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German Pages 242 Year 1990
Manfred Petri · Die Urvolkhypothese
Historische Forschungen Band 41
Die Urvolkhypothese Ein Beitrag zum Geschichtsdenken der Spätaufklärung und des deutschen Idealismus
Von
Manfred Petri
Duncker & Humblot · Berlin
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Petri, Manfred:
Die Urvolkhypothese: ein Beitrag zum Geschichtsdenken der Spätaufklärung und des deutschen Idealismus I von Manfred Petri.- Duncker u. Humblot, 1990 (Historische Forschungen; Bd. 41) Zug!.: München, Univ., Diss., 1987 ISBN 3-428-06846-7 NE: GT
Alle Rechte vorbehalten © 1990 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin 61 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0344-2012 ISBN 3-428-06846-7
Arno Seifert t
Vorwort Auf Anregung von Professor Dr. Arno Seifert entstand die vorliegende Untersuchung. Kurz vor ihrer Fertigstellung im Frühjahr 1987 verstarb Herr Seifert und die Widmung ist der Dank an einen Lehrer, der sein strenges wissenschaftliches Ethos nachhaltig vermitteln konnte. Nach dem Tode von Herrn Seifert wurde die Betreuung der Arbeit dankenswerterweise von Frau Professor Dr. Laetitia Boehm übernommen. In leicht veränderter Form konnte diese Untersuchung mit dem Titel "Entstehung, Höhepunkt und Überwindung der Urvolkhypothese" der philosophischen Fakultät für Geschichts- und Kunstwissenschaften der Ludwig-Maximilians-Universität in München vorgelegt werden, die sie im Wintersemester 1986/7 als Dissertation annahm. Weiterhin wurde dieses Promotionsvorhaben von der Studienstiftung des Deutschen Volkes gefördert. An dieser Stelle sei auch Frau Brigitte Braun von der Herzog-AugustBibliothek in Wolfenbüttel und Frau Ute Bierter-Baumann von der Universitätsbibliothek München für ihre freundliche Unterstützung bei der Beschaffung älterer Literatur gedankt. Hof/Saale im Sommer 1989
Manfred Petri
Inhaltsverzeichnis Vorbemerkung
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Teil I Das historische Umfeld vor der Entstehung der Urvolkhypothese
1. Geschichtliche Verlaufsmodelle im Schrifttum der Spätaufklärung neben der Fortschrittstheorie ....... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . a) Geschichtspessimismus und Niedergangsbefürchtungen (Begriffsabgrenzungen) . .. ..... .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Aktuelle Ursachen für Fortschrittszweifel, besonders in Frankreich am Vorabend der Revolution . . . . . . . . . . . . .. .... . . .... . . . . . . . . . . c) Historisches Vorbild für das Ende kontinuierlichen Fortschreitens: Der Untergang Roms ..... .. . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . d) Naturwissenschaftliche Spekulationen zu mehrfach abgeschlossenen Entwicklungen vergangener Menschheilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zur Wiederbelebung eines zyklischen Geschichtsmodells im 18. Jahrhundert
14 14 17 20 26 30 34
2. Die Dunkelheit des Ursprungs als Unsicherheitsfaktor bei der Bestimmung von Gegenwart und Zukunft .. .. ... . ... .. . . ....... ... . . ... . . a) Zur Quellenlage der Urgeschichtsforschung im 18. Jahrhundert . . .... . b) Die Genesis c) Mythen und schriftliche Quellen des Altertums d) Der Mythos vom goldenen Zeitalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Atlantis ...... . .... . . ... . . . . . . . . . . . . . ..... .. ...... . f) Die Deutung der sogenannten "Altertümer" . ... . . . .... . . .. . .. . g) Präadamitenthese und Autochthonentheorien ... . ...... . . . .... . h) Antediluviale Hochkulturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .... ... .... . i) Zur Methodik der Urgeschichtsforschung im 18. Jahrhundert ... ... . . j) Der etymologische Schlüssel: Die Suche nach der Ursprache . ... . . . . . k) Astronomie als geschichtliche Hilfswissenschaft: Der Aufbau einer überprüfbaren Chronologie in der ältesten Geschichte . . . . .... .... ... .
39 39 46 52 60 74 76 84 87 88
3. Rousseaus kulturkritische Diskurse - ein Angriff auf die Fortschrittstheorie ..
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4. Vorläufer der Hypothese von einem Urvolk aus dem 16., 17. und 18. Jahrhundert . .. . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .... . a) Sirnon Stevin (1548 - 1620) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Olof Rudbeck (1630- 1702) und der Gotizismus . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Jean Dominique Cassini (1625- 1712) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Voltaire (1694- 1778) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
105 107 109 111 113
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Inhaltsverzeichnis e) Vincent-Louis Dutens (1730- 1812) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 f) Pierre Joseph Roussier (1716- 1790) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 g) Gotthold Ephraim Lessing (1729- 1781) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 Teil II Die Urvolkhypothese BestandteD wissenschaftsgeschichtlicher, phßosophischer und gescbichtsphiJosopbischer Entwürfe der Urgeschichte
1. Das Urvolk als Hypothese im Rahmen einer Astronomiegeschichte bei Jean-
Sylvain Bailly . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Biographisches zu Bailly b) Baillys "Histoire de I' Astronomie ancienne" (1775) und die zwei Briefbände von 1777 und 1779 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Baillys Arbeitsmethodik auf dem Gebiet der ältesten Geschichte . . . . . . d) Konsequenzen der Urvolkhypothese für den Verlauf der menschlichen Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Reaktionen der zeitgenössischen Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Das Urvolk als marginaler Bestandteil der Erdgeschichte: Buffons "Epoques de Ia Nature" (1778/79) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Baillys Urvolkhypothese in den "Epoques de Ia Nature" . . . . . . . . . . . b) Die Funktion des Urvolkes in Buffons Geschichtsbild . . . . . . . . . . . . . c) Kritik an den "Epoques de Ia Nature" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die wesen~lichen Gesichtspunkte der Urvolkhypothese bei Bailly und Buffon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
120 121 121 123 131 136 141 150 151 156 158 162
3. Das Urvolk als literarischer Erfolgsfaktor: Delisie de Sales "Histoire des Hommes" (1779ff.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 4. Das Urvolk als gemeinsamer Ausgangspunkt der Kultur der alten und der neuen Welt: Carlis "Lettere americane" (1780) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 5. Das Urvolk als Vorgeschichte zur Genesis: lrwings "Ueber den Ursprung der Erkenntnis der Wahrheit und der Wissenschaften" (1781) . . . . . . . . . . . . . 178 6. Übergänge: Allusionen an das Urvolk in Novalis "Die Lehrlinge zu Sals (1802) und Schellings "Methode des akademischen Studiums" (1802) . . . . . . . . . . 186 7. Das Urvolk im Gravitationsfeld religions- und geschichtsphilosophischer Überlegungen zum Anfang der Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 a) Friedrich Schlegels "Vorlesungen über Universalgeschichte" (1805/6) und "Ueber die Sprache und Weisheit der Indier" (1808) . . . . . . . . . . . . . . 192 b) Fichtes "Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters" (1806) und die "Staatslehre von 1813" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Teil Ili Ergebnisse
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Literaturverzeichnis
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Vorbemerkung "Kann indessen der Geometer mit Irdischem Himmlisches als einen Maßstab messen, dann mag der Historiker, wenn nicht ganz ihm die höhere Weihe fehlt, wohl auch in der Gegenwart und dem Vergangenen die Regel und das Gesetz der Zukunft suchen."
Diese Worte Joseph von Görres' formulierten nicht nur aufs Neue ein altes Anliegen der Historiker, sondern aus ihnen sprach auch die ungeduldige Sehnsucht nach einer der Naturkunde entsprechenden Vollständigkeit und Exaktheit historischer Erkenntnisse. Die Suche nach Regel und Gesetz der Zukunft stieß allerdings auf um so größere Schwierigkeiten, je weiter man sich in die Vergangenheit bewegte. Die heute "Vor- und Frühgeschichte" - zu Görres' Zeiten "Urgeschichte"- genannte Ära der menschlichen Existenz war gegen Ende des 17. und im Laufe des 18. Jahrhunderts zu einem Feld geworden, dasangesichtsder ständig abnehmenden Verbindlichkeit der Genesis mit philosophischen Überlegungen, naturkundlichen Hypothesen oder schillernden Spekulationen übersäht wurde. Die breiten Erörterungen des 17. Jahrhunderts zur Möglichkeit antediluvialer Hochkulturen, unter die auch Lapeyreres aufsehenerregende Veröffentlichung über die sogenannten "Präadamiten" fiel, wurden umrahmt und begleitet von der niemals endgültig abgeschlossenen Auseinandersetzung um die "Autochthonen". Gleichzeitig begann - ohne wissenschaftlich ausreichend abgesicherte Alternative -ein langsamer Erosionsprozess der Glaubwürdigkeit des in der Genesis geschilderten Zeitrahmens, der zahlreiche Schriftsteller zumal des 18. Jahrhunderts zu weitreichenden Spekulationen über die älteste Vergangenheit der Menschheit anregte. Schon vorher hatte der erweiterte geographische Horizont der Neuzeit die räumliche Perspektive der Genesis wesentlich verschoben und die Forschungen des 18. Jahrhunderts zur Urgeschichte wurden somit weder durch einen räumlichen noch durch einen zeitlichen Rahmen eingeengt. Methodische Unzulänglichkeiten, die fast ausschließliche Fixierung auf schriftliche Quellen oder mündliche Überlieferungen, verengte Fragestellungen und übertriebene Schlußfolgerungen verhinderten jedoch die Erschließung der "dunklen" Urgeschichte mit der gewünschten mathematischen Präzision. Besonders der Mythos vom goldenen Zeitalter und die Erzählung Platons vom Untergang der Insel Atlantis tauchten in diesem Zusammenhang häufig auf. Seit der Renaissance läßt sich eine ununterbrochene, oftmals esoterisch gefärbte Beschäftigung mit beiden Themen feststellen. Chiliastisch orientierte Interpretationen des goldenen Zeitaltermythos reichten bis ins
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Vorbemerkung
späte 18. Jahrhundert und existierten damit noch gleichzeitig mit Rousseaus bewußt an diesen Mythos anknüpfender Fiktion eines Naturzustandes oder mit den literarischen Vergangenheitssehnsüchten der Frühromantik. Ebenso wurde Atlantis unter religiösen, esoterischen oder naturkundlichen Gesichtspunkten diskutiert. Vornehmlich rein assoziative Etymologien führten dabei gründliche Fachgelehrte ebenso wie wissenschaftliche Laien zu unhaltbaren ethnologischen, geographischen und chronologischen Kurzschlüssen. · Die Erstellung eines zuverlässigen chronologischen Gerüstes sollte die Astronomie durch eine Nachberechnung antiker Angaben leisten. Probleme bei der Interpretation der antiken Textgrundlagen ließen diesen Ansatz jedoch frühzeitig scheitern. Vor diesem Hintergrund schaltete sich der französische Astronom Jean-Sylvain Bailly 1774 im Rahmen einer mehrbändigen Astronomiegeschichte mit seiner Hypothese von einem hochzivilisierten Urvolk am Anfang der menschlichen Kulturgeschichte, dessen wissenschaftlich-technischer Kenntnisstand dem des ausgehenden 18. Jahrhunderts vergleichbar war, in die Auseinandersetzung um die Urgeschichte ein. Obwohl zu einem Zeitpunkt verfaßt, als derartige Paradoxien in der wissenschaftlichen Welt bereits stark an Überzeugungskraft eingebüßt hatten, erregten die mathematisch-astronomischen Argumente dieses renommierten Wissenschaftlers dennoch Aufsehen. Zudem darf das Urvolk wegen seiner Konsequenzen für das Verlaufsschema der gesamten Menschheitsgeschichte nicht nur als Beitrag zur Urgeschichtsforschung gesehen werden. Rousseaus Geschichtskonzeption auf den ersten Blick nicht unähnlich, relativierte die Urvolkhypothese implizit die Vorstellung eines linearen Fortschritts der Menschheit von rohen Anfängen zur jetzigen Kulturstufe. Im Endeffekt waren alle, die sich Baillys Version der Urgeschichte zu eigen machten, Vertreter der Fortschrittsidee, aber- und hier unterschieden sie sich deutlich von Turgot und Condorcet- eines Fortschrittes, der sich nicht ohne Diskontinuitäten durch die Geschichte arbeitete. Der Untergang Roms hatte paradigmatisch gezeigt, daß selbst eine hochentwickelte Zivilisation nicht automatisch Weiterexistieren mußte, und je intensiver man die außereuropäische Welt kennenlernte, um so zahlreicher wurden die Beispiele für vergleichbare Vorfälle. Erkenntnisse wie diese führten neben Befürchtungen aus aktuellen Anlässen bei vielen Aufklärern zu pessimistischen Zwischentönen, die sich mit dem Bild einer homogenen Fortschrittsideologie der Aufklärung nicht ohne weiteres vereinbaren lassen. Aus der Wissenschaftsgeschichtsschreibung der Spätaufklärung hervorgegangen, durchlief die Urvolkhypothese im Laufe ihrer Rezeptionsgeschichte unterschiedliche Stadien. Sie paßte in Buffons erd- und kulturgeschichtliches Gesamtkonzept ebenso hinein , wie in eine Verteidigung der amerikanischen Kultur oder in die aufgeklärten Überlegungen eines Oberkonsistorialrates zur Herkunft der Wahrheit und der Erkenntnis in der Welt. In der heraufziehen-
Vorbemerkung
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den Romantik und im deutschen Idealismus diente das Urvolk, wenn auch in sich verändernder Form, gleichzeitig einer zunehmend religiös orientierten beziehungsweise einer an empirischen Tatsachen weniger interessierten Geschichtsphilosophie als Argumentationshilfe. Die so unterschiedenen Verwendungs- und Begründungszusammenhänge legen die Frage nach einem trotz aller geistesgeschichtlichen Veränderungen sich möglicherweise gleich gebliebenen Aussagekern der Urvolkhypothese nahe. Selbst während ihrer Blütezeit galt die Hypothese vom Urvolk nicht als sensationell und es mußte sich nicht jeder Gelehrte unbedingt mit ihr auseinandersetzen. Aber sie war zu ihrer Zeit nicht zuletzt durch ihre Verwendung unter anderem bei Buffon, Schlegel und Fichte weithin bekannt und forderte Wissenschaftler wie Herder, Schelling, Hege! und andere zu Stellungnahmen heraus. Worin bestand ihre Bedeutung? Neben der Beschreibung ihrer Ursprünge und der Schilderung ihrer verschiedenen Verwendungen macht die Beantwortung dieser Frage das wichtigste Anliegen der folgenden Seiten aus.
TEIL I
Das historische Umfeld vor der Entstehung der Urvolkhypothese Die Beschreibung des Umfeldes der Urvolkhypothese soll bestimmte Fragestellungen und Antworten, besonders aus dem 17. und frühen 18. Jahrhundert, die in näherem oder weiterem Zusammenhang mit der Hypothese standen, hervorheben. Dabei ist es jedoch nicht beabsichtigt, die Urvolkhypothese als ein notwendiges Ergebnis dieser ideengeschichtlichen Traditionen erscheinen zu lassen, sondern es solllediglich ein Hintergrund umrissen werden, vor dem sich Eigentümliches in den verschiedenen Urvolkhypothesen von ihren eher traditionellen Bestandteilen leichter unterscheiden läßt. Auf nochmalige Untersuchungen zur Fortschrittsidee wird verzichtet, da über dieses so zentrale geschichtsphilosophische Dogma des Aufklärungszeitalters bereits ausgiebig publiziert worden ist. Ausführlicher müssen dagegen zahlreiche, während des gesamten 18. Jahrhunderts belegbare Aussagen oder Spekulationen zu einer neutralen - im Sinne einer periodischen Wiederkehr geschichtlicher Abläufe - oder gar zu negativen Entwicklungen der menschlichen Geschichte dargestellt werden. Daranschließt sich eine kurze Bestandsaufnahme zum Kenntnisstand der damaligen Wissenschaftler auf dem Gebiet "Urgeschichte" an, da die unterschiedlichen Thesen auf diesem Gebiet nicht ohne Auswirkungen auf eine Bearbeitung des gesamtgeschichtlichen Verlaufs blieben. Den ersten Teilbeendetein Überblick über einzelne Gelehrte, deren Forschungsergebnisse eine erkennbare Nähe zu den verschiedenartigen Ausprägungen der späteren Urvolkhypothese zeigten und deren Namen in diesem Zusammenhang dann teilweise auch ausdrücklich von Kritikern oder Rezensenten erwähnt wurden. 1. Geschichtliche Verlaufsmodelle im Schrifttum der Spätaufklärung neben der Fortschrittstheorie
Die Vorstellung eines ständigen Fortschreitens zum Besseren, ja sogar zur Vollkommenheit galt in der Geschichtswissenschaft lange Zeit als die typische Konzeption des 18. Jahrhunderts zur menschlichen Geschichte.! Lediglich t Vgl. dazu Reinhard KoseHecks Artikel "Fortschritt", in: Brunner, 0. I Conze, W. I Koselleck, R. {Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur
I. Geschichtliche Verlaufsmodelle
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Rousseau schien sich auf den ersten Blick dieser Einschätzung zu entziehen. 2 Diese fast selbstverständliche Identifikation von aufklärerischem Geschiehtsrlenken und Fortschrittsidee hat nachhaltig erst Henry Vyverberg mit seiner Studie zum Geschichtspessimismus in der Aufklärung3 in Frage gestellt und so das Interesse am Schicksal der älteren Dekadenz- und Zyklentheorien während des 18. Jahrhunderts wieder geweckt.4 Die bisher zu diesem Thema politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Band II, Stuttgart 1979ff., S. 351ff. Zur Entstehung des Fortschrittsgedankens in der frühen Neuzeit am Beispiel Leibniz' vgl. Seifert, Arno: Neuzeitbewußtsein und Fortschrittsglaube bei Leibniz, in: Studia Leibnitiana, Sonderheft 10 (1982), S. 172ff. Zum Ursprung der Fortschrittsidee vgl. Wagar, W. W.: Modern Views of the Origin ofthe ldea of Progress, in: Journal of the History of Ideas, 28 (1967), S. 55ff. Die Auseinandersetzung um die Herkunft der Fortschrittsidee zwischen Kar! Löwith und Hans Blumenberg findet sich in ihren wesentlichen Zügen bei Jaeschke, Walter: Die Suche nach den eschatologischen Wurzeln der Geschichtsphilosophie. Eine historische Kritik der Säkularisierungsthese, München 1976. 2 Näheres zur Interpretation von Rousseaus Geschichtssicht siehe unten die Abschnitte zum goldenen Zeitalter und zu Rousseaus Diskursen. 3 Vyverberg, Henry: Historicai Pessimism in the French Enlightenment, Cambridgel Mass. 1958. Gegen Vyverberg siehe Krauss, W. I Kortum, H . (Hrsg.): Antike und Moderne in der Literaturdiskussion des 18. Jahrhunderts, Berlin (Ost) 1966, S. XXXIII. 4 Grundlegend dazu Koselleck, R. I Widmer, Paul (Hrsg.): Niedergang. Studien zu einem geschichtlichen Thema, in: Koselleck, R. I Stierle, K. u. a. (Hrsg.): Sprache und Geschichte, Band 2, Stuttgart 1980; im einzelnen weiterhin Belaval, Yvon: La crise de Ia geometrisation de l'univers dans Ia philosophie des Lumieres, in: Revue internationale de Philosophie, 6, 2113, Brüssel1952, S. 337ff.; Trevor-Roper, H. R.: The Idea of Dedine and Fall of the Roman Empire, in: Studies presented to Theodor Besterman, Edinburgh 1967, S. 413ff.; Mortier, Roland: L'idee de decadence litteraire au XVIII• siede, in: Studies on Voltaire and the eighteenth century, LVII. 1967, S. 1013ff.; Starn, Randolph: Meaning-levels in the Theme of historical Dedine, in: History and Theory XIV, 1975, S.lff.; Burke, Peter: Tradition and Experience: The ldea of Dedine from Bruni to Gibbon, in: Daedalus, 10513, Cambridge/Mass. 1976, S. 137ff. (dies ist eine zeitlich etwas enger begrenzte Fassung seines Beitrags im Sammelband "Niedergang"). Furet, Fran