Der Öffentliche Auftraggeber im Vergaberecht: Spiegelbild europäischer Integrationsbemühungen und Herausforderung für die Rechtspraxis [1 ed.] 9783428550654, 9783428150656

Der Öffentliche Auftraggeber nimmt im Vergaberecht eine zentrale Rolle ein. Als Tatbestand bestimmt er, ob ein Rechtsges

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Der Öffentliche Auftraggeber im Vergaberecht: Spiegelbild europäischer Integrationsbemühungen und Herausforderung für die Rechtspraxis [1 ed.]
 9783428550654, 9783428150656

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Schriften zum Europäischen Recht Band 180

Der Öffentliche Auftraggeber im Vergaberecht Spiegelbild europäischer Integrationsbemühungen und Herausforderung für die Rechtspraxis

Von Nikolai Wessendorf

Duncker & Humblot · Berlin

NIKOLAI WESSENDORF

Der Öffentliche Auftraggeber im Vergaberecht

Schriften zum Europäischen Recht Herausgegeben von

Siegfried Magiera · Detlef Merten Matthias Niedobitek · Karl-Peter Sommermann

Band 180

Der Öffentliche Auftraggeber im Vergaberecht Spiegelbild europäischer Integrationsbemühungen und Herausforderung für die Rechtspraxis

Von Nikolai Wessendorf

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Universität Augsburg hat diese Arbeit im Jahre 2016 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2018 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Satz: TextFormA(r)t, Daniela Weiland, Göttingen Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 0937-6305 ISBN 978-3-428-15065-6 (Print) ISBN 978-3-428-55065-4 (E-Book) ISBN 978-3-428-85065-5 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Internet: http://www.duncker-humblot.de

In Gedenken an meinen Vater

Vorwort Die vorliegende Schrift wurde im Frühjahr 2016 von der Juristischen Fakultät der Universität Augsburg als Dissertation angenommen. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Dr. Daniel-Erasmus Khan für seine große Unterstützung bei der Entstehung dieser Arbeit, aber auch für seine bedingungslose akademische wie persönliche Förderung während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Europarecht und Völkerrecht an der Universität der Bundeswehr München. Seine Leidenschaft und Begeisterung für die Wissenschaft, aber auch seine Gabe, über wissenschaftliche Konventionen hinaus zu denken, zu schreiben und zu lehren, waren für mich stets Vorbild und Ansporn und haben die Entstehung dieser Arbeit gewiss beeinflusst. Herrn Prof. Dr. Christoph Vedder danke ich für die überaus schnelle Erstellung des Zweitgutachtens und die Durchführung des Promotionsverfahrens als Vorsitzender der Prüfungskommission. Großer Dank gilt den Herren Prof. Dr. Siegfried Magiera, M. A., Prof. Dr. Dr. Detlef Merten, Prof. Dr. Matthias Niedobitek und Prof. Dr. Dr. h. c. Karl-Peter Sommermann für die ehrenvolle Aufnahme dieser Arbeit in die Reihe „Schriften zum Europarecht“. Für die freundliche und gewissenhafte Betreuung seitens des Verlags danke ich Frau Birgit Müller und Frau Agatha May. Meinen Kollegen und Wegbegleitern am Institut für Öffentliches Recht und Völkerrecht der Universität der Bundeswehr München, neben meinem Doktorvater insbesondere Prof. Dr. Bardo Fassbender, Dr. Donald Riznik, Anja Kissling, Iris Ludwig, Carolin König und Sibylle Maier möchte ich von ganzem Herzen für eine unvergessliche Zeit, aber auch ihre Freundschaft danken. Diese Arbeit wäre nicht möglich gewesen ohne die liebevolle Unterstützung und das Verständnis aus meinem persönlichen Umfeld. Meinen lieben Eltern, die mich in jeder Hinsicht gefördert und mir diesen Werdegang ermöglicht haben, Wolfgang Ditscheid, der in vielen Stunden diese Arbeit Korrektur gelesen und mir wertvolle Anregungen sowie Mut mitgegeben hat, meiner lieben Schwester und ihrer Familie und ganz besonders meiner wunderbaren und geliebten Frau Julia gebührt der letzte Dank. München, im November 2017

Nikolai Wessendorf

Inhaltsübersicht Einleitung

33

A. Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 I.

Das Vergaberecht im Gefüge der Europäischen Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . 37

II.

Der Tatbestand des Öffentlichen Auftraggebers als Spiegelbild der Europäischen Integrationsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

III. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit – die Schwächen des funktionalen Auftraggeberbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 B. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 I.

Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

II.

Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

III. Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

Kapitel 1 Die Entstehung des Europäischen Vergaberechts aus deutscher Perspektive



49

A. Die historische Genese des deutschen Vergaberechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 I.

Der Ursprung des deutschen Vergaberechts im 16. und 17. Jahrhundert . . . . . . 50

II.

Der Auf- und Abstieg der Lizitation in Deutschland im 18. und 19. Jahrhundert . 56

III. Das Verdingungswesen im Deutschen Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 IV. Die internationale Dimension der Auftragsvergabe Anfang des 20.  Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 V.

Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69

B. Die Europäisierung des Vergaberechts als „Rechtsrevolution“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 I.

Das Binnenmarktprojekt als Ausgangspunkt für das Europäische Vergaberecht . 73

II.

Die vergaberechtliche Ausgangslage in den Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . 74

III. Die beginnende Vergemeinschaftung des Vergaberechts (1969–1976) . . . . . . . 92 IV. Der vergaberechtliche Neuanfang zur Vollendung des Binnenmarktes . . . . . . . 103

10

Inhaltsübersicht V.

Die Implementierung des Richtlinienrechts mit allen Mitteln . . . . . . . . . . . . . . 127

VI. Die alternativlose Reform des deutschen Vergaberechts 1998 . . . . . . . . . . . . . . 152 VII. Das konsolidierte Richtlinienrecht der dritten Generation zwischen 2004 und 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 VIII. Das modernisierte Richtlinienrecht der vierten Generation von 2014 . . . . . . . . 183 IX. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 C. Das Europäische Vergaberecht als dogmatische Herausforderung für die europäischmitgliedstaatliche Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 I.

Systematische Überlegungen zum rechtstechnischen Rahmen . . . . . . . . . . . . . 197

II.

Das Vergaberecht im Zeichen von Rechtsvereinheitlichung und Rechtsharmonisierung in der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209

III. Der unionsrechtliche Auftraggeberbegriff als Gradmesser der vergaberechtlichen Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 IV. Die systemischen Auswirkungen der vergaberechtlichen Rechtsangleichung auf das deutsche Öffentliche Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249

Kapitel 2 Reichweite und Grenzen des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers am Beispiel gemischtwirtschaftlicher Unternehmen in Deutschland



260

A. Die vergaberechtliche Auftraggebereigenschaft gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen 260 I.

Formen zulässiger privatwirtschaftlicher Unternehmenstätigkeit des Staates nach dem deutschen Verfassungs- und Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 261

II.

Gemischt-wirtschaftliche Unternehmen als „Öffentliche Auftraggeber“ . . . . . . 297

III. Prüfungsschema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 B. Das Erfordernis einer Begrenzung des vergaberechtlichen Anwendungsbereichs . . . 338 I.

Das Gebot der Normenklarheit als rechtsstaatlicher Grundsatz der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339

II.

Kompetenzrechtliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343

III. Grundrechtliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 IV. Das vergaberechtliche Wettbewerbsprinzip als begrenzender Auslegungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 C. Schlussfolgerungen für die Rechtsanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357

Inhaltsübersicht

11

I.

Die Konturlosigkeit des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers . . . . . . . . 358

II.

Die Vergaberechtsreform bietet keine Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358

III. Konsequenzen für die Rechtspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359

Schlussbetrachtung 363 A. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 B. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368

Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418

Inhaltsverzeichnis Einleitung 33 A. Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 I.

Das Vergaberecht im Gefüge der Europäischen Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . 37

II.

Der Tatbestand des Öffentlichen Auftraggebers als Spiegelbild der Europäischen Integrationsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 1. Die besondere Bedeutung des öffentlichen Auftraggeberbegriffs im Vergaberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2. Der öffentliche Auftraggeberbegriff als „Stellschraube“ der vergaberechtlichen Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

III. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit – die Schwächen des funktionalen Auftraggeberbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 1. Auslegungsschwierigkeiten und Herausforderung der Einzelfallbetrachtung 41 a) Das normative Recht als Instrument der Rechtssetzung . . . . . . . . . . . . . 41 b) Die Abhängigkeit des normativen Rechts vom Einzelfall . . . . . . . . . . . . 42 c) Möglichkeiten und Grenzen der Auslegung zur „Beherrschung“ des normativen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 2. Die Herstellung praxisgerechter Rechtsicherheit im Wege der Tatbestandsbegrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 B. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 I.

Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

II.

Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

III. Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

Kapitel 1 Die Entstehung des Europäischen Vergaberechts aus deutscher Perspektive



49

A. Die historische Genese des deutschen Vergaberechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 I.

Der Ursprung des deutschen Vergaberechts im 16. und 17. Jahrhundert . . . . . . 50 1. Die spätmittelalterliche Stadt und ihr Bauwesen als Ausgangspunkt . . . . . . 50 2. Von der Eigenregie zu den ersten öffentlichen Vergabeverfahren . . . . . . . . . 52

14

Inhaltsverzeichnis a) Eigenregie und Auftragsvergabe am Beispiel der Hamburger BauhofOrdnung von 1617 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 b) Der Einfluss Frankreichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 II.

Der Auf- und Abstieg der Lizitation in Deutschland im 18. und 19. Jahrhundert 56 1. Die Lizitation als Instrument hoheitlicher Kostenkontrolle . . . . . . . . . . . . . 58 2. Die Schwächen der Lizitation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 3. Vergebliche Reformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

III. Das Verdingungswesen im Deutschen Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 1. Erste vergaberechtliche Vorschriften in Preußen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 2. Die Bedeutung der Industriellen Revolution und die Urbanisierung im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 3. Der gescheiterte Versuch einer reichseinheitlichen Regelung Anfang des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 4. Der Weg zum Reichsverdingungsausschuss und der VOB . . . . . . . . . . . . . . 66 a) Keine politische Mehrheit für ein formelles Vergabegesetz . . . . . . . . . . 67 b) Die Geburt des Reichsverdingungsausschusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 c) Der Ausschuss setzt sich durch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 IV. Die internationale Dimension der Auftragsvergabe Anfang des 20.  Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 V.

Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 1. Impulse für den vergaberechtlichen Fortschritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 2. Der Ursprung der heutigen Vergabeprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 3. Die Lehren der Geschichte als Vorzeichen für die Reformen von heute . . . 71

B. Die Europäisierung des Vergaberechts als „Rechtsrevolution“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 I. II.

Das Binnenmarktprojekt als Ausgangspunkt für das Europäische Vergaberecht . 73 Die vergaberechtliche Ausgangslage in den Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . 74 1. Das Wesen des Vergaberechts in Deutschland von 1945 bis zur Vergemeinschaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 a) Das neue alte Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 b) Die Rechtsnatur des deutschen Vergaberechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 c) Verwaltungsinterne Bindung an die Prinzipien des öffentlichen Auftragswesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 aa) Das Haushaltsgrundsätzegesetz (HGrG) von 1969 . . . . . . . . . . . . . . 80 bb) Die Bundeshaushaltsordnung (BHO) vom 19.8.1969 . . . . . . . . . . . 81 cc) Die Bedeutung der vergaberechtlichen Grundsätze des Haushaltsrechts als Teil des Vergabewesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 d) Das Fehlen subjektiver Rechte als gesetzgeberisch intendierte Rechtsschutzlücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

Inhaltsverzeichnis

15

aa) Gang des Diskurses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 bb) Lehre von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte . . . . . . . . 85 e) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 2. Ausgangslage in den anderen Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 a) Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 b) Vereinigtes Königreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 c) Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 III. Die beginnende Vergemeinschaftung des Vergaberechts (1969–1976) . . . . . . . 92 1. Die Allgemeinen Programme des Rates als konzeptionelles Vorzeichen . . . 92 2. Das erste Richtlinienprogramm als „Flickenteppich“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 a) Die Richtlinie als Liberalisierungs- und Koordinierungsinstrument des Europäischen Vergaberechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 b) Die Liberalisierung für den Bereich der Lieferung von Waren . . . . . . . . 95 c) Die Liberalisierung und Koordinierung der Bauvergabe . . . . . . . . . . . . . 96 d) Die Koordinierung öffentlicher Lieferverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 e) Der „Öffentliche Auftraggeber“ als formelle Zuordnung zum Staat . . . . 98 3. Die Implementierung des „neuen Rechts“ in den Mitgliedstaaten . . . . . . . . 99 a) Bedeutungen der Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 b) Einzelstaatliche Durchführungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 c) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 IV. Der vergaberechtliche Neuanfang zur Vollendung des Binnenmarktes . . . . . . . 103 1. Neue Impulse aus Brüssel: Jacques Delors und das Binnenmarktziel . . . . . 104 a) Das Programm der Kommission für 1985 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 b) Weißbuch der Kommission „Zur Vollendung des Binnenmarktes bis 1992“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 c) Der Cecchini-Bericht als ökonomische Bestandsaufnahme . . . . . . . . . . 108 d) Der beratende Ausschuss der Kommission für die Öffnung des öffentlichen Auftragswesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 2. Die Lehren aus dem Scheitern: Überarbeitung der Richtlinien der ersten Generation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 a) Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 b) Die Besonderheiten des Änderungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 c) Die Erweiterung des öffentlichen Auftraggeberbegriffs im Wettlauf von Kommission und EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 d) Der sachliche Anwendungsbereich, die Bereichsausnahmen und Schwellenwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 3. Die Einbeziehung der Sektorenauftraggeber in das Vergabesekundärrecht . 116 4. Die Beschränkung der „Umsetzungsautonomie“ der Mitgliedstaaten . . . . . 117

16

Inhaltsverzeichnis 5. Die Konsolidierung mit den Basisrichtlinien von 1992/1993 . . . . . . . . . . . . 119 a) Bedeutende Änderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 aa) Neue Schwellenwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 bb) Bekanntmachung vor Auftragsvergabe als wettbewerbsfördernde Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 cc) Die Neuordnung der Verfahrensarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 b) Die Manifestation des funktionalen Auftraggeberbegriffs . . . . . . . . . . . 125 6. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 V.

Die Implementierung des Richtlinienrechts mit allen Mitteln . . . . . . . . . . . . . . 127 1. Druck aus Brüssel – die neue Gangart der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . 128 a) Die Umsetzungsdefizite in den Mitgliedstaaten und ihre Folgen . . . . . . 128 b) Die Durchsetzungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 aa) Die Intervention gem. Art. 3 RL 89/665/EWG und Art. 8 RL 92/13/ EWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 bb) Die gerichtliche Feststellung der vertragswidrigen Nichtumsetzung . 131 2. Der deutsche Ansatz im Kreuzfeuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 a) Die „haushaltsrechtliche Lösung“ in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 aa) Die §§ 57a bis 57c HGrG als „Kernstück“ der verwaltungsinternen Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 bb) Der Tatbestand des Öffentlichen Auftraggebers nach § 57a HGrG . . 134 cc) Bewertung der „haushaltsrechtlichen Lösung“ Deutschlands . . . . . 137 b) Deutschland vor dem EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 aa) Verurteilung wegen nicht ordnungsgemäßer Umsetzung der Richtlinien 88/295/EWG und 89/440/EWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 bb) Verurteilung wegen nicht ordnungsgemäßer Umsetzung der RL 92/ 50/EWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 3. Neuer Wind aus Luxemburg: Die richterrechtliche Fortentwicklung der Richtliniendurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 a) Unmittelbare Wirkung der Richtlinien als Mindestgarantie der Gemeinschaftsbürger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 aa) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 bb) Herleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 cc) Bedeutung für das öffentliche Auftragswesen . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 (1) Besonderheiten der unmittelbaren Anwendung von Richtlinienvorschriften für das Vergaberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 (2) Unmittelbar anwendbare Vergabevorschriften . . . . . . . . . . . . . . 146 (3) Im Rahmen der Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland 147 (4) Die Schwierigkeit der Bestimmung der unmittelbaren Wirkung des Art. 41 RL 92/50/EWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148

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b) Der gemeinschaftsrechtliche Staatshaftungsanspruch nach der Francovich-Entscheidung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 aa) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 bb) Bedeutung für das deutsche öffentliche Auftragswesen . . . . . . . . . . 150 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 VI. Die alternativlose Reform des deutschen Vergaberechts 1998 . . . . . . . . . . . . . . 152 1. Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 a) Einleitung eines erneuten Vertragsverletzungsverfahrens durch die Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 b) Die verfassungsrechtliche Dimension der Rechtsmittelfrage . . . . . . . . . 154 c) Völkerrechtlicher und diplomatischer Einfluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 2. Die neue Heimat des deutschen Vergaberechts im 4. Teil des GWB . . . . . . 156 3. Die Fortsetzung des „Kaskadensystems“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 4. Der Auftraggeberbegriff des § 98 GWB als Tatbestand des persönlichen Anwendungsbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 5. Bewertung der gesetzgeberischen Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 a) Die neuen Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 b) Das gespaltene Vergaberecht: Die Problematik des Ober- und Unterschwellenwertbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 c) Die Verbürgung subjektiver Rechte als Zäsur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 d) Erfolg supranationaler Rechtssetzung: Anpassung und Änderung des deutschen Vergaberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 VII. Das konsolidierte Richtlinienrecht der dritten Generation zwischen 2004 und 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 1. Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 a) Die Vorbereitung der Reform mit dem Grünbuch vom 27.11.1996 . . . . 167 b) Die Lissabon-Strategie des Europäischen Rates als wirtschaftspolitischer Rahmen der Richtliniennovelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 c) Der Reformansatz der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 2. Die Definition des öffentlichen Auftraggeberbegriffs bleibt unverändert . . . 172 3. Der separate Regelungsaufbau für die Sektorenauftraggeber . . . . . . . . . . . . 175 4. Die Rechtsmittelrichtlinienreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 5. Die Regelung der Bereiche Verteidigung und Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . 177 6. Die Umsetzung im deutschen GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 a) Änderungshistorie des GWB seit 1998 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 b) Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts (VgRModG) vom 20.4.2009 179 aa) Fortsetzung der Trennung des Vergaberechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 bb) Die Anpassung der Definition des „Öffentlichen Auftraggebers“ nach § 98 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180

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Inhaltsverzeichnis VIII. Das modernisierte Richtlinienrecht der vierten Generation von 2014 . . . . . . . . 183 1. Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 2. Zielsetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 3. Die Bemühungen um eine Reform des öffentlichen Auftraggeberbegriffs . . 186 a) Reformüberlegungen zum Tatbestand der „Einrichtung des öffentlichen Rechts“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 b) Das umstrittene Merkmal der Nichtgewerblichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 aa) Die Legaldefinition der Nichtgewerblichkeit nach dem Vorschlag der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 bb) Die Ablehnung der Änderungen durch den Kompromisstext des Rates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 cc) Die Rückkehr zum alten Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 4. Die Umsetzung im GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 a) Die Auffächerung des Auftraggeberbegriffs in §§ 98 ff. GWB n. F. . . . . . 192 b) Die sprachlichen Anpassungen des öffentlichen Auftraggeberbegriffs in § 99 GWB n. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 IX. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195

C. Das Europäische Vergaberecht als dogmatische Herausforderung für die europäischmitgliedstaatliche Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 I.

Systematische Überlegungen zum rechtstechnischen Rahmen . . . . . . . . . . . . . 197 1. Der bedingte Katalysatoreffekt des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 2. Die Hierarchisierung des Europäischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 3. Die Durchsetzungsmechanismen des hierarchisierten Rechts . . . . . . . . . . . 202 a) Die Rolle des Europäischen Gerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 b) Der Grundsatz der Wirksamkeit des Unionsrechts (effet utile) . . . . . . . . 203 c) Der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 4. Der Grundsatz der Kompetenzbindung unionalen Handelns . . . . . . . . . . . . 206 a) Das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 b) Der Subsidiaritätsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 c) Das Verhältnismäßigkeitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 d) Ausformungen der Kompetenzbindungsgrundsätze im Unionsrecht . . . 208

II.

Das Vergaberecht im Zeichen von Rechtsvereinheitlichung und Rechtsharmonisierung in der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 1. Rechtsvereinheitlichung und -harmonisierung als Motive des Europäischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 2. Das Vergaberecht als Ausdruck der Europäischen Rechtvereinheitlichung . 211 3. Möglichkeiten und Grenzen der vergaberechtlichen Rechtsangleichung . . . 213 a) Grenzen und Möglichkeiten der vergaberechtlichen Integration de jure . 214

Inhaltsverzeichnis

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aa) Rechtsgrundlagen für das Vergabesekundärrecht . . . . . . . . . . . . . . . 215 bb) Die Bedeutung verfahrensrechtlicher Aspekte für die Entwicklung des Europäischen Vergaberechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 cc) Die Richtlinie als Instrument der Rechtsangleichung . . . . . . . . . . . . 220 dd) Alternative Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 b) Grenzen und Möglichkeiten der vergaberechtlichen Integration de facto 222 aa) Auf europäischer Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 bb) In Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 cc) Zeichen erfolgreicher Rechtsangleichungsbemühungen in anderen EU-Ländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 dd) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 III. Der unionsrechtliche Auftraggeberbegriff als Gradmesser der vergaberechtlichen Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 1. Der Auftraggeberbegriff als Tatbestand des persönlichen Anwendungsbereichs 228 2. Die Entstehung und Legitimation des funktionalen Ansatzes . . . . . . . . . . . 237 a) Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 b) Auslegungsgrundsätze des Europarechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 c) Europarechtskonforme Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 3. Der funktionale Ansatz in der Rechtssetzung und Rechtsprechung der EU . 242 4. Die Entstehung des funktionalen Auftraggeberbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . 245 a) Der formal-rechtliche Auftraggeberbegriff als Ausgangspunkt der Vergaberichtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 b) Der Wandel zum funktionalen Auftraggeberbegriff als Ausdruck eines „Europäischen Pragmatismus“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 IV. Die systemischen Auswirkungen der vergaberechtlichen Rechtsangleichung auf das deutsche Öffentliche Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 1. Die Beschränkung der Dispositionsfreiheit über die Gewährung subjektiver Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 a) Das Fehlen subjektiv-öffentlicher Rechte im deutschen Vergaberecht . . 250 b) Die „erzwungene“ Subjektivierung von Rechtspositionen im deutschen Vergaberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 aa) Invocabilité und subjektiv-öffentliche Rechte aus dem Unionsrecht 251 bb) Die Anpassungen im deutschen Vergaberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 2. Die Erosion der deutschen Dichotomie von Öffentlichem Recht und Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 a) Die Zweiteilung des deutschen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 b) Die Rechtswegfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 c) Die Einbeziehung „privater“ Auftraggeber in das „öffentliche“ Auftragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 d) Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259

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Inhaltsverzeichnis Kapitel 2 Reichweite und Grenzen des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers am Beispiel gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen in Deutschland



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A. Die vergaberechtliche Auftraggebereigenschaft gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen 260 I.

Formen zulässiger privatwirtschaftlicher Unternehmenstätigkeit des Staates nach dem deutschen Verfassungs- und Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 1. Handlungsformen der Verwaltung im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 2. Abgrenzung von öffentlich-rechtlichem und privatrechtlichem Handeln des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 3. Das privatrechtliche Handeln des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 a) Kompetenz und Kompetenzbindung des privatwirtschaftlich handelnden Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 aa) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 bb) Staatliche Kompetenzbindung am Beispiel von Gemeinden . . . . . . 269 (1) Kompetenzbindung für die Bedarfsdeckung . . . . . . . . . . . . . . . 269 (2) Kompetenzbindung für die erwerbswirtschaftliche Betätigung . 269 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 b) Verwaltungsprivatrechtliches Handeln der öffentlichen Hand . . . . . . . . 273 aa) Privatrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts . 274 bb) Umfang der Privatrechtsbindung juristischer Personen des öffentlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 (1) Begrenzung der Strahlkraft des öffentlichen Rechts in die privatrechtlichen Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 (2) Beschränkung der Privatrechtsbindung auf den öffentlich-rechtlich festgelegten Aufgabenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 (3) Die Auswirkungen der beschränkten Rechtsbindung auf das Funktionieren der Privatrechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 c) Privatrechtliches Handeln juristischer Personen des Privatrechts mit öffentlich-rechtlichen Gesellschaftern (gemischt-wirtschaftliche Unternehmen) 280 aa) Die Erscheinungsform des gemischt-wirtschaftlichen Unternehmens 281 bb) Öffentlich-rechtliche Voraussetzungen für die Errichtung, den Betrieb und die Beteiligung an juristischen Personen des Privatrechts durch die öffentliche Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 cc) Privatrechtliche Anforderungen an eine Einrichtung mit öffentlichrechtlichen Gesellschaftern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 (1) Besonderheiten bei der Wahl der Rechtsform . . . . . . . . . . . . . . 287 (2) Sicherung der öffentlich-rechtlichen Voraussetzungen mit den Mitteln des Gesellschaftsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291

Inhaltsverzeichnis

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4. Grundrechtsbindung des Staates bei privatwirtschaftlichen Beschaffungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 II.

Gemischt-wirtschaftliche Unternehmen als Öffentliche Auftraggeber . . . . . . . 297 1. Die auslegungsbedürftige Fallgruppe der „Einrichtung des öffentlichen Rechts“ 298 2. Der Tatbestand im Sprachfassungs- und Rechtsvergleich . . . . . . . . . . . . . . 300 3. Rechtspersönlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 a) Tatbestand nach dem deutschen Recht (§ 99 Nr. 2 GWB n. F.) . . . . . . . . 304 b) Wortlaut- und Rechtsvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 c) Richtlinienkonforme Auslegung des Begriffs der juristischen Person i. S. v. § 99 Nr. 2 GWB n. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 d) Bedeutung des Tatbestandsmerkmals für gemischt-wirtschaftliche Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 4. Staatsgebundenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 a) Staatsgebundenheit im Sinne von § 99 Nr. 2 GWB n. F. . . . . . . . . . . . . . 307 aa) Überwiegende Finanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 bb) Aufsicht über die Leitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 cc) Beherrschung von Leitungs- und Aufsichtsorganen . . . . . . . . . . . . . 309 b) Verhältnis zu den kompetenzrechtlichen Grundsätzen für die Beteiligung des Staates an privatrechtlichen Wirtschaftsunternehmen . . . . . . . . . . . . 309 c) Staatsgebundenheit gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen . . . . . . . . . 310 d) Verhältnis zum Tatbestandsmerkmal des „besonderen Gründungszwecks“ 311 5. Besonderer Gründungszweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 a) Normierter Gründungszweck und faktische Aufgabenwahrnehmung . . . 312 aa) Der normierte Gründungszweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 bb) Nachträgliche Zweckbestimmung oder Übertragung von Aufgaben im Allgemeininteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 cc) Objektiv feststellbare, faktische Aufgabenwahrnehmung . . . . . . . . . 314 dd) Umfang der festgelegten oder feststellbaren Aufgabenwahrnehmung im Allgemeininteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 b) Im Allgemeininteresse liegende Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 aa) Das „Allgemeininteresse“ als autonomer Rechtsbegriff des Europäischen Vergaberechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 bb) Näherung an den unionsrechtlichen Begriff des Allgemeininteresses 317 (1) Die Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 (2) Bestimmungsversuche in der Literatur und Rechtsprechung . . . 318 (3) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 cc) Die Dimensionen der Aufgabenwahrnehmung im Allgemeininteresse in Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 (1) Aufgaben zur Sicherung des Gemeinwesens . . . . . . . . . . . . . . . 322

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Inhaltsverzeichnis (2) Aufgaben zur Organisation des Gemeinwesens . . . . . . . . . . . . . 322 (3) Aufgaben zur Entwicklung des Gemeinwesens . . . . . . . . . . . . . 323 dd) Die Bedeutung kompetenzrechtlicher Vorschriften bei der Auslegung des „Allgemeininteresses“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 c) Nichtgewerblichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 aa) Rechtsvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 bb) Die Nichtgewerblichkeit als tatbestandbegrenzendes Merkmal . . . . 327 cc) Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit in einem wettbewerblich geprägten Umfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 dd) Ausrichtung der betrieblichen Tätigkeit auf das Erzielen von Gewinn 330 ee) Übernahme des mit der eigenen Tätigkeit verbundenen wirtschaftlichen Risikos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 (1) Keine (formalen) Mechanismen zum Ausgleich etwaiger finanzieller Verluste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 (2) Wahrscheinlichkeit staatlichen Eingreifens zur Verhinderung einer Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 ff) Aufbauschema zur Bestimmung der Nichtgewerblichkeit . . . . . . . . 336 III. Prüfungsschema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337

B. Das Erfordernis einer Begrenzung des vergaberechtlichen Anwendungsbereichs . . . 338 I.

Das Gebot der Normenklarheit als rechtsstaatlicher Grundsatz der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 1. Das Gebot der Normenklarheit als Grenze gesetzgeberischer Gestaltungsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 2. Der Öffentliche Auftraggeberbegriff im Lichte des Gebots der Normen­ klarheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 3. Die Rolle der Mitgliedstaaten als sekundärrechtliche Normadressaten . . . . 343

II.

Kompetenzrechtliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 1. Kompetenzrechtliche Beschränkungen zum Schutz der mitgliedstaatlichen Integrität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 2. Kompetenzbindung als Begrenzung der Auslegung des Sekundärrechts . . . 345

III. Grundrechtliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 1. Grundrechtlicher Schutz der Privatautonomie und Vertragsfreiheit im Europäischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 2. Privatautonomie und Vertragsfreiheit als grundrechtlich geschütztes Motiv des Europarechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 3. Der Öffentliche Auftraggeber und der persönliche Schutzbereich der Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 4. Die Bedeutung der Vertragsfreiheit für die Auslegung des funktionalen Auftraggeberbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351

Inhaltsverzeichnis

23

IV. Das vergaberechtliche Wettbewerbsprinzip als begrenzender Auslegungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 1. Das Wettbewerbsprinzip im Vergaberecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 2. Die Bedeutung des Wettbewerbsgedankens für die Auslegung des funktionalen Auftraggeberbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 3. Begrenzung des Anwendungsbereichs für Sektoren bei Vorliegen „effektiven Wettbewerbs“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 4. Bedeutung der Ausnahme bestimmter Sektorenauftraggeber für die Auslegung des funktionalen Auftraggeberbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 C. Schlussfolgerungen für die Rechtsanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 I.

Die Konturlosigkeit des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers . . . . . . . . 358

II.

Die Vergaberechtsreform bietet keine Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358

III. Konsequenzen für die Rechtspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 1. Lösung im Wege der Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 2. Gebot der Begrenzung des funktionalen Auftraggeberbegriffs . . . . . . . . . . . 361

Schlussbetrachtung 363 A. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 B. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 Anhang I: Die öffentlichen Beschäftigungsmärkte in der Gemeinschaft KOM (86) 375 endg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 Anhang II: Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 71/305/EWG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge KOM (88) 354 endg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 Anhang III: Beschluss der Bundesregierung über Schwerpunkte zur Vereinfachung des Vergaberechts im bestehenden System vom 28.06.2006 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 Anhang IV: Übersicht über die Rechtsgrundlagen und Begründungen der Vergaberichtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 Anhang V: Stand der Umsetzung der Richtlinien öffentliches Auftragswesen im Jahr 1996 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418

Schaubildverzeichnis Schaubild 1: Umsetzung der Vergaberichtlinien in § 57a HGrG (1993) . . . . . . . . . . . . 135 Schaubild 2: Wortlautvergleich von § 57a HGrG (1993) und § 98 GWB (1998) . . . . . . 160 Schaubild 3: Wortlautvergleich von Art. 1 Abs. 9 RL 2004/18/EG und dem vorherigen Richtlinienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 Schaubild 4: Wortlautvergleich von § 98 GWB (1998) und § 98 GWB (2009) . . . . . . . 182 Schaubild 5: Wortlautvergleich von Art.  2 Abs.  1 Nr.  4 RL 2014/24/EU und Art.  1 Abs. 9 RL 2004/18/EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 Schaubild 6: Übersicht zu den Reformvorschlägen zum Merkmal der Nichtgewerblichkeit (2011–2014) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 Schaubild 7: Wortlautvergleich von § 98 GWB (2009) und § 99 GWB (2016) . . . . . . . 193 Schaubild 8

Rechtsgrundlagen der Europäischen Vergaberichtlinien . . . . . . . . . . . . . . 216

Schaubild 9: Erweiterung des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Schaubild 10: Sprachfassungs- und Rechtsvergleich zum Tatbestand des Öffentlichen Auftraggebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 Schaubild 11: Aufbauschema zur Bestimmung der Nichtgewerblichkeit . . . . . . . . . . . . 336 Schaubild 12: Prüfungsschema zur Fallgruppe der Einrichtung des Öffentlichen Rechts . 337

Abkürzungsverzeichnis a. A. andere Auffassung Amtsblatt der Europäischen Union ABl. Abs. Absatz am Ende a. E. AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union a. F. alte Fassung AJDA L’Actualité juridique – Droit administratif (Zeitschrift) Aktuelle Juristische Praxis (Zeitschrift) AJP AO Abgabenordnung Archiv des öffentlichen Rechts (Zeitschrift) AöR Art. Artikel Aufl. Auflage Bayerisches Oberstes Landesgericht BayObLG BayVBl. Bayerische Verwaltungsblätter (Zeitschrift) Betriebs-Berater (Zeitschrift) BB Bd. Band BEG Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung BEvaKG Bundesevakuiertengesetz BGBl. Bundesgesetzblatt BGHZ Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen BHO Bundeshaushaltsordnung BIP Bruttoinlandsprodukt BKR Baukoordinierungsrichtlinie Bundesministerium für Wirtschaft und Energie BMWi BR Bundesrat BT Bundestag BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVerwG Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts BVerwGE BVFG Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge Christlich Demokratische Union CDU Code des Marchés Publics CMP CSU Christlich-Soziale Union DKR Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie DNotZ Deutsche Notar-Zeitschrift Doc Document (engl., zu Deutsch: Dokument) DÖV Die Öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) Drs. Drucksache DStR Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift)

26

Abkürzungsverzeichnis

Deutscher Verdingungsausschuss Deutsche Verdingungsausschuss für Leistungen – ausgenommen Bauleistungen Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift) DVBl. ebd. ebenda EEA Einheitliche Europäische Akte Europäische Gemeinschaft EG Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten EMRK endg. endgültig EP Europäisches Parlament et alii (und andere) et al. EU Europäische Union EuGH Gerichtshof der Europäischen Union Europarecht (Zeitschrift) EuR Vertrag über die Europäische Union EUV EuZW Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht EWG Vertrag über die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft EWS Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht (Zeitschrift) f. folgend Freie Demokratische Partei FDP ff. fortfolgend Fn. Fußnote GG Grundgesetz GmS-OGB Gemeinsamer Beschluss der obersten Gerichtshöfe des Bundes Government Procurement Agreement GPA GWB/GWB a. F. Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der Fassung bis zum 17.04.2016 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der Fassung seit dem GWB n. F. 18.04.2016 HGrG Gesetz über die Grundsätze des Haushaltsrechts des Bundes und der Länder herrschende Lehre h. L. h. M. herrschende Meinung Hrsg. Herausgeber InsO Insolvenzordnung im Sinne des i. S. d. i. S. v. im Sinne von i. V. m. in Verbindung mit JuS Juristische Schulung (Zeitschrift) JZ JuristenZeitung (Zeitschrift) KMU Kleine und Mittelständische Unternehmen KOM Kommission der Europäischen Union KommJur Kommunaljurist (Zeitschrift) LGDJ La Librairie générale de droit et de jurisprudence (Zeitschrift) lit. litera (Buchstabe) LKR Lieferkoordinierungsrichtlinie LKV Landes- und Kommunalverwaltung (Zeitschrift) mit weiteren Nachweisen m. w. N. DVA DVAL

Abkürzungsverzeichnis

27

Numéro (fr., zu Deutsch: Nummer) n° n. F. neue Fassung NgV Nachprüfungsverordnung NJW Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) Number (engl., zu Deutsch: Nummer) No. Nr. Nummer Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NVwZ Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht NZBau Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht NZG NZV Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht Öffentlich-private Partnerschaft ÖPP page (franz., zu Deutsch: Seite) p. PPP Public Private Partnership Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht RabelsZ Recht der Arbeit (Zeitschrift) RdA RGBl. Reichsgesetzblatt RiW Recht der Internationalen Wirtschaft (Zeitschrift) RL Richtlinie Rn. Randnummer S. Seite Sächsische Verwaltungsblätter (Zeitschrift) SächsVBl. Seufferts Archiv für die Entscheidungen der obersten Gerichte in den SeuffArch deutschen Staaten (Zeitschrift) SKR Sektorenkoordinierungsrichtlinie Sozialdemokratische Partei Deutschlands SPD TTIP Transatlantic Trade and Investment Partnership (Transatlantisches Freihandelsabkommen) United Nations (Vereinte Nationen) UN USA United States of America (Vereinigte Staaten von Amerika) Verb. Rs. Verbundene Rechtssache Vergaberecht (Zeitschrift) VergabeR Verwaltungsarchiv (Zeitschrift) VerwArch VGH Verwaltungsgerichtshof vgl. vergleiche VgRÄG Vergaberechtsänderungsgesetz Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts VgRModG Gesetz zur Änderung des Vergaberechts für die Bereiche Verteidigung VgRVgÄndG und Sicherheit Verordnung über die Vergabebestimmungen für öffentliche Aufträge VgV Verordnung zur Änderung der Vergabeverordnung VgVÄndV VKR Verteidigungsgüterkoordinierungsrichtlinie VO Verordnung VOB Verdingungsordnung für Bauleistungen VOL Verdingungsordnung für Leistungen VPS Vergabeprüfstelle VÜA Vergabeüberwachungsausschuss Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer VVDStRL (Zeitschrift)

28

Abkürzungsverzeichnis

Gesetzblatt der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes WiGBl. Wirtschaft und Recht in Osteuropa (Zeitschrift) WiRO WiVerw Gewerbearchiv – Zeitschrift für Wirtschaftsverwaltungsrecht World Trade Organization (Welthandelsorganisation) WTO Wirtschaft und Wettbewerb (Zeitschrift) WuW WuW/E Wirtschaft und Wettbewerb Entscheidungen (Zeitschrift) Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht ZaöRV zum Beispiel z. B. ZfBR Zeitschrift für deutsches und internationales Bau- und Vergaberecht Zeitschrift für Gesetzgebung ZG Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht ZGR ZHR Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht ZP Zusatzprotokoll Zeitschrift für Schweizerisches Recht ZSchwR

Richtlinienverzeichnis Warenliberalisierungs-RL 70/32/EWG

Richtlinie 70/32/EWG der Kommission vom 17.12.1969 über die Lieferung von Waren an den Staat, seine Gebietskörperschaften und die sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, ABl. 1970 L 13/1 Bauliberalisierungs-RL 71/304/EWG Richtlinie 71/304/EWG des Rates vom 26.7.1971 zur Aufhebung der Beschränkungen des freien Dienstleitungsverkehrs auf dem Gebiet der öffentlichen Bauaufträge und bei öffentlichen Bauaufträgen, die an die Auftragnehmer über ihre Agenturen oder Zweigniederlassungen vergeben werden, ABl. 1971 L 185/1 Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG Richtlinie 71/305/EWG des Rates vom 26.7.1971 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, ABl. 1971 L 185/5 Richtlinie 77/62/EWG des Rates über die KoLieferkoordinierungs-RL 77/62/EWG ordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentli­ cher Lieferaufträge vom 21.12.1976, ABl. 1977 L 13/1 Lieferkoordinierungs-ÄndRL 80/767/EWG Richtlinie 80/767/EWG des Rates vom 22.7.1980 zur Anpassung und Ergänzung der Richtlinie 77/62/EWG über die Koordinierung der Verfahren öffentlicher Lieferaufträge hinsichtlich bestimmter öffentlicher Auftraggeber, ABl. 1980 L 215/1 Lieferkoordinierungs-ÄndRL 88/295/EWG Richtlinie 88/295/EWG des Rates vom 22.3.1988 zur Änderung der Richtlinie 77/62/ EWG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge und zur Aufhebung einiger Bestimmungen der Richtlinie 80/767/EWG, ABl. 1988 L 127/1 Baukoordinierungs-ÄndRL 89/440/EWG Richtlinie 89/440/EWG des Rates vom 18.7.1989 zur Änderung der Richtlinie 71/305/ EWG über die Koordination der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, ABl. 1989 L 210/1 Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom Nachprüfungs-RL 89/665/EWG 21.12.1989 zur Koordinierung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfverfahren im Rahmen der

30

Richtlinienverzeichnis

Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge, ABl. 1989 L 395/33 Richtlinie 90/531/EWG des Rates vom 17. SepSektorenvergabe-RL 90/531/EWG tember 1990 betreffend die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor, ABl. 1990 L 297/1 Richtlinie 92/13/EWG des Rates vom 25.2.1992 Sektorennachprüfungs-RL 92/13/EWG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Tele­kommunikationssektor, ABl. 1992 L 76/14 Dienstleistungskoordinierungs-RL 92/50/EWG RL 92/50/EWG des Rates vom 18.6.1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge, ABl. 1992 L 209/1 RL 93/36/EWG des Rates vom 14.6.1993 über Lieferkoordinierungs-RL 93/36/EWG die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge, ABl. 1993 L 199/1 RL 93/37/EWG des Rates vom 14.6.1993 zur Baukoordinierungs-RL 93/37/EWG Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, ABl. 1993 L 199/54 Richtlinie 93/38/EWG des Rates vom 14. Juni Sektorenkoordinierungs-RL 93/38/EWG 1993 zur Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor, ABl. 1993 L 199/84 Richtlinie 2004/17/EG des Europäischen ParSektorenkoordinierungs-RL 2004/17/EG laments und des Europäischen Rates vom 31.  März 2004 zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste, ABl. 2004 L 134/1 Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen ParVergabekoordinierungs-RL 2004/18/EG laments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge, ABl. 2004 L 134/114 Richtlinie 2007/66/EG des Europäischen ParNachprüfungs-RL 2007/66/EG laments und des Rates vom 11.12.2007 zur Änderung der Richtlinien 89/665/EWG und 92/13/EWG des Rates im Hinblick auf die Verbesserung der Wirksamkeit der Nachprüfungsverfahren bezüglich der Vergabe öffentlicher Aufträge, ABl. 2007 L 335/31

Richtlinienverzeichnis Verteidigungsgüter-RL 2009/81/EG

Konzessionsvergabe-RL 2014/23/EU

Vergabe-RL 2014/24/EU

Sektoren-RL 2014/25/EU

31

Richtlinie 2009/81/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe bestimmter Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit und zur Änderung der Richtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG, ABl. 2009 L 216/76 Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates vom 26.2.2014 über die Konzessionsvergabe, ABl. 2014 L 94/1 Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates vom 26.2.2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG, ABl. 2014 L 94/65 Richtlinie 2014/25/EU des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates vom 26.2.2014 über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/17/EU, ABl. 2014 L 94/243

Ohne den pfleglichen Umgang mit dem Recht gedeihen auf die Dauer weder die europäische Integration noch der internationale Wettbewerb.1

Einleitung Die Europäische Union steht derzeit vor einer ihrer größten Bewährungsproben. Finanz- und Arbeitsmarktkrisen, sicherheitspolitische Ausnahmezustände, Migrationsbewegungen und Dramen an den Außengrenzen Europas sowie soziale Not und Zukunftsangst in einigen Mitgliedstaaten führen dazu, dass immer mehr Europäer das Prinzip in Frage stellen, auf dem die Europäische Union beruht: ­Solidarität. Das große, Frieden und Solidarität schaffende Werk scheint zu zerfallen in ein Europa der zwei Geschwindigkeiten, in ein Kerneuropa und ein Randeuropa. Befeuert von innenpolitischen Verwerfungen aufgrund von Arbeitslosigkeit, Rezessionen und Perspektivlosigkeit wächst ein Neo-Nationalismus in den Mitgliedstaaten, der das Potenzial zur Zerreißprobe in sich trägt. Debatten um den Austritt aus dem EURO, dem Schengen-Raum oder geplante Volksabstimmungen über den Verbleib in der Europäischen Union schaffen ein politisches Klima, in dem an die Stelle europäischer Konsenspolitik Drohungen, Druck, Ultimaten und Misstrauen treten. Im Schatten von zahlreichen (Sonder-)Gipfeln2, dem politischen Kräftemessen und Schlagabtausch gibt es jedoch eine Europäische Union, in der fernab von Grundsatz- und Wertefragen die „Europäische Integration“3 vorangetrieben wird. Eine eingeschliffene „Integrationsmaschinerie“ arbeitet stetig und konstant einer Verwirklichung der in den Europäischen Verträgen festgeschriebenen Ziele entgegen.4 Während auf politischer Ebene der Ton rauer wird und nicht mehr dieselbe 1

Fritz Rittner, NVwZ 1995, S. 313 (320). Im Jahr 2015 trafen sich die Europäischen Staats- und Regierungschefs insgesamt elfmal im Europäische Rat u. a. zur sicherheitspolitischen Lage in der Ukraine, zur Bekämpfung des Terrorismus, zum besseren Funktionieren der Europäischen Währungsunion, zur Schaffung einer Energieunion, zur Lage in Libyen, den Beziehungen zu Russland, zur dramatischen Lage im Mittelmeerraum, zur Wirtschaftskrise in Griechenland, dem bevorstehenden Referendum im Vereinigten Königreich, zum Schutz der Außengrenzen, zur Unterstützung der afrikanischen Staaten zur Verringerung des Migrationsdrucks, zur Zusammenarbeit und dem Dialog mit der Türkei zur Bewältigung der syrischen Flüchtlingskrise und zur besseren und gerechten Verteilung von Flüchtlingen in den Mitgliedstaaten, zugänglich über die Seite des Rates, http:// www.consilium.europa.eu. 3 Zur Begrifflichkeit der „Europäischen Integration“, vgl. Matthias Rossi, Europäische Integration durch Gemeinschaftsrecht und Gerichtsbarkeit?, S. 107 (108 f.). 4 Vgl. zu den Zielen der Europäischen Union, insb. Art.  3 des Vertrags über die Euro­ päische Union vom 7.2.1992 (BGBl. II 1992, 1252) in der durch den Vertrag vom Lissabon vom 13.12.2009 (BGBl. II 2008, 1038) geänderten Fassung (BGBl. II 2009, 1223). 2

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Einleitung

Sprache gesprochen zu werden scheint, bemühen sich die Institutionen der EU unbeirrt um die ihnen aufgetragene Abschaffung von Diskriminierungen und Beschränkungen sowie die Harmonisierung und Angleichung der Rechtsvorschriften in den Mitgliedstaaten. Jenseits der diversen Fliehkräfte also, die von außen und innen an Europa zerren, findet im europäischen Alltag eine Weiterentwicklung, Konsolidierung, Vereinfachung und Verbesserung jener europäischen Regelwerke statt, die den Unionsbürgern und der Wirtschaft den Rahmen für Wohlstandsförderung und Wachstum5 schaffen sollen. Hierzu zählt auch das Vergaberecht, das sich auf allen Rechtsebenen – im Völkerrecht, Europarecht und nationalen Recht – wieder einmal im Umbruch befindet. Am 6. April 2014 trat das überarbeitete WTO-Abkommen über das öffentliche Beschaffungswesen vom 30. März 2012 in Kraft.6 Am 17. April 2014 folgten die neuen europäischen Vergaberichtlinien7, welche das bisherige Vergabesekundärrecht ersetzen und es um eine Richtlinie über die Konzessionsvergabe8 ergänzen. Sie finden seit dem 18. April 2016 Anwendung.9 Daneben steht die weitere Öffnung des amerikanischen und des europäischen Beschaffungsmarktes als Kern­ element der zu erreichenden Marktzugangsregelungen auf der Agenda des derzeit in 15. Runde verhandelten Freihandelsabkommens zwischen den USA und der EU (TTIP).10 Auf nationaler Ebene wurde der 4. Teil des GWB grundlegend reformiert und zum 18.4.2016 an das neue Richtlinienrecht angepasst.11 Diese Reformen und Neuerungen verfolgen allesamt ein Ziel: das Volumen der grenzüberschreitenden öffentlichen Auftragsvergabe zu erhöhen und damit in den nationalen und regionalen Wirtschaftsräumen für Stimulation zu sorgen sowie einen Beitrag zur Wohlstandförderung zu leisten. Die Welthandelsorganisation WTO etwa rechnet mit einem Anstieg des Auftragsvolumens durch das neue Govern­ment Procurement Agreement von 80 bis 100 Milliarden US-Dollar.12 5

Ebd. Vgl. Protokoll zur Änderung des Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen vom 30.3.2012, ABl. 2014 L 68/2. Das überarbeitete Abkommen tritt an die Stelle des ursprünglichen Government Procurement Agreement vom 1.1.1996, ABl. 1996 C 256/1. Es hat derzeit neben der EU 16 Vertragsparteien, darunter die USA, die Schweiz, Singapur, Norwegen, Kanada und Japan (Stand 6.12.2015). 7 Vergabe-RL 2014/24/EU und Sektoren-RL 2014/25/EU. 8 Konzessionsvergabe-RL 2014/23/EU. 9 Vgl. Art.  51 Abs.  1 Konzessionsvergabe-RL 2014/23/EU, Art.  90 Abs.  1 Vergabe-RL 2014/24/EU und Art. 106 Abs. 1 Sektoren-RL 2014/25/EU. 10 Vgl. zum jeweiligen Stand der Verhandlungen die Internetpräsenz des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie; zugänglich über https://www.bmwi.de/DE/Themen/Aussenwirtschaft/ Freihandelsabkommen/TTIP. 11 Vgl. das Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts (Vergaberechtsmodernisierungsgesetz – VergRModG) vom 17. Februar 2016 (BGBl. 2016 I, 203), das am 18.4.2016 in Kraft getreten ist. 12 Vgl. Europäische Kommission, Pressemitteilung vom 14.4.2014, EU Doc IP/14/381. 6

Einleitung

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Die EU bezifferte das Potenzial nach Abschluss der Verhandlungen 2011 gar auf 100 Milliarden Euro.13 Auch das Freihandelsabkommen TTIP mit den USA soll nach der Vorstellung des Europäischen Parlaments den „uneingeschränkten Zugang zum öffentlichen Beschaffungswesen in den USA gewähren und die Möglichkeiten für EU-Investitionen in den USA“14 verbessern. Die neuen Rechtsakte folgen der Erkenntnis, dass das Funktionieren der grenzüberschreitenden Beschaffungsmärkte nur durch Vereinfachung und Förderung von Transparenz und Effizienz der Vergabeverfahren herzustellen ist. Die Präambel des Protokolls zur Änderung des WTO-Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen vom 30. März 2012 stellt hierzu fest, „dass ein integres und vorhersehbares öffentliches Beschaffungswesen eine unabdingbare Voraussetzung für die effiziente und zweckgerechte Verwaltung öffentlicher Ressourcen, die Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaften der Vertragsparteien und die Funktionsfähigkeit des multilateralen Handelssystems bildet“15. Auch der Unionsgesetzgeber erkannte bei der Richtlinien-Novellierung im Jahr 2014, dass es „noch erhebliche Verbesserungsmöglichkeiten bei der Anwendung der Vergabevorschriften der Union“16 gibt. So soll „die Effizienz des öffentlichen Auftragswesens durch umfangreicheres Wissen, stärkere Rechtssicherheit und professionellere Vergabeverfahren“17 gesteigert werden. Diese Erkenntnis ist durchaus richtig: Trotz der europaweiten Ausschreibungspflicht werden weniger als 4 Prozent aller Aufträge an ausländische Bieter in der EU vergeben.18 Ziel dieser Arbeit ist es, zum einen die vergaberechtliche Integrationsgeschichte nachzuzeichnen, um Erkenntnisse für die Umsetzung der aktuellen und die Weiterentwicklung zukünftiger Reformvorhaben zu liefern. Zum anderen soll anhand des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers das Erfordernis in den Fokus gerückt werden, neben dem verfolgten Gesetzeszweck die sich daraus ergebenden Auswirkungen für Rechtsanwender und Praxis nicht aus dem Auge zu verlieren. Gerade in Zeiten von Misstrauen und Ablehnung gegenüber supranationalen Entscheidungen und Vorgaben muss das europäische Recht Augenmaß und Rücksichtnahme auf nationale Besonderheiten widerspiegeln.

13

Vgl. Europäische Kommission, Pressemitteilung vom 15.12.2011, EU Doc IP/11/1556. Europäisches Parlament, Entschließung vom 23.5.2013 zu den Verhandlungen der EU mit den Vereinigten Staaten von Amerika über ein Handels- und Investitionsabkommen, EU Doc T7–0227/2013, Rn. 8. 15 Präambel des Protokolls zur Änderung des Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen vom 30.3.2012, ABl. 2014 L 68/2. 16 121. Erwägungsgrund der Vergabe-RL 2014/24/EU. 17 Ebd. 18 Europäisches Parlament, Mapping the Costs of Non-Europe 2014–19 (1st edition, European Parliamentary Research Service 2014) S. 10, zugänglich über http://www.europarl.europa.eu. 14

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Einleitung

A. Problemaufriss Beim Vergaberecht handelt es sich in erster Linie um ein Verfahrensrecht, das für die Anbahnung einer bestimmten Rechtsbeziehung die Berücksichtigung besonderer Verfahrensabläufe und Entscheidungsgrundsätze verlangt.19 Dieser Form von Rechtsbeziehung – unabhängig davon ob in den jeweiligen Mitgliedstaaten zivilrechtlich oder öffentlich-rechtlich ausgestaltet ist – wohnt eine immense Bedeutung für das Funktionieren einer von Wettbewerb, Gleichbehandlung und Transparenz geprägten Wirtschaftsordnung inne.20 Bereits die Entstehungsgeschichte des Vergaberechts zeugt sowohl auf nationaler als auch europäischer Ebene von einem fundamentalen Interessenkonflikt zwischen dem Staat als Auftraggeber und den privatwirtschaftlichen Auftragnehmern. Während der Staat neben sekundären Zwecken, wie etwa Arbeitsmarktpolitik, Umweltschutz und Regionalförderung vornehmlich fiskalische Interessen verfolgt, ist der Privatunternehmer um die Verbesserung seiner wirtschaftlichen Position am Markt und gegenüber dem Staat bemüht. Jede Veränderung dieser interessengesteuerten Wirtschafts- und Rechtsbeziehung führt zu massiven Auswirkungen am Markt, aber auch bei der staatlichen Auftragswahrnehmung. Diese Beziehung wurde in über 40 Jahren vergaberechtlicher Integrationsgeschichte mehrfach umgestaltet  – mit entsprechend radikalen Folgen für die „europäisch-mitgliedstaatliche Rechtsordnung“21. Dem europäischen Vergaberechts ist die Aufgabe zugewiesen, den Europäischen Binnenmarkt im Bereich des öffentlichen Auftragswesens zu verwirklichen. Diese Prämisse kollidiert regelmäßig mit den Zielsetzungen der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen, die insbesondere im Bereich des Vergaberechts auf verwaltungs- und verfassungsrechtliche sowie haushaltsrechtliche Aspekte Rücksicht nehmen müssen. Zwar wohnt dem Europarecht aufgrund des hierarchischen Stufenbaus im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten ein Imperativ inne, mit dem es sich grundsätzlich gegen divergierende mitgliedstaatliche Regelungen durchzusetzen vermag. Die systemischen Auswirkungen auf die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen und da 19

Vgl. auch die Definition des sachlichen Anwendungsbereichs, zusammengefasst unter dem Begriff „Öffentliche Aufträge“ in Art. 2 Abs. 1 Nr. 5 Vergabe-RL 2014/24/EU: „‚öffentliche Aufträge‘ zwischen einem oder mehreren Wirtschaftsteilnehmern und einem oder mehreren öffentlichen Auftraggebern schriftlich geschlossene entgeltliche Verträge über die Ausführung von Bauleistungen, die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen“. 20 Vgl. etwa den 1. Erwägungsgrund der Vergabe-RL 2014/24/EU. 21 Mit diesem Begriff soll nach Meier das Zusammenspiel der zwei Rechtskreise des Europarechts und des mitgliedstaatlichen Rechts beschrieben werden: Ein solches Recht „besteht keineswegs nur aus Gemeinschaftsrecht. Vielmehr weist es eine ganze Skala mehr oder weniger starker Bezüge zum Gemeinschaftsrecht auf und reicht vom reinen Gemeinschaftsrecht über das mitgliedstaatliche Gemeinrecht bis – in gewisser Weise – zum allgemeinen Recht der Mitgliedstaaten“, Gert Meier, EuR 1970, S. 324 (325).

A. Problemaufriss

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mit unweigerlich für das erforderliche Zusammenspiel der Rechtsebenen bringen jedoch viele – teilweise noch ungelöste – Rechtsfragen hervor. Hierzu zählt der Tatbestand des Öffentlichen Auftraggebers, dessen Auslegung nach wie vor erhebliche Schwierigkeiten bereitet.

I. Das Vergaberecht im Gefüge der Europäischen Rechtsordnung Dem Vergaberecht wurde bei der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft von 1957 ein Platz im europäischen Primärrecht verwehrt.22 Auch heute – nach nunmehr sechs Reformverträgen23 – ist das Vergaberecht der Europäischen Union nach wie vor sekundärrechtlich ausgestaltet. Das ist bemerkenswert angesichts der ökonomischen Bedeutung des öffentlichen Auftragswesens.24 Mangels ausdrücklicher primärrechtlicher Regelungen oder Rechtsgrundlagen entwickelte sich das heutige Vergaberecht aus den Grundfreiheiten und schwerpunktmäßig aus den Kompetenzvorschriften über die Rechtsangleichung.25 Dabei war von Anfang an weitgehend unbestritten, dass ein einheitlicher, grenzenloser Wirtschaftsraum und später gemeinsamer Binnenmarkt nicht ohne ein diskriminierungsfreies, grenzüberschreitendes Auftragswesen gelingen würde.

22 Teilweise aus Angst, andernfalls die Zustimmung zu den Gründungsverträgen als Ganzes aufs Spiel zu setzen, vgl. zu den Gründen insgesamt Andrew W. Cox, The Single Market rules, S. 30 ff.; Philippe Flamme/Maurice-André Flamme, Revue du Marché Commun et de l’Union Européenne 1988, S. 3. 23 Hierzu lassen sich zählen: der Fusionsvertrag (abgeschlossen: 1965/in Kraft getreten: 1967), die Einheitlich Europäische Akte (1986/1987), der Vertrag von Maastricht (1992/1993), der Vertrag von Amsterdam (1997/1999), der Vertrag von Nizza (2001/2003) und der Vertrag von Lissabon (2007/2009). 24 Eine belastbare Statistik zum öffentlichen Auftragswesen in Deutschland existiert nicht, sodass weder verlässliche Aussagen zum Volumen des öffentlichen Einkaufs noch zur Anzahl der durchgeführten Vergabeverfahren in Deutschland möglich sind, vgl. Deutsches Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Modernisierung des Vergaberechts vom 8.7.2015 (BT-Drs. 18/6281) S. 2. Diverse Schätzungen taxieren das jährliche Auftragsvolumen in der BRD auf eine Bandbreite von 200 bis ca. 496 Mrd. Euro, vgl. Kienbaum Consulting, 1.  Zwischenbericht: Statistik der öffentlichen Beschaffung in: Deutschland – Grundlagen und Methodik (Herbst 2014) S. 23, Ziff. 2.1.1, zugänglich über http://www.kienbaum.de. Für die EU variieren je nach Bezugszeitraum die Angaben zum volkswirtschaftlichen Anteil des öffentlichen Beschaffungswesens am BIP. Jedenfalls beträgt dieser Anteil zwischen 16 % und 19 % des BIP und damit bis zu 2 Billionen Euro in der Europäischen Union jährlich (vgl. Europäische Kommission, Bericht vom 3.2.2004 – A Report on the functioning of public procurement markets in the EU: benefits form the application of EU directives and challenges for the future, zugänglich über http://ec.europa.eu sowie Ramboll, Final Report for the European Commission: Cross-border Procurement above EU Thresholds, March 2011, mit umfassenden Zahlennachweisen, insb. S. 41, ebenfalls zugänglich über http:// ec.europa.eu. 25 Vgl. etwa Kathrin Stolz, Das öffentliche Auftragswesen in der EG, S. 5; Christian Bock, Das europäische Vergaberecht für Bauaufträge, S. 99.

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Einleitung

Seit der ersten Vergaberichtlinie im Jahr 1971, der bereits in den 1960er Jahren vorbereitend Allgemeine Programme vorangegangen waren, entstanden auf diesem Wege insgesamt 19 Richtlinien zur Liberalisierung und Koordinierung des europäischen Auftragswesens. Diese Richtlinien lassen sich in vier Generationen einteilen. Zur ersten Generation zählen die ersten Richtlinien in den 1970er Jahren samt ihren Änderungen und Erweiterungen in den 1980er Jahren. Die sog. Basisrichtlinien zu Beginn der 1990er Jahre bilden die zweite Generation. Die sog. konsolidierten Richtlinien aus dem Jahre 2004 gehören zur dritten, die reformierten Richtlinien aus dem Jahr 2014 schließlich zur vierten Generation.

II. Der Tatbestand des Öffentlichen Auftraggebers als Spiegelbild der Europäischen Integrationsgeschichte Die Eigenart des sekundärrechtlichen Richtlinienrechts, nicht unmittelbar in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen zu wirken, führte zu einem permanenten Kampf um Geltung und Durchsetzung der Vergabevorschriften, der die Entstehung des europäischen Vergaberechts bis heute begleitet. Dieser Kampf um Geltung und Durchsetzung, dem sich das europäische Vergaberecht seit über vier Jahrzehnten stellt, gibt Aufschluss über die Mühen und Herausforderungen der europäischen Integration überhaupt. Das Ringen um effektive und wirkungsvolle Vorschriften im Gesetzgebungsverfahren, die Schwierigkeiten der nicht fristgerechten, unvollständigen und teilweise vollständig fehlenden Umsetzung des vergaberechtlichen Richtlinienrechts und schließlich zahlreiche Versuche, der Anwendung des Vergaberechts über Ausnahmen und Umgehungen zu entkommen, erklären ebenso die Vielzahl an Normkorrekturen durch den Unionsgesetzgeber wie die intensive Rechtsfortbildung durch den Europäischen Gerichtshof. 1. Die besondere Bedeutung des öffentlichen Auftraggeberbegriffs im Vergaberecht Der Öffentliche Auftraggeberbegriff definiert den persönlichen26 Anwendungsbereich des Vergaberechts.27 Die von ihm erfassten Rechtssubjekte werden Vergabevorschriften unterworfen, die abweichend vom herrschenden Grundsatz der 26 Zu verstehen ist diese Terminologie im rein juristischen Sinne in Abgrenzung zum sachlichen Anwendungsbereich, der sich aus § 103 GWB n. F. bzw. jeweils aus Art. 1 Abs. 1 der Konzessionsvergabe-RL 2014/23/EU, Art. 1 Abs. Vergabe-RL 2014/24/EU und Art. 1 Abs. 1 lit. a) – d) Sektorenkoordinierungs-RL 2004/17/EG anhand des Merkmals des „Öffentlichen Auftrags“ bestimmt. 27 Vgl. § 98 GWB a. F. sowie §§ 98, 99 und 100 GWB n. F., die die Bestimmungen der Konzessionsvergabe-RL 2014/23/EU (Art. 6), der Vergabe-RL 2014/24/EU (Art. 2) und der Sektoren-RL 2014/25/EU (Art. 3) zum Anwendungsbereich in das deutsche Recht umsetzen.

A. Problemaufriss

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Privatautonomie und Vertragsfreiheit die Anbahnung, Ausgestaltung und Durchführung von Verträgen in vordefinierte Bahnen lenkt, die den Parteien nicht nur umfassende Pflichten auferlegen, sondern auch zu einem bedeutsamen zeitlichen und monetären Mehraufwand führen.28 Kurz gesagt: Der Tatbestand des Öffentlichen Auftraggebers entscheidet – neben weiteren sachlichen Voraussetzungen und Ausnahmen – darüber, ob sich eine Stelle bei der Vergabe von Aufträgen den Regeln des Vergaberechts unterwerfen muss oder nicht.29 Der öffentliche Auftraggeberbegriff fordert darüber hinaus die herkömmliche Zuordnung einer Einrichtung zum öffentlich- oder zivilrechtlichen Rechtskreis durch die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen heraus. Mit dem heutigen funktionalen Auftraggeberbegriff im Vergaberecht kommt es zu einer Einordnung in­ Kategorien, die die mitgliedstaatlichen Unterscheidungen zwischen „staatlich“ und „privat“ letztlich unberücksichtigt lassen. Die Bestimmung des Öffentlichen Auftraggebers findet dabei autonom nach dem europäischen Sekundärrecht statt. 2. Der öffentliche Auftraggeberbegriff als „Stellschraube“ der vergaberechtlichen Integration Der anfänglich ausbleibende Erfolg des Richtlinienprogramms der 1. Generation in den 1970er und 1980er Jahren, die mühseligen Anstrengungen um eine Implementierung des Vergabesekundärrechts seit den 1990er Jahren und die nach wie vor bestehenden Vorbehalte gegenüber dem europäischen Auftragswesen auf Seiten der Rechtsanwender haben dazu geführt, dass der Tatbestand des Öffentlichen Auftraggebers Stellschraube für die Reichweite und die Durchsetzungskraft des Vergaberechts geworden ist. Die Figur des Öffentlichen Auftraggebers ist nur im Kontext der historischen Reform- und Integrationsbemühungen des europäischen Vergaberechts zu verstehen. Seine Evolution, die ganz wesentlich auch von der richterrechtlichen Rechtsfortbildung durch den Europäischen Gerichtshof geprägt wurde, besteht im

28 Aus den Zahlen des Nationalen Normenkontrollrats zum Einsparungspotenzial des neuen Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts lässt sich hochrechnen, dass ein Bewerber für die Bewerbung um ein Vergabeverfahren im Durchschnitt 178 Euro aufwenden muss. Bei ca. 10,5 Mio. Bewerbungen im Oberschwellenbereich im Jahr ergibt sich ein Gesamtaufwand von ca. 1,869 Mrd. Euro für die deutsche Wirtschaft, vgl. Nationaler Normenkontrollrat, Stellungnahme vom 29.6.2015 zum Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts, S. 5, zugänglich über http://www.normenkontrollrat.bund.de. Vgl. ebenfalls Deutsches Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Modernisierung des Vergaberechts vom 8.7.2015 (BT-Drs. 18/6281) S. 69 ff. 29 Vgl. Art. 1 Abs. 1 Vergabe-RL 2014/24/EU, Art. 1 Abs. 1 Sektoren-RL 2014/25/EU und Art. 1 Abs. 1 Konzessionsvergabe-RL.

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Einleitung

Wesentlichen in der Fortentwicklung der formalen hin zu einer funktionalen Bestimmung der Auftraggebereigenschaft. Dabei ist die kontinuierliche Anpassung des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers als ein gesetzgeberischer Reflex zu verstehen. Aus Sicht des Gemeinschaftsgesetzgebers und des EuGH war die Fortentwicklung des Tatbestands alternativlos. Mit der konsequenten Durchsetzung des Vergabesekundärrechts stiegen die Bemühungen der von den Vergaberegeln erfassten Rechtssubjekte dem Anwendungsbereich des Vergaberechts zu entkommen. Griffig als „Flucht in das Privatrecht“30 umschrieben, versuchten sie durch Privatisierungen und Rechtsformenwechsel den Mantel des Öffentlichen Auftraggebers abzustreifen. Als Reaktion hierauf wurde die formelle durch eine funktionale Zuordnung einer Einrichtung zum Staat ersetzt. Nicht weniger revolutionär war und ist die Einbeziehung der sog. Sektorenauftraggeber in den – für sie modifizierten – Anwendungsbereich des Vergaberechts.

III. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit – die Schwächen des funktionalen Auftraggeberbegriffs Der heutige Auftraggeberbegriff nach Art. 2 Abs. 1 Vergabe-RL 2014/24/EU, Art. 6 Konzessionsvergabe-RL 2014/23/EU bzw. Art. 3 Sektoren-RL 2014/25/EU besteht zunächst aus vier Fallgruppen (Staat, Gebietskörperschaften, Einrichtungen des öffentlichen Rechts, Verbände). Zwei von ihnen sind legaldefiniert über weitere teils alternative, teils kumulative Tatbestandsmerkmale. Ein „Verband“ in Sinne dieser Normen besteht aus einer oder mehreren Körperschaften oder Einrichtungen des öffentlichen Rechts. Eine „Einrichtung des­ öffentlichen Rechts“ wird nach den Richtlinien zunächst über drei kumulative Tatbestandsmerkmale definiert (besonderer Gründungszweck, Rechtspersönlichkeit, Staatsgebundenheit). Der „besondere Gründungszweck“ wiederum ergibt sich aus zwei weiteren kumulativen Merkmalen, während die „Staatsgebundenheit“ aus drei alternativen Anknüpfungspunkten zu bestimmen ist. Im Wesentlichen gleich verhält es sich mit dem deutschen Umsetzungsrecht in §§ 98 ff. GWB. Die komplexe Struktur des Tatbestands und die Vielzahl an Merkmalen sind dabei auf die sukzessive Kodifizierung der Rechtsprechung des EuGH zurückzuführen.

30 Vgl. etwa Meinrad Dreher, § 98 GWB, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 2: GWB, Rn. 6.

A. Problemaufriss

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1. Auslegungsschwierigkeiten und Herausforderung der Einzelfallbetrachtung Der Tatbestand des Öffentlichen Auftraggebers ist angesichts seines europarechtlichen Ursprungs europarechtskonform auszulegen. Dieses Erfordernis ist insbesondere für jene Tatbestandsmerkmale von Bedeutung, die normativ ausgestaltet sind. Bis auf die wenigen Merkmale, die deskriptiv sind oder deren Bestimmung keine Schwierigkeiten bereitet (z. B. „Staat“), bedarf es im Einzelfall einer umfassenden Auslegung. Diese Auslegung bereitet bis heute immense Probleme. Selbst die seit 1998 einsetzenden Auslegungsbemühungen des Europäischen Gerichtshofs sowie die stark an dieser Einzelfallrechtsprechung orientierte Literatur vermochten es bisher nicht, die einzelnen Merkmale und Begriffe des öffentlichen Auftraggeberbegriffs derart abschließend zu bestimmen, dass eine verlässliche Subsumtion im Einzelfall möglich ist. a) Das normative Recht als Instrument der Rechtssetzung Da der funktionale Auftraggeberbegriff im Gegensatz zum formalen nicht enumerativ bestimmt werden kann, entschied sich der Gemeinschaftsgesetzgeber früh für einen breiten Fächer an normativen Tatbestandsmerkmalen, um sämtliche Einrichtungen erfassen zu können, die nach Sinn und Zweck des Vergaberechts dem Staat zugerechnet werden sollen. Die normative Regel bedarf im Gegensatz zum deskriptiven Recht regelmäßig einer rechtlichen Wertung.31 Während das deskriptive Recht eindimensional wirkt, sich der ihm zugrunde liegende Regelungsanspruch bereits aus dem Begriff selbst ergibt und „ohne weiteres durch sinnliche Wahrnehmung möglich ist“32, erfordert das normative Recht zunächst die Ermittlung dieses Regelungsanspruchs bezogen auf den Einzelfall. Das normative, also wertungsausfüllungsbedürftige Recht hat die Aufgabe, den gesetzgeberischen Anspruch mit dem Einzelfall bei der Rechtsanwendung in Einklang zu bringen. Um eine solche Regel zu schaffen, muss sie vom Gesetzgeber allgemein gehalten werden. Hierzu verwendet der Gesetzgeber keine in ihrem Umfang genau festgelegten Begriffe, „sondern mehr oder minder flexible Ausdrücke, deren mögliche Bedeutung innerhalb einer weiten Bandbreite schwankt und je nach den Umständen, der Sachbezogenheit und Betonung eines Wortes unterschiedlich sein kann. Selbst wo es sich um einigermaßen festbestimmte Begriffe 31

Vgl. „Normative Tatbestandsmerkmale und Rechtsbegriffe“, Creifelds Rechtswörterbuch, S. 907; „Normative Tatbestandsmerkmale“, Studienlexikon Recht, S. 1146; „Normatives Tatbestandsmerkmal“, Deutsches Rechts-Lexikon, S. 3039 f. 32 „Deskriptive Merkmale“, Creifelds Rechtswörterbuch, S. 287.

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Einleitung

handelt, enthalten diese häufig Merkmale, die ihrerseits einer scharfen Begrenzung entbehren“33. Die dabei entstehenden Begriffe bilden eine eigene Rechtssprache. Eine solche Rechtssprache hat auch das Europarecht geschaffen. Mit Rücksicht auf die unterschiedlich verwendeten Begrifflichkeiten in den Mitgliedstaaten und die bestehenden Begriffstraditionen bemüht sich der Unionsgesetzgeber ständig um die Schöpfung neuer Rechtsbegriffe, die, frei von rechtshistorischem Ballast, Raum für eine autonom europarechtskonforme Auslegung lassen. Zu eben dieser Rechtssprache gehören auch die Tatbestandsmerkmale des Öffentlichen Auftraggebers. Prägendes Wesensmerkmal einer normativen Regel ist also der Raum, den sie für ein wertendes Urteil lässt, wobei Maßstab nicht das „eigenpsychische Faktum“34 des Urteilenden ist, sondern eine objektiv gerechtfertigte Ermittlung dessen, was das betreffende Merkmal „verdient“, also ihm als „Beurteilung von Rechts wegen zukommt“.35 Diese Wertung hat im Rahmen einer umfassenden, insbesondere teleologischen, wortlautorientierten und historischen Auslegung zu erfolgen.36 b) Die Abhängigkeit des normativen Rechts vom Einzelfall Normative Begriffe und Tatbestandsmerkmale stehen in Abhängigkeit zu den Umständen des Sachverhalts, auf den sie Anwendung finden sollen. Sie bilden das Bindeglied zwischen dem gesetzgeberischen Anspruch (Regelungsziel) und der Wirklichkeit (Sachverhalt des Einzelfalls). Die normative Regel wird erst durch Auslegung und Subsumtion in verbindlichen Zusammenhang mit einem vorliegenden Sachverhalt gebracht und wandelt sich damit von einer allgemeinen zu einer konkreten Regel für diesen Einzelfall. Das stete Streben der Wissenschaft und Rechtsprechung ist es, die vom Gesetzgeber als relativ geschaffene normative Regel in ein absolutes, also auf den konkreten Einzelfall anwendbares Recht zu wandeln. Handwerkszeug sind hierbei Theorien, Definitionen und Rechtsfiguren, die es ermöglichen, einen Sachverhalt unter das normative Recht subsumieren zu können. Die Gefahr, die sich aus der Abhängigkeit der allgemeinen Regel von den Umständen des konkreten Einzelfalls ergibt, liegt in der möglichen Unüberbrückbarkeit von Anspruch und Wirklichkeit. Das Recht muss nicht nur im Normalfall funktionieren, sondern auch in Grenzbereichen. Theorien und Definitionen werden jedoch meist nur am Normalfall ausgerichtet. 33

Karl Larenz, Methodenlehre, S. 195. Wilhelm A. Scheuerle, Rechtsanwendung, S. 111 f., S. 162. 35 Karl Larenz, Methodenlehre, S. 290. 36 Vgl. zu den Auslegungs- und Interpretationsmethoden im Europarecht, Rudolf Streinz, Europarecht, Rn. 614 ff. 34

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Gelingt es nicht, den von der normativen Regel für eine Wertung gelassenen Raum durch Auslegung und Subsumtion zu überbrücken, muss ein Weg gefunden werden, der sowohl dem Anspruch des Rechts auf Geltung als auch den fundamentalen rechtsstaatlichen Grundsätzen wie denen der Normenklarheit und Rechtssicherheit gerecht wird. Bereits an dieser Stelle ist festzuhalten, dass die Lösung nicht das Fallrecht sein kann, das die Rechtsprechung und Wissenschaft u. a. auch im Vergaberecht entwickelt hat, um eine schablonenartige Anwendung gleich oder ähnlich gelagerter Fälle auf einen schwer zu erfassenden Sachverhalt zu ermöglichen. Hochhuth sieht in einer solchen Methodik gar eine „unkritische Praktiker-Romantik“, die eine „naiv-empiristische ‚Objektivität‘“ herzustellen versucht.37 Wenngleich diese Kritik überzogen ist, wird diese Untersuchung aufzeigen, dass die bestechende Möglichkeit, begriffliche Unschärfe und unüberwindbare Unsicherheiten bei der Subsumtion normativen Rechts durch den Vergleich mit ähnlich gelagerten, gerichtlich bereits entschiedenen Fällen zu übergehen, keine Lösung ist. Denn auch eine aus der Not geborene Empirie vermag es nicht, einem zu allgemein gefassten normativen Begriff eine ausreichend scharfe Kontur zu geben. c) Möglichkeiten und Grenzen der Auslegung zur „Beherrschung“ des normativen Rechts Mit der Auslegung eines einzelnen Begriffs, eines einzigen Tatbestands beginnt eine kontextuelle Analyse, die gemeinhin als systematische Auslegung bezeichnet wird. Die Auslegung ist der Schlüssel für das gesetzgeberische Schloss, das dem Praktiker die Tür zur einzelfallbezogenen Rechtsanwendung öffnet. Der Gesetzgeber steht vor der Herausforderung, die Balance zu finden zwischen einem gesetzgeberischen Korsett, das aufgrund eines abschließenden, rein deskriptiven Wortlauts eine dynamische Rechtsentwicklung erstickt, und einem als Einladung zur Auslegung zu verstehenden, sehr weiten und normativen Gesetzestext. Je allgemeiner ein Tatbestand gehalten ist und je größer damit die Notwendigkeit der Auslegung wird, desto bedeutsamer ist es, die konkrete Einzelnorm als absolute Deutungsebene zu verlassen und eine umfassende Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Im Fall des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers nach Art. 2 Abs. 1 Vergabe-RL 2014/24/EU, Art.  6 Konzessionsvergabe-RL 2014/23/EU bzw. Art.  3 Sektoren-RL 2014/25/EU hat sich der Unionsgesetzgeber für die zweite Alternative entschieden, um eine Rechtsfortentwicklung zu ermöglichen. Hat der deutsche Rechtsanwender den Anwendungsbereich des Vergaberechts über die Rechtsfigur 37

Martin Hochhuth, Relativitätstheorie des Öffentlichen Rechts, S. 70.

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Einleitung

des Öffentlichen Auftraggebers nach den §§ 98 ff. GWB n. F. zu bestimmen, eröffnet sich ihm daher ein systematischer Kontext, der in seiner Weite zunächst nicht zu umreißen ist. Die §§ 98 ff. GWB n. F. als nationales Umsetzungsrecht haben ihren Ursprung im europäischen Vergabesekundärrecht. Dieses wiederum sucht seine Legitimität im europäischen Primärrecht, das selbst aufgrund seiner völkerrechtlichen Herkunft „unfrei“ angebunden ist an den Willen der „Herren der Verträge“38, die einst seine Gestaltungsmacht definierten. Die Unionsrechtsordnung ist nämlich ein „stratifiziertes Gebilde“, „in dem oberste Normen, Werte und Ziele auf alle Ebenen ausstrahlen und dort Bindungswirkung entfalten“.39 Ein in einer deutschen Norm wie etwa in § 99 GWB n. F. festgeschriebener normativer, also wertungs- und damit auslegungsbedürftiger Begriff oder Tatbestand ist folglich im Lichte dieses „Stammbaums“ zu betrachten. Er ist die Projektionsfläche der ihm zugrundeliegenden Rechtsebenen. Es gehört zu den von der Rechtsordnung zugewiesenen Aufgabe der Gerichte, diesen „Stammbaum“ bei der Rechtsanwendung hinreichend zu berücksichtigen und etwaigen Rechtsunsicherheiten durch eine systematische Auslegung vorzubeugen. Im Falle normativer Rechtsbegriffe, die dem europäischen Mehrebenensystem entstammen, ist dies derart komplex, dass oftmals eine herkömmliche Sachverhaltsermittlung und einfache Subsumtion nicht ausreichen. Die Umstände des Einzelfalls müssen teilweise akribisch ermittelt und ausgeforscht werden, um sie im Lichte der übergeordneten Normebenen in einen Bezug zum Reglungszweck und -ziel der europarechtlich determinierten Norm zu setzen. Ist eine derartige Einzelfallbetrachtung nötig, kann es dazu kommen, dass an ihrem Ende eine für die Parteien im Vorhinein nicht absehbare Rechtsfolge steht. Dies ist nicht nur unbefriedigend, sondern auch aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten bedenklich. Ziel muss sein, dass eine Rechtsanwendung wie selbstverständlich – im „dogmatischen Schlaf des Gerechten“40 – gelingt. „Jenes Handhaben der Begriffe ‚wie im Schlaf‘ setzt zunächst voraus, dass sie uns vertraut, anschaulich, verfügbar und ‚konkret‘ sind.“41 Auch im Fall des öffentlichen Auftraggeberbegriffs besteht die besondere Herausforderung in der Entwicklung, Bestimmung und Handhabung abstrakt-objektiver Merkmale, die die normativen Begriffe des weiten Tatbestands derart konkretisieren, dass im Einzelfall eine Subsumtion möglich ist und eine Rechtsanwendung problemlos gelingt. 38 Zum Begriff siehe Jan Bergmann, „Herren der Verträge“, in: Bergmann, Handlexikon der Europäischen Union. Diese Begrifflichkeit wird durchaus kritisch gesehen, so etwa Roland Bieber, ZSchwR 1993, S. 327 (329). 39 Vgl. Martin Nettesheim, EuR 2006, S. 737 (751). 40 Martin Hochhuth, Relativitätstheorie des Öffentlichen Rechts, S. 75. 41 Ebd.

B. Gang der Untersuchung

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2. Die Herstellung praxisgerechter Rechtsicherheit im Wege der Tatbestandsbegrenzung Sollte sich im Ergebnis dieser Arbeit herausstellen, dass die Figur des Öffentlichen Auftraggebers in seiner heutigen Konzeption weder für den einfachen Rechtsanwender noch für den versierten Praktiker mit dem erforderlichen Mindestmaß an Rechtsicherheit beherrschbar ist, bedarf es einer dringenden Korrektur. Da sich der Gesetzgeber mit der jüngsten Novelle gegen eine konkretisierende Anpassung entschieden hat, kann dies nur auf dem Wege der Tatbestandsbegrenzung im Rahmen der Auslegung geschehen. Diese Untersuchung will dazu beitragen, die Vorzüge des Vergaberechts als Instrument der Förderung des Europäischen Wirtschaftsraums herauszustellen. Sie bemüht sich darum, die Genese des öffentlichen Auftraggeberbegriffs darzulegen, um ein Verständnis für diese Rechtsfigur in ihrer heutigen Gestalt zu entwickeln. Gleichzeitig sollen die Schwächen, die sich aus der Evolution des Begriffs des Öffentlichen Auftraggebers mittlerweile ergeben haben, benannt werden. Soweit erforderlich, wird der Versuch unternommen, dem Tatbestand in seinem Randbereich die erforderliche Kontur zu geben und ihn damit klarer zu definieren.

B. Gang der Untersuchung „Die Rechtswissenschaft hat in Forschung und Lehre nicht nur die Aufgabe, die gestaltenden Kräfte der Zeit zu einem funktionsfähigen Ganzen zusammenzuführen. Sie muss ihrerseits bei der Gewichtung des Einflusses dieser Zeitströmungen mitwirken und mitgestalten, um auf diese Weise selbst formend Einfluss zu behalten. Dies aber setzt voraus, dass sie sich fortlaufend aller Grundlagen der Rechtsordnung zu vergewissern versucht, damit sie mithelfen kann, die Gesellschaft vor fehl­ samen Einseitigkeiten und vor der Missachtung historischer Erfahrungen zu bewahren.“42

I. Fragestellung Aus dem vorangestellten Problemaufriss ergibt sich folgende, für die vorliegende Untersuchung zentrale Fragestellung: Welche Grundsätze ergeben sich aus einer historischen, systematischen und teleologischen Gesamtbetrachtung des Europäischen Vergaberechts für die Auslegung des normativen Tatbestands des vergaberechtlichen Auftraggeberbegriffs? 42

Rolf Stürner, Markt und Wettbewerb über alles?, S. V und VI.

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Einleitung

Ausgehend von der Annahme, dass sich im Tatbestand des Öffentlichen Auftraggebers die vergaberechtliche Integrationsgeschichte spiegelt und seine heutige Gestalt als Ergebnis einer mehr als 40 Jahre dauernden Rechtsentwicklung zu verstehen ist, bedarf es zunächst eines Rückblicks auf die Entstehung des (euro­ päischen) Vergaberechts. Dabei ist zu untersuchen, wie erfolgreich eine supranationale Rechtsordnung sein kann, wenn sie  – wie im Vergaberecht  – tiefgreifend in über Jahrhunderte gewachsene Rechtsstrukturen ihrer „rechtsuntergebenen“ Mitglieder eingreift. Hierzu sind die mitgliedstaatlichen Rahmenbedingungen zu skizzieren, auf die das europäische Vergaberecht Anfang der 1970er Jahre traf. An der Entwicklung des vergaberechtlichen Sekundärrechts ist nachzuzeichnen, welchen Herausforderungen die Implementierung einer supranationalen Rechtsordnung begegnete und mit welchen Mitteln es gelingen kann, dem neuen Recht zur Geltung in den einzelnen nationalen Rechtsordnungen zu verhelfen. Schließlich ist der heutige Tatbestand des Öffentlichen Auftraggebers im Lichte dieser jahrzehntelangen Integrationsbemühungen darzustellen. Angesichts der komplexen und umfangreichen Struktur des Tatbestands ist die Frage zu beantworten, ob der funktionale Aufraggeberbegriff es zu leisten vermag, zum einen dem vergaberechtlichen Regelungsziel und -zweck zur Geltung zu verhelfen und gleichzeitig eine praxisgerechte und rechtssichere Handhabung für den Rechtsanwender im Einzelfall zu gewährleisten. Am Beispiel des deutschen Rechts sind hierbei die systemischen Auswirkungen der funktionalen Bestimmung des öffentlichen Auftraggeberbegriffs auf die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen zu benennen. Neben den Auslegungsschwierigkeiten, die der weite und komplexe Tatbestand bereitet, sind die Folgen für das Verhältnis von Öffentlichem Recht und Zivilrecht im Bereich der Auftragsvergabe sowie das Zusammenspiel mit verwaltungs- und verfassungsrechtlichen Anforderungen zu beleuchten. Auch die Auswirkungen der Einbeziehung der meist privatrechtlich konstituierten Sektorenauftraggeber in den Anwendungsbereich der Richtlinien begründen Klärungsbedarf hinsichtlich eines möglichen Systembruchs innerhalb des deutschen Rechts. Von Bedeutung wird an dieser Stelle sein, wie der potenziell temporäre Charakter der Vergabevorschriften für die Sektoren dogmatisch in das Vergaberecht einzuordnen ist und welche Schlüsse sich hieraus für die „übrigen“ Auftraggeber ergeben. Schließlich steht am Ende einer historischen und systematischen Gesamtbetrachtung die zentrale Frage, inwieweit eine trennscharfe Abgrenzung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen bzw. zwischen öffentlichen und nicht-öffentlichen Auftraggebern im Sinne der Richtlinien überhaupt möglich ist und welche Korrekturen gegebenenfalls erforderlich sind.

B. Gang der Untersuchung

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II. Methodik Die vorliegende Arbeit konzentriert sich auf die Arbeit mit den Primärtexten, insbesondere zur Aufbereitung der Entstehungsgeschichte des europäischen Vergaberechts. Mit einbezogen in die Untersuchung werden auch die frühen Richtlinienprogramme, die in der Retrospektive – nur bedingt zu Recht – als gescheitert angesehen werden. Sie sollen Berücksichtigung finden als Erkenntnisquelle über den politischen, gesetzgeberischen, aber auch richterrechtlichen Willen im Rahmen der jeweiligen Ansätze zur Rechtsvereinheitlichung und -harmonisierung im Bereich des Vergaberechts. Diese Arbeit wählt in erster Linie einen abstrakt-theoretischen Ansatz, insbe­ sondere bei der Auseinandersetzung mit dem Tatbestand des Öffentlichen Auftraggebers nach den Vergaberichtlinien und dem deutschen Umsetzungsrecht. Sowohl der EuGH als auch die deutsche Rechtsprechung und Literatur nähern sich den normativen Begriffen des Vergaberechts mit einer umfassenden Einzelfallbetrachtung, die oftmals eine aus Gründen der Rechtssicherheit und Kohärenz gebotene Abstraktheit vermissen lässt. Entgegen der herkömmlichen Herangehensweise im Vergaberecht, umfassende Rechtsprechungsketten zu zitieren, sei der Versuch unternommen, diesen einen „gemeinsamen Nenner“ zu entnehmen.

III. Aufbau In Kapitel 1 dieser Arbeit wird die Entstehung des europäischen Vergaberechts aus deutscher Perspektive dargestellt. Ausgangspunkt ist die historische Betrachtung des deutschen Vergaberechts als Vorläufer der europäischen Regelungen. Anhand der vergaberechtlichen Integrationsbemühungen zwischen 1969 und 2016 soll anschließend illustriert werden, mit welchen Schwierigkeiten und Behauptungskräften das europäische Vergaberecht zu kämpfen hatte und noch zu kämpfen hat. Als Grundlage für die weitere Untersuchung werden am Ende des Kapitels die Lehren aus über 40 Jahren vergaberechtlichem Reformprozess zusammengefasst. Hierbei stehen neben den Verbesserungen, die sich aus der jahrzehntelangen Rechtsfortbildung ergeben haben, auch die Grenzen der vergaberechtlichen Integrationsbemühungen im Fokus. Der Tatbestand des Öffentlichen Auftraggebers wird in diesem Zusammenhang als Produkt der vergaberechtlichen Integrationsgeschichte dargestellt und analysiert. In Kapitel 2 der Arbeit wird der Tatbestand des Öffentlichen Auftraggebers eingehend auf Anspruch und Wirklichkeit in der Rechtsanwendungspraxis hin untersucht. Schwerpunkt der Betrachtung ist die Tatbestandsvariante der „Einrichtung des öffentlichen Rechts“. In ihr als normativer, also wertungsausfüllungsbedürftiger Rechtsfigur spiegelt sich das gesamte Spektrum verfassungs-, kommunal- und schließlich auch privatrechtlicher Fragen nach zulässiger, machbarer sowie marktgefährdender wirtschaftlicher Betätigung des Staates wieder.

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Einleitung

Am Beispiel des „gemischt-wirtschaftlichen Unternehmens“ wird die Leistungsfähigkeit des Tatbestandsmerkmals „Einrichtung des öffentlichen Rechts“ einem Praxistest unterzogen. Mit der einschlägigen Rechtsprechung und Literatur wird der Versuch unternommen, diese Rechtsfigur genau zu definieren und einer routinemäßigen Rechtsanwendung zugänglich zu machen. Einer verbleibenden, unüberwindbaren Konturlosigkeit am Rande des Tatbestands soll begegnet werden, indem die Grenzen der Auslegung aufgezeigt werden. Das mögliche Erfordernis einer tatbestandlichen Begrenzung wird anhand der fundamentalen primär- und grundrechtlichen Prinzipien sowohl der europäischen als auch der deutschen Rechtsebene hergeleitet und erläutert. Die Folgen, die sich hieraus für die Auslegung des funktionalen Auftraggeberbegriffs ergeben, bleiben nicht unberücksichtigt.

Kapitel 1

Die Entstehung des Europäischen Vergaberechts aus deutscher Perspektive Das Vergaberecht als Praktikerrecht, als Gegenstand lange Zeit erfolgloser und mühevoller Integrationsbemühungen im Europäischen Wirtschaftsraum, als „Schreckgespenst“ für den Rechtsanwender, verdient eine globale Herangehensweise. Denn „die Gesetzgebung überhaupt und ihrer besonderen Bestimmungen [sind] nicht isoliert und abstrakt zu betrachten, sondern vielmehr als abhängiges Moment einer Totalität, im Zusammenhange mit allen übrigen Bestimmungen, welche den Charakter einer Nation und einer Zeit ausmachen; in diesem Zusammenhange erhalten sie ihre wahrhafte Bedeutung sowie damit ihre Rechtfertigung.“43 Hierzu gehört auch der Blick in die Geschichte des Vergabewesens.

A. Die historische Genese des deutschen Vergaberechts Der Rückblick auf die Entstehung der ersten Vergabevorschriften in Deutschland offenbart deutliche Parallelen zu den Herausforderungen des heutigen Vergaberechts. Für die Bewertung der Reformen des Unionsgesetzgebers im Vergaberecht sowie zur Analyse der Rechtsprechung lässt sich damit auf den historischen Erfahrungsschatz zurückgreifen. Die Rückschau lohnt in zweierlei Hinsicht: Sowohl die Beweggründe der Rechtssetzer als auch die entwickelten Regelungsmodelle bieten Aufschluss über die gewählte und in Zukunft zu wählende Ausrichtung des modernen Vergaberechts. Zunächst ist festzuhalten, dass das Vergaberecht keineswegs eine Erscheinung der Nachkriegsjahre ist. Der Eindruck, die staatlichen und schließlich europaweiten Regelungen des öffentlichen Auftragswesens hätten ihre entscheidenden Entwicklungen erst nach dem 2. Weltkrieg genommen, ist bedingt durch den großen gesetzgeberischen Tatendrang auf europäischer Ebene in den letzten Jahrzehnten. Ihre Wurzeln liegen jedoch viel tiefer.

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Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, S. 35.

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Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

I. Der Ursprung des deutschen Vergaberechts im 16. und 17. Jahrhundert Früh vor Beginn der Epoche der Industrialisierung in Deutschland Anfang des 19. Jahrhunderts kannten insbesondere von Kommerz, Handel und Baukultur geprägte Städte und Regionen Vorläufer des heutigen Vergabewesens. So entwickelte sich aus den zunehmenden städtebaulichen Planungen und Maßnahmen im ausgehenden Mittelalter sowie der einsetzenden Vergabe von öffentlichen Aufträgen an Private im 17. Jahrhundert ein Bedürfnis nach einer Ordnung der hierzu angewandten Verfahren. 1. Die spätmittelalterliche Stadt und ihr Bauwesen als Ausgangspunkt Im hohen und späten Mittelalter wuchs die Erkenntnis, dass es zur Überwindung von miserablen Umwelt- und Hygienebedingungen, Unordnung und Chaos in den Städten einer überlegten und strukturierten städtebaulichen Entwicklung bedurfte. Im Gegensatz zu den ländlichen Gebieten erfuhren die Städte aufgrund ihrer „Rolle im politischen Konzept des Herrschers und der mit ihm direkt kommunizierenden sozialen Gruppen, den geänderten Bedürfnissen nach militärischer Sicherheit und den qualitativ und quantitativ steigenden Ansprüchen der Wirtschaftssphäre, insbesondere des Verkehrs, eine grundlegende Umgestaltung“44. Maler, Künstler und Architekten wie etwa Franceco di Giorgio, Leonardo da Vinci, Michelangelo Buonarroti, Albrecht Dürer und Daniel Speckle entwickelten Ende des 15., Anfang des 16. Jahrhunderts das Konzept einer Idealstadt, das Gegenstand eines heftigen Diskurses45 wurde und mit wenigen Ausnahmen46 schließlich erst Ende des 16. Jahrhunderts den Weg von der Theorie in die Praxis fand47. Merkmale dieser Idealstädte waren nach innen die Sicherstellung von guter Belüftung und Sonneneinstrahlung, geordnete Straßenführungen, Baufluchten, Quartierbildung, innerstädtischer Wasserleitungsnetze, Brunnen, etc.48 sowie nach außen die Sicherung mit Wehr- und Befestigungsanlagen49. 44

Herbert Knittler, Die europäische Stadt in der frühen Neuzeit, S. 55. Hanno-Walter Kruft, Städte in Utopia. Die Idealstadt vom 15.  bis zum 18.  Jahrhundert zwischen Staatsutopie und Wirklichkeit, S. 10 f. 46 Nach Specker diente die Festungsplanung Dürers (siehe Fn. 49) bereits im Erscheinungsjahr 1527 der Reichsstadt Ulm als Grundlage zur Modernisierung ihrer Verteidigungsanlagen, vgl. Hans Eugen Specker, Das Bauwesen der Städte, in: Bernhardt, Acht Jahrhunderte Stadtgeschichte, S. 112 (119). 47 Vgl. Gerhard Fouquet, Bauen für die Stadt – Finanzen, Organisation und Arbeit in kommunalen Baubetrieben, in: Johanek, Städteforschung, Bd. 48, S. 6 m. w. N. in Fn. 18, 19 und 20. 48 Vgl. Leon Battista Alberti, Zehn Bücher über die Baukunst, S. 23. 49 Vgl. zur Befestigungslehre von Albrecht Dürer aus dem Jahre 1527, vgl. Wilhelm Waetzoldt, Dürers Befestigungslehre, S. 58. 45

A. Die historische Genese des deutschen Vergaberechts

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Die städtischen Obrigkeiten begriffen im ausgehenden Mittelalter die Stadtplanung als ihre hochrangige Aufgabe: „Die Anstrengungen der Städte im Bereich des öffentlichen Bauwesens gehörten damit gerade auch aufgrund der engen Verflechtung der Bauinvestitionen mit den vorrangigen Aufgaben im Rahmen der kommunalen Sicherheit zu den zentralen Anliegen städtischer Verwaltung, Daseinsvorsorge und Finanzpolitik im späten Mittelalter.“50 Erforderlich war es neben der Sicherung nach Außen den Stadtgrundriss an die topographische Situation anzupassen und Leistungen wie Transportkapazitäten, Wegebau, Steinbrucharbeiten, Materialbeschaffung, Personalbedarf und die Verpflegung von Arbeitern in gewisser Weise vorauszuberechnen, zu organisieren, zu überwachen und vor allem zu finanzieren: „Es sei nur darauf hingewiesen, daß routinierte Arbeitsabläufe, Techniken von Planung und Verwaltung frühzeitig gefunden werden mussten, um den Stadtgrundriß zu verwirklichen und Großbauprojekte durchzuführen.“51

In der Folge zeichneten sich die Städte im Vergleich zum umliegenden Land durch planerische Ansätze und ordnungspolitische Bemühungen „um Sauberkeit und Abfallbeseitigung, für Trinkwasser- und Nahrungsversorgung, für Straßenpflasterung, Fassadengestaltung und Feuersicherheit“52 aus. Trotz der Zunahme stadtrechtlicher Regelungen, insbesondere auch der baurechtlichen und baupolizeilichen Vorschriften, die dem feuerpolizeilichen Schutz und dem Schutz des öffentlichen Verkehrs dienten und den Anspruch der Nachbarn untereinander auf Licht, Luft und Aussicht wahrten,53 zeigten sich in den Städten des späten Mittelalters noch keine Anzeichen für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen nach zuvor festgelegten Regeln und Richtlinien. Grund hierfür war die nahezu ausschließliche Durchführung von städtebaulichen Maßnahmen in Eigenregie.54 Die für ältere Verwaltungstätigkeit der mittelalterlichen Städte charakteristische Verschränkung von Öffentlichem und Privatem bei der Finanzierung und der Leitung städtischer Bauvorhaben gab es zu Beginn des 15. Jahrhunderts nicht mehr.55

50

Vgl. Gerhard Fouquet, Bauen für die Stadt – Finanzen, Organisation und Arbeit in kommunalen Baubetrieben, in: Johanek, Städteforschung, Bd. 48, S. 8 mit vielen weiteren Nachweisen in Fn. 31. 51 Ebd., S. 7 mit Verweis auf Bernhard Schimmelpfennig, Bamberg im Mittelalter. 52 Gerhard Fouquet, Bauen für die Stadt – Finanzen, Organisation und Arbeit in kommunalen Baubetrieben, in: Johanek, Städteforschung, Bd. 48, S. 15. 53 Vgl. Eberhard Isenmann, Die deutsche Stadt im Mittelalter, S. 463. 54 Bohnsack nennt etwa für die Stadt Hamburg im Spätmittelalter u. a. folgende Regiebetriebe: Ratsapotheke, Ziegeleien, Kalkhof mit Kalkbrennerei, Geschützgießerei mit einer Pulvermühle, Korn- und Walkmühlen, Kupfermühle und schließlich den Bauhof, vgl. Hans-­ Joachim Bohnsack, Das Beschaffungswesen der Stadt Hamburg bis zur Gleichschaltung im „Dritten Reich“, in: Johanek, Städteforschung, Bd. 46, S. 14. 55 Vgl. am Beispiel Marburgs Gerhard Fouquet, Bauen für die Stadt – Finanzen, Organisation und Arbeit in kommunalen Baubetrieben, in: Johanek, Städteforschung, Bd. 48, S. 155.

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Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

Die Städte beschäftigten vielmehr meist mehrere Baumeister, die innerhalb der Ratshierarchie eine hohe Position einnahmen und in erster Linie die Finanzaufsicht über das städtische Bauwesen ausübten. Ausgeführt wurden die städtebaulichen Vorhaben durch stadteigene „Werksleute“, etwa Steinmetze und Zimmerleute, die angestellt, aber aufgrund der vielerorts vorherrschenden Finanznöte „nie das ganze Jahr in Brot und Lohn gehalten, sondern fallweise beschäftigt“56 wurden. 2. Von der Eigenregie zu den ersten öffentlichen Vergabeverfahren Angesichts der Herausbildung von soliden Verwaltungsstrukturen in den Städten des Spätmittelalters, massiven Finanznöten und allerlei Problemen mit den angestellten Bauleuten und Unfreien scheint aus heutiger Perspektive eine Abkehr von der Eigenregie und die Vergabe der Aufträge an selbständige Private ein zwingender und logischer Schritt gewesen zu sein. Dem ungehinderten Nutzen der Vorteile der Auftragsvergabe, allen voran der erheblichen Einsparungen durch den Preiswettkampf unter den Auftragnehmern, standen jedoch erhebliche Hindernisse entgegen, die nicht rational-ökonomisch erklärbar waren, „sondern aus der feudal-ständischen Gesellschaftsordnung resultierten“57. Die regierenden Monarchen griffen neben den angestellten Bauleuten auf billige, aber ungelernte Arbeitskräfte wie Frondienstleistende und andere Unfreiwillige (z. B. wegen verhängter Strafen) zurück, um dringende öffentliche Aufträge zu erledigen,58 wodurch die Durchführung von Baumaßnahmen und städtebaulichen Entwicklungsprojekten hinsichtlich Qualität, Effizienz und Zuverlässigkeit litt. Daneben stellten sich als wesentlicher „Hemmschuh“ einer offenen und dem Gedanken der Konkurrenz folgenden Vergabeweise die durch das gut organisierte Zunftwesen gesicherten Handwerkerprivilegien samt festgelegten Preisen, Gebietsschutz und Konkurrenzverboten heraus.59 „Obwohl die Zunft kein Kartell darstellt, weist sie jedoch mit Zunftzwang, Zunftkauf, Produktions- und Absatzmonopol deutlich kartellähnliche Funktionen auf und genießt Vorteile der Wettbewerbsbeschränkung im Innern wie hinsichtlich eines prohibitiven Schutzes gegen stadtfremde Anbieter.“60

Die Zünfte versuchten beim Verkauf ihrer Leistungen ein Preisdiktat auszu­ üben, durch Produktionsdrosselung auf dem Wege der Reduzierung der Arbeits 56 Gerhard Fouquet, Bauen für die Stadt – Finanzen, Organisation und Arbeit in kommunalen Baubetrieben, in: Johanek, Städteforschung, Bd. 48, S. 157. 57 Jürgen Adam, Öffentliche Auftragsvergabe und culpa in contrahendo, S. 19. 58 Franz C. Huber, Das Submissionswesen, S. 5. 59 Hartmut Schweitzer, Die Entwicklung des Verdingungswesens in Süddeutschland, S. 16. 60 Eberhard Isenmann, Die deutsche Stadt im Spätmittelalter, S. 346.

A. Die historische Genese des deutschen Vergaberechts

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zeit oder durch gezielte Mengenrestriktionen eine künstliche Angebotsverknappung mit dem Ziel der Preissteigerung zu erreichen. Daneben gab es regelmäßig Preisabsprachen.61 Schließlich erforderte eine geordnete Auftragsvergabe die „fachmäßige Schulung der Beamten, andernteils auf seiten der Lieferanten die kaufmännische Vorbildung, der großkapitalistische Betrieb und dessen Konzentration“62. Erste Ansätze hierfür fanden sich in den großen Handelsstädten. Das lag schlicht daran, dass die Entwicklung in den großen Städte schneller voranschritt, da sie sich mehr, größere und teurere Bauten leisten konnten als kleinere Kommunen, „daß die Strukturen der Haushalts- und Bauvolumina bestimmt waren von stadt- und gesamtwirtschaftlichen Trends, von der kommunalen Bevölkerungsentwicklung und sich somit in Großstädten und kleineren Mittelstädten ganz erheblich unterschieden haben“63. Als eine dieser großen Handelsstädte bemühte sich die Stadt Hamburg mit der Bauhof-Ordnung von 1617 darum, die Abhängigkeit von schlechten und unqualifizierten Arbeitskräften zu minimieren und die Verantwortung auf private Gewerbe­ treibende zu übertragen. a) Eigenregie und Auftragsvergabe am Beispiel der Hamburger Bauhof-Ordnung von 1617 Die Hamburger Bauhof-Ordnung aus dem Jahre 1617 gilt seit über 100 Jahren in der Literatur als das Beispiel für eine der ersten deutschen Verfahrensordnung für die Vergabe öffentlicher Aufträge. Nach Heller seien in der Ordnung „ohne Zweifel die ersten deutschen Submissionsbedingungen“64 zu sehen. Auch an anderer Stelle wird immer wieder mit Bezug auf Heller die Hamburger Bauhof-Ordnung als Grundstein des deutschen Vergabewesens genannt.65 Der Hamburger Bauhof, der für die Errichtung und Unterhaltung der städtischen Gebäude zuständig war, erhielt sein Mandat vom Rat der Stadt und der Bürgerschaft, die ihn für das gesamte Bauwesen der Stadt einsetzten und die gesetzlichen 61

Ebd. Franz C. Huber, „Submissionswesen“, in: Conrad/Elster/Lexis/Loening, Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. 7, S. 1033. 63 Gerhard Fouquet, Bauen für die Stadt – Finanzen, Organisation und Arbeit in kommunalen Baubetrieben, in Johanek, Städteforschung, Bd. 48, S. 37. 64 Marie Heller, Das Submissionswesen in Deutschland, S. 2. 65 Vgl. Franz C. Huber, Das Submissionswesen, S. 3; L. Ehrlich, Verdingungswesen (Submissionswesen), in: Nicklisch, Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, Bd.  5, S.  582; Otto Gandenberger, Die Ausschreibung – Organisierte Konkurrenz um öffentliche Aufträge, S. 22; Claudia Müller-Sedlaczek, Die Geschichte der VOB Teil C, in: Englert/Katzenbach/Motzke, Beck’scher VOB-Kommentar Teil  C (2008), Rn.  9; Arndt Maas, in: Kniffka, Festschrift für Reinhold Thode, S. 374. 62

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Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

Regelungen für diese Aufträge festsetzten. Bereits mit der Hamburger Ordnung des Bauhofs vom 29.8.1582 war in Art. 1 festgelegt worden, dass „alle Arbeitsleute abgeschafft und niemand hinfort als der Zimmermeister und der Schließer gehalten werden“66. Hintergrund waren die Missstände, die auf dem Bauhof wegen „Untreu und Unfleiß“67 der „am Bauhofe Bedienten, wie auch der Arbeitsleute und Tagelöhner“68 herrschten sowie die hieraus resultierenden hohen Kosten. Weiter hieß es in Art. 4 der Ordnung von 1582: „Wenn es auch befunden würde, dass es besser und nützlicher, auch dem gemeinen Gute zuträglicher ist, so kann allerlei Arbeit beide von Stein und vom Holz verdingt werden“69. Die Bauordnung vom 5. April 1617 regelte schließlich in Art. 4, dass alles, „so weit thunlich und füglich, mit erfahrnen Mauer- und Zimmermeistern aus andern Aemtern verdinget und von dem Bauhofe das wenigste gemachet werden möge“70. Fraglich ist, wie der Begriff der „Verdingung“ in diesem Zusammenhang zu verstehen ist. Heller glaubte, dass man „damals schon vollständig den Begriff der Submission erfasst hatte“71. Sie nahm an, dass die Verwendung des Begriffs der „Verdingung“ in der Bauordnung dem der Submission entspräche.72 „Submission“ in dem von Heller verwendeten Sinn der damaligen Zeit bedeutete „die öffentliche Ausbietung einer Materiallieferung oder Arbeitsleistung, die auf Grund konkurrierender, schriftlich einzureichender Angebote dem Mindestfordernden zugeschlagen wird“73. Der Begriff „Verding“ stammt jedoch aus dem Mittelniederdeutschen und bedeutet „durch einen Vertrag binden“ bzw. „verpflichten“74. Bei einer Verdingung im damaligen Sinne handelte es sich also wohl eher um den Abschluss einer Art Lieferungs-, Dienst oder Werkvertrages. Bohnsack schließt daraus, dass „der in Artikel 3 der Bauordnung verwendete Ausdruck, im Zusammenhang gesehen, nichts anderes besagt, als dass über die für die Stadt notwendigen Bauarbeiten 66

Ebd. Vgl. Art. 1 und 2 der Hamburger Bauhof-Ordnung vom 29.8.1582 sowie die Einleitung und Art.  1 der Hamburger Bauhof-Ordnung vom 5.4.1617. Übertragung aus Hans-Joachim Bohnsack, Das Beschaffungswesen der Stadt Hamburg bis zur Gleichschaltung im „Dritten Reich“, in: Peter Johanek, Städteforschung, Bd. 46, Anlage 1 (S.139 f.) und Anlage 5 (S. 145 f.). 68 Ebd. 69 Vgl. Art. 4 der Hamburger Bauhof-Ordnung vom 29.8.1582. 70 Vgl. Art. 1 und 2 der Hamburger Bauhof-Ordnung vom 29.8.1582 sowie die Einleitung und Art.  1 der Hamburger Bauhof-Ordnung vom 5.4.1617. Übertragung aus Hans-Joachim Bohnsack, Das Beschaffungswesen der Stadt Hamburg bis zur Gleichschaltung im „Dritten Reich“, Bd. 46, Anlage 1 (S.139 f.) und Anlage 5 (S. 145 f.). 71 Marie Heller, Das Submissionswesen in Deutschland, S. 3. 72 Ebd. 73 Franz C. Huber, „Submissionswesen“, in: Conrad/Elster/Lexis/Loening, Handwörterbuch der Staatswissenschaften, S. 1032. 74 Vgl. Karl Schiller/August Lübben, Mittelniederdeutsches Wörterbuch, Eintrag „vording“, ebenso Hartmut Schweitzer, Die Entwicklung des Verdingungswesens in Süddeutschland, S. 13. 67

A. Die historische Genese des deutschen Vergaberechts

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weitgehend Verträge mit erfahrenen, den Handwerksämtern angehörenden Meistern zu schließen wären“75. Der Begriff ist folglich nicht gleichzusetzen mit dem Öffentlichen Auftragswesen bzw. der Ausschreibung selbst.76 Dieses begriffliche Verständnis findet sich auch noch in den Überlegungen des Reichstags zu dem geplanten „Gesetz betreffend die Regelung des Submissionswesens im Deutschen Reich“77 von 1914 wieder. Hierin wurde der Ausdruck „Öffentliches Verdingungswesen“ verwandt, um es vom privaten oder gewerblichen Einkauf zu unterscheiden.78 Somit ist anzunehmen, dass die Hamburger Bauhof-Ordnung mit „Verdingung“ lediglich die Übertragung der Erledigung der Vorhaben auf selbstständige Bauunternehmer und Handwerker anstelle von eigenen, angestellten Arbeitskräften zu beschreiben bezweckte. Über die Art und Weise der Vergabe der Aufträge an die Privaten lässt sich der Bauhof-Ordnung jedoch nichts entnehmen. Die Abkehr von der städtebaulichen Eigenregie in Hamburg blieb zunächst noch ein Einzelfall. Im übrigen Reich wurde nach wie vor der größte Teil des Sach- und Baubedarfs der öffentlichen Hand durch Eigenproduktion in Regiebetrieben oder durch unfreie Arbeit gedeckt.79 b) Der Einfluss Frankreichs Diese Zustände änderten sich durch den Einfluss des westlichen Nachbarn Frankreich. Dort war es Jean-Baptiste Colbert gewesen, der im 17. Jahrhundert zur Sanierung der aus den Fugen geratenen Finanzen am Hofe von Ludwig XIV. die Submission auf den Hofdomänen einführte.80 Colbert, Begründer des Merkanti­ lismus, verstand es, die chronischen Schulden des Hofes und des gesamten „Ancien Régime“ mit einer liberalen Wirtschaftsordnung zu bekämpfen. Aufträge sollten zu diesem Zwecke nach dem Prinzip der Öffentlichkeit und freien Konkurrenz vergeben werden.81 In deutschen Landen kam es mit der Besetzung Freiburgs 1677 durch die Franzosen nach dem Dreißigjährigen Krieg es zu einer Reform und einem Umbruch im Verwaltungswesen der Stadt. Die Franzosen, die nunmehr seit Jahrzehnten Er 75 Hans-Joachim Bohnsack, Das Beschaffungswesen der Stadt Hamburg bis zur Gleichschaltung im „Dritten Reich“, in: Peter Johanek, Städteforschung, Bd. 46, S. 59. 76 Ebd., S. 4. 77 Vgl. zum Entwurf die Protokolle des Reichstages (13. Legislaturperiode) Bd. 282 Nr. 1211, S. 6331, zugänglich über http://www.reichstagsprotokolle.de. 78 Vgl. Emil Beutinger, Das Submissionswesen, S. 215. 79 Vgl. Otto Gandenberger, Die Ausschreibung  – Organisierte Konkurrenz um Aufträge, S. 23. 80 Franz C. Huber, Das Submissionswesen, S. 4. 81 Ebd.

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Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

fahrungen mit einer effizienten Verwaltung gesammelt hatten, stießen im Breisgau auf von Vetternwirtschaft und persönlichen Motiven geprägte Verhältnisse.82 Insbesondere der öffentliche Bau zur Errichtung und Wiederherstellung der Befestigungsanlagen und Kasernen erforderte eine gut organisierte Koordinierung durch die städtische Verwaltung. Aus diesem Anlass griffen die französischen Beamten konsequent durch.83 Am Ende der Verwaltungsreform stand die öffentliche Versteigerung der zu vergebenden Arbeiten als probates Mittel zur Kontrolle des städtischen Bauwesens und der Finanzen fest. Mit dem Protokoll vom 22.7.1686 liegt nach Schweitzer das älteste Zeugnis vor, das eine öffentliche Auftragsvergabe in Deutschland mittels Absteigerung dokumentiert.84 Die formellen Bestimmungen zur Abwicklung des Verfahrens wurden von den Franzosen aufgestellt und wiesen bereits damals ein hohes Maß an Vollkommenheit auf.85 Das Dokument bezeugt einerseits die Einflüsse des französischen Verwaltungswesens auf die Entstehung des deutschen Vergaberechts. Diese führten nicht nur lokal zu Kostenersparnissen, Qualitätssteigerungen sowie einer funktionierende Verwaltung samt soliden Finanzen, sondern bereiteten auch der weiteren Entwicklung der öffentlichen Auftragsvergabe in Deutschland den Weg.

II. Der Auf- und Abstieg der Lizitation in Deutschland im 18. und 19. Jahrhundert Mit der Entstehung einer institutionalisierten staatlichen Obrigkeit im 18. und 19. Jahrhundert kam es zu einer Abkehr von einer von Einzelpersonen dominierten Herrschaftsausübung hin zu einer Bündelung der Macht in sich zunehmend als Territorial- und Nationalstaaten herausbildenden Machtkomplexen.86 Durch eine zunehmende Abstraktion, Verrechtlichung und Versachlichung der gesellschaftlichen Fragestellungen verselbstständigte sich die Staatsidee und es kam zu einer Überwindung des fürstlichen Absolutismus.87 82

Vgl. zu der vergaberechtlichen Ausgangslage in Frankreich ausführlich unten, S. 88 f. Vgl. Hartmut Schweitzer, Die Entwicklung des Verdingungswesens in Süddeutschland, S. 19. 84 Protokoll über den Verdingungsverlauf vom 22.  Juli 1686, Stadtarchiv Freiburg, franz. Bauakten; im Wortlaut abgedruckt bei Hartmut Schweitzer, Die Entwicklung des Verdingungswesens in Süddeutschland, S. 20. 85 Vgl. Arndt Maas, in: Kniffka, Festschrift für Reinhold Thode, S.  375 mit Verweis auf Hartmut Schweitzer, Die Entwicklung des Verdingungswesens in Süddeutschland, S. 19 f. 86 Alleine zwischen 1500 und 1900 reduzierte sich die Zahl der Staaten in Europa von über 500 auf etwa 20, vgl. Jörn Leonhard/Ulrike von Hirschhausen, Empires und Nationalstaaten im 19. Jahrhundert, S. 12. 87 Heinz Dollinger, Staatsräson und Staatsfinanzen in Bayern im 16. und frühen 17. Jahrhundert, in: Maddalena/Kellenbenz, Finanzen und Staatsräson in Italien und Deutschland in der frühen Neuzeit, S. 259. 83

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Ging die Herrschaftsgewalt von einer Person oder einem kleinen Zirkel an geistlichen und weltlichen Führern aus, so richtete sich die Auftragsvergabe von­ öffentlichen Arbeiten und Lieferungen noch nach freiem Ermessen – bereits teilweise mit dem Ziel, die Leistungen am „zweckentsprechendsten und billigsten“88, oftmals aber auch nach persönlichen Gesichtspunkten zu erwerben. Mit der Einführung und Ausdehnung der öffentlichen Verwaltung und einer Verteilung der Aufgaben und Verantwortungen entwickelte sich ein Bewusstsein für die Notwendigkeit, die Vergabe von Aufträgen zu ordnen und zu überprüfen, um Missbrauch und Mangelwirtschaft zu vermeiden. In Frankreich führte 1833 nach der Juli-Revolution von 1830 die Weiterent­ wicklung der Verwaltungsorganisation zu einem Gesetz,89 das für alle öffentlichen Arbeiten eine einheitliche Auftragsvergabeform nach dem Prinzip der Öffentlichkeit und der freien Konkurrenz aufstellte und hierfür ein „peinlich genau“90 geregeltes Verfahren vorsah. In Deutschland hingegen stand der Entwicklung ähnlicher (Verwaltungs-)Instrumente nach wie vor das Zunftwesen und die verwaltungseigene Auftragsdurchführung mittels Angestellter und in Teilen noch Frondienstleistender (Regie) entgegen.91 Beispielhaft hierfür steht die Entwicklung in Bayern im ausgehenden 18. Jahrhundert. Insbesondre das Straßenbauwesen zeichnete sich dort durch „Zwangsarbeit und dilettantische, rein lokal gepflogene Bauweise“92 aus. Nachdem der von der 1751 eingesetzten Straßenbaudirektion unternommene Versuch misslang, die gesamte Straßenunterhaltung an die günstigsten privaten Unternehmen auszulagern, kehrte man wieder zum Regiebetrieb zurück. Um nicht an die Missstände der vergangenen Zeit anzuknüpfen, wurde immerhin eine einheitliche Straßenbauverwaltung errichtet, die versuchte, die Bauausführungen in Regie möglichst leistungsfähig zu machen.93 Es gelang schließlich die Zwangsarbeit zu beseitigen und die „Naturalkonkurrenzpflicht“94 abzuschaffen. Aufgrund fehlender Organisation und Planung kam es aber noch zu einem wahllosen „Gemisch aus direkter Vergebung, Vergebung an den Zunftmeister, Ausführung in Regie und Lizitation“95.

88

Hartmut Schweitzer, Die Entwicklung des Verdingungswesens in Süddeutschland, S. 16. Siehe zur Entwicklung des französischen Vergabewesens auch unten, S. 88 ff. 90 Franz C. Huber, Das Submissionswesen, S. 4. 91 Siehe hierzu bereits oben, S. 52 ff. 92 Siegbert Feuchtwanger, Staatliche Submissionspolitik in Bayern, S. 8. 93 Vgl. ebd., S. 9. 94 Naturalkonkurrenzpflicht bedeutete eine Form der Straßenbaufinanzierung, vgl. zur Abschaffung das Königlich-Bairische Regierungsblatt vom 15.2.1809 (München). 95 Arndt Maas, in: Kniffka, Festschrift für Reinhold Thode, S. 376, mehr oder weniger wörtliche Wiedergabe von Hartmut Schweitzer, Die Entwicklung des Verdingungswesens in Süddeutschland, S. 27. 89

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1. Die Lizitation als Instrument hoheitlicher Kostenkontrolle Mitschuld an der prekären Finanzlage der öffentlichen Hand trugen gewiss auch die Citoyens und Wirtschaftsleute, die in der Verwaltung eine unerschöpfliche Finanzquelle sahen. Huber meinte hierzu: „Zu der charakteristischen Eigenschaft des Kapitals gehörte bis Mitte des vorigen [19.] Jahrhunderts die Ausbeutung der Staats- und Gemeindeverwaltung.“96

So wunderte es kaum, dass die Verwaltung verzweifelt nach Auswegen suchte. In der Auftragsvergabe fand sie zum einen ein Mittel der Notwehr gegen ihre Überschuldung und zum anderen bei größeren Aufgaben wie dem aufkommenden Eisenbahnbau ein Mittel „zur Benützung der schöpferischen Kraft und Gewandtheit des Privatunternehmers“97. Die Lizitation als besondere Form der Auftragsvergabe versprach besonders hohe Einsparpotenziale. Die Beamten führten eine öffentliche Versteigerung von Aufträgen durch, bei der die Bietenden durch mündliches Gebot einander im Preis solange unterboten, bis kein weiteres – günstigeres – Angebot vorlag. Eine Modifikation dieser „Absteigerung“ war die sog. „beschränkte Lizitation“. Hierbei wurden die Bietenden zunächst nach fachlichen und sonstigen Gesichtspunkten voraus­gewählt. Nur sie durften im Anschluss Gebote abgeben. Eingeführt wurde die mündliche Lizitation unter anderem in Preußen. Friedrich Wilhelm I. hatte bereits 1723 im Anschluss an eine große Vergabereform zur Bekämpfung staatlicher Verschwendung und aus Gründen der Sparsamkeit ein System einführt, nach dem die Verdingung von Aufträgen an diejenigen erfolgen sollte, die „bey angestellter Licitation die wenigst annehmenden“98 waren.99 Zur regelmäßigen Anwendung kam das Verfahren dann unter Friedrich dem Großen. Er erließ am 13.5.1751 ein Bau-Reglement, wonach „die auf folgendes Jahr nö­ thige Reparationes und Baue öffentlich dem wenigst fordernden anzuverdingen“ seien und die Materialien um den „landesüblichen wohlfeilsten Preiß verdungen werden“.100

96 Franz C. Huber, „Submissionswesen“, in: Conrad/Elster/Lexis/Loening, Handwörterbuch der Staatswissenschaften, S. 1033. 97 Ebd. 98 Marie Heller, Das Submissionswesen in Deutschland, S. 5. 99 Vgl. Arndt Maas, in: Kniffka, Festschrift für Reinhold Thode, S. 376 f. 100 Vgl. Marie Heller, Das Submissionswesen in Deutschland, S. 5, mit entsprechenden Verweisen.

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2. Die Schwächen der Lizitation Zwei entscheidende Schwachstellen hatte das Verfahren der Lizitation: die sog. „Submissionsblüten“ auf der einen und Preisabsprachen auf der anderen Seite.101 Es kam zu derartigen Unterbietungen, dass das abgegebene Gebot in keinem Verhältnis mehr zur erbringenden Leistung stand. Das exzessive Absteigern führte regelmäßig zu einer mangelhaften Auftragsausführung, sofern diese überhaupt vollumfänglich erledigt wurde.102 „So ergab sich, als Folge der Konkurrenzübertreibung, daß sich mehr und mehr der staat­ lichen Aufträge ein unsolides Geschäftssystem bemächtigte, eine Konkurrenz, die unter dem Selbstkostenpreis kalkuliert, namentlich seitens junger Anfänger, die ins Geschäft zu kommen suchen, oder von Handwerkern, die das Rohmaterial schuldig bleiben, Lohndrückerei oder Lehrlingszüchterei betreiben, sich bei Nebenarbeiten oder durch unreelle Manipulation schadlos halten.“103

Großer Unmut und Protest erregte die Lizitation bei Handwerkern und Zünften.104 Sie sahen nicht nur ihre Privilegien bedroht, sondern sich auch der Abhängigkeit und Preisdrückerei der Verwaltung ausgesetzt. Plötzlich wurde der Wunsch nach staatlicher Regulierung spürbar. Die Bereitschaft, einzelne Privilegien aufzugeben, stieg, wenn auch nur zögerlich. Vielerorts flammten Proteste der Handwerker auf, so auch im Jahre 1768 in Frankfurt und später in Stuttgart. In vielen Städten gingen Petitionen, Gesuche und Denkschriften bei den Stadtverwaltungen ein, in denen die Gewerbetreibenden über die Härten und Ungerechtigkeiten der bestehenden Verfahren klagten und ein einheitliches, faires und transparentes Vergabeverfahren forderten.105 Aus Mannheim sind Klagen der Gewerbetreibenden aus dem ausgehenden 18. Jahrhundert dokumentiert. Insbesondre das Zunftwesen lehnte sich gegen die Lizitation auf. Es empörte die um ihre Standesprivilegien bedachte Gruppe, „dass sich sogar einige ganze Bauausführungen anmaßten, die weder zünftig gelernet, noch weniger Meister seynd“106. 101

Hartmut Schweitzer, Die Entwicklung des Verdingungswesens in Süddeutschland, S. 25. Vgl. ebd. 103 Franz C. Huber, „Submissionswesen“, in: Conrad/Elster/Lexis/Loening, Handwörterbuch der Staatswissenschaften, S. 1035. 104 Vgl. Beschwerde der Freiburger Handwerker vom 1.3.1772 an den Stadtrat mit der Bitte, zukünftig Aufträge nicht mehr an Generalunternehmer, sondern Teilarbeiten an mehrere Handwerker direkt zu vergeben (zu finden bei Hartmut Schweitzer, Die Entwicklung des Verdingungswesens in Süddeutschland, S. 29); ebenfalls bekannt ist der Protest der Bauhandwerker Frankfurts gegen die Vergebung von öffentlichen Aufträgen an den „Mindestfordernden“, vgl. hierzu L. Ehrlich, Verdingungswesen (Submissionswesen), in: Nicklisch, Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, Bd. 5, S. 584. 105 Vgl. L. Ehrlich, Verdingungswesen (Submissionswesen), in: Nicklisch, Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, Bd. 5, S. 583. 106 Zitiert bei Max Dörner, Kommunale Submissions-Politik  – Die Vergebung öffentlicher Arbeiten in Mannheim, S. 14. 102

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Die Verwaltung war wenig motiviert, auf die Wünsche der Zünfte einzugehen. Gleichwohl wuchs die Erkenntnis, dass das bestehende Lizitationsverfahren nicht das beste Mittel zur Deckung des öffentlichen Bau- und Sachgüterbedarfs war. Eigentlich als Behelf zur Bekämpfung von Klüngelei, Intransparenz und Un­ gerechtigkeiten bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen geschaffen, führte die Lizitation zu existenzvernichtenden Preiskämpfen. Am Beispiel von Bayern der Zeit zwischen 1833 und 1864 veranschaulichte Feuchtwanger den „reinen Fiskalismus“, der dort auf Grundlage von zwei Verordnungen von 1831 und 1864 praktiziert wurde. Der zentralen Verwaltung war die Möglichkeit gegeben, den „äußeren Behörden Handhaben zu äußerster Ausnützung aller ökonomischen Vorteile beim Geschäftsabschluss mit Privaten“107 einzuräumen. Feuchtwanger folgerte: „Dementsprechend ist der kontraktliche Fiskalismus weitestehende Ausbeutung der wirtschaftlichen und psychologischen Übermacht des Staates gegenüber dem privaten Geschäftsmann, dem die Möglichkeit eines staatlichen Auftrags ja hundert Möglichkeiten anderweitiger Aufträge aufwiegt.“108

Das Wesen der Lizitation, „die Bieter in der Erregung des Versteigerungskampfes zu völlig unüberlegten, übermäßig niedrigen und daher auch verlustbringenden Angeboten zu verleiten“, wurde noch „durch fiskalische Maßregeln erhöht“, wodurch dann „das Verfahren in unsinnigen Unterbietungen und in eine Schleuderkonkurrenz aus[artete], die schließlich auch nicht mehr im Interesse der Behörde lag“.109 3. Vergebliche Reformen Als Reaktion auf die Defizite der Lizitation, die sich an der Vergabe der Aufträge nach dem niedrigsten Preis orientierte, kam es zu einer Weiterentwicklung des Verfahrens, insbesondere wegen des Drängens des Gewerbestands.110 1850 hieß es in einer Eingabe des Stuttgarter Gewerbevereins: „Wir haben nach reiflicher Berathung für die Vergebung öffentlicher Arbeiten den Weg der Submission, wo er nur immer anwendbar ist, als den besten erkannt. Welche Vorschläge für den Weg einer billigen Vertheiligung und Preisabstimmung durch Experten, Zunftvorstände oder wen immer auch gemacht werden mögen – sie sind und bleiben stets unpraktisch, und führen zu mehr oder minder begründetem Vorwurf der Parteilichkeit.“111

107

Siegbert Feuchtwanger, Staatliche Submissionspolitik in Bayern, S. 44. Ebd. 109 Max Dörner, Kommunale Submissions-Politik – Die Vergebung öffentlicher Arbeiten in Mannheim, S. 16. 110 Vgl. Gudrun Lampe-Helbig/Klaus E. Wörmann, Handbuch der Bauvergabe (2.  Aufl., München 1995) Rn. 10. 111 Vgl. wörtliche Wiedergabe bei Franz C. Huber, Das Submissionswesen, S. VI. 108

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An die Stelle der (mündlichen) Lizitation trat die öffentliche bzw. beschränkte Submission, später auch Ausschreibung genannt. Im Gegensatz zur Lizitation waren bei der Submission die potentiellen Auftragnehmer aufgefordert, bis zu einem festgesetzten Termin im Wettbewerb ein schriftliches Angebot abzugeben.112 Die Schriftlichkeit der Angebote sorgte für etwas mehr Transparenz. Aufgrund des Diktats der Mindestforderung änderte sich aber nichts an dem erbitterten Kampf um Aufträge und der gnadenlosen Unterbietung zwischen den Gewerbe­ treibenden. Die Hoffnung der Unternehmer, die Submission würde für mehr Chancengleichheit sorgen als die Lizitation, wurde von der weiterhin strikt fiskalorientierten Haltung der Verwaltung zerstört. Die Rufe nach einer grundlegenden Reform – auch nach Abschaffung des Submissionswesens – wurden laut. Ein Unternehmer schilderte den Missstand wie folgt: „Das Submissionswesen ist eine der unglücklichsten Krankheiten unserer Zeit. Es wird dort alles aufs Billigste gefordert und wenn ich sie versichere, dass es unserem Etablissement, so oft wir es versucht haben, bisher nicht möglich war, einen Erfolg zu erzielen, während eine ganze Anzahl Mittelspersonen die Submission bekam und dann die Waare von uns in geringerer Qualität nahm, so lässt sich daraus erkenn, dass hier Schäden vorliegen, die zu beseitigen sind.“113

Auch mit der Submission war es nicht gelungen, einen gerechten Ausgleich zwischen den fiskalischen Interessen der Verwaltung und den unternehmerischen Belangen der Handwerker und Zünfte zu erreichen. Eine weitere Entwicklung führte nicht zur Lösung des Problems, sondern verlagerte es nur: Anstelle der Vergabe einzelner Aufträge an verschiedene Handwerker wurden gesamte Vorhaben in die Hände eines einzelnen Generalunternehmers gelegt.114 Dieser wiederum gab die Arbeiten weiter  – meist an denjenigen, der den geringsten Preis verlangte. Diese Auftragsverteilung unterlag keiner hoheitlichen Kontrolle und war meist vom Gewinnerzielungsinteresse des Generalunternehmers geprägt. Dadurch war das Problem der ruinösen Unterbietungen nicht­ beseitigt, sondern lediglich in den Privatsektor verschoben worden.

112 Das Beschaffungswesen der Stadt Hamburg bis zur Gleichschaltung im „Dritten Reich“, in: Peter Johanek, Städteforschung, Bd. 46, S. 5. 113 Kommerzienrath Delius-Bielefeld auf der Reichs-Enquête von 1878 über die Baumwollund Leinenindustrie, zitiert in Franz C. Huber, Das Submissionswesen, S. 17. 114 Vgl. Hartmut Schweitzer, Die Entwicklung des Verdingungswesens in Süddeutschland, S. 27.

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III. Das Verdingungswesen im Deutschen Reich Eine überregionale Entwicklung in Deutschland wurde erst im 19. Jahrhundert erkennbar. Insbesondere große Bauvorhaben wie der Eisenbahnbau und der Ausbau der Transportwege erforderten ein System bzw. zumindest eine Übung zur Vergabe dieser Aufträge.115 1. Erste vergaberechtliche Vorschriften in Preußen Der Impuls für eine Novelle der bestehenden Regelungen zur öffentlichen Auftragsvergabe kam erneut, wie bereits Anfang des 18. Jahrhunderts, aus Preußen. Ziel war es, nach den Bieterexzessen durch Lizitation und Submission einen gesunden Wettbewerb wiederherzustellen und dadurch den mittelständischen Gewerbeund Handwerksbetrieben ein Überleben zu ermöglichen. Das Zuschlagsprinzip für den Mindestfordernden sollte durch ein Verfahren ersetzen werden, das den „annehmbaren oder den gerechten Preis bevorzugte“116. Mit dem Circular-Erlaß des Preußischen Arbeitsministeriums „Allgemeine Bestimmungen, betreffend die Vergebung von Leistungen und Lieferungen“ vom 17.7.1885117 wurden Teile dieser Forderungen umgesetzt. Endlich hatte sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass nicht das günstigste gleich dem besten Angebot ist. Huber fasste 1885 und damit kurz vor den Reformen den Missmut in einer knappen Bilanz des Scheiterns zusammen: „Im Gegentheil hat dieses Uebermass der Konkurrenz, die nun seit Jahrzehnten unbedingt ihre Herrschaft ausübt, schliesslich den gleichen Effekt, wie der Ausschluss jeglicher Konkurrenzfreiheit, es schafft einen der Leibeigenschaft, der Submission eigentlichen Sinnes, d. h. die Unterwerfung unter fremde Willkür ähnlicher Zustand, bedingt liederliche Arbeit, Materialfälschung etc. In gewissem Sinne hat damit die Erfahrung denjenigen Recht gegeben, welche von der Submission schon Jahrzehnten bei ihrer Einführung eine Prämiierung der Pfuscher und Schwindelei prophezeit haben.“118

Es war Zeit, von politischer Seite gegenzusteuern, um einen nachhaltigen Schaden der Beziehungen zwischen staatlicher Verwaltung und Unternehmertum abzuwenden. Damals wurden im Deutschen Reich geschätzt Dreiviertel der Aufträge durch Verdingung vergeben,119 mit einem Volumen von ca. 6 Milliarden 115

Vgl. Claudia Müller-Sedlaczek, Die Geschichte der VOB Teil C, in: Englert/Katzenbach/ Motzke, Beck’scher VOB-Kommentar Teil C (2008), Rn. 11. 116 Werner Schubert, in: Walter Pastor (Hrsg.), Festschrift für Herman Korbion zum 60. Geburtstag am 18.6.1986 (Werner 1986) S. 394. 117 Vgl. bereits zuvor den Erlass des preußischen Ministers der öffentlichen Arbeiten vom 24.6.1880, in: Baugewerkzeitung Nr. 62, Jahrgang XII (1880). 118 Franz C. Huber, Das Submissionswesen, S. 19, mit Verweis auf Wilhelm Heinrich Riehl, Die bürgerliche Gesellschaft (Cotta 1851) S. 55. 119 L. Ehrlich, Verdingungswesen (Submissionswesen), in: Nicklisch, Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, Bd. 5, S. 586.

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Reichsmark und damit ungefähr 10–20 % des Bruttosozialprodukts.120 Größte Auftragnehmer waren neben dem Baugewerbe die Waffen- und Pulverfabriken, der Wagen- und Schiffsbau, die Walzwerke und Tuchwebereien, Kohlewerke, der Lokomotivbau, die Sattlereien und Schuhfabrikationen.121 Das Umdenken dokumentiert der Circular-Erlass von 1885, in dem es hieß: „Ausgeschlossen von der Berücksichtigung sind solche Angebote, […] welche eine in offenbarem Missverhältnis zu der betreffenden Leistung oder Lieferung stehende Preisforderung enthalten, so dass nach dem geforderten Preis an und für sich eine tüchtige Ausführung nicht erwartet werden kann.“122

Für entscheidende Entspannung sorgte auch der Grundsatz, nicht mehr an einen einzigen Generalunternehmer zu vergeben, sondern die Aufträge „nach Teil­ losen und Gewerbegattungen“123 an vorzugsweise heimische Handwerker aufzuteilen. Nach wie vor vorgesehen war, „nach dem annehmbarsten und somit billigsten ­Gebot“124 zu suchen. Die Erweiterung des Kriterienkatalogs kann daher nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Preis immer noch das Auswahlverfahren dominierten. Auch in anderen Teilen Deutschlands kam es in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts zu grundlegenden Neuerungen im Verdingungswesen. In Bayern wurde 1903 mit der Änderung der Verdingungsverordnung unter anderem ein Leistungsverzeichnis eingeführt, das von den Auftragsbewerbern ein Angebot mit genau bezifferten Einzelpreisen als eine detaillierte Kalkulation verlangte.125 Die Debatte um die Auftragsvergabe im Deutschen Reich und seinen Landesteilen hatte jedoch gerade erst begonnen. In Preußen ergingen am 11.12.1907 und am 4.9.1912 neue Erlasse. Die bestehenden Regelungen waren weiterhin als „unzu­ reichend und erdrosselnd“126 abgelehnt worden.

120

Für Angaben zum Bruttosozialprodukt aus der Zeit von 1901 bis 1913, vgl. Albrecht Ritschl/Mark Spoerer, Das Bruttosozialprodukt in Deutschland nach den amtlichen Volkseinkommens- und Sozialproduktstatistiken 1901–1995, S. 51. 121 Vgl. Franz C. Huber, „Submissionswesen“, in: Conrad/Elster/Lexis/Loening, Handwörterbuch der Staatswissenschaften, S. 1033. 122 Aus dem Ministerialblatt für die gesamte Innere Verwaltung der Königlich Preußischen Staaten 1885, S. 147, zitiert in: Gudrun Lampe-Helbig/Klaus E. Wörmann, Handbuch der Bauvergabe, Rn. 10. 123 Arndt Maas, in: Kniffka, Festschrift für Reinhold Thode, S. 381. 124 Ebd. mit Hinweis auf § 7 der Allgemeinen Bedingungen. 125 Vgl. Hartmut Schweitzer, Die Entwicklung des Verdingungswesens in Süddeutschland, S. 74. 126 L. Ehrlich, Verdingungswesen (Submissionswesen), in: Nicklisch, Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, Bd. 5, S. 583.

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2. Die Bedeutung der Industriellen Revolution und die Urbanisierung im 19. Jahrhundert Der Beginn der flächendeckenden öffentlichen Auftragsvergabe in Deutschland lässt sich nicht genau datierten. Festzuhalten ist, dass bereits vor Beginn des 19. Jahrhunderts für größere Bauvorhaben und Lieferaufträge ein Verfahren – meist die Lizitation oder Submission – zur Anwendung kam, das den meist bietenden Unternehmer – d. h. die größte Leistung für den geringsten Preis – bevorzugte.127 Nach Krisch ist das staatliche Auftragswesen jedoch erst mit dem „Auftreten eines massenhaften Bedarfs“ im 19.  Jahrhundert durch „Gewerbefreiheit, Fortschritte der Technik und rasche Bevölkerungsvermehrung“ zu einem „staats-, wirtschafts- und sozialpolitischen Problem“ geworden.128 So belasteten etwa der mit der Industrialisierung in Deutschland eingeläutete Eisenbahn- und Straßenbau sowie die sonstigen Beschaffungen die Staatsfinanzen in hohem Maß. Daneben führte eine stark zunehmende Urbanisierung zu großen städtischen Investitionen. Etwa gehörte der Raum um die preußische und Reichshauptstadt Berlin seit dem späten 19. Jahrhundert zu den besonders dynamischen Wachstumsgebieten mit einem Bevölkerungswachstum von knapp über 100.000 Bewohnern 1871 auf über 1,1 Mio. in 1905.129 Die Gemeinden im Umland der Hauptstadt bemühten sich ebenfalls verstärkt gegenüber der Metropole, aber auch gegenüber konkurrierenden Gemeinden, für Zuzügler attraktiv zu werden. Als Reaktion auf diesen Wettbewerb investierte man in den Ausbau der Leistungsverwaltung, „der Anlagen der ‚technischen‘ und ‚sozialen‘ Leistungsverwaltung als Bestandteil einer ‚Daseinsvorsorge‘“.130 Auch die Ansiedelung von Großindustrie machten Investitionen insbesondere in den Straßen- und Kanalbau, aber auch in die Gas- und Elektrizitätsinfrastruktur erforderlich. Die städtebaulichen Vorhaben wurden in diesem Zuge immer größer und komplexer. Die Stadtverwaltungen konnten sich weder Misswirtschaft noch mangelnde Qualität der Ausführung im Wettbewerb untereinander, aber auch angesichts des rasanten wirtschaftlichen Fortschritts leisten. Ordnungsgemäße Vergabeverfahren unter Berücksichtigung sowohl fiskalischer als auch unternehmerischer Interessen wurden damit alternativlos. Begleitet wurde diese Entwicklung schließlich auch vom Ende des Zunftwesens und der Einführung der Gewerbefreiheit Mitte des 19. Jahrhunderts. Mit ihr gewann die geregelte öffentliche Auftragsvergabe an flächendeckender Bedeutung.131 127

Vgl. Werner Schubert, in: Pastor, Festschrift für Herman Korbion, S. 391. Vgl. Wilhelm Michael Krisch, Probleme des deutschen Verdingungswesens, S. 17 f. 129 Felix Escher, Städtische Investitionen und Privatindustrie, in: Kaufhold, Städteforschung, Bd. 42, S. 249. 130 Ebd., S. 250. 131 Richard Rothacker, Das Verdingungswesen – seine Abhängigkeit von Erziehung und Stellung der Baubeamten und seine Heilung, S. 5. 128

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Sie war eine der wesentlichen Bedingungen für die Entwicklung der kapitalistischen Großwirtschaft.132 3. Der gescheiterte Versuch einer reichseinheitlichen Regelung Anfang des 20. Jahrhunderts Mit der Begründung des Deutschen Kaiserreichs als erster deutscher Nationalstaat durch die Reichsverfassung vom 16. April 1871 entwickelten sich wirtschaftspolitische Fragestellungen zu einer nationalen Angelegenheit. Zuvor waren sie nur regional, in Städten oder den einzelnen Ländern von Bedeutung gewesen. Daneben sorgten die rasanten Entwicklungen in Wirtschaft und Gesellschaft aufgrund der verbesserten Mobilität zu einer Ausdehnung der Wirtschaftstätigkeit in räumlicher Dimension. Daraus ergab sich die Notwendigkeit eines politischen Diskurses um die Fortentwicklung des Verdingungswesens auf Reichsebene. Den Impuls hierfür setzte die Privatwirtschaft. So wurde ein vom Hansa-Bund für Gewerbe, Handel und Industrie 1912 erarbeitetes Papier für eine Regelung des Submissionswesens im Deutschen Reich Grundlage für den Antrag einer Gruppe von Abgeordneten im Reichstag.133 Die darin enthaltenen Forderungen waren nicht neu. Bereits 1885 hatte der langjährige Syndikus der Stuttgarter Handelskammer Huber „die Aufstellung einheitlicher, für sämtliche Verwaltungszwecke gleich bindender und schließlich im ganzen Deutschen Reiche geltender Normen“134 gefordert. Trotz des drohenden Krieges und den damit verbundenen Debatten, fand im Reichstag auch politischer Alltag statt. Hierzu zählte die Erörterung des Gesetzentwurfs zur Regelung des Submissionswesens im Deutschen Reich. Der Abgeordnete Freiherr von Richthofen, Befürworter und Antragssteller, bemühte sich in diesen turbulenten Zeiten um Aufmerksamkeit für das im Argen liegende Submissionswesen: „Der heutige Tag dreht sich weniger um eine dermaßen hochpolitische Frage. Die Angelegenheit, die meine Freunde sich entschlossen haben, hier zur Sprache zu bringen, entbehrt in der Beziehung des starken politischen Inhalts, aber sie ist vielleicht darum umso tiefer einschneidend in die Zustände unseres gesamten Erwerbs- und Wirtschaftslebens.“135 132

Wilhelm Michael Krisch, Probleme des deutschen Verdingungswesens, S. 19. Der Antrag der Abgeordneten ist abgedruckt in Anlage Nr. 121 (RT-Dr XIII/121) zu den Stenographischen Berichten über die Verhandlungen des Reichstages (13. Legislaturperiode) Bd. 287, S. 170. 134 Zitiert vom Abgeordneten Freiherr von Richthofen in der 120. Sitzung des Reichstags vom 26.2.1913, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages (13. Legislaturperiode) Bd. 287, S. 4042, zugänglich über http://www.reichstagsprotokolle.de. 135 Abgeordneter Freiherr von Richthofen in der 120. Sitzung des Reichstags vom 26.2.1913, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages (13. Legislaturperiode) Bd. 287, S. 4042, zugänglich über http://www.reichstagsprotokolle.de. 133

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Bezugnehmend auf die Gedanken Hubers aus dem Jahre 1885 fasste von Richthofen die Überfälligkeit einer gesetzlichen Regelung zusammen: „Es hieße Eulen nach Athen tragen – dass kann man sagen –, wenn man sich jetzt darauf einlassen wollte, in umfassender Weise darzulegen, wie groß die Missstände im Submissionswesen bei uns im Deutschen Reiche sind, wie notwendig es ist, dass hier Änderungen eintreten, dass hier Bestimmungen Platz greifen, und dass dieses ganze Submissionswesen eine durchgreifende Regelung erfährt.“136

von Richthofen stellte dabei auch die Rückstände bei der Regelung der öffentlichen Auftragsvergabe in Deutschland im Vergleich zu Frankreich heraus, wo bereits seit 1833 ein Submissionsgesetz137 in Kraft war. Die Bemühungen um Reformen der Einzelstaaten – insbesondere Preußens – vergaß er gleichwohl nicht zu erwähnen. Der zuständige parlamentarische Ausschuss legte schließlich einen Gesetzesentwurf vor, der im Wesentlichen dem Hansa-Papier entsprach.138 Eine weitere Behandlung im Gesetzgebungsverfahren kam jedoch aufgrund des Ausbruchs des Krieges nicht mehr zustande. 4. Der Weg zum Reichsverdingungsausschuss und der VOB Nach Ende des 1. Weltkriegs bestand Einigkeit, dass das öffentliche Auftragswesen als wesentlicher Wirtschaftssektor dringend einer einheitlichen Regelung bedurfte. 1919 schrieb Rothacker: „Über allem zum Trotz konnte bis zum heutigen Tage nicht nur kein halbwegs zufriedenstellender Zustand geschaffen, sondern nicht einmal Klarheit über die Wurzel des Übels, geschweige denn Übereinstimmung über das Heilmittel erzielt werden.“139

Ganz den Tatsachen entsprach Rothackers Weckruf nicht. Im Gegensatz zu dieser düsteren Schilderung war die Debatte Anfang des 20. Jahrhunderts bereits lebhaft und von Untersuchungen, Umfragen und Verhandlungen rund um die Reform des Verdingungswesens geprägt.

136 Abgeordneter Freiherr von Richthofen in der 120. Sitzung des Reichstags vom 26.2.1913, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages (13. Legislaturperiode) Bd. 287, S. 4042, zugänglich über http://www.reichstagsprotokolle.de/. 137 Siehe hierzu auch oben S. 56 und unten S. 88 ff. 138 Gesetzesentwurf der 15. Kommission und Bericht in Anlage Nr. 1552 (RT-Dr XIII/1552) zu den Stenographischen Berichten über die Verhandlungen des Reichstages (13. Legislaturperiode) S. 3160 ff. 139 Richard Rothacker, Das Verdingungswesen, S. 7.

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a) Keine politische Mehrheit für ein formelles Vergabegesetz Auch das Parlament der noch jungen Weimarer Republik mit ihrer vielfältigen Parteienlandschaft beschäftigte sich mit einer landesweiten Regelung des Vergabewesens. Die Deutschnationale Partei, die sich republikfeindlich gegeben und einer parlamentarischen Mitarbeit am Aufbau der neuen Republik versagt hatte, war es schließlich, die zur vermeintlichen Interessenvertretung des Mittelstands einen­ Gesetzesentwurf für ein Rahmengsetz zur Regelung des Verdingungswesen ins Parlament einbrachte. Hierin hieß es: „Der Reichstag wolle beschließen: Die Reichsregierung zu ersuchen, ein Reichsgesetz vorzulegen, durch welches für die Vergebung von Leistungen und Lieferungen durch die Verwaltung des Reichs, der Länder und der sonstigen Verbände des öffentlichen Rechts Grundsätze aufgestellt werden, die sich namentlich auch auf die Vergebung solcher Aufträge an Handwerker und deren Vereinigungen beziehen.“140

Der Antragsführer Hammer, ehemals Abgeordneter des Preußischen Landtags, erklärte hierzu mit Blick auf föderale Schwierigkeiten, dass es richtig sei, „dass ein Reichsgesetz für das gesamte Verdingungswesen nicht möglich sei, sondern nur ein Rahmengesetz, wonach wir gewisse Bundestaaten dazu zwingen wollen, bestimmte Richtlinien innezuhalten, die sich aber nur auf wenige Punkte er­strecken sollen.“141 b) Die Geburt des Reichsverdingungsausschusses Aus verfassungsrechtlichen Gründen, aber auch aufgrund der Ablehnung der Deutschnationalen Partei als reaktionärer und nationalistischer Partei, fand der Antrag keine Mehrheit im Reichstag. Dagegen setzte sich der Vorschlag der Zentrumspartei durch, einen Ausschuss einzuberufen, „bestehend aus sachverständigen Vertretern der beteiligten Ressorts und Vertretern der zuständigen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen, um bei Vergebung von Leistungen und Lieferungen einheitliche Grundsätze für Reich und Länder zu schaffen“142. Der Ausschuss bekam den Namen „Reichsverdingungsausschuss“. Nach der Konzeption Rothackers, einem der Väter des vereinheitlichen Verdingungsrechts,143 sollte der Ausschuss „die Aufstellung einwandfreier, d. h. klarer, unzweideutiger 140 Antrag der Abgeordneten Hammer und Genossen vom 7.3.1921, Anlage Nr. 1573 (RT-Dr I/1573) zu den Stenographischen Berichten über die Verhandlungen des Reichstages (1. Wahlperiode 1920) S. 1088, zugänglich über http://www.reichstagsprotokolle.de. 141 Abgeordneter Hammer vom 7.3.1921, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages (1. Wahlperiode 1920/79. Sitzung) Bd. 348, S. 2754, zugänglich über http:// www.reichstagsprotokolle.de. 142 Abgeordneter Lange-Hegermann der Zentrumspartei vom 9.3.1921, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages (1. Wahlperiode 1920/79. Sitzung) Bd.  348, S. 2757, zugänglich über http://www.reichstagsprotokolle.de. 143 Vgl. Werner Schubert, Zur Entstehung der VOB (Teil A und B) von 1926, in: Pastor, Festschrift für Herman Korbion, S. 397 m. w. N. in Fn. 45.

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Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

und vollständiger Verdingungsunterlagen [erarbeiten], die [die] Ermittlung des preis­ würdigsten Angebots und die strenge Vertragserfüllung“144 ermöglichen. Wegen einer Vereinbarung zwischen Verkehrs- und Schatzministerium blieb die Ausschussarbeit zunächst auf das „handwerkliche baugewerbliche Verdingungswesen“ beschränkt.145 Das Beschaffungswesen blieb vorerst außen vor. Auch sonst waren die Anfänge schwer. In einem Umfeld von Inflation sowie wirtschaftlichen und politischen Problemen der unvollkommenen neuen Republik dominierte ein Kompetenz- und Interessenkonflikt mit den Bundesländern die Arbeit des Ausschusses. c) Der Ausschuss setzt sich durch Entscheidend für den letztendlichen Erfolg des Ausschusses war die Zusammen­ setzung aus Interessenvertretern und Fachleuten aus den betroffenen Wirtschaftszweigen und Ressorts. So musste die Ergebnisfindung nicht gemäß dem üblich gewordenen Parteienzank stattfinden. Am 6.5.1926 konnte auf der Grundlage des Entwurfs für eine „Reichsverdingungsordnung für Bauleistungen“ aus dem Jahre 1924, der wiederum aus dem ersten Referentenentwurf vom September 1922 hervorgegangen war, die „Allgemeinen Vergebungs- und Vertragsbestimmungen für die Ausführung von Bauleistungen“ mit allgemeinen, technischen und schuldrechtlichen Bestimmungen (zusammen gefasst in Teilen A, B und C)146 von der Vollversammlung des Reichsverdingungsausschusses gebilligt werden. Auch wenn alle Bemühungen um eine reichseinheitliche gesetzliche Regelung gescheitert waren, gelang es mit der Verdingungsordnung für Bauleistungen (VOB) aus dem Jahre 1926 den Missständen im Verdingungswesen erfolgreich zu begegnen und – trotz seiner formaljuristischen Besonderheit – das Verdingungsrecht als Bestandteil des nationalen Rechts zu etablieren.147 Schubert sah die VOB 144 Richard Rothacker, Niederschrift der 1.  Vollsitzung des Verdingungsausschusses am 13.12.1921, wiedergegeben bei Werner Schubert, in: Pastor, Festschrift für Herman Korbion, S. 397. 145 Ebd., S. 396. 146 Seither setzt sich die VOB aus diesen drei Teilen zusammen: Teil A (VOB/A) umfasst die Allgemeinen Bestimmungen für die Vergabe von Bauleistungen, Teil B (VOB/B) die Allgemeinen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen und Teil C (VOB/C) die Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen für Bauleistungen. 147 Die VOB wurde im Reich durch einen Erlass des Reichsfinanzministeriums am 11.8.1926 als Dienstvorschrift eingeführt, in Preußen am 25.11.1926 mit Runderlass des Finanzministers, in Sachsen durch Verordnung des Finanzministers vom 24.12.1926, in Baden durch Verordnung des Finanzministers vom 20.1.1928, in Bayern durch Erlass vom 1.5.1928 und in Württemberg durch die Erlasse der Innen-, Finanz- und Wirtschaftsminister am 1.3.1927. Vgl. hierzu Claudia Müller-Sedlaczek, Systematische Darstellung I, in: Englert/Katzenbach/ Motzke, Beck’scher VOB-Kommentar Teil C (2008), Rn. 22.

A. Die historische Genese des deutschen Vergaberechts

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von 1926 „alles in allem als eine der wenigen bleibenden Leistungen der Weimarer Republik“. Etwas relativierender kann dem soweit zugestimmt werden, als die Reform des Vergabewesen eine der wenigen Reformen der Weimarer Zeit war, der durchweg Erfolg beschieden war. 1932 und 1936 konnten noch Regelungen für das Beschaffungswesen mit der Verdingungsordnung für Leistungen außer Bauleistungen etabliert werden, bevor der Krieg erneut die Fortentwicklung unterbrach.

IV. Die internationale Dimension der Auftragsvergabe Anfang des 20. Jahrhunderts Bereits vor der Europäisierung des Vergabewesens hatte die transnationale Auftragsvergabe als Teil  der Außenwirtschaft Anfang des 20.  Jahrhunderts ihren Platz in den deutschen Wirtschaftsbeziehungen. Da in vielen Überseeländern und angrenzenden ausländischen Staaten vergleichbare Vergabewesen – teilweise deutlich weiter entwickelt – vorhanden waren, war es durchaus üblich, Aufträge im Ausland anzunehmen.148 Veröffentlicht wurden die Ausschreibungen in den großen europäischen wie nordamerikanischen Tageszeitungen. Eine bedeutsame Rolle spielten bei der Kenntnismachung dieser Ausschreibungen im deutschen Inland die Konsulate und die „Reichsnachrichtenstelle für den Außenhandel“ im Auswärtigen Amt. Neben den staatlichen Stellen gab es auch privatwirtschaftliche Institutionen, die Informationen zu Aufträgen im Ausland sammelten und­ veröffentlichten.149

V. Zwischenergebnis Der Rückblick auf die Anfänge des öffentlichen Auftragswesens in Deutschland offenbart zum einen, dass der vergaberechtliche Fortschritt eng verknüpft ist mit gesellschaftlichen und wirtschaftlichen, meist sprungartigen Entwicklungen. Zum anderen steht fest, dass dem Vergaberecht seit seinen Ursprüngen der Konflikt zwischen fiskalischen und wirtschaftlichen Interessen immanent ist. Als Antwort auf diese Spannungen wurden bereits vor über 100 Jahren jene Grundsätze aufgestellt, die im Wesentlichen noch heute das – mittlerweile europäisierte – Vergaberecht bestimmen. Trotz aller negativen Erfahrungen der Vergangenheit mit bestimmten Verfahrensformen ist der Unionsgesetzgeber nicht abgeneigt, punktuell 148 Vgl. L. Ehrlich, Verdingungswesen (Submissionswesen), in: Nicklisch, Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, Bd. 5, S. 589. 149 So z. B. der Deutsche Wirtschaftsdienst GmbH und das Institut für Weltwirtschaft und Seeverkehr. Als Zeitungen sind insbesondere die Industrie- und Handelszeitung und Deutscher Submissions-Anzeiger zu nennen. Siehe hierzu L. Ehrlich, Verdingungswesen (Submissionswesen), in: Nicklisch, Handwörterbuch der Betriebswirtschaft, Bd. 5, S. 590.

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Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

eigentlich überkommene Verfahrensarten wieder einzuführen, wie etwa die elektronische Auktion als moderner Form der Lizitation (Absteigerung). 1. Impulse für den vergaberechtlichen Fortschritt Die Entstehung und Fortentwicklung der ersten Vergabeverfahren, -regeln und -richtlinien sind als Reaktion auf gesellschaftliche und insbesondere wirtschaftliche Umbrüche zu verstehen. Dass es überhaupt zu einer Institutionalisierung und Verrechtlichung der Auftragsbeziehungen zwischen öffentlichen Auftraggebern und privaten Auftragnehmern kam, war einer zunehmenden (staats-)organisatorischen Verantwortung der Obrigkeit geschuldet gewesen. Bereits die Städte des Mittelalters waren vor die Herausforderung gestellt, ihre strukturellen Defizite durch städtebauliche Maßnahmen zu überwinden. Auch die aktiver und unabhängiger werdende Wirtschaft forderte Infrastrukturmaßnahmen ein, etwa den Bau von Straßen. Eine immer einflussreichere Bourgeoise sorgte für die erforderlichen intellektuellen Impulse in der Stadtentwicklung. Um diesen Aufgaben trotz chronischer Finanzprobleme gerecht zu werden, kam es zu einer Abkehr von der Eigenregie und der Hinwendung zur Auftragsvergabe an Private. Mit dem Ziel die Ausgaben zu senken, griff die Verwaltung auf die Lizitation und Submission als Verfahrensformen zurück – ohne Rücksicht auf die teils vernichtenden Folgen für die Privatwirtschaft. Zu Beginn war die Sonderbeziehung zwischen Verwaltung und Privatwirtschaft lange Zeit von Unter- und Überordnung sowie stark kollidierenden Partialinteressen geprägt. Beide Seiten versuchten mit allen Mitteln die eigene Position zu verbessern – ohne Rücksicht auf den anderen Part. Die Verwaltung nutze ihre regulatorische Macht, um die privaten Auftragnehmer in einen ruinösen Preiswettkampf zu stürzen mit dem Ziel, sich aus dem Würgegriff ihrer Haushaltsdefizite zu befreien. Dem setzte die in Handwerkszünften wohl organisierte Privatwirtschaft Preisabsprachen entgegen und reagierte auf ständige Unterbietungen mit qualitativ minderwertiger oder nur teilweise fertiggestellter Arbeit. Erst mit der Industrialisierung Anfang des 19.  Jahrhunderts, die große Anstrengungen nicht nur in den wirtschaftlichen Ballungsräumen verlangte, sondern auch flächendeckend für Infrastrukturmaßnahmen wie dem Eisenbahnbau sorgte, wurde der wesentliche Schritt hin zu dem heute bekannten Vergabewesen getan. Die hohen Investitionen, die speziellen und komplexen Vorhaben und schließlich der Wettbewerb der Städte und Kommunen um den Zuzug der Wirtschaft und Arbeitskräfte schufen ein Bewusstsein dafür, dass nicht nur die fiskalischen, sondern auch privatwirtschaftlichen Interessen ebenso wie die Qualität der Auftragsausführung Gegenstand der Vergabeverfahren sein müssen. Die Verwaltungen konnten es sich schlicht nicht mehr leisten, ihre Ressourcen zu verschwenden, mangelhafte Bauwerke zu errichten und die Auswirkungen ihrer Auftragsvergabe auf den Wettbewerb zu ignorieren.

A. Die historische Genese des deutschen Vergaberechts

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2. Der Ursprung der heutigen Vergabeprinzipien Es dauerte über 200 Jahre und bedurfte des Einflusses aus den europäischen Nachbarländern, insbesondere aus Frankreich, bis schließlich mit dem Ende des Deutschen Kaiserreichs und der Gründung der Weimarer Republik eine einheitliche Verrechtlichung der Vergabepraxis in allen Landesteilen, wenn auch zunächst nur für den Bereich der Bauleistungen, auf den Weg gebracht wurde. Der Fortschritt war auch den wissenschaftlich fundierten Impulsen von einigen wenigen, wie etwa Heller, Huber und Rothacker zu verdanken. So waren Grundlage für die Verrechtlichung des Vergabewesen etwa die theoretischen Vorüberlegungen von Rothacker, der die Anforderungen 1919 unter Einbeziehung der Vorschläge von Heller und Huber wie folgt beschrieb: „Die Vorschriften sollen sein: a) klar und eindeutig b) frei von Härten und Unbilligkeiten c) auf das Notwendige und Erfüllungsmögliche beschränkt d) für das ganze Reich einheitlich e) nicht rückständig.“150

Stellt man dem die heute geltenden Leitprinzipien des Vergaberechts, Transpa­ renz, Wettbewerb und Nichtdiskriminierung gegenüber,151 lässt sich erahnen, dass die Zielsetzung des Vergaberechts seit seinen Ursprüngen im Wesentlichen gleich geblieben ist. Lediglich die zur Erreichung dieser Ziele zu wählenden Mittel stehen seit nunmehr über 100 Jahren in Frage. 3. Die Lehren der Geschichte als Vorzeichen für die Reformen von heute Die Geschichte erlaubt den Schluss, dass bestimmte Vergabeformen wie etwa die Lizitation als Urform der Absteigerung „unüberlegte Angebote und einen ruinösen Preiswettbewerb provozieren, der kurzfristig Kosteneinsparungen für die 150

Richard Rothacker, Das Verdingungswesen, S. 15. Diese Leitprinzipien stellte die Kommission erstmals im Rahmen der Konsolidierung des Vergabesekundärrechts von 2004 heraus: „Ziel des Rechtsaktes ist es nicht, nationale Rechtsvorschriften zu ersetzen, es geht vielmehr darum, die Beachtung der Grundsätze der Gleich­behandlung, der Nichtdiskriminierung und der Transparenz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge in sämtlichen Mitgliedstaaten zu gewährleisten“, vgl. Europäische Kommission, Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge, Dienstleistungsaufträge und Bauaufträge, KOM (2002) 236 endg., S. 2. 151

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Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

öffentlichen Haushalte mit kurzsichtigen Qualitätseinbußen bei der Auftragserfüllung erkauft“152. Vor diesem geschichtlichen Hintergrund scheint es auf den ersten Blick umso beachtlicher, dass der Unionsgesetzgeber sich neuerlich dazu entschieden hat, mit der elektronischen Auktion die Tradition der Lizitation wieder aufzunehmen.153 Der Gegenstand der elektronischen Auktion durch die Richtlinien ist jedoch stark beschränkt und daher nur begrenzt mit der klassischen Form der Lizitation vergleichbar. Erforderlich ist nämlich, dass die Spezifikationen des Auftrags von der Vergabestelle hinreichend präzise bestimmt werden können.154 „Dieses Erfordernis trägt dem Umstand Rechnung, dass bei einer ungenauen Beschreibung des Bedarfs qualitativ voneinander differierende Angebote konkurrieren würden, sodass die automatische Klassifizierung der Angebote unmöglich wäre und zudem für die Bieter ein unkalkulierbarer Preisdruck entstünde.“155 Erkennbar ist damit, dass der Unionsgesetzgeber sich der „Erfahrungen, die zur Ablösung der Lizitation durch ein am wirtschaftlichsten Angebot orientiertes Verfahren der Auftragsvergabe führten“156, durchaus bewusst ist. Dennoch ruft die Rückkehr zu einer preisgesteuerten Auftragsvergabe etwa bei Martini „böse Vorahnungen“157 hervor.

B. Die Europäisierung des Vergaberechts als „Rechtsrevolution“ Gleichermaßen einschneidend wie die Überwindung des Zunftwesens im 19.  Jahrhundert, gefolgt von Industrialisierung und Urbanisierung, ebnete die Gründung der neuen europäischen Rechtsordnung mit ihren Grundfreiheiten, insbesondere der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit, in den 1950er Jahren 152

Mario Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung, S. 281. Vgl. Art. 54 Vergabekoordinierungs-RL 2004/18/EG und Art. 56 SektorenkoordinierungsRL 2004/17/EG, umgesetzt in § 101 Abs. 6 S. 2 GWB a. F. sowie Art. 35 Abs. 1 UAbs. 2 Vergabe-RL 2014/24/EU bzw. Art.  53 Abs.  1 UAbs. 2 Sektoren-RL 2014/25/EU, umgesetzt in § 120 Abs. 2 GWB n. F. 154 Vgl. 7. Erwägungsgrund der Vergabekoordinierungs-RL 2004/18/EG und 6. Erwägungsgrund der Sektorenkoordinierungs-RL 2004/17/EG, in dem es heißt: „Eine ‚elektronische Auktion‘ ist ein iteratives Verfahren, bei dem mittels einer elektronischen Vorrichtung nach einer ersten vollständigen Bewertung der Angebote jeweils neue, nach unten korrigierte Preise und/ oder neue, auf bestimmte Komponenten der Angebote abstellende Werte vorgelegt werden, und das eine automatische Klassifizierung dieser Angebote ermöglicht“; die Vergabe-RL 2014/24/ EU und Sektoren-RL 2014/25/EU haben diese Erwägungen in den Wortlaut des Art. 35 Abs. 1 Vergabe-RL 2014/24/EU bzw. Art. 53 Abs. 1 Sektoren-RL 2014/25/EU übernommen. 155 Herrmann Pünder, § 101 GWB, in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht – Handkommentar, Rn. 92. 156 Mario Martini, Der Markt als Instrument hoheitlicher Verteilungslenkung,) S. 281. 157 Ebd. 153

B. Die Europäisierung des Vergaberechts als „Rechtsrevolution“ 

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den Weg für eine Vergabe öffentlicher Aufträge auf einem von Konkurrenz und Wettbewerb geprägten Markt.

I. Das Binnenmarktprojekt als Ausgangspunkt für das Europäische Vergaberecht Das Funktionieren der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft war von Anfang an abhängig von der erfolgreichen Umsetzung des Binnenmarktkonzepts. Das mit den Römischen Verträgen von 1957158 geschaffene Normenwerk stand zunächst als abstraktes Programm im Raum. Der Zustand der Rechtsordnungen in den Mitgliedstaaten divergierte teilweise derart von den Zielen der neuen Organisation, dass die Anpassung der nationalen Verwaltungs- und Rechtsvorschriften nicht einer Reform sondern eher einer Revolution glich. Der grenzüberschreitende Handel mit dem europäischen und interkontinentalen Ausland hatte bis dato auf den Prinzipien der Reziprozität und der Priorisierung der unmittelbaren nationalen Handels- und Wirtschaftsinteressen aufgebaut. Mit dem gemeinsamen Binnenmarkt der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft wurde nun das Interesse einer Gruppe von Staaten an einem gemeinsamen Wirtschaftswachstum und Wohlstandsförderung den Partikularinteressen der Mitglieder voranstellt. Die Idee, die eigene Interessenförderung durch die Einreihung in eine Wirtschaftsgemeinschaft zu ersetzen, um eine langfristige Steigerung der volkswirtschaftlichen Wachstumsmöglichkeiten zu erreichen, war in der Theorie akzeptiert. Die Reichweite der primärrechtlichen Regelungen bis in die Amtsstuben der Mitgliedstaaten überforderte jedoch bisweilen nicht nur die Leistungsfähigkeit der staatlichen Einrichtungen, sondern auch die Bereitschaft zur Öffnung der nationalen Wirtschaftsräume. Die Novellierung von Gesetzen, Verwaltungsvorschriften und vertraglichen Beziehungen stellte die Staaten vor eine enorme Aufgabe: Mit erheblicher „Rechtsstaatslogistik“ war es an den Mitgliedstaaten, die Harmonisierung ihrer Rechtsräume mit der neuen europäischen Rechtsordnung zu betreiben. Unterschiedliche Denkstile und Verwaltungstraditionen mussten zusammengeführt werden.159 Die Väter der Römischen Verträge von 1957 hatten das Problem erkannt. Äußerst ehrgeizig war jedoch die Zielsetzung, die Errichtung des Gemeinsamen Marktes im Sinne von Art. 2 EWG160 in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft mit einer 158 Vom Begriff der „Römischen Verträge“ sind umfasst die Gründungsverträge der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (BGBl. II 1957, 766) und der Europäischen Atomgemeinschaft (BGBl. II 1957, 1014) vom 25.3.1957. 159 Christian Tomuschat, in: Grewe/Rupp/Schneider, Festschrift für Hans Kutscher, S.  461 (463). 160 Normen mit der nachfolgenden Bezeichnung „EWG“ sind solche des Vertrags über die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 25.3.1957 (vgl. Fn. 158).

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Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

Übergangsfrist von 12 Jahren zu erreichen.161 Die Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes sollte in drei Stufen von je vier Jahren gelingen.162 Jede Stufe hatte Maßnahmen zum Gegenstand, die eine schrittweise Harmonisierung des Wirtschaftslebens innerhalb der Gemeinschaft und eine „beständige und ausgewogene Wirtschaftsausweitung“163 bedeuten würde. Im Vordergrund stand hierbei die Implementierung der Grundfreiheiten. Die in den Verträgen dafür vorgesehenen Rechtsgrundlagen ermächtigten den Rat und die Kommission der Gemeinschaft, diesen Prozess fordernd zu gestalten. Den Organen wurden Programme, Richtlinien und Verordnungen als Instrumentarien an die Hand gegeben, um die Grundfreiheiten auszuformen. Das Binnenmarktkonzept, das den Abbau und die Verhinderung jeglicher Handelshindernisse und -hemmnisse verfolgte, wurde mit dem Sekundärrecht auch dort in das nationale Recht hineingetragen, wo der Imperativ des Primärrechts – sei es aufgrund mangelnder staatlicher Bereitschaft oder fehlender Sensibilität – noch nicht eingedrungen war.164 Während sich die theoretische Konzeption der Europäischen Rechtsordnung später als richtig erweisen sollte, standen ihrer Implementierung vor allem die nationalen Politiken im Weg. „Alles sollte mit mathematischer Genauigkeit und nach den Gesetzen der Logik vollzogen werden; für die Irrationalitäten der Politik war kein Platz; mit menschlicher Ignoranz wurde nicht gerechnet.“165 Auch im Vergaberecht sorgten diese Irrationalitäten für große Herausforderungen.

II. Die vergaberechtliche Ausgangslage in den Mitgliedstaaten Wie auch in Deutschland,166 blickte das öffentliche Beschaffungswesen in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union auch auf eine etablierte Verwaltungstradition zurück. Die Regelungsbedürftigkeit der Auftragsvergabe war weitgehend anerkannt und akzeptiert. Vornehmlich geprägt war sie jedoch von fiskalischen Überlegungen. Das geregelte Vergabeverfahren sollte zu mehr Sparsamkeit führen und damit als „fundamentales fiskalisches Prinzip“167 durch öffentliche Ausschreibungen Wettbewerb erzwingen. In gleicher Weise sollte dem besonderen Umstand Rechnung getragen werden, dass der Staat Leistungen und Güter benötigt, die nicht ohne Weiteres am Markt verfügbar sind und damit nicht dem herkömmlichen Wettbewerb unterliegen. 161

Vgl. Art. 8 Abs. 1 S. 1 EWG. Vgl. Art. 8 Abs. 1. S. 2 EWG. 163 4. Absatz der Präambel EWG. 164 Siehe im Einzelnen unten S. 92 ff. 165 Bardo Fassbender, AJP 2014, S. 820 (824). 166 Zur Geschichte des deutschen Vergabewesens siehe oben, S. 49 ff. 167 Fritz Rittner, EuR Beiheft I 1996, S. 9. 162

B. Die Europäisierung des Vergaberechts als „Rechtsrevolution“ 

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Vor diesem Hintergrund hatte sich das Vergabewesen spätestens im 20.  Jahrhundert als Teil des staatlichen Fiskalwesens etabliert. Die Vorschriften waren in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlicher Rechtsnatur – insgesamt jedoch überall dem Fiskalrecht zugeordnet.168 Adressaten waren die eigenen Verwaltungseinrichtungen und Gebietskörperschaften. Die Regelwerke wurden meist verwaltungsintern mit Bindung nach innen ausgestaltet. Nicht gelungen war es den nationalen Regelwerken, das größte Problem der öffentlichen Auftragsvergabe zu beseitigen. Die Gefahr, Aufträge nach nicht sachlichen Motiven zu vergeben, hatte sich in der Vergangenheit in Korruption und Vetternwirtschaft manifestiert. Um vor den Versuchungen einer falsch motivierten „Auftragsverteilung“ zu schützen, bedurfte es der Einrichtung von Kontroll- und Sanktionsmechanismen, die meist fehlte. 1. Das Wesen des Vergaberechts in Deutschland von 1945 bis zur Vergemeinschaftung Das Vergaberecht im Nachkriegsdeutschland hatte eine Sonderstellung im Gefüge der nationalen Rechts inne. Bedingt durch die historischen Entwicklungen169 lagen mit den Verdingungsordnungen sehr spezifische, sehr technische und dadurch vom herkömmlichen Privat- und Öffentlichen Recht teilweise entfernte Instrumentarien vor. In der Regel funktionierten sie dabei in der Praxis. Gleichzeitig drohten sie, sowohl „den Zusammenhang mit dem allgemeinen Recht zu verlieren, als auch die sie selbst bestimmenden Rechtsgrundsätze vergessen zu lassen“170. Als „Nischenrecht“ waren die Vergaberegeln eher Praktikerrecht denn Teil der einheitlichen Rechtsordnung. Es handelte sich mehr um ein Vergabewesen als um ein Vergaberecht. Durch diese Besonderheit fehlte es an einer hinreichend dynamischen Rechtsfortentwicklung. Sie wurde jedoch zunehmend erforderlich aufgrund der Globalisierung des Handelsverkehrs und der mit dem Binnenmarkt angestrebten Öffnung der nationalen Wirtschaftsräume. Daneben war die Frage nach dem anzuwendenden Verfahrensrecht und nach den unzureichenden bzw. den teilweise gar nicht existenten Nachprüfungs- und Rechtsschutzmöglichkeiten unterlegener Bieter nicht gelöst. Als Folge drehte sich in Deutschland die wissenschaftliche und politische Debatte um die Frage der zuständigen Gerichtsbarkeit und um die Grundrechtsbindung des Staates bei der Eingehung privatrechtlicher Vertragsbeziehungen.

168

Ebd., S. 8. Siehe hierzu oben, insbesondere S. 66 ff. 170 Fritz Rittner, Rechtsgrundlagen und Rechtsgrundsätze des öffentlichen Auftragswesens, S. 27 Rn. 8. 169

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Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

a) Das neue alte Recht Das Vergabewesen in der jungen Bundesrepublik ergab sich aus Relikten aus der Weimarer Zeit. Es setzte in weiten Teilen das nach hartem Ringen über die Jahrzehnte entwickelte Regelwerk171 aus den 1920er Jahren fort. Der 1921 eingesetzte Reichsverdingungsausschuss mit der im Jahre 1926 verabschiedeten Verdingungsordnung für Bauleistungen als Herzstück172 war institutioneller Ausgangspunkt, um im Zuge der Neuerrichtung der deutschen Volkswirtschaft das Tätigwerden des Staates am Markt zu regeln. Während des NS-Regimes waren die Verordnungen zwar als solche unverändert geblieben, aufgrund der Preisstoppverordnung vom 26.11.1936173 jedoch faktisch bedeutungslos gewesen. Die Ende der 1940er Jahre zögerlich aus der Schockstarre des Weltkrieges erwachende deutsche Volkwirtschaft verlangte neben der größten gesellschaftlichen Herausforderung  – der Errichtung einer neuen Werte- und Gesellschaftsordnung174 – nach wirtschaftspolitischen Weichenstellungen. Die durch den Preisstopp verursachte Lähmung des Vergabewesens wurde erst mit der Entscheidung „zugunsten einer marktwirtschaftlichen Ordnung“175 nach der Bundestagswahl von 1949 beseitigt. Die bereits vor Inkrafttreten des Grundgesetzes erlassene Preisfreigabeanordnung vom 25.6.1948176 hatte noch die Preise für öffentliche Aufträge ausgenommen. Erst 1951177 und 1953178 stellte sich der Staat wieder grundsätzlich179 der vertragsweisen Beschaffung zu Marktpreisen. 171

Siehe oben, S. 66 ff. Die Verdingungsordnung für Leistungen – ausgenommen Bauleistungen folgte 1932 mit Teil B und 1933 mit Teil A, vgl. hierzu Elke Schmitz, Das Recht der öffentlichen Aufträge im Gemeinsamen Markt, S. 28. 173 Verordnung über das Verbot von Preiserhöhungen vom 26.11.1936 (RGBl.  I 1936, S. 955). 174 Ernst Kern, in: Barion/Forsthoff/Weber, Festschrift für Carl Schmitt, S. 81 (95): „Die radikale Entwertung und Entwürdigung, die das Recht in Deutschland von 1933 bis 1945 erfahren hatte, mobilisierte das brennende Verlangen nach einer gerechten, wertbezogenen und ethisch fundierten Rechtsordnung.“ 175 Fritz Rittner, Rechtsgrundlagen und Rechtsgrundsätze des öffentlichen Auftragswesens, S. 33. 176 Anordnung über Preisbildung und Preisüberwachung nach der Währungsreform vom 25.6.1948 (WiGBl. 1948) S. 61. 177 Verordnung PR Nr 32/51 über die Preisbildung für öffentliche und mit öffentlichen Mitteln finanzierte Aufträge vom 11.5.1951 idF vom 18.1.1952 (Bundesanzeiger Nr. 16). 178 Verordnung PR Nr 30/53 über die Preise bei öffentlichen Aufträgen vom 21.11.1953 (Bundesanzeiger Nr. 244); die Eingangsformel lautete: „Um marktwirtschaftliche Grundsätze auf dem Gebiet des öffentlichen Auftragswesens verstärkt durchzusetzen, wird […] verordnet: […].“ 179 Aufgrund des Umstands, dass viele vom Staat benötigten Güter und Leistungen, wie z. B. Straßenbauten oder Müllfahrzeuge, nicht zu Marktpreisen zu beschaffen waren, galten ergänzend die formellen und materiellen Regelungen des Preisbindungsrechts; vgl. Fritz Rittner, EuR Beiheft I 1996, S. 9. 172

B. Die Europäisierung des Vergaberechts als „Rechtsrevolution“ 

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Inhaltlich wurden die Verdingungsordnungen dem technischen Fortschritt angepasst, ohne das materielle Wesen des Regelwerks zu verändern. Im Jahr 1952 erschien die erste neue Gesamtausgabe der VOB.180 Hierin wurden zunächst die Teile A und B der Verdingungsordnung für Bauleistungen überarbeitet. Der Teil C galt zunächst weiter und wurde in der Folge schließlich angepasst.181 Institutionell wurde der ehemalige Reichsverdingungsausschuss 1947 in den Deutschen Verdingungsausschuss für Bauleistungen (DVA) überführt. Für den Bereich der Lieferungen und Dienstleistungen wurde der Deutsche Verdingungsausschuss für Leistungen – ausgenommen Bauleistungen (DVAL) gegründet. Wie dem Vorgänger, dem Reichsverdingungsausschuss, gehören dem DVA182 seither Vertreter aller wichtigen öffentlichen Auftraggeber (Vertreter der Ressorts des Bundes und der Länder, sonstiger Spitzenbehörden und kommunaler Spitzenverbände) sowie Vertreter von Spitzenorganisationen der Wirtschaft und Technik an.183 Das gleiche gilt für den DVAL.184 Die Vergabeverordnungen blieben weiterhin unterhalb der Gesetzesebene angesiedelt.185 Ihre Weiterentwicklung wurde von den Fachausschüssen gelenkt. Sie behielten den Charakter des technischen Praktikerrechts. Die Besonderheit, dass Rechtssetzer, Adressaten und Rechtsanwender in einem solchen Maß identisch waren, eröffnete die Möglichkeit auf konsensualem Wege die naturgegebenen186 Interessensunterschiede zwischen öffentlichen Auftraggebern und privatwirtschaftlichen Auftragnehmern in einen angemessenen Ausgleich zu bringen und den Erfordernissen der neuen Volkswirtschaft anzupassen. Der erste Bundesminister für Wirtschaft und Mitbegründer der Sozialen Marktwirtschaft, Ludwig Erhard, maß der Vergabe öffentlicher Aufträge sowie ihrer rechtlichen Ordnung 180 Vgl. Heinz Igenstau/Germann Korbion, VOB Teil A und B (Fassung 1952) – Kommentar (Werner 1968). 181 Vgl. die Übersicht bei Thomas Ax, Rechtsschutz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge in Deutschland und Frankreich, S. 131. 182 Der DVA hat seit Oktober 2000 die Rechtsform eines nicht rechtsfähigen Vereins und trägt die Bezeichnung „Deutscher Vergabe- und Vertragsausschuss für Bauleistungen (DVA)“; vgl. hierzu näher Ingelore Seidel/Susanne Mertens, H. Wettbewerbsregeln, IV. Öffentliches Auftragswesen, in: Dauses, EU-Wirtschaftsrecht (25. Ergänzungslieferung), Rn. 368. 183 Vgl. hierzu Gudrun Lampe-Helbig/Klaus E. Wörmann, Handbuch der Bauvergabe, S. 13 sowie Informationen des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, zugänglich über http://www.bmub.bund.de. 184 Der Deutsche Verdingungsausschuss für Leistungen wurde im Zuge der Novellierung der VOL/A vom 11.11.2009 in „Deutscher Vergabe- und Vertragsausschuss für Lieferungen und Dienstleistungen“ (DVAL) umbenannt, um diesen in der Bezeichnung an den „Deutschen Vergabe- und Vertragsausschuss für Bauleistungen“ anzugleichen; vgl. hierzu Ingelore Seidel und Susanne Mertens, H.  Wettbewerbsregeln, IV. Öffentliches Auftragswesen, in: Dauses, EUWirtschaftsrecht (25. Ergänzungslieferung), Rn.  387 sowie das Arbeits- und Organisationsschema des DVAL vom 16.9.2009, zugänglich über http://www.bmwi.de. 185 Sie waren reine Verwaltungsvorschriften, die weder Gesetzes noch Verordnungsrang besaßen, da sie nicht in einem Gesetzgebungsverfahren erlassen worden waren. Vgl. auch Peter W. Schäfer, BB Beilage 1996, S. 1 (5). 186 Vgl. hierzu oben das Fazit zu den geschichtlichen Ausführungen, S. 70 f.

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derartige Bedeutung bei, dass er in einem Schreiben vom 19.3.1955 an den Bundesrechnungshof ankündigte, seinen „ganzen Einfluß dahin geltend zu machen, daß die Beschaffung durch die öffentliche Hand nicht zu einem Fremdkörper im marktwirtschaftlichen System wird“.187 b) Die Rechtsnatur des deutschen Vergaberechts Rechtspolitisch war bereits mit den Verdingungsordnungen von 1926 eine Weichenstellung in Richtung zivilrechtlicher Ausgestaltung des Vergabewesens gefallen. Mit den Verdingungsordnungen wurden in erster Linie die Privatrechtsverhältnisse zwischen Staat und privaten Auftragnehmern geordnet. Als Alternative stand aber nach wie vor der Weg der öffentlich-rechtlichen Konzeption des Beschaffungswesens zur Debatte, den insbesondere die Rechtsordnungen des romanischen Rechtskreises eingeschlagen hatten. Danach wurde der gesamte Komplex dem Verwaltungsrecht zugewiesen und auch alle Streitigkeiten an die Verwaltungsgerichtsbarkeit verwiesen.188 Insbesondere in Frankreich, Italien, Portugal, Belgien, Spanien und Luxemburg wurde und wird als Grund für diese Zuordnung die Verantwortung der öffentlichen Hand gesehen, bei öffentlichen Aufträgen auch die nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung, soziale Aspekte und Belange des Umweltschutzes zu berücksichtigen.189 Die Einordung der Auftragsvergabe in das Zivilrecht war in Deutschland umstritten. Insbesondere in Rechtsprechung190 und Literatur191 wurde die Auffassung vertreten, dass sich die Vergabe öffentlicher Aufträge – zumindest in besonderen Fällen – im Sinne der Zwei-Stufen-Lehre von Ipsen192 in ein öffentlich-rechtliches Grundverhältnis und ein privatrechtliches Abwicklungsverhältnis aufteilt. Der rechtstechnisch einwandfrei unternommene Versuch, die Entscheidung über die Vergabe eines öffentlichen Auftrags mit den Mitteln des Verwaltungsrechts überprüfbar zu machen, entstand dabei aus der Not. Aufgrund fehlender Rechtsmittel war es vor der Europäisierung und der Reform des deutschen Vergaberechts einem unterlegenen Mitbieter nicht möglich, die Verwaltungsentscheidung über die Vergabe gerichtlich überprüfen zu lassen, geschweige denn Kompensationen 187 Vgl. Text des Schreibens bei Hans Michaelis/Carl Arthur Rhösa, Preisbildung bei öffentlichen Aufträgen einschließlich Beschaffungswesen, Textteil bei II 1 g. 188 Fritz Rittner, EuR Beiheft I 1996, S. 8. 189 Vanessa Lebon/Frank Pistone, AJDA 2005, S. 1810 (1817); Ricarda Näfe, Das Vergaberecht als Referenzgebiet für die Europäisierung des nationalen Verwaltungsrechts, S. 86. 190 Zumindest immer dann, wenn spezielle Normen (u. a. § 74 BVFG, § 12a BEvaKG, § 68 BEG, §§ 54,56 SchwerbehindG) die Verwaltung zur Bevorzugung bestimmter Personengruppen bei der Auftragsvergabe verpflichteten: BVerwGE 7, 89 (90); 14, 65; 34, 213 (214); HessVGH, Urteil vom 1.7.1983 = NJW 1985, S. 1356 (1357). 191 Vgl. Bernd Bender, JuS 1962, S. 178 (179); Ferdinand Kopp, BayVBl. 1980, S. 609 (610). 192 Hans Peter Ipsen, in: Vogel/Tipke, Festschrift für Gerhard Wacke, S. 139.

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der öffentlichen Hand einzufordern. Nur für bestimmte Pflichtverletzungen galten bereits vor Vertragsschluss die zivilrechtlichen Regeln über das vorvertragliche Vertrauensverhältnis (culpa in contrahendo), das die ausschreibende Stelle und die Bieter zu redlichem Verhalten verpflichtete.193 Die Geltendmachung eines solchen Anspruchs scheiterte regelmäßig am Nachweis einer (vor-)vertraglichen oder gesetzlichen Pflichtverletzung, da eine gerichtliche Überprüfung der Vergabeentscheidung nicht möglich war. Für diese Überprüfung hätte sich die „Fehlerfolgenlehre des Verwaltungsrechts“194 geradezu angeboten, da keine neuen vergaberechtsspezifischen Rechtsmittel hätten geschaffen werden müssen und die innerbehördliche Entschließung zur Vergabe immerhin den Anschein einer Verwaltungsmaßnahme mit Außenwirkung hatte. Das BVerwG folgte diesem Konzept jedoch nicht. Die obersten Verwaltungsrichter stellten fest, dass eine Gebietskörperschaft, die „durch ihre dafür eingerichteten Behörden Werkverträge oder sonstige Verträge des bürgerlichen Rechts abschließt“, keine „Maßnahmen auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts“ trifft.195 Auch die Einordnung der innerbehördlichen Entschließung zur Auftragserteilung als ein öffentlich-rechtliches Grundverhältnis im Sinne der Zwei-Stufen-Lehre lehnte das Bundesverwaltungsgericht ab: „[G]rundsätzlich kann eine solche Entschließung nicht anders beurteilt werden als die einer Privatperson oder einer juristischen Person des Privatrechts, die ebenfalls erst bei sich selbst schlüssig werden müssen, ob und welche bürgerlichen Willenserklärungen sie im Geschäftsverkehr abgeben wollen.“196

Ausnahmen von diesem Grundsatz galten nur, wenn es sich um Entscheidungen handelte, die in Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben und in Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt getroffen wurden, wie etwa der Bescheid über die Bewilligung öffentlicher Mittel für den Zweck des staatlich geförderten Wohnungsbaus.197 In Deutschland fand die eigentliche Vergabe staatlicher Aufträge also erst mit Abschluss eines privatrechtlichen Vertrags statt. Die vorausgehende Verwaltungsentscheidung darüber, an wen ein Auftrag zu vergeben war, war als eine selbständige Vorfrage zu begreifen, die die eigentliche Entscheidung über die Auftragsvergabe nicht vorwegnahm.198 Mit der Verwaltungsentscheidung wurde so kein öffentlich-rechtliches Grundverhältnis geschaffen, das zu einer rechtsbegründenden Bedingung für die anschließende privatrechtliche Auftragsvergabe als Abwicklungsverhältnis wurde. 193 Gerd Motzke, Systematische Darstellungen des 4. Teils – GWB, V. Zivilrechtliche Sanktionen, in: Motzke/Pietzcker/Prieß, Beck’scher VOB-Kommentar Teil A (2001), Rn. 103. 194 Dimitris Triantafyllou, NVwZ 1994, S. 943 (946). 195 BVerwG vom 7.11.1957 (II C 109/55) Rn. 17 = BVerwGE 5, 325 (326) = NJW 1958, S. 394. 196 Ebd. 197 BVerwG vom 12.1.1955 (V C 107/54) Rn. 8 = BVerwGE 1, 308 (309) = NJW 1955, S. 437. 198 Vgl. Dirk Ehlers/Jens-Peter Schneider, § 40 VwGO, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO – Kommentar (28. Ergänzungslieferung), Rn. 307 ff.

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Festzuhalten ist bereits an dieser Stelle, dass die in den folgenden Jahrzehnten einsetzende Entwicklung des deutschen Vergaberechts aufgrund der RichtlinienProgramme der Europäischen Gemeinschaft und der Europäischen Union bis heute nichts an der Zuordnung des Vergabewesens zum Kreis des Zivilrechts änderte.199 c) Verwaltungsinterne Bindung an die Prinzipien des öffentlichen Auftragswesens In Ergänzung zu den Verdingungsordnungen als dem außenrechtlichen Bereich des Vergaberechts wurden 1969 für die Verwaltung von Bund und Ländern interne, im Haushaltsrecht angesiedelte Regelungen zur Auftragsvergabe eingeführt. Die Ausgestaltung als reines Innenrecht war erklärtes Ziel des Gesetzgebers. aa) Das Haushaltsgrundsätzegesetz (HGrG) von 1969200 Mit dem Haushaltsgrundsätzegesetz von 1969 wurden für Bund und Länder auf der Grundlage von Art. 109 Abs. 3  GG201 Grundsätze über die Erstellung, Durchführung und Prüfung ihrer Haushalte aufgestellt. Leitgedanke war, wie überhaupt im Haushaltsrecht, die verwaltungsinterne Bindung an das Prinzip des sparsamen und wirtschaftlichen Umgangs mit den finanziellen Ressourcen des Staates. Ausdruck hiervon war das Prinzip der öffentlichen Ausschreibung bzw. die Vorgabe formeller Verfahren zur Erteilung von Aufträgen, die mit in das Gesetz aufgenommen wurden. §§ 16 und 29 HGrG schreiben seither für die Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplans bestimmte Verfahren für Baumaßnahmen, größere Beschaffungen und größere Entwicklungsvorhaben vor. § 16 HGrG regelt die Voraussetzungen für Bauvorhaben und größere Beschaffungen und Entwicklungsvorhaben im Rahmen der Aufstellung des Haushaltsplans: „§ 16 Baumaßnahmen, größere Beschaffungen, größere Entwicklungsvorhaben Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen für Baumaßnahmen dürfen erst veranschlagt werden, wenn Pläne, Kostenberechnungen und Erläuterungen vorliegen, aus denen die Art der Ausführung, die der Einrichtungen sowie die vorgesehene Finanzierung und ein Zeitplan ersichtlich sind. Den Unterlagen ist eine Schätzung der nach Fertigstellung der Maßnahme entstehenden jährlichen Haushaltsbelastungen beizufügen. […].“ 199

Vgl. hierzu ausführlich unten, S. 256 ff. Gesetz über die Grundsätze des Haushaltsrechts des Bundes und der Länder (HGrG) vom 19.8.1969 (BGBl. I 1969, 1273). 201 In der Fassung des Art. 1 des Fünfzehnten Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 8.6.1967 (BGBl. I 1967, 581). Vgl. Art. 109 Abs. 4 GG der heutigen Fassung gem. Art. 1 Nr. 4 Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 29.7.2009 (BGBl. I 2009, 2248). 200

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§ 29 HGrG gibt die Voraussetzungen bei der Durchführung des Haushaltsplans vor: „§ 29 Baumaßnahmen, größere Beschaffungen, größere Entwicklungsvorhaben Baumaßnahmen dürfen nur begonnen werden, wenn ausführliche Entwurfszeichnungen und Kostenberechnungen vorliegen, es sei denn, daß es sich um kleine Maßnahmen handelt. In den Zeichnungen und Berechnungen darf von den in § 16 bezeichneten Unterlagen nur insoweit abgewichen werden, als die Änderung nicht erheblich ist; weitergehende Ausnahmen bedürfen der Einwilligung des für die Finanzen zuständigen Ministers. Größeren Beschaffungen und größeren Entwicklungsvorhaben sind ausreichende Unter­ lagen zugrunde zu legen. Absatz 1 Satz 2 gilt entsprechend.“

§ 30 HGrG legt fest, dass grundsätzlich Aufträge über Lieferungen und Leistungen ausgeschrieben werden müssen. Hier wird an einziger Stelle im HGrG explizit auf die öffentliche Auftragsvergabe durch Ausschreibung Bezug genommen: „§ 30 Öffentliche Ausschreibung Dem Abschluß von Verträgen über Lieferungen und Leistungen muß eine öffentliche Ausschreibung vorausgehen, sofern nicht die Natur des Geschäfts oder besondere Umstände eine Ausnahme rechtfertigen.“

bb) Die Bundeshaushaltsordnung (BHO) vom 19.8.1969202 Mit der Bundeshaushaltsordnung (BHO) vom 19.8.1969 als einfachem Bundesgesetz wurden die Haushaltsgrundsätze des HGrG für den Bund gemäß dem Erfordernis des § 1 S. 2 HGrG festlegt.203 Die Normen, die aus vergaberechtlicher Perspektive relevant sind, entsprechen seither im Wesentlichen dem Wortlaut des HGrG. Seit 1969 regeln §§ 24 und 54 BHO die Voraussetzungen für Baumaßnahmen, größere Beschaffungen und größere Entwicklungsvorhaben. § 55 BHO als einzige Norm der BHO, die sich explizit mit der Vergabe öffentlicher Aufträge beschäftigt, normiert die Ausschreibungspflicht für Aufträge von Lieferungen und Dienstleistungen. In gleicher Weise wurden in den Ländern diese Vorgaben als Rechtsverordnungen oder in Verwaltungsvorschriften normiert.

202

Bundeshaushaltsordnung vom 19.8.1969 (BGBl. I 1969, 1284). § 1 Satz 2 HGrG (1969): „Bund und Länder sind verpflichtet, ihr Haushaltsrecht bis zum 1. Januar 1972 nach diesen Grundsätzen zu regeln.“ 203

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cc) Die Bedeutung der vergaberechtlichen Grundsätze des Haushaltsrechts als Teil des Vergabewesens Von der Aufnahme der vergaberechtlichen Grundprinzipien in das HGrG und die Haushaltsordnungen als einer Weiterentwicklung des Vergaberechts zu sprechen, wäre verfehlt. Vielmehr handelte es sich um die Übernahme eines gewachsenen wirtschaftspolitischen und -rechtlichen Prinzips in das Haushaltsrecht. Mit dem HGrG und der BHO von 1969 sowie den entsprechenden Landesregelungen wurde das Vergabewesen lediglich um die Bindung des Staates an die Grundsätze der öffentlichen Auftragsvergabe ergänzt. Die verwaltungsinternen Bestimmungen des Haushaltsrechts bildeten neben den Verdingungsordnungen mit ihren tech­ nischen und praxisorientierten Vorschriften praktikable, aber keineswegs vollkommene Leitplanken für das öffentliche Auftragswesen mit seiner immensen monetären Bedeutung für die Gesamtvolkswirtschaft.204 Die Frage, inwiefern die als Innenrecht konzipierten haushälterischen Vergabenormen subjektive Rechte (für Bieter und Leistungserbringer) vermitteln, war lange Zeit – trotz herrschender Meinung205 zugunsten eines rein verwaltungsinternen Charakters – umstritten.206 Die Entscheidung für eine verwaltungsinterne und haushaltsrechtliche Lösung wurde mit der Notwendigkeit unbürokratischer und effizienter Verfahrensmöglichkeiten begründet, welche aufgrund ihrer kürzeren Dauer grundsätzlich auch von Praxis, Auftraggebern und Auftragnehmern begrüßt wurde.207 Die Kehrseite dieser „verwaltungsgerichtlich unkontrolliert bleibenden Verwaltungsmacht“208 war der fehlende Individualrechtsschutz für die an den Verfahren beteiligten Privatunternehmen und damit die fehlende Möglichkeit zur gerichtlichen Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Vergabeentscheidungen. Die Bundesrepublik handhabte ihre Teilnahme am Wirtschaftsleben also als eine Art domaine réservé. Das öffentliche Beschaffungswesen führte sie weiterhin als verwaltungsinterne Angelegenheit und etablierte, außer entsprechenden Erlassen, Richtlinien und Empfehlungen an die eigenen Behörden und Körperschaften, kein allgemeines Regelwerk mit Rechtskraft. Der Zugriff der Gerichte auf diese Verwaltungspraxis, die bereits 1969 zu einer europarechtskonformen Auslegung bzw. Vorlage an die Europäischen Gerichte – insbesondere im Hinblick auf die Grundfreiheiten – gezwungen gewesen wären, blieb verwehrt.

204

Siehe hierzu oben, S. 37 f. sowie Fn. 24. Siehe hierzu oben, S.  78 ff. sowie Andreas Nebel, Vorbemerkung, in: Piduch, Bundeshaushaltsrecht – Kommentar, Rn. 1 m. w. N. 206 Siehe zu den Fragen des Rechtsschutzes unten, S. 83 ff. und S. 132 ff. 207 Dies sollte auch in den Folgejahren gewichtiges Argument bleiben: vgl. Antrag der CDU/ CSU und FDP Fraktion im Bundestag vom 14.6.1991 zur Verhinderung eines eigenen Vergabegesetzes (BT-Drs. 12/770): „Eine solche Verrechtlichung wäre mittelstandsfeindlich und investitionshemmend“; vgl. auch Fritz Rittner, NVwZ 1995, S. 315. 208 Ernst Forsthoff, Der Staat als Auftraggeber, S. 25. 205

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Aus heutiger Perspektive scheint es verwunderlich, dass die Empörung und die Reformbestrebungen zugunsten einer umfassenden gerichtlichen Überprüfbarkeit des öffentlichen Beschaffungshandelns verhältnismäßig verhalten waren. Grund hierfür könnte die geschichtliche Entwicklung der komplizierten reziproken Beziehung zwischen der „Obrigkeit“ – heute dem Staat – und den Privaten auf dem Gebiet des Vergabewesens sein.209 Das nach mehr als 100 Jahren Anfang des 20.  Jahrhundert mit den Verdingungsordnungen gefundene Gleichgewicht sollte nicht durch eine grundlegende Veränderung des vergaberechtlichen Rahmens aufs Spiel gesetzt werden. Auch wurde der Ruf nach Rechtsmitteln gegenüber dem privatwirtschaftlich handelnden staatlichen Akteur lange Zeit von einer wirtschaftsliberalen Proklamation der Wahrung des freien Marktes übertönt. Die im Einzelnen in den Verdingungsausschüssen getroffenen Abmachungen schienen en gros nicht zum Nachteil der Beteiligten. Die Marktteilnehmer – organisiert in Interessengruppen – behielten über die Vergabeausschüsse direkten Einfluss auf die Festlegung der Vergaberegeln, während bundes- oder landesrechtliche Regelungen allein in der Hand der Gesetzgeber gelegen hätten. Der sich in den Verdingungsordnungen wiederspiegelnde Interessenausgleich schien vorzugswürdig, wenn auch im Einzelfall das Fehlen hinreichender Rechtsschutzmittel schmerzlich sein konnte. d) Das Fehlen subjektiver Rechte als gesetzgeberisch intendierte Rechtsschutzlücke Mit der angesprochenen Technisierung und den sich hieraus ergebenden „außerordentlichen finanziellen, wirtschaftlichen und sozialen Umwälzungen, welche sich durch den Einbruch der Technik je länger je mehr ergeben“, kam es aus der Sicht von Forsthoff nach dem Krieg „zu einer Verstärkung der staatlichen Position“210 auf dem privatwirtschaftlichen Markt. Diese neue starke, durch die unvergleichliche Finanzkraft bedingte Stellung des Staates führte zum Diskurs über den angemessenen Schutz vor diesem Goliath. Hintergrund war die Sorge, der Staat könne willkürlich und damit existenzbedrohend zugunsten und zulasten Einzelner seinen Bedarf decken, wenn er nur an die Gesetze des freien Marktes – Angebot und Nachfrage – gebunden ist. Daraus resultierte die Überlegung, ergänzend zu den privatrechtlichen Grundsätzen eine Grundrechtsbindung staatlicher Stellen auch in den vergaberechtlichen Privatrechtsbeziehungen zu begründen. 209

Siehe hierzu auch oben, S. 49 ff. Ernst Forsthoff, Der Staat als Auftraggeber, S.  10. Häberle bezeichnet in einer durchaus kritischen Betrachtung das wissenschaftliche Lebenswerks Forsthoffs als ein „Stück Geschichte der Verwaltungs(rechtswissenschaft) in Deutschland“, vgl. Peter Häberle, Lebende Verwaltung trotz überlebter Verfassung?, in: Vitzthum, Kleine Schriften – Beiträge zur Staatsrechtslehre und Verfassungskultur, S. 12. 210

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Die Vorstellung, der Staat könne durch die rein privatwirtschaftliche Beschaffung in einen grundrechtsbindungsfreien Raum flüchten, befeuerte Mitte, Ende der 1950er Jahre eine lebendige Debatte. Im 18. Jahrhundert noch herrschte noch die Überzeugung, dem Bürger sei nur über das Privatrecht ein wirksamer Rechtsschutz gegenüber dem Staat zu gewährleisten. Staatsfunktionen sollten zu diesem Zweck unter Zuhilfenahme entsprechender Fiktionen teilweise in die Formen des Privatrechts gekleidet werden.211 Spätestens mit der Einführung der Rechtsweggarantie des Art.  19 Abs.  4 GG wurde dieses Erfordernis obsolet. Gleichzeitig wuchs die Skepsis gegen über dem Staat als privatrechtlich Handelndem. aa) Gang des Diskurses Mit der 1953 von Siebert gezogenen Trennlinie der Grundrechtsbindung des Staates entlang dem Kriterium der „unmittelbaren“ Erfüllung öffentlicher Aufgaben, sollte sich die Grundrechtsbindung des Staates daran scheiden, ob der Staat verwaltungsprivatrechtlich212 oder rein fiskalisch213 handelt.214 Danach gilt eine umfassende öffentlich-rechtliche Bindung, insbesondere der Grundrechte, nur dann, wenn der Vertrag Instrument zur Erfüllung „gerade dem Vertragspartner gegenüber“ obliegender öffentlicher Aufgaben ist.215 Ein anderes soll gelten für „fiskalische Hilfsgeschäfte“, bei denen der Staat einen Vertrag abschließt, um mit Hilfe der beschafften Leistung andere Aufgaben zu erfüllen.216 Krüger stellte 1956 auf der Tagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer die Gretchenfrage, welche schließlich die Richtung für den weiteren Diskurs bestimmte: „Wie ist es möglich, dass der Staat als ein ausschließlich durch das Gemeinwohl bestimmtes und auf hoheitliches Handeln verwiesenes Wesen sich selbst in ein kommerziell motivierendes und zivilrechtlich handelndes Gebilde verwandeln kann?“217

Die Bestimmung des Fiskusbegriffs und damit die Unterscheidung zwischen den grundrechtsgebundenen und den möglicherweise außerhalb der öffentlich-recht 211

Vgl. Ernst Forsthoff, Der Staat als Auftraggeber, S. 11. Zur Begrifflichkeit siehe unten, S. 266. 213 Zu dem Begriff vgl. Peter M. Huber, Die misslungene Rekonstruktion des Vergaberechts – Sinnkrise des Öffentlichen Rechts, in: Bungenberg/Huber/Streinz, Wirtschaftsverfassung und Vergaberecht, S. 16. 214 Wolfgang Siebert, in: Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Universität Göttingen, Festschrift für Hans Niedermeyer, S. 215 (241). 215 Maximilian Wallerath, Öffentliche Bedarfsdeckung, S. 304. 216 Siehe hierzu Peter M. Huber, Die misslungene Rekonstruktion des Vergaberechts – Sinnkrise des Öffentlichen Rechts, in: Bungenberg/Huber/Streinz, Wirtschaftsverfassung und Vergaberecht, S. 16. 217 Herbert Krüger, Das besondere Gewaltverhältnis, VVDStRL 15, S. 109 (120). 212

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lichen Bindung liegenden Handlungsformen des Staates wurden Gegenstand eines umfassenden staatsrechtlichen Meinungsstreits. Insbesondere die Zweifel, ob eine Trennung angesichts fehlender sachlicher Relevanz der vorgeschlagenen Abgrenzungskriterien218 überhaupt in der Praxis vorgenommen werden könne, führte zur Proklamation einer absoluten Grundrechtsbindung des Staates durch einen Teil der Lehre.219 Dieser Ansatz, motiviert von der Sorge um eine Aushöhlung der rechtsstaatlichen Gewährleistungen und Abwehrrechte gegenüber dem Staat, und die hieraus entwickelte Lehre der grundsätzlichen Fiskalgeltung der Grundrechte220 stießen auf eine breite Front an Verfassungsrechtlern, die insbesondere über die Dogmatik des Art. 1 Abs. 3 GG die Grundrechtsbindung des privatwirtschaftlich handelnden Staates ablehnten. Art. 1 Abs. 3 GG sei hinsichtlich des Begriffs der „vollziehenden Gewalt“ klar.221 Er weise auf eine Überordnung hin, wofür eine zur Gewalt gehörende rechtliche Subordination logisch und zwingend sei.222 Vielmehr sei der Fiskus – der privatrechtlich handelnde Staat – nicht an die Grundrechte gebunden, sondern durch Grundrechte geschützt.223 bb) Lehre von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte Die insbesondere von Nipperdey entwickelte Lehre von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte im Privatrechtsverkehr224 stellte für die Debatte über die Grundrechtsgeltung für fiskalisches Handeln Segen und Fluch zugleich dar. Sie erweiterte den dogmatischen Blickwinkel des Meinungsstreits, indem sie mit der Systematik der Grundrechte, vornehmlich des Art. 1 GG, zu klären versuchte, wer überhaupt an die Grundrechte gebunden ist. Sollte sich ergeben, dass zumindest einige der Grundrechte durchaus auch zwischen Privaten gelten, wäre die Frage nach der Grundrechtsbindung des Staates für fiskalisches Handeln beantwortet gewesen. Gleichzeitig eröffnete die Ausweitung der Ausgangsfrage auf die gesamten privatwirtschaftlichen Beziehungen jedoch ein neues Feld ungeklärter Fragen. Ebenso blieb offen, ob bei der Ablehnung der Drittwirkung der Grundrechte nicht dennoch eine Bindung des Staates bei fiskalischem Handeln anzunehmen sei, da es sich um keinen „klassischen Privaten“ handele. 218 So zumindest ein Teil der Lehre; vgl. hierzu mit weiteren Nachweisen in Fn. 21 und 22: Maximilian Wallerath, Öffentliche Bedarfsdeckung, S. 304. 219 Als einer von vielen: Walter Mallmann, Schranken nichthoheitlicher Verwaltung, VVDStRL 19, S. 165 (204, 207). 220 Maximilian Wallerath, Öffentliche Bedarfsdeckung, S. 304. 221 Vgl. Ernst Forsthoff, Der Staat als Auftraggeber, S. 13 f. 222 Ebd. 223 Ebd.; siehe hierzu auch Hermann von Mangoldt und Friedrich Klein, Das Bonner Grundgesetz, Bd. 1, S. 421. 224 Hans Carl Nipperdey, Die Würde des Menschen, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner, Handbuch der Theorie und Praxis der Grundrechte, Bd. II, S. 1, 18 ff.; sowie bereits zuvor in Hans Carl Nipperdey, RdA 1950, S. 121 (125).

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Im Rahmen der Erörterung der Würde des Menschen i. S. v. Art. 1 Abs. 1 GG sah Nipperdey in dieser grundrechtlichen Garantie mehr als ein Grundrecht des status libertatis (Abwehrrecht) und des status positivus (Schutzrecht) gegenüber der Staatsgewalt und des status socialis (negativus) im Privatrechtsverkehr.225 Da die Menschenwürde unantastbar sei, also nicht nur für die Staatsgewalt, sondern auch für die Privaten, könne die Würde des Menschen „nur dann der das Recht beherrschende Grundsatz [sein], wenn auch jeder Rechtsgenosse die Würde des anderen respektiert und nicht verletzt“226. So folgerte Nipperdey: „Wohl aber liegt der Irrtum vieler darin, daß sie nur den historischen-klassischen Grundrechtsbegriff eines status negativus oder libertatis des Einzelnen sehen, der sich gegen die öffentliche Gewalt wendet, ein Recht auf eine staatsfreie Sphäre statuiert oder die Eingriffsmöglichkeiten des Staates in ganz bestimmte Grenzen bannt.“227

In der Konsequenz dieser Auffassung müssten zumindest einzelne Grundrechte – mit Ausnahme derer, die „zunächst nicht für den Privatrechtsverkehr bestimmt“228 sind – auch zwischen den Privaten als unverzichtbares absolutes subjektives Recht gelten. Diese mit der „Reserviertheit fast aller Verfassungsrechtler“229 belegte neue Lehre beantwortete Dürig. Er sah in Art. 1 Abs. 3 GG ein gegen den Staat begründetes Anspruchssystem, das auch die Abwehr von Angriffen aus der Drittrichtung, also von Privaten auf Rechte anderer umfasst.230 Im Gegensatz zu Nipperdey folgerte er daraus jedoch keine Grundrechtsbindung der Privaten in ihrer Beziehung zueinander, sondern identifizierte vielmehr das objektive Privatrecht als Erfüllung des staatlichen Schutzauftrags, das durch seine „wertungsausfüllungsfähigen und werteausfüllungsbedürftigen Generalklauseln“ das „normative Mittel zur Abwehr von Angriffen aus der Drittrichtung“ darstelle.231 e) Zusammenfassung Das deutsche Vergaberecht besaß vor der Europäisierung im Wesentlichen eine sehr schlichte Struktur. Die staatliche Vergabestelle schloss mit einem privaten Anbieter einen zivilrechtlichen Vertrag zur Durch- und Ausführung des Auftrags. Alle mit diesem Vertrag entstehenden Konflikte beurteilten sich nach dem allgemeinen Vertragsrecht und mussten im Streitfall vor den ordentlichen Gerichten gelöst wer 225

Hans Carl Nipperdey, RdA 1950, S. 18. Hans Carl Nipperdey, Die Würde des Menschen, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner, Handbuch der Theorie und Praxis der Grundrechte, Bd. II, S. 20. 227 Ebd., S. 19. 228 Ebd. 229 So die Wahrnehmung von Günter Dürig, in: Maunz, Festschrift zum 75. Geburtstag von Hans Nawiasky, S. 157 (166). 230 Ebd., S. 176. 231 Ebd. 226

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den. Vereinfacht wurden die Vertragsschlüsse durch standardisierte Vorgaben, die von den Verdingungsausschüssen – zusammengesetzt aus Vertretern von Staat und Wirtschaft – erarbeitet und überarbeitet und in den Teilen B der Verdingungsordnungen für Bau- und sonstige Leistungen (VOB/VOL) festgeschrieben wurden. Um diese zivilrechtliche Kernbeziehung „gruppiert[e] sich ein Kranz privatrechtlicher, öffentlichrechtlicher und strafrechtlicher Sonderregelungen“232. Her­ auszuheben aus diesem „Kranz“ sind die Normen des Haushaltsrechts, die bis zur Europäisierung die entscheidenden Normen für die öffentlich-rechtlichen Vorgänge vor Abschluss der zivilrechtlichen Verträge darstellten. Dieses Sonderrecht verpflichtete die öffentliche Hand zur Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit und regelte die Bereitstellung und Zweckbindung der Finanzmittel.233 Gleichzeitig offenbarte das Haushaltsrecht die größte Lücke im vergaberechtlichen Normengeflecht, das sich um das zivilrechtliche Vergabegeschäft rankte: das Fehlen subjektiv-­ öffentlicher Rechte, die insbesondere unterlegenen Bietern die Möglichkeit zur Geltendmachung von Schäden für vergabefremde oder unsachgerechte Vergabeentscheidungen gegeben hätten.234 Mit dem Fehlen solch subjektiver Rechte bestand folglich keinerlei Anspruch unterlegener Bieter. Schäden aus vorvertragli­ chen Vertrauensbeziehungen waren verschuldensabhängig und in der Praxis meist kaum nachzuweisen.235 Schließlich war das Vergaberecht der jungen Bundesrepublik unmittelbar von der Debatte über die Grundrechtsbindung des Staates betroffen. Es bildete gar den Nährboden für die Überlegungen, den Staat als wirtschaftlich „entfesselten“ Marktteilnehmer an die Kette der Grundrechte zulegen, wo doch Bieter und Auftragnehmer außerhalb des Zivilrechts gegenüber dem Staat als mächtigem Vertragspartner weitgehend rechtlos bzw. rechtsmittellos gestellt waren. Die Sonderrolle des Staates auf dem marktwirtschaftlichen Parkett wurde seitdem eng verknüpft mit der Frage nach der Grundrechtsbindung des privatrechtlich handelnden Staates. Damit zeichnete sich das deutsche Vergaberecht vor der Vergemeinschaftung im Wesentlichen durch den Abschluss eines zivilrechtlichen Vertrages mit verwaltungsinternen Besonderheiten des Haushaltsrechts sowie der standardisierten Abschluss- und Durchführungsbestimmungen der Verdingungsordnungen aus. Ein 232

Georg Hermes, JZ 1997, S. 909 (910). Vgl. § 6 Abs. 1 HGrG, § 7 Abs. 1 BHO sowie die entsprechenden Regelungen der Landeshaushaltsordnungen. 234 Siehe hierzu ausführlich unten, S. 250 ff. 235 Vgl. zum Erfordernis des Nachweises, dass der Bieter den Zuschlag hätte erhalten müssen, BGH vom 25.11.1992 (VIII ZR 170/91) Rn. 12 mit weiteren Nachweisen aus der Rspr. in Rn. 14 ff. = BGHZ 120, 281 ff. Insbesondere die Möglichkeit zur Exkulpation durch Berufung der Behörde auf rechtmäßiges Alternativverhalten führte meist zum Fehlen eines kausalen Schadens; vgl. umfassend zu den sekundärrechtlichen Kompensationsmöglichkeiten­ Thomas Ax, Rechtsschutz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge in Deutschland und Frankreich, S. 158 ff. 233

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einheitliches Normenwerk, dass Rechte und Pflichten der Beteiligten – sowohl öffentlich-rechtlicher als auch zivilrechtlicher Natur – kodifiziert und damit subjektive Rechte Dritter begründet hätte, fehlte. In einem weiteren Punkt wundert aus heutiger Perspektive der gehemmte legislative Fortschritt der Bundesrepublik der Nachkriegsjahre im Bereich des Vergabewesens. Das Erfordernis eines Parlamentsgesetzes, das die Grundzüge des Vergabeverfahrens und die materiellen Zuschlagskriterien regelt, ergibt sich eigentlich aus dem verfassungsrechtlich im Rechtsstaats- und Demokratieprinzip innewohnenden Grundsatz des Parlamentsvorbehalts.236 Die hierfür erforderliche Wesentlichkeit der zu regelnden Materie ergibt sich aus der grundrechtssichernden Funktion des Vergabeverfahrens,237 insbesondere Art.  3 GG und Art.  19 Abs.  4 GG. Ebenso spricht die erhebliche wirtschaftliche Bedeutung des Vergabewesens für die Gesamtwirtschaft für den Vorbehalt eines Gesetzes. Damit hatte eigentlich bereits vor den Richtlinienprogrammen der Europäischen Gemeinschaft eine verfassungsrechtlich gebotene Pflicht zu Kodifizierung und damit Weiterentwicklung des deutschen Vergabewesens bestanden. 2. Ausgangslage in den anderen Mitgliedstaaten Die Europäisierung des Vergaberechts traf in den Mitgliedstaaten auf völlig unterschiedliche Konzeptionen, die oftmals nicht nur eine historisch bedingt divergierende Identität besaßen, sondern auch in ihrer Dynamik und Fortentwicklung nationalen, wirtschaftspolitischen und tendenziell protektionistischen Gesichtspunkten unterlagen. Stellvertretend stehen hierfür Frankreich als Gründungsmitglied der Europäischen Gemeinschaften mit einem stark kodifizierten Vergaberecht auf der einen sowie das Vereinigte Königreich auf der anderen Seite, das bis zu seinem Beitritt in die Europäische Gemeinschaft 1973 kein festgeschriebenes Vergaberecht kannte. a) Frankreich238 Auf dem Prinzip der aktiven Staatswirtschaft aufbauend, hatte in Frankreich das von Colbert begründete staatlich gelenkte und reglementierte Vergabewesen ein umfassend kodifiziertes Rechtsregime geschaffen.239 Bereits aus der Zeit vor ­Colbert 236

Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts (19. Aufl.), Rn. 509 m. w. N. Georg Hermes, JZ 1997, S. 909 (914). 238 Eine umfassende Übersicht zum heutigen französischen Vergaberecht findet sich bei­ Marwan Hamdan und Binke Hamdan, RiW 2011, S. 368 ff.; eine Übersicht mit den entscheidenden Entwicklungsetappen des französischen Vergaberechts seit 1837 findet sich auf der offiziellen Seite des Senats, zugänglich über http://www.senat.fr. 239 Vgl. zur geschichtlichen Entwicklung des Vergabewesens oben, S. 49 ff. 237

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wird die königliche Erklärung von Henri IV. vom 7.2.1608 über den Erwerb von Kerzen als bedeutsame Ausgestaltung eines detaillierten Vergabemodus gewertet.240 Unter dem späteren Finanzminister Colbert wurden im Verlauf der Arbeiten für die Errichtung des Schlosses Versailles weitere, präzise Regelungen eingeführt.241 Das Vergaberecht in Frankreich war folglich bereits zu Beginn der Vergemeinschaftung mit dem wohl „ältesten Schutzregime des Wettbewerbs“242 ausgestattet. Die marchés publics in Frankreich waren bereits lange vor der Vergemeinschaftung der Regeln zur öffentlichen Auftragsvergabe ein eigenständiges Rechtsgebiet. Zu dieser Zeit führte das Vergabewesen in Deutschland noch ein Schattendasein.243 Der Code des Marchés Publics vom 17.7.1964244 (CMP), der von der Commission centrale des marchés publics ausgearbeitet worden war und die Zusammenfassung der bis dato geltenden Einzelvorschriften darstellte,245 war lange Zeit das Herzstück des französischen Vergaberechts,246 bis entsprechende Anpassungen, Konsolidierungen und Neuerungen aufgrund der vergaberechtlichen Gemeinschaftsrichtlinien erforderlich wurden.247 Der persönliche Anwendungsbereich des CMP umfasste gem. Art. 1 die collec­ tivités publiques, also alle öffentlich-rechtlichen Körperschaften.248 In den sachlichen Anwendungsbereich des CMP von 1964 fielen gem. Art. 1 alle von den Behörden für die Ausführung von Bauleistungen, Lieferungen und Dienstleistungen geschlossene Verträge.249 240 David Capitant, Öffentliche Auftragsvergabe in Frankreich, in: Blaurock, Der Staat als Nachfrager – Öffentliches Auftragswesen in Deutschland und Frankreich, S. 39 (40). 241 Frédéric Tiberghien, Versailles  – Le chantier de Louis XIV, 1662–1715 (Perrin 2002) S. 61 f. 242 Xavier Bezançon, Essai sur les contrats de travaux et de services publics: contribution à l’histoire administrative de la délégation de mission publique (LGDJ 1999) p. 195. 243 Vgl. Jost Pietzcker, Grenzen des Vergaberechts, in: Blaurock, Der Staat als Nachfrager – Öffentliches Auftragswesen in Deutschland und Frankreich, S. 15. 244 Décret n° 64–729 du 17 juillet 1964, Journal officiel de la République française (21 juillet 1964) p. 6438. 245 Vgl. Cordula Haase, Internationale Harmonisierung des öffentlichen Auftragswesens (Frankfurt am Main 1997) S. 70. 246 Vgl. David Capitant, Öffentliche Auftragsvergabe in Frankreich, in: Blaurock, Der Staat als Nachfrager – Öffentliches Auftragswesen in Deutschland und Frankreich, S. 39 (40). 247 Alle Gesetze, Verordnungen und Erlasse, die in Zusammenhang mit den marchés publics stehen, finden sich unter http://www.economie.gouv.fr/daj/marches-publics. 248 Article 1 du Code des marchés publics (édition 1964): „Les marchés publics sont des contrats passés, dans les conditions prévues au présent code, par les collectivités publiques en vue de la réalisation de travaux, fournitures et services.“ 249 Diese Verträge werden im französischen Vergaberecht als contrats administratifs dem öffentlichen Recht zugeordnet. Mit dem Gesetz Nr. 2001–1168 vom 11.12.2001 existiert heutzutage eine positivrechtliche Festschreibung des seither geltenden verwaltungsrechtlichen­ Charakters der Vergabeverträge, soweit sie in den Anwendungsbereich des CMP fallen, Article 2: „Les marchés passés en application du code des marchés publics ont le caractère de contrats administratifs.“

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Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

Angesichts der zentralistischen Organisation des französischen Staatswesens scheint es historisch verständlich, dass die Vergaberegelungen den öffentlichen Auftraggebern eine besonders starke Position einräumten und die Auftragsvergabe an strenge Verfahrensvorschriften gebunden war und nach wie vor ist.250 Der CMP unterteilte sich in vier Livres (Titel), die genaue Bestimmungen über die Bekanntgabe251, die Durchführung und Kontrolle252 sowie spezielle Vorschriften für lokale Körperschaften und ihre Betriebe253 sowie Regeln zur Koordinierung öffentlicher Aufträge auf lokaler Ebene254 enthielten. Weiterhin galten in Frankreich frühzeitig behördliche und gerichtliche Mechanismen zur Nachprüfung von Vergabeentscheidungen staatlicher Stellen vor und nach Abschluss des öffentlichen Auftrags.255 Da die vergaberechtlichen Streitigkeiten grundsätzlich dem Verwaltungsrecht unterstellt waren und damit der Weg zu den Verwaltungsgerichten offen stand,256 existierte vor der Vergemeinschaftung des Vergabewesens ein umfassender gerichtlicher Rechtsschutz.257 In den letzten Jahrzehnten nahm das französische Vergaberecht einen bedeutsam gemächlicheren Verlauf – im Gegensatz zum entwicklungsbedürftigen deutschen Vergabewesen. Aufgrund der Funktion des Conseil d’Etat, dem höchsten Verwaltungsgericht in Frankreich, als Revisionsinstanz und Instanz für besonders bedeutsame Rechtsstreitigkeiten in Verwaltungsangelegenheiten,258 kam zu den gesetzlichen und verwaltungsrechtlichen Regelungen stetig ein umfassendes Fallrecht hinzu.259 Insbesondere seit den 1980er Jahren gilt in Frankreich größere Aufmerksamkeit dem Bestreben nach mehr Transparenz – seit Anfang der 1990er Jahre auch seitens des Gesetzgebers.260 Die einst vorbildliche Einheitlichkeit des französischen Vergaberegimes zeigt heute einige Inkonsistenzen. Etwa finden sich die gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen nicht im in Art. 2 CMP 2006 definier 250

Vgl. Elisabeth Langer, ZfBR 1980, S. 267. Livre I, Article 1 à 38 du CMP. 252 Livre II, Article 39 à 248 du CMP. 253 Livre III, Article 249 à 361 du CMP. 254 Livre IV, Article 362 à 377 du CMP. 255 Vgl. hierzu ausführlich Thomas Ax, Rechtsschutz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge in Deutschland und Frankreich, zu den behördlichen Kontrollmechanismen, S. 66 ff. sowie zu den gerichtlichen S. 190 ff. 256 Vgl. zur Rechtswegfrage in Frankreich Thomas Ax, Rechtsschutz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge in Deutschland und Frankreich, S. 191. 257 Vgl. hierzu Christian Bock, Das europäische Vergaberecht für Bauaufträge, S. 121 unter C1. 258 Vgl. Thomas Ax, Rechtsschutz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge in Deutschland und Frankreich, S. 193. 259 André de Laubadère, Jean-Claude Venezia und Yves Gaudemet, Traité de Droit Administratif, Bd. II, Rn. 676: „Comme on le verra, de nombreuses règles de ce droit, notamment en ce qui concerne l’exécution des marchés, sont des créations, parfois très prétoriennes, du juge ­administratif.“ 260 Vgl. Christine Maugüé, La portée de l’obligation de transparence dans les contrôles­ publics, in: Moderne, Mouvement du droit public, p. 609 ff. 251

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ten Anwendungsbereich wieder. Vielmehr bedarf es einen Rückgriffs auf Art.  3 Abs. 1 Nr. 1 der Ordonnance n° 2005–649 vom 6.6.2005261, welcher auch diese Einrichtungen dem Vergaberecht unterwirft.262 b) Vereinigtes Königreich Während sich Großbritannien vor allen anderen Ländern bereits in der 2. Hälfte des 18.  Jahrhunderts Europas rasant entwickelte und die auf kapitalistischen, libera­listischen aber auch calvinistischen Prinzipien beruhende In­dustrielle Revolution erlebte,263 blieb die entfesselte Wirtschaft ohne Begleitung spezieller oder allgemeiner Rechtsnormen.264 Trotz frühzeitigem Bestehen eines öffentlichen Auftragswesens kam es nur zögerlich zur Ordnung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen dem Staat und den privaten Auftragnehmern. Das 1861 ins Leben gerufene Public Accounts Com­mittee wurde zum Zwecke der Überwachung der Vergabetätigkeit der Regierung vom House of Commons installiert265 und sollte die Ergebnisse seiner Untersuchungen regelmäßig in „reports“ zusammenfassen.266 Anfang des 20. Jahrhunderts kam ein weiteres Gremium, das Estimates Committee hinzu, welches die Wirtschaftlichkeit der Beschaffung der ministeriellen Stellen überwachen sollte. Später wurde es durch spezielle, tätigkeitsbezogene Komitees ersetzt.267 Entscheidende Veränderungen erlebte das öffentliche Auftragswesen erst in den 1970er Jahren mit dem Beitritt in die damalige EWG.268 Erstmals wurde gesetzlich festgelegt, dass vor Auftragsvergabe grundsätzlich eine öffentliche Auftragsvergabe stattzufinden hatte.269 Allgemeine und umfassende Regelungen zur Vergabe öffentlicher Aufträge fanden jedoch erst mit den Europäischen Koordinierungsrichtlinien Eingang in das positive Recht.270 261 Ordonnance n° 2005–649 du 6 juin 2005 relative aux marchés passés par certaines personnes publiques ou privées non soumises au code des marchés publics (Version consolidée au 24 juillet 2013), zugänglich über http://www.legifrance.gouv.fr. 262 Siehe hierzu unten ausführlich und rechtsvergleichend, S. 300 ff. 263 Vgl. Hermann Kinder/Werner Hilgemann, dtv- Atlas Weltgeschichte, Bd. II, S. 321. 264 Heiko Höfler, Haftung und Kontrolle des öffentlichen Auftraggebers im englischen Recht, S. 6. 265 Vgl. Colin C. Turpin, Government Procurement and Contracts, S. 40. 266 Heiko Höfler, Haftung und Kontrolle des öffentlichen Auftraggebers im englischen Recht, S. 6. 267 Vgl. Colin C. Turpin, Government Procurement and Contracts, S. 36. 268 Vgl. Vertrag vom 22.1.1972 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands, des Königreichs Norwegen und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und zur Europäischen Atomgemeinschaft, ABl. 1972 L 73/5. Für das Vereinigte Königreich trat der Vertrag gem. Art. 2 am 1.1.1973 in Kraft. 269 Heiko Höfler, Haftung und Kontrolle des öffentlichen Auftraggebers im englischen Recht, S. 7 mit Verweis auf das entsprechende Gesetz: sec. 135 Local Government Act 1972. 270 Vgl. hierzu Local Government Act vom 24.3.1988, zugänglich über http://www.legislation. gov.uk.

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c) Vergleich Bereits an dieser kurzen Darstellung des französischen und englischen Vergaberechts vor 1970 lässt sich erkennen, dass nicht nur der Grad der rechtlichen Ausgestaltung der öffentlichen Auftragsvergabe zwischen den Europäischen Mitgliedsstaaten, sondern auch die Art und Weise der Einordnung der vergaberechtlichen Regelungen in den jeweiligen Rechtsordnungen stark divergierte. Während Frankreich auf eine lange Tradition des geschriebenen, im Verwaltungsrecht verwurzelten Vergaberechts zurückblickte, waren die rechtlichen Strukturen in Deutschland und England noch weitgehend unterentwickelt, soweit man die gesetzliche Festschreibung allgemeinverbindlicher Vorschriften als Maßstab nimmt.271

III. Die beginnende Vergemeinschaftung des Vergaberechts (1969–1976) Als Reservoir staatlicher Zurückhaltung identifizierten Kommission und Rat früh das öffentliche Vergabewesen. Dieser nicht nur volkswirtschaftlich,272 sondern auch für das institutionelle Funktionieren der Staaten so wichtige Bereich wurde dominiert von einer protektionistischen Grundhaltung der Mitgliedsstaaten. Vor diesem Hintergrund schien ein sekundärrechtliches Eingreifen trotz des zu erwartenden Widerstands der Mitgliedstaaten geboten. 1. Die Allgemeinen Programme des Rates als konzeptionelles Vorzeichen Bereits mit den Beschlüssen des Rates der EWG vom 18.12.1961 für ein Allge­ meines Programm zur Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit273 und der Dienstleistungsfreiheit274 rückte der stark beschränkte Zugang zu den öffentlichen Aufträgen in den Fokus der Bekämpfung der zwischenstaatlichen Handelshemmnisse.275 So hieß es in Abschnitt III (Beschränkungen) der Programme276: 271

Vgl. auch Christian Bock, EuZW 1994, S. 677 (685). Siehe zur ökonomischen Dimension des öffentlichen Auftragswesens oben, S.  37 f. sowie Fn. 24. 273 Beschluss des Rates vom 18.12.1961, ABl. 1961 P 2/36, auf der Grundlage des Art. 54 Abs. 1 EWG. 274 Beschluss des Rates vom 18.12.1961, ABl. 1961 P 2/32, auf der Grundlage des Art. 63 Abs. 1 EWG. 275 Art. 53 Abs. 1 und Art. 63 Abs. 1 EWG boten nicht nur die Möglichkeit, sondern formulierten auch den imperativen Auftrag an die Kommission, innerhalb der ersten beiden Jahre der ersten Stufe zur Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes i. S. v. Art. 8 EWG entsprechende Vorschläge dem Rat vorzulegen: „Die Kommission unterbreitet ihren Vorschlag dem Rat während der beiden ersten Jahre der ersten Stufe“. 276 Unter Punkt A. j) (b) bzw. A. h) (b). 272

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„Gleiches gilt für Vorschriften und Praktiken, die allein für Ausländer die Befugnis zur Ausübung der normalerweise mit einer selbstständigen Tätigkeit verbundenen Rechte ausschließen, beschränken oder von bestimmten Voraussetzungen abhängig machen, und zwar ins­ besondere die Befugnis: […] Angebote einzureichen und sich als direkter Vertragspartner oder im Wege des Untervertrags an den vom Staat oder von anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts vergebenen Aufträgen zu beteiligen, […].“

Die Beschlüsse klammerten bestimmte Tätigkeiten mittels Ausnahmen bzw. Sonderregelungen aus. „[U]m eine schrittweise und ausgewogene Aufhebung der Beschränkungen zu gewährleisten, die mit den wünschenswerten Koordinierungsmaßnahmen für die Verfahren Hand in Hand geht“, wurde beispielsweise für öffentliche Bauaufträge die Möglichkeit geschaffen, bis zum Erreichen eines festgelegten Umsatzvolumens die Vergabe an „Staatsangehörige und Gesellschaften anderer Mitgliedstaaten“ bis zum Ende des jeweiligen laufenden Jahres auszusetzen.277 Mit der Einführung einer derartigen „Schutzschwelle“278 wurde den ­Mitgliedstaaten die Umsetzung des Binnenmarktes souveränitäts- und interessen­ schonend auf Raten serviert. 2. Das erste Richtlinienprogramm als „Flickenteppich“ Mit den Allgemeinen Programmen hatten der Rat und die Kommission die Mitgliedstaaten in einer ersten Phase zunächst für die Bedeutung bestimmter Aspekte für das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes sensibilisiert.279 In einer zweiten Phase stand die Identifizierung von Diskriminierungen ausländischer Waren, Dienstleistungen sowie Unternehmen im Vordergrund, sowie die darüber hinausgehenden Hemmnisse für den innergemeinschaftlichen Handel. Der Identifizierung folgte eine meist auf einzelne Phänomene und Beispiele bezogene Anordnung der Beseitigung dieser Hindernisse. In einer dritten Phase sollte dort eine bereichsspezifische (Neu-)Gestaltung der nationalen Rechtsräume nach den Wirtschaftsprinzipien der EWG stattfinden, wo die bloße Aufgabe staatlicher  – europarechtswidriger  – Verhaltensweisen nicht ausreichte. Diese Neuordnung erfolgte durch sekundärrechtliche Maßnahmen.

277 Vgl. Abschnitt IV (Zeitplan) B. 1.) des Beschlusses des Rates vom 18.12.1961, ABl. 1961 P 2/36, für die Niederlassungsfreiheit. Dementsprechend: Abschnitt V (Zeitplan) C. e) 1. (a) des Beschlusses des Rates vom 18.12.1961, ABl. 1961 P 2/32, für die Dienstleistungsfreiheit. 278 Christian Bock, Das europäische Vergaberecht für Bauaufträge, S. 100. 279 Siehe Beschlüsse des Rates vom 18.12.1961 (Fn. 277).

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a) Die Richtlinie als Liberalisierungs- und Koordinierungsinstrument des Europäischen Vergaberechts Die Grundfreiheiten reichten wegen ihrer bloß „negativen Integrationswirkung“280 für die Herstellung eines funktionierenden Gemeinsamen Marktes für öffentliche Aufträge nicht aus.281 Es bedurfte eines effektiven europäischen Vergaberechts, dass die Auftraggeber verpflichtete, Diskriminierungen zu verhindern.282 Entscheidendes Rechtsetzungsinstrument wurde die europäische Richtlinie aufgrund der Ermächtigungsgrundlagen in Art.  33 Abs.  7 EWG für die Warenverkehrsfreiheit283, Art. 54 Abs. 2 EWG für die Niederlassungsfreiheit284 und Art. 63 Abs.  2 EWG für die Dienstleistungsfreiheit285. Hinzu kam die Möglichkeit zum Erlass von Koordinierungsmaßnahmen für den Bereich der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit nach Art.  57 Abs.  2 EWG bzw. Art.  66 i. V. m. Art.  57 Abs. 2 EWG sowie schließlich Art. 100 EWG. Bei den ersten Vergaberichtlinien kann zwischen Liberalisierungs- und Koordinierungsrichtlinien unterschieden werden. Die Liberalisierungsrichtlinien zielten auf die Implementierung der Grundfreiheiten mittels Identifizierung von Diskriminierungen und Hemmnissen mit entsprechenden Anordnungen zur Beseitigung. Mit den Koordinierungsrichtlinien wurde konkret auf die Anpassung mitgliedstaatlicher Strukturen abgestellt. Die EWG hatte früh erkannt, dass eine Öffnung der nationalen Auftragsmärkte nicht reichen würde, sondern die umfassende Beseitigung der staatlichen Hindernisse nur mit einer hinzutretenden Koordinierung der Vergabeverfahren erreicht werden konnte.286 Die Liberalisierungsricht 280 Die negative Integration zielt auf die Beseitigung von Handelshemmnissen zwischen den Mitgliedsstaaten durch Aktivierung der Grundfreiheiten, ohne die Staaten auf konkrete Maßnahmen positiv zu verpflichten. Vgl. hierzu Thorsten Kingreen, Art.  36 AEUV, in: Calliess/ Ruffert, EUV/AEUV – Kommentar, Rn. 2. 281 Dies stellte die Kommission u. a. 1986 fest in ihrem Aktionsprogramm Die öffentlichen Beschaffungsmärkte in der Gemeinschaft, KOM (86) 375 endg., II. Gegenwärtige Lage, S. 3: „Die Erfahrung hat gezeigt, dass diese zunächst negativen Verbote bei weitem nicht ausreichen, um ein Ineinandergreifen der Märkte zu verwirklichen, und dass zur Erreichung dieses Zieles vielmehr positive ‚Gebote‘ erforderlich sind.“ 282 Matthias Öhler, Rechtsschutz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge in der EU, S. 42. 283 Art. 33 Abs. 7 EWG: „Die Kommission erläßt Richtlinien darüber, nach welchem Verfahren und in welcher Zeitfolge die bei Inkrafttreten dieses Vertrags bestehenden Maßnahmen, welche die gleiche Wirkung wie Kontingente haben, zwischen den Mitgliedstaaten zu beseitigen sind.“ 284 Art. 54 Abs. 2 EWG: „Der Rat erläßt bis zum Ende der ersten Stufe einstimmig und danach mit qualifizierter Mehrheit […] Richtlinien zur Verwirklichung des allgemeinen Programms oder – falls ein solches nicht besteht – zur Durchführung einer Stufe der Niederlassungsfreiheit für eine bestimmte Tätigkeit.“ 285 Art. 63 Abs. 2 EWG: „Der Rat erläßt bis zum Ende der ersten Stufe einstimmig und danach mit qualifizierter Mehrheit […] Richtlinien zur Verwirklichung des allgemeinen Programms oder – falls ein solches nicht besteht – zur Durchführung einer Liberalisierungsstufe für eine bestimmte Dienstleistung.“ 286 Vgl. Christian Bock, Das europäische Vergaberecht für Bauaufträge, S. 103.

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linien ordneten das Unterlassen von beschränkenden Maßnahmen an, die Koordinierungsrichtlinien gaben konkrete diskriminierungsfreie Verfahren und Abläufe vor. Meist ging den sektorspezifischen Koordinierungsrichtlinien eine weitaus allgemeinere Liberalisierungsrichtlinie voraus. b) Die Liberalisierung für den Bereich der Lieferung von Waren Eine solche Liberalisierungsmaßnahme ist Warenliberalisierungs-RL 70/32/ EWG. Mit ihr begann die behutsame oder auch zaghafte Verwirklichung der Warenverkehrsfreiheit für den Bereich der Lieferung von Waren an den Staat und seine Körperschaften und juristischen Personen. Mehr als „Umsetzungsanweisung“ der Warenverkehrsfreiheit für den Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe zu verstehen, nahm die Richtlinie erstmals den Bereich des wirtschaftlich und institutionell bedeutsamen staatlichen Beschaffungswesens ins Visier.287 Die mitgliedstaatlichen Vorschriften im Bereich der Auftragsvergabe beinhalteten regelmäßig Diskriminierungen ausländischer Bieter und standen im Wider­ spruch zu den primärrechtlich verankerten Grundfreiheiten, insbesondere der Warenverkehrs-, Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit. In den Erwägungs­ gründen zur Warenliberalisierungs-RL 70/32/EWG führte die Kommission einige dieser Diskriminierungen auf. Neben expliziten Lieferverboten von eingeführten Waren an den Staat, seine Gebietskörperschaften und die sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts288 zählten zu diesen auch Privilegierungen inländischer Waren289 oder Diskriminierungen von ausländischen Waren durch Einfuhrhemmnisse oder ähnliche Vorschriften, die die Lieferung von eingeführten Waren erschwerten oder verteuerten.290 Als konkrete Beispiele nennt Art. 2 der Richtlinie die unterschiedliche Behandlung bei Sicherheitsleistungen oder Abschlagzahlungen, das Erfordernis der Gegenseitigkeit, das Verbot der Verwendung von ausländischen Waren bei Durchführungen von Verträgen mit dem Staat oder die Pflicht der Lieferanten, eine inländische Postanschrift oder die Eröffnung eines Postscheck- oder Bankkontos im Land des öffentlichen Auftraggebers vorzuweisen. Der aus den festgestellten Diskriminierungen resultierende Imperativ der Warenliberalisierungs-RL 70/32/ EWG ist Art.  4 entnehmen, der die Mitgliedstaaten verpflichtete, alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die bestehenden primärrechtswidrigen Kontingentierung und Maßnahmen gleicher Wirkung zu beseitigen. Der Grundstein für das sekundärrechtliche Vergaberecht in Europa war mit der Warenliberalisierungs-RL 70/32/EWG gelegt. Bis heute wurde die Warenliberali 287

Vgl. die Erwägungsgründe der Warenliberalisierungs-RL 70/32/EWG. 2. Erwägungsgrund der Warenliberalisierungs-RL 70/32/EWG. 289 3. Erwägungsgrund der Warenliberalisierungs-RL 70/32/EWG. 290 4. Erwägungsgrund der Warenliberalisierungs-RL 70/32/EWG. 288

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sierungs-RL 70/32/EWG nicht aufgehoben und ist immer noch Teil des nun weit ausdifferenzierten Europäischen Vergabesekundärrechts. c) Die Liberalisierung und Koordinierung der Bauvergabe Die Allgemeinen Programme291 und die Warenliberalisierungs-RL 70/32/EWG hatten dem Europäischen Vergaberecht vorsichtig einen Boden bereitet. Für die Warenliberalisierungs-RL 70/32/EWG über die Lieferung von Waren an den Staat und seine Einrichtungen war naturgemäß die Warenverkehrsfreiheit und deren Umsetzung primärrechtlicher Anknüpfungspunkt gewesen. Die (Neu-)Ordnung des öffentlichen Bauauftragswesens orientierte sich hingegen insbesondere an der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit. Zur Erreichung der Liberalisierung der nationalen Vergabeverfahren im Bereich der Bauaufträge wurde mit der Bau-Liberalisierungs-RL 71/304/EWG zunächst ein Rahmen geschaffen, der insbesondere die Aufhebung der Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit auf dem Gebiet der öffentlichen Bauaufträge anordnete. Im gleichen Zug wurde das Regelwerk um die Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG ergänzt, welche die nationalen Vergabeverfahren für Bauaufträge mit dem Ziel der gemeinschaftsweiten Transparenz für potentielle Anbieter koordinierte. Bezugnehmend auf das Allgemeine Programm zur Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit des Rates aus dem Jahre 1962292 standen bei der Koordinierung der Vergabeverfahren im Vordergrund das Verbot der Beschreibung technischer Merkmale mit diskriminierender Wirkung, die ausreichende Bekanntgabe der Auftragsvergaben, die Festlegung objektiver Teilnahmekriterien und die Einführung eines Verfahrens, das eine Gewähr für die gemeinsame Beachtung dieser Grundsätze bot.293 Der Gehalt an Verfahrensvorschriften in der Baukoordinierungs-RL 71/305/ EWG war von beindruckendem Umfang. Insbesondere die Vorschriften für die Beschreibung technischer Vorschriften (Art. 10 und 11) und zur gemeinsamen Bekanntmachung (Art. 12 bis 19) sowie die Vorgaben für die Bemessung von Eignung (Art. 23 bis 28) und schließlich den Zuschlag (Art. 29) gaben den Mitgliedstaaten einen sehr konkreten und damit rechtlich einfacher umsetzbaren Rahmen an die Hand. Den Mitgliedstaaten, die bei den Vorarbeiten für die Richtlinienentwürfe mit eigenen Sachverständigen beteiligt waren, ging dies jedoch zu weit. Die Kommission sah sich daher gezwungen, „durch allzu großes Nachgeben einen zu weit-

291

Siehe oben, S. 92 und Fn. 273, 274. Siehe Fn. 273 und 274. 293 Vgl. 3. Erwägungsgrund Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG. 292

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gehenden Kompromiß zu erzielen“294. Der sachliche Anwendungsbereich der RL wurde derart beschränkt und eine Vielzahl von Ausnahmeklauseln eingefügt, sodass aus einem vielversprechenden Beginn eines innergemeinschaftlichen Auftragswesens eine quasi sekundärrechtlich legitimierte Fortführung bestehender Praktiken und Strukturen wurde. In concreto wurden die sog. Sektorenauftraggeber, vornehmlich die Versorgungsbetriebe für Verkehr, Wasser und Energie, vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen.295 Zum anderen galt die Richtlinie nicht für Konzessionsverträge (Art. 3 Abs. 1 bis 3), für den sozialen Wohnungsbau (Art. 6) sowie in Fällen, in denen aus technischen oder künstlerischen Gründen (Art. 9 Abs. 1 lit. b)), zum Zweck von Forschungen, Versuchen, Untersuchungen oder Verbesserungen (Art. 9 Abs. 1 lit. c)), zum Schutz wesentlicher Interessen der Staatssicherheit (Art. 9 Abs. 1 lit. e)) oder aus sonstigen dringlichen, zwingenden Gründen (Art. 9 Abs. 1 lit. d)) die Anwendung der Richtlinie „unannehmbar“ waren. Darüber hinaus fanden sich weitere ungenaue Formulierungen, zahlreiche Auslegungsmöglichkeiten und unbegrenzte Ermessensspielräume in den Bestimmungen über die Eignungs- und Zuschlagskriterien.296 Ergänzt um die Möglichkeit aus den Allgemeinen Programmen des Rates zur Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit297 und der Dienstleistungsfreiheit298, die Liberalisierung der öffentlichen Bauaufträge auszusetzen, sobald eine entsprechende Quote erreicht war,299 wurde aus dem ambitionierten Richtlinienprogramm noch vor Inkraft­treten ein stumpfes Schwert. Auch der Vorschlag, einen beratenden Ausschuss der Kommission einzurichten, der sich mit aufgeworfenen Streitfragen und Problemen der Mitgliedstaaten bei der Anwendung der Richtlinien befasste, konnte sich nicht durchsetzen.300 Es gab folglich keine Möglichkeit, systematisch die Umsetzung der Vorgaben zu begleiten und zu überwachen.301 294 Stellungnahme des Europäischen Parlaments zu den Richtlinienentwürfen, 5. Erwägungsgrund, ABl. 1965 P 62/884. 295 Vgl. 3., 4. und 5. Erwägungsgrund und insb. Art. 3 Abs. 4 und 5 der BaukoordinierungsRL 71/305/EWG. 296 Vgl. Matthias Öhler, Rechtsschutz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge in der EU, S. 43 und dort Fn. 29. 297 Beschluss des Rates vom 18.12.1961, ABl. 1961 P 2/36. 298 Beschluss des Rates vom 18.12.1961, ABl. 1961 P 2/32. 299 Vgl. Abschnitt IV bzw. V der Beschlüsse. 300 So noch vorgesehen in Art.  10 bzw. Art.  30 der RL-Entwürfe, vgl. Stellungnahme des Europäischen Parlaments zu den Richtlinienentwürfen, ABl. 1965 P 62/884, S. 887, 899. Insbesondere sollte der Ausschuss Stellungnahmen zu Einzelfällen abgeben und das Erfordernis von Ergänzungen oder Änderungen der Richtlinien untersuchen. 301 Vgl. aber den Beschluss 87/305/EWG der Kommission vom 26.5.1987, ABl. 1987 L 152/32, mit dem schließlich ein „Beratender Ausschuss für die Öffnung des Öffentlichen Auftragswesens“ mit 24 Mitgliedern eingerichtet wurde. Siehe zu diesem Ausschuss und der Nachfolgeeinrichtung unten, S. 109 und Fn. 361.

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d) Die Koordinierung öffentlicher Lieferverträge Die ursprüngliche Bemühung der Kommission, gleichzeitig mit der Baulibe­ ralisierungs- und Koordinierungsrichtlinie das Inkrafttreten der entsprechenden Richtlinien über die öffentlichen Aufträge betreffend die Lieferungen sicherzustellen, scheiterte. Zwar hatte man mit den Beratungen über den Vorschlag der Kommission bereits im Jahre 1971/72 begonnen. In Kraft trat die Lieferkoordinierungs-RL 77/62/EWG aber erst fünf Jahre später. Das bereits mit der Warenliberalisierungs-RL 70/32/EWG konkretisierte Liberalisierungsgebot des freien Warenverkehrs auf dem Gebiet der Lieferverträge nach den Art. 30 ff. EWG wurde schließlich um die Koordinierung der Verfahren in den Mitgliedstaaten ergänzt. Entsprechend der Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG folgte die Neuregelung den Grundsätzen des Verbots der Beschreibung technischer Merkmale mit diskriminierender Wirkung, der Bekanntmachung der Auftragsvergabe in der Gemeinschaft und der Einführung eines Verfahrens, das eine Gewähr für die gemeinsame Beachtung dieser Grundsätze bot.302 Auch ihr Regelungsgehalt wurde durch eine Beschränkung des persönlichen Anwendungsbereichs stark beschnitten. Gem. Art.  2 Abs.  2 der RL waren auch hier die sog. Sektorenauftraggeber, also Verkehrsträger und Versorgungsbetriebe für Wasser, Energie und Fernmeldewesen vom Anwendungsbereich ausgenommen. Das Europäische Parlament stellte hierzu in seiner Stellungnahme fest, „dass die wirtschaftspolitischen Auswirkungen der Richtlinie wegen ihres ziemlich eingeschränkten Anwendungsbereichs nicht ganz den Anforderungen entsprechen, die aus industrie-, struktur- und konjunkturpolitischen Erwägungen an einen Gesetzgebungsakt der Gemeinschaft im Bereich der Koordinierung der öffentlichen Auftragsvergabe zu stellen sind.“303

e) Der „Öffentliche Auftraggeber“ als formelle Zuordnung zum Staat Für Gedanken über eine Ausweitung des persönlichen Anwendungsbereichs über den Staat und die ihm formal zuzuordnenden Stellen hinaus war in dieser Anfangsphase kein Raum. Der persönliche Anwendungsbereich der Richtlinien war auf den Staat, die Gebietskörperschaften und juristischen Personen des öffentlichen Rechts beschränkt.304 302 Vgl. 4. Erwägungsgrund der Richtlinie des Rates über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge, ABl. 1977 L 13/1. 303 4. Punkt der Stellungnahme des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge, ABl. 1972 C 46/35. 304 Vgl. Art. 1 Abs. 1 Warenliberalisierungs-RL 70/32/EWG, Art. 1 a. E. BauliberalisierungsRL 71/304/EWG, Art. 1 lit. b) Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG und Art. 1 lit. b) Lieferkoordinierungs-RL 77/62/EWG.

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Sowohl die Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG als auch die Lieferkoordinierungs-RL 77/62/EWG verwiesen ergänzend auf ihren Anhang I, der näher festlegte, welche Einrichtungen als juristische Personen des öffentlichen Rechts anzusehen waren. Für alle Mitgliedstaaten waren dies „die aus Gebietskörperschaften bestehenden Verbände des öffentlichen Rechts und gleichwertige Einheiten, z. B. ‚associations de communes‘, ‚syndicats de communes‘, Gemeindeverbände usw.“305, für Deutschland zusätzlich „die bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts“306 „und die der staatlichen haushaltsmäßigen Kontrolle unterliegenden landesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts“307. 3. Die Implementierung des „neuen Rechts“ in den Mitgliedstaaten Das neu geschaffene Sekundärrecht, das darauf abzielte, die Vergabeverfahren in den Mitgliedstaaten anzugleichen, gemeinsame Vorschriften im technischen Bereich und für die Bekanntmachung festzuschreiben, führte – absehbar – nicht zu den erhofften Ergebnissen.308 a) Bedeutungen der Richtlinien Aus dem gleichen Grund, aus welchem dem Vergaberecht der Eingang in das Primärrecht als Teil  des Europäischen Wirtschaftsrechts versagt geblieben war, herrschte Zurückhaltung bei der Neuordnung des europaweiten Beschaffungswesens: Der Widerstand der Mitgliedstaaten gegen ausdrückliche Regelungen zum öffentlichen Auftragswesen, den auch die Väter der Römischen Verträge befürchtet hatten.309 Die verabschiedeten Regelungen enthielten keine über die Diskriminierungsverbote der Grundfreiheiten hinausgehenden eigenständigen vergaberechtlichen Rechte und Pflichten der Mitgliedstaaten. Vielmehr sahen sie teilweise großzügige Übergangsregeln und Ausnahmen gerade für den Bereich der öffentlichen Beschaffung vor. Die mitgliedstaatlichen Proteste versuchte der Gemeinschaftsgesetzgeber bei der Weiterentwicklung der immer noch „untereuropäisierten“ nationalen Beschaffungswesen über Gebühr zu berücksichtigen. 305

Vgl. Ziff. I des Anhang I Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG und der Lieferkoordinierungs-RL 77/62/EWG. 306 Vgl. Ziff. III des Anhang I Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG und Ziff. II des Anhang I Lieferkoordinierungs-RL 77/62/EWG. 307 Vgl. Ziff. II des Anhang I Lieferkoordinierungs-RL 77/62/EWG. 308 Vgl. Europäische Kommission, Vademekum über öffentliches Auftragswesen in der Gemeinschaft, ABl. 1987 C 358/2. 309 Vgl. hierzu Matthias Öhler, Rechtsschutz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge in der EU, S. 42, Fn. 22.

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Der Wille war gegeben, die zur Verwirklichung der Grundfreiheiten angestrebte Beseitigung und Aufhebung von Diskriminierungen und Beschränkungen um eine aktive Gestaltungskomponente zu ergänzen. Begonnen wurde indes mit einem­ Bereich, in dem ein reglementierender Eingriff zu keinen größeren Umwälzungen führte. Aus Sicht von Kommission und Rat bot sich dazu der Bausektor an, da aufgrund seines regionalen, standortgebundenen Charakters der Öffnungseffekt überschaubar war und der Widerstand der Mitgliedstaaten erwartungsgemäß gering ausfallen würde.310 Die Warenliberalisierungs-RL 70/32/EWG vom 17.12.1969 über die Lieferung von Waren an den Staat hatte als Liberalisierungsrichtlinie rechtlich nur einen rein auslegenden Wert und galt nur für Maßnahmen gleicher Wirkung, die bei Inkrafttreten des Vertrages schon bestanden.311 Sie ist gem. Art. 1 Abs. 1 immer noch für Lieferungen an den Staat, an seine Gebietskörperschaften und an die sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts in Kraft. Vom Anwendungsbereich der Richtlinie auch umfasst sind gem. Art.  1 Abs.  2 Lieferungen für die Errichtung oder den Ausbau von Bauwerken. Die Bau-Liberalisierungs-RL 71/304/EWG fungierte in gleicher Weise wie die Warenliberalisierungs-RL 70/32/EWG als Liberalisierungsinstrument nur für die bereits bei Inkrafttreten des Vertrags bestehenden Beschränkungen. Sie hatte ebenfalls aufgrund der unmittelbaren Geltung der Art. 59 und 60 EWG als primärrechtliche Verankerung der Dienstleistungsfreiheit rein auslegenden Wert.312 Die Richtlinie verpflichtete die Mitgliedstaaten die in den Allgemeinen Programmen zur Aufhebung der Beschränkungen der Dienst- und Niederlassungsfreiheit festgeschriebenen Beschränkungen des Zugangs, der Vergabe, Ausführung oder Mitwirkungen öffentlicher Bauaufträge zu beseitigen. Zur Vervollständigung des Verbots der Beschränkungen des freien Warenverkehrs auf dem Gebiet der öffentlichen Lieferaufträge und zur Verwirklichung der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit bei der Vergabe sämtlicher Bauaufträge erließ der Rat mit der Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG und Lieferkoordinierungs-RL 77/62/EWG zwei Koordinierungsrichtlinien für die Verfahren der öffentlichen Auftragsvergabe.

310 Jürgen Schwarze, Diskriminierung bei der Vergabe öffentlicher Aufträge aus der Sicht des Gemeinschaftsrechts, in: Meessen, Öffentliche Aufträge und Forschungspolitik, S.  79 (92). 311 Vgl. Europäische Kommission, Vademekum über öffentliches Auftragswesen in der Gemeinschaft, ABl. 1987 C 358/1. 312 Vgl. zur unmittelbaren Geltung der Art. 59, 60 EWG: EuGH 1974, 1299 (33/74) – Van Binsbergen.

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b) Einzelstaatliche Durchführungsmaßnahmen Gem. Art. 189 EWG waren die Richtlinien für die Mitgliedstaaten „hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich“313. Die Wahl der Form und Mittel war den innerstaatlichen Stellen überlassen. Für die Richtlinie 70/32/EWG wurden der Kommission, wie von Art. 4 gefordert, keine Durchführungsmaßnahmen von den Mitgliedstaaten gemeldet. Aufgrund des in erster Linie erklärenden Wertes der Richtlinie und den Defiziten der nationalen Rechtssysteme im Bereich der Umsetzung der Warenverkehrs-, Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit sowie dem stark begrenzten Anwendungsbereich fand die Richtlinie nicht die bezweckte Beachtung. Auch die Bau-Liberalisierungs-RL 71/304/EWG wurde von keinem der damaligen Mitgliedstaaten zum 30.6.1972 fristgerecht umgesetzt. Im Gegensatz zur Warenliberalisierungs-RL 70/32/EWG reagierten die mitgliedstaatlichen Stellen immerhin, indem sie die Bestimmungen bekanntmachten314 und teilweise durch verwaltungsinterne Maßnahmen wie Erlasse oder Anordnungen315 an die ausführenden Stellen weitergaben. Eine gesetzliche Umsetzung der Bestimmungen fand jedoch – wenn überhaupt – erst später im Zuge der Implementierung der weiteren Vergaberichtlinien Anfang der neunziger Jahre statt.316 Der umzusetzende Gehalt der Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG zur Koordinierung der Verfahren der Vergabe der öffentlichen Aufträge war am umfangreichsten. Trotz oder etwa wegen der konkreten Vorgaben für die Durchführung der Vergabeverfahren setzten die damaligen Mitgliedstaaten die Richtlinie nicht nur nicht fristgerecht um, sondern machten von den weitreichenden Ausnahmetatbeständen Gebrauch. Auch hier blieb es bei Bekanntmachungen, verwaltungsinternen Anordnungen oder Erlassen. In Deutschland wurde erst 1993 – zwanzig Jahre verspätet – mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Haushalt­ grundsätzegesetzes317 mit der Umsetzung der Richtlinie in das deutsche Recht begonnen.

313

Vgl. den heute immer noch geltenden Wortlaut der Norm (nun Art. 288 AEUV). Vgl. etwa in Frankreich, Circulaire du 13 août 1973 (Journal Officiel de la République française vom 10.10.1973) p. 10948 oder Irland: The Circular Letter, No. 6 of 1972, Department of Local Government. 315 Vgl. etwa in Deutschland, Anordnung vom 30.10.1972 des Bundesministeriums für Wirtschaft und Finanzen oder Spanien: Real Decreto Ley número 931/86 de 2.5.1986, Boletín­ Oficial del Estado, 114 (13.5.1986) 16920. 316 Vgl. etwa Österreich: Auftragsvergabegesetz, Landesgesetzblatt für Tirol Nr. 87/1994. 317 Zweites Gesetz zur Änderung des Haushaltgrundsätzegesetzes vom 26.11.1993 (BGBl. I 1993, 1928). 314

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c) Bewertung Gegenüber dem Ziel, die Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes innerhalb von zwölf Jahren nach Inkrafttreten des EWG-Vertrages zu realisieren,318 dokumentierte die Entwicklung im Bereich des Vergabesekundärrechts den tatsächlichen Integrationsgrad bzw. die Integrationsbereitschaft der Mitgliedstaaten. Eine Implementierung der Liberalisierungs- und Koordinierungsvorschriften in den Mitgliedstaaten hatte ungeachtet der Verpflichtung zur Umsetzung nicht stattgefunden. Die Kommission stellte später frustriert fest: „Es ist nicht übertrieben, zu behaupten, dass meist weder der Buchstabe noch der Geist der Richtlinien eingehalten wurde.“319 „Die gegenseitige Durchdringung der Märkte hat im öffentlichen Bereich praktisch nicht stattgefunden.“320

Einen Grund sah die Kommission in den volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Die Richtlinien seien in einer Rezessionsphase umzusetzen gewesen, in der die mitgliedstaatlichen Vergabestellen „aufgrund der wirtschaftlichen Konjunktur nachgiebiger gegenüber Pressionen nationaler Lieferanten waren“321. Der Hauptgrund ist in den beschriebenen Ausnahmetatbeständen und dem begrenzten Anwendungsbereich der Richtlinien zu sehen, die eine einheitliche Harmonisierung der Normen in den Mitgliedstaaten verhinderten.322 4. Zwischenergebnis Der entschlossene Weg der Europäischen Gemeinschaft, die Durch- und Umsetzung der wirtschaftsrechtlichen Konzeption des Gemeinsamen Marktes nicht nur über die primärrechtlich verankerten Diskriminierungsverbote, sondern auch über die ihr an die Hand gegebenen Rechtsmittel zu verwirklichen, erreichte Anfang der 1970er Jahre das wirtschaftlich mächtige Vergabewesen.

318

Vgl. Art. 8 Abs. 1 EWG. Europäische Kommission, Die öffentlichen Beschaffungsmärkte in der Gemeinschaft, KOM (86) 375 endg., II. Gegenwärtige Lage, 3. Spiegelstrich, S. 4. 320 Ebd., II. Gegenwärtige Lage, 2. Spiegelstrich, S. 4. 321 Europäische Kommission, Mitteilung vom 19.6.1986 an den Rat: Die öffentlichen Beschaffungsmärkte in der Gemeinschaft, KOM (86) 375 endg., II. Gegenwärtige Lage, S.  3; siehe auch Hans R. Krämer, Rechtsprobleme des öffentlichen Auftragswesens im EG-Binnenmarkt, S. 24 f. 322 Auf diesen Umstand wies das Europäische Parlament in seiner Stellungnahme zu dem Vorschlag der Kommission hin, vgl. Europäische Parlament, Entschließung zu den Vorschlägen der EWG-Kommission an den Rat zu […] III. einer ersten Richtlinie betreffend die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, ABl. 1965 P 63/883. Das EP stellte klar: „es ist auf keinen Fall vertretbar, dass ein Mitgliedstaat die Liberalisierung der öffentlichen Bauaufträge in beiden Auftragskategorien aussetzen kann, sobald die Quote nur in einer Kategorie erreicht ist.“ 319

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Die Kommission hatte es sich zur Aufgabe gemacht, auf dem so weiten und komplizierten Gebiet der Vergabeverfahren schrittweise vorzugehen und die Gemeinschaftsregelungen sukzessive zu ergänzen und zu verbessern. Daher folgten einer Liberalisierungsanordnung Regelungen zur Koordinierung der Vergabeverfahren in den Mitgliedstaaten. Die den Richtlinien innewohnende Chance, die Transparenz der Verfahren, den Wettbewerb und die Gleichbehandlung von ausländischen Anbietern mit inländischen nachhaltig zu fördern, wurde letztlich vereitelt. In umfangreicher Weise wurde auf die Interessen der Mitgliedstaaten Rücksicht genommen und durch eine weitreichende Beschränkung des sachlichen Anwendungsbereichs eine faktische Anwendung der Koordinierungsvorschriften verhindert. Das primärrechtliche Diskriminierungsverbot der Grundfreiheiten galt auch mit den Liberalisierungs- und Koordinierungsrichtlinien uneingeschränkt fort. Mit den eingerichteten Ausnahmetatbeständen und Sonderregelungen kamen jedoch die für das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes erforderlichen Koordinierungsvorschriften für öffentliche Bau- und Lieferaufträge tatsächlich nicht zur Anwendung.323 Vielmehr boten sie den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, ein ausländische Anbieter und Waren diskriminierendes Verhalten über die Ausnahmen der Richtlinien zu rechtfertigen. Anstelle des Abbaus von Hemmnissen für den Gemeinsamen Markt sorgte das neue Regelwerk in Teilen für eine Manifestation der protektionistischen staatlichen Vergabepraxis. In dieses Bild gehört, dass das Richtlinienprogramm der 1970er Jahre zur Öffnung der nationalen Beschaffungswesen nicht für den Bereich der Dienstleistungsaufträge erweitert wurde. Auch wenn die Vorschriften für die öffentliche Bauauftragsvergabe Dienstleistungskomponenten beinhalteten, blieb dieser Bereich (noch324) ohne eigenständige Regelung.

IV. Der vergaberechtliche Neuanfang zur Vollendung des Binnenmarktes Das mit den Römischen Verträgen von 1957 festgeschriebene programmatische Credo der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft war in seiner Abstraktheit klar und wenig missverständlich formuliert: die Schaffung eines gemeinsamen Wirtschaftsraums durch den Abbau von Diskriminierungen und Behinderungen des innergemeinschaftlichen Handels.325 323 Siehe oben Fn. 277 zu den Ausnahmetatbeständen in den Allgemeinen Programmen, S. 93 und 98 zu den Ausnahmen und Begrenzungen der Richtlinien und Fn.  300 und Fn.  303 zu den geplanten, aber nicht in den Richtlinien umgesetzten Überwachungsmechanismen. 324 Später dann mit der Novelle der 1990er Jahre: Dienstleistungskoordinierungs-RL vom 18.6.1992. 325 Vgl. Art. 2 EWG.

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Die Umsetzung dieses Imperativs im Rechtssetzungs-, Rechtsanwendungs- und Verwaltungsalltag hingegen stellte nicht nur  – wie beschrieben326  – in zeitlicher und logistischer Hinsicht die Mitgliedstaaten vor große Herausforderungen. Auch die Klärung der Frage, in welchen Wirtschaftsbereichen besondere Hemmnisse zu identifizieren waren, brauchte Zeit und vor allem Erfahrung. Die Vielzahl der nationalen Rechtstraditionen der Mitgliedstaaten barg in mannigfaltiger Weise das Potenzial, diskriminierend oder beschränkend auf ausländische Wirtschaftsteilnehmer und Waren zu wirken. Ungeachtet der Bereitschaft zur Aufgabe dieser Traditionen, konnte die Harmonisierung und Anpassung der Rechtsordnungen an den Maßstab des Europarechts nur in Etappen, vorzugsweise priorisiert nach wirtschaftlicher Bedeutung, geschehen. Hierbei lag es in der Hand des Rates und der Kommission, das Ob und das Wie der sekundärrechtlichen Regelungen zur Verwirklichung des Binnenmarktes zu bestimmen. Entscheidend beeinflusst wurde die Wahl der Regelungsbereiche von volkswirtschaftlichen und pragmatischen Aspekten, aber auch von der tendenziell skeptischen Grundhaltung der Mitgliedstaaten. 1. Neue Impulse aus Brüssel: Jacques Delors und das Binnenmarktziel Nicht zu unterschätzen ist die persönliche Komponente in diesem Entwicklungsprozess. Zutreffend stellt Loth fest: „Der Verlauf des Integrationsprozesses wurde darum in hohem Maße von Politikern bestimmt, die die vielfach widersprüchlichen Empfindungen einer verunsicherten öffentlichen Meinung zu beeindrucken verstanden und die Handlungsspielräume, die sich ihnen boten, mit Entschlossenheit und taktischem Geschick nutzten.“327 So begann auch mit der Übernahme der Kommissionspräsidentschaft am 7.1.1985 durch den französischen Sozialisten und ehemaligen Finanzminister Jacques Delors eine neue Phase des „Europäischen Projekts“. Mit einer Mischung aus „Visionärem und Machbarem“328 gab er nicht nur der Kommission, sondern der gesamten Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einen zeitlich und inhaltlich ambitionierten Kurs zur Verwirklichung des Binnenmarktes bis 1992 vor: „I do not propose to review all the elements of this programme, particularly since it makes reference to the three missions entrusted to the Commission. The first is to manage. You know that the Commission has special responsibilities in this respect and concrete examples are 326

Vgl. S. 99. Wilfried Loth, Der Weg nach Europa – Geschichte der europäischen Integration 1939–1957, S. 138. 328 Jörg Thalmann, Die Kommission, in: Weidenfeld/Wessels, Jahrbuch der Europäischen Integration 1985, S. 69. 327

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given in the programme. The second is to advance where the Treaty so provides in directions not yet defined. The third is to innovate, in other words, to find ways and means of restoring to Europe the vigour which you and we would like to have.“329

Das Ziel, den Binnenmarkt bis 1992 zu verwirklichen, erforderte ein umfassendes Maßnahmenpaket zur Reform der institutionellen Ordnung der Gemeinschaft, insbesondere die Änderung der erforderlichen Mehrheiten im Rat, um damit die Umsetzung der Rechtsakte zu beschleunigen und den Integrationsprozess effizient und zielstrebig zu gestalten. Delors und seine Kommission legten nach Antritt ihres Amtes ein Programm zur Realisierung dieser Ziele vor. Mit dem Programm der Kommission für 1985330 und dem Weißbuch der Kommission „Zur Vollendung des Binnenmarktes bis 1992“331 entstand ein detaillierter Fahrplan für die stockende europäische Integration. a) Das Programm der Kommission für 1985 Der Schwerpunkt des Programms lag auf der Herstellung des Binnenmarkts, der Förderung von Spitzentechnologie als Europäischem Wettbewerbsvorteil, der Verbesserung der sozialen Verhältnisse in den Mitgliedstaaten und  – dies begleitend  – der Stärkung eines Europäischen Gemeingefühls („moving forward together“332). Um dies realisieren zu können, sah das Programm auch eine institutionelle Reform vor, die im Europäischen Rat von Mailand am 28. und 29.6.1985 und schließlich der Einheitlichen Europäischen Akte333 mit wesentlichen Änderungen, insbesondere der Anpassungen der Kompetenzen von Rat und Kommission sowie der Neuregelung der Entscheidungsmehrheiten in den Organen, mündete. Auch für den Bereich des öffentlichen Auftragswesens waren entscheidende Änderungen in das Programm aufgenommen worden. Hintergrund war die Erkenntnis, dass die Implementierung der Richtlinien an den  – oftmals kurzfristig verfolgten – Interessen der Mitgliedsstaaten und ihren Gebietskörperschaften scheiterten und daher ihren Zweck, die Öffnung der nationalen Beschaffungsmärkte durch Transparenz und gleichberechtigten Zugang aller Marktteilnehmer zu fördern, nicht erreichten. 329 Antrittsrede des Kommissionspräsidenten Jaques Delors am 12.3.1985 vor dem Euro­ päischen Parlament zur Vorstellung des Programms der Kommission für 1985, siehe „Statement by Jaques Delors“ im Bulletin of the European Communities, Supplement 4/85, S. 6, zugänglich über http://aei.pitt.edu. 330 Ebd. 331 Europäische Kommission, Vollendung des Binnenmarktes – Weißbuch der Europäischen Kommission an den Europäischen Rat, KOM (85) 310 endg. 332 Vgl. Programme of the Commission for 1985 (Fn. 329) S. 6 f. 333 Vgl. Gesetz zur Einheitlichen Europäischen Akte vom 28.2.1986 (BGBl. II 1986, 1102).

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Konkret sah das Programm einen 3-Punkte-Plan zur Harmonisierung des öffentlichen Auftragswesens vor: Neben der (1) Verbesserung der Durchsetzung sollten (2) die bestehenden Regelungen gemäß der Erfahrungen der letzten fünf Jahre erweitert und ergänzt werden.334 Insbesondere sollten (3)  die bisher vom Anwendungsbereich der Richtlinien ausgenommenen Sektorenauftraggeber nunmehr in das Richtlinienprogramm aufgenommen werden.335 Denn die Sektorenauftraggeber waren es, allen voran die Telekommunikationsdienstleister, die aufgrund des sich rasant entwickelnden technischen Fortschritts zu einer Wachstumsbranche wurden.336 b) Weißbuch der Kommission „Zur Vollendung des Binnenmarktes bis 1992“ Das Weißbuch der Kommission „Zur Vollendung des Binnenmarktes bis 1992“337 lieferte wenig später den konkreten Fahr- und Zeitplan für die Umsetzung der Ziele der Kommission. Einleitend stellt die Kommission darin klar: „[U]nzweideutige[s] Ziel des Vertrages war von Anfang an die Schaffung eines einheitlichen integrierten Binnenmarktes ohne Beschränkungen des Warenverkehrs, die Beseitigung der Hindernisse für den freien Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr, die Einführung eines Systems zur Verhinderung von Wettbewerbsverzerrungen im Gemeinsamen Markt, die für das störungsfreie Funktionieren des Gemeinsamen Marktes erforderliche Angleichung der Rechtsvorschriften und die Angleichung der indirekten Besteuerung im Interesse des Gemeinsamen Marktes.“338

Als eine von sieben Bereichen zur Verwirklichung des Binnenmarktes, fand das Vergaberecht einen prominenten Platz im Programm der Kommission: „Die fortdauernde Aufsplitterung in einzelstaatliche Vergabemärkte ist eine der augenfälligsten Schranken auf dem Weg zur Vollendung eines echten Binnenmarktes.“339 Die Erkenntnis, dass weder das bestehende sekundärrechtliche Vergaberechtsregime noch die mitgliedstaatlichen Maßnahmen zum Abbau der von den Grundfreiheit verbotenen Diskriminierungen eine bedeutsame Veränderung der Abschottung der nationalen Vergabemärkte bewirkt hatte, definierte den europarechtlichen Handlungsbedarf. 334

Programme of the Commission for 1985 (Fn. 329) S. 20. Programme of the Commission for 1985 (Fn. 329) S. 20. Deren Ausklammerung war damit gerechtfertigt worden, dass die Einrichtungen die die jeweiligen Leistungen erbringen, teils dem öffentlichen Recht, teils dem Privatrecht unterliegen. Vgl. hierzu den 8. Erwägungsgrund der späteren Sektorenkoordinierungs-RL 93/38/EWG, der die Sektorenauftraggeber schließlich mit in das europäische Vergabesekundärrecht einbezog. 336 Vgl. den 11. Erwägungsgrund der späteren Sektorenkoordinierungs-RL 93/38/EWG. 337 Europäische Kommission, Vollendung des Binnenmarktes – Weißbuch der Kommission an den Europäischen Rat vom 14. Juni 1985, KOM (85) 310 endg. 338 Ebd., Rn. 4. 339 Ebd., Rn. 81. 335

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„Um eine weitere Liberalisierung des öffentlichen Auftragswesens zu begünstigen, ist es im Interesse einer größeren Transparenz dringend geboten, die Richtlinien zu verbessern.“340 Als Teil dieser Verbesserungen sollte angesichts der hohen Zahl der Aufträge im Unterschwellenbereich eine Überprüfung der Schwellenwerte vorgenommen, ein System der vorherigen Unterrichtung eingerichtet, die Veröffentlichung der Zuschläge vorgeschrieben und die Qualität der statistischen Angaben verbessert werden.341 Während das Programm der Kommission für 1985 noch allgemein davon gesprochen hatte, dass der Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien auch auf die Sektoren und Bereiche des öffentlichen Beschaffungswesens auszuweiten sei,342 beschäftigte sich das Weißbuch bereits konkreter mit dieser Frage: „Ohne Zweifel muß der Geltungsbereich der Richtlinien vor 1992 erweitert werden; zusätzliche Maßnahmen sind jedoch erforderlich, um dem Umstand Rechnung zu tragen, daß einige Auftraggeber dieser Sektoren dem öffentlichen Recht unterliegen, während andere privatrechtliche Einrichtungen sind.“343

Der Feststellung, dass die mitgliedstaatlichen Vergabestellen nicht immer in „staatlichem Gewand“ Aufträge für Dienstleistungen, Lieferungen und Bauleistungen vergaben, folgte die Erkenntnis, dass das sekundärrechtliche Vergaberegime auch auf die Einrichtungen auszuweiten sei, die zwar privatrechtlich organisiert, aber dennoch dem Staat zuzurechnen sind. Bisher waren vom Anwendungsbereich nur der „Staat, seine Gebietskörperschaften und die sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts“ erfasst gewesen.344 Auch die Kontrolle und Erzwingung der Befolgung der Richtlinien sollte besser umgesetzt werden: „Wenn im übrigen deutlicher in Erscheinung tritt, daß die Kommission die Einhaltung der geltenden Rechtsvorschriften kontrolliert, würde das die Glaubwürdigkeit der Bemühungen der Gemeinschaft erhöhen, damit die psychologischen Hemmschwellen, sich über die Grenzen hinweg um Aufträge zu bemühen, ausgeräumt werden.“345

340

Ebd., Rn. 85. Ebd., Rn. 85. 342 Vgl. Wortlaut des Programme of the Commission for 1985 (Fn. 329) S. 20: „The Commission will act in three main directions, in parallel if necessary: […] (iii) extention of coverage to those sectors and areas of public procurement at present excluded form the directives.“ 343 Europäische Kommission, Vollendung des Binnenmarktes – Weißbuch der Kommission an den Europäischen Rat vom 14. Juni 1985, KOM (85) 310 endg., Rn. 86. 344 Siehe oben, S. 98. 345 Europäische Kommission, Vollendung des Binnenmarktes – Weißbuch der Kommission an den Europäischen Rat vom 14. Juni 1985, KOM (85) 310 endg., Rn. 85. 341

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c) Der Cecchini-Bericht als ökonomische Bestandsaufnahme Um der strauchelnden europäischen Integration aus ihrer Lethargie zu verhelfen, brauchte es die Vision von einem wirtschaftlich erfolgreichen Europa. Die Feststellung der Vorteile eines integrierten und harmonisierten Wirtschaftsraums sollte den Antrieb für die umfassende Reform des „Europäischen Hauses“346 bereiten. Zur Vorbereitung dieser „stillen Revolution“ wurde das Forschungsprogramm „Kosten der Nichtverwirklichung Europas“ unter der Verantwortung des damaligen Vizepräsidenten der Kommission, Lord Cockfield, federführend von Paolo Cecchini erarbeitet.347 „Ein Schuss in den Ofen“  – so beschrieb Cecchini das bisherige RichtlinienProgramm der EWG zur Liberalisierung und Koordinierung des gemeinschaftlichen Vergabewesens.348 In Zahlen ausgedrückt: das Volumen der von der öffentlichen Hand 1986 in den Mitgliedstaaten vergebenen öffentlichen Aufträge lag zwar mit 530 Mrd. ECU349 höher als der Umfang des grenzüberschreitenden Handels in der Gemeinschaft insgesamt (500 Mrd. ECU) und entsprach damit 15 % des BIP der EWG-Staaten. Gleichzeitig waren aber nur Aufträge im Wert von 0,14 % des BIP grenzüberschreitend vergeben worden.350 Neben nachvollziehbaren Gründen wie günstigeren Vertriebs- und Transportkosten, kürzeren Lieferzeiten und schneller verfügbaren Kundendiensten waren es aus der Sicht Cecchinis die Behörden der Mitgliedstaaten, die durch ihr Verhalten dazu beitrugen, dass sich die EWG-Gesetze als „Makulatur“ erwiesen.351 Die 346 Zu dem Begriff vgl. etwa Paul Kirchhof, Der Europäische Staatenverbund, in: von Bogdandy/Bast, Europäisches Verfassungsrecht, S. 1009 (1036)). 347 Vgl. Jaques Delors, Vorwort, in: Paolo Cecchini, Europa ’92 – der Vorteil des Binnenmarkts, S. 7. 348 Paolo Cecchini, Europa ’92 – der Vorteil des Binnenmarkts, S. 37. 349 ECU ist die Abkürzung für European Currency Unit, die bis zur Ablösung durch den Euro die maßgebliche Europäische Währungseinheit war. Zurück geht diese Einheit auf die Gründung des Europäischen Währungsfonds mit der VO (EWG) 907/73 des Rates vom 3.4.1973 zur Errichtung eines Europäischen Währungsfonds für währungspolitische Zusammenarbeit, ABl. 1973 L 89/2. Der Fonds sollte die stufenweise Verwirklichung einer Wirtschafts- und Währungsunion (vgl. Entschließung des Rates und der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten vom 22.3.1971 über die stufenweise Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion in der Gemeinschaft, ABl. 1971 C 28/1) betreiben. Gem. Art. 5 VO (EWG) 907/73 sollten alle Transaktionen des Fonds in einer europäischen Währungseinheit ausgedrückt werden, deren Wert 0,8867088 Gramm Feingold beträgt. Um diese Einheit den geltenden Regeln des internationalen Währungssystems anzupassen, wurde mit der VO (EWG) 3180/78 des Rates vom 18.12.1978 zur Änderung des Wertes der vom Europäischen Fonds für währungspolitische Zusammenarbeit verwendeten Rechnungseinheiten, ABl. 1978 L 379/1, die Einheit ECU festgesetzt, die als Summe festgelegter Beträge der mitgliedstaatlichen Währungen (Beispiel 1978 für Deutschland: 0,828 Deutsche Mark) ausgedrückt wurde. Dieser „Währungskorb“ wurde bis zum 31.12.1998 (vgl. ABl. 1999 C 2/2, letztmalige Festlegung im Verhältnis zur Deutschen Mark 1,95583) fortlaufend angepasst. Seit dem 1.1.1999 übernimmt der EURO diese Funktion. 350 Paolo Cecchini, Europa ’92 – der Vorteil des Binnenmarkts, S. 37. 351 Ebd., S. 37, 39.

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„tiefe Kluft zwischen liberalem Schein und protektionistischer Wirklichkeit“ erklärte der Cecchini-Bericht mit der Ausnahme der Sektoren aus dem Anwendungsbereich der Richtlinien, den vielen „Schlupflöchern“, die staatlicher Willkür „Tür und Tor“ öffneten sowie dem Fortbestand anderer Handelsschranken, die zu Preisunterschieden und Wettbewerbsverzerrungen führten.352 Der Bericht errechnete für das öffentliche Beschaffungswesen konkrete Beispiele mit Einsparungsmöglichkeiten durch grenzüberschreitende Ausschreibungen von bis zu 70 %.353 Er wurde damit dem Auftrag der Studie gerecht, die Vorteile, die durch den Wegfall der bestehenden Handelsbeschränkungen entstehen würden, herauszustellen. Die vom Bericht errechneten Prognosen erwiesen sich in den folgenden Jahren jedoch als unrealistisch.354 Ungeachtet dessen wird der Cecchini-Bericht nach wie vor als Grundlage für Hochrechnungen des Sparpotenzials der grenzüberschreitenden Auftragsvergabe herangezogen.355 Vor allem jedoch veranlassten der Bericht und die ihm zugrunde liegenden Berechnungen des wirtschaftlichen Potenzials eines harmonisierten innergemeinschaftlichen Vergabemarktes die Europäische Kommission, auch künftig bei der Rechtssetzung einen starken Fokus auf den Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens zu legen.356 d) Der beratende Ausschuss der Kommission für die Öffnung des öffentlichen Auftragswesens Mit dem Programm der Kommission für 1985 und dem Weißbuch Zur Vollendung des Binnenmarktes bis 1992 hatte die Kommission unter Jacques Delors eine inhaltliche, kritische Inventur der angestrebten Integrationsziele vorgelegt und die Mängel und Unzulänglichkeiten des bestehenden Regelwerks benannt. Deutlich geworden war, dass „die wirksame und nachhaltige Öffnung des öffentlichen Auftragswesen in der gesamten Gemeinschaft“ ein „vorrangiges Ziel 352

Paolo Cecchini, Europa ’92 – der Vorteil des Binnenmarkts, S. 40. Vgl. hierzu ausführlich die Übersichten in Paolo Cecchini, Europa ’92 – der Vorteil des Binnenmarkts, S. 41 f. 354 Vgl. Ingelore Seidel und Susanne Mertens, H. Wettbewerbsregeln, IV. Öffentliches Auftragswesen, in: Dauses, EU-Wirtschaftsrecht (25. Ergänzungslieferung), Rn.  20. Vgl. exemplarisch zu den Entwicklungen zwischen 1995 und 2002 den Bericht der Europäischen Kommission vom 3.2.2004, A report on the functioning of public procurement markets in the EU: benefits from the application of EU directives and challenges for the future, zugänglich über http://ec.europa.eu. 355 Vgl. Ingelore Seidel und Susanne Mertens, H. Wettbewerbsregeln, IV. Öffentliches Auftragswesen, in: Dauses, EU-Wirtschaftsrecht (25. Ergänzungslieferung), Rn. 20. 356 Vgl. Kay Hailbronner, B. Öffentliches Auftragswesen, 1. Einleitung, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union (25. Ergänzungslieferung), Rn. 8. 353

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der Gemeinschaft auf dem Wege zur Vollendung des Binnenmarktes bis 1992“357 sein musste. Voraussetzung für die Erarbeitung eines neuen Richtlinienprogramms war eine Bestandsaufnahme der „wirtschaftlichen, technischen, juristischen und sozialen Gegebenheiten im Zusammenhang mit öffentlichen Aufträgen“358. Zu diesem Zwecke setzte die Kommission einen beratenden Ausschuss ein, zusammengesetzt aus unabhängigen Sachverständigen.359 Neben der beratenden Funktion, die in erster Linie in der Zusammenstellung eines umfassenden Lage­bildes bestand, sollte der Ausschuss Adressat für „interessierte Kreise“ sein, um „die durch die Anwendung der einschlägigen Gemeinschaftsregeln aufgeworfenen Probleme“360 zu erfassen. Der Ausschuss bestand bis in das Jahr 2011, in dem er durch eine Stakeholder-Expertengruppe der Kommission für das öffentliche Auftragswesen361 ersetzt wurde. 2. Die Lehren aus dem Scheitern: Überarbeitung der Richtlinien der ersten Generation Der ernüchternden Bestandsaufnahme der Kommission über den Zustand des Vergabesekundärrechts und seiner Implementierung folgte die Überarbeitung der Richtlinien der ersten Generation, die entschieden an deren Schwachstellen ansetzte. a) Hintergrund Das von der Kommission auf der Grundlage des Grünbuchs vorgelegte Aktions­ programm „Die öffentlichen Beschaffungsmärkte in der Gemeinschaft“ sah in einem ersten Schritt die Verbesserung der bestehenden Koordinierungsrichtlinien vor.362 Neben der strengeren und einheitlichen Auslegung der Richtlinien mussten u. a. die freihändige Vergabe eingedämmt, die Ausnahmen begrenzt, vorherige In 357

Vgl. Europäische Kommission, Beschluss 87/305/EWG vom 26.5.1987 zur Einsetzung eines Beratenden Ausschusses für die Öffnung des öffentlichen Auftragswesens, ABl. 1987 L 152/32, 1. Erwägungsgrund. 358 Vgl. 2. Erwägungsgrund, Europäische Kommission, Beschluss 87/305/EWG vom 26.5.1987 zur Einsetzung eines Beratenden Ausschusses für die Öffnung des öffentlichen Auftragswesens, ABl. 1987 L 152/32. 359 Vgl. ebd., Art. 4. 360 Vgl. ebd., Art. 2. 361 Europäische Kommission, Beschluss 2011/C 291/02 vom 3.9.2011 zur Einsetzung einer Stakeholder-Expertengruppe der Kommission für das öffentliche Auftragswesen und zur Aufhebung des Beschlusses 87/305/EWG zur Einsetzung eines Beratenden Ausschusses für die Öffnung des öffentlichen Auftragswesens, ABl. 2011 C 291/2. 362 Europäische Kommission, Die öffentlichen Beschaffungsmärkte in der Gemeinschaft, KOM (86) 375 endg. Das Dokument ist nicht im Amtsblatt veröffentlicht und auch (noch) nicht über das Dokumentensystem der EU (EurLex) zugänglich. Es befindet sich daher in Anhang I zu dieser Arbeit.

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formation der einschlägigen Unternehmen eingeführt363 und eine gerichtliche Verfolgung von Nichteinhaltungen der Richtlinien betrieben werden.364 Ebenso galt es, Unterschiede in technischen Vorschriften zu beseitigen, ausreichend Transparenz durch die Einführung von Informationssystemen herzustellen365 und den Anwendungsbereich an die Vergaberealitäten anzupassen. Nachdem die Lieferkoordinierungs-RL 77/62/EWG mit der Lieferkoordinierungs-ÄndRL 80/767/EWG an die Maßgaben der von 1973 bis 1979 im Rahmen der GATT ausgehandelten Übereinkommen366 angepasst worden war, musste nun die Koordinierung der Vergabeverfahren für öffentliche Lieferaufträge überprüft und reformiert werden. Gleiches galt für die Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG. Gemeinsam mit ca. 300 weiteren, aufgrund von Reformbedarf von der Kommission vorgelegten Beschlüssen und Entscheidungen, sollten diese Änderungen zur Beseitigung der Binnengrenzen beitragen.367 b) Die Besonderheiten des Änderungsverfahren Die Änderungen der Lieferkoordinierungs-RL 77/62/EWG und der Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG kamen im sog. Kooperationsverfahren zustande, das durch die Einheitliche Europäische Akte368 eingeführt worden war und eine stärkere Beteiligung des Europäischen Parlaments bedeutete.369 Die stärkere Beteiligung zeigte sich bereits im institutionellen Verfahren zur­ Änderung der Lieferkoordinierungs-RL 77/62/EWG. Die Kommissionsvorlage vom 19.6.1986370 war Gegenstand zahlreicher redaktioneller Änderungen. Die diversen Änderungsanträge und Überarbeitungen hinterließen inhaltlich Spuren. Trotz aller Bemühungen um die Verbesserung der verfahrenstechnischen und -rechtlichen Defizite scheiterte der Versuch, die bisher ausgeschlossenen Sektoren mit aufzunehmen371 sowie die Überwachungsfunktion der Kommission zu 363 Europäische Kommission, Die öffentlichen Beschaffungsmärkte in der Gemeinschaft, KOM (86) 375 endg., III. Aktionsprogramm, S. 6. 364 Vgl. ebd., S. 7. 365 Vgl. ebd. 366 Vgl. hierzu die mit Beschluss 80/271/EWG des Rates vom 10.12.1979, ABl. 1980 L 71/1, genehmigten Handelsübereinkommen, insbesondere das Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen vom 12.4.1979, ABl. 1980 L 71/44. 367 Jaques Delors, Vorwort, in: Paolo Cecchini, Europa ’92 – der Vorteil des Binnenmarkts, S. 4. 368 Einheitliche Europäische Akte (EEA) vom 17. bzw. 28.2.1986, ABl. 1987 L 169/1. 369 Art. 189c EWG in der Fassung nach Änderung durch die EEA. 370 Europäische Kommission, Vorschlag einer Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 77/62/EWG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge und zur Streichung einiger Bestimmungen der Richtlinie 80/767/EWG, KOM (86) 297 endg. 371 Vgl. Europäisches Parlament, Protokoll der Sitzung vom Donnerstag, 9.7.1987, ABl. 1987 C 246/4, S. 79 zu Art. 3 (Änderung des Artikel 2 der RL): „[…] Nach Artikel 2 Absatz 2 ist folgender neuer Absatz einzufügen: 2a. Die nicht spezifischen produktgebundenen Beschaffungen der gemäß Absatz 2 ausgeschlossenen Sektoren fallen mit unmittelbarer Wirkung in den

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stärken372. Ein weiterer Rückschlag stellte die Neufassung von Art.  26 der RL dar, wonach es den nationalen Vergabestellen erlaubt sein sollte, vergabefremde Zwecke zu verfolgen, „um den Abstand zwischen den Regionen zu verringern und die Schaffung von Arbeitsplätzen“ zu fördern.373 c) Die Erweiterung des öffentlichen Auftraggeberbegriffs im Wettlauf von Kommission und EuGH Einen grundlegenden Systemwechsel brachte die Änderung und Anpassung des Anwendungsbereichs des Richtlinienrechts. Während die LieferkoordinierungsRL 77/62/EWG durch die Lieferkoordinierungs-ÄndRL 88/295/EWG keine tatbestandliche Erweiterung des Kreises der unter die RL fallenden Auftraggeber erfuhr, sondern nach wie vor für die nähere Definition der Gebietskörperschaften auf Anhang I verwiesen wurde, kam es mit der Baukoordinierungs-ÄndRL 89/440/ EWG zu einer Neufassung des persönlichen Anwendungsbereichs der Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG. Mit dem 1. Vorschlag für eine Richtlinie zur Änderung der BaukoordinierungsRL 71/305/EWG vom 23.12.1986374 hatte die Kommission einen Entwurf für eine Tatbestandserweiterung vorgelegt, der auch private und öffentliche Unternehmen umfassend mit in den Anwendungsbereich einbezog. Zur Begründung erläuterte sie: „Im Hinblick auf eine möglichst große Öffnung der Märkte für öffentliche Bauaufträge erwies es sich als zweckmäßig, die öffentlichen oder privaten Unternehmen als öffentliche Auftraggeber zu betrachten, die den normalen Wettbewerbsbedingungen dadurch entzogen sind, daß die öffentliche Verwaltung ihnen entweder bestimmte Konzessionen übertragen oder besondere oder ausschließliche Rechte im Sinne des Art. 90 des EWG-Vertrages gewährt hat.“375

Im Rahmen des weiteren Rechtsetzungsverfahrens wurde klar, dass die Einbe­ ziehung von öffentlichen oder privaten Unternehmen im Sinne des mit dem 1. Vorschlag der Kommission eingefügten Art. 1 lit. b) 1. Spiegelstrich in der vorliegenden Form nicht hilfreich war: Geltungsbereich dieser Richtlinie. Für die übrigen Beschaffungen in den betreffenden Sektoren legt der Rat auf Vorschlag der Kommission und nach Stellungnahme des Parlaments eine Regelung zur vollständigen Öffnung der Vergabe öffentlicher Lieferaufträge in diesen Sektoren für den innergemeinschaftlichen Wettbewerb fest; in Ermangelung einer solchen Regelung tritt die vorliegende Richtlinie spätestens zum 1. Juli 1990 auch für diese Sektoren in Kraft.“ 372 Vgl. Europäisches Parlament, Protokoll der Sitzung vom Donnerstag, 9.7.1987, ABl. 1987 C 246/4, S. 83 zu Art. 14 (Änderung des Artikel 29 der RL) in Bezug auf die Aufnahme der freihändig vergebenen Aufträge in die Berichtspflicht der Mitgliedstaaten. 373 Vgl. Art. 16 der Lieferkoordinierungs-ÄndRL 88/295/EWG. 374 Europäische Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 71/305/EWG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, KOM (86) 679 endg. 375 Ebd., II. Erläuterungen zu den Artikeln, Artikel 2, S. 5.

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„Es hat sich gezeigt, daß die Einbeziehung öffentlicher oder privater Unternehmen in den Anwendungsbereich Grundsatzfragen aufwirft, auf die eine Antwort gefunden werden muß, und zwar nicht in einem horizontalen Rahmen, wie in der Richtlinie über Bauaufträge, sondern eher im Rahmen der spezifischen Maßnahmen, die für die ausgenommenen Sektoren erlassen werden.“376

Nachdem die Fallgruppe der „öffentlichen oder privaten Unternehmer“ in der Gestalt des 1. Vorschlags der Kommission nicht überzeugt hatte, beschloss man, die Kategorie der „juristischen Person des öffentlichen Rechts“ anzupassen: „Im Hinblick auf eine ausgewogene Anwendung der Richtlinie scheint es unerläßlich, den Begriff der ‚juristischen Person öffentlichen Rechts‘ durch den Begriff der ‚Einrichtung des öffentlichen Rechts‘ zu ersetzen und ihn durch eine Reihe kumulativer Kriterien zu definieren, die der Rechtsprechung des Gerichtshof im Bereich des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs, dem abgeleiteten Gemeinschaftsrecht und den in einigen Mitgliedstaaten geltenden Begriffsbestimmungen entnommen sind.“377

In der Folge stellte die Kommission in ihrem geänderten Richtlinienvorschlag vom 21.6.1988 auf einen funktionalen Staatsbegriff ab und begrub endgültig den engen, enumerativen Ansatz, den Öffentlichen Auftraggeberbegriff institutionell zu bestimmen. Mit der Änderung kam es zu einer Ausweitung des Anwendungsbereichs der Richtlinie. Eine Umgehung der Vorschriften wurde damit erschwert.378 An die Stelle der Fallgruppe der juristischen Personen des Öffentlichen Rechts trat die Einrichtung des öffentlichen Rechts, welche durch Art.  1 Baukoordinierungs-ÄndRL 89/440/EWG in der Fassung des geänderten Vorschlags der Kommission in Art. 1 b) UAbs. 2 Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG wie folgt neu definiert wurde: „Als Einrichtung des öffentlichen Rechts gilt jede Einrichtung, –– die zu dem besonderen Zweck gegründet wurde, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben zu erfüllen, die nicht gewerblicher Art sind, und –– die Rechtspersönlichkeit besitzen und 376 Europäische Kommission, Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Ände­ rung der Richtlinie 71/305/EWG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, KOM (88) 354 endg. Erläuterung zu Art. 2, S. 5. Dieser Vorschlag ist nicht im Amtsblatt der EU veröffentlicht. Über die Datenbank der EU (EurLex) ist er ebenfalls (noch) nicht abrufbar. Daher wurde ein Auszug in Anhang II zu dieser Arbeit abgedruckt. 377 Europäische Kommission, Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 71/305/EWG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, KOM 88) 354 endg., Erläuterung zu Art. 2, S. 5. 378 Vgl. auch Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss, Stellungnahme zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 71/305/EWG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, ABl. 1987 C 319/55, unter 2.1. (Allgemeine Bemerkungen); siehe auch Ingelore Seidel, ZfBR 1995, S. 227 (230): „Mit der Neufassung von 1989 sollte sichergestellt werden, daß keine juristischen Formen entwickelt werden, die es ermöglichen, die Beschaffung bestimmter Bauleistungen durch die öffentliche Hand der Anwendung der Richtlinie zu entziehen.“

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–– die überwiegend vom Staat, den Gebietskörperschaften oder anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts finanziert wird oder die hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht durch letztere unterliegt oder deren Verwaltungs- oder Aufsichtsorgan mehrheitlich aus Mitgliedern besteht, die vom Staat den Gebietskörperschaften oder anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts ernannt worden sind.“379

Diesen funktionalen Ansatz griff der EuGH bereits vor dem endgültigen Inkrafttreten der Baukoordinierungs-ÄndRL 89/440/EWG in seiner Entscheidung Beentjes 1988 auf. Um das Ziel der Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG, die tatsächliche Verwirklichung der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit auf dem Gebiet der öffentlichen Bauaufträge, zu erreichen, sah der Gerichtshof auch die Einrichtung als vom Anwendungsbereich erfasst, „die geschaffen wurde, um ihr durch Gesetz zugewiesene Aufgaben zu erfüllen, die jedoch nicht förmlich in die staatliche Verwaltung eingegliedert ist“380. Das von der Kommission im 2.  Richtlinienvorschlag zur Änderung der Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG vom 21.6.1988 entwickelte Tatbestandsmerkmal fand Eingang in die Entscheidung des EuGH, in dem der Gerichtshof es wie folgt umschrieb: „Eine Einrichtung der hier in Rede stehenden Art, deren Zusammensetzung und Aufgaben gesetzlich geregelt sind und die insoweit von der öffentlichen Hand abhängig ist, als diese ihre Mitglieder ernennt, die Beachtung der sich aus ihren Handlungen ergebenden Verpflichtungen gewährleistet und die von ihr vergebenen öffentlichen Aufträge finanziert, ist daher als dem Staat im Sinne der vorgenannten Bestimmung zugehörig anzusehen, auch wenn sie formell kein Bestandteil desselben ist.“381

Da die am 18.7.1989 verabschiedete Baukoordinierungs-ÄndRL 89/440/EWG zur Änderung der Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG erst nach der BeentjesEntscheidung des EuGH vom 20.9.1988 endgültig in Kraft trat, entstand der Eindruck, die Kommission hätte die richterrechtliche Fortentwicklung des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers des EuGH kodifiziert. Vielmehr ist vom Gegenteil auszugehen. In Anlehnung an den bereits bei Urteilsbegründung vorliegenden Richtlinienentwurf der Kommission griff der EuGH das „neue“ Tatbestandsmerkmal auf und bereitete ihm noch vor Inkrafttreten den Weg. Entgegen der bisher weit verbreiteten Auffassung382 ist damit anzunehmen, dass die Fortentwicklung des persönlichen Anwendungsbereichs von der Europäischen 379

Vgl. Wortlaut in Europäische Kommission, Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 71/305/EWG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, KOM 88, 354 endg., Art. 2. Dieser Vorschlag ist nicht im Amtsblatt der EU veröffentlicht. Über die Datenbank der EU (EurLex) ist er ebenfalls (noch) nicht abrufbar. Daher wurde ein Auszug in Anhang II zu dieser Arbeit abgedruckt. 380 EuGH 1988, 4652 Rn. 11 (31/87) – Beentjes. 381 Ebd., Rn. 12. 382 So z. B. Herrmann Pünder, § 98 Auftraggeber, in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht – Handkommentar, Rn. 12, insb. 17; Meinrad Dreher, Vor §§ 97 ff. GWB, in: Immenga/Mest-

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Kommission und nicht vom EuGH ausging, auch wenn der Vorschlag der Kommission mit dem Urteil des EuGH zur funktionalen Interpretation des Auftraggeberbegriffs zeitlich koinzidierte. d) Der sachliche Anwendungsbereich, die Bereichsausnahmen383 und Schwellenwerte Auch der sachliche Anwendungsbereich der Richtlinien wurde angepasst. Die Begriffe „öffentliche Bauaufträge“ und „öffentliche Lieferaufträge“ wurden genauer definiert.384 Zudem wurden drei zulässige Vergabeverfahren festgeschrieben und definiert.385 Zu nennen ist auch die Neudefinition der Bereichsausnahmen der Art. 3 Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG und Art. 2 Lieferkoordinierungs-RL 77/62/EWG mit dem Ziel, durch die gebildeten Fallgruppen eine unterschiedliche und wettbewerbsverzerrende Auslegung der Vorschrift zu verhindern.386 In der Neufassung der Lieferungskoordinierungs-RL 77/62/EWG wurde in Art. 2a ausdrücklich klargestellt, dass grundsätzlich auch die Vergabe von Aufträgen öffentlicher Auftraggeber im Bereich der Verteidigung erfasst sein soll. Die Ausnahme für Waren, auf die Art. 223 Abs. 1 b) des Vertrages Anwendung fand, bestand jedoch fort.387 Für Bauaufträge wurde die Berechnung der Schwellenwerte präzisiert. Der neue Schwellenwert für ausschreibungsbedürftige öffentliche Aufträge wurde von 1 Mio. ECU gem. Art. 4a Abs. 1 Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG auf 5 Mio. ECU angehoben.388 Für die Auftragsvergabe von Lieferungen blieb der Schwellenwert bei 200.000 ECU.389 Besonderheiten ergaben sich für Beschaffungsstellen, die den GATT-Regelungen unterlagen.390

mäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 2: GWB, Rn. 104 f. m. w. N. Fn. 4; Fridhelm Marx, § 98 GWB, in: Motzke/Pietzcker/Prieß, Beck’scher VOB-Kommentar Teil A (2001), Rn. 2; Oliver Mader, EuZW 1999, S. 331 (334); Jan Ziekow, NZBau 2004, 181 (182) und Fn. 4; Rüdiger Kratzenberg, NZBau 2009, S. 103. 383 Siehe hierzu auch umfassend Kathrin Stolz, Das öffentliche Auftragswesen in der EG, S. 73 ff. 384 Vgl. Art.  1 a)  der neu gefassten Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG, geändert durch Art.  2 Baukoordinierungs-ÄndRL 89/440/EWG und Art.  1 lit. a)  Lieferkoordinierungs-RL 77/62/EWG, geändert durch Art. 2 Lieferkoordinierungs-ÄndRL 88/295/EWG. 385 Vgl. zum offenen, nicht offenen Verfahren sowie dem Verhandlungsverfahren Art. 1 lit. e) bis g) Art. 1 lit. d) bis f) Lieferkoordinierungs-RL 77/62/EWG in der geänderten Fassung. 386 Vgl. Art. 3 Abs. 4 der neu gefassten Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG (Änderung gem. Art. 1 Nr. 4 Baukoordinierungs-ÄndRL 89/440/EWG). 387 Vgl. zur Sonderrolle des Verteidigungssektors im vergabesekundärrechtlichen Gefüge, Dominik Eisenhut, Europäische Rüstungskooperation. 388 Änderung gem. Art. 1 Nr. 6 Baukoordinierungs-ÄndRL 89/440/EWG. 389 Vgl. Art. 5 Lieferkoordinierungs-RL 77/62/EWG. 390 Vgl. hierzu Kathrin Stolz, Das öffentliche Auftragswesen in der EG, S. 75.

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3. Die Einbeziehung der Sektorenauftraggeber in das Vergabesekundärrecht Die Ausnahme der sog. Sektorenauftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Telekommunikation von den Anwendungsbereichen der Richtlinien war nicht als politische Entscheidung gegen eine Anwendung des Vergaberechts auf diesen Beschaffungsbereich zu verstehen gewesen. Vielmehr bestand Einigkeit, dass eine Einbindung in die geltenden Beschaffungsrichtlinien aufgrund der unterschiedlichen Rechtsformen nicht ohne weiteres zu realisieren war.391 Aus diesem Grund war die Schaffung einer besonderen Beschaffungsrichtlinie für erforderlich angesehen worden.392 Wie aber dem Umstand der unterschiedlichen rechtlichen Konstituierung der Sektorenunternehmen begegnet werden sollte, blieb lange Zeit umstritten.393 So dauerte es bis 1990, als schließlich eine eigene – umfangreiche – Nomenklatur für die Sektorenauftraggeber in Kraft trat. Die erste Sektorenvergabe-RL 90/531/EWG adressierte gem. Art.  2 Abs.  1 Buchstabe a) in bekanntem Maße die staatlichen Behörden, zu denen im Sinne von Art. 1 Nr. 1 der RL der Staat, die Gebietskörperschaften, Einrichtungen des öffentlichen Rechts und Verbände sowie „öffentliche Unternehmen“ im Sinne von Art. 1 Nr. 2 der RL zählten. Der „systematische Paukenschlag“ fand sich in Art. 2 Abs. 1 lit. b) Sektorenvergabe-RL 90/531/EWG. Danach wurden auch jene Einrichtungen dem Anwendungsbereich unterworfen, die eine der von der Richtlinie genannten Tätigkeiten aufgrund von besonderen oder ausschließlichen Rechten ausübten, die ihnen von einer zuständigen Behörde eines Mitgliedstaates gewährt wurden. Diese Einrichtungen bezeichnete Hailbronner als „beliehene Unternehmen“.394 Als Anknüpfungspunkt zur Bestimmung dieser Unternehmen wählte die Sektorenrichtlinie in erster Linie die Versorgungstätigkeit.395 Diese Tätigkeit fand sich in Art.  2 Abs.  2 Sektorenvergabe-RL 90/531/EWG legaldefiniert und umfasste in genauer Enumeration die Bereiche der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie die Telekommunikation. Es reichte folglich aus, als Unternehmen in einem dieser Bereiche mit Genehmigung oder ähnlichem behördlichen Titel tätig zu sein, um in den persönlichen Anwendungsbereich zu fallen. Die Reichweite des europäischen Vergaberechtsregimes war damit immens erweitert worden. 391

Vgl. Fn. 335. Klaus Kemper, Vorbemerkung VOB/A, in: Motzke/Pietzcker/Prieß, Beck’scher VOBKommentar Teil A (2001), Rn. 4. 393 Ebd., Rn. 5. 394 Kay Hailbronner, EWS 1995, S. 285 (286). 395 Ingelore Seidel, ZfBR 1995, S. 227 (230). 392

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Zu Bedeutung gelangte die Richtlinie jedoch nicht. Mit der Sektorenkoordinierungs-RL 93/38/EWG vom 14.6.1993 folgte ihr bereits wenige Monate nach Ablauf der Umsetzungsfrist eine neue Sektorenrichtlinie, die sie gem. Art. 45 Abs. 3 Sektorenkoordinierungs-RL 93/38/EWG ersetzte. Da die Mitgliedstaaten ohnehin wenige Anstrengungen unternommen hatten, entsprechende Durchführungsmaßnahmen zu veranlassen, war die Sektorenvergabe-RL 90/531/EWG nicht mehr als die Vorlage für die neue Basisrichtlinie für Sektorenauftraggeber, die Sektorenkoordinierungs-RL 93/38/EWG. 4. Die Beschränkung der „Umsetzungsautonomie“ der Mitgliedstaaten Zu den wesentlichen Mängeln der ersten Generation der Vergaberichtlinien zählte das Fehlen vorgeschriebener Rechtsschutzmöglichkeiten zur Nachprüfung und Einleitung von vorläufigen Maßnahmen, die eine rechtsfehlerhafte Auftragsvergabe stoppen konnten. Da es meist kein Zugang zu den Gerichten bei Streitigkeiten über die Rechtmäßigkeit einer Vergabeentscheidung gab, kam es folglich auch zu keiner richterrechtlichen Rechtsfortbildung, die an die Stelle der fehlenden Richtlinienumsetzung durch die nationalen Gesetzgeber hätte treten können. Die fehlenden Rechtsschutzmöglichkeiten hielten letztlich die Unternehmen davon ab, sich grenzüberschreitend auf öffentliche Ausschreibungen zu bewerben, da keine rechtsstaatliche Garantie in Form von gerichtlichen Überprüfungsmöglichkeiten bestand, die den erhöhten Aufwand einer solchen Bewerbung ge­ rechtfertigt hätten. Diesen Zustand sollte die Nachprüfungs-RL 89/665/EWG ändern. Sie ist in erster Linie dem Richtlinienprogramm der 1.  Generation zuzuordnen, wenngleich sie – anknüpfend an die Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG und die Lieferkoordinierungs-RL 77/62/EWG in den geänderten Fassungen von 1988 und 1989 – für sich genommen das europäische Vergaberecht ein wenig revolutionierte. Anlässlich des Versagens der Mitgliedstaaten, für eine effektive Anwendung der Richtlinienvorschriften zu sorgen, entschied sich der Gemeinschaftsgesetzgeber dafür, die „freie Wahl der Mittel“396 bei der Richtlinienumsetzung zu beschränken. Mit der Nachprüfungs-RL 89/665/EWG und später der Sektorennachprüfungs-RL 92/13/EWG wurde den Mitgliedstaaten vorgeschrieben, welche Rechtsmittel vorzusehen, aber auch welche Rechtsfolgen festzusetzen waren, um die volle Wirksamkeit der Vergaberichtlinien zu gewährleisten. Dies galt insbesondere für die Möglichkeit der Geltendmachung von Schadensersatz, die Generalanwalt Tesauro in der Entscheidung Brasserie du Pêcheur so beschrieb: 396

Siehe zur Richtlinie als Rechtssetzungs- und Rechtsangleichungsinstrument unten, S. 220 ff.

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„Der Gemeinschaftsgesetzgeber ist in Anbetracht einer großen Lösungsvielfalt in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten nicht nur unter dem Gesichtspunkt des materiellen und damit tatsächlichen Schutzes, sondern auch für den Fall des fehlenden oder unzureichenden Schutzes dadurch tätig geworden, daß er ein – sicher in nicht wenigen nationalen Rechtsordnungen unbekanntes – System des Ersatzes der Schäden vorgesehen hat, die aus der Rechtswidrigkeit des Ausschreibungsverfahrens folgten.“397

Insgesamt blieb die Nachprüfungs-RL 89/665/EWG sehr vage. Hinsicht­lich des berechtigten Personenkreises, der Verfahrensrechte und des Umfangs des Rechtsschutzes sprach sie lediglich von „erforderlichen Maßnahmen“ und davon, dass es Aufgabe der Mitgliedstaaten sei, „sicherzustellen“398, dass ein hinreichendes Maß an Rechtsschutz vorhanden sei. Die Ausgestaltung des geforderten Schutzniveaus wurde den Mitgliedstaaten überlassen. Damit waren diese frei bei der Definition der geschützten Personenkreises i. S. d. Art.  1 Abs.  3 Nachprüfungs-RL 89/665/ EWG, solange derjenige miteinbezogen wurde, „der ein Interesse an einem bestimmten öffentlichen Liefer- oder Bauauftrag hat oder hatte und dem durch einen behaupteten Rechtsverstoß ein Schaden entstanden ist bzw. zu entstehen droht“399. Gleiches galt für die Verfahrensrechte der Bieter400 sowie die Rechtsfolgen, die sich aus einem Nachprüfverfahren ergeben sollten. Letztere konnte beispielsweise auf Schadensersatz beschränkt werden.401 Schließlich wurde es den Mitgliedstaaten überlassen, ob ein Nachprüfverfahren einen automatischen Suspensiveffekt auf das betreffende Verfahren haben soll402 und ob ein Anspruch auf vorläufigen Rechtsschutz im Rahmen einer Interessenabwägung gewährt wird.403 Trotz ihrer Schwächen gewann die Richtlinie in der Folge Bedeutung als Bewertungsmaßstab für die meist unterentwickelten vergaberechtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten in den Mitgliedstaaten.404

397

Generalanwalt Tesauro, Schlussanträge vom 28.11.1995, in EuGH 1996, I-1029 Rn. 46 f. und Fn. 56 (verb. Rs. C-46/93 und C-48/93) – Brasserie du Pêcheur und Factorame, in denen er in diesem Zusammenhang von einer „Kulturrevolution“ sprach. 398 Vgl. Art 1 Abs. 1 Nachprüfungs-RL 89/665/EWG. 399 Vgl. Art. 1 Abs. 3 Nachprüfungs-RL 89/665/EWG. 400 Vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. a), lit. b), lit. c) Nachprüfungs-RL 89/665/EWG. 401 Vgl. Art. 2 Abs. 6 UAbs. 2 Nachprüfungs-RL 89/665/EWG und Jochem Gröning, Systm. Darstellung IV, in: Motzke/Pietzcker/Prieß, Beck’scher VOB-Kommentar  – Teil A (2001), Rn. 20. 402 Vgl. Art. 2 Abs. 3 Nachprüfungs-RL 89/665/EWG. 403 Vgl. Art. 2 Abs. 4 Nachprüfungs-RL 89/665/EWG. 404 Siehe unten insbesondere bei der Bewertung der „haushaltsrechtlichen Lösung“ im deutschen Recht, S. 132 ff.; ebenso auch EuGH 1995, I-02303 (C-433/93) – Kommission/Bundesrepublik Deutschland.

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5. Die Konsolidierung mit den Basisrichtlinien von 1992/1993 Das Europäische Vergaberecht war Ende der 1980er Jahre unsanft aus seinem „Dornröschenschlaf“405 geweckt worden. Die Bestandsaufnahme der Kommission hatte ein ineffizientes und für die Verwirklichung des Binnenmarktes unzureichendes Regelwerk offenbart, das zwar über substantiierte und differenzierte Vorschriften, jedoch zu viele Ausnahmen und vage Tatbestände verfügte.406 Mit der Überarbeitung der Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG und Lieferkoordinierungs-RL 77/62/EWG war ein schwungvoller Neuanfang gelungen. Mit der Lieferkoordinierungs-ÄndRL 88/295/EWG und der Baukoordinierungs-ÄndRL 89/440/EWG zur Änderung der beiden Koordinierungsrichtlinien für Bau- und Lieferaufträge waren der Anwendungsbereich überarbeitet, die Informationspflicht eingeführt, die Transparenz der Vergabeverfahren verbessert und technische Spezifikationen harmonisiert worden.407 Daran knüpfte die zweite Generation der europäischen Vergaberichtlinien, die sog. „Basisrichtlinien“ an, die Anfang der 1990er Jahre die mehrfach geänderten Richtlinien konsolidierten. Die bestehende Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG, Lieferkoordinierungs-RL 77/62/EWG, Sektorenvergabe-RL 90/531/EWG sowie Nachprüfungs-RL 89/665/EWG als Rechtsmittelrichtlinie mussten aufgrund dieser Vielzahl an Änderungen „aus Gründen der Klarheit und der Übersichtlichkeit“408 ersetzt werden. Gleichzeitig galt es, die Richtlinien soweit wie möglich unterein­ ander anzugleichen und damit ihre Anwendung zu vereinfachen.409 Im Fokus stand hierbei, „genau umrissene Anwendungsbereiche“410 festzulegen. Im Hinblick auf die fehlende Akzeptanz und Bereitschaft der Mitgliedstaaten, aktiv an einer erfolgreichen Umsetzung der vergaberechtlichen Ziele im Sinne des Binnenmarktkonzepts mitzuarbeiten, mussten auch die Verfahren weiter vereinfacht werden.411 Anstelle einer Vereinheitlichung des materiellen Rechts der öffentlichen Aufträge setzte der Gemeinschaftsgesetzgeber bei der Reform darauf, die Vergabeverfahren zu harmonisieren und den Rechtsschutz zu verbessern.412 Der materielle Gehalt des mitgliedstaatlichen Vergaberechts sollte unangetastet bleiben, sodass nationale Besonderheiten, wie die Rechtsnatur des öffentlichen Beschaffungswesens – privatrechtlich etwa in Deutschland und öffentlich-rechtlich in den romanischen Ländern413 – erhalten blieben. 405

Vgl. Michael Brenner, EuR Beiheft I 1996, S. 23. Siehe zur Bestandsaufnahme oben, S. 102 f. und 106 ff. 407 Vgl. oben, insbesondere S. 106 ff. 408 Vgl. 1. Erwägungsgrund der Baukoordinierungs-RL 93/37/EWG. 409 Vgl. etwa 19. Erwägungsgrund der Dienstleistungskoordinierungs-RL 92/50/EWG; 2. Erwägungsgrund Lieferkoordinierungs-RL 93/36/EWG. 410 Vgl. 47. Erwägungsgrund der Sektorenkoordinierungs-RL 93/38/EWG. 411 Vgl. etwa 22. Erwägungsgrund der Dienstleistungskoordinierungs-RL 92/50/EWG. 412 Vgl. Fritz Rittner, NVwZ 1995, 313 (313 f.). 413 Vgl. hierzu oben S. 78 f. und 88 f. 406

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Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

a) Bedeutende Änderungen Da der Bereich der Dienstleistungsaufträge in der Vergangenheit keinem eigenen Regelungsbereich unterstellt und nur in Teilen von den BaukoordinierungsRL 71/305/EWG und Lieferkoordinierungs-RL 77/62/EWG für den Bereich der Bau- und Lieferaufträge erfasst worden war, wurden mit der Dienstleistungskoordinierungs-RL 92/50/EWG als erste Maßnahme Koordinierungsvorschriften für Verfahren zur Vergabe von öffentlichen Dienstleistungsaufträgen beschlossen.414 Keine Anwendung fand die Dienstleistungskoordinierungs-RL 92/50/EWG auf Arbeitsverträge,415 Verträge betreffend Erwerb und Miete von unbeweglichem Vermögen oder Rechten,416 bestimmte Dienstleistungen im Fernseh- und Rundfunkbereich,417 Teile der Finanzdienstleistungen418 und wie bereits für den Bau- und Liefersektor, nicht auf Leistungen mit Bezug zu Sicherheits- oder Geheimhaltungsfragen des Staates.419 Für die mit der Sektorenvergabe-RL 90/531/EWG420 in den Anwendungsbereich des öffentlichen Auftragswesens aufgenommenen Sektoren fehlte es an Vorschriften über angemessene Rechtsbehelfe und Kontrollverfahren, da die 1989 in Kraft getretene Nachprüfungs-RL 89/665/EWG421 nur für unter die BaukoordinierungsRL 71/305/EWG und die Lieferkoordinierungs-RL 77/62/EWG fallenden Sachverhalte, nämlich die Vergabe von Bauaufträgen bzw. Lieferaufträgen durch öffentliche Auftraggeber galt. Um diese Lücke im Regelwerk zu schließen, trat mit der Sektorennachprüfungs-RL 92/13/EWG eine Richtlinie zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Sektorenauftraggeber in Kraft.422

414

Vgl. Dienstleistungskoordinierungs-RL 92/50/EWG. Vgl. 8. Erwägungsgrund und Art. 1 lit. a) viii) Dienstleistungskoordinierungs-RL 92/50/ EWG. 416 Vgl. 10. Erwägungsgrund und Art. 1 lit. a) iii) Dienstleistungskoordinierungs-RL 92/50/ EWG. 417 Vgl. 11. Erwägungsgrund und Art. 1 lit. a) iv) Dienstleistungskoordinierungs-RL 92/50/ EWG. 418 Vgl. 13. Erwägungsgrund und Art. 1 lit. a) vii) Dienstleistungskoordinierungs-RL 92/50/ EWG. 419 Vgl. 14. Erwägungsgrund Dienstleistungskoordinierungs-RL 92/50/EWG. 420 Vgl. hierzu oben, S. 116 f. 421 Vgl. hierzu oben, S. 117 f. 422 Vgl. zur Ziel- und Zwecksetzung der Richtlinie Europäische Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften betreffend die Auftragsvergabe durch die Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor vom 20.7.1990, KOM (90) 297 endg., S. 3 ff. 415

B. Die Europäisierung des Vergaberechts als „Rechtsrevolution“ 

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aa) Neue Schwellenwerte423 Nach Art.  7 Abs.  1 Dienstleistungskoordinierungs-RL 92/50/EWG fielen alle Aufträge mit einem geschätzten Wert von 200.000 ECU oder mehr ohne Mehrwertsteuer in den sachlichen Anwendungsbereich, soweit die weiteren Voraussetzungen der Art. 1–6 Dienstleistungskoordinierungs-RL 92/50/EWG vorlagen. Für öffentliche Lieferaufträge blieb der Schwellenwert ebenfalls bei 200.000 ECU nach Art. 5 Abs. 1 a) 1. Spiegelstrich Lieferkoordinierungs-RL 93/36/EWG. Auch die Sonderregelungen für Sachverhalte, die in den Anwendungsbereich der GATT-Abkommen fielen, blieben bestehen.424 Bauaufträge hingegen unterhalb dem Schwellenwert von 5.000.000 ECU wurden nach der Baukoordinierungs-RL 93/37/EWG nicht von den Koordinierungsmaßnahmen erfasst, da sie „für den Wettbewerb, wie ihn diese Richtlinie vorsieht, außer [A]cht gelassen werden“425 konnten. Dieser Wert war bereits mit der Änderung der Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG durch die BaukoordinierungsÄndRL 89/440/EWG von 1.000.000 Rechnungseinheiten auf 5.000.000 ECU angehoben worden. Begründet worden war dies mit dem „Anstieg der Baukosten und der Bedeutung, die die Beteiligung an Aufträgen mittlerer Größe für mittelständische Unternehmen hat“426. Für Aufträge im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie des Telekommunikationssektors galten unterschiedliche Schwellenwerte, je nach Art des Beschaffungsgeschäfts. Gem. Art. 14 Abs. 1 a) der SektorenkoordinierungsRL 93/38/EWG waren Liefer- und Dienstleistungsaufträge ab einem Betrag von 400.000 ECU auszuschreiben, wenn der Auftraggeber unter Art. 1 Abs. 2 lit. a) bis c) RL fiel (Trinkwasser-, Strom-, Gas- oder Wärmeversorgung; Nutzung von abgegrenzten Gebieten zur Suche oder Förderung von Rohstoffen sowie zur Versorgung von Luft-, See- oder Binnenschiffsverkehr; Betrieb und Versorgung von Netzen). Gem. Art. 14 Abs. 1 lit. b) Sektorenkoordinierungs-RL 93/38/EWG erhöhte sich der Schwellenwert auf 600.000 ECU, wenn der Auftraggeber im Bereich des Telekommunikationssektors im Sinne von Art. 1 Abs. 2 lit. d) RL tätig war. Der Schwellenwert für Bauaufträge der Sektorenauftraggeber in Höhe von 5.000.000 ECU gem. Art. 14 Abs. 1 lit. c) Sektorenkoordinierungs-RL 93/38/EWG entsprach dem Wert der allgemeinen Baukoordinierungsrichtlinie 93/37/EWG.427

423 Zur Berechnungsmethode des Auftragswerts vgl. u. a. Europäische Kommission, Leitfaden zu den Gemeinschaftsvorschriften über öffentliche Dienstleistungsaufträge, S. 17, zugänglich über http://ec.europa.eu. 424 Vgl. Art. 5 Abs. 1 lit. b) – d) und Art. 9 Abs. 2 Lieferkoordinierungs-RL 93/36/EWG. 425 6. Erwägungsgrund Baukoordinierungs-RL 93/37/EWG. 426 14. Erwägungsgrund Baukoordinierungs-ÄndRL 89/440/EWG. 427 Vgl. Art. 3 Abs. 1 Baukoordinierungs-RL 93/37/EWG.

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Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

bb) Bekanntmachung vor Auftragsvergabe als wettbewerbsfördernde Maßnahme Um der Forderung des Aktionsprogramms der Kommission „Die öffentlichen Beschaffungsmärkte in der Gemeinschaft“428 nach einer Verbesserung der VorabInformation potenzieller Auftragnehmer gerecht zu werden, wurden den Basisrichtlinien Vorschriften über entsprechende Bekanntmachungen beigefügt. Durch die Veröffentlichung von Auftragsbekanntmachungen sollte die notwendige Transparenz hergestellt werden, die allen potentiellen Anbietern gleiche Chancen geben würde.429 Neben einer jährlichen, nicht verbindlichen Bekanntmachung über den zu erwartenden Gesamtwert jener Aufträge, die die Summe von 750.000 bzw. 5.000.000 ECU überstiegen,430 wurde eine allgemeine Pflicht zur Bekanntmachung des Ergebnisses eines Vergabeverfahrens vorgeschrieben.431 Die in den Anhängen der Richtlinien enthaltenen Muster sollten die Bekanntmachungen standardisieren und die Verfahren beschleunigen.432 Die Bekanntmachungen mussten knapp und präzise formuliert sein, um eine Seite des Amtsblatts der Europäischen Gemeinschaften mit etwa 650 Wörtern nicht zu überschreiten.433 Aber auch hier gab es Aus­ nahmen von der Bekanntmachungspflicht.434 cc) Die Neuordnung der Verfahrensarten Anstelle der Angleichung des materiellen mitgliedstaatlichen Rechts stand das Ziel der Harmonisierung und damit der Koordinierung der Verfahren zur Vergabe 428

Vgl. Europäische Kommission, Die öffentlichen Beschaffungsmärkte in der Gemeinschaft, KOM (86) 375 endg., III. Aktionsprogramm, 2. Verbesserung der Richtlinien, S. 6. 429 Vgl. ebd., II. Gegenwärtige Lage, 4. Spiegelstrich, S. 4. 430 Vgl. Art. 15 Dienstleistungskoordinierungs-RL 92/50/EWG für Dienstleistungsaufträge; Art. 9 Abs. 1 Lieferkoordinierungs-RL 93/36/EWG für Lieferaufträge; Art. 22 Abs. 1 Sektorenkoordinierungs-RL 93/38/EWG für Sektorenaufträge (Ausnahme für Bauaufträge gem. Art. 22 Abs. 1 b) i. V. m. Art. 14 Abs. 1: 5.000.000); Art. 11 Abs. 1 i. V. m. Art. 6 Abs. 1 für Bauaufträge: 5.000.000 ECU. 431 In der Sektorenkoordinierungs-RL 93/38/EWG findet sich lediglich die Möglichkeit des „Aufrufs zum Wettbewerb“ durch Bekanntmachung; vgl. Art. 21 Abs. 1. 432 Vgl. Art. 17 und Anhang III und IV der Dienstleistungskoordinierungs-RL 92/50/EWG; Art. 9 Abs. 4 und Anhang IV Lieferkoordinierungs-RL 93/36/EWG; Art. 11 Abs. 6 und Anhang IV, V, VI Baukoordinierungs-RL 93/37/EWG; Art. 22 Abs. 2 und Anhang XIV. Ebenfalls wurden auf Empfehlung 91/561/EWG der Kommission 24.10.1991, ABl. 1991 L 305/19, im Amtsblatt Standardvordrucke für Dienstleistungs- (vgl. Verzeichnis in ABl. 1991 L 305/21), Bauund Lieferaufträge (vgl. ABl. 1991 Supp 217 A bis N) veröffentlicht. 433 Vgl. Art. 17 Abs. 8 Dienstleistungskoordinierungs-RL 92/50/EWG; Art. 9 Abs. 11 Lieferkoordinierungs-RL 93/36/EWG; Art. 11 Abs. 13 Baukoordinierungs-RL 93/37/EWG. 434 Vgl. Art. 16 Abs. 2 und 3 Dienstleistungskoordinierungs-RL 92/50/EWG; Art. 9 Abs. 3 Lieferkoordinierungs-RL 93/36/EWG; Art. 11 Abs. 5 Baukoordinierungs-RL 93/37/EWG.

B. Die Europäisierung des Vergaberechts als „Rechtsrevolution“ 

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öffentlicher Liefer-, Dienstleistungs- und Bauaufträge im Fokus des neuen Richtlinienrechts.435 Um eine effektive und flächendeckende Anwendung der Richtlinien zu erreichen, mussten jene Vergabeverfahrenstypen aus dem Repertoire der Mitgliedstaaten verbannt oder zumindest stark eingeschränkt werden, die potenziell den innergemeinschaftlichen Wettbewerb behinderten. Hierzu zählten insbesondere das nicht offene Verfahren und die freihändige Vergabe.436 Bei dem sog. nicht offenen Verfahren gaben nur die vom öffentlichen Auftrag­ geber aufgeforderten Unternehmer ein Angebot ab.437 Bei der freihändigen Vergabe erteilten die Auftraggeber ohne Ausschreibung und Anwendung der Vorschriften der Richtlinien Aufträge.438 Das bisherige Recht nach der Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG und der Lieferkoordinierungs-RL 77/62/EWG sah die Möglichkeit vor, in Ausnahmefällen anstelle des offenen, auf diese Verfahren zurückgreifen zu können.439 Zwar war mit der Lieferkoordinierungs-ÄndRL 88/295/EWG und der Baukoordinierungs-ÄndRL 89/440/EWG das sog. „Verhandlungsverfahren“ eingeführt worden, um die in Art.  9 Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG vorgesehenen Ausnahmeverfahren in Grenzen zu halten.440 Das Verhandlungsverfahren selbst war nur als Ausnahme vorgesehen und kam nur in begrenzten Fällen zur Anwendung.441 Der erhoffte Erfolg der Änderungsrichtlinien von 1988/89, nämlich die vorran­ gige Anwendung des offenen Verfahrens, war ausgeblieben. Ganz im Gegenteil 435 Vgl. die Bezeichnung der Richtlinien 71/305/EWG, 77/62/EWG, 92/50/EWG, 93/36/ EWG, 93/37/EWG, 93/38/EWG. 436 Europäische Kommission, Die öffentlichen Beschaffungsmärkte in der Gemeinschaft, KOM (86) 375 endg., III. Aktionsprogramm, 2. Verbesserung der Richtlinien, S. 6. 437 Vgl. Art. 4 Abs. 2 Lieferkoordinierungs-RL 77/62/EWG und Art. 5 Abs. 2 Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG. 438 Vgl. Art.  9 Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG und Art.  6 Lieferkoordinierungs-RL 77/62/EWG. 439 Vgl. Art. 9 lit. a) – h) Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG und Art. 6 Abs. 1 lit. a) – h) Lieferkoordinierungs-RL 77/62/EWG. 440 Vgl. 8.  Erwägungsgrund Lieferkoordinierungs-ÄndRL 88/295/EWG zur Änderung der Lieferkoordinierungs-RL 77/62/EWG und 15.  Erwägungsgrund Baukoordinierungs-ÄndRL 89/440/EWG zur Änderung der Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG. 441 Vgl. ebd., 9. Erwägungsgrund. Als Verhandlungsverfahren sind diejenigen Verfahren zu verstehen, bei denen der öffentliche Auftraggeber ausgewählte Unternehmen anspricht und mit einem oder mehreren dieser Unternehmen über die Auftragsbedingungen verhandelt (vgl. Art. 1 Nr. 1 Baukoordinierungs-ÄndRL 89/440/EWG zur Änderung des Art. 1 lit. g) Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG). Das Verfahren wurde auf bestimmte Fälle begrenzt und setzte die Veröffentlichung einer Vergabebekanntmachung und die Auswahl der Bewerber nach bekannten Eignungskriterien voraus (vgl. Art. Art. 1 Nr. 7 Baukoordinierungs-ÄndRL 89/440/ EWG zur Änderung des Art.  5 Abs.  2 Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG). Auch von der Voraussetzung der Vergabebekanntmachung gab es Ausnahmen (vgl. Art.  1 Nr.  7 Baukoordinierungs-ÄndRL 89/440/EWG zur Änderung des Art.  5 Abs.  3 Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG).

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Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

wurden Bestimmungen, nach denen die freihändige Vergabe erlaubt war, weiterhin weit ausgelegt, sodass die Anwendung des nicht offenen Verfahrens und des Verhandlungsverfahrens eher die Regel als die Ausnahme darstellte.442 Die Hälfte aller Verträge wurde im Rahmen des nicht offenen Verfahrens vergeben, manche Stellen vergaben bis zu 95 % des Beschaffungsvolumens freihändig.443 Zwar stellte der EuGH in einem Urteil vom 10.3.1987 fest, dass die „Bestimmungen, die Ausnahmen von den Vorschriften zulassen, die die Wirksamkeit der durch den EWGVertrag im Bereich der öffentlichen Bauaufträge eingeräumten Rechte gewährleisten sollen“, eng auszulegen sind und dass die Beweislast für außergewöhnliche, die Ausnahme rechtfertigende Umstände demjenigen obliegen, der sich auf sie­ berufen will.444 An der Praxis der mitgliedstaatlichen Vergabestellen hatte sich gleichwohl nichts geändert. Mit den neuen Basisrichtlinien musste also die Anwendung der Vergabevorschriften bei der Wahl der Vergabeverfahren verbessert werden.445 Sie sahen weiterhin alle drei Vergabeverfahrenstypen vor: das offene Verfahren446, das nicht offene Verfahren447 und das Verhandlungsverfahren448. Unterschiede zwischen den einzelnen Richtlinien ergaben sich bei den Voraussetzungen, die bei der Wahl eines bestimmten Verfahrens vorzuliegen hatten. Die Lieferkoordinierungsrichtlinie 93/36/ EWG sah im Normalfall das offene Verfahren vor und erlaubte das nicht offene Verfahren nur in besonderen Fällen.449 Die Baukoordinierungsrichtlinie 93/37/EWG hingegen erlaubte grundsätzlich die freie Wahl zwischen offenem, nicht offenem Verfahren und Verhandlungsverfahren.450 Die Sektorenrichtlinie räumte den Auftraggebern die größte Wahlfreiheit zwischen den Verfahren ein. In Art. 20 Abs. 1 Sektorenkoordinierungs-RL 93/38/EWG gab sie lediglich einen Aufruf zum Wettbewerb vor, auf den nach Abs. 2 unter bestimmten Voraussetzungen auch verzichtet werden konnte. 442 Vgl. Europäische Kommission, Die öffentlichen Beschaffungsmärkte in der Gemeinschaft, KOM (86) 375 endg., II. Gegenwärtige Lage, 3. Spiegelstrich, S. 4. 443 Vgl. ebd., II. Gegenwärtige Lage, 3. Spiegelstrich, S. 4. 444 Vgl. EuGH 1987, 1039 Rn. 14 (199/85) – Kommission/Italien. 445 Vgl. 23.  Erwägungsgrund Dienstleistungskoordinierungs-RL 92/50/EWG; 3., 12.  und 14.  Erwägungsgrund Lieferkoordinierungs-RL 93/36/EWG; 8.  Erwägungsgrund Baukoordinierungs-RL 93/37/EWG. 446 Art. 1 d) und Art. 11 Abs. 1 Dienstleistungskoordinierungs-RL 92/50/EWG; Art. 1 d) und 6 Abs. 1 Lieferkoordinierungs-RL 93/36/EWG; Art. 1 e) und Art. 7 Abs. 1 BaukoordinierungsRL 93/37/EWG; Art. 1 Nr. 7 lit. a) Sektorenkoordinierungs-RL 93/38/EWG. 447 Art. 1 e) und Art. 11 Abs. 1 Dienstleistungskoordinierungs-RL 92/50/EWG; Art. 1 e) und 6 Abs. 1 Lieferkoordinierungs-RL 93/36/EWG; Art. 1 f) und Art. 7 Abs. 1 BaukoordinierungsRL 93/37/EWG; Art. 1 Nr. 7 lit. b) Sektorenkoordinierungs-RL 93/38/EWG. 448 Art. 1 f) und Art. 11 Abs. 2 und 3 Dienstleistungskoordinierungs-RL 92/50/EWG; Art. 6 Abs. 2 Lieferkoordinierungs-RL 93/36/EWG; Art. 1 g) und Art. 7 Abs. 2 und 3 Baukoordinierungs-RL 93/37/EWG; Art. 1 Nr. 7 lit. c) Sektorenkoordinierungs-RL 93/38/EWG. 449 Vgl. Art 6 Abs.  2 und 3 Lieferkoordinierungs-RL 93/36/EWG, wonach nur unter bestimmten Voraussetzungen das Verhandlungsverfahren zulässig war. 450 Vgl. Art. 7, insb. Abs. 4 Baukoordinierungs-RL 93/37/EWG.

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Folglich führte auch die Neuordnung der Verfahrensformen mit den Basisrichtlinien zu keinem Durchbruch. Das eingeführte Verhandlungsverfahren brachte nur teilweise ein wirtschaftlich effizienteres Ergebnis als die übrigen Ausschreibungen. Unter dem Strich musste die Kommission feststellen, dass die Auftraggeber auch das Verhandlungsverfahren weit über die zulässigen Grenzen hinaus anwendeten, „indem sie Gründe äußerster Dringlichkeit anführten, die aus der Luft gegriffen oder aber ihnen selbst zuzuschreiben waren, oder das fadenscheinige Argument vorbrachten, daß nur ein einziger Unternehmer den betreffenden Auftrag ausführen könnte“451. b) Die Manifestation des funktionalen Auftraggeberbegriffs Angesichts der Entschlossenheit, mit der sowohl die Europäische Kommission als auch der Gerichtshof 1988 die Erweiterung des öffentlichen Auftraggeberbegriffs und damit die Ausdehnung des vergaberechtlichen Anwendungsbereichs betrieben hatte,452 stand es außer Frage, dass es mit den Basisrichtlinien zu einer Änderung dieses Kurses kommen würde. Mit den Basisrichtlinien manifestierte sich die Transformation des Vergaberechts weg von einem Recht, das als Normadressaten in erster Linie und vornehmlich den Staat, seine Körperschaften und Einrichtungen in die Pflicht nahm, hin zu einem Recht, das alle – ob öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich konstituiert – dem Staat funktional zurechenbare Auftraggeber miteinbezog. Die Abkehr von einer rein formalen Betrachtung erfuhr eine weitere Bestätigung mit der Einbeziehung der Sektorenauftraggeber in das europäische Vergaberechtsregime durch die Sektorenvergabe-RL 90/531/EWG und schließlich die Sektorenkoordinierungs-RL 93/38/EWG. Stets mit dem Argument, die als Sektorenauftraggeber in Betracht kommenden Stellen unterlägen uneinheitlich teils dem öffentlichen Recht, teils dem Privatrecht, waren diese in der Vergangenheit vom Anwendungsbereich der Richtlinien und damit des Vergaberechts ausgeschlossen geblieben.453 Nach der neuen funktionalen Betrachtung, die sich am Normzweck und den primärrechtlichen Binnenmarktzielen orientierte, bestand aus der Sicht des Gemeinschaftsgesetzgebers nunmehr kein Grund für eine derartig formalistische Trennung.454 Erstmals fielen damit Privatunternehmen ohne eine Verbindung zum Staat in den Anwendungsbereich der Vergaberegeln für das öffentliche Auftragswesen. 451 Europäische Kommission, Das öffentliche Auftragswesen in der Europäischen Union  – Überlegungen für die Zukunft, Grünbuch vom 27.11.1996, KOM (96) 583 endg., S. 13; siehe ausführlich Christian Bock, Das europäische Vergaberecht für Bauaufträge, S. 286 ff. 452 Siehe hierzu oben, S. 112 ff. 453 Vgl. 4. bis 6. Erwägungsgrund Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG und 6. bis 8. Erwägungsgrund Lieferkoordinierungs-RL 77/62/EWG. 454 Vgl. zur Entwicklung des funktionalen Auftraggeberbegriffs, siehe oben S. 112 ff.

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Aus Sicht von Rittner war dies ein „fundamentaler, ja verhängnisvoller Systemwechsel“455, womit er Recht behalten sollte. Wenngleich sich aufgrund des Pragmatismus des Gemeinschaftsgesetzgebers und des EuGH in den folgenden Jahrzehnten nichts an der funktionale Bestimmung des persönlichen Anwendungsbereichs änderte, prägt die Frage, inwieweit es sich aufgrund der Einbeziehung der Sektorenauftraggeber und damit auch privatwirtschaftlicher Unternehmen überhaupt noch um klassisches öffentliches Auftragswesen handelt,456 noch heute den wissenschaftlichen Diskurs.457 6. Zwischenergebnis Die Zeitrechnung des Europäischen Vergaberechts scheint aus heutiger Sicht erst mit den drei sog. Basisrichtlinien aus den Jahren 1992 und 1993 zu beginnen. Den Richtlinien der ersten Generation der 1970er Jahre wird in der Rückschau auf die Entwicklung des Europäischen Vergaberechts ein prominenter Platz verwehrt. Die Literatur sieht in ihnen meist nicht den revolutionären Beginn eines neuen Rechtsregimes, sondern nur eine der Vollständigkeit halber zu erwähnende Randnotiz.458 Diese Einschätzung wird dem Umstand nicht gerecht, dass bereits das erste Richtlinienprogramm ein umfassendes – wenn auch bei Weitem nicht vollkomme­ nes – Regelwerk für die Öffnung der nationalen öffentlichen Beschaffungsmärkte vorsah. Der Gemeinschaftsgesetzgeber hatte mit den Vergaberegeln rechtstechnisch Neuland betreten. Die Bemühung, die mitgliedstaatlichen Vergabeverfahren anzugleichen ohne materiell in die Rechtsordnungen einzugreifen, sollte die Autonomie der Mitgliedstaaten schonen und dennoch für mehr Transparenz und Wettbewerb sorgen. Dass der Erfolg zunächst ausblieb und es zu mehrfachen Nachbesserungen und schließlich einer Konsolidierung kam, ist daher bei einer ersten Betrachtung durchaus nachvollziehbar. Im Europäischen Vergaberecht durchlief der Gemeinschaftsgesetzgeber gerade zu Anfang erkennbar einen Lernprozess. Ungeachtet des Fortschritts und der in den 1980er Jahren einsetzenden Bemühungen um Reformen blieb das Vergaberecht hinter dem „Soll“, den erforderlichen Beitrag zur primärrechtlich vorgegebenen Schaffung eines Binnenmarkts und der Beseitigung von Diskriminierung, Intransparenz und Wettbewerbsdefiziten beizutragen, zurück.

455

Vgl. Fritz Rittner, NVwZ 1995, S. 313 (314). Vgl. Fritz Rittner, EuR Beiheft I 1996, S. 7, 10 f. 457 Siehe ausführlich zu den Grenzen des vergaberechtlichen Anwendungsbereichs unten, S. 282 ff. 458 Vgl. etwa Michael Fehling, § 97 GWB, in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht – Handkommentar, Rn.  7; Tobias Schneider, § 1 VgV, in: Kapellmann/Messerschmidt, VOB A/B  – Kommentar, Rn. 2. 456

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Als Ergebnis dieses Lernprozesses verstand die Europäische Kommission unter der Führung von Präsident Jaques Delors Mitte der 1980er Jahre, dass zunächst die Qualität und Effizienz der Richtlinien verbessert werden mussten, bevor ihre Umsetzung mit energischem Druck gegenüber den Mitgliedstaaten durchgesetzt werden konnte. Den Mitgliedstaaten sollte damit der Verweis auf die vorhandenen Schwächen der Richtlinien als Exkulpationsmöglichkeit genommen werden. Neben der Einführung verbindlicher Nachprüfungsverfahren und der Einbeziehung der Sektorenauftraggeber bedeutete vor allem auch die Erweiterung des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers einen Aufbruch in Richtung eines funktionierenden vergaberechtlichen Regelwerks. Die vom Europäischen Gerichtshof und der Kommission Hand in Hand betriebene Entwicklung des ursprünglich rein formal zu bestimmenden Auftraggeberbegriffs zu einer funktionalen Zuordnung einer Einrichtung zum Staat setzte ein Zeichen. Neben den vielen Ausnahmen, die das Richtlinienrecht der ersten Generation noch kannte, sollten mit der Weiterent­ wicklung sämtliche „Schlupflöcher“ geschlossen werden, mit welchen die Einrichtungen versuchten, sich dem Anwendungsbereich der Vergaberegeln zu entziehen. Mit dem neu geschaffenen Rechtsrahmen und den vereinfachten und konsolidierten Richtlinien der zweiten Generation war auf dem Papier der Grundstein für ein funktionierendes europaweites Vergabewesen geschaffen worden. Ungeachtet der Verbesserungen am Regelwerk blieb das seit Einführung des europäischen Vergaberechts existierende Problem der nicht fristgerechten, unvollständigen und teilweise ganz fehlenden Umsetzung des Richtlinienrechts in den nationalen Rechtsordnungen bestehen.

V. Die Implementierung des Richtlinienrechts mit allen Mitteln Es lässt sich nur vermuten, warum die Kommission in den 1970er und 1980er Jahren zunächst zögerlich auf die mitgliedstaatliche Untätigkeit bei der Umsetzung der ersten Vergaberichtlinien reagiert hatte. Die noch nicht vollkommenen Rechtstexte, die vielfach bürokratische und zeitlich aufwendige Verfahrensbestimmungen vorsahen und die nationalen Vergabestellen sowie die Bieter in ihrer bisherigen Praxis teilweise stark forderten, boten jedenfalls eine breite Angriffsfläche für Abwehrversuche seitens der Mitgliedstaaten.459 Um das Argument eines ineffizienten und komplizierten Normenwerks zu entkräften, hatte sich die Kommission bei den Überarbeitungen auf die Vereinfachung, Angleichung und Konsolidierung 459 Vgl. zur Erkenntnis der Verbesserungsbedürftigkeit der Richtlinien in diesen Punkten: Europäische Kommission, Vollendung des Binnenmarktes – Weißbuch der Europäischen Kommission an den Europäischen Rat, KOM (85) 310 endg., Rn. 84 ff. (S. 24 f.) sowie Europäische Kommission, Die öffentlichen Beschaffungsmärkte in der Gemeinschaft, KOM (86) 375 endg., S. 6 ff.

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Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

der Richtlinien konzentriert. Mit der Beseitigung der Schwächen der Richtlinien an vielen Stellen war der Weg frei für ein konsequentes Handeln der Kommission. 1. Druck aus Brüssel – die neue Gangart der Kommission Die Art und Weise, mit der die Mitgliedstaaten die Transformation des Richtlinienrechts in ihre nationalen Vorschriften betrieben, rückte erst Anfang der 1990er Jahre ernsthaft auf die Agenda der Kommission. Deutlich wurde dies u. a. daran, dass Kommission und Rat den Mitgliedstaaten für die Umsetzung der Basisrichtlinien eine sehr kurze Frist460 gesetzt hatten, um die Vollendung des Binnenmarktes zum 1.1.1993 zu erreichen.461 Den ambitionierten Plan im Rücken, den Europäischen Binnenmarkt bis 1993 zu vollenden, setzte die Kommission auf eine strenge und auch ultimativ gerichtliche Durchsetzung der Umsetzungspflichten der Mitgliedstaaten. Broß attestierte der Kommission in diesem Zusammenhang eine „Hartnäckigkeit, die allgemeine Bewunderung wecken müßte, würde sie nicht von Unkenntnis der nationalen Rechte der Mitgliedstaaten, Unverständnis von Rechtstraditionen und Fehlverständnis vom Berufe des Gesetzgebers zeugen“462. Der dieser Aussage innewohnende Vorwurf des unbedachten Übereifers der Kommission ist angesichts der jahrzehntelangen Stagnation bei der Richtlinienumsetzung durch die Mitgliedstaaten vermessen. Die Gelegenheit zur autonomen Gestaltung der Umsetzung des Richtlinienrechts hatten die Mitgliedstaaten ungenutzt verstreichen lassen. Diese Kritik war daher überzogen.463 a) Die Umsetzungsdefizite in den Mitgliedstaaten und ihre Folgen Die meisten Mitgliedstaaten hatten nach Ablauf der Umsetzungsfrist für die Basisrichtlinien die erforderlichen Maßnahmen nicht oder nur in höchst unbefriedigender Form eingeleitet: 1994 bezeichnete die Kommission den Stand der Umsetzung bei der Dienstleistungskoordinierungs-RL 92/50/EWG als „äußerst besorgniserregend“464. Eine merkliche Diskrepanz bestand auch zwischen den gemeldeten Umsetzungsmaßnahmen und den tatsächlich geschaffenen Anpassungen 460 Umsetzungsfrist der Dienstleistungskoordinierungs-RL 92/50/EWG vom 18.6.1992 zum 1.7.1993; Lieferkoordinierungs-RL 93/36/EWG vom 14.6.1993 zum 14.6.1994; Sektorenkoordinierungs-RL 93/38/EWG vom 14.6.1993 zum 1.7.1994. In der Baukoordinierungs-RL 93/37/ EWG findet sich keine explizite Umsetzungsfrist. 461 Vgl. zum Zeitplan Europäische Kommission, Vollendung des Binnenmarktes – Weißbuch der Europäischen Kommission an den Europäischen Rat, KOM (85) 310 endg., Rn. 46 ff. 462 Siegfried Broß, VerwArch 1997, S. 521 (522). 463 So auch Jost Pietzcker, ZHR 1998, S. 427 (431). 464 Europäische Kommission, Zwölfter Jahresbericht über die Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts – 1994, KOM (95) 500 endg., S. 24.

B. Die Europäisierung des Vergaberechts als „Rechtsrevolution“ 

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im Sinne des Richtlinienrechts. Von denen am 31.12.1993 für die meisten465 Mitgliedstaaten geltenden neun466 Richtlinien im Bereich des öffentlichen Auftragswesens waren zwar im Schnitt für sieben von ihnen Durchführungsmaßnahmen gemeldet worden. Bei der Prüfung der mitgeteilten Maßnahmen wurden jedoch zahlreiche Probleme aufgedeckt, „durch die die Öffnung der in den betreffenden Mitgliedstaaten vergebenen öffentlichen Aufträge in Frage gestellt werden“467 konnte. Alleine 1995 wurden noch 30 Vertragsverletzungsvorgänge wegen Nichtmitteilung der nationalen Durchführungsmaßnahmen zu den Basisrichtlinien von der Kommission bearbeitet.468 238 weitere Fälle führte die Kommission im ersten Halbjahr „im Dialog“469 mit den Mitgliedstaaten mit dem Ziel, ein gerichtliches Verfahren zu vermeiden.470 Gleichzeitig ergingen einige Urteile des Europäischen Gerichtshofs, die meist (strittige) Auslegungs- und Abgrenzungsfragen zum Gegenstand hatten.471 Insgesamt war die Bilanz 1996 immer noch ernüchternd. Zwei Jahre nach Ablauf der Umsetzungsfrist für die letzte Richtlinie für den Bereich der öffentlichen Aufträge hatten mit Belgien, Griechenland, Frankreich, Deutschland und Österreich fünf Länder immer noch keine Durchführungsmaßnahmen zur Dienstleistungskoordinierungs-RL 92/50/EWG mitgeteilt. Deutschland, Frankreich und Griechenland wurden diesbezüglich vom EuGH verurteilt.472 Auch für die Lieferkoordinierungs-RL 93/36/EWG hatten die vier Länder Belgien, Deutschland, 465

Gesonderte Übergangsfristen galten für Griechenland, Spanien und Portugal. Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG, Lieferkoordinierungs-RL 77/62/EWG, Lieferkoordinierungs-ÄndRL 80/767/EWG, Lieferkoordinierungs-ÄndRL 88/295/EWG, Baukoordinierungs-ÄndRL 89/440/EWG, Nachprüfungs-RL 89/665/EWG, Sektorenvergabe-RL 90/531/ EWG, Sektorennachprüfungs-RL 92/13/EWG und Dienstleistungskoordinierungs-RL 92/50/ EWG. 467 Europäische Kommission, Elfter Jahresbericht an das Europäische Parlament über die Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts – 1993, KOM (94) 500 endg., 2.2.5. Öffentliche Aufträge, S. 23. 468 Europäische Kommission, Dreizehnter Jahresbericht über die Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts – 1995, KOM (96) 600 endg., S. 34. 469 Siehe unten S. 131. 470 Europäische Kommission, Dreizehnter Jahresbericht über die Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts – 1995, KOM (96) 600 endg., S. 35. 471 Vgl. etwa EuGH 1993, I-4655 (C-107/92)  – Kommission/Italien (Lawinenschutzwall); EuGH 1993, I-3353 (C-243/89)  – (Brücke über den Storebælt); EuGH 1994, I-1569 (C-328/92) – Kommission/Spanien (Arzneimittel); EuGH 1993, I-5923 (C-71/92) – Kommission/Spanien (öffentliche Bauaufträge); EuGH 1996, I-2043 (C-87/94)  – Kommission/Belgien (wallonische Omnibusse); EuGH 1994, I-1409 (C-272/91) – Kommission/Italien (Lotto­ matica); EuGH 1995, I-157 (C-539/93)  – Kommission/Niederlande (Bekanntmachungen); EuGH 1995, I-1071 (C-79/94)  – Kommission/Griechenland (Rahmenvertrag für Verbandsmaterial); EuGH 1995, I-1249 (57/94) – Kommission/Italien; EuGH 1995, I-2303 (C-433/93) – Kommission/Deutschland. 472 EuGH 1996, I-2423 (C-253/95)  – Kommission/Deutschland; EuGH 1996, I-2415 (C-234/95)  – Kommission/Frankreich und EuGH 1996, I-2433 (C-311/95)  – Kommission/­ Griechenland. Siehe zu den Folgen dieser Urteile für das deutsche Vergaberecht, unten S. 139 ff. 466

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Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

Frankreich und Italien keine Umsetzungsmaßnahmen nach Brüssel gemeldet. Ihren Verpflichtungen aus der Sektorenkoordinierungs-RL 93/38/EWG waren Belgien, Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich ebenfalls nicht nachgekommen. Im Übrigen konnte von der Übereinstimmung der tatsächlich gemeldeten Maßnahmen mit den Vorschriften oft nicht ausgegangen werden. So stellte die Kommission neue Fälle von fehlender oder nicht ordnungsgemäßer Anwendung der Richtlinien fest.473 Im Rahmen ihrer Anstrengungen, für ein funktionierendes europäisches Vergaberecht zu sorgen, verfolgte die Kommission auch die „Altlasten“, also die trotz teilweise Jahrzehnte langem Ablauf der Umsetzungsfristen nicht ins nationales Recht überführten Richtlinienvorschriften, insbesondere der BaukoordinierungsRL 71/305/EWG und der Lieferkoordinierungs-RL 77/62/EWG, die mittlerweile bereits wieder reformiert worden waren.474 Im Fokus der Ermittlungen stand allen voran die Bundesrepublik Deutschland.475 Auch wenn die Kommission wohlwollend feststellte, „dass die Mehrzahl der Mitgliedstaaten sich nachdrücklich um eine möglichst vollständige Umsetzung“ einiger Richtlinien innerhalb von Fristen, „die nicht allzu weit über den Termin des Inkrafttretens“ hinausgingen, bemühten hatten,476 bestand weiterhin dringender Handlungsbedarf. Bei der Sektorennachprüfungs-RL 92/13/EWG und der Dienstleistungskoordinierungs-RL 92/50/EWG war der Stand der Umsetzung etwa als „deutlich unzulänglich zu bezeichnen“477. b) Die Durchsetzungsinstrumente Vor diesem Hintergrund setzte die Kommission bei den neuen Basisrichtlinien zu einer umfassenden Überprüfung der Umsetzung an. Ihr standen hierbei zwei Mittel zur Verfügung: –– Zum einen war mit Art. 3 Nachprüfungs-RL 89/665/EWG und schließlich auch für die Sektorenauftraggeber mit Art. 8 Sektorennachprüfungs-RL 92/13/EWG ein Verfahren zur Beseitigung „klarer und eindeutiger Verstöße“ vorgesehen, in dem die Kommission vor Abschluss eines Vertrages die nationalen Vergabestellen zur Beseitigung eines (potenziellen) Verstoßes gegen die Basisrichtlinien auffordern konnte.478 Diese Verfahren sahen ein „Follow-up“-Prozedere vor, nach 473

Europäische Kommission, Vierzehnter Jahresbericht über die Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts – 1996, KOM (97) 299 endg., S. 40. 474 Vgl. hierzu oben, S. 110 ff. 475 Siehe unten, S. 132 ff. 476 Vgl. Europäische Kommission, Elfter Jahresbericht an das Europäische Parlament über die Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts 1993, KOM (94) 500 endg., 2.2.5. Öffentliche Aufträge, S. 22. 477 Ebd. 478 Siehe hierzu bereits oben, S. 117 ff.

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welchem die betroffenen Mitgliedstaaten die Beseitigung des Verstoßes zu melden, eine Begründung für die Nichtbeseitigung zu liefern oder eine Aussetzung des Verfahrens binnen 21479 bzw. 30480 Tagen nach der Rüge mitzuteilen hatten.481 –– Zum anderen Bestand die Möglichkeit, gerichtliche Schritte einzuleiten, namentlich im Rahmen des Vertragsverletzungsverfahrens, soweit die Rüge der Kommission durch den Mitgliedsstaat nicht aufgegriffen oder ein Verstoß nicht in einem ausreichend zeitigen Rahmen bereinigt worden war. aa) Die Intervention gem. Art. 3 RL 89/665/EWG und Art. 8 RL 92/13/EWG Als Beispiele für eine erfolgreiche Intervention nannte die Kommission in einem ihrer Jahresberichte für das Jahr 1993 die Fristenänderung nach einer Änderung des technischen Lastenhefts durch einen französischen öffentlichen Auftraggeber, der keine ausreichend lange Frist für die Einreichung der Angebote eingeräumt hatte,482 sowie die Verhinderung einer Nichtveröffentlichung einer Ausschreibung eines Lieferauftrags in Italien.483 Die Fälle, in denen die Kommission die Verletzung von Vorschriften der Richtlinien bereits im laufenden Vergabeverfahren abstellen konnte, waren jedoch schwindend gering.484 bb) Die gerichtliche Feststellung der vertragswidrigen Nichtumsetzung Vielmehr war es die Vielzahl an eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren und die diesen vorausgehenden informellen Verhandlungen, die den Großteil der rechtswidrigen Vergabepraktiken in den Mitgliedstaaten beseitigen konnte. Die Kommission sprach in diesem Rahmen von einer Verfahrensweise, „bei der die Mitgliedstaaten im Wege des Dialogs und der Abstimmung […] die notwendige juristische und fachliche Hilfe erhalten und eine einvernehmliche Suche nach 479

Art. 3 Abs. 3 Nachprüfungs-RL 89/665/EWG. Art. 8 Abs. 3 Sektorennachprüfungs-RL 92/13/EWG. 481 Vgl. auch oben, S. 117 ff. 482 Europäische Kommission, Elfter Jahresbericht an das Europäische Parlament über die Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts – 1993, KOM (94) 500 endg., 2.2.5. Öffentliche Aufträge, S. 22 f. 483 Europäische Kommission, Elfter Jahresbericht an das Europäische Parlament über die Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts – 1993, KOM (94) 500 endg., 2.2.5. Öffentliche Aufträge, S. 23. 484 Vgl. die Jahresberichte der Kommission über die Anwendung des Gemeinschaftsrechts (Fn. 467, 464, 468, 473). 480

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mit dem Gemeinschaftsrechts zu vereinbarenden Lösungen im laufenden Verfahren“485 ermöglichte. Als Damoklesschwert schwebte bei diesem Dialog eine mögliche spätere Verurteilung durch den EuGH über den Mitgliedstaaten. 2. Der deutsche Ansatz im Kreuzfeuer Mehr als zwanzig Jahre nach der sukzessiven Einführung des europäischen Vergaberechts hatte die Bundesrepublik Deutschland immer noch keine Anstrengungen unternommen, das für sie verbindlich geltende Richtlinienrecht zum öffentlichen Auftragswesen in die eigene Rechtsordnung zu überführen. Auch die von der Europäischen Kommission betriebenen Anstrengungen zur Überprüfung, Verbesserung und Konsolidierung des Richtlinienrechts waren ohne Auswirkung auf die Motivation des deutschen Gesetzgebers geblieben, die europäischen Vorgaben durch einfachgesetzliche Vorschriften im nationalen Recht zu implementieren. Lediglich zu ein paar wenigen „kosmetischen“ Maßnahmen in Form von Bekanntmachungen und Verwaltungsvorschriften konnte sich der Bundesrepublik durchringen.486 Erst aufgrund des Drucks der Kommission, der „insbesondere zu einer Befassung des Gerichtshofes gegen Deutschland wegen Nichtübereinstimmung der Durchführungsmaßnahmen“487 führte, legte die Bundesregierung mit dem Entwurf vom 4.1.1993 für ein Zweites Gesetz zur Änderung des Haushaltsgrundsätze­ gesetz488 legte eine Vorschlag zur Umsetzung der Vergaberechtsrichtlinien im deutschen Haushaltsrecht vor.489

485 Europäische Kommission, Zwölfter Jahresbericht über die Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts – 1994, KOM (95) 500 endg., S. 24. 486 Vgl. bzgl. der Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG etwa Anordnung des Bundesminis­ teriums für Wirtschaft und Finanzen vom 30.10.1972; Bekanntmachung vom 29.10.1973 im Bundesanzeiger Nr. 216 vom 16.11.1973; die Bekanntmachung des Bundesministeriums für Wirtschaft vom 1.12.1973 im Bundesanzeiger Nr.  237 vom 19.12.1973 und die Bekanntmachung des Bundesministeriums für Wirtschaft vom 11.8.1975, Bundesanzeiger Nr. 152 vom 20.8.1975. Bzgl. der Lieferkoordinierungs-RL 77/62/EWG, vgl. die Anweisung des Bundes­ ministerium für Wirtschaft vom 23.2.1978. 487 Vgl. Europäische Kommission, Elfter Jahresbericht an das Europäische Parlament über die Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts 1993, KOM (94) 500 endg., 2.2.5. Öffentliche Aufträge, S. 22. 488 Deutsche Bundesregierung, Entwurf eines zweiten Gesetzes zur Änderung des Haushaltsgrundsätzegesetzes vom 4.1.1993 (BR-Drs. 5/93). 489 Gemeinhin wird diese Konzeption als „haushaltsrechtliche Lösung“ bezeichnet, vgl. etwa Oliver Dörr, Einleitung: Vergaberecht in Deutschland, in: Dreher/Motzke, Beck’scher Vergaberechtskommentar 2013, Rn. 48. Jochem Gröning, Systm. Darstellung IV, in: Motzke/Pietzcker/Prieß, Beck’scher VOBKommentar – Teil A (2001), Rn. 36.

B. Die Europäisierung des Vergaberechts als „Rechtsrevolution“ 

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a) Die „haushaltsrechtliche Lösung“ in Deutschland Der deutsche Gesetzgeber hatte sich vor die Wahl gestellt gesehen, ein formelles Vergabegesetz zu schaffen, „welches die Überprüfung des Vergabeverhaltens öffentlicher Auftraggeber der ordentlichen Gerichtsbarkeit zugewiesen hätte“490 oder das Richtlinienrecht dem staatlichen Innenrecht anzugliedern. Es wurde sehr früh einer „verwaltungsorientierten Überprüfung im Rahmen einer haushaltsrechtlichen Lösung“491 der Vorzug gegeben, da für den deutschen Gesetzgeber „die Einführung einer gerichtlichen Überprüfung des Vergabeverhaltens mit dem erprobten deutschen Vergabeverfahren nicht vereinbar“492 schien. Die verwaltungsinterne Überprüfung sollte sich aus einer verwaltungsinternen Vergabeprüfstelle als erster Instanz und einer zweiten, „revisionsähnlichen gerichtsäquivalenten“ Instanz „in Gestalt von sog. Vergabeüberwachungsausschüssen“ auf Bundes- und Länderebene zusammensetzen.493 aa) Die §§ 57a bis 57c HGrG als „Kernstück“ der verwaltungsinternen Regelungen Die Entscheidung zugunsten des Innenrechts wurde mit dem Gesetz vom 26.11.1993 vollzogen, mit welchem die §§ 57a bis 57c in das Haushaltsgrundsätzegesetz (HGrG) eingefügt wurden.494 § 57a HGrG regelte, welche Auftraggeber dem neuen Vergaberecht unterliegen sollten. § 57a HGrG beinhaltete in Abs. 2 die Rechtsgrundlage, nach der die Bundesregierung Vorschriften für die Vergabe von Dienstleistungs-, Liefer- und Bauaufträgen durch Rechtsverordnung erlassen konnte. Auf dieser Grundlage wurde am 22.11.1994 die Verordnung über die Vergabebestimmungen für öffentliche Aufträge (VgV)495 erlassen. Die VgV wurde rechtstechnisches Bindeglied zwischen dem Haushaltsrecht und den bis dato lediglich als Verwaltungsvorschriften geführten Verdingungsordnungen (VOL/A, VOB/A und VOF).496 Sie schrieb die rechtsverbindliche Anwendung der Verdingungsordnungen vor, soweit Auftraggeber i. S. v. § 57a HGrG Aufträge oberhalb der EGSchwellenwerte vergaben. Mit der Zustimmung der Bundesregierung und des 490 Deutsche Bundesregierung, Entwurf eines zweiten Gesetzes zur Änderung des Haushaltsgrundsätzegesetzes vom 4.1.1993 (BR-Drs. 5/93) S. 2. 491 Ebd. 492 Ebd. 493 Ebd. 494 Zweites Gesetz zur Änderung des Haushaltsgrundsätzegesetzes vom 26.11.1993 (BGBl. I 1993, 1928). 495 Verordnung über die Vergabebestimmungen für öffentliche Aufträge (VgV) (BGBl. I 1994, 321). 496 Die Vorschriften der VOB und VOL waren bisher als Dienstanweisungen an die Beschaffungsstellen der zuständigen Gebietskörperschaft ergangen und galten auch für die Gemeinden als Empfehlung, vgl. hierzu Fritz Rittner, NVwZ 1995, S. 313 (314 f.).

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Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

Bundesrates497 erlangten die Verdingungsordnungen oberhalb der Schwellenwerte Rechtsverbindlichkeit. Die §§ 57b und 57c HGrG dienten zur Umsetzung des von den Nachprüfungs-RL 89/665/EWG und der Sektorennachprüfungs-RL 92/13/EWG vorgesehenen Nachprüfungsverfahren. Der entscheidende Regelungsgehalt fand sich aber in der auf Grundlage der §§ 57b und 57c HGrG erlassenen Nachprüfungsverordnung (NpV)498 sowie  – ergänzend  – in den Geschäftsordnungen der Vergabeüberwachungsausschüsse.499 Auch hier galten als Begrenzung des sachlichen Anwendungsbereichs die Richtlinien-Schwellenwerte. Das vorgesehene zweistufige Nachprüfungsverfahren mit Vergabeprüfstelle und Vergabeüberwachungsausschuss fand seine Ausgestaltung in § 57a HGrG i. V. m. der NpV sowie § 57b i. V. m. der NpV.500 bb) Der Tatbestand des Öffentlichen Auftraggebers nach § 57a HGrG Dem Vorschlag des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahren, „die Aufzählung der Auftraggeber und der zu erfassenden Beschaffungsvorgänge terminologisch an die in der Bundesrepublik Deutschland bestehenden Bezeichnungen anzupassen“501, folgte die Bundesregierung nicht. Sie sprach sich dafür aus, sich „bei der Bezeichnung der Auftraggeber und der zu erfassenden Beschaffungsvorgänge auf die Terminologie der EG zu verlassen“502. „Eine zum Teil  neue Terminologie ist im Rahmen der EG-Rechtsharmonisierung nicht zu vermeiden“503, so die Bundesregierung. Dem schloss sich der Ausschuss für Wirtschaft des Bundestages in seiner Beschlussempfehlung vom 30.6.1993504 sowie der Bundestag am 1.7.1993505 an. 497

Vgl. Peter W. Schäfer, BB Beilage 1996, S. 1 (8), mit einer Begründung in Fn. 91. Danach lässt sich aus § 57a HGrG i. V. m. der Präambel der VgV sowie dem Hinweis auf die Zustimmung des Bundesrates in der Schlussformel ein Zustimmungserfordernis des Bundesrats herleiten. 498 Verordnung über das Nachprüfungsverfahren für öffentliche Aufträge (NpV) vom 22.2.1994 (BGBl. I 1994, 324). 499 Vgl. hierzu Jan Rogmans, NJW 1994, S. 3134 ff. 500 Vgl. hierzu ausführlich Peter W. Schäfer, BB Beilage 1996, S. 1 (9 ff.). 501 Deutscher Bundesrat, Stellungnahme vom 12.2.1993 zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Haushaltsgrundsätzegesetzes der Bundesregierung vom 4.1.1993 (BRDrs. 5/93(B)) Anlage, 2. Zu Artikel 1 (§ 57 a Abs. 1) S. 2. 502 Deutsche Bundesregierung, Gegenäußerung vom 25.3.1993 zur Stellungnahme des Bundesrates vom 12.2.1993 zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Haushaltgrundsätzegesetzes der Bundesregierung vom 4.1.1993 (BT-Drs. 12/4636) Anlage 3, Nr. 1 c), S. 20. 503 Ebd. 504 Ausschuss für Wirtschaft des Deutschen Bundestages (9. Ausschuss), Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Zweites Gesetz zur Änderung des Haushaltsgrundsätzegesetzes vom 30.6.1993 (BT-Drs. 12/5334). 505 Vgl. Deutscher Bundestag, Stenographischer Bericht der 168. Sitzung vom 1.7.1993 (Plenarprotokoll 12/168) S. 14488(B).

B. Die Europäisierung des Vergaberechts als „Rechtsrevolution“ 

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Während die neue Terminologie bereits zuvor Eingang in die Verdingungsordnung für Bauleistungen Teil A (VOB/A) von 1992506 gefunden hatte, wurde der sachliche Anwendungsbereich erstmals mit dem § 57a HGrG nach den Vorgaben der Richtlinien auf einfachgesetzlicher Ebene festgeschrieben. Hierzu wurden die von den Vergaberichtlinien definierten Auftraggebergruppen in § 57a HGrG zusammengefasst.507 Schaubild 1 Umsetzung der Vergaberichtlinien in § 57a HGrG (1993) Richtlinien

§ 57a Abs. 1 HGrG § 57a Abs. 1: Zur Erfüllung der Verpflichtungen aus Richtlinien der Europäischen Gemeinschaften regelt die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundes­rates die Vergabe von Liefer-, Bau- und Dienstleistungsaufträgen sowie Wettbewerbe, die zu Dienstleistungsaufträgen führen sollen, durch folgende Auftraggeber:

Art. 1 b) BaukoordinierungsRL 71/305/EWG

§ 57a Abs. 1 Nr. 1:

Gebietskörperschaften sowie deren Sondervermögen und Art. 1 b) Lieferkoordinierungs-­ die aus ihnen bestehenden Verbände, RL 77/62/EWG Art. 2 Abs. 1 a) i. V. m. Art. 1 b) Sektorenvergabe-RL 90/531/ EWG Art. 1 b) ) Baukoordinierungs-­ § 57a Abs. 1 Nr. 2: RL 71/305/EWG andere juristische Personen des öffentlichen und des privaten Rechts, die zu dem besonderen Zweck gegründet wurden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen, wenn Stellen, die unter Nummer 1 fallen, sie einzeln oder gemeinsam durch Beteiligung oder auf sonstige Weise überwiegend finanzieren oder über ihre Leitung die Aufsicht ausüben oder mehr als die Hälfte der Mitglieder eines ihrer zur Geschäftsführung oder zur Aufsicht berufenen Organe bestimmt haben. Das gleiche gilt dann, wenn die Stelle, die einzeln oder gemeinsam mit anderen die überwiegende Finanzierung gewährt oder die Mehrheit der Mitglieder eines zur Geschäftsführung oder Aufsicht berufenen Organs bestimmt hat, unter Satz 1 fällt. (Fortsetzung nächste Seite) 506

Verdingungsordnung für Bauleistungen Teil  A (VOB/A) in der Fassung der Bekanntmachung vom 12.11.1992 (Bundesanzeiger Nr. 223a, S. 14). 507 Deutsche Bundesregierung, Begründung zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Haushaltgrundsätzegesetzes (BR-Drs. 5/93) S. 22 f.

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Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

(Fortsetzung: Schaubild 1)

Richtlinien

§ 57a Abs. 1 HGrG

Art. 1 b) 71 Baukoordinierungs-­ § 57a Abs. 1 Nr. 3: RL 71/305/EWG Verbände, deren Mitglieder unter Nummer 1 oder 2 fallen, Art. 1 Nr. 2 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 a) Sektorenvergabe-RL 90/531/EWG

Art. 2 Abs. 1 b) Sektoren­ vergabe-RL 90/531/EWG

Art. 1 a) ) BaukoordinierungsRL 71/305/EWG

Art. 1 d) i. V. m. Art. 1b und Art. 1 b) ) BaukoordinierungsRL 71/305/EWG

Art. 1 a) letzte ­Alternative i. V. m. Art. 1 b) ) Bau­ koordinierungs-RL 71/305/ EWG

§ 57a Abs. 1 Nr. 4: Unternehmen in privater Rechtsform, die auf dem Gebiet der Trinkwasser- oder Energieversorgung oder des Verkehrs- oder Fernmeldewesens tätig sind, soweit Stellen, die unter Nummern 1 bis 3 fallen, auf sie einzeln oder gemeinsam einen beherrschenden Einfluß ausüben können, § 57a Abs. 1 Nr. 5: andere natürliche oder juristische Personen des privaten Rechts, die auf dem Gebiet der Trinkwasser- oder Energie­ versorgung oder des Verkehrs- oder Fernmeldewesens tätig sind und diese Tätigkeiten auf der Grundlage von besonderen oder ausschließlichen Rechten ausüben, die von einer zuständigen Behörde gewährt wurden, § 57a Abs. 1 Nr. 6: natürliche oder juristische Personen des privaten Rechts, in den Fällen, in denen sie für Vorhaben zu einem gemeinnützigen Zweck von Stellen, die unter Nummern 1 bis 3 fallen, Mittel erhalten, mit denen diese Vorhaben zu mehr als 50 vom Hundert finanziert werden, § 57a Abs. 1 Nr. 7: natürliche oder juristische Personen des privaten Rechts, die mit Stellen, die unter Nummern 1 bis 3 fallen, einen Vertrag über die Erbringung von Bauleistungen abgeschlossen haben, bei dem die Gegenleistung für die Bauarbeiten statt in einer Vergütung in dem Recht auf Nutzung der baulichen Anlage, gegebenenfalls zuzüglich der Zahlung eines Preises besteht, hinsichtlich der Aufträge an Dritte, § 57a Abs. 1 Nr. 8: natürliche und juristische Personen des Privatrechts, die mit einer der in Nummern 1 bis 3 genannten Stellen einen Vertrag über die Erbringung einer Bauleistung durch Dritte, gleichgültig mit welchen Mitteln, gemäß den vom öffentlichen Auftraggeber genannten Erfordernissen, geschlossen haben.

Eine Auslegung dieser neuen Tatbestandsmerkmale durch die Gerichte konnte nicht stattfinden, da ein gerichtlicher Rechtsschutz fehlte und es damit zu keiner Befassung der Gerichte mit etwaigen Auslegungsfragen kam. Eine Rechtsprechung, die Rechtssicherheit bei der Einordnung von öffentlichen und privatrechtlichen Einrichtungen als „Öffentliche Auftraggeber“ geschaffen hätte, entstand folglich nicht.

B. Die Europäisierung des Vergaberechts als „Rechtsrevolution“ 

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cc) Bewertung der „haushaltsrechtlichen Lösung“ Deutschlands Da das deutsche Haushaltsrecht grundsätzlich keine Außenrechtsqualität besitzt und nur für die Verwaltung verpflichtend wirkt, begründeten die in § 57a bis 57c HGrG eingefügten Normen keine Ansprüche der Marktteilnehmer.508 Dies entsprach gänzlich der Intention des Gesetzgebers, wie er in der Begründung zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Haushaltsgrundsätzegesetzes klarstellte: „Das Konzept hat zum Ziel, individuelle, einklagbare Rechtsansprüche der Bieter nicht entstehen zu lassen“509. Die Vorstellung, eine „seit Jahrzehnten bewährte Einheit der vergaberechtlichen Regelungen“510 aufzugeben, missfiel. Grund hierfür war der verhältnismäßig geringe rechtliche Aufwand, der für die Vergabe öffentlicher Aufträge von beiden Seiten – Auftraggeber und Bieter – betrieben werden musste.511 Die Anfang des 20. Jahrhunderts mühsam gefundene Lösung mit den Verdingungsordnungen und Verdingungsausschüssen, in denen Staat und Privatwirtschaft die Regeln im Konsensverfahren festlegten, wurde von allen Seiten als tragbar erachtet.512 Daher ist es nicht verwunderlich, dass die mit der haushaltsrechtlichen Lösung gewählte Konzeption den Eindruck erweckte, hinter ihr verberge sich „freilich nichts anderes als der Versuch, soweit es europarechtlich geht, alles beim Alten zu lassen“513. Argumentiert wurde auch mit dem Bedürfnis, den Mittelstand zu schützen: „Es geht um die Erhaltung der mittelständischen Struktur, die unsere Wirtschaft in der Vergangenheit die meisten Impulse gegeben hat. Das muß auch in Zukunft so bleiben.“514 „Ein Mittel dazu, wenn auch vielleicht nur ein kleiner Baustein, ist, unser bewährtes, dem Mittelstand eine Chance gebendes Vergabesystem zu erhalten.“515 Der deutsche Gesetzgeber war sich des mit der „haushaltsrechtlichen Lösung“ eingegangenen Risikos sehr bewusst, dem europarechtlichen Anspruch der Verga­ berichtlinien – mit allen Konsequenzen – nicht gerecht zu werden, wie es der Abgeordnete Gaultier beschrieb: 508 Ingelore Seidel/Susanne Mertens, H. Wettbewerbsregeln, IV. Öffentliches Auftragswesen, in: Dauses, EU-Wirtschaftsrecht (25. Ergänzungslieferung), Rn. 390. 509 Deutscher Bundestag, Begründung zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Haushaltsgrundsätzegesetzes vom 25.3.1993 (BT-Drs. 12/4636) S.  12; gestützt auf die Kompetenznormen des Art.  109 Abs.  3 GG (Regelungen für konjunkturgerechte Haushaltswirtschaft) und Art. 74 Nr. 11 GG (Wirtschaftsrecht), vgl. hierzu Jan Rogmans, NJW 1994, S. 3134. 510 Fritz Rittner, NVwZ 1995, S. 313 (315). 511 Vgl. zur Entstehung oben, S. 66. 512 Schäfer etwa geht davon aus, dass die Mehrheit der deutschen Vergaberechtsexperten eine Umsetzung im Kontext des Haushaltsrechts begrüßten, Peter W. Schäfer, BB Beilage 1996, S. 1 (8) m. w. N. in Fn. 81. 513 Georg Hermes, JZ 1997, S. 909 (911). 514 Parlamentarier Dr. Hermann Schwörer (CDU/CSU), Aussprache zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Haushaltsgrundsätzegesetzes, in: Deutscher Bundestag, Stenographischer Bericht der 168. Sitzung vom 1.7.1993 (Plenarprotokoll 12/168) S. 14484(B). 515 Ebd.

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Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

„Das große Rechtsrisiko liegt in dem subjektiven Rechtsanspruch, den die EG-Richtlinie begründet, desjenigen, der nicht zum Zuge gekommen ist, unter Umständen gegen eine fehlerhafte Vergabe im Wege der Verwaltungsgerichtsbarkeit vorgehen zu können. Darauf hat auch der Vizepräsident der EG-Kommission, der ehemalige Wirtschaftsminister und Kollege der F. D. P.-Fraktion, Herr Bangemann, in einem Schreiben vom 27. Februar an die Bundesrepublik – sprich: den Außenminister – hingewiesen. Er hat die Auffassung vertreten, so gehe es eigentlich nicht; man müsse den subjektiven Rechtsanspruch auch im deutschen Recht entsprechend durchsetzen. Wir werden uns als Deutscher Bundestag mit der Abstimmung gleich darüber hinwegsetzen. Wir werden keine subjektiven Rechtsansprüche realisieren. Aber wir gehen damit das erhebliche Risiko ein, vom Europäischen Gerichtshof verklagt zu werden.“516

Auch der parlamentarische Staatssekretär Kolb formulierte, was auf der Hand lag: „Meine Damen und Herren, es ist bekannt und wurde in der heutigen Debatte erwähnt, daß die EG-Kommission mit diesem Gesetz nicht ganz zufrieden ist.“517

Entgegen der Bedenken der SPD-Fraktion, die den Gesetzesentwurf gleichwohl von Anfang an mitgetragen hatte, war der Staatssekretär optimistischer für eine mögliche Reaktion aus Luxemburg: „Ich denke, wir sollten dem sich anbahnenden Rechtsstreit beim Europäischen Gerichtshof mit Gelassenheit entgegensehen. Diese Gelassenheit sollten wir auch bei der Bewertung der nicht völlig auszuschließenden Risiken des Gesetzentwurfs üben, die darin liegen könnten, daß die Bewerber um öffentliche Aufträge darüber hinaus versuchen, nationale ordentliche Gerichte mit Vergabeverfahren zu befassen.“518

Der gewisse Trotz des deutschen Gesetzgebers, der sich in der Gesetzesbegründung wiederfindet, bedeutete, dass man das Risiko, die gewählte Umsetzungsform werde aus europäischer Sicht als defizitär angesehen werden,519 soweit in Kauf nahm. Es schien für die politische Mehrheit opportun, lieber einen Märtyrertod für den deutschen Mittelstand zu sterben, als sich dem Imperativ der EG-Richtlinien zu beugen. Die Regelungen, mit denen nunmehr erstmals vergaberechtliche Pflichten der Auftraggeber mit Gesetzesrang eingeführt wurden, waren insgesamt nicht zum Nachteil der Vergabestellen. Dort, wo mit der Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben im Haushaltsrecht eine Tür schloss, tat sich zugleich eine neue auf. Ins 516 Parlamentarier Dr. Fritz Gaultier (SPD), Aussprache zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Haushaltsgrundsätzegesetzes, in: Deutscher Bundestag, Stenographischer Bericht der 168. Sitzung vom 1.7.1993 (Plenarprotokoll 12/168) S. 14485(B). 517 Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft Dr. Heinrich L Kolb, Aussprache zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Haushaltsgrundsätzegesetzes, in: Deutscher Bundestag, Stenographischer Bericht der 168. Sitzung vom 1.7.1993 (Plenarprotokoll 12/168) S. 14488(B). 518 Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft Dr. Heinrich L Kolb, Aussprache zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Haushaltsgrundsätzegesetzes, in: Deutscher Bundestag, Stenographischer Bericht der 168. Sitzung vom 1.7.1993 (Plenarprotokoll 12/168) S. 14488(C). 519 Vgl. Siegfried Broß, VerwArch 1997, S. 521 (522).

B. Die Europäisierung des Vergaberechts als „Rechtsrevolution“ 

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besondere mit der Unterteilung der öffentlichen Aufträge in einen Unter- und Oberschwellenwertbereich war die Möglichkeit entstanden, die „Zwangsjacke“ der Verdingungsordnungen abzustreifen und unterhalb der Schwellenwerte freihändig zu vergeben.520 b) Deutschland vor dem EuGH Ungeachtet der Absehbarkeit löste die Aufmerksamkeit aus Brüssel und Luxem­ burg für die deutschen Bemühungen letztlich „erhebliche Unruhe“521 aus. Der Versuch mit der „haushaltsrechtlichen Lösung“ das deutsche Recht der Auftragsvergabe in „minimalistischer“522 Weise an das EG-Recht anzupassen, stieß – wie erwartet – auf wenig Begeisterung bei der Kommission. Auch der Hinweis auf die „konzeptionellen Unterschiede“ und das gute Funktionieren einer „reibungslosen und zügigen Vergabe“ in Deutschland konnten den Eindruck der „eher widerwillig“ anmutenden Umsetzung, vor allem der Nachprüfungs-RL 89/665/EWG, nicht beschönigen.523 In zwei Verfahren wurde die Bundesrepublik Deutschland schließlich für die Nichtumsetzung der Vergaberechtsrichtlinien verurteilt. Neben der nachdrücklichen Überprüfung der Umsetzung der „neuen“ Basisrichtlinien 92/50/EWG, 93/36/EWG, 93/37/EWG und 93/38/EWG verfolgte die Kommission  – wie erwähnt524 – auch die Fälle weiter, in denen die Überprüfung der Umsetzung der vor 1993 in Kraft getretenen Richtlinien Defizite ergeben hatte. Es traf insbesondere Deutschland.525 aa) Verurteilung wegen nicht ordnungsgemäßer Umsetzung der Richtlinien 88/295/EWG und 89/440/EWG Mit Urteil vom 11.8.1995 wurde die Bundesrepublik wegen der nicht ordnungsgemäßen Umsetzung der Lieferkoordinierungs-ÄndRL 88/295/EWG sowie der Baukoordinierungs-ÄndRL 89/440/EWG verurteilt. Da die Kommission im Verfah 520 Vgl. Fritz Rittner, NVwZ 1995, S. 313 (316) mit einer Dokumentation einer „Fluchtbewegung“ mancher Kommunen aus diesen Ordnungen. 521 Vgl. Georg Hermes, JZ 1997, S. 909 (910) mit umfassenden Verweisen in Fn. 14. 522 Jost Pietzcker, NVwZ 1996, S. 313. 523 Vgl. Georg Hermes, JZ 1997, S. 909 (911). 524 Vgl. S. 128 f. 525 Vgl. Europäische Kommission, Elfter Jahresbericht an das Europäische Parlament über die Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts – 1993, KOM (94) 500 endg., 2.2.5. Öffentliche Aufträge, S. 22; Europäische Kommission, Zwölfter Jahresbericht über die Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts – 1994, KOM (95) 500 endg., S. 24; Europäische Kommission, Dreizehnter Jahresbericht über die Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts – 1995, KOM (96) 600 endg., S. 34.

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Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

ren klargestellt hatte, dass sich ihre Klagepunkte nur auf die Zeit bis Februar 1993 beziehen,526 hatte der EuGH die Rechtslage vor Inkrafttreten der Novelle des Haushaltsgrundsätzegesetz zu beurteilen. Bis dahin hatte die Bundesrepublik Deutschland lediglich den Regelungsgehalt der Lieferkoordinierungs-ÄndRL 88/295/EWG in die Verdingungsordnung für Leistungen – ausgenommen Bauleistungen – Teil A (VOL/A)527 und die Vorgaben der Baukoordinierungs-ÄndRL 89/440/EWG in die Verdingungsordnung für Bauleistungen Teil A (VOB/A)528 integriert. Ungeachtet der Überschreitung der Umsetzungsfrist im Falle der Lieferkoordi­ nierungs-ÄndRL 88/295/EWG von über einem Jahr529 war Gegenstand der Mahnschreiben der Kommission vom 27.2.1992 nicht das „Ob“ sondern das „Wie“ der Umsetzung. Die Kommission beanstandete, dass es sich bei den Verdingungsordnungen lediglich um Verwaltungsvorschriften ohne Rechtsnormqualität handelte, die den an den Vergabeverfahren Beteiligten keine subjektiven Rechte vermitteln könnten.530 Daneben bemängelte die Kommission auch die unzureichenden Definitionen der Begriffe „öffentliche Bauaufträge“, „öffentlicher Auftraggeber“, „Bauwerk“.531 Das Fehlen subjektiver Rechte der am Vergabeverfahren Beteiligten reichte dem EuGH für die Feststellung, dass die Bundesrepublik nicht alle erforderlichen Maßnahmen erlassen hatte, um den Anforderungen der Lieferkoordinierungs-ÄndRL 88/295/EWG und der Baukoordinierungs-ÄndRL 89/440/EWG zu genügen.532 bb) Verurteilung wegen nicht ordnungsgemäßer Umsetzung der RL 92/50/EWG Während alle anderen Mitgliedstaaten die Dienstleistungskoordinierungs-RL 92/50/EWG mit allgemeinen Vergabegesetzen oder ähnlichen gesetzlichen Regelungen umgesetzt hatten,533 zeigte sich zunehmend, dass die in Deutschland gewählte 526

Vgl. Jost Pietzcker, Die deutsche Umsetzung der Vergabe- und Nachprüfungsrichtlinien im Lichte der neuen Rechtsprechung, NVwZ 1996, S. 313 (314). 527 Mit Bekanntmachung im Bundesanzeiger Nr. 45a vom 6.3.1990. 528 Mit Bekanntmachung im Bundesanzeiger Nr. 132 vom 19.7.1990. 529 Gemäß Art. 20 Lieferkoordinierungs-ÄndRL 88/295/EWG galt es, die Richtlinie bis zum 1.1.1989, gem. Art. 3 Baukoordinierungs-ÄndRL 89/440/EWG bis zum 19.7.1990 in mitgliedstaatliches Recht umzusetzen. 530 Vgl. Klageschrift der Kommission vom 3.11.1993, ABl. 1993 C 338/14. 531 Vgl. ebd., Klagegründe, 2., 3., 4. Spiegelstrich. 532 Die deutsche Bundesregierung stellte das Fehlen einer Möglichkeit zur Geltendmachung subjektiver Rechte vor nationalen Gerichten aus den Verdingungsordnungen nicht in Abrede (vgl. EuGH 1995, I-2303 Rn.  20 (C-433/93)  – Kommission/Deutschland). Zu dem von der Bundesregierung in diesem Zusammenhang vorgebrachten Argument der unmittelbaren Geltung der Richtlinie als hinreichender Möglichkeit, sich vor den nationalen Gerichten auf die Vorschriften berufen zu können, siehe unten S. 143. 533 Vgl. Fritz Rittner, EuR Beiheft I 1996, S. 13 f.

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„haushaltsrechtliche Lösung“ mit der Einfügung der §§ 57a bis 57c HGrG keine ausreichende Umsetzung der Richtlinienvorschriften darstellen würde. Die Auffassung, man hätte mit der haushaltsrechtlichen Lösung die Anpassung des deutschen Vergabewesens an die EG-Vorschriften erfolgreich vollzogen, blieb vereinzelt.534 Auch die Kommission war der Auffassung, dass die deutschen Umsetzungsbemühungen nicht ausreichten, weil die Bundesrepublik nicht die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen hatte, um den Vorschriften der Dienstleistungskoordinierungs-RL 92/50/EWG nachzukommen. Der Entschluss der Kommission, die Nichtumsetzung der Dienstleistungskoordinierungs-RL 92/50/EWG in einem weiteren Verfahren zu verfolgen, fiel bereits 1993, nachdem die Bundesrepublik auch nach Ablauf der gem. Art. 44 Abs. 1 UAbs. 1 Dienstleistungskoordinierungs-RL 92/50/EWG gesetzten Frist535 keine Mitteilung der zur Umsetzung der Richtlinie erlassenen Vorschriften nach Brüssel gesandt hatte. Im Rahmen des informellen Vorverfahrens erbat sich die deutsche Bundesregierung Zeit, um der Kommission die vorbereitete Novelle des Haushaltsrechts vorlegen zu können. Nachdem am 5.11.1993 zunächst der Entwurf des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Haushaltsgrundsätzegesetzes,536 am 27.12.1993 die Information über dessen Verabschiedung537 und am 7.4.1994 die endgültigen Texte der Vergabe- und der Vergabenachprüfungsordnung übersandt worden waren,538 entschloss sich die Kommission nach Prüfung der Rechtstexte am 20.7.1995, Klage539 beim EuGH einzureichen. Der Hinweis seitens der Regierung, die Einbeziehung der Dienstleistungsaufträge in die Vergabeordnung befinde sich im Gesetzgebungsverfahren, änderte aufgrund des nunmehr 20 Monate dauernden Prozesses nichts mehr am Entschluss der Kommission. Nachdem die Bundesregierung im Verfahren die Vertragsverletzung nicht bestritt,540 sah der Gerichtshof die von der Kommission erhobene Klage als begründet an.541 In seinem Urteil vom 2.5.1996 stellte er fest, dass die Bundesrepublik ihre Verpflichtungen aus Art.  45 Abs.  1 Dienstleistungskoordinierungs-RL 92/50/EWG verletzt hatte, innerhalb der vorgeschriebenen Frist die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen.542 534

Vgl. Jürgen Witte, DStR 1998, S. 1684 (1685) m. w. N. in Fn. 12. Art. 44 Abs. 1 UAbs. 1 Dienstleistungskoordinierungs-RL 92/50/EWG: vor dem 1.7.1993. 536 EuGH 1996, I-2423 Rn. 4 (C-253/95) – Kommission/Deutschland. 537 Ebd., Rn. 4. 538 Ebd., Rn. 6 539 Klage der Kommission vom 20.7.1995, ABl. 1995 C 248/7. 540 EuGH 1996, I-2423 Rn. 10 (C-253/95) – Kommission/Deutschland; vgl. zu den Ausführungen der Bundesregierung zur unmittelbaren Wirkung der Richtlinie als zumindest temporär ausreichende Möglichkeit, sich vor dem nationalen Gericht auf die Vorschrift zu berufen, siehe unten, S. 147. 541 EuGH 1996, I-2423 Rn. 14 (C-253/95) – Kommission/Deutschland. 542 Ebd., Rn. 15. 535

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3. Neuer Wind aus Luxemburg: Die richterrechtliche Fortentwicklung der Richtliniendurchsetzung Die exekutiven Bemühungen der Kommission, die effektive Anwendung des Europarechts mit der Überprüfung der Umsetzung der Richtlinien zu verbessern, wurden flankiert von einer richterrechtlichen Fortentwicklung des Gemeinschaftsrechts durch den EuGH. Der Gerichtshof bildete als „protecteur de l’intégration“543 ein weiteres Korrektiv zu der Untätigkeit der Mitgliedstaaten. Für den Bereich der nicht fristgerechten Richtlinienumsetzung schuf der Gerichtshof zwei Rechtsfiguren, die den Imperativ des Gemeinschaftsrechts gegenüber den Mitgliedstaaten revolutionierten: die unmittelbare Wirkung von nicht fristgerecht umgesetzten Richtlinien und den gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch. a) Unmittelbare Wirkung der Richtlinien als Mindestgarantie der Gemeinschaftsbürger Grundsätzlich sei vorab daran erinnert, dass die sich aus dem Primärrecht ergebenden Integrationsprinzipien, insbesondere die Grundfreiheiten, die Mitgliedstaaten auch ohne eine sekundärrechtliche Ausformung verpflichten, die Durchsetzung der „sich aus dem Vertrag selbst ergebenden Gemeinschaftsrechten mit unmittelbarer Wirkung“544 sicherzustellen.545 Weder dem Primärrecht noch den Richtlinien gelang es jedoch, alleinstehend den ausreichenden Anwendungs- und Umsetzungszwang zu schaffen, um der „neuen“ europäischen Rechtsordnung zu einer praktischen Wirksamkeit zu verhelfen. Auch das für den Fall unzureichender Rechtbefolgung der Mitgliedstaaten geschaffene Instrument des Vertragsverletzungsverfahrens nach Art. 169 EWG bzw. Art.  169 EG546 vermochte es nur punktuell und abhängig vom Klageerhebungsermessen der Kommission, die verschiedenartigen Verstöße gegen das Primär- und Sekundärrecht zu sanktionieren. Voraussetzung für ein Tätigwerden war immer die Kenntnis von Vertragsverletzungen aufgrund von eigenen Überprüfungen durch die Kommission oder der Benachrichtigung seitens nationaler Rechtsanwender und Interessengruppen. 543 Vgl. zu dieser Begrifflichkeit Thomas von Danwitz, EuR 2008, S. 769 (773) mit Verweis auf Pierre Pescatore, La carence du législateur communautaire et le devoir du juge, in: Lücke/ Ress/Will, Gedächtnisschrift für Léontin-Jean Constantinesco, S. 559 ff. 544 Vgl. grundsätzlich EuGH 1976, 1989 (33/76) – REWE-Zentralfinanz; EuGH 1987, 1227 (178/84) – Kommission/Bundesrepublik Deutschland betreffend den freien Warenverkehr und EuGH 1987, 4097 (222/86) – Heylens betreffend die Arbeitnehmerfreizügigkeit. 545 Zu den positiven und negativen Integrationsprinzipien vgl. oben, S. 93 f. und Fn. 281. 546 Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft in der durch Titel II (Art.  G Nr.  1–84) des am 7.2.1992 in Maastricht unterzeichneten Vertrages über die Euro­ päische Union geänderten Fassung, ABl. 1992 C 224/1.

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aa) Grundsatz Angesichts der Vielzahl an umsetzungsbedürftigen Rechtsakten, deren vollständige und korrekte Durchführung die Kommission in den Mitgliedstaaten als „Hüterin der Verträge“ zu überwachen hatte, war vielerorts die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts gefährdet.547 Meist stand der Kommission nur die Möglichkeit zu, in technokratischen, auf systematischen Schemata beruhenden Mechanismen die Umsetzung und Einhaltung des Richtlinienrechts zu überprüfen. Auch die Eingaben von Gemeinschaftsbürgern und Einrichtungen konnten die entstandenen Umsetzungsdefizite nicht beseitigen. Folglich sah es der EuGH als geboten an, die Kontrolle „von oben“ um eine Kontrolle „von unten“ zu ergänzen. Die von den Regelungen betroffenen Bürger und Einrichtungen sollten zur Sicherung ihrer von den Richtlinien abgeleiteten subjektiven Rechte die Möglichkeit erhalten, sich so vor den nationalen Gerichten auf die sekundärrechtlichen Vorschriften zu berufen, als ob es sich um ordnungsgemäß in das nationale Recht überführte Regelungen handeln würde. Der Gerichtshof beschrieb die Rolle des Einzelnen bereits 1963 in der für die europäische Integration wegweisenden Entscheidung van Gend & Loos wie folgt: „Die Wachsamkeit der an der Wahrung ihrer Rechte interessierten Einzelnen stellt eine wirksame Kontrolle dar, welche die durch die Kommission und die Mitgliedstaaten nach den Art. 169 und 170 ausgeübte Kontrolle ergänzt.“548

bb) Herleitung Die Herausforderung, das Recht einer neuen supranationalen Rechtsordnung sui generis in das gewachsene System von Vorschriften der Mitgliedstaaten zu implementieren, bedurfte einer Maxime, die sich aus dem Vertrag über die Gemeinschaft ebenso ergab wie aus den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten. Als ein solches Prinzip stellte der EuGH auf den sog. effet utile ab. Den Gedanke der „nützlichen Wirkung“ bzw. „praktischen Wirksamkeit“ nutze der Gerichtshof in seinen ersten Entscheidungen,549 um im Rahmen einer teleologischen Auslegung dem Sinn und Zweck der einzelnen Normen aber eben auch dem Vertrag insgesamt zu einer rechtswirksamen Entfaltung in den mitgliedstaatlichen Rechts 547

Probleme bereitete unter anderem auch die Harmonisierung des Wettbewerbs-, Subven­ tions-, Telekommunikations-, Güterkraftverkehrs- und Energiewirtschaftsrechts, vgl. hierzu ausführlich Michael Brenner, Der Gestaltungsauftrag der Verwaltung in der Europäischen Union, S. 288 ff., 314 ff., 321 ff., 340 ff., 347 ff. 548 EuGH 1963, 3 (26/62) – van Gend & Loos, S. 26. 549 Vgl. EuGH (EGKS) 1956, 297 (8/55)  – Fédération Charbonnière de Belgique; EuGH 1963, 287 (34/62) – Deutschland/Kommission; EuGH 1970, 825 (9/70) – Franz Grad/Finanzamt Traunstein; sowie Matthias Ruffert, Art. 288 AEUV, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV – Kommentar, Rn. 48 mit umfassenden Rechtsprechungsnachweisen in Fn. 145.

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ordnungen zu verhelfen.550 Ergänzt wurde das Auslegungsprinzip des effet utile durch den sich aus Art. 5 EWG ergebenden Grundsatz von Treu und Glauben und dem sog. Estoppel-Prinzip551. Zwar sah der Wortlaut des Art. 189 EWG gerade im Gegensatz zur Verordnung die Ausgestaltungshoheit der Vorschriften einer Richtlinie bei den Mitgliedstaaten.552 Da jedoch auch der Wortlaut ausdrücklich von der verbindlichen Wirkung der Richtlinie sprach, „wäre es unvereinbar, grundsätzlich auszuschließen, daß betroffene Personen sich auf die durch die Richtlinie auferlegte Verpflichtung berufen können“553. Der EuGH erklärte danach, teilweise mit Hinweis auf die Rechtssicherheit,554 teilweise auf die Pflicht zur Zusammenarbeit gem. Art. 5 EWG,555 die unmittelbare Wirkung zur Mindestgarantie der Gemeinschaftsbürger: „Diese Mindestgarantie, die sich aus dem zwingenden Charakter der Verpflichtung ergibt, welche den Mitgliedstaaten nach Artikel 189 Absatz 3 durch die Richtlinien auferlegt ist, kann keinem Mitgliedstaat als Rechtfertigung dafür dienen, daß er es versäumt hat, rechtzeitig zur Erreichung des Ziels der jeweiligen Richtlinie geeignete Durchführungsmaßnahmen zu ergreifen.“556

Die unmittelbare Wirkung einer Richtlinie wurde damit zu einem vom Vertrag nicht expressis verbis vorgesehenen Instrument zur Beseitigung der Folgen einer vertragsverletzenden Nichtumsetzung des vorgeschriebenen Regelungsgehalts. Die Voraussetzungen, nach denen sich ein Gemeinschaftsbürger oder eine Gemeinschaftseinrichtung auf eine Richtliniennorm berufen können, umfassen den Ablauf der Umsetzungsfrist557, die mangelhafte oder gänzlich fehlende Umsetzung558 sowie einen Normencharakter, der inhaltlich unbedingt und hinreichend

550

Franz C. Mayer, Art. 19 EUV, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union (41. Ergänzungslieferung), Rn. 57. 551 Vgl. Alfred Verdross/Bruno Simma, Universelles Völkerrecht, § 615: „Grundgedanke des Estoppel-Prinzips ist also, daß ein Staat an Erwartungen gebunden ist, die er durch sein Verhalten erweckt hat und auf die ein anderer Staat nach Treu und Glauben vertrauen darf.“ 552 Vgl. zum Verhältnis von Verordnung zu unmittelbar geltender Richtlinie EuGH 1974, 1337 Rn. 12 (41/74) – Yvonne van Duyn/Home Office: „Zwar gelten nach Artikel 189 Verordnungen unmittelbar und können infolgedessen schon wegen ihrer Rechtsnatur unmittelbare Wirkungen erzeugen. Hieraus folgt indessen nicht, daß andere in diesem Artikel genannte Kategorien von Rechtsakten niemals ähnliche Wirkungen erzeugen könnten.“ 553 EuGH 1974, 1337 Rn. 12 (41/74) Yvonne van Duyn/Home Office. 554 EuGH 1974, 1337 Rn. 13 f. (41/74) Yvonne van Duyn/Home Office. 555 Heute: Art. 4 Abs. 3 EUV; vgl. EuGH 1988, 4689 Rn. 22 und 24 (190/87) – Moormann: „Aus der den Richtlinien durch Artikel 189 Absatz 3 zuerkannten verbindlichen Wirkung und der Pflicht zur Zusammenarbeit nach Artikel 5 folgt, daß ein Mitgliedstaat, an den eine Richtlinie gerichtet ist, sich nicht den Verpflichtungen entziehen kann, die die Richtlinie ihm­ auferlegt.“ 556 EuGH 1980, 1473 Rn. 12 (102/79) – Kommission/Belgien. 557 EuGH 1979, 1629 Rn. 43–45 (148/79) – Tullio Ratti. 558 EuGH 1986, 723 Rn. 46 (152/84) – Marshall: „Es ist daran zu erinnern, daß nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes […] in all den Fällen, in denen Bestimmungen einer

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genau bestimmt ist559. Da es sich bei der Rechtsfigur der unmittelbaren Wirkung um eine Sanktion staatlicher Vertragsverletzung handelt, welche die für die Privaten entstehenden Nachteile kompensieren soll, kommt grundsätzlich nur eine gegen einen Hoheitsträger gerichtete Wirkung in Betracht (vertikale unmittelbare Richtlinienwirkung).560 cc) Bedeutung für das öffentliche Auftragswesen Für die mehrheitlich nicht fristgerecht umgesetzten Vergaberichtlinien, insbesondere die Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG und die LieferkoordinierungsRL 77/62/EWG sowie ihre Änderungsrichtlinien, bedeute die „richterliche Rechtsfortbildung“561 die unmittelbare Wirkung von Vorschriften, auf die sich einzelne in nationalen Vergabeverfahren berufen konnten. (1) Besonderheiten der unmittelbaren Anwendung von Richtlinienvorschriften für das Vergaberecht Mit einer Beschränkung der unmittelbaren Richtlinienwirkung auf das vertikale Verhältnis gegenüber dem Staat müsste man bei einer strikten Auslegung zu der Auffassung gelangen, dass im Vergaberecht private Auftraggeber, die zwar in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen, aber keine staatlichen Akteure sind, als Adressaten ausgeschlossen sind. Insbesondere für den Bereich der Sektorenaufträge wäre dies von enormer Relevanz. Der EuGH geht jedoch auch hier seither von einem weiten, funktionalen Verständnis des Staatsbegriffs aus, sodass als Adressaten der unmittelbaren Wirkung auch die Sektorenauftraggeber erfasst werden, selbst wenn sie über kein AnknüpRichtlinie inhaltlich als unbedingt und hinreichend genau erscheinen, die einzelnen berechtigt sind, sich gegenüber dem Staat auf diese Bestimmungen zu berufen, wenn der Staat die Richtlinie nicht fristgemäß in nationales Recht umsetzt oder eine unzutreffende Umsetzung der Richtlinie vornimmt.“ 559 EuGH 1979, 1629 Rn. 23 (148/79) – Tullio Ratti: „Hieraus folgt, daß das nationale Gericht, bei dem ein Rechtsbürger, der den Vorschriften einer Richtlinie nachgekommen ist, die Nichtanwendung einer mit dieser noch nicht in die innerstaatliche Rechtsordnung des säumigen Staates übernommenen Richtlinie unvereinbaren nationalen Bestimmung beantragt hat, diesem Antrag stattgeben muß, sofern die in Frage stehende Verpflichtung unbedingt und hinreichend genau ist“; vgl. auch EuGH 1982, 53 (8/81) – Becker; EuGH 1986, 723 Rn. 46 (152/84) – Marshall. 560 Vgl. hierzu ausführlich auch mit Hinweis auf Besonderheiten: Matthias Ruffert, Art. 288 AEUV, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV – Kommentar, Rn. 57 ff. 561 Richterliche „Rechtsfortbildung ist als Festsetzung eines Entscheidungssatzes jenseits deskriptiver, vom Wortlaut des Vertrages geleiteter Sinnfeststellung zu verstehen“, vgl. M ­ artin Nettesheim, Der Grundsatz der einheitlichen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts, S.  447 (466).

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fungsmerkmal für eine Staatsnähe verfügen.562 Abgrenzungskriterium ist also nicht die organisatorische Eingliederung in den hoheitlichen Staatsaufbau, sondern der Umstand, dass Organisationen oder Einrichtungen „dem Staat oder dessen Aufsicht unterstehen oder mit besonderen Rechten ausgestattet sind, die über diejenigen hinausgehen, die nach den Vorschriften für die Beziehung zwischen Privatpersonen gelten“563. (2) Unmittelbar anwendbare Vergabevorschriften In mehreren Entscheidungen erklärte der Gerichtshof einzelne Richtlinienvorschriften für unmittelbar anwendbar. Etwa konnte sich ein einzelner vor den Gerichten der Mitgliedstaaten auf die Art.  20 (Zuschlag), 26 (Leistungsfähigkeitsnachweise) und 29 (Zuschlagskriterien) der Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG berufen.564 In diesem Sinne urteilte der EuGH auch in Bezug auf Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 lit. b) Nachprüfungs-RL 89/665/EWG hinsichtlich der Anwendung der Vorschriften über die Nachprüfungsverfahren.565 Für die Dienstleistungskoordinierungs-RL 92/50/EWG entschied der EuGH, dass sich ein einzelner vor den nationalen Gerichten unmittelbar auf die Abschnitte I (sachlicher und persönlicher Anwendungsbereich) und II (Verfahren der Aufträge) berufen kann.566 Gleiches galt für Abschnitt III bis VI, soweit eine Wortlautauslegung ergab, dass die betreffende Norm unbedingt und hinreichend genau ist.567 Für die Baukoordinierungs-RL 93/37/EWG für Bauaufträge stellte der EuGH klar, Bezug nehmend auf die Entscheidung Beentjes, dass sich der Einzelne auf Art.  18 Abs.  1568 (Zuschlag des Auftrags) vor den nationalen Gerichten berufen könne.569

562 Gerd Motzke, Systm. Darstellung I: Europäisches und Internationales Vergaberecht, in: Motzke/Pietzcker/Prieß, Beck’scher VOB-Kommentar (2001), Rn. 39. 563 EuGH 1990, I-3313 Rn. 18 (C-188/89) – Foster u. a. 564 EuGH 1988, 4635 Rn.  38 ff. (31/87)  – Beentjes; EuGH 1989, 1839 (103/88)  – Fratelli Costanzo/Commune di Milano zu Art. 29 Abs. 5. 565 EuGH 2005, I-4855 Rn.  38 (C-15/04)  – Koppensteiner; EuGH 2007, I-8415 Rn.  63 (C-241/06) – Lämmerzahl. 566 EuGH 1998, I-5357 Rn. 44 (C-76/97) – Tögel; EuGH 1999, I-1405 Rn. 36 (C-258/97) – HI. 567 Ebd., Rn. 38. 568 Entsprach im Wesentlichen dem Art. 20 der Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG. 569 EuGH, 1988, 4635 Rn. 43 – Beentjes; EuGH 1999, I-5697 Rn. 36 (C-27/98) – Fracasso und Leitschutz.

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(3) Im Rahmen der Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland In beiden Verfahren, in denen sich die Bundesrepublik vor dem EuGH für die Nichtumsetzung der Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG und der Lieferkoordinierungs-RL 77/62/EWG zum einen und der Dienstleistungskoordinierungs-RL 92/50/EWG zum anderen verantworten musste, bestritt sie die fehlende bzw. unzureichende Umsetzung nicht. Vielmehr versuchte sie, die vom EuGH entwickelte Rechtsfigur der unmittelbaren Wirkung von Richtlinien als Argument der Verteidigung heranzuziehen. Im ersten Verfahren verwies sie auf die Rechtsprechung des EuGH zur unmittelbaren Wirkung von Richtlinien als ausreichendem Schutz des Einzelnen, wonach „der einzelne sich vor den nationalen Gerichten gegenüber den öffentlichen Stellen auf Richtlinien berufen könne, wenn diese Stellen gegen die in den Richtlinien enthaltenen Vergabevorschriften verstießen“570. Der Gerichtshof stellte hierzu fest: „Nach ständiger Rechtsprechung [571] verlangt die Umsetzung einer Richtlinie in innerstaatliches Recht nicht notwendigerweise, dass ihre Bestimmungen förmlich und wörtlich in einer ausdrücklichen besonderen Gesetzesvorschrift wiedergegeben werden; je nach dem Inhalt der Richtlinie kann ein allgemeiner rechtlicher Rahmen genügen, wenn er tatsächlich die vollständige Anwendung der Richtlinie in so klarer und bestimmter Weise gewährleistet, dass – soweit die Richtlinie Ansprüche des einzelnen begründen soll – die Begünstigten in der Lage sind, von allen ihren Rechten Kenntnis zu erlangen und diese gegebenenfalls vor den nationalen Gerichten geltend zu machen.“572

Damit war klar: Die Vermittlung subjektiver Rechte aus der unmittelbaren Wirkung der Richtlinien aufgrund nicht rechtzeitiger Umsetzung „kann keinem Mitgliedstaat als Rechtfertigung dafür dienen, dass er sich der Verpflichtung entzieht, rechtzeitig zur Erreichung des Ziels der jeweiligen Richtlinie geeignete Durchführungsmaßnahmen zu ergreifen“573. Im zweiten Verfahren bewog das Argument, man habe „unmittelbar nach Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie die in Betracht kommenden Vergabestellen darauf hingewiesen, daß für die Vergabe von Dienstleistungsaufträgen ab dem 1. Juli 1993 die Richtlinie unmittelbar anzuwenden sei“574, den EuGH (im Wortlaut) zu wiederholen, dass die Rechtsfigur der unmittelbaren Wirkung von Richtlinien „keinem Mitgliedstaat als Rechtfertigung dafür dienen [kann], daß er sich der Verpflichtung entzieht, rechtzeitig zur Erreichung des Ziels der jeweiligen Richtlinie geeignete Durchführungsmaßnahmen zu ergreifen“575. 570 Vortrag der deutschen Bundesregierung, EuGH 1995, I-2303 Rn. 21 (C-433/93– Kommission/Deutschland. 571 U. a. EuGH 1991, I-2567 Rn. 15 (C-361/88) – Kommission/Deutschland. 572 EuGH 1995, I-2303 Rn. 18 (C-433/93) – Kommission/Deutschland. 573 Ebd., Rn. 24; EuGH 1980, 1473 Rn. 12 (102/79) – Kommission/Belgien. 574 EuGH 1996, I-2423 Rn. 10 (C-253/95) – Kommission/Deutschland. 575 Ebd., Rn. 13.

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(4) Die Schwierigkeit der Bestimmung der unmittelbaren Wirkung des Art. 41 RL 92/50/EWG Besondere Aufmerksamkeit kam der unmittelbaren Anwendbarkeit des Art. 41 der Dienstleistungsrichtlinie 92/50/EWG als ein viel diskutiertes Problem in Deutschland zu. Vor dem Vergabeüberwachungsausschuss des Bundes entstand die Frage nach der Zuständigkeit der Vergabeprüfstellen (VPS) und des Vergabeüberwachungsausschusses (VÜA) des Bundes für die Nachprüfungsanträge über Dienstleistungsaufträge nach der Dienstleistungsrichtlinie 92/50/EWG.576 Aufgrund unterbliebener Umsetzung der Dienstleistungskoordinierungs-RL 92/50/EWG konnten die VPS und der VÜA nach der deutschen Rechtslage die Vergabeverfahren im Bereich der Dienstleistungsaufträge nicht überprüfen. Zur Klärung des Sachverhalts legte der VÜA den Fall im Wege der Vorabentscheidung dem EuGH vor. Konkret ging es um die Frage, ob Art. 41 Dienstleistungskoordinierungs-RL 92/50/EWG, mit dem Art. 1 Abs. 1 der Nachprüfungs-RL 89/665/EWG derart geändert worden war, dass die Pflicht zur Einrichtung eines Nachprüfungsverfahren auch für Aufträge aus dem Anwendungsbereich der Dienstleistungskoordinierungs-RL 92/50/ EWG galt, unmittelbare Wirkung entfaltet. Der EuGH entschied, dass der VÜA Bund in eigener Zuständigkeit prüfen muss, „ob dem einzelnen aufgrund der einschlägigen Vorschriften des nationalen Rechts ein Anspruch auf Nachprüfung der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge zuerkannt werden kann“577. Daraufhin bejahte der VÜA Bund seine Zuständigkeit.578 Bis zur Umsetzung der Dienstleistungskoordinierungs-RL 92/50/EWG durch die Erste Änderungsverordnung zur Vergabeordnung vom 29.9.1997579 blieb die Zuständigkeitsfrage jedoch umstritten.580 b) Der gemeinschaftsrechtliche Staatshaftungsanspruch nach der Francovich-Entscheidung des EuGH Der ins Stocken geratene europäische Integrationsmotor wurde mit einer weiteren Rechtsfortbildung aus Luxemburg in Schwung gebracht. Nachdem das Ziel der Binnenmarktvollendung zum 1.1.1993 wenige Jahre zuvor noch in allzu weiter 576

Vgl. den Vorlagebeschluss des VÜA Bund vom 5.2.1996 (1 VÜ 8/95) – Regierungsneubau = WuW/E 1997, S. 255. 577 EuGH 1997, I-4961 Rn. 46 (C-54/96) – Dorsch Consult. 578 Vgl. Malte Müller-Wrede, IBR 1998, S. 321. 579 Erste Verordnung zur Änderung der Vergabeverordnung vom 29.9.1997 (BGBl. I 1997, 2384). 580 Vgl. VÜA Bayern (VÜA 6/96) – Forschungslabor; VÜA Bayern (18/96) – Rest-, Bio-, Sperrmüllabfuhr; VÜA Brandenburg (1 VÜA 3/95) – Dienstleistung = ZVgR 1997, S. 79; VÜA Brandenburg (1 VÜA 6/96) – Bauleistungen B 101 und der VÜA Hessen (1/96) – Mülldeponie = ZVgR 1997, S. 75.

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Ferne schien, häuften sich nicht nur die von der Kommission angestrengten Vertragsverletzungsverfahren auf den Tischen der Richter.581 Auch aus den Mitgliedstaaten fanden im Wege des Ersuchens um Vorabentscheidung zahlreiche Sachverhalte ihren Weg vor den Gerichtshof, die ihren Grund in der Nichtumsetzung des Europäischen Sekundärrechts hatten. Meist ging es um die unmittelbare Anwendbarkeit einer Richtlinienbestimmung. Dieser Zustand war nach Auffassung des EuGH nicht nur Zeugnis chronischer, vertragsverletzender Nichtbeachtung der Umsetzungspflicht des Art. 189 Abs. 2 EWG durch die Mitgliedstaaten, sondern dokumentierte auch die notorischen Verstöße gegen wesentliche Grundsätze des EWG-Vertrages. aa) Grundsatz Früh hatte der EuGH klargestellt, dass die Europäische Gemeinschaft „eine neue Rechtsordnung des Völkerrechts darstellt, zu deren Gunsten die Staaten, wenn auch in begrenztem Rahmen, ihre Souveränitätsrechte eingeschränkt haben, eine Rechtsordnung, deren Rechtssubjekte nicht nur die Mitgliedsaaten sondern auch die Einzelnen sind“582. Dieser Grundsatz bedeutete, dass das Gemeinschaftsrecht dem Einzelnen, „ebenso wie es ihm Pflichten auferlegt, auch Rechte verleihen“583 soll. Diese Rechte leiten sich nicht nur aus den ausdrücklichen Bestimmungen des Primärrechts ab, sondern entstehen „auch auf Grund von eindeutigen Verpflichtungen, die der Vertrag den Einzelnen wie auch den Mitgliedstaaten und den Organen der Gemeinschaft auferlegt“584. Als solche Verpflichtungen gelten auch die Vorschriften der Richtlinien, die dem Einzelnen subjektive Rechte vermitteln. Verletzt der Mitgliedstaat seine Umsetzungspflicht, wird zugleich dem Einzelnen möglicherweise das vermittelte Recht genommen. Mit Rückgriff auf den Gedanken des effet utile, dem Prinzip der vollen Wirksamkeit gemeinschaftsrechtlicher Bestimmungen,585 folgerte der EuGH in der Entscheidung Francovich vom 19.11.1993: „Die volle Wirksamkeit der gemeinschaftlichen Bestimmungen wäre beeinträchtigt und der Schutz der durch sie begründeten Rechte gemindert, wenn der einzelne nicht die Möglichkeit hätte, für den Fall eine Entschädigung zu erlangen, daß seine Rechte durch einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht verletzt werden, der einem Mitgliedstaat zuzurechnen ist.“586 581

Mit Urteil des EuGH abgeschlossene Vertragsverletzungsverfahren aufgrund einer Klage der Kommission zwischen den Jahren 1958 und 1984: ca. 192 Verfahren; zwischen den Jahren 1985 und 1992: ca. 460 Verfahren. 582 EuGH 1963, 3, S. 25 (26/62) – van Gend & Loos. 583 Ebd. 584 Ebd. 585 Vgl. EuGH 1978, 629 Rn. 14 und 16 (106/77) – Simmenthal; EuGH 1990, I-2433 Rn. 19 (C-213/89) – Factorame sowie oben, S. 143. 586 EuGH 1991, I-5403 Rn. 33 (verb. Rs. C-6/90 u. C-9/90) – Francovich.

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Damit erhob der Gerichtshof den Haftungsanspruch des Einzelnen gegen den Mitgliedstaat für die Folgen einer Nichtumsetzung zu einem sich aus dem System des EWG-Vertrages ergebenden allgemeinen Rechtsgrundsatz.587 Nach der Entscheidung sollten drei Voraussetzungen das Bestehen eines gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs begründen:588 (1) Das durch die Richtlinie vorgeschriebene Ziel muss die Verleihung von Rechten an einzelne beinhalten, (2) der Inhalt dieser Rechte muss auf der Grundlage der Richtlinie bestimmt werden können und (3) es muss ein Kausalzusammenhang zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat auferlegte Verpflichtung und dem den Geschädigten entstandenen Schaden bestehen. Die Durchsetzung des Anspruchs sowie die Rechtsfolgen im Detail (insbesondere die Schadenshöhe) sind im Rahmen des nationalen Haftungsrechts zu beheben,589 während die hierzu festgelegten materiellen und formellen Voraussetzungen nicht ungünstiger sein dürfen als bei ähnlichen Klagen im nationalen Recht.590 In einer Reihe von Urteilen wurden die mit dem Francovich-Urteil geschaffenen Voraussetzungen konkretisiert.591 bb) Bedeutung für das deutsche öffentliche Auftragswesen Mit der Entwicklung des gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs wurde insofern „Gemeinschaftsrechtsgeschichte“592 geschrieben, als fortan ein wirksames Instrument der mittelbaren Rechtsdurchsetzung vorlag. Neben der unmittelbaren Verfolgung von Vertragsverletzungen durch die Kommission war nun den betroffenen Rechtssubjekten, zu deren Nachteil die Nichtumsetzung der vergaberechtlichen Basisrichtlinien wirkte, ein Instrument an die Hand geben, das effektiv in den nationalen Rechtsordnung eine Durchsetzung der subjektiven Rechte

587

Vgl. ebd., Rn. 35. Vgl. ebd., Rn. 40. 589 Vgl. EuGH 1991, I-5403 Rn. 42 (verb. Rs. C-6/90 u. C-9/90) – Francovich. 590 Vgl. ebd., Rn. 43. 591 Vgl. insb. umfassend EuGH 1996, I-1029 (verb. Rs. C-46/93 u. C-48/93) – Brasserie du Pêcheur und Factortame; des Weiteren EuGH 1996, I-4845 (verb. Rs. C-178/94, C-179/94, C-188/94, C-189/94 u. C-190/94) – Dillekofer; EuGH 1996, I-1631 (C-392/93) – British Telecommunications; EuGH 1996, I-5085 (verb. Rs. C-283/94, C-291/94 u. C-292/94) – Denkavit; EuGH 1999, I-3099 (C-302/97) – Konle; EuGH 2000, I-5123 (C-424/97) – Haim; EuGH 2003, I-10239 (C-224/01) – Köbler. Ausführlich zur Bedeutung für das deutsche Staatshaftungsrecht Claus Dörr, EuZW 2012, S. 86. 592 Joachim Sedemund und Frank Montag, NJW 1994, S. 625 (627). 588

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bzw. eine Kompensation ihrer Verletzung ermöglichte. Die Mitgliedstaaten wurden damit von zwei Seiten in die Pflicht genommen. Die Nichtumsetzung der Vergaberichtlinien führte zur permanenten Gefahr, für Schäden, die dem Einzelnen aufgrund der Nichtumsetzung der Richtlinien entstanden, in die Pflicht genommen zu werden. An einer Überarbeitung des deutschen Vergaberechts im Sinne der Richtlinien führte nunmehr kein Weg vorbei: „Eine Novellierung ist umso dringlicher, als Bieter und Interessenten, denen infolge unzulänglichen Rechtsschutzes durch die Vergabeüberwachungsausschüsse ein Schaden entsteht, auf der Grundlage der­ Francovich-Rechtsprechung u. U. Ersatzansprüche geltend machen können.“593 4. Zwischenergebnis Während die einen schwärmten, dass mit den Richtlinien das Gemeinschaftsrecht „zur weltweit effektivsten Rechtsordnung auf dem Gebiet der staatlichen Auftragsvergabe geworden“594 sei, mahnten andere, „häufige Rechtsänderungen vergiften, wie jeder Kundige weiß, das so sehr auf Vertrauen und gewisse Kontinuität angelegte öffentliche Auftragswesen“595. Der plötzliche Aktionismus der Kommission Anfang der 1990er Jahre hatte eine Phase der Unruhe und Unsicherheit eingeläutet. Der Eindruck, den die Mitgliedstaaten und auch Teile der deutschen Literatur zu vermitteln versuchten,596 ihnen sei eine hoch komplexe Regelungsmaterie ohne Vorwarnung vor die Füße gesetzt worden, entsprach – wie ausführlich beschrieben597 – nicht den Tatsachen. Die schließlich als Reaktion auf den Druck der Kommission und des Gerichtshofs in Deutschland in Eile durchgeführten Umsetzungsmaßnahmen hatten zu „fast chaotisch anmutenden Zuständen im Vergaberecht“598 geführt. Die einen fürchteten, dass das Europäische Recht in Gefahr gerät, nicht mehr verstanden zu werden, und der Abstand zwischen den Rechtsunterworfenen und Brüssel größer würde.599 Hermes hingegen meinte: „Die europarechtlich verursachte Unruhe auf dem Gebiet des Vergaberechts hat sich als anregende Unruhe erwiesen“600. Keine dieser Reaktionen überrascht, ging es bei der Europäisierung des Auftragswesens und der nun endlich erfolgenden Umsetzung doch um nicht weniger

593

Jost Pietzcker, NVwZ 1997, S. 1186 (1187). Christian Bock, EuZW 1994, S. 677. 595 Fritz Rittner, NVwZ 1995, S. 313 (320). 596 Vgl. etwa Siegfried Broß, VerwArch 1997, S. 521 ff. 597 Vgl. oben, S. 102 ff. 598 Fritz Rittner, EuR Beiheft I 1996, S. 7 (19). 599 Siegfried Broß, VerwArch 1997, S. 521 (525). 600 Georg Hermes, JZ 1997, S. 909 (915.) 594

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als die Revolutionierung „in Jahrhunderten gewachsener“601 nationaler Rechtssysteme. Nachdem die Zeit seit den ersten Koordinierungsrichtlinien in den 1970er Jahren von den Mitgliedstaaten ungenutzt gelassen worden war,602 brach mit der konsequenten Überwachung der Umsetzungen durch die Kommission603 gesetzgeberische Hektik aus. Insbesondere Deutschland scheiterte mit der „haushaltsrechtlichen Lösung“, die „etwas überhastet und unordentlich konzipiert realisiert“604 worden war. Im Ergebnis zeigte der Wechsel in der Gangart der Kommission den gewünschten Effekt. Der EuGH unterstütze die Kommission mit richterlicher Rechtsfortbildung. Er stellte das Rechtssubjekt in den Vordergrund und begünstigte die Umsetzungsbereitschaft der Mitgliedstaaten mit der unmittelbaren Wirkung von (nicht umgesetzten) Richtlinien und dem gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch. Es war gelungen, den Integrationsprozess endlich auch im Bereich des öffentlichen Vergabewesens zu beginnen. Die Bundesrepublik Deutschland stand in besonderem Maße im Fokus der­ „Implementierungsmission“ der Europäischen Kommission. Die Uneinsichtigkeit des deutschen Gesetzgebers, das Vergaberecht mit subjektiven Rechten für Bieter auszustatten und gerichtliche Überprüfungsmöglichkeiten der Vergabeentscheidungen zu schaffen, wurde mit zwei Verurteilungen durch den EuGH im Rahmen von Vertragsverletzungsverfahren quittiert. An ein Festhalten an der überkommenen Konzeption des Vergaberechts als Innenrecht war damit nicht mehr zu denken.

VI. Die alternativlose Reform des deutschen Vergaberechts 1998 Das deutsche Vergabewesen verkraftete die überfällige, gleichwohl unvollkommene Umsetzung der Vergaberichtlinien nur schwer  – zumindest zeichnete die Literatur dieser Zeit ein solches Bild. Insbesondre aus Sorge um die mittelständischen Unternehmen waren nicht nur der deutsche Gesetzgeber sondern auch die Brüsseler Rechtssetzer herber Kritik ausgesetzt. „Abermals gerät eine gutgemeinte Regelung, weil sie die praktischen Folgen zu wenig bedenkt, zum Nachteil gerade derjenigen, die sie begünstigen möchte.“605

601

Vgl. in Bezug auf Deutschland Fritz Rittner, EuR Beiheft I 1996, S. 7 (19). Diese Auffassung teilend Jost Pietzcker, ZHR 1998, S. 427 (431). 603 Siehe oben S. 128 ff. 604 Fritz Rittner, EuR Beiheft I 1996, S. 7 (20). 605 Fritz Rittner, NVwZ 1995, S. 313 (319). 602

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1. Hintergrund Die Entscheidung der Bundesregierung vom 25.9.1996, den rechtlichen Rahmen des deutschen Vergaberechts grundlegend zu ändern, scheint nicht nur aus heutiger Sicht der alternativlose Ausweg aus einem europa-, verfassungs- und schließlich auch völkerrechtlichen Dilemma gewesen zu sein. a) Einleitung eines erneuten Vertragsverletzungsverfahrens durch die Kommission Die Umsetzungspraxis der Vergaberichtlinien war bereits zweimal Gegenstand von Vertragsverletzungsverfahren der Kommission gegen die Bundesrepublik gewesen.606 Wenngleich die Urteile in diesen Verfahren die mit der haushaltsrechtlichen Lösung geschaffene Rechtslage noch nicht berücksichtigt hatten, drohte am Horizont eine neue gerichtliche Befassung mit den deutschen Durchführungs­ maßnahmen. Bereits im Urteil vom 11.8.1995 deutete der EuGH an, dass die deutsche Umsetzung der Richtlinien aufgrund des fehlenden Individualrechtsschutzes für Bieter möglicherweise gemeinschaftswidrig sei, da es keinen adäquaten Schutz vor der Willkür des Auftragsgebers biete: „Sodann ist festzustellen, daß die in den Richtlinien über die Koordination der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge enthaltenen Vorschriften über die Teilnahme und die Publizität den Bieter vor Willkür des öffentlichen Auftraggebers schützen sollen (Urteil vom 20. September 1988 in der Rechtssache 31/87, Beentjes, Slg. 1988, 4635, Randnr. 42). Ein solcher Schutz kann nicht wirksam werden, wenn der Bieter sich nicht gegenüber dem Auftraggeber auf diese Vorschriften berufen und gegebenenfalls deren Verletzung vor den nationalen Gerichten geltend machen kann.“607

In den Fokus rückte das als verwaltungsinterner Rechtsschutz mit Vergabeprüfstellen und Vergabeüberwachungsausschüssen ausgestaltete Nachprüfungsverfahren.608 Angesichts des Umstandes, dass die Vergaberichtlinien die Einräumung subjektiver Rechte der Bieter und Interessenten verlangten,609 schien es nicht möglich, die gewählte verwaltungsinterne Lösung – auch nicht im Wege der europa-

606

Mit Urteil vom 11.8.1995 in der Sache C-433/93 verurteilte der EuGH die Bundesrepublik wegen Nichtumsetzung der Lieferkoordinierungs-ÄndRL 88/295/EWG und der Nachprüfungs-RL 89/665/EWG. Wenig später folgte am 2.5.1996 in der Sache C-253/95 das Urteil wegen nicht ordnungsgemäßer Umsetzung der Dienstleistungskoordinierungs-RL 92/50/EWG. Vgl. ausführlich oben, S. 139 ff. 607 EuGH 1995, I-2303, 2317 Rn. 19 (433/93) – Kommission/Deutschland. 608 Vgl. hierzu ausführlich oben, S. 133 ff. und Jan Rogmans, NJW 1994, S. 3134. 609 Vgl. insbesondere Art. 1 Abs. 3, Art. 2 Nachprüfungs-RL 89/665/EWG und Art. 1 Abs. 3, Art. 2 Sektorennachprüfungs-RL 92/13/EWG.

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rechtskonformen Auslegung – in Einklang mit den Vorschriften insbesondere der Rechtsmittelrichtlinien zu bringen.610 Anlässlich der Entscheidung der Kommission erneut ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten,611 entschloss sich die Bundesregierung zum Handeln. Auch der Umstand, dass der EuGH in der Entscheidung Dorsch Consult die Gerichtqualität der Vergabeüberwachungsausschüsse i. S. d. Art. 2 Abs. 8 Sektorennachprüfungs-RL 92/13/EWG und Art. 2 Abs. 9 Sektorenkoordinierungs-RL 93/38/EWG bejaht hatte,612 bot keinen Anlass von den Reformentwürfen abzurücken. Zum einen war das Vorhaben schon zu weit gediehen, um noch einmal grundlegend in Frage gestellt zu werden.613 Zum anderen war zu berücksichtigen, dass der EuGH an die Qualität einer vorlegenden Instanz als „Gericht eines Mitgliedstaates“ keine überhöhten Anforderungen stellte und rechtspolitisch die Ablehnung der Gerichtsqualität die Möglichkeit der Vorlage von deutschen Vergaberechtsfragen ausgeschlossen hätte.614 b) Die verfassungsrechtliche Dimension der Rechtsmittelfrage Nicht nur der Druck der Kommission, die unzureichende Umsetzung der Basisrichtlinien zu korrigieren, lastete auf der deutschen Bundesregierung.615 Die lange Zeit bestehenden verfassungsrechtlichen Bedenken, welche die fehlenden Rechtsschutzmöglichkeiten hervorriefen, brachen im Zusammenhang mit der Frage der Umsetzung der von den Rechtsmittelrichtlinien vorgegebenen Nachprüfungsmechanismen erneut auf.616 610 Vgl. auch Oliver Dörr, Einleitung: Vergaberecht in Deutschland – Das Recht der öffentlichen Auftragsvergabe im Stufenbau der Rechtsordnung, in: Dreher/Motzke, Beck’scher Vergaberechtskommentar 2013, Rn.  46 f. und Jost Pietzcker, Systematische Darstellungen des 4. Teils – GWB, II. Die Systematik des deutschen Vergaberechts, in: Motzke/Pietzcker/Prieß, Beck’scher VOB-Kommentar (2001), Rn. 36. 611 Vgl. Europäische Kommission, Beanstandung der deutschen Umsetzung der EG-Vergaberichtlinien, Schreiben vom 31.10.1995, ZIP 1995, S. 1940; hierzu Siegfried Broß, VerwArch 1997, S. 521 (527) und Jost Pietzcker, Die deutsche Umsetzung der Vergabe- und Nachprüfungsrichtlinien im Lichte der neuen Rechtsprechung, NVwZ 1996, S. 313 (319) sowie Süddeutsche Zeitung, EU rügt staatliche Auftragsvergabe (28.11.1995) S. 19 und Süddeutsche Zeitung, Gutsherren unter Beschuß (4.12.1995) S. 21. 612 Vgl. EuGH 1997, I-4961 (C-54/96) – Dorsch-Consult. Der EuGH bejahte in dieser Entscheidung die Vorlageberechtigung des Vergabeüberwachungsausschusses Bund als Zulässigkeitsvoraussetzung für das Vorabentscheidungsverfahren. 613 Jochem Gröning, Systm. Darstellung IV, in: Motzke/Pietzcker/Prieß, Beck’scher VOBKommentar (2001), Rn. 47. 614 Vgl. Jost Pietzcker, Kein Strohhalm für die „haushaltsrechtliche Lösung“ – Zur Entscheidung des EuGH über die Vorlage des Vergabeüberwachungsausschusses des Bundes, NVwZ 1997, S. 1186 m. w. N. in Fn. 3. 615 Vgl. oben, S. 128 ff. 616 Siehe ausführlich oben zur Frage fehlender subjektiver Rechte und der Grundrechtsproblematik oben, S. 83 ff.

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Für Fragen der Durchführung der Aufträge war in Deutschland seither das Zivilrecht einschlägig und damit die ordentlichen Gerichte für Streitigkeiten zuständig.617 Die Überprüfung der Vergabeentscheidung durch die staatlichen Vergabestellen war indes nur mit dem verwaltungsinternen Verfahren vor den Vergabeprüfstellen und den Vergabeüberwachungsausschüssen möglich.618 Trotz ihrer Unabhängigkeit waren sie keine Gerichte sondern Teil der Exekutive.619 Eine eigene gerichtliche Kontrolle fehlte. Nicht nur verfassungsrechtlich bedenklich, sondern „eindeutig nicht mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen vereinbar war die Bindung des Vergabeüberwachungsausschusses an die Tatsachenfeststellungen der Vergabeprüfstelle“620 gem. § 57c Abs. 5 HGrG. Auch war der vorläufige Rechtsschutz unzureichend ausgestaltet.621 Die Überarbeitung des Rechtsschutzes für Bieter und Interessenten neben der zivilrechtlichen Vertragsabwicklung war damit auch aus verfassungsrechtlicher Sicht geboten. c) Völkerrechtlicher und diplomatischer Einfluss Eine weitere Dimension bedingte den Reformbedarf, nämlich die völkerrechtlichen Verpflichtungen, die sich aus dem Government Procurement Agreement vom 1.1.1996622 (GPA) ergaben. Das internationale WTO-Übereinkommen, dem unter anderem die Europäische Union sowie sukzessive ihre Mitgliedstaaten623 beigetreten waren, verfolgt die Öffnung der Beschaffungsmärkte in einem globalen Kontext. Während die Bundesrepublik bis heute das Abkommen nicht ratifiziert hat, entstand eine Bindung an die Vorschriften des GPA über das Unionsrecht. Mit der Ratifikation durch die Europäische Gemeinschaft wurden die GPA-Vorschriften über Art. 300 Abs. 7 EG (heute Art. 218 AEUV) Teil des Primärrechts und gehen demnach seit dem 1.1.1996 dem Sekundärrecht und dem nationalen Recht vor.624 Mit 617

Vgl. hierzu ausführlich oben, S. 75 ff. Dies auch erst seit der Einfügung der §§ 57a bis 57c HGrG, siehe oben, S. 133 ff. 619 Vgl. Deutsche Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Rechtsgrundlagen für die Vergabe öffentlicher Aufträge (Vergaberechtsänderungsgesetz  – VgRÄG) vom 5.9.1997 (BT-Drs. 646/97) Begründung, S. 17. 620 Jost Pietzcker, Systematische Darstellungen des 4. Teils – GWB, II. Die Systematik des deutschen Vergaberechts, in: Motzke/Pietzcker/Prieß, Beck’scher VOB-Kommentar (2001), Rn. 39. 621 Jost Pietzcker, in: Bender/Breuer/Ossenbühl/Sendler, Festschrift für Konrad Redeker, S. 501 (508 ff.). 622 Vgl. Rat der Europäischen Union, Beschluß vom 22.12.1994 über den Abschluß der Übereinkünfte im Rahmen der multilateralen Verhandlungen der Uruguay-Runde (1986–1994) im Namen der Europäischen Gemeinschaft in bezug auf die in ihre Zuständigkeiten fallenden Bereiche, ABl. 1994 L 336/1, Anhang 4, S. 273. 623 Spätestens mit ihrem Beitritt zur Europäischen Union. 624 Vgl. Ingelore Seidel/Susanne Mertens, H. Wettbewerbsregeln, IV. Öffentliches Auftragswesen, in: Dauses, EU-Wirtschaftsrecht (25. Ergänzungslieferung), Rn. 450. 618

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der RL 97/52/EG625 zur Änderung der Dienstleistungskoordinierungs-RL 92/50/ EWG, der Lieferkoordinierungs-RL 93/36/EWG und der Baukoordinierungs-RL 93/37/EWG sowie der RL 98/4/EG626 zur Änderung der SektorenkoordinierungsRL 93/38/EWG erfolgte die Umsetzung der GPA-Vorgaben in den Richtlinien. Bedeutung erlangten die Regelungen für zwei Fälle, in denen amerikanische Hersteller von Kraftwerkskomponenten sich auf ausgeschriebene Aufträge für die Lieferung, Montage und Inbetriebnahme von Turbinen in zwei Kraftwerken im sächsischen Lippendorf und in Cottbus erfolglos beworben hatten. Die hiergegen eingelegten Rechtsmittel wegen Diskriminierung waren ohne Erfolg geblieben.627 Daraufhin unternahmen die Vereinigten Staaten von Amerika intensive Bemühungen, um die Positionen amerikanischer Anbieter auf dem deutschen Beschaffungsmarkt zu verbessern.628 Der damalige Staatssekretär („Undersecretary of Commerce for International Trade“) im US-Wirtschaftsministerium, Jeffrey Garten, stellte gegenüber seinem deutschen Kollegen, Johannes Ludwig, klar, die Regierung Clinton werde die Übervorteilung amerikanischer Unternehmen in Deutschland nicht auf sich beruhen lassen.629 Im späteren Gesetzgebungsverfahren verlieh die amerikanische Botschaft über eine Stellungnahme ihren Forderungen weiteren Nachdruck.630 2. Die neue Heimat des deutschen Vergaberechts im 4. Teil des GWB Mit Kabinettsbeschluss vom 25.9.1996 legte das Bundesministerium für Wirtschaft am 27.12.1996 einen „ausdrücklich als ‚Diskussionsentwurf‘“ bezeichneten Gesetzentwurf mit der Aufforderung zur Stellungnahme vor.631 Der Dialog mit den verschiedenen beteiligten Kreisen dauerte fast ein Jahr. Am 5.9.1997 präsentierte die Bundesregierung schließlich einen modifizierten Gesetzesentwurf. Der Entwurf glich einer Offenbarung. Die vollständige Abkehr von der gescheiterten haushaltsrechtlichen Lösung bedeutete zugleich die umfas 625

Richtlinie 97/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.10.1997 zur Änderung der Richtlinien 92/50/EWG, 93/36/EWG und 93/37/EWG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungs-, Liefer- und Bauaufträge, ABl. 1997 L 328/1. 626 Richtlinie 98/4/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.2.1998 zur Änderung der Richtlinie 93/38/EWG zur Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor, ABl. 1998 L 101/1. 627 Vgl. KG Berlin, Urteil vom 10.4.1995 (Kart. U 7605/94) = NVwZ 1996, S. 413 und Vergabeüberwachungsausschuss Brandenburg vom 9.5.1996 (VÜA 3/96) = WuW 1996, S. 853. 628 Vgl. President of The United States of America Bill Clinton, Presidential Determination No. 96–36 of June 28, 1996, abgedruckt in: Forum Vergabe e. V., Schriftenreihe des Forum Vergabe e. V. – Vergabeänderungsgesetz 1998 mit Materialien (Heft 6, 1998) 10.2. (Anlage 3). 629 Vgl. Süddeutsche Zeitung, Bonn sucht faire Regeln für Staatsaufträge (9.11.1995), S. 6. 630 Vgl. Jochem Gröning, Systm. Darstellung IV, in: Motzke/Pietzcker/Prieß, Beck’scher VOB-Kommentar (2001), Rn. 46 mit Nachweis in Fn. 67. 631 Vgl. Siegfried Broß, VerwArch 1997, S. 541.

B. Die Europäisierung des Vergaberechts als „Rechtsrevolution“ 

157

sende Anerkennung der Forderungen nicht nur der Europäische Kommission, sondern auch der Praxis und Wissenschaft: „Die Beibehaltung oder Fortentwicklung der Regelungen im Haushaltsgrundsätzegesetz kommt wegen der Unvereinbarkeit eines solchen Ansatzes mit dem EG-Recht nicht in Betracht“632. Der Gesetzesentwurf sah „neben allgemeinen Grundsätzen und Definitionen der öffentlichen Auftragsvergabe die Nachprüfung des Vergabeverfahrens öffentlicher Auftraggeber in erster Instanz durch verwaltungsinterne Vergabekammern des Bundes und der Länder und in zweiter Instanz durch Oberlandesgerichte vor“633. Bieter sollten erstmals ein subjektives Recht auf Einhaltung der Vorschriften über die öffentliche Auftragsvergabe erhalten.634 „Dies zieht im Hinblick auf Artikel 19 Abs.  4 des Grundgesetzes notwendigerweise einen gerichtlichen Rechtsschutz nach sich“.635 Der Forderung, die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte zu eröffnen,636 wurde mit der zweitinstanzlichen Zuständigkeit der Oberlandesgerichte zum Großteil entsprochen. Wo die neuen Vorschriften in das deutsche Rechtsgefüge integriert werden sollten, war zunächst nicht klar. Überlegungen zu einem eigenständigen Vergabegesetz wurden zugunsten eines neuen, 6. Teils im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)637 verworfen. Als Argumente wurden seitens der Regierung die wettbewerbspolitische Relevanz des öffentlichen Auftragswesens, die Ähnlichkeit des vorgesehenen Rechtsschutzes mit dem Rechtsschutz gegen Entscheidungen der Kartellbehörden und die Möglichkeit, „auf erprobte Begriffe und Verfahrensregelungen des Kartellrechts unmittelbar Bezug“ nehmen zu können, angeführt.638 Ein eigenständiges Vergabegesetz hätte der Nachprüfung von Vergabeentscheidungen wohl einen zu prominenten Platz eingeräumt. Und die Frage nach der Einbeziehung des Unterschwellenbereichs in ein solches Gesetz hätte wohl das politische Ziel gefährdet, nur die vom Europa- und Völkerrecht geforderten Mindeststandards zu verrechtlichen.639 Auch wäre die Umsetzung eines derartigen Gesetzesvorhabens innerhalb der kurzen Zeit schwerer zu realisieren gewesen.640 632

Vgl. Deutsche Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Rechtsgrundlagen für die Vergabe öffentlicher Aufträge (Vergaberechtsänderungsgesetz  – VgRÄG) vom 5.9.1997 (BT-Drs. 646/97) Begründung, S. 19. 633 Ebd., S. 2. 634 Ebd. 635 Ebd., S. 18. 636 Vgl. Jost Pietzcker, NVwZ 1996, S. 313 (319). 637 In der damals geltenden Fassung: Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der Fassung der Bekanntmachung vom 20.2.1990 (BGBl. I 1990, 235), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 24.4.1998 (BGBl. I 1998, 730). 638 Vgl. Deutsche Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Rechtsgrundlagen für die Vergabe öffentlicher Aufträge (Vergaberechtsänderungsgesetz  – VgRÄG) vom 5.9.1997 (BT-Drs. 646/97) Begründung, S. 19. 639 Jochem Gröning, Systm. Darstellung, in: Motzke/Pietzcker/Prieß, Beck’scher VOB-Kommentar (2001), Rn. 48. 640 Siehe zu den Gründen für den Zeitdruck oben, S. 153 ff.

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Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

Mit dem Gesetz zur Änderung der Rechtsgrundlagen für die Vergabe öffentlicher Aufträge (VgRÄG)641 vom 26.8.1998 sollten die Vorschriften gem. Art. 1 ursprünglich als 6. Teil des GWB (§§ 106 bis 138) eingefügt werden. Mit Art. 3 des Sechsten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 26.8.1998642 wurde jedoch eine Neufassung vorgenommen, die eine Neunummerierung der Paragraphen bedeutete. Der durch das VgRÄG eingefügte 6. Teil wurde zum 4. Teil (§§ 97 bis 129) des GWB, während der bisherige 4. und 5. zum 5. und 6. Teil wurden.643 Die §§ 57a bis 57c HGrG wurden gem. Art. 3 VgRÄG aufgehoben. Das Gesetz trat gem. Art. 4 VgRÄG am 1.1.1999 in Kraft.644 3. Die Fortsetzung des „Kaskadensystems“645 Die Ebenentrias aus einfachgesetzlicher Regelung, Vergabeverordnung und Vergabe- und Vertragsordnungen wurde auch mit der Novelle von 1998 fortgesetzt, wenngleich es aufgrund der fehlenden Überarbeitung der Vergabeordnung zu einem „sehr eigentümlichen und unbefriedigenden Zustand“646 kam. Die eigentlich als Bindeglied zwischen den gesetzlichen Regelungen des 4. Teils GWB und den Verdingungsordnungen dienende Vergabeverordnung (VgV) wurde erst zum 1.2.2001 neu gefasst,647 sodass die Reform zumindest in formaler Hinsicht648 für weitere zwei Jahre unvollendet blieb. Grund hierfür war die Haltung des Bundesrates, der eine Beteiligung am Zustandekommen des materiellen Vergaberechts, insbesondere bei der Erarbeitung der Verdingungsordnungen, forderte.649 641 Gesetz zur Änderung der Rechtsgrundlagen für die Vergabe öffentlicher Aufträge (VgRÄG) vom 26.8.1998 (BGBl. I 1998, 2512). 642 Sechstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 26.8.1998 (BGBl. I 1998, 2521). 643 Vgl. Art. 3 Sechstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 26.8.1998 (BGBl. I 1998, 2521). 644 Lediglich Art. 1 Nr. 1 VgRÄG trat bereits am 1.9.1998 in Kraft. Er sollte den Ländern die Möglichkeit eröffnen, „die Entscheidung über sofortige Beschwerden nach § 126 GWB im Wege der Konzentration einem oder einigen der Oberlandesgerichte oder dem Obersten Landesgericht zuzuweisen“; vgl. Deutscher Bundesrat, Stellungnahme zum VgRÄG vom 7.11.1997 (BR-Drs. 646/97) S. 18. Damit entsprechende Rechtsverordnungen bis zum Inkrafttreten der übrigen Rechtsordnungen verabschiedet werden konnten, trat die Rechtsgrundlage des § 126 Abs. 4 GWB drei Monate früher in Kraft. 645 Zum Begriff und Prinzip der „Kaskade“ im Zusammenhang mit dem deutschen Vergaberecht, siehe Marcel Kau, EuZW 2005, S. 492; Matthias Knauff, NZBau 2010, S. 657; siehe auch allgemein Christoph Gusy, NVwZ 1995, S. 105. 646 Meinrad Dreher, NVwZ 1999, S. 1265. 647 Die Verordnung über die Vergabebestimmungen für öffentliche Aufträge vom 22.2.1994 (BGBl. I 1994, 321, in Kraft getreten am 1.3.1994) wurde am 1.2.2001 abgelöst von der Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge vom 9.1.2001 (BGBl. I 2001, 110). 648 So stimmte die Bezugnahme der verschiedenen Normen in der Vergabeordnung, insbesondere der Ermächtigungsgrundlagen, nicht mit den aktuell gültigen Vorschriften überein. 649 Siehe hierzu Deutscher Bundesrat, Beschluss vom 25.4.1997 zur Ersten Verordnung zur Änderung der Vergabeverordnung (BR-Drs. 82/97) S. 6: „Der Bundesrat weist ferner vorsorg-

B. Die Europäisierung des Vergaberechts als „Rechtsrevolution“ 

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Die §§ 97 Abs. 6, 100 Abs. 1 und 2 lit. i sowie 127 GWB traten an die Stelle der ehemaligen Verordnungsermächtigungen des § 57a Abs. 1 und 2 HGrG. Während die Ermächtigung im Haushaltsrecht die Ausgestaltung der Vorschriften „[z]ur Erfüllung der Verpflichtungen aus Richtlinien der Europäischen Gemeinschaften“650 auf die entsprechende Rechtsverordnung übertrug, fanden sich nun mit dem GWB die wesentlichen Grundsätze auf der einfachgesetzlichen Ebene, wie etwa die Allgemeinen Grundsätze (§ 97 GWB) oder der persönliche (§ 98 GWB) und sachliche (§ 99 GWB) Anwendungsbereich. Wie bereits zuvor in § 57a Abs. 2 HGrG wurde für die Ausgestaltung der Vorschriften über das Vergabeverfahren selbst auf die Rechtsverordnung, also die Vergabeverordnung, verwiesen.651 Diese besitzt seither als Rechtsverordnung der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates Rechtsnormqualität.652 Die Verdingungsordnungen, ehemals die einzigen Regeln für die Vergabe von Aufträgen in Deutschland,653 behielten aufgrund der Verweisung aus der Vergabeordnung654 ihre zentrale Bedeutung als praxisorientierte technische Regelwerke.655 4. Der Auftraggeberbegriff des § 98 GWB als Tatbestand des persönlichen Anwendungsbereichs Der Tatbestand des Öffentlichen Auftraggebers, der seine neue Heimat in § 98 GWB fand, entsprach im Wesentlichen der Fassung der Vorgängerregelung des § 57a Abs. 1 HGrG. Die Änderungen, die vorgenommen worden waren, dienten einer formalen textlichen Vereinfachung. In materieller Hinsicht sollte sich der Kreis der Auftraggeber nicht verändern.656

lich darauf hin, daß er – abweichend von der bisherigen Rechtssetzungspraxis im öffentlichen Vergabewesen – seine grunds[ä]tzlich verankerten Mitwirkungsrechte künftig auch bezüglich des Zustandekommens des materiellen Vergaberechts einfordern wird“; vgl. auch Meinrad Dreher, NVwZ 1999, S. 1265 (1265 f.). 650 Vgl. Wortlaut § 57a Abs. 1 HGrG. 651 Wortlaut des § 97 Abs.  6 GWB (1998): „Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates nähere Bestimmungen über das bei der Vergabe einzuhaltende Verfahren zu treffen, insbesondere über die Bekanntmachung, den Ablauf und die Arten der Vergabe, über die Auswahl und Prüfung der Unternehmen und Angebote, über den Abschluss des Vertrages und sonstige Fragen des Vergabeverfahrens.“ 652 Siehe hierzu oben S. 133 f. 653 Vgl. zur Entstehung und geschichtlichen Bedeutung oben, S. 66 ff. 654 Bei den Normen der Vergabeverordnung handelte es sich fast vollständig um Verweisungen auf die Verdingungsordnungen. 655 Vgl. zur Frage der Verfassungs- und Rechtmäßigkeit dieses Verweisungssystems, Meinrad Dreher, NVwZ 1999, S. 1265 (1266 ff.). 656 Vgl. die Begründung im Einzelnen zum Gesetz zur Änderung der Rechtsgrundlagen für die Vergabe öffentlicher Aufträge (VgRÄG) vom 26.8.1998 (Drs. 646/97) S. 21 (24).

160

Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts Schaubild 2 Wortlautvergleich von § 57a HGrG (1993) und § 98 GWB (1998)

Alt: § 57a Abs. 1 HGrG

Neu: § 98 GWB (1998)

1) Zur Erfüllung der Verpflichtungen aus Richtlinien der Europäischen Gemeinschaf­ ten regelt die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesra­tes die Vergabe von Liefer-, Bau- und Dienstleistungsaufträgen sowie Wettbewerbe, die zu Dienstleistungsaufträgen führen sollen, durch folgende Auftraggeber:

Öffentliche Auftraggeber im Sinne dieses Teils sind:

1. Gebietskörperschaften sowie deren Son­ der­vermögen und die aus ihnen bestehenden Verbände,

1. Gebietskörperschaften sowie deren Sondervermögen,

2. andere juristische Personen des öffentlichen und des privaten Rechts, die zu dem besonderen Zweck gegründet wurden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen, wenn Stellen, die unter Nummer 1 fallen, sie einzeln oder gemeinsam durch Beteiligung oder auf sonstige Weise überwiegend finanzieren oder über ihre Leitung die Aufsicht ausüben oder mehr als die Hälfte der Mitglieder eines ihrer zur Geschäftsführung oder zur Aufsicht berufenen Organe bestimmt haben. Das gleiche gilt dann, wenn die Stelle, die einzeln oder gemeinsam mit anderen die überwiegende Finanzierung gewährt oder die Mehrheit der Mitglieder eines zur Geschäftsführung oder Aufsicht berufenen Organs bestimmt hat, unter Satz 1 fällt.

2. andere juristische Personen des öffentlichen und des privaten Rechts, die zu dem besonderen Zweck gegründet wurden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen, wenn Stellen, die unter Nummer 1 oder 3 fallen, sie einzeln oder gemeinsam durch Beteiligung oder auf sonstige Weise überwiegend finanzieren oder über ihre Leitung die Aufsicht ausüben oder mehr als die Hälfte der Mitglieder eines ihrer zur Geschäfts­führung oder zur Aufsicht berufenen Organe bestimmt haben. Das gleiche gilt dann, wenn die Stelle, die einzeln oder gemeinsam mit anderen die überwiegende Finanzierung gewährt oder die Mehrheit der Mitglieder eines zur Geschäftsführung oder Aufsicht berufenen Organs bestimmt hat, unter Satz 1 fällt,

3. Verbände, deren Mitglieder unter Nummer 1 oder 2 fallen,

3. Verbände, deren Mitglieder unter Nummer 1 oder 2 fallen,

4. Unternehmen in privater Rechtsform, die auf dem Gebiet der Trinkwasser- oder Energieversorgung oder des Verkehrs- oder Fernmeldewesens tätig sind, soweit Stellen, die unter Nummern 1 bis 3 fallen, auf sie einzeln oder gemeinsam einen beherrschenden Einfluß ausüben können,

4. natürliche oder juristische Personen des privaten Rechts, die auf dem Gebiet der Trinkwasser- oder Energieversorgung oder des Verkehrs oder der Telekommunikation tätig sind, wenn diese Tätigkeiten auf der Grundlage von besonderen oder ausschließlichen Rechten ausgeübt werden, die von einer zuständigen Behörde gewährt wurden, oder wenn Auftraggeber, die unter Nummern 1 bis 3 fallen, auf diese Personen einzeln oder gemeinsam einen beherrschenden Einfluß ausüben können,

B. Die Europäisierung des Vergaberechts als „Rechtsrevolution“ 

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Alt: § 57a Abs. 1 HGrG

Neu: § 98 GWB (1998)

5. andere natürliche oder juristische Perso­ nen des privaten Rechts, die auf dem Gebiet der Trinkwasser- oder Energieversorgung oder des Verkehrs- oder Fernmeldewesens tätig sind und diese Tätigkeiten auf der Grundlage von besonderen oder ausschließlichen Rechten ausüben, die von einer zuständigen Behörde gewährt wurden,

5. natürliche oder juristische Personen des privaten Rechts in den Fällen, in denen sie für Tiefbaumaßnahmen, für die Errichtung von Krankenhäusern, Sport-, Erholungsoder Freizeiteinrichtungen, Schul-, Hochschul- oder Verwaltungsgebäuden oder für damit in Verbindung stehende Dienstleistungen und Auslobungsverfahren von Stellen, die unter Nummern 1 bis 3 fallen, Mittel erhalten, mit denen diese Vorhaben zu mehr als 50 vom Hundert finanziert werden,

6. natürliche oder juristische Personen des privaten Rechts, in den Fällen, in denen sie für Vorhaben zu einem gemeinnützigen Zweck von Stellen, die unter Nummern 1 bis 3 fallen, Mittel erhalten, mit denen diese Vorhaben zu mehr als 50 vom Hundert finanziert werden,

6. natürliche oder juristische Personen des privaten Rechts, die mit Stellen, die unter Nummern 1 bis 3 fallen, einen Vertrag über die Erbringung von Bauleistungen abgeschlossen haben, bei dem die Gegenleistung für die Bauarbeiten statt in einer Vergütung in dem Recht auf Nutzung der baulichen Anlage, gegebenenfalls zuzüglich der Zahlung eines Preises besteht, hinsichtlich der Aufträge an Dritte (Baukonzession).

7. natürliche oder juristische Personen des privaten Rechts, die mit Stellen, die unter Nummern 1 bis 3 fallen, einen Vertrag über die Erbringung von Bauleistungen abgeschlossen haben, bei dem die Gegenleistung für die Bauarbeiten statt in einer Vergütung in dem Recht auf Nutzung der baulichen Anlage, gegebenenfalls zuzüglich der Zahlung eines Preises besteht, hinsichtlich der Aufträge an Dritte, 8. natürliche und juristische Personen des Privatrechts, die mit einer der in Nummern 1 bis 3 genannten Stellen einen Vertrag über die Erbringung einer Bauleistung durch Dritte, gleichgültig mit welchen Mitteln, gemäß den vom öffentlichen Auftraggeber genannten Erfordernissen, geschlossen haben.

Ausdrücklich wies der Gesetzgeber in seiner Begründung darauf hin, dass angesichts der umfangreichen Liberalisierung und Privatisierungen von ehemalig „primär öffentlich geprägten Wirtschaftsbereichen“ in jedem Einzelfall zu prüfen ist, ob ein privatrechtlich organisierter Auftraggeber in den Anwendungsbereich des Vergaberechts fällt. Maßgeblich hierfür sei, ob er zu dem besonderen Zweck begründet wurde, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen:657 657 Vgl. die Begründung im Einzelnen zum Gesetz zur Änderung der Rechtsgrundlagen für die Vergabe öffentlicher Aufträge (VgRÄG) vom 26.8.1998 (BR-Drs. 646/97) S. 21 (24).

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Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

„Dabei kommt es darauf an, welche Aufgabenverteilung zwischen dem Staat und dem Unternehmen das Gesetz, insbesondere das Gesetz, auf dem Privatisierung und Neuordnung beruhen, vornimmt, welche Aufgaben dem Unternehmen nach dem jeweiligen Rechtsakt, auf dem die Privatisierung beruht, zukommen und wie der Unternehmensgegenstand und ein etwaiger Unternehmenszweck festgelegt sind.“658

Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte es bei der Auslegung damit ankommen auf: –– etwaige gesetzliche Regelungen der Aufgabenverteilung zwischen Staat und Privatem, –– die Art der Aufgaben, die dem privaten Unternehmer nach den Privatisierungsregelung zukommen, –– die Art des Unternehmensgegenstands und –– die Art des Unternehmenszwecks. Die Erläuterungen des damaligen Gesetzgebers zielten auf die Bereiche, in denen es aufgrund Privatisierungen ehemaliger Staatseinrichtungen zu Rechtsformenwechsel gekommen war, wie etwa 1993/94 bei den großen Staatsunternehmen Deutsche Bahn659, Post660 und Telekom661. Die damalige christlich-liberale Koalition hatte zuvor „das Ideal, die ‚Staatsquote‘ zu senken und dabei ‚den Staat auf den Kern seiner Aufgaben zurückzuführen‘, zu einem ‚Leitgedanken der Regierungspolitik‘ erklärt“662. Die öffentliche Aufgabenwahrnehmung in privatrechtlicher Rechtsform insbesondere durch die Kommunen hatte der Gesetzgeber zu diesem Zeitpunkt offenkundig nicht im Blick. 5. Bewertung der gesetzgeberischen Leistung Das Vergaberecht hatte nach längeren Irrungen seinen Platz im deutschen Rechtssystem gefunden. Nachdem der Widerstand gegen die europäischen Vorgaben – je nach Sichtweise – gebrochen oder aufgegeben worden war, wurde die Gelegenheit genutzt, den bestehenden Regelungen Gesetzesrang zu verleihen und ein systematisches Rechtsschutzsystem aufzubauen. Durch die Verlagerung der 658

Ebd. Vgl. zur Überführung des Bundeseisenbahnvermögens in die „Deutsche Bahn Aktiengesellschaft“, § 1 Gesetz über die Gründung einer Deutsche Bahn Aktiengesellschaft (DBGrG) vom 27.12.1993 (BGBl. I 1993, 2378). 660 Vgl. zur Umwandlung der Unternehmen der Deutschen Bundespost in Aktiengesellschaften (Deutsche Post AG, Deutsche Postbank AG, Deutsche Telekom AG) § 1 Gesetz zur Umwandlung der Unternehmen der Deutschen Bundespost in die Rechtsform der Aktiengesellschaft (PostUmwG) vom 14.9.1994 (BGBl. I 1994, 2325). 661 Ebd. 662 Jörn Axel Kämmerer, Privatisierung, S. 77 mit Verweis auf das Bulletin der Bundesregierung Nr. 34 vom 28.03.1985, S. 281. 659

B. Die Europäisierung des Vergaberechts als „Rechtsrevolution“ 

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Materie in das GWB wurde dem „gewandelten Verständnis der Vergaberegeln“ entsprochen und „die wettbewerbliche Bedeutung“ des Vergaberechts betont.663 Wie sich treffend aus der Bezeichnung des VgRÄG ergibt, handelte es sich in erster Linie um die Änderung der Rechtsgrundlagen der bisher im Haushaltsrecht und vor allem in den Vergabe- und Nachprüfungsverordnungen sowie den Verdingungsordnungen geregelten Vorschriften. a) Die neuen Rechtsgrundlagen Wesentliche Teile wurden von der Verordnungsebene auf die einfachgesetzliche Normenstufe gehoben.664 Soweit noch nicht mit den §§ 57a bis 57c HGrG geschehen, erhielten die Vorschriften materiellen Gesetzescharakter.665 Dies bedeutete jedoch nicht, dass sie alle als einfache Gesetze im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren erlassen worden waren. Vielmehr galt dies nur für die Normen des 4. Teils des GWB. Die Vorschriften der Vergabeverordnung und der Verdingungsordnungen „erstarkten“ zu materiellem Recht nur über die starren Verweisungen aus dem GWB auf die Vergabeverordnung, die wiederum auf die Verdingungsordnungen verwies.666 Die Entscheidung gegen ein umfassendes Vergabegesetz zugunsten eines „Kaskadensystems“667 sorgte dafür, dass auch das traditionelle Regelungselement des deutschen Vergabewesens – die Vergabe- und Vertragsordnungen – erhalten blieb. Die als Praktikerrecht 1926 geborenen Normenkataloge668 hatten sich von detaillierten technisch-naturwissenschaftlichen Regelwerken weiterentwickelt hin zum eigentlichen Vergaberecht. Große Teile des Richtlinien­rechts wurden inhaltlich dort verankert und nicht im 4. Teil des GWB oder der Vergabeverordnung.669

663

Vgl. die Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Rechtsgrundlagen für die Vergabe öffentlicher Aufträge vom 5.9.1997 (BR-Drs. 646/97) S. 16 (18) sowie die Begründung im Einzelnen zu § 106 Abs. 1 GWB des Entwurfs vom 3.12.1997 (BT-Drs. 13/9340) S. 13: „Die Bundesregierung mißt einem transparenten, diskriminierungsfreien Vergabeverfahren eine hohe Bedeutung zu. Sie geht davon aus, daß die Beachtung wettbewerblicher Prinzipien im Vergaberecht sowohl für Auftraggeber als auch Auftragnehmer vorteilhaft ist und Vergaben deshalb grundsätzlich im Wettbewerb zu erfolgen haben.“ 664 So auch einige Verfahrensgrundsätze, vgl. §§ 97–101 GWB (1998). 665 Vgl. Reinhard Voppel, LKV 1999, S. 5. 666 Vgl. zu den Besonderheiten der Verweisung auf Verwaltungsvorschriften und „private Regelwerke“ oben, S. 133 ff., 158 ff., und Meinrad Dreher, NVwZ 1999, S. 1265 (1266 f.). 667 Siehe oben, S. 158 ff. 668 Vgl. oben, S. 66 ff. 669 Vgl. Meinrad Dreher, NVwZ 1999, S. 1265 (1267 f.).

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Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

b) Das gespaltene Vergaberecht: Die Problematik des Ober- und Unterschwellenwertbereichs Die Vorschriften der Verdingungsordnungen wurden jedoch nicht durchgängig europäisiert. Da die bisherigen Regelungen für den Unterschwellenwertbereich beibehalten werden sollten, bedurfte es einer Aufteilung der Normen in verschiedene Abschnitte. Die sog. „Basis-Paragraphen“ galten für den Unterschwellenwertbereich, die neu eingefügten „a-Paragraphen“ für den Oberschwellenwertbereich. Normtechnisch war dieses System „kein Glanzstück“, so Pietzcker.670 Huber bezeichnete das gespaltene Rechtsregime als „Irrweg“.671 Der Rechtsanwender stand vor der Herausforderung, festzustellen, welche Norm auf einen Sachverhalt anzuwenden war. Er musste zunächst herausfinden, ob der Auftrag im Unter- oder Oberschwellenwertbereich lag. Die Entscheidung gegen eine Einbeziehung des Unterschwellenwertbereichs in das neue Vergaberecht dürfte vielerlei vornehmlich (wirtschafts-)politische Gründe gehabt haben.672 Die Vertreter des „alten Glaubens“ an Deregulierung und Ent­ bürokratisierung als höchste Maxime, insbesondere aus dem Kreis der Praktiker, klammerten sich durchaus nachvollziehbar an eine „möglichst einfache Lösung, die es erlaubt, die bisher effizient und relativ unbürokratisch funktionierenden Verfahren, soweit es geht, fortzuführen“673. Tatsächlich bedeutete die inhaltliche Beschränkung des „neuen Vergaberechts“ auf die in den Anwendungsbereich der EG-Richtlinien fallenden Vergabeverfahren einen Widerspruch zum rechtspolitischen Ziel „einer einfachen, praktikablen und beschleunigten Klärung der Rechtmäßigkeit von Vergabeentscheidungen“674. Die Verwirklichung des Grundsatzes „best value for public money“ durch eine Verrechtlichung der Vergabeverfahren konnte nur oberhalb der EG-Schwellenwerte verwirklicht werden.675 670 Jost Pietzcker, ZHR 1998, S. 427 (437) mit einigen Gründen, so etwa der Schwierigkeit für die Rechtsanwender zu erkennen – abhängig ob Unter- oder Oberschwellenbereich –, welche Normen Anwendung finden. 671 Peter M. Huber, in: Dörr/Fink/Hillgruber/Kempen/Murswiek, Festschrift für Hartmut­ Schiedermair, S. 765 (781): „Denn der Gesetzgeber hat hier im Bereich des öffentlichen Auftragswesens normativ zementiert, was die Gerichte auch in anderen ‚Referenzgebieten‘ entwickelt haben: ein gespaltenes Rechtsregime, das bei unionsrechtlich geregelten Sachverhalten anderen Regelungen folgt als bei rein national geregelten“; weitere Beispiele finden sich dort in Fn. 69. 672 Vgl. bereits 1991 den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP zur Umsetzung der Richtlinien auf dem Gebiet des öffentlichen Auftragswesens vom 14.6.1991 (BT-Drs. 12/770): „Der Deutsche Bundestag sieht keine Notwendigkeit für ein umfassendes Vergabegesetz, das dem Bieter ein subjektives Recht auf gerichtliche Überprüfung der Vergabe zubilligt. Eine solche Verrechtlichung wäre mittelstandsfeindlich und investitionshemmend.“ 673 So beschreibt es Fritz Rittner, NVwZ 1995, S. 313 (315). 674 Zu diesem Ergebnis kommt Kay Hailbronner, Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft, in: Anlage zur Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung vom 5.9.1997 (BR-Drs. 646/97) S. 58. 675 Vgl. Meinrad Dreher, NVwZ 1999, S. 1265 (1272).

B. Die Europäisierung des Vergaberechts als „Rechtsrevolution“ 

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Da es offenkundig an einem Drängen der Betroffenen in diesem Punkt fehlte676 und auch die Europäische Kommission angesichts des vom EG-Recht ausgenommenen Unterschwellenwertbereichs nicht intervenierte, blieb es zunächst bei der „fundamental unterschiedliche[n]“677 Behandlung von Vergaben unterhalb und oberhalb der Schwellenwerte. c) Die Verbürgung subjektiver Rechte als Zäsur Im Vordergrund der Vergaberechtsreform von 1998 stand die erstmalige Verbürgung subjektiver Rechte von am Vergabeverfahren beteiligten Bietern und Interessenten,678 die mit der Neuregelung in einem Zwei-Instanzen-Verfahren679 die Rechtmäßigkeit der Vergabeentscheidung gerichtlich überprüfen lassen konnten. Zwar knüpfte diese Lösung organisatorisch an die bereits bestehende verwaltungsinterne Überprüfung durch die Vergabeüberwachungsausschüsse an.680 Mit dem Rechtsmittel gegen die Entscheidung der Kammer zum Oberlandesgericht kam jedoch die entscheidende gerichtliche Instanz hinzu.681 Angesichts der verspäteten Umsetzung der entsprechenden Richtlinienvorschriften682 und der zweifachen Feststellung dieses vertragswidrigen Zustandes durch den Europäischen Gerichtshof683 ist in diesem Zusammenhang schwerlich von einer revolutionären Reform zu sprechen. Ungeachtet dessen, dass es sich bei der Novelle um eine verspätete Erfüllung europarechtlicher Pflichten handelte, bedeutete die gesetzlich garantierte Nachprüfbarkeit von Vergabeentscheidungen in jedem Fall aber eine Zäsur in der mehr als 70 Jahre alten Geschichte des deutschen Vergabewesens. Das einstige haushaltsrechtliche Innenrecht wurde zum „bieterschützenden Außenrecht“684.

676 Dies war zumindest das Ergebnis einer Umfrage unter öffentlichen Auftraggebern, Unternehmen, Vergabekammern, Auftragsberatungsstellen, Anwälten und Verbänden, welche die Bundesregierung im Zeitraum vom 4.12.2001 bis 15.2.2002 für ihren Bericht zum Vergabeänderungsgesetz durchgeführt hatte; vgl. Deutsches Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit (BMWA), Bericht der Bundesregierung über die Erfahrungen mit dem Vergabeänderungsgesetz vom 11.11.2003 (BT-Drs. 15/2034) S. 2. 677 Meinrad Dreher, NVwZ 1999, S. 1265 (1272). 678 Vgl. § 97 Abs. 7 GWB (1998). 679 Hierzu gehört zum einen das Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer nach §§ 104 ff. bzw. §§ 107 ff. GWB (1998), zum anderen das gerichtliche Nachprüfungsverfahren vor den Oberlandesgerichten gem. §§ 116 ff. GWB (1998), das sich diesem anschließt. 680 Vgl. auch die Begründung des Entwurfs der Bundesregierung zum Gesetz zur Änderung der Rechtsgrundlagen für die Vergabe öffentlicher Aufträge vom 3.12.1997 (BT-Drs. 13/9340) S. 13. 681 Vgl. §§ 116 ff. GWB (1998). 682 Siehe oben, S. 101 f. 683 Zu den Vertragsverletzungsverfahren siehe oben, S. 139 ff. 684 Jost Pietzcker, ZHR 1998, S. 427 (430).

166

Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

d) Erfolg supranationaler Rechtssetzung: Anpassung und Änderung des deutschen Vergaberecht Das VgRÄG sorgte für mehr Rechtssicherheit und -klarheit, ohne das komplizierte Mehrebenengeflecht der Vergabevorschriften aufzuheben. Die Entscheidung gegen ein vielfach gefordertes eigenständiges Vergabegesetz sollte zwar den wettbewerblichen Charakter des Vergaberechts unterstreichen, führte aber zu einer fundamental unterschiedlichen Behandlung von Vergaben unterhalb und oberhalb der Schwellenwerte. Der mit der Verbürgung subjektiver Bieterrechte und der Schaffung neuer Rechtsmittel erzielte Erfolg wurde relativiert durch die fortbestehenden Fragen nach dem Rechtsschutz im Unterschwellenbereich. Den Anforderungen des europäischen Vergabesekundärrechts wurde mit dem VgRÄG nach nunmehr mehreren Jahrzehnten entsprochen. Das deutsche Vergaberecht wurde endlich europarechtskonform: –– Das VgRÄG „verrechtlichte“ das deutsche Vergaberecht. Es verlieh ihm materiellen Gesetzescharakter und kehrte es vom Innenrecht zum bieterschützenden Außenrecht. –– Das komplizierte Kaskadensystem wurde trotz aller Bedenken der Wissenschaft beibehalten. Ein eigenes Vergabegesetz fand keine Überzeugung des Gesetzgebers. Das Vergaberecht wurde Teil des Wettbewerbsrechts. –– Die Vorgaben der EG-Richtlinien wurden in allen Teilen nach Jahrzehnten der Unzulänglichkeit umgesetzt. –– Herzstück der Novelle war die Verbürgung subjektiver, einklagbarer Rechte von Bietern und Interessenten. –– Die unterschiedlichen Vorschriften für den Unter- und Oberschwellenwertbereich führten zu einer komplizierten Rechtssystematik in den Verdingungsordnungen und sorgten weiterhin für ein niedriges Rechtsschutzniveau im Unterschwellenbereich. Zusammenfassend ist festzustellen, dass das Gesetz nach Jahren der Ungewissheit zwar nicht vollumfänglich „die überfällige Rechtssicherheit für Auftraggeber und Auftragnehmer“685 schuf. Es wehte jedenfalls ein neuer Wind, der dafür sorgte, dass „die Zeit der großen Hoflieferanten und der politischen Einflüsse“686 zu Ende ging: „Zumindest im Vergaberecht hat sich Europa damit auch für den Mitgliedstaat Deutschland als Bannerträger rechtsstaatlichen Fortschritts erwiesen.“687

685

So aber Jürgen Witte, DStR 1998, S. 1684 (1688). Fritz Rittner, NVwZ 1995, S. 313 (319). 687 Peter M. Huber, in: Dörr/Fink/Hillgruber/Kempen/Murswiek, Festschrift für Hartmut Schiedermair, S. 765 (782). 686

B. Die Europäisierung des Vergaberechts als „Rechtsrevolution“ 

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VII. Das konsolidierte Richtlinienrecht der dritten Generation zwischen 2004 und 2009 Während sich das novellierte Vergaberecht von 1998 in der Praxis erst einmal etablieren musste, wurde auf europäischer Ebene das mit dem Grünbuch der Kommission von 1996 angestoßene Nachdenken über die Weiterentwicklung der Vergaberichtlinien fortgesetzt. 1. Hintergrund a) Die Vorbereitung der Reform mit dem Grünbuch vom 27.11.1996 Um eine Bilanz zu ziehen, inwieweit der zweite bzw. dritte Ansatz zur Errichtung eines vergaberechtlichen Rahmens zur Verwirklichung des Binnenmarktes im Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens erfolgreich war, veröffentlichte die Kommission am 27.11.1996 ein Grünbuch mit dem Titel „Das öffentliche Auftragswesen in der Europäischen Union – Überlegungen für die Zukunft“688. Die im Titel angekündigten „Überlegungen für die Zukunft“ implizierten bereits die Feststellung: Auch der neuerliche Versuch, mit dem konsolidierten Basisrichtlinien­ programm von 1992/93 Mitgliedstaaten und Rechtsanwender vom Vorteil der Vorschriften zu überzeugen und eine Transformation in das nationale Recht durchzusetzen, war noch nicht gelungen. Nur drei der Mitgliedstaaten hatten alle Texte der Richtlinien vollständig rechtzeitig umgesetzt.689 Das Grünbuch hatte nach Bekundungen der Kommission den Zweck, den „Rahmen für eine umfassende Diskussion über das Auftragswesen in der europäischen Union“690 vorzugeben. Thematische Schwerpunkte setzte die Kommission bei der Klarstellung der Ziele der EU-Politik im Bereich des öffentlichen Auftragswesens, der Umsetzung und Durchsetzung der Rechtsvorschriften sowie ihrer Kontrolle, der Verbesserung der elektronischen Ausschreibungsverfahren und der Verknüpfung mit anderen Politikfeldern der Gemeinschaft.691 Wenige Jahre nachdem die Umsetzungsfristen für die Basisrichtlinien abgelaufen waren und die Mitgliedstaaten unter erheblichem Druck standen, die Vorschrif-

688 Europäische Kommission, Das öffentliche Auftragswesen in der Europäischen Union  – Überlegungen für die Zukunft, Grünbuch vom 27.11.1996, KOM (96) 583 endg. 689 Vgl. den Europareport der EuZW 1997, S. 66. 690 Europäische Kommission, Das öffentliche Auftragswesen in der Europäischen Union  – Überlegungen für die Zukunft, Grünbuch vom 27.11.1996, KOM (96) 583 endg., Zusammenfassung, S. I, Rn. 4. 691 Ebd., S. II, Rn. 5.

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Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

ten in ihr nationales Recht zu überführen,692 war die Zeit ungünstig für Überlegungen zu weiteren Reformen. Die nationalen Rechtsanwender waren verunsichert und teilweise aufgrund der hastigen und gelegentlich unüberlegten Änderungen des alt „bewährten“ bzw. bestehenden Rechts wenig verständnisvoll.693 Dessen war sich die Kommission durchaus bewusst. Sie stellte ihren Überlegungen im Grünbuch voran, sie halte zwar „eine Zeit der Konsolidierung des Rechtsrahmens für notwendig“, denke aber „derzeit nicht an weitreichende Änderungen der geltenden Regelungen“.694 Erst einmal sollte der umfassende Rahmen von Rechtsvorschriften zur Anwendung kommen. Die Kommission forderte die Auftraggeber und Bieter auf, die mit dem neuen Recht „gebotenen Möglichkeiten auszuschöpfen und den größtmöglichen Nutzen daraus zu ziehen“.695 Sowohl die Pflichten als auch die vorhandenen Marktchancen seien den Auftraggebern oftmals nicht klar. Die Unternehmer hingegen sollten die sich aus den „streng objektiven Maßstäbe des neuen Vergaberechts“ ergebenden Möglichkeiten nutzen.696 Das geschaffene Recht musste endlich zur Anwendung kommen. Die „Kontrolle der Anwendung des Vergaberechts“ wurde daher ein zentrales Thema des Grünbuchs.697 Würde die Anwendung des materiellen Vergaberechts nicht durch entsprechende Kontrollmechanismen überwacht, „gliche das Vergaberecht einem zahnlosen Tiger“698. Folglich befasste sich die Kommission im Grünbuch mit der Frage, inwieweit ein gemeinsames Sanktionssystem zur Gewährung der rechtlichen Kohärenz699 eingeführt werden müsse und welche Veränderungen an den Rechtsmittelrichtlinien, der Nachprüfungs-RL 89/665/EWG und der Sektorennachprüfungs-RL 92/13/EWG, vorzunehmen seien. Zwar waren Regeln über die Gewährung von Schadensersatz für Rechtsverstöße in den Rechtsmittelrichtlinien enthalten,700 präzise Bestimmungen über deren 692 Siehe oben zur Überwachung der Durchsetzungsmaßnahmen durch die Kommission, S. 127 ff. 693 In diesem Sinne Siegfried Broß, VerwArch 1997, S. 521 (523). 694 Europäische Kommission, Das öffentliche Auftragswesen in der Europäischen Union  – Überlegungen für die Zukunft, Grünbuch vom 27.11.1996, KOM (96) 583 endg., S.  II, Rn. 6. 695 Ebd., S. II, Rn. 7. 696 Vgl. in diesem Sinne Fritz Rittner, NVwZ 1995, S. 313 (319). 697 Europäische Kommission, Das öffentliche Auftragswesen in der Europäischen Union  – Überlegungen für die Zukunft, Grünbuch vom 27.11.1996, KOM (96) 583 endg., S. 18 ff. 698 Meinrad Dreher, EuZW 1998, S. 197. 699 Ein solches System wurde angedacht, da die Anwendung unterschiedlicher Sanktionen durch die Behörden in den Mitgliedstaaten die Wirksamkeit der Binnenmarktverwirklichung beeinträchtigen könne, vgl. Europäische Kommission, Das öffentliche Auftragswesen in der Europäischen Union – Überlegungen für die Zukunft, Grünbuch vom 27.11.1996, KOM (96) 583 endg., S. 20. 700 Vgl. Art. 2 Nachprüfungs-RL 89/665/EWG und Art. 2 Sektorennachprüfungs-RL 92/13/ EWG.

B. Die Europäisierung des Vergaberechts als „Rechtsrevolution“ 

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Höhe jedoch nicht. In manchen Mitgliedstaaten beschränkte sich die Entschädigung auf die Erstattung der Kosten für die Teilnahme am Vergabeverfahren, in anderen wurde auch der entgangene Gewinn des Unternehmers als Schadensposition anerkannt.701 Die Fertigstellung eines Schemas, anhand dessen die tatsächliche Anwendung der Vorschriften der Rechtsmittelrichtlinien im Bereich der Schadensersatzansprüche hätte überprüft werden können, scheiterte zunächst „aufgrund unerklärlicher Schwierigkeiten der nationalen Behörden, die entsprechenden Angaben mitzuteilen“702. Zumindest deklaratorische Hilfe bekam die Kommission in ihren Bemühungen um eine kohärente Anwendung von Schadensersatzregeln durch den Rat. Er forderte die Mitgliedstaaten mit Verweis auf Art. 5 EWG auf, die Arbeit der Kommission „aktiv zu unterstützen“703. Da das Grünbuch allen interessierten Kreisen (u. a. Rat, Europäisches Parlament, Wirtschafts- und Sozialausschuss, Ausschuss der Regionen, Verbände, Auftraggeber, Lieferanten und Verbraucher) die Möglichkeit geben sollte, Stellungnahmen abzugeben, um im Anschluss dessen einen Aktionsplan für die Stärkung der Effizienz des rechtlichen Rahmens und besseren Verwirklichung der Ziele im Bereich des öffentlichen Auftragswesens zu entwickeln,704 formulierte die Kommission konkrete Fragen. Hierzu zählten u. a.: „V. Fragen 1. Wie schätzen Sie die Umsetzung der Richtlinien durch die Mitgliedstaaten ein? Worin liegen Ihrer Ansicht nach die Gründe für die Schwierigkeiten der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung? […] 4. Wie wirksam sind die bestehenden Rechtsmittel in den Mitgliedstaaten? […] 5. Wäre ein Schadensersatzanspruch, der über den Umfang der tatsächlich erlittenen Schäden hinausgeht, von Nutzen? 6. […].“

Der mit dem Grünbuch der Kommission angestoßene Diskurs wurde lebhaft aufgegriffen. Wenngleich in Deutschland mit der GWB-Novelle von 1998 der schwelende Konflikt um die haushaltsrechtliche Lösung beendet worden war,

701

Europäische Kommission, Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die Bedeutung von Sanktionen für die Anwendung des Gemeinschaftsrechts im Binnenmarkt vom 3.5.1995, KOM (95) 162 endg., S. 5. 702 Ebd. 703 Vgl. Rat der Europäischen Union, Entschließung des Rates vom 29.6.1995 zur einheitlichen und wirksamen Anwendung des Gemeinschaftsrechts und zu Sanktionen bei Verstößen gegen das Gemeinschaftsrecht im Bereich des Binnenmarkts, ABl. 1995 C 188/1. 704 Europäische Kommission, Das öffentliche Auftragswesen in der Europäischen Union  – Überlegungen für die Zukunft, Grünbuch vom 27.11.1996, KOM (96) 583 endg., S. 3.

170

Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

wurden die Fragen nach Anwendung und Durchführung der EG-Vorschriften weiter kontrovers diskutiert.705 b) Die Lissabon-Strategie des Europäischen Rates als wirtschaftspolitischer Rahmen der Richtliniennovelle Vor dem Hintergrund der spürbar an Fahrt gewinnenden Globalisierung sah der Europäische Rat von Lissabon vom 23. und 24.3.2000 zur Jahrtausendwende die Europäische Union „mit einem Quantensprung konfrontiert, der aus der Globalisierung und den Herausforderungen einer neuen wissensbestimmten Wirtschaft resultiert[e]“706. Aus der Sicht des Rates bedurfte es einer „globalen Strategie“, die zum Ziel hatte, „die Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen, – einem Wirtschaftsraum, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen“707. Zur Erreichung der Ziele der „Lissabon-Strategie“ sollten Wirtschaftsreformen für einen vollendeten und einwandfrei funktionierenden Binnenmarkt sorgen. Hierzu rief der Europäische Rat die Kommission, den Rat und die Mitgliedstaaten u. a. auf, dass sie „die Arbeiten betreffend die demnächst vorzulegenden Vorschläge zur Aktualisierung der Regeln für das öffentliche Beschaffungswesen rechtzeitig abschließen und diese insbesondere den KMU [kleine und mittelständische Unternehmen] zugänglich machen, so daß die neuen Regeln bis 2002 in Kraft treten können“708. c) Der Reformansatz der Kommission Die Kommission war aufgerufen, ihre mit dem Grünbuch von 1996709 erneuerten Reformbemühungen fortzusetzen. Unter der Federführung des Kommissars Frits Bolkestein legte sie  – wie in ihrem Arbeitsprogramm für 2000 angekündigt710  – am 30.8.2000 einen ersten Vorschlag für eine Richtlinie über die 705 Vgl. stellvertretend die umfassende Bestandsaufnahme bei Meinrad Dreher, EuZW 1998, S. 197. 706 Europäischer Rat, Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates von Lissabon vom 23. und 24.3.2000, I. Beschäftigung, Wirtschaftsreform und sozialer Zusammenhalt, Ziff. 1, zugänglich über http://www.consilium.europa.eu. 707 Ebd., Ziff. 2. 708 Ebd., Ziff. 17. 709 Siehe oben, S. 167 f. 710 Europäische Kommission, Arbeitsprogramm der Kommission für 2000, Mitteilung an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen vom 9.2.2000, KOM (2000) 155 endg., 2.4. Binnenmarkt, Finanzdienstleistungen und Steuern.

B. Die Europäisierung des Vergaberechts als „Rechtsrevolution“ 

171

Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge, Dienstleistungsaufträge und Bauaufträge vor.711 Der Entwurf nahm Bezug auf das Grünbuch von 1996 sowie die Reaktionen hierauf, die in der Mitteilung der Kommission Das öffentliche Auftragswesen in der Europäischen Union vom 11.3.1998712 neben dem Status quo der Richtlinienumsetzung festgehalten worden war. Die nahezu 300 Stellungnahmen aus der Praxis zum Grünbuch wurden Teil der Erarbeitung des Reformkonzepts der Kommission.713 Aus den Rückmeldungen zog die Kommissionzwei Schlussfolgerungen: „Zum einen muß die Europäische Union aktiv Sorge dafür tragen, daß die bestehenden Beschaffungsregeln die in Aussicht gestellten Ergebnisse hervorbringen, zum anderen muß das vorhandene Instrumentarium dem sich verändernden wirtschaftlichen Umfeld angepaßt werden.“714 Der Umstand, dass bis 1997 nur knapp über die Hälfte der Vergaberichtlinien in allen Mitgliedstaaten zusammengenommen korrekt umgesetzt worden waren,715 machte das öffentlichen Beschaffungswesen zu einem der Regelungsbereiche mit dem größten Umsetzungsdefizit. Die Schwierigkeiten, die offenkundig bei der Umsetzung des Richtlinienrechts in den Mitgliedstaaten bestanden, wollte man keinesfalls verstärken. Daher setzte die Kommission auf Vereinfachung und Modernisierung. Konkret hieß das, „den rechtlichen Rahmen zu vereinfachen und ihn dem neuen elektronischen Zeitalter an­ zupassen, wobei es gilt, seine Grundstruktur zu erhalten und unnötige Veränderungen zu vermeiden, die ein weiteres Einschreiten des Gesetzgebers auf gemeinschaftlicher und auf nationaler Ebene nach sich ziehen würden.“716

Die Kommission konzentrierte sich in der Folge auf die behutsame Weiterentwicklung und Vereinfachung des bestehenden Rechts anstelle einer umfassenden Neuordnung. Für den Bereich der öffentlichen Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge standen hierbei sieben Regelungsbereiche im Vordergrund:

711 Europäische Kommission, Erster Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge, Dienstleistungsaufträge und Bauaufträge vom 30.8.2000, KOM (2000) 275 endg./2. 712 Europäische Kommission, Das öffentliche Auftragswesen in der Europäischen Union, Mitteilung vom 11.3.1998, KOM 1998) 143 endg. 713 Vgl. ebd., S. 2. 714 Ebd. 715 Vgl. Europäische Kommission, Das öffentliche Auftragswesen in der Europäischen Union, Mitteilung vom 11.3.1998, KOM 1998) 143 endg., S. 2 und Anhang I mit einer Übersicht. 716 Ebd., S. 3.

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Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

–– Einführung elektronischer Beschaffungsmechanismen;717 –– Einführung eines neuen Verhandlungsverfahrens, das für besonders komplexe Aufträge den Dialog zwischen Auftraggeber und Bietern ermöglicht;718 –– Möglichkeit für Auftraggeber Rahmenvereinbarungen zu schließen;719 –– Vereinfachung und Klarstellung der Bestimmungen über technische Spezifikationen;720 –– strengere Vorschriften über die Zuschlags- und Eignungskriterien;721 –– Vereinfachung der Schwellenwerte;722 –– Einführung eines gemeinsamen Vokabulars für öffentliche Aufträge.723 Für den Bereich der Sektoren sollte noch ergänzend der Anwendungsbereich der bisherigen Sektorenkoordinierungs-RL 93/38/EWG „mit Blick auf die schrittweise Liberalisierung dieser Wirtschaftszweige“724 überprüft werden. 2. Die Definition des öffentlichen Auftraggeberbegriffs bleibt unverändert Nachdem der Tatbestand des „Öffentlichen Auftraggebers“ in den Basisrichtlinien für die Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge von 1992/93 nicht nur im Wortlaut sondern auch redaktionell mit seiner Verortung im jeweiligen Art. 1 lit. b) vereinheitlicht worden war, bot es sich geradezu an, den Tatbestand in seiner bestehenden Form bei der Konsolidierung der drei Richtlinien in einer neuen Koordinierungsrichtlinie unverändert zu übernehmen. Dass eine inhaltliche Weiterentwicklung im Zuge der Richtlinienmodernisierung nicht vorgesehen war, stellte die Kommission bereits in ihrem ersten Vorschlag klar: „Absatz 5 mit der Definition der Einrichtungen des öffentlichen Rechts entspricht den Bestimmungen des geltenden Artikels 1 Buchstabe b) der Richtlinie 92/50/EWG, des gelten-

717 Europäische Kommission, Erster Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parla­ ments und des Rates über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge, Dienstleistungsaufträge und Bauaufträge vom 30.8.2000, KOM (2000) 275 endg./2, Ziff. 2 (S. 4 f.). 718 Ebd., Ziff. 3 (S. 5–8). 719 Ebd., Ziff. 4 (S. 8 f.). 720 Ebd., Ziff. 5 (S. 9 f.). 721 Ebd., Ziff. 6 (S. 10 f.). 722 Ebd., Ziff. 7 (S. 11 f.). 723 Ebd., Ziff. 8 (S. 13). 724 Europäische Kommission, Erster Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie und Verkehrsversorgung, KOM (2000) 276 endg./2, S. 5.

B. Die Europäisierung des Vergaberechts als „Rechtsrevolution“ 

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den Artikels 1 Buchstabe b) der Richtlinie 93/36/EWG und des geltenden Artikels 1 Buchstabe b) der Richtlinie 93/37/EWG. Er bleibt unverändert.“725

Im Gesetzgebungsverfahren (Mitentscheidungsverfahren gem. Art. 251 EG726), das immerhin vom ersten Vorschlag der Kommission vom 30.8.2000 bis zur Verabschiedung der RL Sektorenkoordinierungs-RL 2004/17/EG und Vergabekoordinierungs-RL 2004/18/EG am 31.3.2004 mehr als drei Jahre dauerte, war es nur der Wirtschafts- und Sozialausschuss, der in seiner Stellungnahme vom 25. und 26.4.2001 eine inhaltliche Erweiterung der Legaldefinition der „Einrichtung des Öffentlichen Rechts“ als Teil des Auftraggeberbegriffs forderte.727 Mit Blick auf die Problematik der „Inhouse“-Vergabe wies der Ausschuss darauf hin, „dass Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die als Wirtschaftsteilnehmer handeln, die ihnen aus ihrem Status erwachsenden Vorteile nicht zur Verfälschung der Wettbewerbs­ bedingungen nutzen dürfen. In der Europäischen Union kommt es vor, dass öffentliche Unternehmen oder Unternehmen mit Sonderstatus Wettbewerbsvorteile haben. Ergänzende Vorschriften, die die Auftraggeber verpflichten festzustellen, ob Einrichtungen des öffentlichen Rechts denselben – vor allem steuerlichen, sozialen und finanziellen – Belastungen ausgesetzt sind wie die privaten Wirtschaftsteilnehmer, erweisen sich als un­ abdingbar.“728

Zu diesem Zwecke sollte nach der Forderung des Ausschusses der Entwurf einer Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen im Bereich Konzessionen in den Richtlinienvorschlag eingearbeitet werden.729 Berücksichtigt wurde das Anliegen des Wirtschafts- und Sozialausschusses nicht. Vielmehr fand die Definition des ‚Öffentlichen Auftraggebers‘ unverändert Eingang in die Vergabekoordinierungs-RL 2004/18/EG.

725 Vgl. Europäische Kommission, Erster Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge, Dienstleistungsaufträge und Bauaufträge vom 30.8.2000, KOM (2000) 275 endg./2, S. 14. 726 Siehe hierzu grds. auch Europäisches Parlament, Rat, Kommission, Gemeinsame Erklärung zu den praktischen Modalitäten des neuen Mitentscheidungsverfahrens (Artikel 251 EGVertrag), ABl. 1999 C 148/1. 727 Vgl. Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss, Stellungnahme zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge, Dienstleistungsaufträge und Bauaufträge“, ABl. 2001 C 193/2, S. 9. 728 Ebd. 729 Vgl. Europäische Kommission, Entwurf einer Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen im Bereich Konzessionen und gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen zum öffentlichen Auftragswesen, ABl. 1999 C 94/4.

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Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts Schaubild 3 Wortlautvergleich von Art. 1 Abs. 9 RL 2004/18/EG und dem vorherigen Richtlinienrecht730 731

Alt: Art.  1 b)  der Dienstleistungskoordinie- Neu: Art.  1 Abs.  9 Vergabekoordinierungsrungs-RL 92/50/EWG und der Lieferkoordi- RL 2004/18/EG nierungs-RL 93/36/EWG sowie der Baukoordinierungs-RL 93/37/EWG, Art. 2 Abs. 1 lit. a) der Sektorenkoordinierungs-RL 93/38/EWG Im Sinne dieser Richtlinie gelten als „öffentliche Auftraggeber“ (im folgenden „Auftraggeber“ genannt)730 der Staat, Gebietskörperschaften, Einrichtungen des öffentlichen Rechts und Verbände, die aus einer oder mehreren dieser Körperschaften oder Einrichtungen bestehen.

„Öffentliche Auftraggeber“ sind der Staat, die Gebietskörperschaften, die Einrichtungen des öffentlichen Rechts und die Verbände, die aus einer oder mehreren dieser Körperschaften oder Einrichtungen des öffentlichen Rechts bestehen.

Als „Einrichtung des öffentlichen Rechts“ gilt jede Einrichtung,

Als „Einrichtung des öffentlichen Rechts“ gilt jede Einrichtung, die

–  die zu dem besonderen Zweck gegründet a)  zu dem besonderen Zweck gegründet wurde, im Allgemeininteresse liegende Auf- wurde, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben zu erfuellen, die nicht gewerblicher gaben nicht gewerblicher Art zu erfuellen, Art sind, und – die Rechtspersönlichkeit besitzt und

b) Rechtspersönlichkeit besitzt und

– die überwiegend vom Staat, von Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts finanziert wird oder die hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht durch letztere unterliegt oder deren Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan mehrheitlich aus Mitgliedern besteht, die vom Staat, von Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts ernannt worden sind.

c) überwiegend vom Staat, von Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts finanziert wird, hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht durch Letztere unterliegt oder deren Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan mehrheitlich aus Mitgliedern besteht, die vom Staat, von den Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts ernannt worden sind.

Die Verzeichnisse der Einrichtungen des öffentlichen Rechts und der Kategorien solcher Einrichtungen, die die in Unterabsatz 2 dieses Buchstabens genannten Kriterien erfuellen, sind in Anhang I der Richtlinie 71/305/ EWG enthalten. Diese Verzeichnisse sind so vollständig wie möglich und können nach dem Verfahren gemäß Artikel 30b der Richtlinie 71/305/EWG revidiert werden;731

Die nicht erschöpfenden Verzeichnisse der Einrichtungen und Kategorien von Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die die in Unterabsatz 2 Buchstaben a, b und c genannten Kriterien erfuellen, sind in Anhang III enthalten. Die Mitgliedstaaten geben der Kommission regelmäßig die Änderungen ihrer Verzeichnisse bekannt.

730

Dieser Klammerzusatz findet sich nur in Art. 1 lit. b) Dienstleistungskoordinierungs-RL 92/50/EWG. 731 Die Verweise auf die Verzeichnisse im Anhang divergieren naturgemäß zwischen den Richtlinien.

B. Die Europäisierung des Vergaberechts als „Rechtsrevolution“ 

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3. Der separate Regelungsaufbau für die Sektorenauftraggeber Dass der sog. „Sektorenbereich“ weiterhin separat in der neuen Sektorenkoordinierungs-RL 2004/17/EG geregelt wurde, blieb seinem besonderen Wesensgehalt geschuldet. Der Ansatz, nicht primär an die Auftragsart (Bau-, Liefer- oder Dienstleistung) anzuknüpfen, sondern an die Sektoren (Wasser, Energie, Verkehr und Telekommunikation), bedurfte eines gesonderten Regelungsaufbaus. Die Entscheidung, die Sektoren mit in den Anwendungsbereich des Vergaberechts aufzunehmen, war lange an der Besonderheit der vornehmlich privatrechtlichen bzw. privatrechtlich konstituierten Sektorenauftraggeber gescheitert.732 Die erstmalige Einbeziehung der Sektoren mit der Sektorenvergabe-RL 90/531/EWG und wenig später der Sektorenkoordinierungs-RL 93/38/EWG kam einem Systembruch gleich, da nicht an die Staatseigenschaft oder Staatszurechenbarkeit angeknüpft wurde, sondern eher an eine „Staatsähnlichkeit“. Diese resultierte aus den Sonderrechten oder ausschließlichen Rechten für die Versorgung, Bereitstellung oder Betreibung von Netzen, die meist den Sektorenauftraggebern von den einzelstaatlichen Behörden eingeräumt wurden.733 Aus Sicht des Gesetzgebers führte dieser Umstand zu einer besonderen Abschottung der Märkte im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor.734 Da die mit der Sektorenvergabe-RL 90/531/EWG, der Sektorenkoordinierungs-RL 93/38/EWG und anschließend mit der Vergabekoordinierungs-RL 2004/18/EG ergriffenen Maßnahmen zur Beseitigung der Wettbewerbs- und Marktzugangshindernisse im Sektorenbereich an diese Abschottung als gemeinschaftsrechtswidrigem Zustand anknüpfen, haben ihre Regelungen potenziell nur eine temporär begrenzte Daseinsberechtigung. Herrscht in einem Bereich echter Wettbewerb, würde der Normzweck – die Öffnung der abgeschotteten Märkte – entfallen und eine Einbeziehung in den Anwendungsbereich des Vergaberechts unangemessen erscheinen. Dies erkannte der Gesetzgeber im 5. Erwägungsgrund der Sektorenkoordinierungs-RL 2004/17/EG für den Bereich der Telekommunikation an: „Der Anwendungsbereich der Richtlinie 93/38/EWG umfasst gegenwärtig bestimmte Aufträge, die von Auftraggebern im Telekommunikationssektor vergeben werden. Zur Liberalisierung dieses Sektors wurde ein Rechtsrahmen geschaffen, der im Vierten Bericht über die Umsetzung des Reformpakets für den Telekommunikationssektor vom 25.  November 1998 genannt wird. Eine Folge davon war, dass in diesem Sektor de facto und de jure echter Wettbewerb herrscht. Angesichts dieser Lage hat die Kommission zur Information eine Liste der Telekommunikationsdienstleistungen (1) veröffentlicht, die gemäß Artikel 8 der genannten Richtlinie bereits von deren Anwendungsbereich ausgenommen werden können.“

732

Siehe oben, S. 116 f. Vgl. 11. Erwägungsgrund der Sektorenvergabe-RL 90/531/EWG. 734 Vgl. 3. Erwägungsgrund der Sektorenkoordinierungs-RL 2004/17/EG. 733

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Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

Der Gemeinschaftsgesetzgeber schrieb dem vergaberechtlichen Richtlinienrecht für den Sektorenbereich damit bereits 2004 einen zeitlich begrenzten Charakter zu, abhängig vom Fortschritt der Entwicklung hin zu einem echten Wettbewerb. 4. Die Rechtsmittelrichtlinienreform Im Zuge der Modernisierung der Vergaberichtlinien wurde mit der Nachprü­ fungs-­RL 2007/66/EG der Bestand der Rechtsmittelvorschriften der Nachprüfungs-­ RL 89/665/EWG für die Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge und schließlich der Sektorennachprüfungs-RL 92/13/EWG für den Sektorenbereich konsolidiert. Insbesondre sollten die auch der Sektorenkoordinierungs-RL 2004/17/EG und der Vergabekoordinierungs-RL 2004/18/EG zugrunde liegenden Prinzipien des freien Warenverkehrs, des freien Dienstleistungsverkehrs und der Niederlassungsfreiheit sowie den sich daraus ableitenden Grundsätzen Gleichbehandlung, gegenseitige Anerkennung, Verhältnismäßigkeit und Transparenz stärkeren Ausdruck in den Vorschriften finden.735 Neben dem erklärten Ziel, die Vorschriften der Nachprüfungs-RL 89/665/EWG und der Sektorennachprüfungs-RL 92/13/EWG aneinander anzugleichen und die Bestimmungen über die Nachprüfungsverfahren klarer und wirksamer zu gestalten, sollte „der Geist des Artikels 47 der Charta der Grundrechte der Europäische Union“736 in den Richtlinien Niederschlag finden. Die Garantie des Art. 47 GRCh, wonach jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht hat, erforderte eine Beseitigung der großen Unterschiede in den Mitgliedstaaten hinsichtlich der Wirksamkeit der Nachprüfungsverfahren im Bereich des öffentlichen Auftragswesens.737 Zur Erreichung dieses Ziels wurden drei Rechtsinstrumente eingeführt: Die Stillhaltefrist vor Vertragsschluss gem. Art. 2a Nachprüfungs-RL 2007/66/EG, der Suspensiveffekt bei Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens gem. Art. 1 Abs. 5 und die Möglichkeit, Verträge aufgrund von Verstößen gegen das Vergaberecht von den Nachprüfstellen als unwirksam erklären zu lassen gem. Art. 2d Abs. 1 a) – c) der Richtlinie.738 Die Nachprüfungs-RL 2007/66/EG „stellt anhand einheitlicher Standards sicher, dass allen Teilnehmern an öffentlichen Ausschreibungen in allen Mitglied 735

Vgl. Europäische Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 89/665/EWG und 92/13/EWG des Rates zwecks Verbesserung der Wirksamkeit der Nachprüfungsverfahren im Bereich des öffentlichen Auftragswesens, KOM (2006) 195 endg., S. 3. 736 Ebd., S. 3. 737 Ebd., S. 7. 738 Vgl. hierzu auch ausführlich Ingelore Seidel/Susanne Mertens, H.  Wettbewerbsregeln, IV. Öffentliches Auftragswesen, in: Dauses, EU-Wirtschaftsrecht (25. Ergänzungslieferung), Rn. 319 ff.

B. Die Europäisierung des Vergaberechts als „Rechtsrevolution“ 

177

staaten die erforderlichen Rechtsmittel zum Schutz ihrer Rechte im Rahmen des EU-Rechts zur Verfügung stehen“, so die Kommission.739 5. Die Regelung der Bereiche Verteidigung und Sicherheit Ursprünglich waren Aufträge vom Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien ausgenommen, deren Inhalt für geheim erklärt worden war oder deren Durchführung „besondere Sicherheitsmaßnahmen“ bzw. „den Schutz wesentlicher Interessen der Staatssicherheit“ erforderte.740 Erst mit den Basisrichtlinien von 1992/93 galten die Vorschriften der Richtlinie gem. Art. 4 Abs. 1 Dienstleistungskoordinierungs-RL 92/50/EWG, Art. 3 Lieferkoordinierungs-RL 93/36/EWG grundsätzlich auch für öffentliche Dienstleistungs- und Lieferaufträge durch Auftraggeber im Bereich der Verteidigung.741 Hiervon ausgenommen waren jedoch jene Aufträge, die unter den Ausnahmetatbestand des primärrechtlichen Art. 223 EWG (heute Art. 346 AEUV) von den Binnenmarktregeln aufgrund besonderer Sicherheitsinteressen der Mitgliedstaaten fielen.742 Ebenso blieb der Vorbehalt für besonders sicherheitsrelevante Belange der Mitgliedstaaten bestehen.743 Die Kommission hatte erkannt, dass die grundsätzliche Anwendbarkeit der allgemeinen Vergaberichtlinie auf Rüstungsbeschaffungen die Beschaffungspolitik der Mitgliedstaaten für Verteidigungsgüter aufgrund des Vorbehalts des Art. 223 EWG (Art. 346 AEUV) nicht ändern würde. Sie schlug daher in ihrem Grünbuch zur Beschaffung von Verteidigungsgütern744 vor, eine „speziell auf die Beschaffung von Verteidigungsgütern ausgerichtete Vergaberichtlinie“745 zu erarbeiten. Die im Ergebnis dieser Bestrebungen am 21.8.2009 in Kraft getretene Verteidigungsgüter-RL 2009/81/EG orientiert sich in Aufbau und Struktur an der Vergabekoordinierungs-RL 2004/18/EG sowie an der Sektorenkoordinierungs-RL 2004/17/EG und verweist in Teilen auf die allgemeinen Regelungen wie etwa in 739

Europäische Kommission, 28. Jahresbericht über die Kontrolle der Anwendung des EURechts (2010), KOM (2011) 588 endg., S. 11. 740 Vgl. Art. 9 lit. e) Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG, Art. 6 g) Lieferkoordinierungs-RL 77/62/EWG. 741 Eine entsprechende Regelung fehlte in der Baukoordinierungs-RL 93/37/EWG für Bauaufträge. 742 Zur Bedeutung des Art. 246 AEUV für den Europäischen Binnenmarkt, vgl. ausführlich Dominik Eisenhut, Europäische Rüstungskooperation. 743 Vgl. Art. 4 Abs. 2 Dienstleistungskoordinierungs-RL 92/50/EWG, Art. 2 Abs. 1 lit. b) Lieferkoordinierungs-RL 93/36/EWG, Art. 4 lit. b) Baukoordinierungs-RL 93/37/EWG, Art. 10 Sektorenkoordinierungs-RL 93/38/EWG. 744 Europäische Kommission, Grünbuch zur Beschaffung von Verteidigungsgütern vom 23.9.2004, KOM (2004) 608 endg.. 745 Dominik Eisenhut, Europäische Rüstungskooperation, S. 362.

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Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

Art. 1 Nr. 17 Verteidigungsgüter-RL 2009/81/EG auf die Definition des „Auftraggebers“ in Art. 1 Abs. 9 Vergabekoordinierungs-RL 2004/18/EG und Art. 2 Abs. 1 lit. a) Sektorenkoordinierungs-RL 2004/17/EG. 6. Die Umsetzung im deutschen GWB Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 26.8.1998, das in seinem 4. Teil  die wesentlichen, einfachgesetzlichen Regelungen des Vergaberechts beinhaltet, war bis zu seiner Modernisierung 2009 25-mal geändert worden. a) Änderungshistorie des GWB seit 1998 Änderungen am vergaberechtlichen Teil  des Gesetzes durch das Mietrechtsreformgesetz vom 19.6.2001746, die drei Zuständigkeitsanpassungsverordnungen747, das Siebte Gesetz zur Änderung des GWB vom 7.7.2005748, das Gesetz zur Novellierung des Verwaltungszustellungsrechts (VwZRNovG) vom 12.8.2005749, das Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft (SVRAStärkG) vom 26.3.2007750 und Preismissbrauchsbekämpfungsgesetz vom 18.12.2007751 waren nur redaktioneller Natur. Die einzigen wohl wesentlichen Änderungen geschahen mit der Anpassung der §§ 99 und 101 GWB durch das PPP-Beschleunigungsgesetz vom 1.9.2005752 und dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenkasse vom 17.12.2008753. Mit diesem wurden die §§ 116 Abs. 3 S. 1 und 124 Abs. 2 S. 1 GWB dahingehend geändert, dass in be 746

Gem Art. 7 Abs. 33 des Gesetzes zur Neugliederung, Vereinfachung und Reform des Mietrechts vom 19.6.2001 (BGBl. I 2001, 1149) wurde § 99 Abs. 2 und § 100 Abs. 2 h) GWB redaktionell geändert („Miet- und Pachtverhältnisse“ anstelle „Miete oder Pacht“). 747 7., 8., 9.  Zuständigkeitsanpassungsverordnung vom 29.10.2001 (BGBl. I 2001, 2785), vom 25.11.2003 (BGBl. I 2003, 2304), vom 31.10.2006 (BGB I 2006, 2407). 748 Siebtes Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB ÄndG 7) vom 7.7.2005 (BGBl. I 2005, 1954): redaktionelle Änderung des § 100 Abs. 2 e) und § 111 Abs. 2 S. 1 GWB. 749 Gesetz zur Novellierung des Verwaltungszustellungsrechts (VwZRNovG) vom 12.8.2005 (BGBl. I 2005, 2354). 750 Mit Art. 7 Abs. 11 wurden u. a. in §§ 117 Abs. 3 S. 1 und § 120 Abs. 1 S. 1 GWB die Wörter „bei einem deutschen Gericht zugelassenen“ gestrichen. Zum europarechtlichen Hintergrund vgl. auch Gesetz über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland vom 9.3.2000 (BGBl. I 2000, 182). 751 Gesetz zur Bekämpfung von Preismissbrauch im Bereich der Energieversorgung und des Lebensmittelhandels (PreismissbrBekG) vom 18.12.2007 (BGBl. I 2007, 2966). 752 Gesetz zur Beschleunigung der Umsetzung von Öffentlich Privaten Partnerschaften und zur Verbesserung gesetzlicher Rahmenbedingungen für Öffentlich Private Partnerschaften (ÖPPBeschlG) vom 1.9.2005 (BGBl. I 2005, 2676). 753 Vgl. Art. 2c Nr. 1 und 2 Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-OrgWG) vom 15.12.2008 (BGBl. I 2008, 2426).

B. Die Europäisierung des Vergaberechts als „Rechtsrevolution“ 

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stimmten Fällen anstelle der Oberlandesgerichte bzw. des Bundesgerichtshofs die Landessozialgerichte bzw. das Bundessozialgericht zuständig sind. Diese Änderung wurde mittlerweile mit dem Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 22.12.2010 wieder rückgängig gemacht.754 b) Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts (VgRModG) vom 20.4.2009 Anlässlich der eigentlich bis zum 31.1.2006 in nationales Recht umzusetzenden Vergabekoordinierungs-RL 2004/18/EG und der Sektorenkoordinierungs-RL 2004/17/EG wurde mit dem Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20.4.2009 (VgRModG) eine umfassende Revision der Vorschriften des 4. Teils des GWB vorgenommen.755 Die Bundesregierung hatte bereits in ihrem Koalitionsvertrag vom 11.11.2005756 die „Vereinfachung und Modernisierung des Vergaberechts im bestehenden Rechtssystem“757 beschlossen. Konkretisiert wurde dies durch den Beschluss der Bundesregierung über Schwerpunkte zu Vereinfachung des Vergaberechts im bestehenden System vom 28.6.2006.758 Hierin hieß es u. a., man wolle die Transparenz bei allen Vergabeverfahren erhöhen, die Vorgaben des EUVergaberechts 1:1 umsetzen, keine strengeren Verpflichtungen als vom EU-Recht gefordert für die Auftraggeber einführen, besonders auf eine mittelstandsgerechte Ausgestaltung des künftigen Vergaberechts achten und die Rechtsschutzverfahren auf ihre Effizienz überprüfen.759 Ziel war also, im Zuge der Umsetzung der Richtlinienvorgaben den 4. Teil des GWB „mittelstandsgerecht“760 zu modernisieren.761 Ebenso wie die Richtlinien bezweckte die Änderung die Vereinfachung und Klarstellungen, insbesondere zum Anwendungsbereich, sowie „Straffungen im Rechtsschutz“762. Die Sanktionierung der bislang folgenlosen rechtswidrigen De-Facto-Vergaben und die Verbesserung 754 Vgl. Art.  3 Nr.  2 und 3 des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung (Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz  – AMNOG) vom 22.12.2010 (BGBl. I 2010, 2262). 755 Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20.4.2009 (BGBl. I 2009, 790). 756 CDU, CSU und SPD, Koalitionsvertrag „Gemeinsam für Deutschland  – mit Mut und Menschlichkeit“ vom 11.11.2005, zugänglich über http://www.cdu.de. 757 Deutscher Bundesrat, Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts vom 23.5.2008 (BR-Drs. 249/08) S. 19. 758 Deutsche Bundesregierung, Beschluss über Schwerpunkte zur Vereinfachung des Vergaberechts im bestehenden System vom 28.6.2006, abgedruckt in Anhang III zu dieser Arbeit. 759 Ebd., S. 1. 760 Deutsche Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts vom 13.8.2008 (BT-Drs. 16/10117) S. 1. 761 Vgl. insbesondere die mit Artikel 1 Nr. 2 VgRModG neu gefasste „Mittelstandsklausel“ in § 97 Abs. 3 und 4 GWB. 762 Deutsche Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts vom 13.8.2008 (BT-Drs. 16/10117) S. 1.

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Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

von Effizienz und Beschleunigung der Nachprüfungsverfahren standen hierbei im Vordergrund. Bemerkenswert war die Überführung einiger Vorschriften der Vergabeverordnung in das GWB (so etwa die Zuständigkeit der Vergabekammern und der Statistikpflichten).763 aa) Fortsetzung der Trennung des Vergaberechts Beibehalten wurde die Trennung des deutschen Vergaberechts entlang der Schwellenwerte der europäischen Vergaberichtlinien. Für den Unterschwellenwertbereich galten die Regeln des 4. Teils des GWB weiterhin nicht. Nachdem das Bundesverfassungsgericht die Anforderungen des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs nach Art. 20 Abs. 3 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG764 für den Unterschwellenwertbereich als nicht verletzt sah,765 schien es für den Gesetzgeber – zumindest aus verfassungsrechtlicher – Perspektive keinen Anlass für eine Ausweitung des Vergaberechtsschutzes nach dem GWB auch auf diesen Bereich zu geben. bb) Die Anpassung der Definition des „Öffentlichen Auftraggebers“ nach § 98 GWB Der Öffentliche Auftraggeberbegriff erfuhr mit der Vergaberechtsmodernisierung durch das VgModG nur hinsichtlich der Auftraggeber eine Anpassung, die in den Sektorenbereichen tätig sind. Zum einen wurde der Telekommunikationssektor aus dem Anwendungsbereich genommen. Dies war für den Anwendungsbereich der Vergabeordnung bereits zuvor auf der Grundlage der Entscheidung der Kommission vom 3.6.1999766 geschehen.767 Danach galten die detaillierten Vergabeverfahrensregelungen der Verdin 763 Vgl. insbesondere §§ 98 Nr. 4 und 100 Abs. 2 GWB, die die bisherigen Regelungen der §§ 7 und 8 VgV zu den Sektorenbereichen übernahmen, sowie §§ 101a und 101b GWB, die die bislang in § 13 VgV normierte Informations- und Wartepflicht des öffentlichen Auftraggebers beinhalten. Vgl. hierzu auch ausführlich Tobias Schneider, Einleitung, in: Kappelmann/Messerschmidt, VOB A/B – Kommentar, Rn. 9. 764 Vgl. zum grundrechtlich gebotenen Rechtsschutz unten, S. 292 ff. 765 BVerfG vom 13.6.2006 (1 BvR 1160/93) = NZBau 2006, S. 791. 766 Die Entscheidung der Kommission basierte auf Art. 8 Abs. 2 Sektorenkoordinierungs-RL 93/38/EWG, wonach die Kommission Listen jener Dienstleistungen, die ihres Erachtens vom Anwendungsbereich auszunehmen sind, im Amtsblatt veröffentlichen konnte, vgl. Europäische Kommission, Mitteilung gemäß Artikel 8 der Richtlinie 93/28/EWG vom 3.6.1999, ABl. 1999 C 156/3. Diese Liste basierte auf der Wettbewerbslage, auf die sich der Gerichtshof 1996 bei der Auslegung des entsprechenden Artikels der damals geltenden Sektorenvergabe-RL 90/531/ EWG in einem Vorabentscheidungsgesuch des britischen High Court of Justice berufen hatte; vgl. EuGH 1996, I-1631 (C-392/93) – British Telecommunications. 767 Der ursprüngliche § 4 Abs. 3 Nr. 8 der Vergabeverordnung vom 22.2.1994 (BGBl. I 1994, 321) wurde mit der Ersten Verordnung zur Ändernung der Vergabeverordnung (VgVÄndV) vom 29.9.1997 (BGBl. I 1997, 2384) aufgehoben.

B. Die Europäisierung des Vergaberechts als „Rechtsrevolution“ 

181

gungsordnungen nicht mehr für den Telekommunikationssektor, die allgemeinen Regeln des 4. Teils GWB jedoch schon. Mit dem 5. Erwägungsgrund der Sektorenkoordinierungs-RL 2004/17/EG war jetzt auch im Richtlinienrecht klargestellt, dass es nicht länger notwendig ist, „die Beschaffungstätigkeit von Auftraggebern dieses Sektors zu regeln“768. Die Gelegenheit der Vergaberechtsmodernisierung nutzte die Bundesregierung, um die im Bereich des Telekommunikationssektors tätigen Unternehmen nun auch vom Anwendungsbereich des 4. Teils des GWB und damit von allen Vergabevorschriften auszunehmen.769 Von der Möglichkeit der Sektorenkoordinierungs-RL 2004/17/EG, die Postdienste als Sektorentätigkeit aufzunehmen, sah die Bundesregierung „unter Berücksichtigung des jeweiligen Liberalisierungsstandes im Postbereich“770 wegen des bereits Ende 1997 aufgehobenen Briefmonopols771 ab. Die Ausdifferenzierung des Tatbestandsmerkmals der „besonderen und ausschließlichen Rechte“ zur Bestimmung der Sektorenauftraggeber mittels einer neu eingefügten Legaldefinition in § 98 Nr. 4 GWB hatte ihren Ursprung in Art. 2 Abs.  3 RL Sektorenkoordinierungs-RL 2004/17/EG. Folge der neuen Definition war, dass, „wenn in einem Mitgliedstaat keine rechtlichen Privilegierungen zur Ausübung einer Sektorentätigkeit mehr bestehen, privatrechtlich organisierte und von Privatpersonen beherrschte Unternehmen in den Sektorenbereichen nicht mehr als öffentliche Auftraggeber erfasst werden“772. § 98 Nr. 5 GWB wurde gemäß der Vorgabe des Art. 8 Vergabekoordinierungs-RL 2004/18/EG um die „juristischen Personen des öffentlichen Rechts“ ergänzt. Die Definition der Baukonzession aus § 98 Nr. 6 GWB wurde zur Klarstellung als eigenständige Definition in § 99 Abs. 6 GWB überführt. Insgesamt stellten die Änderungen zum Tatbestand der Sektorenauftraggeber eine sinnvolle und die Rechtssicherheit verbessernde Weiterentwicklung dar. Insbesondere die neue Legaldefinition des Tatbestandsmerkmals der „besonderen und ausschließlichen Rechte“ bedeutete eine wesentliche Verbesserung der Rechtsklarheit.

768

Vgl. 5. Erwägungsgrund der Sektorenkoordinierungs-RL 2004/17/EG. Deutsche Bundesregierung, Begründung im Einzelnen zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts (BT-Drs. 16/10117) S. 17. 770 Ebd. 771 Vgl. § 51 Abs. 1 S. 1 PostG (BGBl. I 1997, 3294): „Bis zum 31. Dezember 2007 steht der Deutschen Post AG das ausschließliche Recht zu, Briefsendungen und adressierte Kataloge, deren Einzelgewicht bis 50 Gramm und deren Einzelpreis weniger als das Zweieinhalbfache des Preises für entsprechende Postsendungen der untersten Gewichtsklasse beträgt, gewerbsmäßig zu befördern (gesetzliche Exklusivlizenz).“ 772 Deutsche Bundesregierung, Begründung im Einzelnen zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts (BT-Drs. 16/10117) S. 17. 769

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Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts Schaubild 4 Wortlautvergleich von § 98 GWB (1998) und § 98 GWB (2009)

Alt: § 98 GWB (1998)

Neu: § 98 GWB (2009)

Öffentliche Auftraggeber im Sinne dieses Teils sind:

Öffentliche Auftraggeber im Sinne dieses Teils sind:

1. […],

1. […],

2. […],

2. […],

3. […],

3. […],

4. natürliche oder juristische Personen des privaten Rechts, die auf dem Gebiet der Trinkwasser- oder Energieversorgung oder des Verkehrs tätig sind, wenn diese Tätigkeiten auf der Grundlage von besonderen oder ausschließlichen Rechten ausgeübt werden, die von einer zuständigen Behörde gewährt wurden, oder wenn Auftraggeber, die unter Nummern 1 bis 3 fallen, auf diese Personen einzeln oder gemeinsam einen beherrschenden Einfluss ausüben können; besondere oder ausschließliche Rechte sind Rechte, die 5. natürliche oder juristische Personen des dazu führen, dass die Ausübung dieser Tätigprivaten Rechts in den Fällen, in denen sie für keiten einem oder mehreren Unternehmen Tiefbaumaßnahmen, für die Errichtung von vorbehalten wird und dass die Möglichkeit Krankenhäusern, Sport-, Erholungs- oder anderer Unternehmen, diese Tätigkeit ausFreizeiteinrichtungen, Schul-, Hochschul- zuüben, erheblich beeinträchtigt wird. Tätigoder Verwaltungsgebäuden oder für damit in keiten auf dem Gebiet der Trinkwasser- und Verbindung stehende Dienstleistungen und Energieversorgung sowie des Verkehrs sind Auslobungsverfahren von Stellen, die unter solche, die in der Anlage aufgeführt sind, Nummern 1 bis 3 fallen, Mittel erhalten, mit 5. natürliche oder juristische Personen des denen diese Vorhaben zu mehr als 50 vom privaten Rechts sowie juristische Personen des öffentlichen Rechts, soweit sie nicht unter Hundert finanziert werden, 6. natürliche oder juristische Personen des Nummer 2 fallen, in den Fällen, in denen sie privaten Rechts, die mit Stellen, die unter für Tiefbaumaßnahmen, für die Errichtung Nummern 1 bis 3 fallen, einen Vertrag über von Krankenhäusern, Sport-, Erholungs- oder die Erbringung von Bauleistungen abge- Freizeiteinrichtungen, Schul-, Hochschulschlossen haben, bei dem die Gegenleistung oder Verwaltungsgebäuden oder für damit in für die Bauarbeiten statt in einer Vergütung Verbindung stehende Dienstleistungen und in dem Recht auf Nutzung der baulichen An- Auslobungsverfahren von Stellen, die unter lage, ggf. zuzüglich der Zahlung eines Prei- Nummern 1 bis 3 fallen, Mittel erhalten, mit ses besteht, hinsichtlich der Aufträge an denen diese Vorhaben zu mehr als 50 vom Hundert finanziert werden, Dritte (Baukonzession). 4. natürliche oder juristische Personen des privaten Rechts, die auf dem Gebiet der Trinkwasser- oder Energieversorgung oder des Verkehrs oder der Telekommunikation tätig sind, wenn diese Tätigkeiten auf der Grundlage von besonderen oder ausschließlichen Rechten ausgeübt werden, die von einer zuständigen Behörde gewährt wurden, oder wenn Auftraggeber, die unter Nummern 1 bis 3 fallen, auf diese Personen einzeln oder gemeinsam einen beherrschenden Einfluss ausüben können,

6. natürliche oder juristische Personen des privaten Rechts, die mit Stellen, die unter die Nummern 1 bis 3 fallen, einen Vertrag über eine Baukonzession abgeschlossen haben, hinsichtlich der Aufträge an Dritte.

B. Die Europäisierung des Vergaberechts als „Rechtsrevolution“ 

183

VIII. Das modernisierte Richtlinienrecht der vierten Generation von 2014 Mit den Richtlinien 2014/23/EU vom 26.2.2014 über die Konzessionsvergabe773, 2014/24/EU vom 26.2.2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG774 und 2014/25/EU vom 26.2.2014 über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energieund Verkehrsversorgung sowie der Postdienste und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/17/EU775 sind drei neue Vergaberichtlinien in Kraft getreten, die bisherigen Vergabekoordinierungsrichtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG ersetzen. Sie waren von den Mitgliedstaaten bis spätestens zum 18.4.2016 umzusetzen.776 1. Hintergrund Mit der Strategie Europa 2020 für ein intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum in Europa777 legte die Europäische Kommission 2010 eine Agenda zur Überwindung der Wirtschafts- und Finanzkrise vor. Unter dem Stichpunkt „Innovationsunion“ setzte sie sich zum Ziel, die Rahmenbedingungen für Unternehmensinnovationen zu verbessern. Neben der Modernisierung des urheber- und markenrechtlichen Rahmens und dem Schutz der Rechte an geistigem Eigentum sollte die öffentliche Auftragsvergabe reformiert werden. Gerade das Vergaberecht harmoniert mit der Idee der Steigerung der Haushaltsdisziplin und -konsolidierung sowie der langfristigen Stabilisierung der öffentlichen Finanzen, so die­ Überlegungen. Mit der Binnenmarktakte vom 20. Oktober 2010778 leitete die Kommission den Umsetzungsprozess im Bereich des Vergaberechts ein. Um bis spätestens Anfang 2012 Richtlinienentwürfe vorlegen zu können, trug sie im Januar 2011 alle Reformüberlegungen in einem Grünbuch über die Modernisierung der euro­ päischen Politik im Bereich des öffentlichen Auftragswesens779 zusammen. Ganz im Sinne der Strategie 2020 stand die Steigerung der Effizienz öffentlicher Auftragsvergabe sowie die Erweiterung der Vergabemöglichkeiten unter Berücksich 773

ABl. 2014 L 94/1 (Konzessionsvergabe-RL). ABl. 2014 L 94/65 (Vergabe-RL). 775 ABl. 2014 L 94/243 (Sektoren-RL). 776 Vgl. die Umsetzungsfristen in Art. 107 Konzessionsvergabe-RL 2014/23/EU und Art. 91 Vergabe-RL 2014/24/EU sowie für die neue Konzessionsrichtlinie Art. 51 Abs. 1 Konzessionsvergabe-RL 2014/23/EU. 777 Europäische Kommission, Mitteilung vom 3.3.2010, KOM (2010) 2020 endg. 778 Europäische Kommission, Auf dem Weg zu einer Binnenmarktakte – für eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft, Mitteilung vom 27.10.2010, KOM (2010) 608 endg. 779 Europäische Kommission, Grünbuch über die Modernisierung der europäischen Politik im Bereich des öffentlichen Auftragswesens, Mitteilung vom 27.1.2011, KOM (2011) 15 endg. 774

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Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

tigung gesellschaftlicher Ziele (wie Umweltschutz, Förderung von Innovationen und Wissenschaft sowie sozialer Belange) im Vordergrund. Neben den politischen Erwägungen galt es auch die in der Praxis zutage getretenen technischen, verfahrensrechtlichen und definitorischen Schwächen des Vergabewesens zu beseitigen. Auch warf das Grünbuch die Frage auf, inwiefern „der Begriff der ‚Einrichtung des öffentlichen Rechts‘ im Lichte des EuGH-Fallrechts präzisiert und aktualisiert werden“780 muss. In der Mitteilung vom 13.  April 2011781 nannte die Kommission die Überarbeitung und Modernisierung des Vergaberechts als eine von zwölf Maßnahmen zur Förderung von Wachstum und Vertrauen auf dem Europäischen Binnenmarkt. Sie wiederholte die Absicht, bis Ende 2012 den rechtlichen Rahmen für die öffentliche Auftragsvergabe neu und vor allem flexibler zu gestalten. Einerseits führe die Steigerung der Effizienz der Vergabepolitik der öffentlichen Hand zu einer verbesserten Ausgabendisziplin, andererseits werde der auf Transparenz, Nicht­diskriminierung und Optimierung der Ressourcenallokation beruhende Wettbewerb auf dem Binnenmarkt verbessert. Der (europa-)rechtliche Rahmen sollte für effizientere, schnellere und günstigere Vergabeverfahren optimiert werden, die es der öffentlichen Hand ermöglichen, zunehmend die Belange des Umweltschutzes, der Förderung von Innovation und sozialer Aspekte im Rahmen der EU-Ziele zu verfolgen. Auch wollte man es der öffentlichen Hand ermöglichen, zukünftig das Instrument der Vergabe teilweise zur Verfolgung anderer Politiken nutzen zu können. Die Antwort auf die Reformüberlegungen fand sich zunächst in den am 20. Dezember 2011 vorgelegten Richtlinienentwürfen der Kommission, die mit Wirkung zum 30. Juni 2014 das bestehende Vergabesekundärrecht782 ersetzen sollten. Die ersten Entwürfe sahen vor eine allgemeine Richtlinie über die öffentliche Auftragsvergabe783, eine Richtlinie über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste784 und erstmals ein Regelwerk zur Vergabe von Konzessionen785. Die Vorschläge befanden sich von 2011 bis März 2014 im Gesetzgebungsverfahren. Sie waren dabei Gegenstand kontroverser Auseinandersetzungen zwischen Rat, Kommission und Parlament.

780

Ebd., S. 11. Europäische Kommission, Binnenmarktake: Zwölf Hebel zur Förderung von Wachstum und Vertrauen, Mitteilung vom 13.4.2011, KOM (2011) 206 endg. 782 Bestehend aus Sektorenkoordinierungs-RL 2004/17/EG und Vergabekoordinierungs-RL 2004/18/EG. Bestehen bleiben sollte die Verteidigungsgüter-RL 2009/81/EG. Erstmalig hinzukommen sollte nach den Plänen der Kommission eine Richtlinie über die Konzessionsvergabe, vgl. hierzu KOM (2011) 897 endg. 783 KOM (2011) 896 endg. = VKR-Entwurf. 784 KOM (2011) 895 endg. = SKR-Entwurf. 785 KOM (2011) 897 endg. 781

B. Die Europäisierung des Vergaberechts als „Rechtsrevolution“ 

185

2. Zielsetzungen Während die Richtlinienprogramme der zweiten und dritten Generation auf die mannigfaltigen Probleme bei der Umsetzung und Anwendung der Vergaberegeln reagieren und die vielfach komplizierten und ineffizienten Regelungen konsolidieren und reformieren mussten,786 setzt das modernisierte Richtlinienrecht den Weg fort, der mit den vorangegangenen Richtlinien eingeschlagen wurde. Ziel ist es nach wie vor, die Vergabeverfahren effizienter, einfacher und flexibler zu gestalten.787 Auch soll die Teilnahme kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) an Vergabeverfahren erleichtert werden.788 Der Unionsgesetzgeber kommt mit den Richtlinien auch den Bedürfnissen der Mitgliedstaaten entgegen, die öffentliche Auftragsvergabe auch zur Unterstützung und Berücksichtigung strategischer, insbesondere sozialer, umweltbezogener und innovativer Aspekte zu berücksichtigen.789 Zentrale Neuerung ist die – im Gesetzgebungsverfahren umstrittene – Einführung der grundsätzlich zwingenden790 elektronischen Vergabe einschließlich der elektronischen Angebotsabgabe.791 Die elektronische Kommunikation im Vergabeverfahren soll die Regel werden.792 Nach der Konzeption der modernisierten Richtlinien sollen mit der sog. eVergabe die Kosten und der Zeitaufwand für die Wirtschaft, aber auch die Vergabestellen erheblich minimiert werden.793 Wie bereits mit den vorangegangenen Richtliniengenerationen schrieb sich die EU auf die Fahnen, mit den Richtlinien „grundlegende Begriffe und Konzepte zu klären, um Rechtssicherheit zu gewährleisten und bestimmten Aspekten der einschlägigen ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union Rechnung zu tragen“794. Wie der Fall des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers zeigen wird, werden diese Richtlinien diesem Anspruch nicht voll umfänglich gerecht. So ist trotz 786

Siehe oben, S. 110 ff. und S. 167 ff. Vgl. 2. Erwägungsgrund der Vergabe-RL 2014/24/EU. Vgl. ausführlich zu den einzelnen Aspekten der Reform Andreas Neun und Olaf Otting, EuZW 2014, S. 446. 788 Ebd. 789 Vgl. Deutsches Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Modernisierung des Vergaberechts vom 8.7.2015 (BT-Drs. 18/6281) S. 1. 790 Im Wege des Kompromisses wurde die Möglichkeit einer gestaffelten, nationalen Aufschiebung bestimmter Vorschriften zur zwingenden Einführung der elektronischen Vergabe bis spätestens 18.10.2018 geschaffen, vgl. Art. 90 Abs. 2 Vergabe-RL 2014/24/EU und Art. 106 Abs. 2 Sektoren-RL 2014/25/EU. 791 Vgl. etwa Art. 22 Abs. 1 UAbs. 1 S. 1 Vergabe-RL 2014/24/EU. 792 Vgl. hierzu ausführlich Peter W. Schäfer, NZBau 2015, S. 131. 793 Unter Bezugnahme auf das Statistische Bundesamt beziffert die Bundesregierung die Kostenersparnis für die deutsche Wirtschaft aufgrund der eVergabe auf rund 1.063,3 Mio. Euro, vgl. Deutsches Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Modernisierung des Vergaberechts vom 8.7.2015 (BT-Drs. 18/6281) S. 69. 794 2. Erwägungsgrund der Vergabe-RL 2014/24/EU. 787

186

Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

einiger Reformbemühungen die Definition des Öffentlichen Auftraggebers weitgehend unverändert geblieben. 3. Die Bemühungen um eine Reform des öffentlichen Auftraggeberbegriffs Anhaltende Auslegungsschwierigkeiten und die zunehmende Zahl an Einzelfall­ entscheidungen durch den Gerichtshof795 veranlassten den Gemeinschaftsgesetzgeber auch eine Überarbeitung des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers in Betracht zu ziehen. Gegenstand dieser Überlegungen waren dabei nicht die bekannten vier Fallgruppen des öffentlichen Auftraggeberbegriffs. Ihre Einteilung wurde von den neuen Richtlinien nicht verändert. Schaubild 5 Wortlautvergleich von Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 RL 2014/24/EU und Art. 1 Abs. 9 RL 2004/18/EG796 Alt: Art. 1 Abs. 9 Vergabekoordinierungs-RL 2004/18/EG

Neu: Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 Vergabe-RL 2014/ 24/EU796

(9) „Öffentliche Auftraggeber“ sind der Staat, die Gebietskörperschaften,

(1) Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

die Einrichtungen des öffentlichen Rechts und

1. „öffentliche Auftraggeber“ den Staat, die Gebietskörperschaften, die Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder die Verbände, die aus einer oder mehreren dieser Körperschaften oder Einrichtungen des öffentlichen Rechts bestehen;

die Verbände, die aus einer oder mehreren dieser Körperschaften oder Einrichtungen des öffentlichen Rechts bestehen.

Im Fokus der Reformüberlegungen Begriff des Öffentlichen Auftraggebers stand vielmehr die Definition der Fallgruppe der „Einrichtung des öffentlichen Rechts“, die sich aus weiteren normativen Tatbestandsmerkmalen zusammensetzt.

795

Vgl. etwa 10. Erwägungsgrund der Vergabe-RL 2014/24/EU. Vgl. auch Art. 6 Abs. 1 Konzessionsvergabe-RL 2014/23/EU und Art. 3 Nr. 1 SektorenRL 2014/25/EU. 796

B. Die Europäisierung des Vergaberechts als „Rechtsrevolution“ 

187

a) Reformüberlegungen zum Tatbestand der „Einrichtung des öffentlichen Rechts“ Nach der Sektorenkoordinierungs-RL 2004/17/EG und der Vergabekoordinierungs-RL 2004/18/EG setzte sich der Tatbestand der „Einrichtung des öffentlichen Rechts“ aus drei Merkmalen zusammen, deren kumulatives Vorliegen den per­ sönlichen Anwendungsbereich des Vergaberechts für die betreffende Institution er­öffnete. Nach Art.  2 Abs.  6 des ursprünglichen Vorschlags der Kommission für eine neue Vergabekoordinierungsrichtlinie (VKR-Entwurf)797 sollte auch weiterhin daran festgehalten werden, die Einrichtung des öffentlichen Rechts über die drei Elemente „Rechtspersönlichkeit“, „Staatsgebundenheit“ und „besonderer Gründungszweck“ zu definieren. Gleichzeitig hätten diese Merkmale nach dem Entwurf eine merkliche definitorische Anpassungerfahren. Von den vorgeschlagenen Anpassungen ist in den nun geltenden Richtlinien, insbesondere der Vergabe-RL 2014/24/EU, nicht viel übrig geblieben. Beibehalten wurde die Wortlautänderung „mit sämtlichen der folgenden Merkmale“,798 mit der klargestellt wird, was bereits durch die Rechtsprechung als gefestigte Meinung799 galt: die Tatbestandsmerkmale müssen kumulativ und gleichzeitig vorliegen. Die weitgehend unproblematische Voraussetzung der „Rechtspersönlichkeit“ sollte weder nach den Entwürfen noch nach den endgültigen Richtlinien geändert werden. Für die Definition der „Staatsgebundenheit“ wurde im Entwurf zwar zunächst der Begriff der „Gebietskörperschaft“ durch „regionale oder lokale Behörden“ ersetzt, um schließlich jedoch wieder zur ursprünglichen Fassung zurückzukehren. Unter „Gebietskörperschaften“ sind nun die in Art.  2 Abs.  2 Vergabe-RL 2014/24/EU bezeichneten Behörden zu verstehen, die unter die Klassifizierung NUTS 1 und 2 bzw. NUTS 3 der Verordnung VO (EG) 1059/2003800 fallen. Die Verordnung 1059/2003, die in erster Linie eine statistische Klassifikation der Gebietseinheiten („NUTS“) geschaffen hat, um die Erhebung, Erstellung und Verbreitung harmonisierter Regionalstatistiken in der Union zu ermöglichen, hält in Anhang I eine umfassende Aufzählung von Gebietskörperschaften bereit. Damit besteht ein Katalog, auf den Bezug genommen werden kann und der damit eine entsprechende Subsumtion vereinfacht. Die Bezugnahme des Art. 2 Abs. 2 Vergabe-RL 2014/24/EU ist nicht erschöpfend, wie der Wortlaut klarstellt.

797

Mit gleichem Wortlaut: Art. 2 Abs. 4 SKR-Entwurf. Sowohl nach dem Vorschlag der Kommission als auch nach dem Kompromisstext des Ra-

798

tes.

799

EuGH 1998, I-73 Rn. 21 (C-44/96)– Mannesmann Anlagenbau Austria. VO (EG) 1059/2003 vom 26. Mai 2003 über die Schaffung einer gemeinsamen Klassifikation der Gebietseinheiten für die Statistik (NUTS), ABl. 2003 L 154/1. 800

188

Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts Schaubild 6 Übersicht zu den Reformvorschlägen zum Merkmal der Nichtgewerblichkeit (2011–2014)801 802

Art. 1 Abs. 9 UAbs. 2 Vergabekoordinierungs-RL 2004/18/ EG

Art. 2 Abs. 6 Richtlinienvorschlag der Kommission801

Art. 2 Abs. 6 Kompromisstext des Rates802

Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 Vergabe-RL 2014/24/EU

Als „Einrichtung des öffentlichen Rechts“ gilt jede Einrichtung, die

(6) „Einrichtungen des öffentlichen Rechts“ Einrichtungen mit sämtlichen der folgenden Merkmale:

(6) „Einrichtungen des öffentlichen Rechts“ Einrichtungen mit sämtlichen der folgenden Merkmale:

4. „Einrichtungen des öffentlichen Rechts“ Einrichtungen mit sämtlichen der folgenden Merkmale:

a) zu dem beson­ deren Zweck gegründet wurde, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen,

(a) sie wurden zur Erfüllung im All­ gemeininteresse liegender Aufgaben nicht gewerblicher Art gegründet oder haben diesen spe­ zifischen Zweck; arbeitet ein Organ unter markt­üblichen Bedingungen, ist gewinnorien­tiert und trägt die mit der Ausübung seiner Tätigkeit einher­ gehenden Verluste, ist es nicht darauf ausgerichtet, im Allgemeininteresse liegende Auf­ gaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen;

a) sie wurden speziell zur Erfüllung im Allgemeininteresse liegender Aufgaben nicht gewerblicher Art gegründet;

a) sie wurden zu dem besonderen Zweck gegründet, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen,

801 Europäische Kommission, Vorschlag vom 20.12.2011 für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die öffentliche Auftragsvergabe, KOM (2011) 896 endg. = VKR-Entwurf. 802 Rat der Europäischen Union, Kompromisstext des Vorsitzes vom 30.11.2012 zum Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die öffentliche Auftragsvergabe (2011/0438 (COD)).

B. Die Europäisierung des Vergaberechts als „Rechtsrevolution“ 

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Art. 1 Abs. 9 UAbs. 2 Vergabekoordinierungs-RL 2004/18/ EG

Art. 2 Abs. 6 Richtlinienvorschlag der Kommission801

Art. 2 Abs. 6 Kompromisstext des Rates802

Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 Vergabe-RL 2014/24/EU

b) Rechtspersönlichkeit besitzt und

(b) sie besitzen Rechtspersönlichkeit;

b) sie besitzen Rechtspersönlichkeit; und

b) sie besitzen Rechtspersönlichkeit und

c) überwiegend vom Staat, von Gebietskörperschaften oder von anderen Einrich­tungen des öffentlichen Rechts finanziert wird, hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht durch Letztere unterliegt oder deren Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan mehrheitlich aus Mitgliedern besteht, die vom Staat, von den Gebietskörper­ schaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts ernannt worden sind.

(c) sie werden überwiegend vom Staat, von regionalen oder lokalen Behörden oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts finanziert oder unterstehen hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht dieser Einrichtungen, oder sie haben ein Verwaltungs-, Leitungsbzw. Aufsichtsorgan, das mehrheitlich aus Mitgliedern besteht, die vom Staat, von regionalen oder lokalen Behörden oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts eingesetzt worden sind.

c) sie werden überwiegend vom Staat, von regionalen oder lokalen Behörden oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts finanziert oder unter­stehen hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht dieser Einrichtungen, oder sie haben ein Verwaltungs-, Leitungsbzw. Aufsichtsorgan, das mehrheitlich aus Mitgliedern besteht, die vom Staat, von regionalen oder lokalen Behörden oder von anderen Einrich­tungen des öffentli­chen Rechts ernannt worden sind; […].

c) sie werden überwiegend vom Staat, von Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts finanziert oder unterstehen hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht dieser Gebietskörperschaften oder Einrichtungen, oder sie haben ein Verwaltungs-, Leitungsbeziehungsweise Aufsichtsorgan, das mehrheitlich aus Mitgliedern besteht, die vom Staat, von Gebietskörperschaften oder von ande­ ren Einrichtungen des öffentlichen Rechts ernannt worden sind; […].

Von den Bemühungen in den Entwürfen, die Rechtsprechung des EuGH zum Tatbestandsmerkmal der Nichtgewerblichkeit zu kodifizieren, ist in den neuen Richtlinien nichts geblieben.803

803

Auch Neun und Otting stellen fest, dass die Reform wenig an den „(Kern-)Definitionen des EU-Vergaberechts (insbesondere des öffentlichen Auftrags und des öffentlichen Auftraggebers“ ändert, vgl. Andreas Neun und Olaf Otting, EuZW 2014, S. 446 (446 f.).

190

Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

b) Das umstrittene Merkmal der Nichtgewerblichkeit Über das Merkmal der Nichtgewerblichkeit, dessen Auslegung – wie diese Arbeit umfassend zeigen wird – bis dato umstritten ist,804 entfachte sich im Gesetzgebungsverfahren eine Debatte zwischen Rat und Kommission. aa) Die Legaldefinition der Nichtgewerblichkeit nach dem Vorschlag der Kommission In ihren Richtlinienvorschlägen aus dem Jahr 2011 reagierte die Kommission auf den Diskurs in Wissenschaft und Rechtsprechung und änderte die Definition des „besonderen Gründungszwecks“ in bedeutsamer Weise. Im Richtlinien­ entwurf der Kommission hieß es in Art. 2 VI lit. a) VKR-Entwurf bzw. Art. 2 IV lit. a) SKR-Entwurf zur Definition der Einrichtungen des öffentlichen Rechts: „[…] sie wurden zur Erfüllung im Allgemeininteresse liegender Aufgaben nicht gewerblicher Art gegründet oder haben diesen spezifischen Zweck; arbeitet ein Organ unter marktüblichen Bedingungen, ist gewinnorientiert und trägt die mit der Ausübung seiner Tätigkeit verbundenen Verluste, ist es nicht darauf ausgerichtet im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen.“

Zum einen stellte der Kommissionvorschlag neben der Gründung auch auf die tatsächliche Aufgabenwahrnehmung („oder haben diesen spezifischen Zweck“) ab. Dies entsprach der bisherigen Rechtsprechung des EuGH. Der Gerichtshof hatte entschieden, dass der Wortlaut, der an den Gründungszweck, also die bei Gründung festgelegte Zweckbestimmung anknüpft, allein zu eng ist, da für die Herstellung einer funktionalen Äquivalenz auch die tatsächliche Tätigkeitsausübung berücksichtigt werden müsse.805 Zum anderen bedeutete die Ergänzung des Tatbestands um negative Abgrenzungskriterien zur Bestimmung der „Nichtgewerblichkeit“ eine wesentliche Neuerung, die gleichwohl im Lichte des einschlägigen EuGH-Fallrechts einen entscheidenden Wiedererkennungswert hatte. Dem unbestimmten Merkmal der „Nichtgewerblichkeit“, das schon immer als tatbestandliches Korrektiv zu verstehen war,806 kam mit der Klarstellung in den Entwürfen nunmehr eine größere Bedeutung zu. Die Kommission übernahm die Herangehensweise des EuGH, das Merkmal der „Nichtgewerblichkeit“ negativ abzugrenzen. Sie ging davon aus, dass bei Vorliegen der genannten Kriterien nicht von einer nichtgewerblichen Aufgabenerfüllung ausgegangen werden kann.807 Da es sich bei den Kriterien um 804

Siehe oben, S. 325 ff. Vgl. hierzu EuGH 2002, I-11617 Rn. 63 (C-470/99) – Universale Bau. 806 Vgl. hierzu unten, S.  325 ff. und das Prüfungsschema zur Nichtgewerblichkeit auf S. 336 f. 807 Siehe zur Rechtsprechung des EuGH, ebd. 805

B. Die Europäisierung des Vergaberechts als „Rechtsrevolution“ 

191

keine abschließende Aufzählung handelte, wären auch nach dem Entwurf weitere Ausnahmen und damit weitere Beschränkungen des Tatbestands möglich. bb) Die Ablehnung der Änderungen durch den Kompromisstext des Rates Der am 30.11.2012 vom Vorsitz des Rates vorgelegte Kompromisstext folgte dem Vorschlag der Kommission, das Merkmal der „Nichtgewerblichkeit“ entsprechend der Rechtsprechung des EuGH legal zu definieren, nicht. Lediglich im Erwägungsgrund 4b des Kompromisstextes des Rates fand sich ein ausdrücklicher Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH: „Zu diesem Zweck sollte daher präzisiert werden, dass eine Einrichtung, die unter marktüblichen Bedingungen arbeitet, gewinnorientiert ist und die mit der Ausübung ihrer Tätigkeit einhergehenden Verluste trägt, nicht als ‚Einrichtung des öffentlichen Rechts‘ angesehen werden sollte, da die im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben, zu deren Erfüllung sie geschaffen oder mit deren Erfüllung sie beauftragt worden ist, als von gewerblicher Art anzusehen sind.“808

Auch widersetzte sich der Rat dem Vorstoß der Kommission, bei der Bestimmung der „Nichtgewerblichkeit“ auf die tatsächliche Aufgabenerfüllung und nicht nur auf den Gründungszweck abzustellen. Nach der Vorstellung des Rates sollte die Aufgabenerfüllung nicht gewerblicher Art „spezieller“ Gründungszweck sein. cc) Die Rückkehr zum alten Wortlaut Der Rat konnte sich mit seiner ablehnenden Haltung gegenüber den Reformvorschlägen weitestgehend durchsetzen. Die Kommission schaffte es nicht, die Rechtsprechung des EuGH im Tatbestand des Öffentlichen Auftraggebers gegen den Rat durchzusetzen. Vielmehr kehrte man in die Vergangenheit zurück und ließ die Chance ungenutzt, die Rechtssicherheit und -klarheit für die Rechtsanwender zu verbessern. Der Wortlaut der neuen Richtlinien entspricht also hinsichtlich der Definition der Einrichtungen des öffentlichen Rechts bis auf wenige, weitgehend unbedeutende Anpassungen dem alten Richtlinienrecht.809 Für die Verbesserung der Rechtssicherheit und -klarheit kaum förderlich ist der Umstand, dass der Unionsgesetzgeber entsprechend dem Kompromisstext des Rates die Rechtsprechung des EuGH nun im 10. Erwägungsgrund der Vergabe-RL 2014/24/EU „versteckt“:

808

Rat der Europäischen Union, Kompromisstext des Vorsitzes vom 30.11.2012 zum Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die öffentliche Auftragsvergabe (2011/0438 (COD) Erwägungsgrund 4b. 809 Vgl. Schaubild 6 oben, S. 187 f.

192

Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

„Der Begriff ‚öffentliche Auftraggeber‘ und insbesondere der Begriff ‚Einrichtungen des öffentlichen Rechts‘ sind wiederholt im Rahmen der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union überprüft worden. Um klarzustellen, dass der persönliche Geltungs­ bereich dieser Richtlinie unverändert bleiben sollte, ist es angezeigt, die Begriffsbestimmung beizubehalten, auf die sich der Gerichtshof selbst stützt, und einige Erläuterungen, die im Rahmen dieser Rechtsprechung gegeben wurden, als Schlüssel zum Verständnis der Begriffsbestimmung selbst aufzunehmen, ohne dass damit beabsichtigt wird, das Verständnis des Begriffs, so wie es in der Rechtsprechung dargelegt wurde, zu ändern. Zu diesem Zweck sollte daher klargestellt werden, dass eine Einrichtung, die unter marktüblichen Bedingungen arbeitet, gewinnorientiert ist und die mit der Ausübung ihrer Tätigkeit einhergehenden Verluste trägt, nicht als ‚Einrichtung des öffentlichen Rechts‘ angesehen werden sollte, da die im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben, zu deren Erfüllung sie geschaffen oder mit deren Erfüllung sie beauftragt worden ist, als von gewerblicher Art anzusehen sind.“810

4. Die Umsetzung im GWB Am 18.4.2016 trat das Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts mit leichten Änderungen gegenüber dem ursprünglichen Entwurf in Kraft. Mit dem Gesetz wurde der 4.  Teil  des GWB grundlegend überarbeitet und ergänzt. Aufgrund der wesentlich höheren Regelungsdichte und des größeren Umfangs der Richtlinien waren deutlich mehr Vorgaben auf gesetzlicher Ebene umzusetzen als bislang. So mussten die Regelungen der neu hinzugekommene Konzessionsvergabe-RL 2014/23/EU ebenfalls in das GWB eingefügt werden. Der 4. Teil umfasst daher nun 88 Paragraphen (§§ 97–184) und damit doppelt so viele wie zu vor. a) Die Auffächerung des Auftraggeberbegriffs in §§ 98 ff. GWB n. F. Der Tatbestand des Auftraggebers ist neu in §§ 98 ff. GWB n. F. geregelt. § 98 definiert als übergeordnete Kategorie den Begriff des Auftraggebers. Von ihm erfasst werden der herkömmliche Öffentliche Auftraggeber (§ 99), der Sektorenauftraggeber (§ 100) und der Konzessionsauftraggeber (§ 101). Die Neustrukturierung der Definitionen des Auftraggebers soll die Übersichtlichkeit und Lesbarkeit für den Rechtsanwender verbessern.811 Der deutsche Gesetzgeber versucht damit die Systematik der neuen Richtlinien im nationalen Recht abzubilden. Da die Konzessionsvergabe-RL 2014/23/EU in ihren Artikeln 6 und 7 zwischen „öffentlichen Auftraggebern“ einerseits und „Auftraggebern“, die einer Sektorentätigkeit nach 810

10. Erwägungsgrund Vergabe-RL 2014/24/EU. Vgl. Deutsches Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Modernisierung des Vergaberechts vom 8.7.2015 (BT-Drs. 18/6281) S. 83. 811

B. Die Europäisierung des Vergaberechts als „Rechtsrevolution“ 

193

gehen und zum Zwecke dieser Tätigkeit Konzessionen vergeben, andererseits unterscheidet, ist auch eine Trennung dieser beiden Kategorien im deutschen Recht erforderlich.812 Der in dieser Arbeit im Mittelpunkt stehende klassische Öffentliche Auftraggeber wird gem. § 99 GWB n. F. wie folgt definiert: Schaubild 7 Wortlautvergleich von § 98 GWB (2009) und § 99 GWB (2016) Alt: § 98 GWB (2009)

Neu: § 99 GWB (2016)

Öffentliche Auftraggeber im Sinne dieses Teils sind:

Öffentliche Auftraggeber sind

1. Gebietskörperschaften sowie deren Sondervermögen, 2. andere juristische Personen des öffentlichen und des privaten Rechts, die zu dem besonderen Zweck gegründet wurden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht­ gewerblicher Art zu erfüllen, wenn Stellen, die unter Nummer 1 oder 3 fallen, sie einzeln oder gemeinsam durch Beteiligung oder auf sonstige Weise überwiegend finanzieren oder über ihre Leitung die Aufsicht ausüben oder mehr als die Hälfte der Mitglieder eines ihrer zur Geschäftsführung oder zur Aufsicht berufenen Organe bestimmt haben. Das Gleiche gilt dann, wenn die Stelle, die einzeln oder gemeinsam mit anderen die überwiegende Finanzierung gewährt oder die Mehrheit der Mitglieder eines zur Geschäftsführung oder Aufsicht berufenen Organs bestimmt hat, unter Satz 1 fällt, 3. Verbände, deren Mitglieder unter Nummer 1 oder 2 fallen,

1. Gebietskörperschaften sowie deren Sondervermögen, 2. andere juristische Personen des öffentlichen und des privaten Rechts, die zu dem besonderen Zweck gegründet wurden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht­ gewerblicher Art zu erfüllen, sofern a) sie überwiegend von Stellen nach Nummer 1 oder 3 einzeln oder gemeinsam durch Beteiligung oder auf sonstige Weise finanziert werden, b)  ihre Leitung der Aufsicht durch Stellen nach Nummer 1 oder 3 unterliegt oder c) mehr als die Hälfte der Mitglieder eines ihrer zur Geschäftsführung oder zur Aufsicht berufenen Organe durch Stellen nach Nummer 1 oder 3 bestimmt worden sind; dasselbe gilt, wenn diese juristische Person einer anderen juristischen Person des öffentlichen oder privaten Rechts einzeln oder gemeinsam mit anderen die überwiegende Finanzierung gewährt, über deren Leitung die Aufsicht ausübt oder die Mehrheit der Mitglieder eines zur Geschäftsführung oder Aufsicht berufenen Organs bestimmt hat, 3. Verbände, deren Mitglieder unter Nummer 1 oder 2 fallen, (Fortsetzung nächste Seite)

812

Ebd., S. 83 f.

194

Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

(Fortsetzung: Schaubild 7)

4. natürliche oder juristische Personen des privaten Rechts, die auf dem Gebiet der Trinkwasser- oder Energieversorgung oder des Verkehrs tätig sind, wenn diese Tätigkeiten auf der Grundlage von besonderen oder ausschließlichen Rechten ausgeübt werden, die von einer zuständigen Behörde gewährt wurden, oder wenn Auftraggeber, die unter Nummern 1 bis 3 fallen, auf diese Personen einzeln oder gemeinsam einen beherrschenden Einfluss ausüben können; besondere oder ausschließliche Rechte sind Rechte, die dazu führen, dass die Ausübung dieser Tätigkeiten einem oder mehreren Unternehmen vorbehalten wird und dass die Möglichkeit anderer Unternehmen, diese Tätigkeit auszuüben, erheblich beeinträchtigt wird. Tätigkeiten auf dem Gebiet der Trinkwasserund Energieversorgung sowie des Verkehrs sind solche, die in der Anlage aufgeführt sind, 5. natürliche oder juristische Personen des privaten Rechts sowie juristische Personen des öffentlichen Rechts, soweit sie nicht unter Nummer 2 fallen, in den Fällen, in denen sie für Tiefbaumaßnahmen, für die Errichtung von Krankenhäusern, Sport-, Erholungs- oder Freizeiteinrichtungen, Schul-, Hochschul- oder Verwaltungsgebäuden oder für damit in Verbindung stehende Dienstleistungen und Auslobungsverfahren von Stellen, die unter Nummern 1 bis 3 fallen, Mittel erhalten, mit denen diese Vorhaben zu mehr als 50 vom Hundert finanziert werden, 6. natürliche oder juristische Personen des privaten Rechts, die mit Stellen, die unter die Nummern 1 bis 3 fallen, einen Vertrag über eine Baukonzession abgeschlossen haben, hinsichtlich der Aufträge an Dritte.

4. natürliche oder juristische Personen des privaten Rechts sowie juristische Personen des öffentlichen Rechts, soweit sie nicht unter Nummer 2 fallen, in den Fällen, in denen sie für Tiefbaumaßnahmen, für die Errichtung von Krankenhäusern, Sport-, Erholungs- oder Freizeiteinrichtungen, Schul-, Hochschul- oder Verwaltungsgebäuden oder für damit in Verbindung stehende Dienstleistungen und Wettbewerbe von Stellen, die unter die Nummern 1, 2 oder 3 fallen, Mittel erhalten, mit denen diese Vorhaben zu mehr als 50 Prozent subventioniert werden.

B. Die Europäisierung des Vergaberechts als „Rechtsrevolution“ 

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b) Die sprachlichen Anpassungen des öffentlichen Auftraggeberbegriffs in § 99 GWB n. F. Während § 99 Nr. 1 und Nr. 3 GWB n. F. dem bisherigen § 98 Nr. 1 bzw. Nr. 3 GWB entsprechen, wurde insbesondere § 99 Nr. 2 GWB n. F., der die Rechtsfigur der „Einrichtung des öffentlichen Rechts“ in das nationale Recht übersetzt, „zum besseren Verständnis“813 neu strukturiert. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine wesentliche Veränderung des Tatbestands der „Einrichtung des öffentlichen Rechts“. Neben einer redaktionellen Überarbeitung mit zusätzlichen Gliederungsziffern wurde der bisher nur in § 98 Nr. 2 S. 1 GWB vorgesehene Beherrschungstatbestand der „Ausübung der Aufsicht über die Leitung“ nun auch in § 99 Nr. 2 Halbsatz 2 GWB n. F. eingefügt. Dies entspricht der Regelung in Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 Vergab-RL 2014/24/EU, die ebenfalls keine Unterscheidung zwischen den beiden Konstellationen macht. In § 99 Nr. 4 GWB n. F., der im Wesentlichen § 98 Nr. 5 GWB entspricht, wurde das Verb „finanzieren“ durch „subventionieren“ ersetzt. Mit dieser Änderung wird der deutsche Gesetzgeber zum einen der Regelung des Art. 13 Vergabe-RL 2014/24/ EU gerecht, wonach es in erster Linie nicht auf eine direkte Finanzierung durch einen öffentlichen Auftraggeber ankommt, sondern darauf, ob die Leistung als Subvention betrachtet werden kann. Zum anderen entspricht die Neufassung auch der Rechtsprechung des EuGH, wonach sich der Begriff „subventionieren“ nicht auf positive Leistungen beschränkt, sondern auch sonstige Begünstigungen umfasst.814 Eine Antwort auf die drängenden Auslegungsfragen, die sich gleichermaßen auf nationaler wie stellen wie europäischer Ebene insbesondere zur Fallgruppe der „Einrichtung des öffentlichen Rechts“ stellen,815 gibt die Reform des öffentlichen Auftraggeberbegriffs nicht. Es bleibt als die Aufgabe, der Rechtsanwender, Gerichte und der Wissenschaft sich weiter um eine Konkretisierung im Wege der Auslegung zu bemühen.

IX. Zwischenergebnis Aus der europäischen Primärrechtsordnung entstand über die vergangenen 50 Jahre eine neue Regelungsmaterie, die nach den Gründungs- und Reformverträgen eigentlich nicht ausdrücklich vorgesehen war. Das europäische Vergaberecht entwickelte sich aus den Grundfreiheiten sowie den Vorschriften über die Rechtsangleichung und -harmonisierung auf der Ebene des Sekundärrechts und bildet heute in der vierten Richtliniengeneration eines der umfangreichsten und wichtigsten Richtlinienregime der Europäischen Union. 813

Ebd., S. 84. Vgl. EuGH vom 26.9.2013 (C-115/12 p) – Frankreich/Kommission. 815 Siehe hierzu umfassend unten, S. 297 ff. 814

196

Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

Der theoretischen Erkenntnis, dass die Öffnung des öffentlichen Auftragswesens hin zu einer grenzüberschreitenden und diskriminierungsfreien Auftragsvergabe  – alleine schon angesichts der volkswirtschaftlichen Bedeutung  – wesentlicher Baustein für die Herstellung eines funktionierenden Binnenmarktes ist, folgten Jahrzehnte lange Bemühungen um die Errichtung des dafür erforderlichen Rechtsrahmens. Zwischen den Allgemeinen Programmen Anfang der 1960er Jahre bis zu den modernisierten Richtlinien aus dem Jahr 2014 fand nicht nur ein fortwährender Reform- und Anpassungsprozess des europäischen Vergabesekundärrechts statt, sondern auch ein Kampf um die Autorität des Rechts. In den unzähligen Rückschlägen, die mit nicht fristgerechten, mangelhaften oder schlicht unterlassenen Richtlinienumsetzungen einhergingen, offenbarten sich zunächst die Schwächen des normativen Imperativs des Europarechts. Die entscheidende Kehrtwende in der vergaberechtlichen Integration brachten die 1980er Jahre. Die Europäische Kommission setzte auf die Verbesserung des vergaberechtlichen Regelwerks und eine konsequente Durchsetzung des Sekundärrechts mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln. Neben der Überarbeitung und Vereinfachung der Verfahrensvorschriften führte insbesondere die Anpassung des vergaberechtlichen Anwendungsbereichs zu der erforderlichen Neuausrichtung. Die Abkehr von einer rein formalen Bestimmung der Auftraggebereigenschaft hin zu einer funktionalen Betrachtung sowie die Einbeziehung der Sektorenauftraggeber war nicht nur die erforderliche Reaktion auf die zunehmenden Privatisierungen staatlicher Einrichtungen, sondern notwendige Maßnahme, um Lücken im Anwendungsbereich zu schließen und damit eine einheitliche und umfassende Anwendung der Vergaberegeln zu ermöglichen. Entscheidenden Fortschritt brachte auch die europarechtlich verbindliche Einführung von Nachprüfverfahren, mit denen unterlegene Bieter die Rechtmäßigkeit der Vergabeentscheidungen überprüfen lassen können sollten. Der fehlenden Bereitschaft der Mitgliedstaaten, die Vergaberichtlinien fristgerecht und umfassend in ihre nationalen Rechtsordnungen umzusetzen, begegnete die Kommission mit zahlreichen Vertragsverletzungsverfahren. Auf diesem Wege musste auch die Bundesrepublik erkennen, dass als Innenrecht ausgestaltetes Vergaberecht dem Anspruch des europäischen Richtlinienrechts nicht genügt. Das Vergaberecht in Deutschland hat in der Folge seinen Platz im vierten Teil des GWB gefunden. Anlässlich der neuen Vergaberichtlinien aus dem Jahr 2014 wurde es nun nach seiner Einführung 1998 und der Reform von 2009 zum dritten Mal umfassend überarbeitet. Am 17.12.2015 verabschiedete der Bundestag hierzu das Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts. Einer – erstmals – fristgerechten Umsetzung der Vergaberichtlinien zum 18.4.2016 stand damit nichts mehr im Wege. Während das europäische Vergaberecht mittlerweile seinen Platz in der europäisch-mitgliedstaatlichen Rechtsordnung gefunden hat und an sich nicht mehr in

C. Das Europäische Vergaberecht als dogmatische Herausforderung

197

Frage gestellt wird, liegen die Herausforderungen heute im Detail. Effizienz und Kostensenkungen im Vergabeverfahren sowie mehr Rechtssicherheit bei der Anwendung der Vergaberegeln bedingen fortwährende Anpassungen und Reformüberlegungen. Hierzu gehören zweifelsohne die nach wie vor bestehenden Rechtsunsicherheiten bei der Auslegung des öffentlichen Auftraggeberbegriffs.

C. Das Europäische Vergaberecht als dogmatische Herausforderung für die europäisch-mitgliedstaatliche Rechtsordnung „Das Recht, ursprünglich Mittel und Verfahren für die Entscheidung von Streitigkeiten, wird im industrialisierten Massenstaat ein Vehikel der Steuerung, Verteilung und Darreichung öffent­ licher Leistungen.“816

Für ein Verständnis der historischen und systematischen Zusammenhänge ist es im Rahmen der Auslegung des öffentlichen Auftraggeberbegriffs erforderlich, nicht nur die Europäisierung des Vergaberechts nachzuzeichnen, sondern auch die sich aus ihr ergebenden Auswirkungen auf die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen sowie das Verhältnis zwischen nationaler und europäischer Normebenen zu beleuchten.

I. Systematische Überlegungen zum rechtstechnischen Rahmen Die Frage nach der Genese des europäischen Vergaberechts und den Parametern für eine systematische Auslegung der Vergaberichtlinien führt dabei zu den rechtstechnischen Grundfesten des Europarechts, die letztlich Anwendung und Durchsetzung des Sekundärrechts bestimmen.817 1. Der bedingte Katalysatoreffekt des Unionsrechts Brenner beschreibt das Unionsrecht allgemein als Katalysator, der „die mitgliedstaatlichen Rechtsvorstellungen, die gleichsam als Wettbewerber und Ideenspender wirken, in sich aufnimmt, diese zu einem Substrat verdichtet und über die diversen Ingerenzmechanismen für dessen Umsetzung in den nationalen Rechtsordnungen sorgt“818. Die wechselseitige Beeinflussung von Unionsrecht und mit 816 Ernst Kern, in: Barion/Forsthoff/Weber, Festschrift für Carl Schmitt, S. 81 (91). Kern beschreibt diesen Vorgang mit dem Begriff der „Instrumentalisierung des Rechts“. 817 Vgl. zur Europäischen Gemeinschaft als ein „Phänomen des Rechts“, Walter Hallstein, Die Europäische Gemeinschaft, S. 53 ff. 818 Michael Brenner, Der Gestaltungsauftrag der Verwaltung in der Europäischen Union, S. 87.

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Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

gliedstaatlichem Recht unterteilt Schwarze in zwei Phasen: In einer ersten war es das nationale (Verwaltungs-)Recht, dass die Europäische Rechtsgestaltung prägte, indem Prinzipien und Rechtsfiguren aus dem nationalen Recht auf der Europäischen Ebene übernommen wurden.819 Die zweite Phase hingegen sei – dem Bild des Katalysators von Brenner gleich  – das Resultat einer gewachsenen eigenen Europäischen (Verwaltungs-)Rechtsordnung, welche nun die nationalen Rechtsordnungen prägt  – teilweise mit Rechtsfiguren, die in keiner der kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen zuvor bekannt waren,820 wie etwa dem Estoppel-­ Prinzip.821 „Das Verfahren der europäischen Rechtsangleichung gibt an sich jedem Mitgliedstaat das gleiche Recht und jeder nationalen Rechtsordnung die gleiche Chance.“822

Der Austausch an Impulsen ist jedoch weder gleichmäßig oder gar verhältnisgemäß. Eher ist von subjektiven Einflüssen bei der europäischen Rechtsangleichung auszugehen,823 die oftmals einzelnen Rechtsmeinungen, Rechtsordnungen oder Rechtskreisen entlehnt und dementsprechend ähnlich oder eben wesensfremd den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen sind.824 Während in anderen Bereichen das deutsche Recht durchaus Model für die Entwicklung des Europarechts stand – wie z. B. im Gesellschaftsrecht825 – divergierte im Fall des öffentlichen Vergabewesens die Rechtsausgestaltung in Deutschland mit den sekundärrechtlichen Vorstellungen und Bemühungen der Kommission derart, dass es zu einem jahrzehntelangen Dissens kam.826 Es war mehr das französische Recht, das aufgrund seiner langen Vergaberechtstradition827 Vorbildcharakter für das europäische Recht hatte.828 Im Fall des Vergaberechts von einer

819

Jürgen Schwarze, Public Law 1993, S. 229 (238). Ebd. 821 Vgl. hierzu EuGH 1991, I-2069 (C-69/89) – nakajima All Precicion Co. Ltd.; als Prinzip des Völkerrechts, siehe auch Alfred Verdross und Bruno Simma, Universelles Völkerrecht, § 615 und oben Fn. 551. 822 Klaus J. Hopt, ZGR 1992, S. 265 (272). 823 Oliver Remien, RabelsZ 1996, S. 1 (7) mit Verweis auf Uwe Blaurock, JZ 1994, S. 270 (275) und Ernst Steindorff, Quo vadis Europa?, in: Forschungsinstitut für Wirtschaftsverfassung und Wettbewerb, Weiterentwicklung der Europäischen Gemeinschaften und der Marktwirtschaft, S. 11 (62 ff.). 824 Zu der Bedeutung des Französischen als Beratungssprache des EuGH und des sich hieraus möglicherweise ergebenden „Startvorteils“ für begriffliche oder dogmatische Vorbilder der französischsprachigen Rechtsordnungen, siehe Thomas von Danwitz, EuR 2008, S. 769 (779). 825 Zusammen mit dem englischen Recht, vgl. Klaus J. Hopt, ZGR 1992, S. 265 (272 ff.). 826 Vgl. zur Problematik der Umsetzung der Vergaberichtlinien in Deutschland oben, S. 99 ff., 132 ff. 827 Siehe oben, S. 88 f. 828 Capitant spricht vom „mit der Sichtweise des Gemeinschaftsgesetzgebers gleichlaufende[n] französische[n] Recht“, vgl. David Capitant, Öffentliche Auftragsvergabe, in: Blaurock, Der Staat als Nachfrager – Öffentliches Auftragswesen in Deutschland und Frankreich, S. 39. 820

C. Das Europäische Vergaberecht als dogmatische Herausforderung

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„wechselseitigen Beeinflussung von Gemeinschaftsrecht und mitgliedstaatlichem Recht“829 zu sprechen, wäre damit für die Bundesrepublik nicht angemessen. 2. Die Hierarchisierung des Europäischen Rechts „Der wesentliche Unterschied des Völkerrechts von dem Staatsrechte liegt darin, dass in jenem keine Verhältnisse der Überund Unterordnung reguliert werden, es viel mehr ein Recht zwischen Koordinierten ist.“830

Das Zusammenwirken des europäischen und der nationalen Rechtskreise ist nicht von einer beliebigen Dynamik bestimmt, sondern basiert auf der Grundkonzeption der Gemeinschaftsrechtsordnung als „supranationales Rechtsgebilde eigener Art“831. Aus dem Ursprung des völkerrechtlichen Vertrags832 ergibt sich auch der für das Europarecht etablierte Dualismus von Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht mit Vorrang des Unionsrechts.833 Die von Triepel begründete Dualismus-Formel geht davon aus, dass das Völkerrecht und das nationale Recht zwei eigenständige Rechtsordnungen bilden, die autonom nebeneinanderstehen: „Sie sind zwei Kreise, die sich höchstens berühren, niemals schneiden.“834 Der trotz der Besonderheiten auch in Bezug auf die europäische Rechtsordnung „wohl herrschende autonomistische Ansatz“, der das Unionsrecht und das nationale Recht als voneinander unabhängige Rechtsordnungen

829 Grundsätzlich und ohne Bezug auf das Vergaberecht: Jürgen Schwarze, Public Law 1993, S. 229 (238 f.); Eckhart Klein, Vereinheitlichung des Verwaltungsrechts im europäischen Integrationsprozeß, in: Starck, Rechtsvereinheitlichung durch Gesetze, S. 117 (141 f.). 830 Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 365; Ausschnitte zitiert in: Bardo Fassbender/ Helmut P. Aust, Basistexte: Völkerrechtsdenken, S. 23. 831 Vgl. die Definition des EuGH in der wegweisenden Entscheidung van Gend & Loos: „Aus alledem ist zu schließen, daß die Gemeinschaft eine neue Rechtsordnung des Völkerrechts darstellt, zu deren Gunsten die Staaten, wenn auch in begrenztem Rahmen, ihre Souveränitätsrechte eingeschränkt haben, eine Rechtsordnung, deren Rechtssubjekte nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch die Einzelnen sind. Das von der Gesetzgebung der Mitgliedstaaten unabhängige Gemeinschaftsrecht soll daher den Einzelnen, ebenso wie es ihnen Pflichten auferlegt, auch Rechte verleihen. Solche Rechte entstehen nicht nur, wenn der Vertrag dies ausdrücklich bestimmt, sondern auch auf Grund von eindeutigen Verpflichtungen, die der Vertrag den Einzelnen wie auch den Mitgliedstaaten und den Organen der Gemeinschaft auferlegt“, EuGH 1963, 3 (26/62) – van Gend & Loos, S. 25; zum Begriff der „Europäischen Rechtsordnung“ siehe Gil Carlos Rodríguez Iglesias, NJW 1999, S. 1. 832 Vgl. den Gründungsvertrag der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vom 18.4.1951 (BGBl. II 1952, 445) und die Gründungsverträge der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (BGBl. II 1957, 766) und der Europäischen Atomgemeinschaft (BGBl. II 1957, 1014) vom 25.3.1957 als völkerrechtliche Grundlage für die Entstehung des „Europäischen Hauses“ (zu dem Begriff vgl. Fn. 346). 833 Bardo Fassbender, DÖV 2010, S. 333 (337). 834 Heinrich Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, S. 8, 111.

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Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

ohne normhierarchische Abhängigkeiten betrachtet,835 vermag die in der Rechtsanwendung entstehenden Herausforderungen, insbesondere im Falle einer Normenkollision,836 nicht abschließend beantworten. Die theoretische Vorstellung von zwei kompatiblen Rechtskreisen, dem ge­ meinschaftlichen und dem mitgliedstaatlichen, stößt nicht nur an politische Akzeptanzgrenzen, sondern auch rechtstechnische. Angesichts der sich ständig verändernden Rechtsordnung, in der „über relativ kurze Zeiträume Hunderte, ja sogar Tausende von Normgebungsentscheidungen ergehen, bedarf es Regeln der Zuordnung und der Konfliktschlichtung“837. Daher kann auch der eingangs zitierte, auf das Völkerrecht bezogene Grundsatz von Jellinek nicht (mehr) für das Europarecht gelten. Die „europäisch-mitgliedstaatliche Rechtsordnung“ sieht nämlich Vermeidungsstrategien vor, die mittels gemeinschaftskonformer Auslegung, Rechtsfortbildung, gegenseitiger Rezeption, Anpassung, Zusammenwirken sowie der Aufsicht und Sanktion für Verständigung anstelle von Verdrängung setzen.838 Die Vermeidungsstrategien stoßen jedoch regelmäßig an Grenzen. Das Recht besteht durch seine Hierarchie und seinen sich hieraus ergebenden Imperativ. Ob aus der Summe verfasster Normen eine Rechtsordnung wird, entscheidet sich mit der wirksamen Durchsetzung des normativen Imperativs.839 Das Bestehen einer Rechtsordnung über die rein formale Existenz hinaus hängt damit eng mit der effektiven Durchsetzung des Rechts zusammen.840 Damit die Rechtssätze als „in eine sprachliche Form gebrachte Verhaltens- oder Entscheidungsregeln“ ihre Funktion erfüllen, müssen sie angewandt werden.841 Hierzu bedarf es – zumindest partiell – einer Hierarchisierung der Rechtskreise bzw. einer „Umformung“ der Rechtskreise in zwei Rechtsebenen. Als Optionen drängen sich für das Unionsrecht „auf Grund der Notwendigkeit der einheitlichen Geltung dieses Rechtskomplexes“842 entweder ein universeller Geltungs-

835

Vgl. Rupert Stettner, A. IV. Gemeinschaftsrecht und nationales Recht, Rn. 28. Dabei sollen Normenkollisionen „keine programmwidrigen Störungen der ‚friedlichen Koexistenz‘ von Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht darstellen, sondern konstitutiver Bestandteil des Gemeinschaftssystems und Ausdruck einer sich gesund entwickelnden Gemeinschaftsrechtsordnung“ sein, vgl. Matthias Niedobitek, VerwArch 2001, S. 58 (60). 837 Martin Nettesheim, EuR 2006, S. 737. 838 Vgl. Michael Brenner, Der Gestaltungsauftrag der Verwaltung in der Europäischen Union, S. 87 mit Verweis auf Manfred Zuleeg, Deutsches und europäisches Verwaltungsrecht – wechselseitige Einwirkungen, VVDStRL 53, S.  154 (165 ff.), der in diesem Zusammenhang von „Verwaltungskollisionsrecht“ spricht (S. 155). 839 Vgl. Hans Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, S.11. 840 Vgl. zu den Funktionen der wirksamen Durchsetzung von Recht am Beispiel der Euro­ päischen Grundrechte, Constance Grewe, EuR 2012, S. 285 (295). 841 Karl Larenz, Methodenlehre, S. 271. 842 Vgl. Rupert Stettner, A. IV. Gemeinschaftsrecht und nationales Recht, Rn. 28. 836

C. Das Europäische Vergaberecht als dogmatische Herausforderung

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vorrang oder ein bedingter Anwendungsvorrang auf. Nicht nur mit dem Ziel, die mitgliedstaatliche Souveränität zu schonen, sondern auch aufgrund der „fehlenden Befugnis des EuGH, über die Geltung mitgliedstaatlichen Rechts zu judizieren“843, geht die herrschende Meinung in Lehre und Rechtsprechung844 von einem Anwendungsvorrang des Unionsrechts vor dem nationalen Recht aus.845 Die auch vom Bundesverfassungsgericht846 und mit der Erklärung Nr. 17 zum Vertrag von Lissabon847 anerkannte, vom EuGH entwickelte848 Rechtsfigur des Anwendungsvorrangs ordnet im Fall einer Normenkollision die Anwendung des Unionsrechts derart an, dass entweder das nationale Recht unangewendet bleibt oder modifiziert angewendet wird.849 Unbestritten besteht trotz dieser Hierarchisierung eine gegenseitige Abhängigkeit der Rechtsordnungen voneinander fort, die wiederum die Autonomie der einzelnen Rechtskreise unterstreicht. Das Unionsrecht bedarf des nationalen Vollzugs. Zugleich wird die Anwendbarkeit des nationalen Rechts durch das Unionsrecht begrenzt.850 Entgegen dem klassischen Völkerrecht überlässt das Unionsrecht seine Stellung in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen nicht diesen, sondern bestimmt sie selbst.851 Die zwei Rechtskreise, die sich eigentlich nur berühren, sind in ein funktionales Verhältnis zueinander gebracht.852

843 Matthias Ruffert, Art. 1 EUV, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV – Kommentar, Rn. 18 mit Verweis auf Matthias Niedobitek, VerwArch 2001, S. 58 (62). 844 Siehe Rupert Stettner, A. IV. Gemeinschaftsrecht und nationales Recht, Rn. 28 mit umfassenden Nachweisen aus Rechtsprechung und Literatur in Fn. 95. 845 Zu den Vorteilen des Anwendungsvorrangs, vgl. ausführlich Manfred Zuleeg, Deutsches und europäisches Verwaltungsrecht  – wechselseitige Einwirkungen, VVDStRL 53, S.  154 (161 ff.). 846 Zur Begründung des Anwendungsvorrangs ausführlich BVerfG vom 12.10.1993 (2 BvR 2134/92, 2 BvR 2159/92) (Maastricht-Urteil) = BVerfGE 155 (190). 847 Schlussakte der Regierungskonferenz, die den am 13.12.2007 unterzeichneten Vertrag von Lissabon angenommen hat, ABl. 2008 C 115/335, 17. Erklärung zum Vorrang. 848 EuGH 1964, 1251, 1269 f. (6/64) – Costa/ENEL. 849 Vgl. Matthias Ruffert, Art.  1 EUV, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV  – Kommentar, Rn. 22 f. 850 Vgl. zu dieser „Verzahnung“ Rudolf Streinz, Europarecht, Rn. 200 ff. 851 Vgl. Martin Nettesheim, Art.  288 AEUV, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union (48. Ergänzungslieferung), Rn. 51. 852 Vgl. Martin Nettesheim, EuR 2006, S.  737 (738), der davon spricht, dass normhierarchische Regeln als Ausdruck einer Kompetenzordnung „funktionale Relationen“ festlegen.

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Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

3. Die Durchsetzungsmechanismen des hierarchisierten Rechts Das Recht ist die Legitimationsgrundlage und das maßgebliche Integrationsinstrument der Europäischen Union zugleich.853 Die Union ist eine Rechtsgemeinschaft.854 In der Entscheidung Les Verts aus dem Jahre 1986 definierte der EuGH den Charakter der europäischen Rechtsgemeinschaft wie folgt: „Dazu ist zunächst hervorzuheben, daß die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft eine Rechtsgemeinschaft der Art ist, daß weder die Mitgliedstaaten noch die Gemeinschaftsorgane der Kontrolle darüber entzogen sind, ob ihre Handlungen im Einklang mit der Verfassungsurkunde der Gemeinschaft, dem Vertrag, stehen. Mit den Art. 173 und 184 EWG-Vertrag auf der einen und Artikel 177 EWG-Vertrag auf der anderen Seite ist ein umfassendes Rechtsschutzsystem geschaffen worden, innerhalb dessen dem Gerichtshof die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Organe übertragen worden ist.“855

Die Verwendung des Verfassungsbegriffs im Zusammenhang mit dem Gründungsvertrag beeindruckte und beeindruckt insofern, als seine Bedeutung ebenso überladen wie unbestimmt ist, wenngleich dieser Vorstoß des EuGH sich in die damalige Verfassungsdebatte in der Wissenschaft einfügte.856 a) Die Rolle des Europäischen Gerichtshofs Der Europäische Gerichtshof hatte sich immer schon als Organ begriffen, „das die Einheit und Funktionsfähigkeit der Union zu sichern hatte“, sodass „viele seiner ausgreifenden Entscheidungen zur Wirkweise des EU-Rechts und zu den Pflichten der Mitgliedstaaten“ diesem Bemühen geschuldet sind.857 Hergeleitet hat der EuGH seine Kompetenz insbesondere auch aus „Sinn und Wesen“ des Art. 267 AEUV (ex. Art. 177 EWG, ex. Art. 234 EG).858 Wieweit diese Ermächtigung auch weitreichende Rechtsfortentwicklungen umfassen darf, ist umstritten.859 Es wundert nicht, dass die wesentlichen Prinzipien, die die Hierarchisierung des europäischen Rechts gegenüber dem nationalen Recht sichern sollen, der Recht 853

Vgl. Eckhart Klein, Vereinheitlichung des Verwaltungsrechts im europäischen Integra­ tionsprozeß, in: Starck, Rechtsvereinheitlichung durch Gesetze, S. 117 (122). 854 Vgl. Abs. 2 und 4 der Präambel des Vertrags über die Europäische Union vom 7.2.1992 (BGBl. II 1992, 1252), in der durch den Vertrag vom Lissabon vom 13.12.2009 (BGBl. II 2008, 1038) geänderten Fassung (BGBl. II 2009, 1223). 855 EuGH 1986, 1339 Rn. 23 (294/83) – Les Verts. 856 Siehe zu der Debatte um die „europäische Verfassungsrechtsgemeinschaft“, Isabelle Ley, ZaöRV 2009, S. 317 (320 ff.). 857 Martin Nettesnheim, EuR 2006, S. 737 (752). 858 Vgl. hierzu EuGH 1978, 629, 644 (106/77) – Simmenthal. 859 Vgl. hierzu ausführlich Christian Calliess, NJW 2005, S. 929, der die Grenze zulässiger Rechtsfortbildung dort setzt, wo die Rechtsprechung gesetzeskorrigierend wirkt (S. 932).

C. Das Europäische Vergaberecht als dogmatische Herausforderung

203

sprechung des EuGH entstammen.860 Zwei Prinzipien, die eine entscheidende Bedeutung für die Implementierung des Vergabesekundärrechts hatten, fanden in dieser Arbeit bereits Aufmerksamkeit: die Rechtsfiguren der unmittelbaren Geltung nicht fristgerecht umgesetzter Richtlinien861 und des gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs862. Der EuGH stützte sie im Wesentlichen auf das Prinzip des effet utile. b) Der Grundsatz der Wirksamkeit des Unionsrechts (effet utile) Angesichts des Fehlens von Exekutivmechanismen im herkömmlichen Sinne zur Durchsetzung des europäischen Primär- und Sekundärrechts863 bedarf es Regeln, „mit denen sich die Wirkungsmächtigkeit der Gemeinschaft und ein Fortschreiten der Integration“864 sichern lassen. Als solch ein wesentliches Prinzip der Europäischen Rechtsordnung ist der vom EuGH in frühen Entscheidungen865 eingeführte effet utile-Grundsatz zu begreifen. Der EuGH machte die Erhöhung der Effektivität und die Wahrung der Einheitlichkeit des Unionsrechts zu einem „Grundanliegen der richterlichen Rechtsfortbildung, das sich wie ein roter Faden durch die Rechtsprechung zieht“866. Da es der EuGH offen lässt, wie die praktische Wirksamkeit herzustellen ist,867 ist der hinter dem Prinzip stehende Gedanke in erster Linie eine Richtschnur bei Auslegung und Rechtsanwendung. Aufbauend auf der implied-powers-Doktrin868 folgt das Prinzip einem einfachen Gedanken: All jene Vorschriften, Normen und Regelungsbereiche des Primär- und Sekundärrecht, die sich unmittelbar und mittelbar über entsprechende Kompetenzen vom Willen der Mitgliedstaaten als „Herren der Verträge“ ableiten lassen, wären bedeutungslos – ja machten keinen Sinn –, wenn ihre Wirksamkeit in irgendeiner Weise systematisch oder punktuell vereitelt würde. 860 Nettesheim ist an dieser Stelle zuzustimmen, dass kaum ein Begriff „so vielfältig und konturenlos“ verwand wird wie jener des „Grundsatzes“ und des „Prinzips“, vgl. Martin Nettesheim, Der Grundsatz der einheitlichen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts, S.  447 (463). Trotzdem kann die Begrifflichkeit im Folgenden zur Beschreibung jener Wesensmerkmale dienen, die der EuGH dem Europäischen Recht als immanent entnommen hat und eine entsprechende Integrationsaufgabe zugewiesen hat. 861 Vgl. zur Bedeutung dieser Rechtsfigur für die Implementierung des Vergabesekundärrechts, oben S. 142 ff. 862 Siehe oben, S. 148 ff. 863 Vgl hierzu Jean-Claude Piris, EuR 2000, S. 311 (322). 864 Im Zusammenhang mit der Würdigung der Arbeit von Eberhard Grabitz: Martin Nettesheim, Der Grundsatz der einheitlichen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts, S. 447. 865 Siehe hierzu die Entscheidungen in Fn. 549 sowie Rudolf Streinz, in: Due/Lutter/Schwarze, Festschrift für Ulrich Everling, S. 1491 (1492 f.). 866 Christian Calliess, NJW 2005, S. 929 (931). 867 Martin Nettesheim, AöR 2007, S. 333 (342). 868 Vgl. hierzu Werner Schroeder, EuR Beiheft 2012, S. 9 (14).

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Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

In der Sprache des EuGH heißt das: „Insbesondere in den Fällen, in denen etwa die Gemeinschaftsbehörden einen Mitgliedstaat oder alle Mitgliedstaaten durch Entscheidung zu einem bestimmten Verhalten verpflichten, würde die nützliche Wirkung (effet utile) einer solchen Maßnahme abgeschwächt, wenn die Angehörigen dieses Staates sich vor Gericht hierauf nicht berufen und die staatlichen Gerichte sie nicht als Bestandteil des Gemeinschaftsrechts berücksichtigen könnten.“869

Der Gerichtshof entwickelte den effet utile auch als Grundsatz der praktischen Wirksamkeit oder nützlichen Wirkung zu einem Leitprinzip der Gemeinschaftsrechtsordnung.870 Einerseits erscheint die Geburt dieses Grundsatzes als „dogmatischer Geniestreich“. Mit dem effet utile als abstraktem Wesensmerkmal der Gemeinschaftsrechtsordnung konnten konkrete Rechtsfiguren entwickelt werden, die die Wirkung und Umsetzung des Primär- und Sekundärrechts ermöglichen. Hierzu zählen die unmittelbare Wirkung von nicht umgesetzten Richtlinien,871 der Vorrang des Unionsrechts,872 die unmittelbare Anwendbarkeit des Unionsrechts,873 der unionsrechtliche Staatshaftungsanspruch874 und die gebotene Ausweitung von Kompetenzen im Allgemeinen875. Anderseits erscheint das Instrument des effet utile als unheilvoller „Freibrief“, der den EuGH im Zweifel den Inhalt der Verträge verbiegen lässt, um bestimmte Bestimmungen des Sekundärrechts oder politisch gewollte Regelungen zu halten.876 So kann nicht ausgeschlossen werden, dass der EuGH „in integrationspolitischem Übermut durch eine gewagte Interpretation des Gemeinschaftsrechts eine Kollision mit nationalem Recht provoziert“877. Nach anfänglicher Verve für das funktionale und methodische Selbstverständnis des EuGH, sah sich der Gerichtshof bald  – spätestens Anfang der 1990er Jahre  – erheblicher Kritik ausgesetzt.878 Nettesheim mahnt den EuGH insbesondere dann zur Zurückhaltung,

869 EuGH 1970, 835 Rn. 5 (9/70) – Grad/Finanzamt Traunstein zur Wirkung von Entscheidungen nach Art. 189 EWG. 870 Siehe zur Verwendung synonymer Begriffe Rudolf Streinz, in: Due/Lutter/Schwarze, Festschrift für Ulrich Everling, S. 1491 (1495 f.). 871 Siehe oben S. 142 ff. 872 Siehe hierzu bereits oben S. 199 ff. 873 Vgl. Rudolf Streinz, in: Due/Lutter/Schwarze, Festschrift für Ulrich Everling, S.  1491 (1499 f.). 874 Vgl. oben S. 148 ff. 875 Rudolf Streinz, in: Due/Lutter/Schwarze, Festschrift für Ulrich Everling, S.  1491 (1502 ff.). 876 Vgl. zu diesem möglichen Vorwurf Jochen Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs, S. 198. Siehe auch kritisch Michael Potacs, EuR 2009, S. 465. 877 Matthias Niedobitek, VerwArch 2001, S. 58 (59) mit dem Hinweis, dass es sich dabei um Ausnahmefälle handelt. 878 Vgl. Martin Nettesheim, Der Grundsatz der einheitlichen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts, S. 447 (466) mit einigen Bespielen deutlicher Kritik aus der Wissenschaft, insbesondere in Fn. 55, 56 und 57.

C. Das Europäische Vergaberecht als dogmatische Herausforderung

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„wenn es um die Verwerfung von Maßnahmen geht, die von allen Mitgliedstaaten einverständlich getroffen wurden; insbesondere in Bereichen, in denen das Einstimmigkeitsprinzip gilt, bedürfen die Mitgliedstaaten nicht der Assistenz des EuGH, um ihre Interessen durchsetzen zu können.“879

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Maastricht-Verfahren von 1993 spiegelt das zwiegespaltene Verhältnis zur Konzeption des effet utile wieder: „Wenn eine dynamische Erweiterung der bestehenden Verträge sich bisher auf eine großzügige Handhabung des Art. 235 EWGV im Sinne einer ‚Vertragsabrundungskompetenz‘, auf den Gedanken der inhärenten Zuständigkeiten der Europäischen Gemeinschaften (‚implied powers‘) und auf eine Vertragsauslegung im Sinne einer größtmöglichen Ausschöpfung der Gemeinschaftsbefugnisse (‚effet utile‘) gestützt hat (vgl. Zuleeg, in: von der Groeben/­ Thiesing/Ehlermann, EWG-Vertrag, 4. Aufl. 1991, Art. 2 Rdnr. 3), so wird in Zukunft bei der Auslegung von Befugnisnormen durch Einrichtungen und Organe der Gemeinschaften zu beachten sein, daß der Unions-Vertrag grundsätzlich zwischen der Wahrnehmung einer begrenzt eingeräumten Hoheitsbefugnis und der Vertragsänderung unterscheidet, seine Auslegung deshalb in ihrem Ergebnis nicht einer Vertragserweiterung gleichkommen darf; eine solche Auslegung von Befugnisnormen würde für Deutschland keine Bindungswirkung entfalten.“880

Bei der Auslegung von primär-, sekundärrechtlichen oder europarechtlich determinierten Vorschriften ist demnach der effet utile als ein den Normzweck des Europarechts vermittelnder Aspekt, mehr noch, als Leitgedanke zu berücksichtigen, soweit es nicht zu einer faktischen Vertragsänderung oder -erweiterung kommt. c) Der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung Aus der Betrachtung der Europäischen Union als Rechtsgemeinschaft und Rechtsordnung in Verbindung mit dem Grundsatz des effet utile „leitet sich das Postulat der einheitlichen, das heißt unverkürzten Geltung des Gemeinschaftsrechts in allen Mitgliedstaaten ab“881. Die Einheit einer Rechtsordnung entsteht dann, wenn diese umfassend und unmittelbar ihre Wirkung entfalten kann: „Unmittelbare Geltung bedeutet unter diesem Blickwinkel, daß die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts ihre volle Wirkung einheitlich in sämtlichen Mitgliedstaaten vom Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an und während der gesamten Dauer ihrer Gültigkeit entfalten müssen. Diese Bestimmungen sind somit unmittelbare Quelle von Rechten und Pflichten für alle diejenigen, die sie betreffen, einerlei, ob es sich um die Mitgliedstaaten oder um solche Einzelpersonen handelt, die an Rechtsverhältnissen beteiligt sind, welche dem Gemeinschaftsrecht unterliegen. Diese Wirkung erstreckt sich auch auf jedes Gericht, das, angerufen im Rahmen seiner Zuständigkeit, als Organ eines Mitgliedstaats die Aufgabe hat, die Rechte zu schützen, die das Gemeinschaftsrecht den einzelnen verleiht.“882 879

Martin Nettesheim, EuR 2006, S. 737 (757). BVerfG vom 12.10.1993 (2 BvR 2134/92, 2 BvR 2159/92) (Maastricht-Urteil) Rn. 157 = BVerfGE 155 (210). 881 Rupert Stettner, A. IV. Gemeinschaftsrecht und nationales Recht, Rn. 10. 882 EuGH 1978, 629 Rn. 14 und 16 (106/77) – Simmenthal. 880

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Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

Für den von den Verträgen vorgesehenen Binnenmarkt wäre es vor dem Hintergrund der Diskriminierung- und Beschränkungsverbote „nicht akzeptabel, wenn widersprechendes partikulares Recht nach Erlass von Gemeinschaftsrechtsnormen in Kraft bleiben oder gar neu gesetzt werden könnte“883. 4. Der Grundsatz der Kompetenzbindung unionalen Handelns Die Besonderheit des Europarechts liegt darin, dass es nicht nur in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen auf Einhaltung und Durchsetzung angewiesen ist. Vielmehr hat es zur Erreichung der von den Verträgen vorgesehenen Ziele884 in Abgrenzung gegenüber den mitgliedstaatlichen Zuständigkeiten nur begrenzte Spielräume, sprich Kompetenzen. a) Das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung Mit dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung nach Art.  5 Abs.  1 S.  1 i. V. m. Abs. 2 EUV darf die Europäische Union „nur innerhalb der Grenzen der Zuständigkeiten tätig“ werden. Diese Zuständigkeiten ergeben sich aus den Kompetenzvorschriften885, die die Mitgliedstaaten der Union zur Verwirklichung der Vertragsziele übertragen haben. Diese „in Art.  2 VI AEUV bekräftigte Selbstverständlichkeit“886 hat ihren Ursprung im Charakter des Europarechts als völkerrechtlichem Vertrag zur Gründung einer internationalen Organisation.887 Angesichts der „beträchtlichen Weite von unionalen Befugnissen“ insbesondere im Bereich der Vorschriften über die Rechtsangleichung im Binnenmarkt nach Art. 114 und 115 AEUV kommt den Kompetenzvorschriften als „Vorkehrungen gegen ihre Entgrenzungen“ mit dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung elementare Bedeutung zu.888

883

Rupert Stettner, A. IV. Gemeinschaftsrecht und nationales Recht, Rn. 11. Vgl. Art. 3 EUV. 885 Vgl. Art. 4 EUV i. V. m. Art. 2–6 AEUV. 886 Vgl. Thomas von Danwitz, B. II. Rechtssetzung und Rechtsangleichung, in: Dauses, EUWirtschaftsrecht (26. Ergänzungslieferung), Rn. 146. 887 Vgl. zum Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung internationaler Organisationen im Völkerrecht, Eckhart Klein und Stefanie Schmahl, 4. Abschnitt – Die Internationalen und die Supranationalen Organisationen, in: Graf Vitzthum, Völkerrecht, Rn. 189 ff. 888 Thomas von Danwitz, B. II. Rechtssetzung und Rechtsangleichung, in: Dauses, EU-Wirtschaftsrecht (26. Ergänzungslieferung), Rn. 146. 884

C. Das Europäische Vergaberecht als dogmatische Herausforderung

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b) Der Subsidiaritätsgrundsatz Ergänzt wird das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung durch den Subsidiaritätsgrundsatz nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 i. V. m. Abs. 3 EUV.889 Das Subsidiaritätsprinzip wurde 1993 mit dem Vertrag von Maastricht in das Primärrecht eingefügt890 und gilt als „Architekturprinzip“891 der Europäischen Union, das mittlerweile „zum selbstverständlichen Bestandteil des Verfassungsrechts eines föderalen Verbundes geworden“892 ist. Danach wird die Union „in den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, nach dem Subsidiaritätsprinzip nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkung besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können.“893

Eine Stärkung erfuhr das Subsidiaritätsprinzip mit dem Vertrag von Lissabon bzw. dem Protokoll Nr. 2 über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit vom 13.12.2007894. Nach Art.  8 des Protokolls wurde die Zuständigkeit des EuGH für Nichtigkeitsklagen gem. Art. 263 AEUV sowohl in persönlicher als auch sachlicher Hinsicht erweitert. Mitgliedstaaten können im Namen ihrer nationalen Parlamente oder Kammern des Parlaments Klage wegen eines Verstoßes eines Gesetzgebungsakts gegen das Subsidiaritätsprinzip erheben. Die Möglichkeit der konkreten Einflussnahme der nationalen Parlamente im Hinblick auf die Einhaltung des Subsidiaritätsgrundsatzes ist mit Art. 7 Abs. 2 des Protokolls geschaffen worden.895 Mit der Entwicklung von Leitlinien, die die Aspekte der Subsidiarität in einem frühen Stadium des Rechtssetzungsprozesses berücksichtigen, bemüht sich die Europäische Kommission um eine bessere Folgenabschätzung des unionalen Handelns, insbesondere der Rechtssetzung.896

889

Vgl. auch hierzu BVerfG vom 12.10.1993 (2 BvR 2134/92, 2 BvR 2159/92) (MaastrichtUrteil) = BVerfGE 155 (190), 4. Orientierungssatz. 890 Vgl. Wernhard Möschel, NJW 1993, S. 3025. 891 Vgl. Silke Albin, NVwZ 2006, S. 629 mit Verweis auf Hermann-Josef Blanke, ZG 1991, S. 133 (144). 892 Jürgen Bast/Armin von Bogdandy, Art. 5 EUV, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union (41. Ergänzungslieferung), Rn. 49. 893 Vgl. EuGH 2010, I-4999 Rn. 72 (C-58/08) – Vodafone u. a. und Wortlaut des Art. 5 Abs. 2 EUV. 894 ABl. 2007 C 306/150. 895 Vgl. hierzu ausführlich unter umfassender Berücksichtigung der Literaturmeinungen Christian Calliess, Art. 12 EUV, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV – Kommentar, Rn. 38 ff. 896 Vgl. Europäische Kommission, Better Regulation Guidelines vom 19.5.2015 (SWD(2015) 111 final), zugänglich über http://ec.europa.eu.

208

Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

c) Das Verhältnismäßigkeitsprinzip Zu den Kompetenzgrundsätzen der EU tritt das Verhältnismäßigkeitsprinzip (Art. 5 Abs. 4 EUV) hinzu, welches ebenfalls mit dem Vertrag von Maastricht 1993 Eingang in die Verträge gefunden hat.897 Bereits zuvor hatte der EuGH in ständiger Rechtsprechung898 klargestellt, „daß die Rechtsakte der Gemeinschaftsorgane nicht die Grenzen dessen überschreiten, was für die Erreichung des verfolgten Ziels angemessen und erforderlich ist“899. Das Prinzip erstreckt sich auf jegliche Maßnahmen der Union.900 Zur Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgebots ist regelmäßig zu fragen, „ob gleichermaßen effektive Regelungsalternativen bestehen, die die mitgliedstaatlichen Handlungsmöglichkeiten weniger beschneiden“901. d) Ausformungen der Kompetenzbindungsgrundsätze im Unionsrecht von Danwitz sieht in den genannten Prinzipien zur Kompetenzbegrenzung einen Ausdruck des Schutzes mitgliedstaatlicher Integrität, der zunehmend mehr von den Mitgliedstaaten eingefordert und durch entsprechende Schutz- und Vorbehaltsklauseln durchgesetzt wird.902 Um die Vielzahl von Bestimmungen, welche die Berücksichtigung dieses Schutzes festschreiben, zu kategorisieren, bildet von Danwitz fünf grundlegende Kategorien903: –– Zur ersten zählen insbesondere die Rechtfertigungstatbestände im Rahmen der Grundfreiheiten, die den „Kern der wirtschaftlichen Integration“ betreffen, wie etwa der Schutz der menschlichen Gesundheit gegenüber der Warenverkehrsfreiheit. –– Zweitens nennt er sog. Opting-up-Klauseln, die sich unter anderem im Bereich der Binnenmarktverwirklichung und dem Verbraucher- und Umweltschutz finden lassen. –– Zur dritten Kategorie zählt die Beschränkung gemeinschaftlicher Befugnisse auf Fördermaßnahmen „unter gleichzeitigem Ausschluss jeglicher Harmonisierung“ wie im Bereich der Bildungs- und Kulturpolitik. 897 Vgl. Art. 3b Abs. 3 EG (Maastricht): „Die Maßnahmen der Gemeinschaft gehen nicht über das für die Erreichung der Ziele dieses Vertrages erforderliche Maß hinaus.“ 898 Siehe EuGH 1979, 77 Rn.  16 (122/78)  – Buitoni; EuGH 1983, 395 Rn.  8 (66/82)  –­ Fromançais; EuGH 1990, I-4023 Rn. 13 (331/88) – Fedesa. 899 EuGH 1984, 2171 Rn. 25 (15/83) – Denkavit Nederland. 900 Jürgen Bast/Armin von Bogdandy, Art. 5 EUV, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union (41. Ergänzungslieferung), Rn. 69. 901 Ebd. mit Verweis in Fn. 172 auf EuGH 1995, I-3723 Rn. 42 ff. (C-420/93) – Deutschland/ Rat. 902 Thomas von Danwitz, EuR 2008, S. 769 (783). 903 Ebd., S. 769 (783 f.) mit vielen Beispielen.

C. Das Europäische Vergaberecht als dogmatische Herausforderung

209

–– Viertens finden sich Integrationsvorbehalte im Bereich der Sicherheitspolitik und in strafrechtlichen Angelegenheiten und der Strafverfolgung. –– Einer fünften Gruppe ordnet von Danwitz die Sonderregeln zu, die nach dem Vertrag von Lissabon für das Vereinigte Königreich und Irland gelten. Diese hilfreiche Kategorisierung zeigt, dass die vermeintlich sehr allgemeinen Prinzipien zur Kompetenzbegrenzung der Europäischen Organe, allen voran des Unionsgesetzgebers, eine konkrete Ausformung – meist im Primärrecht – erfahren haben. In das Vergaberecht haben die Belange zum Schutz der mitgliedstaatlichen Integrität direkten Eingang durch die sog. Sekundärzwecke gefunden;904 dies mit zunehmender Tendenz, die eher „einen Prozess der Ermunterung zur Verfolgung jener Sekundärzwecke dokumentiert“905. Hierzu gehören beispielsweise auch zunehmend soziale Aspekte bei der Auftragsvergabe.906

II. Das Vergaberecht im Zeichen von Rechtsvereinheitlichung und Rechtsharmonisierung in der Europäischen Union 1. Rechtsvereinheitlichung und -harmonisierung als Motive des Europäischen Rechts „Rechtsvereinheitlichung“ scheint auf den ersten Blick terminologisch für die „Herstellung einheitlicher Rechtsnormen innerhalb eines bestimmten Geltungsbereichs durch den Gesetzgeber“907 zu stehen. Stolleis fügt dem die Rechtsvereinheitlichung durch die Rechtsprechung hinzu, welche für eine Überwindung von „Rechtszersplitterung durch einheitliches Richterrecht“908 sorgen kann. Daneben spielen die staatliche Exekutive mit einer kontinuierlichen Praxis und die Wissenschaft „mit ihren Systematisierungsleistungen und mit der Ausbildung dogmatischer Basissätze“909 eine entscheidende Rolle. Diese Formen der Rechtsangleichung eine Chronologie zuzu­ordnen, ist in­sofern schwierig, als sie einander fortwährend bedingen. Es ist nicht gesagt, dass am An 904 Vgl. etwa zu den Sekundärzwecken im Vergaberecht: Gerald Scharpenack, Sekundär­ zwecke im Vergaberecht. 905 Martin Burgi, NZBau 2009, S. 609 (613). 906 Vgl. hierzu kritisch Clemens Latzel, NZBau 2014, S.  673: „Die Politisierung der Auftragsvergabe ist längst nicht mehr eine Randerscheinung experimentierfreudiger ‚Landesfürsten‘. Reden von ‚vergabefremden‘ Vergabekriterien suggerieren eine ‚Kollateralmetaphorik‘, die von der Finalität der Sekundärziele ablenkt. Selbst die EU-Kommission spricht mittlerweile von ‚strategischer Beschaffung‘ zur Verbesserung der ‚sozialen Rahmenbedingungen‘ und betreibt damit auch im Vergaberecht die ‚Sozialisierung der EU‘.“ 907 Michael Stolleis, „Innere Reichsgründung“ durch Rechtsvereinheitlichung 1866–1880, in: Christian Starck, Rechtsvereinheitlichung durch Gesetze, S. 15. 908 Ebd. 909 Ebd.

210

Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

fang die Initiative des Gesetzgebers steht, die im Rahmen der Auslegung durch Rechtsprechung und Wissenschaft sowie durch Anwendung der Verwaltung differenziert wird. Oftmals sind es umgekehrt auch die von Rechtsprechung, Wissenschaft und Praxis entwickelten Rechtsfiguren und Systematiken, die der Gesetzgeber in positives Recht gießt.910 Der Geschichte lassen sich einige Beispiele für die Angleichung unterschiedlichster Rechtsordnungen entnehmen, wie etwa die Gründung des Deutschen Reiches 1871.911 Trotzdem gibt es keine allgemeingültigen Erfahrungswerte, aus denen sich eine „Anleitung“ für die Rechtsangleichung ergeben würde. Hinzu kommt, dass eine Angleichung meist nicht universell, sondern sachlich begrenzt auf bestimmte Rechtsbereiche stattfinden soll. Im Europarecht ist die Rechtsangleichung neben den Diskriminierungs- und Beschränkungsverboten der Grundfreiheiten mit „negativer Integrationswirkung“912 das Mittel zur Erreichung der Vertragsziele, vornehmlich zur Herstellung des Binnenmarktes.913 „Im Ergebnis ist die Rechtsangleichung durch die EU damit als Konzept zu verstehen, das Gesichtspunkte ökonomischer Rationalität – im Interesse höchstmöglicher Wohlfahrtsmehrung  – und politischer Gestaltung untrennbar vereint und in einen Ausgleich zu bringen versucht.“914

Für die Europäische Union gilt zusätzlich die Besonderheit der Supranationalität.915 Im Gegensatz zu den nationalen Rechtsordnungen, die aufgrund der teilweise Jahrhunderte alten Rechtsstrukturen916 aus sich selbst heraus systeminhärente Lösungen finden müssen, hatte und hat das Europäische Recht die Aufgabe, die ihrem Rechtskreis angeschlossenen nationalstaatlichen Rechtsordnungen untereinander anzugleichen – zumindest dort, wo es die Verträge gebieten und die Kompetenzen es erlauben.917

910 Vgl. etwa die Entwicklung menschenrechtlicher Aspekte aus den allgemeinen Rechtsgrundsätzen durch den EuGH, die nun über Art. 6 Abs. 1 EUV zumindest durch Verweis auf die Grundrechtecharta und die EMRK als dem Primärrecht gleichrangig „kodifiziert“ worden sind; siehe hierzu Frank Schorkopf, Art. 6 EUV, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Euro­ päischen Union (51. Ergänzungslieferung), Rn. 12. 911 Michael Stolleis, „Innere Reichsgründung“ durch Rechtsvereinheitlichung 1866–1880, in: Christian Starck, Rechtsvereinheitlichung durch Gesetze, S. 15 (insbesondere S. 18 ff.). 912 Siehe zur „negativen Integrationswirkung“ der Grundfreiheiten oben, S. 93 f. und Fn. 280. 913 Vgl. Art. 2 EWG (Vertrag von Rom), der „die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes und die schrittweise Annäherung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten“ vorgab; dementsprechend heute in weit ausdifferenzierter Form Art. 3 i. V. m. Art. 1 EUV. 914 Christian Tietje, Art.  114 AEUV, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Euro­ päischen Union (43. Ergänzungslieferung), Rn. 31. 915 Vgl. hierzu oben S. 143. 916 Vgl. etwa in Deutschland das Bürgerliche Gesetzbuch vom 18.8.1896 (RGBl.  I 1986, 195). 917 Zur Kompetenzbindung unionalen Handelns siehe oben, S. 206 ff.

C. Das Europäische Vergaberecht als dogmatische Herausforderung

211

Brenner beschreibt die Homogenisierung der nationalen Rechtskreise in der Europäischen Union als eine „Mutation dieser Rechtsordnungen hin auf europäisch strukturierte und systematisierte, wenngleich weitgehend noch mit mitgliedstaatlichen Vorzeichen versehene Rechtsordnungen in einem einheitlichen europäischen Rechtsraum“.918 Die mit der Vereinheitlichung entstehende Rechtsordnung „erwächst aus einem Arsenal verschiedener Rechtsinstitute des Gemeinschaftsrechts und Verzahnungsmechanismen zwischen mitgliedstaatlichem Recht und Gemeinschaftsrecht“919. Um im Bilde von Stolleis zu bleiben, kommt dem Gesetzgeber, der Rechtsprechung, der Verwaltung und der Wissenschaft die Aufgabe der Durchführung der Rechtsangleichung gemeinsam zu.920 Nachdem das Primärrecht Rechtsgrundlagen für die Rechtsangleichung als Instrument der Erreichung der Vertragsziele geschaffen hat, liegt der „Ball“ konzeptionell zuerst im „Feld“ des Gesetzgebers. Über die Kompetenzvorschriften im Rahmen der Grundfreiheiten sowie der Generalnorm des Art. 114 AEUV ist das Funktionieren des Binnenmarktes zu realisieren. Im Begriff des Binnenmarktes sind in diesem Sinne die Gemeinwohlziele zusammengefasst, denen die Rechtsangleichung in ihrer funktionalen Ausrichtung dienen soll.921 2. Das Vergaberecht als Ausdruck der Europäischen Rechtvereinheitlichung Das Vergabesekundärrecht steht beispielhaft für die Stärken und Schwächen der rechtlichen Bemühungen um die europäische Integration. Es ist Ausdruck der europäischen Rechtsvereinheitlichung und nimmt innerhalb der Europäischen Rechtsordnung eine Sonderrolle ein, die ihren Grund in der ausschließlich sekundärrechtlich entwickelten Rechtsharmonisierung hat.922 Da sich keine unmittelbar primärrechtlichen Regeln in den Europäischen Verträgen für den Bereich des Vergaberechts vorhanden sind,923 entschied sich das

918 Michael Brenner, Der Gestaltungsauftrag der Verwaltung in der Europäischen Union, S. 87. 919 Ebd. 920 Vgl. Stolleis (Fn. 908). 921 Christian Tietje, Art.  115 AEUV, in:: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Euro­ päischen Union (43. Ergänzungslieferung), Rn. 37. 922 Als solche sekundärrechtlichen „Triebfedern“ der Rechtsharmonisierung in der EU gelten auch das EU-Verbraucherrecht und das EU-Außenwirtschaftsrecht. Vgl. etwa den Kommentar von Eberhard Grabitz/Meinhard Hilf/Martin Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union (München, fortlaufende Ergänzungslieferungen), der diesen drei Bereichen je eine eigenständige Kommentierung widmet. 923 Vgl. zu den Gründen für die fehlenden primärrechtlichen Vorschriften oben S.  96 und Matthias Öhler, Rechtsschutz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge in der EU, S. 42, Fn. 22.

212

Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

Schicksal dieses Rechts mit dem Entschluss des Gemeinschaftsgesetzgebers Anfang der 1960er Jahre, auf der Grundlage der Verwirklichung der Binnenmarktziele, insbesondere der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit, über Liberalisierungs- und Koordinierungsrichtlinien die Öffnung der nationalen Beschaffungsmärkte zu betreiben.924 Von den Verträgen mit dem Ziel der Binnenmarktverwirklichung beauftragt,925 bekam der Gemeinschaftsgesetzgeber das Regelungsinstrument der Richtlinie an die Hand, um im Rahmen der gesetzten Kompetenzgrenzen in den Mitgliedstaaten die Voraussetzungen für die Erreichung der Gemeinwohlziele zu schaffen, für welche die Idee des Binnenmarktes steht. Dabei durfte weder die Souveränität der mitgliedstaatlichen Rechtssetzung verletzt,926 noch die Verantwortung vollends auf die Mitgliedstaaten übertragen werden. Zu Beginn der vergaberechtlichen Vergemeinschaftung in den 1970er Jahren927 bot sich nur eine Möglichkeit, um diesen schmalen Pfad zu beschreiten. Mit dem Liberalisierungs- und Koordinierungsprogramm928 ging es zunächst um die Konkretisierung der Regelungsziele der Grundfreiheiten für den Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens. Den Mitgliedstaaten waren nicht nur hinsichtlich des „Wie“ der Richtlinienumsetzung, sondern angesichts der zahlreichen Ausnahmen in Bezug auf das „Ob“ ein umfangreicher Spielraum und damit auch eine entscheidende Verantwortung übertragen worden.929 Das erste Richtlinienprogramm schonte die Souveränität der Mitgliedstaaten.930 Damit war man der Verwirklichung eines gemeinsamen, harmonisierten (Beschaffungs-)Marktes kein Stück näher gekommen. Die Mitgliedstaaten ver­ weigerten sich einer aktiven Mitarbeit. Sie setzten die Richtlinien einfach nicht um.931 Der Gemeinschaftsgesetzgeber entschied sich Anfang der 1990er Jahre, die Richtlinien zu konsolidieren, die Tatbestände zu konkretisieren und die Ausnahmen zu streichen.932 Den Mitgliedstaaten wurde die Verantwortung über Ausgestaltung der vergaberechtlichen Harmonisierung genommen, zugleich büßten sie weite Teile ihrer Dispositionsfreiheit bei der Rezeption des Sekundärrechts ein. 924 Siehe oben zur beginnenden Vergemeinschaftung des öffentlichen Auftragswesens, S. 92 ff. 925 Vgl. Art. 2 EWG (Rom). 926 Vgl. zu Prinzip der Kompetenzbindung oben, S. 206 ff. 927 Siehe oben, S. 92 ff. 928 Vgl. die Warenliberalisierungs-RL 70/32/EWG und die Bauliberalisierungs-RL 71/304/ EWG sowie die Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG und die Lieferkoordinierungs-RL 77/62/ EWG. Siehe auch oben, S. 95 ff. 929 Siehe Bespiele in Fn. 277 und 295 bis 301. 930 Das Europäische Parlament sprach in diesem Zusammenhang im Gesetzgebungsverfahren von „allzu großem Nachgeben“ (Fn. 294). 931 Vgl. hierzu oben, S. 101 ff. und S. 128 ff. 932 Mit den sog. Basisrichtlinien, siehe hierzu oben, S. 119 ff.

C. Das Europäische Vergaberecht als dogmatische Herausforderung

213

Die Vorschriften wandelten sich von einem „erklärenden Leitplankencharakter“ hin zu konkreten Vorgaben, die die Mitgliedstaaten in ihre Rechtsordnungen zu übernehmen hatten. Der Spielraum wurde angesichts der sehr detaillierten Definitionen, Verfahrensarten und technischen Vorschriften immer enger und damit das Einwirken des Sekundärrechts auf das nationale Recht intensiver.933 Die Mitgliedstaaten hatten angesichts ihrer Untätigkeit zuvor das Erfordernis einer stärkeren Rechtsvereinheitlichung durch sekundärrechtliche Anordnung selbst verursacht. Die besonders in den 1990er Jahren für die Harmonisierung im privatrechtlichen Bereich gehegten Bedenken,934 die Gemeinschaft ließe die nationalen „Umsetzungsgesetzgeber“935 mit zu weiten und unbestimmten Richtlinienvorschriften alleine, galt nicht für das Vergaberechtsekundärrecht. Ganz im Gegenteil überließen die neuen Basisrichtlinien den Mitgliedstaaten oftmals wenig bis keinen Spielraum, sodass die Vorschriften der Richtlinie teils wörtlich in den nationalen Gesetzestext überführt wurden.936 Von Bedeutung wurde dieser neue Ansatz auch für die Frage der richtlinienkonformen Auslegung nationaler Vorschriften937, die immer näher an die Form einer unmittelbaren Anwendung der Richtlinien rückte.938 3. Möglichkeiten und Grenzen der vergaberechtlichen Rechtsangleichung Die Entscheidung über den zu wählenden Weg der unionsrechtlichen Rechtsangleichung liegt bei den Unionsorganen. Ihnen ist dabei „notwendigerweise ein Ermessenspielraum insbesondere hinsichtlich der Möglichkeit zuzubilligen, die Harmonisierung nur in Etappen vorzunehmen und nur einen schrittweisen Abbau der einseitig von den Mitgliedstaaten getroffenen Maßnahmen zu verlangen“939. Schließlich handelt es sich meist um weitreichende „politische, wirtschaftliche und 933

Siehe zu den Gründen die Bestandsaufnahme der Kommission in ihrem Aktionsprogramm von 1986 (Fn. 319). 934 Vgl. Oliver Remien, RabelsZ 1996, S. 1 (14) m. w. N. in den Fn. 70–75. 935 Peter-Christian Müller-Graf, in: Jürgen F. Baur, Festschrift für Bodo Börner, S. 303 (340). 936 Vgl. z. B. die Feststellung des EuGH, dass die Vorschrift mit der Begriffsdefinition für „öffentliche Dienstleistungsaufträge“ nach Art. 1 lit. a) Dienstleistungskoordinierungs-RL 92/50/ EWG „für die Bestimmung ihrer Bedeutung und ihrer Reichweite keinerlei ausdrücklichen Verweis auf das Recht der Mitgliedstaaten enthält“, mit der Folge der unmittelbaren Heranziehung der Definition aus der Richtlinie; EuGH 2005, I-8831 Rn. 36 (264/03) – Kommission/ Frankreich. 937 Siehe hierzu unten, S. 240 ff. 938 Zur unmittelbaren Wirkung von Richtlinien siehe oben, S.  142 ff. sowie EuGH 1990, I-4135 Rn. 6 ff. (C-106/89) – Marleasing; EuGH 2000, I-4941 Rn. 30 (verb. Rs. C-240, 241, 242, 243, 244/98) – Océano; EuGH 2004, I-8835 Rn. 108 ff. (verb. Rs. 397, 398, 399, 400, 401, 402, 403/01) – Pfeiffer. 939 EuGH 1984, 1229, 1249 (37/83) – REWE-Zentrale.

214

Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

soziale Entscheidungen“940. Die zuständigen Organe müssen, „ausgehend von unterschiedlichen komplexen nationalen Vorschriften, gemeinsame Regeln ausarbeiten, die den im Vertrag festgelegten Zielen entsprechen“941 und für die sich auch im Ministerrat die erforderlichen Mehrheiten finden. Der EuGH hat dem Unionsgesetzgeber ausdrücklich zugebilligt, „einen schrittweisen Lösungsansatz zugrunde zu legen“ und „insbesondere entsprechend der erworbenen Erfahrung vorzugehen“, wenn er „ein komplexes System umstruk­ turieren oder schaffen muss“ – beispielsweise das Vergabesekundärrecht.942 Folglich trägt die Rechtsetzung der Europäischen Union „notwendigerweise einen prozess- und kompromisshaften Charakter“943. Die Rechtsangleichung im Allgemeinen ist neben den rechtlichen Rahmenbedingungen, insbesondre den Kompetenz- und Verfahrensvorschriften, bestimmt von den faktischen Möglichkeiten, die sich vornehmlich aus den politischen und wirtschaftlichen Umständen ergeben. Im Besonderen gilt dies auch für das Verga­ besekundärrecht, dessen heterogene Entstehungsgeschichte Zeugnis der Schwierigkeiten seiner Rechtsangleichung ist.944 a) Grenzen und Möglichkeiten der vergaberechtlichen Integration de jure Die Kommission als „Integrationsmotor“945 war bei der Entwicklung eines Vergaberechtsregimes von den im Vertrag vorgesehenen Rechtsgrundlagen für Maßnahmen zur Beseitigung von Beschränkungen der Grundfreiheiten sowie den Vorschriften über die Angleichung der Rechtsangleichung abhängig.946 Grund waren die fehlenden primärrechtlichen Bestimmungen für das öffentliche Auftragswesen. Angesichts des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung947 und des Subsidiaritätsprinzips948 muss ein genauer Blick auf die Kompetenzgrundlagen für die Errichtung und Ausgestaltung des europäischen Vergaberechtsregimes geworfen werden. Zwar scheint auf den ersten Eindruck der unmittelbare Zusammenhang 940

Vgl. EuGH 2002, I-11453 Rn. 123 (C-491/01) – British American Tobacco. EuGH 1991, I-1799 Rn. 10 (C-63/89) – Assurances du Crédit. 942 Vgl. EuGH 2008, I-9895 Rn. 57 (C-127/07) – Arcelor. 943 Ulrich Forsthoff, Art. 45 AEUV, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union (42. Ergänzungslieferung), Rn. 350. 944 Zur rechtsgeschichtlichen Entstehung des Europäischen Vergaberechts siehe oben, S. 92 ff. 945 Vgl. zur Begriffsschöpfung in diesem Zusammenhang Walter Hallstein, Der unvollendete Bundesstaat, S. 56: „Die Funktion der Kommission ist dreifach: sie ist Motor, Wächter und ehrlicher Makler.“ 946 Siehe zu den Rechtsgrundlagen des ersten Richtlinienprogramms unten, S. 215 f. 947 Hierzu bereits oben, S. 206. 948 Vgl. oben, S. 207 f. 941

C. Das Europäische Vergaberecht als dogmatische Herausforderung

215

zwischen einem funktionierenden Binnenmarkt und einem schrankenlosen Auftragswesen als gegeben. Eine genaue Betrachtung offenbart jedoch, dass die Verrechtlichung des Vergabewesens mittels europäischer Richtlinien zumindest nicht ohne Begründungsbedarf ist. aa) Rechtsgrundlagen für das Vergabesekundärrecht Im Falle der Vergaberichtlinien stützte sich der Gemeinschaftsgesetzgeber soweit wie möglich auf die Kompetenztitel zum Erlass von Richtlinien zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeiten (Niederlassungsfreiheit) nach Art.  57 Abs.  2 EWG, Art. 47 Abs. 2 EG und Art. 53 Abs. 1 AEUV949 sowie für die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 66 EWG, Art. 55 EG und Art. 62 AEUV950. Diese Rechtsgrundlagen reichten jedoch tatbestandlich nicht für das gesamte Richtlinienprogramm aus. Ergänzend und teilweise ausschließlich zogen die Rechtssetzer die Vorschrift über die Angleichung der nationalen Rechtsvorschriften im Binnenmarkt nach Art.  100 EWG, Art.  100a EWG bzw. Art.  95 EG und heute nach Art. 114 AEUV als Kompetenztitel heran. Die Richtlinien waren damit in ihrer Regelungsrichtung meist zweierlei Zielen unterworfen. Die Vergaberichtlinien mussten sowohl die Zwecke der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit verfolgen als auch den Harmonisierungsvorschriften gerecht werden.951 Stützt der Unionsgesetzgeber seine Gesetzgebungstätigkeit ergänzend oder allein auf die Vorschriften über die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften nach Art. 114 f. AEUV (ex. Art. 100 EWG, ex. Art. 100a EWG, ex. Art. 95 EG), muss die Frage nach der Reichweite dieser Kompetenznorm beantwortet werden. Die Harmonisierungsvorschriften bieten der Europäischen Union keineswegs eine allgemeine Gesetzgebungskompetenz. Ganz im Gegenteil.

949 Vgl. 1. Erwägungsgrund Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG, 6. Erwägungsgrund Baukoordinierungs-ÄndRL 89/440/EWG, 2.  Erwägungsgrund Baukoordinierungs-RL 93/37/ EWG, 2. Erwägungsgrund Vergabekoordinierungs-RL 2004/18/EG; Präambeln der Konzessionsvergabe-RL 2014/23/EU, Vergabe-RL 2014/24/EU und Sektoren-RL 2014/25/EU; vgl. für den Wortlaut die Tabelle in Anhang IV zu dieser Arbeit. 950 Vgl. 1. Erwägungsgrund Lieferkoordinierungs-RL 77/62/EWG, 1. Erwägungsgrund Lieferkoordinierungs-ÄndRL 88/295/EWG, 3.  Erwägungsgrund Sektorenvergabe-RL 90/531/ EWG, 2.  Erwägungsgrund Dienstleistungskoordinierungs-RL 92/50/EWG, 5.  Erwägungsgrund Lieferkoordinierungs-RL 93/36/EWG, 2. Erwägungsgrund Sektorenkoordinierungs-RL 93/38/EWG, 2. Erwägungsgrund Vergabekoordinierungs-RL 2004/18/EG; Präambeln der Konzessionsvergabe-RL 2014/23/EU, Vergabe-RL 2014/24/EU und Sektoren-RL 2014/25/EU; vgl. für den Wortlaut die Tabelle in Anhang IV zu dieser Arbeit. 951 Zu den Voraussetzungen siehe unten, S. 220 ff.

216

Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts Schaubild 8 Rechtsgrundlagen der Europäischen Vergaberichtlinien952

Vergaberichtlinie952

Regelung

Rechtsgrundlage

RL 71/305/EWG

1. Baukoordinierungsrichtlinie

Art. 57 Abs. 2 EWG Art. 66 EWG Art. 100 EWG

RL 77/62/EWG

1. Lieferkoordinierungsrichtlinie

Art. 100 EWG

RL 80/767/EWG

Anpassung und Ergänzung der RL 77/62/EWG

Art. 100 EWG

RL 88/295/EWG

Änderung der RL 77/62/EWG

Art. 100a EWG

RL 89/440/EWG

Änderung der RL 71/305/EWG

Art. 57 Abs. 2 EWG Art. 66 EWG Art. 100a EWG

RL 89/665/EWG

1. Nachprüfungsrichtlinie

Art. 100a EWG

RL 90/531/EWG

1. Sektoren(vergabe-)richtlinie

Art. 57 Abs. 2 EWG Art. 66 EWG Art. 100a EWG Art. 113 EWG

RL 92/13/EWG

1. Nachprüfungsrichtlinie für die Sektoren

Art. 100a EWG

RL 92/50/EWG

1. Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie

Art. 57 Abs. 2 EWG Art. 66 EWG

RL 93/36/EWG

2. Lieferkoordinierungsrichtlinie

Art. 100a EWG

RL 93/37/EWG

2. Baukoordinierungsrichtlinie

Art. 57 Abs. 2 EWG Art. 66 EWG Art. 100a EWG

RL 93/38/EWG

2. Sektoren(koordinierungs-)richtlinie

Art. 57 Abs. 2 letzter Satz EWG Art. 66 EWG Art. 100a EWG Art. 113 EWG

RL 2004/17/EG

3. Sektoren(koordinierungs-)richtlinie

Art. 47 Abs. 2 EG (ex. Art. 57 EWG) Art. 55 EG (ex. Art. 66 EWG) Art. 95 EG (ex. Art. 100a EWG)

952 Angeführt sind nur die Koordinierungs- und Nachprüfungsrichtlinien. Die „erklärenden“ Waren-Lieferungs-RL 70/32/EWG und Bauliberalisierungs-RL 71/304/EWG sowie die 2007/24/EG bleiben außer Acht.

C. Das Europäische Vergaberecht als dogmatische Herausforderung

217

Vergaberichtlinie952

Regelung

Rechtsgrundlage

RL 2004/18/EG

Konsolidierte Koordinierungsrichtlinie für Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge

Art. 47 Abs. 2 EG (ex. Art. 57 EWG) Art. 55 EG (ex. Art. 66 EWG) Art. 95 EG (ex Art. 100a EWG)

RL 2007/66/EG

Konsolidierte Nachprüfungsrichtlinie

Art. 95 EG (ex. Art. 100a EWG)

RL 2009/81/EG

Verteidigungsgüterrichtlinie

Art. 44 Abs. 2 EG Art. 47 Abs. 2 letzter Satz EG (ex. Art. 57 EWG) Art. 55 EG (ex. Art. 66 EWG) Art. 57 Abs. 2 EG Art. 71 EG Art. 80 Abs. 2 Art. 93, 94, 133 und 181a EG Art. 300 Abs. 2 UAbs. 1 S. 2 und Abs. 3 UAbs. 1 EG

RL 2014/23/EU

1. Konzessionsvergaberichtlinie

Art. 53 Abs. 1 AEUV Art. 62 AEUV Art. 114 AEUV

RL 2014/24/EU

Modernisierte Koordinierungsrichtlinie für Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge

Art. 53 Abs. 1 AEUV Art. 62 AEUV Art. 114 AEUV

RL 2014/25/EU

4. Sektoren(koordinierungs-)richtlinie

Art. 53 Abs. 1 AEUV Art. 62 AEUV Art. 114 AEUV

Nach der Rechtsprechung des EuGH findet das oben beschriebene Subsidiaritätsprinzip gerade auch auf die Gesetzgebung nach Art. 114 f. AEUV Anwendung, da diese Vorschrift dem Unionsgesetzgeber „keine ausschließliche Zuständigkeit für die Regelung der wirtschaftlichen Tätigkeiten im Binnenmarkt verleiht“953. In einer Grundsatzentscheidung vom 5.10.2000 stellte der EuGH hierzu klar: „Aus der Zusammenschau dieser Bestimmungen ergibt sich, dass Maßnahmen gemäß Artikel 100a Absatz 1 EG-Vertrag [jetzt: Art. 114 AEUV] die Voraussetzungen für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes verbessern sollen. Diesen Artikel dahin auszulegen, dass er dem Gemeinschaftsgesetzgeber eine allgemeine Kompetenz zur Regelung des 953

Vgl. EuGH 2002, I-11453 Rn. 179 (C-491/01) – British American Tobacco.

218

Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

Binnenmarktes gewährte, widerspräche nicht nur dem Wortlaut der genannten Bestimmungen, sondern wäre auch unvereinbar mit dem in Artikel 3b EG-Vertrag (jetzt Artikel 5 EG) [jetzt: Art. 5 Abs. 2 EUV] niedergelegten Grundsatz, dass die Befugnisse der Gemeinschaft auf Einzelermächtigungen beruhen.“954

Greift der Unionsgesetzgeber auf die Vorschriften über die Rechtsangleichung als Rechtsgrundlage zurück, muss er also klarstellen, dass der Rechtsakt den besonderen Zielen der Harmonisierung dient und das Subsidiaritätsprinzip ausreichend Berücksichtigung gefunden hat. Einige der Vergaberichtlinien wurden diesem „gesteigerten Begründungsbe­ dürfnis“955 nicht gerecht. Insbesondere im Fall der Lieferkoordinierungs-ÄndRL 80/767/EWG zur Anpassung der Lieferkoordinierungs-RL 77/62/EWG und der konsolidierten Nachprüfungs-RL 2007/66/EG, die sich beide ausschließlich auf Art. 100 EWG bzw. Art. 95 EG als Rechtsgrundlage für Maßnahmen zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften im Binnenmarkt stützen,956 fehlten Erläuterungen zur Regelungsnotwendigkeit. bb) Die Bedeutung verfahrensrechtlicher Aspekte für die Entwicklung des Europäischen Vergaberechts Nicht zu unterschätzen ist der Einfluss verfahrensrechtlicher Aspekte auf die Entstehung des Vergabesekundärrechts. Sowohl Art.  57 Abs.  2 EWG, der entweder für die Niederlassungsfreiheit direkt oder für die Dienstleistungsfreiheit über die Verweisung des Art.  66 EWG als Rechtsgrundlage für Richtlinien zur Koordinierung der mitgliedstaatlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften fungierte, als auch Art. 100 EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften mittels Richtlinien, setzten ursprünglich für fast alle Bereiche die Einstimmigkeit im Rat voraus.957 Mit der Einheitlichen Europäischen Akte vom 17. und 28.2.1986958 wurde zwar für das Verfahren zur Rechtsangleichung nach Art. 100a EWG (ex. 100 EWG) mit 954

EuGH 2000, I-8419 Rn. 83 (C-376/98) – Deutschland/Parlament und Rat. Siehe oben zum Grundsatz der Kompetenzbindung des unionalen Handelns, S. 206 ff. 956 Vgl. hierzu Schaubild 7 (S. 215) sowie die Übersicht in Anhang IV zu dieser Arbeit. 957 Vgl. etwa den Wortlaut des Art. 57 Abs. 2 EWG als Rechtsgrundlage für Richtlinien zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Aufnahme und Ausübung von selbstständigen Tätigkeiten: „Hierbei ist Einstimmigkeit für die Sachgebiete erforderlich, die in mindestens einem Mitgliedstaat durch Gesetz geregelt sind, sowie für Maßnahmen, die sich auf den Schutz des Sparwesens, insbesondere die Gewährung von Krediten und die Ausübung einer Banktätigkeit sowie auf die Voraussetzungen für die Ausübung der ärztlichen, arztähnlichen und pharmazeutischen Berufe in den einzelnen Mitgliedstaaten beziehen. Im übrigen beschließt der Rat während der ersten Stufe einstimmig und danach mit qualifizierter Mehrheit.“ 958 Einheitliche Europäische Akte, unterzeichnet am 17.2.1986 von neun Mitgliedstaaten in Luxemburg und am 28.2.1986 von Dänemark, Italien und Griechenland in Den Haag, in Kraft getreten am 1.7.1987, ABl. 1987 L 169/1. 955

C. Das Europäische Vergaberecht als dogmatische Herausforderung

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Art. 6 und 18 der Akte das „Verfahren der Zusammenarbeit“959 eingeführt, wonach der Rat grundsätzlich mit qualifizierter Mehrheit entschied. Für Art.  57 Abs.  2 EWG blieb bis auf eine Ausnahme das Einstimmigkeitserfordernis jedoch be­ stehen.960 Mit dem Vertrag von Maastricht vom 7.2.1992961 änderte sich nichts am Erfordernis der Einstimmigkeit des Art. 57 Abs. 2 EG (ex. Art. 57 Abs. 2 EWG).962 Auch mit dem Vertrag von Amsterdam vom 2.10.1997963 wurde das Einstimmigkeitsprinzip für Art. 47 Abs. 2 EG (ex. Art. 57 Abs. 2 EG) im Grundsatz beibehalten,964 ebenso mit dem Vertrag von Nizza vom 26.2.2001965. Erst mit dem Vertrag von Lissabon vom 13.12.2007966 wurde der Vorbehalt der Einstimmigkeit nach ex. Art. 47 Abs. 2 EG gestrichen und nicht in Art. 53 AEUV967 übernommen. Seither gilt gem. Art. 16 Abs. 3 EUV i. V. m. Art. 289 AEUV das Mitentscheidungsverfahren des Art. 294 AEUV, wonach der Rat mit qualifizierter Mehrheit entscheidet. Das Maß der vergaberechtlichen Integration war damit von Anfang an mitbe­ stimmt von den Mehrheitserfordernissen im Rat, welcher als Ministerrat den Resonanzboden mitgliedstaatlicher Bedenken im Gesetzgebungsverfahren bildete.968 So lassen sich vor diesem Hintergrund die schnellen Änderungen der 1.  Lieferkoordinierungsrichtlinie sowie die Einführung der nicht unumstrittenen Nachprüfungsrichtlinien969 auch damit erklären, dass sie auf die Kompetenzgrundlage des Art. 100a EWG gestützt werden konnten, welcher nur die qualifizierte Mehrheit im Rat vorsah.

959

Vgl. hierzu Art. 7 der Akte zur Änderung des Art. 149 EWG. Vgl. Art. 6 Abs. 1 der Akte, der Art. 57 Abs. 2 S. 2 EWG von der Änderung des Verfahrens ausnimmt sowie Art. 6 Abs. 7 der Akte, der für alle nicht unter S. 2 fallenden Bereiche das Verfahren der Zusammenarbeit vorsieht. 961 Vertrag über die Europäische Union vom 7.2.1992, in Kraft getreten am 1.11.1993, ABl. 1992 C 191/1. 962 Vgl. Titel II, Artikel C, Nr. 13 Vertrag von Maastricht (Fn. 962). 963 Vertrag von Amsterdam, unterzeichnet am 2.10.1997, in Kraft getreten 1.5.1999, ABl. 1997 C 340/1. 964 Der Bereich, für den das Prinzip der Einstimmigkeit vorgesehen war, wurde eingeschränkt. Vgl. Wortlaut des Art. 47 Abs. 2 S. 2 EG: „Der Rat beschließt im Rahmen des Verfahrens des Artikels 189b einstimmig über die Richtlinien, deren Durchführung in mindestens einem Mitgliedstaat eine Änderung bestehender gesetzlicher Grundsätze der Berufsordnung hinsichtlich der Ausbildung und der Bedingungen für den Zugang natürlicher Personen zum Beruf umfaßt. Im übrigen beschließt der Rat mit qualifizierter Mehrheit.“ 965 Vertrag von Nizza unterzeichnet am 26.2.2001, in Kraft getreten am 1.2.2003, ABl. 2001 C 80/1. 966 Vertrag von Lissabon, unterzeichnet am 13.12.2007, in Kraft getreten am 1.12.2009, ABl. 2007 C 306/1. 967 Ex. Art. 47 Abs. 3 EG wurde zu Art. 53 Abs. 2 AEUV, vgl. Art. 2 Abs. 54 Vertrag von Lissabon (Fn. 967). 968 Siehe hierzu auch Martin Seidel, Rechtsangleichung und Rechtsgestaltung, S. 46 ff., und Sven von Alemann, Der Rat der Europäischen Union, S. 9 ff. 969 Nachprüfungs-RL 89/665/EWG und Sektorennachprüfungs-RL 92/13/EWG; siehe hierzu auch oben, S. 117 ff. und S. 176 f. 960

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Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

cc) Die Richtlinie als Instrument der Rechtsangleichung Welcher Rechtsakt i. S. v. Art.  288 AEUV zur Realisierung der Binnenmarktziele in Betracht kommt, hängt von den in Frage kommenden Rechtsgrundlagen ab. Die Wahl der Rechtsgrundlage wiederum muss sich „nach ständiger Rechtsprechung auf objektive, gerichtlich nachprüfbare Umstände gründen, zu denen insbesondere das Ziel und der Inhalt des Rechtsakts gehören“970. Dies ergibt sich bereits aus den Grundsätzen der Kompetenzbindung unionalen Handelns.971 Mit dem Vertrag von Lissabon wurde in Art. 296 Abs. 1 und 3 AEUV die zuvor in Art. 253 EG (ex. Art. 190 EWG) normierte Begründungspflicht der Rechtsakte im Hinblick auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip (Art. 5 Abs. 4 EUV) und das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 2 EUV) erweitert. Wie bereits festgestellt,972 stützten und stützen sich die vergaberechtliche Sekundärakte auf die Art. 57 Abs. 2 EWG, Art. 47 Abs. 2 EG bzw. Art. 53 AEUV und Art. 66 EWG, Art. 55 EG bzw. Art. 62 AEUV sowie auf Art. 100 EWG, dann Art. 100a EWG, Art. 95 EG und schließlich Art. 114 AEUV. Ursprünglich war in Art.  100 EWG nur die Richtlinie als Harmonisierungsinstrument vorgesehen. Erst mit der Einfügung des Art.  100a EWG durch die Einheitliche Europäische Akte973 ermächtigte der Vertrag den Gemeinschaftsgesetzgeber zum Erlass der „Maßnahmen zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, die die Errichtung und das Funktionie­ ren des Binnenmarktes zum Gegenstand haben“. Damit waren fortan auch anderer Rechtsakte wie etwa Verordnungen als Mittel der Rechtsangleichung zugelassen.974 Währenddessen sehen die Ermächtigungsgrundlagen zur Rechtsangleichung im Rahmen der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit nach Art.  53 Abs. 2 bzw. Art. 66 i. V. m. Art. 53 Abs. 2 AEUV bis heute nur die Richtlinie als zulässiges Regelungsinstrument vor. In den 1970er Jahren stand damit dem Gesetzgeber nur das Instrument der Richtlinie zur Verfügung, um das Vergabesekundärrecht und mit ihm das euro­ päische Vergaberecht zu errichten. Bis heute blieb es bei dieser Rechtsform. Die europäischen Richtlinien, die gem. Art.  288 AEUV (ex. Art.  249 EG, ex. Art. 189 EWG) als zweistufiges „Harmonisierungsprogramm“975 verstanden werden, überlassen den innerstaatlichen Stellen zwar die Wahl der Form und Mittel, führen 970

EuGH 2007, I-9097 Rn. 61 (C-440/05) – Kommission/Rat mit Verweis auf EuGH 1991, I-2867 Rn.  10 (C-300/89)  – Titandioxid; EuGH 2002, I-7699 Rn.  30 (C-336/00)  – Huber; EuGH 2005, I-7879 Rn. 45 (C-176/03) – Kommission/Rat. 971 Siehe oben, S. 206 f. 972 Vgl. oben, S. 215 f. 973 Einheitliche Europäische Akte vom 17. bzw. 28.2.1986, ABl. 1987 L 169/1. 974 Art. 100a Abs. 1 EWG in der Fassung der Einheitlichen Europäischen Akte. 975 Markus Kotzur, Art.  288 AEUV, in: Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV  – Kommentar, Rn. 10.

C. Das Europäische Vergaberecht als dogmatische Herausforderung

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aber auch potenziell zu einer „Verantwortungsentlastung“976 des Richtliniengebers hin auf die nationalen Umsetzungsgesetzgeber. Sie bieten die Möglichkeit, einen Rechtsrahmen „zügiger, aber auch freibleibender, auslegungsbedürftiger und kompromißartiger“977 zu formulieren. Die „Rezeptionspflicht“978 liegt bei den Mitgliedstaaten. Sie müssen die Umsetzung gestalten und dabei jene Mittel wählen, mit denen die Ziele des Unionsrechts ohne Abstriche zu erreichen sind. Die Ausgestaltung der Harmonisierung liegt damit grundsätzlich bei den Mitgliedstaaten. Ihre Inten­sität hängt von den Vorbedingungen der jeweiligen Rechtsordnung ab. „Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Umsetzung einer Richtlinie in innerstaatliches Recht nach ständiger Rechtsprechung nicht unbedingt in jedem Mitgliedstaat eine Handlung des Gesetzgebers verlangt. Insbesondere kann das Bestehen allgemeiner Grundsätze des Verfassungs- oder Verwaltungsrechts die Umsetzung durch Maßnahmen des Gesetzoder Verordnungsgebers überflüssig machen, sofern diese Grundsätze tatsächlich die vollständige Anwendung der Richtlinie durch die nationale Verwaltung garantieren und sofern für den Fall, dass die fragliche Vorschrift der Richtlinie dem Einzelnen Rechte verleihen soll, die sich aus diesen Grundsätzen ergebende Rechtslage hinreichend bestimmt und klar ist und die Begünstigten in die Lage versetzt werden, von allen ihren Rechten Kenntnis zu erlangen und sie gegebenenfalls vor den nationalen Gerichten geltend zu machen.“979

dd) Alternative Überlegungen Angesichts der mangelhaften und nicht fristgerechten Umsetzung der Vergaberichtlinien über mehrere Jahrzehnte hinweg ist es erstaunlich, wie verhalten die Frage nach europarechtlichen Vergabeverordnungen oder gar einer Verankerung des Vergaberechts im europäischen Primärrecht behandelt wurde.980 Mit Art. 100a EWG, eingefügt durch den Vertrag von Maastricht, war es bereits 1993 möglich geworden, Maßnahmen zur Rechtsvereinheitlichung auch mittels einer Verordnung zu regeln. Die Stimmen, die sich in Brüssel für die Ordnung des Vergaberechts durch unmittelbar geltende Verordnungen aussprachen, drangen nicht nach außen, zumindest fanden ihre Überlegungen keinen Nährboden.981 Hierzu zählte auch der Vor 976 Peter-Christian Müller-Graf, in: Jürgen F. Baur, Festschrift für Bodo Börner, S. 303 (340): „Da diese [Umsetzungsverantwortung] den Mitgliedstaaten obliegt, kann die Richtlinie im Vorschlag der Kommission zügiger, aber auch freibleibender, auslegungsbedürftiger und kompromißartiger formuliert werden als es dem Harmonisierungsziel bekömmlich ist.“ 977 Ebd. 978 Vgl. Manfred Zuleeg, VVDStRL 53, S. 154 (174). 979 EuGH 2009, I-11503 Rn. 41 (C-475/08) – Kommission/Belgien mit Verweis auf EuGH 1985, 1661 Rn. 23 (29/84) – Kommission/Deutschland und EuGH 2005, I-5335 Rn. 51 (C-456/03) – Kommission/Italien. 980 Dies fragt auch Meinrad Dreher, EuZW 1998, S. 197 (202); vgl. auch Michael Brenner, EuR Beiheft I 1996, S. 23 (27). 981 Vgl. als eine der wenigen Stimmen: Joerg Wenzel, Kabinettschef des damaligen Vizepräsidenten der Kommission Martin Bangemann, zitiert in: Jens Kersten, DVBl. 1995, S. 786.

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Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

schlag der sog. Molitor-Gruppe von 1995, die bestehenden „Richtlinien durch eine Reihe klar definierter Grundsätze – erforderlichenfalls in einer Verordnung – zu ersetzen, um unterschiedliche Regelungen in den Mitgliedstaaten zu vermeiden und die Transparenz zu erhöhen“982. b) Grenzen und Möglichkeiten der vergaberechtlichen Integration de facto Die größte Hürde für die Implementierung des vergaberechtlichen Rahmens für das öffentliche Beschaffungswesen ergab sich jedoch aus den politischen und wirtschaftlichen Umständen. aa) Auf europäischer Ebene Die Erkenntnis des Gemeinschaftsgesetzgebers, dass der volkswirtschaftlich derart bedeutende Sektor des öffentlichen Auftragswesens nicht von den Liberalisierungsbemühungen in der Gemeinschaft ausgenommen werden konnte,983 veranlasste ihn trotz der Sorge um die Akzeptanz bereits früh zu einem ersten Richtlinienprogramm.984 Die Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG und die Lieferkoordinierungs-RL 77/62/EWG zeichneten sich jedoch durch viele Zugeständnisse an die Mitgliedstaaten in Form von weitreichenden Ausnahmetatbeständen aus.985 Die Mitgliedstaaten reagierten auf das Richtlinienprogramm weitestgehend nicht.986 Es wurden so gut wie keine Anpassungen an den nationalen Vergabevorschriften vorgenommen, soweit sie überhaupt vorhanden waren.987 Nicht nur der Ministerrat war angesichts des lange Zeit geltenden Einstimmigkeitserfordernisses ein Hindernis für die Bestrebungen nach einer Öffnung des Beschaffungswesens im Sinne der Verträge.988 Auch war die Dynamik entscheidend geprägt von den politischen Impulsen der Kommission. Es bedurfte eines Umdenkens mit der Kommissionspräsidentschaft von Jacques Delores ab 1985,989 der 982 Vgl. Vorschlag 8 zum Öffentlichen Auftragswesen, in: Bericht der Gruppe unabhängiger Experten für die Vereinfachung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften vom 21.6.1995, KOM (95) 288 endg., S. 23. 983 Siehe oben zu den Allgemeinen Programmen des Rates, S. 92. 984 Siehe zum ersten Richtlinienprogramm oben, S. 93 ff. 985 Siehe hierzu oben, S. 102 f. 986 Siehe hierzu die Tabelle in Europäische Kommission, Das öffentliche Auftragswesen in der Europäischen Union – Überlegungen für die Zukunft, Grünbuch vom 27.11.1996, KOM (96) 583 endg., die den Stand vom 26.6.1996 abbildet. Die Tabelle findet sich in Anhang V zu dieser Arbeit. 987 Vgl. zur Implementierung der Vorgaben oben, S. 99 ff. 988 Siehe hierzu S. 218 ff. 989 Siehe zu den neuen Impulsen aus Brüssel, oben S. 104 ff.

C. Das Europäische Vergaberecht als dogmatische Herausforderung

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die Vollendung des Binnenmarktes nicht nur als Theorem, sondern als Überschrift für einen umfassendes Rechtssetzungs- und Reformierungsprozess verstand. Aus diesem Anlass bemühte sich die Kommission mit der Reform der bestehenden Vergaberechtsrichtlinien von 1992/93, sich vom Vorwurf der uneinheitlichen und unsystematischen Rechtssetzung im Bereich des Vergabewesens frei zu machen.990 Das Ziel der Basisrichtlinien für Dienstleistungs-, Bau-, Liefer- und Sektorenaufträge war es, die bestehenden Regeln „aus Gründen der Klarheit und der Übersichtlichkeit“991 zu konsolidieren, Ausnahmetatbestände zu streichen und die Effektivität des Normenwerks zu verbessern bzw. überhaupt herzustellen.992 Aufgrund der ernüchternden Bilanz, die sich aus den Umsetzungsmaßnahmen der Mitgliedstaaten zu den Basisrichtlinien 92/50/EWG, 93/36/EWG, 93/37/ EWG und 93/38/EWG sowie den Rechtsmittelrichtlinien 89/665/EWG und 92/13/ EWG ergab,993 die Ausdruck einer über das Vergabesekundärrecht hinausgehenden Nachlässigkeit der Richtlinienumsetzung durch die Mitgliedstaaten war, griff die Kommission in ihrer Aufgabe als „Hüterin der Verträge“994 durch.995 Hinzukam die Fortbildung der Implementierungsmechanismen durch das Richterrecht des EuGH, insbesondere die unmittelbare Wirkung nicht umgesetzter Richtlinien nach Ablauf der Umsetzungsfrist sowie der unionsrechtliche Staatshaftungsanspruch.996 Die Kumulation der verschärften Überwachung der Durchführungs- und Umsetzungsmaßnahmen durch die Europäische Kommission mit der richterrechtlichen Rechtsfortbildung durch den EuGH schuf ein Klima, in dem sich die Mitgliedstaaten einer tatsächlichen und unmittelbaren Sanktionierung vertragsverletzenden Verhaltens ausgesetzt sahen.997 Für den Bereich des europäischen Vergaberechts bedeute dies zwar kein abruptes Ende der gepflegten Nichtbeachtung der vergaberechtlichen Richtlinientexte, zumindest jedoch eine Beschäftigung mit den erforderlichen Umsetzungsmaßnahmen. Dies belegen die Zahlen der im Vergleich zum ersten Richtlinienprogramm von 1971 und 1977 gemeldeten Durchführungsmaßnahmen zum Programm aus den Jahren 1988–1993.998

990

Siehe zur Begründung dieser Wertung, oben S. 127 ff. Siehe oben, Fn. 408. 992 Siehe hierzu oben, S. 119 ff. 993 Vgl. oben S. 222 ff., insbesondere S. 227 f. 994 Vgl. Art. 17 Abs. 1 S. 3 EUV: „Sie überwacht die Anwendung des Unionsrechts unter der Kontrolle des Gerichtshofs der Europäischen Union.“ 995 Siehe oben, S. 127 ff. 996 Oben S. 142 ff. 997 Zu den Zahlen der Vertragsverletzungsverfahren, siehe oben, S. 128 f. 998 Vgl. Übersicht in Europäische Kommission, Das öffentliche Auftragswesen in der Europäischen Union – Überlegungen für die Zukunft, Grünbuch vom 27.11.1996, KOM (96) 583 endg., S. 65. 991

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Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

bb) In Deutschland Der politische Widerstand, der sich in Deutschland bis in die späten 1990er Jahre gegenüber den Harmonisierungsbemühungen aus Brüssel hartnäckig gehalten hatte,999 gründete auf der Vorstellung, dass eine umfassende Umsetzung der vergaberechtlichen Vorgaben der Richtlinien zu einer komplizierten Vergabepraxis führen würde,1000 die insbesondere den Mittelstand treffen könnte.1001 Sehenden Auges entscheid sich der deutsche Gesetzgeber mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Haushaltsgrundsätzegesetzes vom 26.11.19931002 für eine „grob europarechtswidrige“1003 verwaltungsinterne Umsetzung des Richtlinienprogramms von 1992/93. Die Warnung der Kommission, die geplante Implementierung einiger Richtlinienvorgaben im Haushaltsrecht stelle angesichts der Verwehrung subjektiver Rechte der am Verfahren beteiligten Bieter und Interessenten keine ausreichende Umsetzung der Richtlinien darf, brachte kein Ein­ lenken. Erst im Laufe der 1990er Jahre wurde der Bundesregierung klar, dass diese Linie nicht durchzuhalten war. Zwei Verurteilungen vor dem EuGH1004, aber auch diplomatischer Druck von außerhalb der Gemeinschaft1005 sorgten 1998 für eine umfassende Reform des deutschen Vergaberechts.1006 Schließlich wurden erst mit der Vergaberechtsnovelle von 1998 die Konturen des europäischen Vergaberechtswesens im deutschen Recht erkennbar.1007 Die vorangegangenen Versuche, sowohl die Systematik als auch den Regelungs- und Rechtsschutzumfang nach deutscher Vorstellung beizubehalten, hatten den europäischen Vergabenormen zuvor nur punktuell Eingang gewährt, wie etwa in die Verdingungsordnungen.1008

999 Erst mit dem Gesetz zur Änderung der Rechtsgrundlagen für die Vergabe öffentlicher Aufträge (VgRÄG) vom 26.8.1998 (Fn. 641) kam es zu einer Erfüllung der Umsetzungspflichten; siehe oben, S. 152 ff. 1000 Stellvertretend für einige Stimmen in der Literatur und Praxis, Siegfried Broß, VerwArch 1997, S. 521 (525); siehe hierzu ausführlich oben, S. 151 f. 1001 Siehe zur Aussprache im Bundestag zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Haushaltsgrundsätzegesetzes am 1.7.1993 oben, S. 137 ff. 1002 Zweites Gesetz zur Änderung des Haushaltsgrundsätzegesetzes vom 26.11.1993 (BGBl. I 1993, 1928). 1003 Meinrad Dreher, EuZW 1998, S. 197 und insb. Fn. 7. 1004 Vgl. oben, S. 139 ff. 1005 Siehe oben, S. 154 f. 1006 Einfügung des 4. Teils des GWB als neue Heimat des nun umfassend auf gesetzlicher Ebene geregelten Vergaberechts, siehe oben, S. 156 ff. 1007 Gesetz zur Änderung der Rechtsgrundlagen für die Vergabe öffentlicher Aufträge (VgRÄG) vom 26.8.1998 (Fn. 641). 1008 Siehe oben zu Begrifflichkeiten, die bereits 1992 Eingang in die VOB/A gefunden hatten, oben S. 134 und Fn. 506.

C. Das Europäische Vergaberecht als dogmatische Herausforderung

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Der Gesetzgeber verzichtete nun bei der umfassenden Novelle darauf, mögliche Umsetzungsspielräume extensiv zu nutzen.1009 Vielmehr hielt er sich an den Wortlaut der Richtlinienvorschriften. Lediglich den Unterschwellenwertbereich, der von den Verpflichtungen des Europäischen Regelwerks ausgenommen war, überließ er dem gewohnten Recht.1010 Während das Richtlinienprogramm der dritten Generation aus dem Jahre 2004 erst mit dem Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20.4.2009 (VgRModG) und damit erst drei Jahre nach Ablauf der Frist vom 31.1.2006 umgesetzt wurde,1011 erfolgte mit der Zustimmung des Bundestags vom 17.12.2015 zum Entwurf der Bundesregierung zur Modernisierung des Vergaberechts vom 8.7.20151012 die Umsetzung des Richtlinienpakets der vierten Generation aus dem Jahr 2014 fristgerecht zum 18.4.2016. cc) Zeichen erfolgreicher Rechtsangleichungsbemühungen in anderen EU-Ländern Auch die „neuen“ Mitgliedstaaten, die bei den Bemühungen um den Eintritt in die Union ihre Rechtsordnungen an den aquis communautaire anzupassen hatten, sorgten für eine Angleichung der nationalen Rechtsvorschriften zum Vergaberecht an die Europäischen Vorgaben der Vergaberichtlinien. Beispielsweise novellierte die Republik Polen in der Vorbereitung des Beitritts zum 1.5.20041013 das Vergaberecht und passte es am 22.6.2001 mit dem Gesetz zur Änderung des Vergabegesetzes1014 an die Richtlinien an.1015 Das Funktionieren der „Verschränkung“ von nationalem Recht und Unionsrecht zugunsten der Förderung der Gemeinwohlziele, welche sich aus der Rechtvereinheitlichung ergeben soll,1016 zeigt sich an einem Beispiel aus Spanien. Anlässlich der Anwendung eines Landeserschließungsgesetzes1017 der Autonomen

1009 Bereits bei der Novellierung des verwaltungsinternen Haushaltrechts 1992/93 verzichtete man auf eine Modifizierung des Wortlauts des Öffentlichen Auftraggebers, siehe zum Gesetzgebungsverfahren Fn. 502. 1010 Siehe zur Problematik der Spaltung in einen Ober- und Unterschwellenwertbereich, oben S. 164 f. 1011 Vgl. hierzu ausführlich oben, S. 179 ff. 1012 Vgl. Fn. 11. 1013 Siehe Beitrittsakte vom 16.4.2003, ABl. 2003 L 236/17. 1014 USTAWA z dnia 22 czerwca 2001 r. o zmianie ustawy o zamówieniach publicznych (Dz. U. Nr 76, poz. 813) = Gesetz vom 22.6.2001 zur Änderung über das öffentliche Beschaffungswesen (Poln. Amtsblatt 2001, Nr. 76, Pos. 813). 1015 Siehe zur Novellierung in Polen auch Aneta Suchoń, WiRO 2002, S. 1. 1016 Vgl. Nachweis in Fn. 922. 1017 LEY 6/1994, de 15 de noviembre, de la Generalidad Valenciana, Reguladora de la Actividad Urbanística (DOCV núm. 2394 de 24.11.1994) = „LRAU“.

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Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

Region Valencia kam es zu Protesten aus der Bevölkerung über die Zerstörung der Umwelt, städtebauliche Auswüchse und die Verletzung ordnungsgemäß erworbener Eigentumsrechte.1018 Als eines der Hauptprobleme galten u. a. die Rolle der Bauträger und die unzulänglichen Kriterien für die Auswahl und Veröffentlichung der zu vergebenden Aufträge.1019 Auf der Grundlage des mit dem Vertrag von Maastricht eingeführten Art. 8 d Abs. 1 i. V. m. Art. 138 d EG machten mehr als 15.000 Personen1020 von ihrem Petitionsrecht zum Europäischen Parlament Gebrauch.1021 Nach den Zuständigkeitsnormen der Geschäftsordnung des Parlaments befasste sich der für Petitionen eingerichtete Ausschuss mit dem Fall. In seinem Bericht vom 5.12.20051022 empfahl der Ausschuss dem Europäischen Parlament eine Entschließung mit umfassenden Handlungsaufforderungen an die spanischen Behörden und die Kommission. Dieser Empfehlung folgte das Europäische Parlament mit einer Entschließung vom 13.12.2005. Bereits zuvor war die Kommission mit einem Mahnschreiben vom 21.3.20051023 tätig geworden. Trotz der Novellierung des umstrittenen Gesetzes LRAU zum 1.2.20061024 hielt die Kommission an ihrem Vorwurf der Verletzung der sich aus der Baukoordinierungs-RL 93/37/EWG und der Vergabekoordinierungs-RL 2004/18/EG ergebenden Pflichten fest.1025 Ungeachtet des Verfahrensausgangs, wonach der EuGH entschied, dass angesichts der Nebensächlichkeit der Bauleistungen kein öffentlicher Bauauftrag vorlag,1026 zeugt dieser Fall von der erfolgreichen Implementierung des Vergabesekundärrechts im nationalen Bewusstsein und dem Recht als Prinzip der Gemeinwohlförderung.

1018 Vgl. Europäisches Parlament, Entschließung zu dem angeblichen Mißbrauch des valencianischen Gesetzes über Grundeigentum und dessen Auswirkung auf die EU-Bürger vom 13.12.2005, ABl. 2006 C 286 E/225, Buchstabe A. 1019 Ebd., Buchstabe K. 1020 Ebd., Buchstabe A. 1021 Vgl. etwa Petitionen 609/2003, 732/2003, 985/2002, 1112/2002, 107/2004 und weitere mehr. 1022 Petitionsausschuss des Europäischen Parlaments, Bericht über den angeblichen Mißbrauch des valencianischen Gesetzes über Grundeigentum vom 5.12.2005 (PETI/6/24462), zugänglich über http://www.europarl.europa.eu. 1023 Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Niilo Jääskinen vom 16.9.2010, in: EuGH 2011, I-4541 Rn. 44 (C-306/08) – Kommission/Spanien. 1024 LEY 16/2005, de 30 de diciembre, Urbanística Valenciana (DOGV núm. 5167 de 31.12.2005) = „LUV“. 1025 Vgl. die Rechtsansicht der Kommission, wiedergegeben in EuGH 2011, I-4541 Rn. 53 ff. (C-306/08) – Kommission/Spanien. 1026 Vgl. hierzu das Urteil des EuGH 2011, I-4541 (C-306/08) – Kommission/Spanien, zusammengefasst in KommJur 2012, S. 29.

C. Das Europäische Vergaberecht als dogmatische Herausforderung

227

dd) Bewertung Der Erfolg der Rechtsangleichung im Bereich des öffentlichen Auftragswesens, der teilweise an der Zahl ausländischer Bieter bei Ausschreibungsverfahren und Nachprüfungsverfahren bemessen wird,1027 ist wohl ambivalent zu bewerten. Auf beindruckende Art und Weise war dem europäischen Vergaberecht über drei Jahrzehnte die umfassende und fristgerechte Umsetzung in die nationalen Rechtsordnungen verwehrt worden.1028 Die mangelnde Bereitschaft der meisten Mitgliedstaaten, ihre primärrechtlichen Verpflichtung zur Umsetzung des Vergabesekundärrechts nachzukommen, war anfänglich noch von einer nachsehenden Haltung der Kommission begleitet.1029 Die Errichtung einer neuen Vergaberechtsordnung für die Europäische Union stellte sich angesichts der stark divergierenden nationalen Bestimmungen,1030 der etablierten Vergabetraditionen1031 und der komplexen Sachverhalte,1032 die es zu koordinieren galt, als große gesetzgeberische Herausforderung heraus. Im Nachhinein kann die Entwicklung der gesetzgeberischen Maßnahmen durchaus als „Versuch und Irrtum“ verstanden werden, ohne hierbei der Kommission als treibender Kraft normative Willkür oder fehlende Systematik zu unterstellen. Ganz im Gegenteil zeigen die regelmäßigen Bestandsaufnahmen und Überprüfungen1033, die Änderungen und Anpassungen der Richtlinien1034 sowie schließlich die Konsolidierung der Richtlinien 2004 und die Modernisierung der Richtlinien 2014 den Willen, dem Europäischen Vergabesekundärrecht zu einer einheitlichen und effektiven Struktur zu verhelfen. Mit zunehmender Systematisierung der Vorschriften durch Anpassung der Regelungsbereiche, Vereinheitlichung der allgemeinen Tatbestände und dem Abbau von Ausnahmen und Regelungslücken wurde den Mitgliedstaaten die Umsetzung 1027

Vgl. Kay Hailbronner und Marcel Kau, NZBau 2006, S. 16 (Übersicht S. 18). Siehe hierzu beispielhaft die Umsetzungstabelle aus dem Jahre 1996, KOM 96) 583 endg., im Anhang V zu dieser Arbeit. 1029 Die Kommission erklärte in ihrer Mitteilung „Die öffentlichen Beschaffungsmärkte in der Gemeinschaft“ vom 19.6.1986 an den Rat (Fn. 321) die fehlende Umsetzungsbereitschaft u. a. mit der Rezessionsphase Anfang der 1980er Jahre; siehe auch oben, S. 102. 1030 Vgl. zu den unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen in Deutschland, Frankreich und England oben, S. 88 ff. 1031 Vgl. zur Entstehung des deutschen Vergabewesens oben, S. 50 ff. 1032 Vgl. etwa zum materiellen Gehalt der Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG, S. 96 ff. 1033 Vgl. etwa die Antrittsrede des Kommissionspräsidenten Jacques Delors am 12.3.1985 vor dem Europäischen Parlament zur Vorstellung des Programms der Kommission für 1985, siehe „Statement by Jacques Delors“ im Bulletin of the European Communities, Supplement 4/85, S. 6, zugänglich über http://aei.pitt.edu; den Cecchini-Bericht von 1998, Paolo Cecchini, Europa ’92 – der Vorteil des Binnenmarkts, S. 37; das Weißbuch der Kommission von 1985, Europäische Kommission, Vollendung des Binnenmarktes – Weißbuch der Europäischen Kommission an den Europäischen Rat, KOM (85) 310 endg. 1034 Zur Übersicht der Änderungsrichtlinien siehe Schaubild 8 (S. 228 ff.). 1028

228

Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

in die nationalen Rechtsordnungen erleichtert. Gleichzeitig wurden die Transformationsdefizite deutlicher und damit gerichtlich einfacher zu verfolgen.

III. Der unionsrechtliche Auftraggeberbegriff als Gradmesser der vergaberechtlichen Integration Der Anwendungsbereich eines Normenkatalogs definiert in sachlicher und persönlicher Hinsicht die von den Vorschriften umfassten Rechtsobjekte und -subjekte und damit den Geltungsbereich der Regelungen. Das gilt auch für das Europarecht und seine einzelnen Rechtsregime. Der vergaberechtliche Anwendungsbereich hat dabei sowohl den Zielen des konkreten Normtextes als auch den Zielen der Verträge zu folgen. Gleichzeitig müssen sich in ihm die Grenzen der Gesetzgebungskompetenz wiederspiegeln, die insbesondere von den beschriebenen Prinzipien der Verhältnismäßigkeit, der begrenzten Einzelermächtigung und dem Subsidiaritätsprinzip definiert werden. Insofern ist die Entwicklung des Begriffs des „Öffentlichen Auftraggebers“ als Kernelement des Anwendungsbereichs seither Stellschraube und gleichzeitig auch Maßstab für eine europarechtskonforme Anwendung der gesamten vergaberechtlichen Vorschriften. 1. Der Auftraggeberbegriff als Tatbestand des persönlichen Anwendungsbereichs Wie bei der historischen Betrachtung der Entwicklung des Europäischen Vergaberechts dargestellt, entwickelte sich der das Merkmal des Öffentlichen Auftraggebers von einem „Nadelöhr“ zu einem weiten Tatbestand. Die Herausforderung, für die ganze europäische Rechtsgemeinschaft gleichermaßen beherrschbare Regelungen zu finden, um den „Kreis der einzubeziehenden Einrichtungen sachgerecht abzugrenzen“1035 ist seither Gegenstand eines intensiv geführten Dis­kurses um die Auslegung und Bestimmbarkeit des Tatbestandsmerkmals des Öffentlichen Auftraggebers. Die folgende Übersicht zeichnet die sukzessive Erweiterung des Tatbestandsmerkmals des Öffentlichen Auftraggebers in den Vergaberichtlinien nach.

1035

Ingelore Seidel, ZfBR 1995, S. 227 (228).











–1036



Einrichtun- Konzes­ gen des sionär öffentlichen Rechts





Verbände

Art. 2 Abs. 2 a)

Art. 3 Abs. 4







Ausnahme für Verkehrs­ träger



Öffentliches Unternehmen

Art. 2 Abs. 2 b)

Art. 3 Abs. 5



Ausnahme für Versorgungsbetriebe (Wasser/ Energie)



Ausnahme für geheime und sicherheitsrelevante Aufträge

(Fortsetzung nächste Seite)

– keine Re- Art. 6 g) gelung

– keine Re- Art. 9 e) gelung



Ausnahme für Fernmeldewesen/ Telekommunikation/Postdienste

1037

Explizit ausgenommen gem. Art. 3 Abs. 1 mit Hinweis auf Beachtung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung (Abs. 3). Bzw. für die Mitgliedstaaten, die den Begriff der juristischen Person des öffentlichen Rechts nicht kennen, die gleichwertigen Einrichtungen.

1036

1036 1037

Art. 1 b) und Anhang I 1037

Lieferkoor- Art. 1 b) dinierungsRL 77/62/ EWG

Art. 1 Abs. 1 3. Spiegelstrich

Art. 1 b) und Anhang I

Art. 1 Abs. 1 1. und 2. Spiegelstrich

WarenliberalisierungsRL 70/32/ EWG

jurP des Öffentlichen Rechts

Baukoordi- Art. 1 b) nierungsRL 71/305/ EWG

Staat, Gebietskörperschaften

Richtlinie

Schaubild 9 Erweiterung des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers im Überblick

C. Das Europäische Vergaberecht als dogmatische Herausforderung

229

Keine ­ Änderung



Lieferkoor- Keine ­ dinierungs- Änderung ÄndRL 88/295/ EWG

Baukoordi- Art. 1 nierungsb) UAbs. 1 ÄndRL 89/440/ EWG

Art. 1 b) UAbs. 1

Art. 1 b) UAbs. 1 i. V. m. mit UAbs. 2 und UAbs. 3 i. V. m. Anhang I





Art. 1b





Einrichtun- Konzes­ gen des sionär öffentlichen Rechts







Öffentliches Unternehmen

Art. 3 Abs. 4 a)

Art. 2 Abs. 2 a)

Keine ­ Änderung

Ausnahme für Verkehrs­ träger

Art. 3 Abs. 4 b)

Art. 2 Abs. 2 b)

Keine ­ Änderung

Ausnahme für Versorgungsbetriebe (Wasser/ Energie)

– keine ­ Regelung

Art. 2 Abs. 2 b)

Keine ­ Änderung

Ausnahme für Fernmeldewesen/ Telekommunikation/Postdienste

Art. 3 Abs. 4 c)

Art. 2 Abs. 2 c)

Keine ­ Änderung

Ausnahme für geheime und sicherheitsrelevante Aufträge

Richtlinie diente zur Anpassung der Lieferkoordinierungs-RL 77/62/EWG hinsichtlich bestimmter Auftraggeber. Die Liste der Auftraggeber findet sich in Anhang I der Richtlinie.

1038

1038



Anhang I

Lieferkoor- Anhang dinierungs- I1038 ÄndRL 80/767/ EWG



Verbände

jurP des Öffentlichen Rechts

Staat, Gebietskörperschaften

Richtlinie

(Fortsetzung: Schaubild 9)

230 Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

Staat, Gebietskörperschaften

Keine ­ Änderung

Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Nr. 1 UAbs. 1

Keine ­ Änderung

Verbände

Keine ­ Änderung

Keine ­ Änderung

Keine ­ Änderung

Art. 2 –1039 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Nr. 1 UAbs. 1 i. V. m. mit UAbs. 2

Keine ­ Änderung

Einrichtun- Konzes­ gen des sionär öffentlichen Rechts

Ausgenommen gem. Art. 3 Abs. 3 (mit Einschränkungen).

1039

1039

Keine ­ Änderung

Sektorennachprüfungs-RL 92/13/ EWG

Keine ­ Änderung

Art. 2 – Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Nr. 1 UAbs. 1

Keine ­ Änderung

jurP des Öffentlichen Rechts

SektorenvergabeRL 90/531/ EWG

Nach­ Keine ­ prüfungsÄnderung RL 89/665/ EWG

Richtlinie

Keine ­ Änderung

Keine Ausnahme, explizite Einbezie­ hung in Art. 2. Abs. 2 c)

Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Nr. 2

Keine ­ Änderung

Keine ­ Änderung

Ausnahme für Verkehrs­ träger



Öffentliches Unternehmen

Keine ­ Änderung

Keine Ausnahme, explizite Einbezie­ hung in Art. 2. Abs. 2 a)

Keine ­ Änderung

Ausnahme für Versorgungsbetriebe (Wasser/ Energie)

Keine ­ Änderung

Ausnahme für geheime und sicherheitsrelevante Aufträge

Keine ­ Änderung

(Fortsetzung nächste Seite)

Keine ­ Änderung

Keine Art. 10 Ausnahme, explizite Einbezie­ hung in Art. 2. Abs. 2 d)

Keine ­ Änderung

Ausnahme für Fernmeldewesen/ Telekommunikation/Postdienste

C. Das Europäische Vergaberecht als dogmatische Herausforderung

231



Lieferkoor- Art. 1 b) dinierungs- UAbs. 1 RL 93/36/ EWG

jurP des Öffentlichen Rechts



Staat, Gebietskörperschaften

Dienstleis- Art. 1 b) tungskoor- UAbs. 1 dinierungsRL 92/50/ EWG

Richtlinie

(Fortsetzung: Schaubild 9)

Art. 1 b) UAbs. 1

Art. 1 b)  UAbs. 1

Verbände

Art. 1 b) UAbs. 1 i. V. m. UAbs. 2 und UAbs. 3 i. V. m. Anhang I der RL 93/ 37/EWG

Art. 1 b) UAbs. 1 i. V. m. UAbs. 2 und UAbs. 3 i. V. m. Anhang I der RL 71/ 305/EWG –



Einrichtun- Konzes­ gen des sionär öffentlichen Rechts





Öffentliches Unternehmen

8. Erwägungsgrund

16. Erwägungsgrund

Ausnahme für Verkehrs­ träger

8. Erwägungsgrund

16. Erwägungsgrund

Ausnahme für Versorgungsbetriebe (Wasser/ Energie)

8. Erwägungsgrund

16. Erwägungsgrund

Ausnahme für Fernmeldewesen/ Telekommunikation/Postdienste

Art. 2 Abs. 1 b) 

Art. 4 Abs. 2

Ausnahme für geheime und sicherheitsrelevante Aufträge

232 Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

Staat, Gebietskörperschaften

Art. 1 Nr. 1 – UAbs. 1



jurP des Öffentlichen Rechts

Art. 1 b) UAbs. 1 i. V. m. UAbs. 2 und UAbs. 3 i. V. m. Anhang I Art. 3

Einrichtun- Konzes­ gen des sionär öffentlichen Rechts

Art. 1 Nr. 1 Art. 1 Nr. 1 –1040 UAbs. 1 UAbs. 1 i. V. m. UAbs. 2

Art. 1 b) UAbs. 1

Verbände

Ausgenommen gem. Art. 3 Abs. 3 (mit Einschränkungen).

1040

1040

SektorenkoordinierungsRL 93/38/ EWG

Baukoordi- Art. 1 b) nierungsUAbs. 1 RL 93/37/ EWG

Richtlinie

4. Erwägungsgrund

Ausnahme für Verkehrs­ träger

Art. 1 Nr. 2 Keine Ausnahme, explizite Einbezie­ hung in Art. 2 Abs. 2 c)



Öffentliches Unternehmen

Keine Ausnahme, explizite Einbezie­ hung in Art. 2 Abs. 2 a)

4. Erwägungsgrund

Ausnahme für Versorgungsbetriebe (Wasser/ Energie)

Art. 4 b)

Ausnahme für geheime und sicherheitsrelevante Aufträge

(Fortsetzung nächste Seite)

Keine Art. 10 Ausnahme, explizite Einbezie­ hung in Art. 2 Abs. 2 d)

4. Erwägungsgrund

Ausnahme für Fernmeldewesen/ Telekommunikation/Postdienste

C. Das Europäische Vergaberecht als dogmatische Herausforderung

233

Art. 2 Abs. 1 a) UAbs. 1

Sektorenkoordinierungs-RL 2004/17/ EG



jurP des Öffentlichen Rechts

Art. 2 Abs. 1 a) UAbs. 1

Verbände

Art. 2 Abs. 1 a) UAbs. 1 i. V. m. UAbs. 2 –1041

Einrichtun- Konzes­ gen des sionär öffentlichen Rechts

Ausgenommen gem. Art. 18 (mit Einschränkungen).

1041

1041

Staat, Gebietskörperschaften

Richtlinie

(Fortsetzung: Schaubild 9)

Ausnahme für Verkehrs­ träger

Einbeziehung in Art. 5 mit Ausnahmen

Öffentliches Unternehmen

Art. 2 Abs. 1 b) Einbeziehung in Art. 3 und 4 mit Ausnahmen

Ausnahme für Versorgungsbetriebe (Wasser/ Energie) Ausnahme für geheime und sicherheitsrelevante Aufträge

Ausnahme Art. 21 des Bereichs der Telekommunikation nach dem 5. Erwägungsgrund; Einbeziehung von Postdiensten in Art. 6

Ausnahme für Fernmeldewesen/ Telekommunikation/Postdienste

234 Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

Staat, Gebietskörperschaften

Art. 1 Abs. 9 UAbs. 1

Keine Änderung

Richtlinie

Vergabekoordinierungs-RL 2004/18/ EG

Nach­ prüfungsRL 2007/ 66/EG

Keine Änderung



jurP des Öffentlichen Rechts

Keine Änderung

Art. 1 Abs. 9 UAbs. 1

Verbände

Keine Änderung

Art. 1 Abs. 9 UAbs. 1 i. V. m. UAbs. 2 und UAbs. 3 i. V. m. Anhang III

Öffentliches Unternehmen

Keine Änderung

Keine Änderung

Keine An- – wendung auf Dienstleistungskonzessionen (Art. 17), aber für Baukonzessionen nach Art. 56 ff.

Einrichtun- Konzes­ gen des sionär öffentlichen Rechts

Keine Änderung

20. Erwägungsgrund

Ausnahme für Verkehrs­ träger

Keine Änderung

20. Erwägungsgrund

Ausnahme für Versorgungsbetriebe (Wasser/ Energie)

Keine Änderung

Art. 14

Ausnahme für geheime und sicherheitsrelevante Aufträge

(Fortsetzung nächste Seite)

Keine Änderung

20. Erwägungsgrund und 21. Erwägungsgrund für Telekommunikation

Ausnahme für Fernmeldewesen/ Telekommunikation/Postdienste

C. Das Europäische Vergaberecht als dogmatische Herausforderung

235

Art. 6 Abs. 1

Art. 2 Abs. 1 Nr. 1

Art. 3 Nr. 1 – i. V. m. Art. 4

Konzessionsvergabe-RL 2014/23/ EU

VergabeRL 2014/ 24/EU

SektorenRL 2014/ 25/EU





Art. 1 Nr. 1 – mit Verweis auf Art. 1 Abs. 9 RL 2004/ 18/EG und Art. 2 RL 2004/17/ EG

Verteidigungsgüter-RL 2009/81/ EG

jurP des Öffentlichen Rechts

Staat, Gebietskörperschaften

Richtlinie

(Fortsetzung: Schaubild 9)

Art. 7 Abs. 1

– Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. Nr. 4

Art. 6 Abs. 1 i. V. m. Abs. 4

Art. 1 Nr. 1 – mit Verweis auf Art. 1 Abs. 9 RL 2004/ 18/EG und Art. 2 RL 2004/17/ EG

Einrichtun- Konzes­ gen des sionär öffentlichen Rechts

Art. 3 Nr. 1 Art. 3 Nr. 1 – i. V. m. i. V. m. Nr. 4 Art. 4 i. V. m. Art. 4

Art. 2 Abs. 1 Nr. 1

Art. 6 Abs. 1

Art. 1 Nr. 1 mit Verweis auf Art. 1 Abs. 9 RL 2004/ 18/EG und Art. 2 RL 2004/17/ EG

Verbände

Art. 4 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2



Art. 7 Abs. 1 lit. b) i. V. m. Abs. 4



Öffentliches Unternehmen

Art. 11, 12

Art. 7

Art. 10 Abs. 3



Ausnahme für Verkehrs­ träger

Art. 8, 9, 10

Art. 7

Für Trinkwasserversorger, Art. 12



Ausnahme für Versorgungsbetriebe (Wasser/ Energie)

Art. 13

Art. 7





Ausnahme für Fernmeldewesen/ Telekommunikation/Postdienste

Art. 24 Abs. 3

Art. 15 Abs. 3

Art. 10 Abs. 6 lit. a)



Ausnahme für geheime und sicherheitsrelevante Aufträge

236 Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

C. Das Europäische Vergaberecht als dogmatische Herausforderung

237

2. Die Entstehung und Legitimation des funktionalen Ansatzes Wie sich aus der Übersicht ergibt, kam es schrittweise zu einer Ausweitung des Tatbestandes des Öffentlichen Auftraggebers um weitere Fallgruppen, unter gleichzeitiger Beschränkung der Ausnahmen. a) Hintergrund Die stete Erweiterung des öffentlichen Auftraggeberbegriffs um weitere Fallgruppen und Tatbestandsmerkmale hatte ihren Ursprung nicht nur in der Rechtsetzung des Gemeinschaftsgesetzgebers als Reaktion auf die Schwierigkeiten bei Implementierung sekundärrechtlicher Vorgaben in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen.1042 Entscheidend geprägt wurde die Entwicklung des Auftraggeberbegriffs auch von der Rechtsprechung des EuGH. Der Gerichtshof stand vor der Aufgabe und Herausforderung, die vom Gesetzgeber als abstraktes Konzept geschaffenen Tatbestände des vergaberechtlichen Anwendungsbereichs im Einzelnen auszulegen. Entsprechend seiner besonderen Rolle, die sich insbesondere aus der Eigenart der Europäischen Rechtsordnung als supranationale Normebene ergibt,1043 wurde der EuGH zu einer wesentlichen Triebfeder für die Fortentwicklung des Tatbestands des öffentlichen Auftraggeberbegriffs. Nach Schwarze war die Verantwortung für die Fortbildung des Unionsrechts dem EuGH „eher zugeschoben worden, als daß er sie für sich selbst beansprucht hätte“1044. Wolf-Niedermaier meint, dass sich der Gerichtshof gar „aufgrund der Schwäche der Legislative mit einem funktionalen Vakuum oder zumindest einem Defizit konfrontiert sah, das es auszugleichen galt“1045. Als Produkt dieser Rechtsfortbildung ist auch der funktionale Ansatz zur Bestimmung des öffentlichen Auftraggeberbegriffs zu verstehen. Die Legitimation dieses Ansatzes richtet sich nach den herrschenden Auslegungsgrundsätzen des Europarechts, die den Gerichtshof zwar mit der „Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge“1046 mandatieren, zugleich aber auch Grenzen für die richterliche Rechtsfortbildung setzen.

1042

Siehe hierzu oben, insbesondere die Zusammenfassung auf den Seiten 213 ff. Siehe hierzu ausführlich oben, S. 202 f. 1044 Jürgen Schwarze, Das Recht als Integrationsinstrument, in: Francesco Capotorti, Liber Amicorum Pierre Pescatore, S. 637 (645). 1045 Anita Wolf-Niedermaier, Der Europäische Gerichtshof zwischen Recht und Politik, S. 262. 1046 Vgl. Wortlaut des Art. 19 Abs. 1 EUV. 1043

238

Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

b) Auslegungsgrundsätze des Europarechts Im Gegensatz zu den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten umfasst das Normengefüge der Europäischen Union „nicht eine bestehende oder vollständige Rechtsordnung“, sondern ist auf die Verwirklichung der Unionsziele ausgerichtet bzw. begrenzt.1047 Diesem Umstand ist gerecht zu werden, indem jenen Auslegungsmethoden eine „besondere Gewichtung“1048 zugemessen wird, die die Verwirklichung der Vertragsziele bestmöglich fördern. Auch hier gilt wieder das Prinzip des effet utile. Der Grundsatz der praktischen Wirksamkeit spielt bei der Auslegung des Unionsrechts eine große Rolle.1049 So ist die zum Grundprinzip des Europarechts erhobene Determinante nicht nur zum Vehikel richterlicher Rechtsfortbildung, sondern auch zentrales Leitbild bei der Auslegung normativer Tatbestandsmerkmale des europäischen (Sekundär-)Rechts geworden.1050 Aus ihm resultiert die Pflicht des Rechtsanwenders, immer diejenige Auslegung vorzuziehen, die es ermöglicht, die Ziele des jeweiligen Unionsrechtsaktes im Besonderen sowie die Ziele der Union im Allgemeinen zu fördern.1051 Im Grundsatz orientiert sich die Auslegungsdogmatik des Europarechts an den Interpretationstechniken des Völkerrechts für Integrationsverträge, wie etwa die teleologisch-funktionale Auslegung der UN-Charta als Verfassung einer internationalen Organisation.1052 Die europäischen Auslegungsgrundsätze unterscheiden sich jedoch in einem Punkt von den völkerrechtlichen: die Grenzen der Souveränitätsbeeinträchtigung der Vertragsstaaten (in dubio mitius1053) finden eine weitaus stärkere Berücksichti-

1047

Vgl. zu den Grenzen des Rechtsprechungsauftrags des EuGH, Charlotte Gaitanides, Art. 19 EUV, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Rn. 49 ff. 1048 Zu der Begrifflichkeit in diesem Zusammenhang, siehe bereits früh Manfred Zuleeg, EuR 1969, S. 97 (102 f.) und Albert Bleckmann, EuR 1979, S. 239 ff.; heute vielfach aufgegriffen, u. a. von Rudolf Streinz, Europarecht, Rn. 614 mit Verweis auf den 1. Erwägungsgrund der Präambel des EUV-Vertrags sowie Art. 1 Abs. 2 EUV. 1049 Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi, EuGH 2009, I-2759 Rn. 46 (C-459/07) – Veli Elshani/Hauptzollamt Linz. 1050 Vgl. zur Herleitung des effet utile und zu seiner Bedeutung in der Rechtsprechung des EuGH oben, S. 203 f. 1051 In diesem Sinne EuGH 1970, 825 Rn. 5 (9/70) – Grad; EuGH 1970, 881 Rn. 5 (23/70) – Haselhorst; EuGH 1988, 5013 Rn. 19 (187/87) – Saarland u. a.; EuGH 1999, I-7081 Rn. 24 (C-223/98) – Adidas. 1052 Vgl. Art. 31 Abs. 1 der Wiener Vertragsrechtskonvention (BGBl. II 1985, 926): „Ein Vertrag ist nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und ­Zweckes auszulegen“; siehe ebenfalls Dan Ciobanu, Impact of the Characteristics of the Charter upon its Interpretation, in: Antonio Cassese, Current Problems of International Law, S. 31 ff. mit Hinweisen auf die Rspr. des Internationalen Gerichtshofs (IGH). 1053 Zu diesem Grundsatz mit kritischen Anmerkungen und weiteren Verweisen, vgl. Rudolf Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge, S. 143 ff.

C. Das Europäische Vergaberecht als dogmatische Herausforderung

239

gung im Völkerrecht als im Europarecht,1054 wenngleich mit dem Vertrag von Lissabon1055 und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts1056 der immer wiederkehrende1057 Versuch einer stärkeren Kompetenzkontrolle insbesondere im Rahmen der Auslegung unternommen wurde. Im Grunde ist die teleologisch-funktionale Auslegung mit der Konsequenz der richterlichen Rechtsfortbildung zum Zwecke der Erreichung der Vertragsziele im Europarecht allgemein anerkannt.1058 1987 sprach das Bundesverfassungsgericht: „Der Richter war in Europa niemals lediglich ‚la bouche qui prononce les paroles de la loi‘; das römische Recht, das englische common law, das Gemeine Recht waren weithin richterliche Rechtsschöpfungen ebenso wie in jüngerer Zeit etwa in Frankreich die Herausbildung allgemeiner Rechtsgrundsätze des Verwaltungsrechts durch den Staatsrat oder in Deutschland das allgemeine Verwaltungsrecht, weite Teile des Arbeitsrechts oder die Sicherungsrechte im privatrechtlichen Geschäftsverkehr. Die Gemeinschaftsverträge sind auch im Lichte gemeineuropäischer Rechtsüberlieferung und Rechtskultur zu verstehen. Zu meinen, dem Gerichtshof der Gemeinschaften wäre die Methode der Rechtsfortbildung verwehrt, ist angesichts dessen verfehlt.“1059

Die teleologische und an den Vertragszielen ausgerichtete Auslegungsmethodik des Europarechts in Verbindung mit dem Prinzip der praktischen Wirksamkeit­ (effet utile) ist damit auch entscheidend maßgeblich für die Entstehung des funktionalen Ansatzes in der Rechtsprechung und Rechtssetzung der Union.

1054 Vgl. Charlotte Gaitanides, Art.  19 EUV, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Euro­ päisches Unionsrecht, Rn. 48. 1055 Siehe zum Subsidiaritätsprinzip oben, S.  207 f. sowie zum dem Protokoll Nr.  2 über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit vom 13.12.2007, Fn. 895. 1056 BVerfG vom 30.6.2009 (2 BvE 2/08) 4. Leitsatz und passim = BVerfGE 123, 267, vgl. auch den Beschluss des BVerfG vom 6.7.2010 (2 BvR 2661/06), in dem es sich eine Prüfung von EU-Maßnahmen vorbehielt, wenn das „kompetenzwidrige Handeln der Unionsgewalt offensichtlich ist und der angegriffene Akt im Kompetenzgefüge zwischen Mitgliedstaaten und Union im Hinblick auf das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung und die rechtsstaatliche Gesetzesbindung ins Gewicht fällt“. 1057 Vgl. bereits die Klarstellung des BVerfG in seinem Maastricht-Urteil von 1993: „[…] so wird in Zukunft bei der Auslegung von Befugnisnormen durch Einrichtungen und Organe der Gemeinschaften zu beachten sein, daß der Unions-Vertrag grundsätzlich zwischen der Wahrnehmung einer begrenzt eingeräumten Hoheitsbefugnis und der Vertragsänderung unterscheidet, seine Auslegung deshalb in ihrem Ergebnis nicht einer Vertragserweiterung gleichkommen darf; eine solche Auslegung von Befugnisnormen würde für Deutschland keine Bindungswirkung entfalten“; siehe oben, S. 203 f. und Fn. 881. 1058 Vgl. auch Charlotte Gaitanides, Art.  19 EUV, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Rn. 44. 1059 BVerfG vom 8.4.1987 (2 BvR 687/85) Rn. 57 = BVerfGE 75, 223 (241). Wenige Jahre später schon wurde das BVerfG weitaus kritischer, vgl. etwa das Maastricht-Urteil (Fn. 881).

240

Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

c) Europarechtskonforme Auslegung Aus dem Prinzip der praktischen Wirksamkeit ergibt sich das Erfordernis einer europarechtskonformen Auslegung. Der Auslegungsmaßstab der Vorschriften, die unmittelbar oder mittelbar dem Europarecht entstammen, kann nur europäischeinheitlich sein. Die Wahrscheinlichkeit unionsrechtswidriger Auslegungsergebnisse nach dem jeweiligen mitgliedstaatlichen Recht wäre angesichts der stark divergierenden Rechtssysteme und -methoden zu hoch.1060 Die Einheit der europäischen Rechtsordnung,1061 die effektive Wirksamkeit des Europarechts1062 und die Sicherung der Supranationalität der Unionsrechtsordnung mittels des Anwendungsvorrangs1063 wären gefährdet, wenn sich die Auslegung nicht an Sinn und Zweck und Systematik der Europäischen Rechtsordnung orientieren würde.1064 Auch aus dem Prinzip der loyalen Zusammenarbeit nach Art. 4 Abs. 3 EUV1065 und Art. 19 Abs. 1 S. 2 EUV ergibt sich die Notwendigkeit zur Sicherung der Kohärenz des Europarechts mittels Auslegung. Bezugspunkt für auslegungsbedürftige Rechtsakte mittelbaren Charakters (nationales Umsetzungsrecht) oder unmittelbaren Charakters (Unionsrechtsakte) ist damit immer das Europäische Primär- und Sekundärrecht. Der Umstand, dass methodisch und sachlich ein besonderer Auslegungsmaßstab anzulegen ist, ändert nichts daran, dass die Auslegung innerstaatlicher Normen, welche ihren Ursprung im europäischen Recht finden, den mitgliedstaatlichen Gerichten obliegt. Es ist „Sache des nationalen Gerichts, das innerstaatliche Gesetz unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihm das nationale Recht einräumt, in Übereinstimmung mit den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts auszulegen und anzuwenden.“1066

Der EuGH geht in seiner Rechtsprechung mittlerweile noch weiter und fordert von den nationalen Gerichten nicht nur die Auslegung am Maßstab des euro 1060 Vgl. zu den praktischen Folgen der Heranziehung nationaler Sichtweisen bei der Interpre­ tation des Unionsrechts, Martin Nettesheim, AöR 2007, S. 333 (341 f.) mit Verweis auf Thomas von Danwitz, DÖV 1996, S. 481. 1061 Siehe hierzu oben, S. 205 f. und Fn. 882. 1062 Vgl. oben, S. 203 f. 1063 Siehe oben, S. 199 ff. 1064 Vgl. auch die Klarstellung des EuGH 1964 in der grundlegenden Entscheidung Costa/ ENEL: „Denn es würde eine Gefahr für die Verwirklichung der in Artikel 5 Absatz 2 aufgeführten Ziele des Vertrages bedeuten und dem Verbot des Artikels 7 widersprechende Diskriminierungen zur Folge haben, wenn das Gemeinschaftsrecht je nach der nachträglichen innerstaatlichen Gesetzgebung von einem Staat zum andern verschiedene Geltung haben könnte“; EuGH 1964, 1251, 1270 (6/64) – Costa/ENEL. 1065 Vgl. hierzu Wolfgang Kahl, Art. 4, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV – Kommentar, Rn. 54 ff. 1066 EuGH in ständiger Rspr., vgl. z. B. EuGH 1988, 673 Rn. 11 (157/86) – Murphy/An Bord Telecom Eirann.

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päischen Sekundär- und Primärrechts, sondern verpflichtet sie auch, selbst den europarechtlichen Prüfungsmaßstab auf Konformität mit der Unionsordnung zu kontrollieren: „Nach gefestigter Rechtsprechung haben überdies die Mitgliedstaaten nicht nur ihr nationales Recht unionsrechtskonform auszulegen, sondern auch darauf zu achten, dass sie sich nicht auf eine Auslegung einer Vorschrift des abgeleiteten Rechts stützen, die mit den durch die Unionsrechtsordnung geschützten Grundrechten oder den anderen allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts kollidiert (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6.  November 2003, Lindqvist, C-101/01, Slg. 2003, I-12971, Randnr. 87, und vom 26. Juni 2007, Ordre des barreaux francophones et germanophone u. a., C-305/05, Slg. 2007, I-5305, Randnr. 28).“1067

Ein besonderer Form der europarechtskonformen Auslegung ist die richtlinien­ konforme Auslegung. Angesichts des „rahmengesetzlichen Charakters“ vermag auch eine ordnungsgemäße Umsetzung einer Richtlinie in das nationale Recht nicht in allen Fällen die mit ihr bezweckten Ziele vollständig verwirklichen.1068 Im Falle bestehender Defizite oder Lücken ist als Instrument unterstützend die richtlinienkonforme Auslegung heranzuziehen.1069 Die Grenze der europarechts- bzw. richtlinienkonformen Auslegung ist dort gezogen, wo der Wortlaut der nationalen Umsetzungsnorm mit der „europarechtsfördernden“ Auslegung derart korrigiert würde, dass es zu einer die Rechtssicherheit zerstörenden Aushöhlung der Norm käme. In einem solchen Fall bedarf es einer Gesetzesänderung.1070 Zweck der richtlinienkonformen Auslegung ist es eben nicht, das unionsrechtswidrige, nationale Recht zu „retten“.1071

1067 EuGH 2011, I-13905 Rn. 77 (verb. Rs. C-411/10 und C-493/10) – N. S. u. a.; siehe auch EuGH vom 22.11.2012 (C-277/11) – M. M./Minister for Justice, Equality and Law Reform, Ireland and Attorney General; siehe ebenfalls EuGH vom 6.12.2012, Rn. 71 (verb. Rs. C-356/11 und C-357/11) – Maahanmuuttovirasto. 1068 Vgl. in diesem Sinne Ulrich Ehricke, EuZW 1999, S. 553 (554). 1069 Vgl. etwa EuGH 1984, 1891 Rn. 26 (14/83) – Colson: „Allerdings ist klarzustellen, daß die sich aus einer Richtlinie ergebende Verpflichtung der Mitgliedstaaten, das in dieser vorgesehene Ziel zu erreichen, sowie die Pflicht der Mitgliedstaaten gemäß Artikel 5 EWG-Vertrag, alle zur Erfüllung dieser Verpflichtung geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zu treffen, allen Trägern öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten obliegen, und zwar im Rahmen ihrer Zuständigkeiten auch den Gerichten. Daraus folgt, daß das nationale Gericht bei der Anwendung des nationalen Rechts, insbesondere auch der Vorschriften eines speziell zur Durchführung der Richtlinie 76/207 erlassenen Gesetzes, dieses nationale Recht im Lichte des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auszulegen hat, um das in Artikel 189 Absatz 3 genannte Ziel zu erreichen“; siehe ebenfalls EuGH 1990, I-4135 Rn. 8 (C-106/89) – Marleasing; EuGH 1996, I-1281 Rn. 20 ff. (C-192/94) – El Corte Inglés; EuGH 1996, I-4705 Rn. 41 (C-168/95) – Arcaro; EuGH 2004, I-8835 Rn. 110 (verb. Rs. 397, 398, 399, 400, 401, 402, 403/01)  – Pfeiffer; EuGH 2010, I-14031 Rn.  72 (verb. Rs. C-444/09 und C-456/09)  –­ Gavieiro und Torres; EuGH 2011, I-8311 Rn. 29 (C-53/10) – Franz Mücksch. 1070 Vgl. hierzu Tobias Schneider, Einleitung, in: Kappelmann/Messerschmidt, VOB A/B – Kommentar, Rn. 29. 1071 Strittig, vgl. Matthias Ruffert, Art. 288 AEUV, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV – Kommentar, Rn. 82 mit umfassenden Nachweisen des Meinungsstands in Fn. 317.

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Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

3. Der funktionale Ansatz in der Rechtssetzung und Rechtsprechung der EU „Und in der Tat, je unzusammenhängender und widersprechender in sich die Bestimmungen eines Rechtes sind, desto weniger sind Definitionen in demselben möglich, denn diese sollen vielmehr allgemeine Bestimmungen enthalten, diese aber machen unmittelbar das Widersprechende, hier das Unrechtliche, in seiner Blöße sichtbar.“1072

Dem Recht zu seiner Entfaltung zu verhelfen, ist, insbesondere wenn es dem Zweck der Rechtsangleichung und -harmonisierung verschiedener Rechtsordnungen dient, eine dogmatische Herausforderung. Neben dem Unionsgesetzgeber, sind es die nationalen Gerichte sowie allen voran der Europäische Gerichtshof, die den Bestand, die Anwendung und die Fortentwicklung des Europäischen Rechts zu sichern haben.1073 Der Unionsgesetzgeber bei der Rechtssetzung und der EuGH bei der Auslegung bemühen sich angesichts nationalrechtlich „besetzter“ oder gar „vorbelasteter“ Terminologie regelmäßig um neutrale Rechtsbegriffe, „die zwar den Geltungsund Gestaltungsanspruch des Unionsrechts (teleologisch) klar formulieren, dabei aber aufgrund ihrer Offenheit und Ungeprägtheit den Mitgliedstaaten die Wahl der rechtlichen Konstruktion überlassen“1074. Diese Begriffe besitzen damit meist keine Auslegungstradition, wie sie etwa die allgemeinen Rechtsgrundsätze aus den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen mitbringen.1075 Es fehlen Anknüpfungspunkte im nationalen Recht, die angesichts des autonom europarechtlich auszulegenden Charakters wenn überhaupt nur mit Vorsicht herangezogen werden dürfen.1076 Auch besitzen die begrifflichen Neuschöpfungen keine terminologische Tradition im Europarecht. Die Begriffe sind „Hüllen“ oder „Platzhalter“ und verkörpern nur jene Regelungsziele, die im entsprechenden Normzusammenhang für eine bestmögliche Erreichung der Vertragsziele sorgen sollen. Den Tatbestandsmerkmalen, die hinter

1072 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse (neu editierte Ausgabe auf der Grundlage der Werke von 1832–1845, Suhrkamp 1970) S. 31. 1073 Siehe zu den an der Rechtsangleichung beteiligten Akteuren oben, S.  209 ff. und Fn. 908, 909 und 910. 1074 Martin Nettesheim, AöR 2007, S. 333 (342) nur mit Bezug auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. 1075 Zu der Bedeutung allgemeiner Rechtsgrundsätze für die Europäische Rechtsordnung siehe umfassend Albert Bleckmann und Stefan Ulrich Pieper, B. I. Rechtsquellen 4. Die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Europäischen Gemeinschaftsrechts, in: Dauses, EU-Wirtschaftsrecht (5. Ergänzungslieferung), Rn. 60 ff. 1076 Siehe zur europarechtskonformen Auslegung oben, S. 240 ff.

C. Das Europäische Vergaberecht als dogmatische Herausforderung

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diesen Begriffen stehen, ist mittels Auslegung eine Kontur zu gegeben. Sie müssen quasi „erfunden“ werden. Bei der Auslegung von normativen Tatbestandsmerkmalen, wie dem öffentlichen Auftraggeberbegriff in den Vergaberichtlinien, kommen dogmatisch immer zwei Ansätze in Betracht, der formal-rechtliche und der funktionale.1077 Ein Beispiel: Bei der Auslegung des Begriffs „Staat bzw. „staatlich“ im des vergaberechtlichen Anwendungsbereichs konzentriert sich der formal-rechtliche Ansatz auf die Bestimmung all jener Einrichtungen, die in formalrechtlicher Hinsicht Teil  des Staates oder Staatsaufbaus sind. Der funktionale Ansatz hingegen fragt, welche Einrichtungen dem Staat im Sinne der Norm gleichzustellen sind und damit auch unter das Tatbestandsmerkmal zu subsumieren sind. Angesichts des Vorangesagten zum Prinzip der praktischen Wirksamkeit als Leitgedanken der Auslegung europarechtlicher Normen, überrascht es wenig, dass der Gerichtshof regelmäßig auf eine an den Vertragszielen orientierten teleologisch-funktionalen Auslegung des europäischen Primär- und Sekundärrechts zurückgreift.1078 Unter anderem erklären die besondere Rolle des Gerichtshofs als „Integra­ tionsmotor“1079 neben der Kommission sowie die universelle Zuständigkeit und die zweckorientierte Ausgestaltung des Europarechts, „warum sich der Gerichtshof in wichtigen Urteilen oftmals von teleologisch-funktionalen Argumenten leiten lässt“1080. Auch die Präambel des Unionsvertrages, die in ihrem 13. Absatz von „der Schaffung einer immer engeren Union der Völker Europas“ spricht, enthält nicht nur eine politische Forderung, sondern „ist vielmehr ein Rechtsprinzip der

1077 Ingelore Seidel/Susanne Mertens, H.  Wettbewerbsregeln, IV. Öffentliches Auftragswesen, in: Dauses, EU-Wirtschaftsrecht (25. Ergänzungslieferung), Rn. 83. 1078 Siehe zu den Auslegungsgrundsätzen des Europarechts, S. 238 ff. 1079 Vgl. Walter Hallstein, der vom Europäischen Gerichtshof als „Integrationsfaktor erster Ordnung“ sprach, Walter Hallstein, Die echten Probleme der europäischen, S. 9. 1080 Thomas von Danwitz, EuR 2008, S.  769 (782). Auch im Behilferecht setzt der EuGH mit dem Rückgriff auf den Grundsatz der Wirksamkeit des Unionsrechts (effet utile) und den Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung auch auf einen funktionalen Ansatz, etwa bei der Auslegung des Begriffs des „Unternehmers“. In einer Entscheidung aus dem Jahre 1987 stellte er klar: „Die Erreichung des oben angegebenen Ziels der Richtlinie 80/723 würde gefährdet, wenn ihre Anwendung davon abhinge, ob staatlichen Stellen eine von derjenigen des Staates getrennte Rechtspersönlichkeit besitzen“, EuGH 1987, 2599 Rn. 10 (118/85) – Kommission/Italien. In der Folge sollte der Begriff des Unternehmers im Rahmen des Wettbewerbsrechts „jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung“ umfassen; vgl. grundlegend EuGH 1991, I-1979 Rn. 21, 26 (C-41/90)  – Höfner und Elser; vgl. auch Ernst-Joachim Mestmäcker, RabelsZ 1988, S.  526 (536).

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Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

Gemeinschaft, das der Gerichtshof bei der Auslegung des Gemeinschaftsrechts zu beachten hat, wenn er der ihm zugewiesenen Aufgaben gerecht werden will, das Recht bei der Auslegung und Anwendung der Verträge zu wahren“1081. Der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist dennoch keinerlei Festlegung oder Selbstbindung auf einen bestimmten Ansatz zu entnehmen. Hintergrund ist nach der Auffassung von Danwitz1082, dass die Richter am Gerichtshof wohl kaum „Grundsatzfragen der Integration intern diskutieren und auf dieser Grundlage ein integrations- und rechtspolitisches Entscheidungsraster verabschieden, das sie ihrer Rechtsprechung zugrunde legen“1083. Der EuGH bemüht sich vielmehr in erster Linie um die Formulierung von Zielzuständen, während demgegenüber Methodik und Dogmatik zurücktreten.1084 Das sich hieraus teilweise eine „vom Pragmatismus bestimmte und mit begrifflichen Unschärfen belastete Entwicklung zentraler Rechtsbegriffe“1085 ergibt, liegt angesichts des Schwerpunkts auf der Zweck- bzw. Zielerreichung auf der Hand. Problematisch wird diese Art der „dynamischen Rechtsprechung“ des Gerichtshofs dort, wo sie durch „die unreflektierte Kombination verschiedener Elemente, die für sich zwar durchaus noch mehr oder weniger nachvollziehbar entwickelt werden, die ‚Bodenhaftung‘ des Prinzips der begrenzten Ermächtigung durch die Gründungsverträge verliert“1086. Angesichts der starken Stellung des Gerichtshofs, insbesondere in der Beziehung zum Unionsgesetzgeber,1087 ist zu bedenken, dass seine Auslegung des Unionsrechts in eine dem Rang des Primärrechts äquivalente Form erwächst, welche letztlich nur im Wege einer Vertragsänderung zu korrigieren ist.1088 Das Resultat dieser Rechtsprechung wird regelmäßig zur Herausforderung für die nationalen Rechtsanwender, insbesondere die nationalen Gerichte, deren Aufgabe die unionsrechtskonforme Auslegung der in Frage stehenden Normen und Tatbestandsmerkmale ist.1089 Der Pragmatismus im Gewand des funktionalen Ansatzes erlaubt es dem EuGH, eine vollumfängliche Entfaltung der Vertragsziele in der Anwendung der einzelnen Normen zu proklamieren, die Umsetzung dieser Prämisse im Einzelfall obliegt jedoch dem nationalen Richter. 1081 Hans Kutscher, Thesen zu den Methoden der Auslegung des Gemeinschaftsrechts aus der Sicht eines Richters – Begegnung von Justiz und Hochschule, 27.–28. September 1976 (Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften 1976) S. I-41 f. 1082 Thomas von Danwitz ist seit dem 7.10.2006 in seiner zweiten Amtszeit (vgl. Art. 253 Abs. 2 AEUV) Richter am Gerichtshof. 1083 Thomas von Danwitz, EuR 2008, S. 769 (771 f.). 1084 Martin Nettesheim, AöR 2007, S. 333 (342). 1085 Ingelore Seidel, ZfBR 1995, S. 227 (230). 1086 Rudolf Streinz, in: Due/Lutter/Schwarze, Festschrift für Ulrich Everling, S. 1491 (1504) mit Bezug auf das ERASMUS-Urteil des EuGH aus dem Jahre 1989. 1087 Matthias Pechstein, EU-/EG-Prozessrecht (2007) S. 3 ff. 1088 Thomas von Danwitz, EuR 2008, S. 769 (775). 1089 Vgl. zu zur Zuweisung dieser Aufgabe oben, S. 240 f. und Fn. 1068.

C. Das Europäische Vergaberecht als dogmatische Herausforderung

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Festzuhalten ist, dass der funktionale Ansatz dort in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes auftaucht, wo es als Ausdruck des Prinzips der praktischen Wirksamkeit geboten scheint, dem Normzweck eine stärkere Gewichtung zu verleihen als dem formal-rechtlichen Wortlaut. Dieser funktionale Ansatz ist jedoch stets nur Mittel zum Zweck und kein zwingendes Grundprinzip des Europarechts. 4. Die Entstehung des funktionalen Auftraggeberbegriffs Nach Hart ist der Anwendungsbereich eines Gesetzes „eine Frage der Auslegung des besonderen Gesetzes, wobei das allgemeine Verständnis mithilft“1090. Die Betrachtung des öffentlichen Auftraggeberbegriffs ist also in diesem Sinne im Lichte des Telos und der Systematik des Vergabesekundärrechts zu betreiben, wobei gleichzeitig auf die Ziel- und Zwecksetzung der Europäischen Verträge im Ganzen abzustellen ist. Dem Vergabesekundärrecht liegen die Regelungsziele Sicherung und Förderung von Transparenz, Sicherung und Förderung des Wettbewerbs sowie das Verbot von Diskriminierungen durch Achtung des Grundsatzes der Gleichbehandlung zugrunde.1091 Diese vergaberechtsspezifischen Regelungszwecke ergeben sich wiederum aus den Vertragszielen des Primärrechts, vornehmlich der Herstellung einer wirtschaftlichen Integration zur Förderung des Gemeinwohls mittels der Binnenmarktkonzeption.1092 Insbesondere die Verwirklichung der Niederlassungs-, Dienstleistungs- und Warenverkehrsfreiheit bilden das thematische Rückgrat des vergaberechtlichen Regelungsansatzes.1093

1090

Herbert L. Hart, Der Begriff des Rechts, S. 39. Vgl. Fn. 151. 1092 Vgl. EuGH 1980, 2747 Rn. 16 (810/79) – Überschär; EuGH 1989, 4035 Rn. 8 (C-3/88) – Kommission/Italienische Republik; EuGH 1996, I-2043 Rn. 54 (C-87/94) – Wallonische Busse; EuGH 1993, I-3353 Rn. 37 (C-243/89) – Storebælt. 1093 Vgl. etwa den 2. Erwägungsgrund der Vergabekoordinierungs-RL 2004/18/EG: „Die Vergabe von Aufträgen in den Mitgliedstaaten auf Rechnung des Staates der Gebietskörperschaften und anderer Einrichtungen des öffentlichen Rechts ist an die Einhaltung der im Vertrag niedergelegten Grundsätze gebunden, insbesondere des Grundsatzes des freien Warenverkehrs, des Grundsatzes der Niederlassungsfreiheit und des Grundsatzes der Dienstleistungsfreiheit sowie der davon abgeleiteten Grundätze wie z. B. des Grundsatzes der Gleichbehandlung, des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung, des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung, des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und des Grundsatzes der Transparenz.“ 1091

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Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

a) Der formal-rechtliche Auftraggeberbegriff als Ausgangspunkt der Vergaberichtlinien Der Anwendungsbereich der ersten Vergaberichtlinien aus den 1970er Jahren war eng zugeschnitten auf den Staat, seine Gebietskörperschaften und die sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts.1094 Die Gründe hierfür waren unterschiedlich. Allen voran stand sicherlich die klassische Vorstellung von einer reglementierungsbedürftigen Vergabekonstellation, die historisch betrachtet zunächst zur zwischen der Obrigkeit des Staates und den einzelnen privaten­ Unternehmen entstehen sollte.1095 Auch die später einsetzende „Flucht ins Privatrecht“1096 war noch kein Thema.1097 Vor allem aber gab es einen viel einfacheren Grund für die Begrenzung des Anwendungsbereichs auf staatliche Stellen. Die „Schwierigkeit, den Kreis der einzubeziehenden Einrichtungen sachgerecht abzugrenzen und EU-weit gleich­ gewichtig eine gleichermaßen für öffentliche und private Auftraggeber angemessene Regelung zu finden“1098, führte dazu, privatrechtlich organisierte Einrichtungen außen vor zu lassen.1099 Seidel und Martens meinen, dass bereits bei Errichtung des Vergaberechtsregimes die Einbeziehung der Sektoren Wasser, Energie und Telekommunikation und Verkehr vorgesehen war und damit die Absicht bestand, auch formal-rechtlich nicht dem Staat zuzurechnende Einrichtungen dem Anwendungsbereich des Vergaberechts zu unterwerfen.1100 Zwar lässt sich durchaus dem expliziten Ausschluss der Sektorenauftrag­geber1101 und den Begründungen hierzu1102 ein Indiz für die geplante Weiterentwicklung des persönlichen Anwendungsbereichs entnehmen. Darin jedoch im Rückblick eine frühe Festlegung des Gemeinschaftsgesetzgebers auf einen funktionalen Ansatz zu erkennen, wäre nicht überzeugend. Für den Moment bedeutete die Textfassung in den ersten Richtlinien eine Entscheidung gegen die Einbeziehung weiterer Einrichtungen oder Sektoren, ungeachtet aus welchen Gründen.

1094 Vgl. Art. 1 Abs. 1 Warenliberalisierungs-RL 70/32/EWG, Art. 1 Bauliberalisierungs-RL 71/304/EWG, Art. 1 lit. b) Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG, Art. 1 lit. b) Lieferkoordinierungs-RL 77/62/EWG und Schaubild 8 (S. 228 ff.). 1095 Vgl. zur historischen Dimension des Vergabewesens oben, S. 49 ff. 1096 Vgl. etwa Meinrad Dreher, § 98 GWB, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 2: GWB, Rn. 6. 1097 Siehe oben, Fn. 520. 1098 Vgl. Ingelore Seidel und Susanne Mertens, H. Wettbewerbsregeln, IV. Öffentliches Auftragswesen, in: Dauses, EU-Wirtschaftsrecht (25. Ergänzungslieferung), Rn. 83. 1099 Siehe hierzu zu den Verhandlungen über das erste Richtlinienprogramm oben, S. 96 ff. 1100 Ebd. 1101 Siehe hierzu Schaubild 8 ( S. 228 ff.). 1102 Siehe zu den Begründungen oben, S. 116 ff. sowie Fn. 335.

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b) Der Wandel zum funktionalen Auftraggeberbegriff als Ausdruck eines „Europäischen Pragmatismus“ Eine Abkehr vom rein formell-rechtlichen Ansatz, der den Anwendungsbereich des Vergaberechts nur auf staatliche Einrichtungen beschränkte, manifestierte sich, entgegen der oben geäußerten Vermutung, nicht mit der beschriebenen Einbeziehung der Sektorenauftraggeber durch eine eigenen Richtlinie, sondern mit der Baukoordinierungs-ÄndRL 89/440/EWG, deren Entstehen mit der Rechtsprechung des EuGH im Fall Beentjes koinzidierte. Die Chronologie der Ereignisse, die schließlich zu einem funktionalen Ansatz führten, wurde bereits oben nachgezeichnet.1103 So ist offenkundig, dass die ­Vorstellung, der Gemeinschaftsgesetzgeber habe mit der BaukoordinierungsÄndRL 89/440/EWG vom 18.7.1989 die Rechtsprechung des EuGH aus dem­ Beentjes-Urteil vom 20.9.1988 kodifiziert, entgegen einhelliger Wahrnehmung1104 nicht richtig ist. Denn der Ansatz, den Auftraggeberbegriff im funktionalen Sinne zu erweitern, war bereits im geänderten Richtlinienvorschlag der Kommission vom 21.6.1988 ausformuliert worden.1105 Im Gegensatz zu den Begründungen bzw. den Stellungnahmen zu den RL-Vorschlägen1106 findet sich im Beentjes-Urteil des EuGH keine dogmatische Herleitung des funktionalen Ansatzes, was insofern nicht überrascht, als bereits herausgestellt wurde,1107 dass der Gerichtshof eine Auslegung unter absoluter Priorisierung der Realisierung der Vertragsziele verfolgt. In diesem Licht scheint die Begründung der Entscheidung logisch: 1103

Siehe oben, S. 112 ff. Siehe Fn. 382 sowie Kay Hailbronner, EWS 1995, S. 282 (285): „Von daher bestehen Zweifel, ob mit der Neufassung der Richtlinie 1989 wirklich eine substantielle Erweiterung verbunden sein sollte oder ob der Gesetzgeber nur die durch die Rechtsprechung des EuGH vorgegebene Konzeption des öffentlichen Auftraggebers nachzeichnen wollte.“ 1105 Vgl. Europäische Kommission, Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 71/305/EWG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, KOM (88) 354 endg., Art. 2. Dieser Vorschlag ist nicht im Amtsblatt der EU veröffentlicht. Über die Datenbank der EU (EurLex) ist er ebenfalls (noch) nicht abrufbar. Daher wurde ein Auszug in der Anhang II zu dieser Arbeit abgedruckt. Siehe auch bereits zuvor Europäische Kommission, Vorschlag vom 23.12.1986 für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 71/305/EWG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, KOM (86) 679 endg., II. Erläuterungen zu den Artikeln, Artikel 2, S. 5. 1106 Siehe hierzu ausführlich oben, S. 112 ff., sowie Europäische Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 71/305/EWG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, KOM (86) 679 endg., II. Erläuterungen zu den Artikeln, Art. 2, S. 5; Europäische Kommission, Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 71/305/EWG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, KOM 88) 354 endg., Erläuterung zu Art. 2, S. 5; vgl. auch Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss, Stellungnahme zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 71/305/EWG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, ABl. 1987 C 319/55, unter 2.1. (Allgemeine Bemerkungen). 1107 Siehe oben, S. 242 ff. 1104

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Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

„Der in dieser Bestimmung verwendete Begriff des Staates ist im funktionellen Sinne zu verstehen. Das Ziel der Richtlinie, die die tatsächliche Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs auf dem Gebiet der öffentlichen Bauaufträge anstrebt, wäre gefährdet, wenn sie allein deswegen unanwendbar wäre, weil ein öffentlicher Bauauftrag von einer Einrichtung vergeben wird, die geschaffen wurde, um ihr durch Gesetz zugewiesene Aufgaben zu erfüllen, die jedoch nicht förmlich in die staatliche Verwaltung eingegliedert ist.“1108

Damit durchbrach der EuGH die formalen Grenzen des Anwendungsbereichs des Vergaberechts mit Blick auf die Zielsetzung des europäischen Vergaberechtsregimes, dessen Zweck die tatsächliche Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs auf dem Binnenmarkt ist. Die Folge war die Herstellung einer funktionalen Äquivalenz zwischen einer staatlichen Einrichtung und einer Einrichtung, die zwar faktisch den staatlichen in ihrer vergaberechtsspezifischen Sonderrolle glich, formal jedoch nicht dem Staat zugerechnet werden konnte. Wenig später wurde diese noch sehr allgemeine Gleichstellung  – wie bereits zuvor beabsichtigt – vom Gemeinschaftsgesetzgeber mit der BaukoordinierungsÄndRL 89/440/EWG in Richtlinienrecht gegossen.1109 Die gesetzliche Ausge­ staltung bedeutete eine wesentlich konkretere Einbeziehung von „Einrichtungen des öffentlichen Rechts“ als die mehr pauschale und auf den Einzelfall bezogene Postulierung einer funktionalen Äquivalenz in der Beentjes-Entscheidung. Schließlich wurden die Baukoordinierungsrichtlinie und mit der Novelle 1992/93 auch die Richtlinien über Vergabe von Lieferaufträgen und die neue Richtlinie über die Vergabe von Dienstleistungen mit einer Tatbestandserweiterung versehen.1110 Die Neufassung der Richtlinien von 2004, die der Konsolidierung des vergaberechtlichen Sekundärrechts diente, führte die nunmehr weite Definition des Begriffs des Öffentlichen Auftraggebers ohne Änderungen fort.1111 Zwar wurde im Grünbuch der Kommission über das öffentliche Auftragswesen in der EU vom 27.  November 1996,1112 das wesentliche Diskussionsgrundlage für die Novelle war, die richtige Auslegung des Begriffs des „Öffentlichen Auftraggebers“ als Problem und Grund für die teilweise fehlerhafte Anwendung der Richtlinien erkannt.1113 Es wurde jedoch nur der Rückgriff des EuGH auf das Konzept des funktionalen Auftraggeberbegriffs zur Begegnung dieser Probleme zur Kenntnis

1108

EuGH 1988, 4635 Rn. 11 (31/87) – Beentjes. Zum Wortlaut siehe oben, S. 112 ff., sowie zur Verortung in den Richtlinien Schaubild 8 (S. 228 ff.). 1110 Siehe hierzu ebenfalls die Übersicht auf S. 228 ff. 1111 Vgl. Art. 1 Abs. 9 UAbs. 2 Vergabekoordinierungs-RL 2004/18/EG bzw. Art. 2 Abs. 1 lit. a) Sektorenkoordinierungs-RL 2004/17/EG. 1112 Europäische Kommission, Das öffentliche Auftragswesen in der Europäischen Union – Überlegungen für die Zukunft, Grünbuch vom 27.11.1996, KOM(96) 583 endg. 1113 Vgl. ebd., S. 11 sowie oben ausführlich, S. 167 ff. 1109

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genommen und dem „besseren Verständnis“1114 dienlich befunden. Eine Konkretisierung der Begrifflichkeit blieb damit dem EuGH und den mitgliedstaatlichen Gerichten im Rahmen der richterlichen Auslegung überlassen. Der EuGH hält seither daran fest, „dass im Licht der doppelten Zielsetzung einer Öffnung für den Wettbewerb und der Transparenz, die mit den Richtlinien zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge verfolgt wird, der Begriff ‚Einrichtung des öffentlichen Rechts‘ funktionell auszulegen ist“1115.

IV. Die systemischen Auswirkungen der vergaberechtlichen Rechtsangleichung auf das deutsche Öffentliche Recht Nicht nur der Umfang der zahlreichen Vorschriften, welche die Bundesrepublik sukzessive aus den Vergaberichtlinien in das nationale Recht zu überführen hatte, stellte eine rechtstechnische Herausforderung dar. Die Auswirkungen dieser europäischen Rechtsrevolution waren von viel grundsätzlicher Natur. Bedingt durch den zunehmenden Anpassungsdruck aus Brüssel, entwickelte sich innerhalb des deutschen öffentlichen Wirtschaftsrechts eine Materie, deren systemische Einordnung angesichts der dogmatischen Besonderheiten des vergaberechtlichen Richtlinienrechts immer wieder zu Problemen führte. 1. Die Beschränkung der Dispositionsfreiheit über die Gewährung subjektiver Rechte Die Entwicklung des Rechts der Auftragsvergabe ist auch ein Beispiel für die Fortentwicklung des allgemeinen Verwaltungsrechts durch Gesetz. Die Anstöße des Unionsrechts führten zu einer Umstellung des ursprünglich haushaltsrechtlich konzipierten Vergaberechts auf ein Verfahrensrecht mit einklagbaren Rechtspositionen.1116 Heraus aus dem Schattendasein im „Zwischenreich zwischen öffentlichem und privatem Recht“1117 mit einer undurchsichtigen Praxis und kaum Rechtsprechung kam das Vergabewesen „ans Licht“ und damit auch zu entsprechender Aufmerksamkeit der Lehre und Rechtsprechung.

1114 Europäische Kommission, Das öffentliche Auftragswesen in der Europäischen Union – Überlegungen für die Zukunft, Grünbuch vom 27.11.1996, KOM(96) 583 endg., S. 12. 1115 EuGH 2003, I-4667 Rn. 53 (C-214/00) – Kommission/Spanien; vgl. auch EuGH 2003, I-1931 Rn. 43 (C-373/00) – Adolf Truley; EuGH 2002, I-11617 Rn. 51 ff. (C-470/99) – Universale Bau; EuGH 2001, I-939 Rn. 41 ff. (C-237/99) – Kommission/Frankreich. 1116 Eberhard Schmidt-Aßmann/Stéphanie Dagron, ZaöRV 2007, S. 395 (413). 1117 Jost Pietzcker, Grenzen des Vergaberechts, in: Blaurock, Der Staat als Nachfrager – Öffentliches Auftragswesen in Deutschland und Frankreich, S. 15.

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Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

a) Das Fehlen subjektiv-öffentlicher Rechte im deutschen Vergaberecht Nach Art.  19 Abs.  4 Satz 1 GG steht „jedermann, der sich durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt fühlt, der Rechtsweg zu den Gerichten offen“1118. Damit ist dem Einzelnen grundsätzlich eine volle Rechts- und Tatsacheninstanz gegen Akte der Verwaltung gewährleistet.1119 Aus dem Wortlaut ergibt sich jedoch auch, dass Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG nicht die Existenz von subjektiven Rechten garantiert, sondern den Rechtsschutz im Falle der Verletzung von bestehenden subjektiven Rechten durch die öffentliche Gewalt. In den Worten des BVerfG heißt das: „Die Vorschrift [Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG] gewährleistet nicht selbst den sachlichen Bestand oder Inhalt einer als verletzt behaupteten Rechtsstellung dieser Art; dieser Bestand und sein Inhalt richtet sich vielmehr nach der Maßgabe der Rechtsordnung im übrigen.“1120

Die Entscheidung über die Gewährung von subjektiv-öffentlichen Rechten obliegt nämlich nach dem Gesetzgeber.1121 Er hat „individuelle und allgemeine Interessen zu einem gerechten Ausgleich“1122 zu bringen. Diese Befugnis gilt natürlich nur für den Bereich der Gesetzgebungskompetenz und damit nur im Rahmen der verfassungsrechtlich zulässigen Grenzen.1123 Das deutsche Vergaberechtswesen zeichnete sich bis in die 1990er Jahre durch das Fehlen von subjektiv-öffentlichen Rechten der Bieter und Interessenten am Vergabeverfahren aus. Sowohl das „Ob“ als auch das „Wie“ der Vergabeverfahren und der Vergabeentscheidung waren allenfalls durch verwaltungsinterne Vorschriften bzw. Innenrecht geregelt.1124 Während die Durchführung des Auftrags den Regeln des Zivilrechts folgte und damit auch etwaige Ansprüche nach den allgemeinen vertrags-, schadens- und deliktsrechtlichen Regeln vor den ordentlichen Gerichten durchzusetzen waren, besaß selbst der den Zuschlag erhaltende Auftragnehmer keine subjektiv-öffentlichen Rechte gegenüber der staatlichen Vergabe 1118

Vgl. BVerfG vom 31.5.1988 (1 BvR 520/83) Rn. 34 = BVerfGE 78, S. 214 (226) Vgl. BVerfG vom 5.2.1963 (2 BvR 21/60) Rn. 15 = BVerfGE 15, 275 (282); BVerfG vom 10.11.1964 (2 BvL 14/61) Rn. 32 = BVerfGE 18, 203 (212); BVerfG vom 13.6.1979 (1 BvR 699/77) Rn. 53 = BVerfGE 51, 268 (284); BVerfG vom 8.7.1982 (2 BvR 1187/80) Rn. 77 = BVerfGE 61, 82 (111); BVerfG vom 2.5.1984 (2 BvR 1413/83) Rn. 31 = BVerfGE 67, 43 (58). 1120 BVerfG vom 8.7.1982 (2 BvR 1187/80) Rn. 77 = BVerfGE 61, 82 (111) mit Verweis auf BVerfG vom 5.2.1963 (2 BvR 21/60) = BVerfGE 15, 275 (281). 1121 Vgl. BVerfG vom 31.5.1988 (1 BvR 520/83) Rn. 34 = BVerfGE 78, S. 214 (226): „Welche Rechte er geltend machen kann, bestimmt sich dabei – von den Fällen der Grundrechte und sonstiger verfassungsmäßiger Rechte abgesehen – nach den Regelungen des einfachen Rechts. Der Gesetzgeber befindet darüber, unter welchen Voraussetzungen dem Bürger ein Recht zustehen und welchen Inhalt es haben soll.“ 1122 Sven Hölscheidt, EuR 2001, S. 376 (378). 1123 Eine Einschränkung grundrechtlich geschützter Rechte des einzelnen ist nur dort zulässig, wo das Grundgesetz eine entsprechende Schrankenmöglichkeit vorsieht. 1124 Siehe hierzu auch noch die sog. „haushaltsrechtliche Lösung“ von 1993, deren Ziel es war, subjektive Rechte nicht entstehen zu lassen oben, S. 133 f. 1119

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stelle.1125 Den unterlegenen Bietern blieben nur die wenigen, in der Praxis wenig hilfreichen zivilrechtlichen Rechtsinstitute zur Durchsetzung etwaiger vorvertraglicher Vertrauensschäden oder deliktischer Ansprüche.1126 Noch 1993 hielt der deutsche Gesetzgeber ganz ausdrücklich an dieser Haltung mit der sog. „haushaltsrechtlichen Lösung“ fest, die der Umsetzung der europäischen Vergaberechtrichtlinien dienen sollte. Er hatte sich dafür entschieden, eben keine subjektiven Rechte an die am Vergabeverfahren beteiligten Bieter und Interessenten zu verleihen: „Das Konzept hat zum Ziel, individuelle, einklagbare Rechtsansprüche der Bieter nicht entstehen zu lassen.“1127

Diese Entscheidung kann angesichts der klaren Forderungen aus Brüssel und Luxemburg entweder als mutig und entschlossen oder als naiv und unbedacht gewertet werden. So oder so – sie hatte nicht lange Bestand.1128 b) Die „erzwungene“ Subjektivierung von Rechtspositionen im deutschen Vergaberecht Das Vergabesekundärrecht forderte von den Mitgliedstaaten im Rahmen der vergaberechtlichen Richtlinienumsetzung die Verbürgung subjektiver Bieterrechte. Für die Einordnung dieser Forderung bedarf es einer Betrachtung der europäischen Vorstellung von den Rechten des Einzelnen innerhalb des „Europäischen Hauses“1129. aa) Invocabilité und subjektiv-öffentliche Rechte aus dem Unionsrecht In der Europäischen Union sind die Unionsbürger neben den Staaten nicht nur eigenständige Vollrechtssubjekte. Vielmehr noch ist die Vermittlung von individu­ alen Rechten durch das Europarecht als zentrales Prinzip der Union zu verstehen. Angesichts des völkerrechtlichen Ursprungs der Rechtsgemeinschaft ist das keine Selbstverständlichkeit. Der EuGH stellte 1991 in seinem EWR-Gutachten fest: „Dagegen stellt der EWG-Vertrag, obwohl er in der Form einer völkerrechtlichen Übereinkunft geschlossen wurde, nichtsdestoweniger die Verfassungsurkunde einer Rechtsgemeinschaft dar. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes haben die Gemeinschaftsverträge eine neue Rechtsordnung geschaffen, zu deren Gunsten die Staaten in immer weiteren 1125 Siehe oben zur Ausgestaltung der Rechtsansprüche im deutschen Vergaberecht vor der Europäisierung, S. 78 f. 1126 Siehe oben, S. 78 f. 1127 Deutscher Bundestag, Begründung zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Haushaltsgrundsätzegesetzes vom 25.3.1993 (BT-Drs. 12/4636) S. 12; siehe hierzu oben, S. 137. 1128 Siehe oben zur sog. haushaltsrechtlichen Lösung, S. 133 ff. 1129 Zu dem Begriff vgl. Fn. 346.

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Bereichen ihre Souveränitätsrechte eingeschränkt haben und deren Rechtssubjekte nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch deren Bürger sind […]. Die wesentlichen Merkmale der so verfaßten Rechtsordnung der Gemeinschaft sind ihr Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten und die unmittelbare Wirkung zahlreicher für ihre Staatsangehörigen und für sie selbst geltender Bestimmungen.“1130

Der Gerichtshof schließt von den besonderen Verpflichtungen, die die Mitgliedstaaten mit den Verträgen eingegangen sind, auf die Entstehung individueller Rechte.1131 Im Unionsrecht findet sich jedoch weder eine explizite Regelung zu Umfang und zur Verleihung von subjektiven Rechten an die Unionsbürger noch eine der deutschen Schutznormtheorie1132 vergleichbare Konzeption. Gleichwohl stattet das Primärrecht den Unionsbürger mit individuellen Rechtspositionen aus, wie etwa Art. 45 Abs. 3 AEUV, der den Arbeitnehmern ausdrückliche und unmittelbare Rechte zuschreibt. Auch im Sekundärrecht, vornehmlich in den unmittelbar anzuwendenden Verordnungen, finden sich explizit Individualrechte.1133 In den meisten Fällen jedoch enthebt der EuGH subjektive Rechte den grundsätzlich nicht unmittelbar wirkenden Richtlinien.1134 Hierbei greift er auf die bekannten Prinzipien des effet utile (Prinzip der praktischen Wirksamkeit) und auf die Regeln über die unmittelbare Wirkung unionsrechtlicher Normen zurück. Dabei wird wieder das „funktionalrechtliche Grundverständnis“1135 des Gerichtshofs erkennbar. Der EuGH nutzt die Verleihung subjektiver Rechte eher aus der Perspektive des materiellen Rechts zu dessen erfolgreicher und wirksamer Durchsetzung als aus der Perspektive der Begünstigten. Regelmäßig heißt es aus Luxemburg, die praktische Wirksamkeit von Richtlinien würde geschwächt, wenn sich der Einzelne vor Gericht hierauf nicht berufen und die mitgliedstaatlichen Gerichte sie nicht als Bestandteil des Unionsrechts berücksichtigen könnten.1136 Die invocabilité, also die gerichtliche Einklagbarkeit von Rechten des einzelnen, ist mehr ein Baustein der Rechtsdurchsetzung des europäischen – vornehmlich sekundären  – Rechts als eine gewählte Privilegierung eines Rechtssubjekts aufgrund bestimmter persönlicher oder sachlicher Kriterien. Die Konzeption der praktischen Wirksamkeit, der unionsrechtskonformen Auslegung und unmittel 1130

EuGH 1991, I-6079 Rn. 21 (Gutachten des Gerichtshofes vom 14.11.1991). Thomas von Danwitz, DÖV 1996, S. 481 (482). 1132 Vgl. hierzu ausführlich Eberhard Schmidt-Aßmann, Art. 19 GG, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz – Kommentar (72. Ergänzungslieferung), Rn. 127 ff. 1133 So stellte der EuGH klar: „Schon nach ihrer Rechtsnatur und ihrer Funktion im Rechtsquellensystem des Gemeinschaftsrechts erzeugt sie also unmittelbare Wirkungen und ist als solche geeignet, für die einzelnen Rechte zu begründen, zu deren Schutz die nationalen Gerichte verpflichtet sind“, vgl. in ständiger Rechtsprechung EuGH 1973, 981 Rn. 8 (34/73) – Variola; EuGH 2002, I-7289 Rn. 27 (C-253/00) – Muñoz und Superior Fruiticola; EuGH 2011, I-14035 Rn. 40 (verb. Rs. 4/10 und C-27/10) – Ranin Oy. 1134 Vgl. Sven Hölscheidt, EuR 2001, S. 376 (382 f.). 1135 Thomas von Danwitz, DÖV 1996, S. 481 (482). 1136 Vgl. etwa EuGH 1979, 1629 Rn. 21 (148/79) – Tullio Ratti und EuGH 1982, 53 Rn. 23 (8/81) – Becker. 1131

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baren Wirkung münden hier in eine Subjektivierung eigentlich objektiver, wenn überhaupt mittelbar subjektiver, materiell-rechtlicher Regelungsinhalte. Die zielgerichtete Subjektivierung materiell-rechtlicher Tatbestände instrumentalisiert damit den Unionsbürger als „procureur du droit“.1137 Im europäischen Vergaberecht finden sich subjektive Rechte für die am Vergabeverfahren Beteiligten, vornehmlich die Bieter. Die Subjektivierung der meist als Pflichten der Auftraggeber formulierten Bieterrechte, wie etwa der Schutz vor Willkür des Öffentlichen Auftraggebers1138 oder Diskriminierung1139, dienen unmittelbar dem Zweck der effektiven und vollständigen Entfaltung des Richtlinienrechts in den Mitgliedstaaten. Es leuchtet im Lichte der historischen Erfahrungen ein, dass es eine vollständige Richtlinienumsetzung in das nationale Recht „ohne die Einräumung subjektiver und klagefähiger Individualrechte im Vergabeverfahren nicht geben“1140 kann. Das Verhältnis von Zweckerreichung und Bieterrechten ergibt sich auch aus der Entscheidung des EuGH über die ordnungsgemäße Umsetzung der Lieferkoordinierungs-ÄndRL 88/295/EWG und der Baukoordinierungs-ÄndRL 89/440/ EWG durch die Bundesrepublik: „[…], je nach dem Inhalt der Richtlinie kann ein allgemeiner rechtlicher Rahmen genügen, wenn er tatsächlich die vollständige Anwendung der Richtlinie in so klarer und bestimmter Weise gewährleistet, daß – soweit die Richtlinie Ansprüche des einzelnen begründen soll – die Begünstigten in der Lage sind, von allen ihren Rechten Kenntnis zu erlangen und diese gegebenenfalls von den nationalen Gerichten geltend zu machen.“1141

Die sich aus den Richtlinien in Auslegung durch den Gerichtshof ergebende Garantie des Bieters, seine rechtlich geschützten Interessen vor Gericht geltend machen zu können,1142 ist nach Huber nicht als „Rechtsreflex“ zu verstehen,1143­ 1137 Thomas von Danwitz, DÖV 1996, S. 481 (484) mit weiteren Verweisen in Fn. 41 und 42; vgl. auch zur Bedeutung der Subjektivierung des Gemeinschaftsrechts, Matthias Rossi, Europäische Integration durch Gemeinschaftsrecht und Gerichtsbarkeit?, S. 107 (114 f.). 1138 Vgl. etwa EuGH 1982, 417 Rn. 17 (76/81) – Transporoute; EuGH 1988, 4652 Rn. 42 (31/87)  – Beentjes; EuGH 1989, 1839 Rn.  17 (103/89)  – Fratelli Costanzo/Stadt Mailand; EuGH 2001, I-9233 Rn. 44 (verb. Rs. C-285/99 und C-286/99) – Lombardini und Mantovani. 1139 Vgl. EuGH 2000, I-380/98 Rn. 17 (C-380/98) – University of Cambridge; EuGH 2001, I-7725 Rn. 32 (C-19/00) – SIAC Construction; EuGH 2002, I-5553 Rn. 43 (C-92/00) – HI. 1140 Oliver Dörr, JZ 2004, S. 703 (705). 1141 EuGH 1995, I-2303 Rn. 18 (C-433/93) – Kommission/Deutschland. 1142 So hat der EuGH u. a. klargestellt: „Nach alledem ist Artikel 2 Absatz 1 Buchstaben a und b in Verbindung mit Absatz 6 Unterabsatz 2 der Richtlinie 89/665 dahin auszulegen, daß die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, die dem Vertragsschluß vorangehende Entscheidung des Auftraggebers darüber, mit welchem Bieter eines Vergabeverfahrens er den Vertrag schließt, in jedem Fall einem Nachprüfungsverfahren zugänglich zu machen, in dem der Antragsteller unabhängig von der Möglichkeit, nach dem Vertragsschluß Schadensersatz zu erlangen, die Aufhebung der Entscheidung erwirken kann, wenn die Voraussetzungen hierfür erfüllt sind“, vgl. EuGH 1999, I-7671 Rn. 43 (C-81/98) – Alcatel Austria. 1143 So aber KG Berlin vom 31.5.1995 (Kart. W 3259/95) = NVwZ 1996, S. 415 (416).

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„sondern erfüllt alle Kriterien eines (öffentlichen) subjektiven Rechts“.1144 In diesem Zusammenhang ohne weiteres von subjektiv-öffentlichen Rechten zu sprechen, scheint aber etwas missverständlich. Wie beschrieben, zielen die aus den Richtlinien, oftmals auch nur aus den Erwägungsgründen hergeleiteten Individualrechte in erster Linie auf die materiell-rechtliche Verwirklichung des Richtlinienrechts in den nationalen Rechtsordnungen ab und nicht unbedingt auf die Verleihung materiell-subjektiver Ansprüche an den einzelnen.1145 Der EuGH spricht insofern auch von „Rechten des einzelnen“1146, die jedoch als Begriffsfigur noch keine konsistente Verwendung in der Rechtsprechung des Gerichtshofs gefunden haben.1147 bb) Die Anpassungen im deutschen Vergaberecht Weder das deutsche Vergaberecht als Bestandteil des Haushaltsrechts noch die Verdingungsordnungen bezweckten bis zur endgültigen Umsetzung der Vergaberichtlinien Ende der 1990er Jahre1148 den Schutz einzelner Bieter oder sahen gar Schutznormen mit entsprechenden subjektiven Rechten vor.1149 Im Haushaltsrecht ging einzig und allein um die Bindung der Verwaltung an die Grundsätze von Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit der staatlichen Haushaltsführung.1150 Auch das mit der Nachprüfungsverordnung von 1994 vorgesehene Nachprüfungsverfahren vermochte es nicht, an der mangelnden Subjektivierung etwas zu ändern.1151 Der Versuch der Bundesrepublik, möglichst lange nur durch Verwaltungsvorschriften und Innenrecht dem Unionsrecht gerecht zu werden, trug für den Bereich des Vergaberechts in den 1990er Jahren zu einer Verschärfung des Konflikts zwischen Brüssel und Deutschland bei. „Verwaltungsvorschriften sind weder geeignet, Rechte einzelner im gebotenen Ausmaß zu gewährleisten, noch Pflichten Dritter zu begründen“, befand damals Zuleeg.1152 Dass die verwaltungsrecht 1144

Peter M. Huber, in: Dörr/Fink/Hillgruber/Kempen/Murswiek, Festschrift für Hartmut Schiedermair, S. 765 (773) mit umfassend weiteren Nachweisen in Fn. 46. 1145 Ebenfalls zur Vorsicht mahnend vor einem zu schnellen Schluss von Individualberechtigungszielen in Richtlinien auf garantierte materiell-subjektive Ansprüche des einzelnen,­ Martin Nettesheim, AöR 2007, S. 333 (362). 1146 Vgl. etwa aus dem Bereich des Vergaberechts: EuGH 2010, I-2815 Rn. 136 (C-91/08) – Wall AG; EuGH 1999, I-1405 Rn. 28 (C-258/97) – HI; EuGH 1998, I-5357 Rn. 28 (C-76/97) – Tögel; EuGH 1997, I-4961 Rn. 46 (C-54/96) – Dorsch Consult. 1147 Vgl. hierzu ausführlich Martin Nettesheim, AöR 2007, S. 333 (362 f.) mit einigen Beispielen; siehe auch Sven Hölscheidt, EuR 2001, 376 (385) mit Überlegungen zu den Voraussetzungen für das Vorliegen subjektiv-öffentlicher Rechte im materiellen Unionsrecht. 1148 Siehe hierzu ausführlich oben, S. 152 ff. 1149 Vgl. Oliver Dörr, JZ 2004, S. 703 (705). 1150 Siehe insbesondere zu den Regelungen des Haushaltsgrundsätzegesetzes oben, S. 80 ff. 1151 Siehe hierzu ausführlich oben, S. 133 ff. und Fn. 498. 1152 Manfred Zuleeg, VVDStRL 53, S. 154 (191).

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lich ausgestalteten Unternehmungen zur Umsetzungen dem beschriebenen Prinzip der invocabilité entgegenstehen würden, war schnell absehbar. Der EuGH stellte klar: „Außerdem erfordern die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Rechtsschutzes auf den vom Gemeinschaftsrecht erfaßten Gebieten eine eindeutige Formulierung der Rechtsnormen der Mitgliedstaaten, die den betroffenen Personen die klare und genaue Kenntnis ihrer Rechte und Pflichten ermöglicht und die innerstaatlichen Gerichte in die Lage versetzt, deren Einhaltung sicherzustellen […].“1153

Mit der Rechtsprechung des EuGH aus den Jahren 1995/961154 zu den deutschen Umsetzungsmaßnahmen im Vergaberecht wurde endgültig entschieden, dass das Ziel der Richtlinien, dem Einzelnen (subjektive)  Rechte zu vermitteln, von der deutschen haushaltsrechtlichen Lösung missachtet worden war. Die darauf folgende Revision des deutschen Vergabewesens mit der Gesetzesnovelle von 1998 fügte sich dem Gebot der invocabilité und stattete den einzelnen, insbesondere den unterlegenen Bieter, mit einklagbaren Rechten aus.1155 Die vom Gerichtshof zur Erhöhung der Wirksamkeit des Unionsrechts durchgesetzte Subjektivierung einzelner materiell-rechtlicher Regelungen führte auch zu einer Förderung des „europäischen Zusammenhalts“1156. Entsprechend der Vorstellung von der Union als einer Gemeinschaft nicht nur von Staaten sondern auch von Bürgern, wird seither der Einzelne in seinen Rechtspositionen gestärkt.1157 Die alternativlose Subjektivierung im Zuge der Umsetzung der Richtlinien der EU steht jedoch auch symbolisch für den „Paradigmenwechsel“1158, den die Europäisierung des Vergaberechts in Deutschland herbeigeführt hat. Die ausdrückliche Entscheidung des Gesetzgebers gegen subjektive Bieterrechte musste revidiert werden. In der Folge standen diese Rechte plötzlich unter dem Schutz des Art. 19 Abs. 4 GG, der jedem, der in seinen Rechten durch die öffentliche Gewalt verletzt wird, den Zugang zu einem Rechtsschutzverfahren garantiert.1159 Das Recht, über die Verleihung subjektiver Rechte zu entscheiden, wurde dem deutschen Gesetz 1153 EuGH 1991, I-641 Rn.  10 (C-119/89)  – Kommission/Spanien. Bezugnehmend hierauf formulierte der EuGH 2010, I-8833 Rn. 55 (C512/08) – Kommission/Frankreich: „Die Rechtsordnung des fraglichen Mitgliedstaats darf nämlich außerdem keine unklare Situation entstehen lassen, die die betroffenen Normadressaten bezüglich der ihnen eröffneten Möglichkeiten, sich auf diese mit unmittelbarer Wirkung versehene Bestimmung des Unionsrechts zu berufen, in einem Zustand der Ungewissheit lassen könnte […].“ 1154 Siehe hierzu oben, S. 139 ff. 1155 Siehe ausführlich zur Verbürgung subjektiver Rechte im deutschen Vergaberecht oben, S. 165 ff. 1156 Manfred Zuleeg, VVDStRL 53, S. 154 (191). 1157 Siehe hierzu erneut das EWR-Gutachten des EuGH (Fn. 1131). 1158 Oliver Dörr, JZ 2004, S. 703 (705). 1159 Huber sieht die Anwendbarkeit der Rechtsschutzgarantie von Art. 19 Abs. 4 GG als unvermeidlich an, Peter M. Huber, in: Dörr/Fink/Hillgruber/Kempen/Murswiek, Festschrift für Hartmut Schiedermair, S. 765 (774).

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geber, dem nach der deutschen Verfassungs- und Rechtsordnung dieses Privileg zugewiesen ist, unsanft aus den Händen genommen. 2. Die Erosion der deutschen Dichotomie von Öffentlichem Recht und Privatrecht Neben den Fragen der Subjektivierung führte die europarechtlich bedingte Novellierung des Vergaberechts zu einer Zäsur von weit grundsätzlicher Art: die Relativierung der Trennung zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht. Mit ihr wurde die „Sprengkraft“ sichtbar, die dem Europarecht „allein durch seine unterschiedliche Systematik und Struktur innewohnt“.1160 a) Die Zweiteilung des deutschen Rechts Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte im Jahre 2007 neuerlich die Zuord­ nung der Auftragsvergabe zum Privatrecht. Es bekräftigte: „Die Vergabe öffent­licher Aufträge ist als einheitlicher Vorgang insgesamt dem Privatrecht zuzuordnen“1161. „Durch die Anwendung der Zweistufentheorie auf die Vergabe öffentlicher Aufträge würde vielmehr ein einheitlicher Vorgang künstlich in zwei Teile aufgespalten“1162. Dieser Entscheidung vorangegangen war eine neu entflammte Diskussion um eine Neubestimmung der Rechtswegfrage, entfacht von den Entscheidungen mehrerer Oberverwaltungsgerichte.1163 Mit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts blieb jedoch erst einmal die Zuordnung zum Privatrecht bestehen.1164 Die deutsche Rechtsordnung im positiven Recht ist zweigeteilt in öffentliches und privates Recht.1165 Im Ursprung auf die Trennung zwischen staatlichem und gesellschaftlichem, also privatem Bereich zurückgehend,1166 ist die Unterteilung des Rechts in zwei Sphären, die öffentlich-rechtliche und die privatrechtliche an­erkannt1167 und  – wenngleich nicht absolut  – Wesensmerkmal des deutschen 1160

Matthias Rossi, in: Matthias Rossi (Hrsg.), Die Europäische Dienstleistungsrichtlinie und ihre Auswirkungen auf die Rechtsordnungen Italiens und Deutschlands, S. 99 (105). 1161 BVerwG vom 2.5.2007 (6 B 10/7) Rn. 6 = NZBau 2007, S. 389 (390). 1162 Ebd., S. 392. 1163 Für den Verwaltungsrechtsweg sprachen sich aus: OVG Rheinland-Pfalz vom 14.9.2006 (2 B 11024/06), das OVG NRW vom 11.8.2006 (15 E 880/06) sowie das OVG Bautzen vom 13.4.2006 (2 E 270/05). Gegen die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs stellten sich das OVG Berlin-Brandenburg vom 28.7.2007 (1 L 59/06), das Niedersächsische OVG vom 26.7.2007 (7 OB 65/06) und der VGH Baden-Württemberg vom 30.10.2006 (6 S 1522/06). 1164 Vgl. zum Recht der Auftragsvergabe als Teil des Privatrechts, Meinrad Dreher, Vor §§ 97 GWB, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 2: GWB, Rn. 112 f. 1165 Rainer Regler, Das Vergaberecht zwischen öffentlichem und privatem Recht, S. 130. 1166 Vgl. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Staat, Gesellschaft, Freiheit, S. 185 (200 ff.). 1167 Vgl. Dirk Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, S. 37 ff.

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Rechtssystems.1168 Mayer beschrieb bereits 1924 den Unterschied bzw. Zusammenhang zwischen öffentlichem und privatem Recht wie folgt: „Der Zusatz ‚öffentlich‘ oder ‚öffentlichrechtlich‘ weist jeweils darauf hin, daß die Übereinstimmung mit dem zivilrechtlichen Urbild nur eine äußere ist, das Rechtsinstitut vielmehr auf dem Boden einer anderen Rechtsart steht, wo alle Einzelheiten nach den Gesichtspunkten der Beteiligung der öffentlichen Gewalt und der Ungleichheit der Rechtssubjekte sich gestalten müssen.“1169

Das galt auch für das deutsche Vergaberecht vor der Europäisierung, da das eigentliche Vergabeverfahren dem Verwaltungs(innen)recht unterlag und die Abwicklung der sich aus einer Auftragsvergabe ergebenden Rechtsbeziehungen ­gänzlich dem Zivilrecht unterfiel.1170 Die Zweiteilung zwischen öffentlichrechtlichem und privatrechtlichem Teil  der Auftragsvergabe ließ sich an einem zeitlichen Moment festmachen: dem Abschluss eines Auftrags auf Grundlage der Verwaltungsentscheidung zugunsten eines bestimmten Bieters. Das „alte“ Vergabewesen der Bundesrepublik war damit Ausdruck eines Rechtsverständnisses, dessen Kern in der strikten Kategorisierung von Rechtssphären bestand. Staatliches Handeln war dem öffentlichen Recht zuzuordnen. Dort, wo der Staat zivilrechtlich tätig werden musste, wurde ihm ein Refugium geschaffen, das sog. „fiskalisches Handeln“1171 ermöglicht. Im Grundsatz blieb es jedoch bei der strikten Trennung der Handlungsformen, die insbesondere auf gerichtliche Angreifbarkeit und Überprüfbarkeit Auswirkungen hatte. b) Die Rechtswegfrage Langezeit von Bedeutung war die Dichotomie der zwei Rechtskreise im Vergaberecht für die Bestimmung des Rechtswegs.1172 Seit dem neu eingefügten 4.  Teil  des GWB von 1998 und der Einrichtung einer zumindest zweitinstanzlichen Überprüfbarkeit der ehemals als „verwaltungsintern“ geführten Vergabeentscheidungen vor den Zivilgerichten ist es jedoch vorbei mit der ehemaligen Sphärentrennung. Die Entscheidungen über die Vergabe von Aufträgen können seither gem. §§ 155 ff. GWB n. F. (§§ 102 ff. GWB a. F.) in erster Instanz vor den Vergabekammern der Länder und des Bundes und im Anschluss vor dem für den Sitz der Vergabekammer zuständigen Oberlandesgericht überprüft werden.1173 1168

Rainer Regler, Das Vergaberecht zwischen öffentlichem und privatem Recht, S. 131 f. Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 1, S. 114. 1170 Siehe auch zur ursprünglichen Rechtsnatur des deutschen Vergaberechts oben, S. 78 ff. 1171 Vgl. hierzu sogleich, S. 266 ff. 1172 Siehe hierzu ausführlich unten im Rahmen der Unterscheidung öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Handlungsformen der Verwaltung, S. 263 ff. 1173 Siehe ausführlich oben, S. 165 ff. 1169

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Kap. 1: Entstehung des Europäischen Vergaberechts

Die Entscheidung des deutschen Gesetzgebers, die gerichtliche Zuständigkeit für die zweitinstanzliche Nachprüfung den ordentlichen Gerichten zuzuweisen und die Vorschriften im GWB anzusiedeln, sah Huber als „unangemessenes Mißtrauen gegenüber der Verwaltungsgerichtsbarkeit“ und als Beweis für ein „Beharrungsvermögen lang eingeschliffener Denkmuster“, die „das Gefährdungspotenzial des weitgehend beliebig zwischen öffentlich-rechtlichen und zivilrechtlichen Handlungsformen changierenden Staates“ zeigt.1174 Tatsächlich erweckt die Entscheidung für den ordentlichen Rechtsweg den Eindruck des Systembruchs, wo doch die zu überprüfenden Entscheidungen  – der­ Gegenstand der Nachprüfungsverfahren1175  – Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber, also des Staates und seinen nachgeordneten Stellen, hoheitliche und damit öffentlich-rechtliche sind. c) Die Einbeziehung „privater“ Auftraggeber in das „öffentliche“ Auftragsrecht In einem weiteren Bereich führte das von Pragmatismus und Funktionalität getriebene Europarecht zu einer Erosion der deutschen Dichotomie von Öffentlichem Recht und Zivilrecht. Auch wenn die Vergaberichtlinien in Art. 6 Abs. 1 i. V. m. Abs. 4 Vergabe-RL 2014/23/EU, Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. Nr. 4 Vergabe-RL 2014/24/EU bzw. Art. 3 Nr.  1 i. V. m. Nr.  4 i. V. m. Art.  4 Sektoren-RL 2014/25/EU im Wortlaut von „Einrichtungen des öffentlichen Rechts“ sprechen, ist – wie bereits gezeigt1176 – die funktionale Zuordnung zum Staat bezweckt. Die daraus folgende Einbeziehung juristischer Personen des Privatrechts als „Einrichtungen des öffentlichen Rechts“ oder als Sektorenauftraggeber1177 in den Anwendungsbereich der Richtlinien führte zu einer Relativierung der bisher weitgehend strikten Trennung von Staat und Privaten entlang ihrer rechtlichen Konstitution. Die Privatrechtsform einer Einrichtung stellt kein Kriterium mehr dar, „das für sich allein deren Einstufung als öffentlicher Auftraggeber im Sinne dieser Richtlinien ausschließen könnte“1178. Die Trennung zwischen einer öffentlich-rechtlichen und einer privatrechtlichen Einrichtung im deutschen Recht anhand ihres Entstehungstatbestands – die öffentlich-rechtlichen beruhen auf einem staatlichen Hoheitsakt, die privaten in der Regel auf einem privatrechtlichen Gründungsakt 1174 Peter M. Huber, in: Dörr/Fink/Hillgruber/Kempen/Murswiek, Festschrift für Hartmut Schiedermair, S. 765 (780). 1175 Vgl. §§ 156 Abs. 2 i. V. m. 97 Abs. 6 GWB n. F. (§§ 104 Abs. 2 i. V. m. 97 Abs. 7 GWB a. F.). 1176 Siehe oben, S. 245 ff. 1177 Vgl. Art. 4 Abs. 1 i. V. m. Art. 3, 8–14 Sektoren-RL 2014/25/EU. 1178 EuGH 2005, I-139 Rn. 28 (C-84/03) – Kommission/Spanien.

C. Das Europäische Vergaberecht als dogmatische Herausforderung

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(meist Gesellschaftsvertrag)1179 – ist damit hinfällig,1180 die Dichotomie zwischen öffentlichem und privatem Recht in einem weiteren Bereich passé. d) Folgen Das deutsche Vergaberecht folgt dem „zielbezogene[n] und damit maßgeblich auf Realwirkungen ausgerichtete[n] Charakter des Vertrages“, welcher „insofern die kontinentaleuropäische Dichotomie von hoheitlicher und privater Sphäre“ überwindet.1181 Aus dem Öffentlichen Recht und dem Zivilrecht wurden für die Bewertung von vergaberechtlichen Fragestellungen plötzlich staatliche oder gesellschaftliche Sphären. Auch wenn die strikte Trennung von „Staat“ und „Gesellschaft“ seit langem „im Zeichen der modernen Demokratie und der Entwicklung zum Sozialstaat“1182 als überholt gilt, führt die neue „Einheit“ zu Anwendungsschwierigkeiten, insbesondere auch im Vergaberecht. „Staat“ sind plötzlich nicht mehr nur die „staatlichen Stellen“ sondern im Zweifel auch private Unternehmen, die aufgrund einer funktionalen Betrachtung als „Staat“ im Sinne des Vergaberechts zu verstehen sind. Mit der Europäisierung wurde „das Recht der staatlichen Auftragsvergabe im engeren Sinne zu einem Recht der öffentlichen Auftragsvergabe erweitert“1183. Welche praktischen Folgen dies für das deutsche Recht hat, ist im folgenden­ Kapitel zu klären. Die Herausforderungen der europarechtlich bedingten Entwicklungen für die vergaberechtliche Praxis soll am Beispiel der Auftraggebereigenschaft (teil-)staatlicher Wirtschaftsunternehmen in Privatrechtsform untersucht werden.

1179 Vgl. Jürgen Ellenberger, Einführung vor § 21 BGB, in: Peter Bassenge et al., Palandt, Rn. 3. 1180 Vgl. Oliver Dörr, § 98 GWB, in: Dreher/Motzke, Beck’scher Vergaberechtskommentar 2013, Rn. 42. 1181 Armin von Bogdandy, Art. 2 EGV, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union (15. Ergänzungslieferung), Rn. 54. 1182 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Staat, Gesellschaft, Freiheit, S. 185. 1183 Georg Hermes, JZ 1997, S. 909 (915).

Kapitel 2

Reichweite und Grenzen des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers am Beispiel gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen in Deutschland Die Grenzen der normativen Bestimmbarkeit des vergaberechtlichen Anwendungsbereichs zeigen sich im definitorischen Randbereich seiner Tatbestandsmerkmale. In diesen Merkmalen spiegelt sich der gesetzgeberische Wille wider, auch jene Einrichtungen vom Regelungsbereich des Vergaberechts zu erfassen, die institutionell nicht unmittelbar dem Staat zurechenbar sind, aber trotzdem in einer funktionalen Äquivalenz zu staatlichen Einrichtungen stehen.1184 Für die begriffliche Erweiterung des Anwendungsbereichs über die Grenzen der formalen Beherrschbarkeit hinaus steht das Tatbestandsmerkmal der „Einrichtung des öffentlichen Rechts“1185. Die Relativierung der Trennlinie zwischen öffentlichem und privatem Recht mag aus europarechtlicher Perspektive dienlich sein für eine möglichst weitreichende Durchsetzung des Vergaberechts. Die nationalen Rechtsordnungen sind jedoch vor die Herausforderung gestellt, den funktionalen Ansatz in Einklang mit ihren grundlegenden Rechtsvorstellungen zu bringen.1186 Um dies auf Dauer zu ermöglichen und damit einen wesentlichen Beitrag zu einer praktikablen und gelebten Rechtsangleichung innerhalb des Europäischen Hauses zu leisten, bedarf es der Bestimmung der Grenzen des Anwendungsbereichs.

A. Die vergaberechtliche Auftraggebereigenschaft gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen Der vergaberechtliche Auftraggeberbegriff setzt aus deutscher Perspektive mit seinem Tatbestandsmerkmal der „Einrichtung des öffentlichen Rechts“ genau an jenem Punkt an, wo sich die Besonderheiten des öffentlichen Rechts mit den An 1184

Siehe zur Entstehung und Bedeutung des funktionalen Ansatzes im europäischen Vergaberecht, oben, S. 228 ff. 1185 Im Sinne von Art. 6 Abs. 1 i. V. m. Abs. 4 Konzessionsvergabe-RL 2014/23/EU, Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. Nr. 4 Vergabe-RL 2014/24/EU bzw. Art. 3 Nr. 1 i. V. m. Nr. 4 i. V. m. Art. 4 Sektoren-RL 2014/25/EU; zum deutschen Pendant, vgl. § 99 Nr. 4 GWB n. F. (§ 98 Nr. 4 GWB a. F.). Ausführlich zur Entstehung des Tatbestandsmerkmals oben, S.  112 ff., S.  172 ff. und 228 ff. 1186 Vgl. etwa zur Erosion der Dichotomie von Öffentlichem Recht und Zivilrecht oben, S. 256 ff.

A. Die vergaberechtliche Auftraggebereigenschaft

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forderungen des Privatrechts reiben: der privatwirtschaftlichen (Unternehmens-) Tätigkeit des Staates. Die sich aus dieser Konstellation ergebenden Herausforderungen werden damit um die Schwierigkeit ergänzt, innerhalb dieses Bereichs dem Vergaberecht – mit seinem die Grenzen zwischen öffentlichem und privatem Recht relativierenden Ansatz – Geltung zu verschaffen. Zunächst stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen die öffentliche Hand nach deutschem Recht überhaupt privatwirtschaftlich tätig werden darf. Daraufhin ist zu beleuchten, inwiefern die sich hieraus ergebenden Besonderheiten Anknüpfungspunkte für die Bestimmung der funktionalen Äquivalenz privater Einrichtungen mit dem Staat nach dem Vergaberecht liefern. Schließlich ist zu­ bestimmen, wann der Staat in diesen Fällen Öffentlicher Auftraggeber ist und damit in den Anwendungsbereich des Vergaberechts fällt.

I. Formen zulässiger privatwirtschaftlicher Unternehmenstätigkeit des Staates nach dem deutschen Verfassungs- und Verwaltungsrecht Dass der Wechsel auf das privatrechtliche Parkett, die Annahme einer privatrechtlichen Rechtsform oder die staatliche Beteiligung an einem Privatunternehmen überhaupt möglich ist, richtet sich in Deutschland nach verfassungs- und verwaltungsrechtlichen Vorgaben, deren Konturen alles andere als plastisch sind. 1. Handlungsformen der Verwaltung im Überblick „Das Verwaltungshandeln ist in seiner abstrakten Zielrichtung Sozialgestaltung auf den verschiedensten Gebieten und in den differenziertesten Erscheinungsweisen.“1187 Dem Staat steht ein Fächer an Handlungsformen zur Verfügung, um den verfassungsmäßigen Auftrag zur Staatsorganisation und -verwaltung zu erfüllen. Dabei ist die Beziehung zwischen Bürger und Staat in ein engmaschiges Netz zulässiger Handlungs-, Eingriffs- und Abwehrmöglichkeiten eingewoben. Aufgrund der Gesetzesbindung sämtlicher Staatsgewalt und somit auch der vollziehenden Gewalt nach Art. 20 Abs. 3 GG stehen der Verwaltung grundsätzlich nur die vom Gesetz vorgesehenen Instrumente zum Handeln zur Verfügung.1188 Diese sind nach den Verwaltungsverfahrensgesetzen1189 in erster Linie der Verwaltungsakt, der 1187

Peter Krause, Rechtsformen des Verwaltungshandelns, S. 37. Vgl. Roman Herzog/Bernd Grzeszick, Art.  20 GG, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz  – Kommentar (51. Ergänzungslieferung), Rn. 17 ff. 1189 Es gilt grundsätzlich das Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) vom 23.1.2003 (BGBl. I 2003, 102) für die Verwaltungstätigkeit der Bundesbehörden sowie die Landesverwaltungsverfahrensgesetze, soweit die Länder eigene Gesetze erlassen haben, für die Landesbehörden. Darüber hinaus eröffnet sich ein Katalog an weiteren Spezialgesetzen, aus denen sich entsprechende Kompetenztitel ergeben. 1188

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Kap. 2: Grenzen des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers 

öffentlich-rechtliche Vertrag, Rechtsverordnungen, Satzungen, Verwaltungsvorschriften, Realakte und Pläne. Abseits der Verwaltungsakte und der hoheitlichen Eingriffs- und Leistungsverwaltung finden im Verwaltungsalltag für das Funktionieren des Staats unerlässliche Rechtshandlungen statt, für die es in weiten Teilen an einer expliziten Rechtsgrundlage fehlt,1190 die jedoch aufgrund einer Art „implied-powers“-Doktrin1191 als Selbstverständlichkeit anzusehen sind: die sog. „Hilfsgeschäfte der Verwaltung“1192, insbesondere zur Beschaffung und Leistungsbeziehung. Die Handlungsformen der Verwaltung reichen über Lenkungs- und Entscheidungsakte hinaus – sowohl im Bereich der Eingriffs- als auch der Leistungsverwaltung.1193 Denn der Staat kann „die durch seinen Zweck ihm gestellten Aufgaben nur durch Handlungen erfüllen, ganz ebenso wie der einzelne Mensch seine individuellen Lebensaufgaben nicht bloß durch sein Wollen und Denken, sondern auch durch sein Tun verwirklicht“1194. Hierzu zählt neben dem klassischen öffentlich-rechtlichen Tätigwerden auch das privatrechtliche Handeln des Staates, welches als „verwaltungsprivatrechtlich“ bezeichnet wird.1195 Eine abstrakte Unterscheidung zwischen öffentlich-rechtlichem und zivilrechtlichem Handeln scheint grundsätzlich wenig ertragreich.1196 Vielmehr sind die Unterschiede „nur konkret in bezug auf die spezielle Handlungsform und die konkrete Rechtsfrage zu ermitteln“1197. Es kommt regelmäßig auf Handlungsweise, Rechtsgrundlage und den Handelnden an. Einigkeit besteht insofern, dass dem Staat und seiner Verwaltung Formenwahlfreiheit zusteht,1198 er also auf privatrechtliche Handlungsformen zurückgreifen darf,1199 soweit die Wahl der Privatrechtsform nicht ausdrücklich durch Gesetz un 1190 Zur ursprünglichen „Formenarmut des Verwaltungsvertragsrechts“, Friedrich von Zezschwitz, NJW 1983, S. 1873; vgl. zu den heutigen Gestaltungsmöglichkeiten die Handlungsformenlehre der Verwaltung bei Florian von Alemann und Fabian Scheffczyk, § 35 VwVfG, in: Bader/Ronellenfitsch, VwVfG – Beck’scher Online-Kommentar (29. Edition), Rn. 24 ff. 1191 Siehe unten, S. 266 ff. 1192 Siehe zu dieser Begrifflichkeit Fn. 216. 1193 Vgl. Peter Krause, Rechtsformen des Verwaltungshandelns, S. 55. 1194 Paul Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, S. 176. 1195 Vgl. zum Begriff des „Verwaltungsprivatrechts“ unten, S. 266 ff. 1196 Vgl. zu den „klassischen“ Abgrenzungstheorien sowie zu neueren Überlegungen Ulrich Stelkens, Verwaltungsprivatrecht, S. 330 ff.; gleichwohl empfiehlt es sich, an der Unterscheidung grundsätzlich festhalten, insbesondere für die Frage der Aufgabenwahrnehmung, vgl. Wolfgang Weiß, Privatisierung und Staatsaufgaben, S. 15 m. w. N. in Fn. 26. 1197 Peter Krause, Rechtsformen des Verwaltungshandelns, S. 38. 1198 Vgl. Wolfgang Weiß, Privatisierung und Staatsaufgaben, S. 207 f. m. w. N. in Fn. 4: „Die herrschende Sichtweise wirtschaftlicher Betätigung ist zunächst geprägt von dem Bekenntnis zu einer Wahlfreiheit des Staates hinsichtlich des Rechts“, und Bernhard Kempen, Die Formenwahlfreiheit der Verwaltung, S. 92 ff. 1199 Vgl. Rainer Regler, Das Vergaberecht zwischen öffentlichem und privatem Recht, S. 133 mit umfassenden Nachweisen in Fn. 19.

A. Die vergaberechtliche Auftraggebereigenschaft

263

tersagt ist.1200 Zu unterscheiden ist die Formenwahlfreiheit von der Kompetenzfrage, welche grundsätzlich keinerlei Aussage über die zu wählende Form trifft, sondern vielmehr die „Festlegung einer Aufgabe als Staatsfunktion und ihre Zuweisung an eine bestimmte Stelle zur Wahrnehmung bedeutet“1201. 2. Abgrenzung von öffentlich-rechtlichem und privatrechtlichem Handeln des Staates Ob der Staat sich für eine öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Handlungs­ form entschieden hat, ist oftmals anhand der Handlungsweise, wie dem Verwaltungsakt oder dem privatrechtlichen Vertrag, erkennbar. Teilweise ist jedoch zweifelhaft, welche Rechtsnatur das staatliche Tätigwerden hat und welchem Rechtskreis es damit zuzuordnen ist. Besondere Bedeutung bekommt die Frage nach der Einordnung staatlichen Handelns regelmäßig für die Bestimmung des Rechtswegs bei gerichtlich klärungsbedürftigen Sachverhalten. Daher bieten vor allem die Zuordnungsparameter der Gerichtsordnungen eine Möglichkeit, die Rechtsnatur einer Handlung dem öffentlichen Recht und damit dem Staat zuzuordnen. Die Entscheidung, ob die Verwaltungsgerichtsbarkeit oder die ordentlichen Gerichte zuständig sind, richtet sich grundsätzlich nach der Natur der dem streitigen Fall zugrundeliegenden Rechtsbeziehung.1202 Folglich kann auch für die Unterscheidung zwischen öffentlich-rechtlicher Verwaltungstätigkeit und privatrechtlichem Handeln des Staates auf die Verfahrensbestimmungen der VwGO und des GVG zurückgegriffen werden.1203 § 40 VwGO und § 13 GVG sowie die hierzu ergangene Rechtsprechung ermöglichen es, das Handeln des Staates anhand der dort genannten Tatbestandsmerkmale einzuordnen. Ein umfangreicher Katalog an Theorien, die zur Bestimmung der öffentlich-rechtlichen Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art i. S. v. § 40 VwGO und der bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten i. S. v. § 13 GVG entwickelt wurden, können ebenfalls herangezogen werden. Zu beachten ist jedoch, dass für eine öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit durchaus der ordentliche Rechtsweg kraft Gesetz zugewiesen sein kann.1204 An ihrer­ öffentlich-rechtlichen Natur ändert sich dadurch selbstverständlich nichts. 1200 Vgl. Winfried Brohm, NJW 1994, S. 281 (284 f.); Jörn Axel Kämmerer, § 54 VwVfG, in: Bader/Ronellenfitsch, VwVfG – Beck’scher Online-Kommentar (29. Edition), Rn. 30 f. 1201 Vgl. Winfried Brohm, NJW 1994, S. 281 (284). 1202 Vgl. grundlegend BGHZ 97, 312 (313 f.); BGHZ 102, 280 (283); BGHZ 108, 284 (286); BVerwGE 96, 71 (73). 1203 Vgl. hierzu ausführlich Heribert Schmitz, § 1 VwVfG, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz – Kommentar, Rn. 83 ff. (86). 1204 Vgl. umfassend zu den abdrängenden Sonderzuweisungen Dirk Ehlers/Jens-Peter Schneider, § 40 VwGO, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO – Kommentar (28. Ergänzungslieferung), Rn.  479 ff.; Klaus Rennert, § 40 VwGO, in: Erich Eyermann et  al., Verwaltungsgerichtsord-

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Kap. 2: Grenzen des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers 

In Literatur und Rechtsprechung hat sich keine Theorie zur Abgrenzung öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Sachverhalte durchsetzen können. Vielmehr kommen jene Theorien kumulativ zur Anwendung, die sich in Rechtsprechung und Literatur bewährt haben.1205 Ausgangspunkt ist nach wie vor die Subordinationstheorie, die von einer klassischen Vorstellung des Verhältnisses zwischen Bürger und Staat ausgeht.1206 So ist das Vorliegen eines „Über- und Unterordnungsverhältnisses“ gegeben, wenn ein Einzelner dem Träger öffentlich-rechtlicher Gewalt unterworfen ist, dieser also einseitig aufgrund staatlichen Sonderrechts in dessen subjektive Rechtspositionen eingreifen kann.1207 Nicht immer ist eine klare Über- bzw. Unterordnung zu erkennen, wie es zum Beispiel im Polizei- und Ordnungsrecht möglich ist. Daher hat sich die jüngere Subjektstheorie in der Praxis durchgesetzt, ohne dass dabei andere Theorien außer Acht gelassen werden.1208 Hierbei ist die materielle Subjektstheorie maßgeblich, die sich aus der ursprünglichen formalen Subjektstheorie entwickelte. Diese hatte nicht berücksichtigt, dass die meisten öffentlich-rechtlichen Vorschriften sowohl den Staat als auch den einzelnen adressieren (wie zum Beispiel die Grundrechte) und damit das zentrale Element der Theorie relativiert wird.1209 Denn der Gedanke, dass immer ein öffentlich-rechtlicher Sachverhalt vorliegt, sobald das durch die einschlägigen Normen berechtigte oder verpflichtete Zuordnungssubjekt ausschließlich ein Träger hoheitlicher Gewalt ist, reicht zur Abgrenzung nicht aus.1210 Die materielle Subjektstheorie ist insofern spezifischer, als sie das zentrale Tatbestandsmerkmal der formalen Subjektstheorie erweitert. Demnach liegt ein öffentlich-rechtlicher Sachverhalt vor, sobald diesem jene Rechtssätze zugrunde liegen, „bei denen mindestens ein Zuordnungssubjekt ein Träger von Staatsgewalt als solcher ist (weil er als solcher berechtigt, verpflichtet oder organisiert wird)“1211.

nung  – Kommentar, Rn.  99 ff.; Helge Sodan, § 40 VwGO, in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung – Großkommentar, Rn. 96 ff. 1205 Vgl. Heribert Schmitz, § 1 VwVfG, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz – Kommentar, Rn. 94; Helge Sodan, § 40 VwGO, in: Sodan/Ziekow, VwGO – Großkommentar, Rn. 306. 1206 Vgl. kritisch Dirk Ehlers/Jens-Peter Schneider, § 40 VwGO, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO – Kommentar (28. Ergänzungslieferung), Rn. 220 f. 1207 BVerfG vom 1.3.1968 (VII C 76.66) = BVerwGE 29, 159 (161); Gemeinsamer Beschluss der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 10.4.1986 (GmS-OGB 1/85) = BGHZ 97, 312 (314); Gemeinsamer Beschluss der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 29.10.1987 (GmSOGB 1/86) = BGHZ 102, 280. 1208 Vgl. Heribert Schmitz, § 1 VwVfG, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz – Kommentar, Rn. 97. 1209 Dirk Ehlers/Jens-Peter Schneider, § 40 VwGO, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO  – Kommentar (28. Ergänzungslieferung), Rn. 226 ff. 1210 Helge Sodan, § 40 VwGO, in: Sodan/Ziekow, VwGO – Großkommentar, Rn. 301. 1211 Dirk Ehlers/Jens-Peter Schneider, § 40 VwGO, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO  – Kommentar (28. Ergänzungslieferung), Rn. 223 m. w. N. in Fn. 831.

A. Die vergaberechtliche Auftraggebereigenschaft

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Es bleibt die Frage, welche Rechtsgebilde als Träger hoheitlicher Gewalt zu verstehen sind.1212 Dies ist eine subsumtive Herausforderung. Aus der herrschenden Meinung lassen sich hierzu drei Fallgruppen bilden, anhand derer die Träger hoheitlicher Gewalt zu bestimmen sind: Neben den (1) staatseigenen Behörden, Körperschaften und Einrichtungen zählen auch (2) jene Organisationen zu den Trägern der Staatsgewalt, hinter denen unmittelbar oder mittelbar allein der Staat steht.1213 Zu diesen sind nicht nur die juristischen Personen des öffentlichen Rechts zu zählen, sondern auch jene privatrechtlich konstituierten Rechtssubjekte, deren unmittelbarer oder mittelbarer Träger allein der Staat ist.1214 Neben den rein staatlichen Einrichtungen (in öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Form) stehen (3) jene juristischen Personen des Privatrechts, an denen der Staat nur beteiligt ist. Diese Einrichtungen sind dann als Träger der Staatsgewalt zu klassifizieren, „wenn und soweit“ ihnen Staatsgewalt durch Beleihung oder in anderer Weise übertragen wurde.1215 Einen anderen Weg der Unterscheidung zwischen öffentlichem und privatem Recht geht Stelkens. Er kritisiert die „Überbetonung der Rechtswegfrage“ und bietet anstelle dessen die Gesetzgebungskompetenztheorie als Gesamtlösung an.1216 Denn es gehe bei der Unterscheidung zwischen öffentlichem und privatem Recht um eine rechtlich notwendige Einteilung des objektiven Rechts und damit nicht um die Sichtweise des Rechtsanwenders, sondern die des Rechtssetzers.1217 Die vorgeschlagene „Gesetzgebungstheorie“ grenzt das Öffentliche Recht vom Privatrecht aus der Sicht des Rechtssetzers ab und folgert, dass die Unterscheidung unmittelbar aus dem Grundgesetz bzw. genauer aus der Verteilung der Gesetzgebungskompetenz zwischen Bund und Ländern entnommen werden muss.1218 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass zumindest das öffentlich-rechtliche Handeln des Staates im Sinne des Verwaltungsorganisationsrechts zu verstehen ist als Verhalten von staatlichen, öffentlich-rechtlichen, aber auch privatrechtlich organisierten Einrichtungen, die nach der Maßgabe öffentlich-rechtlicher Normen tätig sind oder werden. Hinsichtlich der privatrechtlich organisierten Einrichtungen ist erforderlich, dass sie sich (auch) in Staatshand befinden und durch Beleihung oder Widmung dem Staat zuzurechnen sind. Das „Wie“ des Handelns wird von den einschlägigen Rechtsgrundlagen und Handlungsermächtigungen bestimmt, welche festlegen, „ob“ der Staat handeln darf, in welchem Umfang und mit welchen Mitteln. 1212

Helge Sodan, § 40 VwGO, in: Sodan/Ziekow, VwGO – Großkommentar, Rn. 303 ff. Dirk Ehlers/Jens-Peter Schneider, § 40 VwGO, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO  – Kommentar (28. Ergänzungslieferung), Rn. 226 f. 1214 Ebd., Rn. 227 m. w. N. in Fn. 839. 1215 Ebd., Rn. 227 m. w. N. in Fn. 840. 1216 Ulrich Stelkens, Verwaltungsprivatrecht, S.  330 ff. Vgl. hierzu auch Dirk Ehlers/Jens-­ Peter Schneider, § 40 VwGO, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO  – Kommentar (28. Ergänzungslieferung), Rn.230 f. 1217 Ebd., S. 343. 1218 Siehe hierzu umfassend Ulrich Stelkens, Verwaltungsprivatrecht, S. 344 ff. 1213

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Kap. 2: Grenzen des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers 

3. Das privatrechtliche Handeln des Staates Grundsätzlich gilt zwischen zwei privatrechtlichen Handlungsformen des Staates zu unterscheiden. In einem Fall bleibt der Staat erkennbar „Staat“ im institutionellen Sinne, also juristische Person des öffentlichen Rechts, und reiht sich in die Subjekte des Privatrechts ein, um im Rahmen des herkömmlichen zivilrechtlichen Rechtsverkehrs Rechtsgeschäfte abzuschließen. Der rechtliche Rahmen dieser Handlungsform wird gemeinhin als „Verwaltungsprivatrecht“1219 bezeichnet. Im Anwendungsbereich des Verwaltungsprivatrechts werden die Normen des Privatrechts durch Bestimmungen des öffentlichen Rechts ergänzt, überlagert und modifiziert.1220 Im anderen Fall wandelt sich die öffentliche Hand – zumindest zu einem begrenzten Teil – institutionell zu einer juristischen Person des Privatrechts. Dies geschieht immer dann, wenn die öffentliche Hand staatliche Aufgaben durch eine privatrechtlich konstituierte Einrichtung, etwa eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) wahrnimmt oder sich durch Beteiligungen staatlichen Einfluss an solchen Unternehmen sichert. Im letzteren Fall spricht man von sog. „gemischtwirtschaftlichen Unternehmen“1221. Für beide Bereiche gelten die Grundsätze über die Kompetenzbindung des Staates bei privatwirtschaftlicher Betätigung. a) Kompetenz und Kompetenzbindung des privatwirtschaftlich handelnden Staates Wirtschaftstätigkeit des Staates findet in erster Linie auf kommunaler Ebene statt. Die Errichtung von und Beteiligung an öffentlichen und gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen zur Erledigung von kommunalen Aufgaben, wie etwa der Daseinsvorsorge, bilden den Schwerpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit des Staates.1222 Daher liegt der Fokus in der folgenden Betrachtung auf der kompetenzrechtlichen Ausgestaltung kommunaler Wirtschaftstätigkeit.1223 Alles Handeln juristischer Personen des öffentlichen Rechts in Privatrechtsfor­ men ist der „vollziehenden Gewalt“ zuzuordnen.1224 Eine andere  – mittlerweile 1219 Schöpfer dieser möglicherweise „begriffsschizophrenen Bezeichnung“ (so zumindest­ Joachim Burmeister, WiR 1972, S. 311 (314)) ist wohl Hans J. Wolff in seinem Werk: Verwaltungsrecht I, § 23 I b, S. 73. 1220 Vgl. BGH vom 17.6.2003 (XI ZR 195/02) = NJW 2003, S. 2451 (2453). 1221 Siehe zu der Rechtsfigur ausführlich unten, S. 280 ff. 1222 Zu der Frage, ob der Bund überhaupt wirtschaftlich tätig werden darf: Michael Ronellenfitsch, § 98 GWB: Wirtschaftliche Betätigung des Staates, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, Rn. 3 m. w. N. in Fn. 4. 1223 Vgl. zur Unterscheidung von „Öffentlichen Unternehmen“, „Nicht-wirtschaftlichen Unternehmen“ und „Gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen“ und deren Sinnhaftigkeit, W ­ olfgang Weiß, Privatisierung und Staatsaufgaben, S. 220 ff. 1224 Ulrich Stelkens, Verwaltungsprivatrecht, S. 28.

A. Die vergaberechtliche Auftraggebereigenschaft

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überkommene – Auffassung ließ dem rein fiskalisch handelnden Staat einen weiten Bereich, in dem er „viel freier als sein verwaltungsrechtliche[s] alter ego“1225 in den Vollgenuss der rechtsgeschäftlichen Privatautonomie kommen und damit nicht zur vollziehenden Gewalt i. S. v. von Art. 1 Abs. 3 GG bzw. Art. 20 Abs. 3 GG gehören sollte.1226 Nach heute herrschender Auffassung kann sich der Staat durch die Wahl der Handlungsform nicht öffentlich-rechtlichen – insbesondere verfassungsrechtlichen – Bindungen entziehen,1227 wie sich bereits aus Art. 20 Abs. 2 und 3 GG sowie Art. 1 Abs. 3 GG (für die Grundrechte) ergibt. Hieraus folgt, dass jedes privatrechtliche Verwaltungshandeln grundsätzlich kompetenzgebunden sein muss.1228 Wie diese Rechtsbindung des öffentlichen Rechts greift, ist im Einzelfall umstritten. Unbestritten ist das Erfordernis öffentlich-rechtlicher Kompetenzgrundlagen zumindest für die „unmittelbare Aufgabenerfüllung“ in Privatrechtsform.1229 Auch wenn kein Katalog dieser primären Staatsaufgaben besteht, gilt ihre Existenz als erwiesen.1230 aa) Grundsatz Nach herrschender Verfassungsinterpretation ist die reine Erwerbswirtschaft des Staates unzulässig.1231 Die wirtschaftliche Tätigkeit einer Gebietskörperschaft muss stets der Erfüllung öffentlicher Aufgaben dienen,1232 welche ihrerseits wieder unter den Kompetenzvorbehalt der Art. 30, 83 GG fällt.1233 1225

Walter Mallmann, VVDStRL 19, S. 165 (194 ff.). So z. B. Hans J. Wolff, Verwaltungsrecht I, § 23 I a 3 und b. 1227 Ferdinand Kirchhof, Art. 83 GG, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz – Kommentar (54. Ergänzungslieferung), Rn. 103. 1228 Vgl. hierzu grundlegend Walter Mallmann, VVDStRL 19, S. 165 (194 ff.). 1229 Ulrich Stelkens, Verwaltungsprivatrecht, S. 96 f. 1230 Vgl. hierzu die Rechtsprechung, welche die Existenz solcher Aufgaben voraussetzt, z. B. BVerfG vom 11.3.1997 (2 BvG 3/95 u. 4/95) = NJW 1998, S. 218 (219) (notwendige Staatsaufgabe); BVerfG vom 14.7.1988 (1 BvR 201/88) = DNotZ 1988, S. 648; BVerwG vom 17.12.1997 (6 C 1/97) = NVwZ 1999, S. 870 (874); Hess. VGH vom 2.4.2002 (4 TG 575/02) = NVwZ-RR 2002, S. 823 (824); BGH vom 25.11.1996 (NotZ 8/96) = NJW 1997, S. 1239 (1240) und BGH vom 18.7.1994 (NotZ 14/93) = NJW 1995, S. 529 (531); BayObLG vom 11.7.1997 (1 ObOWi 282/97) = NJW 1997, S. 3454 (3455) und BayObLG vom 5.3.1997 (1 ObOWi 785/96) = NZV 1997, S. 276 (277). 1231 Siehe oben, S. 266 f. 1232 Vgl. Michael Ronellenfitsch, § 98 GWB: Wirtschaftliche Betätigung des Staates, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, Rn. 3. 1233 Vgl. BVerfG vom 28.2.1961 (2 BvG 1/60, 2 BvG 2/60) = BVerfGE 12, 205 (246 ff.); BVerfG vom 24.7.1962 (2 BvF 4/61, 2 BvF 5/61, 2 BvF 1/62, 2 BvF 2/62) = BVerfGE 14, 197 (214); BVerfG vom 18.7.1967 (2 BvF 3/62, 2 BvF 4/62, 2 BvF 5/62, 2 BvF 6/62, 2 BvF 7/62, 2 BvF 8/62, 2 BvR 139/62, 2 BvR 140/62, 2 BvR 334/62, 2 BvR 335/62) = BVerfGE 22, 180 (217); BVerwG vom 10.1.1962 (V C 79.61) = BVerwGE 13, 271 (273); BVerwG vom 28.10.1999 (7 A 1/98) = BVerwGE 110, 9 (12). 1226

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Kap. 2: Grenzen des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers 

Die Zulässigkeit eines solchen Handelns ist – neben den speziellen Kompetenzzuweisungen des Grundgesetzes1234  – unter anderem aus der allgemeinen, subsidiären Kompetenzregel des Art. 30 GG herauszulesen.1235 Darin heißt es: „Die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben ist Sache der Länder, soweit dieses Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zuläßt.“

Relevant für die Frage nach der zulässigen Wirtschaftstätigkeit ist hier nicht die Ausgestaltung der föderalen Kompetenzordnung. Vielmehr ergibt sich aus Art. 30 GG auch, dass die Verfassung andere „Regelung[en]“ und damit die Möglichkeit ungeschriebener Zuständigkeiten „zuläßt“.1236 Diese, im Verfassungstext nicht explizit angesprochenen Kompetenzen „aus der Natur der Sache und kraft Sachzusammenhang“ sind selbstverständlich begrenzt. Pietzcker zitiert hier die­ Anschütz’sche Formel, nach der eine Kompetenz kraft Sachzusammenhang vorliegt, wenn „ihrer Natur nach eigenste, der partikularen Gesetzgebungszuständigkeit  a priori entrückten Angelegenheiten […] vom Reiche und nur von ihm geregelt werden können“1237. Art. 30 GG spricht von „staatlichen Aufgaben“ im Gegensatz zu „öffentlichen Aufgaben“, die als „im öffentlichen Interesse liegenden Betätigungen verstanden [werden], die zur Gemeinwohlrealisierung beitragen“1238. Da dieses öffentliche Interesse nur ein Bestandteil der verfassungsrechtlichen Definition des Staatsaufgabenbegriffs ist,1239 kann es nicht ausreichen, um das Vorliegen einer Handlungsermächtigung im erwerbswirtschaftlichen Bereich anzunehmen.

1234 Art. 72 ff. GG für die ausschließliche und konkurrierende Gesetzgebung des Bundes, Art. 83 GG als Grundsatz der Länderexekutive und Art. 92 GG als entsprechende Regelung für die Rechtsprechung. 1235 Dort, wo die Verfassung dem Bund „keine mit den herkömmlichen Auslegungsmitteln zu umreißende Kompetenz verleiht“, Jost Pietzcker, § 134 Zuständigkeitsordnung und Kollisionsrecht im Bundesstaat, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, Rn. 16. 1236 Josef Isensee, § 133 Die bundesstaatliche Kompetenz, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, Rn. 78; siehe kritisch bis ablehnend gegenüber einem von Art. 30 GG nicht erfassten Sonderbereich neben unmittelbarer und mittelbarer Staatsverwaltung, Michael Ronellenfitsch, § 98 GWB: Wirtschaftliche Betätigung des Staates, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, Rn. 4. 1237 Jost Pietzcker, § 134 Zuständigkeitsordnung und Kollisionsrecht im Bundesstaat, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd.  VI, Rn.  14, mit Verweis auf Gerhard­ Anschütz, in: Anschütz/Thoma, Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. I, S. 367. 1238 Wolfgang Weiß, Privatisierung und Staatsaufgaben, S. 22 mit einer umfassenden Abgrenzung von „staatlichen“ und „öffentlichen“ Aufgaben. 1239 Martin Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, S. 45 m. w. N. in Fn. 20, spricht von einer „Untergruppe von Staatsaufgaben“.

A. Die vergaberechtliche Auftraggebereigenschaft

269

bb) Staatliche Kompetenzbindung am Beispiel von Gemeinden Neben der unstrittig kompetenzgebundenen und rechtlich veranlassten Erfüllung von Primäraufgaben durch den Staat, steht die Bindung des Staates an geschriebene oder zumindest implizite Kompetenztitel für die Erfüllung von Sekundäraufgaben in Frage.1240 Hierzu zählt sowohl die Bedarfsdeckung als auch die erwerbswirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand.1241 (1) Kompetenzbindung für die Bedarfsdeckung Für das Beschaffungswesen als einer Fallgruppe der Sekundäraufgabenerfüllung scheint eine Kompetenzbindung zumindest dann selbstverständlich, wenn man hierzu nicht nur das öffentliche Auftragswesen, sondern auch die eingriffsintensive Enteignung1242 oder Zwangsverpflichtung als „im Hintergrund schwebende Alternativen“1243 zum freihändigen Erwerb von Leistungen und Sachmitteln zählt. (2) Kompetenzbindung für die erwerbswirtschaftliche Betätigung Für die erwerbswirtschaftliche Betätigung ist die Kompetenzbindung durchaus umstritten. Schwierig ist bereits die Eingrenzung dieser Handlungsart. Das Bundesverfassungsgericht umschrieb die „wirtschaftliche Betätigung“ von Gemeinden als Tätigkeiten, die auch von Privaten mit der Absicht der Gewinnerzielung betrieben werden können.1244 Aus verfassungsrechtlicher Perspektive ist die Selbstverwaltungsgarantie der Gemeinden nach Art. 28 Abs. 2 GG Anhaltspunkt für die Bestimmung des Umfangs zulässiger kommunaler, erwerbswirtschaftlicher Tätigkeit.1245 Danach ist den Gemeinden gem. Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG das Recht gewährleistet, „alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Ver­ 1240

Vgl. hierzu Maximilian Wallerath, Öffentliche Bedarfsdeckung, S. 173 ff. Vgl. hierzu Martin Burgi, Das Vergaberecht als Gestaltungsmittel der Kommunalpolitik, in: Henneke, Kommunalrelevanz des Vergaberechts, S. 11 (12 f.). 1242 Die Enteignung (vgl. Art. 14 Abs. 3 und Art. 74 Nr. 14 GG) ist die vollständige oder teilweise Entziehung von konkreten Rechtspositionen, deren Zweck auf die Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben gerichtet ist, vgl. BVerfG vom 7.12.2004 (BvR 1804/03) = NJW 2005, S. 879 (880). 1243 Maximilian Wallerath, Öffentliche Bedarfsdeckung, S. 97 ff. 1244 BVerwG vom 22.2.1972 (I C 24.69) = BVerwGE 39, 329 (333). 1245 Tettinger spricht von Art.  28 Abs.  2 GG als Teil  eines „opulente[n] verfassungsrechtliche[n] Arsenal[s] zur Absicherung kommunaler Regelungskompetenz und Aufgabendurchführung“, Peter J. Tettinger, Absicherung kommunaler Selbstverwaltung, in: Henneke, Kommunale Perspektiven im zusammenwachsenden Europa, S. 145. 1241

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Kap. 2: Grenzen des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers 

antwortung zu regeln“. Hierzu zählen nach dem grundlegenden Rastede-Beschluss des BVerfG1246 „diejenigen Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben […], die also den Gemeindeeinwohnern gerade als solchen gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der (politischen) Gemeinde betreffen“1247, wobei „kein gegenständlich bestimmter oder nach feststehenden Merkmalen bestimmbarer Aufgabenkatalog, wohl aber die Befugnis, sich aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, die nicht durch Gesetz bereits anderen Trägern öffentlicher Verwaltung übertragen sind, ohne besonderen Kompetenztitel anzunehmen (‚Universalität‘ des gemeindlichen Wirkungskreises)“ ist.1248

Kommunale Aufgaben sind jedoch auch nach dieser Definition nur schwerlich abstrakt festzulegen. „Ihr Inhalt und ihre Grenzen ergeben sich vielmehr aus dem jeweiligen institutionellen Rahmen“1249, wie den landes- oder kommunalrechtlichen Kompetenzgrundlagen. Becker spricht bei diesem institutionellen Rahmen vom „Systemprogramm“.1250 In einigen der Landes- bzw. Kommunalverfassungen als solchen „Systemprogrammen“ lassen sich greifbare Legaldefinitionen finden. Beispielsweise definiert § 91 Abs. 1 S. 1 BbgVerf die wirtschaftliche Betätigung als „das Herstellen, Anbieten oder Verteilen von Gütern, Dienstleistungen oder vergleichbaren Leistungen, die ihrer Art nach auch mit der Absicht der Gewinnerzielung erbracht werden könnten.“1251

Die Definition verdeutlicht, dass die Wirtschaftstätigkeit nicht auf die Erfüllung von Aufgaben, sondern auf das allgemeine Tätigwerden auf dem Markt bezogen ist, also auf das System, „in dem individuelle Wirtschaftspläne durch Angebote und Nachfragen koordiniert werden“1252. In der Verwaltungspraxis der Länder ist die deutliche Tendenz erkennbar, die wirtschaftliche Betätigung der Kommunen zu fördern bzw. zumindest den rechtlichen Rahmen hierfür zu schaffen.1253 So finden sich mittlerweile in allen Ge 1246

BVerfG vom 23.11.1988 (2 BVR 1619/83) = NVwZ 1989, S. 347. BVerfG vom 23.11.1988 (2 BVR 1619/83) = NVwZ 1989, S. 347 (350). 1248 Ebd., S. 348. 1249 Margrit Seckelmann, Der moderne Staat 2008, S. 267 (269). 1250 Bernd Becker, Öffentliche Verwaltung – Lehrbuch für Wissenschaft und Praxis, S. 160: „Die Exekutive ist die öffentliche Verwaltung und ist als solche in das Systemprogramm des Staates eingebunden“; gesehen bei Margrit Seckelmann, Der moderne Staat 2008, S. 267 (269) in Fn. 14. 1251 Kommunalverfassung des Landes Brandenburg (BbgKVerf vom 18.  Dezember 2007, GVBl. I, 286, zuletzt geändert 10.7.2014 (GVBl. I, Nr. 32); vgl. ebenfalls § 68 Abs. 1 S. 1 Kommunalverfassung Mecklenburg-Vorpommern vom 13.7.2011 (GVOBl. M-V, 777) und ähnlich einige weitere. 1252 Rolf Grawert, Zuständigkeitsgrenzen der Kommunalwirtschaft, in: Grupp/Ronellenfitsch, Festschrift für Willi Blümel, S. 123. 1253 Vgl. hierzu die Rechtsprechung bei Alexander Schink, NVwZ 2002, S. 129 (129), der sich entsprechende – teilweise skurrile – Beispiele entnehmen lassen. 1247

A. Die vergaberechtliche Auftraggebereigenschaft

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meindeordnungen und Kommunalverfassungen der Bundesländer entsprechende Rechtsgrundlagen für die erwerbswirtschaftliche Betätigung der Kommunen.1254 Zwar grenzen Subsidiaritätsklauseln oder Negativlisten, die bestimmte Tätigkeiten untersagen, diese Ermächtigung wieder ein.1255 Oftmals handelt es sich hierbei jedoch um unechte Subsidiaritätsklauseln, die für den Vorrang der kommunalen Wirtschaftstätigkeit lediglich eine Leistungsparität, also eine im Vergleich zur privaten Konkurrenz gleich effiziente Zweckerreichungsfähigkeit fordern.1256 Auch beantworten diese Begrenzungen, die ihren Ursprung in § 67 der Deutschen Gemeindeordnung (DGO) von 19351257 haben, noch nicht die Frage, ob die kommunalrechtlichen Kompetenznormen eine verfassungsgemäße Möglichkeit der Kommunen darstellen, umfassend am Markt mit dem Wettbewerb zu konkurrieren.1258 Da auch die landes- und kommunalrechtlichen Kompetenzvorschriften ihre Grenzen im Verfassungsrecht und damit auch in Art. 28 Abs. 2 GG finden, ist eine genauere Beschäftigung mit der Selbstverwaltungsgarantie unverzichtbar. Die oben angeführte Auslegung der Selbstverwaltungsgarantie des Art.  28 Abs. 2 S. 1 GG durch das Bundeverfassungsgericht trifft keine Aussage über die Form, in welcher die Gemeinden öffentliche Aufgaben wahrnehmen dürfen. Aus der Garantie ergibt sich aber die Befugnis, die Mittel, mit denen die Gemeinde eine bestimmte Aufgabe erfüllt, selbst zu bestimmen.1259 Die Wahrnehmung dieser Aufgaben in erwerbswirtschaftlicher Form ist daher als grundsätzlich zulässig anzusehen. Sie wird zunächst von der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG geschützt.1260 Daneben fungiert die Norm nach ihrem Wortlaut aber auch als Betätigungsgrenze.1261 Die Verfassung spricht von „allen Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft“, sodass die Marktteilnahme einer Gemeinde nur legitim ist, wenn dadurch diesen Angelegenheiten dienende Sachziele verwirklicht werden.1262 Dass hierzu auch die Betätigung mit 1254

Vgl. etwa Art.  86, 87 BayGO; §§ 116, 117 SachsAnhGO; § 71 ThürKO; §§ 107, 107a NWGO; §§ 102 ff. BadWürttGO; §§ 100 ff. BbgGO; §§ 121, 121 HessGO; §§ 108 ff. NdsGO; §§ 85 ff. RhPfG; § 108 SaarlKSVG; §§ 68 ff. MVKommVerf; §§ 94a ff. SächsGO und §§ 101 ff. SchlHGO. 1255 Vgl. hierzu anschaulich die Übersicht bei Alexander Schink, NVwZ 2002, S. 129 (130). 1256 Vgl. Thomas Jungkamp, NVwZ 2010, S. 546 (547). 1257 Deutsche Gemeindeordnung v. 30.1.1935 (RGBl. I, Nr. 6, S. 49), zugänglich über http:// alex.onb.ac.at. 1258 Vgl. hierzu sowie zum drittschützenden Charakter der Subsidiaritätsklauseln zu Gunsten Privater, Christoph Riese/Ansgar Suermann, LKV 2005, S. 289 (291 f.). 1259 Alexander Schink, NVwZ 2002, S. 129 (133) mit Verweis auf BVerfG vom 23.11.1988 (2 BVR 1619/83) = NVwZ 1989, S. 347. 1260 Alexander Schink, NVwZ 2002, S. 129 (133). 1261 Rolf Grawert, Zuständigkeitsgrenzen der Kommunalwirtschaft, in: Grupp/Ronellenfitsch, Festschrift für Willi Blümel, S. 125. 1262 Ebd.

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Kap. 2: Grenzen des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers 

reiner Gewinnerzielungsabsicht zur Sicherung der kommunalen Finanzhoheit zählen soll1263, wird von der herrschenden Meinung abgelehnt.1264 Diese Auffassung setzt denklogisch voraus, dass die Festlegung der Kommunalwirtschaft auf die Verfolgung öffentlicher Zwecke ins Leere läuft, sobald das reine Erwerbstreben mitumfasst würde.1265 So darf die Verfolgung gewinnbringender Tätigkeit zur Finanzierung übriger Aufgaben nicht als öffentlicher Zweck bzw. öffentliches Interesse oder gar staatliche Aufgabe gerechtfertigt werden, da die Einkünfte des Staates abschließend aus Steuern, Gebühren und Beiträge zu beschaffen sind.1266 Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Sinne der Auslegung des BVerfG sind damit ausschließlich Sachmaterien.1267 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Gemeinden aufgrund der ihnen vermittelten Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG grundsätzlich erwerbswirtschaftlich tätig sein dürfen. Die Grenzen dieser Betätigung ergeben sich gleichfalls aus dieser Kompetenzgrundlage. Art.  28 Abs.  2 S.  1 GG garantiert nämlich nur die Erfüllung der öffentlichen, kommunalen Aufgaben. Hierbei kann die wirtschaftliche Betätigung Mittel und „Nebenwirkung“ bei Erreichung dieses Zwecks sein, keinesfalls ist sie jedoch als eigenständiger Zweck erfasst. Aus diesem Konnexitätsgrundsatz folgt, dass die Kommunen am Markt nur dann erwerbswirtschaftlich teilnehmen dürfen, wenn dadurch Sachziele verwirklicht werden, die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinde sind.1268 cc) Zwischenergebnis Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die öffentliche Hand ihr Handeln auf einen geschriebenen oder ungeschriebenen Kompetenztitel stützen muss, wenn sie zur Erfüllung der primären oder sekundären Staatsaufgaben tätig wird. Dies gilt auch für den Bereich der erwerbswirtschaftlichen Tätigkeit, da diese ihre Grenze regelmäßig im Erfordernis der Erfüllung staatlicher Aufgaben i. S. v. Art. 28 Abs. 2 GG findet. Dem Staat und anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts steht damit keine Privatautonomie zu.1269 Der Staat besitzt keine „Persönlichkeit“, die er im Sinne von Art. 2 Abs. 1 GG „frei entfalten“ kann.1270 Er darf nicht durch Verwand 1263

So etwa Olaf Otting, DVBl. 1997, S. 1258 (1268). Vgl. Alexander Schink, NVwZ 2002, S. 129 (134) m. w. N. in Fn. 40. 1265 So der Gedanke bei Dirk Ehlers, DVBl. 1998, S. 497 (499). 1266 Wolfgang Weiß, Privatisierung und Staatsaufgaben, S. 225. 1267 Jochen Suerbaum, Die Wirkmächtigkeit der grundgesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der kommunalen Selbstverwaltung, in: Dreier, Macht und Ohnmacht des Grundgesetzes, S. 75 (88). 1268 Rolf Grawert, Zuständigkeitsgrenzen der Kommunalwirtschaft, in: Grupp/Ronellenfitsch, Festschrift für Willi Blümel, S. 125. 1269 Ulrich Stelkens, Verwaltungsprivatrecht, S. 29 m. w. N. in Fn 39. 1270 Vgl. hierzu Friedrich Bultmann, NVwZ 2015, S. 944 (944 f.). 1264

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lung in den „Fiskus“ die Kompetenzschranken überspringen, die ihm das Grundgesetz zieht.1271 Die öffentlich-rechtlichen Bindungen für die materielle Aufgabenerfüllung bestehen trotz des Wechsels auf die privatrechtliche Handlungsebene fort. b) Verwaltungsprivatrechtliches Handeln der öffentlichen Hand Das Verwaltungsprivatrecht umfasst alle Sachverhalte, in denen das Privatrecht auf das Handeln von juristischen Personen des Öffentlichen Rechts anzuwenden ist.1272 Eng verbunden wird das Verwaltungsprivatrecht begrifflich immer mit dem „Fiskus“1273, der für „den Staat oder einen der ihm eingegliederten öffentlich-rechtlichen Verbände in seiner Eigenschaft als Privatrechtssubjekt, d. h. als Teilnehmer (Partner) am Privatrechtsverkehr“1274 steht. Mayer spricht vom „Staat als gewöhnlicher Privatmann“1275. Häufig wird das verwaltungsprivatrechtliche Tätigwerden des Staates im Zusammenhang mit dem „fiskalisches Handeln“1276 genannt. Auch wenn dies nicht dem Diskurs über diese Begrifflichkeiten und ihre adäquate Verwendung gerecht wird, sei an dieser Stelle nur kurz auf die Unterscheidung zwischen einem eng definierten „fiskalischem Handeln“ als Teil  des Verwaltungsprivatrechts, nämlich der Erfüllung von sog. Sekundäraufgaben, und dem oben angeführten weiten Verständnis als staatliche Teilnahme am Privatrechtsverkehr hingewiesen.1277 Zum verwaltungsprivatrechtlichen Handeln der Verwaltung lassen sich drei Erscheinungsformen in zwei Gruppen zuordnen: –– die Erfüllung der eigentlichen, also originären Aufgaben der Verwaltung, die sog. „Primäraufgaben“ bzw. die „unmittelbare Aufgabenerfüllung“.1278 –– Daneben steht die Erfüllung mittelbarer Staatsaufgaben, die das Beschaffungswesen sowie die erwerbswirtschaftliche Betätigung der Verwaltung umfassen. Dieses Handeln wird als Wahrnehmung „sekundärer Verwaltungsaufgaben“ beschrieben, da der Begriff zum Ausdruck bringt, „dass auch die für die Erfüllung der Primäraufgaben notwendige Beschaffung von Sach- und Finanzmitteln Verwaltungsaufgabe ist“1279. 1271

Walter Mallmann, VVDStRL 19, S. 199. Ulrich Stelkens, Verwaltungsprivatrecht, S. 23 m. w. N. in Fn 2. 1273 Walther Hadding, § 89 BGB, in: Soergel/Siebert, Bürgerliches Gesetzbuch – Kommentar, Bd. 1, Rn. 7. 1274 Dirk Ehlers, § 3, in: Ehlers/Pünder, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 80 ff. 1275 Vgl. Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 1, S. 114 mit der Absicht, genau diesen Zustand nicht eintreten zu lassen: „Für diese Verhältnisse kann der Staat jetzt eine zuverlässige Rechtsordnung erhalten, auch ohne zum gewöhnlichen Privatmann gemacht zu werden.“ 1276 Siehe zu diesem Begriff auch Fn. 216 und sogleich 273 ff. 1277 Ausführlich Walter Mallmann, VVDStRL 19, S. 165 (196). 1278 Ulrich Stelkens, Verwaltungsprivatrecht, S. 96 f. 1279 Ebd., S. 28; ebenso ausdrücklich OLG Düsseldorf vom 30.4.2003 (Verg 67/02) = NZBau 2003, S. 400 (402) – „Bekleidungsmanagement der Bundeswehr“. 1272

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In welchem Umfang das verwaltungsprivatrechtliche Handeln stattfinden kann, hängt von zwei Rechtsfragen ab. Zum einen, in welchem Umfang eine juristische Person des öffentlichen Rechts überhaupt am Privatrechtsverkehr teilnehmen kann. Zum anderen, welche Strahlkraft die öffentlich-rechtliche Bindungswirkung in die Privatrechtsverhältnisse hat. aa) Privatrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts Die privatrechtliche Rechtsfähigkeit eines Subjekts richtet sich grundsätzlich nach den Maßgaben des Privatrechts, insbesondere des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Inwiefern es durch öffentlich-rechtliche Bestimmungen zu einer Modifikation des Privatrechts kommt, ist strittig. Die Legitimation zur Teilnahme am privatrechtlichen Rechtsverkehr wird mit der Vermittlung der Eigenschaft als zivilrechtliches Rechtssubjekt erreicht. Im Allgemeinen Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs findet sich im Abschnitt 1 des Ersten Buchs in § 89 BGB die juristische Person des öffentlichen Rechts als explizit benanntes Rechtssubjekt. Zwar umfasst der Wortlaut der Norm nur den Fiskus, die Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts. Mit der h. M. ist hierin jedoch eine dem historischen Gesetzgeber bekannte und daher nicht abschließende Aufzählung zu sehen.1280 Im Gegensatz zum Privatrecht kennt das öffentliche Recht keinen numerus clausus der Rechtsformen.1281 So sind vom Grundsatz des § 89 BGB auch alle anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts umfasst. Andernfalls würde sich eine Lücke im System der Haftung der öffentlichen Hand für fiskalisches Handeln ergeben.1282 Einer öffentlich-rechtlichen Organisationseinheit kommt damit grundsätzlich immer dann die Fähigkeit zugute, Träger von privatrechtlichen Rechten und Pflichten zu sein, wenn sie ordnungsgemäß als juristische Person des öffentlichen Rechts konstituiert wurde. Die rechtlichen Vorgaben hierzu ergeben sich aus den Bundes- und Landesgesetzen. Diese für die Errichtung von Verwaltungsträgern und Behörden als juristische Personen des öffentlichen Rechts zu ermitteln, ist insofern komplex, da ausdrückliche Regelungen selten sind.1283 Verfassungsrecht-

1280

Walther Hadding, § 89 BGB, in: Soergel, Bürgerliches Gesetzbuch, Allgemeiner Teil 1, Rn. 7. 1281 Rainer Hüttemann/Peter Rawert, § 89 BGB, in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Erstes Buch: Allgemeiner Teil, Rn. 8. 1282 Walther Hadding, § 89 BGB, in: Soergel, Bürgerliches Gesetzbuch, Allgemeiner Teil 1, Rn. 7, 12 ff.; Rainer Hüttemann/Peter Rawert, § 89 BGB, in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Erstes Buch: Allgemeiner Teil, Rn. 8: „Die Offenheit des § 89 ist daher schon zur Vermeidung von Haftungslücken erforderlich.“ 1283 Ulrich Stelkens, LKV 2003, S. 489 (490).

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liche Kompetenzen zur Errichtung entsprechender Organisationseinheiten ergeben sich grundsätzlich für den Bund aus Art. 86, 87 GG und für die Länder aus Art. 84 Abs. 1 und 85 Abs. 1 GG („Einrichtung der Behörden“). Unter „Einrichtung der Behörden“ ist hierbei in weiter Auslegung des Begriffs der Aufbau einer Verwaltung eines Landes zu verstehen.1284 Entgegen der teilweise vertretenen Auffassung, dass einer juristischen Person des öffentlichen Rechts die privatrechtliche Rechtsfähigkeit „mitgegeben“1285 ist oder gar die öffentlich-rechtliche Rechtspersönlichkeit die privatrechtliche Rechtsfähigkeit einschließt,1286 bleiben die Voraussetzungen der privatrechtlichen Rechtsfähigkeit im Einzelnen umstritten. Grundsätzlich bestimmt nicht das öffentliche Recht den Umfang der Privatrechtsfähigkeit von Verwaltungsträgern. Vielmehr wird sie vom Privatrecht angeordnet. Es vermittelt einer vollrechtsfähigen öffentlich-rechtlichen Organisationseinheit die Privatrechtsfähigkeit u. a. mit dem Ziel, die Interessen der anderen Rechtssubjekte des Privatrechts zu schützen.1287 Denn mit der Eigenschaft eines Trägers von privatrechtlichen Rechten und Pflichten mit den entsprechenden materiellen und prozessualen Folgen wird die für den zivilrechtlichen Rechtsverkehr erforderliche Gleichrangigkeit der Rechtssubjekte hergestellt. bb) Umfang der Privatrechtsbindung juristischer Personen des öffentlichen Rechts Das privatrechtliche Verwaltungshandeln – trotz der historisch und praktisch bedingten Selbstverständlich- und Alltäglichkeit1288 – nimmt im Rechtsverkehr eine Sonderrolle ein. Sobald sich eine öffentlich-rechtlich konstituierte Einrichtung auf das Parkett des von gleichberechtigten, synallagmatischen Rechtsbeziehungen geprägten Privatrechts begibt, entsteht eine Konstellation, die einer rechtsdogmatischen Einordnung bedarf. Insbesondere der Gedanke, es könne zu einer „schizophrenen“ Anwendung von sowohl öffentlich-rechtlichen als auch privatrechtlichen Normen kommen, begründet das Erfordernis einer systematischen Einordnung der privatrechtlich handelnden juristischen Person des öffentlichen Rechts. Die vermeintlich naheliegende Annahme der bedingungslosen Geltung des Zivilrechts zwischen Privaten und juristischen Personen des öffentlichen Rechts in privatrechtlichen Rechtsbeziehungen wird durch eine Überlegung relativiert: Die

1284 Ferdinand Kirchhof, Art. 83 GG, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz – Kommentar (54. Ergänzungslieferung), Rn. 52. 1285 Hans J. Wolff/Otto Bachof/Rolf Stober, Verwaltungsrecht I, § 34 Rn. 7. 1286 Ernst Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, S. 485; Maximilian Wallerath, Öffentliche Bedarfsdeckung, S. 201. 1287 Ulrich Stelkens, Verwaltungsprivatrecht, S. 65. 1288 Vgl. hierzu Dirk Ehlers, § 3, in: Ehlers/Pünder, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 80.

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zwei Rechtskreise des öffentlichen und des privaten Rechts berühren sich zwangsläufig bei der Teilnahme einer juristischen Person des öffentlichen Rechts am privatrechtlichen Rechtsverkehr, auch wenn die Handlungen in diesem Rahmen nach den Regeln des Zivilrechts geschehen. Wird der Hoheitsträger im öffentlich-rechtlichen Gewand tätig, bleibt die Einrichtung selbst öffentlich-rechtlich. Ebenso bleibt die öffentlich-rechtliche Bindung der Handelnden und der Organisation bestehen. Inwiefern das öffentliche Recht in die zivilrechtliche Rechtsbeziehungen ausstrahlen kann, ohne dabei das Funktionieren der Rechtsordnung(en) zu gefährden, ist fraglich. (1) Begrenzung der Strahlkraft des öffentlichen Rechts in die privatrechtlichen Beziehungen Für das Funktionieren der Rechtsordnung und der einzelnen Rechtskreise ist es erforderlich, dass das anzuwendende Recht auch ohne Einschränkungen und Beeinträchtigungen volle Wirkung entfalten kann. Vor diesem Hintergrund muss auch für das privatrechtliche Handeln juristischer Personen des öffentlichen Rechts der vom BVerfG aufgestellte Grundsatz gelten, dass die Verwaltung, die sich dafür entschieden hat, ihre Aufgaben mit Mitteln des Privatrechts wahrzunehmen, auch die daraus resultierenden Konsequenzen in vollem Umfang trägt: „Hat sich die öffentliche Hand, gleichgültig aus welchen Gründen, dafür entschieden, eine öffentliche Aufgabe mit den Mitteln des Privatrechts wahrzunehmen und insoweit privatwirtschaftlich tätig zu werden, so muß sie auch alle Konsequenzen daraus, auch die ihr unerwünschten, auf sich nehmen. Sie tritt damit auf den Boden des Privat- und Gesellschaftsrechts, nimmt konkurrierend mit anderen Wirtschaftsunternehmen am Wirtschafts- und Erwerbsleben innerhalb der freien Gesellschaft teil und unterwirft sich den Gesetzen des Marktes.“1289

Daraus folgt, dass die Verwaltung grundsätzlich1290 bei dem Wechsel in privatrechtliche Handlungsformen keine Hoheitsakte als „Fluchtgepäck“1291 mitnehmen darf. Weder ist dem Verfassungsrecht noch dem allgemeinen Gesetzesrecht die Möglichkeit oder gar die Pflicht der Verwaltung zu entnehmen, sich auf dem Gebiet der privatrechtlichen Bedarfsdeckung, Vermögensverwaltung oder Teilnahme am allgemeinen Wirtschaftsverkehr den Handlungsformen des öffentlichen Rechts zu bedienen.1292 In diesem Punkt ist die Strahlkraft des Öffentlichen Rechts in den Rechtskreis privatrechtlicher Rechtsbeziehungen begrenzt. In einem ande-

1289

BVerfG vom 21.1.1970 (2 BvL 27/63) = BVerfGE 27, 364 (374). Siehe hierzu mit Hinweis auf entsprechende Ausnahmen: Dirk Ehlers, § 3, in: Ehlers/ Pünder, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 87. 1291 Udo Steiner, Öffentliche Verwaltung durch Private, S. 206. 1292 Dirk Ehlers, § 40 VwGO, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO – Kommentar (28. Ergänzungslieferung), Rn. 257. 1290

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ren Punkt kommt es jedoch zu einer möglichen Überschneidung der zwei Rechtskreise, die ihre Ursache in der verfassungsrechtlich konstituierten Bindung der Verwaltung an ihre Kompetenzgrundlagen findet.1293 (2) Beschränkung der Privatrechtsbindung auf den öffentlich-rechtlich festgelegten Aufgabenkreis Aus der Kompetenzbindung der Verwaltung folgt zwangsweise die Frage, inwieweit die öffentlich-rechtliche Einrichtung nur innerhalb des ihr vom öffentlichen Recht eingeräumten Wirkungskreises privatrechtlich handeln kann und inwiefern in einem solchen Falle die Einschränkung der Privatrechtsbindung der Verwaltung auf die entsprechenden Privatrechtsverhältnisse durchschlägt. Aufgegriffen wurde ein vom Reichsgericht1294 zu diesem Punkt begründeter Ansatz vom BGH 1956 in der Entscheidung „Fischereiwirtschaft“: „Juristische Personen des öffentlichen Rechts sind jedenfalls grundsätzlich nur im Rahmen des ihnen durch Gesetz oder Satzung zugewiesenen Aufgaben- und Wirkungsbereichs zu einem rechtswirksamen Handeln befugt. Sie können nur innerhalb des durch ihre Zwecke und Aufgaben bestimmten, sachlich und räumlich beschränkten Lebenskreises handeln. Außerhalb ihres Funktionsbereichs liegende Handlungen entbehren schlechthin der Rechtswirksamkeit.“1295

Aus diesem Ansatz, die „Privatrechtsfähigkeit“1296 juristischer Personen des öffentlichen Rechts auf ihren Wirkungskreis zu beschränken, ist die Lehre von der Teilrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts bzw. die sog. ultravires-Lehre hervorgegangen. Nach der Lehre der Teilrechtsfähigkeit sind juristische Personen des öffentlichen Rechts außerhalb ihres Wirkungskreises als nicht vorhanden anzusehen, während es ihnen nach der ultra-vires-Lehre in diesem Bereich an der Handlungsfähigkeit fehlt, da ihre Organe nicht für sie handeln können. Die nach wie vor nicht aufgegebene1297 und von der h. L. gestützte Rechtsprechung des BGH folgt in erster Linie dem Gedanken, dass juristische Personen des öffentlichen Rechts durch Hoheitsakt für eine bestimmte Aufgabenwahrnehmung geschaffen werden und ihr Wirkungskreis auf diesen Bereich beschränkt bleiben 1293

Vgl. zur Kompetenzbindung der öffentlichen Hand oben, S. 266 ff. Vgl. Reichsgericht vom 2.6.1885 („Marchcommune“) = SeuffArch 40 (1885), S. 389. 1295 BGH vom 28.2.1956 (I ZR 84/54) = BGHZ 20, 119 (124) = NJW 1956, S. 746 (748). 1296 In der Literatur wird regelmäßig von der beschränkten Privatrechtsbindung oder der Teilrechtsfähigkeit der Verwaltung gesprochen. Angesichts der unterschiedlichen dogmatischen Lösungen – entweder fehlende Handlungsfähigkeit der Organe oder fehlende Rechtsfähigkeit – ließe sich hier als Überbegriff von der „Privatrechtsfähigkeit“ sprechen. 1297 Grundsätzlich im Sinne der ursprünglichen Rechtsprechung, teilweise jedoch relativierend: BGH vom 23.9.1992 (I ZR 251/90) = BGHZ 119, 237 = NJW 1993, S. 918 („Universitätsemblem“); BGH vom 19.11.1992 (I ZR 254/90) = BGHZ 120, 228 („Guldenburg“) und BGH vom 17.11.1994 (III ZR 70/93) = BGHZ 128, 41 („Beratervertrag“). 1294

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muss, da die Rechtsfähigkeit der juristischen Person nur ein Mittel zur Erfüllung ihres öffentlich-rechtlichen Hauptzwecks darstellt.1298 (3) Die Auswirkungen der beschränkten Rechtsbindung auf das Funktionieren der Privatrechtsordnung Für die abstrakt-theoretische Überlegung, wann eine Verwaltungseinheit die­ Fähigkeit in einem bestimmten Fall besitzen soll, Träger von privatrechtlichen Rechten und Pflichten zu sein, mag die Reduzierung der Handlungs- bzw. Rechtsfähigkeit auf den Wirkungskreis eine akzeptable und vermeintlich schlüssige Antwort sein. Insbesondere der Blick aus dem öffentlichen Recht führt verständlicherweise zu einer Proklamation der beschränkten Privatrechtsbindung der Verwaltung als notwendigem Schutz der staatlichen Kompetenzordnung. Die Auswirkungen für den Privatrechtsverkehr bleiben hierbei jedoch völlig außer Acht bzw. werden nicht in einen hinreichenden Interessenausgleich gebracht. Der Ansatz der genannten Lehren, der letztlich die imperative Umsetzung der Rückbindung der Verwaltung an ihre Kompetenz- und Ermächtigungsgrundlagen bedeutet, birgt einen Widerspruch zu den oben gewonnenen Erkenntnissen zur Privatrechtsfähigkeit juristischer Personen und offenbart dabei ein noch größeres Problem. Geht man davon aus, dass eine privatrechtlich handelnde Verwaltungseinheit außerhalb des ihr zugewiesenen Wirkungskreises rechtlich gar nicht vorhanden ist, können ihr alle Handlungen, die sie ultra vires vornimmt, nicht zugerechnet werden. In der Folge muss die juristische Person des öffentlichen Rechts für derartige Handlungen im Privatrechtsbereich keinerlei Verantwortung übernehmen, noch kann sie wegen vorvertraglichen Pflichtverletzungen oder Amtspflichtverletzungen zum Schadensersatz verpflichtet sein, weil sie als „Nichtperson“ kein Vertrauensverhältnis begründen oder unerlaubte Handlungen begehen kann.1299 Da die (Rechts-)Folgen des dann nichtigen Geschäfts den privaten Geschäftspartner gleichermaßen wie die handelnde Verwaltung treffen, schlägt die Durchsetzung der öffentlich-rechtlichen Kompetenzbindung auf die privatrechtliche Ebene und damit auch auf die Rechtsgüter aller am Rechtsgeschäft beteiligten Privaten durch. Hinzu kommt, dass Reichweite der Rechtfähigkeit einer juristischen Person des öffentlichen Rechts regelmäßig durch Auslegung der entsprechenden Kompetenz 1298 Günter Weick, Einleitung zu §§ 21 ff., in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Buch 1: Allgemeiner Teil  2, Rn.  24 f.; Jochen Weck/Michael Schick, NVwZ 2012, S. 18 (18). 1299 Vgl. Dirk Ehlers, Die Lehre von der Teilrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 67.

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norm zu bestimmen ist, womit ihr eine erhebliche Rechtsunsicherheit innewohnt.1300 Der gute Glaube der privaten Kontrahenten bleibt dabei völlig unberücksichtigt.1301 Das Ergebnis, das sich ergibt, widerspricht folglich dem rechtstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes.1302 Es kollidieren das Gesetzmäßigkeitsprinzip und das Rechtsstaatsprinzip, dem der Grundsatz der Rechtssicherheit in Form des Vertrauensschutzes innewohnt, als gleichrangigen Verfassungsprinzipen miteinander. Derart widerstreitende Positionen sind im Wege der praktischen Konkordanz zu einem möglichst schonenden Ausgleich zu bringen. In diesem Fall bietet sich eine Lösung an, die eine möglichst optimale Entfaltung aller Rechtsgüter ermöglicht. Die Bindung der Verwaltung an die staatliche Kompetenzordnung und die daraus folgende Beschränkung ihres Wirkungskreises auf den vorgegebenen Aufgabenkreis definiert das „rechtliche Dürfen“, nicht das „rechtliche Können“. Eine Überschreitung des Dürfens lässt sich mit den allgemeinen Grundsätzen sowohl des öffentlichen Rechts als auch des Privatrechts lösen. Die Tatbestände des § 134 BGB für privatrechtliche Verträge und § 59 Abs.  1 VwVfG i. V. m. § 134 BGB für öffentlich-rechtliche Verträge besitzen die Fähigkeit, die praktischen Probleme, die sich aus der Überschreitung der Kompetenz des öffentlich-rechtlichen Vertragspartners ergeben, hinreichend zu beherrschen.1303 Hinzu treten die Regeln über das Fehlen der Vertretungsmacht nach §§ 178 ff. BGB sowie Regeln des Bereicherungsrechts nach §§ 812 ff. BGB, des Schadensrechts nach §§ 280 ff. BGB und §§ 179, 180 Abs. 1 BGB bzw. §§ 823 ff. BGB für etwaige außervertragliche, deliktische Ansprüche. Aus verschiedenen Gründen gilt es sich der Mindermeinung anzuschließen und von einer Vollrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts auszu­ gehen. Insbesondere ist der herrschenden Meinung entgegenzuhalten, dass juristische Personen des öffentlichen Rechts in erheblichem Ausmaße außerhalb ihres Wirkungskreises handeln.1304 Folgt man dabei der Lehre von der Teilrechtsfähigkeit und der ultra-vires-Lehre, nimmt man allzu leichtfertig eine Beeinträchtigung des rechtstaatlich gebotenen Vertrauensschutzes im Privatrechtsverkehr in Kauf. Die Lehre von der Teilrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts und die deutsche ultra-vires-Doktrin sind damit ersatzlos aufzugeben.1305 1300

Ebd., S. 64. Vgl. Günter Weick, Einleitung zu §§ 21 ff., in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Buch 1: Allgemeiner Teil 2, Rn.25; ausführlich Manfred Eggert, Die deutsche ultra-vires-Lehre, passim. 1302 Dirk Ehlers, Die Lehre von der Teilrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 69 f. 1303 A. A.BGH vom 28.2.1956 (I ZR 84/54) = BGHZ 20, 119 (126) = NJW 1956, S. 746 (748). 1304 Siehe die zitierte Rechtsprechung bei Alexander Schink, NVwZ 2002, S. 129. 1305 So auch Dirk Ehlers, Die Lehre von der Teilrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts, S. 76. 1301

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cc) Zwischenergebnis Der Bund, die Länder, ihre nachgeordneten Behörden und Verwaltungseinheiten können zur Erfüllung ihrer Aufgaben auch privatrechtlich tätig werden. Ihr Handeln muss von einer geschriebenen oder ungeschriebenen Kompetenzgrundlage gedeckt sein. „Die Wahrnehmung von öffentlichen Aufgaben in den Formen des Privatrechts hat zur Folge, dass die Normen des Privatrechts durch Bestimmungen und Rechtsgrundsätze des öffentlichen Rechts ergänzt, überlagert und modifiziert werden, insbesondere durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Gleichbehandlungsgebot.“1306 Als juristische Personen des öffentlichen Rechts besitzen sie Rechtsfähigkeit und sind im Privatrechtsverkehr unbeschränkt an die Rechtssätze des Zivilrechts gebunden.1307 Überschreitungen der öffentlich-rechtlichen Kompetenzgrundlagen durch privatrechtliches Handeln außerhalb des Aufgaben- und Wirkungskreises führen nur dann zur Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts, wenn sich dies aus § 134 BGB oder anderen Spezialnormen ergibt. Die Folgen einer Nichtigkeit ergeben sich aus den allgemeinen Grundsätzen des Privatrechts. Die Verwaltungsverfahrensgesetze gelten gem. § 1 Abs.  1, 2 BVwVfG1308 nur für die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit der Behörden und damit nicht für das privatrechtliche Handeln. c) Privatrechtliches Handeln juristischer Personen des Privatrechts mit öffentlich-rechtlichen Gesellschaftern (gemischt-wirtschaftliche Unternehmen) Die Betätigung der öffentlichen Hand in der Rechtsform der juristischen Personen des Privatrechts ist rechtlich ein Sonderfall, wenngleich sie zahlenmäßig von erheblicher Bedeutung ist. Neben den erörterten Handlungsformen, die dem Staat zur Erfüllung seiner Primär- und Sekundäraufgaben  – einschließlich der Möglichkeit zur Teilnahme am Privatrechtsverkehr  – zur Verfügung stehen,1309 kann die öffentliche Hand am Privatrechtsverkehr teilnehmen und dabei ihr öffentlich-rechtliches Gewand ablegen. Durch die Ein- bzw. Errichtung einer juris 1306 Heinz Joachim Bonk/Werner Neumann, § 54, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz – Kommentar, Rn. 73 mit Verweis auf BVerfG vom 22.2.2011 (1 BvR 699/06) = NJW 2011, S.  1201; BGH vom 5.4.1984 (III ZR 12/83) = BGHZ 91, 84 (97); BGH vom 7.2.1985 (III ZR 179/83) = BGHZ 93, 372 (381); BGH vom 21.7.2006 (V ZR 158/05) = NVwZ 2007, S. 246 (248). 1307 Sonderregeln für die öffentliche Hand bleiben hiervon unberührt. Vgl. etwa die sog. Fiskusprivilegien, z. B. § 170 VwGO, § 882a ZPO, § 255 AO und § 12 InsO; hierzu ausführlich­ Ulrich Stelkens, Verwaltungsprivatrecht, S. 86 ff., S. 216 ff. 1308 Entsprechendes ergibt sich aus den Landesverwaltungsverfahrensgesetzen, vgl. etwa § 1 Abs. 1 BayVwVfG. 1309 Siehe oben, S. 266 ff.

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tischen Person des Privatrechts bleibt der Staat als hundertprozentiger oder anteiliger Eigentümer im Hintergrund, tritt im Privatrechtsverkehr als solcher nicht in Erscheinung und wirkt ausschließlich mittelbar über die gesellschaftsrechtlichen oder organisatorischen Einflussnahmemöglichkeiten auf die juristische Person und ihre Organe. aa) Die Erscheinungsform des gemischt-wirtschaftlichen Unternehmens Die herkömmlichen juristischen Begrifflichkeiten zur Beschreibung von privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Organisationseinheiten reichen nicht aus, um die Unternehmensart begrifflich ausreichend zu erfassen, bei der sich der Staat an einer privaten Gesellschaft beteiligt oder diese zu hundert Prozent besitzt. Die Konzeption des gemischt-wirtschaftlichen Unternehmens ist keine Rechtsfigur, an die bestimmte Rechtsfolgen geknüpft sind, sondern eine Begrifflichkeit, mit der sich die staatliche Beteiligung an privatwirtschaftlichen Unternehmen bezeichnen lässt. Entscheidender Charakter des gemischt-wirtschaftlichen Unternehmens ist, dass „sich im privatrechtlichen Gewande neben staatlichen auch private Träger“ verbergen, „so dass eine größere Distanz zur unmittelbaren Staatstätigkeit besteht“.1310 Ein gemischt-wirtschaftliches Unternehmen ist also in Abgrenzung zu staatlichen Einrichtungen und Organen privatrechtlich konstituiert und kennzeichnet sich auf Träger- bzw. Gesellschafterebene durch sowohl staatliche als auch private Beteiligung aus.1311 Hinsichtlich der Tätigkeit eines gemischt-wirtschaftlichen Unternehmens ist Folgendes zu beachten: Aufgrund der kompetenzrechtlichen Begrenzung der wirtschaftlichen Tätigkeit des Staates, muss es sich hierbei zumindest auch mittelbar um die Wahrnehmung staatlichen Aufgaben handeln.1312 Die Erscheinungsform gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen ist das Resultat einer Veränderung der Staatsaufgabenwahrnehmung durch die Aktivierung und Hinzunahme privater Kräfte in unterschiedlichen Formen. Insbesondere die Gemeinden als Teil des staatlichen Gefüges geben regelmäßig die Wahrnehmung von Aufgaben an Private ab. Dies geschieht auch in Bereichen, die nach einer klassischen Staatsorganisation originär in ihre Verantwortung fallen (wie etwa die Daseinsvorsorge als Aufgabe des eigenen Wirkungskreises). Die Privaten werden damit im Rahmen „hoheitlich gesetzter regulativer Vorgaben (z. B. Zielsetzung, Verfahrensregeln, Organisationsmodellen)“ nach marktwirtschaftlichen Prinzipien tätig.1313 1310

Martin Burgi, Funktionale Privatisierung und Verwaltungshilfe, S. 77. Aus vergaberechtlicher Perspektive ist dieser Aspekt ganz besonders für die Beurteilung der „Staatsgebundenheit“ als Tatbestandsmerkmal des Anwendungsbereichs von Bedeutung, siehe hierzu unten, S. 307 ff. 1312 Vgl. zu den kompetenzrechtlichen Begrenzungen staatlicher Wirtschaftstätigkeit, oben S. 269 ff. 1313 Vgl. Friedrich Schoch, NVwZ 2008, S. 241 (241 f.). 1311

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Typische Fälle juristischer Personen des Privatrechts mit staatlichen Anteilseignern sind Unternehmen der Daseinsvorsorge wie Stadtwerke, Verkehrsbetriebe, Gas- und Elektrizitätswerke sowie Entsorgungs- und Wiederaufbereitungseinrichtungen. Die vor über 100 Jahren als reine Regiebetriebe entstandenen Einrichtungen haben sich in einer jahrzehntelangen Entwicklung hinsichtlich kaufmännischer Buchführung und Rechnungslegung sowie merkantiler Betriebsstrukturen und Verhaltensweisen hin zu öffentlich-rechtlichen Eigenbetrieben und schließlich seit den 1960er Jahren zu rechtlich selbständigen Eigengesellschaften des Privatrechts gewandelt.1314 Seither bieten technische Neuerungen die Möglichkeit,­ Leistungen der Daseinsvorsorge und der Kommunalverwaltung ökonomisch zu optimieren und durch eine umfängliche Teilnahme am Markt mit den Gesetzen der Privatwirtschaft die öffentlichen Haushaltkrisen und vermeintliche bürokratische Ineffizienz zu umgehen.1315 Hinzu treten vermehrt Bau- und Entwicklungsgesellschaften zur Realisierung von Vorhaben in öffentlich-privater Partnerschaft (ÖPP), auch public private partner­ship (PPP) genannt. Die ÖPP/PPP beschreibt ein vertragliches, langfristiges Zusammenwirken von Staat und Privatem bei einem konkreten Projekt.1316 Die Ausgestaltung dieses Zusammenwirkens richtet sich nach wie vor nach den herkömmlichen öffentlich-rechtlichen, gesellschafts- und wirtschaftsrechtlichen Bestimmungen und schafft in keiner Weise eine Sonderrechtsfigur mit entsprechendem Spezialrecht.1317 Die „Sonderform“ des gemischt-wirtschaftlichen Unternehmens wirft insbesondere die Frage nach dem Verhältnis von hoheitlicher Verantwortungssphäre und privatrechtlichem Wettbewerb auf. Grzeszick verknüpft diese Frage mit der Beziehung staatlicher Hoheit zu bürgerlicher Freiheit: „Je positiver die Wirkungen des freien Wettbewerbs der Bürger für die Wohlfahrt der Gesellschaft gesehen werden, desto größer fällt die Rechtfertigungslast für den in den Wettbewerb intervenierenden Staat aus, und umgekehrt.“1318 Isensee begreift diese bürgerliche Freiheit, die er als „Individualfreiheit“ beschreibt, wie folgt: „Die Individualfreiheit bildet also nicht nur Schranke und Zweck der Staatsgewalt, sondern auch deren eigentliche Rechtfertigung.“1319 1314 Vgl. zu dieser Entwicklung ausführlich: Peter Eichhorn, Zum Rollenwechsel kommunaler Unternehmen, in: Gesellschaft für Öffentliches Recht, Rollenwechsel kommunaler Unternehmen, S. 5. 1315 Ebd., S. 6. 1316 Ferdinand Kirchhof, Art. 83 GG, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz – Kommentar (54. Ergänzungslieferung), Rn. 121. 1317 Bestehende Sonderregelungen etwa im GWB (§§ 99 Abs. 6, 101 Abs. 1, 5 und 6 GWB n. F.), in der Vergabeordnung (§§ 4 Abs. 4 und 5, 6, 6a) und Grundsteuer- (§ 3 Abs. 1 S. 2) und Investmentgesetz (§ 67 Abs. 2 S. 3) dienen lediglich der Ermöglichung bzw. Vereinfachung derartiger Mischformen. 1318 Bernd Grzeszick, § 78: Hoheitskonzept  – Wettbewerbskonzept, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, Rn. 1. 1319 Josef Isensee, JZ 1999, S. 265 (277).

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Nimmt man die Überlegung Isensees hinzu, wonach die Legitimation des Staates mit der Individualfreiheit verbunden ist, kann man zu der Auffassung kommen, dass der Staat gerade dazu verpflichtet ist, Aufgaben im Dienste des Allgemeinwohls möglichst durch Private verwirklichen zu lassen, soweit dabei die von Grzeszick beschriebenen „hoheitlich regulativen Vorgaben“1320 eingehalten werden. Mit der Form des gemischt-wirtschaftlichen Unternehmens steht dem Staat die Möglichkeit zur Verfügung, diesem Anspruch gerecht zu werden. Durch Gründung eines privatrechtlich organisierten Unternehmens, das unter Einbeziehung Privater nach den Grundsätzen des Wettbewerbs am freien Markt teilnimmt, wird zum einen die Realisierung des Gemeinwohlauftrags teilweise auf Private übertragen und in den „Bürgerverkehr“ auf Augenhöhe eingegliedert. Gleichzeitig behält der Staat – alleine schon aufgrund der kompetenzrechtlich gebotenen Zweckbindung1321 – mit entsprechenden Festschreibungen etwa in Gesellschaftsverträgen und Beherrschungsverträgen die Steuerungsgewalt zur Sicherung des Gemeinwohlcharakters der Tätigkeit eines solchen Unternehmens.1322 In der Praxis ergeben sich regelmäßig Abgrenzungsfragen und Probleme, insbesondere dort, wo die Überwindung der klassischen Dichotomie „zwischen den überkommenen Ordnungsprinzipien des staatlichen Hoheitskonzepts einerseits und des gesellschaftlichen bzw. wirtschaftlichen Wettbewerbskonzepts andererseits“1323 nicht gelingt, mit der Folge, dass entweder (1)  die staatliche Einflussnahme das Wettbewerbsgeschehen beeinträchtigt oder (2) die privatrechtliche Organisation von den staatlichen Vorgaben abweicht. In die erste Fallgruppe fällt die Frage der vergaberechtlichen Einordnung gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen als öffentliche Auftraggeber.1324 Auf eine juristische Person des Privatrechts mit öffentlich-rechtlichen Anteilseignern bzw. Gesellschaftern („gemischt-wirtschaftliches Unternehmen“) gibt es folglich zwei Perspektiven: die öffentlich-rechtliche (meist kommunal- und kommunalaufsichtsrechtliche)  sowie die zivilrechtliche (insbesondere gesellschaftsrechtliche).

1320

Grzeszick (Fn. 1319). Vgl. hierzu ausführlich oben, S. 266 ff. 1322 Siehe hierzu sogleich ausführlich unten, S. 286 ff. 1323 Friedrich Schoch, NVwZ 2008, S. 241 (242). 1324 Zu unterscheiden ist diese Fragestellung von der Problematik des Tätigwerdens kommunaler Unternehmen in Vergabeverfahren auf Bieterseite, siehe hierzu etwa Thomas Mann, Das Verhältnis von kommunalem Wirtschaftsrecht und Vergaberecht, in: Henneke, Kommunalrelevanz des Vergaberechts, S. 64 ff. 1321

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bb) Öffentlich-rechtliche Voraussetzungen für die Errichtung, den Betrieb und die Beteiligung an juristischen Personen des Privatrechts durch die öffentliche Hand Die Errichtung und Beteiligung an privatrechtlich konstituierten Gesellschaftsformen bedarf in gleicher Weise einer Kompetenzgrundlage wie das übrige Handeln der öffentlichen Hand,1325 da dem Staat und anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts keine Privatautonomie zusteht.1326 Zwar ist nach allen Gemeindeordnungen der Länder die Gründung von Unternehmen in Privatrechtsform grundsätzlich zulässig.1327 Bevor eine Gemeinde jedoch eine gesellschaftliche Neugründung vornehmen kann, muss sie eine „Schrankentrias“1328 überwinden, um den Vorgaben der verfassungsrechtlichen Kompetenz- und Aufgabenbindung gerecht zu werden. Hierfür muss die zur Gründung beabsichtigte Gesellschaft (1)  einem öffentlichen Zweck dienen, (2)  das Vorhaben muss im Verhältnis zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Gemeinde stehen und (3) das wirtschaftliche Handeln der Gemeinde muss subsidiär sein.1329 Hinzu kommt die grundsätzliche Begrenzung der wirtschaftlichen Tätigkeit auf den örtlichen Wirkungskreis der Gemeinde.1330 Das Erfordernis dieser Schrankentrias ergibt sich aus drei Verfassungsprinzipien: Der Bindung des Staates an Recht und Gesetz nach dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 1 und Abs. 3 GG sowie dem Sozialstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 1 und 28 Abs. 1 S. 1 GG als „Gewährleistungsverpflichtung der Kommune gegenüber ihren Bürgern zur Erfüllung sozialer, wirtschaftlicher und kultureller Grundbedürfnisse“1331. Insbesondere das Demokratieprinzip spielt eine bedeutsame Rolle für die Aufrechterhaltung der demokratischen Legitimation auch in Einrichtungen des Privatrechts. Es kommt zu einer direkten Verknüpfung dieses Verfassungsauftrages mit den gesellschaftsrechtlichen Gestaltungsund Einflussnahmemöglichkeiten der Anteilseigner.1332 Das Merkmal des öffentlichen Zwecks ist weit zu verstehen, da eine Erfüllung der Belange im Interesse der Allgemeinheit meist stets – zumindest in geringem Maße – 1325

Zur Kompetenzbindung von verwaltungs(privat)rechtlichem Handeln siehe oben, S. 266 ff. Siehe oben, S. 272, und Ulrich Stelkens, Verwaltungsprivatrecht, S. 29 m. w. N. in Fn 39. 1327 János C. Morlin, NVwZ 2007, S. 1159; siehe die Übersicht bei Alexander Schink, NVwZ 2002, S. 129 (130 f.). 1328 Thomas Rautenberg, KommJur 2007, S. 1 (2). 1329 Sabine Schulte-Beckhausen/Dominik Krutisch, Rechtsfragen der Privatisierung von Energieversorgungsunternehmen, in: Danner/Theobald, Energierecht  – Kommentar (57. Ergänzungslieferung), Rn. 100. 1330 Ebd. 1331 Wolfgang Danner/Christian Theobald, Einführung in das Kommunalwirtschaftsrecht, in: Danner/Theobald, Energierecht  – Kommentar (62. Ergänzungslieferung), Rn.  59. Vgl. auch Markus Grünewald, Einführung in das Kommunalwirtschaftsrecht, in: Danner/Theobald, Energierecht – Kommentar (85. Ergänzungslieferung), Rn.23 ff. 1332 Siehe sogleich unten, S. 286 ff. 1326

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feststellbar ist. Das Tätigwerden im öffentlichen Interesse geht regelmäßig über die reine Daseinsvorsorge hinaus und kann „zahlreiche und vielgestaltige Aufgaben“1333 betreffen. Dienliches Abgrenzungsmerkmal bietet die Frage, ob es bei der intendierten Betätigung der Gesellschaft um mehr als die Erzielung von Gewinn geht.1334 Weiterhin muss die mit dem Unternehmen beabsichtigte Betätigung nach Art und Umfang wirtschaftlich in einem angemessenen Verhältnis zur Leistungsfähigkeit der Gemeinde und ihrem voraussichtlichen Bedarf stehen.1335 Diese Voraussetzung ergibt sich bereits aus der verfassungsrechtlichen Bindung und gleichzeitigen Beschränkung der Gemeinde an und auf den Bereich der Selbstverwaltung i. S. v. Art. 28 Abs. 2  GG.1336 Das dritte Kriterium der Subsidiarität ist in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich ausgestaltet.1337 Teilweise ist lediglich das Erfordernis der Leistungsparität zu finden, wonach eine im Vergleich zur privaten Konkurrenz gleich effiziente Zweckerreichungsfähigkeit vorliegen muss.1338 Andernorts gilt bei gleicher „kongruenter Leistungsfähigkeit“1339 der Grundsatz des Vorrangs der örtlichen Wirtschaft.1340 In jedem Fall darf eine Gemeinde immer dann nicht privatwirtschaftlich tätig werden, wenn ein Privater den zu erreichenden Zweck wirtschaftlich mit größerer Effizienz erreichen kann. Die Beschränkung der wirtschaftlichen Tätigkeit auf das Gemeindegebiet stellt insofern eine umstrittene Voraussetzung dar, als die verschiedenen Ausnahmen unterschiedlich umfangreich ausgelegt werden. Die Ortsgebundenheit ergibt sich grundsätzlich aus Art.  28 Abs.  2 GG, wonach das Tätigwerden einer Kommune örtlich „radiziert“1341 sein muss. Ausreichend ist hierbei nicht, dass der (örtliche) Bezug die Förderung des Wohls der Gemeinde durch das Erzielen von Gewinnen ist, da den Gemeinden rein erwerbswirtschaftliche fiskalische Tätigkeiten untersagt sind.1342 Vielmehr muss die wirtschaftliche Tätigkeit in enger Verbindung

1333

BVerwG v. 22.2.1972 (I C 24.69) Rn. 17 = BVerwGE 39, 329 (334). Thomas Rautenberg, KommJur 2007, S. 1 (2), mit weiteren Nachweisen aus Rechtsprechung und Literatur in Fn. 6. 1335 Ebd. 1336 Siehe oben, S. 269 ff. 1337 Vgl. hierzu ausführlich Martin Leder, DÖV 2008, S. 173 (175). 1338 Vgl. etwa § 68 Abs. 1 Nr. 3 MVKommVerf; § 94a Abs. 1 Nr. 3 SächsGO und § 101 Abs. 1 Nr. 3 SchlHGO. 1339 Thomas Jungkamp, NVwZ 2010, S. 546 (547). 1340 Vgl. Art. 87 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BayGO; § 116 Abs. 1 Nr. 3 SachsAnhGO; § 71 Abs. 1 Nr. 4 ThürKO; § 107 Abs. 1 NWGO; § 102 Abs. 1 Nr. 3 BadWürttGO; § 100 Abs. 3 BbgGO; § 121 Abs. 1 Nr. 3 HessGO; § 108 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 NdsGO; § 85 Abs. 1 Nr. 3 RhPfGO und § 108 Abs. 1 Nr. 3 SaarlKSVG. 1341 Alfons Gern, NJW 2002, S. 2593 (2594) mit einer ausführlichen Besprechung der The­ matik. 1342 Siehe oben, S.  269 ff., Fn.  1245 und BVerfG vom 8.7.1982 (2 BvR 1187/80) = NJW 1982, S. 2173 (2175); zweifelnd Gabriele Britz, NVwZ 2001, S. 380 (382). 1334

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zu den „Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft“ stehen. Auch die Wahl der Privatrechtsform beim Handeln entbindet die Kommune nicht von dieser Voraussetzung. Der Rechtskreiswechsel vermag sich nicht kompetenzerweiternd auszuwirken.1343 Inwiefern das Ausstrahlen kommunal-wirtschaftlichen Handelns auf ein anderes Gemeindegebiet, das Bundesgebiet oder darüber hinaus unschädlich sein kann, ist im Einzelfall umstritten.1344 Die verfassungsrechtlich erforderliche und in den Landesgesetzen normierte Schrankentrias kennt in erster Linie drei Ausnahmen. Die Voraussetzungen müssen immer dann nicht vorliegen, wenn es sich (1) um eine nichtwirtschaftliche Betätigung der Gemeinde handelt,1345 es sich bei der in Frage stehenden Tätigkeit (2) um ein Nebengeschäft zu einer bereits statthaften Haupttätigkeit handelt oder (3) sich Sonderregelungen und Übergangsfristen (insbesondere für die Subsidiarität) aus den kommunalen Landesgesetzen ergeben.1346 Die Verschränkung des verfassungsrechtlichen Auftrags mit den privat- und gesellschaftsrechtlichen Regelungen ist im Falle juristischer Personen des Privatrechts mit öffentlich-rechtlichen Anteilseignern nicht unproblematisch und mit erheblicher Unsicherheit verbunden.1347 cc) Privatrechtliche Anforderungen an eine Einrichtung mit öffentlich-rechtlichen Gesellschaftern Die Abgrenzung zwischen (teil-)staatlichen und privaten Akteuren im Privatrechtsverkehr birgt im Einzelfall Schwierigkeiten, insbesondere seitdem der Staat sein Tätigkeitsspektrum auf den wirtschaftlichen Bereich zu Erwerbs- und Versorgungszwecken ausgeweitet hat.1348 Regelmäßig abzustellen ist auf den Errichtungsakt und den mit der Errichtung verfolgten Zweck.1349 Juristische Personen des öffentlichen Rechts werden durch Hoheitsakt (Gesetz, Verordnung oder Verwaltungsakt) konstituiert, während bei juristischen Personen des Privatrechts eine (gesellschafts-)vertragliche Grundlage die Errichtung und den (Gesellschafts-)Zweck definiert.

1343

Alfons Gern, NJW 2002, S. 2593 (2598). Hierzu ausführlich ebd., S. 2593 (2597 f.). 1345 Nach Grünewald wird die Schrankentrias in der praktischen Anwendung daher nicht auf Unternehmen in den klassischen Bereichen der Daseinsvorsorge angewandt, vgl. M ­ arkus­ Grünewald, Einführung in das Kommunalwirtschaftsrecht, in: Danner/Theobald, Energierecht – Kommentar (85. Ergänzungslieferung), Rn.23. 1346 Thomas Rautenberg, KommJur 2007, S. 1 (4, 5). 1347 Eberhard Schwerdtner, KommJur 2007, S. 169 (171). 1348 Siehe oben, S. 159 ff. und Fn. 659, 660. 1349 Günter Weick, Einleitung zu §§ 21 ff., in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Buch 1: Allgemeiner Teil 2, Rn. 22. 1344

A. Die vergaberechtliche Auftraggebereigenschaft

287

Wurde eine juristische Person des Privatrechts mit öffentlich-rechtlichen Anteilseignern eingerichtet, bestimmt sich ihr Gesellschaftszweck regelmäßig nach dem im Gesellschaftsvertrag festgeschriebenen Gesellschaftsziel. Angesichts der beschriebenen Kompetenzbindung der öffentlichen Hand bei der Errichtung und Beteiligung von privatrechtlichen Einrichtungen, kann dieser Gesellschaftszweck regelmäßig nur die Wahrnehmung von zumindest auch im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben sein.1350 Juristische Personen des Privatrechts sind solche, die nach privatrechtlichen Vorschriften oder für private Zwecke, insbesondere Erwerbszwecke, errichtet sind.1351 Das Personenrecht des BGB umfasst neben den Regelungen für natürliche Personen nur Bestimmungen zu Vereinen und Stiftungen als juristische Personen. Für weitere privatrechtliche juristische Personen finden sich umfassende Normenkataloge in Spezialgesetzen, wie dem Aktiengesetz (AktG), dem Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) oder etwa dem Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften (GenG). (1) Besonderheiten bei der Wahl der Rechtsform Voraussetzung für die Errichtung oder Teilhabe an einer juristischen Person des Privatrechts ist das Vorhandensein einer „überindividuellen Organisation“1352. Das grundsätzlich im Privatrecht geltende Prinzip der Freiheit der Wahl der rechtlichen Form kann dabei für die öffentliche Hand nicht ohne weiteres gelten.1353 Zwar kann auch eine juristische Person des öffentlichen Rechts Gesellschafterin einer Personenvereinigung sein.1354 Jedoch lassen die kommunalrechtlichen Bestimmungen der Länder1355 eine Beteiligung an privaten Gesellschaften meist nur dann zu, wenn die Haftung auf ein der Leistungsfähigkeit der Gemeinde entsprechendes Maß begrenzt ist. Vor diesem Hintergrund kommen Personengesellschaften als Rechtsform für gemischt-wirtschaftliche Unternehmen grundsätzlich nicht in Frage, sondern allenfalls haftungsbeschränkte Kapitalgesellschaftsformen wie die AG, KGaA, GmbH und die Societas Europaea sowie die rechtsfähigen Stiftungen, wobei die GmbH praktisch im Vordergrund steht.1356 1350

Siehe hierzu oben, S. 269 ff. und S. 272 f. Günter Weick, Einleitung zu §§ 21 ff., in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Buch 1: Allgemeiner Teil 2, Rn. 21. 1352 Ebd., Rn. 6. 1353 Herbert Grziwotz, § 2, in: Priester/Mayer/Wicke, Münchner Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 3, Rn. 23. 1354 Frauke Möhrle, § 2 Errichtung durch Gründungsvertrag, Sonderfälle, in: Gummert/­ Weipert, Münchner Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 2, Rn. 42 f. 1355 Vgl. etwa Art. 92 Abs.1 S. 1 Nr. 3 BayGO; § 102 Nr. 2 BbgGO; § 103 Abs. 1 Nr. 4 Bad WürttGO. 1356 Herbert Grziwotz, § 2, in: Priester/Mayer/Wicke, Münchner Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 3, Rn. 25a. 1351

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Kap. 2: Grenzen des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers 

Neben der begrenzten Zulässigkeit der Gründung1357 tritt die Aktiengesellschaft auch aufgrund ihrer limitierten Steuerungsmöglichkeiten hinter die GmbH zurück. Das GmbH-Recht ist weitaus gestaltungsfreier, da es hierbei den Gesellschaftern überlassen ist, die gesellschaftsvertraglichen Rechtsverhältnisse zu regeln.1358 Ungeachtet dessen sind insbesondere der Bund, aber auch die Länder an einer Vielzahl unterschiedlicher Aktiengesellschaften beteiligt. Neben Anteilen an ehemaligen Staatsunternehmen wie der Deutschen Bahn AG erwarb der Bund als Reaktion auf die Finanzkrise u. a. Anteile der Commerzbank AG auf der Grundlage des Finanz­marktstabilisierungsgesetzes (FMStG1359). Des Weiteren ist etwa das Land Niedersachsen an der Volkswagen AG beteiligt. Der durch die staatliche Beteiligung entstehende gemischt-wirtschaftliche Charakter dieser Unternehmen führt regelmäßig zu einer unklaren Positionierung zwischen gewinnorientierter Zielsetzung und Berücksichtigung öffentlicher Zwecke und Ziele.1360 Im Gegensatz zur GmbH fehlt es oftmals an einem ausdrücklich in der Satzung der AG festgelegten Gesellschaftszweck. Als explizites, materielles Regulativ staatlicher Einflussnahme fällt er folglich in diesen Fällen weg. Dieser Umstand sowie das fehlende Weisungsrecht der Aktionäre an den Vorstand1361 erschweren es dem öffentlich-rechtlichen Teilhaber, seine Voraussetzungen für die Beteiligung an privatrechtlichen Unternehmen zu erfüllen. Ferner kann der Versuch der öffentlichen Hand, spezifische öffentliche Interessen in der Hauptversammlung durchzusetzen, aufgrund der Regelung in § 243 Abs.  2 AktG zur Anfechtbarkeit des entsprechenden Beschlusses führen  – soweit dieser dem regelmäßig ausschließlich erwerbswirtschaftlichen Gesellschaftszweck entgegensteht.1362 Damit schafft das Aktienrecht wenig Spielraum für öffentlich-rechtliche Gesellschafter und ihren verfassungsmäßigen Auftrag zur Sicherstellung der öffentlichen Zweck- und Zielrichtung der Tätigkeit der AG und der hinreichenden Fortsetzung der demokratischen Legitimation. Der BGH hat dies wie folgt begründet: „Die aktienrechtlichen Schutzvorschriften sind jedenfalls dann ein sachgerechtes und unentbehrliches Mittel zur Konfliktlösung, wenn die öffentliche Hand sich privatwirtschaftlich in einem Umfang betätigt, daß sich hieraus allein schon für private Aktionäre die Gefahr ergibt, das Interesse der Gesellschaft und damit ihr eigenes einem für sie fremden Unternehmensziel aufgeopfert zu sehen.“1363

1357

Vgl. etwa § 96 Abs. 4 BbgKVerf (Brandenburgische Kommunalverfassung, Fn. 1252). Vgl. §§ 45, 52 Abs. 1 GmbHG und Jens Kaltenborn, § 46, in: Oppenländer/Trölitzsch, Praxishandbuch der GmbH-Geschäftsführung, Rn. 2. 1359 Gesetz zur Umsetzung eines Maßnahmenpakets zur Stabilisierung des Finanzmarktes (Finanzmarktstabilisierungsgesetz – FMStG) vom 17.10.2008 (BGBl. I 2008, 1982). 1360 Willy Spannowsky, ZHR 1996, S. 560 (563). 1361 Dies gilt gar auch für „herrschende Unternehmen“ (vgl. § 311 AktG) als Aktionäre, siehe hierzu ausführlich: Heinz-Christian Knoll, § 52 Probleme im faktischen Konzern, in: Schüppen/ Schaub, Münchner Anwaltshandbuch Aktienrecht, Rn. 205 ff. 1362 Vgl. Klaus Cannivé, NZG 2009, S. 445 (449). 1363 BGH vom 13.10.1977 (II ZR 123/76) Rn. 12 = BGHZ 69, 334 (338). 1358

A. Die vergaberechtliche Auftraggebereigenschaft

289

„Dem läßt sich nicht entgegenhalten, die öffentliche Hand nehme, auch soweit sie sich privatwirtschaftlich betätige, wegen ihrer Bindung an das Allgemeinwohl eine Sonderstellung ein, die es verbiete, die eine ganz andere Konfliktsebene betreffenden Konzernvorschriften auf sie anzuwenden (so namentlich Wiedemann/Martens, AG 1976, 232ff; Würdinger, DB 1976, 613, 615; Luchterhandt aaO S 168ff; dagegen Emmerich, AG 1976, 225ff u Das Wirtschaftsrecht der öffentlichen Unternehmen, 1969, S 227; Biedenkopf/Koppensteiner, Kölner Komm z AktG, § 15 Anm 17).“1364

Diese rechtlichen Rahmenbedingungen erklären in hinreichender Weise den Umstand, dass lediglich ca. 4,9 % der öffentlichen Unternehmen als Aktiengesellschaft konstituiert sind bzw. durch die Beteiligung an solchen ausgeübt werden.1365 (2) Sicherung der öffentlich-rechtlichen Voraussetzungen mit den Mitteln des Gesellschaftsrechts Die regelmäßig gewählte Rechtsform der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) ist geradezu prädestiniert, der gebotenen kommunal- und haushaltsrechtlichen Pflicht zur Einwirkung und Kontrolle gegenüber dem Geschäftsführer ausreichend Rechnung zu tragen.1366 Denn es bedarf einer Rechtsform, die den verfassungsrechtlichen Auftrag der Fortsetzung der öffentlich-rechtlichen Bindung der Verwaltung auch bei Handeln in Privatrechtsform sicherzustellen vermag. Wie beschrieben,1367 gründet die öffentlich-rechtliche Schrankentrias zur Errichtung und Beteiligung auf den Verfassungsgrundsätzen des Art.  20 Abs.  1 und 2 GG: dem Rechtsstaats-, Sozialstaats- und Demokratieprinzip. Insbesondere das Demokratieprinzip zwingt die öffentliche Hand zur Wahl einer Rechtsform, die eine ununterbrochene Fortführung der demokratischen Legitimationskette vom Volk zu den handelnden (staatlichen) Organen sicherstellt.1368 Die sich hieraus ergebende Einwirkungs- und Kontrollpflicht der Verwaltung, die sog. Ingerenzpflicht, ist Ausdruck der öffentlich-rechtlichen Aufgabenverantwortung und gleichzeitig die Besonderheit der gesellschaftsrechtlichen Beziehung zwischen dem Geschäftsführer und den anderen Organen zu dem öffentlich-rechtlichen Gesellschafter.1369

1364

Ebd. Erhebungen aus dem Jahr 2003 ergaben, dass 73,4 % der kommunalen Unternehmen als GmbH organisiert waren, Eigenbetriebe zählten nur 9,2 % und Aktiengesellschaften 4,9 %. Vgl. zu diesen Zahlen und ihrer Quelle Rainer Pitschas/Katrin Schoppa, DÖV 2009, S. 469 m. w. N. in Fn. 1. 1366 Holger Fleischer, § 1 GmbHG, in: Fleischer/Goette, Münchner Kommentar zum GmbHG, Bd. 1, Rn. 23. 1367 Siehe oben, S. 280 ff. 1368 Vgl. BVerfG vom 24.05.1995 (2 BvF 1/92) Rn. 135 ff. = BVerfGE 93, 37 (66). 1369 Vgl. hierzu Jens Kaltenborn, § 47, in: Oppenländer/Trölitzsch, Praxishandbuch der GmbHGeschäftsführung, Rn. 3. 1365

290

Kap. 2: Grenzen des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers 

Die Wahrung dieser Ingerenzpflicht erfolgt auf drei Wegen: (1) der Einflussnahme nach den gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen, (2)  über gesellschaftsvertraglich festgelegte Einwirkungs- und Kontrollmöglichkeiten und (3) über Beherrschungsverträge als besonderes Steuerungsmittel. Gem. § 37 Abs. 1 GmbHG ist der GmbH-Geschäftsführer grundsätzlich an die Weisung der Gesellschafter gebunden, soweit gesellschaftsvertraglich nichts anderes geregelt ist. Besteht die Gesellschaft aus mehreren Gesellschaftern erfolgt die Anweisung über eine Weisung der Gesellschafterversammlung in Gestalt eines Beschlusses. Ist die öffentliche Hand Einzelgesellschafter kann die Weisung an den Geschäftsführer jederzeit formlos erfolgen.1370 Dabei muss sich der Gehalt der Weisung an den allgemeinen Gesetzen, dem Gesellschaftsvertrag und dem Gesellschaftszweck orientieren. Ob ein „eigenständiger Autonomiebereich“ oder „unentziehbarer Mindestbereich“ des Geschäftsführers bestehen bleiben muss, ist umstritten.1371 Zur Umsetzung der Kompetenzbindung für das in Privatrechtsform stattfindende Handeln der Verwaltung ist es erforderlich, dass der Gesellschaftszweck in der Verfolgung eines (auch) öffentlichen Zwecks liegt.1372 Der Zweck einer GmbH wird durch den Gesellschaftsvertrag festgelegt. Er bindet die Gesellschaftsorgane und -mitglieder und ist die „verbindliche Richtschnur“1373 bei der Ausführung der Organfunktionen, insbesondere der Tätigkeit des Geschäftsführers. Weisungen der Gesellschafter(-versammlung) müssen dem Zweck entsprechen.1374 Nach § 46 Nr. 5 GmbHG liegt das Recht zur Bestellung des Geschäftsführers grundsätzlich bei den Gesellschaftern, also der Gesellschafterversammlung. Da von diesem Grundsatz jedoch gem. § 45 Abs.  2 GmbHG durch entsprechende Abbedingung im Gesellschaftervertrag abgewichen werden kann, ist es möglich bei mehreren Gesellschaftern oder einer Minderheitsbeteiligung der öffentlichen Hand ein Sonderrecht zur Bestellung und jederzeitigen Abberufung des Geschäftsführers einzuräumen.1375 Mit diesem Gestaltungsmittel kann der Einfluss der öffentlichen Hand gesichert und dem verfassungsrechtlichen Erfordernis der demokratischen Legitimation entsprochen werden. 1370

Vgl. ebd., Rn. 13. Die h. M. lehnt dies ab, vgl. Klaus-Dieter Stephan/Johannes Tieves, § 37 GmbHG, in: Fleischer/Goette, Münchner Kommentar zum GmbHG, Bd. 2, Rn. 68 m. w. N. in Fn. 149. Vgl. auch Frank Engellandt, Die Einflussnahme der Kommunen auf ihre Kapitalgesellschaften, S. 64 ff. 1372 Dies ist auch in den Haushaltsordnungen des Bundes, der Länder und in den Gemeindeordnungen festgelegt, vgl. etwa § 65 Abs. 1 Nr. 1 BHO, § 65 Abs. 1 Nr. 1 BayHO, oder § 87 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BayGO. Vgl. hierzu auch Ulrich Hösch, GewArch 2000, S. 1. 1373 Jens Kaltenborn, § 48, in: Oppenländer/Trölitzsch, Praxishandbuch der GmbH-Geschäftsführung, Rn. 4. 1374 Vgl. § 47 Abs. 1 GmbHG: „in den Angelegenheiten der Gesellschaft“. 1375 Jens Kaltenborn, § 47, in: Oppenländer/Trölitzsch, Praxishandbuch der GmbH-Geschäftsführung, Rn. 22. 1371

A. Die vergaberechtliche Auftraggebereigenschaft

291

Neben den genannten Möglichkeiten zur Absicherung der Bindung einer GmbH und ihrer Organe an die dem öffentlich-rechtlichen Gesellschafter auferlegten Pflichten bietet sich der Beherrschungsvertrag als besonderes Steuerungsmittel an. Dieses eigentlich mehr im Aktienrecht benötigte Rechtsinstrument1376 findet im Gesellschaftsrecht Verwendung, indem der Mehrheitsgesellschafter als beherrschendes Unternehmen befugt wird, dem Geschäftsführer unmittelbar Weisungen zu erteilen.1377 Damit entfällt das Erfordernis der Befassung der Gesellschafterversammlung. Das Gesellschaftsrecht steht aufgrund fehlender Einschränkung einem Beherrschungsvertrag dieser Art nicht entgegen. dd) Zwischenergebnis Gemischt-wirtschaftliche Unternehmen, deren Anteile sich zumindest auch in öffentlicher Hand befinden, haben zweifellos eine Sonderstellung gegenüber herkömmlichen, rein privatrechtlichen Unternehmen inne. Während die öffentliche Hand als Gesellschafterin zumindest auch die Erfüllung eines öffentlichen Zwecks verfolgen muss, steht für einen privaten Gesellschafter regelmäßig das Gewinnerzielungsinteresse im Vordergrund. Diese Zielrichtungen sind oftmals nicht deckungsgleich. Zwangsläufig kommt es zu einer Kollision der Einwirkungs- und Kontrollpflichten der öffentlichen Hand mit den Regelungen des Privatrechts, da das auf die individuelle Handlungsfreiheit ausgerichtete Privat- und Gesellschaftsrecht anderen Ordnungsprinzipien folgt als das am Gemeinwohl orientierte öffentliche Recht.1378 Die herrschende Meinung1379 geht bei einem Konflikt dieser zwei Rechtskreise von einem Vorrang des Gesellschaftsrechts vor dem öffentlichen Recht aus. Greift die öffentliche Hand zu gesellschaftsrechtlichen Rechtsformen, unterwirft sie sich dem Imperativ des Gesellschaftsrechts. Zu begründen ist dies in jedem Fall für kommunale Unternehmen mit dem Grundsatz des Art. 31 GG, wonach Bundesrecht Landesrecht bricht. Die als Landes- bzw. Kommunalrecht ausgestalteten – verfassungsrechtlich bedingten – Vorgaben an die Verwaltung zur Wahrung ihrer öffentlich-rechtlichen Handlungsgrundsätze werden durch das bundesrechtlich kodifizierte Gesellschafts- und Aktienrecht gebrochen. 1376

Gem. § 37 Abs. 1 GmbHG ist die Weisung durch Beschluss der Gesellschafterversammlung bereits statthaft, im Gegensatz zum Aktienrecht, das nach § 76 Abs. 1 AktG eine Weisung der Gesellschafter an den Vorstand nicht vorsieht. Vgl. auch Nikolaos Paschos, § 291 AktG, in: Henssler/Strohn, Beck’scher Kurzkommentar – Gesellschaftsrecht, Rn. 8 ff. 1377 Hartmut Wicke, Anhang § 13 – Praxiswichtige Fragen des GmbH-Konzernrechts, in: Wicke, GmbHG – Kommentar, Rn. 5. 1378 Kurt Kiethe, NZG 2006, S. 45 (47), mit Verweis auf Rainer Schmidt, ZGR 1996, S. 345 (350). 1379 Vgl. Kurt Kiethe, NZG 2006, S. 45 (47) m. w. N. in Fn. 27.

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Kap. 2: Grenzen des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers 

Der alternative Ansatz, wonach das materielle öffentliche Recht die privatrechtlichen Handlungsformen überlagern soll, findet keine Überzeugung. Das zivilrechtliche Gesellschaftsrecht verneint eine solche Überlagerung, soweit sie nicht ausdrücklich in Sondergesetzen angeordnet ist.1380 Die Wahl des Vorrangs des Gesellschaftsrechts gewährleistet die Abwehr von Beeinträchtigungen privater Gesellschafter1381 und Aktionäre sowie den Privatrechtsverkehr insgesamt. Für den Rechtsverkehr spielt es grundsätzlich keine Rolle, ob hinter einer Gesellschaft der Staat oder eine oder mehrere Privatpersonen stehen. Diese Lösung vereitelt auch nicht die Realisierung der öffentlich-rechtlichen Pflichten hoheitlicher Anteilseigner. Der Staat ist lediglich darauf verwiesen, sich bei der Ausübung seines Einflusses auf die vom Gesellschaftsrecht zur Verfügung gestellten Instrumentarien zu beschränken.1382 Insbesondere kann durch eine präzise Ausgestaltung der Gesellschaftssatzung und des darin festgelegten Gesellschaftszwecks, durch das Recht zur Berufung und Abbestellung der Geschäftsführung und durch Beherrschungsverträge den Bindun­ gen der öffentlichen Gesellschafter an das öffentliche Recht entsprochen werden.1383 4. Grundrechtsbindung des Staates bei privatwirtschaftlichen Beschaffungsmaßnahmen Nach wie vor ist es schwierig festzustellen, ob sich mittlerweile eine Lehre durchgesetzt hat, die die Grundrechtsbindung des privatwirtschaftlich handelnden Staates bestimmt.1384 Während in Teilen der Literatur eine herrschende Meinung bzw. mindestens eine herrschende Lehre festgestellt worden sein mag,1385 heißt es von anderer Seite: „Geklärt und anerkannt ist bis heute nichts“1386. 1380 Ferdinand Kirchhof, Art. 83 GG, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz – Kommentar (54. Ergänzungslieferung), Rn. 104. 1381 Uwe Hüffer, Beck’scher Kurzkommentar zum Aktiengesetz, § 394 Rn. 2a. 1382 Vgl. Martin Eifert, VerwArch 2002, S. 561 (578). 1383 In einem Punkt bleibt der Konflikt jedoch noch ungelöst: Nach wie vor stößt sich die aktien- und gesellschaftsrechtliche Verschwiegenheitspflicht an dem „das Kommunalrecht prägende Öffentlichkeits- und Transparenzprinzip“. Aber auch hier gibt es Ansätze zur Überwindung dieser konträren Anforderungen, vgl. Kurt Kiethe, NZG 2006, S. 45 (49), insbesondere im Hinblick auf die Heranziehung der Öffnungsklausel des § 52 Abs. 1 GmbHG. 1384 Siehe zu den Anfängen des Diskurses in den 1950er Jahren, oben S. 84 ff. 1385 Hermes meinte bereits 1997, im Schrifttum würde die Geltung der Grundrechte auch für „fiskalische Hilfsgeschäfte“ der Verwaltung wohl mehrheitlich bejaht, Georg Hermes, JZ 1997, S. 909 (912) mit umfassenden Nachweisen in Fn. 40. 1386 Michael Ronellenfitsch, § 98 GWB: Wirtschaftliche Betätigung des Staates, in: Isensee/ Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd.  IV, Rn.  46; so auch Triantafyllou 1994, der die Frage nach der Geltung der Grundrechte für die privatrechtlich handelnde Verwaltung für ein nach wie vor „umstrittenes Thema“ hielt (vgl. Dimitris Triantafyllou, NVwZ 1994, S.  943 (944)). Hingegen sah bereits 1978 Wallerath den Meinungsstreit kontroverser dargestellt, als es der Wirklichkeit entsprach. Angesichts der „allseitigen Anerkennung einer zumindest mit-

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Hesse ist der Überzeugung, der vom Grundgesetz konstituierte Staat habe nirgends wie ein Privater das „Recht zur Beliebigkeit“.1387 Pietzcker stellte 1978 fest, dass einiges für die Auffassung spricht, „daß der Staat immer, wenn er sich legitimerweise einer Aufgabe widmet, damit auch eine öffentliche Aufgabe erfüllt“ und somit immer eine Grundrechtsbindung anzunehmen ist.1388 Denn die Herausnahme der fiskalisch handelnden Verwaltung aus dem Anwendungsbereich der Grundrechte ist mit der Grundrechtsbindung aller staatlicher Gewalt im Sinne der „Vollziehenden Gewalt“ nach Art. 1 Abs. 3 GG nicht zu vereinbaren. Das Grundgesetz kennt keine grundrechtsfreien Räume staatlicher Betätigung.1389 Gestützt wird dies unter anderem auch auf die Änderung des Wortlauts des Art. 1 Abs. 3 GG,1390 welcher den Begriff der „Verwaltung“ durch den weiteren Begriff der „vollziehenden Gewalt“ ersetzte. Nach anderer Auffassung spricht jedoch gerade dies gegen eine umfassende Grundrechtsbindung allen staatlichen Handelns, da die Entstehungsgeschichte – die Absicht, auch die Einbeziehung der Streitkräfte klarzustellen – und der Wortlaut (Staats-„Gewalt“) dem entgegenstünden.1391 Aber auch der Umstand, dass sich bei fiskalischen Hilfsgeschäften der Verwaltung die vom Eingriff geprägte „grundrechtstypische Gefährdungsgrundlage“ reduziert, wird von der h.M.nicht als Argument gegen eine umfassende Grundrechtsbindung gesehen.1392 Treffend und als Konsens zu unterstellen ist die Formulierung Kirchhofs: „Greift die öffentliche Hand zum Verwaltungsprivatrecht, begibt sie sich damit auf eine Ebene, in der rechtliche Bindungen grundsätzlich nur unter Gleichen mit den Mitteln des Vertrags möglich sind, und verliert dadurch ihre Hoheitsbefugnis zu einseitigen Anordnungen. Dafür gewinnt sie außerhalb der fortbestehenden öffentlich-rechtlichen Bindungen für die materielle Aufgabenerfüllung in Seitenbereichen gegenüber dem einfachgesetzlichen, öffentlichen Recht an Handlungsfreiheit, ohne dass verfassungsrechtliche Bindungen entfielen. So entfallen z. B. haushaltsrechtliche Bindungen oder die Vorgaben des öffentlichen Dienstrechts.“1393

Die Grundrechtsbindung aber eben nicht. telbaren Drittwirkung der Grundrechte im Privatrechtsverkehr“ gehe es nicht um die Frage des „Entweder-Oder“, sondern in welcher Form und in welchem Umfang die Bindung wirkt (vgl.­ Maximilian Wallerath, Öffentliche Bedarfsdeckung, S. 304). 1387 Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts (20. Aufl.), Rn. 348 mit Verweis auf Herbert Krüger, Wortmeldung bei der Aussprache, VVDStRL 19 (de Gruyter 1961) S. 261. 1388 Jost Pietzcker, Der Staatsauftrag als Instrument des Verwaltungshandelns, S. 366 f. 1389 Georg Hermes, JZ 1997, S. 909 (912). 1390 Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 19.3.1956 (BGBl. I 1956, 111 ff.). 1391 Vgl. hierzu das Argument von Ernst Forsthoff (siehe Fn.  222) aufgreifend: Michael Ronellenfitsch, § 98 GWB: Wirtschaftliche Betätigung des Staates, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, Rn. 47 m. w. N. in Fn. 223 und 224. 1392 Vgl. Matthias Herdegen, Art.  1 Abs.  3, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz  – Kommentar (44. Ergänzungslieferung), Rn. 95. 1393 Ferdinand Kirchhof, Art. 83 GG, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz – Kommentar (54. Ergänzungslieferung), Rn. 83.

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Kap. 2: Grenzen des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers 

Die Bedeutung der Grundrechtsbindung für die einzelnen Rechtsbeziehungen zwischen dem privatwirtschaftlich tätig werdenden Staat und dem privaten Unternehmer ist begrenzt. Angesichts der dem Zivilrecht innewohnenden Privatsautonomie, die sich durch die Freiwilligkeit der Wahl der einzugehenden Rechtsbeziehungen kennzeichnet, fehlt es oftmals an einem Grundrechtseingriff in Freiheitsrechte. Zudem ist auch das einfachgesetzliche Recht Ausdruck der Verfassungsprinzipien des Grundgesetzes und damit der Grundrechte, sodass die Rechtsinstitute des Zivilrechts bereits zu einer grundrechtskonformen Rechtsbeziehung zwischen den Subjekten beitragen. Für den Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe insgesamt kommen überhaupt nur wenige Grundrechte als relevant in Betracht. Dies gilt für den Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG sowie Art. 19 Abs. 4 GG, wobei dieser nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinter dem allgemeinen Justizgewährungsanspruch nach Art.  20 Abs.  3 i. V. m. Art.  2 Abs.  1 GG zurücktreten soll.1394 Jenseits dieser Rechte kommt noch die Anwendung von Art. 4 Abs. 1 GG und Art.  3 Abs.  3 GG etwa bei der Verfolgung vergabefremder Ziele durch sogenannte Scientology-Schutzklauseln1395 oder von Art.  12 Abs.  1 GG auf Tariftreueregelungen in Betracht.1396 Ein unmittelbarer Rückgriff auf die Grundrechte scheidet dort aus, wo einfachgesetzliche Regelungen das Verfassungsrecht ausgestalten. Vor der Novellierung des GWB 1998 bestand in Deutschland noch keine dem heutigen § 97 Abs. 2 GWB n. F. vergleichbare, Art. 3 GG implementierende einfachgesetzliche Regelung im Vergaberecht. Erst mit der europarechtlich bedingten Neugestaltung des Vergaberechts wurde dem Imperativ des Art. 3 GG zumindest aus einfachgesetzlicher Perspektive entsprochen. Gleichermaßen wurde mit der Einführung des zweistufigen Vergabenachprüfungsverfahrens wesentliche, verfassungsrechtlich gebotene Rechtsschutzvoraussetzungen erfüllt. Vornehmlich für den Bereich der Auftragsvergabe im Unterschwellenbereich bleibt neben Art.  3 GG, in dessen Licht die einfachgesetzlichen Vergaberegeln stets zu lesen und auszulegen sind, Art. 19 Abs. 4 GG von Relevanz. Nach der Auffassung weiter Teile der Lehre1397 soll dieser der Maßstab für die Ausgestaltung des vergaberechtlichen Rechtsschutzes sein. Nach der jüngsten Rechtsprechung des BVerfG sei dem mit der Möglichkeit sekundärrechtlicher (Schadensersatz-)An-

1394

Siehe oben S. 180 ff. und Fn. 764, 765. Vgl. etwa die von der Wirtschaftsministerkonferenz am 1.2.2001 den Ländern empfohlene und vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie mit Rundschreiben vom 26.7.2001 bekannt gemachte und im Bundesanzeiger Nr. 155, S. 18174 veröffentlichte Schutzklausel. 1396 Vgl. hierzu Meinrad Dreher, Vor §§ 97 ff. GWB, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 2: GWB, Rn. 125. 1397 Ebd., Rn. 113 f.; Matthias Knauff, NVwZ 2007, S. 546 (548). 1395

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sprüche und der Feststellungsklage hinreichend Rechnung getragen. Nach anderer Auffassung kann ein „aus prozessrechtlichen Gründen“1398 in der Praxis nur selten erfolgreicher Sekundärrechtsschutz Mängel der Effektivität des Primärrechtsschutzes kompensieren, die aus der fehlenden gerichtlichen Nachprüfbarkeit von Vergabeentscheidungen entstehen.1399 Nicht ganz unproblematisch ist die Bestimmung der Grundrechtsbindung von juristischen Personen des Privatrechts, die zur Wahrnehmung der öffentlichen Aufgabenerfüllung eingerichtet wurden und deren Anteilseigner zumindest auch der Staat ist (gemischt-wirtschaftliche Unternehmen). Nach h. M. sind diese privatrechtlichen Einrichtungen jedenfalls dann Grundrechtsadressaten, wenn sie im Alleineigentum des Staates stehen.1400 Bei Beteiligung privater Gesellschafter reicht es jedoch für eine Grundrechtsbindung nicht aus, dass die Einrichtung insgesamt unter staatlicher Kontrolle steht.1401 5. Zwischenergebnis Neben der klassischen Handlungsform des Staates durch hoheitliche Akte nach dem öffentlichen Recht ist der öffentlichen Hand die Möglichkeit gegeben, am Privatrechtsverkehr teilzunehmen – als juristische Person des öffentlichen Rechts oder aber auch durch Errichtung oder Beteiligung an einer juristischen Person des Privatrechts. Diese Teilnahme ist durch das Verfassungs- und Verwaltungsrecht in engen rechtlichen Bahnen gehalten. Das privatrechtliche Handeln des Staates ist kompetenzgebunden, muss der Verfolgung (auch) öffentlicher Interessen dienen und erfordert eine ununterbrochene Gewährleistung des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips, der Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und des Gleichbehandlungsgebots. Als „Flucht ins Privatrecht“1402 umschrieben, ist die Möglichkeit des Staates begrenzt, sich diesen Vorgaben zu entziehen. Der lange Arm des Grundgesetzes erfasst 1398 Matthias Knauff, NVwZ 2007, S. 546 (549) mit Verweis auf Christian Braun, SächsVBl. 2006, S. 249. 1399 Wilfried Erbguth, VVDStRL 61, S. 221 (239): „Überdies verharrt der sekundäre Rechtsschutz im Gefolge des Scheiterns der Staatshaftungsreform weiterhin in seinen historisch wie richterrechtlich bedingten Anachronismen, strukturellen Schwächen und Widerläufigkeiten, erweist sich mithin nicht nur als defizitär, sondern auch gegenüber einer effektuierenden systematischen Durchdringung in weiten Bereichen als resistent.“ 1400 Matthias Herdegen, Art. 1 Abs. 3, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz – Kommentar (45. Ergänzungslieferung), Rn. 96 mit umfassenden Nachweisen in Fn. 9. 1401 Wolfgang Rüfner, § 117: Grundrechtsadressaten, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. IX, Rn. 79 (insb. 82). 1402 Vgl. etwa Meinrad Dreher, § 98 GWB, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 2: GWB, Rn. 6.

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Kap. 2: Grenzen des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers 

den Staat auch dann, wenn er sich hinter der Fassade einer privaten Gesellschaft „verbirgt“ und bindet ihn an eine verfassungskonforme und grundrechtsgemäße Handlungsausübung. Der Rechtskreiswechsel führt zu keiner Erweiterung der Kompetenzen.1403 Bei der Umsetzung der verfassungsrechtlichen Vorgaben entstehen praktische Schwierigkeiten. Während herkömmliches Ziel privatwirtschaftlichen Handelns die Erzielung von Gewinnen ist, bleibt der Staat an die beschriebenen Kompetenzgrundsätze gebunden. Sind sowohl Privatrechtssubjekte als auch staatliche Einrichtungen an einer Gesellschaft beteiligt, führt dies regelmäßig zu einem Interessenwiderstreit, da die Gewinnerzielungsabsicht nur Sekundärziel für die staatliche Seite sein darf. Diese Interessenkollision wird nach der herrschenden Meinung mit den Mitteln des Privatrechts bzw. des Gesellschafts- und Aktienrechts geregelt. Die gegebenen rechtlichen Gestaltungsmittel sind zu nutzen, damit der Gesellschaftszweck und das Handeln der Gesellschaftsorgane den öffentlichrechtlichen Vorgaben entsprechen. Mittels Gesellschaftsvertrag, Einsetzungs- und Abberufungsrechten, privilegierter Weisungsrechte und Beherrschungsverträgen kann der Staat so seinen öffentlich-rechtlichen Pflichten gerecht werden. Das klassische Unter- und Überordnungsverhältnis1404 in der Beziehung zwischen Bürger und Staat wird mit dem Eintreten der öffentlichen Hand in den Privatrechtsverkehr formal aufgehoben, da sich im Zivilrecht die Subjekte gleichrangig gegenüber stehen.1405 Rein faktisch kommt es jedoch zur bedingten Fort­ setzung der Sonderrechtsbeziehung, da sich der Staat nicht vollumfänglich von seiner Rolle aus der übergeordneten Rechtsstellung lösen kann. Diese Diskrepanz bzw. die Sorge vor marktbeeinflussenden und -verändernden Folgen aus diesem Ebenenwechsel des Staates erfordert eine entsprechende Kontrolle und Beschränkung staatlicher Teilnahme am Privatrechtsverkehr.1406 Unter diesen Aspekt fällt auch die Erstreckung des vergaberechtlichen Anwendungsbereichs auf jene privaten Einrichtungen, die das europäische Vergaberecht als „Einrichtungen des öffentlichen Rechts“1407 umschreibt. Da die kompetenzrechtlichen Vorgaben gerade die konkrete Einflussnahme des Staates auf diese Einrichtungen erfordern, entsteht durch diese Einflussmechanismen jene Gefahr für das Funktionieren des Binnenmarktes, die das Vergaberecht zu verhindern sucht. Der vergaberechtliche Anwendungsbereich mit seinem Tatbestandsmerkmal der „Einrichtung des öffentlichen Rechts“ hat dabei jene Parameter im Blick, die

1403

Alfons Gern, NJW 2002, S. 2593 (2598). Siehe oben, S. 263 ff. 1405 BGH vom 6.6.1967 (VI ZR 214/65) = NJW 1967, S. 1911. 1406 Wenngleich es auch Auffassungen gibt, die eine Vereinfachung des Verwaltungsorganisationsrechts fordern, so z. B. Manfred Miller, LKV 1998, S. 422 ff. 1407 Siehe sogleich umfassend, S. 298 ff. 1404

A. Die vergaberechtliche Auftraggebereigenschaft

297

das deutsche Verfassungs- und Verwaltungsrecht als unabdingbare Zulässigkeits­ voraussetzungen privatwirtschaftlichen Handelns festschreibt. Er stellt auf die Aufgabenwahrnehmung im „Allgemeininteresse liegender Aufgaben nichtgewerblicher Art“ ab und zieht das Maß der staatlichen Einflussnahme über Finanzierung und Gesellschafts- und Organstrukturen als Merkmal der Staatsähnlichkeit heran. Auch wenn der Anwendungsbereich des deutschen Vergaberechts europarechtlich determiniert und damit autonom europarechtskonform auszulegen ist, besteht damit in gewissem Maße Deckungsgleichheit zwischen den Merkmalen zulässiger privatwirtschaftlicher Tätigkeit des Staates und den Tatbestandsmerkmalen des vergaberechtlichen Anwendungsbereichs.

II. Gemischt-wirtschaftliche Unternehmen als Öffentliche Auftraggeber Der Begriff des „öffentlichen Auftraggebers“, anhand dem im vergaberechtlichen Anwendungsbereich die Trennlinie zwischen funktional-staatlichen und privaten Einrichtungen gezogen werden soll, ist ungeachtet aller Reform- und Konsolidierungsmaßnamen Gegenstand ungelöster Auslegungsfragen.1408 Die weit gefasste Definition des Öffentlichen Auftraggebers in Art.  6 Abs.  1 i. V. m. Abs.  4 Konzessionsvergabe-RL 2014/23/EU, Art.  2 Abs.  1 Nr.  1 i. V. m. Nr. 4 Vergabe-RL 2014/24/EU und Art. 3 Nr. 1 i. V. m. Nr. 4 i. V. m. Art. 4 Sektoren-RL 2014/25/EU und auch in den §§ 98 ff. GWB n. F. als den dazu korrespondierenden Umsetzungsnormen im deutschen Kartellvergaberecht ist in der Praxis mit Rechtsunsicherheiten behaftet.1409 Es fehlt den Rechtsschutz begehrenden Bietern oftmals nicht nur die Möglichkeit festzustellen, ob die am Markt auftretende Stelle als öffentlich oder nicht-öffentlich zu klassifizieren ist. Auch ist für die betroffenen Einrichtungen eine abschließende vergaberechtliche Einordnung ihrer eigenen Eigenschaft teilweise schwierig bis unmöglich.

1408

Siehe hierzu ausführlich oben, S. 228 ff. Zu dem Problem der Uneinheitlichkeit als Resultat der Anwendung eines funktionalen Ansatzes bei der Prüfung von Privatisierungsvorgängen, vgl. Rainer Regler, Das Vergaberecht zwischen öffentlichem und privatem Recht, S. 102. 1409

298

Kap. 2: Grenzen des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers 

1. Die auslegungsbedürftige Fallgruppe der „Einrichtung des öffentlichen Rechts“ „Jeder Begriff muss als notwendig erwiesen sein, d. h. wirklich etwas bezeichnen, was mit den bisher gebräuchlichen nicht bezeichnet werden kann, sonst ist er wissenschaftlich unzulässig.“1410

Vom Umfang des persönlichen Anwendungsbereichs sind nach den Richtlinien als öffentliche Auftraggeber folgende Fallgruppen erfasst: der „Staat, die Gebietskörperschaften, die Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder die Verbände, die aus einer oder mehreren dieser Körperschaften oder Einrichtungen des öffentlichen Rechts bestehen“1411. Ziel der Aufnahme der „Einrichtungen des öffentlichen Rechts“ in den persönlichen Anwendungsbereich des Vergaberechts war die Herstellung einer funktionalen Äquivalenz mit den staatlichen Einrichtungen, denen sie aus vergaberechtlicher Perspektive rein faktisch entsprechen.1412 „Im Hinblick auf eine ausgewogene Anwendung der Richtlinie scheint es unerläßlich, den Begriff der ‚juristischen Person öffentlichen Rechts‘ durch den Begriff der ‚Einrichtung des öffentlichen Rechts‘ zu ersetzen und ihn durch eine Reihe kumulativer Kriterien zu definieren, die der Rechtsprechung des Gerichtshofs im Bereich des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs, dem abgeleiteten Gemeinschaftsrecht und den in einigen Mitgliedstaaten geltenden Begriffsbestimmungen entnommen wird.“1413

Anlass der Aufnahme dieser Gruppe war und ist die Sicherung der praktischen Wirksamkeit des Vergaberechts.1414 Diese Ausrichtung des Anwendungsbereichs an der Verwirklichung der praktischen Wirksamkeit des Vergaberechts bedingt wiederum den funktionalen Ansatz des EuGH bei der Auslegung des öffentlichen Auftraggeberbegriffs.1415

1410

Martin Hochhuth, Relativitätstheorie des Öffentlichen Rechts, S. 76 Vgl. hierzu den Wortlaut des Art.  6 Abs.  1 i. V. m. Abs.  4 Konzessionsvergabe-RL 2014/23/EU, Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. Nr. 4 Vergabe-RL 2014/24/EU und Art. 3 Nr. 1 i. V. m. Nr. 4 i. V. m. Art. 4 Sektoren-RL 2014/25/EU. 1412 Siehe zum Wandel vom formell-rechtlichen Auftraggeberbegriff zum funktionalen Ansatz oben, S. 247 ff. sowie Hermann Pünder, § 98 Auftraggeber, in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht – Handkommentar, Rn. 12, 22. 1413 Europäische Kommission, Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 71/305/EWG über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, KOM (88) 354 endg., Erläuterung zu Art. 2, S. 5; siehe auch ausführlich oben, S. 112 ff. 1414 Vgl. Rainer Regler, Das Vergaberecht zwischen öffentlichem und privatem Recht, S.  101; siehe zum Prinzip der praktischen Wirksamkeit („effet utile“) ausführlich oben, S. 203 ff. 1415 Siehe zum funktionalen Auftraggeberbegriff, oben S. 245 ff. 1411

A. Die vergaberechtliche Auftraggebereigenschaft

299

Während die Begrifflichkeiten „Staat“, „Gebietskörperschaften“ und „Verband“ in der Praxis in der Regel erfolgreich auf einen Sachverhalt angewandt werden können, ist der Begriff der „Einrichtung des öffentlichen Rechts“ in seinen weiteren Konkretisierungen sehr unbestimmt. Es entsteht das Problem, „dass gerade an den unscharfen Rändern des Staatsbereiches konkrete Vorgaben fehlen und Einzelfallentscheidungen zum Auftraggeberbegriff die Regel selbst werden.“1416 Hinzu kommt, dass sich in § 99 Nr.  2 GWB n. F.1417 als der deutschen Umsetzungsnorm keine wortlautunmittelbare Übernahme des Richtlinientatbestands findet, sondern es anstelle der Begrifflichkeit der „Einrichtung des öffentlichen Rechts“ heißt: „2. andere juristische Personen des öffentlichen und des privaten Rechts, die zu dem besonderen Zweck gegründet wurden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen, sofern a) sie überwiegend von Stellen nach Nummer 1 oder 3 einzeln oder gemeinsam durch Beteiligung oder auf sonstige Weise finanziert werden, b) ihre Leitung der Aufsicht durch Stellen nach Nummer 1 oder 3 unterliegt oder c) mehr als die Hälfte der Mitglieder eines ihrer zur Geschäftsführung oder zur Aufsicht berufenen Organe durch Stellen nach Nummer 1 oder 3 bestimmt worden sind; dasselbe gilt, wenn diese juristische Person einer anderen juristischen Person des öffent­ lichen oder privaten Rechts einzeln oder gemeinsam mit anderen die überwiegende Finanzierung gewährt, über deren Leitung die Aufsicht ausübt oder die Mehrheit der Mitglieder eines zur Geschäftsführung oder Aufsicht berufenen Organs bestimmt hat.“

Nach dem in § 99 Nr. 2 GWB n. F. festgeschriebenen Richtlinienäquivalent handelt es sich damit um einen öffentlichen Auftraggeber, (1) wenn dieser Rechtspersönlichkeit gleich in welcher (gesellschafts-)rechtlichen Form1418 besitzt, (2) wenn dieser überwiegend vom Staat, von Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts finanziert wird oder organschaftlich ihrer Leitung unterliegt bzw. ihre Leitung von diesen bestimmt wird, und schließlich (3) wenn sie zu dem besonderen Zweck gegründet wurde, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen1419.

1416

Michael J. Werner, § 98 GWB, in: Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, Rn. 26. Siehe auch § 100 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 99 Nr. 2 GWB (Sektorenauftraggeber) bzw. § 101 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 99 Nr. 2 GWB (Konzessionsgeber). 1418 Siehe hierzu ausführlich unten, S. 304 ff. 1419 Vgl. Wortlaut des Art.  1 Abs.  9 UAbs. 2 Vergabekoordinierungs-RL 2004/18/EG und Art. 2 Abs. 1 lit. a) Sektorenkoordinierungs-RL 2004/17/EG. 1417

300

Kap. 2: Grenzen des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers 

(4) Hinzu kommt, dass diese Voraussetzungen kumulativ vorliegen müssen, d. h. „dass eine Einrichtung nur dann als eine Einrichtung des öffentlichen Rechts im Sinne dieser Bestimmung eingestuft werden kann, wenn sie alle drei dort genannten Tatbestandsmerkmale aufweist, nämlich ihre Gründung zu dem besonderen Zweck, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen, Rechtspersönlichkeit und eine enge Verbindung mit dem Staat, Gebietskörperschaften oder anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts.“1420

Dies stellen nunmehr auch die neuen Richtlinien im Wortlaut klar („mit sämtlichen der folgenden Merkmale“).1421 2. Der Tatbestand im Sprachfassungs- und Rechtsvergleich Maßgeblich für die Betrachtung des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers  – wie bereits ausführlich erörtert1422  – ist eine europarechtskonforme Auslegung. Bei der Auslegung der Tatbestandsmerkmale ist daher auch auf die Sprachfassungen der Richtlinien in den anderen Amtssprachen zu achten. Darüber hinaus ist ein Blick auf das nationale Umsetzungsrecht anderer Mitgliedstaaten geboten. Die jeweiligen nationalrechtlichen Bestimmungen können Aufschluss und Hinweis für eine richtlinienkonforme Auslegung geben. An dieser Stelle soll den folgenden Auslegungsfragen ein Vergleich der deutschen Sprachfassung mit der französischen und englischen Sprachfassung der Richtlinie sowie mit dem dazu korrespondierenden nationalen Umsetzungsrecht vorangestellt werden. Die Unterschiede im Wortlaut, die sich insbesondere beim Tatbestandsmerkmal der Nichtgewerblichkeit zeigen, werden im Folgenden an entsprechender Stelle in die Auslegung miteinbezogen werden.

1420 EuGH 1998, I-73 Rn. 20 f. (C-44/96) – Mannesmann Anlagenbau Austria; ebenso EuGH 2003, I-4667 Rn. 52 (C-214/00) – Kommission/Spanien; siehe auch EuGH 2009, I-4779 Rn. 48 (C-300/07) – Oymanns. 1421 Siehe hierzu ausführlich oben, S. 186 ff. 1422 Siehe zur europarechtskonformen Auslegung oben, S. 240 ff.

301

A. Die vergaberechtliche Auftraggebereigenschaft Schaubild 10 Sprachfassungs- und Rechtsvergleich zum Tatbestand des Öffentlichen Auftraggebers Definition der Deutsche Fassung Einrichtung des Öffentlichen Rechts nach

Französische Fassung

Englische Fassung

Art. 6 Abs. 1 i. V. m. Abs. 4 Konzessionsvergabe-RL 2014/23/EU,

4. „Einrichtungen des öffentlichen Rechts“ Einrichtungen mit sämtlichen der folgenden Merkmale:

4. „organisme de droit public“, tout organisme présentant toutes les caractéristiques suivantes:

(4) ‚bodies governed by public law‘ means bodies that have all of the following characteristics:

Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. Nr. 4 VergabeRL 2014/24/EU

a) Sie wurden zu dem besonderen Zweck gegründet, im All­ gemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen,

a) il a été créé pour satisfaire spécifiquement des besoins d’intérêt général ayant un caractère autre qu’industriel ou commercial;

(a) they are established for the specific purpose of meeting needs in the general interest, not having an industrial or commercial character;

b) sie besitzen Rechtspersönlichkeit und

b) il est doté de la personnalité juridique; et

(b) they have legal personality; and

c) sie werden überwiegend vom Staat, von Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts finanziert oder unterstehen hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht dieser Gebietskörperschaften oder Einrichtungen, oder sie haben ein Verwaltungs-, Leitungs- beziehungsweise Aufsichtsorgan, das mehrheitlich aus Mitgliedern besteht, die vom Staat, von Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts ernannt worden sind;

c) soit il est financé majoritairement par l’État, les autorités régionales ou locales ou par d’autres organismes de droit public, soit sa gestion est soumise à un contrôle de ces auto­ rités ou organismes, soit son organe d’administration, de direction ou de surveillance est composé de membres dont plus de la moitié sont désignés par l’État, les autorités régionales ou locales ou d’autres organismes de droit ­public;

(c) they are financed, for the most part, by the State, regional or local authorities, or by other bodies governed by public law; or are subject to management supervision by those authorities or bodies; or have an administrative, managerial or supervisory board, more than half of whose members are appointed by the State, regional or local ­authorities, or by other bodies governed by public law;

und Art. 3 Nr. 1 i. V. m. Nr. 4 i. V. m. Art. 4 Sektoren-RL 2014/25/EU

(Fortsetzung nächste Seite)

302

Kap. 2: Grenzen des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers 

(Fortsetzung: Schaubild 10)

Definition der Deutsche Fassung Einrichtung des Öffentlichen Rechts nach

Französische Fassung

Englische Fassung

Nationales Umsetzungsrecht

§ 99 Nr. 2 GWB n. F.

Art. 2 Code des ­marchés publics 2006 (version 2015)1423

Part 1, General, 2., The Public Contracts Regulations 20151424

Öffentliche Auftrag­ geber sind:

Les pouvoirs adjudica­ „bodies governed by teurs soumis au présent public law“ means code sont : bodies that have all of the following charac1° L’Etat et ses éta­ teristics:— blissements publics

2. andere juristische Personen des öffentlichen und des privaten Rechts, die zu dem besonderen Zweck gegründet wurden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen, sofern

autres que ceux ayant un caractère industriel et commercial ;

(a) they are established for the specific purpose of meeting needs 2° Les collectivités ter- in the general interest, ritoriales et les établis- not having an indussements publics locaux. trial or commercial character; Sauf dispositions a) sie überwiegend (b) they have legal contraires, les règles von Stellen nach Num- applicables à l’Etat le personality; and mer 1 oder 3 einzeln sont également à ceux (c) they have any of oder gemeinsam durch de ses établissements the following characBeteiligung oder auf publics auxquels s’ap- teristics:— sonstige Weise finanpliquent les disposi(i) they are financed, ziert werden, tions du présent code. for the most part, by b) ihre Leitung der De même, sauf dispo- the State, regional or Aufsicht durch Stellen sitions contraires, les local authorities, or by nach Nummer 1 oder 3 règles applicables aux other bodies governed unterliegt oder collectivités territoby public law; riales le sont également (ii) they are subject to aux établissements pumanagement super­ blics locaux. vision by those authorArt. 3 Abs. 1 Nr. 1 Or- ities or bodies; or donnance n° 2005–649 vom 6.6.20051425 1423 1424 1425

1423 Code des marchés publics (édition 2006), version consolidée au 1 octobre 2015, zugänglich über http://www.legifrance.gouv.fr. 1424 The Public Contracts Regulations 2015 No 102, zugänglich über http://www.legislation. gov.uk. 1425 Ordonnance n° 2005–649 du 6 juin 2005 relative aux marchés passés par certaines personnes publiques ou privées non soumises au code des marchés publics (Modifié par loi n° 2015–1268 du 14 octobre 2015), zugänglich über http://www.legifrance.gouv.fr.

A. Die vergaberechtliche Auftraggebereigenschaft Definition der Deutsche Fassung Einrichtung des Öffentlichen Rechts nach c) mehr als die Hälfte der Mitglieder eines ihrer zur Geschäftsführung oder zur Aufsicht berufenen Organe durch Stellen nach Nummer 1 oder 3 bestimmt worden sind; dasselbe gilt, wenn diese juristische Person einer anderen juristischen Person des öffentlichen oder privaten Rechts einzeln oder gemeinsam mit anderen die überwiegende Finanzierung gewährt, über deren Leitung die Aufsicht ausübt oder die Mehrheit der Mitglieder eines zur Geschäftsführung oder Aufsicht berufenen Organs bestimmt hat.

Französische Fassung

303

Englische Fassung

I.- Les pouvoirs adjudi- (iii) they have an cateurs soumis à la pré- ­administrative, manasente ordonnance sont: gerial or supervisory board, more than half 1° Les organismes de droit privé ou les orga- of whose members nismes de droit public are appointed by the autres que ceux soumis State, regional or local ­authorities, or by other au code des marchés publics dotés de la per- bodies governed by public law. sonnalité juridique et qui ont été créés pour satisfaire spécifiquement des besoins d’intérêt général ayant un caractère autre qu’industriel ou commercial, dont: a) Soit l’activité est ­financée majoritairement par un pouvoir adjudicateur soumis au code des marchés publics ou à la présente ordonnance; b) Soit la gestion est soumise à un contrôle par un pouvoir adjudicateur soumis au code des marchés publics ou à la présente ordonnance; c) Soit l’organe d’administration, de ­direction ou de surveillance est composé de membres dont plus de la moitié sont désignés par un pouvoir adjudicateur soumis au code des marchés publics ou à la présente ordonnance.

304

Kap. 2: Grenzen des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers 

3. Rechtspersönlichkeit Im Rahmen der Auslegung des Merkmals „Rechtspersönlichkeit“ bestehen hauptsächlich im deutschen Recht gewisse, aber mittlerweile weitgehend beherrschte Schwierigkeiten bei der Subsumtion. a) Tatbestand nach dem deutschen Recht (§ 99 Nr. 2 GWB n. F.) Nach § 99 Nr.  2 GWB n. F. sind öffentliche Auftraggeber „andere juristische Personen des öffentlichen und des privaten Rechts“. Der Wortlaut entspricht dem Tatbestand des mit der sog. „haushaltsrechtlichen Lösung“ 1993 eingefügten § 57a Nr.  2 HGrG,1426 der als Umsetzungsrecht den Art.  1 lit. b)  Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG kodifizieren sollte.1427 Seither blieb diese Formulierung unverändert. Das deutsche Recht bestimmt formal zwei Fallgruppen, die der „juristischen Person des öffentlichen Rechts“ und „des privaten Rechts.“ Man könnte annehmen, dass hiermit das Tatbestandsmerkmal hinreichend konkret ist, da die juristischen Personen des öffentlichen Rechts und des privaten Rechts in Deutschland abschließend bestimmt sind.1428 Bei einer derart formalistischen Betrachtung käme man im Einzelfall zu dem Ergebnis, dass Organisationseinheiten, denen es an einer vom Gesetz anerkannten rechtlichen Selbstständigkeit fehlt,1429 nicht als Einrichtungen des öffentlichen Rechts im Vergaberecht eingeordnet werden könnten.1430 Dies stünde jedoch im Widerspruch zu der für die Auslegung des § 99 Nr. 2 GWB n. F. maßgeblichen unionsrechtlichen Norm, die weiter gefasst ist. b) Wortlaut- und Rechtsvergleich Die Vergaberichtlinien in der deutschen Fassung sprechen vom Erfordernis der „Rechtspersönlichkeit“. Der Begriff der „Rechtspersönlichkeit“ ist dabei im deutschen Recht nicht feststehend und dem Umstand geschuldet, dass es in den Mit 1426 Vgl. Zweites Gesetz zur Änderung des Haushaltsgrundsätzegesetzes vom 26.11.1993 (Fn. 494). 1427 Siehe zur „haushaltsrechtlichen Lösung“, der Implementierung des Richtlinienrechts und den damit verbundenen Schwierigkeiten oben, S. 133 ff. 1428 So etwa Michael J. Werner, § 98 GWB, in: Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, Rn. 31. 1429 Vgl. die Übersicht bei Christopher Zeiss, § 98 GWB, in: Heiermann/Zeiss, juris Praxiskommentar Vergaberecht, Rn. 85 ff. 1430 So früher vertreten etwa in einer Entscheidung des Vergabeüberwachungsausschusses Brandenburg zu § 57 a Nr. 2 HGrG zur Auftraggebereigenschaft einer KG, vgl. VÜA Brandenburg vom 9.5.1996 (VÜA 3/96) = WuW 1996, S. 853; umfassende Kritik bei Meinrad Dreher, DB 1998, S. 2579 (2580).

A. Die vergaberechtliche Auftraggebereigenschaft

305

gliedstaaten der Europäischen Union keine Einheitlichkeit hinsichtlich der Rechtsform öffentlicher Unternehmen gibt.1431 Der deutsche Gesetzgeber ist nicht dem Weg anderer Mitgliedstaaten gefolgt, den Richtlinienwortlaut unverändert in das nationale Recht zu übernehmen.1432 Im französischen Recht ist die Rechtsfigur des „organisme de droit public“1433 zwar nicht in Art. 2 des französischen CMP mitaufgenommen. Trotzdem bestimmt sie über Art. 3 Abs. 1 Nr. 1 der Ordonnance n° 2005–649 den Anwendungsbereich des französischen Vergaberechts mit. Dieser spricht von „organismes de droit privé ou les organismes de droit public […]dotés de la personnalité juridique“, also von Einrichtungen des privaten und öffentlichen Rechts, die Rechtspersönlichkeit besitzen. Der französische Gesetzgeber hat damit dem weiten Ansatz der Vergaberichtlinien entsprochen. Während die Vorgängerregelung des englischen Public Contracts Regulations SI 2006 No 5 nicht nur von Rechtspersönlichkeit („legal personality“) sprach, sondern explizit neben Unternehmen auch Personenvereinigungen miteinbezog („a corporation established, or a group of individuals appointed to act together“)1434, orientiert sich das englische Umsetzungsrecht seit der Reform des Vergaberechts aus dem Jahr 2015 nun sehr stark am Richtlinienwortlaut.1435 Gefordert ist nur noch allgemein die Rechtspersönlichkeit („they have legal personality“). c) Richtlinienkonforme Auslegung des Begriffs der juristischen Person i. S. v. § 99 Nr. 2 GWB n. F. Zur Überwindung der Diskrepanz zwischen dem Wortlaut der Vergaberichtlinien und dem deutschen Umsetzungsrecht ist der deutsche Begriff der „juristischen Person“ in § 99 Nr.  2 GWB n. F. zur Sicherung einer unionsweiten kohärenten und einheitlichen Auslegung weit auszulegen.1436 Alles andere widerspräche dem Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung nationalen Umsetzungsrechts.1437 Daher sind neben den juristischen Personen des öffentlichen Rechts (wie den Gebietskörperschaften oder Körperschaften des öffentlichen Rechts) und den juristi 1431 Vgl. Hermann Pünder, § 98 Auftraggeber, in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht  – Handkommentar, Rn. 22. 1432 Vgl. hierzu Schaubild 9 (S. 300 f.). 1433 Dies ist das französische Äquivalent zur Einrichtung des Öffentlichen Rechts in der deutschen Sprachfassung, vgl. ebd. 1434 Vgl. Teil  1, Abschnitt 3 Public Contracts Regulations SI 2006 No 5, zugänglich über http://legislation.gov.uk. 1435 Vgl. hierzu Schaubild 9 (S. 300 f.). 1436 Vgl. auch Hermann Pünder, § 98 GWB, in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht – Handkommentar, Rn. 22. 1437 Siehe zum Erfordernis der richtlinienkonformen Auslegung und dem funktionalen Ansatz als Ausdruck hiervon, oben S. 240 ff.

306

Kap. 2: Grenzen des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers 

schen Personen des Privatrechts (wie etwa den Vereinen und den Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH)) auch alle weiteren privatrechtlichen Rechtsträger hinzuzuzählen, sofern sie Rechte und Pflichten begründen können.1438 Der EuGH betonte in seiner SIEPSA-Entscheidung aus dem Jahr 2003 ausdrücklich, dass auch Privatpersonen Auftraggeber im Sinne des Vergaberichtlinienrechts sein können.1439 Aus europarechtlicher Perspektive kann es dahinstehen, ob die deutsche Rechtsprechung zur Überwindung des engen Wortlauts auf eine weite Auslegung bzw. eine Analogie zurückgreift1440 oder sich auf das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung stützt.1441 d) Bedeutung des Tatbestandsmerkmals für gemischt-wirtschaftliche Unternehmen Wie bereits oben dargestellt, kommen Personengesellschaften als Rechtsform für gemischt-wirtschaftliche Unternehmen nicht in Frage,1442 sondern allenfalls Kapitalgesellschaftsformen wie die AG, KGaA, GmbH und die Societas Europaea sowie die rechtsfähigen Stiftungen, wobei die GmbH praktisch im Vordergrund steht.1443 Da es sich bei der GmbH um die meist gewählte Rechtsform für gemischt-wirtschaftliche Unternehmen handelt,1444 ergeben sich regelmäßig keine Probleme bei der Bestimmung des Tatbestandsmerkmals der „Rechtspersönlichkeit“. Die GmbH ist juristische Person des Privatrechts und besitzt Rechtspersönlichkeit1445, sodass sie sowohl nach dem (zu engen) Wortlaut des deutschen § 99 Nr. 2 GWB n. F. als auch nach dem für die Auslegung maßgeblichen Wortlaut der Richtlinien vom Anwendungsbereich erfasst ist. 1438 Vgl. hierzu ausführlich mit vielen Beispielen Rudolf Weyand, § 98 GWB, in: Weyand, Praxiskommentar Vergaberecht, Rn.  40 m. w. N.; Hermann Pünder, § 98 GWB, in: Pünder/ Schellenberg, Vergaberecht – Handkommentar, Rn. 21; Olaf Otting, § 98 GWB, in: Bechtold/ Otting/Bosch, Kartellgesetz – GWB Kommentar, Rn. 11; Hanna Diehl, § 98 GWB, in: MüllerWrede, GWB-Vergaberecht, Rn. 26 f. 1439 Vgl. EuGH 2003, I-11697 Rn. 74 (C-283/00) – SIEPSA. 1440 Anstelle einer weiten Auslegung auf eine Analogie zurückgreifend, OLG Celle vom 14.9.2006 (VK 03/02); Marc Bungenberg, § 98 GWB, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht – Kommentar, Rn. 16. 1441 So auch Christopher Zeiss, § 98 GWB, in: Heiermann/Zeiss, juris Praxiskommentar Vergaberecht, Rn. 89. 1442 Siehe zu den privatrechtlichen Anforderungen an eine Vereinigung mit öffentlich-rechtlichen Gesellschaftern oben, S. 287 ff. 1443 Herbert Grziwotz, § 2, in: Priester/Mayer/Wicke, Münchner Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 3, Rn. 25a. 1444 Siehe hierzu die Statistiken in Fn. 1366. 1445 Vgl. Hartmut Wicke, § 13 GmbHG, in: Wicke, GmbHG – Kommentar, Rn. 2.

A. Die vergaberechtliche Auftraggebereigenschaft

307

4. Staatsgebundenheit Storr hat die Entscheidung des Staates, bei der Erfüllung staatlicher Aufgaben auf die Aus- und Durchführung durch privatrechtlich organisierte Institutionen zurückzugreifen, mit dem Wechsel vom „Rudern“ aufs „Steuern“ auf einem Boot verglichen.1446 Ob der Staat bei einer Einrichtung jedoch überhaupt noch „im Boot sitzt“ und inwieweit er noch Einfluss auf den Kurs nehmen kann, lässt sich nur mit der Frage nach der tatsächlichen und potenziellen Einflussmöglichkeit beantworten. Diese Aufgabe kommt dem Tatbestandsmerkmal der „Staatsgebundenheit“ zu.

a) Staatsgebundenheit im Sinne von § 99 Nr. 2 GWB n. F. Zur Staatsgebundenheit heißt es in § 99 Nr. 2 GWB n. F.: „Öffentliche Auftraggeber sind: […], sofern a) sie überwiegend von Stellen nach Nummer 1 oder 3 einzeln oder gemeinsam durch Beteiligung oder auf sonstige Weise finanziert werden, b) ihre Leitung der Aufsicht durch Stellen nach Nummer 1 oder 3 unterliegt oder c) mehr als die Hälfte der Mitglieder eines ihrer zur Geschäftsführung oder zur Aufsicht berufenen Organe durch Stellen nach Nummer 1 oder 3 bestimmt worden sind; dasselbe gilt, wenn diese juristische Person einer anderen juristischen Person des öffentlichen oder privaten Rechts einzeln oder gemeinsam mit anderen die überwiegende Finanzierung gewährt, über deren Leitung die Aufsicht ausübt oder die Mehrheit der Mitglieder eines zur Geschäftsführung oder Aufsicht berufenen Organs bestimmt hat, […].“

Der Wortlaut des § 99 Nr. 2 GWB n. F. unterscheidet sich damit nur in redaktionellen Nuancen von der Definition der Staatsgebundenheit in Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. Nr. 4 Vergabe-RL 2014/24/EU. Staatsgebundene Einrichtungen „werden überwiegend vom Staat, von Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts finanziert oder unterstehen hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht dieser Gebietskörperschaften oder Einrichtungen, oder sie haben ein Verwaltungs-, Leitungs- beziehungsweise Aufsichtsorgan, das mehrheitlich aus Mitgliedern besteht, die vom Staat, von Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts ernannt worden sind.“

Mit der Neufassung des § 99 GWB n. F. änderte sich im Wesentlichen nichts, wenngleich mit neuen Gliederungsziffern und sprachlicher Klarstellung die einzelnen Fallkonstellationen übersichtlicher erkennbar werden sollten.1447 1446 Stefan Storr, Die Vergabe von öffentlichen Aufträgen als Instrument staatlicher Wirtschaftspolitik, in: Bungenberg/Huber/Streinz, Wirtschaftsverfassung und Vergaberecht, S. 43. 1447 Siehe zu den Änderungen und ihrem Hintergrund oben, S. 186 ff.

308

Kap. 2: Grenzen des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers 

Abzustellen ist folglich auf die Merkmale der (1) Finanzierung, (2) der Aufsicht bzw. (3) der Beherrschung von Leitungs- und Aufsichtsorganen. aa) Überwiegende Finanzierung Auch der Begriff der „Finanzierung“ ist nach der Rechtsprechung des EuGH funktional zu verstehen,1448 da gerade von der Versorgung einer Einrichtung mit staatlichen Finanzmitteln eine zumindest abstrakte und potenzielle Gefahr für den Wettbewerb und damit für den freien Dienstleistungs- und Warenverkehr besteht, den das Vergaberecht gerade schützen will.1449 Hinsichtlich der Finanzierung einer Einrichtung des öffentlichen Rechts hat der EuGH festgestellt, dass nur „Leistungen, die als Finanzhilfe ohne spezifische Gegenleistung die Tätigkeiten der betreffenden Einrichtung finanzieren oder unterstützen, […] als öffentliche Finanzierung eingestuft werden [können]“1450. Nach herrschender Meinung liegt eine überwiegende Finanzierung dann vor, wenn der Staat mehr als die Hälfte der Finanzmittel stellt.1451 Dies kann unmittelbar aus Gesellschaftsanteilen, Sachmitteln oder anderen geldwerten Vorteilen geschehen, aber auch mittelbar, soweit der Staat mittels gesetzlicher Regelungen eine Finanzierung durch Dritte organisiert und sicherstellt.1452 bb) Aufsicht über die Leitung Nach der Rechtsprechung des EuGH ist in diesem Punkt zu prüfen, ob die Form der Aufsicht über eine Einrichtung „eine Verbindung dieser Einrichtung mit der öffentlichen Hand schafft, die es dieser ermöglicht, die Entscheidungen dieser Einrichtungen in Bezug auf öffentliche Aufträge zu beeinflussen“1453.

1448

Vgl. EuGH 2007, I-11173 Rn. 40 (C-337/06) – Rundfunkanstalten. Siehe zur Verwirklichung der Grundfreiheiten als „thematisches Rückgrat“ des Vergaberechts oben, S. 245 f. mit Hinweis auf den Wortlaut des 2. Erwägungsgrundes der Vergabekoordinierungs-RL 2004/18/EG in Fn. 1094 sowie EuGH 2010, I-10131 Rn. 30 (C-570/08) – Symvoulio Apochetefseon Lefkosias und Rudolf Weyand, § 98 GWB, in: Weyand, Praxiskommentar Vergaberecht, Rn. 75. 1450 Vgl. EuGH 2000, I-8035 Rn. 21 (C-380-/98) – University of Cambridge. 1451 Vgl. ebd., Fn.  33; sowie Norbert Dippel, § 98 GWB, in: Hattig/Maibaum, Kartellvergaberecht – Praxiskommentar, Rn. 67; Rudolf Weyand, § 98 GWB, in: Weyand, Praxiskommentar Vergaberecht, Rn. 80; Gerda Reider, § 98 GWB, in: Montag/Säcker, Münchner Kommentar zum Europäischen und Deutschen Wettbewerbsrecht, Bd. 3, Rn. 24. 1452 Vgl. zur Finanzierung von Rundfunkanstalten durch gesetzlich festgelegte Gebühren EuGH 2007, I-11173 Rn. 49 (C-337/06) – Rundfunkanstalten. 1453 EuGH 2001, I-939 Rn. 48 (C-237/99) – Kommission/Frankreich. 1449

A. Die vergaberechtliche Auftraggebereigenschaft

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Nach allgemeiner Ansicht ist bei bestehender Fachaufsicht regelmäßig eine Aufsicht im Sinne von § 99 Nr. 2 GWB n. F. anzunehmen,1454 da in diesem Fall ein volles Eingriffsrecht besteht und die Aufsichtsbehörde alle Entscheidungen der Einrichtung beeinflussen kann.1455 Das Bestehen einer Rechtsaufsicht lässt aufgrund der beschränkten Aufsichtsmittel noch nicht die Annahme der Einflussmöglichkeit auf Vergabeentscheidungen zu.1456 Regelmäßig finden sich auch Aufsichtsrechte eines öffentlich-rechtlichen Gesellschafters direkt im Gesetz, etwa in § 17 AktG für Aktiengesellschaften oder in den Gesellschaftsverträgen.1457 § 17 Abs. 2 AktG wird auch teilweise1458 für juristische Personen, die nicht Aktiengesellschaften sind, (analog) mit der Maßgabe herangezogen, dass zu vermuten sei, „dass ein Auftraggeber von demjenigen Anteilseigner beherrscht wird, der die Mehrheit der Kapitalanteile besitzt“1459. cc) Beherrschung von Leitungs- und Aufsichtsorganen Die vom Gesetz als Voraussetzung geforderte staatliche Beherrschung qua Einfluss auf die Besetzung organschaftlicher Funktionen ist zumindest dann gegeben, wenn mehr als die Hälfte der satzungsgemäßen und gesellschaftsvertraglich eingerichteten Leitungsgremien wie etwa Vorstände, Verwaltungs- und Aufsichtsräte von staatlichen Stellen besetzt oder bestimmt werden.1460 Dem Sinn und Zweck dieser Voraussetzung entsprechend muss letztendlich eine maßgebliche Beeinflussung des Vergabeverhaltens der Einrichtung durch die staatlichen Stellen möglich sein.1461 b) Verhältnis zu den kompetenzrechtlichen Grundsätzen für die Beteiligung des Staates an privatrechtlichen Wirtschaftsunternehmen Wie oben beschrieben1462, kann die wirtschaftliche Tätigkeit nur in den Bahnen kompetenzrechtlicher Vorgaben, insbesondere verfassungsmäßiger Art, geschehen. 1454 Vgl. Rudolf Weyand, § 98 GWB, in: Weyand, Praxiskommentar Vergaberecht, Rn.  91 m. w. N. 1455 Vgl. Christopher Zeiss, § 98 GWB, in: Heiermann/Zeiss, juris Praxiskommentar Vergaberecht, Rn. 141. 1456 Vgl. Rudolf Weyand, § 98 GWB, in: Weyand, Praxiskommentar Vergaberecht, Rn. 92 ff. mit vielen Bespielen und einem Überblick über die Abgrenzungsschwierigkeiten. 1457 Vgl. zu den rechtlichen Gründen für derartige Festschreibungen, siehe nächster Abschnitt. 1458 Kritisch hierzu Johannes Dietlein, NZBau 2002, S. 136 (141) m. w. N. 1459 Christopher Zeiss, § 98 GWB, in: Heiermann/Zeiss, juris Praxiskommentar Vergaberecht, Rn. 152 m. w. N. in Fn. 144. 1460 Vgl. weiterführend Rüdiger Kratzenberg, NZBau 2009, S. 103. 1461 OLG Düsseldorf vom 30.4.2003 (Verg 67/02) = NVwZ 2003, S. 1152. 1462 Vgl. hierzu ausführlich oben, S. 266 ff.

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Kap. 2: Grenzen des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers 

Der privatwirtschaftlich tätig werdende Staat hat dabei die sog. „Schranken­ trias“ zu beachten, die Ausdruck der Bindung der öffentlichen Hand an Recht und Gesetz nach dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip aus Art.  20 Abs.  1 und Abs. 3 GG sowie dem Sozialstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 1 und 28 Abs. 1 S.  1 GG als „Gewährleistungsverpflichtung […] gegenüber ihren Bürgern zur Erfüllung sozialer, wirtschaftlicher und kultureller Grundbedürfnisse“1463 ist.1464 Nach der Schrankentrias muss das wirtschaftliche Tätigwerden des Staates unter anderem einem öffentlichen Zweck dienen.1465 Zur Sicherung dieser Pflicht einerseits sowie zur Aufrechterhaltung der demokratischen Legitimation des Staates andererseits1466 hat der Staat als Gesellschafter oder Teilhaber einer privatrechtlichen Einrichtung Sorge dafür zu tragen, dass entsprechende Aufsichts-, Einfluss- oder Mitentscheidungsmechanismen vorhanden sind, die diese verfassungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllen. Roth identifiziert hier folgerichtig zwei Tendenzen, die zu einem Spannungsverhältnis führen: „Je mehr Aufgaben auf das gemischt-wirtschaftliche Unternehmen übertragen werden, um so eigenständiger wird das private Unternehmen am Markt auftreten können. Solange aber keine vollständige Aufgabenprivatisierung stattfindet, geht ein größeres Maß an Aufgabenübertragung auch mit einem gesteigerten Kontrollbedürfnis auf Seiten des öffentlichen Auftraggebers einher.“1467

c) Staatsgebundenheit gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen Ist eine Staatsgebundenheit gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen nicht bereits schon aufgrund der Finanzierung mit mindestens 50 % der Finanzmittel oder der Besetzung von Aufsichts- und Leitungsgremien bzw. mindestens 50 % der Mitglieder gegeben, ergibt sich die Staatsgebundenheit oftmals aus der Aufsicht über die Leitung des Unternehmens, da diese kompetenzrechtlich bereits verwaltungsund verfassungsrechtlich geboten ist.1468 Insbesondere dann, wenn die öffentliche Hand nur Minderheitsbeteiligter an einem gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen ist, muss sie auf anderen Wegen als der Mitbestimmung über Stimmanteile oder Organmehrheiten die kompetenzrechtlich gebotene Einflussnahme sicherstellen. Regelmäßig geschieht dies mittels entsprechender Vereinbarungen in den Gesellschaftsverträgen. 1463 Wolfgang Danner/Christian Theobald, Einführung in das Kommunalwirtschaftsrecht, in: Danner/Theobald, Energierecht – Kommentar (62. Ergänzungslieferung) Rn. 59. 1464 Siehe zur „Schrankentrias“ bzw. zur öffentlich-rechtlichen Bindung des privatrechtlich handelnden Staates ausführlich oben, S. 269 ff. 1465 Ebd. 1466 Siehe hierzu oben, S. 269 ff. 1467 Frank Roth, VergabeR 2003, S. 397 (398 f.). 1468 Siehe hierzu ausführlich oben, S. 289 f.

A. Die vergaberechtliche Auftraggebereigenschaft

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Es ist jedoch keineswegs selbstverständlich, dass sich aus einem derartigen Mechanismus eine Staatsgebundenheit im Sinne von § 99 Nr. 2 GWB n. F. ergibt. Erforderlich ist eine spezifische Einflussnahme(möglichkeit). Abzustellen ist hierfür auf die Frage, ob die Aufsicht auch tatsächlich „eine Verbindung dieser Einrichtung mit der öffentlichen Hand schafft, die es dieser ermöglicht, die Entscheidungen dieser Einrichtungen in Bezug auf öffentliche Aufträge zu beeinflussen“1469. Dies ist umfassend im Einzelfall zu untersuchen. Zu achten ist hierbei darauf, dass die Intensität der Kontrolle eine Stufe erreicht, „die den anderen Varianten der Staatsgebundenheit (Finanzierung, Mehrheit der Leitungs- bzw. Aufsichtsorgane) entspricht“1470. Ausführlich beschäftigte sich das OLG Düsseldorf 2003 mit der Staatsgebundenheit gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen.1471 Gegenstand war die Auftraggebereigenschaft der LH Bundeswehrbekleidungsgesellschaft mbH, an der der Bund über eine Beteiligungsgesellschaft zu 25,1 % beteiligt geblieben war. Der Bund hatte sich gesellschaftsvertraglich verschiedene Aufsichts- und Kontrollbefugnisse zusichern lassen.1472 Das OLG nahm „im Gesamtzusammenhang“ dieser einzelnen Rechte das Merkmal der Aufsicht über die Leitung an.1473 d) Verhältnis zum Tatbestandsmerkmal des „besonderen Gründungszwecks“ Das Merkmal der „Staatsgebundenheit“ unterscheidet sich insofern von dem­ Erfordernis des „besonderen Gründungszwecks“, als es bei der Staatsgebundenheit auf die ausgeübte Einflussnahme bzw. die institutionelle Möglichkeit hierzu ankommt, während hinsichtlich des besonderen Gründungszwecks die potenzielle Gefahr staatlicher Einflussnahme der Einrichtung bereits aufgrund ihrer Bindung an eine zumindest auch im öffentlichen Interesse liegende Aufgabenerfüllung ­innewohnt.

1469 EuGH 2001, I-939 Rn.  48 (C-237/99)  – Kommission/Frankreich; siehe hierzu bereits oben, S. 308 f. 1470 Frank Roth, VergabeR 2003, S. 397 (403). 1471 Vgl. OLG Düsseldorf vom 30.4.2003 (Verg 67/02) = NVwZ 2003, S. 1152. Das OLG Düsseldorf ist durchaus als Quelle von Grundsatzentscheidungen im Vergaberecht, insbesondere auch zur Staatsgebundenheit, zu betrachten, so auch etwa OLG Düsseldorf vom 5.10.2011 (VII – Verg 38/11) = NZBau 2012, S. 188 zur Öffentlichen Auftraggebereigenschaft von Berufskammern und OLG Düsseldorf vom 6.7.2005 (VII – Verg 22/05). 1472 Vgl. im Einzelnen hierzu Frank Roth, VergabeR 2003, S. 397 (401). 1473 Sehr kritisch hierzu ebenfalls Roth, ebd., S. 401 ff.

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Kap. 2: Grenzen des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers 

5. Besonderer Gründungszweck Neben der Rechtspersönlichkeit und der organschaftlichen bzw. finanziellen Staatsgebundenheit ist für das Vorliegen einer „funktionalen Staatsgleichheit“ nach der Vorstellung des Unionsgesetzgebers erforderlich, dass sich eine Einrichtung insoweit von herkömmlichen Marktteilnehmern unterscheidet, als ihre bestimmungsgemäße Tätigkeit (zumindest auch) einem besonderen Gründungszweck folgt. Dem besonderen Gründungszweck kommt bei der Einordnung einer Einrichtung als Öffentlicher Auftraggeber im Sinne des Vergaberechts die größte Bedeutung zu. Während Rechtspersönlichkeit und Staatsgebundenheit weitgehend eindimensional wirken, setzt sich dieses Tatbestandsmerkmal aus drei normativen Elementen zusammen, deren Bestimmung im Einzelfall eine Herausforderung darstellt. Das Vergaberecht fordert sowohl nach dem Wortlaut der Richtlinien als auch nach § 99 Nr. 2 GWB n. F., dass die Einrichtung „zu dem besonderen Zweck gegründet wurde, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen“1474. So bedarf es (1) eines irgendwie festgelegten Gründungszwecks, (2) der Verpflichtung zur Aufgabenerfüllung im Allgemeininteresse und schließlich (3) des nichtgewerblichen Charakters dieser Aufgaben. a) Normierter Gründungszweck und faktische Aufgabenwahrnehmung Ein besonderer Gründungszweck kann sich in erster Linie aus den Satzungen und Gründungsdokumenten einer Einrichtung ergeben, grundsätzlich aber auch aus ihrer tatsächlich ausgeübten Tätigkeit.1475 aa) Der normierte Gründungszweck Da keine Institution – sei es nur im Innenverhältnis – ohne eine der Ausübung der Tätigkeit zugrundeliegende Zweckbestimmung auskommt,1476 ist die Frage nach dem festgelegten Gründungszweck für die Einordnung der Tätigkeit einer Einrichtung entscheidend. Handelt es sich um eine Einrichtung, mittels derer der Staat die Wahrnehmung staatlicher Aufgaben verfolgt, findet sich regelmäßig eine hierauf 1474 Vgl. Art. 6 Abs. 1 i. V. m. Abs. 4 Konzessionsvergabe-RL 2014/23/EU, Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. Nr. 4 Vergabe-RL 2014/24/EU und Art. 3 Nr. 1 i. V. m. Nr. 4 i. V. m. Art. 4 Sektoren-RL 2014/25/EU; im Wortlaut nahezu gleich: § 99 Nr. 2 GWB n. F. 1475 Vgl. Hermann Pünder, § 98 GWB, in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht – Handkommentar, Rn. 24 m. w. N. in Fn. 1. 1476 Siehe zu den privatrechtlichen Anforderungen an eine Einrichtung mit öffentlich-rechtlichen Gesellschaftern oben, S. 287 ff.

A. Die vergaberechtliche Auftraggebereigenschaft

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ausgerichtete Zweckbestimmung im Gesellschaftsvertrag oder den vergleichbaren Gründungsdokumenten. Gibt der Staat die Aufgabenwahrnehmung in das Privatrecht ab, so sichert er diese neben den finanziellen und organschaftlichen Einflussmöglichkeiten in der Regel mit der Festlegung eines Gründungszwecks ab.1477 In welcher Form der Gründungszweck festgelegt wurde, insbesondere welchem Rechtskreis die Bestimmungen angehören, in denen die Aufgaben genannt sind, ist unerheblich.1478 Beispielsweise kann dies durch Verwaltungsrichtlinie, Verwaltungsakt, Gesellschaftsvertrag oder Satzung geschehen.1479 Liegt keine formelle Festschreibung des besonderen Gründungszwecks im Sinne des vergaberechtlichen Anwendungsbereichs vor, kann sich Annahme dieser Voraussetzung aus zwei weiteren Fällen ergeben: (1) durch nachträgliche Zweckbestimmung mittels Übertragung von Aufgaben im Allgemeininteresse bzw. (2) durch objektive Feststellung einer faktischen Übernahme solcher Aufgaben. bb) Nachträgliche Zweckbestimmung oder Übertragung von Aufgaben im Allgemeininteresse Vor dem Hintergrund des funktionalen Ansatzes schiene es systemwidrig, nur auf einen festgeschriebenen Gründungszweck abzustellen und spätere Änderungen in der Satzung oder im Tätigkeitsprofil einer Einrichtung außer Acht zu lassen. Zu Recht ist es damit herrschende Meinung, dass auch nachträgliche Änderungen der Zweckbestimmung sowie die spätere Übertragung einer Aufgabenwahrnehmung im Allgemeininteresse zu einer Neubewertung der Auftraggebereigenschaft der betreffenden Einrichtung führen müssen.1480 Strittig ist jedoch die Frage, ob die Auftraggebereigenschaft wegfällt, wenn zwar die Aufgabenwahrnehmung im Allgemeininteresse in den Gründungsdokumenten festgeschrieben ist, jedoch faktisch andere Aufgaben wahrgenommen werden. Eine nicht unerhebliche Zahl an Stimmen fordert in diesem Fall aus Gründen der Rechtssicherheit die Beibehaltung der Öffentlichen Auftraggebereigenschaft.1481

1477 Siehe zu dem kompetenzrechtlichen Erfordernis dieser Festlegung bereits oben ausführlich, S.  280 ff. sowie im Rahmen der Ausführungen zum Tatbestandsmerkmal der Staatsgebundenheit oben, S. 307 ff. 1478 EuGH 1998, I-6821 Rn. 63 (C-360/96) – BFI Holding. 1479 Vgl. auch Christopher Zeiss, § 98 GWB, in: Heiermann/Zeiss, juris Praxiskommentar Vergaberecht, Rn. 97. 1480 Vgl. Michael J. Werner, § 98 GWB, in: Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, Rn. 42 mit Verweis auf OLG Düsseldorf vom 9.4.2003 (VII – Verg 66/02); Hermann Pünder, § 98 GWB, in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht – Handkommentar, Rn. 25. 1481 Vgl. Maximilian Lederer, § 1 EG VOB/A, in: Kapellmann/Messerschmidt, VOB A/B – Kommentar, Rn. 15; Marc Bungenberg, § 98 GWB, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht – Kommentar, Rn. 17, vgl. auch weitere Nachweise bei: Michael J. Werner, § 98 GWB, in: Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, Rn. 44.

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Kap. 2: Grenzen des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers 

Diese Auffassung ist abzulehnen. Der EuGH stellt ausdrücklich auf die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit ab.1482 Ein Festhalten an einer formalen Festlegung trotz Wegfall des besonderen Gründungszwecks widerspräche Sinn und Zweck des funktionalen Auftraggeberbegriffs, wonach „nur diejenige Einrichtung erfasst werden soll, die funktionell dem Staat zuzurechnen ist“1483. Nach Auffassung des EuGH soll gerade „unter allen rechtlichen und tatsächlichen Umständen“1484 des Einzelfalls die Auftraggebereigenschaft ermittelt werden und nicht anhand formaler Kriterien. Dass diese Einzelfallbetrachtung teilweise zu einer erheblichen Herausforderung für die Praxis wird, rechtfertigt es nicht, eine Einrichtung dem Vergaberecht zu unterwerfen, obwohl sie nicht (mehr) die Voraussetzungen des Tatbestands des vergaberechtlichen Anwendungsbereichs erfüllt. Der funktionale Ansatz will die effektive Wirksamkeit des Vergaberechts sicherstellen und nicht eine pauschale und unveränderliche Einordnung als Öffentlicher Auftraggeber verantworten. Dies wäre angesichts der erheblichen Folgen, welche die Anwendung der Vergabe­ regeln für eine Einrichtung bedeuten, nicht gerechtfertigt.1485 Im eigenen Interesse kann die betreffende Einrichtung jedoch Rechtssicherheit durch eine Satzungsänderung herstellen.1486 cc) Objektiv feststellbare, faktische Aufgabenwahrnehmung Da der funktionale Ansatz eine weite Begriffsbestimmung bedingt, kann der festgeschriebene Gründungszweck in erster Linie einer Einrichtung nur Anknüpfungspunkt für die Einordnung der Tätigkeit sein. Fehlt ein formal niedergelegter Gründungszweck muss eine Bewertung der tatsächlichen Tätigkeit für die Anwendbarkeit des persönlichen Anwendungsbereichs genügen.1487 Denn die vom Gesetzgeber gewollte Verhinderung der Umgehung der Vergaberegeln wird nur effektiv erreicht, „wenn bereits die tatsächliche Aufgabenerfüllung ausreicht“1488.

1482 Vgl. EuGH 1998, I-73 Rn.  25 (C-44/96)  – Mannesmann Anlagenbau Austria; EuGH 2002, I-11617 Rn. 63 (C-470/99) – Universale Bau sowie sogleich dazu näher im nächsten Abschnitt. 1483 Hermann Pünder, § 98 GWB, in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht – Handkommentar, Rn. 25. 1484 EuGH 2003, I-11697 Rn. 81 (C-283/00) – SIEPSA. 1485 Siehe dazu ausführlich unten, S. 282 ff. 1486 Vgl. Karsten Köhler, VergabeR 2009, S. 114 (115). 1487 Vgl. hierzu EuGH 2002, I-11617 Rn.  63 (C-470/99)  – Universale. Weiterführend vgl. Herrmann Pünder, § 98 GWB, in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht  – Handkommentar, Rn. 25. 1488 Christopher Zeiss, § 98 GWB, in: Heiermann/Zeiss, juris Praxiskommentar Vergaberecht, Rn. 98.

A. Die vergaberechtliche Auftraggebereigenschaft

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In den Entwürfen zu der 2014 erfolgten Richtlinien-Novelle hatte die Kommission vorgeschlagen, zum Zwecke der Klarstellung den Wortlaut um den Zusatz „oder hat diesen Zweck“ zu ergänzen und damit die bisherige Auslegungspraxis zu kodifizieren.1489 Eingang in den Wortlaut der neuen Richtlinien fand die Ergänzung jedoch nicht.1490 dd) Umfang der festgelegten oder feststellbaren Aufgabenwahrnehmung im Allgemeininteresse Unbeachtlich ist der Umfang der Aufgabenwahrnehmung im Allgemeininteresse. Eine Einrichtung gilt als Ganze „infiziert“1491, auch wenn die Aufgabenerfüllung im Allgemeininteresse nur einen geringen Teil  der Tätigkeiten der Einrichtung darstellt. Begründet hat der EuGH diesen Grundsatz in der Entscheidung Mannesmann Anlagenbau Austria. Er stellte klar, dass es einem öffentlichen Auftraggeber nicht verwehrt sein kann, neben der Erfüllung von Aufgaben im All­ gemeininteresse auch andere Tätigkeiten auszuüben.1492 b) Im Allgemeininteresse liegende Aufgaben Ob der ausdrücklich festgelegte oder feststellbare Gründungs- bzw. Tätigkeitszweck einer Einrichtung der Wahrnehmung von Aufgaben im Allgemeininteresse dient, hängt von der Bestimmung des unbestimmten Merkmals des „Allgemeininteresses“ ab.

1489

Vgl. Europäische Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste, KOM (2011) 895 endg., Art. 2 Abs. 4 lit. a) und Europäische Kommission, Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die öffentliche Auftragsvergabe, KOM (2011) 896 endg. = VKREntwurf, Art. 2 Abs. 6 lit. a). 1490 Zu den Gründen hierfür siehe ausführlich oben, S. 186 ff. 1491 Herrmann Pünder, § 98 GWB, in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht – Handkommentar, Rn. 26 mit dem Hinweis, dass etwas anderes nur dann gelten müsse, wenn die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben eine Bagatellgrenze nicht erreicht. 1492 Vgl. EuGH 1998, I-73 Rn.  26, 31 (C-44/96)  – Mannesmann Anlagenbau Austria; zuletzt EuGH 2008, I-2339 Rn. 47 (C-393/06) – Aigner, zuvor auch EuGH 2003, I-1931 Rn. 56 (C-373/00) – Adolf Truley sowie EuGH 2003, I-5321 Rn. 57 f. (C-18/01) – Korhonen; ebenfalls dazu Rüdiger Kratzenberg, NZBau 2009, S. 103 (105).

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Kap. 2: Grenzen des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers 

aa) Das „Allgemeininteresse“ als autonomer Rechtsbegriff des Europäischen Vergaberechts Wann eine Aufgabe im Allgemeininteresse liegt, ist weder europarechtlich1493 noch nach dem deutschen Recht legal definiert.1494 Vielmehr handelt es sich bei dem Begriff um einen „dilatorischen Formelkompromiss“, der wohl bewusst unbestimmt gehalten ist, um die unterschiedlichen Vorstellungen in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen zu überbrücken und die Herausbildung eines „paneuropäischen Rechtsbegriffs“ zu ermöglichen.1495 Aus dem gleichen Grund kam eine Verwendung der Begrifflichkeit des „Öffentlichen Interesses“ nicht in Betracht, weil sie in den nationalen Rechtsordnungen bereits bekannt und durchaus mit teilweise sehr unterschiedlichen Bedeutungen belegt war.1496 In einem Leitfaden zu kommissionsinternen Zwecken wurde 1989 das „Allgemeininteresse“ als Tatbestandsmerkmal der vergaberechtlichen „Einrichtung des öffentlichen Rechts“ wie folgt umschrieben: „Im Gegensatz zum Einzelinteresse ist das Allgemeininteresse das Interesse der Gemeinschaft oder zu einem bestimmten Zeitpunkt der gesellschaftlichen Entwicklung von den Regierenden oder den Behörden festgelegten Gesamtheit.“1497

In zweierlei Hinsicht ist diese Auslegung wenig hilfreich. Zum einen kann die Erläuterung nicht als offizielle Stellungnahme der Kommission oder gar Wille des Gemeinschaftsgesetzgebers angesehen werden.1498 Zum anderen beinhaltet sie nur den Aspekt der Abgrenzung des Allgemeininteresses vom individuellen Partialinteresse, wenngleich auch das Interesse einer von der öffentlichen Hand „festgelegten Gesamtheit“ als ein solches verstanden werden kann. Folglich muss der Begriff im Kontext und nach Maßgabe des Europarechts ausgelegt werden. Die rechtliche Qualifizierung nach nationalem Recht ist dabei nicht maßgeblich.1499

1493 Vgl. u. a. EuGH 2003, I-1931 Rn. 31 (C-373/00) – Adolf Truley: „Vorab ist zu sagen, dass die Richtlinie 93/36 keine Definition des Begriffs ‚im Allgemeininteresse liegende Aufgaben‘ enthält.“ Eine solche Definition findet sich auch nicht in den nachfolgenden Richtlinien­ novellen. 1494 Siehe hierzu auch Ingelore Seidel, ZfBR 1995, S. 227 (228). 1495 Kay Hailbronner, EWS 1995, S.  285 (287); ebenso Thomas von Danwitz, EuR 2008, S. 769 (780 f.) mit weiteren Nachweisen in Fn. 36. 1496 Vgl. Ingelore Seidel, ZfBR 1995, S. 227 (228). 1497 Europäische Kommission, Öffentliche Aufträge und Gemeinschaftsfinanzierung (Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften 1991) S. 55 f. 1498 Vgl. zur Klarstellung ebd., S. 1. 1499 EuGH 2009, I-10355 Rn.  54 (C-596/07)  – Messe Köln; EuGH 2007, I-385 Rn.  40 (C-220/05) – Auroux sowie oben zur europarechtskonformen Auslegung, S. 240 ff.

A. Die vergaberechtliche Auftraggebereigenschaft

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bb) Näherung an den unionsrechtlichen Begriff des Allgemeininteresses Eine Näherung an den unionsrechtlichen Begriff „Allgemeininteresse“ kann und muss im Einzelfall regelmäßig vor dem Hintergrund der teleologischen und systematischen Zielsetzung des Vergaberechts erfolgen. (1) Die Rechtsprechung des EuGH Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH sind autonome Begriffe des Unionsrechts unter Berücksichtigung des Regelungszusammenhangs und des mit der Regelung verfolgten Zweckes zu ermitteln.1500 Regelungszweck des Vergaberechts auf europäischer Ebene ist die Beseitigung von Hemmnissen für den freien Dienstleistungs- und Warenverkehr und der damit verbundene Schutz der Interessen der in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Wirtschaftsteilnehmer, die den in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen öffentlichen Auftraggebern Waren oder Dienstleistungen anbieten möchten.1501 Weiter soll die Gefahr einer Bevorzugung inländischer Bieter oder Bewerber bei der Auftragsvergabe durch öffentliche Auftraggeber vermieden und verhindert werden sowie dass ein Staat oder eine staatliche Stelle sich von anderen als wirtschaftlichen Überlegungen leiten lässt.1502 In Anbetracht dieser Ziele  – Öffnung der nationalen Märkte für Wettbewerb, Transparenz und Nichtdiskriminierung – sieht es der EuGH für erforderlich an, den Begriff des Allgemeininteresses weit zu verstehen.1503 In einer umfangreichen „Jedenfalls-dann-Rechtsprechung“1504 hat der EuGH immer wieder über das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Aufgabenerfüllung im Allgemeininteresse entschieden, ohne eine allgemeingültige Definition zu entwerfen. Eine Art kleinster gemeinsamer Nenner lässt sich dieser Rechtsprechung jedoch entnehmen: „Entscheidend ist, dass es sich um Aufgaben handelt, die der Staat oder eine Gebietskörperschaft aus Gründen des Allgemeininteresses im Allgemeinen selbst erfüllen oder bei denen er oder sie einen entscheidenden Einfluss behalten möchte.“1505 1500 Vgl. EuGH 2003, I-1931 Rn. 35 (C-373/00) – Adolf Truley; EuGH 2000, I-6917 Rn. 43 (C-287/98) – Linster; EuGH, 2000, I-9265 Rn. 26 (C-375/98) – Yiadrom. 1501 Vgl. EuGH 2000, I-380/98 Rn. 16 (C-380/98) – University of Cambridge; EuGH 1999, I-1405 Rn. 43 (C-258/97) – HI; EuGH 2002, I-11617 Rn. 51 (C-470/99) – Universale Bau und Fn. 151. 1502 Vgl. ebd. 1503 EuGH 2003, I-1931 Rn. 43 (C-373/00) – Adolf Truley. 1504 Vgl. für eine umfassende Rechtsprechungsübersicht Rudolf Weyand, § 98 GWB, in: Weyand, Praxiskommentar Vergaberecht, Rn. 50 ff. 1505 Neuerlich EuGH 2008, I-2339 Rn. 40 (C-393/06) – Aigner; davor bereits EuGH 1998, I-6821 Rn. 51 (C-360/96) – BFI Holding.

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Kap. 2: Grenzen des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers 

Darüber hinaus hat der EuGH in ständiger Rechtsprechung klargestellt, dass es unbeachtlich ist, ob die Aufgaben im Zweifel auch von Privaten oder Privatunternehmen erfüllt werden oder erfüllt werden können.1506 In der Literatur wird die Mannesmann Anlagenbau-Entscheidung als Grundsatzentscheidung des EuGH zur Auslegung der Aufgabe im Allgemeininteresse angeführt. Hierin entschied der Gerichtshof, dass die Aufgabenwahrnehmung im Allgemeininteresse bei einer Druckerei gegeben war, die Reisepässe, Führerscheine und Personalausweise herstellte, da diese „eng mit der öffentlichen Ordnung und dem institutionellen Funktionieren des Staates ver­ knüpft“1507 sei.

Aus dieser Rechtsprechung ohne Weiteres den Schluss zu ziehen, bei einer Aufgabe im Allgemeininteresse müsse diese enge Verknüpfung mit der öffentlichen Ordnung und dem institutionellen Funktionieren zwingend vorliegen, wäre falsch. So traf der EuGH mit dieser Entscheidung keine Aussage darüber, dass im Umkehrschluss Aufgaben, die diese Verknüpfung nicht aufweisen, keine im Allgemeininteresse sind. Angesichts des auf den Einzelfall fokussierten Charakters der Entscheidung liefert sie in erster Linie nur ein Indiz. Sie ist daher zur abstrakt-generellen Bestimmung des Begriffs nur begrenzt hilfreich.1508 Auch darüber hinaus lässt sich eine vom Einzelfall des Allgemeininteresses losgelöste Definition in der Rechtsprechung des EuGH nicht auffinden. (2) Bestimmungsversuche in der Literatur und Rechtsprechung Eine befriedigende und damit Rechtssicherheit schaffende Kategorisierung in Fallgruppen hat bisher nicht stattgefunden. Versuche in diese Richtung seitens der Literatur und Rechtsprechung sind gleichwohl immer wieder unternommen worden. Das OLG Düsseldorf bezeichnete eine Aufgabe im Allgemeininteresse als­ gegeben, „wenn sie objektiv mehreren Personen zugute kommt und im Dienste der allgemeinen Öffentlichkeit wahrgenommen wird (vgl. Werner a. a. O. § 98 RN. 335, 336 m. w. N.).“1509

1506

EuGH 2008, I-2339 Rn. 40 (C-393/06) – Aigner; zuvor: EuGH 1998, I-6821 Rn. 44, 47, 51, 53 (C-360/96) – BFI Holding; EuGH 2001, I-3605 Rn. 37, 38, 41 (verb. Rs C-223/99 und 260/99) – Agorà und Excelsior. 1507 EuGH 1998, I-73 Rn. 24 (C-44/96) – Mannesmann Anlagenbau Austria. 1508 Eine solche Verknüpfung sei „charakteristisch“ für eine Aufgabe im Allgemeininteresse meint hingegen Christopher Zeiss, § 98 GWB, in: Heiermann/Zeiss, juris Praxiskommentar Vergaberecht, Rn. 104. 1509 OLG Düsseldorf vom 6.7.2005 (VII – Verg 22/05) Rn. 20; in diesem Sinne auch OLG Düsseldorf vom 4.5.2009 (VII – Verg 68/08) Rn. 122.

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Weyand fasst die Rechtsprechung deutscher Gerichte in Fortbildung der Mannes­ mann-Rechtsprechung zusammen, wonach „im Allgemeininteresse liegende Aufgaben solche sind, welche hoheitliche Befugnisse, die Wahrnehmung der Belange des Staates und damit letztlich Aufgaben betreffen, welche der Staat selbst erfüllen oder bei denen er einen entscheidenden Einfluss behalten möchte.“1510

Pünder spricht in diesem Zusammenhang von der „Befriedigung kollektiver Bedürfnisse“, wenngleich er anerkennt, dass sich diese naturgemäß nicht allgemeingültig bestimmen lassen.1511 Das Bayerische Oberste Landesgericht arbeitete eine Indizwirkung für das Vorliegen einer Aufgabe im Allgemeininteresse heraus: „Im übrigen soll bei Gründung einer juristischen Person des öffentlichen Rechts eine tatsächliche Vermutung dafür sprechen, daß die Gründung zum Zweck der Erfüllung von im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben erfolgt ist (vgl. Niebuhr/Kulartz/Kus/Portz/Eschenbruch § 98 Rn.38 m. w. N.).“1512

Einen hilfreichen Ansatz unternimmt Dietlein, der sich dafür ausspricht, „den Begriff des Allgemeininteresses nicht auf eine diffuse ‚Wesenseigenschaft‘ bestimmter Aufgaben zu stützen, sondern auf eine rechtliche Entscheidung des Gemeinwesens“1513. Demnach sind dort Aufgaben im Allgemeininteresse zu finden, wo das Gesetz für ein Tätigwerden des Staates „votiert“1514, also wo der öffentlichen Hand Handlungspflichten auferlegt werden und ein „gesetzgeberischer Auftrag“1515 zur Sicherung der staatlichen Infrastruktur besteht. Um erneute Bestimmungsschwierigkeiten zu vermeiden, die sich etwa aus dem (gesetzlichen) Auftrag der kommunalen Selbstverwaltung ergeben, sollen jedoch nicht jegliche Aufgaben, die der Allgemeinheit einen „Nutzen“ bescheren oder lediglich „Reflex“ individueller Interessenverfolgung sind, als solche des Allgemeininteresses gesehen werden.1516 Zwei Probleme ergeben sich aus dem interessanten Ansatz. Zum einen handelt es sich bei dem „Allgemeininteresse“ um einen unionsrechtlich autonom zu bestimmenden Begriff. Wählt man als Parameter für die Auslegung die positiv-rechtlichen Aufforderungen des Gesetzes an die öffentliche Hand, im Interesse der Allgemeinheit tätig 1510 Rudolf Weyand, § 98 GWB, in: Weyand, Praxiskommentar Vergaberecht, Rn. 46 mit umfassenden Nachweisen aus der deutschen Rechtsprechung. 1511 Herrmann Pünder, § 98 GWB, in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht – Handkommentar, Rn. 26. 1512 Bayerisches Oberstes Landgericht vom 10.9.2002 (Verg 23/02) Rn. 8 sowie in diesem Sinne auch Bayerisches Oberstes Landgericht vom 21.4.2004 (Verg 17/04) Rn.  12; ebenso­ Johannes Dietlein, NZBau 2002, S. 136 (138 f.) m. w. N. in Fn. 44. 1513 Johannes Dietlein, NZBau 2002, S. 136 (139). 1514 Ebd. 1515 Rainer Noch, NVwZ 1999, S. 1083 (1084). 1516 Johannes Dietlein, NZBau 2002, S. 136 (139).

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Kap. 2: Grenzen des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers 

zu werden, müsste hier zunächst eine Typisierung dieser Aufforderungen im Vergleich mit den entsprechenden Regelungen in den anderen Mitgliedstaaten vorgenommen werden. Anschließend wäre im Lichte der Systematik des Europarechts im Allgemeinen und des Europäischen Vergaberechts im Besonderen zu fragen, welche Grundsätze sich daraus für die Auslegung des Begriffs des Allgemeininteresses entnehmen lassen. Ob sich hieraus ein praxistauglicher Zugang zum Tatbestand der „Aufgabe im Allgemeininteresse“ eröffnet, ist fraglich. Zum anderen besteht das Problem, dass – wie von Dietlein selbst genannt – auch gesetzliche Aufforderungen zum staatlichen Handeln rand- und konturlos sein können, wie etwa die Staatszielbestimmungen nach Art. 20a GG oder die oben zitierte kommunale Selbstverwaltungsgarantie nach Art. 28 Abs. 2 GG. (3) Zusammenfassung Fasst man diese Ansätze zusammen, liegt eine Aufgabe im Allgemeininteresse vor, wenn –– der Staat oder die öffentliche Einrichtung sie aus Gründen des Allgemeininteresses selbst erfüllen oder einen entscheidenden Einfluss behalten möchte,1517 wobei dies dann sehr wahrscheinlich ist, wenn diese Aufgabenwahrnehmung eng mit der öffentlichen Ordnung und dem institutionellen Funktionieren des Staates verknüpft ist;1518 –– sie objektiv mehreren Personen zugutekommt und im Dienste der allgemeinen Öffentlichkeit wahrgenommen wird,1519 also kollektiven Bedürfnissen dient.1520 Es soll dabei keine Rolle spielen, –– dass die Aufgabe im Zweifel von Privaten erledigt wird oder erledigt werden kann, wenngleich1521 –– eine Indizwirkung gegeben ist, soweit eine juristische Person des öffentlichen Rechts die fragliche Aufgabe wahrnimmt.1522 1517 Vgl. EuGH 2008, I-2339 Rn. 40 (C-393/06) – Aigner; bereits davor EuGH 1998, I-6821 Rn. 51 (C-360/96) – BFI Holding. 1518 Vgl. EuGH 1998, I-73 Rn. 24 (C-44/96) – Mannesmann Anlagenbau Austria. 1519 Vgl. OLG Düsseldorf vom 6.7.2005 (VII – Verg 22/05) Rn. 20; in diesem Sinne auch OLG Düsseldorf vom 4.5.2009 (VII – Verg 68/08) Rn. 122. 1520 Vgl. Herrmann Pünder, § 98 GWB, in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht – Handkommentar, Rn. 26. 1521 Vgl. EuGH 2008, I-2339 Rn. 40 (C-393/06) – Aigner; zuvor: EuGH 1998, I-6821 Rn. 44, 47, 51, 53 (C-360/96) – BFI Holding; EuGH 2001, I-3605 Rn. 37, 38, 41 (verb. Rs C-223/99 und 260/99) – Agorà und Excelsior. 1522 Vgl. Bayerische Oberste Landgericht vom 10.9.2002 (Verg 23/02) Rn. 8 sowie in diesem Sinne auch Bayerische Oberste Landgericht vom 21.4.2004 (Verg 17/04) Rn. 12; ebenso­ Johannes Dietlein, NZBau 2002, S. 136 (138 f.) m. w. N. in Fn. 44.

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Diese Ansätze bieten die Möglichkeit, im Einzelfall Anknüpfungspunkte zu liefern. Für die regelmäßigen Abgrenzungsschwierigkeiten im Randbereich  – wie z. B. bei der Wirtschaftstätigkeit gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen – fehlt es aber an einer Rechtssicherheit schaffenden Formel, die eine fehlerfreie Subsumtion ermöglicht. cc) Die Dimensionen der Aufgabenwahrnehmung im Allgemeininteresse in Fallgruppen Bevor der Versuch unternommen werden soll, die skizierten Merkmale in drei Fallgruppen zusammen zu fassen, ist eine kurze Rückbesinnung auf die Wesensart „staatlicher Aufgaben im Allgemeininteresse“ geboten. Die zuvor zitierten Worte Isensees1523 bilden an dieser Stelle einen sinnvollen Ausgangspunkt für die Kategorisierung der „Aufgaben im Allgemeininteresse“: „Die Individualfreiheit bildet also nicht nur Schranke und Zweck der Staatsgewalt, sondern auch deren eigentliche Rechtfertigung.“1524

Die Idee, dass der Staat in seinem Handlungsradius begrenzt wird von der individuellen Freiheit seiner Bürger und nur dort sein Dasein und sein Tätigwerden rechtfertigen kann, wo dies mit der in der Verfassung verbrieften demokratischen Legitimation vereinbar ist, lässt darauf schließen, dass Aufgaben im Allgemein­ interesse nicht notwendigerweise vorrangig vom Staat zu erledigen sind. In diesem Sinne fand Peters 1965 sehr anschaulich und mit erkennbarer Sorge vor überbordendem staatlichem Handeln folgende Worte: „Öffentliche Aufgaben sind solche, an deren Erfüllung die Öffentlichkeit maßgeblich interessiert ist. Sie können durch Private so gut erledigt werden, dass der Staat weder ein Bedürfnis anzuerkennen noch den Wunsch zu haben braucht, sie zu regeln oder sie gar in eigene Regie zu nehmen, d. h. durch staatliche Behörden verwalten zu lassen; er überlässt das Ganze der privaten Sorge der Beteiligten und hält sich selbst zurück (1. Stadium). Das öffentliche Interesse kann jedoch so stark sein, dass der Staat die Erfüllung gewisser öffentlicher Aufgaben durch Private seitens staatlicher Behörden selbst überwacht (2. Stadium) oder dass er abstrakte Regelungen trifft, insbesondere Normen hinsichtlich des Trägers der Aufgaben und Richtlinien für die Aufgabenerfüllung aufstellt (3. Stadium) oder dass er die betreffenden Aufgaben durch staatliche Behörden nach staatlicher Normierung erfüllen lässt (4. Stadium) oder endlich dass er die an sich von ihm selbst übernommenen Aufgaben durch einen von ihm irgendwie abhängigen Rechtsträger erledigen lässt.“1525

1523

Siehe oben, S. 281 f. Josef Isensee, JZ 1999, S. 265 (277). 1525 Hans Peters, Öffentliche und Staatliche Aufgaben, in: Dietz/Hübner, Festschrift für Hans Carl Nipperdey, S. 877. 1524

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Kap. 2: Grenzen des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers 

Aus dieser Darstellung ergibt sich ein Aufgabenspektrum, das von der grundsätzlich als gesamtgesellschaftlich gesehenen Wahrnehmung durch Private bis hin zur erforderlichen Realisierung durch den Staat reicht. Dazwischen findet sich ein Bereich, welcher gleichermaßen von Privaten und staatlichen Trägern zu realisieren ist. Aufbauend auf diesen Überlegungen lassen sich drei Fallgruppen bilden, die diese Aufgabenverteilung berücksichtigen. (1) Aufgaben zur Sicherung des Gemeinwesens „Aufgaben zur Sicherung des Gemeinwesens“ sind klassische Aufgaben des Staates. Diese Dimension der Aufgabenwahrnehmung im Allgemeininteresse ist schlechthin dem Staat vorbehalten. Der Staat will bzw. muss diese Aufgaben „selbst erfüllen“1526. Die Bewahrung der Staatsstruktur, ihre Sicherung nach außen im Rahmen der Verteidigung und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Inneren lassen sich regelmäßig als Aufgaben im Allgemeininteresse begreifen.1527 Aufgaben in diesem Bereich sind regelmäßig „eng mit der öffentlichen Ordnung und dem institutionellen Funktionieren des Staates verknüpft“1528. (2) Aufgaben zur Organisation des Gemeinwesens „Aufgaben zur Organisation des Gemeinwesens“ sind hingegen analog zur Verteilung der Verantwortung zwischen Staat und Bürger für die Wahrnehmung der dem Gemeinwohl dienenden Pflichten abzugrenzen. Gemeinhin umfasst diese Kategorie neben der allgemeinen Verwaltung die sog. Daseinsvorsorge.1529 ­Siebert schrieb über den Begriff der Daseinsvorsorge in den frühen Jahren der Bundes­ republik: „Aber der moderne Staat will und kann sich den mannigfachen sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Aufgaben nicht entziehen, die wir seit Forsthoffs Schrift über die Verwaltung als Leistungsträger1530 als den Bereich der Daseinsvorsorge kennzeichnen.“1531 1526 Vgl. EuGH 2008, I-2339 Rn. 40 (C-393/06) – Aigner; davor bereits EuGH 1998, I-6821 Rn. 51 (C-360/96) – BFI Holding. 1527 Vgl. in diesem Sinne auch Christopher Zeiss, § 98 GWB, in: Heiermann/Zeiss, juris Praxiskommentar Vergaberecht, Rn. 105, der von „grundlegenden Staatsfunktionen“ spricht. Hierzu sollen zählen: die Landesverteidigung, der Polizeidienst, die Gefahrenabwehr und die Steuer- und Abgabenerhebung. 1528 EuGH 1998, I-73 Rn. 24 (C-44/96) – Mannesmann Anlagenbau Austria. 1529 Vgl. auch Christopher Zeiss, § 98 GWB, in: Heiermann/Zeiss, juris Praxiskommentar Vergaberecht, Rn. 107 ff. 1530 Ernst Forsthoff, Die Verwaltung als Leistungsträger, S. 278 ff. 1531 Wolfgang Siebert, Privatrecht im Bereich öffentlicher Verwaltung, in: Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Universität Göttingen, Festschrift für Hans Niedermeyer, S. 215 (218).

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Eben genau das Sich-Nicht-Entziehen-Können der staatlichen Gesellschaftssorge macht die staatliche Daseinsvorsorge aus. Zu ihr gehören in jedem Fall die klassischen Sachbereiche, wie etwa die Abfallwirtschaft.1532 Oftmals sind die Aufgaben aus diesem Bereich aber nur programmatisch dem Staat zugewiesen und damit unbestimmt. Teilweise fehlt es an ausdrücklich positiv-rechtlichen Aufträgen an den Staat, eine bestimmte Daseinsvorsorge zu übernehmen, obwohl nur die öffentliche Hand die fragliche Aufgabe erfüllen kann. Zu den „Aufgaben zur Organisation des Gemeinwesens“ gehören in jedem Fall neben der allgemeinen Verwaltung und der Daseinsvorsorge jene Bereiche, in denen der Staat aus ordnungspolitischen Gründen die endgültige Regelungsmacht nicht vollständig abgibt. Ungeachtet dessen findet in diesem Bereich immer häufiger eine Aufgabenübertragung vom Staat an Private und Privatunternehmen statt, was dem Vorliegen einer „Aufgabe im Allgemeininteresse“ jedoch nicht entgegensteht.1533 Die umfangreichste Judikatur des EuGH zur Frage der Aufgabenwahrnehmung im Allgemeininteresse lässt sich dem Bereich der „Aufgaben zur Organisation des Gemeinwesens“ zuordnen.1534 (3) Aufgaben zur Entwicklung des Gemeinwesens Schließlich kann neben der Sicherung und Organisation auch die Entwicklung des Gemeinwesens dem Aufgabenspektrum im Allgemeininteresse liegender Tätigkeiten zugeordnet werden. Hierzu zählt die Förderung des Gemeinwesens in sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Bereichen über die Gewährung der für das Funktionieren der Staatsorganisation erforderlichen Daseinsvorsorge hinaus. Sie richtet sich nach den gesetzlichen Vorgaben1535 oder nach dem Ermessen staatlicher Stellen im Rahmen der gegebenen politischen Möglichkeiten. Der Umfang dieser Aufgaben im Allgemeininteresse reicht von der einmaligen Organisation kommunaler kultureller Veranstaltungen bis hin zur langfristigen 1532

Vgl. Johannes Dietlein, NZBau 2002, S. 136 (139). Vgl. EuGH 2008, I-2339 Rn. 40 (C-393/06) – Aigner; zuvor EuGH 1998, I-6821 Rn. 44, 47, 51, 53 (C-360/96) – BFI Holding; EuGH 2001, I-3605 Rn. 37, 38, 41 (verb. Rs C-223/99 und 260/99) – Agorà und Excelsior. 1534 Vgl. u. a. die Rspr. des EuGH zum Druck von Ausweis- und Passpapieren (EuGH 1998, I-73 (C-44/96) – Mannesmann Anlagenbau Austria), zur Müllentsorgung (EuGH 1998, I-6821 (C-360/96) – BFI Holding), zum Leichen- und Bestattungswesen (EuGH 2003, I-1931 (C-373/00) – Adolf Truley), zur Energieversorgung (EuGH 2008, I-2339 (C-393/06) – Aigner) zu den gesetzlichen Krankenkassen (EuGH 2009, I-4779 (C-300/07) – Oymanns), den öffentlichen Rettungsdiensten (EuGH 2008, I-3713 (C-160/08)  – Kommission/Deutschland)  und den Rundfunkanstalten (EuGH 2007, I-11173 (C-337/06) – Rundfunkanstalten). 1535 Bis hin zu Staatszielbestimmungen, vgl. etwa im deutschen Verfassungsrecht Art.  20a GG. Zur Problematik der europarechtskonformen Festlegung der hierfür maßgeblichen Vorschriften siehe oben, S. 318 ff. 1533

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und umfangreichen Wirtschaftsförderung1536 durch Kreditvergabe oder Beratungsleistungen.1537 Zu beachten ist, dass es sich bei der Entwicklung des Gemeinwesens jedoch um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe handelt. Weder besteht hier das exklusive Recht noch die ausschließliche Pflicht des Staates, diese zu fördern. In diesem Bereich findet sich eine Vielzahl von Einrichtungen, wie etwa Kunstfördervereine, die zwar oftmals staatlich finanziert werden (etwa in Form von Subventionen), jedoch privatrechtlich organisiert sind. In diesen Fällen ist ein besonderes Augenmerk darauf zu legen, ob die Aufgabenwahrnehmung „objektiv mehreren Personen zugutekommt und im Dienste der allgemeinen Öffentlichkeit wahrgenommen wird“1538 und nicht lediglich der Verfolgung von Partialinteressen dient. dd) Die Bedeutung kompetenzrechtlicher Vorschriften bei der Auslegung des „Allgemeininteresses“ Regelmäßig vernachlässigt wird bei der Bestimmung des vergaberechtlichen Anwendungsbereichs die Bedeutung kompetenzrechtlicher Aspekte.1539 Sowohl für juristische Personen des öffentlichen Rechts als auch für privatrechtliche Einrichtungen, an denen sich der Staat beteiligt, gelten grundsätzlich die Regeln über die Bindung der öffentlichen Hand an entsprechende Kompetenzgrundlagen. Im deutschen Recht sind insbesondere im Bereich kommunaler Wirtschaftstätigkeit die expliziten Vorgaben in den Kommunalverfassungen zu beachten.1540 Die oben unter dem Begriff der „Schrankentrias“ umschriebenen Voraussetzungen für das wirtschaftliche Tätigwerden einer Gemeinde erfordern etwa, dass mit der Tätigkeit einem öffentlichen Zweck gedient wird.1541 Festgeschrieben ist diese Voraussetzung regelmäßig in den landesrechtlichen Bestimmungen, „die eine Betätigung der Gemeinden auch durch juristische Personen des privaten Rechts regelmäßig an die Verfolgung öffentlicher Zwecke knüpfen“1542. Liegt demnach eine nach den entsprechenden Kompetenzgrundsätzen ordnungsgemäß gegründete Einrichtung vor, an der der Staat beteiligt ist, kann regel­mäßig 1536 Vgl. hierzu Anhang III der Vergabekoordinierungs-RL 2004/18/EG, der die Wirtschaftsförderungsgesellschaften als Einrichtungen des öffentlichen Rechts im Sinne von Art. 1 Abs. 9 Vergabekoordinierungs-RL 2004/18/EG klassifiziert. 1537 Vgl. zum Stellenwert der Wirtschaftsförderung im EU-Recht grundsätzlich, wenn auch nicht aktuell: Michael Brenner, Der Gestaltungsauftrag der Verwaltung in der Europäischen Union, S. 284. 1538 OLG Düsseldorf vom 6.7.2005 (VII – Verg 22/05) Rn. 20; in diesem Sinne auch OLG Düsseldorf vom 4.5.2009 (VII – Verg 68/08) Rn. 122. 1539 Vgl. zu diesem Aspekt bereits oben im Rahmen der Staatsgebundenheit, S. 309. 1540 Siehe zu einzelnen Beispielen aus den Kommunalverfassungen bzw. -ordnungen, Fn. 1255. 1541 Vgl. zu den Grundsätzen der Kompetenzbindung für erwerbwirtschaftliches Tätigwerden des Staates oben, S. 269 ff. und zur sog. „Schrankentrias“ ebenfalls oben, S. 280 f. 1542 Johannes Dietlein, NZBau 2002, S. 136 (139).

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davon ausgegangen werden, dass die entsprechende Tätigkeit einer Aufgabenwahrnehmung zur Sicherung, Organisation oder Entwicklung des Gemeinwesens dient.1543 Hier ist durchaus von einer Indizwirkung zu sprechen. Insoweit kann aus einer ordnungsgemäßen wirtschaftlichen Betätigung grundsätzlich auf eine Aufgabenwahrnehmung im Allgemeininteresse geschlossen werden. Die kompetenziellen Grundlagen eines wirtschaftlichen Tätigwerdens im kommunalen Bereich ergeben sich dabei nicht nur aus den meist sehr klaren landesrechtlichen Bestimmungen, sondern im Zweifel auch aus der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie nach Art. 28 Abs. 2 GG. Dabei ist aber zu bedenken, dass ihr Umfang im Einzelfall schwierig zu bestimmen ist und sie oft „die Dynamik eines sich wandelnden Aufgabenverständnisses außer Betracht lassen muss“1544. Des Weiteren ist keineswegs sichergestellt, dass jede Einrichtung unter staatlicher Beteiligung die entsprechenden Kompetenzvorgaben hinreichend beachtet. Folglich wird eine Einzelfallprüfung nicht entbehrlich. Liegt ein Fall fehlender Legitimation vor, steht die Frage im Vordergrund, ob der öffentliche Auftraggeber überhaupt wirtschaftlich tätig werden durfte.1545 Auf die Frage der öffentlichen Auftraggebereigenschaft kommt es somit möglicherweise gar nicht mehr an. c) Nichtgewerblichkeit Innerhalb des Definitionsverbundes der Einrichtung des öffentlichen Rechts bereitet das Merkmal der „Nichtgewerblichkeit“ die wohl größten definitorischen Schwierigkeiten. Wie ein Rechtsvergleich zeigt, ist bereits zu überlegen, ob die deutsche Sprachfassung der Vergaberichtlinien und damit auch § 99 Nr. 2 GWB n. F. nicht in offenem Widerspruch zu den übrigen Sprachfassungen steht. aa) Rechtsvergleich Die deutsche Fassung der Vergaberichtlinien sowie § 99 Nr. 3 GWB n. F. sprechen von einem besonderen Gründungszweck, „im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art“ zu erfüllen.1546 Der Begriff der „Nichtgewerblichkeit“ ist weder dem deutschen noch dem europäischen Recht entlehnt.1547 Daher hat sich die Rechtsprechung in den vergangenen Jahren mit einer Annä­ 1543

Siehe zu diesen Kategorien oben, S. 321 ff. Johannes Dietlein, NZBau 2002, S. 136 (139). 1545 Dies sieht auch als einer der wenigen am Rande Michael J. Werner, § 98 GWB, in: Byok/ Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, Rn. 51 mit Verweis auf OVG Schleswig-Holstein vom 24.6.1998 (2 L 113/97), welches sich mit eben jener Frage zu beschäftigen hatte. 1546 Vgl. zur Übersicht über die verschiedenen Sprachfassungen oben Schaubild 9 (S. 300 ff.). 1547 So auch Kristina Wieddekind, § 98 GWB, in: Willebruch/Wieddekind, Kompaktkommentar Vergaberecht, Rn. 26. 1544

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herung an diesen Begriff beschäftigt.1548 Aus deutscher Perspektive scheint es bei Betrachtung des Wortlauts des § 99 Nr. 2 GWB n. F. klar, dass Anknüpfungspunkt für die „Nichtgewerblichkeit“ die ausgeführten Aufgaben und nicht die juristische Person selbst ist. 2003 stellte das OLG Düsseldorf zu § 98 Nr. 2 GWB a. F. fest: „Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass sich das Merkmal der ‚nicht gewerblichen Art‘ nach dem klaren Wortlaut der für die Rechtsanwendung in Deutschland maßgeblichen Vorschrift des § 98 Nr. 2 GWB – entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin – auf die zu erfüllende im Allgemeininteresse liegende Aufgabe und nicht auf die juristische Person bezieht, die die Aufgabe erfüllen soll. Folglich ist die Anwendbarkeit der Norm nicht von vornherein auf solche juristischen Personen des privaten Rechts beschränkt, deren Tätigkeit eine nichtgewerbliche, sondern (z. B. kraft ihrer Satzung) eine gemeinnützige ist.“1549

Da das Umsetzungsrecht jedoch nicht nur richtlinienkonform  – also im Einklang mit der Richtlinie an sich (deutsche Fassung)  – auszulegen ist, sondern auch aus Gründen der Kohärenz bei einer wörtlichen Auslegung im Lichte aller Sprachversionen zu betrachten ist, sind an dieser Stelle zumindest zwei weitere Sprachfassungen hinzuziehen.1550 In der französischen Fassung der Richtlinien und dem korrespondierenden Umsetzungsrecht heißt es: „Par ‚organisme de droit public‘, on entend tout organisme: a) créé pour satisfaire spécifiquement des besoins d’intérêt général ayant un caractère autre qu’industriel ou commercial; b) […].“1551

Zum einen wird hier die Nichtgewerblichkeit als „nicht-industrieller oder nichtkommerzieller Charakter“ einer Einrichtung verstanden. Zum anderen ist Anknüpfungspunkt für das Merkmal der Nichtgewerblichkeit im Gegensatz zur deutschen Fassung nicht der Gründungszweck, sondern die Einrichtung selbst. Deutlicher wird der Unterschied noch in der englischen Sprachfassung: „A ‚body governed by public law‘ means any body: (a) established for the specific purpose of meeting needs in the general interest, not having an industrial or commercial character; (b) […].“1552

1548

Siehe hierzu sogleich unten. OLG Düsseldorf vom 30.4.2003 (II Verg 67/02) Rn. 26 = VergabeR 2003, S. 436. 1550 Vgl. zur Bedeutung des Vergleichs der Sprachfassungen in der Rechtsprechung des EuGH, Mariele Dederichs, EuR 2004, S. 345 (352). 1551 Vgl. hierzu Schaubild 9 (S. 300 f.); Hervorhebung vom Verfasser. 1552 Ebd., Hervorhebung vom Verfasser. 1549

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Mit der Komma-Trennung wird deutlich, dass sich auch hier der „nicht-industri­ elle oder nicht-kommerzielle Charakter“ auf die Einrichtung und nicht die Aufgabe bezieht. Als eine der wenigen sah auch Seidel diesen Widerspruch und folgerte, dass der Tatbestand der Einrichtung des öffentlichen Rechts wie folgt zu lesen sei: „Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind Einrichtungen, die zu dem besonderen Zweck gegründet wurden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben zu erfüllen, und die einen anderen Charakter als den eines Handels- bzw. Industrieunternehmens besitzen.“1553

Diese wesentlichen Unterschiede in den Sprachfassungen sind bei der Auslegung des Begriffs der „Nichtgewerblichkeit“ i. S. v. § 99 Nr. 2 GWB n. F. zu berücksichtigen. Im Zweifel ist der Wortlaut des § 99 Nr. 2 GWB n. F. im Wege der richtlinienkonformen Auslegung zu korrigieren, sollten die unterschiedlichen Anknüpfungspunkte zu abweichenden Ergebnissen führen. bb) Die Nichtgewerblichkeit als tatbestandbegrenzendes Merkmal Das Merkmal der „Nichtgewerblichkeit“ ist als tatbestandliches Korrektiv, jedoch nicht als umfassende Korrekturebene zu verstehen. Die „Nichtgewerblichkeit“ hat die Aufgabe, den Begriff der „im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben“ im Sinne der Richtlinien präzisieren.1554 So fallen nur jene Einrichtungen in den persönlichen Anwendungsbereich des Vergaberechts, deren Aufgabenerfüllung im Allgemeininteresse (so die deutsche Interpretation) bzw. deren Eigenschaft selbst (als Ergebnis einer europarechtskonformen Auslegung des § 99 Nr. 2 GWB n. F.) den Charakter nichtgewerblicher Art aufweisen.1555 Zu unterscheiden ist dafür zwischen der „Gewerblichkeit“ und „Nichtgewerblichkeit“. Der Begriff der „Gewerblichkeit“ ist als autonomer Begriff des Unionsrechts im Lichte des Regelungszusammenhangs und Regelungszwecks des Vergaberechts auszulegen. Systematisch ist ihm ein Tatbestand beschränkender Charakter zuzuweisen. Der Unionsgesetzgeber bezweckt mit dem Vergaberecht zwar alle Stellen und Einrichtungen erfassen, von denen eine dem Staat vergleichbare Gefährdung für Wettbewerb und Transparenz auf dem Binnenmarkt ausgeht.1556 Die 1553

Ingelore Seidel, ZfBR 1995, S.  227 (229), damals noch zu der Dienstleistungskoordinierungs-RL 92/50/EWG, Lieferkoordinierungs-RL 93/36/EWG und Baukoordinierungs-RL 93/37/EWG. 1554 Vgl. EuGH 1998, I-6821 Rn. 32 (C-360/96) – BFI Holding; EuGH 1998, I-73 Rn. 22–24 (C-44/96) – Mannesmann Anlagenbau Austria. 1555 Vgl. zu der Problematik der unterschiedlichen Anknüpfungspunkte in den verschiedenen Sprachfassungen der Richtlinien oben, S. 325 ff. 1556 Vgl. Herrmann Pünder, § 98 GWB, in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht – Handkommentar, Rn. 32 m. w. N. in Fn. 2.

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Kap. 2: Grenzen des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers 

Herstellung dieser funktionalen Äquivalenz ist jedoch dort nicht erforderlich  – ja im Gegenteil – nicht haltbar, wo die Einrichtung in Art und Weise der Tätigkeitsausführung nicht den staatlichen Stellen, sondern den anderen privatwirtschaftlichen Markteilnehmern entspricht. In diesem Zusammenhang muss von einer „funktionalen Äquivalenz mit den privaten Marktteilnehmern“1557 gesprochen werden. Der EuGH hat in seiner Rechtsprechung bisher keinerlei abstrakt-definitorische Begriffsbestimmung vorgenommen.1558 Vielmehr wählte der Gerichtshof den Ansatz, das Tatbestandsmerkmal negativ abzugrenzen. Dieses „Ausschlussprinzip“ soll den Raum schaffen, um im Einzelfall immer eine umfassende Abwägung der „rechtlichen und tatsächlichen Umstände“1559 vornehmen zu können. Für die Einordnung dieser Umstände hat der EuGH in Einzelfällen an die Wahrscheinlichkeit angeknüpft, mit der ein nichtgewerblicher Charakter vorliegt – oder eben nicht. Die bereits aus der Entscheidung BFI Holding von 1998 stammende Erkenntnis, dass die Beurteilung des Umfangs an Wettbewerb, in dem sich eine Einrichtung befindet, nicht zur Differenzierung zwischen „Nichtgewerblichkeit“ und „Gewerblichkeit“ ausreicht, beantwortete der EuGH in den Entscheidungen Truely1560, Korhonen1561 und SIEPSA1562 mit der Entwicklung von Merkmalen, denen zumindest eine Indizwirkung für eine „Gewerblichkeit“ zugewiesen werden kann. In Korhonen stellte der Gerichtshof fest: „wenn die Einrichtung nämlich unter normalen Marktbedingungen tätig ist, Gewinnerzielungsabsicht hat und die mit ihrer Tätigkeit verbundenen Verluste trägt, dann ist es wenig wahrscheinlich, dass sie Aufgaben erfüllen soll, die nicht gewerblicher Art sind.“1563

In der SIEPSA-Entscheidung ergänzte der EuGH diese Rechtsprechung. Er hielt fest, dass im Rahmen einer umfassenden Einzelfallprüfung „unter Berücksichtigung aller rechtlichen und tatsächlichen Umstände, u. a. der Umstände, die zur Gründung der betreffenden Einrichtung geführt haben, und der Voraussetzungen, unter denen sie ihre Tätigkeit ausübt, zu würdigen ist, wobei insbesondere das Fehlen von Wettbewerb auf dem Markt, das Fehlen einer grundsätzlichen Gewinnerzielungsabsicht, das Fehlen der Übernahme der mit der Tätigkeit verbundenen Risiken und die etwaige Finanzierung der Tätigkeit aus öffentlichen Mitteln zu berücksichtigen sind […].“1564 1557 Als Antonym zur „funktionalen Äquivalenz zum Staat“. Siehe zur funktionalen Bestimmung des vergaberechtlichen Anwendungsbereichs ausführlich oben, S. 245 ff. 1558 Vgl. mit vielen Beispielen aus der Rechtsprechung des EuGH und der deutschen Vergabekammern und Gerichte Kristina Wieddekind, § 98 GWB, in: Willebruch/Wieddekind, Kompaktkommentar Vergaberecht, Rn. 51 und Rudolf Weyand, § 98 GWB, in: Weyand, Praxiskommentar Vergaberecht, Rn. 72 ff. 1559 EuGH 2003, I-11697 Rn. 81 (C-283/00) – SIEPSA. 1560 EuGH 2003, I-1931 (C-373/00) – Adolf Truly. 1561 EuGH 2003, I-5321 (C-18/01) – Korhonen. 1562 EuGH 2003, I-11697 (C-283/00) – SIEPSA. 1563 EuGH 2003, I-5321 Rn. 51 (C-18/01) – Korhonen. 1564 EuGH 2003, I-11697 Rn. 81 (C-283/00) – SIEPSA.

A. Die vergaberechtliche Auftraggebereigenschaft

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Mittlerweile haben sich diese Merkmale in der Rechtsprechung des EuGH fest etabliert.1565 Die Europäische Kommission nahm dies zum Anlass, die Ausschlusskriterien –– der „Arbeit unter marktüblichen Bedingungen“, –– der „Gewinnorientertheit“ und –– „der Übernahme der mit der Ausübung der Tätigkeit verbundenen Verluste“ in ihren Vorschlägen für eine Richtliniennovelle aus dem Jahr 2011 mit in den Tatbestand der Definition der „Einrichtung des öffentlichen Rechts“ aufzunehmen. In Art. 2 Abs. 6 der vorgeschlagenen Vergabekoordinierungsrichtlinie (VKR-Entwurf) hieß es: „(6) „Einrichtungen des öffentlichen Rechts“ Einrichtungen mit sämtlichen der folgenden Merkmale: (a) sie wurden zur Erfüllung im Allgemeininteresse liegender Aufgaben nicht gewerblicher Art gegründet oder haben diesen spezifischen Zweck; arbeitet ein Organ unter marktüblichen Bedingungen, ist gewinnorientiert und trägt die mit der Ausübung seiner Tätigkeit einhergehenden Verluste, ist es nicht darauf ausgerichtet, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen; […].“1566

In die Anfang 2014 beschlossenen Richtliniennovelle schaffte es die Definitionserweiterung nicht. Trotzdem sind die Kriterien weiterhin im Rahmen der Auslegung der Nichtgewerblichkeit zu berücksichtigen. Dies stellt immerhin der 10. Erwägungsgrund der Vergabe-RL 2014/24/EU klar.1567 Ungeachtet ihrer fehlenden Kodifizierung in den Richtlinien bieten diese Merkmale aufgrund ihres Charakters als negative Abgrenzungskriterien Anhaltspunkte für die Bestimmung der Gewerblichkeit. Das Vorliegen weiterer rechtlicher und tatsächlicher Umstände, die zu dem Ergebnis führen, dass eine Gewerblichkeit der Tätigkeit angenommen werden kann, ist damit nicht ausgeschlossen. Aus diesem Grund ist es nach wie vor erforderlich, für die Bestimmung des gewerblichen bzw. nichtgewerblichen Charakters der Tätigkeit bzw. Einrichtung eine umfassende Einzelfallprüfung vorzunehmen.

1565 Vgl. Rudolf Weyand, § 98 GWB, in: Weyand, Praxiskommentar Vergaberecht, Rn. 52 ff.; Herrmann Pünder, § 98 GWB, in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht  – Handkommentar, Rn. 32 ff.; Norbert Dippel, § 98 GWB, in: Hattig/Maibaum, Kartellvergaberecht – Praxiskommentar, Rn. 57 ff.; Gerda Reider, § 98 GWB, in: Montag/Säcker, Münchner Kommentar zum Europäischen und Deutschen Wettbewerbsrecht, Bd. 3, Rn. 21. 1566 Art. 2 Abs. 6 VKR-Entwurf (Fn. 1490); Hervorhebung vom Verfasser. 1567 Vgl. zu den Gründen ausführlich oben, S. 190 ff.

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Kap. 2: Grenzen des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers 

cc) Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit in einem wettbewerblich geprägten Umfeld Das Vorliegen eines entwickelten Wettbewerbs kann darauf hinweisen, dass es sich nicht um eine „im Allgemeininteresse liegende Aufgabe nicht gewerblicher Art“ handelt. Maßgeblich ist, dass die in Frage stehende Einrichtung auf einem bestimmten Referenzmarkt im Wettbewerb steht.1568 Abzustellen ist also immer auf den Wirtschaftssektor, in welchem die Einrichtung ihre Tätigkeit ausübt.1569 Hat die Einrichtung ein Monopol auf diesem Markt oder ist sie nicht gezwungen, mit Mitbewerbern um Handelsabschlüsse zu konkurrieren, spricht viel dafür, dass es an einem für die Gewerblichkeit erforderlichen Wettbewerb fehlt. Zu beachten ist andererseits, dass das Vorliegen eines entwickelten Wettbewerbs nicht automatisch für den Ausschluss einer im Allgemeininteresse liegenden Aufgabe nichtgewerblicher Art ausreicht.1570 Das Merkmal reicht also alleine zur Bestimmung der Nichtgewerblichkeit nicht aus, ist aber auch „nicht völlig unerheblich“1571. Entscheidend ist letztlich, unter welchen „rechtlichen und tatsächlichen Umständen“1572 die Einrichtung ihre Tätigkeit ausübt.1573 dd) Ausrichtung der betrieblichen Tätigkeit auf das Erzielen von Gewinn Zur Unterscheidung zwischen der gewerblichen und nichtgewerblichen Aufgabenwahrnehmung im Allgemeininteresse muss die Art und Weise der Tätigkeit mit den betriebswirtschaftlichen Prinzipien rein privatwirtschaftlicher Betätigung verglichen werden. Vorliegen muss eine marktspezifische Wesensgleichheit mit privaten Unternehmen1574, die sich dadurch kennzeichnet, dass die Tätigkeit der Einrichtung sich an einem erfolgreichen und betriebswirtschaftlich gebotenen unternehmerischen Handeln orientiert. Ein Privatunternehmen wird gegründet und besteht zum Zweck der Erwirtschaftung von Kapital, zur Förderung von Wachstum, Umsatz

1568

EuGH 2003, I-1931 Rn. 60 (C-373/00) – Adolf Truley. Rudolf Weyand, § 98 GWB, in: Weyand, Praxiskommentar Vergaberecht, Rn.  52 ff.;­ Herrmann Pünder, § 98 GWB, in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht  – Handkommentar, Rn. 33. 1570 2008, I-2339 Rn. 46 f. (C-393/06) – Aigner; EuGH 2003, I-1931 Rn. 61 (C-373/00) – Adolf Truley; EuGH 2003, I-5321 Rn. 50 (C-18/01) – Korhonen. 1571 EuGH 1998, I-6821 Rn. 48 (C-360/96) – BFI Holding. 1572 EuGH 2003, I-11697 Rn. 81 (C-283/00) – SIEPSA. 1573 Rudolf Weyand, § 98 GWB, in: Weyand, Praxiskommentar Vergaberecht, Rn. 52 mit weiteren Nachweisen aus der deutschen Rechtsprechung. 1574 Oder auch „funktionale Äquivalenz mit den privaten Marktteilnehmern“, vgl. oben Fn. 1558. 1569

A. Die vergaberechtliche Auftraggebereigenschaft

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und ­Gewinn. Der Staat, seine Behörden, aber auch andere juristische Personen des öffentlichen Rechts stehen für die Förderung des Allgemeinwohls gemäß ihrem verfassungsrechtlichen Auftrag. Wie die Untersuchung der kompetenzrechtlichen Vorgaben für das erwerbswirtschaftliche Tätigwerden gezeigt hat, darf der Staat nicht rein wirtschaftlich tätig werden.1575 Staatliche Stellen zeichnen sich also dadurch aus, dass sie nicht in erster Linie eine Gewinn erzielende Tätigkeit auf dem Markt ausüben.1576 Die Gewinnerzielungsabsicht ist daher hilfreicher Indikator für die Charakterisierung der Tätigkeit der Einrichtung. Aber auch hier muss gelten, dass es im Rahmen einer den Einzelfall betreffenden wertenden Gesamtbetrachtung durchaus möglich ist, dass eine Einrichtung einer gewerblichen Tätigkeit nachgeht, ohne dabei das Erzielen von betrieblichen Gewinnen in den Vordergrund zu stellen. Der EuGH entschied, es könne ausreichen, wenn die Einrichtung nach „Leistungs-, Effizienz- und Wirtschaftlichkeitskriterien“1577 arbeitet. Da bei privatrechtlich organisierten Unternehmen, wie etwa einer GmbH, die Gewinnerzielungsabsicht nahezu immer gegeben ist,1578 handelt es sich hierbei nur um ein erstes Abgrenzungskriterium. ee) Übernahme des mit der eigenen Tätigkeit verbundenen wirtschaftlichen Risikos Das Kriterium der „Risikoübernahme für das eigene wirtschaftliche und unternehmerische Handeln“ als Merkmal einer gewerblichen Tätigkeit entwickelte insbesondere der Generalanwalt Alber in den Schlussanträgen zu Messe Mailand, Truley und Korhonen: „Eine gewerbliche Tätigkeit ist auch dadurch gekennzeichnet, dass der Unternehmer das wirtschaftliche Risiko seiner Handlungen trägt.“1579 „Bei Unternehmen, die Allgemeinwohlinteressen ‚nicht gewerblicher‘ Art wahrnehmen, dürften zur Sicherstellung der Wahrnehmung dieser Aufgaben stets Möglichkeiten bestehen, eventuell eintretende Verluste durch die öffentliche Hand auszugleichen, damit die Wahrnehmung der anvertrauten Aufgaben ‚nicht gewerblicher‘ Art nicht unmöglich wird.“1580

1575

Siehe hierzu umfassend oben, S. 267 ff. EuGH 2009, I-12129 Rn. 38 (C-305/08) – CoNISMa. 1577 EuGH 2001, I-3638 Rn. 40 (verb. Rs. C-223/99 u. C-260/99) – Messe Mailand. 1578 Vgl. Michael J. Werner, § 98 GWB, in: Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, Rn.  59 f.; auch Kristina Wieddekind, § 98 GWB, in: Willebruch/Wieddekind, Kompaktkommentar Vergaberecht, Rn. 27. 1579 Schlussanträge des Generalanwalts Alber vom 30.1.2001 in EuGH 2001, I-3638 Rn. 67 (verb. Rs. C-223/99 u. C-260/99)  – Messe Mailand; ebenso EuGH 2003, I-1931 Rn.  95 (C-373/00) – Adolf Truley. 1580 Schlussanträge des Generalanwalts Alber vom 30.1.2001 in EuGH 2001, I-3638 Rn. 71. 1576

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Kap. 2: Grenzen des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers 

Hinter diesem Gedanken steht die Absicht, durch eine entsprechende Auslegung des Merkmals der Nichtgewerblichkeit die Regelungsziele des Vergaberechts  –­ Sicherung des Wettbewerbs und der Transparenz sowie die Verhinderung von Diskriminierungen1581 – zu verwirklichen. Diese Ziele sind gefährdet, sobald es zu einer „Entkopplung von Marktmechanismen“1582 kommt. Das ist der Fall, wenn eine Einrichtung ihre Leistungen „in dem angebotenen Umfang und/oder zu den angebotenen Bedingungen unter Bedingungen des reinen freien Wettbewerbs nicht erbringen würde“1583. Denn eine Einrichtung ist gegenüber den herkömmlichen Marktteilnehmern privilegiert, sobald sie Aufträge vergeben kann, ohne das Risiko eines wirtschaftlichen und finanziellen Existenzverlusts berücksichtigen zu müssen. Folglich ist dort, wo der Staat eine Einrichtung mit diesem Privileg versieht, zu besorgen, dass sich diese im Rahmen der Auftragsvergabe von anderen als wirtschaftlichen Erwägungen leiten lässt. Ihre Teilnahme am Markt ist damit potenziell schädlich für einen gerechten und transparenten Wettbewerb. Auf den Punkt gebracht, lässt sich anhand einer einfachen Frage ermitteln, ob eine Einrichtung das wirtschaftliche Risiko ihrer Tätigkeit trägt: Muss die Einrichtung oder muss sie nicht das beste am Markt verfügbare Angebot aus­ wählen, um auf Dauer ihren wirtschaftlichen Erfolg zu sichern?

Der EuGH hat den Vorschlag des Generalanwalts Alber in den Entscheidungen Messe Mailand und SIEPSA aufgegriffen und mit zwei Merkmalen konkretisiert. Danach trägt eine Einrichtung das finanzielle Risiko ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit jedenfalls immer dann, wenn „kein Mechanismus zum Ausgleich etwaiger finanzieller Verluste vorgesehen ist“1584. In einem ersten Schritt ist also regelmäßig zu prüfen, ob ein solcher Mechanismus vorgesehen ist. (1) Keine (formalen) Mechanismen zum Ausgleich etwaiger finanzieller Verluste Anhaltspunkte für das Vorliegen derartiger Mechanismen finden sich zumeist in den Gründungsdokumenten der betreffenden Einrichtung, im Gesellschaftsvertrag oder in gesonderten Vereinbarungen über den Ausgleich von Verlusten wie

1581 Vgl. Herrmann Pünder, § 98 GWB, in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht – Handkommentar, Rn. 32. 1582 Christopher Zeiss, § 98 GWB, in: Heiermann/Zeiss, juris Praxiskommentar Vergaberecht, Rn. 54. 1583 Ebd. 1584 EuGH 2001, I-3638 Rn. 40 (verb. Rs. C-223/99 u. C-260/99) – Messe Mailand.

A. Die vergaberechtliche Auftraggebereigenschaft

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etwa Konsortialverträgen. Konkrete Verpflichtungen der Gesellschafter, etwaige (Bilanz-)Verluste auszugleichen,1585 können als Mechanismen in diesem Sinne begriffen werden. Zu erinnern ist an dieser Stelle, dass Sinn und Zweck des Merkmals der „Nichtgewerblichkeit“ die Einbeziehung nur jener Einrichtungen in das Vergaberegime ist, die aufgrund der Art und Weise ihrer Organisation und Tätigkeitsausübung im Verdacht stehen, sich im Rahmen der betrieblichen Entscheidungen von anderen als wirtschaftlichen Erwägungen leiten zu lassen.1586 Ergibt sich aus einer wertenden Gesamtbetrachtung, dass trotz formaler Mechanismen die Einrichtung nachweisbar in vollem Umfang am Wettbewerb mit entsprechenden Chancen und (Verlust-)Risiken beteiligt ist und ihre Tätigkeit auf eine betriebswirtschaftlich alternativlose Motivation zurückzuführen ist, kann ihr nicht aufgrund rein formal bestehender Vereinbarungen ohne Weiteres die „Nichtgewerblichkeit“ unterstellt werden.1587 So kann der Ausgleich eines Bilanzverlustes von betriebswirtschaftlichem Interesse und demnach geboten sein. Entsprechende Nachschussvereinbarungen finden sich auch regelmäßig in Satzungen privatwirtschaftlicher Unternehmen.1588 Das OLG Hamburg hat hinsichtlich bestehender Gewinnabführungs- und Verlustausgleichsvereinbarungen angeführt, dass diesen als „wettbewerbsuntypische[m] Aspekt entscheidendes Gewicht zukommt“.1589 Entscheidendes Gewicht bedeutet eben aber noch nicht, dass tatsächlich von einer Marktgefährdung auszugehen ist. Damit ist letztendlich zu prüfen, wie wahrscheinliches ist, dass der Staat oder eine staatliche Stelle alle Maßnahmen ergreifen würde, um den Konkurs der Einrichtung zu verhindern.1590 Dies gilt unabhängig davon, ob es formale Mechanismus zum Ausgleich etwaiger Verluste gibt. Weiter ist dann zu prüfen, ob ein vernünftiger Kaufmann im Privatrechtsverkehr aus betriebswirtschaftlichen Gründen nicht gleichermaßen einen Konkurs etwa durch Kapitalzuschüsse verhindern würde.

1585 Zu entsprechenden Nachschussvereinbarungen in GmbH-Verträgen siehe Holger Altmeppen, §§ 26 ff., in: Roth/Altmeppen, GmbHG – Kommentar. 1586 Siehe zu der „Faustformel“ oben, S. 328 f. und Christopher Zeiss, § 98 GWB, in: Heiermann/ Zeiss, juris Praxiskommentar Vergaberecht, Rn. 116. 1587 In diesem Sinne auch Rudolf Weyand, § 98 GWB, in: Weyand, Praxiskommentar Vergaberecht, Rn. 61, der von einer „wertenden Entscheidung spricht“; Weyand verweist auch auf OLG Hamburg vom 25.1.2007 (1 Verg 5/06) = NZBau 2007, S. 801 und KG Berlin vom 27.7.2006 (2 Verg 5/06) = GewA 2006, S. 498. 1588 Vgl. etwa §§ 26 ff. GmbHG zu entsprechenden Regelungen zu Nachschusspflichten. 1589 OLG Hamburg vom 25.1.2007 (1 Verg 5/06) Rn. 25 = NZBau 2007, S. 801. 1590 EuGH 2003, I-11697 Rn. 91 (C-283/00) – SIEPSA.

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Kap. 2: Grenzen des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers 

(2) Wahrscheinlichkeit staatlichen Eingreifens zur Verhinderung einer Insolvenz Die Verhinderung einer Insolvenz ist keineswegs ein Zeichen von unwirtschaftlichem Handeln. Es kann durchaus berechtigte wirtschaftliche Interessen an einer Re-Kapitalisierung geben, etwa wenn es nur vorübergehend und unverschuldet zu Zahlungsengpässen kommt. Hierbei handelt es sich regelmäßig um unternehmerische Überlegungen. Generalanwalt Alber beschreibt in diesem Zusammenhang den Charakter einer Insolvenz privatwirtschaftlicher Unternehmen entweder als Folge tatsächlicher (finanzieller) Zwänge oder einer unternehmerischen Entscheidung: „Bei einem Unternehmen, das Aufgaben mit gewerblichem Charakter wahrnimmt, erfolgt eine Liquidation entweder aus Gründen der Zahlungsunfähigkeit oder weil der Inhaber kein Interesse am Fortbestand des Unternehmens mehr hat. Der erste Fall ist rein wirtschaftlichen Erwägungen unterworfen, der zweite eine Folge der Dispositionsbefugnis des Privateigentümers.“1591

Gleiches kann grundsätzlich auch für Unternehmen unter staatlicher Beteiligung gelten. Das Vergaberecht bezweckt nicht, die unternehmerische Dispositionsbefugnis der Anteilseigner einer solchen Einrichtung zu beschränken. Relevant wird die Verhinderung einer Insolvenz nur dann, wenn der staatliche Anteilseigner losgelöst von wirtschaftlichen und unternehmerischen Überlegungen eingreift. Nur darauf abzustellen, ob es „politisch wahrscheinlich“ ist, dass der Staat etwaige Verluste tragen wird, scheint angesichts der unternehmerischen Dimension einer Abwendung einer Insolvenz nicht angemessen.1592 Die Frage nach der Wahrscheinlichkeit staatlichen Eingreifens zur Verhinderung einer Insolvenz stellt sich in zwei Fällen – jeweils mit einem anderen Vorzeichen. In dem einen Fall sind Mechanismen zur Verhinderung einer Insolvenz vorgesehen. Im anderen Fall fehlen eben diese. Im ersten Fall besteht bereits ein starkes Indiz dafür, dass der Staat – eventuell sogar aufgrund vertraglicher Verpflichtungen – eine Insolvenz mit Finanzmitteln verhindern würde. Hier bleibt nur noch die Frage, ob sich ein solches staatliches Eingreifen als Automatismus zu erwarten ist, oder die Möglichkeit aufgrund der „rechtlichen und tatsächlichen Umstände“1593 besteht, dass der Staat die betreffende Einrichtung dennoch in die Insolvenz entlassen würde. Ein entscheidendes Augenmerk liegt hierbei auf den (vertrags-)rechtlichen Umständen. Lassen Gesellschafts- oder Konsortialverträge dem staatlichen Anteilseigner keine Wahl, 1591 Schlussanträge des Generalanwalts Alber vom 30.1.2001 in EuGH 2001, I-3638 Rn. 61 (verb. Rs. C-223/99 u. C-260/99) – Messe Mailand. 1592 So aber Herrmann Pünder, § 98 GWB, in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht – Handkommentar, Rn.  33 mit Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH; ebenso OLG Hamburg vom 31.3.2014 (1 Verg 4/13) = NZBau 2014, S. 659 (661 f.). 1593 Vgl. EuGH 2003, I-11697 Rn. 81 (C-283/00) – SIEPSA.

A. Die vergaberechtliche Auftraggebereigenschaft

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im Falle drohender Zahlungsunfähigkeit die Einrichtung finanziell zu unterstützen, ist die Wahrscheinlichkeit einer Insolvenzverhinderung gegeben. Bestehen jedoch aufgrund der Gesellschafterverhältnisse oder von bedingten Finanzierungszusagen (etwa unter Vorbehalt von Gremienbeschlüssen, etwa des Gemeinderats, der Landesparlamente o.ä.) hinreichende Anzeichen dafür, dass sich der Staat gegen eine Insolvenzverhinderung entscheiden würde, ist die Wahrscheinlichkeit im obigen Sinne zu verneinen. Beispielsweise können haushaltsrechtliche Aspekte den Staat derart binden, dass ihm eine Verhinderung der Insolvenz finanzrechtlich nicht möglich ist. Fehlen bereits vorgesehene Mechanismen zur Verhinderung einer Insolvenz, ist ein staatliches Eingreifen immer fraglich. Es bleibt nur noch zu prüfen, ob der Staat auch ohne gesetzliche oder vertragliche Verpflichtung zu einer Re-Kapitalisierung bei drohender Zahlungsunfähigkeit eine Insolvenz abwenden würde, auch wenn diese wirtschaftlich nicht sinnvoll wäre.1594 Hier ist regelmäßig die (hypothetische) Motivation der staatlichen Entscheidungsträger zu untersuchen, eine Einrichtung in finanzieller Schieflage aufzurichten, damit sie weiterhin die ihr übertragenen Aufgaben wahrnehmen kann, für die sie gegründet wurde.1595 Weitere Anhaltspunkte für eine Wahrscheinlichkeit einer Insolvenzverhinde­ rung durch staatliche Eigentümer sind –– Erfahrungswerte aus der Vergangenheit (bereits geleistete Verlustausgleichszahlungen), –– die Bilanzorganisation, –– die Art und Weise der (Stamm-)Kapitaleinlage –– sowie der Zwang zu Gewinnausschüttungen. Maßgeblich bleiben immer die konkreten Umstände des Einzelfalls. In zwei Entscheidungen haben sich deutsche Berufungsinstanzen mit der Frage der Wahrscheinlichkeit einer staatlichen Insolvenzverhinderung beschäftigt, wobei sie das Merkmal des „echten Insolvenzrisikos“ entwickelten.1596 Insofern entspricht diese Begrifflichkeit systematisch dem vom EuGH entwickelten funktionalen Ansatz,1597 als es für den nichtgewerblichen Charakter auf das Fehlen eines „echten“ bzw. „tatsächlichen“ Insolvenzrisikos ankommen soll und nicht allein auf formal bestehende Sicherungsmechanismen. Entscheidend ist dabei die Bewertung und Würdigung aller Umstände des Einzelfalls hinsichtlich eines „konkreten und tatsächlich bestehenden Insolvenzrisikos“. Dieser Ansatz 1594 Vgl. Kristina Wieddekind, § 98 GWB, in: Willebruch/Wieddekind, Kompaktkommentar Vergaberecht, Rn. 30. 1595 Vgl. hierzu auch EuGH 2003, I-5321 Rn. 53 (C-18/01) – Korhonen. 1596 KG Berlin vom 27.7.2006 (2 Verg 5/06) Rn. 37 = GewA 2006, S. 498; OLG Hamburg vom 25.1.2007 (1 Verg 5/06) Rn. 26 f. = NZBau 2007, S. 801. 1597 Vgl. hierzu oben, S. 242 ff.

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Kap. 2: Grenzen des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers 

lässt sich mit den beiden oben skizzierten Fallgruppen verknüpfen, indem man das „echte Insolvenzrisiko“ begrifflich mit der „Wahrscheinlichkeit staatlicher Eingriffe zur Verhinderung einer Insolvenz“ gleichsetzt. ff) Aufbauschema zur Bestimmung der Nichtgewerblichkeit Anknüpfungspunkt für die Beurteilung ist entweder der Charakter der Einrichtung oder Tätigkeit der Einrichtung selbst.1598 Schaubild 11 Aufbauschema zur Bestimmung der Nichtgewerblichkeit Wirtschaftliche Tätigkeit Ausrichtung der betrieblichen Tätigkeit auf das Erzielen von Gewinn bzw. nach Leistungs-, Effizienz- und Wirtschaftlichkeitskriterien

in einem wettbewerblich geprägten Umfeld Abzustellen ist auf den Referenzmarkt, auf dem die Einrichtung ihre Tätigkeit ausübt

Nicht­ gewerblichkeit (+)

Nicht­ gewerblichkeit (+)

Übernahme des mit der eigenen Tätigkeit verbundenen wirtschaftlichen Risikos Vorhandensein (formaler) Mechanismen zum Ausgleich von Verlusten?

Wahrscheinlichkeit staatlichen ­ Eingreifens gem. der formalen Mechanismen („echtes Insolvenzrisiko“)

Wahrscheinlichkeit staatlichen ­ Eingreifens auch ohne gesetzliche oder vertragliche ­Verpflichtung

Nicht gegeben, wenn die Vermeidung einer Re-Kapitalisierung rechtlich mög­ lich und tatsächlich vom Staat im Zweifel gewollt würde

Gegeben, wenn staatliche Motivation zur Re-Kapitalisierung vorhanden (z. B. aus ­Gründen der erforderlichen Aufrechterhaltung der ­Aufgaben­erfüllung)

Nichtgewerblichkeit (–)

Nichtgewerblichkeit (+)

1598

Siehe zu den unterschiedlichen Sprachfassungen und deren Bedeutung oben, S. 325.

A. Die vergaberechtliche Auftraggebereigenschaft

337

III. Prüfungsschema Aus den voranstehenden Überlegungen ergibt sich folgendes Prüfungsschema für das Tatbestandsmerkmal der Einrichtung des Öffentlichen Rechts. Schaubild 12 Prüfungsschema zur Fallgruppe der Einrichtung des Öffentlichen Rechts I. Tatbestand „Einrichtung des öffentlichen Rechts“ 1. Rechtspersönlichkeit 2. Staatsgebundenheit 3. Aufgabe im Allgemeininteresse a) Gründungszweck/tatsächlich ausgeübte Tätigkeit b) Im Allgemeininteresse (1) Aufgaben zur Sicherung des Gemeinwesens

[= immer Aufgaben im Allgemeininteresse]

(2) Aufgaben zur Organisation des Gemeinwesens

[= mit hoher Wahrscheinlichkeit Aufgaben im Allgemeininteresse]

(3) Aufgaben zur Entwicklung des Gemeinwesens

[= eher selten ausschließlich Aufgaben im Allgemeininteresse]

II. Beschränkung des Tatbestands → Nichtgewerblichkeit oder Gewerblichkeit?1599 1. Im Wettbewerb stehend 2. auf Gewinnerzielungsabsicht ausgerichtet 3. Einrichtung trägt das Risiko des Verlustes aus dem eigenen Handeln a) Formale Mechanismen zum Ausgleich des Verlustes vorgesehen? b) Wahrscheinlichkeit einer Insolvenz („echtes Insolvenzrisiko“) III. Rechtsfolge

Eröffnung des persönlichen Anwendungsbereichs des Vergaberechts

1599

Siehe hierzu auch ausführlich das Prüfungsschema zur Nichtgewerblichkeit oben, S.336.

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Kap. 2: Grenzen des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers 

B. Das Erfordernis einer Begrenzung des vergaberechtlichen Anwendungsbereichs „Der Begriff des Rechts ist ein praktischer, d. h. ein Zweckbegriff, jeder Zweckbegriff aber ist seiner Natur nach dua­ listisch gestaltet, denn er schliesst den Gegensatz von Zweck und Mittel in sich – es reicht nicht aus, bloss den Zweck namhaft zu machen, sondern es muss zugleich das Mittel angegeben werden, durch welches er erreicht werden kann. Auf diese beiden Fragen muss daher auch das Recht uns überall Rede und Antwort stehen – im Ganzen und Grossen sowohl, wie bei jedem einzelnen Rechtsinstitut, und in der That ist die ganze Systematik des Rechts nichts als die unausgesetzte Beantwortung beider Fragen.“1600

Diese Betrachtung des Rechts von Iherings aus dem Jahre 1873 beschreibt jene Anforderungen treffend, die auch an das Europäische Recht im Allgemeinen sowie das Vergaberecht im Besonderen zu stellen sind. Das Recht soll nicht bloß den Zweck, also das Regelungsziel festlegen, sondern auch die Mittel zur Erreichung des Regelungsziels benennen. Dies muss gelten sowohl für das Recht in seiner gesamten Systematik als auch für einzelne Tatbestandsmerkmale und Rechtsbegriffe. Das Recht wird unvollkommen, wenn es entweder an der Benennung des Regelungszwecks oder des Mittels fehlt. Die starke Zweckorientiertheit des Europarechts an den Integrationszielen birgt die Gefahr, dass das Recht hinsichtlich der zu wählenden Mittel nur unzureichende Auskunft gibt mit der Folge fehlender Rechtsklarheit und Rechtsunsicherheit für die Rechtsanwender. Zu einer derartigen Unklarheit trägt auch die starke Funktionalisierung des Rechts zur Erreichung der Regelungsziele im Bereich des Vergaberechts bei. Betroffen hiervon ist im Besonderen der vergaberechtliche Anwendungsbereich mit der Rechtsfigur des Öffentlichen Auftraggebers. Führt diese Funktionalisierung zu einem elementaren Widerspruch mit den wesentlichen Grundprinzipien der Europäischen Rechtsordnung, ist es nicht hinnehmbar, die Frage, ob die Vergaberegeln auf eine Einrichtung Anwendung finden oder nicht, von einer für den einfachen Rechtsanwender nicht überschaubaren Einzelfallbetrachtung abhängig zu machen. In diesem Fall ist der Tatbestand des Öffentlichen Auftraggebers im Wege der Auslegung zu begrenzen.

1600

Rudolf von Ihering, Der Kampf ums Recht, S. 21.

B. Erfordernis einer Begrenzung des Anwendungsbereichs

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I. Das Gebot der Normenklarheit als rechtsstaatlicher Grundsatz der Europäischen Union Der Grat zwischen der erforderlichen Offenheit eines Normengefüges zur Ermöglichung von Entwicklung und Anpassung und dem Erfordernis der Normenklarheit ist schmal. Dies gilt insbesondere für die Europäische Union, die als supranationale Rechtsordnung angesichts ihrer Unvollkommenheit stets im Wandel begriffen ist und gerade mit den Instrumenten der Rechtsangleichung und -harmonisierung eine bestimmte Flexibilität fordert, wie es die Auslegungsgrundsätze des Europarechts zeigen.1601 1. Das Gebot der Normenklarheit als Grenze gesetzgeberischer Gestaltungsmacht Ein Element, das dieser Flexibilität Grenzen setzt, ist das Prinzip der Normenklarheit und Bestimmtheit, das im Unionsrecht „ebenso ein fundamentaler rechtsstaatlicher Grundsatz“1602 ist wie in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten auch.1603 Das Rechtsstaatsprinzip, welches ungeachtet der Nichtstaatlichkeit der Union in Art.  2 EUV verbürgt ist,1604 umfasst auch auf europäischer Ebene den Grundsatz der Rechtssicherheit,1605 aus welchem sich das Gebot der Normenklarheit ableitet. „Der Grundsatz der Rechtssicherheit, von dem sich der Grundsatz des Vertrauensschutzes ableitet, gebietet nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass Rechtsvorschriften klar und bestimmt sind und dass ihre Anwendung für den Einzelnen voraussehbar ist.“1606

1601

Insbesondere der funktionale Ansatz, siehe zu den Auslegungsgrundsätzen oben, S. 237 ff. Werner Meng, Die „Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“, in: Breuer/Epiney/ Haratsch/Schmahl/Weiß, Festschrift für Eckhart Klein, S. 569 (570). 1603 Bei der Europäischen Union handelt es sich insoweit um eine „konstitutionalisierte Rechtsordnung“, wie sich aus Art. 6 Abs. 1 EUV ergibt, vgl. Matthias Rossi, Europäische Integration durch Gemeinschaftsrecht und Gerichtsbarkeit?, S. 107 (112). 1604 Vgl. etwa EuGH 2007, I-1579 Rn. 51 (C-354/04) – Gestoras Pro Amnistía: „Nach Art. 6 EU [alte Fassung] beruht die Union auf dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit […]“. In der englischen Fassung heißt es „Rule of Law“, in der französischen „Etat de droit“, in der italienischen „Stato di diritto“, in der spanischen „Estado de Derecho“; vgl. zu dieser Begrifflichkeit Manfred Zuleeg, Der rechtliche Zusammenhalt der EU, S. 135. 1605 EuGH 1996, I-431 Rn. 27 (C-143/93) – van Es Douane Agenten: „Der Grundsatz der Rechtssicherheit stellt ein grundlegendes Prinzip des Gemeinschaftsrechts dar“; siehe auch EuGH 1983, 2633 Rn. 30 (verb. Rs. 205/82 bis 215/82) – Deutsche Milchkontor: „Zunächst ist zu bemerken, daß die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit Bestandteil der Rechtsordnung der Gemeinschaft sind.“ 1606 EuGH 2009, I-8343 Rn. 46 (C-201/08) – Plantanol; siehe auch EuGH 1996, I-569 Rn. 20 (C-63/93)  – Duff u. a.; EuGH 2000, I-3367 Rn.  66 (C-107/97)  – Rombi und Arkopharma; EuGH 2005, I-4983 Rn. 80 (C-17/03) – VEMW u. a. 1602

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Kap. 2: Grenzen des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers 

Normenklarheit verlangt also, dass dem Normenadressat eine „Regelung klar und deutlich ist, damit er seine Rechte und Pflichten unzweideutig erkennen und somit seine Vorkehrungen treffen kann“.1607 Kurz gesagt: Das von einer euro­ päischen Regelung erfasste Rechtssubjekt muss die Chance haben, das an ihn adressierte Recht zu verstehen.1608 Andernfalls besteht die Gefahr, dass sich der Betroffene als Objekt einer für ihn willkürlich erscheinenden staatlichen Gewalt empfindet.1609 Der Bestimmtheitsgrundsatz als Ausdruck der Rechtsstaatlichkeit ist allge­mei­ ner Rechtsgrundsatz,1610 obwohl dieser in allen Mitgliedstaaten unterschiedlich ausgestaltet ist.1611 In der Bundesrepublik soll nach dem Bundesverfassungsgericht das Gebot der Normenbestimmtheit und der Normenklarheit als aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG abgeleiteter Verfassungsgrundsatz „die Betroffenen befähigen, die Rechtslage anhand der gesetzlichen Regelung zu erkennen, damit sie ihr Verhalten danach ausrichten können.“1612 Es hat gleichzeitig die Aufgabe, –– „die Verwaltung zu binden und ihr Verhalten nach Inhalt, Zweck und Ausmaß zu begrenzen“, –– „hinreichend klare Maßstäbe für Abwägungsentscheidungen“ bereitzustellen, –– vor Missbrauch zu schützen, „sei es durch den Staat selbst oder – soweit die Norm die Rechtsverhältnisse der Bürger untereinander regelt  – auch durch diese“, und –– die „Gerichte in die Lage zu versetzen, getroffene Maßnahmen anhand rechtlicher Maßstäbe zu kontrollieren“1613.

1607 EuGH 1996, I-431 Rn. 27 (C-143/93) – van Es Douane Agenten; siehe auch EuGH 1981, 1931 (169/80) – Gondrand Frères und EuGH 1989, 405 (verb. Rs. 92/87 und 93/87) – Kommission/Frankreich und Vereinigtes Königsreich. 1608 Vgl. auch Franz C. Mayer, Art. 342 AEUV, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union (46. Ergänzungslieferung), Rn. 23. 1609 Vgl. hierzu Bernd Grzeszick, Art. 20 GG, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz – Kommentar (48. Ergänzungslieferung), Rn. 50: „Ohne ein Mindestmaß an solcher Verläßlichkeit bleibt das Handeln des Staates für den Bürger unvorhersehbar und damit sowohl unberechenbar als auch unverständlich; er müßte sich als Objekt einer für ihn willkürlich erscheinenden staatlichen Gewalt empfinden. Dies soll durch die Rechtssicherheit vermieden werden.“ 1610 Vgl. EuGH 1981, 1931 Rn. 17 (169/80) – Gondrand Frères. 1611 Vgl. hierzu Christian Calliess, Art. 2 EUV, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV – Kommentar, Rn. 26 m. w. N. in Fn. 106. 1612 BVerfG vom 26.7.2005 (1 BvR 782/94, 1 BvR 957/96) = BVerfGE 114, 1 (53); vgl. auch BVerfG vom 3.3.2004 (1 BvF 3/92) = BVerfGE 110, 33 (57); BVerfG vom 9.4.2003 (1 BvL 1/01, 1 BvR 1749/01) = BVerfGE 108, 52 (75); BVerfG vom 3.6.1992 (BvR 1041/88, BvR 78/89) = BVerfGE 86, 288 (311); BVerfG vom 27.11.1990 (1 BvR 402/87) = BVerfGE 83, 130 (143). 1613 BVerfG vom 26.7.2005 (1 BvR 782/94, 1 BvR 957/96) = BVerfGE 114, 1 (53).

B. Erfordernis einer Begrenzung des Anwendungsbereichs

341

Es ist nicht erkennbar, diese vom BVerfG entwickelten Grundsätze im Widerspruch zum europäischen Verständnis von Rechtssicherheit und Normenklarheit stünden. Unter Berücksichtigung des Grundsatzes der rein europarechtsautono­ men Auslegung können diese Ansätze daher grundsätzlich auch zur Bestimmung des europarechtlichen Gebots der Normenklarheit mitherangezogen werden. Im Europarecht finden sich viele normative, also auslegungs- und wertungsbedürftige Begrifflichkeiten und Tatbestände, deren Konkretisierung der Judikatur überlassen wurde, um eine hinreichende Flexibilität des Rechts mit dem Wandel der Union sicherzustellen. Für die teilweise sehr weit und ungenau formulierten Normen gibt es jedoch auch noch andere Gründe. Meng nennt als Beispiel Redaktionsversehen, Inhomogenität aufgrund Zeitdrucks bei den Verhandlungen über die Verträge, aber auch bewusst offene Formulierungen, um einen Dissens zu verschleiern.1614 2. Der Öffentliche Auftraggeberbegriff im Lichte des Gebots der Normenklarheit Wie gezeigt, wurde der Tatbestand des vergaberechtlichen Anwendungsbereichs mit der Figur des Öffentlichen Auftraggebers bewusst offen formuliert. Hintergrund der weiten Tatbestandsfassung ist der funktionale Ansatz, den der Unionsgesetzgeber und der EuGH zur Bestimmung persönlichen Anwendungsbereichs des Vergaberechts gewählt haben. Dieser funktionale Ansatz ist Ausdruck des effet utile. Er orientiert sich vorrangig am Regelungsziel des Vergaberechts und schafft mit seinen weiten Tatbestandsmerkmalen den Auslegungsspielraum, der eine optimale Zweckerreichung ermöglichen soll.1615 Die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe, wie dem der „Einrichtung des öffentlichen Rechts“ als Fallgruppe des Öffentlichen Auftraggeberbegriffs, steht für sich genommen in keinem Widerspruch zum Gebot der Normenklarheit und Rechtssicherheit. Dem Gesetzgeber ist es nämlich nicht verwehrt, unbestimmte Rechtsbegriffe zu verwenden, da deren Ausfüllung „eine herkömmliche und an­ erkannte Aufgabe der Rechtsanwendungsorgane ist“1616. Die Normadressaten müssen jedoch immer erkennen können, mit welchen Rechtswirkungen sie zu rechnen haben.1617 1614

Vgl. zu diesem Motiv Werner Meng, Die „Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen In­teresse“, in: Breuer/Epiney/Haratsch/Schmahl/Weiß, Festschrift für Eckhart Klein, S.  569 (570). 1615 Siehe ausführlich zum funktionalen Ansatz und zum funktionalen Auftraggeberbegriff oben, S. 242 ff. 1616 BVerfG vom 9.5.1989 (1 BvL 35/86) = BVerfGE 80, 103 (107); BVerfG vom 12.1.1967 (1 BvR 169/63) = BVerfGE 21, 73 (82); BVerfG vom 10.10.1961 (2 BvN 1/60) = BVerfGE 13, 153 (161). 1617 Vgl. dazu Anna Leisner, Kontinuität als Verfassungsprinzip, S. 373 ff.

342

Kap. 2: Grenzen des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers 

Dieser Grundsatz steht im Fall des Öffentlichen Auftraggeberbegriffs insbesondere in Gestalt der Fallgruppe der „Einrichtung des Öffentlichen Rechts“ in Frage. Weder dem Europäischen Gerichtshof noch der Literatur ist es bis heute gelungen, abstrakt-generelle Kriterien und Definitionen zu entwickeln, die es dem Rechtssubjekt ermöglichen zu erkennen, ob es in den vergaberechtlichen Anwendungsbereich fällt und damit an die umfassenden Regelungen zur Auftragsvergabe gebunden ist oder nicht.1618 Auch die in dieser Arbeit gefundenen Anhaltspunkte dienen allenfalls als Indizien. Als Antwort auf die wiederkehrenden Auslegungsfragen, die sich insbesondere aus den Tatbestandsmerkmalen der Fallgruppe der Einrichtung des Öffentlichen Rechts ergeben, verweist der Europäische Gerichtshof regelmäßig auf das Erfordernis, im Rahmen einer einzelfallbezogenen Gesamtbetrachtung alle „rechtlichen und tatsächlichen Umstände“1619 zu berücksichtigen. Diese vom EuGH geforderte Einzelfallbetrachtung übersteigt regelmäßig in Umfang und Komplexität die herkömmliche Subsumtion des Sachverhalts unter die einzelnen Tatbestandsmerkmale. Erforderlich ist meist die Abwägung und Einordnung u. a. von Insolvenzrisiken, gesellschaftsvertraglichen Regelungen, Eigentümerstrukturen und Unternehmenszwecken, deren Ergebnis für das betroffene Rechtssubjekt nicht vorhersehbar ist.1620 Auch der Zweck des Öffentlichen Auftraggeberbegriffs, eine funktionale Äquivalenz zu staatlichen Einrichtungen herzustellen, ist mehr eine weitere unbestimmte Variable als hilfreicher und griffiger Anhaltspunkt. Hinzu kommt die Schwierigkeit, dass der Tatbestand in seinen einzelnen Fallgruppen und Merkmalen im jeweiligen nationalen Recht im Lichte des sekundärrechtlichen Ursprungs sowie den im Vergaberecht sehr bedeutsamen Grundprinzipien der Europäischen Rechtsordnung gesehen werden müssen.1621 Zwar erlaubt es die Bewertung der historischen Entwicklung des Europäischen Vergaberechts, eine kontinuierliche Verbesserung der Rechtssicherheit festzustellen.1622 Trotzdem besteht nach wie vor eine große Diskrepanz zwischen dem Anspruch des Europarechts an Klarheit und Bestimmtheit von Rechtsvorschriften und der tatbestandlichen Wirklichkeit des vergaberechtlichen Anwendungsbereichs. Auch der in dieser Arbeit unternommene Versuch, die Tatbestandsmerkmale abstrakt-theoretisch zu definieren,1623 kann angesichts der weiterhin erforderlichen Einzelfallbetrachtung die verbleibenden Unklarheiten nicht beseitigen. Daher liegt

1618

Vgl. hierzu ausführlich oben, S. 297 ff. EuGH 2003, I-11697 Rn. 81 (C-283/00) – SIEPSA. 1620 Siehe insbesondere zu den Schwierigkeiten, die Tatbestandsmerkmale des „besonderen Gründungszwecks“ und der „Nichtgewerblichkeit“ zu bestimmen, oben, S. 312 ff. 1621 Siehe hierzu oben, S. 240 1622 Siehe oben, S. 156 ff., S.166 ff., S. 180 ff. 1623 Siehe hierzu umfassend oben, S. 297 ff. 1619

B. Erfordernis einer Begrenzung des Anwendungsbereichs

343

die Annahme nahe, dass mit dem vorliegenden Öffentlichen Auftraggeberbegriff das Gebot der Normenklarheit als „rechtsstaatliches“ Grundprinzip der Europäischen Union verletzt ist. 3. Die Rolle der Mitgliedstaaten als sekundärrechtliche Normadressaten Das regelmäßige Phänomen des Völkerrechts, nach welchem Normsetzer und Normadressat meist identisch sind1624 und damit wie bei einem In-sich-Geschäft der Normgehalt dem Adressaten bestens bekannt ist, kann im Falle der Union auch keine Klarheit eo ipso schaffen. Der supranationale Charakter der unionalen Rechtsordnung mit eigenen Organen kann trotz der Einflussnahmemöglichkeit der Mitgliedstaaten, insbesondere durch den Rat, nicht von einer Willensunmittelbarkeit ausgegangen werden. Die Mitgliedstaaten sind zwar originäre Adressaten der umsetzungsbedürftigen Richtlinien.1625 Angesichts der oftmals vorherrschenden Identität zwischen Richtlinien- und Umsetzungsrecht und dem Erfordernis der europarechtskonformen Auslegung werden aus den Unionsbürgern regelmäßig faktische Normadressaten des sekundären Unionsrechts. Etwaigen Normunsicherheiten kann damit nicht mit dem Hinweis begegnet werden, die Mitgliedstaaten seien aufgrund ihrer Mitwirkung im Rat der EU selbst Teil des Unionsgesetzgebers, mit der Folge, dass ihnen die eigens geschaffene Norm nicht unklar sein könne. Abzustellen ist vielmehr auf den Adressaten nach dem nationalen Umsetzungsrecht, also damit der Bürger oder die betreffende juristische Person, der Schutzsubjekt des unionsrechtlichen Grundsatzes der Rechtssicherheit ist.

II. Kompetenzrechtliche Aspekte Aus Sicht des Unionsgesetzgebers ist das Vergaberecht ein Instrument zur Verwirklichung des Binnenmarktes, also ein Vehikel der Förderung wirtschaftlicher Gemeinwohlinteressen einer europäischen Rechtsgemeinschaft.1626 Fraglich ist, ob bei dem Streben nach einer Öffnung der nationalen Beschaffungsmärkte zugunsten eines von Wettbewerb geprägten europäischen Vergabemarktes die Berück-

1624 Vgl. zu dieser Überlegung Werner Meng, Die „Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“, in: Breuer/Epiney/Haratsch/Schmahl/Weiß, Festschrift für Eckhart Klein, S.  569 (570). 1625 Im Gegensatz zur Verordnung kann eine Richtlinienbestimmung nur für die Mitgliedstaaten, nicht aber für den Einzelnen Verpflichtungen begründen, vgl. Werner Schroeder, Art. 288 AEUV, in: Streinz, EUV/AEUV – Kommentar, Rn. 75. 1626 Vgl. oben, S. 209 ff.

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Kap. 2: Grenzen des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers 

sichtigung der für das Europarecht fundmentalen Grundprinzipien in den Hintergrund geraten ist. Zu diesen Grundprinzipien gehören auch die Grundätze der Kompetenzbindung der EU und ihrer Organe. 1. Kompetenzrechtliche Beschränkungen zum Schutz der mitgliedstaatlichen Integrität Wie im Rahmen der Rechtssetzungskompetenzen der EU gezeigt, folgt aus dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung die Beschränkung unionaler (Gesetzgebungs-)Tätigkeit auf den von den Kompetenzvorschriften festgelegten Rahmen.1627 Dies gilt auch und besonders für den Bereich der Vorschriften über die Rechtsangleichung im Binnenmarkt als generalnormartige Ermächtigungstatbestände.1628 Aus dem Subsidiaritätsgrundsatz folgt, dass die Europäische Union in den Bereichen, die nicht ihrer ausschließlichen Zuständigkeit unterliegen, nur tätig werden darf, „sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkung besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können.“1629 Wie von Danwitz schreibt, gelten die kompetenzrechtlichen Beschränkungen zum Schutz der mitgliedstaatlichen Integrität „selbst im Kern der wirtschaftlichen Integration“1630. Denn so wäre doch die Binnenmarktidee missverstanden, „wenn man sie allein auf möglichst freies Wirtschaften, möglichst freies Leben in der Europäischen Union bezieht“1631. Die Grundfreiheiten als wirtschaftlicher Kern der europäischen Binnenmarktkonzeption sehen mit Tatbestandsbegrenzungen wie etwa der Keck-Rechtsprechung1632, insbesondere aber mit den geschriebenen und ungeschriebenen Rechtfertigungsgründen staatlichen Eingreifens in den Schutzbereich der Warenverkehrs-1633, Niederlassungs-1634 und Dienstleistungsfrei 1627

Zum Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung siehe oben, S. 206. Siehe Rechtsprechungsnachweis in Fn. 954. 1629 Vgl. EuGH 2010, I-4999 Rn. 72 (C-58/08) – Vodafone u. a. und Wortlaut des Art. 5 Abs. 2 EUV; ebenso hierzu oben, S. 207. 1630 Siehe hierzu oben, S. 208 ff. sowie Thomas von Danwitz, EuR 2008, S. 769 (783). 1631 Claus Dieter Classen, EuR 2004, S. 416. 1632 Siehe zur Keck-Rechtsprechung (EUGH 1993, I-6097 Rn. 14 (verb. Rs. C-267/91 und C-268/91) – Keck und Mithouard) ausführlich Thorsten Kingreen, Art. 36 AEUV, in: Calliess/ Ruffert, EUV/AEUV – Kommentar, Rn. 49 ff. Ebenso gilt tatbestandsbegrenzend die Bereichsausnahme des Art. 51 Abs. 1 AEUV für die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV und über Art. 62 AEUV für die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV. 1633 Geschriebene Rechtfertigungsgründe der Warenverkehrsfreiheit gem. Art. 34 AEUV ergeben sich aus Art. 36 AEUV. 1634 Art. 52 Abs. 1 AEUV sieht Rechtfertigungsgründe im Rahmen der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV vor. 1628

B. Erfordernis einer Begrenzung des Anwendungsbereichs

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heit1635 klare Grenzen der Integration vor. Die „Ketten“ vermag auch das Prinzip der praktischen Wirksamkeit nicht sprengen.1636 2. Kompetenzbindung als Begrenzung der Auslegung des Sekundärrechts Gleiches muss für das Vergabesekundärrecht gelten, das seine Legitimation aus den jeweiligen Kompetenztiteln des EU-Primärrechts ableitet und damit sachlich auf die Reichweite dieser Vorschriften festgelegt ist.1637 So stützen sich die Vergaberichtlinien auf die Kompetenzvorschriften im Rahmen der Niederlassungsund Dienstleistungsfreiheit sowie der Angleichung der nationalen Rechtsvorschriften im Binnenmarkt.1638 Diese ermächtigten den Unionsgesetzgeber, Maßnahmen zu erlassen, die die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes im Allgemeinen und der Grundfreiheiten im Besonderen verbessern.1639 Gleichwohl ­bieten sie keine allgemeine Gesetzgebungskompetenz. Ganz im Gegenteil: Rechtsakte, die auf die Vorschriften über die Harmonisierung und Rechtsangleichung nach Art. 114 f. AEUV gestützt werden, müssen in besonderem Maße dem Subsidiaritätsprinzip durch ein gesteigertes Begründungsbedürfnis gerecht werden.1640 Die Strahlkraft der Kompetenzvorschriften nimmt nicht exponentiell ab, je weiter das ursprüngliche Recht durch die Normenebenen seinen Weg zu den Normenadressaten findet. Die Bindung des Unionsgesetzgebers an die Kompetenzgrenzen setzt sich vielmehr derart fort, dass auch die Richtlinien im Lichte des Umfangs der ihr zugrunde liegenden Kompetenzvorschrift auszulegen sind und erreicht demnach auch das nationale Umsetzungsrecht. Das ergibt sich bereits aus dem Erfordernis der „primärrechtskonformen“1641 Auslegung, die gleich der „richtlinienkonformen Auslegung“1642 am Maßstab des höherrangigen Rechts zu erfolgen hat. Hierzu gehören nach dem EU-Recht eben auch die Kompetenzschranken. Neben der Auslegung der Vergaberichtlinien im Kontext ihres Normzwecks, der Förderung von Wettbewerb, Transparenz und Nichtdiskriminierung, muss also

1635 Art. 62 AEUV verweist zur Rechtfertigung staatlicher Eingriffe in die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV auf Art. 52 AEUV. 1636 Siehe hierzu vielerorts, etwa S. 203 ff. 1637 Siehe zu den Kompetenzgrundsätzen oben, S. 206 ff. 1638 Zu den Rechtsgrundlagen für die Vergaberichtlinien mit einer tabellarischen Übersicht siehe oben, S. 215 ff. 1639 Vgl. zum Ermächtigungsumgang der Vorschriften über die Rechtsangleichung im Binnenmarkt EuGH 2000, I-8419 Rn. 83 (C-376/98) – Deutschland/Parlament und Rat. 1640 Vgl. hierzu ausführlich oben, S. 215 ff. 1641 Britta Dieck-Bogatzke, § 124 Bindungswirkung und Vorlagepflicht, in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht – Handkommentar, Rn. 20. 1642 Siehe zur richtlinienkonformen bzw. europarechtskonformen Auslegung oben, S. 240 ff.

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Kap. 2: Grenzen des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers 

gleichzeitig darauf geachtet werden, dass der kompetenzrechtliche Rahmen des Primärrechts, die Festlegung auf die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes im Allgemeinen und die Regelungsziele der Grundfreiheiten samt ihrer Tatbestandsbeschränkungen und Rechtfertigungstatbestände im Besonderen, nicht überschritten wird.

III. Grundrechtliche Aspekte Auf europäischer Ebene kommt dem Grundrechtsschutz eine immer größere Bedeutung zu.1643 Das „europäische Projekt“ als eine neue „Gemeinsamkeit des Denkens stellt den Menschen und seine Freiheit in den Mittelpunkt, was zu wichtigen Folgerungen für die Aufgaben des Rechts als Begrenzung hoheitlichen Handelns und als soziales Steuerungsinstrument für den Entstehungsprozeß von Recht führt“1644. Hierzu zählt auch der Schutz der Privatautonomie, die als Element der Integrationsförderung im Europarecht verankert ist.1645 Da das Wirtschaftskonzept der Europäischen Union nicht ohne Vertragsfreiheit funktionsfähig wäre, setzt die Europäische Rechtsordnung diese demgemäß als selbstverständlich voraus.1646 „Ausfluß der Privatautonomie des einzelnen und ökonomisch erwünscht ist es gerade, wenn Private für ihr Verhalten wirtschaftliche Motive ausschlaggebend sein lassen.“1647 Die Privatautonomie ist jedoch nicht nur als ein ökonomisches Prinzip der Binnenmarktkonzeption, sondern auch als Ausdruck der grundrechtlich geschützten allgemeinen Handlungsfreiheit zu verstehen.

1643

Vgl. hierzu etwa EuGH 2007, I-1579 (C-354/04 P) – Gestoras und EuGH 2007, I-1657 (C-255/04 P) – Segi. 1644 Eckhart Klein, Vereinheitlichung des Verwaltungsrechts im europäischen Integrationsprozeß, in: Starck, Rechtsvereinheitlichung durch Gesetze, S. 117 (122). 1645 So etwa Peter-Christian Müller-Graff, Art. 28 EG, in: von der Groeben/Schwarze, EUV/ EGV Kommentar, Rn. 8. 1646 Claus-Wilhelm Canaris, Verfassungs- und europarechtliche Aspekte der Vertragsfreiheit in der Privatrechtsgesellschaft, in: Badura/Scholz, Festschrift für Peter Lerche, S. 873 (890); siehe auch Albert Bleckmann/Stefan Ulrich Pieper, B. I. Rechtsquellen 4.  Die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Europäischen Gemeinschaftsrechts, in: Dauses, EU-Wirtschaftsrecht (5. Ergänzungslieferung) Rn. 134. 1647 Albrecht Randelzhofer/Ernst Forsthoff, Vorbemerkung zu den Art. 39–55 EGV, in: Eberhard Grabitz/Meinhard Hilf/Martin Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union (18. Ergänzungslieferung, München 2001) Rn. 82.

B. Erfordernis einer Begrenzung des Anwendungsbereichs

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1. Grundrechtlicher Schutz der Privatautonomie und Vertragsfreiheit im Europäischen Recht Mit dem Vertrag von Lissabon 2009 wurde in Art. 6 Abs. 1 EUV die Rechtsverbindlichkeit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GrCh)1648 und in Art. 6 Abs. 3 EUV die Gleichrangigkeit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)1649 als allgemeine Rechtsgrundsätze mit dem Unionsrecht festgelegt. Die darin enthaltenen Grundrechte bilden einen verbindlichen Prüfungsmaßstab für das Unionsrecht und das unionale Handeln. Der Rückgriff auf einzelne, als allgemeine Rechtsgrundsätze hergeleitete ungeschriebene Grundrechte ist insofern obsolet geworden, als insbesondere mit der GrCh eine umfassende Kodifizierung dieser Rechte stattgefunden hat.1650 Art. 16 GrCh schreibt den Schutz der unternehmerischen Freiheit nach dem Unionsrecht sowie der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten vor, insbesondere1651 auch den Schutz der Vertragsfreiheit. Art. 16 kodifiziert die Rechtsprechung des EuGH,1652 welche die unternehmerische Freiheit als wirtschaftliche Tätigkeit zu jenen Grundrechten zählt, von deren Schutz das Unionsrecht als allgemeinem Rechtsgrundsatz ausgeht.1653 Hierzu gehört auch die Vertragsfreiheit, auf der das Recht der Parteien, Verträge zu schließen und zu ändern, beruht und „daher nicht eingeschränkt werden kann, wenn es keine Gemeinschaftsregelung gibt, die in dieser Beziehung besondere Beschränkungen festlegt“1654. Ob die Vertragsfreiheit im Einzelnen der unternehmerischen Freiheit (Art. 16 GrCh) oder der Berufsfreiheit (Art.  15 GrCh) zuzurechnen ist, kann insofern dahinstehen, da der EuGH vor der Trennung der Tatbestände durch die Grundrechte-Charta eine dogmatische Unterscheidung nicht vornahm und wohl auch in Zukunft nicht vornehmen wird.1655 Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) leitet den Grundsatz der Vertragsfreiheit aus Art. 1 des 1648

Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 7.12.2000 in der Fassung vom 12.12.2007, ABl. 2007 C 303/1. 1649 1. Zusatzprotokoll (BGBl. II 1956, 1879) zur Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4.11.1950 (BGBl. II 1952, 685). 1650 Zu diesen ungeschriebenen Grundrechten gehörte auch der Schutz der Vertragsfreiheit, vgl. hierzu Claus-Wilhelm Canaris, Verfassungs- und europarechtliche Aspekte der Vertragsfreiheit in der Privatrechtsgesellschaft, in: Badura/Scholz, Festschrift für Peter Lerche, S. 873 (890). 1651 Thorsten Sasse, Die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen durch die unternehmerische Freiheit gemäß Art. 16 der Europäischen Grundrechtecharta, EuR 2012, S. 628 (628 f.). 1652 Vgl. die Erläuterungen zu Art. 16 der Charta der Grundrechte, ABl. 2007 C 303/17. 1653 Vgl. EuGH 1979, 2749 Rn. 20 und 31 (230/78) – SpA Eridania. 1654 EuGH 1997, I-6571 Rn. 99 (C-240/97) – Spanien/Kommission. 1655 Vgl. hierzu ausführlich Matthias Ruffert, Art.  16 GrCh, in: Calliess/Ruffert, EUV/ AEUV – Kommentar, Rn. 1 f.

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Kap. 2: Grenzen des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers 

ersten Zusatzprotokolls zur EMRK ab und verleiht ihm damit grundrechtliche Relevanz.1656 Mithin ist der Schutz der Privatautonomie und der Vertragsfreiheit zu den nach Art. 6 Abs. 2 EUV von der Europäischen Union zu gewährleistenden Grundrechten zu zählen.1657 2. Privatautonomie und Vertragsfreiheit als grundrechtlich geschütztes Motiv des Europarechts Die aufgrund ihrer „integrationsfördernden Wirkung“1658 europarechtlich gebotene und grundrechtlich vorgegebene Privatautonomie ist im Rahmen der Rechtssetzung und Rechtsanwendung auf europäischer Ebene ebenso zu beachten wie auf nationaler. Im Grundsatz bedeutet das: „In einer durch das Prinzip der Privatautonomie geprägten Gesellschaft muss nämlich jedem Partner rechtlicher Beziehungen Entscheidungsfreiheit zukommen.“1659 Stehen sich im Privatrechtsverkehr Vertragsund Geschäftspartner gleichberechtigt gegenüber, unterliegt es ihrem Einfluss bei der Aushandlung eines Vertrages ihre Interessen zu schützen. In diesem Fall bedarf es keines reglementierenden staatlichen oder europarechtlichen Korrektivs. Vielmehr müssen diese Rechtsbeziehungen aufgrund der grundrechtlich verbürgten Vertragsfreiheit frei von hoheitlichen Eingriffen gehalten werden. Freilich etwas anderes muss gelten, wenn zwischen den Parteien ein „strukturelles Machtungleichgewicht besteht, das dazu führen kann, dass die stärkere Partei die Schwächere dominiert“1660. Ebendann ist ein „Missbrauch der Privatautonomie“1661 zu besorgen. In diesen Fällen ist ein staatliches bzw. europarechtliches Einschreiten geboten, welches „das unterlegene Privatrechtssubjekt in den Stand versetzen kann, von seiner Privatautonomie effektiv Gebrauch zu machen“1662.

1656

EGMR vom 25.3.1999 (Appel No 31107/75) Slg. 1999-II S. 96 – Iatridis/Griechenland. Vgl. auch Carsten Herresthal, Die Ablehnung einer primärrechtlichen Perpetuierung des sekundärrechtlichen Verbraucherschutzniveaus, EuZW 2011, S. 328 (332), und Peter ­Badura, Gleiche Freiheit im Verhältnis zwischen Privaten  – Die verfassungsrechtliche Problematik der Umsetzung der EG-Diskriminierungsrichtlinien in Deutschland  –, ZaöRV 2008, S.  347 (350). 1658 Siehe etwa Peter-Christian Müller-Graff, Art. 28 EG, in: Hans von der Groeben/Jürgen Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum EUV und EGV (6. Aufl., Nomos 2003) Rn. 8. 1659 Claus Dieter Classen, Die Grundfreiheiten im Spannungsfeld von europäischer Marktfreiheit und mitgliedstaatlichen Gestaltungskompetenzen, EuR 2004, S. 416 (428 f.) mit Verweis auf BVerfG vom 19.10.1993 (1 BvR 567/89) = BVerfGE 89, 214 (232). 1660 Achim Seifert, Die horizontale Wirkung von Grundrechten, EuZW 2011, S. 696 (699). 1661 Friedmann Kainer, Wirtschaftsrecht – 2. Die Sicherung des Wettbewerbs, in: Jan Bergmann, Handlexikon der Europäischen Union. 1662 Achim Seifert, Die horizontale Wirkung von Grundrechten, EuZW 2011, S. 696 (699). 1657

B. Erfordernis einer Begrenzung des Anwendungsbereichs

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Das Europarecht sieht ein solches Einschreiten auf primär- und sekundärrechtlicher Ebene etwa mit den Mitteln des Kartellrechts1663, dem Verbot von Diskriminierungen zwischen Privaten1664 und dem Verbraucherschutz1665 vor. Auch das Vergaberecht mit dem Ziel der Förderung von Transparenz und Wettbewerb und der Verhinderung von Diskriminierungen verfolgt unter anderem den Zweck, das Machtgefüge zwischen Staat und Bürger zu relativieren und strukturelle Disparitäten in diesen Vertragsbeziehungen zu verhindern.1666 Im Grundsatz funktioniert eine Wirtschaftsordnung, die auf der Vertragsfreiheit und auf dem Wettbewerbsgedanken aufbaut, ohne hoheitliche Korrektur privatrechtlicher Vertragsbeziehungen. Sie enthält „so viele und wirksame Hemmnisse gegen grob ungerechte Ergebnisse“1667, dass „eine derartige Ordnung auch unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten im Grundsatz unbedenklich ist“1668. In diesem Sinne gilt es die Vertragsfreiheit nur zu modifizieren oder einzuschränken, um der Gerechtigkeit, insbesondere einem funktionierenden Wettbewerb, Vorschub zu leisten und damit „Beeinträchtigungen der faktischen Entscheidungsfreiheit zu kompensieren“1669.

1663 Vgl. Art.  101 und 102 AEUV, siehe hierzu auch Michael Paulweber/Armin Weinand, Europäische Wettbewerbspolitik und liberalisierte Märkte, EuZW 2001, S. 232 (235). 1664 Vgl. Art. 18, 19 AEUV sowie die RL 2000/43/EG des Rates vom 29.6.2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft, ABl. 2000 L 180/22) RL 2000/78/EG des Rates vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, ABl. 2000 L 303/16; RL 2004/113/EG des Rates vom 13.12.2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, ABl. 2004 L 373/37. Siehe auch Matthias Jestaedt, Diskriminierungsschutz und Privatautonomie, in: Vereinigung Deutscher Staatsrechtslehrer (Hrsg.), Der Sozialstaat in Deutschland und Europa, VVDStRL 64 (de Gruyter 2005) S. 298; ebenso Peter Badura, Gleiche Freiheit im Verhältnis zwischen Privaten  – Die verfassungsrechtliche Problematik der Umsetzung der EG-Diskriminierungsrichtlinien in Deutschland –,­ ZaöRV 2008, S. 347 (355 ff.). 1665 Vgl. hierzu etwa die RL 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rats vom 25.5.1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, ABl. 1999 L 171/12; siehe auch Carsten Herresthal, Die Ablehnung einer primärrechtlichen Perpetuierung des sekundärrechtlichen Verbraucherschutzniveaus, EuZW 2011, S. 328. 1666 Siehe Fn. 151. 1667 Claus-Wilhelm Canaris, Verfassungs- und europarechtliche Aspekte der Vertragsfreiheit in der Privatrechtsgesellschaft, in: Badura/Scholz, Festschrift für Peter Lerche, S. 873 (886). 1668 Ebd. 1669 Ebd.

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Kap. 2: Grenzen des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers 

3. Der Öffentliche Auftraggeber und der persönliche Schutzbereich der Vertragsfreiheit Das Prinzip der Vertragsfreiheit ist als Teil  der europäischen Grundrechteordnung im Rahmen der systematischen und teleologischen Auslegung des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers zu beachten. Ob eine Einrichtung, die als Auftraggeber im Sinne des Vergaberechts in Betracht kommt, Begünstigte des grundrechtlichen Schutzes der Vertragsfreiheit sein kann, birgt bei erster Betrachtung ein Zirkelschlussproblem in sich. Wäre sie eine dem Staat zuzuordnende Stelle, ist zu fragen, ob sie nicht vielmehr Verpflichtete als Berechtigte ist. Nach wohl h. M. wird davon ausgegangen, dass dem Staat keine eigene Handlungsfreiheit und damit auch keine Vertragsfreiheit zusteht.1670 In diesem Fall käme der Einrichtung kein grundrechtlicher Schutz zu. Damit könnte die Vertragsfreiheit nicht herangezogen werden, um eine Beschränkung des Anwendungsbereichs zu rechtfertigen. Gegenstand dieser Untersuchung sind aber gerade die Grenzfälle, in denen nicht klar ist, ob eine dem Staat zurechenbare Einrichtung vorliegt. Erachtet man die vergaberechtliche Unterteilung für die Beurteilung zwischen staatlich und nichtstaatlich als maßgeblich für die Bestimmung des persönlichen Schutzbereiches der Vertragsfreiheit, käme es zu einem unüberwindbaren Zirkelschluss. Entscheidend kann daher für die Zurechnung der Einrichtung zum Staat nicht die funktionale Betrachtung des Vergaberechts sein, sondern die entsprechende Grundrechtsdogmatik. Anhand derer lässt sich das vermeintliche Dilemma lösen. Nach der Lehre des Verwaltungsprivatrechts ist grundsätzlich von einer Grundrechtsbindung des fiskalisch handelnden Staates auszugehen.1671 Hier findet wieder die von Kirchhof gefasste Gleichung Anwendung.1672 Die Grundrechtsbindung ist daher differenziert zu betrachten, wenn der Staat über eine juristische Person des Privatrechts privatrechtlich tätig wird.1673 Dies ist regelmäßig der Grundfall der Abgrenzungsproblematik hinsichtlich des Vorliegens einer Einrichtung des öffentlichen Rechts. Eine im Volleigentum des Staates befindliche private Gesellschaft, die öffentlichen Aufgaben der Verwaltung dient, ist etwa an die Grundrechte gebunden.1674 Sobald sie sich jedoch im Miteigentum privater Gesellschafter befindet, kann  – selbst wenn sie unter staatlicher Kontrolle steht  – nicht ohne weiteres von einer solchen Bindung ausgegangen werden.1675 Vielmehr vermittelt der private Anteilseigner der Gesellschaft einen Grundrechtsschutz, der „erst dann eine privatautonom begründete Minderung durch die unmit 1670

Siehe oben, S. 272 und Fn. 1270. Siehe hierzu ausführlich oben, S. 292 ff. 1672 Ebd. und Kirchhof (Fn. 1394), Rn. 83. 1673 Siehe oben, S. 292 ff. 1674 Siehe Nachweise in Fn. 1401. 1675 Siehe oben, S. 292 ff. und Nachweis in Fn. 1402. 1671

B. Erfordernis einer Begrenzung des Anwendungsbereichs

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telbare Grundrechtsbindung der jeweiligen Einrichtung [erfährt], wenn der Gründungszweck die öffentliche Aufgabe einschließt“1676. Da das Vergaberecht regelmäßig nicht nur die Auftraggeberseite, sondern auch die private Bieterseite umfassenden Regeln hinsichtlich der Vertragsdurchführung unterwirft, ist in jedem Fall in Bezug auf diesen Vertragsteil die grundrechtlich geschützte Vertragsfreiheit berührt. 4. Die Bedeutung der Vertragsfreiheit für die Auslegung des funktionalen Auftraggeberbegriffs Wie bereits festgestellt,1677 sind bei der Auslegung des Unionsrechts die Grundrechte als rechtsverbindlicher Maßstab gem. Art.  6 EUV nicht nur zu beachten, sondern zu wahren. Daraus folgt, dass den Grundfreiheiten und dem Sekundärrecht die Grundrechte gegenüber zu stellen und miteinander verhältnismäßig auszugleichen sind.1678 Dies gilt folglich auch im Rahmen der Auslegung und Anwendung des Vergabesekundärrechts. Aus vergaberechtlicher Perspektive ist ein Eingriff in die Privatrechtsbeziehungen ausnahmsweise geboten, soweit aufgrund der Teilnahme staatlicher Stellen am Privatrechtsverkehr eine Gefahr für Transparenz, Wettbewerb und den Grundsatz der Nichtdiskriminierung besteht. Dieser Eingriff ist dann zulässig, wenn er erforderlich und verhältnisgemäß ist. Für die Auslegung des Merkmals des Öffentlichen Auftraggebers nach den Art. 6 Abs. 1 i. V. m. Abs. 4 Vergabe-RL 2014/23/EU, Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. Nr. 4 Vergabe-RL 2014/24/EU und Art. 3 Nr. 1 i. V. m. Nr. 4 i. V. m. Art. 4 SektorenRL 2014/25/EU sowie §§ 98 ff. GWB n. F. im Allgemeinen und des Tatbestands der Einrichtung des öffentlichen Rechts im Besonderen bedeutet dies, dass bei der Frage, ob die betreffende Einrichtung funktional einer staatlichen Stelle gleichzusetzen ist, das grundrechtlich geschützte Prinzip der Vertragsfreiheit mit den vergaberechtlichen Zielen in Ausgleich zu bringen ist. Die Verrechtlichung der Anbahnung und Entschließung zum Rechtsgeschäft durch das Vergabesekundärrecht stellt regelmäßig einen Eingriff in die Freiheit der Wahl der Vertragspartner und der Ausgestaltung privatrechtlicher Beziehungen dar. Im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit und Erforderlichkeit eines solchen Eingriffs ist zu eruieren, ob der Eingriff in die Vertragsfreiheit aus Gründen des Wettbewerbs, der Transparenz und des Diskriminierungsverbotes gerechtfer 1676 Vgl. Matthias Herdegen, Art.  1 Abs.  3, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz  – Kommentar (45. Ergänzungslieferung), Rn. 96. 1677 Vgl. oben, S. 289. 1678 Vgl. Walter Frenz, NVwZ 2011, S. 961 (964) mit Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH in EuGH 2010, I-7091 Rn. 53 ff. (C-271/08) – Kommission/Deutschland.

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Kap. 2: Grenzen des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers 

tigt werden kann. Steht dabei in Zweifel, ob von einer Einrichtung die spezifische Gefahr ausgeht, durch ihre Tätigkeit im Privatrechtsverkehr den Wettbewerb tatsächlich zu gefährden, ist ein Eingriff in die Vertragsfreiheit unverhältnismäßig. Die grundrechtlich geschützte Entscheidungsfreiheit überwiegt in diesem Fall im Wege der praktischen Konkordanz die Vergaberechtsprinzipien, die Ausdruck der unionsrechtlichen Grundfreiheiten sind. Folglich darf in diesen Grenzfällen die Vertragsfreiheit nicht durch die Anwendung der Vergaberegeln beschränkt werden. Wie oben dargestellt,1679 gilt dies nur, wenn die betreffende Einrichtung zumindest auch im Miteigentum eines Privaten steht. Ansonsten fehlt es an der grundrechtlichen Schutzbedürftigkeit. Zu bedenken ist, dass auch potentielle Bieter durch die Vertragsfreiheit geschützt sind. Besteht zwischen der betreffenden Einrichtung und einem Bieter ein Über-Unterordnungsverhältnis, das zu einer Beeinträchtigung des Wettbewerbs, der Transparenz und dem allgemeinen Diskriminierungsverbot führt, ist es wiederum gerade wegen dem Grundsatz der grundrechtlich geschützten Entscheidungsfreiheit erforderlich, die Einrichtung den Vergaberegeln zu unterwerfen.

IV. Das vergaberechtliche Wettbewerbsprinzip als begrenzender Auslegungsgrundsatz Inwieweit sich das Wettbewerbsprinzip selbst aus dem Primärrecht ergibt, ist fraglich. Als ein direkter Ausfluss aus dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz kann es wohl nicht gesehen werden. Inwiefern es sich aus den Grundfreiheiten ergibt, ist umstritten. Boesen leitet das Wettbewerbsprinzip aus den Marktfreiheiten ab und stellt es „in einen engen Zusammenhang mit dem Leitziel der EG, einen gemeinsamen Markt zu errichten“.1680 Es scheint jedoch überzeugender davon auszugehen, dass das Wettbewerbsprinzip über das Primärrecht hinausgeht.1681 Es nimmt vielmehr dort eine komplementäre Funktion zu den Grundfreiheiten ein, wo es in Form von Wettbewerbsregeln ausgestaltet ist,1682 als dass es ein Ausdruck von diesen wäre. Der Grundsatz des Wettbewerbs ist also nicht als universelles Prinzip des Europa(primär)rechts zu verstehen, sondern als Prinzip, das sich in einigen Teilrechtsgebieten des Europarechts als Leitgedanke etabliert hat.1683 Dies gilt auch für das Vergaberecht. 1679

Siehe oben, Fn. 1675 ff. Arnold Boesen, Vergaberecht – Kommentar zum 4. Teil des GWB, § 97 Rn. 6. 1681 So Alexander Egger, Europäisches Vergaberecht, Rn. 833. 1682 So Wulf-Henning Roth, E. I. Grundregeln, in: Dauses, EU-Wirtschaftsrecht (17. Ergänzungslieferung), Rn. 7. 1683 Vgl. die Überlegungen zu einer Definition von „Wettbewerb“, Oliver Dörr, § 97 Abs. 1, in: Dreher/Motzke, Beck’scher Vergaberechtskommentar 2013, Rn. 5. 1680

B. Erfordernis einer Begrenzung des Anwendungsbereichs

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1. Das Wettbewerbsprinzip im Vergaberecht Mit den vergaberechtlichen Basisrichtlinien von 1992/931684 und schließlich mit den modernisierten Richtlinien von 20041685 wurde das Vergabesekundärrecht ausdrücklich dem Zweck der Förderung von Transparenz, Wettbewerb und dem Verbot von Diskriminierungen durch Achtung des Grundsatzes der Gleichbehandlung unterstellt. Die Kommission entwickelte insbesondere den Gedanken des Wettbewerbs zu einem Leitprinzip des Vergaberechts. Das Vergabesekundärrecht zielt demnach auf „die Entstehung eines echten Wettbewerbs auf dem Gebiet des öffentlichen Auftragswesens“1686 ab. In diesem Sinne ist auch der 1. Erwägungsgrund der Vergabe-RL 2014/24/EU des modernisierten Vergaberechts aus dem Jahr 2014 formuliert: „Für über einen bestimmten Wert hinausgehende öffentliche Aufträge sollten Vorschriften zur Koordinierung der nationalen Vergabeverfahren festgelegt werden, um zu gewährleisten, dass diese Grundsätze praktische Geltung erlangen und dass das öffentliche Auftragswesen für den Wettbewerb geöffnet wird.“

Während aus einzelstaatlicher Perspektive das Vergaberecht traditionell als Mittel zur haushaltsschonenden Beschaffung angesehen wurde und den Zweck hatte, dem Staat eine Marktübersicht zu verschaffen,1687 hat das Europarecht die Verwirklichung der Binnenmarktziele im Blick. Da das Vergaberecht mittlerweile über­wiegend durch das Europarecht regelt wird, ist die ehemalige fiskalische Zwecksetzung des Vergaberechts in den Nationalstaaten einer Dominanz wettbewerblicher Zwecksetzung in der Europäischen Union gewichen.1688 Was mit dem amerikanischen Grundsatz „best value for the people“1689 plastisch für die staatlichen Bestrebungen um einen sparsamen Umgang mit Steuermitteln steht, muss für die Europäische Union eher als „best for the competition“1690 verstanden werden. Für das europäische Vergaberecht ist Wettbewerb zugleich Instrument und Ziel.1691 Einerseits soll der Wettbewerb das öffentliche Beschaffungswesen gegen 1684 Vgl. 20. Erwägungsgrund der Dienstleistungskoordinierungs-RL 92/50/EWG, 14. Erwägungsgrund der Lieferkoordinierungs-RL 93/36/EWG und 10. Erwägungsgrund der Baukoordinierungs-RL 93/37/EWG. 1685 Vgl. etwa 2. Erwägungsgrund der Vergabekoordinierungs-RL 2004/18/EG. 1686 EuGH 2004, I-9215 Rn. 35 (C-247/02) – Sintesi mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung. 1687 Vgl. in diesem Sinne Johannes Dietlein und Alexander Fandrey, Einleitung, in: Byok/ Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, Rn. 4; vgl. zur Bedeutung der Vergaberechtsgrundsätze in der deutschen Rechtspraxis Marc Bungenberg und Jens Arndt, WuW 2012, S. 571 (574). 1688 Martin Burgi, NZBau 2009, S. 609 (612). 1689 Vgl. hierzu Martin Burgi, Das Vergaberecht als Gestaltungsmittel der Kommunalpolitik, in: Henneke, Kommunalrelevanz des Vergaberechts, S. 11 (12). 1690 Martin Burgi, NZBau 2009, S. 609 (612). 1691 Oliver Dörr, § 97 Abs. 1 GWB, in: Dreher/Motzke, Beck’scher Vergaberechtskommentar 2013, Rn. 4.

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Kap. 2: Grenzen des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers 

alle Beeinträchtigungen schützen, die ihm von verschiedenen Seiten drohen.1692 Anderseits soll das wettbewerbliche Prinzip Grundsatz im Vergabeverfahren selbst sein. Neben dem Gleichbehandlungsprinzip, dem Eignungsprinzip und dem Angemessenheitsprinzip gilt im Vergabeverfahren das Wettbewerbsprinzip mit der Maßgabe, dass die Vergabe im Wettbewerb mehrerer Bieter oder Bewerber erfolgen soll.1693 2. Die Bedeutung des Wettbewerbsgedankens für die Auslegung des funktionalen Auftraggeberbegriffs Der Wettbewerbsgedanke spielt eine erhebliche Rolle bei der Bestimmung und Auslegung des vergaberechtlichen Anwendungsbereichs. Dies zeigt sich vornehmlich am Bespiel der Fallgruppe der „Einrichtung des öffentlichen Rechts“. Über das Merkmal der „Einrichtung des öffentlichen Rechts“ soll eine funktionale Äquivalenz hergestellt werden, zwischen formal staatlichen Einrichtungen und jenen, von denen eine vergleichbare Gefahr für den Wettbewerb auf dem Beschaffungsmarkt ausgeht.1694 Als Voraussetzung der Auftraggebereigenschaft von Einrichtungen, die nicht institutionell dem Staat zugerechnet werden können, sieht das Richtlinienrecht u. a. das Erfordernis der „Nichtgewerblichkeit“ der Tätigkeit der betreffenden Institution vor. Über dieses Merkmal soll bestimmt werden, ob eine Einrichtung den „Kräften des Marktes“1695 und damit dem Prinzip des Wettbewerbs unterliegt oder nicht.1696 Erforderlich für die Annahme der Nichtgewerblichkeit ist, dass sich die spezifische Gefahr realisiert, die zu einer „Entkopplung von Marktmechanismen“1697 führt. Dies ist anzunehmen, wenn eine Einrichtung ihre Leistungen „in dem angebotenen Umfang und/oder zu den angebotenen Bedingungen unter Bedingungen des reinen freien Wettbewerbs nicht erbringen würde“1698. Umgekehrt entfallen der Regelungszweck und damit das Erfordernis der Anwendung des Vergaberechts für eine Einrichtung, soweit sie sich vollumfänglich 1692 Vgl. hierzu im Einzelnen ausführlich, Marc Bungenberg, § 97 GWB, in: Loewenheim/ Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht – Kommentar, Rn. 6. 1693 Heike Glahs, § 2 VOB/A, in: Kapellmann/Messerschmidt, VOB A/B  – Kommentar, Rn. 1, 21. 1694 Siehe zur Rechtsfigur der Einrichtung des öffentlichen Rechts als Teil des Tatbestands des öffentlichen Auftraggebers oben, S.298 ff. 1695 Oliver Dörr, § 97 Abs. 1 GWB, in: Dreher/Motzke, Beck’scher Vergaberechtskommentar 2013, Rn. 4. 1696 Zum Tatbestandsmerkmal der Nichtgewerblichkeit siehe oben, S. 325 ff. 1697 Christopher Zeiss, § 98 GWB, in: Heiermann/Zeiss, juris Praxiskommentar Vergaberecht, Rn. 43. 1698 Ebd.

B. Erfordernis einer Begrenzung des Anwendungsbereichs

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in einer Wettbewerbssituation befindet. Denn dort, wo „de facto und de jure echter Wettbewerb“1699 herrscht, besteht weder eine abstrakte noch konkrete Gefahr für den Europäischen Binnenmarkt. 3. Begrenzung des Anwendungsbereichs für Sektoren bei Vorliegen „effektiven Wettbewerbs“ Die immense Bedeutung des Wettbewerbsgedankens im Vergaberecht wird insbesondere am Beispiel der Sektorenauftraggeber deutlich. Bereits 1999 erkannte die Kommission, dass eine Klassifizierung der Sektorenauftraggeber rein aufgrund ihres Tätigkeitsbereichs dem Wettbewerbsprinzip widersprach. Für den Bereich der Telekommunikation stellte sie fest: „Ihre zwingenden Vorschriften sind jedoch dort nicht mehr gerechtfertigt, wo nach der vor kurzem erfolgten Liberalisierung dieses Sektors effektiver Wettbewerb herrscht“1700. Der damals maßgebliche Art. 8 Sektorenkoordinierungs-RL 93/38/EWG sah die Möglichkeit vor, bestimmte Telekommunikationsdienstleister von der Anwendung der Vergaberegeln für Sektoren auszunehmen. Voraussetzung hierfür war, dass „andere Unternehmen die Möglichkeit haben, diese Dienste in demselben geographischen Gebiet und unter im wesentlichen gleichen Bedingungen anzubieten.“ Weiter mussten die fraglichen Unternehmen „auf Märkten ohne Zugangsbeschränkungen unmittelbar dem Wettbewerb unterliegen“1701. Mit der Sektorenkoordinierungs-RL 2004/17/EG wurde schließlich mit Wirkung zum 31.1.2006 der Telekommunikationssektor aus diesen Gründen vollständig vom Anwendungsbereich der Sektorenrichtlinie ausgenommen. Auch in Artikel 34 Abs. 1 der neuen Sektoren-RL 2014/25/EU stellt der Unionsgesetzgeber klar: „Aufträge, mit denen die Ausübung einer in Artikel 8 bis 14 genannten Tätigkeit ermöglicht werden soll, unterliegen dieser Richtlinie nicht, wenn der Mitgliedstaat oder die Auftrag­ geber, die den Antrag gemäß Artikel 35 gestellt haben, nachweisen können, dass die Tätigkeit in dem Mitgliedstaat, in dem sie ausgeübt wird, unmittelbar dem Wettbewerb auf Märkten ausgesetzt ist, die keiner Zugangsbeschränkung unterliegen.“

Ob eine betreffende Einrichtung unmittelbar dem Wettbewerb ausgesetzt ist, wird „auf der Grundlage von Kriterien entschieden, die mit den Wettbewerbsbestimmungen des EUV in Einklang stehen. Dazu können die Merkmale der betreffenden Waren oder Dienstleistungen, das Vorhandensein alternativer Waren 1699

Vgl. 5. Erwägungsgrund der Sektorenkoordinierungs-RL 2004/17/EG. Europäische Kommission, Mitteilung gemäß Artikel 8 der Richtlinie 93/28/EWG vom 3.6.1999, ABl. 1999 C 156/3. 1701 Vgl. 13. Erwägungsgrund der Sektorenkoordinierungs-RL 93/38/EWG; siehe auch EuGH 1996, I-1631 Rn. 32 (C-392/93) – British Telecommunications. 1700

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Kap. 2: Grenzen des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers 

oder Dienstleistungen, die auf der Angebots- oder der Nachfrageseite als austauschbar gelten, die Preise und die tatsächliche oder potenzielle Präsenz von mehr als einem Anbieter der betreffenden Waren oder mehr als einem Erbringer der betreffenden Dienstleistungen gehören“1702. Sicherlich verschafft der Rechtfertigungsbedarf, die Sektorenauftraggeber als oftmals nicht staatliche Stellen in den Anwendungsbereich des Vergaberechts miteinzubeziehen, im Sektorenbereich dem Wettbewerbsgedanken eine erhöhte Aufmerksamkeit. Gleichwohl unterstreicht die Ausnahme der Sektorenauftraggeber von den Vergabevorschriften bei Vorliegen effektiven Wettbewerbs, dass es nicht gerechtfertigt sein kann, eine Einrichtung dem Vergaberecht zu unterwerfen, wenn diese sich vollumfänglich im Wettbewerb behaupten muss. 4. Bedeutung der Ausnahme bestimmter Sektorenauftraggeber für die Auslegung des funktionalen Auftraggeberbegriffs Die Ausnahmeregelungen, die für die Sektorenauftraggeber bei Vorliegen effektiven Wettbewerbs gelten, können daher bei der Bestimmung der Auftraggebereigenschaft außerhalb des Sektorenbereichs nicht unberücksichtigt bleiben. So ist die Fallgruppe der Einrichtung des öffentlichen Rechts innerhalb des vergaberechtlichen Anwendungsbereichs hinsichtlich ihres institutionellen Charakters in wesentlichen Punkten den Sektorenauftraggebern ähnlich. Sie verbindet oftmals nur ein loses Band mit dem Staat. Bei beiden handelt es sich meist um privatrechtlich konstituierte und teilweise in auch privater Hand befindliche Einrichtungen. Dies wird daran deutlich, dass auch Einrichtungen des öffentlichen Rechts Sektorenauftraggeber sein können1703, soweit sie eine Tätigkeit nach Artikel 8 bis 14 der Sektoren-RL 2014/25/EU ausüben. Aus diesem Grund hat der EuGH klargestellt, dass bei der Wahl der anzuwendenden Rechtsvorschriften ausschließlich auf die Art der Tätigkeit für den konkreten Auftrag abzustellen ist.1704 Die Vorschriften der Sektorenrichtlinien sind insoweit lex specialis.1705 Fraglich ist, ob der Gedanke der Ausnahmetatbestände der Art.  34 SektorenRL 2014/25/EU für Sektorenauftraggeber, die bei ihrer Tätigkeit unmittelbar dem Wettbewerb auf Märkten ausgesetzt sind, nicht im Rahmen der Auslegung der Fallgruppe der Einrichtung des öffentlichen Rechts, insbesondere im Rahmen des Tatbestandsmerkmals der Nichtgewerblichkeit herangezogen werden kann bzw. muss. 1702

Vgl. Art. 34 Abs. 2 Sektoren-RL 2014/25/EU. Vgl. Art. 3 Nr. 4 Sektoren-RL 2014/25/EU. 1704 Vgl. EuGH 2008, I-2339 Rn. 56 (C-393/06) – Aigner. 1705 Vgl. Hans-Joachim Prieß/Roland M. Stein, NZBau 2014, S. 323. 1703

C. Schlussfolgerungen für die Rechtsanwendung

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Die Begrenzung des Anwendungsbereichs der Sektorenkoordinierungsrichtlinie hat ihren Grund in der lange Zeit umstrittenen Unterwerfung privater Sektorenauftraggeber in das Vergaberecht. Noch 1985 rechtfertigte die Kommission die Ausklammerung der Sektorenauftraggeber damit, dass die Einrichtungen, die die jeweiligen Leistungen erbringen, teils dem öffentlichen Recht, teils dem Privatrecht unterliegen.1706 Erst mit der Sektorenvergabe-RL 90/531/EWG und der kurz darauf folgenden Sektorenkoordinierungs-RL 93/38/EWG rang sich der Gemeinschaftsgesetzgeber dazu durch, auch die (privaten) Sektorenauftraggeber mit in das Vergaberecht einzubeziehen.1707 Es erscheint sachlich nicht gerechtfertigt, ein derart differenzierte Betrachtung, wie sie der Unionsgesetzgeber für die Sektorenauftraggeber vorsieht, nicht auch bei der Bestimmung der Fallgruppe der Einrichtung des öffentlichen Rechts anzuwenden. Insbesondere bei der Beurteilung von Grenzfällen, die sich meist aus der Schwierigkeit der Beurteilung des nicht gewerblichen Charakters der Tätigkeit einer Einrichtung ergeben, muss dem Wettbewerbsaspekt als tragender Leitgedanke des Vergaberechts erhebliches Gewicht zukommen. Steht eine Einrichtung faktisch im effektiven Wettbewerb am Markt, muss dementsprechend die Anwendung der Vergaberegeln verneint werden. Selbst Mechanismen, die formal zum Ausgleich etwaiger Verluste vorgesehen sind1708 und damit potenziell zu einer Wettbewerbsverzerrung führen können, reichen demnach nicht für die Annahme einer Auftraggebereigenschaft aus, wenn die Einrichtung vollumfänglich den „Kräften des Marktes“ und damit den Gesetzen des Wettbewerbs unterliegt.

C. Schlussfolgerungen für die Rechtsanwendung Das Vergaberecht ist kein Selbstzweck. Seine Legitimität leitet sich ohne ausdrückliche primärrechtliche Verankerung aus den Ermächtigungsgrundlagen der Grundfreiheiten und Harmonisierungs- und Rechtsangleichungsvorschriften ab.1709 Danach ist der Unionsgesetzgeber befugt und beauftragt, die erforderlichen rechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, wenn es durch staatliche Teilnahme am Markt zu Wettbewerbsgefährdungen und -verzerrungen, Diskriminierungen und Beeinträchtigungen kommt. Darüber hinaus besteht jedoch kein Anlass, regulierend in die Rechtsbeziehungen zwischen den Marktteilnehmern einzugreifen.

1706

Vgl. Programme of the Commission 1985 (Fn. 329). Siehe hierzu ausführlich oben, S. 116 ff. 1708 Siehe zu diesem Kriterium ausführlich oben, S. 332 f. 1709 Siehe zur Übersicht über die Rechtsgrundlagen des Vergabesekundärrechts oben, S. 215 ff. 1707

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Kap. 2: Grenzen des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers 

I. Die Konturlosigkeit des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers Dieses Kapitel hat gezeigt, dass der Tatbestand des Öffentlichen Auftraggeberbegriffs weder nach den Vergaberichtlinien noch nach dem deutschen Umsetzungsrecht in den praxisrelevanten Grenzfällen eine rechtssichere und für den Rechtsanwender befriedigende Antwort auf die Frage liefert, ob eine Einrichtung dem Vergaberecht unterworfen ist oder nicht. Insbesondere die Subsumtion einer Stelle unter die Fallgruppe der „Einrichtung des öffentlichen Rechts“ ist oftmals von einer derart umfangreichen Untersuchung aller „rechtlichen und tatsächlichen Umstände“1710 des Einzelfalls abhängig, dass deren Ergebnis ohne fachjuristische Expertise nicht zu ermitteln ist und viel zu oft erst nach einer gerichtlichen Überprüfung feststeht. Größte Schwierigkeiten bietet dabei neben der fraglichen Definition der „im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben“1711 das tatbestandsbegrenzende Merkmal der „Nichtgewerblichkeit“, über das abschließend geklärt werden soll, ob eine funktionale Äquivalenz zu staatlichen Einrichtungen oder zu privaten Marktteilnehmern besteht.1712 Entscheidende Rolle spielt hierbei das Maß, nach dem die Einrichtung dem Wettbewerb des Marktes unterworfen ist. Trotz unterschiedlicher Bemühungen des EuGH, der nationalen Gerichte, der Wissenschaft und auch dieser Arbeit ist eine rechtssichere und allgemeingültige Definition der „Nichtgewerblichkeit“ nicht möglich.1713

II. Die Vergaberechtsreform bietet keine Lösung Sowohl der europäische als auch der deutsche Gesetzgeber haben sich im Bewusstsein der genannten Auslegungsschwierigkeiten neuerlich gegen eine Anpassung des normierten Öffentlichen Auftraggeberbegriffs entschieden. Nicht einmal die vom EuGH wiederholt zur Auslegung des Merkmals der „Nichtgewerblichkeit“ herangezogenen Kriterien haben Eingang in die neuen Richtlinien bzw. in die §§ 98 ff. GWB n. F. gefunden. Lediglich im 10. Erwägungsgrund der Vergabe-RL 2014/24/EU findet sich ein Hinweis auf diese Judikatur. Liest man richtigerweise Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 Vergabe-RL 2014/24/EU im Lichte des 10.  Erwägungsgrundes, ist bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals der „Nichtgewerblichkeit“ darauf abzustellen, dass eine Einrichtung,

1710

EuGH 2003, I-11697 Rn. 81 (C-283/00) – SIEPSA. Vgl. hierzu ausführlich oben, S. 315 ff. 1712 Vgl. umfassend zum Merkmal der „Nichtgewerblichkeit“ oben, S. 325 ff. 1713 Ebd. 1711

C. Schlussfolgerungen für die Rechtsanwendung

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–– die unter marktüblichen Bedingungen arbeitet, –– gewinnorientiert ist und –– die mit der Ausübung ihrer Tätigkeit einhergehenden Verluste trägt, nicht als „Einrichtung des öffentlichen Rechts“ anzusehen ist, „da die im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben, zu deren Erfüllung sie geschaffen oder mit deren Erfüllung sie beauftragt worden ist, als von gewerblicher Art anzusehen sind“1714. Die Verantwortung für die Herstellung der erforderlichen Rechtssicherheit bleibt damit bei den Gerichten und der Wissenschaft. Dies ist insofern unbefriedigend, als bis heute die vom EuGH, den nationalen Gerichten und der Wissenschaft gebildeten Rechtsfiguren und Fallgruppen keine ausreichende Antwort auf die Konturlosigkeit des öffentlichen Auftraggeberbegriffs in seinem Randbereich bieten.1715

III. Konsequenzen für die Rechtspraxis Eine umfassende Bewertung der rechtlichen und tatsächlichen Umstände des Einzelfalls ist daher auch in Zukunft nicht entbehrlich, ganz im Gegenteil. Entscheidend wird sein, wie mit den Grenzfällen umgegangen wird, in denen die Auftraggebereigenschaft nicht eindeutig über die Tatbestandsmerkmale des vergaberechtlichen Anwendungsbereichs bestimmt werden kann. 1. Lösung im Wege der Auslegung Es bleibt bei der Last der Gerichte und der Wissenschaft, im Wege der Auslegung den Schwächen des Öffentlichen Auftraggeberbegriffs zu begegnen. Leitmotiv können dabei nicht allein die Ziel- und Zwecksetzungen des Vergabesekundärrechts sein. Eine größere Rolle als in der Vergangenheit müssen die rechtsstaatlichen, grundrechtlichen und wesensprägenden Grundsätze des Europarechts spielen. Hierzu zählen das Gebot der Normenklarheit und Rechtssicherheit,1716 die kompetenzrechtlichen Aspekte,1717 die nach den europäischen Grundrechten verbürgte Vertragsfreiheit1718 sowie schließlich der Wettbewerb als eigener Normzweck des Vergaberechts1719. All diese Rechtgrundsätze „genießen gegenüber dem sekundären Unionsrecht Vorrang und sind sowohl bei dessen Auslegung als auch 1714

10. Erwägungsgrund Vergabe-RL 2014/24/EU. Vgl. umfassend oben, S. 325 ff. 1716 Siehe soeben, S. 282 ff. 1717 Siehe soeben, S. 287 ff. 1718 Siehe soeben, S. 289 ff. 1719 Siehe soeben, S. 294 ff. 1715

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Kap. 2: Grenzen des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers 

bei der Anwendung des Unionsrechts von der Verwaltung und den Gerichten zu beachten.“1720 Im Lichte dieser Aspekte ist abzuwägen, welche Konsequenzen sich aus der Annahme oder Ablehnung einer Auftraggebereigenschaft in Zweifelsfällen ergeben. Die vorstehende Untersuchung der Auftraggebereigenschaft am Beispiel der gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen hat gezeigt, dass es in einer nicht unbedeutenden Anzahl an Fällen für das betroffene Rechtsubjekt schwer bis überhaupt nicht erkennbar ist, ob es als öffentlicher Auftraggeber in den vergaberechtlichen Anwendungsbereich fällt. Unter diesen Umständen ist der im Europarecht verankerte Grundsatz der Normenklarheit verletzt. Die entsprechende Regelung ist dann für den Normenadressat eben nicht klar und deutlich, mit der Folge, dass er seine Rechte und Pflichten nicht unzweideutig erkennen und somit Vorkehrungen treffen kann.1721 Unverständlich ist in diesem Zusammenhang der stellenweise vertretene Standpunkt, „aus Gründen der Rechtssicherheit“ das Vorliegen einer Auftraggebereigenschaft bei gegebenem Zweifel eher zu befürworten, um die Anwendung des Vergaberechts und die Erreichung der Regelungsziele Wettbewerb, Transparenz und Nichtdiskriminierung zu sichern.1722 Die einseitige Bevorzugung der vergaberechtlichen Ziel- und Zwecksetzung lässt sich nicht rechtfertigen. Im Gegenteil führt sie unweigerlich zur Verletzung wesentlicher Rechtsgrundsätze des Europarechts. Wird zu Unrecht die Auftraggebereigenschaft einer Einrichtung angenommen, verliert diese nicht nur ihre privatautonome Entscheidungsfreiheit über das Ob und Wie der betreffenden vertraglichen Beziehung. Es wird vielmehr der über die Privatautonomie grundrechtlich geschützte „Nichteinmischungsgrundsatz“ in den Privatrechtsverkehr verletzt. Ein Eingriff in die Vertragsfreiheit lässt sich auch nicht mit den Regelungszielen des Vergaberechts rechtfertigen. Insoweit überwiegt die grundrechtlich geschützte Entscheidungsfreiheit das uneingeschränkte Geltungsbedürfnis der Vergabeprinzipien.1723 Auch der Wettbewerbsgedanke als Leitbild des Vergaberechts rechtfertigt es nicht, in Zweifelsfällen ohne eine positive Feststellung die öffentliche Auftraggebereigenschaft einer Einrichtung anzunehmen.

1720 Vgl. zu diesen Grundsätzen und ihrer Stellung im Europarecht Christoph Herrmann, Art.  28 AEUV, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union (55. Ergänzungslieferung), Rn. 16. 1721 Vgl. zu den Anforderungen des „rechtsstaatlichen“ Gebots der Normenklarheit des EU-Rechts ausführlich oben, S. 282 ff. sowie EuGH 1996, I-431 Rn. 27 (C-143/93) – van Es Douane Agenten; siehe auch EuGH 1981, 1931 (169/80) – Gondrand Frères und EuGH 1989, 405 (verb. Rs. 92/87 und 93/87) – Kommission/Frankreich und Vereinigtes Königsreich. 1722 Etwa beim Wegfall des besonderen Gründungszwecks nach der Gründung, siehe hierzu oben die Nachweise in Fn. 1482. 1723 Siehe ausführlich oben, S. 293 ff.

C. Schlussfolgerungen für die Rechtsanwendung

361

Zum einen führt eine Marktteilnahme nach aller Wahrscheinlichkeit zu keiner Wettbewerbsgefährdung, wenn die Auftraggebereigenschaft einer Einrichtung fraglich und nicht mit den ermittelten Abgrenzungskriterien1724 in einem verhältnismäßigen Aufwand bestimmbar ist. Zum anderen würde eine ungerechtfertigte Einbeziehung zu einer Schwächung der Wettbewerbssituation der betroffenen Einrichtung am Markt führen. Dies widerspräche dem Gedanken des Vergaberechts. Die Vergaberegeln sollen nämlich ein (zu befürchtendes) Defizit an Wettbewerb kompensieren und wiederherstellen, aber nicht verursachen. In diesem Zusammenhang sind die administrativen und finanziellen Konsequenzen zu berücksichtigen, die sich aus der Anwendung des Vergaberechts ergeben. Diese können nur gerechtfertigt sein, wenn tatsächlich eine Auftraggebereigenschaft und damit eine potenzielle Gefährdung für innergemeinschaftlichen Wettbewerb bestehen. Schließlich ist zu bedenken, dass es dem Unionsgesetzgeber nach den Kompetenzgrundsätzen an einer Ermächtigung fehlen dürfte, Einrichtungen dem Vergaberecht zu unterwerfen, von denen weder die Gefahr einer Diskriminierung, Wettbewerbsverzerrung oder Marktbeeinträchtigung ausgeht.1725 So stützen sich die Vergaberichtlinien in erster Linie doch auf die Rechtsgrundlagen, die der Verwirklichung der Grundfreiheiten, also der Diskriminierungs- und Beschränkungsverbote, dienen.1726 Die am Gedanken des effet utile orientierte funktionale Auslegung erschöpft sich folglich dort, wo anhand einer systematischen Subsumtion keine zuverlässige Rechtsanwendung mehr möglich ist. Für die Einzelfallbetrachtung bedeutet dies, dass nicht dem Diktat des effet utile bedingungslos zu folgen und im Zweifel eine Auftraggebereigenschaft anzunehmen ist, sondern wegen der aufgezeigten Gründe eine solche nur besteht, wenn sich diese positiv feststellen lässt. 2. Gebot der Begrenzung des funktionalen Auftraggeberbegriffs Aus diesen Gedanken ergibt sich das Gebot, den funktionalen Auftraggeberbegriff im Wege der Auslegung in Zweifelsfällen primärrechts- und grundrechtskonform zu beschränken. Es bildet den Gegensatz zum funktionalen Ansatz. Die kompetenzrechtlichen, rechtsstaatlichen und grundrechtlichen Aspekte des Europarechts sowie den Normzweck des Wettbewerbs als tatbestandsbegrenzende Auslegungsdogmen werden in diesem Beschränkungsgebot rezipiert.

1724

Vgl. zu den einzelnen Tatbestandsmerkmalen oben, S.  300 ff., sowie zu die Prüfungsschemata auf S. 336 und S. 281 f. 1725 Siehe zu den kompetenzrechtlichen Aspekten oben, S. 287 ff. 1726 Für eine Übersicht der Rechtsgrundlagen vgl. das Schaubild 8 oben, S. 215 f.

362

Kap. 2: Grenzen des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers 

Die Auslegung eines normativen Rechtsbegriffs bedarf gewiss einer Anspannung des rechtlich versierten Intellekts. Gelingt es aber weder der umfassenden Einzelfallrechtsprechung des EuGH noch der breiten Wissenschaft, den Rechtsanwendern die Mittel an die Hand zu geben, um „im dogmatischen Schlaf des Gerechten“1727 unterscheiden zu können, ob eine Einrichtung in den Anwendungsbereich des Vergaberechts fällt oder nicht, muss im Ergebnis der vorangestellten Überlegungen eine Auftraggebereigenschaft immer dann abgelehnt werden, wenn sich deren tatbestandliche Voraussetzungen nicht eindeutig positiv feststellen lassen.

1727

Hochhuth (Fn. 40).

Schlussbetrachtung „Forschen heißt vor allem Suchen und Wagen.“1728

Aus Gesellschaft und Politik ertönt oft reißerische Kritik an der „Regelungswut“1729 der Europäischen Union. Glühbirnen,1730 Staubsauger,1731 Ölkännchen1732 und nicht zuletzt die viel gescholtene Gurkenkrümmung1733 werden zum Symbol für den vermeintlich maßlosen und unbedachten Eingriff der Brüsseler Behörden in den Alltag der Menschen und der Wirtschaft. Gerade in Zeiten, in denen die Europäische Union in ihrer gesamten Verfasstheit in Frage gestellt wird, ist jede Stigmatisierung des Unionsgesetzgebers als entfesselten oder gar willkürlichen Rechtssetzer eine Bürde für die Bemühungen um Beachtung und Befolgung des Europäischen Rechts. 1728 Ernst Kern, Aspekte des Verwaltungsrechts im Industriezeitalter, in: Barion/Forsthoff/ Weber, Festschrift für Carl Schmitt, S. 81. 1729 Vgl. etwa „Posse ums Öl-Kännchen“, faz.net vom 23.5.2013: „Was die EU als Schutzmaßnahme für Verbraucher anpries, erschien den Bürgern als neues Beispiel für Brüsseler Regulierungswut und Bevormundung.“ Der ehemalige Bundespräsident spricht in einem Brief an die Bundeskanzlerin Angela Merkel von einer „Entkoppelung der EU-Institutionen von der Realität der Menschen“, vgl. focus.de vom 14.6.2014. aerzteblatt.de titelt am 7.3.2014: „Krankenhäuser wollen EU-Regelungswut bremsen“. Die Bayerischen Industrie- und Handelskammern geben am 19.7.2013 eine Pressemitteilung aus: „Regelungswut der EU-Kommission trifft Mittelstand“. Die Bild-Zeitung schreibt am 30.8.2011 auf bild.de: „Fischerei-Verband beklagt EU-Regelungswut“. 1730 Vgl. die VO (EG) 244/2009 vom 18.3.2009 zur Durchführung der Richtlinien 2005/32/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf die Festlegung von Anforderungen an die umweltgerechte Gestaltung von Haushaltslampen mit ungebündeltem Licht, ABl. 2009 L 76/3. 1731 Vgl. VO (EU) 666/2013 der Kommission vom 8.7.2013 zur Durchführung der Richtlinie 2009/125/EG des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf die Festlegung von Anforderungen an die umweltgerechte Gestaltung von Staubsaugern, ABl. 2013 L 192/24. 1732 Der ursprüngliche Entwurf für eine Durchführungsverordnung zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 29/2012 mit Vermarktungsvorschriften für Olivenöl, ABl. 2012 L 12/14, enthielt folgende Passage: „Die dem Endverbraucher in Betrieben des Hotel- und Gaststättensektors bereitgestellten Öle sind in Verpackungen mit einem nicht wiederverwertbaren Verschluss aufgemacht und mit einem Sicherheitssystem versehen, das deren Wiederverwendung nach Verbrauch des auf dem Etikett angegebenen Inhalts unmöglich macht. Die Verpackungen sind mit einem Etikett gemäß den Artikeln 3 bis 6 versehen.“ Aufgrund massiver Proteste in der Öffentlichkeit wurde der Entwurf zurückgezogen. 1733 Vgl. die mittlerweile am 1.7.2009 ersatzlos aufgegebene VO (EWG) 1677/88 der Kommission vom 15.6.1988 zur Festsetzung von Qualitätsnormen für Gurken, ABl. 1988 L 150/21. Ausführlich hierzu: Gertrud Gandenberger, Gurkenkrümmung, in: Bergmann, Handlexikon der Europäischen Union.

364

Schlussbetrachtung

Es ist daher Aufgabe der Wissenschaft, mittels einer differenzierten und konstruktiven Betrachtung den in den Normen formulierten gesetzgeberischen Anspruch in Bezug zur Wirklichkeit der Normadressaten zu setzen und – soweit dies möglich ist – zu einer vertrauensschaffenden und erfolgreichen Rechtsanwendung beizutragen. Der europäischen Rechtsordnung und dem Vertrauen in sie wäre dabei nicht gedient, wenn Schwächen und Probleme nicht benannt würden. In diesem Sinne hat es sich die vorliegende Untersuchung zur Aufgabe gemacht, den Tatbestand des Öffentlichen Auftraggeberbegriffs als Spiegelbild der vergaberechtlichen Integrationsbemühungen darzustellen und in diesem Lichte die bestehenden Auslegungsschwierigkeiten zu betrachten. Hierbei wurde der Versuch unternommen, das bestehende Fallrecht um abstrakt-generelle Kriterien zu ergänzen und die Grenzen des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers aufzuzeigen.

A. Zusammenfassung Der Rückblick in die Geschichte offenbart, dass das Vergabewesen in allen Phasen seiner Entwicklung von epochalen Umbrüchen geprägt war. Bereits im 17. Jahrhundert wurde klar, dass die Auftragsvergabe der Obrigkeit an Private klarer Regeln bedurfte. Nicht nur das Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen hoheitlichem Auftraggeber und privatem Auftragnehmer belastete die Beziehungen. Auch das Zunftwesen, Absprachen zwischen Bietern, mangelhafte Ausführungen, ruinöse Unterbietungen und Korruption zwangen alle Beteiligten sich auf eine Institutionalisierung und Verrechtlichung der Vergabeverfahren zu einigen. In Deutschland gelang es erst Anfang des 20. Jahrhunderts nach langem Ringen einheitliche Regeln für die Vergabe von Aufträgen aufzustellen. Mit der Errichtung der sog. Verdingungsausschüsse wurden die widerstreitenden Interessen zwischen Auftraggebern und Auftragnehmern in dauerhaften Gremien abgebildet und im Wege der Verhandlung in einen gerechten bzw. für die Beteiligten hinnehmbaren Ausgleich gebracht. Geprägt von der Handschrift der in den Verdingungsausschüssen vertretenen Praktiker, entstand ein Normengefüge, das sich mehr an technischen Erfordernissen wie etwa bautechnischen Normen orientierte als an den vorhandenen Dogmatiken des Zivil- und Öffentlichen Rechts. Vor diesem Hintergrund entwickelten sich die deutschen Vergaberegeln zunächst zu einem reinen Praktikerrecht, das eher ein Schattendasein führte als tatsächlich in die bestehende Rechtsordnung eingebunden zu sein. Mit der europäischen Integration begann Ende der 1960er bzw. Anfang der 1970er Jahre eine neue Epoche für das Vergaberecht. Die junge Europäische Wirtschaftsgemeinschaft schrieb sich die Herstellung eines diskriminierungsfreien und grenzüberschreitenden Beschaffungsmarkts auf die Fahnen, ohne hierfür einen ausdrücklichen primärrechtlichen Auftrag zu haben. Es war zuvor deutlich geworden, dass die Wirtschaftsunion nicht ohne die Harmonisierung des volkswirtschaftlich bedeutsamen Bereichs der Auftragsvergabe gelingen konnte.

A. Zusammenfassung

365

Mehrere Versuche des Gemeinschaftsgesetzgebers, ein europäisches Vergaberegime zu errichten, misslangen bis in die 1980er Jahre hinein. Grund hierfür war die Bemühung der Europäischen Kommission, durch allzu großes Nachgeben auf die Belange der souveränitätssensiblen Mitgliedstaaten Rücksicht zu nehmen. In den ersten Vergaberichtlinien und -programmen waren den Mitgliedstaaten weitreichende Ermessensspielräume und Ausnahmetatbestände bei der Anwendung der Vergaberegeln gelassen worden. Die damit verbundene Hoffnung, die Mitgliedstaaten würden auf das gesetzgeberische Entgegenkommen mit einer verantwortungsvollen Kooperation mit dem Ziel der Schaffung eines gemeinsamen öffentlichen Beschaffungsmarktes antworten, wurde enttäuscht. Die ersten Richtlinienprogramme in den 1970er Jahren liefen daher nahezu vollständig ins Leere. Die Ausnahmetatbestände wurden exzessiv ausgenutzt, so die Regeln denn überhaupt zur Anwendung kamen. Es bedurfte des beherzten Eingreifens der Kommission unter der Präsidentschaft von Jacques Delors in den 1980er Jahren, um das Ruder herumzureißen. Mit dem Ziel der Verwirklichung des Binnenmarktes wechselte die Kommission mit der Unterstützung des Europäischen Gerichtshofs die Gangart gegenüber den Mitgliedstaaten, die sich der Implementierung der Vergaberichtlinien verweigerten. Die Durchsetzung des bestehenden Richtlinienrechts sowie die Verbesserung der deutlich defizitären Vergaberegeln führten schließlich zu ersten ernstlichen Bemühungen der Mitgliedstaaten, sich an der Schaffung eines europaweiten Beschaffungsmarktes aktiv zu beteiligen. Die Bundesrepublik Deutschland war von Beginn an eines der Sorgenkinder der europäischen Integration im Bereich des Vergaberechts. Die Beharrlichkeit, mit der sie an dem mühsam erkämpften Praktikerrecht und dem schließlich 1969 als reines Innenrecht ausgestalteten Haushaltsrecht festhielt, stand in offenem Widerspruch zu ihren Verpflichtungen aus den Vergaberichtlinien. Erst Ende der 1990er Jahre lenkte der deutsche Gesetzgeber unter dem Druck mehrere Aufsichtsklagen der Kommission ein. Maßgeblich entscheidend für den späten Erfolg der Umsetzung der Vergaberichtlinien waren vor allem die im Primärrecht vorhandenen bzw. vom Europäischen Gerichtshof in Rechtsfortbildung entwickelten Durchsetzungsinstrumente. Hierzu gehörten neben dem vertraglich verankerten Vertragsverletzungsverfahren die unmittelbare Wirkung von nicht fristgerecht umgesetzten Richtlinien sowie die Subjektivierung der einzelnen Bürger über die Invocabilité und der unionsrechtliche Staatshaftungsanspruch. Hergeleitet wurden diese Prinzipien im Rahmen der (richterrechtlichen) Rechtsfortbildung u. a. aus dem Prinzip der praktischen Wirksamkeit (effet utile). Neben der Rechtsdurchsetzung konzentrierte sich der Gemeinschaftsgesetzgeber auf die Konsolidierung und Weiterentwicklung des Vergabesekundärrechts. So wandelte er Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre u. a. den ursprünglich formellen Auftraggeberbegriff zu einem funktionalen. Es war die Europäische

366

Schlussbetrachtung

Kommission, die 1986 und 1988 in ihren Vorschlägen für eine Richtlinie zur Änderung der Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG die Abkehr von einer formal-rechtlichen hin zu einer funktionalen Bestimmung der Auftraggebereigenschaft einleitete. Der EuGH griff diesen Ansatz in seiner Beentjes-Entscheidung aus dem Jahr 1988 auf, noch bevor die Baukoordinierungs-ÄndRL 89/440/EWG zur Änderung der Baukoordinierungs-RL 71/305/EWG mit dem weiterentwickelten Tatbestand des öffentlichen Auftraggeberbegriffs verabschiedet wurde. Mit dem neuen funktionalen Ansatz wurde die Voraussetzung einer formalen Zurechenbarkeit einer Einrichtung zum Staat und seinen Institutionen aufgehoben. An seine Stelle trat das Erfordernis einer funktionalen Äquivalenz: Maßgeblich für die Bestimmung der Öffentlichen Auftraggebereigenschaft wurde die Staatsähnlichkeit, nicht länger die Staatsgleichheit. Der persönliche Anwendungsbereich des Vergaberechts veränderte sich in der Folge von einem „Nadelöhr“ zu einem weiten Tatbestand. Während es mit dieser Änderung gelang, die „Flucht in das Privatrecht“, insbesondere die Vermeidung von Vergabeverfahren durch einen Rechtsformwechsel, zu erschweren, taten sich neue Probleme auf. Die in dem neuen, funktionalen Auftraggeberbegriff enthaltenen normativen Tatbestandsmerkmale, wie das der „Einrichtung des öffentlichen Rechts“, geben seither Anlass zu einer Reihe von schwierigen Auslegungsfragen, die bis heute nicht geklärt sind. Die bewusst offen gehaltenen und unbelasteten Rechtsbegriffe erlaubten es dem Gemeinschaftsgesetzgeber zwar, dem europäischen Vergaberecht nach mehr als zwei Jahrzehnten zu seiner angestrebten Geltung zu verhelfen. Kehrseite der Verlagerung der Abgrenzungsschwierigkeiten insbesondere in das Merkmal der „Einrichtung des öffentlichen Rechts“ als normatives Tatbestandsmerkmal sind Subsumtionsschwierigkeiten, die Rechtsanwender und nationale Gerichte vor eine immense Herausforderung stellen. Am Bespiel gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen, an denen sowohl der Staat als auch Private beteiligt sind, hat diese Untersuchung gezeigt, dass die Bestimmung der Auftraggebereigenschaft von derart vielen Variablen abhängig ist, dass eine rechtssichere und praxisgerechte Beurteilung der Frage, ob der Anwendungsbereich des Vergaberechts eröffnet ist, in vielen Fällen nicht möglich ist. Hinzu kommt, dass die von der europäischen und deutschen Rechtsprechung­ soweit vorgenommenen Konkretisierungen der einzelnen Tatbestandsmerkmale eine derart starke Fokussierung auf den Einzelfall aufweisen, dass sie wenig­ dienlich sind, grundsätzliche Unsicherheiten über die tatsächliche Auftraggebereigenschaft einer Einrichtung zu überbrücken. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine solche aufgrund ihrer Rechtspersönlichkeit oder ihrer Gesellschafter nicht selbstverständlich dem Staat zuzurechnen ist.

A. Zusammenfassung

367

Anstelle einer empirischen Einzelfallbetrachtung sind daher abstrakt-theoretische Ansätze heranzuziehen, um die Tatbestandsmerkmale der Fallgruppe der „Einrichtung des öffentlichen Rechts“ allgemeingültig zu bestimmen. In diesem Sinne lässt sich das nach wie vor unbestimmte Merkmal der „Aufgabenwahrnehmung im Allgemeininteresse“ durch die Bildung von Kategorien verschiedener Aufgabenformen unter Berücksichtigung privatverwaltungsrechtlicher Aspekte konkretisieren, nämlich als Aufgaben zur Sicherung, Organisation und Entwicklung des Gemeinwesens. Das Merkmal der „Nichtgewerblichkeit“ ist in seiner Funktion als tatbestandsbegrenzendes Element hervorzuheben. Die bestehenden Auslegungsansätze zur „Nichtgewerblichkeit“ lassen sich anhand der einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und der deutschen Gerichte sowie einzelner Literaturstimmen in einem Prüfprogramm ordnen. Nichtsdestotrotz verantworten verbleibende Unsicherheiten und das Erfordernis einer oftmals unverhältnismäßigen Einzelfallbetrachtung aller rechtlichen und tatsächlichen Umstände eine bisher unüberwindbare Schwäche des gesamten Tatbestands der „Einrichtung des öffentlichen Rechts“. Da sich sowohl der europäische als auch der deutsche Gesetzgeber gegen eine Anpassung des normierten Auftraggeberbegriffs mit der neuerlichen Vergaberechtsreform entschieden haben, liegt die Verantwortung und Last für den Umgang mit den bestehenden Unsicherheiten unverändert bei den Gerichten und der Wissenschaft. Die Grenzfälle, in denen eine positive Bestimmung der öffentlichen Auftraggebereigenschaft einer Einrichtung mit Hilfe der vorhandenen Ansätze nicht möglich ist, müssen folglich im Wege der Auslegung nicht nur mit Blick auf die vergaberechtliche Ziel- und Zwecksetzung sondern verstärkt mit einem Fokus auf die rechtsstaatlichen, grundrechtlichen und wesensprägenden Grundsätze des Europarechts gelöst werden. Allzu sehr wurde in der Vergangenheit das auch im Europarecht geltende rechtsstaatliche Prinzip der Rechtssicherheit, die Bedeutung der Kompetenzregeln und des Wettbewerbs als Leitprinzip des Vergaberechts sowie die grundrechtlich geschützte Privatautonomie und Vertragsfreiheit im Umgang mit den Abgrenzungsschwierigkeiten außer Acht gelassen. All diese Grundsätze genießen über dem Sekundärrecht Vorrang und sind bei der Auslegung und Rechtsanwendung stets zu berücksichtigen. Der Grundsatz der Rechtssicherheit und Normenklarheit gebietet, dass eine Reglung klar und deutlich ist, damit der Normadressat seine Rechte und Pflichte erkennen und sich danach ausrichten kann. Er muss die Chance besitzen, das an ihn adressierte Recht zu verstehen. Angesichts des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung muss sich der Unionsgesetzgeber auf den ihm von den entsprechenden Ermächtigungsgrundlagen

368

Schlussbetrachtung

erteilten Auftrag, im Falle der Vergaberichtlinien die Verwirklichung der Grundfreiheiten, beschränken. Insbesondere dort, wo die Vergaberichtlinien auf die Vorschriften über die Harmonisierung und Angleichung der Rechtsvorschriften in den Mitgliedstaaten gestützt werden, muss der Gesetzgeber dem Umstand, über kein allgemeine Gesetzgebungskompetenz zu verfügen, durch eine zurückhaltende Normsetzung Rechnung tragen. Und schließlich verbietet die grundrechtlich geschützte Privatautonomie als „Nicht­einmischungsgrundsatz“ in den Privatrechtsverkehr die ungerechtfertigte Unterwerfung privatrechtlicher Rechtsbeziehungen unter die Regeln des Vergaberechts. Diese Aspekte bilden das Gegengewicht zu der am Gedanken des effet utile orientierten funktionalen Auslegung. Aus ihnen ergibt sich das Gebot der Begrenzung des funktionalen Auftraggeberbegriffs für jene Fälle, in denen sich eine Auftraggebereigenschaft anhand vorhandener Kriterien nicht positiv bestimmen lässt, mit der Folge, dass diese im Zweifel abgelehnt werden muss.

B. Ergebnis „Die Rationalität im Recht eng ist gekoppelt mit der positiven Geltungskraft des Rechts.“1734

Es muss der Anspruch des Rechts sein, uneingeschränkt und effektiv zu gelten. Die Verwirklichung dieses Anspruchs stellt für das Europarecht eine besondere Herausforderung dar. Der Europäischen Union fehlt es an den herkömmlichen Durchsetzungsinstrumenten staatlicher Gewalt, sodass sich jede neue europarechtliche Regel ihre Stellung, ihre Autorität und Achtung in der europäisch-mitgliedstaatlichen Rechtsordnung erkämpfen muss. Diesen Kampf hat die vorliegende Untersuchung am Beispiel des Vergaberechts nachgezeichnet. Auch als Ergebnis seiner Integrationsgeschichte zeichnet sich das Europarecht durch eine zweck- und ergebnisorientierte Konzeption des Primär- und Sekundärrechts aus. Das Europarecht ist weitgehend frei von überbordenden Dogmatiken, Methodenlehren und -grundsätzen. Die Europäische Rechtsordnung ist dadurch stets offen für Wandel und Fortentwicklung. Der Fokus des Europarechts auf der Verwirklichung der Integrationsziele und Binnenmarktkonzeption ist begleitet von der Notwendigkeit, nationale Rechtstraditionen zu opfern und bisweilen unmittelbare oder mittelbare nachteilige Auswirkungen auf die fein tarierten Rechtsgefüge in den Mitgliedstaaten in Kauf zu

1734 Ernst Kern, Aspekte des Verwaltungsrechts im Industriezeitalter, in: Barion/Forsthoff/ Weber, Festschrift für Carl Schmitt, S. 81 (83).

B. Ergebnis

369

nehmen. Aus einer nationalen Perspektive, die regelmäßig auf die systemimmanente Fortentwicklung gewachsener Rechtsstrukturen bedacht ist, wirkt das mitunter bedrohlich. Dies galt lange Zeit auch für das deutsche Vergaberecht. Die Aufgabe der mühsam Anfang des 20.  Jahrhunderts entstandenen Ordnung des deutschen Vergabewesens mit mehr oder weniger rechtlichen Strukturen zugunsten eines vom Wettbewerbs-, Transparenz- und Gleichheitsgedanken getragenen europäischen Vergaberechts führte zu einer Erosion der vertrauten Dichotomie von Öffentlichem Recht und Zivilrecht im Bereich des öffentlichen Auftragswesens und zu einem mühsamen Wandel vom Innen- zum Außenrecht. Der Pragmatismus des Europarechts kann sich bisweilen nicht nur als Herausforderung für die nationalen Rechtsordnungen darstellen, sondern auch zu erheblichen Schwierigkeiten in der Rechtsanwendungspraxis führen. Hierzu zählt die Bestimmung und Auslegung des Öffentlichen Auftraggeberbegriffs, aus dem sich Umfang und Reichweite des persönlichen Anwendungsbereichs des Vergaberechts ergeben. Der Charakter des heutigen Vergaberechts im Allgemeinen und die Besonderheiten des Öffentlichen Auftraggeberbegriffs im Besonderen sind im Lichte jahrzehntelanger – teilweise erfolgloser – vergaberechtlicher Integrationsbemühungen zu sehen. So ist unter anderem der Wandel von einem formalen hinzu einem funktionalen Auftraggeberbegriff, der anstelle der Staatlichkeit auf eine Staatsähnlichkeit abstellt, als gesetzgeberische Antwort auf vielfache Strategien zur Vermeidung der Anwendung der Vergaberegeln zu verstehen. Die Öffnung des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers mit dem Ziel, die Durchsetzungskraft und Effektivität des Vergaberechts zu fördern, hat zu einer Reihe an Auslegungsfragen geführt, die bis heute nicht geklärt sind. Insbesondere die Fallgruppe der „Einrichtung des öffentlichen Rechts“, mit der die dem Staat nicht formell zurechenbaren Auftraggeber vom Anwendungsbereich des Vergaberechts erfasst werden sollen, erlaubt keine abschließende und rechtsichere abstrakt-generelle Bestimmung ihrer verschiedenen Tatbestandsmerkmale. Sowohl die Rechtsprechung als auch die Wissenschaft sind aus diesem Grund auf eine umfassende Einzelfallbetrachtung aller rechtlichen und tatsächlichen Umstände bzw. eine Art Fallrecht ausgewichen. Dieses Fallrecht schafft es jedoch nicht, die Abgrenzungsschwierigkeiten im Randbereich des Tatbestands zu beherrschen. Gerade die Bestimmung des Merkmals der „Nichtgewerblichkeit“, über das als tatbestandsbegrenzendes Element letzten Endes die funktionale Zurechnung zum Staat oder zu den privaten Marktteilnehmern zu entscheiden ist, bedarf regelmäßig einer Einzelfallbetrachtung, die über das herkömmliche Maß einer gewöhnlichen Subsumtion weit hinausgeht. In der Folge ist es für den Normenadressat meist nicht eindeutig und klar erkennbar, ob die öffentliche Auftraggebereigenschaft gegeben ist oder nicht. Da diese maß-

370

Schlussbetrachtung

geblich ist für die Anwendbarkeit des Vergaberechts, bleibt die betroffene Einrichtung also ahnungslos darüber, ob sie sich den Vergaberegeln zu unterwerfen hat oder nicht. Der europäische und deutsche Gesetzgeber haben sich mit der jüngsten Vergaberechtsreform gegen eine Konkretisierung des Tatbestands des Öffentlichen Auftraggebers entschieden. Es bleibt daher Aufgabe der Gerichte und der Wissenschaft, verbleibende Rechtsunsicherheiten zu überbrücken. Im Gegensatz zur Vergangenheit müssen hierbei anstelle einer nahezu ausschließlichen Fokussierung auf die vergaberechtlichen Normzwecke bei der Auslegung wesentliche rechtsstaatliche und grundrechtliche Aspekte des Europarechts verstärkt berücksichtigt werden. Sowohl das Gebot der Rechtssicherheit und Normenklarheit, die kompetenzrechtlichen Aspekte des Primärrechts sowie die grundrechtlich geschützte Privatautonomie und Vertragsfreiheit müssen neben dem Leitgedanken des Wettbewerbs als Gegengewicht zum funktionalen Ansatz und als Begrenzung des funktionalen Auftraggeberbegriffs herangezogen werden. Unter Berücksichtigung dieser Aspekte ist in Fällen, in denen eine öffentliche Auftraggebereigenschaft nicht eindeutig positiv festgestellt werden kann, die Eröffnung des vergaberechtlichen Anwendungsbereichs abzulehnen. Denn eines hat die Geschichte der europäischen Integration gelehrt: Die europäisch-mitgliedstaatliche Rechtsordnung kann sich keinen nachlässigen Umgang mit dem Recht leisten. Kommt es zu ungerechtfertigten Eingriffen in die Rechtspositionen der Marktteilnehmer und zu Kompetenzüberschreitungen des an die Grundsätze von Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit gebundenen Unionsgesetzgebers, ist nicht nur das Funktionieren der Europäischen Rechtsordnung gefährdet. Ohne die überlegte Wahl der Mittel zur Erreichung der Vertragszwecke besteht die Gefahr, dass die mühsam erkämpfte Majestät des Europäischen Rechts verloren geht.

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Anhang III

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Art. 100 EWG

Art. 100 EWG

1. Lieferkoordinierungs-RL

Anpassung und ­ Ergänzung der RL 77/62/EWG

Änderung der RL 77/62/EWG

RL 77/62/ EWG

RL 80/767/ EWG

RL 88/295/ EWG

Art. 100a EWG

Art. 57 Abs. 2 EWG Art. 66 EWG Art. 100 EWG

1. BaukoordinierungsRL

RL 71/305/ EWG

Rechts­grundlage

Regelungs­gegenstand

Vergabe­ richtlinien

„Eine Verbesserung und Ausweitung der Anwendung der Richtlinien durch transparente Vergabeverfahren und -praktiken für öffentliche Lieferaufträge ist ebenso erforderlich wie eine Verbesserung der Kontrollmöglichkeiten über die Einhaltung des diesen Richtlinien zugrundeliegenden Verbots von Beschränkungen des freien Warenverkehrs“ (1. Erwägungsgrund)

Keine explizite Begründung

Es ist erforderlich, daß neben dieses Verbot eine Koordinierung der Verfahren auf dem Gebiet der öffentlichen Lieferaufträge tritt, damit durch die Einführung gleicher Bedingungen für die Beteiligung bei der Vergabe öffentlicher Aufträge in allen Mitgliedstaaten eine Transparenz geschaffen wird, die eine bessere Kontrolle dieses Verbots ermöglicht.“ (1. und 2. Erwägungsgrund)

„Beschränkungen des freien Warenverkehrs auf dem Gebiet der öffentli­chen Lieferaufträge sind nach den Artikeln 30 ff. des Vertrages verboten.

„Die gleichzeitige Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs auf dem Gebiet der öffentlichen Bauaufträge, […] erfordert neben der Aufhebung der Beschränkungen eine Koordinierung der einzelstaatlichen Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge.“ (1. Erwägungsgrund)

Begründung (ausgewählte ­Erwägungsgründe)

Anhang IV

Übersicht über die Rechtsgrundlagen und Begründungen der Vergaberichtlinien

390 Anhang

Art. 57 Abs. 2 EWG Art. 66 EWG Art. 100a EWG

Änderung der RL 71/305/EWG

NachprüfungsRL

1. SektorenvergabeRL

Nachprüfungs-RL für die Sektoren

RL 89/440/ EWG

RL 89/665/ EWG

RL 90/531/ EWG

RL 92/13/ EWG

Art. 100a EWG

Art. 57 Abs. 2 EWG Art. 66 EWG Art. 100a EWG Art. 113 EWG

Art. 100a EWG

Rechts­grundlage

Regelungs­gegenstand

Vergabe­ richtlinien

(Fortsetzung nächste Seite)

(3. Erwägungsgrund) „Die Öffnung des Auftragswesens in den genannten Sektoren für den gemeinschaftsweiten Wettbewerb erfordert Maßnahmen, damit den Lieferanten oder Unternehmen im Falle von Verstößen gegen das einschlägige Gemeinschaftsrecht oder die zur Umsetzung dieses Rechts erlassenen einzelstaatlichen Rechtsvorschriften angemessene Nachprüfungsverfahren zur Verfügung stehen.“ (5. Erwägungsgrund)

„Gemäß den Artikeln 30 und 59 des Vertrages sind Beschränkungen des freien Warenund Dienstleistungsverkehrs für die Vergabe von Lieferaufträgen im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor untersagt.“

(3. Erwägungsgrund) „Es müssen Maßnahmen beschlossen werden, die bis zum 31. Dezember 1992 zur Vollendung des Binnenmarkts führen sollen. Der Binnenmarkt stellt einen Raum ohne innere Grenzen dar, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gewährleistet ist.“ (1. Erwägungsgrund)

(6. Erwägungsgrund) „Die auf einzelstaatlicher Ebene und auf Gemeinschaftsebene derzeit vorhandenen Mechanismen zur Durchsetzung dieser Regeln sind nicht immer ausreichend, um die Einhaltung der Gemeinschaftsvorschriften zu gewähr­leisten, vor allem dann, wenn Verstöße noch beseitigt werden können.“

„Für die Verwirklichung einer echten Niederlassungsfreiheit und eines wirklich freien Dienstleistungsverkehrs auf dem Gebiet der öffentlichen Bauaufträge müssen die in den Richtlinien über die Transparenz der Verfahren und der Praxis bei der Vergabe öffentlicher Bauaufträge vorgesehenen Garantien verbessert und erweitert werden, um besser gewährleisten zu können, daß das Verbot von Beschränkungen eingehalten wird, und um gleichzeitig die Unterschiede in den Wettbewerbsbedingungen für die Angehörigen der einzelnen Mitgliedstaaten zu verringern.“

Begründung (ausgewählte ­Erwägungsgründe)

Anhang IV

391

Regelungs­gegenstand

1. DienstleistungskoordinierungsRL

2. LieferkoordinierungsRL

2. BaukoordinierungsRL

2. SektorenkoordinierungsRL

Vergabe­ richtlinien

RL 92/50/ EWG

RL 93/36/ EWG

RL 93/37/ EWG

RL 93/38/ EWG

(Fortsetzung: Anhang IV)

Art. 57 Abs. 2 letzter Satz EWG Art. 66 EWG Art. 100a EWG Art. 113 EWG

Art. 57 Abs. 2 EWG Art. 66 EWG Art. 100a EWG

Art. 100a EWG

Art. 57 Abs. 2 EWG Art. 66 EWG

Rechts­grundlage

(4. Erwägungsgrund)

„Diese Zielsetzungen erfordern auch eine Koordinierung der Vergabeverfahren, die von den Auftraggebern in diesen Sektoren angewandt werden.“

„Beschränkungen des freien Warenverkehrs und des freien Dienstleistungsverkehrs sind in bezug auf Liefer- und Dienstleistungsaufträge, die im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor vergeben werden, nach den Artikeln 30 und 59 des Vertrages verboten.“ (2. Erwägungsgrund)

(2. Erwägungsgrund)

„Die gleichzeitige Verwirk1ichung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs auf dem Gebiet der öffentlichen Bauaufträge, die in den Mitgliedstaaten für Rechnung des Staates, der Gebietskörperschaften sowie sonstiger juristischer Personen des öffentlichen Rechts vergeben werden, erfordert neben der Aufhebung der Beschränkungen eine Koordinierung der einzelstaatlichen Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge.“

„Die Verwirklichung des freien Warenverkehrs auf dem Gebiet der öffentlichen Lieferaufträge, die in den Mitgliedstaaten für Rechnung des Staates, der Gebietskörperschaften sowie sonstiger Einrichtungen des öffentlichen Rechts vergeben werden, erfordert neben der Aufhebung der Beschränkungen eine Koordinierung der einzelstaatlichen Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge.“ (5. Erwägungsgrund)

„Dieses Ziel erfordert die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge.“ (3. Erwägungsgrund)

„Es müssen Maßnahmen getroffen werden, um bis zum 31. Dezember 1992 den Binnenmarkt schrittweise zu verwirklichen. Der Binnenmarkt umfaßt einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gewährleistet ist.“ (2. Erwägungsgrund)

Begründung (ausgewählte ­Erwägungsgründe)

392 Anhang

Konsolidierte Ko­ Art. 47 Abs. 2 EG ordinierungsRL für Art. 55 EG Bau-, Liefer- und Art. 95 EG Dienstleistungsaufträge

Konsolidierte NachprüfungsRL

RL 2004/ 18/EG

RL 2007/ 66/EG

Art. 95 EG

Art. 47 Abs. 2 EG Art. 55 EG Art. 95 EG

3. SektorenkoordinierungsRL

RL 2004/ 17/EG

Rechts­grundlage

Regelungs­gegenstand

Vergabe­ richtlinien

Keine explizite Begründung

(2. Erwägungsgrund)

(Fortsetzung nächste Seite)

„Die Vergabe von Aufträgen in den Mitgliedstaaten auf Rechnung des Staates, der Gebietskörperschaften und anderer Einrichtungen des öffentlichen Rechts ist an die Einhaltung der im Vertrag niedergelegten Grundsätze gebunden, insbesondere des Grundsatzes des freien Warenverkehrs, des Grundsatzes der Niederlassungsfreiheit und des Grundsatzes der Dienstleistungsfreiheit sowie der davon abgeleiteten Grundsätze wie z. B. des Grundsatzes der Gleichbehandlung, des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung, des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung, des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und des Grundsatzes der Transparenz. Für öffentliche Aufträge, die einen bestimmten Wert überschreiten, empfiehlt sich indessen die Ausarbeitung von auf diesen Grundsätzen beruhenden Bestimmungen zur gemeinschaftlichen Koordinierung der nationalen Verfahren für die Vergabe solcher Aufträge, um die Wirksamkeit dieser Grundsätze und die Öffnung des öffentlichen Beschaffungswesens für den Wettbewerb zu garantieren. Folglich sollten diese Koordinierungsbestimmungen nach Maßgabe der genannten Regeln und Grundsätze sowie gemäß den anderen Bestimmungen des Vertrags ausgelegt werden.“

„Ein weiterer wichtiger Grund, der eine Koordinierung der Vergabeverfahren durch Auftraggeber in diesen Sektoren notwendig macht, ist die Abschottung der Märkte, in denen sie tätig sind, was darauf zurückzuführen ist, dass die Mitgliedstaaten für die Versorgung, die Bereitstellung oder das Betreiben von Netzen, mit denen die betreffenden Dienstleistungen erbracht werden, besondere oder ausschließliche Rechte gewähren.“

Keine explizite Begründung, vgl. aber den 3. Erwägungsgrund:

Begründung (ausgewählte ­Erwägungsgründe)

Anhang IV

393

Regelungs­gegenstand

Verteidigungsgüter­ koordinierungsRL

1. Konzessions­ vergaberichtlinie

Vergabe­ richtlinien

RL 2009/ 81/EG

RL 2014/ 23/EU

(Fortsetzung: Anhang IV)

Art. 53 Abs. 1 AEUV Art. 62 AEUV Art. 114 AEUV

Art. 44 Abs. 2 EG Art. 47 Abs. 2 letzter Satz EG Art. 55 EG Art. 57 Abs. 2 EG Art. 71 EG Art. 80 Abs. 2 Art. 93, 94, 133 und 181a EG Art. 300 Abs. 2 UAbs. 1 S. 2 und Abs. 3 UAbs. 1 EG

Rechts­grundlage

(1. Erwägungsgrund)

„Das Fehlen klarer Bestimmungen zur Vergabe von Konzessionen auf Unionsebene führt zu Rechtsunsicherheit, Behinderungen des freien Dienstleistungsverkehrs und Verzerrungen des Binnenmarkts. […] Ein angemessener, ausgewogener und flexibler Rechtsrahmen für die Konzessionsvergabe würde den tatsächlichen, diskriminierungsfreien Marktzugang aller Wirtschaftsteilnehmer in der Union und Rechtssicherheit gewährleisten und so öffentliche Investitionen in Infrastrukturen und strategische Dienstleistungen für die Bürger fördern. Ein solcher Rechtsrahmen würde auch zu größerer Rechtssicherheit für die Wirtschaftsteilnehmer führen und könnte eine Grundlage und ein Mittel für die weitere Öffnung der internationalen Märkte für öffentliche Aufträge darstellen und den Welthandel ankurbeln. […]“

(2. Erwägungsgrund)

„Der schrittweise Aufbau eines europäischen Markts für Verteidigungsgüter ist für die Verbesserung der europäischen rüstungstechnologischen und -industriellen Basis und den Ausbau der zur Umsetzung der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik notwendigen militärischen Kapazitäten unerlässlich.“

Begründung (ausgewählte ­Erwägungsgründe)

394 Anhang

4. SektorenkoordinierungsRL

RL 2014/ 25/EU

(1. Erwägungsgrund)

„Die Vergabe öffentlicher Aufträge durch oder im Namen von Behörden der Mitgliedstaaten hat im Einklang mit den im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) niedergelegten Grundsätzen zu erfolgen, insbesondere den Grundsätzen des freien Warenverkehrs, der Niederlassungsfreiheit und der Dienstleistungsfreiheit sowie den sich daraus ableitenden Grundsätzen wie Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung, gegenseitige Anerkennung, Verhältnismäßigkeit und Transparenz. Für über einen bestimmten Wert hinausgehende öffentliche Aufträge sollten Vorschriften zur Koordinierung der nationalen Vergabeverfahren festgelegt werden, um zu gewährleisten, dass diese Grundsätze praktische Geltung erlangen und dass das öffentliche Auftragswesen für den Wettbewerb geöffnet wird.“

Begründung (ausgewählte ­Erwägungsgründe)

(2. Erwägungsgrund)

Art. 53 Abs. 1 AEUV „Um zu gewährleisten, dass die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich Art. 62 AEUV der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste für den Wett­ Art. 114 AEUV bewerb geöffnet wird, sollten Bestimmungen für eine Koordinierung von Aufträgen, die über einen bestimmten Wert hinausgehen, festgelegt werden. Eine solche Koordinierung ist erforderlich, um den im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) niedergelegten Grundsätzen Geltung zu verschaffen, insbesondere den Grundsätzen des freien Warenverkehrs, der Niederlassungsfreiheit und der Dienstleistungsfreiheit sowie den sich daraus ableitenden Grundsätzen wie Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung, gegenseitige Anerkennung, Verhältnismäßigkeit und Transparenz. In Anbetracht der Art der betroffenen Sektoren sollte die Koordinierung der Zuschlagserteilung auf Unionsebene unter Wahrung der genannten Grundsätze einen Rahmen für faire Handelspraktiken schaffen und ein Höchstmaß an Flexibilität ermöglichen.“

Modernisierte Ko­ Art. 53 Abs. 1 AEUV ordinierungsRL für Art. 62 AEUV Bau-, Liefer- und Art. 114 AEUV Dienstleistungsaufträge

RL 2014/ 24/EU

Rechts­grundlage

Regelungs­gegenstand

Vergabe­ richtlinien

Anhang IV

395

396

Anhang

Anhang V

Europäische Kommission, Das öffentliche Auftragswesen in der Europäischen Union – Überlegungen für die Zukunft, Grünbuch vom 27.11.1996, KOM (96) 583 endg.

Anhang V

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Sachverzeichnis Absolutismus 56 Absteigerung  56, 58, 59, 70, 71 Anwendungsvorrang 201 aquis communautaire 225 Auftraggeberbegriff, funktionaler  39, 41, 247, 366, 369 Auslegung –– Bestimmtheitsgrundsatz 340 –– effet utile  143, 144, 149, 203, 204, 205, 238, 252, 341, 361, 365, 368 –– europarechtskonforme  41, 166, 297 –– funktionelle 115 –– Prinzip der vollen Wirksamkeit  149 –– Reglungszweck 44 –– richtlinienkonforme  213, 241, 305, 306, 327, 345 –– systematische  43, 44, 197 –– teleologisch-funktionale  238, 239 Ausschreibung  55, 61, 80, 81, 123, 131 Bauhof-Ordnung, Hamburger  53, 55 Beherrschungsvertrag  290, 292 Bieterrechte, subjektive –– Disposition 255 –– Innenrecht  153, 224 –– materielles Recht  252 –– Nachprüfungsverfahren  165, 166 –– Rechtsschutzgarantie 250 –– Rechtsschutzlücke  83, 87, 140 –– Richtlinienumsetzung  147, 251 Binnenmarkt –– Funktionieren des  196, 211, 215, 217, 296 –– Gemeinwohlziele  211, 212 –– Integration 106 –– Lissabon Strategie  170 –– Öffnung nationaler Märkte  75 –– Rechtsangleichung  206, 215, 218, 344 –– Ressourcenallokation 184 –– Vergaberecht  106, 167

–– Verwirklichung  36, 103, 104, 105, 128, 223, 343, 365 –– Wachstumsförderung 184 –– Weißbuch 1985  106, 109 –– Wettbewerb  327, 355 –– Ziele  37, 73, 105, 210, 212, 220, 353 culpa in contrahendo  79 Daseinsvorsorge  51, 64, 266, 281, 282, 285, 322, 323 De-Facto-Vergabe 179 Demokratieprinzip  88, 284, 289 Deregulierung 164 Deutsche Verdingungsausschuss für ­ Leistungen (DVAL)  77 Dichotomie  256, 257, 258, 259, 283, 369 Dienstleistungsfreiheit  72, 92, 94, 95, 96, 97, 100, 101, 114, 212, 215, 218, 220, 345 Diskriminierungsverbot  103, 351, 352 Dualismus 199 Eigenregie  51, 52, 53, 55, 57, 70, 282 Einheitliche Europäische Akte  105, 218 Entbürokratisierung 164 Estoppel-Prinzip  144, 198 Europäische Wirtschaftsgemeinschaft  37, 73, 103 Europäischer Gerichtshof –– Einzelfallrechtsprechung  41, 362 –– Kodifizierung der Rechtsprechung  40, 329, 347 Europäisch-mitgliedstaatliche Rechtsordnung  36, 196, 197, 200, 368, 370 eVergabe  72, 167, 185 Fiskalisches Handeln  257 Fiskalismus 60

Sachverzeichnis Fiskus  85, 273, 274 Flucht in das Privatrecht  40, 366 GATT-Abkommen 121 Gebietskörperschaften –– Auslegung 299 –– Definition  99, 112, 187, 305 –– formelle Zuordnung zum Staat  75, 95, 98, 100, 107, 246, 298 –– Sektorenauftraggeber 116 Gebot der Normenklarheit  339, 341, 343, 359 Gemeinsamer Markt  73, 74, 93, 94, 102, 103, 106 Gewerbefreiheit 64 Gleichbehandlung  36, 103, 176, 245, 353 Globalisierung  75, 170 Government Procurement Agreement 34, 155, 156 Gründungszweck, besonderer –– Abgrenzung 191 –– Auslegung 312 –– Bestimmung  190, 312, 313, 314, 351 –– Definition 325 –– englisches Recht  326 –– kumulatives Tatbestandsmerkmal  40, 187 –– Prüfungsschema 337 Hansa-Bund 65 Harmonisierung –– Beschaffungsmarkt  109, 212 –– von Rechtsvorschriften  47, 195, 209, 242, 339 –– Wirtschaftsraum 108 Haushaltsrecht –– als Ermächtigungsgrundlage  159 –– Besonderheiten 87 –– Innenrecht  80, 87, 137, 365 –– Novelle 1993  141 –– Prinzipien  80, 82, 254 Herren der Verträge  44, 203 implied-powers-Doktrin  203, 262 Individualfreiheit  282, 283, 321 Individualrechtsschutz  82, 153 Industrialisierung  50, 64, 70, 72 Industrielle Revolution  91

419

Innovationsunion 183 Interessenabwägung 118 Invocabilité  251, 252, 255, 365 Justizgewährungsanspruch, allgemeiner  180, 294 Kaiserreich, deutsches  65, 71 Kaskadensystem 166 Konkurrenz –– durch Private  271, 285 –– Hemmnisse 52 –– Merkantilismus 55 –– Übertreibung  59, 62 Konsortialvertrag 333 Lizitation –– Ablösung 72 –– Absteigerung 71 –– Auf- und Abstieg  56 –– beschränkte 58 –– Bieterexzess 62 –– Einsparungen 58 –– elektronische Auktion  70 –– in Bayern  57 –– Kostenkontrolle 58 –– mündliche  58, 61 –– Preiskampf 60 –– Schwächen  59, 60, 61 –– Tradition 72 –– Verfahren  60, 64, 72 –– Widerstand 59 –– Ziele 70 Merkantilismus 55 Misswirtschaft 64 Mittelstand  137, 138, 224 Molitor-Gruppe 222 Nachprüfbarkeit der Vergabeentscheidung  165, 295 Nachprüfungsverfahren  254, 258 –– Angleichung  176, 227 –– Beschleunigung 180 –– Einführung  127, 134, 148, 196 –– unmittelbar anwendbare RL-Vorschriften  146 –– verwaltungsinterne 153

420

Sachverzeichnis

Nichtgewerblichkeit –– Abgrenzung  327, 328 –– als autonomer Rechtsbegriff  325 –– als Tatbestandsbegrenzung  327, 337, 367, 369 –– Auslegung 190 –– funktionale Äquivalenz  358 –– Kodifikation  189, 329, 358 –– Legaldefinition  190, 191 –– negative Abgrenzungskriterien  190 –– Prüfungsschema 336 –– Sprachenvergleich  300, 326, 327 –– tatsächliche Aufgabenerfüllung  191 –– Unbestimmtheit 325 –– Wettbewerb  332, 333, 354, 356 Niederlassungsfreiheit –– Allgemeines Programm 1961  92, 96 –– Beschränkung  97, 100 –– Diskriminierung 95 –– Kompetenzvorschriften  215, 218, 220, 345 –– Koordinierungsmaßnahmen 94 –– öffentliches Bauauftragswesen  96 –– Schutzbereich 344 –– Umsetzung  100, 101, 114, 212, 245, 248 –– Zweck  72, 176, 215 Normenadressat  340, 360, 369 Normenhierarchie 44 Normenkollision  200, 201 Oberschwellenwertbereich 139 Öffentlicher Auftraggeber, Tatbestand –– Auslegungsschwierigkeiten  37, 41, 46, 186, 358 –– funktionale Äquivalenz  190, 248, 260, 261, 298, 328, 366 Öffentlich-private Partnerschaft (ÖPP)  282 Praktikerrecht  49, 75, 163, 364, 365 Preisabsprache 53 Preußen  58, 62, 63 Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung  214, 367 Privatautonomie  39, 294, 348, 360 –– als ökonomisches Prinzip  346 –– als Tatbestandsbegrenzung  370 –– der Verwaltung  267, 272 –– Grundrechtsschutz  347, 348, 367

–– Integrationsförderung 346 –– juristischer Personen des öffentlichen Rechts 284 –– Nichteinmischungsgrundsatz 368 Privatisierung 162 Public Private Partnership (PPP)  178, 282 Rat der Europäischen Union  92, 96, 97, 104, 170, 191 –– Lissabon-Strategie 170 Rechtsangleichung 213 –– durch Richtlinien 220 –– durch Verordnungen  220 –– Einfluss 198 –– Ermächtigungsgrundlage 344 –– Grenzen  213, 214 –– im Vergaberecht  214, 227, 249 –– Rechtsgrundlage  37, 195, 206, 218 –– Subsidiaritätsprinzip 345 –– Umsetzung  210, 260, 339 –– Verfahren  198, 209, 218 –– Zuständigkeit 211 –– Zweck 242 Rechtsfortbildung, richterliche  145, 203, 239 Rechtsgemeinschaft  202, 205, 228, 251, 343 Rechtsgrundsatz, allgemeiner  150 Rechtsklarheit  166, 181, 191, 338 Rechtspersönlichkeit –– Auslegung  187, 306, 312 –– autonomer Rechtsbegriff  304 –– juristische Person des öffentlichen Rechts 275 –– juristische Person des Privatrechts  306 –– kumulatives Tatbestandsmerkmal  40, 113, 187, 300, 312 –– legal personality 305 –– Prüfungsschema 337 –– Rechtsform 299 –– Staatszugehörigkeit 366 Rechtssicherheit –– Anforderung 367 –– Auslegung 321 –– Einzelfallrechtsprechung  47, 136, 185, 318 –– Grundgesetz 341 –– Herstellung 359 –– Invocabilité 255 –– Kasakadensystem 166

Sachverzeichnis –– Mindestmaß  45, 144 –– Neubewertung der Auftraggeber­ eigenschaft 313 –– Rechtsstaatsprinzip  43, 339, 367 –– richtlininenkonforme Auslegung  241 –– Tatbestandsbegrenzung  181, 359, 360, 370 –– Verbesserung  191, 342, 343 –– Vergabeverfahren  35, 166, 191, 197 –– Vertrauensschutz  279, 339 Rechtsstaatsprinzip  88, 279, 284, 289, 310, 339, 340 Rechtsvereinheitlichung  47, 209, 211, 213, 221 Rechtsweggarantie 84 Reichsverdingungsausschuss  66, 67, 76, 77 Reichsverdingungsordnung für ­ Bauleistungen 68 Ressourcenallokation 184 Römische Verträge  73, 99 Schadensersatz  117, 118, 168, 278, 294 Schrankentrias  284, 286, 289, 310, 324 Schutznormtheorie 252 Schwellenwerte –– Anwendungsbereich  115, 134, 164 –– Freihändige Vergabe  139 –– für Bauaufträge  115, 121 –– für Lieferaufträge  121 –– für Sektorenaufträge  121 –– in Verdingungsordnungen  133 –– Überprüfung 107 –– Unterschiede  166, 180 –– Vereinfachung 172 Scientology-Schutzklausel 294 Sektorenauftraggeber –– als Referenz  357 –– Ausnahme vom Anwendungsbereich  97, 106, 109, 116, 120, 246, 355 –– Einbeziehung  107, 111, 116, 117, 120, 125, 126, 127, 145, 172, 175, 196, 246, 247 –– Einrichtung des öffentlichen Rechts  356 –– Energieversorgung  97, 98, 116, 121, 175, 183, 184, 246 –– GWB 192 –– in Privatrechtsform  175, 258, 357 –– Legaldefinition 181

–– –– –– –– –– ––

421

Nachprüfungsverfahren 130 Post 162 Schwellenwert 121 Systembruch  46, 356 Tatbestandsänderung 181 Telekommunikation  106, 116, 175, 180, 181, 246, 355 –– Verkehr  97, 116, 121, 175, 183, 184, 246 –– Wasserversorgung  97, 98, 116, 121, 175, 183, 184, 246 –– Wettbewerb  355, 356 Selbstverwaltungsgarantie  269, 271, 272, 320, 325 Souveränität  201, 212 Sozialstaat 259 Staatsgebundenheit –– Auslegung 312 –– Definition  40, 307 –– Einflussnahme 311 –– funktionale Staatsgleichheit  312 –– gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen  310, 311 –– kumulatives Tatbestandsmerkmal  40, 187 –– Prüfungsschema 337 –– Varianten 311 Staatshaftungsanspruch, unionsrechtlicher  204, 223, 365 Stillhaltefrist 176 Straßenbauwesen 57 Submission –– Abschaffung 61 –– beschränkte 61 –– Bieterexzess 62 –– Definition 54 –– Geschichte 60 –– im Deutschen Reich  55, 65 –– in Frankreich  55 –– Schwächen 61 –– Verfahren  64, 70 –– Zweck 62 Subsidiaritätsprinzip  207, 214, 217, 218, 228, 345 Subsumtion  41, 42, 43, 44, 187, 304, 321, 342, 358, 361, 369 Subvention  195, 324 Supranationalität  46, 143, 210, 240, 339 Suspensiveffekt  118, 176

422

Sachverzeichnis

Transparenz im Vergabeverfahren  122, 126, 176 –– Auslegung 345 –– Effizienz 35 –– für Bauaufträge  96 –– Gefährdung  327, 351, 352 –– Gleichbehandlung  105, 317, 369 –– Informationspflicht 119 –– in Frankreich  90 –– Leitprinzip 71 –– Liberalisierung 107 –– Molitor-Gruppe 222 –– Nichtgewerblichkeit 332 –– Rechtsangleichung 103 –– Schriftlichkeit 61 –– technische Vorschriften  111 –– Vereinfachung 179 –– Verfahrensrecht 36 –– Verhältnismäßigkeit 351 –– Zweck  184, 245, 249, 349, 353, 360 Umsetzungsautonomie 117 Unmittelbare Wirkung von Richtlinien –– Adressaten 145 –– im Vergaberecht  38, 147 –– Mindestgarantie 144 –– Nachprüfungsverfahren 148 –– Nichtumsetzung  142, 144, 204 –– Normenhierarchie 252 –– richterliche Rechtsfortbildung  145, 147, 223 –– Subjektivierung  152, 252, 253, 365 Unterbietung 61 Unternehmen, gemischt-wirtschaftliches –– Abgrenzung 281 –– Anteilseigner  283, 291 –– Aufgabenübertragung 310 –– öffentlicher Auftraggeber  297 –– Rechtsform  287, 306 Unternehmen, kleinere und mittlere (KMU)  170, 185 Unterschwellenwertbereich  107, 139, 164, 166, 180, 225, 294 Urbanisierung  64, 72 Verbände  40, 67, 99, 116, 169, 273, 298 Verbraucherschutz 349 Verdingung  54, 55, 58, 62

Verdingungsausschuss für Bauleistungen (DVA) 77 Verdingungsausschuss für Leistungen (DVAL) 77 Verdingungsordnung für Bauleistungen (VOB)  68, 76, 77, 135, 140 Vergaberecht, sekundäres –– Ausnahmen  223, 356, 365 –– Implementierung  39, 46, 94, 99, 101, 102, 105, 110, 203, 222, 224, 226, 237, 365 –– Kodifizierung 88 –– Reichweite  39, 73, 116, 215, 260, 278, 345, 369 –– Umsetzungsdefizit 171 Vergabeüberwachungsausschuss  133, 134, 148, 151, 153, 154, 155, 165 Vergabeverfahren –– elektronische Kommunikation  185 –– freihändige Vergabe  110, 123, 124 –– nicht offenes Verfahren  123, 124 –– offenes Verfahren  123 –– Verhandlungsverfahren  123, 124, 125 Vergabezwecke –– Sparsamkeit  58, 74, 87, 254 –– Wirtschaftlichkeit  87, 91, 254 Vergabezwecke, sekundäre –– Arbeitsmarktpolitik 36 –– Umweltschutz  36, 184, 208 Verhältnismäßigkeitsprinzip  176, 207, 208, 220, 228, 280, 351, 370 Verordnungsermächtigung 159 Vertrag von Amsterdam  219 Vertrag von Lissabon  201, 207, 209, 219, 220, 239, 347 Vertrag von Nizza  219 Vertragsfreiheit 350 –– Auslegung  39, 350, 351, 370 –– des Staates  350 –– EGMR 347 –– Eingriff  349, 351, 352, 360 –– Grundrechtecharta 347 –– Grundrechtsschutz  347, 367 –– Schutzbereich 350 –– Unionsgrundrecht  348, 351, 352, 359 –– Wirtschaftsordnung  346, 349 Vertragsverletzungsverfahren  131, 147, 149, 152, 153, 154, 196, 365

Sachverzeichnis Verwaltung –– Aufgabenwahrnehmung 320 –– Formenwahlfreiheit  262, 263 –– Handlungsformen  261, 262 –– Hilfsgeschäfte  84, 262 –– Ingerenzpflicht  289, 290 –– Kompetenzbindung 287 –– Leistungsverwaltung  64, 262 –– Privatrechtliches Handeln  267, 275 –– Privatrechtsfähigkeit  274, 275, 277, 278 –– ultra vires-Handeln  278 Verwaltungsprivatrecht  84, 262, 266, 273, 293 Verwaltungsrechtsweg –– Gesetzgebungskompetenztheorie 265 –– Öffentlich-rechtliche Streitigkeit  263 –– Subordinationstheorie 264 –– Zwei-Stufen-Lehre  78, 79, 256 Vetternwirtschaft  56, 75 Warenverkehrsfreiheit  94, 95, 96, 101, 208, 245, 344 Weimarer Republik  67, 69, 71, 76 Wettbewerb –– als Marktprinzip  73, 317 –– Aufruf 124

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Auftragsvergabe 70 Beeinträchtigung 308 Fiskalismus 74 Funktionieren des  36, 349 Gefährdung  327, 332, 351, 352, 354, 357, 361 –– gemischt-wirtschaftliche Unternehmen  282 –– Gewerblichkeit 330 –– Industrialisierung 70 –– Marktprinzip  123, 126, 249, 328, 343, 353, 359, 360, 361 –– Referenzmarkt 330 –– Ressourcenallokation 184 –– Teilnahme am  333, 355, 356, 357, 358 –– Teilnahme der Verwaltung  271 –– Urbanisierung   64 –– Verfahren 121 –– Vergabeverfahren  61, 62, 71, 103, 345, 349 –– Vergabezweck 175 –– Wirtschaftlicher Fortschritt  64 Wirtschafts- und Sozialausschuss  169, 173 Zünfte  52, 57, 59, 60, 61, 70, 364 Zusammenarbeit, Prinzip der loyalen  240