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German Pages 326 Year 2018
Kölner Kriminalwissenschaftliche Schriften Band 71
Der formalisierte Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch das Strafrecht Von Dennis Häger
Duncker & Humblot · Berlin
DENNIS HÄGER
Der formalisierte Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch das Strafrecht
Kölner Kriminalwissenschaftliche Schriften Herausgegeben von C l a u s K r e ß, M i c h a e l Ku bi c i e l C o r n e l iu s Ne s t l e r, F r a n k Ne u b a c h e r M a r t i n Wa ßm e r, T h o m a s We i g e n d , B e t t i n a We i ß e r Professoren an der Universität zu Köln
Band 71
Der formalisierte Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch das Strafrecht
Von Dennis Häger
Duncker & Humblot · Berlin
Die Hohe Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln hat diese Arbeit im Sommersemester 2017 als Dissertation angenommen.
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© 2018 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Ochsenfurt-Hohestadt Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 0936-2711 ISBN 978-3-428-15455-5 (Print) ISBN 978-3-428-55455-3 (E-Book) ISBN 978-3-428-85455-4 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde vom Promotionsbüro der Graduiertenschule der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln im Mai 2017 als Dissertation angenommen. Für mich war die Erstellung dieser Arbeit eine Herausforderung und persönlich bereichernde Erfahrung zugleich. Den Personen, die mich während der Promotionszeit begleitet und in vielfältiger Art und Weise unterstützt haben, möchte ich an dieser Stelle ganz herzlich danken. Mein besonderer Dank gilt zunächst meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Thomas Weigend, für seine jederzeitige Unterstützung und sein hervorragendes persönliches Engagement bei der Betreuung der Arbeit. Durch seine konstruktiven Anmerkungen, Hinweise und Kritiken hat er entscheidend zum Gelingen der Arbeit beigetragen. Ebenfalls herzlich bedanken möchte ich mich bei Herrn Professor Dr. Martin Waßmer für die freundliche Übernahme und zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Ein herzlicher Dank gebührt weiterhin meinen Freunden und Kollegen, durch die ich meine Promotionszeit in schöner Erinnerung behalten werde. Neben den vielen Freunden, die schon seit meiner Kindheit für willkommene und spaßige Ablenkungen sorgen, möchte ich denjenigen danken, die zu Schul- und Studienzeiten hinzugekommen sind und stets ein offenes Ohr für mich haben. Hierbei hervorzuheben sind Laura Rayak und Bosˇko Dmitrovic´, die während der Arbeits- und Kaffeepausen in anregenden Diskussionen interessante Ideen zu dem hier bearbeiteten Dissertationsthema beitrugen. Nicht zuletzt möchte ich Annika Firnich danken, die mir mit viel Geduld, Liebe und Zuneigung auch in anstrengenden und mühsamen Zeiten zur Seite stand. Ihre liebevolle Art erleichterte mir den Weg der Promotion, der gelegentlich steinig war. Ohne ihre Unterstützung, ihre motivierenden Worte und ihr Verständnis wäre die Arbeit nicht in dieser Weise geglückt. Mein größter Dank gilt an dieser Stelle meiner Familie und ganz besonders meinen Eltern, Irmtraud Jasser-Häger und Hans-Dieter Häger. Sie haben mir nicht nur die Ausbildung sondern auch die Basis für meine persönliche und berufliche Entwicklung ermöglicht, indem sie mich auf meinem bisherigen Lebensweg in jeder erdenklichen Weise vorbehaltlos unterstützt, gefördert und gefordert haben. Ich danke meinen Eltern von Herzen für ihren steten Rückhalt, ihren Zuspruch und ihre Liebe. Ihnen widme ich diese Arbeit. Köln, im Januar 2018
Dennis Häger
Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 B. Zwecksetzung des 15. Abschnitts des StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 I. Ausgangsüberlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 1. Rechtsgutsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 2. Ausgangsthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 3. Verfassungsrechtlicher Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und dessen strafrechtliche Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 a) Ursprung und Dogmatik des allgemeinen Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . 29 b) Schutzbereichsbestimmung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts . . . . . . 30 aa) Bestimmung des Schutzbereichs durch Bildung von Schutzinteressen 32 bb) Strafrechtlich relevante Schutzinteressen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 cc) Folgerungen und „gesellschaftliches Informationsinteresse“ . . . . . . . . 42 c) Das informationelle Selbstbestimmungsrecht als Fundament strafrechtlich relevanter Schutzinteressen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts . . . . . . 46 aa) Ursprung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 bb) Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 cc) Schranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 II. Auswirkungen auf den strafrechtlichen Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 III. Kollektivrechtsgüterschutz im 15. Abschnitt des StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 C. Umsetzung durch den Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 I. § 201 StGB – Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 1. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 2. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 a) Unbefangenheit und Spontaneität des gesprochenen Wortes . . . . . . . . . . . 63 b) „Vertrauensschutzgüter“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 c) Geteilte Schutzgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 aa) Recht auf Bestimmung der Reichweite einer Äußerung und deren Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
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Inhaltsverzeichnis bb) Schutz der Unbefangenheit des gesprochenen Wortes und Indiskretionsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 cc) Schutz der Flüchtigkeit und Begrenztheit des gesprochenen Wortes und Indiskretionsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 aa) Kritik an den Schutzgütern „Flüchtigkeit“, „Unbefangenheit“ und „Begrenztheit“ des gesprochenen Wortes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 bb) Kritik am Bestimmungsrecht über die Reichweite der mündlichen Äußerung als Schutzgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 cc) Kritik am Geheimnis- oder Vertraulichkeitsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . 72 dd) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 ee) Rechtspolitische Einschätzung de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 3. Konsequenzen für die Tatbestandsauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 a) Tatobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 aa) Das gesprochene Wort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 bb) Nichtöffentlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 b) Tathandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 aa) Aufnehmen auf einen Tonträger gem. § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB . . . . . 85 bb) Gebrauchen oder Zugänglichmachen einer so hergestellten Aufnahme gem. § 201 Abs. 1 Nr. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 cc) Abhören mit einem Abhörgerät gem. § 201 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StGB 91 dd) Öffentliches Mitteilen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes gem. § 201 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 c) Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 aa) Einwilligung vs. tatbestandsausschließendes Einverständnis . . . . . . . . 98 bb) Notwehr und Nothilfe gem. § 32 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 cc) Rechtfertigender Notstand gem. § 34 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 dd) Spezialgesetzliche Befugnisnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 ee) Rechtfertigung nach § 201 Abs. 2 S. 3 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 4. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 II. § 201a StGB – Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 1. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 2. Normzweck – Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 3. Normzweck – Abs. 1 „höchstpersönlicher Lebensbereich“ . . . . . . . . . . . . . . . 106 a) Schutzgut nach dem FDP-Gesetzesentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 b) Schutzgut nach dem CDU/CSU-Gesetzesentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 c) Schutzgut nach dem Gesetzesentwurf des Bundesrats . . . . . . . . . . . . . . . . 108 d) Interpretationen des Schutzguts „höchstpersönlicher Lebensbereich“ . . . . 108 aa) „Persönlicher Lebensbereich“ als Annäherung an den „höchstpersönlichen Lebensbereich“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
Inhaltsverzeichnis bb) „Privatsphäre“ als Synonym für den „persönlichen Lebensbereich“
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cc) „Intimsphäre“ als Synonym für „Höchstpersönlicher Lebensbereich“ 114 dd) Schutzzweck der §§ 22, 23 und 33 KunstUrhG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 ee) Bestimmungsversuche in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 ff) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 gg) Rechtspolitische Einschätzung de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 (1) „Nichtöffentlich“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 (2) Wohnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 (3) Gegen Einblicke besonders geschützter Raum . . . . . . . . . . . . . . . . 135 (4) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 4. Normzweck – Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 und Abs. 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 a) Schutzgut des § 201a Abs. 1 Nr. 2 StGB – Hilflosigkeit . . . . . . . . . . . . . . 139 b) Schutzgut des § 201a Abs. 2 StGB – Eignung, dem Ansehen der abgebildeten Person zu schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 c) Schutzgut des § 201a Abs. 3 StGB – Nacktheit einer Person unter 18 Jahren, Entgeltlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 d) Stellungnahme und rechtspolitische Einschätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 5. Konsequenzen für die Tatbestandsauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 a) Tatobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 aa) Bildaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 bb) Andere Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 b) Tathandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 aa) Herstellen einer Bildaufnahme nach § 201a Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB 150 bb) Übertragen einer Bildaufnahme nach § 201a Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 StGB 151 cc) Gebrauchen oder Zugänglichmachen von unbefugt hergestellten Bildaufnahmen nach § 201a Abs. 1 Nr. 3 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 dd) Unbefugtes Zugänglichmachen einer befugt hergestellten Bildaufnahme nach § 201a Abs. 1 Nr. 4 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 6. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 III. § 202 StGB – Verletzung des Briefgeheimnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 1. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 2. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 a) Unversehrtheit von Gegenständen zur Fixierung vertraulicher Tatsachen oder Unversehrtheit des Verschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 b) Schutz der Privatsphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 c) Schutz der „formal begrenzten“ Geheimsphäre gegen Indiskretion . . . . . . 165 d) Schutz eines speziellen Verfügungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 e) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 f) Rechtspolitische Einschätzung de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169
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Inhaltsverzeichnis 3. Konsequenzen für die Tatbestandsauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 a) Tatgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 aa) Schriftstück . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 bb) Abbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 dd) Verschlossenheitserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 (1) Verschlossen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 (2) Durch ein verschlossenes Behältnis gegen Kenntnisnahme besonders gesichert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 ee) Nicht zur Kenntnis des Täters bestimmt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 b) Tathandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 aa) Öffnen des Verschlusses gem. § 202 Abs. 1 Nr. 1 StGB . . . . . . . . . . . 181 bb) Anwendung technischer Mittel gem. § 202 Abs. 1 Nr. 2 StGB . . . . . . 181 cc) Öffnung eines verschlossenen Behältnisses gem. Abs. 2 . . . . . . . . . . . 183 dd) Kenntnisnahme vom Inhalt des Schriftstücks (Abs.1 Nr. 2) bzw. des Verwahrten (Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 c) Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 aa) Einwilligung vs. tatbestandsausschließendes Einverständnis . . . . . . . . 187 bb) Spezialgesetzliche Befugnisnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 4. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 IV. § 202a StGB – Ausspähen von Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 1. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 2. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 a) Schutz des Vermögens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 b) Schutz des formellen Geheimhaltungsinteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 c) Schutz der Geheim- oder Intimsphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 d) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 3. Konsequenzen für die Tatbestandsauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 a) Tatgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 aa) Datenbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 bb) Einschränkung nach Abs. 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 cc) Nicht für den Täter bestimmt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 dd) Durch Zugangssicherungen geschützt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 b) Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 aa) Verschaffen des Zugangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 bb) Sich oder einem anderen verschaffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 cc) Überwindung der Zugangssicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 c) Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 aa) Einwilligung vs. tatbestandsausschließendes Einverständnis . . . . . . . . 210 bb) Spezialgesetzliche Befugnisnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
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4. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 V. § 203 StGB – Verletzung von Privatgeheimnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 1. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 2. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 a) Gewährleistung der Funktionsfähigkeit bestimmter Berufsgruppen . . . . . . 213 b) Vermögen und materielle „Privatheit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 c) Viktimologische Betrachtungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 d) Persönliche Geheimsphäre des Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 e) Geheimsphäre des Einzelnen und Vertrauen in bestimmte Berufsgruppen (dualistische Auffassung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 f) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 g) Präzisierung des Individualschutzgutes und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 3. Konsequenzen für die Tatbestandsauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 a) Tatgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 aa) Geheimnisgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 bb) Geheimsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 cc) Geheimhaltungswille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 dd) Geheimhaltungsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 ee) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 ff) Fremdheit des Geheimnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 gg) Erlangung in beruflicher Eigenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 hh) Drittgeheimnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 b) Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 aa) Offenbaren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 bb) Unbefugt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 c) Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 4. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 VI. § 206 StGB – Verletzung des Post- oder Fernmeldegeheimnisses . . . . . . . . . . . . 258 1. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 2. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 a) Ausschließlicher Individualschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 aa) Interesse an der Vertraulichkeit abgeschirmter individueller Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 bb) Subjektives Recht auf Geheimhaltung des Inhalts und der näheren Umstände des Postverkehrs oder der Telekommunikation . . . . . . . . . . 261 b) Dualistische Sichtweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 c) Stellungnahme und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 aa) Ausschließlicher Individualschutz vs. dualistische Sichtweise . . . . . . 264 bb) Präzisierung des Individualschutzgutes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267
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Inhaltsverzeichnis cc) Rechtspolitische Einschätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 3. Konsequenzen für die Tatbestandsauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 a) Die Mitteilung geheimzuhaltender Tatsachen gem. Abs. 1 . . . . . . . . . . . . . 271 aa) Dem Post- oder Fernmeldegeheimnis unterliegende Tatsachen . . . . . . 271 bb) In einer besonderen Funktion bekannt geworden . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 cc) Mitteilung an eine andere Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 dd) Unbefugt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 b) Öffnen oder Kenntnisverschaffen vom Inhalt einer verschlossenen Sendung gem. Abs. 2 Nr. 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 aa) Zur Übermittlung anvertraute, verschlossene Sendung . . . . . . . . . . . . 278 bb) Öffnen oder Kenntnisverschaffen unter Anwendung technischer Mittel 279 cc) Unbefugt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 c) Unterdrücken der zur Übermittlung anvertrauten Sendungen gem. § 206 Abs. 2 Nr. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 aa) Zur Übermittlung anvertraute Sendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 bb) Unterdrücken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 d) Gestatten oder Fördern der Tathandlungen Dritter gem. § 206 Abs. 2 Nr. 3 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 e) Mitteilung geheimzuhaltender Tatsachen durch Amtsträger gem. Abs. 4 285 f) Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 4. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288
D. Zusammenfassung der rechtsgutsorientierten Analyse des 15. Abschnitts des StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 I. Kein axiologisch und systematisch überzeugender Zusammenhang zwischen den im 15. Abschnitt geschützten Rechtsgütern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 II. Annäherung an ein System über den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 III. Der Aspekt eines formalen Selbstbestimmungsrechts als Gemeinsamkeit sämtlicher Schutzinteressen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts . . . . . . . . . . . . . . 290 IV. Zu § 201 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 V. Zu § 201a StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 VI. Zu § 202 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 VII. Zu § 202a StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 VIII. Zu § 203 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 IX. Zu § 206 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293
Inhaltsverzeichnis
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X. Folgerungen de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 1. Strafbedürftigkeit und Unrechtsgehalt der bisher ausgeschiedenen Tatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 2. Strafbedürftigkeit und Unrechtsgehalt sonstiger die Persönlichkeit berührenden Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 E. Ergebnis und Gesetzesvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 I. Sektorale Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 1. § 201 E-StGB Verletzung des akustischen Selbstbestimmungsrechts . . . . . . . 301 2. § 201a E-StGB Verletzung des visuellen Selbstbestimmungsrechts . . . . . . . . 301 3. § 202 E-StGB Verletzung eines körperlichen formalen Geheimbereichs . . . . 302 4. § 202a E-StGB Verletzung eines elektronischen formalen Geheimbereichs 302 5. § 203 E-StGB Verletzung von Privatgeheimnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 6. § 206 E-StGB Verletzung des Post- oder Fernmeldegeheimnisses . . . . . . . . . 304 II. Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 1. Zu § 201 E-StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 2. Zu § 201a E-StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 3. Zu § 202 E-StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 4. Zu § 202a E-StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 5. Zu § 203 E-StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 6. Zu § 206 E-StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324
A. Einleitung In unserer modernen Informationsgesellschaft, die insbesondere über das Internet und neue Methoden elektronischer Datenerfassung und –auswertung einen nahezu unbegrenzten Zugriff auf persönliche Informationen des Einzelnen ermöglicht, und in der nahezu jede Person z. B. mit internetfähigen Smartphones über die permanente Möglichkeit von Ton-, Bild- und Videoaufnahmen und deren mediale Verbreitung verfügt, kommt dem Schutz der Persönlichkeit gegen ungewollte Eingriffe eine verfassungsrechtlich gewährleistete Schlüsselrolle zu. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht stellt die Rechtswissenschaft jedoch vor verschiedene Herausforderungen bei theoretischer und praktischer Anwendung dieses kaum konturierten Rahmenrechts. Dabei kann die Bedeutung des im Jahre 1954 anerkannten Grundrechts in der heutigen Zeit nicht groß genug eingeschätzt werden. Z. B. übt das Medium Internet mit seinen sozialen Netzwerken und Online-Plattformen wie YouTube, Instagram, Twitter, Snapchat usw. einen extrem starken Einfluss auf das tägliche Leben vieler Menschen aus. Hierdurch werden erstaunliche Phänomene hervorgebracht wie z. B. „YouTube-Stars“1 mit Werbeeinnahmen in Millionenhöhe. Doch birgt die soziale Macht, die diesen Social Networks innewohnt, neben solchen „Erfolgsgeschichten“ auch erhebliches Gefährdungspotenzial: Cybermobbing kann bis zum Suizid des Opfers führen und wird begünstigt durch die angesichts der Anonymität und fehlenden sozialen Kontrolle geringe Hemmschwelle hinsichtlich der Verbreitung von Inhalten, die die Persönlichkeit des Individuums massiv verletzen können. Zu beobachten ist zudem teilweise eine Art der „Anerkennung“2 durch andere User der Internetplattformen, wenn vermeintlich unterhaltsame Peinlichkeiten des Opfers hochgeladen werden, so dass das Internet den Tätern Verbreitungsmedium und Anreiz zugleich bietet. Hinsichtlich solcher und anderer Angriffe auf die Persönlichkeit des Einzelnen stellt sich die Frage, ob und in welcher Form das Strafrecht zum Schutze des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eingesetzt werden kann und muss. Die schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts angestellten Überlegungen, Verletzungen der Privatsphäre durch ein allgemeines Indiskretionsdelikt zu erfassen, mündeten in den 1960er Jahren in einem konkreten Gesetzesentwurf, der sich jedoch nicht durchsetzen konnte. Der Gesetzgeber hat sich schließlich für einen sektoralen Schutz der 1 Z. B. der schwedische Webvideoproduzent und Betreiber eines gleichnamigen YouTubeKanals „PewDiePie“, der mit 58 Millionen Youtube-Channelabonnenten (Stand Dezember 2017) jährlich über sieben Millionen US-Dollar brutto durch Werbeeinnahmen inner- und außerhalb YouTubes verdient. 2 Durch vermehrte „likes“ oder „follower“.
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A. Einleitung
Persönlichkeit durch die §§ 201 – 206 StGB entschieden. Die konkrete Ausgestaltung des 15. Abschnitts des StGB zum Schutz gegen Verletzungen des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs stößt in der Strafrechtswissenschaft jedoch in vielerlei Hinsicht auf Kritik. Daher soll im Folgenden eine Revision des 15. Abschnitts des StGB erfolgen; hierbei wird versucht, die praktische Anwendung der §§ 201 ff. StGB durch eine schutzzweckorientierte, axiologisch überzeugende Systematisierung zu erleichtern. Zunächst wird die These aufgestellt, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seinen strafrechtlich relevanten Ausprägungen gemeinsamer Nenner der in den § 201 ff. StGB geschützten Rechtsgüter und damit Schutzzweck des 15. Abschnitts des StGB ist. Dazu werden aus dem verfassungsrechtlichen Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts die strafrechtlich schutzwürdigen Aspekte herausgearbeitet. Hierbei werden Kriterien entwickelt, die den verfassungsrechtlichen Schutzbereich für eine strafrechtliche Erfassung derart eingrenzen, dass ein effektiver Strafrechtsschutz unter Einhaltung des ultima ratio Grundsatzes und des Übermaßverbots möglich ist. Anschließend wird die individualschutzorientierte These dahingehend überprüft, ob kollektive Schutzinteressen des 15. Abschnitts des StGB möglicherweise doch überwiegen. Von der zuvor konstruierten Dogmatik ausgehend wird sodann die konkrete Umsetzung des strafrechtlichen Persönlichkeitsschutzes im 15. Abschnitt des StGB durch den Gesetzgeber beleuchtet und kritisch gewürdigt. Dabei werden die Schutzgüter der §§ 201 ff. StGB de lege lata definiert und auf eine gemeinsame Systematik hin überprüft. De lege ferenda wird versucht, durch Modifizierung der Schutzgüter und Schutzbereiche einen einheitlichen und axiologisch überzeugenden strafrechtlichen Schutz der Persönlichkeit auszugestalten. Hierzu gehört auch die anschließende Überlegung, ob der vom Gesetzgeber gewählte sektorale Schutz den optimalen Weg zu einem effektiven Persönlichkeitsschutz darstellt. Aus den bis dahin gewonnenen Erkenntnissen wird abschließend ein Konzept zur Schaffung eines neuen 15. Abschnitts des StGB entwickelt und ein entsprechender Gesetzesentwurf vorgestellt.
B. Zwecksetzung des 15. Abschnitts des StGB Vielfach ist zu lesen, der 15. Abschnitt schütze jeweils fragmentarisch die individuelle Privatsphäre1, das allgemeine Persönlichkeitsrecht2 oder das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als eigenständiges Grundrecht3. Das Verständnis dieser eher unübersichtlichen Darstellung der geschützten, durchweg konturlosen und schwer bestimmbaren Rechtsgüter4 wird dadurch noch erschwert, dass der Schutzbereich einiger Normen des 15. Abschnitts bei entsprechender Interpretation des Schutzzwecks über den Individualschutz hinausgehen könnte.5 Hinsichtlich der genauen Bestimmung der Schutzgüter des 15. Abschnitts herrscht daher überwiegend Uneinigkeit. In den Gesetzesmaterialien zur Einführung des 15. Abschnitts des StGB im Jahre 1975 heißt es: „Dass der persönliche Lebens- und Geheimbereich in einem besonderen Abschnitt als Rechtsgut geschützt wird, hat vor allem folgende Gründe: Auszugehen ist von den Artikeln 1 und 2 GG. Hiernach ist alle staatliche Gewalt verpflichtet, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen, und ist dem einzelnen das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit zugesichert, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. In diesem Zusammenhang ist auch Art. 8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte vom 04. November 1950 (Bundesgesetzbl. 1952 Teil II S. 685) bedeutsam, wonach jeder Mensch Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung sowie seines Briefverkehrs hat und Eingriffe von Behörden in die Ausübung dieser Rechte nur auf gesetzlicher Grundlage statthaft sind. In diesen Regelungen kommt eine Überzeugung zum Ausdruck, die für das Wesen jeder freiheitlichen Demokratie eigentümlich ist. Sie geht dahin, dass der einzelne sich überhaupt nur dann zu einer Persönlichkeit entwickeln kann, wenn ihm hierfür ein freier Raum vor der Gemeinschaft und dem Staat sowie vor den anderen einzelnen gewährleistet wird. Die Unverletzlichkeit des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs ist danach ein selbständiges Rechtsgut von einem solchen Rang, dass sein Strafschutz in einem besonderen Abschnitt des
1
NK/Kargl, Vor § 201 Rn. 4; SK/Hoyer, Vor § 201 Rn. 1. LK/Schünemann, Vor § 201 Rn. 2. 3 LK/Schünemann, Vor § 201 Rn. 4. 4 Zum „schwer zu bestimmenden“ Kühl, in: Bosch/Bung/Klippel (Hrsg.), Geistiges Eigentum und Strafrecht, 2011, 116, 136. Begriff des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vgl. unter B. I. 3. 5 Siehe dazu unten B. III.; MüKo-StGB/Graf,Vor § 201 Rn. 5. 2
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B. Zwecksetzung des 15. Abschnitts des StGB
Strafgesetzbuches berechtigt ist.“6 Die trennscharfe Bestimmung der einzelnen Schutzaspekte des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs gehört jedoch zu den bis heute ungeklärten Rechtsfragen. Dies ist problematisch, da die präzise Definition des Schutzguts einer Norm den zentralen Ausgangspunkt für die Auslegung des Straftatbestands darstellt und somit insgesamt eine essenzielle Bedeutung für das Strafrecht hat. Auch z. B. bei Anwendungsfällen des rechtfertigenden Notstands nach § 34 StGB spielt die Bestimmung des Rechtsguts der einschlägigen Strafnorm eine wichtige Rolle, da im Rahmen einer Güterabwägung der Wert des geschützten und des verletzten Rechtsguts gegeneinander abgewogen werden muss. Weder die Überschrift des Abschnitts, noch die gesetzlichen Bezeichnungen der einzelnen Normen vermögen die jeweils geschützten Rechtsgüter präzise zu erfassen. Der Titel des Abschnitts ist zum einen unbestimmt und zu weit gefasst, da nur einzelne Ausschnitte des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs geschützt sind.7 Zum anderen geht der Schutzbereich einzelner Vorschriften über diesen Bereich hinaus. So wird bspw. in § 203 StGB ausdrücklich das „Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis“ als weiteres Tatobjekt genannt.8 Für den Versuch der Systematisierung der einzelnen Schutzgüter liefern die Gesetzesmaterialien einen ersten Hinweis, wonach der 15. Abschnitt des StGB dem Schutz des aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG abgeleiteten allgemeinen Persönlichkeitsrechts dienen könnte. Denn die Überzeugung, „dass der einzelne sich überhaupt nur dann zu einer Persönlichkeit entwickeln kann, wenn ihm hierfür ein freier Raum vor der Gemeinschaft und dem Staat sowie vor den anderen einzelnen gewährleistet wird“, kommt auch und gerade im allgemeinen Persönlichkeitsrecht zum Ausdruck. Zur Überprüfung dieser These ist der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts herauszuarbeiten; dann sollen die einschlägigen Normen im Hinblick auf Normzweck und Schutzgut analysiert werden. Die herausgearbeiteten Schutzinteressen werden sodann für die teleologische Auslegung problematischer Tatbestandsmerkmale herangezogen. Zugleich sollen nicht geschützte Ausschnitte des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs offengelegt werden, um die Frage nach der Notwendigkeit und Umsetzbarkeit einer ergänzenden Strafnorm zu deren strafrechtlicher Erfassung aufzuwerfen.
I. Ausgangsüberlegung 1. Rechtsgutsbegriff Die Fragen, welches Verhalten strafwürdig ist und welches die sachlichen Kriterien für die Festlegung strafbaren Verhaltens sind, sind für den Gesetzgeber bei der 6 7 8
BT-Drucks. 7/550, S. 235. S/S/Lenckner/Eisele, Vor § 201 Rn. 2. NK/Kargl, Vor. § 201 Rn. 6.
I. Ausgangsüberlegung
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Kodifizierung von Strafnormen elementar. Diese Fragen können den Spielraum des Gesetzgebers begrenzen und der Kontrolle bestehender Strafgesetze dienen.9 Bestimmte Rechte, Güter oder Interessen bilden den materiellen Kern und Bezugspunkt aller rechtlichen Verbote und Gebote und damit auch der strafrechtlichen Tatbestände.10 Ziel des Strafrechts kann es laut BVerfG nur sein, die elementaren Werte des Gemeinschaftslebens zu schützen.11 Das Strafrecht dient dabei insbesondere dem Schutz solcher Interessen, die jedem Individuum für sich zustehen (z. B. Leben, Gesundheit, Ehre) oder auch den Bürgern als Kollektiv (z. B. Bestand des demokratischen Rechtsstaats, Funktionsfähigkeit der Rechtspflege), solange sie der Rechtsgemeinschaft insgesamt wichtig sind.12 Diese Rechtsgüter13 sind als gedankliche Gebilde zu begreifen14 und daher zu unterscheiden von dem körperlichkonkreten Angriffs- oder Tatobjekt (z. B. bei § 303 StGB die konkrete Sache). Nach wie vor ungeklärt ist jedoch die Frage, wie der Rechtsgutsbegriff inhaltlich zu bestimmen ist und wie weit er je nach dem Abstraktionsniveau, auf dem dies geschieht, zu „vergeistigen“ ist.15 Das Rechtsgut wird definiert als „werthafter Zustand“16, als „objektiver Wert, den das geschützte Gut in sich schließt“17, als „vergeistigter ideeller Wert“18, als „rechtlich geschützter abstrakter Wert der Sozialordnung“19 oder als der „von wertvollen Sachverhalten ausgehende ideelle Achtungsanspruch“20. Gesehen wird das Rechtsgut vielfach aber auch als eine Beziehung zu dem Objekt21 – etwa i.S. eines Rechts des Individuums bzw. des Staates22, eines „rechtlich anerkannten Interesses an bestimmten Gütern als solchen in ihrer generellen Erscheinungsart“23 – oder als eine zugleich die Wirkungsmöglichkeit der Person betonende werthafte 9 Zum „Rechtsgüterschutz“ als Instrument einer rationalen Kriminalpolitik vgl. NK/ Hassemer/Neumann, Vor. § 1 Rn. 115; Kim, ZStW 2012, 591, 592. 10 S/S/Eisele, Vor. § 13 Rn. 9. 11 BVerfGE 45, 187, 253 f.; 45, 272, 289; vgl. auch Schmidt, Strafrecht – allgemeiner Teil, S. 1. 12 LK/Weigend, Einl. Rn. 1. 13 An dieser Stelle allgemein verstanden als Sammelbegriff der strafrechtlich schutzwürdigen Werte und Güter. 14 LK/Walter, Vor. § 13 Rn. 14; S/S/Eisele, Vor. § 13 Rn. 9. 15 Vgl. dazu Suhr, JA 1990, 303, 306 ff., der zwischen verschiedenen Abstraktionsstufen unterscheidet. 16 Frisch, in: Küper/Dencker (Hrsg.), Festschrift für Walter Stree und Johannes Wessels zum 70. Geburtstag, 1993, S. 69, 70. 17 Blei/Mezger, Strafrecht Allgemeiner Teil, I 89. 18 Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht, allgemeiner Teil, 2/10. 19 Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, S. 257; LK/Walter, Vor. § 13, Rn. 13. 20 Schmidhäuser, Einführung in das Strafrecht, S. 107. 21 Gemeint ist eine bestimmte tatsächliche Beziehung einer Person zu einem Objekt im weitesten Sinne, m.a.W. zu konkreten, von der Rechtsgemeinschaft anerkannten Werten, vgl. Otto, in: Müller-Dietz (Hrsg.), Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik, 1971, S. 1, 6, 8. 22 Z. B. Altenhain, Das Anschlußdelikt, S. 289 ff. 23 Maurach/Zipf, Strafrecht – Allgemeiner Teil, I 19/12.
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B. Zwecksetzung des 15. Abschnitts des StGB
„Funktionseinheit“24. Folgt man der Rechtsgutslehre, erscheint die Definition treffend, wonach unter dem Rechtsgut alle Gegebenheiten oder Zwecksetzungen zu verstehen sind, die für die freie Entfaltung des Einzelnen (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG), die Verwirklichung seiner Grundrechte und das Funktionieren eines auf dieser Zielvorstellung aufbauenden staatlichen Systems notwendig sind.25 Hinsichtlich dieser Auffassungen und Formulierungen wird seit langer Zeit und mit großem literarischen Aufwand diskutiert, jedoch mit vergleichsweise geringem Ertrag.26 Viel entscheidender ist aber die Frage nach der Funktion und der praktischen Leistungsfähigkeit des Rechtsgutsbegriffs; denkbar wäre insoweit auch, dem alternativen Konzept der Verhältnismäßigkeit zur Bestimmung der Reichweite des Strafrechts den Vorrang einzuräumen.27 Ein „positivistisch“ verstandener Rechtsgutsbegriff28 ermöglicht einerseits die Systembildung des Besonderen Teils des StGB, andererseits ist er ein Hilfsmittel bei der teleologischen Auslegung der einzelnen Strafvorschriften.29 Dabei ist das Rechtsgut einer Norm nicht zwingend gleichzusetzen mit deren Sinn und Zweck30, weil ersteres vielfach nur gegen bestimmte Angriffe geschützt ist (z. B. § 263 StGB), letzterer eher einen übergeordneten rechtspolitisch erstrebten Soll-Zustand beschreibt. Zu unterscheiden von diesem „systemimmanenten“ bzw. „positivistischdogmatischen“ Verständnis des Rechtsgutsbegriffs ist dessen „systemkritische“ Funktion31, die ermitteln soll, welche Güter unter welchen Voraussetzungen strafrechtlich schutzwürdig sind.32 Es handelt sich hierbei um einen Versuch33, dem Strafgesetzgeber ein plausibles und verwendungsfähiges Kriterium für seine Entscheidung an die Hand zu geben und zugleich einen externen Prüfungsmaßstab für die Richtigkeit dieser Entscheidung zu entwickeln, indem Inhalt und Grenzen der staatlichen Strafgewalt festgelegt werden.34 Für die Legitimation eines Straftatbestandes gilt nach weit verbreiteter Ansicht, dass nur in besonderem Maße sozial24
Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2/15; Otto, Grundkurs Strafrecht – Allgemeine Strafrechtslehre, I 1/32; Rudolphi, in: Dargebracht von Freunden und Kollegen (Hrsg.), Festschrift für Richard M. Honig, 1970, S. 151, 163. 25 Roxin, Strafrecht, allgemeiner Teil I, 2/7. 26 Ebenso Frister, Strafrecht Allgemeiner Teil, S. 35 f. m.w.N. in Fn. 26; vgl. auch Kudlich, JA 2010, 681 m.w.N. in Fn. 1; Rönnau, JuS 2009, 209 f. 27 So z. B. LK/Weigend, Einl. Rn. 7; vgl. zur Leistungsfähigkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zur Begrenzung staatlicher Gewalt auch Weigend, in: Weigend/Küpper (Hrsg.), Festschrift für Hans Joachim Hirsch zum 70. Geburtstag, 1999, S. 917 ff., insb. S. 925. 28 Vgl. auch LK/Walter, Vor. § 13 Rn. 8. 29 S/S/Eisele, Vor. § 13 Rn. 9a; vgl. aber auch BVerfGE 120, 242, die Leistungsfähigkeit insoweit offen lassend. 30 Ähnlich S/S/Eisele, Vor. § 13 Rn. 9a. 31 Vgl. NK/Hassemer/Neumann, Vor. § 1 Rn. 113. 32 S/S/Eisele, Vor. § 13 Rn. 10. 33 Kritisch etwa Hefendehl, GA 2002, 21, 28; Stuckenberg, GA 2011, 653, 659. 34 NK/Hassemer/Neumann, Vor. § 1 Rn. 115.
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schädliches Verhalten zu bestrafen ist und dass deshalb nur die „elementaren und eindeutig substantiierbaren Lebensinteressen des Einzelnen oder der Gesellschaft in den Rang strafrechtlich geschützter Rechtsgüter erhoben werden dürfen“35 ; vor diesem Hintergrund wird angezweifelt, ob Gefühle, unmoralische Verhaltensweisen oder solche Verhaltensweisen, die gesellschaftliche Tabus brechen und zu „keiner Rechtsgutsverletzung führen“36, eine Strafbarkeit rechtfertigen können.37 Der Erkenntnisgewinn dieser allgemeinen Maxime ist jedoch angesichts immer komplexerer Lebenssachverhalte und sich rasch wandelnder Wertvorstellungen in der Gesellschaft begrenzt. Letztlich wird sich praktisch für jeden Straftatbestand irgendein Rechtsgut formulieren lassen, ohne dass für Legitimations-, Sach- oder Auslegungsfragen hierdurch viel gewonnen wäre; dies gilt insbesondere für Kollektivrechtsgüter. Die Schwächen der Rechtsgutslehre fasste Heiko Maas in seinem Eröffnungsvortrag38 der 36. Strafrechtslehrertagung 2015 in Augsburg39 in drei wesentlichen Punkten zusammen: Erstens beruhe die Rechtsgutstheorie auf der Annahme überpositiver, dem Staat vorgegebener Rechtsgüter, die im Detail größte Schwierigkeiten aufweisen.40 Zweitens stelle sich die Frage, wer legitimiert sei, diese überpositiven Rechtsgüter zu definieren, so dass die Rechtsgutslehre an einem Demokratiedefizit leide.41 Drittens gehe die Rechtsgutstheorie von einer Homogenität der Auffassungen aus, die es in einer modernen pluralistischen Gesellschaft so nicht mehr gebe.42 Doch auch aus der Werteordnung der Verfassung können vielfach nicht hinreichend sichere Aussagen darüber entnommen werden, welche der in ihr enthaltenen Werte mit den Mitteln des Strafrechts geschützt werden dürfen oder müssen, so dass sie insgesamt als Erkenntnisquelle nur von begrenztem Wert ist.43 Das BVerfG misst die Strafgesetze traditionell am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und am Übermaßverbot. Die Strafnorm muss einen prinzipiell legitimen Zweck verfolgen und ge35
Beispielhaft für viele: S/S/Eisele, Vor. § 13 Rn. 10. Die Gefahr eines Zirkelschlusses ist hier evident. 37 Vgl. hierzu insbesondere Hörnle, Grob anstössiges Verhalten, S. 52 ff., 108 ff.; Kühl, in: Hilgendorf (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Heinz zum 70. Geburtstag, 2012, S. 766, 776; Roxin, Strafrecht, allgemeiner Teil I, 2/17; Sternberg-Lieben, in: Hefendehl/Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, 2003, S. 65, 74. 38 Maas, NStZ 2015, 305 ff. 39 Umfassend dazu Brodowski, ZStW 2015, 691 ff. 40 Z. B. die Frage, warum der private Schusswaffenbesitz in einem Land weitgehend kriminalisiert, in einem anderen Land quasi ein Grundrecht sei, Maas, NStZ 2015, 305, 306. 41 Nach Ansicht von Appel kommt der strafrechtlichen Rechtsgutslehre in einem demokratischen Verfassungsstaat keine systemkritische Bedeutung zu; auch ist die politische Entscheidung über eine Strafbewehrung nicht durch verfassungsrechtliche Deduktion zu treffen sondern in einem offenen Prozess demokratischer Willensbildung, Appel, Verfassung und Strafe, S. 390, 597. 42 Maas, NStZ 2015, 305, 306. 43 Eser, in: Immenga (Hrsg.), Festschrift für Ernst-Joachim Mestmäcker, 1996, S. 1005, 1019; LK/Walter, Vor. § 13, Rn. 9; S/S/Eisele, Vor. § 13, Rn. 10. 36
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eignet sein, dessen Schutz zu bewirken; die Norm muss dafür erforderlich sein, so dass kein milderes ebenso geeignetes Mittel gegeben sein darf, und sie muss verhältnismäßig im engeren Sinne sein, d. h. zwischen Normzweck einerseits und der Belastungswirkung beim Täter (Freiheits- oder Geldstrafe) andererseits muss unter Berücksichtigung von Gewicht und Bedeutung der jeweiligen Rechtsgüter ein ausgewogenes Verhältnis bestehen.44 Die Bestrafung (insb. die Freiheitsstrafe) ist je nach dem Gewicht der betroffenen Rechtsgüter und der Intensität ihrer Betroffenheit abzustufen.45 Aufgrund der Belastung für den Täter ist das Strafrecht als letztes Mittel (ultima ratio) zu verwenden; sein sparsamer Einsatz ist aber auch im Sinne effizienter Verhaltenssteuerung geboten, da die Strafe anderenfalls durch inflationären Gebrauch ihre soziale und individuelle Wirkung verlöre.46 Welcher legitime Zweck gerade strafrechtlich schutzwürdig und schutzbedürftig ist, hängt von der Situation und den jeweils vorhandenen Bedürfnissen einer Gesellschaft ab47, und lässt sich nicht so eindeutig aus der Verfassung entnehmen.48 Das BVerfG überlässt diese Entscheidung dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber: „Es ist aber grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, den Bereich strafbaren Handelns verbindlich festzulegen. Er ist bei der Entscheidung, ob er ein bestimmtes Rechtsgut, dessen Schutz ihm wesentlich erscheint, gerade mit den Mitteln des Strafrechts verteidigen und wie er dies gegebenenfalls tun will, grundsätzlich frei“.49 Die Bedeutung der Rechtsgutslehre für die Legitimation von Straftatbeständen wurde vom BVerfG in Frage gestellt.50 So führt der 2. Senat des BVerfG aus: „Strafnormen unterliegen von Verfassungs wegen keinen darüber hinausgehenden, strengeren Anforderungen hinsichtlich der mit ihnen verfolgten Zwecke. Insbesondere lassen sich solche nicht aus der strafrechtlichen Rechtsgutslehre ableiten. (…) Versteht man im Sinne eines normativen Rechtsgutsbegriffs unter „Rechtsgut“ das, was der Gesetzgeber ausweislich des geltenden Rechts als rechtlich schützenswert betrachtet, reduziert sich der Begriff darauf, die ratio legis der jeweiligen Strafnorm auszudrücken; er kann dann eine Leitfunktion für den Gesetzgeber nicht übernehmen. Will man hingegen mit einer „naturalistischen“ Rechtsgutstheorie als legitime Rechtsgüter nur bestimmte „Gegebenheiten des sozialen Lebens“ anerkennen oder in anderer Weise von einem überpositiven Rechtsgutsbegriff ausgehen, so gerät ein solches Konzept – verstanden und angewendet als Element des verfassungsrechtlichen Prüfungsmaß44
Maunz/Dürig/Di Fabio, GG Art. 2 Rn. 41. Maunz/Dürig/Di Fabio, GG Art. 2 Rn. 41. 46 LK/Weigend, Einl. Rn. 1; vgl. auch NK/Hassemer/Neumann, Vor § 1 Rn. 72, 81, 110 ff. 47 LK/Weigend, Einl. Rn. 2; NK/Hassemer/Neumann, Vor § 1 Rn. 89 ff. 48 Z. B. könne man das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung aus dem Grundgesetz herauslesen, doch sei die Frage, ob Vergewaltigung nur außerhalb oder auch innerhalb der Ehe strafbar sein soll, lange Zeit umstritten gewesen, Maas, NStZ 2015, 305, 306. 49 BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 2008 – 2 BvR 392/07 –, BVerfGE 120, 224 – 273, Rn. 35 (im Folgenden BVerfGE 120, 224 – 273); BVerfGE 23, 133; 50, 162; s. auch Appel, Verfassung und Strafe, S. 177. 50 BVerfGE 120, 241 f.; ferner EGMR FamRZ 2012, S. 937. 45
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stabs – in Widerspruch dazu, dass es nach der grundgesetzlichen Ordnung Sache des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ist, ebenso wie die Strafzwecke auch die mit den Mitteln des Strafrechts zu schützenden Güter festzulegen und die Strafnormen gesellschaftlichen Entwicklungen anzupassen. Diese Befugnis kann nicht unter Berufung auf angeblich vorfindliche oder durch Instanzen jenseits des Gesetzgebers „anerkannte“ Rechtsgüter eingeengt werden.“51 Ob der vom BVerfG favorisierte Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in Bezug auf die Leistungsfähigkeit bei der Bestimmung des Bereichs des Strafbaren der Rechtsgutslehre vorzuziehen ist, wird in der Strafrechtsliteratur angezweifelt.52 Die Kritik betrifft insbesondere einen bestimmten – in der Entscheidung des BVerfG zumindest indirekt angesprochenen – problematischen Aspekt: Obwohl das BVerfG eine Stellungnahme zu der Frage tunlichst vermeiden wollte, ob auch bloße Moralvorstellungen einen legitimen Zweck für die Inkriminierung eines bestimmten Verhaltens darstellen können, ist doch im Ergebnis herauszulesen, dass es dies grundsätzlich für möglich hält; denn wenn auf eine „kulturhistorisch begründete, nach wie vor wirkkräftige gesellschaftliche Überzeugung von der Strafwürdigkeit“53 abgestellt wird, läuft dies auf den Schutz von bloßen Moralvorstellungen hinaus.54 Die Entscheidung hat deutliche Kritik hervorgerufen. Noltenius etwa beanstandet, es sei „nicht nachzuvollziehen, warum die Senatsmehrheit zunächst das Strafrecht abstrakt als ultima ratio des Rechtsgüterschutzes bezeichnet (…), vier Absätze später aber erklärt, dass sich aus der strafrechtlichen Rechtsgutslehre keine Anforderungen für Strafrechtsnormen ableiten ließen (…).“55 Denn, so Roxin, das Gericht habe zuvor einen inhaltlich hinreichend konkreten Rechtsgutsbegriff selbst aufgestellt, indem es dem Strafrecht die Aufgabe zuweise, Verhaltensweisen zu verhindern, die „in besonderer Weise sozialschädlich und für das geordnete Zusammenleben der Menschen unerträglich“56 sind. Verhaltensweisen dieser Art seien Rechtsgutsverletzungen, so dass sich der Begriff des Rechtsgutes positiv dahin umschreiben ließe, dass die Voraussetzungen eines freien und friedlichen Zusammenlebens der Menschen im Staatsverband als Rechtsgüter zu bezeichnen seien.57 Auch Kühl spricht davon, dass das BVerfG sich an einer Stelle sogar ausdrücklich zum „Rechtsgüterschutz“ durch das Strafrecht bekenne.58 Das müsse es schon deshalb, weil auch nach dem vom BVerfG favorisierten Verhältnismäßigkeitsprinzip nach Schutzgütern gesucht wer51
BVerfGE 120, 242. Vgl. etwa Kühl, in: Hilgendorf (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Heinz zum 70. Geburtstag, 2012, S. 766, 768. 53 BVerfGE 120, 248 f. 54 BVerfGE 120, 248 f.; ähnlich Stuckenberg, GA 2011, 653, 659; dagegen Sondervotum Hassemer BVerfGE 120, 257 f.; Greco, ZIS 2008, 234, 235; Roxin, StV 2009, 544, 545, 548 f. 55 Noltenius, ZJS 2009, 15, 17. 56 BVerfGE 120, 239, 240. 57 Roxin, StV 2009, 544, 545. 58 Kühl, in: Hilgendorf (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Heinz zum 70. Geburtstag, 2012, S. 766, 769. 52
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den müsse, die den Eingriff in die Freiheit der von der Strafvorschrift Betroffenen als verhältnismäßig erscheinen lassen.59 Ebenfalls meint Kühl, in dem vom BVerfG aufgestellten Kriterium der Sozialschädlichkeit sei letztlich wieder eine Verbindung zum Rechtsgüterschutz herzustellen, weil der Begriff der Sozialschädlichkeit um seiner Bestimmtheit willen nur als Verletzung bzw. Gefährdung von Rechtsgütern verstanden werden könne.60 Als besonders problematisch wird jedoch die Ansicht empfunden, auch die Bestrafung bloßer Moralvorstellungen sei möglich.61 Richtig an der Entscheidung des BVerfG ist, dass der Gesetzgeber nicht durch „aus der Luft gegriffene“ vorpositive Wertungen gebunden sein kann62, sondern diese jedenfalls verfassungsrechtlichen Rückhalt haben müssen. Dieser Rückhalt ist anerkannt in dem Sinne, dass der strafrechtliche Schutz nur solcher Güter legitimiert sein kann, die verfassungsrechtlich ableitbar sind63 oder zumindest den grundgesetzlichen Wertentscheidungen nicht zuwiderlaufen.64 Auf die maßgebliche Frage, wie die verfassungsrechtlich geschützten Güter zu definieren sind, die strafrechtlichen Schutz brauchen und verdienen, ist noch einzugehen.65 Bei der Frage, welche Zwecke mit der Strafgesetzgebung verfolgt werden dürfen oder müssen und wie der strafrechtliche Schutzbereich auszugestalten ist, sollen Rechtsgutslehre und verfassungsrechtliche Anforderungen ineinandergreifen und sich wechselseitig ergänzen66 : im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung wird festgestellt, ob es für den beabsichtigten strafrechtlichen Schutz einen legitimen Zweck gibt, ob die angestrebte „Lösung“ ggfs. geeignet ist, diesen Schutz zu bieten, ob sie auch erforderlich ist und schließlich, ob sich die angestrebte Kriminalisierung nicht als unverhältnismäßig erweist (z. B. gegen das Übermaßverbot verstößt); damit setzt das Verhältnismäßigkeitsprinzip als Bezugspunkt ein zu schützendes Gut voraus, wofür die Rechtsgutslehre Anhaltspunkte liefern kann, ohne dass damit das Ergebnis der verfassungsrechtlichen 59
Kühl, JA 2009, 833, 838. Kühl, in: Hilgendorf (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Heinz zum 70. Geburtstag, 2012, S. 766, 769; ähnlich NK/Hassemer/Neumann, Vor § 1 Rn. 108. 61 Vgl. hierzu eingehend Hörnle, Grob anstössiges Verhalten, S. 56 ff.; Roxin, StV 2009, 544 ff.; Greco, ZIS 2008, 234 ff.; Kühl, in: Hilgendorf (Hrsg.), Festschrift für Wolfgang Heinz zum 70. Geburtstag, 2012, S. 766, 771 – 774; Amelung, Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, S. 346 f.; Hassemer, Theorie und Soziologie des Verbrechens, S. 147 ff., 153; Stratenwerth, in: Eser (Hrsg.), Festschrift für Theodor Lenckner zum 70. Geburtstag, 1998, S. 377, 389 f. 62 Bereits Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 145 ff., 536 f.; so auch S/S/Eisele, Vor. § 13 Rn. 10a. 63 Eser, in: Immenga (Hrsg.), Festschrift für Ernst-Joachim Mestmäcker, 1996, S. 1005, 1019. 64 Vgl. Roxin, Strafrecht, allgemeiner Teil I, 2/13. 65 Siehe unter B. II. 66 Ähnlich auch Hassemer, in: Hefendehl/Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, 2003, S. 57, 59; Roxin, Strafrecht, allgemeiner Teil I, 2/92 ff.; Hefendehl, GA 2007, 1, 14; vgl. ausführliche Kritik bei Engländer, ZStW 2015, 616 ff., 633 f. 60
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Prüfung vorgegeben wäre.67 Im Wechselspiel kann aber auch die Verfassung für die Frage der Wertigkeit eines Rechtsgutes wichtige Anhaltspunkte liefern68, wobei es z. B. einer Verletzung eines Verfassungsguts nicht zwingend bedarf, sondern schon eine Gefährdung ausreichend ist.69 Es ist also eine Doppelfunktion des geschützten Rechtsguts anzuerkennen, nämlich einerseits die Rechtfertigung staatlicher Strafe als Element des Verhältnismäßigkeitsprinzips, andererseits die Lösung von Auslegungsfragen, die der jeweilige Straftatbestand aufwirft.
2. Ausgangsthese Auch wenn die gesetzliche Überschrift und die Gesetzesmaterialien des 15. Abschnitts des StGB die dort geschützten Rechtsgüter nicht in der Genauigkeit darstellen, die für eine trennscharfe Abgrenzung nach der ratio der Norm notwendig wäre, sollen sie als Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen dienen. Der Gesetzgeber wählte den Titel „Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs“. Damit verwendete er teils dem Gesetz bereits bekannte Termini (der in § 68a Abs. 1 StPO und § 171b Abs. 1 GVG zu findende „persönliche Lebensbereich“), teils neue (persönlicher Geheimbereich). Dabei sollen der persönliche Lebensbereich und der persönliche Geheimbereich zwei unterschiedliche, gleichwohl ineinander übergehende Schutzbereiche innerhalb der Privatsphäre darstellen.70 Dem in den Gesetzesmaterialien zum 15. Abschnitt angesprochenen Art. 8 EMRK lässt sich ein Schutz der Privatsphäre entnehmen, wobei das Verständnis dieses Begriffs weitgehend dem deutschen entspricht.71 Geschützt sind die physische und psychische Integrität einer Person durch Achtung des Privat- und Familienlebens, der Wohnung und der Korrespondenz72, die Identität der Person bezogen auf den Namen73, das Sexualleben, körperliche und geistige Gesundheit74 sowie das Recht am eigenen Bild75. Ebenso wird das Recht auf Entfaltung der eigenen Persönlichkeit und sozialer Beziehungen mit anderen Menschen76 geschützt. Grundlage 67 Greco, ZIS 2008, 234, 238; Hassemer, in: Hefendehl/Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, 2003, S. 57, 60; Hefendehl, GA 2007, 1, 5 f., 14; Roxin, Strafrecht, allgemeiner Teil I, 2/92; ders., StV 2009, 544, 549. 68 BVerfGE 27, 29; Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht, allgemeiner Teil, 2/16. 69 BVerfGE 90, 173 ff.; 120 240. 70 BR-Drs. 200/62, S. 326. 71 Vgl. Safferling MLR 2008, 36. 72 EGMR Marckx/Belgien v. 13. 6. 1979, Serie A Nr. 31. 73 EGMR Burghartz/Schweiz v. 22. 2. 1994, Serie A, Nr. 280, § 24. 74 EGMR Bensaid/Vereinigtes Königreich v. 6. 2. 2001, Slg 2001-I Nr. 47, §§ 43 – 49. 75 EGMR Caroline von Hannover/Deutschland (Nr. 1) v. 24. 6. 2004, Slg 04-VI, NJW 2004, 2647; EGMR Caroline von Hannover/Deutschland (Nr. 2) v. 7. 2. 2012, Slg 12; EGMR Caroline von Hannover/Deutschland (Nr. 3) v. 19. 9. 2013 – 8772/10. 76 EGMR P.G. u. J.H./Vereinigtes Königreich v. 25. 9. 2001, Slg 01-IX Rn. 56.
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für die Auslegung des Grundrechts ist das Leitbild personaler Selbstbestimmung.77 Anders jedoch als in der deutschen Rechtsprechung enthält der Schutzbereich der Privatsphäre durch den EGMR ein objektivierendes Moment, indem der Schutz des Privatlebens nur zum Tragen kommen soll, wenn der Rechtsgutsträger eine „berechtigte Erwartung“ dahingehend hat, dass sein Privatleben respektiert wird.78 Diese Voraussetzung ist anhand der räumlichen Abgeschiedenheit einerseits und der Art der Tätigkeit andererseits zu ermitteln; die Folge ist ein weit über den räumlich abgrenzbaren häuslichen Bereich hinausreichender Persönlichkeitsschutz.79 Aus Art. 8 EMRK ergeben sich positive und negative Pflichten des Staates80; einerseits darf der Staat nicht in die Rechte der Bürger eingreifen, sofern nicht die Ausnahmen des Abs. 2 vorliegen, andererseits ist der Staat verpflichtet, Maßnahmen zu treffen, um die Achtung des Privat- und Familienlebens zu gewährleisten. Insofern kann eine Rechtsverletzung auch in einem Nichtstun der staatlichen Organe bestehen.81 Schützende Maßnahmen sind auch im Verhältnis zwischen Privatpersonen untereinander zu ergreifen, wozu z. B. auch der Schutz des Rechts am eigenen Bild gegen Missbrauch durch Dritte gehört82. Die Pflicht zum Erlass von Strafgesetzen83, die das Begehen schwerer Straftaten gegen in Art. 8 geschützte Werte verhindern, kann sich also als Schutzauftrag aus der EMRK ergeben, wenn grundlegende Werte und wesentliche Aspekte des Privatlebens betroffen sind.84 Ein Beispiel hierfür ist etwa eine Entscheidung des EGMR zum Anspruch auf strafrechtlichen Schutz bei Sexualdelikten gegen geistig behinderte Minderjährige.85 Es wurde festgestellt, dass der Schutz Minderjähriger gegenüber sexuellen Vergehen allein durch zivilrechtliche Vorschriften den Anforderungen des Art. 8 EMRK nicht genüge, weil die Privatsphäre des Individuums gegen Eingriffe im Sexualbereich wirksam nur durch das Vorhandensein von Strafvorschriften geschützt werden könne; das Fehlen von entsprechenden strafrechtlichen Vorschriften stelle trotz des insoweit konzedierten Ermessensspielraums der Staaten eine Verletzung der Konvention dar.86 Auch im Falle „K.U./
77 Zum Ganzen EGMR 12. 6. 2003 – 35968/97 (van Kück) – Rn. 69 (m.w.N.); Boecken/ Düwell/Diller/Hanau/Sagan, Gesamtes Arbeitsrecht Art. 8 EMRK Rn. 1. 78 EGMR Halford/Vereinigtes Königreich v. 25. 6. 1997, Slg 1997-III, §§ 44 – 46. 79 Safferling MLR 2008, 38. 80 EGMR, Urteil vom 24. 06. 2004 – 59320/00, NVwZ 2004, 1465, „Caroline von Monaco“. 81 Meyer-Ladewig/Mayer-Ladewig, Art. 8 EMRK Rn. 2. 82 EGMR, Urteil vom 24. 06. 2004 – 59320/00, NVwZ 2004, 1465, „Caroline von Monaco“. 83 Allgemein entschieden in EGMR, Urteil vom 19. 04. 2012 – 49382/6, Saso Gorgiev v. „The Former Yugoslaw Republic of Macedonia“. 84 Meyer-Ladewig/Mayer-Ladewig, Art. 8 EMRK Rn. 4, 5. 85 EGMR, Urteil vom 26 – 03 – 1985 – 16/1983/72/110 X und Y/Niederlande, Ser. A Nr. 91 = EuGRZ 1985, S. 297; vgl. zu Schutzpflichten der EMRK Suerbaum, EuR 2003, 390 ff. 86 EGMR, Urteil vom 26 – 03 – 1985 – 16/1983/72/110 X und Y/Niederlande, Ser. A Nr. 91 = EuGRZ 1985, S. 297 ff.
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Finnland“87 ging es um die Frage, welche Maßnahmen der Staat ergreifen muss, um ein Vorgehen gegen den Täter zu ermöglichen. Der Staat muss außerdem dafür sorgen, dass im Falle einer Verletzung strafrechtliche Vorschriften durch wirksame Ermittlungen und ein wirksames Strafverfahren durchgesetzt werden.88 Aus den in der Gesetzesbegründung genannten Grundrechten in Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 GG wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht abgeleitet. Art. 1 und 2 GG sind in „erster Linie individuelle Rechte, Menschen- und Bürgerrechte, die den Schutz konkreter, besonders gefährdeter Bereiche menschlicher Freiheit gegen den Staat zum Gegenstand haben“.89 Diese „klassische“ Grundrechtsfunktion prägt zwar bis heute das Verständnis der Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, ist aber um weitere Funktionen und Bedeutungsgehalte ergänzt worden, namentlich die sog. Schutzpflichten.90 Es wird überwiegend gefolgert, dass der Staat bei der Normsetzung ebenso wie bei der Rechtsanwendung im Falle von Auslegungs- und Ermessensspielräumen gehalten ist, auch zu Lasten Dritter für ein ausreichendes Maß an positivem Schutz des Grundrechtsträgers zu sorgen.91 Als Anwendungsfall derartiger Schutzpflichten zu Lasten Dritter kann etwa der Erlass des § 240 StGB gesehen werden, eine Vorschrift, die bestimmte Beeinträchtigungen des Rechts zu tun und zu lassen, was man will, strafrechtlich sanktioniert.92 Für bestimmte Fälle kann die Bestrafung von Verfassungs wegen geboten sein; man spricht von einem sog. „Untermaßverbot“.93 Doch greift dieses nur in besonders gravierenden Fällen ein, wenn die öffentliche Gewalt keine oder offensichtlich ganz ungeeignete oder völlig unzulängliche Maßnahmen zur Erreichung des Schutzziels trifft.94 Hierbei wird dem Gesetzgeber jedoch ein weiter Ermessensspielraum gelassen.95 Angesichts der Gesetzesmaterialien ist die Ausgangsthese zugrunde zu legen, dass der 15. Abschnitt des StGB dem sich aus Art. 1 und 2 GG und Art. 8 EMRK ergebenden Bestreben des Staates dient, Persönlichkeitsbereiche des Menschen zu schützen, die sich in weiten Teilen mit dem Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts decken.96 Inhalt und Grenzen des Persönlichkeitsschutzes lassen
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EGMR, Zulässigkeitsentscheidung v. 27. 6. 2006 – K.U./Finnland (der finnische Staat sah keine rechtliche Grundlage, eine Partnervermittlung zur Preisgabe der unproblematisch technisch feststellbaren Daten eines Anzeigenaufgebers zu zwingen). 88 EGMR v. 4. 12. 2003, 39272/98 Nr. 152, 153, Slg. 03-XII – C./Bulgarien: Verletzung, weil eine Bestrafung der Vergewaltigung den Nachweis körperlichen Widerstands voraussetzt. 89 BVerfGE 50, 290, 337 = NJW 1979, 699. 90 BVerfGE 39, 1, 42; 88, 203, 251 f.; Epping/Hillgruber/Lang, GG Art. 2 Rn. 27. 91 Maunz/Dürig/Di Fabio, GG Art. 2 Rn. 61. 92 Epping/Hillgruber/Lang, GG Art. 2 Rn. 27. 93 MüKo-StGB/Joecks, Einl. Rn. 19; Sachs/Sachs, GG Vor Art. 1 Rn. 36. 94 Sachs/Sachs, GG Vor Art. 1 Rn. 36; vgl. BVerfGE 56, 54, 80 ff.; 79, 174, 202; 92, 26, 46. 95 BVerfGE 115, 118, 159. 96 Siehe auch Maurach/Schroeder/Maiwald, Besonderer Teil I, § 29 I Rn. 3.
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sich jedoch kaum definieren97, was durch die teils unterschiedlichen Definitionen und Funktionen in Literatur und Rechtsprechung der jeweiligen Rechtsgebiete noch erschwert wird. Z. B. ist es zivilrechtlichen Entscheidungen zufolge Zweck des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, den Einzelnen vor der Gefährdung seiner immateriellen Integrität und Selbstbestimmung zu schützen und ihm einen „autonomen Bereich eigener Lebensgestaltung zuzugestehen, in dem er seine Individualität unter Ausschluss anderer entwickeln und wahrnehmen“98 kann. Der Persönlichkeitsschutz soll danach eine Doppelwirkung entfalten; zum einen in statischer Hinsicht in dem Recht, in Ruhe gelassen zu werden99, zum anderen in dynamischer Hinsicht in dem Recht auf freie Entfaltungsmöglichkeiten und aktive Handlungs- und Entschließungsfreiheit.100 Im Bereich des öffentlichen Rechts hinsichtlich der Rechtfertigung staatlicher Eingriffe versuchte man, das wenig griffige allgemeine Persönlichkeitsrecht mithilfe verschiedener Sphärentheorien in voneinander abgrenzbare Bereiche bzw. Sphären zu gliedern. In dogmatischer Hinsicht sind hierbei zwei unterschiedliche Schutzbereiche ausgearbeitet worden; einerseits ein unantastbarer Kernbereich privater Lebensgestaltung, der jedem fremden Zugriff absolut entzogen sei101, andererseits ein nur relativ geschützter „Abwägungsbereich“, in dem der Bürger einen Sozialbezug herstelle und in den der Staat unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eingreifen dürfe.102 Aus der Sphärentheorie, die Anhaltspunkte dafür geben soll, wann ein staatlicher Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht gerechtfertigt sein kann, lässt sich funktional jedoch für die hier relevante Frage, wie der Schutzbereich zu definieren ist und welche Ausprägungen strafrechtlich schutzwürdig sind, nur ableiten, dass eine Pflicht zur Strafbewehrung bei Eingriffen in die Intimsphäre näher liegt als bei Eingriffen in die Privatsphäre. Problemschwerpunkt ist also zunächst die Definition des Schutzbereichs des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Erst nach einer allgemeinen Darstellung ist es möglich, die strafrechtlich relevanten Schutzgüter aus der „amorphen Masse“103 des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu destillieren. Dann stellt sich die weitere Frage, ob der Gesetzgeber diese Bereiche durch Schaffung der §§ 201 ff. StGB hinreichend geschützt hat. Dazu soll vorab geklärt werden, ob manche Strafnormen des 15. Abschnitts nicht überwiegend ein Kollektivrechtsgut schützen.104 97 Götting, in: Götting/Schertz/Seitz (Hrsg.), Handbuch des Persönlichkeitsrechts, 2008, § 1 Rn. 2. 98 BGHZ 131, 332, 337. 99 BGHZ 106, 229. 100 BGHZ 26, 349; vgl. auch BVerfGE 49, 286, 298. 101 LK/Schünemann, Vor § 201 Rn. 2 m.w.N. in Fn. 2. 102 LK/Schünemann, Vor § 201 Rn. 2 m.w.N. in Fn. 3. 103 Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts Besonderer Teil Halbbd. 2, § 80 III 1. a). 104 So z. B. L/Kühl, § 206 Rn. 1; Tröndle/Fischer, § 206 Rn. 1; Maurach/Schroeder/Maiwald, Besonderer Teil I, § 29 I Rn. 4, „doppelte Schutzrichtung“; Maiwald, JuS 1977, 353, 362; so noch S/S/Lenckner, § 203 Rn. 3, in der 27. Auflage (mittlerweile auch das Individualinteresse als primär geschützt ansehend in S/S/Lenckner/Eisele, § 203 Rn. 3, 29. Auflage).
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3. Verfassungsrechtlicher Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und dessen strafrechtliche Relevanz Deduktiv soll nun zunächst ein Überblick über den Schutzumfang des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gegeben werden, um sodann Ausprägungen desselben zu bestimmen, deren Verletzung strafwürdig und strafbedürftig ist. a) Ursprung und Dogmatik des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wurde erstmalig in der „Leserbrief“ – Entscheidung vom BGH105 und kurz darauf in der „Elfes“ – Entscheidung106 vom Bundesverfassungsgericht anerkannt. Das „unbenannte Freiheitsrecht“107 wird aus Art. 2 Abs. 1 GG (Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit) und Art. 1 Abs. 1 GG (Schutz der Menschenwürde) abgeleitet108, wobei Art. 1 Abs. 1 GG nicht als eigentlich betroffene Norm, sondern nur als objektive Leit- und Auslegungsrichtlinie fungiert.109 Durch die Bezugnahme auf Art. 1 Abs. 1 GG soll einerseits der Würde des Menschen als oberstes Konstitutionsprinzip Rechnung getragen, andererseits das allgemeine Persönlichkeitsrecht von der allgemeinen Handlungsfreiheit abgegrenzt werden.110 Art. 2 Abs. 1 GG schützt grundsätzlich die Freiheit, sich im Rahmen der Schranken so zu verhalten, wie man will; durch die Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG soll zugleich aber auch die Integrität der Persönlichkeit gewährleistet werden, so dass neben dem „aktiven“ Element der Persönlichkeitsentfaltung auch das „passive“ Element der Respektierung der Privatsphäre und des sozialen Geltungsanspruchs umfasst wird.111 Diese normative Konstruktion verdeutlicht aber auch, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht Verhaltensweisen schützt, die in einem engeren Bezug zur Menschenwürde stehen und die „personale Autonomie i.S. eines Integritätsschutzes sichern.“112 Zugleich macht die primäre Herleitung aus Art. 2 Abs. 1 GG deutlich, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht grundsätzlich einschränkbar bleibt.113 105
BGHZ 13, 334 = NJW 1954, 1404 – Leserbrief. BVerfGE 6, 32, 41 – Elfes; vgl. auch BVerfGE 27, 1, 6 f. – Mikrozensus. 107 Im Gegensatz hierzu zählen zu den benannten Freiheitsrechten etwa die Glaubens- und Gewissensfreiheit oder die Unverletzlichkeit der Wohnung. 108 BVerfGE 72, 155, 170; Münch/Kunig/Kunig, GG Art. 2 Rn. 30 ff. 109 Vesting, in: Götting/Schertz/Seitz (Hrsg.), Handbuch des Persönlichkeitsrechts, 2008, § 6 Rn. 1; Epping/Hillgruber/Lang, GG Art. 2 Rn. 33; Sachs/Murswiek, GG Art. 2 Rn. 63; Jarass/Pieroth/Jarass, GG Art. 2 Rn. 36: „primär Art. 2 Abs. 1, beeinflusst durch das Grundrecht des Art. 1 Abs. 1“. 110 BVerfGE 6, 32, 36 – Elfes; 54, 143, 144 – Taubenfütterung. 111 Sachs/Murswiek, GG Art. 2 Rn. 60. 112 Dreier/Dreier, GG Art. 2 I Rn. 69. 113 BVerfGE 80, 367, 373. 106
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b) Schutzbereichsbestimmung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Nach wie vor besteht in der Rechtswissenschaft kein Konsens hinsichtlich der genauen Abgrenzung der inhaltlichen Konturen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Eine Annäherung an den verfassungsrechtlichen Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts kann nur in Abgrenzung zum Zivilrecht114 gelingen, da es hier seine rechtsdogmatischen Wurzeln hat. Dabei muss man sich allerdings der Differenzen zum zivilrechtlichen Begriff des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bewusst bleiben115 : Nomenklatur und Dogmatik des (verfassungsrechtlichen) allgemeinen Persönlichkeitsrechts leiden darunter, dass sie im Zivilrecht entwickelt und in das Verfassungsrecht übertragen worden sind, ohne sie im Hinblick auf ihre Tauglichkeit oder Anpassungsbedürftigkeit für die besonderen Strukturen des Verfassungsrechts kritisch zu hinterfragen.116 Lange Zeit wurde ein übergesetzlicher allgemeiner Persönlichkeitsschutz etwa durch das Reichsgericht117 abgelehnt118, weil eine inhaltsabgrenzende und Verletzungen sichtbar machende „gegenständliche Verkörperung“119 fehle. Canaris erklärt in ähnlicher Weise, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht als sonstiges Recht i.S. des § 823 Abs. 1 BGB teleologisch und systematisch nicht in dessen ursprüngliche Konzeption passe.120 Ihm fehle in weiten Teilen die „sozialtypische Offenkundigkeit“, die für die in § 823 Abs. 1 BGB ausdrücklich genannten Rechte und Rechtsgüter wie Eigentum, Leben, Gesundheit usw. charakteristisch und grundsätzlich auch für die Bestimmung des Begriffs des „sonstigen Rechts“ maßgeblich seien. „Denn man kann sein Substrat nicht sehen, wie eine Sache oder den Körper eines Menschen, und es tritt im sozialen Leben auch nicht durchgängig mit derselben Offenkundigkeit in Erscheinung“ 121, wie z. B. das Namensrecht. Zudem sei ein soziales Zusammenleben als Interaktion und Kommunikation gar nicht anders möglich als durch Einwirkung auf fremde Persönlichkeitssphären, so dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht in ständigem Konflikt mit den Persönlichkeitsrechten anderer Menschen stehe und daher die Verwirklichung der eigenen Persönlichkeit die Beeinträchtigung anderer Menschen in ihrer Persönlichkeit gerade bedinge.122 114
Zum deliktsrechtlichen Schutz des Persönlichkeitsrechts Diederichsen, Jura 2008, 1 ff. Deutlich etwa BVerfG NJW 2006, 2409, 2450, verfassungsrechtliches und zivilrechtliches Persönlichkeitsrecht sind nicht identisch. 116 Epping/Hillgruber/Lang, GG Art. 2 Rn. 33. 117 RGZ 69, 401, 403 – Nietzsche Briefe; 79, 397 – Gemälde; 94, 1 – Briefgeheimnis. 118 Vgl. hierzu aber z. B. die österreichische Gesetzeslage, wonach schon vor mehr als 200 Jahren private Persönlichkeitsrechte anerkannt sind: Nach § 16 ABGB stehen jedem Menschen angeborene, durch die Vernunft einleuchtende Rechte zu, Koziol/Warzilek, Persönlichkeitsschutz gegenüber Massenmedien, S. 3. 119 RGZ 58, 24, 30 – Jute/Plüsch. 120 Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts Besonderer Teil Halbbd. 2, § 80 I 1, S. 491. 121 Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts Besonderer Teil Halbbd. 2, § 80 I 1, S. 491. 122 Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts Besonderer Teil Halbbd. 2, § 80 I 1, S. 491. 115
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Mit der bereits angesprochenen Leserbrief – Entscheidung123 erfolgte jedoch im Jahre 1954 die Anerkennung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in der Zivilrechtsprechung. Es wird umschrieben als einheitliches umfassendes subjektives Recht auf Achtung und Entfaltung der Persönlichkeit124, welches jedoch von „generalklauselartiger Weite und Unbestimmtheit“ geprägt und daher nur als „Rahmenrecht“ zu verstehen ist.125 Wann dieses Rahmenrecht verletzt ist und zu einem zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch führt, ist wegen der fehlenden gegenständlichen Verkörperung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts schwierig zu bestimmen, weil kein Tatbestand i.S. eines vertypten Unrechts vorliegt, dessen Verletzung die Rechtswidrigkeit indizieren könnte.126 Von der BGH-Rechtsprechung ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht etwa in seiner Ausprägung als Recht am eigenen Bild daher nur in einem Raum gegenständlicher Verkörperung anerkannt, der im Einzelfall im Wege einer Interessen- und Güterabwägung sorgfältig herauszuarbeiten ist.127 Geschützt werde die Befugnis einer Person, innerhalb eines objektiv zu bestimmenden und abzugrenzenden ideellen Raumes selbst zu bestimmen, ob und inwieweit Informationen über sie erhoben oder verbreitet werden dürfen und inwieweit ansonsten in die die Persönlichkeit berührenden Interessen eingegriffen werden dürfe, sofern dieser Raum als geschützter Bereich einer Person allgemein anerkannt und für den Eingreifenden objektiv erkennbar sei.128 Es gibt zahlreiche Versuche, diese stets durchzuführende Interessen- und Güterabwägung zu systematisieren und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht dadurch eine dogmatische Struktur zu verleihen. Die auf Hubmann129 zurückgehende Sphärentheorie ist ein dogmatisches Konstrukt zur Bestimmung, wann ein staatlicher Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht gerechtfertigt ist, und daher für die hier vorgenommene Untersuchung strafrechtsrelevanter Teilaspekte zu vernachlässigen. Die zivilrechtliche Betrachtung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vermag dogmatische und strukturelle Anhaltspunkte zu dessen Ursprung zu liefern. Gleichwohl ist zwischen dem „zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrecht“ und dem „verfassungsrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrecht“ zu unterscheiden130 : In zivilrechtlicher Hinsicht wird das Ziel verfolgt, Persönlichkeitsrechtsverletzungen mit Ansprüchen auf Unterlassen, Widerruf oder Schadensersatz zu begegnen, während der verfassungsrechtliche Schutzbereich Rückschlüsse auf strafrechtlich schutzwürdige Aspekte zulässt. Im Folgenden wird daher versucht, den
123 124 125 126 127 128 129 130
BGHZ 13, 334 – Leserbrief. Palandt/Sprau, § 823 Rn. 86. BGH ZUM 2004, 125; KG Berlin ZUM 2007, 475, 476; Ehmann, JuS 1997, 193. Ehmann, JuS 1997, 193, 195. Ehmann, JuS 1997, 193, 195. Ehmann, JuS 1997, 193, 196. Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, S. 320 ff. Sinngemäß Münch/Kunig/Kunig, GG Art. 2 Rn. 31.
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verfassungsrechtlichen Schutzbereich des Persönlichkeitsrechts durch Herausarbeitung der geschützten Interessen zu bestimmen.131 aa) Bestimmung des Schutzbereichs durch Bildung von Schutzinteressen Die Abgrenzung des Schutzbereiches des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wird durch dessen prinzipielle Entwicklungsoffenheit erschwert132 ; andererseits würde jedoch ein fixierter Schutzbereich der inhärenten Zwecksetzung dieser Gewährleistung zuwiderlaufen, weil dieses Rahmenrecht flexibel auf technische und gesellschaftliche Veränderungen reagieren können soll.133 Durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht sollen Elemente der Persönlichkeit gewährleistet werden, die nicht Gegenstand besonderer Freiheitsgarantien des Grundgesetzes sind, diesen aber in ihrer konstituierenden Bedeutung für die Persönlichkeit nicht nachstehen.134 Für diese Arbeit ist der Grundsatz besonders wichtig, dass Möglichkeit und reales Vorhandensein einer abgeschirmten Persönlichkeitssphäre Voraussetzung dafür sind, dass es die freie Entfaltung des Menschen in der Gesellschaft unabhängig vom Staat oder überhaupt von Dritten geben kann – denn ohne Intimität ist Sozialität im neuzeitlichen Sinne zum Scheitern verurteilt.135 Die vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht geschützte Privat- und Persönlichkeitssphäre betrifft die durch den Wortlaut von Art. 2 Abs. 1 GG ausdrücklich gewährleistete Persönlichkeitsentfaltung.136 Sie stellt sachlich einen „grundrechtlich abgeschirmten Bereich freier Entfaltung“ dar137, in dem eine herrschaftsfreie Entfaltung der Persönlichkeit, also Wahrnehmung unvermittelter Handlungsfreiheit gewährleistet wird. Der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts lässt sich als die Summe der in der Rechtsprechung entwickelten Aspekte des Persönlichkeitsrechts veranschaulichen. Zunächst ist die Fallgruppe der Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit138 zu nennen. Dem BVerfG139 zufolge kommt dem Einzelnen ein Selbstbestimmungsrecht hinsichtlich der Frage zu, wie er sich Dritten oder der Öffentlichkeit gegenüber darstellen will, was seinen sozialen Geltungsanspruch ausmachen soll und ob und inwieweit Dritte über seine Persönlichkeit verfügen dürfen, indem sie diese zum Gegenstand öffentlicher Erörterungen machen. Dabei zielt der Schutz der Darstellung, die der Einzelne von sich entworfen hat, auch nach außen, also gegen eine
131 132 133 134 135 136 137 138 139
So z. B. Martini, JA 2009, 839, 840 f. Vgl. BVerfG NJW 2008, 39, 41. Epping/Hillgruber/Lang, GG Art. 2 Rn. 34. Vgl. BVerfG NJW 2008, 822, 824; BVerfGE 99, 185, 193; 114, 339, 346. Maunz/Dürig/Di Fabio, GG Art. 2 Rn. 129 f. Maunz/Dürig/Di Fabio, GG Art. 2 Rn. 130. Degenhart, JuS 1992, 361, 368. Dreier/Dreier, GG Art. 2 I Rn. 71. BVerfGE 54, 148 – Eppler; 54, 208 217 ff.; 63, 131, 142.
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Verfälschung dieses Selbstbildes in der Öffentlichkeit.140 Unter den Aspekt der Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit fällt das Recht am eigenen Bild einschließlich des Verfügungsrechts über öffentliche Darstellungen der eigenen Person141 und das Recht am eigenen Wort142 etwa als Schutz gegen heimliche Tonbandaufnahmen143, gegen Abhören von Dienstgesprächen durch den Arbeitgeber144 oder gegen Unterschieben von nicht gemachten Äußerungen145. Auch der Schutz der sonstigen Selbstdarstellung nach außen wie das Recht auf Gegendarstellung eines in den Medien Betroffenen146 gehören zu dieser Fallgruppe. Die Behauptung einer Gruppenmitgliedschaft wird erfasst147, nicht aber z. B. ein Anspruch auf eine bestimmte Interpretation von Äußerungen148. Geschützt sind darüber hinaus der soziale Geltungsanspruch, die Ehre sowie das Recht, in Straf- und ähnlichen Verfahren nicht zur Selbstbezichtigung gezwungen zu werden149 und das Recht des Strafgefangenen auf Resozialisierung150, wobei letztgenannte Aspekte für den Zusammenhang dieser Arbeit irrelevant sind.151 Eine zweite Fallgruppe betrifft das Recht auf informationelle Selbstbestimmung; dieses hat das BVerfG als Reaktion auf die Gefahren der automatischen Datenverarbeitung im Volkszählungsurteil aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitet.152 Hierunter versteht das BVerfG die Befugnis des Einzelnen, selbst zu entscheiden, wann und wem er zu welchem Zweck personenbezogene Daten offenbart.153 Um einen wesentlichen technischen Aspekt wurde dieses Grundrecht durch die ebenfalls aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitete „Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme“154 angereichert. Dieses ist bei einem Eingriff in Systeme anzuwenden, die allein oder in ihren technischen Vernetzungen personenbezogene Daten des Betroffenen in einem 140
Peglau, Der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch das Strafrecht, S. 12; Kraenz, Der strafrechtliche Schutz des Persönlichkeitsrechts, S. 56. 141 BVerfGE 35, 202, 220. 142 BVerfGE 54, 148, 155. 143 BVerfGE 34, 238, 246. 144 BVerfG NJW 1992, 815. 145 BVerfGE 54, 208, 217 f. 146 BVerfGE 63, 131, 142 f. 147 BVerfGE 99, 185, 194. 148 BVerfGE 82, 236, 269. 149 BVerfGE 38, 105, 114 f. 150 BVerfGE 35, 202, 235 ff. – Lebach. 151 Vgl. zu der Bedeutung des Beleidigungsdelikte für den strafrechtlichen Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts z. B. Peglau, Der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch das Strafrecht, S. 83 ff. 152 Grundlegend BVerfG v. 15. 12. 1983 – 1 BvR 209, 269, 362, 420, 440, 484/83, BVerfGE 65, 1, 41 ff. = NJW 1984, 419. 153 VerfGE 65, 1, 43 – Volkszählung. 154 BVerfG Urteil vom 27. 02. 2008, 1 BvR 370/07 Rn. 181.
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Umfang und in einer Vielfalt enthalten könnten, dass ein Zugriff auf das System einen Einblick in wesentliche Teile der Lebensgestaltung einer Person ermöglicht.155 Danach ist die heimliche Infiltration eines Computers auch auf gesetzlicher Grundlage nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut bestehen. Datenschutz und informationelles Selbstbestimmungsrecht dienen dem Schutz der Persönlichkeit vor den Gefahren des Missbrauchs der Datenverarbeitung, so dass der Geltungsbereich dieser Grundrechtsausprägungen auf personenbezogene Daten beschränkt ist.156 Im Volkszählungsurteil vom 15. 12. 1983157 hat das Bundesverfassungsgericht gleichwohl anerkannt, dass es in datenschutzrechtlicher Hinsicht kein belangloses Datum mehr gebe, weil auch an sich völlig „harmlose“ Daten für die Privatsphäre des Individuums gefährlich werden könnten. Erforderlich ist lediglich, dass die Personen, auf die sich die Daten beziehen, „bestimmbar“ sind.158 Ob es sich also um „sensible“ oder „private“ Daten handelt, ist unerheblich.159 Es wird hierbei deutlich, dass die Übergänge zum Recht auf Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit fließend sind, weil unter den Aspekt der informationellen Selbstbestimmung auch das Recht am eigenen Bild und eigenen Wort gefasst werden kann: Ein Personenbildnis kann ebenso wie eine Sprachaufzeichnung als eine personenbezogene160 Information aufgefasst werden, die auf einem Datenträger gespeichert ist und in Verknüpfung mit anderen Daten Rückschlüsse auf den Lebensweg und die Persönlichkeit des Grundrechtsträgers zulässt.161 Da es sich hierbei um Verfassungsrechtsgüter handelt, die anders als Strafrechtsgüter weitflächiger sein können und vom Postulat des Art. 103 Abs. 2 GG befreit sind162, bedarf es hier nicht zwingend einer Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen dem informationellen Selbstbestimmungsrecht und dem Recht am eigenen Bild oder Wort. Es genügt zunächst die Erkenntnis, dass die Strafrechtsgüter der §§ 201 und 201a StGB auf den genannten Verfassungsrechtsgütern fußen können. Als dritte Fallgruppe ist die Selbstentfaltung und Privatsphäre163 zu nennen, wodurch dem Grundrechtsträger die autonome Selbstentfaltung insbesondere in 155
Epping/Hillgruber/Lang, GG Art. 2 Rn. 46. Garstka, in: Götting/Schertz/Seitz (Hrsg.), Handbuch des Persönlichkeitsrechts, 2008, § 22 Rn. 14. 157 BVerfG 15. 12. 1983 „Volkszählung“ E 65, 1 41 ff., beachte S. 41 „nicht abschließend“. 158 Siehe z. B. § 3 Abs. 1 BDSG. 159 BVerfGE 118, 168, 185; 120, 378, 398 f. 160 Bei Erkennbarkeit der abgebildeten bzw. aufgenommenen Person. 161 Vgl. Kraenz, Der strafrechtliche Schutz des Persönlichkeitsrechts, S. 59. 162 Vgl. für das Rechtsgut „Ehre“ Kubiciel/Winter, ZStW 113 (2001), 305, 322, wonach aus der Zuerkennung eines verfassungsrechtlichen Achtungsanspruchs nicht etwa ein strafrechtlich zu schützendes „Grundrecht auf Ehre“ folge, sondern nur die Notwendigkeit irgendeiner staatlichen Reaktion auf seine Verletzung. Dieser Gedanke kann auf die Rechtsgüter des 15. Abschnitts des StGB übertragen werden. 163 Dreier/Dreier, GG Art. 2 I Rn. 71. 156
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Form der Selbstfindung durch einen abgeschirmten Bereich privater Lebensgestaltung garantiert werden soll, aus dem nichts ungewollt nach außen dringen kann.164 Thematisch umfasst dieser Bereich Angelegenheiten, die typischerweise als „privat“ eingestuft werden, insbesondere weil ihre öffentliche Erörterung oder Zurschaustellung als unschicklich gilt, das Bekanntwerden als peinlich empfunden wird oder nachteilige Reaktionen in der Umwelt auslöst.165 Das Bedürfnis des Individuums, für sich sein zu können, beschreibt das BVerfG als letzten unantastbaren Bereich menschlicher Freiheit.166 Eine objektiv-abstrakte Definition dieses Bereichs ist kaum möglich, weil er einerseits subjektiv durch die Bewertung durch Individuen, andererseits aber auch durch Zeiten und Kulturen unterschiedlich geprägt ist; dennoch ist ein solcher Bereich als anthropologische Konstante und Notwendigkeit stets vorhanden.167 Hieraus folgt, dass es dem Individuum überlassen bleiben muss, wie weit die eigene Privatsphäre reicht und inwiefern Außenstehende darin Einblick nehmen dürfen. Krauss168 spricht dementsprechend vom „Formalcharakter“ der Privatsphäre: Jede inhaltliche Festlegung bedeute hier schon eine Einschränkung. Von solchen theoretischen Konstrukten ausgehend wird die Schwierigkeit der Ableitung von klar benennbaren strafschutzwürdigen Rechtsgütern, die den Maximen der Verhältnismäßigkeit und Bestimmtheit entsprechen, deutlich. Geschützt sind jedenfalls nicht nur der persönliche Lebensbereich des Einzelnen, sondern auch spezifische Kommunikationszusammenhänge und Vertrauenstatbestände, da auch solche am Schutz der Privatsphäre teilnehmen.169 „Nur unter den Bedingungen besonderer Vertraulichkeit ist dem Einzelnen ein rückhaltloser Ausdruck seiner Emotionen, die Offenbarung geheimer Wünsche oder Ängste, die freimütige Kundgabe des eigenen Urteils über Verhältnisse und Personen oder eine entlastende Selbstdarstellung möglich.“170 Alternativ kann für eine schärfere Eingrenzung der Privatsphäre auch eine funktionale Betrachtungsweise herangezogen werden, die der Privatheit folgende vier Funktionen171 zuweist: Die geistige Distanzierung (man braucht nur beschränkt mit anderen zu kommunizieren), dadurch die Möglichkeit zur Selbsteinschätzung (Selbstreflektion), die Gefühlsentspannung (man kann sich zurückziehen und alle gesellschaftlichen Rollen ablegen) und die persönliche Autonomie (man kann selbst darüber entscheiden, wie man sich in der Öffentlichkeit darstellen will). Diese Merkmale der Privatheit können letztlich auch als Mittel zum Zweck der verfas164
Stern/Becker/Horn, GG Art. 2 Rn. 39. BVerfGE 101, 361, 382 – Caroline. 166 BVerfGE 6, 32, 41. 167 Schünemann, ZStW 90 (1978), 11, 28. 168 Krauss, in: Lackner/Leferenz/Schmidt u. a. (Hrsg.), Festschrift für Wilhelm Gallas, 1973, S. 365 ff., 382 ff., 384 f. 169 BVerfGE 90, 255, 260; 54, 148, 155; 106, 28, 39. 170 BVerfGE 90, 255, 260. 171 Aus der Sozialisationsforschung übernommen von Schünemann, ZStW 90 (1978), 11, 28. 165
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sungsrechtlich gewährleisteten Persönlichkeitsentwicklung und –entfaltung gesehen werden. Negativ ausgedrückt ist die „Informationsblockade“ das „wichtigste Mittel zur Begrenzung der staatlichen oder gesellschaftlichen Kontrolle, die vermöge des starken Anpassungsdruckes totale Konformität zu erzeugen und damit die individuelle Persönlichkeit aufzuheben droht.“172 Unter den Begriff der Privatsphäre gefasst werden können nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts etwa die Gestaltung des Geschlechtslebens173, die Verwertung privater Tagebuchaufzeichnungen im Strafprozess174 und das Recht auf einen Personenstand, dem der Einzelne „nach seiner psychischen und physischen Konstitution zugehört“175. In diesen Zusammenhang gehören auch das Recht, „sich gegen eine Elternschaft (…) zu entscheiden“176 und das Bestimmungsrecht, welchen Gefahren sich der Einzelne aussetzen will.177 Neben diesem thematischen Schutzbereich wird ein räumlicher anerkannt, in dem der Einzelne zu sich kommen, sich entspannen oder auch gehen lassen kann.178 Dies ist regelmäßig im häuslichen Bereich der Fall, aber auch an anderen Örtlichkeiten denkbar, an denen der Einzelne eine Situation vorfindet oder schafft, in der er davon ausgehen darf, den Blicken der Öffentlichkeit nicht ausgesetzt zu sein.179 Gemeint ist ein im Einzelfall zu bestimmender Raum, in dem der Einzelne „unbeobachtet sich selbst überlassen ist oder mit Personen seines Vertrauens ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Verhaltenserwartungen verkehren kann.“180 Es handelt sich um einen abgeschirmten Innenraum, der dem Einzelnen zur Selbstentfaltung verbleiben und in den er sich zurückziehen können muss.181 Der räumliche Privatsphärenschutz endet grundsätzlich an Orten, wo sich der Betroffene unter vielen Menschen befindet und daher ohnehin den Blicken der Öffentlichkeit ausgesetzt ist.182 Damit ergibt sich eine große Unsicherheit in Bezug auf die Bestimmung einer „Privatheit in der Öffentlichkeit“. Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass jemand sich in eine örtliche Abgeschiedenheit zurückgezogen hat, in der er objektiv erkennbar für sich alleine sein will.183 Nach der Rechtsprechung des BVerfG kommt es entscheidend darauf an, „ob der Einzelne begründetermaßen erwarten darf, unbeobachtet zu sein, oder ob er Plätze aufgesucht hat, wo er sich unter den Augen der
172
Schünemann, ZStW 90 (1978), 11, 28 f.; BVerfGE 54, 148, 155. BVerfGE 47, 46, 73. 174 BVerfGE 80, 367, 373 ff. 175 BVerfGE 49, 286, 298. 176 BVerfGE 39, 1, 43. 177 Vgl. VGH Mannheim NJW 1998, 2235, 2236 – Tauchsport. 178 BVerfGE 101, 361, 382 f. 179 BVerfGE 101, 361, 384. 180 BVerfGE NJW 1995, 1477; BVerfGE 27, 1, 6; 44, 197, 203; 57, 170, 177; 90, 263, 270. 181 OLG Bremen NJW 1990, 2140, 2141; Dreier/Dreier, GG Art. 2 I Rn. 71. 182 BVerfGE 101, 361, 384 f.; BVerfG NJW 2000, 2192 f. 183 BGH AfP 1996, 140, 141 – Caroline von Monaco; BVerfGE NJW 2000, 1021, 2022 – Caroline von Monaco. 173
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Öffentlichkeit bewegt.“184 So soll es bei der Beurteilung des Privatsphäreschutzes auf die besonderen Umstände des Einzelfalls ankommen; Plätze, an denen sich der Einzelne unter vielen Menschen befindet und die dadurch keine Rückzugsorte darstellen, rechtfertigen den grundrechtlichen Schutz aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG nicht.185 Der Einzelne könne solche Orte auch nicht etwa durch ein Verhalten, das typischerweise nicht öffentlich zur Schau gestellt würde, „in seine Privatsphäre umdefinieren“. Das BVerfG führt dazu aus: „Nicht sein Verhalten, ob allein oder mit anderen, konstituiert die Privatsphäre, sondern die objektive Gegebenheit der Örtlichkeit zur fraglichen Zeit. Verhält er sich daher an Orten, die nicht Merkmale der Abgeschiedenheit aufweisen, so, als stünde er nicht unter Beobachtung, hebt er das Schutzbedürfnis für Verhaltensweisen, die an sich die Öffentlichkeit nichts angehen, selbst auf.“186 Geschützt wird darüber hinaus das Recht, eine Sphäre der Intimität zu begründen und sie dem Einblick und Zugriff anderer zu entziehen – unabhängig davon, was diese aus einem solchem Einblick für Folgerungen ziehen mögen.187 Diese Selbstbestimmung bezieht sich einerseits auf die körperliche Zugänglichkeit des Privatbereichs in dem Sinne, dort nicht durch ungewollte Anwesenheit oder Einwirkung anderer gestört zu werden, andererseits betrifft sie auch die kognitive Zugänglichkeit und beinhaltet das Abwehrrecht, private Informationen gegen Ausforschungen und sonstige ungewollte Einsicht- und Kenntnisnahmen abzuschirmen.188 Wie Kraenz189 zusammenfasst, geht es somit einerseits um die Abgrenzung eines autarken Privatbereichs i.S. einer Selbstfindung und den Schutz der personalen Identität (Vertraulichkeit der Interaktion) gegenüber einem Außenbereich. Daneben soll das Individuum aber auch i.S. eines Geheimnisschutzes vor Einsicht- oder Kenntnisnahme durch Dritte, gleich auf welche Weise und zu welchem Zweck, geschützt werden.190 bb) Strafrechtlich relevante Schutzinteressen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Als strafrechtlich schutzwürdiger Aspekt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts kommt zunächst das Recht am eigenen Wort in Betracht. Gewährleistet werden soll ein ungestörter Kommunikationsprozess, der bereits dann erheblich beeinträchtigt ist, wenn ein Gesprächsteilnehmer im sozialen Kontakt nicht mehr unbefangen 184
BVerfG NJW 2000, 1021, 2023 – Caroline von Monaco. Götting, in: Götting/Schertz/Seitz (Hrsg.), Handbuch des Persönlichkeitsrechts, 2008, § 1 Rn. 5. 186 BVerfG NJW 2000, 1021, 2023 – Caroline von Monaco. 187 Münch/Kunig/Kunig, GG Art. 2 Rn. 32; vgl. auch Jarass/Pieroth/Jarass, GG Art. 2 Rn. 47: „Selbstfindung im Alleinsein und in enger Beziehung zu ausgewählten Vertrauten“. 188 Stern/Becker/Horn, GG Art. 2 Rn. 4. 189 Kraenz, Der strafrechtliche Schutz des Persönlichkeitsrechts, S. 59. 190 Dreier/Dreier, GG Art. 2 I Rn. 71; Stern/Becker/Horn, GG Art. 2 Rn. 4. 185
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kommunizieren kann, weil er befürchten muss, dass seine ggfs. vertraulichen, unbedachten oder spontanen Äußerungen aufgenommen und veröffentlicht werden.191 Dem Einzelnen steht grundsätzlich das Bestimmungsrecht darüber zu, ob seine privat gesprochenen Worte allein seinem Kommunikationspartner, einem bestimmten, abgeschlossenen Personenkreis oder der Öffentlichkeit zugänglich sein sollen192, und ob sie aufgenommen und von wem sie abgespielt werden dürfen.193 Das Recht am eigenen Wort schützt auch vor Falschzitaten, durch die dem Betroffenen Äußerungen in den Mund gelegt werden, die er nicht getan hat und die seinen von ihm selbst definierten sozialen Geltungsanspruch beeinträchtigen.194 Auch ohne Betroffenheit des thematischen Privatsphärebereichs gehört es zum Selbstbestimmungsrecht, darüber zu entscheiden, ob und wie man mit eigenen Äußerungen hervortreten will.195 Mit der fortschreitenden technischen Entwicklung in den 1960er Jahren haben die Möglichkeiten der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes stark zugenommen. Mithilfe immer kleinerer und unauffälligerer, jedoch gleichwohl leistungsstarker Aufnahme- und Abhörgeräte196 wurde es immer einfacher, das gesprochene Wort eines anderen aufzunehmen oder abzuhören; zugleich wurde es schwieriger, entsprechende Geräte aufzuspüren. So können „Minispione“ in Form von Füllfederhaltern, Feuerzeugen, Kragenknöpfen, Krawattennadeln oder Kopfschmerztabletten hergestellt werden.197 Gleichzeitig sind diese technischen Mittel vermehrt auch für Privatpersonen verfügbar. Von einem erhöhten Anreiz zur Neugier und Klatschsucht in den urbanen Ballungsräumen wegen des Zusammenlebens auf engstem Raum ist auszugehen198, auch wenn sich mangels empirischer Nachweise hierüber letztlich nur spekulieren lässt. Gleichwohl ist im Hinblick auf heutige soziale Gegebenheiten in Online-Verbreitungsmedien (Facebook, YouTube usw.) aufgrund der Vielzahl an verbreitetem, heimlich aufgenommenem Video- und Tonmaterial davon auszugehen, dass eine lediglich geringe Hemmschwelle in der Bevölkerung besteht, die Vertraulichkeit des nichtöffentlich gesprochenen Wortes eines anderen zu verletzen. Auch das unbefugte Abhören oder Mitschneiden geschäftlicher Gespräche kann gerade im Hinblick auf den wachsenden Konkurrenzdruck in der freien Marktwirtschaft erhebliche wirtschaftliche Schäden verursachen.
191
Maunz/Dürig/Di Fabio, GG Art. 2 Abs. 1 Rn. 196. BVerfGE 34, 238, 246 f.; BGHSt 14, 358, 359 f. 193 BVerfGE 34, 238, 246; vgl. auch BGHSt 34, 39, 43; 34, 397, 398. 194 BVerfGE 54, 148, 155; 54, 208, 217; 82, 236, 269. 195 Maunz/Dürig/Di Fabio, GG Art. 2 I Rn. 199. 196 Detailliert zu den damaligen technischen Neuerungen vgl. Wormer, Der strafrechtliche Schutz der Privatsphäre vor Mißbräuchen mit Tonaufnahme- und Abhörgeräten, S. 7 – 12. 197 Wormer, Der strafrechtliche Schutz der Privatsphäre vor Mißbräuchen mit Tonaufnahme- und Abhörgeräten, S. 10 Fn. 3. 198 So auch Wormer, Der strafrechtliche Schutz der Privatsphäre vor Mißbräuchen mit Tonaufnahme- und Abhörgeräten, S. 13. 192
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Des Weiteren könnte das Recht am eigenen Bild einen gewissen strafrechtlichen Schutz verdienen. Im Rahmen dieses Rechts wird der Einzelne geschützt vor Aufnahmen seines Abbildes durch Fotografie und Film sowie deren Darbietung, Verbreitung oder sonstiger Verwertung, wenn dies ohne oder gegen den Willen des Abgebildeten geschieht.199 Es kommt bei der Bildaufnahme grundsätzlich nicht darauf an, ob das persönliche Abbild im privaten200 oder öffentlichen Zusammenhang steht. „Jedermann darf grundsätzlich selbst und allein bestimmen, ob und inwieweit andere sein Lebensbild im ganzen oder bestimmte Vorgänge aus seinem Leben öffentlich darstellen dürfen.“201 Das Recht am eigenen Bild kann ebenso wie das Recht am gesprochenen Wort als Konkretisierung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung aufgefasst werden, weil sich das spezifische Schutzbedürfnis insbesondere auch aus technischen Möglichkeiten ergibt, die Darstellung der Person eines Menschen „in einer bestimmten Situation von diesem abzulösen, datenmäßig zu fixieren und jederzeit vor einem unüberschaubaren Personenkreis zu reproduzieren.“202 Auch besteht das Risiko, dass mit dem Wechsel des Kontextes der Sinngehalt einer Bildaussage geändert wird203 (z. B. bei einer Fotomontage). In diesen weit zu verstehenden Schutzbereich wird etwa eingegriffen, wenn Strafverfolgungsbehörden zur Aufklärung und Bekämpfung von Straftaten Bild- oder Videoaufnahmen des Beschuldigten anfertigen.204 Welche essenzielle Rolle die Wohnung als schützenswerter letzter Rückzugsbereich hierbei spielt, zeigt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Großen Lauschangriff, wonach kein absoluter Schutz der Räume der Privatwohnung, wohl aber des Verhaltens in diesen Räumen erforderlich ist, soweit es sich als individuelle Entfaltung im Kernbereich privater Lebensgestaltung darstellt.205 Auch wenn das Zitat thematisch im Zusammenhang mit der akustischen Überwachung durch den Staat steht, kommt den Feststellungen allgemeine Geltung für jegliche Aufnahme innerhalb der Wohnung auch durch Private zu. Denn, so Jaeger und Hohmann-Dennhardt im Sondervotum wörtlich, „zur Persönlichkeitsentfaltung bedarf es Rückzugsräume, in denen der Einzelne ohne Angst vor Überwachung sich selbst zum Ausdruck bringen und mit Vertrauten über persönliche Ansichten und Empfindungen kommunizieren kann. Gerade in einer Welt, in der es technisch möglich geworden ist, so gut wie jede Bewegung und Kommunikation einer Person zu verfolgen und aufzuzeichnen, dient die Privatwohnung dem Einzelnen mehr denn je als letztes Refugium, in dem sich die Freiheit seiner Ge-
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BVerfGE 34, 238, 246 f.; 54, 148, 154; 101, 361, 381. Dann jedoch ggfs. eine über das Recht am eigenen Bild hinausgehende eigenständige Betroffenheit der Privatsphäre. 201 BVerfGE 35, 202, 220. 202 BVerfGE 101, 361, 381= BVerfG GRUR 2000, 446, 449; BGH NJW 1991, 2651. 203 BVerfGE 120, 180 = BVerfG GRUR 2008, 539, 541; BVerfGE 101, 361, 381= BVerfG GRUR 2000, 446, 449. 204 BGH, NJW 1991, 2651. 205 BVerfGE 109, 279, 314. 200
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danken unbeobachtet manifestieren kann. Sie ist damit als Ort Mittel zur Wahrung der Menschenwürde.“206 Ähnlich der bereits dargestellten Bedrohungslage für das Recht am eigenen Wort aufgrund verbesserter Abhörtechniken führen neue Möglichkeiten der digitalen Fotografie, des Internets sowie exzessive Tätigkeiten sogenannter „Paparazzi“ zum Erfordernis eines strafrechtlichen Schutzes gegen unbefugte Bildaufnahmen. Das gesellschaftliche Bedürfnis nach einer visuellen Berichterstattung207 und nach einer Aufzeichnung persönlicher Erinnerungen auf Fotos und Videos208 ist in den letzten Jahren stetig gewachsen. Darüber hinaus gibt es immer einfachere Möglichkeiten, teilweise extrem hochauflösende Bildaufnahmen mit günstiger werdenden Smartphones, Digitalkameras oder Tablets anzufertigen und über den (meist bereits integrierten) Internetanschluss „online zu stellen“. Aufgrund der Anonymität in den Telemedien, in denen die soziale Kontrolle weitgehend fehlt, hat die ungehemmte Verbreitung von entwürdigenden, bloßstellenden oder gewalttätigen Bildaufnahmen weiter zugenommen.209 Es ist davon auszugehen, dass jeder Bürger ohne nennenswerten finanziellen oder sonstigen Aufwand über die technischen Möglichkeiten einer Bildaufnahme und deren Verbreitung im Internet verfügt. Aufgrund der immer leistungsfähigeren Datenträger ist eine nahezu beliebige Speicherung von Fotos auf Servern möglich, so dass einer Verbreitung derselben über Social-Media-Dienste wie Twitter, Facebook oder Instagram faktisch kaum Grenzen gesetzt sind. Letztgenannte Online-Plattformen ermöglichen das immer stärker um sich greifende so genannte Cybermobbing210, welches sogar Suizidfälle verursachte. Als dritter strafschutzwürdiger Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist die Fallgruppe der Selbstentfaltung und Privatsphäre211 zu untersuchen. Hierunter wird ein Geheimnisschutz vor Einsicht- oder Kenntnisnahme durch Dritte, gleich auf welche Weise und zu welchem Zweck, verstanden.212 Dem Individuum muss zur freien Entfaltung der Persönlichkeit die Möglichkeit garantiert werden, einen eigenen Geheimbereich zu schaffen, der Dritten nicht zugänglich ist. Dieser Geheimbereich ist durch das gesellschaftliche Leben des modernen Menschen und die stetig voranschreitenden technischen Möglichkeiten ständig gefährdet: Die diesbezüglich schon 1966 von Henkel213 genannten Faktoren gelten auch heute noch: Die Menschen sind durch Bevölkerungszuwachs und Verkehrsdichte stärkeren Berüh206
Sondervotum von Jaeger und Hohmann-Dennhardt in BVerfGE 109, 279, 382 f. Man beachte die Beliebtheit von Regenbogen- und Boulevardpresse. 208 Genannt sei hier nur der „Trend“ von sogenannten „Selfies“, der von Selfie-Sticks bis zu Selfie-Video-Drohnen reicht. 209 Busch, NJW 2015, 977; BT-Drucks. 18/2601, S. 36 f. 210 Vgl. dazu Cornelius, ZRP 2014, 164; zum Mobbing bzw. Straining als Persönlichkeitsrechtsverletzung vgl. Jansen/Hartmann, NJW 2012, 1540 ff. 211 Dreier/Dreier, GG Art. 2 I Rn. 71: Stern/Becker/Horn, GG Art. 2 Rn. 4. 212 Dreier/Dreier, GG Art. 2 I Rn. 71; Stern/Becker/Horn, GG Art. 2 Rn. 4. 213 Henkel, in: Verhandlungen des 42. DJT, 1957, D66. 207
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rungsmöglichkeiten ausgesetzt. Die Möglichkeiten und Anreize (Neugier, „Klatschsucht“), in die Geheimsphäre des anderen einzublicken und einzudringen, sind dadurch erhöht. Technische Entwicklungen erleichtern ein Überwinden oder Umgehen von Barrieren zur Geheimhaltung von Informationsträgern (z. B. Durchleuchtungsvorrichtungen). Zudem bieten Social-Media-Plattformen einfachere und schnellere Möglichkeiten, gewonnene Informationen einer unbegrenzten Anzahl von Menschen zugänglich zu machen. Es ist fraglich, ob die Privat- und/oder Intimsphäre selbst als strafrechtliches Schutzgut angesehen werden kann. Erscheinen die Definitionen der thematischen und räumlichen Schutzbereiche der Privatsphäre schon hinsichtlich ihrer Trennschärfe problematisch214, gilt dies erst recht für den Bereich der Privatheit in der Öffentlichkeit. Die Frage, ob sich der Einzelne in eine „Abgeschiedenheit“ zurückgezogen hat, wird situativ und kontextuell beantwortet, da er sich nach Ansicht des BVerfG an ein und demselben Ort zu manchen Zeiten mit gutem Grund unbeobachtet fühlen darf, zu anderen Zeiten aber nicht.215 Im Ergebnis ist damit der Schutz der Privatsphäre in der Öffentlichkeit auf ein Minimum reduziert und kaum bestimmbar. Es ist also festzuhalten, dass die Privatsphäre aufgrund der fehlenden Trennschärfe und des inhaltlich fließenden Übergangs zu anderen Schutzbereichen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als strafrechtliches Schutzgut oder zu dessen unmittelbarer Ableitung untauglich ist. Zu überlegen wäre aber ein allgemeiner Schutz der Intimsphäre durch Strafnormen. Ob ein Sachverhalt dem unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzuordnen ist, hängt davon ab, ob er nach seinem Inhalt höchstpersönlichen Charakters ist.216 Umfasst sind einerseits jene Aspekte der Persönlichkeit, in denen der Einzelne keinem anderen Einblick gewähren möchte und über die er mit keinem Dritten kommunizieren will.217 Andererseits können aber auch Kommunikationsvorgänge zu diesem innersten Geheimbereich gehören, wenn sie im engsten Familienbereich (z. B. unter Ehepartnern) getätigt werden.218 Überdies sind die Sexualität und die mit dem Sexualleben zusammenhängenden Fragen der Lebensgestaltung, die der Einzelne i. d. R. vor dem Zugriff Dritter (auch wenn sie Familienangehörige sind) abschirmen möchte, Teil der Intimsphäre.219 Neben dem Aspekt der Sexualität sind auch die Bereiche Krankheit220 und Tod hierunter zu fassen.221 Eine
214 Etwa bei der Frage, ob funktionale oder gar subjektiv geprägte Definitionsansätze subsumtionsfähig sind. 215 BVerfG NJW 2000, 1021, 2022 – Caroline von Monaco. 216 BVerfGE 34, 238, 248; 80, 367, 374. 217 BVerfGE 80, 367 ff. = NJW 1990, 563; BGHSt 19, 325 ff. = NJW 1962, 1139; BGHSt 34, 397 ff. = NJW 1988, 1002; Epping/Hillgruber/Lang, GG Art. 2 Rn. 39. 218 BVerfG (Kammerbeschluss) NJW 1995, 1477, 1478. 219 BVerfG NJW 2008, 39, 42 „Esra“. 220 Vgl. hierzu auch BGH NJW 1996, 983, 984; OLG Karlsruhe AfP 1999, 489, 490.
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strafrechtliche Schutzwürdigkeit der Intimsphäre wurde schon früher daraus gefolgert, dass diese zu den höchstpersönlichen Schutzgütern wie Leben und körperliche Unversehrtheit zu zählen und deshalb grundsätzlich schützenswert sei.222 Dafür spricht auch die Rechtsprechung des BVerfG, wonach es sich bei dem hochrangigen Rechtsgut Intimsphäre um einen unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung handele, der jedem Individuum zukommen müsse.223 Die besondere Nähe zur Menschenwürde gem. Art. 1 GG lässt einen strafrechtlichen Schutz der Intimsphäre gar als geboten erscheinen.224 Schließlich ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung anzuführen, auf welches unter c. näher eingegangen wird. Wie noch zu zeigen sein wird, ist eine Verletzung des informationellen Selbstbestimmungsrechts in Fällen strafwürdig, in denen der Einzelne aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen (aufgrund seiner Angewiesenheit auf bestimmte Leistungen, zu deren Erhalt es einer partiellen Preisgabe eigener Informationen bedarf) einem faktischen Zwang unterliegt, bestimmte Informationen entgegen seinem eigentlichen Willen preiszugeben. Auch verdient der Einzelne dann strafrechtlichen Schutz, wenn sämtliche Möglichkeiten des Selbstschutzes225 (etwa durch Verschließen schriftlicher Kommunikation und aller privater Dokumente) erfolglos bleiben und/oder der Täter eine irgendwie geartete Abhängigkeitssituation des Betroffenen ausnutzt. cc) Folgerungen und „gesellschaftliches Informationsinteresse“ Sucht man nach einem übergreifenden dogmatischen Ansatzpunkt, der den verschiedenen Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gemeinsam ist, kristallisiert sich als kleinster gemeinsamer Nenner das Selbstbestimmungsrecht heraus. Die individuelle Selbstbestimmung ist „eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens.“226 Abstrakt, also ohne speziellen Bezugspunkt, kommt dem Selbstbestimmungsrecht nach hiesigem Verständnis zunächst ein rein formaler, struktureller Charakter und noch kein inhaltliches Substrat zu. Es zeichnet sich durch den grundsätzlich umfassenden Wirkbereich und die Bindung an einen bestimmten Träger aus. Thematische oder räumliche Beschrän221
BVerfGE 6, 32, 41 – „Elfes“; 27, 1, 6 – „Mikrozensus“; 32, 373, 378 f. – „Krankenakte“; 35, 202, 220 – „Lebach“; BVerfG ZUM-RD 2000, 321 = NJW 2000, 2189 – „Scheidungsbericht v. Hannover“. 222 Schmidt, ZStW 79 (1967), 741, 766. 223 BVerfGE 109, 279, 313; 89, 69, 82 f.; BVerfGE 34, 238, 246 = NJW 1973, 609. 224 Vgl. Peglau, Der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch das Strafrecht, S. 47 ff., 52. 225 Hier verstanden als viktimologisch vorgeprägte Tatbestandsmerkmale, zur Problematik des viktimodogmatischen Ansatzes als generelles und absolutes Tatbestandskorrektiv vgl. unten C. V. 2. c. 226 BVerfGE 65, 1, 43.
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kungen dieses Wirkbereichs gibt es ebenso wenig wie eine Einschränkung von der Angriffsrichtung her. Erst durch Hinzufügen eines Bezugspunktes ergeben sich Grenzen des dann speziellen Selbstbestimmungsrechts, aus denen möglicherweise eine den strafrechtlich schutzwürdigen Bereich eingrenzende Funktion abgeleitet werden kann. Abhängig von der jeweiligen Ausprägung des Persönlichkeitsguts (z. B. auf visueller Ebene die körperliche Erscheinung, auf akustischer Ebene der authentische Sprechakt), auf die sich das Selbstbestimmungsrecht bezieht, muss sich eine natürliche, zwingende Einschränkung dieses Rechts ergeben, wenn eine Vielzahl von Selbstbestimmungsrechtsträgern auf engem Raum zusammenkommen und permanent untereinander interagieren und kommunizieren – wie in der heutigen modernen Gesellschaft nahezu unausweichlich. Um die verschiedenen Interessen der Individuen hinreichend zu berücksichtigen, ist eine Verletzung des Selbstbestimmungsrechts daher nicht umfassend, sondern nur in einem bestimmten Rahmen strafwürdig, etwa wenn sich der Einzelne berechtigterweise auf die ungestörte und unbefangene verbale oder visuelle Äußerung nach den eigenen Vorstellungen verlassen durfte oder sich gegen ein Eindringen von Dritten in eine abgeschirmte Sphäre objektiv erkennbar wehrt. Denn diesen Äußerungsformen des Einen steht stets das Informationsinteresse des Anderen gegenüber: „Ebenso wie es für das Gelingen von Kommunikation erforderlich sein kann, dass Informationen zurückgehalten werden, ist umgekehrt das Streben nach Wissen über andere eine notwendige Voraussetzung für die Berechenbarkeit von Interaktionen.“227 An einer solchen „Informationsfreiheit“ besteht im Ergebnis auch ein genuin gesellschaftliches Interesse, weil eine Gesellschaft, die den Erwerb und die „Verarbeitung“ eines personenbezogenen Besitzstandes überhaupt blockieren würde, zu einem öffentlichen Diskurs nicht mehr fähig wäre und aller Voraussicht nach erstarren müsste.228 Hierdurch entstehen zwingende Einschränkungen des jeweiligen Selbstbestimmungsrechts. Vor diesem Hintergrund erscheint die Legitimität eines strafrechtlichen Tatbestands, der z. B. die ungewollte Bildaufnahme in toto pönalisiert, mehr als zweifelhaft. Diese Feststellung trifft nicht nur für die Übermittlung von Informationen durch die Medien zu, sondern bezieht auch die Bildaufnahme als ein Massenphänomen ein, das seine Attraktivität verlieren würde, wenn – zugespitzt ausgedrückt – Bilder keine Menschen mehr zeigen dürften.229 Dieses Phänomen wird hier und im Folgenden als Informationsinteresse in der modernen Gesellschaft bezeichnet. Damit ist nicht etwa die Pflicht eines jeden Menschen gemeint, Gegenstand andauernder Neugierde zu 227 Kargl, ZStW 117 (2005), 324, 350; dazu Rogall, in: Weigend/Küpper (Hrsg.), Festschrift für Hans Joachim Hirsch zum 70. Geburtstag, 1999, S. 665, 667, der darüber hinaus von einer notwendigen Vereinfachung von Kommunikation spricht; LK/Schünemann, Vor § 201 Rn. 14. 228 Kargl, ZStW 117 (2005), 324, 350; Rogall, in: Weigend/Küpper (Hrsg.), Festschrift für Hans Joachim Hirsch zum 70. Geburtstag, 1999, S. 665, 668. 229 Kargl, ZStW 117 (2005), 324, 351; dazu treffend Hirsch, ZStW 90 (1978), 965, 982, der betont, „daß Handlungen, die zu den normalen Ausdrucksformen des Soziallebens gehören, (nicht) zum Gegenstand eines allgemeinen Verbots gemacht werden“ dürfen.
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sein und eine diesbezüglich empfundene Belästigung oder gar Bloßstellung zu dulden, vielmehr trägt das gesellschaftliche Informationsinteresse dem Erfordernis Rechnung, dass die Reaktion auf solche normalen, regelmäßig anzutreffenden Ausdrucksformen des Soziallebens230 die Folgen für die andere Seite des ambivalenten Feldes nicht außer Acht lassen darf. Das gesellschaftliche Informationsinteresse beschreibt einerseits die Grenze des Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen dort, wo die uneingeschränkte Ausübung dieses Rechts Grundrechte anderer Individuen unerträglich beschneidet, andererseits die natürliche Beschränkung aufgrund faktischer Gegebenheiten. Dieses Prinzip kann am Beispiel des informationellen Selbstbestimmungsrechts deutlich gemacht werden: Das Recht, „grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Sachverhalte offenbart werden“231, muss durch das gesellschaftliche Informationsinteresse begrenzt sein, weil der Mensch unausweichlich ein Gemeinschaftswesen und in soziale Zusammenhänge eingebunden ist.232 Ein solches umfassendes Selbstbestimmungsrecht kann in unserer Gesellschaft nicht Rechtsgut einer Strafnorm sein, weil dann alltägliche (und für den Schutz der Selbstentfaltung ggfs. essentielle) Handlungen strafbar wären: z. B. würde bei der Bildaufnahme eines belebten öffentlichen Platzes das Selbstbestimmungsrecht eines jeden abgebildeten (identifizierbaren) Individuums, das seine Zustimmung nicht erteilt hat, verletzt werden und der Aufnehmende sich dadurch strafbar machen. Sobald das Individuum auf ein anderes trifft, werden wechselseitig Informationen (in Form etwa des körperlichen Erscheinungsbildes usw.) ausgetauscht. Dabei werden diese Informationen jeweils zur Kenntnis genommen und in der heutigen Gesellschaft immer häufiger auch „erhoben“.233 Hierbei handelt es sich grundsätzlich um Akte der Informationsgewinnung, gegen die – von staatlicher Seite aus – das informationelle Selbstbestimmungsrecht schützen soll. Ließe man einen entsprechenden strafrechtlichen Schutz gegenüber privaten Dritten zu, wäre die Nutzung der oben genannten (weit verbreiteten und künftig wohl noch häufiger erscheinenden) technischen Mittel mit einem hohen Strafbarkeitsrisiko belastet. Darüber hinaus würde ein Recht auf absolute Isolation, Nichtkommunikation oder –interaktion zwischen den Mitbürgern dem Gedanken des Art. 2 Abs. 1 GG zuwiderlaufen, weil zumindest die Möglichkeit zur sozialen Kommunikation als Grundlage der Persönlichkeitsentfaltung zwingend erforderlich ist. Es ergibt sich ein Spannungsverhältnis zwischen dem Geheimhaltungsinteresse des Individuums einerseits und dem von der allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG (für 230
Hirsch, ZStW 90 (1978), 965, 982. BVerfGE 65, 1, 42. 232 Götting, in: Götting/Schertz/Seitz (Hrsg.), Handbuch des Persönlichkeitsrechts, 2008, § 1 Rn. 16. 233 Z. B. mit Überwachungskameras, Bodycams oder Dashcams, mittels Smartphone durch Video- oder Tonaufnahmen bei „Selfies“, durch Nutzung sog. Bodycams oder GoPro-Kameras, mit denen zwar grundsätzlich die eigene Person im Mittelpunkt stehen soll, aber häufig auch das Umfeld aufgenommen wird. 231
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den Einzelnen) bzw. von Art. 5 Abs. 1 GG (für die Öffentlichkeit) getragenen Informationsinteresse andererseits, welches grundsätzlich nur durch die zu kontingenten Ergebnissen führende Methode der Güter- und Interessenabwägung im Einzelfall zu lösen ist.234 Das Selbstbestimmungsrecht in seiner jeweiligen Ausprägung kann demnach strafrechtlich nicht umfassend geschützt werden.235 Es liegt also nahe, die Rechtsgüter der das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützenden §§ 201 ff. StGB vor dem Hintergrund des zugrundeliegenden verfassungsrechtlichen Selbstbestimmungsrechts – aber auch und gerade hinsichtlich der notwendigen Einschränkungen des strafrechtlichen Schutzbereichs – zu untersuchen. Um einen für das Strafrecht notwendigen exakt angebbaren Schutzbereich definieren zu können, muss die oben angesprochene Interessenabwägung möglichst bereits auf der Ebene der Schutzgutsbestimmung oder jedenfalls im Rahmen der Tatbestandsausgestaltung erfolgen. Eine solche Interessenabwägung stellt das hier beschriebene „gesellschaftliche Informationsinteresse“ dar. Die notwendige Restriktion des strafrechtlichen Schutzes ergibt sich hierbei grundsätzlich aus dem Umstand, dass nur die für den Einzelnen wirklich unverzichtbaren Güter schützenswert sind. Darüber hinaus ist das angesprochene gesellschaftliche Informationsinteresse als selbstbestimmungsrechtsspezifisches strafrechtspolitisches Korrektiv zu berücksichtigen. Dann können räumlich oder thematisch abgrenzbare Lebensbereiche gefunden werden, die grundsätzlich absolut, also ohne weitere Interessenabwägung, schutzwürdig sind. Das informationelle Selbstbestimmungsrecht nimmt hierbei einen besonderen Platz ein, da es als Zusammenfassung aller auf Informationen über die Persönlichkeit und insbesondere über die Privatsphäre des Einzelnen bezogenen Aspekte des Persönlichkeitsschutzes verstanden werden kann236 mit der Konsequenz, dass bei allen unterschiedlichen Arten von Informationseingriffen im Prinzip einheitliche Grundsätze für Grundrechtseingriffe und damit für zu inkriminierendes Verhalten zur Anwendung kommen.237 Das Informationelle Selbstbestimmungsrecht wird hier nicht nur als ein Teil, sondern zugleich als verfassungsrechtliches Fundament der strafrechtsrelevanten Schutzinteressen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts angesehen und soll daher im Folgenden näher beleuchtet werden.
234 Jarass/Pieroth/Jarass, GG Art. 2 Rn. 59 ff., 61; Epping/Hillgruber/Lang, GG Art. 2 Rn. 53; vgl. allgemein zur Güter- und Interessenabwägung z. B. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 273 ff. 235 I. E. z. B. auch LK/Schünemann, Vor § 201 Rn. 4. 236 Sachs/Murswiek, GG Art. 2 Rn. 73. 237 Allgemein hinsichtlich verschiedener Grundrechtseingriffe Münch/Kunig/Kunig, GG Art. 2 Rn. 38; Sachs/Murswiek, GG Art. 2 Rn. 73.
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c) Das informationelle Selbstbestimmungsrecht als Fundament strafrechtlich relevanter Schutzinteressen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aa) Ursprung Im Jahre 1983 benannte das Bundesverfassungsgericht im Rahmen seiner Entscheidung über mehrere Verfassungsbeschwerden gegen das „Volkszählungsgesetz 1983“238 erstmals das informationelle Selbstbestimmungsrecht239. Bei einer Volkszählung im juristischen Sinne (oder Zensus) handelt es sich um eine gesetzlich angeordnete Erhebung von statistischen Bevölkerungsdaten, bei der die Mitwirkung für den Bürger grundsätzlich verpflichtend ist.240 In den 1970er und 1980er Jahren automatisierten Computer die Datenverarbeitung zunehmend und ermöglichten eine nahezu unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe von Daten.241 Das BVerfG ging damals davon aus, die mangelnde Transparenz dieser Technik könne beim Bürger die Angst vor einer unkontrollierbaren Persönlichkeitserfassung auch bezüglich solcher Daten auslösen, deren Abfrage erforderlich und zumutbar sei.242 Die Richter befanden die Verfassungsbeschwerde nach Anwendung der eigens entwickelten Grundsätze des informationellen Selbstbestimmungsrechts für zulässig und teilweise begründet. Die Herleitung des informationellen Selbstbestimmungsrechts fußte auf dem durch die damalige Rechtsprechung entwickelten Privatsphäreschutz, wonach der Schutz des Selbstdarstellungsrechts zumindest als zusätzliche Komponente neben dem reinen Privatsphäreschutz angedeutet wurde.243 Nach Ansicht des BVerfG verändert sich die Gefährdungslage für das allgemeine Persönlichkeitsrecht durch die Modernisierung der Technik ständig, insbesondere könne durch die mittels EDV gespeicherten und mit anderen Informationen verknüpfbaren Details aus der Privatsphäre ein vollständiges Persönlichkeitsbild des Betroffenen angefertigt werden, dessen Richtigkeit und Verwendbarkeit sich der Kontrolle des so Identifizierten entziehen. Wenn der Einzelne fürchten müsse, dass alles, was er nach außen kund tut, zu einer Katalogisierung seiner Person führen und er daher nicht mehr wissen könne, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über ihn weiß, sei dieser Zustand nicht
238
Gesetz über eine Volks- Berufs- Wohnungs- und Arbeitsstättenzählung vom 25. März 1982, kurz VZG, vgl. BGBl. 1, S. 369. 239 BVerfGE 65, 1, 41, 42. 240 Vgl. Borchers, Die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte in das deutsche Gesundheitswesen, S. 14. 241 Borchers, Die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte in das deutsche Gesundheitswesen, S. 15. 242 BVerfGE 65, 1, 4. 243 Siehe die Verweise in BVerfGE 65, 1, 42 auf: BVerfGE 27, 1, 6; 27, 344, 350 f.; 32, 373, 379; 63, 131, 142 f.; vgl. weitere Nachweise in Maunz/Dürig/Di Fabio, GG Art. 2 Abs. 1 Rn. 173 Fn. 5.
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mit dem Grundgesetz vereinbar.244 Als Folge der ständigen Gefahr der Verselbstständigung kund getaner Fakten aus dem eigenen Lebensnahbereich könne sich der Einzelne in seiner Kommunikation gehemmt fühlen, weil er womöglich nicht auffallen wolle. Damit wäre eine individuelle Selbstbestimmung nicht mehr möglich. Daher sei es notwendig, dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht auch gegenüber solch neuen Gefahren „Geltung zu verschaffen“, was im Übrigen auch möglich sei, da die Konkretisierungen der damaligen Rechtsprechungspraxis hinsichtlich des allgemeinen Persönlichkeitsrecht als „nicht abschließend“ anzusehen seien.245 Aus der Entscheidung des BVerfG geht der Grundsatz des informationellen Selbstbestimmungsrechts hervor, wonach der Einzelne befugt ist, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden.“246 Hiermit hatte das BVerfG kein neues Grundrecht geschaffen, sondern vielmehr im Wege der zulässigen richterlichen Rechtsfortbildung die bereits bestehende Reichweite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts für den Bereich der Datenverarbeitung ausdifferenziert, indem der Selbstdarstellungsschutz nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG interpretatorisch fortgeschrieben wurde.247 bb) Schutzbereich Mit der Entscheidung zur Volkszählung ging die Verselbständigung des Datenschutzes gegenüber dem Privatsphäreschutz als „verfassungsrechtliche Antwort auf die modernen Bedingungen der Datenverarbeitung“248 einher. Diese Entwicklung hat für die in dieser Arbeit vorgenommene normzweckorientierte Betrachtung des 15. Abschnitts des StGB die bedeutsame Folge, dass ein Grundrechtseingriff nicht mehr davon abhängt, ob die erhobenen Informationen thematisch der individuellen Privatoder Intimsphäre zugeordnet werden können; vielmehr wird das informationelle Selbstbestimmungsrecht unabhängig von der Aussagequalität der betroffenen persönlichen Angaben gewährt.249 Dies wird damit begründet, dass die moderne Datenverarbeitung dazu imstande ist, aus der Summe für sich genommen wenig aussagekräftig scheinender Einzelinformationen durch deren Verknüpfung ein Ver244
BVerfG 65, 1, 42. BVerfG 65, 1, 41. 246 Trute, in: Roßnagel/Abel (Hrsg.), Handbuch Datenschutzrecht, 2003, S. 163, Rn. 8. 247 Maunz/Dürig/Di Fabio, GG Art. 2 Abs. 1 Rn. 173 a.E.; zwar gab es Stimmen, die das informationelle Selbstbestimmungsrecht als ein vom BVerfG in Überschreitung seiner Kompetenzen durch richterliche Rechtsetzung kreiertes neues Grundrecht ansahen (Fromme, FAZ 1983 (17. 12. 1983), 12 „Ein neues Grundrecht ist erfunden“; Krause, JuS 1984, 268), jedoch ist diese Kritik wegen des Erfordernisses der Entwicklungsoffenheit des allg. Persönlichkeitsrechts, um auf dynamische gesellschaftliche und technische Entwicklungen begegnen zu können, unbegründet. 248 Roßnagel, MMR 2007, 16. 249 Pieroth/Schlink/Kingreen u. a., Staatsrecht II, § 8 Rn. 416. 245
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B. Zwecksetzung des 15. Abschnitts des StGB
haltens- und Persönlichkeitsprofil anzufertigen; ein belangloses Datum gibt es damit nicht mehr.250 Der Einzelne ist darüber bestimmungsbefugt, ob und inwieweit Informationen über ihn erhoben und verarbeitet werden dürfen.251 Geschützt wird das Individuum gegen das unbefugte Feststellen, Erheben (Akte der Informationsgewinnung), Verwenden, Verarbeiten, Weitergeben und Veröffentlichen (Akte der Informationsverbreitung) der personenbezogenen Daten. Dieses Grundrecht entfaltet Schutzwirkung für den Bürger gegen Informationseingriffe von Staatsseite, aber durch die Bundes- und Landesgesetzgebung im Daten- und Informationsrecht auch im Verhältnis der Bürger untereinander bzw. zwischen Unternehmern und Verbrauchern.252 Denn der mit dem objektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechtsnorm verbundene Auftrag des Staates zur Errichtung einer funktionsfähigen und gefahrenresistenten Kommunikationsinfrastruktur beinhaltet auch Vorkehrungen zur Abwehr von Gefahren durch Private.253 Da bspw. private Kommunikationsdienste und –plattformen anders als staatliche Machtträger nicht den spezifischen rechtsstaatlichen Vorkehrungen zur Missbrauchsabwehr unterliegen, ist hier häufig ein gesteigerter Schutzbedarf gegeben, der weitgehend nur durch positive Schutzvorkehrungen gesichert werden kann.254 Der Gesetzgeber hat dementsprechend den Bereich der Datenerhebung u. a. durch private Stellen in den §§ 27 ff. BDSG geregelt. Grundsätzlich nicht geschützt sind hingegen Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, es sei denn, sie weisen einen personalen Bezug auf wie die Arbeitsunterlagen eines Anwalts, die sich auf die Person des Anwalts und des Klienten beziehen.255 Entscheidend für die Betrachtung aus strafrechtlicher Sicht ist die Funktion des informationellen Selbstbestimmungsrechts als allgemeine objektive Schutznorm gegen Dritte, indem es gesetzgeberische und administrative Vorkehrungen verlangt, mit dem Ziel, Beeinträchtigungen des Einzelnen auch durch private Dritte256 zu unterbinden.257 cc) Schranken Ein uneingeschränktes Recht auf informationelle Selbstbestimmung i.S. einer absoluten Herrschaft über die eigenen Daten gibt es jedoch nicht.258 In einem ge250
Münch/Kunig/Kunig, GG Art. 2 Rn. 41. Ehmann, JuS 1997, 193, 196. 252 Hoffmann-Riem, AöR 1998, 513 ff. 253 Hoffmann-Riem, AöR 1998, 513, 524. 254 Hoffmann-Riem, AöR 1998, 513, 525. 255 BVerfGE 113, 29, 46 f. 256 Vgl. dazu B. I. 2. 257 Vgl. BVerfGE 34, 269, 281 f.; 79, 51, 63; 83, 130, 140; übersichtsartige Darstellung von Fällen mittelbarer Drittwirkung des informationellen Selbstbestimmungsrechts und allgemeinen Persönlichkeitsrechts vgl. Münch/Kunig/Kunig, GG Art. 2 Rn. 40 ff. 258 Leibholz/Rinck/Burghart, GG Art. 2 Rn. 106; Maunz/Dürig/Di Fabio, GG Art. 2 Rn. 179. 251
I. Ausgangsüberlegung
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meinschaftlichen Leben und Wirken in der sozialen Gesellschaft wäre dies nicht möglich, da die Interaktion und Kommunikation zwischen Staat und Bürger erheblich eingeschränkt wäre: Jede Form staatlicher Informationsanfrage, wie etwa Einkommens-, Familien- oder Eigentumsverhältnisse könnte vom Einzelnen abgewiesen werden, was den Zusammenbruch oder zumindest die Dysfunktion der staatlichen Sozialversorgung (gesetzliche Renten-, Kranken- oder Arbeitslosenversicherung) und der Einnahmemöglichkeiten über Steuererhebungen (Einkommensteuer) zur Folge hätte.259 Eine solche „Informationsvorsorge“ im Vorfeld regulierender Staatstätigkeit ist notwendiger Annex der jeweils zu erledigenden Staatsaufgabe.260 Zudem würde ein Recht auf absolute Nichtkommunikation gegenüber Staat und Mitbürgern den Entscheidungsmotiven des Bundesverfassungsgerichts im Volkszählungsurteil zuwiderlaufen, wonach die soziale Kommunikationsfähigkeit als Grundlage der Persönlichkeitsentfaltung zu schützen sei.261 Der Einzelne als gemeinschaftsbezogenes, soziales Wesen muss Eingriffe grundsätzlich dulden, wenn sie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Dazu müssen die Eingriffe zunächst auf Basis einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage erfolgt sein; diese muss überwiegenden Allgemeininteressen dienen und die Einschränkung darf nicht weitergehen als zum Schutz dieser Interessen unerlässlich ist.262 An den mit dem staatlichen Eingriff verfolgten Zweck sind umso höhere Anforderungen zu stellen, je tiefer die in den Daten gespeicherten Informationen Auskunft über den privaten Bereich des Betroffenen geben und je intensiver die Daten benutzt werden sollen.263 Auch wenn der Schutzbereich des informationellen Selbstbestimmungsrechts Daten jedweder Art umfasst, solange sie einen Personenbezug aufweisen, sind Ermächtigungsgrundlagen für die Erfassung personenbezogener Daten, denen vergleichsweise wenig Aussagekraft über den Privatbereich des Einzelnen innewohnt, daher leichter zu rechtfertigen als solche zur Erfassung besonders „privater“ oder „intimer“ Daten. Des Weiteren muss der Eingriff den Maßstäben der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit genügen. Die persönlichkeitsrechtliche Bedeutung eines Datums und die damit einhergehenden Anforderungen an einen staatlichen Eingriff ergeben sich aus dem Verwendungszusammenhang: Erst wenn klar ist, zu welchem Zweck Angaben verlangt und welche Verknüpfungen und Verwendungen damit möglich werden, lässt sich die Frage einer zulässigen Beschränkung des informationellen Selbstbestimmungsrechts beantworten.264
259 Borchers, Die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte in das deutsche Gesundheitswesen, S. 19. 260 Vgl. insbesondere zum Begriff der „Informationsvorsorge“ Scholz/Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung und staatliche Informationsverantwortung, S. 103 ff. 261 Ähnlich auch Borchers, Die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte in das deutsche Gesundheitswesen, S. 19. 262 Maunz/Dürig/Di Fabio, GG Art. 2 Rn. 179, 181. 263 Maunz/Dürig/Di Fabio, GG Art. 2 Rn. 181. 264 Leibholz/Rinck/Burghart, GG Art. 2 Rn. 107.
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B. Zwecksetzung des 15. Abschnitts des StGB
II. Auswirkungen auf den strafrechtlichen Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Der Schutz des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs, wie er im 15. Abschnitt des StGB seinen Niederschlag gefunden hat, stellt den strafrechtlich relevanten Bereich von Persönlichkeitsrechtsverletzungen dar. Es ist zu untersuchen, ob es sich beim Schutzbereich der §§ 201 ff. StGB um die oben herausgearbeiteten verschiedenen Aspekte des verfassungsrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts handelt, nämlich das Recht am eigenen Wort, das Recht am eigenen Bild, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und das Recht auf Selbstentfaltung und Privatsphäre. Erst nachdem das geltende Recht interpretiert wurde, lässt sich eine rechtspolitische Wertung vornehmen. Der verfassungsmäßige Schutz der Persönlichkeit fußt auf der für sämtliche genannten Interessen elementaren Erkenntnis, dass die Persönlichkeitsentwicklung des Einzelnen von der Gewährleistung eines hierfür notwendigen freien Raumes durch die Gemeinschaft und den Staat abhängt, „in dem er unbeobachtet sich selbst überlassen ist oder mit Personen seines besonderen Vertrauens ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Verhaltenserwartungen und ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen verkehren kann.“265 Im Vordergrund steht bei der Anerkennung eines individuellen, gegenständlichen oder immateriellen Freiheitsraumes die Notwendigkeit eines geschützten Bereiches zur Selbstfindung des Individuums, welche letztlich der Allgemeinheit zugutekommt und daher im Interesse einer freiheitlichen demokratischen Gesellschaftsordnung zu achten und zu schützen ist – „denn erst die Abschirmung der Privatheit ermöglicht die Entwicklung, das Festigen und Wiedergewinnen personeller Identität und damit eine soziale Aktivität, die aus der Eigenartigkeit des Individuums heraus zu jener vielfältig-originellen Mitgestaltung des Gemeinwesens führt, die eine lebendige Demokratie substantiell charakterisiert.“266 Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Ausformung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts stellt eine Zusammenfassung aller Aspekte des Persönlichkeitsschutzes dar, die auf Informationen über die Persönlichkeit des Einzelnen und insbesondere über dessen Privatsphäre bezogen sind. Begrenzung des Informationsflusses bedeutet zugleich Begrenzung staatlicher oder gesellschaftlicher Kontrolle und damit die Freiheit zur Selbstverwirklichung und Selbstdarstellung des Menschen in seinen sozialen Bezügen. Dies gilt gleichermaßen für das Recht auf Selbstdarstellung. Gemeint ist damit jener Vorgang, „der sich im sozialen Kontakt (…) vollzieht, also im Wissen darum, dass man mit jeder einsehbaren Lebensäußerung absichtlich oder unabsichtlich eine Aussage über sich selbst ver265 BVerfGE 90, 255, 260; 32, 373, 379; 54, 148, 155; 109, 279, 313 f.; Degenhart, JuS 1992, 361; Peglau, Der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch das Strafrecht, S. 5, 9; Schünemann, ZStW 90 (1978), 11, 28. 266 Schmitt Glaeser, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1989, § 129 Rn. 2.
II. Auswirkungen auf den strafrechtlichen Schutz
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bindet. (…) Selbstdarstellung ist daher (…) eine selektive Leistung und infolgedessen stets durch inkonsistente und daher peinliche Informationen bedroht. Mit jeder Kommunikation riskiert der Mensch seine Würde. In Anwesenheit anderer muss er sich zusammennehmen. Er kann nicht jede Körperbewegung vollziehen, nicht jedem Bedürfnis nachgeben. Und er muss gegen Einsicht schützen, was verborgen bleiben soll.“267 Notwendig sind Gelegenheiten der Ruhe und des Ausruhens, in denen „man allein oder in vertraulicher Gemeinschaft körperlich und habituell für oder unter sich sein, sich entspannen und auch gehen lassen kann, fern ab jeden sozialen Rollenzwangs und jeder gesellschaftlichen Verhaltenserwartung.“268 Diese Grundrechte sollen bestimmte Freiheiten garantieren, insbesondere die Disponibilität von Kommunikationen; das Recht gewährt insoweit die Möglichkeit, Beziehungen frei zu gestalten und zu bestimmen.269 Der Menschenwürdekern des allgemeinen Persönlichkeitsrechts macht die Schutzaufgabe des Staates im Interesse des gefährdeten Bürgers deutlich, da es gem. Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG Verpflichtung aller staatlichen Gewalt ist, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen. In strafrechtlicher Hinsicht bedeutet dies aber insbesondere auch, den Bürger im grundrechtsgefährdenden Kontakt mit Dritten positiv (durch Strafandrohung) zu schützen, um die für die Persönlichkeitsentfaltung des Einzelnen unabdingbaren Rahmenbedingungen zu schaffen.270 Das Grundgesetz ist hierbei in vielfacher Hinsicht für das Strafrecht von unmittelbarer Bedeutung, weshalb man z. B. auch von der verfassungsrechtlichen Fundierung und Limitierung des Strafrechts271 spricht. So werden etwa aus dem Gesetzlichkeitsgrundsatz („nullum crimen, nulla peona sine lege“) in Art. 103 Abs. 2 GG das Erfordernis gesetzlicher Strafbegründung, das Gebot der Bestimmtheit von Strafgesetzen, das Verbot analoger Anwendung von Strafgesetzen zum Nachteil des Angeklagten sowie das Verbot rückwirkender Strafbarkeitsbegründung oder Strafschärfung abgeleitet.272 Auch den Grundrechten kommt eine wichtige Bedeutung für das Strafrecht zu. Zwar darf die strafrechtliche Rechtsgüterordnung keinesfalls mit einer angeblichen verfassungsrechtlichen Wertordnung gleichgestellt werden273, da sich bei den Rechtsgütern der einzelnen Tatbestände neben solchen, die wie das menschliche Leben grundgesetzlichen Wertentscheidungen entsprechen, auch 267
Luhmann, Grundrechte als Institution, 60, 67; BVerfGE 80, 367, 374; 109, 279, 319, 321; Degenhart, JuS 1992, 361; Münch/Kunig/Kunig, GG Art. 2 Rn. 34, 38. 268 Horn, in: Arnauld/Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 32009, § 149 Rn. 11. 269 Luhmann, Grundrechte als Institution, 23. 270 Maunz/Dürig/Di Fabio, GG Art. 2 Rn. 61; Epping/Hillgruber/Lang, GG Art. 2 Rn. 27; vgl. auch BGHZ 33, 145, 150. 271 S/S/Eser/Hecker, Vor § 1 Rn. 30. 272 LK/Weigend, Einl. Rn. 14; vgl. auch Maunz/Dürig/Schmidt-Aßmann, GG Art. 103 Abs. 2 Rn. 224 ff. 273 S/S/Eser/Hecker, Vor § 1 Rn. 30; vgl. auch Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 138.
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B. Zwecksetzung des 15. Abschnitts des StGB
zahlreiche eigenständig mediatisierte Güter finden: Während aus strafrechtlicher Sicht der Schutz des Lebens und der Gesundheit sowie anderer „fundamentaler Rechtsgüter“ wie Bewegungsfreiheit und Eigentum identisch mit den entsprechenden verfassungsrechtlichen Grundwerten ist und dem Gesetzgeber daher positive strafrechtliche Schutzpflichten obliegen, ist im Bereich etwa des Wirtschaftsoder Umweltstrafrechts angesichts der fehlenden Festlegung des Grundgesetzes auf ein bestimmtes kriminalpolitisches Modell die Straflegitimierung problematisch. Entsprechend muss man sich hierfür mit dem fraglichen Konstrukt eines Wertekonsenses im Sinne allgemeiner Missbilligung behelfen.274 Neben der klassischen, historisch geprägten Funktion als Abwehrrechte gegen den Staat kommt den Grundrechten als objektive Werteordnung der Verfassung auch eine Drittwirkung im Verhältnis zwischen Privaten zu. „Dieses Wertesystem, das seinen Mittelpunkt in der innerhalb der sozialen Gemeinschaft sich frei entfaltenden menschlichen Persönlichkeit und ihrer Würde findet, muss als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gelten; Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung empfangen von ihm Richtlinien und Impulse.“275 Damit strahlen die Grundrechte auf die Gesamtrechtsordnung aus, so dass sie den Staat verpflichten, die für die Persönlichkeitsentfaltung des Einzelnen essentiellen Rahmenbedingungen zu gewährleisten. Hieraus ist bei elementaren Werten des Soziallebens als ultima ratio eine verfassungsrechtliche Pönalisierungspflicht des Gesetzgebers herzuleiten. Die Gefahr der Beeinträchtigung eines Grundrechts durch einen privaten Dritten geht etwa in Form von Behauptungen oder Darstellungen mit beleidigendem oder unwahrem Inhalt oder durch Verbreitung von Bildern oder Tatsachen aus dem Intimbereich aus; daher muss der Staat das grundrechtlich geschützte Verhalten eines Bürgers auch vor Beeinträchtigungen durch einen anderen Bürger schützen.276 Dies gilt insbesondere dann, wenn der Staat sich aus wichtigen Feldern der Gesellschaft zurückzieht und sich auf grobsteuernde Aufsicht beschränkt.277 Diese Schutzpflicht ergibt sich auch aus der grundsätzlichen Ausübung des staatlichen Gewaltmonopols als Kompensation für das Verbot der Selbsthilfe. Weil er dem Einzelnen die Möglichkeiten des Selbstschutzes genommen hat, muss der Staat Grundrechtsgefährdungen entgegentreten, durch welche die Freiheit des Bürgers durch einen anderen eingeschränkt wird, sofern die Einschränkung erheblich und irreversibel wäre und nicht autonom seitens des Betroffenen regulierbar ist. Der Schwächere kann seine Autonomie selbst nicht wirksam vor der Fremdbestimmung eines Stärkeren verteidigen, wenn bspw. der Einzelne faktisch zur Mitteilung personenbezogener, sensibler Daten gegenüber dem Versicherungsunternehmen, dem zukünftigen Arbeitgeber oder Vermieter verpflichtet ist. Erst der Staat kann und muss durch Schaffung verschiedener gesetzlicher Regelungen diesem Kräfteungleichgewicht Einhalt gebieten. Dies gilt bis hin zu der banalen Situation, dass z. B. der körperlich Unterlegene eine unbefugte 274 275 276 277
Tiedemann, Verfassungsrecht und Strafrecht, S. 54. BVerfGE 7, 198, 205. Münch/Kunig/Kunig, GG Art. 2 Rn. 40 ff.; Sachs/Sachs, GG Vor Art. 1 Rn. 37, 38. Maunz/Dürig/Di Fabio, GG Art. 2 Rn. 135.
II. Auswirkungen auf den strafrechtlichen Schutz
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Bildaufnahme und –verbreitung durch den physisch stärkeren auch gewaltsam nicht verhindern kann. Folglich muss der Staat seiner Schutzpflicht nachkommen, indem er gesetzliche Schutzmöglichkeiten für den Einzelnen schafft. Wenn aber die Schutzwürdigkeit eines bestimmten Interesses allgemein konsentiert ist, besagt dies noch nicht, dass strafrechtlicher Schutz auch tatsächlich zu gewähren ist; vielmehr ist im Rahmen der Schutzbedürftigkeit zunächst zu prüfen, ob weniger einschneidende, aber gleich geeignete Schutzmöglichkeiten für das betroffene Rechtsgut bestehen.278 Hierunter können alternative und weniger eingriffsintensive279 staatliche (Zwangs-) Mittel (z. B. Steuerrecht, Schadensersatzrecht, Verwaltungsrecht), außerrechtliche Mittel (z. B. Mediation, Verhaltenssteuerung durch ökonomische Anreize) oder individuelle Schutzmöglichkeiten des Rechtsgutsinhabers verstanden werden, wobei dies auch davon abhängt, ob ein Schutzgut ausschließlich oder nebeneinander individual- oder kollektivschützende Wirkung entfaltet. Beispielhaft für individuelle Schutzmöglichkeiten im Bereich des Schutzes des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs nennt Schünemann280 etwa die Vornahme intimer Handlungen ausschließlich in den eigenen vier Wänden, das Ausschließen unerwünschter Mithörer bei Gesprächen durch Herabsetzung der Lautstärke und das Versehen der schriftlichen Kommunikation und aller privaten Dokumente mit einem Verschluss.281 Inwieweit die hier anklingende Viktimodogmatik zur Klärung der Legitimationsfrage von Verbotsnormen beizutragen vermag und welche Problematik mit ihr einhergeht, soll an gegebener Stelle untersucht werden.282 In Betracht kommen zunächst weniger einschneidende zivilrechtliche Schutzmaßnahmen; z. B. Ansprüche auf Schadensersatz oder Unterlassung nach den §§ 823 Abs. 1 und 1004 BGB oder der presserechtliche Gegendarstellungsanspruch nach den Landespressegesetzen.283 Jedoch ergeben sich angesichts der Bedeutung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts für die freie Entfaltung des Menschen Zweifel hinsichtlich der Effektivität des zivilrechtlichen Schutzes. Zwar dient die zivilrechtliche Rechtsfolge des Schmerzensgeldanspruchs nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung sowohl der Genugtuung als auch der Prävention.284 Jedoch schärft das Strafrecht das „Unrechtsbewusstsein“ der Bevölkerung (über das, was „verbo-
278
St. Rspr. des BVerfG: BVerfGE 34, 261, 266; 39, 1, 47; 45, 187, 260; 57, 250, 270; 73, 206, 253 f.; 88, 203, 258; Pollähne, KritV 2003, 387, 390. 279 Die umstrittene Frage, ob das Strafrecht pauschal als das relativ eingriffintensivste Mittel bezeichnet werden kann, soll hier nicht behandelt werden, vgl. hierzu etwa Tiedemann, Verfassungsrecht und Strafrecht, 52. 280 Vgl. auch LK/Schünemann, § 203 Rn. 16. 281 Schünemann, ZStW 90 (1978), 11, 32 f.; eine „viktimologisch“ orientierte Interpretation des § 201 StGB findet sich auch bei Blei, JA 1974, 601, 605. 282 Vgl. dazu unten C. V. 2. c) und C. V. 2. f). 283 Vgl. hierzu BVerfGE 63, 131, 142 ff.; 97, 125, 146 ff. 284 BGHZ 128, 1 = NJW 1995, 861; BGHZ 160, 298 = NJW 2005, 215; BGH NJW 1996, 984; siehe auch BVerfG NJW 2006, 595; Dauner-Lieb/Langen/Katzenmeier, § 823 Rn. 245.
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B. Zwecksetzung des 15. Abschnitts des StGB
ten“ ist) und übt zudem eine Signalwirkung aus285, die das Zivilrecht so nicht leisten kann. Das Strafrecht kann wegen seines Tadelcharakters dazu beitragen, die Prävention zu verbessern und Hemmschwellen zu erhöhen, weil in einer Bestrafung auch die sozialethische Missbilligung durch die Rechtsgemeinschaft zum Ausdruck kommt.286 Darüber hinaus sind prozessrechtliche Vorteile einer strafrechtlichen Verfolgung gegenüber der zivilrechtlichen Ahndung denkbar. Zunächst ist als gewichtiger Nachteil des Zivilrechts das dort bestehende Kostenrisiko zu nennen. Die Beweisschwierigkeiten sind zwar grundsätzlich in beiden Verfahrensarten gleich, jedoch wirken sie sich, wenn der Beweis nicht geführt werden kann, im Zivilrecht unmittelbar nachteilig auf den unterlegenen Kläger aus, da er gem. § 91 ZPO die Kosten des Verfahrens zu tragen hat. Wird der Beschuldigte im Strafprozess hingegen freigesprochen, trägt gem. § 467 Abs. 1 StPO die Staatskasse die Verfahrenskosten. Zudem wird der unterlegene Kläger im Zivilrecht als „Verlierer“ und der Beklagte als „Gewinner“ bezeichnet, während der Verletzte – unabhängig von der Teilnahme am strafrechtlichen Verfahren – bei einem strafprozessualen Freispruch des Beschuldigten „sein Gesicht wahren“ kann.287 Überdies verfügt die Staatsanwaltschaft über wesentlich bessere Aufklärungsmöglichkeiten (Beschlagnahmen verdächtigen Materials gem. §§ 94 ff. StPO) als der zivilrechtliche Kläger.288 Selbst wenn das Zivilgericht dem Kläger eine billige Entschädigung in Geld zuspricht, ist noch nicht sichergestellt, dass die Entschädigung auch beim Opfer ankommt (z. B., wenn sie das Vermögen des Beklagten übersteigt). Daher kann die Notwendigkeit bestehen, die im sozialen Umgang mit der Gemeinschaft bestehenden Risiken des Einzelnen dahingehend zu minimieren, dass indiskretes Verhalten durch Dritte in einem bestimmten Rahmen strafrechtlich sanktioniert wird. Dieser Rahmen ist aufgrund des großzügigen Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers grundsätzlich weit zu verstehen289 und negativ durch das sog. „Untermaßverbot“290, positiv durch das „Übermaßverbot“291 begrenzt. Das Untermaßverbot ist dann verletzt, wenn aufgrund des fehlenden strafrechtlichen Schutzes wichtige Interessen des Individuums oder der Allgemeinheit schutzlos dem Untergang preisgegeben wären292 ; zu den wesentlichen Aufgaben des Staates gehört insoweit die Gewährung der institutionellen Bedingungen friedlichen und gedeihlichen Zusammenlebens und der Schutz vitaler Interessen der Bürger.293 Das Übermaßverbot gibt vor, dass die Konsequenzen der Begehung einer Straftat für den 285
BVerfGE 96, 245, 249; 105, 135, 153. LK/Weigend, Einl. Rn. 1. 287 Schmidt, ZStW 79 (1967), 741, 768 f. 288 Eisele, JR 2005, 6, 7. 289 Zum weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers vgl. BVerfGE 46, 160, 164 f.; 56, 54, 80 f.; 77, 170, 214 f.; 79, 174, 202; 88, 203, 262; 96, 56, 64; 98, 169, 201 ff. 290 BVerfGE 88, 203, 254. 291 Vgl. hierzu Maunz/Dürig/Di Fabio, GG Art. 2 Rn. 41. 292 Grundlegend BVerfGE 39, 1, 47 ff.; 88, 203, 281. 293 LK/Weigend, Einl. Rn. 2. 286
II. Auswirkungen auf den strafrechtlichen Schutz
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Täter und das Maß der von ihm begangenen Rechtsgutsverletzung in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen.294 Da eine Strafnorm bei deren Verstoß mit der zu vollziehenden Freiheits- oder Geldstrafe empfindlich in die Grundrechte des Täters eingreift, ist es Aufgabe des Gesetzgebers, „zwischen den einander gegenüberstehenden Grundrechten abzuwägen und die negativen Folgen zu berücksichtigen, die eine bestimmte Form der Erfüllung der Schutzpflichten haben könnte.“295 Ein strafrechtlicher Schutz der oben genannten Aspekte des allgemeinen Persönlichkeitsrechts kann und darf strafrechtlich nur in Bezug auf bestimmte, restriktiv zu definierende Interaktionszusammenhänge gewährt werden. Verglichen mit ihrem Eingriffsziel müssen die Strafgesetze zum Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts daher im Hinblick auf die Intensität der Strafdrohung gegenüber Dritten nach den Vorgaben des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als angemessen anzusehen sein.296 Hierfür liefern die Ermittlung der für den Einzelnen absolut unverzichtbaren Schutzgüter und das bereits angesprochene gesellschaftliche Informationsinteresse wichtige Anhaltspunkte. Entscheidend bei der strafrechtlichen Erfassung von grundfreiheitsverletzenden Handlungen der einzelnen Mitglieder der Gesellschaft untereinander ist demnach die Frage, ab wann ein Verhalten ein schützenswertes Rechtsgut derart intensiv beeinträchtigt, dass zu dessen Schutz das Strafrecht als einschneidendstes Mittel, als ultima ratio, eingreifen darf. Dies ist bei der Bestimmung von Umfang und Inhalt des strafrechtlichen Schutzes des allgemeinen Persönlichkeitsrechts die Schnittstelle zwischen verfassungsrechtlich garantierten Grundrechten und deren Schutz durch das Strafrecht. Eine weitreichende, wenn auch für die Persönlichkeitsentwicklung unverzichtbare verfassungsrechtlich garantierte Ausübung der Rechte am eigenen Bild und Wort, auf Selbstentfaltung und Privatheit und des informationellen Selbstbestimmungsrechts darf strafrechtlich nicht umfassend geschützt werden, weil sonst alltägliche Handlungen unter Strafe stünden und die strafrechtlichen Konsequenzen (insbesondere die Freiheitsstrafe) für den Täter einen unverhältnismäßigen Eingriff in dessen Grundrechte darstellten. Für den Schutz vor anderen, das geschützte Rechtsgut weniger intensiv beeinträchtigenden Handlungen können nichtstrafrechtliche Schutzmöglichkeiten wie etwa zivilrechtliche Unterlassungsoder Schadensersatzansprüche ausreichen. Für die strafrechtlich relevanten Bereiche des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ergibt sich damit folgendes: Das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht am eigenen Bild wirkt grundsätzlich umfassend, so dass der Schutzbereich Bildaufnahmen unabhängig von deren konkretem Inhalt erfasst. Es kommt lediglich darauf an, dass die jeweilige Aufzeichnung einem bestimmten Individuum zugeordnet werden kann. Auch kommt es nicht darauf an, an welchem Ort die Bildaufnahme stattfand. Wie noch zu zeigen sein wird, ginge der strafrechtliche Schutz des Rechts am eigenen 294 295 296
Maunz/Dürig/Di Fabio, GG Art. 2 Rn. 41. BVerfGE 96, 56, 64. BVerfGE 91, 125, 137 f.; 100, 271, 284.
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B. Zwecksetzung des 15. Abschnitts des StGB
Bild zu weit, wenn man ihn an den verfassungsrechtlichen Schutzbereich anpasste. Dementsprechend muss im Rahmen des strafrechtlichen Bildnisschutzes eine geeignete Beschränkung des Schutzbereiches gefunden werden, die zugleich dem Erfordernis des gesellschaftlichen Informationsinteresses gerecht wird. Ähnliches muss für den Schutzbereich des informationellen Selbstbestimmungsrechts gelten, da sonst jeder Akt des Feststellens, Erhebens, Verwendens, Verarbeitens, Weitergebens oder Veröffentlichens personenbezogener Daten auch durch Private strafbar wäre. Warum nur bestimmte Bereiche des informationellen Selbstbestimmungsrechts strafrechtlich schutzwürdig sind (und nur gegenüber bestimmten Personenkreisen), wird an gegebener Stelle297 aufzuzeigen sein. Auch das Recht am eigenen Wort und die Fallgruppe der Selbstentfaltung und Privatsphäre298 werden strafrechtlich in anderer Weise zu schützen sein als durch das Verfassungsrecht. Auch ergibt sich für die strafrechtlichen Schutzgüter, dass diese zwar auf den hier genannten Schutzinteressen fußen, jedoch ggfs. aufgrund strafrechtsdogmatischer Prinzipien wie des Bestimmtheitsgebots nach Art. 103 Abs. 2 GG und des Übermaßverbots einer Modifikation hinsichtlich der Modalität der Beschreibung des tatbestandlichen Verhaltens bedürfen. Schon die tatbestandliche Einschränkung des jeweiligen Schutzbereichs führt jedoch dazu, dass die verfassungsrechtlichen und strafrechtlichen Schutzinteressen sich nicht entsprechen und letztere daher genauer zu bezeichnen sind. Diese Problematik wird Schwerpunkt der Untersuchung der §§ 201 – 206 StGB sein.
III. Kollektivrechtsgüterschutz im 15. Abschnitt des StGB Nach seiner Überschrift „Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs“ scheint der 15. Abschnitt des StGB auf den Schutz von Individualrechtsgütern gerichtet zu sein. Dafür spricht auch der Umstand, dass gemäß § 205 StGB alle Tatbestände dieses Abschnitts außer § 206 StGB Antragsdelikte sind. Dennoch wird in der Literatur vertreten, es handele sich bei den geschützten Rechtsgütern zumindest auch um Kollektivrechtsgüter.299 So schütze etwa § 203 StGB das Vertrauen der Allgemeinheit in die Verschwiegenheit bestimmter Berufsangehöriger300 und § 206 StGB das „Vertrauen der Allgemeinheit in das ordnungsgemäße Funktionieren des Post- und Fernmeldeverkehrs“ als Kollektivrechtsgüter.301 297
Vgl. unter B. V. 2. f) und g). S. o. unter B. I. 3. b) bb). 299 So z. B. L/Kühl, § 206 Rn. 1; Tröndle/Fischer, § 206 Rn. 1; Maurach/Schroeder/Maiwald, Besonderer Teil I, § 29 I Rn. 4, „doppelte Schutzrichtung“; Maiwald, JuS 1977, 353, 362. 300 So noch S/S/Lenckner, § 203 Rn. 3, in der 27. Auflage (mittlerweile auch das Individualinteresse als primär geschützt ansehend in S/S/Lenckner/Eisele, § 203 Rn. 3, 29. Auflage). 301 MüKo-StGB/Graf, § 206 Rn. 1 m.w.N. 298
III. Kollektivrechtsgüterschutz im 15. Abschnitt des StGB
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Solche Kollektivrechtsgüter lassen sich in vier unterschiedliche Gruppen unterteilen: die kollektiven Vertrauensrechtsgüter (z. B. Vertrauen in die Sicherheit des Geldes), die Rechtsgüter zum Schutz aufzehrbarer gesellschaftlicher Kontingente (z. B. Umweltrechtsgüter), staatliche Funktionsrechtsgüter (z. B. Bestand des Staates und seiner Einrichtungen) sowie aufzehrbare staatliche Kontingente (z. B. Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen)302. In Betracht kommt für die Normen des 15. Abschnitts die Kategorie der Vertrauensrechtsgüter. Zur Untermauerung der Ansicht vom doppelten Schutzzweck kann man anführen, dass z. B. § 203 StGB sich auf einen bestimmten Täterkreis beschränkt (etwa staatlich geprüfte Funktionsträger), was auf ein überindividuelles Schutzinteresse hindeuten könnte (etwa das Vertrauen in staatlich geprüfte Funktionsträger).303 Zudem verbietet § 201 StGB das Aufnehmen und Abhören dienstlicher oder geschäftlicher Unterredungen, § 202 StGB gilt auch für Behördenpost304 und § 202a StGB schützt zumindest auch das Ausspähen nichtpersonenbezogener Daten305, so dass der Schutz einer persönlichen Individualsphäre in Zweifel gezogen werden könne. Das Hauptargument der Ansicht eines über den Individualbereich hinausgehenden Schutzzwecks wird jedoch § 206 StGB entnommen: Die Vorschrift diene dem Vertrauen der Allgemeinheit in das ordnungsgemäße Funktionieren des Post- und Fernmeldeverkehrs.306 Geschützt werde die Verschwiegenheit bestimmter Berufsgruppen als notwendige Voraussetzung für die Erfüllung von Funktionen, die im Interesse der Allgemeinheit liegen.307 Ginge man jedoch vom Schutz dieser Kollektivrechtsgüter aus, würde es sich bei den einschlägigen Normen um abstrakte Gefährdungstatbestände handeln. Damit würde der vom materiellen Verbrechensbegriff als unerlässlich erkannte konkrete Verletzungszusammenhang von einzelner Handlung und Rechtsgut vernachlässigt werden.308 Denn Kollektivrechtsgüter wie das „Vertrauen in die Verschwiegenheit bestimmter Berufskreise“ (§ 203 StGB) oder das „Vertrauen der Allgemeinheit in das ordnungsgemäße Funktionieren des Post- und Fernmeldeverkehrs“ (§ 206 StGB) sind auf einem Abstraktionsniveau anzusiedeln, welches die Behauptung einer Rechtsgutsverletzung oder -gefährdung der empirischen Überprüfung entzieht.309 Die Annahme solcher Kollektivrechtsgüter, sofern sie selbständig existieren, könnte demnach Zweifel hinsichtlich der „Strafwürdigkeit“ und „Strafbedürftigkeit“ aufwerfen. Des Weiteren könnte man jeden individualschützenden Tatbestand zu einem Vertrauenstatbestand in diesem Sinne umdeuten, z. B. § 212 StGB als Schutz des Vertrauens der Bevölkerung in die Sicherheit des Lebens. Zudem widerspricht ein 302
Vgl. dazu Hefendehl, ZIS 2012, 506, 507. Vgl. den Gesetzeswortlaut in § 203 Abs. 1 und § 204 Abs. 1 StGB. 304 MüKo-StGB/Graf, § 202 Rn. 11. 305 NK/Kargl, Vor § 201 Rn. 6. 306 BGH NJW 1968, 2290; Eser ZStW 97 (1985) S. 41; Haffke, GA 1973, 65, 67; Henssler, NJW 1994, 1817, 1819 f. 307 NK/Kargl, Vor § 201 Rn. 6. 308 Vgl. NK/Kargl, Vor § 201 Rn. 7. 309 NK/Kargl, Vor § 201 Rn. 7. 303
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B. Zwecksetzung des 15. Abschnitts des StGB
solches Verständnis der Aussage der Gesetzesmaterialien zum 15. Abschnitt des StGB, wonach dessen Schutzzweck seinen Ursprung in den subjektiven Abwehrrechten des Art. 1 und 2 GG findet.310 Der Schutz des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs ließe sich kaum mit kollektivschützenden Rechtsgütern vereinbaren. Auch lässt sich der Auffassung eines Kollektivschutzes entgegengehalten, dass § 201 StGB zwar dienstliche und gewerbliche Belange in seinen Schutzbereich einbezieht, dass diese aber ebenfalls unter das Individualrechtsgut des Verfügungsrechts über bestimmte Informationen fallen.311 Insoweit ist kein Grund ersichtlich, von der individualbezogenen Auslegung des Normzwecks abzuweichen. Dies gilt ebenso bei § 203 StGB.312 Dort werden Geheimnisse zwar nur geschützt, wenn sie den in Abs. 1 und 2 aufgezählten Berufsgruppen anvertraut werden.313 Dies geschieht aber regelmäßig deshalb, weil der Einzelne auf bestimmte Leistungen der Angehörigen dieser Berufsgruppen angewiesen ist, zu deren Erhalt es einer partiellen Preisgabe eigener Geheimnisse bedarf314 ; im Vordergrund steht demnach das Geheimnisinteresse des Einzelnen und nicht etwa das Kollektivrechtsgut des Vertrauens in die schweigepflichtigen Berufsgruppen.315 Soweit über § 203 StGB die für das Gesellschaftsleben als wichtig angesehenen Funktionen der betreffenden Berufsgruppen geschützt werden, ergibt sich der Gemeinschaftsaspekt als Reflex aus dem Schutz der Individualinteressen, der bei allen Sonderdelikten zum Tragen kommt.316 Der Ansicht, dass § 206 StGB Kollektivrechtsgüter schützt, ist zu widersprechen317, da die Privatisierung dieser Dienstleistungen im Dezember 1997 mit dem Beamtenstatus gleichzeitig den Angriff auf das informationelle Verfügungsrecht als Amtsdelikt beseitigt hat.318 Infolgedessen kann die Geheimhaltungspflicht nicht mehr mit der besonderen Vertrauenswürdigkeit derjenigen Personen erklärt werden, welche die betreffenden Berufe ausüben, sondern nur mit der eingeschränkten Abwehrmöglichkeit der potenziell Geschädigten.319 Kargl führt dazu aus, es sei nicht die besondere Zuverlässigkeit bestimmter Berufsgruppen, die Menschen veranlasse, die eigene Privatsphäre zu lockern, sondern die schiere Angewiesenheit auf deren Dienstleistungen; mithin behalte das Interesse am Schutz der individuellen Verfügung über eigene Informationen die Oberhand gegenüber Allgemeininteressen.320
310 311 312 313 314 315 316 317 318 319 320
BT-Drucks. 7/550, S. 235. Zur strukturellen Parallele bei § 123 StGB: SK/Hoyer, Vor § 201 Rn. 2. Vgl. dazu eingehend C. V. 2. NK/Kargl, Vor § 201 Rn. 8. Schünemann, ZStW 90 (1978), 11, 54. LK/Schünemann, § 203 Rn. 16; SK/Hoyer, § 28 Rn. 33. NK/Kargl, § 203 Rn. 3. Vgl. dazu eingehend C. VI. 2. Arzt/Weber/Heinrich u. a., Strafrecht, besonderer Teil, § 8 Rn. 28. NK/Kargl, § 203 Rn. 2, 3. NK/Kargl, Vor § 201 Rn. 9.
III. Kollektivrechtsgüterschutz im 15. Abschnitt des StGB
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Auch der in den Gesetzesmaterialien zur Einführung des 15. Abschnitts hergestellte Bezug zu den Art. 1 und 2 GG321 spricht insofern gegen einen Kollektivrechtsgüterschutz, weil die genannten Grundrechte individuelle Abwehrrechte eines jeden Menschen gegen den Staat sind. Art. 8 EMRK, der in den Gesetzesmaterialien ebenfalls erwähnt wurde, dient grundsätzlich dem Schutz der Privatsphäre und hat damit eine ähnliche, eher individualschützende Funktion. Als Zwischenergebnis ist damit festzuhalten, dass die gewichtigeren Argumente für einen reinen Individualschutz sprechen.
321
BT-Drucks. 7/550, S. 235; vgl. auch Begründung vor § 182 E (1960), 305.
C. Umsetzung durch den Gesetzgeber I. § 201 StGB – Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes 1. Entstehungsgeschichte Bereits vor Einführung des gesetzlichen Straftatbestandes wurde durch die Rechtsprechung ein gewisser Schutz des gesprochenen Wortes gewährt, wobei man sich auf das aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitete allgemeine Persönlichkeitsrecht stützte.1 So verbot bspw. der BGH bereits 1957 die Tonträgeraufnahme des Verteidigerplädoyers gegen den Willen des Verteidigers.2 Ein Jahr später klassifizierte ein Zivilsenat des BGH die heimliche Tonbandaufnahme eines Gesprächs als widerrechtliche Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.3 Im Jahre 1960 lehnte ein Strafsenat des BGH die Verwertung einer heimlichen Tonbandaufnahme eines Privatgesprächs als Beweismittel gegen den Angeklagten ab.4 In dieser Entscheidung bezeichnete der BGH diese Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erstmals als „Recht am gesprochenen Wort“.5 Das Bundesverfassungsgericht bestätigte 1973 die Auffassung des BGH und verankerte das Recht am gesprochenen Wort in dem Schutz des privaten Lebens und dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG.6 Die entsprechende Strafnorm ist im Jahre 1967 als § 298 StGB a.F. durch das „Gesetz zum strafrechtlichen Schutz gegen Missbrauch von Tonaufnahme- und Abhörgeräten“7 eingefügt und durch das EGStGB als § 201 StGB übernommen worden; sie geht im Wesentlichen auf § 183 E 1960 zurück.8 Dabei blieb jedoch die vom Referentenentwurf 1962 zusätzlich vorgesehene Abwägungsklausel „im Hinblick auf Beweggründe und Ziele des Täters“ und die beiderseitigen Beziehungen im 1
Vgl. dazu die Ausführungen von Helle, Besondere Persönlichkeitsrechte im Privatrecht, S. 229 ff. 2 BGHSt 10, 202. 3 BGH 20. 05. 1958 „Tonbandaufnahme I“ BGHZ 27, 284. 4 BGHSt 14, 358 f. 5 BGHSt 14, 358 f. 6 BVerfGE 34, 238, das dort entwickelte Recht am gesprochenen Wort als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrecht wird später lediglich kurz bestätigend erwähnt, so etwa BVerfGE 35, 202, 220 „Lebach“ und BVerfGE 54, 148, 154 „Eppler“. 7 BGBL. I 1360. 8 MüKo-StGB/Graf, § 201 Rn. 6.
I. § 201 StGB – Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes
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späteren Gesetzgebungsverfahren unberücksichtigt.9 Das Amtsdelikt in § 353d Abs. 1 StGB a.F. wurde durch die Sondervorschrift für Beamte in § 201 Abs. 3 StGB erfasst. Die §§ 298 und 353d Abs. 1 StGB a.F. waren das Ergebnis eines langwierigen Gesetzgebungsverfahrens.10 Die Tatbestandsfassungen wurden als problematisch angesehen11, obwohl der Gesetzgeber teilweise auf die von der Rechtsprechung bereits entwickelten rechtlichen Schranken für Tonbandaufnahmen aufgrund des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zurückgreifen konnte.12 Der Abs. 2 S. 1 Nr. 2 des § 201 StGB über die „öffentliche Mitteilung“ wurde erst durch das 25. StÄG13 eingefügt. Im E 1962 war eine solche Erweiterung des Tatbestandes noch abgelehnt worden.14 Im Jahre 1990 wollte man jedoch anlässlich des Auftauchens brisanter Abhörprotokolle des Staatssicherheitsdienstes der DDR einen strafrechtlichen Schutz vor besonders folgenreichen mittelbaren Eingriffen in die Vertrauenssphäre schaffen.15
2. Normzweck Der Gesetzgeber wählte für § 201 StGB die Überschrift „Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes“. Dies stieß vielfach auf Kritik.16 Entgegen dieser Formulierung sei der Strafschutz nicht auf „vertraulich gesprochene Worte“ beschränkt17 und betreffe auch nicht allein den persönlichen Lebens- und Geheimbereich.18 Vielmehr sei von § 201 StGB auch das Aufnehmen und Abhören dienstlicher oder geschäftlicher Unterredungen erfasst.19 Man sah bewusst von der Schaffung eines
9
Vgl. § 183 Abs. 3 RefE 1962. Vgl. insoweit Neumann-Duesberg, Das gesprochene Wort im Urheber- und Persönlichkeitsrecht, 171 ff. 11 Vgl. Schmitz, Strafrechtlicher Schutz vor Bild- und Wortaufnahmen, S. 80 f.; so entfiel etwa bei Einführung des § 201 die für die Tathandlungen des § 298 a.F. vorgesehene erhöhte Strafe für besonders schwere Fälle. Stattdessen wurde die Strafandrohung für alle Fälle der Absätze 1 und 2 einheitlich auf bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe angehoben, weil bei diesen Tathandlungen schon in der Regel die Anwendung des schwereren Strafrahmens angemessen erschien, vgl. dazu BT-Drucks. 7/550, S. 236; auch Arzt, Der strafrechtliche Schutz der Intimsphäre, S. 275 ff. 12 Zur Übersicht: BGHSt 10, 202, 205; BGHZ 27, 284 ff.; BGHSt 14, 339 ff.; BGHSt 19, 193 f. 13 Vom 20. 08. 1990, BGBl. I, 1764. 14 Vgl. § 183 E 1962; Amtl. Begr. 332. 15 Vgl. BT-Drucks. 8/2396; 8/2545; 9/719; 10/1618; und besonders den Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 11/6714; LK/Schünemann, § 201 Rn. 1. 16 Z. B. MüKo-StGB/Graf, § 201 Rn. 1; SK/Hoyer, Vor § 201 Rn. 1. 17 NK/Kargl, Vor § 201 Rn. 6. 18 LK/Schünemann, § 201 Rn. 2; SK/Hoyer, Vor § 201 Rn. 1. 19 SK/Hoyer, Vor § 201 Rn. 1; NK/Kargl, Vor § 201 Rn. 6. 10
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C. Umsetzung durch den Gesetzgeber
allgemeinen Indiskretionsdeliktes, wie es in früheren Gesetzesentwürfen20 vorgeschlagen wurde, ab.21 Die öffentliche Erörterung fremder Privatangelegenheiten sollte mithin nicht generell unter Strafe gestellt werden. Vielmehr steht die Unbefangenheit des nichtöffentlich gesprochenen Wortes im Vordergrund. Sie ist als Teil der Persönlichkeitssphäre und des Bereichs privater Lebensgestaltung des Menschen durch Art. 1 und 2 GG geschützt.22 Das Bundesverfassungsgericht entschied insoweit, dass im Rahmen des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) all diejenigen Rechtspositionen geschützt seien, die hierfür notwendig sind; hierzu gehöre auch das Recht am gesprochenen Wort.23 Eine „Befangenheit“ (nach dem natürlichen Sprachgebrauch) kann jedoch auch dann vorliegen, wenn der Sprechende fürchtet, etwas (subjektiv) Falsches zu sagen, ohne dass es auf eine Tonbandaufnahme ankäme. Daher muss danach gefragt werden, welche Aspekte der Unbefangenheit geschützt werden sollen. Im Hinblick auf die Inkriminierung einer unbefugten Tonbandaufnahme ist zunächst in der Flüchtigkeit des gesprochenen Wortes ein spezieller Aspekt der Unbefangenheit zu sehen. Gemeint ist damit, dass der Sprechende eine Kommunikation führen können muss, ohne Angst vor einer jederzeitigen Reproduzierbarkeit oder weitergehenden Verwertung des Gesagten haben zu müssen. Darüber hinaus ist die Kontrolle des Stimmklangs und der sprachlichen Kommunikation, also die Entscheidungsbefugnis des Einzelnen darüber, was er zu wem in welcher Situation sagt, wesentliche Elemente privater Lebensgestaltung.24 Demnach ist als weiterer Aspekt der Unbefangenheit menschlicher Kommunikation das Bestimmungsrecht hinsichtlich des Adressatenkreises und der Gesprächssituation anzusehen. Zusammenfassend lässt sich der Schutzzweck des § 201 StGB mithin in der Weise umschreiben, dass das aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht resultierende Recht des Einzelnen auf eine unbefangene Kommunikation geschützt werden soll; dazu wird die Flüchtigkeit des gesprochenen Wortes ebenso gewährleistet wie die Ausübung des Bestimmungsrechts hinsichtlich des Adressatenkreises. Nur wenn der Sprecher eine beliebige Reproduktion des Gesprochenen nicht befürchten muss und die Situation und den Adressatenkreis des Gesprächs frei wählen kann, ist die freie Entfaltung und Entwicklung der Persönlichkeit gewährleistet.25 Die genaue Rechtsgutsdefinition ist umstritten. Problematisch ist zudem, dass teilweise den einzelnen Tatmodalitäten jeweils verschiedene Schutzgüter zugesprochen werden.
20
BR-Drs. 200/62, S. 41. BT-Drucks. 7/550, S. 235 f. 22 BVerfGE 34, 238, 245. 23 Vgl. BVerfGE 34, 238, 246; so auch BGHSt 10, 202, 205; zuletzt bestätigt durch BGH Urt. v. 21. 6. 2011 – VI ZR 262/09. 24 LK/Schünemann, § 201 Rn. 2 m.w.N. 25 BVerfGE 34, 238 ff.; vgl. ausführlich Klug, in: Hamm (Hrsg.), Festschrift für Werner Sarstedt zum 70. Geburtstag, 1981, S. 101, 103 ff. 21
I. § 201 StGB – Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes
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Im Folgenden soll das von § 201 StGB geschützte Rechtsgut näher konkretisiert werden. a) Unbefangenheit und Spontaneität des gesprochenen Wortes Bei den Beratungen der Großen Strafrechtskommission wurden die Unbefangenheit und die Spontaneität des gesprochenen Wortes als geschütztes Rechtsgut genannt.26 Zur Begründung erklärte man, dass das gesprochene Wort nicht immer das Ergebnis längerer Erwägungen, sondern auch Teil der spontanen Äußerung der Persönlichkeit sei; so bestehe bei einer Aufnahme die Gefahr der Manipulation und der Sinnentstellung, wenn die Äußerung aus dem Zusammenhang gerissen werde.27 Oft äußere der Sprecher etwas, von dem er später eingestehen müsse, dass es zu weit gegangen sei.28 Als weiteres Argument zur Begründung dieses Rechtsguts wurde die Problematik der Totalverantwortung29 aufgeführt; damit ist das Risiko eines jeden Sprechers gemeint, eines Tages für eine beliebige unbedachte Äußerung bzw. für jedes einzelne gesprochene Wort einstehen zu müssen, wenn seine Äußerungen von jedermann straflos aufgezeichnet werden dürften.30 Die Vorstellung sei unerträglich, da der Mensch für einen solchen Zustand nicht geschaffen sei; der Mensch wäre dann ständigen Zerreißproben unterworfen, die das gedeihliche menschliche Zusammenleben zerstören würden.31 In der früheren Literatur wurde vorgebracht, der Sprecher werde bei Verlust der Unbefangenheit der Möglichkeit zur vertrauensvollen Kommunikation beraubt; diese sei jedoch eines der Wesenselemente des Humanen und damit Grundvoraussetzung menschlicher Kommunikation.32 In diese Richtung gehen auch Teile der aktuellen Literatur. So nennt Kargl als gemeinsames Rechtsgut aller Tatbestandsvarianten des § 201 StGB die Unbefangenheit des gesprochenen Wortes.33 Auch der nachträglich eingefügte § 201 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StGB schütze nicht die Geheimsphäre des Sprechers als eigenständiges, weiteres Rechtsgut, vielmehr solle die Vorschrift das eigentliche Schutzgut gegen Folgeverletzungen absichern34. Mit anderen Worten: Ist die Unbefangenheit des gesprochenen Wortes eines Einzelnen durch eine Aufnahme bereits verletzt worden, 26 27 28 29 30 31 32 33 34
Nds. Bd. 9/Jescheck, S. 189; Nds. Bd. 9/Gallas, S. 191. Nds. Bd. 9/Jescheck, S. 189; Nds. Bd. 9/Baldus, S. 184. Nds. Bd. 9/Jescheck, S. 189. Nds. Bd. 9/Baldus, S. 158; Nds. Bd. 9/Welzel, S. 192. Nds. Bd. 9/Baldus, S. 185. Nds. Bd. 9/Baldus, S. 158. Vgl. Gallas, ZStW 75 (1963), 16, 19, 41. NK/Kargl, § 201 Rn. 2. NK/Kargl, § 201 Rn. 2.
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C. Umsetzung durch den Gesetzgeber
so stelle die Verbreitung des Inhalts eine Verstärkung eben dieser Rechtsgutsverletzung dar.35 b) „Vertrauensschutzgüter“ Aus der Sozialarbeiter–Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts36 wurde der Schluss gezogen, es solle das Vertrauen des Sprechers auf die Geschlossenheit des überschaubaren Teilnehmerkreises geschützt werden.37 Mit dem Begriff „Vertraulichkeit“ sei nicht das Verhältnis der Gesprächspartner zueinander gemeint, sondern das Vorhandensein einer überschaubaren Rede- und Gesprächssituation, auf die der Sprecher seine Kommunikation und Selbstdarstellung richte.38 Das Vertrauen in die Abgeschlossenheit dieser Situation solle nicht durch Täuschung unterlaufen werden.39 Diese Schutzrichtung könnte auf § 201 StGB übertragen werden. So sieht Wormer das Schutzgut in der Vertraulichkeitssphäre, wobei auch hier nicht auf die Beziehung der Gesprächspartner untereinander oder auf den Charakter des Gesprächsinhalts abzustellen sei, sondern auf das „vertrauen dürfen“ in das Verhalten der Zuhörer.40 Es dürfe darauf vertraut werden, dass Dritte die Worte des Sprechers nicht unmittelbar durch Mithören (wobei dann auch der Lauscher an der Wand erfasst werden müsste) oder mittelbar durch eine vom Gesprächspartner angefertigte Tonaufzeichnung vernehmen. c) Geteilte Schutzgüter Vielfach wird heute angenommen, dass § 201 StGB mehrere Güter schütze. Insbesondere dem nachträglich eingefügten § 201 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StGB attestiert man überwiegend eine eigene Schutzrichtung.41 aa) Recht auf Bestimmung der Reichweite einer Äußerung und deren Inhalt Hoyer sieht in § 201 StGB ein formales Persönlichkeitsrecht als geschützt an. Mit der amtlichen Überschrift „Vertraulichkeit des Wortes“ sei die nichtöffentliche verbale Äußerung eines bestimmten Bedeutungsinhalts gemeint.42 35
I. E. auch Maurach/Schroeder/Maiwald, Besonderer Teil I, § 29 I Rn. 7. BVerfGE 33, 367 ff. 37 So Rohlf, Der grundrechtliche Schutz der Privatsphäre, S. 116. 38 Rohlf, Der grundrechtliche Schutz der Privatsphäre, S. 111 ff. 39 Rohlf, Der grundrechtliche Schutz der Privatsphäre, S. 114 f. 40 Wormer, Der strafrechtliche Schutz der Privatsphäre vor Mißbräuchen mit Tonaufnahmeund Abhörgeräten, S. 101, 102. 41 So z. B. S/S/Lenckner/Eisele, § 201 Rn. 2; MüKo-StGB/Graf, § 201 Rn. 4. 42 Vgl. SK/Hoyer, § 201 Rn. 1. 36
I. § 201 StGB – Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes
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Nach Auffassung Hoyers wird durch § 201 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StGB die „Vertraulichkeit des Äußerns von Worten“, mithin der Erklärungsvorgang vor Dritten, geschützt.43 Dabei komme es nicht auf die inhaltliche Bedeutsamkeit der nichtöffentlich gesprochenen Worte an.44 Durch die ersten drei Tatbestände der Norm sei vielmehr das Recht des Sprechenden gesichert, selbst über die Reichweite zu entscheiden, innerhalb derer seine Äußerung vernommen werden kann; nur insoweit sei die Unbefangenheit flüchtiger Äußerungen Schutzgut.45 Denn die Befürchtung, die flüchtig gemeinte Lebensäußerung könne in eine „jederzeit reproduzierbare Tonkonserve verwandelt“46 und aus den Begleitumständen gerissen werden, führt nach Hoyer zu einer Befangenheit.47 Während es bei den ersten drei Tatbeständen nicht auf den Inhalt der Äußerung ankomme, müsse eine öffentliche Mitteilung i.S. des § 201 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StGB geeignet sein, berechtigte Interessen eines anderen zu beeinträchtigen (Abs. 2 S. 2), wofür insbesondere auch der Inhalt der mitgeteilten Äußerung maßgeblich sei.48 Aus der Bedeutsamkeit des Inhalts ergibt sich nach Hoyer die „Vertraulichkeit des Inhalts von Worten“ als Schutzgut. Parallel zu dem Recht, über die Reichweite zu entscheiden, innerhalb derer der Äußerungsvorgang vernommen werden kann, sei daher das Recht des Sprechenden geschützt, über die Reichweite zu entscheiden, innerhalb derer der Äußerungsinhalt weiterverbreitet wird.49 § 201 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StGB schützen demnach den Erklärungsvorgang, Abs. 2 S. 1 Nr. 2 dagegen den Erklärungsinhalt. Letztgenannte Norm wolle die interne Kommunizierbarkeit von Geheimnissen ermöglichen, da derjenige, der eine Veröffentlichung vertraulicher Gespräche befürchten muss, tendenziell zukünftig persönliche Geheimnisse nicht mehr mit Gesprächspartnern teilen werde.50 Das Verständnis des Schutzgutes als eine Fallgruppe des Selbstbestimmungsrechts findet Rückhalt in der Rechtsprechung. So ist in verschiedenen Entscheidungen die Rede vom Selbstbestimmungsrecht darüber, ob der Sprechende das Wort nur an den Gesprächspartner oder an die Öffentlichkeit richte51 und ob das eigene gesprochene Wort auf einem Tonträger aufgenommen52 oder aufbewahrt53 werden 43
SK/Hoyer, § 201 Rn. 1. Bestätigend: BGH NJW 1988, 1016; OLG Karlsruhe JR 1979, 466, 467, vgl. dazu Ostendorf, JR 1979, 466, 468 ff.; LK/Schünemann, § 201 Rn. 5; S/S/Lenckner/Eisele § 201 Rn. 5. 45 Zu einem Selbstbestimmungsrecht über das gesprochene Wort bei dessen Fixierung vgl. auch Roggemann, Das Tonband im Verfahrensrecht, S. 52 ff.; sinngemäß auch Dölling/Duttke/ Rössner/Tag, § 201 Rn. 2; ähnlich auch BeckOK StGB/Heuchemer, § 201 Rn. 1. 46 Gallas, ZStW 75 (1963), 16, 19. 47 SK/Hoyer, § 201 Rn. 4. 48 SK/Hoyer, § 201 Rn. 2. 49 SK/Hoyer, § 201 Rn. 3. 50 SK/Hoyer, § 201 Rn. 4. 51 BGHZ 27, 284; BGHSt 14, 358. 52 BGHSt 10, 202; BGHSt 31, 296, 299. 44
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dürfe. Hierbei wird jedoch nicht klar, ob es sich bei diesen „Selbstbestimmungsrechten“ des Sprechers tatsächlich um das zugrunde gelegte Schutzgut handeln soll, oder lediglich um rechtliche Konsequenzen der Tatbestandsmerkmale „unbefugt“ und „nichtöffentlich“. bb) Schutz der Unbefangenheit des gesprochenen Wortes und Indiskretionsschutz Nach einer verbreiteten Ansicht schützen § 201 Abs. 1 und Abs. 2 StGB nicht nur die „Unbefangenheit der mündlichen Äußerung“ 54, sondern sind auch Indiskretionsdelikt.55 Der Schutz der „nichtöffentlichen Kommunikation“ (Abs. 1) werde erweitert hinsichtlich möglicher „Einbrüche in die Sphäre der Gesprächsteilnehmer von außen“ (Abs. 2).56 Das Schutzgut der Unbefangenheit der Kommunikation diene danach der verfassungsrechtlich garantierten freien Entfaltung der Persönlichkeit durch Gewährleistung der Unbefangenheit der mündlichen Äußerung57 und reiche somit weiter als die bloße „Bestimmung der Reichweite einer Äußerung“.58 Dies überschneidet sich mit der Ansicht, wonach Schutzgut die Vertrauenssphäre als das „vertrauen dürfen“ in das Verhalten anderer sei, nicht dagegen die Vertrauenssphäre als solche.59 Diesen beiden Auffassungen gemein ist zunächst, dass der mitgeteilte Gesprächsinhalt keinen vertraulichen oder geheimen Charakter aufweisen und zwischen den Gesprächspartnern keine vertrauliche Beziehung bestehen muss60, was sich im Übrigen bereits aus dem Gesetzeswortlaut ergibt. Somit enthalten diese Schutzgüter einen abstrakten, also sphärenunabhängigen Charakter.
53
BGHSt 14, 358. BVerfGE 34, 245 = NJW 2003, 3621; insofern zustimmend: Ernst, NJW 2004, 1277; Tröndle/Fischer, § 201 Rn. 2; L/Kühl, § 201 Rn. 1; MüKo-StGB/Graf, Rn. 2; LK/Schünemann, Rn. 2; Peglau, Der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch das Strafrecht, S. 32. 55 MüKo-StGB/Graf, § 201 Rn. 2, 34; Rogall, in: Weigend/Küpper (Hrsg.), Festschrift für Hans Joachim Hirsch zum 70. Geburtstag, 1999, S. 665, 677; S/S/Lenckner/Eisele, § 201 Rn. 2. 56 Vgl. sinngemäß MüKo-StGB/Graf, § 201 Rn. 2 – 4. 57 MüKo-StGB/Graf, § 201 Rn. 2 – 4; bestätigend führt er auf: BVerfG v. 31. 1. 1973 – 2 BvR 454/71, BVerfGE 34, 238 (246); BGH v. 14. 6. 1960 – 1 StR 683/59, BGHSt 14, 358 (359); E 1960 S. 310. 58 MüKo-StGB/Graf, § 201 Rn. 2; übereinstimmend: S/S/Lenckner/Eisele, § 201 Rn. 2; ähnlich auch BeckOK StGB/Heuchemer, § 201 Rn. 1. 59 Wormer, Der strafrechtliche Schutz der Privatsphäre vor Mißbräuchen mit Tonaufnahmeund Abhörgeräten, S. 101 f. 60 Wormer, Der strafrechtliche Schutz der Privatsphäre vor Mißbräuchen mit Tonaufnahmeund Abhörgeräten, S. 102. 54
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Hingegen richte sich § 201 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StGB gegen den „Einbruch in die Sphäre der Gesprächsteilnehmer von außen“ mittels eines Abhörgerätes.61 Dadurch, dass der neu eingefügte Tatbestand des § 201 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StGB auch Mitteilungen dem „wesentlichen Inhalt nach“ erfasst und damit auf den konkreten Inhalt der verbreiteten Äußerung abstellt, sei eine Art Indiskretionsdelikt geschaffen worden.62 Die Schutzrichtung von § 201 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StGB sei im Geheimnisschutz zu sehen,63 weil qualitativ eine andere Angriffsrichtung vorliege: es gehe nicht um die akustische Reproduktion einer Äußerung, sondern um die inhaltliche Wiedergabe des gesprochenen Worts.64 cc) Schutz der Flüchtigkeit und Begrenztheit des gesprochenen Wortes und Indiskretionsschutz Auch nach Schünemann ist die Unbefangenheit des nichtöffentlich gesprochenen Wortes in der Weise durch § 201 StGB geschützt, dass dem Sprecher die Entscheidung überlassen werden soll, was er zu wem in welcher Situation sagt; damit bezwecke die Norm den teilweisen Schutz der Persönlichkeitssphäre des Menschen als Ausformung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.65 Dieser Schutz sei fragmentarisch, weil in Abkehr von E 1962 gerade kein allgemeines Indiskretionsdelikt geschaffen werden sollte; gleichwohl gehe der Schutzbereich der Strafnorm weiter als der aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG resultierende verfassungsrechtliche Schutzbereich.66 Insoweit erfasse § 201 StGB grundsätzlich jedes nichtöffentlich gesprochene Wort, während nach der Rechtsprechung des BVerfG bei gewissen Fallgruppen auch ohne Wissen des Sprechenden hergestellte Tonbandaufnahmen aus dem Schutzbereich herausfielen, wenn etwa bei Mitteilungen im geschäftlichen Verkehr der objektive Gehalt des Gesagten so sehr im Vordergrund stehe, dass das gesprochene Wort seinen privaten Charakter einbüße.67 Im Gegensatz zu Hoyer unterscheidet Schünemann bei § 201 Abs. 1 und Abs. 2 StGB weniger zwischen den geschützten Rechtsgütern als vielmehr zwischen den Angriffsformen auf die Privatsphäre.68 So gehe der Schutz der Vertraulichkeit des 61
Arzt, Der strafrechtliche Schutz der Intimsphäre, S. 244; S/S/Lenckner/Eisele, § 201 Rn. 2; MüKo-StGB/Graf, § 201 Rn. 2, nicht zu verwechseln mit dem Verständnis vom Schutzgut in der amtlichen Begründung des E 60, S. 304 f. und teilweise auch E 62, S. 326, wonach eine Abschirmung gegen das Eindringen in die Privatsphäre bezweckt sei. 62 MüKo-StGB/Graf, § 201 Rn. 2, 34. 63 S/S/Lenckner/Eisele, § 201 Rn. 2. 64 So auch Rogall, in: Weigend/Küpper (Hrsg.), Festschrift für Hans Joachim Hirsch zum 70. Geburtstag, 1999, S. 665, 677. 65 LK/Schünemann, § 201 Rn. 2. 66 LK/Schünemann, § 201 Rn. 2; vgl. hierzu BVerfGE 34, 246 – 248; BGHZ 27, 284, 286. 67 LK/Schünemann, § 201 Rn. 2. 68 Die Auffassung geht auf Arzt zurück, der von einem zweigeteilten Schutzgut in Abhängigkeit von der Eingriffsmodalität ausgeht, nämlich hinsichtlich des Abhörens vom Schutz
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Wortes nach Abs. 2 Nr. 1 lediglich weiter als nach Abs. 1, da die Privatsphäre des Sprechenden zusätzlich vor einem Einbruch durch andere mithilfe von technischen Gerätschaften bewahrt werden solle.69 Die besondere Verwerflichkeit der beschriebenen Verhaltensweisen liege bei Abs. 1 in der unbefugten Aufnahme des gesprochenen Wortes und der unmittelbaren akustischen Wiedergabe, bei Abs. 2 Nr. 1 hingegen in dem unbefugten „Lauschangriff“ mit einem Abhörgerät.70 Insgesamt sei das Rechtsgutsobjekt die „Flüchtigkeit und Begrenztheit des gesprochenen Wortes“.71 Demnach unterliege das gesprochene Wort zwei natürlichen Grenzen, nämlich einer zeitlichen und einer räumlichen Grenze; die Angriffsform der heimlichen Tonbandaufnahme durchbreche hierbei die zeitliche, die des Abhörens mittels Abhörgerät hingegen die räumliche Grenze.72 Diese Grenzen sollen jedoch der Disposition des Sprechers erhalten bleiben. Auch Schünemann sieht im nachträglich eingefügten § 201 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StGB eine spezielle Form des Indiskretionsdelikts mit einer anderen, neuen Schutzrichtung.73 d) Zusammenfassung Im Wesentlichen lassen sich die unterschiedlichen Auffassungen hinsichtlich des Schutzgutes von § 201 StGB in drei Bereiche einteilen. Dem Verständnis eines weitgehenden Schutzes der „Unbefangenheit“, „Flüchtigkeit“ oder „Begrenztheit“ des gesprochenen Wortes ist die generelle Zuordnung des gesprochenen Wortes zum Menschen als Begründungsgrundlage gemein. Hiermit ist gemeint, dass die vertrauliche und unbefangene Kommunikation als Grundlage der zwischenmenschlichen Kommunikation notwendig ist, damit der Mensch sich frei entfalten und in seiner Persönlichkeit entwickeln kann.74 Die „Unbefangenheit“ wirkt dabei (ähnlich wie die Vertraulichkeit) wie ein übergeordneter Sammelbegriff, der weniger konkrete Anhaltspunkte für das eigentliche Schutzgut als vielmehr die gewünschte Soll-Beschaffenheit der Gesprächssituation für den Redner beschreibt. Eine vertrauliche und damit unbefangene Kommunikation kann es aber nur dann geben, wenn der Sprecher nicht fürchten muss, dass seine Worte aufgenommen und später reproduziert oder von unbefugten Dritten verder Eigensphäre gegen das Eindringen anderer und bezüglich der Aufnahme vom Vertrauen in die Flüchtigkeit des gesprochenen Wortes, siehe dazu Arzt, Der strafrechtliche Schutz der Intimsphäre, S. 240, 243. 69 Arzt, Der strafrechtliche Schutz der Intimsphäre, S. 237 ff.; so auch MüKo-StGB/Graf, § 201 Rn. 2. 70 LK/Schünemann, § 201 Rn. 2. 71 LK/Schünemann, § 201 Rn. 2. 72 Helle, Besondere Persönlichkeitsrechte im Privatrecht, S. 240 f. 73 LK/Schünemann, § 201 Rn. 26. 74 BVerfGE 34, 238 ff.
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nommen werden. Dies beschreiben die Begriffe „Flüchtigkeit“ und „Begrenztheit“ treffend. Diese Rechtsgüter betreffen die natürliche Beschaffenheit des Sprechakts (also des gesprochenen Wortes) selbst; der Stimmklang weist insoweit räumliche und zeitliche Grenzen auf und ist damit „flüchtig“ und „begrenzt“. Dies gilt für die „Unbefangenheit“ jedoch nicht, weil diese nicht auf natürliche Weise bei einer sprachlichen Entäußerung gegeben ist, sondern von der jeweiligen Gesprächssituation abhängt und eher ein Gefühl des Sprechers beschreibt. Für sämtliche genannten Rechtsgüter gilt jedoch gleichermaßen: Die Schutzwürdigkeit der unbefangenen Kommunikation (und der damit einhergehenden „Flüchtigkeit“ und „Begrenztheit“ des gesprochenen Wortes) ergibt sich aus deren Notwendigkeit für das soziale Miteinander der Menschen. Damit handelt es sich hierbei um vorpositive Rechtsgüter, deren Schutzwürdigkeit und Ursprung in den natürlichen Gegebenheiten menschlicher Kommunikation zu sehen sind und als schutzwürdige Aspekte der Persönlichkeit vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht zusammengefasst sind. Ebenfalls Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist das Bestimmungsrecht über die Reichweite der Äußerung, welches teilweise als Schutzgut des § 201 StGB gesehen wird. Dieses Recht hat jedoch anders als die gerade genannten Rechtsgüter nicht vorpositive Geltung, sondern bedarf der Herleitung. Das Bestimmungsrecht über die Reichweite der Äußerung entspringt insoweit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, welches u. a. die freie Entfaltung und Entwicklung des Individuums gewährleisten soll. Eine solche freie Persönlichkeitsentfaltung ist jedoch nur denkbar, wenn dem Einzelnen im Rahmen des Soziallebens ein Bereich verbaler Interaktion ermöglicht wird, welcher gegen unbefugte „Verfügungen“ hinsichtlich des konkreten Sprechakts gesichert ist. Solche „Verfügungen“ können in der Reproduktion oder Ausdehnung des natürlichen Wirkbereichs des Sprechakts liegen. Auf diesen Bereich soll der Sprechende Einfluss haben können, indem er die Reichweite bzw. den Adressatenkreis seiner Äußerung bestimmt. Danach ist Schutzgut des § 201 StGB das Recht auf Bestimmung der Reichweite der Äußerung, ungeachtet ihres Inhalts. Dieses Schutzgut beschreibt damit die Beziehung des Menschen zum Schutzobjekt, nämlich die sprachliche Entäußerung. Schließlich wird vertreten, der nachträglich eingefügte § 201 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StGB bezwecke eine Art „Mindestgeheimnisschutz“ im Hinblick auf die bisher nie realisierte Idee eines allgemeinen Indiskretionsdelikts. Ähnlich wie bei sphärengebundenen Rechtsgütern75 knüpft die Indiskretion nicht an dem Wort als solchem an, sondern an dessen Inhalt bzw. Qualität. Die Schutzrichtung ist danach eine völlig andere als in § 201 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StGB. Die Bestimmung des genauen Rechtsguts erscheint schwierig, da die „Indiskretion“ eines einschränkenden Korrektivs bedarf, um eine uferlose Ausweitung des Schutzbereichs zu verhindern. Im 75
Sphärengebundene Rechtsgüter i.d.S. sind solche, deren Verletzung davon abhängt, ob eine bestimmte Sphäre (z. B. Geheimsphäre, Privatsphäre, Intimsphäre usw.) betroffen ist. Dieser Gedanke findet sich in den Beratungen der Großen Strafrechtskommission wieder, vgl. Nds. Bd. 9/Schwalm, S. 182; Nds. Bd. 9/Simon, S. 402; vgl. dagegen aber auch Nds. Bd. 9, S. 188 – 192.
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Vergleich zu einem allgemeinen Indiskretionsdelikt, wie es § 182 E 1962 StGB oder § 145 AE vorsahen76, ist der Schutzbereich des Schutzguts in § 201 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StGB insofern enger, als die veröffentlichte Information auf eine bestimmte Art (unbefugtes Aufnehmen oder Abhören) beschafft worden sein muss, während dies bei einem allgemeinen Indiskretionsdelikt nicht erforderlich ist. Zugleich reicht der Schutz weiter, weil inhaltlich nicht auf ehrenrührige Mitteilungen über das Privatoder Familienleben (§ 183 E 1962) oder auf den „höchstpersönlichen Lebensbereich, insbesondere das Familien- oder Sexualleben oder den Gesundheitszustand“ abgestellt wird. Stattdessen reicht zur Verwirklichung des § 201 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 i.V.m. S. 2 StGB eine Betroffenheit des „berechtigten Interesses“ aus, unabhängig davon, ob es sich dabei um private, berufliche oder politische, ideelle oder materielle Interessen handelt, solange sie vom Recht als schutzwürdig anerkannt sind. aa) Kritik an den Schutzgütern „Flüchtigkeit“, „Unbefangenheit“ und „Begrenztheit“ des gesprochenen Wortes Hauptargumente für die Annahme der „Flüchtigkeit“, „Unbefangenheit“ und „Begrenztheit“ des gesprochenen Wortes als Rechtsgut des § 201 StGB sind zunächst das Vertrauen des Sprechers in die Flüchtigkeit des Wortes, aber auch die Unüberlegtheit des Sprechers bei spontanen Äußerungen. Es wurde darüber hinaus das Argument genannt, dass eine Gefahr der „Totalverantwortung“ bestehe, wenn jede spontane Äußerung aufgenommen und dem Sprecher später vorgehalten werden könnte.77 Zudem könne eine Hemmung der unbefangenen mündlichen Rede entstehen, wenn der Sprecher befürchten muss, diese könne aus ihrem Sinnzusammenhang gerissen oder manipuliert werden. Gegen die genannten Schutzgüter wird jedoch eingewandt, die Begründung habe vorrangig die Verletzung des Rechtes am gesprochenen Wort durch eine Tonbandaufnahme vor Augen; bei einem Lauschangriff sei jedoch mangels Reproduktionsmöglichkeit weder die Flüchtigkeit des Wortes gefährdet, noch gebe es die Gefahr der Manipulation oder der Verantwortung für jede spontane Äußerung.78 Wenn aber die Unbefangenheit der mündlichen Rede bei einer Aufnahme schwerer verletzt werde als bei einem Lauschangriff, sei die gleichartige Strafdrohung nach § 201 StGB für beide Angriffsarten verfehlt.79 Darüber hinaus ist es schwer erklärbar, warum der Sprecher nur vor Tonbandaufnahmen geschützt wird, denn die Unbefangenheit der mündlichen Äußerung kann gleichermaßen gefährdet sein, wenn man befürchten muss, dass die Äußerung Wort für Wort heimlich mitgeschrieben wird. Zudem stellt sich die Frage, warum nur das nichtöffentlich gesprochene Wort ge76
AE StGB 1971. Nds. Bd. 9/Baldus, S. 158. 78 Kattanek, Die Verletzung des Rechtes am gesprochenen Wort durch das Mithören anderer Personen, S. 54. 79 Kattanek, Die Verletzung des Rechtes am gesprochenen Wort durch das Mithören anderer Personen, S. 54. 77
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schützt sein soll. Zwar wird dies damit begründet, dass der Einzelne in der Öffentlichkeit seine Worte bedachtsamer wähle und gegebenenfalls druckreif formuliere, weil er damit rechnen müsse, dass er an seinen Worten festgehalten werde.80 Gleichwohl bleibt auch beim öffentlich gesprochenen Wort die Gefahr der Sinnentstellung und Verfälschung erhalten. Überdies ist es schon zweifelhaft, ob öffentliche Worte tatsächlich mit der unterstellten Bedachtsamkeit und druckreifen Formulierung gewählt werden können. Hinsichtlich der „Begrenztheit des gesprochenen Wortes“ hat Kattanek81 jedoch richtig erkannt, dass die natürlichen, d. h. räumlichen und zeitlichen82 Grenzen des gesprochenen Wortes durch einfache Verletzungen (also ohne technische Mittel) nicht durchbrochen werden können, das Rechtsgut mithin nicht verletzt werden kann. Die Begrenztheit des gesprochenen Wortes als Rechtsgut kann also nur durch technische Eingriffe verletzt werden, so dass die Definition dieses Rechtsguts von der Eingriffsseite her erfolgte, also ausgehend von den gesetzlich pönalisierten Handlungsvarianten. Betrachtet wurden zunächst die Straftatbestände, um in einem zweiten Schritt das Rechtsgut abzuleiten. Darin ist eine Umkehrung der notwendigen methodischen Reihenfolge zu sehen, wonach zunächst das Schutzgut festgelegt wird und anschließend gesetzlich festgelegte Tatbestände hieran zu messen sind.83 Letztlich wurden diese Handlungsweisen zusammengefasst und deren Auswirkungen schlicht als Rechtsgut angenommen.84 bb) Kritik am Bestimmungsrecht über die Reichweite der mündlichen Äußerung als Schutzgut Das Bestimmungsrecht über die Reichweite der mündlichen Äußerung setzt am gesprochenen Wort als solchem an und stellt somit ein abstraktes (von der konkreten Ausgestaltung des Wortes unabhängiges) Schutzgut dar. Die Formulierung über die Reichweite vermag jedoch nur wenige Anhaltspunkte für die inhaltliche Bestimmung des Rechtsgutes zu geben. So stellt sich die Frage, warum bereits die Tonbandaufnahme das Recht am gesprochenen Wort verletzen soll, wo doch die bloße Aufnahme der Äußerung allein noch nicht die Reichweite des gesprochenen Wortes betrifft. Dem könnte insofern widersprochen werden, als die Aufnahme eine abstrakte Gefährdung des Rechtsguts darstellt, da die Aufnahme beliebig verwendet werden kann. Jedoch ist nicht ersichtlich, weshalb dann nicht jede inhaltliche oder wörtliche Weitergabe des gesprochenen Wortes erfasst ist, denn auch die schriftliche 80
Helle, Besondere Persönlichkeitsrechte im Privatrecht, S. 239. Vgl. im Folgenden Kattanek, Die Verletzung des Rechtes am gesprochenen Wort durch das Mithören anderer Personen, S. 54 – 60 m.w.N. 82 Das gesprochene Wort ist nur in der konkreten Gesprächssituation (zeitlich) und abhängig von der Stimmlautstärke nur von anwesenden Personen (räumlich) vernehmbar. 83 Roxin, Strafrecht, allgemeiner Teil I, 2/4 – 6. 84 Kattanek, Die Verletzung des Rechtes am gesprochenen Wort durch das Mithören anderer Personen, S. 60. 81
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Weitergabe verändert die ursprünglich vom Sprecher festgelegte Reichweite der Äußerung. Gleichwohl soll sie offensichtlich nicht vom Schutzbereich des § 201 Abs. 1 StGB erfasst sein. Dies könnte indes mit einem erhöhten Missbrauchsrisiko erklärt werden: Der Tonbandaufnahme kommt insbesondere bei der Beweiswürdigung in einem Strafverfahren ein höheres Gewicht zu; so enthält das Schriftstück immer eine Behauptung des Schreibenden, während die Tonbandaufnahme den Sprechenden selbst als Zeugen verwendet. Das Bestimmungsrecht über die Reichweite der mündlichen Äußerung kommt dem hier vertretenen Schutzgut sehr nahe, bedarf aber einiger Modifikationen.85 cc) Kritik am Geheimnis- oder Vertraulichkeitsschutz Bereits vor Einführung des § 201 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StGB wurde vertreten, zu schützendes Rechtsgut sei u. a. die Geheimsphäre.86 Kritik erfuhr diese Ansicht insbesondere von Arzt, wonach der Schutz der Geheimsphäre dann nur sehr unzureichend wäre.87 Insofern stelle sich die Frage, warum nicht auch andere indiskrete Handlungen, die zur Wahrnehmung des gesprochenen Wortes ohne die Verwendung eines Abhörgerätes führen, von der damaligen Strafnorm erfasst seien; zu nennen wären etwa der Lauscher an der Wand oder die Hinzuziehung eines heimlichen Zeugen durch den Gesprächsadressaten.88 Zudem schien es nur schwer begründbar, weshalb die Verbreitung einer rechtswidrigen Tonaufnahme als strafbare Indiskretion erfasst ist, die Verbreitung einer wörtlichen Mitschrift hingegen nicht. Hinsichtlich des Eingriffs in die Geheimsphäre des Sprechers seien beide Verbreitungsarten gleichwertig, auch wenn die Tonbandaufnahme im Gegensatz zur wörtlichen Mitschrift einen anderen Beweiswert besitze.89 Hieraus lasse sich schließen, dass der Schutz vor Indiskretionen lediglich ein Schutzreflex des Rechtes am gesprochenen Wort sei.90 Stellt man auf das Vertrauen in die überschaubare Rede- und Gesprächssituation ab, welche nicht durch Täuschung unterlaufen werden darf, hätte dies zur Folge, dass nur das heimliche Aufnehmen oder die zweckwidrige Verwendung einer offen hergestellten Aufnahme strafbar wäre. Bei einer offenen Tonbandaufnahme, die der Sprechende nur aufgrund einer faktischen Drucksituation billigt, bliebe er mangels Täuschung schutzlos. Weshalb der Sprechende in solchen Situationen keinen Persönlichkeitsschutz genießen soll, ist nicht nachzuvollziehen. 85
Siehe dazu unten ee). Vgl. dazu die Beratung der Großen Strafrechtskommission, Nds. Bd. 9/Schwalm, S. 182; Nds. Bd. 9/Simon, S. 402. 87 Arzt, Der strafrechtliche Schutz der Intimsphäre, S. 238 f. 88 Arzt, Der strafrechtliche Schutz der Intimsphäre, S. 238 f. 89 Nds. Bd. 9/Dünnebier, S. 185. 90 So auch Kattanek, Die Verletzung des Rechtes am gesprochenen Wort durch das Mithören anderer Personen, S. 51. 86
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Mit Einführung des § 201 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StGB wurden in der Literatur Stimmen laut, wonach nun neben der Unbefangenheit des Wortes auch die Geheimnissphäre als weiteres Schutzgut erfasst sei; dies deshalb, weil die neu hinzugefügte Tatmodalität auf die inhaltliche Wiedergabe des nichtöffentlich gesprochenen Wortes abstellt.91 Als bloße Reflexwirkung (des Schutzes der Unbefangenheit menschlicher Kommunikation etwa) kann der nun bestehende Indiskretionsschutz daher tatsächlich nicht mehr angesehen werden. Die bloße Intensivierung eines der oben genannten Schutzgüter ist nur dann denkbar, wenn z. B. das zunächst Aufgenommene später öffentlich (im Rundfunk) für jedermann hörbar abgespielt wird. Anders ist dies jedoch bei einer berichtenden Veröffentlichung des Inhalts zu beurteilen, weil mit der Indiskretion nur der Geheimnisschutz, also eine andere Seite des Persönlichkeitsrechts verletzt werden kann; so wird nicht etwa der Adressatenkreis hinsichtlich der Äußerung selbst, sondern nur im Hinblick auf deren Inhalt erweitert. Folglich handelt es sich bei der öffentlichen Verbreitung nicht um eine verstärkte Rechtsgutsverletzung, sondern um die Verletzung eines anderen Rechtsguts. dd) Stellungnahme Ausgangspunkt für die im Folgenden angestellten Überlegungen ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wonach im Rahmen des Rechtes auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) diejenigen Rechtspositionen geschützt sind, die zur freien Entfaltung der Persönlichkeit notwendig sind, wozu auch das Recht am gesprochenen Wort als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gehört.92 Zudem soll der immer wieder zitierte Ausspruch von Gallas herangezogen werden, wonach das, was als flüchtige Lebensäußerung gemeint war, nicht in eine jederzeit reproduzierbare Tonkonserve verwandelt werden solle.93 Warum soll dies nicht geschehen? Weil sonst der Sprechende befürchten müsste, dass seine Worte aus dem Zusammenhang gerissen und in ihrer Unvollkommenheit wahrgenommen werden, so ist es oft zu lesen.94 Doch ist damit noch nicht präzise herausgearbeitet, worin der Sprechende letztlich betroffen ist, wenn ein Täter den Tatbestand des § 201 StGB verwirklicht. Worin liegt also der Strafgrund des § 201 91 S/S/Lenckner/Eisele, § 201 Rn. 2; MüKo-StGB/Graf, § 201 Rn. 34; LK/Schünemann, § 201 Rn. 26; Rogall, in: Weigend/Küpper (Hrsg.), Festschrift für Hans Joachim Hirsch zum 70. Geburtstag, 1999, S. 665, 677; zum Ganzen Lenckner, in: Arzt (Hrsg.), Festschrift für Jürgen Baumann zum 70. Geburtstag, 1992, S. 135, 139. 92 Vgl. BVerfGE 34, 238, 246; so auch BGHSt 10, 202, 205; zuletzt bestätigt durch BGH Urt. v. 21. 6. 2011 – VI ZR 262/09. 93 Gallas, ZStW 75 (1963), 16, 19; siehe dazu SK/Hoyer, § 201 Rn. 4 und MüKo-StGB/ Graf, § 201 Rn. 2, die beide Gallas zitieren aber zwei völlig unterschiedliche Rechtsgüter vertreten. 94 So z. B. bei Arzt, Der strafrechtliche Schutz der Intimsphäre, S. 239 „Hinzu tritt die durch die Isolierung und damit Verabsolutierung des fixierten Wortes drohende Sinnentstellung“; auch SK/Hoyer, § 201 Rn. 3 und 4; MüKo-StGB/Graf, § 201 Rn. 2.
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StGB? Eine mögliche Antwort wäre: Ungewollte Bedeutungen der aus dem Kontext gerissenen, später reproduzierten Aussagen können nachträglich nicht oder nur schwer korrigiert und kontrolliert werden – anders ist dies während der momentanen Kommunikation, in der der Sprechende auf Mimik und Gestik des Gegenübers reagieren kann. Indem der Sprecher also z. B. auf einen kritischen Einwand oder Gesichtsausdruck seiner Zuhörer reagiert, kann er versuchen, einen spontan entstandenen, möglicherweise negativen Eindruck von seiner Persönlichkeit zu korrigieren. Denkbar wäre auch ein Dämpfen der Stimmlautstärke oder ein Rückzug des Sprechenden und einiger ausgewählter Zuhörer an einen Ort abseits ungewollter Mithörer, um diese auszuschließen, so dass der Adressatenkreis dieses Persönlichkeitsbildes begrenzt wird. Diese Möglichkeiten der Einflussnahme müssen für den Einzelnen im Rahmen seines Rechts auf Selbstdarstellung gewährleistet sein. Einzig relevanter Unterschied zwischen der vom Sprecher gewählten Gesprächssituation und dem Abspielen einer Tonbandaufnahme ist also die fehlende Möglichkeit des Sprechers, Einfluss auf die Adressaten, deren Zahl oder die „Abspielsituation“ zu nehmen.95 Dies ist aber notwendig, damit der Sprechende nicht in seinem sozialen Geltungsanspruch verletzt wird sondern effektiv sein Recht auf Selbstdarstellung ausüben kann, indem er bestimmen darf, wie er sich Dritten oder der Öffentlichkeit gegenüber darstellen will. Ob solche Bemühungen für den Sprechenden stets erfolgreich sind, mag zweifelhaft sein, braucht jedoch hier nicht erörtert zu werden. Im Vordergrund steht also die Gelegenheit zur Einflussnahme auf die Adressaten und deren Zahl durch den Sprecher im Vordergrund, die beim Abspielen einer Tonbandaufnahme oder bei einem heimlichen Lauschangriff nicht möglich ist. Gewahrt werden sollen also die Situationsgebundenheit einerseits und die Korrigierbarkeit einer mündlichen Äußerung andererseits. Der Sprechende möchte nicht am Gesprochenen festgehalten oder durch ständige Wiedergabe desselben in den exakten Wortlaut „hineingezwungen“ werden, weil dessen Bedeutungsgehalt durch eine veränderte zeitliche und örtliche Situation sowie durch die unterschiedliche subjektive Wahrnehmung verschiedener Zuhörer variieren kann. Die „Unbefangenheit“ des gesprochenen Wortes ist weniger als exaktes Schutzgut, sondern vielmehr als übergeordneter Sammelbegriff einzuordnen, weil der Terminus letztlich einen Gefühlszustand des Sprechenden umschreibt. Treffend erscheint das „Recht auf Gebundenheit des authentischen Sprechakts an die Sprechsituation“ als Schutzgut96, welches als das modifizierte strafrechtliche Pendant zum verfassungsrechtlichen Recht am eigenen Wort zu verstehen ist. Da es um die Authentizität 95 Beachte dazu die Wertung des Bundesverfassungsgerichts in BVerfGE 106, 28, 42, wonach es in der Entscheidung des Sprechers stehen müsse, wer die Kommunikationsinhalte unmittelbar wahrnehmen kann. 96 Ähnlich auch Kattanek, Die Verletzung des Rechtes am gesprochenen Wort durch das Mithören anderer Personen, S. 60 f., dessen Modell der „gedanklich-sprachlichen Selbstvermittlung der Person im authentischen Sprechakt“ sehr in Richtung des Bestimmungsrechts über die Reichweite einer Äußerung geht, der dabei jedoch besonderen Wert auf die unmittelbare Berührung der Äußerung mit der Persönlichkeit des Sprechers legt.
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des Sprechakts geht, soll auch vor dem unbefugten Abhören mittels eines Abhörgeräts Schutz gewährt werden, weil der Zuhörerkreis ohne Einwilligung des Sprechenden auf unbekannte Dritte ausgedehnt wird. Die Bindung des Wortes an die Sprechsituation ist verletzt, wenn die Äußerung reproduzierbar gemacht wird, obwohl sie situativ unter Einbezug aller äußeren Umstände vom Sprechenden an einen bestimmten Personenkreis gerichtet war. Der Schutz dieser im oben genannten Schutzgut zusammengefassten Elemente ermöglicht erst die Unbefangenheit des Sprechers. Gemeint ist ein Recht, im Rahmen der privaten Lebensgestaltung den Wirkbereich97 des Gesagten auf einen bestimmten Adressatenkreis zu beschränken und an die konkrete Gesprächssituation zu binden; so soll die Möglichkeit gewährleistet werden, auf die konkrete Gesprächssituation Einfluss zu nehmen und dem spontan Geäußerten verfeinernde, korrigierende Nuancen hinzuzufügen oder das gesprochene Wort gänzlich zu revidieren, bevor es sich beim Zuhörer „festgesetzt“ hat. Damit soll dem Erfordernis der Flüchtigkeit des Wortes im Rahmen zwischenmenschlicher Kommunikation Rechnung getragen werden. Denn zur freien Entfaltung der Persönlichkeit ist ein – mitunter „hitzig“ geführter – Meinungsaustausch unumgänglich; innerhalb einer solchen Diskussion können dann jedoch Worte fallen, von denen sich der Sprechende später eingestehen muss, dass sie zu weit gingen. Um trotz dieses Risikos das für die Persönlichkeitsentwicklung unumgängliche Führen von Diskussionen und Debatten zu gewährleisten, ist Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts das Recht am eigenen Wort, welches wiederum durch dessen Flüchtigkeit gesichert werden soll. Das vom Bundesverfassungsgericht erklärte Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit98 (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) wäre erheblich geschmälert, wenn andere Personen als der Sprecher selbst ohne oder sogar gegen dessen Willen über dessen nichtöffentlich gesprochene Worte verfügen dürften; insbesondere wäre dann die Unbefangenheit der menschlichen Kommunikation erheblich gestört.99 Dies wird verhindert, indem die „Loslösung“ einer Äußerung von der Person des Sprechers bei hinreichender Eingriffsintensität bestraft wird. Wegen der Konkretisierung auf den authentischen Sprechakt fallen unerlaubte Mitschriften nicht unter den Schutzzweck der Norm. Insofern liegt der wesentliche Unterschied zwischen der Fixierung des Gesprochenen mittels Tonband und einer Mitschrift darin, dass letztere sich nur den vermittelten Inhalt, nicht jedoch den Sprechakt selbst zunutze macht (die Authentizität ist nur diejenige des Schreibers); bei einer Tonbandaufnahme dagegen steht das Gesprochene über den Stimmklang in direktem Zusammenhang mit dem Sprecher.
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Nach dem hiesigen Verständnis der räumliche und zeitliche Bereich, in dem das Gesagte vernommen werden kann und soll. 98 Vgl. BVerfGE 34, 238, 246; so auch BGHSt 10, 202, 205; zuletzt bestätigt durch BGH Urt. v. 21. 6. 2011 – VI ZR 262/09. 99 BVerfGE 34, 238, 246, 247.
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Zwar müsste nach dem hier vertretenen Schutzgut das heimliche Belauschen eines Gesprächs ohne technische Mittel ebenfalls unter Strafe stehen, weil auch dabei das Bestimmungsrecht des Sprechers über die konkrete Gesprächssituation und den Adressatenkreis als Teil der Gebundenheit des authentischen Sprechakts an die Situation verletzt wird. Das Abhören ohne technische Mittel ist jedoch nicht als strafwürdig anzusehen, weil das Risiko für den Sprecher, dass ein persönlichkeitsverfälschendes Bild entstehen könnte, lediglich auf die Person des Lauschers begrenzt ist: Die Eigenart des Lauschens, nämlich der unbemerkte räumlich nahe Aufenthalt in akustischer Reichweite, begrenzt die Zahl potenzieller Lauscher auf natürliche Weise. Auch ist es für den Sprecher ohne weiteres möglich und zumutbar, die eigene Stimmlautstärke zu senken, um sich vor heimlichen Lauschern zu schützen. Diese natürliche Begrenzung wird jedoch unter Zuhilfenahme von technischen Mitteln gerade überwunden, so dass der Kreis unerwünschter heimlicher Zuhörer beliebig ausgedehnt werden kann. Die Verletzungsgefahr und -intensität für das Schutzgut des § 201 StGB ist beim Abhören mit technischen Mitteln so hoch, dass die Schwelle der Strafwürdigkeit überschritten wird. Da das Strafrecht nur die besonders gefährlichen Eingriffe in das Recht am gesprochenen Wort erfassen soll, ist das bloße heimliche Lauschen nicht zu bestrafen. ee) Rechtspolitische Einschätzung de lege ferenda Der nachträglich eingefügte § 201 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StGB würde dem Schutz des hier vertretenen Rechtsguts nur dann dienen, wenn das Schutzgut nicht auf die Gebundenheit des authentischen Sprechakts beschränkt wäre, sondern auch den Sprechinhalt erfassen würde. Adressatenkreis und Gesprächssituation des authentischen Sprechakts werden durch die öffentliche Mitteilung nur des Inhalts jedoch nicht künstlich erweitert, weil der Sprechakt selbst nicht verbreitet wird. Eine Verstärkung der bereits eingetretenen Rechtsgutsverletzung durch Verbreitung des Inhalts der zuvor fixierten oder abgehörten Äußerung ist bei dem hier vertretenen Schutzgut nicht denkbar. Dieses kann allein durch den in der unbefugten (Dritt-) Verfügung über den authentischen Sprechakt des Sprechers liegenden Angriff auf dessen Bestimmungsrecht verletzt werden. Möglich wäre die Annahme eines zweigeteilten Rechtsguts, nämlich die Gebundenheit des authentischen Sprechaktes einerseits und des Sprechinhalts100 andererseits, oder eines anderen entsprechenden Rechtsguts eines Indiskretionsdelikts.101 Dies erscheint jedoch sehr konstruiert und hätte zwei stark voneinander abweichende Schutzrichtungen zur Folge; für den Versuch einer Systembildung innerhalb des 15. Abschnitts des StGB wäre dies nicht zielführend. Darüber hinaus wäre es dann kaum erklärbar, warum nicht auch eine wörtliche oder den wesentlichen Inhalt erfassende Mitschrift unter Strafe steht. Im 100
Verstanden als Bindung auch des wesentlichen Inhalts einer Äußerung an die Gesprächssituation, ähnlich SK/Hoyer, § 201 Rn. 3, 4. 101 Lenckner, in: Arzt (Hrsg.), Festschrift für Jürgen Baumann zum 70. Geburtstag, 1992, S. 135, 144.
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Sinne einer gesetzessystematisch korrekten, d. h. am Schutzgut orientierten Lösung dieses Problems wird daher vorgeschlagen, Abs. 2 S. 1 Nr. 2 aus dem Tatbestand des § 201 StGB zu streichen102 und die Tathandlung ggfs. an anderer Stelle unter Strafe zu stellen.
3. Konsequenzen für die Tatbestandsauslegung a) Tatobjekt In allen vier Tatbestandsvarianten des § 201 Abs. 1 und Abs. 2 StGB ist das nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen Tatgegenstand. aa) Das gesprochene Wort Der Schutzbereich des „gesprochenen Wortes“ und dessen Begriffsbestimmung sind umstritten. Weitgehend Einigkeit herrscht darüber, dass mangels artikulierter Äußerung Töne, Tonfolgen oder andere nichtsprachliche Äußerungen wie Gähnen, Stöhnen, Lachen, Schnarchen oder Schluchzen nicht umfasst sind.103 Auch der authentische Sprechakt erfordert insoweit eine artikulierte, also sprachliche Äußerung (anders wäre dies bspw. bei dem weiterreichenden Schutzgut des authentischen „Stimmerzeugungsaktes“). Auch ist man sich im Schrifttum einig, dass dem Gesetzeswortlaut entsprechend eine Äußerung unabhängig von ihrem gedanklichen Inhalt oder ihrer Geheimhaltungsbedürftigkeit geschützt ist.104 Es kommt nicht darauf an, dass die gesprochenen Worte die Intim- oder Privatsphäre des Sprechers betreffen, somit sind auch geschäftliche und dienstliche Gespräche schutzwürdig; insoweit besteht gleichermaßen das Interesse, mündliche Erklärungen unbefangen abgeben zu können.105 Das gesprochene Wort einer Kunst- oder Geheimsprache ist 102 SK/Hoyer, § 201 Rn. 5 sieht den nachträglich eingefügten Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ebenfalls als „Fremdkörper“ an; ablehend insoweit auch Schilling, JZ 1980, 7, 10, da die Verbreitung eines Wortprotokolls keine Materie des § 201 StGB betreffe. 103 BT-Drucks. 7/550, S. 310; NK/Kargl, § 201 Rn. 5; S/S/Lenckner/Eisele § 201 Rn. 5; L/ Kühl, § 201 Rn. 2; LK/Schünemann, § 201 Rn. 3; Tröndle/Fischer, § 201 Rn. 3; SK/Hoyer, § 201 Rn. 6; Dölling/Duttke/Rössner/Tag, § 201 Rn. 5; beachte jedoch Arzt, Der strafrechtliche Schutz der Intimsphäre, S. 242 f., der die Beschränkung auf Worte kritisiert und eine Ausdehnung auf sonstige Klangäußerungen (das Schluchzen Trauernder, Geräusche eines Liebespaares) fordert; für eine erweiternde Auslegung auch Wölfl, Die Verwertbarkeit heimlicher privater Ton- und Bildaufnahmen im Strafverfahren, S. 57 f., jedoch ohne weitere Begründung. 104 L/Kühl, § 201 Rn. 2; LK/Schünemann, § 201 Rn. 5; NK/Kargl, § 201 Rn. 6; MüKoStGB/Graf, § 201 Rn. 11; Dölling/Duttke/Rössner/Tag, § 201 Rn. 5; S/S/Lenckner/Eisele § 201 Rn. 5. 105 Klug, in: Hamm (Hrsg.), Festschrift für Werner Sarstedt zum 70. Geburtstag, 1981, S. 101, 114; LK/Schünemann, § 201 Rn. 5; NK/Kargl, § 201 Rn. 6; vgl. auch OLG Frankfurt JR 1978 168, 169, vgl. dazu auch Arzt, JR 1978, 168, 170 f.; OLG Karlsruhe JR 1979 466, 467, vgl. dazu Ostendorf, JR 1979, 466, 468 ff.
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C. Umsetzung durch den Gesetzgeber
ebenfalls erfasst.106 Hinsichtlich des Schutzumfangs des gesprochenen Wortes herrscht jedoch Uneinigkeit. Stellt man mit einer – heute nur noch vereinzelt vertretenen – Meinung unter strenger Orientierung am Gesetzeswortlaut auf das engere Verständnis des „gesprochenen Wortes“ als gesprochene Äußerung eines (eigenen) Gedankens ab, so fiele weder der Gesang noch ein Zitat unter diesen Begriff.107 Während Gesang schon keine gesprochene Äußerung sei, falle die Wiedergabe eines fremden Textes mangels eigener Gedankenerklärung aus dem Schutzbereich des § 201 StGB heraus.108 Wenn § 201 StGB private Lebensäußerungen umfassend schützen wollte, müsste er auch das Recht am eigenen Bild erfassen; da er dies offenkundig nicht tue, liege eine Beschränkung des Tatbestands auf Äußerungen eigener Gedanken nahe.109 Demgegenüber wird überwiegend die Ansicht vertreten, dass mit dem „gesprochenen Wort“ alle artikulierten Äußerungen sprachlicher Art gemeint seien; dies sei vom Gesetzeswortlaut gedeckt.110 Während Gesten und Zeichensprache mangels artikulierter Äußerung nicht dem Schutzzweck unterfielen111, sei dies bei gesanglichen Äußerungen anders.112 Der Gesetzeswortlaut spreche nicht zwingend gegen eine Einbeziehung in den Schutzbereich, da das Singen eine Form des intonierten Sprechens darstelle.113 Ebenfalls vom Schutzbereich des § 201 StGB umfasst seien Äußerungen, die keine eigenen Gedanken enthalten wie z. B. die Wiedergabe eines fremden (Lied-)Textes oder Gedichtes114. Zwar sieht Samson eine Ausnahme dann als gegeben an, wenn die Wiedergabe fremder Äußerungen allein zu künstlerischen Zwecken erfolge, da dann der Informationszweck zurücktrete.115 Demgegenüber weist Schünemann überzeugend darauf hin, dass die Norm nicht auf den Informationszweck der Äußerung, sondern auf den Schutz der Privatsphäre des Sprechenden abstellt.116 Diese Auffassung entspricht auch dem oben erarbeiteten117 Schutzzweck 106
LK/Schünemann, § 201 Rn. 3; NK/Kargl, § 201 Rn. 5. L/Kühl, § 201 Rn. 2. 108 L/Kühl, § 201 Rn. 2; Blei, in: Roxin/Bruns/Jäger (Hrsg.), Grundfragen der gesamten Strafrechtswissenschaft, 1974, S. 109, 118; Meyer, JR 1987, 212, 215 f.; Maurach/Schroeder/ Maiwald, Besonderer Teil I, § 29 V Rn. 69. 109 Maurach/Schroeder/Maiwald, Besonderer Teil I, § 29 V Rn. 69. 110 NK/Kargl, § 201 Rn. 7; LK/Schünemann, § 201 Rn. 4. 111 MüKo-StGB/Graf, § 201 Rn. 10; NK/Kargl, § 201 Rn. 10.; insoweit besteht wiederum überwiegend Einigkeit im Schrifttum. 112 So z. B. S/S/Lenckner/Eisele, § 201 Rn. 5; Tröndle/Fischer, § 201 Rn. 3; MüKo-StGB/ Graf, § 201 Rn. 10; mittlerweile auch LK/Schünemann, § 201 Rn. 6; S/S/W/Bosch, § 201 Rn. 2; Wessels/Hettinger, Straftaten gegen Persönlichkeits- und Gemeinschaftswerte, § 12 Rn. 526; a.A. jedoch L/Kühl, § 201 Rn. 2. 113 BeckOK StGB/Heuchemer § 201 Rn. 3. 114 LK/Schünemann, § 201 Rn. 4, MüKo-StGB/Graf, § 201 Rn. 10; Tröndle/Fischer, § 201 Rn. 3. 115 SK/Samson, § 201 Rn. 4 in der 4. Auflage. 116 LK/Schünemann, § 201 Rn. 4; zustimmend auch NK/Kargl, § 201 Rn. 6. 107
I. § 201 StGB – Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes
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des § 201 StGB, wonach die Unbefangenheit der Kommunikation geschützt und somit peinliche Bloßstellungen des Sprechers verhindert werden sollen; die Gefahr einer solchen Bloßstellung besteht aber insbesondere bei der heimlichen Konservierung unfreiwillig komischer Darbietungen gesanglicher Art.118 Gleiches gelte für die Deklamation fremder Texte oder Gedichte.119 Der Gesetzeswortlaut weist in keiner Weise auf eine Beschränkung des Tatbestands auf die Äußerung eigener Gedanken hin.120 Bei Anwendung des hier vertretenen Schutzgutes sind sowohl der Gesang als auch die Wiedergabe eines fremden Textes von § 201 StGB geschützt, weil es nur auf den authentischen Sprechakt und damit auf die artikulierte Äußerung ankommt. Umstritten ist zudem, ob eine Äußerung durch künstliche Stimmerzeugung in den Schutzbereich des § 201 StGB fällt, etwa wenn der Ton einer Stimme durch Tastatureingaben (z. B. Sprachmodule bei Computerprogrammen) erzeugt oder bei elektronischen Sprechhilfegeräten durch Muskelkontraktionen oder Nervenreize herbeigeführt wird.121 Eine Auffassung subsumiert auch diese Fälle unter § 201 StGB, während es sich nach der Gegenansicht bei einer rein computergenerierten Stimme nicht um ein „gesprochenes Wort“ i.S. des § 201 StGB handelt.122 Zwar scheint eine computergenerierte Stimme bei strenger Wortlautauslegung nicht von der Strafnorm erfasst zu sein. Anderes kann jedoch für elektronische Sprechhilfegeräte gelten. Nach der hier vertretenen Auffassung schützt § 201 StGB die unbefangene Kommunikation als Folge der Gebundenheit des authentischen Sprechakts an den Sprecher. Wenn jemand aufgrund einer Krankheit oder Verletzung zu einer stimmlichen Äußerung nicht in der Lage ist, ist die über Muskelkontraktionen oder Nervenreize gesteuerte computergenerierte Stimme das einzige quasiverbale Kommunikationsmedium, das ähnlich wie die Stimmerzeugung körperlich unmittelbar gesteuert wird. Soweit dem Betroffenen eine alternative stimmliche Äußerung nicht möglich ist, sollte daher auch die künstlich verstärkte Stimme vom Schutzbereich der Strafnorm umfasst sein. Anders ist dies bei der künstlich wiedergegebenen Stimme durch das Abspielen eines Tonträgers. Nach der hier vertretenen Ansicht steht das Kopieren oder Abhören eines Tonträgers, der seinerseits eine unbefugt aufgenommene nichtöffentliche Äußerung eines anderen enthält, nicht unter Strafe123, weil die durch den Tonträger 117
Siehe unter C. I. 2. d) dd). So auch NK/Kargl, § 201 Rn. 6; LK/Schünemann, § 201 Rn. 4. 119 SK/Hoyer, § 201 Rn. 7; MüKo-StGB/Graf, § 201 Rn. 10; LK/Schünemann, § 201 Rn. 4; S/S/W/Bosch § 201 Rn. 2 120 I. E. auch NK/Kargl, § 201 Rn. 7; anders aber Maurach/Schroeder/Maiwald, Besonderer Teil I, § 29 V Rn. 69. 121 MüKo-StGB/Graf, § 201 Rn. 12. 122 S/S/Lenckner/Eisele § 201 Rn. 5; Tröndle/Fischer, § 201 Rn. 3. 123 Insoweit übereinstimmend S/S/Lenckner/Eisele, § 201 Rn. 12, LK/Schünemann, § 201 Rn. 12; SK/Hoyer, § 201 Rn. 8. 118
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erzeugte Stimmwiedergabe gerade nicht über Nervenreize gesteuert und nicht die einzige quasiverbale Kommunikationsmöglichkeit des Sprechers darstellt. bb) Nichtöffentlich Die Einschränkung des Schutzes am gesprochenen Wort auf nichtöffentliche verbale Äußerungen erfolgte nach einer Ansicht aus viktimodogmatischen Gründen. So könne dem Sprechenden, wenn dieser Wert auf die Vertraulichkeit seiner Worte legt, zugemutet werden, selbst am Schutz dieser Vertraulichkeit mitzuwirken, indem er den Adressatenkreis seiner Äußerung jedenfalls auf den nichtöffentlichen Bereich beschränkt.124 Erst danach soll subsidiär das Strafrecht die Vertraulichkeit des gesprochenen Wortes schützen. Denkbar ist auch der Ansatz, dass aufgrund stillschweigender Einwilligung ein Schutzbedürfnis fehlt; denn wer öffentlich spricht, muss mit allen Arten von Verwendung seiner Worte rechnen. Die Nichtöffentlichkeit könnte nach hier vertretener Ansicht jedoch auch als Tatbestandsmerkmal gewordene verfassungsrechtliche Einschränkung des Rechtes am gesprochenen Wort verstanden werden, die sich aus dem gesellschaftlichen Informationsinteresse ergibt und geboten ist, um eine uferlose Ausweitung der Strafbarkeit zu vermeiden. Die Entscheidung der Frage, wann das gesprochene Wort als öffentlich oder nichtöffentlich qualifiziert wird, hat der Gesetzgeber der Rechtsprechung und Rechtslehre überlassen.125 Die verschiedenen Auffassungen und differenzierten Begriffsbestimmungen lassen sich kaum systematisch darstellen. Nach wohl herrschender Auffassung ist eine Öffentlichkeit des gesprochenen Wortes dann anzunehmen, wenn es für einen größeren, nach Zahl und Individualität unbestimmten oder für einen nicht durch persönliche oder sachliche Beziehungen miteinander verbundenen Personenkreis bestimmt oder unmittelbar verstehbar ist.126 Eine große Anzahl von Zuhörern allein reicht danach nicht aus, um Öffentlichkeit zu begründen, wenn die Anwesenden einen durch gemeinsame Merkmale begründeten geschlossenen Zuhörerkreis bilden.127 Es werden aber auch andere Bestimmungsmerkmale für die Frage, ob eine Äußerung öffentlich erfolgt, aufgestellt. Zunächst kann an den Willen des Sprechers angeknüpft werden. Dann ist Öffentlichkeit auch dann gegeben, wenn die Äußerung an die Öffentlichkeit gerichtet ist, aber faktisch von niemandem oder nur wenigen befreundeten Anhängern ver-
124
SK/Hoyer, § 201 Rn. 1 m.w.N. Begr. zu § 183 E 1962, S. 331. 126 S/S/Lenckner/Eisele, § 201 Rn. 6; OLG Frankfurt NJW 1977, 1547, vgl. dazu auch Arzt, JR 1978, 168, 170 f.; OLG Karlsruhe NJW 1979, 1513; MüKo-StGB/Graf, § 201 Rn. 14; NK/ Kargl, § 201 Rn. 8; L/Kühl, § 201 Rn. 2. 127 S/S/Lenckner/Eisele, § 201 Rn. 8. 125
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nommen wird.128 Umgekehrt ist eine Äußerung nichtöffentlich, wenn der Sprecher den Zuhörerkreis begrenzen will und anwesende Lauscher nicht bemerkt.129 Nach anderen, geringfügig voneinander abweichenden Auffassungen kann die Öffentlichkeit der Äußerung auch durch objektive Kriterien begründet werden. Dieses Korrektiv dient dazu, eine Abhängigkeit der Strafbarkeit des § 201 StGB allein vom Willen des Sprechers zu vermeiden. So ist nach Ansicht des OLG Celle der Wille des Sprechenden zwar grundsätzlich beachtlich, könne aber „durch die Faktizität überspielt werden“130. Im zugrundeliegenden Fall nahm ein Angeklagter während einer Unterbrechung der Hauptverhandlung unbemerkt ein Gespräch mit zwei Anwälten im Schwurgerichtssaal auf. Es konnte nicht ausgeschlossen werden, dass sich während der Unterhaltung zwei Zuhörer und ein Wachmeister im Schwurgerichtssaal befanden und die Tür zu diesem offenstand. Da das Gespräch möglicherweise von dritten Personen mitgehört werden konnte, ging das OLG Celle von der Öffentlichkeit der Äußerungen aus. Ist danach nicht auszuschließen, dass dritte (unbemerkte) Personen die Unterhaltung ohne besonderes Bemühen mithören, sei die Äußerung „faktisch“ öffentlich.131 Nach Fischer ist „nicht allein“ auf den Willen des Sprechers abzustellen, sondern auch auf den „Zweck und die Eigenart“ des Gesprächs.132 Hiernach werden subjektive und objektive Elemente verknüpft. Nach dieser Ansicht ist das Merkmal der Nichtöffentlichkeit trotz entgegenstehenden Willens des Sprechers ausgeschlossen, wenn er weiß oder wissen müsste, dass der Zuhörerkreis auch Unbefugten offensteht.133 Dies sei etwa dann der Fall, wenn der Sprecher in einem vollbesetzten Gasthaus mit lauter, weithin vernehmbarer Stimme rede134 oder eine laute Unterhaltung in öffentlichen Verkehrsmitteln oder auf der Straße führe.135 Unbemerkte Zuhörer können eine „faktische Öffentlichkeit“ herstellen, wobei jedoch die Anwesenheit einzelner „unerbetener Lauscher“ nicht ausreichend sei.136 128
NK/Kargl, § 201 Rn. 9. NK/Kargl, § 201 Rn. 9. 130 Vgl. OLG Celle JR 1977, 338, 339; vgl. auch Wormer, Der strafrechtliche Schutz der Privatsphäre vor Mißbräuchen mit Tonaufnahme- und Abhörgeräten, S. 130. 131 OLG Celle JR 1977, 338, 339. 132 Tröndle/Fischer, § 201 Rn. 4; diesen Ansatz vertreten auch der BGH (in BGHSt 31, 304, 306) und das OLG Frankfurt (in JR 1978, 168). 133 SK/Hoyer, § 201 Rn. 11; MüKo-StGB/Graf, § 201 Rn. 18; ähnlich auch S/S/Lenckner/ Eisele, § 201 Rn. 9, wonach eine Öffentlichkeit auch dann anzunehmen sei, wenn die Worte zwar nicht an die Öffentlichkeit gerichtet seien, aber vom Sprecher bewusst so gesprochen würden, dass sie von Dritten ohne besonderes Bemühen mitgehört werden könnten; so auch Helle, Besondere Persönlichkeitsrechte im Privatrecht, S. 255; i.E. auch Wormer, Der strafrechtliche Schutz der Privatsphäre vor Mißbräuchen mit Tonaufnahme- und Abhörgeräten, S. 127, wonach es darauf ankomme, ob die Worte von Dritten gehört werden könnten, nicht aber darauf, ob sie auch tatsächlich gehört wurden. 134 LK/Schünemann, § 201 Rn. 7. 135 S/S/Lenckner/Eisele, § 201 Rn. 9. 136 LK/Schünemann, § 201 Rn. 7. 129
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Die Bestimmung der „Nichtöffentlichkeit“ gestaltet sich somit schwierig. Es stellt sich bei der Auslegung des Merkmals der Nichtöffentlichkeit nach rein subjektiven Maßstäben das Problem, dass eine Strafbarkeit gem. § 201 StGB allein von der Willensrichtung des Sprechers abhinge. Allein der Sprechende hätte es in der Hand, die Nichtöffentlichkeit kraft seines Willens herzustellen. Um dies zu vermeiden, könnten weitere Maßstäbe herangezogen werden. So könnte eine öffentliche Gesprächssituation angenommen werden, wenn der Sprecher weiß oder wissen müsste, dass unbefugte Zuhörer anwesend sind. Die Bestrafung des Täters wäre dann jedoch von den subjektiven Fähigkeiten und Wahrnehmungen des Sprechers abhängig, wenn man das Wissen als subjektiven oder Wissenmüssen als objektiven Maßstab zur Auslegung heranzieht; wenn der Sprecher hätte erkennen können, dass er öffentlich spricht, dies aber aufgrund einer Nachlässigkeit tatsächlich nicht erkannte, wäre der Täter nicht strafbar. Dem leicht nachlässigen Sprecher den strafrechtlichen Schutz grundsätzlich zu verwehren, erscheint jedoch nicht nachvollziehbar. Die Auffassung, dass die Herstellung der Öffentlichkeit aufgrund Faktizität möglich sei, läuft zumindest bei der Annahme, einzelne unerwünschte Lauscher machten eine Äußerung öffentlich, dem Schutzzweck der Norm zuwider. Anderenfalls würde die Aufnahme oder das Abhören des gesprochenen Wortes durch unbemerkte heimliche Lauscher (wie bei einem Lauschangriff üblich) mangels Nichtöffentlichkeit schon nicht in den Schutzbereich des § 201 StGB fallen. Nach dem Schutzzweck der Norm soll jedoch die Unbefangenheit des Sprechers gerade vor derartigen Angriffsformen geschützt werden. Auch ist bei einer Annahme der faktischen Öffentlichkeit bei einzelnen unbemerkten Zuhörern der Einwand von Arzt beachtlich, wonach dann ein Abhören i.S. des § 201 Abs. 2 StGB nicht denkbar sei.137 Zudem gäbe es dann für den Aufnehmenden Möglichkeiten, das Merkmal der Nichtöffentlichkeit zu umgehen; es seien Vorkehrungen (Öffnen von Tür oder Fenster) denkbar, durch die unbeteiligte Dritte die Worte des Sprechers wahrnehmen können oder könnten, so dass eine faktische Öffentlichkeit hergestellt wäre.138 Der Wille des Gesetzgebers, dass nicht nur das vertrauliche, sondern das gesprochene Wort schlechthin geschützt werden soll, würde unterlaufen, wenn man mithilfe des Merkmals „nichtöffentlich“ nur solche Worte schützen würde, die in einer gegen Mithören sorgfältig und erfolgreich gesicherten Schutzzone fallen.139 „Faktische“ Öffentlichkeit kann m. E. also nur in solchen Fällen gegeben sein, in denen der Sprecher nicht zur, sondern in der Öffentlichkeit spricht, so dass sich ihm ein verstehendes Mithören Dritter aufdrängt. Zwar wird dem wegen Abhörens Angeklagten dadurch die Behauptung ermöglicht, er habe angenommen, dass sich dem Abgehörten die Gefahr von Lauschern habe aufdrängen müssen, und deshalb ohne Vorsatz bezüglich der Nichtöffentlichkeit gehandelt. Gleichwohl ist diese Objektivierung notwendig, weil sonst die Strafbarkeit des Täters allein vom Willen des Sprechers 137 138 139
Arzt, JR 1977, 338, 340. Arzt, JR 1977, 338 ff. So auch Arzt, JR 1977, 338 ff.
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abhinge. Zu solchen Fällen gehören die von Schünemann140 zusammengetragenen Beispiele des lauten Sprechens in einem vollbesetzten Gasthaus oder in öffentlichen Verkehrsmitteln oder auf der Straße, weil ein Mithören keine besondere Mühe kostet und sich wegen der Belebtheit des Ortes dem Sprechenden aufdrängen muss. Eine Äußerung ist dann nichtöffentlich, wenn sie für einen nach Zahl und Individualität bestimmten und für einen durch persönliche oder sachliche Beziehungen miteinander verbundenen Personenkreis bestimmt oder unmittelbar verstehbar ist.141 Eine solche Abgrenzung erfolgt unter Berücksichtigung der inneren Willensrichtung des Sprechenden und anhand objektiver Kriterien wie etwa persönlicher Beziehungen zwischen den Gesprächsteilnehmern oder Kontrollmaßnahmen zum Ausschluss von unerwünschten Zuhörern. Zwar scheint es, dass manche Autoren die beiden wesentlichen Merkmale der Nichtöffentlichkeit, nämlich die qualitative und quantitative Bestimmbarkeit des Personenkreises einerseits und dessen sachliche oder persönliche Verbundenheit andererseits, als Alternativen auffassen,142 doch könnte es sich dabei auch um eine sprachliche Ungenauigkeit handeln. Anderenfalls wären Massenveranstaltungen großer Organisationen auch dann nichtöffentlich, wenn sich die Mehrzahl der Beteiligten untereinander überhaupt nicht kennt, nur weil die Veranstaltung auf Mitglieder beschränkt ist (qualitativ) und die Teilnehmerzahl letztlich, sei es vom Raum her, sei es durch die Anzahl der Eintrittskarten, (quantitativ) begrenzt ist (ADAC-Veranstaltungen, Gewerkschaftsversammlungen).143 Bei solchen Großveranstaltungen ist aber eine Schutzwürdigkeit des Einzelnen hinsichtlich seiner gesprochenen Worte nicht ersichtlich, weil er bei einer Vielzahl fremder Personen ohne weitere Verbindung seine Worte mit Bedacht wählen kann und wird, so dass die Strafbarkeit zu weit griffe. Das Korrektiv der darüber hinausgehenden persönlichen oder sachlichen Verbundenheit der Zuhörer ist unentbehrlich.144 Welcher Natur die persönlichen oder sachlichen Beziehungen sein müssen, ist dabei fraglich. Denkbar ist, dass schon erstmalige Begegnungen der Gesprächsteilnehmer eine Beziehung begründen können, die eine Öffentlichkeit ausschließt; so etwa das erste Gespräch unter neuen Nachbarn145 oder unter an einem Verkehrsunfall Beteiligten über die Schadensregulierung.146 Die Nichtöffentlichkeit beschränkt sich nicht auf Personen, denen gegenüber der Sprecher in Form und Inhalt
140
LK/Schünemann, § 201 Rn. 7. Helle, Besondere Persönlichkeitsrechte im Privatrecht, S. 251 ff.; ähnlich S/S/Lenckner/ Eisele, § 201 Rn. 6; OLG Frankfurt NJW 1977, 1547, vgl. dazu auch Arzt, JR 1978, 168, 170 f.; OLG Karlsruhe NJW 1979, 1513; MüKo-StGB/Graf, § 201 Rn. 14; NK/Kargl, § 201 Rn. 8; L/ Kühl, § 201 Rn. 2. 142 S/S/Lenckner/Eisele, § 201 Rn. 6; L/Kühl, § 201 Rn. 2. 143 Helle, Besondere Persönlichkeitsrechte im Privatrecht, S. 252. 144 Helle, Besondere Persönlichkeitsrechte im Privatrecht, S. 252. 145 Beispiel leicht abgewandelt entnommen von Blei, in: Roxin/Bruns/Jäger (Hrsg.), Grundfragen der gesamten Strafrechtswissenschaft, 1974, S. 109, 116. 146 Beispiel von Helle, Besondere Persönlichkeitsrechte im Privatrecht, S. 253. 141
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nach allgemeiner Verkehrsanschauung keine Zurückhaltung zu wahren braucht147; denn der Schutz des § 201 StGB soll auch gegenüber Personen gelten, bei denen Zurückhaltung angebracht wäre.148 Damit kommt es darauf an, dass alle Personen des angesprochenen Kreises eine innere Gemeinsamkeit besitzen, die diesem Kreis einen in sich geschlossenen, nach außen abgrenzbaren Charakter gibt149 (z. B. bei einem Gespräch unter Arbeitskollegen, studentischen Lern- und Arbeitsgruppen). Die Nichtöffentlichkeit entfällt auch nicht dadurch, dass der Sprechende zu einem späteren Zeitpunkt beabsichtigt, das Gesprochene oder zumindest dessen Inhalt zu veröffentlichen. So sah das OLG Frankfurt das von einem Polizeibeamten geführte Vernehmungsgespräch als nichtöffentlich an, obwohl es in einem späteren Prozess ggfs. im Rahmen einer Zeugenvernehmung der Verhörsperson reproduziert werden sollte.150 Der Beschuldigte nahm das Vernehmungsgespräch mit einem Polizeibeamten heimlich auf. Auch wenn dieser das Gespräch gegebenenfalls in der öffentlichen Hauptverhandlung reproduzieren und damit „veröffentlichen“ wollte, lehnte das OLG Frankfurt die Öffentlichkeit mangels unmittelbarer Wahrnehmung Dritter ab.151 Auch nach hier vertretener Auffassung kommt es auf eine spätere „Veröffentlichung“ des Gesprächs nicht an, da bei der Vernehmung unerwünschte Zuhörer ausgeschlossen sind, so dass das Vernehmungsgespräch nichtöffentlicher Natur ist. Auf eine mögliche „Fernwirkung“152 kommt es nicht an, sondern lediglich auf die momentane Gesprächssituation. Auch die teleologische Auslegung der „Nichtöffentlichkeit“ bestätigt dieses Ergebnis, da lediglich der Beschuldigte auf sein Recht auf Bindung des authentischen Sprechakts verzichtet, der Vernehmungsbeamte hingegen nicht. Dieser gibt sein Einverständnis regelmäßig in die Reproduktion nur des Inhalts, nicht jedoch des Sprechakts selbst. Im Fall einer zwar öffentlich gewollten, aber tatsächlich gegenüber einem geschlossenen Personenkreis erfolgten Äußerung ist von Nichtöffentlichkeit auszugehen, auch wenn dies nicht ganz unproblematisch ist. Wenn bspw. der Sprecher feststellt, dass zu der intendierten Großkundgebung nur fünf seiner Freunde erschienen sind, wird er sich womöglich anders äußern als eigentlich vorgesehen; damit ist er schutzwürdig i.S. des Schutzzwecks der Norm. Parallel zu der den Sprecherwillen überlagernden „faktischen Öffentlichkeit“, sofern sich diese dem Sprechenden aufdrängt, ist hier eine „faktische Nichtöffentlichkeit“ anzuerkennen und aufgrund der persönlichen Beziehungen der Teilnehmer auch objektiv feststellbar, wenn dem Sprechenden die nichtöffentliche Gesprächssituation bekannt ist. 147 Ähnlich OLG Celle JR 1977, 338 f.; Blei, in: Roxin/Bruns/Jäger (Hrsg.), Grundfragen der gesamten Strafrechtswissenschaft, 1974, S. 109, 114 ff. 148 Z. B. in einer Fakultätssitzung oder bei einem festlichen Essen mit Geschäftspartnern. 149 Wormer, Der strafrechtliche Schutz der Privatsphäre vor Mißbräuchen mit Tonaufnahme- und Abhörgeräten, S. 128 f.; LK/Schünemann, § 201 Rn. 8. 150 OLG Frankfurt JR 1978, 168; OLG Frankfurt JR 1979, 466. 151 OLG Frankfurt JR 1978, 168. 152 OLG Frankfurt JR 1978, 198.
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Damit ergibt sich für die problematischen Einzelfragen folgendes: Ist es dem Sprechenden unmöglich, eine Äußerung vor unbegrenztem Zuhörerkreis zu vermeiden, wie etwa bei einer öffentlichen Gerichtsverhandlung, so kennt er die Öffentlichkeit der Gesprächssituation, und es besteht kein strafrechtlicher Schutz.153 Auf die tatsächliche Anwesenheit von Publikum und dessen Größe kommt es daher nicht an. Entscheidend ist vielmehr, dass die gesetzlich vorgesehene Öffentlichkeit darauf angelegt ist, jedermann und jederzeit ein Zuhören zu ermöglichen.154 Auch die Gespräche während einer nichtöffentlichen Hauptverhandlung erfolgen öffentlich i.S. des § 201 StGB, da die Anwesenden keine innerlich verbundene Gruppe bilden. Gemeinsam ist den Anwesenden in persönlicher Hinsicht letztlich nur die Beteiligung an dem jeweiligen Prozess; ließe man dies als innere Verbindung genügen, würde dieses Abgrenzungskriterium so weit reduziert werden, dass eine persönliche Beziehung bereits dann vorläge, wenn man miteinander spricht. Unterlässt es die Polizei durch wirksame technische Mittel sicherzustellen, dass der Sprechfunkverkehr nicht mit einem üblichen Radioempfänger abgehört werden kann, so erfolgt dieser öffentlich und unterfällt nicht dem Schutzbereich des § 201 StGB.155 Die Problematik von unerwünschten Zuhörern des Polizeifunks dürfte der Polizei hinlänglich bekannt sein. Zwar steht der Öffentlichkeit des Sprechfunkverkehrs der Wille der Polizei entgegen. Gleichwohl muss sich ihr gerade bei Fehlen irgendwelcher technischen Mittel zum Ausschluss häufig auftretender unerwünschter Zuhörer aufdrängen, dass Dritte den Polizeifunk abhören können. Damit erfolgt dieser faktisch öffentlich. b) Tathandlungen aa) Aufnehmen auf einen Tonträger gem. § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB Als Aufnehmen wird das Festhalten des gesprochenen Wortes auf einen Tonträger in der Weise verstanden, dass eine (wiederholte) akustische Reproduktion und Wahrnehmung möglich ist.156 Solche Tonträger sind etwa Tonbänder, Schallplatten und Videobänder, aber insbesondere auch digitale Speichermedien wie CompactDisks, Festplatten, CD-ROMs, DVDs, USB-Sticks und Flash-Memory-Speicher157. Dabei liegt eine Aufnahme bereits vor, wenn auch nur ein einziges Wort aufgenommen wurde; misslingt die Aufnahme dagegen, kommt Versuch in Betracht.158 153 So auch SK/Hoyer, § 201 Rn. 11; i.E. gleich, aber mit anderer Begründung auch NK/ Kargl, § 201 Rn. 9, wonach es darauf ankomme, dass die gesetzlich vorgesehene Öffentlichkeit auf die Möglichkeit des Zuhörens angelegt sei. 154 So auch S/S/Lenckner/Eisele, § 201 Rn. 10 a.E. 155 S/S/Lenckner/Eisele, § 201 Rn. 9; NK/Kargl, § 201 Rn. 9; MüKo-StGB/Graf, § 201 Rn. 18. 156 MüKo-StGB/Graf, § 201 Rn. 20. 157 LK/Schünemann, § 201 Rn. 14; NK/Kargl, § 201 Rn. 10. 158 NK/Kargl, § 201 Rn. 10.
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Wie sich aus dem Gesetzeswortlaut ergibt, wird der Tatbestand nur mit der Aufnahme des tatsächlich gesprochenen Wortes erfüllt, nicht jedoch mit dem Kopieren einer bereits angefertigten Tonbandaufnahme.159 Auch aus dem hier vertretenen Schutzgut ergibt sich diese Auslegung, da der authentische Sprechakt nur während der tatsächlichen Äußerung geschützt sein kann; bei der bloßen Reproduktion handelt es sich bereits nicht mehr um den authentischen Sprechakt selbst. Es stellt sich die Frage, ob der Tatbestand durch ein Einverständnis160 oder bereits durch bloße Kenntnis ausgeschlossen ist. Äußert sich der Aufgenommene in Kenntnis (als lediglich kognitives Element) der Aufnahme, ist grundsätzlich eine konkludente Einwilligung (als kognitives und voluntatives Element) gegeben, nicht jedoch, wenn ein entgegenstehender Wille (z. B. bei ausdrücklichem Widerspruch) erkennbar ist.161 Anderenfalls würde die Unterscheidung zwischen „Wissen“ und „Einwilligung“ planiert und dem Betroffenen eine differenzierende Beurteilung seiner Interessenlage abgeschnitten.162 Problematisch sind Gesprächssituationen, in denen der Sprechende sich aufgrund eines faktischen „Machtgefälles“ zu Äußerungen gezwungen sieht, auch wenn die Worte gegen seinen Willen aufgenommen werden und er dies weiß163 (denkbar wäre etwa das Bewerbungsgespräch mit dem zukünftigen Arbeitgeber oder das Vorstellungsgespräch mit dem zukünftigen Vermieter einer Mietwohnung). Spricht der Aufgenommene trotz Wissens um die Aufnahme aufgrund eines faktischen Zwangs, ist fraglich, ob eine Ausnahme von dem Grundsatz eines konkludent erklärten Einverständnisses zu machen ist164; insbesondere erscheint es problematisch, wann ein tatbestandsausschließendes Einverständnis vor dem Hintergrund des hier vertretenen Schutzgutes als „unfreiwillig“ anzusehen ist. Beispielhaft hierfür ist der Sachverhalt, den das OLG Thüringen 1995 zu beurteilen hatte.165 Dort verschaffte sich ein Journalist Zugang zum Büro eines Stadtdezernenten, der gerade ein Telefongespräch führte. Bei angeschaltetem Mikrofon drängte der Journalist auf ein Interview. Dabei war die Drucksituation für den Dezernenten so erheblich, dass er trotz erfolgloser Ablehnung einer Aufnahme weiter sprach, um sein Hausrecht zu schützen. Nach Ansicht des OLG läuft die Annahme eines fehlenden Schutzbedürfnisses dem Schutzzweck des § 201 StGB zuwider, weil der Sprechende in solchen Fällen aufgrund der Zwangslage nicht frei und autonom über sein Bestimmungsrecht verfügen könne. Das OLG erklärt, der Verweis auf § 240 StGB zur Vermeidung von Strafbarkeitslücken nutze wenig, weil eine ge159
S/S/Lenckner/Eisele, § 201 Rn. 12. NK/Kargl, § 201 Rn. 6; MüKo-StGB/Graf, § 201 Rn. 41; LK/Schünemann, § 201 Rn. 9. 161 MüKo-StGB/Graf, § 201 Rn. 41; S/S/Lenckner/Eisele, § 201 Rn. 14. 162 NK/Kargl, § 201 Rn. 10. 163 Eingehend Joerden, JR 1996, 265, 267. 164 Vgl. LK/Schünemann, § 201 Rn. 10, der von der Notwendigkeit einer speziellen „Einverständnisdogmatik“ spricht, die es noch zu entwickeln gelte. 165 OLG Thüringen NStZ 1995, 502. 160
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waltsame Willensbeugung bei Tonbandaufnahmen nur in den seltensten Fällen vorliegen dürfte. Jedoch dürfte wegen der für den Sprecher geschaffen Zwangssituation, trotz laufenden Aufnahmegeräts sprechen zu müssen, eine Drohung mit einem empfindlichen Übel i.S. des § 240 Abs. 1 Alt 2 StGB vorliegen. Jedoch liegt der Schutzzweck des § 201 StGB in der Möglichkeit, sich auf die Sprechsituation und den Zuhörerkreis einzustellen, und ist hier nicht berührt. Im Beispielfall ist zwar ein konkludentes Einverständnis des Sprechers abzulehnen, jedoch kommt es hierauf nicht an. Wenn der Sprechende auf eine Tonbandaufnahme hingewiesen wird und dennoch spricht, kann er sich auf den Zuhörerkreis und die Gesprächssituation einstellen, so dass von einem Verzicht auf sein Recht auf Bindung des authentischen Sprechakts an die Gesprächssituation auszugehen ist.166 Lenckner/Eisele meinen, dass das Aufnehmen bei Wissen des Sprechers um die Aufnahme nicht mehr tatbestandlich sei, weil das Vertrauen in die Flüchtigkeit des gesprochenen Wortes nicht enttäuscht werde.167 Die Situation ist ähnlich zu werten wie bei der faktischen Öffentlichkeit, wonach dem Sprechenden der Strafschutz abgesprochen werden muss, wenn sich ihm die Öffentlichkeit aufdrängt. Grundsätzlich wird man sagen können, dass derjenige, der in Kenntnis einer Aufnahme spricht, sich auf diese Situation einstellen oder schweigen kann. Eine darüber hinausgehende Einwilligung ist nicht erforderlich. bb) Gebrauchen oder Zugänglichmachen einer so hergestellten Aufnahme gem. § 201 Abs. 1 Nr. 2 StGB Tatobjekt ist eine Aufnahme, die „so“, also unter den Voraussetzungen der Nr. 1, hergestellt wurde. Hinsichtlich des Umfangs dieser Verweisung herrscht in der Literatur Streit; fraglich ist, ob der dem Abs. 1 Nr. 1 vorangestellte Begriff „unbefugt“ von der Verweisung erfasst wird oder nicht. Von dieser Frage hängt die Strafbarkeit des Umgangs mit rechtmäßig hergestellten Aufnahmen ab. Vertreter der weiten (sog. „dualistischen“) Auslegung argumentieren mit dem Wortlaut des Gesetzes, wonach das Adverb „so“ sich nur auf die der Nr. 1 nachfolgenden Worte beziehe; das Merkmal „unbefugt“ sei dort nicht enthalten, sondern der Regelung vorangestellt168. Danach wäre auch der unbefugte Gebrauch einer befugt hergestellten Tonaufnahme strafbar. Die Unbefugtheit der Aufnahme wäre damit kein (vorsatzbedürftiges) Tatbestandsmerkmal des § 201 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Nach der Gegenauffassung, die eine unbefugt hergestellte Tonaufnahme verlangt, entstünden Strafbarkeitslücken, da dann etwa derjenige straflos bliebe, der vertrauliche Tonbandprotokolle anderer sich verschaffe und gebrauche.169 So könnte ein 166
Ähnlich z. B. S/S/Lenckner/Eisele, § 201 Rn. 13. S/S/Lenckner/Eisele, § 201 Rn. 13. 168 Rudolphi, in: Grünwald (Hrsg.), Festschrift für Friedrich Schaffstein, 1975, S. 433, 448; Suppert, Studien zur Notwehr und „notwehrähnlichen Lage“, S. 209 ff., insb. S. 216. 169 Suppert, Studien zur Notwehr und „notwehrähnlichen Lage“, S. 212. 167
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Tonträger mit geheimen geschäftlichen Unterredungen straflos an die Konkurrenz weitergegeben werden, wenn nur die Aufzeichnung im allgemeinen Einverständnis der Anwesenden erfolgte. Herrschend ist demgegenüber die sog. „monistische” Auslegung, wonach sich „eine so hergestellte Aufnahme“ auch auf die fehlende Befugnis zur Aufnahme beziehe; das Wort „so“ wäre überflüssig, wenn damit nur die Nichtöffentlichkeit angesprochen wäre.170 Als entstehungsgeschichtliches Argument wird angeführt, die Mitglieder der Großen Strafrechtskommission, auf deren Beschluss die Formulierung „so hergestellt“ ursprünglich beruht, seien mehrheitlich der Ansicht gewesen, dass der Gebrauch von mit Einwilligung des Sprechers erstellten Aufnahmen nicht erfasst werden sollte.171 Zudem sei das Sichverschaffen und Gebrauchen fremder Tonbandaufnahmen richtigerweise straflos; dieser Fall sei vergleichbar mit dem des Sprechers, der seine Worte selbst aufnimmt und dann nicht geschützt werde, wenn die Aufnahme abredewidrig verwendet wird.172 Daraus ergebe sich, dass Nr. 2 keine gegenüber Nr. 1 selbstständige Schutzfunktion habe und nicht etwa das Vertrauen auf den diskreten Umgang mit Tonaufnahmen schütze oder ein strafrechtlich geschütztes „Recht am aufgenommenen Wort“ begründe.173 Als Verwertungshandlung beziehe sich der Tatbestand der Nr. 2 vielmehr nur auf solche Aufnahmen, die mit dem Makel einer Persönlichkeitsverletzung i.S. der Nr. 1 behaftet sind.174 Sieht man das Schutzgut in der Gebundenheit des authentischen Sprechaktes an den Sprechenden, so ist grundsätzlich auch dessen Bestimmungsrecht über die Reichweite der Äußerung sowie die Bindung an die Gesprächssituation geschützt. Gibt der Sprechende sein Einverständnis mit einer Tonaufnahme, so gibt er diese Bindung freiwillig auf und erlaubt im Rahmen seines Einverständnisses die spätere Reproduktion der Äußerung. Er kann und wird seine Worte anders wählen, so dass die Unbefangenheit des Sprechers und damit der Normzweck durch die spätere Nutzung nicht betroffen sind. Es liegt in der Hand des Sprechers, für eine sichere Aufbewahrung zu sorgen bzw. den Hersteller oder Inhaber der Aufzeichnung auf dessen Verlässlichkeit zu überprüfen sowie die Verwendung der Aufzeichnung zu verbieten oder mit einem Genehmigungsvorbehalt zu versehen.175 Ob der diskrete Umgang mit Tonaufnahmen strafrechtlich schutzwürdig ist und strafrechtlich erfasst werden sollte, wird an anderer Stelle untersucht. Wurde die Perpetuierung der Worte ohne Einverständnis des Sprechenden, aber aus anderen Gründen „befugt“ vorge170 KG JR 1981, 255; LK/Schünemann, § 201, Rn. 13; MüKo-StGB/Graf, § 201 Rn. 25: SK/Hoyer, § 201 Rn. 17. 171 Vgl. Nds. Bd. 9/Gallas, S. 400; Nds. Bd. 9/Baldus, S. 400 f.; Nds. Bd. 9/Simon, S. 402; siehe auch Wormer, Der strafrechtliche Schutz der Privatsphäre vor Mißbräuchen mit Tonaufnahme- und Abhörgeräten, S. 175 f. 172 S/S/Lenckner, § 201 Rn. 16 m.w.N. 173 LK/Schünemann, § 201 Rn. 16; S/S/Lenckner/Eisele, § 201 Rn. 16. 174 S/S/Lenckner/Eisele, § 201 Rn. 16. 175 LK/Schünemann, § 201 Rn. 13; S/S/Lenckner/Eisele, § 201 Rn. 13; Helle, Besondere Persönlichkeitsrechte im Privatrecht, S. 264 f.
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nommen (etwa aufgrund von Notwehr), besteht konsequenterweise (wie bei einem Einverständnis) bei zweckwidriger anderweitiger Verwendung kein Missbrauchsschutz durch § 201 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Ein „Wiederaufleben“ des Schutzes hinsichtlich des Bestimmungsrechts des Sprechers über die Reichweite der Äußerung ist dogmatisch nicht haltbar.176 Dieser Fall ist vergleichbar mit der Situation, dass die durch den Sprecher selbst angefertigte Tonaufnahme von Dritten entwendet und missbraucht wird. Insoweit wurde die Bindung des authentischen Sprechakts vom Sprechenden selbst durch die Aufnahme gelöst. Eine einmal gelöste Bindung kann jedoch nicht wiederhergestellt werden, so dass der Missbrauchsschutz nicht wieder aufleben kann. Das Gebrauchen der Aufnahme ist deren akustische Reproduktion, üblicherweise durch Abspielen und Hörbarmachen der Aufzeichnung für den Täter oder für Dritte.177 Nach dem Gesetzeswortlaut ist keine tatsächliche Kenntnisnahme des Inhalts der Aufnahme erforderlich; ebenso wenig erfordert dies der Normzweck, da bereits das Abspielen des aufgenommenen Wortes die Gefahr der Verbreitung schafft.178 Der Schutz der Bindung des authentischen Sprechakts an die Gesprächssituation soll das alleinige Verfügungsrecht des Sprechers hinsichtlich des Sprechakts und des artikulierenden Stimmklangs gewährleisten. Spielt der Täter die Sprachaufzeichnung für sich alleine ab, reproduziert er den Sprechakt und entreißt ihn der konkreten Gesprächssituation; damit verletzt er das Verfügungsrecht des Sprechers. Dies gilt grundsätzlich für jedwedes Abspielen der Aufnahme. Anders ist dies lediglich in dem Ausnahmefall zu bewerten, dass das aufgenommene Band in Abwesenheit des Täters in einem leeren Raum wiedergegeben wird; da hier eine Verbreitungsgefahr für das aufgenommene Wort tatsächlich nicht besteht, dürfte eine konkrete Rechtsgutsgefährdung fehlen, was eine teleologische Reduktion nahelegt. Fraglich ist, ob ein Kopieren der Aufnahme den Tatbestand des Gebrauchens erfüllt. Unproblematisch ist dies beim „Überspielen“ einer Aufnahme der Fall, bei der die Aufzeichnung tatsächlich abgespielt und diese akustische Wiedergabe erneut aufgenommen wird. Dafür spricht der weit gefasste Wortlaut, wonach jegliches Gebrauchen einer „so hergestellten Aufnahme“ strafbar ist, soweit eine technische Auswertung in Form eines Abspielens oder „Hörbarmachens“ stattgefunden hat.179 Danach wäre es unerheblich, wenn der Kopierende während des Kopierens keine Kenntnis von der Aufzeichnung nimmt. Ob jedoch die „stille Kopie“, also das Kopieren digitaler Medien, ein Gebrauchen darstellt, ist umstritten. Graf nimmt an, dass man von einem „Gebrauchen“ bei dem Kopieren elektronisch gespeicherter (Computer-)Dateien nicht mehr sprechen
176 Anders aber MüKo-StGB/Graf, § 201 Rn. 25; ähnlich S/S/Lenckner/Eisele, § 201 Rn. 16. 177 NK/Kargl, § 201 Rn. 13. 178 MüKo-StGB/Graf, § 201 Rn. 25. 179 LK/Schünemann, § 201 Rn. 17
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könne, da das Kopieren heute im Regelfall ohne Wiedergabe der Aufnahme erfolge.180 Diese Ansicht wird in der Literatur angezweifelt.181 Es komme – ebenso wie bei dem Aufnehmen – nicht darauf an, ob der Kopierende zugleich Kenntnis von der Aufzeichnung nimmt.182 Ein „Gebrauchen“ liege bei jeglicher Ausnutzung der technischen Möglichkeiten des Tonträgers vor.183 Nach der Argumentation von Graf hängt das Vorliegen eines „Gebrauchens“ davon ab, ob die angefertigte Aufnahme beim Kopiervorgang reproduziert wird; denn nur darin unterscheidet sich das früher übliche Kopieren einer Tonbandaufzeichnung vom heutigen Kopieren einer (Computer-)Datei. Der Gesetzeswortlaut beschränkt jedoch das „Gebrauchen“ nicht auf eine bestimmte Form des Abspielens. Etwas anderes könnte sich jedoch aus dem Schutzzweck der Norm ergeben. Beim „stillen“ Kopieren bleibt die Authentizität des Sprechaktes unberührt, da der akustische Sprechakt nicht wiedergegeben und damit nicht über diesen verfügt wird, sondern über den „digitalisierten“ Sprechakt. Zwar kann der digitalisierte Sprechakt mithilfe von für jedermann zugänglichen Wiedergabeprogrammen akustisch reproduziert werden, worin dann eine Rechtsgutsverletzung zu sehen wäre.184 Es handelt sich daher aber um eine lediglich abstrakte Gefährdung. Der Kopist hat regelmäßig Zugang zu der Konserve und kann sie leicht abspielen. Das Sich-Zugänglichmachen ist aber in § 201 Abs. 1 Nr. 2 StGB gerade nicht erwähnt. Somit ist auch die bloße technische Bearbeitung einer Aufzeichnung (etwa zur Verbesserung der Tonqualität) nur dann ein Gebrauchen, wenn der Bearbeiter hierbei die Tonaufnahme akustisch reproduziert.185 Einem Dritten zugänglich gemacht wird die Aufnahme, wenn durch Vorspielen oder durch das Bieten einer sonstigen Gelegenheit zum Abhören die Möglichkeit zur Kenntnisnahme verschafft wird.186 Ob einem Dritten die Möglichkeit des körperlichen Zugriffs auf den Tonträger eingeräumt werden muss, ist streitig. So ist in der Begründung des § 183 E 1962 die Rede davon, dass dem Dritten der Zugriff auf den Tonträger in der Weise eröffnet werden müsse, dass er die Möglichkeit erlange, die Aufnahme sich selbst oder einem anderen gegenüber wiederzugeben oder wiedergeben zu lassen.187 Wie Schünemann jedoch treffend ausführt, ist diese Argumen180
MüKo-StGB/Graf, § 201 Rn. 26. LK/Schünemann, § 201 Rn. 17; S/S/Lenckner/Eisele, § 201 Rn. 17. 182 LK/Schünemann, § 201 Rn. 17. 183 So ausdrücklich S/S/Lenckner/Eisele, § 201 Rn. 17. 184 Wer später die Kopie abspiele, sei nach Nr. 2 zu bestrafen, da das Gesetz nicht den Gebrauch des ursprünglichen Tonträgers, sondern der Aufnahme verbiete, vgl. S/S/Lenckner/ Eisele, § 201 Rn. 17. 185 Ähnlich OLG Düsseldorf NJW 1995, 975 f., wonach es aber auf die Kenntnisnahme einzelner zusammenhängender Wortfolgen durch den Bearbeiter ankommt. 186 LK/Schünemann, § 201 Rn. 18. 187 Begründung zu § 183 E 1962, S. 332; ebenso Tröndle/Fischer, § 201 Rn. 6. 181
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tation wegen der Ausformung, die der Begriff „Zugänglichmachen“ im allgemeinen Sprachgebrauch des StGB erfahren hat, überholt.188 Dies zeigt ein Vergleich mit § 184 Abs. 1 Nr. 2 StGB189 und § 131 Abs. 1 Nr. 2 StGB190, wonach ein „Zugänglichmachen“ bereits bei der Möglichkeit der Kenntnisnahme gegeben ist. Entsprechend ist auch bei § 201 Abs. 1 Nr. 2 StGB der Tatbestand so auszulegen, dass die Möglichkeit des körperlichen Zugriffs des Dritten nicht erforderlich ist, sondern dass das bloße Anhören durch Dritte genügt. cc) Abhören mit einem Abhörgerät gem. § 201 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StGB Das nichtöffentlich gesprochene Wort, das nicht zur Kenntnis des Abhörenden bestimmt ist, soll vor dem unbefugten Abhören mit einem Abhörgerät bewahrt werden.191 Straflos soll dagegen das einfache Belauschen fremder Gespräche (der „Horcher an der Wand“ oder am Schlüsselloch) ohne Verwendung spezieller Hilfsmittel sein.192 Darüber, was zur „Kenntnis eines anderen bestimmt“ ist, entscheidet der Wille des Sprechenden.193 Dieses Bestimmungsrecht wird nicht durch das Wissen des Sprechers von dem Vorhandensein einer Abhöranlage beseitigt, wenn er sich ausdrücklich dagegen ausspricht und eine Zwangslage besteht; insoweit setzt der Tatbestand kein heimliches Abhören voraus194. Bei einem Gespräch mehrerer Personen kann nicht die Einwilligung eines einzelnen Sprechers zur Straflosigkeit des Abhörens führen.195 Umstritten ist die Lösung des bereits in der Gesetzesbegründung angeführten Beispiels, dass ein Firmenchef das Telefonat seines Prokuristen mit einem Kunden gegen dessen Willen mithört, die abgegebene Erklärung jedoch der Sache nach an den Geschäftsinhaber gerichtet ist.196 Unabhängig von einer Einordnung der Telefonanlage als Abhörgerät197 steht dabei die Frage im Vordergrund, ob das gesprochene Wort in seiner konkreten sprachlichen Ausgestaltung zur Kenntnis des Ab188
LK/Schünemann, § 201 Rn. 18. MüKo-StGB/Graf, § 184, Rn. 36. 190 MüKo-StGB/Graf, § 131 Rn. 41. 191 MüKo-StGB/Graf, § 201 Rn. 28. 192 Maurach/Schroeder/Maiwald, Besonderer Teil I, § 29 V Rn. 74. 193 So MüKo-StGB/Graf, § 201 Rn. 29; LK/Schünemann, § 201 Rn. 20; Wormer, Der strafrechtliche Schutz der Privatsphäre vor Mißbräuchen mit Tonaufnahme- und Abhörgeräten, S. 211. 194 Helle, Besondere Persönlichkeitsrechte im Privatrecht, S. 275. 195 S/S/Lenckner/Eisele, § 201 Rn. 21. 196 Materialien zu E 1960 S. 311. 197 Gilt die Telefonanlage heutzutage wohl nicht mehr als Abhörgerät i.S. des § 201 Abs. 2 S. 1 Nr. 1. StGB (dazu siehe unten), kann das Fallbeispiel dahingehend abgeändert werden, dass ein mündliches Gespräch zwischen Kunden und Mitarbeiter vom Arbeitgeber abgehört wird. 189
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hörenden bestimmt sein muss198 oder ob es für die Straflosigkeit ausreichend ist, dass der Inhalt der Äußerung zu seiner Kenntnis bestimmt ist.199 Die letztgenannte Ansicht kann sich auf die Begründung des § 183 E 1962 berufen, wonach im oben dargestellten Beispiel die Straflosigkeit des Firmenchefs sichergestellt werden sollte, wenn dieser als Abhörender gleichzeitig Empfänger der Erklärung sei.200 Würde man entgegen dieser Auffassung darauf abstellen, ob der Abhörende den genauen Wortlaut des Gesprächs akustisch miterleben soll, ginge die Strafbarkeit zu weit.201 Als Täter scheide somit nicht nur aus, wer die Worte des Sprechers akustisch hören soll, sondern auch derjenige, der im Ergebnis von dem gedanklichen Inhalt der Mitteilung Kenntnis erhalten soll.202 Folglich sei der Arbeitgeber wegen des Abhörens einer fernmündlich an einen Angestellten übermittelten Nachricht nicht strafbar, wenn die Erklärung letztlich an ihn gerichtet ist.203 Anders sei es nur zu beurteilen, wenn der Angestellte unter Nutzung des Diensttelefons mit dem Anrufer ein Privatgespräch führe, weil dann die Worte nicht zur Kenntnis des Arbeitgebers bestimmt seien.204 Dem wird entgegengehalten, schon der Wortsinn spreche dafür, dass gerade das Wort in seiner konkreten sprachlichen Ausgestaltung „zu seiner Kenntnis bestimmt“ sein müsse.205 Zudem seien „Behelfslösungen“ nicht erforderlich, da moderne Kommunikationssysteme (Konferenzschaltungen u. a.) ebenso wie das vorherige Einholen der Zustimmung bei eventuellen Bedarfsfällen ausreichende Möglichkeiten zur Lösung solcher Fragen böten.206 Im Gesetzestext wird auf das „nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen“ Bezug genommen, nicht etwa auf den „wesentlichen Inhalt“, wie ein Vergleich mit § 201 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StGB zeigt. Nur in Abs. 2 S. 1 Nr. 2 kommt es also auf den Inhalt einer Äußerung an. Bei allen anderen Tatmodalitäten hingegen reicht eine Weitergabe des Inhalts des Gesagten (etwa in mündlicher oder schriftlicher Form) nicht aus, sondern erforderlich ist die Aufnahme (Abs. 1 Nr. 1) des gesprochenen Wortes in seiner konkreten sprachlichen Ausgestaltung oder dessen Verbreitung 198 In diese Richtung tendierend: Wormer, Der strafrechtliche Schutz der Privatsphäre vor Mißbräuchen mit Tonaufnahme- und Abhörgeräten, S. 211; Helle, Besondere Persönlichkeitsrechte im Privatrecht, S. 275 f.; NK/Kargl, Rn. 15; MüKo-StGB/Graf, § 201 Rn. 30; S/S/ Lenckner/Eisele, § 201 Rn. 21. 199 So z. B.: LK/Schünemann, § 201 Rn. 24; Tröndle/Fischer, § 201 Rn. 7; Arzt/Weber/ Heinrich u. a., Strafrecht, besonderer Teil, § 8 Rn. 20; L/Kühl, § 201 Rn. 5. 200 Materialien zu E 1960 S. 332. 201 LK/Schünemann, § 201 Rn. 24. 202 LK/Schünemann, § 201 Rn. 24. 203 Mit abweichender Begründung, aber im Ergebnis gleich: Arzt/Weber/Heinrich u. a., Strafrecht, besonderer Teil, § 8 Rn. 20. 204 Eingehender zur Problematik des Abhörverbots im Betrieb: LK/Schünemann, § 201 Rn. 24 m.w.N. 205 MüKo-StGB/Graf, § 201 Rn. 30 m.w.N. 206 MüKo-StGB/Graf, § 201 Rn. 30.
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(Abs. 1 Nr. 2) auf einem Tonträger.207 In systematischer Hinsicht liegt es nahe, für die Frage, was zur Kenntnis des Abhörenden bestimmt sein muss, spiegelbildlich dieselben Maßstäbe heranzuziehen, so dass es auch hier auf den konkreten Wortlaut des Gesagten ankommt. Somit muss der konkrete Wortlaut, nicht nur der Inhalt der Äußerung zur Kenntnis des Abhörenden bestimmt sein, damit dieser straflos bleibt. Das entspricht auch dem hier vertretenen Schutzgut der Gebundenheit des authentischen Sprechakts an den Sprechenden, weil es gerade den Sprechakt in seiner konkreten sprachlichen Ausgestaltung und dessen konkrete Reichweite erfasst. Insoweit ist der Inhalt der Äußerung durch § 201 StGB nicht primär, sondern allenfalls als Schutzreflex geschützt208; wenn es aber für die Strafbarkeit auf den Gesprächsinhalt nicht ankommt, kann es für den Ausschlusstatbestand ebenso wenig auf den Gesprächsinhalt (Erklärungsinhalt der Äußerung des Kunden) ankommen. Die Unbefangenheit menschlicher Kommunikation ist auch bei geschäftlichen Besprechungen schutzbedürftig; hinzu kommt, dass ein Geschäftspartner mit einem Abhören durch Dritte nicht rechnet und mit der hierdurch gegebenen unerkannten Schwächung seiner Position209 kaum einverstanden sein dürfte.210 Nach alledem handelt der Abhörende nur straflos, wenn die nichtöffentlich gesprochenen Worte in ihrer konkreten Ausgestaltung zu seiner Kenntnis bestimmt waren. Der Begriff des „Abhörens“ geht über ein bloßes „Hören“, also die reine Sinneswahrnehmung, hinaus und ist im Sinne eines „Horchens“, also eines willensgesteuerten, gezielten Verhaltens, zu verstehen.211 Bei einem zufälligen Mithören kann der Täter allenfalls wegen Unterlassens strafbar sein, wenn er für das Abhörgerät verantwortlich ist oder dieses versehentlich eingeschaltet hat212 und dann vorsätzlich das Gerät nicht ausschaltet. Ein inhaltliches „Verstehen“ der Worte213 ist für eine Strafbarkeit nicht erforderlich, weil bereits die mit Inbetriebnahme des Abhörgeräts verbundene Möglichkeit zur Kenntnisnahme durch Unbefugte das Bestimmungsrecht des Sprechenden hinsichtlich des Adressatenkreises verletzt. Problematisch ist die Behandlung des Falles, in dem die Worte aus technischen Gründen schon akustisch unverständlich sind. Hier muss differenziert werden. Durch das Abhören mit technischen Mitteln kann lediglich das in der Bindung des authentischen Sprechakts enthaltene Bestimmungsrecht hinsichtlich des Adressatenkreises verletzt werden. Schließt der Sprechende Dritte von der Gesprächssituation 207
Vgl. dazu oben C. I. 3. b) cc). Vgl. oben C. I. 2. a), wonach auch § 201 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StGB die Verbreitung des Inhalts einer Äußerung nur als Folgeverletzung des eigentlichen Schutzguts unter Strafe stellte. 209 In sprachlicher Hinsicht, z. B. etwaige Unsicherheiten bei der sprachlichen Artikulation, Versprecher oder spontane Verbesserungen der Formulierung. 210 Siehe dazu MüKo-StGB/Graf, § 201 Rn. 30. 211 Wormer, Der strafrechtliche Schutz der Privatsphäre vor Mißbräuchen mit Tonaufnahme- und Abhörgeräten, S. 199 f.; MüKo-StGB/Graf, § 201 Rn. 31. 212 Arzt, Der strafrechtliche Schutz der Intimsphäre, S. 253; Helle, Besondere Persönlichkeitsrechte im Privatrecht, S. 273. 213 LK/Schünemann, § 201 Rn. 20. 208
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aus, sollen diese regelmäßig nicht wissen, worüber gesprochen wird. Dieses Bestimmungsrecht würde aber zu weit reichen, wenn der Sprecher auch die Kenntnisnahme Dritter darüber ausschließen dürfte, ob er (in der konkreten Situation) überhaupt spricht. Da es beim Abhören nicht darauf ankommt, ob der Abhörende die Worte tatsächlich versteht, wäre es zwar konsequent, wenn es auf die generelle Verständlichkeit der Worte ebenso wenig ankäme. Dabei stellt sich jedoch die Frage, wessen Persönlichkeitsrecht verletzt wird, wenn irgendwelche unverständlichen Sprachfetzen abgehört werden. Daher muss danach differenziert werden, ob die Ausführungen lediglich inhaltlich unverständlich sind (dann strafbar) oder akustisch für jedermann unverständlich sind (dann mangels Rechtsgutsberührung straflos, es kommt allenfalls Versuch in Betracht). Nach einer dem Gesetzgebungsverfahren zugrundeliegenden Definition sind Abhörgeräte besondere Hilfsmittel, die „das gesprochene Wort über dessen Klangbereich hinaus durch Verstärkung oder Übertragung unmittelbar wahrnehmbar“ machen.214 Da eine spezielle technische oder gar elektronische Ausstattung des Abhörgerätes nicht vorausgesetzt ist, werden einfachere Vorrichtungen wie Hörrohre oder Stethoskope215 zum Lauschen ebenso erfasst wie technisch aufwändigere Vorrichtungen vom Mikrophon und Richtmikrophon bis hin zum Minispion, Mikrosender216 oder zur Überwachung von Internet-Telefonie geeignete Spyware.217 Dabei kommt es vor allem darauf an, ob eine technische Vorrichtung zu dem besonderen Zweck verwendet wird, fremde Gespräche einem Dritten zugänglich zu machen218, so dass auch eine zweckwidrig benutzte Bürogegensprechanlage tatbestandsmäßig sein kann. Fraglich ist, ob die normale Telefonanlage und im Telefon eingebaute Lautsprecher, Zweithörer oder sonstige Mithöreinrichtungen Abhöreinrichtungen darstellen.219. So wurde früher argumentiert, es handele sich hierbei um übliche, immer schon von der Post zugelassene und damit von jedermann einzukalkulierende Mithöreinrichtungen, die keine Abhörgeräte i.S. des Tatbestandes seien.220 Auch nach der Rechtsprechung muss unter heutigen Verhältnissen grundsätzlich jedermann damit rechnen, dass sein Telefongespräch mittels eines Zweithörers221 (heute in der 214
Begründung zu § 183 E 1962 S. 332. Selbst diese einfachen technischen Mittel vermögen die natürliche Begrenztheit des akustischen Stimmklangs in einer Weise zu erweitern, die eigene Schutzmöglichkeiten des Sprechers umgeht. Lediglich ihr Gefahrenpotenzial ist geringer, da sie anders als digitale technische Mittel nur eine begrenzte Anzahl heimlicher Lauscher ermöglichen. 216 MüKo-StGB/Graf, § 201 Rn. 32. 217 Dazu Sankol, CR 2008, 13. 218 Vgl. Materialien zu § 183 E 1960 S. 311; leicht abweichend für die Bestimmung nach konkreter Nutzung: Tröndle/Fischer, § 201 Rn. 7; S/S/Lenckner/Eisele, § 201 Rn. 19. 219 Gegen die Einbeziehung eines Telefons als Abhöreinrichtung LK/Schünemann, § 201 Rn. 21; Gallas, ZStW 75 (1963), 16, 41; MüKo-StGB/Graf, § 201 Rn. 32; L/Kühl, § 201 Rn. 5. 220 Vgl. LK/Schünemann, § 201 Rn. 21 m.w.N., insbesondere Fn. 17. 221 LG Regensburg NStZ 1983, 366. 215
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Form nicht mehr gebräuchlich, gilt für Lautsprecher eines Headsets jedoch gleichermaßen) oder auf andere Weise Dritten unmittelbar zugänglich sei.222 Unterstützt wird diese Argumentation durch die heute vorgeschriebene Nutzung einer Freisprecheinrichtung im Kraftverkehr nach § 23 Abs. 1a StVO, die zur Folge hat, dass Mitfahrer sich dem Mithören eines solchen Gesprächs kaum entziehen können.223 Dem könnte man jedoch entgegenhalten, dass auch Lautsprecher eines Headsets technische Hilfsmittel sind, die das gesprochene Wort über dessen Klangbereich hinaus durch Verstärkung oder Übertragung unmittelbar wahrnehmbar machen und somit unter den Begriff des Abhörgerätes zu subsumieren seien.224 Zudem würde eine andere Auffassung zu dem absurden Ergebnis führen, dass ein altertümliches „Hörrohr“ vom Begriff des „Abhörgerätes“ umfasst ist, moderne technische Äquivalente hingegen aufgrund ihrer Üblichkeit nicht.225 Das Merkmal der „Üblichkeit“ ist hierbei besonders fragwürdig, da ein solches Kriterium aus dem Wortsinn nicht ersichtlich ist und zudem schwierige Abgrenzungsfragen aufwirft. Darüber hinaus bliebe bei erstgenannter Ansicht der betroffene Fernsprechteilnehmer auch dann schutzlos, wenn das Gespräch erkennbar „vertrauliches“ (in dem Sinne, dass nur die Gesprächsteilnehmer zuhören) Gepräge hat oder dem Teilnehmer sogar ausdrücklich „Vertraulichkeit“ (im o.g. Sinne) zugesichert worden ist.226 Dies liefe einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zuwider, wonach dem Sprecher die Möglichkeit verbleiben müsse, sich am jeweiligen Kommunikationspartner auszurichten und sich im Hinblick auf die eigenen Kommunikationsinteressen situationsangemessen zu verhalten; diese werde ihm genommen, wenn nicht in seiner Entscheidung stehe, wer die Kommunikationsinhalte unmittelbar wahrnehmen kann.227 „Dieses Selbstbestimmungsrecht soll den Sprecher auch befähigen, sich auf mögliche Folgen der Kommunikation einzustellen. Wäre ihm etwa bewusst, dass ein Dritter zuhört, so dass bei der anschließenden rechtlichen Auseinandersetzung ein Beweismittel zur Verfügung steht, könnte der Sprecher vor dem Hintergrund einer andernfalls bestehenden eigenen Beweislosigkeit entscheiden, jedwede Äußerung von rechtlicher Relevanz zu unterlassen“, oder diese behutsamer zu formulieren. So ist das Kriterium der Üblichkeit verfassungsrechtlich und nach schlichter Gesetzesinterpretation nicht überzeugend, weil es in der Definition des „Abhörgerätes“ nicht sinnvoll unterzubringen ist.228 Dies führt zu dem Schluss, dass grundsätzlich jedes Gerät, das zur Übertragung gesprochener Worte bestimmt oder geeignet ist, auch Abhörgerät sein kann, wenn es konkret als solches genutzt wurde.229 Der Begriff 222 223 224 225 226 227 228 229
BGHSt 42, 139, 154; BGHSt 39, 335, 343; BGHZ NJW 1982, 1397, 1398. MüKo-StGB/Graf, § 201 Rn. 33. Ähnlich auch LK/Schünemann, § 201 Rn. 21; S/S/Lenckner/Eisele, § 201 Rn. 19. LK/Schünemann, § 201 Rn. 21. Vgl. NK/Kargl, § 201 Rn. 19. BVerfGE 106, 28, 42. LK/Schünemann, § 201 Rn. 21, 25. Tröndle/Fischer, § 201 Rn. 7a.
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des Abhörgeräts beschreibt daher nicht eine bestimmte, äußerlich erkennbare Gattung von Geräten sondern hängt von der konkreten Nutzung eines Geräts im o.g. Sinne ab. Dies führt konsequenterweise zu dem Ergebnis, dass entgegen der h.M. auch ein normales Telefon ein Abhörgerät sein kann: Denkbar ist der Fall, dass A mit B spricht und dabei unbemerkt sein Handy anlässt, auf dem ihn zuvor C angerufen hat, so dass C das Gespräch belauschen kann. Konkret genutzt wird das Handy hier nicht entsprechend seiner abstrakten Zweckbestimmung zur Herstellung einer fernmündlichen Kommunikation zweier oder mehrerer Gesprächsteilnehmer, sondern zum Belauschen eines fremden, ggfs. nichtöffentlichen Gesprächs. dd) Öffentliches Mitteilen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes gem. § 201 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StGB Gegenstand des öffentlichen Mitteilens muss das „nach Abs. 1 Nr. 1 aufgenommene oder nach Abs. 2 Nr. 1 abgehörte“ nichtöffentlich gesprochene Wort sein, wobei der Tatbestand bereits mit dem Mitteilen des wesentlichen Inhalts erfüllt ist. Damit sollte die Verwertung des illegal Aufgenommenen oder Abgehörten durch Verbreitung in den Medien unterbunden werden; die Kommerzialisierung einer solchen Aufnahme durch bestimmte Medienformate stellt eines der häufigsten Tatmotive für die Verwirklichung des § 201 StGB dar.230 Durch Einführung des Abs. 2 S. 1 Nr. 2 sollte eine Strafbarkeitslücke geschlossen werden, die darin gesehen wurde, dass zwar das Abhören selbst, nicht aber die Publikation dieser illegal gewonnenen Erkenntnisse bestraft werden konnte; zivilrechtliche Abwehrmöglichkeiten wurden insoweit als unzureichend und zu wenig abschreckend angesehen.231 Aufgrund der tatbestandlichen Erfassung einer Weitergabe schon des wesentlichen Inhalts einer Äußerung wurde dieser Tatvariante vielfach ein eigener, unabhängiger Schutzzweck attestiert; gesprochen wird, wie oben dargestellt, von einem Indiskretionsdelikt.232 Die Gesetzesbegründung scheint davon auszugehen, dass sich die Verweisung auch auf das Merkmal „unbefugt“ bezieht.233 Anderenfalls würde bestraft, wer aus einem im Einverständnis des Sprechenden angefertigten Tonbandprotokoll vertrauliche Äußerungen seines Gesprächspartners der Öffentlichkeit mitteilt, während 230
BT-Drucks. 11/6714, S. 3. BT-Drucks. 11/7414, S. 3. 232 MüKo-StGB/Graf, § 201 Rn. 34, wonach eine Art Indiskretionsdelikt geschaffen worden sei, welches einer „Informationshehlerei“ gleichkomme; ähnlich auch S/S/Lenckner/ Eisele, § 201 Rn. 23, deutlicher in Lenckner, in: Arzt (Hrsg.), Festschrift für Jürgen Baumann zum 70. Geburtstag, 1992, S. 135, 141 ff.; auch LK/Schünemann, § 201 Rn. 26 a.E.; Rogall, in: Weigend/Küpper (Hrsg.), Festschrift für Hans Joachim Hirsch zum 70. Geburtstag, 1999, S. 665, 677; a.A. NK/Kargl, § 201 Rn. 18. 233 Vgl. die in BT-Drs. 11/6714 S. 3, BT-Drs. 11/7414 S. 3 ständig wiederkehrende Wendung von den „illegal“ erlangten Gesprächsinhalten; so auch LK/Schünemann, § 201 Rn. 27; MüKo-StGB/Graf, § 201 Rn. 34; Tröndle/Fischer, § 201 Rn. 8; L/Kühl, § 201 Rn. 9a. 231
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er straflos bleibt, wenn ihm die von dem Gesprächspartner selbst angefertigte Tonaufnahme von diesem überlassen worden ist.234 Wie auch bei Abs. 1 Nr. 2 muss das also Aufnehmen bzw. Abhören „unbefugt“ gewesen sein.235 Wenn ein Einverständnis des Sprechers vorlag oder die Aufzeichnung oder das Abhören aus anderen Gründen gerechtfertigt waren, ist ein öffentliches Mitteilen in der Regel gerechtfertigt und damit nicht strafbar.236 Im Übrigen ist ein Interessenausgleich durch Anwendung der Bagatellklausel des Abs. 2 S. 2 und des besonderen Rechtfertigungsgrundes gemäß Abs. 2 S. 3 erreichbar. „Öffentlich Mitteilen“ bedeutet, etwas für einen nach Zahl und Individualität unbestimmten oder für einen nicht durch persönliche Beziehungen innerlich verbundenen größeren bestimmten Kreis von Personen zugänglich zu machen.237 Nach der Begründung des Gesetzesentwurfs sollte die Auslegung entsprechend der Rechtsprechung und Literatur zu § 353d Nr. 3 StGB erfolgen.238 Auf die Art der Veröffentlichung kommt es nicht an, d. h. sie kann schriftlich, mündlich oder auch über das Internet erfolgen239, wobei eine tatsächliche Kenntnisnahme nicht erforderlich ist.240 Das nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen ist im Wortlaut wiedergegeben, wenn die Mitteilung eines wesentlichen Teils wortgetreu erfolgt ist.241 Vereinzelt wird vertreten, die Wiedergabe des Wortlauts müsse vollständig sein.242 Hierbei wird jedoch außer Acht gelassen, dass gerade eine unvollständige, verkürzende „Wiedergabe“ einer Äußerung die Interessen des Sprechenden besonders stark verletzen kann. Daher lässt der Normtext auch die Wiedergabe des gesprochenen Wortes dem wesentlichen Inhalt nach als Tathandlung ausreichen, „weil eine Beschränkung auf den Wortlaut den Fallgestaltungen in der Praxis nicht gerecht würde und den neuen Tatbestand insgesamt ins Leere gehen ließe.“243 Solange also erkennbar ist, wessen Äußerung wiedergegeben wird (ohne dass eine Namensnennung zwingend erforderlich ist244, vgl. Wortlaut „eines anderen“), reicht eine sinngemäße Darstellung aus, auch mit Kürzungen oder sprachlichen Umformulierungen, die eine im Großen und Ganzen zutreffende Vorstellung von der Äußerung zu vermitteln 234
Dann schon kein „gesprochenes Wort“, S/S/Lenckner/Eisele, § 201 Rn. 23. MüKo-StGB/Graf, § 201 Rn. 35. 236 Vgl. dazu die Parallele bei Abs. 1 Nr. 2. 237 MüKo-StGB/Graf, § 201 Rn. 36. 238 Begründung des Gesetzesentwurfs BT-Drucks. 11/6714, S. 3; Rechtsprechung zum identischen Merkmal siehe MüKo-StGB/Graf, § 201 Fn. 170. 239 Schmitz, JA 1995, 118, 120. 240 S/S/Lenckner/Eisele, § 201 Rn. 26. 241 Schmitz, JA 1995, 118, 120. 242 So wohl S/S/Lenckner/Eisele, § 201 Rn. 25; anders z. B. MüKo-StGB/Graf, § 201 Rn. 36. 243 BT-Drucks. 11/7414, S. 4. 244 S/S/Lenckner/Eisele, § 201 Rn. 25. 235
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vorgibt.245 Teilt der Täter unter Behauptung eines abgehörten Gesprächs etwas frei Erfundenes öffentlich mit, so fehlt es an einem nach Abs. 1 Nr. 1 aufgenommenen oder nach Abs. 2 Nr. 1 abgehörten nichtöffentlich gesprochenen Wort, so dass der Schutzbereich des § 201 StGB nicht betroffen ist. Gegen das Unterschieben von nicht getanen Äußerungen bietet jedoch das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht am eigenen Wort außerstrafrechtlichen Schutz.246 Da der Tatbestand in dieser Form zu weit gefasst wäre, bestand nach Ansicht des Rechtsausschusses die Notwendigkeit, eine „Bagatellklausel“ aufzunehmen, um den Tatbestand „sachgerecht einzugrenzen und auf Fälle zu beschränken, deren Unrechtsgehalt den anderen Tathandlungen des § 201 StGB im Sinne einer Gefährdung des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs vergleichbar ist.“247 Bereits auf Tatbestandsebene sollten gem. Abs. 2 S. 2 belanglose Gespräche lapidaren Inhalts248, z. B. über das Wetter, von der Strafbarkeit ausgenommen werden.249 Für die Strafbarkeit der öffentlichen Mitteilung kommt es darauf an, ob diese geeignet ist, berechtigte Interessen eines anderen zu beeinträchtigen, Abs. 2 S. 2. Dabei kommt es nicht darauf an, ob tatsächlich eine Interessenverletzung eingetreten ist.250 c) Rechtswidrigkeit aa) Einwilligung vs. tatbestandsausschließendes Einverständnis Hinsichtlich des Merkmals der Unbefugtheit ist fraglich, ob die Einwilligung zum Ausschluss des Tatbestandes (dann Einverständnis) führt oder als rechtfertigende Einwilligung anzusehen ist.251 Dieser Streitpunkt ist allerdings wenig bedeutsam, weil der Aufnehmende nach jeder Auffassung straffrei bleibt, wenn der Sprecher von der Aufnahme weiß und in diese einwilligt.252 § 183 in der Fassung des E 1962 sah zwar nur solche Aufnahmen des Sprechers als tatbestandsmäßig an, die „ohne dessen Einwilligung“ erfolgten, jedoch ist diese Formulierung nicht Gesetz geworden. Die Aufnahme muss „unbefugt“ hergestellt worden sein; der Gesetzgeber hat zur Zuordnung des Merkmals nicht Stellung genommen und der Rechtsprechung die 245
L/Kühl, § 201 Rn. 7; MüKo-StGB/Graf, § 201 Rn. 36. Vgl. BVerfGE 54, 208, 217 f. 247 BT-Drucks. 11/7414, S. 4. 248 Tröndle/Fischer, § 201 Rn. 12. 249 So LK/Schünemann, § 201 Rn. 28; L/Kühl, § 201 Rn. 8. 250 BT-Drucks. 11/6714, S. 4; L/Kühl, § 201 Rn. 8. 251 In allen Fällen für den Ausschluss des Tatbestandes: AG Hamburg NJW 1984, 2111; S/S/ Lenckner/Eisele, § 201 Rn. 13 f.; Lenckner, in: Arzt (Hrsg.), Festschrift für Jürgen Baumann zum 70. Geburtstag, 1992, S. 135, 147; für ein tatbestandsausschließendes Einverständnis im Fall der Einwilligung: Wormer, Der strafrechtliche Schutz der Privatsphäre vor Mißbräuchen mit Tonaufnahme- und Abhörgeräten, 154 ff.; MüKo-StGB/Graf, § 201 Rn. 40; in allen Fällen nur für Einwilligung: Tröndle/Fischer, § 201 Rn. 10; SK/Hoyer, § 201 Rn. 34. 252 LK/Schünemann, § 201 Rn. 9. 246
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Klärung dieser Frage überlassen.253 Nach dem Wortlaut der Vorschrift wird für das Abhören gem. § 201 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StGB verlangt, dass das Wort nicht zur Kenntnis des Abhörenden bestimmt sein darf; dies ist bei einem Einverständnis zwischen Handelndem und Rechtsgutsträger jedoch kaum denkbar, so dass hier von einem tatbestandsausschließenden Einverständnis auszugehen ist. Dann erscheint aber die gleiche Lösung auch für die restlichen Tatbestände konsequent, weil das Bestimmungsrecht hinsichtlich der Reichweite des Adressatenkreises bei einem einverständlichen Abhören ebenso wenig verletzt ist wie das Vertrauen in die Flüchtigkeit des Wortes bei einer einverständlichen Tonaufnahme.254 Beide Ausprägungen sind Teile desselben Rechtsguts, nämlich der Bindung des authentischen Sprechakts an die Gesprächssituation. Somit sprechen die besseren Argumente bei einer Billigung durch das Opfer für ein tatbestandsausschließendes Einverständnis, so dass dem Merkmal der Unbefugtheit keine Doppelfunktion zukommt. Zwar könnte dies zu Problemen führen, wenn das Einverständnis nicht frei und autonom durch den Sprechenden erfolgt, weil irgendwie geartete Willensmängel nach traditioneller Auffassung nur im Rahmen einer rechtfertigenden Einwilligung berücksichtigt werden konnten, nicht jedoch bei einem tatbestandsausschließenden Einverständnis.255 Nach heute h.M. ist die erforderliche „Freiwilligkeit“ im Rahmen des tatbestandsausschließenden Einverständnisses jedoch nach den Spezifika des jeweiligen Tatbestandes festzulegen256, so dass Willensmängel durchaus Relevanz haben, während bei der Einwilligung die Freiheit von Irrtum und Zwang257 vorausgesetzt wird. bb) Notwehr und Nothilfe gem. § 32 StGB Die Rechtfertigungsgründe der Notwehr und Nothilfe sind für Erpressungskonstellationen relevant. In solchen Fällen ist nach überwiegender Ansicht die Aufnahme der Stimme des Erpressers durch Notwehr bzw. Nothilfe gerechtfertigt.258 Diese Ansicht ist jedoch nicht unumstritten. So wird die Gegenwärtigkeit des Angriffs i.S. des § 32 StGB mit dem Argument bezweifelt, dass mit der Beendigung des Anrufs die Drohung bereits geäußert und der Angriff auf die Willensfreiheit bereits 253
BT-Drucks. 7/550, S. 236. I. E. auch LK/Schünemann, § 201 Rn. 9. 255 Grundlegend Geerds, Einwilligung und Einverständnis des Verletzten, S. 4 ff., 105 ff., 142 ff.; Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung im Strafrecht, S. 74 m.w.N.; vgl. auch Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht, Allgemeiner Teil, § 11 Rn. 548, wonach Willensmängel auf Seiten des Zustimmenden unbeachtlich seien. 256 BGHSt 4, 113, 118 = NJW 1953, 1070, 1072; Tröndle/Fischer, Vor. § 32 Rn. 3c; S/S/ Lenckner/Sternberg-Lieben, Vor. § 32 Rn. 48; jeweils m.w.N. 257 MüKo-StGB/Schlehofer, Vor. § 32 Rn. 153 m.w.N. 258 BVerfG NJW 2002, 362; BGHSt 34, 5; OLG Düsseldorf NJW 1966, 214; NK/Kargl, § 201 Rn. 25; Tröndle/Fischer, § 201 Rn. 11; SK/Hoyer, § 201 Rn. 39; LK/Schünemann, § 201 Rn. 42. 254
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abgeschlossen worden sei.259 Dabei bleibt jedoch unberücksichtigt, dass die Drohung bis zur Vermögensverfügung fortwirkt260, was erst recht für Fälle des erpresserischen Menschenraubes und der Geiselnahme gelten muss.261 Auch wird gegen den Rechtfertigungsgrund der Notwehr der Einwand erhoben, dass Tonbandaufnahmen kein geeignetes Mittel der Abwehr darstellen.262 Dem ist jedoch zu widersprechen, sofern die Aufnahme der Abwehr des fortdauernden Angriffs auf die Willensfreiheit des Angerufenen dient. Problematisch ist, ob die Aufnahme als Abwehrmittel auch dann geeignet ist, wenn durch das Tonband nur Beweise für die Strafverfolgung erlangt werden sollen.263 Hiergegen spricht, dass die Strafverfolgung nicht mehr als „Verteidigung“ angesehen werden kann.264 Aufgrund dieser Einwände wird teilweise ein Rückgriff auf die „notwehrähnliche Lage“265 oder auf eine entsprechende Anwendung des § 193 StGB266 oder des § 127 Abs. 1 StPO267 vorgeschlagen.268 Dem Bedrohten kann jeder Dritte, insbesondere auch ein Amtsträger, Nothilfe leisten.269 cc) Rechtfertigender Notstand gem. § 34 StGB Ist der Angriff bereits abgeschlossen, wenn die Aufnahme erfolgt, kommt Notstand nach § 34 StGB dann in Betracht, wenn die Gefahr einer Rechtsgüterbeeinträchtigung gleichwohl andauert.270 Wird etwa der Angerufene über das Telefon beleidigt und ist mit weiteren derartigen Anrufen zu rechnen („Telefonterror“), so ist hierin eine fortdauernde Gefahr für die Ehre des Beleidigten zu sehen, die diesen zur Tonaufnahme berechtigt, sofern die Aufnahme das mildeste Mittel271 ist, um die
259 So Tenckhoff, JR 1981, 254, 256; Eisenberg/Müller, JuS 1990, 120, 122; Arzt, MDR 1965, 344. 260 Amelung, GA 1982, 381, 386; Wölfl, Jura 2000, 231, 232. 261 S/S/W/Bosch, § 201 Rn. 14; S/S/Lenckner/Eisele, § 201 Rn. 31a. 262 So etwa KG Berlin JR 1981, 254. 263 So etwa Suppert, Studien zur Notwehr und „notwehrähnlichen Lage“, S. 285; LK/ Schünemann, § 201 Rn. 40; NK/Kargl, § 201 Rn. 25. 264 Vgl. eingehend zu dieser Problematik Suppert, Studien zur Notwehr und „notwehrähnlichen Lage“, S. 285 – 289. 265 So aber BayObLG NStZ 1990, 101; OLG Celle NJW 1965, 1677, 1679; Wormer, Der strafrechtliche Schutz der Privatsphäre vor Mißbräuchen mit Tonaufnahme- und Abhörgeräten, S. 240 ff. 266 KG NJW 1956, 26 f.; OLG Frankfurt JR 1978, 168 f. 267 Vgl. Suppert, Studien zur Notwehr und „notwehrähnlichen Lage“, S. 292 – 308. 268 Vgl. die Übersicht bei LK/Schünemann, § 201 Rn. 32 – 48. 269 SK/Hoyer, § 201 Rn. 39; NK/Kargl, § 201 Rn. 25. 270 LK/Schünemann, § 201 Rn. 41; S/S/W/Bosch, § 201 Rn. 14; L/Kühl, § 201 Rn. 13; S/S/ Lenckner/Eisele, § 201 Rn. 31, 31a. 271 Vgl. zu der Frage, ob die Hinzuziehung eines Zeugen (z. B. eines Polizisten) ein milderes Mittel als die Tonbandaufnahme darstellt Suppert, Studien zur Notwehr und „notwehrähnlichen Lage“, S. 286, 287.
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Gefahr abzuwenden.272 Bei der vorzunehmenden Interessensabwägung ist dann zu berücksichtigen, dass die Dauergefahr vom Anrufer rechtswidrig begründet wurde und dessen Persönlichkeitsschutz deshalb in aller Regel hinter dem geschützten Interesse des Beleidigten zurückbleibt.273 Dies gilt entsprechend für die der Sache nach vergleichbare Konstellation einer Videoüberwachung.274 Bei zivilrechtlichen Beweisinteressen ist grundsätzlich nicht einsichtig, weshalb sich eine Partei durch die Verletzung der Intimsphäre der anderen Partei in eine vorteilhaftere Beweisposition soll bringen dürfen.275 dd) Spezialgesetzliche Befugnisnormen Es lassen sich zahlreiche spezialgesetzliche Befugnisnormen finden, die hier jedoch nur überblicksartig dargestellt werden sollen. Zu den präventiv-polizeilichen Eingriffsnormen zählen u. a. §§ 8 Abs. 2, 9 BVerfSchutzG und die §§ 1 ff des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses, in denen die Nachrichtendienste zum Abhören und Aufzeichnen ermächtigt werden, um einer Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung, die Sicherheit von Bund und Ländern oder der NATO Truppen zu begegnen. Gleichartige Eingriffsbefugnisse für das Zollkriminalamt sahen das Außenwirtschaftsgesetz und das Kriegswaffenkontrollgesetz in §§ 39 Abs. 1 und 2, 41 Abs. 2 AWG vor; diese Ermächtigungen hat jedoch das BVerfG teilweise für grundgesetzwidrig erklärt.276 An deren Stelle traten die §§ 23a ff ZFdG, welche die Befugnis des Zollkriminalamts enthalten, den Fernmeldeverkehr zur Abwehr von Straftaten nach dem AWG zu überwachen.277 In den §§ 100a ff StPO finden sich Vorschriften zu Strafverfolgungszwecken, die das Abhören oder Aufnehmen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes im Telekommunikationsverkehr gestatten.278 Im Rahmen dieser Befugnisnormen sind die Eingriffe des sog. „Kleinen Lauschangriffs“ und des sog. „Großen Lauschangriffs“ zu verorten. Durch das OrgK vom 15. 7. 1992279 ist zunächst der Kleine Lauschangriff eingeführt worden, der das Abhören der nichtöffentlich gesprochenen Worte au272
BGH NStZ 1982, 254 f., dazu Dünnebier, NStZ 1982, 254, 255; Tröndle/Fischer, § 201 Rn. 11; eingehend hierzu Wormer, Der strafrechtliche Schutz der Privatsphäre vor Mißbräuchen mit Tonaufnahme- und Abhörgeräten, S. 270; krit. Kattanek, Die Verletzung des Rechtes am gesprochenen Wort durch das Mithören anderer Personen, S. 185. 273 NK/Kargl, § 201 Rn. 26; Klug, in: Hamm (Hrsg.), Festschrift für Werner Sarstedt zum 70. Geburtstag, 1981, S. 101; SK/Hoyer, § 201 Rn. 40; ähnlich Wölfl, Jura 2000, 231, 232 f. 274 Z. B. OLG Düsseldorf NJW RR 1998, 241. 275 Im Ergebnis auch BGH NJW 1988, 1018; OLG Hamm NJW RR 1996, 735. 276 BVerfG NJW 2004, 2213. 277 Vgl. die Ausführungen bei NK/Kargl, § 201 Rn. 29. 278 BGH wistra 2008, 268; Beulke/Ruhmannseder, StV 2011, 180, 183 f.; Beulke, Strafprozessrecht, § 12 Rn. 254a. 279 BGBl. I, S. 1302.
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ßerhalb des Telekommunikationsverkehrs (unter Ausschluss einer Wohnung, vgl. § 100c Abs. 1 Nr. 2 StPO) regelt. Sodann folgte durch das Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität vom 4. 5. 1998280 der Große Lauschangriff, der das Abhören des in einer Wohnung gesprochenen Wortes erlaubt.281 Diesen hat das BVerfG in seiner grundlegenden Entscheidung vom 3. 3. 2004 teilweise für verfassungswidrig erklärt.282 Das BVerfG stellte fest, die Garantie der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) schütze einen „Kernbereich privater Lebensgestaltung“, in den der Staat auch nicht im Interesse der Strafverfolgung eingreifen dürfe. Wenn also Anhaltspunkte dafür bestehen, dass durch das Abhören Informationen aus absolut geschützter Kommunikation erlangt würden, hat die Überwachung von vornherein zu unterbleiben.283 Wird ein Gespräch bereits abgehört und ergeben sich währenddessen Anhaltspunkte dafür, dass Äußerungen, die dem Kernbereich privater Lebensführung zuzurechnen sind, erfasst werden, ist das Abhören und Aufnehmen gem. § 100c Abs. 5 S. 1 StPO unverzüglich zu unterbrechen und die Aufzeichnungen sind unverzüglich zu löschen (§ 100c Abs. 5 S. 2 StPO). Wie sich aus § 100c Abs. 5 S. 3 StPO ergibt, dürfen Erkenntnisse über solche Äußerungen nicht verwertet werden, und zwar auch nicht im Wege eines „Spurenansatzes“.284 Zudem sah man den bisherigen Katalog von Anlasstaten als zu umfangreich an, so dass seit der Gesetzesänderung vom 24. 5. 2005285 nur noch bei schweren Straftaten abgehört werden darf, die mit einer höheren Höchststrafe als fünf Jahre Freiheitsstrafe geahndet werden.286 Außerhalb der StPO wurde zu Strafverfolgungszwecken ferner das Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus vom 9. 1. 2002287 geschaffen, das die Möglichkeit von Sprachaufzeichnungen zur Identitätsfeststellung von Ausländern durch zuständige Behörden vorsieht.288 Es wird darüber hinaus vertreten, nach § 201 StGB strafbares Verhalten von Privatpersonen zur Wahrnehmung des staatlichen Strafverfolgungsinteresses könne durch § 127 StPO analog gerechtfertigt sein.289 Dies komme jedoch nur dann in Betracht, wenn der Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Sprechenden (etwa bei einer fernmündlichen Beleidigung oder Erpressung) „auf frischer Tat“ erfolgt und nur dazu dient, die Identität des Verdächtigen zu klären. Zwar wäre es ebenfalls 280
BGBl. I, S. 845. § 100c Abs. 1 Nr. 3 StPO jeweils i.V.m. Art. 13 Abs. 3 bis 5 GG sowie § 100c Abs. 2u. 3, § 100d StPO. 282 BVerfG NJW 2004, 999. 283 BVerfG NJW 2004, 1003. 284 BVerfGE 109, 332; Lepsius, Jura 2005, 586, 587. 285 BGBl. I, S. 1841. 286 BVerfG NJW 2004, 1010. 287 BGBl. I, S. 361. 288 Vgl. § 41 Abs. 2 S. 2 – 4 AuslG; § 16 Abs. 1 S. 3 – 5 AsylVfG. 289 Vgl. Suppert, Studien zur Notwehr und „notwehrähnlichen Lage“, S. 292 – 308; vgl. ferner hierzu SK/Hoyer, § 201 Rn. 44; NK/Kargl, § 201 Rn. 31. 281
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denkbar, unabhängig von diesen engen Befugnissen zugunsten öffentlicher Interessen auf die „Wahrnehmung berechtigter Interessen“ i.S. des § 193 StGB analog abzustellen.290 Doch ergibt sich schon aus § 201 Abs. 2 S. 3 StGB, der sonst überflüssig gewesen wäre, dass es an der erforderlichen Regelungslücke fehlt, so dass die analoge Anwendung von § 193 StGB ganz überwiegend291 abgelehnt wird. Für Medienorgane legitimiert Art. 5 nicht das rechtswidrige Beschaffen von Informationen.292 Eine Rechtfertigung kommt zwar den allgemeinen Grundsätzen entsprechend in Betracht, wenn es um die Abwehr von Gefahren i.S. des § 34 StGB – etwa um die Aufdeckung andauernder öffentlicher Gefahren – geht.293 Gleichwohl gilt es in solchen Fällen zu berücksichtigen, dass Eingriffe Privater zu Strafverfolgungszwecken nicht über § 127 Abs. 1 StPO hinaus gerechtfertigt werden können294, wobei denkbare Tatkonstellationen praktisch wenig Relevanz haben dürften. ee) Rechtfertigung nach § 201 Abs. 2 S. 3 StGB Der besondere Rechtfertigungsgrund nach § 201 Abs. 2 S. 3 StGB bezieht sich nur auf überragende öffentliche Interessen. Demnach kommt die Rechtfertigung einer Tat, die privaten Interessen dient, lediglich nach § 34 StGB in Betracht. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte dadurch der Rechtsprechung des BVerfG, die einen aus der Meinungs- und Pressefreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG abgeleiteten Rechtfertigungsgrund des „überragenden öffentlichen Interesses“ entwickelt hatte, Rechnung getragen werden.295 Beispielhaft wurden hierfür im Gesetzgebungsverfahren u. a. die Aufdeckung einer der in § 129a Abs. 1 oder § 138 Abs. 1 StGB genannten Katalogtaten oder schwerer Verstöße gegen § 34 AWG angeführt.296
4. Resümee Es wurde festgestellt, dass Normzweck des § 201 StGB die Sicherung der im allgemeinen Persönlichkeitsrecht verankerten Unbefangenheit des nichtöffentlich gesprochenen Wortes ist. Als Schutzgut der Norm wird das Recht auf Bindung des authentischen Sprechakts an die Sprechsituation bestimmt, weil nur das damit ein290
Etwa KG NJW 1956, 26 f.; OLG Frankfurt JR 1978, 168 f. LK/Schünemann, § 201 Rn. 40 ff.; NK/Kargl, § 201 Rn. 31; Tenckhoff, JR 1981, 254, 255; S/S/Lenckner/Eisele, § 201 Rn. 32. 292 BVerfGE 66, 116, 137; BVerfG NJW 2011, 1862: der grundrechtliche Schutz des Redaktionsgeheimnisses diene nicht dazu, Medienangehörige vor der Strafverfolgung zu schützen und ihnen einen Deckmantel zur Begehung von Straftaten nach § 201 zu bieten; siehe auch BVerfG NJW 2011, 1863; i.E. auch Tillmanns, ZRP 2007, 37 – 38; Safferling, MLR 2008, 43. 293 S/S/Lenckner/Eisele, § 201 Rn. 31a. 294 NK/Kargl, § 201 Rn. 32. 295 BVerfGE 66, 116; ebenso BGHZ 73, 120, 124. 296 BT-Drucks. 11/7414, S. 5. 291
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hergehende Bestimmungsrecht über die Reichweite des authentischen Sprechakts in der Lage ist, die Unbefangenheit des nichtöffentlich gesprochenen Wortes zu gewährleisten. Der nachträglich eingefügte § 201 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StGB kann mit diesem Normzweck jedoch kaum vereinbart werden.297 Es stellt sich also die Frage, ob diese Verbotsmaterie nicht systematisch treffender aus dem § 201 StGB gestrichen und ggfs. im Rahmen eines ergänzenden Straftatbestands erfasst werden sollte. Gleiches gilt für eine etwaige Strafbarkeit des unbefugten Zugänglichmachens von befugt hergestellten Tonaufnahmen. Die Fassung des § 201 StGB nach Streichung des Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ist bei hier erfolgter Auslegung des Schutzgutes angemessen und erforderlich, um das spezielle akustische Selbstbestimmungsrecht zu gewährleisten, so dass der Tatbestand insgesamt als verhältnismäßig im verfassungsrechtlichen Sinne anzusehen ist. Bei Heranziehung dieses Rechtsguts zur teleologischen Auslegung der Tatbestandsmerkmale lassen sich Probleme und Grenzfälle der Norm befriedigend lösen.
II. § 201a StGB – Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen 1. Entstehungsgeschichte Lange Zeit stand gemäß § 201 StGB zwar die unbefugte Tonaufnahme unter Strafe, nicht jedoch die unbefugte Bildaufnahme, obwohl das Verletzungspotenzial beider Angriffsformen für das allgemeine Persönlichkeitsrecht als nahezu gleichwertig angesehen wurde.298 Anlass für die Einführung des § 201a StGB war diese Diskrepanz, die in folgendem Fall offensichtlich wird: So wurden bei dem heimlichen Filmen der Patientinnen durch einen Frauenarzt die dabei entstandenen Aufzeichnungen nichtöffentlicher Gespräche ggfs. durch § 201 StGB strafrechtlich erfasst, nicht aber die zugleich gefertigten Bildaufnahmen.299 Insbesondere die Herstellung einer Bildaufnahme von einer anderen Person ohne deren Einverständnis 297 So auch Lenckner, in: Arzt (Hrsg.), Festschrift für Jürgen Baumann zum 70. Geburtstag, 1992, S. 135, 145, wonach der später eingefügte Tatbestand des Abs. 2 S. 1 Nr. 2 keine Materie des § 201 StGB sei, weil er ein anderes Rechtsgut und deshalb qualitativ anderes Unrecht betreffe. 298 Vgl. Schmidt, ZStW 79 (1967), 741, 742 ff.; Gallas, ZStW 75 (1963), 16, 21, 24 ff.; Schünemann, ZStW 90 (1978), 11, 33 ff.; Rogall, in: Weigend/Küpper (Hrsg.), Festschrift für Hans Joachim Hirsch zum 70. Geburtstag, 1999, S. 665, 668 f., 672 ff.; Ernst, NJW 2004, 1277, 1279, wonach das Gefahrenpotenzial bei unbefugten Bildaufnahmen sogar noch größer gewesen sei, weil bspw. „PenCams“ (Kugelschreiber mit Kamera) frei erwerbbar gewesen seien, Kugelschreiber mit Mikrofonen jedoch nicht. 299 Ein Beispiel aus dem ZRP-Rechtsgespräch mit der Justizministerin von Baden-Württemberg Werwigk-Hertneck, ZRP 2003, 293.
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und die Weitergabe des Bildnisses an eine dritte Person waren straflos; gemäß § 33 i.V.m. §§ 22, 23 KunstUrhG stand lediglich die Verbreitung und die öffentliche Schaustellung eines Bildnisses ohne Einwilligung des Abgebildeten unter Strafe.300 Forderungen nach einer Gleichstellung des unbefugten Abhörens und des unbefugten Ablichtens im Hinblick auf eine Strafbarkeit beider Handlungen hatten aber zunächst keinen Erfolg.301 Erst die technische Fortentwicklung, welche immer kleinere Bildaufnahmegeräte und deren unauffälligen Einbau in andere Gegenstände (Smartphones, Tablets usw.) und damit auch deren unbemerkten Gebrauch ermöglichte, veranlasste den Gesetzgeber zur Schaffung des § 201a StGB.302 Es wurden verschiedene Gesetzesentwürfe eingebracht und diskutiert.303 Dabei wurde der ursprünglich von dem Land Baden-Württemberg304 vorgelegte Entwurf auf Grund der Einwände von Medienvertretern erheblich abgemildert; bspw. wurde der räumliche Schutzbereich eingeschränkt. Es entfielen darüber hinaus die Versuchsstrafbarkeit sowie der Qualifikationstatbestand für Amtsträger; auch wurde der vorgesehene Strafrahmen herabgesetzt.305 Man entschied sich auch bewusst gegen eine Strafbarkeit der unbefugten Verletzung der Intimsphäre einer anderen Person durch bloße Beobachtung mit technischen Mitteln.306 Schließlich wurde ein gemeinsamer Entwurf im Rahmen des 36. StÄG307 verabschiedet und trat am 06. 08. 2004 in Kraft. Der Gesetzgeber hat mit der Neufassung des § 201a StGB vom 26. 01. 2015308 den Strafrechtsschutz in räumlicher Hinsicht ausgeweitet, da nun auch Bildaufnahmen in der Öffentlichkeit strafbar sein können.
2. Normzweck – Überblick Unbefugte Bildaufnahmen durch miniaturisierte Videokameras in Kugelschreibern, Armbanduhren309 und Smartphones (mittlerweile auch Tablets usw.) sollen durch eine Strafnorm unterbunden werden. Dies insbesondere deshalb, weil aufgrund der Schnittstellen dieser Geräte zum Internet das Risiko besteht, dass solche Aufnahmen sofort ins Internet übertragen und in sozialen Netzwerken und Nachrichtendiensten wie Facebook, Twitter oder Instagram veröffentlicht werden.310 Auf solchen Onlineplattformen ist wegen deren globaler Vernetzung ein einmal veröf300 301 302 303 304 305 306 307 308 309 310
Vgl. BT-Drucks. 15/2466, S. 4; Ernst, NJW 2004, 1277, 1279. Vgl. § 146 Abs. 2 u. Abs. 3 Alternativentwurf eines Strafgesetzbuches 1971. BT-Drucks. 15/1891, S. 6. Siehe BT-Drucks. 15/361, S. 2, 15/533, 15/1891; BT-Drucks. 164/03. BT-Drucks. 164/03. MüKo-StGB/Graf, § 201a StGB Rn. 13 m.w.N. BT-Drucks. 15/361, S. 2; BR-Drucks. 164/03, S. 1. BGBl. I, S. 2012. BT-Drucks. 18/2601, S. 36 f. BT-Drucks. 15/1891, S. 6. LK/Valerius, § 201a Rn. 1.
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fentlichtes Bild oder Video kaum wieder zu löschen.311 Verschärft wird dieser Umstand dadurch, dass es etwa bei Facebook möglich ist, auf Bildern einzelne Personen „zu markieren“ und damit diese auch namentlich festzuhalten und wieder auffindbar zu machen.312 Der Schutzbereich des § 201a StGB erstreckt sich nach der Gesetzesneuregelung vom 27. 01. 2015313 nicht nur auf eng begrenzte Räumlichkeiten und Areale314, sondern darüber hinaus unter bestimmten Umständen auch auf Bildaufnahmen in der Öffentlichkeit. Da der strafrechtliche Bildnisschutz dadurch sehr heterogen ausgefallen ist und sich die verschiedenen Schutzrichtungen stark voneinander unterscheiden, sollen die einzelnen Normzwecke getrennt voneinander betrachtet werden. Das bloße Beobachten wurde, wie oben dargestellt, nicht in die Gesetzesfassung übernommen. In der früheren Fassung des § 201a StGB war die Bildaufnahme von Personen in der Öffentlichkeit nicht strafbar315, auch wenn sie sich in einer den persönlichen Lebensbereich tangierenden Situation befanden (krank, verfänglich, halb nackt).316 Die genauere Konkretisierung des Rechtsguts von § 201a StGB erscheint problematisch, weil der Gesetzgeber einerseits den Gesetzesentwurf mit „Schutz der Intimsphäre“ überschrieb317, andererseits jedoch für eine Strafbarkeit die Verletzung des „höchstpersönlichen Lebensbereichs“ als notwendig erachtet. Diese beiden Begriffe weisen hinsichtlich der Bedeutung und des Schutzumfangs erhebliche Unterschiede auf. Zudem stellt der „höchstpersönliche Lebensbereich“ ein rechtliches novum dar.
3. Normzweck – Abs. 1 „höchstpersönlicher Lebensbereich“ Im Rahmen der Tatbestände des § 201a Abs. 1 StGB muss durch die Tat der höchstpersönliche Lebensbereich des Opfers verletzt sein. Daher soll zunächst untersucht werden, welche dogmatische Bedeutung diesem Begriff zukommt und wie er inhaltlich zu definieren ist. In der folgenden Diskussion hinsichtlich des Schutzguts von § 201a Abs. 1 StGB erfolgt zunächst die Darstellung der einzelnen 311
Ernst, NJW 2004, 1277, 1279; Koch, GA 2005, 589, 593. MüKo-StGB/Graf, § 201a Rn. 2. 313 BT-Drucks. 18/2601, S. 36 f. 314 Kritisch zur alten Rechtslage Tröndle/Fischer, § 201a Rn. 2, 6. 315 Mit der Einführung des neuen § 201a Abs. 1 Nr. 2 StGB ist nun ohne räumliche Einschränkung jeder geschützt, der sich in einer hilflosen Lage befindet. Kritisch zur aktuellen Fassung des § 201a StGB Bosch, Jura 2016, 1380, „Neufassung dürfte den Rechtsanwender (…) mit kaum lösbaren Auslegungsschwierigkeiten konfrontieren.“ 316 BT-Drucks. 15/1891, S. 6. 317 Siehe Überschrift BT-Drucks. 15/1891. 312
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Gesetzesentwürfe des ursprünglichen Tatbestands vom 06. 08. 2004, anschließend wird der Meinungsstand bezüglich der inhaltlichen Eingrenzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs referiert und kritisch beleuchtet. a) Schutzgut nach dem FDP-Gesetzesentwurf In ihrem Gesetzesentwurf vom 29. 01. 2003 bezeichnete die FDP-Fraktion die Intimsphäre als das Schutzgut des § 201a StGB GE-FDP318, welcher in Abs. 2 das bloße Beobachten unter Strafe stellte. Es sollte demnach ausdrücklich nur der enge Bereich der Intimsphäre als letzter, unantastbarer Bereich privater Lebensgestaltung geschützt sein; gleichwohl wurde bereits dort eingeräumt, dass die Intimsphäre begrifflich nicht in der Gesetzgebung auftauche und eine abstrakte Umschreibung daher nicht möglich sei.319 Der beobachtete Lebenssachverhalt müsse höchstpersönlichen Charakter haben; zudem müsse diesbezüglich ein Geheimhaltungswille des Betroffenen bestehen.320 Andererseits sei eine Abwägung erforderlich, inwieweit die Sphäre anderer Personen oder der Gemeinschaft berührt würden. Beispielhaft werden Tagebuchaufzeichnungen und die Gestaltung des Sexuallebens aufgezählt, die unzweifelhaft Teil der Intimsphäre seien.321 b) Schutzgut nach dem CDU/CSU-Gesetzesentwurf Das im Rahmen des Gesetzesentwurfs der CDU/CSU-Fraktion vom 11. 03. 2003 favorisierte Schutzgut des § 201a StGB GE-CDU/CSU sollte als „persönlicher Lebensbereich“ wesentlich weiter gehen.322 Als Reaktion auf den Entwurf der FDPFraktion wurde vorgebracht, dass eine Beschränkung des Schutzbereichs auf den unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung weder geboten noch zweckmäßig sei.323 Man entgegnete dem Vorschlag der FDP-Fraktion, das Strafrecht kenne den Begriff der Intimsphäre nicht, wohl aber den des persönlichen Lebensbereichs324 (§ 171b GVG; § 68a Abs. 1 StPO). Es könne auf gefestigte Rechtsprechung zu diesem Begriff zurückgegriffen werden; der im Vergleich zum Entwurf der FDPFraktion umfassendere Tatbestand sei durch den speziellen Rechtfertigungsgrund des § 201a Abs. 2 StGB GE-CDU/CSU zu rechtfertigen („Wer die Tat zur Ausführung oder Verteidigung von Rechten oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen begeht, handelt nicht rechtswidrig“).325 318 319 320 321 322 323 324 325
BT-Drucks. 15/361, S. 2, 4. BT-Drucks. 15/361, S. 4. BT-Drucks. 15/361, S. 4. BT-Drucks. 15/361, S. 4. BT-Drucks. 15/533, S. 2, 4. BT-Drucks. 15/533, S. 4. BT-Drucks. 15/361, S. 4. BT-Drucks. 15/533, S. 4.
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c) Schutzgut nach dem Gesetzesentwurf des Bundesrats Der Gesetzesentwurf des Bundesrats geht auf einen Vorschlag des Landes BadenWürttemberg zurück, wonach Schutzgut des § 201a StGB a.F. der „höchstpersönliche Lebensbereich“ sein sollte.326 Der Begriff wurde aus dem Alternativentwurf eines StGB von 1971 übernommen und sollte enger zu verstehen sein als der Terminus des „persönlichen Lebensbereichs“.327 Inhaltlich entspreche der „höchstpersönliche Lebensbereich“ dem in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verwendeten und in der zivilrechtlichen Judikatur näher ausgeformten Begriff der „Intimsphäre“.328 Zur Auslegung dieses Begriffes könne daher die einschlägige zivilrechtliche Rechtsprechung herangezogen werden; danach seien die Bereiche Sexualität, Krankheit und Tod ebenso wie Nacktaufnahmen erfasst.329 Diesem Gesetzesentwurf schloss man sich im fraktionsübergreifenden Gesetzesentwurf330 an, so dass der Bundestag diesen nach einer befürwortenden Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses verabschiedete. Beabsichtigtes Schutzgut des § 201a StGB a.F. war somit der höchstpersönliche Lebensbereich. d) Interpretationen des Schutzguts „höchstpersönlicher Lebensbereich“ Zwar hat der Gesetzgeber durch Einführung des neuen Terminus „höchstpersönlicher Lebensbereich“ das geschützte Rechtsgut benannt. Gleichwohl lässt diese offene, relativ unbestimmte Formulierung eine Fülle verschiedener Interpretationen zu.331 So soll sich die Begriffsbestimmung des „höchstpersönlichen Lebensbereichs“ an der zivilrechtlichen Rechtsprechung zur „Intimsphäre“ orientieren332, was wiederum die Frage aufwirft, wie die Schutzbereiche dieser Begriffe voneinander abzugrenzen sind und worin der Unterschied besteht. Erschwerend kommt hinzu, dass der Gesetzgeber zwar angab, „mit den Abs. 2 und 3 von § 201a StGB [a.F.] [werde] die Strafvorschrift des § 33 KunstUrhG ergänzt“333 ; eine Abstimmung mit dem KunstUrhG ist gleichwohl unterblieben. Nachfolgend soll geklärt werden, wie der Begriff des höchstpersönlichen Lebensbereichs zu interpretieren ist. Denn dieser wird allein durch Betrachtung des Wortlauts nicht deutlich. So handelt es sich bei diesem Terminus wie oben erwähnt um eine neue Wortkreation des Gesetzgebers. Zwar wurde der Begriff aus dem 326
BR-Drucks. 164/1/03 = BT-Drucks 15/1891. BT-Drucks 15/1891, S. 7. 328 BT-Drucks 15/1891, S. 7. 329 BT-Drucks 15/1891, S. 7. 330 BT-Drucks. 15/2466. 331 L/Kühl, § 201a Rn. 1; Heuchemer, in: Götting/Schertz/Seitz (Hrsg.), Handbuch des Persönlichkeitsrechts, 2008, § 29 Rdn 2. 332 BT-Drucks 15/1891, S. 7; BT-Drucks. 15/2466, S. 4. 333 BT-Drucks. 15/2466, S. 4. 327
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Alternativentwurf eines StGB von 1971 übernommen, eine genauere Erläuterung des Schutzumfangs erfolgte dort jedoch nicht.334 Als Auslegungshilfe könnten die im Gesetzgebungsverfahren vorgeschlagenen Begriffe des persönlichen Lebensbereichs und der Intimsphäre dienen; nach der Gesetzesbegründung soll der Schutzumfang des höchstpersönlichen Lebensbereichs zwischen dem des weit zu verstehenden persönlichen Lebensbereichs und dem der eng auszulegenden Intimsphäre liegen.335 aa) „Persönlicher Lebensbereich“ als Annäherung an den „höchstpersönlichen Lebensbereich“ Der vom Gesetzgeber eingeführte Begriff des höchstpersönlichen Lebensbereichs soll sich inhaltlich an den persönlichen Lebensbereich „anlehnen“.336 Dieser Begriff findet sich in den verfahrensbezogenen Vorschriften § 68a Abs. 1 StPO und § 171b Abs. 1 GVG. Ob die hierbei einschlägigen rechtswissenschaftlichen Erkenntnisse eine brauchbare Definition des persönlichen Lebensbereichs liefern können und ob diese dann vom Verfahrensrecht auf das materielle Strafrecht übertragen werden kann, soll nun untersucht werden. Gem. § 68a Abs. 1 StPO sollen Fragen nach Tatsachen, die dem Zeugen oder einer Person, die i.S. des § 52 Abs. 1 StPO ein Angehöriger ist, zur Unehre gereichen können oder deren persönlichen Lebensbereich betreffen, nur gestellt werden, wenn es unerlässlich ist. Dabei betreffen den persönlichen Lebensbereich eines Zeugen Tatsachen wie etwa private Neigungen und Eigenschaften, der Gesundheitszustand, die religiöse und politische Einstellung, aber auch Interna des Familienlebens sowie die Intimsphäre des Zeugen, insbesondere das Sexualleben.337 Im Rahmen des § 171b Abs. 1 GVG taucht der Begriff des „persönlichen Lebensbereichs“ im Zusammenhang mit dem im Prozess grundsätzlich geltenden Öffentlichkeitsgrundsatz auf. Hiernach kann die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden, soweit Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich eines Prozessbeteiligten, eines Zeugen oder eines durch eine rechtswidrige Tat (§ 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB) Verletzten zur Sprache kommen, deren öffentliche Erörterung schutzwürdige Interessen verletzen würde. Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich i.d.S. sind Angelegenheiten aus dem Privatbereich oder der Intimsphäre, die außenstehenden Dritten jedenfalls nicht ohne weiteres zugänglich sind, weil sie über den Rahmen der üblicherweise im alltäglichen Kontakt zwischen einander fremden 334
Vgl. Arzt/Baumann, Alternativ-Entwurf eines Strafgesetzbuches, S. 32. BT-Drucks. 15/2466, S. 4, wo es zunächst heißt: „Dieser Begriff (…) lehnt sich an den bereits bekannten Begriff des persönlichen Lebensbereichs (…) an, ist jedoch enger als dieser.“ und „Mit dem Begriff der Intimsphäre könnten möglicherweise einengende Assoziationen auf die Bereiche Sexualität und Nacktheit verbunden werden“. 336 BT-Drucks. 15/2466, S. 4. 337 BeckOK StPO/Monka, § 68a, Rn. 2 – 4. 335
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Menschen verfügbaren Informationen (wie Name, Adresse, ausgeübter Beruf, Familienstand) hinausgehen; ferner muss es sich um Angelegenheiten handeln, bezüglich derer bei objektiver Wertung ein schutzwürdiges Diskretionsinteresse des Betroffenen vernünftigerweise anzuerkennen ist, wie z. B. bei Angaben über Krankheitszustand, persönliche Charaktereigenschaften, fachliche Eignung, Beziehung zu nahe stehenden Personen oder Einzelheiten der familiären Verhältnisse.338 Insgesamt ist also festzustellen, dass zum persönlichen Lebensbereich im prozessrechtlichen Sinne jener private Bereich gehört, der jeder Person zur Verwirklichung ihrer Menschenwürde und zur Entfaltung ihrer Individualität zusteht.339 In der Regel sind alle Tatsachen unter den Begriff des persönlichen Lebensbereichs zu fassen, die nicht spontan und unbefangen mitgeteilt werden und nach denen üblicherweise im Sozialleben unter nicht miteinander befreundeten Personen nicht gefragt zu werden pflegt.340 Es fallen somit vor allem solche Lebensumstände hierunter, die der Einzelne der Kenntnisnahme durch weitere Kreise, insbesondere durch die breite Öffentlichkeit, entziehen möchte.341 Dabei gilt: je enger der Bezug dieser Lebensumstände zum unantastbaren Kern der Persönlichkeit ist, desto näher liegt die Zugehörigkeit des Umstands zum persönlichen Lebensbereich.342 So ist im E 1962 die Rede von Familien- und sonstigen Privatverhältnissen einschließlich der beruflichen Betätigung, „soweit diese sich nicht unter den Augen der Allgemeinheit abspielt.“343 Aus diesem Bereich fallen dementsprechend solche Umstände heraus, die den äußeren Wirkungsbereich einer Person betreffen, insbesondere das öffentliche Berufs- oder Erwerbsleben und alle sonstigen kommunikativen Kontakte in der Öffentlichkeit.344 Im Schrifttum sind hierzu nur einzelne Fallgruppen zu finden; so sollen zum persönlichen Lebensbereich gehören die Intimsphäre, das Sexualleben, das Familienleben, der Gesundheitszustand, persönliche Eigenheiten und Neigungen ohne Außenwirkung, sowie die nicht öffentlich gelebte politische und religiöse Einstellung.345 Eine allgemeine Definition für den Begriff des persönlichen Lebensbereichs scheint nicht möglich zu sein. Die Übertragung der Erkenntnisse zum Begriff des 338
MüKo-ZPO/Zimmermann, GVG § 171b, Rn. 9; BGHSt 30, 212, 214. Löwe/Rosenberg StPO/Wickern, § 171b GVG, Rn. 5. 340 Rieß/Hilger, NStZ 1987, 145, 150. 341 Hubmann, JZ 1957, 521, 522 f. 342 Löwe/Rosenberg StPO/Wickern, § 171b GVG, Rn. 5. 343 BR-Drs. 200/62, S. 326. 344 Vgl. auch Linkens, Der strafrechtliche Schutz vor unbefugten Bildaufnahmen, S. 59 ff. 345 Pfeiffer StPO/Pfeiffer, § 68a Rn. 1; Löwe/Rosenberg StPO/Dahs, § 68a Rn. 5; Löwe/ Rosenberg StPO/Wickern, § 171b GVG, Rn. 5. ff.; Meyer-Großner/Schmitt/Schmitt, § 68a Rn. 4; KK StPO/Diemer, § 171b GVG Rn. 3; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, § 171b GVG Rn. 4. 339
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„persönlichen Lebensbereichs“ vom Verfahrensrecht ins materielle Strafrecht ist problematisch.346 Denn bei der verfahrensrechtlichen Entscheidung, ob der persönliche Lebensbereich betroffen ist und damit § 171b GVG anzuwenden ist, liegt dem Gericht ein abgeschlossener Lebenssachverhalt vor; demgegenüber muss im Strafrecht für einen potenziellen Täter schon bei der Lektüre des Tatbestandes das verbotene Verhalten erkennbar sein.347 Des Weiteren spielt der örtliche Bereich im Prozessrecht keine Rolle, hat aber für das Schutzgut und den Schutzbereich des § 201a StGB ersichtlich eine wichtige Bedeutung. Daher und aufgrund der inhaltlichen Unbestimmtheit, die sich auch aus der oben zitierten Rechtsprechung ergibt, hilft der Begriff des „persönlichen Lebensbereichs“ für die Interpretation des „höchstpersönlichen Lebensbereichs“ nicht weiter. bb) „Privatsphäre“ als Synonym für den „persönlichen Lebensbereich“ Möglicherweise kann der Begriff der Privatsphäre, der häufig synonym zum Begriff des persönlichen Lebensbereichs verwendet wird348, zur Beschreibung des Schutzgutes von § 201a Abs. 1 StGB herangezogen werden. Das Bundesverfassungsgericht hat das Vorliegen der Privatsphäre für bestimmte Fallgruppen (z. B. Tagebücher, die Kommunikation unter Eheleuten, die Bereiche Sexualität, Drogensucht und Krankheiten sowie räumliche Bereiche, in denen der Einzelne zu sich kommen, sich entspannen oder gehen lassen kann, insbesondere den häuslichen Bereich) bejaht349, wobei der Übergang zur Intimsphäre fließend ist.350 Die Privatsphäre ist nach Ansicht des BVerfG betroffen bei der Religionsausübung351, beim Gespräch eines Sozialarbeiters mit seinem Klienten352, bei Urlaubsreisen353, beim Beziehungsleben des Einzelnen354 und damit verbundenen 346
So auch Kächele, Der strafrechtliche Schutz vor unbefugten Bildaufnahmen (§ 201a StGB), S. 78 m.w.N. 347 Kächele, Der strafrechtliche Schutz vor unbefugten Bildaufnahmen (§ 201a StGB), S. 78. 348 So. z. B. der Titel des Gesetzesentwurfs der CDU/CSU-Fraktion hinsichtlich des § 201a StGB: „Entwurf eines Gesetzes zum verbesserten Schutz der Privatsphäre“, BT-Drucks. 15/ 533, S. 1, 2; weitere Nachweise aus der verfahrensrechtlichen Literatur bei Kächele, Der strafrechtliche Schutz vor unbefugten Bildaufnahmen (§ 201a StGB), S. 79, Fn. 230. 349 BVerfGE 101, 361, 382 f. 350 Vgl. unten C. II. 3. d) cc). 351 BVerfG 14. 04. 1989 „Opus Dei“ NJW 1990, 1980; im selben Fall die Intimsphäre als betroffen ansehend: OLG München NJW 1986, 1260, 1261. 352 BVerfGE 33, 367, 377. 353 BVerfG 16. 07. 1969 „Mikrozensus“ E 27, 1, 8; ebenso OLG Frankfurt a.M. 28. 02. 1986 „Ferienprospekt“ NJW-RR 1986, 1118, 1119. 354 BVerfG 15. 01. 1970 „Ehescheidungsakten I“ E 27, 344, 351 f.; BVerfG 31. 03. 2000 „Carolines Kinder“ NJW 2000, 2191, 2192; ebenso OLG München I GRUR-RR 2004, 92, 93.
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Tätigkeiten wie Blumenkauf355 oder Hochzeitsfeierlichkeiten356 und bei persönlichen Konfektionsgrößen, Einkaufsgewohnheiten und Zahlungsmethoden.357 Nach einer zivilrechtlichen Entscheidung des BGH umfasst die Privatsphäre den autonomen Bereich der eigenen Lebensgestaltung, in dem jeder seine Individualität unter Ausschluss anderer entwickeln und wahrnehmen kann.358 Die ordentlichen Gerichte ordnen der Privatsphäre bspw. den eigenen Geschäftsbetrieb359, die eigene Wohnung360, das eigene Privatgrundstück361 (insbesondere bei Luftaufnahmen362), den Inhalt einer Personalakte363, private Telefongespräche364, Trauerfeierlichkeiten365 das eigene Passbild366, den Gesundheitszustand367 und private Gespräche als Grundlage der eigenen Memoiren368 zu. Während die Rechtsprechung also keinen einheitlichen theoretischen Ansatz erkennen ließ369, finden sich in der Literatur verschiedene Definitionsversuche für den Begriff der Privatsphäre. Nach Kienapfel ist sie der Inbegriff aller Tatsachen aus dem Leben des Einzelnen, die nicht gemeinkundig sind.370 Für Rohlf entscheidet der Wille des Einzelnen darüber, wann ein Verhalten in der Öffentlichkeit der Privatsphäre zugeordnet werden soll; ein Verhalten, das nicht in der Öffentlichkeit stattfindet, gehöre dann zur Privatsphäre, wenn es aufgrund objektiver Hindernisse nicht für jeden beliebigen Dritten erkennbar sei.371 Für das Strafrecht ist eine Privatsphäre, die allein vom subjektiven Willen des Einzelnen (was dieser gemeinkundig machen will und was nicht) abhängig ist, wegen 355
BVerfG 05. 04. 2000 „Blumenkauf“ NJW 2000, 2190. BVerfG 13. 04. 2000 „Prominentenhochzeit“ NJW 2000, 2193. 357 BVerfG 05. 04. 2000 „Pulloverkauf“ NJW 2000, 2194, 2195. 358 BGHZ 131, 332, 337. 359 BGH 10. 05. 1957 „Spätheimkehrer“ Z 24, 200, 208. 360 OLG Düsseldorf 15. 10. 1993 „Wohnungsfotos“ NJW 1994, 1971. 361 BGH 16. 09. 1966 „Vor unserer eigenen Tür“ NJW 1966, 2353, 2355; OLG Köln 13. 10. 1988 „Nachbarliche Beobachtung“ NJW 1989, 720, 721; LG Berlin 22. 08. 1986 „Videokameraüberwachung“ NJW 1988, 346, 347. 362 BGH 09. 12. 2003 „Luftaufnahmen I“ NJW 2004, 762, 763 f.; BGH 09. 12. 2003 „Luftaufnahmen II“ NJW 2004, 766, 767; anders jedoch noch OLG Oldenburg 12. 10. 1987 „Luftaufnahme“ NJW-RR 1988, 951, 952. 363 BAG 04. 04. 1990 „Personalakteneinsicht“ NJW 1990, 2272. 364 BGH 19. 12. 1978 „Telefongespräch“ Z 73, 120, 124. 365 LG Köln 05. 06. 1991 „Trauerfeier“ NJW 1992, 443. 366 OLG Stuttgart 26. 08. 2002 „Passbilderhebung“ NJW 2004, 83, 85. 367 OLG München, Hinweisbeschluss vom 27. 05. 2015, BeckRS 2015, 12873, mit Ausnahme für wichtige Politiker, Wirtschaftsführer oder Staatsoberhäupter, BGH, Urteil vom 18. 09. 2012 VI ZR 291/10. 368 OLG Köln, Urteil vom 05. 05. 2015, BeckRS 2015, 10858. 369 Eingehend Rohlf, Der grundrechtliche Schutz der Privatsphäre, S. 89 ff., 123 ff. 370 Kienapfel, Privatsphäre und Strafrecht, S. 26. 371 Rohlf, Der grundrechtliche Schutz der Privatsphäre, S. 195 ff. 356
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der rein subjektiven Grenzziehung für die Strafbarkeit einer Handlung ungeeignet.372 Dieser Einwand betrifft jedoch nur einen Zweig des Rohlfschen Ansatzes. Hinsichtlich eines nicht öffentlich stattfindenden Verhaltens ist die Abgrenzung nach objektiv erkennbaren Hindernissen für potenzielle Beobachter grundsätzlich brauchbar, erscheint aber als zu eng gefasst. Doch gerade in den schwierigen Fällen der Privatsphäre in der Öffentlichkeit stellt Rohlf auf den Willen des Einzelnen ab; diese Abgrenzung ist für das Strafrecht zu vage. Auch Arzt spricht von unlösbaren Abgrenzungsschwierigkeiten jedenfalls im Grenzgebiet von Privatsphäre und Öffentlichkeitssphäre.373 Problematisch ist also, dass die Privatsphäre nicht außerhalb des eigenen häuslichen Bereichs endet und der Schutzbereich dadurch noch weitreichender und weniger fassbar wird. Der VI. Zivilsenat des BGH entwickelte in seinem Urteil vom 19. 12. 1995 das Kriterium der örtlichen Abgeschiedenheit bei der Frage, wann die Privatsphäre durch eine Bildaufnahme in der Öffentlichkeit berührt ist. Geschützt sei danach jedes Verhalten, das auf dem begründeten und für Dritte erkennbaren Vertrauen darauf beruhe, unbeobachtet zu sein, etwa das Zeigen persönlicher Regungen oder ein Sichgehen-Lassen.374 Das Bundesverfassungsgericht bestätigte diese Ansicht teilweise, jedoch sei es irrelevant, ob sich der Einzelne tatsächlich so verhalte, wie man es nur in der Abgeschiedenheit tun würde.375 Lange Zeit wurde die Privatsphäre demnach als nicht betroffen angesehen beim Austausch von Zärtlichkeiten in der Öffentlichkeit376, beim Besuch eines öffentlichen Strandbades377 oder öffentlichen Straßencafés378, bei Fotografien von Gebäuden von öffentlichen Straßen aus379 und bei der Videoüberwachung eines Kaufhauses380. Der EGMR vertrat in seinem Urteil vom 24. 06. 2004 eine andere Ansicht; von der Privatsphäre seien alle privaten Tätigkeiten geschützt, auch wenn sie in der Öffentlichkeit stattfinden.381 Der Einzelne müsse unter bestimmten Umständen eine berechtigte Hoffnung auf Schutz und Achtung seiner Privatsphäre haben können, da 372
Schünemann, ZStW 90 (1978), 11, 22. Arzt, Der strafrechtliche Schutz der Intimsphäre, S. 176. 374 BGH 19. 12. 1995 „Caroline von Monaco III“ Z 131, 332, 339 f. 375 BVerfG 15. 12. 1999 „Caroline von Monaco“ E 101, 361, 384 f. 376 BayObLG 25. 04. 1980 „Liebespaar“ NJW 1980, 1969. 377 BVerfG 13. 04. 2000 „Sturz im Strandbad“ NJW 2000, 2192. 378 KG 22. 06. 2004 „Grönemeyers Partnerin I“ NJW 2005, 603, 604. 379 OLG Brandenburg 02. 09. 1998 „Wessi-Kuckuck“ NJW 1999, 3339, 3340; LG Waldshut-Tiengen 28. 10. 1999 „CityServer“ MMR 2000, 172, 174; ebenso VG Karlsruhe 01. 12. 1999 „Cityserver“ NJW 2000, 2222, 2223. 380 BayObLG 24. 01. 2002 „Kaufhausüberwachung“ NJW 2002, 2893. 381 EGMR 24. 06. 2004 „Caroline von Hannover/Deutschland“ NJW 2004, 2647, 2648 f.; deutlich a.A. noch OLG Hamburg 08. 12. 1994 „Gartenlokal“ NJW-RR 1995, 790, 792; ähnlich BGHZ 131, 332, 343 f. 373
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diese auch außerhalb einer örtlichen Abgeschiedenheit verletzt sein könne.382 Das Merkmal der örtlichen Abgeschiedenheit sei darüber hinaus viel zu unbestimmt.383 In seinen späteren Urteilen ist der BGH dieser Ansicht gefolgt384 und nimmt eine Verletzung der Privatsphäre bereits an bei Fotos von Handlungen, die nicht zur öffentlichen Funktion des Abgebildeten gehören, selbst wenn diese in der Öffentlichkeit vorgenommen wurden (Spaziergang am Weiher385, Kuss in einem öffentlichen Straßencafé386). Nach einer jüngeren Entscheidung des BGH umfasst die Privatsphäre sowohl in räumlicher als auch in thematischer Hinsicht den Bereich, zu dem andere grundsätzlich nur Zugang haben, soweit er ihnen gestattet wird; dies betreffe in thematischer Hinsicht Angelegenheiten, die wegen ihres Informationsinhalts typischerweise als „privat“ eingestuft werden, etwa weil ihre öffentliche Erörterung als unschicklich gelte, das Bekanntwerden als peinlich empfunden werde oder nachteilige Reaktionen in der Umwelt auslöse.387 Unter welchen Voraussetzungen eine Angelegenheit typischerweise als „privat“ eingestuft wird, ist lediglich beispielhaft und nicht abschließend genannt. Wann eine öffentliche Erörterung als unschicklich oder peinlich gilt, ist subjektiv geprägt. Nachteilige Reaktionen in der Umwelt sind lediglich ex post bestimmbar. Demnach können auch diese Kriterien eine genaue Abgrenzung von der Privatsphäre unterfallenden Tätigkeiten in der Öffentlichkeit nicht leisten. Anhand der verschiedenen Ansichten des EGMR, der deutschen Gerichte und der Literatur hinsichtlich der Reichweite und des Umfangs der Privatsphäre wird erkennbar, dass der Begriff der Privatsphäre zu undeutlich ist, um für eine Interpretation des Schutzguts von § 201a Abs. 1 StGB herangezogen werden zu können. Auch eine Annäherung an den „höchstpersönlichen Lebensbereich“ über den Begriff der Privatsphäre führt demnach nicht weiter. cc) „Intimsphäre“ als Synonym für „Höchstpersönlicher Lebensbereich“ Aufgrund der Ausführungen des Gesetzgebers, zur Auslegung des „höchstpersönlichen Lebensbereichs“ könne auf die zivilrechtliche Rechtsprechung zur „Intimsphäre“ zurückgegriffen werden, liegt die Ansicht nahe, beide Begriffe seien 382
EGMR NJW 2004, 2647, 2648, 2651. EGMR NJW 2004, 2647, 2650 f. 384 BGH 05. 10. 2004 „Alexandra von Hannover“ NJW 2005, 215, 217; BGH 19. 10. 2004 „Rivalin“ NJW 2005, 594, 596; so auch KG 29. 10. 2004 „Grönemeyers Partnerin II“ NJW 2005, 605, 607. 385 BGH NJW 2005, 594, 596. 386 KG NJW 2005, 605, 607. 387 BGH, NJW 2012, 771; so z. B. auch LG Hamburg, Urteil vom 13. 03. 2015, BeckRS 2015, 07221. 383
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inhaltlich bedeutungsgleich.388 Insbesondere das Fehlen einer dem § 201 Abs. 2 S. 3 StGB vergleichbaren Rechtfertigungsklausel könnte darauf schließen lassen, dass § 201a Abs. 1 StGB allein Eingriffe in den abwägungsresistenten Kernbereich der Persönlichkeit erfasst.389 Gesprochen wird bezüglich des „höchstpersönlichen Lebensbereichs“ von einer „sinnentleerten Kompromissformel“390 zwischen den vorgeschlagenen Begriffen „Intimsphäre“391 und „persönlicher Lebensbereich“392. Lediglich um das Missverständnis zu vermeiden, es sollten nur Bildaufnahmen sexualbezogenen Inhalts strafrechtlich erfasst werden, habe der Gesetzgeber von der Verwendung des Begriffes „Intimsphäre“ abgesehen.393 So werde von juristischen Laien mit diesem Terminus lediglich der Sexualbereich und Nacktheit assoziiert394, allerdings sollten insbesondere auch die Bereiche Krankheit und Tod erfasst werden.395 Die Intimsphäre sei als Rechtsgutsbezeichnung vorzuziehen gewesen396, da bei allen in der Gesetzesbegründung zitierten Beispielen für den „höchstpersönlichen Lebensbereich” auf die vom BGH entwickelte Rechtsprechung zur „Intimsphäre” hingewiesen wird.397 In Anknüpfung an die sog. „Sphärentheorie“398 differenziert der Bundesgerichtshof zwischen einer Geheim-399 oder Intimsphäre400 und der weniger stark geschützten Privatsphäre401; tritt jemand an die Öffentlichkeit, so ist nur noch seine Individualsphäre betroffen.402 Das Bundesverfassungsgericht unterscheidet zwischen einem unantastbaren Kernbereich der Privatsphäre403, einer Privatsphäre (auch als Geheimsphäre bezeichnet)404 und einer Sozialsphäre405. Die Begriffe „Intimsphäre“ (BGH) und „Kernbereich“ (BVerfG) sind im Wesentlichen deckungsgleich. Wann die Intimsphäre betroffen ist, machte das Bundesverfassungsgericht lange Zeit 388 So etwa SK/Hoyer, § 201a Rn. 4; Koch, GA 2005, 589, 596; Borgmann, NJW 2004, 2133, 2134; Eisele, JR 2005, 6, 9. 389 Koch, GA 2005, 589, 596 f. 390 Bosch, JZ 2005, 377, 379. 391 BT-Drucks. 15/361, S. 2, 4. 392 BT-Drucks. 15/533, S. 2, 4. 393 SK/Hoyer, § 201a Rn. 5. 394 BT-Drucks. 15/2466, S. 4. 395 So auch Borgmann, NJW 2004, 2133, 2134. 396 Borgmann, NJW 2004, 2133, 2134. 397 Borgmann, NJW 2004, 2133, 2134, m.w.N. 398 Geht im Wesentlichen zurück auf Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, S. 268 ff. 399 BGHZ 13, 334, 339. 400 BGH GRUR 1962, 211, 212. 401 BGHZ 131, 332, 337 ff. 402 BGHZ 36, 77, 80; so auch OLG Hamburg NJW 1967, 2314, 2316. 403 Erstmals in BVerfG 16. 01. 1957 „Elfes“ E 6, 32, 41. 404 Maunz/Dürig/Di Fabio, GG Art. 2 Abs. 1 Rn. 159. 405 Z. B. BVerfG 03. 03. 2004 „Großer Lauschangriff“ NJW 2004, 999, 1003.
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ausschließlich vom Sozialbezug des Verhaltens abhängig406; mit jeglichem Nachaußentreten in einen Sozialkontakt war der Bereich der Intimsphäre verlassen, so dass dieser etwa sexuelle Handlungen zwischen zwei Personen nicht mehr unterfielen.407 In der Tagebuch-Entscheidung vom 14. 09. 1989408 und im Urteil zum Großen Lauschangriff vom 03. 03. 2004409 lockerte das Bundesverfassungsgericht dieses enge Verständnis des Intimbereichs auf. Nicht der Sozialbezug an sich, sondern dessen Art und Intensität entscheiden darüber, ob ein Verhalten zum unantastbaren Kernbereich gehöre oder nicht, da sich der Mensch als Person auch im Kernbereich seiner Persönlichkeit in sozialen Bezügen verwirkliche.410 Das BVerfG macht aber klar, dass sich die Betroffenheit des unantastbaren Bereichs privater Lebensgestaltung nur schwer abstrakt umschreiben lässt und nur unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls beantwortet werden kann.411 So gibt es eine Fülle von Einzelfallentscheidungen der ordentlichen Gerichte, wann die Intimsphäre betroffen ist. Dies ist beispielsweise der Fall bei Fotoaufnahmen einer kirchlichen Trauung412, bei sexuellen Handlungen413 und deren Schilderung414, bei Fotoaufnahmen, auf denen Personen nackt415 oder Frauen „oben ohne“416 abgebildet werden, auch wenn sie sich auf einem FKK-Gelände befinden.417 Ebenfalls zur Intimsphäre können Vorgänge aus dem Ehe- und Familienleben418 gehören. Im Zivilrecht geht man heute davon aus, die Intimsphäre umfasse die innere Gedanken- und Gefühlswelt mit ihren äußeren Erscheinungsformen (z. B. Briefe, Tagebücher) sowie die Angelegenheiten, für die ihrer Natur nach ein Anspruch auf Geheimhaltung besteht (z. B. Gesundheitszustand, Sexualleben, gynäkologische Untersuchung einer Frau, Benutzung von Toiletten, Saunen, Solarien und Umklei406
BVerfGE 27, 1, 7; 33, 367, 377. Etwa BVerfG 109. 279, 313, allgemein „Ausdrucksformen der Sexualität“ genannt; Rohlf, Der grundrechtliche Schutz der Privatsphäre, S. 78 f.; Peglau, Der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch das Strafrecht, S. 18. 408 BVerfG 14. 09. 1989 „Tagebuch“ E 80, 367 ff. 409 BVerfGE 109, 279, 314. 410 BVerfGE 109, 279, 319. 411 BVerfG 31. 01. 1973 „Tonbandaufnahme“ E 34, 238, 248; ähnlich auch BAG NJW 1990, 2272, 2273. 412 OLG Hamm 2. 12. 1969 „Hochzeitsfotografen“ GRUR 1971, 84, 85. 413 OLG Stuttgart 22. 07. 2003 „Sex-Film“ NJW-RR 2004, 619, 622. 414 OLG Hamburg 22. 09. 1994 „Heiße Quickies“ AfP 1995, 508, 510; KG 15. 04. 2004 „Irene“ NJW-RR 2004, 1415, 1416; LG München I 15. 10. 2003 „Esra“ GRUR-RR 2004 92, 93. 415 OLG Frankfurt a.M. 21. 09. 1999 „Katharina Witt“ NJW 2000, 594, 595; OLG München 09. 08. 2002 „Marlene Dietrich nackt“ GRUR-RR 2002, 341, 342. 416 LG Saarbrücken 19. 05. 2000 „Nacktszene“ NJW-RR 2000, 1571. 417 LG München I 30. 07. 2003 „FKK-Strand“ NJW 2004, 617, 618. 418 OLG Köln 13. 10. 1988 „Nachbarliche Beobachtung“ NJW 1989, 720, 721; OLG Köln 23. 03. 1982 „Rudi Carell“ AfP 1982, 181, 182; anders jedoch LG München I GRUR-RR 2004, 92, 93, wonach nur die Privatsphäre betroffen sei. 407
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dekabinen).419 Nicht erfasst sollen hingegen indiskrete Aufnahmen von privaten, familiären oder peinlichen Situationen sein, ebenso wenig wie Bildnisse von Familienereignissen (etwa Hochzeiten, Taufen oder Trauerfeiern).420 Schünemann fasst die in der zivilrechtlichen Literatur vorherrschenden Überlegungen hinsichtlich des Umfangs der Geheimsphäre zusammen als Bereich, in dem der Mensch ganz für sich sein wolle, ohne die Zudringlichkeit anderer befürchten zu müssen.421 Subsumtionsfähig ist eine solche Formulierung jedoch nicht. Linkens sieht einen „inneren Kreis“ einer jeden Person als geschützt an, kommt aber nach Aufführung bekannter Beispiele wie Sexualleben, Krankheit und Tod letztlich ebenfalls zu dem Ergebnis, dass es jeweils vom Einzelfall abhängt, ob der höchstpersönliche Lebensbereich betroffen ist; Ausschlusskriterium sei danach jedenfalls die Öffentlichkeit.422 Die Abgrenzung zwischen der Privatsphäre und der Intimsphäre erscheint somit problematisch. So unterfallen familiäre Beziehungen in den Konstellationen, die nicht mit den Bereichen Krankheit, Sexualität und Tod verknüpft sind, eher der Privatsphäre.423 Der Gesetzgeber wollte jedoch mit § 201a Abs. 1 StGB auch bestimmte familiäre Bereiche strafrechtlich unter Schutz stellen424, soweit wechselseitige persönliche Bindungen, Beziehungen und Verhältnisse innerhalb der Familie betroffen sind.425 Gerade die Bildaufnahmen solcher Bereiche sind bei Boulevardzeitungen sehr begehrt und können zu einer Persönlichkeitsverletzung führen. Weil diese Verhältnisse jedoch nicht der Intimsphäre angehören und demnach nicht geschützt wären, wäre der Begriff der Intimsphäre als Synonym zum höchstpersönlichen Lebensbereich zu eng. Unklar bleibt zudem, ob etwa die Teilnahme an einer Beerdigungszeremonie auf einem öffentlich zugänglichen frei einsehbaren Friedhof noch der Intimsphäre unter dem Bereich „Tod“ zuzuordnen ist; ob der Aufenthalt an einem FKK-Strand oder das Sonnenbad in der freien Natur noch zur Intimsphäre gehören oder ob man dies zur Öffentlichkeitssphäre rechnet.426 Es erscheint unmöglich, bei solchen Grenzfällen eine konsensfähige Eingrenzung vorzunehmen. Der „höchstpersönliche Lebensbereich“ reicht inhaltlich nahe an die Erkenntnisse in Rechtsprechung und Literatur zum Begriff der Intimsphäre heran, auch wenn keine Deckungsgleichheit besteht. Eine Definition der Intimsphäre wäre am ehesten durch 419
Beispielhaft für viele Palandt/Sprau, § 823 Rn. 87; so auch Borgmann, NJW 2004, 2133, 2134, m.w.N.; Koch, GA 2005, 589, 597. 420 Koch, GA 2005, 589, 597. 421 LK/Schünemann, Vor § 201, Rn. 2. 422 Linkens, Der strafrechtliche Schutz vor unbefugten Bildaufnahmen, S. 64 ff., S. 67. 423 Z. B. für die Wiedergabe von Briefzitaten, die am Briefwechsel unbeteiligte Familienmitglieder betrafen: OLG Hamburg 21. 08. 2003 „Wagner-Zitate“ GRUR-RR 2004, 123, 126. 424 Auch wenn dies im Wortlaut der Norm nicht hinreichend zum Ausdruck gekommen ist. 425 BT-Drucks. 15/2466, S. 5. 426 Diese und weitere Beispiele bei Kächele, Der strafrechtliche Schutz vor unbefugten Bildaufnahmen (§ 201a StGB), 71, 72 m.w.N.
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das vom Bundesverfassungsgericht entwickelte formale Kriterium des Sozialbezugs möglich.427 Dann bliebe aber nur der Schutzbereich der Nichtkommunikation, des forum internum428, in dem das Individuum nicht nach außen tritt. Dieser Bereich ist – sofern es praktisch überhaupt zu Bildaufnahmen in diesem Bereich kommt/kommen kann – im Hinblick auf die Absichten des Gesetzgebers zu eng, da beispielsweise jegliche Form intimer Handlungen, bei denen mehrere Personen beteiligt sind, nicht mehr von § 201 StGB erfasst werden könnten. Viele voyeuristisch motivierte Bildaufnahmen entstehen aber im sexuellen Bereich. Will man diese Begehungsweisen erfassen, muss der Schutzbereich der Intimsphäre weiter verstanden werden, was ihn dann jedoch zu vage und unbestimmt werden lässt. Insgesamt scheint es eine vage Vorstellung der Bereiche zu geben, die der Geheim- oder Intimsphäre einer Person zuzuordnen sind. Nach dem Willen des Gesetzgebers kommt die Intimsphäre inhaltlich dem beabsichtigten Schutzbereich des „höchstpersönlichen Lebensbereichs“ näher als die Privatsphäre oder der persönliche Lebensbereich. Von einer trennscharfen Definition und einer daraus abzuleitenden brauchbaren Annäherung an den Inhalt des „höchstpersönlichen Lebensbereichs“ kann gleichwohl nicht die Rede sein. dd) Schutzzweck der §§ 22, 23 und 33 KunstUrhG Es ist zu untersuchen, ob der vom Gesetzgeber beabsichtigte Bezug zu den §§ 22, 23, 33 KunstUrhG bei der Schaffung des § 201a StGB berücksichtigt wurde429 und dieser ggfs. bei der Auslegung des „höchstpersönlichen Lebensbereichs“ hilfreich ist. Nach § 33 KunstUrhG wird bestraft, wer entgegen den §§ 22, 23 KunstUrhG ein Bildnis verbreitet oder öffentlich zur Schau stellt. § 22 KunstUrhG dient dem Schutz des visuellen Selbstbestimmungsrechts und normiert das Recht am eigenen Bild430, so dass der Schutzbereich nicht auf „Höchstpersönliches“ beschränkt ist. Der Bildnisschutz nach den §§ 22 ff. KunstUrhG verfolgt einen doppelten Schutzzweck: Einerseits enthält er ein Abwehrrecht, das die Person vor einer visuellen Verfügbarkeit schützen soll.431 Das den §§ 22 ff. KunstUrhG zugrundeliegende432 Recht am eigenen Bild soll garantieren, dass das äußere Erscheinungsbild einer Person nicht in einer bestimmten Situation von dieser abgelöst und jederzeit vor einem unüberschaubaren Personenkreis reproduziert wird.433 Andererseits werden die vermögenswerten Interessen des Abgebildeten geschützt, also die wirtschaftliche
427 428 429 430 431 432 433
Ebenso LK/Schünemann, Vor § 201 Rn. 2. Rohlf, Der grundrechtliche Schutz der Privatsphäre, S. 87 f., 226 f. BT-Drucks. 15/2466, S. 4. BeckOK KunstUrhG/Engels, § 22 Rn. 17. BeckOK KunstUrhG/Engels, § 22 Rn. 5. Wandtke/Bullinger/Fricke, § 22 KunstUrhG Rn. 3, 4. BVerfG GRUR 2008, 539, 541 – Caroline von Hannover.
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Entscheidungsfreiheit, das eigene Bild kommerziell zu nutzen.434 Der vermögensspezifische Schutzzweck war jedoch mit Schaffung des § 201a StGB nicht beabsichtigt, sondern sollte dem Zivilrecht überlassen werden. Hinsichtlich des erstgenannten Schutzzwecks handelt es sich nicht um ein Urheberrecht, sondern um eine besondere Ausprägung des aus Art. 1 und 2 GG entwickelten allgemeinen Persönlichkeitsrechts435, dessen Schutzgut das Selbstbestimmungsrecht der abgebildeten Person ist.436 Nur dem Abgebildeten soll die Verfügung über das eigene Bild zustehen; nur er selbst soll darüber befinden dürfen, ob, wann und wie er sich gegenüber Dritten oder der Öffentlichkeit im Bild darstellen will.437 Dem Einzelnen steht aber kein allgemeines oder gar umfassendes Verfügungsrecht über die Darstellung der eigenen Person zu.438 Denn das Recht am eigenen Bild gewährt keinen Anspruch darauf, nur so dargestellt zu werden, wie sich der Einzelne selbst sieht oder gesehen werden will.439 Das Schutzbedürfnis des Einzelnen ergibt sich vor allem aus der Möglichkeit, das Erscheinungsbild eines Menschen in einer bestimmten Situation von diesem abzulösen und jederzeit vor einem unüberschaubaren Personenkreis zu reproduzieren sowie mit dem Wechsel des Kontextes auch den Sinngehalt einer Bildaussage zu ändern440, z. B. mittels einer Fotomontage oder sonstiger sich infolge der datenmäßigen Fixierung ergebender Manipulationsgelegenheiten.441 Auch diese Schutzaspekte stehen in keinerlei Zusammenhang mit dem Schutzgut des § 201a StGB, so dass eine Bezugnahme auf die §§ 22, 23, 33 KunstUrhG keinen brauchbaren Beitrag zur Auslegung des „höchstpersönlichen Lebensbereichs“ beizutragen vermag. ee) Bestimmungsversuche in der Literatur Die Schwierigkeit bei der Bestimmung des konkreten Inhaltes des „höchstpersönlichen Lebensbereiches“ liegt nicht nur in dem vagen, wenig aussagekräftigen Wortsinn dieses Begriffs oder darin, dass der Begriff ein rechtliches novum darstellt, zu dessen Auslegung nicht auf die Interpretation anderer Strafnormen zurückgegriffen werden kann. Es wird zudem wegen der Formulierung „dadurch deren höchstpersönlichen Lebensbereich verletzt“ nicht deutlich, ob sich der Begriff im konkreten Kontext des § 201a StGB auf den Inhalt der Bildaufnahme oder auf den Vorgang der Herstellung bzw. Übertragung bezieht. Müsste durch die Bildaufnahme der höchstpersönliche Bereich verletzt sein, käme es auf den genauen Inhalt jener 434 435 436 437 438 439 440 441
BGH GRUR 2000, 709 (712) – Marlene Dietrich. BVerfG NJW 1973, 1226, 1229. BGH NJW 1992, 2084. BGH GRUR 2007, 527. Erbs/Kohlhaas/Kaiser, Vor § 22 KunstUrhG Rn. 5. BVerfG NJW 2000, 1021, 1022. BVerfG GRUR 2008, 539, 541; GRUR 2000, 446, 449. Vgl. Dreier/Dreier, GG Art. 2 I Rn. 75.
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Bildaufnahme an. Müsste dagegen durch die Handlung des Täters bei der Bildaufnahme der höchstpersönliche Lebensbereich verletzt worden sein, käme es auf die näheren Modalitäten an, unter denen der Täter sich Einblick und Gelegenheit zu seiner Aufnahme verschafft hat. Diese Frage spielt dann eine entscheidende Rolle, wenn der Abgebildete auf dem Foto nur durch sich selbst identifizierbar ist, weil in einem solchen Fall die Rechtsgutsverletzung mehr in den näheren Umständen des Aufnahmeaktes als in der Fotoaufnahme selbst liegen könnte. Eine Ansicht möchte es grundsätzlich ausreichen lassen, dass unabhängig von dem Aufnahmeinhalt durch den Akt des Aufnehmens eine Person in ihrem höchstpersönlichen Lebensbereich verletzt wird.442 Begründet wird dies damit, dass die Wohnung, in der bzw. in die hinein fotografiert werde, „in aller Regel“ selbst bereits als „höchstpersönlicher Lebensbereich“ des Aufgenommenen aufgefasst werden und damit generell für unbefugte Bildaufnahmen tabu bleiben müsse.443 Der Begriff des „höchstpersönlichen Lebensbereichs“ wird also zunächst als räumlicher Bereich verstanden. Ausnahmen seien für den Fall anzuerkennen, dass der Aufgenommene freiwillig seinen Schutzwall „Wohnung“ für Einblicke geöffnet hat (z. B. wenn er den Täter als Gast in seine Wohnung eingeladen habe); dann müsse auch der Aufnahmeinhalt dem höchstpersönlichen Lebensbereich des Aufgenommenen zuzuordnen sein444, dann erhält der Begriff also eine inhaltliche Bedeutung. Für die handlungsbezogene Sichtweise spricht der Wortlaut: Erfordert wird die Herstellung einer nicht näher beschriebenen Bildaufnahme einer Person als Tathandlung, die kausal für eine Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs wird. Hätte der Gesetzgeber vorausgesetzt, dass der Inhalt der Aufnahme den persönlichen Lebensbereich verletzen muss, hätte es nahe gelegen, die Formulierung der Herstellung einer ”den höchstpersönlichen Lebensbereich verletzenden Bildaufnahme” zu wählen.445 Zudem ist zwar bei Aufnahmen von Sexualität und Nacktheit, dem Hauptanwendungsfall der den höchstpersönlichen Lebensbereich verletzenden Bildaufnahmen, eindeutig der betroffene Bereich erkennbar. Aber kaum vorstellbar sind Bildaufnahmen, in denen Umstände aus dem Familienleben so eingefangen werden, dass die Betroffenheit des höchstpersönlichen Lebensbereichs sich Dritten alleine durch die Bildaufnahme erschließt.446 Insbesondere die Erfassung solcher Sachverhalte war jedoch der Grund, statt des erheblich stärker konturierten Begriffs der Intimsphäre den des höchstpersönlichen Lebensbereichs zu wählen.447 So scheint es, dass dem Gesetzgeber als Strafgrund des § 201 a Abs. 1 StGB vor Augen ge442
Wohl BGH NStZ 2015, 391, Borgmann, NJW 2004, 2133, 2135. Wolter, in: Hefendehl/Bottke (Hrsg.), Empirische und dogmatische Fundamente, kriminalpolitischer Impetus, 2005, S. 225, 231; Kächele, Der strafrechtliche Schutz vor unbefugten Bildaufnahmen (§ 201a StGB), S. 98. 444 Wolter, in: Hefendehl/Bottke (Hrsg.), Empirische und dogmatische Fundamente, kriminalpolitischer Impetus, 2005, S. 225, 232. 445 Vgl. Rahmlow, HRRS 2005, 84, 91. 446 Vgl. Rahmlow, HRRS 2005, 84, 91. 447 BT-Drucks. 15/2466, S. 5. 443
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standen hat, „dass mit einer Kamera in Situationen eingebrochen wird, in denen das höchstpersönliche Leben sich vollzieht und damit aus der Sicht der Opfer ein Angriff auf den höchstpersönlichen Lebensbereich ausgeführt wird – gleichgültig ob sich die Verletzung aus dem Inhalt der Aufnahme ergibt.“448 Würde man aber auf die Modalitäten abstellen, unter denen sich das Aufnehmen vollzieht, so würde sich die Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs aus einem besonderen mit der Aufnahme verwirklichten Handlungsunrecht ergeben, welches gleichermaßen aber auch für das bloße Beobachten einer Person in ihrer Wohnung anerkannt werden müsste: Auch hier kommt es zu einer Verletzung des Rückzugsraums „Wohnung als höchstpersönlicher Lebensbereich“ für den Beobachteten.449 Dass aber nur das vollendete Aufnehmen durch § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB unter Strafe gestellt wird, muss seinen Grund also in der Wahrnehmbarkeit des Aufnahmegegenstandes für Dritte finden, die wegen dessen dauerhafter Fixierung und Reproduzierbarkeit möglich ist. Damit liegt der Strafgrund des § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB „nicht darin, dass der Täter in die Wohnung als höchstpersönlichem Lebensbereich des Opfers Einblick nimmt, sondern darin, dass die Gefahr entsteht, Dritte könnten Einblick in höchstpersönliche Lebensvorgänge nehmen, mit denen das Opfer sich entweder gerade befasst oder die sich jedenfalls an seinem Äußeren Abzeichnen“450, so dass der betreffende höchstpersönliche Lebensvorgang in der Aufnahme selbst abgebildet sein muss. Auch ein weiterer Aspekt lässt an der handlungsbezogenen Auffassung zweifeln, sofern diese die Wohnung als „höchstpersönlichen Lebensbereich“ ansieht451: Fraglich ist, ob der höchstpersönliche Lebensbereich überhaupt einen örtlichen Bereich umschreibt. Das Verständnis einer rein örtlichen Bedeutung könnte sich zunächst durch den Bezug auf die Wohnung und den vor Einblick besonders geschützten Raum ergeben. Dafür spricht, dass anderenfalls der Gesetzgeber die Formulierung „und dadurch“ durch „und dort“ ersetzt hätte. Auch wird dem Begriff „Bereich“ im allgemeinen Sprachgebrauch vielfach ein örtlicher Bereich zugeordnet. Dem ist jedoch zu entgegnen, dass ein höchstpersönlicher Lebensbereich nicht räumlich begrenzbar ist. Auch das Argument des Sprachgebrauchs ist nicht eindeutig: Dem natürlichen Sprachgebrauch, nach dem das Adjektiv „höchstpersönlich“ üblicherweise als Steigerungsform von persönlich und infolgedessen in Bezug zu einer Person gesetzt wird, die selbst, also leibhaftig und eigenhändig etwas tut, widerspricht es vielmehr, dieses Adjektiv in Bezug zu einem Raum zu setzen. Hierfür spricht auch ein Vergleich mit dem neu eingefügten § 201a Abs. 1 Nr. 2 StGB: Dort ist keine räumliche Schutzbereichsbegrenzung vorgesehen, stattdessen wird neben der Hilflosigkeit des Abgebildeten eine Betroffenheit des höchstpersönlichen Lebensbereichs vorausgesetzt, welche dann nur einen inhaltlichen Bereich umschreiben kann. Daher ist der „höchstper448
Rahmlow, HRRS 2005, 84, 91. Hoyer, ZIS 2006, 1, 2. 450 Hoyer, ZIS 2006, 1, 2. 451 Wolter, in: Hefendehl/Bottke (Hrsg.), Empirische und dogmatische Fundamente, kriminalpolitischer Impetus, 2005, S. 225, 231. 449
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sönliche Lebensbereich“ als rein inhaltliches Kriterium zu verstehen. Dafür spricht auch die Gesetzesbegründung, in der bezüglich des § 201a Abs. 2 StGB a.F. von ”einer … Bildaufnahme, die Tatsachen aus dem höchstpersönlichen Lebensbereich … zeigt”452 die Rede ist. Offenbar meint der Gesetzgeber hier, dass sich die Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs aus dem Inhalt der Bildaufnahme ergeben müsse: Denn § 201 a Abs. 1 Nr. 3 StGB enthält nicht das Erfordernis, dass es durch das hier erfasste Gebrauchen oder Zugänglichmachen zu einer solchen Verletzung gekommen sein muss.453 Hinsichtlich der konkreten Umstände, die auf einer den höchstpersönlichen Lebensbereich verletzenden Bildaufnahme zu sehen sein müssen, herrscht in der strafrechtlichen Literatur kein Konsens. Die nähere Bestimmung des höchstpersönlichen Lebensbereichs soll sich nach der Gesetzesbegründung an dem von Bundesverfassungsgericht und Zivilgerichten näher ausgeformten Begriff der Intimsphäre orientieren (vgl. dazu oben C. II. 3. d) cc)).454 Da der Gesetzgeber aber ebenso bemerkt hat, dass der höchstpersönliche Lebensbereich auch bestimmte (nicht näher bezeichnete) Tatsachen aus dem Familienleben erfasse, sofern sie unbeteiligten Dritten nicht ohne weiteres zugänglich seien und Schutz vor dem Einblick Außenstehender verdienten455, hat er ausdrücklich Bezug auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Auslegung des Merkmals „persönlicher Lebensbereich“ genommen.456 Daher vertreten viele Autoren die Auffassung, dass der höchstpersönliche Lebensbereich über die Intimsphäre hinaus geht und Teile des persönlichen Lebensbereichs beinhaltet.457 Auch hinsichtlich der Frage, ob religiöse Betätigungen dem höchstpersönlichen Lebensbereich zuzuordnen sind, besteht Uneinigkeit.458 Teils wird als Definition der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs vorgeschlagen, dass diese vorliege, wenn auf dem Bild Geschehnisse abgebildet seien, über die im sozialen Miteinander nicht ohne Überwindung einer erheblichen Hemmschwelle gesprochen zu werden pflegt.459 Teils will man dem höchstpersönlichen Lebensbereich alle Lebensäußerungen zuweisen, „mit denen man allein gelassen sein will und die andere nichts angehen“.460 Wird der tatbestandlich umrissene Lebensbereich aber derart weit gefasst, so unterfällt ihm wohl selbst der am Schreibtisch arbeitende Professor, der sich durch die Vorstellung, jederzeit mit einer Aufnahme rechnen zu müssen, immerhin in seiner Konzentrationsfähigkeit beein452
BT-Drucks. 15/2466, S. 5. So auch Rahmlow, HRRS 2005, 84, 91. 454 BT-Drucks. 15/2466, S. 5. 455 BT-Drucks. 15/2466, S. 5. 456 BGHSt 30, 212, 214. 457 LK/Valerius, § 201a Rn. 31; L/Kühl, § 201a Rn. 3; Rahmlow, HRRS 2005, 84, 90, Hoppe, GRUR 2004, 990, 993. 458 Dafür z. B. Hoppe, GRUR 2004, 990, 993; anders aber z. B. BeckOK StGB/Heuchemer, § 201a Rn. 1; wonach religiöse Betätigungen nicht randscharf abzugrenzen seien. 459 Rahmlow, HRRS 2005, 84, 91. 460 Kühl, AfP 2004, 190, 196. 453
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trächtigt fühlen könnte. Eine andere Auffassung stellt bei der Interpretation des „höchstpersönlichen Lebensbereichs“ auf die abstrakte Gefahr eines „sozialen Geltungsschadens“ ab461: Es gehe der Norm darum zu verhindern, dass Dritte das Tatopfer aufgrund der Aufnahme in einem anderen Licht erblickten, als sie es sonst vielleicht getan hätten. „Denn das Opfer kann seinen höchstpersönlichen Lebensäußerungen schon mit Rücksicht auf die Möglichkeit, dass diese auf einer Aufnahme festgehalten werden und es in den Augen etwaiger Aufnahmebetrachter bloßstellen könnten, nicht mehr mit derselben Unbefangenheit und Sorglosigkeit wie sonst in seiner Wohnung nachgehen. Es kann sich also auch in seiner Wohnung nicht „vom Druck rollenkonformen Verhaltens befreit“ entfalten, muss auch dort die bestehenden gesellschaftlichen Anforderungen zu erfüllen suchen, um das von ihm gewünschte und durch seine Selbstdarstellung geschaffene „öffentliche Bild“ von seiner Person aufrechtzuerhalten.“462 ff) Stellungnahme Vor dem Hintergrund der oben dargestellten Unklarheit hinsichtlich des Schutzgutes des höchstpersönlichen Lebensbereichs, der zugleich auch autonomes Tatbestandsmerkmal ist, bezweifeln einige Autoren die Tatbestandsbestimmtheit und damit die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift gem. Art. 103 Abs. 2 GG.463 § 201a Abs. 1 StGB schützt de lege lata das Bestimmungsrecht des Einzelnen über Informationen des höchstpersönlichen Lebensbereichs als Teil des Rechts am eigenen Bild, welches wiederum als Konkretisierung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung verstanden werden kann.464 Das Schutzgut setzt sich also aus den beiden Elementen des „höchstpersönlichen Lebensbereichs“ einerseits und des Rechts am eigenen Bild andererseits zusammen. Problematisch erscheint insbesondere der Aspekt des höchstpersönlichen Lebensbereichs. Die Begriffe des persönlichen Lebensbereichs, (und der zur Auslegung heranziehbaren Privat- und Intimsphäre) sind vage und ungenau; insbesondere sind keine trennscharfen Konturen der einzelnen Schutzbereiche zu erkennen. Eine Anlehnung oder Annäherung an einen dieser Begriffe erscheint für die Bestimmung des „höchstpersönlichen Lebensbereichs“ als ungeeignet. Dies gilt insbesondere für die Erkenntnisse der Strafrechtswissenschaft zum verfahrensrechtlichen Begriff des „persönlichen Lebensbereichs“ aus §§ 68a und 171b StPO: Zweck dieser strafprozessrechtlichen Normen ist es, eine persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigende Wirkung der Mitteilung entsprechender Sachverhalte durch Aussagen, mithin durch Worte, zu 461
Hoyer, ZIS 2006, 1, 4; Kargl, ZStW 117 (2005), 324, 345. Hoyer, ZIS 2006, 1, 4. 463 BeckOK StGB/Heuchemer, § 201a Rn. 2; Pollähne, KritV 2003, 387; vgl. dazu Wendt, AfP 2004, 181, 183. 464 So auch Tröndle/Fischer, § 201a Rn. 3; i.E. auch S/S/W/Bosch, § 201a Rn. 1; Bosch, Jura 2016, 1380, 1381; Busch, NJW 2015, 977, 981. 462
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verhindern (durch Ausschluss des Fragerechts, § 68 a StPO) oder zumindest abzumildern (durch Ausschluss der Öffentlichkeit, § 171 b StPO).465 Für die im Verfahrensrecht relevante Frage, wann der persönliche Lebensbereich betroffen ist, wird auf den Inhalt einer Aussage hinsichtlich entsprechender Sachverhalte abgestellt. Anders ist dies beim Straftatbestand des § 201a Abs. 1 StGB, weil dort ersichtlich nicht Bezug auf die Wirkung des Inhalts von Kommunikationsbeiträgen genommen wird, sondern auf eine das Persönlichkeitsrecht verletzende Bildaufnahme. Trotz der verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten des höchstpersönlichen Lebensbereichs lässt sich zumindest feststellen, dass dieser bezüglich der Reichweite zwischen den obengenannten Schutzbereichen „einzuordnen“ ist. Inhaltlich ist der höchstpersönliche Lebensbereich enger als der persönliche Lebensbereich und weiter als die Intimsphäre zu verstehen. Sofern der höchstpersönliche Lebensbereich umschrieben wird als die anerkannten Inhalte aus der Intimsphäre (Krankheit, Tod, Sexualität) ergänzt um Tatsachen aus dem Familienleben, die lediglich die wechselseitigen persönlichen Bindungen, Beziehungen und Verhältnisse innerhalb der Familie betreffen und unbeteiligten Dritten nicht ohne weiteres zugänglich sind und Schutz vor dem Einblick Außenstehender verdienen466, lässt sich das Gros der Sachverhalte, die dem Gesetzgeber vor Augen standen, durch § 201a Abs. 1 StGB erfassen: Abbildungen, die das Kranksein oder Sterben einer Person dokumentieren, sind ebenso wie Nacktaufnahmen und sexualbezogene oder solche Aufnahmen, die gemeinhin intime Details aus dem Familienleben zeigen, vom höchstpersönlichen Lebensbereich erfasst. Dennoch fehlt de lege lata ein greifbarer gemeinsamer Nenner, auf dessen Grundlage ein schärfer umrissenes Rechtsgut oder zumindest eine genaue Definition des höchstpersönlichen Lebensbereichs möglich wäre. Aufgrund der Struktur des Delikts und der inkriminierten Angriffsformen auf das Selbstbestimmungsrecht des Opfers ist als weiterer Schutzaspekt das Recht am eigenen Bild anzuerkennen. Der Schutz des höchstpersönlichen Lebensbereichs zielt darauf ab, welche Sphäre ein Personenabbild zeigt und soll ein gezieltes herausreißen von flüchtigen Lebenssituationen aus geschützten Bereichen verhindern. Dagegen betrifft das verfassungsrechtliche Recht am eigenen Bild das Problem, ob und wer ein Foto machen darf, und schützt somit das Selbstbestimmungsrecht des Abgebildeten. So ist bei § 201a Abs. 1 StGB eine doppelte Schutzrichtung anzunehmen467, wobei erst eine Verletzung beider Bereiche die Strafbarkeit begründet.
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So auch Rahmlow, HRRS 2005, 84, 91. Zu denken wäre an abgebildete körperliche Auseinandersetzungen innerhalb der Familie, spielende Kinder oder ausgetauschte Zärtlichkeiten und Zuneigungen. 467 Ähnlich auch Kraenz, Der strafrechtliche Schutz des Persönlichkeitsrechts, S. 164 ff., die sich auf ein kumulatives Rechtsgut festlegt, jedoch nach pressespezifischer Untersuchung das Recht auf „Achtung des höchstpersönlichen Lebensbereichs“ ablehnt, vgl. S. 182. 466
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gg) Rechtspolitische Einschätzung de lege ferenda Auch bei dem Verständnis eines doppelten Schutzguts stellt sich die scheinbar unlösbare Frage nach der genauen Abgrenzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs. Zudem scheint der Schutz des höchstpersönlichen Lebensbereichs, wie ihn § 201a Abs. 1 StGB de lege lata vorsieht, eine Systemwidrigkeit darzustellen: Weder die kunsturheberrechtlichen Sonderregelungen, mit denen der strafrechtliche Schutz des Rechts am eigenen Bild abzustimmen ist, noch die übrigen Strafnormen des 15. Abschnitts des StGB schützen einen bestimmten Lebensbereich: Schutzgut etwa des § 201 StGB ist ein formales spezielles Bestimmungsrecht hinsichtlich der eigenen Äußerung.468 Die Sonderregelungen der §§ 33 i.V.m. 22, 23 KunstUrhG schützen ein bildinhaltsunabhängiges visuelles Selbstbestimmungsrecht. Der Schutz eines bestimmten Bereiches ist im KunstUrhG nicht vorgesehen; lediglich eine Einteilung nach Sphären i.S. der Sphärentheorie (Privat- vs. Sozialsphäre) erfüllt im Kunsturheberrecht eine Hilfsfunktion bei der Beurteilung einer Abbildungsfreiheit nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 KunstUrhG.469 Auch durch §§ 202, 202a, 203 und 206 StGB wird – so viel sei vorweggenommen – keine bestimmte „Sphäre“ geschützt. Legt man die These zugrunde, dass mit Schaffung eines Straftatbestandes das Recht am eigenen Bild als Konkretisierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts geschützt werden soll, liegt der Schluss nahe, dass bei der Schutzgutbestimmung eines Straftatbestandes zum Schutz des Rechts am eigenen Bild (§ 201a Abs. 1 StGB n.F.) nicht primär auf den „höchstpersönlichen Lebensbereich“ abgestellt werden sollte, sondern auf das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht am eigenen Bild. De lege ferenda wird deshalb hier vorgeschlagen, § 201a StGB in der Fassung vom 30. 07. 2004 unter Verzicht des Erfordernisses einer Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs im StGB zu implementieren. Vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht umfasst ist der Schutz vor herabsetzender, verfälschender, entstellender oder ungewollter öffentlicher Darstellungen sowie ungewollter heimlicher Wahrnehmung seiner Person470, was insbesondere auch das Recht am eigenen Bild471 und den Schutz vor heimlichen Bildaufnahmen beinhaltet.472 Denn im Rahmen der durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleisteten Entfaltungsmöglichkeiten des Subjekts soll u. a. die Selbstbestimmung geschützt werden.473 Hierunter ist das Recht zu verstehen, selbst zu bestimmen, ob und inwieweit Informationen über die eigene Persönlichkeit Dritten zugänglich gemacht werden.474 Grundlage des Strafrechtsguts sind also das verfassungsrechtlich 468 469 470 471 472 473 474
Vgl. unter C. I. 2. d) dd). Kraenz, Der strafrechtliche Schutz des Persönlichkeitsrechts, S. 161. Pieroth/Schlink/Kingreen u. a., Staatsrecht II, § 8 Rn. 414. BVerfGE 101, 361, 380; BVerfGE 35, 202, 220. BVerfGE 34, 238, 246. Vgl. dazu Pieroth/Schlink/Kingreen u. a., Staatsrecht II, § 8 Rn. 416 ff. Grundlegend VerfGE 65, 1, 43 – Volkszählung.
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gewährleistete informationelle Selbstbestimmungsrecht und das Recht am eigenen Bild. Um den Schutzzweck präziser zu umschreiben, werden Begriffe herangezogen, die im Zusammenhang mit der Schutzzweckbestimmung des § 201 StGB stehen. Danach soll, wie bereits beschrieben475, die Flüchtigkeit des gesprochenen Wortes gewährleistet werden, um die Unbefangenheit menschlicher Kommunikation zu schützen. Ganz ähnlich muss ein strafrechtlicher Bildnisschutz der Flüchtigkeit des menschlichen Erscheinungsbildes dienen, die für den Schutz der Unbefangenheit körperlichen Erscheinens notwendig ist. Denn das Grundbedürfnis des Menschen nach Verhüllung der nur vor sich selbst gelebten Eigenheiten und der Wunsch, andere von Informationen über das Selbst auszuschließen, gehören zum gesicherten Bestand der gesellschaftstheoretischen Erfahrung.476 Dies betrifft sowohl das gesprochene Wort als auch die bildliche Darstellung.477 Ebenso wenig, wie der Einzelne später an jede unbedachte und spontane Äußerung gebunden werden will, möchte er der Gefahr ausgesetzt sein, dass sein ggfs. ebenso unbedachtes und spontanes äußeres Erscheinungsbild bzw. die visuelle Erscheinung fixiert und reproduzierbar gemacht wird. Die Patientin eines Frauenarztes gibt während der Untersuchung ein (mglw. intimes, für die Patientin unangenehmes) flüchtiges Erscheinungsbild ab, dessen Perpetuierung die Unbefangenheit der körperlichen Erscheinung verletzt. Der Einzelne darf die Beschaffenheit seiner körperlichen Erscheinung ebenso bestimmen wie die situationsabhängige Umgebung, in der er sich zeigt, ohne eine dauerhafte Fixierung dieser optischen Gegebenheiten befürchten zu müssen. Wie jedoch der Schutz des gesprochenen Wortes strafrechtlich nach § 201 StGB nur für das nichtöffentlich gesprochene Wort gilt, bedarf auch der strafrechtliche Schutz des Rechts am eigenen Bild einer Begrenzung des Schutzbereichs, die es noch auszuarbeiten gilt. Schutzwürdig im Sinne des Strafrechts ist der Einzelne nur dann, wenn er auch erwarten darf, sich ohne Sorge vor einer Bildaufnahme frei zu präsentieren. Dies kann er nur innerhalb bestimmter Rückzugsorte, wie z. B. der eigenen Wohnung, weil man dort die Unbefangenheit des körperlichen Erscheinungsbildes am stärksten auslebt. Beim Schutz eines speziellen Selbstbestimmungsrechts hinsichtlich der Entscheidung, ob jemand und wer die eigene flüchtige Information fixieren darf, kann es letztlich nicht auf den Inhalt dieser Information ankommen, solange dem Einzelnen das alleinige Bestimmungsrecht hierüber zusteht. Die Angriffsformen auf das visuelle und sprachliche Nachaußentreten sind bei den §§ 201a und 201 StGB gleich; zunächst wird auf indiskretem Wege eine persönlichkeitsspezifische Information gewonnen und anschließend verbreitet. Warum hinsichtlich des sprachlichen Nachaußentretens ein spezielles Selbstbestimmungsrecht geschützt sein soll, beim visuellen Nachaußentreten hingegen ein bestimmter Lebensbereich, erscheint 475 476 477
Siehe unter C. I. 2. d) dd). Vgl. Kargl, ZStW 117 (2005), 324, 350 und die Nachweise in Fn. 143. Kargl, ZStW 117 (2005), 324, 350.
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schwer nachvollziehbar. Daher ist der „höchstpersönliche Lebensbereich“ als (Teil-) Rechtsgut de lege ferenda abzulehnen. Strebt man nun eine Abstimmung der Schutzgüter des § 201a StGB n.F. und §§ 22, 23, 33 KunstUrhG an478, so erscheint folgende Konkretisierung des geschützten Verfassungsguts „Recht am eigenen Bild“ als zutreffend: Es handelt sich um ein Recht auf Bindung des Erscheinungsbildes an die (räumliche und zeitliche) Situation. § 201 StGB soll u. a. die Flüchtigkeit des gesprochenen Wortes gewährleisten, um damit die Unbefangenheit menschlicher Kommunikation zu schützen. Ganz ähnlich sollte der in § 201a StGB n.F. normierte Bildnisschutz der Flüchtigkeit des menschlichen Erscheinungsbildes dienen, die ihrerseits notwendig für die Unbefangenheit körperlicher Erscheinung ist. Diese Unbefangenheit ist ebenso wie bei § 201 StGB als berechtigte Unbefangenheit zu verstehen, die jedenfalls dann nicht mehr schützenswert ist, wenn man sich bewusst in die Öffentlichkeit begibt und mangels natürlicher Schutzelemente (z. B. Herstellung einer nichtöffentlichen Gesprächssituation bei § 201 StGB, Aufenthalt in einem gegen Einblicke besonders geschützten Raum in der Öffentlichkeit bei § 201a StGB de lege lata) nicht erwarten kann, vor unbefugter Informationsgewinnung geschützt zu sein. Zwar ist ein Unterschied darin zu sehen, dass der Einzelne im Rahmen seines Rechts am nichtöffentlich gesprochenen Wort davor geschützt werden soll, dass dieses aus dem Situationszusammenhang gerissen und isoliert und damit ggfs. verfälschend reproduziert wird; bei einer Bildaufnahme hingegen wird in der Regel das äußere Umfeld zumindest teilweise ebenfalls fixiert, so dass die körperliche Erscheinung nicht gänzlich aus der „Situation“ herausgelöst wird. Dennoch kann die Wiedergabe von Teilen der Umgebungssituation auf einem Foto, die hinter der Wahrnehmung der Gesamtsituation durch einen Anwesenden zurückbleibt, ebenso verfälschend wirken, wie die nur teilweise Wiedergabe etwa eines aufgenommenen Gesprächs. Im Übrigen kann das Bild einer Person nach heutigem Stand der Technik mühelos in andere Umgebungen verpflanzt werden. Darüber hinaus ist aber insbesondere dem Aspekt der Flüchtigkeit der körperlichen Erscheinung Rechnung zu tragen. Daher sollte eine Strafnorm de lege lata die unbefugte Bildaufnahme und –weitergabe an Dritte unter Strafe stellen, wie dies bei § 201a StGB der Fall ist. Dies sind typische, § 201 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB entsprechende Angriffsformen. Hierbei führt die Fixierung (Informationsgewinnung) zu einer Verletzung des Rechts auf Bindung des „Persönlichkeitsgutes“ (authentischer Sprechakt, körperliche Erscheinung) an die Situation. Die Weitergabe (Informationsverwertung) führt zu einer Verletzung des Rechts auf Bestimmung des Personenkreises, dem das Persönlichkeitsgut in der konkreten Situation vermittelt werden soll. Jedoch bedarf dieser Schutzbereich aufgrund des gesellschaftlichen Informationsinteresses in der modernen Gesellschaft einer Einschränkung, da das verfassungsrechtliche Recht am eigenen Bild als Schutzgut zu weit griffe; erfasst wären danach streng genommen zunächst sämtliche 478 Vgl. auch Borgmann, NJW 2004, 2133, 2135, wonach es sich bei der Auslegung des § 201a StGB als problematisch erweise, dass keine Abstimmung mit § 33 KunstUrhG erfolgt sei.
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Aufnahmen, mithin z. B. auch gegenseitige Bildaufnahmen von Eheleuten in der gemeinsamen Wohnung und solche, die in der Öffentlichkeit ohne Sichtschutz stattfinden, etwa beim Fotografieren eines öffentlichen Denkmals. Das spezielle visuelle Selbstbestimmungsrecht im strafrechtlichen Sinne muss also Beschränkungen des Schutzbereichs aufweisen, die sich auf das gesellschaftliche Informationsinteresse des Individuums stützen lassen. Zweifelhaft ist jedoch, ob auf inhaltlicher Ebene der „höchstpersönliche Lebensbereich“ einer solchen Einschränkung dienen kann (so beim geltenden § 201a Abs. 1 StGB). Zunächst müsste der Begriff als autonomes Tatbestandsmerkmal und nicht als Teilrechtsgut verstanden werden. Mit der Formulierung „und dadurch“ gab der Gesetzgeber vor, dass der Anwendungsbereich der Norm nur bei Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs eröffnet ist, so dass diesem (auch) die Funktion als autonomes Tatbestandsmerkmal zukommt. Wie gezeigt ist zwischen dem „höchstpersönlichen Lebensbereich“ (inhaltliches Kriterium) und der Wohnung bzw. dem gegen Einblick besonders geschützten Raum (räumliche Kriterien) zu unterscheiden.479 Dogmatisch ist ein inhaltsbezogen verstandenes Merkmal des „höchstpersönlichen Lebensbereichs“ mit dem visuellen Selbstbestimmungsrecht als Schutzgut jedoch nur schwer zu vereinbaren. Das Merkmal des „höchstpersönlichen Lebensbereichs“ würde dann festlegen, dass das Selbstbestimmungsrecht nur hinsichtlich bestimmter Darstellungen des Individuums als schützenswert angesehen werden kann, weil es nur dann eventuelle Interessen Dritter stets überwiegt. Dies erscheint problematisch, weil das spezielle visuelle Selbstbestimmungsrecht formal und damit unabhängig vom Inhalt der Bildaufnahme besteht. Denn es stellt sich die Frage, weshalb bei § 201a StGB der Inhalt einer Bildaufnahme relevant sein sollte, während weder § 201 StGB noch §§ 33 i.V.m. 22, 23 KunstUrhG auf den Inhalt der Tonaufnahme bzw. des Bildnisses abstellen. Eine solche Differenzierung der strafrechtlichen Erfassung unbefugter Tonaufnahmen (inhaltsunabhängig) und Bildaufnahmen (inhaltsabhängig) könnte verfehlt sein, wenn sich der Schutzzweck, die Eingriffsgegenstände, Gefahrenpotenzial und die Eingriffsintensität gleichen. Die §§ 201 und 201a Abs. 1 StGB verfolgen denselben Schutzzweck, nämlich die durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht garantierte Wahrung der freien Entfaltung und Entwicklung der Persönlichkeit. Es ist verfassungsrechtlich sowie geschichtsphilosophisch480 anerkannt, dass die Unbefangenheit des akustischen und visuellen Nachaußentretens (sofern dies in einer geschützten Situation geschieht) für das gesellschaftliche Leben des Menschen unerlässlich ist. Schutzzweck beider Strafnormen ist es, diese Form der Persönlichkeitsentfaltung in einem schutzbedürftigen Rahmen zu gewährleisten. Die Eingriffsgegenstände sind ebenfalls ähnlich; in beiden Fällen wird die unbefugte Perpetuierung einer flüchtigen Erscheinungsform 479
So auch S/S/W/Bosch, § 201a Rn. 6 – 11; LK/Valerius, § 201a Rn. 33. Kargl, ZStW 117 (2005), 324, 350, wonach dies zum gesicherten Bestand der Erfahrung gehöre, vgl. die Nachweise in Fn. 143. 480
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bestraft. Zwar könnte man einwenden, die optische Erscheinung sei nicht vermeidbar, während eine sprachliche Äußerung weitestgehend vermieden oder durch Dämpfung der Stimme kontrolliert werden könne (wobei dies schon fraglich ist), so dass die persönlichen Schutzmöglichkeiten differieren. Jedoch kommt es hierauf nicht an, da die verschiedenen Formen des Nachaußentretens (etwa im Rahmen sozialer Kontakte, bei der Berufsausübung usw.) gerade nicht vermieden werden sollen und können, sondern für die freie Entfaltung und Entwicklung jedes Menschen notwendig sind. Ein wesentlicher Unterschied hinsichtlich des Schutzzwecks besteht also nicht. Dagegen könnte das geringere Gefahrenpotenzial die unterschiedliche Eingrenzung des Selbstbestimmungsrechts bei § 201a StGB im Vergleich zu § 201 StGB rechtfertigen. Jedoch sind Unterschiede hinsichtlich der Bedrohungslage beider Rechtsgüter kaum ersichtlich. Es ist vielmehr festzustellen, dass z. B. Smartphones mit extrem leistungsfähigen Kameras heute weit verbreitet sind, während etwa Abhöranlagen für den normalen Bürger unzugänglich sind. Damit ist die Gefahr unbefugter optischer Aufnahmen mindestens so groß wie bei akustischen Aufzeichnungen, zumal durch Nachrichtendienste und Social-Media-Netzwerke gleichzeitig ein erhebliches Verbreitungsrisiko besteht. Dasselbe dürfte für das Bedrohungserlebnis durch die Bevölkerung gelten, da die subjektiv empfundene Persönlichkeitsschädigung durch unbefugte Bildaufnahmen wohl grundsätzlich genauso schwer wiegen kann wie bei einer unbefugten Tonaufnahme. Schließlich ist auf die objektive Eingriffsintensität abzustellen. Ob generell eine Ton- oder eine Bildaufnahme eingriffsintensiver ist, ist schwer festzustellen. Während die Verletzung des jeweiligen Selbstbestimmungsrechts wohl als gleichwertig eingestuft werden muss, kann als deren Folge die Persönlichkeit unterschiedlich schwer geschädigt werden. Ging der Gesetzgeber wegen des erhöhten Strafrahmens des § 201 StGB früher wohl davon aus, dass Tonaufnahmen schwerwiegendere Konsequenzen für das Opfer haben können, ist dies heute vor dem Hintergrund von Suizidfällen481 an Schulen nach der Verbreitung von peinlichen Videos der Opfer nicht mehr haltbar. Dementsprechend wurde während des Gesetzgebungsverfahrens vorgeschlagen, den Strafrahmen des § 201a StGB zu erhöhen, um dem hohen Rechtsgut „besser als bisher“ Rechnung zu tragen.482 Auch wenn der Gesetzgeber den Strafrahmen des § 201a StGB nicht an denjenigen des § 201 StGB angepasst, sondern nur „angenähert“ hat, ist tendenziell von einer Gleichwertigkeit der Eingriffsintensität auszugehen. Es ist daher nicht erklärbar, warum der Schutz des akustischen Selbstbestimmungsrechts formaler Natur ist, der Schutz des optischen Selbstbestimmungsrechts hingegen vom Inhalt der Bildaufnahme abhängen soll. 481
Vgl. exemplarisch die Meldung der Huffington Post v. 16. 7. 2014, abrufbar unter http:// www.huffingtonpost.com/2014/07/16/matthew-burdetten_5591792.html; und die Meldung im Tagesspiegel, abrufbar unter http://www.tagesspiegel.de/medien/digitale-welt/trauer-um-15-ja ehrige-cybermobbing-trieb-amanda-todd-aus-vancouver-in-den-tod/7277052.html (zuletzt abgerufen am 25. 01. 2017). 482 BT-Drs. 18/2601, S. 37.
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Zudem würde sich schon auf Ebene des Tatbestandes das Problem der Unbestimmtheit und Undefinierbarkeit eines substanziell verstandenen „höchstpersönlichen Lebensbereichs“ zeigen. Mit dem Merkmal des „höchstpersönlichen Lebensbereichs“ ist eine inhaltliche Beschränkung des Schutzbereichs gegeben, die jedoch undefinierbar zwischen dem persönlichen Lebensbereich und der Intimsphäre liegt und wegen ihrer Ungenauigkeit verfassungsrechtliche Probleme mit sich bringt. Wie oben bei der Erörterung von § 201 StGB gezeigt, ist dort der nachträglich eingefügte § 201 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StGB, der als einzige Tatvariante auf den Inhalt der Äußerung abstellt, als Fremdkörper innerhalb der Norm anzusehen. Gleiches gilt bei § 201a StGB für den „höchstpersönlichen Lebensbereich“. Auf diesen ohnehin kaum praktikablen inhaltlichen Aspekt sollte daher verzichtet werden. Nur eine räumliche Einschränkung vermag demgegenüber objektiv und bestimmt klarzustellen, wie weit die Strafbarkeit reicht. Die Begründung für die Notwendigkeit einer räumlichen Beschränkung ist in dem gesellschaftlichen Informationsinteresse des Individuums zu sehen; dem Einzelnen kann in unserer modernen Gesellschaft kein strafrechtlicher Schutz eines vollumfänglichen visuellen Selbstbestimmungsrechts zukommen, weil faktische Gegebenheiten dies nicht zulassen und ansonsten eine uferlose Strafbarkeit von Alltagshandlungen zumindest zu befürchten wäre. „Das Streben nach Wissen über andere [ist] eine notwendige Voraussetzung für die Berechenbarkeit von Interaktionen. An einer solchen „Informationsfreiheit“ besteht im Ergebnis auch ein genuin gesellschaftliches Interesse. Denn eine Gesellschaft, die den Erwerb und die „Verarbeitung“ eines personenbezogenen Besitzstandes überhaupt blockieren würde, wäre zu einem öffentlichen Diskurs nicht mehr fähig und müsste aller Voraussicht nach erstarren.“483 Wird der Einzelne in seiner Erwartung, nicht fotografiert zu werden, enttäuscht, so wiegt die Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht schwer genug für eine Bestrafung, wenn der Abgebildete sich in der Öffentlichkeit und ohne objektiv erkennbaren Sichtschutz bzw. –willen aufhält. Zwar muss der Einzelne nicht jede unbefugte Bildaufnahme dulden. Doch können Verletzungen des Rechts am eigenen Bild außerhalb der strafrechtlich schützenswerten Rückzugsorte über das Zivilrecht flexibler gehandhabt werden. Ein absoluter strafrechtlicher Schutz ist hingegen jedenfalls in der eigenen Wohnung gegeben, weil es dort kein berechtigtes gesellschaftliches Informationsinteresse oder eine Form unausweichlichen Sozialkontakts gibt. Es ist nicht ersichtlich, weshalb die Bildaufnahme durch das Fenster einer Person, die z. B. verschlafen und in fleckiger Kleidung durch die Wohnung ins Badezimmer „huscht“ , straflos bleiben soll, weil der höchstpersönliche Lebensbereich hierdurch noch nicht verletzt ist, obwohl sich die Person an ihrem letzten Rückzugsort befindet. Erscheint die aufgenommene Person besonders ungepflegt oder unansehnlich und stellt man sich vor, wie schnell und einfach ein solches Foto über das Internet verbreitet werden kann, wird deutlich, dass auch hierdurch eine herabwürdigende Situation für das Opfer entstehen kann. Die dadurch entstehende Befangenheit des Einzelnen, frei in der eigenen Wohnung 483
Kargl, ZStW 117 (2005), 324, 350.
II. § 201a StGB
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körperlich zu erscheinen, wäre unerträglich. Aber auch dann, wenn aufgrund eines Sichtschutzes erkennbar ist, dass sich die betroffene Person an einem Rückzugsort aufhält, muss der verfassungsgerichtlich anerkannte Schutz der Privatheit in der Öffentlichkeit gewahrt sein. Eine räumliche, objektiv erkennbare Eingrenzung des Schutzbereichs erscheint danach durchaus zweckmäßig, um eine uferlose Ausweitung der Strafbarkeit zu vermeiden, und auch systematisch passend, da § 201 StGB mit der „Nichtöffentlichkeit“ ein ähnlich einschränkendes Merkmal vorsieht. Untersucht wird nun, ob die räumliche Eingrenzung des Rechts auf Bindung des körperlichen Erscheinungsbildes an Person und Situation durch bestimmte Tatbestandsmerkmale erreicht werden kann. Diese Begrenzung soll Bagatellfälle und sonstiges nicht strafwürdiges Verhalten aus der Strafbarkeit ausfiltern, indem räumliche Bereiche mit dem Charakter eines letzten Rückzugsorts benannt werden, in denen das spezielle visuelle Selbstbestimmungsrecht absolut gelten muss. Ohne eine solche räumliche Eingrenzung wäre jegliche Bildaufnahme einer anderen Person gegen deren Willen strafbar, was eine uferlose Strafbarkeit zur Folge haben und die „Informationsfreiheit“ Dritter unerträglich beschneiden könnte. (1) „Nichtöffentlich“ Versteht man Schutzzweck und Rechtsgut eines Straftatbestandes zum Schutz des Rechts am eigenen Bild so wie hier, wäre es aufgrund der zahlreichen Parallelen zu § 201 StGB zunächst denkbar, den Tatbestand ebenso wie dort durch das Merkmal „nichtöffentlich“ einzugrenzen. Das gesprochene Wort ist dann öffentlich, wenn es für einen größeren, nach Zahl und Individualität unbestimmten oder für einen nicht durch persönliche oder sachliche Beziehungen miteinander verbundenen Personenkreis bestimmt oder unmittelbar verstehbar ist (wobei das Kriterium des Sprecherwillens umstritten ist484). Die Übertragung dieser Definition auf das körperliche Erscheinungsbild erscheint jedoch problematisch. So muss das gesprochene Wort nach obiger Definition für einen Personenkreis bestimmt sein, wobei diese Bestimmung z. B. durch Senken der Stimme oder Auswahl des Zuhörerkreises (Einlasskontrollen usw.) gesteuert werden kann. Zwar ist dies bei dem körperlichen Erscheinungsbild des Einzelnen noch ähnlich, da dieses zumindest teilweise steuerbar an einen bestimmten Personenkreis gerichtet oder für diesen bestimmt sein kann (Aufenthalt in der eigenen Wohnung). Jedoch kann es jede Person grundsätzlich vermeiden, öffentlich zu sprechen; dagegen ist ein öffentliches körperliches Erscheinen zur Entfaltung und Entwicklung der Persönlichkeit nahezu unverzichtbar. Daher muss es auch Orte in der Öffentlichkeit geben, die strafrechtlichen Schutz vor unbefugten Bildaufnahmen bieten, weshalb § 201a Abs. 1 StGB de lege lata die gegen Einblicke besonders geschützten Räume ausdrücklich nennt. Insgesamt ist das
484
Vgl. oben C. I. 3. a) bb).
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C. Umsetzung durch den Gesetzgeber
Merkmal „nichtöffentlich“ für die Abgrenzung strafloser von strafbaren Bildaufnahmen daher untauglich.485 (2) Wohnung Der Begriff der Wohnung findet sich in § 123 StGB und wird definiert als eine baulich oder sonst abgeschlossene, zumindest teilweise überdachte Räumlichkeit, die ausschließlich oder überwiegend dem Zweck dient, einem oder mehreren Menschen jedenfalls vorübergehend Unterkunft zu gewähren.486 Diese Definition geht auf eine Entscheidung des Reichsgerichts zu § 123 StGB zurück, wonach zu einer Wohnung alle Räume gehören, die einer oder mehreren Personen, namentlich einer Familie, zur ständigen Unterkunft dienen oder zur Benutzung freistehen.487 Während sich für § 123 StGB die Frage stellt, ob Hotelzimmer unter das Merkmal der Wohnung fallen (problematisch wegen „ständiger Unterkunft“), erübrigt sich dies für § 201a Abs. 1 StGB n.F., da nach dem Willen des historischen Gesetzgebers sowohl eigene als auch fremde Wohnungen, insbesondere auch Gäste- und Hotelzimmer, einbezogen sind488 und diese Auslegung vom Wortlaut gedeckt ist. Darüber hinaus ergibt sich aus dem Normzweck, dass Gäste- und Hotelzimmer als Rückzugsorte ebenso schützenswert sind wie eine Eigentumswohnung. Es kommt dabei nicht darauf an, ob von außen in die Wohnung hinein fotografiert oder die Bildaufnahme im Inneren der Wohnung gemacht wird. Nach den Gesetzesmaterialien zu dem geltenden § 201a StGB sind etwa Geschäfts- oder Diensträume nicht tatbestandsmäßig.489 Dies ergibt sich zwar nicht eindeutig aus dem Wortlaut und entspricht auch nicht dem verfassungsrechtlichen Wohnungsbegriff zu Art. 13 GG, welcher Geschäftsräume mit einbezieht.490 Jedoch lässt sich dieser nicht einfach auf das Strafrecht übertragen, weil aufgrund des teilweise erheblichen Sozialbezugs von Betriebs- und Geschäftsräumen grundsätzlich ein im Vergleich zu privaten Wohnräumen geringeres Schutzniveau anzunehmen ist, was verfassungsrechtlich auf der Schrankenebene berücksichtigt werden kann491: Bei Wohnräumen sind Betretungsrechte Fremder grundsätzlich ausgeschlossen492, so dass ein staatliches Eindringen in diese außerhalb der Art. 13 Abs. 2 – 5 GG nur unter den Voraussetzungen des Abs. 7 in Betracht kommen; dies gilt auch, wenn in diesen Räumen zugleich eine 485
I. E. auch Pollähne, KritV 2003, 387, 408. MüKo-StGB/Schäfer, § 123 Rn. 11. 487 RG 16. 4. 1885 „Dienstmagd“ St 12, 132, 133. 488 BT-Drucks. 15/2466, S. 5; siehe auch BT-Drucks. 15/1891, S. 7 und BT-Drucks. 15/ 2995, S. 5; Tröndle/Fischer, § 201a Rn. 7; LK/Valerius, § 201a Rn. 15; BeckOK StGB/ Heuchemer, § 201a Rn. 11; SK/Hoyer, § 201a Rn. 17; NK/Kargl, § 201a Rn. 5. 489 BT-Drucks. 15/2466, S. 5. 490 BVerfGE 44, 353, 371 = NJW 1977, 1498 ff.; BVerfGE 97, 228, 265 = MMR 1998, 202 ff. 491 BVerfGE 32, 54, 75 f. = NJW 1971, 2299; BVerfGE 97, 228, 266 = NJW 1998, 1627. 492 BVerfGE 32, 75; 37, 147. 486
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berufliche oder geschäftliche Tätigkeit ausgeübt wird.493 Bei reinen Geschäfts- und Betriebsräumen sind Betretungsrechte dagegen nach h.M. nicht an Art. 13 GG, sondern an Art. 2 Abs. 1 GG und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu messen.494 Diese Abstufung gibt es im Strafrecht jedoch nicht; das geringere Schutzniveau der Betriebs- und Geschäftsräume führt im Wege einer teleologischen Auslegung dazu, dass diese aufgrund ihres überwiegenden Sozialbezugs im Falle der Zugänglichkeit einer beschränkten oder gar keiner Öffentlichkeit nicht unter den Begriff der Wohnung fallen.495 Dafür spricht auch, dass Betriebs- und Geschäftsräume keinen mit Schlafräumen vergleichbaren letzten Rückzugsort darstellen. Sie können jedoch einen gegen Einblicke besonders geschützten Raum darstellen, z. B. wenn sie über eine Eingangskontrolle verfügen.496 Insgesamt wäre der räumliche Schutzbereich einer „Wohnung“ i.S. des § 201a Abs. 1 StGB zunächst relativ weit gefasst, da innerhalb einer Wohnung jede Räumlichkeit einbezogen wäre. Daher wird teilweise eine engere, an § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB orientierte Auslegung des Begriffs der Wohnung favorisiert497, wonach nur solche Räume hierzu gehören, die als Zentrum des privaten Lebens verstanden werden.498 Jedoch ergibt sich das in dieser Arbeit schon mehrfach dargestellte Problem der genauen Bestimmung der Privatsphäre, da das „Zentrum des privaten Lebens“ inhaltlich an eben diese anknüpft. Zudem liegt der Grund für diese enge Auslegung in dem für § 201a StGB von der h.M. anerkannten Rechtsgut „höchstpersönlicher Lebensbereich“, welches eine restriktive Auslegung erfordert.499 Doch es ist nicht einzusehen, wieso de lege ferenda das spezielle visuelle Selbstbestimmungsrecht im Wege einer teleologischen Auslegung des Begriffs der Wohnung auf bestimmte Räumlichkeiten beschränkt werden soll. Das Recht auf Bindung des körperlichen Erscheinungsbildes an Person und Situation kann nur durch das gesellschaftliche Informationsinteresse begrenzt sein; es ist – schon wegen der unlösbaren Auslegungsprobleme – gerade nicht auf die „Privatsphäre“ begrenzt. Das berechtigte gesellschaftliche Informationsinteresse endet aber jedenfalls in der gesamten eigenen Wohnung, denn dort haben Personen, die von ihrer „Informationsfreiheit“ durch Fotoaufnahmen Gebrauch machen möchten, grundsätzlich keinen Zugang. Demnach sollte de lege ferenda übereinstimmend mit dem Willen des historischen Gesetzgebers zu § 201a StGB der Definition des räumlichen Schutzbereichs ein weiter Wohnungsbegriffs zugrunde gelegt werden. 493
Hömig/Wolff/Wolff, GG Art. 13 Rn. 26. Hömig/Wolff/Wolff, GG Art. 13 Rn. 27; Maunz/Dürig/Papier, GG Art. 13 Rn. 14, 15. 495 BT-Drucks. 15/2466, S. 5; OLG Karlsruhe NJW-RR 2006, 987, 988; LK/Valerius, § 201a Rn. 15; NK/Kargl, § 201a Rn. 5. 496 Hoppe, GRUR 2004, 990, 992. 497 L/Kühl, § 201a Rn. 2; Kühl, AfP 2004, 190, 194. 498 LK/Valerius, § 201a Rn. 15; Linkens, Der strafrechtliche Schutz vor unbefugten Bildaufnahmen, S. 75; Kühl, AfP 2004, 190, 194. 499 LK/Valerius, § 201a Rn. 15. 494
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C. Umsetzung durch den Gesetzgeber
Da es nicht auf die Dauerhaftigkeit der „Wohnung“ ankommt, sind Campingzelte und Wohnwagen500, Schlafwagenabteile oder Schiffskabinen ebenso erfasst wie grundsätzlich auch Gefängniszellen.501 Bei sogenannten „offenen Zubehörflächen“, also solchen Grundstücksflächen, die selbst nicht eingefriedet, aber funktional und räumlich an die Wohnung angebunden sind, ist die Einordnung unter den Begriff der Wohnung umstritten. Der Eingangsbereich oder die Garageneinfahrt sind tatbestandlich von § 123 StGB erfasst, jedoch ist nicht ganz klar, ob diese Flächen noch zur Wohnung oder nur zum befriedeten Besitztum gehören.502 Bei § 201a Abs. 1 StGB de lege lata geht man im Schrifttum teilweise davon aus, dass solche Flächen grundsätzlich nicht unter den Begriff der Wohnung fallen503, da sie nicht zum letzten Rückzugsbereich des Einzelnen gehören. Dem ist wohl zuzustimmen, wenn diese Flächen von öffentlichen Wegen und Straßen aus leicht einzusehen sind. Dann kann dem Schutzzweck entsprechend nicht von einem Rückzugsort ohne Sozialbezug die Rede sein. Schützenswert sind solche Außenbereiche erst, wenn sie durch objektiv erkennbare Sichtschutzvorrichtungen (hohe Zäune oder Sträucher) vor Blicken geschützt und zu einem gegen Einblick besonders geschützten Raum gemacht werden; dann ist für den Beobachter erkennbar, dass es sich um einen Rückzugsort handelt. Ist die Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches für die Strafbarkeit unbefugter Bildaufnahmen nicht mehr erforderlich, so stellt sich das Problem der strafrechtlichen Erfassung harmloser Schnappschüsse von Personen in einer Privatwohnung. Ohne inhaltliche Begrenzung des Schutzbereichs wäre jede Bildaufnahme einer Person, die sich in einer Wohnung befindet, zunächst strafbar. Es ist jedoch bei solchen Alltagsfällen in der Regel von einem stillschweigenden Einverständnis auszugehen, etwa bei Bildern, die Eheleute in ihrer Wohnung voneinander machen. Bei einer Privatparty liegt die Annahme einer stillschweigenden Einwilligung in Bildaufnahmen seitens des Gastgebers aufgrund der Einladung, seitens der Gäste aufgrund des Erscheinens nahe. Diese stillschweigende Einwilligung ist nach den Umständen des Einzelfalles zu ermitteln. Erscheint bspw. ein ungebetener Gast auf einer Privatparty, liegt eine stillschweigende Einwilligung in gegenseitige Bildaufnahmen grundsätzlich nicht vor. Auch bei zerstrittenen Eheleuten, die getrennt leben, ist von einer Einwilligung in das gegenseitige Fotografieren beim Aufenthalt in der jeweiligen Wohnung nicht auszugehen. Fraglich ist jedoch die Behandlung von Fällen, in denen die Situation etwa infolge exzessiven Alkoholkonsums entgleist und im Laufe des geselligen Beisammenseins intime Aufnahmen (Nacktheit, Geschlechtsverkehr etc.) entstehen. Eine Beschränkung der stillschweigenden Einwilligung auf nicht das Persönlichkeitsrecht tangierende 500
S/S/Lenckner/Eisele, § 201a Rn. 5; Dölling/Duttke/Rössner/Tag, § 201a Rn. 5. SK/Hoyer, § 201a Rn. 17; LK/Valerius, § 201a Rn. 15; Hoppe, GRUR 2004, 990, 990, 992; Kächele, Der strafrechtliche Schutz vor unbefugten Bildaufnahmen (§ 201a StGB), S. 85 m.w.N. 502 Vgl. L/Kühl, § 123 Rn. 3. 503 LK/Valerius, § 201a Rn. 15; Tröndle/Fischer, § 201a Rn. 7; S/S/W/Bosch, § 201a Rn. 7. 501
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Bildaufnahmen ist dogmatisch fragwürdig und praktisch nicht umsetzbar, da die unlösbare Abgrenzungsfrage hinsichtlich der einzelnen Sphären erneut entstünde. Für § 201a StGB de lege lata schlägt Kühl eine teleologische Reduktion vor, wenn der Gastgeber seine Wohnung für Gäste derart geöffnet habe, dass sie nicht mehr als geschützter Rückzugsbereich gelten könne.504 Dies erscheint durchaus praktikabel und stimmig, da der Gastgeber damit selbst einen Sozialbezug hergestellt hat. Jedoch würde dann die Wohnung insgesamt als tatbestandsrelevanter Rückzugsbereich entfallen, so dass unbefugte Intimaufnahmen grundsätzlich straffrei wären. Ein diesbezügliches Schutzinteresse kann aber nicht pauschal bei Privatparties abgelehnt werden, was jüngste Suizidfälle aufgrund Cybermobbings zeigen, deren Ursprung oftmals in Verletzungen des visuellen Selbstbestimmungsrechts bei den gerade dargestellten Fallkonstellationen liegt. Der hilfsweise Umweg über einzelne Räumlichkeiten, die ggfs. gegen Einblicke besonders geschützte Räume darstellen, würde zu dem absurden Ergebnis führen, dass innerhalb einer Wohnung manche Räume unter den Wohnungsbegriff fallen, andere hingegen nicht. Denkbar wäre jedoch eine räumliche Beschränkung der stillschweigenden Einwilligung auf die vom Gastgeber der Gesellschaft zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten. Ausgenommen hiervon wären durch verschlossene Türen oder sonstige objektiv erkennbaren Hindernisse abgegrenzte Räume wie z. B. Toiletten. (3) Gegen Einblicke besonders geschützter Raum Schon aus dem Gesetzeswortlaut des § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB ergibt sich, dass gegen Einblicke besonders geschützte Räume weder umschlossene Räume i.S. des § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StGB, noch befriedetes Besitztum oder abgeschlossene Räume i.S. des § 123 StGB sein müssen. Wichtigstes Merkmal ist der Sichtschutz.505 Durch ihn wird deutlich, dass die Person von ihrem speziellen visuellen Selbstbestimmungsrecht Gebrauch macht, nicht etwa, dass unberechtigte Personen am Betreten des Raumes gehindert sind.506 Da jedoch ein öffentlich zugänglicher Raum meist keinen Sichtschutz vor der Öffentlichkeit bietet, kommt der Frage, ob unberechtigte Personen am Betreten des Raumes gehindert sind, zumindest indizielle Wirkung zu.507 Beispiele für gegen Einblicke besonders geschützte Räume sind jedenfalls solche, bei denen eine Eingangskontrolle stattfindet, wie etwa eine Anwaltskanzlei und sonstige Praxis- und Büroräume, Stationsräume in einem Krankenhaus oder Geschäftsräume nach Ladenschluss. Daneben sollen jedoch auch Autos mit verdunkelten Fenstern508, Beichtstühle (je nach Konstruktion), sowie Umkleidekabinen, Toiletten, und ärztliche Behandlungszimmer einen Sichtschutz 504 505 506 507
S. 86. 508
Kühl, AfP 2004, 190, 194. BT-Drucks 15/2466, S. 5. Missverständlich bei Bosch, JZ 2005, 377, 379. Kächele, Der strafrechtliche Schutz vor unbefugten Bildaufnahmen (§ 201a StGB), Hoppe, GRUR 2004, 990, 992.
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C. Umsetzung durch den Gesetzgeber
bieten; zudem handelt es sich auch bei durch hohe Hecken, Zäune oder Mauern abgeschirmte Gärten um Rückzugsbereiche.509 Unter diesen Umständen sollten dann auch Garageneinfahrten und Eingangsbereiche, ebenso wie Terrassen, Innenhöfe oder Balkone hierunter fallen. Zwar wird die Eigenschaft als „Raum“ bei einem Garten teilweise bezweifelt, weil dieser nicht nach oben abgeschlossen ist und eher eine Fläche als ein dreidimensionales Gebilde darstellt.510 So ist nach der Definition des „Raumes“ i.S. des § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StGB jedes dreidimensionale Raumgebilde umfasst, das – zumindest auch – zum Betreten von Menschen bestimmt ist.511 Es kommt jedoch nicht darauf an, ob das Raumgebilde nach oben abgeschlossen ist.512 Daher hat die Rechtsprechung die Eigenschaft eines Raumes i.S. des § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StGB bejaht bei einer mit einem Zaun umgebenen Weide513, bei einem mit Mauern umgebenen Fabrikhof oder Lagerplatz514, bei einem umzäunten Friedhof515 und beim Freigelände einer Gärtnerei516. Zwar ist eine Parallele der beiden „Raum“-Begriffe aus § 243 Abs. 1, S. 2 Nr. 1 und § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB abzulehnen, so dass man diese Entscheidungen nicht direkt auf § 201a StGB übertragen kann. Doch enthält § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StGB das zusätzliche Erfordernis der Umschlossenheit, ist also enger gefasst als § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB. Dann muss Letzterer aber erst recht oben genannte Beispiele und damit auch einen Garten umfassen.517 Zwar ist de lege lata das Merkmal des gegen Einblick besonders geschützten Raumes im Hinblick auf das Rechtsgut der Intimsphäre oder des höchstpersönlichen Lebensbereichs eng auszulegen. Doch stellt der Garten einen wichtigen Rückzugsort dar, weil er direkt mit der grundsätzlich absolut geschützten Wohnung zusammenhängt und der Eigentümer bei entsprechender Bepflanzung durchaus eine berechtigte Erwartung haben darf, nicht abgelichtet zu werden, weil er sämtlichen Sozialbezug ausschließen will. Somit ist der Garten bei vorhandenem Sichtschutz als geschützter Raum i.S. des § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB anzusehen. Nach dem Normzweck des § 201a StGB kann es beim Aufenthalt in einem sichtgeschützten Raum nicht auf die Anzahl der Personen mit Einsichtsmöglichkeit 509
BT-Drucks. 15/2466, S. 5. L/Kühl, § 201a Rn. 2; Flechsig, ZUM 2004, 605, 610; Stellungnahme der Medienverbände, AfP 2004, 110 – 113; vgl. aber Kauder, BT-Prot. 15/105, 9535, wonach der Begriff des Raums im Rahmen des Gesetzesentwurfs zweidimensional zu verstehen sei. 511 L/Kühl, § 243 Rn. 9. 512 S/S/Eser/Bosch, § 243 Rn. 8, für entsprechende Beispiele aus der Rechtsprechung siehe Rn. 9. 513 BGH NStZ 1983, 168. 514 BGH NStZ 2000, 143; BGH MDR/D 55, 145. 515 BGH NJW 1954, 1897. 516 Karlsruhe NStZ-RR 2005, 140. 517 BT-Drucks. 15/2466, S. 5; 15/1891, S. 7; Tröndle/Fischer, § 201a Rn. 8; LK/Valerius, § 201a Rn. 18; SK/Hoyer, § 201a Rn. 18; NK/Kargl, § 201a Rn. 6; Dölling/Duttke/Rössner/ Tag, § 201a Rn. 5. 510
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ankommen, da ein stillschweigendes Einverständnis in Bildaufnahmen aufgrund der objektiv erkennbaren Umstände regelmäßig nicht vorliegt und ein Interesse an der Flüchtigkeit des körperlichen Erscheinungsbildes gegeben ist. Vorausgesetzt sind zwar grundsätzlich Sichtschutzvorkehrungen, die als solche durchblicksicher und undurchdringlich sind518, jedoch brauchen keine lückenlosen oder unüberwindbaren Schutzmaßnahmen getroffen zu werden, sondern nur solche, die eine visuelle Wahrnehmbarkeit von Vorgängen in den Räumlichkeiten deutlich erschweren.519 Hält sich eine Person also bspw. in einem Büro auf, dessen Türen verschlossen sind, handelt es sich dabei um einen gegen Einblick geschützten Raum, auch wenn Dritte etwa vom gegenüberliegenden Gebäude aus durch ein Fenster ins Innere des Büros spähen können. Sieht man de lege ferenda das spezielle visuelle Selbstbestimmungsrecht als geschützt an und verzichtet auf ein materielles Korrektiv wie den „höchstpersönlichen Lebensbereich“, so dass jede unbefugte Bildaufnahme gleich welchen Inhalts in räumlichen Rückzugsbereichen strafbar ist, solange der Einzelne nicht in der Öffentlichkeit erscheint, muss das Merkmal „gegen Einblick geschützter Raum“ entsprechend weit ausgelegt werden: Anstatt zu fordern, dass gegen Einblick geschützte Räume ihrer Funktion nach ein vergleichbares Maß an Zurückgezogenheit und Privatheit aufweisen müssen wie die Wohnung, ist vielmehr eine Definition vorzugswürdig, wonach Räume gegen Einblick geschützt sind, wenn sie einen Sichtschutz aufweisen und nicht für jedermann zugänglich sind. (4) Ergebnis Schutzgut von § 201a Abs. 1 StGB de lege lata ist einerseits der höchstpersönliche Lebensbereich, andererseits das Recht am eigenen Bild. De lege ferenda sollte das Recht auf Bindung des visuellen Erscheinungsbildes an die Person und Situation strafrechtlich geschützt werden. Dieses visuelle Selbstbestimmungsrecht ist unabhängig vom Inhalt der jeweiligen Bildaufnahme. Das Merkmal des „höchstpersönlichen Lebensbereichs“ sollte aus dem Tatbestand des § 201a StGB gestrichen werden. Die Tatbestandsmerkmale „Wohnung“ und „gegen Einblicke besonders geschützter Raum“ grenzen den Tatbestand dann so ein, dass er unabhängig vom Bildinhalt und von fortschreitender technischer Entwicklung, aber zugleich hinreichend bestimmt ist. Der Tatbestand ist nach Streichung des Merkmals „höchstpersönlicher Lebensbereich“ sehr weit gefasst, da bspw. Ablichtungen in Privatwohnungen grundsätzlich strafbar sind und Bagatellfälle lediglich im Wege einer teleologischen Reduktion oder über das Merkmal unbefugt (bzw. der Annahme eines stillschweigenden Einverständnisses) ausgefiltert werden können. Dies ist jedoch hinzunehmen, da die Strafwürdigkeit von Verletzungen des Rechts am eigenen Wort 518 LK/Valerius, § 201a Rn. 18; Linkens, Der strafrechtliche Schutz vor unbefugten Bildaufnahmen, S. 79. 519 SK/Hoyer, § 201a Rn. 19; Koch, GA 2005, 589, 600; Rahmlow, HRRS 2005, 84, 88.
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und des Rechts am eigenen Bild als gleichwertig einzustufen sind520 und der strafrechtliche Schutz von unbefugten Bildaufnahmen ausgeweitet werden sollte.
4. Normzweck – Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 und Abs. 3 Der Gesetzgeber hat mit der Neufassung des § 201a StGB vom 26. 01. 2015 das Merkmal des höchstpersönlichen Lebensbereichs beibehalten und die Strafbarkeit in räumlicher Hinsicht teilweise ausgeweitet. Bei Bildnissen, die die Hilflosigkeit einer Person zeigen, dem Ansehen der abgebildeten Person schaden können oder eine minderjährige unbekleidete Person zeigen, kommt es nicht darauf an, ob die fotografierte Person sich an einem räumlichen Rückzugsort aufgehalten hat. Für diese neuen Handlungsmodalitäten gilt gleichermaßen, dass sie die Strafbarkeit von Bildaufnahmen auch in der Öffentlichkeit normieren. Der Abgrenzung dient somit kein räumliches, sondern ein inhaltliches Kriterium. Das von § 201a Abs. 1 StGB geschützte Recht am eigenen Bild als visuelles formales Selbstbestimmungsrecht ist unabhängig vom Inhalt des Bildnisses und findet seine Einschränkung in dem gesellschaftlichen Informationsinteresse und ist daher bei einer Bildaufnahme in der Öffentlichkeit ohne jegliches Blickhindernis nicht einschlägig. Die neu eingefügten Tatmodalitäten fallen also grundsätzlich nicht unter das oben ausgearbeitete Schutzgut des § 201a Abs. 1 StGB. Zu untersuchen ist daher, welche Schutzgüter von § 201a Abs. 2 Nr. 2, Abs. 2 und Abs. 3 StGB angesprochen sind. Der Gesetzgeber hat mit der Schaffung dieser neuen Tatbestände unerwünschte „Strafbarkeitslücken“ schließen wollen, indem nun die Ablichtung betrunkener Personen oder von Opfern einer Gewalttat, die verletzt und blutend am Boden liegen, strafbar ist.521 Inhaltliche und dogmatische Bedenken gibt es dabei jedoch durchaus.522 Der Gesetzgeber hat es der Rechtsprechung überlassen, den in das Gesetz neu eingefügten unbestimmten Rechtsbegriffen Konturen zu verleihen.523 Auch bleibt de lege lata unklar, aus welchem Grund Bildaufnahmen, die eine hilflose Person zur Schau stellen, oder solche, die geeignet sind, dem Ansehen des Abgebildeten erheblich zu schaden, ebenso wie Nacktaufnahmen eine Verletzung des (vom Gesetzgeber beibehaltenen) höchstpersönlichen Lebensbereichs zur Folge haben. Warum sich Feststellungen dazu teilweise erübrigen sollen524, beantwortet das Gesetz nicht.
520 521 522 523 524
Dazu ausführlich C. II. 3. d) gg). BT-Drucks. 18/3202, S. 28. Z. B. Busch, NJW 2015, 977, 978. BT-Drucks. 18/3202, S. 25. So BT-Drucks. 18/2601, S. 17.
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a) Schutzgut des § 201a Abs. 1 Nr. 2 StGB – Hilflosigkeit Der Begriff der Hilflosigkeit i.S. des § 201a Abs. 1 Nr. 2 StGB wird im Gesetz nicht erläutert. Neben den in den Gesetzesmaterialien genannten Beispielsfällen der betrunkenen Person oder des Opfers einer Gewalttat sind keine weiteren Beispiele oder Kriterien genannt. Eine hilflose Lage i.S.v. § 221 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 StGB dürfte nicht gemeint sein, da eine solche Lage voraussetzt, dass eine Person der abstrakten Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsbeschädigung ohne Möglichkeit eigener oder fremder Hilfe ausgesetzt ist.525 Auch ein Rückgriff auf § 243 Abs. 1 Nr. 6 StGB erscheint fraglich. Zwar soll diese Regelung auch Fälle erfassen, in denen eine hilflose Lage etwa auf Trunkenheit, Krankheit oder Gebrechlichkeit beruht.526 Allerdings ist die Hilflosigkeit dort rechtsgutsbezogen zu interpretieren, so dass das Opfer nicht in der Lage sein darf, sich gegen die Wegnahme zu wehren; dieser Aspekt hat für § 201a Abs. 1 Nr. 2 StGB keine Bedeutung.527 Schutzgut des § 201a StGB ist jedenfalls auch nicht das Leben und die körperliche Unversehrtheit. Daher ist der Begriff der hilflosen Lage für § 201a Abs. 1 Nr. 2 StGB selbstständig zu bestimmen. Nach dem Wortsinn bedeutet Hilflosigkeit die Abwesenheit von eigener oder fremder Hilfe. Fischer528 und Bosch529 meinen, die Hilflosigkeit beschreibe einen Zustand, in welchem die betroffene Person sich aus inneren oder äußeren Gründen entweder gegen ihr drohende Gefahren nicht aussichtsreich zur Wehr setzen kann oder unfähig ist, Anforderungen der konkreten Lebenssituation zu erfüllen, in welcher sie sich befindet530; darunter seien kurzfristige Zustände (z. B. Unfallopfer, berauschte Personen) ebenso zu verstehen wie Dauerzustände (z. B. Behinderungen).531 Nach der Ansicht von Busch sind die § 221 Abs. 1 und § 243 Abs. 1 Nr. 6 StGB systematisch heranzuziehen und umschreiben eine Situation, in der eine Person auf Grund ihrer körperlichen oder psychischen Konstitution oder wegen äußerer Einflüsse nicht (mehr) in der Lage ist, einen Willen zu bilden oder sich einem gebildeten Willen entsprechend zu verhalten und sich ohne eigene oder fremde Hilfe dieser Situation zu entziehen.532 Eine Anknüpfung an § 221 StGB bevorzugen auch Eisele/Sieber, wobei es anders als beim Aussetzungstatbestand nicht darauf ankommen könne, ob sich das Opfer mithilfe Dritter dieser Gefahren erwehren kann bzw. ob Beistand Dritter bestehe; denn bei § 201a StGB sei für die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts durch die Bildaufnahme nur die Hilflosigkeit des Opfers selbst entscheidend und nicht, ob die gefährliche Situation
525 526 527 528 529 530 531 532
Tröndle/Fischer, § 221 Rn. 7; Busch, NJW 2015, 977, 978. Vgl. Tröndle/Fischer, § 243 Rn. 21. Eisele/Sieber, StV 2015, 312, 313. Tröndle/Fischer, § 201a Rn. 10a. Bosch, Jura 2016, 1380, 1384. Vgl. dazu BT-Drucks. 18/2601, S. 36. Tröndle/Fischer, § 201a Rn. 10a. Busch, NJW 2015, 977, 978.
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C. Umsetzung durch den Gesetzgeber
durch Dritte abgewendet werden kann.533 Danach sei die Hilflosigkeit bei nicht nur unerheblichen Gefahren für Leib oder Leben gegeben, so dass diese zusätzliche Voraussetzung selten zu einer weiteren Einschränkung des Tatbestandes führe.534 Eisele/Sieber gehen aber davon aus, dass die im Gesetzgebungsverfahren genannten Bildaufnahmen von Betrunkenen nur dann unter dem Aspekt der Hilflosigkeit strafbar sind, wenn die Trunkenheit so stark sei, dass sie eine zumindest eingeschränkte Steuerungsfähigkeit i.S. des § 21 StGB bedingt.535 Die Ansicht von Eisele/ Sieber ist fragwürdig: Lehnt man eine an § 243 Abs. 1 Nr. 6 StGB orientierte Auslegung der „Hilflosigkeit“ mit der Begründung ab, der Begriff sei dort rechtsgutsbezogen zu interpretieren536 und müsse sich auf die Wegnahme beziehen537, erscheint es konsequent, die „Hilflosigkeit“ i.S. des § 201a Abs. 2 StGB ebenfalls rechtsgutsorientiert zu definieren. Dann dürfte der Aspekt der Gefahr für Leib und Leben jedoch keine Rolle spielen; stattdessen müsste gefordert werden, dass das Opfer nicht in der Lage ist, sich gegen die Fotoaufnahme zu wehren. Hieraus ergibt sich jedoch das Problem, dass die Strafbarkeit uferlos ausgeweitet würde: Bereits jede heimliche Fotoaufnahme, die den höchstpersönlichen Lebensbereich des Opfers beeinträchtigt, wäre strafbar, weil das Opfer nichts von der Aufnahme weiß und sich daher nicht gegen sie wehren kann. Insgesamt verwundert es bei Annahme des höchstpersönlichen Lebensbereichs oder der Intimsphäre als Schutzgut des § 201a StGB de lege lata also nicht, dass die Bestimmtheit des Tatbestandsmerkmals der Hilflosigkeit angezweifelt wird.538 b) Schutzgut des § 201a Abs. 2 StGB – Eignung, dem Ansehen der abgebildeten Person zu schaden § 201a Abs. 2 StGB verzichtet auf das Merkmal des „höchstpersönlichen Lebensbereichs“ und lässt es genügen, wenn die einer dritten Person zugänglich gemachte Bildaufnahme geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden. Auch hier schweigt das Gesetz dazu, wann eine solche Eignung anzunehmen ist. Bedenken hinsichtlich des Bestimmtheitsgrundsatzes des Art. 103 Abs. 2 GG bestehen wegen der Kumulation unbestimmter Rechtsbegriffe, da es um das „Ansehen einer Person“ und eine „erhebliche“ Schädigung geht.539 Mit der bloßen „Eignung“ dazu ist nicht nur eine Vorverlagerung der Strafbarkeit verbunden, sondern auch eine Prognose hinsichtlich der Beeinträchtigung des Ansehens erforderlich. Besonders problematisch erweisen sich unscharfe Merkmale dann, wenn sie 533
Eisele/Sieber, StV 2015, 312, 313 f. Eisele/Sieber, StV 2015, 312, 314. 535 Eisele/Sieber, StV 2015, 312, 314. 536 MüKo-StGB/Schmitz, § 243 Rn. 50 f.; NK/Kindhäuser, § 243 Rn. 33; S/S/W/Kudlich, § 243 Rn. 30. 537 So Eisele/Sieber, StV 2015, 312, 313. 538 Z. B. BeckOK StGB/Heuchemer, § 201a Rn. 2. 539 Kritisch auch Bosch, Jura 2016, 1380, 1386. 534
II. § 201a StGB
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in einem Tatbestand kumuliert werden und sich der Bürger mit einer Reihung von unbestimmten Rechtsbegriffen konfrontiert sieht, die nur für den Juristen inhaltlich verständlich sind.540 In den Gesetzesmaterialien ist lediglich die Rede von Fällen, in denen mittels in Mobiltelefonen eingebauter Kameras hergestellte Bildaufnahmen von Personen in – zum Teil aktiv von dem Täter herbeigeführten – entwürdigenden, bloßstellenden oder gewalttätigen Situationen insbesondere über Telemedien verbreitet werden. Dabei soll es sich um Bildaufnahmen handeln, die die abgebildete Person in einer peinlichen, ihre Würde verletzenden Situation oder in einem Zustand zeigen, bei dem angenommen werden kann, dass üblicherweise ein Interesse daran besteht, dass er anderen nicht zugänglich gemacht wird.541 Maßstab dafür, ob eine Bildaufnahme geeignet ist, dem Ansehen des Abgebildeten erheblich zu schaden, soll dabei die Beurteilung durch einen durchschnittlichen Betrachter sein.542 Als Beispiel wird die über Social-Media-Plattformen Dritten zugänglich gemachte Bildaufnahme eines Betrunkenen genannt, der hilflos auf dem Gehsteig liegt.543 Die Abgrenzung zu dem in Fällen des Zugänglichmachens ebenfalls einschlägigen § 201a Abs. 1 Nr. 3 StGB wird vom Gesetzgeber nicht geklärt. Anders soll es bei der Ablichtung des Opfers einer Straftat sein, welches unverschuldet in diese Lage geraten ist; solche Bildaufnahmen seien nicht geeignet, das Ansehen der Person erheblich zu schädigen und von § 201a Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Nr. 3 StGB erfasst.544 Als problematisch wird bei § 201a Abs. 2 StGB die Unbestimmtheit der vom Gesetzgeber vorgegebenen Kriterien angesehen, anhand derer konkretisiert werden soll, wann eine Bildaufnahme geeignet ist, dem Ansehen einer Person erheblich zu schaden. So könne es abhängig von der Region und den Anschauungen des täglichen Lebens erheblich voneinander abweichen, wann ein durchschnittlicher Betrachter annehmen kann, es bestehe üblicherweise ein Interesse daran, dass eine Bildaufnahme anderen nicht zugänglich gemacht wird.545 Wann eine Strafbarkeit nach § 201a Abs. 2 StGB begründet ist, sei nicht vorhersehbar. Auch der Wortlaut der Strafnorm hilft nicht weiter. Busch schlägt vor, nach dem Zweck der Regelung, das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Abgebildeten vor bloßstellenden oder entwürdigenden, mithin den Achtungsanspruch des Einzelnen beeinträchtigenden Bildaufnahmen zu schützen, eine Auslegung in Anlehnung an den strafrechtlichen Ehrenschutz nach §§ 185 ff. StGB in Betracht zu ziehen.546 Auch in systematischer Hinsicht sei zu erwägen, solche Bildaufnahmen in den Schutzbereich des § 201a Abs. 2 StGB einzubeziehen, die geeignet sind, den Abgebildeten „verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen“, was den Vorteil hätte, 540 MüKo-StGB/Schmitz, § 1 Rn. 45; S/S/W/Satzger, § 1 Rn. 20; Eisele/Sieber, StV 2015, 312, 315. 541 BT-Drs. 18/2601, S. 37. 542 Vgl. BT-Drs. 18/2954, 12. 543 Vgl. BT-Plenarprot. 18/54, 4933 D, 4943 D; BT-Plenarprot. 18/67, 6339 B. 544 Vgl. BT-Drs. 18/2601, 36 f.; BT-Drs. 18/3202, 28. 545 Busch, NJW 2015, 977, 978. 546 Busch, NJW 2015, 977, 978.
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C. Umsetzung durch den Gesetzgeber
an die vielfältige Kasuistik zu §§ 186 StGB anknüpfen zu können.547 Auch Eisele/ Sieber vertreten diese Ansicht und stellen klar, dass der entscheidende Unterschied zu § 185 StGB darin liege, dass von § 201a Abs. 2 StGB bei Abbildung eines tatsächlichen Geschehens „wahre Tatsachen“ erfasst würden, während diese bei den Beleidigungsdelikten nur unter den engen Voraussetzungen des § 192 StGB einbezogen seien, d. h. das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form der Behauptung oder Verbreitung oder aus den Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgehen müsse.548 Insoweit gehe es bei § 201a Abs. 2 StGB allgemein um den Geltungsanspruch einer Person, selbst dann, wenn der abgebildete Umstand der Realität entspreche.549 In Anlehnung an die §§ 185 ff. StGB sei abzustellen auf den objektiven Sinngehalt des Bildes unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles (sprachlicher Kontext, sachlicher Zusammenhang, persönliche Verhältnisse, soziale Stellung, Alter usw.) aus der Sicht eines durchschnittlichen Erklärungsempfängers.550 Dementsprechend ist bei § 201a Abs. 2 StGB also vom Schutzgut der „äußeren Ehre“ oder des sozialen Geltungsanspruchs des Einzelnen auszugehen. c) Schutzgut des § 201a Abs. 3 StGB – Nacktheit einer Person unter 18 Jahren, Entgeltlichkeit Nach § 201a Abs. 3 StGB wird bestraft, wer eine Bildaufnahme, die die Nacktheit einer anderen Person unter 18 Jahren zum Gegenstand hat, herstellt oder anbietet, um sie einer dritten Person gegen Entgelt zu verschaffen (Nr. 1), oder sich oder einer dritten Person gegen Entgelt verschafft (Nr. 2). Mit dieser Neuregelung versucht der Gesetzgeber, den virtuellen Markt für Bildaufnahmen unbekleideter Minderjähriger zu vornehmlich sexuellen Zwecken einzudämmen, indem das Recht am eigenen Bild in diesen Bereichen strafrechtlich stärker geschützt werden soll.551 Es wird beanstandet, die Regelung diene zwar vordergründig dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts von Kindern und Jugendlichen, tatsächlich aber diene sie wie §§ 184 ff. StGB dem Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexuellem Missbrauch und der Bestrafung einer mittelbaren Förderung desselben durch kommerziellen (Online-)Handel mit solchen Bildaufnahmen.552 Dies äußere sich darin, dass die Tatbestandsalternativen des Abs. 3 auf ein entgeltliches Verschaffen beschränkt sind. Dem ist jedenfalls insoweit zuzustimmen, als Abs. 3 Nr. 2 lediglich die entgeltliche Verschaffung solcher Bildaufnahmen pönalisiert und damit von den typischen Angriffsarten der § 201 ff StGB abweicht; mit einer indiskreten Informationsgewinnung oder –verbreitung und einem einheitlichen System innerhalb des 15. 547
Busch, NJW 2015, 977, 978. Eisele/Sieber, StV 2015, 312, 315. 549 Eisele/Sieber, StV 2015, 312, 315. 550 BVerfGE 93, 266, 295 = StV 1996, 17, 18; BGHSt 19, 235, 237 = NJW 1964, 1148. 551 Vgl. BT-Plenarprot. 18/54, 4933 A, 4943 A bis D, 4945 B, 4947 A und D; insb. BTPlenarprot. 18/67, 6341 C („Schutzlücken“). 552 Busch, NJW 2015, 977, 979. 548
II. § 201a StGB
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Abschnitts des StGB hat diese Tatmodalität nichts mehr zu tun. Das Erfordernis eines tatbestandlichen entgeltlichen Beschaffens ist darüber hinaus hinsichtlich des Schutzzwecks weder mit dem höchstpersönlichen Lebensbereich noch mit der Intimsphäre oder dem persönlichen Lebens- oder Geheimbereich zu vereinbaren. Damit weicht das Schutzgut des § 201a Abs. 3 StGB, nämlich der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexuellem Missbrauch, vom Schutzzweck des § 201a StGB a.F. erheblich ab. d) Stellungnahme und rechtspolitische Einschätzung De lege lata schützt § 201a StGB eine Reihe heterogener und schwer greifbarer Rechtsgüter, die ein einheitliches System innerhalb der Norm selbst und im Vergleich mit den Strafnormen des 15. Abschnitts vermissen lassen. Sieht man das inhaltsunabhängige visuelle Selbstbestimmungsrecht als von § 201a StGB de lege ferenda geschützt an, stellt Abs. 1 Nr. 2 einen Fremdkörper innerhalb der Norm dar und sollte gestrichen werden. Nach hier vertretener Auffassung sollte es nicht Schutzzweck eines strafrechtlichen Bildnisschutzes sein, den Abgebildeten vor bloßstellenden oder entwürdigenden Bildaufnahmen zu schützen, sondern dessen visuelles Selbstbestimmungsrecht in räumlichen Rückzugsbereichen zu gewährleisten: Im Sinne eines systematischen strafrechtlichen Schutzes des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist der Schutz eines rein formalen Persönlichkeitsrechts durch die §§ 201 ff. StGB de lege ferenda vorzuziehen. Herabwürdigende oder ehrverletzende Handlungen sind an anderer Stelle zu verorten. Da die Strafbarkeit der Bildaufnahmen i.S. des § 201a Abs. 2 StGB de lege lata an deren Inhalt anknüpft und einen Rückzugsort dabei nicht vorsieht, ist auch diese Tatvariante mit dem hier vertretenen Normzweck de lege ferenda nicht vereinbar. Insbesondere aber für § 201a Abs. 3 StGB gilt, dass diese Verbotsmaterie einen völlig anderen Schutzzweck verfolgt und mit einem Schutz des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs in keinerlei Zusammenhang steht. Die vom Gesetzgeber neu eingefügten Tatbestände des § 201a StGB erscheinen deplatziert. Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit dieser Handlungsformen werden an anderer Stelle konkretisiert; jedenfalls sind sie weder mit dem Normzweck des § 201a StGB de lege ferenda noch mit dem vom Gesetzgeber bis 2015 intendierten Schutzinteresse vereinbar. Der Gesetzgeber hat mit der Änderung des § 201a StGB vom 26. 01. 2015 deutlich gemacht, dass er an der inhaltlichen Differenzierung der Bildaufnahmen zur Strafbarkeitsbestimmung festhält.553 Ein effektiver und sinnvoll begrenzter strafrechtlicher Bildnisschutz erscheint gleichwohl im Hinblick auf Art. 103 Abs. GG unmöglich, wenn bei der Strafbarkeit auf den Inhalt des Bildes und damit auf eine „materielle“ Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (im Sinne einer 553
BGBl. 2015 I Nr. 2, S. 10.
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C. Umsetzung durch den Gesetzgeber
entwürdigenden, peinlichen oder unschicklichen Behandlung) abgestellt wird. Die räumliche Begrenzung des Schutzumfangs ist ein gangbarer Weg, um das vom Gesetzgeber bis 2015 intendierte Schutzinteresse, nämlich die freie Entfaltung und Entwicklung der Persönlichkeit im Hinblick auf die Unbefangenheit und Flüchtigkeit des körperlichen Erscheinungsbildes in letzten Rückzugsbereichen, zu gewährleisten. Die in der Gesetzesbegründung aufgeführten „Spanner-Fälle“, insbesondere die Aufnahmen von Personen in Toiletten, Umkleidekabinen, Solarien oder Schlafzimmern können unproblematisch erfasst werden. Die begriffliche Einschränkung des Schutzbereichs durch das Merkmal des höchstpersönlichen Lebensbereichs sollte wie gezeigt gestrichen werden, da dieses Merkmal überflüssig ist. Auch die neu eingefügten Tatmodalitäten der § 201a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 und Abs. 2 StGB sollten aus der Verbotsmaterie des 15. Abschnitts des StGB entfernt werden, weil sie eine Systemwidrigkeit innerhalb der Norm und innerhalb gesamten Strafabschnitts darstellen. Es stellt sich die Frage, ob diese Verhaltensweisen nicht systematisch treffender anderenorts im StGB oder im Rahmen eines ergänzenden Straftatbestands erfasst werden sollten, sofern sie überhaupt strafwürdiges Unrecht darstellen.
5. Konsequenzen für die Tatbestandsauslegung a) Tatobjekt Tatobjekt des § 201a sind in allen Tatbestandsalternativen der Abs. 1 bis 3 Bildaufnahmen von einer anderen Person in einer Wohnung oder einem gegen Einblick geschützten Raum. aa) Bildaufnahme Eine Bildaufnahme i.S. des § 201a StGB liegt vor, wenn ein Bild auf einem Aufnahmemedium festgehalten wird, sei es auf einem herkömmlichen Film oder auf einem elektronischen Datenträger.554 Dass es sich bei dem Aufnahmemedium um ein technisches Mittel handeln muss (so dass handgefertigte Zeichnungen, Gemälde oder Karikaturen ausgeschlossen sind), ergibt sich aus dem technischen Begriff der „Aufnahme“, der insoweit vom „Bildnis“ i.S. des § 33 KunstUrhG abweicht.555 Aufnahmegeräte wie Webcams oder Spycams ermöglichen es, Aufnahmen in Echtzeit oder leicht verzögert vom Kamerastandort zu entfernten TV-Geräten und Computern oder aber gleich ins Internet zu übertragen; solche Aufnahmen werden von der Tatvariante „Übertragung“ erfasst.556 Es wird keine dauerhafte Speicherung 554 555 556
MüKo-StGB/Graf, § 201a Rn. 15. LK/Valerius, § 201a Rn. 9. BT Drucks. 15/1891 S. 7.
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des aufgenommenen Materials vorausgesetzt557; dies folgt sowohl aus dem Wortlaut als auch aus dem Schutzzweck der Norm, da die Bindung des körperlichen Erscheinungsbildes an die Person auch durch eine nur temporäre Übertragung durchbrochen wird.558 Aus demselben Grund ist auch eine Kenntnisnahme durch den Täter nicht erforderlich.559 Da das Beobachten nicht unter Strafe steht und sich der Gesetzgeber gegen eine Versuchsstrafbarkeit entschieden hat, bleibt der Täter straflos, wenn er zwar zu einer Bildaufnahme angesetzt, aber noch nicht die Gelegenheit hierzu gefunden hat. Dies ist nach Ansicht des OLG Koblenz der Fall, wenn ein Badegast innerhalb einer nach außen hin sichtgeschützten Saunalandschaft Aufnahmen von anderen Badegästen macht, bei denen lediglich die Füße und Beine zu sehen sind.560 Der Badegast versuchte, unauffällig Nacktfotos eines ebenfalls in der Sauna anwesenden Paares zu machen. Dabei entstanden Aufnahmen der Füße und Teile der Beine561 des Paares. Obwohl das OLG Koblenz bereits den räumlichen Schutzbereich als nicht eröffnet ansah (kein gegen Einblicke besonderes geschützter Raum562), stellte es fest, dass durch die Aufnahme der Füße und Beine der Badegäste deren höchstpersönlicher Lebensbereich nicht verletzt sei. Eine Versuchsstrafbarkeit sehe § 201a StGB nicht vor. Die Frage, ob die gesamte Saunalandschaft einen gegen Einblick besonders geschützten Raum darstellt, beiseitegelassen, könnte sich nach der hier vorgeschlagenen Neufassung von § 201a StGB563 die Strafbarkeit des Täters ergeben, da innerhalb eines besonderen Rückzugsortes eine Bildaufnahme jedweden Inhalts zu bestrafen ist. Zwar mag es zunächst seltsam erscheinen, dass der Straftatbestand mit der Herstellung eines Bildes lediglich etwa des kleinen Zehs einer Person, also eines vermeintlich „unwichtigen“ Details, erfüllt ist. Doch es ist kaum zu definieren, ab wann ein „unwichtiges“ zu einem das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen tangierenden „wichtigen“ Detail wird – bei der Abbildung des ganzen Fußes, der Waden, der Oberschenkel?564 Unabhängig also davon, auf welche Ebene565 die konkrete Frage verlegt wird, was genau auf einer strafwürdigen Bildaufnahme zu sehen sein muss, lässt sie sich kaum beantworten. Um eine Rechtsunsicherheit zu verhindern, 557
LK/Valerius, § 201a Rn. 9. Zum unterschiedlichen Unwertgehalt des (strafbaren) Beobachtens durch Videoübertragung einerseits und des (straflosen) Beobachtens z. B. durch ein Fernglas andererseits vgl. unten C. II. 5. b) bb). 559 Vgl. hierzu BT Drucks. 15/1891 S. 7. 560 Vgl. dazu nochmal die Entscheidung des OLG Koblenz NStZ 2009, 268, 269. 561 Zur Frage, ob die Bildaufnahme auch dann „eine andere Person“ zeigt, wenn nur deren Füße oder Beine zu sehen sind, siehe unten unter bb). 562 OLG Koblenz NStZ 2009, 268, 269. 563 Vgl. dazu unten E. I. und E. II. 2. 564 Vgl. dazu auch Borgmann, NJW 2004, 2133, 2134. 565 Bei der Frage der Schutzwürdigkeit des Einzelnen, bei der Gesetzgebung in Form der Tatbestandsformulierung, im Rahmen der Schutzgutsbestimmung oder bei der Auslegung eines Tatbestandsmerkmals. 558
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C. Umsetzung durch den Gesetzgeber
welche der unbefangenen körperlichen Erscheinung in räumlichen Rückzugsorten, die der Einzelne im Rahmen der Entwicklung und Entfaltung seiner Persönlichkeit ausleben darf und muss, im Wege steht, ist lediglich folgendes Korrektiv zu beachten: Die Bildaufnahme eines Körperteils einer Person ist nur dann strafbar, wenn dieser Körperteil dem Opfer auch zugeordnet werden kann.566 Regelmäßig ist mit der Identifizierbarkeit des Abgebildeten aber gleichzeitig die erforderliche Erheblichkeitsschwelle überschritten, weil das visuelle Selbstbestimmungsrecht des Opfers verletzt wird. Hierin ist das notwendige, aber auch hinreichende materielle Korrektiv zu sehen. Der Gesetzgeber hat entgegen den ersten Gesetzesentwürfen567 von einer Versuchsstrafbarkeit abgesehen, da eine solche Vorverlagerung der Strafbarkeit in das Vorfeld der eigentlichen Rechtsgutsverletzung unter Beachtung der Tatsache, dass es sich um ein Gefährdungsdelikt mit einer niedrigen Strafdrohung handle, nicht geboten sei.568 Diese Begründung ist angesichts der Versuchsstrafbarkeit im akustischen Bereich gem. § 201 Abs. 4 StGB schwer nachvollziehbar, da es sich bei den in §§ 201 und 201a StGB inkriminierten Angriffsformen um gleich schwere und gleichartige Eingriffe in nahezu gleichwertige Schutzgüter handelt. In einem Gesetzesentwurf des Bundesrates vom 17. 06. 2016569 wird vorgeschlagen, auch den Versuch unbefugter Bildaufnahmen unter Strafe zu stellen, um auch Fälle zu erfassen, in denen die tatsächliche Anfertigung der Aufnahme durch Dritte oder durch technische Defekte verhindert wurde. Damit soll der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch § 201a StGB vervollständigt werden.570 Sieht man wie hier das spezielle optische Selbstbestimmungsrecht von § 201a StGB de lege ferenda als geschützt an und streicht das Merkmal des höchstpersönlichen Lebensbereichs, ändert sich auch die Deliktsnatur des § 201a StGB dahingehend, dass es sich dann um ein Verletzungsdelikt handelt. Berücksichtigt man zudem die Gleichwertigkeit der Schutzgüter der §§ 201 und 201a StGB de lege ferenda und die Tatsache, dass der Gesetzgeber eine Strafrahmenerhöhung des § 201a StGB de lege lata für erforderlich hielt571, so ist die Forderung nach einer Versuchsstrafbarkeit durchaus nachzuvollziehen und wird in der hier vorgeschlagenen Gesetzesänderung berücksichtigt.572 bb) Andere Person Die Bildaufnahme muss die Abbildung einer anderen Person zeigen, weil nur diese Träger des Rechts auf Bindung der körperlichen Erscheinung sein kann. 566 567 568 569 570 571 572
Vgl. unter C. II. 5. a) bb). BT-Drucks. 164/03, § 201a Abs. 5 StGB-E. MüKo-StGB/Graf, § 201a StGB Rn. 56; BT-Drucks. 15/2466, S. 4. BR-Drucks. 226/16, S. 2, 14. BR-Drucks. 226/16, S. 2. BT-Drucks. 18/2601, S. 36 f. Vgl. unten E. I. und E. II. 2.
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Dementsprechend sind Darstellungen von Tieren und Gegenständen (z. B. Wohnungen oder Privaträume) von vornherein ausgeschlossen.573 Es wird vertreten, dass bei § 201a StGB die abgebildete Person nicht (durch Dritte) erkennbar oder identifizierbar sein muss.574 Dies ergebe sich aus dem Gesetzeswortlaut, da „Bildaufnahmen“ anders als „Bildnisse“ i.S. der §§ 22, 23, 33 KunstUrhG nicht auf die Erkennbarkeit der abgebildeten Person abstelle.575 Auch spreche das Schutzgut des „höchstpersönlichen Lebensbereichs“ für eine solche Auslegung, da das Opfer sich auch dann darin verletzt sehe, wenn von ihm intime (Detail-) Aufnahmen hergestellt werden.576 Diese Auffassung ist angesichts der Weite des damit verbundenen Strafbarkeitsrisikos fraglich. Legt man den Schwerpunkt auf das Risiko der Verbreitung einer unbefugten Bildaufnahme eines bestimmten Rechtsgutsträgers, erscheint es widersprüchlich, dass sich eine Person in ihrem höchstpersönlichen Lebensbereich verletzt sieht, wenn Detailaufnahmen gemacht werden, die dieser Person nicht (ohne weiteres von Dritten) zugeordnet werden können. Dann kann es zwar zu einer Offenbarung oder Verbreitung von irgendwelchen intimen Details kommen, nicht aber zu einer Rechtsgutsverletzung einer bestimmten Person. Lediglich der Akt des Herstellens der Bildaufnahme stellt sich dann als (flüchtiger) Einbruch in den höchstpersönlichen Lebensbereich des Opfers dar. Der Strafgrund des § 201a StGB ist jedoch gerade in der Dauerhaftigkeit einer Fixierung des Abgebildeten und damit in der Reproduzierbarkeit der dem höchstpersönlichen Lebensbereich zugehörigen Lebenssituation zu sehen. Der Wortlaut „Bildaufnahmen“ spricht nicht eindeutig für eine bestimmte Auslegung. Es ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber den Begriff der „Bildaufnahme“ wählte, weil angesichts der technischen Entwicklung der Terminus „Bildnisse“ nicht mehr zeitgemäß erschien. Der Vergleich mit „Bildnissen“ in § 33 KunstUrhG legt vielmehr ein ähnliches Verständnis der „Bildaufnahme“ in § 201a StGB nahe, weil beide Gesetze dem Schutz des Rechts am eigenen Bild dienen und untereinander abzustimmen sind. Das Bestimmungsrecht hinsichtlich der Reichweite der körperlichen Erscheinung ist an den Einzelnen geknüpft und kann nur verletzt werden, wenn der Rechtsgutsträger bestimmbar ist. Danach sind Aufnahmen einzelner Körperteile ausreichend, solange der Rechtsgutsträger identifizierbar ist.577 Dabei sollten die Erkenntnisse zum Bildnisbegriff i.S. des § 22 KunstUrhG herangezogen werden, wonach die Identifizierbarkeit der abgebildeten Person z. B. anhand des Bildes, einer Namensangabe unter dem Foto oder anderer Erkennungsmerkmale und –hilfen (Frisur, besondere Kleidungsstücke, Haltung oder Statur der Person, äußere Umstände wie das Flug-
573 574
340. 575 576 577
980.
So auch LK/Valerius, § 201a Rn. 10. Ernst, NJW 2004, 1277, 1278; Koch, GA 2005, 589, 595; Kargl, ZStW 117 (2005), 324, Koch, GA 2005, 589, 595. Koch, GA 2005, 589, 595. i.E. auch Tröndle/Fischer, § 201a Rn. 5; L/Kühl, § 201a Rn. 4; Busch, NJW 2015, 977,
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C. Umsetzung durch den Gesetzgeber
zeug eines Piloten, das in der Reiterszene bekannte Pferd eines Reiters, Wortberichterstattung usw.)578 erfolgen könne. Fraglich ist hierbei, ob die Erkennbarkeit durch den Abgebildeten selbst ausreichend ist. So sieht es im Ergebnis der BGH in seiner neueren Rechtsprechung, wonach tatbestandlich jedenfalls solche Bildaufnahmen erfasst sind, die aufgrund hinreichend vorhandener Identifizierungsmerkmale von den jeweiligen Tatopfern der eigenen Person zugeordnet werden können.579 Da der Rechtsgutsangriff bereits in der Fertigung der Bildaufnahme durch den Täter liege, ohne dass es auf eine mögliche spätere Weitergabe oder Verbreitung der Aufnahme ankomme, bestehe insbesondere kein Grund, den Eintritt des Taterfolgs davon abhängig zu machen, dass die Identifizierung der abgebildeten Person von Dritten anhand auch anderen bekannter Merkmale oder Besonderheiten vorgenommen werden könne.580 Auch wenn die Auffassung des BGH fragwürdigerweise an die Aufnahmehandlung und nicht an die Aufnahme selbst anknüpft, trägt diese Sichtweise dem auf dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht fußenden Rechtsgut des visuellen speziellen Selbstbestimmungsrechts Rechnung und ist daher trotz des mit ihr verbundenen weiten Strafbarkeitsbereichs vorzugswürdig.581 Erkennt das Opfer sich selbst auf der Abbildung, weiß es, dass das eigene visuelle Selbstbestimmungsrecht durch den Täter verletzt wurde und dass dieser die Identifikation zu einem späteren Zeitpunkt ohne weiteres nachholen kann (z. B. durch Hinzufügung des Namens oder anderer der oben genannten objektiven Merkmale). Fraglich ist, ob auch verstorbene Personen erfasst werden. Dies wäre grundsätzlich denkbar, da mit dem Tod zwar das Persönlichkeitsrecht endet, nicht jedoch sein Schutz.582 Ein Vorschlag von Kühl, den Schutzbereich von § 201a StGB auf verstorbene Personen auszudehnen583, wurde im Gesetzgebungsverfahren zwar nicht aufgegriffen, jedoch lässt dies nicht zwingend auf einen entgegenstehenden Willen des Gesetzgebers schließen.584 Es wird vertreten, dass das Persönlichkeitsrecht kürzlich Verstorbener beim Verbreiten von Bildern unter den Voraussetzungen des 578
BeckOK KunstUrhG/Engels, § 22 Rn. 4 – 6. BGH 4 StR 328/14 – Beschluss vom 26. Februar 2015 = BGH NStZ 2015, 391. 580 BGH 4 StR 328/14 – Beschluss vom 26. Februar 2015 = BGH NStZ 2015, 391; anders aber z. B. MüKo-StGB/Graf, § 201a Rn. 20. 581 So auch Bosch, Jura 2016, 1380, 1382. 582 BVerfG 24. 2. 1971 „Mephisto“ E 30, 173, 194; BGH 20. 3. 1968 „Mephisto“ Z 50, 133, 136 f.; Sauren, ZUM 2005, 425, 430. 583 Kühl, AfP 2004, 190, 195. 584 Auch in anderen Fällen in der Vergangenheit sah sich der Gesetzgeber durch Hinweise in Sachverständigenanhörungen nicht zu ergänzenden oder auch nur klarstellenden Regelungen veranlasst, vgl. MüKo-StGB/Graf, § 201a Rn. 17. So zog man sich auch bei der Diskussion des Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung vom 21. 12. 2007(BGBl. I S. 3198.) auf die Begründung im Gesetzentwurf zurück und sah von der erforderlichen Klarstellung im Gesetz ab, obwohl in der Anhörung auf eine strittige Rechtslage hinsichtlich der Beauskunftung einer dynamischen IP hingewiesen worden war (Beispiel aus MüKo-StGB/ Graf, § 201a Rn. 17 Fn. 41; vgl. hierzu BeckOK StPO/Graf, § 100a Rn. 15 m. w. N.). 579
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§ 33 KunstUrhG strafrechtlich geschützt wird.585 Danach wäre es widersprüchlich, wenn zwar nicht das Aufnehmen kürzlich Verstorbener strafbar ist, wohl aber die anschließende Verbreitung der Aufnahme. Zudem ist in der Gesetzesbegründung zur genaueren Bestimmung des Anwendungsbereichs von Sexualität, Krankheit und Tod die Rede.586 Die Einbeziehung Toter in den Schutzbereich hätte zudem den Vorteil, die schwierige Unterscheidung zwischen einem gerade versterbenden und einem soeben verstorbenen Menschen zu vermeiden, da bei einer Fotografie der jeweilige Status des Menschen kaum feststellbar ist.587 § 201a StGB ist jedoch nach herrschender Meinung nicht auf Darstellungen von Personen anwendbar, die zum Zeitpunkt der Aufnahme bereits verstorben waren (z. B. tödlich verunglückte Unfallopfer).588 Aus der Verwendung des Begriffs „Person“ in den §§ 174 ff., 223 ff. und 232 ff. StGB könne geschlossen werden, dass nur lebende Menschen gemeint sind.589 Dafür spreche auch, dass der Gesetzgeber in anderen Fällen für Verstorbene die Bezeichnung „Verstorbener“ (§ 189, 203 Abs. 3 StGB) oder „verstorbener Mensch“ (§ 168 StGB) gewählt hat.590 Auch in § 203 Abs. 4 StGB wird die Strafbarkeit einer unbefugten Offenbarung von Geheimnissen nach dem Tod des Betroffenen ausdrücklich normiert. Hinzu kommt, dass auch bei einer derart weiten Auslegung die Tat dennoch nicht verfolgbar wäre, da das Strafantragsrecht gem. § 205 Abs. 2 StGB nur auf die Angehörigen übergeht, wenn der Verletzte stirbt, dieser also zur Tatzeit noch gelebt hat.591 Die Gesetzesbegründung ist daher eher so zu verstehen, dass der Anwendungsbereich Sexualität, Krankheit und Sterben bzw. Siechtum umfasst. Es darf auch nicht verkannt werden, dass die Einbeziehung einer Leiche als „andere Person“ i.S. des § 201a StGB erhebliche Zweifel hinsichtlich des Analogieverbots aufwirft. Schließlich wäre de lege ferenda eine derart weite Auslegung des Merkmals „Person“ nur schwer mit dem Schutzzweck der Norm zu vereinbaren, wonach die Unbefangenheit des körperlichen Erscheinens geschützt werden soll. Denn eine verstorbene Person kann kein Bewusstsein hinsichtlich ihrer körperlichen Erscheinung haben.
585
Flechsig, ZUM 2004, 605, 612. BT-Drucks. 15/2466, S. 5. 587 MüKo-StGB/Graf, § 201a Rn. 18. 588 L/Kühl, § 201a Rn. 3; S/S/Lenckner/Eisele, § 201a Rn. 4; Dölling/Duttke/Rössner/Tag, § 201a Rn. 5; LK/Valerius, § 201a Rn. 10 m.w.N.; Flechsig, ZUM 2004, 605, 612; Hoppe, GRUR 2004, 990, 994. 589 Tröndle/Fischer, § 201a Rn. 5; LK/Valerius, § 201a Rn. 10. 590 MüKo-StGB/Graf, § 201a Rn. 17. 591 Kächele, Der strafrechtliche Schutz vor unbefugten Bildaufnahmen (§ 201a StGB), S. 186. 586
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b) Tathandlungen aa) Herstellen einer Bildaufnahme nach § 201a Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB Ein „Herstellen einer Bildaufnahme“ i.S. des § 201a Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB liegt – entsprechend der Formulierung „Aufnahme“ in § 201 StGB – vor, wenn Bilder auf technischem Wege auf Filmmaterial oder einem beliebigen anderen Bild- oder Datenträger in der Weise fixiert werden, dass eine (wiederholte) visuelle Reproduktion und Wahrnehmung von Bildern oder Bildfolgen (Video) hierdurch ermöglicht wird.592 Dabei kommt es nicht darauf an, ob Hilfsgeräte (Bildbetrachtungsprogramm auf dem Computer) für die visuelle Wahrnehmbarkeit erforderlich sind.593 Fraglich ist, ob lediglich die erstmalige Aufzeichnung594 oder auch jede Vervielfältigung einer Abbildung595 erfasst wird. Die zweite Auffassung wird von Flechsig durch einen Vergleich mit § 16 Abs. 1 UrhG begründet. Diese Argumentation ist jedoch irreführend, da der Begriff „herzustellen“ in § 16 UrhG lediglich im Zusammenhang mit Vervielfältigungsstücken genannt wird; wie sich aus § 16 Abs. 2 UrhG ergibt, soll dort nur der Begriff der Vervielfältigung geklärt werden.596 Jedoch soll in § 184 StGB der Begriff des „Herstellens“ auch den Fall der Vervielfältigung erfassen.597 Letztlich gebietet jedoch die Abstimmung mit der Parallelvorschrift des § 201 StGB eine enge Auslegung des Begriffs der Herstellung in § 201a StGB. Bei § 201 StGB ist das Aufnehmen von einem anderen Tonträger nicht tatbestandsmäßig, da damit nicht unmittelbar in das spezielle Selbstbestimmungsrecht des Sprechenden eingegriffen wird. Entsprechendes muss für § 201a StGB gelten. Eine strafwürdige Perpetuierung des körperlichen Erscheinungsbildes tritt nur ein, wenn ein reales Geschehen aufgenommen wird, nicht hingegen ein bereits abgebildetes Geschehen. Spätere Vorgänge (Entwicklung eines Negativs, Anfertigung weiterer Abzüge, Kopie digitaler Bilddateien) sind daher nur als „Gebrauchen“ i.S.v. § 201a Abs. 1 Nr. 3 StGB anzusehen. Das Recht auf Bindung des körperlichen Erscheinungsbildes ist auch dann betroffen, wenn die Bildaufnahme die andere Person nur verfremdet zeigt; dies gilt zumindest solange das Produkt noch als Bildnis der Person erscheint.598 Existiert die
592
BT-Drucks. 15/2466, S. 5; MüKo-StGB/Graf, § 201a Rn. 26. LK/Valerius, § 201a Rn. 19. 594 So S/S/Lenckner/Eisele, § 201a Rn. 10; LK/Valerius, § 201a Rn. 19; MüKo-StGB/Graf, § 201a Rn. 27; Tröndle/Fischer, § 201a Rn. 12. 595 Dafür Flechsig, ZUM 2004, 605, 610 f. 596 So auch Kächele, Der strafrechtliche Schutz vor unbefugten Bildaufnahmen (§ 201a StGB), S. 164. 597 Z. B. MüKo-StGB/Hörnle, § 184, Rn. 92. 598 NK/Kargl, § 201a Rn. 14. 593
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abgebildete „Person“ jedoch nicht, so ist die Wortlautgrenze klar überschritten und die Herstellung der entsprechenden Bildaufnahme straflos.599 Das Herstellen sowie das nachfolgend untersuchte Übertragen einer Bildaufnahme müssen unbefugt erfolgen. Die Frage, ob es sich hierbei um ein Tatbestandsmerkmal oder um einen bloßen Verweis auf das allgemeine Deliktsmerkmal der Rechtswidrigkeit handelt, ist in der Literatur nicht ganz unumstritten.600 Für das hier erarbeitete Rechtsgut kann wegen der bestehenden Parallelen auf die entsprechenden Ausführungen zu § 201 StGB (S. 100 f.) verwiesen werden. I. E. ist jedenfalls bei Billigung durch das Opfer von einem tatbestandsausschließenden Einverständnis auszugehen, sofern das Einverständnis zeitlich vor der Aufnahme erteilt wurde. bb) Übertragen einer Bildaufnahme nach § 201a Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 StGB Mit der Tatmodalität „Übertragen“ wollte der Gesetzgeber klarstellen, dass Echtzeitübertragungen durch geeignete Videokameras (Webcams, drahtlose oder Funkkameras sowie „Spycams“) vom Tatbestand auch dann erfasst sind, wenn die übertragene Aufnahme nicht dauerhaft oder auch nur vorübergehend abgespeichert oder archiviert wird.601 Eine Bildaufnahme wird übertragen, wenn anderen deren Wahrnehmung auf Bildschirmen oder sonstigen Wiedergabemedien ermöglicht wird, ohne die reproduzierte Wirklichkeit selbst mit eigenen Augen sehen zu müssen.602 Es ist also im Gegensatz zur Var. 1 keine Perpetuierung in Form einer dauerhaften Speicherung des aufgenommenen Bildes erforderlich. Vielfach wird kritisiert, dass dies in Widerspruch zu Straflosigkeit der Beobachtung stehe603, insbesondere weil ein Unterschied im Unwertgehalt zwischen dem Beobachten durch Videoübertragung (§ 201a Abs. 1) einerseits und dem Beobachten durch ein Fernglas andererseits kaum begründbar sei.604 Diesen Bedenken ist in 599
Tröndle/Fischer, § 201a Rn. 5. Für einen Verweis auf die Rechtswidrigkeit: Tröndle/Fischer, § 201a Rn. 16; SK/Hoyer, § 201a Rn. 26; NK/Kargl, § 201a Rn. 26, L/Kühl, § 201a Rn. 9; Linkens, Der strafrechtliche Schutz vor unbefugten Bildaufnahmen, S. 120, Eisele, JR 2005, 6, 10; Heuchemer/Paul, JA 2006, 616, 619; Hoppe, GRUR 2004, 990, 994; Sauren, ZUM 2005, 425, 431. Für ein Tatbestandsmerkmal; Pollähne, KritV 2003, 387, 414; Flechsig, ZUM 2004, 605, 612. Für eine Doppelfunktion mit Einschränkung des Tatbestands sowie Hinweis auf die Rechtswidrigkeit: S/ S/Lenckner/Eisele, § 201a Rn. 8 und 11; Dölling/Duttke/Rössner/Tag, § 201a Rn. 6, Kraenz, Der strafrechtliche Schutz des Persönlichkeitsrechts, S. 196; hinsichtlich der Einzelnen Tatbestände differenzierend Koch, GA 2005, 589, 602. 601 BT-Drucks. 15/2466, S. 5. 602 LK/Valerius, § 201a Rn. 20. 603 Pollähne, KritV 2003, 387, 410 Fn. 123; NK/Kargl, § 201a Rn. 15; Safferling, MLR 2008, 36, 41. 604 NK/Kargl, § 201a Rn. 15. 600
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zweierlei Hinsicht zu widersprechen. Anders als beim bloßen Beobachten (auch in Form des Voyeurismus)605 ist der Umstand strafbegründend, dass ein ansonsten natürlich begrenzt sichtbares körperliches Erscheinungsbild gegen den Willen des Abgebildeten bei Übertragungen unter Überwindung der natürlichen Sichtbarkeitsgrenze hinaus aus der momentanen Erscheinungssituation auf ein Wiedergabemedium transferiert wird. Ob und wie viele Personen das körperliche Erscheinungsbild eines Individuums beobachten können, ist durch dessen Verhalten und die äußeren Umstände grundsätzlich auf natürliche Weise begrenzt, so dass der Einzelne sein Verhalten bzw. genauer die Art und Weise der körperlichen Erscheinung danach ausrichten kann, ob er sich gerade an einem gut einsehbaren belebten Ort aufhält oder in einem sichtgeschützten, abgelegenen Bereich, wie die Lichtverhältnisse sind oder ob es optische Barrieren gibt. Diese natürlichen Gegebenheiten, die den Einzelnen vor einer unbegrenzten Beobachtbarkeit durch Dritte schützen und auf die sich der Einzelne grundsätzlich auch verlassen darf, werden bei einer Übertragung i.S. des § 201a Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 StGB mithilfe technischer Mittel überwunden. Die Gefahr für das Individuum, den unerwünschten Blicken Dritter ausgesetzt zu sein, ist beim bloßen „Spannen“ auf die Personen reduziert, die im Rahmen der natürlichen Gegebenheiten bzw. Sichtbarkeit das Opfer betrachten können. Erst die Übertragung auf ein Wiedergabemedium begründet hier die Strafbarkeit auch bei lediglich flüchtigen Beobachtungen, weil der Kreis potenzieller Beobachter606 damit wesentlich erweitert wird. Die Parallele zu § 201 Abs. 2 Nr. 1 StGB liegt auf der Hand. Des Weiteren ist festzustellen, dass der Empfänger der übertragenen Bildaufnahme die gefilmte Person zwar „beobachtet“, aber gleichwohl straffrei bleibt; der Strafgrund liegt nämlich in der Nutzung von Verbreitungsmedien bzw. der Verbreitung der Bilder durch den Übertragenden, der die Kamera steuert oder über das Bildmaterial verfügt (und sich ggfs. nach § 201a Abs. 1 Nr. 3 2. Var. StGB strafbar macht). Der Täter „beobachtet“ dabei zwar i. d. R. auch, jedoch liegt ein weiterer Unterschied zur straflosen (weil flüchtigen) Beobachtung nach § 201a Abs. 2 EFDP607 darin, dass er mithilfe des Internets oder anderer Verbreitungsmedien eine unbestimmte Anzahl anderer Personen an seiner Beobachtung teilhaben lässt.608 Damit schafft der Täter zudem eine besonders große abstrakte Gefahr, dass es letztendlich doch zu einer Speicherung der Bildaufnahmen durch Dritte kommt.609 Für denjenigen, der eine unbefugte Bildaufnahme via Streaming aufruft, ist zu unterscheiden: Erfolgt eine dauerhafte Speicherung, ist ein Gebrauchen der Aufnahme i.S. des Abs. 1 Nr. 3 1. Var. gegeben. Liegt eine nur vorübergehende Zwischenspeicherung wie regelmäßig beim Streaming vor, ist darauf abzustellen, ob die 605
BT Drucks. 15/1891 S. 6; Kühl, AfP 2004, 190, 194; Flechsig, ZUM 2004, 605, 607. Nämlich Personen, die die tatsächliche Erscheinung des Opfers beobachten können und zusätzlich diejenigen, die die Übertragung betrachten können. 607 Vgl. unter C. II. 3. a). 608 Bosch, JZ 2005, 377, 380. 609 MüKo-StGB/Graf, § 201a Rn. 28; Kächele, Der strafrechtliche Schutz vor unbefugten Bildaufnahmen (§ 201a StGB), S. 169 ff. 606
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Gefahr einer Wahrnehmung durch eine Vielzahl anderer Personen besteht, etwa auf einem für zumindest Teile der Öffentlichkeit einsehbaren Bildschirm.610 Die Bindung des körperlichen Erscheinungsbildes an Person und Situation wird grundsätzlich durch eine Übertragung verletzt, da das Erscheinungsbild der betroffenen Person von dieser losgelöst und an einem anderen Ort (regelmäßig auf einem Bildschirm) abgebildet wird. Damit wird die natürlich begrenzte Anzahl derer, die die körperliche Erscheinung wahrnehmen und ggfs. dauerhaft fixieren können, künstlich erweitert. Die Abgrenzung zwischen einer „Aufnahme“ und einer „Übertragung“ ist schwierig. Überwiegend wird davon ausgegangen, dass Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 aufgrund seiner Eigenschaft als eigenständiger Tatbestand voraussetzt, dass kein Herstellen einer Bildaufnahme gegeben ist, die Abbildung also nicht gegenständlich fixiert oder gespeichert wird.611 Abgrenzungskriterium ist danach, ob nur eine vorübergehende Zwischenspeicherung (dann „Übertragung“) oder eine Perpetuierung (dann „Aufnahme“) vorliegt. Besonders problematisch ist diese Unterscheidung beim Streaming. Hierbei ist wegen der lediglich kurzzeitigen Zwischenspeicherung von einer Übertragung auszugehen, weil beim Streaming nicht ohne weitere technische Zwischenschritte das betroffene Bild in einer Weise fixiert werden kann, die eine Vervielfältigung oder einen wiederholten Gebrauch ermöglicht. Wenn bspw. Webcam-Bilder auf einem fremden Computer gespeichert werden, ohne dass jemand die Bilder betrachtet, kommt es darauf an, ob eine Speicherung der oben beschriebenen Art vorliegt. Wird lediglich eine vorübergehende Betrachtung ermöglicht, handelt es sich um eine Übertragung; ist dagegen ein wiederholter Gebrauch möglich, liegt eine Herstellung vor. cc) Gebrauchen oder Zugänglichmachen von unbefugt hergestellten Bildaufnahmen nach § 201a Abs. 1 Nr. 3 StGB § 201a Abs. 1 Nr. 3 StGB ist § 201 Abs. 1 Nr. 2 StGB nachgebildet und pönalisiert das Gebrauchen einer nach Abs. 1 hergestellten Bildaufnahme sowie das Zugänglichmachen der Aufnahme für einen Dritten. Der Vorschrift liegt die Überlegung zugrunde, dass die Nutzung einer unbefugten Bildaufnahme, die das spezielle visuelle Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen verletzt, ebenso strafwürdig ist wie deren Herstellung.612 Dabei muss es sich zunächst um eine nach Abs. 1 „hergestellte Bildaufnahme“ handeln. Ebenso wie in § 201 Abs. 1 Nr. 2 StGB lässt diese Gesetzesformulierung zwei Lesarten zu: Entweder bezieht sich die Verweisung nur auf die in Abs. 1 näher beschriebenen Umstände der Bildaufnahme oder sie schließt auch das Merkmal 610
Ähnlich MüKo-StGB/Graf, § 201a Rn. 28; Flechsig, ZUM 2004, 605, 611. NK/Kargl, § 201a Rn. 14; Tröndle/Fischer, § 201a Rn. 13; Hoppe, GRUR 2004, 990, 992; Sauren, ZUM 2005, 425, 429. 612 BT-Drucks. 15/2466, S. 5 611
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„unbefugt“ ein. Die Lösung dieser Streitfrage orientiert sich ebenfalls an dem parallelen Problem bei § 201 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Sieht man das Schutzgut in der Gebundenheit des körperlichen Erscheinungsbildes an die Person und Situation, so ist grundsätzlich auch das Bestimmungsrecht der Person über die Fixierung der eigenen Erscheinung geschützt. Gibt der Einzelne sein Einverständnis mit einer Bildaufnahme, so gibt er diese Bindung freiwillig auf und erlaubt in einem gewissen Rahmen die spätere Reproduktion des Bildes. Er kann und wird seine körperliche Erscheinung und die Umstände der Aufnahme entsprechend beeinflussen, so dass die Unbefangenheit des Erscheinungsbildes und damit der Normzweck nicht betroffen sind. Es liegt also in der Hand des Einzelnen, für eine sichere Aufbewahrung zu sorgen bzw. den Hersteller oder Inhaber der Bildaufnahmen auf dessen Verlässlichkeit zu überprüfen und die weitere Verwendung des Bildes zu verbieten oder mit einem Genehmigungsvorbehalt zu versehen.613 Damit ist ebenso wie bei § 201 Abs. 1 Nr. 2 StGB das Merkmal „unbefugt“ in das Tatbestandsmerkmal „durch eine Tat nach Abs. 1 hergestellte Bildaufnahme“ in § 201a Abs. 1 Nr. 3 StGB einzubeziehen. Gestützt wird die Ablehnung der erweiternden Interpretation, die den Umgang mit rechtmäßig hergestellten Bildaufnahmen unter den Tatbestand subsumiert, zusätzlich durch die Regelung des Abs. 1 Nr. 4; dort ist im Gegensatz zu Abs. 1 Nr. 3 ausdrücklich von „befugt hergestellten Bildaufnahmen“ die Rede, so dass im Umkehrschluss bei Abs. 1 Nr. 3 von unbefugt hergestellten Bildaufnahmen auszugehen ist. Gegen die unbefugte Veröffentlichung – z. B. die Einstellung von Bildern ins Internet aus Rache – gewährt § 33 KunstUrhG strafrechtlichen Schutz.614 Ähnlich wie bei § 201 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfasst das Gebrauchen einer Aufnahme auch die Verwertung der hergestellten Aufnahme durch Sichtbarmachung des Bildes oder Videos. Erfasst ist jede Tätigkeit, bei der die technischen Möglichkeiten des Bildträgers ausgenutzt werden, insbesondere also das Speichern, Archivieren und Kopieren, aber auch z. B. die Herstellung einer Fotomontage.615 Täter kann dabei sowohl der Hersteller der Aufnahme sein als auch jeder Dritte, der sich die Aufnahme beschafft und dann ansieht. Für Kächele ergeben sich Unstimmigkeiten bei der Strafbarkeit des Herstellers einer Bildaufnahme für das bloße Betrachten derselben.616 Sowohl die Bild- als auch die Tonaufnahmen werden in der Regel angeschaut bzw. abgespielt. Kächele sieht aber hier einen gewichtigen Unterschied zwischen dem Gebrauch von Bild- und Tonaufnahmen. Die strafwürdige Gefahr beim Abspielen einer Tonaufnahme bestehe darin, dass diese mitprotokolliert und damit ihr Inhalt im Wortlaut schriftlich 613
Vgl. die Entstehungsgeschichte, BT-Drucks. 15/1891, S. 7. Dazu näher Ernst, NJW 2004, 1277, 1278. 615 BT-Drucks. 15/2466, S. 5. 616 Vgl. Kächele, Der strafrechtliche Schutz vor unbefugten Bildaufnahmen (§ 201a StGB), S. 172 ff. m.w.N. 614
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festgehalten werden könne; dies sei jedoch bei einer Bildaufnahme nicht möglich, da das Betrachten reiner Selbstzweck sei.617 Diese Kritik geht jedoch fehl. Zunächst passen die gegenübergestellten Begriffspaare nicht zueinander. Das „Abspielen“ stellt den technischen Akt der Reproduktion einer Tonaufnahme dar, während das „Betrachten“ den körperlichen Akt der Kenntnisnahme eines Bildes beschreibt. Es muss unterschieden werden zwischen dem „Betrachten“ und „Bildaufrufen“ (im Bildbereich) einerseits und dem „Anhören“ und „Abspielen“ (im Tonbereich) andererseits. Zudem liegt die strafwürdige Gefahr beim Abspielen einer Tonaufnahme gerade nicht in dem Risiko einer möglichen Mitschrift des Inhalts, da nach der Systematik des § 201 StGB nicht der Inhalt einer Äußerung strafrechtlich relevant ist (und eine Mitschrift im Übrigen straffrei), sondern die Loslösung des authentischen Sprechakts von der Person. Damit liegt das Risiko des Abspielens einer Tonaufnahme in der Gefahr der weiteren Verbreitung durch erneute Tonaufnahmen mittels technischer Aufnahmegeräte und tritt zu dem ohnehin bestehenden Risiko einer digitalen Kopie. Dies gilt jedoch für ein aufgerufenes Bild gleichermaßen, da dieses grundsätzlich kopiert und zusätzlich nach dem Aufrufen erneut abfotografiert und auf einem Speichermedium fixiert werden kann. Das Abspielen einer Tonaufnahme führt zu einem erneuten Bruch der Bindung des Sprechaktes an die Gesprächssituation und ist daher ebenso wie die Aufnahme strafwürdig. Der Schutz der Bindung des authentischen Sprechakts an den Sprechenden soll dessen alleiniges Verfügungsrecht hinsichtlich des Sprechakts bzw. artikulierenden Stimmklangs gewährleisten. Mit dem Abspielen der Sprachaufzeichnung reproduziert jedoch der Abspielende den Sprechakt; damit verletzt er das Verfügungsrecht des Sprechers. Das tatsächliche „Anhören“ der Tonaufnahme ist jedoch strafrechtlich belanglos. Ganz ähnlich führt ein „Bildaufrufen“ zu einer erneuten (nach vorheriger Bildaufnahme) Verletzung der Bindung der körperlichen Erscheinung an die Person und Situation, weil ein Unbefugter dieses Erscheinungsbild reproduziert. Ebenso ist hier eine tatsächliche Kenntnisnahme, also das Betrachten des Bildmaterials, für die Strafbarkeit nicht relevant, weil insoweit die bloße Gefahr der erneuten Wahrnehmung und Speicherung ausreicht. Jedwede Reproduktion des geschützten Erscheinungsbildes durch einen Unbefugten verletzt das Verfügungsrecht des Abgebildeten. Für diesen besteht bei einem Aufrufen des Bildmaterials immer die Gefahr, dass der Kreis derjenigen, die die körperliche Erscheinung wahrnehmen, vergrößert wird. Damit ist das Betrachten einer unbefugten Bildaufnahme mit dem Anhören einer unbefugten Tonaufnahme einerseits, und das Aufrufen einer unbefugten Bildaufnahme mit dem Abspielen einer unbefugten Tonaufnahme andererseits vergleichbar. Folgerichtig müsste das bloße Betrachten einer unbefugten Bildaufnahme straffrei sein, da auch das bloße Anhören einer Tonaufnahme straflos ist. Dies gilt natürlich nur dann, wenn Anhören und Betrachten jeweils ohne vorheriges Abspielen oder 617 Kächele, Der strafrechtliche Schutz vor unbefugten Bildaufnahmen (§ 201a StGB), S. 172 ff.
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Aufrufen stattfindet, etwa bei einem „Mithören“ einer von einem Dritten abgespielten Aufnahme. Darüber hinaus ist in praktischer Hinsicht der technische Akt des Abspielens oder Aufrufens im Rahmen der Strafverfolgung leichter festzustellen als die körperliche Wahrnehmung. Damit ist derjenige strafbar, der unbefugte Bildaufnahmen verbreitet und Dritten zugänglich macht; diese Dritten hingegen, die solche Bildaufnahmen lediglich betrachten, bleiben straffrei. Dieses Ergebnis erscheint gerade hinsichtlich des oft zitierten Beispiels der Leser einer Illustrierten angemessen. So kommt Kächele trotz unpassender Begründung letztlich zu dem ähnlichen Ergebnis, dass eine teleologische Reduktion des Merkmals „Gebrauch“ dahingehend vorgenommen werden müsse, dass das bloße Anschauen des öffentlich zur Verfügung gestellten strafwürdigen Bildmaterials durch Dritte nicht erfasst werde.618 Danach sei die unterschiedliche Wertung bei § 201 StGB, wonach das Abspielen einer unbefugten Tonaufnahme strafbar sei, und § 201a StGB, der das Betrachten einer unbefugten Bildaufnahme nicht erfasse, hinzunehmen.619 Die von Kächele hierfür gegebene Begründung leuchtet nicht ein (s. o. zur Vergleichbarkeit beider Handlungen), aber in der Bewertung der Straflosigkeit körperlicher Wahrnehmung stimmt Kächeles Lösung mit der hier vertretenen überein. Problematisch ist jedoch der Fall des Beobachtens eines unbefugt aufgenommenen und veröffentlichten Videos auf einer Online-Plattform. Zwar ist das bloße Betrachten des Inhalts straflos, jedoch könnte in dem Aufrufen des Videos ein Gebrauch i.S. einer Ausnutzung der technischen Möglichkeiten des Bildträgers gesehen werden. Als Bildträger müsste der entsprechende Homepage-Server angesehen werden. Entscheidend ist nach schutzzweckorientierter Betrachtung aber auch hier, dass es beim bloßen Anschauen in Form eines Streamings nicht zu einer Perpetuierung des strafwürdigen Bildmaterials durch den Betrachter kommt, so dass dieser die Flüchtigkeit des körperlichen Erscheinungsbildes der aufgenommenen Person nicht berührt. Zwar wird das Video technisch zwingend kurzfristig im Arbeitsspeicher des Rechners zwischengespeichert, um überhaupt auf dem jeweiligen Monitor angezeigt werden zu können. Jedoch ist diese Zwischenspeicherung nach § 201a Abs. 1 Nr. 3 StGB anders als bspw. nach § 184b Abs. 4 StGB (nach alter Rechtslage)620 jedenfalls dann nicht strafbar, wenn niemand außer dem Betrachter 618 Kächele, Der strafrechtliche Schutz vor unbefugten Bildaufnahmen (§ 201a StGB), S. 173. 619 Kächele, Der strafrechtliche Schutz vor unbefugten Bildaufnahmen (§ 201a StGB), S. 173. 620 Vor Schaffung des § 184d Abs. 2 S. 1 StGB herrschte in solchen Fällen Streit über den notwendigen Umfang der Verfügungsgewalt i.R. des Merkmals „Besitz“. Mangels Verfügungsgewalt lehnte ein Teil der Literatur eine Strafbarkeit des bloßen Aufrufens kinderpornografischer Computerdateien ab (vgl. MüKo-StGB/Hörnle, § 184b Rn. 38). Die Rechtsprechung ließ die vorübergehende Speicherung entsprechender Dateien im Arbeitsspeicher des Computers oder in einem bestimmten Verzeichnis der Festplatte (z. B. „Temporary Internet Files“) genügen (BGH NStZ 2007, 95; OLG Hamburg StV 2009, 469; OLG Schleswig NStZ-
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das Bildmaterial wahrnimmt621, da der Betrachter hierbei keine Zugriffsmöglichkeit auf die gespeicherte Datei hat, so dass für den Rechtsgutsinhaber keine Gefahr einer unbefugten Drittverfügung über sein körperliches Erscheinungsbild besteht. Demnach ist das Betrachten eines Online-Videos ggfs. nach § 184b Abs. 4 StGB (jetzt § 184d Abs. 2 S. 1 StGB) strafbar, nach § 201a Abs. 1 Nr. 3 StGB jedoch nicht. Anderes gilt selbstverständlich für denjenigen, der das Video ins Netz gestellt hat oder denjenigen, der das öffentlich verfügbare Video auf einem privaten Speichermedium fixiert (dann Gebrauchen i.S. des § 201 Abs. 2 Var. 1 StGB). Es erscheint möglicherweise befremdlich, dass bei der hier vorgenommenen Auslegung derjenige, der die unbefugte Bildaufnahme anschaut, diese nicht „gebraucht“, aber derjenige, der sie ohne sie anzuschauen „nur“ speichert, den Tatbestand erfüllt. Dieser vermeintliche Widerspruch ist vor dem Hintergrund aufzulösen, dass § 201a StGB in erster Linie das visuelle Selbstbestimmungsrecht und damit den Einzelnen vor fremden Verfügungen über seine visuelle Erscheinung schützt. Die Gefahr solcher „Drittverfügungen“ in Form einer Verbreitung oder Reproduktion der Bildaufnahme kann jedoch grundsätzlich nicht vom bloßen Betrachter ausgehen, sondern nur von demjenigen, der die Datei speichert und auf diese Zugriff hat. Dies entspricht auch dem Normzweck, weil die Betrachtung des Bildinhalts durch Dritte und die damit einhergehende mögliche „Bloßstellung“ oder „peinliche Berührtheit“ des Abgebildeten für § 201a StGB irrelevant sind. § 201a StGB schützt vielmehr den formalen Aspekt des Bestimmungsrechts hinsichtlich der Bindung des Erscheinungsbildes an Person und Situation. „Zugänglichmachen“ i.S. des § 201a StGB bedeutet, einem Dritten die Möglichkeit zu verschaffen, von der unbefugten Aufnahme Kenntnis zu nehmen oder diese anzusehen622, wobei eine tatsächliche Kenntnisnahme nicht erforderlich ist.623 Bildaufnahmen werden durch körperliche Übergabe von Original, Kopien oder Speichermedium einerseits, andererseits auf digitalem Wege durch Übermittlung von Bild- und Videodateien als Dateianhang per E-Mail oder durch Datenübertragung mittels anderer Software oder auch als Austausch in Chaträumen im Internet zugänglich gemacht.624 Somit ist ein Gewahrsam des Dritten an der Aufnahme nicht erforderlich, vielmehr reicht es aus, wenn ihm ein „Sprungziel“ im Internet zu einem bestimmten Angebot (z. B. „Internet-Link“) überlassen wird, durch dessen Aktivierung er die unbefugte Bildaufnahme dauerhaft speichern kann.625 Auch hier muss zwischen dem bloßen Ansehen und der mit der Speicherung verbundenen VerfüRR 2007, 41). Diese Ansicht kann letztlich nur damit begründet werden, der kommerziellen Nutzung von Streaming-Möglichkeiten bei Kinderpornografie Einhalt zu gebieten. Dieser Aspekt hat für § 201a Abs. 1 Nr. 3 StGB jedoch keine Bedeutung. 621 Sonst ggfs. Übertragung i.S. des § 201a Abs. 1 Nr. 2 StGB. 622 MüKo-StGB/Graf, § 201a Rn. 32. 623 NK/Kargl, § 201a Rn. 18. 624 MüKo-StGB/Graf, § 201a Rn. 32. 625 Ähnlich LK/Valerius, § 201a Rn. 25; NK/Kargl, § 201a Rn. 18.
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C. Umsetzung durch den Gesetzgeber
gungsmöglichkeit unterschieden werden. Damit ergibt sich eine Strafbarkeit derer, die unbefugte Bildaufnahmen auf Online-Speicherplätzen wie „Rapidshare“, „Speedshare“, „Uploaded.to“, „Picupload“ oder „YouTube“ hochladen. Die von Borgmann geäußerten Bedenken hinsichtlich der Bestimmtheit des Tatbestandes, weil nicht klar sei, wie lange jemand eine unbefugte Bildaufnahme betrachten müsse, um strafbares Unrecht zu begehen626, können jedenfalls zerstreut werden, wenn der Täter den Zugriff auf das Bild ermöglicht hat, weil dann die Möglichkeit der Kenntnisnahme durch Dritte ausreicht. Auf die Dauer der Betrachtung durch Dritte kommt es nicht an.627 Da die Aufnahme selbst zugänglich gemacht werden muss und es in systematischer Hinsicht nicht auf deren Inhalt ankommt, ist die mündliche oder schriftliche Mitteilung vom Inhalt der gefertigten Aufnahme straflos.628 dd) Unbefugtes Zugänglichmachen einer befugt hergestellten Bildaufnahme nach § 201a Abs. 1 Nr. 4 StGB § 201a Abs. 1 Nr. 4 StGB umfasst die Fallkonstellationen, in denen die Bildaufnahme zwar befugt hergestellt wurde, aber zum Zeitpunkt der Verbreitung entweder überhaupt nicht oder nicht für die konkret erfolgte Verbreitung bestimmt ist.629 Unerheblich ist dabei, aus welchen Gründen die abgelichtete Person ihr Einverständnis mit der Herstellung der Bildaufnahme gegeben hat, soweit es nicht abgenötigt oder anderweit erzwungen war.630 Auch ein durch Täuschung erschlichenes Einverständnis des Abgebildeten entfaltet keine Wirkung. Markantes Beispiel ist die allein für den Lebenspartner etwa im Schlafzimmer angefertigte Nacktaufnahme, die nach der Trennung in einem Internetforum oder über Tauschbörsen zum Abruf bereitgestellt wird.631 In der Strafrechtsliteratur wird häufig von einem Indiskretionsdelikt gesprochen, da sich die abgebildete Person ihres höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Einwilligung in die Aufnahme bereits begeben habe und lediglich Opfer eines Vertrauensbruchs werde.632 Es könnte ein Widerspruch darin gesehen werden, dass das unbefugte Zugänglichmachen einer befugt hergestellten Bildaufnahme gem. § 201a Abs. 1 Nr. 4 StGB strafbar ist, eine vergleichbare Regelung in § 201 StGB für Tonbandaufnahmen 626 Borgmann, NJW 2004, 2133, 2135; auf Dauer und „Intensität“ des Betrachtens abstellend Harms, NStZ 2003, 646, 650. 627 BT-Drucks. 15/2466, S. 5; NK/Kargl, § 201a Rn. 18; auch für Bosch, JZ 2005, 377, 380 ist die Betrachtungsdauer „ohne Belang“. 628 Ebenso Safferling, MLR 2008, 36, 41. 629 LK/Varlerius, § 201a Rn. 27. 630 Tröndle/Fischer, § 201a Rn. 22; MüKo-StGB/Graf, § 201a Rn. 33. 631 So etwa der Sachverhalt von LG Kiel, NJW 2007, 1002. 632 LK/Valerius, § 201a Rn. 27; Tröndle/Fischer, § 201a Rn. 22; SK/Hoyer, § 201a Rn. 10; NK/Kargl, § 201a Rn. 19, L/Kühl, § 201 Rn. 8; Borgmann, NJW 2004, 2133, 2135; Kargl, ZStW 117 (2005), 324, 335.
II. § 201a StGB
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jedoch fehlt. § 201 StGB schützt nicht etwa das Vertrauen auf den diskreten Umgang mit Tonaufnahmen oder ein „Recht am aufgenommenen Wort“633 ; fraglich ist also, ob § 201a StGB den diskreten Umgang mit Bildaufnahmen oder ein „Recht am aufgenommenen Bild“ schützt. Zwar kann eine Bildveröffentlichung eingriffsintensiver sein als die Veröffentlichung unbefugter Tonbandaufnahmen, wie jüngste Suizidfälle in den USA zeigen. Insbesondere Verbreitungsmedien wie Printmedien oder Online-Nachrichtenmagazine, welche Funk- und Telemedien vermehrt ablösen, sind eher auf Bildberichterstattung als auf akustische Darstellungen ausgelegt, so dass für unbefugte Bildaufnahmen ein größerer Markt und Anreiz besteht. So erscheint das Fehlen einer § 201a Abs. 1 Nr. 4 StGB vergleichbaren Vorschrift in § 201 StGB zunächst gerechtfertigt. Fraglich ist aber, wie der Tatbestand des Abs. 1 Nr. 4 nach der hier bezüglich des geschützten Rechtsguts vertretenen Auffassung zu bewerten ist. Sieht man die Unbefangenheit der körperlichen Erscheinung und damit das Recht auf Bindung des körperlichen Erscheinungsbildes an Person und Situation als geschütztes Rechtsgut an, gibt die betroffene Person mit der Einwilligung in die Bildaufnahme diese Bindung auf. Dann kann und wird der einzelne seine körperliche Erscheinung und die Umstände der Aufnahme anders ausrichten oder Schutzmaßnahmen hinsichtlich einer Aufnahme treffen, so dass die Unbefangenheit des Erscheinungsbildes und damit der Normzweck nicht betroffen sind.634 Unterlässt der Abgebildete dies, ist er nicht schutzwürdig. Hat er sein Einverständnis mit der Fixierung des Bildes gegeben, so ist der Fall vergleichbar mit der Situation, in der eine durch den Abgebildeten selbst angefertigte Bildaufnahme von Dritten entwendet und missbraucht wird. In diesem Fall wurde die Bindung der körperlichen Erscheinung vom Abgebildeten selbst durch die Aufnahme gelöst. Eine einmal gelöste Bindung i.d.S. kann jedoch nicht wiederhergestellt werden. Verletzt wird beim Missbrauch einer ehemals befugt hergestellten Bildaufnahme weniger das visuelle Selbstbestimmungsrecht des Abgebildeten, als vielmehr dessen Vertrauen in das Verhalten des Abbildenden. Dieses Vertrauen wird im Wege eines Genehmigungsvorbehalts o. ä. zivilrechtlich hinreichend abgesichert. § 201a Abs. 1 Nr. 4 StGB betrifft somit nicht das hier vertretene geschützte Interesse des § 201a StGB, weil die einmal erteilte Erlaubnis zur Aufnahme die geschützte Bindung des authentischen Sprechakts an die Situation endgültig bricht, und sollte daher gestrichen werden. Hinsichtlich des bei dieser Verhaltensweise im Vordergrund stehenden zeitlich nachfolgenden Vertrauensbruchs durch die unbefugte Verbreitung einer befugt hergestellten Bildaufnahme wird im letzten Kapitel dieser Arbeit untersucht, ob und ggfs. unter welchem Schutzaspekt diese Tathandlung strafwürdig ist. Auch wenn die Fixierung der körperlichen Erscheinung ohne Einverständnis des Abgebildeten, aber aus anderen Gründen „befugt“ vorgenommen wurde (z. B. im
633 634
LK/Schünemann, § 201 Rn. 16; S/S/Lenckner/Eisele, § 201 Rn. 16. Vgl. insoweit das ähnliche Problem bei unbefugten Tonaufnahmen C. I. 3. b) bb).
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C. Umsetzung durch den Gesetzgeber
Rahmen einer polizeilichen Videoüberwachung635), dürfte konsequenterweise (wie bei einem Einverständnis) bei zweckwidriger anderweitiger Verwendung kein Missbrauchsschutz durch § 201a Abs. 1 Nr. 4 StGB bestehen. Ein „Wiederaufleben“ des Schutzes hinsichtlich des visuellen Selbstbestimmungsrechts ist dogmatisch nicht haltbar. Möglich wäre die Annahme, dass sich die Befugnis zur Aufnahme im Fall der polizeilichen Video-Aufnahme von vornherein nur auf dienstliche Zwecke bezieht und der Aufgenommene bei zweckwidriger Verwendung schutzwürdig bleibt, weil er bei der grundsätzlich heimlichen Video-Überwachung die Bindung der körperlichen Erscheinung nicht willentlich aufgegeben hat.
6. Resümee Es wurde festgestellt, dass § 201a StGB das Recht auf Bindung des körperlichen Erscheinungsbildes an Person und Situation schützt und damit die Unbefangenheit und Flüchtigkeit des körperlichen Erscheinungsbildes wahrt. Eine Bedrohungslage für dieses Rechtsgut ist in den immer einfacher werdenden Aufnahme- und Verbreitungsmöglichkeiten von Bildern zu sehen, die den Einzelnen in nahezu allen Lebenslagen zeigen können. Die Fassung des § 201a StGB erscheint jedoch problematisch. Neben der Unbestimmtheit des Merkmals „höchstpersönlicher Lebensbereich“ folgt aus dessen Anwendung eine Systemwidrigkeit: Bei den §§ 201, 202 und 202a StGB dringt der Täter von außen in die besonders abgeschirmte Sphäre des Opfers und erlangt dort eine informationshaltige Erklärung (inhaltsunabhängiges, formelles Geheimnis). Hingegen muss der Täter zur Verwirklichung der Tatbestände nach § 201a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 StGB nicht selbst in die räumliche Schutzsphäre des Opfers einbrechen (sondern kann z. B. auch von außen in eine Wohnung hineinfotografieren). Auch kommt es für die Strafbarkeit nach § 201a StGB im Gegensatz zu den §§ 201, 202, 202a StGB auf die Qualität der erlangten Informationen (Bildaufnahme des höchstpersönlichen Lebensbereichs) an. Daher wird hier vorgeschlagen, das Merkmal des „höchstpersönlichen Lebensbereichs“ zu streichen. Dementsprechend sollten die neu eingefügten bildinhaltsabhängigen Tatmodalitäten des § 201a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, Abs. 3 StGB ebenfalls aus dem Tatbestand entfernt werden. Ein Verstoß gegen das Übermaßverbot hinsichtlich des strafrechtlichen Bildnisschutzes wird durch die Merkmale „Wohnung“ und „gegen Einblicke besonders geschützter Raum“ im Wege einer räumlichen Eingrenzung verhindert. Es ergeben sich bei letztgenanntem Tatbestandsmerkmal wegen des Kriteriums der objektiven Erkennbarkeit keine Bedenken hinsichtlich des Bestimmtheitsgrundsatzes nach Art. 103 Abs. 2 GG. § 201a Abs. 1 Nr. 4 StGB stellt eine Tatvariante dar, die die Bindung des körperlichen Erscheinungsbildes an die Person nicht mehr verletzen kann und die somit nicht das geschützte Interesse des § 201a StGB betrifft, weil die einmal erteilte Erlaubnis zur Aufnahme die geschützte Bindung des authentischen Erscheinungsbildes an die Situation endgültig bricht, und 635
Beispiel bei LK/Valerius, § 201a Rn. 27 Fn. 125.
III. § 202 StGB – Verletzung des Briefgeheimnisses
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sollte daher gestrichen werden. Die Einführung einer Versuchsstrafbarkeit, wie sie etwa der Gesetzesentwurf des Bundesrates vom 17. 6. 2016636 vorschlägt, ist dagegen begrüßenswert. Bestehende Strafbarkeitslücken sind teils hinzunehmen (Straflosigkeit des „frechen Blicks“ bzw. Voyeurismus; keine spezielle Erfassung von Bildern jugendpornografischen Inhalts durch § 201a StGB), teils im Hinblick auf ihre Strafbedürftigkeit und die mögliche strafrechtliche Erfassung durch einen ergänzenden Straftatbestand an späterer Stelle zu untersuchen (Darstellung von peinlichen oder hilflosen Situationen in der Öffentlichkeit, Bildaufnahmen von kürzlich Verstorbenen, Zugänglichmachen von Bildaufnahmen, die dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden geeignet sind).
III. § 202 StGB – Verletzung des Briefgeheimnisses 1. Entstehungsgeschichte § 202 StGB in seiner jetzigen Fassung geht zurück auf den Tatbestand des § 299 StGB a.F., welcher zunächst nur verschlossene Briefe oder andere verschlossene Urkunden schützte. In vielerlei Hinsicht wurde der Schutz von Schriftstücken später durch das EGStGB erheblich verstärkt637; gleichzeitig wurde die Norm als § 202 StGB in den neugebildeten Abschnitt „Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs“ eingefügt. So wurde die „Urkunde“ durch den weiter gefassten Begriff des Schriftstücks ersetzt; zudem reagierte man auf die technische Entwicklung, indem auch die Kenntnisverschaffung vom Inhalt eines Schriftstücks ohne Öffnung des Verschlusses mit technischer Hilfe, beispielsweise mittels einer Durchleuchtungseinrichtung, als neuer Tatbestand in Abs. 1 Nr. 2 eingefügt wurde.638 In Abs. 2 wurden zudem offene, aber in einem Behältnis eingeschlossene Schriftstücke in den Schutzbereich des § 202 StGB aufgenommen; darüber hinaus erweiterte der gleichfalls neu eingeführte Abs. 3 den strafrechtlichen Schutz auf andere zur Gedankenübermittlung bestimmte Träger und Abbildungen.639 Zwar ist die Tat trotz der Änderung ein Antragsdelikt geblieben, jedoch wurden schärfere Strafen angedroht (Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr, vorher „Gefängniß bis zu drei Monaten“). Durch das 2. WiKG vom 15. 5. 1986640 wurde § 202a als neuer Straftatbestand in das StGB eingefügt, der die nicht unmittelbar wahrnehmbar gespeicherten Daten umfassend gegen unbefugte Ausspähung schützen sollte und dessen 636
BR-Drucks. 226/16, S. 2, 14. Vgl. BT-Drucks. 7/550, S. 237; eingehender zur historischen Entwicklung im Strafrecht: Wiechert, Der strafrechtliche Schutz des Briefgeheimnisses im Zusammenhang mit der Entwicklung des Persönlichkeitschutzes, S. 61 – 64, zur Ausweitung des Tatbestands S. 82 ff. 638 MüKo-StGB/Graf, § 202 Rn. 6. 639 NK/Kargl, § 202 Rn. 1. 640 BGBl. I S. 721; eine Darstellung der Entstehungsgeschichte bei Möhrenschlager, wistra 1986, 123 ff. 637
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C. Umsetzung durch den Gesetzgeber
Schutzbereich somit teilweise in § 202 Abs. 3 StGB a.F. geregelt war641 (dort waren auch andere „zur Gedankenübermittlung bestimmte Träger“ erfasst). Um eine Überschneidung der Tatbestände zu vermeiden, schützt § 202 StGB seitdem nur noch Schriftstücke und Abbildungen.642
2. Normzweck Die Überschrift „Verletzung des Briefgeheimnisses“ entstammt noch der früheren Strafnorm § 299 StGB a.F. und beschreibt den heutigen Schutzzweck nicht mehr vollständig. Der Schutz des Briefgeheimnisses ist seit der Erweiterung der Tatbestände des § 202 StGB durch das EGStGB nur noch ein Unterfall des strafrechtlichen Schutzes von Schriftstücken, deren Kenntnisnahme durch nichtautorisierte Personen mittels eines Verschlusses verhindert werden soll.643 Dieser Schutz umfasst demnach bspw. auch den Schriftverkehr im Wirtschaftsbereich oder zwischen Behörden.644 Darüber hinaus erfasst § 202 StGB auch Schriftstücke, die nicht zu Kommunikationszwecken bestimmt (z. B. Tagebuch) oder nicht vom Berechtigten abgefasst wurden (etwa Zeitungsausschnitte) oder sich bereits im Besitz des Empfängers befinden; andererseits werden nur verschlossene Briefe strafrechtlich geschützt.645 Somit kann das Briefgeheimnis i.S. von Art. 10 GG sicher nicht als Schutzzweck der Strafnorm angesehen werden, auch wenn dies noch vereinzelt vertreten wird.646 Die Vorschrift dient vielmehr dem Schutz von Schriftstücken und Abbildungen gegen Indiskretionen647 und damit dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Dieses gewährleistet die freie Entfaltung und Entwicklung der Persönlichkeit648 durch die Anerkennung eines Privatsphären- bzw. Geheimsphärenschutzes.649 Umfasst ist davon das Recht, eine Sphäre der Intimität zu begründen und sie dem Einblick und Zugriff anderer zu entziehen – unabhängig davon, was diese aus einem solchem Einblick für Folgerungen ziehen mögen.650 Dem Grundrechtsträger soll eine autonome Selbstentfaltung insbesondere in Form der Selbstfindung durch einen abgeschirmten Bereich privater Lebensgestaltung garantiert werden, aus dem nichts
641 642 643 644 645
Rn. 2. 646
LK/Schünemann, § 202 Rn. 1. BT-Drucks. 10/5058, S. 28. MüKo-StGB/Graf, § 202 Rn. 1. S/S/Lenckner/Eisele, § 202 Rn. 2. SK/Hoyer, § 202 Rn. 3; LK/Schünemann, § 202 Rn. 2; S/S/Lenckner/Eisele, § 202
Z. B. Klesczewski, Strafrecht – besonderer Teil, S. 293 BT-Drucks. 7/550, S. 237; Tröndle/Fischer, § 202 Rn. 2. 648 Vgl. oben B. I. 3. a). 649 BGHZ 13, 334 ff.; BGHZ 15, 249; Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, S. 228, 235. 650 Münch/Kunig/Kunig, GG Art. 2 Rn. 32; vgl. auch Jarass/Pieroth/Jarass, GG Art. 2 Rn. 47: „Selbstfindung im Alleinsein und in enger Beziehung zu ausgewählten Vertrauten“. 647
III. § 202 StGB – Verletzung des Briefgeheimnisses
163
ungewollt nach außen dringen kann.651 Diese Selbstbestimmung bezieht sich einerseits auf die körperliche Zugänglichkeit des Privatbereichs in dem Sinne, dort nicht durch ungewollte Anwesenheit oder Einwirkung anderer gestört zu werden, andererseits betrifft sie auch die kognitive Zugänglichkeit und beinhaltet das Abwehrrecht, private Informationen gegen Ausforschungen und sonstige ungewollte Einsicht- und Kenntnisnahmen abzuschirmen.652 Entscheidend ist hier der letztgenannte Aspekt, das Individuum i.S. eines Geheimnisschutzes vor Einsicht- oder Kenntnisnahme durch Dritte, gleich auf welche Weise und zu welchem Zweck, zu schützen.653 Es ist ein Grundbedürfnis des Menschen, die in § 202 StGB genannten Mitteilungsmedien wirkungsvoll vor fremder Kenntnisnahme abzuschirmen. Notwendig für die freie Persönlichkeitsentfaltung ist aber aus verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten wohl auch das Geheimhaltungsbedürfnis hinsichtlich zur Persönlichkeit gehörender Eigenschaften und Interessen, die sich bspw. aus dem Besitz bestimmter Druckwerke oder pornografischer Magazine ebenso wie aus Beipackzetteln von Medikamenten o. ä. schließen lassen können.654 Hinsichtlich persönlicher Aufzeichnungen, die nur für den Schreibenden selbst bestimmt sind, ergibt sich darüber hinaus ein besonderes Schutzbedürfnis, diese Gedankenerklärungen vor der Kenntnisnahme durch Unbefugte zu schützen.655 Denn das Innenleben eines Menschen ist „oft die Keimstätte erhabener Gedanken und bildet die Atmosphäre, aus der sich eine ideale Welt gestaltet“656 und trägt somit in besonderer Weise zur Persönlichkeitsentwicklung und -entfaltung bei. Hinsichtlich der „Unbefangenheit einer schriftlichen Gedankenfixierung“ ist eine Parallele zu den Schutzzwecken des § 201 StGB (Unbefangenheit des gesprochenen Wortes) und § 201a StGB (Unbefangenheit der körperlichen Erscheinung) zu erkennen. Jedoch passt ein wesentlicher Schutzaspekt der §§ 201, 201a StGB, nämlich die Flüchtigkeit der speziellen Form des Nachaußentretens (Sprechakt, körperliche Erscheinung), nicht auf § 202 StGB. Eine Unbefangenheit hinsichtlich der Vergänglichkeit der Äußerung kann es jedenfalls beim Briefeschreiben nicht geben. Der Normzweck muss demnach in dem Schutz eines formalen Geheimbereichs liegen, der die Diskretion einer schriftlichen Gedankenäußerung gewährleistet und nur einer vom Berechtigten bestimmten Anzahl von Personen zugänglich ist. Um das Rechtsgut zu konkretisieren, soll im Folgenden der aktuelle Meinungsstand dargestellt und kritisch betrachtet werden.
651
Stern/Becker/Horn, GG Art. 2 Rn. 39. Stern/Becker/Horn, GG Art. 2 Rn. 4. 653 Dreier/Dreier, GG Art. 2 I Rn. 71; Stern/Becker/Horn, GG Art. 2 Rn. 4. 654 Ähnlich MüKo-StGB/Graf, § 202 Rn. 9; NK/Kargl, § 202 Rn. 4; Schmitz, JA 1995, 297. 655 Wiechert, Der strafrechtliche Schutz des Briefgeheimnisses im Zusammenhang mit der Entwicklung des Persönlichkeitschutzes, S. 15, wonach die Vertraulichkeit einseitiger Aufzeichnungen sogar überwiege. 656 Kohler, Das Recht an Briefen, S. 105. 652
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C. Umsetzung durch den Gesetzgeber
a) Unversehrtheit von Gegenständen zur Fixierung vertraulicher Tatsachen oder Unversehrtheit des Verschlusses Teilweise wird vertreten, § 202 StGB schütze die Unversehrtheit von Gegenständen zur Fixierung vertraulicher Tatsachen und damit das Interesse, schriftliche Mitteilungen auf einfache Weise (mittels Verschlusses) vor fremder Neugier zu schützen.657 In eine sehr ähnliche Richtung ging die frühere Ansicht, wonach § 299 StGB a.F. die Unversehrtheit des Verschlusses an sich schützen solle, mit dem das Schriftstück bzw. die Abbildung gegen unbefugte Kenntnisnahme abgeschirmt sei.658 Danach wäre das Verschlossenheitserfordernis Voraussetzung einer möglichen Rechtsgutsverletzung. b) Schutz der Privatsphäre Der BGH bezeichnete die Verwirklichung von § 202 StGB als „Einbruch in die Privatsphäre“.659 Doch ist neben der bereits dargestellten generellen Ungenauigkeit des Begriffs der Privatsphäre und ihrer Untauglichkeit als strafrechtliches Schutzgut660 für § 202 StGB insbesondere festzuhalten, dass sich aus dem Wortlaut sowie dem Sachzusammenhang der Vorschrift nicht das Erfordernis eines Persönlichkeitsbezugs des Schriftstücks herleiten lässt.661 So sind auch geschäftliche und behördliche Briefe und Akten gegen unbefugte Kenntnisnahme gesichert.662 Die Beschränkung des Schutzzwecks auf die Privatsphäre würde verkennen, dass Schriftstücke gedanklichen Inhalts schlechthin erfasst sind, gleichgültig wer Urheber oder Adressat ist und was darin mitgeteilt wird.663 Wie auch dem Gesetzeswortlaut zu entnehmen ist, braucht sich hinter dem Verschluss kein materielles Geheimnis zu verbergen, da nicht die objektive Geheimhaltungsbedürftigkeit eines Inhalts, sondern der durch den Verschluss konkludent dokumentierte subjektive Geheimhaltungswille des Berechtigten maßgeblich ist.664
657
Z. B. Arzt/Weber/Heinrich u. a., Strafrecht, besonderer Teil, § 8 Rn. 27. So etwa RG GA 61 (1914), 339; LK/Mösl, § 299 Anm. 1 in der 9. Auflage. 659 BGH NJW 1977, 590; ebenso für den sehr ähnlich gelagerten § 299 StGB a.F. Wiechert, Der strafrechtliche Schutz des Briefgeheimnisses im Zusammenhang mit der Entwicklung des Persönlichkeitschutzes, S. 13 f. 660 Vgl. unter C. II. 3. d) bb). 661 MüKo-StGB/Graf, § 202 Rn. 3; NK/Kargl, § 202 Rn. 2. 662 S/S/Lenckner/Eisele, § 202 Rn. 2. 663 Küper, JZ 1977, 464, 465. 664 SK/Hoyer, § 202 Rn. 4. 658
III. § 202 StGB – Verletzung des Briefgeheimnisses
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c) Schutz der „formal begrenzten“ Geheimsphäre gegen Indiskretion Überwiegend nimmt man an, eine (im Detail unterschiedlich formulierte) „formal begrenzte“ Geheimsphäre sei von § 202 StGB geschützt.665 Gemeint sind Gedankenfixierungen, die aufgrund äußerlich erkennbarer Umstände oder Hindernisse vor der Kenntnisnahme durch Dritte geschützt und vom Berechtigten als „geheim“ deklariert werden; dabei muss es sich nicht um Geheimnisse im materiellen Sinne handeln.666 Dies bedeutet, dass Schriftstücke und Abbildungen erfasst werden sollen, die erst infolge des durch den Verschluss konkludent geäußerten und objektiv erkennbaren Geheimhaltungswillens des Berechtigten als verschlossen bzw. zur formellen Geheimsphäre zugehörig erklärt wurden.667 Hierbei kann es sich nur um eine räumlich abgegrenzte Sphäre handeln, die der Berechtigte dem Zugriff Dritter verschließt. Das Recht, diese formale Schutzsphäre zu begründen, erwächst aus einem Schutzinteresse des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (s. o. unter 2.). Das Verschlusserfordernis wird mit der Erwägung begründet, dass mit staatlicher Strafe nur auf elementare Freiheitsverletzungen reagiert werden darf.668 Ein solcher schwerwiegender Eingriff in die verfassungsrechtlich gewährleistete Dispositionsfreiheit darüber, wer vom Inhalt der eigens geschaffenen Geheimsphäre Kenntnis erlangen darf, liegt jedoch nicht vor, wenn Schriftstücke dem beliebigen Zugriff Dritter offen stehen.669 Hiervon abweichend führen Vertreter der Viktimodogmatik670 das Verschlusserfordernis darauf zurück, dass der Verletzte nur dann schutzwürdig und –bedürftig sei, wenn er Abbildungen und Schriftstücke vor dem beliebigen Zugriff Dritter sichere.671 d) Schutz eines speziellen Verfügungsrechts Teilweise wird vertreten, das Verfügungsrecht desjenigen, der darüber zu entscheiden befugt ist, wer den Inhalt eines Schriftstückes bzw. einer Abbildung zur
665
LK/Schünemann, § 202 Rn. 2; Tröndle/Fischer, § 202 Rn. 2; MüKo-StGB/Graf, § 202 Rn. 2 spricht leicht abweichend vom „Schriftgeheimnis“; den Schwerpunkt auf die aus dem Recht am gedanklichen Inhalt eines Schriftstücks folgende Befugnis setzend, andere von dessen Kenntnisnahme auszuschließen bzw. diesen nur bestimmten Personen zugänglich zu machen: S/S/Lenckner/Eisele, § 202 Rn. 2 und Lenckner, JR 1978, 423, 424; ähnlich Küper, JZ 1977, 464, 465. 666 MüKo-StGB/Graf, § 202 Rn. 2. 667 So auch NK/Kargl, § 202 Rn. 2. 668 NK/Kargl, § 202 Rn. 2. 669 NK/Kargl, § 202 Rn. 2. 670 Z. B. Schünemann, ZStW 90 (1978), 11, 32 ff.; SK/Hoyer, § 202 Rn. 1. 671 LK/Schünemann, § 202 Rn. 2 a.E.; SK/Hoyer, § 202 Rn. 1; Schmitz, JA 1995, 297.
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C. Umsetzung durch den Gesetzgeber
Kenntnis nehmen darf, werde durch § 202 StGB geschützt.672 Im Vordergrund stehe also ein Verfügungsrecht und nicht etwa ein Recht auf Respektierung der formalisierten Geheimsphäre, was sich bereits aus § 202 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 StGB ergeben soll. Dennoch greift diese Ansicht das Element des formalen Geheimbereichs auf. Das Verschlossenheitserfordernis sei aber nicht Voraussetzung für eine Rechtsgutsverletzung, sondern nur dafür, dass der Verletzte viktimodogmatisch auch schutzwürdig erscheint.673 Zunächst ist hier an das Verfügungsrecht des ursprünglich Berechtigten zu denken, also desjenigen, der den formalen Geheimbereich begründet hat, indem er die Gedankenfixierung verschlossen oder in einem besonders gesicherten Behältnis deponiert hat. Bei Schriftstücken und Abbildungen ohne einen bestimmten Adressaten erklärt der Besitzer durch Verschluss derselben regelmäßig, dass er Dritte von einer Kenntnisnahme ausschließen will. Beim Nachrichtenverkehr zwischen zwei Personen darf jedoch nicht allein auf den Willen des Verschließenden abgestellt werden, da beispielsweise der Empfänger eines Briefes den zur Kenntnisnahme befugten Personenkreis abändern kann.674 Schutzgut soll daher das Verfügungsrecht desjenigen sein, der darüber zu entscheiden befugt ist, wer den Inhalt eines Schriftstücks oder einer Abbildung zur Kenntnis nehmen darf675, also auch des Adressaten eines Briefes. Dieser wird demnach in das Rechtsgut „mit einbezogen“, so dass nicht der Absender, sondern der Aufbewahrer eines Schriftstücks geschützt wird. Im Vergleich zu den Schutzgütern der §§ 201 und 201a StGB ist folgender wesentlicher Unterschied festzustellen: Der authentische Sprechakt und das körperliche Erscheinungsbild sind Akte, mit denen der Mensch Einzelaspekte seiner Individualität in die Außenwelt trägt. Bestimmungsberechtigt ist der Einzelne, weil diese Persönlichkeitsaspekte untrennbar mit dem Individuum zusammenhängen. Für den Schutz nach § 202 StGB ist hingegen der Wille desjenigen relevant, der momentan Besitz an dem verschlossenen Schriftstück hat. Der Adressat wird hierbei immer erst kraft einer Bestimmung durch den Absender zur entscheidungsbefugten Person. Demnach muss sich für das Bestimmungsrecht hinsichtlich des Adressatenkreises eines Briefes folgendes ergeben: Bis ein Brief in den Machtbereich des Adressaten gelangt ist, liegt das Bestimmungsrecht beim Absender. Mit Erhalt des Briefes geht das Bestimmungsrecht auf den Empfänger über. Wird der Brief nicht in einem verschlossenen Behältnis aufbewahrt, erlischt nach dem Öffnen mangels Ver-
672 SK/Hoyer, § 202 Rn. 1; Dietrich, Das Erfordernis der besonderen Sicherung im StGB am Beispiel des Ausspähens von Daten, § 202a StGB, S. 238 f.; ders., NStZ 2011, 247, 251. 673 SK/Hoyer, § 202 Rn. 2. 674 MüKo-StGB/Graf, § 202 Rn. 2. 675 SK/Hoyer, § 202 Rn. 1; Dietrich, Das Erfordernis der besonderen Sicherung im StGB am Beispiel des Ausspähens von Daten, § 202a StGB, S. 238 f.; Dietrich, in NStZ 2011, 247, 251.
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schlusses der Schutzbereich des § 202 StGB, bis ihn der aktuelle Besitzer erneut verschließt. e) Stellungnahme Die früher vertretene Ansicht, wonach § 202 StGB die Unversehrtheit von Gegenständen zur Fixierung vertraulicher Tatsachen oder die Unversehrtheit des Verschluss schützt, ist kaum mit der aktuellen Gesetzesfassung in Einklang zu bringen, da die Tat nach § 202 Abs. 1 Nr. 2 StGB „ohne Öffnung des Verschlusses“ begangen wird. Sähe man das Unrecht im Durchbrechen eines Verschlusses, wäre nicht einzusehen, weshalb es darüber hinaus bei § 202 Abs. 2 StGB noch auf eine Kenntnisnahme vom Inhalt des Verschlossenen ankommen sollte.676 Zudem wäre der Strafgrund des § 202 StGB problematisch, da die Unversehrtheit eines Verschlusses kein vom Strafrecht zu schützender Selbstzweck sein kann.677 § 202 StGB schützt aber auch nicht vor Einbrüchen in die substanziell verstandene Privatsphäre des Einzelnen, da sich aus dem Wortlaut sowie dem Sachzusammenhang der Vorschrift nicht das Erfordernis eines Persönlichkeitsbezugs des Schriftstücks herleiten lässt678 sondern Schriftstücke jedes gedanklichen Inhalts erfasst sind, gleichgültig wer Urheber oder Adressat ist und was darin mitgeteilt wird.679 Das Rechtsgut des § 202 StGB ist vielmehr im Bestimmungsrecht über den formalisierten (körperlichen) Geheimbereich, also in einer Kombination der Ansichten unter c. und d. zu sehen. Der formalisierte Geheimbereich ist geschützt, wenn ihn der Einzelne durch Herstellung eines Verschlusses geschaffen hat. Hierin ist die Ausübung des vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht garantierten Rechts zu sehen, eine Sphäre der Intimität zu begründen und sie dem Einblick und Zugriff anderer zu entziehen.680 Dieses Abwehrrecht, private Informationen gegen Ausforschungen und sonstige ungewollte Einsicht- und Kenntnisnahmen auch privater Dritter681 abschirmen zu können682, bildet einen Teil des Privatsphären- bzw. Geheimsphärenschutzes gem. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG.683
676
SK/Hoyer, § 202 Rn. 2. Lenckner, JR 1978, 423, 424. 678 MüKo-StGB/Graf, § 202 Rn. 3; NK/Kargl, § 202 Rn. 2. 679 Küper, JZ 1977, 464, 465. 680 Münch/Kunig/Kunig, GG Art. 2 Rn. 32; vgl auch Jarass/Pieroth/Jarass, GG Art. 2 Rn. 47: „Selbstfindung im Alleinsein und in enger Beziehung zu ausgewählten Vertrauten“; ähnlich bereits Wiechert, Der strafrechtliche Schutz des Briefgeheimnisses im Zusammenhang mit der Entwicklung des Persönlichkeitschutzes, S. 15. 681 BGHZ 13, 334 ff.; BGHZ 15, 249; Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, S. 228, 235. 682 Stern/Becker/Horn, GG Art. 2 Rn. 4. 683 BGHZ 13, 334 ff.; BGHZ 15, 249; Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, S. 228, 235. 677
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Problematisch ist, ob eine Verletzung bereits mit Durchbrechung der Schutzvorrichtung oder erst mit Kenntnisnahme der Information gegeben ist. Legt man den Schwerpunkt auf die Befugnis, Dritte von der Kenntnisnahme auszuschließen, liegt die Rechtsgutsverletzung erst in der tatsächlichen Kenntnisnahme durch den Täter; § 202 Abs. 1 Nr. 1 StGB, wonach keine Kenntnisnahme gefordert wird, wäre dann als konkretes Gefährdungsdelikt anzusehen und hätte die Funktion, dem Täter die kaum widerlegbare Einlassung abzuschneiden, er habe trotz Öffnung keine Kenntnis erlangt.684 Steht die Respektierung der formalen Geheimsphäre im Vordergrund, liegt ein Verletzungserfolg bereits mit jeder Durchbrechung der Barriere vor. Dann wäre es jedoch fraglich, weshalb in Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 eine Kenntnisnahme gefordert ist. Hier scheint das Gesetz praktischen Gesichtspunkten Rechnung zu tragen und zu berücksichtigen, dass es im Einzelfall nur schwer nachweisbar ist, ob der Täter die geschützte Information erlangt hat.685 Das Gesetz geht davon aus, dass in der Regel vom Inhalt eines Schriftstücks Kenntnis genommen wird, wenn der Verschluss durchbrochen worden ist.686 Damit sollte dem Umstand Rechnung getragen werden, dass der Verschluss eines Schriftstücks regelmäßig räumlich derart eng mit dem Informationsträger verbunden ist, dass Öffnung und Kenntnisnahme typischerweise in einer natürlichen Handlungsabfolge geschehen. Dies könnte aber auch dafür sprechen, dass grundsätzlich bereits der Einbruch in die formale Geheimsphäre das inkriminierte Unrecht darstellt. Ein weiterer Grund, weshalb neben der eigentlichen Rechtsgutsverletzung, der Durchbrechung des formalen Geheimbereichs, in § 202 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 StGB auch eine Kenntnisnahme gefordert wird, könnte in der Abgrenzung zu den Diebstahlsdelikten gem. §§ 242 ff. StGB gesehen werden: Der Gesetzgeber wollte mglw. klarstellen, dass § 202 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 StGB besondere, gegen die Persönlichkeit gerichtete Delikte darstellen. Würde in den Tatmodalitäten des § 202 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 StGB die Durchbrechung des Verschlusses ohne weiteres bereits ausreichen, würde sich der Täter mit dem Aufbrechen eines Tresors hinsichtlich jedes dort befindlichen Schriftstücks gem. § 202 Abs. 2 StGB strafbar machen, selbst wenn er von diesen keine Kenntnis nimmt, sondern lediglich Bargeld wegnimmt.687 Ohne das Erfordernis der Kenntnisnahme in § 202 Abs. 2 StGB wäre in jedem Diebstahl gem. § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StGB eine Verletzung des Briefgeheimnisses gem. § 202 Abs. 2 StGB enthalten. Vor dem Hintergrund des durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht garantierten Rechts, einen eigens geschaffenen (formalen) Geheimbereich vor unbefugtem Eindringen abzuschirmen, ist insgesamt für § 202 StGB der Schwerpunkt auf die Durchbrechung 684
So schon für die gleiche Problematik des § 299 StGB a.F. Wiechert, Der strafrechtliche Schutz des Briefgeheimnisses im Zusammenhang mit der Entwicklung des Persönlichkeitschutzes, S. 42; Herzberg, JuS 1984, 369, 371. 685 Wiechert, Der strafrechtliche Schutz des Briefgeheimnisses im Zusammenhang mit der Entwicklung des Persönlichkeitschutzes, S. 42. 686 Wiechert, Der strafrechtliche Schutz des Briefgeheimnisses im Zusammenhang mit der Entwicklung des Persönlichkeitschutzes, S. 42. 687 Vorausgesetzt, der Verschlusszweck seitens des Opfers ist auch gegen Kenntnisnahme gerichtet.
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des den formalen Geheimbereich begründenden Verschlusses abzustellen. Die Befugnis, andere von der Kenntnisnahme auszuschließen oder den verschlossenen Inhalt nur bestimmten Personen zugänglich zu machen wird vom Verfassungsrecht anerkannt und ist Voraussetzung des von § 202 StGB gewährleisteten Schutzes, stellt aber nicht das eigentliche Schutzobjekt dar.688 Rechtsgut ist damit der formale Geheimbereich. Das Erfordernis der Kenntnisnahme ist aus Abgrenzungs- bzw. Klarstellungsgründen eingefügt worden. Der strafrechtliche Schutzbereich wird nur durch das gesellschaftliche Informationsinteresse begrenzt: Frei zugängliche Informationen können von jedem Dritten im Rahmen seiner Informationsfreiheit eingeholt werden, soweit aber ein vom Einzelnen aktiv (durch entsprechende Maßnahmen) vor unbefugter Kenntnisnahme abgeschirmter Bereich von Dritten durchbrochen wird, muss das Informationsinteresse hinter dem subjektiven Geheimhaltungsinteresse des Einzelnen ohne die Notwendigkeit einer weiteren Güterabwägung zurücktreten. Hieraus folgt das Erfordernis eines Verschlusses oder einer besonderen Sicherung für einen Geheimnisschutz durch das Strafrecht. f) Rechtspolitische Einschätzung de lege ferenda Die tatbestandliche Eingrenzung des Schutzumfangs auf Schriftstücke und Abbildungen wird im allgemeinen damit begründet, dass nur die genannten Gegenstände aufgrund ihrer Eigenschaft als Informationsträger689 das Risiko in sich bergen, bei Kenntnisnahme durch Dritte das Opfer zu schädigen; etwa, indem Informationen über das Opfer preisgegeben werden, die dessen Geheimhaltungswillen unterliegen. Der Auffassung einer durch § 202 StGB geschützten formalen Geheimsphäre folgend, wird in der strafrechtlichen Literatur vermehrt auch die Einbeziehung etwa von Zigarettenschachteln, Medikamentenpackungen oder sonstigen Informationsträgern gefordert, die Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Einzelnen zulassen können.690 Führt man den Gedanken fort, dass der erforderliche Persönlichkeitsbezug nicht in dem Gegenstand, sondern im Verschluss(willen) selbst zu sehen und dieser stets schutzwürdig ist, stellt sich die Frage, weshalb der Tatbestand auf Schriftstücke und Abbildungen begrenzt ist. Zwar ist der h.M. zuzustimmen, dass die Beschriftung etwa bei Zigarettenpackungen oder Geldscheinen so sehr in den Hintergrund tritt, dass ihr keine eigenständige Bedeutung als Informations- oder Nachrichtenträger zukommt.691 Doch ist es durchaus denkbar, dass ein möglicher Rückschluss auf finanzielle Verhältnisse oder darauf, ob der Betroffene raucht, für diesen äußerst 688
Küper, JZ 1977, 464, 465. „Zum Wesen des Schriftstücks gehört ein gedanklicher Inhalt“, BT-Drucks. 7/550, S. 237. 690 MüKo-StGB/Graf, § 202 Rn. 9; NK/Kargl, § 202 Rn. 4; Schmitz, JA 1995, 297. 691 MüKo-StGB/Graf, § 202 Rn. 9; LK/Schünemann, § 202 Rn. 10; i.E. auch S/S/Lenckner/ Eisele, § 202 Rn. 4; NK/Kargl, § 202 Rn. 4. 689
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unerwünscht ist; dieser Geheimhaltungswille muss als ebenso schützenswert und dessen Missachtung als Persönlichkeitsverletzung angesehen werden, wie bei einem verschlossenen Schriftstück oder einer Abbildung, weil diese Rückschlüsse den sozialen Geltungsanspruch des Einzelnen in der Gesellschaft und damit einen zentralen Aspekt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts betreffen.692 So kann ein subjektives Geheimhaltungsinteresse einer Person an diesen und anderen Gegebenheiten bzw. Tatsachen bestehen. Warum dieses nicht geschützt sein sollte, ist nicht einzusehen, löst man sich konsequent von dem Gedanken693, dass nur Geheimnisse im engeren Sinne (solche, bei denen „wohl jedermann“ ein Geheimhaltungsinteresse hätte) schützenswert sind. Dann erscheint es aber zweifelhaft, wieso der Tatbestand überhaupt auf Schriftstücke und Abbildungen begrenzt ist. Ein „Informationsträger“ nach dem Wortsinn ist jeder Gegenstand, der gedanklich verkörperte Informationszeichen enthält – aber weshalb kann die persönlichkeitsrelevante Information nicht bereits der bloße Besitz des Gegenstands selbst sein? So müsste letztlich zugestanden werden, dass bei schutzgutsorientierter Auslegung grundsätzlich jeder Gegenstand in die formale Geheimsphäre einbezogen werden kann. Sicherlich wäre dann jedoch aus dem Inhalt der Gegenstände (z. B. Haarlocken, Werkzeug, Kleidung) kein Geheimhaltungsinteresse abzuleiten; dieses müsste sich vielmehr ausschließlich aus dem Verschluss oder einer geeigneten Schutzvorrichtung ergeben. Problematisch wäre dann allerdings, nach welchen Kriterien festgestellt werden kann, worin der Verschlusszweck liegt. Erscheint die Ausweitung des Schutzbereichs auf jeden formal geheimgehaltenen Gegenstand de lege ferenda konsequent, müssten jedoch die Anforderungen hinsichtlich des Verschlusswillens entsprechend angepasst werden, um Bagatellfälle auszuschließen.694
3. Konsequenzen für die Tatbestandsauslegung a) Tatgegenstand Tatgegenstände des § 202 StGB sind in den Tatbestandsalternativen der drei Grundtatbestände der Abs. 1 und 2 Briefe oder andere Schriftstücke, welche entweder verschlossen (Abs. 1) oder durch ein verschlossenes Behältnis gegen Kenntnisnahme besonders gesichert sind (Abs. 2). Aus der Formulierung des Abs. 1 ergibt sich, dass Briefe als Unterart des Schriftstücks zu verstehen sind. Abbildungen sind Schriftstücken gemäß Abs. 3 gleichgestellt.
692
Maunz/Dürig/Di Fabio, GG Art. 2 Rn. 127. NK/Kargl, § 202 Rn. 2 „Maßgebend ist demnach nicht eine obj. Geheimhaltungsbedürftigkeit des Inhalts, sondern allein der durch den Verschluss konkludent dokumentierte Geheimhaltungswille des Berechtigten“. 694 Vgl. dazu unten C. III. 3. a) dd) (1). 693
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aa) Schriftstück Schriftstücke sind nach allgemeiner Definition durch Schriftzeichen verkörperte gedankliche Inhalte, die auf einem beliebigen Trägermaterial fixiert sind; hierbei können die Schriftzeichen einer beliebigen Sprache (auch Geheimsprache) entstammen oder auch Ziffern, Abkürzungs- oder Bilderzeichen sein.695 Die Gedankenerklärung kann in handschriftlicher Form, vervielfältigt oder als Ausdruck vorliegen; auf einen objektiv verständlichen Inhalt kommt es nicht an.696 Auch ist es unerheblich, ob die Gedanken persönlicher Natur sind; insofern weist § 202 StGB eine ähnliche Struktur auf wie § 201 StGB, dessen Schutz sich ebenfalls nicht auf vertrauliche Äußerungen beschränkt.697 Das Schriftstück braucht ferner nicht eigene Gedanken desjenigen zu enthalten, der es verschließt; ausreichend sind vielmehr auch Äußerungen einer anderen Person, Abschriften oder gar Zeitungsausschnitte.698 Im Tatbestand des § 202 StGB wird der Brief ausdrücklich erwähnt, obwohl er lediglich ein Unterfall des Schriftstücks ist; dieser Umstand beruht auf der ursprünglichen Fassung der Vorschrift, worin als Schutzobjekt nur der verschlossene Brief oder eine andere verschlossene Urkunde erwähnt waren.699 Teilweise wird vertreten, Schriftstücke allgemeiner Art ohne Persönlichkeitsbezug seien als Tatobjekte generell auszuklammern.700 Diese Ansicht liegt zunächst nahe, da § 202 StGB im 15. Abschnitt des StGB unter der Überschrift „Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs“ verortet ist. Mit Blick hierauf erscheint eine Rechtsgutsverletzung in der Tat fernliegend, wenn unbefugte Dritte von einem Schriftstück ohne jeglichen Persönlichkeitsbezug Kenntnis nehmen. Eine differenzierende Ansicht stimmt dieser Argumentation grundsätzlich zu, erkennt jedoch auch für Schriftstücke allgemeiner Art einen Persönlichkeitsbezug an, wenn sich aus besonderen Umständen ein fremder Kenntnisnahme entgegenstehendes Interesse ergibt (z. B. Aufschrift „persönlich“ bei Werbung für pornografische Schriften).701 Zeigt sich demnach durch Verschließen eines allgemein wirkenden Schriftstücks der Wille, Dritte von der Kenntnisnahme auszuschließen, sei dieser Wille zu respektieren.702 695
BT-Drucks. 7/550, S. 237; Schmitz, JA 1995, 297; L/Kühl, § 202 Rn. 2; MüKo-StGB/ Graf, § 202 Rn. 9; LK/Schünemann, § 202 Rn. 4. 696 MüKo-StGB/Graf, § 202 Rn. 9. 697 LK/Schünemann, § 202 Rn. 4. 698 Vgl. BGHSt 9, 351, 352, 355 für das durch Art. 10 GG gewährleistete Brief- und Postgeheimnis. 699 Weitere Einzelheiten zum Begriff „Brief“ sind für die schutzgutsorientierte Auslegung des Merkmals „Schriftstück“ irrelevant, daher wird auf die Ausführung verzichtet. Vgl. die Darstellung bei: MüKo-StGB/Graf, § 202 Rn. 11; LK/Schünemann, § 202 Rn. 6. 700 Blei, JA 1974, 601, 605; L/Kühl, § 202 Rn. 2; so noch NK/Jung, § 202 Rn. 3 in der ersten Auflage. 701 S/S/Lenckner/Eisele, § 202 Rn. 4. 702 MüKo-StGB/Graf, § 202 Rn. 9.
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Sieht man den formalen Geheimbereich als von § 202 StGB geschützt an, kommt es jedoch konsequenterweise ausschließlich auf den Willen des Berechtigten an. § 202 StGB soll nicht nur Gegenstände sichern, die ihrer persönlichkeitsspezifischen Natur nach geheim zu halten sind, sondern die Sicherung von Inhalten eines formalen Geheimbereichs gewährleisten. Damit soll der Einzelne die Möglichkeit haben, Schriftstücke oder Abbildungen für geheimhaltenswert zu erklären und diese in einem geschützten Bereich vor unbefugten Dritten abzuschirmen. Auf deren Inhalt kommt es dabei weder nach dem Gesetzeswortlaut noch hinsichtlich des Normzwecks an. Da aber erst der Inhalt eines Schriftstücks bzw. einer Abbildung einen Persönlichkeitsbezug begründen kann, darf es folgerichtig auch nicht auf den Persönlichkeitsbezug der verschlossenen Sache ankommen; dieser ist vielmehr bereits aus dem Umstand des Verschließens abzuleiten. Einige Stimmen in der Literatur stellen auf den Zweck des Verschlusses bzw. auf den durch den Verschluss erkennbaren Geheimhaltungswillen des ursprünglich Berechtigten ab.703 Der Verschlusszweck sei maßgeblich auch dann, wenn aus objektiver Sicht ein Bedürfnis für die Geheimhaltung nicht erkennbar sei; entscheidend sei die objektive Erkennbarkeit des durch den Verschluss manifestierten Geheimhaltungswillens, nicht hingegen der Motive oder Gründe, die den Berechtigten zum Verschließen bewogen haben. Insofern werden auch besondere subjektive Empfindlichkeiten des Einzelnen geschützt.704 De lege ferenda müsste letztlich zugestanden werden, dass bei schutzgutsorientierter Auslegung grundsätzlich jeder Gegenstand durch den Berechtigten im Rahmen eines formalen Geheimbereichs vor unbefugter Kenntnisnahme geschützt werden kann (s. o. unter C. III. 2. e) und f)). bb) Abbildung Die Abbildung ist gem. § 202 Abs. 3 StGB einem Schriftstück gleichgestellt. Der Begriff der Abbildung umfasst die Wiedergabe tatsächlicher Gegenstände mittels Fotografie, Bauplan, Skizze oder Zeichnung sowie dokumentarische Darstellungen.705 Da es – vom Normzweck ausgehend –nicht auf den Inhalt eines Schriftstückes ankommt, ist auch der Inhalt der Abbildung irrelevant. Über den Abbildungsbegriff des § 11 Abs. 3 StGB hinaus sind daher auch Bilder ohne realistischen Bezug in den Schutzbereich der Vorschrift einbezogen, etwa Phantasie-Zeichnungen, Visionen706, mathematische Funktionen und Diagramme707. Damit müssten selbst abstrakte Bilder in den Schutzbereich einbezogen sein. Auch beim Merkmal der Abbildung ist 703 So auch LK/Schünemann, § 202 Rn. 10; Tröndle/Fischer, § 202 Rn. 3; S/S/W/Bosch, § 202 Rn. 2; vgl. dazu unten dd. 704 LK/Schünemann, § 202 Rn. 10. 705 MüKo-StGB/Graf, § 202 Rn. 12. 706 So auch Tröndle/Fischer, § 202 Rn. 4; LK/Schünemann, § 202 Rn. 11. 707 NK/Kargl, § 202 Rn. 6.
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nach Stimmen in der Literatur eine Einbeziehung von Gegenständen bei „völliger Persönlichkeitsirrelevanz“ auszuschließen.708 Doch auch an dieser Stelle ist fraglich, ob es überhaupt Gegenstände ohne jeglichen Persönlichkeitsbezug gibt. Da es auf den Willen des Verschließenden ankommt, wird auch geschützt, wer die Bildpostkarte aus dem Urlaub durch Verschluss gegen die Kenntnis Dritter abschirmen will – z. B. weil er meint, sein Aufenthaltsort gehe niemanden etwas an.709 Eine besondere Persönlichkeitsrelevanz muss die Abbildung also nicht aufweisen, diese entsteht vielmehr dadurch, dass die Abbildung zum Gegenstand des formalen Geheimbereichs gemacht worden ist. Insoweit gilt das zum Persönlichkeitsbezug des Merkmals „Schriftstück“ Ausgeführte entsprechend.710 Nun stellt sich abermals die Folgefrage, ob die Eingrenzung des Tatbestandes auf Schriftstücke und Abbildungen zweckdienlich ist. Denn wieso sollten Abbildungen beliebiger Gegenstände in den Schutzbereich des § 202 StGB fallen – die Gegenstände selbst aber nicht? cc) Zwischenergebnis Betrachtet man die Entwicklung der Tatgegenstände des § 202 StGB, so stellt man fest, dass der Schutzbereich stetig ausgeweitet wurde. Während ursprünglich nur der verschlossene Brief oder eine andere verschlossene Urkunde tatbestandlich erfasst waren (§ 299 StGB a.F.), wurden zunächst Schriftstücke eingefügt und schließlich Abbildungen diesen gleichgesetzt (Abs. 3). Unter Berücksichtigung des hier vertretenen, weit zu verstehenden Schutzguts, nämlich des formalen Geheimbereichs, ergibt sich die Konsequenz, dass diese Ausweitung des Tatgegenstandes weiter fortgesetzt werden muss. Zunächst kann jeder körperliche Gegenstand in einen selbstbegründeten formalen Geheimbereich eingebunden werden, weil der Besitz jedes Gegenstands eine persönlichkeitsrelevante Information beinhalten kann.711 Dem Normzweck entsprechend ist der Tatbestand daher weit auszulegen. Damit sind jedenfalls etwa Geldscheine, Zigarettenpackungen und Beipackzettel von Medikamenten ebenso als Schriftstücke anzusehen wie Briefmarken als Abbildungen. dd) Verschlossenheitserfordernis Schriftstücke und Abbildungen werden nur dann vor unbefugter Kenntnisnahme strafrechtlich geschützt, wenn sie verschlossen (Abs. 1) oder zu diesem Zweck durch ein verschlossenes Behältnis gesichert sind (Abs. 2).
708
Blei, JA 1974, 601, 606; S/S/Lenckner/Eisele, § 202 Rn. 5. LK/Schünemann, § 202 Rn. 12. 710 S. o. unter C. III. 3. a) aa). 711 Z. B. kann eine Kronkorkensammlung die Gedankenerklärung beinhalten: „Ich sammle Kronkorken“. 709
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C. Umsetzung durch den Gesetzgeber
(1) Verschlossen Grundsätzlich ist ein Verschluss i.S. des § 202 Abs. 1 StGB bei einer am Schriftstück oder an der Abbildung befindlichen Vorkehrung gegeben, die dem Vordringen zum gedanklichen Inhalt ein (zumindest symbolisches712) Hindernis bereitet.713 Hauptzweck des Verschlusses muss es nach h.M. sein, den Inhalt vor Kenntnisnahme durch andere zu sichern, wobei dies nicht die alleinige Absicht des Verschließenden darstellen müsse.714 Eine solche Forderung715 wäre lebensfremd, da Verschlüsse oft zumindest auch gegen Verlust des Inhalts (insbes. bei Briefen) oder zur Ordnung mehrerer Schriftstücke angebracht werden.716 Für den Verschluss ist es nicht erforderlich, dass sich die Hülle nur mittels Substanzverletzung beseitigen lässt717; als Verschluss i.d.S. sind vielmehr auch lösbare Klebestreifen718 oder Verknotungen719 ausreichend. Es genügt jedoch nicht, wenn Briefe lediglich zusammengefaltet oder mehrere Schriftstücke zwecks Aufbewahrung zusammengeschnürt werden720 ; auch Büroklammern oder Warenbeutelklammern sind grundsätzlich nicht als Verschluss anzusehen.721 Ausnahmen sind nach vereinzelten Literaturauffassungen jedoch dann denkbar, wenn Umstände dem Täter nahe legen, dass er ein fremdes Bestimmungsrecht über die Reichweite eines formalen Geheimnisses verletzt; sich also über den fremden Willen zur Wahrung dieses Geheimnisses hinwegsetzt722 – fraglich ist in einem solchen Fall, in dem der Wille erkennbar ist, der Verschluss jedoch fehlt, ob einer Verurteilung nicht das Analogieverbot entgegenstehen könnte. Gerade bei Gegenständen, deren schriftlich verkörperter Informationsgehalt nahezu vollständig zurücktritt, ist die Frage entscheidend ob der Verschluss lediglich eine sichere Aufbewahrung bzw. Übermittlung gewährleisten soll oder ob fremde Kenntnisnahme verhindert werden soll.723 Nur eine solche Differenzierung wird dem Schutzzweck der Norm gerecht. Doch ist es problematisch, wie und nach welchen Kriterien der Verschlusszweck festzustellen ist. Denkbar wäre es, vom gedanklichen Inhalt des verschlossenen Schriftstücks auf den Verschlusszweck rückzuschließen. So ist bei Büchern, Zeitschriften oder Beipackzetteln eines Medikaments zwar nur 712
NK/Kargl, § 202 Rn. 7. BT-Drucks. 7/550, S. 237. 714 LK/Schünemann, § 202 Rn. 14; MüKo-StGB/Graf, § 202 Rn. 14. 715 Z. B. Schmitz, JA 1995, 297, 298. 716 So auch MüKo-StGB/Graf, § 202 Rn. 14. 717 RGSt 20, 375; 54, 295; OLG Stuttgart NStZ 1984, 26; LK/Schünemann, § 202 Rn. 13. 718 NK/Kargl, § 202 Rn. 7. 719 S/S/Lenckner/Eisele, § 202 Rn. 7; Dietrich, Das Erfordernis der besonderen Sicherung im StGB am Beispiel des Ausspähens von Daten, § 202a StGB, S. 240. 720 Tröndle/Fischer, § 202 Rn. 5; LK/Schünemann, § 202 Rn. 13. 721 BVerwG NJW 1984, 2111; OLG Stuttgart NStZ 1984, 26. 722 So etwa NK/Kargl, § 202 Rn. 7. 723 So auch S/S/Lenckner/Eisele, § 202 Rn. 4; Tröndle/Fischer, § 202 Rn. 3. 713
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selten ein Geheimhaltungswille anzunehmen; gleichwohl kann der Besitz oder Bezug von Druckwerken (z. B. Zeitschriften pornografischen Inhalts) oder Medikamenten Schlüsse auf Gewohnheiten, den Gesundheitszustand oder das Persönlichkeitsprofil des Besitzers zulassen.724 Möchte der Betroffene dies aus Gründen persönlicher, gesellschaftlicher, politischer oder weltanschaulicher Art verhindern und dokumentiert dies durch einen entsprechenden Verschluss, ist der erkennbare Geheimhaltungswille schutzwürdig. Subsumierfähige Kriterien sind in der Literatur kaum zu finden. Nach Dietrich etwa kann das technische Sicherungsniveau eines Verschlusses Rückschlüsse auf den Sicherungszweck zulassen.725 Sollten sich etwa Schriftstücke neben Geldscheinen und/oder Wertpapieren in einem Safe befinden, spreche dies für den übergeordneten Zweck, Dritte von einer Kenntnisnahme dieser Schriftstücke auszuschließen; hinsichtlich der Geldscheine und Wertpapiere sei nach der Verkehrsanschauung vom übergeordneten Zweck auszugehen, eine Wegnahme durch Dritte zu verhindern. Doch erscheint auch dieses von Dietrich aufgestellte Kriterium zumindest fraglich, weil der Verschließende wohl meist auch verhindern möchte, dass Dritte erfahren, wie viel Bargeld er besitzt. Umgekehrt sollen die in einem Safe befindlichen Schriftstücke nicht nur gegen unbefugte Kenntnisnahme, sondern auch gegen Wegnahme geschützt werden, was je nach Schriftstück durchaus auch der Hauptzweck des Verschließenden sein kann. Selbst in diesem vermeintlich einfachen Beispielsfall ist also nicht eindeutig bestimmbar, ob der Schutz vor Kenntnisnahme durch Dritte den Schutz vor Wegnahme überwiegt. Bei der mit Klarsichtfolie eingeschweißten Zeitschrift eines Händlers lässt sich weder aus dem Gegenstandsinhalt, noch aus dem Verschluss auf einen Geheimhaltungswillen schließen. Denn es ist davon auszugehen, dass die Klarsichtfolie zwar nicht nur vor Verschmutzung schützen, sondern auch ein Lesen vor dem Kauf verhindern soll; gleichwohl dient dies letztlich dem wirtschaftlichen Interesse des Verkäufers, nicht hingegen dessen Persönlichkeitsschutz oder der Diskretion seines formalen Geheimbereichs.726 Doch auch dies kann, etwa bei privaten Besitzern, anders sein; z. B. wenn der Umschlag der eingeschweißten Zeitschrift unverfänglich ist, der Inhalt hingegen nicht. Kommt man damit zu dem Ergebnis, dass der übergeordnete Schutzzweck nicht objektiv zu bestimmen und dieses Kriterium kaum praktikabel ist, stellt sich die Frage, weshalb der Verschluss überhaupt den Willen des Verschließenden zur Tabuisierung des Zugriffs erkennbar machen muss.727 Zwar ist der h.M. zuzugestehen, dass ein Verschlusswille grundsätzlich erforderlich ist; dieser muss jedoch nicht zwingend Hauptzweck des Verschlusses sein. Das notwendige Maß des Ver724 LK/Schünemann, § 202 Rn. 10; i.E. auch S/S/Lenckner/Eisele, § 202 Rn. 4; NK/Kargl, § 202 Rn. 4. 725 Dietrich, Das Erfordernis der besonderen Sicherung im StGB am Beispiel des Ausspähens von Daten, § 202a StGB, S. 240. 726 LK/Schünemann, § 202 Rn. 10. 727 So etwa OLG Stuttgart NStZ 1984, 251; L/Kühl, § 202 Rn. 2; SK/Hoyer, § 202 Rn. 11; NK/Kargl, § 202 Rn. 7.
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schlusswillens lässt sich vielmehr bereits aus dem Verschließungsakt selbst ableiten. Es muss also lediglich der Verschluss vorliegen, weil dann davon auszugehen ist, dass der Berechtigte mit dem Verschließungsakt (mindestens: auch) sein Recht auf Begründung eines formalen Geheimbereichs ausgeübt hat. Lässt man das Motiv für den Verschluss grundsätzlich außer Acht, stellt sich auch nicht die Frage, ob ein beschädigter Verschluss noch den Tatbestand des § 202 StGB erfüllt.728 Ließe man die Schutzfunktion bei einem nicht mehr intakten Verschluss generell entfallen729, würde man dem Normzweck einen Schutz vor heimlicher Kenntnisnahme „hinzudichten“. Denn ein Verschluss ist meist leicht zu öffnen und vermag den Inhalt des formalen Geheimbereichs nicht tatsächlich vor unbefugter Kenntnisnahme zu schützen.730 Da der Verschluss jedoch nur ein symbolisches Hindernis darstellt, kann es nicht darauf ankommen, ob der Verschluss beschädigt ist, solange der Verschluss erkennbar bleibt. Es bleibt festzuhalten, dass der erforderliche Verschlusswille aus dem Akt des Verschließens selbst abzuleiten ist und nicht übergeordneter Hauptzweck zu sein braucht. Erweitert man de lege ferenda den Tatbestand auf jeden beliebigen Gegenstand, so ist das Verschlossenheitserfordernis dahingehend anzupassen, dass der Verschluss als zumindest symbolisches Hindernis objektiv erkennbar und geeignet sein muss, eine Kenntnisnahme der verschlossenen Sache ohne die Beseitigung des Verschlusses zu verhindern. Bei nichtschriftlichen Gegenständen käme es dann darauf an, ob der Verschluss durchsichtig oder opak ist. Zur Bestimmung des Verschlusszwecks sind oben erläuterte Maßstäbe jedoch gleichermaßen anzulegen, denn: je „neutraler“ oder „alltäglicher“ ein vor Kenntnisnahme Dritter abgeschirmter Gegenstand ist, desto „bedeutsamer“ oder „auffälliger“ erscheint die Tatsache des Verschließens. Mit dem besonderen Umstand, dass der Besitzer den Gegenstand, z. B. eine Haarlocke, dennoch verschloss, wird bereits ein bedeutsamer und damit schützenswerter Verschluss- bzw. Geheimhaltungswille zum Ausdruck gebracht. (2) Durch ein verschlossenes Behältnis gegen Kenntnisnahme besonders gesichert Durch ein verschlossenes Behältnis gegen Wegnahme besonders gesichert sind Schriftstücke oder Abbildungen dann, wenn sie sich in einem Raumgebilde befinden, das zum Betreten von Menschen nicht bestimmt ist.731 Daher sind abgeschlossene Zimmer, Akten- oder Archivräume keine Behältnisse i.S. dieser Vorschrift, wohl aber Schränke, Schubladen, Tresore, Kassetten, Aktentaschen und Koffer, soweit sie jedenfalls mit einer Verschlussvorrichtung versehen sind und das Behältnis auch 728
Fraglich bei S/S/W/Bosch, § 202 Rn. 5. So etwa MüKo-StGB/Graf, § 202 Rn. 15. 730 Ähnlich Dietrich, Das Erfordernis der besonderen Sicherung im StGB am Beispiel des Ausspähens von Daten, § 202a StGB, S. 239, 240. 731 BT-Drucks. 7/550, S. 237 unter Verweis auf die Rspr. des BGH zu § 243 Abs. 1 Nr. 2: BGH GS vom 11. 5. 1951 – GS St 1/51, BGHSt 1, 158, 164. 729
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tatsächlich abgeschlossen ist.732 Tagebücher mit integriertem Schloss sind dagegen als verschlossene Schriftstücke gemäß Abs. 1 Nr. 1 einzuordnen; dies wird relevant, sofern der Täter den Verschluss nur geöffnet, sich aber vom Inhalt des Schriftstücks noch keine Kenntnis verschafft hat.733 Wie sich aus dem Wortlaut und dem Schutzzweck ergibt, müssen Behältnis und Verschluss zumindest auch den Zweck haben, die unbefugte Kenntnisnahme Dritter zu verhindern.734 Hiervon ist bei einer Sicherung durch ein Schloss auszugehen. Ist das Behältnis auf andere Art und Weise gegen Zugriff gesichert (z. B. Reißverschluss, Schnappverschluss bei Aktenmappe oder Handtasche, Verschnürung), ist entscheidend, ob hierdurch eine tatsächliche Sicherung gegen Kenntnisnahme oder nur gegen Verlust des Inhalts gewährleistet werden soll.735 Ersteres ist jedoch nur in Ausnahmefällen denkbar, etwa bei einer derart festen Verschnürung, dass ein Öffnen nicht ohne weiteres, z. B. ohne Substanzverletzung, möglich ist. ee) Nicht zur Kenntnis des Täters bestimmt Das Schriftstück bzw. die Abbildung darf im Zeitpunkt der Tathandlung nicht zur Kenntnisnahme des Täters bestimmt sein. Umstritten ist in der Literatur, wer diese Bestimmung treffen darf. So lässt sich zunächst vertreten, die Bestimmung treffe derjenige, der ein Recht am gedanklichen Inhalt des Schriftstücks hat und deshalb auch darüber entscheiden kann, wem dieses zugänglich gemacht werden soll (sog. materielle Theorie).736 Dies ist nicht notwendig der Eigentümer oder der Verschließende, sondern der Verfasser eines Schriftstücks, bei Briefen i. d. R. also der Absender bis zum Zugang beim Adressaten.737 Demgegenüber stellt die sog. formelle Theorie darauf ab, wer das Schriftstück oder die Abbildung verschlossen und damit den formalen Geheimbereich begründet hat.738 Eine differenzierende Ansicht geht nur für die Fälle, in denen ein Schriftstück oder eine Abbildung durch ein verschlossenes Behältnis gegen Kenntnisnahme besonders gesichert ist (Abs. 2), davon aus, dass der Verschließende das Bestimmungsrecht innehabe, weil erst dieser den das Geheimhaltungsinteresse dokumen-
732 733 734 735 736 737 738
MüKo-StGB/Graf, § 202 Rn. 16; NK/Kargl, § 202 Rn. 8. MüKo-StGB/Graf, § 202 Rn. 16. LK/Schnünemann, § 202 Rn. 16. NK/Kargl, § 202 Rn. 8. S/S/Lenckner/Eisele, § 202 Rn. 8; L/Kühl, § 202 Rn. 2. S/S/Lenckner/Eisele, § 202 Rn. 8. Tröndle/Fischer, § 202 Rn. 7; LK/Schünemann, § 202 Rn. 24.
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tierenden formalen Schutzbereich bestimme und die betreffenden Tatobjekte selbst nicht verschlossen sein müssen.739 Sieht man den formalen Geheimbereich als geschützt an (ungeachtet geringer Abweichungen im Detail), kann es konsequenterweise nicht auf ein Recht am gedanklichen Inhalt des Schriftstücks ankommen, weil nicht der gedankliche Inhalt eines Schriftstückes geschützt werden soll, sondern der formale Geheimbereich selbst. Gleichwohl kommen die verschiedenen Ansichten meist zum selben Ergebnis. Unterschiede ergeben sich nur bei Fällen, in denen der Verschließende nicht der Verfasser des verschlossenen Schriftstücks ist und kein Recht an dessen gedanklichem Inhalt hat, so etwa bei der eigenmächtigen Verwahrung aufgefundener fremder Unterlagen740 oder von Zeitungsartikeln. Nach dem hier vertretenen Rechtsgut ist stets der Verschließende Inhaber des speziellen Bestimmungsrechts, so dass es in solchen Fällen auf den Verschließenden ankommt, nicht hingegen auf den Verfasser der Unterlagen oder Zeitungsartikel. Dies deckt sich grundsätzlich mit der formellen Theorie. Problematisch ist jedoch die Versendung eines Briefes, da der ursprünglich Berechtigte möglicherweise zumindest Teile seines Bestimmungsrechtes auf- bzw. an einen Adressaten abgibt. Im Schrifttum herrscht Einigkeit darüber, dass der Verfasser (materielle Theorie) bzw. Verschließende (formelle Theorie) das Bestimmungsrecht bis zur Auslieferung des Briefes an den Empfänger innehat; sobald der Brief jedoch in den Gewahrsam des Adressaten gelangt ist, sei dieser bestimmungsberechtigt.741 Mit diesem Zeitpunkt ende das Bestimmungsrecht des Absenders, da nunmehr der Adressat alleiniger Berechtigter sei und der Verschließende742 bzw. Verfasser743 nicht mehr einseitig in dessen Rechtsposition (des Adressaten) eingreifen könne. Damit könnte sich der Absender zu diesem Zeitpunkt wegen unbefugter Öffnung des Briefes strafbar machen. Dies gilt nach teilweise vertretener Ansicht auch dann, wenn der Brief mit dem Vermerk „persönlich“ versehen wurde744, da der Verfasser mit dem Übergang des Rechts am Brief auf den Adressaten nicht mehr rechtlich bindend bestimmen könne, dass dieser den Brief nur selbst öffnen darf.745 Darüber hinaus sei es mit dem Schutzzweck der Norm nicht vereinbar, die Wirksamkeit einer getroffenen Bestimmung vom Eintritt einer Bedingung (z. B. „Nicht vor dem 15. April öffnen“ oder 739
NK/Kargl, § 202 Rn. 9. LK/Schünemann, § 202 Rn. 24. 741 Wiechert, Der strafrechtliche Schutz des Briefgeheimnisses im Zusammenhang mit der Entwicklung des Persönlichkeitschutzes, S. 44; für die materielle Theorie: S/S/Lenckner/Eisele, § 202 Rn. 8; L/Kühl, § 202 Rn. 2; MüKo-StGB/Graf, § 202 Rn. 17; für die formelle Theorie: Tröndle/Fischer, § 202 Rn. 7; LK/Schünemann, § 202 Rn. 25. 742 LK/Schünemann, § 202 Rn. 25. 743 S/S/Lenckner/Eisele, § 202 Rn. 8. 744 Vgl. SK/Hoyer, § 202 Rn. 16. 745 S/S/Lenckner/Eisele, § 202 Rn. 8. 740
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„Erst nach meinem Tode zu öffnen“) oder einer anderen Einschränkung abhängig zu machen, da der eine solche Bedingung missachtende Empfänger, nunmehr Eigentümer des Briefes, weder das Briefgeheimnis verletze noch einen irgendwie gearteten „Einbruch in die Privatsphäre“ begehe.746 Zwar ist diese Begründung nicht überzeugend, weil der Schutzzweck des § 202 StGB nicht auf Verletzungen des Briefgeheimnisses oder Angriffe auf die substanziell verstandene Privatsphäre abzielt. Maßgeblich ist allein das Bestimmungsrecht hinsichtlich des formalen Geheimbereichs und insbesondere des Adressatenkreises. Damit kann der Verschließende aber nur bestimmen, wer vom Inhalt des formalen Geheimbereichs Kenntnis nehmen darf; die Frage des wann betrifft hingegen das Merkmal der Unbefugtheit. Problematisch ist es zudem, wenn der Adressat den von einem Dritten eigenmächtig eingeschlossenen Brief aus dem verschlossenen Behältnis nimmt und liest. Sieht man mit der materiellen Theorie denjenigen als bestimmungsberechtigt an, dem das Recht am gedanklichen Inhalt des Schriftstücks zukommt, bliebe der Adressat straffrei, weil er vom Absender des Briefes zur Kenntnisnahme ermächtigt wurde; der vom Dritten hergestellte Geheimbereich wäre insoweit irrelevant.747 Vertreter der formellen Theorie bejahen hingegen im Beispielsfall die Strafbarkeit des Adressaten, da aufgrund der Anknüpfung des Gesetzes an ein formales Merkmal wie den Verschluss zu folgern sei, dass allein der Verschließende darüber entscheiden könne, wer zur Aufhebung des Verschlusses berechtigt sei.748 Da sich das Recht zur Begründung eines formalen Geheimbereichs nach hier vertretener Ansicht aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ableiten lässt und nicht etwa aus dem Recht am gedanklichen Inhalt eines Schriftstücks, erscheint letztere Auffassung als zutreffend. Der Verschließende schafft z. B. durch Einschließen eines fremden Briefes in einem Behältnis einen eigenen formalen Geheimbereich, der strafrechtlich schutzwürdig ist. Vertretern der materiellen Theorie ist jedoch zuzugestehen, dass das Bestimmungsrecht hinsichtlich dieses Briefes nicht auf den eigenmächtigen Aufbewahrer übergeht, sondern er vielmehr einen neuen Geheimbereich begründet. Bricht der Adressat des Briefes das Behältnis des Dritten auf und nimmt Kenntnis vom Inhalt der Briefe, macht er sich zunächst gem. § 202 Abs. 2 StGB zu Lasten des Verwahrers strafbar. Der Umstand, dass der Brief tatsächlich an den Adressaten gerichtet ist, kann ggfs. auf Rechtfertigungsebene im Rahmen der Notwehr oder Selbsthilfe berücksichtigt werden. Darüber hinaus ist zu fragen, weshalb das Bestimmungsrecht des Verschließenden hinsichtlich des formalen Geheimbereichs erlöschen sollte, sobald der Verschluss vom Adressaten aufgehoben worden ist. Damit einher geht die Frage nach der Strafbarkeit des Absenders für das Öffnen des eigenen Briefes, wenn dieser sich im 746
MüKo-StGB/Graf, § 202 Rn. 17; NK/Kargl, § 202 Rn. 10; mit ähnlicher Argumentation Wiechert, Der strafrechtliche Schutz des Briefgeheimnisses im Zusammenhang mit der Entwicklung des Persönlichkeitschutzes, S. 46. 747 NK/Kargl, § 202 Rn. 10; MüKo-StGB/Graf, § 202 Rn. 17. 748 LK/Schünemann, § 202 Rn. 24.
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Machtbereich des Adressaten befindet. Wiechert hält eine Bestrafung des Absenders für das Öffnen eines Briefes, der bereits dem Adressaten zugegangen ist, für verfehlt.749 Seine Begründung, der Absender könne gar nicht in ein von ihm selbst begründetes Geheimnis eindringen, basiert auf dem Gedanken, § 299 StGB a.F. schütze das Briefgeheimnis. Zwar ist diese Ansicht mit dem heutigen Gesetzeswortlaut nicht zu vereinbaren, gleichwohl bleibt die Argumentation gegen eine Bestrafung des Absenders in genanntem Fall ähnlich, sofern der Absender gleichzeitig der Verschließende ist. Der Absender bestimmt den Adressatenkreis seiner Mitteilung, zu dem er zwar grundsätzlich nicht gehört, dennoch kennt er den Inhalt des formalen Geheimbereichs. Man könnte nun argumentieren, dass der Absender zwar in den formalen Geheimbereich des Adressaten eindringt, sich jedoch normalerweise keine „Kenntnis verschafft“ (da er sie schon besitzt) und dadurch straffrei bleibt. Die Verlagerung des Problems auf den Begriff des „Kenntnisverschaffens“ hätte dann jedoch zur Folge, dass sich der Absender strafbar macht, wenn er den Brief vor langer Zeit versandt und den genauen Inhalt zum Zeitpunkt des Öffnens bereits vergessen hat, da er sich dann (erneute) Kenntnis verschafft. Richtigerweise ist das Merkmal „Kenntnis verschaffen“ aber weit zu verstehen750 und erfordert keinerlei Verständnis des gedanklichen Inhalts. Da auf ein rein visuelles Vordringen zum gedanklichen Inhalt abzustellen ist, ist die Differenzierung nach erstmaligem oder erneutem „Kenntnis verschaffen“ eines ggfs. vergessenen Inhalts nicht überzeugend. Die Öffnung eines sich im Gewahrsam des Adressaten befindlichen Briefes durch den Autor/Verschließenden ist aber straffrei, da eine teleologische Reduktion des Tatbestands angezeigt ist: Was man selbst geschrieben hat, kann nicht „nicht zu seiner Kenntnis bestimmt“ sein, weil der Schreibende bereits Kenntnis davon hat. Ist der Absender eines Briefes nicht gleichzeitig der Verschließende, so ergibt sich aus den Umständen in der Regel, dass der Verschließende lediglich die Funktion eines Gehilfen übernimmt und den Brief für den Verfasser verschließt (so etwa das Sekretariat bei Unternehmen oder Behörden), so dass auch in diesem Fall der Absender des Briefes Kenntnis von seinem Inhalt hat. Inhaber des speziellen Bestimmungsrechts und damit Quasi-Verschließender ist also der Verfasser des Briefes, weil der Verfasser den Adressatenkreis kraft seines Willens bestimmt und der Verschließende (z. B. weisungsgebundener Mitarbeiter) diesen Willen lediglich durch das Verschließen dokumentiert. Dies führt zu dem Ergebnis, dass etwa die Ehefrau, die den Schreibtisch aufbricht, in dem der Ehemann von ihm abgefangene, an sie gerichtete Briefe verwahrt, den Tatbestand nicht zulasten des Verfassers erfüllt, sondern zulasten des Ehemannes.751 749 Wiechert, Der strafrechtliche Schutz des Briefgeheimnisses im Zusammenhang mit der Entwicklung des Persönlichkeitschutzes, S. 44, 45, erklärt jedoch, dass der Fall der Brieföffnung durch den Absender im Machtbereich des Adressaten „keine praktische Bedeutung“ habe. 750 Vgl. unten C. III. 3. b) dd). 751 Ähnlich LK/Schünemann, § 202 Rn. 29; S/S/Lenckner/Eisele, § 202 Rn. 19; bei beiden wird jedoch nicht ganz klar, ob der formale Geheimbereich des Ehemannes nicht als schutzwürdig angesehen wird oder lediglich keine Erwähnung findet.
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Öffnet der Ehemann hingegen die abgefangenen, an die Ehefrau gerichteten Briefe, so verletzt er das spezielle Bestimmungsrecht des Absenders und nicht der Ehefrau, da der Brief noch nicht bei der Adressatin eingetroffen ist. Bricht nun ein unbefugter Dritter den Schreibtisch des Ehemannes auf, öffnet anschließend die darin enthaltenen, an die Ehefrau gerichteten Briefe und nimmt von deren Inhalt Kenntnis, so verletzt dieser sowohl das spezielle Bestimmungsrecht der Ehefrau (Tathandlung ist das Öffnen der Briefe, Abs. 1 Nr. 1) als auch das des Ehemannes (Tathandlung ist das Aufbrechen des Schreibtisches und das anschließende Lesen der Briefe, Abs. 2). b) Tathandlungen aa) Öffnen des Verschlusses gem. § 202 Abs. 1 Nr. 1 StGB Der Täter öffnet den Verschluss, wenn er das durch den Verschluss geschaffene Hindernis so beseitigt, dass er vom Inhalt Kenntnis nehmen kann.752 Auf eine tatsächliche Kenntnisnahme des Inhalts kommt es nicht an; dies ergibt der Umkehrschluss aus Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2. Dadurch soll dem Täter die kaum widerlegbare Einlassung abgeschnitten werden, er habe trotz Öffnung keine Kenntnis genommen.753 Auch muss der Täter den Verschluss nicht beschädigen oder sonst Gewalt anwenden.754 So sah das RG eine Öffnung bereits als gegeben an, als ein Briefumschlag, dessen Verschlussklappe nur mit der äußersten Spitze festgeklebt war, zusammengedrückt und durch die so entstehende Öffnung der Brief herausgezogen wurde.755 Durch die Möglichkeit der Kenntnisnahme ist das Bestimmungsrecht hinsichtlich des Adressatenkreises gefährdet; ist hingegen jegliche Kenntnisnahme ausgeschlossen, weil mit dem Öffnen des Verschlusses das Schriftstück selbst vernichtet wird, ist das spezielle Bestimmungsrecht nicht gefährdet und es kommt mangels Versuchsstrafbarkeit lediglich Sachbeschädigung in Betracht.756 bb) Anwendung technischer Mittel gem. § 202 Abs. 1 Nr. 2 StGB Gem. § 202 Abs. 1 Nr. 2 StGB wird bestraft, wer sich vom Inhalt eines verschlossenen Schriftstücks oder einer Abbildung ohne Öffnung des Verschlusses unter Anwendung technischer Mittel Kenntnis verschafft. Hintergrund dieser Bestimmung war die fortschreitende technische Entwicklung, die etwa in Form von Durchleuchtungseinrichtungen eine Kenntnisnahme des Inhalts auch ohne Öffnung des 752 Tröndle/Fischer, § 202 Rn. 8; LK/Schünemann, § 202 Rn. 17; S/S/Lenckner/Eisele, § 202 Rn. 9; Wiechert, Der strafrechtliche Schutz des Briefgeheimnisses im Zusammenhang mit der Entwicklung des Persönlichkeitschutzes, S. 43. 753 Wiechert, Der strafrechtliche Schutz des Briefgeheimnisses im Zusammenhang mit der Entwicklung des Persönlichkeitschutzes, S. 42; Herzberg, JuS 1984, 369, 371. 754 Schmitz, JA 1995, 297, 298; NK/Kargl, § 202 Rn. 12. 755 RGSt 20 375, 376. 756 LK/Schünemann, § 202 Rn. 18 m.w.N.
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Verschlusses ermöglichte.757 Eine Anwendung technischer Mittel soll hingegen nicht vorliegen, wenn das Schriftstück lediglich gegen das Licht gehalten oder abgetastet wird758, wobei die Abgrenzung der Anwendung spezifisch technischer Hilfsmittel vom bloßen Ausnutzen günstiger natürlicher Bedingungen einzelfallabhängig ist.759 Diese Begriffsbestimmung ist letztlich wenig hilfreich, da auch eine schlichte Glühlampe ein „technisches Mittel“ ist – strafbar soll der Täter dennoch nicht sein, wenn er sich Kenntnis vom Inhalt des Schriftstücks verschafft, indem er es gegen das Licht einer Lampe hält.760 Dieses sehr weite Verständnis des technischen Hilfsmittels könnte zwar mglw. erklären, weshalb als zusätzliches einschränkendes Merkmal die Kenntnisnahme des geheimgehaltenen Inhalts gefordert wird; der Gesetzgeber könnte insoweit die bloße Verschlussüberwindung unter Anwendung technischer Mittel als zu weitgehend und kaum feststellbar erachtet haben. Doch soll das Durchleuchten mit einer Glühlampe selbst bei Kenntnisnahme der verkörperten Gedankenerklärung nicht unter Strafe stehen.761 Da § 202 StGB das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht schützen soll, Dritte von der Kenntnisnahme des Inhalts eines selbst geschaffenen Geheimbereichs auszuschließen, liegt eine teleologische Reduktion des Begriffs der technischen Mittel nahe: Tatbestandlich sind nur solche technischen Mittel, die ihrer Funktion und ihrem üblichen Gebrauch nach dazu geeignet sind, gegen unbefugte Kenntnisnahme gerichtete Schutzvorkehrungen zu überwinden.762 Im Alltagsgebrauch übliche Lampen scheiden danach aus, auch wenn sie im Einzelfall dazu geeignet sind, Briefe zu durchleuchten. De lege ferenda bietet sich daher zur Klarstellung eine Formulierung wie z. B. „technische Hilfsmittel“ an. Fraglich ist, ob das Tränken der Umhüllung eines Briefes mit durchscheinend machendem Öl oder Fett den Tatbestand des § 202 StGB erfüllt.763 Eine Flüssigkeit könnte ein technisches Mittel i.S. des Abs. 1 Nr. 2 darstellen.764 Schwalm und Fischer etwa nennen beispielhaft für das Anwenden technischer Hilfsmittel das Tränken des Schriftstücks mit einer dessen Inhalt sichtbar machenden Flüssigkeit, jedoch ohne 757
BT-Drucks. 7/550, S. 237. BT-Drucks. 7/550, S. 237; Blei, JA 1974, 601, 606. 759 So auch LK/Schünemann, § 202 Rn. 19; beachte das Beispiel von Maurach/Schroeder/ Maiwald, Besonderer Teil I, § 29 II Rn. 16, wonach eine professionelle Durchleuchtungsvorrichtung von einer primitiven kaum abzugrenzen sei. 760 Kindhäuser, Strafrecht Besonderer Teil I, S. 233; MüKo-StGB/Graf, § 202 Rn. 22. 761 BT-Drucks. 7/550, S. 237. 762 Ähnlich bereits Gössel/Dölling, Strafrecht BT I, § 37 Rn. 94, „Die als Tatmittel verlangten technischen Mittel sind solche, die mindestens auch den Zweck haben, den Inhalt verschlossener Schriftstücke oder Abbildungen ohne Öffnung des jeweiligen Verschlusses sichtbar zu machen.“ 763 Für das Tatbestandsmerkmal des „Eröffnens“ der damals geltenden Fassung des § 299 StGB Wiechert, Der strafrechtliche Schutz des Briefgeheimnisses im Zusammenhang mit der Entwicklung des Persönlichkeitschutzes, S. 43 m.w.N. in Fn. 4. 764 MüKo-StGB/Graf, § 202 Rn. 22. 758
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dies näher zu begründen.765 Die Norm nennt jedoch ein technisches Mittel, was nach allgemeinem Sprachgebrauch nicht für die Einbeziehung einer Flüssigkeit spricht.766 Unabhängig von der Frage, ob nach entstehungsgeschichtlichen Gesichtspunkten eine Erfassung von den Schriftinhalt sichtbar machenden Flüssigkeiten vom Gesetzgeber gewollt war, spricht die Wortlautgrenze klar gegen eine solche Einbeziehung. cc) Öffnung eines verschlossenen Behältnisses gem. Abs. 2 Seit dem Jahr 1973767 sind auch offene Schriftstücke oder Abbildungen gegen Kenntnisnahme strafrechtlich geschützt, wenn sie sich (zumindest auch) aus diesem Grund in einem verschlossenen Behältnis befinden. Hierbei ist die Tathandlung zweiaktig ausgestaltet: Der Täter muss zunächst das verschlossene Behältnis zum Zwecke der Kenntnisnahme öffnen und dann vom Inhalt des Schriftstücks Kenntnis nehmen.768 Hierbei macht der Gesetzeswortlaut deutlich, dass der Öffnungsakt gerade „dazu“ vorgenommen sein muss, sich Kenntnis vom Inhalt des Verwahrten zu verschaffen.769 Folglich ist der Tatbestand in solchen Fällen nicht erfüllt, in denen der Täter das verschlossene Behältnis in Zueignungsabsicht bezüglich des Inhalts aufbricht und anschließend Kenntnis nimmt.770 Beide Handlungsakte müssen von ein und demselben Täter ausgeführt werden, so dass als Täter grundsätzlich nicht bestraft werden kann, wer zwar den Öffnungsakt vornimmt, aber nicht vom Inhalt Kenntnis nimmt und umgekehrt.771 Mittäterschaftliche Begehungsweisen, in denen mehrere Tatbeteiligte aufgrund eines gemeinsamen Tatplans arbeitsteilig vorgehen, werden in der strafrechtlichen Literatur nicht einheitlich behandelt. Einer Ansicht nach müssen die Täter sich den jeweils fehlenden Beitrag zurechnen lassen, wenn jeder Tatbeteiligte einen wichtigen Tatbeitrag erbrachte und die Arbeitsteilung dem Tatplan entsprach; dies gelte sowohl für denjenigen, der öffnet aber nicht Kenntnis nimmt, als auch für denjenigen, der nur Kenntnis nimmt.772 Dem wird jedoch für den zweiten Teilakt entgegengehalten, dass der Wortlaut „sich verschaffen“ (also „sich selbst verschaffen“) deutlich für die Eigenhändigkeit dieses Deliktakts spreche; hieraus folge zwingend, dass derjenige, der sich nicht selbst Kenntnis verschafft, mangels Erfüllung des besonderen Täter765 Nds. Bd. 9/Schwalm, S. 404, 405; Tröndle/Fischer, § 202 Rn. 9; so auch LK/Schünemann, § 202 Rn. 19 m.w.N. 766 Insoweit zweifelnd: MüKo-StGB/Graf, § 202 Rn. 22. 767 BT-Drucks. 7/550, S. 237. 768 BT-Drucks. 7/550, S. 237. 769 BT-Drucks. 7/550, S. 237; NK/Kargl, § 202 Rn. 15. 770 MüKo-StGB/Graf, § 202 Rn. 24, L/Kühl, § 202 Rn. 5. 771 Insofern noch übereinstimmend NK/Kargl, § 202 Rn. 16; LK/Schünemann, § 202 Rn. 42; MüKo-StGB/Graf, § 202 Rn. 25. 772 NK/Kargl, § 202 Rn. 16; SK/Hoyer, § 202 Rn. 27.
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merkmals der Eigenhändigkeit auch nicht Mittäter sein könne.773 Aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt sich jedoch nicht eindeutig die Notwendigkeit eines eigenhändigen Handelns, und auch die Gesetzesmaterialen sprechen eher gegen eine solche Auslegung, da hierdurch nur mittelbare Einbrüche in die Privatsphäre (z. B. vorangegangenes Öffnen durch Sekretärin) ausgeschlossen werden sollten.774 Praxisrelevant ist hierbei die Fallkonstellation, in der der Öffnende das Schriftstück oder die Abbildung nur abfotografiert und danach Film, Bild oder Datei einer tatbeteiligten Person (bei gemeinsamem Tatplan) zur Kenntnis gibt.775 Trifft der Fotografierende etwa hinsichtlich mehrerer Blätter eine Auswahl, muss er hierzu den Inhalt erfassen, so dass regelmäßig eine eigene Kenntnisnahme776 gegeben ist. Diese soll jedoch bei einem einzelnen Blatt ggfs. abzulehnen sein, so dass dann mangels eigenhändiger Kenntnisnahme auch im Wege der Mittäterschaft eine Strafbarkeit des Fotografierenden nicht gegeben sein soll.777 Dies kann jedoch im Hinblick auf den Schutz des formalen Geheimbereichs kein sinnvolles Ergebnis sein. Stattdessen sind die allgemeinen Grundsätze der Mittäterschaft anzuwenden, so dass der Fotografierende sich die Kenntnis der tatbeteiligten Person zurechnen lassen muss, wenn diese bei gemeinsamem Tatplan ebenfalls einen wichtigen Tatbeitrag geleistet hat.778 Dieser wichtige Tatbeitrag liegt im Lesen des fotografierten Schriftstücks und ist als ausreichend anzusehen, weil die Kenntnisverschaffung als Akt der Informationsgewinnung regelmäßig den Grund der Straftat darstellt. Die Öffnung des Verschlusses betreffend kommt es nicht darauf an, ob diese mit dem richtigen Werkzeug (z. B. Schlüssel, sofern er nicht bereits steckte779)780, einem nicht dafür bestimmten Hilfsmittel781 oder etwa durch Anwendung von Gewalt782 erfolgt. dd) Kenntnisnahme vom Inhalt des Schriftstücks (Abs.1 Nr. 2) bzw. des Verwahrten (Abs. 2) Die Tathandlungen des § 202 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 StGB setzen wie dargelegt aus Abgrenzungs- bzw. Klarstellungsgründen783 die Kenntnisnahme vom Inhalt des Schriftstücks bzw. der Abbildung voraus. Der Täter muss sich danach in einer be773 774 775 776 777 778 779 780 781 782 783
So auch Schmitz, JA 1995, 297, 300; LK/Schünemann, § 202 Rn. 42. BT-Drucks. 7/550, S. 237. Beispiel von MüKo-StGB/Graf, § 202 Rn. 25. Zu dem Begriff der Kenntnisnahme siehe unten im folgenden Abschnitt. MüKo-StGB/Graf, § 202 Rn. 25; wohl auch LK/Schünemann, § 202 Rn. 21. NK/Kargl, § 202 Rn. 16. Dann schon kein „verschlossenes“ Behältnis. Nds. Bd. 9/Schwalm, S. 404, 405. BT-Drucks. 7/550, S. 237. MüKo-StGB/Graf, § 202 Rn. 24. Abgrenzung zu den Diebstahlsdelikten, vgl. unter C. III. 2. e).
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stimmten Weise mit der schriftlichen oder bildlichen Fixierung befassen. Welche Voraussetzungen hieran zu knüpfen sind, ist umstritten. Die weitestgehende Ansicht lässt eine visuelle oder optische Wahrnehmung genügen, so dass ein irgendwie geartetes Verständnis des Sinngehalts nicht notwendig sei.784 Ausreichend sei vielmehr das Vordringen bis zum Inhalt des betreffenden Objekts im Wege der visuellen Wahrnehmung.785 Damit sei die Tat auch dann vollendet, wenn der Täter den wider Erwarten in einer fremden Sprache abgefassten Text nicht verstehen könne.786 Hiergegen wird eingewandt, dass bereits der Normtext gegen eine solch weite Auffassung spreche, da auf den Inhalt des Schriftstückes abgestellt wird. Hierdurch werde erkennbar, dass ein „Minimum an intellektueller Verarbeitung des visuell Erfassten“ nötig sei.787 Auch gebietet der Normzweck, dass Teile des Inhalts verstanden werden müssen; allein die Feststellung des Täters, dass er (irgendein) Schriftstück vor sich hat, führe noch nicht zu einer Verletzung des formalen Geheimbereichs.788 Andererseits sei ein Verstehen des gesamten Inhaltes in seiner vollen Tragweite nicht erforderlich; vielmehr reiche die Kenntnisnahme von einem Teil des Schriftstücks oder das Wissen um einen in fremder Sprache verfassten Text aus.789 Entscheidend sei, dass der Täter den Inhalt des Textes zumindest in Teilen ungefähr einordnen könne.790 Noch restriktiver ist die Ansicht, wonach der Täter sich vom Inhalt des Schriftstücks tatsächlich Kenntnis in der Weise verschafft haben muss, dass er das Schriftstück zumindest teilweise gelesen und das Gelesene jedenfalls in seiner Wortbedeutung im Wesentlichen verstanden haben müsse.791 Schmitz etwa fordert ein höheres Maß an intellektuellem Verständnis und versucht, die Kenntnisverschaffung wie folgt zu definieren: „Der Täter muss das Schriftstück visuell wahrnehmen und das Gesehene intellektuell so weit erfassen, dass er in der Lage ist, die Bedeutung des Schriftstücks zu erkennen.“792 Die verschiedenen Ansichten führen zu unterschiedlichen Ergebnissen etwa in Fällen, in denen der Täter ein Schriftstück in einer fremden Sprache oder für ihn unleserlichen Schrift vor sich hat. Der Täter hat in diesem Fall das Schriftstück lediglich visuell, aber in keiner Weise inhaltlich wahrgenommen, so dass er nach 784
Blei, JA 1974, 601, 606; L/Kühl, § 202 Rn. 4. Wessels/Hettinger, Straftaten gegen Persönlichkeits- und Gemeinschaftswerte, § 12 Rn. 554; S/S/W/Bosch, § 202 Rn. 8. 786 Blei, JA 1974, 601, 606. 787 Schmitz, JA 1995, 297, 299. 788 Ähnlich auch LK/Schünemann, § 202 Rn. 21. 789 NK/Kargl, § 202 Rn. 14; LK/Schünemann, § 202 Rn. 21. 790 MüKo-StGB/Graf, § 202 Rn. 23. 791 S/S/Lenckner/Eisele, § 202 Rn. 10/11; Rengier, Strafrecht BT II, § 31 Rn. 22. 792 Schmitz, JA 1995, 297, 299. 785
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Auffassungen, die ein Mindestmaß an intellektuellem Verständnis für die Kenntnisnahme fordern, straffrei bleiben müsste. Dennoch kommen nur Lenckner/Eisele und Hoyer konsequent zu dem Ergebnis, dass der Täter straflos bleibt.793 Die Ansichten, die ein über die bloße visuelle Wahrnehmung hinausgehendes Verständnis fordern, erscheinen extrem vage, da ein nachvollziehbares Maß an der geforderten intellektuellen Verarbeitung nicht erkennbar ist. Auch leuchtet es nicht recht ein, den Eintritt der Rechtsgutsverletzung von den Sprachkenntnissen oder intellektuellen Verarbeitungsmöglichkeiten des Täters abhängig zu machen.794 Dies verdeutlicht folgender von Schmitz genannter Beispielsfall: A, der ein „fotografisches“ Gedächtnis hat, wird von K, dem Konkurrenten des U, dafür bezahlt, dass er einen Safe des U knackt und sich den Inhalt einiger Papiere, die Betriebsgeheimnisse enthalten, einprägt, um K den Inhalt mitzuteilen. A selbst hat kein Wort von dem, was er gelesen hat, verstanden. Aufgrund des „fotografischen“ Gedächtnisses ist dem A eine Reproduktion des wahrgenommenen möglich. Nach der Ansicht von Schmitz liegt keine Kenntnisnahme durch A vor, weil dieser nicht feststellen könne, um was für ein Schriftstück es sich handelt; es fehle mithin an einer intellektuellen Verarbeitung.795 Dem kann m. E. nicht gefolgt werden. Da A inhaltlich kein Wort versteht, ist dieser Fall normativ ebenso zu behandeln wie die Situation, dass es sich um ein Schriftstück in einer anderen Sprache handelt. In beiden Fällen dringt A in die formale Geheimsphäre des U ein und verletzt damit das Bestimmungsrecht des U darüber, wer vom Inhalt des im Safe befindlichen Schriftstücks Kenntnis nehmen darf. Auch weiß A, dass es sich um verschlossene Schriftstücke handelt, hinsichtlich derer der U ein Geheimhaltungsinteresse hat. Entsprechend dem inhaltsunabhängigen Schutz eines formalen Geheimbereichs erscheint es richtig, eine unbekannte Sprache, unleserliche Schrift oder unverständliche wissenschaftliche Ausführungen in den Schutzbereich einzubeziehen, solange sie visuell als Schriftstück zu erkennen sind. Danach ist allein maßgeblich, ob der Täter im Wege der visuellen Wahrnehmung bis zum Inhalt des betreffenden Objekts vorgedrungen ist. Die Forderung einer irgendwie gearteten intellektuellen Erfassung zumindest eines Teils des Inhaltes oder deren „ungefähre Einordnung“ ist einerseits zu vage, andererseits prozessual kaum durchführbar, zumal die Strafbarkeit von der individuellen Auffassungsgabe des Täters abhängig wäre.
793
I. E. S/S/Lenckner/Eisele, § 202 Rn. 10/11; SK/Hoyer, § 202 Rn. 19. Kritisch auch Wessels/Hettinger, Straftaten gegen Persönlichkeits- und Gemeinschaftswerte, § 12 Rn. 554. 795 Schmitz, JA 1995, 297, 299. 794
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c) Rechtswidrigkeit aa) Einwilligung vs. tatbestandsausschließendes Einverständnis Während sich bei den §§ 201 und 201a StGB die Frage stellt, ob sich die durch den Bestimmungsrechtsinhaber erteilte Befugnis zur Aufnahme auf der Tatbestandsoder der Rechtfertigungsebene auswirkt, liegt die Behandlung des Einverständnisses bei § 202 StGB auf der Hand. Hat der Berechtigte den Inhalt des Schriftstücks zur Kenntnisnahme des Öffnenden bestimmt, entfällt bereits ein Tatbestandsmerkmal.796 Die Bestimmung kann derjenige treffen, der über den geschützten Geheimbereich dispositionsbefugt ist. Die Bestimmung über die Befugnis zur Kenntnisnahme kann von Einschränkungen und Bedingungen abhängig gemacht werden.797 Allerdings ist von dem entsprechenden Vermerk zu fordern, dass ein ernstlicher und rechtsverbindlicher Wille erkennbar ist, wonach der Adressat noch nicht Kenntnis von dem Schriftstück nehmen bzw. den Verschluss noch nicht öffnen darf. Während dieser Wille bei dem Wunsch „Nicht vor dem Fest öffnen“ wohl nicht vorliegt, dürfte ein Vermerk „Erst nach meinem Tode öffnen“ durchaus verbindlich gewollt sein.798 In einem solchen Fall erfolgt das vorzeitige Öffnen des Schriftstücks gegen den Willen des Berechtigten und damit unbefugt. Unter Eheleuten oder in einer anderen Lebenspartnerschaft ist die Annahme einer stillschweigenden Erklärung über die Befugnis zur Kenntnisnahme möglich.799 Allein aus dem Eheverhältnis auf eine stillschweigend erteilte generelle Erlaubnis zur Kenntnisnahme zu schließen800, erscheint jedoch vor dem Hintergrund verfehlt, dass eheliche (oder sonstige) Partnerschaften durchaus individuelle Freiräume kennen. Der Rückgriff auf die Figur der mutmaßlichen Einwilligung als Rechtfertigung ist grundsätzlich denkbar, aber jedenfalls dann versperrt, wenn eine vorherige Verständigung über die Frage möglich gewesen wäre801 (was bei Eheleuten in aller Regel der Fall sein dürfte)802. Anderes kann dann gelten, wenn die Öffnung einer Postsendung im Interesse des Empfängers (z. B. wegen drohenden Fristablaufs) dringend geboten ist.803 796 Maurach/Schroeder/Maiwald, Besonderer Teil I, § 29 II Rn. 18; S/S/W/Bosch, § 202 Rn. 10; L/Kühl, § 202 Rn. 7; S/S/Lenckner/Eisele, § 202 Rn. 12; NK/Kargl, § 202 Rn. 19. 797 Ähnlich auch LK/Schünemann, § 202 Rn. 27. 798 Beispiele von LK/Schünemann, § 202 Rn. 27. 799 MüKo-StGB/Graf, § 202 Rn. 25. 800 LK/Schünemann, § 202 Rn. 35; Tröndle/Fischer, § 202 Rn. 13. 801 L/Kühl, § 202 Rn. 7. 802 LK/Schünemann, § 202 Rn. 40; S/S/W/Bosch, § 202 Rn. 10; S/S/Lenckner/Eisele, § 202 Rn. 14. 803 NK/Kargl, § 202 Rn. 20.
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C. Umsetzung durch den Gesetzgeber
bb) Spezialgesetzliche Befugnisnormen Nach früherem Verständnis kam für Eltern kraft ihres Sorgerechts nach §§ 1626 Abs. 1, 1631 Abs. 1 BGB grundsätzlich eine Rechtfertigung in Betracht, wenn sie die an ihre minderjährigen Kinder gerichtete Post sowie verschlossene Aufzeichnungen oder Tagebücher öffnen und kontrollieren.804 Eine schrankenlose Berechtigung zum Eindringen in den geschützten Privatbereich ihrer Kinder wird jedoch den Eltern heute zu Recht nicht mehr eingeräumt.805 Die Rechtfertigungsmöglichkeit endet spätestens dort, wo die Kontrolle als entwürdigende Erziehungsmaßnahme i.S.v. § 1631 Abs. 2 BGB zu betrachten ist, etwa bei ständigem grundlosen Misstrauen.806 Ähnliche Rechte wie den Eltern stehen dem Vormund hinsichtlich des minderjährigen Mündels zu (§§ 1800, 1631 Abs. 1 BGB).807 Da jedoch die Vormundschaft durch staatlichen Hoheitsakt und nicht durch das natürliche Eltern-Kind-Verhältnis begründet ist, erscheint eine engere Grenzziehung des vormundschaftlichen Erziehungsrechts sachgerecht.808 Eine Befugnis zur Öffnung von Schriftstücken besteht danach nur bei konkreten Anzeichen für eine Gefährdung des Kindeswohls.809 Im Rahmen der Betreuung Volljähriger ist nach § 1896 Abs. 4 BGB eine gerichtliche Anordnung erforderlich. Gemäß §§ 99, 100 Abs. 3 StPO ist im Rahmen des Ermittlungsverfahrens die Öffnung von Briefen und Postsendungen gerechtfertigt, die an einen Beschuldigten gerichtet sind oder von ihm stammen. Entsprechende Eingriffsermächtigungen sehen zudem § 2 Abs. 2 S. 1 des Gesetzes zur Überwachung strafrechtlicher und anderer Verbringungsverbote vom 24. 5. 1961810, § 10 Abs. 4 des Zollverwaltungsgesetzes vom 21. 12. 1992811 sowie § 99 Abs. 2 Insolvenzordnung für die Öffnung der für den Schuldner eingehenden Briefe usw. nach Anordnung der Postsperre vor. § 1 Abs. 1 Ges. zu Art. 10 GG vom 26. 6. 2001812 sieht für das Öffnen von Sendungen, die dem Brief- oder Postgeheimnis unterliegen, durch die Verfassungsschutzbehörden und den Bundesnachrichtendienst zum Zweck der Abwehr von drohenden Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung ebenfalls die Überprüfung von Postsendungen vor. § 23a ZFdG enthält die Befugnis des Zollkriminalamts, zur Verhütung von Straftaten nach dem AWG den Fernmeldeverkehr zu überwachen und aufzuzeichnen. Damit werden Eingriffsrechte in das Fernmeldegeheimnis (Art. 10 804 Wiechert, Der strafrechtliche Schutz des Briefgeheimnisses im Zusammenhang mit der Entwicklung des Persönlichkeitschutzes, S. 47. 805 MüKo-StGB/Graf, § 202 Rn. 30; NK/Kargl, § 202 Rn. 21. 806 SK/Hoyer, § 202 Rn. 26. 807 Vgl. Palandt/Götz, § 1800 Rn. 1. 808 BVerfGE 10, 328; OLG Hamm, NJW RR 1986, 8. 809 S/S/Lenckner/Eisele, § 202 Rn. 13. 810 BGBl. I, 607; ÄndG v. 14. 12. 2001; BGBl. I, 3717. 811 BGBl. I, 2125; ÄndG v. 24. 8. 2004; BGBl. I, 2208. 812 BGBl. I, 1254; ÄndG v. 11. 2. 2005, BGBl. I, 229.
III. § 202 StGB – Verletzung des Briefgeheimnisses
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GG) und im Übrigen auch in das anders geartete Rechtsgut des § 201 StGB gerechtfertigt.813 Bei Strafgefangenen kommt eine Rechtfertigung für die Briefüberwachung gem. § 29 Abs. 3, 31 StVollzG (§ 22 Abs. 2, 23 StVollzG NRW) in Betracht, soweit das Vollzugsziel oder die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährdet sind. Entsprechende Bestimmungen gelten für Sicherungsverwahrte (§ 130 i.V.m. § 29 Abs. 3 StVollzG), für Untergebrachte gem. §§ 63, 64 StGB i.V.m. § 138 Abs. 1 StVollzG sowie für psychisch Kranke nach den Unterbringungsgesetzen der Bundesländer. Bei Untersuchungsgefangenen kann eine Öffnung und Kontrolle des Brief- und Paketverkehrs auch zur Vermeidung von Verdunkelungs- oder Fluchtgefahr (§ 119 Abs. 1 Nr. 2 StPO; Nr. 28f UvollzO; § 20 UvollzO NRW) gerechtfertigt sein.
4. Resümee § 202 StGB schützt das Bestimmungsrecht des Einzelnen hinsichtlich des körperlichen formalen Geheimbereichs und des Personenkreises, dem der Zugang zu diesem Bereich gestattet wird. Damit ist als Normzweck der Schutz eines formalen Geheimbereichs anzuerkennen, der die Diskretion verschlossener Gegenstände gewährleisten soll. Es erscheint angebracht, die Tatgegenstände im Rahmen einer teleologischen Auslegung weit zu verstehen und sich gänzlich vom Erfordernis eines Bezugs des Inhalts des Schriftstücks oder der Abbildung zum Persönlichkeitsrecht zu lösen. Der erforderliche Persönlichkeitsbezug wird durch die Begründung eines formalen Geheimbereichs hergestellt und ist schützenswert, auch wenn das Schriftstück oder die Abbildung objektiv keine Rückschlüsse auf Persönlichkeitsmerkmale oder Charakterzüge des Einzelnen zulässt. Wenn man diesen Gedankengang konsequent fortführt, stellt sich jedoch die Frage, weshalb nur Schriftstücke und Abbildungen geschützt sind. Hinsichtlich jedes beliebigen Gegenstands kann ein Geheimhaltungsinteresse der Person bestehen, die einen formalen Geheimbereich schafft. Ein solcher Geheimhaltungswille ist stets schützenswert. So wäre es de lege ferenda denkbar, den strafrechtlichen Schutz des formalen Geheimbereichs auf jeden körperlichen Gegenstand auszuweiten. Entscheidend ist das spezielle Bestimmungsrecht des Verschließenden bzw. desjenigen, der zur Bestimmung befugt ist; das gilt insbesondere für die Versendung eines Briefes, welche einen Übergang des Bestimmungsrechtes auf den Adressaten des Briefes zur Folge hat.
813
Vgl. die Übersicht bei NK/Kargl, § 202 Rn. 23.
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C. Umsetzung durch den Gesetzgeber
Damit entspricht § 202 StGB nur noch sehr eingeschränkt dem landläufigen Verständnis des Begriffs „Briefgeheimnis“, gleichwohl steht dieses Ergebnis in Einklang mit der bisherigen Normentwicklung.814
IV. § 202a StGB – Ausspähen von Daten 1. Entstehungsgeschichte Der Tatbestand des Ausspähens von Daten geht auf Anregungen in einer öffentlichen Sachverständigenanhörung vor dem Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages am 6. 6. 1984 zurück.815 Kritisiert wurde, dass das bis dahin geltende Recht für Daten nur in Teilbereichen einen strafrechtlichen Schutz (z. B. gemäß § 17 UWG, § 106 UrhG, § 41 BDSG a.F.) gewährte816; auch in den ursprünglichen Entwürfen für ein Zweites Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (2. WiKG) war kein entsprechender strafrechtlicher Schutz enthalten.817 Der Gesetzgeber hat daraufhin in § 202a StGB den Anwendungsbereich des § 202 StGB, der auf Schriftstücke und Abbildungen begrenzt ist, um das Ausspähen von Daten ergänzt.818 Aus Sorge vor einer Überkriminalisierung von Verhaltensweisen wurde zunächst auf die Strafbarkeit des Versuchs und des bloß unbefugten Verschaffens des Zugangs ohne Zugriff auf Daten (sog. „Hacking“) verzichtet.819 Die Einordnung der Norm in den Fünfzehnten Abschnitt des Strafgesetzbuches nach §§ 201, 202 ist auf den Vorschlag des Sachverständigen Sieber820 zurückzuführen und stützt sich nach der Begründung des Gesetzgebers auf den engen Zusammenhang mit diesen Vorschriften, auch wenn eine Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs nicht vorausgesetzt wird.821 Die Praxis neigte bereits während der Geltung der Ursprungsvorschrift dazu, den Tatbestand weit auszulegen und jede Kenntnisnahme von geschützten Daten ausreichen zu lassen.822 Der Gesetzgeber folgte dieser Ansicht bei der Umsetzung des von Deutschland am 23. November 2001 gezeichneten Übereinkommens des Eu814
Vgl. die Erweiterung des Schutzbereiches durch Einführung neuer Tatgegenstände und des Schutzes eines inhaltsunabhängigen formalen Geheimbereichs. 815 MüKo-StGB/Graf, § 202a Rn. 5. 816 BT-Drucks. 10/5058, S. 28; Haft, NStZ 1987, 6, 9; Achenbach, NJW 1986, 1835, 1837. 817 Gesetzentwurf der Abgeordneten der SPD vom 8. 6. 1983, BT-Drucks. 10/119; Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 26. 8. 1983, BT-Drucks. 10/318. 818 Vgl. dazu z. B. Haft, NStZ 1987, 6 ff.; Schuh, Computerstrafrecht im Rechtsvergleich – Deutschland, Österreich, Schweiz, S. 49 ff. 819 BT-Drucks. 10/5058, S. 28; Achenbach, NJW 1986, 1835, 1837. 820 Sieber, Informationstechnologie und Strafrechtsreform, S. 49 ff., insbesondere S. 54. 821 BT-Drucks. 10/5058, S. 28 822 BT-Drucks. 16/3656, S. 9 m.w.N.
IV. § 202a StGB – Ausspähen von Daten
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roparates über Computerkriminalität823 sowie des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union über Angriffe auf Informationssysteme vom 24. Februar 2005.824 Mit In-Kraft-Treten des 41. StÄG vom 7. 8. 2007825 ist für die Tatvollendung ausreichend, wenn ein Täter unter Überwindung einer Zugangssicherung sich oder einem anderen lediglich den Zugang zu geschützten Daten verschafft; auf eine Ausspähung der Daten (i.S. der Ursprungsfassung von § 202a Abs. 1 StGB) kommt es hingegen nicht mehr an. Damit sollte das sog. „Hacking“ ebenfalls erfasst werden, bei welchem der Gesetzgeber 1986 noch glaubte, das Eindringen erfolge ohne unbefugte Verschaffung von Daten und somit lediglich als eine Art sportliche Aktivität; erst 2006 erkannte der Gesetzgeber die generelle Gefährlichkeit und Schädlichkeit von Hacking-Angriffen.826 Wegen des Tatbestandsmerkmals der „Überwindung der Zugangssicherung“ sprechen Stimmen in der Literatur von § 202a StGB als der allgemeinen Strafbestimmung gegen den „elektronischen Hausfriedensbruch“.827 Gleichzeitig mit der Erweiterung des § 202a wurde das Strafgesetzbuch um die Vorschriften „Abfangen von Daten“ (§ 202b), „Vorbereiten des Ausspähens und Abfangens von Daten“ (§ 202c) und jüngst „Datenhehlerei“ (§ 202d StGB) ergänzt. Damit sollte den aus dem rasanten Fortschritt der Informationstechnologie entstandenen Missbrauchsmöglichkeiten entgegengewirkt werden. Hinsichtlich des zu untersuchenden Rechtsguts orientieren sich die letztgenannten Normen grundsätzlich an § 202a StGB; sie bedürfen daher hier keiner näheren Untersuchung.
2. Normzweck § 202a StGB sollte zunächst den strafrechtlichen Schutz der Datenübertragungsnetze gegen unbefugtes Anzapfen und Abhören dieser (damals) neuen Kommunikationsformen sicherstellen.828 Im Abhören von Datennetzen wurde eine der wichtigsten Formen von Computerspionage gesehen, weil die digital übertragenen Informationen mithilfe von Computern sehr viel leichter maschinell analysiert werden konnten als etwa das aufgenommene gesprochene Wort.829 Des Weiteren ist die Quantität der abgehörten Daten oder digitalisierten Informationen weitaus höher als die einer telefonischen Kommunikation und stellt daher ein höheres Gefährdungspotenzial dar. 823 Convention on Cybercrime; ETS-Nummer 185, in Kraft getreten am 1. 7. 2004; vgl. hierzu auch BT-Drucks. 16/3656, S. 7. 824 EU-Rahmenbeschluss vom 24. 2. 2005 (ABl. EU Nr. L 69 S. 67) ; vgl. hierzu auch BTDrucks. 16/3656, S. 7. 825 BGBl. I S. 1786. 826 BT-Drucks. 16/3656, S. 9. 827 So etwa NK/Kargl, § 202a Rn. 1. 828 Sieber, Informationstechnologie und Strafrechtsreform, S. 51. 829 Sieber, Informationstechnologie und Strafrechtsreform, S. 51.
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C. Umsetzung durch den Gesetzgeber
So sollte der unter Überwindung von Sicherungsmaßnahmen vorgenommene unbefugte Zugriff auf fremde Datenverarbeitungs- und Datenspeicherungssysteme strafrechtlich erfasst werden. Bereits auf den ersten Blick zeigen sich Unterschiede zwischen den Normzwecken der §§ 201, 201a StGB einerseits und § 202a StGB andererseits. Während die Unbefangenheit des digitalen Informationsaustausches durchaus als Teil des Normzwecks angesehen werden kann, spielt – ähnlich wie bei § 202 StGB – die Flüchtigkeit der Daten gerade keine Rolle, da diese zwingend auf einem Datenträger fixiert sind, vergleichbar mit der Fixierung der Informationszeichen auf einem Informationsträger bei § 202 StGB. Anders ist dies bei dem authentischen Sprechakt und dem körperlichen Erscheinungsbild; beiden Schutzgegenständen ist eine natürliche Vergänglichkeit bzw. Flüchtigkeit gemein. Ob und inwieweit der Abschnittsüberschrift entsprechend der persönliche Lebens- und Geheimbereich geschützt werden soll, ist fraglich. Nach der Gesetzesbegründung ist eine Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs nicht erforderlich.830 Die Verortung im 15. Abschnitt des Strafgesetzbuches weist jedoch auf einen Zusammenhang mit den §§ 201, 202 StGB hin. Diese Diskrepanz wird bei der umstrittenen Bestimmung des Rechtsguts von § 202a StGB relevant, das im Folgenden geklärt werden soll.
a) Schutz des Vermögens Nach der Ansicht von Haft soll § 202a StGB a.F. solche Daten schützen, die wie Forschungsdaten, Konstruktionsverfahren, Kalkulationen, Bilanzen, Kundenadressen oder Computerprogramme einen wirtschaftlichen Wert haben.831 Rechtsgut sei das Vermögen, wie es in den Daten (Programmen) seinen Niederschlag gefunden hat; ganz ähnlich ordnet auch das schweizerische Strafrecht den mit § 202a dStGB vergleichbaren Art. 143 sStGB den Vermögensdelikten zu832, obwohl dort das bloße Hacking unter Strafe steht. Als Beispiel nennt Haft das unbefugte Eindringen in die Online-Datenbank JURIS, bei dem der Täter nichts ausspähe, sondern sich zahlungspflichtige Informationen verschaffe.833 Der Begriff des wirtschaftlichen Wertes sei in diesem Zusammenhang weit zu fassen, so dass z. B. auch die elektronisch fixierte Information eines Börsenmaklers in diesem Sinne einen wirtschaftlichen Wert habe; auszuschließen seien letztlich nur rein private Informationen, die wirtschaftlich nicht ausgewertet werden können.834 In systematischer Hinsicht kommt 830
BT-Drucks. 10/5058, S. 28. Haft, NStZ 1987, 6, 9; in diese Richtung gehend Bühler, MDR 1987, 448, 452; nicht ganz eindeutig Tröndle/Fischer, § 202a Rn. 2. 832 Vgl. Schuh, Computerstrafrecht im Rechtsvergleich – Deutschland, Österreich, Schweiz, S. 142 ff. 833 Haft, NStZ 1987, 6, 9. 834 Haft, NStZ 1987, 6, 9, 10. 831
IV. § 202a StGB – Ausspähen von Daten
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Haft damit zu dem Ergebnis, dass eine gewisse Analogie zu § 248c StGB, der Entziehung elektrischer Energie, bestehe, und ordnet § 202a StGB a.F. dem Diebstahl zu.835 Der Begriff Datendiebstahl sei der irreführenden Überschrift „Ausspähen von Daten“ vorzuziehen. Dies alles hat für Haft zur Folge, dass § 202a StGB a.F. – entgegen den Vorstellungen des Gesetzgebers – nicht notwendig die Lücke des § 202 III StGB a.F. schließt, welcher im Übermittlungsstadium befindliche Daten nicht erfasste. Wer z. B. in eine private E-Mail in der Weise eindringe, dass er vertrauliche Daten bei der Übermittlung abfängt, sei nach § 202 III StGB a.F. nicht und nach § 202a StGB a.F. nur dann strafbar, wenn die Information einen wirtschaftlichen Wert habe.836 Rein private Daten oder Dateien ohne Vermögenswert sind nach dieser Ansicht also keine geeigneten Angriffsobjekte des § 202a StGB a.F. Zwar vermag es diese Ansicht, der Norm ein relativ klares und scharf umrissenes Rechtsgut zu verleihen. Zudem ist nach dem Willen des Gesetzgebers in der Tat keine Verletzung des persönlichen Lebens- oder Geheimbereichs erforderlich und der Normtext spricht vom „Verschaffen“ als Tathandlung; beides kann als zu einem Vermögensdelikt passend angesehen werden. Zwingend spezifische Merkmale für ein Vermögensdelikt sind dies jedoch nicht. Im Gegenteil fehlen eindeutig vermögensbezogene Merkmale wie Bereicherungs- oder Zueignungsabsicht.837 Der Wortlaut der Norm spricht demnach nicht für ein Vermögensdelikt. Auch beabsichtigte der Gesetzgeber die Schließung bestehender Strafbarkeitslücken bei § 202 III StGB a.F.838, die nach der Ansicht von Haft weiter bestehen bleiben würden. Zwar lassen sich den Gesetzesmaterialien Andeutungen entnehmen, wonach § 202a StGB a.F. dem gestiegenen Wert von Informationen Rechnung tragen soll839, gleichwohl ist dies eher als Anlass denn als Inhalt des Informationsschutzes anzusehen. Damit ist auch entstehungsgeschichtlich das Vermögen als Rechtsgut abzulehnen. Zudem ordnet Haft den § 202a StGB a.F. eher dem Diebstahl zu; § 242 StGB als Eigentumsdelikt schützt jedoch auch Sachen, die keinen wirtschaftlichen Wert und damit keinen speziellen Vermögenswert haben.840 Haft erklärt darüber hinaus selbst, dass der Ausschluss des Antragsrechts für den Erben des Verfügungsberechtigten in § 205 Abs. 2 StGB mit seiner Ansicht nicht zu vereinbaren ist841, so dass auch die Systematik gegen einen Vermögensschutz von § 202a StGB a.F. spricht. Schließlich ist 835
Haft nennt den Begriff Datendiebstahl, hält diesen jedoch selbst für ungenau, da die Ursprungsdaten beim Kopieren erhalten bleiben, und schlägt den Begriff Informationsdiebstahl vor. Wie Schmid jedoch richtig erkennt, ist dieser Terminus mit derselben Argumentation ebenfalls ungenau (vgl. Schmid, Computerhacken und materielles Strafrecht, S. 27 Fn. 72). 836 Haft, NStZ 1987, 6, 9. 837 Vgl. hierzu Art. 143 des Strafgesetzbuches der Schweiz, welches die unbefugte Datenverschaffung den Delikten gegen das Vermögen zuordnet und die Bereicherungsabsicht voraussetzt. 838 BT-Drucks. 10/5058, S. 28. 839 BT-Drucks. 10/5058, S. 28. 840 S/S/Eser/Bosch, § 242 Rn. 4. 841 Haft, NStZ 1987, 6, 10.
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C. Umsetzung durch den Gesetzgeber
nicht einzusehen, warum immaterielle Interessen des Verfügungsberechtigten am Datenbestand nicht schützenswert sein sollen.842 Insgesamt ist damit festzustellen, dass § 202a StGB kein (reines) Vermögensdelikt darstellt. b) Schutz des formellen Geheimhaltungsinteresses Überwiegend wird auf den Schutz eines formellen Geheimhaltungsinteresses abgestellt. So wird etwa die formelle Verfügungsbefugnis desjenigen als geschützt angesehen, der als „Herr der Daten“ – d. h. kraft seines Rechts an ihrem gedanklichen Inhalt und damit unabhängig von den Eigentumsverhältnissen am Datenträger – darüber bestimmen kann, wem diese zugänglich sein sollen.843 Nach Fischer ist nicht nur der persönliche Bereich und Geheimbereich geschützt, sondern außerdem das (meist auch wirtschaftliche) Interesse des Verfügungsberechtigten, die in Daten, Dateien oder Datenbanksystemen verkörperten Informationen vor unbefugtem Zugriff zu schützen.844 Ein allgemeines formalisiertes Interesse an der Geheimhaltung von Daten, die nicht unmittelbar wahrnehmbar gespeichert sind oder übermittelt werden, soll nach Ansicht von Kühl geschützt werden, wobei auch der vom Dateninhalt Betroffene mitgeschützt sei, wenn er ein Recht auf Wahrung der Vertraulichkeit gegenüber dem Berechtigten habe.845 Das besondere Geheimhaltungsinteresse werde durch die besondere Sicherung gem. § 202a Abs. 1 StGB dokumentiert, vergleichbar mit dem Verschlusserfordernis aus § 202 StGB. Erst bei einer Durchbrechung dieser Sicherung mache sich der Täter strafbar. Ob dies mit dem ultima-ratio-Prinzip des Strafrechts846 oder der Viktimodogmatik847 zu begründen ist, kann dahingestellt bleiben; letztlich wird übereinstimmend der sorgsam Handelnde geschützt. Das von der h.M. favorisierte Rechtsgut findet in den Gesetzesmaterialien Rückhalt, in denen von der „Verletzung des Verfügungsrechts über Informationen“ die Rede ist.848 Zwar ist der Begriff der „Verfügungsberechtigung“ irreführend, weil einerseits zur Herstellung der besonderen Sicherung keine Datenverfügung im rechtlichen Sinne erforderlich ist und andererseits gesicherte Daten nicht vor einer solchen Verfügung geschützt werden sollen, sondern vor unbefugtem Zugang durch Dritte. Das Verfügungsrecht ist jedoch im Sinne einer Herrschaft über die Daten zu
842 So bereits Schulze-Heiming, Der strafrechtliche Schutz der Computerdaten gegen die Angriffsformen der Spionage, Sabotage und des Zeitdiebstahls, S. 40. 843 OLG Köln JMBl NW 2008, 238, 239; S/S/Lenckner/Eisele, § 202a Rn. 1; MüKo-StGB/ Graf, § 202a Rn. 2. 844 Tröndle/Fischer, § 202a Rn. 2. 845 L/Kühl, § 202a Rn. 1. 846 Vgl. dazu Roxin, Strafrecht, allgemeiner Teil I, 2/32 ff. 847 So etwa S/S/Lenckner/Eisele, § 202a Rn. 1. 848 BT-Drucks. 10/5058, S. 28.
IV. § 202a StGB – Ausspähen von Daten
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verstehen und bezieht sich insbesondere auf die Möglichkeit zu bestimmen, wem die Daten zugänglich gemacht werden. c) Schutz der Geheim- oder Intimsphäre Gössel kritisiert an den bisher genannten Ansichten, dass diese zu eng seien und Ähnlichkeiten mit älteren Auffassungen aufweisen, welche kommerziell berufliche Interessen aus dem Bereich eines eng verstandenen Ehrbegriffs und einer damit gleichgesetzten persönlichen Intimsphäre ausklammerten.849 Als Rechtsgut sei die umfassende Privat- und Intimsphäre unter Einschluss aller die individuelle Persönlichkeit bestimmenden Umstände ohne Rücksicht auf deren konkreten Inhalt anzusehen.850 Die geistige Dimension der geschützten Intimsphäre dürfe nicht auf den der alleinigen faktischen Verfügbarkeit der jeweils betroffenen Person unterliegenden ideellen Raum beschränkt werden; insofern sei die Leistung der Sammlung und Speicherung von Daten bereits einem geschützten Privatbereich der jeweiligen Person zuzurechnen, die diese Sammlung angelegt bzw. gespeichert hat (bei Personenmehrheit handele es sich um eine „Quasi-Intimsphäre).851 Geschützt sei letztlich die persönliche Privat- oder Intimsphäre und „die Quasi-Intimsphäre“ des Staates oder sonstiger Personengesamtheiten. Sofern die von Gössel/Dölling angesprochene „persönliche Privat- und Intimsphäre des Individuums“852 einen inhaltlich objektiv zu bestimmenden Bereich meint, wurde an anderer Stelle bereits festgestellt, dass sowohl die Privatsphäre als auch die Intimsphäre aufgrund unlösbarer Abgrenzungsschwierigkeiten und der damit einhergehenden Unbestimmtheit kein taugliches Rechtsgut einer Strafnorm bilden können.853 Es wird jedoch nicht ganz deutlich, ob Gössel/Dölling nicht vielmehr die eigens vom Individuum begründete Privat- und Intimsphäre meinen, wenn von einer „umfassenden Privat- und Intimsphäre unter Einschluss aller die individuelle Persönlichkeit bestimmenden Umstände ohne Rücksicht auf den konkreten Inhalt“ die Rede ist.854 Dann jedoch wäre mit einer solchen „formellen“ Privatsphäre letztlich derselbe Schutzbereich angesprochen, wie ihn auch die Auffassung anerkennt, wonach der Schutz des Verfügungsrechts an den Daten i.S. eines formellen Geheimhaltungsinteresses bezweckt wird. Damit käme es zu einem 849
Gössel/Dölling, Strafrecht BT I, § 37 Rn. 112. Gössel/Dölling, Strafrecht BT I, § 37 Rn. 112. 851 Gössel/Dölling, Strafrecht BT I, § 37 Rn. 112 a.E. 852 Gössel/Dölling, Strafrecht BT I, § 36 Rn. 1 ff., wonach die persönliche Privat- und Intimsphäre des Individuums Rechtsgut der §§ 201 – 206, 123, 124 StGB sei. 853 Zur Privatsphäre vgl. C. II. 3. d) bb); zur Intimsphäre vgl. C. II. 3. d) cc); vgl. aber auch Schmid, Computerhacken und materielles Strafrecht, S. 31, wonach der Privatsphäre im Sinne verfassungsrechtlich gebotener Bestimmtheit diejenigen Daten zugeordnet werden könnten, die persönliche Angaben über eine Person betreffen, wie Geburtsdatum, Adresse, Werdegang usw. 854 Gössel/Dölling, Strafrecht BT I, § 37 Rn. 112. 850
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C. Umsetzung durch den Gesetzgeber
uferlosen Begriff der Privatsphäre, und der Erkenntnisgewinn hinsichtlich des von § 202a StGB geschützten Rechtsguts wäre im Vergleich zur vorstehenden Ansicht gering.
d) Stellungnahme Aus den Gesetzesmaterialien lässt sich entnehmen, dass § 202a StGB in einem engen Zusammenhang mit den § 201, 201a und 202 StGB steht, jedoch eine Verletzung des persönlichen Lebens- oder Geheimbereichs nicht voraussetzt.855 Hieraus lässt sich folgern, dass wenigstens hinsichtlich der Schutzrichtungen des § 202a StGB und der zuvor genannten Strafnormen eine gewisse Kongruenz beabsichtigt war. Dementsprechend kann das geschützte Rechtsgut von § 202a StGB nicht erheblich von dem des § 202 StGB abweichen, sollten doch bspw. die bis 1986 von § 202 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1, 2 StGB a.F. geschützten Daten künftig unter den Schutzbereich des dann eingeführten § 202a StGB fallen.856 Eine Parallele der Rechtsgüter der §§ 202 und 202a StGB wird auch aufgrund des Erfordernisses der besonderen Sicherung (bzw. des Verschlusses bei § 202 StGB) deutlich, da hinsichtlich beider Strafnormen von einem formellen, also durch den Berechtigten begründeten, Geheimbereich gesprochen werden kann. Insoweit soll sich das Tatbestandsmerkmal der besonderen Sicherung an dem des § 202 Abs. 2 StGB orientieren.857 § 202 StGB schützt wie oben gezeigt das Bestimmungsrecht hinsichtlich des körperlichen (weil nur körperliche Gegenstände betreffenden) formalen Geheimbereichs (u. a. auch hinsichtlich des Kreises zur Kenntnisnahme befugter Personen).858 Ein wesentlicher Unterschied zwischen den Rechtsgütern des § 202 und § 202a StGB liegt darin, dass erstgenannte Norm ausschließlich einen körperlichen Geheimbereich schützt, während letztgenannte Norm einen unkörperlichen Geheimbereich erfasst. Die Angriffsrichtung bei beiden Strafnormen hingegen gestaltet sich parallel, weil primär die besondere Sicherung überwunden werden muss. Die aufgeführten Parallelen und Unterschiede der Strafnormen zugrunde legend, kann das durch § 202a StGB geschützte Rechtsgut als „Bestimmungsrecht hinsichtlich des formalen Geheimbereichs in Bezug auf elektronisch gespeicherte Daten“859 definiert werden. Wie oben bereits gezeigt, geht es bei dem Schutz durch § 202a StGB nicht um eine „Verfügungshoheit“, weil diese trotz unbefugten Zugangverschaffens durch den Täter unberührt bleiben kann. Auch spielt die Verfügungsbefugnis über die Daten bei der Herstellung einer besonderen Sicherung keine Rolle, weil hierzu nicht notwendigerweise über die Daten verfügt werden muss, sondern über die Zugangsmöglichkeit. Da nach dem Gesetzeswortlaut weder die 855 856 857 858 859
BT-Drucks. 10/5058, S. 28. BT-Drucks. 10/5058, S. 28. BT-Drucks. 10/5058, S. 29. Vgl. unter C. III. 2. e). Im Folgenden als „elektronischer formaler Geheimbereich“ bezeichnet.
IV. § 202a StGB – Ausspähen von Daten
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Nutzbarkeit noch die Beschaffenheit der geschützten Daten verletzt sein muss, trifft der Begriff der Bestimmung über den formalen Geheimbereich in Bezug auf elektronisch gespeicherte Daten das Richtige. So fügt sich die Struktur eines speziellen Bestimmungsrechts in die bisher gefundene Systematik der §§ 201, 201a und 202 StGB ein. Ebenso wie für § 202 StGB erwächst für § 202a StGB die Befugnis, einen formalen Geheimbereich zu begründen, um unbefugte Kenntnisnahme eigener Informationen auszuschließen, aus dem Schutzinteresse des allgemeinen Persönlichkeitsrechts hinsichtlich der Selbstentfaltung und Privatsphäre860: Hierunter wird ein Geheimnisschutz vor Einsicht- oder Kenntnisnahme durch Dritte, gleich auf welche Weise und zu welchem Zweck, verstanden.861 Dem Individuum muss zur freien Entfaltung der Persönlichkeit die Möglichkeit garantiert werden, einen eigenen Geheimbereich zu schaffen, der Dritten nicht zugänglich ist. Dies findet zudem teilweise (hinsichtlich personenbezogener Daten) Rückhalt im allgemein anerkannten informationellen Selbstbestimmungsrecht.862 Das BVerfG hat zu letzterem Grundrecht ausgeführt: „Freie Entfaltung der Persönlichkeit setzt unter den modernen Bedingungen der Datenverarbeitung den Schutz des einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraus. Dieser Schutz ist daher von dem Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG umfasst. Das Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.“ Das Recht des Individuums, einen geschützten formalen Geheimbereich zu schaffen, ergibt sich notwendigerweise aus der Anerkennung eines Intim- oder Geheimbereichs, der jedem fremden Zugriff absolut entzogen ist und in dem der Einzelne nicht den Zugriff Dritter fürchten muss.863 Dass dieser für § 202 StGB anerkannte räumliche Geheimbereich auch in digitaler Form existieren muss, ergibt sich aus der stetig wachsenden Bedeutung der Digitalisierung und des Mediums Internet für die Gesellschaft sowie für das Individuum. Dieser Bereich wird nur durch das gesellschaftliche Informationsinteresse, etwa in Form der Informationsfreiheit Dritter, begrenzt; zu dulden hat es der Einzelne insoweit, dass Dritte ihn betreffende Daten sammeln, sofern diese dabei nicht in seine Schutzsphäre eingreifen. Erst wenn ein vom Einzelnen aktiv (durch entsprechende Maßnahmen) vor Dritten abgeschirmter Bereich einsehbar wird, weil eine besondere Sicherung überwunden wurde, tritt das von Art. 2 Abs. 1 GG bzw. Art. 5 Abs. 1 GG getragene Informationsbeschaffungsinteresse Dritter hinter dem Geheimhaltungsinteresse des Einzelnen zurück. Der selbst begründete formale Geheimbereich, ob 860 861 862 863
146.
Dreier/Dreier, GG Art. 2 I Rn. 71: Stern/Becker/Horn, GG Art. 2 Rn. 4. Dreier/Dreier, GG Art. 2 I Rn. 71; Stern/Becker/Horn, GG Art. 2 Rn. 4. BVerfGE 65, 44. BVerfGE 6, 32, 41; 6, 389, 433; 27, 344, 350 f.; 32, 373, 378 f.; 34, 238, 245; 54, 142,
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körperlich oder digital, genießt also nur bei der Anwendung bestimmter Schutzmaßnahmen durch den Berechtigten strafrechtlichen Schutz durch die insoweit parallel ausgestalteten §§ 202 und 202a StGB. Fraglich ist bei § 202a StGB dennoch, ob hinsichtlich der Trägerschaft dieses speziellen Bestimmungsrechts auf § 202 StGB verwiesen werden kann (grundsätzlich liegt das Bestimmungsrecht beim Verschließenden) oder ob sich aus den besonderen Umständen des Ausspähens von Daten eine andere Bewertung ergibt. In der Literatur wird überwiegend vom Schutz des „Herrn der Daten“ ausgegangen, also desjenigen, der aufgrund seines Rechts an dem gedanklichen Inhalt über eine Weitergabe oder Übermittlung der Daten entscheidet.864 Hierbei muss zunächst geklärt werden, worauf sich das Recht an dem gedanklichen Inhalt bezieht und wie es zustande kommt. Stellt man auf die geistige Urheberschaft an dem Dateninhalt ab, wäre derjenige verfügungsbefugt, der mittels Einsatz seines Verstandes für den Inhalt der Daten, d. h. für die Information verantwortlich ist.865 Da § 202a StGB Daten jeden Inhalts schützt, bereitet eine solche Zuordnung jedoch Probleme in Abgrenzung zum Urheberrecht und damit zum Urheberstrafrecht. Die §§ 69a ff., 106 ff. UrhG, nach denen lediglich solche Werke geschützt sind, die eine gewisse Individualität besitzen, würden ausgehöhlt, wenn man jegliche Daten dem „Urheber“ zuordnen und unter den Schutz des § 202a StGB stellen würde.866 Das Zuordnungskriterium der geistigen Urheberschaft ist damit zumindest fraglich. Damit bleibt die Frage, wer originär, also direkt nach Herstellung von Daten das Recht daran besitzt. Da es sich bei Daten nicht um körperliche Gegenstände handelt, sind etwa die §§ 958 Abs. 1, 950 Abs. 1 BGB, die den Eigentumserwerb durch Aneignung bzw. Verarbeitung regeln, nicht anwendbar. Der Schutzbereich des § 202a StGB erfasst Daten unabhängig von ihrem Inhalt, so dass es auf eine inhaltliche Qualifizierung i.S. eines „Betroffenseins“ des Opfers nicht ankommen kann. Als Ansatzpunkte für die Zuordnung von Daten sind demnach denkbar: das Eigentum am Datenträger, die geistige Urheberschaft des Dateninhalts oder das erstmalige Abspeichern der Daten.867 Begründet man das hier vertretene spezielle Bestimmungsrecht mit dem aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG resultierenden Recht, einen formalen Geheimbereich zu schaffen, müsste darauf abgestellt werden, wer diesen formalen Geheimbereich begründet, wer also die besondere Sicherung anlegt. Aus der auf dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht basierenden Herleitung des durch § 202a StGB geschützten Bestimmungsrechts resultiert nicht etwa, dass nur personenbezogene Daten erfasst wären oder nur derjenige geschützt wäre, der vom Dateninhalt selbst 864 MüKo-StGB/Graf, § 202a Rn. 2; Möhrenschlager, wistra 1986, 128, 140; Hilgendorf, JuS 1996, 509, 511; Schmitz, JA 1995, 478; NK/Kargl, § 202a Rn. 3; S/S/Lenckner/Eisele, § 202a Rn 1. 865 Schmid, Computerhacken und materielles Strafrecht, S. 36 f. 866 Schmid, Computerhacken und materielles Strafrecht, S. 37. 867 Vgl. Hilgendorf, JuS 1996, 890, 892 f.; eine ausführliche Auseinandersetzung mit den verschiedenen Ansätzen bei Schmid, Computerhacken und materielles Strafrecht, S. 35 ff.
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betroffen ist.868 Es folgt lediglich, dass ein vom Individuum angelegter formeller Geheimbereich geschützt ist. Fraglich ist hierbei, wer einen solchen formalen Geheimbereich anlegen kann. Denkbar wäre, denjenigen als formell Berechtigten anzusehen, der lediglich eine tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit auf die Daten hat und für diese eine besondere Sicherung schaffen kann. Diese Ansicht würde dahingehend von der h.M. abweichen, dass nicht nur der Verfügungsberechtigte seinen Herrschaftswillen über die Daten dadurch zum Ausdruck bringen kann, dass er die Daten besonders gegen unberechtigten Zugang sichern könnte869, sondern jeder, der die tatsächliche Möglichkeit hat, einen abgesicherten Bereich herzustellen. Löst man sich konsequent von dem Gedanken, § 202a StGB bezwecke einen irgendwie gearteten Urheberrechtsschutz870, stellt sich die Frage, weshalb lediglich derjenige geschützt werden soll, dem die Daten originär zuzuordnen sind. Als geschütztes Interesse könnte anstelle der Verfügungsbefugnis, die aus dem Recht der einzelnen Person am gedanklichen Inhalt der Information, aus dem Skripturakt oder dem Eigentum am Datenträger erwachsen soll, das Bestimmungsrecht hinsichtlich des formalen Geheimbereichs gesehen werden, der durch Schaffung einer besonderen Sicherung hergestellt werden kann. Da es dann nicht auf das Verfügungsrecht an den Daten ankäme, sondern nur auf Schaffung eines elektronischen formalen Geheimbereichs, würde sich auch nicht das Problem der originären Zuordnung des Rechts an Daten stellen871: Während die Verfügungsbefugnis, die aus dem Recht der einzelnen Person über den gedanklichen Inhalt der Information oder dem Skripturakt entstehen soll, grundsätzlich im Rechtsverkehr objektiv nicht erkennbar ist, wird durch die Sicherung des Datenbestands durch den Dateninhaber872 dessen tatsächlicher Herrschaftsanspruch nach außen kundgetan und manifestiert. Die Zuordnung von Daten ist durch dieses situative Zuordnungskriterium873 gewährleistet. Begründet man diese Rechtsgutsbestimmung mit der Notwendigkeit des Schutzes eines elektronischen formalen Geheimbereichs, ist die Loslösung vom „Herrn der Daten“ konsequent.
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Ähnlich aber L/Kühl, § 202a Rn. 1. So etwa S/S/Lenckner/Eisele, § 202a Rn. 1; Schulze-Heiming, Der strafrechtliche Schutz der Computerdaten gegen die Angriffsformen der Spionage, Sabotage und des Zeitdiebstahls, S. 41; NK/Kargl, § 202a Rn. 3. 870 Ganz h.M., klarstellend BeckOK StGB/Weidemann, § 202a Rn. 2. 871 Vgl. hierzu eingehend Schmid, Computerhacken und materielles Strafrecht, S. 33 ff. 872 Inhaber der Daten in einem bestimmten Speichermedium ist derjenige, der sich z. B. durch ein Passwort den Zugang zu diesem Medium reservieren kann. 873 Zum Vergleich: Bei körperlichen Sachen wird das dingliche Recht an der Sache, nämlich das Eigentum, durch den Besitz nach außen hin kundgetan. 869
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3. Konsequenzen für die Tatbestandsauslegung a) Tatgegenstand aa) Datenbegriff Nach der Definition des § 202a Abs. 2 StGB sind die Angriffsobjekte „Daten“, die elektronisch, magnetisch verkörpert oder sonst nicht unmittelbar wahrnehmbar gespeichert sind oder übermittelt werden. Hierbei wird der Begriff des Datums nicht näher verdeutlicht, sondern lediglich durch zusätzliche Merkmale eingegrenzt.874 Damit hat sich der Gesetzgeber die Möglichkeit eröffnet, den Datenbegriff für neue Entwicklungen in der Informationstechnologie offen zu halten.875 Ausgangspunkt für eine nähere Bestimmung des Datenbegriffs ist zunächst der technische Datenbegriff der Norm DIN 44300, der auch für § 268 StGB herangezogen wird. Umfasst sind hiervon Gebilde aus Zeichen oder kontinuierliche Funktionen, die aufgrund bekannter oder unterstellter Abmachungen Informationen darstellen, vorrangig zum Zwecke der Verarbeitung und als deren Ergebnis.876 Jedoch umfasst der strafrechtliche Begriff des Datums nach h.M. auch Informationen ohne Verarbeitungszweck.877 Erfasst sind deshalb die Darstellung einer Information mithilfe bestimmter Codes878 und Musikdateien, Video- und Filmdateien sowie andere Media-Daten879. Da Datenverarbeitungsprogramme ihrerseits aus Daten bestehen, sind auch diese tatbestandlich geschützt.880 Wie sich aus dem Schutzzweck der Norm ergibt, muss es sich bei den geschützten Daten nicht um Geheimnisse i.S. anderer Straftatbestände (§§ 203, 206, 353b oder § 17 UWG) handeln.881 Um den grundsätzlich sehr weit gefassten Datenbegriff einzugrenzen, wird teilweise gefordert, nur solche Daten zu schützen, die Informationen enthalten, an deren ausschließlicher Nutzung oder Kenntnis der Datenbesitzer ein legitimes Interesse haben kann.882 Danach seien zwar Kundenlisten, Personaldaten, Texte, IPAdressen, nicht aber Firmenlogos auf Eröffnungsbildschirmen, die Standard-Arbeitsoberfläche des handelsüblichen Betriebsprogramms, Desktop-Hintergründe oder Eingabeaufforderungen des Programms erfasst. Diese Eingrenzung des Datenbegriffs widerspricht jedoch der hier vorgenommenen Rechtsgutsbestimmung des § 202a StGB; der Schutz des elektronischen formalen Geheimbereichs steht nicht 874
BT-Drucks. 10/5058, S. 29. NK/Kargl, § 202a Rn. 4. 876 BT-Drucks. V/4094, S. 37; Tröndle/Fischer, § 268 Rn 4. 877 SK/Hoyer, § 202a Rn. 3; NK/Kargl, § 202a Rn. 4; MüKo-StGB/Graf, § 202a Rn. 10. 878 S/S/Lenckner/Eisele, § 202a Rn. 3; Maurach/Schroeder/Maiwald, Besonderer Teil I, § 29 VII Rn. 100. 879 MüKo-StGB/Graf, § 202a Rn. 10. 880 BT-Drucks. 10/5058, S. 29; NK/Kargl, § 202a Rn. 4. 881 BT-Drucks. 10/5858, S. 29; OLG Hamm wistra 2001, 228. 882 Heghmanns, in: Achenbach/Ransiek/Rönnau u. a. (Hrsg.), Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 42015, Rn. 92. 875
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unter dem Vorbehalt der Anerkennung legitimer Interessen an der Beherrschung der Daten.883 Die Ansicht, die eine Strafbarkeit nach § 202a StGB nur bei für den Besitzer entwickelten Computerprogrammen, nicht aber bei erworbenen Betriebssystem oder marktüblichen Anwendungsprogrammen annimmt, weil sie den Schaden im „Datendiebstahl“ am Lizenzgeber (§ 106 UrhG) erblickt884, verkennt, dass § 202a StGB gerade nicht das Rechtsgut „Vermögen“ oder das Urheberrecht schützt. bb) Einschränkung nach Abs. 2 Nach § 202a Abs. 2 StGB wird der Datenbegriff dahingehend eingeschränkt, dass nur nicht wahrnehmbare Daten einbezogen sind. Hierunter sind Daten zu verstehen, die erst durch technische Umformung (Disketten, Magnetbänder) oder mittels technischer Vergrößerung (Microfilm, CD), nicht aber bei durchschnittlicher Wahrnehmungsfähigkeit sinnlich registriert werden können.885 Hierzu zählen insbesondere Daten in Binärform, also klassische Computerdaten. Brillen, Lesehilfen oder Hörgeräte zählen zu unbeachtlichen nichttechnischen Hilfsmitteln, die lediglich gesundheitliche Schwächen einer Person kompensieren.886 Sind die Zeichen zwar visuell erfassbar, aber in ihrer Bedeutung erst durch ein technisches Gerät dechiffrierbar, so liegt ebenfalls kein Datum i.S. des Abs. 2 vor.887 Da sich somit das Erfordernis der unmittelbaren Wahrnehmbarkeit auf die syntaktische Ebene, also die Datendarstellung, nicht jedoch auf deren Semantik (inhaltliche Bedeutung) bezieht, kommt es nicht auf die Verständlichkeit an, sondern allein auf die Wahrnehmbarkeit als Daten.888 Dies könnte bei Lochkarten, vor allem aber bei der modernen ScannerTechnik zu Strafbarkeitslücken führen, weil dort die Daten als ein System von Strichen jedenfalls optisch wahrnehmbar sind.889 Dem ist jedoch zu entgegnen, dass Strichcodes als technische Aufzeichnungen oder Urkunden890 gem. § 267 ff. StGB strafrechtlich geschützt sind. Die Merkmale der Speicherung oder Übermittlung sollen den Datenbegriff ebenfalls einschränken. Gespeichert sind Daten, wenn sie zum Zweck ihrer weiteren Verwendung auf einem Datenträger erfasst, aufgenommen oder aufbewahrt werden.891 Hierbei kommt es nicht darauf an, mit welchem technischen Verfahren und 883
Ablehnend auch NK/Kargl, § 202a Rn. 4. Heghmanns, in: Achenbach/Ransiek/Rönnau u. a. (Hrsg.), Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 42015, Rn. 93. 885 BT-Drucks. 10/5058, S. 29; SK/Hoyer, § 202a Rn. 4; L/Kühl, § 202a Rn. 2. 886 L/Kühl, § 202a Rn. 2. 887 LK/Hilgendorf, § 202a Rn. 10. 888 Heghmanns, in: Achenbach/Ransiek/Rönnau u. a. (Hrsg.), Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 42015, Rn. 94; NK/Kargl, § 202a Rn. 5. 889 Schulze-Heiming, Der strafrechtliche Schutz der Computerdaten gegen die Angriffsformen der Spionage, Sabotage und des Zeitdiebstahls, S. 50 ff.; LK/Hilgendorf, § 202a Rn. 10. 890 MüKo-StGB/Erb, § 269 Rn. 14. 891 L/Kühl, § 202a Rn. 2; NK/Kargl, § 202a Rn. 6. 884
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auf welchem „Träger“ die Speicherung geschieht892, so dass die Speicherung in einer „cloud“ ausreicht. Eine Übermittlung stellt die Weitergabe gespeicherter oder durch Datenverarbeitung gewonnener Daten von der einen zu einer anderen Speicherungsstelle dar.893 Das „Anzapfen“ von Datenübertragungsleitungen ist somit vom Tatbestand erfasst894, nicht jedoch noch nicht eingegebene Daten (Inputdaten) oder bereits ausgegebene Daten (Outputdaten).895 cc) Nicht für den Täter bestimmt Die Daten sind nicht für den Täter bestimmt, wenn sie ihm nach dem Willen des Berechtigten im Zeitpunkt der Tathandlung nicht zur Verfügung stehen sollen.896 Berechtigt ist diejenige Person, die über den Zugang zu dem die betreffenden Daten enthaltenden Speichermedium entscheiden darf.897 So ist bei gespeicherten Daten nicht derjenige berechtigt, der sie abgespeichert (Skripturakt) hat898, sondern derjenige, der über den Zugang zu den Daten bestimmen kann.899 Ginge es allein um den Skripturakt, d. h. um den Akt der erstmaligen Datenspeicherung900, wäre z. B. ein Mitarbeiter einer Firma hinsichtlich von ihm eingegebener Daten selbst nach seinem Ausscheiden „Berechtigter“. Im Arbeitsverhältnis muss aber gelten, dass der Arbeitgeber Bestimmungsberechtigter ist, wenn er den Arbeitnehmern Passworte zur Verfügung stellt901; der Arbeitnehmer hingegen nur, wenn er eigene Passworte (wohl nur zum Schutz seiner Privatdaten auf dem PC des Arbeitgebers) benutzt.902 Berechtigter ist dann im Beispielsfall der Firmeninhaber oder der Nachfolger des Ausgeschiedenen, weil es auf die tatsächliche Möglichkeit der Herstellung einer Zugangssperre ankommt. Nutzt ein Arbeitnehmer für den PC, an dem er arbeitet, ein eigenes Zugangspasswort, und kann zu bestimmten Daten ausschließlich nach Eingabe des Passworts (oder Überwindung der Passwortsperre) Zugang verschafft werden, so ist der Arbeitnehmer alleiniger „Berechtigter“ hinsichtlich des Zugangs zu den gesicherten Daten. Bei Übermitt892
LK/Hilgendorf, § 202a Rn. 10. Vgl. die Definition in § 3 Abs. 4 Nr. 3 BDSG. 894 BT-Drucks. 15/5058, S. 28; Tröndle/Fischer, § 202a Rn. 6. 895 NK/Kargl, § 202a Rn. 6; S/S/Lenckner/Eisele, § 202a Rn. 6. 896 S/S/Lenckner/Eisele, § 202a Rn. 8. 897 Anders aber die h.M., die auf das Recht der einzelnen Person über den gedanklichen Inhalt der Information abstellt, vgl. z. B. NK/Kargl, § 202a Rn. 7. 898 So aber BayObLG, wistra 1993, 305; Hilgendorf, JuS 1996, 890, 892; S/S/Lenckner/ Eisele, § 202a Rn. 6; Tröndle/Fischer, § 202a Rn. 7. 899 So ist etwa für die Daten der elektronischen Gesundheitskarte der jeweilige Patient allein bestimmungsberechtigt: Borchers, Die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte in das deutsche Gesundheitswesen, S. 175. 900 So auch LK/Hilgendorf, § 202a Rn. 26. 901 LAG Köln NZA-RR 2004, 527. 902 NK/Kargl, § 202a Rn. 7 m.w.N. in Fn. 22. 893
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lungen ist – vergleichbar mit der Problematik beim Versenden eines Briefes bei § 202 StGB – Berechtigter zunächst die übermittelnde Stelle, nach Erhalt aufgrund seiner alleinigen Abschirmungsmöglichkeit der Datenempfänger.903 Zusammengefasst: Maßgeblich für die Inhaberschaft des Bestimmungsrechts über den formalen Geheimbereich ist weder das Eigentum am Datenträger904, noch der Bezug der Daten auf den Berechtigten905, noch der Skripturakt oder die geistige Urheberschaft an dem Dateninhalt, sondern lediglich die Möglichkeit der Herstellung der besonderen Sicherung. Die Bestimmung zur Kenntnis des Täters schließt ebenso wie bei § 202 StGB den Tatbestand aus und ist somit der Sache nach eine Einverständniserklärung; damit sind die Regeln über das Einverständnis anzuwenden (siehe dazu unten C. IV. 3. c) aa)).906 dd) Durch Zugangssicherungen geschützt Daten sind gegen unberechtigten Zugang besonders gesichert, wenn der Bestimmungsberechtigte durch geeignete Schutzmaßnahmen sein Interesse zum Ausdruck gebracht hat, den Zugang zu den Daten zu erschweren.907 Maßnahmen der Beweissicherung wie die Mitprotokollierung von Zugriffen auf ungesicherte Daten sind jedenfalls keine Zugangssicherung908, weil der Zugang zu den Daten nicht erschwert, sondern lediglich nachweisbar gemacht wird. Handelt es sich bei dem Zugangshindernis lediglich um die Kompliziertheit oder Bedienungsfeindlichkeit des Systems, liegt ebenfalls keine besondere Sicherung vor.909 Die Sicherung gegen unbefugten Zugang braucht nicht Hauptzweck der Einrichtung zu sein, vielmehr reicht es aus, wenn aus ihrem Vorhandensein– ähnlich wie in den Fällen des § 202 Abs. 2 StGB – auf das Interesse an der Geheimhaltung geschlossen werden kann910, wenn also der Sicherungszweck erkennbar ist. Problematisch kann der erforderliche 903
I. E. auch BayObLG JR 1994, 477, wonach die Verfügungsbefugnis über die auf einer ecKarte enthaltenen Daten der ausstellenden, kontoführenden Stelle (dort der Sparkasse, nicht etwa dem Karteninhaber) zustehen. Abgestellt wird jedoch nicht auf den Akt der Abschirmung, sondern auf den Skripturakt. Zu den Schwierigkeiten einer solchen Interpretation vgl. Hilgendorf, JR 1994, 476, 479. 904 Hilgendorf, JuS 1996, 509, 512; Tröndle/Fischer, § 202a Rn. 7. 905 Schmitz, JA 1995, 478, 481. 906 BT-Drucks. 10/5058, S. 28; L-Kühl, § 202a Rn. 3; MüKo-StGB/Graf, § 202a Rn. 17; Tröndle/Fischer, § 202a Rn. 7. 907 BT-Drucks. 10/5058, S. 29; 16, 36/3656, S. 10; S/S/Lenckner/Eisele, § 202a Rn. 6; SK/ Hoyer, § 202a Rn. 6; S/S/W/Bosch, § 202a Rn. 5; MüKo-StGB/Graf, § 202a Rn. 31; L-Kühl, § 202a Rn. 4; Ernst, NJW 2003, 3233, 3236. 908 LK/Hilgendorf, § 202a Rn. 30; Rinker, MMR 2002, 663, 665. 909 Heghmanns, in: Achenbach/Ransiek/Rönnau u. a. (Hrsg.), Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 42015, Rn. 98. 910 S/S/Lenckner/Eisele, § 202a Rn. 14; NK/Kargl, § 202a Rn. 9.
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Sicherungsgrad der besonderen Zugangssicherung sein. Wichtigste Ansatzpunkte zur Ermittlung des zu fordernden Sicherungsgrades sind einerseits die jedem Einzelnen (auch dem technischen Laien) grundrechtlich gewährleistete Möglichkeit zur Schaffung eines formalen Geheimbereichs, um Daten vor unbefugtem Zugang Dritter geheim zu halten. Andererseits stellt die Dokumentation dieses Geheimhaltungswillens das Minimum des Sicherungsgrades dar, welcher hierdurch überhaupt erst objektiv erkennbar wird. Hieraus lässt sich ableiten, dass die Zugangssicherung jedenfalls in der überwiegenden Anzahl der nach der Lebenserfahrung zu erwartenden Vorgehensweisen dazu geeignet sein muss, bei der Ausführung des Datenzugriffs ein Hindernis hinsichtlich des tatsächlichen Zugangs zu bieten. Dieses Hindernis ist dann gegeben, wenn der Eindringende ein erhöhtes Maß an Zeit aufbringen muss, um erst durch den Einsatz von speziellen Fachkenntnissen oder über Umwegen die Sicherung zu überwinden911, nicht aber bei Eingabe des (unbefugt) erlangten Passwortes. Dabei muss es ausreichend sein, wenn technische Laien am Eindringen gehindert werden: Würde man fordern, dass etwa die softwarebasierte Sicherung ein Zugangshindernis auch für einen Computerexperten darstellt, wäre nur derjenige geschützt, der über das nötige Wissen verfügt, eine solche Zugangssperre überhaupt herzustellen. Darüber hinaus wäre es für den vergleichbaren Fall des Meisterdiebs, der das Türschloss eines Autos problemlos öffnet, welches hingegen dem Gelegenheitsdieb ein echtes Hindernis bereitet, völlig abwegig, eine Strafbarkeit aus § 243 Abs. 1 Nr. 2 StGB wegen Ungeeignetheit der besonderen Sicherung abzulehnen. Nach Hilgendorf kommen vier verschiedene Typen von Zugangssicherungen in Betracht912: Einbau in die Hardware (z. B. computerintegrierte Fingerabdruck- oder Stimmerkennungsgeräte und sonstige biometrische Vorrichtungen); Einbau in die Software (Passwörter, Datenverschlüsselungen); Verschluss des Datenträgers selbst (abschließbare Schränke, verschlossene Blechgehäuse bei Geldspielautomaten oder abschließbare Büroräume, sog. „Closed-Shop-Betriebe“); Geheimhaltung der Datei (etwa indem man sie an einer systematisch falschen Stelle unter einem unzutreffenden oder unauffälligen Namen speichert). Diese Einteilung ist jedoch nicht ganz unproblematisch im Hinblick auf Wortlaut und ratio legis des § 202a StGB: Fraglich ist, ob die bloße Verschlüsselung als Zugangssicherung i.S. des § 202a StGB zu qualifizieren ist. Zwar ist zu berücksichtigen, dass nach dem gegenwärtigen Stand der Technik allein die Verschlüsselung einen effektiven Schutz der Daten im Stadium der Übertragung darstellt.913 Da der Gesetzgeber Daten auch während der Übermittlung geschützt wissen wollte914, wäre es wenig konsequent, wenn er die einzig wirksame Sicherung als rechtlich unzureichend angesehen hätte.915 Doch 911 912 913 914 915
So auch Schmid, Computerhacken und materielles Strafrecht, S. 81. LK/Hilgendorf, § 202a Rn. 34; Hilgendorf, JuS 1996, 702. S/S/Lenckner/Eisele, § 202a Rn. 16; LK/Hilgendorf, § 202a Rn. 35. BT-Drucks. 10/5058, S. 29. S/S/Lenckner/Eisele, § 202a Rn. 16; MüKo-StGB/Graf, § 202a Rn. 46.
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erscheint es fraglich, ob man bei der Verschlüsselung von einem Schutz vor dem „Zugang“ zu den Originaldaten sprechen kann.916 Eine Verschlüsselung schützt nicht vor unbefugtem Zugang zu den (kryptierten) Daten, sondern lediglich vor der Erfassung ihres Bedeutungsgehalts, also ihrer Kenntnisnahme.917 Kenntnisnahme wird jedoch nach dem Gesetzeswortlaut gerade nicht gefordert und ist im Hinblick auf das Schutzgut des digitalen formalen Geheimbereichs strikt vom Zugang zu trennen. Zudem muss differenziert werden: Werden in der Übermittlung befindliche Daten vom Täter abgerufen, stellen genau diese Daten das Tatobjekt einer möglichen Straftat nach § 202a Abs. 1 StGB dar, sind aber zu diesem Zeitpunkt unabhängig von ihrer Verschlüsselung nicht gegen Zugang geschützt. Sofern die Verschlüsselung hierbei als eine den Originaldaten unmittelbar anhaftende Zugangssicherung angesehen wird918, ist es jedoch zweifelhaft, ob die Originaldaten überhaupt Angriffsund Tatobjekt der fraglichen Tathandlung sind: Die Originaldaten im sog. Klartext sind zum Zeitpunkt der Tat auf dem Speichermedium des Absenders gespeichert und somit nicht das Tatobjekt.919 Vielmehr sind die übermittelten Daten Gegenstand des Angriffs durch den Täter. Damit ist entgegen der h.M. die Verschlüsselung nicht als besondere Zugangssicherung i.S. des § 202a StGB anzusehen. Zwar ist einzuräumen, dass es kriminalpolitisch wünschenswert wäre, verschlüsselte Daten in den Schutzbereich des § 202a StGB zu integrieren. Dies erscheint aber wegen des jetzigen Wortlauts nur durch eine entsprechende Gesetzesnovellierung möglich. Auch das „Verstecken“ einer Datei ist möglicherweise keine besondere Zugangssicherung. Aus der Formulierung in den Gesetzesmaterialien, wonach ausschlaggebend lediglich die Dokumentation des Interesses an der „Geheimhaltung“920 sei, wird zwar teilweise geschlossen, dass eine Sicherung auch bei lediglich versteckten Daten anzunehmen sei921, wenn das Versteck eine nicht ganz unerhebliche Barriere für den Täter darstellt922 oder das benutzte Versteck nicht allzu leicht erkennbar ist923. Beispielhaft wird hierfür das Abspeichern der Datei unter einer unverdächtigen Bezeichnung und zugleich in einem (evtl. zusätzlich unübersichtlichen) Verzeichnis genannt, in welchem sich üblicherweise für Täter nicht relevante Daten befinden.924 Aus einem solchen Vorgehen des Berechtigten ergebe sich, für den Täter ersichtlich, auch der Geheimhaltungswille. Das alleinige Verstecken ohne Änderung des Dateinamens reiche demgegenüber nicht aus, da mittels moderner Suchprogramme eine einzelne Datei auch auf großen Datenspeichern in sehr kurzer 916
S/S/Lenckner/Eisele, § 202a Rn. 16. MüKo-StGB/Graf, § 202a Rn. 46; den Kenntnisnahmeschutz als Argument für den Einbezug der Verschlüsselung als Zugangssicherung ansehend: LK/Hilgendorf, § 202a Rn. 35. 918 S/S/Lenckner/Eisele, § 202a Rn. 16. 919 Schmid, Computerhacken und materielles Strafrecht, S. 103 f. 920 BT-Drucks. 10/5058, S. 29. 921 NK/Kargl, § 202a Rn. 9. 922 LK/Hilgendorf, § 202a Rn. 35. 923 MüKo-StGB/Graf, § 202a Rn. 47. 924 MüKo-StGB/Graf, § 202a Rn. 47. 917
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Zeit gefunden werden könne; dies gelte ebenso, wenn das Verstecken durch Dateiattribute „hidden“ auf Betriebssystemebene versucht werde, weil ein technisch etwas versierter Anwender solche Dateien unproblematisch sichtbar machen könne.925 So reiche ein Versteck in einem Datenverzeichnis bescheidenen Umfangs nicht aus, weil eine Überwindung der Sicherung, die lediglich einen unerheblichen technischen oder zeitlichen Aufwand erfordert, strafrechtlich irrelevant sei.926 Es wird schnell deutlich, dass die hier aufgestellten Kriterien „nicht allzu leicht erkennbar“, „unverdächtige Bezeichnung“, „unübersichtliches Verzeichnis“ und „üblicherweise für Täter nicht relevante Dateien“ konturlos und kaum subsumtionsfähig sind. Entscheidend ist hier, dass die ratio des § 202a StGB im Schutz des Bestimmungsrechts über den elektronischen formalen Geheimbereich liegt. Dieses Recht kann im Hinblick auf das gesellschaftliche Informationsinteresse strafrechtlich nur schutzwürdig sein, wenn für Dritte im Rechtsverkehr objektiv erkennbar ist, dass der Einzelne von diesem „Ausschlussrecht“ Gebrauch macht. Die Problematik bei der Bestimmung der versteckten Speicherung als besondere Sicherung ist demnach in der fehlenden objektiven Erkennbarkeit zu sehen.927 Der (teilweise automatisierte) Akt des Abspeicherns erfolgt in erster Linie zu Erhaltungszwecken und stellt objektiv keinen Sicherungsakt dar, ganz gleich, in welchem Datenverzeichnis und unter welchem Namen das Datum gespeichert ist. Erst wenn der Täter sich den Zugang zu versteckten Daten bereits verschafft hat, wird (etwa anhand der Speicherung unter geändertem Dateinamen oder in einem systematisch unpassenden Verzeichnis) für ihn überhaupt erkennbar, dass der Bestimmungsberechtigte diese Daten schützen wollte – und selbst dies nicht zwingend, da es für die Art und den Ort der Datenspeicherung verschiedenste Gründe geben kann. Hierauf kann es also nicht ankommen. Wie oben dargestellt, ist demnach entsprechend der Problematik bei § 202 StGB auf die objektive Erkennbarkeit der Sicherung abzustellen. Weil diese bei versteckten Daten fehlt, stellen diese keine gegen unberechtigten Zugang besonders gesicherten Daten dar. Problematisch ist das Kriterium der objektiven Erkennbarkeit der Sicherung auch im Bereich der physischen Schutzmaßnahmen zum Verschluss des Datenträgers selbst. Hierunter fallen beispielsweise verschließbare Aufbewahrungsschränke oder andere gesicherte Behältnisse oder Kassetten für Datenträger928, verschlossene Blechgehäuse bei Geldspielautomaten929 sowie Tresore.930 Erfasst werden nach h.M. aber auch sog. „Closed-Shop-Betriebe“, bei denen die verschlossene Tür zum Bü-
925 926 927 928 929 930
MüKo-StGB/Graf, § 202a Rn. 47. LK/Hilgendorf, § 202a Rn. 35. So auch Schmid, Computerhacken und materielles Strafrecht, S. 104. L/Kühl, § 202a Rn. 4. LK/Hilgendorf, § 202a Rn. 34 m.w.N. MüKo-StGB/Graf, § 202a Rn. 39.
IV. § 202a StGB – Ausspähen von Daten
207
roraum als Zugangssicherung angesehen wird.931 Einziges Abgrenzungskriterium zu sonstigen baulichen Maßnahmen ist die objektive Manifestation des übergeordneten Sicherungszwecks, die bei einer „normalen“ Wohnungstür abgelehnt wird, weil diese nicht vorrangig dem Schutz der im Arbeitszimmer des Hauses stehenden PCDaten diene.932 Doch gesteht auch die h.M. zu, dass sich ein räumliches Sicherungssystem (Closed-Shop-System) mit spezieller Zugangskontrolle nicht ausschließlich auf die Sicherung von unbefugtem Datenzugang beziehen müsse, weil ansonsten andere Mitarbeiter, wie bspw. Reinigungskräfte, den geschützten Bereich nicht betreten dürften, weil für diese die geschützten Daten gerade nicht bestimmt seien und sie auch keinen Zugang erlangen sollen.933 Stellt man jedoch lediglich auf die objektive Erkennbarkeit ab, muss die Sicherung nicht nur bei abgeschlossenen Büroräumen eines Closed-Shop-Systems angenommen werden, sondern auch bei jeder verschlossenen Wohnungstür, weil aus dem Verschließen immer ein zumindest auch bestehendes (zwar nicht vorrangiges, aber ausreichendes) Sicherungsinteresse des Bestimmungsberechtigten abzuleiten ist. Damit kann jegliche körperliche Zutrittssperre zum fraglichen Datenträger eine besondere Sicherung darstellen, sofern sie als solche objektiv erkennbar ist und keine weiteren (körperlichen oder elektronischen) Sicherungssperren überwunden werden müssen, um Zugang zu den jeweiligen Daten zu erlangen.934 Maßgeblich ist immer die letzte, dem Zugang zu den Daten unmittelbar vorgelagerte Zugangssicherung. b) Tathandlung aa) Verschaffen des Zugangs Durch das 41. StrÄndG sollte wie oben bereits erwähnt klargestellt werden, dass auch das sog. „Hacking“ von der Strafbarkeit erfasst wird. Die Tathandlung besteht darin, dass der Täter unter Überwindung der Zugangssicherung sich oder einem anderen zu den geschützten Daten Zugang verschafft.935 931
MüKo-StGB/Graf, § 202a Rn. 37; LK/Hilgendorf, § 202a Rn. 34; S/S/Lenckner/Eisele, § 202a Rn. 15. 932 NK/Kargl, § 202a Rn. 9; SK/Hoyer, § 202a Rn. 12. 933 So etwa MüKo-StGB/Graf, § 202a Rn. 37; NK/Kargl, § 202a Rn. 11. 934 Z. B. ist eine Wohnungstür als besondere Zugangssicherung des in der Wohnung befindlichen PC‘s anzusehen, wenn die Daten auf dem PC nicht gesondert (etwa durch ein Passwort) gesichert sind. Sind sie hingegen passwortgeschützt, ist die Wohnungstüre keine besondere „Zugangssicherung“, weil der Täter nach Überwindung der Eingangstür sich noch keinen Zugang zu den Daten verschafft hat. 935 Damit entfällt die Diskussion darüber, ob das Hacking schon in den Strafbarkeitsbereich des § 202a StGB a.F. fiel. Erwähnt sei nur, dass das Überwinden von Software-Sicherungen zum Zweck des Eindringens in fremde Informationssysteme zumeist die Entschlüsselung oder Kenntnisnahme von Programmdaten voraussetzt, so dass schon die früher h.M. das Hacking unter § 202a StGB a.F. subsumierte, vgl. S/S/Lenckner/Eisele, § 202a Rn. 10; Tröndle/Fischer, § 202a Rn. 10a.
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C. Umsetzung durch den Gesetzgeber
Der Begriff „verschaffen“ ist vom Gesetzgeber nicht näher definiert worden. Ein Blick auf andere Normen, die diesen Begriff verwenden, könnte ggfs. bei der Auslegung helfen. Das Merkmal „verschaffen“ findet sich auch in den Vorschriften der §§ 96, 202, 259 StGB sowie § 17 UWG. Allerdings kann § 259 StGB deswegen zur Auslegung nicht herangezogen werden, da diese Vorschrift allein die Verfügungsgewalt über Sachen betrifft.936 Jedoch hinkt der Vergleich mit diesen Normen auch sonst, da § 202a StGB das Sichverschaffen des bloßen Zugangs unter Strafe stellt, während es bei den genannten Normen um das Verschaffen der Schutzgegenstände selbst geht. Aufgrund der Eigentümlichkeit des Datenbegriffs in § 202a StGB bestehen am ehesten Gemeinsamkeiten mit § 17 Abs. 2 Nr. 1 UWG und (eingeschränkt) mit § 96 StGB.937 Danach verschafft sich der Täter jedenfalls dann Zugang zu gesicherten Daten, wenn er die tatsächliche Zugriffsmöglichkeit auf die Daten erlangt. Dies kann entweder durch Besitzverschaffung am Ursprungs-Datenträger, durch Kopieren auf ein eigenes Speichermedium, durch Kenntnisnahme oder durch eine sonstige Aufzeichnung der Daten (etwa Fotografieren, Ausdrucken oder Abschreiben der auf dem Bildschirm zu diesem Zwecke sichtbar gemachten Daten) erfolgen.938 Hinsichtlich verschlüsselter Daten ist auf obige Ausführungen zu verweisen, wonach die Verschlüsselung keine besondere Zugangssicherung darstellt. De lege ferenda kann es nicht auf ein Zugangverschaffen ankommen, vielmehr ist auf die Decodierung oder auf den ungehinderten Zugriff auf den Decodierungsschlüssel abzustellen.939 Da es auf eine Kenntnisnahme nicht ankommt und der elektronische formale Geheimbereich auch bei bloßer Zugriffsmöglichkeit auf die Daten verletzt ist, verwirklicht der Täter § 202a StGB auch dann, wenn er etwa außerstande ist, diese geistig aufzunehmen.940 bb) Sich oder einem anderen verschaffen Der Täter verschafft einem anderen den Zugang, wenn der Dritte die Herrschaft über die Daten erhält oder von deren Inhalt Kenntnis nimmt.941 Erlangt er hierbei selbst Kenntnis vom Dateninhalt, liegt in der geplanten Weitergabe eine mitbestrafte Nachtat zum vorausgegangenen eigenen Verschaffen.942 936
Schmid, Computerhacken und materielles Strafrecht, S. 106; MüKo-StGB/Graf, § 202a Rn. 50. 937 LK/Hilgendorf, § 202a Rn. 15. 938 NK/Kargl, § 202a Rn. 12; MüKo-StGB/Graf, § 202a Rn. 50. 939 Ähnlich NK/Kargl, § 202a Rn. 12. 940 Siehe zu dieser Situation eines Hackers auch die ausdrückliche Erklärung des Gesetzgebers in BT-Drucks. 16/3656, S. 9. 941 BT-Drucks. 10/5058, S. 29. 942 Schmid, Computerhacken und materielles Strafrecht, S. 106; MüKo-StGB/Graf, § 202a Rn. 54.
IV. § 202a StGB – Ausspähen von Daten
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cc) Überwindung der Zugangssicherung Seit dem 41. StrÄndG ist zur Tatbestandserfüllung die Überwindung der Zugangssicherung erforderlich; durch dieses Merkmal sollten Bagatellfälle herausgefiltert werden.943 Hierbei ist es erforderlich, dass die Überwindung der Sicherung einen nicht unerheblichen zeitlichen oder technischen Aufwand in Anspruch nimmt; nur in solchen Fällen lege der Täter eine besondere kriminelle Energie an den Tag, die seine Strafwürdigkeit begründe.944 Straffrei soll daher bleiben, wer eine von anderen geschaffene Situation nur ausnutzt945 : Wer durch ein Fenster die auf dem Bildschirm abgebildeten Daten fotografiert, einem am Datengerät sitzenden Mitarbeiter über die Schulter sieht oder ein Fernglas benutzt946, überwindet keine besondere Sicherung und verletzt auch nicht den elektronischen formalen Geheimbereich des Bestimmungsberechtigten. Fraglich ist, wie das Tatbestandsmerkmal der Überwindung auszulegen ist. Durch die Einfügung des Merkmals sollten insbesondere solche Fälle vom Schutzbereich ausgenommen werden, in denen das Opfer nachlässig mit den eigenen Daten umgeht und eine sehr leicht ausschaltbare Sicherung wählt.947 Andererseits besteht Einigkeit darüber, dass der Zugangsschutz nicht vollständig (unüberwindbar) sein muss.948 Zudem muss es wegen der grundrechtlich garantierten Möglichkeit, geschützte formale Geheimbereiche zu schaffen, jeder Person, also auch technischen Laien, möglich sein, ihre Daten rechtlich wirksam zu schützen. Deshalb erscheint ein weites Verständnis des Merkmals „Überwinden“ vorzugswürdig, wonach hierunter jede Handlung fällt, die geeignet ist, die jeweilige Sicherung auszuschalten.949 Das können sowohl äußere mechanische Handlungen als auch Dateneingaben sein, nicht jedoch die Umgehung von organisatorischen Maßnahmen oder Registrierungspflichten.950 Weil die Überwindung der Zugangssicherung für die Verschaffung des Zugangs ursächlich sein muss951 (vgl. Gesetzeswortlaut „unter“), ist erforderlich, dass die Zugangssicherung im Zeitpunkt der Tathandlung wirksam ist.952
943
BT-Drucks. 16/3656, S. 14. BT-Drucks. 16/3656, S. 17. 945 LK/Hilgendorf, § 202a Rn. 18. 946 LK/Hilgendorf, § 202a Rn. 18. 947 Hilgendorf, Stellungnahme zur Anhörung beim Rechtsausschuss des Bundestags vom 21. 03. 2007, S. 3. 948 MüKo-StGB/Graf, § 202a Rn. 32; Hilgendorf, JuS 1996, 702; NK/Kargl, § 202a Rn. 14a; S/S/Lenckner/Eisele, § 202a Rn. 14. 949 Tröndle/Fischer, § 202a Rn. 11b; NK/Kargl, § 202a Rn. 14a; i.E. wohl auch S/S/Lenckner/Eisele, § 202a Rn. 14. 950 SK/Hoyer, § 202a Rn. 8; S/S/W/Bosch, § 202a Rn. 5. 951 Tröndle/Fischer, § 202a Rn. 11b. 952 S/S/Lenckner/Eisele, § 202a Rn. 20. 944
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C. Umsetzung durch den Gesetzgeber
c) Rechtswidrigkeit aa) Einwilligung vs. tatbestandsausschließendes Einverständnis Wie bei § 202 StGB schließt das Einverständnis des Bestimmungsberechtigten den Tatbestand aus.953 Die Einwilligung dessen, den die Daten betreffen, ist hierbei ohne Bedeutung, wenn er nicht verfügungsberechtigt ist; das spezielle Bestimmungsrecht steht dem Schutzgut entsprechend nur demjenigen zu, der die besondere Sicherung der Daten hergestellt hat. So ist eine jederzeit widerrufliche Stellvertretung954 oder eine Fristbindung des Zugriffsrechts auf bestimmte Daten möglich.955 Auch kann das Zugriffsrecht von der Erfüllung einer Bedingung abhängig gemacht werden956, so dass die Missachtung von Fristen, Bedingungen oder Zugangskontrollen dazu führt, dass der auf die Daten zugreifende Täter nach § 202a StGB strafbar ist, weil die Daten dann nicht zu seiner Kenntnis bestimmt sind. Zu solchen Bedingungen gehören z. B. die Anmeldung, Registrierung oder Zahlung eines Nutzerentgelts, wie dies für Datenverarbeitungsdienste im Internet oder für die Entsperrung von SIM Lock-Codes bei vertragsgebundenen Mobiltelefonen üblich ist.957 Ein strafrechtlich relevanter Missbrauch der Vertretungsmacht kann etwa dann vorliegen, wenn der Vertreter unter Verstoß gegen vertragliche Vereinbarungen mit dem Täter gemeinsame Sache macht958, indem er diesem etwa Passwörter mitteilt, um vom anschließenden Verkauf der Daten zu profitieren. Fertigt der Zugriffsberechtigte vertragswidrig Kopien an, verletzt er ggfs. Urheberrechte und setzt sich zivilrechtlichen Ansprüchen aus; da aber Urheberrechte nicht das Schutzgut des § 202a StGB sind, kommt eine Strafbarkeit nicht in Betracht.959 Anders ist auch nicht, wenn sich der Täter durch falsche Angaben, z. B. durch die Benutzung einer fremden Kennung, den Zugang auf dem an sich dafür vorgesehenen Weg erschleicht.960 Hierbei sind die Daten zwar trotz faktischer Zugangsmöglichkeit nicht für den Zugriff des Täuschenden bestimmt, jedoch wird die Zugangssicherung nicht überwunden, so dass sich der Täter nicht strafbar macht. Dies ergibt sich aus dem Normzweck und dem Wortlaut des § 202a StGB, die beide auf das Zugriffs- und nicht auf das Nutzungsrecht abstellen. Aus diesem Grund bleibt auch der einmal berechtigte Nutzer straflos, der später eine andere, vom Berechtigenden nicht gewollte
953
LK/Hilgendorf, § 202a Rn. 25, 38; S/S/Lenckner/Eisele, § 202a Rn. 24. MüKo-StGB/Graf, § 202a Rn. 18; L-Kühl, § 202a Rn. 3; NK/Kargl, § 202a Rn. 8. 955 Schulze-Heiming, Der strafrechtliche Schutz der Computerdaten gegen die Angriffsformen der Spionage, Sabotage und des Zeitdiebstahls, S. 55 ff. 956 S/S/Lenckner/Eisele, § 202a Rn. 6. 957 Heghmanns, in: Achenbach/Ransiek/Rönnau u. a. (Hrsg.), Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 42015, Rn. 96. 958 LK/Hilgendorf, § 202a Rn. 28; NK/Kargl, § 202a Rn. 8. 959 LK/Hilgendorf, § 202a Rn. 22. 960 NK/Kargl, § 202a Rn. 8. 954
IV. § 202a StGB – Ausspähen von Daten
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Nutzung betreibt, etwa die Daten nicht nur liest, sondern weitergibt.961 Infolgedessen kann ein Sachbearbeiter, der Kundenlisten, mit denen er dienstlich arbeiten darf, an Konkurrenzunternehmen verkauft, nicht nach § 202a StGB, sondern allenfalls nach § 17 UWG bestraft werden.962 Die genannten Beispielsfälle sind von der Ratio des § 202a StGB nicht erfasst. Eine Rechtfertigung durch eine mutmaßliche Einwilligung ist zwar möglich, aber praktisch wohl kaum relevant; in aller Regel wird der Berechtigte in einem Eilfall, welcher ein Eindringen in fremde Datenbestände erforderlich macht, vorher befragt werden können.963 bb) Spezialgesetzliche Befugnisnormen Spezialgesetzliche Ermächtigungsgrundlagen ergeben sich für Strafverfolgungsbehörden hinsichtlich sichergestellter Datenspeicher aus §§ 94, 98 StPO i.V.m. § 110 Abs. 1 und 2 StPO bei abgespeicherten Schriftstücken und anderem Schriftgut.964 Geht es um einen behördlichen Eingriff in Form von Kenntnisnahme und/oder Aufzeichnung von Daten während der Fernübermittlung, kann sich eine Rechtfertigung aus §§ 100a, 100b StPO ergeben. Sind relevante Nachrichten auf dem Datenspeicher der Mailbox zwischengelagert, kommt eine Beschlagnahme gem. § 99 StPO in Betracht.965
4. Resümee § 202a StGB schützt das Bestimmungsrecht hinsichtlich des elektronischen formalen Geheimbereichs. Bestimmungsberechtigter ist derjenige, der diesen Geheimbereich durch Herstellung einer besonderen Zugangssicherung schafft. Eine Bedrohungslage für dieses Rechtsgut ist in der Vielzahl der mit technischen Neuerungen einhergehenden Möglichkeiten, in fremde Computersysteme eindringen zu können, zu sehen. Problematisch ist, dass übermittelte Daten trotz Verschlüsselung nicht unter den Strafschutz des § 202a StGB de lege lata fallen, weil dies der Wortlaut nicht hergibt. Da eine Schutzbedürftigkeit auch solcher Daten von Gesetzgeber und Literatur anerkannt wird, liegt eine Erweiterung des Tatbestandes de lege ferenda nahe.
961
BayObLG NJW 1999, 1727: zum Abfragen von Halterdaten durch einen Polizisten zu privaten Zwecken, vgl. dazu Pätzel, NJW 1999, 3246 f. und Kühn, StV 1999, 214 f. 962 Heghmanns, in: Achenbach/Ransiek/Rönnau u. a. (Hrsg.), Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 42015, Rn. 96. 963 MüKo-StGB/Graf, § 202a Rn. 64; LK/Hilgendorf, § 202a Rn. 38. 964 BVerfG 113, 29; NK/Kargl, § 202a Rn. 17. 965 Ermittlungsrichter BGH v. 16. 10. 2001 – 2 BGs 410/2001; 2 BGs 412/2001.
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C. Umsetzung durch den Gesetzgeber
V. § 203 StGB – Verletzung von Privatgeheimnissen 1. Entstehungsgeschichte § 203 StGB stellte ursprünglich den strafrechtlichen Schutz des Arztgeheimnisses dar966 und hatte seinen Ursprung in § 505 Teil II Tit. 20 preuß. ALR von 1794, welcher den Bruch der Schweigepflicht von „Medizinalpersonen“ bestrafte. Diese relativ enge Beschränkung auf die Arzt-Patient-Beziehung fand sich auch im späteren § 155 des Preußischen Strafgesetzbuches von 1851 und wurde erst in § 300 des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich vom 15. 5. 1871 aufgebrochen und durch einen heterogenen Katalog schweigepflichtiger Personen ersetzt. Doch so weit wie Art. 378 Code pénal, wonach alle Personen zur Geheimhaltung verpflichtet sind, denen kraft ihres Berufs Geheimnisse anvertraut werden, ging man nicht. Auch war in früheren Regelungen ein Schutz öffentlicher Interessen nicht bezweckt.967 Der Gesetzgeber entschied sich mit Einführung des EGStGB vom 2. März 1974 für eine sektorale Lösung: in § 203 StGB wurden zahlreiche nebenstrafrechtliche Bestimmungen zum Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen sowie eine Strafnorm gegen die Offenbarung von Privatgeheimnissen und bestimmten Einzelangaben durch Amtsträger und amtsnahe Personen zusammengefasst.968 In der Folgezeit kam es noch zu kleinen Änderungen und Anpassungen.969 Problematisch ist seitdem die Frage, inwieweit der fragmentarische Katalog der geheimnispflichtigen Personen einer Erweiterung oder Beschränkung bedarf: So führte bspw. die Einbeziehung des Betriebsgeheimnisses durch das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch vom 2. 3. 1974970 zu vielfacher Kritik hinsichtlich der inneren Stimmigkeit der Vorschrift. In der Strafrechtsliteratur gibt es Stimmen, wonach der Schutz des „Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisses“ in § 203 StGB systematisch falsch platziert erscheine.971 Des Weiteren wird teilweise konstatiert, ein leitender Grundgedanke sei bei der kasuistischen Auswahl der Geheimnisträger kaum zu erkennen.972 So scheint es zunächst, dass § 203 StGB in seiner gegenwärtigen Fassung das Ergebnis verschiedener Entwicklungsstränge darstellt, die jedoch kaum auf einem gemeinsamen Grundgedanken oder einheitlichem System basieren.
966
Rogall, NStZ 1983, 1, 2; vgl. Seiler, Der strafrechtliche Schutz der Geheimsphäre, S. 38 ff. 967 Rogall, NStZ 1983, 1, 2. 968 BT-Drucks. 7/550, S. 235 f., 237 f. 969 Etwa die Einfügung des Abs. 2a durch das HemAbbG und die Ergänzung des Abs. 1 Nr. 6 um die anwaltlichen (RechtsberNeuregG) und steuerberaterlichen (8. StBerGÄndG) Abrechnungsstellen. 970 BT-Drucks. 7/550, S. 235, 237. 971 Schünemann, ZStW 90 (1978), 11 f. 972 NK/Kargl, § 203 Rn. 1.
V. § 203 StGB – Verletzung von Privatgeheimnissen
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2. Normzweck Wie die Entstehungsgeschichte bereits erahnen lässt, herrscht über das von § 203 StGB geschützte Rechtsgut Uneinigkeit. Im Kern geht es dabei um die Frage, ob Schutzgut allein die Individualsphäre (genauer: eine individuelle Geheimsphäre973) oder allein die Funktionsfähigkeit bestimmter Berufsgruppen ist (monistische Sichtweisen)974 oder ob beide Güter gleichrangig geschützt werden (dualistische Sichtweise)975. Geht man von einem Individualrechtsgut aus, ist wegen des Schutzes von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen nicht ganz eindeutig, ob auch oder überwiegend das Vermögen oder die materielle Privatheit dem § 203 StGB als Rechtsgut zugrunde liegt. a) Gewährleistung der Funktionsfähigkeit bestimmter Berufsgruppen Die Vertreter der Position, wonach ausschließlich ein Allgemeininteresse geschützt ist976, argumentieren zunächst damit, dass das generelle Vertrauen in die Verschwiegenheit bestimmter Berufskreise eine unabdingbare Voraussetzung für die Wahrnehmung ihrer im öffentlichen Interesse liegenden Funktionen sei.977 Um diese institutionenbezogene Rechtsgutsbestimmung zu untermauern, wird vielfach auf den Arztberuf verwiesen, der sich durch einen „Sozialwert überindividuellen Charakters“978 auszeichne; dieser gesteigerte Sozialwert gelte auch für die übrigen in § 203 StGB genannten Berufsgruppen. Nur wenn die Vertraulichkeit gesichert sei, mache der Patient die erforderlichen Angaben, so dass letztlich die Verschwiegenheit der Ärzte notwendig sei, um eine effektive Gesundheitspflege zu garantieren.979 Gegen das Verständnis einer individualbezogenen Rechtsgutsbestimmung spreche zudem die Beschränkung der Normadressaten des § 203 StGB auf die Angehörigen be-
973
Vgl. dazu BGH v. 25. 3. 1993 – IX ZR 192/92 – NJW 1993, 1638ff. = BGHZ 122, 115. Die monistische Sichtweise wird wegen der katalogartigen Aufzählung verschwiegenheitspflichtiger Personen teilweise mit dem Prinzip der Viktimodogmatik zu erklären versucht. 975 Überblick bei Hildebrandt, Schweigepflicht im Behandlungsvollzug, S. 9 ff. 976 BVerfGE 44, 353, 375; BGH NJW 1968, 2290; OLG Köln NStZ 1983, 412; KG v. 19. 6. 1992 – 13 U 262/92, NJW 1992, 2771; Heckel, NVwZ 1994, 224, 227; S/S/Lenckner, § 203 Rn. 3 in der 27. Auflage (mittlerweile das Individualinteresse an der Geheimhaltung bestimmter Tatsachen favorisierend: S/S/Lenckner/Eisele, § 203 Rn. 3); Schmidt, Brennende Fragen des ärztlichen Berufsgeheimnisses, S. 17; Becker, MDR 1974, 888, 891; Grömig, NJW 1970, 1209, 1210; Henssler, NJW 1994, 1817, 1819; wohl auch Haffke, GA 1973, 65, 67. 977 OLG Karlsruhe NJW 1984, 676; OLG Köln NStZ 198; S/S/Lenckner, § 203 Rn. 3 in der 27. Auflage; Lenckner, NJW 1964, 1186, 1187 und ders., NJW 1965, 321, 322. 978 Schmidt, Brennende Fragen des ärztlichen Berufsgeheimnisses, S. 18; Bockelmann, Strafrecht des Arztes, S. 34 ff.; ähnlich für den Anwaltsberuf Henssler, NJW 1994, 1817. 979 Eser, ZStW 97 (1985), 1, 41; Kaufmann, NJW 1958, 272: echtes Vertrauensverhältnis als Voraussetzung „für eine freie Entfaltung des ärztlichen Könnens“. 974
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C. Umsetzung durch den Gesetzgeber
stimmter Berufe bzw. auf bestimmte Funktionsträger.980 Diese wäre nicht plausibel, wenn es in § 203 StGB um das private Geheimnis ginge.981 Dieses Argument ließe sich dahingehend ausdehnen, dass die Ausübung der in § 203 StGB genannten Berufe eine staatliche Pflichtprüfung oder die Arbeit in einer staatlich anerkannten Stelle voraussetzt; dies scheint zunächst nur bei Annahme des Vertrauensschutzes in bestimmte (staatlich anerkannte) Berufsgruppen erklärbar. Während z. B. alternative Heilpraktiker aus Sicht des Patienten eigentlich der gleichen Geheimhaltungspflicht wie ein Arzt unterliegen müssten, soll ihnen aus sozialer Sicht offenbar (fragwürdigerweise) bescheinigt werden, für die Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens weniger bedeutsam zu sein.982 Dem gewichtigen Gegenargument, wonach das Antragserfordernis des § 205 StGB für den Individualschutz spreche983, begegnete Lenckner lange Zeit wie folgt: Der Sinn des § 205 StGB könne ungeachtet der verletzten Allgemeininteressen auch darin gesehen werden, zu verhindern, dass das fragliche Geheimnis gegen den Willen des unmittelbar Betroffenen (nicht des Verletzten) zum Gegenstand eines trotz § 171 b GVG grundsätzlich öffentlichen Strafverfahrens gemacht werden könne.984 Denkbar wäre zudem, dass berufsständische (wirtschaftliche) Interessen durch § 203 StGB geschützt werden: Die ordnungsgemäße Funktion der genannten Berufsgruppen hängt von dem ihnen entgegengebrachten Vertrauen der Bevölkerung ab; durch Indiskretion entziehen sich die Funktionsträger selbst die Grundlage der eigenen Tätigkeit. Damit diene § 203 StGB reflexartig dem Schutz der aufgezählten Personen vor einer mittelbaren Selbstschädigung. Die Auffassung eines reinen Allgemeininteressenschutzes stößt jedoch in vielerlei Hinsicht auf begründete Kritik und wird daher heute kaum noch vertreten. So lässt sich zunächst die Beschränkung der Berufsgruppen aufgrund eines dem Arztberuf vergleichbaren „Sozialwerts überindividuellen Charakters“ anzweifeln: die Inanspruchnahme etwa eines Tierarztes ist im landwirtschaftlichen Produktionsprozess eine vorwiegend wirtschaftliche Frage.985 Zudem sind die in § 203 Abs. 1 Nr. 4 und 4a StGB aufgeführten Beratungsdienste und die Aufgaben der Sozialarbeiter völlig unterschiedlicher Natur und hinsichtlich ihres Sozialwerts nicht auf eine Stufe zu stellen.986 Stattdessen kann die Täterkreisbeschränkung mglw. als „Zufäl-
980
S/S/Lenckner, § 203 Rn. 3 in der 27. Auflage. Beachte aber Eser, ZStW 97 (1985), 1, 41 Fn. 121, der dieses Argument selbst abschwächt, indem er einräumt, dass die Beschränkung des Täterkreises eher eine Gesetzestechnik darstelle, als auf schutzgutsbezogenen Erwägungen zu fußen. 982 Ähnlich bereits Eser, ZStW 97 (1985), 1, 41 Fn. 121. 983 Vgl. BGHZ 115 125; SK/Hoyer, § 203 Rn. 3; Dölling/Duttke/Rössner/Tag, § 203 Rn. 4; NK/Kargl, § 203 Rn. 3. 984 S/S/Lenckner, § 203 Rn. 3 a.E. in der 27. Auflage. 985 Vgl. dazu BVerfGE 38, 312, 323. 986 LK/Schünemann, § 203 Rn. 14. 981
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ligkeit“ bei der Gesetzesimplementierung987 oder mit Selbstschutzgesichtspunkten zu begründen versucht werden.988 Grundsätzlich muss niemand offenbaren, was er geheim halten möchte, und kann sich durch Verschweigen solcher Gegebenheiten wirksam selbst schützen. Dass sich der Einzelne gegenüber den in § 203 StGB genannten Funktionsträgern dennoch öffne, geschehe regelmäßig deshalb, weil der Einzelne auf bestimmte Leistungen angewiesen sei, zu deren Erhalt es einer partiellen Preisgabe eigener Geheimnisse bedürfe989, oder eine solche Offenbarung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen kaum vermeiden könne.990 Die Charakteristika des Täterkreises verdeutlichen die gesteigerte Schutzbedürftigkeit von Privatpersonen, so dass der Umstand, dass der Täterkatalog des § 203 StGB begrenzt ist, keinen Rückschluss auf ein Gemeinschaftsgut zulasse.991 Soweit über § 203 StGB die für das Gesellschaftsleben als wichtig angesehenen Funktionen der betreffenden Berufsgruppen geschützt werden, ergebe sich der Gemeinschaftsaspekt lediglich als Reflex aus dem Schutz der Individualinteressen, der bei allen Sonderdelikten zum Tragen komme.992 Wie auch schon Eser993 als Vertreter eines durch § 203 StGB geschützten Allgemeinrechtsguts einräumte, sei die Beschränkung des Täterkreises daher ein schwaches Argument für die Annahme eines ausschließlichen Kollektivrechtsgüterschutzes und könne eher als eine Form der Gesetzestechnik denn eine Entscheidung über das Rechtsgut interpretiert werden.994 Des Weiteren lässt sich anführen, dass in §§ 225 und 266 StGB ebenfalls eine bestimmte Tätergruppe genannt ist, diese Strafnormen aber dennoch Individualrechtsgüter schützen.995 Eisele relativiert auch das Argument Lenckners, wonach das Antragserfordernis des § 205 StGB den unmittelbar Betroffenen lediglich vor einem ungewollt öffentlichen Strafverfahren schützen solle: Dies sei nur eine Funktion des § 205 StGB, im Wesentlichen aber spreche sowohl das Antragserfordernis als auch die in § 53 Abs. 2 S. 1 StPO geregelte Möglichkeit der Schweigepflichtsentbindung für einen Individualschutz des § 203 StGB, weil der Geheimnisträger über das Geheimnis disponieren und über die strafrechtliche Ahndung eines Geheimnisbruchs entscheiden könne.996 Auch der Wortlaut des § 203 StGB spricht nicht (mehr) für den Schutz eines Vertrauens in die bezeichneten Berufsgruppen: Während früher „anvertraute Geheimnisse“ geschützt wurden, sind seit dem 3. StRÄndG „bekannt gewordene“ Geheimnisse ausreichend. Im Übrigen widerspreche ein ausschließlicher Kollektivrechtsgüterschutz der Entstehungsgeschichte des § 203 StGB, da die Verletzung 987 988 989 990 991 992 993 994 995 996
NK/Kargl, § 203 Rn. 3. Rogall, NStZ 1983, 1, 4. LK/Schünemann, § 203 Rn. 16. Schünemann, ZStW 90 (1978), 11, 54; SK/Hoyer, § 28 Rn. 33. NK/Kargl, § 203 Rn. 3. NK/Kargl, § 203 Rn. 3. Eser, ZStW 97 (1985), 1, 41 Fn. 121. Ähnlich auch LK/Schünemann, § 203 Rn. 14. S/S/Stree/Sternberg-Lieben, § 225 Rn. 1/2 m.w.N.; S/S/Perron, § 266 Rn. 1 m.w.N. S/S/Lenckner/Eisele, § 203 Rn. 3.
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von Privatgeheimnissen in der Vergangenheit stets als Vergehen gegen die Person bzw. als Verletzung ihrer Persönlichkeit gewertet wurde.997 Die systematische Stellung des § 203 StGB im 15. Abschnitt über die Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs spricht überdies gegen einen rein allgemeingerichteten Schutzzweck.998 Berufsständische Interessen werden allgemein abgelehnt, da es nicht Aufgabe der strafrechtlich abgestützten Schweigepflicht sei, den Berufsstand um seiner selbst willen999 oder Personen vor einer Selbstschädigung zu schützen.1000 b) Vermögen und materielle „Privatheit“ Die Ansicht, § 203 StGB schütze solche Privatgeheimnisse, die geeignet sind, das Vermögen (als Folge wirtschaftlicher Interessen)1001 oder die materielle Privatheit zu beeinträchtigen, lehnt jeglichen Kollektivrechtsgutsbezug ab.1002 Sie stützt sich in erster Linie auf die Normgenese des § 203 StGB und dessen systematische Stellung im 15. Abschnitt.1003 Vertreten wird, dass aus der Aufnahme der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse ein Schutz wirtschaftlicher Interessen und damit ein Vermögensschutz folge.1004 Daneben sei eine Privatheit geschützt, die in zwei verschiedene Rechtsgutsaspekte zu unterteilen sei: das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen1005 sowie ein werthafter Zustand der informationellen Kontrolle bzw. ein Recht auf informationelle Kontrolle1006 über solche (persönlichkeitsnahen) Tatsachen und Lebensäußerungen, die im Falle ihres Bekanntwerdens der sozialen Geltung des Betroffenen abträglich wären und sein Leben in der Gemeinschaft erschweren würden.1007 Aus dieser notwendigen Differenzierung ergebe sich, dass nicht jede 997
Rogall, NStZ 1983, 1, 2. Rogall, NStZ 1983, 1, 3. 999 NK/Kargl, § 203 Rn. 2; L/Kühl, § 203 Rn. 1; LK/Schünemann, § 203 Rn. 14; S/S/ Lenckner/Eisele, § 203 Rn. 3; Dölling/Duttke/Rössner/Tag, § 203 Rn. 5. 1000 § 17 WStG (Selbstverstümmelung) und § 109 StGB (Wehrpflichtenziehung durch Verstümmelung) dienen vorrangig dem Schutz der Landesverteidigung, S/S/Eser, Vor § 109 Rn. 1. 1001 Zum Vermögenswert von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, vgl. Bullinger, NJW 1978, 2173, 2176, 2178. 1002 Rogall, NStZ 1983, 1, 3. 1003 Rogall, NStZ 1983, 1, 3. 1004 Rogall, NStZ 1983, 1, 3; Bullinger, NJW 1978, 2173, 2176, 2178. 1005 Mallmann, Datenschutz in Verwaltungs-Informationssystemen, S. 20 ff., 26 hält das informationelle Selbstbestimmungsrecht für den alleinigen Wesenskern der Privatheit. 1006 Rogall, NStZ 1983, 1, 4. 1007 Diese Begriffsbestimmung der „Privatheit“ ist auf Gallas zurückzuführen, der Privatheit im materiellen (inhaltlichen) Sinne und Privatheit im formellen Sinne unterscheidet und damit die materiellen Geheimhaltungsinteressen von dem (formalen, nicht inhaltsbezogenen) Selbstbestimmungsrecht trennt, vgl. Gallas, ZStW 75 (1963), 16, 22. Rogall greift diese Definition auf, macht aber deutlich, dass das Selbstbestimmungsrecht nur eine Emanation des 998
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Geheimnisverletzung zu einer Beeinträchtigung von Privatheit führe; bei Geheimnissen, die nicht zum persönlichen Lebensbereich gehören, sei das nicht einmal regelmäßig der Fall.1008 Folglich seien nur diejenigen Geheimnisse als tatbestandsmäßig ansehen, die geeignet sind, materielle Privatheit oder das Vermögen zu beeinträchtigen, womit § 203 StGB ein abstrakt-konkretes oder potenzielles Gefährdungsdelikt darstelle.1009 In einer Kritik dieses Ansatzes räumte Sauter1010 ein, dass Fälle denkbar seien, in denen durch den Bruch der Schweigepflicht die ganze wirtschaftliche Existenz eines Menschen vernichtet werde; dennoch sei eine Schädigung fremden Vermögens für die Begehung von § 203 StGB ebenso wenig erforderlich wie ein eigennütziger Beweggrund. Der Geheimnisverrat werde ohne jede Rücksicht auf seine Wirkungen oder das Motiv des Täters geahndet.
c) Viktimologische Betrachtungsweise Auch Schünemann sieht als geschütztes Rechtsgut ausschließlich die Individualsphäre des Einzelnen an, begründet dies jedoch viktimodogmatisch. 1011 Bei der Annahme eines Individualrechtsguts liegt die grundsätzliche Problematik darin, die Ausgestaltung des § 203 StGB als Sonderdelikt zu erklären. Eine stringente Anwendung des verfassungsrechtlich garantierten informationellen Selbstbestimmungsrechts i.S. des Volkszählungsurteils als Grundlage für das Schutzgut würde zu einer Verallgemeinerung dahin zwingen, dass generell private Daten nicht nur bei bestimmten Berufsangehörigen geschützt sind, sondern auch im Verhältnis von Privatpersonen untereinander.1012 Darüber hinaus wäre die grundgesetzliche Garantie der informationellen Selbstbestimmung kaum oder nur unter Unsicherheiten auf juristische Personen (Art. 19 Abs. 3 GG) übertragbar.1013 Dieses Dilemma versucht Rechtsguts ohne eigenständigen Schutzgutcharakter sei, vgl. Rogall, NStZ 1983, 1, 4, Fn. 77. Anders als Gallas sieht Rogall Verletzungen von Privatgeheimnissen nicht als “eigenartige Mischgebilde”, deren Einordnung unter die beiden Privatheitsbegriffe je nach dem betroffenen Geheimnis variiere; auch lehnt Rogall das Verständnis einer formellen Privatheit ab, obwohl das Gesetz eben jede Art von Geheimnissen genügen lässt, vgl. Rogall, NStZ 1983, 1, 5. Denn laut Rogall würde bei dieser Annahme übersehen, dass das Rechtsgut vom Handlungsobjekt zu trennen sei. 1008 Rogall, NStZ 1983, 1, 5. 1009 Rogall sieht bei seiner Rechtsgutsbestimmung folgerichtig wegen der Verschmelzung vermögensschützender Tatbestände mit solchen, die dem Schutz der Persönlichkeit dienen, eine Parallele zu den Beleidigungsdelikten wie insbesondere § 187 STGB, stellt aber klar, dass Privatheit und Ehre nicht vermischt werden dürfen, vgl. Rogall, NStZ 1983, 1, 3, 5, Fn. 84. 1010 Sauter, Das Berufsgeheimnis und sein strafrechtlicher Schutz, S. 30. 1011 LK/Schünemann, § 203 Rn. 14. 1012 MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 4, die gegen eine Zentrierung der Rechtsgutsfrage auf das informationelle Selbstbestimmungsrecht sind. 1013 Vgl. etwa BGH v. 3. 6. 1986 – VI ZR 102/85; BGHZ 98, 94 (97 f.) = NJW 1986, 2951; BGH v. 3. 6. 1975 – VI ZR 123/74, NJW 1975, 1882, 1884; Jarass, NJW 1989, 857, 860.
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Schünemann mittels der viktimodogmatischen These1014 zu lösen, dass die Verhängung von Strafe als ultima ratio des Staates zur Verhütung von Sozialschäden dann nicht einzugreifen braucht, wenn das Opfer keinen Schutz verdient und keines Schutzes bedarf. Daher seien im Wege methodisch zulässiger Tatbestandsauslegung alle Verhaltensweisen aus dem Strafbarkeitsbereich zu eliminieren, gegenüber denen sich das Opfer in einfacher und ohne weiteres zumutbarer Weise selbst schützen könne.1015 Strafrechtlicher Schutz dürfe nicht eingreifen, wenn der Betroffene zumutbaren Selbstschutz bewusst unterlässt, obwohl die Möglichkeit zu alternativem Verhalten bestehe. Nach dieser Auffassung sind die vom Gesetzgeber bei § 203 StGB (wie auch bei den übrigen Strafnormen des 15. Abschnitts) gezogenen Strafbarkeitsgrenzen nicht durch eine bloße Rechtsgutsbetrachtung, sondern viktimodogmatisch zu erklären.1016 Während die Indiskretion hinsichtlich eines Privatgeheimnisses des Einzelnen im „normalen“ Gespräch strafrechtlich irrelevant sei (man muss nicht über Privates sprechen), werde die Geheimnisoffenbarung durch einen Täter, der zur Wahrung hochwertiger Rechtsgüter zwangsweise in Anspruch genommen werden muss, mit Strafe bedroht. Das Gesetz grenze den Kreis der schweigepflichtigen Personen nicht funktional (vom Gegenstand der Berufsausübung her) ab, sondern mache die Strafbarkeit einer Geheimnisoffenbarung von der staatlichen Anerkennung der Berufsqualifikation abhängig: Heilpraktiker, Prozessagenten oder Psychotherapeuten ohne staatlich anerkannte Abschlussprüfung seien trotz regelmäßigen Kontakts mit Privatgeheimnissen nicht erfasst, während die Sekretärin des Anwalts oder die Sprechstundenhilfe des Arztes über Abs. 3 in den Strafbarkeitsbereich einbezogen sind.1017 Der Strafschutz müsse nur dort eingreifen, wo ein Selbstschutz des Opfers versage. Dies gelte ebenso für sämtliche in den Täterkreis aufgenommenen Berufsausüber. So seien etwa Ehe-, Erziehungs-, Jugend-, Suchtund Schwangerschaftsberater sowie die Sozialarbeiter und Sozialpädagogen hin1014
Die Viktimodogmatik wurde 1977 an den Beispielen des Betruges und der Verletzung von Privatgeheimnissen erstmals entwickelt, im Wesentlichen von Amelung, GA 1977, 1, 17 und Schünemann, ZStW 90 (1978), 11, 32, 34, 54 ff., 65. Sie dient als Begründung für eine einschränkende und den Selbstschutz des Opfers berücksichtigende Ausgestaltung der Straftatbestände; anders etwa Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 176, wonach das Strafrecht nur subsidiär zu anderen Mitteln des Gesetzgebers, nicht aber zu privaten Schutzmöglichkeiten sei, sondern diese vielmehr gegenüber staatlicher Abwehr subsidiär seien, der Bürger also nur eingreifen dürfe, wo der Staat nicht präsent sei. 1015 Vgl. LK/Schünemann, § 203 Rn. 16 m.w.N. in Fn. 41. 1016 LK/Schünemann, § 203 Rn. 16. 1017 Dies sei mit der Viktimodogmatik zu erklären, deren Grundgedanke auch von der historischen Entwicklung gestützt werde: § 300 des RStGB habe den uferlosen Schutz jedes Berufsgeheimnisses (§ 155 Preußisches StGB) auf die Rechtspflege- und Medizinalberufe beschränkt und damit die viktimodogmatische Maxime unter Beachtung der damaligen Verhältnisse konkretisiert. Denn ein wichtiges Ge-heimnis könne in allen Berufen, etwa als Friseur oder Schneider, erfahren werden; ein den billigerweise zu verlangenden Selbstschutz des Geheimnisträgers vereitelnder Zwang, die eigenen Geheimnisse fremden Personen anzuvertrauen, habe damals jedoch nur gegenüber Rechtsanwälten und Ärzten und den diesen eng verwandten Berufen bestanden, vgl. LK/Schünemann, § 203 Rn. 16.
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zugefügt worden, weil deren Konsultation in der heutigen Gesellschaft üblich geworden sei und eine damit einhergehende Offenbarung von Privatgeheimnissen keine Vernachlässigung des zumutbaren Selbstschutzes darstelle.1018 Ausgenommen seien „Luxushandlungen“1019 wie die Inanspruchnahme eines Heilpraktikers anstelle eines Arztes oder eines registrierten Rechtsdienstleisters anstelle eines Rechtsanwalts.1020 Die viktimodogmatische These wird jedoch von der h.M. sowohl in rechtsdogmatischer als auch in sozialpolitischer Hinsicht als unhaltbar angesehen. Sie sei abzulehnen, weil „sie von einer Abwertung und Verwässerung tradierter, den Opferschutz garantierender Institutionen wie Einwilligung und Notwehr einerseits und von der Aufwertung von Strafzumessungsgründen wie dem Opfermitverschulden zum Tatbestandskorrektiv andererseits“ lebe.1021 Dem viktimodogmatischen Prinzip wird vorgeworfen, ihm liege ein abweichendes Subsidiaritätsverständnis des Strafrechts zugrunde1022 : Das Subsidiaritätsprinzip soll richtigerweise als ultima ratio erst eingreifen, wo andere Antwortmöglichkeiten des Staates – nicht auch des privaten Selbstschutzes – auf sozialschädliches Verhalten nicht ausreichen.1023 Das Gegenteil würde dem „heilsamen und befriedenden, die individuellen Rachebedürfnisse kanalisierenden historischen Prozess des Übergangs der Strafgewalt vom einzelnen und der Sippe auf die Gemeinschaft“ entgegenwirken.1024 Darüber hinaus gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber die Strafwürdigkeit oder Strafbedürftigkeit generell vom zumutbaren Selbstschutz des Opfers hätte abhängig machen wollen.1025 Würde etwa das Vorliegen einer Wegnahme i.S. des § 242 StGB dann abgelehnt werden, wenn das Opfer in besonders nachlässiger Weise sein Eigentum herumliegen ließ, würde sich das viktimologische Prinzip zum Tatbestandsmerkmal erheben, statt den Tatbestand teleologisch einzugrenzen.1026 Wollte man den durch das Strafgesetz gewährten Schutz durch Verweisung des Opfers auf zumutbaren und möglichen Selbstschutz ablösen, würde die öffentliche Sicherheit schweren Schaden nehmen und das Misstrauen der Rechtsgenossen gegeneinander 1018
Schünemann, ZStW 90 (1978), 11, 54 f. Als Luxushandlungen bezeichnet, weil bereits der Staat auf dem Gebiet der Gesundheits- und Rechtspflege für die Verfügbarkeit kompetent ausgebildeter Personen sorge, Schünemann, ZStW 90 (1978), 11, 54. 1020 LK/Schünemann, § 203 Rn. 16. 1021 Hillenkamp, Der Einfluß des Opferverhaltens auf die dogmatische Beurteilung der Tat, S. 13. 1022 S/S/Eisele, Vor. § 13 Rn. 70b. 1023 Hillenkamp, Der Einfluß des Opferverhaltens auf die dogmatische Beurteilung der Tat, S. 14. 1024 Hillenkamp, Der Einfluß des Opferverhaltens auf die dogmatische Beurteilung der Tat, S. 14. 1025 Roxin, Strafrecht, allgemeiner Teil I, 14/19. 1026 Vgl. Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 65 mit weiteren Beispielen; ders., Der Einfluß des Opferverhaltens auf die dogmatische Beurteilung der Tat, S. 13 ff. 1019
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verschärft werden.1027 Zu den legitimen Aufgaben des Strafrechts gehört jedoch auch die Verhinderung eines allgemeinen gesellschaftlichen Klimas, in dem jeder in jedem einen potenziellen Feind sieht; vielmehr soll der Strafschutz das gegenseitige Vertrauen stärken und das soziale Leben von der Angst vor Straftaten entlasten.1028 Hinsichtlich des Betrugs hat sich der BGH mit dem viktimologischen Prinzip auseinandergesetzt und lehnt es ab: „Die viktimologisch motivierten Ansätze zur Einschränkung des Betrugstatbestandes wegen geringerer Schutzbedürftigkeit des zweifelnden Tatopfers finden im Wortlaut des § 263 StGB keine Stütze und nehmen den strafrechtlichen Schutz vor Angriffen auf das Vermögen durch Täuschung unangemessen weit zurück.“1029 Insbesondere im Hinblick auf die hier zu untersuchenden §§ 201 ff. StGB würde die Informationsfreiheit Dritter mit dem viktimologischen Ansatz erheblich erweitert, da ein Eingriff in eine fremde Sphäre einfacher wäre. Jedoch besteht hierfür kein Bedürfnis. „Denn auch wenn die Viktimodogmatiker vom Opfer nur zumutbare und somit nicht allzu schwer erfüllbare Schutzmaßnahmen verlangen, ist die Unterlassung von Übergriffen doch noch wesentlich zumutbarer, so dass bei einer Interessenabwägung der Gesetzgeber sich im Regelfall auf die Seite des Opfers und nicht des Täters stellen sollte.“1030 Dass die viktimodogmatische These in ihrer Generalisierung und Verabsolutierung abzulehnen ist, bedeutet jedoch nicht, dass es nicht auch viktimologisch vorgeprägte Tatbestandsmerkmale gibt wie etwa das Erfordernis besonderer Sicherung in den §§ 202 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 202 a Abs. 1 StGB oder einer besonders gegen Einblick geschützten Räumlichkeit i.S. des § 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB. Zudem darf nicht verkannt werden, dass bei der Bestimmung der Reichweite von Straftatbeständen im Wege der Gesetzesinterpretation auch das Prinzip der Selbstverantwortung des Rechtsgutsträgers eine entscheidende Rolle spielen kann.1031 Zur Verdeutlichung der Probleme, die das viktimodogmatische Prinzip aufwirft, folgendes Beispiel: Besucht ein Patient den Arzt nur unter dem Vorwand der Behandlung einer Erkrankung, die z. B. eigentlich keiner Behandlung bedarf, um die Sprechstundenhilfe zu umwerben, ist der Arzt dennoch zur Geheimhaltung der Erkrankung verpflichtet. Dass eine Behandlung nicht unbedingt notwendig war und der Patient daher nicht zu einer Geheimnisoffenbarung gezwungen war, kann an der Strafbarkeit einer etwaigen Indiskretion des Arztes nichts ändern. Doch selbst wenn ein faktischer Zwang zum Arztbesuch in Form etwa einer behandlungsbedürftigen Verletzung besteht, geht mit der medizinischen Betreuung durch den Arzt nicht zwingend ein Zwang des Patienten zur Geheimnisoffenbarung einher. Für die gezielte Heilbehandlung einer schweren Verbrennung reicht es aus, wenn der Patient 1027 1028 1029 1030 1031
Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, S. 254. S/S/Eisele, Vor. § 13 Rn. 70b; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, S. 254. BGH NStZ 2003, 313. Roxin, Strafrecht, allgemeiner Teil I, 14/21. S/S/Eisele, Vor. § 13 Rn. 70b.
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dem Arzt erklärt, er habe sich beim Schweißen ungeschickt verhalten. Es besteht keine Notwendigkeit, auch zu offenbaren, dass die Schweißarbeiten dazu dienten, den Tresor während eines Einbruchs zu öffnen. Erzählt der Patient dies dennoch, so muss der Arzt auch hierüber grundsätzlich Stillschweigen bewahren.1032 In beiden Fällen hat das Opfer auf einen zumutbaren und ohne weiteres möglichen Selbstschutz verzichtet und wäre nach der viktimologischen Auslegungsmaxime daher nicht schutzwürdig, so dass der Arzt straffrei indiskret sein könnte. Die Befürworter der Viktimodogmatik erklären damit also ein Prinzip zum einschränkenden Tatbestandsmerkmal, das so nicht im Tatbestand verankert ist.1033 Zwar dürfte der in der Regel bestehende faktische Zwang, einen in § 203 StGB genannten Funktionsträger in Anspruch zu nehmen, ein Beweggrund für den Gesetzgeber gewesen sein, den Täterkreis gerade in dieser Weise zu beschränken. Doch ist hierin noch keine zwingende Bestätigung des zweiten dogmatischen Ansatzpunktes des viktimologischen Prinzips zu sehen, wonach der Gesetzgeber dieses bei der Gesetzesausgestaltung als alleiniges Prinzip zur Einhaltung des Subsidiaritätsgrundsatzes verwendet. Denn der Selbstschutzgedanke war hierbei nur ein Motiv unter vielen.1034 d) Persönliche Geheimsphäre des Einzelnen Eine weitere Auffassung sieht den persönlichen Lebens- und Geheimbereich und damit die Privat- und Intimsphäre des Einzelnen als geschützt an.1035 Der Einzelne solle vor der Indiskretion des Berufsgeheimnisträgers geschützt werden, der dazu prädestiniert sei, nicht nur typischerweise mit geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen in Kontakt zu kommen, sondern auch einer erhöhten Gefahr der Indiskretion unterliegt.1036 Soweit § 203 StGB zugleich das Vertrauen in die Verschwiegenheit des Berufsangehörigen stabilisiere, kennzeichne diese Wirkung lediglich die generalpräventive Intention, die hinter jeder Bestrafung stehe.1037 Ein Vertrauensschutz tauge als Rechtsgut auch deshalb nicht, weil es das begrifflich eingrenzbare Angriffsobjekt „privates Geheimnis“ mit einem kollektiven Schutzinteresse über-
1032 Beispiele übernommen von Grabsch, Die Strafbarkeit der Offenbarung höchstpersönlicher Daten des ungeborenen Menschen, S. 37, 38. 1033 Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 65. 1034 Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 69, 72. 1035 RGSt 13, 60, 62; OLG Celle NJW 1962, S. 693; OLG Nürnberg NJW 1958, S. 273; OLG Oldenburg NJW 1992, S. 758 f.; OVG Lüneburg NJW 1997, S. 40; Grabsch, Die Strafbarkeit der Offenbarung höchstpersönlicher Daten des ungeborenen Menschen, S. 46 ff., 49; Hackel, NJW 1969, 2257, 2259; Kapp/Roth, ZRP 2003, 404, 406; Krekeler, NJW 1977, 1417, 1418; nicht ganz eindeutig Kühne, NJW 1977, 1478, 1481; LK/Schünemann, § 203 Rn. 14; NK/Kargl, § 203 Rn. 4. 1036 Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht im Strafrecht, S. 68 ff. 1037 NK/Kargl, § 203 Rn. 4; Eisele, ZIS 2011, 354, 357.
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frachte, das in keiner Beziehung mehr zur Dispositionsbefugnis der Geheimnisbetroffenen stehe.1038 Für das Ärzte-Patienten-Verhältnis wurden divergierende Untergliederungen auf der Grundlage des Schutzguts „allgemeiner Lebens- und Geheimbereich“ vorgenommen. Unterschieden wird zwischen der Willenstheorie, wonach der Wille des Geheimnisinhabers an der Wahrung seiner Privatgeheimnisse durch den Arzt geschützt ist1039, der als veraltet anzusehenden Interessentheorie, die alleine auf das objektiv berechtigte Interesse des Geheimnisinhabers an der Wahrung seines Geheimnisses abstellt1040, und der Vertrauenstheorie, wonach die private, frei gewählte Bindung zwischen Arzt und Patient, ein „typischerweise auf Vertrauen beruhendes Sonderverhältnis“, als unentbehrliche Basis ärztlicher Tätigkeit maßgeblich ist.1041 Nach der Vertrauenstheorie wird vorausgesetzt, dass zwischen Arzt und Patient ein Verhältnis bestehe, welches von einer gewissen Abhängigkeit seitens des Patienten und einer aus der Berufsausbildung erwachsenden Verantwortung des Arztes geprägt sei. Erst vermöge eines solchen gesicherten Sonderverhältnisses, m.a.W. eines besonderen Vertrauensverhältnisses, sei der Patient dazu bereit, private Geheimnisse zu offenbaren. Hinsichtlich dieses Vertrauensverhältnisses bestehen jedoch Bedenken: Es ist bereits vom Gesetzeswortlaut her nicht zwingend ein Vertrauensverhältnis gefordert, weil seit dem Dritten Strafrechtsänderungsgesetz vom 4. August 1953 nicht mehr nur „anvertraute“ Geheimnisse, sondern auch sonst bekannt gewordene Tatsachen vor unbefugter Offenbarung geschützt werden.1042 Es ist also kein Akt des Anvertrauens durch den Geheimnisgeschützten mehr vonnöten, um die Bindung an die Schweigepflicht zu begründen. Doch auch rein faktisch ist es zweifelhaft, ob etwa der Patient die Dienste des Arztes aufgrund eines Vertrauensverhältnisses in Anspruch nimmt oder nicht vielmehr deswegen, weil er zur Linderung eines körperlichen Übels oder zu präventiven Zwecken hierauf angewiesen ist. So könnte man sagen, dass der Patient den Arzt nicht auf Basis eines Vertrauensverhältnisses konsultiert, sondern weil er ihn aus gesundheitlichen Gründen
1038
NK/Kargl, § 203 Rn. 4. Der Patient begebe sich zum Arzt, weil er zur Bekämpfung des drohenden Übels hierauf angewiesen sei; der Mensch wolle seine Geheimnisse für sich behalten, könne dies aber wegen der gesundheitlichen Zwangslage nicht. Stattdessen sei dann der Wille des Patienten hinsichtlich der Wahrung seines Geheimnisses maßgeblich, vgl. Sauter, Das Berufsgeheimnis und sein strafrechtlicher Schutz, S. 37 f. 1040 Folglich sei nicht der Wille des Patienten, sondern ein sachliches Interesse maßgeblich, weil die Willkür oder Laune des Patienten keinen strafrechtlich relevanten Geheimnischarakter begründen könne, vgl. Mittermaier, ZStW 21 (1901), 197, 203, 205. 1041 Dementsprechend sei das Interesse des Patienten daran, dass sein Vertrauen in die Verschwiegenheit des Arztes nicht enttäuscht werde, das von § 203 StGB geschützte Rechtsgut, vgl. OLG Karlsruhe NJW 1984, 676; siehe hierzu auch die Nachweise bei Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht im Strafrecht, S. 69, Fn. 202. 1042 BGBl. 1 1953, S. 735 ff. 1039
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konsultieren muss.1043 Ein Vertrauen des Patienten in die Verschwiegenheit des Arztes ist Folge, nicht aber Grund des Strafschutzes durch § 203 StGB. Die Bedenken, ob ein Sonderverhältnis zwischen Arzt und Patient überhaupt besteht, gelten auch und gerade für die anderen im Täterkatalog des § 203 StGB aufgezählten Berufskreise.1044 An einem besonderen Vertrauensverhältnis fehlt es grundsätzlich bei einem Amtsarzt, Truppenarzt, Anstaltsarzt und -psychologen, Betriebsarzt und -psychologen, gerichtlich bestellten Sachverständigen, Mitgliedern oder Beauftragten einer Beratungsstelle i.S. der Nr. 4a, dem an die Unfallstelle gerufenen Notarzt und dem „Zwangsverteidiger“.1045 Insgesamt ist es also nicht zweckführend, die für das Arzt-Patienten-Verhältnis entwickelten Vertrauens- oder Interessentheorien für die übrigen Berufsgruppen fruchtbar zu machen. Als Schutzgedanke aussichtsreich für die Anwendung auf das typische Verhältnis einer Privatperson zu den weiteren Tätergruppen des § 203 StGB erscheint zunächst die Willenstheorie. Diesem Ansatz liegt die Überlegung zugrunde, dass der Patient private Geheimnisse nur deswegen mit dem Arzt teilt, weil ein faktischer Zwang1046 aufgrund gesundheitlicher Beschwerden besteht. Der Patient möchte die Geheimnisse nicht offenbaren, ist jedoch hierzu gezwungen, weil diese Erkenntnisse für die Tätigkeit des Arztes und deren Erfolg unerlässlich sind. Mit der Geheimnisoffenbarung wirkt der Patient aber entscheidend an der eigenen Heilbehandlung mit und ist daher für die Herbeiführung des von ihm bezweckten Erfolges (der Genesung) mitverantwortlich. Diese Situation ist vergleichbar mit der des Mandanten, dessen familien- oder erbrechtlichen Ansprüche durch den Anwalt nur unter Offenbarung der familiären Situation wirksam geltend gemacht werden können; auch der Drogenabhängige kann seine Sucht nur zielgerichtet bekämpfen, wenn er private Geheimnisse mit dem Berater für Suchtfragen i.S. des § 203 Abs. 1 Nr. 4 StGB teilt. An die Stelle des grundsätzlichen Willens, private Geheimnisse nur mit ausgesuchten Personen zu teilen, tritt wegen des faktischen Zwangs der Wille, die eingeweihte Person i.S. des § 203 StGB möge über das Geheimnis Stillschweigen bewahren. Dieses vom Diskretionswillen des Geheimnisträgers geprägte Verhältnis einer engen Zusammenarbeit zur Erreichung eines von ihm bestimmten Ziels (typischerweise unter Offenbarung eines privaten Geheimnisses) ist auf die Inanspruchnahme aller in § 203 StGB genannten Funktionsträger übertragbar. Gleichwohl ist die Annahme eines rein willensbasierten Schutzgutes dogmatisch nicht unproblematisch. So äußerte sich bereits vor über einem Jahrhundert Sandheim1047 kritisch: „Im Grunde genommen ist der Wille (…) ein subjektives Moment, das lediglich für die Be1043
Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht im Strafrecht, S. 98. NK/Kargl, § 203 Rn. 3. 1045 LK/Jähnke, § 203 Rn. 17 in der 10. Auflage. 1046 Insofern besteht nicht der Wille, ein Geheimnis mit einem Funktionsträger zu teilen, sondern der Wille, über dieses Geheimnis möge Stillschweigen bewahrt werden. 1047 Sandheim, Die unbefugte Offenbarung von Privatgeheimnissen nach § 300 St.G.B., S. 10. 1044
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griffsbestimmung des Geheimnisses im engeren Sinne in Betracht kommen könnte. Das Interesse und der Wille sind die (psychologischen) Motive für die Äußerung einer Willensbetätigung (…). Rein subjektive Momente (…) können aber nicht den Anspruch auf Rechtsschutz erheben“. Bergfeld1048 führt dazu aus, die Frage des Willens sei für die Rechtsgutsbestimmung nicht von Bedeutung; wichtig sei nur, dass „dieses Rechtsgut den Persönlichkeitsrechten angehört“. Im Ergebnis stellt die individualistische Willenstheorie einen Teilaspekt des informationellen Selbstbestimmungsrechts dar. e) Geheimsphäre des Einzelnen und Vertrauen in bestimmte Berufsgruppen (dualistische Auffassung) Eine vermittelnde Ansicht sieht primär das Individualinteresse des Einzelnen, sekundär das Vertrauen der Allgemeinheit in die Integrität der genannten Berufsgruppen als geschützt an.1049 § 203 StGB solle einen Tabubereich schützen, in dem sich der Geheimnisträger ohne Vorbehalt öffnen darf.1050 Es sei hilfreich, neben dem vorrangigen Schutz der individuellen Geheimsphäre das Allgemeininteresse an der Verschwiegenheit bestimmter Berufsgruppen als mittelbar geschütztes Rechtsgut des § 203 Abs. 1 StGB anzuerkennen. Dadurch könne bei der Tatbestandsauslegung entsprechend der ratio legis auf die besondere soziale Bedeutung der erfassten Berufsgruppen und auf die Zwangssituation des anvertrauenden Rechtsgutsinhabers Bezug genommen werden.1051 Anlässlich der schriftlichen Niederlegung von Erkenntnissen, die der Arzt während der Behandlung über den Gesundheitszustand des Patienten gewann, formulierte das BVerfG die dualistische Schutzrichtung des § 203 StGB wie folgt: „Dabei kommt es nicht darauf an, ob derartige Aufzeichnungen Krankheiten, Leiden oder Beschwerden verraten, deren Offenbarung den Betroffenen mit dem Verdacht einer Straftat belastet, ihm in anderer Hinsicht peinlich oder seiner sozialen Geltung abträglich ist. Vielmehr verdient ganz allgemein der Wille des Einzelnen Achtung, so höchstpersönliche Dinge wie die Beurteilung seines Gesundheitszustandes durch einen Arzt vor fremdem Einblick zu bewahren. Wer sich in ärztliche Behandlung 1048 Bergfeld, Die Verletzung fremder Geheimnisse nach geltendem Recht und den neuen Gesetzesentwürfen, S. 18 f. 1049 BVerfGE 32, 378, 380; BGHZ 115, 123, 125; BGHZ 122, 115, 117; BGH NJW 1992, 765; BGH JR 96, 27; BayObLG NJW 1987, 1493; OLG Hamburg NJW 1962, 691; OLG Odenburg NJW 1992, 758; LG Karlsruhe, NJW-RR 2002, 407; Bongen/Kremer, NJW 1990, 2911; S/S/W/Bosch, § 203 Rn. 1; MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 5; Grömig, NJW 1970, 1209, 1210; Henssler, NJW 1994, 1817, 1819 f.; Kreuzer, NJW 1975, 2232, 2233; ders., StV 1983, 144; L/Kühl, § 203 Rn. 1; Peglau, Der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch das Strafrecht, S. 34; Dölling/Duttke/Rössner/Tag, § 203 Rn. 4 und 5; Bockelmann, Strafrecht des Arztes, S. 34. 1050 BGH NJW 1993, 1638; Dölling/Duttke/Rössner/Tag, § 203 Rn. 5. 1051 S/S/W/Bosch, § 203 Rn. 1.
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begibt, muss und darf erwarten, dass alles, was der Arzt im Rahmen seiner Berufsausübung über seine gesundheitliche Verfassung erfährt, geheim bleibt und nicht zur Kenntnis Unberufener gelangt. Nur so kann zwischen Patient und Arzt jenes Vertrauen entstehen, das zu den Grundvoraussetzungen ärztlichen Wirkens zählt, weil es die Chancen der Heilung vergrößert und damit – im ganzen gesehen – der Aufrechterhaltung einer leistungsfähigen Gesundheitsfürsorge dient.“1052 Das BVerfG stellt hierbei weniger auf ein aus dem etwaigen Abhängigkeitsverhältnis des Patienten gegenüber dem Arzt bzw. auf ein aus dessen Sozialwert überindividuellen Charakters resultierendes Sonderverhältnis ab, sondern vielmehr auf den Geheimhaltungswillen des Einzelnen und die Aufrechterhaltung einer leistungsfähigen Gesundheitsfürsorge. Diese beiden Elemente sind im Gegensatz zum Sonderverhältnis zwischen Arzt und Patient auf andere Berufsgruppen übertragbar: Der Wille des Einzelnen, über ein offenbartes Geheimnis möge Stillschweigen bewahrt werden, kann gegenüber jedem Angehörigen der in § 203 StGB aufgeführten Berufsgruppen bestehen. Ebenso ist es notwendig, dass jeder der genannten Funktionsträger diesen Willen beachtet und respektiert, da nur so das Vertrauen der Allgemeinheit und damit das Funktionieren der entsprechenden Stellen gewährleistet ist. So ist es durchaus nachvollziehbar, dass zur Gewährleistung eines vertraulichen Verhältnisses des Mandanten zu seinem Anwalt auch die Sekretärin in die Schweigepflicht einzubeziehen ist (Abs. 3), weil die Allgemeinheit nur dann auf die diskrete Behandlung privater Mandantengeheimnisse durch den Rechtsanwalt vertraut, wenn alle typischerweise mit dem Privatgeheimnis in Kontakt kommenden Mitarbeiter der entsprechenden Sozietät gleichermaßen der Verschwiegenheitspflicht unterliegen. Die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Mandant und Rechtsanwalt und damit das Funktionieren eines effektiven Rechtsbeistands würden umgekehrt im Kern erschüttert, wenn die oftmals eng in die anwaltliche Arbeit einbezogene Sekretärin die dabei erfahrenen Mandantengeheimnisse straflos offenbaren dürfte. Selbiges gilt für die Zusammenarbeit der Bürger mit einer der Institutionen, deren Angehörige in § 203 Abs. 1 Nr. 1 – 6 StGB aufgezählt sind.
f) Stellungnahme Eine Betrachtung der weiter zurückreichenden Normentwicklung spricht zunächst für einen reinen Individualschutz der Geheimnisoffenbarung: Im Gemeinen Recht überwog die lange fortwirkende Auffassung des Delikts als Injurie, die man damals mit der Beleidigung identifizierte.1053 Somit zeigt sich, dass die (von jedermann begangene) Geheimnisverletzung als Persönlichkeitsverletzung gewertet wurde und der Schutz von Allgemeininteressen nie beabsichtigt war. Bei der Entstehung des 15. Abschnitts des StGB ist „von den Artikeln 1 und 2 GG“ ausgegangen 1052 1053
BVerfGE 32, 373, 380. Rogall, NStZ 1983, 1, 2.
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C. Umsetzung durch den Gesetzgeber
worden, die die freie Entfaltung der Persönlichkeit des Einzelnen gewährleisten sollen und alle staatliche Gewalt dazu verpflichten, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen; nur wenn dem Einzelnen ein freier Raum vor der Gemeinschaft und dem Staat sowie vor den anderen Einzelnen verbleibe, sei überhaupt eine Entwicklung zu einer Persönlichkeit möglich.1054 Hervorgehoben wird also der Individualschutz. Der Gesetzgeber intendierte 1973 in bewusster Abkehr von der Pervertierung des Rechts und der Negierung der Individualität des Einzelnen unter dem nationalsozialistischen Regime einen intensiven Schutz von Individualinteressen, um die besondere Bedeutung einer freien Persönlichkeitsentfaltung in einem freiheitlichen Rechtsstaat zu verdeutlichen.1055 So deutet der Wille des Gesetzgebers zwar auf einen allein individualgerichteten Schutzzweck des § 203 StGB hin. Doch erscheint es zumindest fraglich, ob der Wille des historischen Gesetzgebers, wie er vor über 40 Jahren und unter dem Eindruck der Nazizeit bestand, heute noch zur Interpretation des Schutzgutes herangezogen werden kann bzw. sollte, so dass ihm lediglich indizielle Bedeutung zukommt. Erst recht muss dies für die weitaus länger zurückliegende Normentwicklung gelten. In systematischer Hinsicht dient der 15. Abschnitt des StGB dem Schutz des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs und damit dem Individualrechtsgüterschutz, wofür ebenfalls die Nachbarschaft zu den Beleidigungsdelikten des 14. Abschnitts und zu den Tötungsdelikten des 16. Abschnitts spricht, die allesamt unstreitig Individualschutz bezwecken. Für § 203 StGB müsste sich also aus seiner Verortung im 15. Abschnitt des StGB, aus seiner amtlichen Überschrift und der Überschrift des ihn enthaltenden Abschnitts in systematischer Hinsicht ebenfalls ein Individualrechtsgüterschutz ergeben.1056 Ginge es um den Schutz des Vertrauens der Allgemeinheit in die Funktionsfähigkeit bestimmter Berufsgruppen, wäre eine Verortung im 7. Abschnitt und die Bezeichnung „Verletzung von Berufsgeheimnissen“ konsequent gewesen.1057 Für die individualistische Sichtweise des Normzwecks von § 203 StGB könnte zudem der für das System der Kollektivrechtsgüterverletzungen zu gering angesetzte Strafrahmen von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe sprechen.1058 Die Strafdrohung etwa der §§ 94 ff. StGB oder §§ 353b ff. StGB, wonach (im Detail umstrittene, jedenfalls aber) kollektive Interessen geschützt werden1059, reicht in besonders schweren Fällen bis hin zu lebenslanger Freiheitsstrafe (§ 94 Abs. 2 StGB). Das Strafmaß kann allerdings nur tendenziell Rückschlüsse auf den Rang des geschützten Rechtsguts liefern, besagt aber nichts darüber, ob das Rechtsgut dem Individuum oder der Allgemeinheit zugeordnet ist. So wird die Verletzung von Individualrechtsgütern nicht grundsätzlich mit einer geringeren 1054
BT-Drucks. 7/550, S. 235, ausführliches Zitat unter B. Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht im Strafrecht, S. 75. 1056 Vgl. LK/Schünemann, § 203 Rn. 15. 1057 Kreuzer, NJW 1975, 2232, 2233; Rogall, NStZ 1983, 1, 4; Schünemann, ZStW 90 (1978), 11, 56. 1058 OLG Hamburg NJW 1962, 691; SK/Hoyer, § 203 Rn. 3. 1059 Vgl. S/S/Sternberg-Lieben, § 94 Rn. 1; MüKo-StGB/Graf, § 353b Rn. 2 f. 1055
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Strafe sanktioniert als diejenige von Allgemein- oder Staatsinteressen, da auch die Schutzbedürftigkeit der jeweiligen Güter und sonstige kriminalpolitische Aspekte für die Ausgestaltung des Strafrahmens maßgeblich sind.1060 Als systematisch relevantes Argument für ein individualschutzbezogenes Verständnis von § 203 StGB ist jedoch die von Theuner1061 dargestellte Wechselwirkung zwischen § 203 Abs. 2 StGB und § 353b StGB zu sehen: Letztere Norm regelt die Sanktionierung einer Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht. Dabei handelt es sich um eine allgemeinschützende Norm, da sie explizit die Gefährdung eines öffentlichen Interesses fordert, das durch die unbefugte Offenbarung eines (ggfs. auch Privat1062-) Geheimnisses verletzt wird, welches dem Täter als Amtsträger, für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten oder als Person, die Aufgaben oder Befugnisse nach dem Personalvertretungsrecht wahrnimmt, anvertraut oder sonst bekannt geworden ist. Ein öffentliches Interesse wird dagegen bei § 203 Abs. 2 S. 1 StGB vom Gesetz gerade nicht gefordert. Wäre § 203 Abs. 2 S. 1 StGB ebenfalls allgemeinschützend, wäre die Norm bezogen auf den mit § 353b Abs. 1 StGB übereinstimmenden Täterkreis überflüssig, da derselbe Regelungsgehalt bereits von § 353b StGB erfasst ist. Insgesamt sprechen systematische Erwägungen jedenfalls für einen Individualrechtsgüterschutz durch § 203 StGB.1063 Tatgegenstand ist ein fremdes Geheimnis, also eine personenbezogene Information, die nur einem einzelnen oder einem beschränkten Personenkreis bekannt ist und an deren Geheimhaltung ein schutzwürdiges Interesse des Betroffenen besteht.1064 Eine doppelte Angriffsrichtung in dem Sinne, dass der Täter nicht nur die Sphäre des Betroffenen, sondern auch der Allgemeinheit angreift, müsste grundsätzlich dem Normtext entnommen werden können. So sind etwa von § 164 StGB nach h.M. zwei Rechtsgüter geschützt: die Funktionsfähigkeit der innerstaatlichen Rechtspflege sowie der Einzelne, der nicht das Opfer ungerechtfertigter staatlicher Maßnahmen werden soll.1065 Beide Schutzrichtungen finden eine Stütze in den im Normtext des § 164 Abs. 1 und Abs. 2 StGB beschriebenen Angriffsrichtungen; einerseits muss der Täter „einen anderen“ verdächtigen, andererseits muss er die Absicht haben, „ein behördliches Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen 1060 Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 13/20; Bär, Die Schweigepflicht des Rechtsanwalts im Rahmen der Verteidigung eines von Mehreren Beschuldigten aus Straf- und Standesrechtlicher Sicht, S. 31; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht im Strafrecht, S. 77 m.w.N. in Fn. 231. 1061 Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht im Strafrecht, S. 77 f. 1062 BGH 48, 129; Grabsch, Die Strafbarkeit der Offenbarung höchstpersönlicher Daten des ungeborenen Menschen, S. 42; S/S/Perron, § 353b Rn. 5. 1063 So auch Bär, Die Schweigepflicht des Rechtsanwalts im Rahmen der Verteidigung eines von Mehreren Beschuldigten aus Straf- und Standesrechtlicher Sicht, S. 32; Kreuzer, NJW 1975, 2232, 2233; Schünemann, ZStW 90 (1978), 11, 55 f.; Rogall, NStZ 1983, 1, 4; Schmitz, JA 1996, 772. 1064 S/S/Lenckner/Eisele, § 203 Rn. 5. 1065 H.M., vgl. BGH 5 68, 9 242, 14 244, 18 333, Bay NJW 1986, 441; MüKo-StGB/Zopfs, § 164 Rn. 2; S/S/Lenckner/Bosch, § 164 Rn. 1a, 2.
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C. Umsetzung durch den Gesetzgeber
gegen ihn herbeizuführen oder fortdauern zu lassen“. Es kann also dem Gesetzestext entnommen werden, dass der Täter einerseits den Einzelnen in Gefahr bringt, zu Unrecht durch ein behördliches Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen belastet zu werden, andererseits staatliche Behörden dazu bringt, grundlos tätig werden, so dass sie ihren eigentlichen Aufgaben nicht nachgehen können. Eine vergleichbare doppelte Angriffsrichtung ist jedoch aus dem Normtext des § 203 StGB nicht herauszulesen, in dem lediglich von einem „Offenbaren“ die Rede ist. Die Angriffsrichtung deutet demnach auf einen reinen Individualschutz hin. Zwar wäre es denkbar, dass dieser Individualschutz durch Besonderheiten der „Angriffsart“ von einem Allgemeinschutz überlagert wird.1066 Doch liefert der Tatbestand des § 203 StGB auch hierfür keine Anhaltspunkte. Die Eigenschaft des § 203 StGB als echtes Sonderdelikt wird zur Begründung sowohl für einen rein individualbezogenen als auch für eine rein allgemeinbezogenen Schutzzweck angeführt. Schünemann1067, ein Vertreter der rein individualistischen Ansicht, versucht, die Begrenzung des Täterkreises mit dem viktimologischen Prinzip zu erklären.1068 Ob die Begrenzung des Täterkreises überhaupt und die Erfassung gerade der im Täterkatalog aufgezählten Berufsgruppen mit der Viktimodogmatik zu begründen ist, erscheint jedoch wie gezeigt sehr problematisch. Umgekehrt wird aus dem Vorhandensein des Täterkatalogs des § 203 StGB geschlossen, beabsichtigt sei zumindest auch der Schutz des allgemeinen Vertrauens in die Verschwiegenheit bestimmter Berufe. Wenn der Einzelne befürchten muss, dass seine privaten Daten bei der Zusammenarbeit mit einem der in § 203 StGB aufgezählten Funktionsträger nicht vertraulich behandelt werden, wird er sich nach Möglichkeit nicht öffnen. Dies aber hindert die genannten Berufsgruppen, die auf eine Geheimnisoffenbarung angewiesen sind, an einer effektiven Erfüllung ihrer Aufgaben, so dass auch vom Schutz des Vertrauens in die Funktionsfähigkeit bestimmter Berufe die Rede ist. Eine im Allgemeininteresse stehende und schützenswerte Aufgabe kommt aber auch anderen Berufsgruppen zu, die gleichermaßen auf private Angaben des Einzelnen angewiesen sind, um ihre im allgemeinen Interesse liegende Funktion zu erfüllen. In Betracht kommen hier neben alternativen Heilpraktikern auch Prozessagenten1069 oder Psychotherapeuten ohne staatlich an1066
Vgl. hierzu Maurach/Zipf, Strafrecht – Allgemeiner Teil, S. 282; zur Verdeutlichung folgendes Beispiel: Die Zerstörung eines vorübergehend ausgestellten fremden Kunstgegenstandes ist zunächst gegen das Eigentum, also gegen ein Individualrechtsgut gerichtet. Eine Strafbarkeit nach § 304 StGB wird aber erst durch den Umstand der Tatausführung (Zerstörung der Sache in einer Ausstellung) begründet, weil dieser nicht das Eigentum, sondern das Interesse der Allgemeinheit an der Erhaltung bestimmter Kulturgüter schützt (S/S/Stree/Hecker, § 304 Rn. 1). 1067 LK/Schünemann, § 203 Rn. 14 ff., insb. 16, 17. 1068 Ausführlich Schünemann, ZStW 90 (1978), 11, 32 f., 56 f. 1069 Prozessagent war bis zur Gesetzesneuregelung 2008 die Bezeichnung für einen qualifizierten Rechtsbeistand, der neben der Erlaubnis zur außergerichtlichen Rechtsbesorgung
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erkannte Abschlussprüfung. Dass diese Berufsgruppen nicht das „Prädikat der Verschwiegenheitspflicht“1070 erhalten haben, ist nicht etwa darauf zurückzuführen, dass ihnen keine allgemeinnützliche Bedeutung zukäme oder kein Vertrauen in der Bevölkerung entgegengebracht würde, sondern darauf, dass sie nicht wie die erfassten Berufe „sozial bedeutsam erscheinen“ und ihnen nicht „kraft ihrer Ausbildung, ihres Standesrechtes oder aus anderen Gründen die Erfüllung gesteigerter Pflichten, nämlich strafrechtlich abgesicherter Geheimhaltungspflichten, zugemutet werden kann.“1071 Der Gesetzgeber nahm damals offenbar an, dass diese Berufsgruppen mangels staatlicher Kontrolle und ständischer Organisation nicht so vertrauenswürdig sind wie die in § 203 Abs. 1 StGB Genannten. Auch wenn Zweifel bestehen bleiben: Das Vertrauen in die Verschwiegenheit oder Funktionsfähigkeit bestimmter Berufsgruppen vermag die in § 203 StGB vorgenommene Ausgestaltung des Täterkreises besser zu erklären, als eine rein individualistische Auffassung. Aus dem Sonderdeliktscharakter lassen sich jedoch auch keine zwingenden Rückschlüsse hinsichtlich des Schutzgutes von § 203 StGB ziehen. Mglw. hilft die Betrachtung der Dispositionsbefugnis des Geheimnisträgers weiter. Diese Befugnis ergibt sich einerseits aus dem Tatbestandsmerkmal „unbefugt“, andererseits aus der Ausgestaltung des § 203 StGB als absolutes Antragsdelikt i.S. des § 205 Abs. 1 StGB. Aus ihr werden Argumente sowohl für einen Individualals auch für einen Allgemeinschutz abgeleitet. Die Zustimmung des Geheimnisgeschützten zur Offenbarung wirkt sich entweder (wegen der fehlenden Geheimniseigenschaft der Tatsache oder einer Doppelfunktion des Merkmals „unbefugt“) als tatbestandsausschließendes Einverständnis1072 oder als rechtfertigende Einwilligung1073 aus. Unabhängig von der Entscheidung dieses Meinungsstreits setzt eine solche Zustimmung als Rechtsschutzverzicht voraus, dass der Einwilligende Inhaber des geschützten Rechtsguts und damit dispositionsbefugt ist. Dass dem Bürger die alleinige Dispositionsbefugnis über Universalrechtsgüter zustehen sollte, ist jedoch nicht nachvollziehbar. Dies muss dann jedoch auch für die vermittelnden Ansichten gelten, die einen Kollektivschutz als zusätzliche Zweckbestimmung (gleich welchen Ranges im Verhältnis zum Individualschutz) annehauch die Erlaubnis zur mündlichen Verhandlung vor Gericht erhalten hatte, § 157 Abs. 3 ZPO a.F. 1070 Verstanden als eine Art staatliche Anerkennung oder sogar Empfehlung und damit Aufwertung solcher Berufe, die eine Alternative zu staatlich geprüften Institutionen der Rechtsund Gesundheitspflege darstellen, vgl. dazu E 1962, S. 334, 335; BT-Drucks. 7/550, S. 238; Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 74; Grabsch, Die Strafbarkeit der Offenbarung höchstpersönlicher Daten des ungeborenen Menschen, S. 40. 1071 Ministerialrat v. Bülow, SA-Berat. VII, S. 176. 1072 OLG Köln NJW 1962, 686, dazu Bindokat, NJW 1962, 686 f.; MüKo-StGB/Cierniak/ Pohlit, § 203 Rn. 54; Jakobs, JR 1982, 359; NK/Kargl, § 203 Rn. 50; S/S/Lenckner/Eisele, § 203 Rn. 21. 1073 OLG Bremen MedR 1984, 112; OLG Köln NJW 2000, 3657; L/Kühl, Vor § 201 Rn. 2; LK/Schünemann, § 203 Rn. 119.
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men: Sobald dem Allgemeinschutz Rechtsgutscharakter zugesprochen wird, besteht grundsätzlich keine Verfügungsbefugnis des Einzelnen. Erst recht muss dies gelten, wenn man mit einem Teil der Literatur die Zustimmung als tatbestandsausschließendes Einverständnis wertet: Kann der Geheimnisträger durch Zustimmung zur Offenbarung bereits die Tatbestandsverwirklichung ausschließen, hängt es vom Willen des Einzelnen ab, ob ein strafrechtlich relevantes Geheimnis und damit eine strafbare Geheimnisoffenbarung vorliegt. Dass dies mit der Annahme eines Kollektivrechtsgüterschutzes unvereinbar ist, folgt aus dem Umstand, dass mehrere Inhaber desselben Rechtsguts nur kumulativ, nicht aber alternativ über dessen Preisgabe bestimmen können.1074 Zunächst spricht die Dispositionsbefugnis des Geheimnisträgers also für einen von § 203 StGB bezweckten Individualschutz. Wandelt man jedoch als Vertreter der institutionellen Gemeinschaftsschutzlehre das Rechtsgutsparadigma dahingehend ab, dass die Allgemeinheit lediglich an der Aufrechterhaltung der spezifischen Vertrauensbeziehung zwischen Geheimnisträger und in § 203 StGB genanntem Funktionsträger interessiert sei, kann in der Dispositionsbefugnis des Einzelnen auch ein Argument für einen Kollektivrechtsgüterschutz gesehen werden: Wenn der Einzelne seine Zustimmung zur Offenbarung eines Geheimnisses gibt, liege erst gar keine Rechtsgutsverletzung vor, weil nur das Vertrauen der Allgemeinheit in die Diskretion der Funktionsträger bezüglich solcher Geheimnisse geschützt sei, die nach dem Willen des Geheimnisträgers nicht offenbart werden sollen. Die Allgemeinheit sei also nicht an der Wahrung eines Geheimnisses interessiert, mit dessen Preisgabe der Einzelne ohnehin einverstanden ist, womit das Individuum zum Sachwalter des Vertrauensschutzes im Interesse der Allgemeinheit wird.1075 Insgesamt vermag aus der Dispositionsbefugnis des Geheimnisträgers nicht zwingend ein Individualrechtsgüterschutz abgeleitet zu werden, zumal der Argumentation – § 203 StGB ist eine individualschützende Norm, weil eine Dispositionsbefugnis besteht – ein gewisser Zirkelschluss nicht abgesprochen werden kann.1076 Was das Strafantragserfordernis des § 205 Abs. 1 StGB betrifft, so ist zu differenzieren. Zunächst wird geregelt, dass die Verletzung von Privatgeheimnissen nach § 203 StGB nur auf Antrag des durch die Straftat Verletzten (§ 77 Abs. 1 StGB) verfolgt wird. Als Verletzter ist derjenige antragsberechtigt, der Rechtsgutsinhaber ist und durch die Tatbestandsverwirklichung unmittelbar in dem betroffenen Schutzgut verletzt wurde, bei § 203 StGB mithin der Geheimnisgeschützte.1077 Ein 1074 BT-Drucks 7/550, S. 236; Schmitz, JA 1996, 772; Grabsch, Die Strafbarkeit der Offenbarung höchstpersönlicher Daten des ungeborenen Menschen, S. 28 ff., 34 ff. 1075 Sauter, Das Berufsgeheimnis und sein strafrechtlicher Schutz, S. 27; Schmidt, NJW 1962, 1745, 1747; S/S/Lenckner, § 203 Rn. 22 in der 27. Auflage. 1076 So auch MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 4. 1077 RGSt 1, 370, 371; Grabsch, Die Strafbarkeit der Offenbarung höchstpersönlicher Daten des ungeborenen Menschen, S. 34, Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht im Strafrecht, S. 79.
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Antragserfordernis1078 ist dann legitim, wenn mit der Strafverfolgung ex officio mehr Nachteile als Vorteile verbunden wären, wenn also das von einer Strafnorm geschützte Interesse des Geschädigten bei Initiierung der Strafverfolgung intensiver verletzt würde als durch die Straftat selbst. Ist etwa die Indiskretion eines Arztes Gegenstand einer Gerichtsverhandlung, so wäre aufgrund des Öffentlichkeitsgrundsatzes eine noch umfassendere Verbreitung des Geheimnisses, ggfs. gegen den Willen des Geheimnisträgers, die Folge. Auch bei Beachtung der §§ 171b, 172 Nr. 2, 3 GVG würde das bereits durch die Straftat des Arztes offenbarte Geheimnis vor einer (fast) unbeschränkten Öffentlichkeit, jedenfalls aber vor der Gerichtsöffentlichkeit erneut offenkundig gemacht und die Verletzung von Privatgeheimnissen dadurch perpetuiert werden.1079 Diese Dysfunktion der Strafverfolgung kann und soll, wie bei § 203 StGB i.V.m. § 205 Abs. 1 StGB geschehen, durch Ausgestaltung der Strafnorm als absolutes Antragsdelikt verhindert werden. Die Antragsbefugnis liegt allein beim Geschädigten und setzt wie die oben angesprochene Zustimmungsberechtigung die Dispositionsbefugnis des Betroffenen voraus. Wäre mit § 203 StGB ein alleiniger Kollektivrechtsgüterschutz bezweckt gewesen, wäre eine Ausgestaltung als Offizialdelikt, bei Annahme eines doppelten Schutzzwecks zumindest als relatives Antragsdelikt konsequent gewesen. Es handelt sich jedoch bei § 203 StGB um ein absolutes Antragsdelikt, was für einen monistischen Individualrechtsgüterschutz spricht.1080 Es wird versucht, das Antragserfordernis mit folgender Begründung mit der vermittelnden Ansicht vom doppelten Schutzzweck der Norm in Einklang bringen: Das allgemeine Vertrauen in die Verschwiegenheit bestimmter Berufsgruppen sei nicht tangiert, wenn der betroffene Geheimnisträger keinen Strafantrag stelle, weil er dadurch nachträglich sein Einverständnis zum Ausdruck bringe, also ex post eine Heilung der Vertrauensverletzung eintrete.1081 Diese Argumentation erscheint jedoch sehr zweifelhaft, da die Unterlassung der Strafantragstellung einer Einwilligung in die Tat nicht gleichkommen kann: Es sind zahlreiche plausible Gründe denkbar, aus denen der Geschädigte von einem Strafantrag absieht; denkbar ist, dass das Opfer Angst vor dem Täter hat oder dieser ihm das Antragsrecht „abgekauft“ hat.1082 Die 1078 Unterschieden wird grundsätzlich zwischen einem relativen Antragsdelikt, das die Einleitung der Strafverfolgung nach Antrag des Rechtsgutsträgers oder bei Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung von Amts wegen vorsieht (z. B. § 238 Abs. 1, Abs. 4 StGB), und einem absoluten Antragsdelikt, bei dem die Entscheidung über die Strafverfolgung allein beim Verletzten liegt (z. B. § 123 Abs. 2 StGB). Damit stellen letztere eine Ausnahme vom Offizialprinzip, also dem Grundsatz der Strafverfolgung von Amts wegen, dar. 1079 Ähnlich bereits Schünemann, ZStW 90 (1978), 11, 44 f. 1080 I. E. auch BGHZ 115, 123, 125; Grabsch, Die Strafbarkeit der Offenbarung höchstpersönlicher Daten des ungeborenen Menschen, 34; Kreuzer, NJW 1975, 2232, 2233. 1081 Schmidt, NJW 1962, 1747; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht im Strafrecht, S. 80 f. 1082 Grabsch, Die Strafbarkeit der Offenbarung höchstpersönlicher Daten des ungeborenen Menschen, 35.
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C. Umsetzung durch den Gesetzgeber
Unterlassung der Strafanzeige bringt also nicht notwendig eine Genehmigung der Tat zum Ausdruck. Entscheidend gegen die Vereinbarkeit der Antragsbefugnis mit einem auch nur mittelbar geschützten Kollektivinteresse spricht aber, dass das Konstrukt der nachträglichen Genehmigung einer Straftat durch den Verletzten dem deutschen Strafrecht fremd ist; so kann das durch den Täter realisierte Unrecht nicht dadurch beseitigt werden, dass eine vor der Rechtsgutsverletzung einzuholende Zustimmung des Rechtsgutsinhabers nachträglich eingeholt wird; erst recht nicht durch die Unterlassung eines Strafantrags.1083 Diente § 203 StGB auch dem Allgemeinschutz, so wäre er als Offizialdelikt ausgestaltet worden. Somit spricht insbesondere die Ausgestaltung des § 203 StGB als absolutes Antragsdelikt zugunsten der individualistischen Rechtsgutstheorie.1084 Festzuhalten bleibt damit, dass sowohl die Entstehungsgeschichte des § 203 StGB als auch dessen systematische Stellung im 15. Abschnitt des StGB auf einen Individualrechtsgüterschutz hindeuten. Entscheidend für die Festlegung auf einen ausschließlich individualbezogenen Schutzzweck spricht aber die Dispositionsbefugnis und das Strafantragsrecht des Opfers, welche für eine einzelne verletzte Person bei Annahme eines mitgeschützten Allgemeininteresses nicht bestehen dürften. Die im Tatbestand beschriebene Angriffsrichtung bestätigt diese Einschätzung ebenso wie die Gegenüberstellung des § 203 Abs. 2 StGB mit § 353b StGB. Das Hauptargument, das auf ein zumindest mitgeschütztes Allgemeininteresse schließen lassen soll, trägt nicht: Der Sonderdeliktscharakter des § 203 StGB kann aufgrund der Divergenz der genannten Tätergruppen kaum für die Entscheidung herangezogen werden, dass das Delikt allein oder überwiegend allgemeinschützend sein soll; insoweit lässt sich nicht feststellen, aus welchen Gründen und nach welchen Kriterien genau die in § 203 StGB aufgeführten Funktionsträger erfasst sind. Damit ergibt sich für die nähere Rechtsgutsbestimmung zunächst, dass § 203 StGB ausschließlich ein Individualrechtsgut schützt, welches es im Folgenden noch zu konkretisieren gilt. g) Präzisierung des Individualschutzgutes und Fazit Von dem Konzept ausgehend, dass die Normen des 15. Abschnitts des StGB das verfassungsrechtlich gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht schützen1085, könnten drei Aspekte des allgemeinen Persönlichkeitsrechts für den Schutzzweck des § 203 StGB maßgeblich sein. Als Grundlage für das geschützte Gut können das 1083
Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht im Strafrecht, S. 81. So auch Bär, Die Schweigepflicht des Rechtsanwalts im Rahmen der Verteidigung eines von Mehreren Beschuldigten aus Straf- und Standesrechtlicher Sicht, S. 30; Grabsch, Die Strafbarkeit der Offenbarung höchstpersönlicher Daten des ungeborenen Menschen, S. 34. 1085 Für § 203 StGB ebenso LK/Schünemann, § 203 Rn. 4, der wie Kühne, NJW 1977, 1478, 1481 davon spricht, dass § 203 StGB ein verfassungsrechtliches Strafgebot realisiert; Grabsch, Die Strafbarkeit der Offenbarung höchstpersönlicher Daten des ungeborenen Menschen, S. 48 f. 1084
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Recht auf Privatsphäre1086, das informationelle Selbstbestimmungsrecht1087 und das Recht auf selbstbestimmte Außendarstellung1088 angesehen werden. Wie oben gezeigt1089 schützt das Recht auf Privatsphäre die Selbstfindung, indem ein abgeschirmter Bereich privater Lebensgestaltung garantiert wird, aus dem nichts ungewollt nach außen dringen kann.1090 Ungeachtet der Schwierigkeiten bei der thematischen und räumlichen Inhaltsbestimmung des Begriffs der Privatsphäre1091 zeichnet sich ein hierauf gerichteter Angriff regelmäßig dadurch aus, dass der Täter unbefugt in die Privatsphäre eindringt und geheime Informationen erlangt. § 203 Abs. 1 StGB stellt jedoch das Offenbaren einer befugt erlangten Information durch bestimmte Berufsträger unter Strafe. Darüber hinaus muss die Information zwar die formale Qualität eines Geheimnisses haben, es muss sich dabei jedoch nach dem Gesetzeswortlaut nicht um der Privatsphäre zugehörige Tatsachen handeln1092, so dass der Schutzbereich von § 203 StGB über die vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht gewährleistete Privatsphäre hinausgeht.1093 Sofern auf das Recht auf Selbstdarstellung nach außen abgestellt wird, ist dem Ausgangspunkt zuzustimmen, dass im Mittelpunkt der grundgesetzlichen Ordnung Wert und Würde der Person stehen, die in freier Selbstbestimmung als Glied einer freien Gesellschaft wirkt.1094 Auch verdient der selbstbestimmte Umgang mit Informationen, die das Bild des Individuums in der Gesellschaft prägen, besonderen Schutz, weil sich in der heutigen Zeit besonders viele und vereinfachte Gelegenheiten zur Indiskretion durch Dritte bieten.1095 Es stellt sich jedoch die Frage, ob eine Geheimnisoffenbarung gem. § 203 StGB das Recht des Opfers verletzt, selbst zu bestimmen, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Sachverhalte offen-
1086 NK/Kargl, § 203 Rn. 3 „Privatsphäre“, wobei der Bezugspunkt nicht ganz klar wird, weil auch von der „informationellen Dispositionsbefugnis“ die Rede ist, vgl. Rn. 4. 1087 So Tröndle/Fischer, § 203 Rn. 2; S/S/Lenckner/Eisele, § 203 Rn. 3; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht im Strafrecht, S. 99 f.; Grabsch, Die Strafbarkeit der Offenbarung höchstpersönlicher Daten des ungeborenen Menschen, S. 48 f.; Kapp/Roth, ZRP 2003, 404, 406; ähnlich LK/Schünemann, Vor. § 201 Rn. 3. 1088 MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 5 f., auch hier ist mal von dem Recht auf selbstbestimmte Außendarstellung, mal vom informationellen Selbstbestimmungsrecht und schließlich vom „informationellen Selbstdarstellungsrecht“ die Rede, vgl. Rn. 6. 1089 Vgl. oben B. I. 3. a). 1090 Stern/Becker/Horn, GG Art. 2 Rn. 39. 1091 Vgl. dazu oben B. I. 3. a). 1092 Vgl. BT-Drucks. 7/550, S. 238, 241;. MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 12; S/S/ Lenckner/Eisele, § 203 Rn. 5; anders aber Rogall, NStZ 1983, 1, 5, 6. 1093 Dass dieser Begriff trotz seiner offenkundigen Ungeeignetheit zur Beschreibung des Normzwecks von § 203 StGB in einschlägiger Literatur häufig genutzt wird, ist vermutlich der Abgrenzung zu nicht erfassten Staatsgeheimnissen, einer sprachlichen Vereinfachung oder schlicht Ungenauigkeit geschuldet. 1094 MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 5. 1095 MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 5.
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C. Umsetzung durch den Gesetzgeber
bart werden dürfen1096, wie er sich Dritten oder der Öffentlichkeit gegenüber darstellen will, was seinen sozialen Geltungsanspruch ausmachen soll und ob und inwieweit Dritte über seine Persönlichkeit verfügen dürfen, indem sie diese zum Gegenstand öffentlicher Erörterungen machen.1097 § 203 StGB betrifft ersichtlich nicht (nur) die öffentliche Erörterung, so dass dieser Aspekt lediglich von nebensächlicher Bedeutung ist. Was die Verletzung des sozialen Geltungsanspruchs angeht, stellt sich die grundsätzliche Frage, ob mit jeder Geheimnisoffenbarung bereits der soziale Geltungswert einer Person tangiert wird. Denn nach dem Gesetzeswortlaut braucht das Geheimnis inhaltlich keine bestimme Qualität aufzuweisen, m.a.W. muss die geheime Tatsache inhaltlich weder einer bestimmten Sphäre zugehörig noch dazu geeignet sein, dem sozialen Geltungsanspruch einer Person zu schaden, solange sie der Person nur zuzuordnen ist.1098 Noch weiter reicht der Schutz nach § 203 Abs. 2 S. 2 StGB, wonach im Verhältnis zu Amtsträgern usw. Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse eines anderen geschützt sind. Sofern also Geheimnisse oder Einzelangaben i.S. des § 203 Abs. 2 S. 2 StGB denkbar sind, die den sozialen Geltungswert des Betroffenen gänzlich unberührt lassen, ist auch dieser Aspekt des Rechts auf selbstbestimmte Außendarstellung als Schutzzweck des § 203 StGB unpassend. Als Geheimnis aus dem persönlichen Lebensbereich wurden bisher bspw. angesehen: die ärztliche Behandlung1099 sowie das bloße Anbahnungsverhältnis1100, der Patientenname1101, die Mandatserteilung an einen Steuerberater1102, Drogenkonsum1103 und das Bestehen einer privaten Personenversicherung1104. Hierbei (Anbahnungsverhältnis einer ärztlichen Behandlung, Mandatserteilung an einen Steuerberater, Bestehen einer privaten Personenversicherung) und bei Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen generell ist jedoch nicht ohne weiteres erkennbar, weshalb eine Offenbarung dieser personenbezogenen Informationen den sozialen Geltungswert der Person verletzen soll. Entscheidender Aspekt des Rechts auf Selbstdarstellung nach außen kann demnach nur das Recht sein, selbst zu bestimmen, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Sachverhalte offenbart werden dürfen. Diesen speziellen Aspekt hat das BVerfG mit Schaffung des informationellen Selbstbestimmungsrechts ausdifferenziert.1105 1096 1097
Rn. 71.
Maunz/Dürig/Di Fabio, GG Art. 2 Rn. 166. BVerfGE 54, 148 – Eppler; 54, 208 217 ff.; 63, 131, 142; Dreier/Dreier, GG Art. 2 I
1098 OLG Karlsruhe NJW 1984, 676; LK/Schünemann, § 203 Rn. 20; Tröndle/Fischer, § 203 Rn. 4; L/Kühl, § 203 Rn. 14. 1099 BGHSt 33, 148, 152 (als für das Zeugnisverweigerungsrecht i.S. der §§ 33 f. StPO relevantes Geheimnis); OLG Bremen MedR 1984, 112. 1100 BGHSt 45, 363, 366. 1101 BAG NZA 1987, 515, 516; OLG Schleswig NJW 1982, 2615. 1102 KG NJW 1989, 2893; Taupitz, NJW 1989, 2871, 2873. 1103 LG Karlsruhe StV 1983, 144. 1104 Frels, VersR 1976, 511; Rein, VersR 1976, 117, 120. 1105 Vgl. oben B. I. 3. c).
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Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung schützt das Individuum gegen die Angriffsformen des Feststellens, Erhebens (Akte der Informationsgewinnung), Verwendens, Verarbeitens, Weitergebens und Veröffentlichens (Akte der Informationsverbreitung) der personenbezogenen Daten. Der mit dem objektiv-rechtlichen Gehalt der Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verbundene Auftrag des Staates zur Errichtung einer funktionsfähigen und gefahrenresistenten Kommunikationsinfrastruktur beinhaltet auch Vorkehrungen zur Abwehr von Gefahren durch Private.1106 Als Folge der ständigen Gefahr der Verselbstständigung kundgetaner selbstbezogener Fakten könne sich der Einzelne in seiner Kommunikation gehemmt fühlen, so dass eine individuelle Selbstbestimmung nicht mehr möglich sei.1107 Aus dem informationellen Selbstbestimmungsrecht ergibt sich damit ein Informationsbeherrschungsrecht, welches ungewollte Informationszugriffe oder externe Kontrolle durch Staat und Gesellschaft verhindern und dadurch die für die freie Persönlichkeitsentfaltung und Selbstdarstellung nach außen unerlässliche Privatheit gewährleisten soll.1108 Strafrechtlich darf das informationelle Selbstbestimmungsrecht jedoch nur in engen Grenzen geschützt werden, weil hier ausschließlich Angriffe von dritten Privaten erfasst sind. Zunächst ist nur ein „Offenbaren“ als Tathandlung erfasst, so dass durch § 203 StGB lediglich der Aspekt der unbefugten Weitergabe geschützt wird, nicht aber die grundsätzlich vom informationellen Selbstbestimmungsrecht erfasste unbefugte Erhebung, Speicherung oder Verwendung persönlicher Daten.1109 Dies ist mit dem Ursprung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung als Abwehrrecht gegen den Staat zu erklären. Bei der Entwicklung des informationellen Selbstbestimmungsrechts hatte das BVerfGE die Sorge, durch die mittels EDV gespeicherten und mit anderen (z. B. behördlichen) Informationen verknüpfbaren Details aus der Privatsphäre könne ein vollständiges Persönlichkeitsbild des Betroffenen angefertigt werden, dessen Richtigkeit und Verwendbarkeit sich der Kontrolle des so Identifizierten entziehen. Wenn der Einzelne fürchten müsse, dass alles, was er nach außen kundtut, zu einer Katalogisierung seiner Person führen und er daher nicht mehr wissen könne, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über ihn weiß, sei dieser Zustand nicht mit dem Grundgesetz vereinbar.1110 Die Gefahr einer vollständigen Katalogisierung einer Person gibt es bei Privaten jedoch nicht, weil diese dem Einzelnen anders als Behörden keine Melde-, Registrierungs- oder Mitwirkungsverpflichtungen auferlegen und dadurch über deutlich weniger verknüpfbare Informationen verfügen können. Die Informationen, die Private erlangen, sind i. d. R. Einzelinformationen, an deren Geheimhaltung der 1106
Hoffmann-Riem, AöR 1998, 513, 524. BVerfG 65, 1, 41 f. 1108 So auch Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht im Strafrecht, S. 100. 1109 BVerfGE 78, 77, 84; so sieht auch Grabsch, Die Strafbarkeit der Offenbarung höchstpersönlicher Daten des ungeborenen Menschen, S. 49 das Schutzgut des § 203 StGB in der persönlichen Geheimsphäre des Einzelnen, die er einschränkend aus dem informationellen Selbstbestimmungsrecht ableitet. 1110 BVerfG 65, 1, 42. 1107
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C. Umsetzung durch den Gesetzgeber
Betroffene zwar ein schutzwürdiges Interesse im Hinblick auf seine individuelle Selbstbestimmung hat, die jedoch kein umfängliches Bild des Einzelnen zu geben bzw. ihn „gläsern“ zu machen drohen. Daher erscheint es gerechtfertigt, lediglich das Offenbaren, also die Informationsweitergabe, nicht aber die unbefugte Erhebung, Speicherung oder Verwendung der Information unter Strafe zu stellen. Die Begrenzung des Täterkreises lässt sich darauf zurückführen, dass der Einzelne in seinem eigenen Interesse auf die Preisgabe bestimmter Geheimnisse angewiesen ist, um aus dem in Anspruch genommenen Dienst eines in § 203 Abs. 1 StGB genannten Funktionsträgers einen Nutzen ziehen zu können, oder zur Preisgabe bestimmter Einzelangaben i.S. des § 203 Abs. 2 S. 2 StGB gegenüber staatlichen Stellen verpflichtet ist. Die Preisgabe eines Geheimnisses durch den Betroffenen einem Freund oder Bekannten gegenüber ist strafrechtlich irrelevant, weil der Einzelne nicht auf die Verschwiegenheit einer jeden Person vertrauen kann. Die in § 203 StGB aufgezählten Berufsträger hingegen kommen funktionsgemäß häufig mit Geheimnissen Dritter in Kontakt, um die von ihnen angebotenen Dienste angemessen leisten zu können, so dass ein Vertrauen auf ihre Verschwiegenheit absolute Notwendigkeit ist. § 203 StGB dient als Ausgleich in Situationen, in denen der Einzelne aufgrund einer faktischen oder normativen Zwangssituation nicht anders kann, als den Kreis der zum Wissen berufenen hinsichtlich einer von ihm geheim gehaltenen Tatsache zu erweitern. Aber selbst nach Preisgabe eines selbstbezogenen Geheimnisses soll der Geheimnisträger den Kreis der zum Wissen berufenen kontrollieren können. Dass lediglich solche Informationen geschützt sind, die geheim (Geheimnisse i.S. des Abs. 1, Abs. 2 S. 1) oder jedenfalls nicht offenkundig (dem Geheimnis gleichgestellte Einzelangaben i.S. des Abs. 2 S. 21111) sind, lässt sich zum einen auf die naheliegende Annahme stützen, dass eine Offenbarung frei zugänglicher Informationen strafrechtlich irrelevant sein muss. Zum anderen darf in den von der Informationsfreiheit getragenen Informationsaustausch unter Privaten grundsätzlich nur dann strafrechtlich eingegriffen werden, wenn der Einzelne seinen schützenswerten Geheimhaltungswillen hinsichtlich einer bestimmten Information zum Ausdruck gebracht hat und dieser Wille dann missachtet wird. Um einen effektiven Schutz von geheimen Informationen auch in einem Sonderverhältnis, in dem man auf eine Preisgabe dieser Informationen angewiesen ist, zu gewährleisten, kann auf die Kundgabe des Geheimhaltungswillens verzichtet werden. Als Kriterium zur Ermittlung einer durch den Einzelnen vom freien Informationsaustausch ausgenommenen Information dient hierbei der Begriff des Geheimnisses. Maßgeblich sind der Gegenstand des Geheimnisses, das Geheimsein, der Geheimhaltungswille und das objektive Geheimhaltungsinteresse. Schutzgut von § 203 StGB ist das informationelle Selbstbestimmungsrecht beschränkt auf die unbefugte Weitergabe nicht offenkundiger personenbezogener Daten, welches in dieser begrenzten Form als Informationsbeherrschungsrecht bezeichnet werden kann.
1111
S/S/Lenckner/Eisele, § 203 Rn. 48.
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Im Wege der Fernwirkung kann ein Straftatbestand auch mittelbaren Schutzzwecken dienen (etwa der Gesamtrechtsordnung) oder sich als Reflex auf den Schutz anderer Rechtsgüter auswirken. Dieser Schutz ist dann lediglich ein erwünschter Nebeneffekt, nicht aber Zweck der entsprechenden Vorschrift. In diesem Sinne schützt § 203 StGB neben den Individualinteressen des Einzelnen reflexartig ebenfalls die Interessen der Allgemeinheit an der Funktion der genannten Berufsgruppen.1112
3. Konsequenzen für die Tatbestandsauslegung a) Tatgegenstand Tatgegenstand nach § 203 Abs. 1 StGB ist ein Geheimnis. Wie dieser Begriff definiert wird und welche Anforderungen an ihn zu stellen sind, ist umstritten. aa) Geheimnisgegenstand Gegenstand eines Geheimnisses müssen Tatsachen sein, also Vorgänge oder Zustände der Vergangenheit oder der Gegenwart, die sich auf die Person des Betroffenen sowie seine Lebensverhältnisse beziehen.1113 Unwahrheiten1114 sowie Werturteile1115 scheiden demnach grundsätzlich aus. Zwischen den Regelungsbereichen der §§ 185 ff. StGB und des § 203 StGB besteht insoweit Exklusivität.1116 Jedoch ist der Umstand, dass jemand eine bestimmte Erwartung hegt, eine Meinung geäußert oder ein Werturteil abgegeben hat, eine Tatsache und kann damit Gegenstand eines Geheimnisses sein.1117 Auch Schlussfolgerungen, die ein Geheimnisträger aufgrund besonderer Sachkunde vornimmt, sind als Tatsachen anzusehen, da Befundtatsache und Wertung untrennbar verbunden sind.1118 Die Tatsachen müssen keinem bestimmten Lebensbereich zugehörig sein1119 sondern sich lediglich einer bestimmten Person zuordnen lassen (dies gilt auch für § 203 Abs. 2 S. 2 StGB: 1112
Eisele, ZIS 2011, 354, 357. Zur Standarddefinition RGSt 55, 1131; OLG Karlsruhe NJW 1984, 676; NK/Kargl, § 203 Rn. 6; Tröndle/Fischer, § 203 Rn. 7; Rogall, NStZ 1983, 1, 5. 1114 LK/Schünemann, § 203 Rn. 20; MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 14. 1115 NK/Kargl, § 203 Rn. 6; MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 12. 1116 MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 14; LK/Schünemann, § 203 Rn. 20; Rogall, NStZ 1983, 1, 6; Kienapfel, Privatsphäre und Strafrecht, 27 f.; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht im Strafrecht, 124. 1117 S/S/Lenckner/Eisele, § 203 Rn. 5; LK/Schünemann, § 203 Rn. 20; MüKo-StGB/ Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 12. 1118 S/S/W/Bosch, § 203 Rn. 2; NK/Kargl, § 203 Rn. 6; LK/Schünemann, § 203 Rn. 20; MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 12. 1119 LK/Schünemann, § 203 Rn. 20; MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 12. 1113
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„Verhältnisse eines anderen“); es genügt, wenn die Person erkennbar ist, sich also ohne Schwierigkeiten identifizieren lässt.1120 Das Gesetz hebt beispielhaft die zum persönlichen Lebensbereich gehörenden Geheimnisse sowie die Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse hervor. Der persönliche Lebensbereich wird umfassend als der Bereich verstanden, der alle Geheimnisse erfasst, die keinen Vermögenswert verkörpern und sich auch nicht als dessen Annex auf einen noch vorhandenen und deshalb mit diesem vererblichen Vermögensgegenstand beziehen.1121 Zum persönlichen Lebensbereich sollen zudem auch Tatsachen aus dem politischen, beruflichen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Wirken des Betroffenen gehören.1122 Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse sollen hingegen Tatsachen betreffen, die sich auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb beziehen und für seine Wettbewerbsfähigkeit oder für das Verhältnis der Betriebszugehörigen untereinander von Bedeutung sind.1123 Eine exakte begriffliche Abgrenzung der beiden im Gesetz genannten Spielarten des Unternehmensgeheimnisses ist ohne tatbestandliche Relevanz und daher entbehrlich.1124 Nach der ratio legis ist jedoch für Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse zu fordern, dass sie einen personalen Bezug in dem Sinne aufweisen, dass sie einer oder mehreren bestimmten Personen zugeordnet werden können. Damit sind nicht nur die Arbeitsunterlagen eines Anwalts, die sich auf die Person des Anwalts und des Klienten beziehen1125, sondern auch produktionstechnische Vorgänge geschützt, die z. B. ein Patentanwalt erfährt. Damit lässt sich das Geheimnis treffender als „personenbezogene Information“1126 bezeichnen, womit auch deutlich gemacht wird, dass diese sich auf die Person bezieht, deren unmittelbaren Persönlichkeitsbereich sie betrifft, und nur dieser Person die Verfügungsbefugnis darüber zusteht, ob und wer in den Kreis der zum Wissen Berufenen einbezogen wird.1127 bb) Geheimsein Die Tatsache darf nur einer Person oder einem beschränkten bzw. kontrollierbaren Kreis von Personen bekannt oder zugänglich sein (dem Kreis der zum Wissen Be-
1120
NK/Kargl, § 203 Rn. 6; Rogall, NStZ 1983, 1, 5; S/S/W/Bosch, § 203 Rn. 2. S/S/Lenckner/Eisele, § 203 Rn. 10; MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 13. 1122 MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 13. 1123 BGHSt 41, 140, 142; LK/Schünemann, § 203 Rn. 21. 1124 LK/Schünemann, § 203 Rn. 21; MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 13. 1125 BVerfGE 113, 29, 46 f. 1126 OLG Karlsruhe NJW 1984, 676; MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 12; Rogall, NStZ 1983, 1, 5; 1985, 374; L/Kühl, § 203 Rn. 14; Tröndle/Fischer, § 203 Rn. 7; NK/Kargl, § 203 Rn. 17. 1127 MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 12. 1121
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rufenen).1128 Im Allgemeinen sollen die Kriterien „beschränkter“ oder „noch überschaubarer“ Personenkreis genügen, so dass bei einer „ungewissen Vielzahl von Personen“, die mit der Tatsache vertraut sind, die Geheimnisqualität verneint wird.1129 Herangezogen wird teilweise auch die Negativbestimmung „Wenn das Geheimnis so vielen anderen bekannt geworden ist, dass es nichts mehr verschlägt, wenn noch weitere davon erfahren“, wobei die Subsumtionsfähigkeit einer solchen Faustformel1130 offenkundig angezweifelt werden muss. Die Ungenauigkeit wird hingenommen, weil die Abgrenzung ohnehin relativ, d. h. von den Umständen des Einzelfalls abhängig sei.1131 Die Tatsache soll z. B. bereits bei Kenntnis weniger Bürger einer kleinen Gemeinde offenkundig und damit kein Geheimnis sein1132 ; ein Betriebsgeheimnis, mit dem viele Werksangehörige umgehen, sei aber erst dann nicht mehr als solches anzusehen, wenn Außenstehende, insbesondere die Konkurrenz, es erfahren oder ohne Schwierigkeiten erfahren können.1133 Dies erscheint jedoch wenig hilfreich für die Auslegung des Geheimnisbegriffs. Ein beschränkter Personenkreis soll zwar unproblematisch gegeben sein bei einem geschlossenen Personenkreis, der entweder im Innenbereich durch ein besonderes Verhältnis gegenseitigen Vertrauens oder nach außen durch das Bestehen einer besonderen Verschwiegenheitspflicht gekennzeichnet ist (z. B. Familie, Freundeskreis und Arbeitskollegen des Geheimnisträgers; Werksangehörige eines Unternehmens, die mit dessen Betriebsgeheimnissen umzugehen haben).1134 Aber auch hier stellt sich die Frage, wo dieser Kreis seine Grenzen findet, so dass das eigentliche Problem letztlich nur verlagert würde. Zudem wäre dieser Kreis allein zu eng gefasst, da die Geheimniseigenschaft bereits dann entfiele, wenn ein einziger Außenstehender die Tatsache erfährt. Dies dürfte häufig vorkommen, da jeder Mensch regelmäßig in verschiedenen Kreisen zu verkehren pflegt, die durch nichts verbunden sind außer durch den Geheimnisbetroffenen selbst. Daher soll das Geheimnis auch dann noch ein solches bleiben, wenn der fragliche Personenkreis wenigstens noch ohne weiteres überschaubar, d. h. bestimmt oder bestimmbar ist.1135 Grundsätzlich verliert eine Tatsache ihre Geheimnisqualität, wenn eine vom Geheimnisträger nicht mehr überschaubare Anzahl von Personen in das Geheimnis eingeweiht ist; hierbei müssen jedoch solche Mitwisser vernachlässigt werden, die das Geheimnis erst infolge einer Indiskretion erfahren haben. Anderenfalls würde das Ausmaß der Indiskretion, vor 1128
BGH NJW 1995, 2915, 2916; BGH NJW 1985, 1090, 1091; Langkeit, NStZ 1994, 6; S/ S/Lenckner/Eisele, § 203 Rn. 6; LK/Schünemann, § 203 Rn. 22. 1129 MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 15; LK/Schünemann, § 203 Rn. 22. 1130 MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 15; S/S/Lenckner/Eisele, § 203 Rn. 6. 1131 RGSt 74, 110, 111; RGSt 42, 394, 396; RGSt 38, 62, 65 f.; MüKo-StGB/Cierniak/ Pohlit, § 203 Rn. 15. 1132 RGSt 38, 62, 65 f. 1133 RGSt 29, 426, 430; LK/Schünemann, § 203 Rn. 22. 1134 S/S/Lenckner/Eisele, § 203 Rn. 6. 1135 BGHSt 10, 108, 109; RGSt 38, 108, 110; Kohlhaas, GA 1958, 65, 68; S/S/Lenckner/ Eisele, § 203 Rn. 6; LK/Schünemann, § 203 Rn. 22.
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der der Betroffene gerade geschützt werden soll, dazu führen, den Geheimnisbegriff zu verneinen und ihm den Schutz zu versagen.1136 Das bedeutet, dass etwas, das der Geheimnisträger gegenüber dem Berufsträger noch als Geheimnis behandelt hat, zum Tatzeitpunkt (Weitergabe der Information durch den Berufsträger) schon kein Geheimnis mehr ist, wenn der Geheimnisträger es vorher an beliebige Dritte ausgeplaudert hat. Hierbei kommt es jedoch auf die Weitergabe durch den Geheimnisträger an; jegliche Weitergabe durch private Mitwisser ist als (straflose) Indiskretion anzusehen, die den für das „Geheimsein“ entscheidenden Kreis der Mitwissenden nicht berührt. Sofern darauf abgestellt wird, ob der Geheimnisträger den Kreis der zum Wissen Berufenen kontrollieren oder steuern kann1137, stellt sich die kaum zu beantwortende Frage, welches Maß an Kontrolle oder Steuerungsmöglichkeit anzusetzen ist. Absolute Kontrolle kann logischerweise nicht gefordert werden. Vielmehr scheint die Möglichkeit zur Einflussnahme auf den Personenkreis maßgeblich zu sein; diese Möglichkeit besteht nicht mehr, wenn der Geheimnisträger Mitwissende nicht kennt und auch nicht mit ihrer Kenntnis rechnen muss (auch wenn der Geheimnisträger bspw. Mitarbeiter einer Anwaltskanzlei oder Arztpraxis, die berufsbedingt zwingend mit dem Geheimnis in Kontakt kommen, nicht kennt, so muss er doch zumindest mit einer Kenntnisnahme rechnen, so dass ein Mitwissen solcher in § 203 StGB genannten Personen die Geheimnisqualität nicht berührt). Eine Tatsache ist dann nicht mehr geheim, wenn sie offenkundig ist. Diese Offenkundigkeit ist anzunehmen, wenn die Tatsache in öffentlicher Verhandlung vor Gericht erörtert oder bei der Urteilsverkündung öffentlich bekannt gegeben wurde (wobei es nicht darauf ankommt, ob Zuhörer anwesend waren)1138 oder bei Sachverhalten, die sich in der Öffentlichkeit zugetragen haben, wie etwa das polizeiliche Vorgehen gegen einen Straftäter.1139 Offenkundig sind auch allgemein zugängliche Informationen etwa in staatlichen Registern oder Akten, in die jedermann ohne weiteres Einsicht nehmen kann (z. B.: Unterlagen i.S. des § 42 ZVG, Vereinsregister nach § 79 BGB, Genossenschaftsregister gemäß § 156 Abs. 1 S. 1 GenG, Handelsregister gemäß § 9 HGB). cc) Geheimhaltungswille Überwiegend wird der Geheimhaltungswille als weiteres Element des Geheimnisses angesehen.1140 Dies ist jedoch nicht unumstritten. Früher wurde der Geheimhaltungswille von der Rechtsprechung lediglich als Kennzeichen des Kommunikations- bzw. Übermittlungsvorgangs angesehen, weil eine Tatsache erst an1136
MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 15. LK/Schünemann, § 203 Rn. 22; S/S/Lenckner/Eisele, § 203 Rn. 6. 1138 BGHZ 40, 292; OLG Köln NJW 2000, 3656; MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 16; S/S/Lenckner/Eisele, § 203 Rn. 6; SK/Hoyer, § 203 Rn. 13. 1139 MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 16. 1140 BGHZ 40, 292; LK/Schünemann, § 203 Rn. 24; MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 17; NK/Kargl, § 203 Rn. 6. 1137
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vertraut werde, wenn sie „als Geheimnis“ (mit der stillschweigenden Forderung der Geheimhaltung) einem anderen mitgeteilt oder seiner Kenntnis unterworfen werde.1141 Da es jedoch seit dem 3. StRÄndG ausreicht, wenn Geheimnisse sonst bekanntgeworden sind, ist der Geheimhaltungswille als Bestandteil des Geheimnisbegriffs und nicht der Tatsachenübermittlung anzusehen.1142 Es wird vertreten, der Geheimhaltungswille sei erst bei der Prüfung der tatsächlichen oder mutmaßlichen Einwilligung bzw. auf Rechtsfertigungsebene zu berücksichtigen.1143 Es seien Fälle denkbar, in denen der Betroffene selbst von der Information gar nichts weiß, um deren Geheimhaltung es geht, z. B. ein Bewusstloser von der ärztlicherseits erstellten Diagnose.1144 Hier müsse der Tatbestand erfüllt sein können, ohne dass es eines wirklich gebildeten Willens bedürfe.1145 Diese Ansicht wird jedoch zu Recht abgelehnt; das Geheimhaltungsinteresse muss stets vom Geheimhaltungswillen getragen sein, weil die Rechtsordnung niemandem Geheimnisse aufdrängen kann.1146 Fehlt der reale Wille mangels Kenntnis des Geheimnisses oder Fähigkeit zur Willensbildung, ist der vermutete Wille ausschlaggebend; nur um diesen zu ermitteln, ist auf die Interessenlage des Betroffenen abzustellen.1147 Auch der für den Normzweck maßgebliche Grundgedanke der Selbstbestimmung spricht dafür, den Schwerpunkt auf den Geheimhaltungswillen zu setzen.1148 Dabei reicht es aus, wenn der Geheimhaltungswille lediglich besteht, so dass er nicht ausdrücklich oder sonst kundgetan sein muss.1149 Insbesondere ist nicht erforderlich, dass der Geheimhaltungswille für den Kommunikationspartner „intersubjektiv“ in irgendeiner Weise feststellbar ist1150, da die Perspektive des Täters eine Frage des Vorsatzes ist. Ob ein Wille zur Geheimhaltung besteht, soll regelmäßig aus der in Betracht kommenden Tatsache zu folgern sein; so seien etwa belastende Umstände aus dem Vorleben, geschäftliche Misserfolge oder Dinge des Familienlebens solche Tatsachen, die man für sich zu behalten pflegt.1151 Zwingend sind solche Annahmen sicher nicht und subsumtionsfähig ist dies wohl kaum.
1141
RGSt 13, 60, 62; RGSt 66, 273, 274. LK/Schünemann, § 203 Rn. 24. 1143 SK/Hoyer, § 203 Rn. 11; Rogall, NStZ 1983, 1, 6; S/S/Lenckner/Eisele, § 203 Rn. 5. 1144 Bock/Wilms, JuS 2011, 24, 25. 1145 SK/Hoyer, § 203 Rn. 11. 1146 MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 17; LK/Schünemann, § 203 Rn. 24; S/S/W/ Bosch, § 203 Rn. 5; Schmidt, ZStW 79 (1967), 741, 783. 1147 LK/Schünemann, § 203 Rn. 19. 1148 So auch Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht im Strafrecht, 140. 1149 MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 17; LK/Schünemann, § 203 Rn. 24. 1150 So aber spricht NK/Kargl, § 203 Rn. 8 davon, der Geheimhaltungswille müsse „intersubjektiv feststellbar“ sein, ohne näher zu erläutern, was damit gemeint ist. 1151 LK/Schünemann, § 203 Rn. 24; MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 17. 1142
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dd) Geheimhaltungsinteresse Auch bei dem Element des Geheimhaltungsinteresses ist man sich hinsichtlich Erforderlichkeit und Bedeutung nicht einig. Stimmen in der Literatur möchten auf diesen Aspekt ganz verzichten, weil das mit dem Erfordernis des Geheimhaltungsinteresses beabsichtigte Ziel, den Schutzbereich zu verengen, dogmatisch auf die Rechtfertigungsebene zu verlagern sei.1152 Teilweise wird mit diesem Element der Tatbestand erheblich eingeschränkt, indem unter einem Geheimnis nur eine Information verstanden wird, deren Mitteilung im Falle ihrer Unwahrheit den objektiven Tatbestand der §§ 186, 187 StGB verwirklichen würde.1153 Die h.M. stellt auf ein verständliches Geheimhaltungsinteresse aus Sicht des Betroffenen ab, um Bagatellgeheimnisse auszufiltern, die unter keinem Gesichtspunkt die Anwendung des Strafrechts verdienen.1154 Ein verständliches Geheimhaltungsinteresse sei nicht nur hinsichtlich gesundheitlicher, familiärer, finanzieller Verhältnisse usw. anzunehmen, sondern könne schon für die bloße Tatsache, dass sich jemand in psychologischer oder ärztlicher Behandlung befindet, gegeben sein.1155 So sei ein Geheimhaltungsinteresse bspw. anzunehmen bei Leistungsbeurteilungen sowie bei Personalakten, bei der Lohn- und Gehaltsliste, dem Gesundheitszustand des Patienten, der Alkohol- und Drogenabhängigkeit, der Art einer Verletzungen und dem Bestehen der frühen Schwangerschaft sowie überhaupt bei Bestehen einer Vertragsbeziehung (z. B. Mandatsbeziehung, ärztlicher Behandlungsvertrag, BankVertrag, Versicherungsverhältnis).1156 Anders sei dies bei der Diensteinteilung von TÜV-Fahrprüfern für Prüfungstermine (Prüfliste), weil an seiner Geheimhaltung kein „wirtschaftliches“ Interesse bestehe1157, und bei der Abtretung von Darlehensforderungen durch eine Anstalt des öffentlichen Rechts (Sparkasse, Landesbank), da eine besondere Schutzbedürftigkeit der Kunden einer solchen Anstalt nicht gegeben sei.1158 Es komme nicht darauf an, ob das Geheimhaltungsinteresse des Betroffenen sittlich hochstehend oder rechtlich billigenswert ist.1159 Das Interesse an der Geheimhaltung müsse nicht etwa bei Anlegung eines objektiven Maßstabs als vernünftig anzusehen sein, der Schutzzweck verlange vielmehr, auch rein persönliche, von anderen nicht geteilte Auffassungen anzuerkennen, so dass dem Erfordernis des verständlichen Interesses aus Sicht des Betroffenen lediglich die Funktion einer negativen Abgrenzung gegenüber reiner Willkür und Launenhaftigkeit des 1152
NK/Kargl, § 203 Rn. 7. SK/Hoyer, § 203 Rn. 8, 10. 1154 LK/Schünemann, § 203 Rn. 27; S/S/Lenckner/Eisele, § 203 Rn. 7. 1155 BGHZ NJW 2010, 2511; S/S/Lenckner/Eisele, § 203 Rn. 7. 1156 OLG Stuttgart BeckRS 2009, 10924 zur Vertragsbeziehung zu einer bestimmten Bank; NK/Kargl, § 203 Rn. 6b; zu einem Versicherungsverhältnis Sieber, in: Arnold (Hrsg.), Menschengerechtes Strafrecht, 2005, S. 1155, 1159. 1157 OLG Köln BeckRS 2009, 27852. 1158 11. Zivilsenat des BGH BeckRS 2009, 87285; ablehnend BGH NJW 2010, 136. 1159 LK/Schünemann, § 203 Rn. 27. 1153
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Geheimnisträgers zukomme (z. B. beim Wunsch nach Geheimhaltung der Präferenz für einen bestimmten Urlaub oder eine bestimmte Kunstrichtung).1160 Zweifel wirft das Erfordernis des Geheimhaltungsinteresses dahingehend auf, dass eine Bestimmung vom verständlichen Standpunkt des Betroffenen, also sozusagen „objektiv subjektiv“, widersprüchlich ist. Wenn der Standpunkt des Betroffenen maßgeblich ist, muss man konsequenterweise die Bewertung des Geheimnisses nach belangvoll oder belanglos, nach nebensächlich oder bedeutsam ebenfalls dem Betroffenen überlassen. ee) Zwischenergebnis Einig ist man sich darüber, dass als Geheimnis eine Tatsache grundsätzlich jeder Art in Betracht kommen kann, wenn sie eine personenbezogene Information darstellt. Geht man davon aus, dass Geheimhaltungswille und/oder –interesse jeweils Bestandteil eines Geheimnisses sind und deren Vorliegen „aus der Natur der betreffenden Tatsachen“ gefolgert wird, hängt die Schutzwürdigkeit eines Geheimnisses letztlich doch von seinem Inhalt ab. Ähnlich wie die trennscharfe Definition der Privat- oder Intimsphäre wirft auch die Definition des Bereichs, dem die geheime Tatsache angehören muss, erhebliche Auslegungsschwierigkeiten auf. Auch die Forderung eines intersubjektiv feststellbaren Geheimhaltungswillens, die ohne weitere Erläuterung aufgestellt wird, ist nicht zielführend: intersubjektiv feststellbar kann nur bedeuten, dass für den Kommunikationspartner ein in der Gesellschaft oder unter Personen desselben sozialen Umfelds herrschender Konsens darüber erkennbar sein muss, dass an der mitgeteilten Tatsache ein Geheimhaltungswille besteht. Damit ist aber insgesamt weder ein sachlicher Unterschied dieser Auffassungen zu erkennen, noch sind sie hilfreich bei der Rechtsanwendung. Der Wortlaut „Geheimnis“ eröffnet keinen Anhaltspunkt dafür, bestimmte Informationen als mehr und andere als weniger schutzwürdig zu qualifizieren.1161 Auch das zugrundeliegende informationelle Selbstbestimmungsrecht erfasst jegliche personenbezogenen Daten, unabhängig von einer bestimmten inhaltlichen Qualität. Die Geheimhaltungsbedürftigkeit hat allein im Ermessen desjenigen zu stehen, den das Geheimnis betrifft. Vertreter der Auffassung, wonach ein Geheimhaltungsinteresse zu fordern ist, berücksichtigen für die Frage nach dessen Vorliegen auch rein subjektive Auffassungen des Betroffenen. Dann aber spielt das verständliche Geheimhaltungsinteresse grundsätzlich eine so untergeordnete Rolle, dass es lediglich Rückschlüsse auf einen mutmaßlichen Willen liefern könnte, wenn ein tatsächlicher Wille fehlt oder nicht gebildet werden kann. Im Hinblick auf das durch § 203 StGB geschützte informationelle Selbstbestimmungsrecht ist jedoch noch einen Schritt weiter zu gehen: Es kann ein genereller Geheimhaltungswille bezüglich aller geheimer personenbezogener Informationen angenommen werden, denn es „hegt jeder 1160 1161
S/S/Lenckner/Eisele, § 203 Rn. 7. So auch NK/Kargl, § 203 Rn. 7.
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C. Umsetzung durch den Gesetzgeber
Mensch zu jeder Zeit den Willen, dass solche Geheimnisse, deren Enthüllung seinen Interessen widerstreitet, nicht ihm zu Schaden geoffenbart werden, und diesen Willen hegt er ohne Rücksicht darauf, ob er die fraglichen Tatsachen kennt oder nicht.“1162 Dieser generelle Geheimhaltungswille ist auch zu unterstellen, wenn der Geheimnisbetroffene aktuell nicht in der Lage ist, einen Willen zu bilden oder zu äußern. Grundsätzlich sind alle Geheimnisse gleichwertig, sofern sie nur persönlichkeitsrelevant sind und einer Person zugeordnet werden können.1163 Hieran fehlt es bspw., wenn anonymisierte Daten keine Rückschlüsse auf den Betroffenen zulassen.1164 Maßgeblich ist allein der generelle Geheimhaltungswille des Einzelnen, der grundsätzlich bezüglich aller ihn betreffenden Tatsachen besteht und lediglich die Funktion einer negativen Abgrenzung erfüllt: Wenn der Betroffene die Tatsache dem Täter zur Weitergabe an beliebige Dritte mitteilt1165 oder wenn er zu jedermann oder zu der Öffentlichkeit darüber spricht und dadurch den Geheimhaltungswillen vermissen lässt, fehlt ein konstituierendes Element des Geheimnisbegriffs. Die durch das Erfordernis des Geheimhaltungsinteresses implizierte „Vernünftigkeitskontrolle“, durch die „Bagatellgeheimnisse“ aus dem Tatbestand ausgefiltert werden sollen, ist mit der ratio legis nicht zu vereinbaren. Es ist bereits zweifelhaft, ob es so etwas wie „Bagatellgeheimnisse“ überhaupt gibt. Sofern kritisiert wird, ein Abstellen allein auf den Geheimhaltungswillen des Geheimnisbetroffenen habe eine Rechtsunsicherheit zur Folge, ist dem entgegenzuhalten, dass diese gerade nicht entstehen kann: Ohne Einverständnis des Berechtigten ist grundsätzlich jede Tatsache geheim zu halten. Auch der strafrechtliche Schutz reiner Willkür wird von der Gegenauffassung unter Berücksichtigung eines verständlichen Geheimhaltungsinteresses nur scheinbar verhindert: Wegen der kaum möglichen trennscharfen Bestimmung des Geheimhaltungsinteresses wird die Willkür des Geheimnisbetroffenen letztlich nur durch die Willkür des Schweigepflichtigen oder des Richters ersetzt.1166 Geheimnisse sind demnach Tatsachen, die nur einem Einzelnen oder einem beschränkten Kreis von Personen bekannt sind und an deren Geheimhaltung ein entsprechender Wille des Geheimnisträgers besteht.1167 ff) Fremdheit des Geheimnisses Ein Geheimnis ist für den Täter fremd, wenn es nicht ausschließlich seiner Sphäre entstammt.1168 Geschützt wird in § 203 als Geheimnisinhaber jede Person, auf deren 1162 Sauter, Das Berufsgeheimnis und sein strafrechtlicher Schutz, 138; vgl. auch Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht im Strafrecht, 141. 1163 Rogall, NStZ 1983,1, 5. 1164 NK/Kargl, § 203 Rn. 8. 1165 OLG Düsseldorf MDR 1975, 1025. 1166 Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht im Strafrecht, 140. 1167 I. E. auch NK/Kargl, § 203 Rn. 6. 1168 LK/Schünemann, § 203 Rn. 30; NK/Kargl, § 203 Rn. 9.
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Sphäre sich das Geheimnis inhaltlich bezieht.1169 Wenn das Geheimnis mehrere Personen betrifft, sind sie nebeneinander Geheimnisträger1170, so dass der Geheimhaltungswille jeder einzelnen betroffenen Person maßgeblich ist. Fraglich ist, ob juristische Personen oder sonstige Personenverbände Geheimnisträger sein können. Die verfassungsrechtliche Herleitung des Schutzguts und die Stellung des § 203 StGB im 15. Abschnitt könnte zunächst dafür sprechen, dass nur natürliche Personen in den Schutzbereich einbezogen sind. Auch könnten Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, deren Träger meist Aktiengesellschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung usw. sind, als Geheimnisse ihrer Organe oder Mitglieder aufgefasst werden. Doch zeigen die §§ 404 AktG, 85 GmbHG, dass diese juristischen Personen gegenüber ihren Organen und Mitgliedern schützenswerte Geheimnisse haben können, so dass Geheimnisse des Personenverbandes nicht zwingend auch Geheimnisse der Personen selbst sind.1171 Ob das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gem. Art. 19 Abs. 3 GG auch juristischen Personen des Privatrechts zusteht, ist umstritten.1172 Wegen der Herleitung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts u. a. aus der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG sind grundsätzlich nur Individuen vom Schutzbereich umfasst.1173 Dennoch hat der BGH den personellen Geltungsbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts mit Bezugnahme auf Art. 19 Abs. 3 GG auch auf juristische Personen erstreckt, soweit sie in ihrem sozialen Geltungsanspruch (als Arbeitgeber oder als Wirtschaftsunternehmen) betroffen werden.1174 Das BVerfG hatte diese Frage zunächst offen gelassen, den Anspruch eines Unternehmens auf informationelle Selbstbestimmung aber auf Art. 14 gestützt1175 und einem Unternehmen das Recht am gesprochenen Wort zuerkannt.1176 Vertreten wird daher, das informationelle Selbstbestimmungsrecht sei gem. Art. 19 Abs. 3 GG seinem Wesen nach sinnvoll auf juristische Personen übertragbar und anwendbar.1177 Für den strafrechtlichen partiellen Schutz des informationellen Selbstbestimmungsrechts ergibt sich damit, dass juristische Personen durchaus Geheimnisträger sein können.1178 Problematisch ist jedoch die Einbeziehung juristischer Personen des öffentlichen Rechts in den Schutzbereich des § 203 StGB. Geheimnisse, die ausschließlich den 1169
SK/Hoyer, § 203 Rn. 14; L/Kühl, § 203 Rn. 14. RGZ 53, 168, 169. 1171 LK/Schünemann, § 203 Rn. 31. 1172 Für eine Anwendung auf juristische Personen Sachs/Murswiek, GG Art. 2 Rn. 77; kritisch jedoch Mangoldt/Klein/Starck/Huber, GG Art. 19 Rn. 316; Epping/Hillgruber/Lang, GG Art. 2 Rn. 50. 1173 Sachs/Murswiek, GG Art. 2 Rn. 77. 1174 BGH NJW 1986, 2951; vgl. auch BGHZ 81, 75, 78; BVerfGE 82, 76, 78. 1175 BVerfGE 67, 100, 142 f. 1176 BVerfGE NJW 2002, 3619 1177 Sachs/Murswiek, GG Art. 2 Rn. 77. 1178 I. E. LK/Schünemann, § 203 Rn. 31; S/S/Lenckner/Eisele, § 203 Rn. 8; MüKo-StGB/ Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 27; SK/Hoyer, § 203 Rn. 17. 1170
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Staat betreffen, sind im Verhältnis zu seinen Amtsträgern nicht fremd1179, weil das Verhältnis zwischen Staat und Bediensteten mit demjenigen eines Arztes zu vergleichen ist, der seine Angestellten in seine eigenen Geheimnisse einweiht.1180 Dies ergibt sich aus dem Zweck des § 203 StGB, der jedenfalls nicht im Schutz des staatlichen Vertrauens in die Verschwiegenheit seiner Funktionäre im Innenverhältnis zu sehen ist. Für die Strafbarkeit eines Amtsträgers, der ein ihm in dieser Eigenschaft bekannt gewordenes Dienstgeheimnis preisgibt, kommt daher grundsätzlich nur § 353b StGB in Betracht. § 203 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StGB ist ausnahmsweise dann heranzuziehen, wenn Geheimnisträger – jedenfalls auch – ein Dritter ist.1181 Auch der von § 203 StGB beabsichtigte Schutz des informationellen Selbstbestimmungsrechts spricht dafür, Geheimnisse von öffentlich-rechtlichen Rechtsträgern aus dem Schutzbereich herauszunehmen, weil dieses Recht gem. Art. 19 Abs. 3 GG e contrario juristischen Personen des öffentlichen Rechts nicht zusteht. Die Gegenauffassung1182 wird zwar damit begründet, dass auch Personen des öffentlichen Rechts wie eine Privatperson auftreten und am Privatrechtsverkehr teilnehmen können; etwa wenn eine Universität einen Rechtsanwalt mit der Prozessvertretung betraut und dieser daraufhin die ihm hierbei anvertrauten Geheimnisse preisgibt. Dennoch handelt es sich um ein staatsbezogenes Geheimnis, welches ohne den Bezug zu einer Person oder Personenmehrheit nicht schutzwürdig erscheint. Ein Gefühl der Kommunikationshemmung als Folge der ständigen Gefahr der Verselbstständigung kund getaner Fakten aus dem eigenen Lebensbereich ist nur bei Personen oder Personenmehrheiten zu befürchten, nicht jedoch beim Staat. gg) Erlangung in beruflicher Eigenschaft Das Geheimnis muss dem Täter als Arzt usw. anvertraut worden oder sonst bekannt geworden sein, wobei eine genaue begriffliche Abgrenzung der beiden rechtlich gleichwertigen Varianten der Kenntniserlangung entbehrlich ist1183, weil der Wortlaut das Anvertrauen lediglich als eine Sonderform des Bekanntwerdens darstellt.1184 Grundvoraussetzung für beide Varianten ist, dass der Täter das Geheimnis in seiner beruflichen Eigenschaft oder kraft Berufsausübung1185 erlangt hat; die Kenntnisnahme muss in einem inneren Zusammenhang mit der Zugehörigkeit zu
1179 S/S/Lenckner/Eisele, § 203 Rn. 44a; Tröndle/Fischer, § 203 Rn. 3; MüKo-StGB/ Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 94. 1180 LK/Schünemann, § 203 Rn. 32. 1181 S/S/Lenckner/Eisele, § 203 Rn. 44a. 1182 LK/Schünemann, § 203 Rn. 32; S/S/Lenckner/Eisele, § 203 Rn. 44a. 1183 BGHZ 40, 288, 293 f.; LK/Schünemann, § 203 Rn. 34. 1184 NK/Kargl, § 203 Rn. 12. 1185 BGHSt 33, 148, 150, vgl. dazu auch Hanack, JR 1986, 33, 35 und Rogall, NStZ 1985, 372, 374.
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einer der in Abs. 1 bezeichneten Berufsgruppen stehen.1186 Dieser innere Zusammenhang ist gegeben, wenn die Tätigkeit des Schweigepflichtigen zu seinem Berufsbild gehört. Ob er diese Tätigkeit in erlaubter Weise ausübt, ist irrelevant; es ist nicht ersichtlich, wieso etwa ein Arzt, dem die Approbation entzogen wurde, der aber trotzdem Patienten behandelt, nicht schweigepflichtig sein soll.1187 Berufsfremd ist hingegen derjenige tätig, der Straftaten begeht1188 oder z. B. als Rechtsanwalt sich mit Grundstücks- oder Heiratsvermittlung befasst, weil diese Tätigkeiten überwiegend von anderen Personen professionell wahrgenommen werden.1189 Darüber hinaus fehlt es an dem inneren Zusammenhang, wenn der Schweigepflichtige aus rein privater Neugier anlässlich seiner Berufsausübung eigenmächtig in eine fremde Geheimsphäre eindringt (z. B., wenn der Arzt ohne Wissen des Kranken in dessen Nachttisch verwahrte Briefe liest).1190 Fraglich ist, ob auch das im privaten Rahmen mitgeteilte Geheimnis geschützt ist, bspw. wenn einem Arzt auf der Straße oder bei gesellschaftlichen Anlässen die Tatsache preisgegeben wird. Dies wird überwiegend bejaht.1191 Danach sei die verbreitete Formulierung, das Geheimnis müsse dem Arzt usw. in innerem Zusammenhang mit der „Ausübung“ seines Berufs bekannt werden, nicht präzise; es genüge vielmehr, dass der Geheimnisgeschützte den Täter in seiner beruflichen Eigenschaft (einseitig) in Anspruch nehme oder z. B. in privatem Rahmen „sein Herz ausschütte“, sofern die preisgegebenen Informationen inhaltlich mit der Berufstätigkeit der angesprochenen Person in Verbindung stehen.1192 Der Täter muss also ins Vertrauen gezogen worden sein, gerade weil er Arzt, Anwalt usw. ist.1193 Ausnahmsweise ist der Täter nur dann von der Schweigepflicht auszunehmen, wenn er das Geheimnis ohne Bezug auf seine berufliche Funktion erfahren hat, wenn etwa ein Arzt bei einem engeren sozialen Kontakt mit einer Frau Erkenntnisse über deren Gesundheitszustand gewonnen hat.1194 Für ein „Anvertrauen“ einer Tatsache als Geheimnis wird zudem gefordert, es müsse ein ggfs. auch durch berufstypischen Kontakt begründetes Vertrauensverhältnis1195 oder ein besonderer Vertrauensakt vorliegen, etwa in Form der Erwartung,
1186 BGHSt 22, 157, 163; BGHSt 33, 148, 150; MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 39; LK/Schünemann, § 203 Rn. 34; Schlund, JR 1977, 265, 266. 1187 So z. B. LK/Schünemann, § 203 Rn. 35. 1188 BGH Beschl. v. 25. 06. 1976 – StB 18/76; LK/Schünemann, § 203 Rn. 35. 1189 NK/Kargl, § 203 Rn. 12. 1190 S/S/Lenckner/Eisele, § 203 Rn. 15. 1191 MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 40; NK/Kargl, § 203 Rn. 14; S/S/Lenckner/ Eisele, § 203 Rn. 14; Schlund, JR 1977, 265, 266 Fn. 11. 1192 MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 40; NK/Kargl, § 203 Rn. 14. 1193 LK/Schünemann, § 203 Rn. 38. 1194 S/S/Lenckner/Eisele, § 203 Rn. 14. 1195 LK/Schünemann, § 203 Rn. 38.
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dass das Mitgeteilte im Sinne der funktionsgerechten Aufgabenstellung des Empfängers genutzt1196 oder generell geheim gehalten werde.1197 Ob dieses zusätzliche Erfordernis auch für ein sonstiges Bekanntwerden vorliegen muss, ist umstritten. Eine Auffassung befürwortet eine solche restriktivere Bestimmung der Geheimniserlangung.1198 Nur so könne eine Angleichung mit den Fällen des Anvertrauens hergestellt werden; zudem sei es nicht verständlich, warum der Fall des Anvertrauens überhaupt im Tatbestand auftauche, wenn ohnehin jede beliebige Art der Kenntniserlangung ausreichen würde.1199 Danach fehle es etwa an einer Vertrauensbeziehung, wenn ein Betriebsarzt beim Rundgang durch das Werksgelände feststellt, dass ein Mitarbeiter an Alkoholismus leidet; anders sei es aber, wenn er den Mitarbeiter untersucht.1200 An diesem Beispiel ist jedoch zu erkennen, dass die Vertrauensbeziehung mit dem aktuellen Geheimhaltungswillen des Betroffenen vermengt wird. Es kommt nicht auf die Freiwilligkeit der Beziehung, sondern allein darauf an, dass der Sonderpflichtige das Geheimnis im Rahmen seiner Tätigkeit erlangt hat.1201 In diesem Rahmen kann der Geheimnisinhaber eine korrekte Nutzung des Bekanntgewordenen erwarten, da die in § 203 Abs. 1 StGB genannten Funktionsträger regelmäßig mit Geheimnissen in Berührung kommen und staatlicher Kontrolle und ständischer Organisation unterliegen. In einer Vielzahl von Fällen besteht keine Vertrauensbeziehung zum Funktionsträger.1202 Im Verhältnis zum Amtsträger im Rahmen des Abs. 2 kann es ebenfalls an einer „typischerweise auf Vertrauen“ angelegten Sonderbeziehung fehlen.1203 Es ist daher ausreichend, dass der Schweigepflichtige in beruflicher Eigenschaft die Möglichkeit ungehinderter Kenntnisnahme hatte; eine freiwillige Mitwirkung des Betroffenen ist nicht erforderlich.1204 Die Formulierung „sonst bekannt geworden“ spricht für einen Auffangtatbestand1205, der alle verbleibenden Fälle einer Kenntniserlangung außerhalb des Anvertrauens erfassen soll, solange die Grundvoraussetzung des Erlangens in beruflicher Eigenschaft erfüllt ist. Damit fallen Beobachtungen und Wahrnehmungen anlässlich eines ärztlichen Hausbesuches oder der Behandlung eines Bewusstlosen unter die Schweigepflicht.1206 1196 1197 1198
776. 1199
NK/Kargl, § 203 Rn. 14; SK/Hoyer, § 203 Rn. 21. RGSt 13, 60, 62; 66, 273, 274. OLG Köln NStZ 1983, 412; S/S/Lenckner/Eisele, § 203 Rn. 15; Schmitz, JA 1996, 772,
Schmitz, JA 1996, 772, 776. Schmitz, JA 1996, 772, 776. 1201 NK/Kargl, § 203 Rn. 16. 1202 Etwa beim Amtsarzt, Truppenarzt, Anstaltsarzt und -psychologen, Betriebsarzt und -psychologen, gerichtlich bestellten Sachverständigen, dem an die Unfallstelle gerufenen Notarzt und dem „Zwangsverteidiger“. 1203 MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 46. 1204 VG Berlin NJW 1960, 1410; MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 46. 1205 NK/Kargl, § 203 Rn. 16; MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 46. 1206 MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 46. 1200
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hh) Drittgeheimnis Umstritten ist, ob und inwieweit bei Drittgeheimnissen, also solchen personenbezogenen Informationen, die sich nicht auf die hilfesuchende Person (Patient, Mandant usw.) sondern auf einen Dritten beziehen, eine Einschränkung des Tatbestands vorzunehmen ist. Unproblematisch sind Fälle, in denen die im Rahmen eines Vertrauensverhältnisses mitgeteilten Tatsachen über einen Dritten zugleich Geheimnisse auch der anvertrauenden Person sind: Die Mitteilung des Patienten an den Arzt z. B. über eine Erbkrankheit ist mit dem Geheimnis von Familienangehörigen verknüpft, jedoch hat der Schweigepflichtige die betreffende Tatsache eindeutig im Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit und damit innerhalb eines Vertrauensverhältnisses zu dem Mitteilenden erlangt.1207 Ebenso ist es, wenn die Begleitperson eines artikulationsunfähigen Kranken dessen Arzt von seiner Krankheitsgeschichte berichtet, denn auch hier besteht eine Vertrauensbeziehung des Geheimnisbetroffenen (Kranken) zum Schweigepflichtigen. Erst wenn das mitgeteilte Geheimnis ausschließlich einen Dritten betrifft, hängt die Entscheidung über den strafrechtlichen Schutz davon ab, welche Anforderungen an die Beziehung zwischen dem Sonderpflichtigen und der dritten Person gestellt werden. In der Literatur finden sich verschiedene Ansätze für eine Einschränkung des strafrechtlichen Schutzes von Drittgeheimnissen. Es wird teils gefordert, der Schweigepflichtige müsse zum Betroffenen in einer typischerweise auf Vertrauen beruhenden Sonderbeziehung stehen1208, bspw. im Falle eines Untersuchungsbefunds, der Rückschlüsse auf körperliche Eigenschaften der Eltern des Untersuchten zulässt.1209 Vertreten wird für das Arzt-Patienten-Verhältnis zudem, dass Drittgeheimnisse nur dann erfasst seien, wenn sie in einem „gewissen Rechtskreis“ zum Patienten stehen und „normalerweise im Rahmen eines guten Arzt-Patienten-Verhältnisses schützenswert“ erscheinen.1210 Danach sei ein schützenswertes Drittgeheimnis anzunehmen im Falle eines geschlechtskranken Patienten, der dem Arzt von der Ansteckung durch seine Frau erzählt, nicht aber, wenn der durch eine Stichwunde verletzte Patient dem Arzt mitteilt, dass er von seinem Nachbarn verletzt wurde.1211 Nach Ansicht von Ostendorf unterfallen Geheimnisse nur dann dem strafrechtlichen Schutz, wenn deren Mitteilung zur Behebung gesundheitlicher oder rechtli-
1207
Rn. 39. 1208
Tröndle/Fischer, § 203 Rn. 12; NK/Kargl, § 203 Rn. 16; LK/Schünemann, § 203
SK/Hoyer, § 203 Rn. 24; vgl. auch BGHZ NJW 1990, 510: besondere Vertrauensbeziehung durch ausdrückliche Bitte um persönliche Beratung; nach S/S/Lenckner/Eisele, § 203 Rn. 15 könne die Sonderbeziehung zum Betroffenen oder zum Mitteilenden bestehen. 1209 Vgl. dazu auch OLG Köln NStZ 1983, 412, dazu Rogall, NStZ 1983, 412 f. 1210 Hackel, NJW 1969, 2257, 2258. 1211 Hackel, NJW 1969, 2257.
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cher Not erforderlich sei oder doch für erforderlich gehalten werde.1212 Dies folge daraus, dass das Geheimnis „als“ Arzt, Rechtsanwalt usw. anvertraut bzw. bekannt geworden sein muss, also alles sei, „was ein Arzt nur deshalb von anderen Personen erfährt, weil er Arzt ist“.1213 In jüngerer Zeit wird gefordert, dass Drittgeheimnisse innerhalb eines ausdrücklich oder konkludent bestimmten Verschwiegenheitsrahmens vom Patienten oder von einem anderen Anvertrauenden mitgeteilt oder in einem inneren Zusammenhang damit erfahren worden sein müssen, so dass bspw. auch die Feststellung der Trunkenheit des Retters bei einem Verkehrsunfall durch den Arzt einbezogen wird.1214 Für eine restriktive Bestimmung des Drittgeheimnisschutzes durch § 203 StGB soll sprechen, dass die Bemühungen zur Einführung eines allgemeinen Indiskretionsdeliktes wegen einer Überschreitung der Strafwürdigkeitsgrenzen gescheitert sind.1215 Hieraus sei die Notwendigkeit einer restriktiven Auslegung zu folgern. Zudem sei wegen des Ausschlusses eines überindividuellen Rechtsgutsschutzes durch § 203 StGB eine Ausdehnung des Geheimnisschutzes auf die außerhalb einer konkreten Vertrauensbeziehung erfahrenen Geheimnisse abzulehnen.1216 Der Drittgeheimnisträger müsse das illoyale Verhalten des „plaudernden“ Mitteilenden nach dem viktimodogmatischen Grundsatz des unzureichenden Selbstschutzes ungesühnt hinnehmen.1217 Die viktimodogmatische These muss jedoch aus oben genannten Gründen1218 abgelehnt werden. Die Ansätze zur restriktiven Auslegung des Drittgeheimnisschutzes finden im Wortlaut, nach dem das Erlangen eines Geheimnisses in beruflicher Eigenschaft genügt, keine Stütze.1219 Der Forderung, dass ein Geheimnis dem Funktionsträger gerade deshalb zugeht, weil er Arzt, Rechtsanwalt usw. ist, wird mit dem Erfordernis der Geheimniserlangung in beruflicher Eigenschaft hinreichend Rechnung getragen. Zufällige Beobachtungen des Arztes an einer Begleitperson im Wartezimmer oder das zufällige Mithören eines Gesprächs zwischen den Angehörigen des Patienten im Nebenzimmer kommen als Schutzobjekte des § 203 StGB in Betracht, soweit die personenbezogenen Informationen dem Schweigepflichtigen gerade in seiner Eigenschaft als Arzt bekanntgeworden sind. Sicher auszuschließen ist ein Drittgeheimnisschutz nur für die Fälle, in denen der Sonderpflichtige auch
1212
Ostendorf, JR 1981, 444, 448. Ostendorf, JR 1981, 444, 448. 1214 NK/Kargl, § 203 Rn. 18; LK/Schünemann, § 203 Rn. 39; i.E. auch Mitsch, JuS 1989, 964, 967. 1215 LK/Schünemann, § 203 Rn. 39. 1216 NK/Kargl, § 203 Rn. 18. 1217 LK/Schünemann, § 203 Rn. 39. 1218 Vgl. oben C. V. 2. c). 1219 MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 78; i.E. auch Rogall, NStZ 1983, 412, 413. 1213
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hinsichtlich der Erhebungssituation wie ein beliebiger privater Dritter Kenntnis erlangt.1220 In den Schutzbereich des § 203 Abs. 1 StGB sind demnach Drittgeheimnisse weitgehend einbezogen. Derjenige, auf den sich das Geheimnis bezieht, ist unabhängig davon, wer das Geheimnis mitteilte, alleiniger Träger des geschützten Rechtsguts, wenn das Geheimnis nur diesem Dritten zugehörig ist.1221 In solchen Fällen kommt es auf den Geheimhaltungswillen des Dritten an1222 und nur er kann ein Einverständnis mit der Weitergabe des Geheimnisses wirksam erklären.1223 Teilweise wird zwar angenommen, dass auch im Falle der Mitteilung eines Drittgeheimnisses der Anvertrauende entweder allein1224 oder neben der Person, die das Geheimnis betrifft, verfügungsberechtigt ist.1225 Wer das Geheimnis mangels eigener Schweigepflicht selbst beliebig weiterverbreiten darf, müsse zu diesem Weiterverbreiten auch den Schweigepflichtigen wirksam ermächtigen können.1226 Es ist jedoch nicht ersichtlich, wieso aus der Mitwisserschaft und der Straflosigkeit der Mitteilung an den Schweigepflichtigen eine (Mit-)Verfügungsbefugnis des Mitteilenden erwachsen soll.1227 Zudem kann dem Erstmitteilenden nicht die Schutzwürdigkeit seiner Geheimnisse zugestanden und er gleichzeitig entmündigt werden, indem man andere (den Zweitmitteilenden) darüber verfügen lässt.1228 b) Tathandlung aa) Offenbaren Tathandlung nach § 203 Abs. 1 StGB ist das Offenbaren. Hierunter ist jede Mitteilung von Tatsachen aus dem Kreis der Wissenden oder zum Wissen Berufenen zu verstehen.1229 Zu diesem Kreis gehört, wer nach dem Willen des Berechtigten das 1220
S/S/W/Bosch, § 203 Rn. 8. BVerfG NJW 2002, 2307, 2308; MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 77; Rogall, NStZ 1983, 412, 413 f.; Welp, in: Lackner/Leferenz/Schmidt u. a. (Hrsg.), Festschrift für Wilhelm Gallas, 1973, S. 391, 394. 1222 MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 77. 1223 OLG Hamburg NJW 1962, 689, 691; MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 79; NK/ Kargl, § 203 Rn. 55; Tröndle/Fischer, § 203 Rn. 70; Göppinger, NJW 1958, 241, 243; Hackel NJW 1969, 2257, 2259; Rogall NStZ 1983, 412, 414. 1224 S/S/W/Bosch, § 203 Rn 38; Schmitz, JA 1996, 949, 952; Rogall, NStZ 1983, 412, 414. 1225 OLG Köln NStZ 1983, 412; LK/Schünemann, § 203 Rn. 99; S/S/Lenckner/Eisele, § 203 Rn. 23. 1226 Schünemann, ZStW 90 (1978), 11, 58. 1227 Kritisch auch MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 79; Rogall, NStZ 1983, 412, 414. 1228 LK/Jähnke, § 203 Rn. 62 in der 10. Auflage. 1229 LK/Schünemann, § 203 Rn. 41; Arzt/Weber/Heinrich u. a., Strafrecht, besonderer Teil, § 8 Rn. 33; Maurach/Schroeder/Maiwald, Besonderer Teil I, § 29 III Rn. 26. 1221
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C. Umsetzung durch den Gesetzgeber
Geheimnis als solches erfahren darf und in Funktionseinheiten (Kanzlei, Praxis, Behörde) als Bediensteter Zugang zu ihm hat.1230 Es ist nicht erforderlich, dass der Mitteilungsempfänger selbst schweigepflichtig ist.1231 Ihm muss Wissen vermittelt werden, das ihm noch verborgen ist oder von dem er jedenfalls noch keine sichere Kenntnis hat.1232 Maßgeblich ist dabei die objektive Sachlage und nicht die Sicht des Offenbarenden, weil die Rechtsgutsverletzung nicht im Vertrauensbruch, sondern in der tatsächlichen Informationsweitergabe liegt.1233 Das Wissen muss so konkret sein, dass das offenbarte Geheimnis einer Person oder Personenmehrheit zugeordnet werden kann.1234 Da es bei der wissenschaftlichen Erörterung praktischer Fälle in Veröffentlichungen und Vorträgen in anonymisierter oder pseudonymisierter Form nicht zu einer Individualisierung des Betroffenen kommt, ist kein Offenbaren gegeben.1235 Ein Offenbaren liegt auch nicht vor, wenn der Empfänger das betreffende Geheimnis bereits früher – rechtmäßig oder rechtswidrig – vollständig erfahren hat.1236 Das Rechtsgut ist ebenfalls nicht verletzt, wenn der Empfänger die Mitteilung nicht zur Kenntnis nimmt.1237 Dies ist bei mündlicher Übermittlung denkbar, wenn der Empfänger die Mitteilung nicht versteht.1238 Dagegen genügt bei einem in einem Schriftstück usw. verkörperten Geheimnis der Zugang beim Empfänger, also das Verschaffen des Gewahrsams mit der Möglichkeit der Kenntnisnahme durch diesen.1239 Als problematisch angesehen wird die Offenbarung eines digitalisierten Geheimnisses.1240 Denkbar sind Fälle, in denen ein Arzt oder Anwalt einen EDVDienstleister damit beauftragt, bestimmte Software zu installieren oder Datenbanken zu erstellen, die mit den digitalisierten Daten der Patienten bzw. Mandanten arbeiten. Ob das Verschaffen der tatsächlichen Möglichkeit der Kenntnisnahme durch Zugriff des beauftragten Computer-Service-Personal auf die gesamte EDV-Anlage als eine Offenbarung aller darin gespeicherten Geheimnisse anzusehen ist, sei zweifelhalft, weil eine reale Kenntnisnahme bei Durchführung des Service bestenfalls in exemplarischer Hinsicht in Betracht komme, während für die übrigen Geheimnisse eine
1230
LK/Schünemann, § 203 Rn. 41. MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 48. 1232 BGHSt 27, 120, 121; BGH NJW 1995, 2915; MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 48; LK/Schünemann, § 203 Rn. 41; SK/Hoyer, § 203 Rn. 31; Tröndle/Fischer, § 203 Rn. 34. 1233 Tröndle/Fischer, § 203 Rn. 34; LK/Schünemann, § 203 Rn. 41; S/S/Lenckner/Eisele, § 203 Rn. 19. 1234 S/S/Lenckner/Eisele, § 203 Rn. 19. 1235 MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 48. 1236 LK/Schünemann, § 203 Rn. 41. 1237 MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 48. 1238 S/S/Lenckner/Eisele, § 203 Rn. 19; LK/Schünemann, § 203 Rn. 41. 1239 RGSt 51, 184, 189; LK/Schünemann, § 203 Rn. 41. 1240 Übersichtsartige Darstellung bei LK/Schünemann, § 203 Rn. 41. 1231
V. § 203 StGB – Verletzung von Privatgeheimnissen
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zusätzliche Speicherung oder ein Ausdruck notwendig wäre.1241 Daraus wird teilweise gefolgert, dass bei Diensten zur technischen Wartung kein Offenbaren vorliege, beim kompletten Outsourcing der inhaltlichen Datenverarbeitung hingegen schon.1242 Werden die Daten vor der Bearbeitung anonymisiert oder werden dem EDV-Dienstleister sog. „Musterdaten“ zur Verfügung gestellt, um die bestellte Software danach auszurichten, liegt kein Offenbaren vor. bb) Unbefugt Bei den §§ 201 – 202a StGB schließt das Einverständnis des Berechtigten den Tatbestand aus. Im Hinblick auf den Geheimnisbegriff in § 203 StGB muss differenziert werden zwischen einem Einverständnis in Form eines fehlenden Geheimhaltungswillens (dann schon kein Geheimnis) und der erteilten Befugnis, ein Geheimnis dürfe an eine bestimmte Person oder einen bestimmten Personenkreis weitergegeben werden. In letzterem Fall ist man sich uneinig, ob durch die Zustimmung zur Geheimnisweitergabe eine Rechtsgutsverletzung fortbesteht und lediglich auf Rechtswidrigkeitsebene gerechtfertigt ist1243 oder bereits der Tatbestand ausgeschlossen ist.1244 Für die §§ 201 ff. StGB ergibt sich dabei die Besonderheit, dass als Schutzzweck autonom gesteuerte Verfügungsrechte über bestimmte Aspekte des allgemeinen Persönlichkeitsrechts anzusehen sind. Wenn solche Schutzgüter betroffen sind, „bei denen es der Allgemeinheit auf den Schutz der Dispositionsfreiheit des einzelnen ankommt, bleibt das Rechtsgut unverletzt, wenn der Berechtigte den Gegenstand ohne Willensmängel ganz oder teilweise preisgibt.“1245 Da der Geheimnisträger durch die Zustimmung sein Informationsbeherrschungsrecht als Ausprägung des informationellen Selbstbestimmungsrechts ausübt und daher eine Verletzung des Rechtsguts ausgeschlossen ist, erscheint die Annahme eines tatbestandsausschließenden Einverständnisses zutreffend. Dies gilt jedoch nur für ein Offenbaren mit ausdrücklicher oder stillschweigender Einwilligung des Rechtsgutsträgers; eine Befugnis, die sich aus einer Interessenabwägung ergibt, wirkt sich erst auf Rechtswidrigkeitsebene aus.1246 Rechtsgutsträger und damit Be-
1241 Was dem Serviceunternehmen im Normalfall nicht gestattet ist und daher auch nicht erfolgt, LK/Schünemann, § 203 Rn. 41. 1242 LK/Schünemann, § 203 Rn. 41; vgl. zu den hierbei entstehenden Streitfragen Lilie, in: Dannecker (Hrsg.), Festschrift für Harro Otto, 2007, S. 673 ff.; Hilgendorf, in: Sieber (Hrsg.), Festschrift für Klaus Tiedemann zum 70. Geburtstag, 2008, S. 1125 ff. 1243 OLG Bremen MedR 1984, 112; Tröndle/Fischer, § 203 Rn. 61 f.; NK/Kargl, § 203 Rn. 50; LK/Schünemann, § 203 Rn. 93; Göppinger, NJW 1958, 241; Rogall, NStZ 1983, 1, 6. 1244 BGHSt 4, 355, 356; OLG Köln NJW 1962, 686, dazu Bindokat, NJW 1962, 686 f.; MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 55; S/S/Lenckner/Eisele, § 203 Rn. 22; Maurach/ Schroeder/Maiwald, Besonderer Teil I, § 29 III Rn. 45. 1245 Weigend, ZStW 98 (1986), 44, 61. 1246 So auch Maurach/Schroeder/Maiwald, Besonderer Teil I, § 29 III Rn. 45.
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C. Umsetzung durch den Gesetzgeber
rechtigter ist derjenige, auf den sich die geheimgehaltene Information bezieht.1247 Im Sonderfall, dass ein Geheimnis mehrere Personen betrifft, können auch nur alle Betroffenen wirksam ihr Einverständnis mit einer Offenbarung erklären.1248 Über Geheimnisse einer juristischen Person verfügt grundsätzlich das vertretungsberechtigte Organ durch seine gegenwärtigen Mitglieder, auch wenn das Organ im Zeitpunkt des Zugangs des Geheimnisses anders besetzt war.1249 Bei Drittgeheimnissen ist zu prüfen, wer Betroffener des Geheimnisses ist. Übergibt etwa die Ehefrau dem Arzt Unterwäsche des Ehemanns zwecks Untersuchung auf Erreger einer Geschlechtskrankheit, kann nur der Ehemann tatbestandsausschließend in die Preisgabe des Untersuchungsergebnisses einwilligen, während nur die Ehefrau ihr Einverständnis mit der Offenbarung der geheimen Tatsache geben kann, dass sie den Arzt mit dem Untersuchungsmaterial und ihrem Anliegen besuchte.1250 Besonderheiten ergeben sich zudem hinsichtlich der Einwilligungsfähigkeit des Rechtsgutsträgers, da das Einverständnis Befugnisse und im Prozess auch Pflichten (z. B. Zeugnispflicht, §§ 51, 70 StPO) auslöst. Für ein wirksames Einverständnis reicht die rein faktische Aufgabe des Geheimhaltungswillens nicht aus.1251 Vielmehr setzt ein wirksames Einverständnis voraus, dass der Zustimmende eine im Wesentlichen zutreffende Vorstellung davon hat, worin er einwilligt, und dass er Bedeutung und Tragweite seiner Entscheidung zu überblicken vermag.1252 Dies ist insbesondere bei Generalvollmachten1253 fraglich sowie bei formularmäßigen, allgemeinen Ermächtigungen, wie sie etwa in Krankenhausaufnahmeverträgen vorkommen, wenn deren Zweck, Umfang und Tragweite für den Einwilligenden nicht überschaubar sind.1254 Willensmängel wie etwa nach Drohungen, Täuschungen und Irrtümern können zur Unwirksamkeit des Einverständnisses führen.1255 Das Einverständnis kann ausdrücklich oder konkludent erklärt werden und bedarf keiner besonderen Form; es muss jedoch vor der Tat nach außen (nicht zwingend für den Schweigepflichtigen)1256 erkennbar geworden sein.1257 Ein konkludentes Einverständnis kann angenommen werden, wenn die Mitwirkung des Betroffenen an einem bestimmten Geschehensablauf seiner Natur nach auf das Offenbaren von Geheim1247
OLG Hamburg NJW 1962, 689, 691; MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 56; Göppinger, NJW 1958, 241, 243; Hackel, NJW 1969, 2257; Rogall, NStZ 1983, 412, 414. 1248 LK/Schünemann, § 203 Rn. 98; MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 56; Ostendorf, JR 1981, 444, 448. 1249 LK/Schünemann, § 203 Rn. 100; MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 57; S/S/ Lenckner/Eisele, § 203 Rn. 23. 1250 I. E. MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 80. 1251 LK/Schünemann, § 203 Rn. 94; MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 58. 1252 MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 59. 1253 LK/Schünemann, § 203 Rn. 104. 1254 Göppinger, NJW 1958, 241, 243; Weichert, NJW 2004, 1695, 1697. 1255 LK/Schünemann, § 203 Rn. 103; MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 59. 1256 MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 60. 1257 S/S/Lenckner/Eisele, § 203 Rn. 24.
V. § 203 StGB – Verletzung von Privatgeheimnissen
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nissen angelegt ist.1258 Dies ist etwa dann der Fall, wenn die Inanspruchnahme des Schweigepflichtigen speziell im Hinblick auf die von einem Dritten verlangte oder benötigte Information erfolgt ist1259 ; so wird etwa ein Patient, der sich auf Grund einer Einweisung durch seinen Hausarzt in einer Klinik untersuchen lässt, regelmäßig damit einverstanden sein, dass der Klinikarzt dem Hausarzt berichtet.1260 Den Umfang seines Einverständnisses kann der Berechtigte sowohl in persönlicher als auch in zeitlicher1261 und sachlicher Hinsicht beschränken, etwa hinsichtlich bestimmter Erkrankungen.1262 Bei stillschweigendem Einverständnis und bei Fehlen einer näheren Bestimmung seiner Reichweite ergeben sich eventuelle Beschränkungen aus der konkreten Sachlage, wobei verschiedene Anhaltspunkte für die Auslegung genannt werden1263 : Die Natur des Geheimnisses, der Zweck des Anvertrauens oder der Offenbarung und der übliche Umgang mit dem Geheimnis können Rückschlüsse auf eine Beschränkung des Einverständnisses zur Offenbarung zulassen. Danach dürfen z. B. gegenüber den Mitpatienten im Mehrbettzimmer ohne ausdrückliches Einverständnis nur die üblichen und alltäglichen Behandlungsmaßnahmen offengelegt werden1264, etwa wann eine bestimmte Untersuchung stattfinden wird oder ob Medikamente verabreicht werden, nicht aber der Befund oder die Art der Medikamente. c) Rechtswidrigkeit Die Offenbarung durch den Schweigepflichtigen kann durch eine mutmaßliche Einwilligung gerechtfertigt sein, wobei die allgemeinen Grundsätze gelten. Eine Besonderheit soll sich für schwerkranke Patienten ergeben können: Ausnahmsweise könne eine mutmaßliche Einwilligung auch ohne vorherige Rückfrage angenommen werden, etwa zur Information der Angehörigen über die notwendige Pflege oder zur Feststellung der Einwilligungsfähigkeit des Patienten.1265 Die Annahme einer mutmaßlichen Einwilligung in Fällen, in denen der Patient ansprechbar und einwilligungsfähig ist, erscheint jedoch sehr fraglich, da die Befragung des Patienten in solchen Fällen immer Vorrang hat. Drohen den Rechtsgütern des Geheimnisbetroffenen, des Schweigepflichtigen oder der Allgemeinheit Gefahren, kommt eine Befugnis gem. § 34 StGB im recht1258
S/S/W/Bosch, § 203 Rn. 37. S/S/Lenckner/Eisele, § 203 Rn. 24b. 1260 OLG München NJW 1993, 797; OLG Düsseldorf GesR 2008, 587, 588. 1261 Vgl. BGH NJW 2011, 3149, 3150. 1262 OLG Hamburg NJW 1962, 689, 690. 1263 LK/Schünemann, § 203 Rn. 108; MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 64. 1264 MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 64; Langkeit, NStZ 1994, 6, 8; kritisch Taupitz, MDR 1992, 421, 425. 1265 LK/Schünemann, § 203 Rn. 130; MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 85. 1259
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C. Umsetzung durch den Gesetzgeber
fertigenden Notstand in Betracht, wobei sich stets nur eine Befugnis, nicht jedoch eine Pflicht zur Offenbarung ergeben kann.1266 Hingegen kann sich eine Offenbarungspflicht per Gesetz ergeben wie z. B. die Pflicht zur Anzeige bestimmter Straftaten in § 138 StGB, die gemäß § 139 Abs. 3 S. 2 für Rechtsanwälte, Verteidiger und Ärzte zu einem Wahlrecht modifiziert wird.1267 Wird gegen einen Schweigepflichtigen die Zwangsvollstreckung betrieben, folgen Offenbarungspflichten aus den §§ 807, 836 Abs. 3 ZPO bzw. in der Insolvenz aus § 22 Abs. 3 InsO, die sich jedoch nur auf die unverzichtbare Offenbarung des Namens und der Anschrift des Drittschuldners, des Grundes und der Höhe der Forderung sowie der Beweismittel beschränken und sonstige personenbezogene Informationen über den Geheimnisträger unberührt lassen. Weitere gesetzliche Offenbarungspflichten ergeben sich insbesondere aus § 159 Abs. 1 StPO (Anzeigepflicht bei Anhaltspunkten auf nicht natürlichen Tod) und aus den Sozialgesetzbüchern.1268 Die Weitergabe von Geheimnissen kann auch von gesetzlichen Offenbarungsbefugnissen gerechtfertigt sein, so etwa bei einer Anzeige wegen des Verdachts der Geldwäsche nach § 11 GwG. Problematisch ist, ob darüber hinaus der Rechtfertigungsgrund der Wahrnehmung berechtigter Interessen unmittelbar oder entsprechend angewandt werden sollte, was die grundsätzliche Frage aufwirft, ob eine allgemeine Güter- und Interessenabwägung als Begründung für eine Rechtfertigung herangezogen werden kann.1269 Teilweise wird dies bejaht und bei der Rechtfertigung auf eine schlichte Interessenabwägung abgestellt.1270 Wenn sogar eine objektiv unwahre, ehrenrührige Tatsachenbehauptung gerechtfertigt sei, wenn sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen angemessen erscheine, müsse dasselbe erst recht für das Offenbaren zwar geheimer, jedoch nicht unwahrer oder unehrenhafter Tatsachen gelten.1271 Ein solches Verständnis ist jedoch zweifelhaft, weil dann dem § 193 StGB der allgemeine Grundsatz zu entnehmen sein müsste, dass eigene berechtigte Interessen eine Befugnis zur Verletzung der Rechtsgüter anderer verleihen; hiergegen spricht schon die systematische Stellung des § 193 StGB im Besonderen Teil des StGB.1272 Darüber hinaus besteht wegen der grundrechtlichen Verankerung der informationellen Selbstbestimmung auch kriminalpolitisch kein Bedürfnis, den Geheimnisschutz über die von 1266
MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 84; Lenckner, NJW 1965, 321, 327. MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 89. 1268 Vgl. z. B. die Übersicht bei NK/Kargl, § 203 Rn. 71 – 74. 1269 Zu dieser Frage Sieber, in: Arnold (Hrsg.), Menschengerechtes Strafrecht, 2005, S. 1155 ff. 1270 BGHSt 1, 366; BGH NJW 1968, 2288; BGHZ 115, 123; OLG Karlsruhe NJW 1984, 676; OLG Köln NJW 2000, 3657; Rogall, NStZ 1983, 1, 6; Sieber, in: Arnold (Hrsg.), Menschengerechtes Strafrecht, 2005, S. 1155, 1176. 1271 Vgl. Darstellung bei SK/Hoyer, Vor. § 201 Rn. 16. 1272 NK/Kargl, § 203 Rn. 70; MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 85; Lenckner, JuS 1988, 349, 353. 1267
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§ 34 StGB gezogenen Grenzen hinaus zu relativieren.1273 Eine analoge Anwendung des § 193 StGB scheitert nach Ansicht von Hoyer darüber hinaus an der fehlenden Gleichartigkeit der Interessenlagen1274 : Bei den Ehrdelikten liege die Funktion des § 193 StGB darin, dem Täter bei Ungewissheit über die Wahrheit ehrenrühriger Tatsachen das Risiko abzunehmen, sich durch deren Behauptung oder Verbreitung strafbar zu machen. Stelle sich das Geäußerte im Nachhinein als unwahr heraus oder lasse sich seine Wahrheit zumindest nicht erweisen, so drohe dem Täter ohne Anwendung des § 193 StGB selbst dann eine Strafbarkeit nach § 186 StGB, wenn er an die Wahrheit seiner Äußerungen zum Tatzeitpunkt geglaubt habe und aufgrund seines Informationsstands auch glauben durfte. § 193 StGB befreie also denjenigen Täter, der mit seiner Äußerung berechtigte Interessen verfolgt, von dem Risiko, dass sich die Tatsachenlage ex post anders präsentiere, als sie ex ante für ihn erkennbar gewesen sei. Für § 203 StGB seien diese Gesichtspunkte jedoch nicht zutreffend, weil kein vergleichbares Irrtumsrisiko bestehe. Verkenne der Täter irrig das Geheimhaltungsinteresse oder den Geheimhaltungswillen seines Opfers, so entfallen sein Vorsatz und damit auch seine Strafbarkeit.
4. Resümee § 203 StGB dient allein dem Individualrechtsgüterschutz und gewährleistet den strafrechtlichen Schutz des informationellen Selbstbestimmungsrechts beschränkt auf die unbefugte Weitergabe nicht offenkundiger personenbezogener Daten, mithin des Informationsbeherrschungsrechts. Rechtsgutsträger ist derjenige, den die personenbezogene Information betrifft. Maßgebliches Element des Geheimnisses ist der Geheimhaltungswille. Kann der Rechtsgutsträger keinen tatsächlichen Willen bilden oder hat er keine Kenntnis von dem Geheimnis, ist ein genereller Geheimhaltungswille zu unterstellen. Ein Einverständnis des Rechtsgutsträgers wirkt tatbestandsausschließend und kann auch konkludent gegeben werden, wobei hohe Anforderungen an die Ermittlung eines entsprechenden Willens zu stellen sind. Eine allgemeine Interessen- und Güterabwägung kann im Hinblick auf das durch § 203 StGB partiell geschützte informationelle Selbstbestimmungsrecht nicht zu einer Rechtfertigung führen.
1273
OLG Karlsruhe MedR 2007, 253; OLG Schleswig-Holstein WM 2007, 2103; NK/ Kargl, § 203 Rn. 70; MüKo-StGB/Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 85; Tröndle/Fischer, § 203 Rn. 86; Schmitz, JA 1996, 949, 953; Lenckner, JuS 1988, 349, 353. 1274 Vgl. dazu SK/Hoyer, Vor. § 201 Rn. 16.
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C. Umsetzung durch den Gesetzgeber
VI. § 206 StGB – Verletzung des Post- oder Fernmeldegeheimnisses 1. Entstehungsgeschichte § 206 StGB in seiner geltenden Fassung wurde durch Art. 2 Abs. 13 Nr. 6 Begleitgesetz zum Telekommunikationsgesetz vom 19. 12. 19971275 in die Regelungsmaterie des 15. Abschnitts des StGB aufgenommen. Die Strafnorm sollte § 354 StGB a.F. ersetzen, der infolge der Umstrukturierung im Post- und Telekommunikationsbereich überholt war. § 354 StGB a.F. ging seinerseits auf § 354 (Verletzung des Postgeheimnisses) und § 355 (Verletzung des Telegraphengeheimnisses) des Reichsstrafgesetzbuchs zurück, welche als Sonderdelikte ausgestaltet waren und als Täter der Geheimnisverletzung primär die Ressortbeamten der Vermittlungsanstalten mit Strafe bedrohten; postfremde Personen wurden nur dann erfasst, wenn sie mit der Beaufsichtigung oder Bedienung einer zu öffentlichen Zwecken dienenden Telegraphenanstalt oder Fernsprechanlage betraut waren.1276 Mit der Zusammenfassung dieser beiden Normen in § 354 StGB a.F. wurde in erster Linie der enge Täterkreis aufgebrochen: Neben den Postbeamten, die wegen der ihnen „zustehenden tatsächlichen Möglichkeiten, auf die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Postund Fernmeldeverkehrs einzuwirken“1277, als taugliche Täter angesehen wurden, sollten fortan auch postfremde Personen erfasst werden, die bei Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit ähnliche Einwirkungsmöglichkeiten auf den dienstlichen Geheimbereich der Post hätten; so etwa Bahnbedienstete oder Mitarbeiter von Fluggesellschaften, die mit postalischen Verrichtungen betraut sind.1278 Ebenso sollten Amtsträger, denen im Rahmen eines befugten (z. B. nach §§ 99, 100a ff. StPO erfolgten) Eingriffs geheimnisgeschützte Umstände bekannt geworden sind, und Beschäftigte postfremder Fernmeldeanlagen und der für solche Anlagen tätigen, dem öffentlichen Verkehr dienenden Betriebe in den Täterkreis aufgenommen werden.1279 Grundgedanke bei der Schaffung des § 354 StGB a.F. war das Bestehen einer Postinstitution, die grundsätzlich allein für die Beförderung von Sendungen und die Vermittlung von Nachrichten zuständig ist. Diese Bedingungen entfielen jedoch mit der Privatisierung der Deutschen Bundespost und der Zulassung privater Wettbewerber. So kam es mit der Einführung des § 206 StGB neben der Verschiebung vom 30. (Straftaten im Amt) in den 15. Gesetzesabschnitt auch inhaltlich zu Änderungen; insbesondere wurde der Täterkreis an die Verhältnisse des liberalisierten Marktes angepasst. Mögliche Täter sind nicht mehr „Bedienstete der Post“, sondern die 1275
BGBl. I, S. 3108; BT-Drucks. 13/8016, 13/8453, 13/8776. Welp, in: Eser (Hrsg.), Festschrift für Theodor Lenckner zum 70. Geburtstag, 1998, S. 619, 620. 1277 BT-Drucks 7/550, S. 284. 1278 BT-Drucks 7/550, S. 284. 1279 Welp, in: Eser (Hrsg.), Festschrift für Theodor Lenckner zum 70. Geburtstag, 1998, S. 619, 620. 1276
VI. § 206 StGB – Verletzung des Post- oder Fernmeldegeheimnisses
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„Inhaber oder Beschäftigten eines Unternehmens, das geschäftsmäßig Post- oder Telekommunikationsdienste erbringt“. Darüber hinaus wurden die Definitionen der Begriffe „Postgeheimnis“ und „Fernmeldegeheimnis“ in Abs. 5 an § 39 Abs. 1 PostG und an § 89 Abs. 1 TKG angeglichen.1280 Schließlich wurden einige Strafbarkeitslücken beseitigt1281: Der geänderte Abs. 3 verweist nicht nur auf Abs. 1, sondern auch auf Abs. 2 und schließt so eine bei § 354 Abs. 3 S. 2 StGB a.F. für die Personengruppe des heutigen Abs. 3 Nr. 3 bestehende Strafbarkeitslücke. Abs. 4 beseitigt durch die Einbeziehung unbefugter Eingriffe die bei § 354 Abs. 4 StGB a.F. bestehende Privilegierung von Amtsträgern, die durch unbefugte Eingriffe Dritter bekannt gewordene Tatsachen unbefugt mitteilen.1282 Durch die Verortung hinter § 205 StGB betonte der Gesetzgeber die Eigenschaft des § 206 StGB als Offizialdelikt.1283
2. Normzweck Die Aufnahme des § 206 StGB in den 15. Abschnitt des StGB entfachte wegen der gleichzeitigen Verortung hinter § 205 StGB und der damit verbundenen Ausgestaltung als Offizialdelikt eine Diskussion um das geschützte Rechtsgut. Trotz der Eigenschaft als Offizialdelikt besteht für § 206 StGB anders als bei § 203 StGB hinsichtlich der Rechtsgutsbestimmung in der Literatur Einigkeit darüber, dass § 206 StGB jedenfalls auch dem individuellen Geheimhaltungsinteresse des auf die Dienstleistungen der Postunternehmen angewiesenen Bürgers dient.1284 Teilweise wird vertreten, auch das Allgemeininteresse in Form des Vertrauens in die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Post- und Telekommunikationsverkehrs werde gleichrangig mitgeschützt.1285
1280
BT-Drucks. 13/8016, S. 26. BT-Drucks. 13/8016, S. 26, 29; NK/Kargl, § 206 Rn. 42. 1282 MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 6. 1283 BT-Drucks. 13/8016, S. 2. 1284 Welp, Die strafprozessuale Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs, S. 38, 39; ders., in: Eser (Hrsg.), Festschrift für Theodor Lenckner zum 70. Geburtstag, 1998, S. 619, 629; NK/Kargl, § 206 Rn. 1; MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 1; S/S/Lenckner/Eisele, § 206 Rn. 2; Dölling/Duttke/Rössner/Tag, § 206 Rn. 2. 1285 Dölling/Duttke/Rössner/Tag, § 206 Rn. 2; Tröndle/Fischer, § 206 Rn. 1; L/Kühl, § 206 Rn. 1. 1281
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C. Umsetzung durch den Gesetzgeber
a) Ausschließlicher Individualschutz aa) Interesse an der Vertraulichkeit abgeschirmter individueller Kommunikation Nach Ansicht von Welp dient § 206 StGB mit Ausnahme des Abs. 4 StGB ausschließlich Individualinteressen.1286 Daneben sei zwar das allgemeine Interesse an der Zuverlässigkeit und Sicherheit des Post- und Fernmeldeverkehrs ebenfalls als Schutzgut von § 354 StGB a.F. denkbar gewesen, da die Post eine mit Monopolrechten versehene Anstalt des Staates war. Mit der Privatisierung des Post- und Fernmeldewesens sei die selbständige Bedeutung des öffentlichen Interesses gegenüber privaten Anbietern jedoch verloren gegangen, so dass sich die Qualität des Schutzgutes verändert habe; das grundsätzlich bestehende öffentliche Interesse an einer Grundversorgung von Post- und Telekommunikationsdiensten beziehe sich insoweit nicht auf einzelne (private) Dienstleistungen.1287 Stattdessen beziehe sich der Geheimnisschutz des § 206 StGB auf die §§ 39 Abs. 2 PostG, 85 Abs. 2 TKG, wonach das Verbot bestimmt werde, sich oder anderen über das zur Erbringung der Post- oder Telekommunikationsdienstleistungen erforderliche Maß hinaus Kenntnis vom Inhalt und den näheren Umständen des Post- und Telekommunikationsverkehrs zu verschaffen; Adressat sei jeder, der geschäftsmäßig Post- oder Telekommunikationsdienste erbringe oder daran mitwirke, und zwar über die Dauer der Tätigkeit hinaus, durch die seine Geheimhaltungsverpflichtung begründet worden sei.1288 Somit habe das Schutzgut des § 206 StGB nunmehr eine einfachgesetzliche Basis. Geschützt werde das „private Interesse an der Vertraulichkeit abgeschirmter individueller Kommunikation, die infolge der Distanz der an ihr beteiligten Personen einer Vermittlung bedarf und deren Integrität hierdurch spezifisch gefährdet ist.“1289 1286 Welp, in: Eser (Hrsg.), Festschrift für Theodor Lenckner zum 70. Geburtstag, 1998, S. 619, 629; ders., Die strafprozessuale Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs, S. 38; ohne Differenzierung für einen ausschließlichen Individualrechtsgüterschutz: MüKo-StGB/ Altenhain, § 206 Rn. 1; NK/Kargl, § 206 Rn. 1. 1287 Welp, in: Eser (Hrsg.), Festschrift für Theodor Lenckner zum 70. Geburtstag, 1998, S. 619, 629. Somit habe sich auch das grundrechtliche Fundament des § 354 StGB a.F. verändert: Der diesem zugrundeliegende Art. 10 GG richte sich als „subjektiv-öffentliches Recht gegen den Staat und nur gegen ihn, entfaltet also keine unmittelbare Drittwirkung im Verhältnis von Privaten untereinander“. Auch seien Geheimnisverletzungen, die von den Mitarbeitern der Vermittlungsunternehmen begangen werden, nun nicht mehr als staatliche Eingriffe zu qualifizieren. Damit habe die Neufassung des § 206 StGB zur Folge, dass „der Nachrichtenverkehr seinen grundrechtlichen Schutz gegenüber Unternehmen verloren hat, die ihn vermitteln“, vgl. ders., in: Eser (Hrsg.), Festschrift für Theodor Lenckner zum 70. Geburtstag, 1998, S. 619, 626. Damit erübrigt sich gleichzeitig die von Welp anderenorts vorgenommene Inhaltsbestimmung des Post- und Fernmeldegeheimnisses i.S. des Art. 10 GG, der dem § 354 StGB a.F. zugrunde lag, wonach gegenständlich ein formalisierter Schutz des Persönlichkeitsrechts beabsichtigt gewesen sei, vgl. ders., Die strafprozessuale Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs, S. 36 – 38. 1288 Welp, in: Eser (Hrsg.), Festschrift für Theodor Lenckner zum 70. Geburtstag, 1998, S. 619, 629. 1289 Welp, in: Eser (Hrsg.), Festschrift für Theodor Lenckner zum 70. Geburtstag, 1998, S. 619, 629.
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Damit stehe § 206 StGB der Verletzung des Briefgeheimnisses gem. § 202 StGB nahe, sofern sich die Tat auf den Postverkehr beziehe: Hinsichtlich der gegenständlichen Reichweite sei die Verletzung des Postgeheimnisses auf die Beförderungsphase bezogen, während die Verletzung des Briefgeheimnisses den (körperlichen) Nachrichtenträger vor Beginn und nach Abschluss dieser Phase schütze.1290 Da das Gesetz nur die Bestrafung Interner und der für sie tätigen Hilfspersonen vorsehe, aber auch jeder externe Dritte in den Übermittlungsweg eingreifen könne, könne der besondere Unrechtsgehalt des § 206 StGB nicht bloß darin gesehen werden, dass der geschützte Nachrichtenverkehr dem Zugriff durch Interne besonders ausgesetzt sei, sondern vielmehr in der Verletzung der durch die Nutzung der Dienste begründeten Erwartung, dass der Dienstleister die Vertraulichkeit der Kommunikation respektieren werde.1291 Übernimmt der Dienstleister – regelmäßig auf rechtsgeschäftlicher Grundlage – die Nachrichtenvermittlung, liege der Grund der spezifischen Strafandrohung für den bestimmten Täterkreis gerade in der Verletzung seiner besonderen „Obhutspflicht“ hinsichtlich der anvertrauten Nachrichten. bb) Subjektives Recht auf Geheimhaltung des Inhalts und der näheren Umstände des Postverkehrs oder der Telekommunikation Nach einer weiteren Auffassung1292 hat das von § 206 StGB geschützte reine Individualrechtsgut1293 keine einfachgesetzliche, sondern eine grundrechtliche Basis. § 206 Abs. 1 und 2 Nr. 1 StGB sowie die Ausweitung des Täterkreises in Abs. 3 und 4 habe der Gesetzgeber zur Wahrung des Post- und Fernmeldegeheimnisses geschaffen; er sei damit seiner in Art. 10 GG gründenden Schutzpflicht im postalischen Bereich nachgekommen1294, die insoweit auch Schutzwirkung unter Privaten entfalte. Geschützt sei das subjektive Recht auf Geheimhaltung des Inhalts und der näheren Umstände des Postverkehrs oder der Telekommunikation, welches neben natürlichen auch juristischen und öffentlich-rechtlichen Personen und Personengesellschaften (§§ 124, 161 Abs. 2 HGB) zustehe.1295 Sofern von Kritikern moniert werde, die Unterdrückungsvariante des § 206 Abs. 2 Nr. 2 StGB (z. B. die verspätete Zustellung eines Briefes) könne nicht allein mit der rein individualisti1290 Welp, in: Eser (Hrsg.), Festschrift für Theodor Lenckner zum 70. Geburtstag, 1998, S. 619, 629, 630. 1291 Welp, in: Eser (Hrsg.), Festschrift für Theodor Lenckner zum 70. Geburtstag, 1998, S. 619, 630. 1292 MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 1; S/S/Lenckner/Eisele, § 206 Rn. 2; NK/Kargl, § 206 Rn. 2, 3. 1293 Also ohne die von Welp vorgenommene Differenzierung hinsichtlich § 206 Abs. 4 StGB, vgl. Welp, in: Eser (Hrsg.), Festschrift für Theodor Lenckner zum 70. Geburtstag, 1998, S. 619, 629. 1294 NK/Kargl, § 206 Rn. 2; MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 2; nicht ganz eindeutig aber wohl auch S/S/Lenckner/Eisele, § 206 Rn. 2. 1295 MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 1.
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C. Umsetzung durch den Gesetzgeber
schen Sichtweise begründet werden, werde nicht hinreichend berücksichtigt, dass mit dem Verschwinden von Sendungen regelmäßig auch eine Verletzung des Postoder Fernmeldegeheimnisses einhergehe.1296 Der Schutz des subjektiven Rechts auf Geheimhaltung des Inhalts und der näheren Umstände des Postverkehrs und der Telekommunikation ergebe sich daraus, dass das Gesetz auf den Eintritt der Rechtsverletzung in Fällen verzichte, in denen regelmäßig eine Verletzung drohe.1297 Die Befugnis des Gesetzgebers, den Straftatbestand hinsichtlich einer „Geheimnisgefährdung“ zum Zwecke einer verfahrensrechtlich unzulässigen Beweiserleichterung durch Tatsachenvermutungen zu Lasten des Beschuldigten auszuweiten, sei zwar sehr problematisch; hierbei handele es sich jedoch um eine im Rahmen der Rechtsgutsbestimmung nicht zu vertiefende Frage, die mit der nach dem geschützten Rechtsgut nicht vermengt werden dürfe.1298 Sofern die herrschende Meinung neben der Individualsphäre die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Post- und Telekommunikationsverkehrs als gleichrangig mitgeschützt ansehe, überspiele sie diesen gewichtigen Unterschied.1299 b) Dualistische Sichtweise Nach der überwiegenden Ansicht1300 weist das geschützte Rechtsgut des § 206 StGB unterschiedliche Facetten auf. Einerseits sei das individuelle Vertrauen auf die Sicherheit und den Schutz vor Ausforschung der dem Post- oder Fernmeldeweg übergebenen Nachrichten, Daten und Informationen vor unbefugter Kenntnis Dritter geschützt; andererseits werde das Vertrauen der Allgemeinheit in die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Post- und Telekommunikationsverkehrs gleichberechtigt mitgeschützt.1301 Bis zur Postreform sei der Schutzanspruch des Art. 10 GG als ein für die freie Entfaltung der Persönlichkeit unverzichtbarer wesentlicher Teil der verfassungsrechtlichen Gewährleistung einer Sphäre privater eigenverantwortlicher Lebensgestaltung1302 unmittelbar gegen den staatlichen Organisationsbereich der Deutschen Bundespost gerichtet gewesen.1303 Auf die Verschwiegenheit und Achtung der verfassungsrechtlich verbürgten Geheimhaltungspflicht bei der Ausführung der Vermittlungsdienstleistungen habe der Kommunikationspartner bei räumlich distanzierter Kommunikation vertrauen dürfen und müssen, weil er hierfür auf die 1296
NK/Kargl, § 206 Rn. 3; MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 2. MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 2. 1298 MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 2; ebenso NK/Kargl, § 206 Rn. 3. 1299 MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 2. 1300 BT-Drucks. 13/8453, S. 12; LK/Altvater, § 206 Rn. 7; S/S/W/Bosch, § 206 Rn. 1; Dölling/Duttke/Rössner/Tag, § 206 Rn. 2; Tröndle/Fischer, § 206 Rn. 1; L/Kühl, § 206 Rn. 1; SK/Hoyer, § 206 Rn. 4; Härting, CR 2007, 311, 316; Heidrich/Tschoepe, MMR 2004, 75, 76, 78; Kohler, Das Recht an Briefen, S. 16. 1301 Z. B. Dölling/Duttke/Rössner/Tag, § 206 Rn. 2. 1302 Vgl. BVerfGE 27, 1, 6; 65, 1, 42; 67, 157, 171; 85, 386, 395; 100, 313, 358. 1303 LK/Altvater, § 206 Rn. 3, 4. 1297
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Deutsche Bundespost als Monopolträgerin angewiesen war.1304 Die Bedeutung dieses Kollektivrechtsguts sei durch die Neufassung des § 206 StGB akzentuiert worden, da dieser die Regelungen der § 39 PostG und § 88 TKG zur Wahrung des Post- und Fernmeldegeheimnisses ergänze.1305 Durch die Verortung hinter § 205 StGB und die Ausgestaltung als Offizialdelikt werde die Annahme des allgemeinschützenden Aspekts bestätigt; hierfür spreche auch die Ausweitung des Täterkreises in Abs. 3 und 4 sowie die Aufnahme der Unterdrückungsvariante (Abs. 2 Nr. 2).1306 Des Weiteren könne ohne die Konstruktion eines Universalrechtsgutes nicht erklärt werden, warum § 206 StGB Handlungen unter Strafe stelle, die das Gesetz bereits durch andere Straftatbestände mit milderen Strafandrohungen (§§ 202, 246, 303 StGB) erfasst.1307 In der Literatur wurden darüber hinaus einige Versuche einer differenzierteren Einteilung der verschiedenen Schutzaspekte unternommen: Härting etwa folgt der dualistischen Sichtweise1308, sieht jedoch in § 206 Abs. 2 Nr. 2 StGB einen besonderen Schutzzweck: Er stellt auf das für die Strafbarkeit nach § 206 Abs. 2 Nr. 2 StGB zwingend erforderliche Beförderungsvertragsverhältnis ab und sieht den besonderen Zweck der Unterdrückungsvariante nach Abs. 2 Nr. 2 im Schutz vor einer Verletzung diesbezüglicher Vertragspflichten.1309 Mit einem ähnlichen Konstrukt arbeitet auch Kitz1310, für den sich folgende Schutzgüter für die einzelnen Tatbestandsvarianten des § 206 StGB ergeben: Aus Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 4 folge ein Individualschutz des Post- und Fernmeldegeheimnisses aus Art. 10 GG und des Interesses des Betroffenen am ordnungsgemäßen Umgang mit der Sendung. Als Allgemeininteresse werde das öffentliche Vertrauen in die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Post- und Telekommunikationsverkehrs geschützt. Die genannten Schutzaspekte seien ebenfalls von Abs. 2 Nr. 2 umfasst, mit Ausnahme jedoch des Post- und Fernmeldegeheimnisses aus Art. 10 GG. Das Unterdrücken einer Nachricht bzw. das Übermittlungsrisiko sei nicht Gegenstand von Art. 10 GG; ebenso wenig sei das allgemeine Persönlichkeitsrecht in Gestalt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung einschlägig, da dieses vor unbegrenzter Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe persönlicher Daten, nicht aber vor deren Löschung oder Nichtweitergabe schütze.1311 Hieraus folge, dass ein Recht des Absenders auf Zustellung seiner Nachricht nicht aus dem Grundgesetz, sondern lediglich aus Vertrag resultieren könne. 1304
LK/Altvater, § 206 Rn. 4. LK/Altvater, § 206 Rn. 7. 1306 BT-Drucks. 13/8453, S. 12; SK/Hoyer, § 206 Rn. 4; Tröndle/Fischer, § 206 Rn. 1. 1307 Vgl. Kohler, Das Recht an Briefen, S. 23 f.; LK/Altvater, § 206 Rn. 7 Fn. 31, LK/ Träger, § 206 Rn. 4 in der 10. Auflage. 1308 Härting, CR 2007, 311, 315. 1309 Vgl. Härting, CR 2007, 311, 316. 1310 Vgl. Kitz, CR 2005, 450, 452 ff. 1311 Kitz, CR 2005, 450, 452. 1305
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C. Umsetzung durch den Gesetzgeber
c) Stellungnahme und Fazit Bei der Bestimmung des dem § 206 StGB zugrundeliegenden Schutzgutes sind zwei Kernfragen zu unterscheiden. Zunächst muss geklärt werden, ob neben individuellen Schutzinteressen auch ein Kollektivrechtsgut geschützt werden soll; sodann ist die inhaltliche Qualität des gefundenen Schutzgutes zu definieren. aa) Ausschließlicher Individualschutz vs. dualistische Sichtweise Hinsichtlich der Frage nach einem möglichen allgemeinen Schutzinteresse des § 206 StGB ist Folgendes festzuhalten: Es ist richtig, dass der Gesetzgeber zur Klarstellung seiner Intention einer rein individualschützenden Strafnorm § 206 StGB – ebenso wie die anderen Normen des 15. Abschnitts des StGB – als Antragsdelikt hätte ausgestalten können. Dieses für die Rechtsgutsbestimmung des § 203 StGB gewichtige Argument kann für § 206 StGB gerade nicht fruchtbar gemacht werden: Ein Vorschlag, § 354 StGB a.F. in ein Antragsdelikt umzugestalten1312, wurde bei den Beratungen der Großen Strafrechtskommission wieder fallengelassen.1313 Der Gesetzgeber hat damit zwar bewusst auf eine Ausgestaltung als Antragsdelikt verzichtet; eine Begründung hierfür liefert der Gesetzgeber gleichwohl nicht.1314 Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang aber, dass sich diese Frage für § 354 StGB a.F. nicht gestellt hatte, der unstreitig den Schutz auch des Vertrauens in die öffentliche Post bezweckte. Im Hinblick auf die bloße Bemerkung, dass es sich „bei sämtlichen Tathandlungen um Offizialdelikte“ handele1315, wurde die Thematik bei Einführung des § 206 StGB möglicherweise nicht hinreichend durchdacht. Insgesamt stößt die Aussagekraft dieses gesetzessystematischen Arguments an ihre Grenzen, weil etwa § 202c StGB trotz gleicher Schutzrichtung wie § 202a StGB gem. § 205 Abs. 1 StGB nicht als Antragsdelikt ausgestaltet ist. Dennoch würde wohl niemand § 202c StGB einen allgemeinbezogenen Schutzaspekt unterstellen. Somit lassen sich aus der Verortung des § 206 StGB oder aus der Ausgestaltung als Offizialdelikt keine zwingenden Folgerungen zugunsten der einen oder anderen Auffassung ziehen. Der von Kohler herangezogene Vergleich zum vermeintlich allgemeinbezogenen Schutzzweck des § 203 StGB1316 kann für die Schutzgutsbestimmung des § 206 StGB nicht fruchtbar werden, da das von § 203 StGB geschützte Rechtsgut sehr umstritten ist und die besseren Argumente sogar eher für einen reinen Individual-
1312 1313 1314 1315 1316
Nds. Bd. 9, S. 579. BT-Drucks. IV/650, S. 665; BT-Drucks. 7/550, S. 287. BT-Drucks. 13/8016, Begr. S. 29. BT-Drucks. 13/8016, S. 29. Kohler, Das Recht an Briefen, S. 16.
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schutz sprechen.1317 Jegliche Argumentation auf Basis eines schutzgutsorientierten Vergleichs der beiden Strafnormen birgt die Gefahr eines Zirkelschlusses. Der besondere Schutzzweck des Abs. 2 Nr. 2, den Härting zu erkennen glaubt1318, würde für das deutsche Strafrecht ein atypisches Rechtsgut darstellen1319 : Die Strafwürdigkeit einer bloßen Verletzung der vertraglichen Übermittlungspflicht ist sehr zweifelhaft. Gleiches gilt für das von Kitz angenommene besondere Schutzgut des Abs. 2 Nr. 2, wonach1320 neben dem Vertrauen der Allgemeinheit in die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Post- und Telekommunikationsverkehrs auch das individuelle Interesse des Betroffenen am ordnungsgemäßen Umgang mit der Sendung geschützt sei. Diesen Ansichten wird unterstellt1321, sie würden übersehen, dass auch mit dem Unterdrücken oder Verschwinden von Sendungen gem. § 206 Abs. 2 Nr. 2 StGB regelmäßig eine Verletzung des Post- oder Fernmeldegeheimnisses einhergehe. Deshalb liege die Gegenauffassung nahe, der Gesetzgeber habe mit der Erweiterung des Tatbestandes (wenn auch in gesetzgebungstechnisch fragwürdiger Weise) Strafbarkeitslücken schließen wollen.1322 Doch findet sich auch hierfür keine Stütze in den Gesetzesmaterialien. Insgesamt lässt sich an den Ansichten von Kitz und Härting aber erkennen, dass die Ausgestaltung des Abs. 2 Nr. 2 zumindest für die Frage nach einem mitgeschützten Universalrechtsgut nicht zwingend für die eine oder andere Sichtweise zu sprechen vermag: nach Kitz werden durch die Unterdrückungsvariante zugleich kollektive und individuelle Schutzinteressen erfasst; Härting jedoch geht zwar grundsätzlich ebenfalls von einem zweigeteilten Rechtsgut aus, sieht also das Allgemeininteresse an der Sicherheit und Zuverlässigkeit des Post- und Telekommunikationsverkehrs als mitgeschützt an, gleichwohl ist seine Interpretation des Schutzgutes von Abs. 2 Nr. 2 (Schutz vor Vertragspflichtverletzungen) eher dem Individualschutz zuzuordnen. Liest man hinsichtlich der Schutzgutsbestimmung durch Härting in § 206 Abs. 2 Nr. 2 StGB ein allgemeines Vertrauen in die vertragsmäßige Erbringung der Übermittlungsleistung hinein, setzt man sich jedoch der generellen Kritik an einem auf das „Vertrauen“ gerichteten Rechtsgut aus: Grundsätzlich verweist jeder individualschützende Tatbestand auf einen allgemeinen Interessenkontext, denn ohne diese normative Basis der kollektiven Verständigung bliebe die Verbindlichkeit von Verhaltensgeboten auf die Faktizität bloß subjektiver Interessen beschränkt.1323 Insofern drückt die Redeweise vom Rechtsgut „Vertrauen“ nichts weiter als die legi-
1317 1318 1319 1320 1321 1322 1323
S. o. C. V. 2. f). Härting, CR 2007, 311, 316. Vgl. MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 2 Fn. 7. Kitz, CR 2005, 450, 453. Vgl. MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 2 Fn. 7. MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 2; NK/Kargl, § 206 Rn. 3. Kargl, ARSP 1996, 485, 494.
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C. Umsetzung durch den Gesetzgeber
time Erwartung der Allgemeinheit aus, von Dritten nicht verletzt zu werden.1324 Das Universalrechtsgut der Sicherheit und Zuverlässigkeit des Post- und Telekommunikationsverkehrs ist bei näherer Betrachtung nichts anderes als die Erwartung der Allgemeinheit, dass es bei Post- und Telekommunikationsunternehmen nicht zur Verletzung der Individualrechte kommt. Die von Vertretern der dualistischen Sichtweise sektoral zum Rechtsgut erhöhte allgemeine Verhaltenserwartung, dass niemand Rechte Dritter verletzt, ist grundsätzlich nicht schutzwürdig. „Andernfalls wäre ein Metarechtsgut geschaffen, mit dem es möglich wäre, jedem Straftatbestand, der Rechte der Individuen schützt, zusätzlich den Schutz eines Allgemeininteresses zu unterlegen.“1325 Dem lasse sich auch nicht mit dem Einwand begegnen, dass bei § 206 StGB diese allgemeine Redlichkeitserwartung ausnahmsweise schützenswert sei, weil die Allgemeinheit die Leistungen von Post- und Telekommunikationsunternehmen nur dann in Anspruch nehme, wenn sie in deren Integrität vertraue, und diese Unternehmen ihre für die Gesellschaft wichtige Funktion folglich nur erfüllen könnten, wenn dieses Vertrauen nicht von ihren Inhabern und Mitarbeitern enttäuscht werde. Dahinter stehe nichts anderes als die Behauptung, dass die Individuen gerade von den Geheimhaltungspflichtigen erwarten, dass sie Sendungen nicht öffnen oder unterdrücken. „Damit verbirgt sich hinter dem angeblichen Universalrechtsgut der h.M. die Vermutung, dass bei geöffneten oder unterdrückten Sendungen der Inhalt wahrgenommen worden ist.“1326 Dies deutet darauf hin, dass letztlich auch dem gemeinschaftsbezogenen Schutzaspekt ein Individualschutzgut zugrunde liegt und dieses lediglich von Vertretern der dualistischen Sichtweise umdefiniert wird. Fraglich ist, wie der relativ hohe Strafrahmen des § 206 StGB zu bewerten ist und ob dieser Rückschlüsse auf das zu schützende Rechtsgut zulässt. Gegen ein rein individualschützendes Verständnis des § 206 StGB könnte sprechen, dass ohne Annahme eines allgemeinen Schutzinteresses am Vertrauen in die bereichsspezifische Integrität des Post- und Telekommunikationswesens nicht erklärt werden könne, warum § 206 StGB Handlungen unter Strafe stellt, die das Gesetz bereits durch andere Straftatbestände mit milderen Strafandrohungen erfasst.1327 Der Strafrahmen des § 206 Abs. 1 StGB beträgt Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe; nach Abs. 4 sind Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe angedroht. Im Vergleich zu den Strafandrohungen für die Verletzung des Briefgeheimnisses nach § 202 Abs. 1 StGB und der Verletzung von Privatgeheimnissen nach § 203 Abs. 1 StGB (jeweils Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe) liegt die Strafobergrenze für die Geheimnisverletzung nach § 206 Abs. 1 und Abs. 4 StGB deutlich höher. Gleichwohl handelt es sich bei § 206 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 StGB um 1324 Vgl. dazu Kargl, in: Neumann/Prittwitz (Hrsg.), „Personale Rechtsgutslehre“ und „Opferorientierung im Strafrecht“, 2007, S. 41 ff.; ähnlich auch MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 3. 1325 MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 3. 1326 MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 3. 1327 Vgl. Kohler, Das Recht an Briefen, S. 23 f.; LK/Altvater, § 206 Rn. 7 Fn. 31, LK/ Träger, § 206 Rn. 4 in der 10. Auflage.
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dasselbe Vergehen wie bei § 202 Abs. 1 Nr. 1 StGB, nämlich um das bloße Öffnen einer Sendung ohne Kenntniserlangung von ihrem Inhalt. Dies soll nur mit der Annahme eines hochrangigen Gemeinschaftsrechtsguts zu erklären sein; so reiche der Strafrahmen etwa der §§ 94 ff. StGB oder §§ 353b ff. StGB, wonach (im Detail umstrittene, jedenfalls aber) kollektive Interessen geschützt werden1328, in besonders schweren Fällen bis hin zu lebenslanger Freiheitsstrafe (§ 94 Abs. 2 StGB). Doch ist dieser Schluss nicht zwingend: Zwar kann das Strafmaß tendenziell Rückschlüsse auf den Rang des geschützten Rechtsguts liefern, entscheidend bei der Ausgestaltung des Strafrahmens sind jedoch die Schutzbedürftigkeit der jeweiligen Güter und sonstige kriminalpolitische Aspekte; da die Verletzung von Individualrechtsgütern nicht grundsätzlich mit einer geringeren Strafdrohung sanktioniert wird als die von Allgemein- oder Staatsinteressen, lässt sich anhand des Strafrahmens nicht zweifelsfrei bestimmen, ob das Rechtsgut dem Individuum oder der Allgemeinheit zugeordnet ist.1329 Darüber hinaus ist der höhere Strafrahmen des § 206 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 StGB auch damit zu rechtfertigen, dass nur Personen Täter sein können, die zur Wahrung des Post- oder Fernmeldegeheimnisses verpflichtet sind. Damit besteht kein sachlich gerechtfertigter Anlass, vom Verständnis eines rein individualbezogenen Schutzzwecks abzuweichen und ein dogmatisch fragwürdiges allgemeinschützendes Vertrauensrechtsgut zu konstruieren. So kann als Zwischenergebnis festgehalten werden, dass § 206 StGB ausschließlich individuelle Interessen schützt. bb) Präzisierung des Individualschutzgutes Zum Inhalt des geschützten Individualrechtsguts ergibt sich folgendes: Sofern auf das nach Art. 10 Abs. 1 GG garantierte Post- und Fernmeldegeheimnis rekurriert wird, stellt sich zunächst die Frage nach dem Schutzbereich. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 20. Juni 19841330 vor der Privatisierung der Post Angaben zur inhaltlichen Reichweite gemacht: Das Postgeheimnis „erstreckt sich insbesondere auf den konkreten Inhalt der übermittelten Sendung und schützt vor der Offenbarung (Übermittlung, Weitergabe), wer mit wem durch die Post Briefe und Sendungen wechselt, vor Nachforschungen nach ihrem Inhalt und vor Eingriffen postfremder Stellen. (…) Die grundrechtliche Gewährleistung umfasst nicht nur den Inhalt geführter Telefongespräche, sondern auch die näheren Umstände des Fernmeldeverhältnisses. Dazu gehört insbesondere die Tatsache, ob und wann zwischen welchen Personen und Fernmeldeanschlüssen Fernmeldeverkehr stattgefunden hat oder versucht worden ist.“ Dabei sind nicht nur klassische Techniken wie Telefon, Telefax oder der Teletext erfasst, sondern vielmehr auch sämtliche Informationsübermittlungen, die mit den verfügbaren Tele1328
Vgl. S/S/Sternberg-Lieben, § 94 Rn. 1; MüKo-StGB/Graf, § 353b Rn. 2 f. Jakobs, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 13/20; Bär, S. 31; Theuner, Die ärztliche Schweigepflicht im Strafrecht, S. 77 m.w.N. in Fn. 231. 1330 BVerfGE 67, 157, 171 f., bezugnehmend auf BverwGE 6, 299, 300 f.; OVG Münster NJW 1975, 1335. 1329
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kommunikationstechniken vorgenommen werden können; hierbei können Sprache, Bilder, Töne, Zeichen oder sonstige Daten sowohl analog als auch digital übermittelt werden.1331 Der Kommunikationsteilnehmer soll damit vor Eingriffen staatlicher Stellen und davor geschützt werden, dass er zur Vermeidung staatlicher Eingriffe den Telekommunikationsverkehr unterlässt oder nach Form und Inhalt verändern muss.1332 Zu berücksichtigen ist ferner, dass dem Schutz gem. Art. 10 GG der Gedanke der Selbstbestimmung zugrunde liegt: „Wie das allgemeine Persönlichkeitsrecht die Befugnis des Individuums sichert, selbst zu bestimmen, ob seine Worte einzig dem Gesprächspartner, einem bestimmten Kreis oder der Öffentlichkeit zugänglich sein sollen, und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung die Befugnis schützt, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen, so gewährleistet Art. 10 GG die Verfügungsbefugnis über Informationen, die übermittelte Kommunikationsvorgänge betreffen, einschließlich der Befugnis, Vorkehrungen gegen ungewollte Kenntnisnahme durch Dritte zu treffen.“1333 Es ist jedoch nicht ganz klar, ob sich der Schutz aus Art. 10 GG auch gegen Eingriffe von Privaten richtet. Art. 10 GG bindet gemäß Art. 1 Abs. 3 GG die Gesetzgebung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung. Während die Amtsträger vor den Postreformen als Teil der vollziehenden Gewalt unmittelbare Adressaten der Geheimhaltungspflicht waren (Art. 10 Abs. 1 S. 1, Abs. 3), ist nun fraglich, ob Art. 10 Abs. 1 GG für die privaten Telekommunikationsdienstleister eine unmittelbare Drittwirkung entfaltet. Dies ist mit der heute herrschenden Meinung1334 abzulehnen: Die Funktion der Grundrechte als subjektive Abwehrrechte gegen die staatlichen Gewalten spreche grundsätzlich gegen eine solche unmittelbare Drittwirkung; diese könne nur angenommen werden, wenn sie aus der Norm selbst heraus belegt werden könne (z. B. bei Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG). Dies ist bei Art. 10 Abs. 1 GG nicht der Fall. Damit sind die privaten Folgeunternehmen der ehemals verstaatlichten Post nicht unmittelbar an Art. 10 Abs. 1 GG gebunden.1335 Aus der Lehre der mittelbaren Drittwirkung ergibt sich jedoch die Notwendigkeit verfassungskonformer Auslegung der Gesetze und das Erfordernis, die in Art. 10 GG getroffene objektive Wertentscheidung durch einfaches Gesetz zu sichern und zu schützen.1336 Das BVerfG hat daher deutlich gemacht, dass Art. 10 Abs. 1 GG neben seiner Abwehrfunktion zugleich einen Auftrag an den Staat begründe, den Schutz der Vertraulichkeit der Fernmeldekommunikation auch insoweit vorzusehen, als Private sich Zugriff auf die Kommunikation verschaffen; der Schutzauftrag beziehe sich im 1331
3619 ff. 1332 1333 1334 1335 1336
BVerfG, Beschluss vom 9. Oktober 2002 – 1 BvR 1611/96; 1 BvR 805/98, NJW 2002, BVerfGE 100, 313, 359. Dreier/Hermes, GG Art. 10 Rn. 15. Vgl. BVerfGE 67, 157, 185; Maunz/Dürig/Dürig, GG Art. 10 Rn. 5 m.w.N. Münch/Kunig/Löwer, GG Art. 10 Rn. 9; Kohler, Das Recht an Briefen, S. 21. Vgl. Epping/Hillgruber/Baldus, GG Art. 10 Rn. 24.
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Hinblick auf Art. 87 f GG auch auf die von Privaten betriebenen TK-Anlagen.1337 Für den Staat folgt also die Verpflichtung, den Schutz des Post- und Fernmeldegeheimnisses auch gegenüber privaten Dienstleistungsunternehmen sicher zu stellen.1338 Dieser Aufgabe ist der Gesetzgeber u. a. mit Schaffung der §§ 39 Abs. 3 PostG, 85 Abs. 3 TKG (jetzt § 88 Abs. 3 TKG) und schließlich § 206 StGB nachgekommen. § 206 Abs. 5 StGB umschreibt den für den Tatbestand relevanten Schutzbereich des speziellen Geheimnisses, soll aber im Vergleich zu § 354 Abs. 5 StGB a.F. keine Änderungen des sachlichen Regelungsgehalts bewirken.1339 Damit wird deutlich, dass § 206 StGB die Regelungen der §§ 39 Abs. 3 PostG, 88 Abs. 3 TKG ergänzt, indem bestimmte typische Verletzungen der postalischen und fernmeldebezogenen Geheimhaltungspflicht der privaten Kommunikationsdienstleistungsunternehmen strafrechtlich sanktioniert werden. Der Grund für die Schaffung des § 206 StGB liegt darin, dass der Nutzer von Post- oder Telekommunikationsdienstleistungen unter den sozialen Bedingungen der Informationsgesellschaft von der Besorgung seiner Kommunikation durch Dritte abhängig ist.1340 Aufgrund dieser Angewiesenheit auf seine Dienste ist vom Dienstanbieter zu fordern, dass er die Geheimsphäre der Nutzer respektiert. § 206 StGB schützt also das subjektive Recht auf Geheimhaltung des Inhalts und der näheren Umstände des Postverkehrs und der Telekommunikation.1341 Problematisch ist hierbei aber, dass Geheimhaltung immer nur vor Kenntniserlangung des Sendungsinhaltes oder der näheren Umstände schützt. Für die Qualität des Schutzgutes von § 206 StGB könnte die besondere Ausgestaltung des Abs. 2 Nr. 2 insofern eine wichtige Rolle spielen, als die dort normierte Unterdrückung einer Sendung keine Kenntnisnahme voraussetzt. Der Schutzgedanke aus Art. 10 GG betrifft nicht das Übermittlungsrisiko als solches. Ebenso wenig vermag ein etwaiger Bezug auf das informationelle Selbstbestimmungsrecht den Schutzzweck genauer zu beschreiben, denn hiervon wird weder die Löschung noch die Nichtweitergabe von Daten erfasst (insoweit sind nur Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe von Daten geschützt)1342. Geht man allein vom Schutz des Rechts auf Geheimhaltung des Inhalts und der näheren Umstände des Postverkehrs oder der Telekommunikation aus, kann die Strafbarkeit nach § 203 Abs. 2 Nr. 2 StGB auch nicht damit erklärt werden, dass regelmäßig in der Unterdrückung einer Sendung eine Geheimnisverletzung liegen soll; vielmehr ist beim Verschwinden einer Sendung nicht zwingend mit einer Kenntnisnahme des Inhalts zu rechnen. Die Annahme eines 1337
BVerfGE 106, 28, 37; Schoch, Jura 2011, 194, 196. Stern/Becker/Schenke, GG Art. 10 Rn. 56. 1339 BT-Drucks. 13/8016, S. 29 f.; LK/Altvater, § 206 Rn. 6; Tröndle/Fischer, § 206 Rn. 7. 1340 Welp, in: Eser (Hrsg.), Festschrift für Theodor Lenckner zum 70. Geburtstag, 1998, S. 619, 630. 1341 NK/Kargl, § 206 Rn. 3; MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 1; Matt/Renzikowski/Wietz, § 206 Rn. 1; Welp, in: Eser (Hrsg.), Festschrift für Theodor Lenckner zum 70. Geburtstag, 1998, S. 619, 629. 1342 Vgl. unter B. I. 3. c) bb). 1338
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Allgemeinrechtsguts wie das Vertrauen in das ordnungsgemäße Funktionieren des Post- und Fernmeldeverkehrs würde die Strafbarkeit dieser Tathandlungen rechtfertigen, ist jedoch aus den oben genannten Gründen abzulehnen. Im Übrigen läge in der Konstruktion eines durch § 206 Abs. 2 Nr. 2 StGB geschützten Rechts auf ordnungs- oder vertragsgemäße Übermittlung eine Systemwidrigkeit im Hinblick auf seine Stellung im 15. Abschnitt des StGB. Möglicherweise kann der Grund für die Schaffung von Abs. 2 Nr. 1 und 2 jedoch darin gesehen werden, dass die genannten Handlungen geeignet sind, die Beteiligten davon abzuhalten, unbefangen durch Einschaltung Dritter zu kommunizieren.1343 Die Aufrechterhaltung der Bedingungen einer freien Telekommunikation überhaupt ist ebenfalls Schutzgedanke des Art. 10 GG und damit schutzwürdig.1344 Die Unbefangenheit der Kommunikation über Dienstleister würde jedoch leiden, wenn zu befürchten wäre, dass anvertraute Sendungen straflos geöffnet werden könnten, weil damit zugleich das vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht gewährleistete Selbstentfaltungsrecht i.S. eines Geheimnisschutzes vor Einsicht- oder Kenntnisnahme durch Dritte, gleich auf welche Weise und zu welchem Zweck1345, verletzt wird. Ob das Unterdrücken der Sendung ohne Öffnung oder Kenntnisnahme des Inhalts nach § 206 Abs. 2 Nr. 2 StGB die Unbefangenheit der Fernkommunikation berührt, ist jedoch sehr zweifelhaft. Das Tatopfer erleidet dadurch einen Schaden, dass die Übermittlung nicht oder nicht rechtzeitig stattgefunden hat und wiederholt werden muss. Damit ist nur die ordnungsgemäße Übermittlung betroffen. Die strafrechtliche Sanktion einer vertraglichen Pflichtverletzung erscheint jedoch wie oben gezeigt sehr problematisch. Die Unterdrückungsvariante des § 206 Abs. 2 Nr. 2 StGB stellt demnach einen Fremdkörper innerhalb der Norm dar. Insgesamt ist Schutzzweck des § 206 StGB die Gewährleistung des Rechts auf Geheimhaltung der näheren Umstände des Postverkehrs oder der Telekommunikation und der unbefangenen Ausübung von Fernkommunikation über Dienstleister. cc) Rechtspolitische Einschätzung Hinsichtlich der Unterdrückungsvariante, die in dieser Form dem 15. Abschnitt des StGB fremd ist und nicht vom Schutzzweck des § 206 StGB erfasst zu werden vermag, liegt nach alledem die Überlegung1346 nahe, diese aus dem Tatbestand des § 206 StGB zu streichen und entweder mangels Strafwürdigkeit nicht mehr unter
1343 Matt/Renzikowski/Wietz, § 206 Rn. 2; ähnlich MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 1 ff.; vgl. auch BVerfGE 100, 313, 363 = JuS 2000, 597 ff. 1344 BVerfGE JuS 2000, 597. 1345 Dreier/Dreier, GG Art. 2 I Rn. 71; Stern/Becker/Horn, GG Art. 2 Rn. 4; vgl. dazu auch B. I. 3. b) bb). 1346 Ähnlich schon bei Welp, in: Eser (Hrsg.), Festschrift für Theodor Lenckner zum 70. Geburtstag, 1998, S. 619, 643, 644.
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Strafe zu stellen, oder an anderer Stelle des StGB, etwa bei den Eigentumsdelikten1347, zu verorten.
3. Konsequenzen für die Tatbestandsauslegung a) Die Mitteilung geheimzuhaltender Tatsachen gem. Abs. 1 aa) Dem Post- oder Fernmeldegeheimnis unterliegende Tatsachen Von § 206 Abs. 1 StGB geschützt sind Tatsachen, die zum Post- oder Fernmeldegeheimnis gehören. Tatsachen sind alle nach Raum und Zeit bestimmte vergangene und gegenwärtige, nicht aber zukünftige Begebenheiten oder Zustände.1348 Diese müssen sinnlich wahrnehmbar und damit dem Beweis zugänglich sein.1349 In den Gegenstandsbereich fallen auch Absichten, Motive und Pläne, sofern diese erkennbar geworden sind.1350 Irrelevant ist, ob es sich bei diesen Tatsachen materiell um Privat- oder Dienstgeheimnisse handelt, so lange sie dem Post- oder Fernmeldegeheimnis unterliegen.1351 Hiervon werden grundsätzlich alle mit einem konkreten Beförderungs- oder Übermittlungsvorgang zusammenhängenden Tatsachen erfasst.1352 Dazu gehört bereits die Frage, ob zwischen bestimmten Personen ein Beförderungs- oder Übermittlungsvorgang stattfindet oder stattgefunden hat.1353 Auf die Berechtigung des Post- oder Telekommunikationsdienstes (z. B. ein Besucher einer Behörde telefoniert unberechtigt über eine den Mitarbeitern auch zur privaten Nutzung zur Verfügung stehende Telefonanlage) kommt es nicht an.1354 Auch der Zweck der Nutzung (z. B. Betäubungsmittelhandel, unerlaubte Einfuhr von Arzneimitteln, beleidigende Äußerung) ist unerheblich, so lange sich der genutzte Dienst an Dritte richtet.1355 Vom Schutzbereich ausgeschlossen sind Tatsachen, die in keinem Zusammenhang mit einem Beförderungs- oder Übertragungsvorgang stehen, offenkundig sind oder keinen konkreten Personenbezug aufweisen.1356 Das Postgeheimnis umfasst nach § 206 Abs. 5 S. 1 StGB die näheren Umstände des Postverkehrs bestimmter Personen und den Inhalt von Postsendungen und ent1347
Vgl. LK/Altvater, § 206 Rn. 7, wonach das Eigentum wenigstens als Schutzreflex mitgeschützt werde. 1348 LK/Altvater, § 206 Rn. 18. 1349 RGSt 55, 131; 56, 231; OLG Düsseldorf wistra 1996, 32; NK/Kargl, § 206 Rn. 13. 1350 NK/Kargl, § 206 Rn. 13. 1351 S/S/Lenckner/Eisele, § 206 Rn. 5. 1352 MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 30. 1353 BT-Drucks. 7/550, S. 287; BVerfGE 85, 386, 396; BGHSt 35, 32, 33. 1354 OVG Münster NJW 1975, 1335. 1355 BVerfGE 85, 386, 397; MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 30. 1356 LK/Altvater, § 206 Rn. 22.
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spricht damit dem Begriff in § 39 Abs. 1 PostG.1357 Neben dem Inhalt der Postsendungen ist jeder konkrete, eine bestimmte Person betreffende Vorgang des Postverkehrs von der Übergabe der Sendung an den Dienstleister bis zur Abgabe beim Adressaten geschützt. Die Definition des „Postverkehrs“ orientiert sich an den §§ 3, 4 PostG und beinhaltet gem. § 4 Nr. 1 PostG die Beförderung von Briefsendungen, adressierten Paketen und Büchern, Katalogen, Zeitungen und Zeitschriften. § 4 Nr. 1 b PostG bestimmt, dass die Beförderung von Paketen, deren Einzelgewicht 20 Kilogramm übersteigt, keine Postdienstleistung und damit keine Postsendung ist (§ 4 Nr. 5 PostG). Hieraus wird geschlossen, dass Pakete mit einem Gewicht über 20 Kilogramm nicht in den Schutzbereich des § 206 StGB fallen.1358 Der Wertungswiderspruch, der dadurch entsteht, dass in Abs. 2 Nr. 1 der Begriff der Sendung benutzt wird, sei in Hinblick darauf, dass § 206 StGB das Postgeheimnis i.S. des § 39 PostG schützt, nur durch eine einschränkende Auslegung des Abs. 2 Nr. 1 aufzulösen.1359 Dem sei jedoch entgegenzuhalten, dass der angedeutete Wertungswiderspruch auch vermieden werden könne, wenn das durch § 206 StGB geschützte Postgeheimnis auf Sendungen jeden Gewichts erstreckt wird, sofern die Beförderung in einem Unternehmen erfolge, welches sich auch mit der Erbringung von Postdienstleistungen befasst und deshalb am Postverkehr teilnimmt.1360 Die Beförderung auch eines über 20 Kilogramm schweren Pakets durch einen entsprechenden Dienstleister ist dem Begriff des „Postverkehrs“ nach natürlichem Sprachgebrauch durchaus zuzuordnen. Darüber hinaus wäre eine Beschränkung des Geheimnisschutzes auf Sendungen eines bestimmten Gewichts aus kriminalpolitischer Sicht kaum nachvollziehbar, weil die Schutzwürdigkeit der Geheimsphäre unabhängig vom Gewicht eines Pakets besteht. Das Fernmeldegeheimnis i.S. des § 203 Abs. 5 S. 2 und 3 ist § 88 Abs. 1 TKG nachgebildet und erstreckt sich auf den Inhalt der Telekommunikation sowie ihre näheren Umstände, wozu insbesondere die Tatsache gehört, ob jemand an einem Telekommunikationsvorgang beteiligt ist oder war oder erfolglos Verbindungsversuche unternommen hat.1361 Unter dem Inhalt der Telekommunikation ist jeder gedankliche Inhalt einer Nachrichtenübermittlung mittels einer Telekommunikationsanlage (z. B. Telefonat, Telefax, E-Mail, SMS, Internet-Telefonie) zu verstehen.1362 Zu den näheren Umständen der Telekommunikation gehören in erster Linie die Verkehrsdaten (§§ 3 Nr. 30, 96 TKG), mit denen die Teilnehmer, der Zeitpunkt, die Häufigkeit, die Dauer und die Art sowie der bloße Versuch der Kommunikation ermittelt werden können.1363 Maßgeblich ist ein tatsächlich stattfindender oder 1357 1358
Rn. 31. 1359 1360 1361 1362 1363
MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 31. NK/Kargl, § 206 Rn. 15; SK/Hoyer, § 206 Rn. 19; MüKo-StGB/Altenhain, § 206 MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 31. LK/Altvater, § 206 Rn. 21. Tröndle/Fischer, § 206 Rn. 7. MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 32. BVerfGE 115, 166, 183 = BVerfG NJW 2006, 976, 978; BVerfG NJW 2007, 351, 353.
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versuchter Kommunikationsvorgang zwischen Menschen, mithin ein „menschlich veranlasster Informationsaustausch, der sich auf Kommunikationsinhalte bezieht“1364, so dass weder die im Mauterfassungssystem übermittelten Standortdaten von Lkw noch Standortmeldungen des Mobiltelefons im Stand-by-Betrieb von § 206 StGB erfasst sind.1365 bb) In einer besonderen Funktion bekannt geworden Unter Bekanntwerden ist die Kenntnisnahme einer Tatsache zu verstehen, die man zuvor noch nicht gekannt hat.1366 Die geheim zu haltenden Tatsachen sind dem Täter als Inhaber oder Beschäftigtem eines Unternehmens, das geschäftsmäßig Post- oder Telekommunikationsdienste erbringt, bekannt geworden, wenn er von ihnen keine Kenntnis erhalten hätte, falls er nicht diese Funktion inne hätte.1367 Wenn dieser Zusammenhang gegeben ist, kommt es nicht darauf an, ob der Täter die Tatsachen selbst unmittelbar wahrgenommen oder sie als Inhaber oder Beschäftigter (also nicht bei einem Privatgespräch) von einem anderen Inhaber oder Beschäftigten erfahren hat, oder ob er oder der Mittelsmann dabei befugt oder unbefugt handelte.1368 Der Täter braucht zum Tatzeitpunkt nicht mehr dem Unternehmen anzugehören1369, muss aber in der Zeit seiner Zugehörigkeit Kenntnis erlangt haben.1370 Fraglich ist, ob darüber hinaus ein funktionaler Zusammenhang zwischen der dem Beschäftigten zugewiesenen Tätigkeit und der Kenntniserlangung zu fordern ist, dass der Bedienstete also an der Erbringung der Post- oder Telekommunikationsdienste mitwirkt und nicht nur z. B. mit Reinigungsarbeiten betraut ist.1371 Dieser funktionale Zusammenhang soll gegeben sein, wenn z. B. der Täter die Tatsachen einem Telefongespräch entnimmt, das der im gleichen Raum anwesende Kollege führt, oder sie direkt von einem Kollegen erfährt.1372 Eine Kenntniserlangung i.S. des § 206 StGB sei ebenfalls beim Durchsehen der vom Kollegen auf dem Schreibtisch zurückgelassenen Unterlagen gegeben, nicht aber, wenn der Beschäftigte besondere Sicherungsvorrichtungen oder -maßnahmen überwindet oder lediglich in einem 1364
BVerfG NJW 2007, 351, 353. Zum IMSI-Catcher BVerfG NJW 2007, 351, 353 f.; anders liegt der Fall einer Standortübermittlung des telefonierenden Teilnehmers, BGH NJW 2003, 2034, 2035; vgl. auch LK/ Altvater, § 206 Rn. 24; S/S/Lenckner/Eisele, § 206 Rn. 6a; MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 32. 1366 S/S/Lenckner/Eisele, § 206 Rn. 9. 1367 RGSt 49, 213, 215; LK/Altvater, § 206 Rn. 17; Tröndle/Fischer, § 206 Rn. 8; SK/ Hoyer, § 206 Rn. 9; S/S/Lenckner/Eisele, § 206 Rn. 9. 1368 MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 32. 1369 NK/Kargl, § 206 Rn. 19; S/S/Lenckner/Eisele, § 206 Rn. 9. 1370 Tröndle/Fischer, § 206 Rn. 8; MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 34. 1371 So die wohl h.M., vgl. BGH NJW 1953, 1153; RGSt 49, 213, 215; LK/Altvater, § 206 Rn. 17; SK/Hoyer, § 206 Rn. 9; NK/Kargl, § 206 Rn. 19. 1372 LK/Altvater, § 206 Rn. 17. 1365
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privaten Gespräch außerhalb der Dienstzeit Kenntnis erlangt.1373 Für die Forderung eines funktionalen Zusammenhangs zwischen der dem Beschäftigten zugewiesenen Tätigkeit und der Kenntniserlangung sprechen die Ausgestaltung des § 206 StGB als Sonderdelikt und sein hoher Strafrahmen, der im Hinblick auf § 202 StGB aus einer rein opferbezogenen Perspektive nicht zu rechtfertigen sei.1374 Hiergegen wendet Altenhain ein, dass diese Ansicht zu nicht überzeugenden Ergebnissen führe: der Fernmeldetechniker, der Einblick in Unterlagen auf dem Tisch eines Kollegen nimmt, könne nach § 206 StGB bestraft werden, nicht aber die Putzfrau, die am Abend das Gleiche tue; der Mitarbeiter in der Abrechnungsabteilung, der ein Telefongespräch seines Kollegen am Nachbarschreibtisch mitgehört hat, werde nach § 206 StGB bestraft, nicht aber die Putzfrau, die zur gleichen Zeit im Raum gewesen ist und ebenfalls zugehört hat.1375 Sieht man das Recht auf Geheimhaltung des Inhalts und der näheren Umstände des Postverkehrs oder der Telekommunikation und die unbefangene Ausübung von Fernkommunikation über Dienstleister als Schutzzweck des § 206 StGB, muss den Nutzern hier dieselbe Sicherheit gewährleistet werden, die auch bestünde, wenn der Kommunikationsvorgang ohne Zwischenschaltung des Unternehmens unmittelbar zwischen ihnen stattfinden würde.1376 In der Regel kennt der Nutzer die inneren Strukturen eines Post- oder Telekommunikationsunternehmens nicht, und es ist ihm gleichgültig, welche Funktion der Beschäftigte im Unternehmen hat. § 206 StGB soll den Nutzern von Post- und Telekommunikationsdiensten in der Situation zur Seite stehen, dass sie kommunizieren und sich dazu der Dienste eines Unternehmens bedienen müssen, das es allein in der Hand hat, ob ihre Kommunikation vertraulich bleibt oder nicht.1377 Aus der Perspektive des Nutzers stellt sich das Kommunikationsdienstunternehmen dann als eine Sphäre dar, die gezwungenermaßen in Anspruch genommen werden muss. Der Nutzer muss vor einer Indiskretion eines jeden Beschäftigten oder Inhabers dieser Sphäre geschützt werden, der wegen seiner Funktion Kenntnis von den geheimen Tatsachen erlangen kann.1378 Einzig relevantes Kriterium zur Ermittlung der von § 206 Abs. 1 StGB geforderten Beschäftigteneigenschaft ist die Kausalität zwischen der Stellung im Unternehmen und der Kenntniserlangung der Tatsache. So steht die Tatsache, dass der Beschäftigte zur Kenntniserlangung besondere Sicherungsvorrichtungen überwinden musste, nicht notwendig seiner Täterschaft entgegen. Für die problematischen Einzelfälle1379 ist vielmehr zu differenzieren: Auch nach Ansicht von Altenhain liegt keine Kenntniserlangung vor, wenn der Beschäftigte wie ein Einbrecher nachts in das Unternehmensgebäude (also in die o.g. Sphäre) 1373
S/S/W/Bosch, § 206 Rn. 7. NK/Kargl, § 206 Rn. 20; LK/Altvater, § 206 Rn. 17. 1375 MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 37. 1376 BVerfGE 115, 166, 183 = NJW 2006, 976, 978 Rn. 55 f.; BVerfGE NJW 2007, 351, 353 f. Rn. 51. 1377 MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 37. 1378 MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 37; wohl auch S/S/W/Bosch, § 206 Rn. 7. 1379 Kritisch etwa NK/Kargl, § 206 Rn. 20; LK/Altvater, § 206 Rn. 17 a.E. 1374
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eindringt.1380 Ist die Stellung des Täters als Inhaber oder Beschäftigter jedoch ursächlich (z. B. weil er einen Schlüssel zum Gebäude hat), so hat der Täter als Beschäftigter bzw. Inhaber Kenntnis erlangt. Das gleiche gilt für denjenigen, der den Schreibtisch seines Kollegen aufbricht und dadurch Kenntnis der Tatsachen erlangt, wenn er nur wegen seiner Stellung Zugang zu dem Raum hat, in dem der verschlossene Schreibtisch steht, oder nur deswegen weiß, dass sich dort überhaupt brisante Informationen befinden. Es wäre bei schutzzweckorientierter Betrachtung auch nicht nachvollziehbar, den gerade genannten Fall mit der Gegenmeinung von der Strafbarkeit auszuschließen, den Beschäftigten hingegen, der die offen auf dem Schreibtisch liegenden Papiere seines Kollegen durchsieht, nach § 206 StGB zu bestrafen.1381 Denn der Beschäftigte eines Kommunikationsdienstleisters, der eine Indiskretion unter Überwindung besonderer Sicherungsmaßnahmen verübt und damit zusätzlichen kriminellen Aufwand betreibt, würde die Unbefangenheit der Inanspruchnahme solcher Unternehmen besonders verletzen. cc) Mitteilung an eine andere Person Eine andere Person i.S. des § 206 Abs. 1 StGB sind auch andere Mitinhaber oder Beschäftigte, die selbst schweigepflichtig sind, oder vom Unternehmen eingesetzte private Ermittler.1382 Nur in den Fällen, in denen die unternehmensinterne Mitteilung ausschließlich zu dem Zweck der Beförderung der Postsendung oder zur Bewirkung des Telekommunikationsvorgangs erfolgt, ist sie nicht tatbestandsmäßig1383, da sie dem Schutzzweck des § 206 StGB nicht widerspricht, sondern erst die Voraussetzungen dafür schafft, dass überhaupt ein geschützter Kommunikationsvorgang stattfindet.1384 Diese Wertung lässt sich auch in den §§ 39 Abs. 3 S. 2 PostG, 88 Abs. 3 S. 2 TKG erkennen, wonach die Verwendung (und damit auch die Mitteilung) geheimhaltungspflichtiger Tatsachen von vornherein nicht verboten ist, soweit sie der Erbringung des Post- oder Telekommunikationsdienstes dienen.1385 Eine Mitteilung über die ihm bekannt gewordene Tatsache macht der Täter, wenn er eine andere Person hierüber informiert oder in Kenntnis setzt, gleichgültig in welcher Form (z. B. mündlich oder schriftlich).1386 Es reicht aus, wenn der Täter dem
1380
MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 37. So auch MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 37. 1382 NK/Kargl, § 206 Rn. 23. 1383 S/S/Lenckner/Eisele, § 206 Rn. 10. 1384 MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 42. 1385 Vgl. dazu aber auch SK/Hoyer, § 206 Rn. 36, wonach mehrere Beschäftigte eines Unternehmens, die nacheinander im regulären Geschäftsgang arbeitsteilig mit derselben Postsendung befasst sind, gem. § 39 Abs. 3 S. 2 PostG gerechtfertigt handeln, weil die Mitteilung „für die Erbringung der Postdienste erforderlich“ ist. 1386 NK/Kargl, § 206 Rn. 21; MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 40; S/S/Lenckner/Eisele, § 206 Rn. 10. 1381
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Dritten die Gelegenheit zur Kenntnisnahme verschafft (z. B. indem er ihm eine Postkarte oder einen Brief zu lesen gibt). Problematisch ist die Frage, ob dem Mitteilenden der konkrete Inhalt der geheim zu haltenden Tatsache oder lediglich der Umstand bekannt gewesen sein muss, dass die betreffende Tatsache dem Post- oder Fernmeldegeheimnis unterliegt. § 206 Abs. 1 StGB bestraft den Täter wegen der Mitteilung von bestimmten Tatsachen, die ihm in seiner besonderen Funktion „bekanntgeworden sind“. Stützt man sich mit einer Literaturauffassung auf die ratio legis, liegt eine „berichtigende Auslegung“ nahe, weil es aus der Sicht des Nutzers unerheblich ist, ob der Täter die geheim zu haltende Tatsache selbst kennt oder nicht.1387 Diese Auffassung argumentiert mit der Vermeidung erheblicher Strafbarkeitslücken: Wenn etwa der Postbote, der keine Kenntnis vom Inhalt der in seiner Posttasche befindlichen Postkarten hat, die Posttasche einem Dritten überlässt, damit dieser ungehindert die darin befindlichen Postkarten lesen kann, ist sowohl das Recht auf Geheimhaltung der näheren Umstände des Postverkehrs und der Telekommunikation als auch die Möglichkeit einer unbefangenen Ausübung entsprechender Dienste verletzt. Für diese Rechtsgutsverletzung ist es unerheblich, ob der Postbote den Inhalt der Postkarten vorher kannte oder nicht, weil die geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen von unbeteiligten Dritten zur Kenntnis genommen worden sind und der Postbote die Geheimsphäre des Nutzers missachtet hat. Kannte der Postbote den Inhalt nicht, ist dennoch eine Person in den Geheimbereich des Nutzers eingedrungen. Abzustellen sei insoweit auf den „Erfolgsunwert der Offenbarung“.1388 Gegen eine berichtigende Auslegung wird jedoch eingewandt, ein solches Verständnis verstoße gegen den Wortlaut des § 206 StGB, wonach dem Täter die mitgeteilte Tatsache „bekannt geworden“ sein muss, und sei daher nicht mit Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar.1389 Zudem stelle es kein Plus, sondern ein aliud dar, wenn der Täter sich unbekannt Gebliebenes zugänglich macht, statt ihm bekannt Gewordenes mitzuteilen.1390 Eine Strafbarkeitslücke hinsichtlich des obigen Beispielfalls bestehe nicht, da der Postbote bei Weitergabe seiner Posttasche an einen Dritten in der Regel durch das vorherige Sortieren zumindest Kenntnis von der Beschriftung und damit von der Existenz des Postverkehrs zu den Adressaten genommen habe, was als geheimhaltungsbedürftige Tatsache ausreichend sei.1391 Damit werde der ratio legis hinreichend Rechnung getragen. 1387 S/S/Lenckner/Eisele, § 206 Rn. 10; L/Kühl, § 206 Rn. 7; Welp, in: Eser (Hrsg.), Festschrift für Theodor Lenckner zum 70. Geburtstag, 1998, S. 619, 636 f.; LK/Altvater, § 206 Rn. 28. 1388 Welp, in: Eser (Hrsg.), Festschrift für Theodor Lenckner zum 70. Geburtstag, 1998, S. 619, 636 f. 1389 MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 40; NK/Kargl, § 206 Rn. 21; SK/Hoyer, § 206 Rn. 22. 1390 SK/Hoyer, § 206 Rn. 22. 1391 NK/Kargl, § 206 Rn. 21.
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Durchschlagend ist hier, dass die berichtigende Auslegung klar gegen den Wortlaut des § 206 StGB verstößt. Dem Täter muss die der Geheimhaltung unterliegende Tatsache selbst bekannt geworden sein, nicht nur die geheimhaltungspflichtige Natur der Tatsache. Zwar ist zuzugestehen, dass diese Interpretation des Mitteilens dem Schutzzweck des § 206 StGB widerspricht und den Tatbestand unangemessen einengt. Es ist davon auszugehen, dass der Postbote die Post heute nicht mehr selbst sortiert1392, so dass er im Beispielfall straffrei bliebe. Auch Abs. 2 Nr. 3 kann diese Strafbarkeitslücke nur unvollkommen schließen, weil der Postbote nur wegen Gestattens bzw. Förderns bestraft wird, wenn der Dritte Sendungen unterdrückt oder sich Kenntnis vom Inhalt verschlossener Sendungen verschafft.1393 Sofern jedoch ein effektiver Rechtsgüterschutz gebietet, den Mitteilenden auch dann zu bestrafen, wenn er selbst keine Kenntnis der geheimnispflichtigen Tatsache hat, ist dieses Problem de lege ferenda durch eine entsprechende Begriffsbildung, nicht aber im Wege verfassungswidriger Wortlautüberdehnung bei der Auslegung zu lösen.1394 dd) Unbefugt Die Befugnis schließt die Tatbestandsmäßigkeit aus, wenn sie von dem in seinem Recht auf Geheimhaltung betroffenen Nutzer ausdrücklich oder stillschweigend erteilt wird; eine Befugnis, die sich aus einer Interessenabwägung ergibt, wirkt sich erst auf Rechtswidrigkeitsebene aus.1395 Das Einverständnis kann konkret für den Einzelfall oder generell etwa durch Vertrag zwischen Nutzer und Unternehmen erteilt werden. Sind mehrere Nutzer durch die Mitteilung des Täters in ihren Rechten betroffen (z. B. Mitteilung des Inhalts eines abgehörten Telefongesprächs oder des vom Postboten gelesenen Briefs), muss jeder von ihnen die Befugnis erteilen.1396 Daraus, dass es im Verhältnis der Fernsprechteilnehmer zueinander keine Geheimnispflichten gibt und jeder Beteiligte Dritten ohne Einwilligung des anderen über das Gespräch berichten kann, folgt noch keine Befugnis zum Verzicht mit Wirkung für den anderen auch gegenüber dem Telekommunikationsdienstunternehmen.1397 Ein Einverständnis ist allerdings nur für die Mitteilung der während des Übermittlungsvorgangs wahrgenommenen Inhalte und bekannt gewordenen näheren Umstände der Übermittlung erforderlich, so dass nicht tatbestandsmäßig handelt, wer mit Zustimmung des Empfängers etwa die im Empfangsgerät gespeicherten 1392
LK/Altvater, § 206 Rn. 28. LK/Altvater, § 206 Rn. 28. 1394 So schon Welp, in: Eser (Hrsg.), Festschrift für Theodor Lenckner zum 70. Geburtstag, 1998, S. 619, 636 f. 1395 OLG Karlsruhe MMR 2005, 178, 180; S/S/Lenckner/Eisele, § 206 Rn. 11; MüKoStGB/Altenhain, § 206 Rn. 43; Maurach/Schroeder/Maiwald, Besonderer Teil I, § 29 III Rn. 64; Härting, CR 2007, 311, 315; Schuster, ZIS 2010, 68, 74, Fn. 61. 1396 BVerfGE 85, 386, 397 f.; OVG Bremen CR 1994, 700, 703; OLG Karlsruhe MMR 2005, 178, 180; MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 44; S/S/Lenckner/Eisele, § 206 Rn. 12. 1397 S/S/Lenckner/Eisele, § 206 Rn. 11. 1393
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Rufnummern eingehender Anrufe liest, den zugestellten Brief liest oder ein Telefongespräch am Empfangsgerät über einen Zweithörer mithört, und den so wahrgenommenen Inhalt einem Dritten mitteilt.1398 b) Öffnen oder Kenntnisverschaffen vom Inhalt einer verschlossenen Sendung gem. Abs. 2 Nr. 1 aa) Zur Übermittlung anvertraute, verschlossene Sendung Man ist sich in der strafrechtlichen Literatur nicht einig, ob unter dem Begriff der Sendungen nur körperliche1399 oder auch nichtkörperliche1400 Sachen zu verstehen sind. Legt man den Schutzzweck des § 206 StGB zugrunde, wonach auch die Geheimhaltung der näheren Umstände der Telekommunikation geschützt wird, und berücksichtigt den weit zu verstehenden allgemeinen Sprachgebrauch des Begriffs „Sendung“, sind unkörperliche Sachen zunächst einzubeziehen. Durch Hinzuziehung des Merkmals „verschlossen“, das etwa im Falle einer E-Mail nicht mit „verschlüsselt“ gleichzusetzen ist1401, ist jedoch auch bei der Annahme eines nichtkörperlichen Sendungsbegriffs mit der h.M. anzuerkennen, dass § 206 Abs. 2 Nr. 1 StGB ausschließlich körperliche Sachen erfasst. Ließe man zwecks Telekommunikationsschutzes auch nichtkörperliche Sachen als Sendungen genügen, z. B. eine E-Mail, käme eine „Verschlüsselung“ derselben dem Verschluss gleich. Ein solcher Schutz der verschlüsselten nichtkörperlichen Sache entspräche auch dem Schutzzweck des § 206 StGB, ist jedoch nicht mit dem Wortlaut Abs. 2 Nr. 1 zu vereinbaren. Nach überwiegender Ansicht sind daher Sendungen unabhängig von den postalischen Anforderungen an Beschaffenheit oder Inhalt nur Sachen, die auf dem Postweg übermittelt werden1402, wie etwa Pakete (auch über 20 Kilogramm1403) oder Briefe. Hinsichtlich der Voraussetzungen des Verschlossenheitserfordernisses kann auf die Ausführungen zu § 202 Abs. 1 StGB verwiesen werden.1404 Eine Besonderheit ergibt sich für § 206 Abs. 2 Nr. 1 StGB jedoch dahingehend, dass Verschluss und Verpackung nicht vom Absender angebracht worden sein müssen (man denke etwa an ein nach transportbedingter Beschädigung vom Postunternehmen neu verpacktes Paket).1405 § 206 Abs. 2 Nr. 1 StGB ist damit enger als § 39 Abs. 3 PostG, der auch 1398
BGHSt 39, 335, 339 f.; BGHSt 42, 139, 154; Kudlich, JuS 1998, 209, 211. L/Kühl, § 206 Rn. 8; NK/Kargl, § 206 Rn. 25; Welp, in: Eser (Hrsg.), Festschrift für Theodor Lenckner zum 70. Geburtstag, 1998, S. 619, 641 ff. 1400 SK/Hoyer, § 206 Rn. 25; unklar LK/Altvater, § 206 Rn. 36. 1401 S/S/W/Bosch, § 206 Rn. 8. 1402 OLG Hamm NJW 1980, 2320, 2321; LK/Altvater, § 206 Rn. 35; NK/Kargl, § 206 Rn. 25. 1403 Vgl. oben C. VI. 3. b) aa). 1404 Vgl. oben C. III. 3. a) dd). 1405 MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 47; LK/Altvater, § 206 Rn. 36. 1399
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Postkarten, unverschlossene und unvollständig verpackte Sendungen erfasst. Die verschlossene Sendung muss dem Kommunikationsdienstleistungsunternehmen anvertraut worden sein. Dies ist der Fall, sobald sie ordnungsgemäß zur Beförderung aufgegeben worden ist und sich im Gewahrsam des Unternehmens befindet1406 (z. B. beim Einwurf in den Briefkasten1407 oder bei der Rückgabe eines fehlerhaft zugestellten Briefs an den Postboten1408) und bis sie dem Empfänger (oder Ersatzempfänger, § 39 Abs. 4 S. 2 PostG) zugestellt oder an den Absender zurückgegeben wird.1409 bb) Öffnen oder Kenntnisverschaffen unter Anwendung technischer Mittel Die Tatbestandsmerkmale des Öffnens und Kenntnisverschaffens unter Anwendung technischer Mittel sind ebenfalls in § 202 Abs. 1 StGB zu finden und gleichen sich inhaltlich weitgehend, so dass auf obige Ausführungen verwiesen werden kann.1410 Für ein tatbestandliches Öffnen genügt also grundsätzlich die Möglichkeit der Kenntnisnahme. Auch die Frage, ob für die Kenntnisnahme unter Anwendung technischer Mittel die optische Wahrnehmung durch den Täter ausreichend oder eine irgendwie geartete intellektuelle Verarbeitung des Gesehenen zu fordern ist, lässt sich einheitlich beantworten. Wie bei § 202 StGB muss der Täter das, was er sieht, nicht verstehen (z. B. nicht den Inhalt des Briefes begreifen, den Gegenstand im Paket erkennen oder den in einer fremden Sprache abgefassten Brief verstehen).1411 Dies ist damit zu erklären, dass der Eintritt der Rechtsgutsverletzung nicht von den Sprachkenntnissen oder intellektuellen Verarbeitungsmöglichkeiten des Täters abhängig gemacht werden darf und es bei § 206 StGB nicht nur um Schreiben, sondern auch um Inhalte von Paketen geht, deren Kenntnisnahme bereits bei visueller Wahrnehmung gegeben sein muss. Zudem ist das Postgeheimnis bereits dann verletzt, wenn der Täter eine Tatsache in Erfahrung bringt, die der Geheimhaltung unterliegt. Relevant ist demnach nicht nur der Inhalt einer Zeitung, die in der verschlossenen Sendung steckt, sondern auch die Tatsache, dass die Sendung die Zeitung enthält bzw. nicht nur der Inhalt eines Briefes, sondern auch die Tatsache, dass er in fremder Sprache abgefasst ist.1412
1406
S/S/Lenckner/Eisele, § 206 Rn. 17; LK/Altvater, § 206 Rn. 37. RGSt 22, 394, 395; RGSt 28, 100, 101. 1408 RGSt 36, 267, 269 f. 1409 MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 48; S/S/Lenckner/Eisele, § 206 Rn. 17. 1410 Vgl. oben C. III. 3. b). 1411 MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 51; S/S/Lenckner/Eisele, § 206 Rn. 18; LK/Altvater, § 206 Rn. 42; NK/Kargl, § 206 Rn. 29. 1412 MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 51. 1407
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C. Umsetzung durch den Gesetzgeber
cc) Unbefugt Liegt ein Einverständnis des Berechtigten vor, ist kein unbefugtes Handeln gegeben. Problematisch ist die Behandlung von sog. „Fangbriefen“, also Briefen mit fingierter Adresse, die durch das Postunternehmen selbst in den Postverkehr gebracht werden, um die Ehrlichkeit eines Mitarbeiters auf die Probe zu stellen bzw. Straftäter zu entlarven. Das Öffnen solcher Briefe ist nach verbreiteter Ansicht strafbar, weil sie ordnungsgemäß in den Beförderungsverkehr gegeben und damit dem Postunternehmen anvertraut worden seien.1413 Der Täter verletze mit Öffnung des Fangbriefs das Vertrauen der Allgemeinheit in die Zuverlässigkeit und Integrität des Postverkehrs auch dann, wenn es dem Unternehmen nicht um die Beförderung der Sendung, sondern um die Überführung möglicher Straftäter gehe. Die dem Täter unbekannte Einwilligung des Absenders stelle die Tatbestandsmäßigkeit nicht in Frage.1414 Die Gegenauffassung kommt zu dem Ergebnis, dass der unwissende Täter lediglich einen straflosen Versuch begehe, indem entweder ein tatbestandsausschließendes Einverständnis des Unternehmens angenommen oder ein Anvertrautsein abgelehnt wird, da die Sendung den internen Bereich tatsächlich nicht verlassen soll.1415 Richtigerweise schützt § 206 StGB ausschließlich ein Individualrechtsgut, so dass es auf eine Verletzung des Vertrauens der Allgemeinheit in die Zuverlässigkeit des Postverkehrs nicht ankommt. Darüber hinaus ist es zweifelhaft, ob das Verhalten eines Täters, der in eine ihm gestellte Falle tappt, überhaupt das Vertrauen der Allgemeinheit erschüttert, wenn er dabei erfolgreich überführt wird. Auch leuchtet nicht ein, wie ein Fangbrief dem Postunternehmen – durch sich selbst – „anvertraut“ werden kann. So sprechen die gewichtigeren Argumente dafür, das Öffnen eines Fangbriefes wegen des tatbestandsausschließenden Einverständnisses des ausstellenden Unternehmens straflos zu belassen. c) Unterdrücken der zur Übermittlung anvertrauten Sendungen gem. § 206 Abs. 2 Nr. 2 StGB aa) Zur Übermittlung anvertraute Sendung Gegenstand der Unterdrückung sind dem Kommunikationsdienstleistungsunternehmen anvertraute Sendungen. Der Begriff der Sendung ist mit dem in Abs. 2 Nr. 1 identisch; da jedoch die Einschränkung „verschlossen“ der Nr. 1 fehlt und somit auch unverschlossene Sendungen tatbestandlich erfasst sind, erstreckt sich der Anwen-
1413
S/S/Lenckner/Eisele, § 206 Rn. 17; LK/Altvater, § 206 Rn. 38; L/Kühl, § 206 Rn. 8. LK/Altvater, § 206 Rn. 38. 1415 SK/Hoyer, § 206 Rn. 26; NK/Kargl, § 206 Rn. 46; MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 53; S/S/W/Bosch, § 206 Rn. 8. 1414
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dungsbereich nicht nur auf körperliche Gegenstände (etwa auch Postkarten), sondern uneingeschränkt auch auf Inhalte der Telekommunikation.1416 Das Merkmal „anvertraut“ ist bei körperlichen Sendungen ebenso auszulegen wie bei Abs. 2 Nr. 1. Für unkörperliche, via Telekommunikation zu übermittelnde Sendungen ist diese Definition jedoch an die spezifischen Eigenschaften einer Telekommunikation anzupassen, weil die bei Abs. 2 Nr. 1 gebräuchliche Definition ganz auf die Bedingungen bei der Post zugeschnitten ist. Danach ist eine körperliche Sendung dann als anvertraut anzusehen, „wenn sie auf vorschriftsmäßige Weise in den Verkehr gelangt ist und sich im Gewahrsam des Unternehmens befindet“.1417 Übertragbar sind hier lediglich die dieser Definition zugrundeliegenden, für Post und Telekommunikation gleichermaßen geltenden Erwägungen, wonach einerseits die Sendung vom Absender unter eigenem Kontrollverlust dem Unternehmen überlassen wird und andererseits das Unternehmen die Verantwortung für diese Sendung übernimmt.1418 Der erste Aspekt wird in der herkömmlichen Definition dadurch deutlich gemacht, dass das Anvertrauen mit dem Aufgeben der Sendung durch den Absender beginnt und mit ihrer Zustellung beim Empfänger endet.1419 Der zweite Aspekt zeigt sich darin, dass das Unternehmen die Verantwortung für die Sendung nur unter der Voraussetzung übernimmt, dass die Sendung ordnungsgemäß zur Beförderung aufgegeben worden ist. Spiegelbildlich müssen beide Voraussetzungen auch bei der Telekommunikation gegeben sein. Das Überlassen der Sendung unter eigenem Kontrollverlust ist gegeben, sobald das Unternehmen die Verbindung aufgebaut und die Sendung vom Absender abgesandt oder akustisch in das Telekommunikationsmedium eingebracht worden ist, während ein ordnungsgemäßes Aufgeben zur Beförderung vorliegt, wenn die vom Unternehmen verlangten maßgeblichen technischen Standards eingehalten werden.1420 Dies ist regelmäßig bei der Sprachtelefonie über Festnetz oder Mobilfunk der Fall und gilt im Grundsatz auch für den E-Mail-Verkehr.1421 bb) Unterdrücken Nach einer weit verbreiteten Ansicht wird eine Sendung dann unterdrückt, wenn sie dem ordnungsgemäßen Beförderungs- oder Übermittlungsvorgang ganz oder 1416
OLG Karlsruhe MMR 2005, 178, 180; NK/Kargl, § 206 Rn. 30; S/S/Lenckner/Eisele, § 206 Rn. 20; SK/Hoyer, § 206 Rn. 28; MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 54. 1417 OLG Karlsruhe MMR 2005, 178, 180. 1418 MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 55. 1419 Vgl. die Definition oben C. VI. 3. b) aa). 1420 MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 55. 1421 Zu den unterschiedlichen Phasen der Übermittlung vom Rechner des Absenders zum EMail-Server des E-Mail-Providers einerseits und dem Transport der E-Mail von dort zum Adressaten (bzw. zuvor zu dessen E-Mail-Provider) andererseits vgl. OLG Karlsruhe MMR 2005, 178, 180; MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 55; zuvor schon Heidrich/Tschoepe, MMR 2004, 75, 77.
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C. Umsetzung durch den Gesetzgeber
teilweise, dauerhaft oder vorübergehend entzogen wird.1422 Nach dieser weiten Definition ist zunächst jede Abweichung von einem als ordnungsgemäß betrachteten Beförderungs- oder Übermittlungsvorgang als Unterdrücken anzusehen. Da der so interpretierte Tatbestand sehr weit reicht, sollen untergeordnete Verstöße gegen Vorschriften rein innerdienstlichen Charakters ausgeklammert werden.1423 Fraglich ist, ob die vorübergehende Entziehung unter das Merkmal der Unterdrückung zu subsumieren ist. So soll trotz der Verursachung einer geraumen Verspätung der Zustellung kein Unterdrücken vorliegen, wenn der Täter während des Austragens unzulässig eine Gaststätte besuchte, weil er dabei gegen rein innerdienstliche Vorschriften verstoßen hat1424; die Sendung werde auch dann nicht unterdrückt, wenn es dabei zu einer Verzögerung der Zustellung kommt.1425 Das Überlassen eines Briefes an einen anderen für die Dauer einer Viertelstunde wurde jedoch als tatbestandsmäßiges Unterdrücken angesehen.1426 Die Problematik der Feststellung, was nicht ordnungsgemäß ist und was hiervon nur innerdienstlichen Charakter hat, wird an diesen Beispielen deutlich. Dabei ist das Abstellen der h.M. auf eine Beeinträchtigung des ordnungsgemäßen Übermittlungsvorgangs dem Verständnis eines Kollektivrechtsgüterschutzes durch § 206 StGB geschuldet: „Ein Verhalten, durch das eine Sendung dem ordnungsgemäßen Beförderungs- oder Übermittlungsvorgang entzogen wird, soll tatbestandsmäßig sein, weil es das Vertrauen der Allgemeinheit in die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Post- und Telekommunikationsverkehrs – also: in seine Ordnungsmäßigkeit – enttäuscht.“1427 Welches Verhalten das Vertrauen der Allgemeinheit erschüttert oder zu erschüttern droht, entzieht sich der empirischen Überprüfung.1428 Außerdem sollte sich die Auslegung an dem geschützten Rechtsgut orientieren. Sieht man das Rechtsgut des § 206 StGB – wie hier – in dem Individualrecht auf Geheimhaltung des Inhalts und der näheren Umstände des Postverkehrs oder der Telekommunikation, so kann ein tatbestandliches Unterdrücken nur aus zwei Komponenten bestehen: erforderlich ist ein Verhalten, durch das sich der Täter zumindest vorübergehend die faktische Verfügungsgewalt über zumindest einen Teil der Sendung anmaßt und dadurch sich oder einem Dritten die Gelegenheit zur Verletzung des Post- oder Fernmeldegeheimnisses verschafft.1429 Dies ist z. B. der Fall, wenn der Täter seine Posttasche in der Wohnung des Dritten zurücklässt und diesem dadurch das ungestörte Öffnen und Lesen der Sendungen 1422
RGSt 1, 114, 115; RGSt 28, 100; RGSt 52, 248 f.; RGSt 72, 193, 197; BGHSt 19, 31, 32; S/S/Lenckner/Eisele, § 206 Rn. 20; SK/Hoyer, § 206 Rn. 29; Welp, in: Eser (Hrsg.), Festschrift für Theodor Lenckner zum 70. Geburtstag, 1998, S. 619, 643. 1423 BGHSt 19, 31, 32; OLG Köln NJW 1987, 2596; OLG Celle NJW 1957, 1290; S/S/ Lenckner/Eisele, § 206 Rn. 20. 1424 RGSt 28, 100, 101. 1425 S/S/Lenckner/Eisele, § 206 Rn. 20; SK/Hoyer, § 206 Rn. 30. 1426 RGSt 28, 101; OLG Köln NJW 1987, 2596; S/S/W/Bosch, § 206 Rn. 10. 1427 MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 56. 1428 NK/Kargl, § 206 Rn. 32. 1429 So auch MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 56.
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ermöglicht.1430 Auf eine verspätete Zustellung kommt es nicht an. Dass die Voraussetzung der Gelegenheit zur Indiskretion gewissermaßen in das Tatbestandsmerkmal „unterdrückt“ hineininterpretiert wird, ist dem bereits angesprochenen Umstand geschuldet, dass die Unterdrückungsvariante des § 206 Abs. 2 Nr. 2 StGB kaum mit dem zugrundeliegenden Schutzgut zu vereinbaren ist. Nach der Definition dieser einschränkenden Auffassung liegt ein Unterdrücken im Bereich der Post jedenfalls dann vor, wenn der Täter den Gewahrsam des Postunternehmens ganz oder vorübergehend aufhebt.1431 Dies ist anzunehmen, wenn der Täter die Sendung etwa bei sich zu Hause oder in seinem privaten Auto aufbewahrt1432 oder am Arbeitsplatz liegen lässt, weil der Täter sich dabei vorübergehend die faktische Verfügungsgewalt anmaßt.1433 Ein Unterdrücken kann aber auch ohne Gewahrsamsaufhebung vorliegen, wenn der Täter eine Sendung innerhalb der Gewahrsamssphäre des Unternehmens (etwa in der Schreibtischschublade)1434 versteckt.1435 Innerhalb dieser einschränkenden Auffassung ist jedoch umstritten, ob das bloße Zerstören oder Beschädigen einer Sendung als Unterdrücken aufzufassen ist. So soll das Zerstören oder Beschädigen im Begriff des Unterdrückens enthalten sein, weil hierdurch die Sendung erst recht dem Postverkehr entzogen werde.1436 Vom Wortsinn ausgehend mag diese Begründung zunächst einleuchten. Jedoch ist diese Ansicht unter Zugrundelegung der oben dargestellten Definition inkonsequent. Liegt lediglich ein Beschädigen oder Zerstören der Sendung vor, fehlt es an der erforderlichen Gefährdung des geschützten Rechtsguts, weil der Täter allein durch das Zerstören oder Beschädigen niemandem eine Gelegenheit zur Kenntnisnahme des Inhalts verschafft.1437 Zwar wird der Täter vor dem Zerstören oder Beschädigen meist sich oder einem Dritten die Gelegenheit zur Kenntnisnahme des Inhalts verschafft haben (etwa durch Mitnahme der Postsendung in seine Wohnung). Hat er dies jedoch nicht getan, liegt mangels Rechtsgutsverletzung kein tatbestandliches Unterdrücken vor. Die Fälle des Zerstörens der Sendung, des unzulässigen Gaststättenbesuchs während des Austragens und des eigenmächtigen Zustellens der Post für einen anderen stellen nur dann ein Unterdrücken dar, wenn der Täter sich dabei zumindest vorübergehend die faktische Verfügungsgewalt anmaßt und sich oder einem Dritten die Gelegenheit zur Kenntnisnahme des Postinhalts verschafft.
1430
KG JR 1977, 426. MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 57. 1432 OLG Stuttgart StV 2009, 77, 79. 1433 NK/Kargl, § 206 Rn. 31; vgl. aber auch MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 57, der ebenfalls eine zumindest vorübergehende faktische Verfügungsgewalt fordert, diese aber beim Liegenlassen der Post auf der Arbeit und beim Falschsortieren als nicht gegeben ansieht. 1434 RG DRiZ 1927, 334; VG München v. 31. 1. 2006 – M 12 S 05.6126, Rn 14 (bei juris). 1435 Insoweit übereinstimmend: NK/Kargl, § 206 Rn. 31; MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 57. 1436 NK/Kargl, § 206 Rn. 31. 1437 MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 57. 1431
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Im Bereich der Telekommunikation folgt aus der Übertragung der oben genannten Grundsätze, dass ein Unterdrücken anzunehmen ist bei ganz oder teilweise, dauerhaft oder vorübergehend zurückgehaltenen oder umgeleiteten Sendungen. Ein Zerstören der Sendung (z. B. Löschen einer E-Mail) stellt erst bei vorangegangenem Zurückhalten und der daraus resultierenden Gelegenheit zur Kenntnisnahme des Inhalts für den Täter oder einen Dritten ein Unterdrücken dar, weil erst dann das Geheimhaltungsinteresse des Kommunikationsteilnehmers an dem Fernmeldegeheimnis betroffen ist. d) Gestatten oder Fördern der Tathandlungen Dritter gem. § 206 Abs. 2 Nr. 3 StGB Zur Verwirklichung des Teilnahmetatbestands des Abs. 2 Nr. 3 ist zunächst erforderlich, dass der Gestattende bzw. Fördernde Inhaber oder Beschäftigter eines in Abs. 1 bezeichneten Unternehmens oder eine Person i.S. des Abs. 3 ist. Der Andere muss alle Tatbestandsmerkmale des Abs. 1 oder des Abs. 2 Nr. 1 oder 2 erfüllen. Demnach muss der Andere bei seiner Handlung nach Abs. 1 unbefugt einem Anderen Mitteilung über Tatsachen gemacht haben, die dem Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegen und die ihm als früherem Inhaber oder Beschäftigtem bekannt geworden sind.1438 Ist der Dritte Außenstehender (z. B. der im Postgebäude wartende Postkunde), kann er durch das Mitteilen einer Tatsache keine zu fördernde bzw. gestattende Tat nach Abs. 1 begehen.1439 Nach Abs. 2 Nr. 3 muss der Dritte nicht etwa eine der ersten vier Tatvarianten verwirklichen, sondern nur eine der dortigen Handlungen begehen. Die Handlung nach Abs. 1 setzt aber voraus, dass der Dritte die mitgeteilte Tatsache als Inhaber oder Beschäftigter des Unternehmens, dem auch der gestattende bzw. fördernde Täter angehört, oder als Person i.S. des Abs. 3 erfahren hat. Dafür spricht auch, dass ein Unternehmen i.S. des Abs. 1 nur dann zum Schutz des Geheimnisinteresses der Nutzer verpflichtet sein kann, wenn eine gewisse Sachnähe zwischen den spezifischen Funktionen des Täters und dem Bekanntwerden gegeben ist.1440 Hat eine unternehmensfremde Person die Tatsache erfahren, ist es dem Unternehmen weder zumutbar noch faktisch möglich, die weitere Bekanntgabe und Verbreitung der Tatsache zu verhindern.1441 Eine förderungs- oder gestattungsfähige Tat nach Abs. 2 Nr. 1 und 2 kann hingegen jedermann begehen, weil der Wortlaut nur einen Hinweis auf die „in den Nummern 1 oder 2 bezeichneten Handlungen“, also auf das Öffnen, Kenntnisverschaffen oder Unterdrücken ent-
1438 S/S/Lenckner/Eisele, § 206 Rn. 22; MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 61; NK/Kargl, § 206 Rn. 33. 1439 Tröndle/Fischer, § 206 Rn. 16; NK/Kargl, § 206 Rn. 33; MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 61. 1440 NK/Kargl, § 206 Rn. 33. 1441 S/S/Lenckner/Eisele, § 206 Rn. 22; MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 61; NK/Kargl, § 206 Rn. 33.
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hält.1442 Auch die Eigenarten der jeweiligen Haupttat gebieten eine unterschiedliche Beurteilung des Täters abhängig von seinen persönlichen Merkmalen, denn das „Mitteilen“ nach Abs. 1 auch kann auch außerhalb des Herrschaftsbereichs des Unternehmens erfolgen, nicht aber das Öffnen, Kenntnisverschaffen oder Unterdrücken nach Abs. 2 Nr. 1 und 2.1443 Da bei diesen Haupttaten der Verantwortungsbereich und die Obhutspflichten von Unternehmensinhabern und -beschäftigten stärker berührt sind, genügt es deshalb, wenn nur der Gestattende oder Fördernde die Eigenschaft des Unternehmers oder Beschäftigten besitzt.1444 Wurde eine Haupttat nach Abs. 1 oder Abs. 2 Nr. 1 oder 2 durch den Dritten verübt, muss der Täter diese Handlungen des Haupttäters gestatten oder fördern. Gestattet werden kann die Handlung durch ein aktives Bestimmen oder durch eine ausdrückliche oder konkludente Einwilligung.1445 Eine konkludent erteilte Erlaubnis kann entweder darin liegen, dass der Täter dem Dritten gezielt die physische Möglichkeit zur Handlung gibt (z. B. Aushändigen eines Briefes) oder ihm durch sein sonstiges Tun zu verstehen gibt, dass er sich der Vornahme der Handlung nicht widersetzen wird.1446 Darüber hinaus ist im Fall des Abs. 1 erforderlich, dass der gestattende Täter (z. B. Vorgesetzter oder mit der Angelegenheit befasster Beschäftigter) eine gewisse Verfügungszuständigkeit besitzt.1447 Gestattet der Täter eine Haupttat nach Abs. 2 Nr. 1 und 2, ist seine tatsächliche Sachherrschaft über die Sendung vorauszusetzen, weil nur auf diese Weise gewährleistet ist, dass der Täter die Handlung des Dritten auch unterbinden könnte.1448 Unter den Begriff des Förderns fallen Beihilfehandlungen, die nicht die Qualität des Gestattens haben, die Handlung des Dritten aber auf sonstige Weise veranlassen oder unterstützen.1449 Dabei genügt jede Form der Hilfeleistung, die in einem inneren Zusammenhang mit den besonderen Möglichkeiten „als Inhaber oder Beschäftigter“ steht.1450 e) Mitteilung geheimzuhaltender Tatsachen durch Amtsträger gem. Abs. 4 § 206 Abs. 4 StGB erstreckt den Schutz geheimzuhaltender Tatsachen vom internen Geheimnisbereich der in Abs. 1 genannten Kommunikationsdienstleistungsunternehmen und deren unmittelbarem Umfeld (i.S. des Abs. 3) auf solche 1442 1443 1444 1445 1446 1447 1448
Rn. 35. 1449 1450
SK/Hoyer, § 206 Rn. 32; S/S/Lenckner/Eisele, § 206 Rn. 25. NK/Kargl, § 206 Rn. 34; MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 61. SK/Hoyer, § 206 Rn. 32. MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 62; NK/Kargl, § 206 Rn. 35. MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 62. S/S/Lenckner/Eisele, § 206 Rn. 23; NK/Kargl, § 206 Rn. 35. SK/Hoyer, § 206 Rn. 33; MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 62; NK/Kargl, § 206 NK/Kargl, § 206 Rn. 36. Tröndle/Fischer, § 206 Rn. 16; L/Kühl, § 206 Rn. 11; SK/Hoyer, § 206 Rn. 33.
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Tatsachen, die dem Täter als einem außerhalb des Post- oder Telekommunikationsbereichs tätigen Amtsträger1451 aufgrund eines befugten oder unbefugten Eingriffs in das Post- oder Fernmeldegeheimnis bekanntgeworden sind. Die betreffende Tatsache muss zum Zeitpunkt des Eingriffs schon oder noch dem Post- oder Fernmeldegeheimnis unterliegen, so dass ein bei der Beschlagnahme noch nicht zur Post aufgegebener oder dem Empfänger schon zugestellter Brief ebenso wenig erfasst ist wie das Mithören eines Telefongesprächs am Anschluss eines Teilnehmers mit dessen Zustimmung.1452 § 206 Abs. 4 StGB soll also durch das Verbot der unbefugten Weitergabe solcher Tatsachen dazu beitragen, dass sich der in solchen Fällen ohnehin erweiterte Kreis der „Informierten“ in Grenzen hält.1453 Hinsichtlich des Bekanntwerdens und des Mitteilens gelten die obigen Ausführungen entsprechend.1454 f) Rechtswidrigkeit Das Verhalten des Täters ist unbefugt, wenn der Rechtsgutsträger damit nicht einverstanden (tatbestandsausschließendes Einverständnis) und kein Rechtfertigungsgrund einschlägig ist. Bei der Frage, welche Rechtfertigungsgründe für Eingriffe in das Post- oder Fernmeldegeheimnis in Betracht kommen, sind insbesondere die §§ 39 Abs. 3 S. 3 PostG und 88 Abs. 3 S. 3 TKG zu beachten, wonach „eine Verwendung dieser Kenntnisse für andere Zwecke, insbesondere eine Weitergabe an andere, nur zulässig ist, soweit dieses Gesetz oder eine andere gesetzliche Vorschrift dies vorsieht und sich ausdrücklich auf Postsendungen oder Postverkehr/Telekommunikationsvorgänge bezieht.“1455 Fraglich ist, ob hieraus zwingend folgt, dass allgemeine Rechtfertigungsgründe wie z. B. Notwehr gem. § 32 StGB und rechtfertigender Notstand gem. § 34 StGB oder etwa die polizeiliche Generalklausel und Eingriffsermächtigungen wie z. B. §§ 94, 100c, 161 StPO ausscheiden, weil sie sich nicht ausdrücklich auf das Post- und Fernmeldegeheimnis beziehen.1456 Dies gebiete der Wille des Gesetzgebers, sich die Entscheidung darüber vorzubehalten, wann ein Eingriff in das als besonders schützenswert angesehene Post- oder Fernmeldegeheimnis erlaubt ist.1457 In den §§ 39 Abs. 3 S. 3 PostG und 88 Abs. 3 S. 3 TKG ist jedoch lediglich von einer Verwendung von Kenntnissen die Rede, so dass die vorstehende Argumentation 1451
Den Amtsträgern gleichgestellt sind nach § 48 I WStG die Offiziere und Unteroffiziere der Bundeswehr. 1452 S/S/Lenckner/Eisele, § 206 Rn. 33; NK/Kargl, § 206 Rn. 41; MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 66. 1453 LK/Altvater, § 206 Rn. 65. 1454 Vgl. oben C. VI. 3. a) cc). 1455 Für eine Übersicht der einschlägigen spezialgesetzlichen Befugnisnormen vgl. MüKoStGB/Altenhain, § 206 Rn. 73 ff.; LK/Altvater, § 206 Rn. 73 ff. 1456 So etwa MüKo-StGB/Altenhain, § 206 Rn. 71. 1457 BR-Drucks 147/97, S. 46; BT-Drucks. 13/3609, S. 53.
VI. § 206 StGB – Verletzung des Post- oder Fernmeldegeheimnisses
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z. B. nicht für die Unterdrückung von Postsendungen mit gefährlichem Inhalt gilt.1458 Diese wäre bereits unter Anwendung der allgemeinen Rechtfertigungsgründe zulässig, ohne dass es des § 39 Abs. 4 Nr. 3 PostG bedürfte. Es sei auch zweifelhaft, ob das einfachrechtliche Zitiergebot der §§ 39 Abs. 3 S. 3 PostG und 88 Abs. 3 S. 3 TKG sich zwingend auf die Notrechte des allgemeinen Teils des StGB erstrecke, weil selbst das verfassungsrechtliche Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG dies nicht tue.1459 Ließe man die allgemeinen Rechtfertigungsgründe unberücksichtigt, müsste derjenige bestraft werden, der als Bediensteter eines Kommunikationsdienstleistungsunternehmens ein Verbrechen (eine im Katalog des § 138 StGB nicht genannte, gleichwohl jedoch gravierende Straftat, wie z. B. ein groß angelegter Rauschgifthandel oder ein drohender Kindesmissbrauch) verhindert, indem er eine Postsendung mit entsprechendem Inhalt an die Polizei weiterleitet.1460 Weder Wortlaut noch Gesetzeszweck geben aber Anlass, dieses rechtspolitisch zweifelhafte Ergebnis in Kauf zu nehmen.1461 Auch aus den Gesetzesmaterialien lässt sich nicht zwingend der Wille folgern, allgemeine Rechtfertigungsgründe auszuschließen, weil die Passage „die Weitergabe an Dritte ist nur zulässig, soweit dieses Gesetz oder eine andere gesetzliche Vorschrift sie vorsieht und sich dabei ausdrücklich auf Telekommunikationsvorgänge bezieht“1462 der Gesetzesbegründung nicht allgemein vorangestellt ist, sondern sich auf Abs. 3 bezieht. Auch die Formulierung „die Befugnisnorm für den Eingriff muss so gestaltet sein, dass der Wille des Gesetzgebers, das Fernmeldegeheimnis zurücktreten zu lassen, deutlich wird“ bezieht sich auf die Erläuterungen über die spezielle „Kollision eines staatlichen Eingriffsrechts oder Auskunftsanspruchs mit dem Fernmeldegeheimnis“.1463 Hieraus lässt sich allenfalls ein allgemein hoher Stellenwert des Post- und Fernmeldegeheimnisses bei der Abwägung widerstreitender Interessen ableiten, so dass im Ergebnis die allgemeinen Rechtfertigungsgründe nur auf besondere Fallgestaltungen zu beschränken sein werden.1464 Im Falle des rechtfertigenden Notstands nach § 34 StGB ist eine Verhütung von Straftaten außerhalb des Katalogs des § 138 StGB zulässig, wenn sie von einigem Gewicht sind; zu denken wäre grundsätzlich an Verbrechenstatbestände. Das OLG Karlsruhe führte hierzu aus, eine solche besondere Fallgestaltung liege vor bei der Ausfilterung einer mit Viren behafteten E-Mail, bei deren Verbreitung Störungen oder Schäden der Telekommunikations- und Datenverarbeitungssysteme einer Hochschule eintreten würden.1465
1458
LK/Altvater, § 206 Rn. 80. LK/Altvater, § 206 Rn. 80. 1460 Zu dem Ergebnis kommen aber Tröndle/Fischer, § 206 Rn. 9 und wohl auch S/S/ Lenckner/Eisele, § 206 Rn. 14. 1461 LK/Altvater, § 206 Rn. 80. 1462 BT-Drucks. 13/3609, S. 53. 1463 BT-Drucks. 13/3609, S. 53. 1464 LK/Altvater, § 206 Rn. 80. 1465 OLG Karlsruhe CR 2005, 289. 1459
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C. Umsetzung durch den Gesetzgeber
4. Resümee Schutzgut des § 206 StGB ist das Recht auf Geheimhaltung der näheren Umstände des Postverkehrs oder der Telekommunikation und die unbefangene Ausübung von Fernkommunikation über Dienstleister. Somit dient die Norm allein dem Individualrechtsgüterschutz. Rechtsgutsträger und damit einwilligungsfähig ist derjenige, der Teilnehmer der Fernkommunikation ist. Die Definition des „Postverkehrs“ orientiert sich an den §§ 3, 4 PostG, unterscheidet sich hiervon jedoch schutzzweckbedingt in mehreren Punkten. Einerseits sind auch Postsendungen über 20 Kilo vom Schutzbereich erfasst, andererseits kommen auch die allgemeinen Rechtfertigungsgründe in Betracht. Für die Ermittlung der von § 206 Abs. 1 und 2 StGB geforderten Beschäftigteneigenschaft ist die Kausalität zwischen der Stellung im Unternehmen und der Kenntniserlangung von der Tatsache bzw. der Zugriffsmöglichkeit auf die Sendung maßgeblich, so dass auch die im Kommunikationsdienstleistungsunternehmen tätige Reinigungskraft tauglicher Täter sein kann. Der Unterdrückungstatbestand nach Abs. 2 Nr. 2 ist nur mit dem Schutzzweck des § 206 StGB vereinbar, wenn die Verschaffung zur Gelegenheit der Kenntnisnahme hineininterpretiert wird, was etwa bei der Zerstörung der Sendung problematisch ist. Insgesamt stellt die Tatvariante daher einen Fremdkörper innerhalb der Norm dar und sollte gestrichen werden. De lege ferenda sollte zudem der Wortlaut der Norm dahingehend angepasst werden, dass auch das Mitteilen ohne vorherige Kenntnis der vermittelten Tatsachen nach Abs. 1 erfasst wird.
D. Zusammenfassung der rechtsgutsorientierten Analyse des 15. Abschnitts des StGB Im Folgenden werden die wesentlichen Zwischenergebnisse der Normzweckanalyse zusammenfassend dargestellt, um anhand dieser Feststellungen Folgerungen für einen abschnittsübergreifenden systematischen Persönlichkeitsschutz ableiten zu können. Diese Folgerungen könnten anschließend als Basis für eine Strafnorm de lege ferenda herangezogen werden, die bisher aufgezeigte Strafbarkeitslücken zu schließen vermag, sofern diesbezüglich die erforderlichen Voraussetzungen der Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit vorliegen.
I. Kein axiologisch und systematisch überzeugender Zusammenhang zwischen den im 15. Abschnitt geschützten Rechtsgütern Weder die Überschrift des Abschnitts noch die gesetzlichen Bezeichnungen der einzelnen Normen vermögen die jeweils geschützten Rechtsgüter präzise zu erfassen. Der Titel des Abschnitts ist einerseits unbestimmt und zu weit gefasst (nur Einzelaspekte des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs sind geschützt), andererseits greift die Bezeichnung zu kurz (z. B. sind Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse geschützt, § 203 StGB). Als Rechtsgutsbasis der dem 15. Abschnitt zugrundeliegenden Strafnormen ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) anerkannt, wobei Einzelheiten stark umstritten sind. Unstreitig ist lediglich, dass – anders als bei einem Rechtsgut wie dem Leben – aufgrund des gemeinschaftlichen Miteinanders der Individuen in der Gesellschaft die Rechtsgüter des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs im Sinne eines fragmentarischen strafrechtlichen Schutzes nicht absolut gewährleistet werden können und sollen. Auch das Verständnis eines kollektivschützenden Normzwecks ist für die §§ 201 ff. StGB zumindest denkbar und erschwert eine Systematisierung des Persönlichkeitsschutzes.
290
D. Zusammenfassung der rechtsgutsorientierten Analyse
II. Annäherung an ein System über den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Aufgrund der Konturlosigkeit und des weiten Schutzbereichs des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist eine hierauf basierende normzweckbezogene Systematisierung der Strafnormen des 15. Abschnitts kaum möglich. Die bisher unternommenen Versuche zur Definition und Abgrenzung der verschiedenen Schutzbereiche – etwa im Wege der verschiedenen Sphärentheorien – sind jedenfalls für das Strafrecht unbrauchbar, weil ein hierauf fußendes, die teleologische Auslegung ermöglichendes Schutzgut nicht trennscharf bestimmt werden kann. Die von der zivilrechtlichen Rechtsprechung vorgenommene Einordnung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als sonstiges Recht i.S. des § 823 BGB und die Einteilung in Schutzinteressen vermögen keine substantielle Inhaltsbestimmung strafrechtlicher Schutzgüter zu leisten. Lediglich die verfassungsrechtliche Gliederung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts u. a. in die Bereiche des Rechts auf Selbstdarstellung, des Rechts auf Selbstentfaltung und Privatsphäre und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung erscheint zweckdienlich. Auf Basis dieser Einzelaspekte des allgemeinen Persönlichkeitsrechts können Schutzgüter und –bereiche gefunden werden, die einen systematischen, effektiven und angemessenen Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ermöglichen.
III. Der Aspekt eines formalen Selbstbestimmungsrechts als Gemeinsamkeit sämtlicher Schutzinteressen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Als Leitprinzip für die Konstruktion eines Selbstbestimmungsrechts hinsichtlich verschiedener Informationen und/oder Erscheinungsformen des Individuums dient das informationelle Selbstbestimmungsrecht. Dieses schützt vor unbegrenzter Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe von Daten; Angriffe auf dieses Schutzgut erfolgen primär in Form der Beschaffung oder Verwertung von Informationen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die erhobenen Informationen thematisch einer bestimmten Sphäre zugeordnet werden können; vielmehr wird das informationelle Selbstbestimmungsrecht unabhängig vom Inhalt der betroffenen persönlichen Angaben gewährt, solange diese dem einzelnen Rechtsgutsträger zugeordnet werden können – ein Umstand, der auch für die §§ 201 ff. StGB Geltung beansprucht. Der Schutzbereich ist jedoch durch das gesellschaftliche Informationsinteresse sowie die persönlichkeitsrechtlichen Interessen Anderer begrenzt. Auf der Basis dieser dogmatischen Ausgestaltung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung (formaler Aspekt, Schutz gegen bestimmte Angriffsformen, Berücksichtigung des gesellschaftlichen Informationsinteresses) können strafrechtlich schützenswerte Einzelrechtsgüter definiert werden. Gleichzeitig ergibt sich
V. Zu § 201a StGB
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aus diesem Ansatz und einer schutzzweckorientierten Betrachtung, dass ein Schutz von Kollektivrechtsgütern nicht Primärzweck der Strafnormen des 15. Abschnitts des StGB sein kann.
IV. Zu § 201 StGB Rechtsgut des § 201 StGB ist das Recht auf Bindung des authentischen Sprechakts an den Sprechenden und die Gesprächssituation, weil nur das damit einhergehende Bestimmungsrecht über die Reichweite des authentischen Sprechakts in der Lage ist, die Unbefangenheit des nichtöffentlich gesprochenen Wortes zu gewährleisten. Der nachträglich eingefügte § 201 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StGB kann mit diesem Normzweck jedoch kaum vereinbart werden, weil es bei dieser Tatvariante nicht um den authentischen Sprechakt, sondern lediglich um den Inhalt einer Äußerung geht. Dies ähnelt jedoch der Verbotsmaterie eines Indiskretionsdeliktes, so dass der Gedanke naheliegt, diese Verhaltensweise aus dem Regelungsbereich des § 201 StGB zu streichen und ggfs. an anderer Stelle zu verorten.
V. Zu § 201a StGB Schutzgut des § 201a StGB de lege lata ist der höchstpersönliche Lebensbereich, der sich inhaltlich an der Intimsphäre orientiert und Aspekte des Rechts am eigenen Bild enthält. Wegen des kaum bestimmbaren Tatbestandsmerkmals des höchstpersönlichen Lebensbereichs erscheint der strafrechtliche Bildnisschutz sehr problematisch. De lege ferenda sollte daher nur das Recht auf Bindung des körperlichen Erscheinungsbildes an Person und Situation und damit die Unbefangenheit und Flüchtigkeit des körperlichen Erscheinungsbildes geschützt werden. Dabei handelt es sich um ein formales Selbstbestimmungsrecht, das unabhängig vom konkreten Inhalt einer Bildaufnahme Schutzwirkung entfaltet und seine Grenzen lediglich auf räumlicher Ebene findet. Entgegen der ursprünglichen, durch die Gesetzesänderung vom 26. 01. 2015 bestätigten gesetzlichen Ausgestaltung soll das Merkmal des höchstpersönlichen Lebensbereichs aus dem Tatbestand gestrichen werden. Auch die neu eingefügten Tatvarianten des § 201a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, Abs. 3 StGB sind mit dem hier angenommenen Normzweck des § 201a StGB nicht zu vereinbaren und de lege ferenda aus dem Tatbestand zu entfernen. Dies gilt auch für § 201a Abs. 1 Nr. 4 StGB, weil derjenige, der sein Einverständnis mit der Bildaufnahme gibt, sein Recht auf Bindung des körperlichen Erscheinungsbildes an die Situation freiwillig aufgibt und bei unbefugter Weitergabe nicht mehr schutzwürdig ist. Hingegen ist wie bei § 201 Abs. 4 StGB eine Versuchsstrafbarkeit zu fordern.
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D. Zusammenfassung der rechtsgutsorientierten Analyse
VI. Zu § 202 StGB Rechtsgut des § 202 StGB ist das Bestimmungsrecht des Einzelnen hinsichtlich eines körperlichen formalen Geheimbereichs und somit auch hinsichtlich des Kreises der zum Wissen Berufenen. Der für die Strafbarkeit erforderliche Persönlichkeitsbezug der Tatgegenstände ergibt sich nicht etwa aus ihrer inhaltlichen Bedeutung, sondern wird durch Begründung eines formalen Geheimbereichs hergestellt und ist schützenswert, auch wenn das Schriftstück oder die Abbildung objektiv keine Rückschlüsse auf Persönlichkeitsmerkmale oder Charakterzüge des Einzelnen zulässt. Konsequenterweise stellt sich dann die Frage, weshalb nur Schriftstücke und Abbildungen geschützt sind. Hinsichtlich jedes beliebigen Gegenstands kann ein Geheimhaltungsinteresse der Person bestehen, welche einen entsprechenden formalen Geheimbereich schafft. Ein solcher Geheimhaltungswille ist stets schützenswert. So wäre es konsequent, den strafrechtlichen Schutz des formalen Geheimbereichs auf jeden körperlichen Gegenstand auszuweiten.
VII. Zu § 202a StGB Die oben vorgenommene Rechtsgutsbestimmung ergibt, dass § 202a StGB das Bestimmungsrecht hinsichtlich eines elektronischen formalen Geheimbereichs schützt. Bestimmungsberechtigter ist derjenige, der über den Zugang zum entsprechenden Speichermedium entscheiden darf; in der Regel also derjenige, der den Datenbestand mit einer Sicherung versieht. Ähnlich wie § 202 StGB erfordert § 202a StGB grundsätzlich keine Kenntnisnahme der geschützten Tatobjekte, so dass bereits ein Eindringen in den elektronischen formalen Geheimbereich strafbar ist. Dies führt dazu, dass übermittelte Daten trotz Verschlüsselung nicht unter den Strafschutz des § 202a StGB fallen, obwohl eine Schutzbedürftigkeit auch solcher Daten von Gesetzgeber und Literatur anerkannt wird. Eine entsprechende Anpassung des Gesetzes erscheint daher wünschenswert.
VIII. Zu § 203 StGB § 203 StGB stellt eine rein individualschützende Strafnorm dar und schützt das „Informationsbeherrschungsrecht“, genauer das informationelle Selbstbestimmungsrecht beschränkt auf die unbefugte Weitergabe nicht offenkundiger personenbezogener Daten. Entsprechend kommt es auf die Qualität des Geheimnisses nicht an, solange die Information einer bestimmten Person zugeordnet werden kann.
X. Folgerungen de lege ferenda
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IX. Zu § 206 StGB § 206 StGB bezweckt den Schutz des Rechts auf Geheimhaltung des Inhalts und der näheren Umstände des Postverkehrs oder der Telekommunikation und die unbefangene Ausübung entsprechender Dienste. Auch dieses Schutzgut weist einen formalen Aspekt auf, wonach es nicht auf den Inhalt der geschützten Kommunikation oder der Geeignetheit zur Privatheitsverletzung dieser Umstände ankommt. Für einen effektiven Rechtsschutz ist es notwendig, den Wortlaut der Norm dahingehend anzupassen, dass auch das Mitteilen ohne vorherige Kenntnis der vermittelten Tatsachen erfasst wird. Die in § 206 Abs. 2 Nr. 2 StGB normierte Unterdrückungsvariante ist jedoch mit dem Schutzzweck der Norm unvereinbar und stellt einen Fremdkörper innerhalb der Norm dar.
X. Folgerungen de lege ferenda Ein einheitlicher, systematischer und axiologisch überzeugender Schutz der schutzwürdigen Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch das Strafrecht ist denkbar, wenn mehrere Voraussetzungen gegeben sind. In einem ersten Schritt ist für die Rechtsgutsbestimmung der §§ 201 ff. StGB der Grundgedanke der Selbstbestimmung zugrunde zu legen. Das Selbstbestimmungsrecht bezüglich der eigenen Informationen soll vor den beiden häufigsten Angriffsformen auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht, namentlich vor der Informationsgewinnung und der Informationsverwertung, geschützt werden. Dieser Schutz wird aber nur unter Berücksichtigung des gesellschaftlichen Informationsinteresses gewährt, also außerhalb der berechtigten „Informationsfreiheit“ der Gesellschaft bezogen auf den Erwerb und die „Verarbeitung“ personenbezogener Informationen im Rahmen eines öffentlichen gesellschaftlichen Diskurses. Danach soll die erforderliche Güterabwägung zwischen den Persönlichkeitsrechten des Betroffenen und des Täters soweit möglich bereits auf Tatbestandsebene erfolgen, indem das Selbstbestimmungsrecht bezüglich der eigenen Information strafrechtlich nur in Bereichen geschützt wird, in denen die Informationsfreiheit Dritter zurücktritt. Hinsichtlich der §§ 201 und 201a StGB wird die akustische sowie die visuelle Erscheinung in der Weise geschützt, dass der Einzelne bestimmen kann, ob sein Stimmklang oder Erscheinungsbild fixiert wird und wer sie wahrnehmen darf, soweit er der Informationsgewinnung durch Dritte objektiv erkennbare Hindernisse bereitet und dies auch darf, weil er sich in einer eigens geschaffenen oder aufgesuchten Schutzsphäre befindet. Dies ist im akustischen Bereich lediglich bei dem nichtöffentlich gesprochenen Wort der Fall, wenn der Sprecher sich an einen begrenzten Personenkreis wendet und durch dieses „zurückgezogen“ gesprochene Wort der Kenntnisnahme durch ausgeschlossene Dritte ein Hindernis bereitet. Im optischen Bereich ist die „zurückgezogen“ präsentierte visuelle Erscheinung in der Wohnung
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D. Zusammenfassung der rechtsgutsorientierten Analyse
oder in sichtgeschützten Räumen absolut geschützt; außerhalb dieser Rückzugsorte überwiegt jedoch die Informationsfreiheit Dritter, die der Einzelne – aus Sicht des Strafrechts – zu dulden hat. Die §§ 202 und 202a StGB schützen ein Bestimmungsrecht bezogen auf einen formalen Geheimbereich, der, sofern gegen Kenntnisnahme durch Dritte erkennbar gesichert, absolut schutzwürdig ist. Hier zieht sich der Einzelne nicht innerhalb eines weiten, allgegenwärtig bestehenden Bereiches (z. B. der Öffentlichkeit) in einen engen, abgegrenzten Bereich zurück, der negativ gegen den weiten Bereich abgegrenzt werden muss, sondern schafft (s)einen eigenen, neu entstehenden (formalen) Schutzbereich. Die Rechtsgüter der §§ 203 und 206 StGB fußen auf dem Recht, eigene Sachverhalte gegen Kenntnisnahme durch Dritte abzuschirmen, und teils auf dem informationellen Selbstbestimmungsrecht, teils auf dem Recht auf eine unbefangene Fernkommunikation. Auch der Aspekt des gesellschaftlichen Informationsinteresses findet sich dort wieder, wenn auch in anderer Form: Gemäß der Informationsfreiheit Dritter ist der Mensch grundsätzlich gezwungenermaßen ein Gemeinschaftswesen und in soziale Zusammenhänge eingebunden, kann also eine gewisse Informationspreisgabe an andere bei der für die freie Entwicklung der Persönlichkeit essenziellen Teilnahme am Gemeinschaftsleben kaum vermeiden. Lediglich der Bereich, in dem der Einzelne sich vor einem Eindringen Dritter abzuschirmen vermag, wird strafrechtlich vor solchen Angriffen geschützt, die diesen selbst geschaffenen oder aus den räumlichen Gegebenheiten resultierenden Schutz des Individuums überwinden. Der Einzelne soll also bei der unbefangenen Ausübung einer Tätigkeit geschützt werden, auf die er aus faktischen oder rechtlichen Gründen oder für die freie Persönlichkeitsentfaltung angewiesen ist. Der Aspekt der Schutzwürdigkeit von Handlungen, auf die der Einzelne zwingend angewiesen ist, findet sich auch in den §§ 203 und 206 StGB; einerseits die Inanspruchnahme essentieller beruflicher Funktionen, andererseits die Möglichkeit einer unbefangenen Fernkommunikation. Man könnte hier von einem umgekehrten Informationsinteresse sprechen: Beide Strafnormen schützen den Einzelnen nicht vor jedem Dritten, weil die Begegnung mit Dritten unausweichlich ist, sondern nur vor den genannten Funktionsträgern, weil deren Inanspruchnahme und die damit einhergehende Informationspreisgabe unausweichlich ist. Der Schutzbereich der §§ 201 – 202a StGB endet dort, wo das gesellschaftliche Informationsinteresse anfängt, während die Abhängigkeit von verschiedenen Berufsleistungen den Schutzbereich der §§ 203 und 206 StGB im Hinblick auf den Täterkreis beschränkt. Der formale Aspekt der Rechtsgüter der §§ 201 – 202a StGB hat darüber hinaus zur Folge, dass es für die Strafbarkeit einer Informationsgewinnung nicht auf die inhaltliche Qualität der entsprechenden Information (z. B. der Sprachaufzeichnung i.S. des § 201 StGB, Bildaufnahme i.S. des § 201a StGB, des Gegenstandes des formalen Geheimbereichs i.S. der §§ 202, 202a) ankommt. Hinsichtlich des zweiten Deliktstyps der §§ 203 und 206 StGB ist die inhaltliche Qualität der Information wegen der weitgehenden Formalisierung des Geheimnisbegriffs ebenfalls nicht maßgeblich, da es auf eine etwaige Eignung zur Privatheits- oder Persönlichkeits-
X. Folgerungen de lege ferenda
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verletzung (des Geheimnisses i.S. der §§ 2031 oder 206 StGB) nicht ankommt. Damit ergibt sich zusammenfassend für die Rechtsgüter der §§ 201 ff. StGB folgendes: Ihnen allen gemein ist die Struktur eines speziellen Selbstbestimmungsrechts. Diese Struktur besteht aus mehreren Elementen. Zunächst ist das Rechtsgut selbst zu nennen, also der spezifische Aspekt des Selbstbestimmungsrechts, der formaler Natur ist und damit unabhängig vom Inhalt der Information Geltung erlangt. Daneben gibt es ein Angriffsobjekt, nämlich die persönlichkeitsspezifische Information bzw. deren Verkörperung, auf die der Angriff des Täters gerichtet ist. Dieses Angriffsobjekt wird im Rahmen der §§ 201 – 202a StGB vor einem Eingriff von außen in die vom Opfer hergestellte Schutzsphäre geschützt, wobei es auf deren inhaltliche Bedeutsamkeit nicht ankommt (authentischer Stimmklang, visuelles Erscheinungsbild, Inhalt bzw. Gegenstände des körperlichen formalen Geheimbereichs, Daten im elektronischen formalen Geheimbereich, privates Geheimnis usw.). Bei den §§ 203 und 206 StGB hat der Täter eine inhaltlich ebenfalls beliebige Information zunächst auf berechtigte Weise erlangt, diese sodann aber unbefugt verbreitet. Ein weiteres Element ist der Bestimmungsberechtigte: dies kann einerseits in originärer Hinsicht derjenige sein, in dessen Person der Ursprung des geschützten Angriffsobjekts und des damit verbundenen Bestimmungsrechts liegt, und andererseits derjenige, auf den dieses Recht – in welcher Form auch immer – übertragen wird. Schließlich dient das Element des gesellschaftlichen Informationsinteresses der Eingrenzung des sonst zu weit greifenden speziellen Selbstbestimmungsrechts auf Bereiche und Sachverhalte, in denen der Einzelne ohne Berücksichtigung der Rechte Dritter schutzwürdig ist. Im zweiten Schritt sind die Strafnormen des 15. Abschnitts des StGB de lege ferenda um alle Tatbestände zu bereinigen, die nicht mit dem formalen Persönlichkeitsschutz in Einklang stehen. Hierdurch möglicherweise entstehende „Strafbarkeitslücken“ innerhalb des 15. Abschnitts des StGB sind in einem dritten Schritt daraufhin zu überprüfen, ob sie entweder mangels Strafbedürftigkeit hinzunehmen oder aufgrund abweichenden Unrechtsgehalts in einem anderen Abschnitt des StGB zu behandeln sind. Schließlich stellt sich die Frage, ob es neben dem bisher herausgearbeiteten Schutz durch die §§ 201 ff. StGB noch eines Auffangtatbestandes für sonstige Verletzungen der Persönlichkeit bedarf.
1 Hierunter sind nach h.M. Tatsachen aller Art zu verstehen, also nicht nur solche, die geeignet sind, die Privatheit zu verletzen, vgl. BT-Drucks. 7/550, S. 238, 241; MüKo-StGB/ Cierniak/Pohlit, § 203 Rn. 12; S/S/Lenckner/Eisele, § 203 Rn. 5; anders aber Rogall, NStZ 1983, 1, 5, 6.
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D. Zusammenfassung der rechtsgutsorientierten Analyse
1. Strafbedürftigkeit und Unrechtsgehalt der bisher ausgeschiedenen Tatbestände Zu nennen ist zunächst § 201 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StGB, wonach das Mitteilen eines nach Abs. 1 Nr. 1 aufgenommenen oder nach Abs. 2 Nr. 1 abgehörten nichtöffentlich gesprochenen Wortes eines anderen dem wesentlichen Inhalt nach unter Strafe steht. Hier soll es gerade auf den Inhalt des Gesprochenen ankommen, überdies hat die so verbreitete Mitteilung nichts mehr mit dem geschützten authentischen Sprechakt zu tun. Es handelt sich hierbei um eine spezielle Form des Indiskretionsdeliktes, da die Wiedergabe des wesentlichen Inhalts ausreichend ist.2 § 201 Abs. 2 S. 2 StGB, wonach die Tat nach S. 1 Nr. 2 nur strafbar ist, wenn die öffentliche Mitteilung geeignet ist, berechtigte Interessen eines anderen zu beeinträchtigen, grenzt den Tatbestand ein. Der Gesetzgeber bezweckte den Schutz von „Gesprächsinhalten, die ein materielles Geheimnis darstellen aber auch [von] solche[n], die den Verletzten in der Öffentlichkeit bloßstellen können.“3 Hier lässt sich die typische Verbotsmaterie eines Indiskretionsdeliktes erkennen, welches von der Konzeption des restlichen Tatbestandes des § 201 StGB insofern abweicht, als dieser formal jegliche Äußerung auch banalsten Inhalts schützt.4 Im Vordergrund stehen bei § 201 Abs. 2 Nr. 2 StGB de lege lata der Schutz der Persönlichkeit des Einzelnen vor öffentlichen Bloßstellungen und der Schutz materieller persönlichkeitsbezogener Geheimnisse vor Indiskretion. Da die Weitergabe dieses Inhalts jedoch stets mittelbar durch den Verbreitenden und nicht authentisch erfolgt, ist der Grad der Persönlichkeitsrechtsverletzung als so gering anzusehen, dass zivilrechtliche Abwehrmaßnahmen ausreichen. Im optischen Bereich ist in § 201a StGB das Merkmal des (kaum definierbaren) höchstpersönlichen Lebensbereichs zu streichen. Es stellt sich darüber hinaus die Frage der Strafwürdigkeit der Aufnahme oder Verbreitung von Bildern von Personen in peinlichen oder hilflosen Situationen in der Öffentlichkeit (§ 201a Abs. 1 Nr. 2 StGB de lege lata), also außerhalb des räumlichen Schutzbereichs. Der Gesetzgeber erklärte hierzu, das strafwürdige Unrecht dieser Handlungen sei darin zu sehen, dass der Täter in Telemedien anonym Bildaufnahmen verbreitet, die das Opfer in – zum Teil sogar aktiv von dem Täter herbeigeführten – entwürdigenden, bloßstellenden oder gewalttätigen Situationen zeigt, die ggfs. geeignet sind, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden.5 Beispielhaft werden betrunkene Personen auf dem Heimweg und Opfer einer Gewalttat, die verletzt und blutend auf dem Boden liegen, genannt. Auch hier lässt sich der Schutzzweck erkennen, den Einzelnen vor 2 LK/Schünemann, § 201 Rn. 26; Lenckner, in: Arzt (Hrsg.), Festschrift für Jürgen Baumann zum 70. Geburtstag, 1992, S. 135, 141 ff.; Rogall, in: Weigend/Küpper (Hrsg.), Festschrift für Hans Joachim Hirsch zum 70. Geburtstag, 1999, S. 665, 677 f. 3 BT-Drucks. 11/6714, S. 4. 4 LK/Schünemann, § 201 Rn. 5 f.; NK/Kargl, § 201 Rn. 11 f.; vgl. dazu auch BT-Drucks. 11/6714, S. 4. 5 BR-Drucks. 18/2601, S. 36.
X. Folgerungen de lege ferenda
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einem allgemeinen Geltungsschaden durch eine Verbreitung von herabwürdigenden Bildinhalten zu bewahren. Unabhängig von der Frage, ob im Sinne des Vorschlags des Referentenentwurfs6 auch das Herstellen einer Bildaufnahme, die dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden geeignet ist, unter Strafe gestellt werden sollte, handelt es sich hierbei um eine dem 15. Abschnitt des StGB fremde Verbotsmaterie. Dasselbe gilt auch für das Zugänglichmachen von Bildaufnahmen, die dem Ansehen des Abgebildeten erheblich zu schaden geeignet sind. Die Strafrechtsliteratur7 liefert lediglich eine Auslegungsmöglichkeit, die diese Formulierung (§ 201a Abs. 2 StGB de lege lata) hinreichend bestimmt i.S. des Art. 103 Abs. 2 GG erscheinen lässt: Zu erfassen sind solche Bildaufnahmen, die geeignet sind, den Abgebildeten „verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen“ (vgl. § 186 StGB), womit dann ein an die Ehre angelehntes Schutzgut angesprochen wäre – vergleichbar mit dem oben erläuterten allgemeinen Geltungsanspruch des Einzelnen. Während beim Verächtlichmachen der Einzelne so dargestellt wird, dass er seinen sittlichen Pflichten nicht gerecht wird, so dass die sittlich-personale Komponente des Ehrbegriffs im Vordergrund steht, wird beim Herabwürdigen der Ruf einer Person geschmälert, so dass der Schwerpunkt hier auf der sozialen Komponente der Ehre liegt.8 Somit kann bei der Auslegung des Tatbestands auf die lange und gefestigte Rechtspraxis zu den Beleidigungstatbeständen zurückgegriffen werden, so dass der Vorwurf der Unbestimmtheit9 des Merkmals ausgeräumt werden kann. Betroffenes Schutzgut ist jedoch der allgemeine Geltungsanspruch des Einzelnen, der dem Beleidigungsrecht zuzuordnen ist. Problematisch ist darüber hinaus die strafrechtliche Erfassung von Bildaufnahmen verletzter Personen nach einer Straftat oder einem Unfall in der Öffentlichkeit (§ 201a Abs. 2 StGB de lege lata). Hier handelt es sich um eine erhebliche Pietätlosigkeit, die jedoch unter dem Aspekt des Privatsphärenschutzes bzw. des Rechts am eigenen Bild de lege ferenda nur innerhalb räumlicher Rückzugsorte strafrechtlich relevant ist. Sofern man sich auf Sachverhalte beruft, in denen „Gaffer“ verletzte Personen auf öffentlicher Straße fotografieren, statt ihnen zu helfen, oder gar Einsatzkräfte behindern10, ist es nachvollziehbar, eine Strafbarkeit solch empörenden Verhaltens zu fordern. Jedoch ist bei unterlassener Hilfeleistung oder aktiver Behinderung von Rettungskräften auf eine Anpassung der §§ 113 und 323c StGB zu 6 Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz, Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht, abrufbar unter http://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsver fahren/Dokumente/Gesetz-Aenderung-StGB-Umsetzung-europaeischer-Vorgaben-zum-Sexual strafrecht.pdf?__blob=publicationFile&v=5 (zuletzt abgerufen am 31. 01. 2017). 7 Z. B. Busch, NJW 2015, 977, 978; Eisele/Sieber, StV 2015, 312, 315. 8 MüKo-StGB/Regge/Pegel, § 186 Rn. 14; S/S/Lenckner/Eisele, § 186 Rn. 5. 9 Z. B. Wieduwilt, K u. R 2015, 83, 84. 10 Vgl. BR-Drucks. 226/16, S. 1.
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D. Zusammenfassung der rechtsgutsorientierten Analyse
verweisen, da die genannten Handlungen nicht das allgemeine Persönlichkeitsrecht verletzen. Die strafrechtliche Erfassung von Bildaufnahmen jugendpornografischen Inhalts sollte wegen des Zwecks, dem kommerziellen Handel mit Bildaufnahmen unbekleideter Kinder und Jugendlicher zu sexuellen Zwecken Einhalt zu gebieten, nicht in § 201a StGB, sondern innerhalb des 13. Abschnitts des StGB (Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung) geregelt werden. Dementsprechend sind die neu eingefügten Tatmodalitäten des § 201a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, Abs. 3 StGB aus dem Tatbestand zu entfernen und an anderen Stellen des StGB zu verorten, da sie dem 15. Abschnitt des StGB fremde Bereiche schützen. Sowohl im akustischen als auch im optischen Bereich ist schließlich zu fragen, ob nicht das unbefugte Zugänglichmachen einer befugt hergestellten Bild- oder Tonaufnahme unter Strafe gestellt werden sollte. Vertreter dieser Auffassung argumentieren mit empfindlichen Strafbarkeitslücken, wenn bspw. derjenige straflos bliebe, der vertrauliche Tonbandprotokolle anderer sich verschaffe und gebrauche11; zu denken wäre an eine Weitergabe von gestohlenen Tonträgern mit geheimen geschäftlichen Unterredungen, die etwa zu Archivierungszwecken im allgemeinen Einverständnis aufgenommen wurden. Es ist jedoch einzuwenden, dass die Aufgenommenen selbst für eine sichere Aufbewahrung solcher Tonträger verantwortlich sind und der Täter im Beispielsfall jedenfalls wegen Diebstahls zu bestrafen ist. Sollte der besondere Unrechtsgehalt in der Wegnahme besonders brisanter Gegenstände liegen, sind die §§ 242 ff. StGB ggfs. anzupassen. Wer aber freiwillig eine Aufnahme zulässt, ist bei deren abredewidriger Verwendung durch einen Dritten nicht mehr strafrechtlich schutzwürdig, so dass eine entsprechende Strafbarkeit nicht geboten erscheint. Die Unterdrückungsvariante des § 206 Abs. 2 Nr. 2 StGB, deren Strafwürdigkeit insgesamt angezweifelt werden kann, seit der Postsektor privatisiert wurde, passt nicht in das Konzept des systematischen formalen Schutzes persönlichkeitsrechtlicher Selbstbestimmung. Die Unterdrückungsvariante betrifft jedenfalls in den Fällen, in denen nicht gleichzeitig Kenntnis von dem Inhalt der unterdrückten Sendung erlangt worden ist, lediglich das Eigentum des Absenders, weil sich etwa ein „Recht auf Übermittlung“ nur vertraglich ergibt und jedenfalls keinen strafrechtlich relevanten Aspekt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellt. Auch zivilrechtlich sind nur solche Vermögensposten vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht erfasst, die ihren Ursprung in der Person haben. Daher wäre der Tatbestand des § 206 Abs. 2 Nr. 2 StGB allenfalls im Bereich der Vermögensdelikte anzusiedeln.
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Z. B. Suppert, Studien zur Notwehr und „notwehrähnlichen Lage“, S. 212.
X. Folgerungen de lege ferenda
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2. Strafbedürftigkeit und Unrechtsgehalt sonstiger die Persönlichkeit berührenden Handlungen Unbefugte Bildaufnahmen betreffend ist die Strafbarkeit des „frechen Blicks“ bzw. Voyeurismus abzulehnen, weil die Gefährdung bzw. Verletzung für das geschützte Rechtsgut des § 201a StGB nicht schwerwiegend genug ist. Insbesondere besteht nicht die Gefahr, dass eine unbestimmte Anzahl Dritter Kenntnis von dem beobachteten Vorgang erlangen. Fraglich ist der Fall der trauernden Eltern am Grab ihres Kindes12, sofern der Friedhof mangels blickdichter Umzäunung o. ä. kein gegen Einblick besonders geschützter Raum i.S. des § 201a StGB de lege ferenda ist. Mögen entsprechende unbefugte Bildaufnahmen eine Geschmack- und Pietätlosigkeit darstellen, so wird durch die Dokumentation dieser natürlichen und nachvollziehbaren Handlung der Eltern jedenfalls nicht deren allgemeiner Geltungswert gemindert. Es handelt sich vielmehr um einen optischen Einbruch in die Privatsphäre der Eltern, welcher strafrechtlich jedoch nur innerhalb eines entsprechenden räumlichen Rückzugsortes zu ahnden ist. Problematisch ist in diesem Zusammenhang auch die Behandlung einer Nacktaufnahme bzw. einer sexualbezogenen Aufnahme wie z. B. der Bildaufnahme unter dem Rock einer Frau.13 De lege ferenda kommt es nicht auf die Betroffenheit des höchstpersönlichen Lebensbereichs an (wobei dieser durchaus unter dem Aspekt der Nacktheit oder Sexualität betroffen sein könnte), und es fehlt an einem räumlichen Schutzbereich, da der Rock kein gegen Einblick besonders geschützter Raum sein kann, so dass das Fotografieren unter dem Rock straflos bleibt. Zu diesem Ergebnis gelangt man aber wohl auch de lege lata: Im Hinblick auf den neu eingefügten § 201a Abs. 2 StGB stellt sich die Frage, ob Nacktaufnahmen per se das Ansehen einer Person herabzusetzen vermögen. Orientiert man sich bei der Auslegung der Eignung, „dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden“, streng an dem beleidigungsrechtlichen Pendant der Eignung, „das Opfer verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen“ (§§ 186, 187 StGB), wäre die Fotoaufnahme unter dem Rock nicht strafbar, da eine „Sexualbeleidigung“ mit der h.M. abzulehnen ist; den §§ 185 ff. StGB kommt keine lückenfüllende Aufgabe zu.14 Scham- und Ehrverletzung sind nicht dasselbe und die Missachtung der Persönlichkeit, die in einem Sexualdelikt oder in anderen Fällen eines sozialethisch missbilligten sexualbezogenen Verhaltens zum Ausdruck kommt, enthält nicht schon den Vorwurf mangelnder Ehre.15 Dementsprechend wäre eine Nacktaufnahme per se auch nicht unter § 201a Abs. 2 StGB de lege lata zu subsumieren. Sofern solche 12 Für eine Strafwürdigkeit Kühl, AfP 2004, 190, 194; Kächele, Der strafrechtliche Schutz vor unbefugten Bildaufnahmen (§ 201a StGB), S. 91. 13 Flechsig, ZUM 2004, 605, 610; Rahmlow, HRRS 2005, 84, 88. 14 L/Kühl, § 185 Rn. 6; S/S/Lenckner/Eisele, § 185 Rn. 4. 15 S/S/Lenckner/Eisele, § 185 Rn. 4.
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D. Zusammenfassung der rechtsgutsorientierten Analyse
Sachverhalte als strafwürdig angesehen werden, was durchaus zu überlegen wäre16, sind also de lege ferenda die Strafnormen zum Schutz der sexuellen Selbstbestimmung anzupassen. Daneben stellt sich die Frage, ob auch die Bildaufnahme von Räumen oder Gegenständen wie Tagebüchern oder höchstvertraulichen Briefen usw. unter Strafe zu stellen ist, die der Täter etwa von außen durch ein geöffnetes Fenster oder dann anfertigt, wenn ihm vorher Einlass in die Wohnung gewährt worden ist. In der Literatur ist dem § 201a StGB wegen des Erfordernisses einer Bildaufnahme einer anderen Person eine „empfindliche Strafbarkeitslücke“ attestiert worden.17 Eine sehr unaufgeräumte, unordentliche und „chaotische“ Wohnung lässt ebenso wie der Besitz bestimmter Gegenstände wie etwa von pornografischen Werken oder Drogen negative Rückschlüsse auf die dort wohnhafte Person bzw. deren Charaktereigenschaften zu. Dennoch ist die dadurch entstehende Gefahr für das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen als eher gering anzusehen. Entscheidend ist jedoch, dass eine diesbezügliche strafrechtliche Schutzbedürftigkeit vor dem Hintergrund zumutbaren und möglichen Selbstschutzes des Opfers und unter Hinweis auf den Schutz durch § 202 StGB de lege lata (bzw. den oben dargestellten noch weitergehenden Schutz de lege ferenda) abzulehnen ist.
3. Ergebnis Es ist angesichts der in dieser Arbeit entwickelten Konzeption der §§ 201 – 206 StGB de lege ferenda nicht erforderlich, einen Auffangtatbestand für sonstige Persönlichkeitsrechtverletzungen zu schaffen, da die in Betracht kommenden Verhaltensweisen entweder nicht strafwürdig oder entsprechend ihres Unrechtsgehalts an anderer Stelle des StGB zu verorten sind.
16
88.
Für eine Strafwürdigkeit wohl Flechsig, ZUM 2004, 605, 610; Rahmlow, HRRS 2005, 84,
17 Wolter, in: Hefendehl/Bottke (Hrsg.), Empirische und dogmatische Fundamente, kriminalpolitischer Impetus, 2005, S. 225, 232.
E. Ergebnis und Gesetzesvorschlag I. Sektorale Lösung Nach alledem sind die §§ 201 – 206 StGB wie unten dargestellt anzupassen. Es ergibt sich jedoch keine Notwendigkeit einer straftatbestandlichen Ergänzung des 15. Abschnitts des StGB. Der systematische formale Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch die §§ 201 – 206 StGB de lege ferenda bietet einen hinreichenden und effektiven strafrechtlichen Schutz des verfassungsrechtlich gewährleisteten allgemeinen Persönlichkeitsrechts:
1. § 201 E-StGB Verletzung des akustischen Selbstbestimmungsrechts (1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer unbefugt 1. das nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen auf einen Tonträger aufnimmt oder 2. eine so hergestellte Aufnahme gebraucht oder einem Dritten zugänglich macht. (2) Ebenso wird bestraft, wer unbefugt das nicht zu seiner Kenntnis bestimmte nichtöffentlich gesprochene Wort eines anderen mit einem Abhörgerät abhört. (3) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer als Amtsträger oder als für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter die Vertraulichkeit des Wortes verletzt (Absätze 1 und 2). (4) Der Versuch ist strafbar. (5) Die Tonträger und Abhörgeräte, die der Täter oder Teilnehmer verwendet hat, können eingezogen werden. § 74a ist anzuwenden.
2. § 201a E-StGB Verletzung des visuellen Selbstbestimmungsrechts (1) Wer von einer anderen Person, die sich in einer Wohnung oder einem gegen Einblick besonders geschützten Raum befindet, unbefugt Bildaufnahmen herstellt oder überträgt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.
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E. Ergebnis und Gesetzesvorschlag
(2) Ebenso wird bestraft, wer eine durch eine Tat nach Absatz 1 hergestellte Bildaufnahme unbefugt gebraucht oder einem Dritten zugänglich macht. (3) Der Versuch ist strafbar. (4) Die Bildträger sowie Bildaufnahmegeräte oder andere technische Mittel, die der Täter oder Teilnehmer verwendet hat, können eingezogen werden. § 74a ist anzuwenden.
3. § 202 E-StGB Verletzung eines körperlichen formalen Geheimbereichs (1) Wer unbefugt die Schutzvorrichtung eines vor Kenntnisnahme geschützten Gegenstandes überwindet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in § 206 mit Strafe bedroht ist. (2) Ebenso wird bestraft, wer sich unbefugt von einem solchen Gegenstand ohne Überwindung der Schutzvorrichtung unter Anwendung technischer Hilfsmittel Kenntnis verschafft.
4. § 202a E-StGB Verletzung eines elektronischen formalen Geheimbereichs (1) Wer unbefugt sich oder einem anderen Zugang zu Daten, die nicht für ihn bestimmt und die gegen unberechtigten Zugang besonders gesichert sind, unter Überwindung der Zugangssicherung verschafft, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer unbefugt Daten, die nicht für ihn bestimmt und verschlüsselt sind, entschlüsselt oder sich oder einem Dritten den Schlüssel verschafft. (3) Daten im Sinne des Absatzes 1 sind nur solche, die elektronisch, magnetisch oder sonst nicht unmittelbar wahrnehmbar gespeichert sind oder übermittelt werden.
5. § 203 E-StGB Verletzung von Privatgeheimnissen (1) Wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, offenbart, das ihm als 1. Arzt, Zahnarzt, Tierarzt, Apotheker oder Angehörigen eines anderen Heilberufs, der für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert,
I. Sektorale Lösung
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2. Berufspsychologen mit staatlich anerkannter wissenschaftlicher Abschlussprüfung, 3. Rechtsanwalt, Patentanwalt, Notar, Verteidiger in einem gesetzlich geordneten Verfahren, Wirtschaftsprüfer, vereidigtem Buchprüfer, Steuerberater, Steuerbevollmächtigten oder Organ oder Mitglied eines Organs einer Rechtsanwalts-, Patentanwalts-, Wirtschaftsprüfungs-, Buchprüfungs- oder Steuerberatungsgesellschaft, 4. Ehe-, Familien-, Erziehungs- oder Jugendberater sowie Berater für Suchtfragen in einer Beratungsstelle, die von einer Behörde oder Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts anerkannt ist, 4a. Mitglied oder Beauftragten einer anerkannten Beratungsstelle nach den §§ 3 und 8 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes, 5. staatlich anerkanntem Sozialarbeiter oder staatlich anerkanntem Sozialpädagogen oder 6. Angehörigen eines Unternehmens der privaten Kranken-, Unfall- oder Lebensversicherung oder einer privatärztlichen, steuerberaterlichen oder anwaltlichen Verrechnungsstelle anvertraut worden oder sonst bekanntgeworden ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, offenbart, das ihm als 1. Amtsträger, 2. für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten, 3. Person, die Aufgaben oder Befugnisse nach dem Personalvertretungsrecht wahrnimmt, 4. Mitglied eines für ein Gesetzgebungsorgan des Bundes oder eines Landes tätigen Untersuchungsausschusses, sonstigen Ausschusses oder Rates, das nicht selbst Mitglied des Gesetzgebungsorgans ist, oder als Hilfskraft eines solchen Ausschusses oder Rates, 5. öffentlich bestelltem Sachverständigen, der auf die gewissenhafte Erfüllung seiner Obliegenheiten auf Grund eines Gesetzes förmlich verpflichtet worden ist, oder 6. Person, die auf die gewissenhafte Erfüllung ihrer Geheimhaltungspflicht bei der Durchführung wissenschaftlicher Forschungsvorhaben auf Grund eines Gesetzes förmlich verpflichtet worden ist, anvertraut worden oder sonst bekanntgeworden ist. Einem Geheimnis im Sinne des Satzes 1 stehen Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse eines
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E. Ergebnis und Gesetzesvorschlag
anderen gleich, die für Aufgaben der öffentlichen Verwaltung erfasst worden sind; Satz 1 ist jedoch nicht anzuwenden, soweit solche Einzelangaben anderen Behörden oder sonstigen Stellen für Aufgaben der öffentlichen Verwaltung bekanntgegeben werden und das Gesetz dies nicht untersagt. (2a) Die Absätze 1 und 2 gelten entsprechend, wenn ein Beauftragter für den Datenschutz unbefugt ein fremdes Geheimnis im Sinne dieser Vorschriften offenbart, das einem in den Absätzen 1 und 2 Genannten in dessen beruflicher Eigenschaft anvertraut worden oder sonst bekannt geworden ist und von dem er bei der Erfüllung seiner Aufgaben als Beauftragter für den Datenschutz Kenntnis erlangt hat. (3) Einem in Absatz 1 Nr. 3 genannten Rechtsanwalt stehen andere Mitglieder einer Rechtsanwaltskammer gleich. Den in Absatz 1 und Satz 1 Genannten stehen ihre berufsmäßig tätigen Gehilfen und die Personen gleich, die bei ihnen zur Vorbereitung auf den Beruf tätig sind. Den in Absatz 1 und den in Satz 1 und 2 Genannten steht nach dem Tod des zur Wahrung des Geheimnisses Verpflichteten ferner gleich, wer das Geheimnis von dem Verstorbenen oder aus dessen Nachlass erlangt hat. (4) Die Absätze 1 bis 3 sind auch anzuwenden, wenn der Täter das fremde Geheimnis nach dem Tod des Betroffenen unbefugt offenbart. (5) Handelt der Täter gegen Entgelt oder in der Absicht, sich oder einen anderen zu bereichern oder einen anderen zu schädigen, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe.
6. § 206 E-StGB Verletzung des Post- oder Fernmeldegeheimnisses (1) Wer unbefugt einer anderen Person eine Mitteilung über Tatsachen macht, die dem Post- oder Fernmeldegeheimnis unterliegen und die ihm als Inhaber oder Beschäftigtem eines Unternehmens bekanntgeworden sind, das geschäftsmäßig Postoder Telekommunikationsdienste erbringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer als Inhaber oder Beschäftigter eines in Absatz 1 bezeichneten Unternehmens unbefugt 1. eine Sendung, die einem solchen Unternehmen zur Übermittlung anvertraut worden und verschlossen ist, öffnet oder sich von ihrem Inhalt ohne Öffnung des Verschlusses unter Anwendung technischer Mittel Kenntnis verschafft, 2. einem Dritten vom Inhalt einer Sendung, die einem solchen Unternehmen zur Übermittlung anvertraut worden ist, Kenntnis verschafft, oder 3. eine der in Absatz 1 oder in Nummer 1 oder 2 bezeichneten Handlungen gestattet oder fördert. (3) Die Absätze 1 und 2 gelten auch für Personen, die
II. Begründung
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1. Aufgaben der Aufsicht über ein in Absatz 1 bezeichnetes Unternehmen wahrnehmen, 2. von einem solchen Unternehmen oder mit dessen Ermächtigung mit dem Erbringen von Post- oder Telekommunikationsdiensten betraut sind oder 3. mit der Herstellung einer dem Betrieb eines solchen Unternehmens dienenden Anlage oder mit Arbeiten daran betraut sind. (4) Wer unbefugt einer anderen Person eine Mitteilung über Tatsachen macht, die ihm als außerhalb des Post- oder Telekommunikationsbereichs tätigem Amtsträger auf Grund eines befugten oder unbefugten Eingriffs in das Post- oder Fernmeldegeheimnis bekanntgeworden sind, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (5) Dem Postgeheimnis unterliegen die näheren Umstände des Postverkehrs bestimmter Personen sowie der Inhalt von Postsendungen. Dem Fernmeldegeheimnis unterliegen der Inhalt der Telekommunikation und ihre näheren Umstände, insbesondere die Tatsache, ob jemand an einem Telekommunikationsvorgang beteiligt ist oder war. Das Fernmeldegeheimnis erstreckt sich auch auf die näheren Umstände erfolgloser Verbindungsversuche.
II. Begründung 1. Zu § 201 E-StGB Schutzzweck des § 201 E-StGB ist die Gewährleistung des akustischen Selbstbestimmungsrechts in Form des Rechts auf Bindung des authentischen Sprechakts an die Sprechsituation. Der Tatbestand des § 201 E-StGB unterscheidet sich von § 201 StGB de lege lata lediglich darin, dass der Tatbestand des geltenden § 201 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, S. 2 und S. 3 StGB gestrichten wird, weil es sich um eine normfremde Verbotsmaterie handelt.
2. Zu § 201a E-StGB Das in § 201a Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 3 StGB de lege lata erforderliche Merkmal „und dadurch den höchstpersönlichen Lebensbereich verletzt“ wird in § 201a E-StGB ersatzlos gestrichen. Ebenso fehlen § 201a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 und Abs. 3, weil diese Tatbestände einen vom in räumlichen Rückzugsorten schützenswerten speziellen optischen Selbstbestimmungsrecht abweichenden Unrechtsgehalt betreffen. § 201a Abs. 3 E-StGB sieht in Abstimmung mit § 201 Abs. 4 StGB eine Versuchsstrafbarkeit vor, da beide Normen gleichartige Angriffsformen und gleich schwere Schutzgutsbeeinträchtigungen unter Strafe stellen. De lege ferenda wird formal die Bindung des körperlichen Erscheinungsbildes an den Einzelnen
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E. Ergebnis und Gesetzesvorschlag
geschützt, ohne dass es auf einen bestimmten Inhalt der fraglichen Bildaufnahmen ankäme (spezielles visuelles Selbstbestimmungsrecht, vergleichbar mit dem in § 201 E-StGB geschützten speziellen akustischen Selbstbestimmungsrecht). § 201a Abs. 1 Nr. 4 StGB de lege lata, wonach die unbefugte Weitergabe einer befugt hergestellten Bildaufnahme pönalisiert wird, ist zu streichen, weil das visuelle Selbstbestimmungsrecht desjenigen, der sein Einverständnis in die Aufnahme gibt, nicht schutzwürdig ist. Im Übrigen wird hierdurch die Bindung der körperlichen Erscheinung an die Situation nicht (erneut) gebrochen.
3. Zu § 202 E-StGB § 202 E-StGB schützt das Bestimmungsrecht des Einzelnen hinsichtlich des körperlichen formalen Geheimbereichs. Der Tatgegenstand wird ausgeweitet auf jegliche vor Kenntnisnahme geschützte Gegenstände, so dass auf das Erfordernis eines schriftlich verkörperten gedanklichen Inhaltes oder einer entsprechenden Abbildung verzichtet wird. Das Tatbestandsmerkmal der Schutzvorrichtung gegen Kenntnisnahme ist weit auszulegen und beschreibt Vorkehrungen, die dem Vordringen zum gedanklichen Inhalt eines Gegenstands ein zumindest symbolisches Hindernis bereiten. Ebenso gemeint sind Raumgebilde, die zum Betreten von Menschen nicht bestimmt sind, soweit sie mit einer Verschlussvorrichtung versehen sind und das Behältnis auch tatsächlich abgeschlossen ist. Auf entsprechende Erkenntnisse in Rechtsprechung und Literatur kann de lege ferenda Rückgriff genommen werden, soweit die Schutzvorrichtung Schriftstücke und Abbildungen vor Kenntnisnahme schützen soll. Bei größeren Gegenständen ist bspw. an größere Kisten und Kartons oder Kunststoffplanen zur Abdeckung zu denken, die etwa durch Vorhängeschlösser, Klebeband oder Kabelbinder verschlossen sein können. Entscheidend ist, dass die Abdeckungen oder Verpackungen opak sind. Die Feststellung eines übergeordneten Verschlusswillens ist hierbei entbehrlich, da der Schutz vor Kenntnisnahme einen erhöhten Verschlussaufwand erfordert, je größer der Gegenstand ist, und umso augenfälliger wird, je trivialer er ist, so dass hieraus ein entsprechender Verschlusswille gefolgert werden kann. § 202 Abs. 2 E-StGB erfordert die Kenntnisnahme des geheimgehaltenen Gegenstands ohne Überwindung der Schutzvorrichtung unter Anwendung technischer Hilfsmittel. „Hilfsmittel“ sind dabei nur solche Mittel, die ihrer Funktion und ihrem üblichen Gebrauch nach dazu geeignet und bestimmt sind, gegen unbefugte Kenntnisnahme gerichtete Schutzvorkehrungen zu überwinden.
4. Zu § 202a E-StGB Die Fassung des § 202a StGB de lege lata wird dahingehend abgeändert, dass in § 202a Abs. 2 E-StGB auch im Übermittlungsstadium befindliche verschlüsselte
II. Begründung
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Daten strafrechtlich vor Ausspähung geschützt werden. Schutzgut ist der formale digitale Geheimbereich, der von dem Berechtigten durch Herstellung einer Zugangssicherung geschaffen wird.
5. Zu § 203 E-StGB § 203 E-StGB schützt ein formales Informationsbeherrschungsrecht als Teil des informationellen Selbstbestimmungsrechts beschränkt auf die unbefugte Weitergabe nicht offenkundiger personenbezogener Daten. Die Offenbarung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen ist als Tatvariante beibehalten worden, weil bei dessen Zuordnung zu einer bestimmten Person dem Schutzzweck des § 203 StGB und dem vom 15. Abschnitt des StGB bezweckten systematischen Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Rechnung getragen wird. Durch die Formulierung „ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis“ soll deutlich werden, dass das geschützte Geheimnis entsprechend dem zugrundeliegenden Recht auf informationelle Selbstbestimmung unmittelbar dem Individuum zuzuordnen sein muss. Hinsichtlich dieses Persönlichkeitsbezuges reicht die mittelbare Zuordnung über ein dem Einzelnen zugehöriges Unternehmen aus, so dass die geheimzuhaltende Tatsache selbst nicht zwingend einen personalen Bezug aufweisen muss.
6. Zu § 206 E-StGB Die Fassung des § 206 StGB de lege lata wird in § 206 E-StGB bis auf zwei wesentliche Aspekte übernommen: § 206 Abs. 2 Nr. 2 StGB, wonach sich ein Mitarbeiter eines Übermittlungsunternehmens strafbar macht, wenn er die anvertraute Sendung unterdrückt, wird gestrichen. Diese Tatvariante ist nicht mit dem Normzweck des § 206 E-StGB zu vereinbaren, der (wie auch § 206 StGB de lege lata) das Recht auf Geheimhaltung des Inhalts und der näheren Umstände des Postverkehrs oder der Telekommunikation und die unbefangene Ausübung entsprechender Dienste schützt. § 206 Abs. 1 Nr. 2 E-StGB bestraft denjenigen, der einem Dritten vom Inhalt einer Postsendung Kenntnis verschafft. Damit sollen Fälle erfasst werden, in denen der Täter einem Dritten geheimnispflichtige Tatsachen mitteilt, ohne diese selbst zu kennen, indem er dem Dritten etwa Postkarten zur Kenntnisnahme überlässt.
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127
Daten 200 Doppelfunktion des Rechtsgutsbegriffs Drittgeheimnis 249 Drittwirkung 268
25
Einwilligung 98, 187, 210 Elfes“ – Entscheidung 29 Entgeltlichkeit 142 Ermessensspielraum 22, 26 f. Fernmeldegeheimnis 267, 271 Fernmeldeverkehr 267 Flüchtigkeit des gesprochenen Wortes 67 formelles Geheimhaltungsinteresse 194 Fotografie 172 Fremdheit des Geheimnisses 244 Gebundenheit des authentischen Sprechakts 74 Geheimhaltungsinteresse 242 Geheimhaltungswille 240 Geheimnis 237 Geheimnisoffenbarung 251 Geheimnisqualität 239
Geheimsein 238 Geheimsphäre 165, 221 Geschäftsgeheimnisse 238 gesellschaftliches Informationsinteresse 42 Herr der Daten 198 Herstellen 150 Hilflosigkeit 139 höchstpersönlicher Lebensbereich 106, 119 Identifizierbarkeit 147 Indiskretion 162 Indiskretionsdelikt 296 Individualschutz 59, 214, 260 Informationsbeherrschungsrecht Informationsfreiheit 43 Informationsträger 170 Informationsvorsorge 49 Interessentheorie 222 Intimsphäre 114, 195
236
Kenntnis 177 Kenntnisnahme 184 Kollektivrechtsgüterschutz 56, 213 Kostenrisiko 54 Kreis der zum Wissen Berufenen 239 Legitimation eines Straftatbestandes legitimer Zweck 24 Leserbrief – Entscheidung 31 Nichtöffentlichkeit 80 normativer Rechtsgutsbegriff Offenbarungspflicht Offizialdelikt 259
22
256
Persönlicher Lebensbereich 109 Persönlichkeitsentwicklung 50 Pönalisierungspflicht 52
20
Sachverzeichnis Postgeheimnis 267, 271 Privatsphäre 34, 40, 111, 164, 233 Ratio legis 22 Recht am eigenen Bild 39, 118, 123 Recht am eigenen Wort 37, 60 Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit 29 Recht auf informationelle Selbstbestimmung 33, 46 Recht auf selbstbestimmte Außendarstellung 233 Rechtsgüterschutz 23 Rechtsgutsbegriff 19 Rechtsgutslehre 20 Reichweite einer Äußerung 64 Rückwirkungsverbot 51 Schadensersatz 53 Schriftstück 171 Schutz der Menschenwürde 29 Selbstbestimmungsrecht 42 Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit 32 Selbstentfaltung 34, 40 Selbstfindung 50 Sonderdelikt 228 sozialer Geltungsanspruch 142 sozialethische Missbilligung 54 Sozialschädlichkeit 24 Sozialwert überindividuellen Charakters 214 Strafantragserfordernis 230 Tatbestandsausschließendes Einverständnis 98, 187, 210, 286 technisches Mittel 181, 279 Tonträger 85
Übermaßverbot 21, 54 Übermittlungsvorgang 271 Übertragen 151 ultima ratio 22, 55 Unbefangenheit des gesprochenen Wortes 63 unbefugt 158, 253, 277, 280 Unterdrückung 281 Unterlassung 53 Untermaßverbot 27, 54 Verfassungsrechtliche Limitierung des Strafrechts 51 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 21 Vermögensschutz 192, 216 Verschlossen 174 Verschlüsselung 204 Vertrauensschutz 214 Vertrauenstheorie 222 Vertrauensverhältnis 222 Vertraulichkeit des Wortes 61 Viktimodogmatik 217 Volkszählung 46 Voyeurismus 299 Willenstheorie 222 Wohnung 132 Wort 77 Zugangssicherung 203 zumutbarer Selbstschutz 218 zur Übermittlung anvertraut 278
325