Der Grundsatz der Gegenseitigkeit in den Handelsbeziehungen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern unter besonderer Berücksichtigung des GATT, der Vereinten Nationen und der EWG-AKP-Beziehungen: Tatsächliche Gleichheit im Völkerrecht durch internationale Institutionen? [1 ed.] 9783428455164, 9783428055166


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German Pages 216 [219] Year 1984

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Der Grundsatz der Gegenseitigkeit in den Handelsbeziehungen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern unter besonderer Berücksichtigung des GATT, der Vereinten Nationen und der EWG-AKP-Beziehungen: Tatsächliche Gleichheit im Völkerrecht durch internationale Institutionen? [1 ed.]
 9783428455164, 9783428055166

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Schriften zum Völkerrecht Band 79

Der Grundsatz der Gegenseitigkeit in den Handelsbeziehungen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern Unter besonderer Berücksichtigung des GATT, der Vereinten Nationen und der EWG-AKP-Beziehungen Tatsächliche Gleichheit im Völkerrecht durch internationale Institutionen?

Von

Eduard Westreicher

Duncker & Humblot · Berlin

EDUARD WESTREICHER

Der Grundsatz der Gegenseitigkeit in den Handelsbeziehungen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern

Schriften zum Völkerrecht Band 79

Der Grundsatz der Gegenseitigkeit in den Handelsbeziehungen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern unter besonderer Berücksichtigung des GATT, der Vereinten Nationen und der EWG-AKP-Beziehungen Tatsächliche Gleichheit im Völkerrecht durch internationale Institutionen?

Von

Dr. Eduard Westreicher

DUNCKER

&

HUMBLOT / BERLIN

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Westreicher, Eduard: Der Grundsatz der Gegenseitigkeit in den Handels­ beziehungen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern: unter bes. Berücks. d. GATT, d. Vereinten Nationen u. d. EWG-AKP-Beziehungen; tatsächl. Gleichheit im Völkerrecht durch internat. Institutionen? / Von Eduard Westreicher. Berlin: Duncker und Humblot, 1984. (Schriften zum Völkerrecht; Bd. 79) ISBN 3-428-05516-0 NE: GT

Alle Rechte vorbehalten 1984 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1984 bei Buchdruckerei A. Sayffaerth - E. L. Krohn, Berlin 61 Printed in Germany

©

ISBN 3-428-05516-0

Meinen Eltern

Vorwort Die Arbeit entstand nach Anregungen im Seminar über Völkerrecht und internationales Wirtschaftsverwaltungsrecht meines Doktorvaters, Herrn Professor Dr. Günther Jaenicke. Sie ist auf dem Stand der Lite­ ratur und Rechtsprechung vom Januar 1981. Soweit möglich, wurden die neuen Entwicklungen bis Dezember 1983 berücksichtigt. Anläßlich eines einjährigen Aufenthalts am Wadham College, Ox­ ford, konnte ich die Entwürfe unter Anleitung des verstorbenen Pro­ fessors D. P. O'Connell und Professor Kamal Hossain, Leiter des „Center for Research on the New International Economic Order", verbessern und neue Anregungen aufnehmen. Finanzielle Zuwendungen u. a. durch die Fritz Thyssen-Stiftung ermöglichten mir Forschungsreisen. So hatte ich Gelegenheit zu Gesprächen mit Fachleuten des GATT und der Kom­ mission der EG. Ferner konnte ich die elfte UN-Sondergeneralver­ sammlung zur dritten Entwicklungsdekade in New York verfolgen. Allen genannten und ungenannten Personen und Institutionen möchte ich für ihre großzügige Hilfe meinen herzlichen Dank aussprechen. Besonderen Dank schulde ich Herrn Professor Dr. Jaenicke für seinen Rat und Herrn Senator Professor Dr. J. Broermann für die Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe. Frankfurt/M., im Februar 1984 Eduard Westreicher

Inhaltsverzeichnis Einleitung

15

A. Die Bedeutung von Institutionen für das Prinzip der Gegenseitigkeit I. Innerstaatlicher Bereich .......... . .............. . . . .. . . .......... 17 1. Gegenseitigkeit und „institutionelle Entlastung" . . . . . . . . . . . . . . .. 17 2. Staat und wirtschaftliche Entwicklung .. . .. . .... . ............... 21 3. Staat und Gleichheitsgrundsatz . . . . . . . . . . ... . . . . . ... . . . . . . . . . ... 24 4. Staat und tatsächliche Gleichheit ... . ... . . ...... . ........... . ... 25 5. Folgerungen ....... . ............... . .. . . .. . .... . ... . ... . ....... 29 II. Gegenseitigkeit im Völkerrecht ... . ........... . .......... . ........ 29 1. Die Bedeutung der Gegenseitigkeit im Völkerrecht . . ... . . . . . . ... 29 2. Versuch einer Beschreibung ....... . ... . ........ . ............... 31 3. Gegenseitigkeit in den Handelsbeziehungen ..... . ....... . ...... . 33 4. Gegenseitigkeit, materielle Gleichbehandlung und iustitia commutativa .. . ....................... . ........................... 35 5. Folgerungen und Fragen . ........ . . . ........ . .. . ... . ........... 36 III. Gleichheit und Institutionen im Völkerrecht ...... . ............... 37 1. Interdependenz der Staaten und Institutionalisierung der Zusammenarbeit ............................................... , . 37 2. Formelle Gleichbehandlung ... . .... . ... . .. . . ...... . ............ 41 3. Materielle Gleichbehandlung . . ... . . . . . . . . . ... . . . . . . .. . . ... . . .. 42 4. Forderungen nach tatsächlicher Gleichheit .................... 44 5. Entwicklungsländer und internationale Institutionen ............ 47 6. Möglichkeiten und Grenzen einer Parallele ........... . ........ 48

Inhaltsverzeichnis

8

B. Der Grundsatz der Gegenseitigkeit in den Handelsbeziehungen zwischen Industrie­ und Entwicklungsländern während der ersten Jahre des GATT I. Die Havanna-Charta ............................. . ................ 51 II. Grundlagen des GATT ............................................ 53 1. Verbindlichkeit ....... . . .. . .... . .......... . .................... 53 2. Zwei Beispiele einer materiellen Gleichbehandlung

53

III. Der Grundsatz der Gegenseitigkeit im GATT ...................... 55 1. Zollverhandlungen ......... . .................. . . ........... . ... 55 2. Nicht-tarifäre Handelshemmnisse .. . .. . . ........... . ........... 57 3. Gegenseitigkeit bei Aufnahme neuer Mitglieder . . ...... . ... . .. .

59

IV. Das Prinzip der Gegenseitigkeit und die Handelspolitik der Entwicklungsländer .................................. . ......... . . ... . .. . .. 59 1. Importsubstitution ....... . ................ . .............. . . .... 59 2. Entwicklung durch Handel ... . ... . . . .. . . . ............... . . .... 60 3. Exportförderung und Gegenseitigkeit ........................ . . 61 4. Tatsächliche Gleichheit durch nicht-reziproke Handel_spräferenzen 62 V. Erste Bemühungen um Nicht-Reziprozität ............. ........... 63 1. Bilaterale Verhandlungen und Reziprozität ................... ,

63

2. Reformvorschläge ......... . ... . ....... . ........................ 65 3. Vorzugsbehandlung der Entwicklungsländer .................... 67 a) Revision des GATT .... ....... . ............................ 68 b) Die Aufnahme der Entwicklungsländer als neue Mitglieder 69 VI. Das GATT als internationale Institution ..................... ..... 70 C. Die Einführung des Prinzips der Nicht�Rezipr9zität in das Vlilkerrecht · · 1. Komitee III

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . -�- . ... .

.

.

.

.

.

73

1. Erörterungen vor der Dillon-Runde ........................•.... 73

Inhaltsverzeichnis

9

2. Erste Anerkennung durch die Vertragsparteien ................. 75 3. Ministerkonferenz im Mai 1963 ................................ 77 II. UNCTAD I ......·................................................. 78

1. Erste Bemühungen innerhalb der Vollversammlung ............ 78 2. Ergebnisse der UNCTAD I .................................... 80 III. Teil IV des GATT ............... . ........................ . ..... .

81

1. Art.XXXVI Abs.8 GATT ... . ... . ....... ....................... 82 2. Konsultationspflicht

83

3. Rechtliche Bedeutung des Art.XXXVI Abs.8 GATT ........... .

84

IV. Erste Anwendung des Prinzips der Nicht-Reziprozität .............. 86

1. Reform der Zolltarife ... ....................................... 86 2. Die Kennedy-Runde ........................................... 88 a) Materielle Reziprozität verstanden als globale Reziprozität .. 88 b) Forderung nach Verzicht der formellen Reziprozität: Anerken­ nung der Nicht-Reziprozität ................................ 90 c) Ergebnisse der Kennedy-Runde . ............ . ... . ........... 92 V. Zwischenergebnis ...... . . . . ........... . ........................... 94 D. Das Prinzip der Nicht-Reziprozität im geltenden Völkerrecht

I. Das Allgemeine System der Zollpräferenzen ................... . ... 96

1. Vorgeschichte .................................................. 96 2. Grundzüge des Präferenzsystems ............... . ... . ........ .. 98 3. Rechtliche Bedeutung ............. . ... . ............... . ........ 100 a) Keine Rechtspflicht zur Präferenzgewährung ................ 101 aa) Text der Schlußfolgerungen ............................ 101 bb) Vertrauensschutz ...................................· .... 101 b) Verhandlungspflicht?

.............. ..... . . • .... . .. . ......... 104

c) Tatsächliche Bevorzugung der Entwicklungsländer durch das Präferenzsystem der Gemeinschaft ................... . ...... aa) Wille zur langfristigen Präferenzgewährung ............ bb) Vergleich ................... . . ........ . ................. cc) Die am wenigsten entwickelten Länder ..................

105 105 106 107

d) Zollpräferenzen als unverbindliche Richtlinien im Rahmen eines „soft law" .............. : .................. ........... 108

Inhaltsverzeichnis

10

II. Tokio-Runde

109

1. Erklärung von Tokio ................ .. ........................ 110 2. Die Ergebnisse im Überblick ........ .......................... 111 3. Vorzugsbehandlung der Entwicklungsländer in den einzelnen Kodizes .......... . .... ....... . .......... . . . ... . ........... . .. . . 112 4. Abkommen und GATT . . ..... . . . ....................... . . ..... 115 5. Abkommen und Nicht-Gegenseitigkeit .... . .................... 118 a) Ermächtigungsklausel ..... . .. . . ...... . .... . ...... . ... . . . ... . 118 118 aa) Rechtsgrundlage für Präferenzbehandlung bb) Vorschlag Brasiliens zur Nicht-Reziprozität ...... . ....... 119 cc) Ergebnis der Verhandlungen ................ . ........... 120 (1) Graduierung .... . . . . . .... . . . .......... . ... . . . . ....... 122 (2) Die am wenigsten entwickelten Länder . . .. . ......... 123 (3) Bedeutung von Verhandlungen und Überprüfungen .. 124 b) Nicht-Gegenseitigkeit in den Verhandlungen zu den einzelnen Abkommen ................................................. 125 c) Nicht-Gegenseitigkeit innerhalb der einzelnen Abkommen ... 132 aa) Konsultations- und Streitbeilegungspflichten ............ 132 bb) Verhandlungen in den einzelnen Abkommen .. .......... 133 (1) Änderungen .. . . ..... . ... . . . ......................... 133 (2) Beitrittsverhandlungen und Neu-Verhandlungen .... 134 6. Erster Versuch einer rechtlichen Wertung

137

III. Vollversammlung der Vereinten Nationen ................. . ....... 140 1. Forderung nach Nicht-Reziprozität bei Zöllen und nicht-tarifären Handelshemmnissen .. ... . .... . ................... ............. 140 a) Resolution 3201 (S-VI)

140

b) Resolution 3202 (S-VI)

140

c) Resolution 3281 (XXIX)

141

d) Resolution 3362 (S-VII)

141

e) Resolution 33/199 ..... . ... . ...... . . .......... . . . . . . .......... 141 f) Resolution 35/56 ... . ....... . ............................... .. 142 2. Rechtswirkung einer Resolution der Vollversammlung .......... 143 a) Materielle Rechtsquelle ....... . ............................. 143 b) Formelle Rechtsquelle ............................. . ........ 144 c) Resolutionen als Element und Beweis eines durch formlosen Konsens begründeten Völkerrechtsprinzips .................. 147

Inhaltsverzeichnis

11

3. Die rechtliche Bedeutung der Nicht-Gegenseitigkeit in den Resolutionen ................ . ......................... . .......... 149 a) Textinterpretation ..... . ... . .... . .. . .... . . . ......... . ....... 149 b) Erklärungen der Staaten zu den Resolutionen .... . ... . ...... aa) Vor der dritten Entwicklungsdekade ................... . bb) Resolution 35/56 zur dritten Entwicklungsdekade .. . . . ... (1) USA ............... ................................. (2) EWG ................................................ (3) Andere Industrieländer .................. . ..... . .... .

151 151 152 153 154 155

c) Praxis und Estoppel? ........ ..... ...... ........... .... ..... 155 4. Weitere Bemühungen der Vollversammlung ..... . .............. 157 a) Entwurf der Völkerrechtskommission ............... . ........ 157 b) Aufforderung an den Generalsekretär ...................... 158 5. Zwischenergebnis ..................... . ............... . ....... . 160 IV. Nicht-Gegenseitigkeit in den EWG-AKP-Beziehungen ... ......... 161 1. Die EWG und die außereuropäischen Länder und Hoheitsgebiete nach den Art.131 - 136 EWGV ..................... . ............ 161 2. Die Assoziationsabkommen von Jaunde und Arusha ............ 163 a) Nicht-Gegenseitigkeit als Ausnahme ..... ................... 163 b) Die Organe der Assoziation ..... . .......... . ....... . .... . .. 165 c) Nicht-Gegenseitigkeit als Regel ...... . ...................... 167 d) Erste Anerkennung der Nicht-Gegenseitigkeit in den gesamten Handelsbeziehungen durch die Gemeinschaft ................ 168 3. Die beiden Lerne-Abkommen .... . .......... . .... . ............. 168 a) Vorgeschichte

168

b) Verzicht auf Gegenseitigkeit in einem neuen Abkommen .... 170 c) Dauer der Pflicht zur Nicht-Gegenseitigkeit ........ .. . . ...... aa) Pactum de contrahendo ... . .... . .. . .... . . ... . . .. . .. . . . . bb) Nicht-Gegenseitigkeit im neuen Abkommen ............ (1) Ziel und Mittel der Handelsförderung ................ (2) Tatsächliche Auswirkungen der Handelspolitik ...... (3) Bedeutung der Nicht-Gegenseitigkeit .......... ......

172 172 174 174 176 178

d) Organe der Lerne-Abkommen ... . ........ . ................. 179 4. Die Beziehungen zwischen der EWG und den AKP-Staaten als internationale Institution .. . . . . ..... . . . . . . . .. . . . . . .. . ... . . . . . . . 182 5. Die Bedeutung der Beziehungen als Institution . . . . . . . . . . . . . . . . 183 6. Zusammenfassung ... . ...... . . ......... . ....................... 187

12

Inhaltsverzeichnis E. Internationale Institutionen und der Verzicht auf Gegenseitigkeit als völkerrechtliche Verpflichtung

I. Gemeinsamkeiten

188

II. Unterschiede ...................................................... 190 1. Rechtliche Verbindlichkeit der Nicht-Gegenseitigkeit .......... 190 2. Unterschiede der Institutionen

192

III. Nicht-Gegenseitigkeit als völkerrechtliche Norm ..................·. 194 1. Nicht-Gegenseitigkeit in einem Völkerrecht der Zusammenarbeit 194 2. .,Unverbindliche" Normen als einzige Möglichkeit einer Anerkennung ......................................................· .... 19fi 3. Beeinflussung durch unverbindliche Normen .................... 196 4. Schaffung von Rechtserwartungen . . ...... ...... . ...... ....... 196 5. Rechtfertigungseffekt .... . ................... . ................. 197 6. Kontrollen

..................... . .............................. 198

7. Recht als Entscheidungsprozeß ....................... . ........ 199 8. Institutionen und Nicht-Gegenseitigkeit ........................ 201 F. Zusammenfassung

203

Anhang: Liste der AKP-Staaten

205

Literaturverzeichnis

207

Abkürzungsverzeichnis AASM ABL EG Abs. AFDI AJIL AKP Anm. AöR Art. ASIL Proceedings AVR AWD

Assoziierte Afrikanische Staaten und Madagaskar Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Absatz, Absätze Annuaire Fran!;ais de Droit International American Journal of International Law Afrika, Karibik und Pazifik Anmerkung(en) Archiv des öffentlichen Rechts Artikel Proceedings of the annual meetings of the American Society of International Law Archiv des Völkerrechts Außenwirtschaftsdienst des Betriebsberaters

BDGVR BGBL BISD BT-Drucks. BTN BVerfGE Bull EG

Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht Bundesgesetzblatt Basic Instruments and Documenta Bundestags-Drucksache Brussels Tariff Nomenclature Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bulletin der Europäischen Gemeinschaften

C. E.E. Clunet C.P. J. I.

Communaute economique europeenne Journal du Droit International Cour Permanente de Justice Internationale

DOV

Die Öffentliche Verwaltung

EA ECOSOC EG et al. EuGRZ EuR EWG

Europa-Archiv Economic and Social Council Europäische Gemeinschaft(en) und andere Europäische Grundrechte-Zeitschrift Europarecht Europäische Wirtschaftsgemeinschaft

GA GATT GSP GYIL GZT

General Assembly General Agreement on Tariffs and Trade Generalized System of Preferences German Yearbook of International Law Gemeinsamer Zolltarif

HILJ Hrsg., hrsg.

Harvard International Law Journal Herausgeber, herausgegeben

ICJ Reports

International Court of Justice, Reports of Judge­ ments, Advisory Opinions and Orders The International and Comparative Law Quarterly International Bank for Reconstruction and Develop­ ment International Development Association International Finance Corporation

ICLQ IBRD IDA

IFC

14

Abkürzungsverzeichnis

I GH ILC I LM

Internationaler Gerichtshof International Law Commission International Legal M aterials International Organization

JBRsoz JIR JWTL

J ahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie J ahrbuch für Internationales Recht Journal of World Trade Law

L Ed

Lawyers E dition der US Supreme Court Reports, Second Series League of Nations Treaty Series

1.

o.

LNTS Minex m. w. N.

System zur Stabilisierung der Exporterlöse von Bergbauerzeugnissen mit weiteren Nachweisen

NJW Nr.

Neue Juristische Wochenschrift Nummer(n)

OECD

Organization for Economic Cooperation and Develop­ ment

RdC

Recueil des Cours de l'Academie de droit internatio­ nal Resolution Reichsgesetzblatt Revue Generale de Droit International Public Revue du M arche Commun Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft. Samm­ lung der Rechtsprechung des Gerichtshofes, Luxem­ burg

Res. RGBL RGDIP RMC RsprEurGH

s.

Sp. Stabex

Seite, siehe Spalte System zur Stabilisierung der Exporterlöse von Grundstoffen

TDB TNC

Trade and Development Board Trade Negotiations Committee

UN UNCIO

UNTS

United United zation United Law United United ment United

v. VJ I L VN

gegen Virginia Journal of International Law Vereinte Nationen

WP

World Politics

YUN

Yearbook of the United Nations

ZaöRV

Zeitschrift für ausl ändi sches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirt­ schaftsrecht

UNCITRAL UNITAR UNCTAD

ZHR

Nations Nations Conference on International O rgani­ Nations Commission on International Trade Nations Institute for Training and Research Nations Conference on Trade and Develop­ Nations Treaty Series

Einleitung Diese Arbeit beruht auf der These, daß eine innerstaatliche oder in­ ternationale Institution, die sich um die Vertretung der Interessen aller Mitglieder der j eweiligen Gemeinschaft bemüht, ein Gleichheitsprinzip bei ihren Entscheidungen anwendet, das bestehende Ungleichheiten be­ rücksichtigt. Diese Institution kann daher die Verwirklichung einer tat­ sächlichen Gleichheit fördern. Die Entwicklung in innerstaatlichen Rechtsordnungen hat gezeigt, daß das Prinzip der Gegenseitigkeit als einziger Regulator der Rechtsbeziehungen durch Institutionen ergänzt wurde. Im Bereich der Sozialhilfe haben Institutionen das Prinzip der Gegenseitigkeit sogar ersetzt. In vielen Bereichen der Wirtschaftsbeziehungen zwischen Industrie­ und Entwicklungsländern haben die letzteren auf Grund ihrer beson­ deren B edürftigkeit Hilfen und die Einräumung von Vorzugsstellun­ gen verlangt. Die ständig steigende Flut von Resolutionen, Deklaratio­ nen oder Empfehlungen immer zahlreicher werdender internationaler Organisationen zeigt, daß die Entwicklungsländer mit ihrer zahlenmä­ ßigen Mehrheit diese Institutionen als Forum für ihre Forderungen nach Reform einer von ihnen nicht akzeptierten „alten" Weltwirt­ schaftsordnung betrachten. In diesen Institutionen werden nicht nur Forderungen nach der Ablösung eines liberalen, die tatsächlichen Ent­ wicklungsunterschiede der einzelnen Staaten nicht berücksichtigenden Weltwirtschaftssystems gestellt. Die ersten Ergebnisse der B emühun­ gen der Entwicklungsländer deuten darauf hin, daß internationale In­ stitutionen eine große B edeutung haben können für die Anp assung des Völkerrechts an die politischen Gegebenheiten, in denen es sich ent­ wickelt und die es zu regeln versucht. Fraglich ist, in welchem Ausmaß eine Parallele zwischen der Bedeutung von Institutionen im innerstaatlichen und internationalen Bereich bei der Herbeiführung einer tatsächlichen Gleichheit gezogen werden kann. Für diesen Vergleich soll die Entwicklung zu dem Prinzip der Nicht-Reziprozität im Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT) , in den Vereinten Nationen und in den besonderen B eziehun­ gen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und 63 Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifik (AKP-Staaten) näher untersucht werden.

16

Einleitung

Am 28. Februar 1975 haben im Lome-Abkommen zum ersten Mal in der Geschichte der Handelsbeziehungen zwischen Industrie- und Ent­ wicklungsländern die ersteren eine rechtliche Verpflichtung zu nicht­ reziproken Handelspräferenzen anerkannt. In diesem am 3 1 . Oktober 1979 auf weitere fünf Jahre verlängerten Abkommen haben sich die EWG und ihre Mitgliedstaaten gegenüber den AKP-Staaten verpflich­ tet, für die Beseitigung von Zöllen und mengenmäßigen Beschränkun­ gen oder Maßnahmen gleicher Wirkung keine Gegenseitigkeit zu ver­ langen. Nach Art. 188 Abs. 2 beginnen die Vertragsparteien achtzehn Monate vor Ablauf des Abkommens Verhandlungen zur Prüfung der Bestimmungen, die die zukünftigen Beziehungen regeln sollen. Nach Abs. 6 der Präambel soll die Zusammenarbeit zwischen den AKP-Staa­ ten und der Gemeinschaft auf dem Gebiet des Handels im Einklang mit ihren internationalen Verpflichtungen gewährleistet werden. Auf Grund der in internationalen Institutionen zu beobachtenden Ent­ wicklung zu nicht-reziproken Handelspräferenzen soll unter anderem festgestellt werden, ob die EWG gegenüber den AKP-Staaten bei den Verhandlungen nach Art. 188 Abs. 2 eine völkerrechtliche Verpflich­ tung zur Nicht-Reziprozität zu beachten hat. Die untersuchten Institutionen haben eine unterschiedlich konkrete völkerrechtliche Verpflichtung zu nicht-reziproken Handelspräferenzen bewirkt. Die hierfür verantwortlichen Gründe sollen in einem ab­ schließenden Vergleich festgestellt werden. Dabei wird der Versuch unternommen, eine erste Antwort auf die eingangs gestellte Frage nach der Bedeutung von internationalen Institutionen für die Ent­ wicklung zu einer tatsächlichen Gleichheit im Völkerrecht zu finden.

A. Die Bedeutun g v on Institutionen für das Prin zip der Gegenseitigkeit I. Innerstaatlicher Bereich 1. Gegenseitigkeit und „institutionelle Entlastung"

Der Gedanke der Gegenseitigkeit ist von Anfang an das Grundprin­ zip menschlichen Handelns gewesen. Bereits im Alten und Neuen Testament wurde in der lex talionis und in der Goldenen Regel der Bergpredigt auf die Bedeutung der Reziprozität hingewiesen. ,,Leben um Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß 1 ! " „Alles nun, was ihr wollt, daß euch die Menschen tun, sollt ebenso auch ihr ihnen tun; denn das ist das Gesetz und die Propheten2 ." In mehreren Studien ist die entscheidende Bedeutung der Gegensei­ tigkeit als eine Leitlinie des Rechts hervorgehoben worden. In einer grundlegenden Arbeit bezeichnet Bruno Simma die Gegenseitigkeit als „Grundlage und mächtige Triebkraft" der zwischenmenschlichen Beziehungen und damit des Wirkungsbereichs des Rechts3 • Untersuchungen des Ethnologen Richard Thurnwald haben gezeigt, daß das Prinzip der Reziprozität besonders die rechtliche Ordnung primitiver Gesellschaften bestimmt. In diesen Gesellschaften ist eine relativ geringe soziale Differenzierung im Sinne der Institutionalisie­ rung von einzelnen Funktionen in einer arbeitsteilig gegliederten Or­ ganisation zu beobachten'. Ferner zeigt sich das Fehlen einer mit Deuteronium 19, 2 1 ; s. auch Exodus 21, 24 - 25 und Leviticus 24, 18 - 20. Matthäus 7, 12. 3 Bruno Simma, Das Reziprozitätselement im Zustandekommen völker­ rechtlicher Verträge, Berlin 1972 (zitiert: Simma, Verträge), S. 15; s. auch ders., Das Reziprozitätselement in der Entstehung des Völkergewohnheits­ rechts, München, Salzburg 1970, S. 13 ff.; vgl. auch Lon L. Fuller, The Morality of Law, 2. Aufl., New Haven, London 1969, S. 17 ff. ; Otto Kimminich, Einfüh­ rung in das Völkerrecht, Pullach bei München 1975, S. 36, und mit weiteren Nachweisen Michel Virally, Le principe de reciprocite dans le droit inter­ national contemporain, in: RdC 122 (1967 III), S. 1 - 105. , So Rüdiger Schott, Die Funktionen des Rechts in primitiven Gesellschaf­ ten, in: JBRsoz. I (1970), S. 107 - 174, 1 10. 1

2

2 Westrelcher

18

A.Institutionen und das Prinzip der Gegenseitigkeit

Durchsetzungskraft versehenen zentralen Institution. Als eine Art von „sozialer Selbststeuerung" 5 gilt dauerhafte Gegenseitigkeit als Garant der Rechtsordnung primitiver Gesellschaften: „Wenn man aus allen Regelungen zwischen menschlichen Verhaltensweisen und deren Umrankung mit religiös-magischen Phantasien den innersten Kern herauszuschälen sucht, so gelangt man zur Erkenntnis, daß Reziprozität das ist, was die Wage des Rechts einspielen läßt, sei es als Vergeltung (z. B. als Blutrache oder als Spiegelstrafe), sei es als Strafe überhaupt, oder (auf wirtschaftlichem Gebiet) als Erwiderung eines Geschenkes, als angemessene Bezahlung, oder (auf dem Gebiete der persönlichen Beziehungen) als Töch­ tertausch unter Gemeinden, als Heiratsordnung unter Gruppen, als Braut­ kauf (Vergeltung durch ausgezeichnete Objekte) oder (im Obligationsrecht) in der Bezahlung von Kreditierungen, im Zinsendienst usw. . . .6." Im Laufe der Entwicklung von Recht und Gesellschaft wird die Ge­ genseitigkeit durch ein zusätzliches Prinzip ergänzt. In einer rechts­ soziologischen Untersuchung Helmut Schelskys wird es als das „Prinzip der institutionellen Entlastung" bezeichnet: ,,Die Schwäche der reziproken Sozialbeziehung auf Dauer liegt in der Va­ riabilität der Interessen der Partner; am extremsten wird dies deutlich, wenn ein Partner ausfällt und damit die ,Leistungskette' zerbricht. Die ,Zu­ satzstabilisierung' , die diese Sozialbeziehung sucht, muß sich auf dauerhaf­ tere Kräfte stützen, als sie das diese Beziehung eingehende Individuum ist. Dazu kommt, daß die Folgen dieser reziproken Sozialbeziehung, sei es wirt­ schaftlicher Austausch, sei es die Ehe, auch die an dieser Handlungsbeziehung nicht unmittelbar beteiligten anderen treffen. Beide Gesichtspunkte führen zur Einschaltung der ,anderen' , der über das Individuum hinaus ,Dauerhaf­ teren', in den Prozeß der Reziprozität, und zwar als ,garantierende' und ,sanktionierende' Kräfte. Der ,übermächtige Dritte' , die ,Institution' , wird mit zum funktionalen Träger der Rechtsbeziehung7 ." Nach einer kurzen Erörterung der Dauerhaftigkeit und der du rch die „anderen" hergestellten Öffentlichkeit als entscheidende Merk­ male der Institution fährt Schelsky fort: „Je mehr nun ,der Dritte' die Eigenschaft eines nur passiven Adressaten einer demonstrierten reziproken Bindung verliert und zum aktiven Garan­ ten und zur sanktionierenden Kraft für die Aufrechterhaltung der gegen­ seitigen Verpflichtung wird, um so mehr entlastet sich diese Sozialbeziehung 6 s. Simma, Verträge, S. 18. 6 Richard Thurnwald, Die menschliche Gesellschaft in ihren ethno-soziolo­ gischen Grundlagen, Ed. V: Werden, Wandel und Gestaltung des Rechtes im Lichte der Völkerforschung, Berlin 1934, S.5; s. auch ders., Gegenseitigkeit im Aufbau und Funktionieren der Gesellungen und deren Institutionen, in: Grundfragen menschlicher Gesellung, Ausgewählte Schriften, Berlin 1957, s. 82 ff., s. 97 ff. 7 Helmut Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunk­ tionaler Ansatz der Rechtssoziologie, in: JBRsoz.I (1970), Die Funktion des Rechts in der modernen Gesellschaft, S. 37 "- 89, S.73.

I. Innerstaatlicher Bereich

19

von der sanktionierenden Funktion der Reziprozität selbst und wird von der Macht des ,Dritten' garantiert. Dieser ,übermächtige Dritte' ist zunächst der Clan, die Familie, der Stamm, selbstverständlich auch die ,Götter', in moder­ nen Gesellschaften der Staat oder sonstige gesellschaftliche Institutionen. Die Rechtsbeziehung wird dann mehr und mehr von diesem ,Dritten' her ver­ standen und begründet: die jeweilige ,soziale Einheit', die ,Institutionen' , übernehmen nicht nur die garantierende Sanktion personhafter Sozialbezie­ hungen, sondern sie setzen und bestimmen diese Beziehungen selbst im In­ teresse des jeweiligen sozialen Ganzen8 ."

In dieser vom anthropologischen Ansatz bestimmten Darstellung Schelskys wird der Begriff Institution mit Worten umschrieben, die den Einfluß des Begründers der Theorie der Institution, Maurice Hau­ riou, erkennen lassen. In dem 1925 erschienenen Aufsatz „La Theorie de !'Institution et de la Fondation" 9 betonte Hauriou drei Merkmale der Institution, die zum Teil durch die Herkunft des Wortes erklärt werden können. ,,lnstituere" bedeutet, daß etwas eingerichtet oder ein­ gesetzt wird10 • Als wichtigstes Element jeder Institution betrachtet Hauriou die Idee des zu schaffenden Werks (l'idee de l'amvre a reali­ ser) innerhalb einer sozialen Gruppe oder zum Vorteil dieser Gruppe. Das zweite Element sieht er in einer organisierten Führungsmacht (un pouvoir de gouvernement organise), der sich die Idee des Unter­ nehmens zu ihrer Verwirklichung bedient. Das dritte Element besteht aus der Gemeinsamkeitsbekundung (la manifestation de communion) aller Mitglieder der Gruppe und ihrer Führungsorgane mit Bezug auf die Idee und ihre Verwirklichung11 • Bei den so umschriebenen Institutionen unterscheidet Hauriou zwei Typen. Jene, die zur selbständigen Person werden und solche, die, wie die Stiftungen, nicht zu einer selbständigen Person werden. Die erste Kategorie bezeichnet er als Personen-Institutionen (institutions person­ nes) oder Körperschaften wie der Staat, Vereinigungen oder Gewerk­ schaften. Bei ihnen gliedern sich die organisierte Macht und die Ge­ meinsamkeitsbekundungen der Gruppenmitglieder in die Idee vom Werk ein: nachdem diese als Objekt der verbandsmäßigen Institution fungierte, wird sie zum Subjekt der juristischen Person, die in der Körperschaft entsteht. Die zweite Kategorie der Institutionen bezeichs Ebd., S. 74 f. D In: Cahiers de la Nouvelle Journee, 1925, Nr.4, S. 1 - 45. Deutsche Über­ setzung von Hans und Jutta Jecht, Maurice Hauriou, Die Theorie der In­ stitution und zwei andere Aufsätze, Berlin 1965. Zum ersten Mal entwickelte Hauriou seine Theorie in der sechsten Auflage seines „Precis de Droit Ad­ ministratif" , Paris 1908, und in der ersten Auflage seiner „Principes de Droit Public" , Paris 1908. 10 Karl Ernst Georges, Heinrich Georges, Lateinisch-Deutsches Handwör­ terbuch, 11. Aufl., Basel 1962, Sp.327 ff. 11 s. Maurice Hauriou, deutsche Übersetzung, S. 34, S. 36 ff.

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A.Institutionen und das Prinzip der Gegenseitigkeit

net Hauriou als Sach-Institutionen (institutions-choses). Diese sind zwar im sozialen Milieu vorhanden, aber weder das Element der orga­ nisierten Macht noch das der Gemeinsamkeitsbekundungen sind in die Idee vom Werk einbezogen. So ist eine Rechtsnorm insofern eine In­ stitution, als sie in ihrem Wesen als Idee im sozialen Milieu existiert. Sie bringt aber äußerlich keine eigene Körperschaft hervor, sie ver­ fügt nur über die Macht des sozialen Ganzen, etwa des Staates, und zieht Nutzen aus den Gemeinsamkeitsbekundungen, die sich in diesem vollziehen12. Ein weiteres Merkmal sieht Hauriou in der Dauer der Institution, die er der Verbindung der drei Elemente des Gründungsvorgangs: der Leitidee, der Macht und den übereinstimmenden Bekundungen von Gemeinsamkeit zuschreibt13 . Ferner erkennt er, daß die Institutionen miteinander verbunden sind oder einige in andere integriert sein kön­ nen. Daher befinden sich viele Institutionen innerhalb der Institution „Staat", wie die drei Gewalten der Legislative, der Judikative und der Exekutive14 • Zwar traf diese Theorie Haurious in einigen Punkten auf Wider­ spruch15. Neben der Kritik an der Definition der „institutions choses" vertreten die auf Hauriou aufbauenden Theorien Santi Romanos und George Renards einen allgemeineren Begriff der Institution. Danach lassen alle dauerhaften Ideen, für deren Verwirklichung die Menschen ihre Tätigkeit organisieren, Institutionen entstehen. Eine Beschrän­ kung der Institution auf nur eine Art sozialer Organisation, solche, die einen gewissen Grad der Entwicklung und Vollkommenheit er­ reicht hat, erscheint ihnen nicht gerechtfertigt16 • Die Definition des Begriffs der „institutions personnes" wurde jedoch in ihren wesentlichen Aussagen bestätigt. So betrachten auch Romano und Renard diejenigen Einheiten als Institutionen, die auf Dauer ange­ legt sind, in andere integriert sein können und deren Mitglieder in der Verfolgung einer gemeinsamen Idee geeint sind1 7 . Trotz der unter­ schiedlichen Auffassungen stimmen daher alle hier genannten Autoren 1� Ebd., S.34 f. rn Ebd., S.64. 14 Ebd., S.41. 15 Der Begriff „institutions choses" wurde als „geheimnisvolle Formulie­ rung" von Julius Stone kritisiert, s. ,.Die Abhängigkeit des Rechts: Die In­ stitutionenlehre" , in: Institution und Recht, hrsg. von Roman Schnur, Darm­ stadt 1968, S.312 - 369, 317. Von Santi Romano wurde dieser Begriff abge­ lehnt, vgl. ,.Die Rechtsordnung" , übersetzt aus dem Italienischen von Werner Daum, Berlin 1975, S.36. 1 6 So Santi Romano, S.36; s. auch Georges Renard, La Theorie de !'Institu­ tion, Paris 1930, S.231. 11 Vgl. Romano, S. 38 f. und Renard, S.259 ; s. auch Stone, S.319 ff.

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zumindest darin überein, daß die von Hauriou als „institutions person­ nes" bezeichneten Einrichtungen als Institutionen gelten. Für die fol­ genden Ausführungen kann daher diese Definition zugrunde gelegt werden: Eine Institution ist eine auf Dauer angelegte Einheit, die in andere integriert sein kann. Diese Einheit besteht aus 1. der Idee des in einer sozialen Gruppe zu schaffenden Werks, 2. der für die Verwirklichung dieser Idee zur Verfügung stehenden Macht und 3. den Gemeinsamkeitsbekundungen, die innerhalb der sozialen Grup­ pe mit Bezug auf die Idee und ihre Verwirklichung erfolgen. Die hier nur kurz dargestellten Ergebnisse ethnologischer und so­ ziologischer Untersuchungen zeigten, daß das für die Steuerung der innerstaatlichen Rechtsordnung ehemals einzige Prinzip der Gegen­ seitigkeit durch Institutionen ergänzt wurde. Zunächst folgt daraus nur die Schaffung zentraler Organe, die vor allem bei strafrechtlichen Delikten an Stelle des Verletzten in die Freiheitssphäre des Rechts­ brechers eindringen 18 . Langsam zeigt sich j edoch, daß Institutionen auch in anderen Bereichen an Einfluß gewinnen. Bei Auslassung von Einzelheiten der zunehmenden Instituierung von Herrschaftsposi­ tionen19 soll im folgenden auf die Bedeutung des Staates und der in ihm enthaltenen Institutionen der Legislative, Exekutive und Judika­ tive näher eingegangen werden. Unter Beschränkung auf den Ein­ fluß im wirtschaftlichen und sozialen Bereich erfolgt eine kurze Dar­ stellung der Funktion des Staates bei der Entwicklung zur heutigen Industriegesellschaft. 2. Staat und wirtschaftliche Entwicklung

Mit Entstehung der souveränen Fürstengewa l t zeigt sich, daß diese Vorform des modernen Staates der Industriegesellschaft eine Beteili­ gung an der wirtschaftlichen Entwicklung anstrebt. Neben dem Auf­ bau einer eigenen zentralisierten Verwaltung wird eine Politik der wirtschaftlichen Autarkie und des Merkantilismus (Wege-, Kanalbau, Förderung von Manufakturen u. a.) betrieben. Die hier deutlich wer1 s Vgl. F. A. von der Heydte, Ein Beitrag zum Problem der Macht im „klas­ sischen" und im „neuen" Völkerrecht, in: Festschrift für Hans Wehberg zu seinem 70. Geburtstag, Frankfurt 1956, S. 172 - 199, 187 f. 111 Vgl. dazu die zusammenfassende Darstellung von Martin Drath, Staat, Erster Teil, in: Evangelisches Staatslexikon, 2.Aufl., Stuttgart, Berlin 1975, Sp. 2432 ff.

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A. Institutionen und das Prinzip der Gegenseitigkeit

dende Entwicklung zu einer Beteiligung des Staates am Wirtschafts� leben setzt sich im 19. J ahrhundert unter anderen Vorzeichen fort. Jetzt steht weniger die aktive Teilnahme als die Regulatorfunktion des Staates im Vordergrund. Entgegen der Auffassung, daß in England, Nordamerika und den führenden Staaten des europäischen Kontinents im 19. Jahrhundert die Regierung als „Nachtwächter" die wirtschaft­ liche Entwicklung sich selbst überlassen habe, sind zahlreiche Formen staatlicher Aktivität zu Beginn der Industrialisierung zu beobachten20 • So übten die Regierungen der einzelnen Staaten im Deutschland der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im wesentlichen vier Funktionen gegenüber der wirtschaftlichen Tätigkeit aus: 1. Der Staat als Gesetzgeber a) Die Reform der Gewerbe- und Handelsgesetze b) Der Beginn einer Patentgesetzgebung 2. Der Staat als Administrator a) Finanzpolitik, besonders Steuer- und Zollpolitik b) Allgemeine Wirtschaftspolitik, insbesondere Gewerbeförderung und gewerbliches und technisches Schulwesen c) Der Ausbau der Infrastruktur (Straßen, Kanäle, Brücken, Eisen­ bahn) 3. Der Staat als Unternehmer a) Land- und forstwirtschaftliches Eigentum b) Bergwerks- und Industrieeigentum c) Staatliche B anken und Versicherungsgesellschaften 4. Der Staat als Konsument und Investor . a) Bedarf von Hof und Verwaltung b) Militärbedarf c) Bedarf für die Entwicklung der Infrastruktur2 1 • Diese Aufzählung zeigt, daß bedeutende Bereiche der Wirtschaft nicht der alleinigen Privatinitiative überlassen wurden. Selbst bei dem zumeist von privaten Gesellschaften durchgeführten Eisenbahnbau setzten die deutschen Staaten Auflagen im Allgemeininteresse. Die große Bedeutung der ordnend und fördernd eingreifenden Staatstätig­ keit z. B. im Straßen-, Kanal- oder Eisenbahnbau seit dem 18. Jahr­ hundert zeigt sich heute bei den Problemen der Entwicklung einer Infrastruktur bei den Entwicklungsländernl?l! . Wirtschaftliche Unver2 0 s. Wolfram Fischer, Wirtschaft und Gesellschaft im Zeitalter der In­ dustrialisierung, Göttingen 1972, S. 60, S. 65. 21 So Fischer, S. 65 f.

21! Ebd., S. 68.

1. Innerstaatlicher Bereich

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nunft von Produzenten und Konsumenten, natürliche Katastrophen oder politische Krisen und Konflikte erfordern staatliche Interven­ tionen zum Ausgleich dieser Störungsfaktoren23 • Nicht nur in Deutsch­ land, sondern auch in anderen europäischen Ländern und in den Ver­ einigten Staaten wurde erkannt, daß eine unbeschränkte Unterneh­ mensfreiheit Monopole, Oligopole und Kartelle entstehen ließ. Zur Vermeidung dieser für das Wohl des Ganzen abträglichen Folgen wurden staatliche Maßnahmen einer administrativen Wirtschaftslen­ kung ergriffen, wie z. B. im Jahre 1923 der Erlaß einer Kartell-Ver­ ordnung im Deutschen Reich24 • Die hier unter Beschränkung auf das westliche Europa und Nord­ amerika nur angedeutete Entwicklung zu einer Intervention des Staa­ tes läßt die zwei wichtigsten Varianten des staatlichen Eingriffs in das Wirtschaftsgeschehen und das ihnen zugrundeliegende Motiv erkennen. Einmal besteht dieser Eingriff aus einer eigenen wirtschaftlichen Tätig­ keit, sei es bei dem Ausbau einer Infrastruktur, sei es zur Erzielung von Einkünften. Die zunehmende Beteiligung des Staates im erstge­ nannten Bereich, bei der Versorgung mit Gas, Wasser, elektrischer Ener­ gie, Verkehrsmitteln usw. umschrieb Forsthaff mit dem Begriff der „Daseinsvorsorge"2s. Die zweite Variante der staatlichen Tätigkeit zeigt sich in der Regulatorfunktion zur Ordnung, Förderung und Lenkung des Wirtschaftsgeschehens26 • Gemeinsam ist beiden Formen staatlicher Tätigkeit das Ziel der Förderung gemeinschaftswichtiger Interessen oder des „Gemeinwohls"27 • Die aufgezeigte Entwicklung zur Versorgungs- und Regulatorfunk­ tion des Staates beruhte auf der Notwendigkeit zur Eindämmung der dem Gesamtinteresse widerstrebenden Partikularinteressen. Bei der Untersuchung weiterer Folgen der zunehmenden Bedeutung privater Wirtschaftstätigkeit im Verlauf der Industrialisierung zeigt sich eine weitere Funktion des Staates. Die an der wirtschaftlichen Entwicklung entscheidend beteiligten Bevölkerungsschichten fordern entweder von den bestehenden oder mit Hilfe neuer Institutionen auch politische 2:1 Vgl. Ernst Rudolf Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht (im folgenden zi­ tiert: Wirtschaftsverwaltungsrecht), zweiter Band, 2. Auflage, Tübingen 1954, S. 204. 2 , Vgl. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Erster Band, Tübingen 1953, S. 204 f.; zur amerikanischen Kartellgesetzgebung siehe auch Christian Kirch­ ner, ,,ökonomische Analyse des Rechts" und Recht der Wettbewerbsbeschrän­ kungen (antitrust law and economics), in: ZHR 144 (1980), S. 563 - 588, 567 ff. 2s Ernst Forsthaff, Die Verwaltung als Leistungsträger, Stuttgart, Berlin 1938, s. 4 ff. 26 s. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Band IV, Struktur und Krisen des Kaiserreichs, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1969, S. 987 und ders., Wirtschaftsverwaltungsrecht, Zweiter Band, S. 197 ff. 21 Vgl. BVerfGE 18, 315, 327 (Milch-Marktordnung).

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A. Institutionen und das Prinzip der Gegenseitigkeit

Freiheitsrechte, vor allem die Anerkennung des Prinzips der Gleich­ heit.

3. Staat und Gleichheitsgrundsatz Um eine der wirtschaftlichen Bedeutung entsprechende politische Einflußnahme zu erreichen, forderte Ende des 18. J ahrhunderts der dritte Stand (Kaufleute, Gewerbetreibende, Arbeiter und Bauern) eine Beseitigung der Privilegien des Adels und des Klerus. Ursprünglich hatte die Forderung nach Gleichheit daher nur das auf natürliches Menschenrecht gegründete Ziel einer Ständegleichheit. Art. 1 der „Declaration des Droits de l 'Homme et du Citoyen" vom 26. 8. 1 789 hatte gelautet: ,, Les hommes naissent et demeurent libres et egaux en droits. Les distinctions sociales ne peuvent etre fondees que sur l 'utilite commune." In Art. 4 der Menschenrechtserklärung tritt das nur auf Gleichheit der Stände gerichtete Ziel noch stärker hervor. Das hier ent­ haltene Prinzip der Gegenseitigkeit soll nur einer Abgrenzung recht­ licher Freiheit dienen: ,,La liberte consiste a faire tout ce qui ne nuit pas a autrui; ainsi, l'exercice d es droits naturels de chaque homme n'a de bornes que celles qui assurent aux autres membres de la societe la j ouissance de ces memes droits." Eine Differenzierung politischer Rechte innerhalb der Stände wird durch Art. 4 nicht ausgeschlossen28 • Die weitere Entwicklung der Kon­ kretisierung des Gleichheitsgrundsatzes zeigt, daß ihm „eine gewisse Dynamik"29 , eine „Tendenz, sich selbst zu radikalisieren"�0 , innewohnt. Zuerst soll mit den Bemühungen um die Beseitigung der unter­ schiedlichen Rechtsstellung der Geschlechter und der Differenzierungen der politischen Rechte eine formelle Rechtsgleichheit verwirklicht wer­ den. Während des Übergangs zur parlamentarischen Demokratie - in D eutschland um die Wende zum 20. J ahrhundert - wird die Generali­ sierung des Gleichheitssatzes durch die Einführung eines für alle Be­ völkerungsschichten gleichen Wahlrechts erreicht. Die Gegenseitigkeit im innerstaatlichen Bereich ist somit im Rahmen der formellen Gleich­ heit zu sehen. In Art. 4 der Menschenrechtserkl ärung von 1 789 dient die Gegenseitigkeit zur Abgrenzung der Freiheit. In den privatrecht28 Vgl. Hans Peter Ipsen, Gleichheit, in: Die Grundrechte, Handbuch der Theorie und Praxis der Grundrechte, herausgegeben von Franz L. Neumann, Hans Carl Nipperdey, Ulrich Scheuner, zweiter Band, Berlin 1954, S . 111 bis 198, 115 f.; Konrad Hesse, Der Gleichheitsgrundsatz im Staatsrecht, in: AöR 77 (1951/1952) , S. 167 - 224, 171; s. auch die ausführliche Darstellung der Geschichte des Gleichheitsgrundsatzes von Gerhard Leibholz, Die Gleich­ heit vor dem Gesetz, 2. Auflage, München und Berlin 1959, S. 14 f. 29 So Leibholt:, S. 25. ao Hesse, Gleichheitsgrundsatz, S. 172.

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liehen Beziehungen herrscht weiterhin der die tatsächlichen Unter­ schiede nicht berücksichtigende Grundsatz des „do ut des" vor. Aus der Festschreibung eines allgemeinen, freien und gleichen Wahl­ rechts in der Verfassung des Deutschen Reiches von 1 87 1 und dem Kampf um die Abschaffung des Drei-Klassen-Wahlrechts im Abgeord­ netenhaus des preußischen Landtags ist der S chluß zu ziehen, daß die politische Gleichheit früher benachteiligter Gruppen mit Hilfe staat­ licher Institutionen realisiert werden soll. Die für die zukünftige Ent­ wicklung wichtigste Folge der Verwirklichung einer politischen Gleich­ heit ist j edoch darin zu sehen, daß diese Institutionen von diesem Zeit­ punkt an um die Vertretung der Interessen aller Bevölkerungsschich­ ten bemüht sein müssen. Diese zwangsläufige Folge der Einführung eines allgemeinen und gleichen Wahlrechts bedeutet, daß die durch den formellen Gleichheitssatz nicht berücksichtigten tatsächlichen Unter­ schiede in den staatlichen Institutionen erörtert werden. 4. Staat und tatsächliche Gleichheit Im Zeitalter der neuen bürgerlichen Ordnung des vorigen J ahrhun­ derts haben sich scharfe soziale Gegensätze zwischen zwei B evölke­ rungsgruppen gebildet. Unter dem Gesichtspunkt des Besitzes sollen diese Gegensätze für die weitere Entwicklung des Gleichheitssatzes entscheidende B edeutung erlangen. Nach Verwirklichung der formel­ len Rechtsgleichheit hat j eder Staatsbürger die gleichen Rechte und Pflichten, ungeachtet der tatsächlich bestehenden Besitzunterschiede. Die mit der Industrialisierung verbundene p rivate Wirtschaftstätig­ keit, die bereits an der Verwirklichung eines formellen Gleichheitssatzes beteiligt war, verstärkte diese Unterschiede. Zynisch verweist Anatole France auf die B edeutung des Gleichheitssatzes bei dieser Entwick� lung: ,,Ils y doivent travailler devant la maj estueuse egalite des lois, qui interdit au riche comme au pauvre de coucher sous les ponts, de mendier dans les rues et de voler du pain. C 'est un des bienfaits de la Revolution3 1. " Da d i e Gruppen d e r B esitzenden und Nichtbesitzenden formal die gleichen rechtlichen Bedingungen beachten müssen, hebt eine schema­ tisch-formale Gleichheit die faktische Ungleichheit nicht nur nicht auf, sondern führt auf Grund der unterschiedlichen sozialen Voraussetzun­ gen notwendig zu ihr hin32 • Ein materiell-sachlicher oder tatsächlicher Gleichheitssatz soll durch einen Ausgleich zwischen den Gruppen mate­ riale Gerechtigkeit herbeiführen33 • Wie bei der Herbeiführung einer 31 Anatole France, Le Lys Rouge, Paris 1923, S. 80. 32 Vgl. Hesse, Gleichheitsgrundsatz, S. 180.

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A. Institutionen und das Prinzip der Gegenseitigkeit

formalen Gleichheit soll für die Realisierung auch dieses Zieles der Staat als Garant dienen. Mit seinen Institutionen, durch legislative und exekutivische Aktion sollen die als ungerecht empfundenen ungleichen sozialen Voraussetzungen beseitigt werden. Legislative und Exekutive reagieren auf diese Forderungen durch Erlaß und Kontrolle öffentlich­ rechtlicher Normen zur Festigung des sozialen Gefüges und damit zur Sicherung der Existenz des Staates34 • Im Laufe der Entwicklung zum Sozialstaat gewährleisten Gesetzgebung und ausführende Gewalt schließlich den Grundbestand der zum sozialen Rechtsstaat gehörenden Einrichtungen. Zwei Formen der Verwirklichung tatsächlicher Gleichheit durch staatliche Sozialmaßnahmen sind zu unterscheiden. Einmal bemüht sich die staatliche Sozialpolitik um die Behebung von Notfällen und Not­ lagen. Dazu zählen Sozialhilfe- und Sozialversicherungsrecht. Die zweite Variante besteht aus Maßnahmen zur Förderung einer sozialen Um­ verteilung. Durch gewährende Staatstätigkeit soll die Beteiligung ein­ kommensschwächerer Bevölkerungsschichten an der durch die Indu­ strialisierung verursachten allgemeinen Wohlstandsentwicklung er­ reicht werden35 • Zu diesen Maßnahmen gehören die Gewährung von Bausparprämien oder die Zahlung einer Ausbildungsförderung (BA­ FöG). Die Aufgaben des Staates sind daher auch in Planung, Lenkung und Leistung bei der Wahrung der Pflichten eines sozialen Rechts­ staates, als Institution für die Beseitigung von Notlagen und der För­ derung einer Umverteilung zu sehen. Erlaß und Ausführung öffent­ lich-rechtlicher Normen, die z. B. Bindungen des Eigentums, Abgabe­ und Leistungspflichten der einzelnen gegenüber dem Staat statuieren, ermöglichen diesem die Erfüllung der erwähnten Sozialaufgaben36 • Von entscheidender Bedeutung für die Verwirklichung einer tat­ sächlichen Gleichheit ist die Festlegung von Merkmalen, die eine Be­ steuerung nach Maßgabe des Einkommens oder eine Unterstützung nach Maßgabe der Bedürftigkeit ermöglichen. Diese Problematik eines tatsächlichen Gleichheitssatzes wurde bereits in der Nikomachischen Ethik des Aristoteles erkannt. Darin unterscheidet Aristoteles in Buch V über Gerechtigkeit zwischen „ausgleichender" und „austeilender" Gerechtigkeit. Als ausgleichende Gerechtigkeit (iustitia commutativa) bezeichnet Aristoteles die absolute Gleichheit zwischen Gütern, z. B. 33 s. lpsen, S. 116. 34 s. Hesse, Gleichheitsgrundsatz, S. 208; Ipsen, S. 175. 35 Vgl. BVerfGE 12, 354, 367 f. (VW-Aktien). 36 Vgl. Ernst Rudolf Huber, Rechtsstaat und Sozialstaat in der modernen Industriegesellschaft, in: ders., Nationalstaat und Verfassungsstaat, Stuttgart 1965, S. 249 - 272, 263; s. auc;h Konrad He11se, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 12. Auflage, Heidelberg, Karlsruhe 1980, S. 86 f.

I. Innerstaatlicher Bereich

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zwischen Arbeit und Lohn, zwischen Schaden und Ersatz. Die absolute Gleichheit besteht zwischen zwei gleichberechtigten Personen, sie kann mit einem heutigen Begriff als die Gerechtigkeit des Privatrechts be­ zeichnet werden37 • Die austeilende Gerechtigkeit (iustitia distributiva) besteht dagegen in einem Verhältnis der Über- und Unterordnung. Danach ist nur eine verhältnismäßige Gleichheit in der Behandlung verschiedener Per­ sonen herzustellen, indem durch öffentlich-rechtliche Normen Unter­ stützung oder Belastung nach einem bestimmten Maßstab verteilt wird. Das dabei entstehende Problem der Festlegung des für die Verteilung bestimmenden Gesichtspunktes erläutert Aristoteles mit dem Hinweis auf die Würdigkeit: „Das Prinzip der Gleichheit gilt aber als eines und dasselbe sowohl für die Personen als für die Sachen. Wie sich jene, die Sachen, zueinander ver­ halten, an denen die Gleichheit stattfindet, so verhalten sich auch die Per­ sonen. Sind diese nicht gleich, so erhalten sie auch nicht das Gleiche; son­ dern Streit und Anschuldigungen entspringen eben daraus, wenn entweder solche, die gleich sind, nicht Gleiches, oder solche, die nicht gleich sind, Gleiches erlangen und genießen. Dies wird ferner auch verständlich nach dem Prinzip der Angemessenheit an die Würdigkeit der Person. Denn darüber herrscht allgemeine Übereinstimmung, daß bei der Verteilung die Würdigkeit den Maßstab bilden müsse; nur daß unter der Würdigkeit nicht alle dasselbe verstehen, sondern die demokratisch Gesinnten die bloße persönliche Freiheit, die oligarchisch Gesinnten den Reichtum, manche auch die edle Geburt, die aristokratisch Gesinnten dagegen den Adel des Charak­ ters zum Maßstab nehmen38," Wie oben angedeutet, folgte aus dem wachsenden Einfluß des Staates im wirtschaftlichen und sozialen Bereich, daß Aufstellung , Kontrolle und Durchsetzung von Differenzierungsmerkmalen wie Einkommens­ höhe oder Maß der B edürftigkeit staatlichen Institutionen obliegt. Die Konkretisierung der Aufgaben einer sozialen Hilfe und Umverteilung durch den Staat läßt die dem Gleichheitssatz innewohnende Tendenz zu fortschreitender Angleichung erkennen39 • Als Beispiel für diese Ent­ wicklung sollen die Bemühungen in den Vereinigten Staaten um eine Verbesserung der Lebensbedingungen der rassischen Minderheiten dienen. In den Vereinigten Staaten wird als eine der wichtigsten Aufgaben staatlicher Sozialpolitik die Beseitigung der Folgen einer lange herr­ schenden Rassendiskriminierung angesehen. Ein dadurch verursachtes Bildungsdefizit führt zu einer schlechteren Qualität medizinischer Ver37 s. Aristoteles, Nikomachische Ethik, in der Übersetzung von Adolf Las­ san, Jena 1909, Buch V, Kap. 7 , S. 102 ff. 38 Ebd., S. 100 f. 30 Vgl. A. I. 3.

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A. Institutionen und das Prinzip der Gegenseitigkeit

sorgung der schwarzen Bevölkerung: Geringere Lebenserwartung, hö­ here Kindersterblichkeit und eine höhere Sterblichkeitsrate für fast j ede Krankheit sind die Folge40 • In einem neueren Verfahren hatte der Supreme Court der Vereinigten Staaten über die Verfassungsmäßig­ keit von Maßnahmen zur Beseitigung der Diskriminierungsfolgen zu entscheiden. Im bekannten „Bakke Case" war die Anwendung des Gleichheitssatzes anhand des Differenzierungsmerkmales „Rasse" durch eine Universitätsverwaltung umstritten. In einem universitären Zu­ lassungsverfahren zum Medizinstudium wurden im Rahmen einer be­ stimmten Quote farbige Studienbewerber gegenüber weißen bevor­ zugt. Die „Equal Protection Clause" des 14. Amendment der amerikani­ schen Verfassung wurde daher nicht im Sinne eines rassenneutralen Gleichheitssatzes für jede Person angewandt. Vielmehr sollte zur Be­ seitigung der Folgen vergangener Rassendiskriminierung ein aktives Förderprogramm ( ,,affirmative actions") eine rassische Benachteiligung Weißer durch Bevorzugung Farbiger verwirklichen. Zwar fand diese ,,umgekehrte Rassendiskriminierung" (reverse discrimination) im Ein­ zelfall des „Bakke Case" mit einer sehr knappen 5 : 4-Entscheidung nicht die Zustimmung des Supreme Court. Gleichzeitig bej ahte aber eine andere 5 : 4-Mehrheit die Berücksichtigung der Rasse der Bewer­ ber bei Zulassungsentscheidungen im Grundsatz als rechtmäßig4 1 . Die hier als verfassungsmäßig erklärte aktive Förderung von Maß­ nahmen zur Bevorzugung von Minderheiten bestätigte der Supreme Court in dem Fall „Fullilove et al. v. Klutznick, Secretary of Commerce of the United States, et al." . Darin wurde eine Vorschrift des Public Works Employment Act von 1977 als verfassungsgemäß erklärt. Nach Sektion 103 (f) (2) dieses Bundesgesetzes waren mindestens 10 0/o der für lokale Bauvorhaben zu vergebenden Bundeszuschüsse von den betref­ fenden staatlichen oder lokalen Zuschußempfängern für die Besorgung von Dienstleistungen oder Materiallieferungen bei Firmen in der Hand von Angehörigen rassiischer Minderheiten zu verwenden. Wiederum erklärte der Supreme Court, diesmal mit einer Mehrheit von 6 : 4 Stim­ men, daß eine umgekehrte Diskriminierung mittels staatlicher Förder­ maßnahmen dem Gleichheitssatz entspreche42 • Die Bevorzugung von 40 Vgl. M. Seham, Blacks and American Medical Care, University of Min­ nesota Press, 1973, S. 9 ff. 4 1 „Regents of the University of California v. Alban Bakke" , Entscheidung des U.S. Supreme Court vom 28. Juni 1978, 98 S. Ct. 2733, in: U.S. Supreme Court Reports, 57 L Ed. 2d, S. 750 - 853 , S. 75 1 ; s. auch Ulrich Beyerlin, ,,Um­ gekehrte Rassendiskriminierung" und Gleichbehandlungsgebot in der ameri­ kanischen Verfassungsrechtsprechung. Zum Bakke-Urteil des U.S. Supreme Court vom 28. Juni 1978, in: ZaöRV 39 . (1979), S. 496 - 554, 548 ff. ; Wolfgang Hauser, Rassengleichheit oder Chancengleichheit?, in: EuGRZ 5 (1978), S. 542 bis 548, S. 545 ff. 4.2 Einschlägig war hier die Due Process Clause des 5. Amendment. Da

II. Gegenseitigkeit im Völkerrecht

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Minderheiten-Firmen bei der Gewährung von Bundeszuschüssen für lokale B auvorhaben sei daher verfassungsgemäß43 • 5. Folgerungen

Die Beispiele aus dem innerstaatlichen B ereich zeigten, daß staat­ liche Institutionen nicht nur an wirtschafts-, sondern auch an sozialpo­ litischem Einfluß gewonnen haben. Zunehmende private Wirtschafts­ tätigkeit im Verlauf der Industrialisierung verpflichtete staatliche In­ stitutionen, wenn sie die Interessen der gesamten Bevölkerung - auch unter dem Gesichtspunkt der Sicherung ihrer eigenen Existenz - ver­ treten wollten, zur Formulierung und Durchsetzung von Normen, die nicht nur der Abhilfe von Notlagen, sondern auch der Realisierung einer sozialen Umverteilung dienten. Von den oben erwähnten drei Elementen der Institution veränderte sich daher nur das erste. Aus der Entwicklung des Gleichheitssatzes folgte, daß sich die Idee des zu schaffenden Werkes von einer formellen zu einer tatsächlichen Gleich­ heit wandelte. Diese Idee fand für ihre Verwirklichung in den bestehen­ den Institutionen Durchsetzungsmöglichkeiten und, wie z.B. in den D ebatten der Parlamente, im Sinne der lnstitutionstheorie Haurious „Gemeinsamkeitsbekundungen" . Der S taat und seine Institutionen haben dazu beigetragen, daß in der innerstaatlichen Rechtsordnung das Prinzip der Gegenseitigkeit nicht mehr alleine die rechtlichen Be­ ziehungen bestimmt. Als Mittel für die Durchsetzung von Ideen wer­ den diese Institutionen im Verlauf des Demokratisierungsprozesses zu Adressaten der Forderungen nach einer größeren sozialen Gerech­ tigkeit. Schließlich realisieren sie ein Prinzip der tatsächlichen Gleich­ heit, das sogar die Benachteiligung früher privilegierter Gruppen ein­ schließen kann.

II. Gegenseitigkeit im Völkerrecht 1. Die Bedeutung der Gegenseitigkeit im Völkerrecht

Ethnologische und rechtshistorische Untersuchungen verweisen auf weitgehende Ähnlichkeiten zwischen der rechtlichen Ordnung der heu­ tigen Staatengesellschaft und der sozialen und rechtlichen Ordnung primitiver Gruppen oder Völker. Nach dem Ethnologen Adamson Hoebel ist das Völkerrecht nur „primitive law on a world Scale" 44 • Nediese Klausel aber dem Gleichheitssatz des 14. Amendment in allen wesent­ lichen Punkten entspricht, ist ein Vergleich der beiden erwähnten Urteile zulässig. Vgl. Ulrich Beyerlin, Anmerkung zum Fall Fullilove v. Klutznick, in: EuGRZ 7 (1980) , S. 606 - 608, S. 607 mit weiteren Nachweisen. 43 Fullilove et al. v. Klutznick, Secretary of Commerce of the United States, et al., Entscheidung vom 2. Juli 1980.

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A. Institutionen und das Prinzip der Gegenseitigkeit

ben den Erkenntnissen des Politologen Roger Masters über die Ge­ meinsamkeiten des politischen Lebens primitiver Gesellschaften und den internationalen Beziehungen46 ist besonders die vergleichende Stu­ die zwischen primitivem Recht und Völkerrecht von Michael Barkun zu nennen. Indem er primitive Gesellschaften ein „segmentary lineage system" nennt, weist er darauf hin, daß „the entire character of inter­ national law tacitly recognizes the multicentricity of international re­ lations, just as primitive law takes due account of the power fragmen­ tation that segmentary lineage expresses"�. Die Ähnlichkeit zwischen primitivem Recht und Völkerrecht deutet darauf hin, daß das Prinzip der Reziprozität auch im Völkerrecht eine entscheidende Rolle spielt. Neben der bereits erwähnten Habilitations­ schrift Simmas47 haben viele andere Autoren auf die Reziprozität als das grundlegende Prinzip des Völkerrechts im allgemeinen und des Wirtschaftsvölkerrechts im besonderen hingewiesen. In einer Unter­ suchung Schwarzenbergers zum Wirtschaftsvölkerrecht heißt es: ,.The Law of Reciprocity is the type of law which forms the working principle behind the bulk of the rule of International Economic Law in unorga­ nized international society and international society on the confederate level. lt is reliance on this mutual give and take in a nexus of sub­ stantive reciprocity - so congenial to homo juridicus in most legal relations - which assures to International Economic Law its excep­ tional degree of durability, elasticity and observance 48 .'' Trotz der großen Bedeutung der Reziprozität im Völkerrecht zeigt ein Studium der einschlägigen Literatur und Praxis - vor allem der Handelsverhandlungen -, daß eine Definition dieses B egriffes im Sin-

44 Adamson Hoebel, The Law of Primitive Man. A Study in Comparative Legal Dynamics, Cambridge, Mass. 1954, S.331 ; s. auch die weiteren Hin­ weise bei Simma, Verträge, S. 20, Fußnote 17. 45 Nach Masters gibt es vier gemeinsame Elemente: das Fehlen zentraler Organe für Rechtsprechung und Vollstreckung; die Anwendung von Gewalt im Rahmen der Selbsthilfe; das Fehlen eines zentralen Gesetzgebungsorgans - daher müßten in beiden Ordnungen rechtliche und moralische Verpflich­ tungen von Gewohnheit oder von „explicit, particular bargaining relation­ ships" abgeleitet werden; schließlich das Bestehen politischer Einheiten, die viele Aufgaben in dem gesamten Sozial-System übernehmen; Roger D. Masters, World Politics as a Primitive Political System, in: WP 16 (1963), s. 595 - 619, 597. 46 Michael Barkun, Law without Sanctions, Order in Primitive Societies and the World Community, New Haven, London 1968, S. 34; s. auch die weiteren Hinweise bei Simma, Verträge, S. 20, Fußnote 18. 47 s. Fußnote 3. 48 Georg Schwarzenberger, The Principles and Standards of International Economic Law, in: RdC 1 17 (1966 I), S.5 - 98, 26 ; s. auch Michel Virally, reciprocite, S. 99 und die weiteren Hinweise auf S. 102 f.; Roy Preiswerk, La reciprocite dans les negociations entre pays a systemes sociaux ou a niveaux economiques differents, in: Clunet 94 (1967), S. 5 - 40, S. 7 ff.

II. Gegenseitigkeit im Völkerrecht

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ne eines genauen, anhand von exakten Tatbeständen abgrenzbaren Rechtssatzes nicht gegeben werden kann. 2. Versuch einer Beschreibung

Der Versuch einer Bestimmung des im Völkerrecht so oft gebrauch­ ten Begriffes der Gegenseitigkeit oder Reziprozität49 stößt als erste Voraussetzung auf die Existenz von zwei oder mehreren Handelnden. Diese Handelnden, in dieser Arbeit zwei oder mehrere Staaten, müssen miteinander in Kontakt getreten sein. Der Kontakt besteht in dem auf beliebige Weise durchgeführten Austausch eines Verhaltens. Diese im Austausch stehenden Verhaltensweisen müssen voneinander abhängig, die eine durch die andere bedingt sein. Ein Verhalten ist daher nicht gegenseitig, wenn es sich nur auf den wechselseitigen Austausch be­ zieht, der ohne eine bestimmte Beziehung zwischen dem Gebenden und Empfangenden durchgeführt wird. Der hier angedeutete Unterschied zwischen „wechselseitigem" und ,,gegenseitigem" Austausch wird durch den im Französischen unter­ schiedlichen Gebrauch der Worte „mutuel" und „reciproque" deut­ lich60. Der grundsätzliche Unterschied zwischen beiden B egriffen be­ steht darin, daß sich „mutuel" als weiter gefaßter Begriff auf j eden Austausch bezieht, ,,reciproque" dagegen zusätzlich eine auf die je­ weils empfangene Leistung bezogene Erwiderung beinhaltet: ,,mutuel designe l'echange; reciproque le retour' 1 . " Während im Französischen „mutuel" eine Verhaltensweise bezeich­ net, die als „l'action de donner et de recevoir de part et d'autre" um­ schrieben wird, bezieht sich „reciproque" auf ein durch die andere Verhaltensweise bedingtes Verhalten: ,,l'action de rendre selon ce qu'on recoit"61?. 49 Im folgenden werden die beiden Begriffe als Synonyme verwandt. 60 Im Englischen haben die Ausdrücke „reciprocity" (,,reciprocal") und „mutuality" (,,mutual") die gleiche Bedeutung. Vgl. The Oxford English Dictionary, London 1961, Vol. VI, S. 803; vgl. auch Webster's New World Dictionary of the American Language, New York and Cleveland 1970, S. 940. ,1 Emile Littre, Dictionnaire de la Langue Fran!;aise, Paris 1962, Tome 5, S. 588; den Unterschied zwischen „mutuel" und „reciproque" hebt Virally wie folgt hervor: ,,La mutualite est donc a la fois plus large et plus vague: elle s'applique a toutes sortes de relations ou chacun de ceux qui y prennent part est concerne a la fois comme sujet actif et comme sujet passif, sans qu'il y ait necessairement une proportion definie entre ce qu'il donne et ce qu'il re!;oit. La reciprocite est beaucoup plus precise, en ce qu'elle ajoute l'idee de correspondance, d'egalite entre ce qui est donne et ce qui est re!;u. II y a „avantages mutuels" des que chaque partie trouve son profit a une transaction donnee, mais la reciprocite n'apparait qu'avec une comparaison permettant d'etablir qu'il y a equilibre entre ce qu'obtiennent respectivement les divers partenaires."

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A. Institutionen und das Prinzip der Gegenseitigkeit

Bisher wurde festgestellt, daß Gegenseitigkeit vorliegt, wenn zwi­ schen zwei oder mehreren Staaten ein Austausch von Verhaltenswei­ sen stattfindet, der durch das j eweilige Verhalten des anderen bedingt ist. Neben der damit getroffenen Unterscheidung zwischen Wechselsei­ tigkeit und Gegenseitigkeit ist die Gegenseitigkeit im formellen von der im materiellen Sinne zu trennen. Die erstere ist anzunehmen, wenn zwischen den Staaten irgendein durch den anderen Staat beding­ ter Austausch stattfindet, unabhängig von Rechten und Pflichten der Partner. So ist z. B . ein Vertrag zwischen den Staaten A und B mit der Verpflichtung x denkbar, der einseitig A verpflichtet. Dem von Simma zitierten „Gruber / de Gasperi-Abkommen" zwischen der Re­ publik Österreich und Italien vom 5. S eptember 1 94663 ist zu entneh­ men, daß allein die Republik Österreich einen Anspruch geltend ma­ chen kann. Im formellen Sinn ist dieses Abkommen als gegenseitig in­ sofern anzusehen, als es auf einem Austausch zwischen Österreich und Italien beruht, der durch die Verhaltensweise des anderen Staates bedingt isto4 • Eine Reziprozität im materiellen Sinne liegt vor, wenn die ausge­ tauschten, voneinander bedingten Verhaltensweisen eine äquivalente oder identische Gewährung von Vorteilen oder die Zufügung von Nachteilen enthalten. Eine identische Gegenseitigkeit läge vor, wenn im oben zitierten Beispiel die Verpflichtung von A und B die Ver­ folgung eines bestimmten Kapitalverbrechens unabhängig vom Ort der Tat in den Territorien beider Staaten enthielte. Diese Form der Rezi­ prozität kann auch „strikte" oder „Zug-um-Zug" -Reziprozität genannt werdenM. Äquivalent wäre die Gegenseitigkeit in diesem Fall, wenn auf Grund einer Vereinbarung der Staat B die Verfolgung eines auf dem Territorium des Staates A begangenen Kapitalverbrechens zu­ sichert, da er die Verfolgung eines auf seinem Staatsgebiet begangenen Wirtschaftsvergehens als gleichwertig ansieht. Eine weitere Unterscheidung innerhalb der materiellen Reziprozität beruht auf d em j eweiligen Anwendungsgebiet der Gegenleistung. So verzichteten z. B . die EWG und ihre Mitgliedstaaten auf j ede Gegen­ leistung bei der Gewährung von Handelsvorteilen an die AKP-Staaten. Ein weiterer Begriff de.lll Reziprozität zeigt allerdings, daß als Gegen­ leistung der AKP-Staaten die Sicherung der Rohstoffzufuhren, die Zulassung von militärischen Stützpunkten oder Versuchsgebieten, ins­ gesamt ein politisch freundliches Verhalten in Frage kommen kann.

62 Littre, Dictionnaire de Ja Langue Fran�aise, Tome 5, S. 588. 53 Vgl. Simma, Verträge, S. 52 f.; Fundstelle des Vertrages: UNTS 49, S. 184 f. 54 Vgl. Simma, Verträge, S.53. 56 Vgl. Preiswerk, reciprocite, S. 10.

II. Gegenseitigkeit im Völkerrecht

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Diese „globale" Reziprozität läßt sich auf eine „sektorale" begrenzen, wenn nur ein bestimmtes Gebiet, z. B. die erwähnten Handersbeziehun­ gen, in Betracht gezogen wird5il . Eine zweite begriffliche Unterscheidung innerhalb der materiellen Reziprozität beruht auf den verschiedenen Ergebnissen der Verhaltens­ weisen. Das Ergebnis des ausgetauschten Verhaltens kann in dem Ge­ währen eines Vorteils für einen empfangenen Vorteil liegen: Es liegt eine positive Gegenseitigkeit vor. Wird ein zugefügter Nachteil durch einen anderen Nachteil oder durch die Nichtgewährung eines Vorteils ausgeglichen, ist dagegen eine negative Gegenseitigkeit anzunehmen. Eine letzte Unterscheidung innerhalb der materiellen Gegenseitigkeit beruht auf der Beobachtung, daß eine Gegenleistung zwar in normati­ ver, aber nicht in tatsächlicher Hinsicht gegeben sein kann. Virally führt als B eispiel Art. 10 des Kulturabkommens zwischen Großbritan­ nien und Kamerun vom 20. August 1963 an. Danach ist j ede Vertrags­ partei berechtigt, im Gebiet der anderen Vertragspartei Privatschulen zu errichten67 • Die für alle völkerrechtlichen Beziehungen genannten Kriterien der Gegenseitigkeit sollen im folgenden auf den im Rahmen dieser Arbeit relevanten B ereich der Handelsbeziehungen angewandt werden. 3. Gegenseitigkeit in den Handelsbeziehungen

Die Untersuchung der Gegenseitigkeit in den Handelsbeziehungen wird sich auf die Reduzierung oder Erhöhung von Zöllen und nicht­ tarifären Handelshindernissen beschränken. Eine formelle Rezipro­ zität ist hier anzunehmen, wenn irgendeine auf den Zoll- oder nicht­ tarifären Bereich begrenzte Reaktion - sei es der Abschluß eines Ab­ kommens, die Teilnahme an Verhandlungen oder ein sonstiges zwi­ schen den Parteien stattfindendes Verhalten - bezüglich der Redu­ zierung oder Erhöhung dieser Handelsbarrieren erfolgt. Eine mate­ rielle Gegenleistung ist zu bej ahen, wenn der durch die Handelsmaß­ nahme begünstigte bzw. benachteiligte Staat eine gleichwertige oder gleichartige Maßnahme ergreift. Für eine zehnprozentige Zollsenkung bei einem bestimmten Produkt durch A würde B eine gleichartige Ge­ genleistung gewähren, wenn auch die Einfuhr dieses Produktes um den gleichen Zollsatz erleichtert würde. Eine gleichwertige Gegenlei­ stung durch B läge in dem Verzicht auf die Exportsubventionierung 58 Ebd., S. 19 ff., S. 25 ff. 57 s. Virally, reciprocite, S. 30, Fußnote 15; der Text des Abkommens ist abgedruckt in UNTS 539, S. 233 - 241. 3 Westrelcher

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A. Institutionen und das Prinzip der Gegenseitigkeit

eines bestimmten, nicht notwendig des durch die Zollsenkung begün­ stigten Produktes. Die auf den ersten Blick einleuchtend erscheinende Definition der materiellen Gegenseitigkeit bei Handelszugeständnissen trifft jedoch in der Praxis der Verhandlungen auf große Schwierigkeiten. Während der multilateralen Verhandlungen im Rahmen des GATT wird der Wert einer Zollkonzession mit dem Importvolumen des bestimmten Gutes in einem bestimmten Ausgangsjahr gleichgesetzt. Der Wert einer bestimmten Konzession entspricht dem Importvolumen multipliziert mit dem Wert des Betrages, der durch die Konzession für das Pro­ dukt gespart wurde. Zur Erläuterung dieser den Handelsumfang er­ fassenden Methode (,,trade coverage method") gibt Jackson das fol­ gende Beispiel: ,, . . . If 1,000 widgets per year at $ 1.00 each are im­ ported to X from Y and the tariff is 50 percent, a reduction of the tariff to 25 percent might be valued at 25 cents per widget, or $ 250. A corresponding tariff reduction would be sought by X 68 ." Die Pro­ bleme dieser Methode liegen in der Schätzung der Importmenge eines bestimmten Produktes, die auf Grund der Zollreduzierung importiert wird. Abhängig von der Elastizität der Nachfrage kann der Handels­ umfang wesentlich größer sein als erwartet59 • Diese Schwierigkeiten einer genauen Definition zeigen, daß Gegen­ seitigkeit in den Handelsbeziehungen nur als ein Grundsatz angesehen wird. Bei den Verhandlungen über Zoll- und nicht-tarifäre Fragen gilt die Gegenseitigkeit daher als ein Plan, ein Ziel oder eine Absicht, aber nicht als eine Regel, die ein bestimmtes, genau abgegrenztes Verhalten vorschreibt60 • Bezüglich der anderen, für das gesamte Völkerrecht geltenden Kri­ terien der Gegenseitigkeit gilt bei den Handelsbeziehungen bis auf eine Ausnahme Entsprechendes. Zwar ist auch hier zwischen negativer und positiver, sowie zwischen normativer und tatsächlicher6 1 Gegen1s John H. Jackson, World Trade and the law of GATT, Indianapolis, Kan­ sas City, New York 1969, S. 241 ; s. auch Kenneth W. Dam, The GATT, Law and International Economic Organization, Chicago, London 1970, S. 59 und Tigani E. lbrahim, Developing Countries and the Tokyo Round, in: JWTL 12 (1978), S. 1 - 26, 9, Fußnote 12. 59 Vgl. Sidney Weintraub, Trade Preferences for less-delevoped countries. An Analysis of the United States Policy, New York, Washington, London 1967, s. 4 f. eo Vgl. Frieder Roessler, Law, De Facto Agreements and Declarations of Principle in International Economic Relations, in: GYIL 20 (1978), S. 27 - 59, 28; s. auch Josef Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, 2. Aufl., Tübingen 1964, S. 69 ff. 61 Vgl. Art. 2 Abs. 1 und 3 Abs. 1 der zweiten Jaunde Konvention zwi­ schen der EWG und achtzehn afrikanischen Staaten vom 29. Juli 1969. Art. 2 Abs. 1 : ,,Erzeugnisse mit Ursprung in den assoziierten Staaten werden frei

II. Gegenseitigkeit im Völkerrecht

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seitigkeit zu unterscheiden. Wegen der Begrenzung auf Zoll- und nich.t­ tarifäre Handelshindernisse wird d en folgenden Ausführungen zur Gegenseitigkeit nur die »sektorale" Reziprozität zugrunde gelegt. Im folgenden wird als Gegenseitigkeit nur die materielle Gegenlei­ stung angesehen. In den Handelsbeziehungen ist der Grundsatz der Gegenseitigkeit daher beachtet, wenn für Vor- oder Nach.teile eine gleich.artige oder gleichwertige Leistung im Zoll- oder nich.t-tarifären B ereich gewährt wird. 4. Gegenseitigkeit, materielle Gleichbehandlung und iustitia commutativa

Die B eschreibung des Grundsatzes der völkerrechtlichen Reziprozi­ tät zeigte besonders deutlich. bei den Handelsbeziehungen einen Zu­ sammenhang zwischen der gegenseitigen Gewährung eines Vorteils, einem Anspruch. auf materielle Gleichbehandlung und der iustitia commutativa des Aristoteles. Ein materieller Gleichheitssatz, der dem daraus berechtigten Staat einen Anspruch. auf „Gleichheit im Recht" gibt, enthält als rechtlich.es Korrelat u. a. den Grundsatz der Gegen­ seitigkeit. Aus der Erarbeitung der Merkmale der Reziprozität folgte, daß dieser Grundsatz einen Staat zu einem Anspruch. auf die Behand­ lung berechtigt, die er selbst einem anderen Staat gewährt. Die Befol­ gung des Grundsatzes der Reziprozität b ewirkt daher einen Ausgleich. zwischen den empfangenen Vor- bzw. Nach.teilen. Wie erörtert, ist Ziel der iustitia commutativa die arithmetische Gleichheit: Auf keiner S eite darf Gewinn oder Verlust entstehen. Es soll daher der gerechte Ausgleich. im Rechtsverkehr, wie z. B . der ge­ rechte Güterausgleich. bei Kauf, Zinsdarlehen oder Miete erreicht wer­ den62 . Das B eispiel der Handelsbeziehungen zeigt, daß dieses Ziel auch von der völkerrechtlichen Gegenseitigkeit verfolgt wird, indem dieser Grundsatz die Herstellung eines Gleichgewichts zwischen Vor- und Nach.teilen verlangt63.

von Zöllen und Abgaben mit gleicher Wirkung in die Gemeinschaft einge­ führt; diese Erzeugnisse dürfen aber nicht günstiger als im Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten behandelt werden." Art. 3 Abs. 1: ,,Erzeugnisse mit Ursprung in der Gemeinschaft werden frei von Zöllen und Abgaben gleicher Wirkung in jeden assoziierten Staat ein­ geführt." llll s. bereits A. I. 4.; s. auch Reinhold Zippelius, Rechtsphilosophie, in: Evan­ gelisches Staatslexikon, Sp. 1972 - 2017, 2001 f. 6s s. auch Virally, reciprocite, s. 62 f.

A. Institutionen und das Prinzip der Gegenseitigkeit

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5. Folgerungen und Fragen Als Ergebnis der bisherigen Ausführungen ist festzuhalten, daß im Völkerrecht der Grundsatz der Gegenseitigkeit einen Staat im Bereich der Handelsbeziehungen zu einem Anspruch auf gleichartige oder gleichwertige Vorteile für seinerseits gewährte Handelsvorteile be­ rechtigt bzw. die Zufügung von gleichartigen oder gleichwertigen Nachteilen oder die Nichtgewährung eines Vorteils für erlittene Nach­ teile erlaubt. Ungelöst ist bisher die Frage der Rechtswirkung dieses Grundsatzes: Liegt hier ein völkerrechtliches Gebot oder nur eine po­ litische Forderung vor? Den eingangs zitierten Literaturmeinungen war auch zu entneh­ men, daß die Gegenseitigkeit als eine „ Struktumorm"e4 des Völker­ rechts für diese Rechtsordnung, die von der Bildung mit Entschei­ dungsbefugnis versehener Organe noch weit entfernt ist, grundlegende Bedeutung hat. Den Zusammenhang zwischen Gegenseitigkeit der Vor­ bzw. Nachteile veranschaulicht Herbert Krüger wie folgt: „In der größeren Nähe von Regelung und Interessenlage, die den Vertrag des Völkerrechts kenI).zeichnet und die der Natur dieses Rechts entspricht, liegt zugleich die Chance für die Gerechtigkeit völkerrechtlicher Verträge. Der Satz „volenti non fit injuria" - womöglich in Verbindung mit dem weiteren Satz: ,,voluit quamquam coactus" - ist jedenfalls in einer un­ staatlichen Rechtsordnung nicht geeignet, einen Vertrag nach Inhalt und Verbindlichkeit zu legitimieren. Denn den Bürger kann der Staat gegen eine Fehlsamkeit seines Willens schützen, für einen fehlsam wollenden Staat hingegen gibt es keinen Schützer. Auf ein solches subjektives Moment kann daher die Gerechtigkeit des völkerrechtlichen Vertrages nicht abgestellt wer­ den. Hier kommt vielmehr für diesen Zweck nur ein objektives Kriterium in Betracht, das an das bekannte „do ut des" anknüpft. Die Gerechtigkeit des völkerrechtlichen Vertrages liegt darin, daß er einen Austausch von Lei­ stungen veranstaltet, deren reziproker Wert einander entspricht. Wenn man so will, stehen hier Richtigkeit und Wirksamkeit nicht in Gegensatz, die Richtigkeit ist vielmehr eine Funktion der EffektivitätG5." Alle bisherigen Ausführungen deuten somit darauf hin, d aß der an­ fangs geäußerten Vermutung einer Parallele zwischen Völkerrecht und primitivem Recht bezüglich der Reziprozität uneingeschränkt zuzu­ stimmen ist. Angesichts der technischen und wirtschaftlichen Entwicklung der letzten 150 Jahre und der dadurch hervorgerufenen engeren Zusam­ menarbeit der Staaten stellen sich j edoch einige Fragen, die Zweifel an der Bedeutung der Reziprozität vor allem in den HandelsbeziehunVgl. Simma, Verträge, S. 28. Herbert Krüger, Das Prinzip der Effektivität, oder: über die besondere Wirklichkeitsnähe des Völkerrechts, in: Grundprobleme des internationalen Rechts, Festschrift für Jean Spiropoulos, Bonn 1957, S. 265 - 284. S. 273 f. 64

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III. Gleichheit und Institutionen im Völkerrecht

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gen entstehen lassen. Die im folgenden näher geschilderte Entstehung und zunehmende Bedeutung von internationalen Institutionen recht­ fertigt die Frage nach einem Vergleich zwischen Völkerrecht und in­ nerstaatlichem Recht bezüglich einer „institutionellen Entlastung" auch im Völkerrecht. Der Vergleich zwischen Völkerrecht und innerstaatlichem Recht un­ ter dem Aspekt der Bedeutung von Institutionen wird sich auf die Erörterung des Gleichheitsgrundsatzes konzentrieren. Eine erste Sammlung von Fakten soll den Ausgangspunkt für die weitere Un­ tersuchung der Frage bilden, ob internationale Institutionen auch zur Entwicklung einer tatsächlichen Gleichheit im Völkerrecht beitragen können und welche Auswirkung dieser Beitrag auf den Grundsatz der Reziprozität hat. III. Gleichheit und Institutionen im Völkerrecht 1. Interdependenz der Staaten und Institutionalisierung der Zusammenarbeit

Seit dem Altertum gibt es organisatorische Zusammenschlüsse, die die Staaten als Mittel für die Durchsetzung der verschiedensten ge­ meinsamen Ziele benutzen. Als ältestes Beispiel einer Zusammenar­ beit gilt die Verbindung der griechischen Stadtstaaten in Amphiktyo­ nien zum Schutz gemeinsamer Heiligtümer (Delphi) oder zu gemeinsa­ mem Kampf in Symmachien66 • Erst seit der technischen und wirtschaft­ lichen Entwicklung der letzten 150 Jahre haben j edoch die Aufgaben mit dem Erfordernis einer Zusammenarbeit in einem bisher unbe­ kannten Umfang zugenommen. Die Staaten sahen sich einer Fülle von grenzüberschreitenden Problemen gegenüber, die sie allein mit ihren auf den j eweiligen Hoheitsbereich begrenzten Kompetenzen nicht mehr lösen konnten. Für die Regulierung des Verkehrs auf internationalen Flüssen wur­ den 1815 die Zentralkommission für die Rheinschiffahrt und 1856 die Europäische Donaukommission gegründet. Die letztere Kommission besaß weitgehende Vollmachten. zu Lasten der Uferstaaten des Donau­ deltas, indem sie Hoheitsakte durch eigene Organe ohne Mitwirkung innerstaatlicher Exekutivorgane vollstrecken konnte67 • Anders als diese 66 Vgl. Alfred Verdross, Völkerrecht, 5. Auflage, Wien 1964, S. 36 f. Zu er­ wähnen sind auch der Bund der etruskischen Städte, der oberitalienischen Städte im frühen Mittelalter und der Hansebund, s. Ignaz Seidl-Hohenvel­ dern, Das Recht der Internationalen Organisationen, 3. Auflage, Köln, Berlin, Bonn, München 1979, Rdnr. 0201 ff. & 1 s. Seidl-Hohenveldern, Internationale Organisationen, Rdnr. 0207 ff.

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A. Institutionen und das Prinzip der Gegenseitigkeit

mit einem hohen Integrationsgrad versehene Organisation dienten die 1 865 bzw. 1874 gegründete Fernmelde-Union und der Weltpostverein nur als Vermittlungsstelle für den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten68 • Eine weitere Befugnis besaß dagegen das „Central­ amt für den internationalen Transport" nach Art. 57 Ziff. 3 des Inter­ nationalen Übereinkommens über den Eisenbahnfrachtverkehr aus dem Jahre 1 890. D anach hatte das Zentralamt die Aufgabe „auf B e­ gehren der Parteien Entscheidungen über Streitigkeiten der Eisenbah­ nen untereinander abzugeben" 69 • Die an diesen Beispielen deutlich werdende Entwicklung zu einer internationalen Zusammenarbeit für die Regelung von Fragen, die früher unter die alleinige Kompetenz der Staaten fiel, verstärkte sich nach der Gründung des Völkerbundes vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg. Die gegenseitige Abhängigkeit der Staaten spiegelt sich einmal in den internationalen Währungsbeziehungen. Während Regierungen ihr Recht zur Bestimmung des Wertes ihrer Währung im Vergleich zu an­ deren Währungen wahren möchten, sehen sie auch ein, daß alle wäh­ rungspolitischen Maßnahmen durch entsprechende Gegenmaßnahmen anderer Länder hinfällig werden und daher kein Land den Wert sei­ ner Währung ohne einen Rahmen von Normen erfolgreich bestimmen kann und damit kompensatorische Währungsmaßnahmen verhindert7° . So führte in den dreißiger Jahren j ede Wechselkursänderung der be­ deutenden Währungen zu Gegenmaßnahmen. D er Abwertung des Pfundes im September 193 1 folgte eine entsprechende Abwertung des j apanischen Yen zwei Monate später. Diese wiederum führte 1933 zu einer Abwertung des Dollar und zwischen 1934 - 1936 der Währungen des Go1d-Blocks, der sich aus den Französischen, S chweizer und Belgi­ gischen Franken und dem Niederländischen Gulden zusammensetzte. Ende 1936 entsprachen die Relationen zwischen den wichtigsten Wäh­ rungen dem Stand von 1 93 1 . Kein Land hatte durch die einseitigen währungspolitischen Schritte einen Vorteil erlangt71 • Mit der Grün­ dung des Internationalen Währungsfonds (IMF) im Jahre 1945 sollten die Nachteile einseitiger währungspolitischer Maßnahmen vermieden werden, indem ein Rahmen für Konsultation und Kooperation der Staaten zur Verringerung der internationalen Auswirkungen von ein­ zelstaatlichen Maßnahmen geschaffen wurden . 11s Ebd. eo RGBI. 1892, S. 793 ff. 10 Vgl. Roessler, S. 4 1 ; s. auch A. LeRoy Bennett, International Organiza­ tions, Principles and Issues, New Jersey 1977, S. 203. 1 1 s. Charles P. Kindleberger, International Economics, 4. Aufl., Homewood, Illinois 1968, S . 528 ; vgl. auch Roessler, S. 41 f. m s. Bennett, S. 205.

III. Gleichheit und Institutionen im Völkerrecht

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Ein weiterer Aspekt der gegenseitigen wirtschaftlichen Abhängigkeit der Staaten zeigt sich in der Zuwachsrate des Welthandels seit 1945. Nach dem United Nations Statistical Yearbook stieg der Wert der Welt­ Exporte, ausgedrückt im Wert eines US-Dollars aus dem Jahre 1963 und unter Ausschluß kommunistischer Länder mit der Ausnahme Jugoslawiens, von 53 Mrd. Dollar im J ahre 1948 auf 96 Mrd. Dollar im Jahre 1958. Während dieser Wert 1968 205 Mrd. betrug, stieg er 1971 auf 266 Mrd. Dollar73 • Nach einer Statistik des Internationalen Währungsfonds, die (bei Zugrundelegung des j eweiligen Dollarwertes) in ihre Berechnung der Weltexporte von 153 Ländern auch die Staaten des Ostblocks einbezog, stieg der Exportwert von 523,4 Mrd. Dollar im J ahre 1973 auf 1502,7 Mrd. Dollar im Jahre 1979 74 . Dieser bemerkenswerte Anstieg des Welthandels seit 1945 steht in krassem Gegensatz zu der Entwicklung des Handels in den dreißiger Jahren. Damals versuchte auch im Bereich der Handelsbeziehungen j e­ der Staat auf Kosten der anderen Vorteile durch einzelstaatliche Maß­ nahmen zu erlangen. Die sog. ,,beggar my neighbour policy" unter­ stützte den Handelsprotektionismus durch eine Erhöhung der Zölle. Diese rief aber nur entsprechende Gegenmaßnahmen in anderen Län­ dern hervor. Folge war eine erhebliche Abnahme des Welthandels zwi­ schen 1929 und 1937. Wenn die Welt-Industrieproduktion und der Wert des Welthandels im Jahre 1 929 mit 100 gleichgesetzt werden, betrug die Industrieproduktion im Jahre. 1937 1 19, der Welthandel 97 Pro­ zent7•. 1947 wurde daher das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT) ausgehandelt. Darin wurden Bestimmungen festgelegt, die die Reduzierung ull!d Beseitigung von tarifären und nicht-tarifären Handels­ schranken zum Ziel hatten. Die Beispiele aus dem Bereich der Währungs- und Handelsbeziehun­ gen sind nur ein Ausschnitt aus der ständig steigenden Bereitschaft der Staaten, sich am Aufbau verschiedener Organisationen zu beteiligen. Dadurch sollen in den Bereichen Vorteile erlangt werden, die nur in einer Zusammenarbeit auf internationaler Ebene möglich sind. Auf diese Weise wurde eine internationale Kooperation in technischen, po­ stalischen, wirtschaftlichen, finanziellen, sozialen, kulturellen und mili­ tärischen Angelegenheiten angestrebt und teils durch spezielle Organi­ sationen, teils durch besondere Organe bestehender Organisationen erreicht76 . 1a United Nations Statistical Yearbook 1972, Table 12, S. 43. 74 International Monetary Fund, Direction of Trade Yearbook, 1980, S. 2. 7 • Vgl. die Aufstellung bei Gerard Curzon, Multilateral Commercial Diplomacy, London 1965, S. 26. "IG s. Stephen S. Goodspeed, The Nature and Function of International Organization, 2. Aufl., New York 1967, S. 4; s. auch Werner Meng, Das Recht der internationalen Organisationen, Baden-Baden 1979 , $ . 4 3 ,

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A.Institutionen und das Prinzip der Gegenseitigkeit

Das wachsende Interesse an Zusammenarbeit zeigt eine Statistik des ,,Yearbook of International Organizations" . 1909 gab es 37 zwischen­ staatliche Organisationen, d. h., nach der Definition dieses Jahrbuches, Institutionen „a) being based on a formal instrument of agreement be­ tween the governments of nation ·states ; b) including three or more na­ tion states as p arties to the agreement; c) possessing a permanent secre­ tariat performing ongoing tasks" 77 • 1977 betrug die Zahl dieser „inter­ governmental organisations" 1 63 78 • Noch deutlicher wird die Entwick­ lung zur Zusammenarbeit an der wachsenden Zahl sog. ,,non-govern­ mental organisations" . Dies sind nach einer Resolution des Wirtschafts­ und Sozialrats der Vereinten Nationen (ECOSOC) grenzüberschreitende O rganisationen, die nicht durch einen Vertrag zwischen Staatsregie­ rungen gegründet wurden79 • Die Zahl dieser Organisationen stieg von 176 im J ahre 1909 auf 2470 im Jahre 1972 80 • Die in dieser Statistik deutlich werdende Anerkennung des Erfor­ dernisses einer wirksamen Zusammenarbeit der Staaten blieb nicht ohne Auswirkung auf die Bildung neuer, durch internationale Organi­ sationen gesetzte Normen des Völkerrechts. Von zahlreichen B eispielen seien nur zwei genannt. Nach Art. 24 und 25 der Satzung der Vereinten Nationen faßt der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (VN) zur Sicherung des Weltfriedens Beschlüsse, die für die Mitglieder der VN verbindlich sind. Nach Art. 21 der Satzung der Weltgesundheits­ organisation (WHO) ist die Vollversammlung dieser Organisation zur Erlassung von bestimmten Vorschriften im Bereich der Gesundheits­ pflege befugt. Nach Art. 22 treten diese Vorschriften für alle Mitglieder in Kraft, wenn nicht „ein Mitglied dem Generaldirektor innerhalb der in der B ekanntgabe festgesetzten Frist mitteilt, daß es die Vorschrift ablehnt oder Vorbehalte macht" . Dieses als „contracting out" bekannte Verfahren ist dogmatisch nicht als ein durch konkludentes Schweigen herbeigeführter Vertragsabschluß, sondern als eine auflösend bedingte Rechtssetzungsbefugnis der WHO zu erklären81 • Auf diese Weise sind z. B. die Nomenklatur-Vorschriften82 und die internationale Gesund­ heitsordnung83 zu völkerrechtlich verbindlichen Verträgen für die Mit­ glieder der WHO geworden. 11 Yearbook of International Organizations 17 (1978), Supplements, Inter­ national Organizations: An Overview. 78 Yearbook of International Organizations, Statistical Summary, Table 1. 79 UN-ECOSOC Res. 1296 (XLIV) vorn 23. Mai 1968, 1. Teil, Art. 7, YUN 1968 , s. 646 - 652, s. 647. 80 Yearbook of International Organizations, Statistical Summary, Table 1 . 8 1 Vgl. Meng, S. 73. 82 UNTS 66, S. 25 - 73. 83 UNTS 175, S. 215 - 333 .

III. Gleichheit und Institutionen im Völkerrecht

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2. Formelle Gleicllbebandlung Anfangs erfolgte die Schaffung von völkerrechtlichen Normen durch eine Koordination und Kooperation in internationalen Organisationen zwischen Staaten, die eine annähernd gleiche Kultur- und Entwick­ lungsstufe hatten. Im Rahmen des klassischen, von der Entwicklung zum „Europäischen Konzert" bestimmten Völkerrechts im 19. Jahrhun­ dert wird die nichtchristliche Türkei erst 1856 im Pariser Frieden als Völkerrechtssubj ekt anerkannt84 • Ein weiteres Merkmal des klassischen Völkerrechts ist die B etonung der einzelstaatlichen Souveränität und des damit verbundenen Prinzips der „souveränen Gleichheit der Staa­ ten"85. Dieses Prinzip wurde in Art. 2 Abs. 1 und 7 als l eitender Grund­ satz der Charta der Vereinten Nationen aufgenommen. Nach Art. 2 Abs. 1 beruht die Organisation „on the principle of the sovereign equa­ lity of all its M embers" . Nach Abs. 7 sind die Vereinten Nationen nicht berechtigt, ,,to intervene in matters which are essentially within the domestic jurisdiction of any state . . . " . Bei der Formulierung der Charta wuvde das Prinzip der souveränen Gleichheit j edoch nur in einem formellen Sinne verstanden. Auf Grund der Erfahrungen im zweiten Weltkrieg sollte mit diesem Prinzip nur die territoriale Integrität und Souveränität der Staaten gesichert wer­ den. Insbesondere sollten tatsächlich bestehende Unterschiede auf poli­ tischem oder wirtschaftlichem Gebiet durch Art. 2 Abs. 1 und 7 nicht er­ faßt werden86 • Differenzierungskriterien für die Feststellung, wann j e­ weils Gleichheit besteht oder nicht, lassen sich diesem Prinzip nicht entnehmen87 • Das 1963 eingesetzte „ Special Committee on Principles of Interna­ tional Law concerning Friendly Relations and Cooperation among States" bestätigte in seinem der VN-Vollversammlung 1970 vorgelegten Resolutionsentwurf diese Definition der Gleichheit der Staaten. Der im Oktober 1970 als Resolution 2625 (XXV) angenommene Entwurf defi­ niert den Grundsatz der „sovereign equality" wie folgt:

„All States enjoy sovereign equality. They have equal rights and duties and are equal members of the international community, notwithstanding differences of an economic, social, political or other nature. 84 s. Hans Ulrich Scupin, Völkerrechtsgeschichte, Erweiterung des Euro­ päischen Völkerrechts (1815 - 1914), in: Wörterbuch des Völkerrechts, Dritter Band, Berlin 1962, S. 721 - 744, 726 ff. 85 s. Georg Dahm, Völkerrecht, Band I, Stuttgart 1958, S. 164 und Friedrich Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, Erster Band, 2. Aufl., München 1975,

S. 2 1 1 f. m. w. N.

86 Vgl. die Diskussion zu Art. 2 während der Konferenz der Vereinten Nationen über internationale Organisation in San Francisco, 1945, in: UNCIO, Val. VI, S. 605 - 625. 8 7 s. Dahm, Völkerrecht, Band I, S. 163.

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A. Institutionen und das Prinzip der Gegenseitigkeit In particular, sovereign equality includes the following elements:

(a) (b) (c) (d)

States are juridically equal; Each State enjoys the rights inherent in full sovereignty; Each State has the duty to respect the personality of other States ; The territorial integrity and political independence of the State are inviolable; (e) Each State has the right freely to choose and develop its political, economic and cultural systems; (f) Each State has the duty to comply fully and in good faith with its international obligations and to live in peace with other States88 ."

Allgemeine Ü bereinstimmung besteht darin, daß die unter (a) er­ wähnte rechtliche Gleichheit (,.juridically equal" ) nur als formelle Gleichheit, als „Gleichheit vor dem Recht", und nicht als materielle Gleichheit, als „Gleichheit im Recht" zu verstehen ist. Als ein Prinzip des Völkerrechts89 garantiert die formelle Gleichheit jedem Staat einen Anspruch auf unterschiedslose Anwendung des Völkerrechts, unge­ achtet der tatsächlichen Unterschiede. 3. Materielle Gleichbehandlung

Seit langem gibt es Bestrebungen, einen Anspruch auf materielle Gleichbehandlung als Teil des allgemeinen Völkerrechts, d. h. als Völ­ kergewohnheitsrecht oder völkerrechtliches Prinzip, anerkennen zu las­ sen. Während der Erörterungen d es oben erwähnten „Special Com­ mittee on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Cooperation among States" schlug die Tschechoslowakei folgende Formulierung vor: „ 1 . States have the duty to co-operate with one another, irrespective of their different political, economic and social systems, in the various spheres of international relations in order to maintain international peace and security. 2. Consequently, States shall, in particular: - Apply fully and consistently, in economic co-operation and inter­ national trade, the principles of equality and mutual advantages, respect for each other's interest, and non-interference with the intern­ al affairs of other States; - Refrain from any discrimination in their relations with other States, in particular discrimination by reason of differences in political, eco­ nomic and social systems in levels of economic development90." 88 YUN 1970, S. 792. 89 Zu unterscheiden von den allgemein anerkannten Rechtsgrundsätzen nach Art. 38 Abs. 1 c) IGH-Statut; vgl. auch die Erörterungen unter D. III.

2. b) .

90 GAOR, 21st Session (1966), Annexes, Vol. III, Agenda Item 87, S. 85.

III. Gleichheit und Institutionen im Völkerrecht

48

Da diese Bemühungen scheiterten, ist ein allgemeiner materieller Gleichheitssatz, nach dem ein Staat andere Staaten, ihre Staatsange­ hörigen oder ihre Güter nicht unterschiedlich behandeln darf, nicht B estandteil des geltenden allgemeinen Völkerrechts9 1 • Diese Folgerung bedeutet j edoch nicht, daß die Frage nach einem Anspruch auf „Gleichheit im Recht" als Bestandteil des Völkerrechts alternativ beantwortet werden muß92 • Einmal kann ein derartiger An­ spruch auf völkerrechtliche Verträge gestützt werden. Für den im Rah­ men dieser Arbeit interessierenden B ereich der Handelsbeziehungen ist vor allem das GATT zu erwähnen. Es enthält u. a. die folgenden rechtlichen Korrelate einer materiellen Gleichheit im Handel : Die Meistbegünstigungsklausel, den Grundsatz der Nichtdiskriminierung für nicht-tarifäre Handelshemmnisse und die Forderung nach Gegenseitig­ keit für Handelskonzessionen93 • Ferner ist nicht ausgeschlossen, daß eine materielle Gleichheit in ein­ zelnen Bereichen (z. B. Diplomatenrecht, Schutz der Menschenrechte, Mindeststandard im Fremdenrecht) als allgemeines Völkerrecht aner­ kannt ist94 • Zwar folgte aus der Ablehnung des zitierten tschechoslo­ wakischen Vorschlags, daß bei den Handelsbeziehungen als Ganzes ge­ sehen ein allgemein völkerrechtlicher Anspruch auf materielle Gleich­ behandlung auszuschließen is�. Zwischen den erwähnten Varianten einer Gleichbehandlung in den Handelsbeziehungen muß aber differen­ ziert werden. So wird z. B. die Reziprozität als Korrelat einer materiel­ len Gleichheit von der überwiegenden Literaturmeinung als völker­ rechtliches Prinzip der Handelsbeziehungen und damit als Bestandteil des allgemeinen Völkerrechts anerkannt96 •

9 1 Vgl. Wilhelm Kewenig, Der Grundsatz der Nichtdiskriminierung im Völkerrecht der internationalen Handelsbeziehungen, Frankfurt/M. 1972, S. 33 f.; Günther Jaenicke, Gleichbehandlung, in: Wörterbuch des Völker­ rechts, Erster Band, S. 690 - 694, 691 ; Gerhard Leibholz, Gleichheit der Staat­ ten, S. 694 - 697, 694 ff. 92 So bereits Jaenicke, Der Begriff der Diskriminierung im modernen Völkerrecht, Berlin 1940, S.148 f. 93 s. dazu im einzelnen die Erörterungen unter B. II.2.; eine ausführliche Darstellung der zahlreichen Gleichbehandlungsgebote im GATT findet sich bei Robert Zinser, Das GATT und die Meistbegünstigung, Baden-Baden, Bonn 1962, s. 40 ff. D4 Vgl. Kewenig, Nichtdiskriminierung, S.41 ff. os Bestätigt wurde die Ablehnung der Anerkennung eines allgemeinen völkerrechtlichen Anspruches auf materielle Gleichbehandlung durch die folgende VN-Praxis. Vgl. u.a. die auf das GATT beschränkten Ausführungen der westlichen Industrieländer zu den Handelsfragen der dritten Entwick­ lungsdekade, D. III. 3. b) bb). D6 Vgl. Schwarzenberger, S.26. s. auch Virally, reciprocite, S.48 ff., 65 f. Em­ manuel Decaux, La Reciprocite en Droit International, Paris 1980, S. 342 ff.; 347 f.; Preiswerk, S. 6 f.

44

A. Institutionen und das Prinzip der Gegenseitigkeit

Simma vertritt dagegen die Ansicht, daß gerade in den Handelsbe­ ziehungen, auf Grund der B emühungen der Entwicklungsländer, die Gegenseitigkeit nicht als für alle Staaten geltendes Völkergewohn­ heitsrecht oder völkerrechtliches Prinzip gilt97 • Ohne auf die später zu erörternde Frage der rechtlichen Bedeutung eines Prinzips der Nicht­ Reziprozität einzugehen, kann hier bereits so viel gesagt werden, daß eine Untersuchung der rechtlichen Bindungswirkung der Gegenseitig­ keit unter dem alleinigen Gesichtspunkt einer Norm des allgemeinen Völkerrechts, d. h. einer für alle Staaten geltenden Norm, das eigent­ liche Problem übersieht. Das Völkerrecht der Handelsbeziehungen ist heute wie kein anderes Rechtsgebiet von der Existenz zweier Klassen von Staaten geprägt. In diesem von der „dualite des normes" 98 be­ stimmten, d. h. auf einer Zweiteilung des Völkerrechts geradezu auf­ bauenden Bereich kann, wie noch erörtert wird, ein für alle Staaten an­ wendbarer Bestand von völkerrechtlichen Normen nicht mehr ange­ nommen werden. Eine Untersuchung der Reziprozität in den heutigen Handelsbeziehungen muß sich somit nicht auf allgemeines, sondern auf partikuläres Völkerrecht konzentrieren. Es ist daher zu fragen, welche rechtliche Geltung die Reziprozität in den Handelsbeziehungen zwi­ schen den Industrieländern einerseits und zwischen den Industrie- und Entwicklungsländern andererseits besitzt. Bei der weiteren Entwicklung eines völkerrechtlichen Gleichheits­ satzes in den Handelsbeziehungen wil:d nach 1945 und vor allem seit 1960 ein neues Phänomen sichtbar, das eine über die materielle Gleich­ behandlung hinausgehende Interpretation des Grundsatzes der Rezi­ prozität bewirken sollte. 4. Forderungen nadl tatsächlicher Gleichheit

Im Verlauf der Dekolonialisierung stieg die Mitgliederzahl der Ver­ einten Nationen zwischen 1947 und 1980 von 55 auf 15499 • Der weitaus größte Anteil der in den VN vertretenen Staaten entfällt auf die Ent­ wicklungsländer. Ihre Zahl schwankt nach den j eweils zugrundegelegten Kriterien zwischen 118 100 und 124101 • Die neue Mehrheit der Entwick97 Verträge, S. 297 ff. vs So zuerst Guy Feuer, Les principes fondamentaux dans le droit inter­ national du developpement, in: Soci'!

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Rumänien Jugoslawien Mexiko Brasilien Argentinien Indien Sri Lanka · Südkorea Pakistan Indonesien Malaysia Philippinen Thailand Singapur Kolumbien Venezuela Equador Peru

Land

232 202

293 ,3

219,7

70 46,6

54

12,1

381

2 1 ,3

326

101

13,5

390

27

336,5

243,4 64 ,8

26

41

84 ,3

4,1 77

75 ,4

2,1

0,02

0, 01

1 ,2

1 ,3

28

1 0,2

0,3

12,9

1 ,8

6 1 ,4

O,l

53,6

243

427 ,6

126,9

1 5 ,4

25

EWG-Angebot

9 1 ,4

678

1 12,1

Zollpflichtige Einfuhren

932

1 436

1 25,2

Gesamteinfuhren der EWG

0, 1 1 5, 1 8,6 6, 1 0,3 0, 1

5, 6

6, 9

22, 1 o, 1 19, 7

1 8, 1

11

6, 9

EWG-Angebot Zollpflichtige Einfuhren

%

23

23, 6

13 262

(%)

Zollsenkung

Tabelle 2: EWG-Angebote für die Einfuhr von landwirtschaftlichen Produkten aus 26 Entwicklungsländern

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3

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Queue : Mitteilung der Kommission, s. 53.

Kuba Uruguay Chile Costa Rica Guatemala Honduras Burma Panama

54,1

76 85 80 , 1 1 03 , 1

0,4

3 1 ,8 1 0,4 1 ,3 0,4 2,7 6,7 5

0,4

1, 6

0,4 41,8 1 2,2

1 21,1 29,8 32,3 20,3

25

=

Europa

336,6

0

0

0

6,5

336,6

25

3 1 1 ,6

19

128,2

0,3

1 1 ,6

9,6

2

2, 6

1 1 6,6

97,6

0

29,7

0, 1

16

16

0

0, 6

13,7

13,7

0,09

52,69

-

-

1,5

52,69

52,6

0

526

15

466

0

466

1,9

60

60

44,09

� 098,2

493,6

2

551 ,6

604,5

560,5

Autonome Maßnahmen, die sich wegen Ihrer allgemeinen Bedeutung oder ihres nlchttarifllchen Charakters beziffern lassen. 1) Argentinien, Brasilien, Chile und Mexiko. - 2) Das Angebot Rumäniens wird nicht beziffert, weil seine Bedeutung schwer ab­ zuschätzen ist. - 3) Stand am 18. Juli 1979. Quelle : Mitteilung der Kommission, S. 56.

Insgesamt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

- % der Gesamteinfuhren mit Ursprung in der EWG . . . . . . . . .

-

-

-

•- Insgesamt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

-

- Landwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . • .

-

-

0

- Industrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

b) Autonome Angebote

0,9

25

- Insgesamt . . . . . . . . . . . . • . . . . . . • . .

- % der Gesamteinfuhren mit Ursprung in der EWG . . . . . . • • •

0

- Industrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 0

0

0

25

- Landwirtschaft . . . . . . .. . . . . . . . . . . • .

a) Konsolidierungsangebote

Asien

lndiAndere scher AndenSüdJugo- RumäMCCA ASEAN Sub1) 2 gruppe konti0 · korea slawien nien ) nent

Lateinamerika

Tabelle 3: Einfuhren mit Ursprung in der EWG (in Mio. $), für die die Entwiddungsländer Angebote gemadlt habenS)

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II. Tokio-Runde

131

Diese Aufzählung soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß aus Sicht der EWG wesentliche Angebote einzig von zwei Schwellenländern unter den Entwicklungsländern, nämlich Chile und Südkorea, gemacht wurden. Die übrigen Schwellenländer berufen sich auf eine strikte Anwendung der Nicht-Gegenseitigkeit. So betraf das brasilianische Angebot einer Zollsenkung von 37 0/o auf 15 0/o der gewerblichen Waren nur 1 0/o der EWG-Ausfuhren, obwohl die EWG für 91 0/o der gewerb­ lichen Waren Brasiliens eine durchschnittliche Zollsenkung von 25,1 0/o durchgeführt hat. Die am wenigsten entwickelten Länder haben bis auf B angla-Desh an der Tokio-Runde nicht teilgenommen. Nicht-Schwel­ lenländer haben entweder keine oder nur symbolische Angebote hin­ terlegt129. Im nicht-tarifären B ereich boten die Entwicklungsländer, wenn überhaupt, nur geringe Gegenleistungen an. Chile erklärte sich zur Vereinfachung seines Zollrechts bereit. Südkorea und Indien haben für einige Produkte Maßnahmen zur Liberalisierung und Abschaffung von mengenmäßigen Beschränkungen und Einfuhrverboten durchge­ führt. Der einzige nicht-tarifäre Beitrag Indonesiens zugunsten der EWG besteht in der Aufhebung von Eintragungsgebühren für Le­ bensmittel und Getränke. Während S ri Lanka und Pakistan einige nicht-tarifäre Maßnahmen aufhoben, hat Argentinien den Anträgen der EWG auf Liberalisierung der mengenmäßigen B eschränkungen nicht entsprochen 1 30 • Ein Vergleich der vorstehenden Tabellen der Angebote von Ent­ wicklungsländern für Waren mit Ursprung in der EWG und der Ange­ gebote der EWG für Entwicklungsländer zeigt, daß der (seit 1965 im GATT anerkannte) Grundsatz der Nicht-Gegenseitigkeit von den Ent­ wicklungsländern in einer sehr eingeschränkten Weise interpretiert worden ist. Tabelle 1 zeigt die Einfuhren der EWG von gewerblichen Waren aus 26 Entwicklungsländern nach Millionen ERE und die dafür gewährten Zollsenkungen nach Prozent. Tabelle 2 zeigt die EWG-An­ gebote für die Einfuhr von landwirtschaftlichen Produkten aus 26 Ent­ wicklungsländern. Tabelle 3 zeigt die tarifären und nicht-tarifären Angebote der Entwicklungsländer für gewerbliche und landwirtschaft­ liche Produkte der EWG. Abgesehen von den sehr geringen Angeboten während der Verhand­ lungen über Zölle und nicht-tarifäre Beschränkungen131 haben die Ent­ wicklungsländer für die EWG keine B eiträge im Rahmen der Tokio129 Ebd.

Ebd. Auffallend waren hier die geringen Zugeständnisse bei den mengen­ mäßigen Handelshemmnissen. 1110 1a 1

182

D.Das Prinzip der Nicht-Reziprozität im geltenden Völkerrecht

Runde geleistet132 . Auch die anderen Industrieländer haben den Grund­ satz der Nicht-Gegenseitigkeit beachtet. Selbst die USA, die als einzi­ ges entwickeltes Land versuchten, möglichst viele Zugeständnisse vor allem für ihre Angebote bei den tropischen Produkten zu erhalten133 , erkannten ihn schließlich an134 . Der Schluß ist daher gerechtfertigt, daß in den Bereichen der Tokio-Runde, auf die sich die Entwicklungsländer mit der Meistbegünstigung oder den anderen Gleichbehandlungsge c. boten berufen können, die dort vereinbarten Liberalisierungen und gewährten Ansprüche auf eine differenzierte und vorteilhafte Sonder­ behandlung1311 unter Beachtung des Grundsatzes der Nicht-Gegenseitig­ keit gewährt wurden. Für die Beachtung der Nicht-Gegenseitigkeit bei der Aufnahme in die Abkommen, die nicht von der GATT-Gleichbehandlung erfaßt wer­ den, ist Abs. 5 der Ermächtigungsklausel anwendbar. Wenn sie stattfin­ den138 , geht es hier nämlich um Verhandlungen, in denen „Verpflich­ tungen zum Abbau oder zur Beseitigung von Zöllen und sonstigen Hemmnissen für den Handel der Entwicklungsländer" eingegangen werden. c) Nicht-Gegenseitigkeit innerhalb der einzelnen Abkommen

Unabhängig davon, ob sie Vertragspartner der Abkommen durch die MeistbegünsUgung oder durch Verhandlungen geworden sind, können sich die Entwicklungsländer auch im Rahmen der Kodizes auf den Grundsatz der Nicht--Gegenseitigkeit berufen. aa) Konsultations- und Streitbeilegungspflichten Die Abkommen enthalten insofern eine Forderung nach Gegensei­ tigkeit, als sich alle Unterzeichner zu bestimmten Kontrollen, zu Schlichtungs-, Streitbeilegungs- und zu genehmigten Gegenmaßnah­ men verpflichten. So hat nach Art. 12 Abs. 1 des erörterten Ü berein­ kommens zu Subventionen und Ausgleichszöllen ein Unterzeichner das Recht, Konsultationen mit einem anderen Unterzeichner zu verlangen, der eine Ausfuhrsubvention in einer Weise gewährt oder aufrechter­ hält, die mit dem übereinkommen unvereinbar ist. Nach Art. 13 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 7 wird bei Erfolglosigkeit der Konsultationen ein Schlich­ tungsverfahren vor dem „Ausschuß für Subventionen und Ausgleichs­ maßnahmen" in Gang gesetzt. Sollte auch die Schlichtung erfolglos m Vgl. Mitteilung der Kommission, S.11 f. 133 s. D. 1. 3.d).

134 Vgl. Kamins, S.331 ; s. auch Mitteilung der Kommission, S.50 f. 136 Vgl. die Abs.1 - 3 der Ermächtigungsklausel. 136 Vgl. D.II.4. und 5.

II. Tokio-Runde

133

verlaufen, setzt nach Art. 13 Abs. 3 i. V. m. Art. 18 Abs. 1 der Ausschuß eine Sondergruppe im Rahmen eines Streitbeilegungsverfahrens ein. Wenn der Ausschuß zu dem Schluß kommt, daß eine Ausfuhrsubven­ tion das übereinkommen verletzt, richtet er nach Art. 13 Abs. 4 an die Parteien Empfehlungen zur Lösung der Frage. Werden diese Empfeh­ lungen nicht befolgt, kann der Ausschuß nach Art. 13 Abs. 4 i. V. m. Art. 18 Abs. 9 geeignete Gegenmaßnahmen einschließlich der Rück­ nahme von Zugeständnissen oder Verpflichtungen auf Grund des GATT genehmigen137 • Der Verzicht auf Gegenseitigkeit nach Abs. 5 der Ermächtigungs­ klausel bezieht sich nur auf Handelsverhandlungen über tarifäre und nicht-tarifäre Zugeständnisse. Die Übernahme von Pflichten zur Über­ prüfung, Streitschlichtung etc. im Rahmen der einzelnen Kodizes wird durch Abs. 5 nicht berührt. Wenn die Entwicklungsländer die Vorteile der Abkommen in Anspruch nehmen wollen, müssen sie folglich auch die in ihnen enthaltenen Pflichten als Gegenleistung beachten. bb) Verhandlungen in den einzelnen Abkommen Der Grundsatz der Nicht-Gegenseitigkeit ist nach der Ermächtigungs­ klausel aber dann anwendbar, wenn in den Abkommen Verhandlun­ gen über Zugeständnisse an die Unterzeichner oder die durch die Meistbegünstigung Berechtigten vorgesehen sind. Bei diesen Verhand­ lungen sind zwei verschiedene Arten zu beachten. (1) Änderungen

Einmal ist in j edem Abkommen eine Änderungsklausel enthalten. Als Beispiel für alle sei Artikel 15 Abs. 10 des Übereinkommens über technische Handelshemmnisse genannt: ,,Die Vertragsparteien können diese übereinkommen unter anderem im Hinblick auf die bei seiner Durchführung gewonnenen Erfahrungen ändern. Eine Änderung, der die Vertragsparteien gemäß den vom Ausschuß festgelegten Verfahren 1 37 Ähnliche Pflichten sind auch in den anderen Abkommen enthalten. Nach Art. III der Übereinkunft über Rindfleisch übermitteln die Teilnehmer einem Internationalen Fleischrat Angaben zur Überwachung und Beurtei­ lung des Weltfleischmarktes. Eine ähnliche Verpflichtung gilt nach Art. III der Übereinkunft über Milcherzeugnisse. Nach den Art. 10, 11 und 14 ver­ pflichten sich die Unterzeichner des Abkommens über technische Handels­ hemmnisse zur Information, technischen Unterstützung für andere Ver­ tragsparteien sowie Konsultationen und Streitbeilegung. Pflichten zur In­ formation, Prüfung, Konsultationen und Streitbeilegung bestehen nach den Art. VI und VII auch im Rahmen des Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen. Vgl. ferner Art. 4 des Abkommens über Einfuhrlizenz­ verfahren, Art. 18 - 20 des Zollwertabkommens, Art. 5, 7 und 15 des Anti­ dumping-Abkommens sowie Art. V .und VII des Übereinkommens über Maß­ nahmen gegen die Einfuhr von nachgeahmten Waren.

184

D. Das Prinzip der Nicht-Reziprozität im geltenden Völkerrecht

zugestimmt haben, tritt für j ede Vertragspartei erst in Kraft, wenn sie von ihr angenommen ist 138 . " Wenn bei den Änderungsverhandlungen Verpflichtungen zum Abbau oder zur B eseitigung von Zöllen und son­ stigen Handelshindernissen eingegangen werden, ist nach dem Wortlaut des Abs. 5 der Ermächtigungsklausel die besondere Situation der Ent­ wicklungsländer zu beachten. Unter Berücksichtigung der erwähnten Richtlinien139 sind sie daher nicht zu Zugeständnissen verpflichtet, die mit ihren Entwicklungs-, Finanz- und Handelsbedürfnissen unverein­ bar sind. (2) Beitrittsverhandlungen und Neu-Verhandlungen

Der einzige Kodex der Tokio-Runde, der Beitrittsverhandlungen und eine Pflicht zu Neu-Verhandlungen ausdrücklich vorsieht, ist das übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen. Nach Art. I Abs. 1 c wird dieses Abkommen auf die Beschaffung durch Stellen an­ gewandt, die unmittelbar oder im wesentlichen der Kontrolle der Ver­ tragsparteien unterliegen und auf andere in einem Anhang aufgeführte Stellen. Diese Beschaffungsstellen unterliegen nach Art. II Abs. 1 dem Grundsatz der Inländerbehandlung und Nichtdiskriminierung. Daher dürfen die Vertragsparteien die Waren und Lieferanten anderer Ver­ tragsparteien bei Beschränkungen anderer Art als Einfuhrabgaben nicht ungünstiger als inländische Waren und Lieferanten einer ande­ ren Vertragspartei behandeln. Nach Art. III Abs. 3 führen Industrie­ und Entwicklungsländer, die dem Abkommen beitreten wollen 140 , Ver­ handlungen über Listen der Stellen, die unter das Abkommen fallen. Dabei sollen die besonderen Entwicklungs-, Finanz- und Handelsbe­ dürfnisse der Entwicklungsländer in Betracht gezogen werden. Erwähnt werden dabei die Ziele des Art. III Abs. l, nämlich: Schutz der Zah­ lungsbilanz; Errichtung oder Entwicklung inländischer Wirtsch,afts­ zweige ; Abhängigkeit inländischer Wirtschaftseinheiten von öffent­ lichen Aufträgen; Vereinbarungen zwischen Entwicklungsländern zur Förderung ihrer wirtschaftlichen Enty,ricklung. In Verhandlungen können daher Entwicklungsländer bestimmte Be­ schaffungsstellen, die von diesen Gesichtspunkten erfaß t werden, von den Listen und damit von Grundsätzen der Inländerbehandlung und Nichtdiskriminierung ausschließen. Weitere Ausnahmen können die Entwicklungsländer nach Art. III Abs. 4 für bestimmte Waren, die in den Listen der Beschaffungsstellen aufgeführt sind, nach Verbandms Übersetzung aus: Mitteilung der Kommission, S. 150. 139 s. D. II. 5. a) CC) (1). 140 Wie unter D. II. 4. erörtert, ist hier die Unterzeichnung erforderlich, da sich der Meistbegünstigungsgrundsatz nicht auf das öffentliche Beschaf­ fungswesen erstreckt.

II. Tokio-Runde

135

lungen erreichen. Dabei sind wiederum die erwähnten Gesichtspunkte des Abs. 1 zu berücksichtigen. Bei den Verhandlungen über die Listen der Beschaffungsstellen und die in ihnen aufgeführten Waren zwischen Industrie- und Entwick­ lungsländern handelt es sich um Verhandlungen im Sinne des Abs. 5 der Ermächtigungsklausel. Nach Art. III Abs. 3 und 4 werden sie für die Aufnahme der Entwicklungsländer in das übereinkommen ge­ führt141 . Diese Verhandlungen sind erfortderlich, da sich die Meistbegün­ stigungsklausel nicht auf das öffentliche Beschaffungswesen erstreckt 142. Sie gelten damit als Handelsverhandlungen zum Abbau oder zur B e­ seitigung von sonstigen Handelshemmnissen für den Handel der Ent­ wicklungsländer nach Abs. 5 der Ermächtigungsklausel. Bei den Auf­ nahmeverhandlungen zum übereinkommen über das öffentliche Be­ schaffungswesen sind die Entwicklungsländer daher nach Maßgabe der Ermächtigungsklausel nicht zu Gegenleistungen verpflichtet. Zusätzlich zu den Beitrittsverhandlungen sieht das übereinkommen über das öffentliche B eschaffungswesen als einziges Abkommen der Tokio-Runde Neu-Verhandlungen für die Erweiterung und Verbesse­ rung vor. Nach Art. IX Abs. 6 b sollen dabei sowohl der Grundsatz der Gegenseitigkeit als auch die Lage der Entwicklungsländer be­ rücksichtigt werden: ,,Die Vertragsparteien führen nicht später als mit Ablauf des dritten Jahres nach Inkrafttreten dieses Übereinkommens und danach in bestimmten Zeitabständen weitere Verhandlungen mit 14 1 Art. III Abs. 3 lautet: ,,Um sicherzustellen, daß die Entwicklungsländer diesem übereinkommen unter Bedingungen beitreten können, die mit ihren Entwicklungs-, Finanz- und Handelsbedürfnissen vereinbar sind, werden in den Verhandlungen über die Listen der Beschaffungsstellen der Ent­ wicklungsländer, die unter dieses übereinkommen fallen, die Ziele Iiach Absatz 1 gebührend in Betracht gezogen. Die entwickelten Länder bemühen sich, bei der Erstellung ihrer Listen von Beschaffungsstellen, die unter die.,. ses übereinkommen fallen, Stellen aufzunehmen, die Waren kaufen, an de­ ren Ausfuhr die Entwicklungsländer interessiert sind." Für die Vereinbarung von Ausnahmen stellt . Abs. 4 fest: ,.Entwicklungslän­ der können in den Verhandlungen über dieses übereinkommen mit anderen Teilnehmern für bestimmte Beschaffungsstellen oder Waren, die in ihren Listen der Beschaffungsstellen enthalten sind, allseits annehmbare Ausnah­ men aushandeln, wobei die besonderen Umstände jedes einzelnen Falles ge­ bührend in Betracht zu ziehen sind. In solchen Verhandlungen sind die in Absatz 1 (a) bis (c) angeführten Überlegungen gebührend zu berücksichtigen. Entwicklungsländer, die an regionalen oder weltweiten Vereinbarungen zwi­ schen Entwicklungsländern nach Absatz 1 (d) teilnehmen, können unter Be­ rücksichtigung der besonderen Umstände jedes einzelnen Falles auch Aus­ nahmen von ihren Listen aushandeln, wobei sie unter anderem die in den betreffenden regionalen oder .weltweiten Vereinbarungen enthaltenen Be­ stimmungen über das öffentliche Beschaffungswesen sowie insbesondere solche Waren in Betracht ziehen, die Gegenstand gemeinsamer industrieller Entwicklungsprogramme sein können.'' 1 42 s. D. IL 4.

136

D. Das Prinzip der Nicht-Reziprozität im geltenden Völkerrecht

dem Ziel, dieses ü bereinkommen auf der Grundlage der Gegenseitig­ keit zu erweitern und zu verbessern, wobei sie Artikel III, der sich auf die Entwicklungsländer bezieht, im Auge behalten. In diesem Zu­ sammenhang prüft der Ausschuß in einem frühen Stadium die Mög­ lichkeit, den Anwendungsbereich dieses Übereinkommens auf Dienst­ leistungsaufträge auszudehnen." In der Aussage bezüglich der Entwicklungsländer gibt es einen Wi­ derspruch zwischen Art. IX Abs. 6 b und der Ermächtigungsklausel: Ei­ nerseits sind Verhandlungen zur Erweiterung und Verbesserung des Ü bereinkommens nach dem Grundsatz der Gegenseitigkeit zu führen. Andererseits werden bei den Verhandlungen nach Art. IX Abs. 6 b Verpflichtungen zum Abbau oder zur Beseitigung von sonstigen Han­ delshindernissen i. S. von Abs. 5 der Ermächtigungsklausel eingegan­ gen. Nach Abs. 5 der Ermächtigungsklausel ist der Grundsatz der Nicht­ Gegenseitigkeit daher auch im übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen anwendbar. Eine Lösung dieses Widerspruches ist den in Art. III enthaltenen Ausnahmebestimmungen zugunsten der Entwicklungsländer nicht zu entnehmen. Zwar ist dort nicht ausdrücklich erwähnt, ob die Entwick­ lungsländer für ihre Bevorzugung Gegenleistungen erbringen müssen. Wie bereits erörtert, kann ein Entwicklungsland in einem Bereich der Handelsbeziehungen eine unterschiedliche und vorteilhaftere Behand­ lung als ein Industrieland erfahren, aber dennoch in einem anderen Bereich des Handels zu Gegenleistungen verpflichtet sein 143 • Nach Art. IX Abs. 6 b i. V. m. Art. III könnte somit bei Gewährung einer Vorzugsbehandlung eine Gegenleistung von einem Entwicklungsland verlangt werden. Aus folgenden Erwägungen wird der Grundsatz der Nicht-Gegen­ seitigkeit auch für die Verhandlungen nach Art. IX Abs. 6 b für an­ wendbar gehalten. Abs. 5 der Ermächtigungsklausel bezieht sich auf alle Verhandlungen, die den Abbau oder die Beseitigung von Handels­ hemmnissen bezwecken. Art. IX Abs. 6 b strebt auf Grund der Ver­ weisung auf Art. III eine Sonderbehandlung der Entwicklungsländer an, schließt somit eine Anwendung der Nicht-Gegenseitigkeit als eine Art dieser Bevorzugung nicht aus. Nach Abs. 3 des Beschlusses der Ver­ tragsparteien vom 28. November 1979 zum Verhältnis zwischen den einzelnen Abkommen und dem GATT sind die bestehenden Rechte und Vorteile aus dem GATT durch die Abkommen nicht berührt. Zu diesen Vorteilen gehört auch Art. XXXVI Abs. 8 GATT. Ferner gehört dazu der Beschluß der Vertragsparteien zur Nicht-Gegenseitigkeit vom u.s Vgl. die Erörterungen zu den Beiträgen der Entwicklungsländer bei Zöllen und mengenmäßigen Beschränkungen als Gegenleistung für ihren An­ spruch auf die Vorteile der Abkommen der Tokio-Runde, D. II. 5.b).

II. Tokio-Runde

187

28. November 1979. Diese Beschlüsse können gemäß Art. XXV Abs. 1 GATT gefaßt werden und sind a1s eine im Rahmen des GATT zu b e­ achtende Regel für diej enigen Vertragsparteien verbindlich, die sie an­ genommen haben144 • Da der Beschluß der Ermächtigungsklausel im Konsens gefaßt und außer Singapur von allen GATT-Mitgliedern ohne Vorbehalt angenommen wurde 1 46 , ist er als eine der „existing rights and benefits under the GATT" im Sinne des Beschlusses zum Verhältnis zwi­ schen den Abkommen und dem GATT anzusehen. Nach den Beschlüssen der Vertragsparteien vom November 1979 und den Art. XXV Abs. 1 , XXXVI Abs. 8 GATT ist daher auch i n Art. I X Abs. 6 b des Überein­ kommens über das öffentliche Beschaffungswesen bei Verhandlungen über seine Erweiterung und Verbesserung der Grundsatz der Nicht­ Gegenseitigkeit zu beachten.

6. Erster Versuch einer rechtlichen Wertung Eine erste rechtliche Bewertung der Ergebnsse der Tokio-Runde zur Nicht-Gegenseitigkeit soll auf Vergleichen mit anderen Bemühun­ gen um eine bevorzugte Behandlung der Entwicklungsländer beruhen. Anders als bei den UNCTAD-Zollpräferenzen scheinen die Industrie­ länder im GATT bereit zu sein, einen rechtlich verbindlichen Grundsatz der Nicht-Reziprozität anzuerkennen und ihn nicht nur auf Zölle, son­ der auch auf nicht-tarifäre Handelshindernisse zu erstrecken. Ein Vergleich mit Artikel XXXVI Abs. 8 zeigt einen größeren Grad rechtlicher Verbindlichkeit in der Ermächtigungsklausel. Nach Abs. 5 S. 2 erster Halbsatz versuchen die entwickelten Länder nicht, Gegen­ leistungen zu erwirken, die mit den besonderen Problemen der Ent­ wicklungsländer unvereinbar sind. Verstärkt wird diese Pflicht durch den letzten Halbsatz. Danach sind die Entwicklungsländer nicht ver­ pflichtet, diese Zugeständnisse zu gewähren. Aus der Anmerkung zu Art. XXXVI Abs. 8 folgt dagegen nur, daß die entwickelten Vertrags­ parteien derartige Zugeständnisse „nicht erwarten" 146 • Im Unterschied zu den Bestimmungen der Ermächtigungsklausel zur Meistbegünstigung werden die Industrieländer zum Verzicht auf Ge­ genleistungen aufgefordert. B ezüglich der präferenziellen Zoll- und nicht-tarifären Behandlung erklärt Abs. 1 der Ermächtigungsklausel le­ diglich, daß die Vertragsparteien Entwicklungsländer bevorzugen können, ohne diese Behandlung Industrieländern zu gewähren. Die Bevorzugung bei der Meistbegünstigung ist daher Inhalt einer Ertu Vgl. D. II. 4. m Vgl. GATT-Dokument SR. 35/4, 18. Dezember 1979, S. 61 f. U6 Vgl. den Text unter C. III. 1 .

138

D.Das Prinzip der Nicht-Reziprozität im geltenden Völkerrecht

laubnis147 , während der Verzicht auf Gegenseitigkeit Inhalt eines Sol­ lenssatzes ist. Als ein Beschluß der Vertragsparteien ist Abs. 5 der Ermächtigungs­ klausel für die GATT-Mitglieder verbindlich, die ihn angenommen haben. Bis auf ein Entwicklungsland haben alle Vertragsparteien den Grundsatz der Nicht-Reziprozität im Konsensus ohne Vorbehalt aner­ kannt. Bei Verhandlungen über den Abbau oder die Beseitigung von Zöllen und sonstigen Handelshindernissen können sich daher alle übri­ gen weniger entwickelten Vertragsparteien auf diesen Grundsatz be­ rufen. Die Ansicht ist daher vertretbar, daß im GATT seit November 1979 nicht mehr das „Ob" , sondern nur noch die Anwendung eines rechtlich verbindlichen Sollenssatzes zur Nicht-Gegenseitigkeit strittig ist. Andererseits ergeben sich Zweifel an der rechtlichen Verbindlichkeit der Nicht-Reziprozität. Erforderlich ist die Auslegung des unbestimmten Begriffes der Unvereinbarkeit. Mit Hilfe der gescheiterten brasiliani­ schen Vorschläge hätte dieser in Tatbestand und Rechtsfolge des Abs. 5 enthaltene Begriff näher eingegrenzt und ein Anspruch auf Nicht-Ge­ genseitigkeit festgestellt werden können. Gegen die rechtliche Bedeu­ tung der Nicht-Gegenseitigkeit könnte daher eingewandt werden, daß ein Anspruch wegen fehlender verbindlicher Auslegungsnormen nicht gegeben sei. Als Auslegungskriterien sind j edoch einige vage Richtlinien in der Ermächtigungsklausel enthalten: Status eines am wenigsten entwickel­ ten Landes; Graduierung nach dem Entwicklungsstand; Entwicklungs-, Finanz- und Handelsbedürfnisse. Wenn auch für die Konkretisierung der Nicht-Gegenseitigkeit ein vager B egriff wie die Unvereinbarkeit entscheidend ist, darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Ziel der Nicht-Reziprozität von allen Vertragsparteien als verbindlich ange­ sehen wird. Alle GATT-Mitglieder, die den Beschluß der Vertrags­ parteien angenommen haben, sind zur Erreichung dieses Zieles ver­ pflichtet. Schließlich ist zu beachten, daß angesichts der sehr strittigen Handelspräferenzen für Entwicklungsländer und der sich für alle Län­ der ständig ändernden Handelssituation eine Festlegung von konkreten Auslegungsnormen nicht zu erreichen und auch nicht gewollt war. Der mangelnde Wille ist nicht nur bei den Industrieländern zu sehen. Wie die Ausführungen zum Graduierungsprinzip zeigten, haben auch die Entwicklungsländer j egliche Festlegung auf Normen zur Bestimmung ihres j eweiligen Entwicklungsstandes abgelehnt1 48 •

147 Vgl. auch Yusuf, S. 506 f. 148 Unbestimmte Rechtsnormen sind auch in innerstaatlichen Rechtsord­ nungen unvermeidlich. Für die Bundesrepublik Deutschland gilt, daß das Rechtsstaatsprinzip des Art.20 Abs.3 GG die Bildung von unbestimmten

II. Tokio-Runde

139

Diese Überlegungen scheinen eine weitere Bestätigung der hier zugrundeliegenden These zur Bedeutung von internationalen Institu­ tionen für die Anwendung der Gegenseitigkeit im Völkerrecht zu sein. Erstens bestand ein Interesse an der Teilnahme möglichst vieler Staaten an Maßnahmen zur Handelsliberalisierung. Die Schwierigkeiten der meisten Länder mit dem Prinzip der Gegenseitigkeit waren daher zu berücksichtigen. Dies erfolgte durch Verhandlungen im Rahmen einer Institution, des GATT. Dabei wurde der in Art. XXXVI Abs. 8 GATT enthaltene unverbindliche Grundsatz der Nicht-Gegenseitigkeit be­ rücksichtigt. zweitens einigten sich Industrie- und Entwicklungsländer auf einen rechtlich unverbindlichen Grundsatz. Drittens können im Rahmen des GATT die für die Konkretisierung des verbindlichen Grundsatzes erforderlichen Verhandlungen geführt werden. Dabei ist die Verhandlungsposition eines entwickelten Landes, das die Gewäh­ rung eines Zugeständnisses wegen fehlender Gegenleistung eines Ent­ wicklungslandes ablehnt, durch die oben erwähnten Richtlinien einge­ schränkt. Für die Entwicklungsländer liegen daher Erfolg und zukünfti­ ge Bedeutung des GATT in der durch ihren Druck erreichten und aus­ zubauenden Gelegenheit, sich in den Handelsverhandlungen mit den Industrieländern auf ein verbindliches Prinzip der Nicht-Gegenseitig­ keit zu berufen. Wenn der hier festgestellte Grundsatz der Nicht-Gegenseitigkeit als Bestandteil des geltenden Völkerrechts angesehen wird m, kann er auf Grund der begrenzten Mitgliederzahl des GATT 160 nur als partikuläres Völkerrecht gelten. In den Vereinten Nationen als universeller internationaler Institu­ tion ist die Frage der Nicht-Gegenseitigkeit neben der UNCTAD auch in der Vollversammlung erörtert worden. Im Unterschied zur UNCTAD scheinen sich hier Industrie- und Entwicklungsländer in letzter Zeit auf die Nicht-Gegenseitigkeit als Teil des universellen Völkerrechts geeinigt zu haben161 •

Rechtsbegriffen nicht verbietet, um ein abstraktes Gesetz an konkrete Si­ tuationen anpassen zu können. Zwar müssen inhalt, Zweck und Aus­ maß der durch Gesetz erteilten Eingriffs- oder Leistungsermächtigung er­ kennbar sein. Es genügt aber, wenn die Gerichte in der Lage sind, die ge­ setzgeberische Entscheidung zu konkretisieren · und Zweifelsfragen zu klä­ ren. Vgl. BVerfGE 31, 255, 264; s. auch BVerfGE 21, 73, 79 ff. und Wolff / Bachof, Verwaltungsrecht I, 9. Auflage, . München 1974, S.189 f. 149 Zu der rechtlichen Bedeutung der Nicht-Gegenseitigkeit vgl. im ein­ zelnen die Ausführungen unter E.III. 160 Vgl. C. Fußnote 53; s. auch die Ausführungen unter D. Fußnote 336. 161 Zur Unterscheidung zwischen universellem· · und partikulärem Völkerrecht vgl. Berber, Lehrbuch I, S.21 f., 51 ff.

140

D. Das Prinzip der Nicht-Reziprozität im geltenden Völkerrecht III. Vollversammlung der Vereinten Nationen

Eine Untersuchung der Resolutionen der UN-Vollversammlung zeigt, daß die Entwicklungsländer nach der Resolution 1707 (XVI) vom 19. Dezember 1961 1 51! ihre Forderung nach nicht-reziproken Handelsvor­ teilen während beinahe jeder Vollversammlung, sei es durch Bezug­ nahme auf frühere Resolutionen zur Nicht-Gegenseitigkeit, sei es durch Neuformulierung, vorgetragen haben. 1. Forderung nach Nicht-Reziprozität bei Zöllen und nicht-tarifären Handelshemmnissen

Von den zahlreichen Resolutionen sollen im folgenden nur einige als repräsentativ anzusehende näher untersucht werden. Es fällt auf, daß in der Vollversammlung Forderungen nach einem Verzicht auf Gegen­ seitigkeit sowohl für Zölle als auch für nicht-tarifäre Handelsschranken gestellt werden. a) Resolution 3201 (S- VI)

Am 1. Mai 1974 nahm die Vollversammlung durch die Resolution 3201 (S-VI) die „Declaration on the establishment of a new international economic order" an1�. In Abs. 4 (n) einigte man sich auf folgende For­ mulierung: ,,The new international economic order should be founded on full respect for the following principles: . . . Preferential and non reciprocal treatment for developing countries, wherever feasible, in all fields of economic cooperation whenever possible; . . . " b) Resolution 3202 (S-VI)

Am selben Tag wurde die Resolution 3202 (S-VI) angenommen, die das sogenannte „Programme of Action" enthielt 1M . In Sektion I, Artikel 1s:2 Vgl. C. II. 1. - Einen ersten Eindruck der Bedeutung, den die Entwick­ lungsländer der Frage der Nicht-Reziprozität in der Vollversammlung bei­ messen, gibt die (nicht vollständige) Liste der Resolutionen, die im folgen­ den nicht näher erörtert werden. Res. 1785 (XVII) vom 8. Dezember 1962, in: Dusan J. Djonovic, United Nations Resolutions, Series I, Resolutions adopted by the General Assembly, Vol. I - XII, Dobbs Ferry, New York 1974 (zitiert: Djonovic), Vol. IX, S. 106 f.; Res. 2084 (XX) vom 20. Dezember 1965, Djono­ vic, Vol. X, S. 121 f.; Res. 2209 (XXI) vom 17. Dezember 1966, Djonovic, Vol. XI, S. 156; Res. 2503 (XXIV) vom 14. November 1969, Djonovic, Vol. XII, S. 238; Res. 2626 (XXV) vom 24. Oktober 1970, Djonovic, Vol. XIII, S. 255 f.; Res. 3040 (XXVII) vom 19. Dezember 1972, Djonovic, Vol.XIV, S. 290 f.; Res. 3174 (XXVIII) vom 17. Dezember 1973, S. 424 f.; Res. 3176 (XXVIII) vom 17. Dezember 1973, S. 425 ff.; Res. 31/159 vom 21. Dezember 1976, YUN 1976, S. 504 f.; Res. 32/174 vom 19. Dezember 1977, UNMC, Vol. XV, Number 1 (January 1977), S.134; Res. 33/2 vom 19. Oktober 1978, UNMC, Vol. XV, Num­ ber 11 (November 1978), S. 77. 153 s. YUN 1974, S.324 - 326.

III. Vollversammlung der Vereinten Nationen

141

3 b vereinbarten Industrie- und Entwicklungsländer: ,,All efforts should be made . . . to be guided by the principles of non-reciprocity and preferential treatment of developing countries in multilateral trade negotiations between developed and developing countries . . . ". c ) Resolution 3281 (XXIX)

Am 12. Dezember 1974 nahm die Vollversammlung mit der Resolu­ tion 3281 (XXIX) die „Charter of Economic Rights and Duties of States" an165 • Die Charta bezieht sich in drei Vorschriften auf die Nicht-Gegen­ seitigkeit. Nach Art. 18 sollen die entwickelten Länder „extend, improve and enlarge the system of generalized non-reciprocal and non-discrim­ inatory tariff preferences to the developing countries consistent with the relevant agreed conclusions as adopted on this subject, in the frame­ work of the competent international organisations". Art. 19 der Charta bestimmt, daß die „developed countries should grant generalized preferential, non-reciprocal and non-discriminatory treatment to devel­ oping countries in those fields of international economic co-operation where it may be feasible" . Art. 26 bezieht sich ausschließlich auf die Handelsbeziehungen: ,,International trade should be conducted without prejudice to generalized non-discriminatory and non-reciprocal pre­ ferences in favour of developing countries . . . " . Es fällt auf, daß sich nur Art. 18 der Charta allein auf Zollpräferenzen bezieht. Alle anderen Artikel erwähnen die Nicht-Gegenseitigkeit in Zusammenhang mit dem Handel insgesamt, d. h. auch bezüglich der nicht-tarifären Handels­ schranken. d) Resolution 3362 (S- VII)

Am Ende der siebten Sondersitzung der Vollversammlung für Ent­ wicklung und internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit wurde am 16. September 1975 die Resolution 3362 (S-VII) angenommen. In Sek­ tion I, Art. 8 erklärten die Mitglieder der Vereinten Nationen, daß das allgemeine System der Zollpräferenzen, welches auf der Grundlage der Nicht-Reziprozität beruhe, nicht wie ursprünglich vorgesehen nach zehn Jahren beendet werden solltem . e) Resolution 33/199

In dieser Resolution aus dem Jahre 1979 bezog sich die Vollversammlung auf die noch laufenden Verhandlungen der Tokio-Runde167 • m Ebd., S.326 - 332. 1s.; Ebd., S.402 - 407. 1611 YUN 1975, S. 348 - 354, S. 349 . 157

s. dazu im einzelnen ausführlich D. II. 1.

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D. Das Prinzip der Nicht�Reziprozität im geltenden Völkerrecht

Mit Hinweis auf die diese Verhandlungen eröffnende Tokio-Erklärung setzten die Entwicklungsländer die folgende Aufforderung an die Indu­ strieländer durch: ,,The General Assembly . . . calls upon the developed countries to abide by agreements arrived at in Tokyo, especially with regard to the principle of non-reciprocity, and special and differential treatment for the developing countries ; . . . 158. " f) Resolution 35/56

Nach Beratungen während der 1 1 . Sondergeneralversammlung zur Neuen Weltwirtschaftsordnung von August bis September 1980 verab­ schiedete die Generalversammlung am 20. Januar 1981 die Resolution 35/56 159 • Darin wurde die dritte Entwicklungsdekade der Vereinten Nationen verkündet und zu ihrer Realisierung eine internationale Ent­ wicklungsstrategie angenommen160 • Im dritten Teil der Strategie, den sog. ,,policy measures" , wurde im Absatz 1 zum internationalen Handel das Prinzip der Nicht-Gegenseitigkeit viermal erwähnt. Nach Paragraph 52 verpflichten sich zwar alle Länder zu einem of­ fenen und wachsenden Handelssystem. Die dafür vorgesehenen „equit­ able and secure conditions" sollen j edoch für die Entwicklungsländer besondere Maßnahmen nicht ausschließen: ,. . . . there should be more effective implementation, as far as possible, of the principle of differ­ ential and more favourable treatment, on a non-reciprocal basis, of developing countries in order to enhance their market access and to increase their share of world trade, taking into account their trade, development and financial needs 161 . " In Paragraph 53 werden die Ergebnisse der Tokio-Runde zu den nicht-tarifären Handelsschranken erwähnt. Indirekt wird dabei in S. 4 das Problem der Gegenseitigkeit für Entwicklungsländer berücksich­ tigt: ,,Concerted efforts will be made, particularly by developed coun­ tries, to reduce non-tariff barriers progressively and even abolish them, especially in the case of products or sectors of export interest to the developing countries162 . " In Paragraph 63 wird die Bedeutung des GSP betont163 • In Paragraph 64 wird die Nicht-Gegenseitigkeit für die tropischen Produkte ertos A/Res/33/199, 30 March 1979, S. 2. 1su A/Res/35/56, 20 January 1981. 100 Die erste Entwicklungsdekade wurde durch Res. 1710 (XVI) vom 19. De­ zember 1961 angenommen, s. YUN 1961 , S. 231 f.; die zweite durch Res. 2626 (XXV) vom 24. Oktober 1970, s. YUN 1970, S. 319 - 329. llll A/Res/35/56, s. 15. 162 Ebd. 163 s. 1 und 2 dieses Paragraphen lauten: .,The generalized system of pre-

III. Vollversammlung der Vereinten Nationen

1 43

wähnt: ,,Efforts should be pursued and intensified by developed coun­ tries to take special unilateral measures further to reduce trade barriers facing developing countries with respect to tropical products, includ­ ing those products in their processed forms, on a non-reciprocal basis. Those reductions should be urgently considered and carried out164 ." Die Aufzählung der Resolutionen, die in den letzten J ahren von der Vollversammlung zu den nicht-re,ziproken Handelspräferenzen verab­ schiedet worden sind, zeigt, daß dieses Organ der Vereinten Nationen von den Entwicklungsländern als geeignetes Forum für den Vortrag ihrer Forderungen angesehen wird. In allen Resolutionen sollte das Prinzip der Nicht-Gegenseitigkeit für Zölle und nicht-tarifäre Handels­ schranken gelten. Als Teil einer Resolution der Vollversammlung hängt die rechtliche B edeutung der von ihr verkündeten Nicht-Gegenseitig­ keit von der Bestimmung der Rechtsverbindlichkeit einer Resolution ab.

2. Rechtswirkung einer Resolution der Vollversammlung

a) Materielle Rechtsquelle Die Frage der rechtlichen Wirkung einer Resolution der Vollver­ sammlung ist Gegenstand . zahlreicher Erörterungen und mehrerer Schiedssprüche gewesen165 • Unbestritten ist ihre Bedeutung als mateferences should be continued as an important long-term instrument for pro­ moting trade and development co-operation and, in particular, for bring­ ing about an increased share of developing countries in world trade. The international community reaffirms the importance of the generalized, non­ reciprocal and non-discriminatory system of preferences for expansion and diversification of the export trade of developirig countries and for accelera­ tion of the rates of their economic growth." Ebd., S. 16. 164 Ebd., S. 17. 1 66 Es ist unmöglich, eine vollständige Liste der Literatur zu diesem Pro­ blemkreis anzugeben. Erste Hinweise sind einem Aufsatz Heribert Golsongs zu entnehmen: Das Problem der Rechtsetzung durch internationale Orga­ nisationen (insbesondere im Rahmen der UN) , in: Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht 10 (1971), (zitiert: Problem der Rechtsetzung) , S. 1 - 50, 2 f.; D. P. O'Connell, International Law, 2. Auflage, London 1970, S. 26 - 29 ; Christian Tomuschat, Die Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten. Zur Gestaltungskraft von Deklarationen der UN-Ge­ neralversammlung, in : ZaöRV 36 (1976) , S. 444 - 49 1 ; Alfred Verdross / Bruno Simma, Universelles Völkerrecht, S. 329 - 334; Christoph Schreuer, Recom­ mendations and the traditional sources of international law, in: GYIL 20 (1977), S.103 - 118; Matthias Brinkmann, Einstimmigkeit und Konsensver­ fahren. Zur Notwendigkeit und Entwicklüng des konsensualen Abstim­ mungsverfahrens in der Generalversammlung, in: VN 27 (1979), S. 201 - 205; Karin Heidenstecker, Zur Rechtsverbindlichkeit von Willensakten der Gene­ ralversammlung. Die Bestimmung des Rechtscharakters unter Verwendung von Artikel 38 des IGH-Stat'uts, in: VN 27 (1979) , S. 205 - 210; Martin Hecker, Völkerrecht und Nord-Süd-Problematik vor der Generalversammlung. Wirt­ schaftsvölkerrecht und Menschenrecht auf Entwicklung, in: VN 28 (1980), S. 41 - 47; Ian Brownlie, Legal Status of Natural Resources in International

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D . Das Prinzip der Nicht-Reziprozität im geltenden Völkerrecht

rielle Rechtsquelle, die die Bildung neuen Völkerrechts vorbereiten hel­ fen. So können sie zum Inhalt völkerrechtlicher Verträge werden, Aus­ gangspunkt für die Bildung von Völkergewohnheitsrecht sein oder zu einem allgemeinen Rechtsgrundsatz werden166 . Viele Autoren messen einer einstimmig beschlossenen Resolution eine hohe sachliche Autorität für die Entscheidung über den Anwendungsbereich einer völkerrecht­ lichen Regel zu. Danach können die Staaten besser als Forschungs­ institutionen oder auch internationale Gerichte beurteilen, ob eine Kon­ gruenz ihrer Interessen vorliegt. Diese Feststellung kann auch im Rah­ men einer einstimmig beschlossenen Resolution getroffen werden167 . Als „rechtliche Argumentationshilfe" 168 oder „Argumentationsrah­ men" 1�9 sind Resolutionen vom Rechtsanwender zu beachten. Dement­ sprechend beziehen der Internationale Gerichtshof1 76 und internationale Schiedsgerichte171 Resolutionen in den Prozeß der Rechtsfindung ein. Ferner wird eine materiell-rechtliche Bedeutung in einer deklaratori­ schen Rechtswirkung gesehen. Resolutionen erfüllen danach eine Be­ weisfunktion für bereits geltende Regeln des Völkerrechts172 . Eine Un­ tersuchung des geltenden Rechts muß daher eine Resolution der Voll­ versammlung als materielle Rechtsquelle beachten. b) Formelle Rechtsquelle

Im Unterschied zur unstreitigen materiellen Bedeutung der Resolu­ tionen wird ihre Anerkennung als formelle Rechtsquelle überwiegend abgelehnt. Viele Autoren sind der Ansicht, daß eine Resolution keine Law, in: RdC 162 (1979 I), S. 245 - 317, 255 ff. In der letzten Zeit haben zwei Schiedssprüche die rechtliche Bedeutung der Resolutionen erörtert. Inter­ national Arbitral Tribunal: Award on the Merits in Dispute between Te­ xaco Overseas Petroleum Company/California Asiatic Oil Company and the Government of the Libyan Arab Republic, in: ILM XVII (1978), S. 1 - 37, 27 ff.; Award of the Arbitral Tribunal in the dispute between Libyan Ame­ rican Oil Company (Liamco) and the Government of the Libyan Arab Re­ public relating to Petroleum Concessions 16, 17 and 20, in: ILM XX (1981), S. 1 - 87, 5 1 ff. Auch der Internationale Gerichtshof hat in letzter Zeit die rechtliche Bedeutung der Resolutionen erörtert; s. das Namibia-Gutachten vom 26. Januar 1971, ICJ Reports, 1971, S. 45 ff. 166 Vgl. Tomuschat, Charta, S. 467 ff. ; s. auch Heidenstecker, S. 206. 101 Vgl. Tomuschat, Charta, S. 480 f.; 0. Y. Asamoah, The Legal Signifi­ cance of the Declarations of the General Assembly of the UN, The Hague, 1966, s. 47 f. 16s So Tomuschat, Charta, S. 477. 169 So Verdross / Simma, Universelles Völkerrecht, S. 33 1 . 1 10 s. das Namibia-Gutachten (Fußnote 165), S. 31. m Vgl. den Texaco-Fall, S. 27 ff. und den Liamco-Schiedsspruch, S. 5 1 ff. 172 Vgl. die Hinweise bei Schreuer, Recommendations, Fußnote 34; s. auch Jorge Castaneda, Valeur juridique des resolutions des Nations Unies, in: RdC 129 (1970 1), S. 205 - 331, 313 ff.

III. Vollversammlung der Vereinten Nationen

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Rechtspflicht begründen könnte, da sie nur als eine „Empfehlung" nach Art. 13 der UN-Charta gelte. Sie weisen darauf hin, daß es im Völker­ recht allgemein anerkannt sei, daß Empfehlungen für den Adressaten keine Rechtspflicht enthalten können. Bezüglich der Vollversammlung wird als Begründung angeführt, daß ein Vorschlag der Philippinen, den Empfehlungen der Vollversammlung verbindliche Rechtskraft einzu­ räumen, auf der UNO-Gründungskonferenz in San Franziska abgelehnt wurde173 . Andere Autoren begründen ihre Ablehnung einer Rechtsver­ bindlichkeit mit der fehlenden Zuständigkeit der Vollversammlung, Völkerrecht zu kodifizieren1 74 • Unabhängig von einer Rechtsetzungsbefugnis der Vollversammlung könnten Resolutionen die Bedingungen des Art. 38 IGH-Statut erfüllen und damit eine formelle Rechtsquelle bilden175 . Eine vertragliche Bin­ dungswirkung ist der Zustimmung zu einer Resolution nicht zu ent­ nehmen1 711, da der die Weisung erteilende Entsendestaat von den politi­ schen Zielen und Aufgaben der Vollversammlung ausgeht. Ferner ist nach den meisten nationalen Verfassungen eine Ratifikation durch das Parlament bestimmt, ein UN-Delegierter daher nicht zum Vertragsab­ schluß ermächtigt177 . Um Resolutionen als Völkergewohnheitsrecht bewerten zu können, müßten sie die beiden Voraussetzungen dieser Rechtquelle: eine ein­ heitliche und konstante Übung sowie die sie tragende Rechtsüberzeu­ gung ( ,,opinio iuris sive necessitatis") enthalten17 8 . Dies wird aber von der überwiegenden Lehre179 abgelehnt180 . Danach ist eine Staatenpraxis 1 73 Vgl. UNCIO, Documents, Vol. IX, S. 70 und 3 1 6 ; s. die Hinweise bei Tomuschat, Charta, S. 465 f., Fußnote 86. 114 Vgl. Verdross / Simma, S. 331 m. w. N. 175 Art. 38 Abs. 1 a - c IGH-Statut lautet: ,,Der Gerichtshof, dessen Auf­ gabe es ist, die ihm unterbreiteten Streitigkeiten nach dem Völkerrecht zu entscheiden, wendet an a) internationale Übereinkünfte allgemeiner oder besonderer Natur, in de­ nen von den streitenden Staaten ausdrücklich anerkannte Regeln festge­ legt sind; b) das internationale Gewohnheitsrecht als Ausdruck einer allgemeinen, als Recht anerkannten Übung; c) die von den Kulturvölkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrund­ sätze ; . . ." . 1 76 S o aber Asamoah, S. 7 0 ; vgl. auch Suzanne Bastid, Observations sur une „etape" dans le developpement progressif et la codification des prin­ cipes du droit international, in: Recueil d'etudes de droit international en hommage a Paul Guggenheim, Genf 1968, S. 132 - 145, 132, 136. 111 Vgl. Heidenstecker, S. 207; s. auch Tomuschat, Charta, S. 472 m. w. N. 11s Das Vorliegen dieser Voraussetzungen wird von Asamoah, S. 46 f., 54 f., 70 bej aht; vgl. auch die abweichende Meinung des Richters Tanaka in seinem abweichenden Votum zum Südwestafrika-Urteil des IGH, ICJ Reports, 1966,

s. 248 - 324, 291 ff.

1 1& Die in Fußnote 165 zitierten Schiedssprüche erörtern die Frage eines Völkergewohnheitsrechts durch Resolutionen nicht.

10 Westrelcher

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D. Das Prinzip der Nicht-Reziprozität im geltenden Völkerrecht

der UN-Mitglieder außerhalb der Vollversammlung erforderlich. Wenn diese vorliegen sollte, kann die Rechtsüberzeugung im Rahmen der Vollversammlung geäußert wertden. Da aber jedes einer Resolution zu­ stimmende Mitglied weiß, daß es dadurch keine Verpflichtung ein­ geht, muß bei jeder Resolution festgestellt werden, ob eine Zustimmung die Erklärung einer Rechtsüberzeugung durch das jeweilige Mitglied und nicht durch die Organisation enthält. Ein Bejahen der Rechtsüber­ zeugung hat nur zur Folge, daß die Resolution insofern ein Ausgangs­ punkt für die Entstehung von Gewohnheitsrecht ist, als sie den Mit­ gliedstaaten die Gelegenheit zur Äußerung einer Rechtsüberzeugung gibt. Ferner muß die zweite Voraussetzung einer in sich geschlossenen Übung außerhalb der Organisation erfüllt werden181 • Erörtert wird auch, ob der Inhalt einer Resolution als allgemeiner Rechtsgrundsatz nach Art. 38 Abs. 1 c IGH-Statut gelten kann. Ur­ sprünglich sind als allgemeine Rechtsgrundsätze nur solche angesehen worden, die aus dem innerstaatlichen Recht in das Völkerrecht über­ nommen werden können182 • Die überwiegende Meinung in der Literatur geht jedoch davon aus, daß eine derartige enge Interpretation des Art. 38 Abs. 1 c in der heutigen Situation nicht mehr gerechtfertigt sei183 • Sinn und Zweck der Bestimmung sei vielmehr, eine Entscheidungs­ grundlage für die Fälle zu bilden, bei denen Vertrag oder Gewohnheits­ recht nicht vorliegen, aber ein von den Staaten als rechtlich verbind­ licher Grundsatz bejaht werden kann164 . Denkbar wäre, daß ein Beschluß der Generalversammlung einen Grundsatz des Völkerrechts enthält. Dagegen spricht, daß die Annahme einer Resolution, selbst wenn sie einstimmig erfolgen sollte, nach der Charta der Vereinten Nationen nur als Empfehlung gilt und nur der Organisation, nicht den Mitgliedstaaten zugerechnet wird. Eine Resolu­ tion als solche stellt daher kein neues Völkerrechtsprinzip dar1M . Eine Resolution der Vollversammlung kann daher nicht unter eine der Quellen nach Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut subsumiert werden. 1so Vgl. Tomuschat, Charta, S. 468 ff. m. w. N. in der Fußnote 94. 181 Vgl. H. W. A. Thirlway, International Customary Law and Codifica­ tion, Leyden 1972, S. 65 ff.; s. auch Heidenstecker, S. 207; Golsong, S. 31 ff. 182 Vgl. Jaenicke, Völkerrechtsquellen, in: Wörterbuch des Völkerrechts, Dritter Band, Berlin 1962, S. 766 - 775, 771. 1 83 Vgl. Golsong, S. 34. 184 Ebd.; s. auch Alfred Verdross, Les principes generaux du droit dans les systemes des sources du droit international public, in: Hommage Guggen­ heim, S. 521 - 530, S. 525 f.; ders., Die Quellen des universellen Völkerrechts, Freiburg 1973, S. 128; Verdross / Simma, S. 312. Dagegen gehen Jaenicke, Völ­ kerrechtsquellen, und Virally, Le röle des principes, S. 546, weiterhin davon aus, daß Grundsätze des Völkerrechts nur von Vertrags- und Gewohnheits­ rechtsnormen abgeleitet werden können. 185 So Golsong, S. 34 f.; Verdross / Simma, S. 333.

III.Vollversammlung der Vereinten Nationen

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c) Resolutionen als Element und Beweis eines durch formlosen Konsens begründeten Völkerrechtsprinzips Angesichts der in der Geschichte des Völkerrechts erstmals vorhan­ denen Repräsentanz nahezu aller Staaten in einer Institution stellt sich die Frage, ob die rechtliche Bedeutung der von ihr ausgehenden Be­ schlüsse mit einer traditionalistischen Konzeption des Völkerrechts fest­ gestellt werden kann. In zunehmendem Maße wird die Ansicht vertre­ ten, daß der Inhalt einer Resolution nicht allein deshalb rechtlich be­ deutungslos ist, weil diese nicht einer der Quellen nach Art. 38 IGH­ Statut entspricht188 • Ein numerus clausus der Rechtsquellen, der alle Normen ausschließt, die in einem unter Art. 38 IGH-Statut nicht zu subsumierenden Beschluß enthalten sind, ist daher abzulehnen187 • So wurde bereits bei der Erörterung des Völkergewohnheitsrechts darauf hingewiesen, daß eine Resolution die „opinio iuris" der UN-Mitglied­ staaten enthalten kann188 • Von den zahlreichen Theorien zur Entstehung einer völkerrechtlichen Norm außerhalb der Rechtsquellen des Art. 38 IGH-Statut189 wird den 188 Vgl. Tomuschat, Charta, S. 476; Schreuer, Recommendations, S.112, be­ hauptet angesichts der zahlreichen Versuche, die Empfehlungen internatio­ naler Institutionen im Rahmen der traditionellen Völkerrechtsquellen zu er­ klären: ,,The diversity and incongruity of these different constructions create the strong impression that an attempt is being made to tackle new legal phenomena with a set of unsuitable theoretical tools." 181 So bereits Christian Tomuschat, Verfassungsgewohnheitsrecht? Eine Untersuchung zum Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland. Heidelberg 1972, S. 111 f. Danach ist „im Völkerrecht die Frage der Bindung an ein be­ stimmtes Verfahren der Rechtserzeugung dem Grundsatz nach bis heute ge­ genstandslos . . . Die übliche Einteilung der Rechtsquellen nach Vertrag und Gewohnheitsrecht bedeutet keine Fixierung der Wege der Rechtserzeugung auf diese beiden Modalitäten, sondern beschreibt lediglich empirisch die äußeren Formen, auf die der Rechtswille der Völkergemeinschaft bisher im wesentlichen beschränkt gewesen ist. Die Förmlichkeiten sind lediglich In­ dikatoren für die Existenz eines echten Rechtswillens, der j ederzeit auch ein anderes Erscheinungsbild annehmen kann und damit jenes Merkmal der Unmittelbarkeit besitzt, wie es dem pouvoir constituant zugeschrieben wird." Zu Zweifeln an der bisherigen Quellenlehre s. auch Fritz Münch, Diskus­ sionsbeitrag, in: BDGVR 10, S. 199 - 201, 200 f. 188 Vgl. D.III.2.b). 1 89 Nach H. Strebei, Quellen des Völkerrechts als Rechtsordnung, in: Zaö­ RV 36 (1976), S.301 - 346, 326, können Resolutionen eine neben dem Gewohn­ heitsrecht stehende, selbständige Völkerrechtsquelle sein, soweit die Erfor­ dernisse der opinio iuris oder Staatenpraxis nicht erfüllt sind. Nach Erma­ cora, Problem der Rechtsetzung, 2.Bericht, in: BDGVR 10, S. 51 - 95, 88 f., 91 begründen Resolutionen ein . ,,Staatengemeinschafts-Gewohnheitsrecht" als Antithese zum klassischen Völkergewohnheitsrecht. Vorsichtiger äußert sich dagegen R. Y. Jennings, Recent Developments in the International Law Com­ mission, in: ICLQ 13 (1964), S.385 - 397, 393: ,,A resolution of an international body may represent the collective views of States; it may also represent little or nothing of the sort." Zurückhaltend auch Egon Schwelb, Neue Etap­ pen der Fortbildung des Völkerrechts durch die Vereinten Nationen, in: AVR

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folgenden Ausführungen die von Verdross und Simma begründete Kon­ senstheorie zugrunde gelegt. Danach bestand immer die Möglichkeit der Erzeugung von Völkerrecht durch „die Staaten als Herren des posi­ tiven Völkerrechts" 190 im Wege des formlosen Konsenses. Dieser ist als ursprüngliche Quelle des Völkerrechts anzusehen, da alle völkerrecht­ lichen Normen, auch Art. 38 IGH-Statut, durch ihn entstanden sind 1 9 1 . Nach dieser Theorie kann eine Norm in einer Resolution der Vollver­ sammlung als völkerrechtlich verbindlich gelten, wenn zwei Voraus­ setzungen erfüllt sind. Erstens muß aus der Annahme der Norm vor, während oder nach der Abstimmung deutlich werden , daß die Staaten und nicht nur die Generalversammlung als Organ einer internationalen Institution diese als verbindlich anerkennen. Wie erörtert, genügt die Annahme durch die Vollversammlung allein nicht, da sie nach Art. 13 der UN-Charta nur Empfehlungen aussprechen kann 1 92 • Zweitens ist festzustellen, ob die Staatenpraxis dem Konsens über eine Norm folgt. Im Unterschied zum Völkergewohnheitsrecht, bei dem die Praxis kon­ stitutive Bedeutung hat, ist sie beim Konsens nur als Beweismittel von Bedeutung 193 • Die Konsenstheorie scheint auch dem erwähnten Schiedsspruch im Texaco-Fall zugrunde zu liegen1114 • Ohne auf die Diskussion der Rechts­ qualität einer Resolution näher einzugehen, bemerkt der einzige Schieds­ richter Rene-Jean Dupuy: ,,In appraising the legal validity of the above-mentioned Resolutions, this Tribunal will take account of the criteria usually taken into consideration, i. e., the examination of voting conditions and the analysis of the p rovisions concernedm." Unter Ver­ zicht auf die Praxis geht Dupuy somit davon aus, daß Normen in einer Resolution völkerrechtlich verbindlich sind, wenn eine Interpretation der j eweiligen Bestimmung und eine Überprüfung des Abstimmungs­ verhaltens den Schluß auf eine Rechtsnorm zulassen. Auf der Grundlage der Konsenstheorie und dem Schiedsspruch im Texaco-Fall wird die Norm einer Resolution bei Erfüllung der folgen­ den Voraussetzungen als völkerrechtlich verbindlich angesehen. Text­ inhalt, Erklärungen der Staaten vor, während oder nach der Vollver-

13 (1966/67), S. 1 - 52, 52, der Resolutionen, die neues Völkerrecht prokla­ mieren, als eine neue Völkerrechtsquelle anzusehen scheint. Eine sorgfältige Aufstellung der anderen Theorien gibt Heidenstecker, S. 208 f. 190 So Bruno Simma, Methodik und Bedeutung der Arbeit der Vereinten Nationen für die Fortentwicklung des Völkerrechts, in: Kewenig (Hrsg.), s. 79 - 102, 98. 191 s. Alfred Verdross, Quellen, S. 20 f.; Verdross / Simma, S. 258 ff.; Simma, Methodik und Bedeutung, S.97 ff. 192 Vgl. D. III. 2. b). 193 Vgl. Verdross / Simma, S. 333. 19, Vgl. D., Fußnote 165. 1es Ebd., S. 28.

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sammlung sowie eine entsprechende Praxis müssen erkennen lassen, daß die Mitglieder der Vereinten Nationen durch eine in der Vollver­ sammlung verkündete Norm Rechte und Pflichten begründen wollten. 3. Die rechtliche Bedeutung der Nicht-Gegenseitigkeit in den Resolutionen

Trotz der praktischen Anwendung der Nicht-Gegenseitigkeit in den Handelsbeziehungen kann eine einschlägige Resolution nicht als Ele­ ment eines Völkergewohnheitsrechts gelten, indem die in der Vollver­ sammlung geäußerten M einungen der Staaten als „opinio iuris" ange­ sehen werden. Wie bei den allgemeinen Zollpräfereru?:en und im GATT festgestellt, werden nicht-reziproke Handelspräferenzen von den Indu­ strieländern in unterschiedlichem Ausmaß gewährt. Eine „dauernde und einheitliche Übung" 198 als eine Voraussetzung des Völkergewohnheits­ rechts 197 ist daher nicht zu b ej ahen. Nicht-Gegenseitigkeit als eine Norm des geltenden universellen Völkerrechts kann somit durch eine Resolution nur begründet werden, wenn sie darin im Rahmen eines formlosen Konsenses als Grundsatz des Völkerrechts anerkannt ist. Die folgenden Ausführungen sollen feststellen, ob sich die Mitglieder der Vereinten Nationen auf eine Norm der Nicht-Gegenseitigkeit einigen konnten, die ihr Verhalten gegenüber den Entwicklungsländern nicht im Detail, sondern nur in groben Umrissen andeuten soll 198 . a) Textinterpretation

Eine Analyse der eingangs zitierten einschlägigen Resolutionen zur Nicht--Gegenseitigkeit 199 zeigt eine ausschließliche Verwendung von fle­ xiblen Formulierungen. Die entwickelten Staaten werden nur durch ein „should" als Teil einer „exhortatory language" ermahnt. Ein Recht auf Nicht-Gegenseitigkeit hätte dagegen im Rahmen einer „mandatory language" durch die Verwendung des „shall" eingeräumt werden müs­ sen200 . Ferner legt der Gebrauch von Wendungen wie „as far a:s possi196 ,, . . . very definite, very consistent course of conduct . . . ", so die Ent­ scheidung des IGH zum Nordsee-Festlandsockel, ICJ Reports, 1969, S. 26. 19 7 Vgl. Jaenicke, Völkerrechtsquellen, S. 769 ; s. auch Thirlway, S . 57 m. w. N. 111s So mit Bezug auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze aus dem inner­ staatlichen Recht, Otto Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 166 f. und Berber, S. 71. 199 s. D. III. 1 . .2-00 Zur Bedeutung einer genauen Textanalyse anhand der hier verwand­ ten Merkmale vgl. R. Falk, On the Quasi-Legislative Competence of the Gen­ eral Assembly, in: AJIL 60 (1966), S. 782 - 79 1 , 786; s. auch das Gutachten des IGH vom 2 1 . 6. 1971 zu Resolutionen des Sicherheitsrates im Namibia-Fall, ICJ Reports, 1971, S. 53.

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ble"201 oder „where feasible and appropriate" 202 den Schluß auf eine unverbindliche Stellungnahme der Staaten in der Vollversammlung nahe. Wie erörtert, ist die Textinterpretation jedoch nur eines der Hilfsmittel für die Feststellung der rechtlichen Relevanz der Norm in einer Resolution. In einem Gutachten zur Rechtswirkung von Resolu­ tionen des Sicherheitsrates zu Namibia hatte der IGH diese trotz der Verwendung einer exhortatory language als rechtlich verbindlich an­ gesehen203 . Gegen diese Argumentation könnte eingewandt werden, daß der Sicherheitsrat im Gegensatz zur Vollversammlung gemäß Art. 25 der UN-Charta rechtlich verbindliche Resolutionen erläßt. Nach der hier vertretenen Ansicht sind Resolutionen der Vollversammlung als Organbeschlüsse nicht verbindlich. Entscheidend ist allein die Feststel­ lung, ob Erklärungen und Praxis der Staaten den Schluß auf einen Konsens zu einer verbindlichen Norm zulassen. Wenn demnach der Wille der Staaten zu einer Verpflichtung auch durch eine Resolution der Vollversammlung ausgedrückt werden kann204 , darf als Vergleich nicht die Rechtskraft der Resolutionen der beiden UN-Organe heran­ gezogen werden, sondern der beiden zugrundeliegende Konsens. Für dessen Bestimmung ist die Interpretation des gewählten Textes nur eines von drei Hilfsmitteln205 • Trotz des Indizes einer rechtlich unver­ bindlichen Norm zur Nicht-Gegenseitigkeit im Resolutionstext sind daher weitere Hinweise zu überprüfen. 201 So in Abs. 52 der Res. 35/56. 202 So Teil I, 8.Abs. der Res. 3362 (S-VII). 2-03 Die entscheidenden Stellen des Gutachtens lauten: ,,lt has also been contended füat the relevant Security Council resolutions .are couched in ex­ hortatory rather than mandatory language and that, therefore, they do not purport to impose any legal duty on any State nor to affect legally any right of any State. The language of a resolution of the Security Council should be carefully analysed before a conclusion can be made as to its binding effect. In view of the nature of · the powers under Article 25, the question whether they have been in fact exercised is to be determined in each case, having regard to . the terms of the resolutions to be interpret­ ed, the discussions leading to it, the Charter provisions invoked and, in general, all circumstances, that might assist in determining the legal conse­ quences of the resolutions of the Security Council. Applying these tests, . . . The Court has therefore reached the conclusion that the decisions made by the Security Council . . . were adopted in conformity with the purposes and principles of the Charter and in accordance with its Articles 24 and 25 . . . The decisions are consequently binding on all States Members of the United Nations, which are thus under obligation to accept and carry them out." ICJ Reports 1971, S. 53. 204 Zur entscheidenden Bedeutung des Willensmomentes bei Entstehung einer völkerrechtlichen Verpflichtung vgl. Oscar Sehachter, The Twilight Existence of Nonbinding International Agreements, in: AJIL 71 (1977), s. 296 - 304, 296 f. 20s Ebd., S.298 : .,These cases indicate that caution is required in drawing inferences.. of nonbinding intention from general and imprecise undertakings in agreements which are otherwise treated as binding."

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b) Erklärungen der Staaten zu den Resolutionen

Bis auf die „Charter of Economic Rights and Duties of States" sind alle hier untersuchten Resolutionen im Konsensus angenommen wor­ den. Dieser Annahmemodus wird angewandt, wenn nach den Diskus­ sionen in den Ausschüssen aufgetretene Gegensätze ohne Stimmvotum durch einen Kompromiß überbrückt werden sollen. Auf diese Weise werden zumeist den entwickelten Staaten Abstimmungsniederlagen er­ spart-. Trotz fehlender Abstimmung läßt sich den Erklärungen der Staaten in den Ausschüssen oder im Plenum entnehmen, ob sie durch die Resolution eine rechtliche Verpflichtung eingehen wollten. aa) Vor der dritten Entwicklungsdekade Die 1974 verabschiedeten Resolutionen zu der „Declaration on the establishment of a new international economic order" und dem ent­ sprechenden „Programme of Action2117 " wurden zwar im Konsensus angenommen. Während der Debatte in der Vollversammlung wurden aber die verschiedenen Positionen der einzelnen Staatengruppen deut­ lich208 . Die entwickelten Staaten äußerten so viele Vorbehalte gegen die­ se zwei Resolutionen und den in ihnen geforderten Verzicht auf Gegen­ seitigkeit, daß der Vertreter der Vereinigten Staaten das Vorliegen ei­ nes Konsensus verneinte209 • Bei der Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staa­ ten zeigte die Abstimmung zu den einzelnen Artikeln im zweiten Aus­ schuß der Vollversammlung (Wirtschaft und Finanzen), daß die In­ dustrieländer nicht bereit waren, einen Grundsatz der Nicht-Gegensei­ tigkeit für alle Handelsschranken zu akzeptieren. So stimmten z. B. 10 Staaten gegen Art. 26, der die Nicht-Gegenseitigkeit auf die gesamten Handelsbeziehungen erstreckt. 14 Länder enthielten sich210 • Über Art. 19 zur Nicht-Gegenseitigkeit wurde zwar im zweiten Ausschuß nicht ab­ gestimmt. Die im Plenum erklärten Vorbehalte zeigten aber auch hier einen fehlenden Konsensus aller Staaten211 • Im Rahmen des Systems der allgemeinen Zollpräferenzen stimmten die Industrieländer j edoch 206 Vgl. L. B. Sohn, United Nations Decision-Making: Confrontation or Consensus?, in: HILJ 15 (1974), S. 438 - 445, 444 f.; s. auch Matthias Brink­ mann, S. 204. 201 Vgl. D. III. 1. a) und b). 20s Insgesamt äußerten sich 38 Delegationen. Einen überblick gewährt die Zusammenfassung der Erklärungen im UNMC, Vol. XI (1974), Number 5, S. 45 - 58. 2ou Vgl. die Erklärung von Mr. Scali, in: Offlcial Records of the General Assembly, Sixth Special Session, A/PV/2229, S. 7 f. 210 Vgl. YUN 1974, S. 401. 2 1 1 Vgl. die Zusammenfassung der Erklärungen im YUN, 1974, S. 399.

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der Nicht-Gegenseitigkeit zu. Der entsprechende Artikel wurde mit 1 3 1 Stimmen b e i keiner Gegenstimme oder Enthaltung angenommen212 • Die gleiche Beobachtung trifft auf die einstimmig angenommene Re­ solution 3362 (S-VII) zu. Die in Art. 8 erklärte Zustimmung der Indu­ strieländer zur Nicht-Gegenseitigkeit bezieht sich nur auf Zollpräfe­ renzen213 . Die ablehnende Haltung der entwickelten Länder gegenüber einem auch für nicht-tarifäre Handelsschranken gelteil!den Prinzip der Nicht-Gegenseitigkeit zeigte sich noch im März 1 979. Die in der Reso­ lution 33/199 erwähnte Tokio-Erklärung bezog sich nicht nur auf einen Verzicht auf Gegenseitigkeit für Zölle2 14 • In der Vollversammlung stimmten 1 10 Länder dafür, 1 1 dagegen215 . bb) Resolution 35/56 zur dritten Entwicklungsdekade Nach Beendigung der Tokio-Runde im April bzw. November 1 980 erklärten die Industrieländer ihre B ereitschaft, das Prinzip der Nicht­ Reziprozität nicht nur für Zölle anzuwenden. In Paragraph 52 der Resolution zur Strategie für das dritte Entwicklungsj ahrzehnt ver­ pflichten sich alle Länder zu einem offenen und expandierenden Han­ delssystem2 111 . Danach wird das Ziel eines ständigen Handelswachstums unter gerechten und gesicherten Bedingungen einmal durch die Über­ prüfung der bestehenden Normen und Grundsätze des internationalen Handels gewährleistet. Ferner soll dieses Ziel durch die Verwirkli­ chung des Grundsatzes der unterschiedlichen und vorteilhafteren Be­ handlung der Entwicklungsländer im Welthandel auf der Grundlage der Nicht-Gegenseitigkeit erreicht werden. Der Grundsatz der Nicht­ Gegenseitigkeit bezieht sich somit nach Paragraph 52 der Res. 35/56 auf den Welthandel insgesamt, d. h. auch auf nicht-tarifäre Handelsschl."lan­ ken. Diese Feststellung wird durch den letzten S atz des folgenden Pa­ ragraphen unterstützt. Danach sollen vor allem die entwickelten Län­ der nicht-tarifäre Handelsbarrieren schrittweise abbauen und schließ­ lich abschaffen217 . Der besondere Hinweis auf die Anstrengungen der Industriestaaten bedeutet, daß von den Entwicklungsländern entspre­ chende Gegenleistungen in diesem Bereich nicht erwartet werden. In Paragraph 63 wird die B edeutung der Nicht-Gegenseitigkeit für das Allgemeine System der Zollpräferenzen wiederholt218 . Nach Paragraph 212 2 13 21 4 2 1s

s. YUN 1974, S. 401 . s . YUN 1975, S. 349. Vgl. D. III. 1 . f). Dagegen stimmten: Belgien, Kanada, Dänemark, Frankreich, Bundesre­ publik Deutschland, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Großbritannien und die Vereinigten Staaten, s. UNMC, Vol. XVI (1979), Number 2, S. 65. 21e Vgl. den Text unter D. III. 1 . f). 211 Ebd.

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64 sollen die Industriestaaten Handelsschranken für tropische Produk­ te auf einer nicht-reziproken Basis beseitigen219 • Das Ausmaß der Zustimmung zur Nicht-Gegenseitigkeit kann durch die Stellungnahmen der einzelnen Delegationen im Rahmen des zwei­ ten Ausschusses und im Plenum der Vollversammlung festgestellt wer­ den. (1) USA Die Vereinigten Staaten von Amerika erklärten ihre Haltung zu dem Konsensus über die dritte Entwicklungsdekade während der 41. Sit­ zung des 2. Ausschusses und der 84. Sitzung der 35. Vollversammlung. Im zweiten Ausschuß bekräftigte die amerikanische Vertreterin nicht nur eine Verpflichtung der USA zu einem vom Protektionismus freien Welthandel. Sie erwähnte auch die Probleme der Entwicklungsländer: „The United States endorsed the commitment of all countries to an open and expanding system of trade and, as a first step the implementation of progressive reductions in tariff and non-tariff barriers. Her delegation inter­ preted the provisions of the Strategy on the concessions that the developed countries should grant the developing countries as meaning that the devel­ oping countries should also be ready to make such concessions as were consistent with their development, financial and trade needs220 ." Die wörtliche Wiederholung des Teiles der Ermächtigungsklausel zur Nicht-Gegenseitigkeit steht im Zusammenhang mit der Erwähnung be­ stehender Abkommen für die Verwirklichung der Entwicklungsstrate­ gie: ,,the implementation of the policy measures shouleruht auf einer Zusammenfassung der Tabelle IV des Berichts des EWG-AKP-Ministerrats, S.34 - 36. M1 Ebd. 12 Westre!cher

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D.Das Prinzip der Nicht-Reziprozität im geltenden Völkerrecht

Produkte342. Nach Art. 9 Abs. 1 verzichtet die Gemeinschaft angesichts der derzeitigen Entwicklungserfordernisse der AKP-Staaten auf eine Gegenleitsung für diese Präferenzen. Nach Art. 66 g soll die industrielle Zusammenarbeit zur Beschaffung von Deviseneinnahmen gefördert werden. Angesichts des Ziels des Gleichgewichts im AKP-EWG-Handel, der verwendeten Mittel und der tatsächlichen Handelsstruktur ist nun zu fragen, ob die Nicht-Gegenseitigkeit einer der Grundsätze des Lome-Abkommens ist, der im neuen Abkommen zwischen der EWG und den AKP-Staaten berücksichtigt werden muß. (3) Bedeutung der Nicht-Gegenseitigkeit Die Erwähnung der derzeitigen Entwicklungserfordernisse bei dem Ziel des strukturellen Gleichgewichts und den dafür vorgesehenen Maßnahmen der Präferenzen, Nicht-Gegenseitigkeit und Förderung des Aufbaus eigener Industrien deuten darauf hin, daß tatsächliche Vergünstigungen so lange zu gewähren sind, bis der Entwicklungsstand der AKP-Staaten eine diversifizierte Exportstruktur im Handel mit der Gemeinschaft ermöglicht hat. Daraus könnte gefolgert werden, daß bis zu diesem Zeitpunkt die Nicht-Gegenseitigkeit einer der Grund­ sätze des Lome-Abkommens ist. Diesem Argument kann entgegnet werden, daß Präferenzen oder Förderung der Industrie allein eine aus­ geglichene Handelsbilanz erreichen können. Die in den Tabellen deut­ lich gewordenen tatsächlichen Auswirkungen des Handels zeigen je­ doch, daß aktive Handelsförderung allein nicht ausreicht, um die Han­ delsstruktur der AKP-Staaten zu verbessern. Hier ist an die eingangs erwähnte Bedeutung der Nicht-Gegenseitigkeit im Rahmen d es „infant industry"-Arguments zu erinnern= . Angesichts der hohen Fertigwaren­ importe aus der Gemeinschaft ist ein Schutz der AKP-Industrien er­ forderlich. Die Vorteile eines freien Marktzugangs und der Förderung eigener, zum größten Teil im Aufbau befindlicher Industrien können sich nicht auswirken, wenn der eigene Bedarf durch wesentlich kosten­ günstiger hergestellte Produkte aus den Industriestaaten befriedigt werden kann344 • Wenn das Ziel der Exportdiversifizierung erreicht werden soll, tat­ sächlich aber eine zu starke Konkurrenz durch die Gemeinschaft im 342 Vgl. D. IV. 3. b). 343 Vgl. B.IV. 3. 344 Eine ähnliche Ansicht vertritt Mahmoud Salem in seinem Aufsatz „Vers un nouvel ordre economique international. A propos des travaux de la 6e session extraordinaire des Nations Unies" , in: Clunet 102 (1975), S. 753 - 800, 771: ,,. . . qu'il serait illogique que les produits industriels des pays en voie de developpement, rendus possibles gräce a une assistance des pays developpes, soient soumis a des droits de douane permettant a ces derniers pays de recuperer l'assistance fournie" .

IV. Nicht-Gegenseitigkeit in den EWG-AKP-Beziehungen

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Fertigwarensektor besteht, folgt aus dem „effet utile"-Prinzip die ·Be­ deutung der Nicht-Gegenseitigkeit zum Schutz der heimischen Industrie als einer der Grundsätze des Lome-Abkommens34"1 , Die Erwähnung des jeweiligen Entwicklungsstandes im Zusammenhang mit der Förde­ rung der Exportdiversifizierung durch Nicht-Gegenseitigkeil:3-MI bedeu­ tet aber, daß die Nicht-Gegenseitigkeit als ein für ein späteres Ab­ kommen zu beachtender Grundsatz nur bei Fortdauer des bisherigen Strukturgefälles zwischen Fertigwaren- und Rohstoffexporten gilt. Da für die nähere Zukunft keine Verbesserung der Exportstruktur zu erwarten ist:147 , wird die Gemeinschaft bei den Verhandlungen nach Art. 188 Abs. 2 den Grundsatz der Nicht-Gegenseitigkeit als eine der Bestimmungen zu beachten haben, die im neuen Abkommen enthalten sind. d) Organe der Lome-Abkommen

Bei der Erörterung eines pactum de contrahendo und der Dauer des Grundsatzes der Nicht-Gegenseitigkeit wurden bereits einige Organe der Lome-Abkommen erwähnt. Diese sind nach Art. 163 der Minister­ rat, der Botschafterausschuß und die Beratende Versammlung. Wie in den Jaunde-Abkommen handeln sie nach dem Grundsatz der Parität und Einstimmigkeit. So besteht der Ministerrat aus den Mitgliedern des Rates und der Kommission der Gemeinschaft einerseits und je einem Mitglied der Regierungen der AKP-Staaten andererseits (Art. 164 Abs. 1). Gemäß Art. 168 und 176 hat der Ministerrat als das wichtigste Organ der EWG-AKP-Beziehungen348 rechtsetzende, empfehlende und streit­ schlichtende Befugnisse. Er legt die großen Leitlinien für die Arbeit im Rahmen der Durchführung des Abkommens fest (Art. 168 Abs. 1)3411 • Ferner prüft er in regelmäßigen Abständen die Ergebnisse, trifft die notwendigen Maßnahmen für die Verwirklichung der Ziele, ist befugt - bei den im Abkommen vorgesehenen Fällen - zum Erlaß für die Vertragsparteien verbindlicher Beschlüsse und kann Entschließungen verabschieden, Empfehlungen aussprechen sowie Stellungnahmen ab­ geben. 345 Zur Bedeutung des „effet utile"-Prinzips bei der Auslegung völkerrecht­ licher Verträge vgl. Müller, S. 128 f.; s. auch Verdross / Simma, S. 393 m. w.N. MG Vgl. Art. 1 S. 1, 9 Abs. 1. 347 Vgl. Focke, S. 14; Bericht des AKP-EWG-Ministerrats (Fußnote 339), S. 39 ; Hella Gerth-Wellmann, Das AKP/EG-Abkommen von Lome, Bilanz und Perspektiven, München, London 1979, S. 25 ff. 348 Vgl. Dirk Baumgartner, Institutionelle Aspekte des AKP-EWG-Abkom­ mens von Lome, in: EuR 13 (1978), S. 105 - 121, 1 10. 349 Vgl. z. B. die Maßnahmen zur Absatzförderung von der Produktionsstufe bis zur Endstufe der Verteilung nach den Art. 20 ff. 12•

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D. Das Prinzip der Nicht-Reziprozität im geltenden Völkerrecht

Von besonderer Bedeutung ist die Gewährleistung eines ständigen Dialogs zwischen der Gemeinschaft und den AKP-Staaten im Rahmen des Ministerrats. Hier finden die zahlreichen im Abkommen vorgese­ henen Konsultationen statt360 • Die Gemeinschaft oder die AKP-Staaten können im Rat j edes Problem erörtern, das sich bei der Anwendung des Abkommens ergibt. Ferner können hier Fragen •besprochen werden, die sich auf die unter das Abkommen fallenden Bereiche auswirken. Schließlich können die Vertragsparteien im gegenseitigen Einver­ ständnis wirtschaftliche oder technische Fragen von gemeinsamem Interesse erörtern361 • Die Bedeutung der Konsultationen zeigte sich in der Bereitschaft der Gemeinschaft, die von ihr geplanten Maßnahmen mit Auswirkung auf den Handel der AKP-Staaten erneut zu prüfen, nachdem diese im Ministerrat von den betroffenen Staaten negativ beurteilt worden waren= . Da der Ministerrat nur einmal j ährlich zusammentritt, hat sich in der Praxis der Botschafterausschuß als die permanente Verbindung zwischen der Gemeinschaft und den AKP-Staaten entwickelt. Er setzt sich aus Vertretern jedes Mitgliedstaates, einem Vertreter der Kommis­ sion und einem Vertreter jedes AKP-Staates zusammen (Art. 170). Da er die meisten der Verwaltungs- und Ausführungsaufgaben über350 Vgl. die vor Anwendung der Schutzklausel vorgesehenen Konsultatio­ nen nach Art. 13 Abs. 1 und 2, s. auch Abs. 5. Die große Bedeutung der Kon­ sultationen in der handelspolitischen Zusammenarbeit zeigt die Aufstellung ihrer Voraussetzungen in Art. 16: ,,1. Beabsichtigen die Vertragsparteien handelspolitische Maßnahmen zu tref­ fen, die die Interessen einer oder mehrerer Vertragsparteien im Rahmen dieses Abkommens beeinträchtigen, so haben sie den Ministerrat hiervon zu unterrichten. Auf Antrag der betreffenden Vertragsparteien finden Konsultationen statt, um deren jeweilige Interessen zu berücksichtigen. 2. Gelangen die AKP-Staaten während der Laufzeit dieses Abkommens zu der Auffassung, daß die unter Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe a) fallenden landwirtschaftlichen Erzeugnisse, für die keine Sonderregelung gilt, die Gewährung einer solchen Regelung rechtfertigen, so können im Minister­ rat Konsultationen stattfinden. 3. Eine Vertragspartei gelangt zu der Auffassung, daß aufgrund einer Re­ gelung in einer anderen Vertragspartei, ihrer Auslegung, ihrer Anwen­ dung oder ihrer Durchführung der Warenverkehr behindert wird. 4. Beabsichtigt die Gemeinschaft, mit dritten Staaten ein Präferenzabkom­ men zu schließen, so unterrichtet sie hiervon die AKP-Staaten. Auf An­ trag der AKP-Staaten finden zur Wahrung ihrer Interessen Konsultatio­ nen statt. 5. Treffen die Gemeinschaft oder die Mitgliedstaaten Schutzmaßnahmen ge­ mäß Artikel 12, so können im Ministerrat auf Antrag der betreffenden Vertragsparteien über diese Maßnahmen Konsultationen insbesondere mit dem Ziel stattfinden, die Einhaltung von Artikel 12 Absatz 3 sicher­ zustellen." 351 s. den Bericht des AKP-EWG-Ministerrates (Fußnote 339), S. 153 f. 352 Vgl. die Änderung der Einfuhrregelung für Tomaten aus Senegal im Bericht des Ministerrates, S. 17; s. dort auch die Ausführungen zur Tätigkeit im Handelsverkehr, S. 13 ff.; vgl. auch Baumgartner, S. 1 12.

IV. Nicht-Gegenseitigkeit in den EWG-AKP-Beziehungen

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nimmt, tritt er häufiger zusammen= . Der Botschafterausschuß unter­ stützt den Ministerrat bei der Erfüllung seiner Aufgaben (Art. 171 Abs. 1). Er erledigt alle ihm von diesem übertragenen Aufgaben und hat den Ablauf des Abkommens sowie die Fortschritte zu prüfen, die bei der Verwirklichung der vom Ministerrat festgelegten Ziele gemacht worden sind. Ferner berichtet er dem Rat über seine Tätigkeit und unterbreitet ihm Vorschläge, Entschließungen, Empfehlungen oder Stel­ lungnahmen, die er für notwendig oder zweckdienlich erachtet (Art. 171 Abs. 4)354• Als Konsultativorgan ergänzt die Beratende Versammlung die Arbeit des Ministerrats und des Botschafterausschusses. Sie setzt sich paritä­ tisch aus Mitgliedern des Europäischen Parlaments und von den AKP­ Staaten bestimmten Vertretern zusammen (Art. 175 Abs. 1) . Ihre Auf­ gaben bestehen im wesentlichen aus der jährlichen Prüfung des Tätig­ keitsberichts des Ministerrats (Art. 175 Abs. 6), der Unterbreitung von Empfehlungen an den Ministerrat insbesondere anläßlich der Prüfung des Tätigkeitsberichts (Art. 175 Abs. 2) und der Verabschiedung von Entschließungen auf Gebieten, die das Abkommen betreffen (Art. 175 Abs. 8). Unterstützt wird die Beratende Versammlung von einem Pari­ tätischen Ausschuß, der sich aus je einem Vertreter der einzelnen AKP­ Länder und einer gleich großen Zahl von Mitgliedern des Europäischen Parlaments zusammensetzt. Er bereitet die jährlichen Sitzungen der Beratenden Versammlung vor allem durch die Ausarbeitung von Be­ richten und Entschließungen voi-365 • Anläßlich der fünften Jahrestagung der Beratenden Versammlung unternahm der von Frau Katharina Focke im Namen des Paritätischen Ausschusses vorgelegte Bericht eine kritische Bestandsaufnahme von Lome I und eine erste Bewertung der neuen Regelungen im zweiten Abkommen3se . Hervorzuheben sind auch die in Art. 175 Abs. 7 vorgesehenen Kon­ takte mit wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gruppen3.'57 • Im Ver­ lauf des ersten Lome-Abkommens hatte die Beratende Versammlung vier Begegnungen zwischen Mitgliedern der Beratenden Versammlung und Vertretern der Wirtschafts- und Sozialkreise der AKP-Staaten 3-03 Zwischen April 1976 und Februar 1980 siebenmal; vgl. Bericht des Mi­ nisterrates, S.155. 354 Ebd.; s. auch Baumgartner, S.113 f. 35 5 Vgl. Art.21 der Geschäftsordnung der Beratenden Versammlung (GOBV), in: Sonderveröffentlichung des Amtes für amtliche Veröffentlichun­ gen der EG, Luxemburg. ase Vgl. das Vorwort zu diesem Bericht (s. Fußnote 337) von Simone Veil und Salomon Tandeng Muna, S.5 f. 357 Art. 175 Abs.7 lautet: ,,Die Beratende Versammlung kann auf Ad-Hoc­ Basis jede ihr wünschenswert erscheinende Verbindung aufnehmen, um die Stellungnahmen der Wirtschafts- und Sozialkreise zu der Politik der i1,1s,111l.­ menarbeit im Rahmen diese s A.bkomm