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German Pages 266 [256] Year 2014
Patrick Ostermann, Claudia Müller, Karl-Siegbert Rehberg (Hg.) Der Grenzraum als Erinnerungsort
Histoire | Band 34
Patrick Ostermann, Claudia Müller, Karl-Siegbert Rehberg (Hg.)
Der Grenzraum als Erinnerungsort Über den Wandel zu einer postnationalen Erinnerungskultur in Europa
Dieser Band wurde gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Grünen Fraktion im Südtiroler Landtag und in Zusammenarbeit mit dem Italien-Zentrum der TU Dresden.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 transcript Verlag, Bielefeld
Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat: Patrick Ostermann, Claudia Müller Satz: Claudia Müller Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-2066-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Inhalt
Einleitung: Der nordostitalienische Grenzraum als Erinnerungsort
Patrick Ostermann/Claudia Müller/Karl-Siegbert Rehberg | 9
ZUR KONJUNKTUR NATIONALER G ESCHICHTSKONSTRUKTIONEN Romanità und Germanesimo – Zur wechselseitigen Legitimierung imperialer Hegemoniebehauptungen
Claudia Müller/Patrick Ostermann | 27 Eine Vergangenheit, die nicht vergehen will – Der Faschismus in der italienischen politischen Kultur der Gegenwart
Christiane Liermann | 43
NEUE FORMEN UND F UNKTIONEN DER LERN - UND GESCHICHTSORTE IM G RENZRAUM VON T RENTINO -S ÜDTIROL Erinnerungskulturen im Widerstreit. Das Beispiel der Stadt Bozen/Bolzano 2000-2010
Hans Heiss/Hannes Obermair | 63 Von nationalreligiösen zu pluralen Erinnerungs- und Lernorten. Zum Funktionswandel der Geschichtsmuseen im Trienter Grenzraum
Patrick Ostermann | 81 Konfliktorte, Erinnerungsorte
Camillo Zadra/Anna Pisetti | 105
DER SCHWIERIGE W ANDLUNGSPROZESS DER E RINNERUNGSKULTUR VON EINER NATIONALISTISCHEN ZU EINER PLURALEN P ERSPEKTIVE IM ITALIENISCH -SLOWENISCHEN GRENZRAUM Grenzverschiebungen und Erinnerungskultur – Der Fall der slowenischen Minderheit in Italien nach dem Ersten Weltkrieg
Borut Klabjan | 121 Die Triest-Frage
Jože Pirjevec | 135 Die Ostgrenze Italiens im 20. Jahrhundert. Eine Geschichte zwischen Politik und Schule
Luigi Cajani | 153 Triester Erinnerungen und Erinnerungsorte des 20. Jahrhunderts
Francesco Fait | 171
‚AGENTUREN DER VERGEGENWÄRTIGUNG‘. ZUR FUNKTION DER GESCHICHTSMUSEEN UND G EDENKORTE ALS STÄTTEN HISTORISCHEN LERNENS Die Bedeutung von Gedenkstätten als Lernorte für Schüler. Thesen auf Basis empirischer Befunde
Bert Pampel | 187 Vom Ritual zur Routine – Geschichtsdidaktische Überlegungen zur Arbeit an den Gedenkstätten zur NS-Zeit in Deutschland
Alfons Kenkmann | 203 Wem gehört die militärische Erinnerung im umstrittenen Grenzraum? Der Erinnerungsort des Schlachtfelds bei Woerth-enAlsace und seine Entwicklung von 1870 bis zur Gegenwart
Tobias Arand/Christian Bunnenberg | 213 Transkulturelle oder nationale Selbstvergewisserung? Narrationen in Frankfurter Museen
Martin Liepach | 235
Schlussbetrachtung
Patrick Ostermann | 245 Autorinnen und Autoren | 251
Einleitung Der nordostitalienische Grenzraum als Erinnerungsort P ATRICK O STERMANN , C LAUDIA M ÜLLER , K ARL -S IEGBERT R EHBERG
Allen Ansätzen der Deterritorialisierung und Entgrenzung zum Trotz erfährt der Begriff des Raumes derzeit in den historischen und Sozialwissenschaften einen unverkennbaren Bedeutungszuwachs, so dass man fast meinen könnte, dass gerade jene ausgemachten Tendenzen der vermeintlichen Verabschiedung vom ,Containermodell‘ Raum als statischem Behälter von Menschen und Dingen die Suche nach neuen Formen der Verräumlichung beschleunigten. Mit dem spatial turn1 setzte ein wissenschaftlicher Trend ein, der die materiellen Aspekte des Raumbegriffs durch jene eines relationalen, sozial konstituierten Ordnungsraums zu ergänzen suchte. Es geht dabei nicht darum, einer gängigen Dichotomisierung von Natur und Kultur oder Materialität und Konstruktivität als grundlegend für eine Kategorisierung des Begriffs Raum das Wort zu reden. Vielmehr bilden beide Pole den materiellen und sozialen Rahmen, „an denen sich die Reflexivität im Umgang mit den Begriffen von Raum und Kultur beweist“.2 Dieses Zusammenspiel des materiellen Raums und seiner sozialen Wirkung mit seiner kom-
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Vgl. zum Begriff des spatial turn Doris Bachmann-Medick: Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, Reinbek 2006, S. 284-328, sowie den Sammelband von Jörg Döring und Tristan Thielmann (Hg.): Spatial Turn. Das Raumparadigma in den Kultur- und Sozialwissenschaften, Bielefeld 2009.
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Eric Piltz: Unbestimmte Oberflächen. Rezeptionen und Konvergenzen von Geographie und Geschichtswissenschaft im cultural und spatial turn, in: Elisabeth Tiller und Christoph Oliver Mayer (Hg.): RaumErkundungen. Einblicke und Ausblicke, Heidelberg 2011, S. 213-234, hier: 233.
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munikativen Herstellung3 zeigt sich in nationalen Grenzräumen besonders eindrücklich. Insbesondere in seinem Bezug auf den Funktionswandel des Nationalstaates innerhalb eines zusammenwachsenden Europas steht dieser Band gerade nicht für die These des ,Endes des Nationalstaates‘ gegenüber einer europäischen Politik und Identität; vielmehr wird der vielschichtige Prozess beschrieben, in dem gerade in politischen Belangen die Bindung an den Raum vor allem durch soziale Zuschreibungen immer wieder neu betont wird, ohne dass der materielle Raum zugunsten bloßer Konstruktionen aufgegeben wird.4 Damit folgen wir der These Markus Schroers, dass mit Blick auf ökonomische Zusammenhänge der Raum gegenwärtig tatsächlich an Relevanz verliert, während jedoch in politischen Belangen, also insbesondere da, wo Macht und Raum in Relation zueinander gesetzt werden, die Bindung an den Raum ihre Bedeutung nie verloren hat.5 Dies gilt ebenso für Grenzziehungen. Das Ende des Kalten Krieges sorgte nicht etwa für die Aufhebung der Grenzen schlechthin, sondern vielmehr für deren Neufestlegung, was es – so Doris Bachmann-Medick – umso „dringlicher“ machte, sie „näher zu untersuchen“.6 Georg Simmel hat darauf verwiesen, dass der Staat und die mit ihm einhergehenden nationalen Identitätsbekundungen emblematisch für die völlige territoriale Festlegung stehen und damit im Gegensatz zur Kirche als Beispiel völliger Überräumlichkeit. Die Grenze als Trennungslinie zwischen den Staaten vermittelt in ihrer Eindeutigkeit Klarheit und Sicherheit. Als „Festlegung und Abschließung“ verbildlicht sie „die basale Logik der Nationalstaaten“7, untermauert so das gängige Bild des ,Containerraums‘8 und charakterisiert die von den Gren-
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Vgl. Markus Schroer: Räume, Orte, Grenzen. Auf dem Weg zu einer Soziologie des Raums, Frankfurt a.M. 2006, S. 175.
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Ebd., S. 164. Vgl. Markus Schroer: „Bringing space back in“ – Zur Relevanz des Raums als soziologischer Kategorie, in: Döring/Thielmann (Hg.): Spatial Turn, S. 125-148, hier: 136.
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Bachmann-Medick: Cultural Turns, S. 287.
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Vgl. zum Begriff der Grenze Petra Deger: Grenzen, in: Pim den Boer et al. (Hg.): Europäische Erinnerungsorte, Bd. 1: Mythen und Grundbegriffe des europäischen Selbstverständnisses, München 2012, S. 247-256, hier: 248.
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„Auch Containerraumvorstellungen sind nicht per se als falsch zu klassifizieren, sondern erst einmal in ihrer historischen Form zu erkennen. Damit wird zugleich die zweite Ebene sichtbar, auf der v.a. für die Geschichtswissenschaft entscheidend ist, unterschiedliche historische Konstellationen von Raumwahrnehmungen, Raumreprä-
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zen eingefasste Gesellschaft „als eine innerlich zusammengehörige“9. Darüber hinaus ist die Grenze, indem sie als Kontaktzone zwischen innen und außen wirkt, ebenso als Linie selbst und mit dem sie umgebenden Grenzraum von Interesse. Grenzen können ebenso wie die Kategorie des Raumes in sich einerseits natürlichen Ursprungs sein, wenn wir beispielsweise an Grenzflüsse, -gebirge oder ähnliches denken; andererseits sind sie gleichfalls von konstruiertem Charakter und „Ergebnis von Aushandlungsprozessen und Diskursen“.10 Dies vermittelt der Terminus ,Grenzraum‘ umso deutlicher, indem er Forschungsfragen hinsichtlich der „Interaktion und Dynamik in einer Grenzgesellschaft“11 und damit im vorliegenden Band insbesondere der Rolle und dem Funktionswandel der in ihm liegenden Grenzmonumente und -museen mit Schwerpunkt auf dem nordostitalienischen Grenzraum aufwirft. Bildhaft veranschaulicht dies der Beitrag von HANS HEISS und HANNES OBERMAIR. Die beiden Autoren zeichnen eindrucksvoll die Geschichte der Spaltung und Separierung der Gedächtnisse nach Sprachgruppen in Südtirol nach und nehmen die im Stadtbild Bozens bereits aufscheinenden ethnisierten Konflikte und Reibungsmomente zwischen der deutsch- und italienischsprachigen Bevölkerung in Südtirol in den Blick. Dabei ist insbesondere der Bedeutungsgewinn topischer Erinnerungsorte von Interesse, die in naturräumlicher Dramaturgie und Emotionalisierung die Sakralisierung der Erinnerungsdimensionen steigern und Raum für das Austragen politischer Konflikte bieten. Das nach Sprachgruppen gespaltene Gedächtnis Südtirols gehe mit der besonderen Pflege des jeweils eigenen ethnischen Partikulargedächtnisses einher, was der mühsamen Annäherung der Erinnerungskulturen im Wege stehe und Herausforderungen an deren wechselseitige Anerkennung stelle. Jene identitätsstiftenden Prozesse der Erinnerung konstituieren in der Deutung des Grenzraums als nationale Festlegung nach innen und nach außen letztlich sozialräumliche Inklusions- und Exklusionsmechanismen. „Die Idee der Nation ist [...] ein Konstrukt, das eine Einheit schafft, die zwischen Zugehörigen
sentationen, Raumabstraktionen und Raumpraktiken herauszuarbeiten“, Piltz: Unbestimmte Oberflächen, S. 230. 9
Georg Simmel: Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung, München und Leipzig 31923, S. 465.
10 Deger: Grenzen, S. 249. 11 Etienne François, Jörg Seifarth und Berhard Struck: Einleitung. Grenzen und Grenzräume: Erfahrungen und Konstruktionen, in: Dies. (Hg.): Die Grenze als Raum, Erfahrung und Konstruktion. Deutschland, Frankreich und Polen vom 17. bis 20. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 2007, S. 7-29, hier: 19.
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und Fremden klar zu unterscheiden verspricht und gerade daraus seine Attraktivität bezieht.“12 Auf den konstruktiven Charakter dieser Gebilde in Verbindung mit einem darin wirkenden kollektiven Gedächtnis verwies Maurice Halbwachs in seiner 1941 erschienenen topographischen Untersuchung über das Heilige Land, in der er Räume als Konzept kultureller Selbstvergewisserung in Auseinandersetzung mit Selbst- und Fremdzuschreibungen verstand.13 Es sind nun gerade die Begrenzungen dieser Gedächtnislandschaften, die die Grundlage schaffen, nationale Selbst- und Fremdbilder auf der Basis gegenseitiger Abgrenzung und entsprechender kollektiver Identitäten zu entwickeln: So kann der Grenzraum als geographische und kulturelle Verortung angesehen werden, in der sich Selbst- und Fremdzuschreibungen, Freund- und Feindbilder in Vollzug der Erinnerung quasi verräumlichen. Das Raumkonzept als Referenz für nationale Hegemoniebehauptungen zeigen CLAUDIA MÜLLER und PATRICK OSTERMANN am Beispiel des faschistischen Imperialgedankens im Romanità-Kult und den ihm inhärenten Distinktionsbemühungen gegenüber dem Germanesimo auf. Jenes Beispiel von Selbst- und Fremdzuschreibungen verdeutlicht in Anlehnung an Georg Simmel emblematisch die Wechselbeziehung von Hetero- und Autostereotypen, in welcher der Wesenskern der Fremdnation nicht zuletzt deshalb herausgestellt wird, um die eigene nationale Überlegenheit hervorzuheben. Eine Überwindung dieser erfolgt erst in der Aufstellung eines gemeinsamen Feindbildes, den Faschismus und Nationalsozialismus in ihren kulturell bzw. biologistisch geprägten Rassentheorien auf einen Nenner zu bringen suchen. Mag die Kategorie des Raumes insbesondere in Hinblick auf die identitären Zuschreibungen nationaler Gruppierungen eine tragende Rolle spielen, so sind eng damit zusammenhängend die historischen Verortungen, aus denen Nationalstaaten ihre vermeintliche Daseinsberechtigung ziehen, nicht minder von Relevanz. Jene Erinnerungsorte, die quasi zeitgleich mit der Kategorie des Raumes an wissenschaftlichem Bedeutungszuwachs gewonnen haben, verdichten in sich symbolisch kommunikative Geschichtskonstruktionen. Sie sind also Ausdruck der „symbolische[n] Wirkung der Plazierung“14, die sich in ihrer sozialen Bedeutung, aber eben auch in ihrem materiellen Erscheinungsbild entsprechend den gegenwärtigen politischen Konstellationen und Machtansprüchen wandeln.
12 Schroer: Räume, Orte, Grenzen, S. 192. 13 Vgl. Maurice Halbwachs: Stätten der Verkündigung im Heiligen Land. Eine Studie zum kollektiven Gedächtnis, Konstanz 2003, S. 180ff. 14 Martina Löw: Raumsoziologie, Frankfurt a.M. 2001, S. 198.
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Die Bedeutung solcher geschichtspolitischer Orte des Erinnerns für die Herstellung und Festigung regionaler, nationaler und transnationaler Geschichtsbilder manifestiert sich in den umstrittenen Grenzregionen des Nordens und Nordostens Italiens gerade deshalb sehr markant, weil sie sich in spannungsgeladenen Räumen zwischen grenzüberschreitender Durchlässigkeit, schroffen Abgrenzungen und der Zuspitzung von Feindbildern befinden.15 Bei der Institutionalisierung historischen Erinnerns spielt außerdem die Konkurrenz konträrer Ansprüche um eine geschichtliche Deutung der aufeinandertreffenden Staaten in diesen Räumen eine wesentliche Rolle. Jene Erinnerungsorte sind eng gebunden an temporäre Deutungsmuster der jeweils dominierenden öffentlichen Meinung und inkorporieren grundsätzlich eine symbolische Geltungspräsenz politischer Macht.16 Gleichzeitig werden Denkmäler im Moment des Machtwechsels und der diesem folgenden Umdeutung von Erinnerungsbauwerken zu Orten der Delegitimierung von Herrschaft.17 Auf diesen Zusammenhang von politischer Macht und Deutungshoheit verweisen der bereits erwähnte Beitrag von Heiss und Obermair ebenso wie der Aufsatz von TOBIAS ARAND und CHRISTIAN BUNNENBERG. Letzterer schildert den Wandel des Gedenkens am Beispiel des Erinnerungsraums der Schlacht von Woerth und den mit ihm verbundenen Monumenten, Narrationen, Formen des reenactment und Ritualen. Von Anfang an war das Schlachtfeld aus dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 ein zwischen beiden Nationen geteilter Erinnerungsort. Entsprechend deutlich zeigt sich hier, wie zwei Nationen um die Deutungshoheit in einem Grenzraum kämpfen und wie die jeweilige nationale Deutung in beiden Ländern den aktuellen politischen Bedürfnissen angepasst wurde. Woerth steht exemplarisch für eine Vielzahl von Erinnerungsorten im Grenzraum, die den Umdeutungsprozessen in Abhängigkeit von der jeweiligen politischen Deutungshoheit in verstärkter Weise ausgesetzt sind. Hier treffen in verdichteter und polarisierender Form unterschiedliche Deutungsmöglichkeiten des Ortes in seiner historischen Funktion aufeinander. Gegenüber der Kategorie des
15 Vgl. u.a.: Michael Gehler und Andreas Pudlat (Hg.): Grenzen in Europa. Hildesheim 2009, sowie François/Seifarth/Struck (Hg.): Grenze als Raum. 16 Vgl. zum Zusammenhang von Raum, Ort und Macht Karl-Siegbert Rehberg: MachtRäume als Objektivationen sozialer Beziehungen – Institutionenanalytische Perspektiven, in: Christian Hochmuth und Susanne Rau (Hg.): Machträume der frühneuzeitlichen Stadt, Konstanz 2006, S. 41-55. 17 Vgl. Aleida Assmann: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München 42009, S. 138.
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Raums, der als Feld „der Latenz [...] immer einen Möglichkeitshorizont“ eröffnet, sind Orte „notwendig mit der überlieferten, erinnerten, erfahrenen, geplanten oder phantasierten Verortung konkreten Handelns (und deshalb Erinnerns) verbunden“ und „in verschiedenen Raumbezügen erlebbar“.18 Dies zeigt sich ganz besonders im Grenzraum, dessen Erinnerungsorte von nationalen und Minderheitengruppierungen zu verschiedenen Zeitpunkten in Abhängigkeit von den jeweiligen politisch-kulturellen Zusammenhängen immer wieder neu gedeutet und ausgehandelt werden. Auf diesen Zusammenhang verweist BORUT KLABJAN in seinem Beitrag, in dem er die deutliche Ausprägung nationalen Eigenbewusstseins insbesondere an ethnischen Grenzlinien am Beispiel des Gedenkens an den Unbekannten Soldaten konstatiert. Er weist nach, dass die italienische und die slowenische Gemeinschaft schon vor dem Aufkommen des Faschismus den Feierlichkeiten jeweils eigene Deutungen zumaßen, die nicht auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen sind, auch wenn dies nicht einen Konfrontationsdiskurs beflügelte. Dieser Befund gilt bis heute. In einem zusammenwachsenden Europa verlieren Staatsgrenzen an ihrer sicherheitspolitischen Relevanz. Heute werden ihre Linien und Demarkationspunkte vielmehr zu Orten der Erinnerung vergangener Kriege und nationaler Selbstbehauptungsbestrebungen. An ihnen zeigt sich, inwiefern traditionelle, national geprägte Geschichtsbehauptungen fortleben oder neuen Formen der Erinnerung in Richtung eines entnationalisierten, kollektiven Erinnerns weichen. Ein Beispiel anhaltender nationaler emotiver Aufladung sind die Foibe im italienisch-slowenischen Grenzgebiet, jene umstrittenen Karsthöhlen, in die jugoslawische Partisanen nach dem Zweiten Weltkrieg ihre (möglicherweise auch vermeintlichen) Gegner und Opfer warfen – darunter deutsche Soldaten, Kollaborateure, aber auch viele Zivilisten, besonders italienischer Nationalität, sowie Widersacher des Tito-Regimes. Die genauen Opferzahlen sind umstritten. In seinem Beitrag schildert der 1940 geborene Triester Historiker JOŽE PIRJEVEC die Geschichte des im 20. Jahrhundert in Triest und seinem Umland erbittert geführten Kampfes zwischen der italienischen und slowenischen Erinnerungskultur aus einer slowenischen Perspektive. Er wirft der italienischen Seite vor, durch das einseitige Gedenken an die eigenen Opfer die Verfolgung der Slowenen unter faschistischer Herrschaft zu ignorieren bzw. zu relativieren. Damit kaschiere Italien die Tatsache, dass die Spirale der Gewalt vom faschistischen Italien in Gang gesetzt wurde. Die provokante Kernthese seiner 2009 im renommierten italienischen Einaudi-Verlag erschienen Monographie über die Foibe, die Italiener wollten auf diese Weise von ihren eigenen Kriegsverbrechen gegen die Slawen
18 Rehberg: Macht-Räume, S. 46.
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in faschistischer Zeit und besonders während des Zweiten Weltkrieges ablenken, hat in Italien eine Welle der Empörung hervorgerufen.19 Sein Beitrag in diesem Band steht in seiner nicht zuletzt biographisch geprägten emotionalen Aufladung beispielhaft für die anhaltenden nationalen Geltungsbehauptungen in der Deutung historischer Ereignisse, vor denen auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung nicht Halt macht. Ähnlich kritisch gegenüber der italienischen Gedenkkultur, aber im Duktus deutlich moderater argumentiert LUIGI CAJANI aus Rom. Er bemängelt, dass es in Italien fast bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts dauerte, bis damit begonnen wurde, die gegen die Slawen gerichtete faschistische Entnationalisierungs- und Unterdrückungspolitik juristisch und fachwissenschaftlich aufzuarbeiten. Zuvor hätten sich die Italiener einseitig der von den Jugoslawen verübten Verfolgung erinnert. Die Erinnerung an die Foibe habe Eingang gefunden in eine politische, von der Rechten geführte teilweise revisionistische Polemik gegen den Resistenza-Mythos, die sich im Kampf um die Geschichtsdeutung in den Lehrbücher für Schulen fortsetze. Cajani verweist auf eine Renationalisierung der italienischen Erinnerung, die 2004 mit der Einführung eines offiziellen Gedenktags für die italienische Vertreibung aus Istrien und Dalmatien am 10. Februar eingesetzt und die Einführung eines slowenischen Pendants provoziert habe. Die damit verbundene starke Fragmentierung und Pluralität der Erinnerungskulturen in Italien stellt der Beitrag von CHRISTIANE LIERMANN heraus. Eine ritualisierte Metaerzählung, wie sie der antifaschistische Grundkonsens der ersten Nachkriegszeit mit dem ,Resistenza-Mythos‘ bildete, existiere längst nicht mehr. Aufgrund seiner Entlastungsfunktion habe der Neologismus ,Nazifaschismus‘ Konjunktur gehabt, weil so die Gewaltgeschichte des faschistischen Regimes von 1922-1943 nach innen und außen ausgeblendet werden konnte und die Exzesse der Jahre 1943-1945 fast ausschließlich dem Einfluss Hitler-Deutschlands zugeschrieben werden konnten. Zu Recht verweist Liermann außerdem auf die Diskrepanz zwischen offizieller Erinnerungskultur und der individuellen Erinnerung. Die Ablösung der vulgata resistenziale habe in der Berlusconi-Ära einerseits zu einem dem Faschismus gegenüber apologetischen politischen Revisionismus, andererseits zu einer kritischen historischen Aufarbeitung geführt. Dieser inneritalienische Prozess der Selbstvergewisserung mag in sich schon diffizil sein, gewinnt jedoch an Komplexität, wenn er in Bezug zu den slowenischen Nachbarn gesetzt wird, wie sich nicht zuletzt im dargestellten Beispiel der Foibe
19 Jože Pirjevec: Foibe. Una storia d’Italia, Torino 2009.
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verdeutlicht.20 Mehr als eindrücklich zeigt sich hier, dass Erinnerungsorte emotionalisieren und auch in heutiger Zeit noch politisch wirken. In diesem Spannungsfeld verorten sich nun Kulturschaffende und Museumsdidaktiker, die sich dem Nebeneinander bzw. den komplexen Verflechtungen von nationalen Geschichtsbehauptungen, europäischen Einigungstendenzen und den damit einhergehenden wachsenden lokalen und regionalen Identitätsbekundungen stellen müssen.21 Vermehrt werden gerade von dieser Seite neue Handlungsvollzüge erprobt, die den Ansprüchen gegenwärtiger Entnationalisierungstendenzen Rechnung zu tragen suchen. Die nordostitalienische Grenzregion steht dabei beispielhaft für den Wandel einer chauvinistisch-sakralen Erinnerungstopographie hin zu einer sich öffnen-
20 Wie diffizil dieser inneritalienische Prozess der Selbstvergewisserung in seiner Beziehung zu Slowenien ist, zeigt der jüngste Eklat um die Foibe. Das zweite Programm des italienischen Staatsfernsehens, RAI Due, widmete seine Talkshow Porta a Porta am 13. Februar 2012 zum Gedenktag der Vertreibung der Italiener aus dem ehemaligen Jugoslawien. Darin präsentierte der Moderator Bruno Vespa ein Bild, das vermeintlich Erschießungen von italienischen Zivilisten durch slowenische Partisanen darstellte. Allerdings trugen sämtliche Mitglieder des Erschießungskommandos italienische Uniformen und Stahlhelme. Die in die Talkshow geladene Historikerin Alessandra Kersevan aus Udine korrigierte Vespa. Es handle sich, so die Expertin für italienische Kriegsverbrechen, um eine Fotographie, die italienische Soldaten zeige, die am 31. Juli 1942 beim Dorf Dane Slowenen liquidierten. Die Sendung zog einen diplomatischen Protest Sloweniens nach sich, in dem der RAI Manipulation unterstellt wurde. Parallel entbrannte auf der Website des Senders eine hitzig geführte Debatte zwischen Slowenen und Italienern, die vor pauschalen kollektiven Schuldzuschreibungen nicht haltmachte (vgl. www.rai.tv/dl/RaiTV/programmi/media/ContentItem1784a3df-aa07-4bcd-a5ab-1be49cfa2899.html?refresh_ce#p=0 sowie www.rtvslo.si/ rtvslo.si/svet/rai-manipuliral-s-fotografijo-slovenskih-talcev/276815 [20.4.2012]). 21 Durch die Pionierstudien von Pierre Nora sind nationale Erinnerungsorte seit den 1980er Jahren zunächst in den Fokus der Forschung und daraufhin der Institutionen der Erinnerungskultur gerückt, vgl. Pierre Nora (Hg.): Les lieux de mémoire, Bd. 1-7, Paris 1982-1992; für Italien: Mario Isnenghi (Hg.): I luoghi della memoria, Bd. 1-3, Roma/Bari 1996-1997, sowie für Deutschland: Étienne François und Hagen Schulze (Hg.): Deutsche Erinnerungsorte, Bd. 1-3, München 2001. Im Ausstellungsbereich sind u.a. die beiden Berliner Zwillingspräsentationen zu den nationalen Gedächtnislandschaften Europas zu nennen: Monika Flacke (Hg.): Mythen der Nationen. Ein europäisches Panorama, Berlin 1998, sowie dies. (Hg.): Mythen der Nationen: 1945 – Arena der Erinnerungen, Berlin 2004.
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den europäischen Erinnerungskultur. Geprägt von den Erfahrungen des von 1914 bis 1918 tobenden Gebirgskriegs entstand in den 1920er Jahren in der Grenzregion Trient eine Gedächtnislandschaft mit einer Fülle von Archiven, Bibliotheken, Denkmälern, Gebeinhäusern, Gräbern und Museen für die Überlebenden des Weltkrieges, ähnlich wie dies in den Schlachtfeldern bei Verdun und an der Somme der Fall war. Einen nicht unerheblichen Einfluss auf den Wandel der Erinnerungsformen und -inhalte hat die Tatsache, dass sich die Zahl der Zeitzeugen seit den 1970er Jahren immer mehr verringert. Ihr kommunikatives Gedächtnis der mündlich überlieferten Erinnerungen – um in der Begrifflichkeiten Aleida und Jan Assmans zu sprechen22 – bricht ab und findet Eingang in das epochenübergreifende kulturelle Gedächtnis. Aus der gegenwärtigen Vergangenheit wird eine „reine Vergangenheit, die sich der Erfahrung entzogen hat“.23 Diesen Wandel beschreibt FRANCESCO FAIT beispielhaft an drei Erinnerungsorten im Raum Triest. Sein Beitrag veranschaulicht, wie nationalistische Deutungsangebote aus der Zeit des Ersten Weltkrieges und davor allmählich marginalisiert werden. Ein Beleg dafür sind die nur noch jährlich rund 300 Besucher des Triester Risorgimento-Museums. Im Gegensatz dazu sind die Triester Geschichtsorte des Zweiten Weltkrieges, wie die Foiba di Basovizza und das städtische Museum zum NS-Durchgangslager Risiera di San Sabba, noch in lebendiger Erinnerung der Zeitzeugen, was die Annäherung der slowenischen und italienischen Erinnerungskultur tendenziell erschwert. Seit den 1980er Jahren ist in der Grenzregion zwischen Trient und Triest der hier skizzierte Transformationsprozess einer Neuorientierung der Erinnerungspolitik zu beobachten. Es handelt sich nichtsdestotrotz um einen langwierigen Prozess der Entwicklung neuer Konzeptionen, die erst jetzt im neuen Jahrtausend allmählich Gestalt annehmen: Wie für den nordostitalienischen Grenzraum als einen offenen „Raum von Kulturkontakten und -transfers“24 gilt für alle Grenzräume, dass sie Kontakt- und Transferräume sind, in denen die aufeinandertreffenden Kulturen und Nationen mit ihren jeweiligen Geschichtserzählungen nach wie vor um die Deutungshoheit kämpfen. Es ist letztlich die Museumsdidaktik der Erinnerungsorte im Grenzraum, deren Konzepte es sich zum Ziel
22 Assmann: Erinnerungsräume, S. 337; vgl. auch Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 1997. 23 Reinhart Koselleck: Nachwort zu: Charlotte Beradt, zit. in: Assmann: Erinnerungsräume, S. 14. 24 Jürgen Osterhammel: Kulturelle Grenzen in der Expansion Europas, in: Saeculum 46/1995, S. 101-138, hier: 137.
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setzen, den Grenzraum als Erinnerungsraum in Europa (nicht notwendigerweise als europäischen Erinnerungsraum)25 erfahrbar zu machen. Im Trentino ist das in der venezianischen Grenzfestung über Rovereto thronende Museo Storico Italiano delle Guerra eines der beiden großen Geschichtsmuseen der Provinz. Seit den 1980er Jahren schob dort die Geschichtswerkstatt Materiali di Lavoro in einem Bottom up-Prozess durch Tagungen und Ausstellungen eine methodisch-innovative, bilaterale italienisch-österreichische Aufarbeitung des Ersten Weltkrieges an, die bald nachhaltig in die akademischen Kreise wirkte und zum Vorbild für viele Historiker aus Nord- und Südtirol wurde.26 CAMILLO ZADRA und ANNA PISETTI beschreiben im vorliegenden Band die Arbeit der didaktischen Abteilung, die mit einem breiten handlungsorientierten Lernansatz den Front- und Erinnerungsraum des Ersten Weltkriegs der Region erschließt. Diese wirkt, wie die Geschichtswerkstatt ebenfalls, weit über die Grenzen des Trentino, allerdings in die entgegengesetzte Himmelsrichtung südwärts nach Norditalien. Wie der Beitrag von PATRICK OSTERMANN zeigt, findet jedoch die gegenwärtig sich im Umbau befindende Rovereter Dauerausstellung nicht immer die angemessenen Vermittlungsformen für den interkulturellen Aufarbeitungsansatz, nicht zuletzt weil die neu gestalteten Räume teilweise zu sehr den Charakter eines Schaudepots aufweisen. Das Museo Storico del Trentino in der Stadt Trient, jenes andere von Ostermann vorgestellte große Geschichtsmuseum der Region, hat ebenfalls seinen Anteil an einer multiperspektivischen Geschichtsschreibung – übrigens auch schon früh mit einer komparativen Studie zu den nationalen Raumkonstruktionen in dieser Grenzregion.27 Geschichtspolitisch bedeutsam ist die von der Provinzregierung in den letzten Jahren vollzogene Hinwendung zu einer Regionalgeschichte des Trentino, die in das Konstrukt einer zusammen mit Südtirol und dem österreichischen Tirol ins Werk gesetzten ,Landesgeschichte‘ eingebettet wird. Bemerkenswerterweise löst mit dieser Entscheidung – misstrauisch verfolgt von der Zentralregierung in Rom – ausgerechnet die historische Raumvor-
25 Kirstin Buchinger, Claire Gantet und Jakob Vogel (Hg.): Europäische Erinnerungsräume, Frankfurt a.M. 2009. 26 Vgl. Hans Heiss: Rücken an Rücken. Zum Stand der österreichischen zeitgeschichtlichen Italienforschung und der italienischen Österreichforschung, in: Michael Gehler und Maddalena Guiotto (Hg.): Italien, Österreich und die Bundesrepublik Deutschland in Europa. Ein Dreiecksverhältnis in seinen wechselseitigen Beziehungen und Wahrnehmungen von 1945/49 bis zur Gegenwart, Wien u.a. 2012, S. 101-128, hier: 125. 27 Vgl. Sergio Benvenuti und Christoph H. von Hartungen (Hg.): Ettore Tolomei (18651952). Un nazionalista di confine. Die Grenzen des Nationalismus, Trient 1998.
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stellung des Habsburger Kronlands Tirol das nationale Deutungsmuster des Risorgimento ab. Es entsteht so ein regional beschränkter Erinnerungsraum in Europa, der aus Sicht der Kritiker einerseits zu wenig gesamteuropäisch und andererseits zu wenig nach Italien ausgerichtet sei. Nichtsdestotrotz erweist sich das Projekt als ein didaktisches Laboratorium, das Chancen und Risiken des historischen Lernens mit Museen aufzeigt, weil es der kognitiven Vergangenheitsvergegenwärtigung der Geschichte den ästhetischaffektiven Modus der inszenierten Ausstellung gegenüberstellt. Schon in den 1990er Jahren hat Jörn Rüsen auf die auratisierende Wirkung von Ausstellungen als „Medien der sinnlichen Anschauung“28 hingewiesen und für eine neue Didaktik historischer Museen plädiert.29 Gottfried Korff hat diesbezüglich im Jahre 2004 – in einem von Rüsen herausgegebenen Band zum Verhältnis von Musealisierung und Geschichte – Museen treffend als „Ort und Hort der Dinge“30 bezeichnet, die als Agenturen der Vergegenwärtigung über die Aura ihrer Exponate Authentizität vermittelten.31 Auf diese Weise fungiere das Museum als Ort der epistemischen Dinge. Als epistemisch, so Korff, gelten Dinge dann, wenn sie Fragen veranlassen, eine „interpretative Zukunft“ haben und eine „anschauende Erkenntnis“ ermöglichen. Der Vorzug dieses Begriffs liegt nach Meinung des Tübinger Kulturwissenschaftlers darin, dass er „den Blick statt auf affektive, auf kognitive Aspekte lenkt“.32 Tatsächlich wird in den unterschiedlichsten Kulturund Medienanalysen die besondere Fähigkeit der Museen und Ausstellungen zu sensualisieren, die konträr zum Trend der nüchternen Wissenschaftskommunika-
28 Jörn Rüsen: Für eine Didaktik historischer Museen – gegen eine Verengung im Streit um die Geschichtskultur, in: Ders.: Historisches Lernen. Grundlagen und Paradigmen, Köln u.a. 1994, S. 171-187, hier: 174. 29 Jörn Rüsen: Geschichtskultur, in: Handbuch der Geschichtsdidaktik, Seelze 51997, S. 38-41. 30 Gottfried Korff: Vom Verlangen, Bedeutungen zu sehen, in: Ulrich Borsdorf, Heinrich Theodor Grütter und Jörn Rüsen (Hg.): Die Aneignung der Vergangenheit, Bielefeld 2004, S. 81-103, hier: 81. 31 Daher werden Ausstellungen immer häufiger so kuratiert, dass sie von den Objekten und ihrer Wirkung aus gedacht werden. Eine solche Herangehensweise wählte 2011/2012 diesbezüglich die Ausstellung ,Tür an Tür. Polen – Deutschland‘ im Martin-Gropius-Bau in Berlin, vgl. den Katalog: Tür an Tür. Polen – Deutschland. 1000 Jahre Kunst und Geschichte, hg. von Małgorzata Omilanowska unter Mitarb. v. Tomasz Torbus, Köln 2011. 32 Korff: Vom Verlangen, Bedeutungen zu sehen, S. 98ff.
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tion seit 1945 verlaufen sei33, als Grund für ihre ungeheure Anziehung auf das Publikum angegeben. Diesen Effekt versuchten viele Kuratoren zu forcieren, indem sie in immer spektakuläreren Ausstellungsarchitekturen inszenieren, wobei sie Gefahr laufen, dass die Gestaltung der Form zu Lasten des präsentierten Inhalts geht.34 Eben weil weder die einzelnen Dinge noch die Dingwelt noch der Ort der Präsentation epistemisch wirkten, funktionierte die von Ostermann näher diskutierte szenographische Ausstellung ,Historisches ABC – Erfindung eines Territoriums‘ des Museo Storico del Trentino nicht – anders als die Präsentation des 2012 eröffneten, komplett veränderten Militärhistorischen Museums in Dres 9en35 oder die 2010 neu kuratierte Ausstellung ‚Topographie des Terrors‘ in Berlin.36. Gerade diese beiden letztgenannten Ausstellungen belegen – ebenso wie die Triester Gedenkstätten Risiera di San Sabba und Foiba di Basovizza –, wie (publikums)wirksam die spezifische Aura des Geschichtsortes selbst ist. Sind also Erinnerungsorte epistemische Dinge? Zumindest die Kuratoren der Ausstel-
33 Ulrich Raulff spricht von einer Gefühlsabstinenz in den deutschen Geschichtswissenschaften nach 1945 und von „neusachlichen Schulen (Sozialgeschichte, Strukturgeschichte)“ – in diese Lücke seien aber emotionalisierende Historiker und Produzenten wie Daniel Jonah Goldhagen, Jörg Friedrich und Guido Knopp mit „Mitteln der Simmungsästethik“ getreten, vgl. Ulrich Raulff: Geschichte und Erziehung des Gefühls, in: Borsdorf/Grütter/Rüsen (Hg.): Aneignung der Vergangenheit, S. 105-123, hier: 109 und 121. 34 Gottfried Korff: Sechs Emder Thesen zur Rolle des Museums in der Informationsgesellschaft, in: Museumskunde 2/2008, S. 19-27, hier: 23. 35 Mit dem spektakulären Keil von Daniel Libeskind, der den Altbau zerschneidet, sowie mit bewusst eingesetzten Installationen – wie z.B. die Videoarbeit ,Love and hate‘ von Charles Sandison im Eingangsbereich sowie die Hiroshima-Blitzlicht-Installation von Ingo Günther – wurde von Anfang an eine Ausstellungsarchitektur für das Militärhistorische Museum in Dresden realisiert, deren Performation sich in den Dienst der Objekte und der Narration stellt, vgl. Gorch Pieken: Inhalt und Raum. Neukonzeption und Neubau des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr, in: Militärhistorisches Museum der Bundeswehr. Ausstellung und Architektur, hg. v. dems. und Matthias Rogg, Dresden 2011, S. 16-39. 36 Den Abschluss der Ausstellung ,Topographie des Terrors‘ bildet ein buntes Collagenrelief aus Repliken von Karteikarten, die von den zahlreichen Prozessen stammen, die seit den 1960er Jahren wenig erfolgreich gegen die NS-Täter geführt wurden. Das Relief veranschaulicht so effektvoll das Scheitern des Rechtsstaates und ist damit der passende Schlussstein der Präsentation, vgl. http://www.topographie.de/?id=75 [5. Mai 2012].
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lung ,Topographie des Terrors‘ in Berlin sehen das so. Sie betrachten ihr Ausstellungsgelände als den authentischen Ort, an dem der Holocaust erdacht und organisiert wurde, als ein Originalexponat37, weshalb sie sogar auf weitere Relikte bewusst verzichten. Hingegen wählte die Konzeptgruppe des Dresdner Museums, dessen Libeskind-Keil die Form der im Februar 1945 durch die Bombenangriffe zerstörten Innenstadtfläche architektonisch aufnimmt und versinnbildlicht, einen kombinatorischen Zugang, der Ort, Szenographie und historische Überreste miteinander verbindet.38 Daraus leitet sich die interessante Frage ab, wie Geschichte in Museen und Ausstellungen angeeignet werden kann. Nach BERT PAMPEL, der die einschlägigen Ergebnisse der Besucherforschung darstellt, belegen die empirischen Untersuchungen, dass kognitive Lernprozesse eine geringere Rolle spielen, als erhofft. Gedenkstätten seien eher kein Instrument für die Vermittlung von Wissen. Wohl aber können Museen und Gedenkstätten, wie ALFONS KENKMANN in seinem Beitrag zeigt, Orientierungsangebote liefern. Durch den Übergang vom kommunikativen zum kulturellen Gedächtnis sei die NS-Gedenkstättenarbeit in Deutschland nachhaltig verändert worden. An die Stelle der Rituale der Überlebendengeneration seien allmählich die Routinen des geschichtsdidaktisch und pädagogisch geschulten Personals getreten, so seine These. In diesem Zusammenhang warnt er vor der jüngsten Tendenz einer, man könnte sagen, naiven enthistorisierenden kosmopolitischen Menschenrechtserziehung, die danach strebt, aus den Erfahrungen des Holocaust konkrete Handlungsoptionen für die Gegenwart zu schöpfen. Die Alternative für das Lernen an Geschichtsorten, so lässt sich verallgemeinern, sollte daher in einer historischen Aufarbeitung liegen, die zwar Vergangenheit vergegenwärtigt, aber sie nicht aus ihrer Epoche herauslöst oder gar entzeitlicht. Sind die aufgezeigten Beispiele der Erinnerungsorte im Grenzraum grundsätzlich von der nach wie vor wirkenden Dichotomie der aufeinanderprallenden Deutungsangebote bestimmt, so zeigt der Beitrag von MARTIN LIEPACH, wie
37 Stiftung Topographie des Terrors: Gestapo, SS und Reichssicherheitshauptamt in der Wilhelm- und Prinz-Albrecht-Strasse. Eine Dokumentation, Topographie des Terrors, Berlin 2010, S. 6. 38 Vom abschließenden Präsentationsraum im Obergeschoss des Keils eröffnet sich ein Panorama auf die wieder aufgebaute Altstadt von Dresden. Als Dissonanz zu dieser optischen ,Heilung‘ werden im Ausstellungsraum u.a. durch Splitter und Einschusslöcher beschädigte Gehwegplatten aus Dresden sowie von weiteren im Krieg zerstörten Städten gezeigt, die die scheinbare Authentizität der Rekonstruktion des Weichbildes der Stadt als Fiktion entlarven, vgl. Pieken: Inhalt und Raum, S. 20.
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auch fern von klassischen territorialen Grenzräumen sich ethnische Grenzziehungen in Geschichtserzählungen fortsetzen. Am Beispiel der Stadt Frankfurt am Main verweist er auf museumsdidaktische Konzepte, die die Entwicklung zu pluralen Erinnerungskulturen in Europa prägen sollen. Der demographische Wandel in der Stadt, in dem bereits der Anteil der Jugendlichen mit Migrationshintergrund fast die 50%-Marke erreicht, zeigt, dass hier eine Vielzahl von Ethnien aufeinandertreffen und sich – wie im Falle der italienischen Gemeinschaft – neue Formen der Grenzziehung vollziehen. Institutionen der Geschichtskultur, also neben den Museen auch die Gedenkstätten, müssen sich viel intensiver der Frage widmen, so Martin Liepach zu Recht, wie sie einerseits mit solchen Grenzziehungspraktiken umgehen und wie andererseits überkommene nationale Deutungsmuster durch neue integrierende Formen ersetzt werden. Demnach läge die Zukunft in transnationalen Geschichtskulturen und Erinnerungsräumen. Auch wenn die Zeit nationaler Geschichtsbilder insbesondere in Grenzräumen und der in ihnen fortwirkenden hohen Emotionalität weiterhin Konjunktur hat, wird, wie die Beiträge zeigen, vermehrt versucht, diese durch alternative Deutungsmuster zu ersetzen. Geschichtsmuseen in diesen Räumen arbeiten grundsätzlich mit Deutungsspannungen, die durch das Aufeinanderprallen regionaler, nationaler oder auch europäischer Geltungsansprüche erzeugt werden. Sie sind auf diesem Terrain Laboratorien, die an neuen Deutungsmustern mitkonstruieren und damit die von Hans Joas thematisierte Gleichgewichtsspannung aushalten müssen. Sie laborieren in ihr an einem Modus und in einer Dynamik, die letztlich Europa zusammenhalten.39 In diesem Zusammenhang versteht sich der vorliegende Band als Beitrag, fortwirkende nationale Geschichtskonstruktionen in den europäischen Kontext einzubetten und die Herausforderungen, die beide Komponenten für die Geschichtsdidaktik insbesondere der Grenzmuseen bilden, herauszustellen. Der nordostitalienische Grenzraum steht dabei emblematisch für die vielen nationalen Grenzräume in Europa. Die aufgezeigten Beispiele des Umgangs der Geschichtsdidaktik in Museen und Gedenkstätten mit diesem Phänomen sind hingegen Zeichen jener Spannungsbeziehung zwischen der Materialität des Raumes einerseits und den sich mit ihm verbindenden lokalen, ethnischen, nationalen, europäischen o. ä. Konstruktionen andererseits. Die Herausgeber dieses Bandes möchten an dieser Stelle den Autorinnen und Autoren für die ausgesprochen gute Zusammenarbeit danken. Im Rahmen des
39 Hans Joas: Die kulturellen Werte Europas. Eine Einleitung, in: Ders. und Klaus Wiegandt (Hg.): Die kulturellen Werte Europas, Frankfurt a.M. 2005, S. 11-39.
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vom Deutschen Akademischen Austauschdienst finanzierten Fachkonferenzenprogramms ,Deutsch-Italienische Dialoge‘ konnten wir uns bereits im Juli 2010 in Trient auf der gemeinsam vom Lehrstuhl für Soziologische Theorien, Theoriegeschichte und Kultursoziologie der TU Dresden und der Professur für Zeitgeschichte der Università degli Studi Trento durchgeführten Tagung ‚Erinnerungsorte im Grenzraum/I luoghi della memoria nell’area di confine‘ zur hier diskutierten Thematik austauschen. Die Tagung fand in der Fondazione Bruno Kessler in Zusammenarbeit mit dem Museo Storico del Trentino sowie dem Museo Storico Italiano della Guerra statt. Unser Dank gilt im Besonderen Herrn Dr. Hans Heiss und der Fraktion der Grünen im Südtiroler Landtag, die mit ihrer großzügigen finanziellen Unterstützung das Erscheinen dieses Bandes überhaupt erst ermöglichten. Wir danken darüber hinaus den Übersetzerinnen Gloria Marchesi und Karin Krieg sowie den Mitarbeiterinnen des Italien-Zentrums der TU Dresden, Maike Heber und Anna Katharina Plein, ebenso wie Anita Wilke, die uns in Übersetzung und Lektorat der Beiträge in umfangreichem Ausmaß unterstützt haben. Dresden/Bonn, im Mai 2012
Zur Konjunktur nationaler Geschichtskonstruktionen
Romanità und Germanesimo Zur wechselseitigen Legitimierung imperialer Hegemoniebehauptungen C LAUDIA M ÜLLER UND P ATRICK O STERMANN
R OMANITÀ – M YTHOS
KONTINUIERENDER
H EGEMONIE
Am 27. September 1937 wurde im Palazzo delle Esposizioni im historischen Zentrum Roms, anlässlich des 2.000-jährigen Geburtsjubiläums des Kaisers Augustus, die Mostra Augustea della Romanità eröffnet1 – ein kulturpolitisches Großprojekt, das breitenwirksam dem faschistischen Romanità-Kult des Ventennio Ausdruck gab. Jener bis zum Kult betriebene Mythos verfolgte im Rekurs auf die römischen Antike vor allem die nationale Integration und politische Stabilisierung des Regimes, welche letztlich in einem Imperium mit universalem Anspruch vollendet werden sollte. Er prägte die Vorstellung eines sich über die Jahrhunderte bis in die Gegenwart wirkenden römischen Geistes, der nunmehr in der Erstehung eines neuen, in der römischen Tradition stehenden, aber diesmal ewigen Reiches seinen wahren Ausdruck finden sollte.2 In dessen historischer
1
Vgl. zur Augustus-Ausstellung Friedemann Scriba: Augustus im Schwarzhemd? Die
2
Vgl. zum Romanità-Kult des Faschismus u.a. Andrea Giardina und André Vauchez: Il
Mostra Augustea della Romanità in Rom 1937/38, Frankfurt a.M. 1995. mito di Roma. Da Carlo Magno a Mussolini, Roma/Bari 2000, Claudio Lazzaro und Roger J. Crum (Hg.): Donatello among the Blackshirts. History and Modernity in the Visual Culture of Fascist Italy, Ithaca/London 2005, Jan Nelis: From ancient to modern: the myth of romanità during the ventennio fascista. The written imprint of Mussolini’s cult of the ,Third Rome‘, Brüssel/Rom 2011, sowie Romke Visser:
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Legitimierung spielten die Jahrhunderte der Herrschaft der katholischen Kirche in Rom keine unerhebliche Rolle. Die Beschränktheit des nationalen Raums wurde damit in die imaginäre entzeitlichte Raumordnung der Kirche überführt, was nicht zuletzt den universalen Anspruch imperialer faschistischer Herrschaft begründen sollte. Das ,neue‘ katholisch-faschistische impero oszillierte damit, um es in der Begrifflichkeit des Soziologen Georg Simmel zu sagen, zwischen der räumlichen Festgelegtheit einer konkreten politisch definierten, militärisch expandierenden Ordnung und der unbestimmten überzeitlichen christlichen Überräumlichkeit.3 In dieser besonderen Koppelung von Eigenzeit und Eigenraum entstand die katholisch-faschistische Synthese einer gottgewollten ewigen und universal gültigen Ordnung. Den Geltungsanspruch dieser imperialen Leitidee vergegenwärtigte die Jubiläumsausstellung als symbolisch aufgeladener ,Erinnerungsort‘. Unzählige Gipsabgüsse von Monumenten aus allen Provinzen des antiken Reiches verkörperten dessen Ausdehnung und die kulturelle Vorrangstellung des italienischen Volkes gegenüber anderen Kulturen. Sie stellten den historischen Werdegang des Römischen Reiches, beginnend mit der Ursprungslegende über die republikanischen Jahrhunderte und die Bürgerkriegszeit, über die Kaiserzeit von Caesar und Augustus sowie Tiberius bis hin zu den Antoninen, die Verteidigung des Imperiums, dessen Fortleben im Christentum bis zur Wiedererstehung durch den Faschismus dar. In diesen Zusammenhang konnten dann die kulturellen Ausprägungen in Kommunikationssystem, Industrie und Handwerk, Handel und Landwirtschaft, Familie, Mode, Literatur und Bildenden Künsten, Musik und Theater, Medizin, Spielen etc. ganz im Lichte ihres Gegenwartsbezugs gedeutet werden.4
Fascist Doctrine and the Cult of the Romanità, in: Journal of Contemporary History, 1/1992, S. 5-22. 3
Vgl. Georg Simmel: Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung. Berlin 31923, Kapitel IX: Der Raum und die räumlichen Ordnungen der Gesellschaft, S. 460-526.
4
Auf die immanente Notwendigkeit solcher ,Erinnerungsorte‘ wies schon Maurice Halbwachs hin, indem er feststellte, dass selbst die überräumliche Kirche paradoxerweise auf einen Ort angewiesen sei, an dem sie erfahrbar werden könne (vgl. Maurice Halbwachs: Stätten der Verkündigung im Heiligen Land. Eine Studie zum kollektiven Gedächtnis, Konstanz 2003, S. 163.). Sie habe zwar „als Vertreterin des universalen Gottes die ganze Welt zu ihrem Raum, wenngleich sich dies aber stets doch in besonderen Orten der Verkündigung und der Anbetung konkretisieren musste“ (KarlSiegbert Rehberg: Macht-Räume als Objektivationen sozialer Beziehungen – Institutionenanalytische Perspektiven, in: Christian Hochmuth und Susanne Rau [Hg.]:
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In der gut einjährigen Laufzeit der Ausstellung sollte auch der deutsche Diktator Adolf Hitler zweimal die Schau unter fachkundiger Führung und im Beisein Mussolinis besuchen. Sollte der ,Führer‘ dabei nach historischen Belegen und Überresten der Varusschlacht und Zitaten aus der Germania des Tacitus, die die deutsche Geschichtsschreibung in diesen Jahren so maßgeblich bestimmt hat, Ausschau gehalten haben, so wird dieses Ansinnen vergebens gewesen sein. Die Mostra Augustea, so sehr man ihren akkuraten archäologisch-wissenschaftlichen Anspruch nicht verneinen kann, blendete systematisch all jene Komponenten der römischen Geschichte aus, die in das Bild eines hegemonialen römisch-zivilisatorischen Geistes nicht so ohne Weiteres integriert werden konnten. So zeitlich und territorial ,entgrenzt‘ die Idee eines universalistischen faschistischen Imperiums auf den ersten Blick auch wirken mochte, die sich damit verbindenden kulturellen Geltungsbehauptungen konnten nur in Abgrenzung zu anderen Kulturen Form gewinnen. Die Augustus-Ausstellung löste diese Problematik, indem sie durch die Darstellung der Ausbreitung des Römischen Reiches mit all seinen Provinzen eine scheinbar unhinterfragbare römisch-italienische kulturelle Hegemonie behauptete, ohne sich mit dem wechselseitigen Verhältnis zwischen den Kulturen auseinanderzusetzen. Jenes damit verschwiegene Moment, wie sich dieses Eigenbild der Romanität durch seine Spannungsbeziehung zum Fremdbild der Germanität konturierte, ist Thema der folgenden Analyse. Die historische Deutung der nachbarschaftlichen Beziehungen wandelte sich dabei zugunsten und unter Druck der politischen und machtstrategischen Pragmatik vom Feindbild eines der römischen Kultur fremden Germanesimo hin zu einem ,Freundbild‘ im Zuge der politischen Annäherung. Mit dem Achsenbündnis sollte der Antagonismus der beiden Kulturen in gegenseitiger Ergänzung von Romanità und Germanesimo in einer fingierten Einheit aufgehen. Jene Argumentationslinien einer versuchten Synthese, die die historischen Gegensätze für die politischen Annäherungsbestrebungen in einer zukünftigen Einheit fruchtbar machen sollten, stehen dabei emblematisch für sich in Distinktion zum ,Anderen‘ vollziehende kulturelle Geltungsbehauptungen, die sich auf erinnerungskulturelle Praktiken gründen.
Machträume der mittelalterlichen Stadt, Konstanz 2006, S. 41-55, hier: 44.). Das galt umso mehr für den zuweilen als ,politische Religion‘ bezeichneten Faschismus, der seine Legitimation nicht wie die katholische Kirche aus seinem Fortbestand über Jahrhunderte ziehen konnte, sondern seine Daseinsberechtigung in einem säkularen Romanità-Kult durch vage geschichtliche Bezüge zur Antike zu rechtfertigen suchte.
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Wir folgen dabei den Argumentationslinien einer katholisch-faschistischen Trägergruppe5, deren Mittelpunkt der Florentiner Germanist Guido Manacorda bildete6, die dem Romanità-Kult ähnlich der Ausstellung vor allem durch die katholische Untermauerung der faschistischen Geltungsansprüche Form zu verleihen suchte. Als Rechtfertigungsdenker im Sinne Mannheims formulierte die hier dargestellte Gruppe kein eigenes politisches Programm, sondern suchte unter Rückgriff auf die Geschichte jeweils die Politik und die Geltungsansprüche des Regimes zu legitimieren.7
R OMANITÀ
VERSUS G ERMANESIMO – K ONKURRENZ ZWEIER KULTURELLER H EGEMONIEKONZEPTE Gehen wir mit Georg Simmel davon aus, dass Vergesellschaftung nur dann gegeben ist, wenn Individuen aufgrund von Handlungen in Wechselbeziehung zu-
5
Vgl. zum Begriff der katholischen Faschisten Renato Moro: Nazione, Cattolicesimo e
6
Zu den bekanntesten Akteuren, allesamt Multiplikatoren, zählen in alphabetischer
Regime fascista, in: Rivista di Storia del Cristianesimo, 1/2004, S. 129-147, hier: 140. Reihenfolge der Milizgeneral und selbst ernannte ,Barde der Schwarzhemden‘ Auro d’Alba aus Rom, der Direktor des ,Frontespizio‘ und Generalinspektor im Erziehungsministerium, Piero Bargellini, der Schriftsteller Giovanni Papini, Mitglied der Italienischen Akademie, allesamt aus Florenz, und unbekanntere wie der Veroneser Direktor der explizit katholisch-faschistischen Zeitschrift ,Segni dei tempi‘ und Pädagoge Paolo Bonatelli, der ,Frontespizio‘-Mitarbeiter und Journalist Riccardo Carbonelli oder der im katholischen Milieu bekannte Privatdozent Pasquale Pennisi, beide aus Rom. Der schillernde faschistische Grande und Kulturpolitiker Giuseppe Bottai, der insbesondere Manacorda und Papini protegierte, war eng mit dieser Gruppe verbunden. Diese wird in der kürzlich fertiggestellten Habilitationsschrift von Patrick Ostermann „Col ,Duce‘ e con Dio!“ Historische und wissenssoziologische Untersuchungen zu der katholisch-faschistischen Intellektuellengruppe um Guido Manacorda (1879-1965) analysiert. Siehe auch in italienischer Sprache ders.: Lo stile di pensiero cattolico-fascista: i suoi effetti tra gli intellettuali. Il germanista Guido Manacorda e il romanista tedesco Victor Klemperer: una messa a punto, in: Storia Contemporanea, settembre-ottobre 2010, S. 33-48, sowie ders.: Contro l’antisemitismo tedesco, per la lotta dell’ebraismo. Il concetto cattolico-fascista della razza, in: Sonia Gentili und Simona Foà (Hg.): Cultura della razza e cultura letteraria nell’Italia del Novecento, Roma 2010, S. 43-68. 7
Karl Mannheim: Wissenssoziologie, Neuwied/Berlin 1964, S. 457.
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einander treten und sich grundsätzlich ein Bewusstseinsprozess vollzieht, der Ego in Bezug zu Alter setzt8, so kann in transnationaler Perspektive eben jene Selbstbeschreibung der Nationen nur vor dem Hintergrund ihrer Relation zu anderen Nationen gesehen werden. Der Wesenskern der Fremdnation wird nicht zuletzt deshalb herausgestellt, um die eigene nationale Besonderheit hervorzuheben.9 Die ambivalente Haltung der katholischen Faschisten den deutschen Nachbarn gegenüber spiegelt die These Almut Loyckes im Anschluss an Simmel10 wider, dass das Unbekannte des Anderen beim Betrachter gleichzeitig Angst und Faszination hervorrufe, was letztlich ein Verhalten bewirken könne, das von Abwehr und Verlangen zugleich bestimmt sei.11 Das Schwanken zwischen schroffer Ablehnung und unverhohlener Anerkennung Deutschlands setzte im katholischen Milieu Italiens einen Prozess der Selbstvergewisserung in Gang, in dem die Perzeption der Germanität ihre spiegelbildliche Entsprechung in dem ständigen Versuch der katholischen Intellektuellen fand, eigene Selbstbilder zu kreieren, die diese Projektionen verarbeiteten und letztlich das Primat des die Welt zivilisierenden römisch-italienischen, faschistischen Imperiums legitimieren sollten. Grundlegend für das wachsende Bedürfnis der Gegenüberstellung der beiden Kulturen während des Ventennio war der gemeinsame Expansionswille der beiden totalitären Regime. Er versinnbildlichte sich in der Überordnung der eigenen Kultur über alle anderen und der damit einhergehenden Missions- und Zivilisierungsaufgabe, die sich Deutschland und Italien jeweils selbst zuschrieben. Konkret sahen sich die faschistischen imperialen Bestrebungen mit der aggressiven Raumpolitik des wirtschaftlich und militärisch deutlich mächtigeren ,Dritten Reiches‘ konfrontiert. Bereits wenige Monate nach Eröffnung der Augustus-
8
Vgl. Georg Simmel: Das Problem der Soziologie. Exkurs über das Problem: Wie ist Gesellschaft möglich?, in: Ders.: Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung, Berlin 1908, S. 21-31, hier: 21.
9
Vgl. Hans Manfred Bock: Nation als vorgegebene oder vorgestellte Wirklichkeit? Anmerkungen zur Analyse fremdnationaler Identitätszuschreibungen, in: Ruth Florack (Hg.): Nation als Stereotyp. Fremdwahrnehmungen und Identität in deutscher und französischer Literatur, Tübingen 2000, S. 11-36, hier: 32.
10 Georg Simmel: Exkurs über den Fremden, in: Almut Loycke (Hg.): Der Gast, der bleibt. Dimensionen von Georg Simmels Analyse des Fremdseins, Frankfurt a.M. 1992, S. 9-16, hier: 9. 11 Almut Loycke: Der Gast, der bleibt. Dimensionen von Georg Simmels Analyse des Fremdseins, in: Dies. (Hg.): Der Gast, der bleibt, S. 103-123, hier: 104.
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Ausstellung sollte NS-Deutschland Österreich annektieren, das lange italienischer Satellit gewesen war. So war das Verhältnis des faschistischen Italiens zum neuen Verbündeten aus dem Norden von vornherein ambivalent. Einerseits war das ,Dritte Reich‘ machtpolitisch und ideologisch ein Rivale, andererseits versprach man, sich im Kampf gegen die westlichen Demokratien und den ,Bolschewismus‘ wechselseitig zu stützen. Die faschistischen Denker waren sich einig, dass diese Vorkämpferaufgabe, „die geistigen Grundlagen einer neuen Lebensordnung aufzubauen“, beiden Nationen gemeinsam sei, während hingegen „die Wege zu ihrer Lösung einander entgegengerichtet“ seien.12 Die kulturelle Expansion, die der römischen Kultur innewohne, galt dabei als geeigneteres Instrument zur Durchsetzung politischer Ziele als die bloße militärische Eroberung, wie sie die Germanen angeblich pflegten. In dieser historisch vermeintlich fundierten Differenzierung lag die Quintessenz der ,Hassliebe‘ beider Kulturen: das einheitsstiftende organische Gesellschaftsmodell nach antik-römischem Vorbild, basierend auf Erfahrung, Wissen und Tradition einerseits; andererseits die Habgier eines Volkes ohne Zusammenhalt. Diese Stereotypen13 versinnbildlichten die Gegenüberstellung der „römisch-organischen Einheit“ und der „germanischen Fragmentierung“ ohne bindende Moral.14 Dabei wurde von einem ewigen Gegensatz und festen Volkscharakteren ausgegangen. Auch die katholisch-faschistischen Intellektuellen waren überzeugt, dass die Deutschen immer bestimmt gewesen seien von ihrer ungezähmten und gesetzlosen Freiheit, die in keinem Zusammenhang mit dem römischen Begriff der libertas, also der Freiheit im Rahmen der Dienstpflicht gegenüber dem Staat und seinen Gesetzen, stehe.15 Jene Unabhängigkeit und Rastlosigkeit der germanischen Kultur, die sich letztlich in ihrer eigenen Fragmentierung äußere, zeige sich auch in der späten nationalen Einigung Deutschlands. Es fehle den Deutschen demzufolge die innere Einheit sowohl in räumlicher als auch in zeitlicher Perspektive. Die deutsche Kultur weise „keinen inneren Entstehungszusammenhang zwischen
12 Balbino Giuliano: Latinität und Deutschtum, Stuttgart 1941 [it. zuerst 1940], S. 11 und 49. 13 Vgl. zum Begriff des Stereotyps u.a. Florack (Hg.): National als Stereotyp, sowie Hans Henning Hahn (Hg.): Stereotyp, Identität und Geschichte. Die Funktion von Stereotypen in gesellschaftlichen Diskursen, Frankfurt a.M. 2002. 14 Vgl. Jolanda de Blasi: Romanità e Germanesimo, in: Dies. (Hg.): Romanità e Germanesimo, Florenz 1941, S. 391-401, hier: 397f. 15 Vgl. Guido Manacorda: I miti, in: de Blasi (Hg.): Romanità e Germanesimo, S. 15-28, und Pietro de Francisci: Der Geist der römischen Kultur, Stuttgart 1941, S. 35.
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Vergangenheit und Gegenwart“ auf. Die Gegenwart stelle vielmehr „eine mechanische Zusammenfügung oder ein Nebeneinander verschiedener Bruchstücke“ dar, die der Volksgeschichte entnommen worden seien.16 Demgegenüber wurde das römische Recht, das als Grundvoraussetzung für Zusammenhalt und imperiale Macht galt, die den Germanen fehlte, als ein tragender Pfeiler der römischen Einheit gesehen. In ihrem Ansinnen, den Deutschen die römische Justiz als Grundlage ihrer Gesetzgebung an die Hand zu geben, zeigt sich schon hier der hegemoniale italienische Anspruch im Zusammenhang mit der Errichtung einer neuen Ordnung in Europa unter faschistischer Führung. Im Folgenden soll es jedoch um zwei Aspekte der den Deutschen zugeschriebenen inneren Zerrissenheit gehen, die eigentlich die Differenz zwischen faschistischen und nationalsozialistischen imperialen Ansprüchen in erheblichem Ausmaß bestimmten, von den katholischen Faschisten dann aber in einen engen funktionalen Zusammenhang mit einem ,realisierbaren‘ Universalisierungsanspruch beider Kulturen gebracht wurde. Es sind dies die Funktion der Religion einerseits und das aus ihr resultierende ethnische Differenzierungsprinzip andererseits. In der Gegenüberstellung von Katholizismus und Protestantismus wurde das Feindbild der Deutschen erst einmal gestärkt, um dann durch die ideologische Annäherung an den deutschen Rassenbegriff mithilfe wiederum katholischer Denkmuster ad absurdum geführt und unter Schaffung eines neuen gemeinsamen Feindbildes in einem vermeintlichen ,Freundbild‘ synthetisiert zu werden. Die katholische Religion wurde aus katholisch-faschistischer Perspektive als grundlegendes Prinzip des politischen Gemeinschaftsbewusstseins betrachtet, basierend auf der Überzeugung, „daß das Göttliche die ganze Wirklichkeit durchwalte“.17 Sie wirkte ganz im durkheimschen Sinn integrierend und schuf so die Grundvoraussetzung politischen Zusammenhalts. Entsprechend beschwor Manacorda die besondere transzendente Legitimation des impero. Dieses sei zugleich römisch wie christlich und entspreche durch seinen homogenisierenden, spirituellen und universalen Charakter dem Bild der zwei Sonnen Dantes. In der gemeinsamen Idee des impero trage jede der beiden Institutionen, Kirche und Staat, als perfekte Vereinigung in vollkommener Harmonie der Ziele und in
16 De Francisci: Der Geist der römischen Kultur, S. 16. Emblematisch für diese Auffassung sind auch die Beiträge in de Blasi (Hg.): Romanità e Germanesimo. 17 De Francisci: Der Geist der römischen Kultur, S. 54.
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einem Machtgleichgewicht zum Nutzen des Einzelnen und zum Allgemeinwohl bei.18 Die Deutschen hingegen hätten diesen Zusammenhalt mit der Reformation zerstört. Kein anderes Volk habe jemals gewagt, die Kirche in ihrer Gesamtheit in Frage zu stellen und ihr mit dem Protestantismus die Stirn zu bieten. Die im Katholizismus gegebene Universalität könne durch den Protestantismus nicht aufrecht erhalten werden. Vielmehr zeige sich in ihm das Prinzip einer Nationalkirche, das jenem römisch-universalen Anspruch widerspreche.19 Der in der Folge der Reformation verfolgte Ruf des ,Los von Rom‘, der sich insbesondere gegen die katholische Kirche richtete, habe so die Trennung der beiden Kulturen verfestigt. Bereits in den 1920er Jahren hatte sich bei den italienischen Katholiken die Kritik an den modernen Tendenzen der Republik von Weimar, für die der Protestantismus verantwortlich gemacht wurde, gemehrt. Nach Abschluss der Lateran-Verträge im Jahre 1929 entwickelte sich eine regelrechte antiprotestantische Kampagne, die bis 1931 vehement geführt wurde.20 Eine zweite antiprotestantische Kampagne fand von 1934 bis 1936 statt. Sie wurde sowohl vom faschistischen Regime als auch von den Katholiken in Italien geführt. Während von letzteren die Katholikenverfolgung angeprangert wurde, war es für das erstere der missglückte Juli-Putsch der österreichischen Nazis, der zu einer abrupten Verschlechterung vor allem der persönlichen Beziehungen zwischen Hitler und Mussolini führte.21 So befand sich der katholische Faschist Auro d’Alba durchaus im Einklang mit allen italienischen Katholiken, wenn er den Nationalsozialismus als pagan verwarf: „Für uns hingegen bleibt völlig klar, dass auf der einen Seite das lateinische, christliche, faschistische Licht erstrahlt, während auf der anderen Seite lutherischer, heidnischer, nazistischer Nebel ist.“22
18 Vgl. Guido Manacorda: Le Fascisme, in: La Revue des Ambassades, 2/1938, S. 1113, hier: 11. 19 Vgl. Renato Moro: La Germania di Hitler come „eresia protestante“, in: Wolfram Pyta et al.: Die Herausforderung der Diktaturen. Katholizismus in Deutschland und Italien 1918-1943/45, Tübingen 2008, S. 93-108. 20 Ebd., S. 93f. 21 Vgl. Jens Petersen: Hitler – Mussolini. Die Entstehung der Achse Berlin-Rom 19331936, Tübingen 1973, S. 360ff. 22 „Per noi invece, resti ben fermo che da una parte è la luce latina, cristiana, fascista, dall’altra è la nebbia luterana, pagana, nazista“, Auro d’Alba: Tonici, in: Il Frontespizio, 12/1934, S. 6.
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Der Protestantismus in Deutschland sei auf die staatliche Macht angewiesen, ohne die er zugrunde ginge.23 Indem die Religion keine integrierende Funktion mehr übernehme, sei auch die Bindung an die Nationalität gebrochen und müsse durch die politisch funktionale Vergöttlichung des eigenen Volkes und des eigenen Staates ersetzt werden.24 Der antifaschistische Mailänder Historiker Mario Bendiscioli prognostizierte bereits im Jahre 1936 düster, dass im ,Dritten Reich‘ der Anspruch einer Gleichheit der Menschen vor Gott auf die nationale Vorrangstellung des deutschen Volkes vor Gott reduziert werde, was die Gefahr berge, dass die Deutschen sich in ihrem expansiven Drang als „fürchterliches Monster“ über andere Völker würfen.25 Dem gegenüber stand die organische römisch-katholische Einheit, auf deren Grundlage die italienischen Katholiken Rom als universalistisches Prinzip verstanden, das keinen Rassenexklusivismus kannte und entsprechend inkompatibel mit der Idee einer Lehre war, die von einer biologisch übergeordneten Rasse ausging.26 Die römische Mentalität sei in sich universal und absolut und schreibe der menschlichen Natur ein ethisches Gesetz ein, das nicht durch die Biologie, sondern mit dem Siegel der Würde durch Gott versehen sei. Ein Reich, das auf einem biologistisch geprägten Rassendenken basiere, könne hingegen keinen inneren Zusammenhalt erreichen. Hier liege die Basis für die grundlegende Differenz zwischen römischer und germanischer Kultur: Im römischen Universalisierungsanspruch werde versucht, eine spirituelle und nicht rassische Einheit einer Vielzahl von Stammesgesellschaften zu erreichen, die durch die Zivilisierung als Kohäsionskraft zusammengehalten werden.27 Und so sei es das Römische Reich selbst, das zum Vorbild gelungener Integration vielseitiger Stämme in ein universales Imperium werde. In Hinblick auf die Tatsache, dass das faschistische Italien vermeintlich seine Ursprünge in einen katholisch-römischen Horizont stellte, müsste die als fragmentarisch, zügel- und gesetzlos wahrgenommene deutsche Kultur, „la bionda
23 Vgl. Mario Bendiscioli: Il romanesimo nella coscienza germanica contemporanea, in: Ders.: (Hg.): Romanesimo e Germanesimo (La crisi dell’occidente), Brescia 1933, S. 11-57, hier: 15. 24 Vgl. zu den italienischen Debatten über die Gefahr des protestantischen, nationalsozialistischen Deutschlands Moro: La Germania di Hitler. 25 Mario Bendiscioli: La Germania religiosa nel Terzo Reich, Brescia 1936, S. 182. 26 Vgl. Antonio Messineo: Studi sul germanesimo, in: Civiltà cattolica, 85/1934, S. 174182, hier: 180. 27 Vgl. Carlo Battisti: Le stirpi, in: de Blasi (Hg.): Romanità e Germanesimo, S. 29-63, hier: 63, sowie de Francisci: Der Geist der römischen Kultur, S. 11.
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bestia“28, den historischen Kontinuitätslinien folgend quasi als barbarisch dargestellt werden. Auch Manacorda stand noch im Frühjahr 1935 gänzlich auf der Linie der Eindämmungspolitik Mussolinis gegenüber Hitler, als er die sich in der Varusschlacht exemplifizierende und seither durchgesetzte ständige Gefahr der Barbarei durch die Germanen betonte.29 Und dennoch, im Zuge des Achsenbündnisses wurde das Bild der nunmehr verbündeten Deutschen in der intellektuellen Auseinandersetzung umgedeutet. Es wurde versucht, eine kulturell fundierte Legitimierung des Bündnisses zu erbringen, indem historisch begründete kulturelle Affinitäten der beiden Nationen herausgestellt wurden. Der gemeinsame Kampf für eine europäische Kultur sollte so in der gegenseitigen Ergänzung von italienischer Kulturoffensive und deutscher militärischer Suprematie gewonnen werden.30
V OM F EIND
ZUM
,F REUND ‘:
EIN GEMEINSAMES
F EINDBILD
Im Juli 1938 führte das faschistische Regime eine eigene Rassengesetzgebung ein. Heute ist die apologetische Behauptung, die sich lange in der Forschung gehalten hat, der italienische Rassismus sei lediglich ein NS-Import gewesen, widerlegt. Inzwischen sehen die Historiker die italienischen Rassengesetze nicht zuletzt im Kontext der Annexion Äthiopiens im Jahre 1936 und der Proklamation des impero, denn mit der Unterwerfung der Abessinier stellte sich die Frage, ob Sexualbeziehungen zwischen Italienern und indigener Bevölkerung erlaubt sein sollten.31 Im italienischen Kernland mit seiner außer in Südtirol und Julisch Venetien äußerst homogenen Bevölkerung richteten sich die Rassengesetze vor
28 Giorgio Moenius: Difesa dell’Occidente, in: Bendiscioli (Hg.): Romanesimo e Germanesimo, S. 59-206, hier: 75. 29 Opifex (Guido Manacorda): Autodecisione e eterodecisione, in: Il Frontespizio, 3/1935, S. 5. 30 Vgl. Biondi: La dottrina politica, S. 114, Giovanni Gentile: Filosofia italiana e tedesca, in: de Blasi (Hg.): Romanità e Germanesimo, S. 375-390, hier: 379, Balbino Giuliano: Latinität und Deutschtum, Stuttgart 1941 [italienisch zuerst 1940], S. 20, de Blasi: Romanità e Germanesimo, S. 398, sowie Bottai: Rapporti tra l’Italia e la Germania, S. 6-10. 31 Vgl. Giorgio Israel und Pietro Nastasi: Scienza e razza nell’Italia fascista, Bologna 1998, S. 77, sowie Thomas Schlemmer und Hans Woller: Der italienische Faschismus und die Juden 1922-1945, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 2/2005, S. 164-201.
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allem gegen die ca. 60.000 Juden.32 Der selbst antisemitische ,Duce‘33 passte die Romanità in einen rassistischen Kontext ein. So sprach er im Zuge des Erlasses der Rassengesetze davon, dass auch die antiken Römer wahrhafte Rassisten gewesen seien und dass es ihre größte Herausforderung gewesen sei herauszufinden, inwiefern die römische Rasse in der Lage sei, mit anderen Rassen gemeinsam zu leben.34 Die Rechtfertigungsdenker der katholischen Faschisten machten sich zugleich daran, den Rassismus als katholisch zu legitimieren und bezogen in einer Flut von Stellungnahmen Position. Sie lehnten die Einführung der Rassengesetze 1938 nicht nur nicht ab, sondern hießen sie öffentlich nicht zuletzt durch die Unterzeichnung des Manifesto della razza gut und bezogen sich dabei vorrangig auf die ,spirituelle Romanität‘ der Rasse, ohne jedoch das Erfordernis ,rassenhygienischer‘ Maßnahmen zu negieren.35 Damit leistete die katholischfaschistische Rassismus-Konzeption der Diskriminierung und Verfolgung der italienischen Juden durch ihre moralisch-religiöse Entlastung einer Rassengesetzgebung Vorschub, die – im Unterschied zur behaupteten biologisch-ge schichtlich-spirituellen Komplexität des katholisch-faschistischen Rasse-Modells – nach ausschließlich rassenbiologischen Kriterien operierte, wie Michele Sarfatti zu Recht betont.36 Für die jüdischen Opfer, die aufgrund ihrer angeblich ‚biologischen‘ Andersartigkeit immer erbarmungsloser verfolgt wurden37, musste der katholisch-faschistische Diskurs, der sich vermeintlicher historischer und soziokultureller Argumente bediente, wie Hohn erscheinen. Notwendig verkürzt soll diese heute absurd klingende, damals gleichwohl die Diskurshoheit der innerhalb
32 Michele Sarfatti: Gli ebrei nell’Italia fascista. Vicende, identità, persecuzione, Torino 9
2007, S. 33.
33 Giorgio Fabre: Mussolinis engagierter früher Antisemitismus, in: QFIAB, 90/2010, S. 347-372, sowie ders.: Mussolini razzista. Dal socialismo al fascismo: la formazione di un antisemita, Milano 2005. 34 Opera Omnia, Bd. 29, S. 190, zit. nach Jan Nelis: Constructing Fascist Identity. Benito Mussolini and the Myth of Romanità, in: Classical World, 4/2007, S. 391-415, hier: 401. 35 Vgl. Renato Moro: Propagandisti cattolici del razzismo antisemita in Italia (19371941), in: Catherine Brice und Giovanni Miccoli (Hg.): Les racines chrétiennes de l’antisémitisme politique (fin XIXe-XXe siècle), Roma 2003, S. 275-345, hier: 281. 36 Michele Sarfatti: Grundzüge und Ziele der Judengesetzgebung im faschistischen Italien 1938-1943, in: QFIAB, 83/2003, S. 436-443, hier: 438. 37 Zu den seit 1940/41 immer weiter zunehmenden brutalen squadristischen Übergriffen auf die jüdischen Gemeinden, vgl. Michele Sarfatti: Gli ebrei nell’Italia fascista, S. 218ff.
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des Regimes intensiv geführten Debatte erzielende Rechtfertigung des italienischen Rassismus durch die katholischen Faschisten hier deshalb dargestellt werden, weil sich darin die Ambivalenzgefühle des faschistischen Italiens gegenüber dem ,Dritten Reich‘ zugespitzt verdichteten. Dabei stehen die katholischen Faschisten emblematisch für die Umdeutung dieses Feindbildes zu einem vermeintlichen ,Freundbild‘ zugunsten des italienischen Primats: Das Bündnis zwischen Deutschland und Italien fuße, so der katholische Faschist Pasquale Pennisi, auf einem intuitiven gemeinsamen Erleben. Die Achse Berlin-Rom habe nicht nur ihre politisch-diplomatische Kontingenz, sondern drücke darüber hinaus eine mystische Position der Revolution aus, die in der neuen Konvergenz eines gemeinsamen Glaubens der Romanität und der Germanität sichtbar werde: „Zwei Führer, zwei Völker, ein Krieg, aber auch zwei Führer, zwei Völker, eine Revolution“.38 Diese Konvergenz entstehe dadurch, dass der germanische Nationalsozialismus in der Universalität des Faschismus aufgehe.39 Damit beanspruchte er nichts weniger, als dass der Faschismus dem Nationalsozialismus übergeordnet sei. Ein gemeinsames Feindbild erwies sich als grundlegendes Moment des Versuches, Faschismus und Nationalsozialismus ideologisch zu verbinden. Die Schaffung dieses Feindbilds wurde durch antisemitische Verschwörungs- und Bedrohungsszenarien wesentlich vereinfacht, weil die katholischen Faschisten für die Modernisierungskrisen pauschal und plakativ die Juden verantwortlich machten. Getreu der Devise, dass es Inklusion nur geben kann, wenn es Exklusion gibt40, zeigt sich hier die Bildung eines gemeinsamen ideologischen Konstruktes, das sich in rassistischer Distinktion zu einer ausgegrenzten Gruppe formt. Der Soziologe Shmuel Noah Eisenstadt sieht moderne nationale Bewegungen grundsätzlich in einem Spannungsverhältnis von „primordial-partikularen“ und „religiös-universalistischen“ Komponenten41, wie sie quasi idealtypisch den Romanità-Kult des Faschismus geprägt haben. Jene Verbindung beider
38 Pasquale Pennisi: Mistica del fascismo e dinamica della rivoluzione, Roma 1941, S. 65. 39 Ebd., S. 65f. 40 Vgl. Niklas Luhmann: Inklusion und Exklusion, in: Helmut Berding (Hg.): Nationales Bewußtsein und kollektive Identität. Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins in der Neuzeit 2, Frankfurt a.M. 1994, S. 15-45, hier: 20. 41 Shmuel Noah Eisenstadt: Die Konstruktion nationaler Identitäten in vergleichender Perspektive, in: Bernhard Giesen: Nationale und kulturelle Identität. Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins in der Neuzeit, Frankfurt a. M. 1991, S. 21-38, hier: 22.
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Komponenten erlaubte es den katholischen Faschisten, ihr Rassenkonstrukt so auszurichten, dass es als der deutschen biologistischen Rassenhygiene überlegen gelten konnte. In den auf die Rassengesetze folgenden Jahren wurde der bereits erwähnte Pasquale Pennisi mit zahlreichen Veröffentlichungen der wichtigste Protagonist der faschistischen, in die katholische Tradition eingebetteten Rassentheorie.42 Gegenüber der NS-Rassendoktrin behauptete er die Eigenständigkeit des italienischen Rassismus, den er unter das Leitbild der Romanità stellte. Rasse sei eine biologische Tatsache, die sich neopaganer metaphysischer Theorien entzöge, obgleich eine Mystik des Blutes abzulehnen sei, womit Pennisi dem NSBiologismus widersprach.43 Explizit begründete Pennisi den Primat der Romanität spirituell und nicht biologistisch, denn aus seiner Sicht leitete sich der Anspruch der zivilisatorischen und unifizierenden Überlegenheit der Mission Roms, auf der der italienische Rassenstolz beruhe, aus der Superiorität der ,italischen Nation‘ ab.44 Um den physischen und psychischen europäischen Charakter der Italiener zu erhalten, sei nur eine Vermischung mit anderen europäischen Rassen wünschenswert, die eine gemeinsame Abstammung hätten.45 Der Faschismus verfolge daher keinen rassischen Imperialismus, sondern einen imperialen Rassismus, der allein in der Lage sei, Ordnung und Zivilisation durch die Mystik der pax romana zu schaffen.46 Die italienische Nation habe im höchsten Maße andere Völker assimiliert, weil das göttliche Erbe der „universalen Mission des ,impero‘“ das biologische Konzept der Rasse überwinde.47 Dieser Rassebegriff erfüllte nun für die italienische Inlands- und Auslandspropaganda eine doppelte Funktion in der Formulierung von Leitdifferenzen: zum einen als ideologische Legitimation des italienischen (Führungs-)Anspruchs innerhalb der ‚neuen Ordnung‘ Europas gegenüber Deutschland, zum anderen zur Diffamierung der Gegner der Achse und zur Legitimation des Führungsanspruchs der ,arischen‘ Nationen Deutschland und Italien. Mochte das gemeinsame Feindbild der Juden das nationalsozialistische Deutschland und das faschistische Italien im Kampf verbinden, so unterschied sich die rassistische Leitidee
42 Seine katholisch fundierte Rassismuskonzeption veröffentlichte er in mehreren Artikeln, die dann als Buch erschienen: Pasquale Pennisi: Presa di posizione francamente razzista, Roma 1938. 43 Vgl. Pennisi: Presa di posizione, S. 14. 44 Vgl. ebd. S. 26. 45 Ebd., S. 83. 46 Vgl. ebd., S. 35. 47 Vgl. ebd., S. 18.
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der katholischen Faschisten grundlegend von derjenigen der eugenischen Rassisten, die von einer ideologischen Konkordanz zwischen Nationalsozialismus und Faschismus sowie von einer gemeinsamen indogermanischen Rasse, der Italiener und Deutsche gemeinsam angehörten, ausgingen. Nach dieser Deutung hätten die Italiener als quasi zweitklassige Arier bzw. als Mischvolk die rassische Überlegenheit der nordischeren Deutschen anerkennen bzw. den arischen Lebensstil der Deutschen lernen müssen. Demgegenüber bot in der Spannungskonstellation des Achsenbündnisses das von der Manacorda-Gruppe ausgearbeitete Deutungsangebot dem eindeutig schwächeren Akteur der beiden ,Partner‘, dem faschistischen Italien, den Vorteil, eigene Geltungsansprüche zu formulieren und zu legitimieren. Der Argumentation folgend erfülle der ,politische Rassismus‘ Deutschlands die Voraussetzungen für eine neue römische Spiritualisierung, da er den Germanesimo mit Siegfried, Wagner und Goethe von seiner antirömischen, protestantisch-liberalen Subversion gelöst habe.48 Indem Pennisi die positiven Charaktermerkmale der Deutschen als ,römisch‘ deklarierte, kehrte er jedoch die Vereinnahmungsstrategie der Nationalsozialisten, die alle kulturellen Errungenschaften der Italiener auf nordische Einflüsse zurückführten, einfach um. Die kulturellspiritualistische Dimension des Rassenbegriffs erlaubte es ihm, die Überlegenheit der römischen Rasse über die nordische zu behaupten und die Gültigkeit der NS-Rassendoktrin, und damit den Kern der NS-Weltanschauung, in Frage zu stellen: „Wir behaupten für die römisch-italische Rasse, dem Träger der italischen Nation […] eine universelle Überlegenheit in ihrer historischen Aufgabe, d. h. einer göttlichen Berufung und damit seines universellen Primats internationaler Verantwortung. […] Dabei leugnen wir eine aristokratische Hierarchie der arischen Rasse über alle anderen nicht. Aber innerhalb der arischen Rasse, und eingedenk desselben hierarchischen romanisch-italischen Rassebegriffs und seiner mystischen Dimension, erheben wir Anspruch auf die aristokratische Überlegenheit der mediterranen über die nordischen Arier.“49
Der besondere Wert des katholisch-faschistischen Rassenbegriffs lag demzufolge darin, dass er der NS-Rassendoktrin entgegentrat und sie latent untergrub, sie aber dennoch in ein ganzheitliches Rassenkonzept zu integrieren suchte. Auf
48 Pasquale Pennisi: Appunti per la dottrina fascista della razza, in: Gerarchia, 7/1942, S. 286-299, hier: 289. 49 Pasquale Pennisi: Mistica del fascismo e dinamica della rivoluzione, Roma 1941, S. 90.
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diese Weise sollten die faschistischen Geltungsansprüche in Bezug auf die Neuordnung Europas, die im Zeitfenster von Sommer 1940 bis Sommer 1942 so greifbar schien, wirksam unterstützt werden. Ziel war es, mit den ideologischen Konstrukten einer in der Romanità fundierten Rassentheorie die Hegemonie Italiens in der neuen Ordnung Europas zu legitimieren. Jenes ganzheitliche Konzept nationaler Geschichtskonstruktion, das eine fortwirkende Kontinuität von der Antike bis in die Gegenwart und Zukunft suggerieren und damit politische ,zivilisatorische‘ Ziele begründen sollte, steht beispielhaft für die totalitären Utopien des 20. Jahrhunderts. Erst mit dem Ende der großen Utopien werden solche Konzepte einer Revision unterworfen, sind Exklusions- und Distinktionsmechanismen in Europa nicht mehr rassistisch, sondern höchstens wirtschaftlich, religiös oder politisch-kulturell motiviert und wird Geschichte entsprechend den veränderten Erfordernissen neu erzählt. Insbesondere über den Rom-Mythos wird dann zuweilen auf einer Metaebene berichtet, die nicht nur die antik-römische Geschichte erzählt, sondern auch deren Rezeption und Deutung durch die Jahrhunderte.
Ausblick Entsprechend ist mit zunehmender zeitlicher Distanz zum Zweiten Weltkrieg die christliche Leitidee des Mittelalters einer Roma aeterna50 möglicherweise nur noch sardonisch gebrochen akzeptabel. So schrieb der Lyriker Rolf Dieter Brinkmann, von Oktober 1972 bis Januar 1973 Stipendiat der Deutschen Akademie ,Villa Massimo‘, provozierend: „Ach, Quatsch! – Ewiges Rom?: na, die Stadt jetzt ist das beste Beispiel dafür, daß die Ewigkeit auch verrottet ist und nicht ewig dauert – Rom ist […] eine Toten-Stadt: vollgestopft mit Särgen und Zerfall und Gräbern – wie kann man da von Ewigkeit faseln?“51
Auch die Leitidee der Romanità kam Brinkmann auf der faschistischen Aufmarschstraße der Via dei Fori Imperiali lächerlich vor: „Ich sah auch keine Rüs-
50 Klaus Schreiner: Reichsbegriffe und Romgedanken. Leitbilder politischer Kultur in der Weimarer Republik, in: Wolfgang Lange und Norbert Schnitzler (Hg.): Deutsche Italomanie in Kunst, Wissenschaft und Politik, München 2000, S. 137-177, hier: 176. 51 Rolf Dieter Brinkmann: Rom, Blicke, Hamburg 1979, S. 69.
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tungen, Fahnen, gepanzerte Brustkörbe imaginärer Gespensterheere hier langziehen.“52 Vor diesem Hintergrund sei zum Abschluss auf die 50 Jahre nach der Mostra Augustea della Romanità im Walter-Gropius-Bau in Berlin eröffnete und im Rahmen des Programms ,Berlin – Kulturhauptstadt Europas 1988‘ gezeigte Ausstellung ,Augustus und die verlorene Republik‘ verwiesen. Dieses Gemeinschaftswerk deutscher und italienischer Kulturschaffender verstand sich als mittelbarer Nachfolger der großen Augustus-Ausstellung der 1930er Jahre in Rom. Im Versuch, das Gesamtkunstwerk römischer Geschichte der Mostra Augustea zu entkräften, sollte „[d]em affirmativen Charakter der augusteischen Kunst [...] das Fragmentarische ihrer Überlieferung gegenübergestellt werden“.53 War die Mostra Augustea in ihrer Gesamterscheinung ein Pilgerort für die Anhänger des Faschismus, die in der Inszenierung klarer Gipsabgüsse den Ausstellungsbesuchern die römische Antike in ihrer Funktion für die Gegenwart so nah wie möglich vor Augen führen sollte, so lag in der Berliner Ausstellung der Fokus auf der Vergänglichkeit der Monumente. Die anfänglich noch von den römischen Forschern angestrebte Darstellung einer Gesamtübersicht über die augusteische Kultur wurde mit fortschreitender Zusammenarbeit mit den deutschen Wissenschaftlern durch die Fokussierung auf das überlieferte Fragment römischer Geschichte ersetzt, mit dem Ziel, Distanz zur Antike zu wahren. Ob hier das von den faschistischen Intellektuellen kritisierte Charakteristikum des Fragmentarischen der deutschen Kultur einen realen Bezugspunkt gefunden hat, mag dahingestellt bleiben. Es zeigt sich jedoch neben der Verabschiedung von vermeintlich durchführenden Kontinuitätslinien auch die Tatsache, dass in europäischer Perspektive die Synthese beider Kulturen in einem legitimierenden einheitsstiftenden Gesamtkunstwerk imperialer Macht und der ihm inhärenten sozialen Ausschlussmechanismen einer von religiösen Legitimierungsversuchen freien kritischen Revision unterworfen wird. Dass neben dem Gropius-Bau seit 1987 die Ausstellung ,Topographie des Terrors‘ am authentischen Ort der Planung und Lenkung des NS-Terrors in Europa erinnert, verweist unbeabsichtigt ebenso auf neue museale Konzepte der Auseinandersetzung mit der verheerenden Wirkung vermeintlich historisch legitimierter totalitärer Raumkonzepte und Reichsphantasmagorien.
52 Ebd., S. 57. 53 Wolf-Dieter Heilmeyer und Mathias R. Hofter: Kaiser Augustus und die verlorene Republik – Ein Erfahrungsbericht über die Ausstellung im Martin Gropius-Bau Berlin vom 7.6.-14.8.1988, in: Werner Knopp (Hg.): Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz 1988, Bd. 25, Berlin 1989, S. 95-115, hier: 100.
Eine Vergangenheit, die nicht vergehen will Der Faschismus in der italienischen politischen Kultur der Gegenwart C HRISTIANE L IERMANN
Eine captatio und zwei ,steile Thesen‘ seien vorangestellt. Die captatio lautet, dass über das hier behandelte Thema schon viel Kluges geschrieben worden ist. Daher beschränke ich mich im Folgenden darauf, in essayistischer Form die wichtigsten Punkte der Debatte zusammenzufassen. Die ,steilen Thesen‘ lauten: a) In Italien – aber nicht nur dort – bildet die Geschichte keine Leitkultur mehr, aus der die im Alltag gültigen Werte und die politischen Vorstellungen der gegenwärtigen Gesellschaft systematisch und verbindlich ihre Begründung und Bedeutung schöpfen könnten. Zu anderen Zeiten mag Geschichte diese Rolle innegehabt haben1, für die heutige italienische Gesellschaft lässt sich eine solche Funktion von Geschichte aber nicht nachweisen.2 Es ist nicht leicht, anzugeben, worin genau die Rolle von Geschichte für jenes Phänomen besteht, das ,kollektive Identität‘ heißt.3 Schaut man aber auf die politische Kultur in Italien und allgemein auf die italienische Gesellschaft scheint es, als besitze Geschichte keine dominante Bedeutung als Motor einer solchen ‚kollektiven Identität‘ mehr.
1
Vgl. Hermann Lübbe: Die Gegenwart der Vergangenheit. Kulturelle und politische Funktionen des historischen Bewußtseins, Oldenburg 1985 und Wolfgang Hardtwig: Geschichtskultur und Wissenschaft, München 1990.
2
Vgl. die Diskussionsbeiträge in: Gli usi pubblici della storia, hg. v. Maurizio Vaudagna, in: Contemporanea, 2/2002, S. 329-364.
3
Zur Diskussion vgl. Paul Ricoeur: La memoria, la storia, l’oblio, Milano 2003.
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b) Die Geschichte stellt eher eine große Spielzeugkiste oder einen gut bestückten Werkzeugkasten dar, dessen man sich hauptsächlich zwecks Unterhaltung bedient und zu dem man willkürlich und beliebig greift, um eigene politische Optionen zu rechtfertigen, zu illustrieren oder zu schärfen. Dies scheint mir wichtig: Wenn wir heute auf die Zeit des italienischen Faschismus schauen und wenn wir mit Blick auf Italien seither von einer Vergangenheit sprechen, ,die nicht vergehen will‘, um die Formel zu verwenden, die 1986 in Deutschland den Auftakt des so genannten Historikerstreits markierte, sollten wir die oftmals zufällige Qualität nicht unterschätzen, mit der diese Vergangenheit zurückkehrt. Mein Eindruck ist, dass bestimmte historische Themen auf einmal hochkommen, indem sie den Agenda-Setting-Gesetzen des medialen Marktes folgen: Sex sells, Fascism sells, and Sex in Fascism sells doubly. Es sind jedoch Themen, die in der heutigen italienischen Gesellschaft keine dramatischen Konfliktlinien (mehr) bezeichnen und keine Definitionsmacht (mehr) über das Ethos der politischen Gemeinschaft besitzen.4 Den kulturellen Sensibilitäten, den ethischen Fragen und den politischen Überzeugungen der italienischen Gegenwart entsprechen stark fragmentierte Geschichtsbilder im Plural, die keine Großerzählung zulassen, sondern sich in einer bunten Collage aus Fotographien der Vergangenheit wiedererkennen.5 Oder umgekehrt: Wenn es denn ein ,kollektives Gedächtnis‘ im Singular gibt, so scheint mir sein Hauptmerkmal Pluralität zu sein.6 Diese Beobachtungen will ich im Folgenden weiter entfalten.
4
Zum Thema ,Vergangenheitsbewältigung‘ in der deutschen und der italienischen Geschichte nach 1945 vgl. Christiane Liermann et al. (Hg.): Vom Umgang mit der Vergangenheit: Ein deutsch-italienischer Dialog, Tübingen 2007. Siehe auch Carsten Kretschmann: Der Umgang mit der faschistischen Diktatur in Italien nach 1943/45. Ein Aufriss, in: Wolfgang R. Assmann und Albrecht von Kalnein (Hg.): Erinnerung und Gesellschaft. Formen der Aufarbeitung von Diktaturen in Europa, Berlin 2011, S. 169-180.
5
Vgl. Enzo Traverso: Storia e memoria. Gli usi politici del passato, in: Novecento,
6
Vgl. auch Lutz Klinkhammer: Kriegserinnerung in Italien im Wechsel der Generatio-
10/2004, S. 9-25. nen. Ein Wandel der Perspektive?, in: Christoph Cornelißen, Lutz Klinkhammer und Wolfgang Schwentker (Hg.): Erinnerungskulturen. Deutschland, Italien und Japan seit 1945, Frankfurt a.M. 2003, S. 333-343.
V ERGANGENHEIT ,
D EUTUNGSVIELFALT
OHNE
DIE NICHT VERGEHEN WILL
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M EISTERERZÄHLUNG
Die öffentliche Diskussion in Italien zur eigenen nationalen Geschichte ist nachdrücklich von den heterogenen politischen und/oder religiösen Optionen geprägt, die auch im postideologischen Zeitalter fortbestehen. Die Geschichte bildet in Italien (wie anderswo) eine wichtiges Reservoir kultureller Symbole, sie ist hier allerdings, wie gesagt, eine ,box of tools‘, in der sich unendlich viele Puzzlestücke befinden, die kein konsensfähiges oder mehrheitsfähiges Einheitsbild ergeben. Für die Zeitgeschichte bedeutet das, dass es nicht möglich ist, verbindlich anzugeben, in welche Erzählung die Italiener – in der numerischen Mehrzahl oder als nationale Gemeinschaft unter der Führung einer kompakten Elite – ihre jüngste Vergangenheit kleiden wollen. Das Konstrukt des ,kollektiven Gedächtnisses‘, an dem alle oder doch die allermeisten Italiener partizipieren, lässt sich höchstens als Oxymoron postulieren: Kollektiv daran ist die Unverbindlichkeit. Ein Masternarrativ, mit dessen Hilfe sich die Gesellschaft konsensuell über ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verständigt, existiert nicht.7 Die politische Kultur Italiens ist vielmehr durch antagonistische Vorstellungen von der nationalen Vergangenheit charakterisiert.8 Das reicht bis zur Aberkennung der Legitimität anderslautender, ,gegnerischer‘ historischer Deutungen, wobei eine solche Verbannung aus dem Kreis zulässiger Anschauungen in Italien stärker zu den Usancen des politischen Geschäfts zu gehören scheint als z.B. in Deutschland. Diskurse über das Sagbare und das Unsagbare sind in Italien in der öffentlichen Rede weitaus präsenter als in der Bundesrepublik, wo es zum politischen common sense gehört, die Schnittmenge allgemein geteilter Ansichten als sehr groß anzugeben. Die Diskurse der wechselseitigen Exklusion, die zur politischen Rhetorik gehören, haben einige Beobachter dazu veranlasst, von einem fortbestehenden, nicht-enden-wollenden, ‚nicht-erklärten Bürgerkrieg‘ zu sprechen, der die politische Kultur (oder ‚Unkultur‘) in Italien kennzeichne.9
7
Vgl. die große Studie mit Dokumentation von Pier Giorgio Zunino: La Repubblica e il suo passato. Il fascismo dopo il fascismo, il comunismo, la democrazia: le origini dell’Italia contemporanea, Bologna 2003.
8
Vgl. zu den Wandlungen und Häutungen des Faschismus nach 1945 Aram Mattioli: „Viva Mussolini“. Die Aufwertung des Faschismus im Italien Berlusconis, Paderborn 2010.
9
Ebenso wie der Terminus ,permanenter Bürgerkrieg‘ wird der Ausdruck ,nichterklärter Bürgerkrieg‘ zur Kennzeichnung der Unversöhnlichkeit der Gegnerschaft in der italienischen politischen Kultur verwendet; vgl. beispielsweise den online-Artikel Berlusconi è caduto auf www.leccoprovincia.it, vom 13.11.2011.
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Ohne die tatsächlich oft abstoßende verbale Gewaltsamkeit vieler öffentlicher Polit-Szenarien beschönigen zu wollen, sollte man auch hier deren modisch-kontingenten Charakter, das Opportunitätskalkül, aber auch einen gewissen Konventionalismus der politischen Kampfgesten nicht unterschätzen. Denn ebensowenig darf man die gegenläufige Tendenz der italienischen politischen, speziell parlamentarischen Kultur unterschätzen: die parteiübergreifende Suche nach Kompromissen und Lösungen der Mitte, wie sie zur viel gescholtenen und viel gelobten Tradition des beweglichen ,trasformismo‘ gehört, d.h. zur Vermeidung revolutionärer Brüche mit Hilfe der schrittweisen Berücksichtigung und Integration neuer sozialer Forderungen und neuer politischer Erwartungen.10 Silvio Berlusconis Regierungsjahre waren von aggressiven Freund-Feind-Lager-Inszenierungen geprägt. Zum jetzigen Zeitpunkt (um die Mitte des Jahres 2012) ist es jedoch noch zu früh, um sagen zu können, ob mit dem Ende seiner Ära auch eine tiefergehende Reform der politischen Kultur einhergeht. Die folgenden Betrachtungen beziehen sich daher auf die zurückliegenden Jahrzehnte; inwieweit der Umgang mit dem Faschismus auch in Zukunft weiterhin eine Art seismographischer Indikator für die jeweilige politische Befindlichkeit sein wird, bleibt abzuwarten.
Z WEIFEL
AM
ANTIFASCHISMUS
Fragt man nach dem Umgang mit dem Faschismus in der italienischen Demokratie nach dem Zweiten Weltkrieg, muss man dessen dialektischen Widerpart in den Blick nehmen: den Antifaschismus. In offiziellen Dokumenten, politischen Reden, Feierstunden und Geschichtsbüchern wurde wieder und wieder verkündet, dass die italienische Republik, wie sie in den Jahren zwischen 1943 und 1948 entstand, auf dem Antifaschismus beruhte.11 Mit dieser Definition war eine starke Botschaft verknüpft: Sie besagte, dass sich die Nachkriegsrepublik einem klaren Schnitt zwischen Vergangenheit und Zukunft verdankte und dass es keinen wie auch immer gearteten, aus dem Faschismus stammenden sozialen oder
10 Vgl. zum ,Trasformismo‘ als historischem Phänomen und als Merkmal der italienischen Politik Giovanni Sabatucci: Il trasformismo come sistema. Saggio sulla storia politica dell’Italia unita, Roma/Bari 22003. 11 Vgl. die Überlegungen zu Politik, Geschichtsschreibung und öffentlichem Gebrauch von Geschichte in Italien bei Giovanni Orsina: Italien, in: Günter Buchstab und Rudolf Uertz (Hg.): Geschichtsbilder in Europa, Freiburg 2009, S. 155-197, mit weiterführender Literatur.
V ERGANGENHEIT ,
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moralischen Wert gab, der im neuen Staat einen legitimen Platz beanspruchen durfte. Jede Form von Propagierung des Faschismus, ja sogar dessen Apologie, wurde unter Alcide de Gasperis Regierung im Jahr 1952 unter Strafe gestellt. Zugleich wurden die Ideale der Resistenza und des Antifaschismus als Integrationsangebot formuliert, auf das selbst jene eingehen konnten, die nicht aktiv an Widerstandsaktionen und am bewaffneten Kampf teilgenommen hatten. Das gemeinschaftsstiftende Angebot entwickelte mythopoieitische Qualität: Zum ,Mythos der Resistenza‘ wurde die Erfolgsstory, die davon erzählte, wie die nationale Gemeinschaft gegen den Feind um ihre Freiheit gekämpft und wie sie gesiegt hatte. Dieses freiheitlich-patriotische Glaubensbekenntnis wurde als eine Art italienische Zivilreligion kultiviert. Es war eine ritualhaft immer wieder vorgetragene Großerzählung, die von einem gewaltigen Aufgebot an Initiativen, Institutionen und feierlichen Momenten abgestützt wurde – um den Preis allerdings, dass man die Erinnerung an den Faschismus in zweifacher Hinsicht zum Schweigen bringen musste. Zum einen wurden die faschistischen Verbrechen beschwiegen. Italienische Autoren, Wissenschaftler wie Schriftsteller, blickten lieber auf den unbestreitbaren antifaschistischen Heldenmut als auf den faschistischen Terror. Bei der Frage nach dem Ort der italienischen Geschichte im 20. Jahrhundert wurde es geradezu eine selbstauferlegte Norm, keinesfalls das deutsche NS-Terrorregime mit dem italienischen faschistischen Terrorregime zu vergleichen.12 Überhaupt wurden die komparatistische Perspektive und die europäische Kontextualisierung vermieden. Man suchte nach allem, was zu bestätigen schien, dass die Italiener im Krieg zu den ,good guys‘ gehört hatten und ausschließlich die Deutschen die bösen waren. Beschwiegen wurden aber auch die Opfer der antifaschistischen Revanche, und zwar auf nationaler wie auch internationaler Ebene. Zu letzteren zählten jene italienischen Bürger, die gegen Ende des Krieges und nach dem Krieg in den istrischen und dalmatischen Küstengebieten Opfer verbrecherischer Vergeltungsaktionen durch jugoslawische Partisanen wurden, durch Ermordung in den Foibe, den Karsthöhlen jener Gegenden. Die Debatte um die angemessene Dimension und Form der Würdigung dieser Personen bot jahrelang einen Brenn-
12 Vgl. Filippo Focardi: Die Erinnerung an den Faschismus und der „Dämon der Analogie“, in: Liermann et al. (Hg.): Vom Umgang, S. 177-194, sowie Wolfgang Schieder: Angst vor dem Vergleich. Warum die italienische Zeitgeschichtsforschung wenig europäisch ist, in: Heinz Duchhardt (Hg.): Nationale Geschichtskulturen – Bilanz, Ausstrahlung, Europabezogenheit, Mainz 2006, S. 169-193.
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spiegel politischer Instrumentalisierung historischer Erfahrung. Sie als ,Opfer‘ anzuerkennen, war ein hoch umstrittener Prozess.13 Ein dritter Aspekt kam hinzu: Man schaute nicht allzu genau auf die Größenverhältnisse. Die Erfolgsgeschichte vom nationalen Widerstand suggerierte, dass sich die große Mehrheit niemals mit dem faschistischen Regime identifiziert hatte und dass die große Mehrheit der Italiener folgerichtig am zivilen oder am bewaffneten Widerstand teilgenommen hatte. Zu der vorsichtigeren Version des Mythos der Resistenza gehörte die Vorstellung, dass der Großteil der Italiener zumindest auf den antifaschistischen Sieg gehofft hatte, wenn man schon nicht aktiv dafür gekämpft hatte.14 Auf diese Weise wurde der Faschismus im kollektiven Gedächtnis weit zurückgedrängt. Als die italienische Gesellschaft und Politik in den 1960er und 1970er Jahren nach links rückten, übernahmen die Ideale der Resistenza eine hegemoniale Rolle. In jenen Jahrzehnten stand der Antifaschismus als ethischpolitisches ,Grundgesetz‘ der Nachkriegsrepublik unangefochten da. Seine systemtragende Funktion war in den ersten, vom starken Antikommunismus geprägten Jahren noch nicht so prominent betont worden; nun, ab den 1960er Jahren diente er offen und programmatisch als legitimatorische Basis des politischen Systems. Damit schluckte er auch einen Großteil der historischen Energie. Der Antifaschismus wurde erforscht, zelebriert und in heroische, identitätsstiftende Erzählungen gefasst, während der Faschismus und das faschistische Regime ein buchstäbliches Schattendasein führten. Trotz allem ist es schwer zu sagen, wie tief diese ,offiziell‘ gepflegten Bilder tatsächlich beim Durchschnittsbürger einwurzelten und wie nachhaltig sie wirkten. Das hängt auch damit zusammen, dass der Antifaschismus zu keinem Zeitpunkt eine geschlossene, kohärente Weltanschauung darstellte. Unter seinem Dach bestanden viele verschiedene Antifaschismen. Zwei Hauptströmungen dominierten: Da gab es die bürgerlich-moderate Version, die sich dem Erbe des älteren Liberalismus verpflichtet wusste. In der unmittelbaren Auseinandersetzung mit Mussolinis Regime hatten ihre Vertreter dafür gekämpft, das faschistische System zu überwinden, das Kapitel Mussolini abzuschließen und Italien wieder (zurück) auf den Weg der liberalen Demokratie zu führen. Revolution sollte vermieden, die gesellschaftliche Architektur sollte nicht zerstört werden.
13 Vgl. Mattioli: „Viva Mussolini“, S. 105ff., mit den Angaben zur einschlägigen Literatur. 14 Vgl. Francesco Traniello: Die politischen Kulturen der Resistenza, in: Liermann et al. (Hg.): Vom Umgang, S. 35-44.
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Hier dominierte das Bild einer soliden Kontinuitätslinie zwischen vorfaschistischer und nachfaschistischer Zeit, und der Faschismus selbst erschien als Betriebsunfall der italienischen Geschichte – jedoch nicht als deren eigentliche ,Biographie‘, wie es Pietro Gobetti gesagt hatte, als Selbstoffenbarung und Bankrotterklärung. Auf der anderen Seite gab es den progressiven Antifaschismus mit sozialrevolutionärem Anspruch. Ihm ging es um den radikalen Neubeginn. Ihm erschien ein Bruch notwendig, nicht nur mit dem Faschismus, sondern mit dessen gesamter Vorgeschichte und Herkunft aus jenen Tiefenstrukturen der nationalen Gesellschaft, die als die eigentliche Quelle des Faschismus erachtet wurden. Tradierte Machtverhältnisse sollten überwunden werden – eine Forderung, die von kommunistischer Seite angefeuert wurde. Gewiss, nicht der gesamte progressive Antifaschismus war explizit kommunistisch, wohl aber dessen revolutionsbereite Hauptströmung. Dies bot Gegnern und späteren Kritikern Material, um die Partisanen als Stalins Vasallen zu diskreditieren und ihnen Abhängigkeit von Moskau zu unterstellen.15 Das gemeinsame Dach des Antifaschismus war mithin fragil, so dass einige Historiker dessen gemeinschaftsstiftende, sozialerzieherische Rolle, allen öffentlichen Bekenntnissen zum Trotz, rückblickend grundsätzlich in Zweifel ziehen.16 Unbestritten ist, dass sich der revolutionäre Antifaschismus als nicht mehrheitsfähig erwies. Gegen ihn wurden dementsprechend wiederum Anti-Kräfte mobilisiert: der ,Anti-Antifaschismus‘. Für Viele galt der progressive Antifaschismus als Einfallstor des Kommunismus. Dies bot die Basis für revisionistische Ansätze, die auf eine neutralisierende Äquidistanz zielten: Antifaschismus und Faschismus sollten als letztlich gleich betrachtet werden, gleichermaßen respektabel oder akzeptabel, gleich berechtigt im öffentlichen Erinnern. Das bedeutete, den Faschismus zwar nicht rundheraus schön zu reden, aber es waren Versuche, ihm die Kennzeichnung des ,absolut Bösen‘ zu nehmen.
15 Einer der Wortführer in diesem Sinne ist die Zeitung Il Giornale mit Beiträgen verschiedener Autoren, auch aus dem Kreis der christlichen Demokratie. Vgl. Rocco Buttiglione: Anche i partigiani comunisti erano dalla parte sbagliata, in: Il Giornale v. 24.4.2005, S. 4, sowie Paolo Guzzanti: Liberazione scippata, in: Il Giornale v. 26.4.2005, S. 39. 16 Patrizia Dogliani: Constructing memory and anti-memory: the monumental representation of Fascism and its denial in Republican Italy, in: Dies. und Richard J. B. Bosworth (Hg.): Italian Fascism: History, Memory and Representation, London 1999, S. 11-30, hier: 26f.
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Diesem Versuch entsprach natürlich auch das Programm des Neofaschismus selbst nach 1945. Nostalgisch und mit der Tendenz, sich selbst als Opfer zu sehen, bot der neofaschistische Movimento Sociale Italiano (MSI) all jenen eine Plattform, die den ,wahren‘ Faschismus ausschließlich mit dem so genannten Ventennio identifizierten, also mit den beiden Jahrzehnten zwischen Mussolinis Regierungsübernahme 1922 und seinem Sturz durch den Faschistischen Großrat im Sommer 1943.17 Die beiden dann folgenden Kriegsjahre, die Mussolinis fortgesetztes Kriegsbündnis mit Hitler-Deutschland gegen die Alliierten umfassten, aber auch seinen Krieg gegen die eigenen Landsleute einschließlich der Verfolgung und Deportation der jüdischen Italiener, wurden einem (lange Zeit personell nicht näher präzisierten) ,Nazifaschismus‘ zugerechnet – ein Neologismus, dem dank seiner Entlastungsfunktion eine ungeheure Fortune beschieden war. Die Formel vom ,Nazifaschismus‘ gestattete die Ausblendung der Kontinuität von Gewalt und Terror beziehungsweise deren Herauslösung aus dem Gesamtzusammenhang faschistischer Gewaltherrschaft von 1922 an. Vom ‚Nazifaschismus‘ der Jahre 1943-1945 zu sprechen und diesen von den ,Zwanzig Jahren Mussolini-Herrschaft‘, das heißt, vom Ventennio zuvor, abzulösen, bedeutete, das autochthone inhärente Potential an Gewalttätigkeit und Diskriminierung, das der italienische Faschismus auch unabhängig vom Einfluss NS-Deutschlands jederzeit besessen hatte, bewusst oder unbewusst klein zu reden. Eine solche Verdrängung der ursprünglichen faschistischen Gewalt führte dazu, dass die Gewaltexzesse seitens der Partisanen, die es zweifellos gegeben hat, besonders willkürlich und grausam erscheinen mussten.18 Sie schienen um so weniger ,entschuldbar‘, je stärker aus dem Blick geriet, in welchem Ausmaß die italienische Gesellschaft unter Mussolini seit Beginn der 1920er Jahre Gewalt und Aggression erfahren und selbst permanent ausgeübt hatte. Letzteres gilt bekanntlich auch, aber eben nicht nur für die italienischen Kolonien und für die seit 1936 vom monarchisch-faschistischen Italien besetzten Gebiete.19
17 Vgl. Hans Woller: Der Rohstoff des kollektiven Gedächtnisses. Die Abrechnung mit dem Faschismus in Italien und ihre erfahrungsgeschichtliche Dimension, in: Cornelißen, Klinkhammer, Schwentker (Hg.), Erinnerungskulturen, S. 67-76. 18 Ein polemisches Anklagemanifest ist Giorgio Pansa: Il sangue dei vinti. Quello che accadde in Italia dopo il 25 aprile, Milano 2003. 19 Marta Petrusewicz: Preface. The hidden pages of contemporary Italian history: war crimes, war guilt and collective memory, in: Journal of Modern Italian Studies, 3/2004, S. 269-270. Vgl. auch die Beiträge zu Il fascimo come potenza occupante. Storia e memoria, hg. v. Simone Neri Serneri, in: Contemporanea, 2/2005, S. 311-
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Vor diesem Hintergrund kann man Italiens Reaktion auf die weltpolitischen Umwälzungen von 1989 als kohärent paradox bezeichnen. Zunächst mochte mancher erwarten, dass der Zusammenbruch der Sowjetunion jenen Parteien zum Triumph verhelfen werde, die sich dem Kommunismus stets widersetzt hatten. Aber es geschah das Gegenteil: Das Ende der bipolaren Welt bedeutete in Italien einerseits Krise und Kollaps der Christlich-Demokratischen Partei und der Sozialistischen Partei; andererseits die bis dato ausgebliebene Regierungsberechtigung und -beteiligung der Nachfolgepartei des Partito Comunista Italiano. Diese löste wiederum eine Gegendynamik aus, der nachhaltiger Erfolg beschieden war: Die als Schreckensszenario gedeutete Koinzidenz, dass es den PostKommunisten gelang, in Italien an die Regierung zu kommen, ausgerechnet in dem historischen Moment, da die führende Weltmacht des Kommunismus, die UdSSR, kollabierte, erwies sich als eine von Silvio Berlusconis stärksten Waffen. Der Antikommunismus wurde zum Markenzeichen seiner zwischen Ende 1993 und Anfang 1994 in kürzester Zeit auf die Beine gestellten Forza ItaliaBewegung, die sich mit der Neofaschistischen Partei (MSI) und der Regionalpartei Lega Nord zusammentat und im März 1994 sensationell die Parlamentswahlen gewann. Tatsächlich richtete Berlusconi gleich zwei entscheidende Wegmarken der italienischen politischen Landkarte neu aus: Zum einen zog er das Selbstverständnis des progressiven Antifaschismus als Geburtshelfer und Garant der Nachkriegsdemokratie in Italien in Zweifel. Zu seiner politischen Operation gehörte also die revisionistische Umdeutung einer der zentralen Achsen der Selbstbeschreibung über Herkunft und Entstehung des italienischen Gemeinwesens. Damit verschaffte er sich Gehör unter anderem bei einer bürgerlichen Wählerschaft der Mitte, die zum Teil nach dem Wegbruch der Democrazia Cristiana politisch heimatlos geblieben war. Nicht minder bedeutsam war seine programmatische Distanzierung von ideologischen und pragmatischen Berührungsängsten gegenüber den Faschisten. Mit deren Movimento Sociale Italiano verbündete er sich, noch bevor auch diese Formation jene Häutungen und Selbstreinigungen durchlief, denen sich auf der linken Seite des politischen Spektrums die Kommunisten unterzogen hatten. Berlusconi bot der radikalen Rechten eine erstmalige, einmalige Legitimation. Umgekehrt entledigte sich die radikale Rechte gleichzeitig ihrer extremistischen
336; siehe auch Brunello Mantelli (Hg.): L’Italia fascista potenza occupante: lo scacchiere balcanico, in: QualeStoria, 1/2002 (monographisch).
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Ränder. Sie definierte sich nun als postfaschistisch, wobei Parolen, Haltungen und Gesten des alten Faschismus zum Teil weiterhin gepflegt wurden, um die angestammte Klientel nicht zu vergraulen. Die erfindungsreiche Mediensprache hat im Italienischen für diesen unerhörten Vorgang den Ausdruck ,Zollabfertigung‘ (ital. ,sdoganare‘) geprägt: Berlusconi winkte die Schmuddelkinder von rechts über die Grenze in das Reich der politischen Korrektheit und in die Salons des Regierungsgeschäfts. Dass er mit dieser Operation, trotz aller Angriffe der politischen Gegner, erfolgreich war, verdankte sich auch dem Umstand, dass er diese revolutionärrevisionistische Passage zwar politisch ins Werk gesetzt hat, aber ihren geistigen Unterbau nicht erfinden musste. Bereits zuvor hatte sich der Wandel angebahnt. Eine ,Normalisierung‘ im Umgang mit dem Faschismus war immer wieder angemahnt worden, und von verschiedener Seite hatte man sich um die Inklusion des Faschismus und der Faschisten in die italienische Geschichte und Gesellschaft bemüht. Tatsächlich hatte es Zeichen für die Erosion des antifaschistischen Grundkonsenses gegeben, allgemeiner: Zeichen für eine wachsende Kritik an der spezifischen politischen Architektur Italiens, wie sie von den antifaschistischen Parteien entworfen worden war. Kritisiert wurde akkurat das Tragegerüst des politischen Systems, dessen inhärente Schwächen nach Überzeugung der Kritiker letztlich zur Implosion der so genannten Ersten Republik führten. In den Augen der Kritiker war die negative Trias, auf der die italienische Nachkriegsrepublik ruhte, zusammengesetzt aus der Dominanz der antifaschistischen Parteien, die im Krieg die so genannten ,Komitees der nationalen Befreiung‘ gebildet hatten; aus der Legitimationsfunktion der Resistenza für das Gemeinwesen nach dem Krieg; sowie drittens aus der Tatsache, dass die Verfassung von 1948 den politischen Parteien und dem Parlament eine überragende Rolle zuwies, die Entfaltung einer starken Exekutive jedoch nicht gestattete. 1948 hatte sich Italien eine Verfassung gegeben, die in der Tendenz revolutionär war und auf Überwindung des Status quo drängte, indem dem Staat die Funktion übertragen wurde, Agentur sozialen Fortschritts zu sein. Exakt jene Konstruktionselemente, die die Vertreter einer fortschrittsbewussten Gesellschaftstheorie begrüßten, erschienen spiegelbildlich den Kritikern des alten Systems als Faktoren für dessen Untergang. Während sie darin einen letztlich ruinösen genetischen Code erkannten, rechtfertigten die Verteidiger der republikanischen Verfassung deren spezifischen Aufbau als Bedingung der Möglichkeit für Italiens Aufstieg nach 1945,
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für Demokratie, Wirtschaftswachstum, Frieden (trotz terroristischer Gefährdung) und kulturelle Modernisierung.20 Gerieten einerseits die Grundkoordinaten des italienischen Nachkriegsbaus unter Druck, schwächte sich andererseits die apriorisch negative Sicht auf den Faschismus ab. Es erschien weniger anstößig als zuvor, den Faschismus harmlos aussehen zu lassen. Umgekehrt erzielten Publikationen unerhörte Auflagen, die an die Verbrechen der Resistenza erinnerten.21 Der Antifaschismus wurde beschuldigt, manipulativ einen populären Mythos geschaffen zu haben. Man sprach von ,Volksbibel‘, von der ,vulgata resistenziale‘, von einem falschen Widerstands-Narrativ, das hegemonialen Status beansprucht und andere Anschauungen unterdrückt habe. Die Revision altbewährter Positionen erstreckte sich nun auch auf ehemalige Kriegsgegner und Bündnispartner: Als Verzerrung der historischen Tatsachen wurde die Rede von den Alliierten als den ,Befreiern‘ und von den Deutschen als den ,Besatzern‘ gebrandmarkt, wo doch letztere gemeinsam mit den italienischen Truppen das Land gegen die anglo-amerikanische Invasion verteidigt hatten.22 Die ideologischen Eindeutigkeiten gingen verloren und mit ihnen die klaren Zuordnungen von Gut und Böse in der italienischen Geschichte. Die gesamte moralische Architektur der Gesellschaft wurde neu vermessen, und dabei lag es im Trend, Faschisten und Antifaschisten zu letztlich gleich berechtigten Protagonisten der italienischen Geschichte zu erklären. Denn beiden Seiten wurde nunmehr attestiert, aus patriotischen Motiven gekämpft zu haben. Verniedlichende Termini wie ,Jungs‘ (ital. ,ragazzi‘) sollten den Täterverdacht möglichst unterlaufen. Die populäre, sentimentalische Wendung von den ragazzi di Salò setzte sich gegen alle martialischen Bezeichnungen durch, die den Schrecken des Bürgerkriegs hätten evozieren können. Von der ,Würde‘ der Besiegten war viel die Rede, von der Tragik von Menschen auf der Verliererseite, deren Jugend, sprich: Unschuld, in diesem Zusammenhang stets betont wurde. Eine Hermeneutik der sympathetischen Einfühlung gestattete keine Verurteilung idealistischer junger Männer, die lediglich aufgrund von schicksalhaften Zufällen auf der ,falschen Seite‘ gestanden hatten. Diesem Tenor schlossen sich in den 1990er Jahren auch Vertreter der Linken an. Zwar galt die Parole ,verstehen, nicht gleichsetzen‘, aber es erwies sich als schwierig, diese feine Grenze aufrecht zu
20 Simone Neri Serneri: A past to be thrown away? Politics and history in the Italian Resistance, in: Contemporary European History, 3/1999, S. 367-381. 21 Vgl. als prominentestes Beispiel Pansa: Il sangue dei vinti. 22 Vgl. Roberto Vivarelli: La fine di una stagione. Memoria 1943-1945, Bologna 2000, S. 105.
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halten.23 Die verharmlosende, Sympathie erzeugende Rede von den ragazzi bestimmte jedenfalls vielfach den Umgang mit dem Rechtsradikalismus – und zwar eben nicht nur mit dem Radikalismus in der Vergangenheit, sondern auch in der Gegenwart beispielsweise im Umgang mit der rechtsextremen HooliganSzene des italienischen Fußballs.24 Das Faszinierende dieser besonderen Epoche der italienischen Vergangenheitsbewältigung lag in der Parallelität zweier Revisionismen, die ganz unterschiedliche Ziele verfolgten: in der Gleichzeitigkeit von hochseriösen historischen Studien, die traditionelle Urteile zu Fall brachten, und vulgärpolitischen Instrumentalisierungen, die den Bogen von den wissenschaftlichen Aussagen über den historischen Faschismus hin zur Rechtfertigung des Faschismus der italienischen Gegenwart schlugen. Zu den seriösen, epochemachenden und entsprechend viel zitierten Werken zählte die große Studie des Historikers Claudio Pavone, die schon im Titel ihre zum Datum des Erscheinens im Jahr 1991 revolutionäre Deutung lieferte: ,Ein Bürgerkrieg‘. Pavone war als ehemaliger Soldat der bewaffneten Resistenza von jedem Verdacht des rechtslastigen Revisionismus frei. Um so nachhaltiger wirkte seine These, der bewaffnete Konflikt in den Jahren 1943-1945 sei sicherlich ein ,Befreiungskrieg‘ und ein Krieg der sozialen Klassen gewesen, aber eben auch ein Bürgerkrieg. Diese Definition bedeutete zum einen, auch den Soldaten der Republik von Salò zuzugestehen, aus italienisch-patriotischer Überzeugung Krieg geführt zu haben – wobei schon außergewöhnlich war, dass diese italienischen Soldaten, die an der Seite der Wehrmacht gekämpft hatten, überhaupt in den Blick kamen, hatten doch bis dahin die Resistenza einerseits und die deutschen Unterdrücker andererseits die Szene komplett beherrscht. Zum anderen demonstrierte Pavone, ohne diesen Aspekt politisch zu forcieren, die Fragilität des Identitätskonstrukts der Nachkriegszeit, das auf die Erinnerung an eine heroische Kampfzeit aufbaute, die allerdings den Makel besaß, dass ein großer Teil der italienischen Bevölkerung damals auf der gegnerischen Seite gestanden hatte.25 Die moralisch hoch aufgeladene Rede vom ,Bürgerkrieg‘ schloss nun die einstmaligen Feinde auf Augenhöhe mit ein und erkannte sie als Teil der nationalen Geschichte an. Damit war die Gründungserzählung der italienischen Nachkriegsdemokratie nachhaltig erschüttert. Das Monopol auf die exklusive
23 Kritisch zu einer solchen Verständnisbereitschaft Barbara Spinelli: Il sonno della memoria. L’Europa dei totalitarismi, Milano 2001, S. 28ff. 24 Vgl. auch dazu Mattioli: „Viva Mussolini“, S. 121ff., mit Angaben zur einschlägigen Literatur. 25 Dazu Klinkhammer: Kriegserinnerung, S. 335 und 340.
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Legitimität der eigenen patriotischen Moral ließ sich nicht länger verteidigen. Der Anspruch des Resistenza-Narrativs, das eigentliche, wahre, anständige Italien zu vertreten, wich einer Pluralisierung von Rechtfertigungen und Sinnstiftungsangeboten. Ein weiteres wichtiges Verfahren, um den Faschismus als normal und harmlos erscheinen zu lassen, lag und liegt noch heute in einer Technik, die bewusst oder unbewusst die Fortsetzung der Propagandatechnik des historischen Faschismus bildet: in der Personalisierung. Die Apologie des Faschismus, die zu gleich dessen Unterhaltungswert steigerte, funktioniert(e) mittels ‚Vermenschlichung‘, angefangen natürlich bei Mussolini selbst. Eine Flut von Büchern und TV-Dokumentationen stellte den so genannten ,Duce‘ von seiner sympathischmenschlichen Seite dar, als typisch italienischen Mann, als Liebhaber, Vater, Sportskanone.26 ,Sentimentale Demagogie‘ ist diese Technik treffend genannt worden. Der ,Duce‘ und führende Faschisten wurden als Privatpersonen vorgestellt, in häuslicher, familiärer Atmosphäre, was den Betrachter zur Identifikation einlud. Auffallend war und ist die Tatsache, dass die entsprechenden Produktionen in der Regel ungefiltert und unkritisch das Material des faschistischen Filminstituts Luce benutzen. Statt historisch-kritischer Aufklärung wird dem Zuschauer also die Überwältigungsästhetik und -pädagogik des Regimes selbst geboten. Ausgeblendet wurden dabei in der Regel Diskriminierung und Gewalt, die dieses Regime ebenso prägten wie eine gewisse Bonhomie bestimmter Selbstinszenierungen seiner führenden Repräsentanten. Demzufolge bildete auch die Frage nach Rassismus und Antisemitismus im italienischen Faschismus einen jener zentralen, aber letztlich ,unentschiedenen‘ Kampfplätze, auf denen oftmals weniger um Sachargumente gerungen wurde, als um moralische Bewertungen. Faschismusapologetiker hielten an der Vorstellung fest, der Faschismus sei in seinen Ursprüngen und ideologischen Grundlagen nicht rassistisch und antisemitisch gewesen. Solche Haltungen wurden (und werden) einzelnen Personen zugeschrieben, jedoch nicht der Theorie und Praxis des Faschismus als solcher.27 Kritiker hingegen versuchten nachzuweisen, dass auf breiter Front, bei den Eli-
26 Vgl. Andrea Mammone: A Daily Revision of the Past: Fascism, Anti-Fascism, and Memory in Contemporary Italy, in: Modern Italy, 2/2006, S. 211-226, mit weiteren Literaturangaben. 27 Ablesbar ist die Popularität solcher Einschätzungen, die durch radikale Verallgemeinerung die Diskriminierungspraxis des Faschismus relativieren, beispielsweise bei Bruno Vespa: Vincitori e vinti. Le stagioni dell’odio dalle leggi razziali a Prodi e Berlusconi, Milano 2005.
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ten wie bei der Masse der Bevölkerung, die Disposition für ein diskriminierungsbereites Überlegenheitsgefühl herrschte, in dem sich unterschiedliche Motivstränge kreuzten: Es speiste sich aus dem Anspruch auf kulturelle (oft auch katholisch-christlich begründete) Superiorität, der sich rassischer Muster bedienen konnte, welche wiederum nicht unbedingt streng ,biologistischer‘ Natur waren, sondern mit Argumentationsfiguren wie ,Volk‘, ,Stamm‘, ,civiltà‘ hantierten, bei denen ungeklärt blieb, welche Elemente letztlich genau über Zugehörigkeit und Ausschluss entschieden. Ebenso wie bezüglich der ideologischen Grundlagen der Diskriminierungs- und Verfolgungspolitik des Faschismus28 bestand (und besteht zum Teil noch heute) eine Art schwebender, unentschiedener Dissens bezüglich der Gewichtung der konkreten faschistischen Gewaltpraxis, bei der Drangsalierung italienischer Bürger, bei der Verfolgung jüdischer Italiener und jüdischer Ausländer und bei der Unterdrückung unterworfener Völker. Denn wie im Falle des Themas der Judenverfolgung so lässt sich auch bei der Gewaltthematik überhaupt feststellen, dass der schrittweise Abschied vom Antifaschismus als hegemonialer Leitkultur der italienischen Gesellschaft seit Mitte/Ende der 1980er Jahre interessanterweise nicht nur mit revisionistischapologetischen Geschichtsdeutungen einherging, sondern eben auch mit einer Blüte kritischer Studien zur Gewalt des faschistischen Staates im Innern wie nach außen. Tatsächlich hat die Auflösung festgefügter Geschichtsbilder dafür gesorgt, dass – um es holzschnittartig zu sagen – beide Seiten neue Freiräume erhielten und nutzten: die verharmlosenden Darstellungen des Faschismus ebenso wie die quellengestützten historisch-kritischen Untersuchungen zu den Verbrechen des monarchisch-faschistischen Regimes als Kolonial- und Besatzungsmacht in Nordafrika, in Griechenland und auf dem Balkan und des faschistisch-republikanischen Regimes von Salò im Kriegsbündnis mit NS-Deutschland. Betrachtet man die lebhaften Debatten der letzten rund zwanzig Jahre zu diesen Themen, so darf man, bei aller notwendigen Problematisierung der Verharmlosungsoffensiven die (selbst-)kritische Aufklärungsarbeit zahlreicher italienischer Historiker nicht gering schätzen. Ein flüchtiger Überblick über die Fernsehfeatures zu diesen Themen, sowohl in den öffentlich-rechtlichen, als auch in den privaten Kanälen, legt allerdings den Eindruck nahe, dass im Unterhaltungssektor die Bereitschaft klar überwiegt, den Entertainment-Faktor des
28 Vgl. zum faschistischen Antisemitismus Michele Sarfatti: Gli ebrei nell’Italia fascista. Vicende, identità, persecuzioni, Torino 2000, sowie Carlo Moos: Ausgrenzung, Internierung, Deportation. Antisemitismus und Gewalt im späten italienischen Faschismus (1938-1945), Zürich 2004.
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Mussolini-Regimes nicht durch die Benennung und Darstellung von dessen Grausamkeiten beeinträchtigen zu lassen. Wie sehr Silvio Berlusconi selbst diese Normalisierung des Faschismus durch dessen Verharmlosung beherrschte, zeigt sich in einer Fülle von Episoden kleinerer und größerer vermeintlicher faux-pas, mit denen die Grenzen bis dato bestehender Tabus verletzt wurden; so beispielsweise mit der Behauptung, Mussolini habe Regimegegner nicht so sehr in die Verbannung als eigentlich eher in einen Urlaub geschickt.29 Mit solchen Regelverstößen erreichte Berlusconi einen doppelten Erosionseffekt: Zum einen unterhöhlte er das historische Urteil über die faschistische Brutalität und ließ Mussolinis Herrschaft als schlimmstenfalls autoritär, bestenfalls wohlwollend-erzieherisch erscheinen. Zum anderen entlarvte er durch solche Provokationen die Ohnmacht einer oft zum Ritual erstarrten Empörung im Namen des moralisch überlegenen Antifaschismus. Ging es also einerseits um die Entschärfung der faschistischen Vergangenheit, so ging es andererseits mindestens ebenso sehr um die Unterminierung des moralischpatriotischen Sonderstatus des Antifaschismus als Quelle des gesellschaftlichen Selbstverständnisses. In diesem Sinne hatte bereits Renzo De Felice die ‚Verbannung‘ des Antifaschismus gefordert: Wo doch der Faschismus überholt und begraben sei, besitze auch der Antifaschismus keine Daseinsberechtigung mehr. Zu diesem Arsenal an Waffen, die nicht einmal so sehr auf Apologie, als auf Entdramatisierung des Faschismus zielten, gehörten auch Anleihen bei einer schlichten Form von Totalitarismustheorie. Kommunismus und Nationalsozialismus, in einem Atemzug genannt, galten – weitgehend ihrer Geschichte entkleidet – als Verkörperung des Bösen. Der italienische Faschismus wurde in diesem Zusammenhang beschwiegen, als gehöre er in einen komplett anderen Kosmos als die beiden Großideologien des Jahrhunderts. Auch dieser Parcours war von Renzo De Felice angebahnt worden, insofern er sich vor allem der historiographischen Annäherung von italienischem Faschismus und deutschem Nationalsozialismus widersetzt hatte. Weder dieser Analogie, noch dem Bündnis zwischen Hitler und Mussolini wollte De Felice irgendeine Erklärungstauglichkeit für den historischen Faschismus zubilligen, mit dem Effekt, dass auch die Historiker in seiner Nachfolge den Faschismus ganz überwiegend aus einer rein binnenitalienischen Perspektive untersuchen.30
29 Die vielfach zitierten Beispiele für Berlusconis Verfahren, den Faschismus für derbe Scherze und Volksbelustigungen zu nutzen, finden sich bei Mammone: A Daily Revision, Fn. 22 und 23. 30 Zur Selbstreferenzialität vgl. Schieder: Angst vor dem Vergleich.
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Auf diese Weise wurde der Faschismus als historisches Phänomen entschärft und als politische Erscheinung der Gegenwart Italiens normalisiert.31 Den Faschismus zu rehabilitieren, bedeutete, der bis dato gültigen parlamentarischen Grundorientierung ebenso wie den Erben des Resistenza-Kommunismus ihre außerordentliche Legitimation zu entziehen und gleichzeitig – in einem Procedere des ,angewandten Revisionismus‘ – den Boden zu bereiten für politische Koalitionen mit den sich ebenfalls wandelnden Faschisten. Dass deren gemeinsamer Nenner der aggressive Antikommunismus blieb, gehört zu den Besonderheiten der italienischen politischen Kultur, jedenfalls zu Silvio Berlusconis Zeiten. Ihm gelang es, den Prozess der faktischen Sozialdemokratisierung der italienischen Linken als Maskerade darzustellen, hinter der weiterhin das kommunistische Gespenst lauere. Doch auch hier gilt erneut, dass es in Ermangelung demoskopischer Erhebungen schwer ist, präzise anzugeben, welche Tiefenwirkung für die Geschichts- und Gegenwartswahrnehmung die Lehre vom Kommunismus als der eigentlichen, aktuellen Gefährdung der italienischen Wohlstandsgesellschaft tatsächlich besitzt. Gewiss wird man den Erziehungseffekt durch die massenmediale Meinungslenkung nicht unterschätzen dürfen. Zu überprüfen wäre jedoch, ob nicht statt klarer ideologischer Gewissheiten eher Überdruss, Langeweile, Verwirrung und Abwendung vom Politischen die (durchaus intendierten) Folgen sind. Dass die ideologischen Frontlinien weniger eindeutig verlaufen, als es unterkomplexe Darstellungen in den Massenmedien suggerieren, lässt sich nicht zuletzt symptomatisch an der integrativen Rolle des im Jahr 2006 gewählten Staatspräsidenten Giorgio Napolitano ablesen. Obgleich Napolitano von Mitgliedern der Regierung Berlusconi und ihnen nahestehenden Medien immer wieder ob seines Kommunismus (dem er nie abgeschworen hat) attackiert wurde, gelang es ihm, eine Position der Glaubwürdigkeit super partes einzunehmen, die möglicherweise den postideologischen Erwartungen des Souveräns eher entspricht als die Inszenierung parteipolitischer Grabenkämpfe. Napolitano machte sich die Rede vom ,Bürgerkrieg‘ zueigen, ohne den Faschismus also solchen zu rehabilitieren oder dessen historische Niederlage zu relativieren. Wohl gestand er den Soldaten, die für die Republik von Salò gekämpft hatten, zu, aus ehrlicher Überzeugung gekämpft zu haben. Solche neuartigen sozialintegrativen Offerten, die mit dem neuen Jahrtausend auf breiter Front populär wurden, konnten und können sich auf die Patria berufen, die ein inhaltlich unbestimmter, emotional positiv besetzter Gemeinschaftswert zu sein scheint, der über Partei- und Glau-
31 Vgl. auch Paul Corner: La percezione del fascismo nell’Italia di oggi, in: Giornale di Storia Contemporanea, 8/2005, S. 176-183.
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bensdifferenzen hinweg so etwas wie eben ,patriotische‘ Identität bietet. Auf diese Weise wurde es auch möglich, einen unbefangeneren Blick auf die vielen lebensgeschichtlichen Neuorientierungen vor und nach 1945 zu werfen, auf die Biographien prominenter Wissenschaftler, Künstler und Intellektueller, die sich im Alter, nach jahrzehntelanger Militanz auf der linken Seite, ihrer Wurzeln als junge Kämpfer der Republik von Salò erinnerten und ihre Suche nach kohärenter Sinnstiftung ihres eigenen Lebens öffentlich machten.32 Die Patria als Fluchtpunkt der Vergangenheitsbewältigung über alle Lager hinweg schwächt die historischen Kategorien von ,Gewinnern‘ und ,Verlierern‘ in der italienischen Geschichte ab, er schüttet die alten, aus dem Krieg in die Friedenszeit hinübergeholten Schützengräben zu; aber er bleibt in seiner Werthaltigkeit unbestimmt, offen für plurale Zuschreibungen, die aus dem Werkzeugkasten der Geschichte das je passende Versatzstück herausgreifen, ambivalent und oszillierend zwischen Befriedungsangebot an das Gemeinwesen und der Einforderung moralischer Gleichberechtigung für den Faschismus. „Mit der Dynamik zivilisatorischer Modernisierungsprozesse wächst zugleich komplementär die Nötigkeit von Anstrengungen der Vergangenheitsvergegenwärtigung“, konstatiert Hermann Lübbe in seinen Überlegungen zur Gegenwart der Vergangenheit.33 Der Fall Italiens kann als Anschauungsbeispiel dienen, dass diese Anstrengungen widersprüchlich, collagehaft, sogar spielerisch-kontingent sein können, verbindlich nur in ihrer Unverbindlichkeit.
32 Mit journalistischer Polemik Pierluigi Battista: Cancellare le tracce. Il caso Grass e il silenzio degli intellettuali italiani dopo il fascismo, Milano 2007. 33 Lübbe: Die Gegenwart der Vergangenheit, S. 13.
Neue Formen und Funktionen der Lern- und Geschichtsorte im Grenzraum von Trentino-Südtirol
Erinnerungskulturen im Widerstreit Das Beispiel der Stadt Bozen/Bolzano 2000-2010 H ANS H EISS UND H ANNES O BERMAIR
Die ‚Autonome Provinz Bozen-Südtirol‘ – so die etwas umständliche offizielle Bezeichnung – ist die nördlichste Provinz Italiens. Seit 1919, dem Ende des Ersten Weltkrieges, Teil des Königreichs Italien (ab 1922 einer faschistischen Diktatur) und seit 1945/46 der Republik Italien, ist Südtirol ein Land mit drei anerkannten Sprachgruppen, der deutschen, der italienischen und der ladinischen, die proportional jeweils 68%, 28% und 4% der Bevölkerung erreichen.1 Trotz seiner seit 1972 zunehmend gefestigten, international verankerten Autonomie und nachhaltigen wirtschaftlichen Prosperität mit durchschnittlich nur 3% Arbeitslosigkeit schieben sich ethnisierte Konflikte und Reibungsmomente auch in der Gegenwart in Südtirol immer wieder in den Vordergrund.2 Die Auseinandersetzungen wurden in den letzten Jahrzehnten zwar kaum je gewaltförmig ausgetragen, Wellen der Ethnizität begleiten jedoch die Geschichte der Region konstant seit Ende des 19. Jahrhunderts. Fragen der politischen Vertretung, des wirtschaftlichen Erfolgs, der sozialen Positionierung und der kultu-
1
Für eine umfassende aktuelle Bestandsaufnahme von Südtirol vgl. Werner Kreisel et al. (Hg.): Südtirol. Eine Landschaft auf dem Prüfstand/Alto Adige. Un paesaggio al banco di prova, Lana 2010.
2
Hans Heiss: Südtirol – erfolgreiche Autonomie mit Fragezeichen, in: Geographische Rundschau, 3/2009, S. 10-18.
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rellen Ausdrucksformen sind ständig Gegenstand der Auseinandersetzung zwischen den unterschiedlich großen Sprachgruppen.3 Die Spannungszonen innerhalb Südtirols äußern sich besonders deutlich im Diskurs der divergierenden Erinnerungskulturen. Allein im Jahrzehnt von 2000 bis 2010 entspannen sich um die kulturellen Gedächtnisse der Sprachgruppen viele Debatten und Auseinandersetzungen von nachhaltiger Tiefenwirkung. Drei Schwerpunkte kennzeichnen die anhaltenden Debatten: • Der Bedeutungsgewinn der topischen Erinnerungsdimension; • Die Spaltung und Separierung der Gedächtnisse nach Sprachgruppen; • Die mühsame Annäherung der Erinnerungskulturen.
Der zeitliche Schwerpunkt dieses Beitrags liegt im letzten Jahrzehnt, er behandelt jedoch Erinnerungselemente, die durchwegs im 19./20. Jahrhundert geschaffen wurden. Der Fokus richtet sich vor allem deshalb auf die jüngste Vergangenheit, weil sich Formen und Tragweite der Gedächtnisbildung gegenwärtig in dreifacher Hinsicht rasch verändern. Kulturelle Gedächtnisse haben ihren bislang überwiegend langsamen, gemessenen Entwicklungsverlauf und ihr Speicherungsprofil deutlich verändert. Feststellbar sind ein sprunghafter Wandel, ein Beund Entladen der Speichermedien des kollektiven Gedächtnisses und damit ein Bedeutungswandel der Monumentalkultur.4 Erinnerungsträger und Monumente sind eingebettet in ein hoch dynamisiertes, kommunikatives Netz von Handlungen, Praktiken und Verständigungsmustern. Dieses stützt sich zudem auf ein Geflecht erhöhter medialer Kommunikation, das sich über Medien der klassischen Moderne wie Rundfunk und Fernsehen neu verzweigt und individuell kapillarisiert hat. Gruppen und Individuen generieren neue Formen von Gedächtnispflege und Kommemoration, bisweilen unsichtbar und kleinteilig und dennoch bei Bedarf hoch effektiv sich entfaltend.5
3
Vgl. die nachdenkliche Bilanz von Manuel Fasser: Ein Tirol – zwei Welten – das politische Erbe der Südtiroler Feuernacht von 1961. Ein Beitrag zum Gedenkjahr 2009, Innsbruck/Wien/Bozen 2009.
4
Vgl. Aleida Assmann: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München 32006.
5
Nützlich für die Klärung der Begrifflichkeiten sind Astrid Erll: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen: eine Einführung, Stuttgart 2005, sowie Detlef Altenburg et al. (Hg.): Im Herzen Europas: nationale Identitäten und Erinnerungskulturen, Köln 2008.
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Schließlich verstärkt sich die Beziehung zwischen historischer Erinnerung und ihrer räumlich-geographischen Verortung. Unterhalb des lange von der Forschung privilegierten Blicks auf die nationalen Erinnerungsorte, die als gleichsam erratische Monumentalisierungen großer Gedächtnisse betrachtet wurden, rückt nunmehr die räumliche Dimension in der Interaktion zwischen spezifischem Ort und Dynamiken der Erinnerung verstärkt in den Vordergrund.6 Neben einer raschen Transformation der Gedächtnisse zeichnet sich schließlich verstärkt der generationelle Bruch ab, der die lebenden Erinnerungsträger, die Generationsangehörigen, die im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts geboren wurden, zunehmend schwinden lässt. In einer Grenzregion wie Südtirol sind der dreifache Wandel, die Neuaufwertung der topischen Erinnerungsdimension, die veränderten und vielschichtigen Praktiken der Kommemoration und der Druck der generationellen Transition machtvoll spürbar. Sie gewinnen in einem Feld der konstant ethnisierten Politik zusätzlich an Bedeutung, da sie der Ethnizität als Katalysatoren und Spannungsverstärker zugleich dienen.
B EDEUTUNGSGEWINN DER E RINNERUNGSDIMENSION
TOPISCHEN
In Südtirol, einer Grenzregion mit mehreren Sprachgruppen, behauptet die topische Dimension von Erinnerungsorten besondere und vertiefte Bedeutung. Die Präsenz von Erinnerungsorten und die mit ihnen verknüpften Praktiken markieren zum einen den Grenzverlauf nach außen, gegenüber Nachbarländern und Nachbarregionen. Sie bilden damit neben den politischen und administrativen Grenzen eine zusätzliche symbolische Demarkationslinie von hohem Rang. Sie überhöhen den politischen Limes durch Anschauungs- und Erfahrungselemente von kommemorativer und sakralisierender Bedeutung. Beinhäuser, Ossarien und Gefallenenmonumente sind wie Reliquiare, die Grenzen definitiv ihre Weihe verleihen.7 In einer alpinen Gebirgsregion wächst zudem die Bedeutung des Topischen durch die Möglichkeit, Erinnerungsorte und Monumente mit naturräumlichen
6
Vgl. Kirstin Buchinger, Claire Gantet und Jakob Vogel (Hg.): Europäische Erinne-
7
Vgl. Elmar Heinz: Die versteinerten Helden: Kriegerdenkmäler in Südtirol, Bozen
rungsräume, Frankfurt a.M. 2009. 1995.
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Elementen zu verknüpfen.8 Die symbolische Bedeutung der Erinnerungsträger steht durchwegs in engem Konnex mit Landschaft und Geographie, die ihre Wirkung im Gebirge effektvoll entfalten. In den Alpen ist vorab das Zusammenspiel von Horizontale und Vertikale durchgehend spürbar. Zwischen Siedlungen und Lebensräumen auf den Verebnungsflächen und den Höhenzügen von Bergen und Hochgebirgen entspinnt sich ein Zusammenspiel von nicht zu unterschätzender Dynamik. Diese zusätzliche Ebene einer prägenden, allgegenwärtigen Natur mit dichter Besiedelung schafft Spannungspotenziale und reichert die Gestaltungselemente von Erinnerungsorten mit einer hochrangig ästhetischen, stark emotionalisierenden Dimension an. Die sorgsame Platzierung von Erinnerungsorten in eine naturräumliche Dramaturgie erzielt konstante, mitunter beeindruckende Wirkungen.9 Kommemoration wird dadurch naturalisiert und durch die Einfügung in die scheinbare Unwandelbarkeit von Landschaft und Gebirge ein Stück weit entzeitlicht. Dieser Dialog von Gedenken, Monumenten und Landschaft unterstreicht auch die räumliche Dimension von Geschichte, die in einer alpinen Region besonders eindrücklich nachvollziehbar erscheint. Kollektives ‚Sehen‘ unterliegt hier einer besonderen naturräumlichen Rahmung, die zusätzliche Mobilisierungsebenen bietet.10 Gedächtniskriege entzünden sich vorab an den Zeugnissen der Memorialkultur in der Landeshauptstadt Bozen mit 105.000 Einwohnern (2011)11, in der demographisch die Zwei-Drittel-Präsenz der italienischsprachigen Bevölkerung gegenüber einem Drittel Deutscher und Ladiner die landesweiten Proportionen der Sprachgruppen exakt auf den Kopf stellt. Hier prägen primär die Monumente des faschistischen Ventennio das Stadtbild, vorab das 1928 eingeweihte ‚Siegesdenkmal‘ nach Entwürfen von Marcello Piacentini und das Relief ‚Triumph des Faschismus‘ am Finanzamt Bozen, die sich zudem jeweils im Kontext markanter
8
Am Beispiel Rumänien eindrücklich Béatrice von Hirschhausen: Zwischen lokal und national. Der geographische Blick auf die Erinnerung, in: Buchinger/Gantet/Vogel (Hg.): Europäische Erinnerungsräume, S. 23-32.
9
Das Beispiel des österreichischen Salzkammergutes bei Thomas Hellmuth: Die Erzählungen des Salzkammergutes. Entschlüsselung einer Landschaft, in: Dieter A. Binder, Helmut Konrad und Eduard G. Staudinger (Hg.): Die Erzählung der Landschaft (Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Willfried-Haslauer-Bibliothek Salzburg 35), Wien/Köln/Weimar 2011, S. 43-68.
10 Vgl. hierzu aus fotographiegeschichtlicher Sicht Anton Holzer (Hg.): Räumliches Sehen: die Stereoskopie im 19. und 20. Jahrhundert, Marburg 2008. 11 Autonome Provinz Bozen/Südtirol – Landesinstitut für Statistik (Hg.), Südtirol in Zahlen, Bozen 2010, S. 8-10.
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Stadterweiterungen der Epoche 1925-1940 befinden.12 Die faschistischen Residuen stehen im Gegensatz zu älteren Monumenten der lokalen Memoria, etwa zum 1889 am Hauptplatz der Altstadt errichteten Denkmal für Walther von der Vogelweide oder zum Stadtmuseum (1907). In diesem älteren Denkmal-Bestand gewannen die kulturnationalen Optionen der deutschliberalen Bürgerschaft in der späten Habsburgermonarchie Ausdruck, während die Monumente des Ventennio teilweise in bewusstem Gegensatz und in antipodischer Absicht errichtet wurden. So wurde denn auch 1935 das Walther-Denkmal aus dem Herzen Bozens in einen abgelegenen Park verbannt und kehrte erst 1981 wieder auf den Namen gebenden Waltherplatz zurück.13 Siegesplatz und Faschismus-Relief als Zentralmonumente des Ventennio stehen aber auch in Spannung zu neu aufgewerteten Bauresten und Kleinmonumenten des Antifaschismus und Nationalsozialismus wie die Erinnerungsstätte für das 1944/45 bestanden habende Durchgangslager Bozen oder das 2002 eingeweihte Monument für die Opfer des Holocaust am städtischen Friedhof. Die Ballung von Gedächtnispunkten auf engstem Raum, die beinahe physisch spürbaren Kontraste der Ikonographie, der Raumbilder und Raumwirkungen, die sie entbinden, eingebettet in eine Rahmung landwirtschaftlicher und alpiner Naturbilder, erheben Bozen zum kleinen, widersprüchlichen, zugleich exzellenten Zentrum europäischer Gedächtnis-Stadien.14 Diese spannen sich vom Nationalismus über den faschistischen Imperialismus bis hin zu Symbolbauten der Autonomie, flankiert von den Baustilen des Historismus und der klassischen Moderne.15 Der Stadt und ihren Bürgern ist es jedoch bis heute nicht gelungen, diese Einschreibungen angemessen zu historisieren, geschweige denn sie reflexiv als Erfahrungsräume sichtbar und nutzbar zu machen. Stattdessen stehen Bürgermeister, Gemeinderäte und städtische Administrationen, die durchwegs
12 Thomas Pardatscher: Das Siegesdenkmal in Bozen – Entstehung, Symbolik, Rezeption, Bozen 2002. 13 Oswald Egger und Hermann Gummerer (Hg.): Walther – Dichter und Denkmal, Wien/Lana 1990. 14 Hans Heiss: Europäische Stadt der Übergänge. Bozen/Bolzano im 20. Jahrhundert, in: Michael Gehler (Hg.): Die Macht der Städte (Historische Europa-Studien 4), Hildesheim/Zürich/New York 2011, S. 545–574. 15 Vgl. Harald Dunajtschik und Aram Mattioli: Die „Città nuova“ von Bozen. Eine Gegenstadt für eine Parallelgesellschaft, in: Aram Mattioli und Gerald Steinacher (Hg.): Für den Faschismus bauen. Architektur und Städtebau im Italien Mussolinis (Kultur – Philosophie – Geschichte. Reihe des Kulturwissenschaftlichen Instituts Luzern 7), Zürich 2009, S. 259-286.
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dem Mitte-Links-Lager angehören, beinahe hilflos vor der Sprengkraft, die die Monumente in ihrer topischen Anmutung stets von Neuem, oft genug in unberechenbarer Wucht, auslösen.16
S IEGES - ODER F RIEDENSPLATZ ? Z UR B EDEUTUNG EINES SYMBOLISCHEN S TREITS Zentral in diesem Kräftefeld war der heftige Streit um die Umbenennung des Siegesplatzes, Standort des Siegesdenkmals im Zentrum von Bozen, in ‚Friedensplatz‘. Ende 2001 setzte die Stadtregierung von Bürgermeister Giovanni Salghetti-Drioli die Umbenennung durch, um Bozens faschistisches Zentralmonument zumindest mit einer zwar schwachen, aber auf Versöhnung zielenden Aura der Pazifizierung zu umgeben. Der Vorstoß erfolgte zum einen gewiss auf Druck des Koalitionspartners Südtiroler Volkspartei (SVP), der einen nachdrücklichen Akt symbolischen Handelns wünschte, zum anderen getragen vom authentischen Wunsch, die nackte Macht-Ästhetik des Siegesdenkmals auf dem Siegesplatz durch den Frieden stiftenden Platznamen ein wenig zu relativieren.17 Gegen diese salomonische Lösung entbrannte jedoch sofort und in vehementer Form der Protest der MitteRechts-Parteien. Die Umbenennung sei signifikant dafür – so lauteten die Argumente –, wie es der Südtiroler Volkspartei immer wieder gelinge, den italienischen Parteien und den Bürgern Bozens ihren Willen aufzuzwingen. So stehe auch hinter der Umtaufe keinerlei Friedenswillen, sondern die bare Arroganz der Macht, die hinter der antifaschistischen Gebärde die Unterdrückung der Italiener in Bozen wie im ganzen Lande vorantreibe. Diese Argumentation, vorangetragen und popularisiert von Rechtsparteien wie Alleanza Nazionale ebenso wie von Unitalia oder Forza Italia, war im Hinblick auf den Machtwillen der landesweiten Mehrheitspartei zwar durchaus zutreffend, sie unterschätzte aber den aufrichtigen Wunsch des Bürgermeisters, mit diesem Kompromiss einen kleinen Durchbruch zu erzielen und auf einen nachhaltigen Bewusstseinswandel hinzuarbeiten. Die Argumente der Rechten zünde-
16 Vgl. Martha Verdorfer: Die Stadt als öffentlicher Erinnerungsraum am Beispiel der Landeshauptstadt Bozen, in: Klaus Eisterer (Hg.): Tirol zwischen Diktatur und Demokratie (1930-1950), Innsbruck/Wien/Bozen 2002, S. 187-200. 17 Vgl. Ildikò Erika Stephanie Risse: Sieg und Frieden. Zum sprachlichen und politischen Handeln in Südtirol/Sudtirolo/Alto Adige, phil. Diss. München 2010 [demnächst auch im Druck].
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ten aber unter vielen Bevölkerungsgruppen, so dass die zur Abhaltung einer Volksbefragung benötigten Unterschriften leicht zusammenkamen. Das Referendum fand im Oktober 2002 statt, unter erheblicher Wahlbeteiligung von rund 60% der Wahlberechtigten, nachdem ihr eine heftige Propagandaschlacht auf beiden Seiten vorangegangen war. Trotz medialer Überlegenheit der Befürworter des neuen Namens entschied sich eine deutliche Mehrheit von 60% der Abstimmenden für die Rückbenennung, die Tafeln ‚Friedensplatz‘ wurden abgenommen und die alte Bezeichnung Siegesplatz neu angebracht, freilich mit einem hintersinnigen Zusatz in kleinerem Schriftgrad: già Piazza della Pace, vormals Friedensplatz, womit der gescheiterte Anlauf bleibend dokumentiert war. Stadtverwaltung und Befürworter einer Verständigung hatten eine schwere Niederlage erlitten. Am Ausgang des Konflikts zeichnete sich ab, dass nicht nur das Monument selbst unverrückbar blieb, sondern nicht einmal der Kontext des Siegesdenkmals zur Disposition stand. In dem symbolischen Streit überlagerten sich also zum einen unterschiedliche historische Bewertungen. Die Befürworter einer kanonisierten Semantik lehnten jede Änderung der Wort-Monument-Marke ab. Aus ihrer Sicht bildeten Platz und Denkmal inzwischen ein Ensemble, das längst bar jeder totalitären Bedeutung sei. Die Geschichte sei anzunehmen, ihre Überreste beleidigten niemanden mehr. Auch das Kolosseum – so lautete die bizarre Argumentationsfigur rechter Exponenten – könne man nicht deshalb abreißen, weil dort Tausende von Menschen auf grausamste Art zu Tode gekommen seien.18 Platz und Monument bildeten eine untrennbare Einheit, sie seien radizierter Teil der italienischen Identität. Die Befürworter einer Umbenennung sahen sich hingegen in ihrem Blick auf die italienische Sprachgruppe bestärkt; sie sei unverbesserlich, befangen in ihrer Herkunft aus faschistischer Wurzel, erst recht ihre politischen Vertreter von Alleanza Nazionale über Forza Italia bis hin zum Rechtsausleger Unitalia. Bemerkenswert war ferner, dass die für die Umbenennung eintretende Mehrheit die Umtaufe des Platzes in keiner Weise adäquat vorbereitet hatte. Es gab keine professionelle Werbekampagne, keinerlei Informationsmaterial, das Wochen zuvor in den Haushalten verbreitet worden wäre, auch keine knapp-präzise historische Aufklärung über die Hintergründe von Platz und Denkmal. Der beeindruckende Dilettantismus der ‚Wohlgesinnten‘, die das gute Argument allein schon für ausreichend hielten und so auf eine fundierte Aufbereitung verzichte-
18 Der Vergleich wurde vor allem von der Berlusconi-Fraktion vorgebracht, mit Vorliebe in Leserbriefen an die nationalliberale Bozner Tageszeitung Alto Adige, die hier zum Teil sehr ambivalente Positionen bezog.
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ten, trug zur Entscheidung für die Revision erheblich bei. Die Chancen, inmitten eines Schubs von Interesse einige Grundbotschaften dauerhaft zu implementieren, wurden fahrlässig verschenkt. Das Siegesplatz-Debakel lieferte gleichwohl den Anstoß zur Neudefinition und Neubegründung zahlreicher Erinnerungsorte und Monumente in der Landeshauptstadt Bozen und darüber hinaus. Die Episode rückte Bedeutung und Brisanz der Topik allseits in den Vordergrund, so dass die Markierung von Räumen und Punkten seit 2002 eine Konstante im kulturellen Agenda-Setting nicht allein der Stadt, sondern der gesamten Region bildete. Neue Erinnerungsorte wurden geschaffen, die sich nur auf den ersten Blick unpolitisch ausnahmen, aber langfristig den Anspruch auf Raumbeherrschung und Deutungshoheit festschrieben. So erwies sich das bereits 1998 eröffnete Museum für den Iceman, für ‚Ötzi‘, den Mann vom Hauslabjoch, nicht allein als kulturelles Zentrum, sondern auch als symbolischer Bezug auf eine neue, beinahe überzeitliche Südtirol-Identität.19 Denn die Gletschermumie bezog ihren neuen Sitz in nur rund 500 m Luftlinie Abstand vom Siegesdenkmal, als Monument, das die beinahe überzeitliche Dauer Südtirols und seines Volkes beanspruchte. Zudem wurde das Museum durch die Landesregierung am früheren Sitz der Banca d’Italia platziert, mithin an einem Zentralort der Solidität schlechthin, in dem die Mumie symbolisch als neue, prämonetäre Einlage mit ‚Ewigkeitsgarantie‘ deponiert wurde. Die bannende Macht der Archäologie und die Botschaft der unverbrüchlichen Dauer Südtirols wurden damit – gewiss nicht voll beabsichtigt, aber dennoch in subtiler Sinngebung – gegen die imperiale Attitüde des Faschismus in Szene gesetzt. Solche topischen Spannungsbögen wurden seit Beginn des 21. Jahrhunderts immer wieder neu kreiert, durch Erinnerungspraktiken und -rituale markiert und bearbeitet. So rückten die Monumente des Faschismus ab 2005 zum Schauplatz von Kundgebungen auf, in denen einflussreiche Vertreter ‚deutschpatriotischer‘ Verbände wie die Schützen, gegen die anhaltende Präsenz ‚faschistischen Gedankenguts‘ im öffentlichen Raum demonstrierten. Dies geschah etwa besonders eindrücklich am 8. November 2008, als große Schützenverbände am Abend in einem Fackelzug am Siegesdenkmal vorbei defilierten, anschließend das nur wenige 100 m entfernte Relief des ‚Triumph des Faschismus‘ ansteuerten, um dort dann im bengalischen Licht von Scheinwerfern die sichtbaren Reste des Faschismus rhetorisch zu brandmarken. Die Schüt-
19 Angelika Fleckinger (Hg.): Ötzi 2.0 – eine Mumie zwischen Wissenschaft, Kult und Mythos, Wien/Bozen 2011.
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zen, Traditionsverbände des Landeskonservatismus und im eigenen Verständnis Mahner der verlorenen Einheit und der Teilung Tirols, bekundeten auf diese Weise ihren antifaschistischen Geist. Solche Antifaschismus-Aktionen lenkten freilich ab von der eigenen Rechtslastigkeit, in der der schützentypische TirolPatriotismus und die Sezessionsabsichten immer wieder auf die Grenze zum Rechtsextremismus trafen und sie mitunter auch überschritten. Für die jüngere Generation, die in der Riege der im Mittel knapp 40-jährigen Schützen den Löwenanteil stellte, dienten die Monumente als Anschauungsorte für den unwandelbaren Charakter des italienischen Staates, hinter dessen scheindemokratischer Tünche der Faschismus überlebt habe. Die Bozner Denkmäler dienten so als Generatoren gegensätzlicher Identitäten, als identitäre Orte ohne historische Distanz.
S PALTUNG UND S EPARIERUNG NACH S PRACHGRUPPEN
DER
G EDÄCHTNISSE
,Fratture d’Italia‘ – so hat der englische Historiker John Foot sein 2009 erschienenes Buch über die Erinnerung Italiens benannt.20 Im alliterativen Anklang an die italienische Nationalhymne Mamelis mit ihrem Beginn ,Fratelli d’Italia‘ untersucht Foot die tiefe Spaltung der italienischen Gedächtnislandschaft und stellt die provokante Frage, ob „eine Nation mit 1000 Vergangenheiten eine gemeinsame Zukunft“ haben könne. Diese Frakturen, die Splitterbrüche der nationalen Memoria, sind in Südtirol gleichfalls feststellbar und weiten ihre fragmentierten Muster überdies noch durch die Teilung in ethnisierte Gedächtnisbezirke weiter aus. Vorab gilt festzuhalten: Generell zeichnet sich auch in Südtirol seit gut zehn Jahren der Einfluss einer europäischen Erinnerungspolitik mit unifizierender Wirkung ab.21 Der Holocaust als Grundfigur des europäischen Gedächtnisses22
20 John Foot: Fratture d’Italia. Da Caporetto al G8 di Genova: la memoria divisa del paese, Milano 2009 (Orig.: Italy’s Divided Memory, London 2009); ebenso Giovanni De Luna: La repubblica del dolore. Le memorie di un’Italia divisa, Milano 2011. 21 Vgl. Christoph Cornelißen: Erinnerungskulturen in Deutschland, Österreich und Italien seit 1945, in: Michael Gehler und Maddalena Guiotto (Hg.): Italien, Österreich und die Bundesrepublik Deutschland in Europa. Ein Dreiecksverhältnis in seinen wechselseitigen Beziehungen von 1945/49 bis zur Gegenwart, Wien/Köln/Weimar 2012, S. 369-379, hier: 377f.
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hat auch in der Region südlich des Brenners an Zugkraft und Wirkungsgrad gewonnen. Der Zivilisationsbruch des Genozids an den europäischen Juden, in Italien seit dem Jahr 2000 durch den Tag der Erinnerung, die ,Giornata della Memoria‘, jährlich am 27. Jänner eingeführt, bewirkte in der Provinz BozenSüdtirol eine Spurensuche, die dem regionalen Anteil und den eigenen Verantwortlichkeiten am Judenmord und an der Verfolgung im größeren Kontext Europas galt. So war das Polizeiliche Durchgangslager Bozen 1944/45 mit durchwegs 11.000 Häftlingen eine Relaisstelle der Deportation aus der italienischen Halbinsel.23 Seine Baracken wurden zwar um 1960 abgeräumt, bald nach 1990 wurde seine Geschichte allerdings neu erforscht, eine noch verbliebene Mauer als baulicher Überrest unter Denkmalpflege gestellt, auch dank der außerordentlichen Bemühungen der Bozner Stadtarchivarin Carla Giacomozzi.24 Die Gedächtnisveranstaltungen zum 27. Jänner und die Kranzniederlegungen durch Stadt und Behörden jeweils am 25. April bekunden glaubwürdiges Gedenken, sie stellen jedoch die nationalsozialistische Verantwortung in den Vordergrund. Damit wird vorab der NS-Terror inkriminiert, die Mitverantwortung des faschistischen Regimes dabei zwar nicht unterschlagen, aber in den Hintergrund gerückt. In der bekannten Formel des nazifascismo, der bei solchen Anlässen regelmäßig verurteilt wird, stellen viele Gedächtnisredner den Faschismus nur als Ableitungsphänomen dar, als Derivat zweiter Ordnung des NS-Regimes.25 Dadurch wird dessen Bedeutung im Vergleich zum terrore nazista merklich abgeschwächt, wenn nicht relativiert. Der Vergleich dient oft nur dazu, den Faschismus zum harmlosen, quasi entmündigten Juniorpartner zurückzustufen. Dieser Befund entspricht den Beobachtungen von Christoph Cornelißen, für den es als „augenfällig“ gilt, „wie sehr die Erinnerungskulturen in fast allen ehemals von deutschen Truppen besetzten Staaten regelmäßig einem nationalheroischen My-
22 Vgl. Emmanuel Droit: Die Shoah: Von einem westeuropäischen zu einem transeuropäischen Erinnerungsort?, in: Buchinger/Gantet/Vogel (Hg.): Europäische Erinnerungsräume, S. 257-266. 23 Vgl. Barbara Pfeifer: Im Vorhof des Todes. Das Polizeiliche Durchgangslager Bozen 1944–1945, Innsbruck 2003; Dario Venegoni: Männer, Frauen und Kinder im Durchgangslager von Bozen. Eine italienische Tragödie in 7.800 persönlichen Geschichten, Bozen 2004. 24 Carla Giacomozzi: Im Gedächtnis der Dinge. Zeitzeugnisse aus den Lagern – Schenkungen an das Stadtarchiv Bozen, hg. v. Stadtarchiv Bozen, Bozen 2009. 25 Vgl. Stanley G. Payne: Fascism. Comparison and Definition, Madison 1980, bes. S. 95ff.
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thennarrativ folgen, bei dem die Referenz auf die so genannte Nazibarbarei als willkommene Ablenkung von den eigenen Verstrickungen fungierte.“26 Die Erinnerung an den Judenmord weckt in Südtirol neben der NSVerantwortung überdies unterschwellige Assoziationen an die Nähe und die Sympathien, die unter der deutschsprachigen Bevölkerung mit dem NS-Regime verbreitet waren. Die Präsenz eines Lagers in Bozen verweist untergründig auf die ab 1935 verbreiteten NS-Dispositionen der örtlichen Bevölkerung, auf deren Kollaboration mit den Nazis oder die Mittäterschaft einzelner Akteure. Über diese Mitwirkung hinaus schleicht sich allzu oft ein Generalverdacht mit ein, dass Südtiroler als Träger einer ,deutschen Kultur‘ generell vom Nationalsozialismus affiziert gewesen seien. Die geringe Beteiligung von Deutsch-Südtiroler Honoratioren am Holocaust-Gedächtnistag und an den Zelebrationen vor der Lagermauer Bozens wirkt zudem wie eine Bestätigung des unterschwelligen Verdachts. Ziehen wir ein Fazit dieser Beobachtungen: Unter der Patina der Europäisierung der Gedächtnislandschaft in Südtirol bewahrt die ethnische Scheidung ihre Prägekraft. Das Holocaust-Gedächtnis als gemeinsamer Fluchtpunkt öffnet sich in Richtung zweier Achsen, die je nach Sprachgruppen geschieden sind. Das Opfergedenken für die ermordeten Juden wird zwar von der italienischen und der deutschen Sprachgruppe geteilt, stärker freilich auf Seite der Italiener und ihrer politischen Repräsentanten, die damit auch die Mitverantwortung der ,Deutschen‘ in der Provinz Bozen 1943 bis 1945 evozieren. Geringer ausgeprägt hingegen erscheint auf italienischer Seite die Bereitschaft, die rassistische Komponente des italienischen Faschismus und die Voraussetzungen bzw. Auswirkungen der Provvedimenti per la Difesa della Razza vom November 1938 mit zu bedenken. Sie waren auch in der Provinz Bozen erheblich, da sich auf ihrem Gebiet doch eine erhebliche Zahl von aus Deutschland und der ,Ostmark‘ geflüchteten Juden Zuflucht gefunden hatten.27 Diese Dichotomie der Gedächtnisse brach besonders klar rund um den 25. April 2009 hervor, als Bozens damaliger Vizebürgermeister Oswald Ellecosta, langjähriger Vertreter der Südtiroler Volkspartei im Gemeinderat, sich den Ge-
26 Christoph Cornelißen: „Vergangenheitsbewältigung“ – ein deutscher Sonderweg?, in: Katrin Hammerstein et al. (Hg.): Aufarbeitung der Diktatur – Diktat der Aufarbeitung? Normierungsprozesse beim Umgang mit diktatorischer Vergangenheit (Diktaturen und ihre Überwindung im 20. und 21. Jahrhundert 2), Göttingen 2009, S. 21-36, hier: 26. 27 Vgl. Cinzia Villani: Zwischen Rassengesetzen und Deportation. Juden in Südtirol, im Trentino und in der Provinz Belluno 1933-1943, Innsbruck 2003.
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denkfeiern der giornata di liberazione mit dem Hinweis verweigerte, im Frühjahr 1945 hätten die Südtiroler keine Befreiung erlebt.28 Als ein befreiendes Moment sei vielmehr der 8. September 1943 wahrzunehmen, als nach 21 Jahren deutsche Truppen Südtirol endlich vom italienischen Faschismus befreit hätten. Mit seiner Distanzierung und dem persönlichen Fernbleiben von den Zeremonien drückte der 70-jährige Ellecosta, ein bekannter Hardliner der SVP, die neben der Ablehnung des Holocaust fortbestehende Spaltung des Gedenkens aus. Galt vielen Südtirolern der Faschismus nach wie vor als causa prima allen historischen Übels, so sahen sich viele Italiener des Landes durch das EllecostaDiktum in ihrer Auffassung von einer revisionistischen bis rechtsextremen Disposition mancher Südtiroler Politiker bestätigt. Rücktrittsforderungen an die Adresse von Ellecosta blieben wirkungslos, da er sich mit Unterstützung von Bürgermeister Luigi Spagnolli einer Demission verweigerte. Allerdings erreichten die heftigen Vorhaltungen an Ellecosta aus der eigenen Partei ein Ausmaß, das noch 10 oder 15 Jahre zuvor kaum vorstellbar gewesen wäre, zumindest in dieser Hinsicht war ein neues Grundverständnis unübersehbar.29 Generell aber blieb der Blick auf die je eigene Vergangenheit der Sprachgruppen und auf ihre gemeinsamen Anteile geteilt und selektiv. Innerhalb der Angehörigen der deutschen und ladinischen Sprachgruppe wurde zwar der bis um 1980 weitgehend verschwiegene, hauseigene Nationalsozialismus zunehmend entdeckt und aufgearbeitet. Galt bis in die Achtziger ein weit gehendes Sprechverbot über die beachtliche NS-Präsenz in der Provinz Bozen zwischen 1935 und 1943, verstärkt dann in der Zeit der Operationszone Alpenvorland 1943 bis 1945, so fiel dieses Tabu nach 1980 allmählich.30 Sein Rückzug stand in engem Zusammenhang mit dem Ausbau der Südtirol-Autonomie und wachsender Verantwortung auch für die eigene Vergangenheit der deutschen und ladinischen Sprachgruppe. Trotz solcher Fortschritte blieb aber das Südtiroler Opfergedächtnis weiterhin im Vordergrund, geprägt von der Erinnerung und emphatischen Beschwörung eigenen Leids, für das Italien und der Faschismus verantwortlich gemacht wurden. Beide, die Nation und das Regime, wurden und
28 Entschuldigen oder zurücktreten, in: Neue Südtiroler Tageszeitung v. 30.4., 1. u. 2.5.2009. 29 Die Kritik gipfelte in der so unmissverständlichen wie überraschenden Rücktrittsforderung, die Chefredakteur Toni Ebner von der katholisch-konservativen Tageszeitung ,Dolomiten‘ am 29. April 2009 in seinem Leitartikel erhob. 30 Vgl. Gerald Steinacher (Hg.): Südtirol im Dritten Reich/L’Alto Adige nel Terzo Reich 1943-1945, Innsbruck/Wien/Bozen 2003.
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werden aus Südtiroler Sicht bis heute noch oft in eins gesetzt, als doppelte Quelle eigener, auch fortdauernder Unfreiheit. Das Südtiroler Gedächtnis ist dabei weit ausgeprägter als jenes innerhalb der italienischen Sprachgruppe. Dies hängt damit zusammen, dass die feste Ortsbindung, die geringe Mobilität und der Generationen übergreifende Effekt des kulturellen Gedächtnisses in der deutschen und ladinischen Kommunität ungleich wirkungsvoller greifen als in der fluktuierenden, durch Zu- und Abwanderung gezeichneten, weitaus kleineren italienischen Sprachgruppe. Die Ausbildung von Gedächtnissen vollzieht sich in einer ortsfesten Gruppe leichter und intensiver als unter den hochmobilen Italienern in Südtirol. Umso weniger begreifen es die oft erst wenige Jahre und Jahrzehnte in Südtirol ansässigen Bürger der italienischen Sprachgruppe, weshalb sie Verantwortung tragen sollten für den Entnationalisierungs- und Assimilationskurs des italienischen Faschismus in der Provinz Bozen.31 Umgekehrt hingegen entsteht aus Südtiroler Sicht bisweilen der Eindruck, ,die Italiener‘ seien nicht nur unfähig, sondern nachgerade unwillig, die Vergangenheit wahrzunehmen und sie zu tragen. So entwickelt sich oft eine strukturelle Asymmetrie der Gedächtnisbildung: Der langen, nachdrücklich vertieften und reflexiv übersteigerten Memoria der deutschen und ladinischen Sprachgruppe steht ein flüchtigeres, inner- und außerhalb der Region generiertes, auch auf die gesamtitalienische Nation bezogenes Gedächtnis der italienischen Sprachgruppe gegenüber. Das anhaltende Scheitern eines Konsenses im Hinblick auf den Umgang mit der örtlichen Memorialkultur bewirkte die markante Spaltung der ethnisch getrennten Erinnerungskulturen und deren Verengung auf die jeweils ,eigenen‘ Opfer. In der deutschen Sprachgruppe setzte sich verstärkt die Pflege eigener Gedächtnisse durch und gewann etwa 2009 in der 200-Jahr-Feier des Tiroler Aufstands gegen das napoleonische Bayern landesweiten Ausdruck. Im Landesjubiläum, dem Gedenken der Länder Tirol, Südtirol und des Trentino an die ,Tiroler Erhebung‘ und den Regionalheros Andreas Hofer wurde auf vielen Ebenen die präsumptiv von ,Freiheit‘ und dem Streben nach Selbstbestimmung geprägte Geschichte Tirols nördlich und südlich des Brenners zelebriert. Am großen Bicen-
31 Diese Verwerfungen sind glänzend analysiert von Michael Gehler: Vergangenheitspolitik und Demokratieentwicklung südlich des Brenners. Überlegungen zur „alten“ und „neuen“ Zeitgeschichtsschreibung Südtirols, in: Christoph von Hartungen et al. (Hg.): Demokratie und Erinnerung. Südtirol – Österreich – Italien. Festschrift für Leopold Steurer zum 60. Geburtstag, Innsbruck/Wien/ Bozen 2006, S. 107-124.
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tenaire der Geschichte Tirols nahm die italienische Bevölkerungsgruppe in Südtirol nur begrenzten Anteil.32 In der italienischen Sprachgruppe brachte sich neben der Verteidigung der Erinnerungsorte des Ventennio vor allem durch den Einsatz politischer Vertreter des Mitte-Rechts-Lagers auch das Gedächtnis an das istrisch-dalmatinische Foibe-Massaker in den Vordergrund, kontrastiert von einer antifaschistischen Gedächtniskultur, die sich durch die Einführung der Giornata della Memoria seit 2000 und die Neuaufwertung des Bozner Durchgangslagers bestärkt sah.33
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Neben dem Auseinanderdriften der Erinnerungskulturen wurde im Jahrzehnt 2000 bis 2010 aber auch verstärkt das Bemühen um eine wechselseitige Anerkennung und Überbrückung der gespaltenen Memorialkulturen bemerkbar. Unter im Lehrberuf, im Archivbereich oder professionell tätigen HistorikerInnen in Südtirol zeigte sich der entschiedene Wunsch, gegen die politische Instrumentalisierung von Geschichte und Gedenken im öffentlichen Raum einzutreten sowie durch eigene, von konsequenter De-Regionalisierung und Transnationalisierung bestimmte Forschung für Perspektivenerweiterung zu sorgen. Vor allem bewährte sich die seit rund zwanzig Jahren angelaufene Zusammenarbeit einer jüngeren Historikergeneration unterschiedlicher Sprachgruppen, die in Forschungsprojekten, Publikationen und Ausstellungen erlernte, die unterschiedlichen, national und regional gebrochenen Gedächtnisebenen analytisch zu durchdringen und verstärkt aufeinander zu beziehen.34 Der entscheidende Qualitätssprung, die forschungsimmanenten Fortschritte auf die Ebene der bislang dysfunktionalen Geschichtskulturen voran zu tragen und zu popularisieren, gelang zwar erst in Ansätzen, sie wird aber zum Testfeld der kommenden Jahre aufrücken. Im Bereich der Schulbücher und didaktischen
32 Zu diesen Stimmungslagen ausführlich Hans Heiss: Im Jahr des Heiles. Zum Ausklang des Tirol-Jubiläums 1809-2009, in: Günther Pallaver (Hg.): Politika 10. Jahrbuch für Politik, Bozen 2010, S. 245-275. 33 Vgl. die Diagnose von Andrea Di Michele: La fabbrica dell’identità – il fascismo e gli italiani dell’Alto Adige tra uso pubblico della storia, memoria e auto rappresentazione, in: Geschichte und Region/Storia e regione, 2/2004, S. 75-108. 34 Insbesondere die in Bozen erscheinende, programmatisch zweisprachige und interkulturell orientierte Historikerzeitschrift ,Geschichte und Region/Storia e regione‘ ist hier zu nennen.
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Materialien hat das Projekt, eine Grundlage für die regionale Geschichte im Kontext nationaler und europäischer Dimensionen zu realisieren35, bereits erste Früchte getragen.36 Weniger erfolgreich sind hingegen Bestrebungen, ein zeitgeschichtliches Museum oder eine Dauerausstellung zu schaffen, die – kommunikationsstark und visuell überzeugend – die Geschichtskulturen und Gedächtnislandschaften des Landes neu fokussierten. Einrichtungen wie das Museo Storico in Trient oder das Museo della Guerra, deren Engagement große Öffnungen der regionalen Gesichtskultur ermöglicht hat, sind in Südtirol nicht vorhanden. Im Raum der Stadt Bozen versuchen Institutionen und Forschungsstellen wie das Stadtarchiv, den städtischen Raum zum Parcours einer europäischen Gedächtnislandschaft aufzuwerten. Konzepte für eine interpretationsoffene, die unterschiedlichen Perspektiven der Sprachgruppen berücksichtigende Präsentation liegen vor, ihre Umsetzung wird eine wichtige Herausforderung der kommenden Jahre darstellen.37 Das Konzept einer ,Stadt der zwei Diktaturen‘ könnte dabei eine symmetrische Erzählstruktur vorgeben. In ihrem Mittelpunkt stehen geteilte Verantwortlichkeiten, die jeglicher Schwarz-Weiß-Malerei abhold sind und simplifizierenden Opfer-Täter-Mustern einen Riegel vorschieben. Bozen war im 20. Jahrhundert, zumindest in der ersten Hälfte des ,kurzen‘ Saeculums bzw. „Zeitalters der Extreme“ (Eric Hobsbawm), eine nicht von einer einzigen, sondern von zwei Diktaturen bestimmte Stadt. Es kam in Europa nicht oft vor, dass ein und dieselbe Stadt (und Region) sowohl den italienischen wie den deutschen Faschismus erdulden und damit totalitäre Herrschaftsformen in ihren am stärksten odiösen Ausprägungen erfahren musste.38 Auf die faschistische Unrechtsherrschaft 1922-1943 folgten zwei Jahre blutiger NS-Okkupation. Beide Regime haben in der Zivilgesellschaft des Landes und der Stadt Bozen tiefe Wunden geschlagen und ihre unübersehbaren Zeichen hinterlassen. Das totalitäre Doppel prägt eine historische Lesart vor, die ein
35 Hierzu die Bestandsaufnahme von Norbert Parschalk: Geschichtsunterricht in einer europäischen Grenzregion. Blickpunkt Südtirol, Saarbrücken 2010. 36 Vgl. das sowohl auf deutsch wie auf italienisch erschienene sprachgruppenübergreifende Schulbuch von Carlo Romeo et al.: Der Tiroler Raum von der Frühgeschichte bis ins späte Mittelalter, Bozen 2010, sowie dies.: Tirol in der Neuzeit, Bozen 2011. 37 Vorbildlich etwa die Analyse von Rolf Petri: Kultur und Politik in Bozen 1906-1943, in: Stadtarchiv Bozen (Hg.): Stadttheater – Teatro Civico – Teatro Verdi Bozen, Bozen 2011, S. 12-41. 38 Zur doppelten Diktaturerfahrung Südtirols s. Martha Verdorfer: Zweierlei Faschismus. Alltagserfahrungen in Südtirol 1918-1945, Wien 1990.
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wahrlich unbequemes Erbe zur Sprache bringen und zugleich auch nachdrücklich die erheblichen Chancen demokratie- und erinnerungspolitisch wichtiger Aufarbeitung produktiv nutzen könnte. Für die Öffentlichkeit, für Schulen und Forschung, für Alteingesessene und neu zugezogene MigrantInnen ist es wichtig zu erfahren, welche Geschichtsbilder die Stadt transportiert und wie diese angemessen zur Sprache gebracht werden können. Der italienische Faschismus ist in seinem grandiosen Bauprogramm sichtbar, das das neue Großbozen imperialer Prägung bestimmte. Wiewohl etwa den bühnenhaften Corsi, dem monumentalen Armeekommando am 4.-November-Platz, dem Siegesdenkmal und seinem Platzkontext sowie dem Mussolini-Relief am Gerichtsplatz der Unrechtscharakter des Regimes bis heute ablesbar eingeschrieben bleibt, bestechen zugleich auch zahlreiche Raumlösungen und Bauleistungen – man denke an den Sitz der Europäischen Akademie, ein herausragendes Beispiel positiver Neucodierung belasteter Architektur – durch ihre architektonisch bemerkenswerten Formen.39 Besonders ambivalent ist die kaum mehr sichtbare Hinterlassenschaft des Nationalsozialismus, von dessen Polizeilichem Durchgangslager gerade noch die Umfassungsmauer erhalten ist. Aber man sollte auch wissen, dass sich etwa die Gestapozentrale im Gebäude des italienischen Armeekommandos befand und hier ihren Terror entfaltete, dass die Umsiedlungskommissionen für die so genannte ,Option‘ – das von beiden Regimen 1939 zur ethnischen Flurbereinigung vereinbarte Umsiedlungsabkommen – im ehemaligen Hotel Bristol wirkten und dass die Zwangsarbeit für den Krieg im Virgltunnel erfolgte.40 Es ist ebenso eine faszinierende historische Aufgabe wie auch eine erinnerungspolitische Pflicht, die Spuren der beiden Regime dauerhaft und überzeugend sichtbar zu machen. Historische Forschung und didaktische Überlegungen müssen Hand in Hand gehen, um zu einem überzeugenden Umgang mit Bozens totalitärer Vergangenheit zu gelangen. Das missing link wäre ein kleines, aber sorgfältig gestaltetes Dokumentationszentrum, das diese Dinge auf überzeugende Weise erzählt und etwa im Park, auf den das Siegesdenkmal seine Schatten wirft, errichtet werden könnte. Städte wie Linz, Nürnberg und Berlin (,Topographie des Terrors‘) haben diesen Weg erfolgreich beschritten. In der Zwischenzeit scheint die staatliche Denkmalpflege, die für das Siegesdenkmal
39 Vgl. Stephanie Risse-Lobis: EURAC – ein Haus für die Europäische Akademie Bozen: Architektur – Geschichte – Wissenschaft, Bozen 2003. 40 Umfassend hierzu der Sammelband von Steinacher: Südtirol im Dritten Reich; vgl. auch Günther und Leopold Steurer: „Deutsche! Hitler verkauft euch!“ Das Erbe von Option und Weltkrieg in Südtirol, Bozen 2010.
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zuständig ist, immerhin den Unterbau des Monuments, wenn auch nicht dieses selbst, für ein solches Vorhaben zur Verfügung zu stellen.41 War das Bemühen der Forschung bisher auf die Dokumentation der Geschehnisse rund um das NS-Lager Bozen gerichtet, so ist in den letzten Jahren verstärkt auch die Zeit der faschistischen Diktatur aufgearbeitet worden.42 Durch Tagungen und Veranstaltungen konnte eine Reihe hervorragender HistorikerInnen in diese Geschichtsarbeit eingebunden werden, so dass deren Expertise in die gedächtnispolitischen Anstrengungen wird einfließen können. Bozen also als Stadt der Geschichte, die sich ihren glücklichen Zeitabschnitten wie zivilgesellschaftlichen Katastrophen mit gleicher Intensität zuwendet. Nicht um zurückzublicken, sondern um mit demokratischer Gelassenheit die Gegenwart zu gestalten. Ziel solcher Bemühungen sollte es darum sein, über die Anerkennung einer von Bellizität und Nationalismen bestimmten Vergangenheit und den kritischen Blick auf sie zu einer positiven Geschichtskultur der Verständigung zu gelangen. Eine ,Vergangenheit, die nicht vergehen will‘ und deren Monumente daran erinnern, kann nur durch schonungslose Historisierung, umfassende Erklärung und symbolische Recodierung die Pfade selbstverschuldeter Unmündigkeit verlassen. Die Monumente selbst werden damit zu den archimedischen Punkten, die es entgegen ihrer ursprünglichen Intention ermöglichen, die Genese der europäischen Barbarei nachzuzeichnen.43
41 Die stark relativierende, auf kunsthistorische Aspekte eingegrenzte staatliche Sichtweise ist dokumentiert in Ugo Soragni und Enrico Guidoni: Il Monumento alla Vittoria di Bolzano. Architettura e scultura per la città italiana, 1926-1938, Vicenza 1993. 42 Andrea Bonoldi und Hannes Obermair (Hg.): Tra Roma e Bolzano. Nazione e provincia nel Ventennio fascista/Zwischen Rom und Bozen. Staat und Provinz im italienischen Faschismus, Bozen 2006; Andrea Di Michele: Die unvollkommene Italianisierung – Politik und Verwaltung in Südtirol 1918-1943, Innsbruck 2008. 43 Vgl. hierzu einführend das exzellente historische Stadtlesebuch von Gabriele Rath et al.: Bozen-Innsbruck: zeitgeschichtliche Stadtrundgänge, Wien/Bozen 2000.
Von nationalreligiösen zu pluralen Erinnerungs- und Lernorten Zum Funktionswandel der Geschichtsmuseen im Trienter Grenzraum1 P ATRICK O STERMANN
Geschichtsmuseen und Gedenkorte sind in besonderer Weise an der Herstellung und Festigung regionaler, nationaler und transnationaler Geschichtsbilder beteiligt. Die Bedeutung solcher geschichtspolitischer Orte des Erinnerns manifestiert sich in den umstrittenen Grenzregionen des Nordens und Nordostens Italiens gerade deshalb sehr markant, weil sie sich in spannungsgeladenen Räumen zwischen grenzüberschreitender Durchlässigkeit, schroffen Abgrenzungen und der Zuspitzung von Feindbildern befinden.2 Bei der Institutionalisierung historischen Erinnerns spielt außerdem die Konkurrenz konträrer Ansprüche um eine geschichtliche Deutung der aufeinandertreffenden Staaten in diesen Räumen eine wesentliche Rolle. Wie das kollektive Gedächtnis sozialer Gruppen sich seine eigenen Topographien schafft, zeigte beispielhaft der Soziologe Maurice Halbwachs. Er be-
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Dieser Beitrag stellt eine erweiterte und ergänzte Fassung des Aufsatzes ,Von nationalen Weihetempeln zu demokratischen europäischen Erinnerungs- und Lernorten? Die Grenzlandmuseen in Trient und Rovereto als geschichtsdidaktische Laboratorien‘, in: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik, 10/2011, S. 149-162, dar.
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Vgl. u.a.: Michael Gehler und Andreas Pudlat (Hg.): Grenzen in Europa. Hildesheim 2009, sowie Etienne François, Jörg Seifarth und Bernhard Struck (Hg.): Die Grenze als Raum, Erfahrung und Konstruktion. Deutschland, Frankreich und Polen vom 17. bis 20. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 2007.
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schrieb u.a., wie die Erbauung christlicher Erinnerungsorte nach neutestamentlicher Vorstellung in und um Jerusalem die spirituelle Botschaft der Kleriker konkretisierte und materialisierte und somit dem Anschauungsbedürfnis der Laien Rechnung trug.3 Deshalb sei die religiöse Ikonographie immer wieder den „zeitgenössischen Anforderungen […] Bedürfnissen und Sehnsüchten“ angepasst worden.4 Halbwachs These weist zwei relevante Aspekte auf: Einerseits geht er von der Wandelbarkeit kollektiver Vorstellungen aus, die andererseits auf die Formen der Erinnerungen und des Gedenkens rückwirken. Seine Überlegungen führte die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann weiter. Ihres Erachtens sind in der Moderne als „Nachfolge-Institutionen“ der Heiligen Orte die Erinnerungsorte der Nationen getreten.5 Nach dem Zerfall der Habsburgermonarchie und der Angliederung Trients an Italien im Jahr 1918 entstand dort ein solcher symbolisch aufgeladener nationalistisch-sakraler Gedächtnisraum. An seinen Erinnerungsorten des Weltkrieges praktizierten und inszenierten die Träger dieses kollektiven kommunikativen Gedächtnisses, die Veteranenverbände der Sieger und die neuen philoitalienischen Eliten, ihre Rituale und Kulthandlungen. Jedoch ist seit den 1980er Jahren in der Grenzregion Trient eine Neuorientierung der Erinnerungspolitik zu beobachten, zumal die rituelle Praxis der tradierten nationalistischen Mythen zusehends von den jungen Generationen als sinnentleert empfunden wurde. So deutlich die Notwendigkeit einer neuen Erinnerungskultur auch war, so langwierig war aber die Entwicklung neuer Konzeptionen, die erst jetzt im neuen Jahrtausend nach dem endgültigen Abtreten der Weltkriegskohorte allmählich Gestalt annahmen. Dieser inhaltliche und ästhetische Transformationsprozess hin von einem – wie in der Einleitung beschrieben – kommunikativen zu einem kulturellen Gedächtnis zeigt sich exemplarisch am Museo Storico del Trentino in Trient und dem Museo Storico Italiano della Guerra in Rovereto, die beide nach dem Ersten Weltkrieg den italienischen Herrschaftsanspruch auf die Brennergrenze unter
3
Die Christen vereinnahmten dabei den jüdischen Gedächtnisraum für sich, indem sie zum einen neue Erinnerungsorte schufen und zum anderen jüdische Orte christlich umdeuteten und in das eigene christliche kollektive Gedächtnis inkorporierten, vgl. Maurice Halbwachs: Stätten der Verkündigung im Heiligen Land. Eine Studie zum kollektiven Gedächtnis, Konstanz 2003.
4
Ebd., S. 210.
5
Aleida Assmann: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München 42009, S. 337. Vgl. auch Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 1997.
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der Leitidee des Risorgimento legitimieren sollten – auch gegen ein ‚pangermanisches‘ Fremd- bzw. Feindbild. Obwohl beide Museen erst in den 1920er Jahren – und damit nach der Annexion Trients durch Italien – gegründet wurden, sind sie ein Produkt der Nationalitätenkämpfe der habsburgischen Zeit. Die heutige italienische Provinz Trient war von 1813 bis 1918 Teil des Kronlandes der Gefürsteten Grafschaft Tirol und Vorarlberg, das ein Österreich-Ungarn im Kleinen darstellte. Hier wie an den übrigen Rändern der Monarchie war das Nationalitätenproblem ungelöst.6 Die Trentiner hatten zwar schon seit 1848 Autonomie gefordert, der schwelende Konflikt eskalierte aber erst seit den 1880er Jahren zwischen Deutschtirolern und Trentinern: „Gestritten wurde praktisch über alles […]; über die Verwendung der Ortsnamen in den jeweiligen Landesteilen, d.h. wann und wer durfte die Namen Rofreit oder Bolzano usw. verwenden; über Denkmäler wie Walther von der Vogelweide in Bozen nach Süden blickend (1889) und Dante Alighieri in Trient die Hand schützend nach Norden 7 ausgestreckt (1896).“
Der Erste Weltkrieg verschärfte den virulenten Nationalitätengegensatz auf doppelte Weise: Erstens wurde aus einem in erster Linie regionalen Tiroler Streit ein Konflikt zwischen zwei Staaten. Zweitens führten die Kriegserfahrungen zu Jahrzehnte wirkenden kollektiven Traumatisierungen mit fatalen Folgen für die Erinnerungskultur. Vor 1914 waren in dem von Deutschtirolern als ‚Welschtirol‘
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Das ganz überwiegend italienischsprachige Trentino war bis zur Französischen Revolution ein Fürstbistum und danach kurzzeitig (von 1810-1814) Teil des so genannten Königreiches Italien. Von den rund eine Million Einwohnern Tirols entfielen nach der letzten Volkszählung von 1910 57% auf die deutsche sowie 42% auf die italienische und ladinische Volksgruppe, vgl. Christoph H. von Hartungen: Das historische Tirol (1900-1914), in: Giuseppe Ferrandi und Günther Pallaver (Hg.): Die Region TrentinoSüdtirol im 20. Jahrhundert, Bd. 1: Politik und Institutionen, Trient 2007, S. 17-85.
7
Ebd., S. 63. Der 1905 gegründete Tiroler Volksbund strebt die ‚Rückverdeutschung‘ des angeblich nur oberflächlich romanisierten Trentino an, indem er die ‚ursprünglich‘ deutschen Ortsnamen erfand. In Rovereto kopierte der Einzelgänger Ettore Tolomei dieses Konzept in seinem Archivio per l’Alto Adige und konstruierte nun seinerseits italienische Orts- und Flurnamen für Südtirol, vgl. Egon Kühebacher: Zur Arbeitsweise Ettore Tolomeis bei der Italianisierung der geographischen Nomenklatur Südtirols, in: Sergio Benvenuti und Christoph H. von Hartungen (Hg.): Ettore Tolomei (18651952). Un nazionalista di confine. Die Grenzen des Nationalismus, Trient 1998, S. 279-294.
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titulierten Trient die Träger der italianità bürgerliche, anfangs liberale, später auch sozialistische Kreise. Es handelte sich dabei um die so genannten demokratischen Irredentisten, d.h. um Anhänger Mazzinis, die in der Tradition der 1848er-Bewegung die Freiheit der Völker und das Risorgimento, die Wiedergeburt (Italiens) postulierten.8 Ihre Leitfigur war Cesare Battisti, der sozialistische Parlamentarier im Wiener Reichsrat. Nach der italienischen Intervention gegen Österreich-Ungarn kämpfte der Trentiner Battisti als italienischer Kriegsfreiwilliger zusammen mit rund 1.000 weiteren Landsleuten und im Gegensatz zu der ganz überwiegend kaisertreuen Bevölkerung der Provinz gegen die Habsburgermonarchie. Am 12. Juli 1916 wurde er von den Österreichern gefangen genommen und von einem hastig einberufenen Kriegsgericht im Trentiner Castello di Buonconsiglio, dem ehemaligen Sitz des Fürstbischofs und der damaligen k. u. k. Kaserne, zum Tode verurteilt und im Burggraben exekutiert. Seine Mitstreiter Fabio Filzi und Damiano Chiesa ereilte das gleiche Schicksal. Nun statuierten die österreichischen Behörden gegen tatsächliche und vermeintliche Irredentisten Exempel: Beispielsweise wurde 1916 die 21-jährige Bice Rizzi aus Cavareno im Val di Non zunächst zum Tode verurteilt, dann aber zu schwerer Kerkerhaft begnadigt und saß daraufhin bis Kriegsende in der Wiener Neustadt ein.9 Die Hinrichtung Battistis, Chiesas und Filzis begründete einen hybriden Helden- und Opfermythos, der den Tod der drei zum nationalreligiösen Märtyrertum, ihre schriftlichen Überlieferungen zu unantastbaren Wahrheiten und ihre Hinterlassenschaften zu Reliquien stilisierte. Battisti war dabei die zentrale Figur dieser Trinität. Schon während des Krieges wurden in Italien Hymnen und Oden über ihn verfasst; noch heute hat jede italienische Stadt eine Battisti-Straße oder einen Battisti-Platz. Ministerpräsident Boselli, wie Battisti Sozialist, kündigte schon zwei Wochen nach dessen Exekution die Errichtung eines Denkmals in seiner freilich noch zu erobernden Geburtsstadt Trient an.10 Außerdem rief Bo-
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Die in der Tradition Mazzinis stehende irredentistische Bewegung forderte zwar die Angliederung der Irredenta, d.h. der so genannten unerlösten Gebiete, verstand sich aber als eine demokratische Bewegung und lehnte die faschistische Gewalt ab. Vgl. Gaetano Salvemini, ein Freund Battistis, der 1925 ins Exil flüchtete, Brief vom 12. Juni 1923 an die Witwe Ernesta Battisti Bittanti, in: Vincenzo Calì (Hg.): Salvemini e i Battisti. Carteggio 1894-1957, Trento 1987, S. 115-117.
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Vgl. Paola Antolini: Vivere per la patria, Bice Rizzi (1894-1982). Con un intervento di Mario Isnenghi, Trento 2006.
10 Paola Pettenella: Destino da eroe. Immagine di Cesare Battisti tra grande guerra e fascismo, in: Patrizia Marchesoni und Massimo Martignoni (Hg.): Monumenti della grande guerra. Progetti e realizzazioni in Trentino 1916-1935, Trento 1998, S. 65-80.
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selli in seiner Eigenschaft als Präsident der Gesellschaft der nationalen Risorgimento-Museen dazu auf, den als vierten Unabhängigkeitskrieg beschönigten Angriffskrieg gegen Österreich-Ungarn zu dokumentieren. Diese so genannten Risorgimento-Museen, deren Verband Boselli leitete, entstanden seit den 1880er Jahren. Anlass war die landesweite Ausstellung Esposizione Generale Italiana, eröffnet am 26. April 1884 in Turin. Dem dominierenden positivistischen Paradigma folgend, handelte es sich um eine kulturelle, ökonomische und wissenschaftliche Leistungsschau der jungen Nation, der ein patriotischer Bereich über die bürgerliche Emanzipation im Einheitsstaat vorangestellt wurde.11 Die Esposizione Generale Italiana wurde Vorbild für weitere Ausstellungen, die schließlich zu einer Reihe von Museumsgründungen in Norditalien und 1906 zur Gründung des erwähnten nationalen Museumsverbandes führten. Das kann als Versuch der herrschenden Klasse gelesen werden, so der Arezzoer Experte für historische Museen Massimo Baioni, mit „laizistischen Tempeln des Patriotismus“12 den ihnen zu entgleiten drohenden Bildungsdiskurs ideologisch durch ihre eigene Zivilreligion zu bestimmen. Verwendet wurde dabei eine der katholischen Kirche entlehnte Terminologie, so dass eine Atmosphäre der „Religion der Irreligiosität“ entstand, von der die positivistische Wissenschaftskultur durchdrungen war.13 Die Museen waren nicht dokumentarisch ausgerichtet, sondern zielten auf eine emotionale Wirkung zugunsten der Weckung von Vaterlandsliebe und Opferbereitschaft durch das Beispiel der Vorväter ab. Außer den Bürgerkomitees waren meist die kommunalen Verwaltungen an ihrer Entstehung beteiligt.14 Die Ausstellungen selbst waren ausgesprochen heterogen. Erst bei den Gründungen der Kriegszeit kamen verstärkt nationalistische Bezüge zum Tragen. Zu diesem bürgerlich-liberalen Museumstyp zählten auch die beiden Gründungen in Trient und Rovereto, die direkt nach Kriegsende forciert wurden. Dort wies die sakrale Dimension der in diesem Grenzland betont nationalen irredentistischen Erinnerungskultur – Totenkult der dreieinigen Märtyrer um Battisti, Heiligkeit des Krieges – bei allen politischen Differenzen von Anfang an eine
11 Vor dem Hintergrund der nur unzureichenden Wettbewerbsfähigkeit mit den führenden Industrieländern kam der Hervorhebung der Risorgimento-Helden eine wichtige einheitsstiftende Funktion zu. Vgl. Massimo Baioni: La ‚religione della patria‘. Musei e istituti del culto risorgimentale (1884-1918), Quinto di Treviso 1994, S. 23ff. 12 Ebd., S. 39. 13 Ebd., S. 51ff. 14 Massimo Baioni: Risorgimento in camicia nera. Studi, istituzioni, musei nell’Italia fascista, Roma 2006.
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enge Affinität mit der faschistischen Ästhetik auf. Bis Ende der 1920er Jahre fand in Trient eine Nationalisierung des Totenkultes statt, wie sie in der Errichtung von Gebeinhäusern am Grappa, Pasubio und in Rovereto zum Ausdruck kam. Rovereto sei gar, so der Sozialist Antonio Piscel, ein Weggenosse Battistis und von September 1920 bis Juni 1922 erster Präsident des dortigen Weltkriegsmuseums, mit seinen Befestigungen, Schützengräben, Galerien und Versorgungslinien zu einem „einzigen kolossalen Kriegsmuseum“ geworden.15 Bald bestand eine große Kluft zwischen der offiziellen Geschichtskultur der nationalistischen Eliten und den ausgelöschten bzw. totgeschwiegenen kollektiven Erinnerungen der großen Mehrheit der katholischen Landbevölkerung. Zu den Trägern der beiden Museumsgründungen zählten: • Die kleine Minderheit der 1.000 irredentistischen Veteranen, die auf der Seite
der Sieger stand und sich 1917 zu einem Verband der Legione Trentina (deutsch: ,Trentinische Legion‘) zusammengeschlossen hatte. Die Veteranenvereinigung geriet immer mehr ins faschistische Fahrwasser und tat sich u.a. durch die Zerstörung von Denkmälern für auf habsburgischer Seite gefallene Trentiner hervor.16 • Die bürgerlichen, laizistischen lokalen Eliten, die während des Kriegs von den k. u. k. Behörden zumindest teilweise in Lager interniert worden waren. • Der italienische Staat primär durch die Armee und sekundär durch den Hof. Während die erste Gruppe die Trienter Gründung dominierte, war die Mitwirkung von Armee und Hof in Rovereto deutlich größer.17 Die aus Kanonen der kriegsführenden Mächte gegossene Glocke der Gefallenen, die am 24. Mai 1925 – am zehnten Jahrestag der italienischen Intervention – in Anwesenheit von Königin Margherita geweiht wurde, symbolisierte, in den 1930er Jahren über Radio auch im Ausland effektvoll verbreitet, scheinbar die Idee einer internationalen
15 Fabrizio Rasera und Camillo Zadra: Memorie in conflitto. La Grande Guerra nelle esposizioni del Museo della Guerra di Rovereto, in: Memoria e ricerca, 7/2001, S. 1538, hier: 17. 16 Massimo Martignoni: Il territorio e la memoria dei caduti, in: Marchesoni/Martignoni: Monumenti della grande guerra, S. 31. 17 Luca Baldo: La Memoria della Grande Guerra in una città di „confine“: Rovereto 1918-1940, Tesi di Dottorato di ricerca, Studi Storici, XVII Ciclo, Università degli Studi di Trento [unveröffentl. Manuskript], o.O. u. o.J, S. 179ff.
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Verständigung, obwohl es sich in Wahrheit um eine Siegesglocke handelte.18 In der ehemaligen venezianischen Festung über Rovereto hatte schon vier Jahre zuvor, am 12. Oktober 1921, das Königspaar das von Bürgern ins Leben gerufene Museum eröffnet. Mit dem ambitiösen Namen ,Italienisches Museum für Kriegsgeschichte‘ beanspruchte es gar nationale Geltung.19 Die Armee stellte dem Museum in großer Zahl Waffen zur Verfügung, so dass es noch heute ein umfangreiches Arsenal auch schwerer Geschütze aus dem Ersten Weltkrieg besitzt. Das Kriegsmuseum in Rovereto verzeichnete nicht zuletzt deshalb eine rasante Entwicklung, weil es sich international gab, wobei das Gedenken allerdings auf die Siegermächte beschränkt blieb. Wie im Trienter Pendant waren den einzelnen Sälen Themen zugeordnet. Neben der Darstellung der Kämpfe ab 1915 in Trient oder dem anschließenden Wiederaufbau erhielten die italienischen Waffengattungen und Spezialabteilungen jeweils einen Raum. Die Säle zu den beiden aus Rovereto stammenden ,Märtyrern‘ Chiesa und Filzi sowie zu Battisti, über die ,Trentinische Legion‘ etc. entsprachen den risorgimentalen Topoi. Auffällig war die sehr dichte Hängung und Präsentation möglichst vieler Exponate. Modern, weil potentiell völkerverbindend war der Ansatz, den Alliierten Italiens jeweils einen Raum zuzuweisen und u.a. mittels uniformierter Schaufensterpuppen deren Bewaffnung und Ausrüstung sowie deren Truppengröße usw. zu veranschaulichen. Auf diese Weise erhielt das Museum eine supranationale Dimension, welche den zur Schau gestellten integralen Nationalismus teilweise überdeckte.20 Die Ursprünge des Trienter Risorgimento-Museums wiederum gehen bis auf das Jahr 1919 zurück, als am 20. Juli in einem Saal in der Trienter Via Verdi eine erste Ausstellung gezeigt wurde.21 Das Trienter Museumsprojekt hatte von Anfang an mit der Durchsetzung seines Anspruches zu kämpfen, seinen Sitz im Schloss von Buonconsiglio zu erhalten. Das Schloss galt den Irredentisten als sakraler Gedenkort, an dem sich der Leidensweg Battistis von seiner Verurtei-
18 Die schon im folgenden Jahr gestorbene Königin Margherita hatte auch den Ehrenvorsitz des Komitees inne. Erst ab 1938 wurde der Kriegstoten aller Nationen gedacht, ebd., S. 131. 19 Vgl. Rasera/Zadra: Memorie in conflitto, S. 15. Tatsächlich blieb das Museum in Rovereto das einzige Weltkriegsmuseum Italiens mit landesweiter Geltung. 20 Mario Ceola: Guida del Museo storico di guerra di Rovereto, Rovereto 1938, S. 69ff. 21 Famiglia del Volontario trentino (Hg.): Guida della Mostra illustrativa sull’opera dei volontari trentini, sala della filarmonica Via Verdi dal 20 giugno all’8 luglio 1919, Trento 1919.
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lung, der Kerkerhaft und seiner Hinrichtung materialisierte. Zwar konnte der Wiedereinzug des Bischofs in seine Residenz verhindert werden, das Museum musste sich aber den Komplex mit der Provinz-Denkmalschutzbehörde von Prof. Giuseppe Gerola teilen, der hartnäckig die Wiederherstellung des durch die Kasernennutzung sehr in Mitleidenschaft gezogenen Baus betrieb. Hauptstreitpunkt war sicherlich die Frage, ob und inwieweit der Speisesaal von Fürstbischof Bernhard von Cles restauriert werden sollte. Denn hier hatten die Österreicher einen Freskenzyklus Dosso Dossis, als Meister der Schule von Ferrara immerhin einer der bedeutendsten italienischen Renaissancekünstler des 15. Jahrhunderts überhaupt, kurzerhand übermalt und ihren Militärgerichtshof tagen lassen. Während die Irredentisten den geweißten Gerichtssaal erhalten wissen wollten, durfte das Konservatorium Gerolas bis 1934 nur eine Lünette freilegen. In Anwesenheit der Honoratioren der Stadt, der Legion und des Verbandes der Kriegswitwen wurde schließlich am 29. Juni 1923 ein erster Raum eingeweiht.22 Das Museum wurde 1924 mit Bice Rizzi als Direktorin offiziell gegründet.23 Es bildete den vermeintlichen Kampf Trients von napoleonischer Zeit bis 1918 für seine Italianität ab. So vermittelte das Museum eine teleologische Narration des Prozesses der nationalen Wiedergeburt völlig kritiklos unter Einbeziehung der kolonialen Expansion und der gewaltsamen Annexion Fiumes durch D’Annunzio. 1929 kam es zu einer vertraglichen Aufgabenteilung der beiden Institutionen, die bereits 1921 anvisiert worden war: Das Museum in Trient galt demnach als Museum, das die politische und intellektuelle Eigengeschichte der Risorgimento-Bewegung der Region formulierte, während das Museum in Rovereto als nationales italienisches Weltkriegsmuseum fungierte, das die italienischen wie feindlichen Waffen sowie darüber hinaus die weiteren Kriege und militärischen Aktionen in den Kolonien dokumentieren sollte.24 Die damit verbundene Erweiterung von einem Weltkriegs- zu einem Kriegsmuseum veränderte dessen Ausrichtung, das einerseits ein aktuelles, sich fortentwickelndes Museum wurde, andererseits aber mit den harten Repressionsmaßnahmen etwa in Libyen keinesfalls glaubhaft an die irredentistischen Ideale der Befreiungskriege anknüpfen konnte. Den damaligen Akteuren fiel dieser Widerspruch jedoch nicht auf.25 Dies kam im Museumsführer von 1938 deutlich
22 Inaugurazione delle sale dedicate ai martiri, in: La Libertà vom 30. Juni 1923, S. 3. 23 Dazu erschien eine Publikationsreihe, vgl. Vittorio Zippel: Il Museo trentino del Risorgimento nel Castello del Buon Consiglio, L’Aquila 1924. 24 Accordo fra il Museo del Risorgimento di Trento e il Museo Storico della Guerra di Rovereto e loro finalità, o.O. u. O.J. [1929]. 25 Vgl. Rasera/Zadra: Memorie in conflitto, S. 33.
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zum Ausdruck: Bitter wird darin unter Bezugnahme auf die Sanktionen des Völkerbundes gegen Italien nach dessen Angriff auf Abessinien 1935 vermerkt, dass die Gründung des Imperiums gegen 53 Nationen durchgesetzt worden sei, die doch allesamt im Weltkrieg Italiens Verbündete für die Verteidigung der Zivilisation gewesen seien.26 Auch in Trient kam es bald zu Dissonanzen zwischen der irredentistischen Museumsleitung um Bice Rizzi und den Faschisten. Zwar einte Irredentismus und Faschismus das Bestreben, die Besucher zu emotionalisieren und religiöse Weihestätten nationaler Märtyrer zu errichten, zu der die jetzigen und künftigen Generationen Italiens pilgern sollten27 – der Museumsleitung gelang es mit Hilfe des faschistischen Erziehungsministers De Vecchi, sich im ewigen Kampf mit dem Denkmalschutz durchzusetzen. Rom regelte per Erlass, dass Reliquien zu Battisti und Filzi im konservierten ehemaligen Gerichtssaal und weiteren Räumen ausgestellt werden konnten –, doch entsprachen die Risorgimento-Museen weder in Trient noch anderswo den faschistischen Ansprüchen von Erinnerungskultur, denn die Versuche blieben wenig systematisch und wurden eher selbstreferentiell betrieben, indem man einseitig der winzigen Minderheit der Freiheitskämpfer gedachte. Nur ein Saal war den Erlebnissen der Trentiner Bevölkerung während des Ersten Weltkrieges gewidmet. Wie den Museumsführern zu entnehmen ist, wurden die Exponate der Ausstellung (Büsten, Modelle von Heldendenkmälern, Propagandamaterial bis zur Stiefel putzenden Garibaldifigur und Tagebücher) dicht gedrängt in Vitrinen gezeigt. An den Wänden hingen Fahnen, Ölbilder, Waffen.28 Breiter Raum wurde den Kriegsdekorationen gewährt. Patriotische Lyrik schmückte die Wände.29 Das selbstlose Opfer der Legionäre sollte durch die Lektüre der Biographien der 130 Gefallenen sowie durch Gedenken in der Kapelle die Betrachter in ihren Bann ziehen. Zwar hatte jeder Saal einen Titel, die Reihung war jedoch eher chronologisch und teilweise den baulichen Zwängen geschuldet. Der Battisti-Saal bildete neben Kapelle und Militärgerichtssaal den zentralen (Andachts-)Raum der Ausstellung. Hier stand ein Triptychon aus Bronze und Marmor des Bildhauers Arrigo Minerbi30 mit dem
26 Mario Ceola: Guida del Museo storico di guerra di Rovereto, Rovereto 1938, S. 40. 27 Zur politischen Ästhetik des Faschismus vgl. Emilio Gentile: Le origini dell’ideologia fascista (1918-1925), Roma/Bari 1975. 28 Giuseppe de Manincor: Il Museo trentino del Risorgimento, Trento 1939, S. 163. 29 Ders.: Guida del Museo del Risorgimento trentino, Trento 1930. 30 Arrigo Minerbi (1881-1960), jüdisch-italienischer Bildhauer, gestaltete als Lieblingsbildhauer D’Annunzios dessen Ruhesitz Vittoriale am Gardasee u.a. mit einer Büste von Eleonora Duse aus. Vgl. u.a. Guido Lodovico Luzzatto: Arrigo Minerbi, in: Me-
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Titel ,Cesare Battisti: Soldat – Apostel – Märtyrer‘.31 Es bezeugt emblematisch die Ästhetisierung des irredentistischen Helden- und Totenkults, wie sie der Faschismus, so Walter Benjamin, perfektionieren sollte.32 Andere Maßstäbe setzten faschistische Ausstellungen wie die ,Ausstellung zur faschistischen Revolution‘, die im Palazzo delle Esposizioni in Rom von 1932 bis 1934 zu sehen war, durch ihre kompositorische Geschlossenheit als Gesamtkunstwerk. Die konventionellen politisch-geschichtlichen Dokumente und Heldenreliquien – wie das vom Blut Mussolinis durchtränkte Taschentuch des Attentats vom 7. April 1926 – wurden dort multimedial (visuell und auditiv) mit Artefakten (Fotomontagen, Collagen, Bildern) der führenden italienischen Künstler und Kunstrichtungen in einen ästhetischen und politischen Sinnzusammenhang gestellt. Die Anordnung der 22 Säle, die einer teleologischen Steigerung folgte, gipfelte im ,Duce‘-Saal und der ,Kapelle der Märtyrer‘. Der Faschismus sakralisierte das Politische, indem er mit dem Kult des Liktorenbündels, so Emilio Gentile, seinen eigenen Mythos schuf.33 Die Ausstellung zur faschistischen Revolution lockte über vier Millionen auch ausländische Besucher an (zu ihnen zählten u.a. Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir, die beide das preisgünstige faschistische Angebot zu einer Reise nach ,Bella Italia‘ nutzten) und geriet – nicht zuletzt durch eine europaweite Marketingkampagne – zum massenwirksamen Kulturevent.34 Sie wies eine Dynamik auf, gegen die die irredentistischen Museen statisch erscheinen mussten. In Trient gab es jährlich mit Schulklassen und Abordnungen faschistischer Freizeitorganisationen wie dem Dopolavoro lediglich rund 45.000 Besucher. Doch der eigentliche Konflikt zwischen Irredentismus und Faschismus gründete nicht im Bereich der Museumsdidaktik, sondern in den konkurrierenden, nur teilidentischen und letztlich inkom-
norah. Jüdisches Familienblatt für Wissenschaft, Kunst und Literatur, 9-10/1931, S. 456-457. 31 Manincor: Il Museo trentino del Risorgimento, S. 98ff. In einem regen Briefverkehr mit Minerbi, dem Ministero delle Belle Arti und dem Königshaus war es dem Museumskomitee gelungen, mittels einer Donation des Hauses Savoyen die Arbeit des Künstlers zu erwerben, vgl. Archiv des Museo Storico in Trento, busta AG I, Corrispondenze del Museo 1922-23, S. 48-55. 32 Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt a.M. 1977 [1936], S. 42. 33 Emilio Gentile: Il culto del littorio. La sacralizzazione della politica nell’Italia fascista, Roma/Bari 1993. 34 Vgl. Marla Susan Stone: The Patron State. Culture and Politics in fascist Italy, Princeton 1998, S. 129ff.
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patiblen Geschichtsdeutungen: Mussolini wollte Battisti in einer ihm eigenen Neuinterpretation der Denkmalpläne von 1916 für den Faschismus vereinnahmen und ihn schließlich in das 1928 eingeweihte Siegesdenkmal in Bozen überführen lassen, was ihn zu einem Eroberer fremdsprachiger Gebiete umgedeutet hätte. Dies verhinderte Battistis Witwe. Nicht abwenden konnte sie, dass die Faschisten ihren Mann am 26. Mai 1935 in einer spektakulären Inszenierung ihres Totenkultes in ein Mausoleum, das auf den Trient überragenden Felsen, dem Doss Trento, errichtet worden war, überführten.35 Ideologische Brüche zwischen Faschismus und Irredentismus verdeutlichen sich auch im germanophoben Kern der Risorgimento-Ideologie. – Österreicher und Deutsche firmierten im Museum in Rovereto wenig einfühlsam unter ,Besiegte Länder‘. – Das Ideologem lief zunächst der Annäherung Italiens an Österreich ab 1929, später an NS-Deutschland zuwider. Bereits 1931 wurden auf Drängen der österreichischen Regierung, die ein „Verzeichnis der wichtigsten im Italienischen Kriegsmuseum in Rovereto befindlichen Museumsstücke“ geschickt hatte, „die das Empfinden jedes vaterländisch fühlenden Österreichers auf das gröblichste verletzen“, viele Exponate entfernt. Die österreichische christlich-soziale Regierung kritisierte, dass durch Hinweistafeln und mittels Exponaten wie mittelalterlicher Handschellen, Morgensternen, Folterwerkzeugen und Henkerbeilen suggeriert werde, die Österreicher hätten in Verliesen Folterkammern eingerichtet, um Kriegsgefangene zu quälen. Darüber hinaus fände sich in der Ausstellung eine große Zahl derber, Kaiser Franz Josef beleidigende Spottbilder.36 Nur germanophobe Absichten vermochten die Österreicher gleichfalls in den Pastellgemälden des mehrmaligen Biennale-Ausstellers Pietro Mo-
35 Es handelte sich um einen faschistischen Momunentalbau einer „alpinen Akropolis“, Vincenzo Calì: Monumenti in trincea. Il conflitto mondiale e i suoi caduti nella monumentalistica regionale del dopoguerra, in: Marchesoni/Martignoni: Monumenti della grande guerra, S. 9-21, hier: 15. Mussolini blieb daraufhin der Einweihung fern, ebd. S. 19. 36 Vgl. Kriegsministerium an den Abgeordneten Italo Lunelli, Brief vom 18. Dezember 1931, in: Archivio del Museo storico italiano della Guerra (AMGR), busta 19, fasc.14 Sala Austria sowie der Präsident des Museums Giovanni Candio an den österreichischen Generalkonsul von Mailand, Brief vom 8. Februar 1932, in: AMGR, busta 19, fasc. 14 Sala Austria.
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rando37 zu erkennen, obwohl er lediglich seine Leidenserfahrungen im Kriegsgefangenenlager Nagymagyar aufarbeitete. Durch die daraufhin eingeleitete vollständige Umarbeitung der österreichischen Ausstellungssäle fehlte es dem Weltkriegsmuseum jetzt aber an geeigneten Dokumenten. Doch es kam noch schlimmer: Im März 1941 inspizierte ein Vertreter des Kriegsministeriums das Museum und indizierte alle Exponate, welche die deutsch-italienische Waffenbrüderschaft der ,Achse‘ untergruben.38 Dazu gehörten die Propaganda-Flugblätter, die gegen die Mittelmächte gerichtet waren, obwohl sie „aus kultureller, historischer und psychologischer Sicht“ zu den interessantesten Exponaten zählten.39 Zudem musste man Saal 23, der der von Hitlerdeutschland zerschlagenen und teilweise annektierten Tschechoslowakei gewidmet war, schließen. Dies führte das ursprüngliche Ausstellungskonzept des Einstehens für „unterdrückte Völker“ vollends ad absurdum. Überdies scheiterte der Versuch, die Lücke mit Exponaten aus dem Abessinienfeldzug oder von den Verbündeten des faschistischen Italiens – wie dem Kaiserreich Japan, Franco-Spanien und Horthy-Ungarn – zu schließen40, obwohl Mussolini hierfür immerhin 50.000 Lire zur Verfügung stellte.41 Parallel entwickelte sich die Situation in Trient: Die überzeugte Nationalistin Rizzi kam nach 1936 mit der außenpolitischen Neuausrichtung des Regimes zur Achse mit Hitlerdeutschland zunehmend in Konflikt, da die irredentistischen antideutschen Ressentiments nicht mehr erwünscht waren. Die Armee drohte 1941
37 Pietro Morando hatte Battisti im Mai 1915 während einer Propagandareise begleitet. Vgl. Guido Ceola: Guida del Museo Storico di Guerra di Rovereto (Trentino), Rovereto 1934, S. 73-74. 38 General F. Biondi-Morra, Abteilung Capo Ufficio des Ministero della Guerra, an den Direktor des Museo della Guerra di Rovereto, Brief vom 8. März 1941, in: AMGR, busta 19, fasc. 14 Sala Austria. 39 Das schrieb das Vorstandsmitglied des Museums Colonnello Carlo Argan-Chiesa an Cesare Maria De Vecchi di Val Cismon, Brief vom 20. August 1942, in: ebd. 40 Der Präsident des Museums Malfer an die ungarische Botschaft, Kopie des Briefs vom 2. Mai 1936, in: Ebd.; vgl. Malfer an die kaiserlich japanische Botschaft in Rom, Brief vom 9. Dezember 1939, in: AMGR, busta 19, fasc. 14 Sale internazionali. Richieste per sale Spagna, Portogallo e Giappone. 41 Carlo Argan-Chiesa an Cesare Maria De Vecchi di Val Cismon, Brief vom 20. August 1942, in: AMGR, busta 19, fasc.14 Sala Austria.
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sogar die Schließung an42, die 1943 mit dem deutschen Einmarsch tatsächlich erfolgte. Die Gestapo beschlagnahmte Exponate, während sich die Museumsdirektorin einer drohenden Verhaftung durch Flucht entzog.43 Nach Kriegsende wurde Rizzi mit dem Wiederaufbau des Museums betraut. Bereits im September 1945 eröffnete das Museum als erstes in Italien einen den Partisanen gewidmeten Ausstellungsteil. Der Versuch, die Resistenza „in die Kontinuität der risorgimentalen Freiheitsideale, auch im Kampf gegen den Deutschen [sic!]“44 zu stellen und damit, durch die Vitalisierung der Eigengeschichte und den Rückbezug auf das alte Feindbild der germanischen Invasoren aus dem Norden, die eigene Leitidee zu stabilisieren, scheiterte jedoch. In den 1960er Jahren war das Trentiner Museum ebenso wie der Begriff des Risorgimento selbst nur noch eine sinnentleerte Hülle, zu sehr hatte sich Italien nach 1945 modernisiert.45 Das galt insbesondere für die bis dahin abgekapselte katholischkonservative Stadt Trient. Denn in den 1960er Jahren zog die Gründung einer Universität mit der ersten Fakultät für Soziologie Italiens viele gesellschaftskritische Studierende an. Auf diese Weise wurde die Hochschule zu einem Zentrum der antiautoritären 68er-Bewegung in Italien. Ihre Studenten gründeten extremistische Gruppierungen wie Lotta continua und das RAF-Pendant Brigate Rosse mit.46 Derweil amtierte im Museum, eingeschlossen hinter den meterdicken Mauern immer noch die Generation des Ersten Weltkrieges. Der 50. Jahrestag der ,Befreiung‘ Trients am 3. November 1968 sollte anlässlich des Besuches des italienischen Staatspräsidenten Saragat mit einer minutiösen Inszenierung den tradierten Geltungsanspruch der irredentistischen Eigengeschichte bekräftigen. Das Programm entsprach mit der Kranzniederlegung an den Grabsäulen der drei ,Märtyrer‘ im Schloss Buonconsiglio, einer Ansprache an die Nation, einem Empfang von Vertretern der noch ca. 300 lebenden Legionäre und einer von Bice Rizzi begleiteten Visite der Jubiläumsausstellung vollkommen der national-
42 Bice Rizzi (Hg.): La Società del Museo trentino del Risorgimento e della lotta per la libertà. Nel cinquantenario della sua fondazione 1923-1973, Calliano o.J. [1973], S. 38ff. 43 Bice Rizzi: Le vicende del Museo del Risorgimento dal ’43 al ’45, in: Studi Trentini di Scienze Storiche, 1/1946, S. 80-81. 44 Il Museo trentino del Risorgimento e della lotta per la libertà, o.O. u. o.J., [Trento 1948], S. 9. 45 Silvio Lanaro: L’Italia nuova. Identità e sviluppo (1861-1988), Torino 1988, S. 223. 46 Vincenzo Calì: Dalla difesa della specificità nazionale all’affermazione a livello europeo: L’avventura dell’Università, in: Andrea Leopardi und Paolo Pombeni (Hg.): Storia del Trentino, Bd. 6, Bologna 2005, S. 395-413.
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patriotischen Choreographie der 20er und 30er Jahre.47 Als sich der Autokorso des Staatspräsidenten nach Besuch des Rathauses, wo er bezeichnenderweise die Tochter Battistis getroffen hatte, durch das Spalier der Menge in Richtung des Castello begab, kam es in der Via Manci zu Handgreiflichkeiten zwischen demonstrierenden Studierenden und Veteranen.48 Sichtbar wurde, wie sehr die junge Generation die überkommene Form der nationalistischen Liturgie in Frage stellte. In den Folgejahren verringerten sich die Besucherzahlen spürbar.49 Ferner stellte das Kulturministerium den Verbleib des Museums zugunsten denkmalkundlicher bzw. kunsthistorischer Überlegungen wiederholt in Frage.50 Der Verein war überaltert, die Weltkriegsgeneration starb langsam aus, weigerte sich aber, didaktische und inhaltliche Modifikationen der Ausstellung vorzunehmen. Der Gerichtssaal wurde sogar noch einmal auf Staatskosten im Erscheinungsbild von 1916 restauriert. Bice Rizzi starb 1982. Damit endete eine Epoche. Schon seit Anfang der 70er Jahre war eine Anbindung an die Universität erfolgt.51 Zugunsten des Denkmalschutzes verließ das Museum das Schloss, verblieb aber innerhalb der Mauern, indem es in den Marstall zog. Eine revidierte kritische Ausstellung wurde dort 1985 eröffnet und 2002 geschlossen. Eine so genannte Archivbibliothek eröffnete im Jahr 2000 in einem Anbau am Castello mit Eingang außerhalb der Mauern. 1994 wurde der nach dem Zweiten Weltkrieg kreierte Zusatz ,per la lotta della libertà‘ stillschweigend gestrichen. Die Gewölbefresken Dosso Dossis sind 2002 sowie 2004 restauriert worden. Nur Tafeln verweisen noch auf die Hochverrats-Prozesse. In zwei aufgrund einer Fehlplanung stillgelegten Autobahnröhren stehen dem Trienter Museum seit August 2008 7.500 zusätzliche Quadratmeter zur Ver-
47 La città si prepara ad accogliere il Presidente della Repubblica, in: L’Adige vom 2. November 1968, S. 3. 48 L’omaggio di Saragat ai martiri, in: L’Adige vom 4. November 1968, S. 2. 49 [Edo Benedetti:] Relazione all’assemblea generale di Soci vom 24. Oktober 1970, S. 4. Dieses Schreibbuch mit den Versammlungsberichten der Museumsgesellschaft befindet sich in der Bibliothek des Museo Storico in Trento. 50 Auf der Sitzung des Vorstands vom 30. Juni 1969 drohte Rizzi daraufhin mit sofortigem Rücktritt und dem Einstellen jeglicher Mitarbeit. Relazione all’assemblea generale di Soci vom 30. Juni 1969. 51 [Präsident Edo Benedetti:] Relazione all’assemblea generale dei Soci vom 9. Dezember 1972.
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fügung.52 Mit dem Konzept eines ästhetisch-historischen Laboratoriums in den beiden Tunneln war das Museo Storico auf der XII. Internationalen Architekturausstellung der Biennale von Venedig im italienischen Pavillon vertreten. Sein Biennale-Projekt verfolgte einen experimentellen, multimedialen und interaktiven Ansatz. Von August 2008 bis August 2009 erarbeiteten Grafiker und Designer die Szenographie der Weltkriegs-Ausstellung, für die die zwei Röhren unterschiedlich gestaltet wurden und eine eigene Funktion zugeschrieben bekamen: Im schwarzen, nur äußerst spärlich illuminierten Tunnel, der dem affektiven Bereich zugeordnet wurde, unterlegten Geräuschkulissen die Projektionen des künstlerisch bearbeiteten Archivmaterials. Dagegen stand der weiße und gut beleuchtete Tunnel für die kognitive, analytische, didaktische Aufbereitung und somit für die historische Rekonstruktion. Seit dem Ende der Eröffnungsausstellung im Dezember 2009 bietet er Raum für Wechselausstellungen, Märkte und interaktive Lernorte. Bis September 2011 beherbergte die schwarze Röhre die ständige experimentelle Ausstellung ,Historisches ABC – Erfindung eines Territoriums‘, die jedem Buchstaben ein Lemma mit einer 2-D- bzw. 3-D-Installation zuordnete, das ein für Trient typisches Identitätsmerkmal versinnbildlichen sollte. Eine LED-illuminierte Armatur, die wiederum von einer mikro- und einer makrohistorischen Projektion flankiert wurde, gab zu jeder Letter eine Chronologie und einen Kurztext. So stand der Buchstabe ,H‘ als ,H2O‘ für die großen Wasserkraftwerke der Region im Zentrum des Rundgangs. Illustriert wurden die Lemmata durch Sequenzen von Zeitzeugen, durch Materialien, Replikate und Objekte. Beispielsweise wurde ,S‘ wie Sport durch ein Rennrad des Trentiner Zeitfahrspezialisten der 1970er und 1980er Jahre Francesco Moser symbolisiert. Kurator Jeffrey T. Schnapp, Romanist an der Universität von Stanford, sah den besonderen Akzent des Trienter Biennale-Beitrags in der Prozess- statt Produktorientierung: „Historically ABC is not a conventional exhibition documenting the history and life of a region but rather a permanent exhibition redefined as a permanent work in progress, modular in nature, whose contents can and will be altered in the course of future editions. Its aim is to present a panoramic vision engaging in its design, rich in details, perpetually
52 Die beiden Tunnel durchstoßen den auf der anderen Talseite gegenüber dem Schloss errichteten Hausberg Trients, den Doss Trento, auf dem die Faschisten 1935 das Mausoleum von Battisti errichteten.
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open to revision and ,final‘ only when the show has been run through a full cycle of iterations.”53
Folgt nun dieses ambitiöse Konzept dem Plädoyer von Jörn Rüsen für eine neue Didaktik historischer Museen54, Ausstellungen als „Medium der sinnlichen Anschauung“55 zu begreifen und die ästhetische Dimension historischer Museen stärker in den Vordergrund zu rücken? Stellen also die beiden Tunnelröhren Le Gallerie di Piedicastello einen besonders innovativen Ort für historisches Lernen dar, der im Sinne Rüsens durch die Wissenschafts-, die politische und die ästhetische Kultur lebenspraktisch trentinisches Geschichtsbewusstsein und damit die Geschichtskultur prägt? Nimmt man – wie es heute oft getan wird – die Besucherzahlen als Gradmesser, so war der Ausstellung ein Erfolg beschieden. Allein zur feierlichen Eröffnung kamen 1.500 Besucher aus allen Teilen der Bevölkerung.56 Die Dauer der Ausstellung wurde von Mitte August bis in den Dezember hinein verlängert. Insgesamt kamen 25.000 Besucher.57 Liest man den Katalog der Biennale, so besticht der u.a. von Schnapp beschriebene innovative Ansatz eines „Work in progress“ und eines historischen, auf Partizipation ausgerichteten „Bottom-up“Museums neuen Typs, weil er sich aus dem Gedächtnis der Trentiner Bevölkerung speist und eben dieses verkörpert.58 Das ist jedoch mehr Anspruch als Wirklichkeit. Immerhin brachten sich viele Trentiner in die Eröffnungsausstel-
53 Jeffrey T. Schnapp: Passaggi a (dis)livello. (Un)level Crossings, in: TunnelREvision. Le Gallerie di Piedicastello/The Trento Tunnels, Biennale di Venezia, XII. Mostra Internazionale di Architettura, o.O. u o.J. [Trento 2010], S. 27-28, hier: 28. 54 Vgl. Jörn Rüsen: Geschichtskultur, in: Handbuch der Geschichtsdidaktik. Seelze 5
1997, S. 38-41.
55 Vgl. Jörn Rüsen: Für eine Didaktik historischer Museen – gegen eine Verengung im Streit um die Geschichtskultur, in: Ders.: Historisches Lernen. Grundlagen und Paradigmen. Köln u.a. 1994, S. 171-187. 56 I trentini si riprendono le gallerie, in: Trentino vom 20. August 2008, S. 1. 57 Museo Storico: nel 2010 una grande mostra sull’emigrazione, in: Trentino vom 20. Dezember 2008, S. 56. 58 Vgl. Schnapp: Passaggi a (dis)livello, S. 25, sowie Heimo Hofgartner, Katia Schurl und Karl Stocker (Hg.): Katalog zur Ausstellung im Stollensystem des Grazer Schloßberges vom 22. März bis 28. September 2003: Berg der Erinnerungen. Graz 2003.
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lung ein (z.B. durch die Überlassung von Objekten oder die Zeitzeugeninterviews).59 Allerdings brachen die Zahlen daraufhin ein: Die im Dezember 2009 folgende permanente Ausstellung über das historische ABC des Trentino erwies sich als deutlich weniger attraktiv und zog bis einschließlich Juni 2010, und damit im doppelten Zeitraum, gerade einmal halb so viel Publikum an.60 Einiges spricht dafür, dass die große Resonanz von 2009 einem Neugier-Effekt zuzuschreiben ist, sich das außergewöhnliche Ausstellungsprojekt einmal – und dann nicht wieder – anzusehen. Dafür ist ein Ensemble von Gründen ursächlich: 1. Ein Defizit liegt in der unzureichenden Zielgruppenorientierung: Die Ausstellung war zu diffus, um als außerschulischer Lernort zu reüssieren. Schulklassen fanden kaum den Weg dorthin, weil die vermittelten Inhalte nicht mit den Lehrplänen kompatibel waren. Die von der didaktischen Abteilung des Museums angebotenen drei Rundgänge für Schulklassen konnten daran wenig ändern.61 Weil man sich ausschließlich auf die Bevölkerung Trients als Zielgruppe beschränkt hatte, fand außerdem nur die italienische Sprache Verwendung. Damit war die Ausstellung für die allermeisten der zahlreichen ausländischen Touristen, die nicht zuletzt aus Österreich und Deutschland kamen, unverständlich. Außerdem luden die Temperaturen in Höhe von kaum 10 Grad in beiden Tunneln nicht gerade zum Besuch ein. Dass der Asphaltbelag belassen wurde, trug ebenfalls nicht zum Wohlbefinden bei. 2. Schritt man durch die schwarze Tunnelröhre, so zeigte sich, dass die theoretisch überzeugende Konzeption des ,Historischen ABCs‘ in der Praxis nicht trug. Das war vor allem deshalb der Fall, weil dieses ABC – trotz des im Titel formulierten Anspruchs – gerade keine „ikonische Alphabetisierung“62 zu geben
59 Dies erinnert an die Gründungsphase des Risorgimento-Museums in den 1920er Jahren, als die Sammlung auch schon maßgeblich über Schenkungen aus der Bevölkerung vervollständigt wurde, vgl. Famiglia del Volontario trentino (Hg.): Guida della Mostra illustrativa sull’opera dei volontari trentini, sala della filarmonica Via Verdi dal 20 giugno all’8 luglio 1919. Trento 1919. In der ständigen Ausstellung, die im Dezember 2009 eröffnet wurde, erscheint das partizipative Element des ‚Historischen ABCs‘, das durch Oral-History-Konserven realisiert wurde, eher bemüht. 60 Vgl. Katalog zur Biennale von Venedig: TunnelREvision, S. 5. 61 Hier könnte allerdings die künftige Dauerausstellung im Marstall Abhilfe schaffen, vgl. Renato G. Mazzolini: Andare al museo. Motivazioni, comportamenti e impatto cognitivo. Trento 2002. 62 Unter „ikonischer Alphabetisierung“ versteht der namhafte Göttinger Erziehungswissenschaftler Klaus Mollenhauer die Interpretationskompetenz, zwischen den aurati-
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vermochte. Denn eine zusammenhängende Narration der „Erfindung des trentinischen Territoriums“ erschloss sich allenfalls in Ansätzen. Das lag daran, dass die über die Buchstaben vermittelten Themen voneinander isoliert blieben, was ihre auratische Wirkung ebenfalls beschränkte. Eine gewisse Aura entfaltete die Ausstellung auf der Ebene der Installation als Gesamtkunstwerk, die Gottfried Korff treffend „Ästhetik des Performativen“ nennt und die er als Grund für die Attraktivität des modernen Museums ansieht.63 Allerdings birgt diese Tendenz s. E. große Gefahren. Das Museum, so der Tübinger Kulturwissenschaftler, werde dementsprechend zum Event- bzw. Erlebnisraum. Seine grundlegende Kritik an der Entwicklung, Ausstellungen immer stärker nach szenographischen Aspekten zu gestalten, galt wohl auch für die Ausstellung in den Gallerie della memoria: „Was als Hilfe gedacht war, die Objekte in ihrer geschichtlichen Funktion und Bedeutung zu erläutern […] führte zur Präsentationsnivellierung. […] Geschaffen wurden Ausstellungsarchitekturen, die sich indifferent gegenüber dem Sammlungsgut verhalten. ‚Lost in decoration‘.“64
Damit hatte das Trienter szenographisch opulente Projekt sicherlich seinen berechtigen Platz auf der Architekturbiennale, zu einer ,Agentur der Vergegenwärtigung‘ mit dem Ziel des historischen Verstehens des kulturellen Erbes von Trient wurde es aber nur in Ansätzen. 3. Ursächlich war hierfür auch die fehlende Sichtbarkeit der Röhren als Geschichtsort: Die Gallerie di Piedicastello blieben doppelt isoliert. Erstens, weil sie von der Stadt und dem Hauptsitz am Schloss durch die Etsch und die Bahngleise getrennt sind. Zweitens und vor allem, weil jeglicher Bezug zum Mausoleum auf dem Doss Trento fehlte, den sie durchstoßen. Auf dem Hausberg der Trentiner befindet sich des Weiteren eine Gedenkstätte sowie ein kleines, von einem Verein getragenes Museum der italienischen Gebirgsjäger mit dem Namen ,Historisches Nationalmuseum der Alpini‘, das ohne jegliche kritische Dis-
schen Dingen und Dingwelten einen sinnhaften Zusammenhang herzustellen, vgl. Klaus Mollenhauer: Die Dinge und die Bildung, in: Mitteilungen und Materialien, Zeitschrift für Museum und Bildung, 49/1998, S. 8-20, hier: 15. 63 Laut Gottfried Korff ist Ästhetik nicht mehr länger nur eine objektbezogene Kategorie, sondern ein Begriff, „der auch die durch die Anordnung der Objekte im Raum hervorgerufenen Stimmungen und Anmutungen umfasst“, vgl. Gottfried Korff: Sechs Emder Thesen zur Rolle des Museums in der Informationsgesellschaft, in: Museumskunde, 2/2008, S. 19-27, hier: 21. 64 Ebd.
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tanz den Korpsgeist dieser selbst ernannten Eliteeinheit feiert und das bezüglich Konzeption und Präsentation der Dingwelten dringend einer Totalrevision bedarf.65 Es ist seitens des Museo Storico angedacht, einen Aufzug zur Spitze des Felsens zu installieren, um somit das Mausoleum Battistis allgemein zugänglich zu machen und seine Geschichte aufzuarbeiten. Das ambitionierte Projekt der Trentiner Tunnelröhren ist daher am ehesten durch das zu beschreiben, was es nicht war: Es war kein Museum, auch weil es an einer kohärenten Sammlung fehlte. Es war kein befriedigender Ort historischen Lernens, weil die Ästhetik über die Vermittlung geschichtlicher Inhalte dominierte, so dass der kognitive Aspekt der Geschichtskultur zu wenig sichtbar wurde. Schließlich und endlich mangelte es an einem inhaltlichen und architektonischen Bezug zur ,alpinen Akropolis‘ auf dem Doss Trento als dem Ort, wo sich die nationalistische, faschistische Hybris auflud und verdichtete. Dieser könnte den idealen Ausgangspunkt für die Kreation eines kritischen Geschichtsbewussteins bilden und die fehlende kognitive und örtliche Verbindung zur Geschichtskultur Trients auch in kritischer ästhetischer Beziehung herstellen. Konventioneller, kontinuierlicher und mit deutlich weniger Zäsuren gestaltete sich der Transformationsprozess der Präsentation in Rovereto: Den Weg vom Weltkriegsmuseum zu einem Kriegs- und Waffenmuseum beschritt das dortige Museum nach 1945. Doch beschönigte der Museumsführer aus dem Jahre 1967 noch immer die blutigen Kolonialkriege.66 Bezeichnenderweise wurden die beiden Kolonialsäle Ende der 1960er Jahre aus technischen Gründen und nicht aus kritischer Einsicht geschlossen.67 Allerdings sah sich der Präsident Francesco Barozzi genötigt zu betonen, sein Museum wolle weder den Krieg verherrlichen, noch mit anderen Ländern polemisieren, sondern nur dokumentieren.68 Bis in die 1970er Jahre blieb die Ausstellung nahezu unverändert. Lediglich ein neuer Saal zu Deutschland wurde eingerichtet. Interessanterweise wurde der nach der Besetzung Tschechiens und der Ausrufung des ,Protektorats Böhmen und Mähren‘
65 In seiner deutschsprachigen Broschüre stellt sich der 2008 u.a. von der Provinz Trient und dem Alpini-Verband gegründete Verein in die Tradition all derer, „die die Ehre und den Stolz gehabt haben, den Alpinihut zu tragen“, vgl. http://www.truppealpine. eu/museo_alpini/foto_museo.htm [15. September 2010]. 66 Giovanni Barozzi: Museo storico italiano della guerra Rovereto. Rovereto 1967, S. 25. 67 Francesco Rasera: Il Museo della Guerra di Rovereto. Da quale storia ripartire, in: Annali del Museo della Guerra, 3/1994, S. 25-32, hier: 30. 68 Die Waffen waren nun Selbstzweck und ihnen wurde eine „eigene Schönheit“ zugesprochen. Francesco Barozzi: Premessa, in: Giovanni Barozzi (Hg.): Museo storico italiano della guerra Rovereto. Rovereto 1967, S. 5.
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durch Hitlerdeutschland geschlossene, tschechoslowakische Saal fast auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges wiedereröffnet.69 Im Juni 1961 kam hierzu eine tschechoslowakische Delegation nach Rovereto, um die Beteiligung tschechischer Einheiten auf der Seite der Roten Armee sowie auf Seiten von Partisanen während des Zweiten Weltkrieges in der Ausstellung herauszustellen. Der auf diese Weise neu konzipierte Saal wurde 1962 der Öffentlichkeit übergeben. Er stellt somit die einzige grundlegende Überarbeitung der Nachkriegszeit dar sowie den einzigen Versuch, über den Resistenza-Mythos an die RisorgimentoLeitidee anzuknüpfen.70 Seit 1980 vollzieht sich der bis heute verlaufende Prozess einer schrittweisen Modernisierung der Ausstellung nach sozial-, alltagsund anthropologisch-kulturwissenschaftlichen Gesichtspunkten, die durch die finanzielle Beteiligung der Provinz Trient ermöglicht wurde.71 Das patriotische Museum transformierte sich in ein Museum der bilateralen Aufarbeitung des italienisch-österreichischen Krieges, das den Gedenkkulturen beider Seiten Rechnung trägt.72 Seit Mitte der 1990er Jahre entwickelt sich zudem die didaktische Abteilung des Museums schnell. Sie veranstaltet, durch Begleitmaterial unterstützt, insbesondere an Schüler gerichtete Begehungen in nahe gelegene restaurierte Schützengräben und Unterstände, die u.a. in Zusammenarbeit mit dem MART73 und anderen Einrichtungen in Rovereto durchgeführt werden. Die jährlich ca. 35.000 Besucher bestehen zu einem Drittel aus Schulklassen, wobei der Einzugsbereich nach ganz Norditalien reicht. Tagesexkursionen führen etwa zu den Schlachtfeldern, Befestigungsanlagen und Nachschubwegen im Hochgebirge, zur so genannten Straße der 52 Tunnel am Pasubio, ins Val di Cresta oder
69 Vgl. AMGR, busta 19, fasc. 1958 Sala Germania. 70 Vgl. Präsident des Museums Livio Fiorio an die Botschaft der CSSR, Brief vom 28. Juni 1961, in: AMGR, busta 19, fasc. 14 Sala Cecoslovacca, sowie Giovanni Barozzi: Guida del Museo storico italiano della guerra. Calliano 1979. 71 Vgl. Rasera: Il Museo della Guerra di Rovereto, S. 32. 72 Vgl. Camillo Zadra: Parlare di guerra attraverso un museo. Ipotesi per il riallestimento del Museo della Guerra di Rovereto, in: Annali del Museo della Guerra, 3/1994, S. 33-52, hier: 49f. 73 Das 2002 eröffnete MART, das Museum der modernen und zeitgenössischen Kunst in Trient und Rovereto, gilt aufgrund seiner nationalen (hier v. a. zum Futurismus) und internationalen Sammlungen und seiner Architektur als der gegenwärtig bedeutendste Kunstmuseumsneubau in Italien.
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zum Monte Vignola.74 Das Museum richtet sich desgleichen an ausländische Besucher: Broschüren und die Internetseite liegen nicht nur auf Italienisch, sondern auch in englischer und/oder deutscher Übersetzung vor. Insbesondere zur trentinischen Geschichte im 20. Jahrhundert wurden zahlreiche verdienstvolle temporäre Ausstellungen durchgeführt.75 Sie weisen allesamt einen regionalen Bezug auf und sind nicht überladen mit militärischen Exponaten. Das kann man von der Präsentation der vielen mittelalterlichen und neuzeitlichen Waffen, die den Charakter eines modernen Museums bis heute in Frage stellen, nicht behaupten. So dicht gedrängt stehen die Hellebarden, Musketen, Pistolen, Maschinengewehre und Geschütze. Die deplatziert wirkende Ausstellung einer Samurai-Rüstung symbolisiert diese inhaltliche Beliebigkeit. Die aktuelle, Ende 2008 eröffnete ständige Ausstellung setzt diesen inhaltlichen Widerspruch immer noch fort, indem sie zwischen der Rekonstruktion der Geschichte der Provinz und der engen Perspektive auf die Militärgeschichte schwankt: So heißt es über den Ersten Weltkrieg, er habe seinen Charakter als ,großer Krieg‘ gerade durch seine (waffen)technische Dimension erhalten.76 Daher wird in den neuen Ausstellungsräumen ebenfalls übermäßig viel Kriegsgerät präsentiert. Zu einem ,Museum im Museum‘ sind ungewollt die Ausstellungsräume in der dritten Etage geworden, die zwar nach 1945 noch verändert wurden, im Wesentlichen aber auf der ursprünglichen Präsentation beruhen, die aus den 1920er Jahren stammt: Uniformierte Schaufensterpuppen, Orden, Fotographien und Ölgemälde von Feldherrn, Helme, Tabakdosen, Kaffeeersatz, zerborstene und intakte Stahlhelme, Statuen, Zeitungen und Manifeste bieten ein buntes und willkürlich wirkendes Panoptikum, wie es für die frühen Risorgimento-Museen so typisch war. Altarräume für die mit Battisti hingerichteten Märtyrer knüpfen an die zivilreligiöse Dimension der längst obsoleten Risorgimento-Ideologie an. Diesen Teil der Ausstellung zu konservieren und zu musealisieren, wäre ein wichtiger Beitrag zur Geschichte der Didaktik von Geschichtsmuseen.
74 Anna Pisetti: La sezione didattica del museo della guerra: una riflessione tra bilanci e prospettive future, in: Annali del Museo della Guerra, 9-11/2001-2003, S. 141-155, hier: 144. 75 Hierzu zählen u.a.: Paesaggi di guerra. Il Trentino alla fine della Prima guerra mondiale Vallagarina vom 10. Juli bis 31. Oktober 2010, Parole come armi. La propaganda italiana nella Prima guerra mondiale e la disgregazione dell’Austria-Ungheria vom 14. Februar 2009 bis Juni 2010 oder Bunker. Le fortificazioni del Vallo Alpino. Alto Adige 1939-1989 vom 14. Dezember 2008 bis 11. Januar 2009. 76 Vgl. http://www.museodellaguerra.it/1_allestimenti.htm [15. September 2010].
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Im Jahre 2007 setzte die Provinz das Trienter Museo Storico an die Spitze einer neugegründeten Stiftung des öffentlichen Rechts, mit dem Ziel, die Aufarbeitung und Vermittlung der Geschichte zu vereinheitlichen. Aus dem Museo Storico in Trento wurde nun das Museo Storico del Trentino. Durch die Namensänderung wurde statt wie bisher die Verbindung mit der autonomen Provinz Trento nunmehr der Bezug zur autonomen Region Trentino-Südtirol betont. So fand quasi eine Regionalisierung der Trentiner Geschichtskultur statt. Zugleich verordnete die Provinzregierung, die die Kulturautonomie besitzt, ein neues Geschichtsbewusstsein unter dem Etikett der ,Landesgeschichte‘, wobei dieser deutsche Begriff in den italienischen Texten erscheint. Nun steht eine landeskundliche Orientierung im deutschen Sprachgebrauch nicht gerade für Innovation im 21. Jahrhundert, sondern eher im Verdacht rückwärtsgewandter Beschränktheit. Als Fremdwort hat der Begriff im Italienischen eine andere Akzentuierung: Die Trentiner ,Landesgeschichte‘ überwindet die Enge der Provinz, indem sie sich nicht nur auf die Region Trentino-Südtirol, sondern auf den gesamten Grenzraum der 1999 gegründeten Europaregion ,Tirol-Südtirol-Trentino‘ erstreckt. Entsprechend schrieb die trentinische Provinzregierung in das Statut der Stiftung des Museo Storico del Trentino die Kooperation mit der Provinz Südtirol und dem österreichischen Bundesland Tirol fest.77 Der Provinzpräsident Lorenzo Dellai (vom Berlusconi-kritischen Parteibündnis Civica Margherita) fördert – wie seine Kollegen aus Südtirol, Tirol und Vorarlberg – das Projekt der Europaregion. Mit Argwohn betrachtete der italienische Staat 1995 die Eröffnung eines gemeinsamen Büros in Brüssel. Vor allem der inzwischen geänderte Name ,Europäische Region Tirol‘ wurde als ,umstürzlerisch‘ und verfassungswidrig erachtet, weil er aus der Sicht Roms zu sehr an den habsburgischen Status quo ante anknüpfte.78 Diese Neuausrichtung stellt zweifellos eine Zäsur in der Erinnerungskultur der Provinz dar und steht im diametralen Gegensatz zur Risorgimento-Idee eines Battisti, mit der sie allerdings gemein hat, ein von oben über-
77 Vgl. Statuto delle Fondazione ,Museo Storico del Trentino‘ Art. 3, Scopo della Fondazione: „d) promuovere la valorizzazione del pluralismo culturale, sostenendo anche sinergie organizzate tra i soggetti operanti nel campo della ricerca storica, nonché la cooperazione con le altre istituzioni museali operanti nel Trentino e nell’area alpina, in particolare con i soggetti e le istituzioni dell’Alto Adige/Süd Tirol e del Tirolo austriaco“, vgl. http://www.museostorico.tn.it/index.php/Statuto [15. Mai 2012]. 78 Vgl. Paolo Pasi: Die Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino: Ein Projekt zwischen Geschichte und Zukunft, in: Ferrandi/Pallaver (Hg.): Die Region Trentino-Südtirol im 20. Jahrhundert, S. 317-333.
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gestülptes Projekt der Trentiner Eliten zu sein.79 Positiv ist, dass die Ausrichtung auf das historische Großtirol alte deutsch-italienische Feindbilder zweifellos überwindet.80 Kritik wurde indessen laut: Die Perspektive auf Trient und seine Beziehungen zu Tirol beeinträchtige den Blick auf Italien und Europa, was von den Befürwortern allerdings bestritten wird.81 Aus geschichtsdidaktischer Sicht ergeben sich die folgenden interessanten Tendenzen: Zwar ist die im Grenzraum lange so besonders aggressive Feindbilderziehung durch eine gemeinsame trentinisch-südtirolisch-österreichische Aufarbeitung überwunden worden, wie sie bezüglich der Bewältigung der italienisch-slawischen Vergangenheit noch aussteht; Episoden wie u.a. der italienische Schulbuchstreit oder der von der faschistoiden rechtsradikalen Bewegung Casa Pound im März 2011 durchgeführte Marsch auf Bozen zeigen jedoch, dass nationale Deutungsmuster weiterhin virulent bleiben.82
79 Ebd, S. 330. 80 Gerade darin könnte die Chance einer ,Landesgeschichte‘ liegen, ebd, S. 333. 81 Das Historische Museum in Trient transformierte sich nach Artikel 35 des Provinzialgesetzes Nr. 3 aus dem Jahre 2006 im Dezember 2007 als Leitinstitution in eine Stiftung mit 22 Trägern, meist kleinen Heimatmuseen in den Seitentälern, die durch dieses neue Netzwerk die Geschichte der gesamten Provinz Trient besonders im Hinblick auf die Verbindungen mit dem historischen Tirol untersucht. Einer dieser Träger ist das Kriegsmuseum in Rovereto, vgl. Fabrizio Rasera: Museo storico: più politica che storia?, in: Questotrentino, 2/2007, S. 1. 82 Erstmals im Jahr 2000 erfasste die revisionistische Tendenz im Kampf um die Deutung des Faschismus die Schulpolitik, als der Politiker der gewendeten faschistischen Alleanza Nazionale, der Präsident der Region Latium, Francesco Storace, die Schulbücher kontrollieren lassen wollte, die in Italien keiner Zulassung unterliegen, vgl. Lutz Klinkhammer: Der neue ‚Antifaschismus‘ des Gianfranco Fini. Überlegungen zur italienischen Vergangenheitspolitik der letzten beiden Jahrzehnte, in: Petra Terhoven (Hg.): Italien, Blicke. Neue Perspektiven der italienischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Göttingen 2010, S. 257-280, hier: 267.
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Unter den vielfältigen Orten und Mahnmalen, die der öffentlichen Darstellung der Vergangenheit gewidmet sind, kommt den historischen Museen ein besonderer Platz und eine besondere Rolle zu. Sie sind „Erinnerungsorte“1, sie dienen der Zelebration und dem Gedenken, sind jedoch ausdrucksstärker und lebendiger als Mausoleen, Erinnerungsschriften und Gedenkstätten, von Denkmälern, Gedenktafeln und Stelen ganz zu schweigen. Es ist kein Zufall, dass sich viele Blicke in Bezug auf den nahenden hundertsten Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs auf diese Museen richten. Das Wort ,rappresentare – repräsentieren‘ drückt hier sowohl die Idee eines ,an der Stelle von‘ als auch die des ,Inszenierens‘, des Erzählens und Interpretierens aus. Dabei nehmen die Reliquien und Erinnerungsstücke mit der Zeit immer mehr die Eigenschaft historischer Dokumente und Zeugnisse an, während das langsame Verblassen der sie umgebenden Aura neue Denkanstöße begünstigt.2 Die im Museo della Guerra den Roveretaner Irredentisten Fabio Filzi und Dami-
1
Vgl. Pierre Nora (Hg.): Les Lieux de mémoire, Paris 1984-1992, Mario Isnenghi (Hg.): I luoghi della memoria. Personaggi e date dell'Italia unita, Roma 1997, Ders. (Hg.): I luoghi della memoria. Strutture ed eventi dell'Italia unita, Roma 1997, Paola Antolini: Vivere per la patria. Bice Rizzi 1894-1982, Trento 2006, sowie Patrizia Marchesoni und Massimo Martignoni (Hg.): Monumenti della grande guerra. Progetti e realizzazioni in Trentino 1916-1935, Trento 1998.
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Vgl. Fabrizio Rasera und Camillo Zadra: Memorie in conflitto. La Grande Guerra nelle esposizioni del Museo della Guerra di Rovereto, in: Memoria e Ricerca, 7/2001: La grande guerra in vetrina. Mostre e musei in Europa negli anni venti e trenta, hg. v. Massimo Baioni und Claudio Fogu, Roma 2001, S. 15-38.
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ano Chiesa gewidmeten, so genannten ,Märtyrersäle‘ sind ein Beispiel dafür, wie einst als ,Reliquien‘ betrachtete Objekte zu schwer interpretierbaren und einzuordnenden Dokumenten geworden sind: Die Zigaretten, die Socken und die Brille von Damiano Chiesa rufen heute keinerlei heroische Gefühle mehr hervor und haben nur noch in einem bestimmten historischen Kontext einen Sinn. Die Säle sind nicht mehr Ort der Zelebration, sondern ein ,Museum im Museum‘. Sie sind ein für den heutigen Besucher nicht immer leicht zu begreifendes Beispiel dafür, welche Bedeutung das Kriegsmuseum einst den Protagonisten des Geschehens zumaß. Insbesondere in didaktischer Hinsicht sind diese Säle geeignet, den Studenten das Thema der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg und die verschiedenen Initiativen in den Jahren unmittelbar danach (Denkmäler, Gedenktafeln, Friedhöfe und Gedenkstätten, Zeremonien und öffentliche Veranstaltungen) nahezubringen. Durch ihre Besichtigung können sie die Evolution nachvollziehen, die diese Erinnerungsorte im Laufe der Zeit erfahren haben. Die eigentliche Besonderheit des Museums besteht also darin, dass es als Stätte einer öffentlichen Erinnerungserzählung fungiert, die zwar eine innere Folgerichtigkeit aufweist, jedoch die Bildung und Schichtung von alternativen Geschichten nicht ausschließt, welche wiederum tiefgreifende Revisionen der ursprünglichen Erzählung verursachen können. Dadurch hat sich jedoch keine Veränderung in der Art des Museums oder seines Themas vollzogen. Im Gegenteil: Das Museum ist eine Stätte der Deutungen und der geschichteten Erzählungen, die in der institutionellen Kontinuität, der Überlieferung der aufbewahrten Dokumente und in der Berechtigung der ursprünglichen Gründungsidee die Voraussetzungen für ihre Rekonstruktion suchen. Diese erste Betrachtung führt zu einigen weiteren Überlegungen hinsichtlich des Sinnzusammenhangs von ,Erinnerung‘ und ,Grenze‘; beide Wörter deuten auf eine Dimension des Konflikts, des Widerstands und der Spannung hin. Es muss sogleich gesagt werden, dass das Kriegsmuseum von Rovereto alle diese Bedeutungsgehalte in sich vereint: Im Jahr 1921 eingeweiht gilt es als ein sehr frühzeitiger ,Erinnerungsort‘. Es identifiziert das geographische Gebiet, auf dem es entstand, als kulturelle Grenze und versteht seine Rolle als Grenzstandort, wobei es sich bewusst ist, dass die Aufarbeitung des Ersten Weltkrieges noch nicht abgeschlossen ist. Über viele Jahrhunderte ist das Trentino ein Raum der Begegnung zwischen der mediterranen und mitteleuropäischen Welt gewesen. Das Grenzschild im Hof des Schlosses, in dem das Museum untergebracht ist, erinnert daran, dass ab der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts bis zum Jahr 1918 in diesem Gebiet die Grenze zwischen der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie und dem italienischen Königreich verlief. Dieser Umstand hat für lange Zeit und auf drama-
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tische Weise den Raum geprägt, den man in den Jahren von 1860 bis 1915 durch die Errichtung Dutzender Festungsbauten für den Krieg rüstete und der während des Ersten Weltkriegs, als die ,Front‘ an die Stelle der ,Grenze‘ trat, zum Kriegsschauplatz wurde. Von jener Grenze und jener Kriegsfront sind im Trentino für lange Zeit tiefe Spuren im kollektiven Gedächtnis haften geblieben. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs hatte für das Gebiet in unmittelbarer Grenznähe dramatische Folgen: Für militärische Zwecke wurden Wälder abgeholzt und Häuser niedergerissen, Dörfer und Produktionsstätten zerstört, Felder und Weiden verwüstet, die Zivilbevölkerung wurde evakuiert. Es wurden Schützengräben und Baracken, Seilbahnen, Straßen und Maultierpfade sowie an die tausend Friedhöfe errichtet. Die Militarisierung des Gebiets zog nicht nur das soziale und wirtschaftliche Gefüge in Mitleidenschaft, sondern brachte auch eine strenge gesellschaftliche und politische Überwachung der Bevölkerung sowie schwere Einschränkungen der Handlungsfreiheit der Bürger mit sich. Nach fast einem Jahrhundert ist diese Front auch noch heute durch die Überreste befestigter Stellungen erkennbar. In den vergangenen Jahren wurden sie aufwendigen Restaurierungsarbeiten unterzogen, was vom wachsenden Interesse an diesem Erbe zeugt. ‚An der Grenze liegen‘ bedeutet, in der Nähe einer anderen Welt zu sein, so nahe, dass man einige ihrer Elemente mit ihr teilt, und sich dennoch von ihr unterscheidet. Im Fall des Trentino bedeutete die Nähe zu Italien während des gesamten 19. Jahrhunderts wirtschaftlichen, sprachlichen und kulturellen Austausch: Junge Trentiner studierten an den italienischen Universitäten, nationale Ideen zirkulierten dort, wie im Jahre 1848 und in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die irredentistische Bewegung entstand, die im Namen der gemeinsamen nationalen Identität die Vereinigung des Trentino mit dem Königreich Italien anstrebte. Im Jahr 1915 bot der Erste Weltkrieg für viele junge Irredentisten den Anlass, durch ihre freiwillige Meldung zum italienischen Heer das Vaterland zu wählen, für das sie kämpfen wollten. Diese radikale Geste stellte sie der großen Mehrheit derjenigen gegenüber, die die Uniform des österreichisch-ungarischen Heers trugen: Trentiner standen sich an der Front als Feinde gegenüber.3 Aus dieser identitätsprägenden Verortung im Grenzgebiet zwischen zwei Kulturen ergaben sich für die Trentiner Bevölkerung in den Kriegsjahren große Schwierigkeiten. Es war nicht unbedingt das Votum zugunsten Italiens
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Vgl. Patrizia Dogliani, Gilles Pécout und Alessio Quercioli: La scelta della Patria. Giovani volontari nella Grande Guerra, Museo Storico Italiano della Guerra, Rovereto 2006; Fabrizio Rasera und Camillo Zadra (Hg.): Volontari italiani nella Grande Guerra, Rovereto 2008.
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dieser wenigen hundert Irredentisten, das unter den Militärbehörden beider Seiten den Verdacht auf die politische Unzuverlässigkeit der Trentiner insgesamt aufkommen ließ. Der Grund für das Misstrauen lag vielmehr darin, dass sie aus dem Grenzgebiet kamen und für die österreichischen Behörden zu ,italienisch‘ und für die italienischen zu ,österreichisch‘ waren. Dass die Trentiner einerseits italienisch sprachen, sich aber trotzdem dem österreichischen Staat verbunden fühlten, war für die Bürokratien beider Seiten schwer zu verstehen. Hier sei zum Beispiel an die Ungehaltenheit der italienischen Offiziere über den lauen Empfang ihrer Truppen seitens der Bevölkerung der besetzten Orte im südlichen Trentino erinnert, ebenso wie an die Feindseligkeiten und verbreiteten Vorurteile seitens des Heeres und der Zivilbevölkerung Österreichs, mit denen sie die Trentiner Soldaten und Flüchtlinge als verräterische Italiener betrachteten. Eine Grenzbevölkerung zu sein, zwang während des gesamten Weltkriegs die Trentiner – Flüchtlinge, Zivil- und Militärpersonen –, ihre Identität gegenüber sich selbst und gegenüber den anderen ständig neu zu definieren. Dies traf auch für das österreichische Kaiserreich zu, dessen Bevölkerung feststellen musste, dass das Motto der Habsburger ,e pluribus unum‘ dem Druck der Nationalismen und Chauvinismen sowie den jahrelangen Hegemoniebestrebungen der Österreicher und Ungarn nicht mehr standhielt, als der Krieg eskalierte. Mit dem Ende des Krieges hörte das Trentino auf, Kriegsfront und Grenze zu sein: Die politische und administrative Verlegung der Grenzen öffnete ein neues Kapitel der Geschichte. Die Auflösung des österreichisch-ungarischen Kaiserreichs löschte jedoch die kulturelle Grenzdimension, die das Trentino in seiner Geschichte innegehabt hatte, nicht aus. Das Kriegsmuseum wurde daher gegründet, um die Erinnerung – eine militärisch geprägte Erinnerung – an die Grenze und ihre Überwindung zu bewahren, wobei die mutiple Identität Trients nicht anerkannt wurde. Im Trentino ist die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg immer noch sehr lebendig. Es ist nicht nötig, hier daran zu erinnern, dass die Kriegshandlungen, die sich auf dem Territorium des Trentino abspielten, dieses zu einem der bedeutendsten Kriegsschauplätze der Südfront machten. Nichtsdestoweniger lief das Trentino in jenem Moment wirklich Gefahr, zu verschwinden, wie der Titel eines vor einigen Jahren erschienenen außergewöhnlichen Fotoalbums4 lautet. Dies galt nicht nur hinsichtlich der vom Krieg verursachten Umwälzungen, sondern auch in Bezug auf die Erinnerungen an jenen Konflikt.
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Vgl. Laboratorio di storia di Rovereto (Hg.): Il popolo scomparso. Il Trentino, i trentini alla fine della Prima guerra mondiale, Rovereto 2003.
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Der Sieg der Entente und das Ende des österreichisch-ungarischen Kaiserreichs führten zum Anschluss des Trentino und Südtirols an das italienische Königreich. Von diesem Zeitpunkt an wurde die Geschichte des Trentino im Ersten Weltkrieg aus einer rein ,italienischen‘ Perspektive aus interpretiert und die heterogene und komplizierte Geschichte des Trentino negiert. Es soll hier nicht näher auf den Aspekt der nationalen Frage vor und während des Krieges eingegangen werden, das heißt auf die Geschichte der trentinischen Soldaten an der Ostfront, der Tausenden von Kriegsgefangenen in Russland, der Flüchtlinge in Österreich und Italien, der Internierten auf österreichischer und italienischer Seite oder auf die durch Bombardements zerstörten Gebiete. Dieses ,Martyrium‘ des Trentino wurde alsbald als Preis der Vereinigung mit Italien und Opfer für die Vollendung des Risorgimento betrachtet. In diesem Zusammenhang kommt nach 1918 dem Umgang mit dem Gedenken an die Trentiner Gefallenen im österreichischen Heer besondere Bedeutung zu. Da es sich um Soldaten handelte, die bei ihrem Tod die Uniform des ,Feindes‘ getragen hatten, sorgte sich der neue Staat keineswegs um die Erfassung ihrer Namen, im Gegensatz zu den Gefallenen des italienischen Heeres, die in das ,Goldene Album‘ aufgenommen wurden, das ein vollständiges Verzeichnis der im Ersten Weltkrieg gefallenen italienischen Soldaten der einzelnen Regionen mit Angabe der anagraphischen Daten, der jeweiligen Abteilung, der Todesumstände und des Begräbnisortes enthält. Für die Trentiner wurde nichts dergleichen unternommen; erst in jüngster Zeit hat unser Museum eine von Ludovico Tavernini durchgeführte und noch nicht abgeschlossene Nachforschung anhand verschiedener Quellen in die Wege geleitet, die eine ungefähre Zahl von 11.400 im Ersten Weltkrieg gefallenen Trentinern ermittelte. Von Januar bis Februar 2010 haben die Autonome Provinz Trient und das Kriegsmuseum diesem für lange Zeit totgeschwiegenen Thema eine Initiative unter dem Titel ,Im Herzen fehlt kein einziges Kreuz. Zum Gedenken der im Ersten Weltkrieg gefallenen Trentiner‘ gewidmet. Zwei Wochen lang wurde im Regionalpalast das vollständige Verzeichnis der Namen der im Krieg gefallenen Soldaten auf einer eineinhalb Meter hohen und 45 Meter langen Denkschrift öffentlich ausgestellt. Zum ersten Mal nach neunzig Jahren konnten die Trentiner die Namen ihrer Verwandten auf einem öffentlichen Denkmal lesen. Besonders bedeutungsvoll war die öffentliche Namensverlesung durch die mehr als 200 Bürgermeister der Gemeinden des Trentino, wobei jeder die Namen der Gefallenen seines Gemeindegebiets verlas. Dies stellte ein starkes Zeichen der Anerkennung und der Wiederaufnahme in die Gemeinschaft der Kriegstoten, ganz gleich, welche Uniform sie trugen, dar. Die Teilnahme der Bevölkerung der Stadt Trient und des gesamten Trentino war beachtlich.
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Im Trentino wird des Ersten Weltkriegs in vielerlei Weisen gedacht: Bereits in den Kriegsjahren und unmittelbar danach wurden (wie im restlichen Italien und in allen am Krieg beteiligten Ländern) Gedenktafeln und Denkmäler für die Gefallenen errichtet. Es gibt heute keine Gemeinde – und fast keine Gemeindefraktion –, die nicht ihre eigene Gedenkstätte mit einem langen Namensverzeichnis aufzuweisen hätte. Die Allegorien, die dabei zur Anwendung kommen, gäben oft Anlass zu historiographischen Studien auch vergleichender Art. Oftmals wurden die Denkmäler des Ersten Weltkriegs auch für die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs erweitert, in einer funktionalen Kontinuität, in der sich die ganze Tragik der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts offenbart. Nur in wenigen Fällen befinden sich diese Denkmäler auf Kriegsgräberstätten, meistens verzeichnen sie die Namen von Gefallenen, die auf Hunderte von Kilometern entfernten Friedhöfen bestattet wurden oder an unbekannten Orten verschollen sind. Die Toten auf den Tausenden von kleinen und größeren Soldatenfriedhöfen an der Front der Trentiner Dolomiten wurden zum Großteil seit den 1920er Jahren exhumiert und in wenige größere Einrichtungen überführt, deren Anzahl in den 1930er Jahren erneut reduziert wurde, um sie auf einige monumentale Gedenkstätten zu konzentrieren, die die symbolische, mit dem ,Blut der Helden‘ getränkte Expansion des faschistischen ,Kriegerstaats‘ darstellen sollten. Auch die Gründung von Museen, die dem Ersten Weltkrieg im Trentino gewidmet sind, vollzog sich über mehrere Jahrzehnte. Neben frühen Einrichtungen, wie unserem Museum (1921) oder dem Risorgimento-Museum in Trient (1923) erstanden seit den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts vor allem in Orten längs der einstigen Front weitere Stätten, was von einer breiten und fest verwurzelten Anteilnahme der Bevölkerung zeugt. Die meisten von ihnen entstanden auf Initiative einzelner Forscher oder mehrerer engagierter Privatpersonen, die ihre Sammlungen dem Publikum zugänglich machen, um die kulturelle Identität des Trentino zu stärken, wobei dies oft ausgesprochen pazifistische Züge aufwies. Es handelt sich dabei um Einrichtungen, die sich dem Thema des Ersten Weltkriegs widmen, wobei sie sich ihrer gesellschaftlichen Rolle für die Gemeinschaft und das Territorium bewusst sind. Die vielseitige Tätigkeit der Museen, Vereine, lokalen Körperschaften und Forscher zielt darauf ab, den Wert des geschichtlichen Erbes zu unterstreichen. Sie widmen sich der Sicherung von Artefakten und der Forschung mit einer Vielzahl von Publikationen, sie organisieren Gedenkfeiern und Exkursionen zu Kriegsschauplätzen und Führungen für Besucher. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Förderung vonRestaurierungsarbeiten, Forschungsprojekte und Publikationen durch die Denkmalschutzämter.
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Unter diesen hinsichtlich ihrer Geschichte, ihrem Wirkungskreis und ihrer Motivation unterschiedlichen Institutionen ist vor einiger Zeit ein Projekt der Zusammenarbeit – Rete Trentina Grande Guerra – entstanden, das sich zum Ziel setzt, durch Fortbildung der Mitarbeiter und Ehrenamtlichen deren Kompetenz zu vergrößern, gemeinsame Initiativen zu fördern sowie die Qualität des Publikumsservices, der Nutzung der Ressourcen und der Kommunikation zu verbessern. Ziel ist die Schaffung eines Systems, das das große freiwillige Engagement unterstützt. Dieses vom Museo Storico Italiano della Guerra koordinierte Netz ist seit 2009 aktiv, die Mitgliedschaft ist nicht formalisiert, sondern besteht aus der Mitwirkung an Projekten. Es hat keine Eigenmittel zur Verfügung und muss deshalb mit den Teilnehmern Finanzierungsmöglichkeiten ausfindig machen. Von den bedeutendsten Projekten ist ,Paesaggi di guerra‘ – ‚Kriegslandschaften‘ zu nennen, mit dem zwischen 2010 und 2011 zwölf Fotoausstellungen an 27 Orten des Trentino gezeigt werden konnten, die das Bild der Zerstörung zeigen, das sich im Jahr 1918 den aus dem Exil und aus dem Krieg zurückgekehrten Trentinern offenbarte. Innerhalb dieses Netzwerks ist die Zusammenarbeit der Trentiner Kriegsmuseen besonders eng: Es handelt sich um 19 kleinere und größere, über das gesamte Territorium verteilte Institutionen, die sich ausschließlich oder teilweise der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg widmen. In den vergangenen Jahren hat die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Museen zur Realisierung von gemeinsamem Werbematerial (Broschüren, Museumsführer, Fernsehsendungen) und von didaktischen Projekten (,Animare la memoria della Grande Guerra‘ – ,Zur Belebung der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg‘) geführt.5 Das Museo Storico Italiano della Grande Guerra in Rovereto ist heute einer der bedeutendsten Gedächtnisorte des Ersten Weltkriegs auf nationaler Ebene. Es richtet sich an ein breites, nicht spezifiziertes Publikum auch über die regionalen Grenzen hinaus. Es weist zirka 40.000 Besucher im Jahr vor, wovon ein großer Prozentsatz aus Schülern besteht, die an didaktischen Veranstaltungen teilnehmen: Zwischen 16.000 bis 18.000 Schüler besuchen jedes Jahr das Museum mit ihrer Klasse, 70% von ihnen kommen von außerhalb der Provinz. Während es sich dabei früher hauptsächlich um norditalienische Schulen handelte, steigt seit einigen Jahren die Teilnahme von Schülern aus Mittelitalien (Toskana,
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Die Website des Museo Storico Italiano della Guerra www.trentinograndeguerra.it ist das Kommunikationsinstrument der Rete Trentino Grande Guerra. Hier finden sich Informationen über die Teilnehmer und die bereits durchgeführten und laufenden Projekte.
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Latium, Marken) kontinuierlich. Ihr Alter liegt größtenteils zwischen elf und 18 Jahren. Das Museum widmet sich insbesondere der Bewahrung des geschichtlichen Erbes des Ersten Weltkriegs durch die Förderung von Studien- und Forschungsprojekten, der Organisation von Ausstellungen, der Edition von Quellen und Studien, der Veranstaltung von Tagungen und einer intensiven Lehrtätigkeit. In den vergangenen Jahren hat es zum Beispiel Ausstellungen und Tagungen über die Propaganda im Ersten Weltkrieg veranstaltet wie ,Parole come armi. La Propaganda italiana nella Prima Guerra Mondiale e la disgregazione dell’Austria-Ungheria‘ (,Worte als Waffen. Die italienische Propaganda im Ersten Weltkrieg und der Zerfall Österreich-Ungarns‘) sowie 2009 der Studienkongress ,Costruirsi un nemico. La Propaganda nella Grande Guerra e nei conflitti del Novecento‘ (,Konstruktion eines Feindes. Die Propaganda im Ersten Weltkrieg und in den Konflikten des 20. Jahrhunderts‘). Über die Trentiner Freiwilligen im italienischen Heer fanden die Ausstellung ,La scelta della Patria. Giovani volontari nella Grande Guerra‘ (,Die Wahl des Vaterlandes. Junge Freiwillige im Ersten Weltkrieg‘) und 2009 der internationale Studienkongress ,Contare i morti. I caduti della Grande Guerra‘ (,Die Zahl der Toten. Die Gefallenen im Ersten Weltkrieg‘) statt. Dazu kommen Ausstellungen und Publikationen über Kriegsikonographie wie Abzeichen an Kopfbedeckungen, Postkarten und Illustrierte, wie im Jahr 2008 ,Galizia, Pasubio, Isonzo. Arte popolare e orgoglio di reparto nei distintivi austro-ungarici 1914-1918‘ (,Galizien, Pasubio, Isonzo. Volkskunst und Korpsgeist auf österreichisch-ungarischen Abzeichen‘) und 2006 ,La donna del Soldato. L’immagine della donna nella cartolina italiana‘ (,Die Frau des Soldaten. Das Frauenbild auf der italienischen Postkarte‘) sowie im selben Jahr ,Soldati Fotografi. Fotografie della Grande Guerra sulle pagine di Le Miroir‘ (,Soldaten als Fotographen. Fotographien aus dem Ersten Weltkrieg auf den Seiten von Le Miroir‘).6 Natürlich verleugnet das Museum keineswegs seinen territorialen Bezug. Da es im Zuge eines Ereignisses entstanden ist, das für das Trentino von zentraler Bedeutung war, verstand es sich von Anfang an als nationale Einrichtung und gleichzeitig als Kriegsmuseum (nicht nur in Bezug auf den kurz zuvor beendeten Krieg). Das Museumsprojekt wurde bereits im Jahre 1919 von einer Gruppe Roveretaner zur Bewahrung der Erinnerung an den Krieg und seine militärischen und politischen Folgen für die Trentiner geplant. Dabei kam das Museum nicht umhin, beide kriegführenden Seiten zu dokumentieren, sich mit den Soldaten
6
Unter dem Link des Museums kann das Archiv der Ausstellungen und der Katalog der Veröffentlichungen eingesehen werden.
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beider Heere, mit ihrem entbehrungsreichen Leben, den Gefahren, den grenzenlosen Opfern, den unzähligen Toten zu befassen. In der Beschreibung beider Seiten wurde kein Unterschied gemacht, das Dokumentationsmaterial ohne Ausnahme gesammelt. Schon bald als die nationalistischen Töne verklungen waren, erkannte man in beiden Heeren denselben Mangel an Motivation, dieselben Strapazen, dieselbe Müdigkeit: Die Uniformen waren aus dem gleichen Stoff, die Waffen ähnelten sich, die Bilder zeigten beide Lager und dokumentierten ein erbarmungsloses, tyrannisches Klima, die Artillerie verursachte auf beiden Seiten die gleichen Gemetzel. Der Unterschied zwischen beiden Seiten bestand darin, dass auf österreichischer Seite die menschlichen und materiellen Ressourcen versiegten, der Hunger alle Kräfte erlahmen ließ, die Auflösung des jahrhundertelang viele Völker vereinigenden politischen Bandes die Einheit des Heeres zerstörte. Dazu kam noch ein außergewöhnlich langlebiger Kaiser, der den Krieg nicht zu vermeiden gewusst oder gewollt hatte. Die Geschichte des Museums, auch die jüngere, ist von der Debatte über die Konstruktion der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg geprägt und interagiert mit ihr. Es ist schwer zu sagen, ob und inwieweit sie diese beeinflusst: Die Wege der Erinnerung folgen den tiefen Gräben des kollektiven Empfindens, sie reagieren auf Anregungen der Gegenwart und katalysieren zuweilen das Unbehagen und die Frustration einer kollektiven Identität, die sich ständig neu definieren muss, wobei es für die Museen nicht leicht ist, diese kollektiven Stimmungen aufzunehmen. Welche Erinnerungskulturen oder -formen an den Ersten Weltkrieg gibt es heute in Europa? Welche Erinnerung bleibt aus den Erzählungen der verschiedenen nationalen und regionalen Gemeinschaften zurück? Noch heute kann in jedem Land die private und familiäre Erinnerung an den Ersten Weltkrieg in die historischen Museen und damit in die öffentliche Erinnerung aufgenommen werden. Wir haben jedoch keine Gewissheit darüber, inwieweit dies auch für das kollektive Gedächtnis zutrifft. Für wie viele Bürger stellen die Museen eine Quelle des Wissens dar? Vielleicht müssen wir uns Fragen dieser Art stellen, wenn wir wirklich glauben, dass das Museum auch in der Ära des Fernsehens und des Mulitmedialen ein Ort der nationalen Erinnerung bleiben kann. In der unmittelbaren Nachkriegszeit trug das Museum zur Bildung des Mythos des Ersten Weltkriegs bei, indem es diesen als ,Krieg der Erlösung‘ präsentierte und das Schicksal der Trentiner Fabio Filzi, Damiano Chiesa und Cesare Battisti, die von einem österreichischen Militärgericht 1916 hingerichtet wurden, als ,Martyrium‘ bezeichnete, gemäß der Ausdrucksweise einer den Krieg sakralisierenden zivilen Religion. Nachdem damals das neue Paradigma des ‚Volkskrieges‘ entstanden war, musste diese Deutung aufrecht erhalten werden, auch wenn man wusste, dass es sich dabei um eine lückenhafte, tendenziöse und nur
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zum Teil den Tatsachen entsprechende Erzählung handelte. In den 1920er und 1930er Jahren, als das Museum sich als Vorposten der italianità in einer mehrsprachigen und pluriethnischen Region verstand, war es kein Ort einer befriedeten Erinnerung, sondern Schauplatz eines Konflikts der Erinnerungen, die ihm, vor allem am Ende jener Jahre und während des Zweiten Weltkriegs, ziemlich schwere Rückschläge versetzten. Durch dieses Museum, das das Schicksal Roveretos zur Geltung bringen wollte, wurde die Stadt zum Symbol des Irredentakrieges (so wurde damals in Italien der Erste Weltkrieg zur Befreiung von Trient und Triest genannt) und von den ersten Nachkriegsjahren an zum Ziel von Pilgerfahrten und Besuchen von Friedhöfen, Gedenkstätten und Schlachtfeldern. Zum Museum gesellte sich, jedoch mit einer friedvolleren und universelleren Botschaft, ein weiteres großes Mahnmal des Ersten Weltkrieges: die Glocke der Gefallenen. Dieses außergewöhnliche Denkmal wurde vom Roveretaner Priester Antonio Rossara ersonnen, der nach Kriegsende die Bronze der Kanonen aller beteiligten Nationen schmelzen und daraus eine Glocke gießen ließ. Don Rossara wollte ein ,lebendiges‘ Denkmal, das seine Stimme für diejenigen erhebt, die die ihre nicht mehr erheben können, und universale Gefühle der Trauer zu erwecken vermag.7 Zur selben Zeit, während der 30er Jahre, entstand zuerst das Gebeinhaus von Castel Dante und später das monumentale Sakrarium, in das die Überreste von 12.000 italienischen (und nach dem Zweiten Weltkrieg auch die von österreichisch-ungarischen) Soldaten überführt wurden.
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Nach dem Ersten Weltkrieg, als die Massengesellschaft in Italien und in Europa sich nicht mehr nur zur Emigration, sondern auch zur ,Freizeitgestaltung‘ in Bewegung setzte, wurde der Besuch von Kriegsschauplätzen und Schlachtfeldern Teil des Bildungsprozesses des Staatsbürgers. Im Trentino wurde dem Kriegsmuseum und den in ihm aufbewahrten Dokumenten diese pädagogische Rolle zuteil. Durch Vermittlung der Schule (aber auch der Freizeitorganisationen) wurden die Museumsräume als „ein wahrer Tempel heiliger Erinnerungen“8 an einen Krieg besucht, den ein heldenhaftes Volk – das italienische – gewonnen hatte und mit dem sich alle, auch diejenigen, die auf der ,falschen Seite‘ ge-
7
Vgl. Maurizio Scudiero und Renato Trinco: La Campana dei Caduti. Maria Dolens: Cento rintocchi di pace, Mori 1988.
8
Archivio Museo Storico Italiano della Guerra, Fondo Documenti e studi, serie 8, busta 1. A.C., classe IV, scuola elementare di Borgo Sacco, A.S. 1933-34.
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kämpft hatten, identifizieren sollten. Nation, Schule und Museum schlugen denselben Weg ein und stützten sich gegenseitig beim Aufbau eines Erziehungsmodells, dem die Zugehörigkeit zu einer neuen Nation zugrunde lag und das die geschichtliche Tatsache der Teilnahme am ,österreichischen Krieg‘ seitens der Mehrheit der Trentiner Soldaten ausblenden sollte. „In einem Saal“ – schrieb im Jahre 1933 eine Volksschülerin nach dem Museumsbesuch – „habe ich einen von einem Bajonett durchbohrten Schädel gesehen, und er hat mich sehr beeindruckt, ich habe viel darüber nachgedacht. Das Bajonett ist österreichisch, also ist jener ein Italiener […] also ist er ein großer Patriot. Ich sehe immer noch jenes verrostete Bajonett und jene durchlöcherten Augen, die so erschreckend sind“. Zu dieser Vision gesellte sich das mythische Bild des Gefallenen, des Helden, das sich mit dem des Trentiner Irredentisten, des freiwilligen Kämpfers des italienischen Heeres vermischte. „Wir befinden uns in einem Saal“ – steht in einem anderen Bericht – „mit den Uniformen, den Säbeln, den Zigaretten und den Medaillen, die sie getragen und berührt und mit denen unsere Trentiner Märtyrer für die Rettung unseres lieben Vaterlandes […] gekämpft hatten. Während [die Lehrerin] sprach, sah ich sie vor mir, wie sie mit stolzem Blick mein teures, endlich befreites Rovereto betrachteten“.9 Die im Museum aufbewahrten Gegenstände stellen die Verbindung zum Helden her: „Viele Dinge haben mich interessiert, aber am meisten hat mich der letzte Brief von Damiano Chiesa an seine Mutter und an seine Schwester berührt. Da waren auch die Kleider von Damiano Chiesa und es kommt mir heute noch unwahrscheinlich vor, dass der große Märtyrer sie getragen hat. Beim Gang durch die Säle kam mir mein armer Vater in den Sinn, der auch im Krieg ums Leben kam“.10 Mit dieser Betrachtung wird ein weiterer neuralgischer Punkt der Beziehung zwischen Schule und Museum in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg berührt: die effektive körperliche und seelische Nähe derjenigen, die den Krieg selbst erlebt hatten, sei es durch die direkte Erfahrung der eigenen Teilnahme oder durch die Nähe zu Kriegsteilnehmern. Im Laufe der Jahrzehnte sind die Sammlungen reicher geworden, ihre Gestaltung hat sich (sowohl durch aufeinanderfolgende Schichtungen als auch durch Neuordnungen) verändert, aber vor allem haben sich die Interpretationskriterien, die historischen Ansätze und die Ziele der Museumstätigkeit gewandelt. Auch das Zielpublikum hat sich verändert: In den 1920er und 1930er Jahren waren es diejenigen, die den Krieg selbst erlebt oder an ihm teilgenommen hat-
9
Ebd., L.B. classe IV, scuole elementari Dame Inglesi, ohne Datum.
10 Ebd., A.D., classe V, scuole elementari Noriglio, 12 aprile 1934.
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ten (ehemalige Frontkämpfer, aber auch Witwen und Waisen). Die zeitliche Nähe, die durch Familiengeschichten bereichert wurde, ermöglichte es den Jugendlichen, fotographierte Orte zu erkennen, das ausgestellte Material zu benennen und die gefeierten Ereignisse und Personen zu identifizieren. Wer heute das Museum besucht, besitzt keine direkte Kriegserfahrung mehr und erlebt die schwierige Übertragung einer direkten Erinnerung auf eine indirekte oder nicht vorhandene Erinnerung. Auch das historiographische Paradigma hat sich gewandelt: Das Bild des siegreichen nationalen Krieges und des Museums als Ort der Verherrlichung des Heroismus ist heute für das allgemeine Empfinden unvorstellbar. Oft ist man von diesem zum Bild des Krieges als reine Katastrophe übergegangen, da die Subjektivität der Gegenwart den bewaffneten Konflikt als irrationale Erfahrung ablehnt. Seit über 15 Jahren bietet das Museum eigens auf Schüler ausgerichtete Aktivitäten an. Durch diese Initiative versucht das Museum, denjenigen, die keine direkte Erfahrung besitzen, Sachverhalte näherzubringen und das Einfühlungsvermögen für vergangene Geschehnisse anzuregen. Das diesbezügliche Angebot des Museums ist vielseitig: Workshops und Anschauungsunterricht mit Benutzung und Untersuchung historischer Dokumente aus dem Museumsbestand zu spezifischen Themen (Festungen vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Waffen und Heere in der Neuzeit, die Organisation der Soldaten und die Genese nationaler Symbole im italienischen Risorgimento, der Erste Weltkrieg in seinen vielseitigen Aspekten, die Kriege und die Propaganda im Faschismus); Nachspüren der Kriegserlebnisse von Soldaten und Zivilisten durch Sichtung und Analyse der im Museum aufbewahrten Gegenstände, Fotographien und Tagebücher; Wanderungen auf den Spuren des Ersten Weltkriegs (Schützengräben und Denkmäler), Heimatkundeunterricht mit Begegnungen in Schule, Museum und Territorium.11 Dieses Angebot soll zwischen dem Museum und den Schulen vermitteln: In den Ausstellungsräumen wird in Texten und Beschreibungen oft eine Sprache verwendet, die den Jugendlichen heute nicht mehr geläufig ist. Häufig sind die Ausstellungen das Ergebnis von vielen kulturellen Schichtungen und das Museum wird zu einem komplexen, erklärungsbedürftigen Ort. Das Museum präsentiert sich den Schülern vor allem als ein ,Ort der Objekte‘, wo die Dinge vor dem natürlichen Verfallsprozess bewahrt werden und wo man Dokumente miteinander in Verbindung bringen kann. Das Museum ist ein Ort, wo man den Umgang mit Quellenmaterial lernen kann: den Schülern werden keine Führungen angebo-
11 Die pädagogischen Angebote des Museums sind unter http://www.museodellaguerra.it vollständig aufgeführt.
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ten, sondern Aktivitäten, durch die sie lernen, Dokumente zu analysieren, Informationen zu sammeln und ihre Fähigkeit unter Beweis zu stellen, Hypothesen aufzustellen und die vorhandenen Daten zu interpretieren. Anhand der Untersuchung der ausgestellten Gegenstände und der Bearbeitung einiger davon, der Lektüre von Brief- und Tagebuchauszügen und der Analyse von Fotographien rekonstruieren die Schüler z.B. den Tagesablauf der Soldaten an der Front des Ersten Weltkriegs. Im Vergleich zur Vergangenheit sind im Museum und in seinem pädagogischen Angebot neue Themen und neue Dokumente aufgetaucht: Die Geschichten der Trentiner an der Ostfront eröffnen das Problem der Desorientierung und des Exils, jene der Flüchtlinge beleuchten die Kriegserfahrung von Zivilpersonen und die Deportationen; die Erfahrung der Gefangenen oder der Pathologien des Krieges (einschließlich der Geisteskrankheiten) als eine Form der Flucht vor der ausweglosen Situation des Soldaten im modernen Krieg werden thematisiert. Dazu kommt die Erfahrung der Desertion im Kontext des ,normalen‘ Soldatenlebens und der Krieg im Erleben der Frauen und Kinder, der Rollenwechsel der Geschlechter usw. Zu den Briefen der ,Märtyrer‘ kommen die vielen Feldpostbriefe der einfachen Soldaten hinzu. Eines der zentralen Themen unserer Aktivitäten betrifft den Entwicklungsprozess der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg. Vom Beispiel des Museums selbst ausgehend sollen alle Prozesse, die zur Schaffung eines Erinnerungsortes führen, untersucht werden. Dabei soll über die Sprache, die Wahl der Symbole, den öffentlichen Gebrauch der Geschichte und die Veränderung dieser Orte im Laufe der Zeit nachgedacht werden. Es sind insbesondere die Exkursionen, die in den vergangenen Jahren großes Interesse weckten. Die innerhalb des Museums angebotenen Aktivitäten werden durch Ausflüge in das südliche Trentino ergänzt, um nach vom Ersten Weltkrieg hinterlassenen Spuren zu suchen: Schützengräben, befestigte Stellungen, Militärbauten, aber auch Denkmäler, Friedhöfe und Gedenkstätten. Im Laufe der Jahre hat sich das Angebot auch dank der Wiederinstandsetzung von Schützengräben und Militärstellungen vergrößert. Die Führung ‚Das Museum und die Schützengräben von Matassone‘ sieht die Besichtigung eines 1914 vom österreichisch-ungarischen Heer erstellten und während des Krieges von italienischen Truppen besetzten und umgestalteten Schützengrabenfeldes vor, die Führung ‚Die Schützengräben des Berges Nagià Grom‘ hingegen eine ganztägige Exkursion in das Grestatal, wo dank der jahrzehntelangen Arbeit einer Gruppe ortsansässiger Alpini eine ca. 2 km lange Strecke von Schützengräben, Artilleriestellungen, Unterständen, Feldküchen und Beobachtungsposten, die das österreichisch-ungarische Heer ab 1914 angelegt hatte, wiederhergestellt wurde. Auf dem Berg Zugna, einer der am stärksten umkämpften Punkte der ita-
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lienisch-österreichischen Front im südlichen Trentino, werden zwei Führungen angeboten: Eine Wanderung zum Gipfel führt zu den rückwärtigen Linien der italienischen Truppen, wo Artilleriestellungen, Friedhöfe, die Reste eines Feldlazaretts und Überreste eines Lagers zu besichtigen sind; die zweite Führung konzentriert sich auf das einstige ,Niemandsland‘ und die Überreste der Frontlinien der italienischen und österreichisch-ungarischen Truppen. In diesen Aktivitäten wird das Thema der Grenze greifbar und konkret: Die Jugendlichen durchqueren Schützengräben und begreifen dadurch besser deren Verwendung; sie entdecken, dass während des Krieges die Front durch diese Gebiete lief, wodurch eine Verbindung zwischen der ,allgemeinen‘ Geschichte in der Schule und der Geschichte des Territoriums, in dem sie leben und sich bewegen, hergestellt wird; sie können die Entfernung der gegenüberliegenden gegnerischen Verteidigungslinie abmessen und dadurch die Risiken und Gefahren des täglichen Soldatenlebens besser ermessen. In diesen pädagogischen Aktivitäten verbindet sich das Thema der Erinnerung mit dem der Bewahrung des kulturellen Erbes: Neben dem im Museum aufbewahrten Material sind auch die Reste der Militärbauten außergewöhnliche historische Quellen, aber wie die Dokumente und Andenken benötigen sie Pflege und Sanierung. Die Schüler werden angeregt, über die Bedeutung der Arbeit zum Schutze und zur Wiederaufwertung sowie über das Engagement zahlreicher Vereinigungen Freiwilliger an der Seite der öffentlichen Verwaltung nachzudenken. Nach neunzig Jahren versteht sich das Museum immer noch als Stätte der Vergangenheitsvermittlung, jedoch in einem völlig veränderten Kontext. Das Dokument wird zuerst an sich betrachtet, erst dann als Erinnerungsstück, der Krieg als historisches Ereignis und nicht als Heldenepos. Es bedarf neuer Ausstellungsformen mit einer stärkeren didaktischen Strahlkraft, nicht nur im Bereich der Schulen, sondern auch für die allgemeine Vermittlung von Geschichte. Dies betrifft auch die unmittelbare Zukunft des Museums, das zum bevorstehenden hundertjährigen Gedenken des Ersten Weltkriegs eine umfassende Neugestaltung plant, die diesen Bedürfnissen Rechnung tragen soll. Übersetzung: Karin Krieg
Der schwierige Wandlungsprozess der Erinnerungskultur von einer nationalistischen zu einer pluralen Perspektive im italienischslowenischen Grenzraum
Grenzverschiebungen und Erinnerungskultur Der Fall der slowenischen Minderheit in Italien nach dem Ersten Weltkrieg B ORUT K LABJAN
E INLEITUNG Der nordöstliche Adriaraum war in der Vergangenheit ein Schlachtfeld, auf dem sich verschiedene lokale, nationale und internationale Akteure mit dem Ziel territorialer Ausdehnung bekriegten. Mit der Durchsetzung des Nationalstaatenprinzips im Europa des 19. Jahrhunderts und dem daraus folgenden Zerfall der multinationalen Staaten nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Nationalstaat zum Ideal, das als höchstes Ziel eines historischen Entwicklungsprozesses der nationalen Gemeinschaft auserkoren wurde.1 In diesem Sinne stellen die verschiedenen Teile Österreich-Ungarns, zu welchem die östliche Adria gehörte, ein aussagekräftiges Beispiel der graduellen Nationalisierung der Massen sowie der Vereinnahmung durch nationale Ideologien dar. Einen solchen Prozess der Identifikation immer breiterer Gesellschaftsschichten mit einer gemeinsamen nationalen Identität innerhalb eines von einer Vielfalt der Ethnien und Sprachen charakterisierten Gebiets führte im 19. Jahrhundert zur Entstehung vieler Konflikte, die ihren Höhepunkt im 20. Jahrhundert fanden und sich bisweilen, in schwächerem Maße, bis ins 21. Jahrhundert zogen.2 Mit der Ausbreitung des nationalen Cre-
1
Hier ist der Begriff der nationalen Gemeinschaft im Anderson’schen Sinne gemeint. Benedict Anderson: Imagined Communities. Reflections on the Origin and Spread of Nationalism, London-New York 1983.
2
In Bezug auf den Identifikationsprozess innerhalb des nordadriatischen Gebiets von Mitte des 19. Jahrhunderts bis Mitte des 20. Jahrhundert vgl. Marina Cattaruzza (Hg.):
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dos wurde das Zugehörigkeitsrecht eines bestimmten Gebietes nicht mehr wie zuvor an eine dynastische Logik geknüpft, sondern an die ethnische Zugehörigkeit der dort ansässigen Bevölkerung. Vor allem nach dem Ersten Weltkrieg wurde das so genannte Selbstbestimmungsrecht der Völker zum Leitmotiv, auf dessen Basis die territorialen Ansprüche der neuer Staaten legitimiert wurden, ebenso wie jene bereits existierender Staaten, die von weiteren Gebieten Besitz ergreifen wollten.3 In diesem Sinne sollten nach Ansicht der verschiedenen nationalen Eliten und nation-builders die Grenzen eines neuen Nationalstaats mit denjenigen der jeweiligen ethnischen Gruppe übereinstimmen. Natürlich war es jedoch beinahe unmöglich, zu einem Zeitpunkt, an dem sich das nationale Credo schon in ganz Europa weithin verbreitet hatte, und in einem Gebiet, das bis dahin von ethnisch und religiös extrem heterogenen Imperien charakterisiert gewesen war, territoriale Grenzen zu umreißen, die mit den ethnischen Grenzen eindeutig und endgültig übereinstimmten. Obwohl nach dem Abschluss der Friedensverträge von Versailles in (einigen) multinationalen Gebieten eine Reihe von Volksbefragungen oder -abstimmungen stattgefunden hatte, die die Zugehörigkeit des betreffenden Gebietes zu diesem oder jenem Staat bestätigen sollten, wurden viele Entscheidungen am grünen Diplomatentisch getroffen. Nicht selten zerrissen die auf den aufgelösten Imperien gezogenen neuen Grenzen historisch gewachsene Regionen, die somit Teil neuer nationaler politischer Räume wurden.4 So stand man zum ersten Mal
Nazionalismi di frontiera. Identità contrapposte sull’Adriatico nord-orientale 18501950, Soveria Mannelli 2003. Für einen europäischen Blick auf die Komplexität der ,Grenzidentitäten‘ vgl. Madelaine Hurd (Hg.): Borderland Identities: Territory and Belonging in Central, North and East Europe, Eslöv 2006. Für einen Vergleich zwischen dem Triester Raum und dem deutsch-französischen Grenzraum vgl. Angelo Ara und Eberhard Kolb: Regioni di frontiera nell’epoca die nazionalismi: Alsazia e Lorena/Trento e Trieste 1870-1914, Bologna 1995. In diesem Zusammenhang hilfreich, neben anderen Werken: Timothy Baycroft: Changing Identities in the Franco-Belgian Borderland in the Nineteenth and Twentieth Centuries, in: French History, 4/1999, S. 417-438. 3
Vgl. Derek Heater: National Self-Determination: Woodrow Wilson and His Legacy, Basingstoke 1994, sowie Glenda Sluga: What is national self-determination? Nationality and psychology during the apogee of nationalism, in: Nations and Nationalism, 1/2005, S. 1-20.
4
Jeremy King: The Nationalization of the East Central Europe, in: Maria Bucur und M. Nancy Wingfield (Hg.): Staging the Past: The Politics of Commemoration in Habsburg Central Europe, West Lafayette 2001, S. 113-152.
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in bedeutendem Ausmaß und auf internationaler Ebene vor dem Problem des Umgangs mit ethnischen Minderheiten.5 Aufgrund der großen Zahl an Menschen, die von einem Moment auf den anderen zu Mitgliedern nationaler Minderheiten geworden waren, verpflichtete die internationale Diplomatie die betroffenen Staaten zu einer gewissen Art von Minderheitenschutz. Der neu gegründete Völkerbund sollte als Garant für diesen Schutz wirken; jedoch verfügte er für diese Aufgabe weder über die nötigen Kompetenzen noch über die erforderlichen Mittel. Ganz in den Händen jener Diplomaten, die im Krieg gesiegt hatten, setzte der Völkerbund diese Vorgaben nicht gegenüber den siegreichen Staaten des Entente-Bündnisses durch, sondern nur gegenüber jenen Staaten, die aus den Trümmern der vernichteten Imperien entstanden waren. Es lag außerhalb der Vorstellung der westeuropäischen Staaten, dass es innerhalb ihres eigenen Nationalkorpus fremde Elemente geben könne. In der ohnehin fragilen PostVersailler-Ordnung hatten die Regierungen der Siegermächte außerdem nicht die Absicht, Fragen aufzuwerfen, die möglicherweise – wie sich später zeigen sollte – eine destabilisierende Wirkung auf das neue europäische Mächtesystem hätten haben können. Dem Beispiel des Nationalstaats par excellence, Frankreich, folgend, leugnete auch Italien die Existenz ethnischer Minderheiten im eigenen Territorium, beziehungsweise wurde dieser Thematik kein größerer Wert beigemessen. Dennoch konnte man aufgrund der relativ großen Zahl nicht-italienischer Einwohner, die nach dem Ersten Weltkrieg in Italien eingegliedert wurden – vor allem die Deutschen in Südtirol (nunmehr Alto Adige) und die ,Jugoslawen‘ (Slowenen und Kroaten) des Küstenlandes (der neuen offiziellen Definition folgend: Julisch Venetiens) –, die Existenz einer ,Minderheitenfrage‘6 nicht ignorieren. Die politische Elite war davon überzeugt, dass die einverleibende Kraft des liberalen Staates das Problem der Fremdstämmigen (allogeni) oder Fremdsprachigen (alloglotti) lösen würde. Jene neuen Bürger mit einer anderen Sprache oder Nationalität, die für Menschen einer niedrigeren Kultur und nicht selten auch Rasse gehalten wurden und deshalb als leicht assimilierbar galten, sollten schrittweise in der italienischen Kultur aufgehen.7
5
Mark Mazower: Dark Continent: Europe’s Twentieth Century, New York 2000, S. 4175.
6
Für eine vergleichende Analyse der nationalen Minderheiten in Italien nach dem Ersten Weltkrieg vgl. Claus Gatterer: In lotta contro Roma, Bolzano 1994.
7
Über die rassistische Haltung der Italiener gegenüber der slawischen Bevölkerung vgl. Enzo Collotti: Sul razzismo antislavo, in: Antonio Burgio (Hg.): Nel nome della razza. Il razzismo nella storia d’Italia 1870-1945, Bologna 1999, S. 39-41.
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Nach der Auflösung Österreich-Ungarns wurde die slowenische Bevölkerung im nordostadriatischen Raum mit dem Grenzvertrag von Rapallo am 12. November 1920 in jeder Hinsicht in das Königreich Italien eingegliedert. Die Situation der slowenischen Bevölkerung in Italien, vor allem zwischen beiden Weltkriegen, wurde in den vergangenen Jahrzehnten zwar schon ausführlich untersucht, die Analyse drehte sich jedoch meist um politische und diplomatische Fragen und vernachlässigte sämtliche weiteren Aspekte.8 Deshalb setzt sich dieser Beitrag zum Ziel, als weiterer Mosaikstein eine neue Perspektive zur besseren Kenntnis und zum Verständnis eines von nationaler Heterogenität und fragmentarischer Identität charakterisierten Grenzgebietes aufzuzeigen: Die Untersuchung bestimmt und analysiert die Praktiken des Gedenkens der slowenischen Minderheit in Italien. Die Betrachtung wird sich hauptsächlich auf die Gedenkfeiern für den italienischen Unbekannten Soldaten im Jahr 1921 beziehen, als sich das Ende des Ersten Weltkriegs und der italienische Sieg zum dritten Male jährte. Benedict Anderson folgend sind in der modernen Kultur des Nationalismus keine faszinierenderen Symbole als die Kriegsdenkmäler und Gräber für die Unbekannten Soldaten zu finden.9
N ACHKRIEGSGEDENKEN IN I TALIEN : DER U NBEKANNTE S OLDAT Der Erste Weltkrieg hatte die Soldaten an der Front zu einer ununterscheidbaren kämpfenden Masse werden lassen. Dieser Massencharakter äußerte sich auch in der Praxis des Gedenkens, die dem Krieg folgte. Das Symbol dieser neuen Art des Gedenkens ist die Figur des so genannten Unbekannten Soldaten, die sicherlich eine der ersten Formen persönlicher und kollektiver Trauerverarbeitung und -bewältigung darstellte.10 Durch die Errichtung der dem Unbekannten Soldaten
8
Für ein Gesamtbild der slowenischen Minderheit in Italien vgl. Milica Kacin-Wohinz und Jože Pirjevec: Storia degli sloveni in Italia 1866-1998, Venezia 1998. Die darauf folgende Übersetzung ins Slowenische wurde bis in das Jahr 2000 erweitert: Milica Kacin-Wohinz und Jože Pirjevec: Zgodovina Slovencev v Italiji 1866-2000, Ljubljana 2000. In den beiden genannten Werken findet sich auch eine umfassende Bibliographie zur slowenischen Minderheit in Italien, auf die ich an dieser Stelle verweisen möchte.
9
Vgl. Anderson: Imagined Communities, S. 9.
10 Vgl. Mario Isnenghi: La Grande Guerra, in: Ders. (Hg.): I luoghi della memoria. Strutture ed eventi dell’Italia unita, Roma/Bari 1997, S. 273-309.
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gewidmeten Grabmonumente wollte man der Gesamtheit aller gefallenen Soldaten und nicht nur eines Einzelnen gedenken.11 Die ersten waren die Engländer mit dem Grab für den Unbekannten Soldaten in der Westminster Abbey und die Franzosen mit dem Triumphbogen, unter dem die Gedenkfeiern für die gefallenen Soldaten zwei Jahre nach dem Ende der militärischen Auseinandersetzungen, also 1920, stattfanden. Ein Jahr später folgte, zeitgleich mit den Vereinigten Staaten, Italien. Im Mittelpunkt der Feierlichkeiten, die anlässlich des dritten Jubiläums des Sieges im gesamten Land stattfanden, stand die Errichtung eines Grabmonuments, das dem Unbekannten Soldaten gewidmet werden sollte. Obwohl jeder Staat einen eigenen Kodex für diese Gedenkfeiern entwickelte, waren einige Aspekte, wie eben die Zentralität des Unbekannten Soldaten, universal.12 In Italien entschied man sich, elf Körper von Soldaten zu exhumieren, die im ehemaligen Frontgebiet – von Rovereto über die Dolomiten, Görz und am unteren Isonzo (Soþa) entlang bis zum Adriatischen Meer – gefallen waren. Einer von diesen wurde ausgewählt und unter dem ,Vaterlandsaltar‘, dem gigantischen Nationaldenkmal für Vittorio Emanuele II. in Rom, begraben.13 Während sich in der Hauptstadt Rom der Höhepunkt der Gedenkfeiern am 4. November abspielte, hatte in den Tagen zuvor das Augenmerk auf den ,neuen Provinzen‘ gelegen. Von Udine aus über Görz und Aquileia – symbolische Orte des kriegerischen Leidens – führte ein mit Kränzen, Bändern und Trikoloren geschmückter Zug die Leiche des Unbekannten Soldaten über das Land und hielt in allen größeren Bahnhöfen an. Die an den Gleisen versammelten Menschenmengen konnten den Sarg, der auf einem offenen Wagen fuhr, berühren, was die Mechanismen der Identifizierung und Aneignung der Symbolik des Unbekannten Soldaten noch verstärkte.14 Es war die Absicht der Organisatoren, den Unbekannten Soldaten in den Gedenkfeiern am 4.
11 Vgl. R. John Gillis: Memory and Identity: The History of a Relationship, in: R. John Gillis (Hg.): Commemorations. The Politics of National Identity, Princeton 1994, S. 3-24. 12 Vgl. Jay Winter: Sites of Memory, Sites of Mourning. The Great War in European cultural history, Cambridge 1995, S. 82. 13 Zu einer Funktionsanalyse des ,Vaterlandsaltars‘ vgl. Bruno Tobia: L’Altare della patria, Bologna 1998. 14 Vgl. Vito Labita: Il Milite Ignoto. Dalle trincee all’Altare della patria, in: Sergio Bertelli und Cristiano Grottanelli (Hg.): Gli occhi di Alessandro. Potere sovrano e sacralità da Alessandro Magno a Ceauúescu, Firenze 1990, S. 120-153.
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November in einem imposanten, feierlichen und vor allem nationalen Ton zu verherrlichen.15 Um die Gedenkfeiern auf das gesamte nationale Territorium auszuweiten, wurden Unterkomitees eingesetzt, die zusammen mit dem zentralen Veranstalter in Rom Gedenkfeiern auf lokaler Ebene organisieren sollten. Solche lokalen Komitees setzten sich aus Vertretern der bürgerlichen, militärischen und kirchlichen Behörden sowie aus repräsentativen Persönlichkeiten der lokalen Ebene zusammen. In dem öffentlichen Aufruf, den das zentrale Organisationskomitee am 30. September 1921 veröffentlichte und das später als Plakat gedruckt wurde, war zu lesen: „In jeder Gemeinde, in jedem Dorf Italiens werden alle Italiener zeitgleich am Tag und zur Uhrzeit der Beisetzung in Rom, in Erinnerung an den Triumph der Waffen, der das Vaterland in seinen unverletzlichen irdischen Grenzen vervollkommnet hat, in Erinnerung an den Unbekannten Soldaten, das unbeschreibliche Opfer der besten unserer Söhne rühmen“.16
Nach der Annexion ehemaliger österreichischer Gebiete vonseiten Italiens befanden sich über ein Million Menschen unterschiedlicher Staatsangehörigkeit innerhalb dieser ,unverletzlichen irdischen Grenzen des Vaterlandes‘. Was war ihre Reaktion auf diese Gedenkfeiern? Wie reagierten diejenigen, die Italien nicht für ihr Vaterland hielten, geschweige denn dafür gekämpft hatten, dass es in seinen unverletzlichen Grenzen vervollkommnet würde? Obgleich das Zentralkomitee dazu aufgerufen hatte, die Zeremonien in Anbetracht des von der Nation gebrachten Opfers zwar festlich zu begehen, sie zugleich aber, aus Respekt vor den im Krieg gefallenen Soldaten, schlicht zu gestalten, waren die Erzählweisen und die dazugehörende Symbolik meist von nationalistischen Inhalten geprägt.17 Die italienischen Eliten waren nicht die ersten, die neue Formen kollektiven Gedenkens entwarfen, wodurch sie der generellen Trauer eine ideologische Funktion gaben und damit eine einheitliche, na-
15 Vgl. ebd., S. 131. 16 Archivio di Stato di Trieste (AST), Commissariato Generale Civile della Venezia Giulia (CGCVG), Atti Generali (AG) (1919-1922), busta (b.) 2039, Onoranze al Soldato ignoto. 17 Zum offiziellen Gedenken in der Nachkriegszeit siehe T. G. Ashplant, Graham Dawson und Michael Roper: The politics of war memory and commemoration: contexts, structures and dynamics, in: Dies. (Hg.): The politics of war memory and commemoration, London – New York 2000, S. 3-85.
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tionale Identität befördern wollten.18 Auf nationaler Ebene mangelte es nicht an Konflikten, die oftmals erbittert geführt wurden, vor allem zwischen Sozialisten, linken Organisationen und Antimilitaristen einerseits, die der offiziellen Rhetorik widersprachen, und den Initiatoren dieser Feierlichkeiten andererseits, die insbesondere in der militärischen Führungsspitze, in nationalistischen Kreisen, den Rechtsparteien, aber auch bei den Liberalen zu finden waren.19 Die große Masse, die sich in Rom auf der Piazza Venezia versammelte, bewies jedenfalls die Wirkung solcher zeremoniellen Rituale.
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Verschieben wir die Perspektive vom rein nationalen Kontext auf jene kürzlich eroberten Gebiete, die zur Peripherie der Nation wurden und die die ,heiligen Grenzen‘ des neuen Staats darstellten, so zeigt sich, dass hier die politischideologischen Diskrepanzen von nationalen überlagert wurden bzw. mit ihnen zusammenfielen: Tatsächlich stellt die Linie, die von den Dolomiten bis zum Isonzo (Soþa) verläuft und sich von der karstigen Hochebene bis zum adriatischen Meer verlängert, nicht nur die vorderste Frontlinie, sondern in vielen Fällen auch die ethnische Grenze des Gebietes dar. In dieser Region hatten die Schlachten der italienischen Armee stattgefunden und Namen wie Carso (Karst), Gorizia (Görz), Piave, Bainsizza, Sabotino und Podgora, die bis dahin den meisten unbekannt gewesen waren, avancierten in der italienischen Öffentlichkeit zu heiligen Orten, die man erobern und vom fremden Joch befreien musste. Deshalb hatten in diesem Zusammenhang die Gedenkfeiern und die zur Erinnerung an die im Krieg gefallenen Soldaten errichteten Denkmäler nicht nur eine Gedächtnisfunktion, sondern wurden zu Stätten der nationalen Territoriumsmarkierung.20 In diesem Sinne war die Funktion der Denkmäler der nationalen Identität des Ortes symmetrisch entgegengesetzt. „Je auffälliger die Monumente, umso labiler zeigt sich die nationale Identität des Ortes, insbesondere in den sprachlich gemischten Gebieten“, schreibt Franco Ceccotti.21 Deshalb sind auch die jeweiligen Gedenk-
18 Vgl. Paul Connerton: Come le società ricordano, Roma 1999, S. 61. 19 Antonio Sema: Le celebrazioni della vittoria, in: Qualestoria, 1-2/1986, S. 176-188. 20 Patrizia Dogliani: Redipuglia, in: Mario Isnenghi (Hg.): I luoghi della memoria. Simboli e miti dell’Italia unita, Roma/Bari, S. 375-389. 21 Franco Ceccotti: Grande guerra e memoria locale, in: Ders. (Hg.): „Un esilio che non ha pari“. 1914-1918 Profughi, internati ed emigrati di Trieste, dell’Isontino e dell’Istria, Gorizia 2011, S. 11-23, hier: 11.
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rituale, die sich auf diese Denkmäler bezogen, sie ergänzten und nicht zuletzt durch sie verkörpert wurden, nicht als bloße Gedenkveranstaltungen zu verstehen; vielmehr waren sie tragendes Element, um die nationale Identität zu formen, und – in den national heterogenen Gebieten – Moment des nationalen Einund/oder Ausschlusses. In Triest – neben Trient einer der Symbolorte der verwirklichten ,Befreiung‘ – gipfelten solche Initiativen in der Umgestaltung des Colle di San Giusto, dem historischen Stadtzentrum Triests, auf dem sich die städtische Kathedrale erhebt; jene Initiative sah unter anderem die Errichtung eines der italienischen Armee und ihren Triester Freiwilligen gewidmeten Denkmals vor.22 Im Mittelpunkt der Kriegserzählungen und Gedenkfeiern standen aber vor allem Görz, die Città-martire (Opferstadt) und ihre Umgebung, die in den Kriegsjahren zum Schlachtfeld geworden war. Genau hier entstanden in den folgenden Jahren die Zone sacre (heilige Zonen) und verschiedene Gedächtnisparks.23 Wenn auf staatlicher Ebene Initiativen gefördert wurden, die eine Verbindung zwischen dem Opfer gefallener Soldaten und der italienischen Nation in ihrer Gesamtheit herstellen sollten, ist es wichtig, die Reaktionen auf lokaler Ebene zu analysieren, vor allem jene in den neuen, ,erlösten‘, ehemals österreichischen Gebieten, wo die Bevölkerung, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit, meist dem österreichischen Kaiser treu geblieben (oder zumindest nicht gegen ihn eingestellt) war und sogar oftmals in seiner Armee gekämpft hatte. Viele von ihnen wurden zwar an die östliche Front nach Galizien geschickt, aber nicht wenige kämpften auch gegen die italienischen Gebirgsjäger in den Dolomiten.24
22 Rolf Wörsdörfer: Il confine orientale. Italia e Jugoslavia dal 1915 al 1955, Bologna 2009, S. 42-43. 23 Diese Initiativen waren notwendig, um einen Mythos zu schaffen, der die kriegerische Erfahrung mit positiven Elementen besetzen konnte, indem die Grausamkeiten des Todes auf den Schlachtfeldern eliminiert und der Wert des gebrachten Opfers hervorgehoben wurde. Vgl. George Mosse: Le guerre mondiali. Dalla tragedia al mito dei caduti, Roma/Bari 2007, S. 7. 24 Zu den slowenischen Erfahrungen im Ersten Weltkrieg vgl. vor allem Marte Verginella: Der Erste Weltkrieg und die Slowenen, in: Andreas Moritsch (Hg.): Alpen-Adria. Zur Geschichte einer Region, Klagenfurt/Ljubljana/Wien 2001, S. 417-421; Peter Vodopivec und Katja Kleindienst (Hg.): Velika vojna in Slovenci, Ljubljana 2005; Walter Lukan: Habsburška monarhija in Slovenci v prvi svetovni vojni, in: Zgodovinski þasopis, 1-2/2008, S. 91-149; Igor Grdina: Svetovna vojna ob Soþi, 1. Evropski zaplet, Ljubljana 2009. Zu den Erfahrungen der Triester Soldaten vgl. Marina Rossi: Irredenti
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In der italienischen Kriegsrhetorik der Nachkriegszeit waren jene Überläufer aus den österreichischen Gebieten von großer Bedeutung, die sich der italienischen Armee angeschlossen und für sie gekämpft hatten. Allerdings war ihre Zahl weitaus geringer als jene der zweitausend Freiwilligen, die von der nationalistischen Hagiographie propagiert wurden. Dies muss kein Indikator für den Zugehörigkeitswillen der lokalen Bevölkerung sein, jedoch zeigt sich, dass der größte Teil der Bevölkerung weitaus andere Erfahrungen gemacht hatte als jene Freiwilligen, die sich der italienischen Armee angeschlossen hatten.25 Wenn sich aber die lokale Erfahrung so sehr vom einheitlichen Bild und von der einseitigen Deutung der nationalistischen Rhetorik unterschied, die bei den Gedenkfeiern in der Nachkriegszeit zum Ausdruck kamen, wie war dann die Reaktion der Bevölkerung auf diese Form der Gedenkfeiern, die das Opfer der italienischen Nation als homogenem und in sich geschlossenem Kern in den Mittelpunkt rückten?
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SLOWENISCHE M INDERHEIT UND DER U NBEKANNTE S OLDAT Der folgende Teil dieses Beitrags untersucht also die Reaktionen der slowenischen Bevölkerung auf die Gedenkfeiern für den Unbekannten Soldaten im Jahr 1921. Es waren hauptsächlich die Slowenen – neben anderen nationalen Minderheiten, wie vor allem die deutsche –, auf die die nationale Vereinheitlichungspolitik des italienischen Staates zielte. Im neu entstandenen Kontext halfen die Gedenkveranstaltungen „[to] establish the cultural characteristics of the ,self‘ and the ,other‘, especially at times when one group challenges another for political dominance“.26 Es ist daher von besonderem Interesse, die Reaktion einer nationalen Gemeinschaft, der slowenischen in diesem Fall, auf die Praxis des Gedenkens zu analysieren. Wie reagierte also die slowenische Bevölkerung, die als antinational gebrandmarkt wurde, auf diese Gedenkfeiern, die eine deutlich nationalisierende Funktion hatten?
giuliani al fronte russo. Storie di ordinaria diserzione di lunghe prigioni e di sospirati rimpatri (1914-1920), Udine 1998. 25 Fabio Todero: Morire per la patria. I volontari del „Litorale austriaco“ nella Grande guerra, Firenze 2005, S. 22. 26 Maria Bucur und M. Nancy Wingfield: Introduction, in: Dies. (Hg.): Staging the Past: The Politics of Commemoration in Habsburg Central Europe, West Lafayette 2001, S. 1-10.
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In den beiden dem Untersuchungsjahr 1921 vorangegangenen Jahren weckten die Gedenkfeiern zum Kriegsende kein besonderes Interesse. Am 1. November 1919, anlässlich des ersten Jubiläums, war im Zentralorgan der slowenischen liberal-nationalen Partei der Region, Edinost, zu lesen, dass die Feier „nicht unsere war“.27 Andere Blätter waren kritischer: Die Goriška straža (Die Görzsche Wache) beschuldigte den Staat, dass er, trotz des Beitrags der slawischen Gruppen zum Sieg Italiens gegen Österreich, die Rechte der slowenischen Bevölkerung nicht anerkenne, während die in Zagreb in italienischer Sprache erscheinende Zeitung L’Adriatico Jugoslavo der italienischen Regierung vorwarf, innerhalb eines Besetzungsjahres so viel Hass geschürt zu haben wie Österreich innerhalb eines Jahrhunderts.28 Solche Erzählmuster waren typisch für die ungewisse Zeit vor Abschluss des Grenzvertrages von Rapallo, aber die Stellung der slowenischen politischen Elite änderte sich auch nach Vertragsabschluss und der de jure-Festlegung der neuen italienisch-jugoslawischen Grenze nicht wirklich. Obwohl man polemische Töne zu entschärfen versuchte, kam Edinost immer wieder auf die Nichtbeteiligung der slowenischen Bevölkerung an den Gedenkfeiern für den Unbekannten Soldaten zu sprechen, so auch im Jahr 1921. Auch wenn man im grundsätzlichen Rahmen der Loyalität zu den neuen italienischen Autoritäten blieb, so wurde doch unterstrichen, dass es sich um eine ausschließlich italienische Gedenkfeier gehandelt habe. Da es keinen narrativen Kodex gab, der eine Alternative zu jenem offiziellen dargestellt hätte, forderte die Edinost ihre Leser dazu auf, sich lieber den Lebenden zu widmen, und meinte damit
27 Edinost, 1.11.1919, S. 1. 28 Goriška straža, 4.11.1920, S. 1; L’Adriatico Jugoslavo, 5.11.1919, S. 1. Das Beispiel der Goriška straža ist auch insofern interessant, als dass der slawische und nicht der slowenische Begriff verwendet wird, wenn Bezug auf Formationen genommen wird, die zur italienischen Armee überliefen. So konnte man Soldaten der österreichischungarischen Armee anderer slawischen Nationalitäten mit einbeziehen. Das galt vor allem für die Tschechen, die, anders als die slowenischen Soldaten, zahlreich zu den Armeen der Entente überwechselten. Nur so konnte man eine Rhetorik dieser Art legitimieren und die Slowenen als Gegner des Habsburger Regimes darstellen. Als Beispiel für die Zusammenarbeit zwischen tschechischen und slowenischen Fahnenflüchtigen betrachte man den Fall des Slowenen Ljudevit Pivko, Hauptmann der k. u. k.Armee, der in Carzano, in den Dolomiten, zusammen mit seinen Soldaten zur italienischen Armee überlief. Seine Memoiren, die in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts verfasst wurden, sind jetzt auch in italienischer Sprache verfügbar. Ljudevit Pivko: Abbiamo vinto l’Austria-Ungheria: la Grande Guerra dei legionari slavi sul fronte italiano, Gorizia 2011.
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insbesondere die Kriegswaisenkinder. „So“, betonte die Zeitung wenige Tage vor Beginn der Feierlichkeiten nachdrücklich, „werden wir das Denkmal für die jugoslawischen Gefallenen des Küstenlands errichten“.29 Wenige Tage darauf, als die Gedenkfeiern bereits begonnen hatten, mäßigte die Zeitung ihren Ton und schrieb: „Ehre dem Unbekannten Soldaten“.30 Jegliche nationale und erst recht nationalistische Zuschreibung wurde jedoch vermieden und der Schwerpunkt eher darauf verlagert, dass der Unbekannte Soldat ein „unbekannter Mann“ gewesen sei, „der das eigene Leben für den Sieg der Gerechtigkeit opfern wollte“.31 Ähnlich gestaltete sich auch die Erzählweise der Sozialisten und der Arbeitervereinigungen, die ebenfalls nicht die nationalistischen Aspekte stark machte. Die Idee des Unbekannten Soldaten wurde hier in einem gemeinschaftlichen Sinne neu gedeutet: Im Gegensatz zur offiziellen Rhetorik, in der Persönlichkeiten hohen Ranges verherrlicht wurden, wollte man vielmehr die Opferbereitschaft des Infanteristen, des einfachen Soldaten, aufwerten. Mit dieser ,Demokratisierung der Opfer‘ stellten die Sozialisten und später Kommunisten – seien es nun italienische oder slowenische – das Mitleid für die gefallenen Kameraden in den Mittelpunkt des Interesses und bekämpften jegliche patriotische Haltungen, indem sie den Krieg als „zynisches Massaker am Proletariat“ deuteten.32 Die Situation ist daher alles andere als eindeutig und eine viel zu vereinfachende Reduktion durch die Zweiteilung in eine in Gedenken und Erinnerung getrennte ,fremdstämmige‘ Bevölkerung einerseits und italienische Bevölkerung andererseits ist daher unmöglich. Eine tiefer gehende Analyse bringt in der Tat bisweilen widersprüchliche Daten und Tendenzen hervor, die ihrerseits den Weg zu neuen Fragen und abweichenden Interpretationen öffnen. Obwohl sich eine weitgehende Gleichgültigkeit seitens der Mehrzahl der slowenischen Bevölkerung zeigt – die, sofern sie an den Feiern teilnahm, diese als allgemeines Gedenken an die eigenen Toten deutete –, gab es durchaus Differenzen zwischen den einzelnen Gebieten der Region. Diese Unterschiede waren vor allem in unmittelbarer Nähe der ,ethnischen Transversale‘, die die Region teilte – beispielsweise im Gebiet um Görz und insbesondere in Istrien – sehr markant. In der Görzer Umgebung, wo vor allem Slowenen lebten, „fanden keine besonderen Trauerfeiern für den Unbekannten Soldaten statt, weil sie zum ei-
29 Edinost, 26.10.1921, S. 1. 30 Edinost, 30.10.1921, S. 2. 31 Edinost, 3.11.1921, S. 1. 32 Jessica Wardhaugh: Fighting for the Unknown Soldier: The Contested Territory of the French Nation in 1934-1938, in: Modern & Contemporary France, 2/2007, S. 185201.
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nen von den Trauerzügen nicht durchquert wurden, zum anderen weil die slawische Bevölkerung den Umzügen und den religiösen Feiern fernblieb, als würden sie diese gar nichts angehen“.33 In Istrien, wo der italienische Bevölkerungsanteil sehr hoch war und die nationalen Spannungen im Vergleich zu anderen Gebieten in den ,neuen Provinzen‘ ausgeprägter waren, hatten auch die Gedenkfeiern einen weitaus nationaleren Charakter. Auch die lokalen Autoritäten und Komitees setzten sich für ostentativ nationale Gedenkfeiern ein. In vielen Fällen gehörten zu den Gedenkfeiern neben den Kämpfer- und Veteranenvereinigungen auch Orchester, Schülergruppen und lokale Sektionen der Fasci di combattimento. Die Kleinstadt Mali Losinj etwa war mit Trikoloren geschmückt, die Kinder sangen Lieder des Ersten Weltkriegs und eine Kapelle aus dem Ort spielte La Leggenda del Piave, jenes Lied, das Mario Isnenghi als „italienische Marseillaise“ des Ersten Weltkriegs bezeichnet hat.34 Bei dieser Gelegenheit wurde auch ein Gedenkstein aufgestellt.35 Auch die Gedenkfeiern in Rovinj sollten als erster Schritt zur Errichtung eines Denkmals für die italienische Befreiung der kleinen Stadt verstanden werden.36 In diesem Fall zeigt sich deutlich der nationale Charakter der Gedenkfeiern, der auch am Beispiel Pula bestätigt wird, wo der Zivilkommissar mitteilte, dass die „Veranstaltung große politische und nationale Bedeutung gewonnen hat“.37 Die Quellen deuten darauf hin, dass in diesen Fällen die slowenische (und kroatische) Bevölkerung es meist vermied, an den Gedenkfeiern teilzunehmen, vor allem in jenen Gebieten, in denen die beiden ethnischen Gruppen (die italienische und die slowenische oder die italienische und die kroatische) numerisch gleichwertig waren. Beispielhaft ist der Fall von Buzet, wo die Kinder der „slawischen Schulen“ – wie die Quellen behaupten – es vermieden, an den Feierlichkeiten teilzunehmen.38 Dort wo ein bedeutender Teil bis hin zur Mehrzahl der Bevölkerung italienischer Abstammung war, konnten die Komitees die Feierlichkeiten gemeinsam mit den örtlichen Behörden und Militärs ohne Schwierigkeiten umsetzen, auch wenn sie sich dem Widerspruch der politischen Gegner, der Sozialisten und Arbeiterorganisationen, ausgesetzt sahen. ,Kontaktgebiete‘, die ethnisch gemischt oder mehrheitlich slowenisch waren (beziehungsweise andere Gebiete Julisch
33 AST, CGCVG, AG (1919-1922), b. 288, doc. n. 1009, 14.11.1921. 34 Mario Isnenghi: Le guerre degli Italiani. Parole, immagini, ricordi 1848-1945, Milano 1995, S. 97. 35 AST, CGCVG, AG (1919-1922), b. 288, documento numero 1522, 5.11.1921. 36 AST, CGCVG, AG (1919-1922), b. 288, documento numero 5069/21, 7.11.1921. 37 AST, CGCVG, AG (1919-1922), b. 288, documento numero 1602/Gab, 5.11.1921. 38 AST, CGCVG, AG (1919-1922), b. 288, documento numero 2484, 12.11.1921.
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Venetiens, die mehrheitlich kroatisch waren, wobei die italienischen Autoritäten diesen Teil der Bevölkerung ohne Unterschiede als slawisch oder bestenfalls jugoslawisch ansahen – Bezeichnungen, die zudem oft als Synonyme verwendet wurden), lehnten die Bildung lokaler Gedenkkomitees ab. Die italienischen Autoritäten beharrten ihrerseits nicht darauf, um, mit den Worten des Zivilkommissars in Görz, Gaetano Gottardi, „keinen gegenteiligen Effekt auszulösen“. Der Zivilkommissar in Volosko, in der Kvarner-Bucht (Quarnero), berichtet in der Tat, dass er es nicht für nötig hielte – auch wenn solche Komitees im Küstengebiet, wo es kleinere, kompakte italienische Besiedlungen gab, wirksam organisiert wurden –, „in besonderer Weise darauf zu drängen“, dass solche Komitees auch in den vollständig von kroatischer Bevölkerung bewohnten Gemeinden des Hinterlands tätig würden.39 Ganz anders zeigt sich hingegen die Situation in den ethnisch homogenen slowenischen Gebieten, wo der Kontakt mit der italienischen Bevölkerung auf die militärischen Einheiten und die neue Verwaltung beschränkt war. In diesen Regionen nahm die Bevölkerung in den meisten Fällen an den Gedenkfeiern teil. Ein Beispiel hierfür ist die Stadt Tolmin, deren Zivilkommissar Giordano schrieb, dass an den Feiern „die gesamte Bevölkerung, gleich welcher Partei oder Nationalität“ teilnahm.40 Es wäre aber falsch zu vermuten, dass sie das tat, um den in ganz Italien gefeierten Unbekannten Soldaten zu ehren: Wie der Zivilkommissar in Postumia, Cavalli, schon damals bemerkte, „nahm die Bevölkerung an der Gedenkfeier mit tiefem Empfinden teil, maß ihr aber die Bedeutung eines allgemeinen Kriegsopfergedenkens bei“.41 Wir können aus der hier vorgelegten Analyse schlussfolgern, dass eine Betrachtung der slowenischen Minderheit in Italien als geschlossene und gleichförmige Einheit zu oberflächlich ist. Es mag zweifellos gemeinsame Merkmale geben, interessanter ist jedoch, dass die slowenische Bevölkerung in den ‚Kontaktgebieten‘, wo man bei einer Teilnahme an den Gedenkfeiern sich als Unterstützer der ,Anderen‘ sah, es in den meisten Fällen vermied, den Feierlichkeiten beizuwohnen (und wahrscheinlich lässt sich dieses Urteil auch auf die mehrheitlich kroatisch bewohnten Gebiete übertragen). In jenen Gebieten, wo die ,Anderen‘ hingegen nicht als potentielle Gegner wahrgenommen wurden, das heißt, wo der italienische Staat lediglich von einer militärischen Einheit und dem Verwaltungspersonal repräsentiert wurde, aber nicht in der Gegend gleichsam ,verwurzelt‘ war, stand einer Teilnahme ohne Vorbehalte an den Gedenkfeiern
39 AST, CGCVG, AG (1919-1922), b. 288, documento numero 872/11, 20.10.1921. 40 AST, CGCVG, AG (1919-1922), b. 288, documento numero 2206/Gab, 5.11.1921. 41 AST, CGCVG, AG (1919-1922), b. 288, documento numero 1257/1, 14.11.1921.
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nichts entgegen. Nicht zu vernachlässigen ist jedoch folgende Tatsache: Wenn die Slowenen in Julisch Venetien an den Gedenkfeiern für den Unbekannten Soldaten teilnahmen, so hielten sie sich wohl an die vom italienischen Staat verlangten ästhetischen Formen und formalen Ansprüche, als Ausdruck der Loyalität gegenüber den neuen Machthabern, maßen ihnen jedoch vollkommen andere als nationale Inhalte zu. Ähnlich wie in anderen, von nationalen Spannungen gekennzeichneten Gebieten, wie etwa Transsilvanien, „the war dead didn’t speak to universal ideals of heroism and sacrifice, and ethnic communities did not extend their feelings of pain and loss empathetically toward their neighbours of other ethnicities“.42 Übersetzung: Maike Heber und Gloria Marchesi
42 Maria Bucur: Heroes and Victims. Remembering War in Twentieth-Century Romania, Bloomington-Indianapolis 2009, S. 67.
Die Triest-Frage J OŽE P IRJEVEC
Liegt Triest auf dem Balkan oder nicht? Die Triestini würden es hitzig verneinen, trotz aller geographischen und sogar historischen Beweise. Beginnend mit dem 18. Jahrhundert, als die kleine Küstenstadt am oberen Ende der Adria vom Habsburger Kaiser Karl VI. als der Haupthafen Mitteleuropas zum Mittelmeer gewählt wurde, war Triest sehr stark mit dem Balkan verbunden. Durch die erhaltenen wirtschaftlichen Privilegien und religiösen Freiheiten wurde die Stadt für viele aus den osmanischen Gebieten kommende Griechen, Kroaten, Serben, Montenegriner, Albaner und Juden attraktiv. Anfang des 18. Jahrhunderts hatte Triest etwa 5.000 Einwohner; Ende des Jahrhunderts waren es schon 30.000; Ende des folgenden Jahrhunderts erreichte es bereits 230.000 Einwohner und war somit nach Marseille der zweitwichtigste Mittelmeerhafen. Die Niederlassung so vieler ethnischer Gruppen, neben Italienern, Friaulern, Slowenen, Deutschen und Böhmen, schuf eine kosmopolitische Gesellschaft, in der, wie der dalmatinische Schriftsteller Niccolò Tommaseo in den Dreißigerjahren des 19. Jahrhunderts geschrieben hat, „der Handel in seinen Tausend Zungen sprach“.1 Die Koiné dieses Menschenagglomerats war Venezianisch, jahrhundertelang die Handelssprache im östlichen Mittelmeerraum. Bis zur Revolution 1848, die die Donaumonarchie beinahe zerstörte, schienen die verschiedenen ethnischen Gruppen friedlich koexistieren zu können, da es ja ihr Hauptinteresse war, einen wirtschaftlichen Erfolg zu erreichen. Das Jahr 1848 war ein Wendepunkt. Das Risorgimento erweckte in Triest beim lokalen Bürgertum, auch wenn es gar nicht italienischstämmig war, italienische nationale Gefühle. Das gilt insbesondere für die jüdische Gemeinschaft. Auf der anderen Seite erfuhren die Slowenen, die Triest an der Landseite bevöl-
1
Jože Pirjevec: Niccolò Tommaseo tra Italia e Slavia, Venezia 1977, S. 67.
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kerten und geschlossen in seinen Vorstädten lebten, ein nationales Erwachen und begannen, politische und kulturelle Rechte einzufordern, was mit den Interessen der herrschenden Klasse kollidierte. Das Ergebnis war ein ethnischer Konflikt, der bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges andauerte. In dessen Verlauf kamen drei verschiedene Projekte hinsichtlich der Zukunft Triests auf. Die Irredentisten, wie sie sich selber nannten, sahen Triest als Sprungbrett für die weitere Expansion Italiens an der Adria, auf dem Balkan und im östlichen Mittelmeer, wo es die beherrschende Rolle, die in diesem Raum die Venezianische Republik gespielt hatte, wieder aufnehmen sollte. Die slowenischen Liberalen, aber auch Kroaten und andere Slawen, forderten die Schaffung einer dritten Entität neben Österreich und Ungarn in der Donaumonarchie – die jugoslawische – mit Triest als Haupthafen. Die Sozialdemokraten, im lokalen italienischen und slowenischen Proletariat vertreten, sahen Triest als freie Stadt im Rahmen eines großen mitteleuropäischen Staates, in dem verschiedene Nationalitäten in Harmonie und gegenseitigem Respekt würden zusammenarbeiten können. Das Ergebnis des Ersten Weltkrieges entschied zugunsten der ersten Option. Italien besetzte als Siegermacht im November 1918 Triest mitsamt Umland. Die Stadt wurde als Kriegsbeute gesehen, die einen hohen Blutzoll verlangt hatte. Der Umstand, dass innerhalb seiner Grenzen etwa 350.000 Slowenen und 150.000 Kroaten lebten, störte die herrschenden Eliten nicht, die sich selbst als Erben einer zweitausend Jahre alten Kultur sahen und einen Haufen slawischer Bauern überwältigen und leicht assimilieren würden. Sie wussten nicht, dass diese Slawen, anders als italienische Bauern, lesen und schreiben und somit Widerstand leisten konnten. Es ist fraglich, was geschehen wäre, wenn es dem italienischen Imperialismus gelungen wäre, seine Ziele zu erreichen und seinen Einfluss über den Balkan zu erweitern, wozu es aber nicht gekommen ist. Dies degradierte Triest von seiner zentralen Position als Haupthafen von Mitteleuropa zur Peripherie der Apenninenhalbinsel. Das Ergebnis war ein unaufhaltsamer Niedergang seiner wirtschaftlichen Bedeutung und ein wachsender Widerstand der slowenischen und kroatischen Bevölkerung gegen die Enteignungspolitik des italienischen Staates. Die Unterdrückung wuchs seit Oktober 1922 deutlich an, als die Faschisten unter der Führung Benito Mussolinis an die Macht kamen. Sie wandten in Julisch Venetien, wie das österreichische Küstenland genannt wurde, den so genannten fascismo di frontiera an – Grenzfaschismus – eine Mischung aus totalitärem Populismus und extremem Nationalismus mit einem Hauch von Rassismus. Die slowenischen und kroatischen kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Infrastrukturen wurden zerstört, Familiennamen geändert, Intellektuelle vertrieben. Das Ziel war es, das Land so bald wie möglich zu italianisieren
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und Triest von einem kosmopolitischen Zentrum zu einer monoethnischen, vollkommen italienischen Stadt – Trieste italianissima – zu machen.2 Die Slowenen reagierten unter anderem auch mit Gewalt, die sich bereits in der zweiten Hälfte der Zwanzigerjahre verbreitete und bis zum Beginn der Vierzigerjahre dauerte. Sie setzte sich unter der Führung der ,Befreiungsfront‘ fort, wie die slowenische Widerstandsorganisation gegen die Italiener und Deutschen genannt wurde. Mit dem Überfall auf Jugoslawien im April 1941 und seiner Zerstückelung versuchten die Faschisten ein letztes Mal, Italiens imperialistische Ziele auf dem Balkan umzusetzen, ohne sie allerdings erreichen zu können. Ihr Regime brach im Juni 1943 nach der anglo-amerikanischen Invasion in Sizilien zusammen. Im folgenden September war Italien gezwungen zu kapitulieren und einen Waffenstillstand mit den Alliierten zu unterzeichnen, wobei es die Seiten wechselte. Diesem Debakel folgte eine Spaltung des Landes. Der Süden wurde bekanntermaßen von den Anglo-Amerikanern befreit, während der Norden unter Kontrolle der Deutschen blieb, die eine Marionettenrepublik unter der Führung von Benito Mussolini gründeten. In Julisch Venetien und in der Provinz Laibach wurde von Hitler eine Militärzone geschaffen – die Operationszone Adriatisches Küstenland – unter der Verwaltung der Wehrmacht und der Gestapo. Dies schien notwendig wegen der Präsenz von slowenischen Partisanen in diesem Gebiet und wegen seiner strategischen Bedeutung an der Adria. Die Deutschen waren überzeugt, die Alliierten würden versuchen, eine Landeoperation an den adriatischen Küsten durchzuführen, um der Südflanke des Reichs einen tödlichen Schlag zu versetzen.3 In der Zwischenzeit meldeten sich die Slowenen zu Wort, mit der Forderung nach einer neuen Grenze zu Italien nach Kriegsende. Sie untermauerten diesen Anspruch mit ethnischen, aber auch politischen Argumenten, dank der Verbreitung der Befreiungsfront im Küstenland. Sie betrachteten den Fluss Isonzo (slowenisch Soþa), westlich von Triest, als ihre natürliche Grenze und die genannte Stadt als ihre eigene, trotz ihrer überwiegend italienischen Einwohnerschaft. Hatten denn nicht Lenin und Stalin gesagt, dass Städte zum Hinterland gehören, egal welche Sprache die Mehrheit ihrer Einwohner spreche? Die Slowenen wussten, dass es nicht leicht werden würde, den Isonzo zu erreichen, da Churchill selbst bei seinem Treffen mit Tito in Neapel im August 1944 Julisch Venetien für die Alliierten beanspruchte, mit dem Argument, es sei notwendig, das Gebiet zu besetzen, um eine Verbindung zwischen ihren Truppen in Italien und
2 3
Vgl. Maura Hametz: Making Trieste Italian, 1918-1954, Rochester/New York 2005. Vgl. Karl Stuhlpfarrer und Elio Apih: Le zone d’operazione Prealpi e Litorale adriatico: 1943-1945, Gorizia 1979.
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in Österreich zu schaffen. Privat sagte er sogar zu Tito, die Jugoslawen würden ein großes Stück Julisch Venetien bekommen, aber nicht Triest. Tito behielt diese Information lieber für sich, da er wusste, wie wichtig Triest in den Augen seiner slowenischen Genossen war, und ihre Reaktion fürchtete, wenn sie mit dieser unangenehmen Wahrheit konfrontiert wären.4 In den folgenden Monaten organisierten die Slowenen in Triest eine breite Untergrundbewegung und unter dem Banner des kommunistischen Internationalismus gelang ihnen sogar der Zusammenschluss des slowenischen und italienischen Proletariats. Ihr wichtigster Führer Edvard Kardelj kam im Oktober zu einem geheimen Treffen mit dem Führer der italienischen Kommunistischen Partei Palmiro Togliatti zusammen, der erklärte, er würde sich dem Anschluss von Triest an das sozialistische Jugoslawien nicht widersetzen, da es bereits klar wäre, dass Italien nach dem Krieg nicht sozialistisch sein würde. Tito selbst hielt am 15. September eine berühmte Rede, in der er erklärte, dass Jugoslawien neue Grenzen zu Österreich und Italien fordern würde. Im folgenden März organisierte er eine Sondereinheit, die 4. Armee, deren Aufgabe es war, den Fluss Soþa/Isonzo sobald wie möglich zu erreichen; und im April, während seines Aufenthalts in Moskau, gab er dem Roten Stern, der Zeitung des sowjetischen Militärs, ein Interview, in dem er den Anschluss von Julisch Venetien mitsamt Triest an das neue Jugoslawien forderte. Es war klar, dass er Stalins Zustimmung zu seinen Plänen hatte.5 Das war der Start des Rennens um Triest, bei dem zwei Armeen – die angloamerikanische und die der Partisanen – vom Balkan und von der ApenninenHalbinsel eilten, um das Ziel als Erste zu erreichen. Wo die Demarkationslinie zwischen den beiden gezogen werden sollte, war unklar, da in Jalta Churchill, Stalin und Roosevelt zu keiner Vereinbarung hinsichtlich dieser Frage gekommen waren. Technisch gesehen hatten die Alliierten, als Unterzeichner des Waffenstillstands mit Italien, das Recht, das gesamte Staatsgebiet zu besetzen, obwohl andererseits die slowenischen Partisanen bereits große Teile von Julisch Venetien kontrollierten. Es ist offen, ob man das Rennen nach Triest als eine der ersten Manifestationen des Kalten Krieges betrachten kann. Winston Churchill hielt es jedenfalls für sehr wichtig, Italien im westlichen Lager zu halten, da er jede Illusion über Jugoslawien und die Möglichkeit für den Westen, es irgendwie zu beeinflussen, verloren hatte.
4
Vgl. Jože Pirjevec: „Trst je naš!". Boj Slovencev za morje (1848-1954), Ljubljana
5
Vgl. Ders.: Tito in tovariši, Ljubljana, 2011, S. 208f.
2007, S. 266.
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Am 1. Mai 1945 befreiten die 4. Armee und das 9. Korps der slowenischen Partisaneneinheiten Triest und erreichten den Isonzo. Laut Kardelj hätten sie die Brücken über den Fluss zerstören sollen, um eine Überquerung der angloamerikanischen Truppen zu verhindern. Doch ist dies nicht geschehen, da es Tito nicht befohlen hatte. Infolgedessen konnten die Neuseeländer unter General Bernard Freyberg am nächsten Tag Triest erreichen. Seine Kräfte schlossen sich mit den Partisanen zusammen, um die letzten deutschen Widerstandsnester in der Stadt zu überwältigen, und errichteten mit ihnen später eine unbequeme Herrschaft. Die Neuseeländer kontrollierten den Hafen und die Jugoslawen den Rest der Stadt. Am 5. Mai forderte jedoch Churchill Tito auf, seine Kräfte aus dem Gebiet zurückzuziehen und behauptete, das würden die Alliierten brauchen, um die Verbindungslinien zwischen Italien und Österreich zu kontrollieren. Tito antwortete, er würde sich dieser Forderung nicht widersetzen, doch er könne nicht akzeptieren, seine Truppen von einem Gebiet, das sie befreit hatten, zurückzuziehen. Das Ergebnis war eine diplomatische Auseinandersetzung zwischen den Briten und den Amerikanern auf der einen Seite und den Jugoslawen auf der anderen, die vierzig Tage dauerte und immer schärfer wurde. Der neue amerikanische Präsident Harry S. Truman verglich Titos Landnahme sogar mit der von Hitler, Mussolini und den Japanern – ein Urteil, das von Feldmarschall Alexander, dem Oberbefehlshaber im Mittelmeerraum, in einer Anweisung an seine Truppen wiederholt wurde.6 Offenbar betrachteten die Alliierten die Kontrolle über das Gebiet von Triest als wesentlich, um ihre Macht in Norditalien zu konsolidieren, wo die kommunistischen Kräfte stark waren. Die Jugoslawen auf der anderen Seite befürchteten, dass die Angloamerikaner einen ähnlichen Schlag gegen sie planten wie jenen, der in Griechenland Ende 1944 stattgefunden hatte, um ihre Kontrolle in Slowenien und Kroatien zu sichern. In dieser Zeit war Stalins Einstellung den Jugoslawen noch gewogen. Er dachte, dass sie Triest haben sollten, angesichts der aggressiven Politik, die Italien in der Vergangenheit auf dem Balkan betrieben hatte. Doch als er feststellte, dass die Westmächte bereit waren, die Stadt und ihr Gebiet erforderlichenfalls mit militärischen Mitteln zu besetzen, entschied er sich, Tito und seine Territorialansprüche fallenzulassen. Das war ein schwerer Schlag für das Prestige des jugoslawischen Marschalls. Er reagierte mit einer Rede in Ljubljana am 25. Mai 1945, in der er betonte, das neue Jugoslawien würde kein Verhandlungsobjekt für die Großmächte sein. Stalin hatte diese Bemerkung nicht überhört und reagierte mit schwerer Kritik, die denen, die es wussten, bestätigte, wie kompliziert die Beziehungen zwischen Belgrad und Moskau bereits waren.
6
Vgl. Ders.: „Trst je naš!", S. 313.
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Jedenfalls musste Tito seine Truppen aus Triest zurückziehen und sie östlich der ‚Morgan-Linie‘ stationieren, wie die Grenze zwischen der von den Angloamerikanern besetzten Zone A und der jugoslawischen Zone B genannt wurde. Die Frage der künftigen Grenze zwischen Italien und Jugoslawien wurde zu einem zwischen den Außenministern der Großmächte heiß diskutierten Thema, als sie, beginnend im September 1945, nach einer Vereinbarung für den Friedensvertrag mit Italien suchten. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die Beziehungen zwischen Jugoslawien und dem Westen schon so verschlechtert, dass die Amerikaner und die Briten ihre Feindseligkeit gegenüber dem Tito-Regime nicht verbargen. Die Franzosen, obwohl nicht italienfreundlich, schlossen sich den beiden Verbündeten an, sodass nur die Sowjets den jugoslawischen Grenzforderungen gewogen waren. Obwohl sich die Jugoslawen später beschwerten, sie hätten als Schutzmacht nicht geschickt genug gehandelt, wäre es unfair zu sagen, dass Molotow nicht alles Mögliche getan hätte, natürlich im Einklang mit den globalen sowjetischen Interessen. Das Ergebnis einer langen diplomatischen Auseinandersetzung unter den vier Außenministern war ein Kompromiss, der die italienisch-jugoslawische Grenze nach Westen verschob (gemäß den slowenischen Wünschen), ihnen jedoch den Hafen von Triest und den Zugang zur Adria verwehrte. An der Küste zwischen den Mündungen der Flüsse Timav (ital. Timavo) und Mirna (ital. Quieto) wurde ein freies Territorium geschaffen, das unter dem Schutz der Vereinten Nationen stehen sollte. Diese Lösungen hielten sowohl Italien als auch Jugoslawien für katastrophal. Die Italiener haben dadurch fast das gesamte von ihnen nach dem Ersten Weltkrieg eroberte Julisch Venetien verloren, die Slowenen hingegen den Zugang zum Meer und zu Triest, den sie Ende des Zweiten Weltkrieges erobert hatten. Beide Seiten erklärten, sie würden den Friedensvertrag nicht unterzeichnen, obwohl sie es sich kurz vor dem für den Festakt festgelegten Datum – den 10. Februar 1947 – unter großem internationalem Druck dann doch anders überlegten. Das war vielleicht das letzte Mal, dass die Angloamerikaner und die Sowjets übereinstimmend agierten. In den nachfolgenden Monaten wurde der Kalte Krieg so heftig, dass die Westmächte sich nicht mehr sicher waren, ob die Schaffung des Freien Territoriums Triest (FTT) die richtige Lösung für sie gewesen sei. Laut Friedensvertrag hätte es am 15. September entstehen sollen. Nach diesem Stichtag hätte der Sicherheitsrat der UNO einen Gouverneur ernennen sollen, der das von den Großmächten vereinbarte Statut des FTT implementieren sollte. Vierzig Tage nach dem Amtsantritt des Gouverneurs sollten die fremden Truppen das Territorium verlassen. Angesichts der Verschlechterung der OstWest-Beziehungen entschieden sich die Angloamerikaner, die 10.000 Mann in Triest stationiert hatten, allerdings, die Stadt als Bollwerk gegen Titos Jugosla-
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wien zu halten. Um dies zu erreichen, boykottierten sie die Wahl des Gouverneurs durch den Sicherheitsrat. Später gingen sie noch weiter. Im Frühjahr 1948, kurz vor der Parlamentswahl in Italien, schlugen sie der Sowjetunion eine Revision des Friedensvertrages und die Wiedereinsetzung der italienischen Souveränität über das gesamte FTT vor, obwohl der östliche Teil des Gebiets – die so genannte Zone B – unter jugoslawischer Verwaltung stand. Dieser Zug folgte einem reinen Propagandaziel, nämlich die italienische Wählerschaft zu überzeugen, für die Christdemokraten und gegen die Volksfront, eine Koalition von Kommunisten und Sozialisten, zu stimmen. Dieses Manöver war erfolgreich, da die Democrazia Cristiana, die wichtigste prowestliche italienische Partei, so die absolute Mehrheit im römischen Parlament erreichen konnte. Doch es zeigte auch, wie schlecht die Amerikaner, die Briten und die Franzosen über die wirklichen Beziehungen zwischen Tito und Stalin informiert waren. Nur zwei Tage, nachdem sie sich an Stalin mit der so genannten ,Drei Parteien Note‘ gewandt hatten – am 18. März 1948 – ordnete er an, die sowjetischen zivilen und militärischen Instrukteure aus Jugoslawien zurückzuziehen, um seine Unzufriedenheit mit Marschall Tito und seiner Clique zum Ausdruck zu bringen. Das war der Beginn der geheimen Korrespondenz zwischen Moskau und Belgrad, die am 28. Juli mit dem Ausschluss der Jugoslawischen Kommunistischen Partei aus dem Kominform – der Familie der wichtigsten europäischen kommunistischen Parteien, die im vorangegangenen September nach Stalins Wünschen organisiert worden war – endete.7 Durch dieses Ereignis wurde alles verändert, allem voran die Bedeutung Triests in den Augen der Westmächte. Sie hatten den ideologischen und propagandistischen Wert von Titos Häresie sehr schnell verstanden, aber auch ihre strategischen Implikationen für Italien und Griechenland. Wie der italienische Botschafter in Paris sagte, war der Bruch zwischen Tito und Stalin wie ein Lotteriegewinn für Italien, da sich der Einfluss der Roten Armee um 200 Kilometer Luftlinie von seinen Grenzen entfernte – um das so genannte Laibacher Tor gar nicht zu erwähnen, den wichtigsten Übergang von Pannonien nach Norditalien, der von der jugoslawischen Armee gesichert wurde, die bereit war, gegen die Sowjets zu kämpfen im Falle ihres Ansturms gegen Westen. Das Ergebnis dieser Überlegungen war eine Annäherung zwischen Tito und den Westmächten, die bis zu Stalins Tod im März 1953 und auch darüber hinaus andauerte. Wegen der neuen Situation, die durch den Bruch zwischen Tito und Stalin entstanden war, begannen die Angloamerikaner zu überlegen, wie sie ihre
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Vgl. Ders.: Il gran rifiuto. Guerra fredda e calda tra Tito, Stalin e l’Occidente, Trieste 1990.
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Truppen aus Triest abziehen könnten, ohne weder Italien noch Jugoslawien zu schaden. Das war nicht einfach, vor allem wegen der Hartnäckigkeit der italienischen Regierung, die aus innenpolitischen Gründen an der ,Drei Parteien Note‘ festhielt und die Wiederherstellung ihrer Souveränität über das gesamte FTT beanspruchte. Sowohl für die Amerikaner und die Briten als auch für die Jugoslawen war es klar, dass die einzige machbare Lösung eine Aufteilung des Territoriums zwischen Italien und Jugoslawien sein konnte. Die beiden adriatischen Nachbarn führten Anfang der Fünfzigerjahre im Rahmen des Kalten Krieges zwischen Ost und West ihren eigenen Kalten Krieg, was sowohl Washington als auch London Sorgen bereitete, da sie an der Bildung eines Cordon sanitaire gegen die Sowjetunion im östlichen Mittelmeerraum und an der Adria interessiert waren. Im Spätsommer und Frühherbst 1953, als das Zerwürfnis zwischen Rom und Belgrad einen gefährlichen Höhepunkt erreichte, entschieden sie sich, einseitig zu handeln. Am 8. Oktober erklärten sie, ohne sich mit der italienischen und der jugoslawischen Regierung zu beraten, sie würden ihre Truppen aus Triest abziehen und die Stadt Italien überlassen. Diese Lösung war jedoch für Tito inakzeptabel, sofern sie nicht mit der Garantie verbunden war, dass die Italiener die Souveränität über die Zone B nicht weiter beanspruchen würden. Er drohte also, dass, wenn der erste italienische Soldat die Zone A betrat, die jugoslawischen Soldaten dasselbe tun würden, und befahl eine Teilmobilisierung seiner Armee. Einige Tage lang schien der Ausbruch eines bewaffneten Konflikts zwischen Italien und Jugoslawien möglich. Es setzten sich jedoch bald bessere Überlegungen durch. Nach schwierigen diplomatischen Gesprächen, die heimlich in London stattfanden, zuerst zwischen den Angloamerikanern und den Jugoslawen, und später zwischen den Angloamerikanern und den Italienern, kam es zu einem Abkommen. Laut dem von den interessierten Mächten am 5. Oktober 1954 unterzeichneten Londoner Memorandum blieb das FTT de iure am Leben, de facto jedoch wurde die Zone A Italien überlassen, während die Zone B unter jugoslawischer Verwaltung verblieb. Dies bedeutete, dass die Slowenen ihren Zugang zum Meer erhielten. Die Italiener hielten diese Lösung für provisorisch, doch den Jugoslawen wurde von den Großmächten versichert, dass sie in Zukunft keinen Anspruch hinsichtlich einer Grenzänderung unterstützen würden. Es war wichtig für die von Nikita Sergejewitsch Chruschtschow eingeleitete Entspannungspolitik, dass diese Lösung auch den Segen der Sowjetunion bekam, die zu Lebzeiten Stalins die Angliederung
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des Freien Territoriums an Italien bevorzugt hatte, um Jugoslawien aus dem Golf von Triest zu vertreiben.8
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Diese geschichtliche Einleitung war notwendig, wenn man die ungewöhnliche Geschichte der Triester Denkmäler und öffentlichen Gebäude verstehen will. Zwischen dem Ende des 18. Jahrhunderts und dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges lebte die Stadt mit dem kosmopolitischen Puls des Haupthafens der Donaumonarchie. Damals war jede ethnisch-religiöse Gemeinschaft bemüht, ihren finanziellen und sozialen Erfolg durch die Errichtung einer eigenen Kirche unter Beweis zu stellen. So kann sich die Stadt Triest mit gleich zwei orthodoxen Kirchen rühmen, einer griechischen und einer serbischen, eine prunkvoller als die andere. Gemeinsam ist beiden der augenfällige Anspruch der reichen Kaufleute beider Gemeinschaften, ihre Einbindung in die moderne Welt ihrer Zeit zu betonen. Dies führte dazu, dass die griechisch-orthodoxe Kirche des Heiligen Nikolaus (1784-1787 und 1819-1821) im neuklassizistischen Stil erbaut wurde und nach außen hin in keinerlei Hinsicht an die traditionelle byzantinische Architektur erinnert, während die serbische Kirche des Heiligen Spiridion (1861-1868) ungewöhnlich gewagt Stilelemente der letzteren mit neugotischen vereint. In rein neugotischem Stil wurde die lutherisch-evangelische Kirche im Jahre 1874 erbaut. Als sich auch die Slowenen in Triest mit ihrem eigenen Bürgertum durchsetzten, entschlossen sie sich, ihrerseits ihre Anwesenheit in der Stadt zu bekunden, allerdings nicht mit einem Sakralgebäude, so wie die anderen Gemeinschaften, sondern mit einem Palast als Antwort auf das irredentistisch geprägte Bürgertum, das nicht bereit war, sie als ebenbürtige Gesprächspartner zu akzeptieren. Deshalb wurde dem Architekten Max Fabiani aus der Wiener Schule von Otto Wagner die Aufgabe übertragen, mitten in der Stadt am großen Platz vor der lokalen Garnisonskaserne ein mächtiges Gebäude zu errichten, sozusagen eine Stadt in der Stadt, das allen Anforderungen der Gemeinschaft genügen sollte. Fabiani leistete Glänzendes: Gemäß der rationellen Ausrichtung seiner Ästhetik konzipierte er ein riesiges Gebäude, das erste polyvalente Zentrum seiner Art im damaligen Europa, in dem eine ganze Reihe von kulturellen und gesellschaftlichen Einrichtungen untergebracht war: ein Theater, eine Bibliothek,
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Siehe hierzu Diego De Castro: La Questione di Trieste I-II, Trieste 1981, sowie Rolf Wörsdörfer: Krisenherd Adria 1915-1955. Konstruktion und Artikulation des Nationalen im italienisch-jugoslawischen Grenzraum, Paderborn 2004.
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ein Restaurant, ein Kaffeehaus, ein Turnsaal, eine Bank und sogar ein Hotel. Um von einigen Privatwohnungen und Büros überhaupt nicht zu reden. Das Nationalhaus (Narodni dom) wurde 1904 mit einer großen Feier eröffnet, mit der die Präsenz des Slowenentums und des Slawentums in Triest, deren wirtschaftliche Leistung und intellektuelle Schaffenskraft dokumentiert werden sollten. Es ist kein Zufall, dass für die Ausschmückung des Gebäudes auch der große tschechische Maler Alfons Mucha herangezogen wurde, der die Strenge des Konzepts von Fabiani mit einer Reihe von Glasmalereien bereichert und aufgelockert hat.9 Die Errichtung des Slowenischen Hauses, das von den Italienern spöttelnd als ,Balkan‘ bezeichnet wurde (das war der Name des im Gebäude untergebrachten Hotels), stellte für das irredentistisch geprägte Bürgertum einen riesigen, kaum zu verdauenden Brocken dar. Weil wegen des kurialen, an das Vermögen gebundenen Wahlsystems dieses Bürgertum trotz seiner relativ geringen Anzahl die Stadt regieren konnte, wollte es natürlich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts seine Macht ausbauen und errichtete als Beweis seiner Zugehörigkeit zur italienischen Kultur auf dem Hauptplatz – einem der schönsten Plätze Europas, denn er öffnet sich zur blauen Weite der Adria – ein mächtiges Rathaus in einem leicht eklektischen florentinischen Stil. Zwei Plätze wurden überdies für mächtige Denkmäler italienischer Persönlichkeiten reserviert: Bei dem einen handelt es sich um Domenico Rossetti, einem ziemlich obskuren lokalen Patrioten, Juristen und Literaten, der Ende des 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts lebte, bei dem anderen um den großen Komponisten, Giuseppe Verdi. (Verdis Denkmal, aus weißem Marmor, wurde vom Pöbel schwer beschädigt, als Italien 1915 der habsburgischen Monarchie den Krieg erklärte. An seiner Stelle wurde nach dem Krieg eine bronzene Kopie errichtet.) Aber das genügte noch nicht. Auch die jüdische Gemeinschaft, die innerhalb dieser bürgerlichen Elite eine wichtige Rolle spielte, wollte sich mit einem eigenen Gebäude im Stadtzentrum deutlicher zeigen (die vorherigen Synagogen waren in ihrer Architektur eher bescheiden). Acht Jahre nach der Errichtung des Slowenischen Hauses entstand so kaum einen Kilometer davon entfernt eine riesige neue Synagoge, errichtet von den Architekten Ruggero und Arduino Berlam, wiederum im modernsten aller Stile, dem der Wiener Sezession mit Beimengungen einer syrisch-levantinischen Architektursprache, die den Salomon-Tempel in Jerusalem in Erinnerung rufen sollte. Und als Antwort auf das Slowenische Haus begnügten sich auch die Juden nicht bloß mit einem Sakralgebäude, sondern versahen es noch mit einer ganzen Reihe von Räumlichkeiten, welche den kulturellen und administrativen Tätigkeiten der Gemeinschaft dienen sollten.
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Vgl. Pirjevec: „Trst je naš!“, S. 47-49.
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Und die österreichische Obrigkeit? Diese errichtete eine Reihe von irgendwo zwischen der Neugotik, dem Wiener Eklektizismus des späten 19. Jahrhunderts und dem Jugendstil angesiedelten Repräsentationsgebäuden, schmückte aber die Stadt auch mit einigen Denkmälern für prominente Vertreter des Hauses Habsburg. So steht z.B. im Stadtzentrum auf einer hohen Säule die Statue von Kaiser Karl VI. als dem Gründer der modernen Stadt Triest. Diesem wurde später die Statue Leopolds I. hinzugefügt; und in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Statuen des unglücklichen mexikanischen Kaisers Maximilian (Bruder des Kaisers Franz Josef) und der ebenfalls unglücklichen Gemahlin von Kaiser Franz Joseph, Kaiserin Elisabeth, beide errichtet in Erinnerung an deren tragischen Tod. Maximilian wurde im Jahre 1867 von republikanischen Aufständischen in Mexico erschossen, Elisabeth 1898 mit einer Ahle vom italienischen Anarchisten Luigi Lucheni ermordet, während sie in Genf an Bord eines Schiffes ging, das sie zum anderen Seeufer bringen sollte. Überraschenderweise fehlen zwei Herrscher, die sehr viel für Triest getan hatten, Kaiserin Maria Theresia und ihr Sohn Josef II. Für Maria Theresia wurde erst zu ihrem 200. Todestag 1980 eine eher bescheidene Erinnerungstafel mit einer mehrsprachigen Inschrift enthüllt. Der vorletzte Habsburger Herrscher Kaiser Franz Josef wurde nach seinem Tod im Jahr 1916 zwar mit einer Büste geehrt, die allerdings nicht lange an Ort und Stelle blieb, denn die Donaumonarchie zerfiel kaum zwei Jahre später. Kennzeichnend für die Habsburger-Nostalgie vieler Triestiner ist es, dass sowohl Maximilian (der in Triest das herrliche Schloss Miramare errichtet hatte) als auch Elisabeth an die Plätze zurückgekehrt sind, welche sie bis zur italienischen Besatzung beherrscht hatten. Irgendwo in den Depots des Bürgermeisters soll noch das mächtige Denkmal versteckt sein, das am Platz der Hauptpost stand in Erinnerung an die 500-jährige Zugehörigkeit Triests zu Österreich (1382-1882). Als die Italiener Triest und das Küstenland eroberten und später nach dem Vertrag von Rapallo, der mit dem Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen im November 1920 geschlossen wurde, auch Italien anschlossen, beseitigten italienische Nationalisten zuerst die Symbole des Hauses Habsburg in der Stadt – auf ihren Säulen blieben nur Karl VI. und Leopold I. stehen – und das slowenische Haus Narodni dom, das angezündet und niedergebrannt wurde. Das geschah unter der Leitung der ersten faschistischen Schwarzhemden (ital. squadristi) bereits am 13. Juli 1920, also einige Monate vor der Unterzeichnung des Vertrages von Rapallo und zwar aus politischen Gründen, um diesen Vertragsschluss zwischen Rom und Belgrad, mit dem die italienische Regierung auf den Großteil von Dalmatien verzichten sollte, zu verhindern. Die Initiatoren der Brandstiftung – die eine große symbolische Bedeutung hatte, denn damit wurde Triest von der ,slawischen Kontamination‘ ,gereinigt‘ – wählten das konkrete
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Datum ganz bewusst, obwohl später behauptet wurde, dass es durch einen Zufall dazu gekommen sei, wegen einer blutigen Auseinandersetzung zwischen den Einwohnern von Split und Matrosen eines im dortigen Hafen ankernden italienischen Kriegsschiffes am Vortag. Der Verfasser dieses Beitrags geht davon aus, dass das Datum bewusst gewählt worden ist in Erinnerung an einen Zusammenstoss im Stadtzentrum zwischen den Angehörigen des rein slowenischen ‚Bataillons der Einwohner der Umgebung‘ und den ersten italienischen Irredentisten, der am gleichen Tag im Jahre 1868 stattgefunden hatte. Das Ereignis ist in Erinnerung geblieben wegen zweier Todesopfer – zwei zufälligen Beobachtern – die von den Italienern zu Beginn des ethnischen Kampfes mit den Slowenen hochstilisiert wurden.10 Am Ort des Zwischenfalls wurde nach dem Ersten Weltkrieg ein mächtiger Palast errichtet (Portici di Chioggia), verziert mit einer Reliefreihe mit Abbildungen von jungen, sich prügelnden nackten Männern. Als Erläuterung steht darüber eine Inschrift, die man folgendermaßen wiedergeben kann: „An dieser Stelle fand vor fünfzig Jahren der Kampf gegen den Fremden statt“. Die meisten heutigen Einwohner von Triest wissen jedoch nicht, worauf die Inschrift anspielt. Nackte Männlichkeit ist typisch für die in der Zwischenkriegszeit von den Italienern in Triest errichteten Denkmäler. In erster Linie ist in diesem Zusammenhang ein Riesendenkmal für die an der italienischen Seite im Ersten Weltkrieg im Kampf gegen Österreich-Ungarn gefallenen Triester Freiwilligen zu erwähnen, errichtet auf dem Berg des Heiligen Justus neben der gleichnamigen, dem Stadtpatron gewidmeten mittelalterlichen Basilika und der mächtigen, Anfang des 16. Jahrhunderts errichteten Burg (Die 98 Prozent der Triester, die unter der kaiserlichen Fahnen kämpften, erhielten hingegen kein vergleichbares Denkmal). Jenes vom Triester Bildhauer und frühen Faschisten Attilio Selva angefertigte Denkmal zeigt eine Gruppe von drei oder vier klassisch nackten Soldaten, die mit einer ziemlich bewegten Pathetik auf einem hohen, aus weißem Karststein gemeißelten Sockel einen gefallenen Kameraden zu Grabe tragen. Ganz nackt ist auch die Statue von Guglielmo Oberdan(k), eines Triester Deserteurs, der im Jahre 1882 ein Attentat auf Kaiser Franz Josef zu organisieren versuchte und deshalb zu Tode verurteilt und gehängt wurde. Die Irredentisten stilisierten ihn zu einem italienischen Nationalmärtyrer und errichteten ihm 1931 an jenem Ort, wo einst seine Gefängniszelle war und der nunmehr zu einer riesigen Krypta ausgebaut worden war, ein etliche Meter hohes Bronzedenkmal. Er ist abgebildet, wie er mit den Händen vor dem
10 Vgl. Josip Merkù: Okoliþanski bataljon, „Fatti di luglio“ 1868. Gradivo za zgodovino Trsta, Trst 2002, S. 108-119.
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Genitalbereich gekreuzt stolz dem Tod entgegengeht. Links und rechts ist er von zwei geflügelten weiblichen Figuren flankiert, die seinen Nachruhm ankündigen.11 Es dürfte nicht übertrieben sein, dem von den Faschisten in Triest errichteten Leuchtturm des Sieges eine phallische Bedeutung zuzuschreiben. Dieser ist 1924 vom Architekten Arduino Berlam zusammen mit dem Bildhauer Giovanni Mayer (als Bestätigung der engen Verbindung zwischen der lokalen jüdischen Gemeinschaft mit dem faschistischen Regime) errichtet worden. Die riesige, fast 70 Meter hohe Säule, gekrönt von einer Bronzelaterne und einer Kuppel, auf der die Siegesgöttin steht, wird am Fuß eines aus weißem Marmor angefertigten Matrosen bewacht, der stark an Benito Mussolini erinnert. Möglicherweise brachten gerade deshalb die slowenischen Nationalisten, Mitglieder der Organisation TIGR (Akronym für Triest, Istrien, Görz und Rijeka, die es zu befreien galt) im Jahre 1930 darunter eine Sprengladung an, die allerdings bei der Explosion keinen nennenswerteren Schaden verursachte. Wenn von den Denkmälern jener Zeit die Rede ist, gilt es – neben der für die faschistische Skulptur der Zwischenkriegszeit kennzeichnenden Virilität – auf ihre nekrophilen Züge hinzuweisen. In Triest ist in diesem Sinne der Parco della rimembranza (Erinnerungspark) auf einem Teil des Hügels des Heiligen Justus zu erwähnen. Der Park wurde mit Steinen übersät, die an Grabsteine erinnern, auf denen die Namen von ,in allen Kriegen Gefallenen‘ zu lesen sind. Für die an der Isonzofront in den Jahren 1915-1917 gefallenen italienischen Soldaten wurde außerdem in der Nähe von Triest eine Reihe von Beinhäusern errichtet. Am imposantesten ist dasjenige von Redipuglia, an der Grenze zwischen der Friaulischen Ebene und den ersten Karstausläufern. Das Sacrario militare di Redipuglia (,Soldatenheiligtum‘), eines der größten seiner Art, wurde bis 1938 vom Architekten Giovanni Greppi und dem Bildhauer Giannino Castiglioni als riesiger zypressenumrahmter Treppenaufgang errichtet, der bis zur Kuppel des im Ersten Weltkrieg blutig umkämpften Berges hinaufreicht. Unter dieser Treppe sind die sterblichen Überreste von über 100.000 gefallenen Soldaten bestattet. Am Fuße der Treppe befindet sich das Grab des Herzogs Emanuel Philibert von Savoyen, Kommandant der 3. Armee, das auf beiden Seiten von den Gräbern einiger seiner Generäle umgeben ist. Dieses ,Heiligtum‘ bildet alljährlich das Ziel von Wallfahrten, die in einer für das damalige Italien typischen Weise kirchliche Riten mit militärischen zu einer Mischung aus religiösem Patriotismus und Ver-
11 Siehe hierzu Renato de Marzi: Oberdank il terrorista, Udine 1978, sowie Borut Klabjan: Nation and Commemoration in the Adriatic. The Commemoration of the Italian Unknown Soldier in a Multinational Area: The Case o the Former Austrian Litoral, in: Acta Histriae, 18/ 2010, S. 399-424, hier: 403.
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herrlichung des Krieges im Sinne des lateinischen Spruches ,Dulce et decorum est pro patria mori‘ verbinden.12 Es ist kein Zufall, dass es an jedem Ort, wo die Knochen von jungen, in den sinnlosen Tod des imperialistischen Krieges getriebenen Männern gesammelt wurden, die Inschrift ,Presente‘ (entsprechend der deutschen Reaktion ‚Hier‘ oder ‚Anwesend‘ bei einem Appell) zu lesen ist, was heißen soll: „Wir bewachen noch die heiligen Grenzen unserer Heimat“.13 Durch den Zweiten Weltkrieg begann hinsichtlich der Denkmäler im Triester Raum ein neues Kapitel der Erinnerungskultur. Weil damals die Rollen vertauscht wurden und die Slowenen an der Seite der Sieger standen und die Italiener zu den Kriegsverlierern gehörten, wurde bereits im Jahre 1945 ein Denkmal zu Ehren von vier Mitgliedern der Terrororganisation TIGR errichtet. Diese waren von einem Staatsschutz-Sondergericht zum Tode verurteilt und am 5. September 1930 als Verräter auf dem Territorium des Dorfes Basovizza (slowenisch Bazovica) durch einen Schuss in den Rücken hingerichtet worden. In der Zeit, als noch diskutiert wurde, wem Triest mit seinem Umland zufallen sollte, hatte dieses Denkmal für die Slowenen eine große symbolische Bedeutung: Es wies auf die Tatsache hin, dass die Slowenen als erste in Europa mit Waffen gegen den Faschismus gekämpft hatten. Noch heute findet am Denkmal, das in den letzten Jahrzehnten von ,unbekannten Tätern‘ unzählige Male mit Schmähinschriften beschmiert worden ist, jedes Jahr Anfang September eine große Gedenkfeier statt, an der Slowenen aller ideologischer Richtungen und hier und da auch ein demokratischer Italiener teilnehmen. Es handelt sich um einen Protest, nicht nur gegen den Faschismus, sondern auch gegen das moderne Italien, das seinen Pflichten gegenüber der slowenischen Minderheit noch immer nicht so nachkommt, wie das seine internationalen Verbindungen, die eigenen Gesetze und die Verfassung fordern. Im Gegensatz zur italienischen Rhetorik ist dieses Denkmal eine einfache viereckige Säule, mit eingelassenen kleinen Steintafeln mit den Namen der fünf ‚Helden‘ (die Slowenen verwenden in solchen Fällen keine religiöse Terminologie). Noch einfacher ist das Denkmal, das auf dem Schießplatz von Optschinach (ital. Opicina, slowenisch Opþine) aufgestellt wurde, als Erinnerung an die im Dezember 1941 zu Tode verurteilte und an dieser Stelle erschossene Gruppe von TIGR-Mitgliedern. Es handelt sich um eine Steinplatte, die in die Ziegelmauer eingelassen wurde, vor der vier junge Antifaschisten erschossen worden waren. Die Bescheidenheit dieses Denkmals ist auch auf die Tatsache zurückzuführen, dass die Gemeinde Triest nicht dazu bereit ist,
12 Vgl. Fabio Todero: Politiche della memoria della Grande Guerra: il caso della Venezia Giulia, in: Acta Historiae, 18/2010, S. 383-398, hier: 387-391. 13 Ebd., S. 392f.
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dieses Sportobjekt zu einer Gedenkstätte für die Gräuel des Zweiten Weltkrieges umzufunktionieren. In den folgenden Jahrzehnten wurden in allen Ortschaften des Hochplateaus hinter Triest, das den Stadtkern umgibt, von den Einheimischen kleinere und größere Denkmäler für gefallene Partisanen errichtet, die im Rahmen der slowenischen Befreiungsfront in den Jahren zwischen 1941 und 1945 zunächst gegen die Italiener und nach der Kapitulation von Italien am 8. September 1943 gegen die Deutschen gekämpft hatten. Es handelt sich um einfache, vom Standpunkt der Bildenden Kunst unbedeutende Denkmäler, meist mit einem roten Stern verziert, auf denen die Namen der im Kampf für die Freiheit gefallenen Einheimischen festgehalten sind. Diese Denkmäler umfassen Triest wie eine Art slowenischer Partisanenring, während es in der Stadt selbst, im Gegensatz zu anderen norditalienischen Städten, in denen es Widerstand gab, kein bedeutenderes, der Befreiung gewidmetes Denkmal gibt. Auf einem der Plätze ließ die Stadt zwar ein Denkmal für den ‚Kämpfer‘ vom großen Bildhauer Marcello Mascherini errichten. Allerdings zeigt dies keinen Sieger: In seiner halb liegenden Haltung erinnert die Skulptur eher an die bekannte Statue des sterbenden Galaters, eben in Anlehnung an die Tatsache, dass sich der Großteil der Triester eher mit denjenigen identifiziert, die im Zweiten Weltkrieg besiegt wurden. Wie bereits erwähnt hat die Wehrmacht nach der Wende vom 8. September 1943 den Bereich der Nordadria besetzt und auf den Befehl Hitlers hin hier die Operationszone Adriatisches Küstenland gegründet, welche von ihr direkt verwaltet wurde und in der die Regierung der Republik von Salò nichts zu sagen hatte. Für diese Lösung hatte sich Hitler aus zwei Gründen entschlossen: zum einen wegen der starken Partisanenbewegung im erwähnten Bereich, zum anderen wegen der Befürchtung, an der Westküste Istriens könnte es zu einer Invasion der Alliierten kommen, die es dann nicht mehr weit hätten für einen Vorstoß zur Südgrenze des ‚Dritten Reichs‘. Da es das Adriatische Küstenland mit hartem Griff zu beherrschen galt, gründeten die Deutschen in Triest ein besonderes Lager, für das sie geeignete Räume in der verlassenen Reisfabrik in der Triester Vorstadt San Sabba fanden. Unter der Leitung des Kärtner Nationalsozialisten Odilo Globoþnik (der sich als SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Polizei schon im Generalgouvernement Polen bei der Judenverfolgung und -ausrottung hervorgetan hatte) und seiner Mitarbeiter diente die Reisfabrik als Sammellager für die Triester Juden, die daraufhin in Vernichtungslager wie Auschwitz oder Mauthausen gebracht wurden. Außerdem diente die Fabrik als Gefängnis und Hinrichtungsstätte für gefangene Partisanen, meist slowenischer und kroatischer Volkszugehörigkeit. Die Ermordungen in der Reisfabrik waren so massenhaft – hier ließen 3.000 bis 5.000 Inhaftierte ihr Leben –, dass im Hof sogar ein Kre-
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mierungsofen gebaut werden musste.14 Während der Kämpfe um die Befreiung von Triest mit den Tito-Partisanen wurde der Ofen von den Deutschen halb abgerissen. Man wollte wohl die Spuren verwischen. Als die Partisanen von den Engländern und Amerikanern abgelöst wurden, verwendete man den Komplex für die Unterbringung der zahlreichen nach Triest gekommenen Flüchtlinge. Danach war die Reisfabrik lange völlig verödet, denn erst 1975 entschlossen sich die Stadtverwaltung und die Regierung in Rom dazu, die Fabrik zum Museum umzufunktionieren und sie zu einem ,Nationaldenkmal‘ zu erklären. In der unmittelbaren Nähe von Triest gibt es zwei weitere ,Nationaldenkmäler‘: die Höhlen (Foibe) bei Bazovica/Basovizza und jene bei Optschinach. Worum handelt es sich dabei? Es sind trichterförmige Karsthöhlen, wie sie in der Umgebung der Stadt besonders häufig vorkommen, da das Karstgelände besonders günstig für die Ausbildung solcher Trichter ist, und die oft hunderte Meter tief unter die Erdoberfläche reichen. In diese Höhlen – von denen einige wegen ihrer Schönheit weltbekannt geworden sind, wie die von Postojna (Adelsberg) und Škocjan – warfen die Partisanen die bei der Befreiung der Stadt in den Kämpfen gefallenen deutschen Soldaten, zahlreiche verendete Pferde, aber auch einige Triester Kollaborateure, die in den ersten Maitagen vor das Standgericht der IV. Armee des Tito-Heeres gestellt und erschossen worden waren. In der diplomatisch-politischen Auseinandersetzung, die in den folgenden Jahren um die Festlegung der neuen Grenze zwischen Jugoslawien und Italien entbrannte, wurden diese Erschießungen, die als Racheaktion der frühen Nachkriegszeit ähnlich wie anderswo in Europa bezeichnet werden könnten, von den Italienern zu einer planmäßigen ethnischen Säuberung hochstilisiert, die zehntausende von Landsleuten erfasst haben soll, nur ,weil sie Italiener waren‘. Als Reaktion auf die beiden slowenischen Denkmäler für die TIGR-Mitglieder bei Bazovica/Basovizza und Optschinach wurde besonders den Höhlen in der Nähe dieser beiden Dörfer viel Aufmerksamkeit gewidmet (sie sind Ziel organisierter Massenwallfahrten). Die offizielle italienische Propaganda geht davon aus, dass in jede dieser Höhlen etwa 2.500 Menschen – Männer, Frauen und Kinder – geworfen worden sind, obwohl nach zur Verfügung stehenden Zeugnissen beide erwiesenermaßen eigentlich leer sind. Die Leichen der deutschen Soldaten wurden nämlich schon nach Kriegsende von den Alliierten umgebettet. Aber weil es der ganzen Welt kundzutun galt, dass für die Tragödien, von denen Triest im letzten Jahrhundert heimgesucht wurde, die Italiener keine Schuld trifft, und alles hingegen nur durch die Deutschen und die Slawen verschuldet worden sei,
14 Siegfried J. Pucher.: Il nazista di Trieste. Vita e crimini di Odilo Globoþnik, l’uomo che inventò Treblinka, Trieste 2011.
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sind die italienische Regierung, die politischen Parteien aller Ausrichtungen und die öffentliche Meinung nicht dazu bereit, diese Wahrheit zu akzeptieren oder sich mit ihr zumindest ernsthaft auseinanderzusetzen. Wer verwegen genug ist, dies auszusprechen, wie z.B. der Verfasser dieses Beitrags, wird als ,Negationist‘ gebrandmarkt und der öffentlichen Verurteilung preisgegeben, ähnlich wie jene revisionistischen Historiker, die die Existenz des Holocausts negieren.15 Die tragische Vergangenheit der zwischen zwei Ethnien zerrissenen Stadt kommt auch bei zwei erst in den letzten Jahren angebrachten Tafeln zum Ausdruck. Die erste ist in der Aula des Slowenischen Hauses zu sehen, das nach der Brandlegung im Jahre 1920 zuerst zu einem Hotel umfunktioniert und später der Universität von Triest bzw. ihrer Fakultät für Übersetzer und Dolmetscher überlassen wurde. Die italienische Regierung hatte sich zwar verpflichtet, das Gebäude den Slowenen zurückzugeben, aber das Versprechen wurde bisher nur zum Teil eingelöst, denn ihnen steht darin nur ein kleinerer Saal zur Verfügung. Auf der Tafel ist ziemlich knapp, aber zumindest zweisprachig von einer Gewalttat die Rede, zu der es an dieser Stelle nach dem Ersten Weltkrieg gekommen sei. Das ist in Triest, wo die slowenische Sprache im Stadtzentrum noch immer tabuisiert ist, eine große Leistung. Die zweite Tafel wurde von der Stadtverwaltung in der Nähe des Bahnhofs angebracht und mit heraldischen Symbolen der drei Regionen Istrien, Fiume und Dalmatien geschmückt, welche Italien nach 1945 notgedrungen Jugoslawien überlassen musste. Die Inschrift erwähnt 350.000 italienische Flüchtlinge, die nach Kriegsende ihre Heime verließen, um nicht unter dem ‚slavo-kommunistischen Joch‘ leben zu müssen. Diese Zahl ist zwar aufgebauscht, denn nach glaubwürdigen Angaben gab es mindestens 100.000 Flüchtlinge weniger (und es waren nicht nur Italiener, sondern auch Slowenen und Kroaten). Dennoch hat die Zahl ebenso wie die der Foibe Eingang in die offizielle historiographische Wahrheit gefunden. Im Jahre 2010 wurde in Triest auf Initiative des berühmten Dirigenten Riccardo Muti ein Versöhnungskonzert organisiert, an dem die Staatspräsidenten der drei Nachbarstaaten Italien, Slowenien und Kroatien teilnahmen. Weil das Konzert – wohl eher zufällig – gerade am 13. Juli, dem Jahrestag der Brandlegung am Slowenischen Haus stattfand, konnte der slowenische Präsident Danilo Türk nicht umhin und legte im Gebäude einen Erinnerungskranz nieder. Der italienische Präsident Giorgio Napolitano und der kroatische Präsident Ivo Josipoviü gesellten sich zu ihm. Danach begaben sich alle drei noch zur Tafel für die istrischen Flüchtlinge und legten auch dort Kränze nieder. Der slowenische und der kroatische Präsident haben dabei als Zeichen des guten Willens eben die
15 Jože Pirjevec: Foibe. Una storia d’Italia, Torino 2009.
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Tatsache übersehen, dass diese Tafel nicht zutreffende Angaben enthält und eine stark irredentistische Botschaft besitzt. In Triest kann man eben über die Geschichte ohne pathetische Rhetorik noch nicht sprechen.
Die Ostgrenze Italiens im 20. Jahrhundert Eine Geschichte zwischen Politik und Schule L UIGI C AJANI
Im Jahr 1998 veröffentlichte die italienische Zeitschrift für Geschichtsdidaktik, I viaggi di Erodoto, gemeinsam mit dem Istituto regionale per la storia del movimento di liberazione nel Friuli-Venezia Giulia ein umfangreiches Dossier über die Ereignisse an der Ostgrenze im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts.1 Das Heft informierte die Lehrer über die jüngsten Forschungen. Es fanden sich darin Artikel über die Entwicklung der entgegengesetzten Nationalismen des 19. Jahrhunderts, über die Politik der Entnationalisierung, die das faschistische Italien gegenüber den Slawen in den nach dem Ersten Weltkrieg annektierten Gebieten verfolgt hatte, über die italienische Besetzung Sloweniens mit einer detaillierten Beschreibung der Unterdrückung und italienischen Kriegsverbrechen; darüber hinaus wurde über die nach dem Waffenstillstand von den Jugoslawen ausgeübten Gewalttaten berichtet (wie üblich unter Bezug auf die Foibe, jene Karsthöhlen, in die viele Opfer geworfen worden waren), um letztlich mit den bis Mitte der 50er Jahre andauernden Fluchtbewegungen der Italiener aus Zadar, Fiume und Istrien zu enden. Es handelt sich also um Ereignisse, die alternierend entweder Italiener oder Jugoslawen (insbesondere Slowenen und Kroaten) in der Rolle der Unterdrücker und Unterdrückten, der Opfer und Täter sahen, und die – wie die beiden Herausgeber Franco Cecotti und Raul Pupo in der Einleitung des Dossiers festhielten – für lange Zeit in der italienischen Geschichtsschreibung
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Il confine orientale. Una storia rimossa, hg. v. Franco Cecotti und Raoul Pupo, in: I viaggi di Erodoto, 34/1998, S. 89-157, mit Artikeln von Marina Cattaruzza, Franco Cecotti, Anna Maria Vinci, Tristano Matta, Marco Coslovich, Raoul Pupo, Giampaolo Valdevit, Marta Verginella, Orietta Moscarda und Carlo Schiffrer.
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wenig und folglich in den Schulen keinerlei Beachtung gefunden hatten. Gründe für dieses lange Schweigen gab es viele. Für all diese historischen Begebenheiten kann festgehalten werde, dass die entsprechenden archivarischen Quellen in Italien und Jugoslawien für Jahrzehnte zum größten Teil unzugänglich waren. Dies ist einerseits den üblichen Sperrfristen zuzuschreiben, hat andererseits aber auch mit der Befangenheit zu tun, mit der die beiden Regierungen aus unterschiedlichen Gründen den genannten Ereignissen begegneten. In Hinblick auf die Rolle der Italiener als Unterdrücker und Peiniger war es nach Kriegsende nicht zu jenen Kriegsverbrecherprozessen gekommen, die es zugelassen hätten, die relevanten Informationen zu Unterdrückung und Täterschaft zu sammeln und öffentlich zu diskutieren. Jugoslawien hatte eine Liste der italienischen Militärs aufgestellt, die angeklagt waren, Kriegsverbrechen begangen zu haben. Dies waren in erster Linie Generäle, die die Besatzungskräfte kommandiert hatten, jedoch nach Kriegsende nicht ausgeliefert wurden. Mit dem Rückenhalt der Alliierten im komplexen diplomatischen Spiel des beginnenden Kalten Krieges war es der italienischen Regierung tatsächlich möglich gewesen, Auslieferungen abzulehnen.2 Mit Blick hingegen auf die italienischen Opfer von Massakern und die großen Fluchtbewegungen in der Nachkriegszeit war den größeren politischen Parteien daran gelegen, diese Frage nicht näher zu beleuchten. Die Democrazia Cristiana, jene Partei, die seit dem Ende des Krieges bis ins Jahr 1992 durchgängig die Regierung führte, betrieb während des Kalten Krieges mit Jugoslawien eine Ausgleichspolitik, die 1975 in den Vertrag von Osimo mündete, der letztgültig die Grenze zwischen den beiden Staaten festlegen sollte. Auch die zweitgrößte und beständig opponierende politische Kraft, die kommunistische Partei (Partito Comunista Italiano), hatte den Schleier des Vergessens über die Ereignisse gelegt, da sie zum Teil mitverantwortlich für die jugoslawischen Gräueltaten war, indem sie zwischen 1943 und 1945 die jugoslawische Anschlusspolitik unterstützt hatte. Nur der am Rande des politischen Lebens seine Existenz fristende Movimento Sociale Italiano, der aus dem Faschismus und der Republik von Salò hervorgegangen war, machte die julischen und dalmatinischen Vertriebenen zum Thema. In der öffentlichen Meinung waren also Gedenken und Verdrängung der italienischen Leiden politisch geteilt. Gegenüber den von den Italienern begangenen Gewalttaten zeichnete sich eine verbreitete Ahnungslosigkeit ab, wie generell alle italienischen Kriegsverbrechen des Zweiten Weltkriegs und auch davor in Äthiopien und Libyen langfristig verdrängt worden waren. Diese Ahnungslosigkeit wurde zudem durch
2
Vgl. Filippo Focardi: La questione della punizione dei criminali di guerra in Italia dopo la fine del secondo conflitto mondiale, in: QFIAB, 80/2000, S. 543-624.
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einige Publikationen verstärkt, wie etwa die unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs erschienenen, stark selbst entlastenden Erinnerungen des Generals Mario Roatta3 (ab Januar 1942 Kommandeur der 2. Armee in Slowenien) und seines Stabsoffiziers Giacomo Zanussi4, ebenso wie die im Auftrag des Stato Maggiore dell’Esercito erstellte erste historische Rekonstruktion aus dem Jahr 1978 von Salvatore Loi.5 Ein erstmaliges Bild der Härte der italienischen Besetzung in Slowenien vermittelte ein kurzer Essay aus dem Jahr 1966 von Teodoro Sala6, der sich auf die Studien jugoslawischer Historiker, insbesondere Ivo Juvanþiþ und Tone Ferenc berief und einige wichtige italienische Dokumente aus dem Archiv des Institut za zgodovino delavskega gibanja in Ljubljana heranzog, darunter die Bekanntmachungen des Hochkommissars Emilio Grazioli und Mussolinis aus dem Jahr 1941, das Circolare n. 3C (Januar 1942) des Kommandanten der 2. Armee, Mario Roatta, das harte Anweisungen für den Kampf gegen die Partisanen enthielt, und das Phonogramm des Generals Mario Robotti, das den bekannt gewordenen Ausspruch „es wird zu wenig getötet!“ („si ammazza troppo poco!“) enthält. Nur am Rande erwähnte Sala jedoch die Deportationen von Slowenen in Konzentrationslager. Generell über Jugoslawien erschienen in den 70er Jahren die Erinnerungsschriften des Militärkaplans Pietro Brignoli7 und die Forschungen des Schriftstellers Giacomo Scotti.8 Die wenigen Schriftstücke führten letztlich ein Nischendasein und hatten äußerst geringe Auswirkungen auf die öffentliche Meinung. Größeres Interesse erregten hingegen die Ereignisse in Afrika, vor allem durch die Beiträge des Historikers Angelo Del Boca über Äthiopien9 und Libyen.10 Über letzteres war 1977 auch ein Buch des
3
Mario Roatta: Otto milioni di baionette. L’esercito italiano in guerra dal 1940 al 1944,
4
Giacomo Zanussi: Guerra e catastrofe d’Italia. 1: giugno 1940-giugno 1943, Roma
Milano 1946. 1945. 5
Salvatore Loi: Le operazioni delle unità italiane in Jugoslavia (1941-1943), Roma 1978.
6
Teodoro Sala: Occupazione militare e amministrazione civile nella „provincia“ di Lubiana (1941-1943), in: Enzo Collotti, Teodoro Sala und Giorgio Vaccarino (Hg.): L’Italia nell’Europa danubiana durante la seconda guerra mondiale, Milano 1967, S. 73-93.
7
Pietro Brignoli: Santa Messa per i miei fucilati, Milano 1973.
8
Giacomo Scotti: „Bono taliano“. Gli italiani in Jugoslavia (1941-43), Milano 1977.
9
Insbesondere die vier Bände des Werks Gli italiani in Africa orientale, hg. v. Laterza zwischen 1976 und 1987.
10 Gli Italiani in Libia, zwei Doppelbände, hg. v. Arnaldo Mondadori 1997.
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Journalisten Eric Salerno erschienen.11 Äthiopien wurde vor allem durch den – in Zusammenarbeit mit Del Boca und unter Regie von Massimo Sani – entstandenen Fernsehdokumentarfilm L’Impero, un’avventura africana bekannt, der anlässlich des 50. Jahrestages des Kriegsausbruchs am Spätabend des 3. Oktobers 1985 von der RAI ausgestrahlt wurde.12 Darin wurden vor allem Beweise für die Nutzung von Giftgas gezeigt. Wenige Jahre nach diesem Dokumentarfilm nahm sich ein weiterer – diesmal kein italienischer – Dokumentarstreifen den italienischen Kriegsverbrechen nicht nur in Äthiopien, sondern auch in Libyen und auf dem Balkan an. Es handelt sich um den am 1. und 8. November 1989 von der BBC ausgestrahlten Film Fascist Legacy, der unter der Regie Ken Kirbys und in Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Journalisten Michael Palumbo, der als erstes die Bestände der United Nations War Crimes Commission untersucht hat13, entstanden war. Mit Blick auf Libyen informierte der Film über die harte Unterdrückung in den 20er und 30er Jahren, während im Falle Äthiopiens nicht nur über die Nutzung von Giftgas berichtet wurde, sondern auch über Bombardierungen von Krankenhäu-
11 Eric Salerno: Genocidio in Libia. Le atrocità nascoste dell’avventura coloniale (19111931), Milano 1979. 12 Giuseppe Mayda: Cinquant’anni fa, in Abissinia, in: La Stampa, 13.7.1985; Ugo Buzzolan: Com’era buio quel posto al sole, in: La Stampa, 3.10.1985; Arminio Savioli: Guerra d’Etiopia Vietnam italiano, in: l’Unità, 3.10.1985; Beniamino Placido: 19 salve di cannone. E Craxi ringraziò: Africa, ciao, in: la Repubblica, 6./7.10.1985. 13 Brunello Mantelli beurteilte die Geschichtsdarstellung des Dokumentarfilms wie folgt: „von großem Interesse […] obgleich nicht immer genau und bisweilen durch einen zu journalistischen Blickwinkel verzerrt“ (Brunello Mantelli: Gli Italiani nei Balcani 1941-1943: occupazione militare, politiche persecutorie e crimini di guerra, in: Qualestoria, 1/2002, S. 19-35, hier: 19, Fn. 1). Diese Mängel wurden auch nicht im Buch „L’Olocausto rimosso“ behoben, das Palumbo für den Verlag Rizzoli vorbereitete und dessen Publikation für 1992 vorgesehen war. Filippo Focardi, der das Manuskript durchgesehen hatte, schrieb in der Tat über den Autor, dass er das Thema nicht wissenschaftlich korrekt bearbeitet hätte (Filippo Focardi: Criminali a piede libero. La mancata „Norimberga italiana“, in: Giovanni Contini, Filippo Focardi und Marta Petricioli (Hg.): Memoria e rimozione. I crimini di guerra del Giappone e dell’Italia, Roma 2010, S. 187-201, hier: 189f., Fn. 11). Rizzoli entschied daraufhin, den Band nicht zu publizieren, auch weil Ankündigungen in der Presse auf Polemiken und Klagedrohungen schließen ließen (Simonetta Fiori: Quel libro non si stampi! Caso alla Rizzoli: che fine ha fatto il lavoro di Palumbo sui criminali italiani?, in: la Repubblica, 17.4.1992).
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sern des Roten Kreuzes und die blutigen Vergeltungsmaßnahmen infolge des misslungenen Attentats gegen den Gouverneur Rodolfo Graziani. Jugoslawien betreffend wurde vor allem das für seine hohe Todeszahl bekannte Konzentrationslager auf der Insel Rab erwähnt und die Gründe der nicht erfolgten Auslieferung der italienischen Kriegsverbrecher erläutert. Die RAI erwarb im Jahr 1991 den Dokumentarfilm, der allerdings aus undurchsichtigen Gründen nie ausgestrahlt wurde. Daher war er lange Zeit nur in antifaschistischen Vereinen zu sehen und wurde erst im Jahr 2004 in großen Teilen vom Privatsender ‚La7‘ ausgestrahlt. Der Mythos der Italiani, brava gente bekam somit langsam einen Riss, auch wenn die Kriegsverbrechen nach wie vor keinen Platz in den Schulgeschichtsbüchern fanden. In den 80er Jahren vollzog sich in den Forschungen zu den italienischjugoslawischen Beziehungen ein Wandel. Dies hing vor allem mit der politischen Krise in Jugoslawien zusammen, die mit dem Tod Titos 1980 begann und 1991 zur Auflösung des Staates führte. Das Ende des kommunistischen Regimes brachte eine kritische Geschichtsrevision mit sich und kurbelte neue Recherchen und den Zugang zu weiterem Archivmaterial an.14 Zu nennen ist in diesem Zusammenhang das Buch Fašisti brez krinke: Dokumenti 1941-1942 von Tone Ferenc aus dem Jahr 1987, das 1994 ins Italienische übersetzt wurde.15 Auch in Italien wurde neu in den Archiven recherchiert: Das Ufficio storico dello Stato Maggiore dell’Esercito betraute Marco Cuzzi mit einer Erhebung über die Besetzung Sloweniens, die 1998 veröffentlicht wurde.16 Darin werden viele Details über die italienischen Unterdrückungs- und Vergeltungsmaßnahmen gegen Zivilisten geschildert. Damit nahm die bis heute nicht vollends ausgeschöpfte Forschung über den italienischen Krieg auf dem Balkan ihren Anfang.17
14 Vgl. Nevenka Troha: La questione delle „foibe“ negli archivi sloveni e Italiani, in: Jože Pirjevec: Foibe. Una storia d’Italia, Torino 2009, S. 245-294, hier: 245f. 15 Tone Ferenc: La provincia „italiana“ di Lubiana. Documenti 1941-1942, Udine 1994. 16 Marco Cuzzi: L’occupazione italiana della Slovenia (1941-1943), Roma 1998. 17 Vgl. dazu beispielsweise: Brunello Mantelli: Die Italiener auf dem Balkan 1941-1943, in: Christof Dipper, Lutz Klinkhammer und Alexander Nützenadel (Hg.): Europäische Sozialgeschichte. Festschrift für Wolfgang Schieder zum 65. Geburtstag, Berlin 2000, S. 57-74; L’Italia fascista potenza occupante: lo scacchiere balcanico, dossier monografico, hg. v. Brunello Mantelli, in: Quale storia, 1/2002; Davide Rodogno: Il Nuovo Ordine Mediterraneo. Le politiche di occupazione dell’Italia fascista in Europa (1940-1943), Torino 2003; Costantino di Sante (Hg.): Italiani senza onore. I crimini in Jugoslavia e i processi negati (1941-1951), Verona 2005; Davide Conti: L’occupa-
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Ein wichtiges Zeichen dieses Wandels war der im Jahr 1990 vom Triester Stadtrat einstimmig angenommene Antrag auf Einrichtung einer italienisch-jugoslawischen Historikerkommission, die die Beziehungsgeschichte beider Staaten untersuchen sollte. Kurz darauf brach Jugoslawien auseinander und der Vorschlag wurde 1993 auf Initiative der jeweiligen Außenminister noch einmal durch die Einrichtung zweier Kommissionen konkretisiert, einer italienischkroatischen und einer italienisch-slowenischen. Die erste scheiterte quasi sofort18, während die zweite im Jahr 2000 einen Bericht19 veröffentlichte, der die gemeinsame Geschichte von 1880 bis 1956 ausgewogen rekonstruierte. Die Autoren erinnern an die italienische Politik der „vollständigen Zerstörung der slowenischen und kroatischen nationalen Identität“ in den Zwischenkriegsjahren und an die Gräueltaten gegen die Slowenen während des Zweiten Weltkriegs. Berichtet wird über die Internierung in den Konzentrationslagern, die Brandschatzung ganzer Dörfer und Geiselerschießungen sowie die jugoslawischen Gewalttaten gegen die Italiener direkt nach dem Waffenstillstand 1943 und nach dem Ende des Krieges 1945. Diese werden zweifach gedeutet: einerseits als Reaktion auf die italienische Besatzung, andererseits als Instrument der jugoslawischen Annektierungspläne dieser Gebiete:
zione italiana dei Balcani. Crimini di guerra e mito della „brava gente“ (1940-1943), Roma 2008; Elena Aga Rossi und Maria Teresa Giusti: Una guerra a parte. I militari italiani nei Balcani, Bologna 2011; Amedeo Osti Guerrazzi: L’Esercito italiano in Slovenia 1941-1943. Strategie di repressione antipartigiana, Roma 2011. Für einen breiteren Blick auf die italienisch-jugoslawischen Beziehungen siehe Rolf Wörsdörfer: Krisenherd Adria 1915-1955. Konstruktion und Artikulation des Nationalen im italienisch-jugoslawischen Grenzraum, Paderborn 2004. 18 Es sei darüber hinaus auf den Erfolg einer Gemeinschaftsinitiative der Società di Studi Fiumani in Rom und des Hrvatski Institut za Povijest in Zagreb verwiesen, die die italienischen Opfer in Fiume zum Thema und – durch die Schirmherrschaft des italienischen Staatspräsidenten Oscar Luigi Scalfaro und die Anerkennung des kroatischen Franjo Tuÿman – politischen Charakter hat. Aus ihr ist ein zweisprachiger Band hervorgegangen: Amleto Ballarini und Mihael Sobolevski (Hg.): Le vittime di nazionalità italiana a Fiume e dintorni (1939-47) – Žrtve talijanske nacionalnosti u Rijeci i okolici (1939-1947), Roma 2002. 19 Relazione della Commissione italo-slovena sui rapporti fra i due Paesi fra il 1880 e il 1956, in: Storia contemporanea in Friuli, 31/2000, S. 9-35, hier: 28 (auf slowenisch: Slovensko-italijanski odnosi 1880-1956. Poroþilo slovensko – italijanske zgodovinsko – kulturne komisije [Koper – Capodistria, 25. julij 2000], Ljubljana 2001).
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„Diese Ereignisse geschahen in einem Klima der Abrechnung mit der faschistischen und kriegerischen Gewalt, scheinen aber in großem Maß Frucht eines schon beschlossenen politischen Projektes zu sein, in dem verschiedene Motivationen zusammenflossen: der Wille, Subjekte und Strukturen zu eliminieren, die mit dem Faschismus, der nazistischen Herrschaft, der Kollaboration und dem italienischen Staat in Verbindung standen (auch jenseits individueller Verantwortlichkeiten), sowie ein Plan präventiver Säuberung realer, potentieller oder vermeintlicher Gegner im Zuge der Etablierung des kommunistischen Regimes und der Annexion Julisch Venetiens an den neuen jugoslawischen Staat.“20
Während die Kommission sich ihren Aufgaben widmete, brach in Italien eine heftige Debatte über den Faschismus und die Resistenza aus, die auch die Ereignisse an der Ostgrenze betraf. Dies geschah im Kontext der großen politischen Krise der 90er Jahre, an deren Ende die historischen Parteien wie die Democrazia Cristiana, der Partito Socialista Italiano und der Partito Comunista Italiano verschwanden oder sich grundlegend umgestalteten und neue Parteien, wie die Lega Nord und Forza Italia gegründet wurden. Der Movimento Sociale Italiano wandelte sich in die Alleanza Nazionale und deren Bündnis mit Forza Italia führte ihn erstmalig in die Regierung. In dieser neuen politischen Phase suchte diese Partei natürlich auch ihre Legitimierung in der eigenen Vergangenheit, indem sie das antifaschistische Paradigma21 angriff, welches unter anderem – unabhängig von der marxistischen, liberalen oder katholischen Geisteshaltung der Geschichtsbuchautoren – die Geschichtslehre durchdrungen hatte. Es waren insbesondere die Verbrechen der Partisanen gleich nach dem Ende des Krieges, die in den vielgelesenen Büchern, wie dem des Journalisten Giampaolo Pansa22, angeprangert wurden. Darüber hinaus sollte den Kämpfern der Republik von Salò, zu denen einige der ältesten Mitglieder der Alleanza Nazionale gehört hatten, mit dem Argument, dass auch sie für das Vaterland gekämpft hätten, ihre Würde wiedergegeben werden. Auf diese Weise wollte man den historischen Konflikt, aus dem die Republik hervorgegangen war, beiseite schaffen und eine nationale Aussöhnung erreichen. Einer der härtesten Momente der Polemik, der direkt die Geschichtslehre betraf, ereignete sich im Herbst 2000, als am 8. November der Rat der Region Lazio unter Präsidentschaft des Alleanza Nazionale-Exponenten Francesco Storace einen Antrag billigte, der behauptete, dass die Geschichtsbücher der Oberstufe
20 Ebd. 21 Für eine grundlegende Darstellung siehe Sergio Luzzatto: La crisi dell’antifascismo, Torino 2004. 22 Giampaolo Pansa: Il sangue dei vinti, Milano 2003.
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die italienische Geschichte einseitig mystifizierten und so „einen Zusammenstoß der Generationen“ heraufbeschwörten sowie „die Wiederherstellung einer allen italienischen Bürgern gemeinsamen nationalen Identität und das Gefühl einer wirklichen nationalen Aussöhnung“ verhinderten.23 Der Antrag monierte zudem das Fehlen einer Kontrollinstanz über die Schulbücher. Um diesem Manko wenigstens ein Stück weit zu begegnen, sollte der Präsident eine Expertenkommission einsetzen, die die Schulbücher einer eingehenden Analyse unterziehen und Mängel oder willkürliche Geschichtsrekonstruktionen aufzeigen sowie neue Schulbücher für die Region auf den Weg bringen sollte. In jenem Antrag wurde auf eine wenige Seiten umfassende Broschüre24 verwiesen, die kurz zuvor von Mitgliedern der Azione Studentesca, einer Organisation der Alleanza Nazionale, verteilt worden war. In sehr vereinfachender Argumentation wurden hier einige der verbreitetsten Geschichtslehrbücher der Oberstufe als von linker Ideologie beschmutzt angeprangert, in denen Themen wie die Massaker der Foibe keine Erwähnung fänden, und wenn doch, ihr Charakter als antiitalienische ethnische Säuberung negiert würde. Diese Beschuldigung betraf insbesondere das von Augusto Camera und Renato Fabietti verfasste Lehrbuch25, das darüber hinaus Partisanen und Unterstützer der Republik von Salò nicht auf die gleiche ethisch-politische Ebene stelle. Zudem wurde moniert, dass viele Lehrbücher in ihrer Darstellung der jüngsten italienischen Geschichte, von den Terrorjahren bis zu Berlusconi, Wahlpropaganda betrieben. Andere rechtsregierte Regionsräte setzten daraufhin umgehend ähnliche Initiativen durch, was eine Lawine wütender Reaktionen nicht nur in den Reihen linksgerichteter Politiker, sondern auch generell unter den Historikern und an den Schulen auslöste. Tatsächlich handelte es sich hier nicht nur um einen Angriff auf das antifaschistische Paradigma, was Empörung hervorrief, sondern auch um die Idee der Schulbuchkontrolle, die nach dem Faschismus abgeschafft worden war und als untragbare Zensur erschien. Angesichts dieses offenen Protestes legte Berlusconi, der mit seiner Forza Italia damals im Nationalparlament die Opposition führte, den Rückwärtsgang ein, obgleich er den Aufruf der Region Lazio begrüßte und sich freute, dass „unsere Kindern nicht […] mehr Geschichtstexte mit marxistischen Abweichungen lesen müssen“. So rief er nun dazu auf, nicht töricht zu sein, „indem man [den Gegnern] einen Vorwand zur Kri-
23 Consiglio Regionale del Lazio, 7. Legislaturperiode, Sitzung v. 8. November 2000, stenographischer Bericht. 24 Quando la storia diventa una favola... sinistra!, o.O. 2000. 25 Die hier untersuchte Auflage: Augusto Camera und Renato Fabietti: Elementi di storia. XX secolo, Bologna 41999.
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tik lieferte“,26 wobei er sich offensichtlich am meisten um negative Auswirkungen der Proteste auf den nächsten Wahlkampf sorgte. Angetrieben von den neuen Geschichtsrecherchen und den politischen und kulturellen Debatten, hatten die Schulen indessen bereits begonnen, sich den Ereignissen an der Ostgrenze zu widmen. Die Gegenüberstellung der Lehrbücher für die Oberstufe, die bis Mitte der 90er Jahre erschienen, und jener der folgenden Jahre ist vielsagend. Beispielsweise wies das erwähnte Lehrbuch von Camera und Fabietti in seiner dritten Auflage von 1987 nur einen kurzen Abschnitt auf, in dem erläutert wurde, wie Italien nach dem Zweiten Weltkrieg fast alle nach dem Ersten Weltkrieg erlangten Eroberungen verloren hätte – Triest, Görz und Monfalcone ausgenommen.27 In der folgenden Auflage von 1999 findet sich unter dem Titel ‚Foibe und die Risiera di San Sabba‘ ein fünf Seiten langer (und von Camera unterzeichneter) Abschnitt28, der die neue Hinwendung zu diesen Ereignissen bestätigt, jedoch nicht jene Vollständigkeit und Ausgewogenheit der Informationen im Dossier der Zeitschrift I viaggi di Erodoto aufweist. Camera thematisiert in erster Linie die erzwungene Italianisierung der slawischen Bevölkerungen in den annektierten Gebieten nach dem Ersten Weltkrieg. Die italienischen Gewalttaten während des Zweiten Weltkriegs präsentiert er hingegen in äußerst minimalistischer und irreführender, ja beschönigender Art: „An der Besetzung der Balkanregionen und am Kampf gegen die slawischen Partisanen nahmen mehr als dreißig italienische Divisionen teil, die in Ausführung dieser verwerflichen Rolle sicherlich nicht die Sympathien der besetzten Bevölkerungen auf sich zogen.“29
Dieser mangelhaften Darstellung folgt eine genauere über die Risiera di San Sabba, jenes Konzentrations- und Vernichtungslager bei Triest, wo Tausende, nicht nur Juden, sondern auch und vor allem politische Gegner, Widerstandskämpfer sowie slowenische und kroatische Partisanen ermordet worden waren. Es war von den Deutschen errichtet worden, als sie nach dem italienischen Waffenstillstand die Kontrolle über die Region übernahmen, für die aber auch die Obrigkeiten der Republik von Salò zuständig waren. Mit diesen beiden ziemlich
26 Wanda Valli: Berlusconi sulla scuola. „No ai testi marxisti“, in: la Repubblica, 13.11.2000. 27 Augusto Camera und Renato Fabietti: L’età contemporanea, Bologna 1987, S. 1373. 28 Augusto Camera und Renato Fabietti: Elementi di storia. XX secolo, Bologna 1999, S. 1564-1568. 29 Ebd., S. 1565.
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ungleich gewichteten Informationen erklärt Camera die Ressentiments der Slowenen gegen die Italiener, um dann die Gewalttaten der slowenisch-kroatischen Bevölkerung zu beschreiben, die er in zwei Phasen teilt: Die erste fällt in die kurze Phase des Machtvakuums direkt nach dem Waffenstillstand am 8. September 1943, bevor die Deutschen die Kontrolle über die Zone übernahmen, und in denen zwischen 500 und 700 Personen ermordet worden waren. Der Autor erklärt diese Ereignisse als Folge eines „Zornesausbruchs der slowenisch-kroatischen Bevölkerung gegen die Italo-Faschisten“, dem noch jenes vorgeordnete politische Muster fehlte, das die Gewalttaten der zweiten Phase im Mai/Juni 1945 kennzeichnete.30 Camera untersucht hier anhand ungewöhnlich vieler Dokumente die Intentionen Titos, die Region Julisch Venetien an Jugoslawien anzuschließen, und den daraus folgenden Entschluss, nicht nur die faschistischen und für die Kriegsverbrechen verantwortlichen Italiener zu bekämpfen, sondern auch die italienischen Antifaschisten. So wurden etwa die Repräsentanten des Comitato di Liberazione Nazionale (CLN) von Triest automatisch zu Feinden der jugoslawischen Befreiungsarmee, da ihnen daran gelegen war, dass diese Zonen italienisch blieben. Klar und dokumentiert ist auch, wie das Bürgerkomitee der kommunistischen Partei (Comitato cittadino del partito comunista) in Triest, das 1944 aus dem CLN austrat und fortan Titos Politik unterstützte, sich mitverantwortlich machte. Am Rande sei erwähnt, wie grob und haltlos die Beschuldigung der Azione studentesca gegen den Autor ist, die ethnische Dimension der antiitalienischen Gewalt zu negieren. Eine genaue Zahl der Opfer dieser zweiten Phase der Gewalt gibt der Autor mit Verweis auf die Ungewissheit der Daten und die politische Instrumentalisierung von rechts nicht an. Ebenso prangert er die von links kommende Beschönigung der Ereignisse an, die diese nur im Sinne der ausgleichenden Gerechtigkeit deutet – eine Position also, die entschieden zu beiden Seiten auf Distanz geht. Die gleiche Unausgewogenheit in der Ereignisdarstellung zeigt sich im von Giorgio Negrelli verfassten Lehrbuch – diesmal mit dem ausschließlichen Schwerpunkt auf die gegen die Italiener ausgeübten Gewalttaten, dem viele Seiten gewidmet sind. Gegenüber der Auflage von 198931, in der diese nicht erwähnt werden, erscheinen in der von 1997 zwei Abschnitte von Raoul Pupo, einem der größten italienischen Spezialisten in diesem Bereich: der erste unter dem Titel ‚Die Ostgrenze: die Foibe‘32 und der zweite unter der Aufschrift ‚Die
30 Ebd. 31 Giorgio Negrelli: L’età contemporanea, Palermo 1989. 32 Giorgio Negrelli: L’esperienza storica. Corso di storia per il triennio delle scuole medie superiori secondo i nuovi programmi, Bd. 3: Il Novecento, Palermo 1997, S. 362.
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italienische Flucht aus Istrien und Dalmatien‘“.33 Pupo spricht von der gegenüber der slawischen Bevölkerung ausgeübten „politischen Unterdrückung, der nationalen Verfolgung und der Zerstörung von Hoffnungen sozialen Aufstiegs“34 während des Faschismus, schweigt aber dann vollkommen über die Gewalttaten während der italienischen Besetzung. All dies gilt als Vorbemerkung zur „nationalistischen Tobsucht“, die die erste Phase der antiitalienischen Gewalt direkt nach dem 8. September kennzeichnete. Im Gegensatz zu Camera schreibt Pupo dieser Phase ein genaues politisches Muster zu: „[Dieses] Aufflammen nationalistischen Furors [...] war nicht Selbstzweck, sondern in Funktion eines politischen Plans der Zerstörung der italienischen Führungsschicht, die als Hindernis für eine Stärkung der kroatischen Befreiungsbewegungen angesehen wurde, welche ihre eigene Macht auf der Asche der italienischen etablieren wollte.“35
Pupo vertritt daher die These, dass es eine kontinuierliche politische Strategie zwischen der ersten und zweiten Phase der antiitalienischen Gewalt gegeben habe, von der neben den örtlichen Faschisten und Militärs der Republik von Salò auch Mitglieder des CLN ebenso betroffen gewesen seien wie italienische Partisanen, die die Vorherrschaft der jugoslawischen Befreiungsbewegung nicht akzeptieren wollten, und einfache Bürger mit pro-italienischer Einstellung sowie antikommunistische Slowenen. Es handelte sich um eine eher politische als juristische Unterdrückung, eine Form der präventiven Säuberung der realen und potentiellen Gegner der Revolutionsbewegung, die, wie Pupo schreibt, „in dem Moment, in dem sie die Macht übernahm, sich in ein stalinistisches Regime verwandelte.“36 1945 also „gab es im Allgemeinen keine spontanen Gewaltaktionen der Slawen gegen die Italiener [...], sondern eine von oben geführte Unterdrückung, die jedoch innerhalb der slowenischen Bevölkerung auf Zustimmung traf, vor allem als Revanche auf die Entnationalisierungspolitik des Faschismus.“37
33 Ebd, S. 385-387. 34 Ebd., S. 362. 35 Ebd. 36 Ebd. 37 Ebd.
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Mit Blick auf den heiklen Punkt der Opferzahl im Jahr 1945 vermeidet auch Pupo übereilte Einschätzungen und spricht von über 10.000 Gefangenen, von denen einige Tausende verschwunden seien. Hervorzuheben ist letztlich die Aufmerksamkeit, die Pupo im zweiten Abschnitt der Flucht fast aller Italiener aus Jugoslawien widmet, die zwischen 1945 und 1956 250.000 bis 300.000 Personen betroffen hat. Es handelte sich um einen Teilaspekt der generell sich vollziehenden ethnischen Ausdifferenzierung, die viele europäische Staaten der Nachkriegszeit betraf, wobei die jugoslawischen Hintergründe seiner Meinung nach noch nicht klar sind: „Es wird noch immer diskutiert, ob den Verfolgungen von Italienern durch jugoslawische Autoritäten von Anfang an eine wirkliche Idee der Vertreibung der Italiener aus Istrien zugrunde lag, wie einige Zeugenaussagen auch von jugoslawischer Seite schildern, oder ob man nicht vielmehr in den ersten Nachkriegsjahren versuchte, wie andere Aussagen Glauben machen, die italienische Gemeinschaft, ihrer wirtschaftlichen Macht beraubt und unter politischen Gesichtspunkten drastisch gesäubert, in den jugoslawischen Staat zu integrieren und sie den nationalen und ideologischen Ideen des Regimes anzupassen.“38
Wie dem auch sei, auch für die kommunistischen italienischen Arbeiter in Jugoslawien wurde die Situation nach dem Bruch zwischen Tito und Stalin im Jahr 1948 schwieriger, als sie sich, ihrer internationalen Idee folgend, hinter letzteren stellten. Gegenüber Camera-Fabietti und Negrelli schenken andere zeitgenössische und kurz darauf erschienene Lehrbücher diesen Ereignissen eine weitaus geringere Beachtung mit sehr unbefriedigenden Ergebnissen. Ein von Alberto De Bernardi und Scipione Guarracino verfasstes Lehrbuch geht beispielsweise in den wenigen Zeilen, in denen es darüber berichtet, sehr oberflächlich mit der Besatzungspolitik in Jugoslawien um. Ohne weitere Details und die Verantwortlichkeiten der beiden Besatzer durcheinander bringend, wird sie als „brutale nazifaschistische Herrschaft“ bezeichnet.39 Die Gewalt gegen die Italiener wird sowohl als Reaktion auf die brutale Herrschaft gedeutet als auch als Ausdruck des Willens der jugoslawischen Obrigkeit, die potentiellen Gegner des Anschlusses der Region Julisch Venetien zu eliminieren. Andrea Giardina, Giovanni Sabbatucci und Vittorio Vidotto, die in der Auflage von 1994 nicht über die italienische Besetzung auf dem Balkan berichten
38 Ebd. S. 386f. 39 Alberto De Bernardi und Scipione Guarracino: La conoscenza storica. Manuale, 3. Il Novecento, Milano 2000, S. 255.
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und weder die Foibe noch die Flucht der Italiener und nur die Klauseln zu den Zonen A und B im Vertrag von Osimo erwähnen40, schweigen auch in der folgenden Auflage von 2000 über die italienische Besetzung, erweitern hingegen mit einigen wenigen Zeilen über die Foibe den Teil zu Triest. Sie werden dabei einfach als Folge von Vergeltungsmaßnahmen der Jugoslawen gegen die Italiener auf die „harte Unterdrückung“ unter dem Faschismus dargestellt.41 Auch die Autoren Adriano Prosperi und Paolo Viola schweigen im Jahr 2000 über die italienische Besatzung und erwähnen nur die vorangegangene politische Faschisierung, die ganz allgemein als „zuweilen auch gewalttätig“42 bezeichnet wird, um sich dann auf die jugoslawischen Gewaltaktionen zu konzentrieren. Unter den neuesten Lehrbüchern widmet jenes von Massimo Cattaneo, Claudio Canonici und Albertina Vittoria aus dem Jahr 2009 den Ereignissen ungefähr eine halbe Seite43, auf der die antiitalienischen Gewalttaten im Jahr 1943 als Racheaktion für die italienische Unterdrückung gedeutet werden, die zusammenfassend als „Realisierung des ‚Identitätenvernichtungsprogramms‘“ und Eliminierung der slowenischen und kroatischen Nationalinstitutionen“44 beschrieben wird – eine Darstellung, die von jener wenige Seiten davor ergänzt werden muss, wo zu lesen ist, dass „Jugoslawien einem äußerst harten deutschen und italienischen Besatzungsregime unterstellt gewesenen war“.45 Beide sind entschieden zu allgemeine und nicht ausreichende Darstellungen. Mit Blick auf die Ereignisse von 1945 bestätigt das Lehrbuch Pupos These, dass diese nicht „einfach nur auf Rachegfühle [zurückgeführt werden können], sondern ihnen ein Geflecht aus ideologischen, nationalen und sozialen Ursachen zugrunde liegt“.46 Auch hier ist die Argumentation sehr allgemein gehalten und erwähnt weder die Annektierungsziele Jugoslawiens, noch die Gegensätze innerhalb des CLN oder die Politik des Partito Comunista Italiano. Weitaus detaillierter ist hingegen die Beschreibung der Opfer jugoslawischer Gewalt: Genannt werden deutsche Militärs und die der Republik von Salò, zivile Vertreter des Faschismus und der örtlichen Kollabora-
40 Andrea Giardina, Giovanni Sabbatucci und Vittorio Vidotto: Storia, documenti, storio grafia. Il mondo contemporaneo, Roma/Bari 11994, S. 951f. 41 Andrea Giardina, Giovanni Sabbatucci und Vittorio Vidotto: Infostoria, 3. Dal 1900 a oggi, Roma/Bari 2000, S. 328. 42 Adriano Prosperi und Paolo Viola: Corso di storia. Il secolo XX, Milano 2000, S. 224. 43 Massimo Cattaneo, Claudio Canonici und Albertina Vittoria: Manuale di storia. Il Novecento e il nuovo millennio, Bologna 2009, S. 375f. 44 Ebd., S. 375. 45 Ebd., S. 305. 46 Ebd., S. 375.
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tion sowie italienische und slowenische nichtkommunistische Politiker, die zu „Tausenden ermordet und in die tiefen natürlich existierenden Höhlen der Karsthochebenen (Foibe) geworfen oder in den Konzentrationslagern interniert wurden, wo der größte Teil den Tod fand“.47 Letztlich findet sich eine Anmerkung zu den ca. 250.000 Personen, die nach und nach Istrien verließen. Das Lehrbuch des Verlags Palumbo aus dem Jahr 2009 ignoriert komplett den italienischen Krieg in Jugoslawien und weist unter dem Titel ‚Der Fall der Foibe‘48 einen über eine halbe Seite gehenden Artikel auf, der eine besonders knappe Version der Ereignisse ohne chronologische Bezüge gibt: „In den Foibe (ausgedehnte natürliche Höhlen im Karstgebiet) wurden die Gegner des Tito-Regimes begraben: Und dieses Schicksal ereilte auch viele Italiener, die der Kollaboration mit dem Faschismus beschuldigt wurden, und sogar einige Antifaschisten (um sich jeglichen Widerstands gegen die jugoslawische Expansion in diesem Gebiet zu entledigen). Bislang fragliche Schätzungen gehen von ca. 10.000 ermordeten Italienern aus. Eine weitaus höhere Zahl von Italienern, ca. 300.000, wurde gezwungen, die eigenen Häuser ohne jegliche Entschädigung zu verlassen und in andere Gebiete des Landes zu ziehen: Es handelte sich um eine wirkliche und wahrhaftige ethnische Säuberung.“
Darüber hinaus wird angefügt, dass der antiitalienische Hass „seine Hauptursache in der unbedachten aggressiven Politik Mussolinis hatte“ – ein wenig bedeutungsvoller Hinweis. Insgesamt ist diese Darstellung der Ereignisse oberflächlich und entwertet sie in ihrer Deutung durch den Gebrauch des Konzepts der „ethnischen Säuberung“ als Schlüsselbegriff. Aber das Grundinteresse dieses Lehrbuchs liegt vor allem darin, die politische Instrumentalisierung der Ereignisse zu kritisieren. Es wird vor allem auf die lang andauernde Zensur und ihre Motive verwiesen, wobei alle politischen Erben der Resistenza in Haftung genommen werden – von der Democrazia Cristiana bis zum Partito Comunista Italiano –, die „nicht wollten, dass die von jugoslawischen Partisanen begangenen Gräueltaten […] das positive Bild der antideutschen Freiheitskämpfe kompromittierten“. Daraufhin steigen die Autoren vollends in die jüngsten Debatten ein, indem sie zeigen, wie hingegen Parteien, die der Tradition der Resistenza fern stehen (wie Forza Italia) oder „entfernte Nachfolger der faschistischen Bewegung“ sind (wie Alleanza Nazionale), „auf der Schwere der Vorkommnisse beharrt haben, um die Verantwortlichkeiten für die Gräuel gegeneinander aufzuwiegen, die in der Zeit
47 Ebd., S. 375f. 48 Pietro Cataldi et al.: Di fronte alla storia. Eventi, persone, luoghi fra passato e presente. 3. Il Novecento e oltre (dal 1914 a oggi), Palermo 2009, S. 238.
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des Bürgerkriegs in Europa begangen wurden, und so dem Gedenktag an die Opfer der nationalsozialistischen Konzentrationslager einen Gedenktag an die Opfer der Foibe entgegenzusetzen.“ Eine für Lehrbücher unübliche, starke und klare Meinungsäußerung, die sicher wichtig ist, um den Schülern ein Bewusstsein für politische Geschichtsmanipulationen zu geben; um jedoch Wirkung zu erzielen, hätte sie sich auf vertiefte Informationen der Ereignisse stützen müssen. Ein ausgewogenerer Ansatz findet sich nur bei Alberto Mario Banti, der die repressive Politik Italiens sowohl in Griechenland als auch in Jugoslawien beschreibt, wenn auch zusammenfassend und ohne Erwähnung einzelner Ereignisse. Er zitiert Roatta und schreibt, die italienische Unterdrückungspolitik sei geprägt gewesen von Säuberungsaktionen, Exekutionen von Bürgern, die verdächtigt wurden, die Partisanen zu unterstützen, sowie von der Zerstörung von Dörfern und Deportationen.49 Banti fügt somit die Repressionen in den allgemeineren Kontext des „Krieges gegen Zivilisten“ ein, der auf unterschiedliche Art das Vorgehen der deutschen und italienischen Truppen charakterisiert habe, wobei er insbesondere die Ereignisse, für die die Deutschen verantwortlich waren, detaillierter darstellt. Später legt Banti auf fast zwei Seiten den Fall der Foibe und der Fluchtbewegungen dar, wobei er sich in aller Ausführlichkeit zur Art der Opfer auslässt und ihre Zahl notwendigerweise nur annähernd bestimmt, „wegen der Schwierigkeit, die Archivdokumente aufzufinden, die auf diese Operationen verweisen, und auch wegen der Schwierigkeit, alle Foibe als solche zu identifizieren“:50 Er spricht so von einem „nachgewiesenen“ Minimum von 5.000 und einem „hypothetischen“ Maximum von 17.000 Personen. Die Motive für diese Gewalttaten setzen sich zusammen aus Rache, politischer Säuberung und antiitalienischem Nationalismus, mit dem Ziel „die italienische Bevölkerung so weit wie möglich aus der Region zu entfernen, um die eigene Kontrolle über das Gebiet zu sichern, es an das kommunistische Jugoslawien anzuschließen und wieder mit Slawen zu bevölkern“.51 Darauf folgte der Exodus, von dem, wie Banti schätzt, 250.000 Personen betroffen gewesen seien – eine erzwungene Flucht, auf Grund der offensichtlichen Anfeindungen vonseiten der jugoslawischen Obrigkeiten, die „die italienischen Flüchtlinge gezwungen haben, all ihr Eigentum zu verlassen; Häuser, Land und Läden werden den kroatischen und slowenischen Familien zugeteilt“.52
49 Alberto Mario Banti: Il senso del tempo. Manuale di storia. 1870-oggi, Roma/Bari 2008, S. 455f. 50 Ebd., S. 484. 51 Ebd. 52 Ebd., S. 485.
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Summa summarum geben die italienischen Lehrbücher – mit der einzigen Ausnahme von Banti – kein ausgewogenes Bild über die Ereignisse ab, was vor allem den Erzählungen zugunsten der italienischen Opfer geschuldet ist. Im Übrigen weisen auch die slowenischen Lehrbücher ein Ungleichgewicht in entgegengesetzter Richtung auf, indem sie alle Aufmerksamkeit auf die italienische Besetzung richten und die antiitalienische Gewalt nicht erwähnen, wie sich beispielsweise in einem der verbreitetsten Lehrbücher, dem von Božo Repe53, zeigt. Der nationale Blickwinkel überwiegt also, trotz der Arbeit der Historiker, und dieses verzerrte Bild wird darüber hinaus von den jüngsten Eingriffen der Politik in die Geschichtsschreibung und ihre Lehre bestätigt. In der Tat hat das italienische Parlament im Jahr 2004 die Feier einer Giornata del Ricordo (Erinnerungstag) für die Foibe und den Exodus der Italiener aus Istrien und Dalmatien eingerichtet. Darüber hinaus sieht das Gesetz „Initiativen [vor], die die Kenntnis über die tragischen Ereignisse unter den Jugendlichen an Schulen jeder Art verbreiten sollen“.54 Das Gesetz wurde dieses Mal nicht nur von der MitteRechts-Mehrheit der Regierung, die es in Zusammenhang mit den langjährigen Kampagnen der Alleanza Nazionale vorgeschlagen hat, begrüßt, sondern auch zu großen Teilen von der Linksopposition, mit Ausnahme der Rifondazione Comunista und der Comunisti Italiani. Die parlamentarische Debatte darüber konzentrierte sich auf die jugoslawischen Gewalttaten und es gab nur wenige Hinweise auf den allgemeinen Zusammenhang und die vorher von den Italienern selbst verübten Gräuel, die dann auch noch von jener Ungenauigkeit und Unbestimmtheit gezeichnet waren, die bereits an einigen Geschichtsbüchern bemängelt worden war. Während der Debatte in der Abgeordnetenkammer am 10. Februar 2004 begnügte sich der Sekretär der Democratici di Sinistra Pietro Fassino damit, von während der italienischen Besatzungszeit begangenen „Missetaten“ und „Schikanen“ zu sprechen, die seiner Ansicht nach nicht die folgenden Gräueltaten gegen die Italiener rechtfertigten.55 Das Datum für den Gedenktag wurde auf den 10. Februar gelegt, jenen Jahrestag der Pariser Verträge, die 1947 Istrien Jugoslawien zuschrieben. Mit diesem Gesetz hat die italienische Politik folglich
53 Božo Repe: Sobodna zgodovina. Zgodovina za 4. Letnik gimnazij, Ljubjiana 2008, S. 188ff. und 213ff. 54 Gesetz vom 30. März 2004, Nr. 92: Istituzione del „Giorno del ricordo“ in memoria delle vittime delle foibe, dell’esodo giuliano-dalmata, delle vicende del confine orientale e concessione di un riconoscimento ai congiunti degli infoibati, in: Gazzetta Ufficiale, Nr. 86, 13.4.2004. 55 Camera dei Deputati, Parlamentarische Akten, 14. Legislaturperiode – Debatten – Sitzung vom 11. Februar 2004 – Nr. 422, S. 28.
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den Sinn der Arbeit der italienisch-slowenischen Historikerkommission zunichte gemacht: eben entgegengesetzte Erinnerungen mit einem gemeinsamen historischen Diskurs zu überwinden. Slowenien hat, indem es als Reaktion auf den italienischen einen eigenen Gedenktag einrichtete, übrigens den gleichen Weg wie Italien beschritten. Anfangs wurden Daten vorgeschlagen, die an die italienischen Gewalttaten erinnerten, wie der Jahrestag der faschistischen Brandschatzung des slawischen Kulturhauses (Narodni dom) in Triest im Jahr 1920 oder die Erschießung von fünf im Jahr 1930 vom Spezialtribunal verurteilten Slowenen56; letztlich wurde jedoch ein Datum gewählt, das den slowenischen Sieg feierte, den 15. September 1947, als die Pariser Verträge in Kraft traten, die Jugoslawien Primorska, also den adriatischen Küstenstreifen, zuschrieben.57 So wird in Italien und in Slowenien derselbe Vertrag an unterschiedlichen Tagen und unter verschiedenen Zeichen gefeiert. Wie haben die italienischen Schulen auf die Feier des 10. Februars reagiert? Wir haben gesehen, dass die Geschichtslehrbücher zumeist zu einer unausgeglichenen Ereignisdarstellung neigen und diese Tendenz wird durch das Gesetz von 2004 ohne Weiteres verstärkt. Ein im Jahr 2010 vom Bildungsministerium veröffentlichter Band, der die Schulinitiativen zusammenfasst, bestätigt, dass die didaktische Praxis sich auf die jugoslawischen Gewalttaten konzentrieren.58 Einen ähnlichen Ansatz verfolgt das vom Istituto per la storia dell’Umbria contemporanea verfasste didaktische Material.59 In gegensätzliche Richtung geht hingegen die im Jahr 2007 vom damals mitte-links-gerichteten Römer Provinzausschuss und von einer staatlichen Oberschule, dem liceo scientifico ‚P. Paleocapa‘ in Rovigo eingerichtete Gemeinschaftsinitiative zweier Tagungen, deren Beiträge in einem Band herausgegeben wurden.60 Die Initiative wurde explizit in Übereinstimmung mit den Arbeiten der italienisch-slowenischen Historikerkommission gebracht und hat italienische, slowenische und kroatische Historiker zu-
56 Bojan Brezigar: Globlji pomen „dneva kasneje“, in: Primorski dnevnik, 1.9.2005. 57 Zakon o praznikih in dela prostih dnevih v Republiki Sloveniji uradno preþišþeno besedilo, in: Uradni list Republike Slovenije, Nr. 112, 15.12.2005, S. 12019f. 58 Ministero dell’Istruzione, dell’Università e della Ricerca, Direzione Generale per gli Ordinamenti Scolastici e per l’Autonomia Scolastica (Hg.): Le vicende del confine orientale ed il mondo della scuola, in: Studi e documenti degli Annali della Pubblica Istruzione, 133/2010. 59 Giovanni Codovini und Dino Renato Nardelli: Le Foibe. Una storia dai confini mobili. Archivio simulato per la scuola secondaria di secondo grado, Perugia 2005. 60 Pierluigi Pallante (Hg.): Il giorno del ricordo. La tragedia delle foibe, Roma 2010.
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sammengeführt, die ein mehrstimmiges Bild über sämtliche zentrale Aspekte der Ereignisse ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gezeichnet haben. Das Problem einer ausgewogenen Lehre zu den Ereignissen an der italienischen Ostgrenze ist folglich noch weit entfernt von einer zufriedenstellenden Lösung, wobei das Lehrbuch von Banti eine interessante Ausnahme darstellt. Die gemeinsame historische Forschung hat sehr wichtige Schritte getan, aber die Politik ist nach einigen anfänglichen Öffnungen wieder in instrumentalisierte Gegensätze verfallen, die dort mehr Wirkung erzielen, wo, wie in Slowenien, die Lehrbücher ministerieller Kontrolle unterliegen. Die Freiheit der italienischen Autoren ist hingegen eine Möglichkeit, die genutzt werden sollte, um der politischen Einmischung in die Geschichtslehre entgegenzutreten. Übersetzung: Claudia Müller
Triester Erinnerungen und Erinnerungsorte des 20. Jahrhunderts F RANCESCO F AIT
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MUSEI DI STORIA E ARTE
T RIESTS
Die Civici musei di storia e arte di Trieste, die der Kommune Triest gehören, bestehen aus fünfzehn Einrichtungen: drei für alte und mittelalterliche Geschichte (Civico museo di storia e arte – orto lapidario, Castello di San Giusto – Civico museo del castello di San Giusto e Armeria del Castello, Lapidario tergestino); sechs für Zeitgeschichte (Civico museo di storia patria, Civico museo del Risorgimento – Sacrario Oberdan, Civico museo di guerra per la pace ,Diego de Henriquez‘, Civico museo della Risiera di San Sabba – monumento nazionale, Foiba di Basovizza – monumento nazionale, Civico museo della civiltà istriana fiumana e dalmata); eines für Kunstgeschichte (Civico museo d’arte orientale); zwei historische Villen, die in originaler Ausstattung erhalten sind (Civico museo Sartorio, Civico museo Morpurgo de Nilma) sowie drei weitere Einrichtungen unterschiedlicher Art (Civico museo teatrale ,C. Schmidl‘, Museo postale e telegrafico della Mitteleuropa, Museo ferroviario di Trieste Campo Marzio). Drei der oben genannten Einrichtungen sind auch Erinnerungsorte, Schauplätze dramatischer und gewaltsamer Ereignisse, die deshalb erhalten und umgestaltet wurden, um ebenjene Ereignisse zu erzählen. Damit stellen sie jene Verbindung der beiden Disziplinen dar, die Pierre Nora in seiner bekannten Definition hervorhebt: die der Geschichte und die der Geographie. Es handelt sich um das Civico museo del Risorgimento – Sacrario Oberdan und die Nationaldenkmäler Civico museo della Risiera di San Sabba und Foiba di Basovizza. Dieser Beitrag versucht, folgende Aspekte dieser Orte zu erläutern: die geschichtlichen Ereignisse, die sie zu Erinnerungsorten gemacht haben; die historischen Zusammenhänge, in denen sich ihre Monumentalisierung vollzog; die Art
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und Weise, die gewählt wurde, den Ort durch die Gestaltung seiner äußeren Form zu vermitteln, sowie die durch die Monumentalisierung entstandenen Probleme.
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AUSGANGSPUNKTE
Der Fall Guglielmo Oberdan Im Jahr 1882 unterzeichnete die von Francesco Crispi geführte italienische Regierung den Dreibund mit Deutschland und Österreich-Ungarn. Dieses außenpolitische Ereignis stellte einen schweren Schlag für die Erwartungen und die Ambitionen der Bewohner der damals Österreich-Ungarn zugehörigen italienischsprachigen Gebiete (Trient und Triest) dar, die ihren Wiederanschluss an das Königreich Italien herbeisehnten. In diesem Zusammenhang wuchs der Wunsch, mit einer starken Geste die Aufmerksamkeit der italienischen Öffentlichkeit zu erregen. Die Gelegenheit bot sich durch die in Triest organisierten Feiern zum 500. Jubiläum des Atto di dedizione (Vertrag über die Unterwerfung Triests unter Österreich): Am 2. August explodierte während einer Parade von Triester Veteranen der österreichischen Armee eine Bombe, die Tote und Verletzte forderte. Angeblich habe sich in jenen Tagen der Triester Guglielmo Oberdan in der Stadt herumgetrieben. Nach dem Ereignis konnte er nach Italien flüchten. Anlässlich des bevorstehenden Besuchs des Kaisers Franz Josef und seiner Gattin Elisabeth versuchte Oberdan erneut, in das Küstengebiet einzudringen, wurde aber an der italienisch-österreichischen Grenze festgenommen. Als bei ihm eine Pistole und zwei Bomben gefunden wurden, gab er zu, dass er damit einen Anschlag auf die Habsburger habe verüben wollen. Nach Triest überführt, wurde er zuerst im Jesuitengefängnis und später in der Zelle der Caserma grande inhaftiert und zwei Prozessen unterzogen: einem wegen Fahnenflucht, dem zweiten wegen der Planung des Anschlags gegen das Kaiserpaar. Um den jungen Triester zu retten, mobilisierte man sich europaweit, wobei sich auch Intellektuelle des Formats eines Victor Hugo und Giosuè Carducci engagierten; nichts konnte aber die Hinrichtung des Triester Irredentisten verhindern: Er wurde im Triester Militärfriedhof begraben.
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Das Polizeihaftlager der Risiera di San Sabba Nach dem 8. September 1943, dem Tag, an dem sich die italienische Monarchie vom Deutschen Reich löste und der Waffenstillstand mit den Alliierten proklamiert wurde, waren Triest und die Region Julisch Venetien nicht mehr Teil des italienischen Staates. Mit der Gründung der ,Operationszone Adriatisches Küstenland‘ gehörten sie nunmehr zu einem direkt vom Deutschen Reich verwalteten Gebiet, welches die Provinzen von Triest, Rijeka, Pula, Görz, Udine und Ljubljana umfasste (letztere war nach der Invasion Jugoslawiens durch die Achsenmächte im April 1941 ,italienische Provinz‘ geworden). Die Regierung des Küstenlands vertraute Hitler dem Kärntner Gauleiter Friedrich Rainer an, der am 1. Oktober 1943 die absolute politische und administrative Herrschaft übernahm. Präfekten und Ortsvorsteher wurden der Kontrolle deutscher ,Räte‘ unterworfen. Darüber hinaus wurden Normen für den Einsatz der lokalen italienischen, slowenischen und kroatischen Militäreinheiten festgelegt. Diese Kollaborateure wurden in verschiedener Weise und mit unterschiedlichen Dienstgraden betraut in den Dienst der Besatzungsmacht gestellt. Die Polizeikontrolle sowie die politische, rassistische und AntipartisanenRepression wurden der Oberaufsicht der SS anvertraut. Der in Triest geborene SS-Obergruppenführer Odilo Globoþnik, Nationalsozialist der ersten Stunde, der eng mit Himmler verbunden war und während der so genannten ,Aktion Reinhard‘ die Massaker von über zweieinhalb Millionen Juden in Polen organisiert hatte, ließ sich im Küstenland mit einer großen Zahl von professionellen Mördern nieder. Es handelte sich um das so genannte ,Einsatzkommando Reinhard‘, das aus etwa hundert Personen bestand, die die Massaker von Sobibor, Belzec und Treblinka – polnische Vernichtungslager der ,Aktion Reinhard‘ – begangen hatten und schon seit 1939 in die ,Aktion Tiergartenstraße 4‘ einbezogen gewesen waren, einem Programm systematischer Vernichtung körperlich und psychisch kranker Menschen, die die rassistische Eugenik als ,Ballastexistenz‘ bezeichnete, was zur Vernichtung von etwa 70.000 Leben geführt hatte. Mittelpunkt und Sinnbild der Repression im Adriatischen Küstenland war die von den Nationalsozialisten selbst als Polizeihaftlager bezeichnete Risiera di San Sabba, welche drei verschiedene Funktionen erfüllte: die Vernichtung von Geiseln, Partisanen, italienischen, slowenischen und kroatischen politischen Häftlingen und auch von Juden; als Umschlagplatz der aus politischen und rassistischen Gründen Deportierten in andere Lager des Reichs (normalerweise Dachau, Buchenwald und Mauthausen für politische Deportierte, Auschwitz und später Bergen-Belsen für jüdische Deportierte); als Lagerungsort der in den jüdischen Gemeinden des Küstenlands geraubten Güter.
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Es erweist sich als sehr schwierig, die zahlenmäßige Dimension der jeweiligen Funktionen genau zu erfassen. Während wir keinerlei Angaben über das Ausmaß und den Wert der geraubten Güter haben, die durch das Lager gingen, können wir nur schätzungsweise von einigen Tausend in andere Lager deportierten Gefangenen sprechen, wie es auch einige Tausend ermordete Partisanen und politische Häftlinge gewesen sein werden. Diesbezüglich gestanden die Nationalsozialisten, die in der Nachkriegszeit verhört wurden, etwa tausend Tötungen in der Risiera, während einige Schätzungen die Zahl der getöteten Personen auf um die 3.000 bis 5.000 ansetzen.
Die Foiba di Basovizza Im Herbst 1943 und im Frühjahr 1945 fand eine unbestimmte, aber auf einige Tausend anzusetzende Zahl von Einwohnern Julisch Venetiens – größenteils Italiener – gewaltsam den Tod. Jene Tötungen stehen in Zusammenhang mit zwei Wellen militärischer und politischer Gewalt, die von Teilen der jugoslawischen Befreiungsbewegung sowie von Organen der neuen jugoslawischen Regierung selbst entfesselt wurden. Ein Teil der Opfer wurde in die Foibe (natürliche Karsthöhlen) geworfen, viele andere starben in den jugoslawischen Gefängnissen und Konzentrationslagern. Über das Ausmaß der Massaker wurde viel diskutiert, aber die glaubwürdigsten Schätzungen berichten von 600 bis 700 Opfern für das Jahr 1943, als vor allem Istrien betroffen war. Für das Jahr 1945 geht man von über 10.000 Gefangenen aus, von denen einige Tausend nie wieder zurückkehrten. Das Epizentrum der Gewalt bildeten nunmehr Triest und Görz, obwohl es auch weiterhin auf der istrischen Halbinsel zu Liquidierungen kam. Dieses Phänomen kann durch den Zeitpunkt, an dem die Gewaltausbrüche stattfanden, nämlich jeweils zum Ausbruch einer Krise – zuerst nach dem italienischen Zusammenbruch, dann nach dem deutschen –, in einen konkreten Kontext eingeordnet werden: den des gewaltsamen Herrschaftswechsels zwischen zwei opponierenden Mächten, die sich in einem totalen Krieg bekämpft hatten. Die so genannte Foiba di Basovizza ist eigentlich ein Erzschacht, der, um einen Kohleflöz zu erschließen, Anfang des 20. Jahrhunderts gegraben und bald wegen Unergiebigkeit aufgegeben wurde. Ende April 1945 fanden in Basovizza gewaltsame Kämpfe zwischen den auf die Stadt vorrückenden jugoslawischen Formationen der 4. Armee und den sich zurückziehenden deutschen Einheiten statt. Viele Gefallene beider Seiten blieben auf dem Feld und das Gebiet soll angeblich unverzüglich geräumt worden sein, indem die Toten in den Schacht hinabgestürzt wurden.
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In den ersten Maitagen 1945 wurde Basovizza von Kolonnen italienischer, deutscher und slawischer Militärgefangener sowie von Zivilisten durchquert, die in Triest gefangen genommen worden waren und in slowenische Konzentrationslager gebracht werden sollten. Das Komitee der nationalen Befreiung (CLN) Triests, das nach der jugoslawischen Besetzung der Stadt im Verborgenen zurückgekehrt war, sammelte und verbreitete am 5. Juni 1945 Nachrichten über Vollstreckungen im Eilverfahren, die in Basovizza stattgefunden hatten. Kurz danach sammelte eine Einsatztruppe des angloamerikanischen Geheimdienstes Zeugenaussagen zu einem Massaker, dem nach einem von Offizieren der 4. Jugoslawischen Armee durchgeführten Schnellverfahren eine unbestimmte Zahl Gefangener, Soldaten, Polizisten und Zivilisten zum Opfer gefallen waren. Die Zahl der in die Höhlen gestürzten Menschen wurde nie genau festgestellt: Ein jugoslawischer Polizeibericht aus der unmittelbaren Nachkriegszeit spricht von 250 Personen, einige Berechnungen gehen von einer zehnmal höheren Zahl aus.
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ZUR M ONUMENTALISIERUNG FÜHRENDE HISTORISCHE K ONTEXT Die Schilderung der hier angedeuteten historischen Ereignisse wurde absichtlich an die Formulierung jener Texte angelehnt, die den Besuchern der genannten Orte täglich zur Verfügung stehen: kostengünstige Reiseführer, die in den jeweiligen Buchläden verkauft werden. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass es verschiedene andere bibliographische Quellen gibt, die in einigen Fällen im ausgesprochenen Gegensatz zu den oben genannten Reiseführern stehen.1 Die in den Reiseführern wiedergegebenen historischen Rekonstruktionen tragen ebenso wie die Monumentalisierung der Orte selbst und die Fortführung einer Erinnerungsliturgie in Zeremonien und offiziellen Gedächtnisfeiern dazu bei, jenen Ort, von dem sie erzählen sollen, dem Dialog mit der Zeit zu entziehen und ihn dauerhaft gleichsam in Bernstein einzuschließen. Dadurch wird dieser zu einer Art Fossil, das Beachtung findet und demgegenüber starke Emotionen hervorgerufen werden sollen, während gleichzeitig – Ausnahmefälle ausgenommen
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Vgl. Laura Ruaro Roseri und Bianca Maria Favetta: Il Civico museo del Risorgimento e il Sacrario Oberdan a Trieste, Trieste 2008, sowie Direzione dei Civici musei di storia e arte di Trieste (Hg.): Risiera di San Sabba: monumento nazionale, Trieste 2001.
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– die kritische bzw. kognitive Dimension im Vergleich zur emotionalen im Hintergrund gehalten wird. Diese Form der ,Entzeitlichung‘ des Erinnerungsorts verhüllt auch dessen Entstehung und Gründung insofern, als dass man dazu neigt, nicht zu bedenken, dass die Entscheidung, einen Ort ,in Bernstein einzuschließen‘, auch – und unter einem chronologischen Gesichtspunkt vor allem – das Ergebnis politisch-administrativer Entscheidungen ist, welche ihrerseits ein bestimmtes kulturelles und politisches Klima widerspiegeln. Dies trifft – wenn auch hier wahrscheinlich weniger stark wahrgenommen – auf die Gedenkstätte Oberdan ebenso zu wie auf die Risiera di San Sabba und die Foiba di Basovizza. Die Zelle, in der Guglielmo Oberdan in Haft gehalten worden war, und deren Vorraum, die als einziger Teil der Caserma Grande nach deren Abriss aus städtebaulichen Gründen übrig geblieben waren, wurden später Teil des Civico museo del Risorgimento, das bereits seit 1922 an anderer Stelle existiert hatte. Die Verquickung beider Einrichtungen fand im Jahr 1934 statt, als das eigens als neuer Sitz des Museo del Risorgimento entworfene Gebäude (was bis heute einzigartig in der Stadt Triest ist!) sowie dessen Nebengebäude, die Casa del Combattente, erbaut wurden. Das neue Museo del Risorgimento ist ein vierstöckiges Gebäude mit einer Verlängerung an der Spitze, die einem in den Himmel zeigenden Finger ähnelt und das Bauwerk so auch von weither sichtbar und als neues Symbol des Stadtlebens wahrnehmbar macht. Die 30er Jahre sind für das faschistische Regime auch in städtebaulicher Hinsicht zentrale Jahre: Die architektonischen Eingriffe (die in Abstufungen vom einzelnen Monument über die Errichtung der großen, den Soldaten des Ersten Weltkriegs gewidmeten ,Gedenkstätten‘ und mehr oder weniger durchstrukturierten städtebaulichen Veränderungen bis hin zu neuen Stadtgründungen reichen) sind einer der Kernpunkte der Politik Mussolinis, die für die – weil ,erlöste‘ und zur Symbol-Stadt gewordene – Stadt Triest besonders relevant war. In Triest wurden tatsächlich umfassende Maßnahmen städtebaulicher Veränderung realisiert, welche das Stadtzentrum, aber auch – vor allem unter einem symbolischen Gesichtspunkt – die Peripherie betrafen. Beispielhaft kann der Colle di San Giusto genannt werden, auf dem ein Gedächtnispark angelegt wurde, der ursprünglich als topographische Gedenkinitiative initiiert wurde, um bald mehr als das zu werden. Die Tatsache, dass die der Umstrukturierung des Parks vorausgehenden Bodenerforschungen archäologische Funde aus römischer Zeit ans Licht brachten, beförderte umgehend eine Deutung der Geschichte und des Schicksals der neuen, italienischen Stadt Triest als Kreislauf: von den Ruinen des antiken Roms über den autonomistischen Lokalpatriotismus und den Irredentismus (auf dessen Verfechter Oberdan insofern hingewiesen wird, als dass der neue Colle
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San Giusto und der Turm des Museo del Risorgimento – Sacrario wegen ihrer einander gegenüberliegenden Lage ,im Dialog miteinander stehen‘) bis zum neuen, mussolinischen Imperium, geformt aus dem in den Schlachten des Ersten Weltkriegs vergossenen Blut. Auch die Monumentalisierung der Risiera di San Sabba ist das Ergebnis des Klimas einer Epoche – bzw. der 60er Jahre –, als man in Italien versuchte, eine historische Deutung der Jahre 1943 bis 1945 durchzusetzen, die der nationalen Bedeutung der Resistenza in der gesamten Bevölkerung Akzeptanz verleihen sollte. Dieses Erfordernis hatte sich aus der bitteren Erkenntnis ergeben, dass „ein großer Teil der herrschenden Gesellschaft im politisch von der christdemokratischen Mitte geprägten Italien der 50er Jahre wahrscheinlich […] eine offene Abneigung gegen die Resistenza hegte“.2 Dies offenbarte sich in einem konkreten historischen Kontext, nämlich zu Beginn der 60er Jahre, als zwei Ereignisse eine zentrale Bedeutung erlangten. Im Sommer 1960 stürzte die Regierung Tambroni infolge der öffentlichen Proteste und Demonstrationen, die von der Genehmigung einer MSI-Tagung in Genua ausgelöst worden waren. Der MSI – Movimento Sociale Italiano – trat in der Nachkriegszeit als Partei auf, die das Erbe des Faschismus fortführte, und unterstützte die Regierung Tambroni. Er sollte nun ausgerechnet in der Stadt tagen, die mit der Goldmedaille des Widerstands ausgezeichnet worden war. Zudem war es 1963 zur Bildung der ersten Mitte-Links-Regierung gekommen, der auch der PSI (Partito Socialista Italiano) angehörte. Das Jahr 1965, in dem die Risiera di San Sabba durch eine Verordnung des Staatspräsidenten Giuseppe Saragat zum Nationaldenkmal erklärt wurde, war auch das Jahr, in dem die Feiern zum 25. April – dem 20. Jubiläum der Befreiung Italiens – zum ersten Mal festlich, einvernehmlich und im ganzen Land begangen wurden. Als paradigmatisch erwies sich die in Mailand von Saragat gehaltene Rede, die die Bemühungen deutlich werden lässt, die Italiener in der Deutung der Resistenza nunmehr zu einen, statt sie – wie bisher – zu spalten: Saragat sprach von der Resistenza als „einem Kampf nicht einer Partei für die Partei selbst“, sondern als einem „Kampf des Volkes, das in verschiedenen, miteinander verbündeten Parteien organisiert ist“; zusammengefasst: eine „große Geste der Versöhnung in Freiheit der großen Mehrheit der Italiener“.3 Nachdem es den
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Die Aussage wird Ferruccio Parri zugeschrieben, italienischer Politiker und erster Ministerpräsident, der eine Regierung nationaler Einheit nach der Befreiung angeführt hat; zit. in: Filippo Focardi: La guerra della memoria. La Resistenza nel dibattito politico italiano dal 1945 a oggi, Roma/Bari 2005, S. 40.
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Status als Nationaldenkmal im Jahr 1965 erhalten hatte, wurde das Civico museo della Risiera di San Sabba – monumento nazionale, wegen besonders komplexer Verwaltungsabläufe bezüglich der Auftragsvergabe für die Beplanung des Areals, erst zehn Jahre später, am 24. April 1975, feierlich eröffnet.4 Auch in Bezug auf die Foiba di Basovizza ist die Anerkennung des Status als Denkmal von nationalem Interesse im Jahr 1980 wie auch die bedeutendere als Nationaldenkmal im Jahr 1992 in einen entscheidenden historischen Kontext eingebettet, der sowohl nationale (Isolierung des PCI, Partito Comunista Italiano, seit 1980 mit Beginn der Regierungen des so genannten Pentapartito) als auch in der Folgezeit internationale Dimensionen einnahm (Erosion und Zusammenbruch der kommunistischen Diktaturen). Diese Rahmenbedingungen haben dazu beigetragen, dass die radikale Kritik am ,antifaschistischen Paradigma‘ deutlich zunahm. Es zeigten sich in der Folge einerseits Angriffe gegen die Resistenza, indem einige ihrer Episoden neu gedeutet wurden: zum Beispiel das Massaker der Fosse Ardeatine (jener Vergeltungsakt für das nun als feige und militärisch unnötig angesehene Attentat in der Via Rasella) oder die nach dem Kriegsende von den Partisanen durchgeführten Verbrechen und Vergeltungsmaßnahmen im so genannten Triangolo della morte – dem tödlichen Dreieck – in der Region Emilia. Andererseits wurden die Themen, die bis dato lediglich in Triest und im dortigen Kontext intensiv erörtert worden waren, auf nationale Diskurse ausgedehnt: etwa die brutale vierzigtägige Besetzung Triests durch die jugoslawischen Truppen Titos, die Massaker in den Foibe sowie, allgemeiner, der ,Exodus‘ von etwa 300.000 Italienern aus Istrien, Rijeka und Dalmatien, nachdem diese Gebiete vom Königreich Italien an die Föderative Republik Jugoslawien übertragen worden waren. Letztlich wurde im Jahr 2004 mit einem Gesetz des italienischen Parlaments ein ,Gedenktag‘ (Giorno del ricordo) zur Erinnerung an die oben genannten Themen eingeführt; eine Maßnahme, die in einigen Fällen als Konkurrenz zur Einführung des ,Gedenktages an die Opfer des Nationalsozialismus‘ (Giorno della memoria) im Jahr 2001 aufgefasst wurde, der, wie in ganz Europa, an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz erinnert.
4
Das Verfahren wird rekonstruiert in Massimo Mucci: La Risiera di San Sabba a Trieste. Un’architettura per la memoria, Trieste/Gorizia 1999.
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ERZÄHLT SICH SELBST : ARCHITEKTONISCHE UND SYMBOLISCHE K OMMUNIKATIONSFORMEN DER E RINNERUNG Die Guglielmo Oberdan gewidmete Gedenkstätte besteht aus der Zelle und deren Vorraum, in denen der zum Tode Verurteilte seine letzten Tage vor der Vollstreckung verbracht hatte. Davor ist eine Skulptur errichtet worden, die Oberdan auf dem Weg zur Hinrichtung darstellt, wie er mit gebundenen Händen zwischen den geflügelten Personifikationen von Vaterland und Gerechtigkeit hindurch geht. An den Wänden der Gedenkstätte hängen verschiedene Marmorarbeiten: eine knappe Biographie des Triesters, der Text seines berühmten Briefs Ai fratelli italiani (,Den italienischen Brüdern‘), die Liste der ,im Kampf für Italien gefallenen‘ Freiwilligen aus Julisch Venetien (von 1934). Diesen wurden zwei weitere Listen hinzugefügt, um die Kontinuität zwischen Irredentismus und Faschismus zu verdeutlichen, nämlich jene der ,Gefallenen der [faschistischen] Revolution‘ und der ,Gefallenen des Spanischen Bürgerkriegs‘. Interessant ist auch die Anbringung der Wappen jener italienischen Städte, die mit einer Förderung in Höhe von einem Centesimo pro Einwohner zur Errichtung der Gedenkstätte und des Museums beigetragen hatten. Die Lünetten der Arkaden des Zentralsaals im ersten Stock des Museums sind mit allegorischen Fresken der sieben ,erlösten‘ Städte sowie der mit verschleiertem Gesicht dargestellten ,unerlösten Stadt‘ Split bemalt. Daneben befinden sich die Allegorien der Stadt Triest und Italiens, deren Gesamtdarstellung nebst Liktorenbündel in der Hand eine gesamte Arkade einnimmt. Diese Fresken von Carlo Sbisà wurden durch zwei vom selben Künstler realisierte Freiwilligenpaare des Ersten Weltkriegs ergänzt: Dargestellt sind ein Infanterist mit einem Matrosen sowie ein Artillerist mit einem Piloten der Luftwaffe. Der Triester Architekt, den man mit dem Auftrag betraute, die Überreste des Lagers Risiera di San Sabba in eine Gedenkstätte zu verwandeln, musste in seinem Entwurf verschiedene Faktoren berücksichtigen. Zunächst einmal die oft traumatischen Veränderungen, die dem Ort widerfahren waren: Am bedeutendsten ist die absichtliche Sprengung jener Gebäude, die das Krematorium enthielten, und dessen Schornsteins durch die Nationalsozialisten kurz vor ihrem Rückzug. Zu nennen sind aber auch die zuvor von den Alliierten durchgeführten Bombardierungen des Lagers – sowohl als dieses sich noch in Betrieb befand, als auch nach seiner Befreiung, als es als Flüchtlingslager genutzt wurde, ebenso wie die weit reichenden Umstrukturierungen der Gebäude im Zusammenhang mit ihrer veränderten Nutzung und schließlich die Brände, darunter jener von 1967, bei dem man von Brandstiftung ausgeht. Zudem musste auch berücksich-
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tigt werden, dass die Stadt Triest, die die Risiera erworben hatte, die Erhaltung und ,Dramatisierung‘ lediglich eines kleinen Teils des Gebäudekomplexes (ungefähr einem Viertel) zur Bedingung gemacht und den Abriss der übrigen Teile verordnet hatte. Der Triester Architekt Romano Boico, der den von der Stadt ausgeschriebenen Wettbewerb gewonnen hatte, wollte in seinem architektonischen Projekt die Trostlosigkeit der verlassenen Risiera erlebbar und sie zur stilistischen Chiffre des Monuments machen. Nach dem Abriss der verfallenen Gebäude plante Boico den Bau einer elf Meter hohen Stahlbetonmauer, um einen beunruhigenden, suggestiven Eingang zu errichten und dem eingefriedeten Hof das Aussehen einer ,Basilika unter freiem Himmel‘ zu geben. Darüber hinaus wollte der Architekt mit der Entkernung der Gebäude und dem ,Entweiden‘ der hölzernen Träger sowie, gleichermaßen, mit der philologischen Erhaltung der Cella della morte (Todeszelle) und der Microcelle (kleinste Gefängniszellen) die Gebäude des Museums und des so genannten Museo delle croci (Kreuzmuseums) zu reinen ,Hüllen‘ machen. Schließlich sollten die düstersten Stellen des Lagers symbolisch zum Ausdruck gebracht werden. Der Bereich, in dem die Liquidationen stattfanden, das Krematorium und der Schornstein – die man nicht erhalten, sondern nur evozieren konnte, da sie, wie gesagt, von den Nationalsozialisten zerstört worden waren – wurde in einem ,Schreckensweg‘ aus Stahl versinnbildlicht. Leicht abgesenkt im Boden ist die Spur des Ofens, der Rauchleitung und der Schornsteinbasis nachgezeichnet. An der Stelle des ehemaligen Schornsteins befindet sich nun eine Eisenskulptur. Die Geschichte der Foiba di Basovizza beginnt im Hinblick auf ihre Erhaltung und spätere Monumentalisierung im Jahr 1959, als das allgemeine Kommissariat für Kriegsehrungen des Verteidigungsministeriums eine erste, grundsätzliche Einordnung des Ortes als Denkmal vornahm und zwei Jahre später dafür sorgte, dass eine Steinplatte über dem Schacht angebracht wurde. Wie gesagt, ist das Wort Foiba im Bezug auf Basovizza nicht korrekt, weil es sich um einen Erzschacht handelt. Der ungenaue Begriff wird aber gewöhnlich bewusst verwendet, auch wenn es paradox erscheint, weil die Foiba di Basovizza symbolisch gesprochen stellvertretend für alle Foibe Julisch Venetiens steht, und, allgemeiner, für die dramatischen Geschichten derjenigen, die hingerichtet und 1943 oder 1945 in die Foibe geworfen oder in jugoslawische Konzentrationslager deportiert wurden und spurlos verschwanden – nicht selten erst nach dem Ende der Feindseligkeiten. Die ausdrucksvolle Schlichtheit des Steins wurde in Basovizza um ein Kreuz erweitert, das auf dem Sockel eine Inschrift mit einigen Passagen der vom Triester Bischof Monsignore Antonio Santin verfassten Preghiera dell’infoibato trägt.
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Zudem wurde ein vom Bildhauer Tristano Alberti geschaffener Grabstein angebracht, der einen Schnitt der Höhle mit deren wahrscheinlicher Schichtung darstellt. In der Folgezeit wurde der Bereich um eine Mauereinfriedung, Zierpflanzen, Grabsteine sowie einen Fahnenständer ergänzt. Schließlich wurde im Jahr 2006 die Umwandlung der Foiba in ein Denkmal mit einem Projekt des Architekten Ennio Cervi abgeschlossen: Die Stätte wurde erweitert, eingefriedet und mit überdachten Räumlichkeiten ausgestattet, in denen der Sitz des Dokumentationszentrums und die historische Dauerausstellung ihren Platz fanden. Die Steinplatte wurde mit einer Eisenstruktur überzogen, auf der eine Skulptur von Livio Schiozzi aufgestellt wurde. Diese stellt ein mit einem Kreuz gekröntes Gerüst dar, das an die Seilwinde erinnern soll, die für die Erforschung vieler Foibe im Karst und in Istrien verwendet wurde. Das neue Denkmal der Foiba wurde 2007 feierlich eröffnet.
D IE M ONUMENTALISIERUNG DER E RINNERUNG : W IRKSAMKEIT UND K ONSEQUENZEN Es ist in diesem Zusammenhang weniger von Interesse, ob ein Denkmal richtiger und wirksamer ist, wenn der Erinnerungsort mit rein philologischen Eingriffen im Original erhalten bleibt, oder wenn die originalen Räume und Inhalte durch neue, künstliche ersetzt werden. Beide Möglichkeiten bergen Vor- und Nachteile und es scheint deshalb interessanter zu sein, sich auf die Folgen zu konzentrieren, die die bloße Existenz eines durch die Monumentalisierung ‚institutionalisierten‘ Erinnerungsortes verursacht. In erster Linie ist da der Besucherstrom aus verschiedenen gesellschaftlichen Zusammenhängen, etwa Familien, Schulklassen, Touristengruppen und so weiter, der sich über die Erinnerungsorte ergießt. Eine solche Dynamik impliziert einen zumindest quantitativ unbestreitbaren Erfolg, der sich auch in der Tatsache äußert, dass existenzielle historische, gesellschaftliche und ethische Themen ein äußerst breites Publikum erreichen, das ansonsten, ohne die monumentale Anschaulichkeit des Ortes und seine ‚Banalisierung‘ als touristische Attraktion, unerreichbar wäre. Viel kontroverser ist die Frage, ob und inwieweit der Erinnerungsort in der Lage ist, größere und strukturiertere historische Ereignisse als jene Geschichten zu repräsentieren, die lediglich an die Geographie des Ortes selbst gebunden sind. In dieser Hinsicht lohnt es sich, vielleicht einen Auszug des monumentalen Werks Pierre Noras zu zitieren, der ,Geschichte‘ und ,Gedächtnis‘ für zwei vollkommen gegensätzliche Begriffe hält:
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„Die Geschichte ist die stets problematische und unvollständige Rekonstruktion dessen, was nicht mehr ist. Das Gedächtnis ist ein stets aktuelles Phänomen, eine in ewiger Gegenwart erlebte Bindung; die Geschichte eine Repräsentation der Vergangenheit. […] Die Geschichte fordert, da sie eine intellektuelle, verweltlichende Operation ist, Analyse und kritische Argumentation. Das Gedächtnis rückt die Erinnerung ins Sakrale, die Geschichte vertreibt sie daraus, ihre Sache ist die Entzauberung. […] Das Gedächtnis ist von Natur aus auf Vermehrung und Vervielfachung angelegt, ist kollektiv, vielheitlich und doch individualisiert. Die Geschichte dagegen gehört allen und niemandem; so ist sie zum Universalen berufen. Das Gedächtnis haftet am Konkreten, im Raum, an der Geste, am Bild und Gegenstand. Die Geschichte befasst sich nur mit zeitlichen Kontinuitäten, mit den Entwicklungen und Beziehungen der Dinge. Das Gedächtnis ist ein Absolutes, die Geschichte kennt nur das Relative.“
5
Der Erinnerungsort – mit der mehr oder weniger architektonisch geschönten Evidenz seiner eigenen Realität – neigt dazu, den naturgemäß komplexen historischen Diskurs insofern zu vereinfachen, dass er quasi zur Gleichsetzung von Ort und Diskurs verleitet und letzteren wesentlicher Informationen entledigt. Dies sind beispielsweise historische Prozesse und Zusammenhänge, aus denen der Ort erwachsen ist und als deren Konsequenz er zu betrachten ist, sowie Vergleiche mit anderen Orten und Realitäten, die – selbst wenn auf sie in historischen oder dokumentarischen Ausstellungen oder mit anderen Mitteln hingewiesen wird – oft wegen der Emotionalität, die der Ort bei den Zuschauern auslöst, in den Hintergrund treten. In diesem Zusammenhang zeigt sich, dass der Ort als Monument, allein aufgrund seiner Existenz, in erdrückender Weise gegenüber anderen Orten dominiert: Obwohl letztere eine enorme Bedeutung für die Rekonstruktion jener Vergangenheit erlangen könnten, für die der Erinnerungsort selbst steht, werden sie nicht einmal berücksichtigt, weil sie nicht augenfällig sind, und noch seltener erreichen sie bestimmte Kommunikationskanäle, die das Wissen um ihre Existenz verbreiten könnten. Das vollkommene oder breitest mögliche Verständnis des Ortes in seiner historischen Komplexität scheint kein unbedeutender Aspekt zu sein: Es ist tatsächlich grundlegend für das Verständnis der Bedeutung
5
Pierre Nora: Entre Mémoire, zit. in: Christian Bonazza: La memoria: riflessione storiografica, Progetto di ricerca „Mappa della memoria: Il museo storico e i luoghi della memoria in Trentino. Studio preliminare per una mappatura territoriale“, http://host.uniroma3.it/master/masterPIMC/db/archiviodid/ModuloStorico%20-%202 _LA_MEMORIA.pdf [10.09.2011]; Deutsche Fassung: Pierre Nora: Geschichte und Gedächtnis. Übers. v. Wolfgang Kaiser. Berlin: Wagenbach 1990, S.12f [Anm. d. Übers.].
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eines aus der Vergangenheit stammenden Ortes mit seinen zivilen und ethischen Implikationen, die sich in Gegenwart und Zukunft spiegeln. Letztlich führt die Tatsache, dass die Sprache des Ortes oft reich an Symbolen ist, die zwar mit der originalen Gestaltung des Ortes kohärent sind, aber aus unterschiedlichen Gründen (etwa wegen starker Emotionalität, Müdigkeit oder Unaufmerksamkeit des Besuchers) nicht immer richtig verstanden werden, zu weiteren Missverständnissen. Um zwei Beispiele anzuführen: Die vom Architekt Boico in der Risiera entworfene, große Stahlplatte führt bisweilen zu der Annahme, dass es sich nicht um eine Reminiszenz, sondern um einen echten Überrest des Krematoriums handelt. Ebenso erzeugt die auf der Foiba di Basovizza eingebaute Seilwinde gelegentlich beim Besucher den Eindruck, dass sie keine symbolische Rekonstruktion jener Winde sei, mit der die in der Foiba entdeckten Leichen exhumiert wurden, sondern ein Hinrichtungsgalgen. Am Anfang dieses Abschnitts wurden die Besucherzahlen angesprochen, die den Erinnerungsorten, um die es hier geht, schmeichelt, aber eine Präzisierung ist in dieser Hinsicht nötig: Man muss zwischen dem Civico museo del Risorgimento – Sacrario Oberdan einerseits, welches 2009 etwas mehr als 300 Besucher insgesamt verzeichnete, und den Nationaldenkmälern Civico museo della Risiera di San Sabba und der Foiba di Basovizza andererseits unterscheiden, welche im selben Jahr jeweils von 57.000 bzw. 104.000 Personen besucht wurden. Die Zahlen der letzten beiden nicht nur auf städtischer und regionaler, sondern auch auf nationaler Ebene sehr bedeutenden Einrichtungen sprechen für einen von Jahr zu Jahr steigenden Erfolg, sie zeigen aber auch zumindest teilweise das quantitative Ergebnis der so genannten ,Erinnerungspolitik‘. Diese kann zur regelrechten Instrumentalisierung der Erinnerungsorte führen, indem die Erinnerung als Ersatzleistung gegenüber der historischen Analyse genutzt wird: Dadurch werden Orte wie die Risiera und die Foiba zu Verfechtern „antagonistischer Erinnerungen“, also Erinnerungen, die in einem harten Wettkampf zueinander stehen, „damit es die eine schafft, die andere zu dominieren, wenn nicht sogar zu vernichten“.6 Übersetzung: Maike Heber und Gloria Marchesi
6
Gianpaolo Valdevit: Trieste. Storia di una periferia insicura, Milano 2004, S. 43.
‚Agenturen der Vergegenwärtigung‘. Zur Funktion der Geschichtsmuseen und Gedenkorte als Stätten Historischen Lernens
Die Bedeutung von Gedenkstätten als Lernorte für Schüler Thesen auf Basis empirischer Befunde B ERT P AMPEL
Gegenstand dieses Beitrages ist eine besondere Art von Gedenkstätten. Es geht nicht um Gedenkstätten für prominente verdienstvolle Politiker, Schriftsteller, Märtyrer oder Erfinder, wie sie an deren Wirkungsstätten mitunter zu finden sind, und auch nicht um Gedenkstätten, die an die Opfer von Naturkatastrophen erinnern. Der Beitrag handelt von Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus oder der kommunistischen Gewaltherrschaft in Deutschland. Es geht also nicht um Gedenkorte wie das Mausoleum für Cesare Battisti in Trento, sondern um Einrichtungen wie die Risiera di San Sabba in Triest. Worin besteht die Besonderheit dieser Einrichtungen? Was sollen Schüler dort lernen? Welche Ergebnisse haben empirische Untersuchungen zu möglichen Lernwirkungen erbracht? Das sind die Fragen, auf die der Beitrag Antworten geben will, wobei der Schwerpunkt auf Thesen zu den Bildungseffekten von Schulklassenbesuchen in Gedenkstätten liegt. Ich beschäftige mich in diesem Artikel nicht vertiefend mit den möglichen Gründen für die vorgestellten Befunde und auch nicht mit konkreten Schlussfolgerungen für die Arbeit in diesen Einrichtungen.
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G EDENKSTÄTTEN ZUR E RINNERUNG AN DIE O PFER POLITISCHER G EWALTHERRSCHAFT IN D EUTSCHLAND ALS AUSSERSCHULISCHE L ERNORTE Die Gedenkstätten, um die es geht, sind eine besondere Form von Geschichtsmuseen. Sie befinden sich an den historischen Orten des Geschehens, sie sind Zeugnis dafür, dass es sich tatsächlich ereignet hat. Verbunden damit ist eine Aura der Authentizität. Doch geht es nicht um Schlachtfelder, um die Opfer kriegerischer Auseinandersetzungen oder um Kriegsverbrechen. Es geht um historische Stätten, die auf unmittelbare Weise mit politischen Gewaltverbrechen oder mit Menschenrechtsverletzungen verbunden sind. Sie befinden sich an den Orten früherer Konzentrationslager, z.B. in Buchenwald oder Dachau, an den Orten der Ermordung von Zehntausenden geistig Behinderten oder psychisch Kranken im Rahmen der nationalsozialistischen ‚Euthanasie‘-Verbrechen, oder an Stätten des Justizterrors gegen die politischen Gegner. Zu diesen Einrichtungen gehört auch die Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain bei Riesa. Dort befand sich zwischen 1941 und 1945 ein Kriegsgefangenenlager der deutschen Wehrmacht.1 In ihm waren zwischen 1943 und 1945 auch Tausende italienische Militärinternierte gefangen. 862 von ihnen kamen infolge unzureichender Ernährung und Krankheit ums Leben. Die Italiener nannten Zeithain ‚Campo di morte‘. Eine italienische Krankenschwester, Maria Vittoria Zeme, die selbst im Lager war, hat ihr Leiden beschrieben.2 Ein Todeslager aber war Zeithain vor allem für sowjetische Kriegsgefangene, mindestens 25.000 von ihnen liegen dort in Massengräbern begraben. Diese wurden zwischen 1946 und 1949 in ‚Ehrenfriedhöfe‘ umgestaltet. Auf dem größten von ihnen, dem ‚Ehrenhain Zeithain‘, befindet sich seit 1985 eine Ausstellung; im Jahre 2003 wurde dort eine neue Dauerausstellung eröffnet. Zeithain ist, wie viele andere deutsche Gedenkstätten, ein Ort „negativen Gedenkens“3: Nicht an historische Glanzleistungen der eigenen Nation erinnern
1
Vgl. Jörg Osterloh: Ein ganz normales Lager. Das Kriegsgefangenen-Mannschaftsstammlager 304 (IV H) Zeithain bei Riesa/Sa. 1941 bis 1945, Leipzig 21997.
2
Vgl. Maria Vittoria Zeme: „… und entzünde einen Funken Hoffnung“. Aus dem Tagebuch einer italienischen Rotkreuzschwester im Kriegsgefangenenlazarett Zeithain 1943-1944, Dresden 1996, sowie P. Luca Ajroldi: Zeithain campo di morte. Ove 900 nostri invocano ancora: Italia!, Pavia 1962.
3
Reinhart Koselleck: Formen und Traditionen des negativen Gedächtnisses, in: Volkhard Knigge und Norbert Frei (Hg.): Verbrechen erinnern. Die Auseinandersetzung mit Holocaust und Völkermord, München 2002, S. 21-32.
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sie, sondern an von Deutschen geplante, begangene oder geduldete Verbrechen, deren Opfer mehrheitlich nicht der eigenen Nation angehörten. Dies scheint die deutsche Erinnerungskultur, auch wenn es in den letzten Jahren eine deutliche Hinwendung zu Deutschen als Opfern gegeben hat (alliierter Bombenkrieg, Vertreibung, Massenvergewaltigungen in der Sowjetischen Besatzungszone in den letzten Kriegstagen und der unmittelbaren Nachkriegszeit), von der italienischen Erinnerungskultur zu unterscheiden. Lässt sich mit solchen ‚negativen‘ Gedenkstätten positive kollektive Identität stiften? Vielleicht nur in der Art und Weise, dass sich die heute lebenden Deutschen auch als Erinnerungsgemeinschaft verstehen, die Verantwortung dafür übernimmt, dass dieses Geschehen niemals vergessen wird und dadurch dazu beiträgt, eine Wiederholung zu vermeiden. Wichtigster Auftrag und Anspruch der Gedenkstätten sind die Ehrung und Würdigung der Opfer. Darüber hinaus sollen und wollen sie – und dies zunehmend – Lernorte oder Orte historisch-politischer Bildung sein, insbesondere, aber nicht ausschließlich, für Schüler. In der gedenkstättenpädagogischen Diskussion der letzten Jahre haben sich – mit zeitweise unterschiedlicher Gewichtung – im Wesentlichen drei Ziele herauskristallisiert4: Schüler sollen erstens Kenntnisse über das historische Geschehen am Ort und seinen Kontext sowie über seine Ursachen und Folgen erwerben, aber auch über den späteren Umgang mit dieser Vergangenheit an den historischen Orten. Zweitens zielt gedenkstättenpädagogische Arbeit darauf ab, bei den Schülern Mitgefühl für die Opfer zu entwickeln, um deren Leid nicht nacherleben, aber doch nachvollziehen zu können. Drittens geht es um ‚Lernen aus der Geschichte für die Gegenwart‘ in Form einer Verbindung von historischem und ‚Demokratielernen‘/Menschenrechtsbildung. Das heißt, die Auseinandersetzung mit der Geschichte sollte in eine Reflexion eigener Wertmaßstäbe und Verhaltensweisen in der Gegenwart sowie ein Bewusstsein für die Bedeutung von Demokratie und Menschenrechten, wie auch ihre immerwährende Gefährdung, münden. Gedenkstätten verfolgen mithin sowohl kognitive als auch affektive und moralische Lehr- und Lernziele. Ihr Bildungsanspruch nimmt die gesamte Persönlichkeit in den Blick, insbesondere aber ihr Wertesystem. Schüler sollen im Sinne des kantischen Aufklärungsanspruchs ermutigt werden, sich ihres Verstandes und der eigenen Urteilskraft zu bedienen. Eine umfassende, theoretisch fundier-
4
Mir ist bewusst, dass die Kürze dieser Zusammenfassung auch Unschärfe mit sich bringt, aber die Ziele der Gedenkstättenpädagogik sind hier nicht das Thema und anderswo bereits ausführlich und sachkundig thematisiert worden, zuletzt von Wolf Kaiser: Historisch-politische Bildung in Gedenkstätten, in: GedenkstättenRundbrief Nr. 159, 2/2011, S. 3-14.
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te, systematische und konsistente Bestimmung, was in Gedenkstätten auf welche Weise gelernt werden soll und kann, steht trotz intensiver Diskussionen bislang aber aus. Gleiches gilt für die Überprüfung einer Verwirklichung dieser Ansprüche an Gedenkstätten als Orte außerschulischen Lernens. Dass Schüler in Gedenkstätten etwas lernen, ist leicht zu behaupten, aber schwer zu belegen. Davon zeugt nicht zuletzt die bisherige empirische Forschung, von der einige Befunde im Folgenden vorgestellt, kritisch kommentiert und zu Thesen verdichtet werden.5 Die Ausführungen basieren auf 21 Untersuchungen zu Schulklassenbesuchen in Gedenkstätten in den letzten mehr als 25 Jahren, wobei weniger als die Hälfte Rückschlüsse auf Lerneffekte zulassen. Studien, die Schulklassen im Zusammenhang mit Besucherstrukturanalysen untersucht haben, bleiben bei dieser Zählung unberücksichtigt. Bei 80 Prozent von ihnen kamen quantitative Verfahren zum Einsatz, bei 40 Prozent qualitative Datenerhebungsmethoden (einige operierten sowohl mit quantitativen wie auch mit qualitativen Methoden). Am Beginn soll eine Frage stehen, die mit objektiven Lernwirkungen zunächst noch gar nichts zu tun hat.
W ELCHEN PERSÖNLICHEN S INN SEHEN S CHÜLER IM N ACHHINEIN IN IHREM G EDENKSTÄTTENBESUCH ? Was hat er ihnen persönlich ‚gebracht‘, worin sehen sie seinen Nutzen? Werden Schüler mittels in Fragebogen vorformulierter Aussagen (geschlossener Fragen) gefragt, was für sie die wichtigste Funktion einer Gedenkstätte oder der persönliche Sinn eines Besuchs gewesen sei, so greifen sie in der Regel auf gesellschaftlich gebräuchliche Zuschreibungen zurück. In einer von Werner Fröhlich und Johanna Zebisch in der Gedenkstätte Dachau 1999 durchgeführten Befragung mit 1.500 Teilnehmern (davon ein Viertel Schüler) bezeichnete jeder dritte Schüler ‚Gedenken/Ehrung der Opfer‘ als wichtigste Bestimmung der Gedenkstätte, 30 Prozent ‚Erinnerung wachhalten‘, 27 Prozent ‚Denkmal/Mahnmal
5
Zur Besucherforschung in Gedenkstätten ausführlich: Bert Pampel: „Mit eigenen Augen sehen, wozu der Mensch fähig ist.“ Zur Wirkung von Gedenkstätten auf ihre Besucher, Frankfurt a.M. /New York 2007, sowie Ders.: Was lernen Schülerinnen und Schüler durch Gedenkstättenbesuche? (Teil)Antworten auf Basis von Besucherforschung, in: GedenkstättenRundbrief Nr. 162, 8/2011, S. 16-29.
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sein‘, aber nur jeder zehnte Schüler sah ihre wichtigste Funktion darin, ‚Ort der Wissensvermittlung‘ zu sein.6 Wenn der subjektive Sinn des Gedenkstättenbesuchs für die befragten Jugendlichen in qualitativen Interviews nach dem Besuch ermittelt wird, dann rückt der Erlebniswert noch stärker in den Vordergrund. Im Ergebnis ihrer Interviews mit insgesamt 40 jugendlichen Besuchern der Gedenkstätten Hadamar, Breitenau und Buchenwald einige Zeit nach dem Besuch sahen Cornelia Fischer und Hubert Anton 1992 die persönliche Bedeutung für die Schüler darin, „daß durch eigenes Sehen und Erleben weit zurückliegende historische Ereignisse nachvollziehbar werden. Das Ausmaß an Menschenverachtung und Brutalität wird durch den Besuch deutlicher als es die ‚trockene‘ Lektüre von Büchern oder das im Unterricht vermittelte Wissen vermag“.7 Große Bedeutung kommt darüber hinaus der Gedenkstätte als Vermittlerin von der ‚Echtheit‘ des Geschehens und eigenen emotionalen Eindrücken zu. Deshalb werden originale Gegenstände und Gebäude auch als wichtiger angesehen als Informationen in Ausstellungen und Führungen. Der Informationswert des Besuchs ist nicht unwichtig, aber zweitrangig. Bedeutsamer sind die emotionalen, visuellen und empathischen Eindrücke und das Gefühl, sich das frühere Geschehen besser vorstellen zu können.8
ÄNDERN
SICH DURCH EINEN G EDENKSTÄTTENBESUCH POLITISCHE E INSTELLUNGEN , WIE ETWA DIE H ALTUNG ZU AUSLÄNDERN ? Die von der Öffentlichkeit, Lehrern und der Politik immer wieder an die Gedenkstätten herangetragene Erwartung, Besuche könnten zu einer ‚Bekehrung‘ extremistisch eingestellter Jugendlicher oder einer ‚Immunisierung‘ gegen Frem-
6
Vgl. Werner Fröhlich und Johanna Zebisch: Besucherbefragung zur Neukonzeption
7
Cornelia Fischer und Hubert Anton: Auswirkungen der Besuche von Gedenkstätten
der KZ-Gedenkstätte Dachau. Ergebnisbericht, unv. Ms., München 2000, S. 124f. auf Schülerinnen und Schüler. Breitenau – Hadamar – Buchenwald. Bericht über 40 Explorationen in Hessen und Thüringen, o.O. 1992, S. 120. 8
Die Befunde der frühen Untersuchungen sind aktuell erneut bestätigt worden durch Anja Solterbeck: Weil in Neuengamme „nichts mehr so ist, wie es war“. Die Erwartungen von jugendlichen Gedenkstättenbesuchern an ein „echtes KZ“, in: Oliver von Wrochem (Hg.): Das KZ Neuengamme und seine Außenlager. Geschichte, Nachgeschichte, Erinnerung, Bildung, Berlin 2010, S. 344-373.
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denhass und andere antidemokratische Einstellungen führen, wird von vielen Gedenkstättenpädagogen nicht (mehr) geteilt, aber in der Regel auch nicht deutlich genug zurückgewiesen. Bislang hat es keine Untersuchung gegeben, die versucht hätte, diesen Effekt mittels einer Vorher-Nachher-Befragung zu überprüfen. Schon 1983 aber hatte Herbert Hötte infolge einer Befragung von 813 Schülern nach ihrem Besuch in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme festgestellt, dass 20 Prozent der befragten Hauptschüler und 10 Prozent der befragten Gymnasiasten zu ausländerfeindlichen Einstellungen tendierten.9 Auch Fischer/Anton thematisierten die verbreiteten ausländerfeindlichen Haltungen bei den von ihnen 1992 interviewten (ostdeutschen) Jugendlichen.10 Aufgrund der fehlenden Vergleichsmöglichkeit zwischen Einstellungen vor und nach dem Besuch sagen diese Untersuchungen jedoch nichts über die Wirkung von Gedenkstättenbesuchen aus. So kann weder ausgeschlossen werden, dass der Besuch solche Einstellungen verringert noch dass er sie verstärkt hat. Aber auch nach Auskunft von Schülern selbst entwickelt der Besuch keine Wirkung in eine derartige Richtung. Bei einer 2008 von Alexandra Marx und Michael Sauer durchgeführten mehrstufigen Fragebogenuntersuchung mit 474 Schülern der 10. Gymnasialklassen, die die KZ-Gedenkstätten Moringen oder Buchenwald besucht hatten, gab es für die Aussage: „Nach dem Besuch der Gedenkstätte bin ich mehr gegen Neonazis als vorher“ auf das gesamte Sample bezogen weder Zustimmung noch Ablehnung.11 Dass Gedenkstättenbesuche fremdenfeindliche oder andere extremistische Einstellungen in nennenswertem Umfang verringern, ist mithin unwahrscheinlich.
9
Vgl. Herbert Hötte: Vergangenheitsbewältigung und Ausländerfeindlichkeit. Eine Befragung von Jugendlichen im Dokumentenhaus KZ Neuengamme, in: Argumente zur museumspädagogischen Praxis, 4/1984, S. 2-24, insbes. S. 18-21.
10 Vgl. Fischer/Anton: Auswirkungen, S. 156-163. Siehe auch René Mounajed: In Gedenkstätten Brücken schlagen. Ergebnisse einer Schülerbefragung in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, in: Zeitgeschichte regional. Mitteilungen aus Mecklenburg-Vorpommern, 2/2001, S. 114-116. 11 Vgl. Alexandra Marx und Michael Sauer: Lerneffekte von Gedenkstättenbesuchen im Kontext des Geschichtsunterrichts. Eine quantitative Studie am Beispiel der KZGedenkstätten Buchenwald und Moringen, in: Bert Pampel (Hg.): Erschrecken – Mitgefühl – Distanz. Empirische Befunde über Schülerinnen und Schüler in Gedenkstätten und zeitgeschichtlichen Ausstellungen, Leipzig 2011, S. 136.
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E NTWICKELN S CHÜLER , INSBESONDERE SOLCHE MIT VERHARMLOSENDEN H ALTUNGEN , DURCH EINEN G EDENKSTÄTTENBESUCH EINE VERSTÄRKT KRITISCH ABLEHNENDE H ALTUNG ZUM N ATIONALSOZIALISMUS ? Auch zu dieser Frage ist die Datenlage dürftig. Rudolf Dennhardt, Günter Lange und Wilfried Schubarth befragten zwischen Oktober und Dezember 1989 insgesamt 348 Schüler der 8. Klassen, die die damalige Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald im Rahmen einer ‚Jugendweihe‘-Fahrt besuchten, vor, unmittelbar nach sowie vier Wochen nach dem Besuch mittels eines Fragebogens.12 Bei der Interpretation der in dieser Studie erhobenen Daten ist zu berücksichtigen, dass man die Wirkung des Gedenkstättenbesuchs nicht vom Einfluss der damaligen aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung in der DDR trennen kann. Darüber hinaus muss die spezifische Form antifaschistischer Erziehung in der DDR bedacht werden, die eine Übertragung der Ergebnisse auf die heutige gedenkstättenpädagogische Praxis nicht erlaubt. Gleichwohl enthält die Untersuchung reichhaltiges Material, das selbst bei Berücksichtigung der die Studie rahmenden repressiven Unterdrückung von nicht staatskonformen Meinungsäußerungen nicht pauschal entwertet ist. Zwischen der Befragung vor dem Besuch und der Befragung unmittelbar nach dem Besuch änderte sich die Einstellung der Schüler zu Aussagen wie „Der Faschismus hatte auch gute Seiten“ oder „Der Faschismus war im Grunde eine gute Idee, die nur schlecht ausgeführt wurde“ bei der Mehrheit der Befragten nicht. Der Anteil der Zustimmung zu diesen Aussagen lag bei 5 bis 9 Prozent. Schon Hötte hatte beobachtet, „daß neue Informationen nicht unbedingt zu einer Revision des bestehenden Verständnisses vom Nationalsozialismus führen, sondern in den meisten Fällen in die bestehende Urteilsstruktur integrierbar sind“.13 Erst in dem Zeitraum zwischen der zweiten und dritten Befragung, also in den Wochen nach dem Besuch, zeigten sich Veränderungen, und zwar in Richtung einer zunehmenden Verharmlosung. Hierfür dürfte teilweise der Glaubwürdigkeitsverlust des staatsoffiziellen Antifaschismus infolge der Delegitimierung der SED-Herrschaft im Herbst 1989 verantwortlich sein. Interessanterweise erbrach-
12 Vgl. Wilfried Schubarth: Wirkungen eines Gedenkstättenbesuches bei Jugendlichen, Zentralinstitut für Jugendforschung ZIJ 15/90, Leipzig 1990. 13 Herbert Hötte: Museumspädagogische Arbeit mit Jugendlichen im Dokumentenhaus KZ Neuengamme, in: Internationale Schulbuchforschung, 2/1984, S. 173-185, hier: 179.
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te eine sechs Jahre spätere Schülerbefragung in Neuengamme teilweise ähnliche Ergebnisse. Kai Freese und Thomas Rave befragten im Jahre 1995 130 Schülerinnen und Schüler der 9. und 10. Klassen von Haupt- und Realschulen sowie von Gymnasien, die die KZ-Gedenkstätte Neuengamme besucht hatten. Die Befragung fand in drei Stufen statt: ein bis zwei Wochen vor dem Besuch, direkt im Anschluss an den Besuch und fünf bis sechs Wochen nach dem Besuch. Unter anderem ermittelten die Autoren die Reaktionen der Schüler auf die leicht veränderten Aussagen der Buchenwald-Befragung. Nahezu die Hälfte der Befragten änderte ihre Haltung über alle drei Messzeitpunkte hinweg nicht. Stark affirmative Haltungen nahmen zugunsten mäßig relativierender oder ambivalenter Positionen ab. Andererseits entwickelten 17 Prozent der Befragten zwischen der Befragung direkt nach dem Besuch und dem dritten Messzeitpunkt stärker affirmativ-relativierende Positionen, die in tendenziell deutlicherer Zustimmung zu den Items „Der Nationalsozialismus hatte auch seine guten Seiten“ und „Der Nationalsozialismus war im Grunde eine gute Idee, die nur schlecht ausgeführt wurde“ zum Ausdruck kam. Dabei handelte es sich ausschließlich um Schüler mit ursprünglich kritisch-ablehnender Haltung.14 Bedenkenswert ist der Einwand, dass Haltungsveränderungen in ihren Schattierungen ‚Zweifel‘, ‚Verunsicherung‘, ‚Hinterfragen‘ durch Antworten auf vorformulierte Fragen in einem Fragebogen unmittelbar nach einem Besuch womöglich nicht adäquat berücksichtigt werden. Zu weiter differenzierenden Ergebnissen käme man mit qualitativen Verfahren, bei denen auch Veränderungen auf Mikroebene stärker in das Blickfeld gerieten. Qualitative Studien zu dieser Fragestellung liegen für Schulklassenbesuche in NS-Gedenkstätten bislang nicht vor. Eine Untersuchung von Schulklassenbesuchen in der Gedenkstätte Bautzen, die vor allem auf die Erinnerung an das kommunistische Unrecht und seine Opfer in der Sowjetischen Besatzungszone/DDR fokussiert, aber auch die Geschichte der Bautzner Haftanstalten im Nationalsozialismus thematisiert, zeigt, dass der Aufenthalt zum Infragestellen vorhandener Bewertungen führen kann. Teil der Untersuchung waren 14 Gruppendiskussionen mit insgesamt 72 (vornehmlich ostdeutschen) Schülern mehrere Wochen nach ihrem Besuch in der Gedenkstätte. Dabei stellte sich heraus, dass die konkreten Einsichten über das Unrecht in Bautzen zwar nicht zum vollständigen Bereinigen des DDR-
14 Vgl. Kai Freese und Thomas Rave: Die Rolle von NS-Gedenkstätten für die politische Bildung von Schülern und Schülerinnen. Eine Panelbefragung unter jugendlichen Besuchern und Besucherinnen der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, unv. Diplomarbeit, Hamburg 1995, S. 132-135.
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Gesamtbildes von verklärenden Aspekten (weniger Kriminalität, keine Arbeitslosigkeit, niedrigere Mieten, stärkerer gesellschaftlicher Zusammenhalt) führten. Allerdings gerieten einige Schüler durch den Gegensatz zwischen dem Besuchserlebnis in Bautzen und den oft positiven Darstellungen der DDR in ihren Elternhäusern in einen Zwiespalt. Sie fragten sich verunsichert, ‚wie es denn in der DDR nun wirklich war‘ oder stellten die einseitig positive Sicht der Eltern sogar in Frage.15 Die Datenlage ist mithin unzureichend, unübersichtlich und verbesserungsbedürftig. Vorläufig lässt sich aber festhalten: Die grundsätzliche moralische Bewertung des Nationalsozialismus verändert sich bei den meisten Schülern, darunter denen mit ausgeprägter NS-affirmativer Haltung, durch einen Gedenkstättenbesuch wahrscheinlich nicht wesentlich. Bei einigen kann es zu einer Differenzierung der Beurteilung in unterschiedlichen Richtungen kommen, vor allem bei dessen Verarbeitung unter Einfluss weiterer Faktoren (Elternhaus, gesellschaftliche Entwicklungen, Nachbereitung in der Schule).
V ERÄNDERN SICH DURCH G EDENKSTÄTTENBESUCHE D EUTUNGS - UND E RKLÄRUNGSANSÄTZE FÜR DAS HISTORISCHE G ESCHEHEN ? Wer war verantwortlich für die Verbrechen des Nationalsozialismus? Wie konnte es dazu kommen? Was motivierte die Täter, was wussten die ‚gewöhnlichen‘ Deutschen, und wie verhielten sie sich? Meik Zülsdorf-Kersting hat gezeigt, dass die Geschichtsvorstellungen von Schülern zu diesen Fragen seit den 50er Jahren bis heute erstaunlich konstant geblieben sind. Der Nationalsozialismus wird häufig auf Hitler oder eine kleine Elite reduziert. Auf Seiten der Täter wird oft ein so genannter Befehlsnotstand vermutet, die Bevölkerung wird exkulpiert.16 Untersuchungen, inwieweit Gedenkstättenbesuche hieran etwas ändern, gibt es bislang nicht. Bei Höttes Befragung in Neuengamme und bei einer Studie von Annette Eberle, die im Jahre 2004 290 Schüler nach ihrem Besuch der Gedenkstätte Da-
15 Vgl. Kathi Bromberger, Bert Pampel und Matthias Rosendahl: „Jetzt haben wir auch mal die schlechten Seiten der DDR gesehen.“ Eine empirische Studie zu Schulklassenbesuchen in der Gedenkstätte Bautzen, in: Deutschland Archiv, 5/2009, S. 863873. 16 Vgl. Meik Zülsdorf-Kersting: Sechzig Jahre danach: Jugendliche und Holocaust. Eine Studie zur geschichtskulturellen Sozialisation, Berlin 2007.
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chau befragt hat, finden sich Hinweise darauf, dass solche Erklärungsansätze auch nach Besuchen noch in nicht unerheblichem Maße verbreitet sind.17 Auf Grund der fehlenden Vergleichsmöglichkeit zwischen Erklärungsansätzen vor und nach dem Besuch sagt dies jedoch erneut nichts über die Wirkung von Gedenkstättenbesuchen aus. So kann weder ausgeschlossen werden, dass der Besuch solche Deutungen verringert noch dass er sie verstärkt hat. Der Sachverhalt als solcher erscheint nicht besonders erklärungsbedürftig, wenn man bedenkt, dass weder das Handeln der Täter noch das Verhalten der Mehrheitsbevölkerung bei durchschnittlichen Gedenkstättenführungen im Mittelpunkt steht. Es wäre interessant zu erfahren, ob und inwieweit Ausstellungen und Aktivitäten, die diese Themen deutlicher in den Fokus rücken, diesbezüglich wirksamer sind. Grundlegende Erklärungsfiguren von Nationalsozialismus und Holocaust verändern sich durch einen Gedenkstättenbesuch in der Regel also wahrscheinlich nicht signifikant. Unter bestimmten Umständen werden simplifizierende und relativierende Erklärungen in Nuancen infrage gestellt.18
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NACH G EDENKSTÄTTENBESUCHEN MEHR ALS VORHER ÜBER DIE G ESCHICHTE DES NS-T ERRORS ? Bislang ist noch nicht versucht worden, einen möglichen Zuwachs an histoschem Fakten-, Begriffs- oder Kontextwissen durch Gedenkstättenbesuche systematisch und objektiv mittels einer Vorher-Nachher-Befragung zu messen.
17 Vgl. Annette Eberle: Pädagogik und Gedenkkultur. Bildungsarbeit an NS-Gedenkorten zwischen Wissensvermittlung, Opfergedenken und Menschenrechtserziehung. Praxisfelder, Konzepte und Methoden in Bayern, Würzburg 2008, S. 112, sowie Hötte: Vergangenheitsbewältigung, S. 5-7. In der Buchenwaldbefragung 1989 stimmten vor dem Besuch 42,4 Prozent der Aussage zu: „Der deutsche Faschismus war das Produkt eines Geisteskranken.“ Vier Wochen nach dem Besuch waren es gar 51,4 Prozent. 18 In einer Einzelfallanalyse einer seiner Studienteilnehmerinnen beschreibt ZülsdorfKersting, dass und wie Gedenkstättenbesuche trotz einer grundsätzlichen Stabilität solcher Geschichtsbilder möglicherweise doch zu ihrer Infragestellung anregen können: Meik Zülsdorf-Kersting: Historisches Lernen in der Gedenkstätte. Zur Stabilität vorgefertigter Geschichtsbilder, in: Pampel (Hg.): Erschrecken – Mitgefühl – Distanz, S. 171-192.
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Aus den vorliegenden Untersuchungen ergeben sich aber einige Hinweise über die Art von Veränderungen im kognitiven Bereich. Die Prä-Post-Befragung von Neuengamme zeigte eine durch den Besuch bewirkte Konkretisierung und Differenzierung von Opfergruppen der Konzentrationslager. Homosexuelle, Sinti und Roma, aber auch osteuropäische Staatsangehörige wurden verstärkt als Verfolgte erkannt.19 In der Buchenwaldbefragung fühlten sich Schüler nach dem Besuch subjektiv besser informiert, vor allem zu Themen des Lageralltags, die unmittelbar die Häftlinge betrafen. So wuchs der Anteil derjenigen, die der Aussage zustimmten: „Ich bin sehr gut (bzw. gut) darüber informiert, welche Formen der Solidarität unter den Häftlingen möglich waren“ von 24,4 Prozent vor der Befragung auf 50,7 Prozent vier Wochen nach der Befragung.20 Aspekte der Nachgeschichte sowie des Zwecks und der aktuellen Bedeutung des Gedenkortes, auf die in der Vermittlungsarbeit zunehmend Wert gelegt wird, spielen bei Äußerungen von Schülern über Lerneffekte dagegen kaum eine Rolle.21 Bei der von Alexandra Marx und Michael Sauer durchgeführten Befragung von Schülern, die die Gedenkstätten Buchenwald oder Moringen besucht hatten, antwortete etwa knapp ein Drittel auf die offene Frage: „Gibt es etwas besonderes, das Du gelernt hast?“, dass sie gar nichts gelernt hätten. Ein weiteres Drittel gab an, vor allem etwas über die grausamen Lebensbedingungen im Lager gelernt zu haben.22 Die Vermutung, dass Gedenkstättenbesuche vor allem einen Zuwachs an ortsspezifischen Kenntnissen evozieren können, wurde auch in der empirischen Untersuchung zu Schulklassenbesuchen in der Gedenkstätte Bautzen, die insbesondere an die Opfer der Diktatur in der SBZ/DDR erinnert, bekräftigt. In den
19 Vgl. Freese/Rave: Die Rolle von NS-Gedenkstätten, S. 164-166. Auch in der Buchenwald-Befragung wurden die Schüler gebeten, aufzuschreiben, „welche Menschen und Menschengruppen vorrangig in Konzentrationslagern gefangen gehalten wurden“. Überraschenderweise wurden Juden (32,3 Prozent) vor dem Besuch am häufigsten genannt, während „Kommunisten, Widerstandskämpfer, Antifaschisten“ (13,3 Prozent) noch hinter „Sozialdemokraten, Gewerkschafter, Künstler“ (20,3 Prozent) rangierten. Leider sind die sich im Laufe der Befragung vollziehenden teilweise sehr starken Veränderungen nicht verlässlich, da der Anteil der Nicht-Antwortenden sehr stark anstieg. 20 Vgl. Schubarth: Wirkungen, S. 18. 21 Vgl. Eberle: Pädagogik und Gedenkkultur, S. 97; Fischer/Anton: Auswirkungen, S. 98. 22 Vgl. Marx/Sauer: Lerneffekte von Gedenkstättenbesuchen, S. 129.
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Gruppendiskussionen mit Schülern mehrere Wochen nach ihrem BautzenBesuch berichtete etwa ein Drittel der Interviewten von sich aus darüber, bei dem Besuch etwas Neues erfahren zu haben, zum Beispiel über die zentrale Lage des Gefängnisses mitten in der Stadt oder über die Spitzeltätigkeit unter den Gefangenen. Dagegen wurden der besondere Charakter politischer Haft durch das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) und die Sonderrolle Bautzens im Strafvollzugssystem der DDR kaum realisiert.23 Eine Mehrheit der Schüler erwirbt durch einen Gedenkstättenbesuch also wahrscheinlich neue Kenntnisse, die sich vor allem auf das konkrete Geschehen am historischen Ort beziehen. Neben der Einsicht in die Tatsächlichkeit und in die qualitativen und quantitativen Dimensionen des Geschehens erwerben Schüler vielfältige Detailinformationen, vor allem solche mit narrativem oder emotionalem Gehalt. Gelernt wird im Wesentlichen etwas über Terror und Leid; über dessen historische Zusammenhänge (Ursachen, Strukturen) lernen Schüler weniger. Die Bedeutung von Gedenkstättenbesuchen liegt aus kognitionspsychologischer Perspektive ohnehin nicht nur in der Veränderung oder im Zuwachs von aussagenartig (bedeutungsbezogen) repräsentiertem Wissen, sondern wahrscheinlich eher in dessen ergänzender analog-anschaulicher und handlungsmäßiger Repräsentation. Zum bereits vorhandenen semantischen (bedeutungshaltigen) Wissen werden Bilder und Erfahrungen geliefert. Auch hierdurch können Fragen angeregt und Interesse geweckt werden, vor allem aber erhalten Informationen dadurch eine nachhaltigere Basis.
W IRD DURCH EINEN G EDENKSTÄTTENBESUCH DAS I NTERESSE FÜR EINE WEITERE B ESCHÄFTIGUNG MIT DER T HEMATIK GEWECKT ODER GESTEIGERT ? In der Buchenwaldstudie äußerten 56,9 Prozent der befragten Schüler, vor allem bereits geschichtsinteressierte, unmittelbar nach dem Besuch, sie seien durch den Besuch angeregt worden, sich weiter mit dem Nationalsozialismus zu beschäftigen. Vier Wochen nach dem Besuch gab etwa jeder Fünfte an, sich häufiger mit der Zeit des Faschismus beschäftigt zu haben, wobei die Art der Beschäftigung unklar bleibt. In der Neuengamme-Befragung erklärten zwischen 30 und 50 Prozent der befragten Schüler nach der 2. und 3. Befragung, ihr Interesse an der Beschäftigung mit der NS-Zeit sei durch den Besuch gestiegen. Dies betraf insbe-
23 Vgl. Bromberger/Pampel/Rosendahl: „Jetzt haben wir auch mal …“, S. 870.
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sondere Schüler, die bereits vor dem Besuch ein größeres Interesse bekundet hatten, aber auch jeder Vierte mit ursprünglich geringerer Motivation äußerte ein gestiegenes Interesse.24 Bei den von Marx und Sauer befragten Schülern, die Buchenwald oder Moringen besucht hatten, ergab sich unmittelbar nach dem Besuch eine leichte Zustimmung zu der Aussage: „Durch den Besuch der Gedenkstätte ist mir deutlich geworden, wie wichtig eine Beschäftigung mit dem Thema Nationalsozialismus ist.“ Dies korrespondierte aber nicht mit einem gesteigerten Interesse an der Geschichte des jeweils besuchten Konzentrationslagers oder der Konzentrationslager überhaupt, denn es zeigte sich eine leichte Ablehnung der Aussage: „Ich werde versuchen, mehr Informationen über dieses Konzentrationslager und Konzentrationslager überhaupt zu bekommen.“25 Der Gedenkstättenbesuch weckt bei nicht wenigen Schülern kurzzeitig Interesse für die historischen Themen. Vermutlich entfaltet dieser temporäre Impuls aber nur bei ohnehin schon interessierten Schülern anhaltende Wirkung in Richtung einer weiteren oder intensiveren Beschäftigung mit der Thematik.
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DURCH G EDENKSTÄTTENBESUCHE I MPULSE FÜR EINE SELBSTREFLEXIVE AUSEINANDERSETZUNG MIT EIGENEN UND GESELLSCHAFTLICHEN W ERT VORSTELLUNGEN UND V ERHALTENSWEISEN GEGEBEN ? In der Befragung von Marx und Sauer sahen sich Schüler durch den Gedenkstättenbesuch leicht sensibilisiert dafür, „wie wichtig es ist, sich überall für die Menschenrechte einzusetzen“.26 Bereits die Buchenwalder Befragung zeigte aber, dass viele Schüler der Zeit des Nationalsozialismus keine persönliche Bedeutung mehr beimessen. Zwar stand die Hälfte der Befragten der Aussage: „Die Zeit des Faschismus hat mir nichts mehr zu sagen“, ablehnend gegenüber, doch stimmte ihr auch ein Viertel zu. Die Werte änderten sich durch den Besuch nahezu überhaupt nicht. Freese und Rave, die Schülern ebenfalls diese Frage in leicht abgewandelter Form vorlegten, kamen zu dem Ergebnis, dass der Besuch Veränderungen in beiderlei Richtung bewirkte, bei den einen zu mehr ‚emotionaler Nähe‘, bei den anderen zu mehr ‚emotionaler Distanz‘ zur NS-Zeit. Insgesamt zogen sie aber
24 Vgl. Schubarth: Wirkungen, S. 46; Freese/Rave: Rolle von NS-Gedenkstätten, S. 102. 25 Vgl. Marx/Sauer: Lerneffekte von Gedenkstättenbesuchen, S. 127. 26 Ebd., S. 134.
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das Fazit, dass die erhoffte aufklärende und mahnende Wirkung des Besuchs, die Jugendlichen zur Reflexion über gesellschaftlich-strukturelle Kontinuitäten des Nationalsozialismus anzuregen, um vergleichbare Entwicklungen in der heutigen Zeit frühzeitig zu erkennen, bei ihrer Untersuchung nicht sichtbar gewesen sei.27 Bei einer von Helen Zumpe im Jahre 2001 durchgeführten Befragung von 200 Teilnehmern an Tagesveranstaltungen in der Gedenkstätte Buchenwald, bei denen es sich zu 70 Prozent um Jugendliche handelte, äußerte ein Drittel unmittelbare Bezüge zur eigenen Person oder zur eigenen politischen Haltung. Dies kam in Aussagen zum Ausdruck wie: „Ich frage mich, wie ich wohl gehandelt hätte“, „Hab’ gemerkt, wie gut es mir geht“ oder „Es ist wohl an mir, das hier weiterzugeben, also es meinen Kindern zu erzählen“. Andererseits: „Fast 40 Prozent ordneten das neu erworbene Wissen ausschließlich der historischen Vergangenheit, einem entfernten Früher zu, ohne Bezug zur Gegenwart.“ Eine „aktualisierende Transferleistung“ auf die Gegenwart stellte Zumpe bei sieben Prozent der Befragten fest.28 Dass solche komplexen Verarbeitungsprozesse wie ‚Sensibilisierung‘ oder ‚Selbstreflexion‘ mittels der Reaktion auf geschlossene Fragen eines Fragebogens wohl kaum angemessen berücksichtigt werden können, ist ein berechtigter Einwand. Qualitative Untersuchungen legen jedoch ebenfalls nahe, dass persönliche Schlussfolgerungen oder konkrete Gegenwartsbezüge jenseits allgemeiner Bekenntnisse eher selten sind. Eine vermeintliche Irrelevanz für die eigene Lebenssituation tritt zum Teil noch deutlicher in den Vordergrund. In der Befragung und den Gruppendiskussionen der Bautzen-Studie gaben die Schüler überwiegend an, dass die DDR für sie persönlich trotz familiärer Bezüge heutzutage keine Bedeutung mehr habe. Die Schüler leben vor allem in der Gegenwart, ihr Blick ist auf die zukünftigen Herausforderungen und Perspektiven gerichtet. Gleichwohl gab es auch Schüler, die die Beschäftigung mit der DDRVergangenheit für wichtig hielten, doch waren diese in der Minderheit.29
27 Vgl. Freese/Rave: Die Rolle von NS-Gedenkstätten, S. 142 und 202. 28 Vgl. Helen Zumpe: Tagesveranstaltungen der Gedenkstättenpädagogik – Konzeptionen, Zielsetzungen, Angebotsformen und Nutzergruppen, in: Politisches Lernen, 12/2003, S. 35-82, hier: 67f. Ähnlich auch Martina Christmeier: Besucher am authentischen Ort. Eine empirische Studie im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände, Idstein 2009, S. 136f. 29 Vgl. Kathi Bromberger und Matthias Rosendahl: „Dieses Gefühl, sich mal in die Lage zu versetzen“. Ergebnisbericht einer empirischen Studie zu Schulklassenbesuchern der Gedenkstätte Bautzen, abrufbar unter: www.stsg.de/cms/node/346 [24.03.2011].
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Es scheint, als seien Reflexionen über das Verhältnis von Vergangenheit und Gegenwart sowie über das Verhältnis der Geschichte zur eigenen Lebensgestaltung bei Schülern daran gebunden, dass diese von den Besuchsbegleitern zum Thema gemacht werden. Dies ist eine Gratwanderung, die sehr viel pädagogisches Fingerspitzengefühl erfordert, um unerwünschte Effekte (Moralisierung, ahistorische Darstellung, Simplifizierung, Relativierung der Verbrechen) zu vermeiden.30 Gedenkstättenbesuche bewirken im Allgemeinen wahrscheinlich kaum selbstreflexive Auseinandersetzung. Viele Schüler empfinden eine mentale Distanz zur Vergangenheit, die in den Gedenkstätten thematisiert wird, nur eine Minderheit misst dem Geschehen Bedeutung für die eigene Lebensgestaltung und die Gegenwart bei.
F AZIT Die empirische Erforschung der Realisierung von Bildungsansprüchen durch Gedenkstättenbesuche steht weiterhin auf der Tagesordnung. Dabei stellen die bisherigen Versuche eine Erfahrungsbasis dar, auf deren Grundlage die Besucherforschung weiterentwickelt werden kann und muss. Gedenkstättenlernen ist weitaus schwieriger, als die didaktische Literatur über außerschulische Lernorte oft suggeriert. Gedenkstätten sind zwar Lernanlass, Lernanstoß und Lerngelegenheit. Die Lernwirkungen sind jedoch widersprüchlich und entsprechen nicht immer den pädagogischen Intentionen. Dies ist einerseits banal – gerade an „offenen Lernorten“ wie Gedenkstätten –, angesichts der hohen Erwartungen und der moralischen Aufladung der Vermittlungsprozesse („Nie wieder!“) für viele aber andererseits schwer erträglich. Um die individuelle Sinngebung von Schülern überhaupt beeinflussen zu können, müssten Vermittler ihre eigenen Wirkungsansprüche mäßigen und zurückhalten und mehr Augenmerk auf das den Gedenkstättenbesuch entscheidend prägende Vorverständnis der Schüler legen. Es wäre notwendig, dass sie die pädagogische Veranstaltung weniger als Instrument zur Vermittlung von Wissen
30 Vgl. hierzu Christian Gudehus: Dem Gedächtnis zuhören. Gedenkstätten und Erzählungen über nationalsozialistische Verbrechen, Essen 2006, sowie Wolfgang Meseth: Schulisches und außerschulisches Lernen im Vergleich. Eine empirische Untersuchung über die Vermittlung der Geschichte des Nationalsozialismus im Unterricht, in außerschulischen Bildungseinrichtungen und in Gedenkstätten, in: kursiv. Journal für politische Bildung, 1/2008, S. 74-83.
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oder gar Haltungen verstehen und dass sie diese nicht als Angebot, bei dem aus der Geschichte Lehren für Gegenwart und Zukunft gezogen werden müssen, konzipieren. Vielmehr sollten Gedenkstätten vorrangig als Orte angesehen und fortentwickelt werden, die Gespräche, Fragen, Assoziationen, Interesse und Auseinandersetzung bewirken. Dies beinhaltet zum Beispiel eine Reduzierung der Vermittlung von Sachinformationen zugunsten kommunikativer und reflexiver Zeitanteile. Wenn Vermittler sich in diesem Sinne zurücknehmen, können sie das notwendige Gespür für Einstellungen, Reaktionen, Erwartungen, Bedürfnisse und Interessen der Schüler entwickeln. Wenn diese selbst zum Gegenstand der Interaktion werden, wenn aus VER-Mittlern von Wissen und Haltungen Mittler zwischen Gedenkstätte und Schüler werden, erfüllen Gedenkstätten ihren Zweck als Orte historisch-politischer Bildung.
Vom Ritual zur Routine Geschichtsdidaktische Überlegungen zur Arbeit an den Gedenkstätten zur NS-Zeit in Deutschland A LFONS K ENKMANN
‚Lernen aus der Geschichte‘ oder ‚Historia Magistra Vitae‘ – welche großen Erwartungen stellen wir an die Funktion der Geschichte, obwohl diese nur ein Konstrukt im Rückblick einer jeden Generation auf die vergangenen Zeitläufe ist? Können wir überhaupt aus der Geschichte lernen? Abessinien, Kambodscha, Ruanda, Dafour weisen auf die Schwierigkeiten der Beantwortung dieser universalanthropologischen Frage hin. Kann es überhaupt Aufgabe von Erinnerungsund Gedenkstätten, Aufgabe der historisch-politischen Bildung sein, ‚Lernen aus der Geschichte‘ zu ihrem Hauptlernziel zu machen? Zu den drei Hauptaufgaben der Geschichtswissenschaft zählt dieses Lernziel nicht. Weder zur Aufgabe der Narration, noch zur Aufgabe der Dokumentation, noch zu der der Kommunikation. Nicht ‚Lernen aus der Geschichte‘ ist möglich, sondern die Aufnahme von Orientierungsangeboten für unseren Lauf in die Zukunft. Diese Offerte mag umso besser greifen, wenn wir uns zur Selbstvergewisserung ein profundes und gesundes Maß an Rückschau auf die eigene Arbeit erhalten.
R ITUAL Gestatten Sie mir deshalb einen Blick zurück auf die Arbeit an den Gedenkstätten zur nationalsozialistischen Gewalt anhand von zwei exemplarischen arbeitsstrategischen Zugriffen: Ritual und Routine. Beide können hier nur schlaglichtartig behandelt werden.
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Das Ritual ist im Blick retour auf die Erinnerungspolitik nach 1945 der Routine vorangesetzt. Die Singularität des Holocausts konnte Routinen in der Erinnerungsarbeit zunächst auch gar nicht zulassen. Zu einer Zeit, in der eine Erinnerungslandschaft an die Gedenkstätten für die Opfer der NS-Diktatur noch gar nicht vorhanden war, wurde auf spezifische Rituale des Erinnerns zurückgegriffen. Dabei fielen die Gedenkakteure der Zeit nicht vom Himmel. Es waren die Überlebenden, die die ersten Gedenkfeiern für die in den Konzentrations- und Vernichtungslagern Ermordeten organisierten. Selbst sozialisiert zur Zeit der Wilhelminischen Ära und während der ,Weimarer Republik‘, verfügte ihr Gedenkrepertoire über keine andere Form der Totenehrung „als die, die in den Gedenkfeiern für die im Ersten Weltkrieg Gefallenen üblich waren.“1 Dies gilt für Deutschland und Italien gleichermaßen – man denke nur an das Sacrario militare di Redipuglia. Die Gedenkakte für die Gewaltopfer waren „von Anfang an durch Rückgriffe auf Vorstellungen und Praktiken geprägt, die schon die Sprache des Gedenkens für die im Ersten Weltkrieg Gefallenen strukturierten. Hierfür kommen verschiedene Gründe in Betracht: Zum einen hatte mit dem Ersten Weltkrieg, der rund 13 Millionen Menschen das Leben kostete, die Erfahrung des massenhaften und organisierten Todes eine historisch neue Dimension angenommen. Das Deutungsmuster eines sinnhaften Todes, des Opferns für eine spezifische Gemeinschaft namens Volk oder Nation, wurde in öffentlichen Gedenkfeiern popularisiert.“2
Es ließ sich auch nach 1945 für die Deutung des Todes in den nationalsozialistischen Lagern in Anspruch nehmen und zwar in beiden Teilen Deutschlands. Zum anderen sind Ereignisse einer totalen Destruktion zunächst nur dann erinnerbar, wenn sie sich in einen bestehenden Bildhaushalt integrieren lassen. „Die Vorstellung, dass der Tod nicht sinnlos, sondern ,für etwas‘ erfolgte und eben deshalb ,nicht umsonst‘ sein darf und kann, ist ein zentrales Strukturelement öffentlichen Gedenkens im 20. Jahrhundert.“3 Nehmen wir das folgende, frühe Nachkriegsplakat der sächsischen KPD aus dem Jahr 1946 ,Eure Opfer – unsere Schuld. Macht wieder gut‘, das das PietàMotiv der katholischen Religion aufgreift. Der politische Häftling hat sich geopfert für eine gesellschaftliche Alternative in der Zukunft. Im ,Schwur von Bu-
1
Insa Eschebach: Öffentliches Gedenken. Deutsche Erinnerungskulturen seit der Wei-
2
Ebd., S. 208.
3
Ebd.
marer Republik, Frankfurt a.M./New York 2005, S. 208f.
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chenwald‘ wirkt dieses sinnhafte Opfer fort und wird zum Gründungsmythos der DDR. Bei den Heranwachsenden führten die frühen Rituale der Erinnerungsarbeit und Gedenkpolitik jedoch zu Irritationen. Denn der Geschichtsunterricht unter dem Einfluss der Alliierten kam brachial daher. Die Autorin von ,Die deutsche Krankheit – German Angst‘, Sabine Bode: „Ein Jahr später [1949 oder 1950] besuchte ich Verwandte in der DDR. Ich erhielt dort wie alle Westbürger eine offizielle Einladung zum Besuch der Gedenkstätte Sachsenhausen. Von ,Konzentrationslager‘ war in dem Schreiben keine Rede. Auch Tante und Onkel äußerten sich nicht dazu. Ich verabschiedete mich morgens von ihnen in bester Laune, weil ich mir einen Ausflug zu irgendwelchen Sehenswürdigkeiten vorstellte. Und so landete ich …unvorbereitet im Keller der deutschen Schuld. Ein ehemaliger KZ-Häftling beschrieb detailliert die Grausamkeiten im Lager. Die Westdeutschen hörten mit starren Gesichtern zu – was ich als Sechzehnjährige als inneres Unbeteiligtsein interpretierte, tatsächlich wohl aber ihr Entsetzen in Grenzen halten sollte. Wir kamen in einen großen Raum, in dem routinemäßig Erschießungen stattgefunden hatten. Da hielt ich es nicht mehr aus und rannte ins Freie. Auf dem Weg zum Bus ging einer der offiziellen Begleiter unserer Gruppe neben mir und sagte: ,Ich habe Sie beobachtet. Sie haben das Besucherprogramm abgebrochen. Hat es Ihnen nicht gefallen?‘“4
Dem Funktionär kommt offensichtlich die emotionale Komponente der Führung nicht in den Sinn. Die mit dem spezifischen Besuchsritual verfolgte strategische Funktion der Information stellte eine Überforderung der Adressaten dar. Im Westen Deutschlands konnte sich in den ersten Jahren ein Erinnern an die Opfer der NS-Herrschaft nur in zwei Bereichen bemerkbar machen: Zum einen in „kaum wahrgenommenen ritualisierten Gedenkveranstaltungen“5 an den frühen Mahnmalen – wie z.B. dem von überlebenden sowjetischen Kriegsgefangenen errichteten Obelisken auf dem Friedhof Stukenbrock in Ostwestfalen.6 Zum anderen in den geschichtspolitischen Debatten z.B. des Deutschen Bundestages in den Jahren 1960, 1965 und 1969 über eine Verlängerung der Verjäh-
4
Sabine Bode: Die deutsche Krankheit – German Angst, Stuttgart 2006, S. 131.
5
Wulf E. Brebeck: Gedenkstätten für NS-Opfer im kollektiven Gedächtnis der Bundesrepublik Deutschland, in: Arbeitskreis Gedenkstätten (Hg.): Den Opfern gewidmet – Auf Zukunft gerichtet, 4. erw. und überarbeitete Aufl., Düsseldorf 1998, S. 8-33, hier: 15.
6
Vgl. ebd., S. 17.
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rungsfristen für Mordtaten unter dem NS-Regime. An Gedenkstätten für die Opfer der NS-Gewaltverbrechen konnten diese Diskurse nicht geführt werden, weil es diese noch nicht gab, sieht man von dem ersten Vorläufer am Berliner Plötzensee ab – entstanden 1952 an dem Ort, der zur Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft als Hinrichtungsstätte fungierte. Die erste Erinnerungsstätte in Westdeutschland finden wir in Oberhausen. Auf den ersten Blick überrascht dieser frühe Zeitpunkt städtischer Gedenkpolitik, liegt die Eröffnung in Oberhausen doch drei Jahre vor der offiziellen Einweihung der ersten westdeutschen KZ-Gedenkstätte in der Bundesrepublik – in Dachau. Außerdem war es die Signatur der bundesrepublikanischen Erinnerungslandschaft in der Adenauer-Ära, die deutschen Opfer der NS-Diktatur und vor allem des Zweiten Weltkriegs in den Vordergrund zu rücken. Der Schriftsteller Paul Schallück sprach in dieser Zeit von der „deutsche(n) Resignation“, die „zwischen dem Felsen einer konsequenten, aktiven Besinnung und dem Felsen einer chauvinistischen aktiven Geschichtsfälschung“ liege.7 Die Ausstellung in Oberhausen inszenierte eindrücklich gänzlich unterschiedliche Opfer-Erfahrungen, indem die „Hinterfront des Gedenkraumes für die Opfer des Nationalsozialismus […] ausgefüllt [ist] von einer großen Fotomontage, die das harte Los der aus der Heimat Vertriebenen während eines Flüchtlingstrecks [und Aufnahmen des zerstörten Dresden sowie Eindrücke von der Befreiung der Konzentrationslager] zeigt.“8 Wir haben es hier mit einem anmaßenden Integrationsimpuls, zu tun, der völlig unterschiedliche ‚Schicksalskategorien‘ und europäische Erfahrungsräume zusammenzuführen suchte. Mit seiner Gedenkkomposition war Oberhausen zwar der Beginn einer musealen Gedenkstättenarbeit im bevölkerungsreichsten westdeutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen9; sie fand jedoch für Jahrzehnte keine institutionellen Fortsetzungen. Nicht zuletzt waren es die internationale Ausrichtung der Studentenbewegung sowie die wissenschaftliche Konzentration auf faschismustheoretische
7
Paul Schallück: Von deutscher Resignation, in: Ders.: Zum Beispiel. Essays, Frankfurt a.M. 1957, S. 17-26, hier: 17.
8
Sollen kein Mausoleum sein. Sonntag morgen werden die Gedenkräume im Südflügel des Schlosses eröffnet. Anschließend Enthüllung der ,Trauernden‘, in: Hohe Wart vom 1. September 1962, Bildunterschrift.
9
Denkmäler, Gedenksteine und weitere lokale Erinnerungsfragmente sind hier nicht Gegenstand der Analyse. Zur Oberhausener Gedenkinitiative vgl.: Günter Born: Die Gedenkhalle Schloss Oberhausen. Gedenkstätten in NRW – Teil 2, in: Lotta, 29/20072008, S. 48-50.
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und strukturgeschichtliche Deutungsentwürfe, die von einer Aufarbeitung der NS-Vergangenheit vor Ort wegführten.10 Das Gedenken folgte bis in die 1990er Jahre hinein klassischen Ritualen, entnommen christlichen und mosaischen Traditionen, die bis heute Verwendung finden. Die drei Beispiele sind klassische Formen des Gedenkens. Das Vermächtnis der Überlebenden und dessen Ritualisierung, geformt von der Generation der Überlebenden. Wir haben es also mit im europäischen Raum verhafteten Ritualen zu tun.
R OUTINE In den 1970er Jahren konstituierte sich in Metropolen wie Berlin und Hamburg, aber auch in anderen urbanen Zentren eine bunte Melange-Gruppe von Einzelkämpfern und Initiativen, die ein „von den Orten des nationalsozialistischen Geschehens ausgehendes Netzwerk“ schuf, das geprägt war „von eine[r] Vielfalt unterschiedlicher Denkmäler, Installationen, Markierungen historischer Spuren“, aber auch schon erste „Gedenkstätten und Museen mit dokumentarischen Ausstellungen und Angeboten politischer Bildungsarbeit“11 auf den Weg brachte. Das Gros der kleineren Gedenkstätten an die Opfer der NS-Diktatur verdankt ihre heutige Existenz zumeist der erstaunlichen Beharrungskraft so genannter ,Initiativen von unten‘, in denen sich Schüler, Laienhistoriker und Angehörige ehemaliger Opferverbände mit bürgerschaftlich Engagierten und Alltagshistorikern verbanden und eine temporäre bzw. langfristige finanzielle Förderung erzwangen. Ohne die Hinwendung eines Teils der jüngeren Historiker-Generation in Nordrhein-Westfalen zu alltagsgeschichtlichen Fragestellungen und ihr Beharren auf die kommunikative Aufgabe der Geschichtswissenschaft hätte manche Geschichtsinitiative den Kampf um die Errichtung einer NS-Ge-
10 Alfons Kenkmann: Die Auseinandersetzung mit NS-Tätern und Mitläufern als didaktische Herausforderung. Politische Bildung am Beispiel der Münsteraner „Villa ten Hompel“, in: Heidi Behrens-Cobet (Hg.): Bilden und Gedenken. Erwachsenenbildung in Gedenkstätten und an Gedächtnisorten, Essen 1998, S. 91-111, hier: 105. 11 Stefanie Endlich: Wege zur Erinnerung. Gedenkstätten und -orte für die Opfer des Nationalsozialismus in Berlin und Brandenburg, Berlin 2007, S. 31.
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denkstätte wohl verloren.12 Von daher kann „die Beschäftigung mit der NSVergangenheit in Deutschland […] zu Recht als ein Generationenprojekt bezeichnet“ werden.13 Von den „Tat- und Leidensorte(n)“ – die großen Gedenkstätten sind zugleich auch „symbolisch und tatsächlich Friedhöfe“ –, entwickelten sie sich sukzessive zu „Arbeitseinrichtungen mit einem gewissen Andachtscharakter“.14 Mit der Errichtung dieser Arbeitsstätten und Lernorte an den authentischen Orten sowie deren Ausstattung mit wissenschaftlichem und pädagogischem Personal, entwickelte sich sukzessive eine Routine in der Naherinnerungsarbeit. Was ergibt eine kurze Bestandsaufnahme, wenn man der semantischen Eingrenzung des Duden-Synonym-Wörterbuchs folgt? Hier liest man unter dem Eintrag ,Routine‘: „a) Erfahrung, Fertigkeit, Geübtheit, Gewandtheit, Know-how, Technik, Übung, Vertrautheit. b) Automatismus, [blinder]“. Tätigt man einen Blick von oben auf die Gedenkstättenlandschaft in Deutschland, belegen die neuen bzw. überarbeiteten Dauerausstellungen an den Gedenkstätten das hohe Niveau fachwissenschaftlicher und geschichtsdidaktischer Durchdringung. Beispiele hierfür sind die großen – heute auch zeithistorischen – Ausstellungen in Dora und Bergen-Belsen, aber auch Neuengamme. Allen gemeinsam ist ihnen – zum Teil in neuen Gebäuden umgesetzt – ein multimediales und multiperspektivisches sowie, bei den größeren Häusern, die transnationale europäische Dimension berücksichtigende Herangehensweise. Bewährtes wird an die Adressaten gebracht; Bildungsangebote und Ausstellungsofferten mit Know-how betrieben. Mittlerweile kommt man gar nicht umhin anzuerkennen, dass – bei allem Stress, den zeithistorische Ausstellungen mit sich bringen –, die Umgestaltungsvorhaben professionell und routiniert umgesetzt werden. Die mittlerweile gut funktionierende Kommunikation unter den Gedenkstätten verhindert die Wiederholung von strategischen Fehlern. Nicht nur die musealen Offerten sind eingespielt, erst recht ist es auch der Alltagsbetrieb.
12 Vgl. Lutz Niethammer et al. (Hg.): „Die Menschen machen ihre Geschichte nicht aus freien Stücken, aber sie machen sie selbst“. Einladung zu einer Geschichte des Volkes in NRW, Berlin/Bonn 1984. 13 Günter Morsch: Perspektiven und Entscheidungslagen, Chancen und Risiken der Entwicklung deutscher NS-Gedenkstätten in Zeiten des Wandels, in: GedenkstättenRundbrief, 128/2005, S. 3-14, hier: 3. 14 Zit. nach Michael Zimmermann in: Jan Gerchow: Museen, in: Michael Maurer (Hg.): Aufriss der historischen Wissenschaften. Bd. 6: Institutionen, Stuttgart 2002, S. 316400, hier: 380-385.
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Gedenkstätten an die Opfer des Nationalsozialismus sind heute hybride Institutionen, die unterschiedliche Adressaten zufrieden stellen müssen: Schüler unterschiedlicher Couleur, Studienreferendare, Lehrer, Menschen in Polizei- und Verwaltungsberufen, Wissenschaftler, Kulturinteressierte etc. Und sie machen dieses routiniert und auf hohem Niveau. Doch diese Routine hat ihre Gefahren, wenn nicht nur der distanzierte Blick auf die eigene Arbeit abhanden kommt und sich häufig im selbstreferentiellen Diskurs verliert, sondern auch kein Raum mehr für das Denken alternativer Offerten verbleibt. „Im Geistigen gilt von jeder Leistung, dass sie nur gut ist, wenn man ihr in jedem Augenblick anmerkt, dass sie auch ganz schlecht hätte werden können“, bemerkte Max Horkheimer in seinem Vierzeiler ,Gegen Routine‘ Ende der 1960er Jahre. „Das Moment des Zufalls“, so Horkheimer weiter, „haftet der Phantasie unablösbar an, macht es ganz der Notwendigkeit [also der Routine – A.K.] Platz, verschwindet die Kunst.“15 Ein bon mot, das Gedenkstellenmitarbeiter im Arbeitsalltag nicht vergessen sollten.
AUSBLICK Allen pädagogischen Formaten zum Trotz bleibt die berechtigte Skepsis gegenüber der Forderung, aus der Geschichte zu lernen. Man braucht zwar mit Ulrich Herbert keine Kenntnisse über SA und SS, um zu wissen, dass man die Wohnung des Nachbarn nicht anzünden darf. Aber man braucht den Blick auf die vergangenen Zukünfte, um eigene Perspektiven für das Morgen zu durchdenken, um Optionen eigenen möglichen Handelns zu reflektieren (z.B. Bystander, Rettungswiderstand). Dabei ist die Frage zu stellen, ob die Rituale und Routinen auch noch bei den Angehörigen der nachwachsenden Kohorten der vierten, fünften und sechsten Nachkriegsgeneration greifen und sie diese auch noch in Zukunft erreichen werden. Mit dem Wegfall der Zeitzeugen – mit dem Übergang vom kommunikativen zum kulturellen Gedächtnis – verlieren wir die Authentizität der individuellen Erinnerung. Der Staffelstab wird an uns, die Akteure der historischen und pädagogischen Vermittlung, weitergegeben. Der Sozialpsychologe Harald Welzer – man muss ihm nicht folgen – sieht darin auch eine Entlastung, weil damit das Pathos der Erinnerung wegfalle. Parolen wie ,Wir dürfen nicht vergessen‘
15 Max Horkheimer: Gegen Routine, in: Gesammelte Schriften, Bd. 14: Nachgelassene Schriften 1949-1972, hg. v. Gunzelin Schmid Noerr, Frankfurt a.M. 1998, S. 50.
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verfehlten nicht ihre Wirkung unter den Angehörigen der Mitlebenden und Zeitzeugen, wohl aber unter den nachwachsenden Generationen. Der Historiker, der Gedenkstättenpädagoge und der Museologe wird den Zeitzeugen ersetzen müssen – als Medium beerbt den Zeitzeugen hoffentlich nicht nur das Arbeitsblatt. Wir werden an den Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus nach dem Wegfall der Zeitzeugen zu Beginn des 21. Jahrhunderts natürlich nicht wieder bei Null anfangen. Ebenso wenig geht es um die „Erprobung einer neuen [! – A.K.] Herangehensweise an das Thema Nationalso16 zialismus und Holocaust“ , wie es in einem gerade aktuellen Leporello einer Erinnerungs- und Gedenkstätte heißt, um „‚richtiges Erinnern‘“ – wenn auch in Frageform – auf einer Lehrerfortbildung zu trainieren. Dies gilt vor allem auf Basis des Faktums, dass unverändert die drei zentralen Formen geistiger Vergegenwärtigung Gültigkeit besitzen: die ikonische Form geistiger Vergegenwärtigung, die symbolische Form und die enaktive Form. Sie gelten für alle Themenbereiche zeitgeschichtlicher Betrachtung, schließen also das Thema ,Gewalt(verbrechen)‘ im Jahrhundert der Extreme mit ein. Wir dürfen also für die nahe Zukunft gespannt sein auf die sich ändernden Rituale und Routinen an den Arbeitsorten der Erinnerung an die NS-Herrschaft. Wir sollten dabei aber die Geschichte nicht nur „in die Verantwortung für den Selbstdruck unserer Gegenwart“, sprich unter die Allmacht des Gegenwartsbezugs stellen, sondern darauf achten, „dass […] ihr jene Fähigkeit [nicht] ausgetrieben wird, die Distanz heißt.“17 Der Gegenwartsbezug darf sich nicht zu einer Form kategorialer Alleinherrschaft erheben. Oder mit Roman Frister: „Welche Bedeutung haben meine Erfahrungen [von Auschwitz-Birkenau] für ähnliche Situationen in der Zukunft? … Null. Gar keine. Aus dem einfachen Grund, weil es ähnliche Situationen nicht gibt.“18 Nicht die Normierung der Erinnerung, aber auch nicht die Anthropologisierung des Holocaust stehen im Vordergrund der pädagogischen Arbeit an den Gedenkstätten, sondern dessen Historisierung und die damit verbundenen Folgen für den Erinnerungs-, Forschungs- und Bildungsbereich. Was sich derzeit abzeichnet, ist die Öffnung der Gedenkstättenpädagogik hin zur normierten kosmopolitischen Menschenrechtserziehung mit dem Resultat, dass wir uns mehr
16 KZ-Gedenkstätte Neuengamme: Veranstaltungen April/Mai/Juni 2009, Hamburg 2009. 17 Michael Jeismann: Der Feind, das ist die Geschichte. Historiker als story teller, in: Geschichte für heute, 4/2008, S. 29-32, hier: 32. 18 Roman Frister: Die Mütze oder Der Preis des Lebens. Ein Lebensbericht, Berlin 1997, S. 349.
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und mehr auf eine „alle Geschichte auslassende Anthropologisierung“ hinbewegen, auf eine „anthropologisch orientierte Gewaltgeschichte und die ihr auf den Fuß folgende Genozidforschung“19, die die historischen Kontexte zumeist sträflich vernachlässigt. Heute ist an den Gedenkstätten der Besuch von die europäischen Erfahrungsräume zusammenbringenden bi- bzw. trinational zusammengesetzten Schülergruppen en vogue: Ihre Zunahme ist das Resultat des geschichtspolitischen brandings auf der Stockholmer Konferenz von 2001. Doch den pädagogischen Anforderungen eines Erinnerns in europäischer Perspektive können die Gedenkstättenmitarbeiterinnen und Mitarbeiter kaum gerecht werden: Wie sollen sich transnational gemischte Schülergruppen auf Augenhöhe an den Gedenkstätten ritualisiert und routiniert austauschen, wenn ihr Lernhintergrund völlig disparat ausfällt und sie völlig unterschiedliche Kenntnisse über die NS-Gewaltherrschaft im Europa der 1940er Jahre mitbringen? Nehmen wir die Beispiele Polen und Deutschland: Bei ersten findet nur noch eine sehr reduzierte Thematisierung des Holocaust im Unterricht statt; bei zweiten wiederum hängt die Intensität der Behandlung vom jeweiligen Bundesland ab: Während in Sachsen noch in jedem Schuljahr das Fach Geschichte unterrichtet wird, kommt es in der Mittelstufe an den Gymnasien in Nordrhein-Westfalen nur noch in den Klassen sechs, sieben und neun zum Einsatz. D.h. die NSGewaltherrschaft als Stoff für 14- und 15-Jährige – mitten in und mittlerweile auch gegen Ende der Pubertät. Auch dies ist eine pädagogische Herausforderung. Doch sollte uns die Frage des Sohnes eines Historikerkollegen, an seinen Vater an einem Sonntagmorgen gestellt: „Muss ich heute wieder ins KZ?“, zu denken geben. Sie sollte uns sensibilisieren für die deformation professionelle infolge des Diktats, ,aus der Geschichte [zu] lernen‘.
19 Diskussionsbeitrag Dan Diner, in: Norbert Frei und Martin Broszat (Hg.): Der „Staat Hitlers“ und die Historisierung des Nationalsozialismus, Göttingen 2007, S. 201-204, hier: 202f.
Wem gehört die militärische Erinnerung im umstrittenen Grenzraum? Der Erinnerungsort des Schlachtfelds bei Woerth-en-Alsace und seine Entwicklung von 1870 bis zur Gegenwart T OBIAS A RAND UND C HRISTIAN B UNNENBERG
Wem gehört die militärische Erinnerung im umstrittenen Grenzraum? Die Erinnerung gehört dort den Siegern. Gehört die Erinnerung wirklich den Siegern? Was ist überhaupt ein Sieger? Hat der Verlierer keine Erinnerung? Wie verändert sich die Erinnerung, wenn aus Siegern Besiegte und aus Besiegten Sieger werden? Gibt es nur eine dichotome Sieger-Besiegte-Erinnerung? Oder ist alles viel komplizierter? Eindrücklich schildert ein Augenzeuge die Opfer und Folgen einer Schlacht des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71: „Wer die Schrecken des Krieges nur vom Hörensagen kennt und nicht aus Erfahrung weiß, welche Abgründe menschlichen Elends auf einem Schlachtfelde sich auftun, dem wollen wir als Augenzeugen den Rat erteilen: Nimm alles zusammen, was wir bis jetzt aus unseren Erlebnissen über Fröschweiler und seiner Einwohner Schicksal berichtet haben und wende es auf deine Heimat, auf dich selbst und deine Brüder an, und dann komm mit uns, wir wollen dich auf die Wallstatt begleiten, damit du lernest, wessen der Mensch fähig ist [...].Wie es in deinem Hause aussieht, weißt du schon; ’s ist alles noch im gestrigen Zustand, was die Plünderung nicht fortgerissen, liegt zerstreut, zertreten am Boden. [...] Das Haus ist auch nicht mehr dein, überall liegen die Verwundeten und schreien nach Rettung [...]. Da, siehe diese verstümmelten Leiber [...]. Dem einen ist ein Arm oder Bein abgeschlagen, dem anderen der ganze Kopf vom Rumpfe geschossen; einem dritten die
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Hirnschale in Stücke geschmettert; einem vierten der Leib aufgerissen, dass die Eingeweide verschüttet liegen.“1
Autor dieser drastischen Schilderung war Karl Klein, protestantischer Pfarrer in Fröschweiler, einem der Hauptschauplätze der von der deutschen Geschichtsschreibung als ‚Schlacht von Wörth‘ bzw. von der französischen Historiographie als ‚Bataille de Reichshoffen‘ bezeichneten heftigen Kämpfe vom 6. August 1870. Klein verfasste die im Kaiserreich viel gelesene ‚Fröschweiler Chronik‘, in der er die Erlebnisse rund um die Schlacht, aber auch die Tage nach der Schlacht sowie die Folgen für die vor Ort Betroffenen in deutlicher Weise beschrieb. In der Person Kleins und anhand seiner Erfahrungen lassen sich alle oben skizzierten Fragen anschaulich anreißen. Bei Kriegsbeginn war Karl Klein Franzose. Als Theologiestudent trat er jedoch im französischen Straßburg einer deutschgesinnten Verbindung bei. Durch den Krieg, der plötzlich sein kleines Dorf und seine Pfarre mit Tod und Leid konfrontierte, wurde er als französischer Staatsbürger Besiegter, aber als Mensch vor allem ein Opfer. Das Ergebnis des Krieges machte ihn aber auch zu einem Sieger, wurde er doch mit der Abtretung des Elsass und Teilen Lothringens an das Reich infolge des Frankfurter Friedens vom Mai 1871 auch Deutscher, als der er sich vielleicht ohnehin fühlte. Dieses Hin- und Hergeworfensein prägt auch seine ‚Chronik‘, in der er zwischen drastischen Darstellungen und Kritik auch an der deutschen Kriegsführung einerseits und Huldigungen an Kaiser Wilhelm I. und deutschnationalen Wallungen andererseits schwankt. Hin- und hergeworfen sollten bis 1945 aber auch das Elsass und damit der Erinnerungsort Wörth werden. Zwischen 1870 und 1945 wechselten das Elsass und Wörth viermal den Besitzer und stets hinterließen die Sieger ihre Erinnerungszeichen und veränderten den Erinnerungsraum nach ihren Vorstellungen. Auf dem überschaubaren Gelände von Wörth bzw. Woerth-en-Alsace lassen sich die Probleme und Zerrissenheit der Erinnerung in Grenzräumen wie unter einer Lupe betrachten.
1
Karl Klein: Fröschweiler Chronik. Kriegs- und Friedensbilder aus dem Jahre 1870, München
27
1913, S. 153ff. Zur ‚Fröschweiler Chronik‘ vgl. Christian Bunnenberg:
Die ‚Froeschweiler Chronik‘ – Die Schlacht von Wörth in den Erinnerungen des Pastors Karl Klein, in: Tobias Arand und Christian Bunnenberg (Hg.): Das Schlachtfeld von Wörth – Geschichts-, Erinnerungs- und Lernort (Geschichtskultur und Krieg, Bd. 3), Münster 2011 (im Druck).
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F ORMEN DER E RINNERUNG Karl Klein war einer der ersten Zivilisten, die das Schlachtfeld von Wörth aufsuchten, und er sollte nicht der letzte bleiben. Im Deutschen Kaiserreich wandelte sich das ehemalige Schlachtfeld zwischen dem nun „nicht mehr unbekannten Bauerndörflein“ Fröschweiler und dem kleinen Städtchen Wörth zu einem „vielbesuchten Wallfahrtsort“ mit jährlich mehreren tausend ‚Pilgern‘. Diesen Besucheransturm erwarteten achtzehn Hotels und Restaurant.2 Die Betreiber warben mit „moderaten Preisen, naturreinem Wein und Karlsruher Bier“, zeigten in der Gaststube Militaria vom Schlachtfeld und verkauften Postkarten, Gemälde mit Szenen der Schlacht und Schlachtfeldführer aus dem Selbstverlag.3 Bleibt die Frage, was die Menschenmassen nach dem Deutsch-Französischen Krieg in das Elsass trieb, denn auf „die interessanten Eindrücke und Beobachtungen [...], welche der Besuch der Schlachtfelder unmittelbar nach den stattgefundenen Kämpfen mit sich bringt“, konnten die Schlachtfeldtouristen nicht mehr hoffen.4 Die Faszination eines Schlachtfeldbesuches muss für die Zeitgenossen Karl Kleins im Deutschen Kaiserreich also vielmehr von der Erinnerungskultur an die Schlacht ausgegangen sein. Auf Schlachtfeldern konzentrieren sich, zeitlich und räumlich begrenzt, die Ereignisse eines länger andauernden Konfliktes.5 Da in Schlachten auch immer – im wahrsten Sinne des Wortes – um eine Entscheidung gerungen wird, wird ih-
2
Michel Busser et al.: Woerth, notre cité, Obernai 1995, S. 48; vgl. Winfried Lachauer: Die „Bataille von Fröschweiler“, in: DIE ZEIT, 32/1995, S. 9-12, sowie Philip Wolf: Die Geschichtskultur des Krieges – Der Erinnerungsraum Wörth im Deutschen Kaiserreich, in: Arand/Bunnenberg: Das Schlachtfeld von Wörth.
3
Zitat: Busser: Woerth, notre cité, S. 47; Beispiele für Schlachtfeldführer: Alfred Touchemolin: Guide du touriste sur le champ de bataille de Froeschwiller, Straßburg 1871; Ernestine Westram: Souvenirs de guerre de Froeschwiller et Woerth, Straßburg [um 1910]; Friedrich Schiller: Die Schreckenstage von Wörth i.E. im Kriege 1870/71 und das jetzige Schlachtfeld, Straßburg
10
1910, sowie Friedrich Horning: Das
Schlachtfeld von Wörth-Fröschweiler. Mit 60 Abbildungen, sämtlichen Denkmälern und einer Karte, o.O. u. o.J; L. Sadoul: Führer durch das Schlachtfeld von Wörth, Metz 1909. 4
A. von Heyne: Wanderungen über die Schlachtfelder von Weissenburg und Wörth, in: Streffleurs österreichische militärische Zeitschrift, 7/1888, S. 101-109, hier: 101.
5
Vgl. Cord Arendes und Jörg Peltzer: Das Erinnern an Schlachten. Erfahrungen von Gewalt im Spätmittelalter und im 19. Jahrhundert, in: Dies. (Hg.): Krieg. Vergleichende Perspektiven aus Kunst, Musik und Geschichte, Heidelberg 2007, S. 57-84.
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nen im Nachgang zumeist auch eine besondere historische Bedeutung für den Fortgang der Geschichte zugeschrieben.6 In der Erinnerung an vergangene Kriege können Schlachten also den Stellenwert eines „herausragenden Gedächtnisort[es]“ erhalten.7 Gedächtnisorte bzw. Erinnerungsorte sind Kristallisationspunkte erinnerungskultureller Aushandlungsprozesse, die von einer sozialen Gruppe vorgenommen werden.8 Am Anfang dieses Prozesses stehen das historische Ereignis und einzelne Menschen, die im Zusammenhang mit eben diesem Ereignis Primärerfahrungen gemacht haben.9 Auf dem Schlachtfeld bei Wörth haben tausende Soldaten die Schlacht ganz individuell erlebt; sie haben auf unterschiedliche Art und Weise geschwitzt, geblutet, geschossen, haben angegriffen, sich verteidigt, Befehlen gehorchen müssen oder Befehle gegeben, Kameraden und Gegner sterben sehen; sie hatten Durst, Angst und waren am Rande der Erschöpfung. Auch die Zivilisten in den umkämpften Ortschaften teilten, unfreiwillig und verängstigt, die Er-
6
Vgl. beispielhaft dazu: Philippe Levillain und Rainer Philippe: La Guerre de 1870/71 et ses consequences. Actes du XXe colloque franco-allemand organisé à Paris par l’Institut Historique Allemand en coopération avec le Centre de Recherches Adolphe Thiers, Bonn 1990; Stig Förster, Markus Pöhlmann und Dierk Walter: Die Schlacht in der Geschichte, in: Dies. (Hg,): Schlachten der Weltgeschichte. Von Salamis bis Sinai, München 2001, S. 7-18; Jan Lorenzen: Die großen Schlachten. Mythen, Menschen, Schicksale, Frankfurt a.M. 2006.
7
Arendes/Peltzer: Erinnern an Schlachten, S. 58. Ausgewählte Literatur zu den Konzepten von Gedächtnis und Erinnerung: Christoph Cornelißen: Was heißt Erinnerungskultur? Begriffe – Methoden – Perspektiven, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, 54/2003, S. 548-563; Harald Welzer, Ariane Eichenberg und Christian Gudehus (Hg.): Gedächtnis und Erinnerung: ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2010; Astrid Erll: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. Eine Einführung, Stuttgart 2005; Sabine Moller: Vielfache Vergangenheit. Öffentliche Erinnerungskulturen und Familienerinnerungen an die NS-Zeit in Ostdeutschland, Tübingen 2003; Sabine Moller: Erinnerung und Gedächtnis, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 12.4.2010, http://docupedia.de/zg/Erinnerung_und_Gedächtnis [11.7.2011], Pierre Nora: Zwischen Geschichte und Gedächtnis, Berlin 1990; Etienne François und Hagen Schulze: Einleitung, in: Dies. (Hg.): Deutsche Erinnerungsorte, 3 Bde., München 2001, S. 9-26.
8
Die folgenden Ausführungen orientieren sich vor allem an: Moller: Erinnerung und Gedächtnis; Cornelißen: Erinnerungskultur; Erll: Gedächtnis und Erinnerungskultur.
9
Vgl. Hans Günter Hockerts: Zugänge zur Zeitgeschichte: Primärerfahrung, Erinnerungskultur, Geschichtswissenschaft, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 28/2001, S. 15-30.
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fahrungen der Schlacht; die Wahrnehmung der Ereignisse erfolgte aber bei allen Beteiligten unterschiedlich und selektiv.10 Am Abend nach der Schlacht hatten sich diese Erfahrungen in tausende individuelle Gedächtnisse eingebrannt.11 Erinnerung wiederum setzt ein, wenn die in der Vergangenheit gemachten Erfahrungen wieder vergegenwärtigt werden. Es handelt sich also zunächst um individuelle Rekonstruktionen des Vergangenen auf Grundlage der im individuellen Gedächtnis gespeicherten Erfahrungen. Dies geschieht vor allem durch Kommunikation und Interaktion innerhalb einer sozialen Gruppe; diese bestimmt aber auch „darüber, was des Andenkens wert ist und wie erinnert wird.“12 Die individuelle Erinnerung ist damit immer zeitgebunden und zugleich selektiv, denn sie orientiert sich an dem gesellschaftlichen Bezugsrahmen der jeweiligen Gegenwart. Es geht bei der Auswahl der Erinnerung also auch immer um Vergangenheitsdeutungen, Gegenwartsorientierungen und Zukunftserwartungen einer sozialen Gruppe. Der Austausch über ein vergangenes Ereignis verbindet die Menschen; ihm wird ein identitätsstiftendes Moment zugewiesen. Die gemeinsame Erinnerung wird als „kollektives Gedächtnis“ bezeichnet.13 Trotzdem besteht das kollektive Gedächtnis nicht aus der Summe aller individuellen Erinnerungen. Vielmehr stehen die Inhalte des kollektiven Gedächtnisses am Ende einer gesellschaftlichen Verständigung darüber, wie und was erinnert, vergessen, besonders betont und erfunden wird, welche sozialen Gruppen oder Teilgruppen Träger und Vermittler der Erinnerungen sind und welche Erinnerungsinteressen dem gemeinsamen Gedächtnis zugrunde liegen sollen. Das Ergebnis stellt eine historische „Meistererzählung“ dar, die wiederum „niemals ‚die‘ Vergangenheit abbilden kann, sondern ihr immer die eigene gegenwartsbestimmte Sichtweise überstülpt“ und damit gleichzeitig die gewünschten Deutungen der Vergangenheit vorgibt.14
10 Vgl. Klein: Fröschweiler Chronik, sowie Katharina Klein: Fröschweiler Erinnerungen. Ergänzungsblätter zur Fröschweiler Chronik, München 61914. 11 Vgl. Moller: Erinnerung und Gedächtnis. 12 Edgar Wolfrum: „Theater der Erinnerung“, in: Sabine Berghahn und Sigrid KochBaumgarten (Hg.): Mythos Diana: Von der Princess of Wales zur Queen of Hearts, Gießen 1999, S. 57-63, hier: 57. 13 Der Begriff wurde von dem Soziologen Maurice Halbwachs in den 1920er Jahren eingeführt: Maurice Halbwachs: Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen, Frankfurt a.M. 1985. 14 Konrad H. Jarausch und Martin Sabrow: „Meistererzählung“. Zur Karriere eines Begriffs, in: Dies. (Hg.): Die historische Meistererzählung. Deutungslinien der deutschen Nationalgeschichte nach 1945, Göttingen 2002, S. 9-32, hier: 12; Vgl. auch Konrad H.
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Die Meisternarration wirkt dabei in und auf zwei Erscheinungsformen des kollektiven Gedächtnisses, die als „kommunikatives“ und „kulturelles“ Gedächtnis bezeichnet werden.15 Das kommunikative Gedächtnis meint die zeitlich auf zwei bis drei Generationen begrenzte tatsächliche Weitergabe der unmittelbar gemachten Primärerfahrungen. Voraussetzung ist das Vorhandensein einer „Erfahrungs-, Erinnerungs- und Erzählgemeinschaft“, in der die Erinnerungen alltagsnah und teilweise informell – z.B. im Familienkreis – tradiert werden.16 Das kulturelle Gedächtnis hingegen funktioniert als generationenübergreifendes Konstrukt. Es handelt sich dabei um „ein kollektiv geteiltes Wissen […] über die Vergangenheit, auf das eine Gruppe ihr Bewusstsein von Eigenheit und Eigenart stützt“.17 Um die Erinnerung lebendig zu halten, bedarf es historischer Narrationen mit großer Prägekraft, die seit dem 19. Jahrhundert in der Regel auf den Nationalstaat ausgerichtet und damit institutionell angebunden sind.18 Seinen konkret greifbaren Ausdruck findet das kollektive Gedächtnis in der öffentlichen Erinnerungskultur, die – um den Bogen zu schließen – Gedächtnisorte für die Erinnerung bereithält. Gedächtnisort meint neben geographischen Orten wie dem ehemaligen Schlachtfeld bei Wörth aber auch „die zahllosen Riten, Praktiken, Symbole, Jubiläen, Gedenktage, Akten, Protokolle, Bilder, Fotos, Filme und Objekte, all die kulturellen Manifestationen, die die Funktion haben, etwas im Gedächtnis zu bewahren“.19
Jarausch: Die Krise der Meistererzählungen. Ein Plädoyer für plurale, interdependente Narrative, in: Jarausch/Sabrow: Die historische Meistererzählung, S. 140-162. 15 Cornelißen: Erinnerungskultur, S. 554; Vgl. Aleida Assmann und Jan Assmann: Das Gestern im Heute. Medien und soziales Gedächtnis, in: Klaus Merten (Hg.): Die Wirklichkeit der Medien. Eine Einführung in die Kommunikationswissenschaft; Opladen 1994, S. 114-140. 16 Moller: Erinnerung und Gedächtnis. 17 Jan Assmann: Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität, in: Ders. und Tonio Hölscher (Hg.): Kultur und Gedächtnis, Frankfurt a.M. 1988, S. 9-19, hier: 15. 18 Vgl. Jarausch/Sabrow: Meistererzählung, S. 16. 19 Ulrich Borsdorf und Theodor Grütter: Spielweisen der Erinnerung, in: Franz-Josef Brüggemeier, Ulrich Borsdorf und Jürg Steiner (Hg.): Der Ball ist rund. Katalog zur Fußballausstellung im Gasometer Oberhausen, Essen 2000, S. 48-52, hier: 48.
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D ER K RIEG VON 1870/71 – E RINNERUNG UND PATRIOTISCHER D ENKMALSKULT 20 IN F RANKREICH UND D EUTSCHLAND Im Windschatten der Entwicklung von Nationalstaat und Bürgerarmeen im 19. Jahrhundert wuchs die Bedeutung nationalistischer Kriegspropaganda zur Motivierung für neue Kriege, zur retrospektiven Sinnbildung oder zur Aufrechterhaltung nachlassender Kriegsbegeisterung. Auf beiden Seiten bemühte man sich direkt nach Beendigung des Kriegs von 1870/71 um eine klare, wenngleich völlig gegenläufige Lenkung seiner erinnernden Wahrnehmung. Die Niederlage im Deutsch-Französischen Krieg sollte in Frankreich zu tiefgreifenden Veränderungen führen, denen mit einer bewusst gesteuerten Erinnerung an den verlorenen Krieg begegnet werden sollte.21 Die Dritte Republik als Ergebnis einer Niederlage und des Zusammenbruchs der kaiserlichen Machteliten setzte auf den Gedanken der ‚Revanche‘, einer Rache für die Demütigungen und propagierte zugleich aggressiv den Gedanken einer Rückholung der ‚verlorenen Provinzen‘.22 Vorrangiges Ziel war es aber, durch das Einschwören der
20 Vgl. zum Folgenden Tobias Arand: Ein zunehmend vergessener Krieg – Die Entwicklung der Erinnerung an den Deutsch-Französischen Krieg 1870/71, in: Ders. (Hg.): ‚Der großartigste Krieg, der je geführt worden.‘ – Beiträge zur Geschichtskultur des Deutsch-Französischen Kriegs 1870/71, Münster 2008 (= Geschichtskultur und Krieg 2), S. 9-35; Reinhard Alings: Monument und Nation. Das Bild vom Nationalstaat im Medium Denkmal. Zum Verhältnis von Nation und Staat im Deutschen Kaiserreich 1871-1918, Berlin 1986; Frank Becker: Bilder von Krieg und Nation. Die Einigungskriege in der bürgerlichen Öffentlichkeit Deutschlands 1864-1913, München 2001; Meinholdt Lurz: Kriegerdenkmäler in Deutschland. Bd. 2: Einigungskriege, Heidelberg 1985; Annette Maas: Der Kult der toten Krieger. Frankreich und Deutschland nach 1870/71, in: Etienne François (Hg.): Nation und Emotion. Deutschland und Frankreich im Vergleich 19. und 20. Jahrhundert, Göttingen 1995, S. 215-230, sowie die grundlegende Arbeit von George L. Mosse: Die Nationalisierung der Massen. Politische Symbolik und Massenbewegung von den Befreiungskriegen bis zum Dritten Reich, Frankfurt a.M./New York 1993 (= Reihe Campus 1075); schließlich noch Jan Pfeil: Krieg im 19. Jahrhundert, in: Arand/Bunnenberg: Das Schlachtfeld von Woerth. 21 Vgl. Arand, Vergessener Krieg, S. 12 und vor allem Wolfgang Schivelbusch: Die Kultur der Niederlage. Der amerikanische Süden 1865, Frankreich 1871, Deutschland 1918, Berlin 2001, S. 136ff. 22 Überblicksartige Darstellungen: Andreas Metzing: Kriegsgedenken in Frankreich (1871-1914). Studien zur kollektiven Erinnerung an den Deutsch-Französischen Krieg
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französischen Gesellschaft auf dieses Gedankenmodell die Überwindung gesellschaftlicher Spaltungen und die Reintegration des diskreditierten Militärs in die Gesellschaftsordnung der jungen Republik ermöglichen zu können. Die Erinnerung an den verlorenen Krieg wurde auf diese Deutung abgestimmt und konnte sich als Meisternarration auch erfolgreich durchsetzen. In der Schule, auf Denkmälern, auf den zu Erinnerungsorten stilisierten Schlachtfeldern, in nationalen Symbolen, in Kunst und Literatur, Museen, Erinnerungsfeiern und Produkten der Massenkultur blieb die Erinnerung an den Krieg und der Gedanke an die ‚Revanche‘ dauerhaft präsent.23 In den gleichen Medien drückte sich auch die Meisternarration über den Deutsch-Französischen Krieg im Deutschen Reich aus, allerdings unter völlig anderen Vorzeichen.24 Griffige und formelhafte Wendungen wie ‚Krieg und Sieg‘25 und ‚Den Gefallenen zum Gedächtnis, den Lebenden zur Anerkennung und den künftigen Geschlechtern zur Nacheiferung‘26 begünstigten eine Überhöhung des gewonnenen Krieges und des Militärs, eine Legitimierung der enormen Opfer und eine generationenübergreifende Sinngebung. Die Feldzüge gegen Dänemark (1864), Österreich (1866) und Frankreich (1870-71) wurden als so genannte ‚Einigungskriege‘ gedeutet, deren Krönung eben eine solche sein sollte: Die Kaiserproklamation von Versailles und die Gründung des Zweiten Deutschen Kaiserreiches als nationalstaatliche Verwirklichung der kleindeutschen Lösung. Bei der Etablierung und Verbreitung dieser Meisternarration tat sich vor allem das national-konservativ geprägte Bürgertum hervor.27 Es waren neben den in den Kriegervereinen organisierten Veteranen vor allem Gymnasiallehrer, protestantische Geistliche, Journalisten, Militärs oder Universitätsprofessoren, die in unzähligen Publikationen und Denkmalsstiftungen den Erinnerungsdiskurs prägten. Pazifisten, Sozialdemokraten oder Arbeiter waren von diesen Erinnerungsangeboten hingegen dann ausgeschlossen, wenn sie sich aus ideologischen oder aus Gründen des sozialen Standes nicht den jeweilig offiziellen Kriegsdeu-
von 1870/71, S. 20ff. (http://freidok.uni-freiburg.de/volltexte/418/pdf/Metzing.pdf [11.7.2011]); François Roth: La guerre de 1870, Paris 2003, sowie Arand: Vergessener Krieg, S. 13. 23 Ausführliche Beispiele in: Arand: Vergessener Krieg, S. 13-20. 24 Ebd., S. 22-28. 25 U.a. der Titel eine Produktes der Massenkultur: Julius Pflugk-Hartung (Hg.): Krieg und Sieg: 1870-71. Ein Gedenkbuch, Berlin 1895. 26 Reinhardt Koselleck: Kriegerdenkmäler als Identitätsstiftung der Überlebenden, in: Odo Marquard (Hg.): Identität, München 1996. S. 255-275, hier: 262. 27 Becker: Bilder, S. 24.
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tungen anschließen wollten. Die Eckpfeiler der Meisternarration wurden bereits während des laufenden Krieges ausgehandelt; „die Deutungskultur des Krieges von 1870/71, [...] stellt sich als Kontinuum dar, als ein Inventar von Begriffen, Argumenten und Metaphern, das über vier Jahrzehnte hinweg praktisch unverändert“ bestehen bleiben sollte.28 Diesem Muster folgte auch die Entstehung einer Narration als Grundlage für die Erinnerungskultur über die Schlacht bei Wörth. Grundstein für alle späteren Deutungen, die der Meisternarration folgen sollten, also keine Gegen- oder Parallelnarrative enthielten, waren die ersten Nachrichten, die von dem Schlachtfeld in die deutschen Länder gesandt wurden. An prominentester Stelle steht dabei das Telegramm des preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm, Befehlshaber der in die Schlacht verwickelten 3. Deutschen Armee: „Siegreiche Schlacht bei Wörth. Mac Mahon mit dem grössten Theil Meiner Armee vollständig geschlagen. Die Franzosen auf Bitsch zurückgeworfen. Auf dem Schlachtfelde bei Wörth 4½ Uhr Nachmittags. Friedrich Wilhelm, Kronprinz.“29 Vereint mit anderen Berichten, Telegrammen und Zeitungsmeldungen vergleichbaren Inhaltes erschien der zitierte Text bereits 1871 in einer „Sammlung der wichtigsten Quellen“ zum Deutsch-Französischen Krieg.30 Schon ein Jahr später wurde das deutsche Generalstabswerk herausgegeben, „aus dem Wunsch heraus, so bald als möglich die Großtaten des Feldzuges, der Deutschland die Einigkeit gebracht [hatte], niederzuschreiben und der Allgemeinheit zugänglich zu machen“; auf das französische Pendant musste noch bis 1902 gewartet werden.31 Die Texte spiegeln zum Teil die individuellen Erfahrungen der Teilnehmer; andere – wie z.B. Zeitungsberichte oder die militärische Meisternarration – sind bereits zu Geschichte verarbeitete Erinnerungen. In ihrer Summe speisten sie schließlich ähnliche Narrative über das vergangene Ereignis der Schlacht über das kommunikative direkt in das kollektive Gedächtnis ein und steckten gleichzeitig das inhaltliche und semantische Feld der Erinnerungskultur insgesamt nachhaltig ab. Durch die zeitnahe Berichterstattung der Presse waren nicht mehr nur die mitkämpfenden Soldaten Angehörige des kommunikativen Gedächtnisses; auch
28 Ebd., S. 25. 29 Zit. nach: Georg Hirth und Julius von Gosen: Tagebuch des Deutsch-Französischen Krieges 1870-1871. Eine Sammlung der wichtigsten Quellen dem siegreich heimkehrenden deutschen Heere und seinen Führer gewidmet, Leipzig 1871. 30 Hirth/von Gosen: Tagebuch, Titelblatt. 31 Rudolf Mohr: Ein Führer über das Schlachtfeld. Die Schlacht bei Wörth unter besonderer Berücksichtigung der Kunz’schen Schriften und der neuesten französischen Veröffentlichungen, Gießen 1908, S. 1.
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eine die Medien rezipierende Öffentlichkeit gehörte zur Erinnerungsgemeinschaft, denn auch ihr waren durch den Erwerb von Sekundärerfahrungen die Rahmenbedingungen vertraut, in denen sich die Narrationen vom Sieg bei Wörth entwickelten.32 Fast alle weiteren Narrationen, die im Nachgang im Deutschen Reich in vielfältigen Publikationsformen erscheinen sollten – in Schulbüchern, Kriegserinnerungen von Zivilisten, Mannschaften und Offizieren, Erinnerungsbüchern, militärischen Fachbüchern, Überblicksdarstellungen, Schlachtfeldführern oder Artikeln in Lexika33 –, bauten auf dieser narrativen Basis auf. Dabei verdichtete sich die Meisternarration auf der stofflichen Seite zunehmend auf einige wenige Narrative von Ereignissen und Personen, die vom kollektiven Gedächtnis als unerlässlich für das Verständnis einer Geschichte der Schlacht bei Wörth angesehen wurden und im kommunikativen Gedächtnis auch entsprechend stattfanden: die ‚ungewollte‘ Schlacht, die Heerführer Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen und der französische Marshall Mac-Mahon, der Erkundungsritt Graf Zeppelins, der ‚Heldenritt‘ der französischen Kürrasiere, die Turkos und Zuaven und die deutsche ‚Waffenbrüderschaft‘ als ‚einender‘ Moment.34 Zu Beginn des Ersten Weltkriegs und noch in seinem weiteren Verlauf war der Deutsch-Französische Krieg in beiden Nationen ein wichtiger Bezugspunkt zur Wahrnehmung, Deutung und Begründung des aktuellen Geschehens. Bei Kriegsbeginn bezog sich die deutsche Propaganda auf die Erinnerung an den
32 Zur Rezeption der Nachrichten aus dem Krieg: Becker: Bilder, S. 73ff. 33 Jeweils pars pro toto: Julius Koch: Lehrbuch für die höheren Lehranstalten. Teil 1: Lesebuch für Sexta. Lebensbilder aus der vaterländischen Geschichte, Leipzig 41910; Theodor Gümbel: Erinnerungen eines freiwilligen Krankenpflegers vom Kriegsschauplatz 1870, München 1890, mit einem Beitrag von: J. Zeitz: Fahrten eines Nichtkombattanten auf dem Kriegsschauplatz in den Augusttagen 1870; Klein: Fröschweiler Chronik; Johannes Diehl: Meine Kriegs-Erlebnisse von 1870/71, Minden i.W. 1904; Alexander Heye (Hg.): Kriegstagebuch des weiland Major und Bataillons-Kommandeurs im 2. Nassauischen Infanterie-Regiment Nr. 88, Oldenburg 1905; PflugkHartung: Krieg und Sieg; Hermann Kunz: Die Schlacht von Wörth am 6. August 1870, Berlin 1891; J. Scheibert: Unser Volk in Waffen. Der deutsch-französische Krieg 1870/71 auf Grund des großen Generalstabswerkes, 2 Bd. Berlin 1895; Touchemolin: Guide du touriste; Wörth, in: Meyers Konversations-Lexikon. Eine Enzyklopädie des allgemeinen Wissens. 16. Bd., Leipzig 41890, S. 751. 34 Jarausch/Sabrow: Meistererzählung, S. 17: „Jede Vergegenwärtigung des Gewesenen trifft aus der nachzeitigen Beobachterposition eine Auswahl aus dem uferlosen Strom des Geschehenen, sie verknüpft und sie trennt; sie definiert Anfang und Ende des Erzählten; sie hebt hervor, und sie läßt aus.“
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vermeintlich schnellen und einfachen Sieg von 1870/71 und schürte so die Erwartung einer Wiederholung der damaligen Ereignisse. Die deutschen Soldaten von 1914 wurden als Fortführer der Taten ihrer Großväter dargestellt. In Frankreich hingegen konnte der Krieg den betroffenen Menschen zu Beginn als der nun endlich beginnende Kampf um die verlorenen Provinzen angekündigt werden. In seinem weiteren Verlauf wurde dieses Motiv immer wieder betont, um auch in Phasen militärischer Ausweglosigkeit den Wehrwillen der Franzosen aufrecht zu erhalten. Mit der Unterzeichnung des Friedensvertrags im Spiegelsaal von Versailles im Jahr 1919 war für Frankreich die Revanche endgültig geglückt und die Erinnerung an die Niederlage im Deutsch-Französischen Krieg hatte damit ihre alte Funktion verloren. Sie wurde durch die noch heute in Frankreich allgegenwärtige Erinnerung an den Sieg im Ersten Weltkrieg abgelöst. In Deutschland hingegen, wo ebenfalls der Erste Weltkrieg in den Mittelpunkt der Erinnerung rückte und die Produktion von Geschichtskultur zu dieser traumatischen Niederlage ein gewinnträchtiger Wirtschaftszweig wurde, hatte die Rückbesinnung auf den letzten deutschen Sieg ihre Funktion noch nicht verloren. Sedan war nun nicht mehr Metapher für gegenwärtige deutsche Größe, sondern für eine wiederherzustellende deutsche Größe. Hinter der ‚Schmach von Versailles‘ blinkte die Sonne des Triumphs von Sedan umso verführerischer. So blieb die Darstellung der Einigungskriege auch während der Weimarer Republik ein fester und nationale Identität stiftender Bestandteil des schulischen Geschichtsunterrichts. Nach 1933 wurde der Sieg gegen Frankreich noch stärker betont. Nun galten ‚Krieg und Sieg‘ von 1870/71 als ermutigende Muster für die geplante Revision des ,Versailler Schandfriedens‘. Nach 1945 trat der Waffengang von 1870/71 in Deutschland vollends hinter die Erinnerung an die jüngste Vergangenheit zurück. Bestenfalls die akademische Frage, ob bereits in den Strukturen des durch einen militärischen Sieg geschaffenen Deutschen Kaiserreichs der Nationalsozialismus zwingend angelegt gewesen sei, konnte noch ein Interesse an diesem zunehmend vergessenen Krieg begründen.35
35 Vgl. z.B. die berühmte ‚Fischer-Kontroverse‘.
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D ER E RINNERUNGSORT ‚W ÖRTH ‘ – D IE E NTWICKLUNG BIS ZUM E RSTEN W ELTKRIEG Zeitgleich zu der Entwicklung des kollektiven Gedächtnisses zum DeutschFranzösischen Krieg und zur Schlacht bei Wörth im Deutschen Reich begann die Umformung des Schlachtfeldes bei Wörth zu einem Gedächtnis- und Erinnerungsort.36 Im Vordergrund standen dabei wie auf allen Schlachtfeldern des Krieges vor allem das Gedenken an die Gefallenen und die Errichtung von Denkmälern als Orte des Totengedenkens.37 Eine 1872 gedruckte ‚Carte du champ de bataille de Froeschwiller avec les monuments, tombes militaires et cimetières‘38 gibt einen guten Einblick in das unmittelbar nach dem Krieg einsetzende binationale Totengedenken auf dem Schlachtfeld bei Wörth. Obwohl vor allem auf deutscher Seite das Geschichtsbild eines vorindustriell geführten Krieges, dessen narrative Merkmale glänzende Siege, tapfere Heldentaten und strahlende Heerführer waren, konstruiert und im kollektiven Gedächtnis etabliert wurde, mussten auf den Schlachtfeldern Erinnerungsformen entwickelt werden, die den tatsächlichen Bedingungen eines ‚modernen‘ Krieges mit tausenden Gefallenen gerecht werden konnten.39 Durch Erinnerungsliteratur wie die des Pfarrers Klein und im kommunikativen Gedächtnis der ehemaligen Soldaten waren die erschreckenden Folgen der Schlacht durchaus präsent, allerdings wurde im gleichen Ausmaß eine verklärende Narration gepflegt. Mit übergeordneten Werten wie der ‚Ehre des Vaterlandes‘ wurde dem tausendfachen Tod im Nachgang
36 Vgl. Wolf: Geschichtskultur. 37 Zu ausgewählten Aspekten der Erinnerung an Gefallene: Reinhart Koselleck und Michael Jeismann (Hg.): Der politische Totenkult. Kriegerdenkmäler in der Moderne, München 1994. Für die deutsch-französische Grenzregion detailliert: Annette Maas: Kriegerdenkmäler und Gedenkfeiern um Metz. Formen und Funktionen kollektiver Erinnerung in einer Grenzregion, in: Reiner Hudemann (Hg.): Standentwicklung im deutsch-französisch-luxemburgischen Grenzraum, Saarbrücken 1991, S. 89-119; Dies.: Politische Ikonographie im deutsch-französischen Spannungsfeld. Die Kriegerdenkmäler von 1870/71 auf den Schlachtfeldern um Metz, in: Koselleck/Jeismann: Der politische Totenkult, S. 195-222; Dies.: Kriegerdenkmäler in einer Grenzregion – Die Schlachtfelder um Metz und Weißenburg/Wörth 1870/71-1918, in: Schriften des Italienisch-Deutschen Historischen Instituts in Trient, Bd. 2, 1998, S. 13-45. 38 Louis Eichinger: Carte du champ de bataille de Froeschwiller: avec les monuments, tombes militaires et cimetières, Hagenau 1872. 39 Vgl. Wolf: Geschichtskultur.
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Sinn zugewiesen, wurden den furchtbaren Beschreibungen der Leichen friedliche Bilder entgegengesetzt:40 „Stumm und still lagen die tapferen Kämpfer auf der blutigen Wahlstatt, in der erkalteten Hand die Waffe haltend. Friedlich war ihr Gesichtsausdruck, ein Gebet schien noch auf ihren Lippen zu schweben, ein letzter Gruß an die Lieben in der Heimat! […] Ja, herrlich ist der Tod für das Vaterland!“41
Deutlicher kann der Kontrast zu den Schilderungen zerschossener Leiber des Pfarrers Klein nicht ausfallen. Die ersten Erinnerungsorte auf den Schlachtfeldern waren gekennzeichnete Einzelgräber, vor allem von gefallenen Offizieren, die unmittelbar nach der Schlacht auf den umliegenden Friedhöfen oder direkt auf dem Schlachtfeld bestattet worden waren.42 Ein individuelles Gedenken an den Toten war durch das Aufstellen von kleinen Kreuzen und Steinen gegeben. Da die toten Mannschaften beider Armeen durch die Bewohner von Fröschweiler und Wörth sowie auf dem Schlachtfeld verweilenden deutschen Einheiten aus der Not heraus – die Leichen lagen in der prallen Augustsonne – provisorisch in Massengräbern beerdigt worden und damit Formen des individuellen Gedenkens nicht möglich waren, errichteten fast alle an der Schlacht beteiligten Regimenter eigene Denkmäler.43 Damit wurde dem massenhaften Sterben von Bürgern auf den Schlachtfeldern mit Anerkennung und Sinnstiftung begegnet. Die Denkmäler sind ikonographisch allerdings nicht nur auf den Aspekt des Trauerns, sondern auch auf den Ausdruck des Sieges ausgelegt. Obelisken und Grabmalmotive bestimmten
40 Vgl. Horning: Schlachtfeld. 41 August Röper: Das Infanterie-Regiment Nr. 83 in der Schlacht bei Wörth am 6. August 1870, Berlin 1905, S. 81. 42 Vgl. Eichinger: Carte. 43 Der deutsche Offizier Wilhelm Heye berichtete in seinen Erinnerungen: „Sonntag, den 7. August: [...] Um 8 Uhr kam der Befehl, daß jedes Bataillon die Toten beerdigen sollte, welche bis 200 Schritt von seinem Biwaksplatz lagen“, Heye: Kriegstagebuch, S. 44. Karl Klein beschreibt in seiner ‚Fröschweiler Chronik‘ auch die Überforderung der Zivilbevölkerung angesichts der vielen Toten und Verwundeten: Klein: Fröschweiler Chronik, S. 192ff. Eine detaillierte Übersicht über die Denkmäler und Grabstätten auf dem Schlachtfeld bei Wörth, z.T. mit Fotos gibt: Karl Schnell: Die Schlacht bei Woerth im Elsass. 6. August 1870. Gefechtsverlauf, Kriegsgräber, Denkmäler, Baden-Baden 1999.
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zunächst die Formsprache, die von beiden Nationen synchron benutzt wurde.44 Nach den Statuten des Frankfurter Friedensvertrages war den Toten beider Kriegsparteien dauerhaftes Ruherecht zugesprochen und waren Regelungen für die Errichtung von Denkmälern getroffen worden.45 Da die überwiegend protestantische Bevölkerung im direkten Umfeld des Schlachtfeldes bei Wörth in keinem starken Konfrontationsverhältnis zu der neuen Obrigkeit stand, wurde von deutscher Seite eine starke nationale Perspektive zunächst nicht eingenommen; auftrumpfende Siegessymbolik wie Lorbeerkränze wurde ebenso nur dezent verwandt, wichtiger waren die Ehrung und zum Teil Nennung der gefallenen Regimentsangehörigen und die Darstellung der Teilhabe an der siegreichen Schlacht.46 In den ersten Jahren sind die Gräber und Denkmäler also vor allem Orte des individuellen Gedenkens an Einzelpersonen oder im Falle der deutschen Regimenter Manifestationen des kommunikativen Gedächtnisses eines militärischen Verbandes. Eine endgültige und nachhaltig wirksame Einbindung des Schlachtfeldes bei Wörth in das kollektive Gedächtnis des Deutschen Reiches lässt sich an zwei Ereignissen festmachen, die eng miteinander verwoben sind: die Wiederrichtung der evangelischen Kirche von Fröschweiler und der Kaiserbesuch Wilhelms I. auf dem ehemaligen Schlachtfeld. Am Abend des 6. August 1870 war im Zuge der Verteidigung Fröschweilers durch die Franzosen die Kirche in Brand gesetzt worden. In seinen Erinnerungen schrieb Karl Klein, dass preußische Soldaten die Bevölkerung vom Löschen abgehalten und zurück in die Häuser getrieben hätte. Beruhigend hätte ein General „ruhig und milde [gesagt]: ‚Das [Löschen] ist nicht möglich,… wir müssen dem Feinde nach… lasset sie in Gottes Namen brennen, wir bauen sie wieder auf‘“.47 Ob sich die Geschichte so zugetragen hat, bleibt unklar; sicher ist, dass durch umfangreiche Sammlungen und Spenden aus dem ganzen Deutschen Reich eine Baufinanzierung gesichert werden konnte – sogar „Seine Majestät der Kaiser [...] gewährt[e] huldvollst ein [monitäres] Gnadengeschenk“.48 Nur zwei Jahre später, am 6. August 1872, wurde der Grundstein für den Kirchenneubau gelegt und fast vier Jahre später – am 30. Juli 1876 erfolgte die Einweihung der ‚Friedenskirche‘ als großer Festakt, der eine neue Dimension in die lokale Erinnerungslandschaft trug. Durch den Kronprinzen Friedrich Wilhelm, der „das Ehrenprotektorat der
44 Vgl. Wolf: Geschichtskultur. 45 Vgl. Arand: Vergessener Krieg, S. 16. 46 Vgl. Wolf: Geschichtskultur. 47 Klein: Fröschweiler Chronik, S. 110. 48 Ebd., S. 252.
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evangelischen Kirche huldvollst übernommen und dabei den Wunsch ausgesprochen hatte, es möchte die neue Kirche zugleich auch den monumentalen Charakter einer Friedens- und Gedächtniskirche im gothischen Style annehmen“, wurde gleichzeitig ein mehrfacher Bezug zur Schlacht bei Wörth hergestellt und dem Kirchenbau eine von höchster Stelle legitimierte Funktion zugewiesen, die über einen Ersatz der abgebrannten Kirche nicht nur baulich, sondern vor allem auch erinnerungskulturell weit hinausreichte.49 In seiner Ansprache betonte der Oberpräsident Elsass-Lothringens, dass „der Friede [...] allenthalben die Wunden des Krieges, auch die schwerste und letzte Wunde dieser Gemeinde, geheilt“ habe und die Kirche „ein Denkmal vereinter Bruderliebe und deutscher Zusammengehörigkeit“ sei.50 Wenige Wochen später wurde dieser Gedanke von Karl Klein wieder aufgegriffen, als er Wilhelm I. und den Kronprinzen Friedrich Wilhelm im September des gleichen Jahres vor der neuen Kirche, dem „Denkmal der Liebe des Deutschen Reiches [...] auf diesem schlachtgeweihten Boden“ begrüßte.51 Entsprechend der Intention wurde die Kirche in der Folgezeit auch als Gedächtnisort an die gefallenen deutschen Soldaten genutzt, da in der Sakristei ein ‚Helden- und Totenbuch‘ aufbewahrt wurde. Das Buch vereint in sich neben dem Bildnis Wilhelms I. und „dessen historischen Worten: ‚Gott war mit uns, Ihm sei die Ehre‘“ das Datum der Reichsgründung und den Name Luise, welcher wiederum mit den Worten ‚Mein Sohn, du bist hochgekommen durch große Siege‘ kombiniert wurde. Hier wurden hochverdichtet und religiös aufgeladen verschiedene Narrationen und Deutungen zusammengefügt: vor allem die Reichseinigung und der Luisenkult der Befreiungskriege – Luise von MecklenburgStrelitz war die Mutter Wilhelms I. und Frau des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III.52 Damit wurden Kontinuitätslinien bei der ‚Verteidigung Deutschlands‘ gegen Frankreich hergestellt, diese dynastisch verbunden und gleichzeitig die Verantwortung für das massenhafte Sterben an eine höhere Gewalt delegiert. Dahinter enthielt das Buch eine „Aufzählung aller beteiligten Truppen [...], [dann] folgt das Namensverzeichnis der gefallenen Offiziere und Mannschaften“.53 Sakral überhöht wird das ‚Toten- und Gedenkbuch‘ zu einem Gedächtnisort, der bereits einen Übergang vom kommunikativen Gedächtnis in das kulturelle Gedächtnis bezwecken soll.54 Die Toten der Schlacht bei Wörth werden
49 Horning: Schlachtfeld, S. 28. 50 Klein: Fröschweiler Chronik, S. 258. 51 Ebd., S. 264. 52 Vgl. Horning: Schlachtfeld, S. 36. 53 Ebd., S. 37. 54 Zur Funktionalisierung der Religion: Wolf: Geschichtskultur.
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in einen größeren historischen Kontext eingebettet und spiegeln damit den Versuch, sie aus der nur generationenübergreifenden Erinnerung heraus zu lösen. Damit erhält der Begriff ‚Wallfahrtsort‘ auch eine entsprechende Rahmung, wenn über das Jahr 1889 berichtet wird, dass „viele Tausende durch Wörth pilgerten [und dann] in der Friedenskirche [...] besonders das Helden- und Totenbuch umstanden“.55 In den Folgejahren änderte sich auch die Denkmallandschaft deutlich, da rund um Wörth große nationale Denkmäler errichtet wurden. Als große Ereignisse mit tausenden Zuschauern wurden die Einweihung des Reiterstandbildes des Kronprinzen Friedrich Wilhelms, des bayerische Armeedenkmals und des Siegesdenkmals für die 3. Armee inszeniert.56 Allein das Programm vor dem Reiterstandbild verfolgten 1895 unter Teilnahme Kaiser Wilhelms II. mehr als 50.000 Zuschauer. Die Denkmalfeiern waren Schmelztiegel nationaler Symbolik, kaisertreuen Verhaltens, der Vaterlandsliebe, militärischen Prunks und des Beschwörens nationaler Einigkeit.57 Die Initiativen und Gelder für den Denkmalbau kamen in den 1890er Jahren nur noch selten aus militärischen Kreisen, vielmehr engagierte sich das Bürgertum als Träger der Denkmalsidee. Dies galt sowohl für den lokalen, als auch für den nationalen Raum. Ähnliche Tendenzen lassen sich auch bei französischen Denkmalsstiftungen beobachten, so geht das als Mausoleum gestaltete französische Armeedenkmal zwischen Wörth und Fröschweiler auf das Wirken eines französischen Industriellen zurück.58 Genauso wie die deutschen Denkmäler, setzten auch die französischen Denkmäler – wenn auch dezenter und verklausuliert – auf nationale Symbolik und Narrationen. Während das Reiterstandbild den Kronprinzen in Feldherrenpose auf einem künstlich errichteten Steinhügel in doppelter Lebensgröße darstellte – zu Füßen zwei germanische Krieger, die sich die Hände reichen, darüber das Wappen von Elsaß-Lothringen – und ein preußischer Adler die dem Denkmal immanente Narration deutlich zur Schau trägt, funktionierten die französischen Narrationen schon auf den ersten Denkmälern vor allem über die Inschriften. So ist auf einem 1873 errichteten Denkmal für die gefallenen französischen Kürassiere bei Wörth zu lesen: „Den gallischen Kriegern, die hier am 6. August 1870 starben, gewidmet. Obwohl gestorben, sprechen sie noch immer. Vom trauernden Vaterland
55 Horning: Schlachtfeld, Vorwort, S. 3. 56 Ausführlich: Wolf: Geschichtskultur. 57 Vgl. Jakob Vogel: Nationen im Gleichschritt. Der Kult der ‚Nationen in Waffen‘ in Deutschland und Frankreich, 1871-1914 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 118), Göttingen 1997. 58 Vgl. Wolf: Geschichtskultur.
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1873 errichtet. Es ist besser für uns im Kampfe zu sterben, als das Unglück unseres Volkes zu sehen.“ – ein deutliches Signal an den französischen Besucher.59 Die Inszenierung Friedrich Wilhelms in dem Reiterstandbild stand in einer Folge zu seiner ikonographischen und narrativen Darstellung als Kommandeur der siegreichen 3. Armee bei Wörth, meist in Form einer „Lichtgestalt des im vollen Glanze männlicher Schönheit erstrahlenden Feldherrn“.60 Ganz im Gegensatz dazu erfolgte die Narration des französischen Oberbefehlshabers Marshall Mac-Mahon. Dem militärischen Führer der nach französischer Bezeichnung verlorenen ‚Bataille de Reichshoffen‘ wurden von deutscher Seite verschiedene Narrationen zugewiesen. Auf der einen Seite wurde er als erfahrener und gefährlicher Soldat inszeniert, als „ein Sieger in vielen Schlachten, der Ruhm Frankreichs in so langen Jahren“, auch um den eigenen militärischen Erfolg zu erhöhen.61 Auf der anderen Seite ist er der unverantwortliche Feldherr, der inmitten seiner hungernden Soldaten noch „dinierte, [bevor] er mit grenzenlosem Leichtsinn und unverantwortlicher Siegesgewissheit“ auf das Schlachtfeld geritten sei.62 Wiederholt untersuchten erfahrene Militärs jede seiner Entscheidungen detailliert, um mögliche Gründe für seine Niederlage benennen zu können.63 Ein Denkmal wurde Mac-Mahon auf dem Schlachtfeld nicht gesetzt, allerdings gab es mit dem ‚Mac-Mahon-Baum‘, unter dem er seinen Platz während der Schlacht gesucht hatte, trotzdem einen Erinnerungsort. In unmittelbarer Nähe erbauten die Deutschen das Siegesdenkmal der 3. Armee, eine zehn Meter hohe korinthische Säule, gekrönt von einem Adler, am Sockel umgeben von vier Friedensengeln, die einer Heldenverehrung des französischen Feldherrn ebenfalls vorbeugte.64 In der letzten Dekade des 19. Jahrhunderts hatte das kollektive Gedächtnis endgültig die Deutung der Ereignisse während der Schlacht bei Wörth geprägt. In dem in Wörth eingerichteten Museum belegten Exponate die gängigen Narrationen, die auch in den Schlachtfeldführern unreflektiert verwandt wurden, mit
59 Vgl. ebd. im Original in Latein: „Militibus Gallis hic interemptis die 6 augusti 1870 defuncti adhuc loquuntur, erexit patria maerens anno Domini 1873.“ Auf der Nordseite: „Melius est nos mori in bello quam videre mala gentis nostrae et sanctorum.“ 60 Einleitung zur ‚Illustrierten Jubelausgabe‘: Karl Klein: Fröschweiler Chronik. Kriegsund Friedensbilder aus dem Jahre 1870/71, Leipzig 1897. 61 Horning: Schlachtfeld in Bildern, S. 30. 62 Ebd., S. 29. 63 U.a.: Gustav Schoch: Die Tätigkeit des Marschalls Mac Mahon vor der Schlacht von Wörth. Eine operative Studie (Beiträge zur Kriegsgeschichte), Berlin 1904. 64 Horning: Schlachtfeld, S. 39.
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denen man die Erinnerungsorte auf dem Schlachtfeld aufsuchen konnte.65 Ein beliebter Ausflugsort war das ‚Turkohäuschen‘ in den Wäldern Richtung Fröschweiler, wo sich die algerisch-tunesischen Hilfstruppen gegen bayerische Angreifer verteidigt hatten. Die Exotik und Faszination, die von den schwarzhäutigen Soldaten ausging, wurde vor allem durch die häufige Visualisierung deutlich.66 Am sinnprägendsten erwiesen sich allerdings die Narrationen von der ‚ungewollten‘ und zugleich ‚einenden‘ Schlacht. Die militärische Fachliteratur kam im Nachgang der Schlacht wiederholt zu dem Urteil, dass die Schlacht bei Wörth ein Zusammentreffen war, das „gegen den Willen des Oberkommandos entstanden, von den Unterführern durch- und von dem Ober-Kommando nicht zu Ende geführt worden“ sei.67 Der eigentliche Grund dafür, dass die Schlacht von Wörth trotzdem als „die bedeutungsvollste des ganzen Feldzuges“ angesehen werden könne, lag nach Ansicht der Zeitgenossen vor allem in dem Umstand begründet, dass dort „die deutschen Stämme von Nord und Süd Schulter an Schulter einen gemeinsamen Feind bezwangen“.68 Diese Narration wird nach dem DeutschFranzösischen Krieg immer wirkmächtiger, bildet in der Zusammensetzung der 3. Armee unter der Führung des damaligen deutschen Kronprinzen bereits die neue Ordnung des späteren Deutschen Kaiserreiches ab: Preußen aller Couleur, Bayern, Badener und Württemberger kämpften erfolgreich für ihr gemeinsames Vaterland. Die Schlacht bei Wörth ermöglichte dadurch eine Erinnerung auf zwei Ebenen: zum einen wurde jedem beteiligten deutschen Staat die Möglichkeit gegeben, Teilhabe am siegreichen Ausgang der Schlacht zu reklamieren und diese entsprechend erinnerungskulturell zu inszenieren. Zum anderen konnte mit dem gleichen Ereignis eine nationale Einheit beschworen werden, der die Schlacht bei Wörth erst den „festen Blutkitt“ gegeben hatte.69
65 Der Schlachtfeldführer von Sadoul wurde noch bis ins 21. Jahrhundert hinein als Originaldruck im Museum von Wörth verkauft. 66 Als Beispiel unter vielen soll das Titelblatt von folgendem Titel gelten: Friedrich Regensberg: Wörth, eine Schilderung der Schlacht bei Wörth am 6. August 1870 nach dem neuesten Quellen, Stuttgart 1907. 67 Mohr: Führer über das Schlachtfeld, S. 60. 68 Westram: Kriegserinnerungen, Vorwort, S. 5. 69 Deutsches Volksblatt, 204, 1.9.1870, o.S.
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Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs kam die Region um Wörth wie bereits erwähnt wieder zu Frankreich. Doch trotz des auf französischer Seite sicher häufigen Wunsches nach Rache für die im Ersten Weltkrieg erlittenen Verluste, blieben die Denkmalhinterlassenschaften des Krieges von 1870/71 von einem ‚Bildersturm‘ größeren Ausmaßes verschont. Lediglich vereinzelt wurden allzu siegreich auftrumpfende Denkmäler gestürzt. Das Reiterdenkmal des Kronprinzen und das Siegesdenkmal der 3. Deutschen Armee waren eine der wenigen Opfer französischen Zorns. Vereinzelt wurden auch Triumphsymbole an Denkmälern entfernt oder ersetzt. So wurde z.B. der Obelisk als Siegeszeichen auf dem Württemberger Jägerdenkmal mit einer friedlicher anmutenden Kugel vertauscht. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht im Mai 1940 in Frankreich zerstörten die Deutschen dann wiederum das 1875 errichtete große französische Armeedenkmal sowie ein Denkmal für die ‚Chasseur d’Afrique‘. Nach dem Zweiten Weltkrieg, nun war das Elsass wieder französisch, wurde an der Stelle des 1919 zerstörten deutschen Denkmals der 3. Armee ein neues französisches Armeedenkmal errichtet. Eine hohe Säule ragt erneut in den Himmel, diesmal verziert mit religiösen Symbolen. Da die französischen Streitkräfte in der Schlacht aus verschiedenen Truppen zusammengesetzt waren, wurde diesen in Ehrenplatten ein Gedenken gesetzt. Der zeitliche Zusammenhang der Errichtung dieses Monuments war der Algerienkrieg und es ist sicher kein Zufall, dass man sich gerade in diesem Moment wieder auf die militärischen Leistungen der Zuaven und Turkos öffentlich mit einem Denkmal besinnen wollte. Zum 100. Jahrestag der Schlacht im Jahre 1970 wurde schließlich noch ein Denkmal zur Erinnerung an einen Reiterangriff zur Deckung des französischen Rückzugs an der Straße zwischen Fröschweiler und Reichshofen errichtet.
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Das Elsass war ein umstrittener Grenzraum, wenngleich die Elsässer dies in unterschiedlicher Ausprägung wahrnahmen und ihre Sichtweise noch von jener der Franzosen außerhalb der neu ins Deutsche Reich integrierten ehemals französischen Teile differierte. Auffällig ist, dass sich die aggressiven Töne im Streit um die ‚Reichslande Elsaß-Lothringen‘ vor allem außerhalb der betroffenen Gebiete finden ließen. In Wörth dominierte zwar unübersehbar die deutsche Siegererinnerung den öffentlichen Raum, doch war auch Platz für französische Monumente. Die Sieger erinnerten sich mit Stolz an den Sieg und nicht alle Monu-
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mente enthielten sich triumphierender Gesten, doch ließ diese militärische Siegererinnerung auch den Besiegten Luft für eigene Erinnerungsformen. Die deutschen Erinnerungsangebote richteten sich sogar in Teilen bewusst inklusiv an die besiegte Bevölkerung im Elsass, mit denen die neuen Herren allerdings sowohl die Sprache als auch mehrheitlich die protestantische Religion gemeinsam hatten. Das Fehlen größerer ethnischer und sozialer Konflikte machte es den Siegern im Raum um Wörth leicht, auch die Erinnerung der anderen zuzulassen. Für umstrittene Grenzräume – von denen es in Europa schließlich noch ein Reihe durchaus explosivere gibt – ein sicherlich eher untypischer Befund: Die Erinnerung gehörte Siegern wie Besiegten. Dass aber selbst die besiegten Elsässer ja nicht alle so recht wussten, ob sie denn nun wirklich Besiegte waren, zeigt das Beispiel des innerlich ‚zerrissenen‘ Pfarrers Karl Klein. So wie er die Schrecken des von den Siegern in sein Land getragenen Krieges entschlossen verabscheute, so energisch feierte er beim Besuch Kaiser Wilhelms I. 1876 den Verursacher der Schrecken: „Rüstig, wie ein Jüngling, steigt der greise Held vom Pferde, begleitet von seinem Sohne, dem Liebling des deutschen Volkes [...] und tritt nun unter die Vorhalle der Kirche, wo ihn der Ortspfarrer Klein mit folgenden Worten begrüßt: [...] Begeistert sind von allen Seiten unsere Landbewohner herbeigeeilt, um in Ew. Majestät den Fürsten zu begrüßen, in dem sie als Christen, im Gehorsam unter Gottes wunderbaren Fügungen, ihr rechtmäßiges Oberhaupt erkennen; den Fürsten, der stark im Krieg und mild im Sieg, das Wohl aller seiner Untertanen auf väterlichem Herzen trägt [...].‘“70
Die Worte Kleins zeigen aber vielleicht nicht nur seine Schwierigkeiten, als Elsässer eine klare Zugehörigkeit zu definieren, sondern auch den Erfolg der vereinnahmenden deutschen Erinnerungsangebote, wie sie beispielhaft mit der Errichtung der Friedenskirche zumindest für den Raum Wörth bewusst unterbreitet wurden. Hatten sich ab dem späten 19. Jahrhundert die Akzente schon ein wenig verschoben und wurden nun ‚echt wilhelminisch‘ prunkvollere deutsche Monumente errichtet, bekam erst mit dem hypernationalistisch aufgeladenen Ersten Weltkrieg und seinen im Vergleich mit 1870/71 ins Unvorstellbare gesteigerten Grausamkeiten die Frage nach der Macht der Siegererinnerung eine bisher unbekannte Schärfe. Jetzt stürzten die Sieger die Monumente der ehemaligen Sieger, versuchten die Erinnerung zu dominieren, blieben im Raum Wörth dabei aber noch verhältnismäßig moderat. Die ehemaligen Sieger, nun Besiegte, erinnerten
70 Klein: Fröschweiler Chronik, S. 263f.
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sich als echte Verlierer nun noch intensiver ihres vergangenen Sieges und trachteten nach Wiederholung verblassten Ruhms. Für den Erinnerungsraum Wörth wurde dies jedoch erst wieder bedeutsam, als diese Verlierer 1940 wieder Sieger wurden, um sich wenige Jahre danach wieder in endgültig Besiegte zu verwandeln. So sprengte die Wehrmacht das große französische Armeedenkmal, mit dem man im Kaiserreich noch keine Probleme hatte. Der nach 1945 einsetzende Akt der Historisierung des Krieges von 1870/71 zeigt sich daran, dass von wenigen Ausnahmen abgesehen, der Denkmalsbau zum Erliegen kam und die zahlreichen in der Landschaft herumstehenden Monumente heute keine nationalen Leidenschaften mehr wecken können, sondern eher pittoreske Hinterlassenschaften eines immer mehr verblassenden Ereignisses darstellen. Heute, nach der gemeinsamen Erinnerung an zwei Weltkriege, eint die ehemaligen wechselnden Sieger und Besiegten die aus der leidvollen Erinnerung geborene Erkenntnis, dass es im Krieg eigentlich nur Besiegte gibt.
Transkulturelle oder nationale Selbstvergewisserung? Narrationen in Frankfurter Museen M ARTIN L IEPACH
Alle drei Jahre verändern sich ca. 10 Prozent der Frankfurter Stadtbevölkerung durch Zu- und Abwanderung. Welche Folgen hat dies für die Museen, insbesondere die Museen mit historischen oder kulturellen Schwerpunkten? Welche Auswirkungen hat dies auf den Besuch von Schulklassen, deren Zusammensetzung alles andere als homogen ist? In der Altersgruppe von 14 bis unter 18 Jahren weisen lediglich 49,6 Prozent keinen Migrationshinweis auf. Dagegen besitzen 50,4 Prozent einen Migrationshintergrund. Davon haben 23,4 Prozent die deutsche und 27 Prozent eine ausländische Staatsbürgerschaft. Ähnlich sehen die Zahlen für die Altersgruppe der 18- bis unter 21-Jährigen aus: deutsch ohne Migrationshinweis 50,8 Prozent, deutsch mit Migrationshinweis 21,9 Prozent, ausländisch 27,3 Prozent (Stand 31. Dezember 2010). Gibt es museumspädagogische Konzepte, die darauf reagieren? Und welche Initiativen werden von Migranten ergriffen? Dies sind nur einige Fragen, die sich aus dem permanenten demographischen Wandel ergeben. Im vergangenen Jahrzehnt vollzog sich hinsichtlich des Themas ‚Migration‘ ein deutlicher Wandel in der öffentlichen, aber auch fachhistorischen Wahrnehmung. Noch 2002 hatte Bundespräsident Johannes Rau in seiner Eröffnungsrede auf dem Historikertag in Halle die Migrationsgeschichte einen „blinden Fleck“ genannt und den „Blick auf die oft vergessene Geschichte der Migration in Deutschland“ gefordert. Deutschland als „Einwandererland“, deutsche Geschichte als Geschichte der Migration – dieser Aspekt fände in seiner Gesamtbedeu-
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tung noch keinen Widerhall in der deutschen Erinnerungskultur.1 Der Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten im Jahr 2002/03 stand konsequenterweise unter dem Motto ‚Weggehen – Ankommen. Migration in der Geschichte‘. Mit 8.632 Teilnehmern und 1.902 eingereichten Beiträgen gehörte er mit zu den erfolgreichsten, seit es diesen Wettbewerb gibt. Dennoch vermag dies nicht darüber hinwegzutäuschen, dass in den offiziellen Lehrplänen und damit im Regelunterricht der Bundesländer häufig Migrationsgeschichte nur randständig zu finden ist. So sucht man in den gültigen hessischen Lehrplänen vergeblich einen Hinweis auf die Zuwanderungsgeschichte der Bundesrepublik ab den 60er Jahren. Folgt man dem Lehrplan für Gymnasien, so lässt sich Migrationsgeschichte über die folgenden Themen explizit festmachen: Ostsiedlung, Kreuzzüge (!) und die Charta der Heimatvertriebenen. Institutionen der Geschichtskultur, also neben den Museen auch die Gedenkstätten, müssen sich viel intensiver der Frage widmen, wie sie sozio-kulturell heterogene Gruppen entsprechend erreichen können. Die nachfolgenden Ausführungen stellen zwei Projekte in Frankfurter Museen vor, die sich mit unterschiedlichen konzeptionellen Überlegungen dieser Herausforderung stellen. Ein spannendes Projekt an der Schnittstelle, wo sich Migranten und Museen treffen, ist das Programm ‚L’Italia a Francoforte‘ der italienischen Community in Frankfurt. Es wurde initiiert vom Verein Italiani in Deutschland e.V. Dieser kooperiert mit dem Italienischen Kulturinstitut in Frankfurt am Main, dem offiziellen Organ des italienischen Staates. Ziel des Projektes ist es, italienische Bezüge in den Bereichen Kunst und Geschichte in Frankfurter Museen für in und um Frankfurt lebende Italiener aufzuzeigen.2 Auf Museumsseite sind an dem Projekt das Archäologische Museum, das Historische Museum, das Jüdische Museum, das Museum für Angewandte Kunst, das Museum für Moderne Kunst, das Städel Museum und das Liebieghaus mit seiner Skulpturensammlung beteiligt. Über zwei Monate fanden im Jahr 2007 erstmalig in diesen Museen italienische Kulturveranstaltungen statt. Führungen wurden auch in italienischer Sprache angeboten, für Kinder gab es ein spezielles Angebot. In den Ateliers und in besonderen Räumen der Museen konnten sie beim Zeichnen, Malen und Modellieren ihre handwerklichen und künstlerischen Fähigkeiten ausprobieren und ihrem Entdeckertrieb folgen. Das Programm wird seitdem regelmäßig einmal im
1
Harald Stockert: „ein unausgesetztes Gehen und Kommen“. Migration als Erinnerungsort in der deutschen Geschichte? Ein Plädoyer am Beispiel der Stadt Mannheim, in: Siegfried Grillmeyer und Peter Wirtz (Hg.): Ortstermine. Politisches Leben an historischen Orten. Bd. 1, Schwalbach 2006, S. 140-157, hier: 141.
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http://www.it-de.eu/shop/home.php [1.7.2011].
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Jahr angeboten und umfasst Museumsbesuchstermine, die über mehrere Monate verteilt sind. Das Projekt findet den ausdrücklichen Segen und die Unterstützung des Amts für multikulturelle Angelegenheiten der Stadt Frankfurt und des Stadtschulamtes sowie des italienischen Konsulats und der dortigen Schulabteilung. Es steht unter der Schirmherrschaft des Stadtdezernenten für Kultur und Wissenschaft.3 In den Führungen und in dem Kinderprogramm wird gezielt auf die italienischen Bezüge geachtet. So zeigt das Liebieghaus aus seiner Skulpturensammlung Arbeiten italienischer Künstler von der römischen Antike bis zum Barock. Das Städel Museum präsentiert italienische Kunst aus verschiedenen Epochen, das Historische Museum erinnert an die Familie Brentano vom Comer See, die schon 1660 Erwähnung in Frankfurt fand, und an die Familie Guaita, dessen berühmtestes Familienmitglied Georg Friedrich Guaita von 1822 bis 1838 siebenmal zum Bürgermeister der Stadt Frankfurt gewählt wurde. Im Jüdischen Museum Frankfurt können die Kinder Kunst- und Kultobjekte betrachten, die auf Italiens reiche jüdische Tradition Bezug nehmen. Dazu gehört ein Handwaschbecken, eine Leviten-Waschschüssel und verschiedene Chanukkaleuchter aus dem 17. und 18. Jahrhundert, jeweils italienischer Provenienz. Die kunstvolle Leviten-Waschschüssel stammt aus der 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts aus Turin. Der große Repräsentationsteller zeigt König David beim Harfespiel. Einer der Kreisrahmen trägt eine hebräische Inschrift und eine feine florale Dekoration. Der Inschrift ist auch der vermutliche Entstehungszeitpunkt zu entnehmen, denn die markierten Buchstaben der Inschrift ergeben das Chronogramm 740 (oder 750) und spielen wahrscheinlich auf das Jahr 1740 (oder 1750) an. Für Juden in Italien war es damals üblich, Daten entweder auf hebräische oder gregorianische Art darzustellen, wobei sie manchmal beides benutzten. Drei ovale Medaillons zeigen Tempelgerätschaften, die auf die Leviten verweisen, zu deren Aufgabe im Tempel die Betreuung der Menora und die Vorbereitung der Schaubrote gehörte. In nachbiblischer Zeit bestand die Aufgabe der Leviten darin, den Priestern die Hände rituell zu waschen, bevor sie den Segen erteilten. In vielen Synagogen wurde hierzu ein besonderes Ensemble aus Krug und Schüssel genutzt.4
3
Programm für 2011: http://www.iicfrancoforte.esteri.it/NR/rdonlyres/05D30FED9FBD-48CA-ABBB-1A206BFDE3D1/80882/rz2_italia11.pdf [1.7.2011].
4
Nach Frankfurt kam es 1897 als Geschenk an die Kommission für das Historische Museum Frankfurt zwecks Errichtung eines Jüdischen Museums. Stifter waren Charles Hallgarten, Georg Speyer und Leopold Sonnemann. Vgl. Georg Heuberger:
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Ein Amulett, das vermutlich aus Venedig Ende des 17., Anfang des 18. Jahrhunderts stammt, erregt meist besonders das Interesse der Kinder und Jugendlichen. Das Objekt ist auf beiden Seiten reichhaltig verziert. Die Ikonographie verweist auf das Allerheiligste oder den Tempel, vor allem durch die Einbeziehung der Gesetzestafeln, der Kopfbedeckung des Hohepriesters, der Menora und des Weihrauchgefäßes auf beiden Seiten des Amuletts. Derartige Symbole lassen sich auf verschiedenen jüdischen Objekten in Italien finden. Nach dem jüdischen Volksglauben geht jede Übergangsphase im menschlichen Lebenszyklus mit einer gewissen Gefahr einher. Das im Museum ausgestellte Amulett ist für das Kindbett gedacht und wurde zum Schutz des Kindes entweder über die Wiege gehängt oder in sie gelegt.5 Das Museum besitzt zahlreiche Chanukkalampen und -leuchter, die aus Italien stammen und zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert gefertigt wurden. Die kunstvollen Objekte bieten im Rahmen des Besuchs der Gruppe nicht nur die Gelegenheit über die Bedeutung des Chanukkafestes zu reden, sondern auch auf die Bedingtheit der künstlerischen Gestaltung einzugehen. So prägten zeitgenössische Kunstvorstellungen und länder- oder regionalspezifische Gegebenheit den Herstellungsprozess der Kultobjekte. Aber Objekte besitzen nicht nur eine kunstgeschichtliche Dimension; auch die Sammlungsgeschichte ist mitunter nicht weniger interessant.6 Eine im Museum gezeigte Abbildung kombiniert die antijüdische Darstellung der ‚Judensau‘ mit der Erinnerung an die Ritualmordbeschuldigungen im spätmittelalterlichen Trient. Im Jahr 1475 verschwand der zweieinhalbjährige Simon und wurde wenige Tage später tot aufgefunden. Unter massivem Foltern wurde Trienter Juden ein Geständnis abgepresst. Papst Sixtus IV. beauftragte eine Kommission, um die Schuldfrage und den Prozessverlauf zu klären, die zu dem Ergebnis kam, dass die den ‚Geständnissen‘ folgende Hinrichtung rechtmä-
Die Pracht der Gebote. Die Judaica-Sammlung des Jüdischen Museums Frankfurt am Main, Frankfurt a.M./Köln 2006, S. 144. 5
Ebd., S. 416.
6
Der Bestand an Chanukkalampen und -leuchten geht auf die Sammlung Siegmund Nauheims (1874-1935), einem bedeutenden Sammler von Judaica-Objekten, zurück. Er vermachte seine umfangreiche Sammlung dem Museum Jüdischer Altertümer in Frankfurt am Main, dem Vorgängermuseum des Jüdischen Museum Frankfurts. Bei der Plünderung des Museums im Jahr 1938 wurde diese Sammlung weitgehend zerstört. Zur Sammlungsgeschichte vgl. Verena Bopp: Der Fall Nauheim: Raub oder Rettung, in: Inka Bertz und Michael Dormann (Hg.): Raub und Restitution. Kulturgut aus jüdischem Besitz von 1933 bis heute, Göttingen 2008, S. 134-140.
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ßig gewesen sei.7 Die Ritualmordbeschuldigung führte zur Ausprägung eines Märtyrerkults und zur Verbreitung der Ritualmordlegende in zahlreichen Chroniken und Bildern, auch in Deutschland. Die Abbildung im Museum stammt aus dem Werk von Jacob Schudt ‚Jüdische Merkwürdigkeiten‘ aus dem Jahr 1714. Jacob Schudt (1664-1714) war ein protestantischer Theologe, Orientalist und Schulrektor in Frankfurt und wollte, dass Juden zum Christentum konvertierten. Auf dem Exponat sind die Juden in der für Frankfurt typischen, und auch vorgeschriebenen Tracht zu sehen. Eine Person trinkt die Milch eines Schweines, was nach den jüdischen Gesetzen ein unkoscheres Tier ist. Eine Frau hält einen Ziegenbock fest. Ziegenböcke gelten symbolisch als satanische Kreatur. Doch auch der Teufel höchst persönlich ist auf der antijüdischen Darstellung zu sehen. Dieser trägt gleichfalls eine jüdische Tracht. Der Trienter Prozess entwickelte eine mehrhundertjährige Wirkungsgeschichte. In realiter existierte eine derbe Bilddarstellung in Frankfurt als Fresko am Nordturm der Alten Brücke über dem Main. Vermutlich seit dem Ende des 15. Jahrhunderts war es dort bis in das 18. Jahrhundert hinein zu sehen und wurde mehrfach renoviert.8 Das Konzept der Nation ist innerhalb des Projekts ein dominant strukturierendes Element. Die Tatsache, dass die Veranstaltungen und Führungen in italienischer Sprache durchgeführt werden, ist Ausdruck eines gewissen nationalen Verständnisses. Italiener sollen stolz auf die eigene Herkunft sein. Sie haben Spuren in Deutschland hinterlassen. Sie prägten und prägen das Kulturleben, so die Botschaft. Man kann das Projekt auch als Beispiel sehen, ‚italienische Erinnerungsorte‘ in Frankfurt zu konstituieren. Das Unterfangen, nationale Bezüge herzustellen, ist natürlich auch als sinn- und identitätsstiftend anzusehen. Identität ist immer auch kulturelle Identität. In diesem Falle erfolgte die Identitätsbildung über italienische Kunst in deutschen Museen. Doch steht die Frage im Raum, welches Narrativ für eine Stadtgesellschaft entwickelt werden kann, in der mehr als 190 Nationen zusammenleben, und welchen Beitrag die Frankfurter Museen dazu leisten können. Gibt es auch Formen der kulturellen Aneignung jenseits der nationalen Bezüge? Schließlich wird man nicht immer wahlweise eine kroatische, serbische, türkische oder koreanische Geschichte erzählen können, die in ausreichendem Maße historisiert ist oder gar
7
Ausführlich dazu Wolfgang Treue: Der Trienter Judenprozeß. Voraussetzungen – Ab-
8
Isaiah Shachar: The Judensau. A Medieval Anti-Jewish Motif and its History, London
läufe – Auswirkungen (1475-1588), Hannover 1996. 1974, S. 36.
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museale Bezüge aufweist, selbst wenn die Rückbeziehung auf den nationalen Referenzrahmen sinnvoll wäre. Die Addition unterschiedlicher Nationalgeschichten ergibt noch kein schlüssiges Bild, da jeweils eine monozentrische Geschichtsauffassung hinter der nationalen Perspektive steht. Wie lässt sich dieser Einschränkung begegnen? Eine Zuwanderungsgesellschaft muss multiplen oder ‚Mehrebenen‘-Identitäten Rechnung tragen. Migrationsgesellschaften wohnen wechselseitige Beziehungen und Wahrnehmungen inne. „Multikulturelle Gesellschaften sind zum interkulturellen Geschichtslernen verpflichtet und verurteilt: Sie dürfen aber nicht versuchen, jeweils eine einheitliche verpflichtende Bedeutung/Bewertung für die historische Erscheinung durchzusetzen. Sie müssen vielmehr versuchen, die gegenseitige Anerkennung von authentischer Verschiedenheit und relativer Berechtigung kontrastierender Geschichtsdeutungen in einem Prozeß des Verhandelns (‚bargaining‘) einzuüben.“9
Auf diese Herausforderung reagieren die pädagogischen Abteilungen der historischen Museen und Institute in Frankfurt mit einem Projektangebot. Die offizielle Bezeichnung des Angebots lautet: „Auf den Spuren der Frankfurter Stadtgeschichte – Frankfurt als Stadt der Einwanderer. Ein Unterrichtsprojekt der historischen Institute und Museen Frankfurts zum Thema Migration.“ Beteiligt sind daran das Archäologische Museum, das Historische Museum, das Jüdische Museum, die Jugendbegegnungsstätte Anne Frank, das Fritz-Bauer-Institut und das Institut für Stadtgeschichte. Das Projekt begann zunächst mit einer Pilotphase 2007. Es wurde über zwei Durchgänge, sprich zwei Jahre evaluiert und ist nunmehr in ein regelmäßiges, offen ausgeschriebenes Angebot überführt, d.h. Schulen können sich bewerben, eine Jury entscheidet über die Vergabe der aus organisatorischen Gründen begrenzten Teilnehmerzahlen. In jedem Schuljahr wird vier Frankfurter Schulklassen die Möglichkeit gegeben, an dem Projekt teilzunehmen. Das Besondere dieses wohl bundesweit einmaligen Projekts ist die Dauer bzw. die Permanenz der Perspektive, die dem Leitbegriff ,Migration‘ eingeräumt wird. Die große Bedeutung der Migration für die Entwicklung Frankfurts seit
9
Astrid Messerschmidt: Verstrickungen. Postkoloniale Perspektiven in der Bildungsarbeit zum Antisemitismus, in: Bernd Fechler (Hg.): Neue Judenfeindschaft? Perspektiven für den pädagogischen Umgang mit dem globalisierten Antisemitismus (Jahrbuch zur Geschichte und Wirkung des Holocaust 2006), Frankfurt a.M./New York 2006, S. 150-171, hier: 154.
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dem Beginn der Stadtgeschichte wird über ein gesamtes Schuljahr hinweg sichtbar gemacht. Anders als im konventionellen Geschichtsunterricht oder bei Projekttagen, in denen das Thema Migration vielleicht punktuell betrachtet wird, ist dieses Projekt auf stärkere Nachhaltigkeit angelegt. Ziel des Projekts ist es, einerseits die durchgehende Bedeutung von Einwanderungsgruppen für die Entwicklung der Stadt Frankfurt erfahrbar zu machen, andererseits durch die Faszination der originalen Überreste auch Quellen und Methoden historischer Erkenntnis kennenzulernen. Zudem soll die Attraktivität historischer und kultureller Einrichtungen als wichtige Orte der Identitätsfindung an Schülerinnen und Schüler vermittelt werden. Dazu besuchen sie über ein Schuljahr im wöchentlichen Wechselspiel Schule-Museum die entsprechenden Häuser, bereiten sich in der Schule auf den Museumsbesuch vor oder werten dort den letzten Besuch aus. Inhaltliches Ziel ist es, Migration nicht als Ausnahme, sondern als Regelfall in der historischen Wahrnehmung zu verankern. Insgesamt stehen 15 Module im Rahmen des Projekts zur Auswahl. Die Zusammenstellung erfolgt in Absprache zwischen Schule und Museen/Instituten und unter Einhaltung bestimmter Kriterien. So gehört es zu den Auflagen, dass jedes der am Projekt beteiligten Häuser wenigstens einmal besucht werden muss. Die einzelnen Häuser bieten folgende Module an (in Klammern die Angabe der Anzahl der Modulangebote): • Archäologisches Museum (1): Die Frankfurter Altstadtgrabungen – Archäolo-
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gie und Wanderungsbewegungen von der Steinzeit bis ins frühe Mittelalter auf Frankfurter Stadtgebiet. Historisches Museum (4): Stadt(rund)gang „Östliche Altstadt“; Bedeutung von Messe, Markt und Handel; „Von Fremden zu Frankfurtern“ Zuwanderung und Zusammenleben; Die Frankfurter Kleinmarkthalle (Zeitzeugeninterviews). Institut für Stadtgeschichte (4): Fremde und Bürgerrechte im Mittelalter und der Frühen Neuzeit; Glaubensflüchtlinge; Italienische Händler; Bürgerrechte, Flucht und Emigration im Vormärz und in der 48er Revolution (in Kooperation mit dem Jüdischen Museum). Jüdisches Museum (4): Einwanderung in die Frankfurter Judengasse; Hoffaktoren und Familiennetzwerke in der Frankfurter Judengasse; Mobilität und Aufklärung; Ein neuer Stadtteil entsteht: Das Frankfurter Ostend. Jugendbegegnungsstätte Anne Frank (1): Die Familie Frank. Jüdisches Leben im Frankfurt des 19. und 20. Jahrhunderts. Fritz Bauer Institut (1): Displaced Persons – Menschen ohne Heimat.
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Um eine Vorstellung zu geben, wie ein Modul konkret aussieht, soll hier exemplarisch das Modul Einwanderung in die Frankfurter Judengasse skizziert werden. Die Umsetzung findet im Museum Judengasse statt. Im Mittelpunkt der dortigen Ausstellung stehen die Fundamente von fünf Gebäuden (Roter Widder, Weißer Widder, Sperber, Steinernes Haus, Warmes Bad) der ehemaligen Judengasse. In der ersten Phase geht es zunächst um die Erkundung der Topographie der Frankfurter Judengasse, der Lebensbedingungen und der sozialen Zusammensetzung der Bewohnerschaft. Dies geschieht mit Hilfe eines Erkundungsbogens, den die Schülerinnen und Schüler in Partnerarbeit bearbeiten. Die begleitende Dauerausstellung dokumentiert die Geschichte dieser Straße, ihrer Bewohner und Häuser über einen Zeitraum von mehr als 300 Jahren. In dem anschließenden Auswertungsgespräch soll deutlich werden, dass die soziale Zusammensetzung der Bewohnerschaft in der Frankfurter Judengasse sehr heterogen war. Die Lebensverhältnisse in benachbarten Häusern konnten deutlich voneinander abweichen. In dem nur 2,40 Meter breiten Haus Sperber lebten zeitweise vier Familien, während das Steinerne Haus vom Stiefsohn des Hoffaktors Samson Wertheimer als barockes Wohnhaus errichtet wurde.10 In einem zweiten Schritt erhalten die Schülerinnen und Schüler detaillierte Informationen über die Entwicklung der Bewohnerzahlen. Dabei wird schnell deutlich, dass die Bevölkerungszahlen des Frankfurter Ghettos gewissen Schwankungen unterlagen. So wuchs zwischen 1500 und 1600 die Zahl der Juden von ca. 150 auf über 2.500 an. Doch handelt es sich keineswegs um eine lineare Zunahme.11 Im Weiteren werden dann Push- und Pullfaktoren für die Zubzw. Abwanderung in bzw. aus der Judengasse erarbeitet. Zu den Push-Faktoren gehörten: soziale Unruhen durch den Fettmilchaufstand 1612, 30-jähriger Krieg, Brände (1711 und 1719). Pull-Faktoren: Rechtssicherheit durch kaiserliche Schutzbeziehung, wirtschaftliche Attraktivität der Messe, Zuzug nach Vertreibungen aus anderen Städten (z.B. Nürnberg), familiäre Beziehungen. Auch in den anderen Modulen geht es darum zu ergründen, was ,Wanderungen‘ sind und wie diese Wanderungen das Gesicht der Stadt prägten. In der Projektplanung bedeutete dies für die beteiligten Museen und Institute, in einem Dialog verschiedene Zugangsdimensionen, die sich allein schon aus den unterschiedlichen Exponaten ergaben, zu entwickeln. Damit einhergehend wurden die
10 Zu den Häusern in der Frankfurter Judengasse siehe: www.judengasse.de [1.7.2011]. 11 Vgl. Fritz Backhaus: Die Bevölkerungsentwicklung in der Frankfurter Judengasse des 16. Jahrhunderts, in: Ders. et al. (Hg.). Die Frankfurter Judengasse. Jüdisches Leben in der frühen Neuzeit, Frankfurt a.M. 2006, S. 103-117, hier: 104.
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pädagogischen Implikationen diskutiert und ausgehandelt. Auf dem Feld der Museumspädagogik betraten damit die Museen weitgehend Neuland. Wichtiger Konsens unter den Instituten war jedoch die Prämisse, Migrationsgeschichte als eine Geschichte für alle, und nicht nur als Geschichte für die Zugewanderten, die die Geschichte und Kultur der Ansässigen erst kennen lernen sollen, zu betrachten. Für die Umsetzung erwies sich die Bezugnahme auf die Stadtgeschichte als sinnvolles didaktisches Prinzip. Die in den vergangenen Jahren zunehmende Rehabilitierung der Stadt- und Regionalgeschichte geschah vor allem auch über die Begriffskategorie ,Raum‘.12 Städte bzw. Regionen sind nicht nur nach objektiven Kriterien konstruierbare Räume, sondern auch individuell und kollektiv erfahrbare Lebenswelten. Demnach sind Räume auch ein durch Interaktion entstehendes ,sozialräumliches Gebilde‘. Die Erfahrung von historisch überschaubaren ,Räumen‘ fördert aber nicht nur die Konkretisierung, sondern schafft auch Identitätsangebote. Migrationsgeschichte erhält somit eine identitätsstiftende Funktion. Dies ist nicht unwichtig in einer modernen Stadt- und Bürgergesellschaft wie Frankfurt. Stadtgeschichte wird in rückwärtiger Betrachtung zu einem affirmativen Selbstbild entwickelt, in dem Weltoffenheit als werbende Kategorie eine wichtige Rolle spielt. Dies hat mittlerweile auch die Politik erkannt. Vor der letzten Fußballweltmeisterschaft verwies die Frankfurter Ausgabe der BildZeitung darauf, dass alle 32 im Turnier vertretenen Nationen auch in Frankfurt vertreten seien und titelte mit Hinweis darauf „Wir sind jetzt FußballHauptstadt.“13 Im Laufe des Projekts konnten sich auch Perspektiven verschieben oder überlagerten sich mit anderen – durchaus aber plausiblen und nahe liegenden – Fragestellungen. So notierte eine beteiligte Lehrerin am Ende des Projekts im Evaluierungsbericht: „1. Eine etwas andere Perspektive statt des Migrationsthemas, nämlich der Aspekt des ,Eigenen und Fremden‘ könnte eine inhaltliche Erweiterung des Themas bedeuten. Uns fiel auf, dass z.B. der Umgang der Frankfurter mit Hugenotten, Auswärtigen, Juden recht
12 So widmete jüngst der Verband der Geschichtslehrer Deutschland in seiner Zeitschrift „geschichte für heute“ dem Thema „Lernpotentiale der Regionalgeschichte“ ein ganzes Heft (Heft 2/2010). 13 Tim Thorer, Shila Hemati und Frank Senftleben: In Frankfurt daheim, bei der WM zuhause. Wir sind jetzt Fußball-Hauptstadt, http://www.bild.de/BILD/regional/ frankfurt/aktuell/2010/06/10/wir-sind-fussball-hauptstadt/in-frankfurt-daheim-bei-derwm-zuhause.html [2.3.2011].
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ähnlich ist, dass die Frankfurter versuchen, ihre Wirtschaftsweise zu schützen, aber auch nach Möglichkeit von den neuen Waren, Ideen, Fähigkeiten der Fremden profitieren. 2. Die Geschichte der Stadt Frankfurt ist ohne Migration, ohne fremde Einflüsse nicht denkbar. Damit eröffnen sich neue Lebensentwürfe für die Frankfurter. Im Museum Judengasse wurden wir mit unterschiedlichen individuellen Lebensentwürfen konfrontiert. Was bedeuten die Unterschiede im Leben auf dem Land und in der Stadt? Welche Möglichkeiten der Individualisierung können in der Stadt aufgrund der verschiedenen Einflüsse gewählt werden (Beispiel Familie Brentano)? Können in der Stadt individuelle Lebensentwürfe realisiert werden? Diese Fragen wären sicher von Interesse für die SchülerInnen gewesen. Die gegenwärtige multikulturelle Gesellschaft mit dem Streit über Moscheenbau und Schwierigkeiten z.B. von muslimischen Mädchen, den Vorstellungen ihrer traditionellen Familien zu entsprechen, aber auch die Vorliebe der Deutschen für den Dönerstand oder die geplanten Einbürgerungstests zeigen, wie aktuell die Probleme noch sind.“
Angesichts der gesellschaftlichen Konstellation, die von Migration geprägt ist, ergibt sich die Notwendigkeit, ein umfassendes Narrativ für die Migrationsgeschichte zu entwickeln. Museen als Erinnerungsorte, aber auch Orte der Fremdheit und der Diversität scheinen in diesem komplexen und wechselseitigen Prozess geeignete Orte für diese Herausforderung zu sein.
Schlussbetrachtung P ATRICK O STERMANN
Dass es sich bei Grenzräumen nicht um Erinnerungsorte handelt, die das Potenzial haben, zu europäischen Erinnerungsorten im Sinne der Vermittlung von der „Idee von etwas Gemeinsamem – einem gemeinsamen Erbe –“1 zu werden, diese Auffassung legt die Definition europäischer Erinnerungsorte der Herausgeber des unlängst erschienenen mehrbändigen Sammelbandes zu diesem Thema nahe. Grenzräumen fehlt demnach die europäische Dimension bereits in ihrer Genese.2 Ebenso wenig sind sie von Anbeginn an europäisch vermittelt. Einiges spricht für diese These: Grenzräume sind nach wie vor Kristallisationspunkte fortwirkender regionaler und nationaler Konfliktlinien, die derzeit jedoch in ihrer geschichtsdidaktischen Vermittlung, und damit im Handlungsvollzug der projektiven Erzeugung des Erinnerungsortes selbst, entsprechend einem multilateralen Gedenken vielschichtige Umdeutungen erfahren. Insofern können Grenzräume
1
Pim den Boer et al.: Einleitung, in: Dies. (Hg.): Europäische Erinnerungsorte, Bd. 1: Mythen und Grundbegriffe des europäischen Selbstverständnisses, München 2012, S. 7-12, hier: 10.
2
Die europäische Dimension der Erinnerungsorte, so ist zu ergänzen, ist aber potenziell immer strittig, denn sie können jederzeit renationalisiert werden. Das zeigt das Beispiel der klassischen Architekturstile, die heute auf den Euro-Noten die kulturelle Einheit des Kontinents versinnbildlichen. Auf diesem Feld entbrannte während des Ersten Weltkrieges ein Propagandakrieg, in dem es – ganz im Sinne des behaupteten Gegensatzes zwischen Romanität und Germanität – u.a. um die Frage ging, ob die Gotik in den deutsch-niederländischen oder den franko-italienischen Kathedralen ihren ,wahren‘ Ausdruck gefunden habe, vgl. Patrick Ostermann: Duell der Diplomaten. Die Propaganda der Mittelmächte und ihrer Gegner in Italien während des Ersten Weltkrieges, Weimar 2000, S. 117ff.
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als Transferräume zwischen verschiedenen Erinnerungskulturen fungieren, wenngleich deren Deutungszuschreibungen, wie gezeigt, in Nordostitalien vorerst weiter ethnisch differenziert sind. Gerade im Abbau von Feind- und Fremdbildern3 liegt der Wert der bereits realisierten historischen und didaktischen multiperspektivischen Aufarbeitung in Nordostitalien, denn noch bis in die 1990er Jahre galt der Mythos der ,Italiani brava gente‘, „wobei gleichzeitig ein kodifiziertes Feindbild konstruiert wurde: die Deutschen“.4 Alle auf die Genese der italienischen Geschichts- und Gedenkkultur bezogenen Beiträge dieses Bandes belegen, dass das die gesamte Erste Republik beherrschende und in den Trentiner Risorgimento-Museen besonders spürbare apologetische Gegensatzpaar von Italienern und Deutschen – das in gewisser Weise eine Fortsetzung der behaupteten Dichotomie von Romanität und Germanität aus faschistischer Zeit darstellt – endgültig überwunden ist. Im Gegensatz dazu bestehen die Spannungen zwischen Slowenen und Italienern – das zeigen die diesbezüglichen Beiträge – noch in einem stärkeren Maße. Dies ist vermutlich nicht zuletzt deshalb der Fall, weil im Kalten Krieg der Konflikt um Triest durch nationalistische Ressentiments immer wieder aufgeladen wur-
3
Vgl. Hartmut Voit: Deutsch-deutsche Feindbilder: Die Darstellung der „anderen“ im Geschichtsunterricht des geteilten Deutschland, in: Bernd Mütter und Uwe Uffelmann (Hg.): Emotionen und historisches Lernen. Forschung – Vermittlung – Rezeption, Frankfurt a.M. 1992, S. 93-103
4
Filippo Focardi: Gedenktage und politische Öffentlichkeit in Italien, 1945-1995, in: Christoph Cornelißen, Lutz Klinkhammer und Wolfgang Schwentker (Hg.): Erinnerungskulturen. Deutschland, Italien und Japan seit 1945, Frankfurt a.M. 2004, S. 210221, hier: 210. Einen späten Höhepunkt fand dieses Stereotyp im Prozess gegen Erich Priebke 1995, der zum Symbol der deutschen Kriegsverbrechen in Italien wurde. Priebke, einer der Verantwortlichen des Massakers an 335 italienischen Geiseln in den Fosse Ardeatine, war von Argentinien nach Italien ausgeliefert worden. Die Erschießungen waren die Repressalien auf einen Anschlag italienischer Partisanen, dem zuvor in der Via Rasella in Rom 33 Angehörige des Polizeiregiments ‚Bozen‘ zum Opfer gefallen waren, vgl. Gerald Steinacher: Das Massaker der Fosse Ardeatine und die Täterverfolgung. Deutsch-italienische Störfälle von Kappler bis Priebke, in: Michael Gehler und Maddalena Guiotto (Hg.): Italien, Österreich und die Bundesrepublik Deutschland in Europa. Ein Dreiecksverhältnis in seinen wechselseitigen Beziehungen und Wahrnehmungen von 1945/49 bis zur Gegenwart, Wien u.a. 2012, S. 291-315, hier: 306ff.
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de5, was sich letztlich noch nachteiliger auswirkte als die lange zwischen den NATO- und EU-Partnern Italien und der Bundesrepublik praktizierte opportunistische wie unzulängliche Politik des „Vergessens und Beschweigens“.6 Insofern können die vielfältigen Bemühungen zum Fremdverstehen im nordostitalienischen Grenzraum als Laboratorium für die öffentliche Erinnerungskultur in den europäischen Grenzräumen dienen. In diesem Zusammenhang ist die Etablierung einer eigenen Geschichts- und Gedenkkultur in der Europaregion ,Tirol-SüdtirolTrentino‘ unter dem Etikett der ,Landesgeschichte‘ ein spannendes, weil die nationale Ebene überwindendes Projekt. Darüber hinaus ist die Beobachtung geschichtsdidaktisch relevant, dass Erinnerungsorte dem Vergessen anheim fallen können. Damit Erinnerungsorte Lernorte bleiben bzw. werden, müssen sie in erster Linie fachhistorisch aufgearbeitet und dokumentiert sowie geschichtsdidaktisch begleitet werden. Daneben haben die architektonischen und szenographischen Elemente der Präsentation eine durchaus wichtige, wenngleich aber letztlich nur unterstützende Aufgabe. Die hier vorgestellten Erinnerungsorte und Grenzräume belegen die These von Bernhard Giesen, wonach traditionelle Formen des Gedenkens mit ihrer Heldenrhetorik nach dem Holocaust obsolet geworden seien zugunsten neuer Rituale der Versöhnung, welche die Opfer und nicht die Sieger in den Vordergrund stellen.7 Denn Heroismus sei als Teil eines nationalen kulturellen Codes nur in einer geschlossenen nationalen Kommunikationsgemeinschaft, nicht mehr in einer vernetzten globalisierten Zivilgesellschaft möglich. Nicht einmal das hybride risorgimentale ,Märtyrer‘-Modell eines Battisti oder eines Oberdan, das heroische Elemente mit Opfergedenken verbindet8, ist heute noch zeitgemäß, lässt sich hinzufügen.
5
Emmanuel Droit weist zu Recht daraufhin, dass mit der Wiedervereinigung Europas am 1. Mai 2004 die Erinnerungskulturen in Ost- und Westeuropa – nicht zuletzt bezüglich der Gewichtung der Themen Judenvernichtung und staatssozialistische Herrschaft – getrennt blieben, vgl. Emmanuel Droit: Die Shoah: Von einem westeuropäischen zu einem transeuropäischen Erinnerungsort, in: Kirstin Buchinger, Claire Gantet und Jakob Vogel (Hg.): Europäische Erinnerungsräume, Frankfurt a.M. 2009, S. 257-265, hier: 265.
6
Christoph Cornelißen: Erinnerungskulturen in Deutschland, Österreich und Italien seit 1945, in: Gehler/Guiotto (Hg.): Italien, Österreich und die Bundesrepublik Deutschland in Europa, S. 369-379, hier: 373.
7 8
Vgl. Bernhard Giesen: Triumph and Trauma, Boulder 2004, S. 152f. Reinhart Koselleck machte darauf aufmerksam, dass der Begriff des Opfers seiner früheren aktivistischen und selbstbestimmten Semantik entkleidet worden sei, vgl. Ul-
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Die Gedenkkultur der italienischen Auslandskulturarbeit in Frankfurt zeigt wiederum, dass nationale Codierungen auch im ,postnationalen‘ Zeitalter weiter Konjunktur haben. Schon Max Weber wies diesbezüglich auf die besondere Langlebigkeit des „ethnischen Gemeinsamkeitsglaubens“ in Auswanderungsgesellschaften hin. Seine Ausführungen sind bemerkenswert aktuell geblieben: Das Festhalten der Einwanderer an den Konventionen ihrer Herkunftsländer sei, so Weber, eine Folge ihrer Fremdheitserfahrung in der neuen Mehrheitsgesellschaft, die in vielfältigster Weise in den Auffassungen über die „ethnische Ehre“, die Geschlechterrollen, die Lebensführung, die Religion und die Sprache differiere.9 Diese Erfahrung der Alterität haben die Immigrantengruppen mit den ethnischen Gruppen in Grenzräumen gemeinsam. Vieles spricht dafür, dass die Main-Metropole emblematisch für die nicht wenigen europäischen Stadtzentren steht, die eine massive Zuwanderung verschiedenster Migrantengruppen erfahren, sodass man sie als die Grenzräume des 21. Jahrhunderts bezeichnen könnte. Das bedeutet für die Geschichtsdidaktik, wie im Beitrag zu Frankfurt prägnant bilanziert wurde, dass im interkulturellen Geschichtslernen die verschiedenen Migrantengruppen ihre jeweiligen Deutungsangebote einbringen, ohne dass eine Deutung endgültig bevorzugt wird. Eine solche Vorgehensweise schließt ebenfalls die Oktroyierung einer von oben verordneten Geschichtsdeutung – inklusive wohlmeinender Deutungsangebote einer Erfolgsgeschichte der europäischen Integration – kategorisch aus. In diesem Zusammenhang zitiert Claus Leggewie in seiner kürzlich veröffentlichten Monographie über die europäischen Erinnerungsdiskurse – trotz der im Titel verwendeten martialischen Begrifflichkeiten wie „Kampf“ und „Schlachtfeld“ – treffend Jorge Semprún: Die Europäische Union, so der spanische Schriftsteller und Überlebende des KZs Buchen-
rich Raulff: Geschichte und die Erziehung des Gefühls, in: Ulrich Borsdorf, Heinrich Theodor Grütter und Jörn Rüsen (Hg.): Die Aneignung der Vergangenheit. Musealisierung und Geschichte, Bielefeld 2004, S. 105-128, hier: 120. Just dieser Mut zur Tat, im Falle Oberdans gar als Attentäter, ist dem hybriden Opfer-Heroen-Modell des Risorgimento-Märtyrers immanent. 9
„Unzweifelhaft ist da, wo die Erinnerung an die Entstehung einer auswärtigen Gemeinschaft durch friedliche Abspaltung oder Fortwanderung (,Kolonie‘, ,Versacrum‘ und ähnliche Vorgänge) aus einer Muttergemeinschaft aus irgendwelchen Gründen dauernd lebendig geblieben ist, ein sehr spezifisches ,ethnisches‘ Gemeinschaftsgefühl von oft sehr großer Tragfähigkeit vorhanden“, Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1980, S. 238.
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wald, könne nur gelingen, wenn die Erinnerungen miteinander geteilt und vereinigt würden.10 Genau diese Gleichgewichtsspannung der verschiedenen kollektiven Gedächtnisse ist es, die der Soziologe Hans Joas als kennzeichnend für Europa beschreibt. Sie resultiere historisch aus den Vereinheitlichungsansprüchen der jeweiligen Hegemonialmächte, die mit der realen Pluralität auf der anderen Seite aufs Heftigste kontrastierten.11 Insofern könnte der Grenzraum als Ort der „ertragenen Differenz“12 hierfür eine Metapher bilden.
10 Claus Leggewie: Der Kampf um die europäische Erinnerung. Ein Schlachtfeld wird besichtigt, München 2011, S. 7. 11 Hans Joas: Die kulturellen Werte Europas. Eine Einleitung, in: Ders. und Klaus Wiegandt (Hg.): Die kulturellen Werte Europas, Frankfurt a.M. 2005, S. 11-39. 12 „Ertragene Differenz“ ist nach Joas ein wichtiger Teil der europäischen Identität. Er beinhaltet die mehr oder minder erzwungene Akzeptanz von Vielfalt bzw. das Dulden von Pluralität, ebd., S. 18ff. Er umschließt hingegen nicht die Vorstellung von Toleranz im Sinne des aktiven Eintretens für die Freiheit anderer, ebd., S. 26ff.
Autorinnen und Autoren
Arand, Tobias, Prof. Dr., Lehramtsstudium in Münster, 1. und 2. Staatsexamen, anschließend tätig an den Universitäten Münster, Aachen, Duisburg-Essen sowie an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, lehrt seit 2009 Geschichte und Geschichtsdidaktik an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. Forschungsinteressen: antike Geschichtsschreibung und militärische Erinnerungskultur. Bunnenberg, Christian, M.A., arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Didaktik der Geschichte am Historischen Institut der Universität Duisburg-Essen. Magister- und Lehramtsstudium der Fächer Germanistik und Geschichte an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. 2006-2011: Zweites Staatsexamen, Gymnasiallehrer und Lehrtätigkeit an der Universität zu Köln. Forschungsschwerpunkte: Geschichtsdidaktik, Geschichte des Nationalsozialismus, Erinnerungskulturen. Cajani, Luigi, Prof., unterrichtet Geschichte der Frühen Neuzeit an der Università di Roma ,La Sapienza‘ und ist assoziierter Wissenschaftler des GeorgEckert-Instituts für internationale Schulbuchforschung in Braunschweig. Aktuelle Forschungsschwerpunkte: Geschichtsdidaktik, Geschichte der Historiographie und die Beziehungen zwischen Politik und Historiographie. Fait, Francesco, dott., studierte Sozialgeschichte der Gegenwart. Forschungsschwerpunkte: lokale Geschichte, vor allem zum Thema der transatlantischen Emigration. Seit 2004 arbeitet er an den Civici musei di storia ed arte in Triest, vor allem für das Civico museo della Risiera di San Sabba – Monumento nazionale.
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Heiss, Hans, Dr. phil. habil., Studium der Geschichte und Germanistik in Innsbruck, 1994-2003 Archivar am Südtiroler Landesarchiv Bozen, seit 2003 Abgeordneter der Grünen/Verdi/Vërc im Südtiroler Landtag. Lehraufträge an den Universitäten Trient, Hildesheim und Innsbruck; Fachbeirat des Touriseums Meran und des Landesmuseums Schloss Tirol 1997 bis 2004. Mitbegründer der Zeitschrift Geschichte und Region/Storia e regione. Forschungsinteressen: Regionale und österreichische Stadtgeschichte, Geschichte des Bürgertums und des Tourismus. Kenkmann, Alfons, Prof. Dr., ist seit 2003 Inhaber der Professur für Fachdidaktik Geschichte an der Universität Leipzig. Zuvor lehrte er an verschiedenen Universitäten und war Wissenschaftlicher Direktor des Geschichtsortes Villa ten Hompel in Münster. Er forscht zu methodischen Fragen der Geschichtsvermittlung, zur Oral History, Museologie, Geschichte der Jugend sowie zur Polizeiund Verwaltungsgeschichte. Klabjan, Borut, Doz. Dr., unterrichtet und forscht an der Fakultät für geisteswissenschaftliche Studien der Università del Litorale in Koper. Studium und Forschungsaufenthalte u.a. in Prag, Bratislava, Berlin und Ljubljana. Forschungsinteressen: Mittel- und osteuropäische Zeitgeschichte, nationale Fragen und Minderheiten in regionaler und transnationaler Geschichte, vergleichend und in Hinblick auf die italienisch-slowenischen Beziehungen. Liepach, Martin, Dr., Mitarbeiter am Pädagogischen Zentrum des Fritz Bauer Instituts und Jüdischen Museums Frankfurt, Lehrbeauftragter an der Universität Frankfurt am Main. Forschungsschwerpunkte: Deutsch-jüdische Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert, Geschichtsdidaktik, insbesondere Schulbuchanalyse und interkulturelles Lernen, Museumspädagogik. Liermann, Christiane, Dr., Promotion an der Universität Zürich im Fach Geschichte; Wissenschaftliche Referentin beim Deutsch-Italienischen Zentrum Villa Vigoni (Menaggio, Como), mit Lehrauftrag an der Universität Turin. Forschungsschwerpunkte sind das Verhältnis von Religion und Politik, speziell in der italienischen politischen Kultur des 19. und 20. Jahrhunderts, sowie Geschichte und Gegenwart der deutsch-italienischen Beziehungen. Müller, Claudia, Dipl.-Soz., wissenschaftliche Koordinatorin am ItalienZentrum der TU Dresden, promoviert zum Thema ,Politische Religion und Katholizismus im faschistischen Romanità-Kult‘. Studium der Soziologie, Italianis-
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tik und Geschichte in Dresden und Trient. Forschungsinteressen: Kultur- und Wissenssoziologie, Erinnerungskultur, italienische Geschichte. Obermair, Hannes, Dr., Promotion in Geschichte und Literaturwissenschaft an den Universitäten Innsbruck und Wien. Leiter des Stadtarchivs Bozen. Forschungsschwerpunkte: stadt- und regionalgeschichtliche Themen des Raumes Südtirol-Tirol-Trentino. Ostermann, Patrick, Dr., M. A., habilitiert an der TU Dresden über das Thema ,Col Duce e con Dio! Historische und wissenssoziologische Untersuchungen zu der katholisch-faschistischen Intellektuellengruppe um Guido Manacorda (18791965)‘. Forschungsschwerpunkte: Italienische Geschichte, Geschichtsdidaktik, Geschichtsmuseen im europäischen Vergleich, Kultursoziologie. Pampel, Bert, Dr., wissenschaftlicher Referent in der Stiftung Sächsische Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft in Dresden. Forschungsschwerpunkte: Besucherforschung und Evaluation in Gedenkstätten, sowjetische Speziallager in Deutschland, Gedenkstätten mit so genannter doppelter Vergangenheit. Pirjevec, Jože, Prof., ist Dozent für Zeitgeschichte an der Università di Koper/Capodistria. Er lehrte zur Geschichte Osteuropas und zur Geschichte der slawischen Staaten an den Universitäten Pisa, Padua sowie Triest und ist darüber hinaus Mitglied der Accademia Slovena delle Scienze e delle Arti. Forschungsschwerpunkte: Geschichte Osteuropas, vor allem Jugoslawiens, Geschichte der Slowenen in Italien. Pisetti, Anna, dott.ssa., Kuratorin für die Didaktik des Museo Storico Italiano della Guerra in Rovereto, koordiniert die Öffentlichkeitsarbeit des Museums. Rehberg, Karl-Siegbert, Prof. Dr., ist Lehrstuhlinhaber für Soziologische Theorien, Theoriegeschichte und Kultursoziologie an der TU Dresden. Forschungsschwerpunkte: Institutionentheorie, Kunstsoziologie des Museums und der Künste in der DDR. Ausgezeichnet mit dem Preis der Aby-Warburg-Stiftung und dem Chevalier de l‘Ordre des Palmes académiques. Zadra, Camillo, Prof., ist Direktor des Museo Storico Italiano della Guerra in Rovereto. Er publiziert zu autobiographischen Schriften während des Ersten Weltkrieges und zu historischen Museen.
Histoire Thomas Etzemüller Die Romantik der Rationalität Alva & Gunnar Myrdal – Social Engineering in Schweden 2010, 502 Seiten, kart., zahlr. Abb., 35,80 €, ISBN 978-3-8376-1270-7
Bettina Hitzer, Thomas Welskopp (Hg.) Die Bielefelder Sozialgeschichte Klassische Texte zu einem geschichtswissenschaftlichen Programm und seinen Kontroversen 2010, 464 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN 978-3-8376-1521-0
Bernd Hüppauf Was ist Krieg? Zur Grundlegung einer Kulturgeschichte des Kriegs September 2012, ca. 180 Seiten, kart., 19,80 €, ISBN 978-3-8376-2180-8
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Histoire Oliver Kühschelm, Franz X. Eder, Hannes Siegrist (Hg.) Konsum und Nation Zur Geschichte nationalisierender Inszenierungen in der Produktkommunikation März 2012, 308 Seiten, kart., zahlr. Abb., 31,80 €, ISBN 978-3-8376-1954-6
Anne Kwaschik, Mario Wimmer (Hg.) Von der Arbeit des Historikers Ein Wörterbuch zu Theorie und Praxis der Geschichtswissenschaft 2010, 244 Seiten, kart., 23,80 €, ISBN 978-3-8376-1547-0
Sarah Zalfen, Sven Oliver Müller (Hg.) Besatzungsmacht Musik Zur Musik- und Emotionsgeschichte im Zeitalter der Weltkriege (1914-1949) September 2012, ca. 338 Seiten, kart., ca. 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1912-6
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Histoire Steffen Bender Virtuelles Erinnern Kriege des 20. Jahrhunderts in Computerspielen September 2012, 264 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2186-0
Lars Bluma, Karsten Uhl (Hg.) Kontrollierte Arbeit – disziplinierte Körper? Zur Sozial- und Kulturgeschichte der Industriearbeit im 19. und 20. Jahrhundert Februar 2012, 434 Seiten, kart., 35,80 €, ISBN 978-3-8376-1834-1
Thomas M. Bohn, Victor Shadurski (Hg.) Ein weißer Fleck in Europa ... Die Imagination der Belarus als Kontaktzone zwischen Ost und West (unter Mitarbeit von Albert Weber) 2011, 270 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1897-6
Michael Hochgeschwender, Bernhard Löffler (Hg.) Religion, Moral und liberaler Markt Politische Ökonomie und Ethikdebatten vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart 2011, 312 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1840-2
Alexandra Klei, Katrin Stoll, Annika Wienert (Hg.) Die Transformation der Lager Annäherungen an die Orte nationalsozialistischer Verbrechen 2011, 318 Seiten, kart., 31,80 €, ISBN 978-3-8376-1179-3
Michael März Linker Protest nach dem Deutschen Herbst Eine Geschichte des linken Spektrums im Schatten des ›starken Staates‹, 1977-1979 März 2012, 420 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2014-6
Claudia Dittmar Feindliches Fernsehen Das DDR-Fernsehen und seine Strategien im Umgang mit dem westdeutschen Fernsehen
Carola S. Rudnick Die andere Hälfte der Erinnerung Die DDR in der deutschen Geschichtspolitik nach 1989
2010, 494 Seiten, kart., 34,80 €, ISBN 978-3-8376-1434-3
2011, 770 Seiten, kart., 39,80 €, ISBN 978-3-8376-1773-3
Marina Hilber Institutionalisierte Geburt Eine Mikrogeschichte des Gebärhauses
Stefanie Samida (Hg.) Inszenierte Wissenschaft Zur Popularisierung von Wissen im 19. Jahrhundert
Juni 2012, 362 Seiten, kart., 39,80 €, ISBN 978-3-8376-2035-1
2011, 324 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1637-8
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