individuell ihre Interessen durchzusetzen, während andere nur als »Massenindividuen« bzw. unter Preisgabe ihrer Individualität nennenswerte Potenzen entwickeln. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß der zentrale Unterschied zwischen Partikularismus und Universalismus nicht darin besteht, daß die einen als Individuen und die anderen nur als Kollektiv ihren persönlichen Vorteil gegenüber anderen abzusichern verstehen: Wirkliche Universalität wird vielmehr erst dann erreicht sein, wenn man nicht nur auf Wahrung/Erweiterung der jeweils eigenen Lebens- und Handlungsmöglichkeiten, sondern auch auf die der anderen bedacht ist. »In der gegenwärtigen Epoche hat die Herrschaft der sachlichen Verhältnisse über die Individuen, die Erdrückung der Individualität durch die Zufälligkeit, ihre schärfste und universellste Form erhalten und damit den existierenden Individuen eine ganz bestimmte Aufgabe gestellt. Sie hat ihnen die Aufgabe gestellt, an die Stelle der Herrschaft der Verhältnisse und der Zufälligkeit über die Individuen die Herrschaft der Individuen über die Zufälligkeit und die Verhältnisse zu setzen«. Dies bedeute nicht, daß »Ich Mich entwickle« (was man ohnehin täte), sondern »die Befreiung von einer ganz bestimmten Weise der Entwicklung«, nämlich einer, die zu Lasten anderer geht (wogegen diese sich wiederum in spontaner Reaktion nur durch Ausgrenzung der noch Bedrohteren zu wehren wissen). Der Umstand, daß Wallerstein die Perspektive der Befreiung nicht mitdenkt, geht auch daraus hervor, daß er Klasse, Nation und Rasse in einem Atemzug nennt und damit unberücksichtigt läßt, daß sich Klassenbewußtsein, wie es von Marx definiert wird, vom nationalistischen und rassistischen Denken prinzipiell dadurch unterscheidet, daß es gerade nicht auf die unmittelbare ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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Absicherung des eigenen Vorteils gegen andere ausgerichtet, sondern durch die Erkenntnisse geleitet ist, daß man die eigene Unterdrückung nur aufheben kann, wenn man sich gegen jede Form von Unterdrückung, also auch gegen die eigene Einbezogenheit in die Unterdrückung anderer wehrt. Die Vereinigung aller Arbeiter zu einer politischen Kraft ist nach Maix eine wesentliche Voraussetzung, um dieses Ziel zu erreichen, das zugleich durch die allgegenwärtige Konkurrenz untereinander und die Rückgeworfenheit auf die individuelle Existenzsicherung und herrschende Ideologie ständig bedroht ist. In diesem Sinne bedeutet aber die Unterstellung unter eine Gruppe bzw. - präziser - unter das gemeinsame Ziel der Überwindung der einschränkenden Realität für alle gerade nicht die Negierung der Individualität, sondern ist vielmehr Voraussetzung ihrer Verwirklichung. Die Entgegensetzung von Individuum und Kollektivität entspricht der bürgerlichen Ideologie, daß jeder seines eigenen Glücks Schmied ist, deren wesendiche Funktion darin besteht, von der Verantwortung fur die Situation der jeweils anderen zu entlasten. In dem Maße, wie die »allgemeinen« Ziele nicht aktiv mitbestimmt bzw. in Erkenntnis der Aufgehobenheit der eigenen in den allgemeinen Interessen bewußt übernommen, sondern von außen vorgegeben werden, sind sie aber nichts anderes als die ideologische Verbrämung der faktischen Fremdbestimmtheit der Menschen. Die allgemeinen Interessen, in denen per Definition die persönlichen Interessen enthalten sind, sind also vom partikularen Gebrauch »universaler« Interessen, d.h. der herrschenden Tendenz zu trennen, die individuellen Interessen als allgemeine auszugeben, um sie um so reibungsloser durchsetzen zu können. Die Behauptung Wallersteins, daß Universalismus und Rassismus ein gemeinsames Netzwerk bilden, in welchem sich Herrschaft und Befreiung gleichermaßen widerspiegeln, gilt nur aus der Perspektive der Herrschenden, insofern die »persönliche Befreiung« unter den gegebenen Bedingungen letztlich immer rassistischen Charakter hat, d.h. zu Lasten der jeweils Schwächeren geht und die »Freiheit« der Herrschenden bestätigt, die Welt gemäß ihren Interessen zu nutzen und zu formen. Aus der Perspektive der Beherrschten bzw. der Befreiung von Unterdrückung bedeuten dagegen alle Versuche, die eigenen Lebensmöglichkeiten durch Ausgrenzung anderer zu wahren oder zu erweitern, nichts anderes als ein Arrangement mit der eigenen Unterdrückung und die Festigung der Bedingungen existentieller Verunsicherung. Im Gegensatz zu Wallerstein hält es Balibar fur müßig zu fragen, ob rassistische Tendenzen eher in den herrschenden oder den beherrschten Klassen bestehen. Er stellt dagegen heraus, daß sich jede Klassensprache in der Sprache des Universalen artikulieren müsse, es also in der Geschichte vielfältige und unvereinbare Universalitäten gäbe. Die wirklich »französische Ideologie« liege z.B. in dem Gedanken eines universellen Erziehungsauftrags gegenüber dem ganzen Menschengeschlecht, der der Kultur eines »Landes der Menschenrechte« ARGUMENT-SONDERBAND NEUfe FOLGE AS 244

»Rassismus/Antirassismus«: Politische Widersprüche in theoretischen Konzepten

übertragen sei und dem die Assimilierung beherrschter Völkergruppen entspräche. Dies führe in der Praxis dazu, daß man die Menschen oder Gruppen von Menschen entsprechend ihrer mehr oder minder großen Eignung fur die Assimilierung bzw. ihres Widerstandes gegen diese einteile und bewerte (1990,32f). Allgemein würden aus wesdicher Perspektive diejenigen Kulturen als implizit überlegen gelten, deren »Gemeinschaftsgeist« von nichts anderem als vom Individualismus gebildet würde, die also den sozialen und politischen Individualismus besonders hoch bewerten und fördern - im Gegensatz zu jenen Kulturen, die diesen hemmen und einengen (1990, 34). Trotz der Erkenntnis des partikularen Gebrauchs des Universalismus spricht auch Balibar von der widersprüchlichen Einheit von Universalität und Partikularität. Jeder Rassismus hätte »theoretisch« auch eine universale = humane Komponente. Diese bestünde darin, daß er eine Brücke zwischen dem (nicht entarteten) Menschen des Ursprungs zum (Über-)Menschen der Zukunft schlage, d.h. sich an einem idealisierten Menschenbild ausrichte. Er sei insofern ultra-national, als die »höhere« Rasse weder mit der Gesamtheit der nationalen Bevölkerung deckungsgleich sei, noch sich auf sie beschränke, sondern eine »aristokratische Perspektive« bzw. die Tendenz habe, geschichtsübergreifende Gemeinschaften (wie etwa die »Indo-Europäer«, den »Westen«, die »jüdisch-christliche Zivilisation«) zu idealisieren. Die mit einer »rassischen« Bedeutung ausgestatteten Kriterien selegieren, so Balibar, symbolisch eine Elite, die infolge der klassenmäßigen Ungleichheiten im ökonomischen und politischen Bereich bereits selegiert ist. Die beherrschten Schichten seien zugleich jene, deren »rassische Zusammensetzung« und »kulturelle Identität« am zweifelhaftesten seien (1990, 76ff). Die Setzung eines bestimmten Ideals, an welchem die Menschen gemessen und im Zweifelsfall abgewertet werden, ist jedoch keineswegs, wie Balibar meint, universalistisch und schon gar nicht humanistisch, sondern zutiefst inhuman und letztlich immer daraufgerichtet, die jeweils eigene Herrschaft: über andere zu rechtfertigen. Dies fallt offensichdich deswegen nicht auf, weil man sich als Intellektueller automatisch zur »Avantgarde« rechnet, der die Aufgabe zukommt, die zurückgebliebenen Massen gemäß den »allgemeinen« Zielen, die man durch sich selbst verkörpert sieht, zu erziehen. Mit einer solchen Auffassung trägt man jedoch keineswegs zur allgemeinen Emanzipation bei, sondern bleibt voll dem herrschenden Denken und den herrschenden Interessen verhaftet. »Befreiend« wäre es dagegen, die spontane Tendenz, die eigenen Interessen als allgemeine auszugeben bzw. die jeweils anderen gemäß den unmittelbaren persönlichen Vorstellungen/Vorteilen zu bewerten, in Frage zu stellen. Die »Avantgardefunktion« würde demzufolge nicht in der Behauptung persönlicher Vorbildlichkeit, sondern bestenfalls darin bestehen, daß man dem allgemeinen Druck, sich als vorbildlich auszugeben, widersteht. Dazu wird man jedoch nur dann in der Lage sein, wenn man das jeweilige ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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Dritter Teil

»Fehlverhalten« nicht als zufälliges bzw. persönliches Versagen, sondern im Zusammenhang mit den wirklichen Lebensverhältnissen, wie sie jeweils mir gegeben sind, begreift, womit zugleich auch die Perspektive seiner Überwindbarkeit aufscheint. Jede Abwehr der Kritik am eigenen Handeln bedeutet Abwehr der Notwendigkeit der Weiterentwicklung der Verhältnisse gemäß den »universalen« Interessen der Menschen und damit bestenfalls Stagnation. Balibar spricht die Befreiungsperspektive zwar an, wenn er feststellt, daß man den Nationalismus der Befreiung von dem der Eroberung unterscheiden müsse, beläßt es dann jedoch bei der Feststellung, daß die Befreiungsnationalismen in Beherrschungsnationalismen umschlagen können, ohne sich weiter darüber auszulassen, unter welchen Bedingungen diese Gefahr besteht (1990, 59). Diese droht offensichtlich dann, wenn sich die »Revolutionäre« im wesendichen damit begnügen, »Avantgarde« einer »Masse« zu sein, die zu zurückgeblieben sei, um ihre Interessen selbst erkennen und verwalten zu können. Eine solche Erziehungskonzeption, der gemäß das »Volk« erst einen bestimmten Reifegrad entwickelt bzw. das übernommen haben muß, was die »Avantgarde« für richtig hält, bevor es mitregieren kann, erhöht jedoch, wie auch das Beispiel DDR zeigt, die allseitige Distanz zwischen Staat und Bevölkerung, die man auf diese Weise zu überwinden meint (was dann wiederum die These von der Avantgarde nachträglich zu bestätigen scheint). Dies wirkt sich aber letztlich für alle Seiten katastrophal aus. Die mit einer solchen Vorstellung verbundene Entwicklungsbehinderung kommt auch in der Aussage eines ehemaligen DDR-Verantwortlichen in aller Deudichkeit zum Ausdruck, die Niethammer in seiner »Archäologie des Lebens in der Industrieprovinz der DDR« festgehalten hat: »In einer von der Avantgarde geleiteten Gesellschaft habe die Masse des Volkes naturgemäß ein zurückgebliebenes Bewußtsein. Dieses durch seine Erforschung und öffentliche Thematisierung mit sich selbst zurückzukoppeln, sei unter dem Gesichtspunkt der Avantgarde ein schädlicher Vorgang« (1991, 10).

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Antirassismus: Weitere Fallstricke und Problematisierungen

Im Argument 191,1992 schrieb W.F. Haug einen ausfuhrlichen Grundsatzartikel mit dem Titel »Zur Dialektik des Antirassismus«. Angesichts der Dringlichkeit des Themas gab das Argument ein Sonderheft heraus (195,1992), in dem Haugs Artikel von verschiedenen Aspekten aus diskutiert wurde. Dazu wurden Georg Auernheimer, Wilhelm Heitmeyer, Margret Jäger, Siegfried Jäger Wolfgang Kowalsky, Rudolf Leiprecht, Jürgen Link, Jost Müller, Nora Räthzel, Erich Wulff und Ute Osterkamp eingeladen. Als Resümee des Heftes aus seiner Sicht steuerte Haug abschließend »Sechs vorläufige Nachsätze« bei. Der folgende Text ist eine auf die eingangs benannte Weise redigierte Wiederveröffentlichung des Beitrags der Autorin. Damit stellt sich zwangsläufig die Frage, wieweit diese Darlegungen auch ohne Kenntnis des Artikels von Haug hinreichend verständlich werden. Man kann den Leserinnen und Lesern natürlich nicht einfach empfehlen, vorab Haugs Aufsatz zu lesen, jedoch scheinen die anschließenden Überlegungen - auch wenn man eine solche Lektüre nicht voraussetzt - im Kontext dieses Buches sinnvoll und weiterführend zu sein. Einmal handelt es sich dabei nämlich keineswegs um eine umfassende Auseinandersetzung mit W.F. Haugs wesendichen Thesen, sondern lediglich um die Weiterverfolgung vorzüglich solcher allgemeinen Gesichtspunkte, die sich außer bei Haug in der einen oder anderen Form auch bei anderen Autorenfinden,so daß Haugs oft besonders prägnante und zugespitzte Formulierungen als Anknüpfungspunkte zur Kennzeichnung jeweils bestimmter Denkrichtungen innerhalb der Rassismustheorie (die soweit nötig, auch durch Heranziehung weiterer Arbeiten expliziert werden) geeignet zu sein scheinen. Zum anderen aber steht in den (eingedenk des Hefttitels) mehr methodologisch gerichteten Ausfuhrungen ein Aspekt im Vordergrund, der weder bei Haug noch bei den anderen Autoren des Sonderheftes angesprochen wurde, dafür aber für das Verständnis des vorliegenden Buches und seines Hauptanliegens zentral ist: Die Differenz zwischen dem gängigen (mit dem herrschenden Standpunkt mindestens formal assoziierten) »Außen«- oder »Drittstandpunkt« der Analyse und dem »Standpunkt/der Perspektive des Subjekts« als Voraussetzung und Implikat unseres subjektwissenschaftlichen Ansatzes. Diese Differenz ist offensichdich äußerst schwer rezipierbar, was schon daraus ersichtlich ist, daß (obwohl wir in vielen Publikationen darauf eingegangen sind) sich praktisch niemand darauf bezieht. Im folgenden Text mag die Relevanz einer solchen Differenz sich vielleicht dadurch verdeutlichen, daß in der Diskussion bestimmter rassismustheoretischer Positionen bei Thematisierung des »Subjektstandpunkts« grundsätzliche Alternativen mit weitreichenden theoretischen und methodischen ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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Dritter Teil

Konsequenzen Sichtbarwerden. Insbesondere mag dies bei der kritischen Erörterung der Unterstellung (vorgeblich) »ökonomistischer« bzw. »klassenreduktionistischer« Auffassungen des Marxismus zutage treten: Es wird versucht, deutlich zu machen, daß eine solche Kritik nur berechtigt scheint, wenn man den Marxismus (entgegen seinem zentralen Anliegen) vom »Außen-« oder »Drittstandpunkt« analysieren will, sich aber vom (dem Marxismus allein angemessenen) Subjektstandpunkt, d.h. in diesem Kontext: der marxistischen Befreiungsperspektive als inadäquat erweist und in Luft auflöst. Falls es im folgenden Text gelingt, dies auch nur etwas klarer hervortreten zu lassen, wäre sein Abdruck in diesem Buch allemal berechtigt.

I. W.F. Haug hat in dem hier zu diskutierenden Artikel dazu aufgerufen, sich mit den Fallstricken und Zwickmühlen des antirassistischen Kampfes auseinanderzusetzen. Er hat dabei in differenzierter Weise die konzeptuellen und politischen Widersprüche von »Rasse«, »Rassismus« und »Antirassismus« herausgehoben, wobei seine Arbeit sich schließlich zu einem umfassenden Problemaufriß unter Einbeziehung globaler Entwicklungen ausweitete. In dem folgenden Diskussionsbeitrag zu Haugs Aufsatz werden weitere mögliche Fallstricke aufgewiesen (dabei vielleicht auch solche, in denen sich Haug selbst noch verfangen haben könnte). Darüber hinaus versuche ich, auf der Grundlage meiner eigenen Vorarbeiten und -erfahrungen das Problem auf etwas andere Weise anzuschneiden, so daß die folgenden Problematisierungen nicht nahdos (quasi als Unterpunkte) auf die von Haug vorgelegte Problemanordnung projizierbar sind und auch Gesichtspunkte (Positionen) angeführt werden, die außerhalb von (oder quer zu) Haugs Problementwicklung liegen. Da uns gegenwärtig (worauf auch Haug hinweist) eine gemeinsame systematische Aufschlüsselung des Rassismus-Problems ohnehin (noch) nicht gelingen kann, sehe ich darin keinen großen Nachteil: Unter dieser Prämisse versteht sich mein Text als ein fragmentarischer Versuch, Teilklärungen zu befördern, die erst später in eine begründete und weiterfuhrende Gesamtkonzeption eingebracht werden könnten.

II. Haug verarbeitet in seinem Aufsatz eine Kritik an bestimmten Auffassungen und Praktiken des »Antirassismus«, wie sie in letzter Zeit in zunehmendem Maße geäußert wird. Solche Kritikpunkte sind u.a., daß »Rassismus« weitgehend polemisch genutzt, eher Kampfbegriff denn Mittel der Erkenntnis sei. Statt die Ursachen rassistischer Erscheinungen zu klären, sei der antirassistische ARGUMENT-SONDERBAND NEUfe FOLGE AS 244

Antirassismus: Weitere Fallstricke und Problematisierungen

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Kampf im wesentlichen auf »Entlarvung« bzw. darauf beschränkt, diejenigen zu stigmatisieren, die stigmatisieren, was wiederum einen Teufelskreis gegenseitiger Verdächtigungen impliziere (Taguieff 1991, 232). Die Ersetzung der Analyse durch moralische Entrüstung und Stigmatisierung der Stigmatisierer läuft: aber, so Haug, Gefahr, unversehens rassistische Diskurspositionen einzunehmen: »Der Antirassist konstruiert den Rassisten als einen, der Rasse konstruiert« (1992, 32). Darüber hinaus bewege sich, so Taguieff, die Diskussion um den Begriff »Rassismus« zwischen unzulässiger Ausweitung und Verengung des Problems, indem zum einen jede irgendwie aggressive oder mißliebige Erscheinung als »rassistisch« bezeichnet wird, zum anderen aber alle Äußerungen von Rassismus in unmittelbaren Zusammenhang mit dem faschistischen Genozid gebracht werden (1991, 223, 249f). Insgesamt habe sich eine essentialistische Lesart eingebürgert, derzufolge der Rassismus als Inkarnation des Bösen, der Antirassismus jedoch als »das exakte Gegenbild des Rassismus« erscheine (ebd., 234). Im allgemeinen werde Rassismus mit Inhumanität, Antirassismus mit Humanität gleichgesetzt. Eine solche Koppelung von Menschlichkeit und Antirassismus wird von Cohen jedoch in Frage gestellt. Dabei versteht er »Menschlichkeit« offensichdich als eine allgemeingültige Norm, an der sich die einzelnen zu bewähren haben. So spricht er z.B. von der »Konstruktion eines elitären, rassisch definierten Humanismus«, der sich auf der Vorstellung der Einzigartigkeit und Einmaligkeit der Menschen gründe und ihre »Überlegenheit« gegenüber Tieren behaupte. Die Tiermetapher würde dann wiederum auf bestimmte Gruppen von Menschen übertragen, was deren Ausgrenzung und Ausbeutung rechtfertige (ebd., 313). Auch von Bälibar wird die weitgehende Gleichsetzung von Antirassismus und Menschlichkeit problematisiert, da seiner Meinung nach alle Versuche, eine »allgemeine Idee« des Menschen zu definieren, nicht umhin kämen, zu hierarchisieren und zwischen Menschlichem, Übermenschlichem und Inframenschlichem zu unterscheiden; dies sei zwar noch nicht mit Rassismus gleichzusetzen, aber doch einer seiner wesentlichen Bestandteile (1991,181). Ebensowenig sei die verbreitete Entgegensetzung von »Universalismus« und »Rassismus« aufrechtzuerhalten, da der Universalismus häufig nichts anderes als die ideologische Maskierung herrschender Interessen sowie Instrument kolonialistischer und rassistischer Politik sei (ebd., 178f). Darüber hinaus sei der Rassismus aber auch insofern »universell«, als es ihn praktisch überall auf der Welt gebe (183). Taguieff (1991,239) fuhrt solche Problematisierungen einer klaren Unterscheidung zwischen Menschlichkeit und Unmenschlichkeit sowie Universalismus und Partikularismus eher auf die mangelnde wissenschaftliche Durchdringung der Erscheinungen zurück. Die in linken Kreisen geübte Praxis, ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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Dritter Teil

dem möglichen Mißbrauch des Begriffs »Universalismus« dadurch zu begegnen, daß man gänzlich auf ihn verzichtet, bedeute in letzter Konsequenz nichts anderes, als daß man »lustvoll-postmodern« die großen Ideen der Emanzipation und der universellen Befreiung überhaupt aufgebe. An die Stelle der Universalität würde dann das Lob der kulturellen Vielfalt, »die Rückkehr zu den Wurzeln« (236) oder, wie es Radtke (1991, 93) nennt, »die Universalisierung der Partikularität treten«. Damit würde man aber, so Taguieff (1991,249), in ein Meer von Ambiguitäten geraten, da auch der Rassismus in Anpassung an die gegenwärtigen Erfordernisse sein Erscheinungsbild geändert, nämlich nicht mehr die »rassische Reinheit«, sondern - wie auch der Antirassismus - die Wahrung der »kulturellen Identität« zur Norm erhoben habe. Der »Kulturalismus« sei jedoch nichts anderes als ein environmentalistischer Determinismus und keineswegs weniger problematisch als der biologische Determinismus. Beide Auffassungen von Determinierung würden das Individuum darauf reduzieren, diese oder jene Totalität zu repräsentieren: »sei es das >Rassen-GefangnisVolks-OrganismusGesellschaftsZelle< oder den >Kultur-Kerker«< (Taguieff 1991, 239). Dabei würde sich vor allem die linke Spielart des Kulturalismus jeglichen Urteils über andere Kulturen - vor allem der »Dritten Welt« - enthalten und jede Form von Einflußnahme des Okzidents auf solche Länder als kolonialistisch denunzieren. Solche Formen des »fanatischen Anti-Okzidentalismus«, die tendenziell transideologisch, d.h. sowohl rechts wie auch links zu finden seien, würden aber einem umgekehrten rassistischen Essentialismus gleichkommen (240ff). In Abhebung von solchen Haltungen betont Taguieff die Notwendigkeit, bestimmte Werte, die sich im Okzident entwickelt haben, als universalisierbar zu verteidigen (257). Solche Werte seien vor allem die Menschenrechte, die weder ein einfacher soziohistorischer Ausdruck eines spezifischen kulturellen Ensembles, noch eine einfache ideologische Erfindung des »erobernden Okzidents« oder Überbleibsel eines kolonialen Diskurses, sondern »Früchte einer Anstrengung« bzw. »Schöpfung« seien (258). Das, was »bei uns« geschaffen wurde, habe keinerlei innere Bestimmung dazu, nur »für uns« zu gelten oder für uns etwas wert zu sein: Dies sei der formale Inhalt des Anspruchs auf Universalität (259). Haug verweist ebenfalls auf die Gefahr, statt in den Diskurs um ein neues Allgemeines einzutreten, die Position der Allgemeinheit schlechthin zu räumen. Und auch er spricht von einem Moralismus, der sich jede Kritik an seinem Objekt, für dessen Interessen er eintrete, verbiete. Diese Affirmation von Andersheit hätte die »Abschaffung des Universalen« zur Folge, entzöge der Zivilgesellschaft: den Boden, berge die Gefahr, beim »kulturellen Artenschutz« zu landen und sich der Ideologie anzunähern, die auszuhebein man angetreten sei (1992, 29f). Solche Warnungen sind berechtigt - auch wenn sie letztlich aus der Position derer erfolgen, die über die Lebensbedingungen der jeweils anderen ARGUMENT-SONDERBAND NEUfe FOLGE AS 244

Antirassismus: Weitere Fallstricke und Problematisierungen

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bestimmen. So diskutiert z.B. Taguieff die Universalisierung der Werte nur unilinear, nämlich deren Übertragbarkeit von uns auf andere und nicht umgekehrt. Die Frage, warum die Universalisierung bestimmter Werte, wenn diese doch »universal«, d.h. im Interesse aller sein sollen, auf Grenzen stößt, stellt sich dabei gar nicht erst. Statt die Bedingungen zu reflektieren und schaffen zu helfen, unter denen sich die Werte, die man für vermittelungswürdig hält, herausbilden bzw. übernommen werden können, setzt man sie als abstrakte Gebote, denen unabhängig von den jeweiligen Lebensbedingungen und Handlungsmöglichkeiten nachzukommen sei. Eine derartige Universalisierung der Werte bedeutet aber in der Tat nichts anderes als Kolonialisierung, die universale Verkleidung partikularer Interessen. Mir scheint bedenkenswert, wieweit nicht auch Haug, wenn er als Voraussetzung der zivilgesellschaftlichen Gleichberechtigung die zivilgesellschaftliche Integration verlangt (1992, 30), aus der Perspektive derer argumentiert, die nicht bereit sind, ihre eigene »Überlegenheit« gegenüber den »Fremden« zur Diskussion zu stellen. Mit einer solchen Position wird übersehen, daß zivilgesellschaftliche Verhaltensweisen sich nur in Beteiligung an zivilgesellschaftlichen Prozessen, nicht aber im Ausschluß davon entwickeln können. Eine Gesellschaft, die ihre »zivilgesellschaftliche« Qualität dadurch zu behaupten sucht, daß sie bestimmte Gruppen von Menschen ausschließt, hat den Anspruch auf die Höherwertigkeit ihrer zivilgesellschaftlichen Entwicklung möglicherweise bereits selbst desavouiert. Die Auffassung, daß die zivilgesellschaftliche Gleichberechtigung die zivilgesellschaftliche Integration voraussetzt, könnte weiterhin ungewollt der Praxis, die herrschende Abschottungspolitik mit dem Entwicklungsrückstand der Zurückgewiesenen zu rechtfertigen, Argumente liefern und damit die These von den fließenden Grenzen zwischen Berufung auf höhere Menschlichkeit und Rassismus unterstützen. Dabei ist in diesem Zusammenhang zu bedenken, daß sich »fundamentalistische« Haltungen gerade in Reaktion auf die Ausgrenzung großer Teile der nichtdeutschen Bevölkerung aus dem gesellschaftlichen Leben der Einheimischen zu verfestigen und zu verstärken pflegen. So ist etwa das besonders chauvinistische Verhalten, das z.B. türkischen Männern insgesamt unterstellt wird, dort, wo es auftritt, nicht zuletzt auch eine Reaktion auf die in unserer »entwickelten Zivilgesellschaft« erfahrene Entrechtung und Entwertung, die man dadurch zu kompensieren sucht, daß man im verstärkten Maße auf die traditionell angebotene Aufwertung zu Lasten der Frau zurückgreift. Als Beitrag zur Emanzipation der türkischen Frauen ist der hinhaltende Ausschluß der hier lebenden türkischen Bevölkerung von der gleichberechtigten Teilhabe am gesellschaftlichen Leben mit Sicherheit nicht die geeignete Methode. Vielmehr wäre dazu die Zulassung von Bedingungen erforderlich, unter denen es einerseits die Männer nicht mehr nötig haben, sich auf Kosten der Frauen aufzuwerten, und unter denen zum anderen auch die Frauen sich in einer ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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Dritter Teil

Weise emanzipieren können, die nicht die Entfremdung von ihrer Gruppe erfordert, was immer auch eine Verminderung ihrer Widerständigkeit gegenüber der neuen Gesellschaft, d.h. eine Erhöhung des Unterwerfungszwangs unter diese bedeuten würde (Pinter 1988).

III. Für die mangelnde Überzeugungskraft antirassistischer Positionen wird auch deren »Routinisierung, ja »Sklerose« (Taguieff 1991, 223) verantwortlich gemacht, die im wesendichen auf das unter Linken verbreitete ökonomistische Vulgärverständnis zurückzufuhren sei. In dessen starker - marxistischer Version würde Rassismus als eine Ideologie begriffen, die zur Erhaltung der kapitalistischen Produktionsweise funktional sei und eine Surplusausbeutung rechtfertige. In ihrer schwachen Version würde Rassismus als durch die ökonomische Krise gestützt, hervorgerufen oder verursacht konzipiert. Rassismus würde dabei in der Regel als substantielles Kennzeichen der Herrschenden gewertet, während der »populäre Gegenrassismus« als reaktiv gerechtfertigt würde. Die starke und schwache Version solcher ökonomistischen Auffassungen seien aber, so Taguieff, insofern inkompatibel, als die eine nicht den Ausschluß der unerwünschten Fremden, sondern gerade ihre Anwesenheit als beherrschte, inferiorisierte und ausgebeutete Gruppe im Innern der Gesellschaft voraussetze; die andere, die normalerweise mit dem Begriff »Xenophobie« bezeichnet würde, impliziere dagegen den Ausschluß oder die Vernichtung der als »böse« wahrgenommenen Gruppen (1991,225). Dieser Widerspruch in der »ökonomistischen« und »klassenreduktionistischen« Definition des Rassismus, den Taguieff glaubt feststellen zu können, löst sich jedoch auf, wenn man die unterschiedlichen Verhaltenstendenzen im Zusammenhang mit der Verschiedenheit gesellschaftlicher Positionen reflektiert. Denjenigen, flir die die »Ausländer« eine Quelle erhöhten Profits darstellen, sind sie willkommen, während diejenigen, fur die sie statt einer »Bereicherung« eine Konkurrenz um verknappte Ressourcen darstellen, sie eher spontan ablehnen. Während es den Unternehmern, so Wallerstein (1990, 44f), im Prinzip gleichgültig sein kann, wer ihren Profit erarbeitet, so daß sie also im allgemeinen keine nationalistischen Vorurteile haben, verhalten sich die Werktätigen eher partikularistisch, indem sie ihre Bevorzugung gegenüber den Zuwanderlnnen festzuschreiben suchen. Einen solchen Rassismus aus der Position der eigenen Verunsicherung und Existenzgefahrderung heraus könnte man als den Versuch betrachten, die allgemeine Fremdbestimmtheit und Ausgeliefertheit, die in Zeiten akuter Krise bzw. Bedrohung der bestehenden Lebensmöglichkeiten unmittelbar erfahrbar wird, dadurch zu überwinden, daß man andere aus dem Kreis der Empfangsberechtigten auszuschließen versucht. Auf diese Weise gewinnt man ARGUMENT-SONDERBAND NEUfe FOLGE AS 244

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scheinbar einen letzten Rest an Kontrolle über seine Lebensbedingungen bzw. ein Mittel gegen die Angst zurück, selbst durch die gesellschaftliche Entwicklung überrollt und an die Wand gedrängt zu werden. Dabei kann man durchaus auf entsprechende gesellschaftliche Anleitungen zurückgreifen, indem etwa bestimmte Gruppen von Menschen wie z.B. die Juden durch ihre lange Verfolgungsgeschichte fur weitere Verfolgungen prädestiniert erscheinen (Reemtsma 1991, 271f); heute sind es eher die hier lebenden Arbeitsimmigrantinnen und Asylbewerberinnen, deren offizielle Benachteiligung/ Diskriminierung sie zum Objekt auch »privater« Diskriminierungen werden läßt. Obwohl also Taguieff zuzustimmen ist, wenn er behauptet, daß alle Klassen an der Aufrechterhaltung rassistischer Verhältnisse verantwortlich beteiligt sind, besteht jedoch ein zentraler Unterschied, der klar herauszustellen wäre: Für die einen bedeutet dies die Festigung ihrer Herrschaft, für die anderen - da sie in der Vorstellung, »ein Anderer soll der Unterste sein« (Haug, 1992,34) ihr eigenes Üntensein akzeptieren - die Festigung ihrer Abhängigkeit. Taguieff versucht sich vom marxistischen Vulgärverständnis des Rassismus dadurch abzugrenzen, daß er zwischen ideologischem Rassismus als organisiertem Ensemble von Repräsentationen und Meinungen, Vorurteilsrassismus und einem Verhaltensrassismus unterscheidet, der wiederum keineswegs mit den beiden anderen Formen des Rassismus zusammenhängen müsse (1991,222). Solche Aufteilungen zerreißen jedoch in der Theorie Beziehungen, die in der Praxis offenkundig bestehen: Individuelle Vorurteile werden durch entsprechende gesellschaftliche Praktiken und Ideologien angeleitet und kanalisiert; sie bilden zusammen mit diesen die Facette bzw. den Hintergrund, durch den festgelegt ist, wen im Ernstfall die Ausgrenzung trifft. Sie bedeuten eine Art vorsorgender Realitätskontrolle auf Kosten anderer, indem der »Ballast«, von dem man sich im Notfall freizumachen gedenkt, um die eigene Manövrierfähigkeit zu stabilisieren, prophylaktisch schon vorherbestimmt ist. Unter diesem Gesichtspunkt sollte man Haugs interessante These von der Herausbildung einer meta-ethnischen Biomeritokratie (1992, 43) gleichwohl auf ihre Reichweite hin überdenken. Vielleicht ist die mehr oder weniger klare Festlegung bestimmter (u.U. wechselnder, aber in jedem Falle eindeutig ausmachbarer) Minderheiten, die im Krisenfall geopfert werden können, fur den Bestand der herrschenden Ordnung auch weiterhin funktional, weil so durch die Hoffnung der Mehrheit, daß damit fur sie das Schlimmste abgewendet ist, deren Widerständigkeit gegen die allgemeine Verschlechterung der Situation gelähmt wird. In diesem Zusammenhang wäre auch die Haugsche Definition des Rassismus als entfremdeten Protestes gegen Entfremdung (1992, 34) neu zu diskutieren und dabei die Verwendung des Begriffs »Protest« zu problematisieren: Mit einer solchen Wortwahl ist - wie mir scheint - suggeriert, daß rassistische Äußerungen staadicherseits unerwünscht sind, was in Wirklichkeit nur bedingt, ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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Dritter Teil

bestenfalls auf »übertriebene« Äußerungsformen bezogen zutrifft, die das »deutsche« Ansehen in der Weltöffentlichkeit schädigen und Gegenkräfte mobilisieren könnten. In gewissem Sinne handeln die gewalttätigen Jugendlichen aber eher in Einklang mit den herrschenden Verhältnissen als in Opposition zu diesen; sie unterscheiden sich von der herrschenden Politik vor allem dadurch, daß sie rücksichtsloser durchsetzen, was jene nahelegt: die Reduzierung der Zahl der Fremden in unserem Lande zur Sicherung des eigenen Wohls. Mit der Verwendung des Begriffs »Protest« könnte manchem nahegelegt sein, der »kämpferischen« Pose der Neorassisten aufzusitzen, die ihrer Selbsteinschätzung nach das tun, was die Mehrheit sich nicht zu tun getraut, und die deswegen trotz ihrer scheinbaren Anti-Haltung gegen die herrschenden Verhältnisse nichts anderes als ihre Absicherung, Anerkennung und Bestätigung unter den gegebenen Bedingungen suchen.

IV. Indem man marxistische Positionen generell als ökonomistisch oder klassenreduktionistisch auffaßt, also die (gelegentlich auch von »marxistischer« Seite vollzogene) Verkehrung der marxistischen Befreiungsperspektive vom Subjektstandpunkt in eine »neutrale« Sichtweise vom »Außenstandpunkt« fur bare Münze nimmt, kann es dazu kommen, daß man Mißverständnisse und Widersprüche sogar in die eigenen Konzeptionen hineinträgt. So charakterisiert z.B. Phil Cohen (1991, 320f) die Situation der Arbeiterklasse zu einer bestimmten Zeit in einem bestimmten Londoner Distrikt zunächst auf eindrucksvolle Weise von deren Standpunkt aus: »Wenn jemand davon spricht, ein >waschechter< oder >geborener< Eastender zu sein oder >Kohle im Blut< zu haben, dann spricht er von einer Lehrzeit, in der er sich dieses Erbe angeeignet hat. Man wird zu einem >Eastenderrassistische< oder >nationalistische< Artikulation...umgestimmt werden können« (1992,46). Bei diesen Positionen fallt auf, daß hier die Skepsis gegenüber »bloßer« Aufklärung sich - entgegen an anderer Stelle geäußerter Kritik an einer solchen Fixierung - letztendlich dennoch mit einer Konzentrierung auf die »Rassisten« und deren Verhaltensweisen verbindet, die man - wo nötig mit anderen Mitteln als der Vernunft - korrigieren will. Die Erkenntnisse über die institutionelle Diskriminierung, d.h. aber die »Normalität« des Rassismus und die eigene Beteiligung an diesem, gerät dabei in den Hintergrund. Die Funktion von Aufklärung wäre aber gerade, den »normalen«, institutionellen Rassismus und die konkreten Mechanismen, über die man - unabhängig von der persönlichen Gesinnung - in ihn einbezogen ist, zu analysieren und über diese zu informieren. Dies würde zwar einerseits die Überzeugung der eigenen geistig-moralischen Überlegenheit in Frage stellen und einen daran hindern, »Rassismus« nur als ein Problem der jeweils anderen zu sehen, durch das man selbst bestenfalls passiv betroffen ist (vgl. Haug 1992,28,45); dies wäre aber andererseits der einzige Weg, um handlungsfähig zu bleiben und würde möglicherweise sogar die Chancen erhöhen, auch ausgemachte »Rassisten« über Aufklärung zu erreichen. Eine Aufklärung aber, die über die Bedeutung der objektiven Lebensbedingungen für die subjektive Situation bzw. über die Konsequenzen individuellen Handelns für das eigene Leben informiert, wird niemals »rationalistisch«, von den Gefühlen abgehoben, sondern, indem sie ARGUMENT-SONDERBAND NEUfe FOLGE AS 244

Antirassismus: Weitere Fallstricke und Problematisierungen

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alle möglichen Abwehr- und Verdrängungsmechanismen sowie deren Überwindungsmöglichkeiten einbezieht, zutiefst emotional sein. Nur wenn man von der spezifisch menschlichen Notwendigkeit der Einflußnahme auf die relevanten Lebensbedingungen gemäß den individuellen Bedürfnissen und Erkenntnissen (und deren Unterdrückung) absieht, gerät die Vernunft (der Anpassung) in Gegensatz zu den Gefühlen. Die Gegenüberstellung von Vernunft und Gefühl bedeutet nichts anderes, als die (emotionale) Bewertung der gegebenen Bedingungen durch die Subjekte zu verdrängen und damit die herrschende Fremdbestimmtheit zu festigen. Die Leugnung und Verdrängung der in den Gefühlen sich äußernden Bewertung der konkreten Lebensbedingungen schließt immer auch eine »Irrationalisierung« und damit letztendlich eine Entwichtigung der Gefühle ein, die zur bloßen Privatsache erklärt werden bzw. als beliebig erscheinen. Die These, daß man sich nicht nur an die Vernunft, sondern auch an die Gefühle wenden muß, stellt den Vernunftgehalt bzw. die Erkenntnisfunktion der Gefühle in Frage und bedeutet letztlich nicht anderes als Manipulation, d.h. den Versuch der Einflußnahme jenseits des Bewußtseins, das Ansprechen unbewußter Ängste, um die Menschen gemäß den eigenen Vorstellungen beeinflussen zu können. Zur »wirklichen« Aufklärung, d.h. einer Aufklärung, die wirkt, würde somit immer auch gehören, die übliche Gegenüberstellung von Gefühl und Verstand in ihrer herrschaftskonformen Funktion zu klären statt sie blind zu reproduzieren. Die Aufklärung über die realen Voraussetzungen rassistischen Verhaltens würde aber auch für die Aufklärerinnen, indem es das Arrangement mit den herrschenden Verhältnissen stört, höchst dynamische Konsequenzen haben. Die Reduzierung der Aufklärung auf die Umerziehung der »Rassisten« ist somit immer auch eine Methode, um Konflikten mit den jeweils Herrschenden aus dem Wege zu gehen, die zwangsläufig auf einen zukämen, wenn man den Begriff »institutionellen Rassismus« konkret werden, dessen Bedeutung auch für das individuelle Verhalten präzis untersuchen würde. Versucht man jedoch, diese Konflikte zu vermeiden, verhält man sich in ähnlicher Weise wie die Rassisten: man macht die Probleme dort fest, wo man sie scheinbar eher zu bewältigen vermag.

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VierterTeil

Rassistische Rede und Schweigen über Rassismus in der Öffentlichkeit

Im folgenden Hauptteil geht es nicht um direkte Analysen der Arbeit in den Flüchdingswohnheimen (wie in Teil II), auch nicht um theoretische Diskussionen, die sich meist auf Beiträge anderer Autoren mit Bezug auf gleiche konzeptionelle Problemfelder beziehen (wie in Teil III), sondern bevorzugt um die kritische Erörterung der öffendichen Rede im Bedeutungsfeld »Rassismus« - sei es in Zeitungsoder Zeitschriftenartikeln oder auch in öffentlichen Verlautbarungen von mit dem Problem befaßten Politikerinnen, Publizistinnen o.ä. Dabei ist nicht nur relevant, wie, in welchen Interessenzusammenhängen, in welchem Kontext jeweils über »Rassismus« geredet wird, sondern vielleicht noch mehr, auf welche Weise und aus welchem Grunde man gerade nicht darüber redet, das Wort »Rassismus« jeweils vermieden, ausgeklammert, an den Rand gedrängt, durch weniger brisante Formulierungen (Fremdenfeindlichkeit, Fremdenhaß, Fremdenangst etc.) ersetzt wird. Damit überschneiden sich die folgenden Darlegungen zwar teilweise mit der Diskussion der theoretischen Ausfuhrungen, weil derartige »Sprachgebrauchs«Probleme dort ebenfalls gelegentlich akut werden. Ebenso wird auch in den Gesprächen mit den Bewohnerinnen und Mitarbeiterinnen der Flüchtlingswohnheime das Problem gelegendich zum Thema, »in welchen Worten« man eigendich darüber spricht, warum etwa Flüchdinge das Wort »Rassismus« sehr viel näher liegt als den Einheimischen. Dennoch ist die Besonderheit der folgenden Arbeiten, wie schon aus der Überschrift des Gesamtteils »Rassistische Rede und Schweigen über Rassismus in der Öffendichkeit« ersichdich ist (und wie bei der Lektüre noch deudicher werden wird) m.E. eindeutig: Es handelt sich dabei um Diskursanalysen in einem sehr allgemeinen Sinn als Art des Redens, damit auch des Ausklammerns von prinzipiell Sagbarem im öffentlichen Austausch. Der folgende ersten Beitrag des IV. Hauptteils beruht auf einer Auftragsarbeit für die Blätter für Deutsche und Internationale Politik, die in Heft 12, 1991 unter dem Motto »Gegen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsradikalismus- Aber wie?« einen Heftschwerpunkt eingerichtet und dazu auch Lutz Hoffmann, Reinhard Loske, Uwe Kremer und Andrea Lederer/Dieter Liehmann eingeladen haben. ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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Dritter Teil

Der damalige Text hatte den Titel »Alternativen zum hilflosen Antirassismus«, wurde fur dieses Buch überarbeitet und unter dem vorstehenden neuen Titel wiederveröffendicht. Zu bemerken ist dazu vielleicht noch, daß in diesem Beitrag die Konsequenzen des Anschlusses der ehemaligen DDR in ost-westlichen Diskursanalysen, aber indirekt auch in vielen anderen Zusammenhängen deutlich zum Ausdruck kommen.

Selbstwidersprüche in öffentlichen Verurteilungen rassistischer Gewalt I. Die neofaschistischen Ausschreitungen in den östlichen Teilen Deutschlands sind in ihrer Genese keineswegs - wie früher von der DDR offiziell behauptet wurde - ein »Überschwappeffekt« aus der BRD, sondern durchaus DDRspezifisch. Es handelt sich dabei, wie der kurz vor der Wende fertiggestellte Film »Unsere Kinder« von Roland Steiner unmittelbar deudich werden läßt um bestimmte Ausdrucksformen der Reaktion von Jugendlichen auf die Gängelung und Diskriminierung jedes irgendwie »abweichenden« Verhaltens. Die SED-Führung versuchte, die neofaschistischen Tendenzen, die mit Beginn der achtziger Jahre auch in der DDR in zunehmendem Maße hervortraten, zu leugnen bzw. als Fehlverhalten einzelner Jugendlicher abzutun, die sich gegenüber den Einflüssen aus dem kapitalistischen Ausland als zu wenig resistent erwiesen hätten. Diese Jugendlichen wurden dann durch entsprechende Kontroll- oder Strafmaßnahmen diszipliniert. Die Normabweichung wurde kriminalisiert, ohne daß die Norm, von der abgewichen wurde, auch nur ansatzweise in Frage gestellt wurde. Dabei zeigte sich eine merkwürdige Einäugigkeit, indem man die rassistischen Erscheinungen in der alten Bundesrepublik - entsprechend der marxistischen Auffassung von der bestimmenden Rolle der sozialen Verhältnisse - als Ausdruck der kapitalistischen Gesellschaftsordnung interpretierte, die entsprechenden Erscheinungen in der DDR jedoch nicht in Zusammenhang mit den politischen Bedingungen im eignen Lande brachte. Diese Einseitigkeit in der Beurteilung rechtsextremistischer Phänomene wird auch von westlicher Seite - nur mit umgekehrtem Vorzeichen - praktiziert. Während z.B. die neofaschistischen Angriffe und Überfalle im eigenen Verantwortungsbereich i.d.R. als Taten einzelner »Außenseiter«, »Unbelehrbarer«, »Toren«, »Wirrköpfe« oder auch Krimineller - so vor allem Bundeskanzler Kohl (z.B. Der Tagesspiegel vom 25.6., 6.9. und 13.10. 91) - hingestellt werden, die sich quasi jenseits der herrschenden Politik und der Mehrheit der ARGUMENT-SONDERBAND NEUfe FOLGE AS 244

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Bevölkerung bewegen, wird jede rassistische Erscheinung in den Ländern der ehemaligen DDR als Erbe des alten SED-Regimes gewertet. Man sieht darin z.B. die direkte Folge eines diktatorischen Systems, das bei den Individuen zu Frustrationen und Aggressionen geführt habe, die unter den alten Bedingungen jedoch nicht geäußert werden durften und infolgedessen in einen »Gefühls-« bzw. »Aggressionsstau« mündeten, der jetzt, wo die Unterdrückung endlich fortgefallen und Meinungsfreiheit gewährt sei, zur Endadung komme. Diese Auffassung wird auch in der kürzlich von der Bundesministerin für Frauen und Jugend, Angela Merkel, vorgelegten Studie über »Kinder und Jugendliche aus der DDR« vertreten, in der die Ursachen der rechtsradikalen Aggressionen in den neuen Ländern in der »verfehlten Wirtschafts-, Sozial-, Erziehungs- und Jugendpolitik der DDR« gesehen werden (Der Tagesspiegel vom 4.9.91). Die explosionsartige Äußerung dieser rassistischen Erscheinungen zur gegenwärtigen Zeit wäre dann gewissermaßen der Preis der neuen Freiheit. Eine solche Überschwapp- oder Überhang-Ideologie hat den Vorteil, daß man selbst von der Verantwortung fur die rassistischen Erscheinungen entlastet scheint und im großen und ganzen nur abzuwarten braucht, bis die in der Vergangenheit aufgestauten Aggressionen abreagiert sind, wonach man wieder zur Tagesordnung übergehen kann. Das politische Handeln beschränkt sich demzufolge bestenfalls auf die - halbherzige und in sich gebrochene Eindämmung des Ausdrucks bzw. der Symptome, bezieht sich aber nicht auf die Analyse und Überwindung der Ursachen rassistischer Verhaltensweisen.

II. Der Rassismusvorwurf kann dazu instrumentalisiert werden, eigene rassistische Tendenzen zu rechtfertigen, d.h. im Namen höherer Moral die Ansprüche der jeweils anderen abzuwehren bzw. sich von ihnen zu distanzieren, um nicht mit ihnen in einen Topf geworfen und dadurch in den eigenen Lebensmöglichkeiten beeinträchtigt zu werden. Dies zeigt sich zur Zeit vor allem im Umgang mit den aktuellen rassistischen Ausschreitungen in den Ländern der ehemaligen DDR. Die existentielle Verunsicherung und allgemeine Herabsetzung, die die Menschen dort gegenwärtig erfahren, verstärkt bei vielen offensichtlich die Tendenz, sich auf Kosten der Nichtdeutschen aufzuwerten. Das läßt dann viele der »ausländerfreundlichen« Westdeutschen sich wiederum berechtigt fühlen, ihnen die Solidarität vorzuenthalten, die sie ihrem theoretischen Anspruch nach mit allen »Benachteiligten« zu üben haben. Unter der Hand geraten dabei die westdeutschen Verhältnisse zur unhinterfragbaren Inkarnation wahrer Demokratie. Als Beispiel für viele mögen die Äußerungen des Frankfurter Dezernenten für multikulturelle Angelegenheiten Cohn-Bendit stehen: »Ich muß denen in den neuen Ländern sagen: »Menschen, Ihr wollt zu uns, ihr wollt Teil der Bundesrepublik werden mit dem Grundgesetz. Da ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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gibt es einfach Mindestkriterien des sozialen und menschlichen Zusammenlebens: Kinder schlägt man nicht, Frauen schlägt man nicht, Frauen werden nicht vergewaltigt, und Ausländer werden nicht geschlagen oder diskriminiert. Das müßt ihr lernen«< (Der Spiegel vom 28.8.91). Die Debatte um den Rechtsextremismus in der ehemaligen DDR vermittelt, wie Jan Ross seinen Eindruck über ähnliche Statements zusammenfaßt (FAZ vom 7.8.91), in der Regel einen außerordentlich unangenehmen Beigeschmack. Es würden Ferndiagnosen von Übeln gestellt, als redete man über die Sitten eines unterentwickelten Stammes. Diese Haltung habe, so Ross, im wesendichen die Funktion, dem Ärger über die ungebetenen Neubürger, der sich in den letzten Monaten angestaut habe, ein ethisches Alibi zu besorgen. Da es kleinlich wirke, von der DDR als finanzieller Last zu sprechen, rechne man mit ihr lieber als ethischer Hypothek ab. Dies sei zugleich eine Revanche für die Tatsache, daß sich die DDR seit Kriegsende mit dem Ruhm des antifaschistischen Widerstandes geschmückt und die Bundesrepublik als Heimat der Ewig-Gestrigen verdächtigt habe. Das gute Gewissen habe die Seiten gewechselt, ohne weniger verlogen zu sein. Adäquate Handlungsmöglichkeiten gegen den Rassismus werden sich jedoch nur auftun, wenn man das gesamte Geflecht von Beziehungen und Mechanismen, die zu rassistischen Verhaltensweisen führen, so genau wie möglich auf die ihnen zugrundeliegenden objektiven Bedingungen und persönlichen Gründe hin analysiert. Die Aufdeckung der politischen und sozialen Hintergründe rassistischer Tendenzen verweist in der Regel auch auf den eigenen Anteil an den problematischen Verhaltensweisen anderer. Dies mag mit ein Grund dafür sein, daß man sich lieber mit oberflächlichen Antworten begnügt. So zeigt sich z.B. bei genauerem Hinsehen, daß die »Fremdenfeindlichkeit« in der ehemaligen DDR weniger durch das individuelle Defizit im Umgang mit »Fremden« bedingt ist, wie immer wieder behauptet wird, sondern diese vielmehr mit dem Zeitpunkt und den realen Umständen zusammenhängt, unter denen die Umsiedlung der Asylbewerber erfolgte. So mußten die neuen Länder auf Beschluß der Bundesregierung - und gegen den Einspruch der Sachverständigen - quasi über Nacht zwanzig Prozent der Asylbewerberinnen aufnehmen. Die Folgen dieses Beschlusses waren u.a. hastig eingerichtete Notunterkünfte, völlig unvorbereitete Behörden, unzureichende soziale und medizinische Versorgung, und - auf Grund der fehlenden Infrastruktur - geringere Chancen auf ein rechtsstaatliches Anerkennungsverfahren etc. So ist es aus der Perspektive der Asylbewerberinnen schlicht selbstverständlich, daß sie alles tun, um ihre Rücküberfuhrung in den Westen zu erzwingen. Um dies zu erreichen, werden sie sich aber möglicherweise auch dazu genötigt sehen, die Bedingungen in den östlichen Ländern noch schwärzer zu malen, als sie ohnehin schon sind, was wiederum von der Presse begierig aufgegriffen wird. So heißt es etwa in einer Überschrift selbst des ARGUMENT-SONDERBAND NEUfe FOLGE AS 244

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Spiegel: »Flüchtlinge, die den neuen Ländern zugeteilt werden, erleben täglich Prügel und Strafe, doch in den Westen dürfen sie nicht zurück«. Solche Schlagzeilen müssen sowohl die Angst der Flüchtlinge vor einer Überweisung in die östlichen Länder erhöhen, als auch die Verbitterung der Bürgerinnen der ehemaligen DDR vermehren, denen solche Untaten pauschal zugeschrieben werden. Diese Verbitterung wird um so eher greifen, je mehr sich die Menschen in den neuen Ländern selbst als Vertriebene und Entrechtete im eigenen Lande fühlen, was sie dann wiederum für die allseits 2u hörenden Parolen von der Überschwemmungs- und Überfremdungsgefahr im besonderen Maße empfanglich machen wird.

III. Die Praxis, sich dadurch gegen den Vorwurf des Rassismus zu verwahren, daß man ihn den jeweils anderen macht, bestimmt auch die aktuelle Asyldebatte, die seit Monaten die Presse beherrscht. Hier wird trotz der äußerlich kontroversen Form unisono und - wie Meinungsumfragen zeigen durchaus »erfolgreich« - die Auffassung vertreten, daß der »ungebrochene Zustrom von Asylbewerbern« eine Gefahr für Deutschland und einzudämmen ist. Differenzen ergeben sich nur hinsichdich der Mittel, mit denen dieses Ziel zu erreichen sei. Während die Mehrheit der CDU/CSU die These vertritt, daß dies nur über die Änderung des Grundgesetzes geschehen könne, setzt die SPD/FDPFraktion auf die Beschleunigung und Verschärfung des Asyl-Verfahrens. Die allgemeine Verfinsterung der Situation in der Asylpolitik zeigt sich nicht zuletzt auch darin, daß - worauf Ebermann und Trampert verweisen (konkret 11/91) - die gleichen Wege, die die SPD heute zur Lösung der Probleme vorschlägt, 1987 bereits von den Republikanern in ihrem »Bremer Programm« vertreten, damals aber noch von der SPD als Zusammenbruch des Rechtsstaates deklariert wurden. Die beabsichtigten Einschränkungen des Asylrechts werden von den staatstragenden Parteien als Mittel zur Verhinderung rassistischer Tendenzen in der Bevölkerung ausgegeben, deren Toleranzgrenze gegenüber »Fremden« beschränkt sei. Alle, die diese Auffassung nicht teilen, werden für künftige rassistische Angriffe auf Nichtdeutsche verantwortlich gemacht. Wer am ungeänderten Asylrecht festhalte, werde, so der Generalsekretär der CSU, Erwin Huber, mitschuldig an Ressentiments gegen Ausländer und am Erstarken rechtsradikaler Parteien (FAZ vom 23.9.91). Und der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Rüttgers, ergänzt: Ausländerfeindlich sei nicht der, der das Grundgesetz ändere, sondern derjenige, der dem anhaltenden Zuzug von Ausländern nicht Einhalt gebiete (Die Zeit vom 11.10.91). Der SPD-Fraktionsvorsitzende Vogel wiederum wirft der Union vor, dadurch das Anwachsen der Fremdenangst zu begünstigen, daß ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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sie, um die Grundg^setzänderung durchzusetzen, die von der SPD vorgeschlagene Beschleunigung des Asylverfahrens verhindere und damit dem Stopp des Ansturms verzögere (Der Tagesspiegel vom 5.10.91). An der angeblichen Fremdenfeindlichkeit der Bevölkerung finden - so die einhellige Meinung der verantwortlichen Politikerinnen - alle Anstrengungen einer konstruktiven Asyl- und Einwanderungspolitik offensichtlich ihre unüberwindbare Grenze. »Die Angst vor der Überfremdung erschlägt alles. Ich habe nicht die politische Kraft, ein Einwanderungsgesetz zu thematisieren« gesteht etwa Burkhard Hirsch seine Kapitulation ein (Die Zeit vom 11.10.91). Und Konrad Weiß liefert die anthropologische Begründung nach: »Die Menschen sind nicht so ideal, wie sie manche Ideologen... backen möchten« (Der Spiegel vom 16. 9.91). In den Debatten zur Asylpolitik werden einerseits die Gefahren beschworen, die angeblich von den »Flüchdingsströmen« ausgehen, und zugleich wird die eigene Hilflosigkeit demonstriert, mit diesen scheinbaren Bedrohungen fertig zu werden. So ist es kein Wunder, wenn sich nicht nur rechte Schlägertrupps, sondern auch »normale« Bürgerinnen aufgerufen fühlen, die Probleme - da sie mit den Mittel der parlamentarischen Demokratie offensichtlich nicht zu lösen sind - nunmehr mit ihren Methoden anzugehen, d.h. den vielen leeren Worten endlich Taten folgen zu lassen und den Zuwanderlnnen unmittelbar deutlich zu machen, daß sie hier unerwünscht sind. »Der Zustrom (der Flüchtlinge) geht nur zurück, wenn in der Welt die Greueltaten in Deutschland bekannt werden«, rechtfertigte etwa eine Neumünsteranerin Angriffe gegen Ausländerwohnheime (Die Zeit vom 11.1.91). Die »Rücksichtnahme« der Politikerinnen auf die »Fremdenfeindlichkeit« der Bevölkerung nährt also, wie aus diesem Beispiel hervorgeht, bei vielen Menschen die Illusion, durch Gewalttaten gegenüber Nichtdeutschen unmittelbar Einfluß auf die Politik nehmen zu können; eine solche Rücksichtnahme bedeutet somit nichts anderes als die positive Verstärkung der gegen Nichtdeutsche gerichteten Aggressionen. Die angebliche Rücksichtnahme auf die »natürliche« Toleranzgrenze gegenüber »Fremden« ist darüber hinaus faktisch selbst eine Form des Rassismus, der sich hinter dem offen geäußerten Rassismus der jeweils anderen versteckt. Ein solcher »hintergründiger« Rassismus ist zugleich mit einer Elitetheorie verwoben, die sich vom rassistischen Denken des »einfachen Volkes« nur darin unterscheidet, daß sie sich nicht gegen »Fremde«, sondern gegen die soenannte Masse richtet bzw. Teile des eigenen Volkes vorschiebt, um sich der »Fremden« zu erwehren. Aufgrund der postulierten Fremdenfeindlichkeit beschränkt sich politisches Handeln im wesentlichen auf abstrakte Appelle an die Bevölkerung, toleranter und offener zu sein. So fordert z.B. Genscher emphatisch, »nicht den anderen zu ertragen, so wie er ist, sondern ihn so zu wollen, in seinem ARGUMENT-SONDERBAND NEUfe FOLGE AS 244

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Anderssein, in seiner anderen Nationalität, in seiner anderen Religion und seiner anderen Hautfarbe« (Der Tagesspiegel vom 10.10.91). Und der stellvertretende SPD-Vorsitzende, Thierse, plädiert dafür, die Asylbewerber nicht als anonymen Menschenstrom, sondern als einzelne Individuen zu sehen (Der Tagesspiegel vom 6.10.91) - ohne auf die Idee zu kommen, daß etwa die von seiner Partei geforderten Sammellager eine solche Sichtweise eher verhindern als ermöglichen werden. Statt leerformelhaft: Toleranz zu fordern, wäre es sinnvoller, nichtdeutsche Bürgerinnen von der Toleranz der Einheimischen unabhängig zu machen: indem man ihnen als Mindestvoraussetzung dafür gleiche Rechte wie jenen gibt. Es kommt nicht primär auf die Gesinnung an, die wir gegenüber Nichtdeutschen zeigen, sondern darauf, daß sie von dieser Gesinnung unabhängig werden, und das wird nur dann der Fall sein, wenn sie die gleichen Rechte und Möglichkeiten wie die Einheimischen erhalten. Damit würde sich jede Art von - positiver oder negativer - Sonderbehandlung weitgehend erübrigen. Die »Akzeptanz« der »Fremden« in unserem Land ist keineswegs, wie Politikerinnen uns weismachen wollen, eine feste Größe, an der eine humane Politik ihre Grenzen finden muß, sondern abhängig von der realen Politik bzw. davon, wieweit sich diese darauf konzentriert, die Probleme zu bewältigen oder zu verdrängen. Bis heute hat es, so etwa Cohn-Bendit, dem in diesem Fall zuzustimmen ist, keine Ausländerpolitik gegeben, »wohl aber eine Politik mit der Angst der deutschen Bürger vor den Fremden« (Die Zeit vom 1.11.91). Entsprechend hat, wie etwa Freimut Duve (SPD) feststellte, z.B. Innenminister Schäuble in der Parlamentsdebatte nach Hoyerswerda der Angst der Deutschen vor den Nichtdeutschen eine halbe Stunde, der Angst der Nichtdeutschen vor den Deutschen jedoch nur eine knappe Minute gewidmet (die tageszeitung vom 9.10.91). Aber nicht nur Vertreterinnen der herrschenden Politik gehen von der natürlichen Fremdenfeindlichkeit der Einheimischen aus, sondern auch viele Linke. Differenzen in den Auffassungen bestehen im wesendichen nur darin, daß die einen auf die angebliche Fremdenfeindlichkeit der Bevölkerung Rücksicht nehmen zu müssen behaupten, während die anderen eher darauf setzen, die »Rassisten« gewaltsam zu unterdrücken und jede Suche nach den Ursachen ihres Verhaltens als geheimes Einverständnis verdächtigen. Das hat dann i.d.R. entsprechende Law-and-order-Forderungen zur Folge, die sich von rechten Vorstellungen nur dadurch unterscheiden, daß sie sich auf eine andere Zielgruppe beziehen. Es liegt jedoch auf der Hand, daß sich Menschlichkeit und demokratische Gesinnung kaum gewaltsam aufzwingen lassen ganz abgesehen davon, daß der Staat, wie alle Erfahrung zeigt, an der Unterdrückung rechtsextremistischer Tendenzen nur mäßig interessiert ist. Während sich bisher noch die Politikerinnen genötigt sahen, sich von der angeblichen Fremdenfeindlichkeit der Bevölkerung moralisch zu distanzierenARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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auch wenn man ihr in der Praxis entsprechen zu müssen meinte wird in neueren Versionen nach alerter Yuppie-Manier diese »Fremdenfeindlichkeit« quasi positiv gewendet und zum Menschenrecht auf eine eigene, durch »Fremde« nicht belastete Identität stilisiert. Neben dem »Menschenrecht auf Freizügigkeit quer über die Welt« gebe es ein »Menschenrecht, bei sich daheim zu sein, sein eigenartiges Leben zu leben und zu pflegen«, wird etwa Günther Nenning positiv von Ute Knight und Wolfgang Kowalsky (1991,143f) zitiert. Der »demokratische« Kompromiß zwischen den Interessen der Einheimischen und Zuwanderlnnen, den Knight und Kowalsky vorschlagen, besteht darin, daß man per Quotenregelung diejenigen aufnimmt, die die heimische Idylle ausschmücken und bereichern helfen, und die Nicht-Verwertbaren abweist. Diese Variante des Herr-im-Hause-Standpunkts ist zwar auch moralisch fragwürdig, aber vor allem unrealistisch: Man täuscht sich und trägt zur Täuschung anderer bei, wenn man meint, die Anliegen der »Fremden« harmonisch dem eigenen Anliegen unterordnen, also unberücksichtigt lassen zu können, daß ihnen ein friedliches und sicheres Dasein »daheim« verwehrt ist - und dies nicht zuletzt auch deswegen, weil deren Heimat durch die Politik der westlichen Industriestaaten weitgehend unbewohnbar geworden ist.

IV. Nicht die Gefahr, die den Opfern droht, bestimmt die Diskussion über das Thema Rassismus, sondern der daraus erwachsende ideelle Schaden fur Deutschland, der zugleich immer auch materielle Konsequenzen hat. Auf diese Weise geraten die Deutschen selbst zu Opfern der Anschläge, die durch die Anwesenheit »zu vieler« Flüchdinge in unserem Lande provoziert werden. Dies spiegelt sich z.B. in den vielfältigen Klagen darüber wider, daß die Überfalle auf Flüchtlingswohnheime eine »Schande für unser Volk« seien. Ein schlechtes Image Deutschlands kann sich aber, so unter anderen auch der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstags, Stihl, durchaus negativ auf die Wirtschaft auswirken, die infolge ihrer Exportorientierung auf ein positives Bild im Ausland angewiesen sei (FAZ vom 25.10.91). Wenn man also schon nicht gewillt ist, Rücksicht auf die »Ausländer« zu nehmen, sollte man wenigstens an Deutschland denken! Die Rücksichtnahme auf das Ansehen Deutschlands gebiete sich aber auch auf Grund unserer besonderen Vergangenheit, durch welche die Deutschen, so etwa Theo Sommer (Die Zeit vom 11.10.91), »in weit höherem Maße in der Pflicht zur Toleranz stehen als irgend jemand sonst«. Solche Hinweise auf unsere faschistische Vergangenheit, die der Empörung über die rassistischen Angriffe ein besonderes moralisches Gewicht zu verleihen scheinen, sind jedoch eher gefahrlich und letztlich kontraproduktiv, da sie den Schluß nahelegen: Wenn diese Vergangenheit nicht wäre, könnten wir viel ungenierter ARGUMENT-SONDERBAND NEUfe FOLGE AS 244

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mit den sogenannten Ausländern umspringen. Der Rückbezug auf unsere moralische Belastetheit bestätigt zugleich die These der Rechtsextremisten, daß sich die Deutschen durch ihre Vergangenheit erpressen bzw. von der Wahrnehmung ihrer Belange abbringen lassen. Demzufolge erscheinen rechtsextremistische Gruppierungen manchen als die einzigen aufrechten Kämpfer, die nicht zulassen wollen, daß durch falsche Rücksichtnahme auf die Weltmeinung die Handlungsfähigkeit der Deutschen eingeschränkt wird und dadurch Konkurrenznachteile gegenüber anderen Völkern in Kauf genommen und so die Interessen des eigenen Volkes verraten werden. Den Schaden, der »uns« aus den zunehmenden Überfallen auf Flüchdingswohnheime erwachsen könnte, versucht man auch dadurch zu begrenzen, daß man sich in den doch wohl selbstverständlichen und damit überflüssigen »Verurteilungen« der Angriffe förmlich überschlägt - um gleichzeitig die Anlässe des »Volkszorns«, z.B. den »Asylmißbrauch« und die Angst vor den »Fremden«, zu rechtfertigen. Dies unterläuft auch jenen, die, wie etwa der Bundespräsident, als Gewissen der Nation fungieren. Es gebe zwar, wie dieser in seiner Ansprache zur »Woche der ausländischen Mitbürger« betonte, »viele Gründe für eine Angst vor Ausländern«, dies sei jedoch »überhaupt keine Entschuldigung für unmenschliche Behandlung von Schwächeren« (FAZ vom 19.9.91). Die Tatsache, daß es bei der Verurteilung der gegen Nichtdeutsche gerichteten Gewalttaten eher um das eigene Ansehen als um die Bedrohung der Flüchdinge geht, zeigt sich auch darin, daß man sich ohne weiteres über deren konkrete Situation hinwegsetzt, wenn es höhere Prinzipien zu erfordern scheinen. So wurde z.B. von den unterschiedlichsten politischen Lagern kritisiert, daß die Flüchdinge nach den Überfallen auf ihre Wohnheime in Hoyerswerda in andere Städte verlegt wurden. Man sah darin ein Zurückweichen des Rechtsstaates vor der Gewalt der Straße. Speziell von linker Seite warf man den Verantwortlichen vor, sich auf diese Weise nur das Problem vom Halse zu schaffen und aus den negativen Schlagzeilen bringen zu wollen. Das mag zutreffen. Aber es trifft ebenso zu, daß es eine zusätzliche Bedrohung der Flüchtlinge gewesen wäre, sie - um die Gewalttäter mit der Unbeugsamkeit des Rechtsstaats zu konfrontieren - weiterhin zu potentiellen Opfern erneuter Angriffe zu machen. Von dieser Auffassung ist es nur ein Schritt zur Androhung von Ordnungs- oder gar Strafmaßnahmen, mit denen die Flüchtlinge zu rechnen haben, die vor den rechtsradikalen Angriffen aus Greifswald geflohen sind und damit gegen die Vorschrift verstoßen haben, sich nur innerhalb des Bezirks der ihnen zugewiesenen Ausländerbehörde zu bewegen. Der Staat könne sich, so der Kieler Sozialminister Jansen (SPD), nicht erpressen lassen. Er fühle zwar mit den Asylbewerberinnen, aber diese müßten überzeugt werden, »daß sie als Teil unserer Gesellschaft mit dazu beitragen müssen, daß wir ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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zusammen nicht zurückweichen vor denen, die Gewalt anwenden« (Der Tagesspiegel vom 5.11.91). Allen Distanzierungen von den rechtsextremen Gewalttätern bzw. Rassisten gemeinsam ist die Auffassung, daß man selbst auf der Seite der Guten steht und mit den anderen nichts gemein hat. Differenzen ergeben sich nur hinsichtlich der Frage, wo die Grenzlinie zu ziehen ist. So lassen sich z.B. Kohl und Weizsäcker trotz der sich häufenden rassistischen Angriffe nicht in ihrer Auffassung erschüttern, daß das deutsche Volk nicht ausländerfeindlich sei und es sich bei den Überfallen um bloße »Auswüchse« handelt. Radikale Linke wie etwa Jutta Ditfurth, Thomas Ebermann und Rainer Trampert erklären dagegen praktisch alle Deutschen - mit Ausnahme der jeweils eigenen Person oder Gruppierung - zu rassistischen Spießbürgern. Liberale bewegen sich eher in der Mitte, indem sie etwa wie Theo Sommer die Auffassung vertreten, daß es »mehr anständige Deutsche als unanständige« gibt und darauf setzen, das »weitherzige Deutschland gegen das engstirnige (zu) mobilisieren« (Die Zeit vom 11.10.91). Die hier vollzogene klare Trennung von Guten (zu denen jeweils ich gehöre) und Bösen läßt sich nur aufrechterhalten, wenn man die Erkenntnis abwehrt, daß die Handlungsweisen der Menschen mit ihren gesellschaftlichen Lebensmöglichkeiten und deren Behinderung zusammenhängen, für die man selbst aber immer mit verantwortlich ist. Die Berücksichtigung der unterschiedlichen Lebensperspektiven bedeutet also keineswegs, die Menschen von der Verantwortung für ihre rassistischen Verhaltensweisen zu entlasten, sondern ganz im Gegenteil zu begreifen, daß sich diese nur im Zusammenhang mit der Veränderung der Lebensbedingungen überwinden lassen, unter denen die Ausgrenzung anderer sich als Lösung der eigenen Schwierigkeiten aufdrängt. Solche Veränderungen der Verhältnisse können aber nicht in erster Linie von den »Außenseitern« selbst ausgehen, sondern müssen primär von jenen kommen, die weniger existentiell entwurzelt und bedroht sind und über weit größere Einflußmöglichkeiten verfugen als jene. Wer all dies nicht gelten lassen will und etwa wie Jutta Ditfurth als »sozialarbeiterisches Gefasel« abtut (Neues Deutschland vom 12./13.10.91), der sollte sich überlegen, was er denn - außer verständlicher Ungeduld und Abneigung gegen die rechtsextremen Jugendlichen - selbst zur Lösung des Problems beizutragen hat. Zur Berücksichtigung der Lebensmöglichkeiten und -beschränkungen der Individuen gehört aber ebenfalls, daß man die realen Schwierigkeiten und Belastungen, die die Aufnahme der Flüchtlinge auch für die einheimische Bevölkerung bringt, nicht einfach vom Tisch fegt, sondern anerkennt. Solche Belastungen werden um so größer sein, je ungesicherter einerseits die Position der Einheimischen und je entrechteter und unzumutbarer andererseits die Situation der Immigrantinnen und Flüchdinge ist. So schafft etwa die Konzentrierung von Menschen - häufig alleinstehenden jungen Männern - in ARGUMENT-SONDERBAND NEUfe FOLGE AS 244

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Sammellagern auf engstem Raum, ohne sinnvolle Beschäftigung, ohne Perspektive, einem Netz kleinlicher Reglementierungen unterworfen und von einer Mauer allgemeiner Gleichgültigkeit und Ablehnung umgeben, nicht nur für die Flüchdinge, sondern auch für die Einheimischen und insbesondere die unmittelbaren Anwohnerinnen Probleme. Deren Klagen darüber werden aber in der Regel nicht ernstgenommen, sondern als »Ausländerfeindlichkeit« abqualifiziert und »vorgeführt«. So zitiert etwa Theo Sommer einen Leserbrief mit folgendem Inhalt: »Wie würden Sie reagieren, wenn neben Ihnen eine Asylantenunterkunft für Zigeuner, Afrikaner u.a.m. eingerichtet würde? Wenn Sie den entsetzlichen Lärm, den diese Leute rund um die Uhr machen, ertragen müßten? Dazu der Gestank des Mülls, der von ihnen einfach irgendwo hingeworfen wird?« (Die Zeit vom 11.10.91)- ohne sich auch nur versuchsweise in die Situation des Briefschreibers zu versetzen. Ebermann und Trampert (konkret 11/91) sehen in Beschwerden von Anwohnerinnen über laute Musik von Flüchdingen, die mangels anderer sinnvoller Lebensmöglichkeiten häufig die Nacht zum Tage machen und so die Zeit totschlagen, einfach den Lebensneid von Spießern. Die Frage ist aber, ob die Anwohnerinnen nicht tatsächlich ihre Nachtruhe nötig haben könnten - und dies um so mehr, je weniger sie, wie viele Intellektuelle, den versäumten Schlaf am Tage nachholen können. Statt sich über die »Spießbürger« moralisch zu erheben, wäre es sinnvoller, sich für die Abschaffung der Sammelunterkünfte und das faktische Arbeitsverbot für Flüchtlinge einzusetzen - damit wäre sowohl Flüchtlingen wie Anwohnern gedient. Und zudem überließe man es nicht den Rechten, sich als diejenigen aufzuspielen, die sich als einzige solcher Sorgen der damit von der Allgemeinheit im Stich gelassenen Bürgerinnen annehmen: Die Vertreter der anderen Parteien reden »mit ihrer Schulbildung selbstherrlich an den Menschen vorbei. Wir aber sprechen deren Sprache«, erklärte z.B. ein Vertreter der DVU deren jüngsten Bremer Wahlerfolg (Die Zeit vom 1.10.91).

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Verleugnung des Rassismus im öffentlichen Diskurs

Die Ursprungsfassung dieses Beitrags wurde im Januar 1994 innerhalb einer Vortragsreihe mit dem Titel »Veränderungsprozesse der Sozialen Arbeit - Beiträge zur Theorie- und Methodendiskussion« an der Fachhochschule fur Sozialpädagogik der Diakonenanstalt des Rauhen Hauses in Hamburg gehalten. An dieser Reihe beteiligten sich auch Thomas Klatetzki, Klaus Dörner, Regine Gildemeister, Michael Langhanky, Burkhard Müller, Kurt Hekele, Hans-Jürgen Benedict, Margret Bülow-Schramm und Freerk Huisken. Der vorliegende Text war nicht zur Veröffentlichung gedacht, sonder hatte die Funktion, wesentliche Aspekte der Rassismus-Problematik - auch jene, die schon infrüherenArbeiten veröffendicht waren - in den Gesprächszusammenhang der erwähnten Vortragsreihe einzubringen. Als das Rauhe Haus die Reihe dennoch publizierte (Langhanky 1995), schien unter der Berücksichtigung des Umstandes, daß das dazu vorgesehene Publikationsorgan »Impulse - Werkstatt Fachhochschule« mehr lokalen Charakter hat, nichts dagegen zu sprechen. Das in diesem Kontext neutralisierte Wiederholungsproblem wurde aber unversehens aktuell, als sich die Frage stellte, ob der Beitrag in irgendeiner Form für eine neuerliche Publikation im vorliegenden Band geeignet sein könnte. Nach Streichung aller Wiederholungen blieben die Untersuchungen vonJohnWrench u.a. (Univ. Warwik, UK) über die Wahrnehmung von »Rassismus« in der Schule und im Berufsleben, jeweils sowohl aus der Sicht der Betroffenen wie aus der Sicht der Mitschüler, Kollegen, Betriebsleiter, Funktionäre übrig; weiterhin die explizit diskursanalytisch-sprachwissenschaftlichen Analysen von Teun von Dijk (Univ. Amsterdam), in denen die Verdrängung des Wortes »Rassismus« und seine Ersetzung durch »Vorurteil«, »Stereotyp« etc. genau aus dem jeweiligen Kontext heraus auseinandergelegt wird. Diese beiden Arbeiten sind nicht nur fur die Thematik des VI. Teils von großer Bedeutung, sondern stellen darüber hinaus wichtige Beiträge zur Gesamtargumentation des vorliegenden Buches dar. Außerdem sind beide Arbeiten hierzulande so gut wie unbekannt. Deshalb schien vieles dafür zu sprechen, Wrenchs und van Dijks Texte in den Mittelpunkt einer Torsofassung des alten Vortrags »Leugung des Rassismus« zu stellen (der damit etwa halb so lang wurde wie das Original) und durch Kommentare lediglich locker die Verbindungen zu anderen einschlägigen Untersuchungen und Analysen anzudeuten. Angesichts der Wichtigkeit und Unbekanntheit des Inhalts scheint es allemal gerechtfertigt, den (zumal sehr kurzen) Text ausnahmsweise in den vorliegenden Band aufzunehmen, auch wenn er in der so verkürzten Form eher den Charakter eines kommentierten Referats denn eines eigenständigen Beitrags erhielt. ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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I. Der allgemeine Konsens von der Vorrangigkeit der Interessen der Einheimischen gegenüber den jeweils anderen, Nicht-Dazugehörigen, wie wir ihn als »Herr-im-Hause-Standpunkt« umschrieben haben, schlägt sich auch in der verbreiteten Tendenz nieder, Rassismus auf seine extremen, diesen allgemeinen Konsens überschreitenden Formen zu reduzieren und ihn als solchen nur dann zur Kenntnis zu nehmen sowie auf ihn zu reagieren, wenn er sich zu verselbständigen, d.h. sich quasi der eigenen Kontrolle zu entziehen und solche Ausmaße anzunehmen droht, daß die allgemeine Ruhe und Ordnung sowie das eigene Ansehen beeinträchtigt werden könnten. Nur aber wenn man Rassismus auf seine extremen Äußerungsformen reduziert, kann man der Auffassung sein, selbst nichts mit ihm zu tun zu haben und also auch in dieser Frage nicht gefordert zu sein. Dies bedeutet auch, daß man schon den Gebrauch des Wortes »Rassismus« - wenn es auf einen selbst und andere »normale« Leute bezogen wird, für unpassend bis ungehörig zu halten und denjenigen, die dieses Wort benutzen, in irgendeiner Weise abartige und »extremistische« Auffassungen zu unterstellen pflegt. In diesem Zusammenhang sind Forschungsarbeiten sehr aufschlußreich, die John Wrench und andere (1993) in Großbritannien mit dem Ziel durchgeführt haben, die Wahrnehmung rassistischer Phänomene in den verschiedenen Bereichen des öffentlichen Lebens zu untersuchen. Dabei zeigte sich eine außerordentlich hohe Diskrepanz zwischen den Angehörigen der verschiedenen Minderheiten und der Mehrheit. Während z.B. »weiße« Lehrerinnen auf die Frage, ob es in ihren Schulen irgendwelche rassistischen Tendenzen gibt, durchweg die Antwort gaben: »No problem here«, hätten sich fast neunzig Prozent der »schwarzen« Schülerinnen und deren Eltern über rassistische Diskriminierungen beklagt. Zu den direkten Formen rassistischer Diskriminierung gehört nach John Wrench et al. z.B. das sogenannte name-calling, bei dem die bloße Zugehörigkeit zum Herkunftsland schon zum Anlaß für Spott und Verachtung genommen werden. Ein solches »name-calling« würde aber von den Lehrerinnen häufig insofern toleriert werden, als sie dieses als harmlose und unter Kindern bzw. Jugendlichen übliche Neckerei abzutun geneigt sind. Eine jüngst in England durchgeführte Studie von Troyna and Hatcher (1992) macht jedoch deutlich, daß das »name-calling« keineswegs leichtzunehmen ist, sondern einer der verletzendsten Formen im Repertoire kindlicher Beleidigungen darstellt. Sie trifft - wie auch die Kinder, die solche Aggressionsform benutzen, durchaus wüßten - den schwächsten Punkt bei den jeweils »anderen«. Die Botschaft sei: »Du gehörst nicht hierher, geh zurück, wo Du hingehörst.« Aber nicht nur das name-calling, sondern selbst körperliche Verletzungen würden von den Lehrerinnen häufig als übliches Kräftemessen oder unglückselige Zufalle verharmlost. ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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Die Duldung und damit Unterstützung rassistischer Erscheinungen durch das Lehrpersonal selbst besteht jedoch, so Wrench et al., nicht nur in der verbreiteten Tendenz zur Verharmlosung verbaler und körperlicher Angriffe auf die Angehörigen ethnischer Minderheiten durch die Mitschülerinnen. Darüber hinaus würden viele Lehrerinnen die Tendenz haben, die Leistungsfähigkeit »ausländischer« Kinder im besonderen Maße zu unterschätzen, diese dementsprechend weniger fordern und fördern und damit die ihnen von vornherein unterstellten Leistungsdefizite selbst erst produzieren. Die Akzeptanz der systematischen Benachteiligung bestimmter Gruppen von Menschen würde sich aber auch darin zeigen, daß das Lehrpersonal im allgemeinen keinen Anstoß darin nehme, daß es unter den Kolleginnen und Vorgesetzten kaum Angehörige ethnischer Minderheiten gibt. Die verbreitete Neigung, verbale und körperliche Angriffe auf Angehörige ethnischer Minderheiten sowie deren Zurückbleiben hinter den geforderten Leistungen zu individualisieren statt sie als Ausdruck ihrer systematischen Diskriminierung zu sehen und entsprechend anzugehen, habe darüber hinaus zur Folge, daß jeder Widerstand gegen solche Formen der Diskriminierung und Benachteiligung von vornherein ins Unrecht gesetzt ist: Kinder und Jugendliche, die sich gegen sie aktiv zur Wehr setzen, müßten immer damit rechnen, als übermäßig empfindlich, sich selbst gegenüber unkritisch oder auch als besonders aggressiv erklärt, d.h. selbst als Unruhestifter eingestuft und entsprechend bestraft zu werden. Dieses »Unruhestiften« wird also nicht im Zusammenhang mit der konkreten Situation, d.h. als Produkt der abwertenden Haltung der Einheimischen analysiert, sondern unmittelbar der kulturellen Eigenart derjenigen angelastet, die solche aggressiven Reaktionen der Einheimschen »provozieren«.

II. Das Zusammenspiel von Rassismus und seiner Leugnung, ist, wie John Wrench aufweist, nicht nur für die Schule charakteristisch, sondern bestimmt auch weitgehend die Situation in der nachschulischen Ausbildung sowie im Beruf. Auch hier pflegten die Sozialarbeiter, Unternehmer, Verwaltungsangestellten etc. jede Art von Rassismus zu leugnen. Auf die Frage, wie sie sich denn den geringen Anteil von Angehörigen ethnischer Minderheiten unter ihren Schülerinnen, Lehrlingen oder Arbeitenden erklären, kam etwa die Antwort, daß sich diese um die in Frage stehenden Ausbildungs- und Arbeitsplätze von vornherein nicht beworben oder aber nicht die erforderlichen Qualifikation gehabt hätten. Solche Aussagen werden jedoch durch ein Experiment von Hubbuck und Carter (1980) erheblich in Frage gestellt, bei dem sich 100 Bewerberinnen zum Schein bei einer Reihe von Arbeitgebern um eine Anstellung bemühten: Schon ein fremdartig klingender Name oder ein ARGUMENT-SONDERBAND NEUfe FOLGE AS 244

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anderer Hinweis auf eine »ausländische« Herkunft auf dem Bewerbungsschreiben reduzierten signifikant die Chancen der Bewerberinnen, überhaupt zu einem Interview eingeladen zu werden. Eine andere Untersuchung von Lee und Wrench (1983) ergab, daß bei einer Bewerbung um einen Ausbildungsplatz im Handwerksbereich die »Weißen« zu 44 Prozent erfolgreich waren, Angehörige afro-karibischer Gruppen jedoch nur zu 15 Prozent und Menschen aus Asiens zu 13 Prozent - obwohl alle nachweislich die gleichen Qualifikationen hatten. Den objektiv rassistischen Gehalt des eigenen Handelns zu begreifen, ist offensichtlich auch deshalb sehr schwierig, weil, so Wrench et al., die verschiedenen Faktoren und Strategien, die zur systematischen Benachteiligung der Angehörigen ethnischer Minderheiten führen, keineswegs persönlichen Vorbehalten gegenüber »Ausländern« geschuldet sein müssen. Nur einige wenige Unternehmer äußerten sich z.B. in unmittelbar rassistischer Weise. Einige behaupteten, daß sie selbst ohne weiteres »Schwarze« einstellen, aber bestimmte Teile ihrer Belegschaft - und zwar häufig die höherqualifizierten sich weigern würden, mit ihnen zusammenzuarbeiten. In anderen Unternehmen ergab sich die systematische Benachteiligung der Angehörigen von Minderheiten eher unversehens, d.h. ohne besondere Absicht: Indem man etwa Nachwuchs in Wohnbereichen anwarb, in denen kaum »Ausländer« lebten, oder aber bei der Neueinstellung Angehörige bereits Beschäftigter bevorzugte oder auf inoffizielle Weitergabe von Informationen überfreieStellen vertraute, was bei einer überwiegend »weißen« Belegschaft automatisch den Zugang »schwarzer« Arbeitskräfte reduzierte. Auf der anderen Seite besteht aber, wie Wrench et al. deutlich machen, auch bei den Angehörigen ethnischer Minderheiten vielfach die Tendenz, sich - selbst wenn sie die entsprechenden Qualifikationen haben - bei besonders gefragten Ausbildungs- und Arbeitsplätzen mit ihren Bewerbungen zurückzuhalten - dies auf Grund der im allgemeinen durchaus zutreffenden Einschätzung, daß ihre Erfolgsaussichten ohnehin nicht sonderlich groß seien. Hinter einer solchen Selbstbeschränkung stünde aber häufig auch die Furcht, bei einem etwaigen Erfolg als Eindringling in vorwiegend für Einheimische reservierte Lebensbereiche stärkeren persönlichen Diskriminierungen ausgesetzt zu sein. Daß solche Ängste nicht unbegründet sind, wird durch Aussagen von Angestellten in verschiedenen Institutionen der Arbeitsvermittlung bestätigt, die in ihrer beruflichen Tätigkeit häufig genug mit direkten rassistischen Vorbehalten und Äußerungen konfrontiert werden. In spontaner Reaktion auf solche Erfahrungen würden sie selbst wiederum leicht »protektive« Tendenzen entwickeln und Angehörige ethnischer Minderheiten, um ihnen Enttäuschungen zu ersparen, von vornherein nicht an Firmen oder Ausbildungsstätten vermitteln, bei denen sie den Verdacht haben, daß sie »Ausländer« ohnehin ablehnen. Damit würden sie aber denjenigen, die bisher noch nicht ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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resigniert, sondern allen Behinderungen und Anfeindungen zum Trotz an ihren Entwicklungsansprüchen festgehalten haben - nunmehr quasi von Freundesseite - nahelegen, sich nicht über die ihnen gesteckten Grenzen hinaus zu bewegen. Im Kontext solcher systematischen Diskriminierung und der eigenen Einbezogenheit in diese hat die Übernahme von »Vorurteilen« u.a. auch die Funktion, die Benachteiligung der jeweils anderen weniger schwerwiegend und somit für einen selber eher hinnehmbar erscheinen zu lassen. Typisch für eine solche Tendenz ist nach Wrench et al. etwa das »Asian girl syndrome«, d.h. die verbreitete Auffassung, daß Frauen aus Asien wegen ihrer spezifischen »Mentalität« und Sozialisation von sich aus nicht an einer beruflichen Karriere interessiert, sondern vielmehr darauf aus seien, möglichst früh verheiratet zu werden. Eine solche Einschätzung entspricht nach Wrench et al. jedoch keineswegs der Realität: Wenn man sich die Mühe macht, die Frauen selbst zu Worte kommen zu lassen, zeigt sich in der Regel, daß auch sie an einer beruflichen Karriere interessiert sind, allerdings kaum Erfolgsaussichten haben, wozu u.a. auch das »Asien girl syndrome« beiträgt, das wieder einmal die objektiven Beschränkungen als subjektive Beschränktheiten erscheinen läßt. Das sogenannte »Vorurteil« erweist sich damit unter der Hand als »Nachurteil«, nämlich als Rechtfertigung des eigenen Arrangements mit der theoretisch als unhaltbar erkannten Realität.

III. Das Zusammenspiel von Rassismus und seiner Leugnung, das John Wrench und andere in Großbritannien untersucht haben, ist sicherlich auch für deutsche Verhältnisse kennzeichnend. Auch hier wird allgemein von fuhrenden Kräften in Politik, Erziehung, Ausbildung, Wirtschaft, Kultur etc. behauptet, daß die Beziehungen zwischen In- und Ausländerinnen in dem jeweils eigenen Verantwortungsbereich gut seien. »Ausländerfeindliche« bzw. rassistische Äußerungen und Handlungen, die an die Öffendichkeit dringen und diese allgemeine Aussage in Zweifel ziehen, werden in der Regel durch »fremde« Einwirkungen - etwa rechtsextreme Gruppierungen oder aber individuelle Fehlhaltungen - erklärt. »Mit unseren Schülern haben wir keine Probleme. Es sind schulfremde Personen, die die Unruhe hier hereintragen«, sei eine gängige Reaktion, wie z.B. Klaus Farin und Eberhard Seidel-Pielen ihre Erfahrungen zusammenfassen (1991, 145). Solche Einschätzung würde jedoch nur auf der Grundlage einer absoluten Verdrängung der Realität möglich sein, zu der u.a. auch die Verdrängung der Tatsache gehört, daß das deutsche Schulsystem selbst nach vierzig Jahren Immigration inhaltlich und didaktisch ausschließlich an der deutschen Mehrheitsgesellschaft ausgerichtet ist und damit objektiv dazu ARGUMENT-SONDERBAND NEUfe FOLGE AS 244

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beiträgt, die Leistungsdefizite bei den »ausländischen« Jugendlichen zu produzieren, die deren weitere Benachteiligung in Berufsausbildung und im Arbeitsleben scheinbar gerechtfertigt erscheinen lassen. Aber auch die immer wieder zu hörenden Behauptungen deutscher Unternehmer und Gewerkschaften, daß es im Produktionsbereich kaum Probleme zwischen In- und Ausländerinnen gäbe, lassen sich, wie auch die Untersuchung von Nora Räthzel und Ülkü Sarica (1994) deutlich machen, nur aufrechterhalten, wenn man einen sehr begrenzten Problembegriff hat, mit ihm nur die Schwierigkeiten faßt, die die »Ausländer« in unserem Lande machen, nicht aber die vielfältigen Entwicklungsbeschränkungen, mit denen sich diese systematisch konfrontiert sehen. Macht man sich dagegen die Mühe zuNuntersuchen, wie die Arbeitsimmigrantinnen selbst die Situation erleben, zeigt sich auch hier ein von den Vorstellungen der Einheimischen wesendich abweichendes Bild: Die Immigrantinnen sehen sich, so z.B. Lutz Hoffmann und Herbert Even (1985), einer zwischen Betriebsleitung und einheimischer Arbeiterschaft bestehenden Koalition ausgesetzt, die auf dem allgemeinen Grundkonsens in unserem Land beruht, daß die Interessen der »Ausländer« natürlich den Interessen der Einheimischen unterzuordnen seien. Diese Haltung schlägt sich etwa auch in dem von den Gewerkschaften mitgetragenen Arbeitsförderungsgesetz nieder, das die Bevorzugung der deutschen und EG-Arbeiter gegenüber allen anderen gesetzlich festschreibt. Gerade aber diese Überzeugung von der Höherrangigkeit der Interessen der Einheimischen gegenüber allen »Nicht-Dazugehörigen« ist aus der Perspektive derer, denen damit die Minderrangigkeit zugesprochen wird, Kern rassistischer Gewalt, die sie zu Menschen zweiter Klasse macht und damit zugleich die rassistischen Ausschreitungen gegen sie überhaupt erst ermöglicht. Die objektive Benachteiligung und Ausgrenzung der zugewanderten Arbeiterinnen und Flüchdinge ist aber, wie Hoffmann und Even immer wieder hervorheben, nicht ein Merkmal der Handlungen einzelner, sondern sie besteht in der Koalition aller Faktoren, die auf das Leben der Zuwanderlnnen einwirken und in der die allgemeine Gleichgültigkeit ihrer subjektiven Situation gegenüber bestimmend ist.

IV. Die verbreitete Tendenz, die Existenz rassistischer Phänomen zu leugnen, schlägt sich, wie die Arbeiten Teun van Dijks (1992) zeigen, auch in dem Bemühen nieder, den Begriff »Rassismus« im öffentlichen Diskurs überhaupt zu vermeiden und statt dessen Begriffe wie Vorurteil, Stereotyp, Ausländerfeindlichkeit etc. zu benutzen, die die Probleme von vornherein auf die Ebene des bloß Subjektiven verlagern: Auf diese Weise geraten nicht nur die ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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gesellschaftspolitischen Ursachen rassistischer Erscheinungen, sondern auch die Tatsache aus dem Blickfeld, daß selbst diejenigen, die keine feindlichen Gefühle gegen Immigrantinnen und Asylsuchende äußern, sondern »nur« deren systematische Benachteiligung tolerieren oder diese gar nicht erst zur Kenntnis nehmen, für den alltäglichen Rassismus im eigenen Land mit verantwortlich sind. In den seltenen Fällen, in denen die Begriffe »Rassismus« und »rassistisch« im öffendichen Diskurs benutzt würden, seien sie, so Teun von Dijk, entweder auf »andere«, etwa extremistische rechte Randgruppen sowie Parteien außerhalb des allgemeinen Konsenses, oder auf räumlich und zeidich weit entfernte Erscheinungen, wie z.B. das Apartheidssytem in Südafrika oder die Zeit der Sklaverei in den USA beschränkt. Wenn der Begriff Rassismus dagegen im Zusammenhang mit der eigenen Gruppe oder Person diskutiert würde, dann durchgehend in abwehrender Form, etwa als Wiedergabe entsprechender Vorwürfe, deren Glaubwürdigkeit man von vornherein dadurch in Frage stellt, daß man diese Begriffe durch Anführungszeichen entschärft oder mit anderen Zweifel- oder Distanzsignalen versehen - wie etwa »angeblich« - benutzt. Der institutionelle Rassismus, d.h. das System alltäglicher ethnischer Diskriminierung, Ausgrenzung und Unterdrückung wird dagegen, wie Teun von Dijk seine Ergebnisse zusammenfaßt, in der Regel nicht als Rassismus interpretiert. Dies gebiete sich schon aus Gründen der eigenen Imagepflege: Zuzugeben, daß viele subtile Formen von Alltags-Rassismus die gesamte Gesellschaft: durchziehen, würde in unmittelbaren Widerspruch zu den offiziellen Verlautbarungen stehen und die herrschenden Verhältnisse sowie das eigene Handeln in diesen selbst in Frage stellen. Die Reduktion des Rassismus auf die extremen Formen seiner Äußerungen beschränke dagegen den antirassistischen Kampf auf die gelegentliche Verfolgung offener rechtsextremer Rassisten und lasse die herrschenden Verhältnisse ungeschoren. Die Tendenz, rassistische Erscheinungen im eigenen Verantwortungsbereich zu leugnen oder durch das Verhalten jener, die durch sie betroffen sind, zu rechtfertigen, wird, so Teun von Dijk, paradoxerweise durch die offizielle Ächtung des Rassismus in besonderer Weise noch gefördert. Die Konsequenz davon sei, daß sich die Anstrengungen mehr auf die Demonstration der eigenen »antirassistischen« Gesinnung als auf die Analyse der konkreten Zusammenhänge, Voraussetzungen sowie Konsequenzen rassistischer Erscheinungen konzentrieren. Dies hätte die Praxis zur Folge, auch noch die krassesten rassistischen Diskurse als nichtrassistisch auszugeben: Ich habe nichts gegen Ausländer, sondern nur dagegen was, daß sie »uns« Schwierigkeiten machen, zu nah auf die Pelle rücken, von »unseren« Leistungen leben etc. ist eine immer wiederkehrende Floskel. »Rassisten« sind solchen Auffassungen nach offensichtlich nur jene, die grundlos, d.h. auch dann gegen »Ausländer« sind, wenn sich deren Anwesenheit »für uns« durchaus auszahlt. ARGUMENT-SONDERBAND NEUfe FOLGE AS 244

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Die offizielle Ächtung von Rassismus und die daraus resultierende Angst, selbst aus dem »antirassistischen« Konsens herauszufallen, habe, so Teun von Dijk, zugleich die absurde Folge, daß Rassismusvorwürfe im allgemeinen als schwerwiegendere soziale Verstöße als die rassistischen Handlungen selbst angesehen würden. Diejenigen, die die systematische Benachteiligung der »Ausländer« nicht als rechtens akzeptieren, sondern als Ausdruck rassistischer Praxen und Haltungen bewerten und damit aus dem allgemeinen Konsens von der Höherrangigkeit der Einheimischen ausscheren, erscheinen nicht selten als Verrückte, deren Verhalten man sich nur - so etwa Eckhard Fuhr in der FAZ vom 30.10.92 - damit erklären kann, daß sie an einem »gesinnungsethischen Delirium« leiden oder aber durch pathologischen Haß auf die eigene Bevölkerung geleitet sind. So beschuldigte etwa diefranzösischeFront National alle, die die Einwanderung von Nicht-Europäern befürworteten, als Vertreter eines antifranzösischen »Rassismus«. Aber auch manche Linke wie etwa Günter Nenning konnten sich das Eintreten für die Beibehaltung des Asylrechts in Deutschland nur durch den Haß auf die eigene Bevölkerung erklären (vgl. i.d.B., S. 172). Die allgemeine Leugnung des alltäglichen, strukturellen Rassismus ist aber, wie Teun von Dijk unter Bezug auf Philomena Essed (1992) hervorhebt, nicht nur Teil einer persönlichen, institutionellen oder sozialen Imagepflege und ideologischen Selbstverteidigung, sondern stelle darüber hinaus immer auch eine Form sozialpolitischen Handelns dar: Indem sie den Widerstand gegen rassistische Diskriminierung massiv erschwert, der zumindest teilweise der Anerkennung der Mißstände in einer breiteren Öffentlichkeit bedarf. Wenn der herrschende Konsens besage, daß es keinen Rassismus gibt, hätten es Minderheiten sehr schwer, in ihrem Protest ernstgenommen und nicht als überempfindlich, übertreibend oder maßlos abgetan zu werden. Die allgemeine Leugnung des Rassismus sei somit ein mächtiges Moment seiner Reproduktion. Sie bedeute in letzter Instanz immer die Leugnung des eigenen Versagens, indem man diejenigen, die es im wesentlichen trifft, dafür verantwortlich macht. Die Leugnung des Rassismus in der alltäglichen persönlichen und politischen Praxis würde, so Teun von Dijk, zusätzlich dadurch erleichtert, daß »Rassismus« in der wissenschaftlichen Diskussion von vielen - quasi um der deflatorischen Reinheit willen - weiterhin im klassischen biologistischen Sinn verstanden wird, nämlich als Tendenz, andere ethnische Gruppen als biologisch minderwertig auszugrenzen. Solche Beschränkung auf das ursprüngliche Verständnis von Rassismus mache es jedoch unmöglich, die »moderneren«, subtileren und indirekteren Formen ethnischer und rassischer Benachteiligung als rassistisch zu erfassen und würde somit der verbreiteten Tendenz, diese als Ausländerfeindlichkeit zu individualisieren und zu verharmlosen, nichts entgegensetzen können. ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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Dritter Teil

Ein Grund fur die Reduzierung des Begriffs Rassismus auf die klassische Definition besteht offensichtlich in der Besorgnis, daß ein inflationärer Gebrauch ihn verwässern und entschärfen könne. Eine solche Gefahr besteht m.E. jedoch nur dann, wenn der Rassismusbegriff - was verbreitete Praxis ist instrumentalisiert, d.h. als Vorwurf oder Waffe benutzt wird, um politische Gegner besonders wirkungsvoll außer Gefecht zu setzen und damit zugleich nach dem Motto: wer andere Rassisten nennt, kann selber keiner sein - die eigene antirassistische Gesinnung zu demonstrieren. Wenn man statt dessen der aktiven Einbezogenheit auch des eigenen Handelns in die rassistischen Strukturen Rechnung trägt, bedeutet die Erweiterung des Rassismus-Begriffs nicht seine Verwässerung, sondern vielmehr die adäquatere Erfassung der Realität. Bemühungen um definitorische Reinheit, die der Komplexität und Alltäglichkeit des Rassismus nicht gerecht wird, verfallen selbst schnell der herrschenden Praxis, das Rassismusproblem außerhalb der Normalität anzusiedeln und damit weitgehend abzuwehren.

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Das Boot ist voll! Typische Selbstrechtfertigungs- und Abwehrfiguren in der Asyldebatte Unter Mitarbeit des Projektes Rassismus/Diskriminierung

Diefolgende Arbeit ist die zweite in diesem Buch, die nicht von vornhereinfür bestimm Zwecke - Vorträge, Veröffentlichungsreihen, Diskussionsbeiträge aufTagungen etc. wurden, sondern allein dem Gesprächszusammenhang im Projekt sich verdankt (und nachträglich/ungeplant im »Forum Kritische Psychologie« 32,1993, veröffentlicht wu Im Mittelpunkt stand die Selbstverständigung darüber, wie mit dem pseudoplausiblen G meinplatz »natürlich können wir nicht alle aufnehmen« von unserem Grundkonzept argumentativ umzugehen sei. Gegenstand der Analysen sind hier bestimmte gängige Flo Redensarten im öffentlichen bzw. veröffentlichten Diskurs, mit welchen die Maßgebl und Meinungsmacher sich einerseits bei der Bevölkerung anbiedern: Ihr braucht k Angst zu haben, jeder vernünftige Mensch weiß doch, daß das nicht geht und wir werde die »Flut« schon »eindämmen« o.ä.; andererseits aberliegt in solchen Floskelnjedesm eine latente Drohung denen gegenüber, die sich den benannten Gemeinplatz nicht zu machen wollen: Diese gehören nicht dazu, haben sich selbst ins Abseits manövriert, nicht ernst zu nehmen, vielleicht sogar gefährliche Radikale etc. Dabei wurden zunä bestimmte alltägliche Rede- und Denkweisen - relativ wörtlich oder mehr oder wen umschrieben - als Motto über einenjeweiligen Abschnittgestellt, dann seine Vorausset kritisch hinterfragt, um so nach und nach aus der Kritik des einschlägigen Diskurse eigene Auffassung abzuleiten und zu begründen.

Vorbemerkung Die Diskussion um das Asylrecht ist durch die Auffassung bestimmt, daß der Möglichkeit, allen Zuflucht suchenden Menschen Hilfe zu leisten, Grenzen gesetzt sind. Differenzen zwischen den verschiedenen politischen Gruppierungen bestehen im wesendichen nur in der Frage, wo die Grenzen zu ziehen und wie sie zu begründen sind, ohne die eigenen Interessen bzw. das eigene Ansehen zu gefährden. »Was immer wir tun, unser Problem heißt Begrenzung, heißt Auswahl«, bringt Freimut Duve dieses Dilemma auf den Begriff. Solche Selektion würde von vielen als unmenschlich angesehen und sei es auch. Aber so ist das Leben nun offensichtlich einmal: »Die Welt ist kaum noch menschlich zu nennen« (Die Zeit vom 8.1.93). ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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Entsprechend solchen Auffassungen zielen die politischen Bemühungen nicht darauf ab, die behauptete Begrenzung der eigenen Hilfsmöglichkeiten zu überwinden, sondern diese zu rechtfertigen. Dies läßt die Argumentation vielfach »überdeterminiert«, in sich gebrochen und widersprüchlich erscheinen. Sie ist nicht auf Klärung der Situation, sondern allein darauf gerichtet, das, was man tut, als das einzig Richtige erscheinen zu lassen. Das bedeutet zwangsläufig, das Handeln der jeweils anderen, insbesondere der Zufluchtsuchenden, die man im Stich läßt, in Frage zu stellen, d.h. die eigenen Abwehrmaßnahmen durch die behauptete Unrechtmäßigkeit der Ansprüche der jeweils anderen nachträglich als rechtens erscheinen zu lassen. Unter solchen Prämissen haben auch die Auseinandersetzungen in der Asyldebatte keinen konstruktiven, sachorientierten, sondern einen defensiven = personalisierenden = denunziatorischen Charakter. Je mehr man das Handeln der anderen seien es die politischen Gegner oder die Flüchtlinge - als undemokratisch, unmenschlich, unvernünftig etc. - angreift, um so demokratischer, menschlicher, vernünftiger erscheint die eigene Haltung. Dabei zeigt sich zugleich, daß in der Asyldebatte die politischen Standorte quasi verschwimmen. »Progressive« Wissenschaftlerinnen bedienen sich zur Rechtfertigung ihrer Abwehrposition ultrarechter Begründungen, einige »Konservative« garnieren ihre Position mit linken Argumenten, andere dagegen beweisen ein weit entwickelteres Demokratieverständnis als manche linke Verteidiger der Demokratie etc. Wir wollen im folgenden verschiedene typische Abwehr- und Selbstrechtfertigungsfiguren im öffentlichen bzw. veröffentlichten Diskurs, mit denen die Änderung des Asylrechts bzw. die Abwehr der Flüchdinge begründet wird, in ihrer subjektiven und objektiven Funktion sowie auf ihre Konsequenzen hin analysieren. »Der Anspruch auf Asyl bedeutet eine unzumutbare Überforderung der Einheimischen« Die These, daß die Möglichkeiten, anderen zu helfen, unabänderlich begrenzt sind, läßt sich auf Dauer nur dann aufrechterhalten, wenn sie der Überprüfung entzogen bleibt. Eines der Mittel, dies zu erreichen, ist es, daß man den Anspruch auf Asyl selbst als unzumutbar, wenn nicht gar unrechtmäßig diskreditiert. »Die Welt-Utopie des Artikels 16«, der »den Menschheitsbegriff der Aufklärung nicht nur deklamatorisch..., sondern als einklagbares Recht für alle Menschen in die Verfassung« schreibt, sei - so etwa Freimut Duve (SPD) - nur solange zu behaupten gewesen, wie die sozialistischen Staaten mit ihren Ausreiseverboten die Inanspruchnahme dieses Rechts weitgehend verhindert hätten. Jetzt, da diese Schranken gefallen seien, befanden wir uns in der für uns selbst peinlichen Lage, die Mauern, die wir vorher als ARGUMENT-SONDERBAND NEUfe FOLGE AS 244

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Menschenrechtsverletzung heftig attackiert hätten, selbst errichten zu müssen (Die Zeit vom 8.1.93). Auch Peter Schneider argumentiert entsprechend: Als »die Mütter und Väter unserer Verfassung ein subjektives Recht auf politisches Asyl festgeschrieben« hätten, hätten sie kaum voraussehen können, daß dieser Artikel ein paar Jahrzehnte später von Hundertausenden in Anspruch genommen werden würde, die aus Hunger und Not, also aus triftigen Gründen, aber nicht wegen politischer Verfolgung Aufnahme begehren (Die Zeit vom 6.11.92). Rechte sind auch seiner Auffassung nach offensichtlich nur solange aufrechtzuerhalten, wie sie nicht »übermäßig« in Anspruch genommen werden. Die Rechtssoziologin Sybille Tönnies geht noch einen Schritt weiter und erklärt das Asylrecht selbst als unrechtmäßig. Zum Beweis dieser These definiert sie es als eine qualifizierte Form des Gastrechts. Ebenso wie das Gastrecht als Recht undenkbar sei, sei es auch das Recht auf Asyl. »Die auf Recht begründete Beanspruchung von Gastlichkeit ist Einquartierung, als solche verhaßt und der Gastfreundschaft denkbar unähnlich, und ganz genauso verändert sich die Asylgewährung bis zur Unkenntlichkeit, wenn sie durch das Recht auf Inanspruchnahme erzwungen wird«. Durch die Vergewaltigung der Aufnahmebereitschafi in eine Aufnahmepflicht verlöre der Asylgedanke seine Würde. Ihr Fazit lautet demzufolge: »Das Recht auf Asyl darf im Grunde genommen den heiligen alten Namen >Asyl< nicht tragen«. Asyl könne niemals ein Anspruch der Verfolgten, sondern immer nur eine Reaktion auf deren mangelnden Rechtsstatus, also ein Gnadenakt sein. Um diese Behauptung abzusichern, spricht Sybille Tönnies von einem fiktiven - Gesellschaftsvertrag, demzufolge das Volk das Recht auf Gewaltausübung an den Staat abgebe und im Austausch dafür gewisse Gegenleistungen erwarten könne, »zu denen von altersher und hauptsächlich der Schutz vor eindringenden Fremden gehört«. Indem aber das Asylrecht den Staat dazu zwinge, alle aufzunehmen, die das Wort »Asyl« artikulieren können, würde es ihm unmöglich gemacht, der Bevölkerung das Sicherheitsgefühl zu bieten, auf das sie nach dem Gesellschaftsvertrag Anspruch habe. Diese Situation würde »von den Massen« zu Recht als Aufkündigung des Gesellschaftsvertrags und als Deichbruch empfunden, »auch wenn vielleicht gar nicht bedrohlich viel Wasser eindringt.« Die Bevölkerung habe ein Recht darauf, sich hinter geschützten Deichen zu wissen und das Gefühl zu haben, daß der Zufluß von Wasser über Schleusen reguliert wird. Auch die xenophilste Bevölkerung, die man sich denken könne, würde mit einem Grundrecht auf Asyl an ihre Grenzen stoßen, genauso wie der beste Gastfreund gegenüber einer rechtsbewehrten Inanspruchnahme des Gastrechts versagen würde. Einer Bevölkerung, die sich vor Invasion beschützt fühlt, könne dagegen die Verantwortung für das Elend der Welt leichter nahegebracht werden als einer, die Angst vor einer Überschwemmung durch die Notleidenden habe (FAZ vom 17.11.92). ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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Diese Sichtweise entspricht dem (von uns schon mehrfach benannten) für rassistisches Denken typischen »Herr-im Hause-Standpunkt«, demzufolge die Anwesenheit der anderen nur solange tolerierbar ist, wie deren Kosten nicht ihren Nutzen übersteigen. Sie bedient sich der üblichen »Deichgrafensprache«, sieht die Flüchtlinge im wesentlichen nur als Bedrohung, die es, wenn man nicht selbst ertrinken will, abzuwehren gilt. Mit dem Begriff »Gnadenakt« wird automatisch der Gedanke nahegelegt, daß die Flüchdinge sich etwas zuschulden kommen gelassen haben, selbst für ihre Flucht verantwortlich sind, man Gnade vor Recht walten läßt, d.h. das Recht außer Kraft setzt (vgl. auch Wolfgang Ullmann, Freitag vom 4.12.92). »Mißbrauch des Asylrechts« durch die Asylsuchenden Eine andere Methode, die behauptete Begrenztheit der Möglichkeiten, den Flüchtlingen zu helfen, der Überprüfung zu entziehen, besteht darin, daß man die Motive der Flucht in Zweifel zieht. Damit fügt man der Abwehr der Zufluchtsuchenden einen weiteren aggressiven Akt hinzu: Statt die realen Ursachen der Flucht und die (noch) begrenzten Möglichkeiten, allen in ihrer Existenz bedrohten Menschen Zuflucht zu bieten bzw. durch Verbesserung der Lebensbedingungen vor Ort die Flucht zu erübrigen, diffamiert man die Flüchtlinge als Wirtschafts- oder Wohlstandsflüchtlinge, Asylmißbraucher etc. Die Asylsuchenden fliehen demzufolge nicht vor Not und Verfolgung, sondern sie wollen sich auf »unsere« Kosten ein schönes Leben machen; sie sind vom hiesigen Wohlstand angezogen, an dem sie, ohne zu ihm beigetragen zu haben, partizipieren wollen. - Diese Sichtweise wird durch die politisch Ver-. antwortlichen in vielfacher Weise angeleitet: »Wachsender Unmut über... Asylmißbrauch hat nichts zu tun mit Ausländerfeindlichkeit, sondern ist das verständliche und berechtigte Aufbegehren unserer Bürger gegen das Verpulvern von Steuermilliarden, die für die Unterbringung und Versorgung Hunderttausender von reinen Wirtschaftsasylanten aufgewendet werden müssen, und dies zu Lasten anderer wesendicher sozialer Bedürfnisse der eigenen Bevölkerung. In einer Zeit extremer Belastungen des Staatshaushaltes ist zu fragen, wie lange wir unseren Bürgern das Schauspiel des täglich weiter anschwellenden Asylantenstroms zumuten wollen« - so etwa der Berliner Innensenator Heckelmann als eine Stimme unter vielen (Der Tagesspiegel vom 6.8.92). »Die Deutschen, die mehr als dreißig Jahre lang friedlich mit ausländischen Mitbürgern zusammen gelebt, gearbeitet und gefeiert haben, schließen die Schlupflöcher, durch die jene kommen, die diesen Frieden bedrohen. Aber sie halten die Arme offen für die Opfer der politischen Bedrängnis ebenso wie für diejenigen, ohne die Wohlstand und Weltbürgertum gar nicht mehr denkbar sind«, umschreibt Jörg Bischoff diese Argumentationsfigur in besonders plastischer Weise (Der Tagesspiegel vom 15.11.92). ARGUMENT-SONDERBAND NEUfe FOLGE AS 244

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»Fremdenfeindlichkeit« der Bevölkerung Ein weiteres Argument, das die Behauptung der Notwendigkeit der Abwehr »Fremder« der sachlichen Überprüfung entzieht, ist die These von der »Xenophobie« als anthropologischer Konstante. Dieser Auffassung gemäß stehen Menschen Fremden natürlicherweise mißtrauisch bis aggressiv gegenüber und fühlen sich spätestens dann in ihrer Existenz als Deutsche bedroht, wenn der Anteil der Fremden in der Bevölkerung ein bestimmtes Höchstmaß - nach »großzügiger« Einschätzung liegt die Maximalgrenze bei zehn Prozent - überschreitet. Die These von der Fremdenfeindlichkeit der Bevölkerung wird, wie schon einleitend festgestellt, keineswegs allein von konservativer, sondern auch von linker bzw. systemkritischer Seite vertreten. Differenzen zwischen beiden Lagern bestehen nur darin, daß die einen auf die angebliche Fremdenangst der Bevölkerung Rücksicht nehmen zu müssen behaupten, während die anderen sie mehr oder weniger gewaltsam zu unterdrücken suchen. So heißt es z.B. in einer Gruppe der Hamburger Grünen: »Sachargumente erreichen leider viele Menschen nicht; sie haben die Grenzen und Mauern verinnerlicht. Sie schotten ihre Sicherheit und Privilegien anderen gegenüber ab. Andere Menschen treten auf andere, mißachten und hassen diejenigen, denen sie ein Recht auf Menschenwürde und Unversehrtheit absprechen; einen eigenen menschlichen Gehalt haben sie entweder nie gehabt oder längst preisgegeben. Ihren Haß und Zorn trauen sie sich nicht gegen >die da oben< zu richten. Sie haben die staadiche, nationalistische, rassistische Macht individuell akzeptiert« (Die Brücke, 1992, Nr. 69). Und in der Kommunistischen Arbeiterzeitung (KAZ) vom 8. Oktober 1992 heißt es: »Mit Worten, Verständnis und Dialog kann man solche Leute nicht überzeugen, sondern nur durch Stärke. Sie müssen von einer machtvollen, einigen und wehrhaften antifaschistischen Bewegung erst eine aufs Dach kriegen, um begreifen zu können, daß sie >ins Verderben rennenVerbrauch< des Arbeiters im Dienste der Produktion gemäß den fur Maschinen geltenden Abnutzungs- und Amortisationsberechnungen... schon vom menschenökonomischen Standpunkt zu unterbleiben« habe und der Produktion nur schade (1920, 17). Proportionierte Menschlichkeit* Die Vorstellung, daß sich zwischen Menschlichkeit und Unmenschlichkeit ein mittlerer Weg finden, »Menschlichkeit« häppchenweise praktizieren, bestimmten Gruppen zuteilen und anderen vorenthalten läßt, ist zutiefst illusionär. Es ist nicht weniger unmenschlich, nur einen einzigen Asylsuchenden als einhundert Asylsuchende abzuweisen. Jede Verletzung der Lebensansprüche und der Integrität von Menschen ist inhuman - gleichgültig, wieviele dadurch betroffen sind, aber auch unabhängig davon, ob man sich dazu genötigt sah oder nicht. Auch unmenschliches Handeln, zu dem man sich gezwungen sieht, bleibt unmenschlich. Solange die unhinterfragte Prämisse nicht überwunden ist, daß man unter keinen Umständen allen, die Aufnahme suchen, helfen kann, werden auch die »zivilen« Gesellschaften zutiefst inhuman bleiben - gleichgültig, wie viele Flüchtlinge sie im einzelnen aufnehmen. Das Sich-Abfinden mit der Notwendigkeit der Begrenzung der Asylbewerberinnen schließt den Zwang zur Selektion ein, bedeutet im Extremfall, daß wir uns zu Herren über Leben und Tod anderer aufwerfen. Dies hat zwangsläufig verrohende Wirkung: Wenn ich ohnehin nur wenigen helfen kann und die meisten im Stich lassen muß, ist es letzdich gleichgültig, wo ich die Grenze ziehe. Im Gegenteil, unter diesen Bedingungen drängt sich eine Art negativer Gerechtigkeit auf, der zufolge es »fairer« ist, alle als nur wenige abzuweisen, um nicht einige gegenüber anderen zu bevorzugen. So stellt z.B. Pfannkuche fest: »Wo immer wir die Grenzen unserer Hilfsbereitschaft am Ende ziehen, es werden viele übrigbleiben, denen nicht geholfen wird«. Dies würde uns dazu verpflichten, möglichst ökonomisch mit unseren Hilfsmitteln umzugehen und uns vor »weichen« Asylkriterien zu hüten. Je weniger Geld für Asylbewerberinnen ausgegeben werde, um so mehr ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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Dritter Teil

Mittel bleiben nach Pfannkuche für die Hilfe der Menschen vor Ort übrig: »Zu den Kosten eines hier untergebrachten Asylanten kann man vermutlich mindestens zehn Menschen in einem Hungergebiet am Leben erhalten« (Der Spiegel vom 30.11.92). Darüber, daß die BRD noch nicht einmal die UNOForderung erfüllt, 0,7 Prozent ihres Bruttosozialprodukts in die Entwicklungshilfe zu stecken - ganz abgesehen von deren allgemeiner Problematik - verliert Pfannkuche kein Wort. Die »Rechnung«, daß man mit den Unterbringungskosten eines einzigen Asylbewerbers zehn seiner Landsleute in seinem Heimadand vor dem Hungertod retten könnte, erinnert fatal an die Rechenexempel in Schulbüchern der Nazi-Zeit, in denen etwa zu errechnen war, was man mit den Ausgaben, die man für Geisteskranke aufbringen mußte, an Sinnvollerem, etwa Wohnungen für den produktiven = verwertbaren Teil der Bevölkerung, hätte schaffen können (vgl. etwa Kaul 1979, 31f). Solche Rechnungen setzen zugleich die Flüchdinge, die hier Zuflucht suchen, dem Vorwurf aus, um des eigenen Wohls bzw. Wohlstands willen rücksichtslos das Leben ihrer Landsleute in der Heimat zu riskieren - was unsere Zurückhaltung ihnen gegenüber moralisch gerechtfertigt erscheinen läßt. Dies um so mehr, als, wie der Berliner Bundestagsabgeordnete Lummer zu wissen meint, diejenigen, die sich ein Flugticket aus Westafrika leisten können, wohl kaum zu den »schwächsten Gliedern der menschlichen Gesellschaft« zu rechnen seien (Neues Deutschland vom 11.11.92). Asylsuchende haben entsprechend solchen Vorstellungen arm bzw. »ganz unten« - und entsprechend dankbar und willfahrig - zu sein, um als »echt« akzeptiert zu werden; wenn es ihnen aber gelingt, hierherzukommen, so können sie dieser Logik nach so »arm« nicht sein und werden als Wirtschaftsflüchtlinge, d.h. des »Asylmißbrauchs« verdächtigt. Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse als Entlastung der »Rassisten« Die auch unter Linken verbreitete Tendenz, rassistische Äußerungen unmittelbar den Individuen zuzurechnen und damit die Bedingungen, unter denen sie entstehen, der Kritik zu entziehen, ergibt sich offensichdich aus der Befürchtung, daß der Verweis auf die konkreten Lebensverhältnisse, unter denen rassistische Verhaltensweisen entstehen, die »Rassisten« von der Verantwortung für ihr Tun endasten, sie als bloße Opfer der Verhältnisse erscheinen lassen könnte. Diese Entlastung wird alsbald denjenigen, die auf die konkreten Verhältnisse verweisen, als unmittelbare Absicht unterstellt. »Wer sich langweilt, keine Perspektive hat, in häßlichen Plattenbauten wohnt, bringt andere Leute um. Wie gnädig wir alle mit den Neonazis sind, wie sehr wir versuchen, ihre Probleme zu verstehen! Ich habe den Verdacht, wir sind so nett zu ihnen, weil wir sie zu gut verstehen. Ein Volk von Sympathisanten« - so etwa die Filmregisseurin ARGUMENT-SONDERBAND NEUfe FOLGE AS 244

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und Schriftstellerin Doris Dörrie in einer Umfrage der Zeit (6.11.92). - Auch der Schriftsteller Peter Schneider moniert im gleichen Zusammenhang das »sozialtherapeutische Gehabe«, das im Umgang mit den jugendlichen Gewalttätern und Totschlägern vorherrsche. Man würde die Leute, die in den Medien offen ihre Mordbereitschaft bekunden, nach ihren Familienverhältnissen, nach einem früh-kindlichen Trauma, nach ihren sozialen Umständen befragen, »ganz so, als könne ein Begreifen der Ursachen der Gewalt die längst eingetretene Folge rückgängig machen« (Der Spiegel vom 18.1.93). Solche Vorbehalte gegenüber einer »verständnisvollen« antirassistischen Strategie sind durchaus angebracht, wenn »Verständnis« hier lediglich bedeutet, die Jugendlichen als bloße Opfer bzw. Produkte irgendwelcher psychischer oder physischer Defizite zu betrachten und damit von der Verantwortung für ihr Tun zu endasten. »Wenn wir die Aggression der Rechtsradikalen annehmen und zu verstehen versuchen, warum sie dies tun, wenn wir ihnen zuhören und Verständnis für ihr Handeln haben, ihnen Liebe schenken, dann kann sich ihre Aggression in Toleranz umwandeln«, heißt es etwa in einem Leserbrief (Die Zeit vom 13. August 1993). Wer die Täter »liebt«, die Brandbomben in Flüchtlingsheime werfen und in Kauf nehmen, daß dabei Menschen umkommen, verharmlost in der Tat in unerträglicher Weise das, was den Flüchdingen mit den rassistischen Attacken angetan wird. Aber genauso kurz greift es, wenn man an die Stelle des »liebevollen Verständnisses« lediglich die Forderung nach Bestrafung der rassistischen Gewalttäter setzt. In beiden Fällen bleiben die Verhältnisse, die Rassismus fördern, unberührt, und dies heißt wiederum nichts anderes, als daß man sich mit ihnen arrangiert. Mit der Bestrafung der rassistischen Gewalttäter ist weder der jeweilige Täter bekehrt noch seinen Opfern gedient, wohl aber der Rest der Bevölkerung von der Verantwortung für die rassistischen Erscheinungen entlastet. Daraus folgt natürlich keineswegs, daß man die rassistischen Gewalttäter unbestraft davon kommen lassen sollte. Deren Bestrafung ist aber eine schlichte rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit. Von antirassistischer Politik kann man u.E. jedoch erst dann sprechen, wenn sie auf die Schaffung gesellschaftlicher Verhältnisse gerichtet ist, unter denen nicht mehr, wie heute, rassistische Gewalttaten unter bestimmten Umständen für die eigene Daseinsbewältigung und Akzeptanz durch die Herrschenden funktional erscheinen. Ebenso wie die Alternative »Verständnis« contra »Bestrafung« greift aber auch »Wiedergutmachung«, auf die Peter Schneider setzt, zu kurz. Rassistische Angriffe sind - zumindest aus der Sicht der Opfer - nicht wiedergutzumachen, sondern führen, wenn nicht zum Tode oder zu bleibenden körperlichen Schäden, i.d.R. zu tiefgreifenden, das weitere Leben überschattenden existentiellen Verunsicherungen. »Wiedergutmachung« gilt niemals den Opfern, sondern immer nur der Endastung des eigenen Gewissens bzw. genauer: der Aufpolierung des eigenen Images. ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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Dritter Teil

»Gesellschaft« als bloß äußerliche Rahmenbedingung Gesellschaft wird allgemein als unhinterfragbare Rahmenbedingung menschlichen Handelns begriffen. Die Notwendigkeit, darauf Einfluß zu nehmen, bleibt meist von vornherein außer Betracht. Auffassungen, die von der Möglichkeit der bewußten Bestimmung der Lebensmöglichkeiten durch die von ihnen Betroffenen absehen, also nicht vom Subjektstandpunkt der Betroffenen sondern vom »Drittstandpunkt« aus argumentieren, können (wie in diesem Buch schon mehrfach hervorgehoben) die Menschen aber in der Tat nur als Produkt der Verhältnisse sowie ihrer biologischen und/oder sozialen Geschichte begreifen. Nicht die Determinierung als solche wird unter solchen Prämissen in Frage gestellt, sondern der Streit geht nur darum, ob man primär durch die Verhältnisse oder durch die individuelle - angeborene oder erworbene - Disposition determiniert ist. Die beiden Vorstellungen von Determinierung - entweder durch die Verhältnisse oder durch die individuelle Disposition - schließen sich, so gegensätzlich sie auf den ersten Blick erscheinen, keineswegs aus, sondern ergänzen sich vielmehr. Auch Vertreterinnen der These von der bestimmenden Rolle der gesellschaftlichen Verhältnisse greifen auf die persönliche Sozialisation oder Disposition als Determinierungsfaktor zurück, wenn sie in Beweisnot geraten, wenn sich etwa zeigt, daß nicht alle Arbeitslosen, wohl aber auch scheinbar saturierte Bürgerinnen »ausländerfeindlich« sind. Umgekehrt können Vertreterinnen der Auffassung von der Ausländerfeindlichkeit als anthropologischer Konstante nicht die Bedeutung der sozialen Bedingungen leugnen, sehen aber in diesen nur einen verstärkenden Faktor: »Im Haß auf die Ausländer, also auf die, die ihm sozial und in der Hierarchie nahestehen«, äußert sich, so Cohn-Bendit und Schmid, der Haß der Deklassierten auf sich selbst (1992, 324). Die Schlußfolgerung aus diesem Statement, daß mit der Überwindung der sozialen Deklassierung auch die Ausländerfeindlichkeit behoben wäre, wollen sie jedoch nicht gelten lassen. Die Tatsache, daß es soziale Ursachen für »Xenophobie« gibt, heiße noch lange nicht, daß diese mit der Lösung sozialer Probleme verschwinden würde: »Denn sie sitzt viel tiefer«; die Täter sind mehr »als Fleisch gewordene soziale Probleme«. Um diese Behauptung zu belegen, verweisen die Autoren darauf, daß es seit einiger Zeit fremdenfeindliche Ausschreitungen selbst in Schweden, »im Paradies der Sozialstaatler« gebe; dies mache klar, »daß es nicht die Armut sein muß, die zum Schlag gegen das Fremde motiviert« (325f). Diese Argumentation übersieht, daß auch der schwedische Sozialstaat zur Zeit massiv abgebaut wird, die bisherigen Lebensmöglichkeiten für einen Großteil der Bevölkerung keineswegs mehr gesichert sind. Und vor allem läßt sie unberücksichtigt, daß soziale Sicherheit, wie es Angela Klein auf den Begriff bringt, weit mehr als die »absolute Zahl an Kalorien, die ein Mensch ARGUMENT-SONDERBAND NEUfe FOLGE AS 244

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täglich zu sich nimmt, oder die Höhe seines Lohns« bedeutet. Sie ist vielmehr »ein gesellschaftliches Gefiige, in dem Menschen einen Platz haben oder auch nicht; eine Ordnung, in der Menschen sich als gesellschaftliche Wesen betätigen können, oder in der sie davon ausgeschlossen sind, überflüssig, an den Rand gedrängt, vereinzelt, von der Gesellschaft und von einander entfremdet, zum Dahinvegetieren verurteilt« (Die Brücke 1992, Nr. 69, 12). Wenn man von der subjektiven Notwendigkeit der Einflußnahme auf die relevanten Lebensbedingungen - und der mit ihr verbundenen Schwierigkeiten - abstrahiert, wird die herrschende Fremdbestimmtheit zur anthropologischen Konstante verklärt, das Leiden an ihr sowie die verschiedenen mehr oder weniger mißlingenden Versuche, ein gewisses Maß an Einflußnahme/ Kontrolle über die Lebensbedingungen zurückzugewinnen, nicht mehr faßbar. Dies impliziert aber immer die Gefahr, Auswirkungen und Ursachen der Unterdrückung zu verkehren, d.h. das defensiv-asoziale Verhalten, das sich unter Bedingungen allgemeiner Einflußlosigkeit und Fremdbestimmtheit ergibt, als »natürliche« Eigenschaften zu verkennen. So sprechen z.B. CohnBendit und Schmid von einem »offenbar fast anthropologisch verankertem Unwillen nahezu aller Gemeinschaften, auf die, die nicht dazugehören, zuzugehen«. Man würde sich selbst definieren und Kontur gewinnen, indem man sich von anderen abgrenzt: »nur weil es welche gibt, die nicht dazugehören, kann man sicher sein, selbst dazuzugehören« (1992, 322). Die Autoren erheben damit die unter den gegebenen Bedingungen vielfältig beobachtbaren Tendenzen, sich der eigenen Besonderheit bzw. »Identität« durch Abgrenzung von anderen zu vergewissern, zur »Natur« der Menschen, ohne auch nur ansatzweise zu überprüfen, wieweit sich solche Impulse vielleicht gerade aus jenen vielfältigen Abwertungs- und Ausgrenzungsprozessen ergeben könnten, mit denen sich Menschen unter kapitalistischen Bedingungen in mehr oder weniger subtiler Form allgegenwärtig konfrontiert sehen. Nicht die mangelnden Einflußmöglichkeiten auf die gesellschaftliche Entwicklung, die Gefahr, daß diese sich über ihre Köpfe hinweg vollzieht und sie überrollt, macht nach Cohn-Bendit und Schmid die Menschen entwicklungsfeindlich, sondern die Entwicklungsfeindlichkeit ist ihrer Auffassung nach Teil der menschlicher Natur, die es mit entsprechenden »motivierenden« Maßnahmen - Zuckerbrot und Peitsche - gemäß den herrschenden Interessen bzw. in den Grenzen der bestehenden Verhältnissen zu überwinden gilt. Ebensowenig ziehen die Autoren in Erwägung, daß das asoziale Verhalten den durch die vorgegebenen Strukturen quasi aufgenötigten Versuch darstellt, die eigenen Lebensmöglichkeiten notfalls auf Kosten anderer zu sichern, sondern identifizieren dieses als Ausdruck der animalischen Wesensart der Menschen: »Der Gesellschaftsvertrag soll uns daran hindern, zu Wölfen zu werden; deswegen willigen wir - gegen unsere unmittelbaren Interessen und daher häufig murrend - in ihn ein« (Cohn-Bendit und Schmid 1992, 326). ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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Dritter Teil

Die Abstraktion von der Notwendigkeit und Möglichkeit der Einflußnahme auf die Verhältnisse sowie der Entwickelbarkeit der Handlungsmöglichkeiten ihnen gegenüber läßt die Sanktionen unsichtbar werden, mit denen jene zu rechnen haben, die - entgegen den herrschenden Interessen - die gesellschaftlichen Voraussetzungen rassistischen Verhaltens benennen und sich damit aktiv in die Politik einschalten. Die systematische Leugnung der Unterdrückung impliziert letztlich nichts anderes, als daß man das Verhalten der Menschen unmittelbar mit ihren Bedürfnissen gleichsetzt: Die Menschen handeln ausländerfeindlich, weil sie ausländerfeindlich »sind«. Die Möglichkeit, daß man sich unter dem Druck der Verhältnisse genötigt sieht, sich im eigenen Interesse gegen die eigenen Interessen zu verhalten, d.h. um der unmittelbaren Absicherung willen die Bedingungen zu festigen, die einen in Abhängigkeit halten, bleibt von vornherein ausgeblendet. Im Gegenteil: Der Verweis auf die sozialen Ursachen rassistischen Verhaltens wird, wie Frank Drieschner herausstellt, eher als kommunistische Propaganda abgetan. So wurden etwa die entsprechenden Hinweise des Bielefelder Jugendforschers Wilhelm Heitmeyer von der Frauen- und Jugendministerin Angela Merkel - einer der wenigen Bundespolitikerinnen aus der ehemaligen DDR - mit folgenden Worten kurzer Hand »erledigt«: »Die Argumentation erinnert mich lebhaft an frühere Tage, als wir vor der imperialistischen, im Grunde noch faschistischen >BRD< gewarnt wurden« (zit. von Drieschner in Die Zeit vom 6.8.93). Ebenfalls auf die sozialen Hintergründe rassistischen Verhaltens verweisende Befunde einer vom Jugend- und Frauenministerium selbst in Auftrag gegebenen Untersuchung werden, so Drieschner, schlicht geleugnet. So heiße es in einer entsprechenden Pressemitteilung des Ministeriums, »daß die Tatverdächtigen und Täter nicht eine gemeinsame soziale Herkunft, sondern eine breite Streuung aufweisen, daß sie nicht über einheidiche biographische Merkmale, sondern über unterschiedliche Lebenswege verfugen, daß sie nicht durch gemeinsame Motive und Vorstellungen bewegt werden, sondern unterschiedliche Bedürfnis- und Gefuhlslagen aufweisen« (zit. von Frank Drieschner in der Zeit vom 6.8.93; Hervorh. im Original). Rassismus hat solchen Auffassungen zufolge eindeutig eine individuelle Fehlentwicklung zu sein, die am Individuum auszutreiben ist (vgl dazu Holzkamp, 1995a/U.O.).

»Wer genug zu essen und ein Dach über den Kopfhat, hat keinen Grund zu klagen« Die Ausblendung der Möglichkeit einer Einflußnahme auf gesellschaftliche Verhältnisse impliziert auch, daß die subjektive Notwendigkeit zu einer solchen Einflußnahme als elementares menschliches Lebensbedürfnis nicht erkannt wird. Dies gilt in der Regel auch für jene, die den herrschenden Verhältnissen durchaus kritisch gegenüberstehen. Damit wird aber das Sich-Abfinden ARGUMENT-SONDERBAND NEUfe FOLGE AS 244

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mit der Fremdbestimmtheit als subjektiver Normalzustand aufgefaßt; dies schließt die Ansicht ein, daß alle, die genug zu Essen und ein Dach über dem Kopf haben, keinen Grund zum Klagen und also den Mund zu halten haben. Diese Sicht schlägt sich auch in der verbreiteten Diskussion um die Frage nieder, welche Gruppen besonders rassismusanfallig sind: Die unteren oder die oberen Schichten, d.h. die Randgruppen oder die »Wohlstandsbürger«. Während man den Randgruppen in gewisser Weise Rassismus als Bewältigung ihrer Notlage zuzugestehen bereit ist, erscheint er in den mitderen oder oberen Schichten nur als Ausdruck individueller Unart oder allgemeiner menschlicher Bösartigkeit, denen man bestenfalls mit Appellen bzw. Bekehrungsanstrengungen begegnen kann. Nicht »reale Probleme im Sinne von Verarmung oder sozialer Verelendung« würden, so etwa Birgit Rommelspacher, »rechtsextreme Orientierungsmuster aktivieren, sondern allein subjektiv wahrgenommene Probleme«. Diese würden sich nicht daran bemessen, was einem objektiv zum Leben mangelt, sondern daran, was man im Vergleich zu anderen nicht hat. »Orientierungsgröße wird das subjektive Empfinden von dem, was einem >zustehtFaschismus< in der Psychologie«. In: Forum Kritische Psychologie 25, 106-113 dies., 1991: Intersubjektivität und Parteinahme: Probleme subjektwissenschaftlicher Forschung. In: G. Gekeler und K. Wetzel (Hg.): Subjektivität und Politik. Bericht der 5. Internationalen Ferien-Universität Kritische Psychologie in Fulda (257-294). Marburg dies., 1992: Objektive und subjektive Behinderungen einer antirassistischen Pädagogik. In: Braun, K.-H. und Wetzel, K: Lernwidersprüche und pädagogisches Handeln (257-294). Bericht von der 6. Internationalen Ferien-Universität Kritische Psychologie in Wien, Marburg/L. dies., 1992: »Antirassismus: Weitere Fallstricke und Problematisierungen«. In: Argument 195, 733-745 dies., 1993: »Hat der Marxismus die Natur der Menschen verkannt: Sind die Menschen fur den Sozialismus nicht geschaffen?« In: Forum Kritische.Psychologie 31, 68-85 dies, und Projekt Rassismus und Diskriminierung, 1993: »Das Boot ist voll! Typische Rechtfertigungs- und Abwehrfiguren in der Asyldebatte«. In: Forum Kritische Psychologie 32, 36-66 Peitsch, H., 1990: »Deutschlands Gedächtnis an seine dunkelste Zeit«. Zur Funktion der Autobiographik in den Westzonen Deutschlands und den Westsektoren von Berlin 1945-1949. Berlin ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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229 Quellenangaben

Dokumentation des Kongresses Wissenschaftler gegen Ausländerfeindlichkeit des Bundes demokratischer Wissenschaftler (BdWi), 16./17. Dezember 1983 in Frankfurt (10f). Marburg/L.: Eigenverlag (1984) »Ausländerfeindlichkeit«. - Zur Funktion ihrer Psychologisierung. Blätter fur deutsche und internationale Politik, 8,973-892. Überarbeitete Fassung eines Vortrags auf dem Kongreß Wissenschaftler gegen Ausländerfeindlichkeit des Bundes demokratischer Wissenschaftler (BdWi) am 16. und 17. Dezember 1983 in Frankfurt/M. Kongreß-Dokumentation, 15-18. Marburg/L.: Eigenverlag. Auch erschienen in (1984) Ausländerkinder. Forum fur Schule und Sozialpädagogik, 20, 22-35. Redaktionell überarbeitet. (1990) Flüchdingswohnheime als MikrokosmostypischerBewältigungs- und Abwehrstrategien von Flüchtlingen und Mitarbeitern. Aus der Arbeit des Projekts Rassismus/Diskriminierung. - Gekürzte und leicht geänderte Fassung von (1990), Intersubjektivität und Parteinahme: Probleme subjektwissenschaftlicher Forschung. In Gekeler, Gert und Wetzel, Konstanze (Hg.): Subjektivität und Politik. Bericht von der 5. Internationalen Ferienuniversität Kritische Psychologie, 26. Februar bis 2. März 1990 in Fulda. Marburg: Verlag Arbeit und Gesellschaft, 143-187. - Der zweite Teil des Abschnitts »Demonstration von Betroffenheit/Engagement..« (»Wir haben die geschilderte Betroffenheits-Problematik...«) und der letzte Abschnitt »Schuldzuschreibungen an die 'Hierarchie1 bzw.'Leitung sind (mit kleineren Änderungen) entnommen aus: (1992), Objektive und subjektive Behinderungen einer antirassistischen Pädagogik. In Braun, Karl-Heinz und Wetzel, Konstanze (Hg.), Lernwidersprüche und pädagogisches Handeln. Bericht von der 6. Internationalen Ferienuniversität Kritische Psychologie, 24. bis 29. Februar 1992 in Wien (276ffbzw. 278ff). Marburg: VAG (1993) Sinti und Roma: Eine neue »Problemgrupppe« in der Flüchtlingsarbeit. - Stark gekürzte und überarbeitete Fassung von (1993), mit Corinna Wiesner & dem Projekt Rassismus/Diskriminierung, Institutioneller Rassismus und individuelles Handeln: Bewältigungs- und Abwehrstrategien von Mitarbeitern in der sozialen Arbeit mit Flüchtlingen. In Busch, Rolf (Hg.), Sinti, Roma und wir (97-118). Kooperationsstelle FU-DGB. Berlin: Referat Weiterbildung. (1992) Rassismus/Fremdenfeindlichkeit in der Psychologie/Psychoanalyse: Theorien als Konfliktvermeidungsstrategien. - Unter dem Titel Theoretische Zugänge und Abwehrformen psychologischer Analyse des Phänomens Rassismus/Fremdenfeindlichkeit veröffentlicht in Brandstetter, Genoveva und Hackl, Bernd (Hg.): Lernwidersprüche & pädagogisches Handeln. Schulheft 67, 79-98, überarbeitet. Weitere Veröffentlichung (1993), Institut fur Sozialpädagogische Forschung Mainz (Hg.), Rassismus - Fremdenfeindlichkeit - Rechtsextremismus. Beiträge zu einem gesellschaftlichen Diskurs (188207). Bielefeld: Karin Böllert. (1991)

»Rassismus/Antirassismus«: Politische Widersprüche in theoretischen Konzepten - Erstveröffentlicht unter dem Titel »Rassismus und Alltagsdenken« in Forum Kritische Psychologie 28, 40-71, überarbeitet. Auszüge daraus erschienen in (1992) Sozialistisches Forum, 15, 26-32; (1992) Forum entwicklungspolitischer Arbeitsgruppen. Zeitschrift des BUKO, 158, 3-8; (1992) Weg und Ziel, 5, 9-13; (1993) EuropaKarioGramm, Zeitung für EG-Kritik, 1, 6-9

(1992) Antirassismus: Weitere Fallstricke und Problematisierungen. Das Argument, 195, 733-745, überarbeitet. (1991) Selbstwidersprüche in öffentlichen Verurteilungen rassistischer Gewalt. Leicht gekürzte und überarbeitete Fassung des Artikels Alternativen zum hilflosen Antirassismus, Blätter fur Deutsche und Internationale Politik 12,1459-1469 (1995)

Verleugnung des Rassismus im öffentlichen Diskurs. - Stark gekürzte Fassung von Verleugnung des Rassismus. In Langhanky, M. (Hrsg), Verständigungsprozesse der Sozialen Arbeit. Beiträge zur Theorie- und Methodendiskussion (102-119). Agentur des Rauhen Hauses Hamburg

(1993) Mit Projekt Rassismus und Diskriminierung. Das Boot ist voll! Typische Selbstrechtfertigungs- und Abwehrfiguren in der Asyldebatte. Forum Kritische Psychologie, 32, 36-66; redaktionell überarbeitet ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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Personenregister

Adam, K. 173,187 Adorno Th. W. 217 Akbarzahdeh 4 Arendt, H. 208 Arnold, H. 76 Auernheimer, G. 129 Augoustinos, M. 211 Aumann, G. 4

Farin K. 162 Fest,J. 187 Feyzee-Shandi, M. 4 Finkielkraut, A. 106,120, Freud, S. 58, 94,102,139,144,185,204 Friedrich, J. 56 Fromm, E. 47, 97 Fuhr, E. 98,165

Baader, M. 118 Balibar, E. 101-106,111,116, 124,126ff, 131 Bartov, O. 205 Bauman, Z. 201f, 205,207f, 213-218 Benedict, H.-J. 158 Bernstein, E. 106 Bilden, H. 217 Bölling, K. 176 Bohl 99 Bohn, I. 77, 78 Bommes, M. 143 Bondzio, I. 4 Bourne, E.J.211 Brar, H. 158 Broek, van den, L. 90f, 93f, 96 Browning, C.R. 206 Brumlik, M. 119 Bülow-Schramm, M. 158 Bush, G. 112 Butterwegge, Ch. 190

Geißler, H. 20,173 Genscher, H.D. 152 Gildemeister, R. 158 Gilman, S. L. 206,208f, 213 Giullaimin, C. 103 Göbel,H. 198 Goffman, E. 203,209f Gontovos, K. 4

Cohen, Ph. 95,131, 136-139,143f Cohn-Bendit, D. 149, 153, 172,176, 180f, 186, 189,191,193f Conen, R., 112 Diepken, E. 23 Diessenbacher 173 Dijk, T.A. van 158, 163ff Dittfiirth, J. 156 Dittrich, E. J. 12lf Dönhoff, M. Gräfin von 187 Dörner, K. 158 Dörrie, D. 179 Dregger, A. 21 Drieschner, F. 182 Duve, F. 153,167f, 174 Ebermann, Th. 115, 151,156f Eckert, M. 210 Eibl-Eibesfeldt, I. 87 EKD22 Elias, N. 39, 86,200-206,209,211 Engels, F. 124, 183 Engholm, B. 191 Enzensberger, H. M. 188,195f Erdheim, M. 87 Essed, P. 165 Essinger, H. 15 Etessami, A. 4 Even, H. 98, 163 ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

Hamburger, F. 77f, 123 Harnisch, S. 4, 86 Hatcher, R. 159 Haug, W.F. 129-133,135,140f 144 Hautsch, G. 17 Heckelmann, D. 98,170 Hekele, K. 158 Heinsohn, G. 173 Heinze, 1.4 Heitmeyer, W. 93, 97, 116, 129, 182 Heller, A. 194 Hewstone, M.211 Hilberg, R. 215 Hirsch, B. 152 Höß, R. 216 Hoffmann, L. 98, 106f, 109f, 114,148,163 Hohmann, J. S. 75,207 Holzkamp, K. 35, 59f, 88, 95, 97,182, 199 Hopf, Ch. 43 Hubbvick,J. 160 Huber, E. 151 Huisken, F. 158 Hussein, Saddam 112,113 Ibaidi, S. 4 Jacobs, K. 9 Jacoby,J. 115 Jäger, M. 129 Jäger, S. 129 Jansen, G. 155 Jenninger, Ph. 115 Jung (EKD) 23 Kaul, F.K. 178 KAZ184 Kazemeini, R. 4 Keller, W. 4, 82 Kershaw, J. 15,214 Kinkel, K. 191 Klatetzki, Th. 158 Klein, A. 180

Personenregister Knight, U. 154 Kohl, H. 21, 99,112, 148, 156 Kohlhammer, S. 174 Kowalsky, W. 129,154 Kremer, U. 148 Langhanky, M. 158 Lederer, A. 148 Lee, G. 161 Leggewie, C. 188f Leiprecht, R. 129 Lenhardt, G. 104,122 Lenin, W. I. 107, 108f Levi, P. 207,215ff Lewin, K. 177,207 Liebknecht, K., 106 Liehmann, D. 148 Lindemann, U. 4, 65 Link,J. 15,129 Lörzer, W. 4 Loske, R. 148 Lummer, H. 28,178 Lwanga, G. M. 115,118 Lykes, M.B. 210 Martin, P. 158 Marx, K. 124ff, 183 Marz, L. 114 Mecheril, P. 200 Meinhardt, R. 10 Merkel, A. 98,149,182 Meulenbelt, A. 103 Meyers Konversationslexikon 76 Mildenberger, M. 23 Miles, R. 42,100,104 Milgram, St. 215 Miller, A., 91 Miller, J.G. 211 Mitscherlich, M. 88ff,98 Möller, K. 116 Moore, B.203 Müller, B., 158 Müller, J. 129 Neckel, S. 202f, 210,214 Nenning, G. 154, 172 Niethammer, L. 128 Oberndörfer, D. 197 Opitz, R. 111 Osterkamp, St. 4, 80 Osterkamp, U. 4, 16, 72, 80, 97f, 103f, 112,129, 183f, 216 Peitsch, H. 56,215,217 Perls, F. S. 94 Pfannkuche, W. 176, 178 Pinter, K. 134 Pohrt,W. 115 Potter, J. 202,206,212,219 Projekt Subjektentwicklung in der frühen Kindheit 55 Radtke, F.-O. 120ff, 132,142 Räthzel, N. 129,163 Reemtsma, J. Ph. 113f, 135, 140,205f

231 Reißmüller 19,29 Reistrommel 40 Reumann, K. 187 Ridley, C. R. 212 Rock, K. 77f Rodinson, M. 103 Rommelspacher, B. 86,183 Rosh, L. 119f Ross,J. 150 Rüttgers 151 Ruf, W. 116 Säcker, H. 19 Sarica, Ü. 163 Satre, J. P. 207f, 211,213, 218 Savonio, A. 189 Schäuble, W. 153 Scherr, A. 143 Scheuerer, F. 211 Schilling J. 10,13,20 Schmid, Th. 114, 172,176,180f, 186, 189,191, 193f Schneider, P. 169, 179, 188, 192 Schnoor, H. 194 Schröder, G. 120 Schröder, R. 114 Scotson, J.L. 39, 86,200-206,209,211 Seeger, Ch. 4 Seidel-Pielen, E. 98,162 Semmler, B. 17 Shweder R. A. 211 Simmel, E. 207 Simon, G. 41 Sommer, Th. 154,156f Steiner, R. 148 Stihl 154 Sywottek,J. 12 Taguieff, P. A. 131-135,144 Teo, Th. 200 Thatcher, M. 139 Thierse, W. 153 Tichy, R. 176 Todorov, T. 215f Tönnies, S. 169, .186, 191, 193, 194 Trampert, R. 151, 156f Troyna, B. 159 Ullmann, W. 170 UNHCR21 Vogel, H.J 151 Wagner, P. 4, 62, 86 Wallerstein, I. lOlf, 104, 116,124ff, 134 Walzer, M. 183,195 Washington, G. 116 Weiß, K. 152 Weizsäcker, R. 9,113,155f Wetherell, M. 202, 206,212,218 Wicklund, R. A. 210 Wiesner, C. 4, 75 Wlislocki 75 Wrench, J. 158-162 Wulff, E., 129 ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

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Sachregister

Abgrenzung 12, 90,181,197 Abhängigkeit 78,140, 182, 185,188,190,192,195 Abschiebepolitik 59 Abschiebung 28 Abschottung 23,133,136 Abschreckungspolitik 22, 48, 55, 95 Abseits, gesellschaftliches 13,17, 64, 98, 167 Absicherung 37f, 63,126,136,182,202,204,210, 219 Absicherung, wissenschaftliche 104 Abwehrfront, kollektive 195,210, 214 Abwehrstrategien 6,13, 68, 75, 87, 89, lOOf, 144, 16f, 203,212 Ärger 27, 30, 51, 67, 95, 150 Aggression 48, 50, 54, 58, 77, 88fF, 93, 97f, 103, 113, 118,149,152,171f, 179,191,196,204, 209 Aggressivität 57, 98, 186 Akzeptanz 119, 153,179,209 Alibi, moralisches, 81,150 Allmachtsphantasien 137 Ambivalenztoleranz 88 Andersartigkeit 38, lOlf, 105,132,208,212 Angst 12, 38, 47f, 79, 97f, 135, 144,151,153,169, 184, 185f, 188,204,208 Anmaßung 26, 65 Anomie 202,204 Anomische 200 Anonymisierung 101 Anormale 200 Anpassung 11,15, 47, 63, 72, 82, 92 Anpassungsdruck 200 Anpassungsschwierigkeiten, subjektive 122 Anpassungstendenzen 139 Ansehen, deutsches 136,154, 155, 193 Anspruchsdenken 65 Antifaschismus 116 Antifaschismus, ritualisierter 116 Anti-Okzidentalismus 132 Antirassismus 91, 95, 105,114, 117f, 130ff Antirassismus, abstrakter 105 Antirassismus, ritualisierter 116, 143 Antisemit 207, 218 Antisemitismus 103, 116,206,208, 213 Arbeit, allgemeinnützliche 54 Arbeitsbedingungen 28, 33 Arbeitsförderungsgesetz 163 Arbeitsplatzbeschreibung 28 Arbeitsverbot 22,24,157 Arrangement 68, 95, 117, 126, 141f, 162,208, 213 Artenschutz, kultureller 132 Asozialität, natürliche 187 Assimilierbarkeit, jüdische 207 Assimilierung 127 Asyldebatte 151,167,168 Asylgrund 19,20 Asylpolitik 22, 99,112,151f, 191 Asylpolitik, Emotionalisierung 23 Asylmißbrauch 155, 170, 178 Asylrecht/Abbau 23, 112, 151, 167, 169, 173f,193f ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

Aufenthaltsrecht 63 Aufklärung 122,143ff, 168,197 Ausbeutbarkeit 101, 104 Ausbeutung 131,141,174,177 Ausbildung 29,160 Ausbildungsverbot 50 Auschwitz 213,217 Ausgeliefertheit 12,15,18,44,47, 50f, 64, 89, 98, 117, 134, 185f, 188, 190, 192, 195,210,214 Ausgrenzbarkeit 196 Ausgrenzung 23f, 37f, 93, lOOf, 103, 113, 116f, 122, 131,133,135,144,163f, 181, 185, 204,208f, 211,213,218f Ausländer 7, 42, 57, 60,106,110,120,134,173, 186,192,211 Ausländerfeindlichkeit 31, 37f, 42,44,46, 50, 66, 68, 96, 98, 103, 111,115,120,157,163, 165, 170, 187 Ausländerfreundlichkeit 67,149 Ausländergesetz 63, 106,109f, 201 Ausländerpolitik 19,23,38 42,111,121.153,186,212 Außenseiter 118,156,202,204,206,208ff, 213 Außenstandpunkt 5,129f, 136f, 140,180 Austauschbarkeit 12 Autonomie 72,105,140,210 Autnomie, kulturelle 121 Autorität 55, 71, 187f Avantgarde 127f Bagatellisierung 48 Ballastexistenz 47, 61 Bayerische Landfahrerordnung 76 Bedeutungslosigkeit, individuelle 11, 51, 89 Bedrohung 10, 33, 59f, 68, 77, 137, 152, 155, 192, 202 Bedürfhiskonzept, verkürztes 138 Beeinträchtigung 3 lf, 61,203 Befreiung 125,126,132 Befreiungsbewegung 108 Befreiungskampf 121 Befreiungsperspektive 35, 99, 118, 125f, 128,130, 136, 140 Befriedung 104 Belange, deutsche 42, 50, 56, 63, 106 Belastung 5, 37, 112 Benachteiligung 52, 58, 98, 135,160f, 163ff Betreuungsarbeit 117 Betroffene 7, 10, 32, 35, 41, 67, 158,213 Betroffenheit 41, 66ff Betteln 8 lf Bewährungszwang 49 Bewältigungsstrategien 36,75 Bewußtsein, falsches 122 Beziehungspflege 73 Biologisierung 100,204 Biomeritokratie 135 Bürgerrechte 106 Bundesgerichtshof 76 Bundesverfassungsgericht 106 Burn-out-Phänomen 33

Sachregister Charakter, autoritärer 217 Charakterfehler 202 Charakterstärke 184,189,215 Chauvinismus 121 Daseinsbewältigung 50, 87,102f, 139,179,208 Dazugehörigkeit vgl. Zugehörigkeit Delirium, gesinnungsethisches 99,165 Demokratie 73,108f, 149,152,168,191ff, 197 Denken, herrschendes 127 Denken, nationalistisches 105 Denkformen, rassistische 143 Desintegration 51, 53 Determinierung 140,180 Determinismus, biologischer 121,132 Determinismus, environmentalistischer 132 DDR 20,112,114f, 128, 148-151 Diskriminierung 38,46f, 58, 60, 76f, 81,116,123, 135 142, 148, 159,160fF, 164f, 201,203,206, 209,213ff Diskriminierungstradition 142 Diskurs, rassistischer 164,212 Disposition 11, 57, 180 Distanz, subjektive 16 Disziplin 189 Disziplinierung 29,43, 52, 56,186, 191 Disziplinlosigkeit 186 Dreyfus-Affaire 116 Drittstandpunkt vgl. Außenstandpunkt Druck, moralischer 69 Durchsetzungsfähigkeit 36, 61 Egalitarismus 183 Egoismus 172,177, 188 Einbürgerung 107, 109f Einbürgerungszwang 123 Eindringlinge 161, 196,202 Einflußnahme 37, 96, 106,107, 138, 145,181f, 192 Einschließung 101 Einschüchterung 99,171,209,217 Einwanderung 110,112,176 Einwanderungsgesetz 152 Einwanderungsland 111,120 Einwanderungspolitik 152,173 Elite 127, 191,205,217 Elitetheorie 152,186 Emanzipation 61, 127, 132ff Emotionalisierung 73f Emotionalität 16, 60, 96 Emporkömmling 206 Engagement 41, 63f, 66ff, 172, 197 Entfremdung 134f Ent-Individualisierung 101 Entlarvung 130 Entlastung 34, 68 179 Ermächtigung 18 Entmenschlichung 205 Entmündigung 25, 31, 57 Ent-Nationalisierung 122 Entrechtung 26, 37, 50, 56, 64, 101, 110, 133 Entsolidarisierung 35,100 Enttäuschung 50, 89, 161 Entwertung 64,133,200,210 Entwicklungsbeschränkung 10, 34, 66, 92, 128, 138, 162, 174 Entwicklungsfeindlichkeit, subjektive 181

233 Entwürdigung 207,214 Entwurzelung 16,120,207 Erniedrigung 25 Erziehungsaufgabe 188 Erziehungsauftrag 126 Erziehungskonzeption 128 Etablierte 200,202f, 205f, 209,214,219 Etablierte-Außenseiter-Beziehung 203,206 Ethnisierung 102,122 - Ent-Ethnisierung 122 - Re-Ethnisierung 122 Ethnizität 12 lf Ethnozentrismus 120 Euthanasie 214 Expansion, Kapital 124 Expansion, kriegerische 112 Expansion, wirtschaftliche 124 Familialisierung 73, 89 Faschismus 66, 193,213ff, 217f Fehlverhalten, individuelles 11, 34, 63, 65f, 68, 128,148,162,182 Feind 75,112,113 Flüchtlinge 7, 33, 67 - politische 19 - Wirtschaftsflüchtlinge 20,25f, 32,45,112,170f, 178 Flüchtlingsarbeit 27, 29, 70, 73, 82f Folter 19 Forschungsverfahren 39 Freiheit/en 26,29, 65f, 71f, 97,107, 121,149, 176 Fremdbestimmtheit 17,27, 52, 96, 126,134,145, 180,182, 185, 188, 190 Fremde 87, 101, 192,207,211 Fremdenangst 147,151,171,184ff, 191 Fremdenfeindlichkeit 11, 87f, 90, 94, 97f, 103,105, 119,147,150,152ff, 171, 186,189,191,196 Fremdenhaß 97,140,147, 188 Fremdheit, Konstituierung 23,102,123 Frustration 48, 65, 118, 149 Funktionieren 208 Fürsorge, restriktive 103 Gärtnerische Sicht 217 Gastrecht 169,194 Geborgenheitswunsch 11 Gefühl - Entwichtigung 145 - Erkenntnisfunktion 96f, 145 - Privatisierung 145 - Rücksicht 191 Gemeinschaft 195 Gemeinschaft, rassistische 101 Gemeinschaftsgeist 127 Gemeinschaftspflichten 188 Genozid, faschistischer 131,217 Gerechtigkeit 50 Gerechtigkeit, negative 177 Gerechtigkeitssinn 52 Germanisierungsdruck 114 Gesellschaft, multikulturelle 118ff Gesellschaftsvertrag 169,186 Gesellschaft zivile, vgl. Zivilgesellschaft Gesinnung 23,42,144, 153 Gesinnung, antifaschistische 115 Gesinnung, antirassistische 99, 115f, 164,166 Gesinnungsreinheit 114 ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

234 Gewalt 151f, 163 Gewalt, rassistische 31, 89,124,148f, 155,212 Gewaltbereitschaft 187 Gewaltäter 179 Ghettobildung 10 Gleichbehandlung 50, 52 Gleichberechtigung 57,106ff, 133 Gleichgültigkeit 15, 47,103,157,163 Gleichheit 14,183 Gleichheitsforderung 183 Gleichmütigkeit 216 Gleichrangigkeit 207 Gleichstellung 51,107, 111,122,183 Gleichwertigkeit 105 Gnadenakt 169,193 Grenzen, offene 173 Grenzverschiebung 215 Grenzziehung 102,105 Grundgesetz 20,106,151 Gruppendruck 205 Gruppenkonsens 205 Haltung, pädagogische 118 Haß 171,180,183 - auf das eigene Volk 172 - pathologischer 165 Heimtücke 102 Helfersyndrom 33, 68 Herr-im-Hause-Standpunkt 42, 154, 159, 169 Herrschaft 125,126 Herrschaftssicherung vgl. Absicherung Hierarchie 70, 73 Höherwertigkeit 37,111,133 Holocaust 213 Homogenisierung 197 Humanismus/Humanität 105,131 Hygiene 194 Ichschwäche 11 Ichstärke 184 Ideologie, - französische 126 - herrschende 6, 15, 53, 56, 87, 111, 126,139,210 - rassistische 175 - universalistische 124 Identifikation 30 - mit dem Aggressor 89f - mit den Opfern 91 Identifikationsproblematik 11 Identifikationswunsch 11 Identität 12, 52,101,139,176,181 - ethnische 121 - konventionelle 119 - kulturelle 127 - nationale 123 Identitätseinbruch 172 Identitätsproblematik 52 Identitätssuche 51 Identitätstheorie 51 Identitätsverlust 51,121 Imagepflege 165 Imperialismus 108,111 Individualisierung 48, 99,160 Individualismus 127 Individualität 121,126 Inhumanität 131 ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

Sachregister Inländerprimat 123 Integration 37, 75,122f, 133,138,207 Integrationspolitik 111 Integrierbarkeit 77 Integrität, persönliche 16, 67,203 Interessen, gemeinsame 34 Interessen, herrschende 24, 89f, 92,131,139 Interessenauseinandersetzungen 196 Interessengebundenheit 140 Interessengegensätze 196 Interessenvertretung, gewerkschaftliche 34 Irrationalisierung 97, 98, 145 Irrationalität 13, 96f, 124,208 Juden 75, 103, 113,193,205-208,211, 213 Juden, konvertierte 206,214 Kindheit 34, 91f, 94,188 Klasse 124f Klassenanalyse 137, 139 Klassenbewußtsein 139 Klassengegensätze 138,174 Klassenlage 140 Kollaboration 216 Kolonialisierung 102,105,133 Kolonialismus ohne Kolonien 173 Kommunikationsprogramm 94 Komplicenschaft 115 Kompromiß 79 - demokratischer 154,176 Kompromißbereitschaft 72 Konditionierung 91 Konfliktvermeidung 6, 99,185 Konkurrenz 12,107,120,126, 134,140,174 Konkurrenzfähigkeit 15 Konsens, antirassistischer 165 Konsens, herrschender 24 Konstante, anthropologische 171,180f, 188 Konsumkritik 190 Konsumorientierung 190 Konsumzwang 190 Kontrolle 49, 57f, 71, 78, 114, 135, 148,217 Konvertierungszwang 114 Konzeptionslosigkeit 29 Kosten-Nutzen-Rechnung 57,119,170 Kränkung 54, 58, 61, 92f, 209,210 Krieg, kalter 112 Kriminalisierung 76f, 212 Kritik 50, 70, 218 Kultur partikulare 121 Kultur universale 121 Kulturalismus 132 Kulturdeterminismus 121 Kulturdiskurs 212 Kulturkonflikt 121 Kulturschock 37 Kumpanei 55 Landesamt fur Zentrale Soziale Aufgaben (LfZSA) 27 Landnahme, schleichende 10 Lebensbewältigung vgl. Daseinbewältigung Leiden an der Abhängigkeit 34, 51, 64, 93, 139, 211,214 Leiden, Verharmlosung 103,214 Leistungsbereitschaft 174 Leistungsdefizit 163

Sachregister Leistungsfähigkeit 160 Loyalitätskonflikt 110 Luxus 80 Macht 71,206 Machtbastionen 203 Machtgefälle 297 Machtgefuge 202 Machtgelüste 202 Machtinstanzen 6 Machtkämpfe 58 Machtmöglichkeit 203 Machtmonopol 205 Machtphantasien 139 Machtposition 212 Machtstreben 70 Machtüberlegenheit 202f Machtunterschiede 203 Machtverhältnisse 18, 57, 92, 138f,185, 192, 194f, 203f, 211 Manipulation 145 Manipulierbarkeit 37, 70 Märtyrertum 88, 93, 98 Maori 206f, 212 Marranen 113f Marxismus, Zerrbild 138 Marxismus-Kritik 139 - Ökonomismus 130, 134,136ff, 140 - Klassenreduktionismus 130, 134, 136-140 Masse 97,115,120,127f, 152,186,189,217. Masse, Uniformierung 12 Massenindividuum 101,125 Meckern 47, 55 Meinungsklima 92, 94 Menschenbild, rassistisches 127 Menschrenrecht auf wirtschaftliches Wohlergehen 112 Menschenrechte 116,121,124,126,132,154,172,197 Menschenrechtsverletzungen 169,195 Menschenverachtung 76 Menschlichkeit 16, 33, 67,111,131, 140, 176f Mentalität, - rassistische 90f - Beamtenmentalität 53 - Lagermentalität 47 Migration 107,123 Minderwertigkeit, moralische 105,112,119,203, 208 Minorisierung 103 Minorität, anomische 204 Mißachtung 72, 77,206,209 Mission, zivilisatorische 143 Mißtrauen 12, 36,207 Mißverständnis vgl. Verständigungsschwierigkeiten Mitbestimmungsmöglichkeit 73 Mitgefühl 53, 66f, 208 Moral, höhere 86,118,174,202f, 217 Moralismus 132, 172 Moralisten 173, 175 Mordlust 14 Multikulturalität 119-123, 173,189 Mythologisierung 137 Name-Calling 159 Nation 106,108,124f, 207,213 Nationalismus 105,111,119,122,128,212

235 Nationalitätenpolitik 109 Nationalstaat 107,197 Natur, menschliche 16,18,181,189,191,204 Naturalisierung 48 Neofaschisten 116 Neokolonialismus 102 Neonazis 117,178 Neorassismus 102 Neorassisten 136 Neutralität 27 Nonkonformität 148,202 Normalisierung 7,213 Normalisierungsdruck 200 Normalität 7, 87, 166, 193, 199f, 208,213 Normierung 200 Objektstandpunkt vgl. Außenstandpunkt Ohnmacht 12,14f, 26, 50f, 55f, 78, 91,98, 137, 185,214 Opfer 35, 55, 60f, 89, 91ff, 154f, 179,188,205f Opferstatus 103 Ordnung, herrschende 52, 77, 87, 90, 109,114,135, 192,202 Orientierungslosigkeit 70 Pädagogik 121 - interkulturelle, 123 - rationalistische 143 - Relativitätspädagogik 121 Pakehas 206,212 Paktschließen 73f Pars-pro-toto-Modell 204,212 Parteinahme 41, 53, 60ff, 71,171ff, 209 Partikularität 108 124f, 127,13 lf Persönlichkeitsstruktur 211,215 Persönlichkeitsstruktur, rassistische 90,211 Personalisierung 63, 70, 74, 86f, 98f, 119,168 Personalpolitik 28 Perspektive - der Herrschenden 126 - der Beherrschten 126 - der Etablierten 215 -der Opfer 215 Perspektivlosigkeit 29,47f, 64,117 Perspektivwechsel 218 Pflegeleichtigkeit 49 Pluralismus 122 Polarisierung: - Gefühl/Verstand 96, 144f - Individualität/Kollektivität 126 - Individuum/Gesellschaft 86,201 - Irrationalität/Rationalität 144 - Opfer/Täter 86,215 - persönliche/allgemeine Interessen 126 - Verständnis/Bestrafung 179 Politik - expansionistische 112 - kolonialistische 131 - menschenfeindliche 9 - rassistische 131 Populismus 191f Privatsphäre, Rückzug auf 122 Privilegien 108,117f, 204,210 Privilegierung 38, 52, 104, 192 Problembewältiger, perfekter 41,48, 63 Problemmanagement 70,219 ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

236 Projektion 88f Propanda, antisemitische 214,216 Protest 27,46, 71, 80, 95,104,135f, 165,209 Psychoanalyse 87, 90, 96 Psychohygiene 122 Psychologie 10, 44, 51, 58, 64f, 86f, 90, 96, 99, 200f, 211,218 Psychologisierung 12, 37, 86 Pünktlichkeit 71 Purismus 101 Qualifikation 28,48, 60,160,176 Rasse 124f, 130 Rassenkonflikte 121 Rassifizierung 100 Rassismen 102 Rassismus 37,42, 54, 66, 81, 85ff, 90, 92, 97, lOOfF, 103 ff, 111-116,118f, 124ff, 130fF, 144,150, 154,158,160, 162,165, 179, 182f, 200,208, 212 - alltäglicher 164,20lf - antifranzösicher 165 - ausschließender 102 - biologischer 103 - differentieller 105 - einschließender 102 - ethnisierender 103 - extremer 159,164,214 - fremdbezogener 102 - hintergründiger 152 - ideologischer 135 - individueller 212 - institutioneller/struktureller 6, 7, 42,102,141, 144,145,164,200,201 - interaktiver 141 - irrationaler 124 - kolonialer 102 - mittelständischer 143 - normaler 144,214 - persönlicher 201 - plebejischer 141 - reiner 211 - selbstbezogener 102 - soziologischer 102 - spontaner 102 - theoretischer 102 - überzogener 124 - Rassismus ohne Rassen 100 - Verhaltensrassismus 135 - Vorurteilsrassismus 135 Rassismus/Ächtung 164f, 208 Rassismusbegriff 203,211,212,213 Rassismustheorie 6, 94, 96f, 99,129 Rassismusvorwurf 149, 151, 165f Rassist 50, 86, 91, 95, 115,144f, 153, 156, 164,171, 178,211 Realitätsverzerrung 24 Realpolitiker 175 Recht - auf Asyl 19, 99, 169, 193, 194 - auf Auswanderung 194 - auf Deutschtum 121 - auf Einbürgerung 106 - auf Einwanderung 195 - auf Menschenwürde 171 ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244

Sachregister - auf muttersprachlichen Unterricht 108 - auf Selbstbestimmung 108 - auf Unversehrtheit 171 - des Blutes 106 - des Bodens 106 Rechte, demokratische 18 Rechtfertigung 30, 66,168,203,209,211 Rechtfertigung, wissenschaftliche 105 Rechtfertigungsfigur 6,115,197 Rechtlosigkeit 31,45,107 Rechtsextremismus 86, 116, 148, 150, 155 Reduktionismus, individualgenetischer 88 Regelverstoß 72 Reglementierung 26,45, 157,196 Reinheit 55, 63,215 Reinheit, definitorische 166 Reinheit, rassistische 132 Reintegration 28, 53 Relativismus 121 Repression 204 Reserve-Polizeibataillon 206 Resignation 24 Roma 75ff, 82,205,207 Rückkehr zu den Wurzeln 132 Rückkehrhilfe 59 Rückkehrverpflichtung 123 Rückständigkeit 119,212 Sachleistungen 24f Sammelunterkünfte 21,25ff, 153 Sanktionen 87, 97,185,205 Sauberkeit 52, 54, 77f Saubermannshaltung 43,174 Säuberungsterminologie 116 Scham 203 Schicksalsgemeinschaft 207 Schikane 22,26, 54, 72 Schmarotzer 45 Schuld 91, 93, 95,201 Schuldgefühl 36, 82,141,173,174,204,216 Schuldzuschreibung 6, 32,217 Seelen, edle 172,174 Selbstbehauptung 71 Selbstbestimmung 92 Selbstbestimmung, nationale 108 Selbstdisziplin 186 Selbstentfremdung 94 Selbstentmächtigung 6, 35f Selbstethnisierung 122 Selbsthaß, jüdischer 206 Selbstkontrolle 186 Selbstrechtfertigung 167f Selbstschädigung 6 Selbstveränderung 92 Selbstwertgefuhl 72 Sexismus 103,124f Sicherheitsgefuhl 169 Sicherheitsrisiko 13 Sicherheitsstreben 11 Sinti 75ff, 205,207 Sinus-Studie 11 Situationsdruck 23, 27, 33, 82, 87, 95, 119, 142,208 Sklaven 217 Sklavenhalter 116 Social Engineering 217 Solidarität 6, 33, 55, 59, 91, 104, 107, 114, 117, 118

Sachregister Sonderbehandlung 21,153,200 Sozialarbeit 33f, 49, 59,121 Sozialhilfe 24,110 Sozialhilfempfänger 25 Sozialisation 204 Sozialisationsdefizit 122,200 Sozialismus 109,172 Sozialpolitik 121 Sozialwissenschaften 202 Soziologie 86,201,217,218 Sparpolitik 27f Spießerbeschimpfung 120,156f, 171 Sprachlosigkeit 26, 32,41,44fF Staatsangehörigengesetz 106 Staatsangehörigkeit 109f - doppelte 109 Stigma, materielles 204 Stigma, soziales 204 Stigmatisierung 123,131,202f, 206f, 210,213 Stillhalteabkommen 33 Strafmaßnahmen 148 Subjektstandpunkt 5,44, 94,117,129,136,180,184 Subjektwissenschaft 34f Supervision 74 Symbiose 69 Symbolisierung 58f, 204 Teilnahmslosigkeit 15 Toleranz 122, 153, 154, 179,209,212 Toleranzgrenze 57, 105, 110, 152 209,210 Trainingsprogramm, antirassistisches 90f, 95f Traumata, frühkindliche 11 Tugend, staatsbürgerliche 189 Überflutung 10,151,169 Überforderung 49, 63, 70, 82,168,192,209 Überfremdung 112,151,172 Überheblichkeit 76 Überlegenheit 29,112,114f, 133,144,207 Überlegenheit, nationale 52 Überwachungspolitik 113f Umerziehung 145 Unbewußtes 89, 143f Unbotmäßigkeit 68,185 Undankbarkeit 50, 63, 209 Undeutsche 12, 15 Ungesichertheit 11, 97, 186 Ungleichheit 14, 50,198 Universalisierbarkeit 132 Universalität 124-127, 13 Iff Unmenschlichkeit 131,177,205,208 Unrecht 204,212f Unrechtsbewußtsein 61,142 Unschuld 216 Unterdrückung 13,17, 88, 91, 94, 97, 103,108, 118, 121,126,140f, 149,164,182,205,212f, 215 Unterlegenheit 101 Untermenschen 112 Unterordnung 101, 183 Unterwerfung 17, 71,204,214 Unterwerfungstendenz 118 Unterwerfungszwang 134 Unterwürfigkeit 58, 78, 1832

237 Verachtung 26, 159 Verallgemeinerung, wissenschaftliche 34, 37,43 Verantwortung 14,16,23, 30,48, 54f, 57, 59, 69, 73, 86, 89, 91, 93f, 114f, 117f, 124,126,141f, 149, 156,178f, 184, 192,209,213 Verantwortungsbegriff 208 Verdinglichung 214 Verdrängung 88f, 144,162 Verfolgung 19,103,112ff, 135, 169, 193 Vergangenheit 37,149,214 Vergangenheit, faschistische 154f, 184, 193,207 Verhaltensüberwachung 96,143 Verinnerlichung, Gewalt 204 Vernichtung 106,121,205 Vernunft der Anpassung 57, 96, 175 Verständigungsschwierigkeiten 28, 32f, 57f, 62, 78f Vertrauen 36,43,185 Verunsicherung 12f, 24, 37, 48f, 126,134,149,179, 184,186,190,193 Vielfalt, kulturelle 105 Volkszorn 45 Vorurteile 23, 79,104,122,134f, 142,158,162f, 200f, 206 Vorurteilsforschung 203, 218 Werte-Diskussion 175, 177, 189f Wiedergutmachung 76,179 Wiedergutmachungsanspruch 103 Wiedergutmachtungspraxis 76 Wiederholungszwang 91 Widerstand 27f, 36,48, 57, 89,127, 134f, 142,165, 190,214 Widerstandskraft 28f Wiedervereinigungsgebot 20 Wir-Tugend 187, 189 Wohlfahrt 22, 27 Wohlfahrtsverbände 73, 83 Wohlstandsbürger 183 Wohlstandschauvinismus 189 Wohlstandsgesellschaft 64 Wohltätigkeit 50, 56, 64 Wohltätigkeitsgeschäft 22 Wohltaten 65 Wohlverhalten 17, 72, 94,185,206,209 Wohlwollen 66 Xenophobie 11,134,171, 180,184 Zahlen 28 Zahlenmanipulation 2 Iff Zeitbombe 10 Zensur 66 - der Gefühle 66 - der Lebensansprüche 63 Zigeuner 75f Zigeuner- und Arbeitsscheuengesetz 76 Zivilbevölkerung, jüdische 206 Zivilgesellschaft 132f, 177,187 Zivilisationsmechanismen 204 Zugehörigkeit 14,45, 90,101,106,205ff Zugehörigkeit, nationale 123 Zwänge, strukturelle 57, 59f Zynismus 24

ARGUMENT-SONDERBAND NEUE FOLGE AS 244