Den Anfang denken: Band III. Vom Hellenismus zum Christentum 9783787321537, 9783787321513, 9783787321520, 3787321535

Philosophische Konzepte sind keine Einheiten, die für sich stehen und Satz für Satz entwickelt werden können, sondern si

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German Pages 488 [490] Year 2018

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Den Anfang denken: Band III. Vom Hellenismus zum Christentum
 9783787321537, 9783787321513, 9783787321520, 3787321535

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ALFONS RECK ER MANN

DEN A NFA NG DENK EN Die Philosophie der Antike in Texten und Darstellung

band iii Vom Hellenismus zum Christentum

FELIX MEINER V ERL AG HA MBURG

PH I L O S OPH IS C H E BI BL IO T H E K B A N D 62 7

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet abruf bar über ‹http://dnb.d-nb.de›. ISBN 978-3-7873-2153-7

Band 1: Vom Mythos zur Rhetorik (ISBN 978-3-7873-2151-3) Band 2: Sokrates, Platon und Arsitoteles (ISBN 978-3-7873-2152-0) Frontispiz: Augustinus, Wandmalerei unterhalb der Kapelle Sancta Sanctorum, Rom © Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 2011. Alle Rechte vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Über tragung einzelner Textabschnitte durch alle Verfahren wie Speicherung und Über tragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Plat ten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrück lich gestatten. Satz: Type & Buch Kusel, Hamburg. Druck und Bindung: Druckhaus Nomos, Sinzheim. Werkdruck papier: alterungsbeständig nach ANSI-Norm resp. DIN-ISO 9706, hergestellt aus 100 % chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany. www.meiner.de

Werner Beierwaltes zum achtzigsten Geburtstag

Inhaltsübersicht

BAND III

vom hellenismus zum chris tentum Philosophische Prinzipienreflexion in der Zeit nach Aristoteles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3

A Die Stoa als Vereinfachungs- und Verdichtungsform der theologischen Prinzipienreflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5

1. Der stoische Begriff der Philosophie und ihr vorzüglicher Gegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6

Text 44 Text 45 Text 46 Text 47

Aëtius, Placita I Prooem. 2 (SVF II 35) . . . . . . . Kleanthes, An Zeus (SVF I 537) . . . . . . . . . . . . . Cicero, De natura deorum II 29 – 36 . . . . . . . . . . Cicero, De natura deorum II 56 – 58 . . . . . . . . . .

7 12 25 32

2. Die Prinzipienbegriffe der stoischen Philosophie . . . . . . .

35

Text 48 Diogenes Laertius, Vitae philosophorum VII 134 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36

3. Zum Verhältnis von Prinzipientheorie und Ethik . . . . . . .

40

Text 49 Epiktet, Handbüchlein der Moral 1 . . . . . . . . . . . Text 50 Seneca, Naturales quaestiones I 1 – 12 . . . . . . . . .

44 49

B Die Atomistik Epikurs als ethisch fundierter Naturalismus und prinzipientheoretischer Minimalismus . . . . . . . . . . . . .

61

1. Die nicht-theologische Prinzipientheorie der atomistischen Physik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

Text 51 Epikur, Brief an Herodot 38 – 44 . . . . . . . . . . . . . Text 52 Epikur, Brief an Menoikeus 123 . . . . . . . . . . . . . .

68 72

viii

Inhaltsübersicht

2. Zum Verhältnis von Physik und Ethik . . . . . . . . . . . . . . . .

77

Text 53 Epikur, Brief an Menoikeus 124 – 135 . . . . . . . . . Text 54 Lukrez, De rerum natura II 1 – 19 . . . . . . . . . . . .

79 93

C Die skeptische Distanzierung von der philosophischen Prinzipienreflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

94

1. Die Praxis der Urteilsenthaltung als Weg zum Glückszustand seelischer Unerschütterlichkeit bei Pyrrhon aus Elis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96

Text 55 Diogenes Laertius, Vitae philosophorum IX 61 – 62 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 Text 56 Eusebius, Praeparatio evangelica XIV 18, 1 – 5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 2. Die aporetische Skepsis der platonischen Akademie als dialektisch begründete Distanzierung von der theoretischen Prinzipienreflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 Text 57 Cicero, Academica posteriora I 44 – 46 . . . . . . . . 110 Text 58 Sextus Empiricus, Adversus mathematicos VII 160 – 165 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 3. Die Abtrennung einer praktischen von der theoretischen Prinzipienreflexion im Zusammenhang der akademischen Skepsis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 Text 59 Sextus Empiricus, Adversus mathematicos VII 158 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Text 60 Sextus Empiricus, Adversus mathematicos VII 166 – 184 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 4. Der Versuch des späteren Pyrrhonismus, die Dialektik der akademischen Skepsis therapeutisch für ein ›Stillstellen des Denkens‹ einzusetzen . . . . . . . . . . . . . . . 134 Text 61 Sextus Empiricus, Pyrrhoniae hypotyposes I 4, 8 – 10 und I 12, 25 – 30 . . . . . . . . . . . . . . . . . 135

Inhaltsübersicht

ix

D Die Philosophie Plotins (205 – 270) als maximale Steigerungsform der theologischen Prinzipienreflexion . . . . . . . . . 151 1. Plotins Platonismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Text 62 Plotin, Enneade V 1 [10], 8, 1 – 14 . . . . . . . . . . . . . 159 2. Der Aufstieg der Seele zum Einen als Ziel des menschlichen Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Text 63 Plotin, Enneade V 9 [5], 1, 1 – 2, 28 . . . . . . . . . . . 167 3. Negative Theologie und mystische Ekstasis als zwei Formen der Annäherung an den ›überseienden‹ Grund aller Wirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 Text 64 Text 65 Text 66 a Text 66 b

Plotin, Enneade V 3 [49], 13, 1 – 14, 8 . . . . . . . . Plotin, Enneade V 3 [49], 17, 21 – 38 . . . . . . . . . Plotin, Enneade VI 9 [9], 8, 34 – 9, 24 . . . . . . . Plotin, Enneade VI 9 [9], 11, 6 – 26 . . . . . . . . .

191 198 204 205

E Das Christentum als theologia naturalis und ihr Verhältnis zur philosophischen Theologie . . . . . . . . . . . . . . 211 1. Paulus und die theologia naturalis der ›weltlichen Weisheit‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Text 67 Paulus, ad Romanos 1, 14 – 25 . . . . . . . . . . . . . . . 214 2. Tertullians Angriff auf das ›dialektische‹ Christentum der gnostischen Häretiker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 Text 68 Tertullian, De praescriptione hareticorum 7, 1 – 13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 3. Der Kampf zwischen griechischer Philosophie und christlicher Religion um den rechtmäßigen Besitz der einen Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 a) Der stoisch geprägte Mythos vom natürlichen Ursprung des soteriologischen Wissens . . . . . . . . . . . 231 Text 69 Dion aus Prusa, Oratio 12, 27 – 29, 32 und 39 (= Poseidonios, Fr. 368, ed. Theiler) . . . . . . . . . 232

x

Inhaltsübersicht

b) Die Darstellung der Lehre Christi als ›allein sicherer und Nutzen bringender Philosophie‹ bei Justin Martyr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 c) Der ›wahrheitsliebende Platon‹ und der ›allweise Moses‹. Clemens aus Alexandrien und der Streit über den Ursprungs- und Verwirklichungsort des soteriologischen Wissens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 Text 70 Clemens Alexandrinus, Stromata I 57, 1 – 6 . . . 245 Text 71 Clemens Alexandrinus, Stromata II 5 – 6, 2 . . . 257 4. Die Grenze aller philosophischen Prinzipienreflexion oder die vera religio christiana als verissima philosophia. Eine Überlegung zu Augustinus (354 – 430) . . . . . . . . . . . . 265 a) Die Anknüpfung des Augustinus an Platon . . . . . . . . . 269 Text 72 Augustinus, De civitate dei VIII 4 – 6 und 8 . . . 270 b) Was man bei den Platonikern nicht finden kann . . . . . 281 Text 73 Augustinus, Confessiones VII 9, 13 – 14 . . . . . . . 281 c) Die unplatonische Anthropologie des Augustinus . . . . 288 (1) Das Kontinuum von Schöpfung und Erlösung . . . . 293 (2) Christus als vir magnus atque divinus und die angebliche superbia der Platoniker . . . . . . . . . . . . . 295 (3) Zum Verhältnis von auctoritas und ratio . . . . . . . . . 298 Text 74 Augustinus, De trinitate VIII 2, 3 . . . . . . . . . . . . 306 Schlussbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467

Inhaltsübersicht

xi

BAND I

vom mythos zur rhetorik Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . xix Die »vorsokratische« Philosophie als Frage nach der Einheit und dem Ursprung des Seienden . . . . . . . . . . . . . . .

3

A Mythos, Logos und Physis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3

Die Frage des Mythos nach dem Ursprung der Götter als Vorgestalt der philosophischen Frage nach dem wahren Grund der Wirklichkeit als dem Garanten für eine Ordnung, in der man leben kann

1. Hesiod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5

Die dichterische Vergegenwärtigung der Weltordnung und ihre Bedeutung für das Gelingen des menschlichen Lebens

Text 1 Hesiod, Theogonie 104 – 181 und 453 – 496 . . . . . Text 2 Hesiod, Theogonie 1 – 52 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Text 3 Hesiod, Theogonie 70 – 103 . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6 20 25

2. Parmenides als philosophischer Dichter . . . . . . . . . . . . . .

30

Text 4 Das Prooemium zum Lehrgedicht des Parmenides, VS 28 B 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Text 5 Parmenides, VS 28 B 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Text 6 Parmenides, VS 28 B 8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33 38 43

B Die Fremdheit der philosophischen Frage nach der Einheit des Seienden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49

Ein Blick auf Thales und Anaximander

Text 7 Der Bericht des Aristoteles über die Lehre des Thales . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aristoteles, Metaphysica I 3, 983 b 6 – 984 a 3 Text 8 Der Bericht über einen Satz des Anaximander Simplikios, Physica 24, 13 ( VS 12 A 9) . . . . . . . .

50

56

xii

Inhaltsübersicht

Text 9 Das Verhältnis des Philosophen zur Welt, in der er lebt a) Platon, Theaitetos 174 a . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Aristoteles, Politica I 11, 1259 a 9 – 18 . . . . . . .

59 60

C Die Lehre Heraklits über die Einheit des Seienden als Verbindung von Gegensätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

D Übergänge oder das Prinzip des Seins und seine Wirksamkeit in der Vielheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68

1. Die Lehre des Empedokles über den Grund des von Natur aus Seienden als Tauschwechsel zwischen Liebe und Streit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

Text 10 Empedokles von Akragas, VS 31 B 17, 1 – 35 . . .

72

2. Die Lehre des Anaxagoras über das Sein und Wirken der göttlichen Vernunft als Grund für die Ordnung der Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

79

Text 11 Anaxagoras, VS 59 B 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Text 12 Anaxagoras, VS 59 B 12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83 84

Eine Zwischenüberlegung zur Grammatik der philosophischen Prinzipienreflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

Das Konzept politisch-rhetorischer Vernunft oder die Polis als Ort des guten Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

97

A Die anthropologische Voraussetzung: Der Mensch als ›Mängelwesen‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 Text 13 Aischylos, Der gefesselte Prometheus 442 – 506

103

B Der Mensch als soziales ›Mängelwesen‹ und die Bedeutung der ›politischen Kunst‹ beim Sophisten Protagoras . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 Text 14 Platon, Protagoras 320 c – 322 d . . . . . . . . . . . . . 108

Inhaltsübersicht

C Der Mensch als erkenntnistheoretisches ›Mängelwesen‹ – Gorgias I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

xiii

115

Text 15 Der Anfang der Schrift des Gorgias Über das Nicht-Seiende Sextus Empiricus, Adversus mathematicos VII 65 116 D Die Kunst öffentlicher Rede als soziale Gestaltungsmacht – Gorgias II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 Text 16 Gorgias, Lobrede auf Helena 8 – 13 ( VS 82 B 11)

122

E Die Rhetorik als ›Kunst aller Künste‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 F Die Rhetorik als ›Stifterin der größten Güter‹ . . . . . . . . . . . 136 1. Die rhetorische Überzeugungskraft als normative Grundlage des menschlichen Zusammenlebens bei Xenophon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Text 17 Xenophon, Memorabilia Socratis I 2, 10 – 11 . . . 138 2. Die politische Bedeutung der Redekunst bei Isokrates . . 145 Text 18 Isokrates, Antidosis (Rede 15) 253 – 257 . . . . . . . 147 Text 19 Isokrates, Antidosis (Rede 15) 261 – 271 . . . . . . . 150 3. Ciceros Rückblick auf das Konzept politisch-rhetorischer Vernunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 Text 20 Cicero, De inventione I 1 – 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203

xiv

Inhaltsübersicht

BAND II

sokr ates, pl aton und aris toteles Die klassische Gestalt der griechischen Philosophie als Verbindung der quaestio de rerum natura mit der quaestio de vita et moribus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3

A Sokrates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3

1. Xenophons Sokrates befürwortet die Konzentration auf die quaestio de finibus bonorum et malorum . . . . . . . .

7

Text 21 Xenophon, Memorabilia Socratis A I, 6 – 15 . . . .

11

2. Sokrates und die quaestio de rerum natura . . . . . . . . . . . .

14

a) Der Sokrates des Aristophanes als Naturforscher und sophistischer Redner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

14

Text 22 Aristophanes, Die Wolken 1421 – 1429 . . . . . . . .

21

b) Platons Sokrates begründet eine Naturphilosophie, die zugleich zeigt, wie man leben soll . . . . . . . . . . . . .

23

Text 23 Platon, Phaidon 96 a – 96 c . . . . . . . . . . . . . . . . . Text 24 Platon, Phaidon 97 b – 99 a . . . . . . . . . . . . . . . . . Text 25 Platon, Phaidon 99 a – 100 d . . . . . . . . . . . . . . . .

25 28 37

c) Der Skeptiker Sokrates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

Text 26 Cicero, Academica posteriora I 15 – 16 . . . . . . . . .

47

d) Der Grund für die Divergenz der Sokrates-Bilder . . . . .

50

Text 27 Platon, Symposion 215 d – 216 c und 221 c – 222 a

53

B Platon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55

Text 28 Platon, Epistula VII 324 b – 326 b . . . . . . . . . . . .

61

1. Platons Gorgias oder der Kampf des Sokrates mit dem Konzept politisch-rhetorischer Vernunft . . . . . . . . . . . . . .

67

a) Sokrates und Gorgias . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sokrates und Polos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69 71

Inhaltsübersicht

Text 29 Text 30 Text 31 Text 32

xv

Platon, Gorgias 463 a – d . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Platon, Gorgias 464 c – 465 a . . . . . . . . . . . . . . . . Platon, Gorgias 467 c – 468 e . . . . . . . . . . . . . . . . Platon, Gorgias 480 a – e . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

72 75 80 88

c) Sokrates und Kallikles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

Text 33 Platon, Gorgias 507 d – 508 a . . . . . . . . . . . . . . . .

98

2. Die Suche nach Grundformen der Tüchtigkeit und nach der Regel ihrer Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 Text 34 Platon, Protagoras 329 c – 330 b . . . . . . . . . . . . . . 103 Text 35 Platon, Protagoras 349 e – 350 c . . . . . . . . . . . . . . 108 3. Die besondere Seinsweise der ›Ideen‹ . . . . . . . . . . . . . . .

111

Text 36 Platon, Symposion 209 e – 212 b . . . . . . . . . . . . . 112 4. Warum und wie kann die menschliche Seele ›Ideen‹ erkennen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 C Aristoteles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 1. Der Begriff des Prinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Text 37 Aristoteles, Metaphysica IV 1 – 2, 1003 a 21 – 1003 b 19 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 2. Die Philosophie als Prinzipienreflexion und ihre Stellung in der Ordnung des Wissens . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Text 38 Aristoteles, Metaphysica I 1 – 2, 980 a 20 – 983 a 23 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 3. Prinzipienreflexion als Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 Text 39 Aristoteles, Analytica posteriora I 2, 71 b 33 – 72 a 7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 Text 40 Aristoteles, Metaphysica XII 6 – 7, 1071 b 3 – 1072 b 30 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Text 41 Aristoteles, Metaphysica XII 9, 1074 b 15 – 1075 a 5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229

xvi

Inhaltsübersicht

4. Der Zusammenhang von Prinzipienreflexion und Ethik . . 239 Text 42

Aristoteles, Ethica Nicomachea I 6, 1097 b 22 – 1098 a 19 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 Text 43 a Aristoteles, Ethica Nicomachea X 7, 1177 a 12 – 35 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 Text 43 b Aristoteles, Ethica Nicomachea X 8, 1178 a 9 – 22 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 Anhang 1: Schema des platonischen Liniengleichnisses . . . 272 Anhang 2: Porträts Platon und Aristoteles . . . . . . . . . . . . . . 274 Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333

III . VO M HEL L ENISMUS ZUM CHRIS T EN T UM

Philosophische Prinzipienreflexion in der Zeit nach Aristoteles

im zweiten band des vorliegenden Buches ging es zusammen mit der maßgeblich von Platon und Aristoteles begründeten klassischen Gestalt der griechischen Philosophie um das theologisch fundierte Konzept philosophischer Prinzipienreflexion. Für Platon gelten die von Parmenides vorgegebenen ›Zeichen‹ des in Wahrheit Seienden für die göttliche Wirklichkeit des Kosmos der allgemeinen, materiefreien, ausschließlich dem reinen Denken zugänglichen Formen und für sein genetisches Prinzip, die Idee des Guten ›jenseits‹ von Form und ›Wesenheit‹. Für Aristoteles ist die göttliche Primärwirklichkeit des Intelligiblen die erste Wesenheit des Unbewegten Bewegers, der zugleich die Vollkommenheit einer ausschließlich auf sich selbst bezogenen Einheit von Sein, Leben und Denken realisiert. Insofern gibt er der theologischen Prinzipienreflexion eine einfachere Fassung als Platon. Wenn man die Konzepte der Stoa, der epikureischen Atomistik und der pyrrhonischen Skepsis damit vergleicht, dann vereinfacht die Stoa die theologische Prinzipienreflexion dadurch, dass sie ein Sein ›jenseits‹ des sinnlich wahrnehmbaren Kosmos überhaupt nicht mehr thematisiert und damit die Grundformen des Seins ausschließlich als materiell-bewegte Wirklichkeit auffasst. Die Atomistik vereinfacht die philosophische Prinzipienreflexion dadurch, dass sie ihr in der strengen Orientierung am methodologischen Gebot maximaler Prinzipiensparsamkeit eine konsequent naturalistische Fassung gibt und ihr damit jede theologische Bedeutung nimmt. Die Skepsis will zwar die Dimension prinzipientheoretischer Reflexion, die nach ihrer Überzeugung von den konkurrierenden ›Schulen‹ jeweils nach Maßgabe ihrer eigenen dogmatischen Bedürfnisse willkürlich geschlossen wird, für die kritische Diskussion grundsätzlich offen halten, sucht aber dabei primär nach einem

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guten Grund für den Abschied von diesem philosophischen Großunternehmen. Die Ruhe des vollkommen auf sich bezogenen Lebens wird für sie entgegen den Erwartungen der ›dogmatischen‹ Philosophen nicht in der bewussten Vergegenwärtigung des Anfangs aller Dinge gefunden, sondern in der Fähigkeit, sich in Bezug auf das, was in Wirklichkeit ist, konsequent jeglichen Urteils zu enthalten und sich für das Handeln nicht an einer unerreichbaren Wahrheit, sondern am Üblichen zu orientieren. Mit den genannten Vereinfachungen im Bereich der Theoriebildung ist zudem eine Konzentration auf die Ethik verbunden1. In einer zunehmend als irritierend erfahrenen Welt wird die Frage, wie man in diesem Leben das Glück seelischer Ruhe finden kann, eindringlicher gestellt als wenn man sich in eine Wirklichkeit eingebunden weiß, die in sich schon verlässliche Formen des Guten aufweist. Historisch gesehen gehört die nachklassische Philosophie in die Epoche des so genannten Hellenismus, die man gewöhnlich mit den Eroberungszügen Alexanders des Großen beginnen und mit der Beherrschung des östlichen Mittelmeerraumes durch die Römer enden lässt. In dieser Zeit wird griechische Kultur in der Ablösung von der Lebensform der Polis zum Vereinheitlichungsfaktor für die andersartigen Kulturen des Orients. Die griechisch geprägte Philosophie wird damit zu einer global agierenden Kraft, die als solche das europäische und das von Europa geprägte Denken bis heute entscheidend mitgestaltet. Der Prozess ihrer Internationalisierung wird in der vorliegenden Darstellung nicht nachgezeichnet 2, findet aber seine Widerspiegelung darin, dass griechische Konzepte auch in ihrer Übertragung ins Lateinische vorgestellt werden – obwohl dies auch daran liegt, dass manches griechisch Gedachte aus dieser Zeit in der Sprache Roms dem heutigen Leser leichter zugänglich ist.

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Die Stoa als Vereinfachungs- und Verdichtungsform der theologischen Prinzipienreflexion

In der hellenistischen und später auch in der römisch geprägten Welt ist die Stoa die bedeutendste Philosophenschule. Sie wurde um 300 v. Chr. von Zenon (334 – 262) »aus Kition auf Zypern, einer griechischen Stadt mit phoinikischen Siedlern« (DL VII 1), gegründet. Er hatte bereits in seiner Heimat griechische Philosophie kennen gelernt und war um 312 nach Athen gekommen, um dort bei Philosophen sokratischer (Stilpon3), kynischer (Krates aus Theben4) und platonisch-akademischer Provenienz (Xenokrates und Polemon5) zu studieren. Der Ort, an dem er dann selber gelehrt und der seiner Philosophie ihren Namen gegeben hat, war die am Rand der Agora gelegene ›Bunte Säulenhalle (στα ποικ λη )‹6, die deswegen so genannt wurde, weil sie vom Maler Polygnot (tätig zwischen 480 und 440) mit Bildern mythologischen Inhalts ausgeschmückt worden war. Ein stoisch geprägter Schulzusammenhang hat bis etwa 250 n. Chr. bestanden. Dabei unterscheidet man eine ›alte‹, ›mittlere‹ und ›späte‹ Phase. Zur alten Stoa gehört neben ihrem Gründer und seinem Nachfolger Kleanthes aus dem in der Troas gelegenen Assos (331 – 232, Scholarch ab 262) vor allem Chrysipp aus Soloi in Zypern (280 – 206, Scholarch ab 232), der die Lehren seiner Vorgänger im Blick auf die ihm aus eigenem Studium vertrauten Argumentationskriterien der von Arkesilaos geprägten platonischen Akademie7 so präzise wie nur möglich zu begründen versucht hat. Von der alten Stoa sind bis auf den Zeus-Hymnus des Kleanthes (vgl. Text 45) keine Originalschriften8 , sondern nur spätere Referate und Zitate erhalten9 . Die wichtigsten davon findet man in den Dialogen Ciceros10 und bei Diogenes Laertius. Zur ›mittleren‹ Stoa, die sich stärker als die ›alte‹ zur Philosophie der Akademie und zu der des Peripatos öffnet, gehören insbesondere Panaitios aus Rhodos (185 – 110, Scholarch ab ca. 129) und Poseidonios aus Apamea in Syrien (130 – 50), von deren Schriften ebenfalls nur Fragmente überliefert sind11.

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Beide Philosophen sind für die ›Übertragung‹ griechischer Philosophie nach Rom wichtig gewesen12. In der vorliegenden Darstellung wird diese Phase stoischer Philosophie jedoch nicht berücksichtigt. Zur ›späten‹ Stoa gehören neben dem am Hof Neros tätigen Lucius Annaeus Seneca (ca. 1 v. Chr. – 65 n. Chr.) und dem freigelassenen Sklaven Epiktet (55 – 138) auch der römische Kaiser Marc Aurel (121 – 180)13 . Die philosophiehistorische Forschung hat gezeigt, dass die stoische Philosophie kritisch an bestimmte Entwicklungen innerhalb der Akademie und der peripatetischen Philosophie anknüpft14 . Im Rahmen der vorliegenden Darstellung können diese Vorgänge nicht eigens thematisiert werden. Die Konzentration auf die Konturen des prinzipientheoretischen Konzepts stoischer Philosophie lässt es ebenso wenig zu, Fragen einer inneren Entwicklung der Stoa, ihr kritisches Gespräch mit akademischer, peripatetischer und epikureisch atomistischer Konkurrenz oder ihre Fachbeiträge zur Logik, zur Sprachphilosophie und zu Einzelfragen der Naturphilosophie vorzustellen15 . Ein erster Zugang zum prinzipientheoretischen Konzept der Stoa soll im Ausgang von ihrem Philosophiebegriff gefunden werden, der anschließend im Blick auf den Zeus-Hymnus des Kleanthes und auf Referate Ciceros inhaltlich zu präzisieren ist (1). Danach geht es um das Profil der stoischen Prinzipienbegriffe im engeren Sinn (2) und zum Schluss um den Zusammenhang zwischen der quaestio de rerum natura und der quaestio de finibus bonorum et malorum, an dem die stoische Philosophie von Anfang an interessiert ist (3), allerdings so, dass sich dabei das Gewicht stärker auf die Ethik verlagert. 1.

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Der stoische Begriff der Philosophie und ihr vorzüglicher Gegenstand

Die Stoa hat, wie die anderen ›Schulen‹ des 4. Jahrhunderts auch, die Philosophie in die drei klassischen Disziplinen Physik, Ethik und Logik (= Dialektik) eingeteilt. Die Art und Weise, in der diese

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Unterscheidung in späteren Berichten auf Chrysipp zurückgeführt wird, macht jedoch deutlich, dass darin an der Einheit der Philosophie festgehalten werden soll. Die Philosophie hat nicht etwa drei verschiedene Gegenstände des Forschens und Lehrens, sondern sie ist die dreifache Realisierung einer einzigen Tüchtigkeit. Der um 100 n. Chr. tätige Doxograph Aëtios hat diesen Gedanken folgendermaßen wiedergegeben: 44 · Aëtius, Placita I, Prooem. 2 (SVF II 35)16 »Die Stoiker haben gesagt, die Weisheit (σοφ α) sei das methodisch begründete, in sich vollständige Wissen (πιστμη)17 von göttlichen und menschlichen Dingen; die Liebe zur Weisheit (φιλοσοφ α) sei die Übung (σκησις) in der Kunst (τχνη) des Lebensnotwendigen; lebensnotwendig aber sei allein und an oberster Stelle die Tugend (ρετ), und die Tugenden, die am meisten zu ihr gehörten, seien drei: eine auf die Natur (φυσικ), eine auf die Lebensform (θικ) und eine auf das Denken bezogene (λογικ). Aus diesem Grunde ist die Philosophie dreigeteilt. Ein Teil davon ist das der Natur zugewandte (τ φυσικν), der andere das dem Ethos (τ θικν) und der dritte das dem Logos zugewandte Philosophieren (τ λογικν). Die der Natur des Seienden zugewandte Form philosophischer Tüchtigkeit ist dann vorhanden, wenn wir über den Kosmos und über das, was im Kosmos ist, Untersuchungen anstellen. Das der Ethik zugewandte Philosophieren besteht im gründlichen Nachdenken über die menschliche Lebensführung und das der Logik zugewandte, das sie auch das dialektische Philosophieren nennen, handelt vom Denken.« Der Dreiteilung der Philosophie in Physik, Ethik und Logik (= Dialektik), die auch Chrysipp übernimmt (DL VII 39), steht bei Aëtios eine Zweiteilung ihres Gegenstandes in ›göttliche‹ und ›menschliche Dinge‹ voran. Diese Formel präzisiert die aristotelische De-

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finition der Philosophie als »Erkenntnis des Seienden, insofern es seiend ist« (Met. IV 1, 1003 a 21), dadurch, dass sie dieses Sein als Einheit von göttlicher und menschlicher Wirklichkeit bezeichnet18 . Als Physik ist die Philosophie die Wissenschaft vom Zusammenhang des von Natur aus Seienden als des Göttlichen (= ›der Kosmos und das, was im Kosmos ist‹). Als Ethik ist sie die Wissenschaft vom Zusammenhang des menschlichen Lebens und als Logik Wissenschaft von der Kraft des Denkens, die das menschliche Leben in besonderer Weise charakterisiert. Dass ihre Dreiteilung die Einheit der Philosophie nicht auflösen soll, wird im Bericht des Diogenes Laertius deutlicher noch als bei Aëtius an der Bemerkung erkennbar, dass zwar einige Stoiker diese Disziplinen als »Teile«, »Orte«, »Arten« oder »Gattungen« der Philosophie bezeichnet, andere aber ausdrücklich hinzugefügt hätten, sie seien »nicht voneinander getrennt, sondern miteinander verbunden« (DL VII 40)19 . Man kann den Gedanken der Einheit der Philosophie im Ausgang vom Text des Aëtios genauer begründen. Zunächst fällt auf, dass die Begriffe »Weisheit«, »Wissenschaft«, »Philosophie«, »Übung«, »Kunst der Herstellung des Lebensnotwendigen« und »Tugend« nicht voneinander unterschieden, sondern so weit wie möglich zu einer Einheit verbunden werden, die als ganze durch den Begriff »Tugend« bestimmt ist. Philosophie ist dann entweder die Tugend selbst oder die Übung, die unmittelbar zu ihr hinführt. Die Stoiker haben weder Interesse an einer Differenzierung der »Tugend« in die verschiedenen Grundgestalten dianoetischer und ethischer Tüchtigkeit noch an einer Unterscheidung von Arten innerhalb dieser Grundgestalten. Sie haben auch kein Interesse daran, das Streben nach Gütern als die Grundform des menschlichen Lebens in sich zu differenzieren. Es gibt keine Unterscheidung zwischen verschiedenen Zielen dieses Strebens wie ›Überleben‹, ›angenehm‹ oder ›gut leben‹, ebenso wenig eine Unterscheidung zwischen dem Lebensnotwendigen und solchen Gütern, die das Notwendige zum Angenehmen und Vollkomme-

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nen erweitern. Leben konzentriert sich allein auf das unbedingt Notwendige des tugendhaften Lebens. Dies ist identisch mit Weisheit und Wissenschaft, und Weisheit und Wissenschaft sind wieder identisch mit konstanter Herstellung dessen, was für das menschliche Leben das eine Notwendige ist. Dieses Wissen besitzt nur der Weise. Er weiß, was der Kosmos und was in ihm ist, und kennt von daher auch die Norm für das menschliche Leben, nämlich die Regeln für die richtige Führung der Gedanken, von der die Lebensgestaltung insgesamt abhängt. Die stoische Auffassung von der Einheit des philosophischen Wissens als Tugend wird bei Cicero im dritten Buch seines Dialogs De finibus bonorum et malorum von Cato ›Uticensis‹ (95 – 46)20 genauer erläutert als dies in einem doxographischen Referat möglich ist. Danach sind Dialektik (= Logik) und Physik ebenso Tugenden wie die richtigen Formen des zwischenmenschlichen Verhaltens. Jede Tugend ist eine doppelte Tüchtigkeit, nämlich (negativ) die Kraft, Übel zu vermeiden, und (positiv) die Fähigkeit, das Richtige zu tun. Die Dialektik bewahrt uns vor den Übeln »falscher Zustimmung und der Täuschung durch die verfängliche Wahrscheinlichkeit.« Gleichzeitig erzeugt sie die Tüchtigkeit, die ›festhält‹ und ›umfassend sichert‹, »was wir [in der Ethik] über Güter und Übel gelernt haben.« Wenn Unbesonnenheit (temeritas) und Unkenntnis (ignoratio) Übel sind, dann wird »die Kunst (ars), welche diese Fehler beseitigt, mit Recht als Tugend (virtus) bezeichnet.« Zudem muss »jeder, der naturgemäß leben will«, weil er anders das höchste Gut seines Lebens verfehlt 21, »vom Weltall und der in ihm waltenden Fürsorge (procuratio) ausgehen«, weil niemand ohne »genaue Kenntnis der Ordnung (ratio) der Natur, der Lebensweise der Götter sowie darüber, ob die Natur des Menschen mit der des Universums übereinstimmt«, ein richtiges Urteil über Gutes und Schlechtes fällen kann. Von daher ist auch die Physik integraler Teil der einen notwendigen Tugend für die menschliche Lebensführung22. Die Philosophie realisiert in der wechselseitigen Verbindung von Physik, Ethik und Dialektik eine

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»bewundernswerte Zusammensetzung ihres Lehrgehalts (admirabilis compositio disciplinae)« und eine »unglaublich folgerichtige Ordnung ihrer Gegenstände (incredibilis rerum ordo).« Weder in »der Natur« noch »in allem, was Menschenhand gestaltet«, gibt es eine »harmonische Ordnung und Einfügung des Einzelnen zu einem Ganzen (tam compositum tamque compactum et coagmentatum)«, die derjenigen der Philosophie überlegen wäre23 . In Form der »Kunst« enthält und verwirklicht sie die Qualität, die das von Natur aus Seiende insgesamt als göttlich gestaltete Wirklichkeit auszeichnet. Wenn die Philosophie die Zusammenhänge der ›göttlichen‹ und ›menschlichen Angelegenheiten‹ mit der Konstanz erschließt, ohne die sie nicht Weisheit sein kann, dann befindet sich die Seele des Philosophen in einer »Verfassung (διθεσις)«, die insgesamt und ein ganzes Leben hindurch vom Logos bestimmt ist24 . Das Leben des Weisen ist deshalb der »systematische Zusammenhang vernunftbestimmter Formen der Lebensführung« oder die singuläre Praxis, in der »die vernunftbestimmte Seele« ihre »vollkommene Wirklichkeit« entfaltet 25 . Da er alle Tugend in sich vereint, besitzt der Weise genau die »Wissenschaft vom Guten und Schlechten und von dem, was keins von beiden ist«26, die Sokrates in Platons Protagoras als den Einheitskern aller Tugenden definiert hat 27, und zwar, wie es im Blick auf die aristotelische Definition des Menschen als animal rationale et sociale heißt, »als die Tugend des von Natur aus auf die politische Gemeinschaft angelegten Lebewesens.« Dieser Einheitskern wird als »Wissenschaft (πιστμη) von dem, was zu tun und nicht zu tun, und von dem, was weder zu tun noch nicht zu tun ist«, zur sittlich gebundenen Klugheit (φρνησις), als Wissen von dem, »was zu wählen und was zu meiden und was keins von beiden ist«, zur Tugend der Besonnenheit (σωφροσ!νη), als Wissen, »das jedem zuteilt, was ihm gebührt«, zur Gerechtigkeit und als Wissen »von dem, was zu fürchten und nicht zu fürchten und was keins von beidem ist«, zur Tapferkeit konkretisiert 28 . Wegen der Identität ihrer theore-

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tischen Grundlagen (θεωρματα κοιν) stehen alle Tugenden »miteinander in innerer Wechselbeziehung«, so dass der Tugendhafte alle Tugenden als eine in sich geschlossene und unaufbrechbare Einheit besitzt 29 . Er kann deshalb gar nicht anders leben als so, dass er das, was er theoretisch als das Richtige erkennt, praktisch verwirklicht (DL VII 125). In der Art und Weise, wie die Stoa den Begriff »Philosophie« definiert, zeigt sich ein entschiedener Wille zu ihrer Vereinheitlichung, Vereinfachung und damit zu ihrer äußersten Verstärkung. Dem liegt die Befürchtung zugrunde, dass eine Philosophie, die nach dem aristotelischen Grundsatz das Sein in verschiedener Weise aussagt, dazu neigt, die Bezugnahme auf das Eine zu vergessen, von dem sie das Verschiedene aussagen will. Gegen die Tendenz zu empirischer Forschung, wie sie die Arbeit im Peripatos in der Zeit nach Aristoteles bestimmt, und gegen die Tendenz zu detaillierter Fachdiskussion in der Akademie konzentriert sich die Stoa auf das, was für die Philosophie das eine Notwendige ist. Wie für den platonischen Sokrates ist dies die Einheit von Tugend und Wissen, also das Wissen und Realisieren des Guten, während das darauf bezogene Nicht-Wissen und Nicht-Realisieren das größte Übel darstellt. Die sokratisch-platonische Vorgabe wird dadurch vereinfacht, dass die Stoa den Begriff »Tugend« von vornherein theologisch-kosmologisch definiert, nämlich als die Kraft des göttlichen Logos, das materielle Ganze des Weltalls vollständig zu durchdringen und es damit als vollkommene, dauerhafte Einheit zusammen zu halten. Nur unter dieser Voraussetzung ist nachzuvollziehen, dass der zentrale ethische Imperativ der Stoa besagt: Folge der Natur! oder: Lebe der Natur gemäß!30 , und dass dies die Aufforderung bedeutet, das Sein der Natur nachzuahmen und ihm so ähnlich wie möglich zu werden. Natur wiederum ist das vollständige Geprägtsein vom göttlichen Logos und mehr noch der Logos selbst, der mit seiner ›Tugend‹ das Weltall erzeugt, gestaltet und in seiner Konsistenz sichert. Zentrale Instanz der Nachahmung der Natur ist bereits für die klassische Philosophie

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die ›Kunst‹31. ›Kunst‹ wird stoisch nicht primär im Sinne ihrer ästhetischen Bestimmung aufgefasst, sondern allgemeiner als ein streng methodisches Vorgehen, bei dem alle Tätigkeitsschritte kontinuierlich und in der richtigen Weise einander folgen32, wobei der ›Künstler‹ jeden dieser Schritte so begründen kann, dass er damit zugleich in seiner Kunst der allein kompetente Lehrer ist33 . Für die Stoa soll das Leben insgesamt die Angelegenheit einer ›Kunst‹ in diesem Sinne sein. In der Nachahmung der Natur, die sich selbst mit methodischer Strenge als ein sich differenziertes Ganzes konstituiert, soll die menschliche Lebenskunst das für sie allein Notwendige herstellen und damit garantieren, dass sie in konsequenter Analogie zur rerum natura ein vernünftig begründetes und vollkommen geordnetes Ganzes erzeugt und kontinuierlich erhält. Das besondere Sein der natura, die von der menschlichen ars vivendi nachgeahmt werden soll, lässt sich im Blick auf den Zeushymnus des Kleanthes genauer bestimmen. Der Text entfaltet nämlich als Gebet zugleich eine Lobrede, die das Sein und das Tun des dem Kosmos zugrunde liegenden Logos so auszeichnet, dass er das Beste und deshalb auch das am meisten Nachahmenswerte von allem darstellt, was überhaupt ist. 45 · Kleanthes, An Zeus (SVF I 537)34

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»Erhabenster der Unsterblichen, der du viele Namen hast, immer Allmächtiger (παγκρατ"ς α#ε ), Zeus, Anführer (ρχηγ) der Natur, der du mit dem Gesetz (νμος = lex) alles lenkst, sei gegrüßt! Es ist das Rechte (θμις) für alle Sterblichen, dich feierlich anzusprechen; denn wir sind deines Geschlechts (γνος), die wir der Gottheit Abbild35 erlangt haben als einzige von dem, was immer an Sterblichem lebt und sich bewegt auf der Erde.

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Deshalb will ich dich preisen und immer deine Macht (κρτος) besingen. Ja, dir folgt36 dieser ganze Kosmos, indem er sich um die Erde dreht, wie du ihn führst, und freiwillig lässt er sich von dir beherrschen. Einen solchen Diener hältst du in deinen unbesiegbaren Händen, den doppelt gespitzten, feurigen, immer lebenden Blitz, unter dessen Schlägen alle Dinge der Natur vollendet werden. Durch ihn lenkst du die allgemeine Vernunft (κοινς λγος), die durch alles hindurch geht und sich mit den großen und den kleineren Lichtern der Welt vermischt. Durch ihn bist du so überragend groß, nämlich der oberste König des Alls. Und nichts kommt zustande auf Erden ohne dich, waltender Gott, auch nicht im göttlichen Äther des Himmels noch im Meer, außer dem, was schlechte Menschen tun in ihrer Unvernünftigkeit. Aber du verstehst auch, das Krumme gerade zu machen und zu ordnen das Ungeordnete (κοσμε$ν τκοσμα), und das (einander) Nicht-Freundliche ist dir das Freundliche37. So bist du derjenige, der zu Einem alles zusammengefügt hat (ε#ς %ν πντα συνρμοκας), das Edle mit dem Schlechten, so dass nur ein Logos zutage tritt in allem, der immer ist. Ihn aber fliehen und vernachlässigen die Sterblichen, soweit sie schlecht sind, die Unglücklichen, die zwar immer nach dem Erwerb des Guten verlangen, aber weder hinblicken auf das allgemeine Gesetz Gottes noch auf es hören.

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Wenn sie ihm mit Vernunft gehorchten (πειθμενοι σ&ν ν'), hätten sie ein herrliches Leben38 . Aber sie selbst drängen ohne Vernunft hierhin und dorthin, die einen erdulden des Ruhmes wegen Mühsal voll üblen Streites, die anderen lassen sich aus Gewinnsucht ohne Ordnung umhertreiben, wieder andere werden getrieben zur Zügellosigkeit und zu den Genüssen des Körpers. Hierhin und dorthin treiben sie und bemühen sich sehr darum, dass das Gegenteil des wahren Guten eintrete. Aber Zeus, du Spender von Allem (πνδωρε), der du in dunklen Wolken thronst mit dem hell leuchtenden Blitz, errette du die Menschen vor der unheilvollen Torheit, verjage sie, Vater, von der Seele! Gib, dass sie erlangen die Einsicht (γν(μη), im Vertrauen auf die du mit Gerechtigkeit (δ κη) alles lenkst, damit wir Ehre gewinnen und dir Ehre erwidern können, indem wir stets deine Werke, wie es sterblichen Wesen ziemt, besingen. Denn weder gibt es für die Sterblichen eine ehrenvollere Aufgabe noch für die Götter, als immer und in der richtigen Weise das allgemeine Gesetz zu besingen (κοινν νμον ν δ κ) *μνε$ν).« In der Erläuterung zu diesem Hymnus soll es nicht um die spezifische Religiosität stoischer Philosophie oder um die seines Verfassers gehen. Die Tatsache, dass es die uns fremd gewordene Gattung des philosophischen Götter-Hymnus im Zusammenhang stoischer Philosophie überhaupt gibt, hängt nicht nur damit zusammen, dass die Philosophie von ihren Anfängen an, besonders prononciert bei Platon und Aristoteles, theologia naturalis ist, und auch nicht nur damit, dass philosophische Schulgemeinden regel-

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mäßig zu gemeinsamen kultischen Feiern zusammentraten und sie mit Götterhymnen einleiteten39 . Es muss vielmehr zusätzlich einen besonderen Grund für Kleanthes gegeben haben, der ihn bewogen hat, die traditionelle Form des Götter-Hymnus, der verbindlich aus den drei Teilen der Anrede des Gottes, der Darstellung seiner besonderen Leistungen und eines abschließenden Bittgebetes (1. invocatio, V 1 – 6; 2. argumentatio als laudatio oder praedicatio, V 7 – 31, 3. precatio, V 32 – 39) besteht 40 , für die Verdeutlichung der Grundaussagen stoischer Theologie zu verwenden und sie dabei so zu fassen, dass sie mit zentralen Gottesvorstellungen der religiösen, insbesondere der dichterischen Tradition übereinstimmen. Dieser Grund wird erkennbar, wenn wir uns die Ausführungen des Epikureers Philodem (ca. 110 – 40/35 v. Chr.) vor Augen halten, die Kleanthes dafür tadeln, dass er für die Plausibilisierung philosophischer Lehrmeinungen auf dichterische, auf Orpheus, Musaios, Homer, Hesiod und Euripides zurückgehende Ausdrucksformen zurückgegriffen habe41, und zwar aus der Überzeugung, dass »die philosophische Vernunft … zwar grundsätzlich … das Göttliche und Menschliche hinreichend darstellen könne, aber keine eigenen Ausdrucksformen (λξεις ο#κε ας) besitze, die der Größe des Göttlichen« angemessen seien. Kleanthes hat »poetische und musikalische Formen« im philosophischen Zusammenhang eingesetzt, weil er der Meinung war, dass »Versmaß, Liedform und Rhythmus besonders nah an die Wahrheit der Gotteserkenntnis heranreichten42.« Möglicherweise hat er in der Verbindung von philosophischer Gedanken- und dichterischer Ausdrucksform ein besonderes Exemplum dafür gesehen, wie der göttliche Logos in der durchartikulierten Materie des Kosmos anwesend ist, so dass der Hymnus bereits durch seine Form als durchartikulierter Klangkörper den zentralen Inhalt stoischer Theologie vergegenwärtigt. Auch die Theologie der Stoa distanziert sich sowohl von der Polis- als auch von der Volksreligion, kann aber mythische Darstellungsformen des göttlichen Wirkens, insbesondere die traditionel-

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len Namen der Götter als allegorische Hinweise auf ihre eigenen Aussagen verstehen. Da sie wie jede andere theologia naturalis im Kern monotheistisch ist, macht Kleanthes kaum Anstrengungen, der traditionell polytheistischen Religion besondere Reverenz zu erweisen. Zwar spricht auch er von Göttern im Plural, meint damit aber die Gestirne und Planeten, die als ewig bewegte Himmelskörper durch die Gesetzmäßigkeit ihres Bewegtseins mit Zeus den einzigen »Anführer der Natur« (V 2) »in der richtigen Weise … besingen« (V 39)43 . Auch die vielen Namen, mit denen Zeus in verschiedenen kultischen Zusammenhängen benannt werden kann und die Kleanthes nicht aufnimmt, bezeichnen immer nur einen Einzigen, nämlich den »Erhabensten der Unsterblichen«44 . Zeus wird bei Kleanthes also weitgehend entpersonalisiert oder rationalisiert, so dass er letztlich für nichts anderes steht als für die eine göttliche Kraft, die im Rahmen der Natur deswegen alles beherrscht, weil sie in ihr das Erste darstellt (V 2). Für ihre Herrschaft über den Kosmos ist es bezeichnend, dass sie nicht als Gewalt- oder Willkürherrschaft, sondern als Herrschaft durch das von ihr selbst begründete Gesetz besteht. Von daher ist es verständlich, dass sie von allem, was ihr unterliegt, freiwillig als Inbegriff des Guten und Richtigen akzeptiert wird. Die in Zeus verkörperte Macht ist außerdem dem menschlichen Gruß zugänglich, der ein Ähnlichkeitsverhältnis zwischen dem Grüßenden und dem Gegrüßten voraussetzt. Der Hymnus spricht sogar von einem Verwandtschaftsverhältnis, so dass es für die Menschen geradezu eine Verpflichtung ist, Zeus als einen Angehörigen zu grüßen und ihn dabei als den Ersten des eigenen Geschlechts »feierlich anzusprechen« (V 3). Die Menschen sind nach stoischer Auffassung dadurch etwas Besonderes im Kosmos, dass ihnen mit der Kraft der Vernunft (vgl. 25: νο,ς) dasselbe zukommt, was den göttlichen »Anführer« der Natur auszeichnet. Sie sind nämlich nicht nur in formaler Hinsicht der Begriffsbildung fähig, sondern sie erkennen mit Hilfe begrifflicher Formen den Zusammenhang der Natur. Dies setzt

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im Rahmen eines materiell gefassten Naturbegriffs voraus, dass die materiellen Eigenschaften der Gestaltungskraft, die das Ganze der Natur als das Prinzip ihrer Individuation und ihres Zusammenhangs durchdringt, von der Stoa als »künstlerisches Feuer« oder als das aus Feuer und Luft gemischte Pneuma bezeichnet 45 , auch im Menschen wirksam sind. Auf der Grundlage materieller Affinität kann er deshalb das Sein des Kosmos betrachten, nach einem eindeutigen Wahrheitskriterium erkennen und in der eigenen Lebensführung nachahmen. Da Tiere und Pflanzen an diesem materiellen Substrat des Logos keinen oder zumindest keinen vergleichbar starken Anteil haben46, gibt es innerhalb des Kosmos keine engere Gemeinschaft als die zwischen menschlicher und göttlicher Natur. Dabei kommt den Göttern die natürliche Führungsrolle zu, der sich die Menschen aus Einsicht in die besondere Qualität, an der sie dadurch Anteil gewinnen, freiwillig unterordnen47. Im zweiten Abschnitt des Textes (V 9 – 21) geht es im Sinne preisender Verkündigung um das Thema der Herrschaft des göttlichen Gesetzes über den Kosmos. Sie kann nur mit Hilfe einer innerkosmisch-materiellen Kraft so umgesetzt werden, dass der göttliche Nomos (V 2) allgemeines Gesetz ist (V 12). Auf eine solche Kraft verweist das mythische Bild vom zweigezackten Blitz in den Händen des Zeus. Man kann die stoische Theologie, wenn man auf ein für sie besonders charakteristisches Metaphernfeld achtet, auch als »Feuertheologie« bezeichnen. Da die Stoa nur materiell verfasstes und bewegtes Seiendes kennt, muss sie die Wirkungskraft des göttlichen Logos in materieller Konkretion tätig werden lassen. Dafür bietet sich das Feuer an, weil es alle andere Materie in sich auflöst, so dass ihm unter den Elementen eine Vorrangstellung zukommt. Zudem knüpft die Stoa an die Logostheologie Heraklits an, auf die der schon am Anfang des Hymnus genannte Begriff des weltgestaltenden Nomos verweist 48 . Für Heraklit ist das »Eine und allein Weise« ( VS 22 B 32), das durch alles hindurch dringt (B 41), »ewig lebendes Feuer (π,ρ ε ζωον)«

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(B 30). Indem es alles im Kosmos nach ein und demselben Gesetz bestimmt (B 114), ist seine Macht für die Natur der Garant einer Gerechtigkeit, die als Regel der in jeder Hinsicht richtigen Verteilung von Maßen und Größen auch dem menschlichen Recht die Norm des Richtigen vorgibt 49 . Das Bild vom Blitz, der mit seinen Schlägen »alle Dinge in der Natur zur Vollendung bringt«50 , ruft mit dem mythischen Bild des Schmiedes als des Urkünstlers den stoischen Begriff des »künstlerisch tätigen Feuers« in Erinnerung51. Im Hymnus wird die prinzipientheoretische Grundfrage der Stoa, wie der Logos als das eine Gestaltungsprinzip aller Wirklichkeit als materiell wirksame Kraft zu verstehen ist, die teils zusammen mit und teils gegen andere Materie tätig wird, in ihrer Problematik nicht diskutiert, sondern gattungsgerecht durch die Formel vom Blitz als dem »Diener« des Zeus (V 9) überspielt. Die Formel vom zweigezackten Blitz mag zudem eine Anspielung auf die Lehre von der energetisch gespannten kontinuierlichen Bewegung sein, mit der der Logos in seiner Konkretion zu feurig-luftartigem Pneuma »sich zugleich nach innen und nach außen richtet«, wobei »die nach außen gerichtete Spannungsbewegung (κ νησις τονικ ) [bestimmte, individuelle] Größen und Eigenschaften«, »die nach innen gerichtete dagegen die Einheit und substantielle Einheitlichkeit« des Ganzen begründet52. Nur im Durchgang des ›künstlerisch tätigen Feuers‹ und des ihm gleichen Pneuma durch den gesamten Kosmos wird der Nomos des Zeus die »allgemeine Vernunft, die durch alles hindurch geht« (V 5), und Zeus selbst zum Symbol jener Größe, die jedermann zu Recht als den »obersten König des Alls« (V 14) anspricht. Das im Blitz konzentrierte Feuer vermischt sich zuerst mit den aus gleichartiger Materie gebildeten Himmelskörpern der Gestirne und Planeten. Von daher ist auch klar, dass das Feuer im Blitz des Zeus nicht mit dem Feuer identisch ist, das im terrestrischen Teil des Weltalls auftritt. Die Stoa kennt nämlich »zwei Arten (γνη) von Feuer«, »das unkünstlerische (τεχνον)«, das

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alles, was es verbrennt, wie »Nahrung in sich selbst umwandelt« und damit als etwas Besonderes zerstört, und das »kunstverständige«, das alles Besondere im Kosmos wachsen lässt und erhält53 . Das »künstlerische« ist auch »das erste Feuer (τ πρ.τον π,ρ)«, das wie »ein Same (σπρμα) die rationalen Formen (λγοι) für überhaupt alles und die Ursachen (α#τ αι) für alles enthält, was war, ist und sein wird« (SVF I 98). Das Sein der natura rerum verwirklicht sich deshalb als ewiger Kreislauf, bei dem sich die Natur durch radikale Ausbrennung (Ekpyrosis) und größtmögliche ›Reinigung‹54 ihrer materiell konkreten Gestalten in das vollkommene Leben ihres künstlerischen Prinzips (SVF II 605) zurückversetzt und aus der Identität mit dem göttlichen »Führungsvermögen« (SVF II 1052) die Kraft gewinnt, in einer Gegenbewegung wieder in geformte Materie überzugehen und damit dieselbe Weltordnung neu hervorzubringen55 . Der eine Logos des Kosmos gestaltet im Vorgang der Diakosmesis auch die sublunare Welt. In diesem Bereich gibt es offensichtlich materiell konkretisierte Gegenbewegungen oder sogar Widerstände gegen die ordnende Macht des göttlichen Führungsvermögens. Das auffälligste Beispiel dafür ist die in den Versen 22 – 31 genauer beschriebene menschliche Unvernunft. Zuvor war bereits jede Art von Widerständigkeit gegen die göttliche Formkraft als Schwäche charakterisiert worden, der es grundsätzlich nicht gelingen kann, die königliche Macht des »Anführers der Natur« und seines Gesetzes einzuschränken. Seine alles gestaltende Macht, die auch das Widrige und Schlechte bändigt, wird im deutlichen Rückgriff auf die Gegensatzfragmente Heraklits als die Kraft gepriesen, die ›Krummes‹ begradigt, das Ungeordnete in Ordnung überführt und das gegen einander Agierende wie das Hohe und Niedrige oder das Gute und Schlechte ›zu Einem‹ fügt: Im Kosmos ist deshalb nur ein einziger, in sich unveränderlicher Logos wirksam56. Für die stoische Philosophie gilt die Regel eines strengen Gegensatzes zwischen der singulären Gestalt des Weisen und der

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diffusen Masse von ›Toren‹. Der ›Tor‹ ist als der »schlechte Mann (φα,λος)« mit der selbst verschuldeten Krankheit des Wahnsinns geschlagen, so dass er mit der vollständigen »Unkenntnis seiner selbst und seiner Belange« die »Schlechtigkeit (κακ α)« besitzt, die der Tugend des Weisen und seiner »Besonnenheit« am meisten entgegengesetzt ist57. Wenn nach der Vorgabe der traditionellen Anthropologie menschliches Leben seiner Grundform nach im Streben nach Gütern besteht (V 23), dann kann dies, wenn es sich aus Unvernunft der Regel des allgemeinen Gesetzes entzieht, nur ins Leere laufen. Wer öffentlichen Ruhm für das höchste Gut hält, zerstört sich selbst, indem er sich in die Mühsal ruhelosen Streitens verstrickt. Wer in demselben Wahn das Streben nach Reichtum oder nach wie auch immer gearteten ›Genüssen des Körpers‹ ins Zentrum seiner Lebensführung stellt, kann im vernunftlosen Treiben »hierhin und dorthin« keine Ziele verfolgen, die in sich haltbar sind58 . Auch wenn damit das ›Gegenteil des wahren Guten‹ stark gemacht werden soll, bleibt das Streben der Toren, weil es nicht von der allein tragfähigen und daher auch allgemein vorteilhaften Vernunft unterstützt wird, zu schwach, um die gemeinsame Stadt der Götter und Menschen auf den Kopf stellen oder gar zerstören zu können. Menschen, die sich nicht davon überzeugen lassen, dass die im göttlichen »Anführer der Natur« verkörperte allgemeine Vernunft dem eigenen Wünschen sowohl an sittlicher Qualität als auch an Durchsetzungsmacht überlegen ist, zerstören nur sich, aber nicht den Zusammenhang des Guten, der aus der Führungskraft göttlicher Vernunft hervorgeht. Von daher schließt der Hymnus konsequent mit Bitte, Zeus möge die blinde Macht unheilvoller Torheit aus den Seelen der Menschen vertreiben und damit dasselbe tun wie sein Blitz, wenn er die »dunklen Wolken« der Materie durchdringt, die sich der Helligkeit des »ersten Feuers« entgegenzustellen scheint59 . Zeus ist, was schon zu Beginn des Hymnus gesagt wird, der ›Vater‹ auch des menschlichen Geschlechts. Das damit angesprochene

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Verwandtschaftsverhältnis beruht auf dem gemeinsamen Besitz vernünftiger Einsicht (γν(μη). Auf sie stützt sich Zeus, wenn er in seiner Herrschaft über den Kosmos das Gesetz allgemeiner Gerechtigkeit verwirklicht60. Wenn auch in der menschlichen Seele Gerechtigkeit wirksam ist, dann bedeutet das für sie den Zustand »herrlichen Lebens (β ος σθλς)« (V 25). Menschliche Vollendung besteht also nicht wie bei Aristoteles in der ε1δαιμον α der vita contemplativa, sondern darin, das eigene Denken und Handeln vollständig vom Wirkungsprinzip allgemeiner, göttlich fundierter Gerechtigkeit durchdringen zu lassen61. Nur unter dieser Voraussetzung kann auch Menschen die Ehre zukommen, in ihrer Lebensführung zu sein, was die göttlichen Körper der Planeten und Gestirne, aber auch der Textkörper des Hymnus schon sind, nämlich der ›gerechte Preis‹ des allgemeinen Gesetzes, nach dem der ›Anführer der Natur‹ das Sein der natura rerum gestaltet. Die Prinzipienreflexion der Stoa distanziert sich deutlich von der theologischen Fassung, die ihr Platon und Aristoteles gegeben haben. Dort konnte Gott nur deshalb der erste Grund aller Wirklichkeit sein, weil er dem Sein von »Wesenheit« (Platon) oder zumindest dem von Bewegung und Materie (Aristoteles) radikal überlegen war. Anders als für die theologia poetica und die theologia politica ist das Göttliche für die platonische und aristotelische theologia naturalis unbewegt. Gott handelt nicht und hat keine konkrete Gestalt. Das Göttliche ist damit gegenüber der menschlichen Welt ein Anderes, vor dem sie sich relativiert, so dass menschliches Leben die höchste Form seines Gelingens anstreben muss, um durch die Veränderung seiner Normalqualität an diesem Anderen Anteil zu gewinnen. Auch die Stoa hält für ihre Bestimmung des Göttlichen, das sie wie Aristoteles als »Wesenheit« auffasst, der Form nach am platonischen Begriff des Guten als des absolut Einen fest. Sie versteht es aber näherhin als das körperhafte, in sich bewegte Sein der Natur. Der Ort außerhalb des Kosmos, den das Göttliche und damit das Sein par excellence bei Platon und Aristoteles innehat, bedeutet für

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die Stoa die Leere des reinen Nicht-Seins. Die hauptsächlich von Kritikern wie dem Platoniker Plutarch und dem Skeptiker Sextus Empiricus referierte Unterscheidung der Stoa zwischen »Allem (τ π2ν = omnitudo)« und »Ganzem (τ 4λον = totum)« scheint vorauszusetzen, dass »Allheit« aus dem positiv konnotierten Ganzen des begrenzten, in sich vollkommen geordneten Kosmos und dem negativ konnotierten Leeren (τ κενν), NichtSeienden (μ5 6ν), Unbestimmten (πειρον) und Ungeordneten (τακτον) besteht62. Diese Unterscheidung ist insofern problematisch, als sie dem Nicht-Sein, das sie gleichsam als Teilmenge der Allheit auffasst, offensichtlich eine ungeklärte Form von Sein unterstellt63 . Der Kontext, in dem die Stoa diese Unterscheidung entfaltet, und damit ihr philosophischer Sinn sind für uns kaum mehr nachvollziehbar. Hinter ihr scheint aber das Interesse zu stehen, das zweite Prinzip der »unbestimmten Zweiheit«, das in der platonisch-akademischen Prinzipienreflexion immer zusammen mit seinem Gegenprinzip der Bestimmtheit und Einheit wirksam ist, gleichsam für sich isolieren, es damit ausschließlich als Prinzip der Destruktion fassen und von ihm zugleich behaupten zu können, dass es im Kosmos keinerlei Wirkungsmacht besitzt64 . Wenn man auf die Auseinandersetzungssituation achtet, in der die Stoa ihr Konzept philosophischer Prinzipienreflexion zu begründen hatte, so könnte man auch sagen, dass die Orientierung am Prinzip des Einen für sie die einzige Möglichkeit war, den konsequenten Naturalismus der Atomistik und damit ihren Ansatz zu einer un-theologischen Prinzipienreflexion zu vermeiden. Sie konnte damit aber auch den Schwierigkeiten des Platonismus und des Aristotelismus entgehen, (1) das Sein von Bewegung und Materialität aus seinem Gegenteil erklären, (2) das Sein des Immateriellen überhaupt glaubwürdig machen und (3) zeigen zu müssen, dass nur dem Intelligiblen der Rang des ersten Prinzips zukommt. Die Stoa behauptet deshalb, das in sich fundierte Eine sei eine »Wesenheit«, die als Einheit von Bewegung und Materialität der ›normalen‹ Wirklichkeitserfahrung wesentlich näher steht als der

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Unbewegte Beweger des Aristoteles oder gar die platonische Idee des Guten. Um das Einsseins der materiell-bewegten Substanz der Natur auf ein genetisches Prinzip zurückzuführen, musste sich von der Tradition her der Begriff der Selbstbewegung anbieten. Er wird in Platons Timaios der Seele eines Kosmos zugeordnet, der das »einzigartige und einzige (31 b: ε7ς 4δε ο1ρανς … μονο γενς)«, »ewige (37 c: ζ'ον ι8διον)«, »vollkommene (31 b: ζ'ον παντελς , 39 e: : ;στιν ζ'ον … τλειον)«, »göttlich-glückselige (34 c: ε1δα μων θες)«, »in sich beseelte und vernunftgeprägte Lebewesen (30 b: ζ'ον ;μψυχον ;ννουν)« darstellt. In dieser singulären Qualität ist er der Körper eines Ganzen (31 b: τ το, παν τς σ.μα), der alle besonderen Arten des Lebendigen so vollständig in sich einschließt65 , dass es außerhalb von ihm überhaupt keine materiell bewegten Kräfte geben kann66. Der Kosmos ist für Platon aber kein autarkes, sich selbst erzeugendes Lebewesen, sondern er wird von einer ihm überlegenen, im göttlichen Demiurgen verkörperten Macht des Guten geschaffen und zu einem in sich konsistenten Zusammenhang geordnet. Für die Stoa hingegen erzeugt sich die Natur selbst als Einheit von Körper und Seele, so dass die bei Platon der Seele vorbehaltene Selbstbewegung zum autonomen Gestaltungs- und Erhaltungsprinzip des Weltalls erweitert wird. Seele und Leib des Weltalls bilden die materiell fundierte Einheit von vernünftiger Struktur und der ihr zugehörigen Bewegung. Von daher vertritt die Stoa eine besondere Spielart des Materialismus, nach der die Wirklichkeit beseelte und deshalb vernunftbestimmte Bewegung von Materie ist. Indem sie das Göttliche anders als Platon und Aristoteles im Organismus des Weltalls verankert, ist die stoische Theologie Physik, so dass ihr, anders als bei Aristoteles, die Rolle der ersten alles umfassenden Wissenschaft zukommt. Sie ist deshalb zugleich Ethik und Dialektik, nämlich die »Tüchtigkeit«, die (1) nicht nur einen bestimmten Lebenszusammenhang, sondern die Gesamtheit des Seienden zum Inbegriff vollkommener Wirklichkeit gestaltet, (2) diesen

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Begriff des Ganzen in wissenschaftlicher Redeweise klärt und (3) darin die Norm findet, an der sich das menschliche Leben zu orientieren hat. Im Kontext griechischer Philosophie bestimmt die PhysikoTheologie der Stoa das Sein des Göttlichen zum ersten Mal in begrifflich expliziter Form als das Bewegtsein par excellence und damit als ewige, die gesamte Materie durchdringende Einheit der Selbstbewegung. Um dabei dennoch an der platonisch vorgegebenen Qualität des Göttlichen, nämlich an ihrem Einssein, festhalten zu können, entwickelt sie einen neuartigen Begriff von Zweiheit, nämlich den einer göttlichen Selbstbewegung, die das Kontinuum ihrer Einheit im periodischen Wechsel von Bewegung nach außen und nach innen realisiert. In der Richtung nach außen ist sie die Bewegung der Differenzierung, aus der alles Besondere an Gattungen, Arten und Eigenschaften des in konkreter Weise Seienden hervorgeht. In der Gegenrichtung ist sie die Kraft der Zurückführung oder der Auflösung alles Bestimmten in das absolut einfache materielle Substrat allen Seins. Auch diese Bestimmung des einheitlichen Zusammenwirkens von Einheit und Vielheit oder von Allgemeinheit und Besonderheit enthält das Gesetz für die tugendhafte Gestaltung des menschlichen Lebens, das nur dann wirkliche »Kunst« ist, wenn es die in sich gedoppelte und dennoch absolut einheitliche Tüchtigkeit göttlicher Selbstbewegung nachahmt. Der Gedanke des notwendigen Zusammenhangs von Physik und Ethik soll im Blick auf zwei Auszüge aus dem zweiten Buch von Ciceros De natura deorum genauer dargestellt werden. In diesem Dialog, für uns eine der wichtigsten Quellen für die stoische Physik, geht es um den Streit über das Wesen der Götter, hinter dem natürlich die Frage nach dem Anfang aller Wirklichkeit steht. Sie wird in einer für das spätantike Denken insgesamt bezeichnenden Direktheit als Frage der Ethik aufgenommen. Bliebe nämlich ungeklärt, ob »die Götter nichts tun, keine Wirksamkeit haben und sich jeder fürsorgenden Leitung für die Welt enthalten oder

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ob im Gegenteil gerade von den Göttern schon vom ersten Anfang alles erschaffen und eingerichtet ist und alles bis in Ewigkeit von ihnen geleitet und in Bewegung gehalten wird«, müssten die Menschen »im Zustand der Unwissenheit über die wichtigsten Dinge bleiben (in summo errore … atque in maximarum rerum ignoratione)« (I 2) und deshalb als Mängelwesen unter dem Bann ›unbestimmter Zweiheitlichkeit‹ ein Leben der »Unordnung (perturbatio) und Verwirrung (confusio)« führen (I 3). Im zweiten Buch des Dialogs erläutert Lucilius Balbus die Antwort der stoischen Physik auf diese quaestio67. 46 · Cicero, De natura deorum II 29 – 3668 (29) »Es gibt also eine Natur (natura), die das ganze Weltall zu-

sammenhält und erhält, und die ist nicht ohne Empfindungsvermögen (sensus) und Denkkraft (ratio). Denn jede Natur, die als solche nicht für sich allein steht und nicht nur aus einem einzigen Teil besteht (quae non solitaria sit neque simplex), sondern noch mit anderem verbunden und verknüpft ist (cum alio iuncta atque conexa), muss in sich eine herrschende Grundkraft (principatus) haben, wie der Mensch den Geist (mens) und das Tier etwas dem Geiste Ähnliches, aus dem alle Antriebe (adpetitiones) entstehen; bei den Bäumen aber und den Gewächsen, die aus dem Erdboden sprießen, glaubt man, diese Grundkraft sei in den Wurzeln enthalten. Grundkraft aber nenne ich das, was die Griechen als =γεμονικν bezeichnen, [weil es] […] bei jeder Gattung von nichts anderem übertroffen werden kann und darf. Deshalb muss nun auch das, in dem die Grundkraft der ganzen Natur (totius naturae principatus) enthalten ist, unter allem das Beste sein und damit dasjenige, dem Macht und Herrschaft über alle Dinge am meisten gebührt. (30) Nun sehen wir aber, dass Teilen des Weltalls – es gibt im ganzen Weltall ja nichts, was nicht zugleich auch ein Teil des Ganzen wäre – Empfindungsund Denkvermögen innewohnen. Also müssen in dem Teil,

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in dem die Grundkraft des Weltalls enthalten ist, diese Eigenschaften auch vorhanden sein, und zwar in einem noch schärfer ausgeprägten und größeren Maße [als in den anderen Teilen]. Demzufolge muss das Weltall (mundus) weise sein und die Natur, die alle Teile zusammengefasst enthält, muss sich durch die Vollkommenheit des Denkvermögens (perfectione rationis) auszeichnen. Also muss das Weltall Gottheit (deus) sein, und seine ganze Kraft muss durch ein göttliches Wesen erhalten werden. Aber auch jene feurige Kraft ( fervor) des Weltalls ist reiner, klarer und beweglicher und aus diesen Gründen viel geeigneter, Sinnesempfindungen zu erregen als unsere Wärme (calor) hier auf Erden, durch deren Kraft die uns bekannten Dinge erhalten werden und gedeihen. (31) Es wäre demnach unsinnig zu behaupten, obgleich Menschen und Tiere durch diese Wärme erhalten würden und sich deshalb bewegen und Sinnesempfindungen haben können, sei das Weltall ohne Empfindungen, obwohl es doch von einem lauteren, freien, reinen und dabei außerordentlich durchdringenden und beweglichen Wärmestoff (ardor) durchzogen ist, besonders da dieser Wärmestoff, der dem Weltall zugehört, nicht von einem fremden und von außen einwirkenden Anstoß, sondern von selbst und aus eigenem Antrieb (per se ipse ac sua sponte) in Bewegung gesetzt wird; denn was könnte kraftvoller sein als das Weltall, um diesem Wärmestoff einen Antrieb zu geben und ihn in Bewegung zu versetzen, von dem es dann auch selbst erhalten wird? (32) Hören wir doch einmal, was Platon, gewissermaßen der Gott unter den Philosophen, dazu sagt! Er nimmt zwei Arten der Bewegung an, eine eigene und eine zweite, von außerhalb kommende; was sich aber selbst aus sich heraus und aus eigenem Antrieb bewege, das sei göttlicher als das, was erst durch einen fremden Anstoß (pulsu alieno) bewegt werde. Diese Eigenbewegung aber nimmt er nur bei den Seelen an, und von diesen soll alle Bewegung überhaupt ihren Anfang (principium) genommen haben. Da nun aus der Wärme des Weltalls alle Bewegung entsteht und diese Wärme

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sich nicht durch fremden Anstoß, sondern aus sich selbst in Bewegung setzt, so muss sie Seele sein; daraus folgt, dass das Weltall beseelt ist. Von da aus wird man aber auch begreifen können, dass das Weltall Vernunft (intelligentia) besitzt, weil es bestimmt besser ist als jede andere [besondere] Natur. Denn wie es keinen Teil unseres Körpers gibt, der nicht geringer einzuschätzen ist als das, was wir selbst sind (quam nosmet ipsi sumus)69, muss auch das gesamte Weltall höher stehen als irgendein Teil von ihm. Wenn dem so ist, dann muss das Weltall weise sein. Denn wenn dem nicht so wäre, müsste der Mensch, der doch nur ein Teil des Weltalls ist, eben weil er Denkvermögen besitzt, […] höher stehen als das ganze Weltall. (33) Und auch wenn wir von den untersten, noch unvollkommenen Naturen bis zu den höchsten und vollkommenen fortschreiten wollen, müssen wir schließlich zur Natur der Götter gelangen. Als erstes nehmen wir ja wahr, wie von der [Gesamt-] Natur die Pflanzen erhalten werden, denen sie nichts weiter gewährt, als dass sie für ihre Erhaltung sorgt, indem sie diese nährt und vermehrt. (34) Den Tieren aber verlieh sie auch Empfindungsvermögen und Bewegung und in Verbindung mit einem gewissen Instinkt (adpetitus) ein Begehren nach dem, was ihnen gut tut, und eine Abneigung gegen alles, was ihnen schädlich ist. Der Mensch hat [von der Gesamtnatur] jedoch weit mehr erhalten, weil sie ihm außerdem noch Vernunft (ratio) verlieh, damit diese das Begehren der Seele leite, indem sie ihm einmal nachgibt, das andere Mal Einhalt gebietet. Die vierte und höchste Stufe aber nehmen diejenigen ein, die von Natur aus als Gute und Weise erzeugt werden, und denen das richtige und beständige Erkenntnisvermögen (ratio recta constansque) angeboren ist. Davon muss man annehmen, dass es über den Menschen [als Gattung] hinausgeht und deshalb der Gottheit, d. h. dem Weltall zuzuerkennen ist, in dem jenes vollkommene und vollendete Erkenntnisvermögen (ratio perfecta atque absoluta) enthalten sein

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muss. (35) Denn man kann nicht bestreiten, dass in jeder Einrichtung der Dinge etwas Höchstes und Vollkommenes (extremum atque perfectum) wirksam ist. Wie wir nämlich bei einem Weinstock und auch beim Vieh beobachten, dass deren Natur, wenn ihr keine Kraft (vis) entgegensteht, auf einem bestimmten, ihr eigenen Wege zur äußersten Vollkommenheit gelangt (suo quodam itinere ad ultimum pervenire), und wie die Malerei, die Baukunst und die übrigen Künste eine gewisse Vollendung erreichen, so muss in der gesamten Natur, und zwar in noch viel höherem Maße, etwas Vollkommenes und Vollendetes erreicht sein. Denn den übrigen Naturen kann von außen her vieles entgegentreten, was sie hindert, die letzte Vollkommenheit zu erreichen, die Natur als Ganzes aber kann nichts hindern, da sie ja alle Naturen in sich birgt und umfasst. Darum gibt es notwendigerweise jene vierte und höchste Stufe, an die keine andere Kraft mehr heranreichen kann (quo nulla vis possit accedere). (36) Das aber ist eben die Stufe, auf der das ganze Weltall gründet (in quo rerum omnium natura ponitur). Und da deren Natur so beschaffen ist, dass sie alles leitet und ihr nichts hinderlich entgegentreten kann, muss das Weltall denkend (intelligens) und sogar weise (sapiens) sein. Was aber könnte törichter sein, als diese Natur, die alle Dinge in sich birgt, nicht für die beste zu erklären, oder, da sie die beste ist, nicht zu sagen, sie sei erstens beseelt, zweitens sie habe Denkvermögen (ratio) und Überlegung (consilium) und schließlich, sie sei weise? Wie könnte sie denn sonst die beste sein?« Balbus stellt ins Zentrum seiner Ausführungen den Begriff natura, den er einmal auf das Ganze des Seienden und das andere Mal auf besondere Gattungen innerhalb dieses Ganzen bezieht. Mit dem Begriff natura ist ein Konzept von Relationalität und Gemeinschaftlichkeit verbunden, das er an früherer Stelle seines Vortrags als »rerum consentiens, conspirans, continuata cognatio« bezeichnet70. Die darin wirksame Regel, nach der jede natura

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immer »auch mit anderem verbunden« ist (II 29), beruht auf der Binnenstruktur jeder natura, die aus sich schon ein Zusammenhang von Verschiedenem ist. Eine natura solitaria wie die des auf sich selbst bezogenen Unbewegten Bewegers bei Aristoteles oder ein esse simplex wie die platonische Idee des Guten haben im stoisch aufgefassten Zusammenhang des Seienden keinen Platz und wären deshalb bloßes Nicht-Sein. In jeder natura werden ihre verschiedenen ›Teile‹ von einer »Grundkraft« zusammengehalten. Zwischen ihren Teilen muss deshalb eine natürliche Hierarchie bestehen, in der allein die beste, nämlich die für ihre Gattung spezifische Kraft, alle anderen zur Einheit eines Zusammenhangs verbindet. Sie teilt den von ihr beherrschten Kräften das jeweils Ihrige zu, so dass sie einen Ordnungszusammenhang begründet, der an denjenigen anknüpft, den Sokrates in Platons Phaidon im Ausgang vom Begriff des νο,ς bei Anaxagoras entwickelt hat71. Man kann diesen Zusammenhang deshalb mit dem Zeus-Hymnus des Kleanthes auch als Herrschaft der Gerechtigkeit bezeichnen. Von daher besteht die Einheit jeder natura als Einheit der Kooperation. Sie resultiert aus der ›richtigen‹ Subordination ihrer Kräfte unter eine Grundkraft, die sich dadurch aber nicht als etwas Eigenes von ihnen absetzt, sondern ihnen als ihr ›Anführer‹ verbunden bleibt. Wie dieser Gedanke in kosmologischer Hinsicht zu verstehen ist, erläutert Balbus in dem Teil seines Vortrags, den er der ›feurigen Kraft‹ des Weltalls widmet. Sie ist Grundkraft der Natur, weil sie (1) als ›lautere‹ oder ›reine‹ jeder gemischten, ihr gegenüber kompakteren Materie an Beweglichkeit und an Fähigkeit, andere Körper zu durchdringen, überlegen ist, und (2) weil sie ihre alles überragende Größe dadurch beweist, dass sie als einzige Kraft der Natur reine Selbstbewegung ist. Von daher kann die Bewegung, die das Ganze der Welt umfasst, mit der Selbstbewegungskraft des Feuers identifiziert werden, so dass man mit ihr auch für die rerum omnium natura das angemessene materielle Substrat gefunden hat. Zur Veranschaulichung des Wechselwirkungszu-

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sammenhangs von mundaner und feuriger Selbstbewegung (Abschnitt 31, letzter Satz) könnte man auch an bestimmte Bewegungszusammenhänge vergänglicher Organismen denken. Nicht nur jeder Sportler weiß: Körperliche Selbstbewegungsfähigkeit kann nur durch Selbstbewegung erhalten werden. Und weil Denken ebenfalls Selbstbewegung ist, gilt auch hier die Regel, dass es nur durch eigene, auf sich selbst bezogene Aktivität seine Kraft dauerhaft entfalten kann. Für den Begriff der Selbstbewegung als Prinzip aller Bewegung bezieht sich Balbus schulgerecht auf Platon. Wenn er als deus philosophorum nur die Wahrheit sprechen kann und dabei die Selbstbewegung der Seele zuordnet, dann kann das, was in der Selbstbewegung des ardor mundi wirkt, nur Seele sein. Zuvor war die Grundkraft jeder Natur als mens oder als ›etwas dem Geiste Ähnliches‹ bezeichnet worden. Sie zeigt sich bei den Pflanzen als die Selbstbewegungskraft des Wachstums, die unter der Voraussetzung, dass ihr keine äußere Gewalt entgegenwirkt, einen Zustand der Vollkommenheit erreicht. Bei den Tieren geht die aktive Kraft über die Wachstumsbewegung, aber auch über Wahrnehmungsfähigkeit, Selbstempfindung und spontane Ortsbewegung hinaus. Ihre Grundkraft ist deshalb ein Strebevermögen, das sich instinktiv zu dem hin bewegt, was dem eigenen Selbstempfinden gut tut, und sich von allem entfernt, was als schädlich empfunden wird. In der menschlichen Natur tritt demgegenüber mit der ratio eine weitere aktive Kraft auf, die ›das Begehren der Seele‹, das die menschliche mit der animalischen Natur teilt, zu ›leiten‹ und damit zu begrenzen vermag. Nur wenn sich die ›ratio‹ als die Grundkraft der menschlichen Natur aus sich selbst heraus bewegt, kann sie für deren Leben das Beste ›herstellen‹ und dauerhaft sichern. Die Grundkraft einer besonderen Natur findet man durch ein Subtraktionsverfahren, bei dem der Reihe nach alle Kräfte ausgeschieden werden, die weniger als eine andere zum Zustand ihrer Vollkommenheit beitragen. Die Grundkraft der Gesamtnatur wird

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hingegen durch ein Additionsverfahren gefunden, bei dem alle Tüchtigkeiten, die in ihren besonderen Gattungen Grundkräfte sind, zu einer Optimalqualität zusammengefasst werden. Insofern ergibt sich für die ›vierte und höchste Stufe‹ der göttlichen Natur, dass sie die Vollendung dessen ist, was in allen besonderen Naturen, die sie umfasst und erhält, als das jeweils Beste wirkt. Das können keine Kräfte sein, die dem Wechsel des Mehr oder Weniger und damit dem Prinzip unbestimmter Zweiheit unterliegen, das auch für die Stoa die Ursache des Schlechten ist72. Demgegenüber sind Selbstwahrnehmung und Rationalität unangreifbare Kräfte des Guten, wenn man sie als quantitatives Maximum (zeitliche Konstanz) und als qualitatives Optimum (vollendetes Wirklichsein) versteht. Wenn generell »in jeder Einrichtung der Dinge«, in den Wachstumsprozessen der Natur ebenso wie in den Entwicklungsprozessen der Kultur, »ein Höchstes und Vollkommenes enthalten ist«, dann ist Sein insgesamt Prozess und als solcher künstlerische Produktionstätigkeit, die ihre Einheit dadurch entfaltet, dass sie sich in die beiden Grundformen des Zeugens (gignere) und Schaffens (creare) verzweigt. Als ars ist die Grundkraft der göttlichen Natur die kontinuierlich aktive ratio recta, perfecta et absoluta. Man müsste sie als Form aller Formen, als Strukturierungsprinzip aller Wirklichkeit oder eben als dauerhaft tätige und in jeder Hinsicht durchsetzungsfähige Gestaltungsmacht bezeichnen. Sie ist ebenso konstante Selbstempfindung und damit ›Seele‹ im Sinne einer Selbstbewegung, die von den Tugenden der intelligentia, der mens und der sapientia bestimmt ist73 . Selbstbewegtes Leben findet seinen Ausdruck in der materiellen Gestaltungskraft des fervor mundi, der als causa efficiens bewirkt, dass, wie vorausgesetzt, »in jeder Einrichtung der Dinge ein Höchstes und Vollkommenes enthalten ist74 .« Die absolut störungsfreie Selbstbekundung der göttlichen Natur in der caelestischen Welt ist für den Stoiker das Vorbild für die Gestaltung des menschlichen Lebens. In einer späteren, aber noch keineswegs letzten Phase seines Vortrags bezeichnet Bal-

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bus deshalb die künstlerische Kraft des göttlichen Feuers als den Lehrer aller Kunst. Sie verwirklicht die Norm des Gelingens für die menschliche ars vivendi, die der Versuch ist, »inmitten der Natur gleichsam eine zweite Natur zu schaffen75 .« 47 · Cicero, De natura deorum II 56 – 58 76 (56) »Es gibt am Himmel also weder Zufall, Zügellosigkeit (teme-

ritas), Irrtum oder Lügenhaftigkeit (vanitas), sondern im Gegenteil lauter Ordnung, Wahrheit, Berechnung (ratio) und Beständigkeit (constantia), und was diese Eigenschaften nicht besitzt, was erlogen, falsch und voller Irrtum ist, das befindet sich in der Nähe der Erde, unter dem Monde, der unter den Gestirnen die tiefste Stelle einnimmt, und auf der Erde selbst. Wer meint, diese wunderbare Ordnung und kaum glaubliche Regelmäßigkeit am Himmel (caelestis […] admirabilis ordo incredibilisque constantia), aus der die gesamte Erhaltung und Sicherheit alles Seienden hervorgeht (ex qua conservatio et salus omnium omnis oritur), sei ohne Vernunft (mens), dem muss man selbst jede Vernunft absprechen. (57) Ich werde demnach, wie ich glaube, nicht in die Irre gehen, wenn ich die Grundlage für diese Darstellung von dem Manne herleiten werde, der bei der Suche nach der Wahrheit die erste Stelle einnimmt77. Zenon also definiert die Natur als ›künstlerisch tätiges Feuer (ignis artificiosa)‹, das methodisch zur Zeugung voranschreitet (ad gignendum progrediens via). Denn nach ihm sind Schaffen (creare) und Zeugen (gignere) das Hauptcharakteristikum der Kunst, und was bei den Werken unserer Kunst die Hand bewirke, das bewirke noch viel kunstreicher die Natur, d. h. wie ich schon sagte, das künstlerisch tätige Feuer, der Lehrmeister aller übrigen Künste. Auf diese Weise ist die ganze Natur künstlerisch tätig (omnis natura artificiosa est), weil sie sozusagen einen bestimmten Weg oder eine Bahn hat, der sie folgt.

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(58) Doch die Natur des Weltalls, die alles umschließt und

zusammenhält, wird von dem gleichen Zenon nicht nur als künstlerisch tätig, sondern ohne jede Einschränkung (plane) als Künstler (artifex) bezeichnet, der für alles, was nützlich und zweckmäßig beschaffen ist, denkt und sorgt. Und wie die übrigen Naturen alle aus den ihnen eigenen Anlagen entstehen, wachsen und Bestand haben, so hat auch die Natur des Weltalls ausschließlich eigenständige Bewegungen (motus voluntarios), Absichten (conatus) und Neigungen (adpetitiones), die die Griechen >ρμ?ς nennen. Sie entfaltet die damit übereinstimmenden Handlungen (actiones) so wie wir selbst, die wir von seelischen Kräften und sinnlichen Empfindungen bewegt werden. Da nun der Weltseele (mens mundi) diese Beschaffenheit eigen ist und sie aus diesem Grunde mit Recht Voraussicht (prudentia) und Vorsehung (providentia) genannt werden kann – die Griechen nennen sie ja πρνοια –, so sorgt sie vor allem dafür und ist am meisten damit beschäftigt, dass das Weltall erstens die beste Möglichkeit für seinen Fortbestand erhält, dann dass es ihm an nichts fehlt, hauptsächlich aber dass in ihm Schönheit (pulchritudo) und jeder nur erdenkliche Schmuck (ornatus) vorhanden sind.« Die stoische Philosophie hat eine auch in emotionaler Hinsicht eindrucksvolle Konsequenz aus den von Pythagoras und Anaxagoras überlieferten Sätzen gezogen, nach denen die Betrachtung des Himmels die einzige Tätigkeit ist, um derentwillen ein Mensch sich wünschen könne, überhaupt geboren zu sein und zu leben78 . So empfindet auch Balbus beim Blick auf den Kosmos das für ihn nicht mehr steigerungsfähige Glück eines intensiven, leiblich spürbaren Verbundenseins mit dem Schönsten und Besten von allem Seienden (II 18). Der Kosmos realisiert nicht nur »eine gewaltige miteinander harmonierende, zusammenwirkende und ununterbrochene Verwandtschaft aller Dinge« (II 19), sondern lässt seinen verständigen Betrachter auch die Wirksamkeit der

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»einzigartigen göttlichen und ununterbrochen tätigen Weltseele« spüren79 , die als ›hervorragende Geisteskraft … alles lenkt‹, was zum Zusammenhang der Natur gehört80. Gott ist für den Stoiker sichtbarer Körper, dessen inneres Lebensprinzip er in seinem eigenen Leib wahrnimmt, so dass er sich in der Selbstempfindung als integralen Teil der göttlichen Weltseele erfährt81. Oder anders ausgedrückt: Da er in der Selbstwahrnehmung lernt, dass und wie die eigene Seele seinen Leib in allen Teilen und besonderen Funktionen durchdringt, ohne »in der Mischung mit ihm« ihre Qualität als Belebungskraft zu verlieren82, kann er unmittelbar nachvollziehen, dass und wie die Weltseele den Organismus des Weltkörpers durchdringt, strukturiert und als in sich belebten Zusammenhang erhält. Für die Stoa ist die göttliche mens als ›Weltseele‹ das genetische Prinzip einer materiell fundierten Selbstbewegung, »aus der die gesamte Erhaltung und Sicherheit alles Seienden hervorgeht«. Von daher ist sie der Künstler (artifex) par execellence 83 , der als ignis artificiosa – und das bedeutet: im Modus kontinuierlicher, vernunftgeleiteter Selbstbewegung – das absolut vollkommene Kunstwerk des Kosmos herstellt, der die Merkmale der Kontinuität, der Autarkie und der vollkommenen Schönheit in sich vereinigt und damit genau die Qualität verkörpert, die seiner Herstellung zugrunde liegt 84 . Die »Natur des Weltalls, die alles umschließt und zusammenhält«, ist als vollkommener Künstler »Lehrer aller« und damit auch der menschlichen »Kunst«. Wir erfahren, empfinden und begreifen an unserem Leib kontinuierliche Übergänge zwischen den seelischen Kräften des Denkens, Wollens oder Empfindens und solchen Handlungen, die als Bewegungen unmittelbar aus Gedachtem, Gewolltem oder Empfundenem hervorgehen. Denken, Wollen oder Empfinden und die daraus hervorgehenden Handlungen stehen sich nicht wie Ruhe und Bewegung oder intelligibles und materielles Sein gegenüber, sondern innerseelische Tätigkeiten sind aus sich schon materielle, von der Wärmekraft alles Lebendigen getragene Bewegungen, die nach

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Regeln der Identität und Kontinuität in die nach außen gerichteten Bewegungen unserer ›freiwilligen‹ Handlungen übergehen. Dabei besteht zwischen der Selbstbewegungsqualität der menschlichen und der göttlichen Natur ein so intensives Ähnlichkeitsverhältnis, dass die Natur des Ganzen sich von der menschlichen nicht qualitativ unterscheidet, sondern ihr gegenüber ein quantitatives Maximum darstellt. Der Wirkungsbereich menschlich-vernünftiger Selbstbewegung ist in räumlicher und zeitlicher Hinsicht kleiner als derjenige der göttlichen Natur. Göttliche Selbstbewegung wiederum hat zwar keine zeitliche Grenze, ist aber sicher gegen das Nicht-Sein abgegrenzt. Sie ist zudem ausschließlich Selbstbewegung, so dass sie von Fremdbewegung überhaupt nicht erreicht werden kann. Im Aktionsraum menschlicher Natur treten dagegen Kräfte auf, gegen die sie ihre Selbstbewegung durchsetzen muss. Nur durch die Abwehr von Gegenkräften kann die menschliche im Gesamtraum der göttlichen Natur eine zweite Natur aufbauen, die von ihr nicht wie ein Fremdkörper abgestoßen, sondern als gleichartiger Teil in sie aufgenommen wird.

2.

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Die Prinzipienbegriffe der stoischen Philosophie

Die zentralen Prinzipienbegriffe der Stoa werden im Zenon-Referat des Diogenes Laertius formelhaft vorgestellt. Dabei geht es vor allem um den ontologischen Status von Prinzipien in ihrer Unterscheidung von materiellen Grundstoffen. Von daher kann man im Bereich des Seienden insgesamt drei Ebenen unterscheiden: (1) Das Sein der Prinzipien, (2) das der Grundstoffe und (3) das der aus Grundstoffen zusammengesetzten oder gemischten Einzeldinge. In den Ausführungen zum Text 48 soll über das besondere Sein der Prinzipien, über ihren internen Zusammenhang und über ihr Verhältnis zum Sein der Grundstoffe nachgedacht werden. Der Übergang von den Grundstoffen zu den Einzeldingen bleibt demgegenüber außer Betracht.

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48 · Diogenes Laertius, Vitae philosophorum VII 13485 »Nach ihrer [der Stoiker] Meinung gibt es zwei Prinzipien (ρχα ) des Ganzen (4λον): das Aktive (τ ποιο,ν) und das Passive (τ πσχον). Das passiv-leidende Prinzip ist eine Substanz ohne Qualität (ο1σ α ποιος), nämlich die Materie (@λη ), während das aktiv-wirkende Prinzip der in der Materie wirksame Logos ist, nämlich der Gott. Denn er ist ewig und er ist der Hervorbringer eines jeden einzelnen Dings in der gesamten Ausdehnung der Materie. Diese Lehre haben aufgestellt Zenon von Kition, und zwar in seinem Traktat ›Über die Wesenheit‹, Kleanthes in seinem Werk ›Über die Atome‹, Chrysipp am Ende seines ersten Buchs der ›Physik‹, Archidemos86 in seiner Schrift ›Über die Grundstoffe‹ und Poseidonios im zweiten Buch seiner ›Untersuchungen über die Natur‹. Sie sagen, dass es einen Unterschied gebe zwischen Prinzipien und Grundstoffen (στοιχε$α); die ersten sind ohne Entstehen und Vergehen, während die Grundstoffe zerstört werden, wenn alle Dinge ins Feuer aufgelöst werden. Darüber hinaus sind die Prinzipien Körper (σ(ματα)87 und ohne Form (μρφους), während Grundstoffe geformt sind.« Zunächst fällt auf: Die Prinzipienbegriffe der Stoa beziehen sich allein auf das Ganze des Seienden. Nicht-Sein oder Unbestimmtsein, von dem sich das bestimmte Sein des Kosmos absetzt, ist einer prinzipientheoretischen Bestimmung nicht zugänglich. Nur das in sich Bestimmte ist vernünftig und aus sich heraus verständlich. Das Unbestimmte hingegen ist unvernünftig und jedem Verstehen entzogen. Als Zweites fällt auf: Das, was Grundlage alles Seienden ist, hat keine verschiedenen Gattungen wie bei Platon und Aristoteles. Die prinzipientheoretische Reflexion soll für die Stoa ein überschaubares Unternehmen sein. Aus diesem Grund greift sie trotz partieller Anknüpfungen an Platon und Aristoteles auf Sokrates zurück, um gegen Aristoteles die absolute Einheit von Wissen und Handeln zu betonen, und auf die jonische Na-

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turphilosophie, um gegen Platon und Aristoteles das Sein der Natur als absolute Einheit von Materie und Logos darzustellen. Auch die Tatsache, dass sie lediglich zwei Prinzipien ansetzt, hat mit dem Ziel zu tun, die Dimension des prinzipientheoretischen Denkens nicht ›künstlich‹ zu überdehnen. Als Drittes fällt auf: Keines der beiden Prinzipien ist für sich getrenntes oder einfaches Sein. Der Logos ist per definitionem in Materie wirksam, und die qualitätsfreie Materie besteht a priori als Aufnahmefähigkeit für die Formkraft des Logos. Logos und qualitätsfreie Materie sind koextensiv, so dass ihre Zweiheit die Einheit ihrer wechselseitigen Durchdringung, ihrer Interaktion oder ihres durchgängigen Gemischtseins darstellt88 . Für die Stoa ist alles bestimmte Sein körperhafter Natur. Körper sind Raumgrößen mit bestimmten Grenzen 89 . Nur Körper können etwas tun und nur sie können die Wirkung anderer Körper erleiden. Sowohl das Aktive des göttlichen Formprinzips als auch das Passive der qualitätsfreien Materie sind körperhafte Größen, auch wenn sie anders als die Grundstoffe und die daraus bestehenden Einzeldinge keine qualitativ bestimmte Materie oder konkrete Form an sich haben. Wenn sie aber begrenzte Körper sind, wie ist dann ihre wechselseitige Durchdringung möglich? Gibt es einen Grund für ihre Interaktion? Und wie wäre dieser dann in seiner Wirksamkeit zu verstehen? Auf die beiden letzten Fragen verweigert die Stoa eine befriedigende Antwort. Nur die erste wird im Ausgang vom Begriff der Mischung zumindest ansatzweise beantwortet. Warum die beiden anderen Fragen unbeantwortet bleiben, wird aus einem Blick auf das Gesamtkonzept stoischer Prinzipienreflexion aber durchaus verständlich. Offensichtlich ist die Natur eine dynamische Größe, die sich nach immanent in ihr angelegten Kriterien des Vernünftigen selbst reguliert und dabei innerhalb eines begrenzten, nicht erweiterbaren, vom Nicht-Sein abgegrenzten Raumes tätig ist. Würde man für beide Prinzipien ein »Für-sich-Sein« »vor« ihrer Verbindung annehmen, dann wären sie ›einfache Naturen‹ und damit nach stoischer Voraussetzung

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Nicht-Sein. Auch das Ansetzen eines vorgängigen Grundes für ihr Zusammenwirken würde das erstrangige Sein beider Prinzipien zerstören. Ein Sein außerhalb des Kosmos lässt sich nur in einem prinzipientheoretischen Konzept aristotelischer oder platonischer Prägung denken. Wer nach dem Grund für oder von Etwas fragt, will dies nicht als Prinzip, sondern als Prinzipiiertes verstehen, so dass die Stoa nach einem Grund für das Zusammenwirken oder nach einem Für-sich-Sein des Aktiven und des Passiven nicht einmal fragen kann. Was die stoische Prinzipienreflexion positiv leistet, wird deutlich, wenn man auf Folgendes achtet: Die Unterscheidung zwischen einer dual konzipierten Ebene von Prinzipien und einer vierfach gegliederten Ebene materieller Grundstoffe erinnert auffällig an die Prinzipientheorie des Empedokles90. Nun ist die Stoa so weit durch die Reflexionsform platonischer und aristotelischer Philosophie hindurchgegangen, dass sie zum einen das Verhältnis der beiden Prinzipien zu einander präziser bestimmen kann als Empedokles. Zum anderen kann sie den Übergang von der Ebene der Prinzipien zu derjenigen der Grundstoffe und von dieser zur Ebene der Einzeldinge als die Einheit eines kontinuierlichen Prozesses der Selbstbewegung beschreiben. Das Ineinander von göttlichem Logos und qualitativ unbestimmter Materie ist kontinuierliche Selbstbewegung, die in der Wendung aus sich heraus Grundstoffe erzeugt und sie in einer Wendung nach innen wieder in sich zurücknimmt. Diese Bewegung setzt sich ebenso kontinuierlich in der Erzeugung materieller Einzeldinge aus Grundstoffen und in ihrer Auflösung in diese Grundstoffe fort. Die Gesamtbewegung, die alles Seiende – Prinzipien, Grundstoffe und Einzeldinge – in sich einbezieht und lediglich die Prinzipien selbst vom Rhythmus des Entstehens und Vergehens ausnimmt, begründet als regelmäßiger Wechsel zwischen den Bewegungen des Konstituierens und Auflösens aller materiellen Besonderheit die Einheit der Natur. Sie ist ewig bewegte, materiell fundierte Wesenheit, der nicht mehr wie bei Aristoteles der Rang der zweitbesten, son-

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dern derjenige der erstrangigen, autarken und deshalb göttlichen Wesenheit zukommt. Natur ist die Kraft verlässlicher Selbsterhaltung durch kontinuierliche Selbsterneuerung. Sie verfügt über einen gleichsam idealen Anfangszustand, in dem sie, wie die intelligiblen Grundformen bei Platon und die ›Wesenheiten‹ bei Aristoteles, allein Beziehung auf sich selbst ist91, aber darin sogleich die Form eines Umschlags in immer konkretere und dichtere Materialität verwirklicht92. An ihrem Anfang steht das ›künstlerische Feuer‹, das in sich alle rationalen Zeugungskräfte ( λγοι σπερματικο ) enthält (SVF I 98) und »mit Hilfe der Luft« den Zustand der Feuchtigkeit annimmt (DL VII 136). Diese Vorgänge aktivieren die rationalen Zeugungskräfte so, dass ihre »dickeren Teile« zu Erde kondensieren und ihre feineren in ätherisches Feuer übergehen (DL VII 142). Im Einzelnen kann man nur schwer nachvollziehen, wie die Stoa die Selbstverwandlungsprozesse der Natur genau verstanden wissen wollte. Entscheidend für unsere Überlegung aber ist dies: Die göttliche Selbstbewegung der Natur setzt die materielle Substanz der Welt als das Besondere einer in sich durchartikulierten Weltordnung nicht nur aus sich heraus, sondern löst sie auch wieder »periodisch« in ihren idealen Anfangszustand auf und erzeugt von ihm aus erneut das System einer körperhaft konkreten Welt93 . Die Entfernung vom Anfang scheint deshalb ein qualitativer Verlust zu sein94 , der nur durch die Auflösung jeder materiell konkretisierten Welt in das »erste Feuer« wieder auszugleichen ist. Eine Bewegung, die sowohl aus sich heraus als auch in sich zurückverläuft, in diesem Wechsel einer rhythmischen Ordnung folgt und darin Selbstbewegung bleibt, bildet in ihrer zweiheitlichen Form die Einheit eines Kontinuums95 . Man kann sie deshalb als vernünftige, rational strukturierte Einheit einer Kreisbewegung verstehen, die als Bewegung der Welterzeugung alle rationalen Formen, die sie dafür benötigt, von Anfang an, also a priori, in sich hat. Insofern ist das Sein, das die Stoa thematisiert, als Ganzes der Inbegriff göttlicher Reichhaltigkeit. Das Herausgehen aus sich

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kann dann kein wirklicher Verlust für sie sein, sondern sie hat das, was aus einer bestimmten Perspektive als Qualitätsminderung erscheint, dadurch immer schon aufgefangen, dass sie alles von ihr Hervorgebrachte wieder auf ihr qualitatives Zentrum zurückführt. Das, was aus der Perspektive der Welt und ihrer Teile der Wechsel von Entstehen und Vergehen oder von Mehr- und Weniger-Sein ist, zeigt sich aus der Perspektive ihrer göttlichen Grundkraft als die Verwirklichung der kontinuierlichen Einheit ihrer Selbstbewegung. Insofern besteht kein unaufhebbarer Widerspruch zwischen der altstoischen Lehre vom Wechsel zwischen Ekpyrosis und Palingenesis und der ›heiligeren Lehre von der Unvergänglichkeit der ganzen Welt‹, zu der prominente Vertreter der mittleren Stoa übergegangen sein sollen96. Unvergänglich sind das Ganze der rerum natura und die ihr zugrunde liegenden Prinzipien des kontinuierlichen Miteinanders von göttlicher Formkraft und qualitätsfreier Materie. Vergänglich sind hingegen die konkreten Weltkörper, die aus ihrer Interaktion hervorgehen. Da die Körper jeder Welt miteinander identisch sind97, bilden sie in ihrer seriellen Folge ein Kontinuum, das vollständig von der Qualität göttlicher Selbstbewegung als dem Beseelungsprinzip aller Wirklichkeit getragen ist. Die kontinuierliche Folge des Erzeugens und in sich Zurücknehmens materiell bestimmter Wirklichkeit steht nicht für die Wirkungsmacht unbestimmter Zweiheitlichkeit, sondern für die kontinuierlich wirksamer Einheit.

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Zum Verhältnis von Prinzipientheorie und Ethik

Die zentrale Lebensregel der Stoa: Folge der Natur! hat für die menschliche Lebensführung umfassende Konsequenzen. Da unsere Seele in ihrem materiellen Substrat direkt mit der Wirkungskraft der göttlichen Natur verbunden ist, haben wir die Fähigkeit und deshalb auch die Pflicht, den Zusammenhang des von Natur aus Seienden zu betrachten, zu erkennen und in der eigenen

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Lebensführung nachzuahmen. Dabei muss bedacht werden: Das Ganze des Seienden ist ein lückenlos durchgestalteter, in sich bewegter materieller Zusammenhang. Deshalb gehen von allem, was den menschlichen Leib umgibt, »Anstöße« aus, die er nicht unbeachtet lassen kann. Um mit diesem diffusen Inbegriff von Aufforderungen, Anreizen oder Störungen zurecht zu kommen, bedarf es eines begründeten Urteils in Bezug darauf, ob solche Anstöße als wichtig oder unwichtig, als richtig und somit zustimmungsfähig oder als ablehnungsbedürftig und somit als falsch zu bewerten sind. Von daher kommt der Logik eine fundamentale Aufgabe für die praktische Lebensführung zu. Sie stellt Regeln dafür auf, wie die auf uns einwirkenden Anstöße, die von Dingen, aber auch von Gedanken und sprachlichen Zeichen ausgehen, im Einzelnen bewertet und wie sie unter der Voraussetzung, dass sie tatsächlich Wahrheitsträger sind, in weiter ausgreifende Zusammenhänge eingeordnet werden müssen. Man findet für dieses genuin ethische Verständnis der Logik eine geraffte Darstellung in den Academica posteriora Ciceros98 . Danach stehen am Anfang des Erkenntnisprozesses Sinneswahrnehmungen, die von außen in Form eines Vorstellungsbildes (φαντα σ α = visum) auf das menschliche Sensorium wirken99 . Wenn das Vorstellungsbild für uns Bedeutung haben soll, muss es nach seiner Aufnahme in den menschlichen Leib zur Seele als seinem Zentralorgan weitergeleitet werden. Da die Seele Vernunft in sich hat, ist dafür ihre freie Zustimmung (assensio) erforderlich. Zustimmungsfähig sind Eindrücke, die wenigstens eine gewisse Glaubwürdigkeit, besser aber eine ›eindeutige, unverwechselbare Kennzeichnung‹ an sich tragen und damit aus sich selbst schon etwas Bestimmtes darstellen100. Das Glaubwürdige kann nur die Grundlage einer Meinung sein, die als solche immer wieder in Frage gestellt werden muss, während das sicher Begriffene die Grundlage (principium) des wissenschaftlichen Erkennens bildet. In einem ersten Schritt ihrer Aneignung müssen deshalb die Selbsterklärungen der Dinge, die in den Sinneseindrücken enthal-

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ten sind, darauf hin geprüft werden, ob es richtig ist, sie als notiones rerum der eigenen Seele einzuprägen (imprimere). Das weitere Voranschreiten der Wissenschaft besteht dann darin, diese notiones in Zusammenhänge einzuordnen und sie bis zum Maximalzusammenhang der omnium rerum natura zu erweitern. In der Selbstbewegung, in der die Seele die von außen empfangenen declarationes rerum (= passio der ersten Stufe) in notiones rerum umformt (= actio), nähert sie sich den rationalen Formen ( λγοι σπερματι κο ), die wie Formpläne in der Weltseele selbst angelegt sind und von ihr dem materiellen Substrat der natürlichen Einzeldinge eingedrückt werden. In der Annäherung an die constitutio rerum (= passio der zweiten Stufe) entfernt sich die Seele von allem, was, wie das Meinen, Vermuten oder die bloße Einbildung, kein sicheres Zeichen des Wahren an sich hat und deshalb das Unbestimmte und Unbestimmbare ist. Das Ziel der Selbstbewegung, in der sich die Welt des Wissens entfaltet, besteht darin, in der eigenen durchgängigen Bestimmtheit aller Teile und der sicheren Abgrenzung gegen das Nichtsein das perfekte Analogon zum Kosmos und damit auch zu jener Kraft, die ihn hervorbringt und erhält, in sich selbst zu verwirklichen. Die Logik ist die Kunst, alle Eindrücke, die auf die Seele zukommen, darauf hin zu prüfen, ob sie von sich her ein Kriterium des Wahren enthalten. Nur das, was diesen Test bestanden hat, wird in die Welt des Wissens aufgenommen. Ihre weitere Tätigkeit besteht dann darin, das auf diese Weise erkannte Einzelne in die Gesamtwelt des wissenschaftlich Erkannten richtig einzuordnen. Ohne Kunst der Logik die könnte ein denkendes Lebewesen, das für Irrtümer und Meinungen anfällig ist, den Imperativ »lebe« und denke deshalb auch »der Natur gemäß«, überhaupt nicht befolgen. Der innere Zusammenhang, der für die Stoa von Anfang an zwischen Logik und physikotheologisch fundierter Ethik besteht, wird in der kaiserzeitlichen Stoa so aufgenommen, dass die Ethik nach dem Motto facere docet philosophia, non dicere101 immer stärker in den Vordergrund tritt. An Texten Epiktets und Senecas kann

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man das gut nachvollziehen. Dabei muss bedacht werden, dass sich die stoischen Philosophen der Kaiserzeit nicht mehr wie ihre Vorgänger primär an ein wissenschaftlich gebildetes Publikum, sondern an jedermann wenden, und zwar in der Absicht, in einer Wirklichkeit geistige Orientierung anzubieten, die allgemein als Inbegriff wechselhafter, hektischer, unberechenbarer und willkürlicher Bewegung erfahren wird. Dabei soll der Einzelne dazu angehalten werden, in sich selbst eine innere Welt des Empfindens und Denkens aufzubauen, die alles, was nicht zu ihr gehört, in dem Bewusstsein von sich abweist, dass ihm kein wirkliches Sein zukommt. Epiktet (ca. 50 – 135 n. Chr.) ist offensichtlich ein vorbildlicher Lehrer in diesem Sinne gewesen. In der phrygischen Stadt Hieropolis (heute Pamukkale in der Türkei) geboren, hat er am eigenen Leibe verspürt, wie wechselhaft und unberechenbar das menschliche Leben ist. In Rom war er ein Sklave des von Nero frei gelassenen und danach weiter mit seinem Hof verbundenen Epaphroditos102. Dieser hat ihn absichtlich zum Krüppel geschlagen, ihm aber auch gestattet, sich vom Stoiker Musonius Rufus unterrichten zu lassen103 . Nach seiner Freilassung hat Epiktet selbst in Rom philosophischen Unterricht erteilt, und zwar bis zur Ausweisung aller öffentlich lehrenden Philosophen durch den Kaiser Domitian im Jahre 89. Als Stätte seines weiteren Wirkens hat er bewusst nicht Athen, die traditionelle Stätte des wissenschaftlich fundierten Unterrichts und der Forschung, sondern die von Augustus in der Nähe von Actium, dem Ort seines Sieges über die Flotte des Antonius und der Kleopatra, neu gegründete Stadt Nikopolis gewählt. Hier wird er zu einem Mahnredner, der seine Hörer nicht zu prinzipientheoretischer, naturphilosophischer oder logisch-dialektischer Reflexion, sondern zu einem philosophisch geführten Leben anleiten will, das im Vertrauen auf Gott alle Verpflichtungen in der sozialen Welt verantwortungsbewusst auf sich nimmt und die Wechselfälle des Lebens, vor allem die damit verbundenen Katastrophen, gelassen erträgt.

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Eine Lehre, die sich an jedermann richtet, bedarf einer gewissen Einfachheit, Eingängigkeit, konkreter Anschaulichkeit und Übersichtlichkeit. Viele Lehrvorträge Epiktets, der nach dem Vorbild des Sokrates nur mündlich unterrichtet hat, sind uns aus Mitschriften seines Schülers Flavius Arrianus erhalten104 , der auch ein »Handbüchlein« der Lehren Epiktets herausgegeben hat. Das griechische Wort für diesen Titel heißt »τ γχειρ διον« und bedeutet »das in die Hand zu Nehmende«, so dass man darunter auch eine Handwaffe verstehen konnte. Wollte Arrian damit sagen, ein Handbuch der Lehren eines Epiktet sei ein Arsenal stechender Argumente, die man jederzeit ›zur Hand haben‹ müsse105 , um alles von sich abzuwehren, was ein Leben, das ausschließlich vom göttlichen Prinzip der Weltvernunft getragen sein soll, in Frage stellt? Wie es sich für ein solches Buch gehört, steht das Wichtigste gleich am Anfang, nämlich die berühmte Unterscheidung zwischen den Dingen, die in unserer Macht stehen, und denen, die nicht in unserer Macht stehen. Die Möglichkeit zu dieser Unterscheidung ist die elementare Voraussetzung für selbstverantwortliches Handeln. Und nur wenn sie in der richtigen Weise getroffen wird, gründet sich darauf ein Leben, das von der Kraft des göttlichen Logos getragen ist. 49 · Epiktet, Handbüchlein der Moral 1 106 »Von dem Seienden steht das eine in unserer Macht (τ? ;φ’ =μ$ν), das andere steht nicht in unserer Macht. Wir gebieten über unsere gedanklichen Annahmen, unsern Antrieb zum Handeln, unser Begehren und Meiden, mit einem Wort, über alles, was unsere eigenen Werke sind; nicht gebieten wir über unseren Körper, unsern Besitz, unser Ansehen, unsere Machtstellung, mit einem Wort, über alles, was nicht unsere eigenen Werke sind. Worüber wir gebieten, ist von Natur aus frei, kann nicht gehindert oder gehemmt werden; worüber wir aber nicht gebieten,

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das ist kraftlos, abhängig, kann gehindert werden und steht unter fremdem Einfluss. Denk also daran. Wenn du das von Natur aus Abhängige für frei hältst und das Fremde für dein eigen, so wird man deine Pläne durchkreuzen und du wirst klagen, die Fassung verlieren und mit Gott und der Welt hadern; hältst du aber nur das für dein Eigentum, was wirklich dir gehört, das Fremde hingegen, wie es tatsächlich ist, für fremd, dann wird niemand je dich nötigen, niemand dich hindern, du wirst niemanden schelten, niemandem die Schuld geben, nie etwas wider Willen tun, du wirst keinen Feind haben, niemand wird dir schaden, denn du kannst überhaupt keinen Schaden erleiden107. Wenn du nach einem so hohen Ziel strebst, dann sei dir bewusst, dass dies mit erheblicher Anstrengung verbunden ist: Du musst auf manches verzichten, und manches zeitweilig aufgeben. Wenn du aber nicht nur dieses willst, sondern auch noch der Macht und dem Reichtum nachjagst, dann wirst du wahrscheinlich nicht einmal darin Erfolg haben, weil du zugleich das andere haben willst. Auf keinen Fall aber wirst du das bekommen, wodurch allein Freiheit und Glück möglich sind. Bemühe dich daher, jedem heftigen Eindruck sofort mit den Worten zu begegnen: ›Du bist nur ein Eindruck (φαντασ α), und ganz und gar nicht, was du zu sein scheinst‹. Dann prüfe und urteile nach den Regeln, die du in dir hast, vor allem nach der ersten Regel, ob sich der Eindruck auf Dinge bezieht, die in unserer Macht stehen oder nicht; und wenn er sich auf etwas bezieht, was nicht in unserer Macht steht, dann habe den Grund dafür zur Hand (πρχειρον ;στω), dass du sagen kannst: ›Es geht mich nichts an‹.« Die inhaltlich-direkten und aus sich selbst verständlichen Empfehlungen Epiktets sind in die Aufforderung eingebettet, das Gesamtunternehmen prinzipientheoretischer Reflexion auf die denkbar einfachste Unterscheidung zu reduzieren. Das ist deshalb zu

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rechtfertigen, weil damit die Gesamtheit des Wirklichen in elementare Gattungen eingeteilt und zugleich das Wissen des Guten gewonnen wird, das für die richtige Lebensführung nötig ist108 . Die einfachste Unterscheidung, die es der Form nach gibt, ist die Zweiteilung. Also steht die duale Dihairesis in das, was in meiner Macht steht, und in das, was nicht in meiner Macht steht109 , für das prinzipientheoretische Wissen in seiner einfachsten und zugleich wirkungsvollsten Gestalt. Wir wissen dabei (1), dass es eine klare Trennlinie zwischen diesen beiden Arten des Seins gibt und (2), dass der Blick darauf ausreicht, um die Welt so zu verstehen, dass wir in ihr gut leben können. Wir wissen (3), welche Gegenstände in beide Reihen gehören, und kennen (4) das Kriterium, nach dem sich die Gegenstände der ersten von denen der zweiten unterscheiden. Wir verfügen damit über einen Maßstab, nach dem wir alles, was auf uns einwirkt, darauf hin prüfen können, ob es für uns ist oder nicht. Durch dieses philosophische Fundamentalwissen, das zugleich die Kernkompetenz für unsere Lebensführung ist, sind wir davon entlastet, innerhalb oder gar außerhalb des in unserer Macht Stehenden nach Gattungen, Ordnungsformen oder Beziehungsregeln zu suchen. Philosophie konzentriert sich von vornherein auf ihren ›ersten und notwendigsten Bereich‹, der uns dazu anhält, von richtigen Einsichten nachhaltigen »Gebrauch« zu machen110. Wenn wir die uns aufgegebene Grundunterscheidung richtig durchgeführt haben, erhalten wir zwei Bereiche des Wirklichen, die sich in demselben Verhältnis gegenüberstehen wie das Ganze des vom göttlichen Logos gestalteten Kosmos und das Leere des unbestimmten Nichtseins. Nur aus seiner sicheren Abgrenzung gegen das Nichtsein besteht der Kosmos als Inbegriff dessen, was von der immanent in ihm wirkenden göttlichen Vernunft und ihrer Feuerkraft durchdrungen ist. Innerhalb des Kosmos kann seiner Grundkraft nichts entgegenwirken, so dass sie in ihrem Machtbereich das Monopol uneingeschränkter Freiheit besitzt. Von daher gilt: Wir werden selbst zu einem Analogon des göttlichen Logos,

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wenn wir uns mit der vernünftigen Gestaltungskraft unseres Lebens nur auf das beziehen, was wir mit ihrer Hilfe zu einem in sich konsistenten, allein von ihr bestimmten Zusammenhang aufbauen können. In einer Welt totaler Unsicherheit sind wir von äußeren Umständen abhängig, so dass wir einmal Sklaven, dann wieder Freie, einmal Gesunde und dann zusammengeschlagene Krüppel, einmal diejenigen, die ihrem Beruf nachgehen können, und dann wieder solche sind, die aufgrund eines Berufsverbots die Stätte ihrer bisherigen Tätigkeit verlassen müssen. In einer solchen Welt ist es am sichersten, das, was wir der Reihe des in unserer Macht Stehenden zuordnen, auf das Minimum zurückzuführen, über das wir direkt und uneinschränkbar verfügen, nämlich gedankliche Annahmen111, Handlungsmotive und das zwar vital gesteuerte, aber von der Vernunft grundsätzlich beeinflussbare Begehren. In Bezug darauf sind wir genau so frei und ohne Gegner wie der göttliche Logos in seiner Welt. Schwierig wird die Sache nur, wenn wir uns im Denken, Handeln und Begehren auf Dinge beziehen, die nicht in unserer Macht sind. Es kommt deshalb alles darauf an, die Unterscheidung zwischen dem, was für uns ist, und dem, was für uns nicht ist, nicht nur einmal richtig zu treffen, sondern auch kontinuierlich durchzuhalten. Alles, was für uns kein Sein hat, weil es nicht in unserer Macht steht, muss aus der Welt unserer freien Bewegung konsequent ausgeschlossen werden. Wir würden sonst einen Partisanen des Nicht-Seienden in uns aufnehmen, der die Welt unserer vernünftigen Freiheit von innen stören und schließlich zerstören würde. Die Elementarsituation des menschlichen Lebens ist das Gegebensein eines empfindungsfähigen, vernunftbegabten Körpers, auf den beliebig viele andere Körper einwirken. Dabei sind ›harte‹ Körper, etwa Schläge eines Anderen oder Befehle eines Mächtigen, für uns ohne Bedeutung, weil wir auf sie nicht einwirken können. Unsere Gestaltungskraft bezieht sich auf die ›weicheren‹ Körper der Vorstellungsbilder. So können und müssen wir die Vorstellungsbilder des Mächtigseins, des Reichtums oder der Lust unter

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unsere Kontrolle bringen, die wie die aggressiven Reklamebilder unserer Zeit mit besonderer Heftigkeit darauf drängen, in das Zentralorgan unserer Lebensführung aufgenommen zu werden. Gegen sie gibt es kein anderes Abwehrmittel, als sie bereits im allerersten Augenblick ihres Wirkens nach den Regeln zu prüfen, die wir in der Elementarstufe des Philosophieunterrichts gelernt und durch wiederholte Übung internalisiert haben. Wir treten ihnen also sofort mit der Frage entgegen: Bist du wirklich das, was du zu sein scheint, oder willst du mich nur dazu verlocken, etwas als ein Gut für mein Leben zu bewerten, das allein schon deswegen kein Gut sein kann, weil ich darüber nicht wirklich verfüge? Die Gestaltungskraft unseres Lebens bleibt nur frei, wenn sie alles von sich abweist, was für sie in den Bereich des Nichtseins gehört, und nur das, was wirklich zu ihr passt, die Grenze zu der von ihr gestalteten Welt passieren lässt112. Hinter diesem Verfahren einer effektiven Grenzkontrolle stehen letztlich der denkbar einfachste Begriff des Guten und der denkbar einfachste Begriff des Wissens. Ein Gut ist für mich nur das, was ich in meiner Macht habe und von dem ich deshalb auch weiß, dass es den Kriterien des allgemein Vernünftigen entspricht. Aus diesem Wissen weiß ich zugleich, was für mich ein Übel ist, nämlich alles, für dessen Besitz ich auf äußere Umstände oder die Mitwirkung anderer angewiesen bin. Das wirkliche Gut besteht einzig und allein in der ihrer selbst bewussten Autarkie, die weiß, dass ihre Schwächung, und sei sie auch noch so gering, immer ein Übel darstellt. Bei Epiktet finden wir gleich am Anfang seines Handbüchleins die Anweisung, den Rahmen, in dem wir uns frei bewegen und auf erreichbare Ziele beziehen können, richtig abzustecken. Wie aber finden wir das, was diesen Rahmen so füllt, dass wir am Verwirklichungsort unseres Lebens glücklich sind? Diese Frage wird zum Abschluss des Stoa-Kapitels im Blick auf einen Text Senecas beantwortet, weil er ein Vorstellungsbild vom höchsten Ziel des Lebens entfaltet, das ganz bewusst auf seine Wirkung beim le-

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senden Betrachter angelegt ist, nämlich so, dass es ins Innere seiner Seele eindringt und damit alle anderen Vorstellungsbilder, die weniger Gutes oder gar Falsches versprechen, daran hindert, ihrerseits im Zentrum der menschlichen Lebensführung wirksam zu sein. 50 · Seneca, Naturales quaestiones I, 1 – 12113 (1) »Der Unterschied zwischen der Philosophie und den übrigen

Wissenschaften (artes), bester Lucilius, ist genauso groß wie derjenige, der innerhalb der Philosophie zwischen dem Teil besteht, der sich auf die Menschen, und demjenigen, der sich auf die Götter bezieht. Die Lehre von den Göttern ist nämlich erhabener (altior), kühner (animosior) und hat sich viel herausgenommen; sie hat sich nicht mit dem begnügt, was die Augen sehen, sondern hat angenommen114 , dass es etwas Größeres (maius) gibt und Schöneres (pulcrius), das die Natur unserem Blick entzogen hat 115 . (2) Kurz, zwischen beiden besteht ein genau so großer Unterschied wie zwischen Gott und Mensch. Der eine Teil lehrt, was auf der Erde getan werden soll (quid in terris agendum sit), der andere, was am Himmel geschieht (quid agatur in caelo). Der eine erschüttert unsere Irrtümer und bringt uns das Licht, mit dem wir die Unsicherheiten des Lebens (ambigua vitae) durchschauen116, der andere steigt weit über die Dunkelheit hinaus, in der wir uns hin- und herwälzen (volutamur)117, entreißt uns der Finsternis und geleitet uns zur Quelle des Lichts. (3) Ich jedenfalls bin der Natur dankbar, wenn ich sie nicht nur so sehe, wie sie sich öffentlich zeigt, sondern in das eingetreten bin, was an ihr verborgen ist (cum secretiora eius intravi), wenn ich verstehen lerne, was die Materie des Weltalls ist, wer ihr Urheber (auctor) und Beschützer (custos), was Gott ist (quid sit deus), ob er sich ganz und ausschließlich zu sich selbst verhält (totus in se tendat) oder manchmal auch uns beachtet; ob er jeden Tag etwas schafft oder Alles auf einmal geschaffen hat,

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ob er ein Teil des Weltalls ist oder das Weltall selbst; ob er auch heute noch Entscheidungen treffen und das Gesetz des Schicksals teilweise aufheben kann, oder ob es eine Minderung seiner Erhabenheit (deminutio maiestatis) und ein Eingeständnis seines Irrtums darstellt, wenn er Dinge geschaffen hat, die verändert werden müssen. Es muss ja dem immer dasselbe gefallen, dem nur das Beste gefallen kann; doch ist Gott deshalb nicht weniger frei und mächtig (potens), ist er doch selbst seine eigene Notwendigkeit 118 . (4) Wenn ich zu solchen Untersuchungen nicht zugelassen wäre, dann wäre es nicht viel wert, geboren zu sein. Was wäre denn ein Grund, mich darüber zu freuen, dass ich zur Anzahl der Lebenden gehöre? Etwa dass ich Speise und Trank verdaue? Dass ich diesen kranken und schwachen Körper voll stopfe, der, wenn dies nicht schnell geschieht, bald verginge, so dass ich lebe wie der Diener eines kranken Herrn. Dass ich den Tod fürchten soll, zu dem wir allein geboren werden? Nimm dies unschätzbare Gut (inaestimabile bonum [die Untersuchung dessen, was der Natur zugrunde liegt] weg, dann ist das Leben es nicht wert, dass ich deswegen schwitze und mich abrackere. (5) Ein wie verächtliche Sache (contempta res) ist doch der Mensch, wenn er sich nicht über das Menschliche erhebt (nisi supra humana surrexerit)! Was leisten wir denn Großartiges, solange wir mit den Leidenschaften (affectus) kämpfen? Selbst wenn wir ihnen überlegen sind, besiegen wir doch nur Scheusale. Welcher Grund besteht, uns zu bewundern, nur weil wir uns von den Schlechtesten unterscheiden? Ich sehe nicht ein, warum sich jemand selbst gefallen sollte, der im Krankenhaus der Kräftigste ist. (6) Es besteht ein großer Unterschied zwischen bei Kräften sein und bei guter Gesundheit sein. Du bist den Lastern (vitia) der Seele entkommen: du erweckst keinen falschen Anschein; deine Rede ist nicht so gebaut, dass sie dem Willen eines anderen folgt; du verstellst dein Inneres nicht; du hast nicht das Laster des Geizes (avaritia) an dir, der

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das, was er allen anderen wegnimmt, nicht einmal sich selbst gönnt, und nicht das der Verschwendungssucht (luxuria), die auf schändliche Weise Geld verliert, um auf noch schändlichere Weise neues zu bekommen; du bist nicht vom Ehrgeiz (ambitio) besessen, der dich nur auf unwürdige Weise nach oben bringt. Und dennoch hast du nichts erreicht. Du bist vielem entflohen, aber dir selbst noch lange nicht. Die Tugend (virtus), die wir suchen, ist die wirklich großartige (magnifica), für die Glückseligkeit nicht darin besteht, vom Übel frei zu sein, sondern die den Geist entfesselt, ihn vorbereitet für die Erkenntnis der himmlischen Dinge und ihn würdig macht, in Gemeinschaft mit Gott zu treten (in consortium deo veniat). (7) Man besitzt erst dann das vollkommene und vollendete dem Menschen zugewiesene Gut, wenn man in der Befreiung vom Üblen das Hohe anstrebt und in das Innere der Natur eingetreten ist (in interiorem naturae sinum venit). Dann ist es eine Freude, unter den Sternen selbst zu wandeln, die Marmorfußböden der Reichen zu belachen und die ganze Erde mit ihrem Gold. Ich meine nicht nur das Gold, das die Erde schon hervorgebracht hat, um zu Münze geschlagen zu werden, sondern auch das Gold, das noch vor dem Geiz der später Geborenen verborgen ist. (8) Man kann nicht eher Säulengänge, vor Elfenbein schimmernde Decken, beschnittene Wälder und in die Häuser umgeleitete Flüsse verachten, wenn man nicht das ganze Weltall umschritten hat (quam totum circumiit mundum) und von oben auf den Erdkreis herab blickt, der eng ist und größtenteils vom Meer bedeckt, aber auch in dem Teil, in dem er darüber hinausragt, hier verbrannt und dort vereist ist, und dann zu sich selber sagt: das ist der Punkt, der mit Schwert und Feuer unter so viele Völker aufgeteilt ist?119 (9) O wie lächerlich sind die Grenzen der Sterblichen? Der Daker soll den Ister nicht überschreiten, der Thraker sein Reich mit dem Haimos begrenzen, die Parther soll der Euphrat hindern, die Donau soll sarmatisches und römisches Land scheiden, der Rhein soll Germaniens Grenze

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bilden, die Pyrenäen zwischen Gallien und Spanien ihren Rücken erheben, und eine unfruchtbare Sandwüste soll zwischen Ägypten und dem Äthioperland liegen! (10) Gäbe jemand Ameisen den Verstand des Menschen (intellectum hominis), würden sie dann nicht den Boden einer Tenne in viele Provinzen einteilen? Wenn du zu jenen wahrhaft hohen Orten aufsteigst und Heere mit fl iegenden Fahnen dahinziehen siehst und, als geschähe etwas Großes (quasi magnum), Reiterei, die bald die Nachhut deckt, bald die weitere Umgebung durchstreift, bald die Flanken umschwärmt, wirst du da nicht jedes Mal begeistert ausrufen: ›Schwarz dort wallt auf den Fluren das Heer‹?120 Dabei ist es nur das Gewimmel von Ameisen, die auf engem Raum kämpfen. Was ist der Unterschied zwischen diesen und uns außer der Winzigkeit ihres Körpers? (11) Das ist doch nur ein Punkt, auf dem ihr zu Schiffe fahrt, auf dem ihr Krieg führt, auf dem ihr Königreiche einrichtet, die eine geringe Größe haben (minima), selbst wenn der Ozean sie von beiden Seiten umringt. Oberhalb (sursum) befinden sich unermessliche Räume (ingentia spatia), deren Besitz eurem Geist gestattet ist, wenn er sich nur ein wenig aus seinem Körper entfernt und dann aufglänzt, weil er allen Schmutz weggeworfen hat, ohne Gepäck ist und leicht, da zufrieden mit Mäßigem. (12) Wenn der Geist jene Räume berührt hat, nährt er sich daran, wächst und kehrt, wie von Fesseln befreit, in den Ursprung zurück (in originem redit) und hat als Beweis eigener Göttlichkeit (argumentum divinitatis suae), dass ihn das Göttliche erfreut, und zwar nicht wie bei der Verbindung mit Fremdem, sondern wie im Zusammensein mit dem Eigenen. Heiter erblickt der Geist Untergang (occasus) und Aufgang (ortus) der Gestirne und ihre so vielfältigen und dennoch zusammenstimmenden Bahnen (diversas concordantias vias). Er beobachtet, wo jeder Stern sein Licht zuerst der Erde sichtbar macht, wo der Höhepunkt seiner Lauf bahn ist und wie tief er von da aus absteigt. Als neugieriger Beobachter (curiosus spectator) erforscht und untersucht er das Einzelne. Warum sollte er

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das auch nicht tun? Er weiß, dass all dies zu ihm gehört (ad se pertinere). (13) Jetzt sieht er auf die Enge seiner vorherigen Behausung herab. Wie klein ist doch der Raum zwischen den Küsten Spaniens und denen der Inder? Nur wenige Tagereisen weit, wenn der richtige Wind das Schiff antreibt. Jene Himmelsregionen aber bieten dem schnellsten Gestirn, das nie rastet und immer gleich schnell dahinfliegt, für dreißig Jahre Bahn121. Hier endlich lernt der Geist, was er so lange gesucht hat; hier beginnt er, Gott zu erkennen (nosse). Was ist Gott? Der Geist des Weltalls (mens universi). Was ist Gott? Alles, was du siehst und alles, was du nicht siehst. Dann erst gewinnt Gott die ihm zukommende Größe (magnitudo), im Vergleich mit der nichts Größeres gedacht werden kann (qua nihil maius cogitari potest). Darin ist er allein Alles (solus est omnia) und derjenige, der sein Werk von innen und außen zusammenhält (opus suum et intra et extra tenet).« Das zentrale Frage, die Seneca (4 – 65 n. Chr.) in der Vorrede zu seinen Naturales quaestiones, also zu einem Werk beantworten will, das vom Thema her eindeutig der Physik zuzuordnen ist, lautet: Was ist wirkliche Tugend (virtus)? Die einzige quid-sit-Frage, die dort explizit auftritt, lautet ebenso auffällig: Was ist Gott? Erst die Ausführungen, die der Vorrede folgen, gehören in den Zusammenhang der Physik, wobei das erste Buch, dem unser Textauszug als Prooemium voransteht, dem ›künstlerischen Feuer‹ und seinen verschiedenen Phänomenen gewidmet ist, was einige Manuskripte durch die Hinzufügung von Titeln wie de discurrentibus ignibus, de ignibus caelestibus oder de ignibus in aere auch direkt zum Ausdruck bringen. Die alte Stoa wollte über die Physik zur Theologie und damit zugleich zur Ethik kommen. Diese Intention nimmt Seneca auf, wobei sein Gottesbegriff allerdings so formuliert ist, dass sich darin auch ein nicht allzu strenger Platoniker oder Aristoteliker wiederfinden kann. Die spezifisch stoische Auffassung, dass Gott Materie ist und als materielle Bewegung alle

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andere Materie durchdringt, wird jedenfalls zugunsten eines Begriffs von Gott als dem Herrn über die Materie und über das von ihm geschaffene Weltall abgeschwächt. Der Text arbeitet an seinem Beginn mit einer Dihairese, die mit einer qualitativ aufgeladenen Grundunterscheidung innerhalb der Formen des menschlich-wissenschaftlichen Könnens (artes) beginnt und darin die Philosophie als die beste von allen übrigen artes abtrennt. Nach derselben Regel wird die Philosophie im Blick auf ihre alte Definition als Erkenntnis der göttlichen und menschlichen Dinge122 in die Disziplinen Physik und Ethik unterteilt. Innerhalb der Physik ist das Beste die Physikotheologie, die sich dem nicht sichtbaren göttlichen Grund und damit den ›inneren Geheimnissen‹ der Natur zuwendet. Die ›schlechteren‹ Teile der Physik untersuchen dagegen die sichtbaren Phänomene der Natur (Meteorologie, Astronomie, Geographie). Innerhalb der Ethik ist das Beste die Lehre von der virtus magnifica, bei der es um die Vervollkommnung des menschlichen Lebens geht, das Schlechtere die Lehre von den normalen Tugenden, die uns sagen will, was wir ›auf der Erde‹, also in unserem sozialen Umfeld zu tun haben. Die Teile, die in diesen Dihairesen als die besseren gelten, verkörpern die Einheit des in Wahrheit Guten, wobei die Unterscheidung zwischen dem Besten und dem Schlechteren ihren letzten Grund in derjenigen zwischen göttlicher und menschlicher Wirklichkeit findet. Philosophie ist im Kern Physikotheologie und ineins damit Lehre vom vollkommenen menschlichen Leben. Und dies besteht darin, die spezifisch menschlichen Komponenten der eigenen Natur abzustreifen, um mit der göttlichen identisch zu werden. Die übrigen artes, die normale Physik und die normale Ethik, sind demgegenüber nicht gerade nichts, aber doch nur eine kleine, nicht besonders beachtliche Vorstufe zu dem, worauf es beim Verstehen der Wirklichkeit und der Gestaltung des eigenen Lebens ankommt. Seneca will seinem Freund Lucilius123 , dem er nicht nur diese Schrift, sondern auch seine Epistulae morales und den Dialog De

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providentia gewidmet hat, klar machen, dass die Ethik, die ihm als Lehre von den menschlichen Angelegenheiten schon vertraut ist, in eine physikotheologische Gestalt überführt werden muss, wenn sie denn als ars optima das Gut herstellen soll, das für das menschliche Leben sowohl das höchste als auch das absolut notwendige Gut bedeutet. Ohne dieses Gut könnte ihm nur der Stellenwert einer contempta res zukommen (5). Die normale Ethik gleicht der Logik, die im Text Senecas als eigene philosophische Disziplin nicht angesprochen wird, darin, dass sie lediglich das Fehlverhalten korrigiert, zu dem wir tendieren, wenn wir unser Leben im Blick auf die Wirklichkeit führen, in der wir geboren sind. Der Ort unserer Geburt ist, in kosmologischer Perspektive gesprochen, die Erde, also der sublunare Bereich des Weltalls. Anders als dessen caelestischer Teil ist sie der Inbegriff des Dunklen und der Finsternis. Wenn man dieses Bild in seiner ganzen Schärfe aufnimmt, dann sieht man sogleich, dass ein Leben, das sich nur im Rahmen der irdischen Wirklichkeit bewegt, jeder qualifizierten Orientierungsmöglichkeit entbehrt und deshalb als Inbegriff der miseria zu beschreiben ist124 . Dort geht es allenfalls um das bloße Überleben unter elementaren Knappheitsbedingungen wie Hunger, Krankheit und Tod125 oder um den Kampf gegen die erdnahen Kräften des Begehrens und die mit ihnen verbundenen Leidenschaften, wie Habsucht, Verschwendungssucht und Ruhmsucht. Unser Lebensort gleicht dann allenfalls einem Krankenhaus, in dem die normale Ethik der Arzt ist, der uns zeigt, wie wir die Kräfte, die unsere Krankheiten verursachen, schwächen und schließlich bändigen können. Zugleich kann die Ethik unseren Blick in diagnostischer Absicht auf die ambigua und damit auf die Rahmenbedingungen lenken, die unser Leben beengen, verfinstern oder bedrohen. Alles das hat aber mit dem Glück unseres Lebens noch nichts zu tun. Freiheit von Krankheit ist nur für den Erkrankten ein Gut. Aber weil es kein Gut ist, krank zu sein, kann das Gute nach platonischer Vorgabe nicht in der Freiheit vom Übel, sondern nur in der Fülle des Guten bestehen126.

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Wirklich erstrebenswert ist deshalb die virtus magnifica (6), der es weder um Lebenserhaltung noch um die Freiheit von Übeln geht, sondern um die höchste Steigerung des menschlichen Selbst. Durch unser Geborensein und durch die Einflüsse der soziokulturellen Umwelt wird unser Leben auf Individualität ausgerichtet, darauf, dass es sich auch unter Schwierigkeiten und im Zusammenleben mit anderen als feste Größe erhält und behauptet. Wenn das Leben des Miteinanderagierens von Individuen oder von sozialen Verbänden grundsätzlich durch Grenzen bestimmt ist, etwa durch das Geschlecht, die Begabung, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Familie oder einer ethnischen Gruppe, dann erfordert die Steigerung zu wirklicher Größe eine konsequente Entindividualisierung, die alle Grenzen sprengt, die das Leben einer wie auch immer gearteten Individualität prägen. Seneca beschreibt diese Entgrenzung der Seele ganz nach dem Modell des platonischen Höhlengleichnisses als Abfolge von Entfesselung, Aufstieg zum und Verbundensein mit dem Größten überhaupt, nämlich dem göttlichen Prinzip aller Wirklichkeit, das von vornherein keine individuellen Grenzen und Schranken an sich hat. Diese Aufstiegsbewegung ist deshalb mit einer zweiten, nämlich der endlich gelungenen Geburt vergleichbar, so dass allein ihr die Bewegung des kontinuierlichen Wachstums folgen kann. Sie setzt offensichtlich unmittelbar nach der Befreiung von den Fesseln des individuellen Lebens ein und entfaltet sich dabei auf einen Zustand hin, in dem das Wachstumspotential, das von der Natur in der menschlichen Seele angelegt ist, seine Erfüllung findet. Dabei wird nach dem Vorbild der Erosphilosophie Platons127 der Bedeutungs- und Wirklichkeitsraum, auf den sich die menschliche Seele in ihrer Lebensführung bezieht, von der minimalen Größe eines punctum über die spatia ingentia der caelestischen Welt (11) bis hin zu der Größe erweitert, der gegenüber Größeres nicht gedacht werden kann (13). Da natürliches Wachstum und Ernährung eine Einheit bilden, hängt die Größe der Seele davon ab, wie groß die Wirklichkeit ist, die sie so berührt, dass sie das darin enthaltene

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Gute durchdringt und als stärkende Nahrung in sich aufnimmt128 . Ihr natürliches Ziel findet diese Entgrenzungsbewegung in der Identifikation mit der Selbstbewegung des göttlichen Logos, der als mens universi der Urheber (3: auctor) und Beschützer (3: custos) der Welt sein Werk »von innen und außen« als absolute Einheit ›zusammenhält‹ (13). Die menschliche Seele, die mit der Grund- und Erhaltungskraft der Gesamtnatur in Gemeinschaft getreten ist, hat in einer Art eigenständiger Ekpyrosis oder Katharsis alle Schwere, die aus ihrer Verbundenheit mit terrestrischer Materie resultiert, hinter sich gelassen, und damit die Leichtigkeit angenommen, die dem Feuer oder dem feurigen Atemhauch und damit dem materiellen Substrat des caelestischen Teils der Welt zukommt. Als Leuchtkörper unter Leuchtkörpern kann sie anders als die Gestirne und Planeten sogar bis zur Peripherie des Weltalls vordringen und damit in das reine, göttliche Feuer übergehen, das mit seiner Eigenbewegung das Ganze des Weltalls gegen die Dunkelheit des Nicht-Seins begrenzt und zugleich von innen strukturiert. Die Identifikation mit der göttlichen Kraft der Begründung und Erhaltung der Welt bedeutet für die menschliche Seele nicht die Versetzung an einen ihr fremden Lebensort, sondern die Rückkehr in ihren eigenen Ursprung (12). Sie soll sich deshalb an den Gedanken gewöhnen, dass ihr wirklicher Lebensort nicht derjenige ist, an dem sie in der Verbindung mit einem bestimmten Körper geboren wird, sondern derjenige, von dem her sie und alle anderen körperhaften Gebilde der Natur ihr Bestehen und ihre Lebendigkeit haben. Für den Menschen sind der Ort seiner Geburt als Individuum und der seines wirklichen Ursprungs die beiden Bereiche des Weltalls, die sich in ihrer maximalen räumlichen Distanz wie das Kleinste und das Größte gegenüberstehen. Ihr wirkliches Größenverhältnis lässt sich nur aus der Perspektive des totum richtig bestimmen, mit dem die Seele durch ihre Rückkehr in den Ursprung aller Wirklichkeit wie mit ihrem natürlichen Besitz verbunden ist. Im Leben, das allein auf den Ursprung aller,

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einschließlich ihrer eigenen Wirklichkeit bezogen ist, wird sie als Bewohner der caelestischen Welt ganz von selbst zu deren curiosus spectator, der sein Glück darin findet, die Bewegungsbahnen der Himmelskörper zu beobachten und zu durchdenken. Aus der Perspektive dieses Ortes schrumpft derjenige des körperlich konkreten Lebens zwangsläufig zu dem punctum zusammen, das er im Gesamtverband des Weltalls tatsächlich ist, während er aus der Perspektive der terrestrischen Welt das totum zu sein scheint. Ziele, die aus der Perspektive eines punctum als Güter bewertet werden, bilden deshalb nur das Scheingut eines quasi magnum. Ein individuell begrenztes Leben, das es nicht gelernt hat, sich im Blick auf das wirkliche totum zu relativieren, sondern alle Energien des Denkens, Handelns und Begehrens auf einen bestimmten Teil des punctum richtet, tendiert deshalb zur Verabsolutierung seiner selbst und damit zum bellum omnium contra omnes, was Seneca im Bild der auf engem Raum hin- und her- und damit unvermeidlich gegeneinander laufenden und deshalb mit dem Gewimmel von Ameisen verglichenen Heeren unmissverständlich andeutet (10). Notwendige Vorbereitung dafür, den Unterschied zwischen der punktuellen Größe des individuellen und der absoluten Größe des allgemeinen Lebens richtig einschätzen und daraus die notwendigen Konsequenzen ziehen zu können, ist das Studium der Physik, und zwar des Teils von ihr, der sich dem Inneren der Natur zuwendet (6). Dort wird erfahren und wissenschaftlich verarbeitet, was der Unterschied zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem in der Natur bedeutet, so dass man von daher auch lernt, warum das Verborgene an ihr gegenüber dem, was öffentlich sichtbar wird, als dessen Prinzip das Bessere ist. So führt die Physik zur einer ganz offensichtlich von Heraklit vorgegebenen Theologie, für die Gott in einzigartiger Weise Alles ist, weil er die Einheit dessen darstellt, was an der von ihm begründeten Natur das Sichtbare und was als ihr kreatives Prinzip das Nicht-Sichtbare ist. Trotz der evidenten Tatsache, dass der Text Senecas der Struktur platoni-

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schen Denkens folgt, ist der Ort, an dem für ihn die menschliche Seele mit dem göttlichen Grund der Natur verbunden ist, kein gegenüber dem Kosmos selbständiger Ort, wie die aristotelische Theologie ihn für die göttlich-unbewegte Wesenheit beansprucht. Ebenso wenig ist er der originäre Nicht-Ort jenseits von Wesenheit, aus dem für Platon alles hervorgeht, was überhaupt ›Wesenheit‹ ist. Der privilegierte Ort Senecas, an dem die beiden großartigsten Bewegungen, das ›Umkreisen der Welt‹ und das ›Eindringen in ihre verborgensten Geheimnisse‹, ineinander übergehen, bleibt vielmehr ein Ort ›innerhalb‹ der Welt. Michel Foucault hat deshalb zu Recht betont, dass Seneca anders als Platon die Seele nicht dazu anhalten will, »eine andere Wirklichkeit zu erblicken« und sich dadurch von der Welt, der ihr Auge ›normalerweise‹ zugewandt ist, zu »lösen«. Der Blick auf den Quellgrund des Guten bleibt bei Seneca vielmehr ein Blick auf den Zusammenhang der Natur, der das daran Sichtbare aus der Perspektive dessen bewertet, was an ihr das Verborgene ist, obwohl es in der Natur nichts gibt, was dem an ihr Sichtbaren näher sein könnte als das, was sich dem gewöhnlichen Blick verbirgt129 . Das Individuum soll auf diese Weise den eigenen Lebensort im Zusammenhang des Kosmos so einordnen, dass es sein Leben, das äußerlich betrachtet nur die Raum- und Zeitgröße eines punctum einnimmt, als etwas Bestimmtes und in sich Geordnetes verstehen kann, das mit der Gesamtkraft des göttlichen Logos in einer direkten Verbindung steht130. Senecas Text ist eine exemplarische ›geistige Übung‹. Er vermittelt keinen bestimmten Lehrgehalt, sondern will zu einem besonderen Blick auf das eigene Leben anhalten, bei dem das ›Gesehene‹ als Norm des Denkens und Handelns wirksam wird. Seneca arbeitet deshalb mit Bildern, die dem Elend des bloß auf sich bezogenen die Großartigkeit des vom göttlichen Grund der Natur bestimmten Lebens gegenüberstellen. Diese Bilder gehören zu einer bestimmten, für die Kultur seiner Zeit besonders charakteristischen meditativen Übung, bei der es darum geht, die Wirklichkeit aus der Perspektive eines zum Maximum gestei-

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Prinzipienreflexion in der Zeit nach Aristoteles

gerten ›Vogelflugs‹ zu betrachten131. Die Gegenüberstellung ›elender‹ und ›großartiger‹ Bilder rechnet damit, dass die menschliche Seele nur das Leben affektiv besetzt und somit will, das sie als ›groß‹ empfindet. Der Text wendet sich nicht an diejenigen, die das Leben des Lasters führen oder vom Streben nach Reichtum oder politischer Macht bestimmt sind. Vielmehr will er diejenigen ansprechen, die den Kampf gegen die Laster der luxuria, der avaritia und der ambitio bereits hinter sich haben und deshalb dabei sind, auf diesen Erfolg eine neue Form von Stolz zu entwickeln. Die Größe des tugendhaften Lebens muss deshalb wieder so dargestellt werden, dass es klein und niedrig gegenüber der Größe des Lebens erscheint, das sich im Denken und Handeln auf die natura rerum und auf das Prinzip ihrer vernünftigen Ordnung bezieht. Insofern lädt der Text dazu ein, vor sich zu sehen, was dem körperlichen Auge unsichtbar bleiben muss, und das, was diesem erreichbar ist, als das Kleine einzuschätzen, an das sein Leben nicht bindet, wer ein in Wahrheit gutes Leben führen will. Aus diesem psychagogischen Grund entfaltet der Text ein attraktives Vorstellungsbild des in Wahrheit Guten, das sich aufgrund der in ihm enthaltenen ›Großartigkeit‹ in das Zentrum einer Seele eindrückt, die es gelernt hat, ihre Disposition zum Denken und Handeln auf die Größe des göttlichen Grundes aller Wirklichkeit einzustellen, so dass dieser für sie zum Prinzip ihrer Lebensführung wird. Man kann deshalb auch sagen, dass die Texte der spätantiken Stoa (Epiktet, Seneca, Marc Aurel) dazu beitragen wollen, die Prinzipienreflexion so direkt wie möglich im Erfahrungsraum der individuellen Lebensgestaltung zum Tragen zu bringen.

Die Atomistik Epikurs

B

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Die Atomistik Epikurs als ethisch fundierter Naturalismus und prinzipientheoretischer Minimalismus

1.

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Die nicht-theologische Prinzipientheorie der atomistischen Physik

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Im Kontext der antiken Philosophie ist die Atomistik ein ganz besonderer Fall und, wenn man ihren Anspruch verstanden hat, eine Provokation für alle ihre Konkurrenten. Obwohl sie die Prinzipien der Wirklichkeit traditionskonform im Bereich dessen sucht, was in der Natur des Seienden »verborgen« ist132, gilt hier der Kosmos nicht als singuläre, in sich vollkommene, begrenzte und von daher göttliche Wirklichkeit, sondern als kontingente und sogar im Plural auftretende Größe133 . Das Ganze des Seins beruht allein auf der Bewegung unbestimmt vieler Masseteilchen in einem unbegrenzten Raum, in dem alles Mögliche entsteht und auch wieder vergeht, aber nichts wirklich dauerhafte Gestalt annimmt. Der verborgene Grund der rerum natura ist kein Zusammenhang vernünftiger Ursachen, sondern eine variable Relation zwischen elementarer Körperhaftigkeit und räumlicher Leere. Von daher ist er auch nicht die normative Vorgabe für das gute Leben im Sinne der klassischen Ethik. Die Begründer der Atomistik sind Leukipp aus Milet, dessen Lebensdaten so schwer zu rekonstruieren sind, dass man sich normalerweise mit der Benennung des 5. Jahrhunderts v. Chr. begnügt, und der etwas jüngere Demokrit aus Abdera134 . Beide gehören in die Spätphase der jonisch-vorsokratischen Naturphilosophie. Dabei ist nach einer bei Cicero überlieferten Formel Leukipp derjenige, der zuerst »das Volle und das Leere« als Prinzipien aller Dinge angesetzt, und Demokrit derjenige, der diese Vorgabe reichhaltiger ausgearbeitet hat135 . Für Platon war die Atomistik ein honoriger, wenn auch vor allem im Timaios konstruktiv mit einem Konzept idealer, mathematisch ableitbarer Raumkörper bekämpfter Gegner. Auch Aristoteles hat die Atomistik geschätzt, weil sie

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für die Prinzipien des Seienden nach einer begrifflichen Bestimmung gesucht hat, die »mit der sinnlichen Wahrnehmung übereinstimmt« und »weder das [sinnenfällige] Werden und Vergehen noch die Bewegung oder die Vielzahl dessen, was ist, aufhebt.« Für ihn endet diese Suche allerdings in einem logisch nicht überzeugenden, nämlich einem gleichsam auf den Kopf gestellten, mehrfach in sich verdrehten Eleatismus. Aus dem Satz des Parmenides, dass es »Bewegung ohne Leeres nicht geben könne«, wird durch den Hinweis auf die unstrittige Wahrnehmung von Bewegung der anti-eleatische Lehrsatz abgeleitet, dass auch das Leere ist. Wenn es trotzdem als Nicht-Seiendes bezeichnet wird, steht dahinter die parmenideische Identifikation des im eigentlichen Sinne Seienden (τ κυρ ως 6ν) mit dem »ganz und gar vollen Sein (παμπλAρες 6ν)«, das dann aber anders als bei den Eleaten nicht eines, sondern unbestimmbar vieles ist. Die Vielheit des in sich vollen Seins unsichtbarer Einheitskörper bewegt sich »im Leeren« so, dass diese Körper aufeinander wirken, wobei ihr Zusammentreten das Entstehen und ihr Auseinandertreten das Untergehen sichtbarer Körpern zur Folge hat136. Wenn Leukipp und Demokrit »das Volle (τ πλAρες) und das Leere (τ κενν)« als die Prinzipien (στοιχε$α) der Natur definieren und dabei »das Volle und Harte (τ στρεον) für das Seiende, das Leere und Lockere dagegen für das Nichtseiende erklären«, dann können sie das logische Paradox vom Sein des Nichtseienden nur durch die anti-eleatische Behauptung unterlaufen, »dass das Seiende um nichts mehr existiere als das Nichtseiende«, wie ja auch »das Leere um nichts weniger existiere als der Körper137.« Zur aristotelischen Kritik kann man die nötige Distanz gewinnen, wenn man zunächst einmal darauf achtet, was die Atomistik vom Grundsatz her will und wie sie diesen Willen in der methodischen Anlage ihrer Prinzipientheorie zum Ausdruck bringt. Die Natur soll so verstanden werden, dass man dafür keine problematischen Entitäten, wie etwa intelligible Größen oder gar mehr oder weniger komplexe Verhältnisse zwischen ihnen, ins Spiel

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bringen muss. Von daher ist die Atomistik darauf verpflichtet, ein konsequenter Naturalismus zu sein. Die Natur hat keinen anderen Grund als die Pluralität unteilbar-einfacher korpuskularer Einheiten. Sie können aufgrund ihrer Kompaktheit keinen leeren Raum enthalten, während das Leere dafür, dass es solche Körper überhaupt gibt, die zwingende Voraussetzung darstellt. Wenn es nur eine einzige Art des wahren Seins gibt, nämlich das der kompakten Urkörperchen138 , dann kann der leere Raum, in dem sie auftreten, nicht in demselben Sinne Sein haben wie die atomaren Partikel. Da Körper nur den Raum einnehmen können, der von körperhaftem Sein frei ist, bedeutet das Sein eines Körpers immer zugleich das Sein einer Leere, die jeder Körper besetzen muss, wenn er überhaupt ist. Die Atomistik behauptet also nicht einfach das Sein des Nichtseins, sondern die logische Gleichursprünglichkeit der beiden Prinzipien des Vollen und des Leeren. Das Leere ist für sie kein mysteriöses Nicht-Sein außerhalb des Kosmos oder das gänzlich Undenkbare, sondern die elementare Voraussetzung für das von niemandem bezweifelte Vorhandensein raumfüllender Körper. Da die unbestimmbare Vielheit des Vollen im unbestimmbar Großen des Leeren nur als Bewegtsein gedacht werden kann139 , erübrigt es sich, für das Sein von Bewegung eine causa efficiens, eine causa finalis oder eine causa formalis anzugeben. Körperhaftigkeit, Leeres und Bewegung bilden in begrifflicher Hinsicht die Einheit eines unteilbaren Kontinuums, so dass man auch in erkenntnistheoretischer Hinsicht sagen kann, dass die Atomistik dem parmenideischen Prinzipienbegriff der Einheit eine neuartige Fassung gibt140. Da Bewegung als solche keinen besonderen Grund hat, sondern gleichursprünglich mit der Gleichursprünglichkeit von Leerem und Vollem gegeben ist, beruhen alle konkreten Bewegungen und das, was sie bewirken, auf Zufall. Bewegungen sind grundsätzlich Ortsbewegungen. Teleologische Bewegungen, in denen eine vorgegebene Qualität zu ihrer Vollendung kommt, oder Bewegungen, die aufgrund ihrer absoluten Kontinuität und Einfach-

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heit schon in sich vollendet sind und deshalb auch eine vollkommene Ursache haben müssen, gibt es nicht. Alles Sein ist und bleibt ›Körper‹, und körperhaftes Sein unterliegt insgesamt der Kategorie der Quantität sowie der Grundform des Werdens. Unvergänglich sind nur die Urkörperchen, das Leere, die Bewegung und die allgemeinen Gesetzmäßigkeiten, die dem Entstehen und Vergehen konkreter Körper zugrunde liegen. Mit dem Willen zum Naturalismus ist der Wille zu einem methodologischen Minimalismus wesentlich verbunden. Jede prinzipientheoretische Reflexion ist ein riskantes Unternehmen. Um diese Risiken zu minimieren, setzt die Atomistik nur das als prinzipielles Sein an, was unbedingt notwendig ist, um das unbestreitbar gegebene Sein bewegter Körper überhaupt denken zu können. Alles, was darüber hinausgeht, ist eine unzulässige Ausschmückung der Natur. Aus diesem Grund vermeidet es die Atomistik, wie etwa Empedokles auf der prinzipientheoretischen Ebene ›Sein‹ in den Kategorien der Qualität (Feuer, Luft, Wasser, Erde) und der Quantität (vier Elemente) auszusagen oder wie Platon dem Sein materieller Urkörper bestimmte stereometrische Gestalten zuzuordnen141. Erst recht weigert sie sich, Unkörperliches als Prinzip für körperhaftes Sein anzusetzen. Dahinter steht die erkenntnistheoretische Voraussetzung, dass sich wirklich naturhaftes Sein in einfacher Weise aus sich selbst bekundet, während es von dem, was ein ›Zusatz‹ zu körperhafter Einfachheit ist, kein von sich selbst her sicheres Wissen geben kann142. Vor allem unter dem Aspekt der Prinzipiensparsamkeit wird die Atomistik zum methodologischen Vorbild für die modernen Naturwissenschaften, die ihre Deutungsmodelle für bestimmte Gesetzmäßigkeiten so aufbauen, dass in dem, was beschrieben werden soll, nicht schon das Gegebensein substantieller Qualitäten vorausgesetzt ist143 . In der folgenden Darstellung steht Epikur im Zentrum. Er knüpft an die Grundvorstellungen der alten Atomistik an und gibt ihnen eine neue, primär von der Ethik bestimmte Nuancierung. Dabei versteht er die Natur wie Leukipp und Demokrit als Inbe-

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griff des Gewöhnlichen, so dass es unsinnig wäre, sie als Ganze oder besondere Phänomene von ihr mit Affekten wie Furcht, Hoffnung oder Freude zu besetzen. Die Natur folgt ausschließlich ihren eigenen Regeln, die keine andere Bedeutung haben als ihren Vollzug, so dass es Torheit wäre, darin die Vernunft oder den Willen göttlicher Wesen erkennen zu wollen. Unter diesem Aspekt gehört die Atomistik in eine Bewegung der ›Aufklärung‹, sofern man darunter die Befreiung des menschlichen Lebens zu sich selbst in der ihm eigenen Endlichkeit versteht. Da auch das Denken wie in der Stoa eine materielle Bewegung oder eine unmittelbare Reaktion auf sie darstellt, ist die atomistische Erkenntnistheorie sensualistisch-empiristisch. Von dem, was in der jeweiligen materiellen Wirklichkeit außerhalb von uns die feinsten Teilchen sind, gehen Bewegungen aus, die auf unser materiell strukturiertes und deshalb ebenfalls in sich bewegtes Sensorium treffen. Von dort werden die Eindrücke dieser Teilchen an ein materiell verfasstes Denkvermögen weitergeleitet und von ihm, wenn wir es nicht durch die willkürliche Hinzufügung eigener Phantasieprodukte stören, so geordnet, wie es dem Sein, von dem wir diese Eindrücke empfangen, tatsächlich entspricht. Eindrücke, die wir von den Dingen der Natur erhalten, sind aus sich heraus ›wahr‹. Lediglich unsere Urteile darüber können falsch sein. Falsch werden sie auf jeden Fall dann, wenn das Denken, wie dies aus atomistischer Sicht in den prinzipientheoretischen Konkurrenzunternehmen geschieht, als eine für sich selbständige ›Kunst‹ auftritt, oder dadurch, dass es sich von unangemessenen Ängsten und Hoffnungen bestimmen lässt. In beiden Fällen bedeutet das die Entfernung vom einfachen Sein der Natur und damit die Unmöglichkeit, die Übereinstimmung mit der Natur zu finden, die für das menschliche Leben den Zustand des Glücks verbürgt. Epikur (341 – 270)144 stammt aus einer alten Athener Familie. Seine Eltern waren als Kolonisten nach Samos gegangen, das damals zum Herrschaftsgebiet ihrer Polis gehörte. Dort war ihr Sohn schon früh mit Grundzügen platonischer Philosophie ver-

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traut gemacht worden. Später wurde er im kleinasiatischen Teos von Nausiphanes, Schüler Demokrits und Freund des Skeptikers Pyrrhon von Elis, in die Philosophie der Atomistik eingeführt. Während seines Militärdienstes (323 – 321) in Athen hatte er Kontakt zur Akademie und zum Peripatos, so dass er mit der aristotelischen Kritik an der atomistischen Physik vertraut gewesen sein muss, auch wenn Aristoteles selbst zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in Athen gelebt hat. Die Polis, die nach dem Tod Alexanders d. Gr. vergeblich versucht hatte, ihre Selbständigkeit wieder zu gewinnen, verlor nach der Niederlage im Lamischen Krieg auch die Herrschaft über Samos. Epikur ging daraufhin nach Kleinasien. In Lampsakos am Hellespont hat er nach einem ersten Versuch in Mytilene auf Lesbos eine Schule gegründet, die von einem großen Kreis wohlhabender Freunde finanziell gestützt wurde145 . Im Jahre 306 konnte er als Bürger in Athen ein Grundstück erwerben, den berühmten ›Garten (κAπος)‹ in unmittelbarer Nachbarschaft zur platonischen Akademie, und nach dem schon in Lampsakos praktizierten Finanzierungsmodell für seine Unterrichtszwecke nutzen. Dabei ging es ihm um ein Kontrastprogramm zu den anderen philosophischen Schulen, nämlich um die Verlagerung des Schwerpunkts philosophischer Tätigkeit von der Forschung auf die Lehre und innerhalb der Lehre um eine Bevorzugung der Ethik gegenüber der Physik und der Logik. Die Ethik sollte den Einzelnen in die Lage versetzen, in der Distanz zu den irritierenden und komplizierten Welten der Politik und der wissenschaftlichen Forschung gemeinsam mit anderen ein von Angst, Sorge und Aufregung weitgehend entlastetes und insofern als glücklich zu bezeichnendes Leben zu führen. Zu dieser Lebensform sollte jeder unabhängig von seiner Geschlechtszugehörigkeit, seinem rechtlichen Status und seinem Bildungsstand Zugang haben, so dass im ›Garten‹ Epikurs auch Frauen und Sklaven willkommen waren146. Die Primärmotivation für die Teilnahme am Leben im Kepos war nicht das Interesse an wissenschaftlicher Forschung, sondern die Überzeugung, in Epikur den richtigen Seelenarzt und

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einzig vertrauenswürdigen Führer zum guten Leben gefunden zu haben147. Wissen um seiner selbst willen, für die klassische griechische Philosophie das höchste Gut, galt im ›Garten‹ Epikurs als ein Übel, das den Menschen von seinem Verbundensein mit der Natur entfernt. Von daher spielten auch Fragen der Logik und Dialektik im philosophischen Unterricht eine eher untergeordnete Rolle148 . Sogar die Physik hatte nur den Rang eines Medikaments, das die menschliche Seele von ihren Ängsten befreien und dadurch in den Zustand beständiger Lust versetzen sollte149 . Philosophie wird auf diese Weise zu einer ›geistigen Übung‹, deren Ziel aber nicht wie bei den Stoikern in der maximalen inneren Anspannung der Seele besteht, sondern in einer Entspannung, die mit Begriffen wie ›Freude‹ und ›Seelenruhe‹ umschrieben wird150. Epikur hat neben einer Fülle umfassender Darstellungen zur Naturphilosophie und zur Ethik sowie kritischen, gegen andere Philosophen gerichteten Schriften151, von denen im besten Fall Fragmente überliefert sind, erstmals in der Geschichte der Philosophie Lehrbriefe an seine Schüler und katechismusartige Thesentexte verfasst, die seine Anhänger auswendig zu lernen hatten. Vollständig erhalten sind davon die Briefe an Herodot (Schüler Epikurs wohl schon in Lampsakos), der die Grundzüge der Physik enthält (= DL X 35 – 83), an Pythokles (Schüler bereits in Lampsakos) über »Erscheinungen am Himmel« (= DL X 84 – 116) und an Menoikeus (wahrscheinlich erst in Athen Schüler Epikurs), der sich der Ethik zuwendet (= DL X 122 – 133). Erhalten sind ferner die Hauptlehren (κ!ριαι δξαι = Ratae sententiae), die Epikurs Philosophie zusammenfassen (= DL X 139 – 154)152. Als Adressaten solcher Texte werden am Anfang des Briefes an Herodot diejenigen genannt, »die nicht imstande sind, … alles, was wir zum Thema Über die Natur aufgezeichnet haben, sich im einzelnen klar zu machen oder die wichtigsten darüber verfassten Bücher durchzuprüfen«. Gleichzeitig sollen aber auch die »vollendet Wissenden« »einen Aufriss des gesamten Systems« erhalten, »damit sie die

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Erinnerung wenigstens an die umfassendsten Lehrsätze zureichend festhalten« (ad Her. 35). Für sie wird »das gesamte Schema« physikalischer Lehren ›auf Grundsätze reduziert‹153 , weil es »nicht möglich ist, das Konzentrat des beständigen Durchgangs durch die allumfassenden Gesetzmäßigkeiten zu beherrschen, wenn man nicht mit Hilfe kurzer Formeln zusammenfassen kann, was jeweils im einzelnen genau zu erklären ist« (ad Her. 36). Wie seine Schüler den Zusammenhang der Natur verstehen sollen, erläutert ihnen Epikur folgendermaßen: 51 · Epikur, Brief an Herodot 38 – 44154 (38) »[…] Als Erstes (τ πρ.τον)155: Nichts entsteht aus Nichtsei-

endem. Denn sonst entstünde alles aus allem, da es ja ›Samen‹ überhaupt nicht benötigte156. (39) Und wenn das, was entschwindet, ins Nichtseiende zugrunde ginge, wäre bereits die gesamte Gegenstandswelt (πντα τ? πργματα) vernichtet, weil nichts da wäre, wohinein sie sich auflöste. Ferner: Das All (τ π2ν) war immer so beschaffen, wie es jetzt ist, und wird immer so sein. Denn nichts ist da, wohinein es sich umwandeln kann. Denn neben dem All ist nichts, was in es hineingehen und Umwandlung (μεταβολ ) bewirken könnte. Sodann: Das All besteht aus Körpern und aus dem Leeren. […] Denn dass Körper da sind, bezeugt die Wahrnehmung selbst überall, so dass man im Ausgang von ihr durch logisches Folgern (λογισμς) für das Verborgene (τ δηλον) einen Beweis erbringen muss […]. (40) Wäre aber nicht da, was wir ›Leeres (κενν)‹, ›Raum (χ(ρα)‹ und ›unberührbare Natur (ναφ5ς φ!σις)‹ nennen, dann hätten die Körper keinen Ort, wo sie dasein oder durch das hindurch sie sich bewegen könnten, was sie doch offensichtlich tun. Neben diesen beiden [Körper und Leeres] lässt sich nichts auf erfassbare Weise (περιληπτ.ς) oder dem so Erfassten Analoges ausdenken, denn diese beiden erfassen

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wir als an sich vollständige Naturen (Bς καθ’ 4λας φ!σεις) und bezeichnen sie nicht nur als deren Symptome (συμπτ(ματα) oder [beiläufige] Eigenschaften (συμβεβηκτα). Ferner: Von den Körpern sind die einen Verbindungen (συγκρ σεις), die anderen solche, aus denen die Verbindungen hergestellt sind. (41) Diese Körper sind unteilbar (τομα) und unwandelbar (μετβλητα) – wenn doch nicht alles dazu bestimmt ist, ins Nichtseiende zugrunde zu gehen, sondern etwas ausdauernd beharren soll in den Auflösungen (διαλ!σεις) der Verbindungen –, weil sie eine in sich kompakte Natur darstellen (πλρη τ5ν φ!σιν 6ντα), die nichts an sich hat, was sich in irgendeiner Weise oder irgendwohin auflösen kann. Daher sind die Urbestandteile [des Seienden] notwendigerweise unteilbare körperhafte Naturen. Sodann: Das All ist unbegrenzt (πειρον). Denn das Begrenzte hat ein räumliches Extrem [κρον im Sinne von ›Spitze‹ sowie von ›Anfang‹ und ›Ende‹]; ein räumliches Extrem aber wird im Vergleich zu etwas anderem betrachtet; das All wird aber nicht im Vergleich zu etwas anderem betrachtet; hat es also kein räumliches Extrem, so hat es auch keine Grenze; was aber keine Grenze hat, dürfte wohl unbegrenzt und nicht begrenzt sein. Ferner: In Bezug auf die Menge der Körper und in Bezug auf die Ausdehnung des Leeren ist das All unbegrenzt. (42) Denn wäre das Leere unbegrenzt, die Anzahl der Körper aber begrenzt: nirgendwo verharrten dann die Körper, sondern bewegten sich zerstreut in der unbegrenzten Leere, ohne etwas zu finden, das sie abstützen könnte oder zurückprallen ließe. Wäre das Leere begrenzt, fänden die zahlenmäßig unbegrenzten Körper keinen Ort, wo sie sich aufhalten können. Zudem sind die unteilbaren und dichten Körper, aus denen (ξ Cν) die Verbindungen entstehen und in die (ε#ς D) sie sich auflösen (διαλ!ονται), unerfassbar (περιληπτ) in den Unterschieden ihrer Gestalten (σχματα). Denn es ist nicht möglich, dass so viele Verschiedenheiten entstanden sind aus einem er-

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fassbaren Quantum an Gestalten [der Atome]. Und von jeder Atomform gibt es unbegrenzt viele gleichartige. Atomformen gibt es jedoch nicht schlechthin unbegrenzt viele, sondern nur unerfassbar viele. (43) Es bewegen sich die Atome stetig (συνεχ.ς) alle Zeit hindurch; und dabei gibt es solche, die sich weit voneinander entfernen, und solche, die auf der Stelle vibrieren, wenn sie gerade in einer Verflechtung eingeschlossen oder von solchen [Körperchen] umschlossen werden, die zu verflechten imstande sind. (44) Denn die Natur (φ!σις) des Leeren, die jedes einzelne Atom für sich abgrenzt, bringt dies zustande, weil sie nicht fähig ist, einen Stützhalt herzustellen. Die den Atomen eigene Härte (στερετης) bewirkt beim Zusammenstoß (σ!γκρουσις) den Rückprall (ποπαλμς), soweit die Verflechtung (περιπλοκ ) aus dem Zusammenstoßen ein solches Zurückprallen (ποκατστασις) erlaubt. Einen Ursprung (ρχ) für diese Vorgänge gibt es nicht, weil Ursachen allein die Atome und das Leere sind157.« Für Epikur ist die Physik ein notwendiger Beitrag zur Ethik. Da sie das Wissen über die natura rerum enthält, ist Wissen das entscheidende Instrument, in aristotelischer Terminologie, die causa efficiens für die Herstellung und Erhaltung des guten Lebens158 . Es vertreibt, negativ gesehen, die Ängste vor dem Zusammenhang der Natur sowie vor besonders beunruhigenden Phänomenen (Blitzschläge, Unwetter, Vulkanausbrüche, aber auch Krankheit und Tod) und erzeugt, positiv gesehen, als kontinuierliche Aktivität aus sich selbst heraus den Glückszustand ›heiterer Gelassenheit‹159 . Wissen ist aber keine punktuelle Größe wie die Wahrnehmung, sondern das Resultat einer kontinuierlichen Aktivität des Logos, die von einem deutlich gegebenen Eindruck ausgeht, aber dafür nach einem Grund sucht, der nicht im Modus sinnlicher Evidenz gegeben ist. Der Weg vom ›Offenen‹ zum ›Verborgenen‹ selbst steht nicht offen vor jedermanns Augen, sondern ist auf die unsichere Größe von Meinungen oder Vermutungen angewiesen

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und von daher grundsätzlich irrtumsanfällig. Die Schritte der Vernunft bedürfen deshalb einer sorgfältigen Selbstkontrolle, damit sie zu dem, was als Einzelnes schon sinnlich erfasst ist, nur das hinzufügt, was in Bezug darauf in gedanklicher Hinsicht erfassbar ist. Grundsätzlich kann die Vernunft zu dem Offenen, das sie verstanden hat, sowohl Erfassbares als auch Unerfassbares hinzufügen160 , so dass sie prüfen muss, ob das von ihr Hinzugefügte die Grundeigenschaften des sinnlich Erfassten bewahrt oder zerstört. Man kann das Kriterium der Erfassbarkeit auch als das der Kohärenz oder der Angemessenheit bezeichnen. Nur unter der Voraussetzung strenger Kohärenz und Kontinuität zwischen dem Besonderen eines erfassten Eindrucks und der damit verbundenen begrifflichen Aussage führt der Weg vom Offenen zum Verborgenen auch wieder direkt vom Verborgenen zum Offenen zurück. Das Offene kann nicht nur ein sinnlicher Eindruck, sondern auch eine sprachliche Formulierung, ein gefühlsmäßiger Zustand oder ein allgemein verbreiteter Gedanke sein. Um von ihm aus den richtigen Weg zum Verborgenen zu finden, bedarf es der Orientierung an einem Verfahren, das uns bereits von Platon her als Regel der richtigen Verbindung von Einfachheits- und Zusatzform bekannt ist161. Für das Offene, das immer ein Zusammengesetztes darstellt, müssen also die passende Einfachheitsform und die mit ihr übereinstimmenden Zusatzformen gefunden werden. Epikur hat sich bei der Explikation des theologischen Wissens des Kriteriums der Erfassbarkeit mit besonderer Nachhaltigkeit bedient. Wer wissen will, was die Götter sind, muss notwendigerweise einen Weg finden, der im Ausgang vom Offenen einer allgemein verbreiteten Vorstellung ihr Sein erschließt, das den Sinnen verborgen ist. Von daher kann man das Wissen vom Sein der Götter in methodischer Hinsicht als wichtige Vorübung für die prinzipientheoretisch richtige Bestimmung des verborgenen Grundes der Natur auffassen. Zum Thema des Wissens von dem, was die Götter sind, äußert sich Epikur in seinem Lehrbrief an Menoikeus. Es bildet dort das erste ›Element‹ eines gedanklichen Zusammen-

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hangs, der dann, wenn er in der Seele des Menschen verlässlich wirksam ist, den Zustand des guten Lebens erzeugt162. 52 · Epikur, Brief an Menoikeus 123163 (123) »[…] Das Erste [der Elemente des guten Lebens]: Wenn du die

Gottheit für ein unvergängliches und glückseliges Lebewesen hältst, wie es der allgemein verbreitete Gedanke (κοιν5 νησις) von der Gottheit vorgeprägt hat (*πγραφε), dann hänge daran nichts an, was ihrer Unvergänglichkeit fremd oder mit ihrer Glückseligkeit unvereinbar ist. Vermute dagegen (δξαζε) alles über sie, was ihre mit Unvergänglichkeit verbundene Glückseligkeit unversehrt zu bewahren vermag. Denn Götter gibt es tatsächlich; unmittelbar einleuchtend (ναργς) ist deren Erkenntnis. Wofür aber die Masse (οE πολλο ) sie hält, so geartet sind sie nicht. Denn sie [die Meinung der Masse] bewahrt dabei gerade das nicht unversehrt, wofür sie die Götter hält. Ehrfurchtslos (σεβς) aber ist nicht, wer die Götter der Masse aufhebt, sondern derjenige, der die Vermutungen (δξας) der Masse den Göttern anhängt. Denn die Aussagen, die die Masse in Bezug auf die Götter macht, beruhen nicht auf unmittelbaren Vorbegriffen (προλψεις), sondern auf falschen Annahmen (*πολψεις ψευδε$ς).« Der Textauszug zeigt nebenbei, dass eine nicht-theologische Prinzipienreflexion keineswegs das Nichtsein der Götter behaupten muss. Der erste Satz über die Götter behauptet vielmehr, dass sie sind, auch dann, wenn sie nicht die erste Ursache dessen sind, was ist. Der genaue Status, der den Göttern bei Epikur zukommt, ist in der Forschung bis heute umstritten, was damit zusammenhängt, dass die erhaltenen literarischen Quellen dazu keine eindeutigen Aussagen enthalten. Sind die Götter körperhafte Gebilde aus besonders feinen Urkörperchen, die sich aufgrund der Zartheit ihrer materiellen Textur und der damit verbundenen sanften

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Bewegungen ihrer Atome in den »Intermundien« aufhalten, also in den von Materiepartikeln weitgehend, wenn auch nicht absolut freien Räumen, die sich zwischen den einzelnen kompakter gefüllten Weltordnungen befinden?164 Oder sind sie subjektive Projektionen der menschlichen Vernunft, die »Traumvorstellungen« und die darin auftretenden Bilder zu Vorstellungen des Vollkommenen erweitert?165 Diese Streitfrage166 wird in der vorliegenden Darstellung, weil sie sich auf das prinzipientheoretische Konzept der Atomistik und nicht auf Einzelfragen der Physik konzentriert, nicht aufgenommen. Der Epikureer Velleius vertritt in Ciceros Dialog »Über die Natur der Götter« jedenfalls die entscheidenden Lehrsätze der Theologie seines Meisters, wenn er behauptet: »Ein Gott tut nichts, ist in keine Beschäftigung verwickelt und müht sich mit keiner Arbeit ab, sondern freut sich nur seiner Weisheit (sapientia) und seiner Tüchtigkeit (virtus) und hat die Gewissheit, dass er immer die höchsten, vor allem die ewigen Freuden (voluptates) genießen wird167.« Velleius folgt damit der Kritik Epikurs an der poetischen Theologie der mythischen Dichtung, die den Göttern Handlungen, Interessen und Leidenschaften unterstellt, wie sie unter Menschen bekannt sind, und damit zu ihrer Einfachheitsform eine falsche Zusatzform hinzufügt, die das Sein des Göttlichen zerstört168 . Er akzentuiert diese Kritik aber so, dass sie auch die Gottesvorstellungen der nicht-atomistischen, insbesondere der platonischen, aristotelischen und stoischen theologia naturalis trifft, die für ihn lediglich die theologia poetica unkritisch erweitern. Das Niveau einer wirklichen theologia naturalis wird erst mit Epikur erreicht, so dass er es war, der die Menschheit von der Angst vor den Göttern der theologia poetica befreit und damit einen Raum der Freiheit begründet hat, in dem das, was in der rerum natura die einzige natura excellens atque praestans darstellt, endlich zum ersten Mal »rein und fromm« verehrt werden kann169. In erkenntnistheoretischer Perspektive betrachtet, behauptet die theologia naturalis Epikurs in Bezug auf die Götter zunächst nichts als ihr einfaches Sein, was darin begründet ist, dass nahezu

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alle Menschen die Vorstellung haben, dass es Götter, in welcher Weise auch immer, gibt170. Ihr Sein ist in qualitativer Hinsicht nur durch die Eigenschaften der Unvergänglichkeit und Glückseligkeit zu bestimmen. Dazu passen die weiter gehenden Aussagen des Velleius, während die Dichter und die nicht-atomistischen Philosophen der Gottheit etwas anhängen, was ihre Grundeigenschaften zerstört. Man kann nur auf dem Weg des Vermutens und Meinens zu Aussagen über die Götter kommen, weil ihr Sein als etwas ›Verborgenes‹ im Ausgang von dem, was davon offenkundig ist, durch begriffliche Überlegung erschlossen werden muss. Damit dieser Weg sein Ziel erreicht, muss er sich an den natürlichen Vorbegriffen (προλψεις) orientieren, die in der allgemein verbreiteten Vorstellung vom Sein der Götter wie ein analytisches Implikat enthalten sind. Solche Vorbegriffe werden im Brief an Herodot als »erstes Gedankengebilde (τ πρ.τον ννημα)« bezeichnet, das aufgrund seiner intuitiv erfassbaren Einheitlichkeit keiner diskursiven Erläuterung (πδειξις) bedarf – sind sie doch nichts anderes als »auf einfache Weise anwesende Zugriffe des Verstandes oder einer anderen Urteilsinstanz (Fπλ.ς παρο!σαι πιβολα

εGτε διανο ας εGθ’ 4του δποτε τ.ν κριτηρ ων), mit denen wir das Vorliegende (τ προσμνον) und das daran Verborgene wie mit Hilfe von Indizien erschließen können (σημειωσμεθα)«171. Das Denken kann in Bezug auf das verborgene Sein eines Offenen allerdings auch solche Annahmen (*πολψεις) an den Beginn der Überlegung stellen, die von vornherein die natürliche Wahrheitsvorgabe aufheben, die die Natur selbst der menschlichen Seele eingeprägt hat. An solchen falschen Annahmen orientieren sich die Dichter und Philosophen, denen Ciceros Velleius vorwirft, in Bezug auf das Sein der Götter Phantasieprodukte vorzutragen172. Wer sich aber von der falschen Annahme beeindrucken lässt, dass die Götter alles, was die natura rerum betrifft, voraussehen, bedenken, wahrnehmen und bewirken173 , gerät zwangsläufig in einen Zustand der Beunruhigung. Wer hingegen die Voraussetzungen dieses unsinnigen Gottesbegriff durchschaut, hebt nicht nur »alle

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Furcht vor der Gewalt und dem Zorn der Götter« auf, sondern begründet zugleich die einzig richtige Form ihrer Verehrung174 . Die Regel, die den Aufbau des theologischen Wissens bestimmt, liegt auch der Entfaltung des prinzipientheoretischen Wissens zugrunde, weil es hier ja ebenfalls um nichts anderes geht als um den richtigen Weg vom Offenen zum Verborgenen. Wie für Aristoteles ist die einfachste, am meisten verbreitete und jedermann vertraute Form des Wissens die Wahrnehmung. Das, was wir mit den Sinnen erfassen, ist immer körperhaft konkrete Wirklichkeit. Also sind wir in der atomistisch konzipierten Physik gehalten, zum sinnlich Erfassten nur das hinzuzudenken, was dafür in begrifflicher Hinsicht erfassbar ist. Das ist als erstes die absolute Einfachheitsform des Vollen, d. h. die kleinste, nicht weiter teilbare Größeneinheit für Körperhaftigkeit175 . Mit ihr ist zugleich das Leere erfasst, das von einer solchen Einheit gefüllt wird176. Nicht erfassbar sind hingegen das Quantum und die konkreten Gestaltformen (σχματα) der Atome, weil solche Bestimmungen, die an konkreten Körpergebilden durchaus erfassbar sind, den Einfachheitskörpern etwas anhängen, was ihren Unterschied gegenüber zusammengesetzten Körpern aufheben würde. Mit der richtig erfassten Definition der Atome und der Leere als »an sich vollständiger Naturen« (Text 51: 40), die ausschließt, dass sie als Symptome oder Eigenschaften eines anderen und deshalb grundlegenderen Seins zu verstehen sind, ist auch deren Zusammenhang sowie das Sein von Bewegung unmittelbar miterfasst, und zwar dann, wenn man das »All« des Seienden und die in ihm aufweisbaren »an sich vollständigen Naturen« richtig als räumlich, zeitlich und in quantitativer Hinsicht unbestimmbare oder unbegrenzbare Größen erfasst. Das Sein der Bewegung wird dann als ein kontinuierlich Gegebenes gedacht, für das anders als bei Aristoteles keine causa efficiens oder causa formalis erfassbar ist. Mit dem Sein von Bewegung ist zugleich die Form des kontinuierlichen Werdens erfasst, so dass ihr gegenüber nur das Volle und das Leere als unveränderliche Naturen erfassbar sind. Innerhalb

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des Werdens lassen sich auch die Bewegungsformen des lotrechten Falls, der seitlichen Abweichung und der im einzelnen Körper wirkenden Vibration erfassen177, während der Gedanke, dass wirkliches Sein, wie das der Urkörperchen und der Leere, aus Nichtsein entsteht oder darin vollständig untergeht, unerfassbar ist. Erfassbar wiederum ist das Gegebensein elementarer Konfliktformen, die das Bewegtsein der Atome im Leeren charakterisieren, so dass man in Bezug darauf von Verbindung und Auflösung, Zusammenstoß, Rückprall oder Verflechtung sprechen kann (Text 51: 40 f. u. 44). Diese Überlegungen zeigen, dass Epikur den Zusammenhang seiner Prinzipienbegriffe in der strengen Orientierung am Kriterium der Erfassbarkeit aufbaut und deshalb der philosophischen Konkurrenz vorwerfen kann, sie beriefe sich für ihre Prinzipienbegriffe auf Traumgebilde. Nur in der Orientierung am Kriterium der Erfassbarkeit entsteht das Kontinuum von Prinzipienbegriffen, das ein in sich einheitliches Verständnis der natura rerum ermöglicht. Die Welt, die sich aus der Perspektive der epikureischen Physik erschließt, bildet insgesamt einen Zusammenhang von Konstanz und Instabilität. Dabei bleiben die Rahmenbedingungen der Natur konstant, während alles, was in der rerum natura konkret geschieht, instabil oder variabel ist. Zu dem, was immer ist, wie es ist, gehören nicht nur das bloße Sein der Urkörper und der Leere, sondern auch die Regeln, die das Verhältnis zwischen Urkörpern und zusammengesetzten Körpern bestimmen. Alle zusammengesetzten Körper werden aus Urkörpern gebildet und in Urkörper aufgelöst. Urkörper sind deshalb nicht nur durch ihre Einfachheit von zusammengesetzten Körpern verschieden, sondern sie sind den zusammengesetzten Körpern auch an Quantität überlegen. Es gibt keinen bestimmten zusammengesetzten Körper, auch keinen Zusammenhang zusammengesetzter Körper, der sämtliche Urköper in sich integriert hätte, so dass im Leeren stets eine beträchtliche Anzahl frei vagabundierender Urkörper anzutreffen ist. Von daher ist der Begriff des vollkommenen Körpers, den

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die philosophische Konkurrenz mit der Kugelgestalt des Kosmos identifiziert und von ihr behauptet, sie habe alle Materie restlos in sich aufgenommen und dort in konstante Formen integriert, für die Atomistik begrifflich unerfassbar. Auch das konstante Gegeneinander von Entstehung und Auflösung der zusammengesetzten Körper, bei dem alles von Urkörpern ausgeht und in sie wieder zurückkehrt (Text 51: 42), ist kein Zeichen für die Wirksamkeit einer vernünftigen Einheitskraft, die den Zusammenhang der Natur umgreift und von innen vollständig durchartikuliert. Alles, was in der Natur als geordneter Zusammenhang erscheint, setzt vielmehr die Absenz vollkommener Ordnung notwendig voraus.

2.

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Zum Verhältnis von Physik und Ethik

In der Ethik geht es um eine naturgemäße Bestimmung dessen, was für das menschliche Leben das höchste Gut ist. Die Physik zeigt: Von Natur aus strebt menschliches Leben als Erstes nach Lust. Also ist Lust und nichts anderes für das menschliche Leben das höchste Gut. Lust ist näherhin Abwesenheit von Unlust, so dass Abwesenheit von Unlust die Anwesenheit höchster Lust bedeutet. Das gilt allerdings nur unter der Voraussetzung, dass die Empfindung dem kontradiktorischen Gegensatz von Lust und Unlust unterliegt und dass das Gute eine einfache, kontinuierliche Größe darstellt, die zwar interne Variationen, aber keine qualitativen Veränderungen aufweist. In anderer Hinsicht geht die Lustdefinition Epikurs auf die jedermann vertraute Erfahrung zurück, die Lust im Element von Bewegung von Lust im Modus von Ruhe unterscheidet. Die erste davon heißt kinematische, die zweite katastematische Lust178 . Der Genuss kinematischer Lust baut Erinnerungen an etwas Besonderes und damit Erwartungen auf, die leicht enttäuscht werden können. Wer Lust ausschließlich oder hauptsächlich in dieser Form kennt, wird ihre Abwesenheit als Anwesenheit von Unlust

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empfinden. Das Streben nach kinematischer Lust unterbricht auf jeden Fall die Konstanz des grundsätzlich erfolgreichen Strebens nach katastematischer Lust, die anders als die kinematische im Genuss einfacher, d. h. ›natürlicher‹ Güter besteht. Da diese in der Regel leicht, d. h. ohne große äußere oder innere Bewegung zu beschaffen sind, ist die katastematische Lust ein Zustand des Glücklichseins, der anders als die kinematische von sich aus auf Kontinuität angelegt ist. Da das Streben nach und das Empfinden von kinematischer Lust immer wieder vorkommt, muss man sich darin üben, das dabei erfahrene Glück so zu genießen, dass man ihm für die eigene Lebensführung und Glückserwartung keinerlei Bedeutung zumisst. Der ›Garten‹ Epikurs, in der Polemik seiner Gegner oft als Ort wilder Orgien oder zumindest eines üppigen Lebens beschrieben179 , ist in Wirklichkeit das Gegenteil davon, nämlich ein Ort gemeinschaftlicher Übung in der Fähigkeit, mit Hilfe der eigenen Vernunft das natürlich gegebene Streben nach Lust strengen ökonomischen Regeln zu unterwerfen. Das Übungsprogramm besteht zunächst darin, den Zustand des größtmöglichen Übels, nämlich den der äußersten kinematischen Unlust zu vermeiden, die in der Angst vor den Göttern und vor dem Tod besteht. In einem zweiten Übungsteil geht es dann um den Aufbau einer sicheren Distanz gegenüber dem Irritationsfaktor, der in der kinematischen Lust enthalten ist, so dass die Eindämmung des Strebens nach ihr die Fähigkeit verstärkt, kontinuierlich im Zustand katastematischer Lust zu sein180 . Die Furcht vor den Göttern und vor dem Tod wird durch die Physik beseitigt. Indem sie zeigt, dass der menschliche wie jeder andere aus Urkörpern zusammengesetzte Körper mit naturhafter Unvermeidlichkeit wieder in Atome aufgelöst wird, hat sie zugleich gezeigt, dass der Tod weder ein Übel noch ein Gut ist, sondern ein ganz normaler naturhafter Vorgang. Zudem wissen wir, dass wir als lebendige, empfindungsfähige Wesen vom Tod nicht betroffen sind. Solange wir nämlich Schmerz und Lust empfinden, leben wir, und wenn wir gestorben sind, empfinden wir nichts und damit auch keine

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Unlust. Aus welchem Grund sollte man sich also vor einem Zustand der Empfindungslosigkeit fürchten? Allenfalls kann man befürchten, dass der Übergang zur Nichtempfindung schmerzhaft ist. Aber auch dagegen hat die Physik ein Linderungsmittel, nämlich die Einsicht in die Regel, dass heftige, zur Unerträglichkeit gesteigerte Schmerzen nur kurze Zeit dauern, da sie alsbald zum Tode führen, während lang anhaltende Schmerzen weniger intensiv empfunden und deshalb entweder durch gegenwärtige Lusterfahrungen oder wenigstens durch die Erinnerung an vergangene ausgeglichen werden können. Das Überspielen schmerzhafter Erfahrung bedeutet wieder die Anwesenheit von Lust und damit zugleich höchste Lust. Mit einem »Hedonismus« im Sinne unseres Sprachgebrauchs, den man Epikur entweder kritisch vorwirft oder an ihm lobenswert findet, hat seine Ethik ganz offensichtlich nicht das Geringste zu tun. Die Grundzüge seiner Ethik hat Epikur im Lehrbrief an Menoikeus formuliert. Wir haben daraus das erste Element der Lehre, die uns als ganze in den Zustand verlässlichen Glücks versetzt, bereits kennen gelernt (Text 52). Der folgende Auszug beginnt mit einer Übungsanweisung zur Beseitigung der Todesfurcht. Danach formuliert Epikur eine Reihe von Regeln, die beim vernünftigen Umgang mit dem natürlichen Streben nach Lust beachtet werden müssen, so dass daraus auch deutlich wird, inwiefern Wissen und Lust zusammenhängen. 53 · Epikur, Brief an Menoikeus 124 – 135181 (124) »[…] Gewöhne dich ferner daran zu glauben, der Tod sei

nichts, was uns betrifft 182 . Denn alles Gute und Üble ist nur in der Empfindung (πθος) gegeben; der Tod aber ist die Vernichtung der Empfindung. Daher macht die richtige Erkenntnis (γν.σις Hρθ), der Tod sei nichts, was uns betrifft, die Sterblichkeit des Lebens erst genussfähig, weil sie [dem sterblichen Leben] nicht eine unendliche Zeit hinzufügt, sondern die Sehn-

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sucht nach der Unsterblichkeit von uns nimmt. (125) Denn es gibt nichts Schreckliches (δεινν) im Leben für den, der im vollen Sinne erfasst hat, dass nichts Schreckliches im Nicht-Leben liegt.183 […] (127) […] Wir müssen ferner berücksichtigen, dass die Begierden zum einen natürlich, zum anderen nichtig sind. Und zwar sind von den natürlichen die einen notwendig, die anderen nur natürlich, von den notwendigen wiederum sind die einen für das Glück notwendig, die anderen für die Störungsfreiheit des Körpers, die dritten für das bloße Leben. (128) Denn eine unbeirrte Beobachtung (πλαν5ς θεωρ α) dieser Zusammenhänge weiß jedes Wählen und Meiden zurückzuführen auf die Gesundheit des Körpers und die Unerschütterlichkeit (ταραξ α) der Seele: denn dies ist das Ziel des glückseligen Lebens. Um seinetwillen tun wir ja alles, damit wir weder Schmerz noch Unruhe empfinden. Sooft dies einmal an uns geschieht, legt sich der ganze Sturm der Seele, weil das Lebewesen nicht imstande ist, weiterzugehen wie auf der Suche nach etwas, was ihm mangelt, und etwas anderes zu erstreben, wodurch sich die Gutheit (γαθν) der Seele und des Körpers erfüllen würden. Denn nur dann haben wir ein Bedürfnis nach Lust, wenn wir deswegen, weil uns die Lust fehlt, Schmerz empfinden; wenn wir aber keinen Schmerz empfinden, bedürfen wir auch nicht mehr der Lust. Gerade deshalb ist die Lust, wie wir sagen, Ursprung (ρχ) und Ziel (τλος) des glückseligen Lebens (το, μακαρ ως ζAν). (129) Denn sie haben wir als erstes und angeborenes Gut (γαθν πρ.τον καI συγγενικν) erkannt; von ihr aus beginnen wir mit jedem Wählen und Meiden, und auf sie gehen wir zurück, indem wir wie mit einem Richtscheit (κνων) auf der Grundlage der Empfindung jedes Gut beurteilen. Und gerade weil dies das erste in uns angelegte Gut ist, wählen wir auch nicht jede Lust, sondern bisweilen übergehen wir zahlreiche Lustempfi ndungen, sooft uns ein übermäßiges Unbehagen daraus erwächst. Sogar zahlreiche Schmerzen halten wir für wichtiger als Lust-

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empfi ndungen, wenn für uns eine größere Lust daraus folgt, dass wir lange Zeit Schmerzen ertragen haben. Jede Lust ist also, weil sie eine verwandte Anlage hat, ein Gut, jedoch nicht jede ist wählenswert; wie ja auch jeder Schmerz ein Übel, aber nicht jeder in sich so angelegt ist, dass er immer vermeidenswert wäre. (130) Doch durch vergleichendes Messen (συμμτρησις) und den Blick auf Zuträgliches und Unzuträgliches ist dies alles zu beurteilen. Denn wir verfahren mit dem Gut zu bestimmten Zeiten wie mit einem Übel, mit dem Übel ein andermal wie mit einem Gut. Auch die Selbstgenügsamkeit (α1τρκεια) halten wir für ein großes Gut, nicht damit wir es ganz und gar mit dem Wenigen genug sein lassen, sondern um uns dann, wenn wir das Meiste nicht haben, mit Wenigem zu begnügen, da wir im vollen Sinne überzeugt sind, dass jene am lustvollsten genießen, die am wenigsten bedürfen, und dass alles Natürliche leicht, das Leere aber schwer zu beschaffen ist. Denn bescheidene Suppen verschaffen eine ebenso starke Lust wie ein aufwendiges Mahl, sooft das schmerzhafte Gefühl des Mangels aufgehoben wird. (131) Auch Brot und Wasser geben höchste Lust (τ5ν κροττην =δονην), wenn sie einer aus Mangel zu sich nimmt. Sich also zu gewöhnen an einfache und nicht aufwendige Mahlzeiten befähigt zu voller Gesundheit, macht den Menschen unbeschwert gegenüber den notwendigen Anforderungen des Lebens, stärkt unsere Verfassung, wenn wir uns hin und wieder zu aufwendigen Mahlzeiten aufmachen, und entlässt uns angstfrei gegenüber dem Zufall. Wenn wir also sagen, die Lust sei das Endziel (τλος), so meinen wir damit nicht die Lüste der Hemmungslosen und jene, die im Vorgang des Genießens selber bestehen, wie einige, die dies nicht kennen und nicht eingestehen oder böswillig auffassen, annehmen, sondern: weder Schmerz im Körper noch Erschütterung in der Seele zu empfinden. (132) Denn nicht Trinkgelage und aneinander gereihte Umzüge, auch nicht das Genießen von Knaben und Frauen, von Fischen und allem übrigen, was eine

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aufwendige Tafel bietet, erzeugen das lustvolle Leben, sondern ein nüchterner Verstand (νφων λογισμς), der die Gründe für jedes Meiden und Wählen aufspürt und die bloßen Vermutungen vertreibt, von denen die häufigste Erschütterung auf die Seelen übergreift. Für alles dies ist die Einsicht (φρνησις) Ursprung (ρχ) und höchstes Gut (μγιστον γαθν). Daher ist die Einsicht sogar wertvoller als die Philosophie184 . Der Einsicht entstammen alle übrigen Tugenden, weil sie lehrt, dass es nicht möglich ist, lustvoll zu leben, ohne einsichtsvoll, vollkommen und gerecht zu leben, ebenso wenig, einsichtsvoll, vollkommen und gerecht, ohne lustvoll zu leben. Denn die Tugenden sind ursprünglich verwachsen mit dem lustvollen Leben, und das lustvolle Leben ist von ihnen untrennbar. (133) Denn wer, glaubst du, ist stärker als jener, der über die Götter ehrfürchtige Vermutungen hegt, der gegenüber dem Tod ganz und gar angstfrei ist, der das Ziel unserer Natur durchdacht und klar erfasst hat, dass das Höchstmaß der Güter (τ.ν γαθ.ν πρας) leicht zu erfüllen und zu beschaffen ist, das Höchstmaß der Übel aber kurze Zeit dauert und nur kurz als Qual empfunden wird? Das von manchen als Herrin (δεσπτις) eingeführte Schicksal (εEμαρμνη = fatum) verspottet er. Denn er bestimmt sich selbst als Verantwortlichen für seine Handlungen, indem er festsetzt, dass manches mit Notwendigkeit eintritt, manches infolge des Zufalls, manches in unserer Hand (παρ’ =μ2ς) steht, weil alles, was der Notwendigkeit unterliegt, von jeder Rechtfertigungsverpflichtung frei ist, und weil er sieht, dass der Zufall (τ!χη) unstet ist und das, was in unserer Hand liegt, über uns keine despotische Herrschaft ausübt; dem [,was in unserer Hand ist,] folgen ja auch zwingend der Tadel und sein Gegenteil. (134) Denn es wäre besser, dem Mythos mit seinen Aussagen über die Götter zu folgen als dem ›Schicksal‹ sklavisch ergeben zu sein. Denn der Mythos entwirft eine Aussicht auf Erhörung vonseiten der Götter auf dem Wege ihrer Verehrung, das Schicksal aber weist eine unerbittliche Not-

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wendigkeit auf. Den Zufall fasst er weder als einen Gott auf, wie die Masse meint, denn nichts wird von der Gottheit ungeordnet vollbracht (ο1θ"ν γ?ρ τκτως θε' πρττεται), noch als eine unsichere Ursache: er glaubt nämlich nicht, vom Zufall werde Gutes oder Übles den Menschen in Hinsicht auf das glückselige Leben gegeben, vielmehr würden nur die Anfänge großer Güter oder Übel von ihm gelenkt. (135) Für besser hält er es, bei richtiger Überlegung (ε1λογ στως) Unglück als ohne Überlegung (λογ στως) Glück zu haben; denn es ist eher angemessen, wenn sich beim Handeln ein gutes Urteil nicht, als wenn sich ein schlechtes Urteil durch den Zufall bestätigt. Dieses und das damit Verwandte (τ? το!τοις συγγενA) überdenke sorgfältig (μελτα) Tag und Nacht bei dir selbst und zusammen mit dem, der dir gleicht185 . Dann wirst du dich niemals, weder wachend noch schlafend, erschüttern lassen, und du wirst leben wie ein Gott unter den Menschen. Denn keinem sterblichen Wesen gleicht der Mensch, der inmitten unsterblicher Güter lebt.« Die entscheidenden Begriffe der epikureischen Ethik sind »Wissen« und »Lust«. »Wissen« spielt in unserem Textauszug eine so große Rolle, dass man sich fragen muss, wie Epikur das Verhältnis zwischen Wissen und Lust versteht. Achtet man auf das Referat der epikureischen Ethik im ersten Buch von Ciceros De finibus bonorum et malorum, dann wird klarer als im Menoikeus-Brief, dass »Lust« »das äußerste und höchste Gut« darstellt, »auf das alles andere« und damit auch das Wissen »bezogen werden muss«, während allein Lust »sich auf nichts anderes bezieht« und damit in einzigartiger Weise das Kriterium erfüllt, das summum bonum zu sein (I 29). Entscheidend für den Vorrang der Lust gegenüber allen anderen Gütern ist die Tatsache, dass die Natur selbst ihr diesen Rang zuweist. Jedes Lebewesen strebt von Geburt an, also in einem Zustand, »in dem die Natur selbst noch in unberührter Reinheit urteilt«, nach Lust. Dass sie das bonum extremum

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ist, muss also nicht erst durch wissenschaftliche Beweisführung begründet werden, sondern zeigt sich als etwas offen Vorliegendes, das sich durch »bloße Wahrnehmung und Beobachtung« erschließt (I 30). Auch das Wissen bezieht sich auf Lust und ist in Gestalt der Weisheit (sapientia) »die zuverlässigste Führerin zur Lust« (I 43). Blickt man von diesem Referat des Lucius Manlius Torquatus bei Cicero zurück auf den Menoikeus-Brief, so wird deutlich, dass »Wissen« eine komplexe und variable Größe ist, die verschiedene Einzelformen zu einem Kontinuum zusammenbindet. Es hat grundsätzlich die Charaktere der Richtigkeit, der Kontinuität und der Vollständigkeit (128)186. Es ist darin ein anwendungsbezogenes Urteilen, das sich als vergleichendes Messen (130) sowohl auf die unbestimmbare Vielfalt von Wahrnehmungen187 als auch auf die Vielfalt des menschlichen Begehrens nach Lust richtet. Dieses Urteilen setzt seelische Unerschütterlichkeit (128) und unangreifbare Stärke (133 f.) voraus – Eigenschaften, die nur aus der kontinuierlichen Wirksamkeit des nüchternen Verstandes (132) hervorgehen können. In der Gesamtdimension des Wissens ist die alles umfassende Einsicht der φρνησις das höchste Gut und deshalb auch Ursprung für alles, was aus ihr hervorgeht188 . In Gestalt theoretischer Vernunft ordnet sie den Gegenständen der Natur das Erfassbare zu und entfernt von ihnen alles, was im Blick auf sie unerfassbar ist. In Gestalt praktischer Vernunft bindet sie das Handeln, das der Ambivalenz des Wählens und Meidens ausgesetzt ist, an erfassbare Ziele und verhindert damit das Streben nach solchen Zielen, die aufgrund ihrer Unerfassbarkeit unerreichbar sind. Im Hintergrund dieser Beschreibung der φρνησις steht deutlich der eleatische Begriff der Einheit als eines ›vollständig gefüllten‹ und von daher zu unangreifbarer Dichte zusammengewachsenen Kontinuums. Ihn haben wir bereits bei den Bestimmungen des Seins der Urkörper, des kontinuierlichen Gegebenseins von Bewegung, des Verbundes der Prinzipienbegriffe und in einer für

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die Ethik strukturprägenden Weise in der Bestimmung des Seins der Götter kennen gelernt189 . Er ist auch die Voraussetzung für die Bestimmung des Lustbegriffs und für die Charakterisierung des Verhältnisses von Einsicht und Lust. Die entscheidende Größe, auf die sich alle Leistungen der Einsicht beziehen, ist nämlich die Lust, die man in einem ersten Zugriff als Einheit aus körperlicher Gesundheit und seelischer Unerschütterlichkeit bestimmen kann. Die Notwendigkeit der singulären und durchgängigen Bindung des Wissens an die Lust findet ihren Grund darin, dass diese als »das erste in uns angelegte Gut« (129) direkt mit dem Leben selbst verbunden ist. Glückseliges Leben kann nur aus Lust hervorgehen, als Lust bestehen oder zur Lust hinführen (128). Dass die Bestimmung des Zusammenhangs von Glück und Lust kein Phantasieprodukt träumender Philosophen, sondern die Erfassung eines natürlichen Identitätsverhältnisses ist, zeigt sich im alltäglichen Verhalten gegenüber der Lust gerade dann, wenn es nicht von philosophischer Belehrung angeleitet wird. Niemand wählt nämlich jede Form von Lust, obwohl sie alle miteinander verwandt sind (129), weil jeder aus eigener Erfahrung weiß, dass es Lust gibt, die Unlust nach sich zieht. Und jedermann nimmt bereitwillig Unlust auf sich, wenn er sich davon einen Zuwachs an Lust oder die Vermeidung größerer Unlust verspricht. Nichtwahl von Lust und Wahl von Unlust beruhen also nicht, wie Sokrates das in Platons Gorgias erklärt, auf dem überlegenen Zugriff des Vernünftigseins auf unvernünftige Affekte190 , sondern allein auf dem Streben nach Lust, das eben kein einfaches Begehren, sondern ein selbstbezügliches Urteilsvermögen im Blick auf ihre Realisierung ist. Mit dem Streben nach Lust ist also von Natur aus eine Urteilskompetenz verbunden, die man sich durch richtiges Überlegen bewusst machen und dann für die eigene Lebensführung auch gezielt einsetzen kann. Das vergleichende Messen im Blick auf Zuträgliches und Unzuträgliches bezieht sich nämlich auf alle drei der schon von Aristoteles angesprochenen Dimensionen des Lebens, auf das einfache

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Überleben, das angenehme Leben, das Epikur mit dem Begriff der Gesundheit als Störungsfreiheit des Körpers aufnimmt, und auf das gute Leben, das ebenfalls gut aristotelisch als Glück, Autarkie (130) sowie als Einheit von dianoetischer und ethischer Tüchtigkeit beschrieben wird (132). Aus der qualifizierten Einsicht gehen sämtliche Tugenden hervor, einschließlich der traditionellen ethischen Zentraltugend der Gerechtigkeit191, so dass alle Tugenden von ihrem gemeinsamen Ursprung her sowohl miteinander als auch mit dem lustvollen Leben auf natürliche Weise zu einer unauftrennbaren Einheit zusammenwachsen192. Durch die zusätzliche Bestimmung des Glücks als Unerschütterlichkeit der Seele (128) erhält der Zustand menschlicher Vollkommenheit allerdings eine materielle, allein für die Atomistik charakteristische Grundfärbung. In der Konzentration auf das, was mit Einsicht zusammenhängt, verdichtet sich das Leben gleichsam auf seinen kompakten Kern und gewinnt darin seine größtmögliche Stärke. Notwendige Vorbereitung dafür ist die Reduktion der eigenen Bedürfnisse auf das Minimum dessen, was leicht, jederzeit und ohne besondere Anstrengung, d. h. ohne heftig oder weit nach außen gerichtete Bewegung oder intensive innere Erregung angeeignet werden kann. Im Blick auf dieses Ziel muss man das Ganze der Lust dihairetisch in seine Teile zergliedern können193 . »Lust« wird zunächst in natürliche (z. B. das Begehren nach Nahrung) und ›leere‹, also lediglich künstlich erzeugte Lust (z. B. das Begehren nach besonders schmackhafter Nahrung) unterteilt, so dass in der ersten Aphairesis die ›leere‹ aus dem Ganzen der Lust herausgerechnet wird. Die zweite Dihairese bezieht sich auf die natürliche Lust, die aus notwendiger (z. B. das Begehren nach Nahrung) und bloß natürlicher Lust (z. B. erotische Lust um ihrer selbst willen) besteht, so dass in einer zweiten Aphairesis die bloß natürliche, aber nicht notwendige aus dem Zusammenhang der Lust entfernt wird. In einem dritten Schritt wird die verbleibende Restmenge der natürlichen und zugleich notwendigen Lust so geteilt, dass man darin

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(1) das Glück, (2) das angenehme, weil störungsfreie Leben des Körpers und (3) die einfache Lebenserhaltung unterscheiden kann. Dabei zeigt sich die Lust an der Erhaltung des Lebens als ihr nicht weiter teilbarer, aus dem Ganzen der Lust nicht subtrahierbarer und deshalb als ihr einfachster direkt mit der Natur des Lebens verbundener Teil. Damit ist gleichzeitig erfasst, dass für die Realisierung des Kerns aller Lust nur sehr wenige und zudem leicht erreichbare Dinge erforderlich sind. Der Hinweis auf einfache Grundnahrungsmittel wie »bescheidene Suppen« oder »Brot und Wasser« macht diese Regel auch unabhängig von dihairetischaphairetischen Überlegungen nachvollziehbar. Im Blick auf die Einfachheitsform der Lust wird zudem erfassbar, dass das Verhältnis von Mangel und Fülle, das die Schmerz-Lusterfahrung sterblicher Lebewesen bestimmt, ausschließlich quantitativ zu verstehen ist. Der gleichsam mathematische Ausgleich eines Mangels ist nämlich als solcher bereits Lust und damit als Abwesenheit von Schmerz höchste Lust. Die richtig erfasste Berechnung der Einfachheitsform aller Lust bedeutet deshalb in praktischer Hinsicht die vollständige Entlastung von jeder besonderen Anstrengung oder Beunruhigung bei der eigenen Lebensführung, weil man verstanden hat, dass die Anwesenheit des Kerns aller Lust nicht an besondere Voraussetzungen gebunden ist. Man kann fragen, ob das angenehme und das vollkommene Leben Teile sind, die man von seinem atomaren Kern als selbständige Teile trennen muss, oder ob sie bereits mit ihm so intensiv verbunden sind, dass für sie dieselben Gesetzmäßigkeiten gelten wie für die Einfachhheitsform der Lust an der bloßen Lebenserhaltung. Dabei zeigt sich: Die Konzentration auf das einfache Leben ist zugleich der beste Beitrag zur Störungsfreiheit des Körpers. Die Einsicht in diesen Zusammenhang wiederum führt unmittelbar zur seelischen Unerschütterlichkeit des glückseligen Lebens. Die drei Teile der natürlichen und notwendigen Lust bilden also ein unaufbrechbares Kontinuum, das zwar Varianten, aber keine qualitativen Veränderungen aufweist. Für alles, was als das an-

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genehme oder gute über das einfache Leben hinausgeht, bedarf es also keiner zusätzlichen Anstrengungen. Von der Grundform der Lust führt ein direkter Weg zu ihrer Vollkommenheitsform, so dass sich bereits im Genuss des einfachen Lebens »der ganze Sturm der Seele legt« und damit das Verlangen aufhört, »weiterzugehen … und etwas anderes« in der Erwartung »zu erstreben«, dass erst mit ihm das Gute erreicht wäre (128). Das konsequente Ausscheiden alles Überflüssigen begründet einen Zustand der Autarkie. In ihm hat das Wissen, »dass jene am lustvollsten genießen, die am wenigsten bedürfen, und alles Natürliche leicht, das Leere aber schwer zu beschaffen ist« (130), seine Realisierungsgestalt gefunden. Autarkie in diesem Sinn ist das Resultat vernünftiger und zugleich natürlicher Selbstbegrenzung. Sie hält, negativ gesehen, sichere Distanz gegenüber der kinematischen Lust, die auf Bewegung und Erregung nicht nur beruht, sondern sie leicht bis ins Unbegrenzte hinein steigert. Positiv gesehen bedeutet sie die innere Fülle katastematischer Lust und damit die Anwesenheit des Guten (128) im Sinne seiner äußersten Grenze (133)194 . Dass ›Lust‹ das Beste ist, zeigt sich auch daran, dass für sie die von Parmenides vorgegebene, von Platon und Aristoteles bekräftigte Regel gilt: Das Gute ist das Begrenzte und innerhalb dieser Grenze kontinuierlich mit Gutem Gefüllte, das Schlechte demgegenüber das Leere, das Nichtsein und insofern das Unbegrenzte und Unbestimmte, das sich als solches der Füllbarkeit und Begrenzung durch Gutes entzieht. Die Präsenz des Guten ist deshalb identisch mit dem Zustand maximaler Kraft. Sie beruht beim Menschen wesentlich auf Wissen, und zwar auf seiner Vollkommenheitsform, die auch für Epikur nach sokratischer und platonisch-akademischer Vorgabe im Wissen dessen besteht, was das höchste Gut und was das größte Übel ist (133). Das höchste Gut kann nur das sein, das sich allein aus sich selbst verwirklicht. Und weil das ohne die Tüchtigkeit der φρνησις nicht möglich ist, gehört das von ihr realisierte Wissen unmittelbar zur Lust.

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Stärke hält alles von sich fern, was das eigene Bestehen angreifen und zerstören könnte. Das ist zunächst die größte Quelle des Schrecken-Erregenden, nämlich die Furcht vor den Göttern und vor dem Tod. Der Lehrbrief an Menoikeus thematisiert deshalb als ersten Grundbaustein des guten Lebens das richtige Erfassen dessen, was das Sein der Gottheit ausmacht (vgl. Text 52). Ihm folgt die Bereitstellung und Sicherung des zweiten Grundbausteins für das bene vivere, bei dem es um die richtige gedankliche Erfassung dessen geht, was das Leben ist. Wenn die Physik zeigt, dass der Tod das Leben nicht betrifft, dann wird dadurch mit der Vorstellung unbegrenzter Zeit genau die Größe aus dem Leben herausgerechnet, die dort nicht hineingehört. Wenn man »unbegrenzte Dauer« fälschlicherweise zur Gegebenheit des Lebens hinzufügt, dann richtet sich die Suche nach der Lust, die das Leben trägt, auf ein unerreichbares Ziel und versetzt so die Gesamtbewegung des Lebens in den Zustand der Unlust. Dieser Mechanismus einer Verkettung nicht zu einander passender Bestimmungen wird unterbrochen, wenn man verstanden hat, dass ›Tod‹ ›begrenzte Zeit‹ und insofern ›endliches Leben‹ bedeutet und Leben zwar mit Lust, aber nicht mit zeitlich unbegrenzter Dauer verbunden ist. Die Entfernung dieser falschen Zusatzform aus dem Zusammenhang von Leben und Lust versetzt deshalb das natürlicherweise begrenzte Leben in den Zustand vollständiger Genussfähigkeit (124)195 . Nach derselben Überlegung wird sogar der Schmerz, der »keine Steigerung der ihm innewohnenden Heftigkeit zulässt«, als eine Erfahrung verstanden, die den Zustand vollständiger Genussfähigkeit nicht aufheben kann. Das beweist Epikur selbst, wenn er am letzten Tag seines Lebens seinem Schüler Idomeneus schreibt, dass die unerträglich gewordenen Schmerzen ihn nicht daran hindern, Freude zu empfinden, die für ihn in dieser Situation nur noch in der »Erinnerung an gemeinsame philosophische Untersuchungen« besteht (DL X, 22)196. Die Vergegenwärtigung vergangener Lust mindert aber jede schmerzhafte Gegenwartserfahrung und bedeutet deshalb nach der Voraussetzung Epikurs höchste Lust.

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Das gegenüber den größten Mächten des Schrecken-Erregenden bewährte Reduktions- und Ausgrenzungsverfahren verdeutlicht in den Abschnitten 133 – 135 des Textes 53, was das eigenverantwortliche Handeln (›Kunst‹) für die Führung eines Lebens bedeutet, das auch von physischer Notwendigkeit und vom Zufall abhängig ist197. Dabei folgt Epikur der Grundregel für die Verteilung begrenzter Macht, die das Auftreten absoluter Macht, in welcher Gestalt auch immer, verlässlich verhindert, und zugleich jeder besonderen Macht innerhalb bestimmter und wechselseitig aufeinander bezogener Grenzen einen selbständigen Aktionsraum sichert. Das Schicksal ist für das menschliche Leben nicht der Inbegriff tyrannisch gebietender Notwendigkeit198 . Sogar der ansonsten kritisch bekämpfte Mythos, der die Götter so darstellt, dass man sie durch Gebete, Opfer und gute Handlungen beeinflussen kann, unterwirft das Leben keiner absolut gebietenden, sondern einer in Grenzen durchaus beeinflussbaren Macht. Die Physik zeigt dagegen definitiv, dass Ereignisse und Vorgänge, die auf physischer Notwendigkeit beruhen, das menschliche Leben mitbestimmen, so dass die davon Betroffenen von eigener Verantwortung für solche Vorgänge entlastet sind. In ähnlicher Weise wird der Zufall in seiner absoluten Gestalt aus dem Raum des Handelns entfernt, aber in begrenzter Form als Mitwirkungsmacht anerkannt, sei es als anfängliche Voraussetzung für den Besitz besonders größer Güter und Übel oder als Störfaktor bei der richtigen Verbindung von Handlungsmotiven und -zielen. Demgegenüber enthält die gängige und von daher ›natürliche‹ Praxis des Lobens und Tadelns einen Vorbegriff (πρληψις) davon, dass es bei Menschen auch eigenverantwortliches Handeln gibt. Wie man es von dem, was auf Notwendigkeit oder Zufall beruht, abgrenzen und durch eigenes Tun realisieren kann, ist an Epikurs Lehren vom richtigen Aufbau des Wissens und von der Verwirklichung höchster Lust bereits deutlich geworden. Für das Verständnis des Zusammenhangs von Physik und Ethik, den Epikur in den von ihm erhaltenen Texten nicht direkt

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thematisiert, ist es entscheidend, dass das Sein der Götter die Form des glücklichen Lebens vorgibt. Für Ciceros Epikureer Velleius realisieren die Götter eine unaufbrechbare Einheit von Ruhe, Weisheit, Tugendhaftigkeit und höchster katastematischer Lust. Wenn man die materielle Beschaffenheit ihrer Körper und ihres Lebensortes bedenkt, dann lässt sich daraus Folgendes ableiten: In einem Zusammenhang der Instabilität, der vielfältigen Verflechtungen und teilweise heftigen Zusammenstöße zwischen den Grundbestandteilen der Natur ist gesteigerte Bewegung für alle zusammengesetzten Körper ein extremer Risikofaktor. Körper, die möglichst gar nicht nach außen ausgreifen, sondern eher ruhig auf sich selbst bezogen bleiben, haben gegenüber denen, die sich schneller bewegen, die deutlich besseren Erhaltungschancen. In dieser Hinsicht verwirklichen die Götter ein Optimum. Weil sie sich aufgrund ihrer natura tenuis so viel wie überhaupt nicht bewegen und wegen der räumlichen Entfernung von aller groben Materie ebenso wenig bewegt werden, befinden sie sich dauerhaft im Zustand von Sicherheit und Lust. Sie benötigen dafür weder das Wissen der Physik noch das der Ethik. Für menschliche Körper, die aus gröberer Materie zusammengesetzt sind, sich kräftig nach außen bewegen können, aber auch inneren Bewegungen sowie den Einwirkungen externer Kräfte ausgesetzt sind, ist die Physik dagegen ein unentbehrliches Instrument für die eigene Lebenssicherung. Sie können damit zwar weder ihre materielle Umgebung verändern noch ihre Rückverwandlung in atomare Urkörper verhindern, wohl aber innere Erregungszustände und nach außen gerichtete Bewegungen auf ein Minimum reduzieren. Furchtlosigkeit vor den Göttern, vor dem eigenen Tod sowie vor den Wirkungsmächten des Schicksals oder des Zufalls erzeugen innerseelische Ruhe. Die Autarkie, die vom Wissen getragen ist, dass nur wenige äußere Güter für die konstante Anwesenheit höchster Lust notwendig sind, reduziert die Risiken, die mit dem Streben nach externen Gütern verbunden sind, auf ein Maß, das die Konstanz höchster Lust so wenig wie möglich beeinträchtigt. Die richtige

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Antwort auf die quaestio de rerum natura klärt deshalb auch die quaestio de finibus bonorum et malorum, erzeugt sie doch von sich aus einen Zustand der größtmöglichen Distanz zu allem, was mehr oder weniger heftige Bewegung ist oder sie auslöst. Unter dieser Voraussetzung kann auch Epikur sagen, dass der Zustand des menschlichen Glücks dem eines Gottes ähnlich ist, weil der glückliche Mensch ebenfalls »inmitten unsterblicher Güter lebt.« Dieses Lebensziel soll abschließend durch einen Text des römischen Dichters Lukrez (ca. 97 – 55) veranschaulicht werden. Als glühender Anhänger Epikurs hat er die Philosophie seines Meisters in einem Lehrgedicht, das traditionsgemäß im episch-hexametrischen Versmaß verfasst ist und aus sechs Büchern besteht, in breitester Ausführlichkeit dargestellt199 . Das zweite Buch wirft ein bezeichnendes Licht auf den Gedanken einer systematischen Verbindung von Physik und Ethik. In seinem Haupttext stellt es den Zusammenhang der Natur metaphorisch als den Inbegriff von Kriegen und Schlachten dar, in denen die Atome und alle aus ihnen zusammengesetzten Körper wie in einem permanenten bellum omnium contra omnes gegeneinander agieren200. Das Prooemium hingegen umschreibt unter dem Stichwort der suavitas einen Zustand katastematischer Lust, in dem auch Menschen, »wohlverwahrt« durch die Lehre Epikurs, die Welt in derselben Weise betrachten können, wie dies den Göttern in der bewegungsberuhigten Zone ihrer Intermundien von Natur aus vergönnt ist. Der Zustand des höchsten Glücks hat eine materielle Basis, die sich von materiellen Normalzuständen durch Ruhe unterscheidet. Epikurs aurea dicta und patria praecepta201 enthalten alle ›Grundbausteine des guten Lebens‹ 202 und erzeugen deshalb mit physischer Notwendigkeit in der menschlichen Seele, die sie wie heilende Medizin in sich aufnimmt, den Glückszustand heiterer Ruhe. Der Text des Lukrez steht deshalb auch für eine Divinisierung Epikurs, wie sie für das Wirklichkeitsempfinden des 1. vorchristlichen Jh. nicht untypisch gewesen ist. Ausgerechnet der wirkungsmächtigste Lehrer einer nicht-theologischen Prinzi-

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pientheorie erscheint hier als der rettende und erlösende Gott 203 , als der wahre Prometheus, der »die flammenumlohten Mauern des Weltalls« überschritten und »das unermessliche All mit seinem Geist und Willen durchstreift« und von dort »als Sieger die Erkenntnis« von dem zurückgebracht hat, »was zu entstehen vermag und was nicht«204 . Er hat deshalb »als erster die Lehre des Lebens« gefunden205 und mit ihr »das Leben der Menschen«, das »schmählich auf Erden darniederlag, zusammengeduckt unter der lastenden Angst vor den Göttern (oppressa gravi sub religione)206, zu wahrhaft göttlicher Höhe emporgehoben207. Dies ist ihm nicht mit Waffen eines Herkules208 , sondern allein »mit den Wahrheit redenden Worten seines Mundes« gelungen209 . Indem sie erstmals »von den unsterblichen Göttern in göttlicher Weise« gesprochen210 und »aller Dinge Natur und Wesen im Wort« ausgebreitet haben211, kommt ihnen die soteriologische Macht zu, die Herzen der Menschen vom zerstörerischen Tumult ihrer divergierenden Leidenschaften zu ›reinigen‹212 und ihr Leben »durch Kunst (per artem) aus gewaltigem Sturm und Verfinsterung in helles Licht und heitere Stille« zu versetzen213 . 54 · Lukrez, De natura rerum II 1 – 19214 (1) »Süß (suave) ist es, wenn auf dem hohem Meer die Stürme die

Küsten peitschen, vom Land aus die mächtige Not eines anderen zu sehen, nicht weil es eine angenehme Lust ist, dass ein anderer sich quält, sondern zu bemerken, von welchen Übeln du frei bist. (5) Süß ist es auch, die gewaltigen Schlachten des Krieges (belli certamina magna) im Felde geordnet zu sehen, ohne eigenen Anteil an Gefahren. Aber nichts ist süßer, als heitere Gefi lde (templa serena) zu bewohnen, hoch in der Höhe und wohlverwahrt durch die Lehre der Weisen (bene munita doctrina sapientum), so dass du auf andere herabblicken (despicere) und sehen kannst, wie sie (10) überall irren (errare) und im Irren die Bahnen des Lebens suchen, wie sie mit ihren Geistesgaben wetteifern, sich

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um Ansehen streiten, Tag und Nacht sich mühen in unermüdlichem Ringen, um aufzutauchen zu den Höhen des Reichtums und sich der eigenen Macht zu versichern. O du kläglicher Sinn der Menschen (miseras hominum mentes), o verblendete Herzen (pectora caeca)! (15) In welchem Dunkel und in wie großen Gefahren wird das bisschen Leben verbracht, das uns beschieden ist! Erkennt man denn nicht, dass die Natur nichts anderes fordert, als dass vom Körper der Schmerz getrennt und ihm fern sei und dass man sich im Geist heiterer Empfindung erfreue (utqui … mente fruatur iucundo sensu), entzogen der Sorge und Furcht (cura semota metuque).«

C

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Die skeptische Distanzierung von der philosophischen Prinzipienreflexion

Die Philosophie der Skepsis ist zuerst an der Peripherie griechischer Kultur aufgetreten. In dem weitgereisten Wanderphilosophen Pyrrhon aus Elis (365/60 – 275/70) scheint sie ihren Begründer gefunden zu haben. Einige Jahrzehnte später war sie jedoch schon im Zentrum der Philosophie, nämlich in der Akademie Platons präsent, wo man dies wohl am wenigsten erwartet hätte. Der Begründer akademischer Skepsis ist Arkesilaos aus Pitane (315 – 240, Scholarch seit etwa 268) gewesen. Hundert Jahre später hat Karneades aus Kyrene (214 – 129) ihr noch einmal eine besonders eindrucksvolle Gestalt gegeben. Nachdem mit Philon aus Larisa (158 – 84, Scholarch seit 110) und Antiochos aus Askalon (140/125 – 68) in der Akademie wieder eine profilierte Lehre vertreten worden war, hat Ainesidemos aus Knossos, ein jüngerer Zeitgenosse des Antiochos, eine gegen ihn, aber auch gegen Arkesilaos und Karneades gerichtete Form neopyrrhonischer Skepsis begründet. Sie ist für uns in der Hauptsache durch die Schriften des Sextus Empiricus (Ende des 2. nachchristlichen Jahrhunderts) dokumentiert215 .

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Die philosophische Position der Skepsis hat ihre eigenen geschichtlichen Voraussetzungen. Ihre wichtigsten Vorformen sind die sophistisch-rhetorischen Thesen vom Nichtsein oder zumindest dem Nichterkennbarsein des Seienden (Gorgias, Protagoras, vgl. Bd. I, S. 115 ff.) sowie der wohl berühmteste Satz des Sokrates, mit dem er sein Wissen als Wissen des Nichtwissens bezeichnet hat 216 (vgl. Bd. II, S. 45 f.). Inhaltlich knüpft die Skepsis an diese Vorgaben dadurch an, dass sie dem menschlichen Erkennen grundsätzlich die Orientierungsfähigkeit an einem verlässlichen Wahrheitskriterium (griechisch: κριτριον, lateinisch: certa nota veri) abspricht217. Es gibt deshalb für sie zwischen Sein und Wissen keine gemeinsame Sprache oder, anders ausgedrückt, die Sprache des Seins ist nicht in die Sprache des menschlichen Wissens übersetzbar. In Anspielung auf Heraklit könnte man auch sagen: Das Sein liebt es, sich zu verbergen. Es spricht sich für uns nicht deutlich aus und entzieht sich damit der Lesbarkeit durch unsere Vernunft. Wenn die rerum natura dennoch Zeichen von sich gibt, was kein richtiger Skeptiker ausschließt, dann handelt es sich, nach einer Formulierung Ciceros, allenfalls um »winzige Lichtlein, die wir, verdorben durch schlechte Sitten und Meinungen, rasch so gründlich auslöschen, dass uns nirgends das Licht der Natur (lumen naturae) erscheint«. Die Widersprüchlichkeit in den Definitionen des Wahrheitskriteriums, die man bei nicht-skeptischen Philosophen findet, legt für sich allein schon den Schluss nahe, dass dem menschlichen Denken ein methodisch kontrollierter Zugang zu einem locus veritatis versperrt ist, d. h. zu einem ›Ort‹, an dem sich die rerum natura in ihrem eigenen Grund so klar und deutlich »betrachten (intueri) und durchschauen (perspicere)« ließe, dass wir, wieder nach einer Formulierung Ciceros, »unter ihr als der besten Führerin (duce optima) den Lauf unseres Lebens vollenden könnten« 218 . Historisch gesehen tritt die Skepsis in den Varianten der pyrrhonischen und der akademisch-aporetischen219 Skepsis auf. Beide verdienen im Zusammenhang einer Reflexion auf das Unter-

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nehmen philosophischer Prinzipienreflexion besondere Aufmerksamkeit. Sie markieren dafür nämlich insofern einen Grenzwert, als sie seine Durchführbarkeit grundsätzlich in Frage stellen und zugleich für das menschliche Leben ein Endziel festlegen, das sie mit den prinzipientheoretischen Begriffen des Guten, der Ruhe und der in sich ununterbrochenen Einheit umschreiben.

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Die Praxis der Urteilsenthaltung als Weg zum Glückszustand seelischer Unerschütterlichkeit bei Pyrrhon aus Elis

Über Pyrrhon, den ›ersten Erfinder‹ skeptischer Philosophie, gibt es kaum sichere Überlieferungen, so dass er ähnlich wie Sokrates die diffuse Macht der Mythenbildung auf sich gezogen hat220. Wie Sokrates hat auch er nur mündlich gelehrt. Für die Rekonstruktion seiner Philosophie sind wir deshalb auf spätere Texte angewiesen, die Pyrrhon entweder kritisieren oder ihn wie Sextus Empiricus zum Begründer einer dialektisch fundierten Skepsis stilisieren. Die Unsicherheit, mit der unser Wissen über Pyrrhon belastet ist, betrifft natürlich auch die hier vorgelegte Darstellung, die wie jede andere mit umstrittenen Annahmen arbeiten muss. Nach meiner Überzeugung ist die folgende Notiz des Diogenes Laertius für eine erste Hinführung zum philosophischen Kern der originär pyrrhonischen Skepsis besonders aussagekräftig. 55 · Diogenes Laertius, Vitae philosophorum IX 61 – 62221 61 . »Pyrrhon aus Elis war der Sohn des Pleistarchos, wie auch

Diokles222 bezeugt. Nach Apollodor war er zunächst Maler, und nach Alexander hörte er Bryson, den Sohn des Stilpon223, dann Anaxarchos224 , den er stets begleitete, so dass er in Indien auch mit Gymnosophisten und Magiern Umgang hatte. Von dort scheint er denn auch das besonders edle Philosophieren übernommen zu haben (γενναιτατα φιλοσοφAσαι), indem er [in die

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Philosophie] die Gattung der Unerkennbarkeit und der Urteilsenthaltung (τ τAς καταληψ ας καI ποχAς εJδος) einführte, wie Askanios aus Abdera berichtet 225 . Denn er lehrte, nichts sei [an sich selbst] ehrenhaft (καλν) oder schändlich (αGσχρον), gerecht oder ungerecht, und in gleicher Weise gelte in Bezug auf alles, dass nichts der Wahrheit entsprechend (μηδ"ν εJναι τK ληθε L) sei, sondern das Handeln der Menschen werde von Sitte (νμος) und Gewohnheit (;θος) bestimmt. Jedes Einzelne sei um nichts mehr dieses als jenes (ο1 γ?ρ μ2λλον τδε M τδε εJναι %καστον). 62 . Sein Leben folgte seiner Lehre, indem er vor nichts auswich, auf nichts achtete, allem standhielt, ob das nun vierrädrige Lastkarren waren, Steilabhänge oder Hunde, und insgesamt richtete er seine Aufmerksamkeit nicht auf Wahrnehmungen. Vor Unglück wurde er dabei allerdings von seinen Schülern bewahrt, die ihn begleiteten, wie Antigonos aus Karystos angibt. Ainesidemos aber berichtet, dass er in der Philosophie nach dem Grundsatz der Urteilsenthaltung (κατ? τν τAς ποχAς λγον), beim konkreten Handeln aber nicht ohne Umsicht verfuhr.« Pyrrhon ist offensichtlich schon zu seinen Lebzeiten wegen der ›edlen‹ Art seines Philosophierens und seines damit zusammenstimmenden Lebens bewundert worden. Edel ist, wer aus der Position der Souveränität und Autarkie für sich nichts in Anspruch nimmt und anderen mehr gönnt als er selbst besitzt. ›Edles‹ Denken ist dann dasjenige, das für sich keine Wahrheitsfähigkeit geltend macht und sich deshalb gegenüber dem, was ist, in die denkbar ungünstigste Position begibt, sich dadurch aber nicht als arm, sondern als in Wahrheit reich empfindet. Pyrrhons Denken ist ›edel‹, weil er aus dem Satz von der Unerkennbarkeit aller Dinge die Maxime der Urteilsenthaltung in Bezug auf deren Sein oder Nichtsein bzw. auf ihr Mehr-dies-als-das-Sein ableitet. Aufgrund seines Ansehens wurde Pyrrhon nach seiner Rückkehr aus

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Indien in seiner Heimatstadt zum Oberpriester gewählt. Und nur weil er für Elis das Bild des Philosophen geprägt hat, haben seine Mitbürger, wenn man Diogenes und seinen Quellen glauben will, alle Philosophen durch Gesetzesbeschluss von Abgabepflichten frei gestellt (DL IX 64). Ein philosophisch qualifiziertes Lob hat Pyrrhon von Timon aus Phleius (ca. 320 – 230)226, seinem wichtigsten Schüler, erhalten, der ihn durch seine offensichtlich viel gelesenen Dichtungen populär gemacht und ihn dort als denjenigen gepriesen hat, der »das Schlupfloch (;κδυσις) aus der Knechtschaft der Meinungen und der leeren Theoretisiererei (κενεοφροσ!νη ) der Sophisten« gefunden227, »die Fesseln aller Täuschung (πτη ) und Überredung (πειθ.)« gelöst, »als Mensch leicht und in Ruhe sein Leben« geführt und »als einziger die Menschen zur Lebensweise des Gottes« angeleitet hat (DL IX 65). Für Timon hängt dies wesentlich mit einer vollständigen Gleichgültigkeit gegenüber den traditionellen Fragen der Naturphilosophie einschließlich der für sie zentralen Frage nach dem Entstehen und Vergehen aller Dinge zusammen228 . Ohne sich in solche Untersuchungen zu verstricken, habe Pyrrhon »immer unbekümmert (φροντ στως) und ohne inneres Bewegtsein (κιντως)« gelebt und »den wirbelnden Bewegungen (oder: den Prunkreden)229 der süß redenden Weisheit (=δυλγου σοφ ης)« anderer Philosophen keinerlei Beachtung geschenkt 230. Die Lebensweise des Gottes ist die der Ataraxie (DL IX 68) oder der Adiaphorie (DL IX 66) und bedeutet die vollständige Gleichgültigkeit gegenüber allem, was bloß ›erscheint‹. Man erreicht diesen Zustand durch das ›Ablegen alles Menschlichen‹, was nicht einmal für einen Pyrrhon immer leicht gewesen ist 231. Es bedarf dazu nämlich der Fähigkeit, jedes Einzelne so zu betrachten, als sei es »nicht mehr dieses als jenes«232. Auch das Ehrenhafte und Schändliche, das Gerechte und Ungerechte sind nicht mehr dieses als etwas anderes. Das, was uns im Handeln anleitet, ist deshalb nicht die Bestimmtheit einer in sich selbst fundierten

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Wahrheit, sondern das, was für uns zur Sitte und damit zu einem Brauch oder zur Gewohnheit geworden ist. Da auch Wahrnehmungen uns nichts Wahres mitteilen, sind ein Lastkarren, der auf uns zurollt, ein Hund, der uns mit fletschenden Zähnen angreift, oder ein Abgrund, in den wir zu stürzen drohen, um nichts mehr das, als was sie uns erscheinen als etwas anderes, als das sie uns nicht erscheinen. Kein Weiser wird sich von etwas, das gar nichts Bestimmtes ist, zu irgendeiner Reaktion bewegen lassen. Man kann sich ja auch nicht vorstellen, dass ein Gott auf seinem Weg durch die Welt Lastkarren, Hunde oder Wassergräben beachtet. Wer dem, was lediglich erscheint, wirkliches Sein zuerkennt und für das eigene Verhalten ernsthaft in Rechnung stellt, befindet sich nicht im Zustand gottähnlicher Gleichgültigkeit. Die Anekdoten, die Pyrrhon als jemanden darstellen, der sich wie ein wirklicher Gott verhält – so seine Anhänger – oder sich theatralisch wie ein solcher gebärdet – so seine Kritiker –, wollen weniger eine historische Wahrheit vermitteln als das Verfahren drastischer, die Öffentlichkeit schockierender Demonstration einer eigenwilligen und allein schon deshalb Bewunderung erregenden Lebensführung veranschaulichen, das in der Spätantike für viele als vertrauenswürdiges Instrument philosophischer Selbstprofilierung gegolten hat. Fast hat es den Anschein, als habe es im vierten und dritten vorchristlichen Jahrhundert geradezu einen Wettbewerb der Aufmerksamkeitserregung gegeben, bei dem es darauf ankam, den in dieser Hinsicht uneinholbaren Vorsprung der kynischen Konkurrenz nicht allzu groß werden zu lassen233 . Vor diesem Hintergrund muss man die folgende bei Diogenes Laertius festgehaltene Anekdote lesen: »Als Anaxarchos in einen Sumpf gefallen war, ging Pyrrhon ohne Hilfeleistung weiter, was ihm manchen Tadel eintrug, während Anaxarchos seine Gleichgültigkeit und sein Freisein von jeder menschlichen Zuneigung lobte« (DL IX 63). Wer die Wahrnehmung eines Sumpfes, in den hinein zu geraten lebensgefährlich ist, für die Wahrnehmung von etwas Seiendem hält oder die Wahrnehmung des Anaxarchos für

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diejenige eines Menschen, den man aus Mitgefühl aus seiner miserablen Lage befreien muss, hat noch nicht die Kraft, sich in seiner Lebensführung wirklich an die Regel des »ist-nicht-mehrdieses-als-jenes« zu halten, für deren Beachtung Pyrrhon in diesem Bericht ein besonders herausragendes Beispiel gibt. Dass Anaxarchos ihn dafür überhaupt noch loben konnte, war nur möglich, weil andere dabei waren, die trotz ihres Umgangs mit ihm und Pyrrhon ›das Menschliche‹ noch nicht ›vollständig abgelegt‹ und damit den Rang eines wirklich göttlichen Lebens noch nicht erreicht hatten. Diogenes Laertius (s. den letzten Satz in Text 55) kennt aber offensichtlich auch Berichte, die Pyrrhon als einen vernünftigen Menschen beschreiben, der in seiner Philosophie zwar der Regel der Urteilsenthaltung gefolgt, aber im Handeln durchaus mit der nötigen Umsicht vorgegangen sei. Im Blick auf die Widersprüche des überlieferten Bildes von Pyrrhon wird sich der heutige Leser ebenfalls auf dessen Formel »ist-nicht-mehr-dieses-als-jenes« zurückziehen dürfen. Dennoch kann man noch an den krassesten Anekdoten über seine Lebensweise erkennen, dass hinter ihr eine alte, bereits in Platons Phaidon angesprochene meditative Technik steht, nämlich die des vollständigen Rückzugs in sich selbst (ναχ(ρησις ε#ς Nαυτν), in der es darum geht, »die Beziehungen zu dieser äußeren Welt abzubrechen, keine Empfindungen mehr zu haben, nicht mehr bewegt zu werden durch das, was einen umgibt,« und »so zu tun, als ob man nichts mehr sähe … von dem, was vorhanden ist und sich dem Blick darbietet.« Michel Foucault hat sie als »Technik der sichtbaren Abwesenheit« bezeichnet 234 . Der theoretische und zugleich ethische Kern pyrrhonischer Skepsis kommt wohl am deutlichsten in einem kritischen Bericht des Peripatetikers Aristokles aus Messene (1. Jahrhundert n. Chr.) zum Ausdruck. Weil Eusebius ihn in seiner Praeparatio evangelica zitiert, können auch wir uns noch darauf beziehen.

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56 · Eusebius, Praeparatio evangelica XIV 18, 1 – 5235 (1) »Zu allererst gilt es, unser eigenes Wissen genau zu untersu-

chen (διασκψασθαι περI τAς =μ.ν γν(σεως); denn wenn unsere Natur es uns nicht gestattet, etwas zu erkennen (γνωρ ζειν), dann braucht man über anderes keine Untersuchungen anzustellen236. Auch unter den Alten gab es einige, die sich in diesem Sinne [im Sinne des Satzes, dass wir aufgrund der Veranlagung unserer Natur kein Wissen haben,] äußerten und denen Aristoteles dann widersprach 237. (2) Auch Pyrrhon aus Elis hat diese Auffassung wirkungsvoll verfochten. Allerdings hat er selbst nichts Schriftliches hinterlassen. Sein Schüler Timon sagt jedoch, dass jeder, der glücklich sein (ε1δαιμσειν) wolle, auf diese drei Dinge achten müsse: erstens darauf, welcher Art die Dinge von Natur aus sind; zweitens darauf, wie wir uns ihnen gegenüber zu verhalten haben; und schließlich darauf, was sich daraus für diejenigen ergibt, die sich so verhalten. (3) Wie Timon sagt, erklärt Pyrrhon die Dinge für gleichermaßen unterschiedslos (oder ununterscheidbar), unsicher und unbeurteilbar (π’ Gσης διφορα καI στθμητα καI νεπ κριτα). (4) Aus diesem Grund sagen uns weder unsere Sinneswahrnehmungen noch unsere Meinungen Wahres oder Falsches. Daher sollten wir nicht das mindeste Vertrauen in sie setzen (μηδ" πιστε!ειν). Vielmehr sollten wir meinungslos (δοξαστο ), ohne Neigung zu etwas (κλινε$ς) und unerschütterlich sein (κραδντοι) und von jedem einzelnen Gegenstand sagen, dass er um nichts mehr ist als nicht ist oder sowohl ist als auch nicht ist oder weder ist noch nicht ist 238 . (5) Für die, welche eine solche Einstellung haben, ergibt sich, wie Timon sagt, zuerst Sprachlosigkeit (φασ α), dann Unerschütterlichkeit (ταραξ α) und, so sagt Ainesidemos, Annehmlichkeit (=δον).« Von Timon, den Aristokles als Quelle für sein Wissen über Pyrrhon benutzt, ist auch der folgende Spruch überliefert, den profilierte

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Philosophiehistoriker »zu den am besten bezeugten Lehrstücken Pyrrhons« rechnen239 , so dass es unzulässig wäre, ihn bei einer Rekonstruktion seiner Philosophie unbeachtet zu lassen. Er lautet: »Wahrlich nennen will ich dir, so wie es mir zu sein scheint (Oς μοι καταφα νεται), ein Wort der Wahrheit (μ!θον ληθε ης), denn ich besitze die rechte Richtschnur (oder: ›ein Wort, denn ich besitze die rechte Richtschnur der Wahrheit‹ = Hρθν ;χων καννα), dass das Wesen des Gottes und des Guten (= το, θε ου φ!σις καI τγαθο,) ewig (ε ) ist, von denen her (ξ Cν) den Menschen ein vollkommen gleichförmiges Leben (#στατος β ος) entsteht240.« Wenn Timon damit einen Satz Pyrrhons richtig wiedergibt, dann scheint es für ihn wenigstens eine wahre Aussage und wenigstens ein Seiendes gegeben zu haben, nämlich das der Gottheit als des Guten, das nur dieses und nicht ebenso etwas anderes ist. Das Paradoxon vom dogmatischen Skeptiker, das damit gegeben zu sein scheint, lässt sich nur im Blick auf Gesamtcharakter der Philosophie Pyrrhons auflösen. Dafür sollte nach meiner Auffassung Folgendes beachtet werden241: Die Formulierung für das Endziel des menschlichen Lebens im Spruch des Timon (›vollkommen gleichförmiges Leben‹) meint dasselbe wie die »Unerschütterlichkeit« im Referat des Aristokles (Text 56, 5). Dort steht vor diesem Begriff, der auf die Ethik Epikurs verweist, der Begriff »Sprachlosigkeit«, der für das Denken und Reden einen Zustand vollkommener Bewegungslosigkeit, also die skeptische Urteilsenthaltung bezeichnet242. Achtet man auf das bei Diogenes überlieferte Lob des Pyrrhon durch Anaxarchos, der ihn als von menschlich-natürlicher Zuneigung frei und gegenüber allem als gleichgültig bezeichnet, was Menschen ansonsten instinktiv antreibt, dann scheint der Vollkommenheitszustand des Skeptikers eine Steigerung der Affektlosigkeit des stoischen Weisen zu sein. Im Text des Aristokles (Eusebius) ist mit diesem Zustand Lust verbunden, die sowohl bei Epikur als auch in der peripatetischen Philosophie wesentlich zum ›Glück‹ des menschlichen Lebens gehört 243 . Zusätzlich fällt auf, dass Timon diesen Zustand mit dem

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Superlativ des Adjektivs »Gσος (= gleich)« umschreibt. Man kann ihn deshalb als Zustand kontinuierlicher Einheit in und mit sich selbst verstehen, der in parmenideisch-platonischer Tradition und mit kräftiger Wirkung auf die Stoa, Epikur und die akademische Skepsis das Beste im Seienden charakterisiert. Eine Folgerung aus diesen Beobachtungen könnte darin bestehen, Pyrrhons Philosophie als spezifischen Beitrag zum Streit über den Weg zum summum bonum und seine ›richtige‹ Definition aufzufassen, den die Philosophenschulen seit dem 4. Jh. v. Chr. offen gegeneinander ausgetragen haben. Pyrrhons Philosophie wäre dann im Kern Ethik, die nichts anderes sein will als eine Hinführung zu dem, was in Text 56 (2) als »glücklich sein« bezeichnet wird. Die ihr zugrundeliegende Konzeption ließe sich deshalb so umschreiben: Die kritische Untersuchung des Wissens, die Einschätzung der Dinge als unbestimmt und unbestimmbar, die Urteilszurückhaltung und das Misstrauen gegenüber Wahrnehmungen bewirken zwar nicht selbst das Glück, sind aber die notwendige Voraussetzung dafür, dass das menschliche Leben von der Natur des Gottes und des Guten überhaupt geprägt und von ihr in den Zustand vollkommener Gleichförmigkeit überführt werden kann. Der technische Teil der Philosophie soll also die spezifisch menschlichen ›Teile‹ aus der eigenen Natur entfernen oder in vollständige Nicht-Aktivität versetzen. Nur so ist sie für das erreichbar, was als das göttlich Gute das allein Wirkliche ist. Von dem angedeuteten Streit über das summum bonum bekommen wir eine gute Vorstellung in Ciceros Lucullus, der diese Kontroverse aus der Perspektive der akademischen Skepsis darstellt 244 . Wichtig ist, dass alle Streitparteien die Voraussetzung teilen, »nur das sei gut, was eine stets gleiche mit sich identische Einheit ist«245 . Sie entzweien sich erst bei der Antwort auf die Frage, was diesem Kriterium am besten gerecht wird. Da Pyrrhon so klug war, sich nicht schriftlich zu äußern, ist sein Schüler Timon der einzige, der für ihn sprechen kann. Daher nehme ich an, dass der Pyrrhonismus die Telosformeln der mit ihm konkurrierenden

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Philosophenschulen durch einen schärfer gefassten Begriff der Einheit überbieten will. Er radikalisiert die epikureische »Unerschütterlichkeit« durch »Sprachlosigkeit«, die stoische »Apathie« durch »Gleichgültigkeit« und die ›natürliche Neigung‹, von der die Stoa bei ihrer Bestimmung des summum bonum ausgeht246, durch das von aller Neigung Freie (DL IX 63). Die Reihenfolge am Ende des Aristokles-Eusebius-Textes – Aphasie, Ataraxie, Lust – macht mit der Stoa gegen Epikur deutlich, dass Lust nicht das Endziel des menschlichen Lebens, sondern nur seine Nebenfolge ist, und überbietet dann den stoischen Begriff des Endziels durch seine Beschreibung als »Sprachlosigkeit«. Die pyrrhonische Philosophie unterstützt ihre Telosformel durch eine ›edle‹ Kritik des Wissens, die alle Dinge im Bereich der rerum natura als in sich unbestimmbar einschätzt, und behauptet dann: Richtige Unerschütterlichkeit setzt ›Sprachlosigkeit‹ voraus, also den begründeten Verzicht auf Aussagen, die jede res, die sie zu ihrem Gegenstand machen, schon der Form nach darauf festlegen, mehr dieses als jenes oder sogar nur dies und in keiner Weise etwas anderes zu sein. Dieser Verzicht erweist sich aber nicht als Verlust, sondern als Gewinn, nämlich als Eintritt in einen Zustand uneingeschränkter Freiheit gegenüber allen Wahrnehmungen, Meinungen, Neigungen und Sitten, so dass mit ihm das Gute seelischer ›Unerschütterlichkeit‹ ebenso unmittelbar verbunden ist wie die Glücksempfindung der Lust. Die pyrrhonischen Skeptiker sind nicht wie die Stoiker und Epikureer auf der Suche nach der richtigen causa efficiens ihres Glücks247. Das Ruhigwerden der Aphasie, mit dem das ›Schweigen‹ der Begierde als der Quelle aller Übel unmittelbar verbunden ist 248 , bedeutet lediglich die notwendige Voraussetzung dafür, dass die Natur des Gottes und das in ihr enthaltene Gute so wirken können, dass daraus ein Leben der vollkommenen Gleichheit mit sich selbst hervorgeht 249 . Der Pyrrhonismus steht von daher Platon näher als seine philosophischen Konkurrenten. Das Gute kann nur ein absolut Eines sein, das im Sinne der ersten Hypothesis des platonischen Parmenides aller Wahrnehmung, allem Wis-

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sen und damit erst recht jeder Herstellbarkeit entzogen ist. Wenn Timon seinen Lehrer richtig verstanden hat, dann beruht dessen Skepsis im Kern auf einem theologischen Argument. Als die Natur des Guten ist diejenige des Gottes die einzig denkbare Ursache für das in Wahrheit Gute. Der Mensch kann sich darauf weder im Wissen noch im Handeln beziehen. Indem der Skeptiker das Wissen und Sprechen, die bei Platon, Aristoteles und in der Stoa die menschliche mit der göttlichen Natur verbinden, durch eine umfassende Kritik in den Bescheidenheitszustand prätentionsloser Ruhe versetzt, wird er für das in Wahrheit Guten überhaupt erst erreichbar, das im Kern Einheit und Bestimmtheit ist und damit ein Jenseits gegenüber allem, was als das ›Nicht-mehr-dies-alsjenes-Seiende‹ der Regel ›unbestimmter Zweiheit‹ unterliegt. Und wenn das göttlich Gute in ihm wirkt, ist das Leben des Skeptikers in seiner absoluten Gleichförmigkeit sowohl der vollendeten Tugendhaftigkeit des Stoikers als auch der katastematischen Lust des Epikureers an innerer Einheit und wirklicher ›Unerschütterbarkeit‹ überlegen. Da Pyrrhon seine Aussage über das Ziel des menschlichen Lebens als Skeptiker formuliert, kann das, was er dazu sagt, nur das sein, was ihm in dieser Hinsicht ›erscheint‹. Der erste Vers des von Timon gedichteten Spruchs bringt das auch eindeutig zum Ausdruck. Wahrheit wird deshalb streng genommen allein für die Unterscheidung zwischen den beiden Strukturprinzipien der Einheitlichkeit und Zweiheitlichkeit beansprucht. Wissen und Handeln gehören auf die Seite der Zweiheitlichkeit. Das Wissen kann nicht, wie bei Platon, Aristoteles und in der Stoa, von sich aus auf die Seite der Einheitlichkeit und der von ihr geprägten Bestimmtheit übergehen, wohl aber mit der Aphasie einen Zustand der Äquidistanz gegenüber ›Einheit-‹ und ›Zweiheitlichkeit‹ einnehmen. In ihm bewegt sich das Wissen nicht mehr auf das hin, was als die Welt des Erscheinenden von der Struktur der Zweiheitlichkeit geprägt ist, so dass ihm von dieser Ruheposition aus das göttlich Gute als Einheit jenseits von Zweiheitlichkeit erscheint. Pyrrhon

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vertritt ganz offensichtlich keinen wirklichen Platonismus, aber er realisiert insofern einen Grenzwert platonisch inspirierten Denkens, als bei ihm die Prinzipienbegriffe des Einen und der Zweiheit zwar nicht offen genannt oder inhaltlich gefüllt, aber doch dazu verwendet werden, den gleichsam ortlosen Punkt zu beschreiben, an dem man das ›Schlupfloch‹ (DL IX 65) vor sich sehen kann, das aus der Welt der Zweiheitlichkeit hinauszuweisen scheint.

2.

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Die aporetische Skepsis der platonischen Akademie als dialektisch begründete Distanzierung von der theoretischen Prinzipienreflexion

Da auch Arkesilaos und Karneades nur mündlich gelehrt haben, sind wir für die Rekonstruktion ihrer philosophischen Absichten ebenfalls auf fremde Berichte angewiesen, von denen diejenigen von Cicero und Sextus Empiricus die wichtigsten sind. Cicero interessiert sich für diese Autoren, weil er eine bestimmte Variante des Platonismus vertritt, die sowohl die Reflexionsform der Skepsis als auch die Darstellungsform der Rhetorik in sich aufnimmt250. Zu seinen philosophischen Lehrern haben auch Philon aus Larisa und Antiochos aus Askalon gehört 251, die mit dem Denken von Arkesilaos und Karneades vertraut gewesen sind, auch wenn sie selbst eine ›dogmatische‹ Position vertreten haben, die man grob als Synthese aus akademischer, peripatetischer und stoischer Philosophie charakterisieren kann. Von ihnen hat Cicero jedenfalls Entscheidendes über die akademische Skepsis erfahren. Sextus hingegen interessiert sich als Neupyrrhoneer für Formen der Skepsis, die früher in der platonischen Akademie vertreten, aber dort inzwischen wieder vergessen worden sind, um sie für die von ihm propagierte Form postakademischer Skepsis in Gebrauch zu nehmen. Warum aber konnte im institutionellen Wirkungszusammenhang platonischer Philosophie überhaupt eine grundsätzliche

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Zurückhaltung (ποχ ) gegenüber Lehrmeinungen und damit verbunden eine Konzentration auf ihre kritische Untersuchung aufkommen? Für eine Antwort auf diese Frage muss man sich folgende Fakten vor Augen halten: Die Zeit der skeptischen Akademie reicht in etwa von 268 (Übernahme des Scholarchats durch Arkesilaos) bis 128 (Tod des Karneades252). Man bezeichnet sie auch als die jüngere Akademie253 . Ihre wichtigsten philosophischen Konkurrenten waren die Stoiker. Der Peripatos hatte sich nach dem Tod Theophrasts (286) von der philosophischen Diskussion weitgehend verabschiedet und sich stattdessen auf empirische Forschung konzentriert. Im Garten Epikurs stand die Einübung in das einfache Leben der katastematischen Lust im Vordergrund. Genuin philosophische Wissensbedürfnisse wurden deshalb hauptsächlich von der Stoa bedient, die mit ihrer strengen Verbindung zwischen der quaestio de rerum natura und der quaestio de finibus bonorum et malorum als authentische Nachfolgerin der klassischen Philosophie auftrat. Grundlegend für sie ist der Begriff einer fundamentalen, von der Natur vorgegebenen Wissenstüchtigkeit, bei der die direkte Erfassbarkeit (κατληψις = comprehensio) sowohl des allgemeinen als auch des jeweils konkreten Seins der rerum natura vorausgesetzt ist 254 . Genau an diesem Punkt setzt die akademische Skepsis an und konfrontiert die Stoa mit einem Prüfungsverfahren für Wahrheitsansprüche, das sie im Blick auf ihre eigene Tradition als authentischen Sokratismus ausgibt. Es wird der Lehrweise des in utramque partem disserere entnommen, die Sokrates vor allem in Platons Frühdialogen praktiziert, wenn er die Behauptungen anderer widerlegt, ohne eine eigene Lehrmeinung zu vertreten255 . Innerhalb der Akademie ist diese Argumentationsmethode immer ein Teil des formalen Übungsprogramms gewesen, und zwar, wie die philosophiehistorische Forschung plausibel gemacht hat, bis in die Zeit des Arkesilaos hinein256. Bei ihm wird sie jedoch erstmals als formale Methode bewusst von der Ideendialektik getrennt und damit zum alleinigen Zentrum der philosophischen Tätigkeit erklärt 257. Diogenes Laer-

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tius berichtet deshalb, Arkesilaos habe »als erster258 wegen der Widersprüchlichkeit begründeter Sätze (δι? τ?ς ναντιτητας τ.ν λγων) konkrete Lehraussagen (τ?ς ποφσεις) zurückgehalten, als erster … sich auf das Dafür- und Dagegenreden verlegt (ε#ς Nκτερον πεχε ρησε = in utramque partem disseruit) und als erster … die von Platon überlieferte Lehre verändert und sie durch den Wechsel von Frage und Antwort mehr zu einer Angelegenheit des Streits gemacht (πο ησε … ριστικ(τερον)259 .« Wie radikal der Bruch mit Platon ausfällt und in welche Richtung seine Philosophie verändert wird, erkennt man daran, dass Diogenes die beiden ersten Aussagen über Arkesilaos auf Protagoras zurückführt. Dieser nämlich habe als erster behauptet, »es gebe über jeden Sachverhalt zwei entgegengesetzte Aussagen (δ!ο λγους … ντικειμνους λλλοις)«, und er habe danach auch in seinen Argumentationen gehandelt (DL IX 51). Protagoras war deshalb der Erste, der »die Gesprächsmethode des Sokrates« und damit »die Argumentationsverfahren gegen aufgestellte Thesen« in der Philosophie zur Geltung gebracht hat (DL IX 53). Hinter dem, was Arkesilaos will, steht der Anspruch, platonische Philosophie auf eine als sokratisch ausgegebene, in Wirklichkeit aber sophistisch-rhetorische Grundform zurückzuführen, von der sich Platons Sokrates jedenfalls mit aller Entschiedenheit distanziert hat. Wahre Philosophie ist für Arkesilaos grundsätzlich sokratische Philosophie, und wenn Sokrates der Erbe der Sophistik im Sinne des Protagoras ist, dann ist Philosophie grundsätzlich sophistisch-skeptische Philosophie. Nur wegen der ungewöhnlichen Reputation des Sokrates wird sie mit seinem Namen bezeichnet260. Dass ein derartiger Begriff von Philosophie von einem gewählten Scholarchen in der Akademie vertreten und weit über seinen Tod hinaus wirksam werden konnte, ohne dass dies einen Aufstand oder wenigstens Widerstand ausgelöst hätte, lässt sich nur aus der allgemeinen kulturellen Situation der damaligen Zeit erklären, die aufgrund ihrer Prägung durch die empirischen Wissenschaften und wegen des vorrangigen Interesses an der Ethik

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zu dem, was für Platon und Aristoteles die Wirklichkeit allgemeiner Formen gewesen ist, keinen Zugang mehr finden konnte. Unter dieser Vorgabe steht auch die besondere Auseinandersetzungssituation, in der sich die Akademie gegenüber ihrer philosophischen Konkurrenz profilieren musste. Von der platonischen Philosophie konnte nur überleben, was für die stoische, zum Teil auch für die epikureische Philosophie von zentraler Bedeutung war: die Kunst dialektischer Argumentation und der Begriff vom Endziel des menschlichen Lebens als Zustand in sich geschlossener und dadurch vollkommener Einheit. Aus diesem Grund steht in der folgenden Darstellung der akademischen Skepsis die interne Spannung zwischen erkenntniskritischer Dialektik und einer platonisch inspirierten Ethik des Guten im Vordergrund der Aufmerksamkeit. Dass und wie sich die Skepsis der Akademie durch eine Qualitätsveränderung der platonischen Philosophie gegenüber der Stoa positioniert, wird im Blick auf Ciceros Academica posteriora deutlich261. Dort trägt M. Terentius Varro (116 – 27), Anhänger des der Stoa nahe stehenden und deswegen aus der skeptischen Akademie ausgetretenen Antiochos aus Askalon262, seine Sicht auf die Entwicklung der Philosophie in der Zeit nach Sokrates vor: Xenokrates, der zweite Nachfolger Platons als Scholarch der Akademie, und Aristoteles, in gleicher Weise »von Platons Gedankenreichtum erfüllt«, hätten »eine eigene Art philosophischer Lehre in Gestalt eines vollständigen und umfassenden Systems ausgebildet« und damit »die Gewohnheit des Sokrates, aporetisch und ohne Entscheidung über alle Probleme zu diskutieren, aufgegeben263 .« Inhaltlich habe zwischen der Akademie und dem Peripatos zunächst weitgehende Übereinstimmung bestanden, an der die Akademie festgehalten habe, während die Nachfolger des Aristoteles sich davon vor allem durch die Vernachlässigung der Ethik entfernt hätten264 . Schüler des Akademikers Polemon (ca. 350 – 270/69, Scholarch seit 314/13) seien zu gleicher Zeit Zenon und Arkesilaos gewesen. Der Gründer der Stoa habe »die alte

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Lehre« von Sokrates und Platon dadurch »verbessern wollen«, dass er im Gegenzug zum Peripatos »alles, was zum glückseligen Leben gehört, ausschließlich in die Tugend« und diese wiederum »ganz und gar in die Vernunft gelegt habe«, so dass für ihn die vernunftfundierte Tugendhaftigkeit »das einfache, alleinige, einzige« und »wahrhafte Gute« im Sinne Platons gewesen sei265 . Varro referiert danach die stoische Lehre vom ununterbrochenen Kontinuum zwischen sinnlichem Eindruck (αGσθησις = sensus), Erkenntnis anleitender Vorstellung (φαντασ α καταληπτικ = comprehensio) und aktiver Zustimmung (συγκατθεσις = adsensio und approbatio) des Verstandes zu ihr als einer Wahrheit266, wobei es dem Selbstverständnis der Stoa und des Antiochos entspricht, »die Lehre der Stoiker eher als eine Verbesserung der Alten Akademie« und nicht »als gänzlich neue Lehre« auszugeben267. Die aporetische Skepsis ist dann eine Abweichung von der Alten Akademie, so dass sie polemisch als ›Neue‹ bezeichnet wird. In seiner Erwiderung auf Varro kennzeichnet Cicero hingegen die Position des Arkesilaos und des Karneades als die einzige, die der von Sokrates ein- und von Platon wie von Aristoteles268 weitergeführten philosophiae forma verpflichtet geblieben sei. Dies entspricht auch am ehesten dem Selbstverständnis der Akademie, die trotz aller Modifikationen ihres inhaltlichen Profils als Einheit eines Lehrzusammenhangs auftreten wollte. 57 · Cicero, Academica posteriora I 44 – 46269 (44) »[…] Wie wir annehmen hat Arkesilaos den ganzen Streit

mit Zenon nicht aus Rechthaberei und Ehrgeiz angefangen, sondern wegen der Undeutlichkeit der Dinge (rerum obscuritas), welche Sokrates veranlasst hatte einzugestehen, dass er nichts wisse. Schon vor Sokrates hatten Demokrit, Anaxagoras, Empedokles und fast alle alten Philosophen dasselbe erklärt: Sie sagten, man könne nichts erkennen (cognosci), nichts begreifen (percipi), nichts wissen (scire), die Sinne (sensus) seien beschränkt

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(angusti), das Denkvermögen (animus) schwach (imbecillus), das Leben kurz, und die Wahrheit, mit den Worten Demokrits, ›in die Tiefe versenkt (in profundo demersa)‹; alles beruhe nur auf Meinungen (opiniones) und Konventionen (institutiones), für die Wahrheit bleibe kein Ort übrig, und überhaupt sei alles in Finsternis gehüllt (tenebris circumfusa). (45) Deshalb behauptete Arkesilaos, dass es nichts gebe, was erkannt werden könne, nicht einmal das, was Sokrates für sich übrig gelassen habe, nämlich, dass er wisse, dass er nichts wisse. Alles liege im Verborgenen (omnia latere), wie er meinte, und es gebe im Dunklen (in occulto) nichts, was gesehen (cerni) oder erkannt werden (percipi) könne; aus diesen Gründen dürfe niemand etwas behaupten oder versichern (affirmare) oder durch seine Zustimmung [als etwas in Wahrheit Seiendes] anerkennen (assensione approbare); man müsse diese Art Zustimmung vielmehr zurückhalten (cohibere) und sich vor jedem Irrtum aufgrund eines unüberlegten Urteils (temeritas) hüten: Eine solche Unüberlegtheit sei es offensichtlich, wenn man eine falsche oder nicht begriffene Sache billige; es gebe nichts Beschämenderes, als wenn Zustimmung und Billigung dem Erkennen und Begreifen vorauseilten. So tat er, was mit dieser Regel im Einklang stand: Dadurch, dass er gegen die Ansichten aller Philosophen diskutierte (contra omnium sententias disserens), überzeugte er sehr viele von ihnen von der Unhaltbarkeit ihrer Meinungen. Da in ein und derselben Sache (in eadem re) gleichgewichtige Vernunftgründe dafür und dagegen (paria contrariis in partibus momenta rationum) zu finden seien, könne man leicht von den Behauptungen beider Seiten (ab utraque parte) die Zustimmung zurückhalten. (46) Dies ist es, was man die ›Neue Akademie‹ nennt. Mir kommt sie allerdings wie die ›Alte‹ vor, wenn wir nämlich Platon zur ›Alten‹ rechnen; denn in seinen Büchern stellt er keine festen Behauptungen auf (nihil affirmatur), wird vieles mit Gründen und Gegengründen diskutiert (in utramque partem multa disseruntur), alles in Frage gestellt (de omnibus quaeritur) und nichts fest behauptet (nihil

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certi dicitur). Dennoch mag jene, die Du [Varro] geschildert hast, die ›Alte‹ und diese [die von Arkesilaos begründete] die ›Neue‹ heißen. Diese ›Neue Akademie‹, weitergeführt bis auf Karneades, den vierten Leiter dieser Schule nach Arkesilaos, blieb bei der These des Arkesilaos.« Wenn man zunächst einmal auf die Schlusspartie dieses Textes achtet, so wird dort nahezu mit Händen greifbar, wie stark sich die Rahmenbedingungen philosophischer Tätigkeit gegenüber der Zeit von Platon und Aristoteles verändert haben. Die Philosophie hat ihren Ort jetzt im institutionellen Rahmen von Schulen, die interne Abspaltungen kennen und sich zudem gegenseitig die Reputation und damit auch ihre möglichen ›Kunden‹ streitig machen. Die ideenpolitisch wirkungsvolle Selbstpräsentation wird zur Überlebensbedingung für jede philosophische ›Schule‹, wobei es im Blick auf das Ansehen des Sokrates entscheidend war, sich selbst als seinen einzig legitimen Erben auszugeben zu können. Die akademische Skepsis versucht das, indem sie die Einheit von Wissen und Lebensorientierung, die Platons Sokrates begründet hat und an der die philosophische Konkurrenz festhält, in der vermeintlichen Nachfolge eines Sokrates aufgibt, der die kritische Destruktion theoretischer Wissensansprüche zur Voraussetzung für eine vernünftige Handlungsorientierung erklärt haben soll. Arkesilaos bindet sich dafür an die klassische These der Skepsis von der grundsätzlichen obscuritas rerum. Die Wahrheit der rerum natura ist danach von der Natur selbst ›in die Tiefe versenkt‹ worden und liegt deshalb definitiv ›im Verborgenen‹, eingehüllt in ›Finsternis‹ und ›Dunkelheit‹. Diese Grundvoraussetzung wird nicht nur auf Sokrates, sondern auf einen vermeintlichen Konsens ›fast aller alten Philosophen‹ zurückgeführt. Da man im Dunklen weder etwas sieht noch erkennt, gilt auch für die in Dunkelheit gehüllte Natur der Dinge, dass man sie nicht erkennen, begreifen oder wissen kann. Und da alles, was ist, zur rerum natura gehört, heißt das, dass nichts erkennbar, begreifbar oder wissbar

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ist. Die akademisch-aporetische Skepsis nähert sich damit dem Konzept politisch-rhetorischer Vernunft und seiner anthropologischen Voraussetzung, nach der die Menschen in Bezug auf die wichtigsten Güter ihres Lebens Mängelwesen sind. Da für die akademische Skepsis die Frage nach dem Wissen im Vordergrund steht, konkretisiert sich die Mängelwesentheorie bei ihr zu der Auffassung, dass die Güter des Wissens dem Menschen von Natur aus unzugänglich bleiben. Primär geht es ihr dabei allerdings um ein ontologisches, nicht um ein erkenntnistheoretisches oder anthropologisches Argument: Weil die Natur aller Dinge verborgen ist, sind die individuellen Aktionen des Wahrnehmungs- und des Denkvermögens zu schwach, um ein von Natur aus Seiendes zu erfassen, wobei die Kürze der menschlichen Lebenszeit eine Kompensation oder Abmilderung dieses Mangels ausschließt. Die Steigerung des sokratischen Nichtwissens, das wenigstens noch für sich Wissen beansprucht hatte, zu einem universalen, sich selbst ausdrücklich einbeziehenden Nichtwissen ist deshalb die einzig plausible Konsequenz, die man aus der Grundannahme von der Unerkennbarkeit aller Dinge ableiten kann. In Bezug auf das, was ist, bewegen wir uns also ausschließlich im Element von Meinungen und willkürlichen Festsetzungen. Wer dafür Wahrheit beansprucht, verkennt die Differenz zwischen der natura rerum und den menschlichen Tätigkeiten des Wahrnehmens und Wissens. Begreifen, Erkennen und Wissen sind freiwillige und insofern künstliche Handlungen, mit denen wir dem Gegebensein einer Sache oder gar einer bestimmten Form ihres Gegebenseins zustimmen. Da uns das, was eine Sache von sich selbst her ist, verborgen bleibt, bedeuten Zustimmungen zu ihr als einer Wahrheit eine Überschätzung des eigenen Wahrnehmens und Wissens, so dass man sie nicht nur als Irrtum, sondern mehr noch als hochmütige Anmaßung und damit als moralisches Laster bewerten muss. Die Ontologie universaler Latenz führt zwangsläufig zu einer Ethik ›natürlicher‹ Bescheidenheit und damit zum Verzicht auf jede ›künstliche‹ Erweiterung eigener Besitzansprü-

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che. Die Praxis theoretischer Urteilsenthaltung bedeutet eine Anerkennung der Tatsache, dass die Natur selbst, also der Inbegriff des Guten und Richtigen, das, was sie in ihrer eigenen Wahrheit ist, dem Zugriff des menschlichen Wissens entzogen hat. In gut griechischer, vom heroischen Prinzip des Wettkampfs geprägter Tradition liegen dieser Ethik soziale und anthropologische Unterscheidungsbegriffe zugrunde, die voraussetzen, dass Menschen grundsätzlich unter Konkurrenzbedingungen nach Gütern streben und darin von den anderen als die Besten geehrt werden wollen. Für die akademische Skepsis ist das summum malum und deshalb das Beschämendste die voreilige Zustimmung zu dem, was überhaupt nicht ist, das summum bonum und damit das Ehrenhafteste hingegen die Zurückhaltung jeder Zustimmung zu allem, von dem wir nicht sagen können, ob es ist oder nicht, und damit auch nicht, was es ist und was nicht. Das einzig nachahmenswerte Beispiel für ein ehrenhaftes Verhalten gibt Platon, so dass er höchstes Lob verdient, weil er (1) in Bezug auf Seiendes keine festen Behauptungen aufgestellt, (2) jede Behauptung im Blick auf Gründe und Gegengründe untersucht und dabei (3) alles in Frage gestellt hat, was eine wahre Aussage über die Natur der Dinge sein will. Arkesilaos ist also konsequenter Platoniker und kein Neuerer. Wenn man seine ›Schule‹ dennoch als ›Neue Akademie‹ diskreditieren will, um die eigene dogmatische Position als Fortsetzung der ›Alten‹ zu legitimieren, dann kann man dagegen halten, dass die ›Neue Akademie‹ ihren Begriff philosophischer Tätigkeit von Sokrates und Platon übernommen und ›bis auf Karneades, den vierten Leiter dieser Schule nach Arkesilaos‹, beibehalten hat, während Abweichler wie Philon und Antiochos ihre ursprünglich skeptische Position in eine dogmatische umgewandelt und damit auch das Unterscheidungsmerkmal zur Stoa aufgegeben haben270. Für die These von der Unerkennbarkeit aller Dinge, die für sich doch Wissen zu beanspruchen scheint, nennt Cicero keine theoretischen Argumente. Das hat seinen Grund zunächst darin, dass

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die akademische Skepsis, wie bereits erwähnt, das sokratische Nichtwissen auch auf sich selbst bezieht, so dass es von daher gar nicht möglich ist, die eigene Position durch begründetes Wissen zu stützen. Man kann allerdings unschwer erkennen, dass dem, was damit philosophisch vertreten wird, ethisch-praktische Überlegungen zugrunde liegen, die man sich auf folgende Weise deutlich machen kann271: Um nicht in die Falle des performativen Selbstwiderspruchs zu geraten, muss die akademische Skepsis den Grundsatz ihres Denkens dem Bereich der Meinung zuordnen. Sie muss zusätzlich meinen, dass in der Konkurrenz von Meinungen diejenige einen gleichsam ›natürlichen‹ Vorrang hat, die sich selbst offen als Meinung präsentiert und deshalb ihren Inhalt nicht als Wissen ausgibt. Aus der Perspektive von Meinungen ist jedes Wissen eine Anmaßung, so dass es sich auf momenta rationis stützen muss, die per definitionem im Bereich von Meinungen nicht vorkommen können. Wenn man dennoch auf so etwas rekurriert oder besser noch, wenn man beobachtet, dass jemand das, worauf er sich für eine Behauptung stützt, als ein momentum rationis ausgibt, dann wird zugleich deutlich, dass es für jede ›res‹, deren Natur zum Gegenstand einer Aussage gemacht wird, wenigstens zwei einander entgegengesetzte Behauptungen (sententiae) gibt, die gleichwertige Argumente, in Ciceros Formulierung paria momenta rationis, für sich geltend machen. Die ratio maßt sich also nicht nur eine Entfernung vom Bereich der Meinungen und Vereinbarungen an, sondern sie blockiert sich zusätzlich selbst, wenn sie Aussagen über das wahre Sein einer bestimmten res riskiert. Wenn aber über das, was etwas aus sich selbst ist, auf der Ebene der ratio keine Entscheidung fallen kann, ist man gut beraten, bei allen philosophischen Sätzen, die für sich Wahrheit beanspruchen, auf die Argumente der Gegenseite zu achten. Wer grundsätzlich in Bezug auf philosophische Gegenstände alle oder wenigstens viele Aussagen im Hinblick auf Gegenargumente prüft, wird vernünftigerweise von vornherein darauf verzichten, eine bestimmte Lehrmeinung als ›sicher‹ auszugeben.

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Im Kern beruht die Position der aporetisch-skeptischen Akademie auf einer Ethik, für die das in Wahrheit Gute insofern das Endziel des menschlichen Lebens ist, als nur bei ihm die Merkmale der Kontinuität, Autarkie und Stabilität zu finden sind. Wie in der Stoa kommt nur dem Weisen das Gut einer ›natürlichen‹ Ehre zu, die statt auf äußerer Anerkennung oder einem ›künstlich‹ konstruierten Besitzanspruch auf innerer Festigkeit und eigener Unerschütterlichkeit beruht. Die ›natürliche‹ Ausgangsposition für das menschliche Verhalten in der Welt ist der Bereich der Meinungen. Was sich mit der Prätention auf Wissen davon entfernt, bedarf ›künstlicher‹ Stützen, die nur der als ›momenta rationis‹ ausgeben kann, der nicht wahrhaben will, dass sie auf Willkür beruhen, nämlich auf der Nichtbeachtung oder dem Ausschluss gleichartiger und –wertiger Alternativen. ›Künstliche‹ Ansprüche brechen jedoch in sich zusammen, sobald ihre Künstlichkeit durchschaut ist. Von daher besitzt nur derjenige die gravitas atque constantia des Weisen272, der sein Leben ausschließlich aus der Kraft des eigenen Urteils führt und sich gegenüber der unüberschaubaren Vielfalt vermeintlicher Wahrheitsgüter absolut unbewegt verhält. Bei sich bleibt nur, wer sich jeder Aussage »über Wirklichkeit oder Unwirklichkeit einer Sache« enthält und sich weigert, eine bestimmte Aussage darüber wegen ihrer vermeintlich größeren »Glaubwürdigkeit« einer anderen vorzuziehen. Die vollständige Äquidistanz zu allem, was als Wahrheit behauptet wird, lässt sich aber nur sichern, wenn die »Zurückhaltung« des eigenen Urteilens und Billigens als das um seiner selbst willen erstrebte Endziel und damit als das höchste Gut in der eigenen Lebensführung fest verankert ist. Nur im konstanten Blick auf dieses Gut erscheinen alle »einzelnen Zurückhaltungen als gut und die einzelnen Zustimmungen als übel273 .« Wer anders handelt, gleicht einem Sklaven, der mit der ›natürlichen‹ Freiheit seines Urteilsvermögens auch seine Autarkie aufgegeben hat, ohne die es kein gutes Leben gibt 274 . Auch die akademische Skepsis arbeitet mit den prinzipien-

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theoretischen Differenzbegriffen des ›in sich bestimmten Einen‹ und der ›unbestimmten Zweiheit‹. Einheit im Sinne des kontinuierlichen Bestimmtseins aus sich selbst kommt nur dem Leben des Weisen zu. Er gewinnt sie nicht wie sein stoischer Rivale als aktiver Teilhaber an der weltkonstituierenden Kraft des göttlichen Logos, ebenso wenig wie der Glückselige Epikurs durch den kontinuierlichen Genuss katastematischer Lust. Nicht die Physik, sondern eine kritisch-destruktive Dialektik ist die causa efficiens des vollkommenen Lebens. Der skeptische Weise weigert sich daher, auch nur den kleinsten Teil seiner ratio für das Verstehen des Zusammenhangs der Natur einzusetzen, sondern verwendet sie allein für den Aufbau einer sicheren Distanz gegenüber der Wirklichkeit, von der die Stoiker und Epikureer meinen, es sei möglich und notwendig, von ihrer Grundstruktur vollständiges Wissen zu besitzen. Platons Unterscheidung des ›stets Seienden, keine Entstehung Habenden‹ und des ›stets Werdenden, aber nimmerdar Seienden‹ wird von seinen skeptischen Nachfolgern also in der Form aufgenommen, dass sie dem Denken, das jeden Ausgriff in den Zusammenhang der rerum natura vermeidet, den Charakter der Gleichheit mit sich selbst und der rerum natura den des ›nie wirklich Seienden‹ zuordnen, so dass man sich darauf nur ›mit vernunftlosem Meinen‹ beziehen kann275 . Von dieser Voraussetzung aus führt die akademische Skepsis ihre Auseinandersetzung mit dem stoischen Konzept des ›Erkenntnis anleitenden Vorstellungsbildes‹. Auch die Stoa teilt das Misstrauen gegenüber Meinungen, traut sich aber zu, innerhalb der wahrgenommenen Vorstellungsbilder Erkenntnis anleitende von nicht Erkenntnis anleitenden zu unterscheiden. Sie behauptet deshalb, das menschliche Leben habe von der Natur selbst die ›Ausrüstung‹ erhalten, die es für die Verwirklichung des Guten im Sinne des secundum naturam vivere benötige. Das Hauptargument der Skepsis gegen diese Annahme bestreitet, dass bestimmte Vorstellungsbilder das Merkmal der Erkenntnisanleitungstauglichkeit enthalten und andere nicht. Es

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gibt zwar Vorstellungsbilder, jedoch keines, das »wahr und so beschaffen ist, wie eine falsche Vorstellung nicht beschaffen sein könnte«276.« Diese Sätze des Arkesilaos werden Karneades in einer ausführlicheren Fassung zugeschrieben, die an die bereits von der Sophistik (Gorgias) und von Platon praktizierte Form hypothetischen Argumentierens anknüpft 277. Von daher gewährt der folgende Textauszug einen Einblick in die Argumentationstechnik der akademischen Skepsis, die vor allem Karneades zur Perfektion entwickelt hat. Nachdem sein erstes Argument die These vom Gegebensein eines Wahrheitskriteriums ablehnt278 , wird in einem zweiten Argumentationsgang hypothetisch vorausgesetzt, dass es ein solches Kriterium gibt. Die Folgerungen, die daraus abgeleitet werden, destruieren aber das Vorausgesetzte, so dass es sich aus sich selbst als unhaltbar auflöst. 58 · Sextus Empiricus, Adversus mathematicos VII 160 – 165279 (160) »[…] wenn es ein Wahrheitskriterium gibt, dann besteht

es nicht getrennt von Zuständen (πθη ) [der Seele], die vom Evidenten (π τAς ναργε ας) [eines Gegenstandes] bewirkt werden. Denn weil sich das Lebewesen vom Unbeseelten durch seine Fähigkeit zur Sinneswahrnehmung unterscheidet, wird es insgesamt nur durch sie sowohl seiner selbst als auch des Äußeren gewahr. (161) Eine Sinneswahrnehmung hingegen, die nicht [von einem wahrgenommenen Gegenstand] in Bewegung versetzt, affiziert oder verändert wird, ist keine Sinneswahrnehmung und ist auch nicht aufnehmend; wenn sie aber gemäß der Einprägung dessen, was evident ist (κατ? τ5ν τ.ν ναργ.ν *ππτωσιν), verändert und irgendwie affiziert wird, dann verweist sie auf Gegenstände. Das Kriterium muss also in dem Zustand der Seele gesucht werden, der von dem für sie Evidenten bewirkt wird. Und dieses Erleiden (πθος) muss sowohl sich selbst aufweisen als auch das Phänomen, von dem es bewirkt wurde. Solch ein Erleiden ist aber nichts anderes als

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die Vorstellung (φαντασ α). (162) Daher muss man sagen, dass auch die Vorstellung eine zum Lebewesen gehörende Affektion ist, die sowohl sich selbst als auch das zu präsentieren vermag, was von ihr verschieden ist. Wenn wir beispielsweise auf einen Gegenstand schauen, dann, so sagt Antiochos [aus Askalon], bringen wir unseren Gesichtssinn in einen bestimmten Zustand und belassen ihn nicht in dem Zustand, in dem wir ihn hatten, bevor wir zu schauen begannen. Infolge dieser Veränderung registrieren wir freilich zweierlei, nämlich zum einen die Veränderung (λλο ωσις) und zum anderen das, was diese Veränderung hervorgerufen hat, also den sichtbaren Gegenstand. Ähnlich ist das auch bei anderen Sinneswahrnehmungen. (163) Wie also das Licht in seinem Schein sowohl sich selbst als auch die Dinge zeigt, so muss auch die Vorstellung, die im Erkenntnisprozess des Lebewesens die Rolle des Anführers inne hat, wie das Licht sowohl sich selbst erweisen als auch in der Lage sein, das Wirkliche aufzuweisen, durch welches sie hervorgerufen wurde. Weil sie aber nicht immer das aufweist, was in Wahrheit da ist, sondern häufig täuscht und weil bei den Instanzen, durch die sie uns übermittelt wird – wie bei schlechten Boten –, viele Unstimmigkeiten vorkommen [= Diaphonie], folgt notwendig, dass nicht jede Vorstellung als Wahrheitskriterium in Frage kommt, sondern wenn überhaupt, dann nur die wahre. (164) […] Weil es aber keine wahre Vorstellung von der Art gibt, dass sie sich nicht als falsch erweisen könnte, weil sich vielmehr zu jeder Vorstellung, die wahr zu sein scheint, eine davon nicht unterscheidbare falsche (παρλλακτος ψευδς) finden lässt [= Aparallaxie], wird das Wahrheitskriterium in einer Vorstellung bestehen müssen, die Wahres und Falsches gemeinsam enthält. Eine solche Vorstellung indes ist nicht Erkenntnis anleitend, und wenn sie das nicht ist, kann sie auch nicht das Kriterium für Wahrheit sein. (165) Nachdem keine Vorstellung für die Wahrheit den Ausschlag gibt, wird auch die Vernunft (λγος) kein solches Kriterium haben können, da sie von der Vorstellung abgeleitet

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ist. Das leuchtet ein. Denn der Gegenstand, der beurteilt wird, muss der Vernunft zuerst erscheinen (φανAναι). Erscheinen kann indes nichts ohne vernunftlose Sinneswahrnehmung. Also ist weder die vernunftlose Sinneswahrnehmung noch die Vernunft eine Instanz, die über die Wahrheit von etwas entscheiden kann.« Man sieht am Referat des Sextus, dass die akademische Skepsis ihre Position aus der Konfrontation mit der Stoa aufbaut. Dabei wird der erkenntnistheoretische Schlüsselbegriff des Gegners nicht direkt durch Gegenargumente untergraben, sondern hypothetisch als etwas wirklich Seiendes angesetzt. Wenn es die Erkenntnis anleitende Vorstellung gibt, dann verweist sie zum einen auf sich selbst und zum anderen auf einen Gegenstand, den sie deswegen in sich aufgenommen hat, weil dieser sich als etwas Deutliches und von daher Unverwechselbares in sie als das eingeprägt hat, was er ist. Ein solcher Vorgang des Einsiegelns müsste für das Wahrnehmungsvermögen eine Zustandsveränderung bedeuten, die als solche ebenfalls wahrnehmbar wäre. In diesem Wahrnehmbaren müsste auch die causa efficiens seiner Veränderung so deutlich vorgegeben sein, dass die Vernunft gar nicht anders könnte als dem, was ihr die Vorstellung als dessen Abbild vor Augen gestellt hätte, Wahrheit zuzusprechen. Das Kriterium für das Wahrsein einer res könnte dann nicht unabhängig von und deshalb, schärfer formuliert, nur in dem Zustand der Seele gefunden werden, den das von ihr im Modus der Evidenz Wahrgenommene in ihrem Wahrnehmungsvermögen hervorgerufen hätte. Diese Voraussetzung, die die stoische Erkenntnistheorie für gesichert hält, wird in unserem Textauszug nur im Blick auf die gegenstandsbezogene Seite des Vorstellungsbildes in Frage gestellt. Wenn Sinneswahrnehmungen uns in dieser Hinsicht auch nur gelegentlich täuschen oder in sich widersprüchlich sind, was de facto mit regelmäßiger Häufigkeit vorkommt, dann kann nur die

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wahre, aber weder die falsche noch die in sich widersprüchliche Vorstellung eines Gegenstandes das Kriterium für dessen Wahrheit enthalten. Nun lässt sich aber jeder Vorstellung, die als wahr erscheint, wenigstens eine andere entgegenstellen, die falsch, aber von der wahren Vorstellung nicht unterscheidbar ist 280 . Zudem kann jede Vorstellung, die unter einem bestimmten Aspekt als wahr erscheint, sich unter einem anderen als falsch erweisen. Es gibt also nur die allgemeine Gattung der Vorstellungen, aber nicht die besondere Art Erkenntnis anleitender Vorstellungsbilder. Die Deutung der Wahrnehmungswelt als Inbegriff des bloßen Werdens, die diesem Argument zugrunde liegt, war für Platon ein Teil des Beweises dafür, dass es ein vom Werden unterschiedenes Sein gibt und dass dies zugleich sicher erkennbar ist. Die Mathematik ist für diese Art des Wissens das prominenteste Beispiel gewesen. Die akademische Skepsis verabschiedet sich aber von der konstruktiven Seite des platonischen Blicks auf die Welt der Wahrnehmungen und bedient sich seiner ausschließlich dazu, gegen die Stoa »die Nichterfassbarkeit des Einzelnen« nachzuweisen281. Das gilt in unserem Text auch für die Möglichkeit, aus der Gesamtheit der Vorstellungsbilder mit Hilfe eines individuellen Merkmals eine besondere Art Erkenntnis anleitender Vorstellungsbilder abzusondern. Immer dann, wenn man das besondere Merkmal der Erkenntnisanleitung zu treffen glaubt, erweist es sich als mit seinem Gegenteil, also mit Irrtümlichkeit oder Undeutlichkeit zusammengewachsen. Innerhalb der Sinneseindrücke und der in sie eingelagerten Vorstellungsbilder lassen sich deshalb keine qualitativen Unterscheidungen treffen, so dass hier der Satz aus dem Lucullus Ciceros gilt: ›Mit allen wahren Sinneseindrücken sind falsche verbunden, die sich von den wahren nicht unterscheiden lassen‹282. Daraus lässt sich wiederum folgern: ›Alles Wahre ist auch mit gewissen falschen Vorstellungen verbunden‹, und diese ›sind sich beide so ähnlich, dass ein sicheres Kriterium für das Urteil [hinsichtlich ihrer Wahrheit] oder für die Zustimmung [zu einer Vorstellung als einer Wahrheit] nicht darin enthalten ist‹283 .

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Nach stoischer Voraussetzung gibt es gegenstandsbezogene Erkenntnis nur dann, wenn zwischen Gegenstand, sinnlichem Vorstellungsbild und seiner begrifflichen Bestimmung ein Kontinuum besteht. Wenn sich die Vernunft nur auf das beziehen kann, was ihr die Sinne als ein wahr Scheinendes vorstellen, und sich darin nach skeptischer Voraussetzung keine nota veri zeigen kann, dann hat auch die Vernunft kein Kriterium, nach dem sie das, was ihr an einer res vorgestellt wird, hinsichtlich seines Wahrheitswerts beurteilen kann. Zwischen Gegenstand, Vorstellungsbild und Begriff (Erkenntnis) besteht nämlich nach dieser Voraussetzung kein ›natürliches‹ Kontinuum, so dass es nicht möglich ist, das, was eine res von sich selbst her ist, in Form einer Erkenntnis festzuhalten.

3.

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Die Abtrennung einer praktischen von der theoretischen Prinzipienreflexion im Zusammenhang der akademischen Skepsis

Im Blick auf die These von der uneingeschränkten obscuritas rerum wirft der Stoiker Lucullus im gleichnamigen Dialog Ciceros den akademisch-aporetischen Skeptikern vor, sie ›raubten den vernünftigen Lebewesen‹ mit der certa nota veri genau das, was zur Natur der Vernunft gehöre, und zerstörten damit ›das Ganze ihres Lebens von Grund auf‹284 . Um diesem Vorwurf entgegen zu treten, unterscheidet die akademische Skepsis zwei Arten philosophischer Prinzipienreflexion, eine theoretische in Bezug auf Wissen und eine praktische in Bezug auf die Lebensführung. Die Notwendigkeit einer besonderen Prinzipienreflexion für die Welt des menschlichen Handelns wird von Arkesilaos folgendermaßen begründet:

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59 · Sextus Empiricus, Adversus mathematicos VII 158285 »Weil es aber danach [nach einer Untersuchung der Grundlagen des Wissens] nötig wäre, auch über die Lebensführung (περI τAς το, β ου διεξαγωγAς) eine Untersuchung anzustellen, deren Natur es nicht zulässt, sie ohne ein Kriterium durchzuführen, an dem die Glaubwürdigkeit (π στις) des Glücks (ε1δαιμον α) im Sinne des Endziels für das Lebens (τ το, β ου τλος) hängt, deshalb sagt Arkesilaos, dass, wer sein Urteil in allem zurückhält, sein Wählen und Meiden und überhaupt alle Handlungen am ›gut Begründeten (τ εPλογον)‹ orientiert und dass derjenige, der nach diesem Kriterium vorgeht, richtig handeln wird (κατορθ(σει). Denn das Glück wird durch Klugheit (φρνησις) erreicht, und die Klugheit besteht in den richtigen Handlungen (κατορθ(ματα). Die richtige Handlung wiederum ist diejenige, die, sobald sie getan ist, eine gut begründete Verteidigungsrede auf ihrer Seite hat (εPλογος πολογ α). Wer sich also an das gut Begründete hält, wird richtig handeln und glücklich werden.« Auch die Überlegungen zu einer praktischen Gestalt der Prinzipienreflexion bewegen sich ganz auf der Grenze zwischen akademischer Skepsis und ihrer stoischen Konkurrenz, d. h. die Auseinandersetzung wird so geführt, dass die für diesen Zusammenhang entscheidenden Begriffe der Stoa entnommen und in anderer Beleuchtung auf das Feld der eigenen Argumentation übertragen werden. Ausgangspunkt für diesen Kampf um den legitimen Besitz der richtigen Begrifflichkeit ist die Tatsache, dass die Stoa unter dem Stichwort secundum naturam vivere aus dem Wissen der Physik Richtigkeitsregeln für die menschliche Lebensführung ableitet. Für sie geht die Qualität dieses Wissen von Natur aus über in die Tüchtigkeit der Urteilsklugheit (φρνησις), die auch in der kognitiv fundierten Ethik Epikurs die causa efficiens des guten Lebens darstellt286. In der Stoa heißen die auf das Endziel des voll-

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kommenen Lebens bezogenen Handlungen, die sich am richtigen Logos (Hρθς λγος = recta ratio) des von Natur aus Seienden orientieren: τ? κατορθ(ματα , wörtlich: »das dem Richtigen Entsprechende287.« Arkesilaos lässt diese Voraussetzung der Form nach unverändert: Im Blick auf das Endziel des Lebens muss man in der Tat ›richtige‹ von ›falschen‹ und indifferenten Handlungen unterscheiden können, und die einzige Instanz, die diese Unterscheidung fällen kann, ist auch für ihn die Urteilsklugheit. Da sich die auf Wissen ausgerichtete Vernunft für die akademische Skepsis in die Position der Urteilsenthaltung zurückzieht und deshalb der Lebensführung kein Kriterium für das Wählen und Unterlassen von richtigen Handlungen zur Verfügung stellen kann, kommt dafür nur die schwächere Instanz des »gut Begründeten« in Frage, das auch unter stoischen Voraussetzungen im Bereich von Meinungen und Vermutungen gefunden werden muss288 . Für das Realisieren oder Unterlassen von Handlungen kann man also auch als akademischer Skeptiker Gründe vortragen, die jedoch wie im Konzept politisch-rhetorischer Vernunft lediglich die Qualität der Glaubwürdigkeit und nicht die der Wahrheit auf ihrer Seite haben. Anders als die Stoiker müssen die Skeptiker keine Richtigkeitskriterien für Handlungen benennen, die das summum bonum realisieren, weil es solche Handlungen nach ihrer Überzeugung gar nicht geben kann. Sie entgehen deshalb dem Vorwurf der Praxisverweigerung (Apraxia) dadurch, dass sie den Bereich des Handelns in seiner Bedeutung depotenzieren und damit dem kognitiv schwächer aufgeladenen Bereich des ›Anerkennenswerten‹ zuordnen. Die Stoa kennt diesen Bereich ebenfalls und bezeichnet ihn mit dem Begriff des ›Angemessenen (καθAκον, lateinisch: officium)‹. Aber sie versteht ihn nicht als das hinreichende Kriterium für die Handlungsrichtigkeit, sondern beschreibt damit die mittlere Größe zwischen dem Guten und Schlechten. Nach Cato, der in Ciceros Dialog De finibus bonorum et malorum die Philosophie der Stoa referiert, gehört dazu alles, was als Handlung oder Rede vom menschlichen Urteilsvermögen abhängt 289 .

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Angemessenheitskriterien werden deshalb in der Stoa nicht allein aus dem Wissen der natura rerum, sondern aus einem zusätzlichen Blick auf die konkrete Handlung, die handelnde Person und die besonderen Handlungsumstände gewonnen. Eine Handlung muss sich dann wie in einer ›Verteidigungsrede (Apologie)‹ dadurch rechtfertigen lassen, dass sie den konkreten Umständen angemessen gewesen ist und die Verwirklichung des summum bonum nicht verhindert hat 290. Die akademische Skepsis knüpft an diese Vorgabe an, fasst aber das Kriterium des Angemessenen als das Beste auf, das wir für die Handlungsorientierung überhaupt erreichen können. Das dafür Beste ist deshalb für sie das ›vollendet Angemessene (τ τλειον καθAκον)‹, das aber nicht wie in der Stoa zum absolut Richtigen291 und damit zur Tugendhaftigkeit des Wissens gesteigert werden kann, mit der das Handeln, wenn auch nur das des Weisen, die vollendete Übereinstimmung mit der natura rerum erreichen würde. Das ›gut Begründete‹ der Akademie ermöglicht zwar zielbezogenes und von daher vernunftbestimmtes Handeln, hält aber die Handlungsrechtfertigung für weitere Diskussionen grundsätzlich offen und entlastet dadurch, dass es die unaufhebbare Irrtumsanfälligkeit allen Handelns bewusst hält, genau den Bereich menschlicher Lebensführung, der am meisten für Konflikte und Störungen anfällig ist, von einer absoluten Richtigkeitsverpflichtung. Man könnte das auch so formulieren: Während die Stoa das Handeln lediglich für die Außenseite des Wissens hält, schreibt die akademische Skepsis dem Handeln eine eigenständige Bedeutung zu. Handeln ist für sie weder ein integraler Teil des auf die natura rerum bezogenen Wissens noch ein irrationales Agieren. Vielmehr entwickelt sie ein Konzept eigenständiger Handlungsrationalität, das sich unter dem Titel des Angemessenen von einem metaphysisch gefassten Begriff des Richtigkeitswissens im Sinne der Stoa distanziert. Bei Karneades heißt das Prinzip, das in Ermangelung eines theoretisch ausgewiesenen Wahrheitskriteriums das Handeln anleitet, ›das Glaubwürdige (τ πιθανν)‹. Dafür bezieht er sich

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auf die stoische Einteilung der ›Vorstellungsbilder‹ in glaubwürdige und unglaubwürdige und die der glaubwürdigen in einfach nur glaubwürdige und Erkenntnis anleitende292. Für Karneades ist ›das Glaubwürdige‹ etwas ›Nicht-Unklares‹, das gleichwohl nicht als wahr zu erfassen ist 293 . Vorstellungsbilder sollen deshalb daraufhin getestet werden, ob einige von ihnen ein solches Maß an Glaubwürdigkeit aufweisen, dass man sich beim unvermeidlichen Entscheiden für oder gegen Handlungen in respektabler Weise auf sie stützen kann. Man findet ein Referat zu diesem Gedankengang wieder bei Sextus Empiricus, der uns damit ein Glanzstück karneadeischer Dialektik zugänglich macht. 60 · Sextus Empiricus, Adversus mathematicos VII 166 – 184294 [Text mit Auslassungen] (166) »Weil er [Karneades] aber im Hinblick auf die Lebensfüh-

rung und die Erreichung des Glücks ebenfalls ein Entscheidungskriterium in Anspruch nimmt, ist er eigentlich gezwungen, soweit es um ihn selbst geht, dazu eine Position zu beziehen, indem er als sein Kriterium das glaubhafte Vorstellungsbild (πιθαν5 φαντασ α) und zwar dasjenige annimmt, das zugleich glaubhaft, nicht abgelenkt und durchuntersucht ist. (167) Es ist kurz zu erklären, was diese Unterscheidungen bedeuten. Das Vorstellungsbild ist eine Vorstellung von etwas, nämlich von dem, von dem her es entsteht, als auch von dem, worin es entsteht. Das, von dem her es entsteht, ist etwa das äußere Objekt der Wahrnehmung, und das, worin es entsteht, beispielsweise ein Mensch. (168) Entsprechend dieser Eigenart hat das Vorstellungsbild zweierlei Beschaffenheiten, die eine in Beziehung auf das Vorgestellte und die zweite in Bezug auf den Vorstellenden. In Beziehung auf das Vorgestellte ist das Vorstellungsbild nun entweder wahr oder falsch; und zwar ist es wahr, wenn es mit dem Vorgestellten zusammenstimmt (σ!μφωνος τ' φανταστ'), dagegen falsch, wenn es nicht mit ihm zusammenstimmt (δι-

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φωνος τ' φανταστ'). (169) Hinsichtlich der Beziehung auf den

Vorstellenden ist das eine Vorstellungsbild dem Anschein nach wahr und das andere nicht. Davon heißt das dem Anschein nach wahre bei den Akademikern ›Manifestation (;μφασις)‹, ›Glaubhaftigkeit (πιθαντης)‹ und ›glaubhafte Vorstellung‹, während das nicht dem Anschein nach wahre als ›Nicht-Manifestation (πμφασις)‹, ›nicht-glaubhafte (πειθς)‹ und ›nicht-überzeugende Vorstellung (πιθανς φαντασ α)‹ bezeichnet wird. Denn es vermag uns weder das zu überzeugen, was von vornherein dem Anschein nach falsch ist, noch das, was zwar wahr ist, uns aber nicht als wahr erscheint. (170) Von diesen Vorstellungsbildern scheiden die dem Anschein nach falschen und die dem Anschein nach nicht wahren aus. Sie sind nicht das Kriterium, ob es nun von einem nicht existierenden Gegenstand herkommt oder von einem existierenden, dann aber nicht mit ihm übereinstimmt und das Existierende nicht als es selbst darstellt, wie das zum Beispiel bei dem Vorstellungsbild von Elektra der Fall war, das dem Orest vorschwebte, als er annahm, sie sei eine der Erinyen, und er dann aufschrie: ›Lass mich los! Du bist eine von meinen Erinyen‹295 . (171) Von den dem Anschein nach wahren Vorstellungsbildern indes ist die eine Art undeutlich, so etwa die Vorstellung bei denen, die etwas – wegen der Kleinheit des betrachteten Gegenstandes oder der Größe der Entfernung oder wegen der Schwäche des Gesichtssinns – konfus (συγκεχυμνως = ›zusammengeschüttet‹) und nicht in deutlich abgedrückter Weise (ο1κ κτ!πως) aufnehmen. Die andere Art ist in Verbindung damit, dem Anschein nach wahr zu sein, zusätzlich noch durch die Intensität charakterisiert, mit der sie dem Anschein nach wahr ist. (172) Von diesen Vorstellungsbildern wiederum kommt das undeutliche, schwache Vorstellungsbild nicht als Kriterium in Frage. Da es nämlich weder sich selbst noch das genau ausweist, von dem es erzeugt worden ist, kann es uns nicht überzeugen und zur Zustimmung veranlassen. (173) Das dem Anschein nach

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wahre und sich selbst ausreichend bekundende Vorstellungsbild dagegen ist nach Karneades und seinen Anhängern das Kriterium der Wahrheit. Als Kriterium hat es hinreichende Breite und schließt deshalb einige Vorstellungsbilder ein, die glaubhafter und wirkungsmächtiger sind als andere. […] (176) Weil ein Vorstellungsbild aber nie isoliert (μονοειδς) auftritt, sondern in der Art einer Kette mit anderen verbunden ist, wird als zweites Kriterium das glaubhafte und nicht abgelenkte Vorstellungsbild (περ στατος φαντασ α) hinzutreten. Wer beispielsweise das Vorstellungsbild eines Menschen aufnimmt, bekommt notwendig auch eine Vorstellung von den Dingen an ihm und von denen um ihn herum. (177) Dinge an ihm sind etwa Farbe, Größe, Gestalt, Bewegung, Sprache, Kleidung, Schuhwerk. Dinge in seiner Umgebung sind z. B. Luft, Licht, Tag, Himmel, Erde, Freunde und alles andere. Wenn uns also keines dieser Vorstellungsbilder davon abbringt, weil es dem Anschein nach falsch ist, sondern alle zusammenstimmend dem Anschein nach wahr sind, ist unser Glaube umso größer. (178) Denn dass dieser Mann Sokrates ist, glauben wir aufgrund des Umstands, dass bei ihm alles Gewohnte da ist, Farbe, Größe, Gestalt, Unterredung, Mantel, und dass er an einer Stelle ist, wo sich niemand befindet, der von ihm ununterscheidbar (παρλλακτος) ist. […]. (181) Von dieser Art ist also das nicht abgelenkte Vorstellungsbild. Und auch dieses scheint eine Breite zu haben, weil das eine Vorstellungsbild sich mehr als nicht-abgelenkt erweist als das andere. Noch viel glaubhafter als das nicht abgelenkte Vorstellungsbild – und damit kommen wir zu demjenigen, welches das Urteilen zu größter Vollkommenheit führt (τελειοττην ποιο,σα τ5ν κρ σιν), – ist dasjenige, das damit, dass es nicht abgelenkt ist, auch noch verbindet, dass es durchuntersucht ist (διεξωδευμνη φαντασ α). (182) Sein charakteristisches Merkmal muss als nächstes erklärt werden. Beim nicht abgelenkten Vorstellungsbild wird nur verlangt, dass keines der Vorstellungsbilder in dem

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Zusammentreffen (ν τK συνδρομK) falsch ist und uns deshalb ablenkt, sondern alle den Eindruck erwecken, wahr und nicht unglaubhaft zu sein. Im Fall desjenigen Zusammentreffens, bei dem auch das durchuntersuchte Vorstellungsbild dabei ist, überprüfen wir mit peinlicher Genauigkeit (πιστατικ.ς) jedes einzelne Vorstellungsbild in diesem Zusammentreffen – etwa in der Art, wie das auch bei Wahlversammlungen geschieht, wenn das Volk jeden einzelnen von denen, die ein politisches oder ein Richteramt übernehmen wollen, ins Verhör nimmt und überprüft, ob er würdig ist, mit dem Regierungs- oder Richteramt betraut zu werden. (183) So beurteilen wir zum Beispiel, insoweit sie am Ort des Urteilens anwesend sind, den Urteilenden, das Beurteilte und das Medium, durch das hindurch das Urteil gefällt wird, aber auch Entfernung, Zwischenraum, Ort, Zeit, Art und Weise, innere Verfassung und Tätigkeit. Wir beurteilen dabei genau den unterschiedlichen Charakter aller dieser Faktoren – im Blick auf den Urteilenden, ob nicht etwa sein Gesichtssinn beeinträchtig ist (ein Gesichtssinn dieser Art kann ja nicht richtig urteilen), den beurteilten Gegenstand, ob er nicht etwa zu klein ist; das Medium, durch das hindurch das Urteil gefällt wird, ob nicht etwa die Atmosphäre finster ist; die Entfernung, ob sie nicht zu groß ist, den Zwischenraum, ob er nicht zu klein ist, den Ort, ob er nicht überdimensioniert weit, die Zeit, ob sie nicht zu kurz ist; die seelische Verfassung, ob jemand nicht als krank betrachtet wird; die [beurteilte] Tätigkeit, ob sie nicht unakzeptabel ist. (184) Alles dies zu Einem addiert (τα,τα γ?ρ πντα καθ’ %ν) ergibt das Kriterium: das glaubhafte Vorstellungsbild, ferner das zugleich glaubhafte und nicht abgelenkte, darüber hinaus das zugleich glaubhafte, nicht abgelenkte und durchuntersuchte Vorstellungsbild. Aus diesem Grund verhält es sich folgendermaßen: Ebenso wie wir im täglichen Leben bei einer geringfügigen Sache nur einen einzelnen Zeugen befragen, bei der Untersuchung einer bedeutenderen mehrere Zeugen hören

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und in einer noch wichtigeren Angelegenheit jeden der Zeugen genau verhören, so verwenden wir – sagen Karneades und seine Anhänger – in belanglosen Fragen das bloß glaubhafte Vorstellungsbild als Kriterium, in wichtigeren Fragen dagegen das nicht abgelenkte und in dem, was das Glück betrifft, das durchuntersuchte Vorstellungsbild.« Die praktische Prinzipienreflexion bewegt sich bei Karneades in demselben Rahmen wie bei Arkesilaos. Beide suchen im Blick auf die stoische Konkurrenz ein Kriterium für Handlungsrichtigkeit, das nicht auf dem Wissen von der Natur des sittlich Guten beruht. Von den Stoikern lassen sie sich deshalb einen argumentativen Rahmen vorgeben, den sie so füllen, dass sie ihn dem Gegner aus der Hand schlagen und dann als rechtmäßig erworbenen Besitz selbst in Gebrauch nehmen können. Während Arkesilaos sich dafür an den ethischen Begriffen des sittlich Richtigen (τ? κατορθ(ματα) und des Angemessenen (τ? καθκοντα) orientiert, bezieht sich Karneades dafür auf die erkenntnistheoretische Debatte über Vorstellungsbilder. Gegen die Stoa behauptet er: (1) Es gibt innerhalb der Vorstellungsbilder zwar glaubwürdige und unglaubwürdige, aber innerhalb der glaubwürdigen keine Erkenntnis anleitenden. (2) Die beste Art der uns erreichbaren Vorstellungsbilder ist die, denen Glaubwürdigkeit zukommt. Und diese reichen aus, um unserem Handeln vernünftig begründete Ziele vorzugeben. (3) Glaubwürdige Vorstellungsbilder kommen nicht als einfache, sondern als komplexe Größen auf uns zu. Es ist deshalb möglich und notwendig, innerhalb von Glaubwürdigkeit zwischen ›mehr und weniger‹ zu differenzieren. In alltäglichnormalen Handlungssituationen stützen wir uns auf eine einfache Form glaubwürdiger Vorstellungsbilder. In schwierigeren Situationen halten wir uns an eine größere Menge von Vorstellungsbildern und finden dann das Glaubhafte dadurch, dass wir sie daraufhin prüfen, ob sie uns etwas Einheitliches vor Augen stellen. Wenn wir hingegen nach leitenden Normen für die Lebensfüh-

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rung suchen, befragen wir jedes einzelne Vorstellungsbild, das uns in dieser Hinsicht etwas Glaubwürdiges vor Augen zu stellen scheint, untersuchen aber auch die Position dessen, der Vorstellungsbilder beurteilt, sowie alles, was den Raum betrifft, in dem Vorstellender und Vorgestelltes aufeinander treffen. Wer es liebt, sein Nachdenken zum Äußersten anzuspannen, muss also nicht zu den Stoikern gehen und sich dort in die Unterscheidungsregeln für die Realisierung sittlicher Tüchtigkeit einweisen lassen. Es ist vielmehr anspruchsvoll genug, unter dem vielen Glaubwürdigen situationsgerecht die jeweils angemessene Art zu bestimmen und dann innerhalb dieser Arten zwischen dem mehr oder weniger Glaubwürdigen die angemessenen Unterscheidungen zu treffen und zu begründen. Die Regeln des Karneades für den Umgang mit glaubwürdigen Vorstellungsbildern sind zwar theoretisch relativ einfach nachzuvollziehen, aber im konkreten Einzelfall nicht leicht anzuwenden. Das Vorstellungsbild hat immer zwei Pole, den des Gegenstandes und den des Vorstellenden. Im Vorstellenden muss die Vorstellung bemerkbar sein, wobei Bemerkbarkeit (169: ;μφασις und 171: σφδρον) im Modus des Mehr oder Weniger auftritt. Das, was als glaubwürdig vorgestellt wird, muss ein Mindestmaß an Deutlichkeit enthalten. Auf diese Weise wird ein erstes Kriterium für die Unterscheidung von glaubwürdigen und unglaubwürdigen Vorstellungsbildern gefunden. Glaubwürdig sind Vorstellungsbilder, die uns durch gegenständliche Deutlichkeit und Intensität beeindrucken, während die nicht-glaubhaften entweder undeutlich sind oder zu schwach, um unsere Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Im Blick auf beide Pole des Vorstellungsbildes können wir die glaubwürdigen zusätzlich in eine Skala eintragen, die mit minimaler Glaubwürdigkeit beginnt und mit maximaler endet. Der Überlegung zur Abgrenzung der glaubhaften von den nicht glaubhaften Vorstellungsbildern (166 – 173) folgen zwei andere, die zeigen sollen, wie man das Glaubhafte eines Vorstellungsbildes steigern und dabei den Extremwert einer nicht mehr steige-

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rungsfähigen Glaubhaftigkeit erreichen kann. Sie beziehen sich für das Vorgestellte auf das Faktum, dass Vorstellungsbilder nie als Einzelgestalten, sondern immer im Verband auftreten, und für den Vorstellenden darauf, dass ›Vorstellen‹ kein in sich einfacher Akt ist, sondern unter verschiedenen Aspekten betrachtet werden kann. Für die erste Überlegung (176 – 181,1) setzt sich der Gegenstand einer Vorstellung aus einer Fülle von Einzelbildern zusammen, zu denen weitere hinzutreten, die Informationen über die Umgebung enthalten, in die der vorgestellte Gegenstand eingebunden ist. Wenn sämtliche oder wenigstens die meisten von ihnen auf dasselbe verweisen oder zumindest unsere Vorstellung nicht in eine andere Richtung lenken, ist die Gesamtvorstellung glaubwürdig und zugleich ›nicht abgelenkt‹. Dies kann die Glaubwürdigkeit so weit steigern, dass wir uns zutrauen, das Vorgestellte als einen bestimmten Gegenstand zu identifizieren. Karneades betrachtet Vorstellungsbilder insgesamt wie Voten bei einer Abstimmung. Unabgelenkt ist ein Vorstellungsbild dann, wenn alle oder wenigstens seine wichtigsten Teile für ein und denselben Gegenstand stimmen, so dass es zu diesem Votum keine relevanten Gegenstimmen gibt. Den äußersten Glaubwürdigkeitsgrad hat jedoch das Vorstellungsbild, das zusätzlich zu diesem Abstimmungstest einem peniblen (vgl. 182: πιστατικ.ς) Prüfungsverfahren standhält, das sich auf beide Pole des Vorstellungsbildes bezieht (181,2 – 183). Dabei wird das Vorstellen als ein Urteilsvorgang betrachtet, der sich auf sämtliche Aspekte der Wahrnehmung von Vorstellungsbildern bezieht. Da diese Bilder im Verband auftreten, innerhalb dessen jeder Teil potentiell mit jedem anderen hinsichtlich seines Informationsgehalts konkurriert, kann in einem nicht weiter qualifizierten ›Zusammentreffen‹ von Vorstellungsbildern jedes einzeln auf seinen Inhalt ›durchuntersucht‹ werden. Die ›Durchuntersuchung‹ kann sich aber auch auf den Vorstellenden und auf das Medium richten, durch das dem Wahrnehmenden die Vorstellung eines Gegenstandes vermittelt wird, so dass letztlich die Gesamtheit der räumlichen und zeitli-

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chen Verhältnisse ›durchuntersucht‹ wird, durch die Vorstellender und Vorgestelltes aufeinander bezogen sind. Erst wenn sämtliche Aspekte eines Vorstellungsvorgangs, die man überhaupt ›durchuntersuchen‹ kann, auf ein und dasselbe verweisen, haben wir es mit einem Vorstellungsbild zu tun, dem das Höchstmaß an Glaubwürdigkeit zukommt. Also finden wir das glaubwürdigste Kriterium für unser Handeln in dem Vorstellungsbild, das sich durch die Einheit von Glaubhaftigkeit, Unabgelenktheit und Durchgeprüftsein auszeichnet (184). Innerhalb dieser Einheit steht uns dann das einfache Glaubwürdige für die Bewältigung der Normalprobleme des Lebens, das unabgelenkt Glaubwürdige für wichtigere Fragen der Handlungsorientierung, das unabgelenkte und zusätzlich ›mit Genauigkeit‹ (182) durchgeprüft Glaubwürdige schließlich für die normative Grundausrichtung der Lebensführung zur Verfügung. Mit diesem in sich komplexen Begriff von Glaubwürdigkeit ist das ›Nicht-Unklare‹ gefunden, das Karneades als kriterienrelevante und menschlich erreichbare Mitte zwischen ›Undeutlichkeit‹ und theoretischer ›Erfassbarkeit‹ gesucht hatte. Karneades erweitert die praktische Prinzipienreflexion nicht zu einem allgemeinen Konzept des Probabilismus, wie man das im Blick auf die Beispiele des Textes 60 vielleicht vermuten könnte296. Für ihn gilt wie für Arkesilaos: Die Dialektik ist im Feld des theoretischen Wissens nur kritisch-negativ tätig, indem sie jeden Satz dem Gegenspiel von Frage und Antwort aussetzt, ihm dadurch den Anspruch auf Wahrheit nimmt und stattdessen den Status der Meinung zuordnet. Da sie erkennt, dass jedem Satz über die wahre Natur von etwas mindestens ein gleich gut begründeter Satz entgegensteht, der ihm widerspricht, sind die Sätze des theoretischen Wissens wie die Antinomien im Dialektikkapitel von Kants Kritik der reinen Vernunft gleich stark oder gleich schwach fundiert, so dass zwischen ihnen ein Verhältnis der Isokratie und Isosthenie, also des strengen Gleichgewichts besteht 297. Konstruktiv betätigt sich die Dialektik allein im Bereich der Handlungsorientierung. Sie destruiert dabei das Kontinuum, das in der

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stoischen Konkurrenz mit dem ethischen Begriff des Angemessenen und dem erkenntnistheoretischen Begriff der glaubwürdigen Vorstellung beginnt und mit dem summum bonum der Einheit von Wissen und Handeln endet, indem sie zeigt, dass das ›angemessene‹ sich nicht zum ›richtigen‹ und das ›glaubhafte‹ sich nicht zum ›Erkenntnis anleitenden Vorstellungsbild‹ erweitern lässt. Die Dialektik entfaltet ihr konstruktives Potential deshalb ausschließlich ›innerhalb‹ und ›unterhalb‹ der Angemessenheitspflichten und der glaubwürdigen Vorstellungsbilder.

4.

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Der Versuch des späteren Pyrrhonismus, die Dialektik der akademischen Skepsis therapeutisch für ein ›Stillstellen des Denkens‹ einzusetzen

Die späteren Erweiterungen der pyrrhonischen Skepsis betreffen hauptsächlich argumentationstechnische Überlegungen, die zeigen wollen, wie man im Einzelnen den Zustand der Aphasie im Sinne des älteren Pyrrhonismus erreichen kann. Bezeichnend dafür ist die ›Tropen‹-Lehre298 , die teilweise schon auf Pyrrhons Schüler Timon zurückzugehen scheint und zudem, wie die philosophiehistorische Forschung plausibel gemacht hat, über die Vermittlung der aristotelischen Topik an die formale Dialektik der platonischen Akademie anknüpft 299 . Die stärkere Systematisierung und Technisierung des Denkens soll den Pyrrhonismus zum legitimen Erben einer Skepsis profilieren, die in der Akademie inzwischen keinen Ort mehr hat, und sie zugleich für Dialektiker attraktiv machen, die von einer Stoa, die sich immer stärker als Ethik entfaltet, nicht mehr angesprochen werden. Dazu passt auch das Bemühen, das Anstößige zurückzunehmen, das frühere ›Berichte‹ an der Lebensweise Pyrrhons als etwas Göttliches he rausgestellt haben300. Schließlich sollen die Vorwürfe der logischen Widersprüchlichkeit und der Handlungsunmöglichkeit durch die These zurückgewiesen werden, dass sich die Aufforderung zur

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Urteilsenthaltung nicht auf das im oberflächlichen Sinne »Erscheinende«301, sondern allein auf das ihm zugrunde liegende Unbekannte (DL IX 105: τ? παρυφιστμενα το$ς φαινομνοις δηλα) bezieht. Um die eigene Position in aller Auffälligkeit als die der Skepsis vorzustellen, wird in einer Art Generalklausel festgehalten, dass der Skeptiker ›von keinem Ding, über das er etwas sagt, mit Sicherheit behauptet, dass es sich in jedem Fall so verhalte, wie er sage, sondern nur über Einzelnes in Form einer Erzählung berichte, als was es ihm jetzt erscheine‹302. Die Spannung zwischen dialektischer Kunst, die auf etwas Allgemeines zielt und innerhalb der Philosophie als technisches Können auftritt, und einer der Philosophie ursprünglich fremden Tendenz zur Privatisierung, die sich auf das Erzählen individueller Erlebnisse konzentriert, bestimmt die Gestalt des späteren Pyrrhonismus. Das, was richtige Skepsis ist und welches Ziel sie verfolgt, hat Sextus zu Beginn seines Grundrisses der pyrrhonischen Skepsis folgendermaßen formuliert: 61 · Sextus Empiricus, Pyrrhoniae hypotyposes I 4, 8 – 10 und I 12, 25 – 30303 I. 4 Was Skepsis ist (8) »Die Skepsis ist die Fähigkeit, Gegensätze aufzustellen (δ!ναμις ντιθετικ ), und zwar auf alle mögliche Weise und dabei Erscheinendes (φαινμενα) und Gedachtes (νοο!μενα) einander entgegenzusetzen, so dass wir von da aus wegen der Gleichwertigkeit (#σοσθεν α) in den entgegengesetzten Dingen und Argumenten zuerst zur Urteilszurückhaltung, danach zur Seelenruhe gelangen. (9) ›Fähigkeit‹ nennen wir die Skepsis nicht in irgendeiner ausgeklügelten Bedeutung, sondern ganz schlicht im Sinne von ›können‹. Unter Erscheinendem verstehen wir hier Sinnesgegenstände, so dass wir ihnen das Gedachte (νοητ) entgegenstellen. Das ›auf alle mögliche Weise (καθ’ οEονδποτε τρπον)‹304 kann man sowohl auf die Fähigkeit be-

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ziehen, um auszudrücken, dass wir das Wort ›Fähigkeit‹, wie gesagt, in einem schlichten Sinne verwenden, als auch auf den Ausdruck ›Erscheinendes und Gedachtes entgegensetzen‹, indem wir entweder Erscheinendes Erscheinendem oder Gedachtes Gedachtem oder diese wechselweise einander entgegensetzen, so dass wir ›auf alle mögliche Weise‹ sagen, um alle diese Antithesen zu umgreifen. Oder man liest den Ausdruck ›auf alle mögliche Weise erscheinende und gedachte Dinge‹ so, dass damit gesagt ist, dass wir nicht untersuchen, wie die erscheinenden Dinge erscheinen oder wie die gedachten gedacht werden, sondern dass wir diese Begriffe in einem schlichten Sinne verwenden. (10) Mit ›entgegengesetzten‹ Argumenten meinen wir nicht unbedingt Verneinung und Bejahung, sondern schlicht gegen einander kämpfende Argumente ( λγοι μαχμενοι ). ›Gleichwertigkeit‹ nennen wir die Gleichheit (#στης) hinsichtlich von Glaubwürdigkeit und Unglaubwürdigkeit, so dass keines der einander widerstreitenden Argumente das andere als das glaubwürdigere überragt. ›Zurückhaltung‹ ist ein Stillstellen des Verstandes (στσις διανο ας), durch das wir weder etwas auf heben noch setzen. ›Seelenruhe‹ schließlich ist die Ungestörtheit und Meeresstille (γαληντης) der Seele. Wie die Seelenruhe unmittelbar zusammen mit der Zurückhaltung eintritt, werde ich im Abschnitt über das ›Ziel‹ darlegen […] I. 12 Was das Ziel der Skepsis sei (25) »[…] Das ›Ziel‹ ist dasjenige, um dessentwillen alles andere getan oder gedacht wird, es selbst dagegen um keines anderen willen, oder: das Äußerste alles Erstrebten (τ ;σχατον τ.ν Hρεκτ.ν). Wir sagen nun, bis jetzt sei das Ziel des Skeptikers die Seelenruhe in den Dingen, die nur gemäß einer Meinung als wirklich angenommen werden, und das maßvolle Leiden (μετριοπθεια) in den aufgezwungenen Dingen. (26) Denn der Skeptiker begann zu philosophieren, um die Vorstellungen zu beurteilen und zu erkennen, welche wahr sind und welche

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falsch, damit er Ruhe finde. Dabei geriet er in den gleichwertigen Widerstreit (ε#ς τ5ν #σοσθενA διαφων αν), und weil er diesen nicht entscheiden konnte, hielt er inne. Als er aber innehielt, folgte dem zufällig die Seelenruhe in den Dingen, die wir aufgrund bloßen Glaubens für wahr halten. (27) Wer nämlich der Meinung ist, etwas sei von Natur aus gut oder übel, wird fortwährend beunruhigt: Besitzt er die vermeintlichen Güter nicht, glaubt er sich von den natürlichen Übeln heimgesucht und jagt nach Gütern, wie er meint. Hat er diese erworben, gerät er in noch größere Sorgen, weil er sich wider alle Vernunft (παρ? λγον) und über alles Maß (μτρως) aufregt und aus Furcht vor dem Umschwung (μεταβολ) alles unternimmt, um die vermeintlichen Güter nicht zu verlieren. (28) Wer jedoch hinsichtlich der natürlichen Güter oder Übel nichts sicher bestimmt, der meidet oder verfolgt nichts mit Eifer (συντνως) und hat deshalb Ruhe. Dem Skeptiker geschah dasselbe, was vom Maler Apelles erzählt wird. Dieser wollte, so heißt es, beim Malen eines Pferdes dessen Schaum auf dem Gemälde nachahmen. Das sei ihm so misslungen, dass er aufgab und den Schwamm, in dem er die Farben und Pinsel abzuwischen pflegte, gegen das Bild schleuderte. Als dieser auftraf, habe er eine Nachahmung des Pferdeschaumes hervorgebracht. (29) Auch die Skeptiker hofften, die Seelenruhe dadurch zu erlangen, dass sie über die Ungleichförmigkeit (νωμαλ α) der erscheinenden und gedachten Dinge entschieden. Da sie das nicht zu tun vermochten, hielten sie inne. Als sie aber innehielten, folgte ihnen wie zufällig die Seelenruhe wie der Schatten dem Körper. Freilich glauben wir nicht, dass der Skeptiker vollkommen unbelästigt bleibe, sondern wir sagen, dass er von den aufgezwungenen Dingen belästigt werde. Denn wir räumen ein, dass er manchmal friere und Durst habe und ähnliche Dinge erleide. (30) Aber selbst in diesen Dingen werden die gewöhnlichen Leute (#δι(ται) von doppeltem Ungemach bedrängt:

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sowohl von den Empfindungserlebnissen selbst als auch nicht minder von dem Glauben, dass dieses Ungemach von Natur übel sei. Der Skeptiker dagegen räumt den beigemengten Glauben (τ προσδοξζειν), dass jedes dieser Dinge von Natur übel sei, beiseite und kommt daher selbst in diesen Dingen mäßiger davon. Deswegen nennen wir das Ziel des Skeptikers Seelenruhe in Bezug auf die Dinge, die wir nur durch Glauben für etwas von Natur aus Seiendes halten, in den aufgezwungenen Dingen dagegen maßvolles Leiden. Einige namhafte Skeptiker haben außerdem noch die Zurückhaltung in den Untersuchungen hinzugefügt.« Gleich zu Beginn seines Grundrisses der pyrrhonischen Skepsis führt Sextus das philosophische Können auf eine einfache, aber in mehrfacher Hinsicht konkretisierbare Grundfähigkeit zurück. Sie besteht in einer Technik der Entzweiung oder der Polarisierung, die Verhältnisse der Gleichheit (I 4, 10) und Gleichwertigkeit (I 4, 8) herstellt, so dass man von ihr auch sagen kann, ihr Ziel sei die Konstitution einer idealen, auf strikter Parität beruhenden Kampfsituation zwischen zwei einander entgegenstehenden Größen305 . Das, was für die menschliche Lebensführung wichtig ist, teilt sich in sinnlich Erscheinendes (I 4, 9) oder Dinge (I 4, 8) und in Gedachtes (I 4, 10) im Sinne von Urteilen und Sätzen. Das, was dem Denken und Urteilen vor Augen steht, scheint grundsätzlich den Anspruch zu stellen, von ihm als ein Bestimmtes erkannt zu werden. Bei näherem Zusehen erweist sich dieser Anspruch allerdings als ein Bedürfnis des Denkens, mit dem es wie unter Zwang auf eine willkürlich entworfene Vorstellung von der Ausgangssituation seiner eigenen Tätigkeit reagiert. Denken sieht sich nämlich anfänglich mit »Vorstellungen« (I 12, 26) konfrontiert, die ihm im Modus der Irregularität (I 12, 29) entgegentreten. Da es von sich her auf Bestimmtheit eingestellt ist, befindet es sich durch diese Erfahrung im Zustand einer Unruhe, die es sofort zu der Arbeitsleistung veranlasst, das Erscheinende der »Vorstellungen«

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im Blick auf ihre Glaubwürdigkeit und Unglaubwürdigkeit zu untersuchen, und zwar in der Hoffnung, in Bezug auf sie Bestimmtes ausmachen und dadurch ›Ruhe‹ finden zu können (I 12, 26). Diese Hoffnung tritt zunächst als eine kompakte Einheit auf, besteht aber bei genauerer Betrachtung aus zwei voneinander trennbaren Einheiten: (1) aus der Hoffnung, Erscheinendes als etwas Bestimmtes verstehen zu können, und (2) aus der Hoffnung auf Ruhe. Die Regel, dass sich die Erfahrung des Zwiespalts zwischen dem eigenen Streben nach Ruhe und einer fundamentalen Beunruhigung durch das in unbestimmter Weise Erscheinende in einem darauf gerichteten Prüfungsbedürfnis gleichsam entlädt, gilt nicht für jedermann, sondern nur für ›edler ausgestattete Naturen‹306. Bei ihnen steigert sich die Bewegung des Untersuchens zu einer Intensität, die nicht nur Erscheinendes dahingehend prüft, wie es erscheint, sondern ebenso Gedachtes thematisiert, das seinerseits schon Erscheinendes auf die Art seines Erscheinens geprüft hat. Ein Extremwert an Unruhe ist erreicht, wenn das Denken nurmehr Gedachtes vor sich hat und es dann nicht mehr unter dem Aspekt untersucht, wie darin Erscheinendes, sondern allein im Blick darauf, wie es als solches gedacht ist. Philosophische, insbesondere prinzipientheoretische Untersuchungen erscheinen so als eine ungeheure, auch mit größter Anstrengung nicht zu bewältigende Belastung, so dass sie den, der sie im Blick auf ihre gesamte geschichtliche Entwicklung und die fast unübersehbare Fülle ihrer divergierenden und miteinander konkurrierenden Einzelgestalten vor sich sieht, in ein Maximum an Unruhe stürzt. Die am Schluss des Textes 61 genannte ›Zurückhaltung in den Untersuchungen‹ ist die letzte Konsequenz, die aus dieser Erfahrung zu ziehen ist. Der spätere Pyrrhonismus setzt gegenüber der akademischen Skepsis einen eigenständigen Akzent, indem er sich als therapeutische Instanz empfiehlt, die das Denken durch eine Besinnung auf seine eigene Erfahrungsgeschichte aus einem Zustand des

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schmerzhaften Scheiterns an seinem eigenen Anspruch wieder in einen Zustand der Ruhe versetzt. Dabei wird die zum äußersten entfesselte Bewegung der theoretischen Vernunft in eine vergessene oder verdrängte, aber der Wiedererinnerung zugängliche Erfahrungsgeschichte integriert, in die das philosophische Untersuchen in besonderer Weise involviert ist. Die Pyrrhoneer erinnern sich daran, dass auch sie die Irregularitätserfahrung geteilt haben, die am Anfang des Denkens gestanden zu haben scheint, und dass auch sie sich mit der Hoffnung identifiziert haben, durch eine Entscheidung über das Unbestimmte der »Erscheinungen« zur Ruhe zu kommen. Die Bewegung der Suche, die aus der ersten Reaktion auf diese Erfahrung für das Denken hervorgeht, wird von Dogmatikern durch die Behauptung abgebrochen, die richtige Entscheidung über das Erscheinende gefunden zu haben, und von den akademischen Skeptikern dadurch, dass sie behaupten, eine solche Entscheidung sei überhaupt nicht möglich. Der pyrrhonische Skeptiker, der die Grundbewegung der Suche fortsetzt307 und deshalb ihrer »anfänglichen Ursache (PH I 6, 12: ρχ5 α#τι(δη)« sowie der mit ihr verbundenen Hoffnung, durch die Suche nach den Bestimmtheiten des Erscheinenden Ruhe zu finden, weiter verbunden bleibt, ist deshalb als Einziger imstande, die Erfahrungsgeschichte des Denkens, die es mit seiner Hoffnung gemacht hat, vollständig darzustellen. Das Muster für den weiteren Verlauf dieser Geschichte ist in der Anekdote vom Maler Apelles enthalten. So wie das energetisch gespannte Denken durch eigene Kunst das Wirkliche der »Erscheinungen« so nuanciert wie möglich treffen und dadurch zur Ruhe kommen will, so verkörpert Apelles das Bemühen des hervorragenden Malers, im Medium seiner Kunst ein vergleichbares Ziel zu erreichen. Er muss jedoch einsehen, dass seine Mittel nicht ausreichen, den Eindruck eines lebendigen Pferdes so auf der Leinwand zu fixieren, dass man am Schaum, der dem Tier aus Maul und Nüstern drängt, sogar seinen inneren Erregungszustand in seiner wirklichen Bestimmtheit vor sich sieht. Diese Erfahrung

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erzeugt die Wut der Verzweiflung, die sich in der Geste entlädt, mit der Apelles seinen mit allen möglichen Farbresten und Bindemitteln durchtränkten Malerschwamm, der unter seinen Kunstmitteln am wenigsten etwas Bestimmtes herstellen kann, gegen das eigene Bild schleudert und erst im Rückblick auf die unbeabsichtigten Folgen seines Wurfs von der Erfahrung überrascht wird, dass das Ziel seines künstlerischen Eifers genau in dem Augenblick erreicht ist, in dem er seine Kunsttätigkeit aus Einsicht in ihre Vergeblichkeit nicht nur abbrechen, sondern ihr bisheriges Resultat mit einem einzigen Schlag auslöschen wollte. Das ›Lösungsmuster‹ der Apelles-Anekdote wird vom pyrrhonischen Skeptiker nicht in direkter Nachahmung, sondern, wie sich das für Philosophen gehört, in der Erweiterungsgestalt reflexiver Aneignung übernommen. Auch beim Skeptiker führt die zum Maximum gesteigerte Anspannung des Suchens nach dem, was die Dinge wirklich sind, wegen der unübersehbaren Vielfalt des dabei zu Bedenkenden und der damit verbundenen Vergeblichkeitserfahrungen zwangsläufig zu einem unwillkürlichen Innehalten seiner Bewegung. Insofern man sich das als ein erstes Innehalten vorstellt, ist damit zufällig die Erfahrung verbunden, dass dem Stillstellen der Eigenbewegung das Gesuchte zwar nicht in der ursprünglich erhofften Gestalt einer Einsicht in das Bestimmte der Erscheinungen, sondern als Ruhe folgt, die sich gerade der Skeptiker bis zuletzt nur von einer Einsicht in die Regularität der erscheinenden Dinge versprochen hatte. Der pyrrhonische Skeptiker kann aber nicht nur vollständiger als seine philosophischen Konkurrenten die Erfahrungsgeschichte des Denkens ›erzählend berichten‹, sondern sie zudem aus der Form des Scheiterns in die des Gelingens überführen. Der ›erzählende Bericht‹ über das Erlebte enthält als gleichsam freiwillige Wiederholung des Erfahrenen auch ein Moment der Distanzierung und damit die Möglichkeit zu einer reflexiven Verarbeitung des Erinnerten, die das Nacherlebte im Blick darauf betrachtet, was daran falsch gelaufen ist. Was dem folgt, ist eine veränderte Einstellung des Denkens

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zu sich selbst und zum Gebrauch seiner Kunstmittel, die der zuvor enttäuschten Hoffnung auf Ruhe eine bislang übersehene Möglichkeit der Erfüllung vor Augen stellt. Dafür aber muss die Erfahrung, dass diese Mittel ihr Ziel verfehlen, wenn sie in der Hoffnung eingesetzt werden, die aporetische Ausgangssituation des eigenen Tuns durch das Untersuchen von Erscheinendem überwinden zu können, so verarbeitet werden, dass das Denken seine Kunstmittel nur noch dafür verwendet, die eigene Bewegung, mit der es sich auf Erscheinendes richtet, gleichsam von allen Seiten zu umstellen und dadurch von vornherein an ihrer Entfaltung zu hindern. Diese Umstellung setzt den Mut voraus, die affektive Mischung aus Befürchtung und Hoffnung noch einmal an sich herankommen zu lassen, die für die gedachte Anfangssituation seiner Tätigkeit prägend gewesen ist. Die Beunruhigung bezieht sich aber in der Wiederholungssituation nicht mehr auf die Wahrnehmung der Anomalie des Erscheinenden, sondern auf die Einsicht in die Vergeblichkeit der ursprünglich für erfüllbar gehaltenen Hoffnung, durch die Bestimmung der irregulären Erscheinungen Ruhe zu finden. Ihr muss dann die besser fundierte Hoffnung antworten, dass dieses Ziel dadurch erreichbar ist, dass das Denken seine Kunstmittel ausschließlich dazu verwendet, die ›Fähigkeit des Entgegensetzens‹ zu einem systematisch vollständigen Können auszubauen. Dabei gewöhnt es sich daran, dem jeweils Erscheinenden ein anderes Erscheinendes, dem jeweils Gedachten ein anderes Gedachtes, aber auch Erscheinendes dem Gedachten und Gedachtem Erscheinendes so entgegenzustellen, dass zwischen dem Entgegengestellten grundsätzlich ein Verhältnis unentscheidbarer Gleichwertigkeit besteht. Im Blick auf das Resultat dieser Entgegensetzungen kann das Denken in ein »Stillstellen des Verstandes« übergehen, das nicht mehr auf Zufall, sondern auf durchgeführter Kunst beruht, so dass der ›von Anfang an‹ erhoffte Zustand der Ruhe nunmehr mit verlässlicher Sicherheit eintritt. Apelles musste erst in Wut und Verzweiflung geraten und sich im Affekt maximaler Unlust von seiner Kunst

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trennen, um das Ziel seines Eifers realisiert zu sehen, während der Skeptiker die Mittel seiner Kunst nur anders einsetzen muss, um das Denken aus dem Krankheitszustand einer Bewegung, die das Unbestimmte in den Erscheinungen durch die Bestimmtheit gesicherten Wissens ersetzen will, in den ersehnten Zustand des ruhigen Verharrens in sich zu überführen. Die Durcharbeitung der Erfahrungsgeschichte des Denkens erlaubt eine Übertragung des dabei gewonnenen Lösungsmusters auf den Bereich des Handelns. Handeln hängt mit Affekten zusammen, so dass die damit gegebene Polarität von Lust und Unlust sich in der Ambivalenz des Wählens und Meidens von Handlungszielen widerspiegelt. Wir handeln, wenn wir Ziele vor uns sehen, von denen wir hoffen, dass wir durch ihre Realisierung zur Ruhe kommen. Wir vermeiden die Handlung, wenn wir Ziele vor uns sehen, von denen wir vermuten, dass wir durch die Annäherung an sie in den Zustand der Unlust geraten. Dieses Gesetz gehört zur Natur menschlicher Lebensführung, so dass der neopyrrhonische Skeptiker ihm ebenso wie jeder andere Mensch folgen muss. Wenn hingegen affektive Zustände oder Handlungsziele als das von Natur aus Gute und damit als summum bonum im Sinne der traditionellen philosophischen Ethik oder als das von Natur aus Schlechte und damit als summum malum betrachtet werden, nimmt das Streben nach ihnen oder der Versuch, ihnen auszuweichen, die riskante Form eines potentiell bis ins Unendliche gesteigerten Eifers an. Der Nichtbesitz absoluter Güter muss ja als das Schlimmste alles Vorstellbaren empfunden werden, während ihr Besitz statt des Wohlgefühls der Ruhe das Übel einer maßlosen Furcht vor ihrem Verlust und damit ein bis zum Exzess gesteigertes Bemühen um ihre Sicherung nach sich zieht. Handeln und Empfinden lassen sich allerdings im Unterschied zum theoretischen Untersuchen nicht grundsätzlich stillstellen. Von daher besteht für den Skeptiker das Ziel, das er dabei ins Auge fasst, nicht in der absoluten, sondern in der relativen Ruhe einer maßvollen Empfindung (Metriopathie) sowie darin, die Energie,

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die man in das Verfolgen und Meiden von Handlungszielen investiert, auf ein Minimum zu reduzieren. In kritisch-vereinfachender Anknüpfung an die akademische Skepsis gilt für den Neopyrrhonismus als Handlungskriterium das ›Erscheinende‹, das aufgrund seiner Eindringlichkeit oder seiner allgemeinen Geltung die Untersuchung über das genaue Maß seiner Glaubwürdigkeit und Unglaubwürdigkeit von vornherein entbehrlich macht308 . Er vermeidet damit die utrierten Künstlichkeiten der akademischen Skepsis und nähert damit die Reflexion auf Handlungsziele einer Normalität an, wie sie aus der alltäglichen Lebensführung jedermann bekannt ist. ›Glaubwürdig‹ in diesem Sinn sind die »Vorzeichnung der Natur (*φγησις φ!σεως)«, beispielsweise die Fähigkeit des Wahrnehmens, die der Ahnherr des skeptischen Denkens noch ausschalten wollte309 , der »Erlebniszwang (νγκη παθ.ν)«, wie etwa das Hungergefühl, aber auch überkommene Sitten oder die Regeln eines erlernten Könnens310 , wobei der pyrrhonische Skeptiker diesen Vorgaben folgt, ohne damit die Meinung zu verbinden, es handle sich dabei um etwas von Natur aus Gutes oder Richtiges311. Schon beim Blick auf das Denken war klar geworden, dass menschliches Leben primär unter der Kategorie des Erleidens steht. Da der neopyrrhonische Skeptiker die Künstlichkeit der Reflexion so weit wie möglich meiden und sich auch im Denken so nah wie möglich an die »Vorzeichnung der Natur« halten will, besteht sein Lebensziel nicht darin, die Dimension des Erleidens grundsätzlich zu überwinden. Von daher lehnt er es ab, den Zustand menschlicher Vollkommenheit wie seine stoischen Konkurrenten, die darin Platon und Aristoteles folgen, als ein kontinuierliches Nicht-Leiden zu definieren. Der skeptische Philosoph kann sich vom Nicht-Philosophen deshalb nur dadurch unterscheiden, dass er dem Erleiden eine Grenze setzt, indem er es durch eine Leistung seines Bewusstseins auf ein mittleres Maß reduziert. Dogmatische Philosophen und Nicht-Philosophen streben nach Maximalzielen, auch wenn sie darunter jeweils sehr Verschiede-

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nes verstehen. Sie sind deshalb nicht nur dem ausgesetzt, was ihnen durch die Natur oder die Gewohnheit aufgezwungen wird, sondern ebenso den lästigen Folgen des Eifers, das mit dem Streben nach einem höchsten Gut und dem Vermeiden des schlimmsten Übels verbunden ist. Da der skeptische Philosoph keine absoluten Handlungsziele kennt und deshalb von ihnen auch nicht beunruhigt wird, ist er nur dem ausgesetzt, was Natur und Sitte ihm auferlegen. In Bezug auf soziale ›Erscheinungen‹ ist mit seiner Gelassenheit allerdings auch das ambivalente Gut vollständiger Indifferenz in Bezug auf das verbunden, was dogmatische Philosophen oder Nicht-Philosophen als das in Wahrheit Gerechte und Ungerechte verstehen. Ruhe, die von der Dimension des Erleidens nicht berührt werden kann, kennt der neopyrrhonische Skeptiker wie sein akademischer Konkurrent nur als das ›Stillstellen des Verstandes‹. Sein Leben unterscheidet sich deshalb von dem der anderen, das einschränkungslos der Form ›unbestimmter Zweiheitlichkeit‹ unterliegt, nicht dadurch, dass es als ganzes, sondern nur zu einem bestimmten Teil Einheit ist. Es weist also im Vergleich mit dem Leben der anderen größere Anteile an Bestimmtheit und geringere Anteile an Unbestimmtheit auf, wobei ihm die Regel, die dieser Verteilung zugrunde liegt, vollkommen bewusst ist. Der Neopyrrhonismus versteht sich als den legitimen Erben aller Skepsis. Im Blick auf ihn kann man deshalb nach der Bedeutung dieser Theoriegestalt für das Unternehmen der philosophischen Prinzipienreflexion insgesamt fragen. Als Ausgangspunkt für diese Überlegung wähle ich die Selbstdefinition, mit der sich die skeptische von der ›dogmatischen‹ Philosophie absetzt. Danach ist der Dogmatiker nicht einfach derjenige, der autoritär die Wahrheit der von ihm vertretenen Lehrmeinung behauptet. Auch der Skeptiker ist kein Dogmatiker seiner selbst, der dann ja, wie ihm das bis heute immer wieder gern unterstellt wird, mit seinen Gegnern auf derselben Stufe stünde und zusätzlich noch in die Falle des performativen Widerspruchs geraten wäre. ›Dogmatik‹

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und ›Skepsis‹ sind für ihn vielmehr zwei verschiedene Realisierungsformen der einen Philosophie, von denen bislang die dogmatische die Vorherrschaft innehatte, so dass es gerecht erscheint, gegen sie den Typus skeptischer Philosophie geltend zu machen. Da der Skeptiker die Tätigkeit des Philosophierens als Suche des νο,ς nach dem verborgenen Bestimmungsgrund dessen versteht, was ihm in irregulärer Weise erscheint, kann er seine Philosophie als ihre ›natürliche‹ Einfachheitsgestalt312 von der ›dogmatischen‹ Philosophie als ihrer künstlichen und deshalb letztlich nicht tragfähigen Erweiterungsgestalt abgrenzen. Die Skepsis profiliert sich dadurch zu einer reflektierten, durch die dialektische Technik des in utramque partem disserere stabilisierten Wiederholungsform des staunenden Irritiertseins in Bezug auf das ›Verborgene‹, das nach Aristoteles den Anfangs- und Ausgangszustand allen Strebens nach Wissen darstellt313 . Dieses Streben wird aus skeptischer Sicht dogmatisch, wenn es aus der Fülle möglicher Angebote für das ›Verborgene‹ des Grundes der rerum natura ein begriffliches elementum primum festsetzt und es durch die Hinzufügung weiterer elementa zu einem begrifflich geprägten Lehrzusammenhang über ›die Gründe und Ursachen aller Dinge‹ erweitert. In der epagogischen Überlegung des Aristoteles zur ersten Wesenheit, die er nach einem Durchdenken von Alternativen als unbewegt ansetzt, in der stoischen Auszeichnung der ›Erkenntnis anleitenden Vorstellung‹ als hinreichender Basis für das Wissen des Ganzen der Natur und in der epikureischen Definition der in sich einfachen Lust als des tragenden Grundes für das menschliche Glück stehen dem Skeptiker für den Übergang von der Suche zur ›dogmatischen‹ Lehre die Beispiele vor Augen, gegen die er seinen Typus ›zurückhaltender Philosophie‹ zur Geltung bringen will314 . Dem liegt offensichtlich die Vorstellung zugrunde, dass die Tätigkeit des νο,ς grundsätzlich das Suchen von etwas Bestimmtem ist. Philosophie wird dogmatisch, wenn sie der ungerechtfertigten Neigung des Denkens folgt, das als ›seiend‹ zu setzen, was es im Modus der Bestimmtheit gedacht zu haben meint. Wenn der Dogmatiker behauptet,

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das Seiende, das den Zusammenhang der natura rerum als etwas Bestimmtes prägt, sei ihm im Modus der Evidenz begegnet, behauptet er letztlich die Nicht-Existenz des Unbestimmten. Er distanziert sich damit von der Bewegung des Denkens selbst, das wesentlich Suche nach ›Verborgenem‹ ist. Hätte der Dogmatiker mit seiner Annahme Recht, dann müsste das von ihm Gefundene in Wirklichkeit für das Denken ein ›Offenes‹ sein und als solches ›allen gleichermaßen erscheinen‹. Da sich aber die dogmatischen Philosophen darüber streiten, was sie jeweils als das Gesuchte offen vor sich zu sehen glauben, kann ihnen das, was sie im Denken erfahren haben wollen, nicht im Modus der von ihnen behaupteten Bestimmtheit begegnet sein315 . Allein schon deshalb ist es vernünftig, an der Existenz des ›Verborgenen‹ festzuhalten und das Denken folgerichtig als Suche nach dem zu definieren, was auch in der Bestimmtheit seines Gedachtseins ein ›Verborgenes‹ bleibt. Aus der Erfahrung, dass das Denken grundsätzlich irrtumsanfällig ist, weil es nicht nur Wirkliches, sondern ebenso Unwirkliches denkt, bleibt der Skeptiker auch dann, wenn er denkt oder untersucht und sich dabei auf Etwas bezieht, ›im skeptischen Zustand (ν τK σκεπτικK διαθσει)‹ des ›einfachen Denkens‹316. Genau das ist der Grund dafür, dass er jede Aussage ›über die Wirklichkeit der in Rede stehenden Dinge‹ vermeidet317 und sich dafür auf das Sein der Natur beruft, die die Bestimmtheit des Grundes ihrer Ordnung dem bestimmenden Zugriff des menschlichen Wissens entzogen hat. Im Blick auf das gebrochene Verhältnis zu seinen Gegenständen zeigt sich das Denken als ambivalente Tätigkeit, die im kritischen Blick auf sich selbst jedes ›Etwas‹, auf das es sich bezieht, zugleich wieder von sich entfernt. Mit seiner Abstoßungsbewegung gegen das Gedachte kehrt es aus seiner erweiterten Tätigkeit in den Zustand der Einfachheit zurück, aus dem es im Denken und Untersuchen von Etwas notwendig heraustreten muss. Auf die Erfahrung, dass seine Gegenstände im Schwanken zwischen ›Wirklichkeit‹ und ›Nicht-Wirklichkeit‹ das ›Verborgene‹ bleiben, reagiert skeptisches Denken dadurch, dass es sich durch

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die dialektische Technik des Entgegensetzens verlässlich in einen Schwebezustand zwischen Gegenstands- und Selbstbeziehung oder zwischen Konstruktions- und Dekonstruktionsbewegung versetzt und dabei der Dekonstruktion und der Selbstbeziehung den Vorrang zukommen lässt. Die Entdeckung der Dekonstruktionsbewegung als Zentrum der Philosophie ist keineswegs erst die Errungenschaft postmoderner Philosophie, sondern gehört ebenso wie der später von Kant entfaltete Begriff der Vernunftkritik in den Zusammenhang antiker Prinzipienreflexion. Als radikale Selbstkritik des Denkens ist die Skepsis eine der Rückzugsgestalten der nacharistotelischen Philosophie, zu der in gewisser Weise auch die Stoa und der Epikureismus gehören. Sie alle orientieren sich an einem Leitbild des ›Weisen‹, der in seiner Lebensführung eine in sich selbst befestigte Einheit verkörpert und deshalb alles, was sich außerhalb von ihr befindet, als Inbegriff der Irritation erfährt. Das Äußere der natürlichen und sozialen Welt ist vor allem für den Skeptiker, wie Hegel formuliert, Ausdruck einer »Zerrissenheit«, gegen die er das »Prinzip seiner Freiheit« nur noch als die »Einsamkeit seines Denkens«318 geltend machen kann, indem er es wesentlich als »Gleichheit des Geistes in sich« bestimmt319 . Stoa, Epikureismus und Skepsis streiten sich nicht über das Grundmuster, nach dem nur in sich fundierte Einheit das Gute und alles andere seine Störung oder gar seine Zerstörung ist, sondern lediglich darüber, worin diese Einheit besteht. Für die Stoa verwirklicht sie sich als heroische Einheit von Theorie und Praxis, die alle besonderen Formen der Natur, der sozialen Welt, des Wissens und des Handelns auf die in sich einfache Grundbewegung zurückführt, aus der das Ganze der natura rerum als in sich gegliederte Einheit hervorgeht. ›Glück‹ ist dann die Verähnlichung mit dem Produktionsprinzip, das aus seiner Einheit diejenige der Gesamtnatur erzeugt, wobei ihre besonderen Gestalten oder diejenigen des sozialen und politischen Lebens gegenüber ihrem Stellenwert in der platonischen, vor allem aber in der aristotelischen Philosophie an eigenständiger Bedeutung

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verlieren. Der Epikureismus versteht die Einheit des Guten als die Gleichförmigkeit katastematischer Lust, die entweder ist oder nicht ist, während der Skeptiker dafür die reine Selbstbezüglichkeit des ›einfachen‹ Denkens geltend macht. Der Weltbezug, der in der Stoa im Wissen des produktiven Prinzips der Natur und im Epikureismus in der leibhaften Einfachheitsempfindung der Lust noch wirksam ist, hat für die Skepsis jede positive Bedeutung verloren. Man kann also sagen: In der spätantiken Philosophie gelten nach wie vor die alten prinzipientheoretischen Denkformen, nach denen das Eine das Gute und das ›zweiheitlich‹ Viele das Schlechte ist. Die Skepsis findet für den Begriff der Einheit die radikalste Lösung, indem sie das Gute allein im Bezug des Denkens auf sich selbst verwirklicht sieht. Weil sie den Punkt markiert, von dem aus alle anderen prinzipientheoretischen Konzepte als ›gleichwertig‹ erscheinen, kann man im Ausgang von der Skepsis besonders gut darüber nachdenken, was das philosophische Großunternehmen der Prinzipienreflexion ist und was es als solches bedeutet. In platonisch-aristotelischer Sprache formuliert ist jedes Denken eine Interaktion von νο,ς (intellectus, Vernunft) und δινοια (ratio, Verstand), wobei das Prinzipienwissen des νο,ς den Punkt fixiert, von dem aus das argumentativ artikulierte Wissen der δινοια in einzelnen Begründungsschritten das Besondere erreicht, das dann im Blick auf ein bestimmtes Erstes als der bestimmte Teil eines bestimmten Zusammenhangs zu verstehen ist320 . Wenn sich die Bewegungen des νο,ς und der δινοια auf das Ganze der natura rerum beziehen, bestimmen sie das Bestimmte des ersten Grundes für das Ganze des Seienden und seine Ordnung. Unter dem Aspekt ihrer formalen Konstruktion sind deshalb alle prinzipientheoretischen Konzepte gleichartig, ungleich hingegen in dem, was jeweils als das Erste bestimmt wird, von dem die Verstehensbewegung der δινοια bei der Bestimmung des Zusammenhangs der natura rerum ausgeht. Von daher sind auch die Bedeutungsräume ungleich, die in den verschiedenen prinzipien-

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theoretischen Konzepten von der δινοια durchlaufen werden. Da der Rahmen, innerhalb dessen sich die Begründungsform des Argumentierens bewegt, vom νο,ς festgelegt wird, könnte man versucht sein, ihn als ein Vermögen der Intuition oder gar als Kraft eines letztlich irrationalen Wollens aufzufassen. Aristoteles hat demgegenüber gezeigt, dass sich der νο,ς für die Bestimmung des ersten Grundes aller Wirklichkeit auf die Kunst epagogischer Reflexion stützt und mit ihr das Ziel verfolgt, die ›Seele‹ als ganze in den Zustand eines Überzeugtseins zu versetzen, in dem sie sich zutraut, den Rahmen zu schließen, in dem sich die prinzipientheoretische Reflexion bewegt. Man könnte deshalb sagen, dass die inhaltliche Bestimmung des ersten Grundes und damit des Ordnungsgebers der natura rerum von der inneren Verfassung der denkenden Seele abhängt. Als eine Gestalt der Pluralität, in der verschiedene Kräfte in verschiedener Weise miteinander koordiniert werden können, erweist sich die innere Verfassung gerade der philosophisch disponierten Seele grundsätzlich als ein Resultat der Arbeit an sich selbst. Wenn das so ist, dann ist auch deutlich, warum die Philosophie als Prinzipienreflexion verschiedene Konkretisierungen annimmt, von denen wir vor allem die platonische, aristotelische, stoische, die epikureisch-atomistische, die politisch-rhetorische und schließlich die skeptische näher betrachtet haben. Sie entfalten sich in ihrer jeweiligen Bestimmtheit aus einem Gespräch der Seele mit sich selbst, die das Richtige vor sich sehen will, um sich selbst im Zusammenhang der natura rerum verstehen und sich dabei zugleich auf die Norm des Guten für die eigene Lebensgestaltung beziehen zu können. Nur aus der Kraft eines begründeten Überzeugtseins kann die ›Seele‹ die Plausibilität einer prinzipientheoretischen Überlegung beurteilen und damit auch das Maß für die argumentativen Formen festlegen, nach dem andere von dem überzeugt werden können, was in der eigenen Überzeugung seine bestimmte Form schon gefunden hat. Das Überzeugtwerden der anderen setzt deshalb zwingend voraus, dass der bereits Überzeugte glaubwürdig nachvollziehbar

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macht, wie er selbst die Überzeugung gewonnen hat, das in Wahrheit Seiende als das Richtigkeitsmaß für das menschliche Denken und Handeln vor sich zu haben. Nur so kann er plausibel machen, dass sein Überzeugtsein nicht einfach auf einer subjektiven Konstruktion, sondern auf einem Anspruch beruht, der auch für andere als das Resultat eines Gesprächs der Seele mit sich selbst nachvollziehbar ist. Wie sich dieses Gespräch in der spätantiken Philosophie konkretisiert, wird in den abschließenden Kapiteln der vorliegenden Darstellung genauer zu klären sein.

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Die Philosophie Plotins (205 – 270) als maximale Steigerungsform der theologischen Prinzipienreflexion

Im Kapitel über die akademische Skepsis wurde bereits erwähnt, dass sich noch vor Beginn des ersten vorchristlichen Jahrhunderts innerhalb der Akademie erneut eine ›dogmatische‹ Lesart der platonischen Philosophie durchsetzen konnte 321. An sie knüpft der ›Mittelplatonismus‹ an322, der im Wesentlichen als ›Vorbereitung des Neuplatonismus‹ gilt323 . Als ›Neuplatonismus‹ wird dann die Weiterführung platonischer Philosophie bezeichnet, die um 250 n. Chr. mit Plotin einsetzt und im 6. Jahrhundert endet324 . Die Philosophen, um die es dabei geht, hätten sich selbst allerdings schlicht als ›Platoniker‹ bezeichnet. Genauer müsste man sagen: Für sie gab es nur die eine Philosophie, die sie allein deswegen mit dem Namen Platons verbinden, weil er sie nach ihrer Überzeugung als einziger vollständig und damit intensiver als jeder andere erschlossen hat. Die Geschichte der begrifflichen Arbeit, die schon im ›Mittelplatonismus‹ zu einer Systematisierung der theologischen Prinzipienreflexion in ihrer platonischen Form beigetragen hat, lässt sich wegen der fatalen Überlieferungssituation der einschlägigen Texte nur schwer nachvollziehen325 . Deutlich ist jedoch, dass im spätantiken Platonismus das Sein intelligibler Wirklichkeit ›außer-

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halb‹ des Kosmos nicht mehr nur kritisch gesichert, sondern in seiner inneren Ordnung so vollständig wie möglich beschrieben werden sollte326. Dabei musste die alte innerakademische Streitfrage erneut aufgenommen werden, ob der ›Gott‹ als das Erste der intelligiblen Welt wie bei Xenokrates und Aristoteles das Sein des »Geistes (νο,ς)« und damit in sich strukturierte Einheit oder wie bei Platon und Speusipp »ein Etwas jenseits des Geistes (πκειν τι το, νο,)« und damit absolut einfache Einheit ist327. Plotin wird dadurch zum Begründer des ›Neuplatonismus‹, dass er das Eine ›jenseits von Wesenheit‹ an den Anfang eines dynamischen Kontinuums allgemeiner Formen setzt und dann diesen Anfang und die interne Gliederung dessen, was ihm folgt, so anschaulich darstellt, dass damit dem Gedanken der alten Akademie vom intelligiblen, im Sinne einer τξις gegliederten Grund aller Wirklichkeit neue Plausibilität zuwächst328 . Die philosophische Leistung dieses Ansatzes kann man nur im Blick auf die Auseinandersetzungsverhältnisse und das soziokulturelle Umfeld verdeutlichen, das dem Platonismus in den ersten beiden nachchristlichen Jahrhunderten durch die Konkurrenz mit anderen philosophischen ›Schulen‹, aber auch durch den zunehmenden Einfluss religiös geprägter Heilslehren und insbesondere einer Gnosis vorgegeben war, die für sich beanspruchte, die einzig richtige Weiterführung platonischer Philosophie zu sein329 . Die orientalisch-römische Welt des zweiten und dritten nachchristlichen Jahrhunderts ist von Eric Robertson Dodds als ›Zeitalter Angst‹ charakterisiert worden330. Man könnte auch von einer Zeit geistig-moralischer Krise sprechen. André-Jean Festugière hat sie als den Zusammenbruch des allgemeinen Zutrauens in die Kraft der Vernunft charakterisiert, bei dem Mächte Raum gewinnen, die entweder deutlich unterhalb oder weit oberhalb des Niveaus selbstbestimmter Vernünftigkeit operieren331. Das Aufkommen der Gnosis ist das deutlichste Indiz dafür, dass der letzte Bezugspunkt für ein vernünftiges Verstehen des Ganzen der Wirklichkeit, der nach dem Zusammenbruch der Polis für ein griechisch ge-

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prägtes Empfinden noch geblieben war, nämlich die von der Stoa ein letztes Mal festgehaltene Auffassung des Kosmos als leibhaftgöttlicher Wirklichkeit332, nicht mehr fraglos überzeugen konnte. Schon um die Mitte des ersten vorchristlichen Jahrhunderts hatte sich zunehmend die Befürchtung geltend gemacht, dass es Mächte jenseits des Kosmos gibt und dass ausgerechnet sie, die aus innerkosmischer Perspektive nicht zu erkennen sind, das Geschick des menschlichen Lebens entscheidend bestimmen. Wenn das Weltall das böswillige Täuschungsmanöver eines Betrügers oder eines von sich selbst abgefallenen Gottes ist, dann trennt dieser als Kosmokrator die menschliche Seele von ihrer überkosmischen Heimat. Und wenn das in Wahrheit Göttliche sich am ›überhimmlischen Ort‹ gleichsam nach außen hin abschließt oder von einem böswilligen Gegner an diesem Ort eingeschlossen wird, dann ist der Kosmos so gottverlassen, dass sich niemand mehr an ihm orientieren kann, der für die Gestaltung seines Lebens eine Norm des Guten sucht und in realistischer Selbsteinschätzung bezweifelt, dass er sie in der Kontingenz seiner Individualität oder seiner sozialen Umwelt finden kann. Wenn das menschliche Leben sich nicht mehr aus eigener Kraft auf wirkliche Normen des Guten beziehen kann, dann hängt sein Heil wesentlich vom Eingriff ›fremder Hilfe‹ ab, sei das nun eine sprachlose Erleuchtung, eine göttlich ausgesprochene Offenbarung oder eine besondere Form des göttlichen Handelns, die das Unheil abwehrt, das aus menschlicher Schwäche oder anderen innerkosmischen Übelquellen hervorgeht 333 . Porphyrios, der wichtigste Schüler Plotins, hat eine Biographie seines Lehrers verfasst, die trotz ihres Rückgriffs auf gängige Topoi dieser Gattung in ihren Grundzügen glaubwürdig ist. Danach hat Plotin in Alexandrien durch sein Studium bei Ammonios und die Lektüre der Schriften des Numenios, also ohne Verbindung mit der platonischen Akademie in Athen, seine philosophische Prägung erfahren334 . Er muss dem Hof des Kaisers Gordian III. (238 – 244) so nahe gestanden haben, dass er ihm auf seinem

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Feldzug gegen die Perser folgen konnte335 . Nach der Ermordung des Kaisers auf Veranlassung seines Rivalen Philippus Arabs, der danach selber, wenn auch nur für kurze Zeit als Caesar regieren konnte, hat sich Plotin unter lebensbedrohlichen Schwierigkeiten über Antiochien nach Rom begeben336 und ist dort bis zu seinem Tod 26 Jahre lang als philosophischer Lehrer tätig gewesen. Er hat zunächst mündlich, und zwar in griechischer Sprache unterrichtet, was angesichts der Bedeutung des Griechischen als Bildungssprache der mediterranen Welt nicht ungewöhnlich gewesen ist. Seine Vorträge hat er vom Jahr 253 an auch schriftlich fixiert337. Die Gruppe seiner ›Schüler‹ war relativ bunt zusammengesetzt und bestand aus Männern und Frauen338 , darunter Angehörige des römischen Adels, aber auch aus Ärzten, Philologen, Advokaten und Dichtern, die keineswegs alle bereit waren, die asketische Unauffälligkeit und Strenge eines der Philosophie gewidmeten Lebens auf sich zu nehmen, zu dem ihr Lehrer sie hinführen wollte339 . Weder Alexandrien noch Rom sind in dieser Zeit Stätten anspruchsvoller philosophischer Forschung gewesen340. Als Plotin nach Rom kam, regierte dort der Kaiser Gallienus (253 – 268), der den Philosophen persönlich geschätzt haben soll341. Der absolutistische Anspruch der Cäsaren, in der Regel Soldatenkaiser, die sich selbst fast ebenso häufig bekämpften wie die externen Gegner Roms, hatte den alten Senatsadel weitgehend zu politischer Resignation gezwungen. Die Hauptstadt des ins Schwanken geratenen Imperiums war zudem eine Welt des ethnischen und religiösen Pluralismus geworden und damit ein dankbares Betätigungsfeld für wirkliche und selbst ernannte Seelenführer, die sich, wie das für ein ›Zeitalter der Angst‹ charakteristisch ist, mit ihren Heilsversprechungen und Wundertaten gegenseitig zu überbieten suchten342. Für einen Philosophen, der auf die Praxis der Theorie setzt, weil allein sie durch ›Zaubersprüche‹ nicht zu schwächen ist343 , konnte es nicht leicht gewesen sein, in diesem Umfeld Aufmerksamkeit und Anerkennung zu finden344 . Vielleicht kann man von daher auch verstehen, warum Plotin seine Gedanken konzen-

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triert auf einzelne Sach- und Streitfragen vorgetragen, die eigene prinzipientheoretische Systematik in kritischer Diskussion mit Alternativen unter immer wieder anderen Aspekten dargestellt und sie zugleich in metaphorischer Eindringlichkeit umschrieben hat. Die ursprüngliche Mündlichkeit seines Unterrichtens erkennt man heute noch daran, dass es häufig von Fragen ausgeht, wie sie ein Schüler seinem Lehrer stellt345 . Plotin kannte natürlich den Bildungsstand seiner Zuhörerinnen und Zuhörer genau so gut wie ihre seelischen Dispositionen, ihr Interesse an Kunst, Literatur und Philosophie, ihr Irritiertsein von gnostischen Vorstellungen, magischen Praktiken, astrologischen Erwartungen und ihre tiefe Sehnsucht nach einem Leben, in dem das, was der Gott wirklich ist, persönlich erfahren wird. Im Blick darauf hat er sich zugetraut, in eine Philosophie einzuführen, die an ihre platonische Maximalgestalt anknüpft und damit den Glauben an die Macht einer Vernunft verstärkt, der viele Zeitgenossen schon längst den Rücken zugekehrt hatten. Die Praxis philosophischer Theorie konnte sich in diesem Ambiente nicht wie in der Akademie oder im Peripatos in prinzipientheoretischer Diskussion oder in der Erforschung von Sachzusammenhängen entfalten. Ihr Wirkungsort konnte vielmehr nur die Seele des Einzelnen sein, der darin bestärkt werden musste, diese Praxis als die entscheidende Kraft seiner Lebensführung aufzufassen. Plotin wollte seinen Anhängern zeigen, dass intensives Verbundensein mit der ›übervernünftigen‹ ›Mächtigkeit von Allem‹ eine Selbstbegrenzung der Vernunft voraussetzt, die darin ihre eigene Wirkungskraft zugleich vollständig entfaltet hat. Nach seiner Überzeugung konnte die Sehnsucht nach dem Verbundensein mit der göttlichen Grundkraft aller Wirklichkeit nur bei entfalteter Vernunft mehr sein als ein diffuser Wunsch, der denjenigen, der nichts Besseres hat, für alle möglichen und unmöglichen Irrationalismen anfällig macht. Plotin hat seinen Schriften weder Titel gegeben346 noch ein Schema für ihre Anordnung zu Textgruppen entworfen. Ihre Zusammenstellung zu sechs Neuner-Einheiten (= Enneaden) und

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die Überschriften für die darin zusammengestellten Einzelschriften stammen von Porphyrios347. Danach thematisiert die erste Enneade Fragen der Ethik348 , die zweite und dritte solche der Physik349 . Die vierte erörtert das Wesen der Seele und die fünfte dasjenige des νο,ς. Die sechste und letzte nimmt mit den verschiedenen »Arten des Seienden«350 zunächst das prinzipientheoretische Hauptthema des Aristoteles auf, fragt dann in platonischpythagoreischer Weise nach ihrer Einheit ( VI 4 [22] sowie VI 5 [23]) und den ihr wirksamen zahlhaften Strukturen ( VI 6 [34]), während die drei letzten Schriften ( VI 7 – 9 [38 – 39, 9]) zeigen wollen, dass die Vielheit der allgemeinen Formen des Seienden vom in absoluter Weise Einen ›jenseits von Wesenheit‹ zusammengehalten wird. Die dreibändige Ausgabe des Jahres 301 ist so angelegt, dass dem ersten Band die drei ersten Enneaden (Anthropologie, Kosmologie), dem zweiten die beiden nächsten (Seele und νο,ς) und dem dritten die sechste Enneade über das Verhältnis von Sein, Zahl und Einheit zugeordnet sind351. Diese Gliederung verweist unmissverständlich auf das inhaltliche Ziel der Philosophie Plotins, die nichts anderes sein will als eine Verstärkung der Kraft, in der sich die menschliche Seele, die das ›Göttliche in sich‹ hat, zum ›Göttlichen im Ganzen des Seienden‹ und von da aus zum göttlich Einen jenseits aller Vielheit erheben kann352. Philosophie ist keine Theorie in einem begrifflich abgehobenen Sinn, sondern Anleitung zur vita contemplativa, die sich zunächst im Kontinuum theoretischer und ethischer Praxis verwirklicht und dadurch die Voraussetzung für die Erfahrung einer ›Verähnlichung mit Gott‹ schafft, die als Einung der Seele mit dem göttlich Einen das Kontinuum des vernunftbestimmten und sittlich vollkommenen Lebens für einen ›Augenblick‹ durchbricht353 .

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Plotins Platonismus

Anders als die Skepsis, die ›das Gute‹ in ein Denken verlegt, das sich in der Kontinuität seines Selbstbezugs jeder Entfaltung zu welthaltigem Wissen verweigert354 , thematisiert Plotin ein Kontinuum ›objektiver‹ Formen als den Grund aller Wirklichkeit, der sich als absolut einfaches355 und deshalb in sich verharrendes Eines356 zu Formen der Einheit entfaltet, die in sich begrenzt, strukturiert und als solche zunehmend mit Mannigfaltigkeit angereichert sind. Das Eine ist nur dadurch der Grund von allem, dass es ›nichts von allem‹ ist, was seine eigene Bestimmtheit letztlich von ihm her erhält357. Als vorgängige und ›unbezwingliche‹ ›Mächtigkeit zu Allem‹358 , hat es das Ganze des konkreten Seins als Nochnicht-Entfaltetes359 oder Noch-nicht-Unterschiedenes in sich360 und ist deshalb ›Überfülle (*περερρ!η , τ *περπλAρες)‹361, die ›zeugend‹ aus sich heraus tritt362. Das absolut Eine gleicht darin dem Licht, das von sich ausstrahlt, der Quelle, die sich zum Fluss entfaltet, oder der Wurzel, die sich zum Baum auswächst, oder dem Mittelpunkt eines Kreises, der sich bis zur Peripherie hin ausdehnt363 , ohne durch den Prozess seiner dynamischen Selbstentfaltung in die Vielheit auch nur das Geringste von seiner alles überragenden ›Mächtigkeit‹ zu verlieren364 . Die Selbstkonstitution intelligibler Ordnung ist für Plotin natürlich kein raum-zeitlicher Vorgang. Wenn er dafür sprachliche Bilder verwendet, die den Gedanken daran nahe legen, so will er damit keine Realgeschichte des Intelligiblen erzählen, sondern bewusst machen, dass menschliches Denken, weil es an Verfahren logischer Rekonstruktion und kategorialer Umschreibung gebunden bleibt, jede Darstellung des absolut Einen und der Simultaneität des Intelligiblen365 wieder in sich zurücknehmen muss. Plotin hat sein Kontinuum prinzipientheoretischer Grundbegriffe zuerst in der Enneade V 1 [10] dargestellt und sich dafür ausdrücklich am platonischen Parmenides-Dialog orientiert366. Dieser enthält in seinem zweiten Teil eine dialektische Schulübung (135 d:

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γυμνασ α), der sich ein junger Mann namens Aristoteles zusam-

men mit dem alten Parmenides unterzieht367. Dabei setzen sie ›das Eine selbst‹ an den Anfang eines ›Logos‹ und überlegen dann, was sich daraus ergibt, ›wenn Eines ist, und was dann, wenn Eines nicht ist‹ (137 b). Schon in der alten Akademie hat man diese Übung als Hinführung zu metaphysischen Aussagen über die Struktur der intelligiblen Wirklichkeit verstanden. Das ist in Platons Dialog nicht so ohne weiteres zu erkennen368 . Dort ergibt sich als Folge der ersten Hypothesis, dass Eines, wenn es ausschließlich als Eines gesetzt wird, als ein Etwas jenseits aller Vielheit (137 c ff.) für das kategoriale Denken nicht ist, weil dieses wohl Vieles in Bezug auf Eines, aber nicht Eines an sich selbst aussagen kann. In der zweiten Hypothesis wird Eines deshalb von vornherein als seiend gesetzt (142 b), so dass es, wiederum aus der Perspektive kategorialer Rede betrachtet, in sich schon Vielheit enthält. Es ist dann aber gerade nicht Eines, sondern ›Vieles‹ (143 a) oder Eines, das, wie es in einer hintergründigen und von Plotin nachhaltig ausgewerteten Formulierung heißt, ›unter Alles Viele verteilt‹ ist und infolgedessen ›nichts von allem Seienden verlässt‹‹, das zu ihm als Einheit gehört (144 b). Die dritte Hypothesis ist gleichsam das Resultat aus dem paradoxen Befund, dass Eines als Eines nicht ist und als Einheit des Vielen nicht Eines ist. Sie bestimmt nämlich das Eine als ›Eines und Vieles‹ zugleich, was voraussetzt, dass es aufgrund seiner ›Gemeinschaft‹ mit der Zeit ›das eine Mal das Sein an sich hat und das andere Mal von ihm ablässt‹ (155 e ff.)369 . Plotin hat die Abfolge dieser drei Hypothesen als ›genaueste Dihairese des Einen‹ verstanden. Sie unterscheidet zwischen dem »ersten (τ πρ.τον %ν)«, als dem im »stärkeren Sinne Einen (> κυρι(τερον %ν)«370 , dem zweiten, das als »Eines-Vieles (Rν πολλ)«, und dem dritten, das als »Eines und Vieles (Rν καI πολλ)« bezeichnet wird. Das Eine entfaltet sich danach als das Eine jenseits von Vielheit kontinuierlich zur Vielheit hin und bleibt darin zugleich in sich einfache Einheit. Platon hat also mit den

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ersten drei Hypothesen des Parmenides die drei Hypostasen371 beschrieben, die bei Plotin das Kontinuum intelligibler Grundformen aller Wirklichkeit bilden372. Er sieht dieses Kontinuum auch in einer änigmatischen Aussage des Zweiten platonischen Briefes antizipiert, die er deswegen ebenfalls zur Bestätigung seiner eigenen Lehre heranzieht. Da man von diesem Zitat aus gut zeigen kann, wie Plotin an Platon und die ältere Philosophie insgesamt anknüpft, sei diese Stelle, die dem Rückgriff auf den ParmenidesDialog unmittelbar vorangeht, vollständig ausgeschrieben. 62 · Plotin, Enneade V 1 [10], 8, 1 – 14373 »Aus diesem Grunde lehrt auch Platon drei [ursprüngliche Wesenheiten]. ›Alles‹, das heißt das Erste (τ? πρ.τα)374 , ›ist um den König aller Dinge‹375 , sagt er, ›und das Zweite ist um das Zweite und um das Dritte das Dritte‹376. Auch sagt er, dass ›das Ursächliche (τ αGτιον)‹ einen ›Vater‹ habe, und zwar meint er mit dem Ursächlichen den Geist (νο,ς); (5) denn der Geist ist für ihn der Weltschöpfer (δημιουργς), der die Seele schafft (ποιε$ ) in jenem ›Mischkrug‹. Als den ›Vater‹ nun dieses Ursächlichen, welches der Geist ist, nennt er das Gute (τγαθν) jenseits des Geistes (τ πκεινα νο,) und jenseits des Seins im Sinne von Wesenheit (πκεινα ο1σ ας). Weiter nennt er an vielen Stellen das Seiende (τ 6ν)377 und den Geist ›Idee (#δα)‹. (10) Somit hat Platon gewusst, dass aus dem Guten der Geist und aus dem Geist die Seele ist378 . Diese Lehren (λγοι) sind also nicht neu, nicht erst jetzt, sondern schon längst ausgesprochen, wenn auch nicht klar und ausdrücklich. Und unsere jetzigen Lehren sind entstanden als Auslegungen jener alten, und die Tatsache, dass diese Lehren alt sind, wird durch das Zeugnis von Platons eigenen Schriften beglaubigt.« In der Enneade V 1 will Plotin den Wahrheitsanspruch seiner Lehre nach antiker Grundüberzeugung dadurch beglaubigen, dass er sie

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als Exegese ›alter‹ Sätze charakterisiert379 . Neu ist allein die Form der im Zusammenhang durchgeführten Begründung, die aber inhaltlich nichts anderes aussagen will als das, was die Alten lediglich angedeutet haben380. Dazu gehören nicht nur Heraklit, Empedokles, der historische Parmenides, Anaxagoras, die Pythagoreer und Aristoteles, sondern auch der Mythos. Sie alle antizipieren die Essenz seiner Philosophie, die nicht eigene Erfindung, sondern Vergegenwärtigung einer alten und von daher glaubwürdigen Wahrheit sein will381. In unserem Text fällt die Rätselhaftigkeit der zitierten platonischen Sätze auf, die Plotin bei seinen Zuhörern als bekannt voraussetzen durfte382. Demnach hat schon Platon 1. die Idee des Guten als das relationslos Eine aufgefasst, 2. die ›Ideen‹ als Gehalte des göttlichen νο,ς verstanden und damit nicht nur vom menschlichen νο,ς gesprochen, der sich dem Sein der Ideen zuwendet, sondern die aristotelische Lehre vorweggenommen, dass der νο,ς die reinen Formen aller Wirklichkeit in sich hat, und 3. das Sein der intelligiblen Welt zwar als das wahre Sein, aber nicht als den ersten Grund aller Wirklichkeit bestimmt. Der göttliche νο,ς hat vielmehr das Gute jenseits von Wesenheit zu seinem ›Vater‹ und ist allein aus dessen Kraft selbst ›Vater‹, nämlich schaffende Ursache für die ihm untergeordnete Weltseele. Insofern lehrt Platon das Verbundensein der drei intelligiblen ›Naturen‹ und beschreibt sie im Parmenides als verschiedene Modi des Einen. Plotins ›Auslegung‹ der Wahrheit Platons besteht in der Darstellung eines in sich gegliederten Zusammenhangs, in dem Anfang, Mitte und Ende als selbständige Größen unterschieden und zugleich durch strukturelle Affinitäten organisch miteinander verbunden sind. Am ›Anfang‹ steht das überseiende Eine der ersten Hypothesis des platonischen Parmenides. Ihm ›folgt‹ das seiende Eine, die Einheit der göttlichen Wesenheit, die Plotin in der zweiten Hypothesis dieses Dialogs383 und im aristotelischen Begriff göttlich-vernünftiger Wesenheit vorgeprägt findet. Dem über-seienden und dem seienden Einen ›folgt‹ als das ›Ende‹ dieses Kontinuums das Eine der ›Weltseele‹ im Sinne des platonischen

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Timaios, die, von der Stoa als einheitliche, auf die Materie bezogene Ordnungsbewegung des göttlichen Logos interpretiert384 , den materiell konkretisierten Kosmos begründet und erhält. Von daher wirkt die in sich geschlossene Dreiheit von Einem, Geist und Seele in den Bereich der Materialität hinein385 . Selbst kein Teil der intelligiblen Welt ist Materie das passive Substrat für deren Selbstmanifestation386. Die stoische Deutung des Kosmos als continuata cognatio seiner Gestalten387 gibt Plotin den Begriff des Kontinuums in Wahrheit seiender Formen vor 388 , und zwar durch die Konzeption der Weltseele, die als ›allgemeine Vernunft‹ ›durch alles hindurch geht‹ und dabei in der Wendung ›nach außen‹ die Bestimmtheit ›von Größen und Eigenschaften‹ und in der Gegenwendung ›nach innen‹ ›die Einheit und substantielle Einheitlichkeit‹ eines vollkommenen Ganzen begründet. Der Kosmos realisiert in seiner Kugelgestalt also die Raumform eines in sich zurücklaufenden Kreises, der ›alles umschließt‹, was überhaupt ist, und erweist sich dadurch als ununterbrochener Zusammenhang des Guten, der vom ›obersten König des Alls‹ ausgeht und an jeder ›Stelle‹ mit ihm verbunden bleibt. Die rerum natura ist die zum Leib geformte ›mens praestantissima‹ als Einheit von Vernunft (= nach außen sich wendende ›ratio‹) und Weisheit (= auf sich bezogene ›sapientia‹), so dass der Kosmos als lückenlose Vergegenwärtigung des Guten ›keinerlei Schlechtigkeit in sich aufnehmen kann‹389 . Die Stoa spricht also deutlich von einem essentiell dynamischen Zusammenhang, der unter der Herrschaft des schon von Platon beschworenen ›Königs‹ Eines, Geist, Seele und Materie nach dem Gesetz der Kontinuität miteinander verbindet. Plotin faltet dieses ›nach guten Gesetzen regierte Reich‹390 , das die Stoa zur ungegliederten Einheit einer einzigen Wesenheit zusammenzieht, wieder zu einem in sich gestuften Zusammenhang auseinander391. Die Stoa vertritt also eine erweiterungsfähige und erweiterungsbedürftige Schwundstufe der Prinzipientheorie, deren Grundlinien Plotin bei Platon vorgezeichnet findet.

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Aristoteles hat das Kontinuum prinzipientheoretisch ausgewiesener Grundformen weiter als die Stoiker freigelegt. Als Schüler Platons setzt er zu einer Dihairesis des Seins von ›Wesenheit‹ an, indem er die veränderlichen Wesenheiten auf ewig bewegte und dann beide auf unbewegte, immaterielle Wesenheit zurückführt. Weil er aber die immaterielle göttliche Wesenheit nicht in einer Mächtigkeit ›jenseits‹ und ›über‹ aller ›Wesenheit‹ verankert, entgeht ihm der strukturprägende Anfang dieses Kontinuums und damit auch die besondere Dynamik, die im Ausgang von ihm das Ganze der intelligiblen Welt so intensiv durchdringt, dass dessen Form erzeugende Kraft ohne Widerstand auf die materielle Welt übergeht392. Plotin widmet deshalb diesem von Aristoteles »vergessenen« Anfang besondere Aufmerksamkeit, indem er zeigt, wie er als relationslos Eines Grund für das Viele ist. Zugleich nobilitiert er die sinnlich wahrnehmbare, einschließlich der bewusstlosen Natur, indem er die für sie bezeichnenden Vorgänge des Wachsens und Zeugens als Modi einer ›Betrachtung des Einen‹ charakterisiert393 . Der »Anblick aller Schönheiten … im Sinnlichen«394 , zeigt, dass die Natur nicht wie in der Gnosis ›Abfall‹395 vom, sondern durchgängige Nähe zum Einen ist396. Das wiederum setzt voraus, dass im Kontinuum des wahren Seins, nach dem ›Geist‹ als seiner ersten Mitte, der Seele, und das ist zunächst einmal die Weltseele, die Position einer zweiten Mitte zukommt397. Da die menschliche mit ihr in dieselbe Gattung des Seienden gehört398 , verwirklicht auch sie ein Analogon zur Einheit von demiurgischer Potenz und Betrachtung des Einen, die der Weltseele und in vollkommener Form dem göttlichen νο,ς zukommt399 . Sie hat also den Zusammenhang der Grundformen aller Wirklichkeit in sich, so dass sie ihn auch gedanklich nachvollziehen kann400. Wie das im Einzelnen möglich ist und was das für die Lebensführung der Seele bedeutet, ist das Thema des folgenden Abschnitts.

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Der Aufstieg der Seele zum Einen als Ziel des menschlichen Lebens

Im Blick auf die neuzeitliche Unterscheidung zwischen Transzendentalphilosophie und Metaphysik kann man den philosophischen Ansatz Plotins als Übergang von einer Philosophie, die das Sein der Seele zu ihrem Thema hat, zu einem Denken charakterisieren, das sich den Grundformen aller Wirklichkeit zuwendet 401. Die philosophische Reflexion auf die Seele ist durch die alte Überzeugung motiviert, dass prinzipientheoretische Aussagen als Annahmen, die gewöhnlichen Meinungen zuwiderlaufen, im Ausgang von ›natürlichen‹, im Grundsatz jedermann zugänglichen Erfahrungen plausibel gemacht werden müssen402. Nur wenn die Überzeugung von der »göttlichen« Natur der Seele hinreichend gefestigt ist, lässt sich im Ausgang von der Reflexion auf die Form ihres Lebens glaubwürdig machen, dass der Grund aller Wirklichkeit als das Göttliche par excellence im Hervorgang aus sich das Sein der Vielheit begründet und damit auch der menschlichen Seele die Möglichkeit eröffnet, aus der Vielheit in das Über-Sein absoluter Einheit zurückzukehren403 . Im groben Umriss verläuft die Argumentation so: ›Seele‹ ist nicht primär die Instanz, die Stimmungen, Vorlieben oder Triebimpulse in sich hat, sinnliche Eindrücke in sich aufnimmt oder als Motor des Handelns wirkt, sondern im Kern eine Kraft, die von allgemeinen Formen des Denkens und Wollens geprägt ist. Als solche befindet sie sich in einer Situation der Vielheit, kann aber das Mannigfaltige, in dem sie lebt, das sie im Handeln und Herstellen erzeugt oder als Aktivität des Empfindens, Wollens und Denkens selber ist, auf Einheiten hin ordnen. Das geschieht durch die Fähigkeit zur Abstraktion (φα ρεσις), in der sie von dem Vielen, mit dem sie in den verschiedenen Dimensionen ihres Wirklichkeitsbezuges verbunden ist, so viel ›wegnimmt‹, bis sie die Einheit vor sich hat oder selber ist, an der sie ihr Wahrnehmen, Handeln und Denken orientieren kann. Dabei entfernt sie sich

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immer ein Stück weit von der Welt des Vielen und nähert sich in demselben Maße der Welt des Einen. In der Reflexion auf diesen Vorgang kann sie ihre Kraft der Einheitsbildung verstärken und immer genauer für die eigene Lebensführung einsetzen. Die ›Seele‹ kann eben nicht nur empfinden, handeln oder denken, sondern auch über Empfindungen, Handlungen und Gedanken sowie darüber nachdenken, was Empfinden, Handeln und Denken für sie überhaupt sind, wie sie sich faktisch zu einander verhalten oder vernünftigerweise verhalten sollten. Durch die maximale Verstärkung ihrer Kraft der Einheitsbildung wird die Seele ›lebendige Vernunft‹, die alle Formen des Wahren und Richtigen in sich selbst hat und deshalb daraus wie aus ihrem Eigentum ihr Leben als Ganzes entfaltet. Göttlich-vollkommene Vernunft steht also der menschlichen ›Seele‹ nicht als etwas von ihr ›Abgeschnittenes‹ gegenüber, sondern wirkt in ihr als die entscheidende Kraft ihrer Vervollkommnung, die wieder die Voraussetzung dafür ist, dass sich die Seele auch auf den letzten Grund der Einheit zurückwenden kann, die sie im vernunftbestimmten Leben bereits wirklich ist. Indem sie versteht, dass sie in der Vielfalt ihrer vernünftig-lebendigen Wirklichkeit Einheit ist und dass sie ihre Einheit in der Vielfalt konkreter Tätigkeiten verwirklicht, kann ihr aus der Perspektive einer rein analytischen Reflexion bereits deutlich werden, dass dem Zusammenhang gestalthafter Einheit ein an sich selbst gestaltloses Eines vorausliegt. Nur Eines ohne jede Vielheit lässt sich als Grund für die in sich variable Mannigfaltigkeit der Einheiten denken, die die Seele nicht nur in sich, sondern in allem Lebendigen als wirksam erkennt. ›Seele‹ verfügt also über verschiedene Fähigkeiten des Vervielfältigens und Vereinheitlichens. Als die Instanz, die in ihrem Denken und Leben nach dem Einheitsgrund für Zusammenhänge sucht, kann sie aus sich und damit ohne den Eingriff heteronomer Mächte, ›zur Erkenntnis ihres Wesens‹ kommen. Und da sie als dialektisch-vernünftiges Wesen als den letzten Grund für das Sein ihrer Einheit nur eine Einheit ›vor‹ oder ›über‹ aller Vielheit anset-

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zen kann, trifft sie bei der Suche nach dem ›erzeugenden‹ Grund für den Zusammenhang ihres vernünftigen Lebens von sich aus auf ›den Einfachen vor einer solchen Vielheit‹404 . Wenn man die Gesetzmäßigkeit dieses Bezuges von Einheit und Vielheit allein auf die interne Struktur des diskursiven Denkens zurückführt, entsteht daraus die Theoriegestalt der Transzendentalphilosophie. Wenn man hingegen dieselbe Gesetzmäßigkeit auf ein Sein zurückführt, das der Seele überlegen ist, bedeutet das den ersten Schritt in Richtung auf die Theoriegestalt der Metaphysik. Als ein solches Sein bietet sich dem antiken Denken und Empfinden zunächst die astrale Welt der leuchtenden, regelmäßig sich bewegenden und wie im Tanz harmonisch aufeinander bezogenen Himmelskörper an. Die Atomistik, die Skepsis und die Gnosis bestreiten jedoch die interne Göttlichkeit des Weltgebäudes und damit seine normative Bedeutung für das menschliche Leben. Um dagegen das Sein naturhafter Ordnung als das Göttliche verständlich zu machen, führt Plotin die vielfältigen Formen des Lebendigen einschließlich derjenigen der Gestirnswelt nicht wie die Stoa auf das einheitlich-mannigfaltige Lebensprinzip der Natur oder wie Aristoteles auf das vollkommene Leben göttlicher Vernunft ›jenseits‹ des Kosmos, sondern nach dem Vorbild Platons auf absolut einfache Einheit ›jenseits von Wesenheit‹ zurück. Nur in ihrer platonischen Maximalgestalt glaubt er als Vertreter griechischer Philosophie ihren wichtigsten Gegnern, vor allem der Gnosis und dem Christentum, auf Augenhöhe gegenübertreten zu können. Anders ausgedrückt: In einer Situation gesellschaftlicher, politischer und innerkosmischer Verunsicherung konzentriert sich die Hauptfrage der menschlichen Lebensführung auf die transkosmische Macht, weil sie als die entscheidende Instanz der Wirklichkeitsgestaltung aufgefasst wird. Ist sie essentiell gut oder Verderben bringend, handelt sie nach einer Regel verlässlicher Notwendigkeit oder ist sie eine Macht der Gnade, die in menschlich unverfügbarer Weise wirkt? Oder handelt sie überhaupt nicht, weil sie in sich verschlossen bleibt? Gewährt sie eine

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Erleuchtung, die aus der Perspektive menschlicher Vernunft wie eine Torheit erscheint, oder kann man sie durch Liturgie und Gebet veranlassen, möglicherweise sogar zwingen, heilbringend in das menschliche Leben einzugreifen? Nach Plotin gibt es eine absolut transzendente ›Mächtigkeit zu Allem‹, die zugleich als das Gute par excellence aus seiner Überfülle dem, was von ihr abhängt, von sich so viel mitgibt, dass auch noch die menschliche Seele eine erkennbare und verstärkungsfähige Spur davon in sich hat. Das Denken dieser Macht, das bereits für Platon bestimmend gewesen ist, soll nunmehr dadurch einen neuen ›Sitz im Leben‹ erhalten, dass mit ihm die vielfältig erschütterte Zuversicht wiederbelebt wird, die der menschlichen Seele trotz allem, was sie in der Welt des Werdens, des Zufalls und anderer unberechenbarer Mächte an sich erfährt, die Kraft eines allgemeinen Vernünftigseins zutraut. Das Gute konkretisiert sich für die Zeit Plotins nicht mehr in einer res publica und kaum mehr im Kosmos als einem in sich geschlossenen Zusammenhang von Form und Materie, sondern in der persönlich erfahrenen Vereinigung mit der transkosmischen Übermacht göttlicher Einfachheit. Sie ist als höchste Macht zwar der Inbegriff von Form- und Gestaltlosigkeit, aber weder wie in der Gnosis in sich verschlossen405 noch wie im Christentum in einem menschlichen Leib oder in einer sich selbst offenbarenden Rede anwesend. Der Weg zum Heil besteht für Plotin deshalb in einer anspruchsvollen, in sich zweistufigen Praxis des betrachtenden Umgangs mit Bildern und Gedanken, die das Sein des Göttlichen mehr oder weniger andeuten. In einer ersten Stufe soll das Göttliche als ein Kontinuum dynamischer Selbstentfaltung verstanden werden, während die zweite in einem momentanen ›Sehen‹ dessen gipfeln kann, was aufgrund seiner Freiheit von Form und Gestalt als das Unsichtbare par excellence der Grund aller Form ist. Plotin veranschaulicht die Denkbewegung der notwendigen, durch die Selbsterkenntnis der Seele vorbereiteten Hinwendung zu einer Prinzipientheorie objektiver Formen exemplarisch im

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neunten Abschnitt der fünften Enneade. Seinem Anfang wollen wir uns nunmehr zuwenden. 63 · Plotin, Enneade V 9 [5], 1, 1 – 2, 28406 »Alle Menschen gebrauchen gleich von Geburt an die Sinne, vor dem Geist, und treffen notwendigerweise zuerst auf das sinnlich Wahrnehmbare. Manche nun bleiben ihr ganzes Leben hier stehen, sie halten sie für das Erste und Letzte (πρ.τα καI ;σχατα). Das Schmerzhafte (5) und das Angenehme, welches im Sinnlichen ist, bedeutet ihnen das Gute und Schlechte, und so genügt es ihnen, ihr Leben zu verbringen, indem sie jenem nachjagen und dies von sich fernhalten. Die von ihnen auf Rechtfertigung (λγος) Wert legen, nennen das sogar Weisheit (σοφ α). Sie gleichen schweren Vögeln, die zu viel von der Erde aufgenommen haben, die sie beschwert, und nun nicht hoch fliegen können, (10) obgleich die Natur ihnen Flügel gab. Andere gibt es, die erheben sich ein kleines Stück aus dem Unteren heraus (κ τ.ν κτω), indem der bessere Teil ihrer Seele sie vom Angenehmen zum Schöneren hintreibt; aber da sie nicht imstande sind, das Obere (τ νω) zu erblicken, so sinken sie, weil sie keinen anderen Grund haben, auf dem sie stehen können, mitsamt dem Worte ›Tugend‹, das sie im Munde führen, (15) hinab zum praktischen Handeln, das heißt zum Auswählen unter dem Unteren, über das sich hinaufzuheben sie zunächst unternommen hatten. Eine dritte Gattung göttlicher Menschen (γνος θε ων νθρ(πων), die von stärkerer Kraft sind und ein schärferes Auge haben, sehen sozusagen wie Fernsichtige den Glanz dort oben und heben sich dort hinauf gleichsam über die Wolken und den Dunst hier unten hinweg, und verbleiben dort in der Höhe407, achten alles Irdische gering (20) und erquicken sich an jenem Orte, welcher der wahre und ihnen angestammte (τπος ο#κε$ος) ist, so wie ein Mensch, der nach langer Irrfahrt (πλνη)

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in seine von guten Gesetzen regierte Heimat (ε#ς πατρ δα εPνομον) zurückkehrt. (2, 1) Was ist das nun für ein Ort, und wie kann man dorthin gelangen? Dahingelangen kann der seiner Natur nach vom Eros Bewegte (> φ!σει ρωτικς), der in seiner inneren Verfassung (διθεσις) ursprünglich und im wahren Sinne des Wortes Philosoph ist; er ist dem Schönen gegenüber als Erotiker von Zeugungsdrang erfüllt, gibt sich aber nicht zufrieden mit der leiblichen (5) Schönheit, sondern fl ieht von ihr hinauf zu den Schönheiten der Seele, Tugenden, Wissenschaften, Tätigkeiten, des Rechts und der Sitte, und steigt von dort erneut hinauf zur Ursache des Schönen in der Seele und dann weiter zu dem, was etwa noch davor liegt (πρ το!του), bis er am Ende (π’ ;σχατον) zum Ersten (τ πρ.τον) gelangt, welches aus sich selbst schön ist; nur wenn er dort (10) angelangt ist, wird er des Zeugungsdranges ledig, vorher nicht. Aber wie soll er diesen Aufstieg bewerkstelligen, woher kommt ihm die Kraft (δ!ναμις) dazu, und welche Überlegung (λγος) soll diesen Eros unterweisen und leiten? Nun, die folgende. Die Schönheit hier an den Leibern ist nur von außen an sie herangebracht; denn das sind die Formen (μορφα ) der Körper, die an ihnen sitzen wie an einer Materie; denn die [materielle] Unterlage (*ποκε μενον) verändert sich ja (15) und wird aus schön hässlich; also folgert diese Überlegung, ist sie nur durch Teilhabe (μθεξις) schön. Und was ist das nun, was den Körper schön macht? Es ist in einem Sinne die Anwesenheit von Schönheit (κλλους παρουσ α) oder, in anderer Hinsicht, die Seele; sie hat ihn gestaltet und diese bestimmte Form in ihn gesandt. Aber die Seele, ist sie denn aus sich selbst schön? Das nicht; denn dann könnte nicht die eine Seele einsichtig (φρνιμος) und damit schön, die andere aber unvernünftig (φρων) (20) und hässlich sein. Mithin beruht das Schöne in der Seele auf Einsicht (φρνησις). Und wer ist es, der der Seele Einsicht verleiht? Nun, notwen-

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digerweise der Geist. Vom Geist (νο,ς), wenigstens vom wahrhaftigen, aber gilt, dass er nicht bald Geist, bald Nicht-Geist ist, so dass daraus folgt, dass der Geist aus sich selbst schön ist. Muss man nun bei ihm als dem Ersten haltmachen, oder ist es vielmehr so, dass man noch über den Geist hinaus (πκεινα νο,) emporschreiten muss, und dass der Geist (25) das Erste Prinzip überdeckt? Er befindet sich für uns gleichsam in der Vorhalle (Pronaos) des Guten und vermittelt uns durch das, was er ist, Botschaft über alles, was in Jenem ist, wie wenn er [der Geist] gleichsam ein Abdruck (τ!πος) von Jenem wäre, aber in größerer Vielheit, während Jenes gänzlich im Einssein verharrt.« Plotin beginnt seinen Unterricht mit einem kleinen Übungsstück in philosophischer Begrifflichkeit. Dabei geht es um das Verfahren der richtigen elementatio von Zusammenhängen, die grundsätzlich so auszuführen ist, dass für das, was verstanden werden soll, der Zustand seiner Vollkommenheit erkennbar wird. Am Anfang seiner Überlegungen steht die allgemein geteilte Behauptung, dass Menschen als sensitive Lebewesen nach ihrer Geburt zuerst auf Wahrnehmungen treffen. Dieser Satz ist aber ebenso wenig wie bei Aristoteles der Anfang eines Logos, der den menschlichen Wirklichkeitsbezug auf eine einfache naturale Grundgegebenheit zurückführen will. Es geht vielmehr darum, das ausschließliche Bezogensein auf Wahrnehmungen als in sich defizitär zu charakterisieren. Der zweite Satz beschreibt deshalb Menschen, für die das Erste, das ihnen in ihrer Lebenszeit begegnet, die Gesamtwelt bestimmt, in der sie zu leben glauben. Die Grundunterscheidung von ›gut‹ und ›schlecht‹, ohne die es kein Leben gibt, kann für sie deshalb nur als Unterscheidung von Lust und Unlust auftreten. Infolgedessen ist auch ihr Handeln nur darauf gerichtet, das ›Angenehme‹ zur Verstärkung in den eigenen Lebenszusammenhang aufzunehmen und ›Unangenehmes‹ möglichst daraus fern zu halten. ›Gut‹ und ›schlecht‹ sind in der Alltagssprache komplexe Begriffe. Ihre konkrete Bedeutung beruht deshalb auf einer ›An-

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nahme (*πληψις)‹, die ihre jeweilige Bedeutung festlegt. Die Entscheidung darüber resultiert aus der Verfassung (διθεσις) einer Seele, die das zunächst unbestimmte erotische Potential, aus dem sie ihr Leben führt, inhaltlich konkretisiert. Damit folgt Plotin dem Gedanken des sokratisch-platonischen Liniengleichnisses, nach dem die Seele aus der Grundbefindlichkeit ihres affektiven Lebens (πθημα) den Rahmen für ihr Wirklichkeitsverständnis festlegt 408 . Wenn ihr Eros primär Liebe zu Wahrnehmungen ist, so führt sie ihr Leben, was nur in der ersten Zeit nach der Geburt natürlich wäre, in der Welt von Wahrnehmungen. Wenn hingegen ›Annahmen‹ über ›gut‹ und ›schlecht‹ prinzipientheoretisch begründet werden, erheben sie den Anspruch, der Weisheit letzter Schluss zu sein. So hat Epikur Argumente dafür vorgetragen, dass Wahrnehmungen das Erste und Letzte einer in sich homogenen Welt sind, und daraus eine Ethik abgeleitet, die den Zustand der Lust als das ›natürliche‹ Endziel des menschlichen Lebens bestimmt 409 . Da der Bedeutungsumfang der Begriffe ›gut‹ und ›schlecht‹ über die Differenz von Lust und Unlust hinausgeht 410 , ist die Position Epikurs aus der Sicht des Platonikers Plotin eine Regression, ein selbst gewählter Infantilismus und damit das revisionsbedürftige Gegenteil von Weisheit. In der nächsten Übungseinheit wird derselbe Sachverhalt im Rekurs auf Metaphern verdeutlicht, die bestimmte Texte hauptsächlich platonischer Provenienz assoziativ in Erinnerung rufen. In diesem Fall geht das Spiel der Bilder und Texte von der Beschreibung verschiedener Vögel aus, von denen die einen fliegen können und deshalb ihre Natur verwirklichen, während die anderen ihre Flugfähigkeit zu verlieren drohen oder schon verloren haben. Da der Vogel in der antiken Welt als Symbol der menschlichen Seele bekannt ist und auch von Platon in diesem Sinne verwendet wird, erinnert der ›schwer gewordene Vogel‹ an die im Timaios beschriebene Seele, die sich durch die Einwirkung materieller Sinneseindrücke aus ihrer vernünftigen Selbstbewegung herausreißen lässt und dann immer stärker der irregulären Be-

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wegung folgt, die im Bereich materieller Wirklichkeit dominiert. Sie wiederholt dann aus eigenem Unverstand das Schicksal ihrer Fesselung an einen sterblichen Körper und schreibt damit den Zustand fest, der mit ihrer Geburt zwar unvermeidlich eintritt, später aber nahezu selbstverständlich überwunden wird411. Zusammen mit dem Timaios erinnern sich Plotins Zuhörer an einschlägige Partien aus anderen Texten Platons. Von daher wissen sie, dass Sehen immer ein In-sich-Aufnehmen des Gesehenen ist, bei dem sich die Seele am Gesehenen ›nährt‹412. Sie wird deshalb durch ihre Bindung an erdhaft ›schwere‹ Eindrücke413 selber schwer und kann sich deshalb nicht mehr vom Erdboden lösen414 . Sobald sie hingegen durch sinnliche Eindrücke hindurch ›das wahre Schöne‹ in sich aufnimmt, das als solches nicht von körperhafter Schwere ist, wird sie ›neu befiedert‹ und kann dann ›wie ein Vogel hinaufwärts schauend‹415 durch die Verstetigung ihres Blicks auf die intelligible Wirklichkeit ›von hier nach dort‹, also von der materiellen zur intelligiblen Welt ›fliehen‹416, sich an ihr ›nähren‹417 und ihr dadurch ähnlich werden. Durch seine Metaphern macht Plotin also ein weiteres Mal deutlich, dass Materialität für die menschliche Natur nicht das elementum primum ist. Der ›natürliche Ort‹ der Seele ist nicht derjenige ihrer dokumentierbaren Geburt 418 , sondern die intelligible Wirklichkeit. Was damit in ihr angelegt ist, kann aber nur zum Tragen kommen, wenn sie das Sein des Intelligiblen als ihr elementum primum und darin zugleich das Gesetz erkennt, an dem sie ihr Leben ausrichten soll. Aus der Perspektive desselben Bildes kritisiert Plotin danach die Stoiker, die in seiner Sicht nur ein bisschen höher fliegen als die epikureisch beschwerten Seelenvögel. Die Stoiker bestimmen die virtus als das summum bonum der menschlichen Natur und widersprechen damit den Epikureern, die sich dafür am natürlichen Gefühl der voluptas orientieren. Da die Stoiker außerdem zwischen dem summum bonum und sittlich indifferenten Gütern unterscheiden, erweitern sie gegenüber den Epikureern den Bedeutungsumfang des Begriffs ›gut‹ und können deshalb darunter

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nicht nur ›das Angenehme‹, sondern auch das demgegenüber ›Schönere‹ verstehen. Sie fassen deshalb auch die Seele nicht als homogene materielle Einheit auf, sondern als etwas, das gegenüber dem sinnlichen Empfinden einen ›besseren‹ Teil in sich hat und sich damit auf ein Gut bezieht, das schöner ist als das Angenehme. Die Stoa kann aber dieses Schönere nicht als etwas Eigenständiges charakterisieren, weil sie als materialistische Prinzipientheorie ebenso wenig wie die Atomistik das ›rein‹ Intelligible ›jenseits‹ von Bewegung und Materie kennt. Im Bild gesprochen heißt das: Die stoischen Seelenvögel bewegen sich zwar nach oben, können das ›Obere‹ aber nicht deutlich vor sich zu sehen, in Bezug darauf weder sicheren Stand gewinnen419 noch sich daran ›nähren‹ und sinken deshalb in die materielle Welt zurück, in der ein wirkliches Fliegen, wie es der Platoniker versteht, nicht möglich ist. Da die ›Betrachtung des Einen‹ für die stoisch instruierte Seele kein Thema ist, kann sie das höchste Gut nur als Tugendhaftigkeit bestimmen, so dass sie an die Welt des Handelns gebunden bleibt, die gegenüber der Welt, die der wirkliche Theoretiker vor sich sieht, lediglich eine Schattenwelt darstellt. Die Konzentration auf das Handeln ist deshalb das Indiz innerseelischer Schwäche. Die Seele verfällt darauf nur, wenn sie sinnlich konkret vor sich haben will, was sie »geistig nicht zu erfassen vermochte.« Der Handelnde ist also ein Theoretiker, der zu schwach ist, ›Betrachtender‹ zu sein420 , oder jemand, der unter dem Druck äußerer Umstände, etwa als tapferer Krieger oder als tüchtiger Arzt, zu handeln genötigt ist. Für ihn gilt deshalb die Regel Platons, dass keine Betätigung des Guten, die lediglich ein Übel beseitigen will, das höchste Gut sein kann421. ›Tugend‹ ist eine Befreiung der Seele von der Übermacht äußerer Gegenstände oder innerer Affekte oder ein Vorgang, bei dem sie sich von ihrer Bindung an materielle Wirklichkeit grundsätzlich ›reinigt‹. Aber erst, wenn die Seele ganz zu sich selbst gekommen ist, kann sie das Gute durch geistige Betrachtung in sich haben, das auch im Handeln des Tu-

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gendhaften gegenüber der Größe, die sie in der Betrachtung hat, grundsätzlich eine Minderung erleidet 422. Das wirkliche Sich-Erheben über materielle Wirklichkeit gelingt nur der ›göttlichen‹ Natur. Nur sie lässt ›die Wolken und den Dunst der irdischen Welt‹ unter sich und nähert sich dem ›Glanz dort oben‹423 so weit, dass sie dort ›verharrt‹, sich daran ›erquickt‹ und deshalb aus gelebter Erfahrung auf das, was jetzt tief ›unter‹ ihr liegt, als auf etwas Unwichtiges, Kleinliches oder Schlechtes ›herabblickt‹. In der Stoa, die vom ersten vorchristlichen Jahrhundert an zunehmend Elemente platonischer Philosophie in sich aufnimmt 424 , wird das Endziel des Lebens ähnlich beschrieben425 . Um das eigene Konzept davon abzusetzen, folgen Plotins Bilder von der ›Höhe‹ des vollkommenen Lebens fast ausschließlich platonischen Vorgaben. Lediglich am Anfang wird mit dem Begriff des ›natürlichen Ortes‹ ein Gedanke der aristotelischen Bewegungslehre aufgenommen, die das Endziel für die Bewegungen natürlicher Körper als den ›Ort‹ definiert, an dem sich erfüllt, was der Möglichkeit nach in ihnen angelegt ist 426. Dieser Gedanke wird aber von vornherein durch das Bild von der Auffahrt der göttlichen Seelenwagen aus Platons Phaidros überlagert, die von der Erde aus sämtliche Planetensphären und den Fixsternhimmel widerstandslos durchdringen und dann als Ziel ihrer Reise einen ›Ort‹ ›jenseits‹ des Kosmos erreichen. Die menschliche Seele, die den Göttern folgt, ›erblickt‹ wie sie ›das wahrhaft Seiende‹ als das ›in Wahrheit Gerechte‹. Sie kann deshalb die Götter auch ›zum Fest und zum Mahle‹ begleiten und sich mit ihnen an dem ›erquicken‹, was auf dem ›Feld der Wahrheit‹ wächst 427. Dieses ›Feld‹ ist für die Götter der ›natürliche Ort‹ ihres Lebens, den nach Sokrates kein menschlicher Dichter ›nach Würden besingen‹ kann (Phaidros 247 c). Das mit ihm verwachsene Gut ist nämlich als »das farblose, gestaltlose, stofflose, wahrhaft seiende Wesen« (247 c) für jedes Begreifen und Sprechen unerreichbar, das die Einheiten seines Wissens auf der Grundlage von »vielen durch den Verstand ( λογισμς) zusammengefassten Wahrnehmungen«

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(249 b – c) gewinnt. Seine Darstellung wäre deshalb Darstellung des Undarstellbaren, die nur im Zustand (πθος) eines von den Göttern verliehenen ›Wahnsinns‹ gelingen kann428 . Nur wenn die Seele in diesem Zustand die Grenzen des diskursiven Denkens und der kategorial geformten Rede überschreitet, kann sie mit der simultanen Einheit intelligibler Wirklichkeit und ihrem Einheitsgrund ›jenseits von Wesenheit‹ ›zeugend‹ verbunden sein, wie Diotima das im Symposion für die Vereinigung der menschlichen Seele mit der göttlichen Urform des Schönen beschreibt. Im Blick auf die Identifikation des ›in Wahrheit Seienden‹ mit dem ›in Wahrheit Gerechten‹ im Phaidros charakterisiert Plotin das Sein der Ideen als den Zusammenhang des guten Gesetzes (ε1νομ α)429 , während irreguläres Bewegtsein (πλνη) zur Welt der ungeformten Materie gehört. Das Bild des Menschen, der wie Homers Odysseus nach ›langer Irrfahrt‹ in seine ›gut regierte Heimat‹ zurückkehrt, ist deshalb für einen Platoniker der sprechende Hinweis auf die Prinzipien ›Einheit‹ und ›unbestimmte Zweiheit‹. Das Eine wird im ›Hervorgang‹ aus sich zum Grund und zum Gesetz allgemeiner und, über sie vermittelt, aller Form. ›Unbestimmte Zweiheit‹ charakterisiert demgegenüber das in sich haltlose, von der Macht des Werdens bestimmte Sein der formlosen Materie. Nur am Ende des Weges von ›unbestimmter Zweiheit‹ zu einer Einheit, die der ›Zweiheit‹ nicht feindlich gegenübersteht, sondern wie der νο,ς und die Welt-Seele Formen der Zweiheit in sich hat, die durch Einheit begrenzt sind, erreicht die menschliche Natur die Einheit, die ihre vollendete Wirklichkeit ist. Da jede Seele von Natur aus Einheit ist, die aber von den meisten ›vergessen‹ wird, besteht ihre entscheidende Aufgabe darin, das Vergessene zu erinnern und in der richtigen Weise für ihren Aufstieg zum Einen ›jenseits‹ aller Vielheit ›in Gebrauch zu nehmen‹430. Nur so kann die Seele trotz ihrer Bindung an den Leib ihre ›gut regierte Heimat‹ erreichen, die kein politisch oder materiell konkreter Ort ist, sondern das ›außerhalb‹ des Kosmos gelegene ›Feld‹ in sich selbst begründeter Wahrheit und Gerechtigkeit.

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Im Phaidros hat Sokrates den Philosophen als ›wahren Erotiker‹ definiert (248 d). Da jeder Platonleser darin die Umkehrung der Definition des Eros aus dem Symposion (204 b) erkennt, kann Plotin bei seiner Antwort auf die beiden nächsten Fragen (2, 1 und 2, 11) ohne weitere Begründung eine Kurzfassung des Schlussteils der Diotima-Rede vortragen431. Im zweiten Abschnitt seines Lehrvortrags steht deshalb der Begriff »Zeugungsdrang (Sδ ς)« im Vordergrund und damit die ihm zugehörige Zweiheit von Enttäuschung und Erfüllung. Enttäuschung treibt zum Weitersuchen an, während der »Zeugungsdrang« im Zustand der Erfüllung in Ruhe übergeht. Der an sich unbestimmte Eros, der immer auf ›Zeugung im Schönen‹ aus ist, vollzieht auch bei Plotin eine zweifach gestufte Aufstiegsbewegung. Bei ihrer Beschreibung werden die Bereiche körperlicher und seelischer Schönheit allerdings nur kursorisch behandelt 432, so dass es in der Hauptsache darum geht, die innere Struktur der intelligiblen Welt darzustellen, die Diotima lediglich als die Eingestaltigkeit des Schönen thematisiert hat. Oberhalb des seelisch Schönen steht deshalb bei Plotin zunächst die ›Ursache des Schönen in der Seele‹ und dann alles, ›was etwa noch darüber liegt‹, so dass dieses ›Obere‹ ein Kontinuum bildet, das sich bis hin zum absolut ›Ersten‹ aller Schönheit erstreckt. Die analytische Konsequenz aus dieser skizzenhaften Topographie des ›Oberen‹ besteht darin, dass nur auf das Erste im Reich intelligibler Schönheit einschränkungslos die Prädikation des ›aus sich selbst Schönen‹ zutrifft. Im Bild gesprochen bedeutet das: Der wahre Erotiker, dessen »Zeugungsdrang« zum Maximum entwickelt ist, findet erst hier den ›natürlichen Ort‹, an dem seine Unruhe in Ruhe übergeht. Er befindet sich deshalb auf einer ›Flucht‹, bei der er so schnell wie möglich alles zweiheitlich Schöne hinter sich lassen will, um endlich dauerhaft dort zu sein, wo das Zeugen im Schönen nicht mehr der Zweiheit von Verlust und Erfüllung unterliegt, die der Motor seiner Bewegung des Suchens nach eingestaltiger Schönheit ist. Zugleich muss festgehalten werden, dass das eingestaltig Schöne im Sinne Diotimas mit

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dem identisch ist, was Platon als das in Wahrheit Gute bezeichnet. Der Aufstieg zum Schönen unterscheidet sich von daher nicht vom Aufstieg zum Guten. Die Affinität zwischen dem Inhalt der Diotimarede und dem Höhlengleichnis der Politeia ist die systematische Konsequenz des Gedankens, dass das in Wahrheit Gute aus sich heraus das in Wahrheit Schöne ist 433 . Plotin setzt, was für die folgenden Ausführungen zu beachten ist, die innere Einheit zwischen dem Guten und dem Schönen voraus, oder anders ausgedrückt: Das Eine ist für ihn das gestaltfreie Gute, das als das eingestaltig Schöne (absoluter νο,ς) aus sich herausleuchtet. Die erotische Kraft, die den ›Aufstieg‹ der Seele zum absolut Einen trägt, das als das Gute zugleich das Schöne ist, kann sich nur aufgrund von Belehrung und Überlegung entfalten. In der Enneade I 3 [20] wird die Art dieser Belehrung in einer zweifach gestuften Antwort auf die Frage beschrieben, welche ›Kunst‹ es denn ist, die »uns dort hinaufführt, wo es zu wandern gilt, nämlich zum Guten«, das als »erster Urgrund« (1, 1 f.) und »äußerstes Ende« der intelligiblen Welt »dieser Wanderung« das natürliche »Ziel« vorgibt (1, 16 ff.). Für diejenigen, die ihr Leben noch in der Welt sinnlicher Wahrnehmungen eingerichtet haben, ist das die ethische 434 und für diejenigen, die bereits »im Geistigen« Fuß gefasst haben (1, 15), die mathematisch-dialektische Belehrung (3, 10)435 . Die Mathematik ›gewöhnt‹ die Seele daran, ›Unkörperliches zu begreifen‹ und an seine Realität ›zu glauben‹, während die Dialektik ihr die Fähigkeit vermittelt, die Gesamtheit geistiger Wirklichkeit kontinuierlich von oben nach unten und von unten nach oben zu ›durchlaufen‹ und sie dadurch als einen gegliederten Zusammenhang von Anfang, Mitte und Ende in sich aufzunehmen (4, 12 – 18). Die Dialektik kann deshalb »von jedem Ding begrifflich aussagen«, »was es jeweils ist, worin es sich von einem anderen unterscheidet und was es mit dem von ihm Unterschiedenen gemeinsam hat« und dadurch erkennen, »wo jedes Ding seinen Ort hat«, ob es zum Seienden gehört oder zum Nichtseienden, zum Guten oder zum Nichtguten, und zwar nach Maß-

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gabe wissenschaftlich fundierter Einsicht in das, »was unter das Gute fällt und was unter das Gegenteil davon« (4, 2 – 9). Für den Gedanken in unserem Textauszug bedeutet das: Die Dialektik leitet den Eros deswegen dazu an, seine Dynamik vollständig zu entfalten, weil sie aus dem vergleichenden Gang durch die Gesamtheit der ›Orte‹ des Schönen denjenigen bestimmen kann, von dem her das Erste aller Schönheit in der Vielfalt seiner sekundären ›Orte‹ anwesend ist. Anders formuliert: Weil die philosophische Dialektik mit dem ›Feld der Wahrheit‹ selbst verwächst, verfügt sie über eine certa nota veri, mit dem sie den primären ›Ort‹ des Schönen von seinen sekundären ›Orten‹ verlässlich unterscheidet. Dieses Kriterium besagt: Das ›wahre Wesen‹ und damit das Erste des Schönen ist in sich einheitlicher Natur und alles in sich ›Zweiheitliche‹ ist eine seiner Realisierungs- oder Zusatzformen. Das in Wahrheit Schöne hat deshalb seinen Ort ›außerhalb‹ oder ›vor‹ aller Zweiheit. Und weil ungeformte Materie als das Substrat körperhaft konkretisierter Schönheit ›unbestimmte Zweiheit‹ ist, kann ihr das Schöne der Form, die ihre Zweiheit begrenzt und damit die Einheitlichkeit einer Gestalt verleiht, nur von einer Instanz aufgeprägt werden, die etwas anderes ist als sie selbst, nämlich eine Einheit ›vor‹ aller ›Zweiheitlichkeit‹. Von daher richtet sich die nächste Frage auf die Instanz, die das Schöne in die Materie hineinträgt. Im Blick auf die jedermann zugängliche Erfahrung mit Kunstwerken liegt es nahe, dafür an die Gestaltungskraft der ›Seele‹ eines Künstlers zu denken, und zwar unabhängig davon, ob es sich dabei um diejenige eines menschlichen Künstlers handelt oder um die von der Stoa als künstlerisch tätige Gestalterin des Kosmos gefeierte Weltseele436. Plotin spielt in unserem Textauszug auf die Bestimmung der Seele als Gestalterin materiell konkretisierter Schönheit zwar deutlich an, begründet sie aber nicht in Form einer begrifflichen Überlegung. Deshalb soll der Anfang der Enneade V 8 [31] dafür zur Ergänzung herangezogen werden. Thema ist dort der vollständige Blick auf die intelligible Welt, bei dem »derjenige, der zur

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Schau des geistigen Kosmos gelangt und damit der Schönheit des wahrhaftigen Geistes innegeworden ist, … auch von dessen Vater, dem jenseits des Geistes Gelegenen«, eine angemessene »gedankliche Vorstellung« hat. Um eine solche Vorstellung in der Seele seiner Hörerinnen und Hörer entstehen zu lassen, fordert Plotin sie auf, sich ›zwei steinerne Massen‹ vorzustellen, »die eine roh und ohne künstlerische Bearbeitung, die andere aber durch Kunst bezwungen zum Bilde eines Gottes437 … oder auch eines Menschen, den die Kunst geschaffen hat aufgrund von allen schönen Menschen«. 438 In jedem dieser Fälle »erscheint der Stein, der durch die Kunst zu gestalthafter Schönheit gebracht worden ist, als schön, … vermöge der Form (εJδος), welche die Kunst ihm eingab.« Ihr Entstehungsort befindet sich »in dem Ersinnenden (ν τ' ννοσαντι)439«, nämlich »im Künstler, nicht sofern er Augen und Hände hatte, sondern weil er an der Kunst teilhatte«. Wenn das so ist, dann ist zu unterscheiden zwischen (1) der Form des Schönen für Gestalthaftigkeit überhaupt, (2) dem konkreten Entwurf für ein bestimmtes Bild des Schönen und (3) der Gestalthaftigkeit, die sich im Stein ausdrückt, soweit dieser ›der Kunst gehorchen‹ konnte. Dabei ›verharrt‹ die Schönheit (1) in der Kunst als transindividuelle Formkraft, die, ohne selbst planend (›Auge‹) oder gestaltend (›Hand‹) tätig zu sein, der ›natürliche Ort‹ ist für die Gesamtheit der Grundformen des gestalthaft Schönen. Ein vergleichbares, wenn auch weniger intensives ›In-sich-Bleiben‹ gilt für den Gestaltentwurf des individuellen Künstlers (2), weil er ihn unabhängig von seiner handwerklichen Ausführung korrigieren, mit anderen Plänen vergleichen, in Zusammenhänge von Gestalten einordnen oder durch andere Formpläne ersetzen kann. Das In-sich-Sein gilt aber nicht mehr für das konkrete Kunstwerk (3). Es unterliegt nämlich als materieller Körper der Veränderung und ist, weil es das Ganze der für es entworfenen Form nicht differenzlos in sich aufnehmen kann, für den Künstler, der ein Empfinden für die adäquate Relation von Form und Materie besitzt, Anlass einer potentiell unabschließbaren Serie von Nachbesserungen.

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Die Wirklichkeit der ›Kunst‹ ist prinzipientheoretisch deshalb aussagekräftig, weil sie in einer begrifflich nachvollziehbaren Weise den Abstand zwischen Form und Materie, also von geistiger und körperhafter Wirklichkeit, überbrückt. ›Kunst‹ ist zum einen die ›seelische‹ Leistung eines individuellen Künstlers, der in seinem Inneren eine Form entworfen haben muss, bevor sein konkretes Planen und seine Hände sie als materielle Gestalt zur Sichtbarkeit bringen. ›Kunst‹ ist aber auch die transindividuelle ›Erzeugerin‹ und legitime ›Besitzerin‹ des Gesamtzusammenhangs gestalthafter Form. Nur durch ›Teilhabe‹ an ihr ist die ›Seele‹ des individuellen Künstlers Ursache dafür, dass ein materieller Körper durch seine Form am Schönen selbst seinen bestimmten Anteil hat. Die Seele des Künstlers unterliegt der Dualität von ›schön‹ und ›hässlich‹ und damit der Macht der Zweiheit, so dass sie, weil sie nicht in einheitlicher Weise schön ist, keine allein in ihr begründete oder von ihr gestiftete Form des Schönen an materielle Körper weitergibt. ›Vor‹ ihr muss deshalb eine Instanz der Konstitution von Gestalthaftigkeit angesetzt werden, die anders als eine individuelle Seele die Bedingung erfüllt, ›einfache Wesenheit‹ zu sein. Die Frage, ob die Seele die Schönheit der Form ›aus sich selbst hat‹ oder von einer ihr übergeordneten Instanz übernimmt, bezieht sich nicht nur auf die menschliche, sondern auch auf die Weltseele. Sie steht sogar im Zentrum der Aufmerksamkeit, wenn Plotin kurz nach unserem Textauszug die Frage diskutiert, »ob die Seele bereits zu den einfachen Wesenheiten gehört« oder nicht 440. Da ›Seele‹, gleich welcher Art, aus vielen Gründen nicht in sich einfach ist, besteht ihr bester Zustand in einer Tüchtigkeit, die unser Text mit dem Begriff ›Einsicht (φρνησις)‹ umschreibt. Er bezeichnet die Fähigkeit zu einem ›Gesamtüberdenken (πιλογισμς)‹, bei dem das Gute innerhalb von Handlungsräumen aus der Perspektive ›reiner‹ Reflexion strukturiert, im Einzelnen bestimmt und mit dem Guten verglichen wird, das seinen Ort außerhalb von Handlungsräumen hat. Das betrachtende Überdenken der ›Einsicht‹ steht deshalb in direkter Beziehung zur Dialek-

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tik, die die von Raum und Zeit freien Grundformen des Seins nicht nur erkennen, sondern sie sich als erarbeitetes und von daher ›gebrauchsfähiges‹ Eigentum aneignen kann441. Sie ist der ›wertvollste Teil der Philosophie‹442, weil sie das vom ›Nus‹ zur Einheit Verarbeitete so an die ›Seele‹ weitergibt, dass sie es nach ihrer eigenen Regel diskursiver Rationalität erfassen, in sich aufnehmen und deshalb auch bei ihrem ›Überdenken‹ von Handlungszusammenhängen in ›Gebrauch‹ nehmen kann443 . Das Sein intelligibler Form wird in unserem Textauszug nur skizzenhaft angedeutet. Es wird einmal als ›vollkommene Wirklichkeit‹ im aristotelischen, das andere Mal als wahre Schönheit im platonischen Sinn bezeichnet. Seine genauere Untersuchung beginnt aber erst in den Abschnitten der Enneade V 9, die unserem Textauszug folgen. Entscheidend ist dabei seine Charakterisierung als »das wirkliche Sein« der »wahren Wesenheit«, die, abgetrennt von Materie, der ›natürliche Ort‹ ist für die ›Natur‹ allgemeiner Formen (3, 2 ff.). Anders gefasst: Diese ›Natur‹ ist deshalb das in Wahrheit Seiende, weil sie den Zusammenhang allgemeiner Form als ihre eigene Wirklichkeit denkt und in ihrem Denken zum Dasein bringt. ›Geistige Wirklichkeit‹ ist Denken und ihr Denken Sein, so dass sie selbst nichts anderes ist als das Sein der Urbilder (ρχτυπα) und Erstheitsformen (τ? πρ.τα) aller Wirklichkeit (5, 5 ff., 15 ff. und 22 ff.). Da aber auch das Sein geistiger Wirklichkeit ›Zweiheit‹ an sich hat, überdeckt es die Einfachheit des ›absolut Ersten Prinzips‹. Die Seele befindet sich also im Zustand ihres Einsgewordenseins mit dem Zusammenhang geistiger Wirklichkeit noch in der ›Vorhalle des Guten‹ statt bei ihm selbst. Niemand kann vor das Kultbild des Gottes treten, der nicht zuvor den bereits innerhalb des äußeren Säulenumgangs (Peripteros) gelegenen Pronaos vor der Cella seines Tempels durchschritten hat, also den Ort der Trennung von der profanen Welt und des ›Sich-in-sich-Sammelns‹. Diese Regel, die für jede Konzentration auf anspruchsvolle Aufgaben des Gestaltens oder des Verstehens gilt, erfährt ihre höchste Steige-

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rung für den Zugang zu ›Jenem, das gänzlich im Einsein verharrt‹. Dafür aber muss verstanden sein, dass die Zweiheitlichkeit ›geistiger Wirklichkeit‹ ebenso wie der Pronaos des Tempels nicht für sich allein steht, sondern das Entscheidende, das ›dahinter‹ liegt, verdeckt und zugleich als dessen genauester ›Abdruck‹ die glaubwürdigste ›Botschaft‹ von ihm vermittelt. Nur unter dieser Voraussetzung wird aus der Frageform des Satzes vom Hinausschreiten über die ›geistige Wirklichkeit‹ der Imperativ für eine Bewegung, die sich mit dem einfach Einen auf das äußerste Ziel der ›Wanderung‹ durch das platonische ›Feld der Wahrheit‹ richtet. Die Konzentration auf die zweiheitliche Einheit intelligibler Wirklichkeit und den mit ihr verwachsenen Reichtum der Grundformen alles Seienden ist für den Eros die äußerste Belehrung, die seine Energie zum Maximum entfesselt und damit der Seele die Schubkraft gibt, mit der sie die ›Vorhalle des Guten‹ durchschreiten und unmittelbar vor das Eine selbst treten kann. Die Identifikation der Seele mit dem Sein des Intelligiblen bedeutet dann die bewusst nachvollzogene ›Teilhabe‹ an der bipolaren Fähigkeit des geistigen Wirklichseins, einerseits auf sich selbst und andererseits auf ›das jenseits von ihm Liegende‹ bezogen zu sein und dabei das aufnehmende Sehen des Einen dem Bezogensein auf sich selbst überzuordnen. Um diesen Gedanken plausibel zu machen, beschreibt Plotin in der Enneade VI 7 [38] das vom ›Geist‹ vollzogene Sehen des Einen mit Hilfe von Bildern aus dem Phaidros und dem Symposion als Zustand gotterfüllter und deshalb aus menschlicher Perspektive ›unvernünftiger‹ Trunkenheit. ›Geistiges Wirklichsein‹ erfährt im erotisch affizierten ›Erschauen von Jenem‹ eine Steigerung über das hinaus, was es in der autonomen Beziehung auf sich selbst ist, weil es in diesem Sehen gleichsam den Vorgang seiner eigenen Geburt nachvollziehen kann444 . Die Wirklichkeit des auf sich bezogenen Geistes wird dadurch selbst absolut ›einfach (Fπλωθε ς)‹ und erreicht ›durch Sättigung‹ am Einen das äußerste ›Wohlsein (ε1πθεια)‹, bei dem die ›Erzeugnisse (γεννματα)‹ des Einen in ihm nicht nur einfach da

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sind, sondern »in ihm« so »hervortreten«, dass er »gewahr wird (συνσθετο), wie sie entstehen und in ihm vorhanden sind«445 . Im erotischen Geeintsein mit der Übermächtigkeit des absolut Einen erscheinen also die Urbilder (ρχτυπα), die ihren ›natürlichen Ort‹ in ›geistiger Wirklichkeit‹ haben und von ihr als Formpläne (λγοι oder εGδη) an die innerseelische Einsichtsfähigkeit (φρνησις) weiter gegeben werden, nicht als das Erste, sondern als die vom Einen erzeugten ›Abdrücke (;κτυπα)‹ seiner selbst. Durch sie bekundet sich das Eine als zeugende ›Mächtigkeit zu Allem‹, die als ununterschiedene Simultaneität in sich hat, was in der Dimension des Vielen als Form, Einheitlichkeit und Schönheit wirksam ist.

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Negative Theologie und mystische Ekstasis als zwei Formen der Annäherung an den ›überseienden‹ Grund aller Wirklichkeit

Nach dem Vorbild Platons thematisiert Plotin das Sein bestimmter Form aus der Perspektive des Einen vor aller Form, allerdings so, dass er den bei Platon nur angedeuteten ›Vorgang‹ des Umschlags von Unbestimmtheit in Bestimmtheit in sprechender Ausführlichkeit zur Darstellung bringt. Der Grund dafür lässt sich nur aus der Auseinandersetzungssituation nachvollziehen, in der Plotin platonische Philosophie glaubhaft zu machen hatte. Für ihn musste es eine besondere Provokation sein, dass in seiner Sicht die Gnosis den Stiftungsmythos der antiken Kosmostheologie, Platons Rede vom guten Demiurgen als dem ›Schöpfer‹ einer Welt vollkommener Ordnung und Schönheit, vom Kopf auf die Füße gestellt hat und damit den Eindruck erwecken konnte, den Wahrheitskern dieses Mythos überzeugender getroffen zu haben als Platon und die ihm nachfolgenden Denker bis hin zu den Stoikern. Aus dem Besitz vermeintlich besserer Weisheit hat die Gnosis einzelne Elemente aus diesem Mythos herausgelöst und zu ihrer

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angeblich ›richtigen‹ Wahrheit zusammengesetzt. Die ›Schönheit‹ des Kosmos steht dann nicht mehr für seine im Guten fundierte Ordnung, sondern für das böswillig Verführerische, das denjenigen, der ihm verfällt, vom in Wahrheit Guten ohne Aussicht auf Rettung entfernt. Die Welt hat für die Gnosis ihren Grund in einer Ur-Spaltung des Einen, das sich selbst erkennen und deshalb in gegenständlicher Konkretion vor Augen haben wollte. ›Gnosis‹ (= ›Erkenntnis‹) bezeichnet also nicht nur eine vom Platonismus ausgehende und ihn dann umkehrende Denkform, sondern ebenso den Grund für die elementare Krise, in der das Göttliche sich zu einem Bild vergegenständlicht, das ihm durch den Glanz seiner Schönheit den Rückblick auf sein wahres Einssein verstellt 446. Diese erste Entfernung von sich wird verfestigt, wenn das Göttliche, abgetrennt von seiner Wahrheit, seine erotische Energie nur noch auf sein Abbild konzentriert und es dann als Formplan für die Schöpfung einer konkreten Welt ›gebraucht‹. Die Gnosis, so Hans Jonas, setzt in das Eine eine ›Kluft‹ oder eine ›Zersplitterung‹447, die alles, was aus ihr hervorgeht, in die Situation radikaler Vereinzelung treibt. Plotin will deshalb das Betrugsmanöver aufdecken, das der gnostischen ›Umdrehung‹ des göttlich Guten in sein Gegenteil zugrunde liegt und das so Verdrehte mit Hilfe des ›originären‹ Platonismus wieder richtig stellen448 . Von daher wird auch verständlich, warum Plotin das Leben der menschlichen Seele als ein in sich vielfältiges, ambivalentes und krisenanfälliges Geschehen darstellt, das ihr normalerweise nicht bewusst ist. Er will deshalb seine Anhänger dazu anhalten, sich nicht nur im Blick auf sich selbst, sondern auf Vorgänge wahrzunehmen, die zur Natur des Seienden insgesamt gehören. In der Wiederaneignung dessen, was sie davon ›vergessen‹ oder verdrängt haben, sollen sie die Kraft gewinnen, ihre innerseelische Ambivalenz zu verstehen und nach einem Muster zu verarbeiten, das ihnen schon in der Struktur des Seienden als Bedingung aller Lebendigkeit entgegenkommt. Dabei geht es insbesondere um den verstehenden Nachvollzug des Zusammenhangs von reiner

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Negativität 449 und ›Mächtigkeit (δ!ναμις) zu Allem‹450 , der zum Einen als dem Grund aller Wirklichkeit gehört. Nur als absolute Negativität (›Nichts von Allem‹) ist das Eine höchstes451, in sich ›maßloses‹ oder ›unbegrenztes‹ Mächtigsein452. Es ist damit auch das zeugende Prinzip des Unbestimmten der Fριστος δυς , das – bildhaft ausgedrückt – aus dem Einen gleichsam ›heraus-‹ und zugleich in es ›zurückspringt‹, ohne dass dies den Grundcharakter des Einen, das absolute Verharren in sich, auch nur im Geringsten modifizierte 453 . Bei allem, was Plotin darüber sagt, wie das vor- und überseiende Eine das Sein der Wirklichkeit hervorbringt, muss bewusst bleiben, dass »wir nicht imstande sind, dessen habhaft zu werden«, was vom Einen selbst »ausgesagt werden müsste.«454 Wir sind deshalb in der Rede über den Anfang aller Wirklichkeit an den modus coniecturae gebunden455 und müssen deshalb akzeptieren, dass alle ›Vorstellungen‹, die wir auf das Eine übertragen, es selbst grundsätzlich verfehlen. Dennoch ist eine solche Rede keine beliebige Fiktion, sondern der Versuch, das absolut Einfache aus der Perspektive essentieller Zweiheitlichkeit so zu umschreiben, dass dadurch ›Spuren‹ sichtbar werden, die so ›glaubwürdig‹ wie möglich auf dessen ›Übersein‹ verweisen456. Nur im Blick auf seine Spuren kann die menschliche Seele vom Vorgang der Konstitution aller Wirklichkeit und damit auch von sich selbst eine angemessene Vorstellung gewinnen. Unter Beachtung des von Plotin prononciert herausgestellten erkenntniskritischen Vorbehalts lässt sich der ›Vorgang‹ der Wirklichkeitskonstitution als ›Anfang‹ einer gleichsam transzendentalen ›Geschichte‹ des Absoluten verstehen, die nur ihrem platonisch belehrten Betrachter zeigt, dass die mit ›Zweiheit‹ verbundenen ›Vor‹- oder ›Urformen‹ unbestimmter Bewegung, Andersheit und ›unbewusst‹ elementarer Lebendigkeit nicht als Folge einer Zersplitterung des Einen zu verstehen sind. Wenn der Verlauf dieser ›Geschichte‹ mit ihrem ›Anfang‹ konsistent bleiben soll, dann muss alles, was ihm folgt, als dessen ›Spur‹ ein ›unbewusstes‹ und deshalb ›unbestimmtes‹ Erkennen und

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Sehen des Einen an sich haben, das kräftig genug ist, um aus sich selbst in ein bestimmtes Sehen des Einen überzugehen. Das unbestimmte Sich-Wegwenden unbestimmter Zweiheit vom Einen ist der ›Anfang‹ zeitfreier Wirklichkeitskonstitution. Als solcher ist er zugleich ein ebenso unbestimmter Rückblick auf das Eine457, der durch anhaltende Betrachtung der ihm vom Einen mitgegebenen ›Prägung‹ aus sich selbst heraus in Bezug auf das Eine »sehende Sehkraft« wird. Zusammen mit dem Übergang des Sehens in den Zustand der Bestimmtheit verändert sich der zuvor unbestimmte »Drang« des ›Zweiheitlichen‹ zum Einen in die vom Blick auf das Eine geprägte Bestimmtheit ›geistiger Wirklichkeit‹. Sie hat die Einprägung des Einen als ihr Gesehenes so vollständig in sich, dass sie sich als Einheit des am Schluss des vorangegangenen Abschnitts bereits beschriebenen zweiheitlichen Blicks – auf sich selbst und auf das ihr gegenüber »Jenseitige« des absolut Einen – »ständig« als intelligible Einheit von »Geist, Wesenheit und Denken« ›konstituiert‹. 458 Plotin thematisiert die Selbstkonstitution des Nus aus seinem Sehen des Einen und den ihr entsprechenden Übergang des Einen in das autarke Sein intelligibler Form459 nicht in der Orientierung am mathematischen Modell der elementatio, bei dem das erste absolut einfache Element durch ›Hinzufügung‹ passender Zusatzformen zu einem Ganzen erweitert wird. Das Vorstellungsfeld, das er geltend macht, ist vielmehr das einer ersten und zugleich vollständig bewältigten elementaren Spannung, die mit dem Hervorgang unbestimmter Zweiheit aus dem in seiner ›Überfülle‹ verharrenden Einen aufzutreten scheint. In der Gnosis wird dieser ›Hervorgang‹ als Katastrophe wahrgenommen, bei der sich ›Zweiheit‹ vom ›Einen‹ abspaltet und damit die Macht des göttlich Guten auf einen absolut transzendenten, von aller Vielheit radikal abgeschnittenen ›Punkt‹ einschränkt. In der Folge davon entwickelt sich ›Zweiheit‹ zur Tyrannin über die Welt der Vielheit, die in ihrem ›Reich‹ jede Erinnerung an reine ›Einheit‹ auslöscht. Bei Plotin hingegen zeigt sich derselbe ›Vorgang‹ als der notwendige,

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gute und deshalb als absolutes Kontinuum vorgestellte Übergang vom Einen zum Nus und damit ebenso als Rückkehr des Nus zum Einen. Mit dem Nus ist demnach eine Form gewonnen, die innerhalb der intelligiblen Welt ›verharrt‹ und das Muster ihrer ›Genese‹ auf die Weltseele überträgt, die es so in Gebrauch nimmt, dass sie in seiner Nachahmung den Zusammenhang materieller Wirklichkeit begründet 460. Die Dynamik freier Selbstkonstitution, die Plotin in der Enneade VI 8 [39] sogar dem Einen selbst zuschreibt, kann man deshalb so verstehen, dass sie sich über die zweite (Nus) bis hin zur dritten Hypostasis (Seele) wiederholt und dabei den Spielraum ›unbestimmter Zweiheit‹ kontinuierlich erweitert. In der Konfrontation mit maximal entfalteter ›Zweiheit‹, die vom Umschlag in unbestimmte Pluralität bedroht ist, muss die menschliche Seele die Macht ihres eigenen Eros auf die Kraft zurückbeziehen, die nach der Vorgabe der transzendentalen ›Geschichte‹ aller Wirklichkeitskonstitution als ›unbestimmte‹ Bewegung der ›Andersheit‹ aus dem Einen selbst hervorgegangen ist und deshalb a priori darauf drängt, zum ›Ort‹ ihres Ursprungs zurückzukehren. Nur durch die intensive Vergegenwärtigung des ›Vorgangs‹, in dem sich der erste ›erotisch‹ motivierte Übergang von Einheit in Zweiheit zugleich als ebenso ›erotisch‹ motivierter Rückbezug von Zweiheit auf Einheit und von daher als authentische Selbstbekundung reiner Einheit zeigt 461, kann die darin zur Form gebändigte Dynamik, die zum Sein des Absoluten gehört, in der menschlichen Seele so wirksam werden, dass auch sie nach dem Vorbild des Nus auf das Eine ›blickt‹ und damit in Analogie zu ihm die ›übervolle‹ Zeugungsquelle lebendiger Form in sich ›hat‹. Plotin korrigiert mit seiner transzendentalen ›Geschichte‹ des Absoluten die gnostische Realgeschichte vom göttlichen Selbstverlust. Sie veranschaulicht zum einen das Sein zeitfreier Simultaneität als absoluter Einheit. Ihr Thema ist dann die Form des kontinuierlichen Bleibens in sich, das den ›Hervorgang‹ des Einen in Vielheit konstant bestimmt. Zum anderen veranschaulicht sie den Entstehungsherd von Unbestimmtheit und ihren organischen

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Übergang in Bestimmtheit. Ihr Thema ist dann das Muster, nach dem der ›Übergang‹ des Einen in unbestimmte Vielheit durch die Autogenese lebendig vernünftiger Form ›immer schon‹ produktiv aufgefangen ist. Nur dem unbeirrten Blick auf die Form seiner zeitfreien Konstanz zeigt sich, dass der Hervorgang des Einen aus sich seine absolute Einfachheit nicht tangiert, so dass die von ihm ausgehende Dynamik in Wirklichkeit nichts anderes ist als die kontinuierliche Selbstentfaltung des Guten. Die ›Gleichzeitigkeit‹ des ›unbewussten‹ Umschlags von Einheit in Vielheit und von Vielheit in Einheit zurück, die Plotin der Vorgestalt des Nus unterstellt, ist deshalb aus der Perspektive seiner ›Geschichte‹ des Absoluten der glaubwürdigste, weil unmittelbarste ›Abdruck‹ der ansonsten verdeckt bleibenden Gesetzmäßigkeit, nach der das Eine als zeugender Grund Vielheit aus sich entlässt, ohne dadurch seine Macht über sie zu verlieren. Weil die Gnosis den Hervorgang des Einen aus sich isoliert wahrnimmt, beschreibt sie ihn als seine Selbstzerspaltung und damit als den Anfang einer unvermeidlichen Katastrophe. Sie kann deshalb nicht sehen, dass und wie ›das Eine‹ im Sinne Heraklits ›zugleich Alles ist und doch kein einziges von dem, was in Allem ist‹462. Von daher traut sich Plotin einen Blick auf den ›Vorgang‹ aller Wirklichkeitskonstitution zu, der seiner Form und Qualität nach demjenigen gleicht, den Friedrich Nietzsche der ›königlichen‹ Intuitionskraft Heraklits unterstellt hat: Nur das genaueste Hinsehen auf das, was auf den ersten Blick als Irritationsform reinen Werdens erscheint, so dass ein Anaximander darin mit gleichsam prä-gnostischem Blick die ›strafwürdige Emancipation vom ewigen Sein‹ wahrgenommen hat, erkennt darin das mit sich selbst gleich bleibende Eine, das durch die Form der Entzweiung hindurch, von Nietzsche als ›Polarität‹ gefasst, seine Einheit realisiert463 . Natürlich interpretiert Plotin das von ihm ›Gesehene‹ inhaltlich anders als der Anti-Platoniker Nietzsche, nämlich als die Form der Selbstkonstitution des Absoluten, die ihm der ›göttliche Platon‹ (IV 8 [6], 1, 24) vorgibt. Sie stellt er denjenigen als Inbegriff des Glaubwürdigen vor Au-

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gen, die von der gnostischen Realgeschichte vom inneren Zerfall des göttlich Guten so verunsichert sind, dass sie das Heil ihrer Seele nur von einer göttlichen Übermacht erwarten, die von aller Vielheit und damit vom natürlichen Lebensgrund menschlicher Wirklichkeit vollständig getrennt ist. Plotin ergänzt seinen prinzipientheoretischen Ansatz bezeichnenderweise durch eine psychologische Überlegung. In ihr thematisiert er den Zustand des größtmöglichen Übels für die Seele so, dass man sich ihre ›Heilung‹ nur als den Vorgang vorstellen kann, in dem sie sich die Form produktiv aneignet, die der Konstitution aller Lebendigkeit zugrunde liegt. Das summum malum der Seele wäre der Zustand solipsistischer Vereinzelung. Die erste Voraussetzung seiner Überwindung wäre die Einsicht in die strukturellen, d. h. in ihrer eigenen Natur gelegenen Gründe, die diesen Zustand begünstigen. Er beruht jedenfalls nicht primär auf einer individuellen Disposition, sondern auf der Einbindung der Seele in den Zusammenhang materieller, vegetativer und animalischer Wirklichkeit. Gemäß dem Diktum aus Platons Phaidros, dass ›alles, was Seele ist, über das Unbeseelte waltet‹ 464 , ›sorgt‹ die menschliche Seele für einen Leib, der, anders als derjenige der Weltseele, dem Druck von Kräften ausgesetzt ist, die ›von außen‹ auf ihn ›eindringen‹. Sie tendiert deshalb dazu, sich so »tief« wie möglich in ihn »hineinzusenken«, um ihn vor innerer und äußerer Bedrohung zu schützen465 , was eben kein moralischer Fehler ist, sondern Ausdruck der Bedingungen, unter denen die Seele zu leben hat. In ihrem Denken kann sie zwar allgemeine Formen ›berühren‹ und sogar selbst ›geistige Wirklichkeit‹ sein, aber in der Sorge für den Leib muss sie »aus der Ganzheit« des Intelligiblen »in das Teilund Eigensein« materieller Bestimmtheit und damit in die Welt des Besonderen eintreten466, so dass sie dort nur isolierte Teile des Seins vor Augen haben und ihr Begehren nur auf sie richten kann467. Für die Seele, die in dieser Bewegung mit ihrem Körper identisch geworden ist, gilt deshalb die Regel der atomistischen Physik, nach der jeder Teil der Natur dem Druck und Stoß aller

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anderen Körper ausgesetzt ist. Sie verfällt damit einer Macht der Vereinzelung, die dem Raum ihres Lebens tendenziell die Struktur des bellum omnium contra omnes aufprägt. Die Tatsache, dass sie sowohl mit der intelligiblen als auch mit der materiellen Welt verbunden ist 468 , verschafft der ›Seele‹ allerdings nicht nur Nachteile. Sie kann nämlich durch ihren konkreten Blick auf die strukturelle Mangelhaftigkeit ihrer materiellen Umwelt deutlicher als aus reiner Reflexion erkennen, dass sie durch ihre geistigen Fähigkeiten auch mit einer andersartigen Wirklichkeit, nämlich mit der konfliktfrei geordneten Welt allgemeiner Formen verbunden ist. Als ›Grenzposten‹ zwischen zwei verschiedenen Welten sieht sie sich einerseits der Gefahr ausgesetzt, ›mit übermäßiger Hingabe … in die Tiefe‹ des individuellen Daseins ›hinab zu sinken‹ und darüber ihr Verbundensein mit der Wirklichkeit des Allgemeinen zu vergessen. Zugleich steht ihr in dieser Position das Grundmuster des Guten auch für ihr eigenes Leben vor Augen, nämlich der kreisförmige Übergang von Bezugnahme auf ›das Obere‹, Verharren in sich, Hervorgang in das ›Untere‹ und Rückkehr in das ›Obere‹. Dass es sich dabei um eine authentische Realisierungsform des Guten handelt, wird daran deutlich, dass auch der Nus ›Wirkungen aus sich hervorbringt‹, für die er aus der Höhe des ›Verharrens in sich‹ ›bis zum unteren Rand der nächst niedrigen Stufe‹ herabsteigen muss und zu seiner vollkommenen Wirklichkeit erst zurückkehren kann, wenn er das Sein allgemeiner Formen auf die ihm untergeordnete Weltseele übertragen hat 469 . Geist und Weltseele werden allerdings in der Sorge für das, was aus ihnen hervorgeht, grundsätzlich kein Teil dessen, was für sie das jeweils ›Untere‹ ist. In der Erinnerung an diese Zusammenhänge wird der menschlichen Seele deshalb Folgendes deutlich: Sie ist aufgrund ihrer Stellung »am untersten Rande geistiger Realität« zu schwach, um die in sich defizitäre Struktur materieller Wirklichkeit »durch reine Wissenschaft vor aller Erfahrung zu erkennen«, aber stark genug, um aus der Verarbeitung ihrer Erfahrungen mit den Mängeln und Schwächen ihres konkreten

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Daseins ex negativo zu der ›deutlichen Erkenntnis des Guten‹ zu kommen, die sie für den ›Wiederaufstieg‹ in die Wirklichkeit des allgemeinen Lebens benötigt. Da sie damit auch weiß, warum ihr innerhalb der materiellen Welt die ›Schau des Oberen‹ nur ›zeitweise‹ und ›langsam zuteil werden‹ kann470 , weiß sie zugleich, dass sie ihren ›Blick‹ auf die allgemeine Gesetzmäßigkeit guter Ordnung nicht dem Zufall überlassen darf, sondern ihn so intensiv wie möglich durch ständiges und sinnvolles ›Üben‹ unterstützen muss. Auf ein modernes Bewusstsein muss diese für Plotin charakteristische Mischung aus kosmologisch-ontologischer und anthropologisch-ethischer Reflexion befremdlich wirken. Man kann aber aus einer historisch-anthropologischen Perspektive nachvollziehen, dass dies für ihn ein nahe liegendes Mittel war, seinen Zuhörern zu erklären, dass seelische Vereinzelung kein unabwendbares Schicksal ist, wie das die Gnosis behauptet, sondern auf einem Grund beruht, der statt in die Kategorie der Notwendigkeit in die der Möglichkeit gehört. Wenn dieser Grund aus ontologisch-kosmologischer Perspektive verstanden ist, hat die Seele zugleich erkannt, wie sie dem Verschlossensein in sich entgegenwirken kann. Im Blick auf dieses Ziel zeigt Plotin seinen Anhängern, dass das Gute nicht darin besteht, die strukturellen Defekte des menschlichen Lebens grundsätzlich beseitigt zu haben471. Vielmehr geht es darum, die unvermeidliche Bewegung der Seele nach ›unten‹ in einen Zusammenhang anders gerichteter Bewegungen zu integrieren und ihr damit eine sinnvolle Grenze zu setzen. Die erotische Energie, die zuvor an die Bewegung ›nach unten‹ gebunden war, wird dadurch so weit wieder freigesetzt, dass sie das Streben nach allgemeinen Gütern unterstützen kann. Die ontologisch-kosmologischen Reflexionen Plotins ›verorten‹ die Seele im Ganzen des Wirklichen so, dass ihr mit der inneren Ambivalenz ihres Lebens zugleich ein ontologisch fundiertes Muster dafür vor Augen steht, wie sie ihr eigenes Lebendigsein steigern und der Tendenz zur Vereinzelung produktiv entgegenwirken kann.

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Plotin thematisiert die Annäherung der Seele an das Eine unter zwei verschiedenen Aspekten: einmal als ›Sagen und Denken‹, das andere Mal als ›Haben‹ und ›Berühren‹. Der Versuch, sich dem Einen durch ›Sagen und Denken‹ zu nähern, erzeugt die Denkform negativer Dialektik und Theologie. ›Haben‹ und ›Berühren‹ des Einen stehen demgegenüber für die Erfüllung des menschlichen Lebens in der Erfahrung der Einung mit dem ersten Anfang und unerschöpflichen Quellpunkt aller Lebendigkeit. Was beide Modi des Bezogenseins auf das Eine bedeuten, wie sie voneinander zu unterscheiden und miteinander zu verbinden sind, soll im Blick auf zwei Passagen aus der Enneade V 3 [49] erläutert werden. 64 · Plotin, Enneade V 3 [49], 13 – 14, 8472 (13,1) »Deshalb ist es [das ›Eine selbst‹] auch in Wahrheit unaus-

sprechlich (ρρητον); was immer du sagtest, du wirst ›etwas (τ )‹ sagen. Indes ist von allen Weisen der Aussage das ›Jenseits von allem (τ πκεινα πντων) und jenseits des hocherhabenen Geistes (πκεινα το, σεμνοττου νο,)‹ die einzig wahre, obwohl sie nicht sein Name ist, sondern bedeutet, dass es nichts von Allem ist und dass es ›keinen Namen (6νομα) für es‹ gibt, (5) weil wir nichts von ihm sagen können; wir versuchen nur, soweit dies möglich ist, uns selber über es Zeichen zu geben (σημα νειν). Aber wenn wir die Frage stellen: ›Jenes wird also seiner selbst nicht gewahr, es begleitet und weiß sich selbst nicht?‹, dann sollten wir bedenken, dass wir uns [wenn wir diese Fragen positiv beantworten] zum Gegenteiligen wenden würden. Zu Vielem machen wir es, (10) wenn wir es zum Erkennbaren (γνωστν) und zur Erkenntnis (γν.σις) machen, und wenn wir ihm Denken (νοε$ν) zugestehen, machen wir es auch des Denkens bedürftig; selbst wenn das Denken bei ihm wäre, wäre das Denken für es überflüssig. Es scheint ja das Denken ganz allgemein ein Bewusstwerden des Ganzen (συνα σθησις το, 4λου) zu sein, weil dann ja Vieles in dasselbe zusammenkommt,

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– und das gilt auch, wenn etwas sich selbst denkt, was ja das Denken im eigentlichen Sinne ist; jedes einzelne (15) Eine ist ein (mit sich) Selbes und sucht nichts weiter473; richtet sich aber das Denken auf das Äußere, dann ist es bedürftig und ist kein Denken im eigentlichen Sinne. Das schlechthin Einfache (τ πντη Fπλο,ν) und wahrhaft Selbstgenügsame (τ αPταρκες 6ντως) hingegen bedarf nichts; das aber, was in der zweiten Weise sich selbst genug ist (τ δευτρως αPταρκες), bedarf, da es seiner selbst bedarf, auch des Sich-selbst-Denkens; das, was sich selbst gegenüber bedürftig ist, hat (erst) durch seine Ganzheit (20) den Zustand des Sich-selbst-Genügens hervorgebracht, indem es erst aus Allem heraus (sich selbst) zureichend wird, bei sich selbst seiend (συνν Nαυτ') und sich zu sich selbst hinneigend (ε#ς α*τ νε,ον). Denn auch das Selbstbewusstsein (συνα σθησις) ist eine Wahrnehmung von Vielheit; dafür zeugt schon der Name. Denn auch das Denken ist zuvor und es wendet sich nach innen auf ihn (den Geist) selbst, der offensichtlich vielfältig ist; und wenn er nur dieses sagte: ›seiend bin ich (6ν ε#μι)‹, (25) so spricht er dies wie einer, der einen Fund vorzeigt und er spricht einsichtig (ε#κτως), denn das Seiende ist vielfältig; wenn er nämlich (auf sich selbst) wie auf ein Einfaches (Bς ε#ς Fπλο,ν) hinblickte und dann spräche: ›seiend bin ich‹, so träfe er damit weder sich selbst noch das Seiende; nicht wie von einem Steinblock spricht er vom Seienden 474 , wenn er die Wahrheit sagte, sondern mit einem Wort hat er Vieles ausgesprochen. Dieses Sein nämlich, welches als das wahrhafte Sein (4περ 6ντως εJναι) ausgesprochen wird, das nicht (nur) eine Spur (30) des Seienden in sich hat, das auch nicht nur deshalb als ›seiend‹ benannt würde, weil es sich wie das Bild zum Ur-Bild (Oσπερ ε#κTν πρς ρχτυπον) verhielte – dieses Sein hat Vieles in sich 475 . Wie nun? Wird es nicht so sein, dass dann auch jedes Einzelne dieses Vielen Gegenstand des Denkens ist? Wenn du es (das Sein) aber wirklich als ›allein und einzig (;ρημον καI μνον)‹ erfassen wolltest, du würdest es nicht denken; denn das Sein selbst ist in sich vielfältig, und

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wolltest du noch Anderes nennen: das Sein umfasst es. Wenn dem so ist, dann wird, sofern es ein Einfachstes (35) von Allem (Fπλο!στατον Fπντων) gibt, dieses kein Denken (νησις) in sich haben. Hätte es dies, dann durch Vieles-Sein. Es ist daher weder selbst Denken (νοε$ν), noch ist es möglich, es selbst zu denken (οPτ’ ;στι νησις α1το,). (14, 1) Wie also sollen wir über es sprechen? Nun, wir sagen (λγομεν) zwar etwas über es aus, nicht jedoch sagen wir es selbst, noch haben wir von ihm Erkenntnis (γν.σις) und Denken (νησις). Wie also sagen wir etwas über es (aus), wenn wir es selbst nicht haben (;χειν)? Oder wenn wir es nicht durch Erkenntnis haben, (5) haben wir es dann überhaupt nicht? Nein, wir haben es nur auf die Weise, dass wir über es etwas, es selbst aber nicht aussagen. Wir sagen ja, was es nicht ist, was es ist, sagen wir nicht; so sagen wir etwas über es von dem her, was später ist. Es zu haben (;χειν) sind wir nicht gehindert, auch wenn wir es nicht aussagen.« Der erste Satz unseres Textauszugs bezieht sich auf den Schluss des ihm vorangehenden Abschnitts, der das Eine durch den Terminus ›vor‹ jedem ›Etwas‹ umschreibt. Da die Rede immer auf ›Etwas‹ bezogen ist, ist das Eine ›vor‹ dem ›Etwas‹ in der Rede nicht repräsentierbar. Durch die Verwendung des für Plotins Zeitgenossen theologisch konnotierten Terminus ›unaussprechbar‹476 wird die dialektisch formale Überlegung des platonischen Parmenides, nach der es für das absolut einfache Eine weder ›Namen (6νομα), Erklärung (λγος), Erkenntnis (πιστμη), Wahrnehmung (αGσθησις) noch Vorstellung (δξα)‹ gibt 477, mit dem Satz aus dem 7. Brief Platons verbunden, nach dem die göttliche Wirklichkeit nicht ›wie andere Wissensgegenstände in Worte zu fassen‹ ist. Wissen von Gott setzt zwar das Kontinuum eines Lebenszusammenhangs voraus, der durch ›häufige Bemühung um die Sache selbst‹ definiert ist, aber ein Wissen des Göttlichen kann in der Seele nur ›plötzlich (ξα φνης)‹478 entstehen, indem es wie

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ein Blitz auf sie ›überspringt‹ und in ihr ein Feuer entfacht, an dem sie sich ›selbst weiter zu nähren vermag‹479 . Plotin hält sich an diese Vorgabe, wenn er die logische Aussageform negativer Dialektik zu einer negativen Theologie profiliert, die mit ihren Aussagen zu dem, was das göttlich Eine ist, in der Hoffnung ›hinleitet‹, dass die Seele daraus die ›Betrachtung‹ des Einen eigentätig in sich ›aufwecken‹ kann480 , was wieder voraussetzt, dass dessen Spur ›unbewusst‹ immer schon in ihr wirksam ist. Nach diesem Anfangssatz wird bis zum Ende des Abschnitts 13 der folgende Gedanke entwickelt: Das Eine ist allem Denken und Sprechen grundsätzlich entzogen. Lediglich die Ausdrücke ›jenseits von Allem‹ und ›jenseits des hoch erhabenen Geistes‹ können besser als andere zur Wahrheit über das Eine hinleiten. Der erste Ausdruck enthält nämlich eine generelle Negation, die alle affirmativen Aussagen über das Eine zurückweist, und der zweite eine qualitative Negation, die vom Einen sagt, dass es dem noch überlegen ist, was als vollkommenste Form von Sein und Bestimmtheit den Rang des zweiten Grundes aller Wirklichkeit und deshalb in Plotins Sprache den des Zweiten Gottes innehat 481. Beide Prädikate verweisen auf ›Unbestimmtheit‹ ›vor‹ oder ›über‹ aller Bestimmtheit und damit auf die gedanklich und sprachlich unerfassbare ›Übermacht‹ absolut einfacher Einheit. Mit dem Satz, dass es für den höchsten Gott, der »über« dem Zweiten »thront (*περκθηται)«482, keinen Namen geben kann, folgt Plotin dem Grundgedanken griechisch bestimmter theologia naturalis und tritt damit allen positiven Religionen entgegen, die den Namen ihres Gottes zu kennen glauben und deshalb der Überzeugung sind, ihn im Kult wirkungsvoll anreden zu können. Er nähert sich damit der Gottesauffassung des Alten Testaments, in dem der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs die Frage des Moses nach seinem Namen so beantwortet, dass dies die Möglichkeit ausschließt, ihn direkt anzusprechen oder aus Eigenem zu ihm in Beziehung zu treten483 . Dennoch wirkt der Gott des Moses, obwohl erhaben über Namen und Gestalt 484 , anders als der

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Gott Plotins durch Wort und Tat auf das menschliche Handeln ein. Nur der gute Gott der Gnosis, der mit der Welt nichts zu tun hat, ist von jeder menschlich erfahrbaren und verstehbaren Wirklichkeit noch weiter entfernt als der Gott Plotins. Bei ihm wird deshalb die ›Erkenntnis‹ Gottes durch menschliches Denken, Sprechen und Erfahren auch nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Vielmehr gilt die Fähigkeit der menschlichen Vernunft zur Reflexion auf sich und auf den Zusammenhang ihrer Wirklichkeit als notwendige Voraussetzung dafür, dass die menschliche Seele die Übermacht und das Übersein des Ersten Gottes an und in sich selbst erfahren kann. Die von Plotin selbst so nachhaltig verwirklichte Praxis konjektural-zeichenhafter Rede über das Eine ist zwar eine Sprache der Zeichen, entspricht aber gerade darin der Form, in der das Eine sich wie Heraklits ›Herr in Delphi‹, nämlich durch Zeichen, bekundet 485 . Die menschliche Rede über Gott ist zwar nicht ihres Gegenstandes mächtig, aber auch nicht zu ohnmächtigem Schweigen verurteilt, weil sie in der Reflexion auf ihre Grenze deutlich macht, dass das Göttliche aus der Perspektive der menschlich erreichbaren Wirklichkeit immer das Übersein darstellt. Der Grundgedanke des Abschnitts 13 ist der, dass allem, was in sich zweiheitlich ist, das Eine mit Notwendigkeit entgleitet. Die Begründung dafür folgt latent einer vereinfachten Form des innerakademischen Verfahrens der Systoichie und der mit ihr verbundenen dialektischen Dihairese486. Die Vereinfachung besteht darin, dass die einander gegenübergestellten Reihen keine Binnendifferenzierung aufweisen487, so dass auf der einen Seite die grundsätzlich in sich abstufbare Form der Zweiheit und auf der anderen die singuläre Größe des absolut einfachen Einen steht. So lässt sich gut nachvollziehen, dass das Eine zum Vielen wird, wenn man ihm Erkenntnis, Denken und Gewahren seiner selbst, sei das nun eine besondere Form der Selbstwahrnehmung oder gar die vollkommenste Form des Selbstbewusstseins zuschreibt 488 . Selbstwahrnehmung und Selbstbewusstsein sind relationale, auf

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strukturell Vielheitliches bezogene oder selbstreferentielle Größen und können deshalb niemals die Einheit des ›schlechthin Einfachen‹ verwirklichen. Insofern ist das Eine auch nicht ›Sein‹ in dem eminenten Sinn, der dem Nus als dem Zusammenhang der archetypischen Grundformen des Seienden zukommt. Nicht nur die materiellen Abbilder (ε#κνες) der intelligiblen Grundformen (ρχτυπα) aller Wirklichkeit, sondern auch diese selbst und nicht nur das auf äußere Gegenstände, sondern auch das auf sich selbst bezogene Denken des Nus haben grundsätzlich ›Vieles in sich‹ (13, Zeile 33). Es liegt also an seiner absoluten, nicht sprechenden489 , gestaltlosen Einfachheit, wenn das höchste Göttliche der philosophischen Theologie Plotins sich nicht in der Weise selbst aussagen kann, wie dies die Septuaginta dem Gott der Juden in ihrer Übersetzung von Exodus 3, 14 unterstellt. Sie formt bekanntlich den Satz, mit dem Jahwe sich gegenüber Moses als den menschlich unverfügbaren Helfer seines Volkes darstellt, zur Selbstaussage des in Wahrheit Seienden (γ( ε#μι > Uν) um. Man kann diesen Ausdruck deshalb nur mit der Selbstaussage parallelisieren, die Plotin dem Zweiten Gott zuordnet, aber gerade vom Einen als dem Ersten Gott fern hält. Die Septuaginta gräzisiert den Gott der Juden zur ersten Wesenheit im Sinne der aristotelischen Theologie, während Plotin das höchste Göttliche wie Platon als das ›Jenseits‹ der Einheit von lebendigem Sein und selbstbezüglichallgemeinem Wissen auffasst. Dass negative Theologie aber nicht das letzte Wort der theologia naturalis Plotins ist, geht ansatzweise schon aus den Sätzen hervor, die den Text 64 abschließen. Sie betrachten nämlich die Grenze, die das menschliche Denken und Sprechen sich in Bezug auf Gott selbst setzt, aus der Perspektive der Unterscheidung zwischen ›Sagen‹ und ›Haben‹. Dabei zeigt sich ›Haben‹ als Grundform des Verbundenseins mit etwas, zu der das ›Sagen‹ als besondere Konkretisierungsform hinzutritt. ›Haben‹ gibt es für die menschliche Natur, die wesentlich durch Vernünftigkeit bestimmt

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ist, natürlich auch in Form des ›Sagens‹. Eine Sonderform des ›Sagens‹ ist die Negation, also ein Ausdruck des Nicht-Habens. Im Versuch, das ›Einfachste von Allem‹ auszusagen, verwirklicht sie den Sonderfall eines in sich gebrochenen Habens. Wir ›haben‹ in ihr das Eine zwar nicht selbst, aber in der Reflexion auf dieses Nicht-Haben wird deutlich, aus welchem Grund das Eine von der Art ist, dass wir es durch ›Sagen‹ nicht haben können. Insofern ist das Sagen des Nicht-Habens die Form, die ex negativo anzeigt, was das Eine seinem Wesen nach ist. Wir haben es immer nur indirekt, und zwar dadurch, dass wir verstehen und anerkennen, dass und warum wir nicht sagen können, was es ist. Der letzte Satz unseres Textauszugs deutet eine weitere Konsequenz aus dieser Überlegung an: Die Unmöglichkeit, das absolut Eine im Modus des Sagens zu haben, ist kein Hindernis dafür, es zu haben, ohne es auszusagen. Also gibt es für das »Haben« einen Modus des Verbundenseins-mit, der dem des Sagens überlegen oder zumindest davon unabhängig ist 490. Das Haben jenseits von Sprache und seine Bedeutung für die menschliche Beziehung zum höchsten Göttlichen beschreibt Plotin im Blick auf Platons Symposion und den Phaidros als innerseelische ›Ekstasis‹ und damit als ›Einung‹ mit dem Einen, die in ihrer Intensität den in sich zweiheitlichen Bezug auf Etwas hinter sich lässt, an den das Sagen gebunden bleibt. Wenn man in diesem Zusammenhang von Mystik spricht, dann kann damit nur ein genuin philosophisches Konzept von Mystik gemeint sein. Zu ihm gehört nämlich wesentlich eine Reflexion auf das Verhältnis von ›Einung‹ und ›Reflexion‹, die erklärt, dass und warum ›Reflexion‹ kein Hindernis für ›Einung‹ ist, und ›Einung‹ ›Reflexion‹ nicht überflüssig macht 491. Die Reflexion auf die vielfältigen Modi des Habens und Nicht-Habens, die zur Form des ›Sagens‹ gehören, ist notwendige Vorbedingung für ein Haben, das nicht im Modus des Sagens begründet ist, während aus der Perspektive des nicht im Sagen fundierten Habens die Bedeutung des Sagens genauer als allein aus ihm selbst heraus bewusst gemacht werden kann.

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Das wechselseitige Steigerungsverhältnis von ›Einung‹ und ›Reflexion‹ ist das Thema des Schlussabschnitts der Enneade V 3. 65 · Plotin, Enneade V 3 [49], 17, 21 – 38492 »Die Seele geht zwar auf alles Wahre zu, auch auf das Wahre, an dem wir teilhaben, entflieht aber dennoch 493, wenn jemand (von ihr) verlangte, dass sie es aussagte und es (diskursiv) durchdächte; denn das (diskursive) Denken (δινοια) muss, um etwas auszusagen, immer wieder Anderes erfassen; auf diese Weise ist es durchgehende Entfaltung (διξοδος); wie aber kann es in dem schlechthin Einfachen (25) eine Entfaltung geben? Es genügt, wenn man es denkend berührt (νοερ.ς φψασθαι). Berührend aber ist man im Augenblick der Berührung weder imstande, etwas auszusagen, noch hat man die Zeit dazu; später kann man über es irgendwelche Schlüsse ziehen (συλλογ ζεσθαι). Man muss darauf vertrauen (πιστε!ειν), dass die Seele (ihn) gesehen hat, wenn sie plötzlich (ξα φνης) Licht erfasst; dieses nämlich (30) kommt von ihm und ist er selbst. Und dann soll die Seele an seine Gegenwart glauben, wenn er – wie ein anderer Gott, den einer in sein Haus ruft – erscheint und sie erleuchtet; wäre er nicht erschienen, so hätte er (sie) nicht erleuchtet. So sähe die unerleuchtete Seele jenen (Gott) nicht; als erleuchtete aber hat sie, was sie suchte (;χει, : ζτει). Und dies ist das wahre Ziel (τλος) für die Seele: Jenes’ Licht (35) zu berühren (φψασθαι) und es durch es zu schauen (θεσασθαι), nicht durch eines Anderen Licht. Es ist vielmehr dasselbe Licht, durch das sie auch selbst sieht. Das Licht, durch das sie erleuchtet wurde, ist eben das Licht, das sie schauen soll; wir sehen ja auch die Sonne nicht durch das Licht eines Anderen. Wie könnte dies gelingen? Lass ab von Allem (φελε πντα)!494«

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Das Thema dieses Textauszugs ist die »mystische« Zugangsweise der menschlichen Seele zum absolut Einen. Den einfachsten Einstieg in diesen Gedanken findet man über das Hauptthema dieser Enneade, die Selbsterkenntnis der Seele, d. h. die Erkenntnis ihres ›natürlichen‹ Ortes im Zusammenhang des Seienden, der für sie der Ort ihres wahren Ursprungs ist 495 . Ihr Wesen zeigt sich im Grundtrieb ihres Lebens, der angemessen nur als Streben nach Wissen zu verstehen ist. Von daher thematisiert der erste Satz des Textes 65 die in sich dynamische Natur der Seele, wenn er von ihr behauptet, sie gehe ›auf alles Wahre zu‹. Da ›alles Wahre‹ zugleich ›alles in Wahrheit Seiende‹ ist, besteht die allgemeinste Wahrheit für die menschliche Seele darin, dass alles Seiende dem Modus der Vielheit angehört und deshalb nicht durch sich selbst, sondern durch die Übermacht absoluter Einheit begründet ist 496. Das gilt selbstverständlich auch für die Seele selbst, so dass sie, wenn sie ihrer Natur entsprechend ›allen Wahrheiten nachgeht‹, entweder indirekt und unbewusst oder direkt und bewusst auf das Eine ›zugeht‹. Für die Überlegungen in Text 65 arbeitet Plotin mit einer einfachen Dichotomie von Einheit und Vielheit. ›Sein‹ ist deshalb immer etwas Sekundäres, in sich Defizientes, während die Charaktere des Primären und absolut Vollendeten ausschließlich dem einfachen Einen zukommen. Weil diese Dichotomie aber zu einer Prinzipientheorie gehört, die das Eine als Grund aller Wirklichkeit ansetzt, ist das Eine in allem Seienden als dessen erster Ursprung anwesend, und zwar unabhängig davon, ob das Seiende davon ein Bewusstsein hat oder nicht 497. Infolgedessen erkennt sich die Seele als sekundäres Sein und damit als Entferntsein vom Ort ihres Ursprungs. Als Einheit von Wissen und Empfinden reagiert sie darauf affektiv mit der Sehnsucht, an ihren ›natürlichen‹ Ort zurückzukehren, von dem sie zugleich weiß, dass er das Primäre aller Wirklichkeit ist 498 . Das Eine ›jenseits‹ aller Bestimmtheit ist deshalb für ihren Eros »das am meisten Ersehnte und Reizvollste«499 , so dass ihr Verlangen nach dem absolut Einen anders

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als jedes bestimmte Begehren, mit dem sie sich auf Bestimmtes richtet, in sich keine Bestimmtheit hat500. In prinzipientheoretischer Perspektive bedeutet Entferntsein vom Einen eine Qualitätsminderung, genauer eine Bewegung zum Nichtsein hin, die Plotin in bewusst dramatisierender Sprache als ›Flucht‹ bezeichnet. Da das Eine in allem sekundären Sein als dessen Grund anwesend ist, handelt es sich dabei letztlich um eine »Flucht aus sich selbst«, die das Risiko des Selbstverlusts nach sich zieht501. Von daher können nur die »gewaltigen Sehnsuchtskräfte« des ›gespannten Verlangens (;ρως σ!ντονος)‹ nach dem Einen502 die Bewegung verursachen, in der die Seele ihr Sein dadurch verändert, dass sie in der Annäherung an das Eine »jede Form, die sie hat«, ›von sich ablegt‹503 . Solange die Seele Anderes ›an sich hat‹ als das einfache Eine oder mit Anderem ›befasst ist‹, steht sie zum Ziel ihres Begehrens im Verhältnis der Unähnlichkeit, so dass sie »Jenes« weder »erblicken« noch sich ihm so weit »anpassen (ναρμοσθAναι)« kann, dass zwischen ihr und dem Einen ein tragfähiges Ähnlichkeitsverhältnis (>μοιτης) besteht504 . Das Eine, auf das die Seele ›zugeht‹, gehört nicht zu dem Wahren, das sie selber ist oder sein kann, sondern zu dem, an dem sie lediglich Anteil hat. Wenn sie mit dem richtigen Bewusstsein, dass sie auch in der Kraft ihres Wissens zum Sein der Vielheit gehört, auf das Eine ›zugeht‹, erfährt sie zwangsläufig, dass ihr das Begehrte ›entflieht‹ – eine Widerspiegelung der Tatsache, dass ihr eigenes Sein eine ›Flucht weg vom Einen‹ bedeutet. Während das Denken als νησις in der Hinwendung zu allgemeinen Formen eine Einheit mit dem Gedachten realisiert, kann sich dieselbe νησις , wenn sie »einem ungeteilten Einen« entgegengeht, nicht auf die für sie natürliche Ausdrucksmöglichkeit kategorialer Rede stützen505 . Die Seele wird deshalb von der Kraft ihres Begehrens nach dem Einen dazu motiviert, den Bereich vernunftbestimmter Tätigkeit, die »in Gestalten Halt findet«, zu verlassen und damit in den Bereich des Gestaltlosen (ε#ς νε δεον) überzugehen,

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der ihr aufgrund ihrer Einbindung in die Welt des Bestimmten zunächst so fremd ist, dass sie darin ›auszugleiten‹ droht und deshalb fürchten muss, »ein Nichts zu fassen.«506. Die Seele kann sich aber auch daran erinnern, dass sie im Identitätsverhältnis von Denken und Gedachtem allgemeine Formen als ›Gegenstände‹ kennt, die sie auf intelligible Weise ›berührt‹. Zusätzlich kennt sie aus ihrem im Blick auf die transzendentale ›Geschichte‹ aller Wirklichkeitskonstitution ein ›vor-denkendes‹ Berühren. Sie kann deshalb die Krise ihres Übergangs vom Bestimmten zum Unbestimmten507 dadurch überwinden, dass sie für das Zugehen auf die Primärwirklichkeit des Unbestimmten ein ›denkendes Berühren‹ so ›in Gebrauch nimmt‹, dass es in ›vor-denkendes (προνοο,σα)‹ Berühren und damit in ein ›Haben‹ des Einen übergeht, das nur in der mystischen Erfahrung des Geeintseins mit dem Ursprung aller Wirklichkeit zum Ausdruck kommen kann. Das Verhältnis zwischen diesen beiden Arten nicht-körperlichen Berührens thematisiert Plotin im 10. Abschnitt der Enneade V 3. Dort steht das ›vor-denkende‹ »Berühren und gleichsam Erfassen« des Einen mit dem ›denkenden‹ dadurch im Verhältnis der Ähnlichkeit, dass sich beide weder auf Worte noch auf Begriffe stützen. Als Steigerungsform des ›denkenden Berührens‹ ruft das ›vor-denkende‹ die Entstehung von Vielheit aus absoluter Einfachheit und damit die Konstitution von Form aus Nicht-Form oder von Sein aus Übersein in Erinnerung508 . ›Denkendes Berühren‹ steht für das kontinuierliche Bezogensein des Nus auf das Eine, zu dem auch die Seele »vermöge einer Wesensähnlichkeit (>μοιτης)« mit dem Sein intelligibler Form fähig ist509 . »Vor-denkendes Berühren« gehört dagegen in die vornoetischen Phase, in der das Unbestimmte vom Einen ›flieht‹, zugleich ›unbestimmt‹ auf es zurückblickt und sich in der zunehmenden Verdeutlichung des prä-noetischen Rückblicks darauf als erste in sich vielheitliche Einheit intelligibler Wirklichkeit konstituiert. Wenn die Seele also in der Berührung des absolut Einen weder denken noch sprechen kann, so ist das kein Zeichen dafür, dass sie von aller Vernunft

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fern wäre, sondern die Folge einer ›vordenkenden‹ Berührung des absoluten Mächtigseins ›vor‹ aller Form und seines Übergangs in noetisch bestimmte Wirklichkeit. Plotin versteht geformtes als geschwächtes Leben, so dass es nur ›gerechtfertigt‹ ist, wenn es aus sich in die Ursprungsmacht aller Wirklichkeit ›vor‹ jeder Form zurückkehren kann. Nur dieser Rückbezug stiftet den lebendigen Austausch von Unbestimmtheit und Bestimmtheit, die sich darin aufeinander beziehen und ineinander übergehen. Bestimmtheit ist dann nicht von Unbestimmtheit getrennt, sondern auch in der Entfernung von ihr auf den unbestimmten Quellgrund aller Wirklichkeit bezogen. Und dieser gibt dem Bestimmten von seiner Überfülle so viel mit, dass es durchgängig von einfacher Einheit und der ihr zugehörigen Unbestimmtheit mitbestimmt bleibt. Genau um dieses Problem geht es im Umschlag von negativer Dialektik, also der Selbstbegrenzung des vollständig entfalteten Denkens, in die äußerste Selbstentgrenzung der Seele, in der sie sich von Form und Bestimmtheit grundsätzlich befreit. Man könnte auch sagen, in der Einung mit dem Übersein des Einen realisiert die Seele den Mehrwert an Lebensintensität, der sie in der Welt individueller Form sowohl vor der Gefahr des Selbstverlusts als auch vor der selbstzerstörerischen Illusion bewahrt, in der bestimmten Form einer politischen Ordnung, einer Gemeinschaft des religiösen Glaubens oder in einer bestimmten Gestalt des Wissens das in Wahrheit Gute konkret vor sich haben oder erzeugen zu können. Das Einssein mit dem Einen ist für Plotin eine nicht allgemein mitteilbare Intensitätserfahrung. Sie ist nur demjenigen erklärbar, der sie selber kennt oder durch die Rede eines Anderen die Überzeugung gefasst hat, dass die meditative Praxis der kontinuierlichen Entfernung alles Bestimmten aus dem Horizont des eigenen Lebens die beste Vorbereitung darauf ist, von der Übermacht absoluter Lebendigkeit erfüllt zu werden. Die Formel, die den Text 65 beschließt, artikuliert das genetische Prinzip dieser Praxis seelischer Einfachwerdung, während Plotin den Vorgang

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der Einung selbst vor allem in den Metaphern der Erleuchtung und der erotischen Erfüllung umschreibt: In der Durchlichtung durch die Quelle allen Lichts, kann die Seele dieses Licht so intensiv in sich aufnehmen, dass sie mit dem eigenen Sehen ›das Licht von Jenem berührt‹. Nur durch die Berührung dessen, was als absolute Negativität das Einfachste und Mächtigste von Allem ist, wird das unbegrenzte Begehren gestillt, das den menschlichen Eros von seinem Grund her prägt. Die meditative Praxis, zu der die Formel ›Lass ab von Allem‹ anleitet, begründet den Weg, auf dem die Seele aus der Welt des Bestimmten in die Unbestimmtheit der Einfachheit ›vor‹ aller Form zurückkehren kann. Der Nachvollzug des ›Weges hinab‹ vom Einen zum Vielen zeigt ihr deshalb auch den ›Weg hinauf‹510 , so dass sie in der Berührung des Quellpunktes aller Wirklichkeit den ›Zustand‹ erreicht, in dem sie wieder ›so ist wie damals, als sie von ihm ausging‹511. Im ›Zeitalter der Angst‹ gibt Plotin damit seine Antwort auf die Frage nach der Bedeutung menschlicher Individualität, wobei er dem Einzelnen eine Möglichkeit zeigt, wie er die Welt individueller Bestimmtheit, die er als weitgehend unveränderbar, unbeeinflussbar und zugleich als Last, Gefährdung und Verlust erfährt, aus eigener Kraft hinter sich lassen und dabei in den Zeugungspunkt absoluter Lebendigkeit so intensiv eindringen kann, dass dies sein Leben dauerhaft prägt. Auch unter diesem Aspekt erweist sich die Erosphilosophie Platons als das wahre Zentrum der Philosophie Plotins512. Um zu erklären, was dieses Konzept von Individualität bedeutet, möchte ich abschließend (1) das Verhältnis von Philosophie und Religion, (2) den Begriff des menschlichen Selbst und (3) die restitutio in integrum der menschlichen Seele thematisieren und dafür zusätzlich die beiden folgenden Auszüge aus der Enneade VI 9 heranziehen, ohne sie vollständig zu interpretieren.

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66 a · Plotin, Enneade VI 9 [9], 8, 34 – 9, 24513 (8, 34) »Jenes [das Eine], da es keine Andersheit (Nτερτης) in sich

hat, ist immer bei uns, (35) wir aber sind bei ihm nur, wenn wir keine Andersheit in uns haben. Jenes verlangt nicht nach uns, dass es etwa um uns wäre514 , aber wir nach ihm, damit wir um es sind. Um es sind wir immer, aber wir blicken nicht immer auf es hin; so wie ein singender Reigen, der um den Chorführer geschart ist, sich doch einmal umdrehen mag und damit aus dem Schauen [auf den Chorführer] herausgerät. Wenn er sich aber nach innen [zum Chorführer] zurückwendet, (40) dann erst schön singt und eigentlich um ihn geschart ist, so sind auch wir um jenes (sonst würden wir uns gänzlich auflösen und nicht mehr existieren können515), blicken aber nicht immer zu ihm hin. Aber wenn wir zu ihm hinsehen, dann sind wir am Ziel und dürfen rasten, und umkreisen es ohne Missklang wie ein gotterfüllter Reigen516 . (9, 1) Und bei diesem Reigen erschaut die Seele den Quell des Lebens und den Quell des Geistes, den Urgrund des Seienden, die Ursache des Guten, die Wurzel der Seele517 (nicht als flössen diese Dinge aus ihm und verringerten es damit; sie sind ja keine [materielle] Masse: dann müssten diese Hervorbringungen ja vergänglich sein. (5) Sie sind aber ewig, weil ihr Ursprung unverändert bleibt und sich nicht zerteilt, sondern ganz bleibt (4λη μνουσα); deshalb bleiben auch sie, so wie das Licht bleibt, solange die Sonne bleibt518). Denn wir sind nicht von ihm abgeschnitten oder gesondert, wenn auch die Natur des Körpers sich eindrängt und uns zu sich gezerrt hat, sondern wir atmen und werden erhalten nur, (10) indem jenes nicht nur einmal [sich als das Leben selbst] dargereicht und sich dann abgewendet hat, sondern es immerdar spendet, solange es ist, was es ist. Wir sind aber in einem höheren Maße, wenn wir uns zu ihm hin richten. Unser Wohlergehen (τ εW) liegt dort. Das von ihm Fernsein bedeutet ein Sein geringeren Grades. Dort kann die

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Seele des Schlechten enthoben ausruhen. Denn sie ist zu dem Ort hinaufgeeilt, der rein ist von allem Schlechten519 . Dort denkt sie (νοε$ ), (15) dort ist sie frei von Erregung (παθς)520. Dort ist auch erst ihr wahrhaftes Leben (τ ληθ.ς ζAν). Denn das jetzige Leben ohne Gott ist nur eine Spur des Lebens, die jenes nachahmt, aber dort zu leben ist wirkende Kraft des Geistes (νργεια νο,), und aus der wirkenden Kraft erzeugt es in der ruhigen Berührung mit Jenem Gottheiten, nämlich Schönheit, Gerechtigkeit und Tugend521. (20) Davon wird die Seele schwanger, wenn sie von Gott erfüllt wird (πληρωθε$σα θεο,). Jenes ist ihr Anfang und Ende, Anfang (ρχ), weil sie von dort stammt, und Ende (τλος), weil dort das Gute ist, weil sie, wenn sie dort einmal angelangt ist, wieder das wird, was sie ursprünglich war (γ νεται α1τ5 4περ Xν)522 . Denn das Leben hier unten und in diesen Dingen hier ist Abfallen, Flucht und ›Entfiederung‹523 .« 66 b · Plotin, Enneade VI 9 [9], 11, 6 – 26524 (11, 6) »Da es nun nicht zwei waren, sondern er selbst, der Schau-

ende, mit dem Geschauten eins war (es ist also eigentlich nicht ›Geschautes‹, sondern ›Geeintes (=νωμνον‹525), so hat er (;χει), wenn er sich daran erinnert, dass er mit Jenem vereinigt war, ein Abbild von Jenem (κε νου ε#κνα) in sich526. Er war selbst Eines, hatte keine Unterschiedenheit mit sich selbst, auch nicht in Bezug auf anderes; es bewegte sich nichts (10) in ihm, kein Zorn, keine Begierde war ihm gegenwärtig, als er hinaufgestiegen war, aber auch kein Begriff (λγος) noch irgendein Denken (νησις); ja überhaupt, sein besonderes Selbst war nicht da, wenn denn auch das gesagt sein soll, sondern vielmehr hinaufgerissen527 oder vielmehr in ruhiger Gotterfülltheit (νθουσισας συχA) ist er in die Abgeschiedenheit (ν ρμY) eingetreten, in einen Zustand der Bewegungslosigkeit, und er wird in seinem ganzen Sein nirgends abgelenkt, auch nicht zu (15) sich selbst hin gedreht, so dass er völlig still steht und gleichsam selbst Stille-

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stehen (στσις) ist528; selbst die schönen Dinge denkt er nicht mehr, sondern über das Schöne ist er hinweggeeilt, hinausgeschritten auch über den Reigen der Tugenden, wie einer, der in das Innere der unbetretenen heiligen Kammer eingetreten ist (ε#ς τ εGσω το, δ!του ε#σδ!ς) und die Götterbilder im Tempel hinter sich gelassen hat529 . Und wenn er aus der Kammer wieder heraustritt, (20) so begegnen ihm zuerst diese Götterbilder, nachdem die Schau da drinnen (τ ;νδον θαμα) vorbei ist, nämlich die Vereinigung (συνουσ α) dort oben nicht mit einem Götterbild oder Gleichnis, sondern dem Gott selbst530. So werden diese [Götterbilder] zweite Schaunisse (δε!τερα θεματα). Jenes aber war wohl kein Schaunis, sondern eine andere Weise des Sehens (λλος τρπος το, #δε$ν), ein aus sich Heraustreten (;κστασις), sich Einfachmachen (Dπλωσις), Hingabe seiner selbst (π δοσις α*το,), Hinstreben zur Berührung (;φεσις πρς Fφν), Stillestehen (στσις) und Bedachtsein auf (25) Anformung (περινησις πρς φαρμογν). Nur so kann jemand in der innersten Kammer (ν τ' δ!τY) etwas sehen. Blickt jemand aber auf andere Weise, dann ist ihm nichts gegenwärtig.« (1) Auch im Blick auf die griechisch begründete Einheit von Philosophie und Theologie ist es sinnvoll, zwischen einem philosophischen Denken des Göttlichen und einem ›religiös‹ bestimmten Glauben an Gott zu unterscheiden. Da das Verhältnis von ›Denken‹ und ›Glauben‹ oder von ›Philosophie‹ und ›Religion‹ im vorliegenden Buch nicht ausführlich diskutiert werden kann, beschränke ich mich darauf, thetisch drei Besonderheiten eines primär religiös geprägten Gottesverständnisses zu nennen, von denen sich nur die erste in den Gottesbegriff der griechischen theologia naturalis integrieren lässt, die beiden anderen aber nicht. Bei dieser Gegenüberstellung stütze ich mich bewusst auf den Relationsbegriff des ›Mehr und Weniger‹. Er soll die Konstruktion eines unvermittelbaren Gegensatzes von ›Philosophie‹ und ›Reli-

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gion‹ verhindern und zugleich die folgenden Aussagen nachvollziehbar machen: In einer primär religiös geprägten Perspektive, wie sie sich in der Spätantike vor allem in jüdisch-christlichem Kontext ausbildet, ist Gott (a) eher ein ›Gegenstand‹ der persönlichen Erfahrung als einer des Denkens und Wissens, (b) eher ein Handelnder, der sich den Menschen durch Rede und Tat zuwendet, als ein Prinzip, das allem Seienden eine grundsätzlich lesbare Spur von dem einprägt, was er selber ist. (c) Der primär religiös erfahrene Gott offenbart sich den Menschen, weil ihm an deren Heil gelegen ist, obwohl sie sich von ihm durch eigenes Fehlverhalten entfernt haben. Der Gott der theologia naturalis hingegen geht aufgrund seiner absoluten Autarkie nicht von sich aus auf Menschen zu, um sie zu ihrem Heil zu führen. Und das muss er auch nicht, weil er ihnen als ihr Ursprung im ontologischen Sinn ohnehin näher ist als sie sich selbst. Im Blick auf diese Unterscheidungen kann man sagen, dass Plotin dadurch, dass er die persönliche Gotteserfahrung in ihr Zentrum stellt, die Philosophie, soweit das von ihren Voraussetzungen überhaupt möglich ist, zu einer ›Religion‹ umformt. Er knüpft dafür an Platons philosophische Umdeutung der Mysterienreligionen seiner Zeit (Eleusis) an531, bleibt aber darin wie sein Vorbild im Bereich der Philosophie, weil sein Gott als das absolut Einfache, das weder denkt noch handelt, für menschliches Reden (Gebet) und Tun (Kult) unerreichbar ist. Plotins Satz, ›Jene [die Götter] müssen zu mir kommen, nicht ich zu jenen‹532, darf deshalb nicht so verstanden werden, als sei das ›Heil‹ der Seele von menschlich unverfügbarer Gnade abhängig. Vielmehr fordert er die Seele auf, aus der vollkommenen Selbstentfaltung der ihr eigenen Vernunft die Kraft absoluter Einfachheit in sich wirksam werden zu lassen und aus ihr heraus einen Zustand der Gottähnlichkeit anzustre-

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ben. Erst in ihrer vollständigen (dialektischen) Verwirklichung findet die menschliche Vernunft ihre natürliche Grenze. Und in der Anerkennung dieser Grenze befindet sich die menschliche Seele in dem Zustand, in dem sie durch die Übermacht des Einen aus der Welt der Vielheit ›herausgerissen‹ werden und dadurch momentan selbst absolute Einfachheit sein kann. Plotin hat den traditionellen Denk- und vor allem den subjektiven Erfahrungshorizont philosophischer Theologie erheblich erweitert. Dabei erweist sich die Präsenz des Gottes in der Seele für sie als ein ›Erleiden‹, das zugleich ein Höchstmaß reflexiver und sittlicher Eigentätigkeit voraussetzt. Die Dialektik, die in der klassischen griechischen Philosophie zusammen mit der Wirklichkeit der Natur und der sozialen Welt die internen Kompetenzen des menschlichen Denkens erschließen sollte, wird deshalb in der Hauptsache für eine kontinuierliche Arbeit der Seele an sich selbst eingesetzt, obwohl sie dabei das ›Heraustreten‹ aus dem Sein der Vielheit nur vorbereiten, aber nicht selbst bewirken kann (Text 66 b = VI 9, 11, 23 f.). (2) Die von Platon vorgegebene und von Plotin weiter geführte soteriologische Intensivierung der Philosophie hat Folgen für das Verständnis menschlicher Identität. Einerseits hebt die Einung mit dem Einen jede Besonderheit und damit punktuell auch jedes Bewusstsein auf (Text 66 b, VI 9, 11, 12). Auf der anderen Seite kann nur das ›ganze Selbst‹ mit allen seinen ›Teilen‹ die Übermacht des Einen ›umfassen‹533 und nur dadurch ›wahres Leben‹ finden (Text 66 a, VI 9, 9, 16). Dass damit nicht die Auflösung, sondern die größtmögliche Steigerung des ›Selbst‹ gemeint ist, wird daran deutlich, dass Plotin diesen Zustand als den des ›richtigen Urteilens und Erkennens‹534 und als vollkommene Autarkie beschreibt535 . Vorbereitung und Vorgestalt dafür ist der Übergang der Seele zu ›geistiger Wirklichkeit536. Er führt nämlich zu einem ›Stehen‹ auf der Einheit des absoluten Denkens (Text 66 b, VI 9, 11, 16), das selbst kein Denken mehr ist (ebd. 11 f.), sondern ein

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›Hinausgeschrittensein‹ über alles, was überhaupt gedacht werden kann (Text 66 b, VI 9, 11, 16 ff.)537. Das dadurch möglich gewordene ›Hinaufgerissenwerden‹ zum Einen (ebd. 13) geht, wenn es geschehen ist, in ›ruhige Gotterfülltheit‹ (ebd. 14) über, dessen Bewegungslosigkeit darauf beruht, dass die Tätigkeit des Denkens ihr natürliches Ziel erreicht hat. Die Formel ›Lass ab von Allem‹ intendiert eine Selbstaufhebung des Denkens, die seine vollkommene Verwirklichung voraussetzt. (3) In der höchsten Steigerung ihres ›Selbst‹ sieht die Seele den überreichen Quell allen Lebens nicht nur vor sich, sondern verbindet sich so intensiv mit ihm, dass sie ihr Leben unmittelbar aus der Übermacht des formlosen Zeugungsprinzips vollkommener Form führen kann. Diotimas Darstellung der »Zeugung« im absolut einfachen Schönen ist dafür das entscheidende Vorbild. Auch Plotins ›Einung‹ mit dem Einen ist ›Zeugung‹ im einfachen Einen und damit im an sich selbst formlosen Zeugungsprinzip der intelligiblen und damit aller Schönheit538 . Sie bedeutet deshalb für die Seele ihre restitutio in integrum (Text 66 a, VI 9, 9, 23 f.) und damit ihre Vergötterung, die deswegen keine hybride Selbstvergottung ist, weil sie auf der Interaktion zwischen eigenem Tun und einer Erfüllung mit dem göttlichem ›Mächtigsein zu Allem‹ beruht. Sie wird durch eigenes Tun nicht bewirkt, aber auch nicht einfach durch göttliche Gnade gewährt. In der Verbindung mit ihrem Leib bleibt das Erfülltwerden der Seele vom göttlich Einen augenblickliche Wirklichkeit, aus der sie in das Leben bestimmter Form zurückkehrt. Plotin verwendet zur Veranschaulichung dieses für seine Ethik zentralen Gedankens das Bild eines zweifach gerichteten Gangs, der wie eine liturgische Prozession mit dem Heraustreten aus der profanen Welt und dem Betreten des Pronaos vor der Cella des Tempels beginnt, nach dem Durchschreiten des Tempelschiffs (Naos) mit dem Eintritt ins Adyton sein Ziel erreicht und von dort aus durch das innere Tempelschiff und den Pronaos über den Säulenumgang

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in die profane Welt zurückfindet. Das, was auf dem Hinweg als Raum authentischer göttlicher Gegenwart erscheint, ist aus der Perspektive des Rückwegs nurmehr ein Abbild davon. Das Adyton markiert den Ort der Einung mit dem absolut einen Gott jenseits aller Bilder539 und damit auch ›jenseits‹ der Urbilder (ρχτυπα) aller Wirklichkeit, die als Abbilder des göttlich Einen in die ›profane‹ Welt hineinwirken. Gottwerdung meint also nicht den definitiven Abschied von der Welt der Vielheit, sondern den Vorgang, aus dem die Seele die Kraft gewinnt, ihr Leben im Modus der Bestimmtheit so zu gestalten, dass sie es in der Beziehung auf die Übermacht des göttlich Einen vor aller Bestimmtheit führen kann. Menschliche ›Glückseligkeit‹ (Text 66 a, 8, 13) wird als ›Erleiden‹ primär in sexuell-erotischer Metaphorik veranschaulicht540. Dabei wird der Seele die Rolle der Geliebten zugeordnet, die von einer männlich konnotierten Kraft »erfüllt«, »entzückt« und »gepackt«, in »erstauntes, lustvolles Erschrecken«, »süße Erschütterung« und »lustvolles Beben« versetzt541 und ›schwanger‹ wird, um wahre Schönheit, Gerechtigkeit und Tugendhaftigkeit zu ›gebären‹ (Text 66 a, 8, 17 ff.). Dieses ›Erleiden‹ setzt jedoch, wiederum bildhaft gesprochen, kein simples oder gar zaghaftes ›Stillestehen‹, sondern umfassende Eigeninitiative voraus, was in Formulierungen wie ›Bedachtsein auf Anformung‹, ›Hinstreben zur Berührung‹, ›Hingabe‹ und ›mit allen Teilen des eigenen Selbst umfassen‹ (Text 66 b, 11, 23 ff.) deutlich genug zum Ausdruck kommt. Es wäre unangemessen, Plotins Metaphorik primär als Indiz für seine eigene psychologische Befindlichkeit oder für das Verständnis von Sexualität in seiner kulturellen Umgebung aufzufassen. Sie ist vielmehr in erster Linie als reflektierte, literarisch gebrochene Darstellung des Nicht-Darstellbaren zu verstehen. Von daher kann man an diesem Metaphernfeld Folgendes beobachten: (1) Das Ineinander von ›männlich‹ und ›weiblich‹ und damit von ›göttlich‹ und ›menschlich‹ hebt in der Konsequenz nicht nur

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die sexuelle, sondern jede Differenz auf. Plotin liegt an der Vorstellung, dass die menschliche Seele an der absoluten Autogenese des Prinzips aller Schönheit und Form Anteil gewinnt, sowie daran, dass dieses Prinzip absolute Einheit ist. Nur von daher ist es konsequent, dass er den Zustand menschlicher Vollendung als Rückkehr in den Zustand absoluter Ursprünglichkeit ›vor‹ jeder Differenz konzipiert. (2) Plotins passiv-›weibliche‹ Bestimmung menschlichen ›Glücks‹ antwortet sowohl auf seine aktiv-›männliche‹ Beschreibung in der Stoa als auch auf seine ausschließlich passivische Deutung durch die Gnosis oder andere profiliert ausgeformte Erlösungsreligionen wie das Christentum. Mit der Stoa hält Plotin daran fest, dass die Seele den Einheitsgrund aller Wirklichkeit, den sie potentiell in sich ›hat‹, nicht nur suchen, sondern auch für die Gestaltung ihres eigenen Lebens aktiv in ›Gebrauch‹ nehmen muss. Menschliches Leben ist für ihn weder ohnmächtige Schwäche noch ein ungebrochener Leistungszusammenhang. Nur im ›richtigen‹ Wechsel von actio und passio findet die Seele zu der Ruhe, in der das göttlich Eine ›jenseits‹ aller Gegensätzlichkeit in ihr wirken kann.

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Das Christentum als theologia naturalis und ihr Verhältnis zur philosophischen Theologie

Das letzte Kapitel des vorliegenden Buches thematisiert das ambivalente Verhältnis der christlichen Religion zur griechischen Philosophie. Dabei geht es nicht um den oft dargestellten Vorgang, in dem die Lehre Jesu durch die Anreicherung mit griechisch-philosophischer Begrifflichkeit die Gestalt einer doctrina und damit die Wirkungsmacht erhalten hat, mit der sie sich in ihrer soziokulturellen Umwelt als vera religio542 und zugleich als ›allein sichere und wirklich Nutzen bringende Philosophie‹ 543 zur Geltung bringen konnte 544 . Es geht auch nicht um die immer wieder kontrovers diskutierte Frage, ob die Übernahme griechischer Philosophie die

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christliche Religion überformt und dadurch verfälscht hat oder ob dieser Vorgang darin begründet ist, dass die theologia naturalis der Philosophen und der christliche Glaube dasselbe Thema haben545 . Die ersten begrifflich geformten Reden über das christliche Gottesverständnis und sein Verhältnis zu Formen des weltlichen Wissens sind bei Paulus und im Vierten Evangelium, vor allem in dessen Prolog zu finden546. Im ersten Abschnitt dieses Kapitels konzentriere ich mich auf die wirkungsgeschichtlich folgenreiche Stelle aus dem Römerbrief des Paulus (1, 19 f.), die auch den Heiden die Möglichkeit einer authentischen Gotteserkenntnis zuzusprechen und so die Zurückweisung ›weltlicher Weisheit‹ als ›Torheit vor Gott‹ (1 Kor 3, 19 ff.) zu relativieren scheint. Im zweiten Abschnitt geht es um eine extreme Konsequenz aus 1 Kor 3, 19 f., die, am Ende des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts von Tertullian formuliert, der griechischen Philosophie den legitimen Besitz theologischer Wahrheit entschieden abspricht. Der dritte Abschnitt thematisiert die prinzipientheoretische Bedeutung des Streits um den Zugang zu dieser Wahrheit, den die ersten griechischsprachigen Apologeten, nämlich Justin Martyr und Clemens Alexandrinus, mit der für sie und ihre Umwelt wichtigsten Bildungsmacht philosophischer Theologie in dem Bewusstsein ausgetragen haben, dass die Darstellung des christlichen Glaubens als ›einzig wahrer Religion‹ und ›allein Nutzen bringender Philosophie‹ ohne gründliche Aneignung und genau durchdachte Umformung griechischer ›Weisheit‹ gar nicht möglich ist547. Der letzte Abschnitt ist dem theologisch-philosophischen Denken des Augustinus gewidmet, der die prinzipientheoretische Grundausrichtung der griechischen theologia naturalis dadurch verändert, dass er das summum bonum und damit die ›Ursache alles Guten‹ als öffentlichkeitswirksame Autorität darstellt und damit ein wichtiges Element des Konzepts politisch-rhetorischer Vernunft in den Denkhorizont der theologischen Prinzipienreflexion integriert.

Das Christentum als theologia naturalis

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Paulus und die theologia naturalis der ›weltlichen Weisheit‹

Für die paulinische Fassung des Verhältnisses von christlicher Religion und griechischer Weisheit werden vor allem folgende Texte diskutiert: 1) die Rede auf dem Areopag in Athen (Apg 17, 16 – 34), 2) der Spruch 1 Kor 3, 19: »Denn die Weisheit dieser Welt ist Torheit vor Gott« und 3) der Grundsatz der theologia naturalis Röm 1, 19 f. (vgl. Text 67). Die exegetische Forschung hat gezeigt, dass die Theologie der Lehrbriefe des Paulus nicht mit derjenigen der Areopagrede in der Apostelgeschichte identisch ist. In Athen befindet sich Paulus in einer missionarischen Situation, die durch die Diskussion mit griechischer Kultur geprägt ist, d. h. mit dem Frömmigkeitsverständnis ihrer theologia politica und mit ihrer hauptsächlich durch die Stoa vertretenen theologia naturalis. Im Blick darauf parallelisiert Paulus Stellen des Alten Testaments, die Gott als den Schöpfer der Welt548 und des einen Menschengeschlechts549 bezeichnen, der seinen Geschöpfen ›nicht fern‹ ist550 , so dass die Menschen, die ›in ihm leben, sich bewegen und sind‹551, ihn suchen und finden können, mit dem Vers 5 aus den Phainomena des Arat (1. Hälfte des 3. Jhs. v. Chr.) bzw. dem Vers 4 aus dem Zeus-Hymnus des Kleanthes552: »Seines [Gottes] Geschlechts sind wir ja.« Paulus nimmt Grundgedanken der stoisch geprägten theologia naturalis positiv auf, indem er erklärt, dass ihr Konzept der Einheit des Seienden, die in der Verwandtschaft des göttlichen und des menschlichen Lebens ihren besonderen Ausdruck findet, von demselben Wissen getragen ist, das den Offenbarungsschriften der Juden zugrunde liegt553 . In seinen Lehrbriefen hat Paulus jedoch andere Adressaten, so dass es nicht verwundert, dass der theologische Ansatz, der der von Lukas konstruierten Paulusrede in Athen zugrunde liegt, dort keine Rolle spielt. Dass es hier um andere Zusammenhänge geht, zeigt der Römerbrief, von dem ein wichtiger

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Abschnitt aus dem 1. Kapitel vorgestellt werden soll. Bei seiner Interpretation wird auch 1 Kor 3, 19 heranzuziehen sein. 67 · Paulus, ad Romanos 1, 14 – 25554 (14) »Griechen wie Barbaren, Weisen wie Unweisen bin ich ver-

pflichtet. (15) So bin ich, was mich betrifft, bereit, auch euch in Rom die Heilsbotschaft zu verkünden. (16) Nicht nämlich schäme ich mich des Evangeliums555 . Denn Kraft Gottes (δ!ναμις … θεο,) ist es zum Heil (ε#ς σωτηρ αν) für jeden, der glaubt (παντI τ' πιστε!οντι), für den Juden zuerst und genauso auch für den Heiden556. (17) Gottes Gerechtigkeit nämlich wird in ihm [im Glauben] offenbart (δικαιοσ!νη γ?ρ θεο, … ποκαλ!πτεται)557 aufgrund des Glaubens für den Glauben558 – wie geschrieben steht: ›Der Gerechte aber aufgrund des Glaubens wird leben‹559 . (18) Denn offenbart wird Gottes Zorn560 vom Himmel gegen alle Gottlosigkeit (σβεια) und Ungerechtigkeit von Menschen561, die die Wahrheit durch Ungerechtigkeit niederhalten. (19) Denn, was erkennbar ist von Gott (τ γνωστν το, θεο,), ist offenkundig (φανερν) unter ihnen [allen Menschen]. Gott hat es ihnen nämlich kundgemacht (φανρωσεν). (20) Denn sein Unsichtbares (τ? ρατα α1του, griechisch im Plural formuliert) ist von der Weltschöpfung her (π κτ σεως κσμου) in den (Schöpfungs-) Werken vernünftiger Einsicht durchsichtig (το$ς ποιμασιν νοο!μενα καθορ2ται): seine ewige Macht (ι8διος … δ!ναμις) und Gottheit (θειτης) – so dass sie ohne Entschuldigung sind. (21) Denn obwohl sie Gott erkannt haben, haben sie ihm nicht als Gott Ehre oder Dank erwiesen, sondern sind dem Nichtigen verfallen in ihren Gedanken (ν το$ς διαλογισμο$ς); und finster geworden ist ihr unverständiges Herz. (22) Indem sie behaupten, weise zu sein, sind sie zu Toren geworden (23) und haben die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes vertauscht mit der Gleichgestalt eines Bildes des vergänglichen Menschen und von Vögeln und Vierfüßlern und Kriechtieren. (24) Darum

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hat Gott sie ausgeliefert in den Begierden ihrer Herzen an die Unreinheit, so dass ihre Leiber durch sie [d. h. die Leiber selbst] geschändet werden562: (25) Sie, die die Wahrheit verkehrt haben in den Trug, und Verehrung und Dienst dem Geschaffenen erwiesen haben statt dem Schöpfer – hochgelobt sei er in Ewigkeit. Amen.« In seinem 55 /56 noch in Korinth verfassten Brief an die Gemeinde in Rom will Paulus die Grundzüge der göttlichen ›Heilsbotschaft‹ darstellen563 , die sich an alle Menschen richtet und deshalb die Differenz zwischen ›Barbaren‹ und ›Griechen‹, ›Weisen‹ und ›Unweisen‹ ebenso gegenstandslos werden lässt wie die zwischen Juden und Heiden. Das Evangelium enthüllt die alles überragende ›Macht‹ Gottes, die jeden unabhängig von seiner Vorgeschichte zum ›Heil‹ führt564 , wenn er sich ihr im ›Glauben‹ öffnet. ›Glaube‹ ist der Vorgang, in dem sich der Mensch von der ›Kraft‹ und dem ›Geist (πνε,μα)‹ Gottes erfüllen lässt565 . Glaube kann deshalb nicht auf menschlicher actio oder virtus und damit auch nicht auf der Überzeugungskraft (πειθ.) menschlicher Weisheit (1 Kor 2, 4 f.: ν σοφ L νθρ(πων) beruhen566, sondern nur ein ›Beweis (πδειξις) des Geistes (πνε,μα) und der Kraft (δ!ναμις)‹ (1 Kor 2, 4 f.) Gottes sein. Nur Gott kann das ›Pneuma der Welt‹ (1 Kor 2, 12), aus dem der Mensch von Natur aus lebt, nichtig machen und durch ›Sinn (νο,ς) des Herrn‹567 und seines Gesalbten ersetzen (1 Kor 2, 16)568 . Aus dem Gegensatz zwischen innermundanem und göttlichem Pneuma ergibt sich auch die plakative Antithese des ersten Korintherbriefes: Alles, was zur ›Weisheit dieser Welt (σοφ α το, κσμου το!του)‹ gehört, ist ›vor Gott Torheit‹ (1 Kor 3, 19). Umgekehrt kann die Kraft Gottes (1 Kor 1, 19), die sich im Kreuz Jesu Christi bekundet, für die ›Weisheit der Welt‹ (1 Kor 1, 20) nichts anderes sein als ›Torheit‹ (für die Heiden) und (für die Juden) ›Ärgernis (ebd. 24: σκνδαλον)‹569 . Wenn man Röm 1, 19 f. und 1 Kor 3, 19 f. zusammenhält, so wird deutlich: Für Paulus gibt es weder innere noch äußere Gründe

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dafür, der griechischen Philosophie de facto eine wahrheitsfähige theologia naturalis und eine ihr entsprechende Ethik zu unterstellen. Das ist auch daran erkennbar, dass er unter dem ›Kosmos‹ weder die ursprünglich gute Schöpfung Gottes im Sinne der Genesis noch den leibgewordenen göttlichen Logos im Sinne der Stoa versteht, sondern die von der ursprünglichen Schöpfung abgefallene menschliche ›Welt‹. Nach dem Sündenfall leben alle Menschen ausnahmslos ›im Fleisch‹ und gehören damit in die ›Welt‹ der Sünde, so dass sich ihr ›natürliches‹ Begehren nach Gutem nur auf Teile dieser ›Welt‹ richten kann570. Die ›Weisheit‹ der Welt (Griechen) ist deshalb ebenso wenig wie das mosaische Gesetz der Ausgangspunkt für einen Weg, der das menschliche Denken und Handeln mit der ›Macht‹ und ›Weisheit Gottes‹ verbindet. Da der ›Welt‹ das authentische ›Heil‹ de facto verborgen bleibt, muss Gottes ›Kraft‹ ihre ›Heilung (σωτηρ α)‹ und ›Rechtfertigung (δικαιοσ!νη)‹ bewirken. Im siebten Kapitel des Römerbriefes hat Paulus die anthropologische Voraussetzung für seine Auslegung der Botschaft Jesu als Lehre von der Rettung, Heilung und ›Rechtfertigung‹ des menschlichen Lebens ›per alienum auxilium‹ (Luther) wohl am deutlichsten ausgesprochen571: In mir, sofern ich ›fleischlich‹ bin, ›wohnt nichts Gutes‹. Zwar gehört es zu mir, dass ich ›das Gute will‹, weil, wie aus platonischer Perspektive zu ergänzen wäre, ohne ein Wollen des Guten kein Tun zustande kommt. Während es aber bei Platon darum geht, die affektiv fundierte Vorgabe des Willens zum Guten in ein wirkliches Wissen und Tun des Guten umzuformen, wirkt nach Paulus ›in mir‹, weil ich als fleischliches Wesen nicht die Kraft habe, ein Leben des ›Geistes‹ zu führen, ausschließlich die Sünde (Fμαρτ α)572. ›Sünde‹ meint weder eine subjektive und deshalb verantwortbare Intention, das Schlechte zu tun, noch eine individuelle Unrechtstat. Sie ist vielmehr der falsche, weil ›fleischlich‹ bestimmte Grund des natürlichen Lebens und damit die Quelle einer inneren Fehlerhaftigkeit, die im unversöhnlichen Gegeneinander von Wollen und Tun zum bitte-

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ren Ausdruck kommt. Dieser Zwiespalt lässt den Menschen sich selbst so fremd werden, dass er durch Wissen, Wünschen oder Wollen nicht zu sich selbst kommen und sich deshalb auch nicht aus der Kraft seines ›wahren Selbst‹573 mit einer authentischen Quelle des Guten verbinden kann. Nicht einmal das von göttlicher Kraft durchwirkte mosaische Gesetz574 , an dem der gottesfürchtige Jude in seinem ›inneren Menschen (κατ? τ ;σω νθρωπον) Lust hat‹, so dass er ihm gegen das ›fleischliche‹ Begehren folgen will575 , kann verhindern, dass er im Vollzug seines Lebens ›auf ein fremdes Gesetz (%τερος νμος)‹ blickt576, das ohne und gegen sein Wollen in seinen ›Gliedern‹ wirkt. Er kann wohl erkennen, dass dieses Gesetz demjenigen seines eigenen Denkens (τ' νμY το, νος μο,)577 widerstreitet, aber er kann nichts dagegen tun, dass er ein Gefangener des Gesetzes der Sünde bleibt578 . Paulus ist weit entfernt von der griechischen Unterscheidung zwischen ›Leib‹ und ›Seele‹, die bis heute allzu leichtfertig als Ausdruck einer vermeintlich philosophiespezifischen Leibfeindlichkeit missverstanden wird. In Wirklichkeit eröffnet diese Unterscheidung die Möglichkeit, in der Kraft des Geistes ein Leben zu führen, das von den restriktiven Gesetzen körperhafter Realität weitgehend frei ist. Paulus vertritt demgegenüber einen harten anthropologischen Naturalismus. Es gibt für den Menschen nur die ›fleischliche‹ Welt. Selbsterkenntnis, für griechisches Denken die höchste Form des Wissens, in der sich die ›Seele‹ auf den intelligiblen Grund allen Lebens bezieht, äußert sich für Paulus nur in der ohnmächtigen Klage: »Ich unglücklicher Mensch« und in der instantan damit verbundenen Frage: »Wer wird mich erlösen aus diesem Leibe«, der mir als ›Leib des Todes‹ jeden eigenständigen Zugang zu einer rettenden Kraft für mein Leben versperrt579 . Der vollständige Zweifel an jeder innermundanen Heilungskraft ist die notwendige Voraussetzung für die ›heilende‹ Wirksamkeit des Glaubens, dass Jesus Christus mich schon jetzt ›aus diesem Leibe‹ erlöst und durch das Gesetz des göttlichen Geistes ›von dem Gesetz der Sünde und des Todes‹ befreit hat580.

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Für Paulus zeigt sich die Macht Gottes aber nicht nur in der Gewährung des Heils, sondern ebenso in seinem Zorn gegen die Gottlosigkeit und die damit verbundene Ungerechtigkeit derjenigen, die in ihrem Eigensinn die Wahrheitsmacht des bereits offenbar gewordenen ›Heils‹ ›niederhalten‹ wollen. Die Verse Röm 1, 19 f. sind deshalb primär eine Begründung dafür, dass Gottes Zorn nicht auf Willkür, sondern auf Gerechtigkeit beruht, so dass ›Gerechtigkeit‹ der Oberbegriff ist, der sich zum einen in der Stiftung des Heils und zum anderen im Zorn gegen Ungerechte manifestiert. Auch die Heiden können grundsätzlich das Wesen Gottes aus den Werken seiner Schöpfung erkennen und damit, wie aus Röm 2, 14ff hervorgeht, sogar ein Richtigkeitsgesetz für ihr Handeln finden581. Weil sie aber diese Möglichkeit aus Ungerechtigkeit ausgeschlagen haben, aktualisiert Paulus die vor allem aus der Weisheitsliteratur und den apokalyptischen Texten des Alten Testaments bekannte Verurteilung des heidnischen Götzendienstes als Idolatrie, die vermeintlich notwendig ein unsittliches Leben zur Folge hat582. Gott ist als der Eine und Unsichtbare durch vernünftige Wahrnehmung in seinen Werken als derjenige erkennbar, der durch seine ewige Macht über allen seinen Geschöpfen steht. Diese Erkenntnis wäre zugleich ein praktisches Anerkennen, das im Dank an und im Gehorsam gegen ihn sowie in seiner Verherrlichung als des in Wahrheit Mächtigen zum Ausdruck kommen müsste. Wenn die Heiden aber Gott in ihren Gedanken mit seinen Geschöpfen verwechseln und deshalb »Göttlichkeit« und »ewige Macht« in Menschen oder Tieren verkörpert sehen, so zeigt das, dass ihre Lebensführung auf ›Torheit‹ und ›Ungerechtigkeit‹ beruht. Sie folgen allein der fleischlichen Begierde, die als prima causa mali zwangsläufig die in Röm 1, 26 – 31 aufgezählten Laster nach zieht583 , bevor daraus im nächsten Vers die Folgerung gezogen wird, dass diejenigen, die so leben und auch noch andere in ihrem Lasterleben bekräftigen, nach allen Regeln der Gerechtigkeit den Tod verdienen. Die Verurteilung der heidnischen Lebensform steht also ganz

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in der Tradition jüdischer Apologetik und scheint damit deren Vorurteile zu bestätigen. Im Kapitel 2 des Römerbriefes setzt Paulus aber dazu an, das religiös-sittliche Überlegenheitsbewusstsein Israels zu unterminieren. Heiden können grundsätzlich gottesfürchtiger sein und sittlicher leben als die Juden, obwohl ihnen das den Heiden ›ins Herz‹ geschriebene Gesetz zusätzlich durch die Tora bekannt ist. Die Juden sind deshalb nicht zu dem Glauben berechtigt, sie könnten »wohlbelehrt im Gesetze« den Willen Gottes so genau erkennen, dass sie sich rühmen dürften, ›Führer zu sein den Blinden‹ oder ›Licht denen, die im Finstern wandeln‹ (Röm 2, 17 ff.)584 . Das Bewusstsein singulärer Auserwähltheit beruht also bei den Juden auf derselben törichten Selbsterhöhung, die sie den Heiden vorwerfen. Von daher wird deutlich, dass alle Menschen in gleicher Weise unter der Herrschaft der Sünde stehen (Röm 3, 9). Die Forderungen des Dekalogs sind deshalb nicht gegenstandslos, wohl aber wird klar, dass ihrer Erfüllung »Glaubensgerechtigkeit (Röm 4, 11: δικαιοσ!νη τAς π στεως)« zugrunde liegen muss. Nur wer als ›Geheiligter‹ im »Frieden mit Gott« lebt und dadurch Zugang zu seiner Gnade hat (Röm 5, 1 f.), kann die Kraft Gottes in sich wirksam werden lassen585 . Von daher lässt sich das Endziel des menschlichen des Lebens nicht als Verähnlichung mit Gott, wohl aber als Nachahmung Gottes beschreiben. Im Zustand der Heiligung wird nämlich »die Liebe Gottes ausgegossen in unsere Herzen«586, so dass ›wir‹, »festgewurzelt und gegründet« in ihr587, in der Beziehung zu Gott und zum Nächsten die Einheit der drei theologischen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe realisieren. Und weil die Liebe als die größte von ihnen588 das Herz des Menschen in seinem tiefsten Grund bestimmt, ist ihre Verwirklichung als Nachahmung jener Liebe, die von Gott ausgeht, die Erfüllung des mosaischen »Gesetzes« (Röm 13, 8 – 10). Von einer Telosbestimmung des menschlichen Lebens im Sinne der griechischen theologia naturalis ist Paulus weit entfernt. Seine Sätze zur theologia und ethica naturalis sind keine selbstän-

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digen Aussagen, sondern dienen lediglich der Selbstbehauptung der christlichen Religion gegenüber der ›Weisheit der Welt‹. Sie unterstellen der heidnischen und der jüdischen Lebensform das Laster der superbia (κα!χησις)589 , das in der Überzeugung zum Ausdruck kommt, der Mensch habe als ›Weiser‹, so die Heiden, oder als ›Gerechter‹, so die Juden, einen eigenständigen Zugang zur Quelle des Guten und damit zum Grund aller Wirklichkeit. Von daher bleibt bei Paulus unentfaltet, was der Latenz nach im Römerbrief als Einsicht in die Gemeinsamkeit von griechischer theologia naturalis und jüdisch-christlicher theologia revelationis angelegt ist. Für Paulus gibt es keine eigenständige philosophische und erst recht keine philosophisch-theologische Prinzipienreflexion, die etwas anderes wäre als Wahn und Hochmut, so dass es auch von daher, und nicht nur aus seiner eigenen Lebenssituation verständlich ist, warum er sich mit ihr überhaupt nicht auseinandersetzt. Griechische und jüdische Welt sind für ihn Welten des Todes und des Irrtums, da sie verkennen, dass der Mensch ausschließlich ›Fleisch‹ und von daher zu einem selbständigen Leben des Geistes im Sinne einer authentischen Teilhabe an der Welt der Wahrheit in jeder Hinsicht unfähig ist. Nur aus der Gabe des Glaubens kann »das Unsichtbare der ewigen Macht« Gottes erkannt und zur ›heiligenden‹ Grundlage eines Lebens werden, das aus eigener Kraft für eine Realisierung des Guten zu schwach ist.

2.

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Tertullians Angriff auf das ›dialektische‹ Christentum der gnostischen Häretiker

Anders als in der apostolischen Zeit ist die christliche Religion gut 100 Jahre später im Gesamtgebiet des Imperium Romanum nicht nur verbreitet, sondern zu einer Größe angewachsen, die mannigfache Gegnerschaft auf sich zieht. Auf der politischen Ebene wurde das Christentum als Kraft der Desolidarisierung wahrge-

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nommen, weil es den traditionellen Götter- und Kaiserkult als Idolatrie auffassen und damit in religiöser und politischer Hinsicht zum summum malum erklären musste. Damit war aus der Perspektive der Politik der Tatbestand des crimen laesae religionis gegeben, mit der Folge, dass die Christen leicht für alle möglichen Übel verantwortlich gemacht werden konnten, die die politische Welt nach ihrem Selbstverständnis besonders dann befallen, wenn sie nicht in größter Einhelligkeit zu ihren eigenen normativen Grundlagen steht. Prozesse gegen einzelne Christen, insbesondere Kleriker, und umfassender angelegte Verfolgungen waren häufige, wenn auch keineswegs zwangsläufige Folgen dieses politisch-religiösen Gegensatzes. Auf der ideologischen Ebene wurde das Christentum verdächtigt, mit dem am Kreuz hingerichteten Jesus aus Nazareth einen ›neuen‹ Gott einführen zu wollen und damit von allem abzuweichen, was die religiöse Tradition in Bezug auf Gott und die Götter für richtig gehalten hat. ›Neuigkeit‹ galt in der griechisch geprägten Welt auch unter römischen Vorzeichen grundsätzlich als Indiz für Irrtümlichkeit. Zudem verstieß ein Monotheismus, der anders als derjenige der philosophischen theologia naturalis mit der Vorstellung eines bestimmten durch Wort und Tat identifizierbaren Gottes verbunden war, gegen das überkommene Frömmigkeitsverständnis. Wenn die Athener die Frömmsten sind und »jenen, die über mehr Frömmigkeit als andere verfügen, in gleichem Maß auch ein besseres Geschick zuteil wird«590 , dann ist klar, wie der christliche Monotheismus aus der Perspektive antiker Frömmigkeit bewertet werden musste591. Ein Sonderproblem auf der ideologischen Auseinandersetzungsebene musste sich aus der historischen Notwendigkeit ergeben, den Wahrheitsanspruch der christlichen Religion gegen den der philosophischen Tradition durchsetzen zu müssen. Für die zunehmende Zahl intellektueller Konvertiten war es zunächst lebensgeschichtlich wichtig, ihre Bekehrung zum Christentum nicht als Absage an die Welt griechischer ›Weisheit‹ empfinden

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zu müssen, in der sie aufgewachsen und von der sie durchdrungen waren. Ihnen war zudem bewusst, aus welchen Gründen ihre Religion vonseiten heidnischer Intellektueller dem Vorwurf des Irrtums ausgesetzt war. Die zunächst nur okkasionell geäußerte Polemik gegen das Christentum, etwa bei Lukian, Apuleius oder dem Rhetor Aristides592, wurde gegen das Ende des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts von dem platonisch geprägten Philosophen Kelsos aus Alexandria in einer Schrift mit dem Titel »Der wahre Logos« durch eine systematische Kritik überboten, die von christlicher Seite nicht stillschweigend übergangen werden konnte. Kelsos hatte behauptet, die Wahrheit über die rerum natura und die Gesetze des richtigen Lebens beruhten auf ›uralter Weisheit‹593 , die ursprünglich »den weisesten Völkern, Städten und Menschen« in Form einer vorsprachlichen ›Uroffenbarung‹ mitgeteilt worden ist594 . Ihr sind die griechischen Philosophen gefolgt, und Platon hat ihr die unüberbietbare begriffliche Darstellungsform gegeben. Kelsos wollte damit die These der jüdischen Apologetik – Philon von Alexandrien (13 v. Chr. – 45/50 n. Chr.) und Flavius Josephus (37/38 – ca. 100 n. Chr.) – bekämpfen, die dieselbe Leistung den Offenbarungsschriften des Alten Testaments zugeschrieben hat595 . Für Kelsos hingegen hat Moses die ›Weisheit der Alten‹ verfälscht und deshalb aus ihr ein ›schlechtes Gesetz (κακς νμος)‹ abgeleitet, das die Regeln des ›wahren Logos‹ ins Gegenteil verkehrt. Da das Christentum an das Judentum anknüpft, ist es wie dieses eine Neuerung, die von der falschen Voraussetzung ausgeht, der Gehalt des ›wahren Logos‹ könne durch ein so kontingentes Geschehen wie die Selbstoffenbarung eines individuellen Gottes in irgendeiner Weise erweitert werden. Der Weg zum ›wahren Logos‹ eröffnet sich nur der Arbeit des dialektischen Denkens, das zusätzlich ein intensives Bemühen um sittliche Vollkommenheit voraussetzt. Nur so kann der allgemeine Grund aller Wirklichkeit mit der Deutlichkeit erkannt werden596, die dem privaten und öffentlichen Leben die Norm des Richtigen vorgibt597.

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Diese systematische Kritik an der christlichen Religion musste in der apologetischen Literatur mit gleichwertigen Argumenten zurückgewiesen werden. Von den lateinischsprachigen Apologeten hat sich als erster Tertullian (ca. 160 – 220) dieser Aufgabe gestellt. Dabei hat er die bereits von Paulus formulierte Unterscheidung zwischen christlichem Glauben und weltlicher ›Weisheit‹ für seine Zeit aktualisiert. Für die kurz nach seiner Bekehrung zum Christentum (197) verfassten apologetischen Schriften konnte er an griechisch verfasste Texte derselben Gattung anknüpfen. Man findet deshalb bei ihm sowohl den von Justin598 vorgeprägten Gedanken der Kontinuität von griechischer Philosophie und christlicher Religion als auch die eher von Tatian 599 inspirierte Kritik an der künstlichen Überzüchtung und Schwächung der Philosophie durch eine nurmehr formal argumentierende Dialektik, wie sie im Übrigen auch im Binnenraum der Philosophie, etwa in der Skepsis oder bei Epiktet, zum Ausdruck gekommen war. Tertullian folgt zudem einem Argument der griechischen Apologetik darin, dass er vor allem die gnostischen Häresien, die die Einheit der christlichen Lehre bedrohen, auf die Wirkung griechischer Philosophie zurückführt. Die gegen sie gerichtete Polemik ist deshalb ein wichtiger Teil des Kampfes, in dem sich das Christentum von gnostischer Konkurrenz abzugrenzen hatte. Man muss diese Zusammenhänge mit bedenken, wenn man die antiphilosophischen Invektiven der Schrift De praescriptione haereticorum600 und im Apologeticum richtig einschätzen will. Für die vorliegende Darstellung wähle ich einen Auszug aus dem zuerst genannten Text. 68 · Tertullian, De praescriptione haereticorum 7, 1 – 13601 (1) »Dies602 sind die ›Lehren von Menschen‹ (Kol 2, 22) und

›Dämonen‹ (1 Tim 4, 1), die aus dem Erfindungsreichtum der weltlichen Weisheit (de ingenio sapientiae saecularis) für den Ohrenkitzel603 entstanden sind (2 Tim 4, 3). Diese nannte der Herr Torheit (1 Kor 3, 19) und erwählte das, was vor der Welt töricht

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ist, um sogar noch die Philosophie zu beschämen (1 Kor 1, 27). (2) Denn diese hat weltliche Weisheit zu ihrem Gegenstand und ist deshalb eine anmaßende Interpretin (temeraria interpres) der göttlichen Natur und ihres Heilsplans. (3) Kurz, die Häresien604 erhalten ihre Ausrüstung von der Philosophie. Von ihr stammen bei Valentinus605 die Äonen, irgendwelche zahllosen Gestalten ( formae nescio quae infinitae 606) und die Dreiteilung des Menschen607. Ein Platoniker war er gewesen. Daher stammt der Gott Markions608, der wegen seiner Ruhe (tranquillitas) den Vorzug verdient: Von den Stoikern war er hergekommen609 . (4) Um zu behaupten, dass die Seele zugrunde gehe, folgt man Epikur. Um die Wiederherstellung des Fleisches (carnis restitutio) zu leugnen, macht man eine Anleihe bei der einen Schule aller Philosophen610. Da, wo man die Materie mit Gott gleichsetzt, handelt es sich um die Lehre des Zenon; und da, wo man etwas über einen aus Feuer bestehenden Gott anführt, macht Heraklit seinen Einfluss geltend. (5) Derselbe Gegenstand beschäftigt Häretiker und Philosophen; dieselben Überlegungen sind damit verbunden: Woher kommt das Böse und wodurch ist es entstanden? Woher kommt der Mensch und wie ist er entstanden? Und das Problem, das vor kurzem Valentinus vorlegte: Woher stammt Gott? – Natürlich aus dem ›Verlangen‹ und aus einer ›Fehlgeburt‹611. (6) Elender Aristoteles! Er hat für sie die Kunst der Dialektik eingeführt, eine Meisterin im Auf bauen und im Zerstören (artifex struendi et destruendi). Sie ist sprücheklopferisch in ihren Sätzen (sententiae), gekünstelt in ihren Vermutungen (coniecturae), starr in ihren Schlussfolgerungen (argumenta), eine Handlangerin von Streitigkeiten (contentiones), die sich sogar selbst eine Last wird, weil sie alles [,was sie behauptet,] wieder in Frage stellt, aus Furcht, etwas überhaupt nicht bedacht zu haben. (7) Daher stammen ›jene Fabeleien, jene endlosen Geschlechterreihen‹ (1 Tim 1, 4), jene nutzlosen Fragen und Reden (Tit 3, 9), die ›wie ein Krebsgeschwür um sich greifen‹ (2 Tim 2, 17). Von ihnen hält uns der Apostel ab und bezeugt in seinem Brief an die Ko-

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losser ausdrücklich, dass man sich vor der Philosophie und vor leerem Trug (inanis seductio) hüten müsse: ›Seht zu, dass euch niemand durch Philosophie und leeren Trug verführe, gestützt auf die Überlieferung von Menschen‹ (Kol 2, 8) und nicht auf die Fürsorge (providentia) des Heiligen Geistes. (8) Er war in Athen gewesen und hatte durch seine Begegnungen jene menschliche Weisheit kennen gelernt, die sich Wahrheit anmaßt und verfälscht und durch die Mannigfaltigkeit einander widersprechender Schulen in verschiedene Häresien gespalten ist. (9) Was also hat Athen mit Jerusalem zu tun? Was die Akademie mit der Kirche? Was die Häretiker mit den Christen? (10) Unsere Unterweisung (institutio) stammt aus der ›Säulenhalle Salomons‹ (Jo 10, 23)612 , der dazu selbst gelehrt hat, dass man den Herrn ›in der Einfalt des Herzens‹ (Weish 1, 1: in simplicitate cordis) suchen müsse. (11) Sollen diejenigen für sich zusehen, die ein stoisches, ein platonisches, ein ›dialektisches‹ Christentum hervorgebracht haben! (12) Für uns sind Wissbegierde (curiositas) und Forschung (inquisitio) seit Jesus Christus und dem Evangelium bedeutungslos geworden. (13) Da wir glauben, wünschen wir nichts über den Glauben hinaus. Dies nämlich glauben wir zu allererst, dass es nichts gibt, dessen wir über den Glauben hinaus bedürfen.« Tertullians Angriff auf das ›dialektische Christentum‹ (6 und 11) ist, wie der Zusammenhang zeigt, keine wirkliche Auseinandersetzung mit den im Text genannten Philosophen. Getroffen werden sollen vielmehr die gnostischen Häretiker Valentinus, Markion und dessen Schüler Apelles. Heraklit, Platon, Aristoteles, Zenon und Epikur sind nur deswegen von Interesse, weil sie die griechische Philosophie und damit jene Macht verkörpern, die die in sich einfache Wahrheit »der göttlichen Natur« (2) durch den »Erfindungsreichtum weltlicher Weisheit« (1) bis hin zur Unkenntlichkeit überlagert und damit den Häretikern der Gegenwart die Munition zur Verfügung gestellt hat (3), mit der sie die in Chris-

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tus und in seinem Evangelium (12) offenbar gewordene Wahrheit bekämpfen. Der pauschale Vorwurf an die griechischen Philosophen, »Patriarchen der Häretiker« zu sein613 , findet seine Begründung in der umfassenden Darstellung einer Geschichte der Wahrheit, die ihren ersten Auftritt, ihre sofortige Bekämpfung durch Mächte der Fälschung und ihre Wiederherstellung durch ihren ersten Begründer zum Thema hat. Sie wird allerdings nicht in unserem Text, sondern im Apologeticum sowie in der Schrift De anima vorgetragen. Sie wäre beinahe eine Geschichtsphilosophie, wenn sie nicht vollständig von einer simplen Gedankenfigur geprägt wäre, in der man aufgrund ihrer Gegenüberstellung von Einfachheit, Natürlichkeit und allgemeiner Wahrheit einerseits, Vielfalt, Künstlichkeit und eigensinniger Lüge andererseits leicht eine Variante des platonischen Prinzipiengegensatzes von Einheit und ›unbestimmter Vielheit‹ erkennen kann. Ich nenne diese Gedankenfigur ›simpel‹, weil sie keine Kooperation zwischen diesen Gegensätzen zulässt, sondern deren Bestehen zu einer heilsgeschichtlichen Notwendigkeit erklärt, die bis zum Weltgericht andauert614 . Im Apologeticum (46, 2) spricht Tertullian zwar von Gemeinsamkeiten der philosophischen und der christlichen Tugendlehre, um danach ihren Gegensatz in der zugespitzten Antithetik darzustellen, die seine Texte insgesamt charakterisiert: »Was also haben gemeinsam der Philosoph und der Christ, der Schüler Griechenlands und der des Himmels, der Beförderer seines Ruhms und der seines Heils, der, der nur mit Worten, und der, der mit Taten wirkt, der Erbauer und der Zerstörer, der Freund und der Feind des Irrtums, der Verfälscher (interpolator) und der Erneuerer, der Dieb ( furator) und der Wächter der Wahrheit?« (Apol. 46, 18). Die Entstehung dieser Entzweiungen wird folgendermaßen erklärt: Am Anfang allen Seins steht die eine und einfache Wahrheit, die Gott direkt in der Natur, also in seiner Schöpfung zum Ausdruck bringt. Sie wirkt von daher auch im »Gemeinsinn (sensus publicus)«, den Gott der menschlichen Seele mitgegeben hat615 , so dass die

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Wahrheit der divina natura (Text 68, 2) im kunstlosen und von daher natürlichen Substrat aller menschlichen Sprachen deutlich zum Ausdruck kommt. Tertullian versteht darunter insbesondere sprichwortartige Redewendungen, die affektive Elementarerfahrungen wie die von Glück und Unglück oder einfache intentionale Zustände (Wünschen, Fürchten, Hoffen) instantan begleiten616. Sie begründen eine Schicht allgemeiner Verständlichkeit, ohne die auch die ›reicher ausgestatteten‹ und von daher künstlichen Sprachen der Gegenwart nicht auskommen617. Die ausschließlich von der Natur bestimmte Seele kann keine getaufte Christin sein, so dass ihrem ›Zeugnis‹, das zum Ausdruck bringt, was Gott ihr unmittelbar als Wissen von sich selbst eingegeben hat, das Maximum an Glaubwürdigkeit zukommt618 . Dabei zeigt sich: Die Seele weiß, (1) dass Gott ist, (2) dass er einer ist und zwar (3) der absolut Große und (4) Gute, so dass sie sich ihm aus diesem Wissen (5) im Wünschen und Hoffen anvertraut und dafür, dass sie das Gute von ihm erwartet, (6) bereit ist, seinen Willen zu erfüllen619 . In den Spontanhandlungen des Fluchens620 , des Verachtens und Verwünschens artikuliert sie das Wissen, dass alles Schlechte einem Widerpart Gottes zuzurechnen ist. Indem sie die Grundaussagen über die göttliche Natur um den einfachen Zusatz erweitert, der Mensch sei ihm gegenüber schlecht, artikuliert sie die Einsicht, dass die Schlechtigkeit des Menschen dadurch zustande gekommen ist, »dass er sich vom guten Gott abgewandt hat.« Dieser Begründungssatz enthält analytisch gesehen eine Selbstbeschuldigung, die zugleich zum Ausdruck bringt, dass die Seele nur durch ihre Hinwendung zu Gott den Abstieg in die Welt der Schlechtigkeit vermeiden kann621. Von daher ist das ihr angeborene Wissen622 das »testimonium« einer anima naturaliter Christiana (Apol. 17, 6), die dadurch die naturhaft fundierte Wahrheit der doctrina christiana beweist, dass sie reflexionslos die Summe des heilsrelevanten Wissens in sich hat und artikuliert. Als Inbegriff des artifiziellen Wissens bemächtigt sich die Philosophie dieser Vorgabe und ›bläst‹ sie ›auf zum größeren Ruhm ihrer Kunst‹623 ,

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die als Rhetorik und Dialektik danach strebt, »alles Beliebige zu beweisen und zu widerlegen.« Beide Künste prägen deshalb den Gegenständen ihres Nachdenkens und Redens sachfremde, nämlich ihre selbstreferentiellen Regeln auf und versperren damit der menschlichen Vernunft die Rückkehr zu dem Wissen, von dem das Heil der Seele abhängt624 . Das Wissen, das Gott der Natur aufgeprägt hat, findet seinen ersten und vollständigen literarischen Ausdruck in der divina litteratura des Alten Testaments. Grundsätzlich gilt der Satz: »Älter als alles ist … die Wahrheit« (Apol. 47, 1), weil die Wahrheit im Anfang aller Dinge begründet ist. Da das AT »die Schatzkammer für jedwede spätere Weisheit« enthält, kann es keinen Dichter, Dialektiker oder Philosophen geben, der das, was er an wirklichem Wissen besitzt, »nicht ganz und gar von dem Quell der Propheten getrunken hätte« (Apol. 47, 2)625 . Von daher kritisiert Tertullian die frühere griechischsprachige Apologetik, die die christliche Wahrheit aus ihrer Ähnlichkeit mit einzelnen Aussagen der griechischen Literatur beglaubigen wollte626, weil ja nur das, was die Griechen den Schriften des Alten Testaments durch Raub entnommen haben627, einen solchen Vergleich möglich macht. Als wissbegierige Menschen, die »einzig auf Ruhm und rednerischen Glanz versessen gewesen sind«628 , haben die Griechen alles, auf das sie »bei ihren Übergriffen auf unseren Besitz in den heiligen Sammlungen … stießen … in ihre eigenen Werke übertragen.« Da sie aber diesem Raubgut weder hinreichenden Glauben noch ein angemessenes Verständnis entgegengebracht haben, wird bei ihnen die dem Alten Testament entnommene Wahrheit durch Beimischungen ›menschlicher Spitzfindigkeit (scrupulositas humana)‹ wieder unsicher gemacht629 (Apol. 47, 4). Die heterogene Vielfalt dieser künstlichen Zusätze führt dann zwangsläufig zu den bekannten Schulstreitigkeiten, so dass es nicht verwundert, wenn die Häretiker der Gegenwart, die den geradlinigen Weg der Lehre Christ »in viele und ausweglose Pfade« auseinander reißen, sich genau auf die Meinungen der Philosophen stützen, die bereits die

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Wahrheit des Alten Testament durch ihre ›Einfälle‹ entstellt haben (Apol. 47, 9)630. Die Philosophen haben für Tertullian nicht einmal die Ehre, die Erfinder ihrer eigenen Irrtümer zu sein. Sie agieren vielmehr unter dem Einfluss Satans, den die »anima naturaliter Christiana« auf natürliche Weise als den Widerpart Gottes erkennt, so dass die christliche Lehre ihn zurecht als ›Anstifter jeder Form der Verirrung (totius erroris artifex)‹ und ›Verderber der ganzen Welt (totius saeculi interpolator)‹ bezeichnet631. Im Bund mit ihm reißen die Dämonen, die gefallenen Engel der Schöpfung, das, was sie von der Wahrheit der natura divina aufgeschnappt haben, an sich und verdrehen es so, dass sie die Menschen von dem abbringen, was sie von Natur aus über Gott wissen (Apol. 22, 4 ff.). Genau dieses Werk setzen die Philosophen als illusores et corruptores veritatis fort und befähigen damit die gnostischen Häretiker dazu, ihrerseits als ›anmaßende Interpreten der göttlichen Natur und ihres Heilplans‹ aufzutreten. Philosophie ist für Tertullian primär Dialektik im Sinne der Skepsis, die in ihren sprachlichen Ausdrucksformen (sententiae, coniecturae oder argumenta) nichts anderes ist als ein artifex struendi et destruendi. Dadurch, dass sie sich als formale Elenktik und Eristik in die Streitigkeiten zwischen ›Schulmeinungen‹ verbeißt, erweist sie sich letztlich als Instanz einer perfekten Selbstblockade, die obsessiv jede ihrer Behauptungen aus Furcht, Wichtiges unbedacht gelassen zu haben, grundsätzlich wieder in Frage stellt. Von daher kann man Tertullians Invektive gegen die Philosophie als genauer begründete Fassung der Sätze des Paulus lesen, in denen er die ›Weisheit der Welt‹ als ›Torheit vor Gott‹ charakterisiert. Gleichzeitig bedient sich Tertullian anders als Paulus genau der Denkformen, die auf dem Boden dieser ›Torheit‹ entstanden sind. Er löst dabei nicht nur einzelne begriffliche Konzepte wie das der ›allgemeinen und natürlichen Menschenvernunft‹, die Bestimmung Gottes als Einheit von ›sermo‹, ›ratio‹ und ›virtus‹632 oder den Begriff des vernünftigen Teils der Seele633 aus ihren stoischen

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oder platonischen Zusammenhängen heraus, so dass sie bei ihm die Überzeugung stützen, dass eine Gemeinschaft nur durch ein ›göttliches Werk‹ ihr Leben am Maßstab der Wahrheit und Tugendhaftigkeit ausrichten kann (Apol. 46, 2), sondern er entnimmt der griechischen Philosophie sogar die zentralen prinzipientheoretischen Grundbegriffe des Gegensatzes von Einheit und ›unbestimmter Vielheit‹ und den des Guten als eines aus sich selbst heraus wirkenden Kontinuums, um sie für die Darlegung zentraler Lehren des Christentums in ›Gebrauch‹ zu nehmen. Der Begriff des Guten als Kraft kontinuierlicher Selbsterweiterung umschreibt die schöpfungstheologisch konkretisierte Bestimmung der göttlichen Trinität634 in ihrer doppelten Erweiterung zu einer Theologie der Offenbarung und zu einer Theologie der Inkarnation635 . Die Theologie der Offenbarung erscheint auf diese Weise als Einheit von naturhafter und schriftlicher Verwirklichung, und die Offenbarung durch das Medium der Schrift als ein Kontinuum, in dem die Qualität, die im Alten Testament angelegt ist, durch Christus erneuert und so über die Apostel auf die Schriften des Neuen Testaments übertragen wird. Nur unter dieser genuin philosophisch begründeten Voraussetzung kann Tertullian gegen die heidnische Kritik behaupten, dass die Lehre der Christen »nichts Neues oder Unnatürliches« enthält636, sondern ausschließlich die älteste, aus Gott selbst hervorgegangene und von daher in sich einfache, vollständige Wahrheit über die göttliche Natur. Sie wird durch Christus wieder in ihrer ursprünglich Einfachheit wirksam gemacht, während die Philosophen und ihre häretischen Nachfolger sie zu ihrem eigenen und ihrer Anhänger Verderben in ›unbestimmte‹ und somit selbstzerstörerische ›Vielheit‹ auseinander reißen.

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Der Kampf zwischen griechischer Philosophie und christlicher Religion um den rechtmäßigen Besitz der einen Wahrheit

Die quaestio, um die in der Auseinandersetzung des christlichen Glaubens mit griechischem Wissen erbittert gerungen wird, lässt sich im Anschluss an den latinisierten Titel einer Schrift Philons so formulieren: quis sit rerum divinarum haeres?: Wer ist der legitime Besitzer des richtigen Wissens in Bezug auf ›die göttlichen und menschlichen Dinge‹? Dass wir uns mit dieser Streitfrage auch unter spätantiken Voraussetzungen im Bereich der Philosophie befinden, zeigt ein Seitenblick auf Seneca, der das Streben nach sapientia mit dem nach der scientia divinorum et humanorum identifiziert637 und zugleich behauptet, dass dies genau die sittliche Vollkommenheit voraussetzt, die sie ihrerseits begründet und festigt638 . Wer »die Wahrheit über göttliche und menschliche Dinge« kennt, muss deshalb die Gottheit verehren (colere) und menschlichen Angelegenheiten mit größtmöglicher Sorgfalt zugetan sein (diligere). Da die Definition der Philosophie als wechselseitiger Fundierung eines kontinuierlichen Zusammenhangs von sapientia, scientia, religio, pietas und iustitia639 auf Platon zurückgeht640 und darüber hinaus in der Tradition griechischer Philosophie fest verankert ist641, steht der von Paulus und Tertullian vorgetragene Vorwurf, menschlicher ›Weisheit‹ sei der Gedanke einer wesentlichen Einheit von Wissen, Frömmigkeit und Gerechtigkeit fremd, auf dem schwachen Fundament einer willkürlichen Konstruktion. a) Der stoisch geprägte Mythos vom natürlichen Ursprung des soteriologischen Wissens Die weitgehende Akzeptanz eines theologisch und ethisch qualifizierten Philosophieverständnisses in der Spätantike belegt der wahrscheinlich auf den Stoiker Poseidonios zurückgehende Mythos von einem philosophisch-theologischen Urwissen, das der

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gesamten Menschheit vom Anfang ihres Bestehens her unmittelbar vertraut ist. Er hat in der Olympischen Rede des stoisch geprägten Rhetors Dion aus Prusa (ca. 40 – 120 n. Chr.) seine für uns am besten greifbare literarische Fassung gefunden642. Auch Tertullian hat ihn bei seiner Verteidigung des Christentums gegen die griechische Philosophie in ›Gebrauch‹ genommen. Die causa, die das Christentum von der Mitte des zweiten Jahrhunderts an mit der Philosophie auszufechten hatte, kann man im Blick auf die folgende Passage aus dieser Rede genauer bestimmen: 69 · Dion aus Prusa, Oratio 12, 27 – 29, 32 und 39: (= Poseidonios, frg 368, Theiler)643 (27) »Vom Wesen der Götter im Allgemeinen (περI … θε.ν τAς

τε καθλου φ!σεως) und von dem des Lenkers des Alls im Besonderen (το, πντων =γεμνος) gibt es als Erstes und vor allem (πρ.τον μ"ν καI ν πρ(τοις) eine [sinnliche = δξα] und begriffliche Vorstellung (π νοια), die dem gesamten Menschen-

geschlecht, Griechen und Barbaren gleichermaßen, gemeinsam ist. Notwendig ist sie jedem vernunftbegabten Wesen von Natur aus eingepflanzt (;μφυτος παντI τ' λογικ'). Sie hat sich ohne einen sterblichen Lehrer oder Priester und somit auch ohne Täuschung durchgesetzt. Sie resultiert aus der Verwandtschaft ( ξυγγνεια) von Göttern und Menschen und aus den vielen wahrheitsgetreuen Zeugnissen, die es nicht zuließen, dass die allerersten und ältesten Menschen in dieser Hinsicht schläfrig oder unaufmerksam wurden. (28) Nicht fern von oder außerhalb des Göttlichen siedelten sie sich getrennt für sich an, sondern sie wuchsen in seiner Mitte, genauer noch: sie wuchsen mit ihm zusammen auf (συμπεφυκτες) und waren ihm in jeglicher Weise zugewandt. Folglich konnten sie auf längere Sicht nicht ohne Verständnis bleiben, (zumal ihnen Einsichtsfähigkeit (σ!νεσις) und Begriffsvermögen (λγος) hinsichtlich des Göttlichen mitgegeben worden war)644 . Sie wurden ja auch allseits umstrahlt

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von göttlichen und großartigen Erscheinungen am Himmel, von Sternen, von Sonne und Mond, auf deren vielfarbige, abwechslungsreiche Gestalten (εGδη) sie bei Tag und Nacht stießen. Unwiderstehliche Schauspiele (6ψεις μηχνους) sahen sie, und sie hörten die unterschiedlichsten Stimmen von Wind und Wäldern, von Flüssen und Meeren, dazu noch von zahmen und wilden Tieren. […] Was in ihre Sinneswahrnehmung Eingang fand, belegten sie mit Zeichen (σ!μβολα), so dass sie alles Gedachte (π2ν τ νοηθν) auch benennen und deutlich machen (δηλο,ν) konnten. Mühelos formten sie so von unzähligen Dingen [sinnliche] Erinnerungs- und Gedankenbilder (π νοιαι)645 . (29) Wie also hätten sie da unwissend bleiben und keine Spur von dem entdeckt haben sollen, der sie säte und pflanzte, bewahrt und nährt?646 In jeder Hinsicht waren sie erfüllt von der göttlichen Natur (μπιμπλμενοι τAς θε ας φ!σεως), durch Gesichtssinn und Hörvermögen, überhaupt durch die ganze Sinneswahrnehmung. Sie bewohnten die Erde, sie sahen Licht vom Himmel, sie hatten Nahrung im Überfluss, herbeigeschafft und vorsorglich zubereitet von ihrem göttlichen Stammvater. […] (32) Wenn sie [die ersten Menschen] das in sich aufgenommen hatten (πσχοντες) und darüber nachsannen (πινοο,ντες), dann konnten sie nicht anders: sie mussten das Göttliche (τ δαιμνιον ) bewundern (θαυμζειν ) und lieben (γαπ2ν). Zudem erlebten sie noch die Jahreszeiten, wie sie um unseres Wohlergehens (σωτηρ α) willen in geordneter Folge ablaufen, unter Verzicht auf Übertreibungen nach beiden Seiten hin. Schließlich haben sie auch noch dies als Auszeichnung vor allen anderen Lebewesen von den Göttern mitbekommen, über sie nachdenken (λογ ζεσθαι) und sich einen Begriff von ihnen machen zu können (διανοε$σθαι). […] (39) Wir haben also bisher deutlich gemacht: Die erste natürlich wirksame Quelle für die Vorstellung (δξα) und den Begriff (*πληψις) über das Göttliche ist die allen Menschen angeborene gedankliche Vorstellung (π νοια), die aus dem, was der

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Wahrheit nach wirklich ist, hervorgeht. Sie ist nicht irrtümlich oder rein zufällig zustande gekommen, vielmehr war sie seit aller Zeit durchsetzungsmächtig und versiegte nie. Bei allen Völkern fasste sie Fuß und besteht sie weiter fort. Sie ist geradezu gemeinsamer, öffentlicher Besitz für das vernunftbegabte Geschlecht.« Im Blick auf unser Thema sind folgende Gedanken aus der Olympischen Rede des Dion wichtig: (1) Das Urwissen bezieht sich auf die allgemeine Natur der Götter und besonders auf die des göttlichen All-Lenkers. (2) Dieses Wissen gründet in einer ›Auffassung‹ und einer daraus unmittelbar hervorgehenden ›begrifflichen Vorstellung‹, die alle Menschen besitzen, weil sie ›aufgrund von Notwendigkeit jedem vernunftbegabten Lebewesen von Natur aus eingepflanzt‹ ist. Das darin enthaltene Wissen setzt sich deshalb als allgemeine Wahrheit überall durch (consensus omnium). (3) Der Vorgang notwendiger ›Einpflanzung‹ hat seinen Grund darin, dass die ersten Menschen wie Embryonen im mütterlichen Uterus einer großzügigen Natur, also ›in der Mitte‹ der Götter auf- und dadurch mit ihnen so verwachsen sind, dass sie mit ihren Augen und Ohren nur Göttliches wahrnehmen konnten, von den Göttern zugleich mit Nahrung versorgt und deshalb im wörtlichen Sinn ausschließlich ›von der göttlichen Natur erfüllt‹ worden sind647. (4) Im Ursprungszustand der Natur wirken ›wahrheitsgetreue Zeugnisse‹ der göttlichen Natur unmittelbar auf die ›Einsicht und Vernunft‹ der Menschen. Die ›erste Quelle‹ für die wahrheitsgemäße Annahme über das Göttliche ist deshalb die untrügliche, nicht auf künstlicher Machination beruhende, sondern ›allen Menschen angeborene begriffliche Vorstellung‹ übermächtiger Gutheit. Sie gilt deshalb als ›gemeinsamer, öffentlicher Besitz aller vernunftbegabten Wesen‹.

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(5) Da die Menschen alles Wahrgenommene und Gedachte durch Benennung deutlich machen, gewinnen sie im paradiesischen Anfangszustand ihrer Natur durch aktives Nachsinnen über das passiv Erfahrene theologisches Wissen, das unmittelbar in Bewunderung für und Liebe zur göttlichen Natur übergeht. Die Erkenntnis der göttlichen Natur ist deshalb auf natürliche Weise gleichbedeutend mit ihrer Verehrung648 . Im Streit zwischen Christen und Heiden geht es um die Frage nach dem legitimen Besitzer dieser ursprünglich allen Menschen in gleicher Weise sprachlos und deshalb allgemein verständlich mitgeteilten Wahrheit über den göttlichen Grund aller Wirklichkeit. Aus der Perspektive platonisch oder stoisch geprägter Theologie ist ein solcher Streit allerdings gegenstandslos, da es grundsätzlich niemanden geben kann, der von Natur aus auf ein derartiges Gut einen singulären oder auch nur einen privilegierten Anspruch hätte. Theologisches Wissen ist nicht in, sondern vor aller Zeit und damit überhaupt nicht entstanden, so dass es der Welt des Seins zugehört, das niemals wird, und nicht der Welt des Werdens, das niemals ist. Streiten kann man sich nur über Gottesvorstellungen, die ihre ›natürliche‹ Grundform zu künstlichem Wissen erweitern. Dabei bezieht sich der Streit zunächst auf die Frage, was eine derartige Erweiterung zu einer positiven Religion überhaupt bedeutet. Dion selbst vertritt die Überzeugung, dass eine solche Erweiterung natürlich und von daher gerechtfertigt ist649 . Das ist aber aus philosophischer Perspektive alles andere als selbstverständlich. Für die Philosophie ist es nämlich »ein Zeichen menschlicher Schwäche (imbecillitas), nach dem Bild oder der Gestalt der Gottheit zu suchen«, so dass sie die Auffassung vertritt, dass es »die gebrechlichen und mühevoll lebenden Sterblichen« sind, die, »ihrer Schwäche bewusst, die Gottheit in Teile zerlegt« haben, »damit jeder in seinem Anteil das verehren kann, dessen er am meisten bedarf.«650 Bereits an Platon und Aristoteles konnte gezeigt werden, aber ebenso an Epikur und Seneca,

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dass die Philosophie als theologia naturalis die einfache Grundform der göttlichen Natur favorisiert, weil es nur in der Konzentration auf sie die Erkenntnis des Göttlichen gibt, die in ihre ›veneratio iusta‹ und in eine Verähnlichung mit Gott übergeht, die vernünftig begründete Gerechtigkeit bedeutet. Von daher stehen alle Erweiterungen dieser Grundform unter dem Verdacht, falsche Zusatzformen zu sein, die das Göttliche in der Einfachheit seiner Natur zerstören. Wenn das menschliche Leben, das in der Dimension der Mannigfaltigkeit geführt werden muss, der ›Reinigung‹ bedarf, um wieder mit dem göttlich Einen als dem Anfang aller Dinge verbunden zu sein, dann kommt es für das ›Heil‹ der Seele, wie wir das exemplarisch bei Plotin gesehen haben, entscheidend darauf an, dass sie sich auf die ›wahre Natur‹ des Göttlichen bezieht und sich für die Verähnlichung mit ihr nicht von solchen Vorstellungen ablenken lässt, die aus eigener Schwäche dem Göttlichen Eigenschaften hinzufügen, die nicht zu seiner Natur gehören. Für die Gegenseite der positiven Religionen ist die Gottesvorstellung der theologia naturalis hingegen zu abstrakt und deshalb nicht konkret genug, um die Menschen in ihrem Verhalten tatsächlich zu beeinflussen. Für Dion, der den ›inneren Drang‹ der Menschen für unproblematisch hält, die Gottheit konkret vor sich sehen, sie direkt anreden und sogar berühren zu wollen, sind die dafür notwendigen ›Erweiterungen‹ der einfachen Grundform göttlicher Natur allerdings nicht einfach hinzunehmen, sondern sie bedürfen der kritischen Überprüfung, bei der geklärt werden muss, ob sie die Natur des Göttlichen bewahren und damit verstärken oder aber verfälschen und damit schwächen. Das Christentum versteht sich in dieser Auseinandersetzung, was in Bezug auf Tertullian schon gezeigt worden ist und in den folgenden Darstellungen zu Justin Martyr, Clemens Alexandrinus und Augustinus noch genauer erläutert wird, ganz entschieden als theologia naturalis. Die Lehren von Moses und Christus fügen der göttlichen Natur nichts hinzu, was sie künstlich erweitert oder als etwas Kontingentes zu ihr gar nicht gehören kann, sondern sie verdeutlichen

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nichts anderes als ihre in sich einfache Grundform. Es sind die griechischen Philosophen und damit die Heiden oder die Juden, die in der Welt des mosaischen Gesetzes befangen bleiben, die die einfache Natur Gottes durch falsche Erweiterungs- und Zusatzformen verzerren und damit die soteriologische Wirkung, die von ihr ausgeht, ins Gegenteil verkehren. Dion vertritt in diesem Streit, der für das Verhältnis von Religion und Philosophie bis heute bestimmend ist, eine in sich differenzierte Position. Für ihn kommen bei der Erweiterung der in sich einfachen göttlichen Natur grundsätzlich Vorstellungen zum Tragen, die für ihre Wirkung auf Vorgänge in der Zeit angewiesen sind, wie das Vortragen von ›Belehrungen‹, auf das für ihn auch die Philosophie als theologia naturalis angewiesen ist, das Erzählen von ›Mythen‹, das zur theologia poetica gehört, oder die Einführung von ›Gewohnheiten‹, um die es dem Gesetzgeber bei der Begründung, Erweiterung oder Veränderung einer theologia politica gehen muss. Diese Vorstellungen lassen sich zum Teil auf bestimmte Schriften bestimmter Autoren zurückführen, von denen die Dichter ihre Wirkung mehr der Überredung und die Gesetzgeber die ihrige mehr dem Zwang verdanken. Einige von ihnen stimmen mit der Einfachheitsform des theologischen Wissens überein, andere nicht, wobei die Philosophen als die ›vollkommensten Interpreten (ξεγητα ) und Verkünder (προφητα ) der Natur des Unsterblichen‹ den Dichtern und Gesetzgebern normalerweise überlegen sind651 (12, 27). Von daher kann man auch verstehen, warum Moses, der Religionsstifter und Gesetzgeber der Juden, für das stoisch geprägte Denken eines Poseidonios, auf das sich auch Dion bezieht, ein vollkommener Interpret des theologisch-ethischen Urwissens gewesen ist. Er hat nämlich dem Polytheismus seiner Umwelt das Wesen des einen Gottes entgegengestellt, der ›uns alle und auch die Erde sowie das Meer umfasst (περιχει)‹ und den wir [die Philosophen] als ›Himmel‹, ›Weltall‹ oder als ›die Natur des Seienden‹ bezeichnen. Sein Gebot, »die Gottheit ohne Bilder zu ver-

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ehren«652, ist deshalb die natürliche Erweiterung des Inhalts der göttlichen Uroffenbarung zur richtigen Form der Gottesverehrung. Ohne ihr exklusiver Besitzer zu sein, hat er ›mit solchen Lehren … nicht wenige Gutgesinnte überzeugt und an dem Ort zusammengeführt, wo heute der Tempel in Jerusalem steht‹653 . Während die Juden unter ihm und seinen ersten Nachfolgern ein Leben der Gerechtigkeit (δικαιοσ!νη) und Gottesfurcht (ε1σ βεια) geführt haben, sind später ›abergläubische und tyrannische‹ Gesetzgeber mit ›künstlichen‹ Vorschriften654 von der einfachen Wahrheit des Moses abgewichen, so dass mit ihnen der Teil der jüdischen Geschichte begonnen hat, der nach außen und nach innen zunehmend konfliktreicher verlaufen ist655 . b) Die Darstellung der Lehre Christi als ›allein sicherer und Nutzen bringender Philosophie‹ bei Justin Martyr Der Mythos vom theologisch-ethisch qualifizierten Ur-Logos findet sich in vielen Texten der frühchristlichen Apologeten. Die Modifikationen, die er dabei erfährt, verfolgen das Ziel, die mit ihm verbundene Gedankenfigur der Einheit von Gotteserkenntnis, Tugendhaftigkeit und Gottesverehrung monopolistisch für den eigenen Glauben zu besetzen und im Blick auf die Überzeugung, dass die Lehre Christi den mosaischen Glauben bestätigt und vollendet, Moses als den ersten unmittelbar von Gott inspirierten und deshalb jedem anderen überlegenen Lehrer und Gesetzgeber auszuzeichnen. Selbst ein Autor wie Justin (ca. 100 – 165), der erste unter den wirklich bedeutenden griechischsprachigen Apologeten656, der die Philosophie als »sehr großes Gut« bezeichnet, »das auch vor Gott viel gilt«657, stellt in aller Deutlichkeit klar, dass sie als sekundäres Gut allein aus sich keine in sich konsistente Wirkungskraft entfalten kann. Die Philosophie verdeckt durch ihre Aufspaltung in ›Schulen‹ die Tatsache, dass sie von ihrem Ursprung her nur »eine einzige Wissenschaft« ist (ebd. 2, 1), der es um nichts anderes geht als um die »Erkenntnis der menschlichen und göttlichen Dinge« (ebd. 3, 5). Dass sie ihre ursprüngliche Einheit nicht

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bewahren konnte, liegt an ihrer griechisch-polytheistischen Umgebung, in der sie aufgrund ihrer eigenen Disposition zum Monotheismus wie ein Fremdkörper wirken musste. Da die in Griechenland lebende ›Menge‹ nicht aus eigenem Antrieb »nach der Wahrheit« fragen konnte, wird die Philosophie hier unter den Eigennamen ihrer Vertreter überliefert. Diese Namen werden auch auf die von ihnen begründeten ›Schulen‹ übertragen, die damit nicht die Philosophie, sondern den ›Vater‹ ihrer jeweiligen Lehre verehren wollen (ebd. 2, 2). Infolgedessen wirkt die Philosophie bei den Griechen nicht aus ihrer eigenen Kraft, sondern nur infolge eines Ruhms, der von außen an sie heran getragen wird. Ihre natürliche Stärke zeigt sich deshalb nur bei jenen ›älteren‹ ›glücklichen, gerechten und von Gott geliebten Männern‹, die als Propheten ›aus dem Geist Gottes auf inspirierte Weise geredet (θε Y πνε!ματι λαλσαντες)‹658 und deshalb ihre Lehre ohne Verfälschung durch das Motiv der ›Ruhmsucht‹ verkündet haben (ebd. 7, 1). Sie haben ihre Lehren sogar schriftlich niedergelegt, so dass noch heute jeder, der ihren Texten Aufmerksamkeit und ›Glauben‹ schenkt, das ethisch folgenreiche Wissen der göttlichen Dinge erreichen kann, das den Kern philosophischer Erkenntnis ausmacht (ebd. 7, 2)659. Anders als die griechische verzichtet die prophetische Weisheit auf die Kunstmittel dialektischer Argumentation und rhetorisch glanzvoller Darstellung und stützt sich stattdessen allein auf Beweise des Geistes und der Kraft, d. h. auf Wundertaten Einzelner und auf das Kontinuum der Heilsgeschichte (ebd. 7, 2 f.)660. Die »Tore des Lichts«661 können sich deshalb nur demjenigen öffnen, der im Gebet darum bittet: »denn niemand kann Gott schauen und verstehen« und damit das Ziel aller Philosophie erreichen, ›wenn Gott und sein Christus ihm nicht das dafür erforderliche Verständnis (συνιναι) verleihen‹662. Platon hat richtig erkannt, dass das »Auge der Vernunft« ›jenes Sein selbst‹ zu schauen vermag, das als ›Ursache für alles Erkennbare663 keine Farbe, keine Gestalt, keine Größe und überhaupt nichts hat, was ein [leibliches] Auge sieht‹664, ›über jedes Wesen erhaben ist (πκεινα πσης

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ο1σ ας) und deshalb nicht ausgesprochen und öffentlich verkündet werden kann (οPτε Zητν οPτε γορευτν)‹665. Er hat auch

gewusst, dass das Sein ›jenseits von Wesenheit‹ nur den ›guten Seelen aufgrund ihrer Verwandtschaft mit ihm und ihres darauf gerichteten Verlangens (δι? τ συγγεν"ς καI ;ρωτα)666 eingegeben werden‹ kann (ebd. 4, 1). Seine Einsichten konnten allerdings innergriechisch keinen ›Sitz im Leben‹ finden. So sind Platon und Pythagoras zwar ›Bollwerke und Stützpunkte der Philosophie‹ (ebd. 5, 6), aber die ›allein verlässliche und Nutzen bringende‹ ist die von Christus verkündete Lehre (ebd. 8, 1). Als göttlicher Lehrer, der als Sohn Gottes, als sein Logos und seine Macht (δ!ναμις) durch den Willen Gottes Mensch geworden ist, teilt er uns die einzig wahre Lehre mit, die älter ist als alle menschliche Weisheit und deshalb auch allein dazu taugt, das menschliche Geschlecht zu verändern und wieder zu Gott emporzuführen667. Wenn Justin dem Königsphilosophensatz Platons668 eine entschieden ›demokratische‹ Fassung gibt, indem er behauptet: »politische Gemeinschaften können nicht glückselig sein, wenn nicht Regierende und Regierte Philosophen sind«669, dann setzt er dabei nicht nur den ›alten‹ Begriff der Philosophie als Einheit von Gotteserkenntnis, Frömmigkeit und Gerechtigkeit voraus, sondern ebenso die kontinuierliche Wirkungsmacht des göttlichen Lehrers, der nicht nur philosophisch und literarisch Gebildete, sondern auch in jeder Hinsicht ›bildungsferne‹ Menschen (παντελ.ς #δι(ται) von der Richtigkeit seiner Lehre überzeugen kann670. Christus ist für Justin die optimale Erfüllungsgestalt des stoischen Logos, der das Weltall dadurch begründet und erhält, dass er alle Materie gestaltend und formprägend durchdringt671. Er hat durch die Schöpfung dem gesamten Menschengeschlecht die göttliche Grundgestalt der Wahrheit mitgeteilt672, ohne sich des Mediums grammatisch geformter Sprache zu bedienen, und sie später seinem Protopropheten Moses in wörtlicher Ausführlichkeit übergeben673 . Wenn auch die griechische Philosophie qualifizierte Spuren davon enthält, dann liegt das zum einen an der allgemei-

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nen Zugänglichkeit der göttlichen Wahrheit674 , zum anderen aber auch an einem direkten Kontakt der griechischen Philosophen mit der mosaischen Schrift. Dies gilt vor allem für Platon, der die darin enthaltene Weisheit in die griechische Welt übertragen hat675 und dennoch, weil er sie nicht richtig hat verstehen können, von ihr abgewichen ist676. Sein individuelles Verstehensdefizit lässt sich allerdings nur im Blick auf die in Christus vollendete Heilsgeschichte erklären. Das Ganze der göttlich fundierten Vernunft (τ λογικν τ 4λον) ist erstmals in ihm als Einheit von Leib, Vernunft (= Lehre) und Seele (= Handeln) erschienen, so dass alles, was menschliche Philosophen und Gesetzgeber als etwas Wahres entdeckt und verkündet haben, nur ein Teil dieses Ganzen sein konnte. Und weil sie dieses Ganze nicht vor Augen hatten, konnten sie nur eine in sich widersprüchliche und unvollständige Weisheit verkünden677. Auf der anderen Seite hat die in der Schöpfung begründete Teilhabe des gesamten Menschengeschlechts am wahren Logos die Konsequenz, dass alle, die auch nur nach Teilen dieser Vorgabe gelebt haben, de facto Christen gewesen sind, und zwar sowohl die Patriarchen und Propheten der Juden als auch Griechen wie Heraklit und Sokrates678 . Die Verurteilung des Sokrates antizipiert sogar das Schicksal der christlichen Märtyrer679 , zu denen der 165 in Rom hingerichtete Justin selbst gehört hat. c) Der ›wahrheitsliebende Platon‹ und der ›allweise Moses‹ Clemens aus Alexandrien und der Streit über den Ursprungs- und Verwirklichungsort des soteriologischen Wissens

Es musste der christlichen Apologetik entgegenkommen, dass schon Philon aus Alexandrien keinen Geringeren als den Schöpfergott der mosaischen Genesis als Protophilosophen und damit zugleich die Juden als das philosophische Volk par excellence beschrieben hat680 . Moses berichtet, dass Gott nach dem Sechstagewerk der Schöpfung am siebten Tag »damit begonnen habe, sein so wohl geratenes Werk zu betrachten (τ? γεγοντα καλ.ς

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θεω ρε$ν).« Aus diesem Grund habe er mit dem Vierten Gebot

(Dt 5, 12 ff: »Den Sabbat sollst du halten, damit du ihn heiligest«) alle, die unter seiner ›Verfassung (πολιτε α)‹ leben wollen, aufgefordert, ihm in diesem Beispiel zu folgen (%πεσθαι θε'), sich also am Sabbat der philosophisch theoretischen Betrachtung der Natur zu widmen und daraus den Anstoß zu einer kritischen Selbstreinigung zu gewinnen, die sich zu einer konstanten Praxis der Tugendhaftigkeit und Frömmigkeit verdichten soll681. Die Juden sind das einzige Volk, das mit seinem Gott zugleich den ›ersten Erfinder‹ der Philosophie verehrt und sie deshalb im Zentrum des eigenen Lebens verankert. ›Ersterfinder‹ der Philosophie sind nicht die Griechen682, die sich als solche verstehen, aber von Gott behaupten, dass er nicht philosophiert. Der Philosophie kommt deshalb bei ihnen lediglich die Randposition einer Privatmeinung zu, die zudem leicht mit dem Vorwurf der Asebie konfrontiert und dadurch aus dem öffentlichen Leben verdrängt werden konnte683 . Wenn Platon die mosaischen Schriften gelesen hat, muss er nicht nur länger in Ägypten gewesen sein684 , sondern dort auch einen für ihn lesbaren Text vorgefunden haben685 . Die christlichen Apologeten haben die ›Belege‹ für eine intensive Lehrzeit des griechischen »deus philosophorum« in Ägypten nicht nur als Unterlegenheitseingeständnis griechischer Weisheit unter das ›heilige‹ Wissen der ›Barbaren‹ bewertet, sondern auch als Beweis dafür, dass selbst die besten Griechen das in den Schriften des Moses Gelesene entweder nicht genau begriffen, aus Ruhmsucht als Eigenes ausgegeben ( Tertullian) oder aus einer Mischung aus Unverstand und Feigheit um das Entscheidende verkürzt haben686. Man sieht, dass es in der Berufung auf diese ›Belege‹ keineswegs um Anekdotisches geht, sondern um die Konfrontation zwischen einer orientalisch-alttestamentarisch bestimmten theokratischen Welt der strengen Einheit von Wissen, Frömmigkeit, politischem Gesetz und individueller Tugendhaftigkeit und einer demgegenüber säkularen Welt, für die menschliche und göttliche Wirklichkeit zu besonderen Sphären auseinander getreten sind. Die grie-

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chische Philosophie ist als theologische Prinzipienreflexion aus christlich-apologetischer Sicht ein Zwitterwesen, die das Prinzip ›Theokratie‹ in einer dafür ungeeigneten ›demokratischen‹ Umgebung verankern wollte und damit letztlich scheitern musste. Der christliche Glaube aktualisiert und aktiviert aus dieser Sicht die vom Anfang der Schöpfung an dem gesamten Menschengeschlecht und durch Moses dem Volk der Juden sowohl mündlich als auch schriftlich mitgeteilte Weisheit. Sie kann deshalb erst in ihrer christlichen Fassung auch in der griechischen Welt authentisch zur Geltung gebracht werden. Wer heute auf diese Auseinandersetzung zurückblickt, kann im gegenwärtigen Streit über die ›richtigen‹ Grundlagen des individuellen und sozialen Lebens, von religiöser und politischer Ordnung durchaus vergleichbare Positionen wieder erkennen. Das Christentum steht aber nicht mehr für das Modell ›Theokratie‹, sondern eher für die Zwittergestalt, zu der es in den ersten Jahrhunderten seines Bestehens die griechische Philosophie stilisiert hat, um sich ihr gegenüber als ›barbarische‹ Weisheit der Einheit von Gotteserkenntnis, Frömmigkeit und Gerechtigkeit durchsetzen zu können. Von daher versteht sich das Christentum in dieser Zeit nicht als ›positive‹ Religion im Sinne des heutigen Sprachgebrauchs, sondern als Präzisierung des ›uralten‹, allen Menschen vom Grund der Schöpfung mitgegebenen soteriologischen Wissens. Demgegenüber ist die griechische theologia naturalis ›neue‹, ›positive‹, künstlich erweiterte und damit verfälschte Theologie. Wie das in dieser Welt plausibel gemacht werden konnte, lässt sich vorzüglich bei Clemens Alexandrinus studieren. Er ist der erste griechischsprachige Autor, der sich in aller Ausführlichkeit mit griechischer Philosophie auf der Basis eines relativ qualifizierten Wissens auseinandergesetzt hat. Sein Versuch, die prinzipientheoretische Begrifflichkeit ihrer theologia naturalis in ihrer platonischen Fassung von der griechischen auf die eigene Seite zu bringen, hat die christlich-theologische Diskussion der ihm folgenden Zeit nachhaltig geprägt. Demgegenüber haben Plotin und sein Schüler Porphyrios eine Alternative entwor-

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fen, die inhaltlich an das griechisch-platonisch geprägte Theologieverständnis des Kelsos anknüpft. Mit ihrem Anspruch wird sich Augustinus auseinandersetzen müssen, um für seine Zeit der christlichen Religion den singulären Rang der »vera philosophia« zu sichern. Um zu erklären, was die Auseinandersetzung des Clemens Alexandrinus (ca. 140/50 – 220) mit der griechischen, insbesondere der platonischen Philosophie in prinzipientheoretischer Hinsicht bedeutet, greife ich zunächst auf einen Textabschnitt aus dem ersten Buch seiner Stromata zurück. Die Wahl des für uns merkwürdigen Titels (»Bunt-Teppiche«) begründet der Autor damit, dass er »die Wahrheit [des Christentums]« nicht in systematischer Ordnung, sondern in irregulärer Vermischung »mit den Lehren der Philosophie« vortragen will, so dass sein Text einem vielfarbig zusammengesetzten Teppich gleicht. Dem liegt die Überzeugung zugrunde, dass die griechische Weisheit als »Werk göttlicher Vorsehung« »Samenkörner der Wahrheit (τ? τAς ληθε ας σπρματα)« enthält, die aber nur denen nützliche Frucht bringen können, die sich ihnen gegenüber wie »Ackerbauern des Glaubens« verhalten. In den Bildern vom Bauern und vom Gärtner entwirft Clemens die Konturen des Lesers, den er sich wünscht687. Er denkt dafür offensichtlich an griechisch-philosophisch gebildete Christen oder an noch nicht zum christlichen Glauben bekehrte Kenner griechischer Kultur, die in einer Zeit, in der sich auch die ›häretische‹ Gnosis zu ihrem Erben profiliert, an »wahrer Philosophie« interessiert sind. Der ideale Leser des Clemens soll die von ihm gesuchte »Wahrheit« nicht einfach einem unumstrittenen Bestand der Tradition entnehmen, sondern in der Erwartung, dass er nur vom ersten Grund aller Wahrheit das ›Heil‹ seines Lebens finden kann, sich mit diesem Grund produktiv verbinden, aus ihm seinen konkreten Inhalt entwickeln und seine einzelnen Ausdrucksformen richtig beurteilen. Clemens ist wahrscheinlich in Athen geboren und natürlich selbst mit griechischer Bildung aufgewachsen. In Alexandrien, zu

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dieser Zeit die kulturell wichtigste Stadt des gesamten Mittelmeerraumes, hat er eine ambitionierte philosophisch-theologische Privatschule geleitet, aus der etwas später auch Origenes hervorgegangen ist688 . Der Zeitpunkt seiner Bekehrung zum Christentum ist nicht bekannt. Anders als Tertullian geht es ihm um ein philosophisch qualifiziertes Christentum, das als ›gnostisches‹ auf der wahren Erkenntnis Gottes beruht689 und deshalb der ›häretischen‹ Gnosis und ihren philosophischen Argumenten mit derselben Waffe entgegentreten kann, auf die sie sich stützt690. »Philosophie« ist nach ihrer konventionellen Definition Einsicht in »göttliche und menschliche Dinge und ihre Ursachen.«691. Wie Clemens ihr Verhältnis zur doctrina christiana bestimmt, zeigt der folgende Textauszug. 70 · Clemens Alexandrinus, Stromata I 57, 1 – 6692 (57, 1) »Während es nur eine Wahrheit gibt (die Lüge hat ja viele

Abwege), haben die verschiedenen Richtungen (αEρσεις) der barbarischen und der griechischen Philosophie sie in viele Teile zerrissen, wie die Bakchen die Glieder des Pentheus693 , und nun erklärt jede einzelne Richtung das Stück, das sie zufällig erhalten hat, prahlend zum Ganzen der Wahrheit. Durch den Aufgang des Lichtes wird aber, meine ich, alles erleuchtet694 . (2) Dann wird sich zeigen, dass von allen Griechen und Barbaren, soweit sie sich um die Wahrheit bemüht haben, die einen nicht wenig, die anderen einen Teil, wenn überhaupt etwas von der Lehre der Wahrheit besitzen. (3) Die Ewigkeit (> α#(ν) fasst die Teile der Zeit, die Zukunft und die Gegenwart, aber gewiss auch die Vergangenheit in sich fest zusammen (συν στησι)695; noch mächtiger als die Ewigkeit ist die Wahrheit darin, ihre eigenen Samenkörner zu sammeln (συνγειν τ? ο#κε$α σπρματα), mögen sie auch auf fremdes Land gefallen sein. (4) Denn mögen auch die Lehrmeinungen der einzelnen Richtungen einander unähnlich zu sein scheinen, so stimmen doch, wie wir fi n-

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den werden, sehr viele von ihnen wenigstens, was die Gattung (γνος) und das Ganze der Wahrheit betrifft, mit ihr überein. Das ist wenigstens bei den Richtungen der Fall, die das Beste (τλεον) nicht weggestoßen und deshalb die natürliche Fähigkeit des folgerichtigen Denkens nicht dadurch verloren haben, dass sie wie die Frauengemächer den Mann, so das vernünftige Denken (λγον) von sich fernhalten. Bei denen aber [,die an der Fähigkeit vernünftigen Denkens festhalten,] schließen sich die Meinungen wie Glied, Teil (μρος), Art (εJδος) oder Gattung (γνος) zu einer Einheit zusammen (ε#ς Rν συνπτεται). (5) Ferner ist auch die höchste Saite der niedrigsten entgegengesetzt, aber beide verbinden sich zu einer Harmonie696; und bei den Zahlen steht die gerade im Gegensatz zur ungeraden, aber für die Arithmetik gehören beide zusammen. Ebenso gilt für den Begriff ›Figur (σχAμα)‹, dass Kreis, Dreieck, Viereck und die übrigen mathematischen Figuren, die voneinander verschieden sind, eine Einheit bilden. Und auch im Kosmos behalten alle Teile, auch wenn sie nicht miteinander übereinstimmen, ihre Zugehörigkeit zu dem Ganzen697. (6) So haben die barbarische und die griechische Philosophie die ewige Wahrheit in Teile zerrissen, die freilich nicht zur mythischen Rede (μυθολογ α) von Dionysos, sondern zur theologischen Rede vom immer in Wahrheit seienden Logos (= το, λγου το, 6ντος εI θεολογ α) gehören. Wer aber die einzelnen Teile wieder zusammenfügt (συνθε ς) und vereinigt (Nνοποισας), der wird, das wisse wohl, unfehlbar die vollkommene Lehre (τλειον τν λγον), nämlich die Wahrheit schauen (κατψεται)698 .« Der Textauszug ist wie das Denken des Clemens insgesamt von prinzipientheoretischen Grundbegriffen geprägt. Gleich dem ersten Satz liegt der Begriff des Gegeneinanders von kontinuierlicher einfacher Einheit und unbestimmter, diskontinuierlicher Vielheit zugrunde. Er erhält in der Gegenüberstellung von ›Wahrheit‹ und ›Lüge‹ die schärfstmögliche Fassung des unvermittelbaren Ge-

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gensatzes. An polemischer Antithetik, wie sie bei Tertullian zum Vorschein kommt, ist Clemens allerdings bei weitem nicht mit derselben Einseitigkeit interessiert. Sein Begriff ›unbestimmter Vielheit‹ hat deshalb die doppelte Nuance sowohl des zerstörenden Zerreißens als auch die einer Teilung, die im platonischen Sinn ›Teilhabe‹ am Ganzen bleibt. Clemens ordnet die erste Bedeutung der mythologischen, die zweite der wahren theologischen Rede zu. Da der in (6) angesprochene ›Logos des immer Seienden‹ an den Prolog zum Vierten Evangelium anknüpft, kann Clemens die Unterscheidung zwischen dem Reden und Denken der theologia poetica und dem der theologia naturalis über das Viele mit dem Gegensatz von Dionysos und Christus verbinden. Die von Dionysos her gedeutete Vielheit meint das Zerrissensein der Einheit in ›Stücke‹, während von Christus her ihre Zurückführung auf Einheit das Thema ist. Aus der Perspektive des Clemens ist das Zerrissenwerden des Einen in disparate Einzelstücke kein naturhafter Vorgang. Die Wahrheit besteht an sich selbst im Modus der Einheit, der Einfachheit und damit der direkten Wirksamkeit. Wenn ihr die einzelnen philosophischen Lehrmeinungen der Barbaren und Griechen beliebige Einzelteile entnehmen, so wird sie nur dann ›in viele Teile zerrissen‹, wenn diejenigen das ›Stück‹, das sie dabei ›zufällig‹ erhalten haben, ›prahlend für das Ganze der Wahrheit‹ ausgeben. Mit der Unrechtstat des Diebstahls muss sich also die Schwäche geistiger Blindheit verbinden, die sich durch ›Prahlerei‹ das Ansehen von Gerechtigkeit und Stärke gibt, obwohl darin lediglich die schon von Paulus als menschliche Ursünde herausgestellte Schwäche des ausschließlichen Bezugs auf sich selbst zum Ausdruck kommt699 . Die in sich zerrissene Vielheit hat aus der Perspektive der Wahrheit kein wirkliches Sein, da alles, was auch nur irgendwie, und sei es aufgrund von Raub oder Zufall, mit Wahrheit zu tun hat, von ihrem ursprünglichen Licht durch- oder erleuchtet bleibt. Von daher dominieren die Prinzipienbegriffe »Einheit« und »Ganzheit« die der »Zweiheit« und des »Teils« und

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imprägnieren sie nach platonischem Vorbild so, dass »Zweiheit« und »Teil« auch dann an »Einheit« und »Ganzheit« teilhaben, wenn sie mit der Prätention auftreten, aus sich allein schon das Ganze der Wahrheit zu sein. Prinzipientheoretische Denkfiguren werden in unserem Textauszug auf verschiedenen Bedeutungsebenen durchgespielt: (1) Das Sein der ›Ewigkeit‹ fasst die verschiedenen ›Teile‹ vergangener, gegenwärtiger und zukünftiger Zeit in sich zu der zeitfreien Einheit zusammen, die sie selber ist. Als Sein ohne Zeit bestimmt und prägt sie das Sein der Zeit und nicht umgekehrt. (2) In derselben Weise, aber mit größerer Kraft und insofern als wirkendes Maximum ›sammelt‹ die eine Wahrheit die aus ihrem Grund herausgefallenen ›Samenkörner‹ auf und trägt sie auch dann wieder an den Ort ihrer Herkunft zurück, wenn sie ›auf fremdes Land‹ gefallen sind und dort die Kraft zum eigenständigen Wachsen verloren haben. Wahrheit ist demnach immer auch eine rettende, für ihre ›Teile‹ sorgende, sie wieder zum Leben bringende und damit eine soteriologisch wirksame Macht. (3) Das Unähnliche dieser ›Teile‹ ist der Herrschaft ›unbestimmter Zweiheit‹ unterworfen, so dass ihr Entferntsein vom Ort ihrer Herkunft einer Maius-Minus-Relation unterliegt. Die Formulierung 57, 2 legt es nahe, sich diese Relation durch eine Skala zu veranschaulichen, deren oberste Stelle das Maximum an Nähe und die unterste das Maximum an Distanz der ›Wahrheitskörner‹ zu ihrem Einheitsgrund markiert. Dieser selbst ist ausschließlich vom Prinzipienbegriff der Einheit bestimmt und hat deshalb seinen ›Ort‹ nicht innerhalb, sondern ›jenseits‹ der Skala, die in sich ja ausschließlich von der Zweiheitlichkeit des ›Mehr‹ und ›Weniger‹ geprägt ist. Alle Größen, die zu ihr gehören, unterscheiden sich durch den jeweiligen Ort, den sie auf ihr einnehmen, sind sich aber zugleich zum

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wenigsten darin ähnlich, dass sie ›Teile‹ derselben Skala sind. Man kann sie deshalb alle als ›Glieder‹ oder ›Teile‹, aufgrund der zwischen ihnen bestehenden Näheverhältnisse und Verbindungen aber auch als ›Arten‹ oder ›Gattungen‹ des in sich einheitlichen Ganzen der Wahrheit auffassen. (4) Das Verhältnis zumindest minimaler Ähnlichkeit mit dem Ganzen der Wahrheit gilt nicht für solche Behauptungen, die unter Missachtung der Regeln des folgerichtigen Denkens zustande kommen. Das müssen für Clemens nicht nur die Lehren einer naturalistisch-materialistisch orientierten Philosophie (Atomistik) oder diejenigen der gnostischen Häretiker sein. Vielmehr gehören dazu auch die Behauptungen orthodoxer Christen, die das philosophische Denken entweder als nutzlos und daher als überflüssig oder sogar als ein Übel betrachten, das um des Heiles der Seele willen grundsätzlich zu meiden wäre700. (5) Als Kräfte, die die Wahrheit erschließen, nennt Clemens nicht nur den Glauben, sondern auch das folgerichtige Denken. Beide sollen sich nicht gegenseitig verdrängen, sondern zusammenwirken. Nur ein vom Denken gestützter Glaube kann vollkommener Glaube sein. In formaler Hinsicht organisiert das Denken, und zwar von Natur aus, ein Kontinuum, in dem alle ›Teile‹ so miteinander verbunden sind, dass sie das jeweils Ihrige zum Ganzen einer ›folgerichtig‹ aufgebauten Wahrheit beitragen. Durch den inhaltlich wahren und zugleich richtig verstandenen Glauben wird das Kontinuum der Wahrheit, das die Philosophie vollständiger als alle anderen Wissenschaften entfaltet, zu ihrem Maximum erweitert. (6) Die Form, in der Einheit und Vielheit, respektive Ganzes und Teil, zu einem Kontinuum des Richtigen verbunden sind, zeigt sich an den Werken der Kunst (Musik), den Gegenständen der Mathematik und im Kosmos selbst, der nach den Vorgaben Heraklits und der Stoa vom Gesetz der discordia concors bestimmt ist (57, 5).

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(7) Die Form der Einheit des Verschiedenen hat wegen ihrer umfassenden kosmologischen und anthropologischen Bedeutung einen heilsgeschichtlich-eschatologischen Mehrwert: Die Vollendung des menschlichen Lebens besteht in der höchsten Steigerung der Einheit, die alle seine natürlichen und geistigen Kräfte zu einem Kontinuum des Guten verbindet. Im Blick auf diese Vorgabe lässt sich das Endziel des Lebens nur als ›vollendete Vernunft‹ bestimmen. Allein sie kann »die Wahrheit« in der Vollkommenheit ihrer absoluten Einheit »schauen« (I 57, 1 und 6), und erst aus dem Blick auf sie sind die verschiedenen ›Samenkörner‹ der Wahrheit in ihrer besonderen Bedeutung richtig einzuschätzen und so zu behandeln, dass sie zum Ganzen der Wahrheit beitragen. In Bezug auf das Telos des menschlichen Lebens gilt jedoch der Satz aus dem Protrepticus des Clemens, dass es nur durch Christus möglich ist, Gott und damit den Grund aller Wahrheit unverstellt vor sich zu haben701. Exakt diesen begrifflichen Vorgaben folgt Clemens in seiner Darstellung des Verhältnisses zwischen der griechischen und der ›auf göttlicher Überlieferung begründeten Philosophie‹702 . Die »an Christus sich anschließende Lehre« erschließt das vollständige Kontinuum des Guten, das sich von Gott über seine Schöpfung und sein heilsgeschichtliches Wirken »bis hin auf das Einzelgeschehen« erstreckt703 . Erreicht werden damit diejenigen, die ›festgewurzelt in Christus und aufgebaut auf ihm in ihrem Glauben ständig fester werden‹704 . Antithetisch dazu verhält sich die Philosophie, die sich in ihrem Denken des Anfangs auf ›Elemente der Welt (Kol 2, 8: τ? στοιχε$α το, κσμου)‹ stützt705 . Darunter soll die alte Naturphilosophie von Thales bis zur Atomistik verstanden werden, die für Clemens nach der Vorgabe von Aristoteles materielles Sein als das Erste im Seienden ausgezeichnet hat. Weil er das so sieht, verbindet er damit die Denkfigur von Paulus Röm 1, 19f: Weil Thales und seine Nachfolger materielles und damit ge-

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schaffenes Sein als göttliche Wirklichkeit verehrt haben, haben sie sich den Namen eines Philosophen lediglich angemaßt und damit nichts anderes als ihre eigene Ungerechtigkeit und Gottlosigkeit bewiesen706. Dass damit aber keineswegs die gesamte griechische Philosophie aus dem Kontinuum des göttlich fundierten Guten ausgeschlossen ist, belegt das Platon-Zitat, mit dem Clemens den Inhalt der »an Christus sich anschließenden Lehre« als die Aufforderung wiedergibt, »sich nach Kräften zu bemühen, Gott ähnlich zu werden707.« Die platonische realisiert offensichtlich ein Ähnlichkeitsverhältnis mit der »auf göttlicher Überlieferung begründeten Philosophie.« Um dessen Ausmaß genauer zu bestimmen, sei zunächst das Kontinuum beachtet, das nach der Lehre ›göttlich fundierter Philosophie‹ aus dem ›Anfang‹ aller Dinge hervorgeht. Hier ist der ›Anfang‹ die göttliche Vernunft ›vor der Grundlegung der Welt‹708 , die »im Anfang und noch zuvor (> ν ρχK [ν καI πρων) … im Seienden (> ν τ' 6ντι Uν) als Logos«709 und damit als »Ursache des Ganzen war und ist.710« Genau dieser ›älteste‹ Anfangsgrund des Ganzen ist in Christus als Gott und Mensch öffentlich aufgetreten und steht damit den Menschen als ihr Retter (σωτρ) vor Augen711. Er kann sie deshalb lehren, den traditionellen ethischen Leitbegriff des ›guten Lebens‹ so zu verstehen, dass damit die praktische Voraussetzung für das ›ewige Leben‹ im Sinne des definitiven Verbundenseins mit dem göttlichen Vor-Anfang aller Dinge gemeint ist. Im Blick auf das Einheitsprinzip aller Wirklichkeit sind weder die Erschaffung der Welt noch ›Rettung‹ und ›Belehrung‹ der vom Untergang bedrohten Menschen durch Christus kontingente Vorgänge in Raum und Zeit, sondern ›logische‹ Ausfaltungen der immanenten Bestimmungen des göttlichen Seins, die ›vor‹ und damit ›jenseits‹ aller Zeit a priori zu ihm gehören. Als »des göttlichen Logos vernünftige Geschöpfe« sind die Menschen »für Gott schon vor aller Zeit geschaffen und von daher … dazu bestimmt, in ihm zu sein«, so dass Gott von diesem Anfang her nicht nur ihr Schöpfer, son-

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dern auch ihr Lehrer und vor allem ihr Retter ist. Die Menschen hingegen sind durch den göttlichen Grund ihres Seins selber ›uralt‹712, so dass ihr eschatologisches ›Wohlsein‹ nichts anderes bedeuten kann als die Wiederherstellung des ›uralten‹ Zustands absoluter Einheit, der bereits ›im Anfang‹ den Schöpfer mit seinen Geschöpfen verbunden hat. Durch die Inkarnation hat der göttliche Anfang aller Dinge lediglich »den von alters her geheiligten Namen Christus angenommen«713 , so dass er »die jetzt bei uns aufleuchtende Erscheinung des Logos ist, der im Anfang und noch zuvor war714 .« Dass er für die Menschen die »Ursache aller Güter« bedeutet715 , hat also keinen anderen Grund als den, dass der göttliche Vor-Anfang aller Wirklichkeit notwendigerweise als Schöpfer seinen Geschöpfen durch Nähe und Ähnlichkeit verbunden ist716. In der Gewährung des Heils geht das ›ewige Sein der Einheit‹ nicht in eine ihm fremde ›Zweiheitlichkeit‹ über, sondern entfaltet darin lediglich die ihm eigene Gutheit, die notwendig als ›Fürsorge (πρνοια)‹ für das in und aus ihm Geschaffene zur Wirkung kommt717. ›Menschenfreundlichkeit‹, ›Erbarmen‹ und das ›Verlangen‹ Gottes, seine verirrten Geschöpfe aus der Gefahr des definitiven Fernseins von ihrem Ursprung zu ›retten‹718 , umschreiben in der ›richtigen‹ theologischen Rede den soteriologischen Aspekt der göttlichen Macht (δ!ναμις) und stehen deshalb unter der Form einer kontinuierlich ›bis in das Einzelgeschehen‹ hineinreichenden Einheit. Gott wird Mensch, weil nach der Regel, dass Gleiches sich nur auf Gleiches bezieht, Menschen nur so erfahren können, dass und wie sie »Gott werden« und als ihre eschatologische Bestimmung ›wieder‹ das Leben führen können, das vom ersten Vor-Anfang aller Wirklichkeit aus ihr Sein und Wohlsein begründet. Das Drama der Inkarnation, das mit dem Tod und der Auferstehung Gottes die eschatologische Verähnlichung des Menschen mit Gott antizipiert, kennt keine gewaltsamen oder willkürlichen Umschwünge, sondern realisiert nichts anderes als die ursprüngliche Einheit von göttlicher und menschlicher Natur719 .

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Das Kontinuum des Guten, das in der doctrina christiana von Gott ausgeht, unterscheidet sich dem Inhalt nach wesentlich von demjenigen der griechischen theologia naturalis, weil in ihm ›elementa‹ auftreten, die in einer platonischen, aristotelischen oder stoischen Prinzipienreflexion keinen Platz haben können. Für Platon hat das Erste und Mächtigste im Seienden an sich keine Gestalt. Erst recht kann es keinen menschlichen Leib annehmen, der dem ›Erleiden‹ und sogar dem gewaltsamen Tod ausgesetzt wäre. Ebenso wenig kann der Umschlag vom Tod ins Leben, der nach christlicher Lehre der göttlichen und menschlichen Natur gemeinsam zugeordnet ist, eine homogene Erweiterung der Einfachheitsform des Guten oder die notwendige Realisierungsform der kontinuierlich vom Anfang aller Dinge her wirkenden δ!ναμις sein. Der Satz, »dass durch einen Menschen Gott rede und dass Gott einen Sohn und dieser sogar gelitten habe«, ist für »die sich weise dünkenden« Philosophen nur ein Mythos und damit »eine Torheit«720 , nämlich ein fundamentaler Verstoß gegen die Regel der Homogenität, auf die das griechische Denken des Anfangs aller Dinge sich stützt. Aus christlicher Sicht kann das Kontinuum des göttlichen Wirkens in Griechenland nur, was allerdings nicht schwierig ist, der Form nach richtig gedacht, aber weder sein wirklicher Anfang noch sein tatsächliches Ende so in den Blick genommen werden, dass daraus das Gesetz für die menschliche Lebensführung hervorgeht. Da unter den heidnischen Philosophen niemand das Gotteskontinuum vollständiger erschlossen hat als Platon, lässt sich der Unterschied zwischen griechischer und christlicher theologia naturalis am besten von ihm aus bestimmen. Grundsätzlich gilt: Nur die göttlich überlieferte Philosophie erreicht den richtigen Urgrund aller Dinge. Dass der ›wahrheitsliebende Platon‹ dieser Wahrheit unter griechischen Voraussetzungen am nächsten gekommen ist, wird an Folgendem deutlich721: (1) Die Philosophie ist für ihn »begründete Erkenntnis des Guten und der Wahrheit«722.

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(2) Platon hat es als »schwere Aufgabe« bezeichnet, »den Vater und Schöpfer dieses Alls zu finden«. Zugleich hat er die Unmöglichkeit betont, ihn, »wenn man ihn gefunden hat, … allen zu verkünden.«723 (3) Er hat mit dem Satz, dass das in Wahrheit Gute »selbst nicht Wesenheit ist, sondern an Alter und Macht jenseits von Wesenheit« (Rep. 509 b), genau die Richtung erkannt, in der der wahre Urgrund aller Wirklichkeit zu finden ist724 . (4) Er hat ausdrücklich bekannt, er habe ›das Schönste (τ? κλλιστα)‹ seiner Philosophie, nämlich die Lehre von der notwendigen Anbindung der politischen Gesetzgebung an die prophetische Einsicht in die Wahrheit des göttlichen Grundes aller Wirklichkeit725 , »von den Barbaren übernommen726.« So hat er »genau gehört (κκοεν γ?ρ εW), dass der allweise Moses«, als er auf den Sinai stieg, dem Volk verboten hat, ihn auf den damit umschriebenen »Gipfel des nur geistig Wahrnehmbaren (τ5ν κορυφ5ν τ.ν νοητ.ν)« zu begleiten. Ebenso hat er verstanden, dass Moses »um der heiligen Schau willen (δι? τ5ν Fγ αν θεωρ αν)« allein »in das Dunkel hinein ging, wo Gott war« und damit das Wissen zum Ausdruck gebracht hat, dass Gott »unsichtbar und unaussprechlich ist727.« Aus den Schriften des Moses hat er gelernt, dass politische Gesetzgebung nur dann eine wirkliche Gemeinschaft zwischen Regierenden und Regierten und der Bürger untereinander stiftet728 , wenn das Gesetz ihres Zusammenlebens auf ›geistiger Schau des Wahren (θεωρ α)‹ beruht. Im Blick auf Moses, der sich vor seinem Volk als Gesetzgeber mit dem Satz legitimiert, »der Seiende hat mich gesandt«729 , sind ›wahre Politiker‹ für Platon nur diejenigen die sich »in der geistigen Schau« auf den Weltschöpfer beziehen, von ihm her »tätig« sind, selber »gerecht leben«730 und mit ihren Gesetzen die Bürger dazu auffordern, »auf den einen Gott zu schauen« und von ihm her »Gerechtigkeit zu üben731.«

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(5) Nach der Überzeugung des Clemens hat Platon wahrheitsgemäß gelehrt, »jeder, der selig und glücklich werden wolle«, müsse »die Wahrheit in Gebrauch nehmen (χρAσθαι), an der er gleich von Anfang an (ξ ρχAς ε1θ!ς) teilhabe«, und auf dieser Grundlage »so lange Zeit wie möglich sein Leben« führen. Das Leben außerhalb der Wahrheit macht dagegen nicht nur »unverständig (μαθς)«, sondern auch »unzuverlässig (πιστος)« und »zur Freundschaft unfähig (φιλος)732.« Genau nach dieser Vorgabe kritisiert Clemens den »Unglauben (πιστ α) der Hellenen« als ihre Unzuverlässigkeit, an der auch Platon kräftigen Anteil hat. Entscheidend ist dabei das folgende Argument, das später auch Augustinus aufnehmen wird: Die Griechen »wollen nicht glauben [meine Kursivierung], dass ›das Gesetz von Gott durch Moses gegeben‹ sei« (Jo 1, 17), obwohl sie ihn »aufgrund ihrer eigenen Überlieferung« als göttlich inspirierten Philosophen und Gesetzgeber »ehren müssten.«733 In ihrer Unzuverlässigkeit erfinden sie deshalb ein mythologisches Zerrbild für den Unterricht des Moses durch Gott, indem sie von ihrem Protogesetzgeber Minos behaupten, er habe sich »jeweils alle neun Jahre zu einer Zusammenkunft mit seinem Vater Zeus« in dessen Geburtsgrotte auf dem kretischen Ida »begeben«, um »nach seinen Aussprüchen Gesetze aufzustellen.«734 Die Griechen zeigen durch diesen Mythos, dass es ihnen nicht um wahre Gerechtigkeit, sondern vor allem darum geht, »das Ansehen ihrer eigenen Gesetzgebung nach dem Vorbild des prophetischen Berichts über Moses dadurch zu steigern, dass sie diese auf die Gottheit zurückführen«. Als ›undankbare‹ und ›unzuverlässige Lügner‹ wollen sie die »die Wahrheit und das Vorbild (τ ρχτυπον) für die bei ihnen verbreiteten Erzählungen nicht offen eingestehen.«735 Ihr ›Unglaube‹ ist deshalb das Indiz dafür, dass sie den göttlichen Uranfang aller Dinge nicht wirklich erkannt und deshalb auch nicht verstanden haben, dass Gott als der Barmherzige für die Menschen ein Gott der

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Liebe ist, der ihnen wie nahe stehenden Freunden an dem, was er selbst ist und hat, vollständigen Anteil gibt736. Verantwortlich für diese Verzerrung der Wahrheit ist nach Clemens ein mangelhaftes Bewusstsein von dem, was prinzipientheoretisches Wissen bedeutet. Für die Griechen ist dies nach der Konstruktion des Clemens, die darin die Metaphysikkritik Heideggers zu antizipieren scheint, eine Angelegenheit des dianoetischen und apodeiktischen Wissens, so dass sie verkennen, dass das ›begründete Wissen des Urgrundes aller Dinge (= τAς τ.ν 4λων ρχAς πιστμη )‹ nicht auf Beweisen, sondern nur auf ›Glauben (π στις)‹ beruhen kann737. Platon soll allerdings wenigstens partiell die Notwendigkeit erkannt haben, sich in allen Angelegenheiten des Lebens auf »Glauben« zu stützen738 . Richtiger ist, dass Aristoteles »die auf das Wissen folgende Bestätigung, dass etwas Bestimmtes wahr sei«, als »Glauben« bezeichnet hat, auch wenn Clemens daraus den sachlich falschen Schluss zieht, Aristoteles habe den ›Glauben‹ als Wahrheitskriterium dem epistemischen Wissen übergeordnet739 . Für Clemens haben die Griechen auf keinen Fall verstanden, dass philosophisches Wissen, das sich auf das Erste im Seienden und damit auf Gott bezieht, als ›Glaube‹ eine Interaktion von göttlichem Geben und menschlichem Nehmen voraussetzt740. Von daher orientiert er sich, was ihm wohl kaum bewusst gewesen sein wird, mit seinem Begriff des Wissens als einem Sich-Überzeugenlassen durch den von sich her sprechenden Logos741, nicht nur an Heraklit742, sondern auch an einem Grundbegriff politisch-rhetorischer Vernunft, den er allerdings durch die theologisch-soteriologische Bestimmung des Logos im Sinne des Prologs zum Vierten Evangelium in den Horizont der ›auf göttlicher Überlieferung begründeten Philosophie‹ integriert. Nur im Hören auf die Sprache der göttlichen Wahrheit entsteht das Überzeugtsein (πειθ(), das die Grundlage für alles weitere Verstehen und Lernen bildet743 . Weil die griechische Philosophie den Begriff des dem Wissen überlegenen Glaubens

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nur dem Ansatz nach kennt, nimmt sie ihn nicht wirklich ›in Gebrauch‹. Was dies für das Verhältnis der griechischen zur ›göttlich begründeten Philosophie‹ bedeutet, ist das Thema des folgenden Textauszugs aus dem 2. Buch der Stromata. 71 · Clemens Alexandrinus, Stromata II 5 – 6, 2744 (5, 1) »Die barbarische Philosophie also, mit der wir uns beschäf-

tigen, ist in der Tat vollkommen und wahr. Es heißt ja in der ›Weisheit‹: ›Denn er selbst [Gott] hat mir untrügliches Wissen von den Dingen (τ.ν 6ντων γν.σιν) gegeben, so dass ich den Bau der Welt (σ!στασιν κσμου) begreife‹ […] 745 . Mit diesen Worten hat er [Salomon als fi ktiver Autor des Buches des Weisheit] die gesamte Erkenntnis der Natur (τ5ν φυσικ5ν θεωρ αν), alles Erschaffenen, das es in der Sinnenwelt gibt, zusammengefasst. (2) Dann deutet er aber auch auf die geistige Welt hin (περI τ.ν νοητ.ν α#ν ττεται), indem er so fortfährt: ›So erkannte ich alles, was verborgen und offenbar ist; denn die Weisheit, die alles kunstvoll schuf (= γ?ρ πντων τεχν$τις), lehrte es mich‹746. (3) In kurzen Worten hast du hier, was unsere Philosophie zu lehren sich anheischig macht. Das Erlernen dieser Dinge führt aber, wenn es verbunden mit richtigem Verhalten (μετ? HρθAς πολιτε ας) geübt wird, durch die Weisheit, die alles kunstvoll schuf, zum Lenker des Weltalls (τν =γημνα το, παντς) empor, einem schwer zu erreichenden und zu erfassenden Ziel, das immer weiter zurückweicht und sich immer weiter von dem entfernt, der ihm nahe zu kommen sucht. (4) Aber der weit Entfernte ist ganz nahe herangekommen, ein unaussprechliches Wunder (θα,μα ρρητον). ›Ich bin ein Gott, der nahe ist‹747, sagt der Herr; fern ist er nämlich seinem Wesen nach (κατ’ ο1σ αν) (denn wie könnte das Geschaffene dem Ungeschaffenen nahe kommen?), ganz nahe aber seiner Wirkung nach (δυνμει), durch die er das All in sich eingeschlossen hat. (5) ›Kann jemand etwas im Verborgenen tun‹, heißt es, ›und ich

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sollte ihn nicht sehen?‹748 Und in der Tat ist immer gegenwärtig die Macht Gottes, die mit ihrer behütenden, wohltätigen und erzieherischen Kraft stets über uns waltet. (6, 1) Daher sagt Moses in der Überzeugung (πεπεισμνος), dass Gott niemals durch menschliche Weisheit erkannt werden wird: ›Offenbare dich mir!‹749, und strengt sich an, ›in das Dunkel‹, wo die Stimme Gottes war, hineinzukommen750, d. h. in die undurchdringlichen und undurchsichtigen Gedanken über den Seienden (ε#ς τ?ς δ!τους καI ειδε$ς περI το, 6ντος ννο ας); denn Gott ist nicht im Dunkel oder überhaupt im Raum, sondern erhaben (*περνω) über Raum und Zeit und über das Eigentümliche der gewordenen Dinge.« An diesem Textauszug soll nur interessieren, dass und wie Clemens die ›vollkommen wahre Philosophie‹ als Erkenntnis der absoluten, kontinuierlich aus sich heraus wirkenden Einheit ›jenseits‹ aller Vielfalt bestimmt. Ihr Wissen wird zunächst im Blick auf die etablierten Schuldisziplinen – Physik, Logik, Ethik – als ein Wissen definiert, das die sinnlich wahrnehmbaren Formen der Natur, den Zusammenhang der allgemeinen Formen aller Wirklichkeit und die Richtigkeitsnorm des menschlichen Lebens umfasst. Zugleich knüpft Clemens an die traditionelle Bestimmung philosophischer Weisheit als ›Wissen der göttlichen und menschlichen Dinge‹ und den damit verbundenen Gedanken der Einheit von Vernünftigkeit, Frömmigkeit und Gerechtigkeit an, allerdings so, dass er das menschlich erreichbare Wissen dem von Gott mitgeteilten Wissen unterordnet. Grund allen Wissens ist die Weisheit, die das Ganze der sinnlich wahrnehmbaren und der intelligiblen Welt ›als Künstlerin‹ geschaffen hat. Aus dem Erlernen dessen, was sie von sich teils offen sagt, teils verdeckt andeutet, entfaltet sich eine konstante Praxis des Guten751, die denjenigen, der aus ihr heraus lebt, zum ›Lenker des Weltalls‹ emporführt. Die Begriffe ›Weisheit‹, ›schaffender Künstler‹ und ›Lenker des Ganzen‹ stehen im Horizont der stoischen theologia

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naturalis, die damit den Anfang aller Dinge zum immanent im Kosmos wirkenden Gestaltungsprinzip erklärt. Um dieser Fehldeutung entgegenzutreten, bezeichnet Clemens die künstlerisch tätige Weisheit der Weltschöpfung nach dem Vorbild der Weisheitsbücher des AT als einzigartig mit Gott verbundene, aus ihm heraus handelnde und lehrende Person. Zum anderen ordnet er dem Begriff ›Lenker des Alls‹ in einer Weise, die an theologische Reflexionen der späteren Stoa anknüpft752, den Begriff der paradoxen Einheit von Ferne und Nähe zu753 . Für unsere Überlegung ist davon der Aspekt der dynamisch sich steigernden Ferne der wichtigere. Er gibt nämlich dem prinzipientheoretischen Denken ein einzigartig-einheitliches Ziel ›jenseits‹ aller Bestimmtheit vor, um sicher zu stellen, dass auch wirklich der Punkt getroffen wird, der die Bezeichnung ›erster Anfang aller Dinge‹ verdient. Clemens thematisiert die ›Ferne‹ unter dem Titel der ›Wesenheit‹ Gottes, die als ›schaffende‹ vom ›Wesen‹ des Geschaffenen grundsätzlich verschieden ist. Er folgt darin der Überzeugung des Moses, nach der Gott nicht durch menschliche Weisheit, sondern allein aufgrund von ›Wirkung‹ und ›Gegenwirkung‹ von göttlicher Offenbarung und menschlicher Aufnahmebereitschaft erkennbar wird. Als der ›in Wahrheit Seiende‹ ist Gott nur einem Denken zugänglich, das in sich aufnimmt, was aus der Perspektive der Welt materieller und intelligibler Form ›jenseitig‹ ist, so dass sich das Denken damit vor ein Wirkendes gestellt sieht, das alles Sein, das in der Form kategorialer Rede bestimmt werden kann, dem Wesen nach überragt. Was dieses Übertreffen bedeutet, möchte ich im Ausgang von einigen Parallelstellen zum Text 71 noch etwas genauer zeigen. An der ersten754 thematisiert Clemens die Aufstiegsbewegung der ›wahren‹ philosophischen Dialektik, die über ihre erste Realisierungsstufe des gründlichen Unterscheidens von Tatsachen, Fähigkeiten und Kräften ›allmählich zur allermächtigsten Wesenheit (τ5ν τ.ν πντων κρατ στην ο1σ αν) emporsteigt und sich dann noch darüber hinaus (πκεινα) bis zum Gott des Weltalls (πI

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τν τ.ν 4λων θεν) vorwagt‹. Erst von diesem Punkt aus werden

nach dem Vorbild der platonischen Dialektik die intelligiblen Formen (τ? νοητ) genauso gut voneinander unterscheidbar wie es zuvor die sinnlich wahrgenommenen gewesen sind755 . Die Dialektik kann deshalb in begrifflicher Rede »bei jedem einzelnen Ding völlig unvermischt und rein aufzeigen, was ihm zugrunde liegt«, aber auch ihre »verschiedenen Arten unterscheiden, dabei bis zu den letzten Einzelheiten hinabsteigen« und deshalb deutlich machen, was »jedes einzelne Ding … rein für sich ist.«756 Den höchsten Punkt ihrer Tätigkeit erreicht die Dialektik nur, wenn sie den Anfang von allem als ›göttliche Kraft (θε$α δ!ναμις)‹ anerkennt757. Deshalb muss bereits am Beginn ihrer autonomen Aktivität, die im Bestimmen, Vergleichen, Trennen, Verbinden sowie im Über- und Unterordnen besteht, die Einsicht in die ›Schwäche‹ der menschlichen Vernunft mit der Überzeugung verbunden sein, dass ihre ›Schwäche‹ durch die ›Mithilfe‹ des ›Retters‹ dadurch geheilt werden kann, dass er ›durch sein göttliches Wort die Nebel der Unwissenheit‹ ›vor ihrem Auge entfernt‹ und damit ihre Sehkraft zum Optimum schärft758 . An diesen Gedanken knüpft Clemens an der zweiten Parallelstelle zu unserem Text 71 an759 . Er bezeichnet dort im Blick auf Jo 1, 18760 die Einsicht in das ›Unsichtbare‹ und ›Unaussprechliche‹ Gottes als den schwierigsten Teil der Theologie. Die normale Tätigkeit des Denkens, die darin besteht, ›bei jeder Sache die Ursache zu finden‹, steigert sich bei der Bestimmung des ›ersten und ältesten Anfangs‹ zu ihrem natürlichen Maximum. Das Denken muss deshalb in sich die Ursache dafür erkennen, dass es dabei von der Bewegung der positiv-affirmativen zu derjenigen der negativen Dialektik überzugehen hat. Das aber setzt zweierlei voraus. Das Denken muss (1) verstanden haben, warum dem Anfang aller Wirklichkeit alle Prädikate abzusprechen sind, die sich auf Geschlecht, Gestalt, Art, materiell nicht weiter Teilbares761, Zahl, Akzidenz, Substanz, Ganzes, Größe oder Teil beziehen, und daraus (2) den begründeten Schluss ableiten, dass das Gesuchte nur ›das unteilbare Eins‹

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(δια ρετον … τ %ν) sein kann, das an sich selbst keine Grenze hat [πειρον im Sinne von μ5 ;χον πρας], nicht in Abschnitte zerlegt werden kann (διστατον) und deshalb ohne Gestalt (σχημτιστον) und Namen ist (νωνμαστον)‹762. Clemens verlangt also für das Finden des ›Vaters aller Dinge‹ keineswegs blinden Glauben. Vielmehr ist es die Aufgabe dialektischer Kunst, ihre beiden Realisierungsformen des Affirmierens und des Negierens sinnvoll aufeinander zu beziehen. Als negative Dialektik und Theologie öffnet sich das Denken dem, was Gott von sich selbst her sagt, durch die Einsicht, dass sogar die Bestimmungen »Eines«, »das Gute«, »Vernunft«, »das Seiende«, »Vater, Schöpfer und Herr« »nur schöne Ausdrücke (Hνματα καλ)« sind, »die wir in unserer Hilflosigkeit (πορ α) verwenden, um unser Denken (δινοια) darauf zu stützen und nicht auf anderes abzuirren.«763 Da sich jede beweisende Wissenschaft auf schon Bekanntes stützt, kann das ›Früheste‹ von allem als das absolut ›Ungewordene‹ und von daher vorgängig Unbekannte der menschlichen Vernunft nur »durch göttliche Gnade (θε α χρις) und den von Gott ausgehenden Logos« mitgeteilt werden764 . Hans Joachim Krämer hat gezeigt, dass und wie Clemens sein Konzept negativer Dialektik und den damit verbundenen Prinzipienbegriff absoluter Einheit aus der Aneignung ›mittelplatonischer‹, insbesondere beim Mit-Alexandriner Philon ausgebildeter Prinzipienreflexion entwickelt hat765 . Vor diesem Hintergrund greift Clemens auf die altakademische Analysis »der Körperwelt« zurück, die »über die Reihe der geometrischen Grundfiguren in die Transzendenz führt«, und bestimmt im Ausgang von ihr Gott als die einzig plausible Realisierungsform des ›ungeteilten Eins‹ über der absoluten Monas766. Diese Analyseform wird zusätzlich mit der Begrifflichkeit griechischer Mysterienreligion angereichert, die das Endziel des Lebens als den Übergang von der Stufe ethischer Katharsis (kleine Mysterien) zur Epoptik (große Mysterien) beschreibt. Während ›Katharsis‹ die Reinigung der affektiven Dimension der Seele von aller Vielheit bedeutet, so dass sie im

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Zustand der Leidenschaftslosigkeit zur göttlichen Monas in einem für sie angemessenen Ähnlichkeitsverhältnis steht767, wird die Stufe epoptischer Erfahrung erreicht, »indem wir durch Teilung (Analysis) zur Grundlage des Denkens (πI τ5ν πρ(την νησιν) voranschreiten« und dann aus dem, »was dem vollkommenen Schauen (ποπτικν) zugrunde liegt«, durch meditative Erweiterung »dessen Anfang gewinnen.« Wir beginnen mit dieser Übung, indem »wir dem Körper die natürlichen Eigenschaften wegnehmen768 , ihn auch der Ausdehnung (διστασις)«, also »der Tiefe (βθος), Breite (πλτος) und Länge (μAκος) berauben«, so dass lediglich »das Zeichen (σημε$ον) ›Einheit‹« ›übrig bleibt‹, »das sozusagen Resultat einer [noetischen] Setzung (θσις) ist.« Wenn wir auch diese Setzung in Gedanken ›wegnehmen‹, erhalten wir die »auf rein intelligible Weise erfasste« Einheit, die von jeder besonderen Bestimmung frei ist. Der letzte Schritt der Meditation besteht dann darin, »uns in die Größe (ε#ς τ μγεθος) Christi zu versenken und von dort mit Heiligkeit ins Unbegrenzte voranzuschreiten (ε#ς τ χαν"ς προι8οιμεν)«, und zwar mit dem Ziel, uns »der geistigen Wahrnehmung des Allmächtigen (νοσει το, παντοκρτορος) zu nähern«, indem wir »nicht erkennen, was er ist, sondern, was er nicht ist.«769 Man sieht an dieser Stelle, wie Clemens den Übergang vom philosophischen Wissen zum christlichen Glauben konzeptualisiert. Das philosophisch eingespielte Verfahren der Reduktion körperhafter Wirklichkeit auf ihren intelligiblen Einheitsgrund und das der Reduktion intelligibler Formen auf das absolute Eins begründen den Begriff absoluter, gestaltfreier Größe, der allein der »Größe« Christi angemessen ist und deshalb nur durch sie inhaltlich in der richtigen Weise gefüllt werden kann. Sie ist dann der Ausgangspunkt für eine letzte Bewegung negativer Theologie, aus der deutlich wird, dass Gott selbst mit dem Begriff des absolut Einen nur umrisshaft umschrieben, aber damit zugleich als derjenige verstanden ist, der jede bestimmbare Größe seinem Wesen nach überragt.

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Clemens baut seine Theologie mit aller Eindeutigkeit von der griechischen Prinzipienreflexion her auf und ist zugleich darum bemüht, sie auf deutliche Distanz zur doctrina christiana zu halten. Sogar die Scheidemarke, die beide Seiten trennt, wird bei ihm mit der Grundfigur platonischer Prinzipientheorie beschrieben. Im Blick auf ihre Unterscheidung von ›Einheit‹ und ›unbestimmter Zweiheit‹ wird dem ›Schlechten‹ der Abtrennung der Zweiheit von der Einheit das Bessere ihrer kooperativen Unterordnung unter die ›Einheit‹ entgegengestellt. Die ›barbarische‹ und die griechische Philosophie beziehen sich zwar auf ein und denselben Gott, denken ihn aber nicht in derselben Weise 770 . Die richtige Zugangsweise zu ihm ist der ›Glaube‹, der bei aller vorbereitenden Eigenleistung771 durch Gott selbst bewirkt werden muss, um wahrer und fester Glaube zu sein772. ›Glaube‹ ist die Konsequenz des theologischen Wissens der negativen Dialektik, dass Gott als der absolut Über-Eine dem Wissen nicht erfassbar ist773 . Die Regel absoluter Unerfassbarkeit gilt aber nicht für den Sohn, der als Logos Gottes keine einfache Einheit darstellt, sondern alle an sich selbst ›unbegrenzten‹ göttlichen Wirkungskräfte zur Einheit eines Ganzen vereinigt774 . Das Sein und Wirken Christi verkörpert das Kontinuum des göttlichen Wirkens, das von seinem allerersten Anfang, der göttlichen Über-Monas, ausgeht und von seinem Ende (τλος) »wieder in den ursprünglichen Anfang endigt (πI τ5ν νωθεν ρχν τελευτ\), ohne dass dabei irgendwo eine Unterbrechung (διστασις) stattfände.«775 Der christliche Glaube erkennt und anerkennt also sowohl die überseiende Einheit Gottes als auch ihren Übergang in die vom Prinzip absoluter Einheit bestimmte Zweiheit seines Wirkens in der Schöpfung und im soteriologischen Handeln. Da der Gehalt des Geglaubten nach der alten Regel ›Gleiches zu Gleichem‹ auf den Glaubenden übergeht, wird die an sich ambivalente menschliche Glaubensfähigkeit im Glauben an die absolute Einheit Gottes als Wirkungskraft selber »etwas Einheitliches (μοναδικν)« und damit zur Norm eines Lebens, das ,ohne jede Ablenkung (περισπστως)‹ mit Chris-

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tus als der exemplarischen Gestalt göttlich wirkender Einheit ›vereinigt (Nνο!μενον ν α1τ')‹ ist 776. Gegen den im ›Glauben‹ anerkannten Übergang von reiner zu wirkender Einheit steht die vom ›Unglauben‹ begründete ›Zweiheit‹, die sich von der göttlichen Einheit trennt777. Ihr ist auch der ›Unglaube der Hellenen‹ zugeordnet, so dass sogar Pythagoras und Platon weit davon entfernt gewesen sind, Gott so wie er an sich ist als Gott des Erbarmens und des Mitleids zu erkennen. Von daher haben sie auch die ›Verähnlichung mit Gott‹ nicht im Sinne des Liebesgebots der Bergpredigt verstanden, das von den Menschen verlangt, ebenfalls ›barmherzig und mitleidig‹ zu werden778 . Ihr ›Unglaube‹ wird durch einen Blick auf die ›historische‹ Genese griechischer Philosophie bestätigt. Ihre besten Vertreter haben der wahren Theologie, die ihre erste und vollkommene Verschriftlichung in den Offenbarungstexten der Juden gefunden hat779 , die ›schönsten Lehren‹ entnommen780 , sie zu ihren Stammesgenossen gebracht und vor ihnen als ihre eigene Erfindung ausgegeben781. Ihrem ›Diebstahl‹ liegt räuberische Gesinnung zugrunde, so dass die affektive Dimension ihrer Seele auch im Kontakt mit der vollkommenen Wahrheit nicht so weit ›gereinigt‹ werden konnte, wie das für die Vermeidung weiterer Unrechtshandlungen erforderlich gewesen wäre. Es ist deshalb die Schuld der Griechen, dass sich in ihrer Kultur, die von der konstanten Neigung geprägt ist, »sich in Form und Inhalt fremdes Gut anzueignen«782, die den Schriften der Juden entrissene Wahrheit nicht die soteriologische Wirkung entfalten kann, die von Natur aus in ihr angelegt ist783 . Die diskreditierend gemeinte Diagnose, dass die griechische Philosophie nur Teile der Wahrheit und auch diese nur mit den im Vergleich zum Glauben deutlich schwächeren Kräften des Vermutens (στοχαστικ.ς) und Schlussfolgerns (τα$ς τ.ν λγων νγκαις) erkannt784 und deshalb »manches gefälscht, anderes infolge eines Übermaßes an Scharfsinn töricht umgedeutet und einiges frei hinzu erfunden« hat785 , hindert Clemens nicht daran,

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ihr die Grundbegriffe zu entnehmen, ohne die ihm die Darstellung der Lehre Christi als allein wahrer und wirkungsmächtiger Philosophie nicht einmal ansatzweise hätte gelingen können. Nach seinem Verständnis ist diese Übernahme natürlich kein Gegenraub, sondern das Zurückbringen geraubter ›Samenkörner‹ der Wahrheit an ihren ›natürlichen‹ Entstehungsort786. Die griechische Philosophie ist für Clemens auch in ihrer platonischen Gestalt historisch geworden. Sie hat in ihre Welt, wenn auch nur als Nebenwirkung mosaischer Weisheit, eine Vorgestalt allgemeiner Gerechtigkeit und die Praxis besonnenen Denkens eingeführt, das sich der Wahrheit verpflichtet weiß787. Für die Gegenwart aber kann das von ihr erschlossene Wissen nur eine propädeutische Funktion haben. Es hilft dem christlichen Gnostiker als ›Mitursache (συνα τιον) beim Erfassen der Wahrheit‹788 , so dass sie in Form einer doctrina kontinuierlich an spätere Generationen weitergegeben werden kann. Zudem kann man mit Hilfe platonischer Philosophie die Behauptungen der häretischen Gnostiker widerlegen, die sich missbräuchlich auf einige ihrer ›Teile‹ stützen789 . Zur autark aus sich selbst tätigen göttlichen Weisheit (α1τουργς σοφ α) verhält sie sich aber bestenfalls wie eine schwach ausgebildete aristotelische ›Möglichkeit‹ zur vollendeten ›Wirklichkeit‹, so dass sie als ›kleiner Funke‹790 vor der absoluten ›Größe‹ der göttlichen Wahrheit jede eigenständige Bedeutung verliert791.

4.

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Die Grenze aller philosophischen Prinzipienreflexion oder die vera religio christiana als verissima philosophia

Eine Überlegung zu Augustinus (354 – 430)

Eine gegenüber Clemens Alexandrinus und seinen Vorgängern wesentlich komplexere Bezugnahme auf die Prinzipientheorie der griechischen, insbesondere der platonischen theologia naturalis steht uns im Denken des Augustinus vor Augen. Ihm geht

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es nicht primär darum, Gott als das Prinzip aller Wirklichkeit zu bestimmen, das die griechische Philosophie mehr oder weniger knapp verfehlt und das die christliche Religion als ›einzig wahre und nützliche Philosophie‹ ( Justin) erstmals genau getroffen hat, sondern darum, die ›Macht und Weisheit‹ Gottes aus einem dynamisch gefassten Wechselwirkungs- und Steigerungsverhältnisses von Glauben und Wissen in der Weise zu erschließen, dass dies für die menschliche Selbst- und Wirklichkeitserfahrung die denkbar größte Herausforderung darstellt. Grob gesprochen heißt das: Gott soll als derjenige erkannt und infolgedessen auch verehrt werden, der dem Denken, Glauben, Verehren, Wollen und Lieben der menschlichen Seele Grenzen setzt, die sie aus sich selbst nicht überwinden kann. Sie soll deshalb aus einem reflexiv begründeten negare se ipsam ihrer Neigung zur superbia mit dem eigenen Willen entgegentreten und zugleich erkennen, dass sie zu schwach ist, das mit ihrer Eigensucht verbundene Störungs- und Zerstörungspotential wirkungsvoll zu bekämpfen. Anders, aber mit derselben deklaratorischen Vorläufigkeit gesagt: Augustinus will nicht den beruhigenden Eindruck erwecken, dass die zentralen Sätze des christlichen Glaubens erstmals den Erwartungshorizont der Philosophie wirklich füllen, sondern zeigen, dass die menschliche Seele, wenn sie im Blick auf das göttliche Sein nach dem Richtigkeitsgrund ihres eigenen Lebens sucht, sich selbst zum Gegenstand einer quaestio wird, auf die sie eine befriedigende Antwort allein aus sich selbst nicht finden kann792. Die vorliegende Augustinus-Darstellung muss viele wichtige Themen wie das Verhältnis zwischen göttlicher Providenz und menschlicher Freiheit, zwischen der einen, in sich homogenen civitas caelestis und der Pluralität unterschiedlich verfasster civitates terrenae und damit zwischen göttlich-universaler Gerechtigkeitsnorm und ›irdischen‹ Formen der Gerechtigkeit oder zwischen der göttlichen Trinität und der internen Struktur des menschlichen Selbstbewusstseins außer Acht lassen. Sie konzentriert sich stattdessen auf die Frage: Welche Folgen hat der Ansatz zu einer

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Prinzipienreflexion, die im Blick auf sich ihre eigene Schwäche erkennt, für den Prinzipienbegriff selbst? Die Antwort darauf lautet: Augustinus erweitert den traditionell dominierenden Begriff vom ersten Prinzip als dem intelligiblen Grund aller Wirklichkeit um den Begriff göttlicher, universal wirkender und sich selbst legitimierender Autorität. Damit verbunden ist eine bereits bei Tertullian und Clemens Alexandrinus vorgebildete Modifikation des Wirkungskontinuums, das in der griechischen theologia naturalis vom ersten Grund aller Wirklichkeit ausgeht. In der philosophischen Tradition ›entäußert‹ sich Gott auf intelligible Weise in intelligible Wirklichkeit, so dass er durch handlungsfreies Verharren in sich zwar auf sinnlich gegebene Wirklichkeit gestaltend und formend einwirkt, aber in ihr nicht authentisch anwesend ist. Demgegenüber erweist sich der Gott der Bibel dadurch als »Urheber aller Güter«, dass er sich in einen menschlichen Leib entäußert und in materiell konkretisierter Gestalt freiwillig den ungerechten Schandtod am Kreuz erleidet. Damit, dass Augustinus in seiner Trinitäts- und Schöpfungstheologie weitgehend am Denkhorizont der griechischen theologia naturalis festhält, ihn aber in der Soteriologie durch eine theologia crucis erweitert, verlässt die philosophia christiana in der Interpretation des Augustinus den Horizont des antiken Wirklichkeitsbegriffs. Man kann deshalb sein Denken in bestimmter Hinsicht als Vorgestalt für den spekulativen Karfreitag im Sinne Hegels verstehen793 . Das Herausgehen aus sich in das Andere seiner selbst wird radikaler als jemals zuvor als das Wesen der göttlichen Wirklichkeit gedacht. Zugleich entdeckt Augustinus im Anschluss an Paulus in der menschlichen Natur eine innere Zerrissenheit und Fremdheit, die sie auch aus ihrer besten Kraft nicht zur Ruhe der Einheit mit sich selbst bringen kann. Augustinus hat den Übergang von der Antike zu einer christlich geprägten Moderne im Sinne Hegels an sich selbst erfahren und diese Erfahrung in den Confessiones festgehalten. Wenn man nur einmal auf den geographischen Weg achtet, der ihn vom nordaf-

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rikanischen Thagaste nach Mailand führt, so hat er, der Sohn eines heidnischen Vaters und einer christlichen Mutter, sich zunächst an seinem Geburtsort, später in Karthago, Rom und Mailand zu einem anerkannten Meister der klassischen Rhetorik entwickelt. Wenn man den inneren Weg beachtet, den er gleichzeitig bewältigt hat, so hat ihn dieser von der Rhetorik zu einer ihn nicht befriedigenden skeptischen Philosophie und von ihr zur manichäischen Gnosis geführt (374 – 383). Erst durch das Studium des anti-gnostischen ›Neuplatonismus‹ (386) verändert sich seine Sicht der Wirklichkeit so, dass er sich im Jahre 387 in Mailand taufen lässt. Man kann also sagen, dass Augustinus wie kaum jemand sonst gegensätzliche Wirklichkeitsauffassungen, die die Welt der Spätantike prägen, nicht nur gekannt, sondern in sich ausgetragen und erst im Christentum die Kraft gefunden hat, die seinem eigenen Leben das lange gesuchte Zentrum geben konnte. Wie wenig geradlinig er selbst seine innere Entwicklung empfunden hat, zeigt die Formel von der tortuosissima et implicatissima nodositas, die er zu ihrer Charakterisierung erfunden hat794 . Auch die Fortsetzung seines Lebensweges als Christ, der ihn 388 wieder nach Afrika zurückführt, wo er seit 391 als Priester und seit 396 in Hippo als Bischof tätig gewesen ist, dort seine Schriften zur Gnadenlehre und neben vielem anderen auch seine späten Hauptwerke verfasst hat (De civitate dei, De trinitate), bleibt voller Spannungen, die sich nicht ohne weiteres zu einem harmonischen Gesamtbild runden lassen. Bis heute ist vor allem umstritten, ob die ab 396/97 entwickelte Gnadenlehre eine Fortsetzung des ›Platonismus‹ mit anderen Mitteln ist oder der definitive Abschied von ihm795 . Man sollte allerdings bedenken, dass Gegensätzlichkeit, wie noch zu zeigen sein wird, für Augustinus kein Gegenbegriff zu dem der Einheit ist. Als Anhänger des discordia-concors Denkens, und das ist an ihm bis heute das Anregende und irritierend Aufregende, kann er selbst dort noch Einheit thematisieren, wo man aus menschlicher Perspektive geneigt ist, Gegensätze wahrzunehmen. Auch darin antizipiert er das Denken Hegels, bei

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dem die Weltgeschichte trotz aller individuell erfahrenen Schrecken ihrer allgemeinen Struktur nach von einer Logik des Guten getragen ist. Allerdings gibt Augustinus diesem Gedanken eher und, wie ich meine, mit ähnlichen Konsequenzen, eine Rousseau vorwegnehmende Wendung, weil er für die Entzweiung zwischen Einheit und Vielheit jede innermenschliche und innergeschichtliche Vermittlung ausschließt. a) Die Anknüpfung des Augustinus an Platon Um den besonderen Charakter der Prinzipienreflexion des Augustinus zu verdeutlichen, folge ich seiner Auseinandersetzung mit der platonischen Philosophie, die auch nach seiner Überzeugung der vera religio näher gekommen ist als jede andere. Von daher ist es konsequent, dass er alles, was in seinem eigenen Denken über sie hinausweist, in der Kritik an und in der Absetzung von ihr begründet. Ich stütze mich in meiner Darstellung hauptsächlich auf die relativ leicht zugänglichen Werke De vera religione (389/91), Confessiones (396/98) und De civitate dei (413/26)796 und beginne mit der Diskussion, die Augustinus in den Büchern VIII – X von De civitate dei mit Platon und den ihm nachfolgenden Platonikern führt797, um zu klären, was sie zur Bestimmung der vera religio als dem ›wahren Kult des wahren Gottes‹ beitragen.798 Er stellt damit die platonische Philosophie auf das von ihr selber bearbeitete Feld799 , weil sie Gotteserkenntnis als Gottesverehrung versteht und deshalb in ihrer Anthropologie den Menschen als a priori kultisches Lebewesen auffasst 800. Auch für Platon würde gelten: Dem, was ein Mensch als das Höchste erkennt oder auch nur zu erkennen meint, kann er sich als dem vorzüglichen Gegenstand seiner Liebe nur mit der ganzen Kraft seines Willens und Begehrens zuwenden. Von daher kann auch die philosophische Prinzipienreflexion als Suche nach dem, was für die menschliche Wirklichkeitserfahrung das Erste und Mächtigste ist, nur theologisch ausgerichtet und zugleich die Angelegenheit des ganzen Menschen als triadischer Einheit aus Erkennen, Wollen und Lie-

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ben sein. In die Auseinandersetzung mit den Platonikern geht deshalb die in der Spätantike weithin akzeptierte Voraussetzung ein, dass der ›wahre Philosoph‹ als »Liebhaber der Weisheit« zugleich »Liebhaber Gottes« ist 801. Dass Augustinus für das Gespräch mit den Platonikern gut vorbereitet ist, dokumentieren bereits die metaphysisch-kosmologischen Partien seiner Frühschriften (De ordine, De musica, De libero arbitrio, De vera religione, Sololoquia). Nach seinem Verständnis hat Platon die dreigeteilt – in Jonien ( Thales bis Anaxagoras) als Physik802, in Italien (Pythagoras) als theoretische Philosophie803 und in Attika (Sokrates) als Ethik804 – entstandene Philosophie zu einer Einheit zusammengefasst, die als Ganze der perspectio veritatis verpflichtet ist 805 . Warum Augustinus ausschließlich Platon und seine Nachfolger als philosophische Gesprächspartner respektiert, begründet er folgendermaßen: 72 · Augustinus, De civitate dei VIII 4 – 6 und 8806 (4. Plato und die Dreiteilung der Philosophie) […] »Was nun Plato in diesen oder von diesen einzelnen Teilen gedacht hat, also was er als Ziel alles Tuns ( finis omnium actionum), Ursache alles Seins (causa omnium naturarum) und Licht alles Denkens (lumen omnium rationum) erkannt oder geglaubt hat (cognoverit vel crediderit), sorgfältig darzulegen, wäre sehr umständlich und darf doch auch nicht […] mit einigen kurzen Sätzen abgetan werden. Denn da er die bekannte Gewohnheit seines Meisters Sokrates, den er in seinen Schriften redend auftreten lässt, sein Wissen oder seine Ansicht zu verbergen, beizubehalten trachtet, weil er selbst daran Gefallen fand, ist auch Platos eigene Meinung in wichtigen Fragen nicht leicht zu ergründen. Doch muss ich von dem, was man bei ihm liest, […] einiges, das augenscheinlich seine Meinung zum Ausdruck bringt, erwähnen und diesem Werke einfügen, sowohl solches, das mit der wahren Religion, die unser Glaube angenommen hat und verteidigt, in Einklang

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steht, als auch solches, das ihr widerspricht. Dabei wird es sich stets um die Frage handeln, ob um des wahrhaft seligen Lebens willen, das wir nach dem Tode erwarten, einer oder mehrere Götter verehrt werden müssen. Denn vielleicht vertreten diejenigen, die man weithin als scharfsinnigste und zuverlässigste Kenner Platos rühmt, der ja allen übrigen heidnischen Philosophen mit Recht bei weitem vorgezogen wird, die Ansicht, dass bei Gott die Ursache des Seins (causa subsistendi), der Grund des Erkennens (ratio intelligendi) und die Ordnung des Lebens (ordo vivendi) zu finden sind, drei Aussagen, von denen sich die erste auf den natürlichen, die zweite auf den rationalen, die dritte auf den moralischen Teil der Philosophie bezieht. Wenn nämlich der Mensch so von Gott geschaffen ist, dass er mit dem, was sein Höchstes ist, das Höchste von allem, nämlich den einen, wahren und besten Gott berührt (adtingat), ohne den kein Wesen besteht, keine Lehre einleuchtet und keine Betätigung erfolgreich ist, so muss er dort gesucht werden, wo für uns alles verknüpft, dort geschaut, wo für uns alles gewiss, und dort geliebt werden, wo für uns alles gut ist. (5. Keine sonstige heidnische Theologie und Philosophie reicht an die platonische heran) Wenn also Plato sagte, weise sei, wer diesen Gott nachahme, erkenne und liebe, und glückselig, wer an ihm teilhabe, wozu dann noch die übrigen durchmustern? Niemand ist uns so nahe gekommen wie er und seine Schule. […] Aber nicht nur der gesamte Inhalt dieser beiden Theologien, der poetischen und der politischen807, möge den platonischen Philosophen das Feld räumen, die den wahren Gott, den Urheber aller Dinge, den Offenbarer der Wahrheit, den Spender der Glückseligkeit gelehrt haben, sondern auch die anderen Philosophen, die, irdisch gesinnt, körperliche Urgründe der Natur (corporalia naturae principia) mutmaßen, wie Thales die Feuchtigkeit, Anaximenes die Luft, die Stoiker das Feuer, Epikur die Atome, d. h. kleinste Körperchen (minutissima corpuscula), die man nicht teilen und wahrnehmen kann […].

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(6. Die naturphilosophischen Ansichten der Platoniker) Diese Philosophen also, deren Ruf und Ruhm mit Recht alle übrigen in den Schatten stellt, haben klar gesehen, dass Gott kein Körper ist, und haben darum auf der Suche nach ihm alles Körperliche hinter sich gelassen. Sie haben auch gesehen, dass alles Wandelbare nicht der höchste Gott sein kann, und haben darum auf der Suche nach ihm alles, was bloß Seele ist, und alle wandelbaren Geister (spiritus) hinter sich gelassen808 . Sie haben ferner gesehen, dass jede Form (species) eines jeden wandelbaren Dinges, durch welche es ist, was es ist (esse), und was jenes ist, wodurch seine Natur ihr besonderes Maß (modus) und ihre besondere Qualität empfängt, nur von dem herstammen kann, der in Wahrheit ist (qui vere est)809, weil er unwandelbar ist. Sie haben gesehen, dass folglich auch der ganze Weltkörper mit allen Gestalten ( figurae) und Eigenschaften (qualitates), dem Ordnungszusammenhang von Bewegung (ordo motuum) und der richtigen Verteilung seiner Elemente (dispositio elementorum) vom Himmel bis zur Erde und allen darin enthaltenen Körpern810, dass weiterhin auch alles Leben, das nährende und sich selbst erhaltende der Bäume, das außerdem empfindende der Tiere, das obendrein erkennende der Menschen und endlich das der Nahrung nicht bedürftige, sondern lediglich sich selbst erhaltende, empfindende und erkennende der Engel811 nur von ihm stammen kann, der auf einfache Weise ist (qui simpliciter est). Denn für ihn gibt es keinen Unterschied von Sein (esse) und Leben (vivere), als könnte er sein, ohne zu leben, auch keinen Unterschied von Leben und Erkennen (intellegere), als könnte er leben, ohne zu erkennen, auch keinen Unterschied von Erkennen und Seligsein (beatum esse), als könnte er erkennen, ohne selig zu sein. Sondern für ihn sind Leben, Erkennen und Seligsein dasselbe wie Sein. Nach ihrer Einsicht hat er vermöge dieser seiner Unwandelbarkeit (incommutabilitas) und Einfachheit (simplicitas) dies alles geschaffen, konnte aber von niemandem geschaffen werden. Denn sie haben bedacht, dass alles, was ist, entweder

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Körper oder Leben, Leben aber etwas Besseres ist als Körper, und dass die Form des Körpers sinnenfällig (sensibilis), die des Lebens hingegen geistig erfassbar (intelligibilis) ist. Und so haben sie die geistig erfassbare Form der sinnenfälligen vorgezogen. Sinnenfällig aber nennen wir, was durch leibliches Sehen oder Fühlen wahrgenommen, geistig, was durch geistiges Schauen (conspectu mentis) erkannt (intellegi) werden kann. Es gibt ja keine körperliche Schönheit, handle es sich nun um ruhende (in statu) Körper wie eine Gestalt ( figura) oder um bewegte (in motu) wie einen Gesang, über welche der Geist (animus) nicht urteilte. Das könnte er aber sicherlich nicht, wenn er nicht diese Form vollkommener in sich hätte, ohne Ballast der Masse, ohne den Laut der Stimme, ohne Ausdehnung in Raum oder Zeit. Doch wenn sie auch da nicht wandelbar wäre, könnte doch der eine nicht besser als der andere über solch sinnenfällige Form urteilen, der Talentvolle besser als der Trägere, der Kundige besser als der Unkundige, der Geübte besser als der Ungeübte, desgleichen auch ein und derselbe im Fortschreiten Begriffene später besser als früher. Was aber ein Mehr oder Weniger annimmt, das ist ohne Frage veränderbar. So haben denn talentvolle, gelehrte und in solchen Untersuchungen geübte Männer ohne Mühe daraus den Schluss gezogen, dass die Urform (prima species) dort nicht zu finden ist, wo augenscheinlich nur veränderliche Formen sind. Da sich nun in ihrer Betrachtung Körper und Geist als mehr oder weniger formbegabt erwiesen, aber überhaupt nicht sein könnten, wenn ihnen alle Form fehlte, haben sie erkannt, dass es etwas geben muss, wo die erste unwandelbare und darum unvergleichliche Urform (prima incommutabilis et ideo non comparabilis species) zu Hause ist, und so haben sie völlig richtig geglaubt, dass hier der Ursprung der Dinge (rerum principium) sei, der selbst ungeschaffen, aus dem (ex quo) aber alles Geschaffene ist. So hat Gott selbst, was erkennbar an ihm ist, ihnen geoffenbart, da sein unsichtbares Wesen an seinen Werken, nämlich der Schöpfung der Welt, als das geistig Erfassbare erblickt wurde,

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dazu auch seine ewige Kraft (virtus) und Gottheit812; denn er hat auch alles Sichtbare und Zeitliche geschaffen. Das mag von dem Teil der Philosophie gesagt sein, den man den physischen oder natürlichen nennt […] 813 . (8. Die platonische Ethik) Nun ist noch der sittliche Teil übrig, den man mit griechischem Wort ›Ethik‹ nennt. In ihm wird nach dem höchsten Gut gefragt, worauf all unser Tun hinausläuft, das wir nicht um eines anderen, sondern um seiner selbst willen erstreben. Wenn wir es erlangt haben, so bedürfen wir weiter nichts, um glückliche Menschen zu sein. Darum wird es auch ›Ziel‹ genannt, weil wir um seinetwillen alles Übrige, es selbst aber nur um seinetwillen wollen. Dies den Menschen beseligende Gut (beatificum bonum)814 glaubten die einen beim Körper, die anderen bei der Seele, wieder andere bei beiden zu finden815 . […] Die es nun beim Körper suchten, suchten es vom niedrigeren Teil des Menschen, die es von der Seele her suchten, vom besseren Teil, die es von beiden her suchten, vom ganzen Menschen her816. Aber ob nun von einem Teile oder einem Ganzen, sie suchten es vom Menschen her. […] So mögen deshalb sie allesamt den Philosophen das Feld räumen, die nicht lehrten, der Mensch sei glückselig, wenn er den Leib oder die Seele genieße, sondern nur, wenn er Gott genieße ( frui), und zwar nicht wie die Seele den Leib oder sich selbst genießt, oder wie ein Freund den Freund, sondern wie das Auge das Licht, falls hier überhaupt ein Gleichnis am Platze ist. […] Jetzt mag es genügen zu erwähnen, dass nach Plato das höchste Gut nichts anderes ist als das der Tugend gemäße Leben. Das aber sei nur dem möglich, der Gott kenne und ihn nachahme (qui notitiam dei habeat et imitationem). Denn nur dann sei er selig. Darum erklärt Plato ohne Zögern, philosophieren heiße: Gott lieben, dessen Wesen (natura) unkörperlich sei. Daraus ergibt sich, dass, wer nach Weisheit strebt – und das ist der Philosoph – dann glücklich sein wird, wenn er beginnt, Gott zu genießen. Denn obwohl nicht jeder schon dadurch glückselig wird, dass er genießt, was er liebt, – denn

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viele, die lieben, was nicht liebenswert ist, sind elend und umso elender, wenn sie es genießen – so ist doch niemand glückselig, der das, was er liebt, nicht genießt. Denn selbst die, welche nicht liebenswerte Dinge lieben, suchen ihr Glück nicht in der Liebe, sondern im Genuss. Wenn also jemand genießt, was er liebt, und zugleich das wahre und höchste Gut liebt, könnte ihm nur der Unseligste Glückseligkeit absprechen. Plato aber sagt, das wahre und höchste Gut sei Gott, und will darum, dass der Philosoph Liebhaber Gottes sei. Dann werde er, da die Philosophie nach dem glückseligen Leben trachte, im Genusse Gottes, den er liebt, auch glückselig sein.« Der Text 72 soll im Hinblick auf zwei Fragen betrachtet werden: 1) Wie philosophisch oder zumindest philosophienah ist die Lehre, die Augustinus als vera religio versteht und vertritt? 2) Wie weit muss sich die vera philosophia christiana817 von der platonischen Philosophie entfernen und in welcher Hinsicht und womit muss sie deren ›Weisheit‹ ›überbieten‹, wenn sie als der wahre Kult des wahren Gottes der einzige Weg sein will, auf dem die Menschen das Ziel ihres Lebens wirklich erreichen? Anknüpfungspunkt für die Antwort auf beide Fragen ist die philosophiehistorisch korrekte Bestimmung der platonischen Philosophie als erkenntnistheoretisch fundierter Einheit von Metaphysik und Ethik, die Augustinus konventionell als Einheit von Physik, Logik und Ethik bezeichnet. Platon erfüllt die Grundgestalt der Philosophie, weil er lehrt, dass und wie aus dem ›Licht allen Denkens‹ die ›Ursache allen Seins‹ und das ›Ziel allen Tuns‹ zu erkennen sind. Er hat zudem gesehen, dass die Philosophie, die als ›sapientia‹ jedes andere Wissen übertrifft, die Angelegenheit des ›ganzen Menschen‹ ist, der nur als Einheit von Erkennen, Lieben und Nachahmen am höchsten Gut den Anteil (participatio dei) gewinnt, der beatitudo im Sinne uneingeschränkten ›Genießens‹ genannt zu werden verdient. Alle diese Bestimmungen unterstreichen die Nähe zwischen dem Inhalt der platonischen Philosophie und der philosophia christiana.

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Der Unterschied zwischen ihnen wird erst im Buch IX (17) und vor allem im X. Buch (22 – 25, 28 f. und 32) offen thematisiert. Die Auseinandersetzung mit den Platonikern in den Büchern VIII – X betont am Anfang die Nähe und erst an ihrem Schluss die Distanz zu Platon. Auf eine Nähe, die schließlich zur Ferne wird, verweist die Gedankenfigur triadischer Einheit, die zahlreichen Begriffsketten zugrunde liegt, die in unserem Text auffallen818 . Ausgangspunkt dafür ist die aus ihrer Entstehung abgeleitete Einteilung der Philosophie in die drei genera der Physik, Logik und Ethik. Platon stiftet eine Einheit aus der Zweiheit von theoretischer (contemplatio) und praktischer Philosophie (actio) und realisiert sie dann als und durch die genannte Dreiheit so, dass sie auch in ihrem scheinbaren Unterschiedensein in genera und partes Einheit bleibt. Man sieht auch, dass Augustinus die vor allem im ›Mittel-‹ und ›Neuplatonismus‹ 819 wirksame Form triadischer Einheit nicht als Subordinations-, sondern als Wechselwirkungs- und Kooperationseinheit auffasst, so dass zwischen ihren ›Teilen‹ ›Gleichheit‹ besteht. Damit wird natürlich nichts anderes als die Bestimmung Gottes als Trinität vorbereitet, bei der Augustinus dem Symbolum Nicaenum des Jahres 325 darin folgt, dass dort dem nicht nur innergriechisch, sondern auch unter platonisch-plotinischen820 Vorzeichen plausiblen Satz des Arianismus von der Wesensähnlichkeit (>μοιο!σιος) zwischen Vater und Sohn die stärkere Behauptung ihrer Wesensgleichheit (>μοο!σιος) entgegengesetzt worden ist. In unserem Textauszug wird zwar keine Trinitätstheologie vorgetragen, aber in der Bestimmung des göttlichen ›vere et simpliciter esse‹ als absoluter Einheit von esse, vivere und intellegere doch angedeutet 821. Die Orientierung am Begriff kooperativer, auf Wesensgleichheit beruhender Einheit bedeutet eine klare Distanzierung vom platonisch-plotinischen Prinzipienbegriff der Einheit ›jenseits von Wesenheit‹. Man kann das rezeptionsgeschichtlich so erklären, dass Augustinus Texte des Platonismus primär auf der Grundlage ihrer lateinischen Übersetzung durch den christ-

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lichen Platoniker und Trinitätstheologen Marius Victorinus (ca. 300 – 385) kennen gelernt hat 822 und dieser wiederum von Plotins Schüler Porphyrios (234 – 310) beeinflusst gewesen ist. Porphyrios hat in seinem Kommentar zu Platons Parmenides das göttliche Eine nicht als Einheit ›jenseits von Wesenheit‹ bestimmt, sondern »als in sich differenzierte Einheit von vor-seiendem Einen (Nichts) mit dem Sein selbst als reinem Wirken und Selbst-Denken.« Mit dieser Synthese aus der platonisch-plotinischen »Konzeption des transzendenten Einen« und dem »höchsten Gedanken der aristotelischen Theologie«, die aus der Perspektive von Platon und Plotin die Zusammenhänge des Intelligiblen eher verschleiert als klärt, hat Porphyrios »die entscheidende Voraussetzung« dafür geschaffen, dass die christliche Theologie »das Sein Gottes, seine Wesenheit und seine Weisheit und seinen Logos als Einheit« der Kooperation und der Koordination im Sinne von Wesensgleichheit denken konnte 823 . Der Prinzipienbegriff des absolut Einen im Sinne der ersten Hypothesis des platonischen Parmenides würde dem göttlichen Sein in der Tat eine Spitze geben, der alles, was ihr innerhalb göttlicher Einheit folgen würde, bei aller Ähnlichkeit nur nach-, aber nicht, wie es das Konzept göttlicher trinitas verlangt, absolut gleichgeordnet wäre. Augustins Prinzipienbegriff des esse simplex enthält zwar noch eine Spur des Begriffs relationsloser Einheit 824 , aber ihre gleichzeitige Bestimmung als ›causa subsistendi‹, ›ratio intelligendi‹ und ›ordo vivendi‹ zeigt, dass Augustinus den Begriff einfacher Einheit triadisch konzipiert. Die Bestimmung der innergöttlichen trinitas als continuum des sich gleich bleibenden Guten hat aber auch einen systematischen und nicht nur einen rezeptionsgeschichtlichen Grund. Sie schafft nämlich die Voraussetzung für die homogene Erweiterung der Theologie der Trinität zu einer Theologie der Schöpfung. Dabei muss allerdings Folgendes bedacht werden. Für Augustinus stehen alle Aussagen über die göttliche Trinität grundsätzlich unter einem erkenntniskritischen Vorbehalt. Sie sind deshalb nicht dem modus definitionis, sondern dem modus coniecturae zuzuord-

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nen825 . Von daher gehören sie zu der bereits im Blick auf die Stoa, den Epikureismus und Plotin angesprochenen Praxis ›geistiger Übung‹ als einer reflexiven Arbeit der Seele an sich selbst, in der sie zu einem intelligiblen Sehen angeleitet werden soll, das im Fall des Augustinus an eine bereits bekannte Dreiheit anknüpft, um von ihr aus zu erschließen, was die göttliche trinitas bedeutet. Anknüpfungspunkt für die Erweiterung der Trinitäts- zur Schöpfungstheologie ist die pythagoreisch-neuplatonische Theorie der Zahl. Hier wird nämlich ›Eins‹ nicht nur als rationale Zahl, sondern primär als Grund aller Wirklichkeit gedacht, und zwar als absolute, in sich fundierte und im Modus der Gleichheit sich entfaltende Zahl, die dadurch, dass sie zugleich und in gleich intensiver Weise ist, sich auf sich bezieht und aus sich heraus wirkt, einfache, unveränderliche Einheit bleibt 826. Augustinus will zeigen, dass die vom platonischen Pythagoreismus vorgezeichnete Form triadischer Einheit nur durch den Begriff Gottes gefüllt werden kann, der als das einzige einfache Gut (bonum solum simplex) aus sich ein Gleiches in der Weise ›erzeugt‹, dass die einander Gleichen aufgrund ihrer Verbindung durch einen gemeinsamen ›Geist‹ in gleicher Weise »der eine Gott« und das eine »einfache Gut« sind827. Im Sinne des pythagoreisch-neuplatonischen Denkens ist Gott für Augustinus trinitas creatrix, und das bedeutet: die »unfassbarerweise einfaltige und vielfaltige« 828 Einheit einer dynamisch sich auf sich selbst bezogenen und zugleich homogen aus sich herauswirkenden Größe. Wenn man sich in einem weiteren Schritt des meditativen Nachdenkens in diese ›schöpferische Dreiheit‹ versetzt, kann man den ›Vorgang‹ der Schöpfung gleichsam von seinem ›Anfang‹ her als ›Prozess‹ trinitarischer Selbstexplikation vor sich sehen und von daher im Geschaffenen Spuren dieses Anfangs erkennen: Weil »der Vater durch den Sohn und mit der Gabe des Heiligen Geistes sowohl alles zugleich (simul omnia) als auch jedes einzelne Wesen (unamquamque naturam) geschaffen hat«, besitzt jedes geschaffene »Ding (res), jede Substanz (substantia), Wesenheit (essentia) oder Natur (na-

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tura) … zugleich dreierlei Eigenschaften, so dass sie jeweils Eines (unum aliquod), durch ihre besondere Gestalt von den anderen Dingen unterschieden« und trotz dieser Verschiedenheit durch »die Ordnung des Ganzen« miteinander verbunden sind829 . Die interne Logik, die auf diese Weise in der Schöpfung erkennbar wird, findet im Bereich der wahrnehmbaren Natur (Physik) ihre Entsprechung in der species sensibilis, die allem, was zur materiellen Welt gehört, das esse, den modus und die qualitas essendi verleiht, während die species intelligibilis sine spatio vel loci vel temporis, die in der menschlichen Seele das Sein, die Form und die Schönheit sinnlich wahrnehmbarer Körper und ihrer Bewegungen (›Gesang‹) beurteilt (Logik), dem göttlichen Einheitsgrund der Schöpfung auf der Ebene des menschlichen Denkens entspricht. Von daher kann man sagen: Jede besondere species partizipiert auf je ihre Weise an der species prima, die als trinitarische Einheit von esse, vivere und intellegere das vere esse und damit das principium aller Dinge darstellt 830. Die andere philosophische Gedankenfigur, die in unserem Text auffällt, ist die des Aufstiegs vom komplexen, in Raum und Zeit ausgedehnten zum einfachen Sein. Sie bestimmt die Referate zur Physik und zur Ethik Platons, und zwar in Verbindung mit der Analyseform dialektischer elementatio, die in platonischer Tradition zur Logik gehört, so dass sich auch darin wieder die Einheit der Philosophie in ihren drei ›Teilen‹ bekundet. Im Referat der ›Physik‹, die unbelebte und lebendige Körper thematisiert, konkretisiert sich diese Figur in der von ›unten‹ nach ›oben‹ aufsteigenden Reihe: corpus – anima – spiritus und in der Reihe, in der sich das vegetative zum geistigen Leben erweitert: »vita, quae nutrit et continet« – »quae hoc habet et sentit« – »quae haec habet et intellegit« – »quae tantum continet, sentit, intellegit.« Zum Übergang von der Physik zur Logik gehören die Reihen: »species sensibilis cum spatio vel loci vel temporis« – »species intelligibilis sine spatio vel loci vel temporis« – »species prima incommutabilis« und: Wahrnehmen (sensus) – Denken (intellec-

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tus) – ›geistiges Schauen‹ (mens). Der Übergang von der Physik zur Logik bestimmt außerdem die Unterscheidung zwischen den nichtplatonischen Philosophen, die den Zusammenhang der rerum natura auf corporalia naturae principia zurückführen, und den Platonikern, die alles Körperliche, Veränderliche, der Relation des ›Mehr-Weniger‹ im Sinne der ›unbestimmten Zweiheit‹ Unterliegende unbeachtet lassen, sich für ihre Prinzipienreflexion auf das reine Denken der mens stützen und von daher die species prima als esse simplex bestimmen831. Beim Referat ethischer Positionen wird im Rahmen einer Dihairesis unterschieden zwischen einer Bestimmung des höchsten Gutes vom Menschen her, wobei sich die Epikureer auf den schlechteren, die Stoiker auf den besseren ›Teil‹ und die Peripatetiker auf den ganzen Menschen beziehen, und seiner Bestimmung von Gott her. Nur die platonische Philosophie thematisiert die menschliche Natur als triadische Einheit von Erkennen, Leben und Lieben. Ihr ethisches Ziel ist deshalb eine Teilhabe an Gott, die nach dem strukturellen Vorbild der Diotima-Rede in Platons Symposion 832 das ›Berühren (adtingere)‹ zum Glück (beatitudo) des kontinuierlichen ›Genießens ( frui)‹ und damit zum Vollkommenheitszustand des menschlichen Lebens steigert. Das höchste Glück wiederum bleibt der Form nach grundsätzlich mit seinen schwächeren Konkretisierungsformen verbunden, weil ›Glück‹ selbst im miserabelsten Fall ›Genuss‹ des Erstrebten bedeutet. Man kann im Blick auf die verschiedenen Ethikkonzepte der Antike, auf die Augustinus anspielt, auch die verschiedenen Formen des Glücks in einer Reihe zusammenstellen, die im Sinne einer qualitativen Steigerung von unten über eine Mitte nach oben verläuft: Die Seele genießt mit den leiblichen Gütern das, was unter ihr ist (Atomistik), mit den ihr spezifisch eigenen Gütern, was ihr gleichartig ist (Stoa), und mit intelligiblen Gütern, was über ihr ist (Platon). Ihr Genuss erreicht aber erst das Maximum, wenn sie ›anfängt, Gott‹ als den ›zu genießen‹, der in seiner absoluten virtus die allgemeine Einheit von Sein, Denken und Leben dar-

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stellt. Da dieser Genuss als Liebe immer eine Selbstbeziehung ist, verleiht die Liebe in ihrer vollendeten Form der Seele eine Weite, die jede andere Form der Liebe durch diejenige zum allgemeinen Gesetz (lex universitatis) als dem Inbegriff göttlicher Weisheit relativiert 833 . b) Was man bei den Platonikern nicht finden kann Während der Text 72 hauptsächlich trinitäts- und schöpfungstheologisch argumentiert und dabei den Vorgaben des spätantiken Platonismus weitgehend folgt, konfrontiert Augustinus im 7. Buch der Confessiones das in den »Schriften der Platoniker« Gelesene mit Sätzen aus dem Neuen Testament, die er bei den Platonikern nicht finden konnte. Augustinus entfaltet dabei den ethischsoteriologischen ›Teil‹ der vera religio, für die er die Vorgaben des platonischen Denkens verlässt. 73 · Augustinus, Confessiones VII 9, 13 – 14834 »Hier [bei den Platonikern] las ich, wenn auch nicht gerade wörtlich, so doch dem Sinne nach dasselbe, und durch viele und vielfache Vernunftgründe glaubhaft gemacht, dass ›im Anfang das Wort war und das Wort bei Gott war und dass das Wort Gott war; dass es im Anfang bei Gott war, dass alles durch dies geworden ist und ohne dies nichts geworden ist; dass alles, was geworden ist, Leben ist in ihm, und das Leben das Licht war für die Menschen und dass das Licht in der Finsternis leuchtet und die Finsternis es nicht erfasst hat‹ (Jo 1, 1 – 5); und dass die Menschenseele, ob sie schon ›Zeugnis gibt vom Licht‹, doch ›nicht selber das Licht ist‹, sondern dass das Wort, Gott selbst, ›das wahre Licht ist, das jeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt‹; und dass Gott ›in dieser Welt war und die Welt durch ihn geschaffen ist und die Welt ihn nicht erkannt hat‹ (Jo 1, 7 – 10). Das andere aber, dass ›er in sein Eigentum kam und die Seinigen ihn nicht aufnahmen, er aber allen, die ihn aufnahmen, die Macht gab,

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Kinder Gottes zu werden durch den Glauben an seinen Namen‹ (Jo 1, 11 f.) – das habe ich dort nicht gelesen. Ebenso las ich dort, dass das Wort, also Gott, ›nicht aus dem Fleisch, nicht aus dem Blut, weder aus dem Willen eines Mannes noch aus dem des Fleisches, sondern aus Gott geboren‹ ist (Jo 1, 13); aber dass ›das Wort Fleisch geworden ist und unter uns gewohnt hat‹ (Jo 1, 14), habe ich dort nicht gelesen. Wohl fand ich in jenen Büchern verschiedentlich und mannigfach gesagt, dass der Sohn ›in der Gleichgestalt mit dem Vater (in forma patris)835 es nicht für einen Raub gehalten hat, Gott gleich zu sein‹ (Phil 2, 6), da er dieses ja von Natur aus ist. Aber dass er sich selbst entäußerte (exinanivit), indem er Knechtsgestalt annahm ( formam servi accipiens), den Menschen sich gleich machte (in similitudinem hominum factus) und im Verhalten wie ein Mensch befunden wurde‹, dass ›er sich erniedrigt hat (humiliavit) und gehorsam geworden ist bis zum Tode, ja bis zum Kreuzestod, weshalb ihn Gott erhöht hat (exaltavit)‹ von den Toten, ›und ihm einen Namen verliehen hat, der über alle Namen ist, auf dass sich im Namen Jesu beugen alle Knie im Himmel und auf Erden und in der Unterwelt und jegliche Zunge bekenne: ›Jesus ist der Herr‹ zur Ehre Gottes des Vaters (Phil 2, 7 – 11), davon sagen jene Bücher nichts. Ja, dass vor (ante) allen Zeiten und erhaben über (supra) alle Zeiten unwandelbar beharrt Dein eingeborener Sohn, gleichewig (coaeternus) mit Dir, und dass alle Seelen das Glücklichsein ›aus seiner Fülle‹ (Jo 1, 16) empfangen, damit sie selig sind, und dass sie durch Teilhabe an der in sich verharrenden Weisheit erneuert werden (participatione manentis in se sapientiae renovantur), damit sie weise sind, das findet sich dort, – dass er aber ›zu bestimmter Zeit (secundum tempus) für Gottlose gestorben ist‹ (Röm 5, 6) und dass Du Deines ›einzigen Sohnes nicht geschont, sondern ihn für uns alle dahingegeben hast‹ (Röm 8, 32), das steht dort nicht.«

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Der Text 73 markiert eine deutliche Grenze zwischen dem, was nach Röm 1, 19 f. von der menschlichen Vernunft im Blick auf die Schöpfung als das Unsichtbare und deshalb nur geistig Erfassbare der göttlichen Natur erkannt werden kann, und dem, was Gott darüber »vor den Weisen verborgen« und nur »den Kleinen offenbart hat.« 836 Der Gottesbegriff der philosophischen theologia naturalis expliziert, was Gott der menschlichen Vernunft a priori von seiner Natur mitgeteilt hat. Dazu gehört die Einsicht, dass sich die aus Gott heraus wirksame Kraft kontinuierlich bis hin zur menschlichen Seele entfaltet. Im Prolog zum Vierten Evangelium, an dem sich Augustinus in seiner Darstellung platonischer Philosophie orientiert, kommt das in dem Satz zum Ausdruck, dass die hominis anima ›Zeugnis gibt vom Licht‹, das von Gott und seinem Wort als dem intelligiblen Anfangsgrund aller Wirklichkeit ausstrahlt. Unplatonisch ist dagegen, dass die Heilige Schrift die göttliche und die menschliche Natur durch den Begriff der »Niedrigkeit (humilitas)« charakterisiert. Gott zeigt in der Menschwerdung, d. h. im räumlich und zeitlich konkreten Vorgang einer Selbsterniedrigung, die den Tod am Kreuz einschließt, dass er in seinem eigenen Wesen ›milde ist und demütig von Herzen‹ (Ps. 4, 9). Damit ist zugleich gesagt, dass die menschliche Natur so intensiv durch »Niedrigkeit« und »Mühsal (labor)« (Ps. 24, 18) gekennzeichnet ist, dass sie nur um den harten Preis der Selbstopferung Gottes in die Nähe zu ihm gebracht werden kann, die tatsächlich das ›Glück‹ ist, von dem die Telosformel der antiken Ethik spricht837. Was der Mensch in der Heiligen Schrift über die göttliche Natur und das in sich gebrochene Wesen seiner eigenen erfährt, ist keine organische Erweiterung dessen, was er darüber aus der Perspektive philosophischer Weisheit wissen kann. Die biblischen Aussagen dazu stehen deshalb nicht unter der prinzipientheoretischen Denkform der Einheit des In-sich-Bleibens und Aus-sich Hervorgehens im Sinne platonisch-neuplatonischer Philosophie. Augustinus nimmt sie im letzten Teil des Textes 73 (ab »Ja, dass vor allen Zeiten …«) zwar in einer Fassung auf, die ihren meta-

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physisch-ethischen Doppelsinn und damit die soteriologische Bedeutung ihres Wissens betont, macht aber auch deutlich, dass die Beschreibung des richtigen Wegs zum Heil ausschließlich in der Bibel zu finden ist. Sowohl für Platon als auch für die Bibel geht es um die Einheit von Erkenntnis, Verehrung und Nachahmung der höchsten Kraft, die sich der menschlichen Seele als das summum bonum und damit als Grund ihrer beatitudo zeigen kann. Beide Seiten arbeiten auch mit demselben Begriff seelischer ›Reinigung‹ als der ethischen Voraussetzung dafür, dass die Fülle des göttlich Guten in die menschliche Seele übergehen kann. Beide verstehen Gott als dynamisches Wirken und die ›Seele‹ als Einheit des Wissens und Handelns. Das Kontinuum des göttlichen Wirkens im Sinne der christlichen Religion ist aber nicht mit dem auf der Seite der platonischen theologia naturalis zur Deckung zu bringen. Das ipsum esse des Sohnes, das in seiner ›aequalitas‹ mit dem Vater besteht, bleibt nämlich hier auch unter der Voraussetzung uneingeschränkt erhalten, dass er in der Inkarnation und im Tod am Kreuz menschlichem Fleisch und seinem Todesschicksal freiwillig ähnlich wird. Dieser ›Hervorgang aus sich‹ wäre für die philosophische theologia naturalis ein radikaler Umschlag der göttlichen Qualität in Materie und damit ein gänzlich undenkbarer Vorgang göttlicher Selbstzerstörung. Im biblischen Kontinuum des göttlichen Wirkens stehen also ›Höhe‹ und ›Tiefe‹ sowohl innerhalb der göttlichen Natur als auch im Verhältnis der göttlichen zur menschlichen Natur, die unter den Voraussetzungen der griechischen theologia naturalis grundsätzlich in einer gemeinsamen Welt miteinander verbunden sind, wesentlich weiter auseinander als auf der philosophischen Gegenseite. ›Altitudo‹, ›humilitas‹ und ›exaltatio‹ Gottes bilden nur in biblischer Perspektive ein Kontinuum. Gleichzeitig beschreibt die Bibel das Verhältnis zwischen göttlicher und menschlicher Natur nicht als ein grundsätzlich bestehendes Ähnlichkeitsverhältnis, sondern als das ihrer menschlich verschuldeten Entfremdung. Gott kann deshalb biblisch gesehen nur dann der Inbegriff des Guten sein, wie

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ihn die griechische Philosophie versteht, wenn von ihm eine kontinuierliche Bewegung ausgeht, die seine Menschwerdung und seinen Tod am Kreuz einschließt und dadurch der menschlichen Natur an der umgekehrten Bewegung Anteil gewährt, in der er vom Punkt seiner tiefsten Niedrigkeit in die ursprüngliche Höhe seiner königlichen Herrschaft über die Gesamtheit des Lebens zurückkehrt. Die entscheidende Differenz zwischen platonischer und biblischer theologia naturalis kommt deshalb auch darin zum Ausdruck, dass der Gott der Bibel einen konkreten Namen hat und dass es für das Heil der Seele unerlässlich ist, sich zu diesem von Gott über alle anderen Namen erhöhten Namen zu bekennen, während umgekehrt in der Tradition griechischer theologia naturalis die ›Reinigung‹ der Seele die Konzentration auf eine in sich einfache göttliche Natur voraussetzt, die als solche nicht mit einem Namen zu bezeichnen ist. Da die Platoniker das biblische Kontinuum des Guten nicht als ein solches verstehen können, verfehlen sie aus christlicher Perspektive den ›wahren Kult des wahren Gottes‹ 838 , obwohl dieser auch für sie das höchste Gut darstellt. Sie halten sich an ein zu einfach gefasstes Kontinuum des göttlichen Wirkens, das die Bibel zwar auch kennt, aber an den verlorenen Zustand des paradiesischen Lebens bindet. Nur solange die ursprünglich in der menschlichen Natur angelegte Einheit von Sein, Wollen und Leben wegen der Simplizität (sine ulla egestate, nihil omnino triste, facilitas rerum) ihrer äußeren Lebensbedingungen und der besonderen Gunst ihrer inneren Verfasstheit (summa in carne sanitas, in animo tota tranquillitas, nulla ex cupiditate vel timore bonae voluntatis offensio)839 keiner ernsthaften Belastungsprobe ausgesetzt war840 , hat das Ähnlichkeitsverhältnis zwischen ihr und der göttlichen Natur bestanden, an dem die griechische theologia naturalis grundsätzlich festhält. Man könnte, wenn dies kein Anachronismus wäre, in diesem Zusammenhang vom Rousseauismus des Augustinus und seiner Bibellektüre sprechen. Die Lebensverhältnisse der menschlichen Natur sind einfach und unveränderbar,

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solange sie sich nicht mit essentiellen Mangelsituationen und vor allem nicht mit der Furcht vor dem eigenen Tod auseinandersetzen muss. Auch Augustinus hat wie später Rousseau ein Begründungsproblem, wenn er erklären soll, warum der Einfachheitszustand eines in sich geschlossenen état naturel überhaupt und zudem irreversibel in unübersehbare Vielheit und damit in Gegensätzlichkeit auseinander brechen konnte. Er beruft sich dafür auf die Geschichte vom Sündenfall, die er so liest, dass die causa efficiens für die Zerstörung des paradiesischen Lebens im menschlichen Willen und seiner Freiheit besteht. Augustinus kontextualisiert diese Geschichte, die thematisch zur ›Ethik‹ gehört, durch eine Überlegung, die man, philosophisch gesprochen, der ›Physik‹ zuordnen müsste: Mit der Schöpfung, die biblisch ›aus Nichts‹ entsteht, ist die Form der Veränderung gegeben841. Mit der Erschaffung der Engel und der Menschen konkretisiert sich diese Form zu derjenigen des Willens842. Geschöpfe, die über die Freiheit des Willens verfügen, können ihr Begehren grundsätzlich auf alles und somit auch »auf zeitliche und wandelbare Dinge« richten843 . Und da das, was in der Welt des Werdens der Möglichkeit nach angelegt ist, bei gegebener Gelegenheit auch faktisch eintritt, lässt sich der Sündenfall in platonischer Sprache als Einbruch der Zweiheit in das paradiesische Kontinuum des Guten und damit als Freisetzung einer Dynamik der Differenzerzeugung beschreiben, die als Abkehr von der göttlichen Macht der Einheitsbegründung als eine sich ständig selbst forcierende causa mali wirkt. Nach biblischer Überzeugung kann der Mensch nach dem Sündenfall zwar wollen, dass sich sein Wille zum Schlechten wieder in den zum Guten verwandelt, aber dieser Wille zur Selbstkorrektur ist, wie schon Paulus gesehen hat, viel zu schwach, um das Handeln tatsächlich in die Richtung des Guten zu lenken. Die milden Mittel des Tadelns und Ermahnens, die in der antiken Ethik eingesetzt werden, reichen deshalb nicht aus, den Willen zum Schlechten effektiv zu bekämpfen, wenn er denn einmal zum Zuge gekommen ist. Unmythisch könnte man deshalb sagen: Augustinus hat

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ein Bewusstsein davon, dass bei gegebenen Mangelsituationen die Kräfte des Begehrens, die im Paradies durch die Gunst der Umstände im Zustand der Latenz gehalten wurden, sich in einer dynamischen Wechselwirkung von »Furcht« und »Begehren« zur Eigensucht entfalten, die wir bis heute zu Recht als individuelle und soziale causa mali diagnostizieren, aber nicht entscheidend schwächen können. Auch wenn man sie auf Zeit eindämmen oder Regeln dafür erfinden kann, dass auf dieser Grundlage öffentliche Güter entstehen, ist jede Eindämmung immer auch eine Bestätigung dieser grundsätzlichen Übelquelle. Wir wissen auf der einen Seite, dass wir als Mängelwesen vom Interesse an uns selbst abhängen, aber auch, dass sich daraus leicht eine Dynamik entwickelt, die uns in ihren destruktiven Folgen auf den Zustand einer Hilflosigkeit zurückwirft, die noch größer ist als die, die wir beseitigen wollten, wobei es wichtig ist zu verstehen, dass dieser Gesetzmäßigkeit kein individueller, sondern ein struktureller Mangel zugrunde liegt, der bis heute insbesondere die Rationalität politischer Problemlösung bestimmt. Für Augustinus treibt die menschlich bejahte Kraft der Entzweiung einen Keil zwischen ›die unsterbliche Reinheit hoch oben‹ und ›das sterblich Unreine tief unten‹ 844 , so dass ihre Distanz durch die im Paradies wirksame Form des Kontinuums zwischen göttlicher und menschlicher Natur nicht mehr überbrückt werden kann. Dieses Kontinuum bricht nur dann nicht auseinander, wenn der menschlich verstärkten Dynamik ›unbestimmter Zweiheitlichkeit‹ eine ihr überlegene und deshalb andersartige Kraft der Einheitsstiftung entgegentritt. Dazu aber muss in der ›Mitte‹ als dem entscheidenden, von beiden Enden des göttlichen Wirkens gleich weit entfernten Punkt dieses Kontinuums ein mediator auftreten, der anders als die platonische Weltseele845 die Kraft hat, sich sowohl den »niedersten Wesen anzugleichen« als auch dem ›Vater‹ durch ein Verhältnis ungebrochener Ähnlichkeit verbunden zu sein846. Nur aus der Dynamik maximaler Selbstexpansion der göttlichen Natur, die darin nicht in die Differenzform der Zweiheit

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auseinander fällt, sondern in der Einheit des vere esse verharrt, kann die menschliche Natur von ihrer voluntas perversa »gereinigt« und aus der regio dissimilitudinis progressiv voranschreitender Zweiheitlichkeit in die einheitsbestimmte regio beatitudinis zurückgebracht werden847. Das, was griechisch nur als Bruch im Kontinuum des göttlichen Wirkens zu verstehen ist, nämlich die negatio sui ipsius, die bereits Paulus in einer für Augustinus vorbildlichen Weise unter dem Stichwort ›Erniedrigung (κνωσις)‹ im Philipperbrief beschrieben hat 848 , erscheint nur dann als integraler ›Teil‹ des göttlichen Wirkens, wenn man bereit ist, sowohl am philosophischen Begriff des aus sich heraus wirkenden und darin die Natur insgesamt durchdringenden göttlichen Guten festzuhalten als auch die in der Bibel beschriebene Geschichte vom selbst verschuldeten Fall der menschlichen Natur aus einem Zustand der Einheit mit Gott und sich selbst in den der radikalen Entfernung von ihm und den damit verbundenen Zustand der Fremdheit mit sich selbst überzeugend zu finden. Nur in der Kombination aus diesen beiden Vorzeichnungen ist Gott als der Urheber alles Guten zu verstehen, weil seine Inkarnation ›logisch‹ gesehen unter dieser Voraussetzung die einzige Möglichkeit darstellt, die menschliche Natur auch noch in der Entfernung von ihm zu erreichen und sie von dort in Zustand des Guten zurückzuführen, der ihr von der Schöpfung her bestimmt, aber nach dem Sündenfall für sie aus eigener Kraft unerreichbar geworden ist. Nur wenn das soteriologische Handeln Gottes notwendiger Bestandteil des Kontinuums ist, das als Wirkung des Guten von ihm ausgeht, ist das, was die Bibel darüber sagt, etwas anderes als eine mythische Fiktion849 . c) Die unplatonische Anthropologie des Augustinus Augustinus widerspricht entschieden der im Kern optimistischen Anthropologie der griechischen theologia naturalis. Origenes hatte sie schon in der Auseinandersetzung mit Kelsos als Anthropologie angemaßter Autarkie kritisiert und ihr eine christliche Variante der

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Definition des Menschen als Mängelwesen entgegengestellt 850 , die der Form nach ihre begriffliche Vorzeichnung schon bei Paulus findet. In der Sicht des Augustinus gilt für den Platonismus der Satz: »Die Philosophie begnügt sich mit wenigen urteilsfähigen Menschen, meidet absichtlich die große Menge und wird ihrerseits von der Menge verdächtigt und abgelehnt.« 851 Obwohl dieser Satz in protreptischen Texten, etwa im Hortensius Ciceros und in seinen Tusculanae disputationes, zurückgewiesen wird, kann man ihn durchaus im Selbstverständnis der Philosophie verankern, insofern es ihr tatsächlich primär um die Qualität ihres soteriologisch konzipierten Wissens geht und deutlich weniger um die Quantität seiner Wirkung. Kelsos hat den internen Anspruch der Philosophie dem Christentum mit dem Satz entgegengehalten, dass nur wahrhaft gebildete und tugendhafte Menschen im hypernoetischen Erfassen des Gottes ›jenseits von Wesenheit‹ zusammen mit dem internen Reichtum des Göttlichen das Gesetz erkennen können, das der eigenen Lebensführung die Qualität des Guten sichert852. Von daher hat die Philosophie keinen Anlass, im Blick auf ihre relativ geringe Außenwirkung ihre Einsicht in das Wesen des göttlich Guten und die Bestimmung des menschlichen ›Glücks‹ zu verändern oder die anthropologische Voraussetzung für das vollkommene Leben anders zu konzipieren als im Blick auf ein grundsätzliches, wenn auch faktisch nur schwer zu realisierendes Ähnlichkeitsverhältnis zwischen göttlicher und menschlicher Natur. Wenn die Philosophie aber selbst weiß, dass das von ihr propagierte Ziel des guten Lebens höchst selten erreicht wird, dann müsste das in der Sicht des Augustinus sehr wohl ein Grund dafür sein, die Voraussetzungen des eigenen Begriffs von diesem Ziel und damit auch den Weg seiner Realisierung selbstkritisch zu überdenken. Augustinus stellt sich dieser Aufgabe im Zusammenhang einer maßgeblich von Paulus vorgegebenen Reflexion auf die affektive Dimension des menschlichen Begehrens, die an das Theologumenon der Erbsünde anknüpft. Danach besteht

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der Sündenfall in einer freiwilligen Umorientierung des in der menschlichen Natur grundsätzlich wirksamen Eros, bei der er sich aus falschem Selbstvertrauen (superbia) vom paradiesisch einfachen amor dei und vom ebenso einfachen, weil mit ihm differenzlos zusammenfallenden amor sui zur ›zweiheitlichen‹, vom amor dei grundsätzlich abgespaltenen Selbstliebe verändert, die in der Sprache des 17. und 18. Jahrhunderts als amour propre des Selbstinteresses sowohl von einem amour de soi unterschieden wird, der das eigene mit dem allgemeinen Interesse immer schon verbunden hat, als auch von einem amour pur, der von jedem Selbstinteresse frei ist. Für Augustinus ist die affektive Grundkraft des postparadiesischen Lebens ein amour propre, der sich nicht damit zufrieden gibt, einfacher amour de soi zu sein, und die Kraft zu einem amour pur überhaupt nicht kennt 853 . Wie in Rousseaus Zustand der Zivilisation überlagern und verdrängen individuelle, sozial oder politisch an sich selbst interessierte Orientierungsmuster des menschlichen Handelns und Denkens die Norm allgemeiner Gerechtigkeit und Wahrheit, die dadurch nichts anderes mehr ist als ein Gegenstand ohnmächtiger Erinnerung oder unerfüllbarer Sehnsucht 854 . Unter dieser Voraussetzung wirkt die Aufforderung der antiken philosophischen Ethik, aus dem »Nachsinnen« über den göttlichen Grund aller Einheit den in sich zweiheitlichen amor sui der durchschnittlichen Alltäglichkeit aus einem entschiedenen Interesse am eigenen Glück in den einheitsbestimmten amor dei zurückzuverwandeln, wie eine Naivität. Sie muss deshalb durch eine anders akzentuierte Ethik der imitatio dei ersetzt werden, die das Ziel verfolgt, das göttliche exemplum humilitatis im Zentrum der menschlichen Lebensführung zu verankern855 . Wenn die göttliche humilitas im Selbstopfer besteht, dann setzt dessen ›Nachahmung‹ ein Bewusstsein voraus, das Augustinus mit den Begriffen des ›gebrochenen Geistes‹, des ›zerknirschten« oder des ›zerschlagenen Herzens‹ umschreibt 856. Nur wenn der amor sui mit seinem Begehren, das sich ausschließlich auf veränderbare, vom ›Nichtsein‹ durchdrungene Güter rich-

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tet, aus Einsicht in seine strafwürdige Ungerechtigkeit freiwillig ›stirbt‹, kann die menschliche Seele in ihrer eigenen humilitas vom amor dei durchdrungen werden und, aufgebaut auf ihm und in der ›Nachahmung dessen, den (sie) verehrt‹, mit dem Leben umfassender caritas die ›religionis summa‹ erreichen 857. Diese Umkehr aber bedeutet für das menschliche Selbstbewusstsein die radikalste aller denkbaren Krisen, nämlich ein unerbittliches Selbstgericht, das im eigenen Herzen das göttliche Endgericht illusionslos vorwegnimmt. In ihm geht es deshalb um ein Urteil, das mit dem Vollzug des holocaustum vitae suae im Sinne des vom fleischlichen Begehren bestimmten Lebens eine Form des vollständigen Nichtseins erreichen muss858 , so dass auf dieser Voraussetzung Leben entweder gar nicht oder nur auf der Grundlage einer vollständigen commutatio seiner selbst durch die Fülle göttlicher Gnade, paulinisch gesprochen als Rechtfertigung des Sünders möglich ist859 . Die augustinische Konzeption der inneren Umkehr der Seele als Übergang vom ›Tod‹ zum ›Leben‹ sprengt den Rahmen der antiken Ethik, die ›Verähnlichung mit Gott‹ nicht als radikalen und nur passiv erfahrbaren Qualitätswechsel, sondern als durch Arbeit an sich selbst vorbereitete Optimierung einer vorgegebenen, durch äußere Umstände und innere Schwäche reduzierbaren, aber nicht grundsätzlich verlierbaren Qualität versteht. Augustinus geht es um eine Praxis der Selbstreflexion, wie sie für die Moderne charakteristisch werden sollte und die in ihrer Realisierung offensichtlich für vielfältige Arten des Missbrauchs anfällig ist. Trotz der negativen und intolerablen Folgen, die aus ihrer verfehlten Realisierung hervorgehen, ist sie im Kern Selbsterkenntnis, die realistischerweise nicht mit einer für den Menschen vermeintlich ›natürlichen‹ Vorgabe des Guten, sondern mit der gesamten Dynamik des Schlechten rechnet, die so intensiv zu seiner Lebensform gehört, dass wir normalerweise dazu tendieren, sie unter harmloser klingenden Selbstbeschreibungen zu verstecken. Augustinus ist offensichtlich ein christlicher Anhänger des alten Prinzips vom ›Lernen durch Leid‹, das in der griechischen

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Tragödie offen ausgesprochen wird, und er macht von daher mit einer ähnlichen Rücksichtslosigkeit deutlich, dass zur Wahrheit über uns selbst das tiefe Erschrecken vor dem gehört, was Menschen tun können, wenn sie nichts anderem nachzugehen scheinen, als einem ganz plausibel scheinenden Interesse an sich selbst. Augustinus integriert den prinzipientheoretischen Grundbegriff des summum bonum dadurch in seine vera religio, dass er ihrem ›physischen‹ Teil mit dem Begriff der göttlichen Selbsterniedrigung eine neuartige Fassung gibt. Auf diese Weise wird in ihrem ›logischen‹ Teil das Prinzip des Guten und damit der ›Anfang‹ aller von ihm geschaffenen Wirklichkeit als eine mit universaler Wirkungsmacht ausgestattete Autorität anerkannt, die in der ›Person‹ des eingeborenen Gottessohnes authentisch verkörpert ist. In ihrem ›ethischen‹ Teil wird das ›Sein‹ der göttlichen Selbsterniedrigung zum exemplum des menschlichen Verhaltens, das wesentlich vom Bewusstsein eigener Ungerechtigkeit und zugleich vom Affekt der Dankbarkeit für die menschlich nicht nachvollziehbare Stärke der göttlichen Gnade getragen wird. Von daher könnte man sagen: Augustinus erweitert in seinem Verständnis von vera religio und vera philosophia den Prinzipienbegriff der griechischen theologia naturalis durch den der rhetorisch gestifteten constitutio pacis atque iustitiae. Er war Cicero-Kenner genug, dass man das auch so wiedergeben kann: Augustinus aktualisiert unter christologischen Vorzeichen den Begriff des magnus vir et sapiens, der mit der Souveränität und Autorität seiner sapientia und der aus ihr heraus wirkenden eloquentia das menschliche Leben aus dem Elendszustand der kult- und kulturlosen ignorantia und der caeca cupiditas in den Vollkommenheitszustand universaler Gerechtigkeit versetzt 860. Um zu klären, was diese Modifikation bedeutet, möchte ich (1) das Verhältnis von Schöpfungs- und Inkarnationstheologie thematisieren, um zu zeigen, dass die Favorisierung des prinzipientheoretischen Konzepts der Autorität bereits in der ›Verbes-

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serung‹ der antiken Kosmologie durch das Konzept der creatio ex nihilo angelegt ist. Danach möchte ich (2) die Dialektik von Ferne und Nähe zwischen Augustinus und dem Platonismus im Blick auf seine Auseinandersetzung mit Porphyrios beleuchten und abschließend (3) betonen, dass Augustinus auch das Verhältnis von »Autorität« und »Vernunft« nicht als Gegensatz, sondern als ein Kontinuum konzipiert, das von der Autorität ausgeht, aber sein ›natürliches‹ Ende nur in der Vernunft finden kann. (1) Das Kontinuum von Schöpfung und Erlösung Die These von der creatio ex nihilo ›verbessert‹ die klassische Theorie von der ›ewigen‹ Einheit des Kosmos als einer in sich vollkommenen Ordnung, in der alle Materie ohne jeden Rest Träger allgemeiner Formen ist. Im Bereich des Werdens wirken deshalb Regeln, die nicht dem Werden unterliegen, so dass es dort keine Zweiheit gibt, die nicht vom Prinzip der Einheit bestimmt wäre. Die creatio ex nihilo erweitert demgegenüber den Spielraum der Zweiheit ganz erheblich, so dass die Schöpfung insgesamt von einer Gegensätzlichkeit durchdrungen ist, die nur durch Autorität zur Einheit gebracht werden kann. Augustinus stützt sich bei der Entfaltung dieses Gedankens auf eine einfache Gegenüberstellung von ›Einheit‹ und ›Zweiheit‹, wobei ›Zweiheit‹ als Inbegriff des ›Nichtseins‹ dem creativen Akt Gottes weder entgegenwirken noch ihn unterstützen kann861. Gott ist das einzige ›unwandelbare Gut‹, so dass alles, »was er geschaffen hat, zwar gut ist, weil es von ihm (ab illo) stammt, doch auch wandelbar, weil es nicht aus jenem (de illo), sondern aus Nichts (de nihilo) erschaffen ist.« Das Nichts tritt innerkosmisch als ›Werden‹ auf, das grundsätzlich der Zweiheitlichkeitsform des ›Mehr und Weniger‹ unterliegt862. Das, was Heraklit und die Stoiker nur behaupten, wenn sie dem Kosmos die Form der discordia concors zuordnen863 , wird von Augustinus auf ein genetisches Prinzip zurückgeführt. Welche systematischen Konsequenzen das hat, möchte ich in einem Seitenblick auf den Abschnitt 18 des elften Buches von De

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civitate dei andeuten. Dort vergleicht Augustinus »das geordnete Weltganze« mit einem »herrlichen Gedicht«, dem er als Dichtung das definitorische Merkmal zuordnet, »mit allerlei Antithesen ausgeschmückt« zu sein. Das carmen pulcherrimum der geschaffenen Natur beruht auf der göttlichen Redekunst des verbum divinum, »die statt der Worte sich der Dinge bedient (non verborum, sed rerum eloquentia).« 864 Nur das göttliche Schöpfungswort konnte die alles umfassende »Schönheit des Weltalls« als Einheit aus Gegensätzen ›zusammenstellen‹ und damit der menschlichen Sprache und Dichtung die Form ihrer schöpferischen Tätigkeit vorgeben. Dichtung ist Nachahmung der Weltschöpfung, und Weltschöpfung ist ihrer Form nach Paradigma und optimale Realisierungsgestalt aller Dichtung. Der Textabschnitt schließt deshalb konsequent mit der dem Buch Sirach (33, 15) entnommenen Aufforderung, ›die Werke des Höchsten so zu betrachten‹, dass ihre bipolare Struktur (bina bina, unum contra unum), die sich im Gegensatz von Gut und Böse, Leben und Tod, Gottesfurcht und Gottlosigkeit zeigt, als Ausdruck der Einheit zu verstehen ist, die die göttliche Redekunst dem Weltall bereits durch die autoritative Kraft ihres Schöpfungswortes als die Form seiner Schönheit aufgeprägt hat. Von daher lenkt diese Aufforderung die Aufmerksamkeit des Lesers auf den ersten Satz dieses Abschnitts zurück, der in nuce eine Theodizee entfaltet, indem er behauptet, Gott bediene sich der vom Anfang der Schöpfung vorhergesehenen »Schlechtigkeit« der Engel und Menschen »zum Nutzen der Guten.« 865 Der Leser kann deshalb dem genannten Text diese Folgerungen entnehmen: Das göttliche Schöpfungswort ist Redekunst, die ihre sapientia dadurch zum Ausdruck bringt, dass sie im Kosmos Gegensätzliches durch die Form der Schönheit zu einer in sich kontrastreichen Einheit verbindet. Die Heilsgeschichte ist deshalb einschließlich der Inkarnation und des göttlichen Selbstopfers die soteriologisch wirksame Konkretisierung der Verbindung des ›Hohen‹ und ›Tiefen‹, die bereits der Schöpfung den Charakter der Schönheit gegeben

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hat. Nur durch die besondere Realisierung der discordia-concorsRegel, bei der ›der mit dem Vater wesensgleiche Sohn es für würdig hielt, den ganzen Menschen anzunehmen«, konnte »fleischlichen« Wesen, »die unfähig zur geistigen Schau der Wahrheit und den körperlichen Sinnen verhaftet« sind, gezeigt werden, »welch hohen Platz die menschliche Natur« vom Anfang der Schöpfung und von ihrer eschatologischen Bestimmung her »unter den Geschöpfen einnimmt.« 866 Die Soteriologie erweitert also die Lehre von der Schöpfung und bildet mit ihr ein Kontinuum. Stifter dieses Kontinuums ist das verbum divinum, das in der erlösenden Tat und in seinem erlösenden Wort konkretisiert, was es als schöpferische Redekunst bereits ›im Anfang‹ ist. (2) Christus als vir magnus atque divinus und die angebliche superbia der Platoniker Im letzten Teil des Buches X der civitas dei will Augustinus in der Auseinandersetzung mit Porphyrios zeigen, dass die ›neuplatonische‹ als die führende Philosophie in der Zeit nach Christi Geburt in ihren avanciertesten Vertretern von sich aus dazu tendiert, das Prinzip aller Wirklichkeit als göttliche Autorität zu bestimmen. Zugleich will er mit seiner soteriologischen Definition des Endziels für das menschliche Leben anschlussfähig bleiben für die Tradition philosophischer Ethik, die sich immer schon als Beitrag zur Überwindung ›enger‹ egoistischer Perspektiven des Denkens und Handelns verstanden hat. Auch die Begrifflichkeit, in der Augustinus dieses Endziel beschreibt, bleibt dem philosophischen Prinzipienbegriff der Einheit als dem Grund alles Guten verpflichtet, während der Begriff ›unbestimmter Zweiheit‹ hier wie dort die causa mali bezeichnet. Dennoch entfernt sich Augustinus mit der inhaltlichen Darstellung des menschlichen Weges zur beatitudo von der philosophisch vorgegebenen Verbindung von ›Physik‹ und ›Ethik‹, ohne damit das Konzept wechselseitiger Durchdringung von ›fides‹ und ›intellectus‹ oder ›auctoritas‹ und ›ratio‹ aufzugeben867.

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Die Distanz zur platonischen Philosophie wird schon auf den ersten Blick daran erkennbar, dass Augustinus ihr aus derselben gedanklichen Bewegung heraus, mit der er die Trinitäts- und Schöpfungstheologie um eine Theologie der Inkarnation erweitert, das menschliche Grundübel der superbia unterstellt. So wird dem Platonismus zwar zugestanden, dem wahren Grund der Wirklichkeit näher gekommen zu sein als jede andere Philosophie868 , in einer für die antike Ethik verbindlichen Weise die ungebremste Bewegung zum unbestimmt Vielen869 als die Wurzel aller Übel diagnostiziert und die umgekehrte Bewegung von der Vielheit zur Einheit als den einzig möglichen Weg zum Guten dagegen gesetzt zu haben. Dennoch gehört die von Platon ausgehende Philosophie, obwohl sich sein eigenes theologisches Denken ohne sie gar nicht hätte entfalten können, für Augustinus auf die Seite des von Gott abfallenden und daher elenden Lebens. Zwar haben die meisten Platoniker der christlichen Ära das Wenige, das dazu überhaupt nötig war, aus der christlichen in ihre eigene Lehre übernommen und sind dadurch Christen geworden870. Die Übrigen aber, wie eben Porphyrios, sind den Lastern der superbia und der invidia verfallen und haben sich dadurch »mit solchem Schmutz und Leim« beschwert, dass ihnen das den Aufflug zu der Höhe verwehrt hat, in der auch nach ihrer eigenen Rede das summum bonum allein zu finden ist871. So hat Porphyrios, den Augustinus im Text wie eine anwesende Person direkt anredet, zwar ansatzweise den trinitarischen Gott erkannt 872, ihn aber dennoch eher plural und nicht als den trinitarisch Einen verstanden873 . Er hat richtig gesehen, dass der Mensch nur durch den Urgrund aller Wirklichkeit »gereinigt« werden kann, aber aus Neid und Stolz »nicht einsehen« wollen, »dass der Herr Christus der Urgrund ist«, und wir deshalb allein »durch dessen Fleischwerdung gereinigt werden« können 874 . Er hat gewusst, dass es zur Erlösung der Menschheit nur einen einzigen Weg geben kann, der jedoch dem menschlichen Wissen gemäß dem Satz »latet omne verum« 875 aus eigener Kraft nicht zugänglich ist876.

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Augustinus hat deshalb geglaubt, gegenüber Porphyrios die Rolle eines Psychologen einnehmen zu müssen, der seinen ›Patienten‹ besser zu verstehen meint als dieser sich selbst. Nur so konnte er sich erklären, warum Porphyrios trotz ›richtiger‹ Einsichten den Übergang vom Wissen zum Glauben und die damit verbundene Umstellung des prinzipientheoretischen Hauptbegriffs vom intelligiblen Grund aller Wirklichkeit zu dem der göttlich legitimierten Autorität und ineins damit die Umstellung des Begriffs des göttlich Guten zu dem der in Gott wirkenden Barmherzigkeit nicht vollzogen hat. Die Überzeugung, dass »eine so wichtige Angelegenheit« wie die Frage nach dem universalen Heil nur im Vertrauen auf eine »überragende Autorität« eine Antwort finden kann877, muss im Inneren seines Herzens als geheime Ahnung so wirksam gewesen sein, dass die Kraft, sie dennoch zu verdrängen, nur diejenige gewesen sein kann, die in der menschlichen Natur grundsätzlich als prima causa mali wirkt, nämlich das Laster der superbia, das die platonische Philosophie angeblich von ihrem Gründer übernommen hat. Nur aus dem Bewusstsein, ein Philosoph und als solcher mit der intelligiblen Wirklichkeit durch ein intensives Ähnlichkeitsverhältnis verbunden zu sein, konnte ein Porphyrios das irdische Leben Christi als Erleiden des Schlechten und eines Gottes Unangemessenen statt als uneingeschränktes Tun des Guten wahrnehmen. Infolgedessen hat er in Christus nicht die auctoritas praestantissima erkennen können, die der Platonismus angeblich selbst herbeigesehnt hat878 . Und genau so wie die Ursünde Adams und Evas und die Übeltat des Brudermörders Kain in ihren Nachkommen weiterwirkt, lebt in Porphyrios der Stolz Platons weiter, der ihn daran gehindert hat, die sapientia et scientia vera879 in einer menschlichen Person und in ihrem Wirken verkörpert zu sehen. Die negative Probe darauf, dass einzig der Sohn Gottes die göttliche Weisheit, die er selber ist, auch wirksam machen kann, besteht im Misserfolg Platons und seines Lehrers Sokrates bei dem Versuch, »die Meinung« ihrer Zeitgenossen »vom abergläubischen Götzendienst … zum

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»wahren Gottesdienst hinzulenken.« 880 Christus hingegen hat genau das erreicht881 und dadurch bewiesen, dass die »vera ratio« nur als Person wirksam sein und nur er beanspruchen kann, die »verae rationis persona« zu sein882. Augustinus musste sich deshalb noch einmal mit der ganzen Kraft seiner konstruktiven Imagination in den inneren Grund einer ›anima platonica‹ versetzen, um sich und seinen Lesern zu suggerieren, dass Platon selbst, stünde ihm das Wirken Christi vor Augen, freiwillig zweierlei eingestehen müsste: Einzig die ›herausragende Autorität‹ eines vir magnus atque divinus kann »das Volk zum Glauben an diese [die christlichen] Wahrheiten überreden, die ihm unbegreiflich sind.« Und allein sie kann »den wenigen, die sie begreifen können, dazu verhelfen, dass sie nicht von falschen Ansichten der Masse verwirrt und von weit verbreiteten Irrtümern mit fortgerissen werden.« 883 (3) Zum Verhältnis von ›auctoritas‹ und ›ratio‹ Augustinus, und dieses Verb wähle ich bewusst, will auch dort ein Kontinuum sehen, wo man es, wenn man dies denn nicht will, keineswegs sehen muss. Die These vom Kontinuum zwischen ›Platonismus‹ und Christentum ist, wie die von ihm eingesetzten Begründungsfiguren beweisen, nicht einmal für Augustinus eine Selbstverständlichkeit gewesen. Er trägt mit der Begründung für diese These vielmehr ein Problem aus, das zwar auch, aber keineswegs nur sein privates gewesen ist, nämlich das des Übergangs vom antiken zu einem ›christlichen‹ Wirklichkeitsverständnis. Wenn dies zugleich den Übergang in die Moderne bedeutet, dann ist damit das Bewusstsein von der Grenze einer spezifisch menschlichen Rationalität verbunden, die nur noch Teile, aber nicht mehr das Ganze der Wirklichkeit erschließt, und das Bewusstsein davon, dass menschliche Lebensverhältnisse insgesamt von der Struktur einer für sich frei gesetzten ›Zweiheitlichkeit‹ bestimmt sind und deshalb nicht auf eine substantielle Form der Einheit zurückgeführt werden können. Dass Augustinus das Pro-

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blem dieses Übergangs ausdrücklich verhandelt, macht bis heute die systematische Bedeutung seines Denkens aus. Man kann allerdings nicht behaupten, dass die Begründungsfiguren, mit denen er das Kontinuum zwischen ›Platonismus‹ und Christentum plausibel machen will, lediglich seine Konstruktion sind. Das, was er will, ist durch das zunehmend soteriologisch aufgeladene Philosophieverständnis der Spätantike im Allgemeinen und durch die erkenntniskritische Dimension gerade der Philosophie des Porphyrios im Besonderen vorbereitet. Letztlich einleuchtend wird die Kontinuitätsthese für Augustinus jedoch nur im Blick auf die Autorität Christi, der als göttlich handelnde und redende Person die absolute Macht des Vernünftigen, Gerechten und damit des Guten wirkungsmächtig verkörpert. Als Träger soteriologischer Macht stützt er sich anders als innerweltliche Autoritäten nicht auf Gewalt (vis), sondern allein auf Überredung und Ermahnung884 . Die Schriften des Alten und insbesondere die des Neuen Testaments sind »Teile« einer göttlichen Mahnrede, die jedem, der ihr zuhört, mit dem Leben des Gottessohnes »auf Erden in menschlicher Gestalt« das allseits überzeugende exemplum ›vollkommener Sittenlehre‹ vor Augen führt 885 . Für ein angemessenes Verständnis des Begriffs der Autorität bei Augustinus ist zu beachten, dass ›Autorität‹ den Anfang eines Kontinuums bildet, an dessen Ende die ›ratio‹ steht. Sie sind die beiden »Mittel (medicinae)«, die Gott »aufeinander folgend in verschiedener Form« zur ›Heilung‹ der in sich gebrochenen menschlichen Natur einsetzt, zuerst die Autorität und danach die Vernunft. Dass mit der zeitlichen Folge auch eine inhaltliche Steigerung verbunden ist, belegen die folgenden Sätze: »Die Autorität erzwingt Glauben und bereitet den Menschen auf die Vernunfttätigkeit vor. Die Vernunfttätigkeit führt zu Einsicht und Erkenntnis (ad intellectum cognitionemque). Doch Vernunfttätigkeit verlässt auch nicht die Autorität, da man überlegen muss, wem man glauben soll, und ganz sicher kommt der bereits einleuchtenden und erkannten Wahrheit selbst die höchste Autorität zu.« 886

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Man kann also sowohl von einem Autoritäts- als auch von einem Wissenskontinuum sprechen, die beide von einer schwächeren zu ihrer Erfüllungsform voranschreiten und sich darin gegenseitig ergänzen. Die vom Wissen nicht ganz verlassene Autorität und das weitgehend autoritativ vermittelte Wissen haben also nur einen zeitlichen oder situationsbedingten Vorrang gegenüber der Autorität des vollkommenen Wissens. Autorität ist das Heilungsmittel für Menschen, die sich mit ihrem Begehren auf zeitliche Güter richten, während erst die summa auctoritas der veritas cognita atque perspicua die Seele vollkommen gesunden lässt, was aber voraussetzt, dass sie ihr Leben vom Begehren nach veränderlichen und sichtbaren Gütern ›gereinigt‹ hat 887. Von daher kann auch die Erregung von Furcht ein angemessenes Erziehungsmittel für diejenigen sein, die noch mehr oder weniger blind ihrem körperlich-fleischlichen Begehren unterliegen und deshalb nur durch eine deutlich spürbare Wirkung auf ihre Affekte zur Korrektur ihres Verhaltens anzuhalten sind888 . Aber auch im Fall des theologischsoteriologischen Wissens gilt die Regel des kontinuierlichen Voranschreitens vom Schlechteren zum Besseren bis hin zum Besten, so dass Frömmigkeit und Weisheit wohl mit Gottesfurcht beginnen889 , aber erst vollkommen sind, wenn sie als ›reine Liebe‹ nicht mehr mit eigenen Vorteilserwartungen kalkulieren, sondern die in Gott verkörperte sapientia allein um ihrer selbst willen lieben890 und mit dieser Liebe die Dimension des vom amour-propre bestimmten Empfindens, Denkens und Handelns der Tendenz nach auflösen, oder wenigstens erheblich schwächen. Hinter dem Autoritätsbegriff des Augustinus steht die jedermann bekannte Praxis des Unterrichts und der Erziehung. Kein Schüler, der schreiben lernen will oder muss, hat von selbst vollkommene Einsicht in das, was Buchstaben, Wörter und Sätze sind. Insofern ist der Lehrer für ihn Autorität. Dessen Tätigkeit ist aber nur dann ›Lehre‹, wenn er weiß, dass seine Schüler nicht ohne Vernunftfähigkeit sind, so dass er sie durch die jeweils geeigneten Mittel des Belehrens und Ermahnens dazu bringen will,

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das im Modus der Autorität Erlernte in das eigene Können übergehen zu lassen. Mit dem Erreichen dieses Ziels verschwindet das Autoritätsgefälle zwischen Lehrer und Schüler, ohne das der Lernprozess keinen Anfang hätte nehmen können. Zur Praxis des Lehrens und Lernens gehört auch der produktive Umgang mit dem Affekt der Furcht. Auch wenn eine vermeintlich menschenfreundliche Pädagogik das nicht wahrhaben will, ist der Satz vom Lernen durch Leid und negative Erfahrung (πθει μθος) nicht nur im Rahmen der antiken Tragödie richtig. Wer sich des Terrors bedient, um das Gefälle zwischen Oben und Unten zur Tyrannis des Oberen über das Untere zu verschärfen, ist kein Lehrer und damit auch keine ›auctoritas‹. Wenn sie hingegen das Mittel der Erregung von Furcht einsetzt, dann nur, weil es das einzige ist, dass in einer bestimmten Situation die Entfaltung eigenständiger Vernunfttätigkeit fördern kann, wobei es immer so eingesetzt werden muss, dass dieses Mittel im Maße der Verwirklichung dieses Ziels überflüssig wird. Das zentrale ethische Motiv, das seinem Autoritätsbegriff zugrunde liegt, teilt Augustinus mit Paulus, nämlich die Kritik an der keineswegs nur in der antiken Welt verbreiteten Neigung, ›sich seiner eigenen Verdienste zu rühmen‹. Wenn es nur Hochmut gewesen sein kann, die sogar einen Porphyrios daran gehindert hat, Christ zu werden, dann würde das Zerschmettern des Hochmuts die psychologisch-pädagogische, man könnte fast sagen die therapeutische Voraussetzung dafür sein, dass die philosophia christiana als »gut angewandte Vernunft« dem Menschen die Richtigkeitsnorm für seine Lebensführung endlich in der ihm angemessenen und von daher auch wirksamen Fassung vor Augen stellt 891. Der Wille, den menschlichen Hochmut zu brechen, prägt besonders das Spätwerk des Augustinus, liegt aber bereits der schon früh getroffenen Entscheidung zugrunde, den Gedanken der Willensfreiheit des Menschen mit dem seiner Handlungsschwäche zu verbinden. Der freie Wille beweist seine Stärke nur bei der Um-

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wendung seines Begehrens von der paradiesischen Einheit der Gottes- und Selbstliebe zum amour-propre, so dass er dafür die Verantwortung auf sich nehmen muss. Danach hingegen ist der freie Wille ein »Wille ohne Macht.« 892 Die Einheit von Willensfreiheit und Handlungsmacht wäre im postparadiesischen Leben nichts anderes als die causa efficiens für ein bellum omnium contra omnes.893 Also ist es für den Menschen gut und gerecht und nicht nur die Voraussetzung für sein ›Heil‹ im soteriologischen Sinn oder die Rechtfertigung Gottes angesichts des in seiner Schöpfung wirksamen Übels, dass der menschliche Wille hinsichtlich seiner Inhalte frei, aber hinsichtlich seiner Fähigkeit, das Gewollte umzusetzen, unfrei ist. Innerweltlich gilt deshalb auch, dass das Erreichen des Gewollten nicht das Verdienst des Wollenden ist. Selbst wer Hervorragendes kann, das sich für viele und vielleicht sogar auf lange Zeit als nützlich oder bereichernd erweist, sollte, wenn er sich selbst richtig versteht, davor gefeit sein, auf sein Können in der Weise stolz zu sein, dass er es sich primär oder sogar ausschließlich als seine Eigenleistung zuschreibt. Es war Michelangelo vergönnt, ein überragender Architekt, Bildhauer und Maler zu sein, aber er war dies nicht aus der Macht seines Willens. Er war es aber auch nicht allein durch eine Gunst, die ihm gewährt worden ist, sondern er war es aufgrund eines ›glücklichen‹ Zusammentreffens seines Wollens und Könnens mit einer Fülle äußerer Umstände, die ihm in vielfacher Hinsicht mehr oder weniger günstig gewesen sind. Bis heute weiß niemand genau, von welchen Komponenten oder von welcher Mixtur von Faktoren Handlungserfolg tatsächlich abhängt, so dass es auch niemanden gibt, der die causa efficiens für das Gelingen dessen, was man will, aus eigener Kompetenz erzeugen kann. Augustinus nennt diese Macht ›göttliche Gnade‹ und transponiert damit die aspektreiche innerweltliche Erfahrung des ›Willens ohne Macht‹ in einen soteriologischen Zusammenhang. Er wiederholt deshalb noch in den späten ›Retraktationen‹ zu seiner Frühschrift De libero arbitrio, was er dort für den Begriff der Wil-

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lensfreiheit festgehalten hat: »Alle Güter stammen von Gott, die großen, die mittleren und die kleinsten. Unter den mittleren befindet sich auch die freie Willensentscheidung (liberum voluntatis arbitrium)«, die nach alten platonischen Kriterien deswegen ein ›mittleres‹ Gut ist, »weil wir von ihr auch schlechten Gebrauch machen können. Doch ist sie derart, dass wir ohne sie nicht lebensfähig sind. Ihr guter Gebrauch aber ist bereits Tugend, die zu den großen Gütern gehört«, die nach denselben Kriterien deswegen ›groß‹ sind, weil sie »niemand missbrauchen kann. Da nun … alle Güter … von Gott stammen, folgt, dass auch der gute Gebrauch des freien Willens, also die Tugend, die zu den großen Gütern gezählt wird, von Gott stammt. Sodann erklärten wir, aus welchem Elend, das Sündern mit vollstem Recht auferlegt ist, die Gnade Gottes erlöst, da der Mensch wohl von selbst, also freiwillig, fallen, aber nicht auch aufstehen konnte, nämlich aus einem Elend, das im Mangel an Einsicht und Kraft besteht, worunter jeder Mensch von Geburt an leidet und aus dem nur Gottes Gnade erlösen kann.« 894 Genau das ist der entscheidende Einspruch des Augustinus gegen die Auffassung, Menschen könnten die causa efficiens wirklicher Güter sein. Er negiert den freien Willen keineswegs. Er macht aber nicht nur klar, dass der freie Wille von sich aus eher das Schlechte und nur unter entscheidender Einwirkung göttlicher Gnade das Gute erreicht, sondern er weist der Willensfreiheit eine spezifische ›mittlere‹ Stelle in einer menschlich undurchschaubaren Ordnung von Handlungsursachen zu. Nicht nur wenn es mit dem höchsten Gut um das Heil seines Lebens geht, sondern auch bei der Verfolgung ›mittlerer‹ Ziele gibt es lediglich ein mehr oder weniger großes menschliches Mitwirken, das wiederum ohne ein freies Mitwirkenwollen nicht zum Tragen kommen kann. Von daher kann man sagen, dass Augustinus mit seinen begrifflichen Mitteln eine systematische Grenze des antiken Handlungsbegriffs und des mit ihm verbundenen Autonomiekonzepts aufgedeckt hat. Der Abschied von der Souveränitätsprätention, die sich mit der Ethik der griechischen

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theologia naturalis und ihrem Konzept der ›Verähnlichung mit Gott‹ verbinden kann, wenn man es nicht authentisch von innen füllt, mag als seine oft diskutierte negative Folgelast den theologischen Absolutismus nach sich ziehen. Als seine positive Konsequenz, die seltener wahrgenommen wird, möchte ich die sonst nur in der Skepsis thematisierte Entlastung des menschlichen Handlungsraums von absoluten Erwartungen und Forderungen herausstellen. Innerweltlich kann man unter der Voraussetzung des Augustinus nur nach dem Zweitbesten streben. Von daher ist es für die nachantike Welt bis heute entscheidend, sich darin zu üben, das Streben nach dem Zweitbesten als angemessenes Streben nach Gutem zu verstehen und dabei zugleich das Faktum zu verarbeiten, dass in der aristokratischen Perspektive Platons das Streben nach dem, was seiner Struktur nach das Zweitbeste ist, überhaupt nicht als Streben nach Gutem zählt. Schließen möchte ich mit einem kurzen Auszug aus dem achten Buch des Spätwerks De trinitate, der nach den bisherigen Erläuterungen einer ausführlichen Kommentierung nicht mehr bedarf. Von ihm aus lässt sich noch einmal die Spannung und die komplexe Interaktion von freiem Willen, eigenem Können, verstehbarer Lehre und göttlicher Gnade beleuchten, um die es im Autoritätsbegriff des Augustinus entscheidend geht. Die Textstelle bezieht sich außerdem auf das zentrale Thema des vorliegenden Buches: die philosophische Prinzipienreflexion, die in der gesamten Antike an eine ethisch qualifizierte Praxis des denkenden und zugleich gewollten ›Aufstiegs‹ zum ersten Grund aller Wirklichkeit gebunden ist. Augustinus hat diesen Grund als den trinitarischen Gott verstanden und dessen Weisheit und Macht nur in der Person Christi authentisch verkörpert gesehen. Das ist für ihn zwingend gewesen, kann aber aus philosophischer Perspektive nicht die allein überzeugende Lösung sein. Von daher passt es gut, dass Augustinus an der ausgewählten Stelle nicht von Christus, sondern von der Wahrheit selbst spricht, die Gott ist, und von dem

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Licht, das von Gott ausgeht, insofern man ihn als den Grund aller Wahrheit versteht. Es ist keineswegs nur in theologischer oder religiös praktischer Hinsicht aufschlussreich, dass Augustinus, wie der hier ausgeblendete Kontext zeigt, seine Überlegung zum Denken des Anfangs aller Wirklichkeit als dem Quellgrund aller Wahrheit im Rahmen einer philosophischen Meditation vorträgt, die deutlich an die Aphairesis-Bewegung dialektischer elementatio anknüpft. Sie will dazu anleiten, den Blick auf absolute Wirklichkeit zu richten, also auf eine Realität ›jenseits‹ alles dessen, was sich uns in Bildern, Imaginationen oder begrifflich fixierbaren Reden erschließt. Es ist deshalb aus menschlicher Perspektive nicht möglich, festzuhalten, was das Absolute in der absoluten Einfachheit seiner Einheit ›ist‹. Die Bewegung des Aufstiegs, die der Text nur in aller Kürze andeutet wird, mag ihr Ziel im reflexionsfreien Augenblick einer einfachen Vorstellung erreichen, in der das ›Herz‹ vor sich sieht, was die Rede in vorbegrifflicher Schlichtheit ›Wahrheit‹ nennt. Damit ist offensichtlich dasselbe gemeint, was der genuin philosophische Satz ›Gott ist die Wahrheit‹ und der Satz aus dem Vierten Evangelium ›Gott ist das Licht‹ ebenfalls mehr dem ›Herzen‹ als dem diskursiven Verstehen vor ›Augen stellen‹ wollen. Als das, was nur im ›inneren Menschen‹ und auch dort nur in der momentanen Evidenz eines Blitzschlags als etwas Gewusstes aufscheinen kann, lässt sich absolute Wahrheit nicht dauerhaft zu einer bestimmten Gestalt des Wissens fixieren. Insofern gehört zur Erfahrung des Aufstiegs immer auch die des Abstiegs und des Zurückgleitens in die Ebene, die von dem, was das Absolute ist, in irritierend weiter Ferne liegt. Nicht nur die ›Zweiheitlichkeit‹ der Wissens- und Handlungsrationalität markiert bei Augustinus den Übergang von der Antike in die Moderne, sondern auch die von ihm umschriebene Erfahrung des Absoluten als einfacher Einheit. Vor allem für die Kunst der Moderne ist das dynamische In- und Außereinander von Form und Struktur auf der einen und momentan aufscheinender Einfachheit einer absoluten Bedeutung auf der anderen Seite eine ständige Herausforderung.

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In unserem Text erscheint als das herabziehende Gewicht, das es verhindert, die momentane Erfahrung unmittelbar aufleuchtender Wahrheit in gesicherte Form zu übertragen, der von Cicero formulierte Interaktionszusammenhang von ›blinder Begierde‹ und vagabundierendem Umherirren, gegen den nur der magnus vir et sapiens eine authentische Wirklichkeit des Guten durchsetzen kann. So mag denn auch von dieser Stelle aus auch noch einmal deutlich werden, wie wichtig dieser Autor für Augustinus gewesen ist. Klar wird dort aber auch, was es für den philosophischen Versuch, den Anfang aller Wirklichkeit zu denken, bedeutet, dass bei ihm das Glück des Gelingens und die Not des Verfehlens kaum voneinander zu trennen sind. Die Leistung der Philosophie, die sich dieser Erfahrung aussetzt und sich ihr nicht, wie dies die philosophische Skepsis rät, verschließt, verliert aus der Perspektive der Meditation des Augustinus jede selbstbezügliche Künstlichkeit. Sie gehört vielmehr in den Zusammenhang des menschlichen Lebens, insofern dort noch die Überzeugung von der Notwendigkeit wirkt, dass die dynamische Spannung, die die philosophische Prinzipienreflexion in ihren Grundbegriffen ›Einheit‹ und ›unbestimmte Zweiheit‹ festhält, in den entscheidenden Formen des menschlichen Denkens und Handelns immer wieder neu bewältigt werden muss. 74 · Augustinus, De trinitate VIII, 2, 3895 »[…] Sieh da, schau hin, wenn du kannst, du vom vergänglichen Körper niedergebeugte, von vielen und mannigfaltigen irdischen Gedanken beladene Seele, siehe da, schau hin, Gott ist die Wahrheit. Es steht nämlich geschrieben: ›Gott ist das Licht‹ (1 Jo 1, 5), nicht wie diese Augen es sehen, sondern wie das Herz es sieht, wenn es hört: er ist die Wahrheit. Frage nicht, was Wahrheit denn ist (quid sit). Sogleich nämlich stellen sich die Dunkelheiten körperlicher Bilder (caligines imaginum corporalium) und die Nebel der Einbildungen (nubila phantasmatum) dem entgegen und

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trüben die Helligkeit (serenitas), die dich im ersten Augenblick (primo ictu) durchblitzte, als ich sagte: ›Wahrheit‹. Sieh, bleibe in diesem ersten Augenblick, in dem es dich wie ein Lichtblitz durchfuhr, als gesagt wurde: ›Wahrheit‹. In ihm bleibe, wenn du kannst (mane, si potes); aber du kannst nicht, du gleitest wieder zurück ins Gewohnte und Irdische. Unter welchem Gewicht, so frage ich, gleitest du zurück, wenn nicht durch den Leim des von der Begierde angehäuften Schmutzes896 und durch die Irrtümer des ruhelosen Herumwanderns?«

Schlussbemerkung

die vorliegende darstellung kann und soll deshalb auch nicht mit einer Zusammenfassung ihrer Ergebnisse abgeschlossen werden. Sie ist insgesamt als progressiv voranschreitende Einübung in den sachgerechten Nachvollzug einer Form des Denkens konzipiert, die meditative, argumentative und affektive Komponenten zu einer komplexen, in sich unterschiedlich akzentuierbaren Einheit verbindet. Angehörige der europäischen Kultur müssen sich die Form in sich verdichteter Selbstbesinnung, in die Denken, Empfinden und Handeln hineinwachsen und darin zu ihrer Einheit finden können, nicht aus einer anderen Welt holen. Sie gehört vielmehr in das Zentrum ihrer eigenen Kultur. Von daher soll zum Schluss noch einmal die Frage aufgenommen werden, was das philosophische Nachdenken über die ›ersten Gründe und Ursachen‹ aller Wirklichkeit für diejenigen bedeutet, die in einer Wirklichkeit leben, die für sie von diesem ›Anfang‹ getragen ist. Bereits die schulmäßigen Bestimmungen der Philosophie als ›Wissenschaft von den göttlichen und menschlichen Angelegenheiten‹ oder als Einheit von Physik, Ethik und Logik verweisen auf eine Maximalform des Denkens, bei der die menschliche Vernunft nachhaltig mit ihrer eigenen Grenze konfrontiert ist. Zu ihr gehört deshalb nicht die ›dogmatische‹ Selbstbehauptung, sondern die bereits im Vorwort beschriebene ›freie Tat‹ kritischer Selbstkonstitution, bei der der Gedanke, der sich auf ›Grundformen‹ der Wirklichkeit bezieht, in der Auseinandersetzung mit gleichartiger Konkurrenz seine Glaubwürdigkeit begründen muss. Mit Friedrich Nietzsche lässt sich diese ›Tat‹ deshalb als ein ›wettkämpferischer‹ oder – in seiner Sprache – als ›agonaler‹ Vorgang beschreiben. Die Form des Wettkampfs gehört bei ihm wesentlich zu einem normativen Begriff von Kultur, die nicht als luxuriöse Zusatzform zum menschlichen Dasein hinzutritt, sondern ihm das

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Schlussbemerkung

Gesetz aufprägt, nach dem es überhaupt erst sinnvoll geführt und insofern ›gerechtfertigt‹ werden kann897. Das setzt voraus, dass ›menschliches Leben‹ als in sich so ambivalent erfahren wird, dass es der Formgebung bedarf, wenn es nicht chaotisch in sich zusammenbrechen soll. Die Philosophen des tragischen Zeitalters – die ›sieben Weisen‹, der ihnen zugehörige Thales, Anaximander, Heraklit, Parmenides, Anaxagoras, Empedokles, Demokrit und Sokrates, vor allem aber Heraklit – sind für Nietzsche diejenigen, die stark genug gewesen sind, den überkomplexen ›Gesammtklang der Welt in sich nachtönen zu lassen und ihn aus sich herauszustellen in Begriffen.‹ 898 Nach Nietzsche besteht die Leistung der Philosophie in einer begrifflichen Darstellung der »Einheitsvorstellung«, die als »Gesetzgebung der Größe«899 dem bewussten Leben die Form aufprägt, ohne die es in der ›gänzliche(n) Unbeständigkeit alles Wirklichen‹900 zu spurlosem Verschwinden verurteilt wäre. Dabei geht es nicht nur darum, »das Reich der Vielheit zu simplificieren«901, sondern das Leben dadurch zu formen, dass es »die größte Erkenntniß, vom Wesen und Kern der Dinge, als erreichbar und als erreicht betrachtet.«902 Die damit verbundene »Wertsetzung« erweist sich aber nicht als einmaliger, ›ursprünglicher‹ Vorgang, sondern als Sekundärvorgang einer ›Umwertung‹, die sich wirkungsmächtig gegen bereits bestehende oder neu sich artikulierende »Wertsetzungen« zur Geltung bringen muss. Die Begrifflichkeit, in der Nietzsche die Leistung der Philosophie beschreibt, ist dem antiken Denken natürlich fremd. Dennoch kann man aus seiner Sicht auf das antike philosophische Denken des Anfangs zurückzublicken. Für Platon ist es der dramatische Versuch gewesen, das ›Auge der Seele‹ zu ihrem eigenen ›Heil‹ von dem wegzuwenden, was lediglich das Gewohntsein auf seiner Seite hat, und es von dem damit verbundenen ›Werden‹ zu dem ›umzudrehen‹, was ›in Wahrheit‹ ist903 . Da das ›Auge der Seele‹ immer etwas vor sich hat, was es als ›das Wahre‹ bewertet oder zumindest so ›in Gebrauch‹ nimmt, bedeutet jede ›Hinwendung‹

Schlussbemerkung

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zu dem ›in Wahrheit Seienden‹ notwendig Auseinandersetzung, und zwar, wie die Entfaltung des prinzipientheoretischen Denkens bereits in der Antike zeigt, gerade auch dann, wenn das, von dem das ›Auge der Seele‹ weggewendet werden soll, selbst schon mit dem Anspruch auftritt, eine philosophisch begründete Wahrheit zu sein. Im Unterschied zu einem regellosen bellum omnium contra omnes geht es deshalb im ›Wettkampf‹ prinzipientheoretischer Argumente nicht darum, das Andere als das Feindliche so effektiv wie möglich aus dem Feld zu schlagen. Vielmehr ist das, was ›umgewertet‹ werden soll, eine Vorform des ›Richtigen‹. Von daher kann man die kunsttheoretische und zudem ethisch implikationsreiche Reflexion Senecas zum Verhältnis zwischen der für sich selbst nicht sichtbaren und insofern gestaltlosen Kraft (vis), die der Herstellung eines Zusammenhangs zugrunde liegt, und ihrer Verkörperung in einer bestimmten Gestalt (exemplum) auf eine Überlegung zum Verhältnis der philosophischen Prinzipienreflexion zu ihren besonderen Realisierungsformen übertragen. Eine Aktivierung der in ihr wirksamen Kraft gelingt nach dieser Voraussetzung nur dadurch, dass sie ihre bereits vorhandenen Verkörperungen durch ›beständige‹, von der ›ratio‹ kontrollierte ›Anstrengung‹ wieder in sich zurücknimmt und dann nach einem Prozess ihrer kritischen Verarbeitung und der Aneignung des in ihnen bereits entfalteten Reichtums eine neue Form aus sich herausstellt, die wirkungsmächtig zusammenfasst, was zuvor in schwächerer Form wirksam gewesen ist904 . In der Auseinandersetzung des platonischen Sokrates mit Anaxagoras steht dem Leser des vorliegenden Buches die Form dieser Auseinandersetzung in ihrem ersten literarisch vollständig dokumentierten Beispiel vor Augen905 . Dort wird auch erkennbar, dass der ›Wettkampf‹ prinzipientheoretischer Argumente der Regel folgt, die sich die Philosophie erstmals bei Platon in der Orientierung am geometrischen Verfahren der elementatio komplexer Größen angeeignet hat. Man kann deshalb sagen, dass sich das philosophische Nachdenken über

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Schlussbemerkung

erstrangige ›Ursachen und Gründe‹ der Wirklichkeit seit Platon in bewusster Reflexion dadurch konstituiert, dass es das Gesetz des Wechsels von analytischer Reduktion und synthetischer Komposition auf die gedanklichen Bestimmungen anwendet, die das Kontinuum der Formen verdeutlichen sollen, von dem her die Welt, in der wir leben, als lebendiger Ordnungszusammenhang zu erfahren ist. Dieses Kontinuum muss deshalb so aufgebaut sein, dass es mit der Einfachheitsform eines absolut Ersten beginnt und auf ›natürliche‹ Weise mit der Zusatzform endet, die nach der Regel homogener Erweiterung als letzte daran anschließt. Die kritische Diskussion über den richtigen Anfang des Kontinuums der Grundformen aller Wirklichkeit und über die Reichweite der von ihm ausgehenden Wirkung steht deshalb im Zentrum der philosophischen Prinzipienreflexion. Nur auf dieser Grundlage kann dem Gegner glaubwürdig vorgehalten werden, dass er eine lediglich sekundäre Größe an den Anfang dieses Kontinuums gestellt und deshalb auch die Wirkungskraft nicht vollständig aufgedeckt hat, aus der das in Wahrheit Erste für alles, was mit ihm verbunden ist, als Ursache des Guten wirkt. Die quaestio, um die es im philosophischen Denken des Anfangs geht, richtet sich also auf das esse simplex, das nicht weiter auf eine einfachere Größe zurückgeführt werden kann. Gestritten wird deshalb der logischen Ordnung nach zuerst darüber, ob dieses ›Erste‹ eine Form ist oder eine Mächtigkeit ›jenseits‹ von Form. Wenn es als Form verstanden wird, richtet sich der Streit auf ihre richtige Bestimmung. Wenn es hingegen als ein ›Übersein‹ ›jenseits von Form‹ angesetzt wird, muss die Frage geklärt werden, wie es von einem Denken erschlossen werden kann, das aufgrund seiner Bindung an die Regeln kategorialer Differenzierung nur in sich aufnehmen kann, was ihm ähnlich ist. Man kann den Gegenstand des prinzipientheoretischen Streits auch im Blick auf Hesiod präzisieren und dann sagen, dass es in dieser Auseinandersetzung darum geht, für die Rolle, die in seiner Theogonie dem ›Allerersten‹ zukommt, eine überzeugende ›Besetzung‹ zu finden und dabei plausibel zu machen, dass und wie es

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durch die Verteilung der in ihm enthaltenen ›Fülle‹ als ›Spender aller Güter‹ wirksam ist906. In der vorliegenden Darstellung sind die unterschiedlichen Konzeptualisierungen des Kontinuums der Grundformen aller Wirklichkeit verschiedenen Gattungen und Arten der philosophischen Prinzipienreflexion zugeordnet worden, die an dieser Stelle nicht noch einmal aufgezählt werden sollen. Bei der Darstellung der nacharistotelischen Philosophie ging es um Neufassungen und neuartige Verbindungen zwischen diesen Gattungen und Arten. So wird die platonische Form theologischer Prinzipientheorie von Plotin durch ›Einverleibung‹ und ›Umarbeitung‹ ihrer aristotelischen und stoischen Realisierungsformen zum Maximum verstärkt. Seine Philosophie markiert damit den schärfsten Gegensatz zur philosophischen Skepsis, die das, was die Prinzipienreflexion leistet, zum Minimum abschwächt. Bei Clemens Alexandrinus wird die platonische wie zuvor bei Tertullian die stoische und bei Justin eine ›stoisch-platonische‹ Mischfassung der theologischen Prinzipienreflexion im Blick auf den Offenbarungscharakter der christlichen ›vera philosophia‹ mit einer Sonderform des Konzepts politisch-rhetorischer Vernunft verbunden und im Fall Tertullians von ihr sogar überlagert. Der bereits für Gorgias grundlegende Gedanke, dass die ›Menge‹ das Gesetz ihres Lebens nicht aus eigenem Wissen gewinnen kann, sondern dass ihr dies durch die Wirkungsmacht überzeugungsstiftender Rede gegeben werden muss, erhält auf diese Weise eine neuartige soteriologische Nuancierung. Augustinus knüpft der Sache nach daran an und intensiviert dabei die Spannung zwischen göttlicher Autorität und autonomer Vernunft so weit, dass dies den Rahmen des antiken Wirklichkeitsverständnisses sprengt. Auf diese Weise gewinnt die alte auf Heraklit zurückgehende discordia-concors-Regel zusammen mit der ihr zugehörigen Ethik des ›Hörens‹ auf die Vernunft, die das einander Widerstrebende zur Einheit des Kosmos zusammenbindet, eine neue Bedeutung. Die Ethik des Hörens auf die Stimme des göttlichen Logos ist die entscheidende Vorausset-

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Schlussbemerkung

zung für die Übertragung des Gedankens von der ›Begründung des Guten‹ durch die ›eloquentia‹ des ›vir magnus et sapiens‹, der sein Profil im nicht-theologischen Konzept politisch-rhetorischer Vernunft gefunden hat, in das christlich erweiterte Zentrum der theologischen Prinzipienreflexion. Die Skepsis reaktiviert als negativ-kritische Konkretisierungsform der Prinzipienreflexion die der delphischen Theologie, der griechischen Tragödie und der rhetorisch ausgerichteten Sophistik zugrundeliegende Bestimmung des Menschen als ›Mängelwesen‹. Wenn die Vernunft weder im Denken noch im Handeln den ›wahren‹ Grund aller Wirklichkeit berühren kann, sondern sich in einer Welt des Scheins oder des Wahrscheinlichen einrichten muss, dann ist die menschliche Lebensführung von der Last befreit, sich für die Realisierung des Guten auf eine Instanz absoluter Wahrheit beziehen zu müssen. Die Skepsis unterstützt darin der Sache nach das Wirklichkeitsverständnis einer Atomistik, die den Zusammenhang der Natur auf triviale, grundsätzlich vom Zufall gesteuerte Interaktionen unbestimmt vieler ›corpora minima‹ zurückführt und sich damit von der hauptsächlich platonischstoischen Auffassung des Kosmos als dem leibhaftigen Inbegriff göttlicher Macht und Schönheit distanziert. Die skeptische Depotenzierung der menschlichen Vernunft weist ihrerseits eine Verwandtschaft mit der christlichen Bestimmung des Menschen als ›Mängelwesen‹ auf, das er zwar nicht von der Schöpfung, wohl aber vom Sündenfall her ist. Nur wenn die menschliche Natur, wie Augustinus das im Anschluss an Paulus herausstellt, in sich zerbrochen ist und deshalb aus dem von Gott ausgehenden Wirkungskontinuum des Guten herauszufallen droht, ist der Gedanke plausibel zu machen, dass der Mensch als Lebewesen des ›Fleisches‹ allein durch die Erlösungsmacht seines göttlichen Schöpfers in den Zustand des Guten zurückgeführt werden und nur durch seine mahnende Rede das heilsnotwendige ›Wissen der göttlichen und menschlichen Angelegenheiten‹ gewinnen kann, während das Heil der Seele für die griechische theologia naturalis

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nicht anders als aus einer sittlich fundierten Praxis des menschlichen Nachdenkens über den ersten Grund aller Wirklichkeit und der Verähnlichung mit ihm hervorgehen konnte. Die Aufwertung des ›Glaubens‹ zum gegenüber dem νο,ς bevorzugten Organ der Erkenntnis des in sich einfachen Anfangs aller Wirklichkeit bei Clemens Alexandrinus und die Betonung des Glaubens als notwendiger Durchgangsstation für die vollständige Entfaltung der ›ratio‹ bei Augustinus sind nicht nur neuartige Präzisierungen der alten Definition des Menschen als ›Mängelwesen‹. Vielmehr kann man aus der Perspektive ihrer Umformungen der antiken ›Logik‹ konstruktiv auf das Selbstverständnis der philosophischen Prinzipienreflexion in ihrer klassischen Gestalt zurück blicken. Bereits bei Platon und Aristoteles ist die Suche nach Grundformen der Wirklichkeit mit einer Reflexion auf die besondere Form des menschlichen Denkens verbunden, das sich als Arbeitsleistung reflexiver Suche von der göttlichen Vernunft als absoluter Einheit von Sein, Leben und Denken bei aller Ähnlichkeit, die es mit ihr erreichen kann, immer auch wesentlich unterscheidet. Prinzipientheoretisches Wissen beruht grundsätzlich auf einer ›Annahme (*πληψις)‹, die sich von dem, was üblicherweise als das ›Wirkliche‹ gilt, so weit entfernt, dass sie nur in der bewussten Selbstbindung an die Argumentationsregeln des modus coniecturalis907 plausibel gemacht werden kann. Das Herstellen von ›Überzeugung‹ ist deshalb nicht nur die Angelegenheit einer Rhetorik, für die es keinen allgemein nachvollziehbaren Weg zu einem menschlich erreichbaren Ort der Wahrheit gibt, sondern ebenso diejenige einer Philosophie, die auf dem irrtumsanfälligen Weg der Epagogik und dem von ihr gesteuerten Wechselspiel zwischen ›Vernunft (νο,ς)‹ und ›Verstand (δινοια)‹ die ›Überzeugung (π στις)‹ begründen muss, aus der heraus das prinzipientheoretische Denken als Wissen gelten kann908 . Von daher ist es unsinnig, der maßgeblich von Platon und Aristoteles begründeten Form von Prinzipienreflexion mit Schlagworten wie ›verrechnendes Denken‹ oder ›Logozentrismus‹ entgegenzutreten oder ihr

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eine ›Seinsvergessenheit‹ vorzuwerfen, die daraus hervorgehen soll, dass sie ihre ›Gegenstände‹ lediglich im defizitären Modus einfacher Präsenz erschließt und sie dadurch der für sie bezeichnenden ›Verborgenheit‹ beraubt. Gerade die platonische Bestimmung des in Wahrheit Guten als ›jenseits von Wesenheit‹ und die aristotelische Charakterisierung der ›ersten Wesenheit‹ als des Unbewegten Bewegers und als rein selbsbezüglicher Einheit von Sein, Leben und Denken sind in sich rätselhaft und tiefgründig genug, um der Behauptung die Grundlage zu entziehen, hier gehe es um rationale Domestizierung der Wirklichkeit oder um eine illegitime Vergegenständlichung von ›Sein‹. Mit der Form des Überzeugtseins und der mit ihr verbundenen Notwendigkeit des Überzeugens hängt die Frage nach dem ›richtigen Gebrauch‹ des prinzipientheoretischen Wissens aus engste zusammen. Nur im reflexiv gesicherten Bewusstsein der Grenze, an der sich das Denken bei der Suche nach ›Grundformen‹ der Wirklichkeit bewegt, kann der Inhalt des von ihm gewonnenen Wissens seinen konkreten Sinn entfalten. Prinzipienreflexion verankert sich deshalb in einer Praxis des Nachdenkens, die nicht einfach ›von Natur aus‹ besteht, sondern in kontinuierlicher Übung angeeignet und dadurch verinnerlicht werden muss. Die Einsicht in diese Notwendigkeit ist schon in den Ermahnungen von Heraklit, Parmenides und Empedokles (›Schaue du nur mit der Vernunft!‹) antizipiert, bei Xenophon und Isokrates ausführlich thematisiert und in Platons Dialogen ebenso wie in den epagogischen Überlegungen des Aristoteles vielfältig realisiert. Auch von dem, was die verschiedenen philosophischen ›Schulen‹ der Spätantike einschließlich der christlich geprägten Formen der vera philosophia wollen, kann man keine angemessene Vorstellung gewinnen, wenn man sie nicht als Einübungen in eine bestimmte, in sich variabel konkretisierbare Kulturform des Denkens und der von ihr bestimmten Lebensgestaltung versteht. Zu ihr gehört als ihr gleichsam aristokratisches Element und als ihre erste Voraussetzung die begründete Weigerung, sich das Maß des Guten für die

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eigene Lebensführung von überlieferten Gewohnheiten oder öffentlich akklamierten Meinungen vorgeben zu lassen. Diese Weigerung muss in einem zweiten Schritt durch ein Können ergänzt werden, bei dem die quaestio de rerum natura mit der quaestio de vita et moribus aussagekräftig verbunden wird. Das aber erfordert ein Vertrautsein mit Begründungsregeln, die Aristoteles an der Kooperationsform von νο,ς und δινοια und Platon am Zusammenwirken zwischen der affektiven Kraft des Eros und der vernünftigen Aktivität des νο,ς herausgestellt und dabei gezeigt haben, wie Einsichten in die komplexen Formen ihrer Kooperation in der Arbeit der ›Seele‹ an sich selbst zur Wirkung gebracht werden können909 . Nur aus der eingeübten Interaktion zwischen einer bestimmten Form des Wollens und Entscheidens und den auf sie abgestimmten Formen begrifflicher Begründung und rhetorischer Plausibilisierung lässt sich die reflexive Praxis zum Leben bringen, die allein das ambitionierte Projekt der Suche nach den ›ersten Gründen und Ursachen‹ der Wirklichkeit tragen kann. Es ist eines der größten Hindernisse für das Verständnis nicht nur antiker Philosophie, dass man von ihr ein besonders exquisites gegenständliches und allein schon durch logische Stringenz allgemein überzeugendes Wissen erwartet. Zu den wichtigsten Intentionen der vorliegenden Darstellung gehört es deshalb, diese Erwartung mit guten Gründen zu entkräften und für das Verständnis dessen, worum es im Denken des Anfangs aller Wirklichkeit geht, eine ihm angemessenere, weil im Selbstverständnis der Philosophie verankerte Alternative vorzuschlagen. Die Wechselwirkung von affektivem Wollen, vernünftiger ›Annahme‹ eines »Anfangs« umfassender Ordnungsbegründung und einer darauf bezogenen Plausibilisierung durch Argumente ist ein so komplexer Vorgang, dass daraus zwangsläufig vielfältige Formen hervorgehen, in denen sich die Einheit des prinzipientheoretischen Wollens und Könnens unterschiedlich artikuliert. Als vernünftig begründetes Wollen ist diese Form des Nachdenkens immer auch eine ethische und insofern soziale Gestaltungskraft.

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Es ist deshalb keine Äußerlichkeit, wenn sie sich in der Reflexion auf ihre innere Form zugleich mit Problemen ihrer Zeit konstruktiv auseinandersetzt oder zumindest auf sie reagiert. So baut Platon die Welt allgemeiner Formen als normative Gegenwelt zu einer Polis auf, die, wie vor allem gegen das Ende des Peloponnesischen Krieges deutlich wird, nicht nur in seiner subjektiven Wahrnehmung der Inbegriff des Unvernünftigen gewesen ist, während Aristoteles das Bewusstsein von der erstrangigen Bedeutung des Zusammenhangs allgemeiner Form in der Wissenskultur seiner Zeit so verankern will, dass die Philosophie zugleich für das Wirklichkeitsverständnis der Alltagssprache und für die Normalformen des politischen Zusammenlebens anschlussfähig bleibt. Wie weit die Fähigkeit zur internen Veränderung des prinzipientheoretischen Denkens geht, zeigt sich wohl am deutlichsten an der Unterschiedlichkeit, mit der es seinen ›soteriologischen‹ Kern ausbauen und dabei Interessen befriedigen kann, die von der Sorge der Seele um ihr eigenes Gutsein über verschiedene Formen der ›Verähnlichung mit Gott‹ bis hin zu einer Vorstellung von Erlösung reichen, bei der Gott als Person in einen Lebenszusammenhang rettend eingreift, der den eigenständigen Zugang zum ›guten‹ Leben verloren hat. Auf diese Weise konnten sogar die der antiken Philosophie absolut fremden Lehren des Christentums von der realen Menschwerdung des einen Gottes und von der soteriologischen Notwendigkeit seines Kreuzestodes als Konkretisierungen der Kraft verstanden werden, die in ihrer griechischen Bestimmung kontinuierlich vom göttlichen Einheitsgrund der natura rerum als dem einzigen ›Spender aller Güter‹ ausgeht. Ohne diese Selbstmodifikation, wie immer man sie auch inhaltlich bewerten mag, hätte die Philosophie wahrscheinlich den historischen Zusammenbruch der antiken Welt nicht überlebt. Ohne die Einverleibung des philosophischen Begriffs von einem anfänglichen Kontinuum des Guten, das von seinem ›Anfang‹ über seine ›Mitte‹ bis hin zu seinem ›Ende‹ durchgängig wirkt, hätte aber auch das Christentum nicht die Weltreligion werden können, die

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es seit der Spätantike ist. Wenn Philosophie und christliche Religion in der europäischen Neuzeit als selbständige Kräfte auftreten und dort ihre Ansprüche auch gegen einander geltend machen, ändert das nichts daran, dass sie eine gemeinsame Geschichte haben. Nur in der Anknüpfung an sie kann das Christentum sich als reflexive Religion entfalten, die die Kraft der Kritik nicht nur gegen die ›Welt‹, sondern auch gegen sich selbst richtet und sich auf diese Weise vor Fundamentalismen, einem überzogenen Orthodoxiebedarf und, wenn man insbesondere auf seine reformatorische Erweiterung achtet, vor unangemessenen Positivierungen schützt. Im Blick auf dieselbe Geschichte kann sich aber auch die Philosophie daran erinnern, dass die Autonomie der von ihr verwirklichten Vernunft die Anerkennung ihrer eigenen Grenze voraussetzt. Für Augustinus hat sich diese Grenze in der Unmöglichkeit gezeigt, das ›augenblicklich‹ aufscheinende ›Licht‹ in sich einfacher ›Wahrheit‹ in begrifflicher Bestimmung festzuhalten. Nietzsche hat Ähnliches mit der Unterscheidung zwischen dem menschlich unvorstellbaren ›Gesammtklang der Welt‹, seinem ›Nachtönen‹ in der Intuitionskraft des Künstler-Philosophen und der Darstellung dieses ›Nachtönens‹ in Begriffen andeuten wollen. Von daher ist es für das Selbstverständnis der Philosophie wichtig, den Gedanken von der Grenze reflexiver Vernunft auch für den verstehenden Nachvollzug der Entfaltungsgeschichte der antiken Prinzipienreflexion ›in Gebrauch‹ zu nehmen. Ihre Texte lassen sich dann nämlich so lesen, dass sie schon durch ihre sprachliche Darstellungsform zu einer gedanklichen Bewegung anhalten, die es sich zutraut, vorgegebene Formen der Wirklichkeit und eingespielte Regeln des Denkens oder des Handelns auf reine Einheit wie auf einen Punkt absoluten Nicht-Seins zurückzuführen, um von diesem Punkt aus ein reflexiv fundiertes Wirklichkeitsverständnis und die ihm entsprechenden Formen des Denkens und Handelns aufzubauen. Von daher will die ›zweiheitliche‹ Form philosophischer Texte ihre Leser an den Punkt führen, den Au-

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gustinus als das momentane Aufscheinen absolut einfacher, aus sich selbst wirkungsmächtiger Wahrheit beschrieben hat. Auch im Konstruktionsprinzip ihrer Texte hat sich die antike Philosophie als Anleitung zu einer kritischen Arbeit der ›Seele‹ an sich selbst verstanden. Sie hat sich dabei von der Erwartung leiten lassen, dass die ›Seele‹ im Gespräch mit sich die ihr zur Gewohnheit gewordene ›Natur‹ verändern und sich dadurch eine Form geben kann, die als reflexiv stabilisierte Gewohnheit in selbstbewusst geschaffene ›Natur‹ übergeht910. Die Antike hat ein genaues Empfinden für die praktische Bedeutung sprachlich vermittelter Formen der Wirklichkeitsdarstellung. Vor allem Gorgias hat das in aller Direktheit ausgesprochen. Die Umformung vorgefundener Gewohnheiten, die sich schon zur ›zweiten Natur‹ verfestigt haben, durch eine Praxis lang andauernder, im Fall der Philosophie sprachlich geformter Übung (μελετ ) ist deshalb ein zentrales Thema nicht nur der antiken Ethik911, sondern auch eine Angelegenheit der philosophischen Prinzipienreflexion, die nur auf der Grundlage ›geistiger Übung‹ (Hadot) eine erstrangige kulturelle Gestaltungsmacht hat werden können. Im Blick auf die Gegenwart stellt sich die Frage, inwieweit es noch ein Bedürfnis ist, auch im begrifflich geformten Denken in dem von Augustinus beschriebenen Wechsel von Nähe und Ferne auf die Wirklichkeit des Absoluten bezogen zu sein und dafür an die von der antiken Philosophie thematisierte und reichhaltig verwirklichte Praxis einer reflexiv sich selbst kontrollierenden ›Umkehr‹ von Perspektiven der Wirklichkeitserfahrung anzuknüpfen. Nur wenn dieses Bedürfnis lebendig ist, lässt sich überlegen, wie das philosophische Nachdenken über ›erste Gründe und Ursachen‹ der Wirklichkeit unter den Bedingungen der gegenwärtigen Wissenskultur angeeignet und in einer Praxis selbstkritischer Reflexion sinnvoll ›in Gebrauch‹ genommen werden kann.

Anmerkungen

Bibliographische Angaben zur Literatur, die nur einmal zitiert wird, sind den jeweiligen Fußnoten zu entnehmen. Für das spätere Wiederfinden sind die Personenregister hilfreich, die alle drei Bände abschließen. Nachweise für die Quellentexte und mehrfach erwähnte Literatur, auf die in den Fußnoten lediglich mit dem Nachnamen des Autors und der Jahreszahl der Publikation verwiesen wird, sind zusammen mit einer Aufschlüsselung der beim Zitieren verwendeten Abkürzungen und einer Erläuterung zur Zitierweise am Anfang des bibliographischen Anhangs in diesem Band zu finden. Alle Texte, die innerhalb von Zitaten in eckiger Klammer stehen, sind ein erläuternder Zusatz des Verfassers. 1

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Vgl. dazu Hadot (1991) 9: Stoische und epikureische, aber auch die skeptische Philosophie sind »nicht nur eine bestimmte Art, die Welt zu sehen, … sondern eine Art zu leben.« Die verschiedenen philosophischen ›Schulen‹ der Spätantike wollen »in erster Linie als Therapie der Leidenschaften« das Individuum zu einer »tiefgreifenden Umwandlung« seiner »Denk- und Seinsweise« führen (ebd. 15). Vgl. ebd. 164 – 176: »Philosophie als Lebensform.« Zur sokratischen Vorform dieses Philosophieverständnisses sowie zum sokratisch-platonischen Dialog als ›geistiger Übung‹, die eine derartige ›Umwandlung‹ herbeiführen will, vgl. ebd. 23 ff. Man achte allerdings auf die biographischen Daten zu den Autoren der Stoa, die im Folgenden genannt werden. Stilpon (ca. 380 – 300) war ein Philosoph der so genannten megarischen Schule, die sich über ihren Gründer Eukleides auf Sokrates zurückgeführt hat. In ihr ging es einerseits um die Kunst der Dialektik, andererseits um den auch für die platonische Akademie charakteristischen Gedanken der Identität zwischen dem in absoluter Weise Einen und dem Guten. Stilpons Ethik stand zudem in enger Beziehung zum Kynismus des Diogenes aus Sinope.

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Krates aus Theben, nicht zu verwechseln mit dem deutlich jüngeren akademischen Philosophen Krates aus Athen, gehört zu den um 325 bekanntesten kynischen Philosophen, die sich in der Nachfolge des Diogenes aus Sinope vor allem durch ihre unkonventionelle, ganz an der Natur orientierte und jede kulturelle Überformung als trügerischen Schein verwerfende Lebensführung Beachtung verschafft haben. Vgl. dafür DL VI 85 – 93 und ebd. VI 96 f. Zu Xenokrates vgl. S. 109 und 152. Polemon, Schulhaupt der Akademie von 315 bis 266, war ein Schüler des Xenokrates. Die Bestimmung des sittlichen als des naturgemäßen Lebens, die für die Stoa im Zentrum ihrer Ethik steht, konnte offensichtlich an Polemon anknüpfen (vgl. Cicero, fin. II 33 und IV 14). Vgl. DL VII 5: »Hierher kamen … seine Anhänger und wurden deshalb Stoiker genannt.« Vgl. dazu S. 106 ff. Vgl. dafür die Bücherlisten DL VII 4 ( Zenon), VII 174 f. (Kleanthes) und VII 190 – 201 (Chrysipp). Die wichtigste Ausgabe dafür ist immer noch: SVF (Texte nur in der Originalsprache). Die Überlieferungssituation ist teilweise mit derjenigen der vorsokratischen Philosophie vergleichbar (vgl. Bd. I, S. 54 ff.), d. h. Texte sind bei Autoren überliefert (z. B. Plutarch, Sextus Empiricus, Alexander aus Aphrodisias), die gegen die Stoiker argumentieren. Vgl. dazu Steinmetz (1994) 497 ff. Gute Übersetzungen ins Deutsche gibt es vollständig nur für die stoische Logik: Karlheinz Hülser (Hrsg.), Die Fragmente der Dialektik der Stoiker. Neue Sammlung der Texte mit deutscher Übersetzung und Kommentaren, 4 Bde., Stuttgart 1987/88. Hilfreich ist jetzt auch: Stoa und Stoiker. Griechisch-lateinisch-deutsch. Auswahl der Fragmente und Zeugnisse, Übersetzung und Erläuterungen von Rainer Nickel, 2 Bde., Düsseldorf 2008. Für das Studium hellenistischer Philosophie und somit auch der Stoa ist nützlich: Long / Sedley (2000). Das Standardwerk der Stoa-Forschung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist: Max Pohlenz, Die Stoa. Geschichte einer geistigen Bewegung, 2 Bde., Göttingen 1949 (71992). Für eine neuere Gesamtdarstellung vgl. Rist (1969). Eine intensiv auf die Prinzipienreflexion und ihren Zusammenhang mit der Ethik bezogene Gesamtdarstellung ist:

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Forschner (1981). Für einen Überblick über die Forschung bis etwa 1990 vgl. Steinmetz (1994). Vgl. dafür: Cicero, nat. deor. II (Physik, einschließlich ›Theologie‹), fin. III und IV (Ethik), off. (Ethik), Lucullus (hauptsächlich Logik) und Ac. post. (Ethik, Physik, Logik). Beide Philosophen integrieren akademische, d. h. platonische, teils auch aristotelische Elemente in die stoische Philosophie. In der vorliegenden Darstellung wird Panaitios keine Rolle spielen, Poseidonios aber doch eine Nebenrolle (vgl. dafür S. 231 ff.). Aus diesem Grund sei auf die immer noch grundlegenden Arbeiten von Karl Reinhardt, Poseidonios, München 1921, Ders. Kosmos und Sympathie. Neue Untersuchungen über Poseidonios, München 1926 und die Ausgabe Poseidonios (ed. 1982) verwiesen. Für ins Deutsche übersetzte Texte der beiden Vertreter der ›mittleren‹ Stoa vgl. die in Anm. 9 genannte Ausgabe von Rainer Nickel. Panaitios gehörte seit 144 zum politisch und kulturell einflussreichen Scipionen-Kreis. Sein Schüler Poseidonios war ebenfalls, insbesondere über Pompeius, mit Rom verbunden. Cicero hat im Jahr 78 bei ihm in Rhodos Lehrvorträge gehört. Marc Aurel, Wege zu sich selbst. Griechisch-deutsch. Hrsg. und übersetzt von Rainer Nickel, Düsseldorf / Zürich 1998. Einführend dazu: Hadot (1991) 69 – 98. So hat Krämer (1971) im Anschluss an Ernst Grumach, Physis und Agathon in der alten Stoa, Berlin 1931 (21961) und Moreau (1939) die »Theologie und Prinzipienlehre vom [platonischen Dialog] Timaios zum Frühhellenismus« nachgezeichnet, um die »Vorgeschichte der stoischen Prinzipienlehre« offen zu legen (108 ff.). Vgl. dazu auch Rist (1969) 1 ff.: Aristotle and the Stoic Good, 54 ff.: Cynicism and Stoicism, sowie Forschner (1981) 20 ff. und 28 zur Linie Aristoteles-Theophrast-Straton von Lampsakos-Zenon. Vgl. dazu umfassend Steinmetz (1994) mit bibliographischen Angaben (zu ergänzen durch Long/Sedley (2000) 621 f.). Vgl. außerdem Rist (Hrsg. 1978), insbesondere die Beiträge von Ian Mueller, Michael Frede, Andreas Graeser und Anthony A. Long. Eigene Übersetzung. Für die Stoa erschließt »Wissenschaft« die systematische Einheit ei-

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nes Zusammenhangs und unterscheidet sich damit von »Erkenntnis (κατληψις = comprehensio)«, die auf das Besondere einer individuellen Erfahrung bezogen ist. Dadurch, dass sie ›Erkenntnisse‹ in einen Ordnungszusammenhang integriert, ist »Wissenschaft« »sichere, feste, durch vernünftige Überlegung ( λγος) unumstößlich gemachte Erkenntnis« (Sextus, Adv. math. VII 151 f.). Vgl. in diesem Zusammenhang auch das Cicero-Zitat in der Anm. 266. Vorgaben dafür sind Platon, Rep. 486 a, wo Sokrates die philosophische Natur dadurch definiert, dass sie »überall das Ganze und Vollständige anstreben soll, Göttliches und Menschliches«. Vgl. dafür auch Aristoteles, EN VI 7, 1141 b 4 ff. mit der Charakterisierung des Wissens der Philosophie durch »das Außergewöhnliche, Wunderbare, Schwierige und Göttliche« (vgl. Text 38 und Met. I 2, 983 a 5 ff.) und der Bestimmung einer davon verschiedenen Philosophie der menschlichen Angelegenheiten (EN X 10, 1181 b 15). Das Verb für das Miteinanderverbundensein (μεμ χθαι) verweist auf die stoische Lehre von der gegenseitigen Durchmischung (μ$ξις) interagierender Körper. Vgl. dazu die Anm. 82. Der Stoiker Cato demonstriert durch seinen Selbstmord in Utica seine entschiedene Gegnerschaft zur antirepublikanischen Politik Caesars. Da Cato nach der Ermordung des Pompeius und der Niederlage seiner Truppen bei Pharsalos (48) und Thapsus (46) nicht von der bereits zugesicherten Begnadigung durch Cäsar abhängig sein wollte, markiert sein Freitod das Ende der Republik, der sich auch Cicero verpflichtet wusste. Vgl. Cicero, fin. III 31: Vertretbar ist allein die Auffassung, »dass das höchste Gut in einem Leben besteht, das um die naturgemäßen Dinge weiß, sie wählt und die naturwidrigen Dinge verwirft«, was so viel heißt wie: »Leben in Übereinstimmung und Harmonie mit der Natur des Seienden (convenienter congruenterque naturae vivere).« Cicero, fin. III 72 f. Vgl. dazu auch Plutarch, De Stoicorum repugnantiis 1035 b – d mit Hinweis auf die Lehre Chrysipps, dass es »keinen anderen oder angemesseneren Weg gibt, sich der Lehre von den Gütern und Übeln oder von den Tugenden oder dem Glück zu nähern, als von der allgemeinen Natur und der Verwaltung der Welt her«, und dass

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der Zweck der »Theorie der Natur« in der richtigen »Unterscheidung zwischen guten und schlechten Dingen« besteht (ebd. c = SVF III 68). Zum ethischen Charakter der Dialektik vgl. DL VII 46 ff. Cicero, fin. III 74. SVF III 293. Zum Begriff διθεσις und zu seiner Zuordnung zum Begriff »Tugend« vgl. SVF II 393. Beide Begriffe gehören deswegen zusammen, weil sie kein »Mehr oder Weniger« im Sinne der platonisch-akademischen »unbestimmten« Zweiheitlichkeit an sich haben, sondern in die Gegenreihe reiner, in sich vollkommener Einheit gehören. SVF III 293: σ!στημ τ στιν λογικ.ν πρξεων und πρ2ξις (= σπουδα α) ψυχAς νργεια λογικAς.

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Mit dem, was keines von beiden ist, sind die ›Adiaphora‹ gemeint, also die Dinge, die in Bezug auf das Gute und Schlechte ohne Bedeutung sind. Vgl. dazu Bd. II, S. 104 ff. SVF III 262. Den hier aufgeführten vier Kardinaltugenden lassen sich die entsprechenden Laster der Unbesonnenheit, Unbeherrschtheit, Ungerechtigkeit und Feigheit insofern gegenüberstellen, als sie durch den Ausfall des Wissens definiert sind, das in der Seele des Tugendhaften fest verankert ist. Da die Stoa in radikalen Gegensätzen denkt, kann es für sie keine »Mitte« zwischen Tugend und Laster geben. Vgl. dazu Krämer (1971) 220 ff. Vgl. exemplarisch DL VII 86 ff. Bei vernunftbegabten Lebewesen koinzidieren vernunft- und naturgemäßes Leben, weil die Vernunft als »künstlerische Leiterin (τεχν της)« des in sich variabel konkretisierbaren »Triebes (>ρμ )« (= Streben nach Gütern) auftritt. »Deshalb bestimmte Zenon … als erster das naturgemäße Leben (τ >μολογουμνως τK φ!σει ζAν) als höchstes Ziel (τ τλος), welches das tugendgemäße Leben ist, zu dem uns die Natur anleitet.« Für Chrysipp sind »unsere Naturen Teile der Gesamtnatur. Daraus ergibt sich als höchstes Ziel das naturgeleitete, d. h. das der eigenen wie der Gesamtnatur gemäße Leben. Dann tut man nichts, was das allgemeine Gesetz (κοινς λγος) verbietet, welches die alles durchdringende rechte Vernunft (> Hρθς λγος = ratio recta) ist, identisch mit Zeus, dem herrschenden Verwalter des Weltalls (καθηγεμTν … τAς τ.ν 6ντων διοικσεως). Es liegt eben

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gerade darin die Tugend des Glückseligen und der gelungene Lebenslauf (εPροια β ου), dass bei all unserem Tun die eigene Seele mit dem Willen des Weltverwalters übereinstimmt.« Vgl. dazu Text 45. Vgl. dazu Hans Blumenberg, »Nachahmung der Natur«. Zur Vorgeschichte der Idee des schöpferischen Menschen (1957), in: Ders. (1981) 55 – 103. Vgl. dafür das Vorbild in Platons Gorgias (vgl. Bd. II, Anm. 108) Vgl. dafür Text 38 (Aristoteles, Met. I 981 b 7 ff., 982 12 ff.). Als Götterhymnus steht der Text des Kleanthes in einer Tradition hexametrischer Dichtung, die (vgl. dafür als früheste Repräsentanten die so genannten Homerischen Hymnen) bis ins 7. Jh. v. Chr. zurückreicht. Vgl. dafür exemplarisch: Zuntz (2005). Für die Übersetzung orientiere ich mich an Peter Steinmetz (1994) 577 f. Vgl. aber auch die Übertragungen von Karlheinz Hülser, Long/Sedley 389 f. und Günther Zuntz (2005) 32 f. Für eine ausführliche Interpretation vgl. Thom (2005). Dort findet man beim Abdruck des griechischen Textes (34 – 39) die ihm zugehörigen Subtexte. Der griechische Text ist im zweiten Teil des Verses nur durch Konjekturen zu rekonstruieren. Ich gebe mit ›der Gottheit Abbild‹ im Anschluss an Hülser (= Long/Sedley (2000) 389) sinngemäß wieder, was der erste Teil des Verses so deutlich zum Ausdruck bringt, dass im zweiten Teil nur eine Bestätigung dafür stehen kann. Für eine textkritische Begründung vgl. Zuntz (2005) 34 und, wesentlich ausführlicher: Thom (2005) 54 – 66 mit Interpretation. Für einen alternativen Text vgl. Steinmetz (1994) 577 f. Die Literatur hat seit langem auf die Parallele zu diesem Vers beim stoisch beeinflussten Dichter Arat (Phainomena, Prooem. V 5) verwiesen, die in der Spätantike so geläufig gewesen ist, dass Paulus (Apg 17, 28) den dort festgehaltenen Gedanken von der singulären Verwandtschaft zwischen göttlicher und menschlicher Natur in seine Rede auf dem Athener Areopag integriert hat. Vgl. dazu S. 213. Das griechische Verb πε θομαι (›sich überzeugen lassen‹) macht deutlich, dass die Herrschaft der göttlichen Macht über den Kosmos nicht auf Gewalt, sondern neben dem in V 2 genannten Gesetz auf wirkungsmächtiger Überredung beruht. Vgl. dafür das Vorbild bei Platon, Tim. 48 a. Man achte im Hymnus auch auf die Verse 8 und 25.

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Übersetzung und Verständnis des zweiten Teils des Verses 19 (καI ο1 φ λα σοI φ λα στιν) haben immer schon Schwierigkeiten bereitet. Vgl. dafür Thom (2005) 105 ff. Anders als die meisten Übersetzer verstehe ich im Blick auf den herakliteischen Subtext das Adjektiv φ λος nicht passivisch (»geliebt«, »teuer«), sondern aktivisch (»freundlich«, »befreundet«), wobei ich über Steinmetz (»und was nicht lieb ist, ist dir schon lieb«) noch einen Schritt hinausgehen möchte. Gemeint ist demnach: Das, was einander entgegensteht, ist durch die Wirkung des Logos das mit einander und dadurch auch mit dem Logos selbst Zusammenstimmende. Die Formulierung σ&ν ν' ist eine Anspielung auf Heraklit ( VS 22, B 114): »Um mit Vernunft ( ξ&ν ν') denken / sprechen zu können, muss man sich auf das stützen, was dem All als das Gemeinsame zugrunde liegt (χρ5 τ' ξυν' #σχυρ ζεσθαι).« Vgl. damit auch Heraklit B 2: »Darum ist es notwendig, dem Allgemeinen (τ' ξυν') zu folgen.« Vgl. dazu Thom (2005). Vgl. dazu Zuntz (2005) 33 und Thom (2005) 13. Dort findet man 14 f. auch eine genaue Gliederung des Textes. Philodem, De pietate, 13 (SVF I 539) = Thom (2005) 5 f. Philodem, De musica, 28, 1 (SVF I 486) = Thom wie Anm. 41. Der Autor verweist zudem auf Seneca, epist. 108, 9 f., wo das bei Philodem zur Theologie Gesagte für philosophische Gedanken überhaupt erweitert wird: »sobald Rhythmen hinzukommen und den hervorragenden Gedanken ein bestimmtes Versmaß strafft, wird derselbe Gedanke gleichsam von einem kräftigeren Arm geschleudert.« Man kann darin eine Anspielung auf die Harmonie der Sphären und deren Musik erkennen. Im Übrigen hat schon Aristoteles die philosophisch gereinigte Astralreligion in das Konzept seiner theologia naturalis integriert. Zur legitimen Vielfalt verschiedener Namen für den Einen Gott im Kontext stoischer Theologie vgl. DL VII 147: Gott trägt als »unsterbliches, vernünftiges und vollkommenes Lebewesen« sowie als »Baumeister des Ganzen (δημιουργς τ.ν 6λων) und gewissermaßen der Vater von allem […] in Entsprechung zu seinen Wirkungskräften (δυνμεις) […] viele Namen. […] Dia, weil alles durch (δ α) ihn ist, Zena, weil er Ursa-

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che des Lebens (το, ζAν αGτιος) ist, Athena, weil seine Führungskraft in den Äther hineinreicht« etc. Vgl. dazu auch den stoisch geprägten Text Ps.-Aristoteles, De mundo 401 a 12 und Seneca, De beneficiis IV 7 – 8: Für den Urheber aller Dinge »kann es so viele Anreden geben, wie es Leistungen von ihm gibt (tot appellationes eius … quot munera).« Vgl. SVF II 1027: »Die Stoiker sagen von Gott, er sei von Vernunft bestimmt (νοερς), ein kunstverständiges Feuer, … auch sei er Atemstrom (πνε,μα), der durch die ganze Welt hindurchzieht (διAκον δι’ 4λου το, κσμου).« SVF II 725. Wenn es SVF I 120 heißt, dass das ›künstlerische Feuer‹ bei Pflanzen und Tieren deren Natur und Seele ist, so verdeutlicht das die interne Verwandlungsfähigkeit dieses Feuers, besagt aber nicht, dass Tiere und Pflanzen an bewusster Vernunft den Anteil haben, der der menschlichen Natur zukommt. Vgl. dafür auch Text 46. SVF II 528: »Der Kosmos wird [von den Stoikern] auch als das Haus der Götter und Menschen bezeichnet und als das Gefüge (σ!στημα) aus Göttern und Menschen […] Denn in der Weise, wie man in zweierlei Sinn von einer Polis spricht, einerseits im Sinne von Wohnstatt, andererseits im Sinne eines Gefüges aus denen, die darin zusammen mit den Bürgern wohnen, in derselben Weise ist auch der Kosmos eine aus Göttern und Menschen bestehende Stadt, wobei die Götter die Führungsaufgaben versehen und die Menschen ihnen untergeben sind. Gemeinschaft (κοινων α) besteht zwischen ihnen, weil sie an der Vernunft teilhaben, die von Natur aus das Gesetz ist.« Vgl. dazu auch Cicero, nat. deor. II 154: »Die Welt ist gleichsam das gemeinsame Haus der Götter und Menschen und ihre gemeinsame Stadt. Allein sie stützen sich auf Vernunft und leben nach der Regel der Rechtlichkeit.« Unter den DL VII 174 aufgezählten Buchtiteln des Kleanthes gibt es »Auslegungen zu Heraklit.« Heraklit (B 30): »diese Weltordnung … war immerdar und ist und wird immer sein ewig lebendes Feuer (π,ρ ε ζωον), erglimmend nach Maßen und erlöschend nach Maßen.« Vgl. auch B 6. Zur Gerechtigkeit der natürlichen Ordnung vgl. B 28. Zu Heraklit vgl. Bd. I, S. 60 ff. Dass Kleanthes die Bezugnahme auf Heraklit, um das eigene Konzept plau-

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sibler erscheinen zu lassen, durch Anknüpfungen an Hesiod, Solon, die Orphiker und die Pythagoreer erweitert, zeigt Thom (2005) 24. Vgl. Heraklit B 64: »Der Blitz steuert Alles.« Vgl. DL VII 156: Die Stoiker lehren, »die Natur sei ein künstlerisch produktives Feuer (π,ρ τεχνικν), das auf geordnete Weise das Entstehen [alles Seienden] bewirkt (>δ' βαδ ζον ε#ς γνεσιν).« Identisch damit ist das »feuerartige und kunstartige Pneuma (πνε,μα πυροειδ"ς καI τεχνοειδς)« [eine Mischung aus Feuer und Luft], das dem Menschen in Gestalt seiner Seele angeboren ist. Vgl. auch das Zitat in der Anm. 45. Ausführlicher: Cicero, nat. deor. II 57. SVF II 451. Vgl. als Parallele SVF II 442: »gleichzeitige Bewegung des Pneuma in entgegengesetzte Richtungen, aufgrund deren es alles zusammenhält, worin es anwesend ist, da es […] ein Atemstrom ist, der sich gleichzeitig aus sich selbst heraus und in sich selbst hinein bewegt.« Vgl. SVF I 120. Von dieser Art ist das materielle Substrat der Gestirne. Für die Unterscheidung zwischen zwei Feuerarten vgl. auch Cicero, nat. deor. II 41. Für die Bezeichnung der »Ekpyrosis« als »Katharsis« bei Chrysipp vgl. SVF II 598. In der Lehre von der regelmäßigen »Ausbrennung« der Welt, die für die ältere Stoa sicher bezeugt ist, aber von einigen ihrer späteren Vertreter als Mythos abgelehnt wird (vgl. dafür Philon, De aeternitate mundi 76 f. und Cicero, nat. deor. II 118), kann man den Versuch erkennen, mythische Vorgaben ›rational‹ aufzulösen. SVF II 1052: »Aber auch der Gott der Stoiker hat, insofern er körperlich ist, die ganze Substanz (4λη ο1σ α) manchmal als sein Führungsvermögen (=γεμονικν), nämlich immer dann, wenn der Weltbrand stattfindet; zu anderen Zeiten, im Vorgang der Ausbildung einer Welt (διακσμησις), wird er zu einem Teil von ihr.« Vgl. dafür Heraklit B 8, B 10, aber auch B 50 und 51. SVF III 263: »Sie sagen auch, alle schlechten Menschen sind wahnsinnig, da sie in Unkenntnis ihrer selbst und ihrer Belange seien, und das eben sei Geisteskrankheit (μαν α). Unkenntnis aber sei der Fehler, der den Gegensatz zur Besonnenheit (φρνησις) bilde.« Vgl. auch DL VII 124 (= SVF III 664).

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Die Verse 27 ff. enthalten eine scharfe Kritik an den drei bereits in der Nikomachischen Ethik getadelten Formen menschlicher Lebensführung. Vgl. dafür die einschlägigen Nachweise bei Thom (2005) 130 ff. In der Auslegungsliteratur wird natürlich die Frage gestellt, ob und inwiefern aus der Perspektive des Notwendigkeitsbegriffs, dem in der Stoa eine zentrale Bedeutung zukommt, überhaupt ein Gebet an die Instanz gerichtet werden kann, die alles mit der aus ihr hervorgehenden Gesetzmäßigkeit prägt. Zu dieser Frage vgl. Thom (2005) 10 ff. Nach meiner Auffassung ist der Hymnus des Kleanthes einerseits Preis der Notwendigkeit, die nichts anderes ist als die Wirkungskraft des göttlich-vernünftigen Logos und seines Gesetzes. Andererseits ist er die Bitte um Einsicht in die vom göttlichen Logos begründete Notwendigkeit, die aus menschlicher Perspektive nicht leicht zu gewinnen ist. Auch darin kann man wieder eine Anspielung auf Heraklit wahrnehmen. »Gerechtigkeit« als kosmologisches Prinzip ist das Thema in VS 22 B 28, B 94, B 102, insbesondere in B 114. Vgl. dazu die exemplarische Formulierung DL VII 130: »Von den drei Formen des theoretischen, praktischen und vernünftigen (β ος λογικς) sei die dritte wählenswert; denn die Natur habe das vernünftige Lebewesen ohnehin zur Theorie und Praxis fähig gemacht.« Vgl. dazu SVF II 525 (Plutarch, De communibus notitiis adversus Stoicos 30, 1073 d) sowie SVF II 524 (Sextus, Adv. math. IX 332). Danach gehören in die positive »Reihe« des Ganzen (4λον) der Kosmos, das in sich Begrenzte (4λον πεπερασμνον oder Bρισμνον), In-sich-Vollendete (τλειον) und Geordnete (τεταγμνον), zur »Allheit« hingegen auch das »Leere«, »das Nicht-Seiende außerhalb des Kosmos (τ κτς το, κσμου)« und somit auch das Unbestimmte (πειρον) und Ungeordnete (τακτον). Eine Parallele dazu ist das Referat bei DL VII 140: »Es gebe [für die Stoiker] nur einen einzigen begrenzten sphärischen Kosmos«, und dieser »sei umgeben von der unbestimmten Leere als dem Unkörperlichen.« Für Plutarch verstößt die Stoa mit ihren ›künstlichen‹ Begriffsbestimmungen gegen den Sinn allgemein verbreiteter, ›natürlicher‹ und deshalb wahrheitsfähiger Begriffe (= notitiae communes). Vgl. dazu DL VII 147: Der Kosmos ist das, was keinerlei Schlechtigkeit in

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sich aufnimmt. Die Überlegungen zur ›Schlechtigkeit‹ der ›Toren‹ (vgl. Text 45) und zur Konzeption der Ekpyrosis als Katharsis kann man gut auf das Interesse an der Isolierung und Neutralisierung des Prinzips ›unbestimmter Zweiheitlichkeit‹ beziehen. Dazu: Krämer (1971) 122 ff. Vgl. dazu Platon, Tim. 69 c: π2ν τδε ζ'ον %ν ζ'α ;χον τ? πντα ν Nαυτ'.

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Vgl. Platon, Tim. 32 c – d: Aus den vier materiellen Elementen setzt der Demiurg »ein Ganzes (%ν 4λον)« zusammen, »ohne außerhalb irgendeinen Teil oder eine Kraft davon zurückzulassen. Dahinter stand die Absicht, dass es erstens ein möglichst vollkommenes Lebewesen aus vollkommenen Teilen sei und außerdem einmalig, da ja nichts übrig gelassen war, woraus ein anderes so Beschaffenes gebildet werden könnte, sowie ferner die Absicht, es nicht dem Alter und Siechtum unterworfen sein zu lassen. Er wusste nämlich, dass Warmes und Kaltes und alles, was große Kraft ausübt, einen zusammengesetzten Körper, wenn ihn das von außen umgibt und auf ihn prallt, vorzeitig auflösen, Alter und Krankheiten zuführen und dadurch untergehen lassen.« In den Dialogen Ciceros treten verschiedene historische Personen als Sprecher auf, die zur senatorischen Nobilität gehören. In der Regel handelt es sich um älter gewordene oder unfreiwillig aus ihren Ämtern entfernte Politiker, die die Zeit ihrer Muße mit philosophischen Gesprächen ausfüllen. Übersetzung nach Wolfgang Gerlach und Karl Bayer. Wie bei Aristoteles wird das Sein oder die Identität von etwas von seiner besten Kraft her bestimmt, so dass es von seiner Grundkraft her auch benannt werden kann. Die Identität des Menschen beruht auf der mens, die für seine besondere Natur die Grundkraft darstellt. Cicero, nat. deor. II 19. In dieser Formulierung verweist der consensus auf die Gemeinsamkeit des Empfindens (sensus, sensatio) und übersetzt damit den Begriff der Sympathie, der für die Wirklichkeitsauffassung der Stoa besonders charakteristisch ist. Die universale Verwandtschaft aller Dinge beruht auf ihrem Durchdrungensein von dem einen spiritus mundi, dem Belebungsprinzip (»Seele«) des Weltalls. Vgl. Bd. II, S. 30 ff. Vgl. dazu S. 22.

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Diese Bestimmung der seelischen Selbstbewegung ist eine Verdichtungsform der dianoetischen Tugenden im aristotelischen Sinn. Die Stoa formt die aristotelische Hierarchie der Ursacheformen (Vorrang der causa finalis als causa formalis gegenüber causa efficiens und causa materialis) zugunsten der causa efficiens um und versteht diese dann als Einheit von causa formalis, finalis und materialis. Cicero, nat. deor. II 152: in rerum natura quasi alteram naturam efficere. Übersetzung wie Text 46 Für den Stoiker Lucilius Balbus ist natürlich Zenon der princeps investigandae veritatis, so dass die Grundlage des eigenen Vortrags (huius disputationis principium) nach der Einheitsregel strenger Kontinuität mit dem von Zenon aufgefundenen principium naturae verbunden ist. Aristoteles, Protr. B 18 f. und (nur für Anaxagoras) EE I 5, 1216 a 11. Cicero, nat. deor. II 19: »unus divinus et continuatus spiritus.« Cicero, nat. deor. II 4: »Was nämlich kann, wenn wir den Fixsternhimmel und die Welt der Gestirne betrachten, so klar und deutlich sein, wie der Satz, dass es irgendein göttliches Wesen gibt, das in einer alles überragenden Weise Vernunft ist und das alles bestimmt?« Vgl. SVF II 776: »a propria dei substantia.« Vgl. DL VII 143: Die menschliche Seele als eine Abspaltung (πσπασμα) von der Weltseele. Vgl. SVF II 473. Der Begriff »Mischung (μ$ξις)« beschreibt, wie zwei Körper, die »sich gegenseitig unterstützen, so vollständig miteinander vereinigt werden (Nν.σθαι), dass sie samt der ihnen eigentümlichen Beschaffenheiten bewahrt bleiben und dennoch miteinander als Körper identisch [wörtlich: in der gleichen Weise ausgedehnt] sind. […] Als deutliches Zeugnis dafür […] bieten sie [die Stoiker] die Tatsache auf, dass die Seele, die ebenso ein eigenes Vorhandensein (*πστασις) hat wie der Leib, sich durch den ganzen Körper zieht und in der Mischung mit ihm doch ihr eigenes Wesen bewahrt. Denn nichts von der Seele bleibt ohne Anteil an dem Körper, zu dem die Seele gehört.« Balbus nimmt diesen Zusammenhang von Welt- und menschlicher Seele mit dem Begriff »calor« auf, der die Wärmekraft bezeichnet, die in allem Lebendigen als Kraft seiner Selbstbewegung wirksam ist (vgl. dazu Cicero, nat. deor. II 23 – 28). Für den Zusammenhang von »calor«, »fervor« und »ardor mundi« vgl. in Text 46 die Abschnitte 30 und 31.

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Genau dies ist gemeint, wenn Balbus im zweiten Anlauf seiner Ausführungen darauf verweist, dass Zenon die Natur des Weltalls nicht nur als künstlerisch tätig, sondern als ›die Künstlerin selbst‹ bezeichnet hat, so dass künstlerische Tätigkeit ihr nicht hin und wieder als etwas Besonderes oder Akzidentelles zukommt, sondern ihr Wesen ausmacht, das sie kontinuierlich zum Ausdruck bringt. Die »pulchritudo« steht für die Schönheit des Ganzen, der »ornatus« für die seiner Teile. Eigene Übersetzung. Ein Stoiker des 2. Jh. v. Chr. Dies ist die gängige Lesart des Textes. Dazu gibt es eine Variante, in der die Prinzipien als unkörperlich (σ(ματα) bezeichnet werden. Einige Vertreter der gegenwärtigen Forschung haben auf dieser Basis die Prinzipien der Stoa als rein mentale Größen oder bloße Reflexionsbegriffe interpretiert. Vgl. dafür vor allem Andreas Graeser, Zenon von Kition. Positionen und Probleme, Berlin 1975. Zur Kritik an diesem Ansatz vgl. Forschner (1981) 30 ff. und Steinmetz (1994) 536. Für diesen Begriff der »Mischung« vgl. die Anm. 82. Vgl. dafür DL VII 135 Vgl. dafür Bd. I, S. 170 ff. Vgl. DL VII 136: »Anfangs nur an sich seiend (κατ’ ρχ?ς … καθ’ α*τν 6ντα)« = SVF I 102. Vgl. DL VII 136 und 142: »umwenden (τρπειν)« und »Umwendung (τροπ )« nach Heraklit B 30. Vgl. auch SVF I 107: μεταβλλειν. DL VII 137: ναλ σκων ε#ς Nαυτν τ5ν Dπασαν ο1σ αν καI πλιν ξ Nαυτο, γενν.ν. Im Einzelnen sind SVF II 596 – 632 heranzuziehen. DL VII 141 referiert die Lehre Zenons, nach der der Kosmos deswegen vergänglich sei, weil er Veränderung an sich erleide und damit grundsätzlich die Möglichkeit der Veränderung zum Schlechteren, nämlich zu seiner Austrocknung enthalte. Deutlicher ist Plutarch (SVF II 605, De Stoicorum repugnantiis 41, 1053 b): »Und wenn der Weltbrand […] eingetreten sei, dann lebe der Kosmos durch und durch und sei ein [vollkommenes] Lebewesen wenn er aber wieder verlösche und kompakter werde, verwandle er sich in Wasser und Erde und körperhafte Natur. […] Wenn die Welt durch und durch feurig ist, ist sie unmittelbar Seele und

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Führungsvermögen (=γεμονικν). Wenn sie sich aber in Feuchtigkeit und die darin verbleibende [also in eine verminderte] Seele verwandelt hat, dann hat sie sich in Körper und Seele verwandelt, aus denen sie dann sozusagen besteht, und hat eine andere Form angenommen.« Vgl. dazu exemplarisch SVF II 451 Nach den Stoikern ist »die in sich gespannte Bewegung (κ νησις τονικ ), die durch das Körperliche hindurchgeht, eine Bewegung, die zugleich nach innen und nach außen verläuft;« SVF II 471: »Es gibt den feurigen Lufthauch (πνε,μα), der sich von selbst zu sich und aus sich heraus bewegt (κινο,ν Nαυτ πρς Nαυτ καI ξ α*το,) oder den feurigen Lufthauch, der sich aus sich selbst nach vorn und zurück bewegt.« Vgl. Anm. 52. Vgl. dafür die Angaben in der Anm. 54. Vgl. dazu SVF II 625: »die Welt kehrt [nach der Ekpyrosis] von neuem wieder in den Zustand zurück wie zuvor; und wenn die Gestirne sich wieder in derselben Weise bewegen, wird alles, was es in der vorangegangenen Periode gegeben hat, sich ununterscheidbar wieder ereignen. Aufs neue wird es nämlich Sokrates und Platon und jeden einzelnen Menschen mit denselben Freunden und Mitbürgern geben; sie werden an denselben Dingen leiden, denselben Dingen begegnen und dieselben Dinge tun; und jede Stadt, jedes Dorf und jeder Acker kehren in gleicher Weise zurück.« Der Gedanke von der Identität wiederkehrender Welten wird allenfalls zu der These abgeschwächt, dass nicht dieser Sokrates wiederkehre, »sondern jemand, der von Sokrates ununterscheidbar ist, eine Frau heiratet, die von Xanthippe ununterscheidbar ist, und von Leuten angeklagt wird, die von Anytos und Meletos ununterscheidbar sind« (SVF II 626). Auch kann es »zwischen den Ereignissen« innerhalb der einander folgenden Welten »einen kleinen, sehr feinen Unterschied« oder an den wiederkehrenden Individuen »Abweichungen hinsichtlich bestimmter von außen zufallender akzidenteller Bestimmungen« geben (SVF II 624). Die Formen minimaler Varianz werden also in der Weise beschrieben, dass sie den Charakter kontinuierlicher Einheit in keiner Weise in Frage stellen. Ich referiere im Folgenden Cicero, Ac. post. I 40 – 42. Ein aussagekräftiger Paralleltext ist DL VII 49 – 51: (49) Die Überlegungen der stoischen Logik beginnen »mit der Vorstellung (φαντασ α) und der

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Sinneswahrnehmung, insofern das Kriterium, mit dem die Wahrheit der Sache entschieden wird, der Gattung nach eine Vorstellung ist und insofern die Erörterung über Zustimmung (συγκατθεσις), Erkenntnis (κατληψις) und Denken (νοσεως λγος), […] nicht ohne Vorstellung zustande kommt. Zuerst kommt nämlich die Vorstellung, und dann drückt der Verstand (= δινοια), der die Fähigkeit zur Äußerung hat, sprachlich eben das [aktiv] aus, was er unter der Einwirkung der Vorstellung [passiv] erfahren hat. (50) ›Vorstellung‹ und ›Fiktion‹ (φντασμα) unterscheiden sich. Letzteres ist eine gedankliche Einbildung (δκησις διανο ας), wie sie etwa in Träumen vorkommt. Die Vorstellung dagegen ist ein Eindruck (τ!πωσις) in der Seele, das heißt eine Veränderung (λλο ωσις).« Sie »wird aufgefasst als von einem Vorhandenen verursacht und ist ihm entsprechend eingeformt, eingedrückt und abgesiegelt, wie das nicht entstehen könnte von einem nicht Vorhandenem. (51). Vorstellungen sind teils sinnlich, teils nicht. Sinnlich sind die durch ein oder mehrere Sinnesorgane aufgenommenen, nicht sinnlich die, welche man durch das Denken (δινοια) bekommt wie etwa Vorstellungen von unkörperlichen und von anderen mit der Vernunft ( λγος) erfassten Dingen.« Es bedarf allerdings körperlicher Zeichen (Sprache, Schrift, Ton, Mimik, Gestik etc.), um derartige ›Dinge‹ erfassen zu können. Cicero, Ac. post. I 40: Sinneseindrücke sind als visa der Inbegriff dessen, dem die Sinne zustimmen. Cicero, Ac. post. I 41: propria quaedam declaratio earum rerum, quae videntur. ›Dinge‹ werden dann gleichsam aus dem heraus gesehen, was sie von sich selbst erklären. Vgl. Seneca, epist. 20, 2: »Handeln lehrt die Philosophie, nicht Reden, … damit nicht zur Rede das Leben in Widerspruch stehe oder in sich selber widersprüchlich sei.« Epaphroditos war unter Nero ein einflussreicher Mann von beachtlicher Bildung. Er hat den Historiker Flavius Iosephus zu seiner jüdischen Archäologie veranlasst, und dieser hat ihm unter anderem seine apologetische Schrift Contra Apionem gewidmet. Epaphroditos hat Nero bei seiner Flucht aus Rom begleitet und ihm bei seinem Selbstmord geholfen. Domitian hat ihn verbannt und danach töten lassen.

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Musonius Rufus (ca. 30 – 100) war ein Stoiker kynischer Prägung und hat sich von daher in erster Linie als Lebensberater verstanden. Er ist zweimal durch kaiserliches Edikt aus Rom verbannt, danach aber jedes Mal wieder zurückgerufen worden. Arrian war ein einflussreicher Politiker und ein bedeutender Historiograph. Das Motiv des eingeübten Zurhandhabens der richtigen Argumente als »Waffen« gegen falsche Vorstellungen durchzieht den gesamten Text. Vgl. dafür die letzte Zeile in Text 49 und den letzten Abschnitt des Handbüchleins selbst (= 53), der ›Kernsätze (τ? πρχειρα)‹ der Ethik zusammenstellt. Hadot (1991) 17 macht deutlich, dass die Übung zu ständiger Wachsamkeit gegenüber Eindrücken und Meinungen (προσοχ ) für die Praxis ›geistiger Übung‹ grundlegend gewesen ist. Für weitere Textbelege zu Epiktet vgl. ebd. 183, Anm. 24 und 30. Epiktets Diatribe IV 2 ist ausschließlich diesem Thema gewidmet. In der ›ständigen Wachsamkeit‹ erreicht die Seele eine innere Spannung (τνος), die derjenigen des göttlichen Logos ähnlich ist. Dazu sowie für mehr oder weniger vollständige Listen ›geistiger Übungen‹ vgl. Hadot (1991) 16 f. Übersetzung auf der Grundlage derjenigen von Kurt Steinmann Vgl. damit die Bestimmung des Kosmos in der Anm. 64. Insofern beachtet auch die Stoa die für die Atomistik charakteristische Regel prinzipientheoretischer Sparsamkeit, nämlich die des Zusammenhangs von minimalem erkenntnistheoretischen Risiko und maximalem Erkenntnisgewinn. Vgl. damit auch Epiktet, frg. 1 (Stobaeus, Eclogae II 1, 31: Von Arrian, dem Schüler des Epiktet an einen Mann, der sich einbildet, viel über das Wesen der Dinge zu wissen): ›Was interessiert es mich‹, sagte Epiktet, ›ob das Seiende aus Atomen oder unteilbaren Teilchen, aus Feuer oder Erde besteht? Genügt es nicht, das Wesen des Guten und des Schlechten, die Maße unserer Wünsche und Abneigungen sowie die unseres Wollens und Nichtwollens kennen zu lernen und nach dieser Richtschnur unser Leben einzurichten, aber die Dinge, die zu hoch für uns sind, sein zu lassen? […] Was die Natur ist und wie sie die Welt verwaltet und ob sie wirklich existiert oder nicht – das sind Fragen, mit denen man sich nicht mehr abzumühen braucht.«

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Diese Grundunterscheidung durchzieht das Gesamtwerk Epiktets. Ich entnehme Hadot (1991) 183, Anm. 14 die folgenden Stellennachweise aus den Diatriben Epiktets: I 1, 7; I 4, 27; I 22, 9; II 5, 4. Vgl. dazu auch Forschner (1981) 114 – 134. Vgl. Epiktet, Encheiridion 52: »Der erste und notwendigste Verwirklichungsort (τπος) der Philosophie ist der, an dem es um die Anwendung ihrer Lehren (χρAσις τ.ν θεωρημτων) geht, wie zum Beispiel nicht zu lügen. Der zweite kümmert sich um die Beweise, zum Beispiel, aus welchem Grund man nicht lügen darf. Der dritte begründet und zergliedert diese Beweise, zum Beispiel: Woraus ergibt sich, dass dies ein Beweis ist? Was ist überhaupt ein Beweis? Was ist eine logische Folgerung? Was ist ein Widerspruch? Was ist wahr? Was ist falsch? Der dritte Verwirklichungsort ist also notwendig wegen des zweiten und der zweite wegen des ersten. Der notwendigste aber, an dem man verweilen (ναπα!εσθαι = ruhen) soll, ist der erste. Wir hingegen machen es genau umgekehrt. Denn wir verbringen unsere Zeit am dritten Verwirklichungsort, und dem gilt unser ganzer Einsatz. Den ersten aber lassen wir völlig außer Acht. Deshalb lügen wir zwar; wie man aber beweist, dass man nicht lügen darf, ist uns zur Hand.« In der ›gedanklichen Annahme (*πληψις)‹ legen wir fest, was wir an den Anfang einer Kette von weiteren Überlegungen und Schlussfolgerungen stellen wollen. Insofern sind wir in diesem Teil unserer vernünftigen Tätigkeit frei. Zu diesem Begriff vgl. Bd. II, Text 38 und die Anm. 294. Vgl. dafür auch Epiktet III 12 (»Von der Übung«), 15: Man soll keinen einzigen »sinnlichen Eindruck (φαντασ α)« ungeprüft in sich aufnehmen, sondern sagen: ›Warte, lass erst sehen, wer du bist und woher du kommst‹. Wie die Nachtwächter zu einem sagen: ›Zeig mir deinen Ausweis‹. Hast du deinen Ausweis von der Natur, den jeder Eindruck haben muss, der aufgenommen werden will?«. Für Epiktet handelt es sich dabei um die Umsetzung des von ihm auch zitierten sokratischen Satzes, »dass ein ungeprüftes Leben nicht lebenswert sei« (Platon, Apol. 38 a). Vgl. dazu Epiktet, frg. 9 (Aulus Gellius, Noctes atticae XIX 1, 14 – 21, zit. nach Epiktet (ed. 1994) 79 ff.): »Die Vorstellungen der Seele (visa animi), durch die der Geist (mens) des Menschen gleich bei der

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ersten Begegnung mit einem äußeren Vorgang in Berührung kommt, unterliegen nicht seinem Willen und seiner Kontrolle. Sie drängen sich gleichsam mit Gewalt (vi quadam) in das Bewusstsein des Menschen. Die Zustimmungen (probationes = συγκαταθσεις) aber, mit der eben diese Vorstellungen aufgenommen werden, sind freiwillig und beruhen auf einer bewussten Entscheidung des Menschen.« Übersetzung nach Otto und Eva Schönberger. Das Verb suspicari (annehmen, vermuten) steht für die coniectura, die etwas als seiend ansetzt, was sich der Wahrnehmung oder der allgemeinen Meinung entzieht. Vgl. dazu Bd. I, S. 132. Die Größe des Wissens ist nach traditioneller Vorgabe griechischer Philosophie direkt von der Größe des Gegenstandes abhängig, dem es sich zuwendet. Das würde auch auf die Logik zutreffen, die im Text nicht erwähnt wird. Dieses Bild veranschaulicht, ähnlich wie die Bilder vom ausschließlich körperlichen (4), vom Kampf mit den Leidenschaften bestimmten (5), dem vom Luxus geprägten (7 f.) oder von politisch-militärischem Ehrgeiz geleiteten Leben (9 f.) eine Wirklichkeit, die ganz vom Prinzip ›unbestimmter Zweiheitlichkeit‹ geprägt ist. Vgl. dazu Text 45 und S. 16 f. Vgl. damit Cicero, De re publica VI (Somnium Scipionis), 3, 16. Zitat aus Vergil, Aeneis IV 401 ff. Dort wird auch das Bild von den Ameisen und ihrem Gewimmel verwendet, als das die Bewegungen eines Heeres erscheinen, wenn man sie von der Höhe einer Burg aus betrachtet. Damit ist der Saturn gemeint. Vgl. dazu Bd. I, S. XXIV und im vorliegenden Band Anm. 18. Lucilius Iunior, ca . 10 n. Chr. in der Nähe von Neapel geboren, war aus relativ ärmlichen Verhältnissen zum Prokurator Siziliens aufgestiegen. Das Jahr seines Todes ist nicht bekannt. Bezeichnenderweise verwendet Seneca für diese Bewegung das Verbum volutare, was so viel wie ›hin- und herwälzen‹ bedeutet. Vgl. damit Bd. I, S. 100 ff. Vgl. dafür Bd. II, S. 87 f.

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Vgl. dazu Bd. II, S. 116 ff. Zu beachten ist, dass Platon für die Bewegung vom punctum zum totum eine Fülle von Vermittlungen thematisiert, während Seneca die Bewegung, die sich vom punctum ihres Anfangs nur ein wenig entfernt, sofort in den Bereich des totum vordringen lässt. In diesem Zusammenhang muss auch das Bienengleichnis Senecas (epist. 84) wahrgenommen werden. Vgl. dazu Reckermann (1993). Vgl. Foucault (2009) 337 – 356, für die Zitate vgl. ebd. 351. Die Vorlesung vom 17. Februar 1982 interpretiert unseren Text 50 ausführlich und zieht zur Verdeutlichung des Unterschieds zwischen platonischem und stoischem Blick auf den Grund der Natur zusätzlich folgende Texte Senecas heran: De brevitate vitae 19, 1 f., Consolatio ad Marciam 18 und epist. 65, 16 ff. sowie 66, 6 ff. Die Bedeutung dieses Unterschieds für die Frage nach der Konstitution des Subjektbegriffs erläutert Foucault (2009) 308 ff., insbesondere 316 ff. und folgt auch darin weitgehend Hadot (1991) z. B. 45 f. Vgl. dazu Hadot (1991) 19 f. und ebd. 69 ff. in Bezug auf denselben Gedanken bei Marc Aurel. Für die Zugehörigkeit der auch von Foucault angesprochenen Einübung in die Vogelflugschau zur Tradition geistiger Übungen vgl. Hadot (1991) 34 ff. So die auf Leukipp und Demokrit bezogene Formulierung des Aristoteles, Met. IV 5, 1009 b 7 ff.: δηλον. Zur Bedeutung des »Verborgenen« bei Epikur vgl. Text 51, Abschnitt 39. Vgl. dafür exemplarisch Epikur, ad Pythoclem 89. Die Überlieferung ihrer Texte ist wie die der vorsokratischen Philosophen insgesamt fragmentarisch. Referate zu Leukipp (sehr gerafft) und Demokrit (ausführlicher) findet man bei DL IX 30 – 49. Für eine erste Beschäftigung mit dem Konzept der Atomistik und ihrer bis in Neuzeit hineinreichenden Wirkungsgeschichte (Gassendi, Newton etc.) vgl. Stückelberger (Hrsg. 1979). Cicero, Lucullus 118: »Leucippus plenum et inane; Democritus huic in hoc similis, uberior in ceteris.« Aristoteles, Gen. corr. I 8, 325 a 23 – 37. Vgl. dafür DL IX , 30 ff. Aristoteles, Met. I 4, 985 b 4 – 9. Zur Bedeutung des Parmenides für die Prinzipientheorie der Atomistik vgl. David Sedley, Atomism’s Eleatic

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Roots, in: Curd / Graham (Hrsg. 2008) 305 – 332. Zu der wirkungsgeschichtlich folgenreichen ›Nichts weniger‹-Formel in der Atomistik vgl. Walter Burkert, Logik und Sprachspiel bei Leukippos/Demokritos: ο1 μ2λλον als These und Denkform (1997), in: Ders (2008) 55 – 67. Die Atomistik gibt insofern eine kritische Antwort auf Parmenides, als sie auf ein materiell konkretes Sein verweist und von ihm zeigt, dass es als einziges dessen Kriterium für wahres Sein (vgl. dazu Bd. I, S. 43 ff.) erfüllt. Die feinere Fassung dieser Voraussetzung wird von Sextus (Adv. math. X 2) Epikur (mit offensichtlichem Blick auf dessen Lehrbrief ad Herodotum 39 f., vgl. Text 51) zugeschrieben: »Man muss […] festhalten, dass nach Epikur von der ›unberührbaren Substanz (ναφ5ς φ!σις)‹, wie er sie nennt, eine Art als das Leere bezeichnet wird, eine andere als ›Ort‹ und wieder eine andere als ›Raum‹, wobei die Bezeichnungen mit den verschiedenen gedanklichen Hinwendungen (πιβολα ) darauf wechseln, insofern nämlich dieselbe Natur (φ!σις), wenn sie von jedem Körper frei ist, als ›leer (κενν)‹ angesprochen wird; wenn sie dagegen von einem Körper eingenommen wird, heißt sie ›Ort (τπος)‹, und wenn Körper sich durch sie hindurch bewegen, wird sie zum ›Raum (χ(ρα)‹.« Zum Begriff der gedanklichen Hinwendung vgl. S. 74. Der Satz des Parmenides, VS 28 B 8, 25: »Seiendes stößt an Seiendes« und bildet damit einen kontinuierlichen Zusammenhang (vgl. Bd I, S. 38) gilt atomistisch auch für die begrifflichen Bestimmungen, die das Sein der Natur erschließen. Vgl. dazu Platon, Tim. 53 c ff. Vgl. dafür das Epikur-Referat des Velleius bei Cicero, nat. deor. I 18: »Hört jetzt nicht unsichere und erdichtete Lehren; nichts von einem Gestalter (opifex) und Erbauer (aedificator) der Welt, dem Gott aus dem Timaios Platons, auch nichts von dem schicksalskündenden alten Weibe, der pronoia der Stoiker, […] aber auch nichts davon, dass die Welt selbst, mit Seele und Sinnen begabt, ein kugelförmiger, feuriger und kreisender Gott sei, d. h. von Ausgeburten der Phantasie und Wunderdingen (miracula) nicht ernsthaft diskutierender, sondern nur wie im Traume daherredender Philosophen (non disserentium philosophorum, sed somniantium)!«

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Als Beispiel dafür nenne ich nur die Gravitationstheorie Isaac Newtons (vgl. das scholium generale im dritten Buch seiner Principia mathematica). ›Attraktion‹ und ›Repulsion‹ sind Rechengrößen, die für die mathematische Beschreibung von Gravitationsbewegungen benötigt werden, aber keine Qualitäten, die gravitierenden Körpern von Natur aus zukämen. Dasselbe gilt für die Eigenschaften, die Thomas Hobbes dem ›status naturalis‹ und dem menschlichen Verhalten im Naturzustand zuschreibt. Zur Biographie Epikurs vgl. Erler (1994) 64 ff. Einfach heranzuziehende Ausgaben seiner wichtigsten Texte sind Epikur (ed. 1980) und (ed. 2006). Gute Einführungen in seine Philosophie sind Hossenfelder (1991) und (1995) 100 – 146. Zu verweisen ist ferner auf Long/Sedley (2000) 29 – 182. Wirkungsgeschichtlich einflussreiche Referate zur Philosophie Epikurs in lateinischer Sprache findet man bei Cicero, nat. deor. I und fin. I. Das X. und letzte Buch der Vitae philosophorum des Diogenes Laertius ist Epikur gewidmet. Es enthält drei seiner Lehrbriefe und den katechismusartigen Text seiner Ratae sententiae. Zur Bedeutung von Lampsakos als Zentrum naturphilosophischer Forschung vgl. Erler (1994) 67. Unter den Frauen im Kepos spielten Hetären oder ehemalige Hetären eine nicht unwichtige Rolle, nicht zuletzt wegen ihrer Beziehungen zu einflussreichen und wohlhabenden Männern, auf die man für die Finanzierung der Schule angewiesen war. Man sollte daraus aber keine Schlüsse über die Lebensverhältnisse im ›Garten‹ ziehen. Vgl. dazu Epikur, ad Men. 122 sowie Hans-Wolfgang Krautz. Nachwort zu Epikur (ed. 1980) 144 f. Vgl. DL X 31: »Die Logik verwerfen sie als überflüssig.« Epikur, Rat. sent. XI (69): »Wenn uns nicht Anwandlungen von Argwohn vor den Himmelserscheinungen quälten oder vor dem Tode, er könnte uns irgendwie betreffen, […] so bedürften wir der Naturforschung (φυσιολογ α) nicht.« Vgl. dafür auch die Aussagen zum notwendigen Zusammenhang von φυσιολογ α und Seelenruhe: Epikur, ad Her. 37, ad Pyth. 85 ff. Zur Bestimmung der wichtigsten, nämlich der ersten vier Einheiten der Ratae sententiae als »vierfacher Medizin« (»Tetrapharmakos«), die Seelenruhe bewirken soll, vgl. die Nachweise bei Erler (1994)

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81 (dort auch 37 ff. zu Positionen der neueren philosophiehistorischen Forschung, die der epikureischen Physik sehr wohl eine eigenständige Bedeutung zuerkennen wollen). Vgl. dazu aufschlussreich Hadot (1991) 21 f. Vgl. dazu die Liste der Titel bei DL X 27. Zu diesen und anderen Texten Epikurs sowie zu ihrer Überlieferung vgl. Hossenfelder (1991) 21 – 26 sowie Erler (1994) 75 – 125 mit Bibliographie. So Erler (1994) 49 f. Übersetzung auf der Grundlage derjenigen von Hans-Wolfgang Krautz. Annotationen des Diogenes Laertius oder eines anonymen Scholiasten sind ausgelassen. Der Ausdruck »das Erste« bezieht sich auf die »Zusammenfassung aller Lehrsätze (στοιχε ωσις τ.ν 4λων δοξ.ν)« der Physik (ad Her. 37). ›Samenteilchen (σπρματα)‹ ist bereits in der alten Atomistik eine Bezeichnung für die materiellen Urkörper. Später wird dieser Ausdruck verwendet, um den Gegensatz zum stoischen Konzept der Natur als Inbegriff der dem Logos immanenten ›Samenformen ( λγοι σπερματικο )‹ zu betonen. Vgl. dafür Stückelberger (Hrsg. 1979) 315. Auch Lukrez, der die Lehre Epikurs mit seinem Lehrgedicht De rerum natura ins Lateinische übertragen hat, bezeichnet die atomaren primordia rerum (I 167: corpora genitalia) häufig als semina (I 169, 176, 185, 501). Eine andere Lesart, die statt α#τ ων … ο1σ.ν : α#δ ων … ο1σ.ν lautet, wäre so zu übersetzen: »da die Atome und das Leere ewig sind.« Zu beachten ist, dass Epikur, der in der Physik den Begriff der causa efficiens meidet, ihn in der Ethik sehr wohl verwendet. Vgl. Epikur, ad Her. 37 mit dem Aufruf »zur beständigen Tätigkeit (τ συνεχ"ς νργημα) in der Naturforschung«, weil man »in einem solchen Leben«, wie der Autor für sich selbst bekennt, »am ehesten zu heiterer Gelassenheit« findet. Vgl. dafür in Text 51 Abschnitt 42 die Dichotomie von Erfassbarem (περιληπτν) und Unerfassbarem (περιληπτν). Vgl. dafür Bd. II, S. 82 und Anm. 121. Unmittelbar vor unserem Textauszug erklärt Epikur, er wolle Menoikeus die »Elemente des guten Lebens (ad Men. 123: στοιχε$α το, καλ.ς

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ζAν)« nennen, damit dieser sie klar erfassen (διαλαμβνειν) und sich

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beständig darin üben könne, sie in seinem Leben als die Kraft »anwesend« zu machen, die den Zustand der Vollkommenheit bewirkt (vgl. ebd. 122). Man erkennt an solchen Formulierungen den durchgängigen Naturalismus Epikurs. Auch Wissen ist eine körperhafte Entität, die aus einfachen Einheiten, den στοιχε$α , besteht. Ihre Präsenz in einer körperlichen Einheit wie der Seele erzeugt dort mit physikalischer Notwendigkeit einen materiellen Zustand, der als Glück empfunden wird. Übersetzung wie für Text 51 Zu den »Intermundien« vgl. Epikur, ad Pyth. 89 (τ? μεταξ& τ.ν κσμων διστημα). Dort ist allerdings keine Rede von göttlichen Körpern, die sich in diesen Zwischenräumen aufhalten. Dies ist vielmehr bei Cicero vorausgesetzt, wenn er von Velleius, dem Parteigänger der epikureischen Theologie, ironisch notiert, er wolle mit seinem dogmatisch zuversichtlichen Reden den Eindruck erwecken, »geradewegs aus der Versammlung der Götter und aus den Zwischenwelten Epikurs (ex Epicuri intermundiis) [in diese Welt] herabgestiegen« zu sein (Cicero, nat. deor. I 18). Zum Wohnsitz der Götter und seiner besonderen materiellen Beschaffenheit vgl. Lukrez III 18 – 24 und V 146 – 155 mit dem Hinweis auf die natura tenuis der Götter ( V 148, 154), die sich dadurch der Berührbarkeit und der sinnlichen Wahrnehmbarkeit entziehen. Vgl. dafür auch die kritische Darstellung bei Seneca, De beneficiis IV, 19, 1 – 2. Für diese Deutung der epikureischen Götter vgl. Long/Sedley (2000) 169 ff. mit besonderem Blick auf Sextus, Adv. math. IX , 43 – 47 (bei Long / Sedley Text 23 F). Für meine eigene Interpretation sind Epikurs Götter objektive materielle Gebilde. Vgl. dazu Erler (1994) 149 – 153. Cicero, nat. deor. I 51. Man kann in dieser Umschreibung wichtige Konturen des Gottesbegriffs der klassischen griechischen, insbesondere der aristotelischen Philosophie wieder erkennen. Die Abweichung davon besteht darin, dass dem Gott wie in der stoischen Philosophie virtus zugesprochen wird, die dann aber anti-stoisch als Zustand des ewigen Genusses seiner selbst umgedeutet wird. Für die philosophiehistorischen Voraussetzungen des epikureischen Gottesbegriffs vgl. Krämer (1971) 131 ff. und passim, insbesondere 178 ff.

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Vgl. Cicero, nat. deor. I 42; ferner Bd. II, S. 193 ff. (Aristoteles). Cicero, nat. deor. I 56. Vgl. dazu auch das emphatische Lob Epikurs bei Lukrez, insbesondere VI 1 – 42. Vgl. dazu wieder Velleius bei Cicero, nat. deor. I 44: »Denn da der Glaube (an die Götter) durch keine Einrichtung (institutum), keine Sitte (mos) und kein Gesetz (lex) zustande gebracht wird, und eine ausnahmslose feste Übereinstimmung (consensio) besteht, muss man notwendigerweise einsehen, dass es Götter gibt, da wir ja in uns hineingelegte, besser gesagt angeborene Vorstellungen (insitae vel potius innatae cognitiones) von ihnen haben; das aber, worin die Natur aller übereinstimmt, muss notwendig auch wahr sein.« Epikur, ad Her. 38. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Cicero, nat. deor. I 43 ff. Dort wird im Blick auf Epikurs verlorene Schrift Über Regel und Urteil die Regel des Kontinuums zwischen anticipatio als informatio oder praenotio rei (vgl.: »natura informationem ipsorum deorum dedit, eadem insculpsit in mentibus, ut eos aeternos et beatos haberemus«) und lehrhafter Aussage (sententia) angesprochen, die in Bezug auf die Götter nur behaupten kann: »Was glückselig und ewig ist, hat weder selbst seelische Beschwernis noch bereitet es sie einem anderen Wesen und lässt sich deshalb weder von Zorn noch von Zuneigung beeinflussen, weil alles, was von dieser Art ist, schwach ist« (Epikur, Rat. sent. I). Von diesen Vorgaben her müssen auch die Fragen nach Gestalt, Lebensweise, geistiger Tätigkeit und Bewegungsmöglichkeit göttlicher Wesen beantwortet werden. Vgl. dazu die Anm. 142. Cicero, nat. deor. I 54. Cicero, nat. deor. I 45: »veneratio iusta.« Vgl. dazu Epikur, ad Her. 56 – 59. Zur räumlichen Unteilbarkeit von korpuskularen Einheiten vgl. Erler (1994) 142. Vgl. dafür die auch für das Folgende im Auge zu behaltende Differenzierung, die Sextus Empiricus notiert hat (zitiert in der Anm. 139). Aus unserer Betrachtung bleibt Epikurs physikalische Ableitung einzelner Bewegungsformen ausgeschlossen. Mit ihr will er offensichtlich Grundbestimmungen der alten Atomistik vor der Kritik des Aristoteles in Schutz nehmen. Vgl. dazu Long/Sedley (2000) 58 ff.; dort auch 125 ff.

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zur Diskussion über den Zusammenhang von spontaner Deklinationsbewegung, die den Determinismus der übrigen Bewegungszusammenhänge aufhebt, und dem Problem menschlicher Willensfreiheit. Dazu auch Hossenfelder (1991) 128 ff. und 131 ff. Zur Anknüpfung der epikureischen Unterscheidung zwischen diesen beiden Lustarten an Aristoteles, EN VII, 1154 b 26 ff. mit ihrer Vorordnung der den Göttern zukommenden in sich einfachen Lust ›in der Ruhe‹ vor derjenigen ›in der Bewegung‹ vgl. Krämer (1971) 153. Epikur bezieht sich ad Men. 131 f. auf solche Vorwürfe (vgl. Text 53). Nach Seneca lehrt Epikur »sittlich Unanfechtbares und Richtiges … und Strenges«, weil bei ihm die Lust der Natur zu gehorchen hat und deshalb als ›voluptas sobria ac sicca‹ »auf ein kleines und unbedeutendes Maß zurückgeführt« ist (vgl. Seneca, De vita beata XIII 2 und 4). Insofern kann sich der Stoiker Seneca direkt auf Epikur als magister voluptatis berufen, weil seine Lehre für ihn zwar nicht der sprachlichen Bezeichnung, wohl aber dem Inhalt nach mit der stoischen Ethik übereinstimmt. Vgl. dafür Seneca, epist. 18, 9 ff., insbesondere 13: »Niemand anders ist des Gottes würdig, als wer Schätze gering achtet; deren Besitz verbiete ich dir nicht, doch bewirken will ich, dass du sie ohne Zittern besitzest. Das kannst du auf eine einzige Weise erreichen, wenn du auch ohne sie glücklich leben zu können überzeugt bist, wenn du sie nämlich als vergänglich betrachtest.« Übersetzung wie für Text 51 Die Distanzierung von bestehenden Gewohnheiten durch die Ausbildung vernunftbestimmter Einstellungen gehört in den bereits mehrfach angesprochenen Zusammenhang ›geistiger Übung‹. Vgl. dazu Hadot (1991) 20. Da man sich an Gedanken nur insoweit gewöhnt, als man sie sich durch ständige Wiederholung aneignet, wird im ausgelassenen Textteil der Gedanke, dass der Tod für uns ohne Bedeutung ist, wiederholungsreich umspielt. Ziel ist »das Einüben des vollkommenen Lebens und des vollkommenen Sterbens«, die beide »dasselbe« sind. Dabei spielt die Abwehr des in der Tragödie thematisierten, von Epikur mit einem Satz des Theognis aus Megara (ca. Mitte des 6. Jh. = I, 425 ff.) aufgenommenen Wunsches, nicht geboren zu sein, und, wenn man schon einmal

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geboren ist, so schnell wie möglich »des Hades Tor zu durchmessen«, eine entscheidende Rolle. Vgl. dazu Bd. I, S. 94 f. und 100. Diese Aussage scheint sich auf eine Philosophie zu beziehen, die sich als ›Kunst‹ gegenüber dem Zusammenhang des ›natürlichen‹ Urteilens verselbständigt. Zu einer analogen Kritik an der ›künstlichen‹ Philosophie bei Epiktet vgl. die Anm. 110. Mit dem Imperativ des Verbs μελετω (sorgfältig überdenken) wird die vom Text realisierte Praxis ›geistiger Übung‹ direkt angesprochen. Vgl. Hadot (1991) 21 f. Bei aller Bedeutung, die dem praktischen Wissen zukommt, muss beachtet werden, dass gerade in praktischer Hinsicht theoretisches Wissen nötig ist. Es bringt nämlich in Bezug auf Lust keinen Nutzen, »eine nur zwischen Menschen geltende Sicherheit herzustellen«, solange »die Vorgänge in der Höhe und unter der Erde (zu dieser Formel vgl. Bd. I, S. 14 f.) und überhaupt im Grenzenlosen (ν πε ρY) weiterhin [aus Unwissenheit] beargwöhnt werden« (Epikur, Rat. sent. XIII). Vgl. dafür Epikur, Rat. sent. XXIII: »Wenn du gegen alle Wahrnehmungen kämpfst, wirst du keinen Maßstab haben, auf den du dich beziehen kannst, um jene Wahrnehmungen zu beurteilen, von denen du behauptest, sie seien falsch.« Ebd. XXIV: »Wenn du irgendeine Wahrnehmung einfach verwirfst und nicht unterscheidest zwischen bloß Vermutetem und dem, was bereits als Wahrnehmung, Empfindung oder als umfassender, von einer Vorstellung geprägter Zugriff des Verstandes gegenwärtig ist, dann wirst du durch deine unbegründete Meinung auch die übrigen Wahrnehmungen durcheinander bringen und so jeden Beurteilungsmaßstab verlieren […]«. Epikurs φρνησις hat einen größeren Bedeutungsumfang als die mit demselben Begriff bezeichnete dianoetische Tugend des Aristoteles, ist sie doch als ›unbeirrte‹ Theorie (128) zugleich kontinuierliches Durchdenken (132: λογισμς) und vergleichendes Messen (130: συμμτρησις) von Zusammenhängen. Im Blick auf die von Christopher J. Rowe (HWPh 7, 933 – 936) und Ralf Elm ( WAPh, 340 – 343) angeführten Belege könnte man sagen, dass Epikur an den platonischen Begriff der φρνησις anknüpft. Für die philosophiehistorischen, insbesondere akademischen Hinter-

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gründe dieses Begriffs der Einheit vgl. Krämer (1971) passim. Neben dem Begriff ›dichter‹ steht ein Begriff variationsfähiger Einheit. Er bestimmt die Begriffe der Natur als Allheit von Stabilität und Instabilität, des Entstehens und Vergehens zusammengesetzter Körper und des empirischen Wissens von Erscheinungen der Natur. Vgl. dafür Bd. II, Text 33. Schon für Platon ist Gerechtigkeit als Grundform von Tugendhaftigkeit mit Einsicht verbunden. Vgl. dafür Bd. II, S. 151. Bei Aristoteles kommt ihr als dem Inbegriff aller sittlichen Regeln ebenfalls eine fundamentale Stellung zu. Vgl. dafür Bd. II, S. 261 f. Epikur vertritt im Gegensatz zu Platon, Aristoteles und der Stoa einen konventionalistisch-funktionalen Gerechtigkeitsbegriff. Dennoch erfüllt Gerechtigkeit auch für ihn eine natürliche und notwendige Funktion. Ohne die von ihr gewährleistete Sicherheit vor äußerem Zugriff gibt es nämlich keine Lust. Vgl. dafür Epikur, Rat. sent. XXXI – XL . Im Blick auf die soziale Welt ist daher nachzuvollziehen, dass auch die ethische Tugend der Gerechtigkeit mit dem lustvollen Leben eine Einheit bildet. Vgl. dafür ebd. XVII: »Der Gerechte ist am wenigsten zu erschüttern, der Ungerechte ist von höchster Erschütterung durchdrungen.« Dies ist auch der Grundgedanke im Epikur-Referat des Torquatus bei Cicero, fin. I mit dem Sonderthema: de omnium virtutum cursu ad voluptatem, bei dem gegen die Stoa die vier Kardinaltugenden der Lust untergeordnet werden. Vgl. dazu auch DL X 138. Vgl. dazu auch das Referat der epikureischen partitio der Lust in ihre genera bei Cicero, fin. I 45. Dort wird die praktische und damit ›natürliche‹ Bedeutung dieses theoretisch-künstlichen Unterscheidungsverfahrens herausgestellt: »Welche dihairetische Einteilung (partitio) ist denn nützlicher (utilior) oder für das gute Leben geeigneter als jene, deren Epikur sich bedient?« Der Begriff der Grenze ist hier als Bezeichnung für das Ziel aufzufassen, über das hinaus es ein höheres Gut nicht geben kann. Vgl. dazu auch Epikur, Rat. sent. XV: » Der Reichtum, der unserer Natur zukommt, ist begrenzt und äußerst leicht zu beschaffen, derjenige Reichtum, der nichtigen Meinungen folgt, verliert sich ins Unbestimmte.« Dass und in welcher Weise Epikur damit an platonisch-akademische und peripa-

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tetische Diskussionen über den Zusammenhang zwischen dem Guten und der Lust anknüpft, nach denen vollkommene Lust, nicht der Unbestimmtheitsgröße des ›Mehr und Weniger‹ im Sinne der platonischakademischen ριστος δυς unterliegt, zeigt Krämer (1971), insbesondere 216 ff., u.a. mit Verweis auf DL X 121: »Zwei Arten von Glück lassen sich denken. Das eine [das der katastematischen Lust] ist das größtmögliche, woran sich die Götter erfreuen und dem nichts hinzugefügt werden kann. Das andere ist das Glück [kinematischer Lust], das Zunahme und Abnahme der Lustempfindungen an sich hat.« Vgl. dazu auch Seneca, der als Stoiker epikureische Konzepte in seine Ethik integriert: epist. 66, 45 f.: »Bei Epikur gibt es zwei Güter, aus denen das höchste Glück zusammengesetzt ist, dass nämlich der Körper frei ist vom Schmerz und die Seele frei von Verstörung. Diese Güter wachsen nicht, wenn sie erfüllt sind. Wie kann denn wachsen, was vollständig ist? […] Wenn weitere Annehmlichkeiten (blandimenta) hinzukommen, vergrößern sie nicht das höchste Gut, sondern […] würzen es und machen es angenehm.« Vgl. dafür auch Epikur, Rat. sent. IXX: »Die unbegrenzte Zeit enthält ebensoviel Lust wie die begrenzte, wenn man die Grenzen der Lust mit Überlegung abmisst.« Das Zitat zeigt, dass Epikur den Begriff der Grenze in zweifacher Weise verwendet, einmal in der Bedeutung raum-zeitlicher Begrenzung, das anderemal als Bezeichnung für Vollkommenheit, die an Größe nicht überboten werden kann. Das ist gleichsam die äußerste Probe auf die durch meditative Erfahrung erworbene Fähigkeit, jede Schmerzerfahrung durch »Erinnerungen an das, was gut war«, zu überlagern und dadurch Lust gegenwärtig zu machen. Vgl. dazu Hadot (1991) 16. Man sollte den letzten Brief Epikurs nicht als Symptom für einen vermeintlich philosophietypischen Realitätsverlust auffassen, sondern bedenken, dass die vormoderne Welt eine ganz andere Einstellung zum Schmerz entwickeln musste als wir, die wir nahezu jederzeit auf ein reichhaltiges Arsenal von Narkotika und Analgetika zurückgreifen können. Der Schmerz ist in der antiken Welt in einer für uns ganz unvorstellbar gewordenen Weise direkt mit dem Leben verbunden gewesen und konnte deshalb nur mit ›harten‹ Meditationstechniken bekämpft werden.

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Die Unterscheidung von ›Natur‹ = ›Notwendigkeit‹, ›Zufall‹ und ›Kunst‹ geht auf Aristoteles zurück. Vgl. Bd. II, S. 163 f. Epikur hat bei dieser Kritik offensichtlich die philosophische Konkurrenz der Stoa vor Augen gestanden, die den Logos des Kosmos auch mit dem Begriff des fatum bezeichnet hat. Er unterschätzt aber die Komponente der Eigenverantwortung, die sowohl in der Erkenntnistheorie als auch in der Ethik der Stoa enthalten ist. Zum Verhältnis des Lukrez zu Epikur und zur epikureischen Lehrtradition vgl. Erler (1994) 414 ff. Vgl. dazu exemplarisch Lukrez II 80 – 132. Vgl. dafür Lukrez III 1 – 30, insbesondere 10 und 12. Das Prooemium zum 3. Buch thematisiert das Verhältnis des Autors zu Epikur und sollte vor allem im Blick auf die Verse 14 – 30 als Paralleltext zum Text 45 gelesen werden. Vgl. die Formulierung bei Epikur, ad Men. 123. Lukrez V 8: »deus ille fuit«. Lukrez I 69 ff. Das ist die aktive Variante zu der göttlich geleiteten Katabasis des Parmenides. Vgl. dazu Text 4. Im Prooemium zum 3. Buch wird Epikur deshalb als »pater« und als »rerum inventor« angesprochen. Dort auch III 14 ff. zur soteriologischen Funktion der von ihm verkündeten Lehre: »Denn sobald deine Vernunft (ratio) begonnen hat, die Natur der Dinge zu verkünden, aus göttlichem Geiste entstanden (mente divina coorta), fliehen die Schrecken der Seele davon, weichen die Mauern der Welt und ich sehe, was im Unermesslichen geschieht.« Lukrez V 9 f.: »vitae rationem invenit eam, quae nunc appellatur sapientia«. Lukrez I 62 ff. Lukrez I 79: »nos exaequat victoria caelo«. Die Überlegenheit der Rettungstat Epikurs gegenüber den Taten des Herkules ist das Thema bei Lukrez V 22 ff. Für die Gegenüberstellung von »dicta« und »arma« vgl. ebd. 50. Lukrez VI 24 ff. Vgl. dazu Bd. II, S. 193 ff., insbes. 196. Lukrez V 52 ff. Vgl. dafür Lukrez V 18 – 21: »Ohne ein reines Herz war gutes Leben nicht

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möglich«, und V 43 ff. zur Reinigung des Herzens von den Lastern und Qualen der sinnlosen Furcht (timor), des heftigen Begehrens (cupidines), des Hochmuts (superbia), der Gewaltsamkeit (clades = ira), der Genusssucht und Trägheit. Auf diese ›vitia‹ bezieht sich der Vers V 50: »expulerit dictis, non armis.« Lukrez V 10 ff. Vgl. dafür Wolfgang Fauth, Divus Epicurus. Zur Problemgeschichte philosophischer Religiosität bei Lukrez, in: Temporini (Hrsg. 1973) 205 – 225. Eigene Übersetzung. Zu diesem Text vgl. Hans Blumenberg, Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher, Frankfurt am Main 1979, 28 ff. Das wichtigste Werk des Sextus Empiricus ist die Schrift Adversus mathematicos. Darin werden alle ›mathematici‹, also alle, die ›Wissen‹ beanspruchen – neben den Philosophen auch die Grammatiker, Rhetoren, Geometer, Arithmetiker, Astronomen und Musiker – ausführlich vorgestellt und in die Diskussion über das von der Skepsis bestrittene Wahrheitskriterium einbezogen. Eine Kurzfassung davon ist der aus drei Büchern bestehende ›Grundriss der pyrrhonischen Skepsis‹ (griechischer Titel: Πυρρ(νειοι *ποτυπ(σεις , lateinisch: Pyrrhoniae institutiones = PH). Im ersten Buch dieser Schrift wird die Position der Skepsis dargestellt, die beiden folgenden kritisieren die Wissensansprüche der Philosophen, das zweite die der Logiker, das dritte die der Physiker und Ethiker. Gute Einführungen in die Philosophie der Skepsis sind Hossenfelder (1995) 147 – 182 (›pyrrhonische Skepsis‹) und Görler (1994) 720 – 989. Zur akademischen Skepsis vgl. Krämer (1971) 5 – 107 und Long / Sedley (2000) 13 – 27, 290 – 317, 523 – 582. Für weitergehende Genealogien skeptischer Philosophie vgl. DL IX 71: Homer als ihr Begründer oder die Sieben Weisen (ebd.). DL IX 72 nennt als ihren Gründer Xenophanes, DL IX 73 Heraklit. Pyrrhon leitet aus dem Satz von »der Unerkennbarkeit der Dinge (καταληψ α)« die Regel der Urteilsenthaltung (ποχ ) ab (DL IX 61, vgl. ebd. 94). Für die akademische Skepsis vgl. Sextus, Adv. math. VII 150: »Die Anhänger des Arkesilaos haben kein Kriterium [für die Richtigkeit einer Wahrnehmung oder des Wissens] bestimmt;« ebd. 159 zum Satz des Karneades, »dass es überhaupt kein Kriterium des Wahren

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gibt, nicht die Vernunft, nicht die Wahrnehmung, nicht die Vorstellung und auch nicht irgend etwas anderes von dem, was ist. Denn alles dies führt uns in die Irre.« Beide Zitate: Cicero, Tusc. III 2. Der moralisierende Hinweis auf die destruktive Wirkung ›schlechter Sitten‹ ist eine Zutat Ciceros. Für die Skepsis besteht der Mangel an Evidenz ›von Natur aus‹ und hat deshalb mit menschlichen Fehlern nichts zu tun. Zur Begründung skeptischer Philosophie aus dem Dissens der Philosophen über die certa veri nota vgl. Cicero, nat. deor. I 1: In der Frage nach dem Wesen der Götter, also des Ersten und Besten im Seienden, »sind die Meinungen der gelehrtesten Männer so verschieden und einander so widersprechend, dass dies als ein wichtiger Beweis dafür zu nehmen ist, dass im Nichtwissen der eigentliche Grund zum Philosophieren liegt und dass die Akademiker klugerweise in ungeklärten Problemen ihre Zustimmung zurückgehalten haben.« Eine allgemeinere Formulierung findet man bei Sextus, Adv. math. VIII 2: »die Gegensätzlichkeit der Behauptungen über das, was das Kriterium für Wahrheit ist, reicht für uns aus, das Urteil darüber zurückzuhalten.« Den Begriff der aporetischen Skepsis hat Hans Joachim Krämer im Anschluss an Olof Gigon in die Diskussion eingeführt, um die Differenz zwischen akademischer und pyrrhonischer Skepsis zu betonen. Vgl. Krämer (1971) 52 f. Sämtliche antiken Zeugnisse zu Pyrrhon findet man zusammengestellt und kommentiert in der Ausgabe: Pirrone (ed. 1981). Wichtige Quellen zum frühen Pyrrhonismus sind bei Long/Sedley (2000) 13 – 27 ins Deutsche übersetzt. Übersetzung nach derjenigen von Fritz Jürß. Diogenes nennt doxographische Quellen, die uns nicht mehr zugänglich sind. Diokles aus Magnesia gehört ins erste vorchristliche Jahrhundert. Von denen, die er später nennt, gehören der Stoiker Apollodoros aus Seleukia ins zweite, Alexandros aus Milet ins erste und Antigonos aus Karystos (62) ins dritte vorchristliche Jahrhundert. Mit dieser historisch-biographisch unhaltbaren Konstruktion wird für Pyrrhon ein im Kern plausibler Zusammenhang mit der sokratischmegarischen Philosophie hergestellt, die bereits die später von den

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Skeptikern übernommene Frage-Antwort-Methode entwickelt hat. Über Brysons Philosophie ist nichts bekannt. Stilpon aus Megara (ca. 360 – 300) soll die für Pyrrhon charakteristische »Etwas-ist-nicht-mehrdies-als-jenes«-Formel verwendet haben, um die Existenz von Allgemeinbegriffen zu widerlegen. Ich folge Görler (1994) 748 f. Anaxarchos aus Abdera (Akme um 340) gehört zur ›Schule‹ des Atomisten Demokrit, für die aus pyrrhonischer Sicht das Misstrauen gegenüber der sinnlichen Wahrnehmung charakteristisch gewesen ist. Sextus verweist auf die Verbindung des Anaxarchos mit dem Kyniker Monimos (ca. 350), die beide durch die Bezeichnung der Welt der Wahrnehmung als ›Theaterdekoration‹ bzw. als Wahn- oder Traumbild das Wahrheitskriterium aufgehoben hätten (Sextus, Adv. math. VII 88). Für die komplexe philosophiehistorische Einbindung des Pyrrhonismus vgl. Görler (1994) 748 ff. Pyrrhon war zusammen mit Anaxarchos Alexander d. Gr. auf seinem Zug nach Indien gefolgt. Das ist ein Hinweis auf eine Situation, die durch die verstärkte Erfahrung eines kulturellen Pluralismus die Sicherheit verloren hatte, das Natürliche mit dem Griechischen gleichzusetzen. Der Hinweis auf indische Gymnosophisten und Magier bedeutet nicht, dass Pyrrhon die Position der Skepsis von ihnen übernommen hat. Vgl. dafür Görler (1994) 753. Dennoch ist es aufschlussreich, dass indische Weisheit offensichtlich nicht erst seit dem 19. Jh. als die Kunst vorgestellt wird, das Wahrgenommene als Schein zu betrachten und das wirklich Wichtige jenseits des Erscheinenden zu suchen. Askanios ist ein ansonsten unbekannter Schüler Pyrrhons. Zu Timon aus Phleius vgl. DL IX 109 ff. Diogenes erwähnt seine Dichtungen, insbesondere die zu ihrer Zeit populären ›Silloi‹ (=Spottverse), in denen er »in parodistischer Weise [in Form einer Homer-Parodie] die dogmatischen Philosophen lächerlich« gemacht hat. Einige Fragmente daraus sind bei Long / Sedley (2000) 25 f. ins Deutsche übersetzt. Damit sind alle Philosophen außer den Skeptikern gemeint. DL IX 64: »Es lag dir nichts daran, zu erforschen, welche Winde in Griechenland vorherrschen, woraus die Dinge alle entstehen und zu was sie vergehen.« Für den griechischen Text gibt es verschiedene Lesarten. Die meisten

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Herausgeber entscheiden sich entweder für αJνοι (= rühmende Geschichten, Prunkreden) oder δ$νοι (Wirbel). Sextus, Adv. math. XI 1. Vgl. dafür DL IX 66. Das ist die berühmte für die Skepsis charakteristische ο1-μ2λλονFormel. Vgl. DL IX 76: »Dieser Ausspruch bedeutet nach Timon ›nichts bestimmen (μηδ"ν >ρ ζειν)‹, sondern Zustimmung zurückhalten.« Vgl. dazu DL VI 69 und 73 über Diogenes aus Sinope, DL VI 97 über den Kyniker Krates aus Theben und seine Lebensgefährtin Hipparchia oder DL VI 94 über ein vermeintlich besonders eindrucksvolles ›Argumentationsverfahren‹ des Krates. Vgl. Foucault (2009) 71 f. und 91 mit Hinweis auf Platon, Phaed. 83 a: Die Philosophie versucht die Seele, die an ihrem Gebundensein an körperhafte Wirklichkeit leidet, von der »Gewalt dieses Kerkers […] zu erlösen (λ!ειν), indem sie zeigt, dass alle Betrachtung (σκψις) durch die Augen voll Betrug ist, […] auch die durch die Ohren und die übrigen Sinne.« Sie »überredet« die Seele, »sich von diesen zurückzuziehen (ναχωρε$ν), soweit es nicht notwendig ist, sich ihrer zu bedienen« und sich stattdessen »in sich selbst (ε#ς α*τν) zu sammeln und zusammenzuhalten und nichts anderem zu trauen (πιστε!ειν) als wiederum sich selbst, nämlich dem, was sie für sich selbst von den an und für sich selbst seienden Dingen denkend betrachtet; was sie aber mittels eines anderen betrachtet, dieses, weil es in jeglichem anderen wieder ein anderes wird, für nichts Wahres zu halten, und solches sei ja eben das Wahrnehmbare und Sichtbare, was sie aber aus sich selbst sieht, sei das dem Denken Zugängliche und Unsichtbare.« Platon charakterisiert damit den Blick der vernünftig gewordenen Seele (νησις) auf die intelligible Welt allgemeiner Formen. Vgl. Pirrone (ed.1981), Nr. 53, eigene Übersetzung. In der Forschung ist die Zuordnung dieses Satzes umstritten (Pyrrhon? Timon? Aristokles?) Vgl. dafür Pirrone (ed. 1981) 218 f. Vgl. dafür die Hinweise in: Pirrone (ed. 1981) 219 (Kritik insbesondere an Protagoras). Vgl. damit den letzten Satz des Abschnitts 61 in Text 55. So Görler (1994) 741 mit Hinweis auf die einschlägige Diskussion. Gör-

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ler integriert den Spruch Timons in ein Gesamtbild pyrrhonisch-skeptischer Philosophie. Ich folge seiner Interpretation in ihren ersten auf die Ethik bezogenen Schritten und verschärfe sie dann zu einer stärker platonisch geprägten ›theologischen‹ Deutung. Sextus, adv. math. XI 20. Übersetzung Woldemar Görler. Eine andere Möglichkeit, diesen Widerspruch aufzulösen, besteht darin, den Text des Sextus, der das Timon-Zitat einleitet, und dessen Anfangssatz so zu verstehen, dass er keine Wahrheit ausdrückt, sondern das, was dem Skeptiker so erscheint. Diesen Weg gehen Long/Sedley (2000) 23, wobei es dann schwierig wird, so emphatische Formulierungen wie »Wort der Wahrheit« und »richtige Richtschnur« in den Duktus eines skeptischen Arguments zu integrieren. »Aphasie« meint nicht das einfache Verstummen, sondern den Verzicht auf einen Aussagesatz (πφανσις oder λγος ποφαντικς), der entweder als affirmativer (κατφασις) oder als negativer Satz (πφασις) Wahrheit beansprucht. Für diese Termini vgl. Aristoteles, Int. 5, 17 a 7 ff. Zum historischen und textkritischen Problem, das mit der Berufung auf Ainesidemos verbunden ist, vgl. Görler (1994) 737. Vgl. dafür Cicero, Lucullus 129 ff. Cicero, Lucullus 129: »unum et simile et idem semper«. Das ist die Lehre von der ο#κε ωσις , d. h. der richtigen Verortung oder ›Einnistung‹ des menschlichen Lebens in den Zusammenhang der Natur, für die wir aus den ›ersten Impulsen‹ unseres Lebens eine hinreichende, wenn auch erweiterungsbedürftige Anleitung erhalten. Vgl. Cicero, fin. III 62 – 71. Vgl. dafür: Sextus, Adv. math. XI 6, 168 f.: Die Dogmatiker »versprechen, uns eine Kunst der Lebensführung in die Hand zu geben. Und deswegen erklärt Epikur, dass Philosophie eine Tätigkeit ist, die das glückselige Leben durch Argumente und Diskussionen erzeugt, und behaupten die Stoiker entschieden, dass die Weisheit, das ist die Wissenschaft von dem, was gut, schlecht und keins von beidem ist, die herstellende Kunst für das [gute]) Leben ist.« Die kritische Auseinandersetzung mit diesem Anspruch erstreckt sich bei Sextus über den gesamten Abschnitt 6 des XI. Buches.

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Vgl. dafür die auf Timon zurückgeführte Charakterisierung des Begehrens (πιθυμ α) als Ursprung aller Übel bei Athenaios, Deipnosophistai 337 A = Pirrone (ed. 1981) Nr. 65. Vgl. damit Platons Dualität von menschlich-›wunderbarer Zubereitung‹ und ›göttlicher Fügung‹ in Text 28, Bd. II, S. 63. Vgl. dafür die Ausführungen des Crassus im dritten Buch von Ciceros De oratore. Zu Ciceros philosophischer Position vgl. Bd. I, Anm. 316. Vgl. Cicero, nat. deor. I 6. Der Zeitpunkt, zu dem Karneades die Leitung der Akademie übernommen hat, ist nicht dokumentierbar. Er liegt aller Wahrscheinlichkeit nach vor dem Jahr 155, in dem er im Rahmen einer Philosophengesandtschaft gemeinsam mit dem Peripatetiker Kritolaos und dem Stoiker Diogenes aus Babylon athenische Interessen in Rom zu vertreten hatte. Bei dieser Gelegenheit ist er auch als Rhetor aufgetreten und hat sein Publikum dadurch beeindruckt, dass er an einem Tag Gründe für die Annahme vortrug, es gebe eine in sich authentische Norm des Gerechten, und am nächsten Tag gegen diese Annahme sprach, »nicht weil er der Meinung gewesen wäre, die Gerechtigkeit müsse schlecht gemacht werden, sondern um zu zeigen, dass ihre Verteidiger [Platon und Aristoteles] keine sicheren oder verlässlichen Argumente für die Gerechtigkeit [= dafür, dass die Gerechtigkeit ein Gut um ihrer selbst willen ist] hätten« (Cicero, De re publica III 6 f.). Zu dieser Bezeichnung vgl. Text 57 (46). Für die Bezeichnungen verschiedener Phasen der platonischen Akademie in antiken Texten vgl. Görler (1994) 779 ff. Vgl. dafür S. 41 ff. und S. 110. Auch Epikur vertritt einen derartigen Wissensbegriff, vgl. dafür S. 73 f. Vgl. dazu Text 26. Für den Skeptiker ist der stoische Weise nicht der authentische Erbe des Sokrates, weil er nur das Lob der Tugend, aber nicht das in utramque partem disserere in seine Lebensführung aufnimmt. Das Verfahren des Gegenredens geht auf die eleatische Philosophie zurück. Sophistik und Rhetorik greifen darauf ebenso zurück wie Sokrates, der es vor allem bei der Diskussion ethischer Fragen einsetzt. Bei Platon kommt diesem Verfahren eine inhaltlich auf die Ideenlehre bezogene Bedeutung zu. Vgl. dazu Krämer (1971) 14 f.

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Nachweise: Krämer (1971) 21 ff., 32 ff. Zu dieser These und für ihre Begründung vgl. Krämer (1971) 5 – 107, insbes. 56 und Görler (1994) 821 ff. Zur Bedeutung der dreimal verwendeten Formel vom primus inventor vgl. Krämer (1971) 48: Arkesilaos ist nicht der Erfinder dieser Methoden, sondern der erste, der sie als das Zentrum der philosophischen Tätigkeit auffasst. DL IV 28. Mit der ›Widersprüchlichkeit begründeter Sätze‹ ist die Einsicht gemeint, dass man für jeden philosophischen Lehrsatz wenigstens einen anderen finden kann, der genau so gut begründet ist, aber in Bezug auf denselben Gegenstand das Gegenteil behauptet. Unter dieser Voraussetzung ist es konsequent, die philosophische Tätigkeit nicht als begründete Explikation, sondern als argumentative Destruktion aller Wahrheitsansprüche zu verstehen, die in Form von Lehrsätzen vorgetragen werden. Mit der Veränderung der platonischen Lehre ist gemeint, dass Arkesilaos Platons Philosophie in eine Waffe verwandelt habe, die jeden, der eine bestimmte Lehrmeinung vertritt, durch scharfes Nachfragen (Elenktik) so verunsichert, dass er sein Urteil und damit jeden Lehrsatz zurückhält. Vgl. Cicero, Ac. post. I 3: die akademische Skepsis als »philosophia vetus a Socrate orta«. Für das Folgende vgl. Krämer (1971) 56 f. Zu den Academici libri Ciceros vgl. Görler (1994) 1038. Zum Stoizismus der Erkenntnistheorie des Antiochos: Cicero, Lucullus 69. Cicero, Ac. post. I 17. Cicero, Ac. post. I 33 f. Cicero, Ac. post. I 35. Vgl. ebd. I 38 in Bezug auf Zenon: »Während seine Vorgänger behaupteten, die Tugend habe ihren Ursprung nicht allein in der Vernunft, sondern einige Tugenden seien von der Natur gegeben oder durch Charakterbildung erworben [Anspielung auf Aristoteles], so verlegte dieser sie ganz und gar in die Vernunft«. Vgl. dazu das Zitat in der Anm. 17 und die berühmte bei Cicero, Lucullus 145 überlieferte Zenon-Anekdote, in der dieses Kontinuum über das begriffliche Wissen bis hin zum Wissen des Weisen erweitert wird: »Zenon pflegte« die Behauptung, »dass nur der Weise wirklich etwas wis-

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sen könne, […] mit einer Gebärde zu erläutern. Er streckte die [rechte] Hand mit ausgestreckten Fingern vor und sagte: so ist der Sinneseindruck (sensus). Dann krümmte er die Finger ein wenig und sagte: so ist die Zustimmung (adsensus). Darauf zog er die Finger ganz zusammen, machte eine Faust und sagte: das ist das Begreifen (comprehensio). […] Dann zog er die linke Hand an sich heran und presste mit ihr die Faust [der rechten Hand] kräftig zusammen und sagte, so sei das Wissen (scientia), und dazu sei nur der Weise fähig.« Cicero, Ac. post. I 43. Vgl. Cicero, De oratore III 80: »Wenn aber einmal jemand auftritt, der über alle Dinge (de omnibus rebus) nach Art des Aristoteles im positiven wie im negativen Sinne reden (in utramque partem … dicere) und in Kenntnis seiner [des Aristoteles] Regeln (praecepta) in jeder Streitsache (in omni causa) zwei Reden halten kann, die sich widersprechen (duas contrarias orationes explicare), oder wie Arkesilaos und Karneades die Gegenposition zu allem vertritt, was man ihm vorlegt, und mit diesem Verfahren (ratio) rhetorisches Können, Darstellungsform und Übung verbindet, so wäre er allein der wahre und vollkommene Redner.« Aristoteles hat diese Regeln vor allem in der Topik notiert. Dazu und zu ihrer innerakademischen Rezeption vgl. Krämer (1971) 17 ff. Übersetzung wie bei Text 26. Vgl. dazu Sextus, PH I 235: »Antiochos … hat die Stoa in die Akademie hineingeführt, so dass man auch sagen kann, er philosophiere in der Akademie stoisch.« Vgl. in diesem Zusammenhang auch Burkert (1965), insbes. 192 ff. Für eine logisch-erkenntnistheoretische Auflösung dieses Dilemmas vgl. Krämer (1971) 105, Anm. 419. Vgl. Cicero, nat. deor. I 1: »Denn was bringt mehr Schande als ein unüberlegtes Urteil oder was ist so unüberlegt und so unvereinbar mit der Würde und Standfestigkeit des Weisen, als eine falsche Meinung zu vertreten oder bedenkenlos zu verteidigen, was nicht deutlich genug erfasst und erkannt ist?« Vgl. Sextus, PH I 232 – 233: »Arkesilaos […] scheint mir sehr vieles mit den pyrrhoneischen Lehren gemeinsam zu haben. […] Denn man findet weder, dass er über Wirklichkeit oder Unwirklichkeit einer Sache sich

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äußert, noch dass er etwas einem anderen in Glaubwürdigkeit oder Unglaubwürdigkeit vorzieht. Vielmehr hält er sich über alles zurück und nennt als Endziel (τλος) die Zurückhaltung. […] Ferner nennt er die einzelnen Zurückhaltungen gut und die einzelnen Zustimmungen übel.« Vgl. Cicero, fin. III 31: Das höchste Gut und die wichtigste Pflicht des Weisen bestehen darin, »den Eindrücken zu widerstehen und entschlossen seine Zustimmungen zurück zu halten.« Vgl. Cicero, nat. deor. I 10: »[…] bei einer Erörterung muss man […] nach den Vernunftgründen (rationis momenta) fragen. Es ist nämlich so, dass das Ansehen derjenigen, die als Lehrer auftreten, denen, die lernen wollen, meistens schadet. Denn sie verzichten dann auf die Anwendung des eigenen Urteils und halten die Entscheidung des von ihnen anerkannten Lehrers von vornherein für das richtige Urteil. Ich pflege aber nicht zu billigen, was wir von den Pythagoreern wissen. Wenn man sie nämlich in einer Diskussion nach der Begründung für eine von ihnen aufgestellte Behauptung fragt, so sollen sie gewohnheitsmäßig geantwortet haben: ›Er selbst hat es ja gesagt!‹ ›Er selbst‹ war eben Pythagoras. So viel galt also die vorgefasste Meinung (opinio praeiudicata), dass die persönliche Autorität auch ohne die Angabe eines überzeugenden Grundes genügte.« Für diese Begriffe vgl. Platon, Tim. 27 d – 28 a. Dort geht es allerdings um eine Vermittlung zwischen ›Sein‹ und ›Werden‹. Sextus, Adv. math. VII 152 und 154. Vgl. Bd. I, S. 116 ff. und Bd. II, Text 25 sowie S. 41 f. und 90 f. Vgl. dafür Sextus, adv. math. VII 159 (in der Anm. 217 zitiert). Eigene Übersetzung. Für die stoische Gegenposition vgl. Anm. 98. Cicero erwähnt Lucullus 79 – 82 und 84 – 90 Listen mit entsprechenden Beispielen. Krämer (1971) 70. Für den Zusammenhang und Einzelnachweise vgl. ebd. 58 – 75) und 75 – 107. Dort auch zu den Begriffen »Aparallaxie« (60 f.) und »Diaphonie« (9), die im Text 58 an entscheidender Stelle (163: Diaphonie = ›Unstimmigkeit‹ und 164: Aparallaxie = ›Ununterscheidbarkeit‹) vorkommen. Cicero, Lucullus 42. Cicero, nat. deor. I 12.

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Cicero, Lucullus 31. In abgeschwächter Form wird daraus der Vorwurf der Handlungsunmöglichkeit. Vgl. dafür exemplarisch Plutarch, Adversus Colotem 26, 1122 A: πραξ α und Sextus, Adv. math. XI 162: νεργασ α . Übersetzung wie Text 58. Vgl. dafür S. 84 f. Vgl. dafür exemplarisch SVF III 501: »Bei den Handlungen, sagen sie [die Stoiker], gibt es das Richtige, das Fehlerhafte und das, was keines von beidem ist. Das Richtige ist dieses: klug, besonnen, gerecht, zufrieden, wohltätig, frohen Mutes sein, vernünftig leben [περιπατε$ν möchte ich im Blick darauf, dass dieses Verb auch den Lebenswandel bezeichnen kann, in diesem Sinne übersetzen], mit einem Wort: alles, was gemäß der richtigen Vernunft geschieht (πνθ’ 4σα κατ? τν Hρθν λγον πρττεται).« Für die stoische Vorgabe dieses Begriffs vgl. Krämer (1971) 42 ff. Als Belege werden u.a. genannt: DL VII 76 und 107 sowie Cicero, fin. III 58. DL VII 76 steht im Kontext der stoischen Urteilstheorie. Dort ist das ›gut Begründete‹ eine schwächere Instanz als das Gewusste, nämlich eine Annahme, die mehr Anhaltspunkte für Wahres als für Falsches zu enthalten scheint, wie das normalerweise etwa für den Satz gilt: ›Morgen werde ich am Leben sein‹. Die beiden anderen Stellen beziehen sich auf die ethische Unterscheidung zwischen dem sittlich Guten, das als das Richtige dem Wissen zugänglich ist (vgl. die vorangehende Anm. zum Begriff der κατορθ(ματα), und dem jeweils Angemessenen (τ? καθκοντα; Ciceros officia). Vgl. dazu DL VII 107 – 109. Anders als die Regeln für das Richtige beziehen sich die Normen des Angemessenen nicht direkt auf das sittlich Gute. Die oben angeführte Cicerostelle macht das besonders deutlich. Vgl. Cicero, fin. III 59: »Alles, was so getan oder gesprochen wird [nämlich so, dass es von unserem Wählen und Meiden abhängt], gehört in den Bereich der Angemessenheitspflichten.« Vgl. dafür Cicero, fin. III 58: Auch bei dem, was weder zum Guten noch zum Schlechten gehört, »gibt es doch etwas, das insofern ein Gegenstand der Billigung (probabile) ist, als dafür ein Grund (ratio) angegeben werden kann, und zwar im Sinne einer plausiblen Rechtfertigung

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für das, was getan worden ist. Dann gibt es also auch eine Art von Verpflichtung (officium), die sich dadurch als erfüllt erweist, dass für das so Geschehene eine überzeugende Begründung gegeben werden kann (ut eius facti probabilis ratio reddi possit).« Vgl. dazu SVF III 494, 499 und 500. Das τλειον καθAκον heißt bei Cicero, fin. III 58 »officium perfectum«, das vollendet Richtige das »recte factum.« Vgl. dafür Sextus, Adv. math. VII 241 ff. und den Kontext 244 – 248. Vgl. dafür Eusebius, Praep. evang. XIV 7, 15: »es bestehe ein Unterschied zwischen Unerfassbarem (κατληπτον) und Unklarem (δηλον); es sei zwar alles unerfassbar, nicht aber alles unklar.« Ähnlich Cicero, Lucullus 32. Ich entnehme die Belege Görler (1994) 860. Übersetzung wie Text 58. Zitat aus Euripides, Orestes 264. Das würde eher für Cicero gelten, der ›Wahrscheinlichkeit‹ als allgemeine Wissensqualität versteht, die man durch gründliches in utramque partem disserere von philosophischen Sätzen aus verschiedenen philosophischen Schulen so weit steigern kann, dass das, was dabei als das Wahrscheinliche gewonnen wird, der Wahrheit zum Verwechseln ähnlich sieht. Das Durchuntersuchen steht deshalb bei ihm unter dem Titel der inventio veri. Vgl. dazu Cicero, nat. deor. I 11: »veri reperiendi causa«; Lucullus, 60: »veri inveniendi causa.« Vgl. dazu Görler (1994) 1089 ff. Für die wichtigsten Belege zu diesen Begriffen vgl. Görler (1994) 796 f. und 813: Die Stelle aus Eusebius (Praep. evang. XIV 4, 15: »Isokratie«) ist ausdrücklich auf Arkesilaos zugeschnitten. Locus classicus für den Begriff »Isosthenie« ist Sextus, PH I 8, obwohl er dort ausdrücklich nur auf die pyrrhonische Skepsis bezogen ist. Zu nennen wären ferner die Formel des Arkesilaos von der grundsätzlichen Widersprüchlichkeit philosophischer Aussagen (DL IV 28) und die Carneadea divisio, bei der diese Widersprüchlichkeit nicht dialektisch aufgelöst, sondern bewiesen werden soll, dass sich die Vernunft bei ihrer Suche nach Wahrheit notwendig in Antinomien verstrickt. Vgl. dazu Krämer (1971) 48 ff. Vgl. dazu DL IX 79 ff. und Sextus, PH I 36 ff. Insbesondere ist auf die erste Aufzählung von zehn Tropen zu achten. Sie werden bei Sextus (ebd. I 38 f.) in der Weise systematisiert, dass dabei (1) die Perspektive

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des Urteilenden, (2) die des Beurteilten und (3) diejenige, die von beiden gemeinsam ausgeht, gleichwertige Berücksichtigung finden. Hinter diesen Einteilungen steht die Auseinandersetzungserfahrung mit der akademischen Skepsis. »Tropen« sind die Richtungen, in die sich das Denken bewegen muss, um zu der »Entgegensetzung« von Dingen oder von Sätzen zu kommen, die uns »Urteilsenthaltung« abverlangt. Synonym verwendet Sextus für »Tropen« auch die Begriffe »Logoi« und »Topoi« (ebd. I 36). Vgl. dazu Krämer (1971) 77 ff. Vgl. dafür S. 98 ff. Vgl. dafür DL IX 104 f.: »In Bezug auf das, was erscheint, verhalten wir uns […] affirmativ (τιθμετα), ohne damit zu behaupten, dass es von solcher Art ist. Auch wir bemerken, dass das Feuer brennt, ob es aber eine brennbare Natur hat, darüber enthalten wir uns des Urteils.« Vgl. auch DL IX 106: »Das Erscheinende ist für den Skeptiker das Kriterium.« Sextus, PH I 1, 4. Vgl. ebd. I 7, 15: »das eigene Erlebnis (πθος) undogmatisch (δοξστως) kundtun, ohne über die äußeren Gegenstände irgendetwas zu versichern« und Adv. math. XI 18 f.: Da das Wort ›ist‹ zwei Bedeutungen hat, indem es sich einmal auf das bezieht, »was in Wirklichkeit existiert«, und das andere Mal darauf, »als was etwas erscheint«, verwenden die Skeptiker »den Ausdruck ›ist‹ … nicht als Anzeige für etwas, das wirklich ist, sondern für Erscheinendes (Bς το, φα νεσθαι δηλωτικν).« Übersetzung nach Malte Hossenfelder. Diese Formulierung verweist auf die Tropenlehre. Vgl. dafür die Anm. 298. Die Technik der Entzweiung stellt künstlich den Ausgangspunkt her, von dem das in utramque partem disserere ausgeht. Sextus, PH I 6, 12: Es sind die μεγαλοφυε$ς , die »beunruhigt durch die Ungleichförmigkeit in den Dingen und ratlos, welchen von ihnen man eher zustimmen solle, dahin gelangten zu untersuchen, was wahr ist und was falsch, um durch die Entscheidung dieser Frage Ruhe zu finden.« Ich wähle die Übersetzung ›edler ausgestattete Naturen‹ einmal mit Blick auf die Bestimmung der Philosophie Pyrrhons als ›edler

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Art‹ des Philosophierens (vgl. dazu Text 55) und im Blick auf Friedrich Nietzsches »edler ausgestattete Naturen«, die sich dadurch auszeichnen, dass sie »die Last und Schwere des Daseins überhaupt mit tieferer Unlust« empfinden (= Geburt der Tragödie 18, KSA 1, 116). Vgl. dazu die Rekonstruktion der Ursituation des Denkens bei Sextus, PH I 1: »Wenn jemand eine Sache sucht, dann besteht das, was dem wahrscheinlich folgt, in ihrer Auffindung, in der Behauptung ihrer Unerkennbarkeit (καταληψ α) oder in der Fortsetzung der Suche ( ζτησις). Das ist vielleicht der Grund, warum die einen behaupten, sie hätten das Wahre gefunden, während die anderen erklären, es ließe sich nicht erkennen, und die dritten noch suchen. Und zwar gefunden zu haben, behaupten die Dogmatiker im engeren Sinn, z. B. Aristoteles, Epikur, die Stoiker und einige andere. Für unerkennbar erklärten die Dinge Kleitomachos [Schüler und Nachfolger des Karneades als Scholarch der Akademie], Karneades und andere Akademiker. Die Skeptiker aber suchen noch.« Das ist die Vorstellung, die sich jeder Untersuchung entzieht, weil sie »in einem unmittelbaren Überzeugtwerden« oder »ungewollten Erleiden« besteht. Vgl. dazu Sextus, PH I 11, 22, aber auch ebd. I 33, 227. Vgl. dafür Text 55, Abschnitt 62. Sextus, PH I 11, 23 f. Sextus, PH I 33, 226. Vgl. damit Text 56, Abschnitt 4. Vgl. dazu die entscheidende Formulierung bei Sextus, PH II 1, 4: τ νοε$ν Fπλ.ς.

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Vgl. dafür Bd. II, Text 38 (982 b 12 f.). Vgl. dafür Sextus, PH II 1, 9: Die Aufhebung der dogmatischen Spitzfindigkeit führt von selbst zur Einführung der ›zurückhaltenden Philosophie‹. Vgl. dafür Sextus, PH II 1, 8. Vgl. dafür Sextus, PH II 1, 10. Vgl. dafür Sextus, PH II 1, 4 mit der Unterscheidung zwischen dem ›einfachen‹ Denken, das sich einer Aussage über die Wirklichkeit des von ihm Gedachten enthält, und einem ›erweiterten‹ Denken, das zugleich mit sich auch die Wirklichkeit dessen setzt, worüber es seine Untersuchungen angestellt hat.

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Hegel (ed. 1832 – 1845) 19, 252 ff. (Glockner 18, 425 f.). Hegel (ed. 1832 – 1845), 19, 254 (Glockner 18, 428). Vgl. dafür Bd. II, S. 148 f. und S. 224 ff. Vgl. dafür S. 106. Die wichtigsten Vertreter des ›Mittelplatonismus‹ sind neben Gaios (um 110 n. Chr., Schriften sind nicht überliefert) seine Schüler Albinos (lehrt um 150 n. Chr. in Smyrna) und der lateinisch schreibende Apuleius (125 – 180). Beide vertreten die für den ›Mittelplatonismus‹ charakteristische Auffassung, dass Platon mit den ›Ideen‹ die Gedanken bezeichnen wollte, die dem göttlichen Sein und Denken immanent sind. Vgl. dazu Krämer (21967) 101 ff. Die ›Mittelplatoniker‹ Numenios aus Apameia (ca. 180 n. Chr., nur Fragmente erhalten) und Ammonios (ca. 242 gestorben, hat nur mündlich unterrichtet) sind die Lehrer Plotins, des Begründers des ›Neuplatonismus‹. Zu Numenios vgl. Krämer (21967) 63 ff. Zum ›Mittelplatonismus‹ gehört auch der jüdische Autor Philon aus Alexandrien (ca. 15/10 v. – 45/50 n. Chr.), der Texte des Alten Testaments allegorisch aus der Perspektive einer hauptsächlich platonisch und stoisch inspirierten Philosophie interpretiert. Anders hätte er deren Wahrheit weder sich selbst noch den Adressaten seiner Schriften, die in den Zusammenhang alexandrinischer Kultur gehören, nicht mehr verständlich machen können. Zu seinem ›Platonismus‹ vgl. Willy Theiler (21964) 30 f., Ders. Philo von Alexandria und der Beginn des kaiserzeitlichen Platonismus, in: Parusia. Festgabe für Johannes Hirschberger, Frankfurt am Main 1965, 199 – 218, Krämer (21967) 266 ff. und die einschlägigen Aufsätze in: Zintzen (Hrsg. 1981). Der bekannteste Vertreter des ›Mittelplatonismus‹, Plutarch aus Chaironeia (45 – 120), konkurriert mit den popularphilosophischen Autoren der späteren Stoiker und Epikureer. Sein Philosophieverständnis knüpft vor allem an Xenokrates, den zweiten Nachfolger Platons, an und kommt am deutlichsten in seiner Schrift De Iside et Osiride zum Ausdruck. Vgl. dazu Krämer (21967) 93 ff. Zum Platonismus Plutarchs vgl. ferner Heinrich Dörrie, Die Stellung Plutarchs im Platonismus seiner Zeit, in: Philomathes. Festschrift für Philip Merlan, den Haag 1971, 35 – 56 und Dillon (21996) 184 – 230. Vgl. den Titel von Theiler (21964). ›Mittelplatonismus‹ (›Vorneupla-

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tonismus‹) und ›Neuplatonismus‹ sind philosophiehistorische Verlegenheitsbegriffe. Um das bewusst zu halten, setzte ich sie in Anführungsstriche. Für eine übersichtliche Einführung in die Intentionen ›mittelplatonischer‹ Philosophie vgl. die Einleitung des Herausgebers in: Zintzen (Hrsg. 1981) IX – XXV und Dillon (21996). Für die Geschichte der Platondeutung vom Ausgang der Alten Akademie bis ins 1. vorchristliche Jahrhundert vgl. John Dillon, The Heirs of Plato. A Study of the Old Academy (347 – 274 BC), Oxford 2003. Zum ›Neuplatonismus‹ gehören als wichtigste Vertreter in der Zeit nach Plotin sein Schüler Porphyrios (234 – 310), dessen Schüler Iamblichos (240/50 – 335) und schließlich Proklos (410 – 485), der als einziger der großen ›Neuplatoniker‹ als Leiter der Akademie in Athen gelehrt hat. Auf diese Autoren wird in der vorliegenden Darstellung nicht eingegangen. Vgl. dafür einführend die Einleitung des Herausgebers in: Zintzen (Hrsg., 1977) VII – XXIX . Zu Proklos vgl. Werner Beierwaltes, Proklos. Grundzüge seiner Metaphysik, Frankfurt am Main 1965, 2. erw. Aufl. 1979, Ders., Identität in der Differenz II, in: Ders. (1980) 36 – 49 sowie die Proklos gewidmeten Beiträge in: Ders. (1985) und (2007) mit 13 ff. für Hinweise zur gegenwärtigen Proklosforschung. Ausdrücklich nennen möchte ich nur die Aufsatzbände von Jean Trouillard, L’Un et l’Âme selon Proclos, Paris 1972 und Ders. La Mystagogie de Proclos, Paris 1982. Zur Wirkungsgeschichte ›neuplatonischer‹ Philosophie in der christlichen Theologie (Patristik, Marius Victorinus, Augustinus), der Philosophie des Mittelalters (exemplarisch: Boethius, Dionysius Areopagita, Eriugena, Bonaventura, Meister Eckhart) und der Neuzeit (exemplarisch: Cusanus, Ficino, Giordano Bruno) bis hin zu Hegel und Schelling vgl. Beierwaltes (1972), (1980), (1985) und (1998). Weitere ›Neuplatoniker‹ sind neben Syrianos, dem Lehrer des Proklos (Scholarch seit 431), Olympiodor, Damaskios, der letzte Scholarch der Athener Akademie, und Simplikios. Die drei zuletzt Genannten gehören ins 6. Jh. und sind hauptsächlich als Kommentatoren von Texten Platons und des Aristoteles hervorgetreten. Vgl. dazu die umfassende Rekonstruktion von Krämer (21967). Basis für ein quellenbezogenes Studium dieser Zusammenhänge ist die Edi-

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tionsreihe: Der Platonismus in der Antike. Grundlagen – System – Entwicklung, hrsg. von Matthias Baltes und Christian Pietsch. Begründet von Heinrich Dörrie, Stuttgart 1987 ff., bislang 8 Bde. So Krämer (21967) 390 f. Vgl. Aristoteles, frg. 49 Rose. Zur Bedeutung dieses Fragments für Aristoteles und die innerakademische Diskussion vgl. Krämer (21967) 371 ff., insbesondere 381 ff., und Halfwassen (1992) 197 ff. Für diesen Begriff von Ordnung (τξις) vgl.Bd. II, S. 30 ff. mit Text 24. Zur Gnosis vgl. Jonas (41988 und 31993). Für eine neuere Darstellung vgl. Kurt Rudolph, Die Gnosis, Göttingen 42005. Für Ansätze zur historischen Verankerung der Gnosis im Christentum vgl. Walter Burkert, Klassisches Altertum und antikes Christentum. Probleme einer übergreifenden Religionswissenschaft, Berlin / New York 1996, 37 ff. mit Literaturhinweisen. Dodds (1985) 19. Festugière (1986) I 13: »Par une réaction fatale, le rationalisme grecque, ayant ruineé ses propres fondements, renvoyait […] à quelque chose qui fût au-dessus, ou au-dessous, du moins en dehors de la raison, sur le plan de l’intuition mystique, ou des mystères théosophiques, ou des prestiges de la magie, parfois de tout cela ensemble.« Vgl. dafür Text 50, Abschnitt 4, aber auch den Satz des Anaxagoras, der in der Anm. 78 zitiert ist. Für ein vergleichbares Motiv bei Epikur vgl. das Zitat in der Anm. 159 mit der in Anm. 183 nachgewiesenen Anspielung auf Verse des Theognis. Zur Kosmologie und Soteriologie der in sich vielfältig aufgefächerten Gnosis vgl. immer noch die eindrucksvolle, wenn auch gerade im Blick auf Plotin korrekturbedürftige Darstellung von Hans Jonas (41988 und 31993). Vgl. dafür den kritischen Hinweis von Werner Beierwaltes, Realisierung des Bildes, in: Ders. (1985) 94 f. auf die »antignostische Grundhaltung Plotins« einschließlich einer kurzen Charakterisierung neuerer Literatur zum Thema ›Plotin und die Gnosis‹. Vgl. dazu auch Kurt Rudolph in: Jonas ( 31993) 234 ff. Für Rekonstruktionen des Denkhorizonts der ›Lehrer‹ Plotins vgl. Heinrich Dörrie, Ammonios, der Lehrer Plotins: Dörrie (1976) 324 – 360 und die einschlägigen Beiträge in: Zintzen (Hrsg. 1981) 488 – 517. Zur

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Bedeutung des Numenios für Plotin vgl. Jens Halfwassen, Geist und Selbstbewusstsein. Studien zu Plotin und Numenios. Akademie der Wissenschaften. Abhandlungen der geistes- und sozialwissenschaftlichen Klasse, Jahrgang 1994, Nr. 10, Heidelberg 1994. Diese Information wird von dem Topos überlagert, der den besten griechisch geprägten Philosophen eine Offenheit für »die bei den Persern und Indern gebräuchliche Philosophie« unterstellt (Porphyrios, Vita Plotini 3, 14 ff.). Vgl. dafür die Anm. 225 (Pyrrhon). Vgl. dafür Porphyrios, Vita Plotini 3, 21 ff. Porphyrios, Vita Plotini 3, 30 ff. und 4, 10 ff. Zu den Frauen in der Umgebung Plotins, die »leidenschaftlich der Philosophie ergeben waren«, vgl. Porphyrios, Vita Plotini 9, 1 ff. Vgl. dafür die Aufzählung und kurze Charakterisierung einzelner Personen bei Porphyrios, Vita Plotini 7. Für Alexandrien belegt das Porphyrios, Vita Plotini 3, 7 ff. Porphyrios, Vita Plotini 12, 1 ff. In diesem Zusammenhang wird auch der von Gallienus angeblich gebilligte und nur an Intrigen gescheiterte Plan zur Gründung einer Platonopolis in Kampanien erwähnt, wo Plotin mit seinen Anhängern »nach der Verfassung Platons« leben wollte. Die Nachricht ist zunächst ein Indiz dafür, dass Philosophie auch für Plotin auf ein Leben in der Gemeinschaft angelegt ist. Sie ist zugleich Indiz für den psychologisch verständlichen Wunsch nach konsequentem Rückzug aus einer zunehmend unübersichtlichen sozialen Umwelt, aber kaum Ausdruck eines politischen Gestaltungs- oder Reforminteresses. Vgl. dagegen die stärker politisch akzentuierte Deutung von Dominic J. O’Meara, Platonopolis. Platonic Political Philosophy in Late Antquity, Oxford 2003. Zu beachten sind in diesem Zusammenhang: 1) der Hinweis des Porphyrios auf magische Praktiken, mit denen ein wenig qualifizierter Mitschüler Plotins bei Ammonios in Alexandrien versucht hat, natürlich vergeblich, »schädigende Wirkung der Gestirne« auf seinen Rivalen zu lenken, und 2) sein ›Bericht‹ von einem ägyptischen Isis-Priester, der den Daimon Plotins im Isis-Tempel durch Beschwörung sichtbar machen wollte. Weil dabei »ein Gott erschien, der nicht zu den niedrigen Dämonen gehörte«, endet die Angelegenheit mit einer Seligpreisung

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des Philosophen durch den Isis-Priester (Porphyrios, Vita Plotini 10, 1 – 30). Ich referiere das nur, weil diese ›Berichte‹ zeigen, dass sich ein Philosoph in diesem geistigen Klima nicht allein auf die Kraft guter Gründe stützen konnte, sondern als derjenige zeigen musste, der aus göttlicher Kraft feindliche Einflüsse von sich abwehren kann. Vgl. dafür Werner Beierwaltes, Das Eine als Norm des Lebens. Zum metaphysischen Grund neuplatonischer Lebensform (2002), in: Ders. (2007) 57 ff. mit Hinweis auf Plotin IV 4 [28], 44, 1 ff.: Nur die Theorie kann ohne ›fremde Hilfe ihr eigenes Leben leben und das ihr zugehörige Werk verwirklichen‹. Porphyrios, Vita Plotini 9, 5 – 23: Zeichen dieser Anerkennung ist, dass ältere Angehörige des römischen Adels ihre Kinder, »Knaben wie Mädchen«, »mitsamt ihrer Habe« Plotin »als einem heiligen, göttlichen Hüter« zur Erziehung anvertraut haben. Zur rechtlichen Bedeutung dieses Vorgangs vgl. den Diskussionsbeitrag Richard Harders: Sources de Plotin (1960) 91 f. Porphyrios zeichnet im Blick auf Plotin das Bild des wahren Philosophen, der sich trotz seiner Rolle als »Schiedsrichter in sehr vielen Zwistigkeiten keinen einzigen politisch einflussreichen Mann je zum Feind gemacht hat« und bei aller »Anspannung auf den Geist« »vielen Menschen in den Geschäften des Alltags fürsorgend zur Seite stand.« Das in sich selbst verharrende Leben des Geistes befähigt zum Umgang sowohl mit intrikaten als auch mit normalen Alltagsproblemen und bleibt davon zugleich unberührt. Man sollte auf die Begriffsform achten, die solchen Aussagen zugrunde liegt. Das Leben des wahren Philosophen ist realisierte ›Verähnlichung mit Gott‹, der im Bleiben bei sich die Wirklichkeit bis hin zu ihrer äußersten Grenze begründet und ordnet. Vgl. dazu Werner Beierwaltes, Denken des Einen, in: Ders. (1985) 26 ff. Zur inneren Dialogizität der Texte Plotins vgl. Beierwaltes (1991) 98 f. Porphyrios, Vita Plotini 4, 18. Porphyrios, Vita Plotini 24, 1 – 16. Danach hat Plotin Porphyrios beauftragt, seine Schriften herauszugeben. Das Ordnungsschema folgt ausdrücklich demjenigen der Aristoteles- und Theophrastausgaben des Andronikos aus Rhodos.

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Zum Beispiel I 1 [53]: ›Was das Lebewesen sei und was der Mensch‹; I 2 [19]: ›Die Tugenden‹; I 8 [51]: ›Woher kommt das Böse?‹. Zum Beispiel II 1 [40]: ›Das Weltall‹; II 9 [33]: ›Gegen die, welche den Schöpfer des Weltalls und das Weltall für schlecht erklären‹, III 5 [50]: ›Eros‹; III 8 [30]: ›Die Natur, die Betrachtung und das Eine‹. Enneaden VI 1 – 3 [42 – 44]. Nach dieser Ausgabe werden Plotins Schriften bis heute zitiert. Ihr äußerer Aufbau ist wesentlich von der Dreizahl bestimmt, die nach Plotin dem intelligiblen Kosmos zugrunde liegt. Porphyrios hat die Schriften auch in chronologischer Folge aufgelistet (Vita Plotini 4, 22 – 6, 25). Dem folgt Richard Harder in Plotin (ed. 1956 – 1971). Für Harders massive Kritik am Einteilungsprinzip des Porphyrios vgl. Bd. I a dieser Ausgabe, VIII – X (»pseudosystematische Anordnung«, »für das Plotinverständnis … schädlich«, »willkürliche Zerreißung eines organischen Ganzen«). Die wichtigsten Ausgaben des griechischen Textes sind: Plotini Opera, I – III, ed. Paul Henry et Hans-Rudolph Schwyzer Paris / Bruxelles / Leiden 1951 – 1973 (Editio maior) und Plotini Opera, I – III, ed. Paul Henry et Hans-Rudolph Schwyzer, Oxford 1964 – 1982 (Editio minor). Porphyrios, Vita Plotini 2, 26 f. (von Porphyrios auf den Tod Plotins bezogen, aber dennoch verallgemeinerbar). Vgl. dafür Porphyrios, Vita Plotini 23, 7 – 16: »So ist denn gerade diesem daimonischen Manne [Plotin] schon oft, wenn er sich hinaufhob zum Ersten, Jenseitigen Gott mit seinem Denken auf den Wegen, welche Platon im Symposion gewiesen, jener Gott erschienen (φνη ), welcher keine Gestalt und keine Form hat und oberhalb des νο,ς und des von ihm geprägten Ganzen thront.« Den Vorgang, mit »dem Gott, der über allem ist, vereint zu werden und ihm nahe zu sein«, soll Plotin viermal erlebt haben, während Porphyrios gesteht, dass ihm dies nur einmal gelungen sei. Aussagen wie diese halten bewusst, dass das vollendete Leben seine Spitze nicht als Kontinuum, sondern als ›plötzliches‹ Durchbrechen einer konstanten Praxis des Guten verwirklicht. Für eine umfassende Interpretation der Philosophie Plotins verweise ich auf die Arbeiten meines Lehrers Werner Beierwaltes. An dieser Stelle nenne ich die Einleitungen und Kommentare zu seinen Ausgaben

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wichtiger Einzelschriften: Beierwaltes (11967, 52010), (1990) und (1991). Für das zentrale Thema der Beziehung zwischen ›Geist‹ und ›Einem‹ bei Plotin vgl. Beierwaltes (2001). Weitere gute Einführungen sind: Arthur Hilary Armstrong, The Architecture of the Intelligible Universe in the Philosophy of Plotinus, Cambridge 1940, Nachdruck Amsterdam 1967, Hans-Rudolf Schwyzer, Plotinos: RE XXI, 1 (1951), Sonderausgabe mit Ergänzungen aus dem Supplementband XV, München 21978, Jean Trouillard, La purification plotinienne, Paris 1955, Ders. La procession plotinienne, Paris 1955, Pierre Hadot, Être, vie, pensée chez Plotin et avant Plotin, in: Sources de Plotin, 107 – 141, Ders. Plotin et la simplicité du regard, Paris 1963, John M. Rist, Plotinus. The Road to Reality, London 1967 sowie Jens Halfwassen, Plotin und der Neuplatonismus, München 2004. Vgl. dafür S. 98 f., 107 f., 121 und 147 f. Plotin III 8 [30], 10, 22: das einfach (Fπλ.ς) Eine und V 3 [49], 13, 34 f.: das Einfachste von allem (Fπλο!στατον Fπντων). Plotin V 3 [49], 12 insgesamt. Vgl. bes. die von Platon (Tim. 42 e) auf den Demiurgen und von Plotin auf das Eine bezogene Formulierung 12, 33 ff.: »wenn etwas nach jenem [dem Einen] zur Existenz gelangte, so ist es zur Existenz gelangt, ›indem jenes verharrte in der ihm eigenen Art‹.« Plotin VI 7 [38], 32, 12 f.: ›nichts von den seienden Dingen und doch sie alle‹, III 8 [30], 9, 54: ›nichts von allem, sondern vor dem Gesamten‹. Vgl. dazu Beierwaltes (1980) 25 ff. Von daher ist das absolut einfache Eine auch ›Eines-Alles (Rν πντα)‹ im Sinne von Heraklit, VS 22 B 10: V 2 [11], 1,1 und VI 7 [38], 32, 12 ff. Plotin V 3 [49], 15, 33: δ!ναμις πντων; ebd. 16, 2 f.: δ!ναμις μχανος. Die Formulierung nimmt Platons Bestimmung der Idee des Guten auf, die das Sein von Wesenheit an »Ehrwürdigkeit und Macht überragt« (Platon, Politeia 509 b: πκεινα τAς ο1σ ας πρεσβε L καI δυνμει *περχοντος). Der Begriff aktiver und absoluter Dynamis richtet sich gegen ihre aristotelische Bestimmung als noch nicht erfüllter Möglichkeit. Vgl. dazu Beierwaltes (1985) 39 ff. Plotin VI 8 [39], 18, 18, in Bezug auf den Kreis, der sich von dem absolut einfachen Einen seines Mittelpunktes zur Peripherie hin ausbreitet. Zu Plotins Begriff des Seienden als eines dynamischen Zusammenhangs

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vgl. Eric Robertson Dodds, Tradition und persönliche Leistung in der Philosophie Plotins (1960): Zintzen (Hrsg. 1977) 58 – 74. Plotin V 3 [49], 15, 31. Vgl. dazu Beierwaltes (1991) 159 ff. mit weiteren Textbelegen. Plotin V 2 [11], 1, 8 f. Plotin IV 8 [6], 6, 6: »Es gäbe überhaupt nichts Wirkliches, wenn das Eine bei sich selbst stehen geblieben wäre, und es gäbe nicht die Vielheit dieses Seienden hier, die vom Einen her erzeugt ist, wenn nicht die ihm nachgeordneten Wesen, … aus ihm herausgetreten wären.« Zur Bedeutung dieser Metaphern und zum philosophischen Sinn metaphorischer Rede bei Plotin sowie für Nachweise im Einzelnen vgl. Beierwaltes (1967) 12 ff. und (1985) 47 ff. Zum ›Verharren in sich‹ vgl. Beierwaltes (1967) 18 f. und 164 sowie Ders. (1985) 48. Unter dem dort Angeführten nenne ich ausdrücklich IV 8 [6], 6, 8 ff. Das Eine entfaltet sich in einem gestuften ›Hervorgang (προδος)‹ aus sich bis hin zur Materie, »wobei […] das [logisch-metaphysisch] Frühere stets an dem ihm eigenen Ort verharrt und das nach ihm Seiende nur gleichsam aus sich gebiert vor übergewaltiger Kraft, deren Fülle es in sich trägt und die es nicht in Schranken des Neides [Anspielung auf Platon, Tim. 30 a – b und Aristoteles, Met. A 982 b 32 ff.] zurückhalten durfte, sondern es musste immer weiterschreiten, bis alles Seiende seine äußerste Möglichkeit erreicht hatte, getrieben von der unermesslichen Kraft, welche ihre Wirkung über alles hin sendet und sich keinem vorenthalten wollte; denn nichts konnte hindern, dass irgendetwas je im Grad seines Vermögens nicht Anteil erhielte an der Natur des Guten.« Vgl. damit den in Anm. 358 erwähnten Begriff ›unbezwinglicher Mächtigkeit‹. In der Literatur wird der Prozess der Selbstentfaltung des ›teillosen‹ Einen in die Vielheit häufig als ›Emanation‹ und zugleich damit Plotins Philosophie insgesamt als ›Emanationssystem‹ bezeichnet. Zur berechtigten Kritik daran vgl. Heinrich Dörrie, Emanation. Ein unphilosophisches Wort im spätantiken Denken (1965), in: Ders. (1976) 70 – 88: Es übersetzt das griechische Substantiv πρροια , das ein physisch-materielles ›Abfließen‹ meint, bei dem sich eine Essenz dadurch, dass von ihr etwas ›abfließt‹, nach und nach erschöpft. Plotin distanziert sich

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aber ausdrücklich sowohl vom pantheistischen Materialismus der Stoa als auch vom gnostischen Konzept der Weltschöpfung als Folge einer Abschwächung göttlicher Qualität, so dass man der »trägen Gewohnheit unserer Handbücher, Plotin eine Emanationslehre nachzusagen«, nicht unkritisch folgen sollte (Dörrie, ebd. 84 f.). Vgl. exemplarisch dafür Plotin III 7 [45], 3. Das Denken, das die intelligible Welt nur aus der Perspektive kategorialer Vielheit bezeichnen kann, muss die Vielheit in sich sinnvoller Bezeichnungen ›wieder zur Einheit zusammenfassen‹ (3, 12 f.), damit ihr Gegenstand als »das immer Gleichmäßige und immer Unausgedehnte« (3, 15) verstanden wird, als »ein Denken oder ein Leben, welches immer im Selbigen bleibt und immer das Gesamt gegenwärtig hat …, wobei so wie in einem teillosen Punkt alles versammelt ist«, der »in sich im Selbigen beharrt« (3, 16 ff.). Vgl. damit ebd. 3, 36 ff. und V 8 [31], 4, insbesondere 1 – 8 und 20 ff. Für die Platontexte, auf die Plotin sich primär bezieht, vgl. Theiler (1960) 68 ff. Der Hintergründigkeit dieser bewusst komponierten Personenkonstellation kann hier nicht nachgegangen werden. Ein metaphysischer ›Mehrwert‹ wird Parm. 137 b allenfalls durch die Bezeichnung »ernsthaftes Spiel« angedeutet. Die Frage, wie die hypothetischen Überlegungen des Parmenides im Zusammenhang der Dialoge und der mündlichen Lehre Platons einzuschätzen sind, kann hier nicht aufgenommen werden. Die Abfolge zumindest der ersten drei Hypothesen wäre im Rahmen einer dialektischen Übung dadurch begründbar, dass sich der jeweilige Ansatz des Einen selbst ad absurdum führt und damit den jeweils folgenden nahe legt. Auf jeden Fall verdeutlicht Platon die Grenze des kategorialen Denkens für eine Bestimmung des Einen selbst, das, wie die erste Hypothesis zeigt, nur via negationis zu umschreiben ist. Dieser Befund evoziert die Erinnerung an die Bestimmung der Idee des Guten ›jenseits von Wesenheit‹ im Sonnengleichnis der Politeia, aber auch an die prinzipientheoretischen Partien des Sophistes und des Philebos. Zu den Möglichkeiten, die sich dadurch für eine Platoninterpretation ergeben, vgl. Halfwassen (1992), Ders. Monismus und Dualismus in Platons Prinzipienlehre, Bochumer Philosophisches Jahrbuch für Antike

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und Mittelalter 2 (1997) 1 – 21 und Horn (1995 a). Die weiteren Hypothesen, die im Anschluss an die dritte diskutiert werden, sind für die innerakademisch-metaphysische Lesart des Parmenides offensichtlich ohne Bedeutung gewesen. Das heißt ›stärker‹ im Vergleich zu den übrigen Formen des Einen. Zur Wort- und Bedeutungsgeschichte von *πστασις (›Sein, das für und aus sich selbst heraus besteht‹, und ›Verwirklichung des Grundes im Begründeten‹ vgl. Heinrich Dörrie, ’Υπστασις , Wort- und Bedeutungsgeschichte (1955), in: Ders. (1976) 12 – 69, insbes. 45 – 51: Plotin verwendet diesen Begriff wesentlich aspektreicher als das die Charakterisierung seiner Philosophie als Hypostasenlehre bei Porphyrios suggeriert. Vgl. dazu Plotin V 1 [10], 8, 23 ff. Zu Plotins Bezug auf Platons Parmenides vgl. Beierwaltes (1985) 193 – 198. Übersetzung nach Richard Harder. ›Das Erste‹ ist im Sinne der in sich plural gefassten unbewegten Wesenheit des Aristoteles und nicht als das absolut einfache Eine zu verstehen. Zur Bedeutung der Königsmetapher bei Plotin vgl. Heinrich Dörrie, Der König. Ein platonisches Schlüsselwort, von Plotin mit neuem Sinn erfüllt (1970), in: Ders. (1976) 390 – 405. Dieses ›Zweite‹ ist ›das Erste‹ des vorhergehenden Satzes und erweist sich eben dadurch, dass es ›um den König aller Dinge ist‹, als das Zweite. Es ist aber auch ›um sich‹, realisiert also mit dem Bezug auf das Eine zugleich einen Bezug auf sich selbst, so dass es mit dem göttlichen Nus, also der ersten göttlichen Wesenheit des Aristoteles identisch ist. Selbstbezug kommt auch dem Dritten, der Weltseele, zu, die in der Beziehung auf sich das vom Nus auf sie übertragene Leben der intelligiblen Wirklichkeit in der Materie zur Darstellung bringt. ›Sein‹ meint hier das ›in Wahrheit Seiende‹ der ›allgemeinen Form‹ im Sinne von ›Wesenheit‹ oder ›Idee‹. Dieser Satz hat die Form einer kontinuierlich voranschreitenden ›geometrischen‹ Proportion: a : b = b : c, in der b die geometrische ›Mitte‹ zwischen a und c darstellt. Für ihre kosmologische Bedeutung vgl. z. B. Platon, Tim. 31 c – 32 a und öfter.

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Vorbild ist Platon, Phil. 16 c: Die Alten sind den Göttern näher gewesen und deshalb gegenüber den Jüngeren in jeder Hinsicht die Stärkeren und Besseren. Vorbild für den Gedanken von der Korrekturbedürftigkeit der von den Alten praktizierten Darstellungsform ist Platon, Soph. 242 cff: Die Alten haben uns von dem, was das Sein ist, nur Geschichten erzählt wie Kindern, ohne darüber eine dialektisch-dihairetische Untersuchung vorzutragen. Zum Traditionsbezug Plotins vgl. Szlezák (1979) 14 ff. Die unserem Text zugrunde liegenden Subtexte Platons sind: 1) Ep. II 312 d – e: Königsmetapher, 2) Ep. VI 323: der oberste Gott als Herr und Vater dessen, der das Gegenwärtige und Zukünftige lenkt und verursacht, 3) Tim., insbesondere 41 d: Bild vom ›Mischkrug«, in dem der Demiurg »die Seele des Alls vermengend mischte«, und in den er später noch einmal greift, um »das was … übrig war, … auf ziemlich dieselbe Weise« zu mischen, »doch … im Sinne einer Reinheit zweiten und dritten Grades.« Nachweise: Plotin (ed. 1956 – 1971) I a, 504. Vgl. dazu Beierwaltes (1985) 193 – 197. Vgl. dazu Moreau (1939) und Festugière (1986) II 92 ff. und 153 ff. Vgl. dafür exemplarisch Plotin II 9 [33], 13, 2 ff. Hier wendet Plotin die Lehre von der kontinuierlichen Ordnung, die vom Einen zum Zweiten, vom Zweiten zum Dritten und so immer fort ›bis zum Äußersten (= Materie)‹ (τξις τ.ν φεξAς πρ(των καI δευτρων καI τρ των καI εI μχρι τ.ν σχτων) voranschreitet, gegen die Gnosis, die das Bestehen eines derartigen Kontinuums ›nicht kennt‹. ›Materie‹ ist bei Plotin ein vieldeutiger Begriff. Vom Einen selbst aus betrachtet, ist sie das an sich selbst unbestimmte Nicht-Sein und damit »der nicht-hypostatische ›Gegenpol‹ des Einen« (vgl. dafür I 8 [51], 6, 32 ff.), aber trotzdem »nicht außerhalb« seiner »lichtenden Einflusssphäre« (so Beierwaltes (1991) 226). Aus der Perspektive der »Gesamtheit der Formen«, die der Kosmos ist, bildet sie »eine gewisse Art unterster Form« ( V 8 [31], 7, 22 ff.). Aus der Perspektive ihrer maximalen Entfernung vom in Wahrheit Seienden erscheint sie als Inbegriff des Trügerischen (III 6 [26], 7, 1 – 23). Aus ihrem Gegensatz zum Einen als dem Guten ist ihre ›unbegrenzte Zweiheit (πειρ α)‹ Urform und Ur-

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sache des Schlechten (I 8 [51], 6, 31 ff.). Obwohl ihr als dem ›Nicht-Sein‹ keine Wirkungskraft (δ!ναμις) zukommt (III 6 [26], 7, 9 und 16 ff.), kann sie als das konkret Materielle die Seele zum »Fall« in die Welt ordnungsloser Vielheit und damit zum Schlechten verführen (I 8 [51], 14, 34 ff.). Vgl. dazu Beierwaltes (1990) XVIIIf mit Anm. 11 und Jean-Marc Narbonne, Plotin. Les deux matières (Ennéade II 4 [12], Paris 1999. Vgl. S. 33 f. mit dem Zitat: Cicero, nat. deor. II 4 und II 19. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Theiler (1960). Für die Zitate vgl. die Texte 45 – 47 und die Erläuterungen dazu. Für diese Metapher Plotins vgl. Text 63 = V 9 [5], 1, 22. Dies wird allem an solchen Stellen deutlich, an denen das Kontinuum (φεξAς) der Grundformen des Seienden mit dem von Platon in der Auseinandersetzung mit Anaxagoras eingeführten Begriff τξις (Vgl. dafür Bd. II, S. 30 ff.) als in sich individuell artikulierte Ordnung beschrieben wird. Dafür nenne ich nur Plotin V 1 [10], 10, 1 ff.: Kontinuum und V 1 [10], 4, 41 ff. (ποιτης = Qualität und #διτης = Besonderheit). Zu Plotins Kritik am prinzipientheoretischen Ansatz des Aristoteles vgl. Halfwassen (1992) 210 ff. Für dieses in der vorliegenden Darstellung nicht berührte Thema vgl. Plotin III 8 [30]. Er spricht dort »über die Erde … und die Bäume, überhaupt die Pflanzen« und legt dar, »was bei ihnen Betrachtung (θεωρ α) ist und wieso wir die Hervorbringungen der Erde auf die Wirkung der Betrachtung (νργεια θεωρ ας) zurückführen können, und inwiefern die Natur, … in sich selbst Betrachtung hat, und das, was sie schafft, um der Betrachtung willen schafft, die sie in gewisser Weise hat« (ebd. 1, 18 ff.). Auch »Zeugung ist Kraft der Betrachtung, die sich verwirklichen will, eine Trächtigkeit, die darauf drängt, eine Vielheit von Gestalten (εGδη ) und Denkbildern (θεωρματα) hervorzubringen und alles zu erfüllen mit rationalen Formen (λγοι) und gleichsam immerdar zu betrachten« (ebd. 7, 18 ff.). Natur ist insgesamt ›lebendige Theorie (ebd. 8, 11: θεωρ α ζ.σα)‹. Für die Wirkungsgeschichte dieses Gedankens vgl. Werner Beierwaltes, Plotin im deutschen Idealismus, in: Ders. (1972) 100 ff. und (2001) 182 – 227. Plotin II 9 [33], 16, 48 – 56. Plotin VI 6 [34] wehrt sich gegen die gnostischen Behauptungen, Viel-

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heit sei ›Abfall (πστασις)‹ vom Einen, und Unbestimmtheit, wie sie der qualitätsfreien Materie zukomme, sei als ›vollständiger Abfall (πστασις παντελς)‹ vom Einen der Inbegriff des Schlechten (ebd. 1, 1 ff.). Für die Gnosis sind die Menschen notwendig im Schlechten befangen und aufgrund ihrer Unfähigkeit, ›sich auf sich selbst zu richten‹, wie die Materie ›gezwungen‹, sich ›in der Zerstreuung auszudehnen‹ (ebd. 1, 4 f.). Sie fallen damit aus dem Zusammenhang des geordneten Seins heraus. Plotin insistiert in einer metaphysischen Perspektive auf dem Nichtsein dieses ›Abfalls‹, in einer ethischen auf seiner NichtNotwendigkeit und auf der Möglichkeit seiner Umkehrung, wenn er denn eingetreten ist. Vgl. dafür besonders II 9 [33]. Für die Gnosis ist die Natur die Folge eines ›Fehltritts‹ der Weltseele. Weil sie die Ordnung des Guten ›vergisst‹, ›sinkt‹ sie ›hinab‹ in eine Materie (ebd. 4, 1 ff.), die gegen das Göttliche eine ›Grenzmauer‹ bildet (ebd. 3, 24 ff.). Dagegen reaktiviert Plotin die Kosmostheologie der griechischen Tradition. Das ›Nichtabgeschnittensein‹ der sinnlich wahrnehmbaren von der intelligiblen Welt ist in diesem Zusammenhang noch die schwächste Formulierung, obwohl auch sie deutlich genug die Kontinuität zwischen dem mundus intelligibilis und dem mundus sensibilis betont (ebd. 16, 1 – 12). Die stärksten Formulierungen für denselben Gedanken enthält die Enneade III 8 [30]. Die Proportion, die dem schon zitierten Satz zugrunde liegt, »dass aus dem Guten der Geist und aus dem Geist die Seele ist« (vgl. Anm. 378), muss deshalb im Blick auf das Verhältnis von Seele und Materie erweitert werden: Wie sich das Eine zum Geist verhält, so der Geist zur Seele und wie der Geist sich zur Seele verhält, so die Seele zur Materie. Das ist das besondere Thema in IV 9 [6] (›Die Einheit aller seelischen Wirklichkeit‹). Vgl. damit auch die Überlegungen in IV 3 [27], 2, 1 ff. und 4, 14 ff. Vgl. dafür nur III 4 [15], 3, 22 ff.: »[…] das Sein der Seele umfasst vieles, ja alles, das Obere wie das Untere bis hinab, soweit das Leben in jeglicher Form reicht. Ein jeder von uns ist ein intelligibler Kosmos (κσμος νοητς). Mit den unteren Seelenteilen berühren wir diese Erdenwelt, mit den oberen, die im Kosmos sind, das Geistige. Mit unserem geisti-

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gen Teil verharren wir ganz in der oberen Welt, nur mit seinem letzten Stück sind wir gefesselt an die untere Welt. Wir geben gewissermaßen einen Ausfluss (πρροια) des Oberen weiter an die untere Welt oder richtiger: eine Wirkungskraft (νργεια), wobei das Obere sich nicht mindert.« Dies ist eine der wenigen Stellen, an denen Plotin die Metapher der ›Emanation‹ verwendet (vgl. Anm. 364). Vgl. dazu Beierwaltes (1990) XVIII. Vgl. Hans-Rudolf Schwyzer, Die zweifache Sicht in der Philosophie Plotins, Museum Helveticum 1 (1944), 87 – 99 und ihm folgend Beierwaltes (1990) XIV ff. Vgl. dafür Bd. I, S. 133 ff. und Bd. II, Anm. 245. So V 1 [10], 3, 1 ff.: »Da die Seele ein ehrenvoller und göttlicher Gegenstand zu unserem Nutzen ist (τ μιον καI θε$ον χρAμα), so halte dich durch solche Begründung überzeugt, dass du damit zu Gott gelangen kannst und steige dann zu ihm hinauf: du wirst ihn gewiss nicht fern von dir treffen, der Zwischenstufen sind nicht viele« [so gegen die Gnosis gewendet, die auf der absoluten Ferne des Gottes von der menschlichen Seele insistiert und für den als soteriologische Ausnahme möglichen ›Aufstieg‹ zum außerkosmischen Gott eine irritierende Fülle von Zwischenstufen beschreibt; vgl. dazu exemplarisch Jonas (41988) 207 ff.]. Vgl. ebd. 10, 11 ff.: Da man im Blick auf die Struktur der Seele und auf Texte der platonischen Tradition die Reihe (10, 3: φεξAς) ›Eines‹ – ›Sein‹ und ›Geist‹ – ›Seele‹ als die »drei Wesenheiten« ansetzen muss, die »in der Welt des von Natur aus Seienden« wirken, so muss man annehmen, dass sie »auch in uns« sind. Als der ›innere Mensch‹ im Sinne Platons [Rep. 589 b] ist »unsere Seele ein Göttliches«. Plotin V 1 [10], 1, 30 f.: »das, was sucht (τ ζητο,ν), ist ja die Seele und sie muss [zusätzlich zur Erkenntnis dessen, was ›außerhalb‹ von ihr ist, notwendig auch] zur Erkenntnis darüber kommen, was für ein Seiendes (τ 6ν) sie denn ist, die da forscht.« Das Ergebnis wird ebd. 5, 11 ff. zusammengefasst: Der Seele kommt es zu, mit dem verbunden zu sein, was als ›Geist‹, d. h. als Seinszusammenhang allgemeiner Formen, ›über‹ ihr ist, wobei sie, ›eines mit ihm geworden‹, zu erkennen sucht, wer es denn ist, der die göttliche Vielheit des ›Geistes‹ ›erzeugt‹ hat, nämlich »der Einfache (> Fπλο,ς)« ›vor einer solchen Vielheit

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(> πρ το!του πλθους)‹. Es ist wichtig, auf den analytischen Charakter dieser Aphairesis-Bewegung zu achten, die von jeder Vielheit ›Teile‹ ›wegnimmt‹, bis das ›absolut Einfache‹ übrig ist, von dem nichts mehr ›weggenommen‹ werden kann. Vgl. dazu die anti-gnostische Formulierung Plotin II 9 [33], 9, 35 ff.: »nicht das Göttliche auf einen Punkt verengen, sondern seine Fülle aufzeigen, […], heißt wahrhaft um Gottes Kraft wissen […] So ist auch unser Kosmos durch ihn und blickt zu ihm auf, der ganze Kosmos sowohl wie alle Götter in ihm, und sind den Menschen Künder des Jenseitigen […] .« Übersetzung nach Richard Harder. Dieses ›Verharren‹ beruht auf Ähnlichkeit mit dem, was die Seele dort sieht. Vgl. auch den letzten Satz dieses Textauszugs. Vgl. dafür Bd. II, S. 138. Vgl. dafür z. B. Epikur, ad Men. 128: »Lust« als »Ursprung (ρχ ) und Ziel (τλος) des glückseligen Lebens.« Zur epikureischen Zurückführung des Wissens auf Sinneswahrnehmungen vgl. das Referat bei Cicero, fin. I 71. Dort auch I 42 f. und 62 zum Begriff des Weisen aus epikureischer Sicht. Vgl. dazu auch hier S. 83 ff. Vgl. dazu auch Bd. II, S. 74 ff. und 82 ff. Vgl. Platon, Tim. 44 a – b: »Wenn aber gewisse von außen her andringende und auf sie einwirkende Sinneseindrücke … der Seele ganzes Gefäß mit sich fortreißen«, wird sie »zufolge aller dieser Einwirkungen jetzt wie anfangs, wenn sie in einen sterblichen Leib gefesselt wird, zuerst unvernünftig (νους).« Vgl. auch Platon, Rep. 533 d. Für die Nachweise der Textstellen, auf die Plotin anspielt, vgl. Beierwaltes (1990) 93 ff. Vgl. Platon, Rep. 401 b – 402 a. Vgl. Platon, Phaed. 81 a – c: »Weil sie [die Seele der ›Schlechten‹] […] immer mit dem Leibe verkehrt und ihn gepflegt und geliebt hat, […] so dass sie […] glaubte, es sei überhaupt gar nichts anderes wahr als das Körperliche«, wächst sie mit ihm zusammen und wird dadurch zu »schwerfällig«, um sich ›in sich selbst zu sammeln‹. Sie kann sich deshalb nicht dem »Göttlichen, Unsterblichen, Vernünftigen« zuwenden, »wohin gelangt ihr dann zuteil wird, glücklich zu sein.«

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Vgl. Platon, Phaedr. 248 c. Die Seele, die unfähig ist, »der Wahrheit Feld zu schauen« (ebd. 248 b), wird »von Vergessenheit und Trägheit angefüllt« und dadurch »niedergedrückt«, so dass sie »das Gefieder verliert und zu Boden fällt.« Vgl. Platon, Phaedr. 249 d. So Platon, Theaet. 176 a – b im Zusammenhang der Rede von der ›Verähnlichung mit Gott‹. Vgl. Platon, Phaedr. 248 b: »Die dem Edelsten der Seele angemessene Weide stammt nämlich aus jenen Wiesen« [= »der Wahrheit Feld«], und des Gefieders Natur, durch welche die Seele gehoben wird, nährt sich hiervon.« Bezeichnenderweise hat Plotin seinen Geburtsort verschwiegen. Platon, Phaedr. 247 b schreibt den göttlichen Seelen die Fähigkeit zu, sich aus dem Fixsternhimmel hinaus zu wenden und auf dessen »Rücken« zu stehen, so dass sie »hier stehend … schauen, was außerhalb des Himmels ist.« Vgl. dafür exemplarisch Plotin III 8 [30], 4,31 ff. Vgl. dafür Bd. II, S. 87 f. Vgl. dazu Plotin VI 8 [39], 5, 6 – 36. Zu Plotins Einschätzung des Handelns vgl. Hans Jonas, Plotins Tugendlehre: Analyse und Kritik, in: Epimeleia. FS Helmut Kuhn, München (1964) 143 – 173 und Beierwaltes (2007) 53 ff. Dafür, dass Plotin ›Tugend‹ keineswegs generell abwertet, vgl. II 9 [33], 15: Da man »von hier aus« nach dem ›Oberen‹ streben muss, gilt es, »zuerst hier unten recht zu handeln.« Das Verb »recht handeln« (κατορθο,ν, vgl. Anm. 30 u. 287) nimmt den zentralen Begriff der stoischen Ethik auf. Wie weit die Anerkennung einer ethisch orientierten Philosophie geht, zeigt die Formulierung ebd. 15, 33 ff.: »Die Tugend, die zum Ziel voranschreitet und zusammen mit der Einsicht (φρνησις) in der Seele gegenwärtig geworden ist, verweist auf den Gott; wenn man aber ohne wahrhafte Tugend von Gott redet, so ist das nur das Aussprechen eines leeren Namens.« Vgl. auch I 2 [19]: Die Tugenden (Einsicht, Tapferkeit, Selbstbeherrschung, Gerechtigkeit) setzen dem menschlichen Verhalten »Grenze und Maß« und stehen damit »auf der Seite des Besseren«. Wenn sie nicht mehr in der sozialen Welt, sondern rein für sich verwirklicht werden, ›reinigen‹ sie die Seele von ih-

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rer Bindung an die materielle Welt und geben ihr das Maß an Bestimmtheit, das sie auf die Vollendung ihres Lebens vorbereitet (ebd. 2, 13 ff.). Das literarische Vorbild für diese Metapher ist Platon, Phaedr. 250 b – c. Vgl. Theiler (1960). Vgl. dafür Text 50. Vgl. dafür Bd. II, S. 24 mit Anm. 54. Vgl. Platon, Phaedr. 246 a – 248 b. Die Bilder von der Fahrt der Götter zum ›überhimmlischen Ort‹ (247 c) und das der gefiederten Seele sind direkt miteinander verbunden. Das ›Wesen‹ der Seele gleicht »der zusammengewachsenen Kraft eines befiederten Gespannes und seines Führers« (245 a), die »das Schwere emporhebend dorthin führt, wo das Geschlecht der Götter wohnt« (246 d). Durch die Ernährung mit dem »in Wahrheit Seienden … wächst … das Gefieder des Seele« (246 d – e und 247 b – c). »Daher … wird … nur des Philosophen Seele befiedert: Denn sie ist immer mit der Erinnerung soviel wie möglich bei jenen Dingen, bei denen der Gott sich befindet, so dass er eben deshalb göttlich ist« (249 c). Vgl. dazu Bd. II 50 f. und 113. Zum νο,ς als dem ›ersten Gesetzgeber‹ im Sinne intelligibler Eunomie, die das Sein als ganzes aus dem heraus bestimmt, was der νο,ς in seinem eigenen Leben und Denken ist, vgl. Beierwaltes (1990) XXIII mit Hinweis auf V 9 [5], 5, 27 ff. Zum Unterschied von ›haben‹ und ›gebrauchen‹ vgl. Plotin I 6 [1], 8, 26 ff. Vgl. dafür Bd. II, S. 124 ff. Eine ausführliche Darstellung dazu gibt die Enneade I 6 [1]. Vgl. dazu Bd. II, S. 128 mit Anm. 161. Anders als der philosophische Erotiker wird der in I 3 [20] angesprochene Liebende »nur durch die Einwirkung des sichtbaren Schönen erschüttert«, so dass er eine davon ›abgetrennte‹ Schönheit nicht erfasst (ebd. 2, 1 ff.). Er kann deshalb nur durch ethische Belehrung ›zum Geist‹ als dem in Wahrheit Seienden ›aufsteigen‹ (ebd. 2, 12 f.). Bei Plotin sind Ethik, Mathematik und Dialektik subtil miteinander verflochten. Durch ethische Belehrung entsteht aus der Liebe zu ›schönen Sitten und Gesetzen‹ die spezifisch der Mathematik zugeschriebene

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›Gewöhnung an das wahrhaft Reizvolle‹ der unkörperlichen Wirklichkeit. Die dialektische Fähigkeit, »das Schöne … in den Künsten, Wissenschaften und Tugenden … auf eine Einheit zurückzuführen«, führt über die Tugenden zum wahren Sein, während das Leben des Geistes außer durch Mathematik und Dialektik auch durch vollendete Tugendhaftigkeit gekräftigt wird (I 3 [20], 2, 10 ff.). Hinter dem Konzept komplexer ›Belehrung‹ steht die psychologische Einsicht, dass es nicht genügt, das Ziel des guten Lebens lediglich verbal zu bestimmen: »denn sagen: ›Blick auf Gott‹, das reicht nicht aus, wenn man nicht auch unterweist, wie man dazu gelangen kann« (II 9 [33], 15, 32 ff.). Vgl. dafür Text 47. Die von der Kunst beherrschte ist die in sich begrenzte Materie im Unterschied zur ungeformten und von daher ›unbestimmt zweiheitlichen‹ Masse. Bekanntlich hat Plotin ›realistische‹ Portraitkunst abgelehnt (vgl. Porphyrios, Vita Plotini 1, 4 ff.). Dazu Beierwaltes (2001) 64 ff. Das Thema der Darstellung menschlicher Gestalt ›aufgrund von allen schönen Menschen‹ hat seine Voraussetzung im Begriff der Kunst als »Nachahmung« der ›idea‹. Vgl. dazu Erwin Panofsky, IDEA. Ein Beitrag zur Geschichte der älteren Kunsttheorie, Berlin, 4. unveränderte Aufl. 1982 (11924) 5 ff. und Reckermann (1993). Das Partizip verweist auf den νο,ς , so dass Kunst (1) das auf Materie bezogene handwerkliche Tun ist (= causa efficiens), (2) das Denken der Form, die dem materiellen Gebilde Bestimmtheit verleiht (= causa formalis), und (3) die zwischen (1) und (2) vermittelnde Fähigkeit, die im Denken erzeugte Form zur causa efficiens ihrer materiellen Realisierung werden zu lassen. Vgl. Plotin V 9 [5], 3, 21 ff. Vgl. Plotin I 3 [20], 5, 2 ff. Vgl. Plotin I 3 [20], 6, 1. So Plotin I 3 [20], 6, 13 ff. Das Ineinander von ›Seele‹ und ›absolutem Geist‹ oder von Ethik und Theorie hat sein Vorbild bei Platon, Euthyd. 281 b u. d (Was beim Gebrauch von etwas die Richtigkeit bewirkt, ist ein Zusammenhang von φρνησις , πιστμη und σοφ α), Men. 88c – 89a (Der richtige Gebrauch von etwas Gutem setzt voraus, dass »alles, was

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die Seele unternimmt … unter Führung der φρνησις steht.« »Weil alles übrige in der Seele … durch Hinzukommen der Einsicht oder der Torheit schädlich und nützlich wird«, muss »die Tugend, wenn sie nützlich ist, Einsicht sein«) und Phaed. 79 d (Wenn die Seele sich »durch sich selbst betrachtet, dann geht sie zu dem Reinen, immer Seienden, Unsterblichen und sich stets Gleichen, und, als diesem verwandt, hält sie sich stets zu ihm, … und dann hat sie Ruhe von ihrem Irren und ist auch in Beziehung auf jenes immer sich selbst gleich, weil sie eben solches berührt, und diesen Zustand nennt man eben Vernünftigkeit [φρνησις]«). Ich folge der in Anm. 188 genannten Literatur. Die doppelte Existenzform des νο,ς wird von Plotin VI 7 [38], 35, 20 ff. als Dualität von ›Nüchternheit‹ und ›Trunkenheit‹ beschrieben: Denkendes Wirklichsein erblickt als ›nüchtern‹-verständiger νο,ς das, was in ihm ist, und als erotisch affizierter νο,ς das, was ›jenseits‹ von ihm ›liegt‹. Plotin beschreibt diesen zweiten Zustand in Anknüpfung an Diotimas Rede in Platons Symposion 203 b als ein unvernünftig Werden durch das Berauschtsein vom Nektar, also von dem Trank, auf dem im Mythos das Unsterblichsein der Götter beruht (φρων γνηται μεθυσθεIς το, νκταρος), und veranschaulicht damit die Verähnlichung des an sich selbst schon göttlichen νο,ς mit dem göttlich-Einen als dem Quellpunkt göttlicher Vollkommenheit. Plotin VI 7 [38], 35, 19 – 33. Der gnostische Demiurg gleicht einer geschwächten Seele im Sinne Plotins, die den Gegenstand ihrer ›Betrachtung‹, den sie »geistig nicht erfassen« kann, sinnlich konkret vor Augen haben will (= III 8, [30], 4, 31 ff.). Vgl. dazu S. 172. Vgl. Jonas (41988) 104 f (›Zersplitterung‹) und besonders ( 31993) 157 ff.: »Schon der erste Anfang der Mannigfaltigung des Ureins geschieht, damit Erkenntnis desselben sei, die in der Ungeschiedenheit« des ›vollkommene(n) Zustand(s)‹ »noch nicht ist … und eben diese Scheidung, … setzt bereits im Wesensgrunde die Vielheit« und begründet damit im Sein eine ›Kluft‹, die »als substanzieller Dualismus Dinggestalt gewinnt.« Für die literarischen Quellen vgl. Jonas (41988) 353 f. und 364. Das Wort ›Gnosis‹ steht natürlich auch für die Lösung der Krise, die mit der ›Urgnosis‹ des in sich einfachen Seins ihren Anfang genommen hat.

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Als Erkenntnis der Verkehrtheit dieses Anfangs ist sie schon der Anfang für die ›Erlösung‹ des Erkennenden aus den Banden der Welt und für seine ›Heimkehr‹ zum extramundanen Gott. Vgl. dazu Jonas (41988) 375 und (31993) 13 ff. Hans Jonas hat Heideggers Missverständnis der Metaphysik als Instanz der Seinsvergessenheit und der Seinsverdinglichung mit größerem Recht in die Gnosis hinein- und aus ihr herausgelesen. Vgl. dazu Plotin II 9 [33], 6, 10 – 28: »Überhaupt nehmen sie ihre Lehre zumeist von Platon, während die Neuerungen, auf die sie ihre eigene Philosophie gründen wollen, Erfindungen außerhalb der Wahrheit sind.« »Wenn sie […] eine Mehrheit in der geistigen Welt ansetzen, das Seiende, den Geist [und dann noch] den Schöpfer als eine [vom Geist] unterschiedene Wesenheit und die Seele, so ist das den Worten des Timaios entlehnt. Dort heißt es, ›Entsprechend nun welche und wie viele Formen die Vernunft als in dem wahrhaften Lebewesen vorhanden sieht, solche und so viele müsste, […] auch diese Welt bekommen‹ (39 e). Sie haben das nicht verstanden und haben ein Wesen unterschieden, das alles Seiende in sich enthaltend in Ruhe verharrt [vgl. Platon, Tim. 42 e], sodann einen davon verschiedenen Geist (νο,ν %τερον) als sehenden (θεωρο,ντα) und drittens den ›planenden‹ Geist (τν διανοο!μενον) […] . Sie glauben, dieser [zweite Geist] sei im Sinne Platons der Schöpfer. Sie stehen eben der Erkenntnis ganz fern, wer der Schöpfer ist. Auch ihre ganze Ansicht vom Hergang der Schöpfung […] schieben sie ihm einfach unter […] und verderben damit die Lehren dieses Mannes, als wären sie es, die die Natur des Intelligiblen (τ5ν νοητ5ν φ!σιν) durchdacht hätten, und nicht jener und die anderen Seligen der alten Zeit.« Vgl. ebd. 6, 52 ff.: »Denn was die Alten über das Intelligible gelehrt haben, das […] ist im Sinne wahrer Bildung gesprochen. Wer nicht von dem heute unter den Leuten umgehenden Betrug geblendet ist, wird leicht erkennen, dass sie ihre Lehre erst nachträglich von jenen Alten aufgenommen, aber durch ungehörige Zusätze (προσθκας … ο1δ"ν προσηκο!σας) erweitert haben, an den Stellen nämlich, wo sie widersprechen wollen.« Plotin bedient sich hier der Auseinandersetzungsfigur der ›elementatio‹, die für das philosophische Denken so charakteristisch ist, dass es immer wieder Anwendung findet. Nur wer die Grundform von etwas wirklich durchdacht hat, findet die Zusatz-

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formen, die zu ihr passen. Wer sie nicht selbst durchdacht, sondern nur irgendwie übernommen hat, kann ihr nur ›ungehörige‹ Zusätze anhängen. Vgl. dafür exemplarisch Plotin VI 7 [38] 32, 12 f.: ›nichts von Allem und dennoch sie alle‹, III 8 [30], 9, 54: ›vor‹ allem, was ist. Vgl. dazu Beierwaltes (1980) 26 ff. Vgl. dazu Krämer (21967) 338 ff. und Beierwaltes (1985) 49. Plotin V 3 [49], 15, 23: μεγλη ρχ. Plotin II 9 [33], 3, 5 f. und VI 7 [38], 32, 21 ff. Ich orientiere mich für das Folgende an Krämer (21967) 312 ff. sowie an Beierwaltes (1967) 11 ff., insbesondere 14 ff. und Ders. (1980) 28 ff. Plotin VI 8 [39], 8, 6 f. Krämer (21967) 344 ff. hebt zu Recht hervor, dass dem Einen sogar die Charaktere der Gottheit, des Guten und des ›Grundes (ρχ )‹ abzusprechen sind und selbst der Ausdruck ›Eines‹ nur ein Name ist, der »zur inneren Erfahrung« seiner absoluten Einfachheit »hinleiten soll«, aber keine Bezeichnung darstellt, die ihm wirklich entspricht. Für diesen Begriff vgl. Bd. I, S. 132 f. Nach Plotin müssen wir in der Rede unsere Aussagen sogar »ein wenig unlogisch« zusammenstellen, ›um uns besser davon zu überzeugen‹ ( VI 8 [39], 13, 3 ff.: τAς πειθο,ς χριν, ebd. 13, 47 ff.: νδε ξεως %νεκα), was das Eine ist. Für die Charakterisierung der Sprechweise Plotins als absoluter Metaphorik vgl. Beierwaltes (1991) 151. Vgl. Plotin II 4 [12], 5, 30 ff.: »Die Bewegung nun und die Andersheit, die aus dem Ersten kommen, sind unbestimmt und bedürfen seiner, um zur Bestimmtheit zu gelangen; sie werden bestimmt, wenn sie sich zu Jenem umwenden.« Derselbe ›Vorgang‹ kann auch aus der Perspektive des Einen dargestellt werden: Plotin VI 8 [39], insbesondere 15, 1 – 10 und 16, 12 – 39 mit den Erläuterungen von Krämer (21967) 394 ff. und Beierwaltes (1990) XXXI ff . Plotin V 3 [49], 11, 1 – 15: »Daher ist denn auch der Geist vielfältig, wenn er das Jenseitige zu denken sich unterfängt, freilich nicht als das Jenseitige selber, sonder er will es als ein Einfaches in den Blick nehmen, nimmt es aber, wenn er von ihm weggeht, immer als ein Anderes mit, das in ihm vervielfältigt wird. So wird klar, dass er zu ihm strebte nicht

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als geistiges Wirklichsein, sondern als Sehkraft, die noch nicht zum wirklichen Sehen gelangt ist (6ψις οPπω #δο,σα) […] So war es ein Anderes, nach dem er strebte, denn er hatte davon eine unbestimmte Vorstellung in sich (ορ στως ;χουσα πI α1τ` φντασμα) […] Die Sehkraft besitzt aber doch wiederum einen Abdruck (τ!πος) des Gesehenen, […] und so erkannte die Sehkraft das Gesehene und sah es deutlich und wurde in diesem Augenblick sehende Sehkraft (6ψις #δο,σα) und damit geistiges Wirklichsein, […] während sie zuvor nur Drang (;φεσις) war und ungeprägtes Sehen (τ!πωτος 6ψις). Dieses geistige Wirklichsein nahm also das Jenseitige in den Blick und, als es dieses fasste, wurde es Geist, aber der, der sich ständig konstituiert (εI διαθμενος καI γενμενος) und zu Geist (νο,ς), Wesenheit (ο1σ α) und Denken (νησις) wird, wenn er denkt. Denn vorher war er nicht wirkliches Denken, da er kein Gedachtes (νοητν) in sich hatte, und nicht Geist, da er noch nicht gedacht hatte.« Vgl. dazu Beierwaltes (1991) 138 ff. und 215 f. Krämer (21967) 314 f. verweist als Paralleltext auf Plotin VI 7 [38], 15, 12 ff. Vgl. dazu Szlezák (1979) 52 ff. Vgl. dafür exemplarisch Plotin II 9 [33], 3, 5 ff. Die Weitergabe der im Einen selbst begründeten absoluten ›Mächtigkeit‹ an den Nus und die Weltseele und damit die vollständige Selbstkonstitution intelligibler Wirklichkeit ist gerafft dargestellt in der Enneade V 2 [11]. Zum Ursprung des Eros im Einen selbst vgl. Plotin VI 8 [39], 15, 1 ff.: Das Eine selbst ist ›das Liebe Erweckende und das Liebesverlangen‹, also ›Liebe zu sich selbst‹, die als das ›Schöne aus und in sich selbst‹ sich gleichsam ›selbst beiwohnt‹ und damit als absolut Schönes in sich und aus sich selbst ›zeugt‹. Vgl. damit ebd. 7, 38 ff.: ›Gefallen an sich selbst‹ als absoluter ›Einzigartigkeit‹. Man kann diese Aussagen, die in Bezug auf das Eine selbst problematisch sind, weil sie ihm ein Selbstverhältnis zuzuschreiben und es damit als reine Einheit aufzuheben scheinen, als kritische Antwort auf den gnostischen Gedanken vom autoerotisch motivierten Abfall des Einen von sich selbst verstehen. Plotin entwickelt den Gehalt eines derartigen Blicks in der Enneade V 2 [11], deren Anfang ich in geringfügig angereicherter Umschreibung zitiert habe. Ausführlicher dazu Plotin III 9 [13], 4, 1 ff.

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Vgl. dazu Nietzsche, Die Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen 4, KSA 1, 819 (zu Anaximander) und ebd. 5, KSA 1 823 ff. zu Heraklit. Platon Phaedr. 246 b. Vgl. dafür Plotin IV 8 [6], 2, 8 – 16 Plotin IV 8 [6], 4, 11 ff.: κ το, 4λου ε#ς τ μρος εJναι. Plotin spricht in diesem Zusammenhang sogar von ihrem ›Abfallen‹ (ebd. 4,14 und 19) und von ihrer ›Flucht‹ (ebd. 4, 13 und 18) aus der Gemeinschaftswelt des Allgemeinen. Plotin IV 8 [6], 4, 16: πρς μρος βλπει. Plotin IV 8 [6], 4, 31 f. Vgl. dazu auch ebd. 7, 5 ff. Plotin IV 8 [6], 7, 18 ff.: νοερ2 διξοδος und κατβασις … ε#ς ;σχατον τ χε$ρον.

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Plotin IV 8 [6], 7, 18 – 32. Dahinter steht die Lehre, dass auch in der Einzelseele »etwas« vom reinen Nus wirksam ist, so dass er »auch bei uns weilt«: III 8 [30], 9, 22 ff. Diese ›übermenschliche‹ und von daher zum Scheitern verurteilte Absicht kommt in der stoischen Forderung zum Ausdruck, die Affekte nicht zu mäßigen, sondern gänzlich aus der Seele herauszureißen. Vgl. dazu exemplarisch: Seneca, epist. 116, 1. Für diese und weitere Stellen vgl. SVF III, 443 ff. Übersetzung Werner Beierwaltes: Plotin (ed. 1991) 53 ff. Eines ist hier als relationale Einheit von ›Wesenheiten‹ gemeint, die es natürlich im Plural gibt. Vgl. dazu Beierwaltes (1991) 165 f. Dort auch zu den ›zwei verschiedenen Formen der All-Einheit und Autarkie‹ für den ›Geist‹ und das ›Eine‹. Zur Metapher des Steinblocks vgl. Beierwaltes in Plotin (1991) 234. Gemeint ist das Sein des absoluten Geistes als Inbegriff der ›Urformen (ρχτυπα)‹ des Seins. Für die theologische Benennung des Gottes als des ›Unaussprechbaren‹ vgl. die Belege in Plotin (ed. 1956 – 1971) V b, 383 und Beierwaltes (1991) 224 – 229 mit Hinweis u. a. auf den vierten Band der religionshistorischen Studie von Festugière (1986: Le Dieu Inconnu et la Gnose). Für die folgende Darstellung der Beziehung Plotins auf den 7. platonischen Brief in der Enneade VI 9 [9], 4 beziehe ich mich auf Beierwaltes (1991) 224 ff.

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Platon, Parm. 142 a Vgl. dazu Werner Beierwaltes, ’Εξα φνης oder die Paradoxie des Augenblicks, Philosophisches Jahrbuch der Görresgesellschaft 74 (1966/67) 271 – 283. Platon, Epist. VII 341c. So Plotin VI 9 [9], 4, 11 ff. Vgl. dafür Plotin V 5 [32], 3, 1 ff.: »So stellt sich dies [die intelligible Wirklichkeit] uns heraus als eine einheitliche Wesenheit (μ α φ!σις), die alles Seiende (τ? 6ντα πντα) ist. Und wenn das so ist, dann ist sie ein großer Gott (θες τις μγας); oder vielmehr nicht einer, sondern sie hat Anspruch darauf, die Gesamtheit des Göttlichen zu sein. So ist denn diese Wesenheit Gott, und zwar der Zweite Gott (θες δε!τερος), welcher auftaucht, bevor wir den Ersten sehen.« Von daher wird auch verständlich, warum Plotin dem Nus das Gottesprädikat des ›hoch Erhabenen‹ zuordnet. Plotin V 5 [32], 3, 4 ff. Mit seiner Reflexion auf das Verhältnis von Erstem und Zweitem Gott distanziert sich Plotin vom Gottesbegriff des Aristoteles, seinem innergriechisch wichtigsten Gegner. Mit der Aussage, dass der Zweite Gott am Ersten ›hängt (ξρτηται)‹ (ebd. 3, 6), ›korrigiert‹ er die Bestimmung des Verhältnisses zwischen dem Unbewegten Beweger und dem Zusammenhang von Bewegung dadurch, dass er das dafür entscheidende ›Hängen an‹, dem Nus und seiner Beziehung auf das Eine zuschreibt und damit den ersten Gott des Aristoteles zum zweiten depotenziert. Vgl. dazu Bd. II, Text 40, S. 205 (1072 b 13 f.). Ex. 3, 14 ›benennt‹ sich Jahwe mit dem Satz: Ich werde da sein, als der ich da sein werde, so die inzwischen allgemein als adäquat akzeptierte Übersetzung Martin Bubers. Vgl. dazu Beierwaltes (1972) 9 ff. Ex. 33, 18 ff. belehrt Jahwe Moses darüber, dass sein Angesicht dem Auge lebendiger Menschen entzogen ist. Vgl. dafür Bd. I, S. 67 f. Plotin hat den Namen Apolls ( V 5 [32], 6, 26 ff.) als höchsten Ausdruck negativer Theologie ausgelegt, weil er das ›Nicht (alpha privativum) des Vielen (πολλ.ν)‹ bezeichnet. Vgl. dazu Beierwaltes (1985) 120. Vgl. dafür Bd. II, S. 71 (Dihairesis) und Anm. 283 (Systoichie). Die Durchführung dieses Gedankens zeigt, dass Plotin auf der Seite der

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Zweiheit durchaus Unterscheidungen benennt, sie aber nur subkutan einführt, weil es ihm in der Hauptsache darum geht, den grundsätzlichen Unterschied zwischen absoluter Einheit und Zweiheit herauszustellen. Im Rahmen dieser Überlegung korrigiert Plotin auch seinen früheren Versuch, dem Einen eine menschlich unerreichbare Optimalform von Selbstwahrnehmung und Selbstbewusstsein zuzuordnen. Vgl. dazu im Einzelnen Beierwaltes (1985) 43 ff. Vgl. damit Plotins Reflexion auf die Unmöglichkeit einer Selbstaussage des absolut Einfachen in V 3 [49], 10, 33 ff.: »Wenn es sagte: ›ich bin dieses‹, würde es unwahr reden, sofern es das ›dieses‹ als ein von sich selbst [als dem absolut Einfachen] Verschiedenes aussagte; […] Oder es spräche: ›bin bin (ε#μI ε#μ )‹ und ›ich ich (γT γ()‹ […] Auch da wäre es notwendig schon Vieles; denn als Unterschiedenes spricht es dies aus, und sofern dies unterschieden ist, ist auch Zahl da und vieles Andere.« Für das Eine gilt deshalb auch nicht die Selbstaussage ›Ich bin‹ oder ›Ich bin das Gute‹, … weil E(s) dann … das ›ist (τ ;στιν)‹ von sich prädizieren würde« ( VI 7 [38], 38, 11 ff.), das es gerade nicht ist ( VI 7 [38], 38,1 ff.). Auch die formal einfachsten und qualitativ herausragendsten Aussagen, die wir auf das Eine übertragen, »setzen ihm etwas Anderes hinzu« und verfehlen damit seine Einfachheit (VI 7 [38], 37, 12 f. und ebd. 41, 15 ff.). Zum Problem der göttlichen Selbstprädikation vgl. Beierwaltes (1991) 135 ff. Zum Verhältnis von ›Sagen‹ und ›Haben‹ bei Plotin vgl. Frederic M. Schroeder, Form and Transformation. A Study in the Philosophy of Plotinus, Montreal (1992) 66 ff. Ich übernehme dieses Verständnis der Mystik Plotins Werner Beierwaltes, Reflexion und Einung. Zur Mystik Plotins. in: Ders. mit Hans Urs von Balthasar und Alois M. Haas, Grundfragen der Mystik, Einsiedeln 1974, insbes. 10 f. Zur Ergänzung vgl. Beierwaltes (1985) 123 – 147 und (2001) 106 – 114. Übersetzung Werner Beierwaltes. Plotin (ed. 1991) 65 ff. D. h. dem absolut Einen als der höchsten Wahrheit, an der sie Anteil hat. Vgl. den Schluss von Zeile 24 mit der Nennung des Subjekts, auf das sich diese Aussagen beziehen: ›das schlechthin Einfache‹.

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Zur Bedeutung dieses Imperativs vgl. Beierwaltes (1991) 167 ff. und 250 ff. Vgl. Plotin VI 9 [9], 7, 33 f.: »Wer sich selbst kennt, weiß auch sein Woher.« Vgl. Plotin VI 9 [9], 1, 1. Vgl. Plotin VI 9 [9], 7, 29 f.: »Jener [das erste Göttliche als das absolut einfache Eins] … ist für keinen draußen, sondern bei allen, ohne dass sie es wissen«; ebd. 8, 34: »Jenes Obere … ist immer bei uns.« Vgl. damit Plotins Charakterisierung des der Seele angeborenen Eros als Streben nach dem Einen als dem Guten par excellence: VI 9 [9], 9, 25 ff. Plotin VI 7 [38], 32, 25 f.: ποθειντατον καI ρασμι(τατον und ebd. 33, 13 f.: = το, ρ στου φ!σις καI = το, ρασμιωττου. Vorbild: Platon, Phaedr. 250 d. Plotin VI 7 [38], 32, 15 – 28: Da das Eine selbst unbestimmt ist (ebd. 15: πειρος) und seine Mächtigkeit (δ!ναμις) »kein [bestimmtes] Maß« (ebd. 22: ο1 μτρον) hat, ist der darauf bezogene Eros ebenfalls ›unbestimmt‹ (ebd. 26: ;ρως … μετρος und ebd. 28: πειρος … ;ρως). Vgl. Plotin VI 9 [9], 7, 30 ff.: »Sie selbst sind es, die aus ihm [dem Einen selbst] herausfliehen, oder richtiger, aus sich selbst herausfliehen, dann können sie nicht erfassen, den sie geflohen sind.« Man kann den ›aufs Äußerste gespannten Eros‹ als Antwort auf das stoische Konzept der τονικ5 κ νησις auffassen. Vgl. dafür S. 18. Vgl. dazu auch Plotin VI 9 [9], 7, 13 ff.: »[…] wie es von der [intelligiblen] Materie heißt, dass sie frei von jeder Qualität sein muss, so und noch viel mehr muss die Seele ohne Gestalt und Form werden, damit nichts, was in ihr festsitzt, hinderlich wird für ihre Erfüllung und Durchlichtung vonseiten der ersten Natur (= πρ(τη φ!σις).« Das griechische Wort für ›ablegen (ποτ θημι)‹ ist die Negation von ›hinzufügen (προστ θημι)‹, eine deutliche Anspielung auf das dialektische Wechselspiel von ›Subtraktion (φα ρεσις)‹ und ›Addition (πρσθεσις)‹ in der Analyseform der elementatio. Vgl. in diesem Zusammenhang auch den letzten Satz in Text 65. Für eine anders akzentuierte Variante des Freiwerdens von jeder Qualität und Form als Voraussetzung für die Vollendung des menschlichen Lebens in der pyrrhonischen Skepsis vgl. S. 102 ff.

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Plotin VI 7 [38], 34, 1 – 11. Plotin V 3 [49], 10, 31 ff.: »Denn wenn das Denken auf ein ungeteiltes Eines hinblickte, es würde sprachlos gemacht (λογθη ); denn was hätte es denn, über das es etwas aussagen oder von dem es etwas verstehen könnte?« Unter dem Affekt dieser Furcht neigt sie zur ›Flucht‹ aus der ›Höhe‹ des Unbestimmten, bei der sie bis hin zum Sinnlichen (ε#ς α#σθητν) ›absteigt‹, um sich dort »gleichsam auf Festem« von den Irritationen in der Welt des Unbestimmten zu »erholen« (Plotin VI 9 [9], 3, 3 – 9). Strukturell ist dieser ›Vorgang‹ mit dem zu vergleichen, den Immanuel Kant im § 23 der Kritik der Urteilskraft in seiner ›Analytik des Erhabenen‹ zur Sprache bringt. Das Gefühl des Erhabenen ist »zweckwidrig für unsere Urteilskraft« und »gleichsam gewalttätig für die Einbildungskraft«, weil es »in keiner sinnlichen Form« enthalten sein« kann. Die »Wahrnehmung der Unangemessenheit alles sinnlichen Maßstabes zur Größenschätzung der Vernunft« (§ 26), die sich auf das nur mit sich selbst gleiche »absolute non comparative magnum« (§ 25) bezieht, ist für die Einbildungskraft »gleichsam ein Abgrund, worin sie sich selbst zu verlieren fürchtet.« Dies evoziert nur deshalb kein Gefühl der Unlust, weil das Erhabene »das Gefühl unserer übersinnlichen Bestimmung in uns rege macht, nach welcher es zweckmäßig, mithin Lust ist, jeden Maßstab der Sinnlichkeit den Ideen der Vernunft unangemessen zu finden« (§ 27). Vgl. Plotin V 3 [49], 10, 42 ff. mit den Ausführungen S. 184 ff. zur Selbstkonstitution des Nus. Vgl. Plotin VI 9 [9], 4, 24 – 27. Für Plotins Bezug auf Heraklit, B 60: »Der Weg hinauf und der Weg hinab ist ein und derselbe« vgl. IV 8 [6], 1, 11 ff. Plotin VI 9 [9], 4, 27 ff. In dieser Enneade verdeutlicht Plotin, dass die Seele ›aus Vielem‹ zu Einem wird (ebd. 3, 22) und dann selbst ›eingestaltig (ebd. 3, 28: Nνοειδς)‹ und sogar wie das einfach Eine ›Übersein‹ ist (ebd. 11, 41 ff.) und sich auch so wahrnimmt (ebd. 10, 10 ff.). Ein eindrucksvolles Bild für die Zusammengehörigkeit des Weges hinauf und des Weges hinab entwirft Plotin am Anfang der Enneade IV 8 [6]. Vgl. dafür auch die Hinweise des Herausgebers von: Plotin, Traité 50

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(III 5). Introduction, traduction, commentaire et notes par Pierre Hadot, Paris 1990, 13 – 84. Übersetzung nach Richard Harder. Dieser Satz kann für den Unterschied zwischen der Theologie Plotins und den Gottesbegriff der jüdisch-christlichen Religion stehen. Der Sinn des Satzes ist doppeldeutig. Durch Entfernung vom Ursprung allen Lebens würden wir in ein negatives Nichts, durch dauerhaftes Verbundensein mit dem Einen in ein positives ›Nichts‹ übergehen. Plotin scheint hier an die erste Möglichkeit zu denken. Im Blick auf unsere Aristoteles-Darstellung sei angemerkt, dass Plotin das Umkreisen des Einen auch als ein ›Hängen an‹ bezeichnet ( VI 9 [9], 8, 6: ναρτσεται; vgl. V 1 [10], 31 ff. und öfter). Damit ist eine zentrale Formulierung der aristotelischen Metaphysik (vgl. dafür Anm. 482) umgedeutet: Das Sein der Bewegung ›hängt‹ zwar ›am‹ Unbewegten, aber dieses ist nicht die erste Wesenheit, sondern das Eine ›jenseits von Wesenheit‹. In diesen Formulierungen werden die aristotelische Trias von SeinLeben-Denken und der für die Stoa zentrale Begriff der Seele auf eine Quelle oder Wurzel im Einen selbst zurückgeführt, das zugleich Ursache des Guten ist. Das literarische Vorbild für die Beschreibung des Chores, der das Zentrum alles Seienden umkreist, ist Platon, Phaedr. 247 d – e und 250 b. Vgl. damit den Hinweis auf den Begriff ›Emanation‹ am Schluss der Anm. 364. Anknüpfung an Platon, Phaedr. 250 a: ›frei vom Erleiden des Schlechten (Fπαθε$ς κακ.ν)‹. Die ›Apatheia‹ gehört für die Stoa zum Vollkommenheitszustand des Weisen. Zur Bedeutung dieses Begriffs im akademischen Platonismus, dem Kynismus und in der Stoa vgl. Hans Reiner, ›Apathie‹, HWPh 1, 429 – 433. Vgl. auch die vorhergehende Anm. Plotin steigert aber nicht nur den stoischen Begriff der Apatheia, sondern auch den der pyrrhonisch-skeptischen »Aphasie« (vgl. S. 102 ff.). Vgl. dazu Platon, Symposion 211 d – 212 a. Plotin antwortet damit kritisch auf das stoische Konzept der Palingenesis und die von ihm aus begründete Vorstellung der ›Rückkehr in den

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eigenen Ursprung‹. Vgl. dafür Text 50, Abschnitt 12 und die Ausführungen dazu S. 56 ff. Vgl. dazu Text 63, 1. Abschnitt und S. 170 ff. Übersetzung wie Text 66 a. Vgl. zur Ergänzung Plotin I 6 [1], 9, 14 ff.: »rein und allein mit dir selbst zusammen«, »eins« ohne »fremde Beimischung«, »ganz und gar reines, wahres Licht … jenseits von Form, Gestalt und Grenze.« »Wenn du so geworden dich selbst erblickst, dann bist du selber Sehkraft«, deren »Sehen dem Gesehenen verwandt und ähnlich« ist. Ebenso VI 7 [38], 34, 10 ff. und 36, 15 – 28. Vgl. dazu Platon, Phaedr. 250 a Zu dieser Formulierung vgl. Beierwaltes (1985) 141. Vgl. dazu Platon, Phaedr. 247b. Vgl. damit S. 190 f. und Text 63 (letzter Abschnitt). Vgl. Plotin VI 9 [9], 9, 45 – 56: ›Dort oben‹ ist »das wahrhaft Geliebte, mit dem auch eine wirkliche Vereinigung (συνε$ναι) möglich ist, indem man Teil an ihm gewinnt und es wahrhaftig besitzt, […] ein anderes Leben empfängt und aus diesem Zustand erkennt, dass der Chorführer des wahrhaften Lebens (> χορηγς ληθινAς ζωAς , vgl. dazu Text 66 a) anwesend ist und sie nichts anderes mehr bedarf, dass es vielmehr gilt, alles von sich abzutun und in ihm allein stille zu stehen, es zu werden in reinem Alleinsein, alles Übrigen uns entschlagend, was uns umkleidet, […] um endlich mit unserem ganzen Selbst (τ' 4λY α*τ.ν) Jenes zu umfassen und keinen Teil mehr in uns zu haben, mit welchem wir Gott nicht berühren.« Vgl. dazu Burkert ( 31994), 71 ff. und 75 f. sowie Riedweg (1987). Porphyrios, Vita Plotini 10, 36 f. Plotin VI 9 [9], 9, 55 f., zitiert in Anm. 530. Plotin VI 7 [38], 34, 25 ff. Plotin I 6 [1], 9, 23 f. Vgl. Plotin V 3 [49], 4, 11 ff. Vorbild ist Platon, Phaedr. 247 b – c. Vgl. dazu Plotin VI 7 [38], 32, 29 ff.: Das Eine als »Schönheit über der Schönheit (κλλος *π"ρ κλλος) «, »zeugendes Prinzip des Schönen (τ γενν.ν τ κλλος)«, »Überfluss des Schönen (περιουσ α

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το, κλλους)« und als »Kraft zu allem Schönen (δ!ναμις παντς καλο,)«. Vgl. damit auch die Charakterisierung des absolut einfachen Grundes aller Wirklichkeit als »zeugender Natur (γεννητικ5 φ!σις)« in VI 9 [9], 3, 40 f. 539

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Vgl. damit Plotin I 6 [1], 8, 2 ff. »Wie kann man die unwiderstehliche Schönheit (κλλος μχανον) schauen, die gleichsam drinnen bleibt im heiligen Tempel und nicht nach außen hinaustritt …? So mache sich denn auf und folge ihr ins Innere, wer kann, und lasse das mit den Augen Gesehene draußen.« Vgl. dazu Plotin VI 7 [38], 34, 14 ff.: »ein Abbild (μ μησις) hiervon sind Liebende und Geliebte hier unten, wenn sie Vermischtsein (συγκρ$ναι) wollen.« Vgl. Plotin I 6 [1], 4, 14 ff.: ;κπληξις =δε$α, πτησις μεθ’ =δονAς. Vgl. ebd. 7, 13 ff.: θμβος … μεθ’ =δονAς, κπλαγε η μεθ’ =δονAς. Die erotische Erfahrung (vgl. VI 9, 4, 19: τ ρ(τικον πθημα) ist für die menschliche Seele grundsätzlich passio. Actio gehört allein auf die Seite der ›unwiderstehlichen Macht‹ (vgl. V 3 [49], 16, 2 f.: δ!ναμις μχανος) des Einen als ›unwiderstehlicher Schönheit‹ (vgl. I 6 [1], 8, 2 ff.: κλλος μχανον = Platon, Rep. 509 a 6). Auch dieses Konzept einer die Seele durchdringenden und sie darin verwandelnden Erfahrung hat sein Vorbild in der platonischen Umdeutung der eleusinischen Mysterienreligion. Vgl. dafür Burkert ( 31994) 75 ff. Die Definition des Christentums als vera religio ist älter als die ca. 390 von Augustinus verfasste Schrift, die diese Formel im Titel trägt. Als Beleg aus der griechischen Apologetik nenne ich Ps.-Justin, Ad Graecos de vera religione 1, 2: ληθAς θεοσβεια , aus der lateinischen: Tertullian, Apologeticum 24, 2: »vera religio veri dei.« Vgl. dafür Justin, Dialogus cum Tryphone VIII 2: = μνη φιλοσοφ α σφαλA καI σ!μφορος. Vgl. dazu Honnefelder (1992). Dieser Vorgang ist die Leistung der griechischen und lateinischen Kirchenväter. Vgl. dafür als erste Einführung: Hans Freiherr von Campenhausen, Griechische Kirchenväter, Stuttgart 81993, Ders. Lateinische Kirchenväter, Stuttgart 71995. Für eine neuere, nicht nur auf die Patristik bezogene Darstellung vgl. Colpe (Hrsg. 1992), aber auch Claudio Moreschini und Enrico Norelli, Storia della letteratura cristiana antica

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greca e latina, 2 Bde, Brescia 1995/96 und Dies., Handbuch der antiken christlichen Literatur, Gütersloh 2007 (Italienische Erstausgabe: Brescia 1996) sowie Fiedrowicz (2004). Für die Hellenisierung des Judentums als entscheidender Voraussetzung für die christliche Aneignung griechischer Philosophie ist das Standardwerk: Hengel ( 31988). Vgl. dafür Wilhelm Weischedel, Der Gott der Philosophen. Grundlegung einer philosophischen Theologie im Zeitalter des Nihilismus, 2 Bde, Darmstadt 31975, Wolfhart Pannenberg, Theologie und Philosophie. Ihr Verhältnis im Lichte ihrer gemeinsamen Geschichte, Göttingen 1996, Beierwaltes (1998) 7 – 24 und Hansjürgen Verweyen, Philosophie und Theologie. Vom Mythos zum Logos zum Mythos, Darmstadt 2005. Für eine sorgfältig abwägende Darstellung des Verhältnisses von christlicher Religion und griechischer, insbesondere platonischer Philosophie vgl. Cornelia Johanna de Vogel, Platonism and Christianity: A Mere Antagonism or a Profound Common Ground? Vigiliae Christianae 39 (1985) 1 – 62. Aufschlussreich für die heutige Diskussionslage ist Matthias Lutz-Bachmann, Hellenisierung des Christentums? In: Colpe (Hrsg. 1992) 77 – 98. Der Prolog zum Vierten Evangelium, dem ein vorjohanneisch-altchristlicher Logos-Hymnus zugrunde liegt, wird in der vorliegenden Darstellung nicht eigens dargestellt, sondern als hinreichend bekannt vorausgesetzt. Der Text integriert fast alle wichtigen Prinzipienbegriffe und -metaphern griechischer Philosophie (θες, ρχ, λγος, ζω, γνε σις, φ.ς, κσμος, λθεια) in einen Zusammenhang, der einerseits vom Gedanken des Gegeneinanders von Licht und Finsternis, andererseits von dem der absoluten Wirkungsmacht göttlicher Wahrheit geprägt ist. Er knüpft an die Weisheitsbücher des AT an und präzisiert dabei die Eingangsverse der Genesis insofern, als er das Wort Gottes, seine Weisheit und sein schöpferisches, sich selbst bekundendes Wirken als von Anfang an in Gott wirksame Kraft darstellt. Mit dem ›Fleisch‹ gewordenen Sohn Gottes hat das principium aller Wirklichkeit in der menschlichen Welt seine leibliche Verkörperung gefunden und kann auf diese Weise authentisch verkünden, was die Kraft Gottes von sich her ist und was sie für das menschliche Leben bedeutet. Vgl. dafür Das Evangelium nach Johannes. Übersetzt und erklärt von

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Ulrich Wilckens, Göttingen 1998, 19 ff. zum Prolog und 332 ff.: zu den »Grundlagen johanneischer Theologie.« Zur Wirkungsgeschichte der johanneischen Logostheologie in der frühen Patristik vgl. Luise Abramowski, Der Logos in der altchristlichen Theologie, in: Colpe (Hrsg. 1992) 189 – 201. Vgl. dazu auch Text 73 im vorliegenden Band. Vgl. dafür Gnilka (1984) 12 f.: Christliche Kultur bildete sich in einer griechisch geprägten Umwelt »nicht durch das unkontrollierte Verfließen verschiedener geistiger Strömungen, nicht durch zufällige Zusammenballung unterschiedlicher Gedankenelemente, nicht innerhalb religiöser Stimmungen einer dumpfen Masse«, sondern »aus der zielbewussten … Arbeit … vieler christlicher Denker«, die genau wussten, warum, mit welchem Ziel und mit welchen Methoden »sie die antike Bildung benutzen durften und … mussten.« Konkretisierungen dazu nicht nur im angegebenen Titel, sondern auch Ders. (1993). Apg 17, 24 mit Anspielung auf Ex 20, 11 und Is. 42, 5. Apg 17, 26: »Aus einem schuf er das ganze Menschengeschlecht.« Vgl. dazu die Formulierung bei Plotin V 1 [10], 3, 1 ff. Paulus bezieht sich auf Ps. 55, 6 und Ps. 145, 18. Für eine ähnliche Formel vgl. Plotin VI 9 [9], 9, 8 f. Für ihre Voraussetzungen vgl. die Nachweise bei Conzelmann (41987) 109 f. Vgl. dazu Text 45. Zur Bedeutung der Areopag-Rede vgl. Conzelmann (41987) 111 ff. und Theiler in Poseidonios (ed. 1980) II 285. Auf einem anderen Blatt steht die Kritik an der religiösen superstitio der Athener, denen Paulus das ›Überladensein‹ ihrer Stadt ›mit Götterbildern‹ (Idolatrie des Polytheismus), ›Neugier‹ (Verfallsform der Wissenschaft) und ›Schwatzsucht‹ (Verfallsform der Redefreiheit einer demokratisch geprägten Kultur) als definitorische Merkmale zuordnet (Apg 17, 16 und 21 ff.). Die wirkliche Bedeutung der Altarinschrift ›Einem unbekannten Gott‹ (Apg 17, 22 f.) findet man bei Pausanias I 1, 4 und V, 14, 8: Den »unbekannten Göttern« ist ein Altar gewidmet, damit keiner der unbestimmt vielen, die es nach griechischer Überzeugung gibt, von kultischer Verehrung ausgeschlossen bleibt. Dadurch, dass Paulus den Plural zum Singular verändert, unterstellt er den Athenern, auf den einen Gott gewartet zu haben, den er ihnen verkünden will.

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Die Athener reagieren darauf nach ihrem Reaktionsmuster, indem sie Paulus vorwerfen, er wolle wie einst Sokrates ›neue Götter in die Stadt einführen‹ (Apg 17, 19 f.). Seine Lehre von der Auferstehung der Toten erweist sich als absolut unvereinbar mit den Vorgaben eines stoischen oder epikureischen Wirklichkeitsverständnisses. Ich stütze mich für die Interpretation und die Übersetzung hauptsächlich auf Wilckens ( 31997). Zu diesem Ausdruck vgl. Wilckens ( 31997) 82. Dieser Satz bezieht sich auf den Streit zwischen Juden- und Heidenchristen über den richtigen Weg zum göttlichen ›Heil‹. Dazu Wilckens ( 31997) 43 ff. Paulus versteht das ›zuerst (πρ.τον)‹ ausschließlich im zeitlichen Sinn. Die Juden haben kein Monopol auf den Zugang zum in Christus wirksamen ›Heil‹. Vgl. dazu auch Gal. 3, 28 und 1 Kor 12, 13. Wilckens ( 31997) 86 ff. verweist für den religiös konnotierten Begriff »Offenbarung (ποκλυψις)« auf die jüdische apokalyptische Tradition. Zu dieser Formulierung vgl. Wilckens ( 31997) 88 f. Habakuk 2, 4. Paulus versteht seine Rechtfertigungslehre nicht als ›Neuerung‹, sondern als Anknüpfung an das AT. Vgl. dazu Wilckens ( 31997) 89 f. Zur Bedeutung des göttlichen Zorns vgl. Conzelmann (41987) 239 und 281 ff.: ›Zorn‹ nicht als Affekt, sondern als realisierte und antizipierte Gerechtigkeit, die ›jetzt‹ den Heiden Zeit lässt, Gott als den anzuerkennen, der er ist. Im Hintergrund dieses Vorwurfs steht der gemein-antike Gerechtigkeitsbegriff des ›suum cuique tribuere‹. Gottlosigkeit ist Ungerechtigkeit, weil sie Gott vorenthält, was ihm zukommt, nämlich Glauben und Vertrauen. Paulus konkretisiert diesen Vorwurf mit einem umfangreichen Lasterkatalog, der mit jeder Art sexueller ›Unzucht‹ beginnt und mit Mordlust, Streit, Hinterlist, Unbelehrbarkeit, Treulosigkeit und Erbarmungslosigkeit endet (Röm l, 28 – 32). Die juden- und heidenchristliche Gemeinde in Rom ist die einzige unter den Briefadressaten des Paulus, die er nicht selbst missioniert hat. Deshalb stellt er sich ihr vor und informiert sie über seine bevorstehende

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Ankunft. Natürlich ist er dort kein Unbekannter. Zur Intention des Römerbriefs vgl. Wilckens ( 31997) 36 ff., 69 ff. und 85 f. Wilckens (31997) 83 verweist auf den alttestamentarischen Hintergrund der Vorstellung Gottes als ›Kraft‹ und ›Macht‹, die sich in Heilstaten bekundet. ›Heil‹ bedeutet für Paulus Teilhabe am endzeitlichen ›Heil‹, also an der im auferstandenen Christus schon offenbar gewordenen Überwindung des Todes. Die Bestimmung des göttlichen Grundes aller Wirklichkeit als ›höchster Macht‹ etwa bei Platon (Rep. 509 b) oder im Zusammenhang der Stoa (vgl. exemplarisch Text 45) wird von Paulus deutlich anders akzentuiert. Die Normalübersetzung von »Pneuma« mit »Geist« ist missverständlich, aber nicht immer vermeidbar. Paulus hat noch keine ausdrückliche Trintitätstheologie, so dass mit dem ›heiligen Geist‹ nicht die dritte göttliche Person gemeint ist. Sein Geistbegriff ist außerdem weit entfernt vom griechischen Begriff des νο,ς , obwohl er das Wort durchaus, wenn auch nicht besonders häufig, dann aber immer synonym mit πνε,μα verwendet. Das Pneuma Gottes meint seine innerweltlich nicht ableitbare, alles durchdringende ›Wirkungskraft‹. Für die historischen Voraussetzungen dieses Begriffs (Stoa, Medizin, spätantiker Synkretismus, Neuplatonismus) vgl. Gérard Verbeke, ›Geist. II. Pneuma‹, HWPh 3, 157 – 162. Für seine Bedeutung im Judentum und im Neuen Testament vgl. Balthasar Schrott, ›Geist. III‹, HWPh 3, 162 – 169. Paulus knüpft insbesondere an das Buch der Weisheit an. Vgl. dafür Hermann Kleinknecht, Pneuma: Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament 6 (1933), 330 – 357. Vgl. auch Gérard Verbeke, L’Evolution de la doctrine du Pneuma, Louvain / Paris, 1945 und Bultmann (51986) 222 ff. Wilckens ( 31997) 83. Anspielung auf Is 40, 13. Die Bezeichnung Jesu als ›Christus‹ (›der Gesalbte‹) leitet sich ab aus Apg 10, 38. Bei der Taufe im Jordan wird Jesus von Gott ›mit heiligem Geist (Pneuma) und [heiliger] Kraft‹ (δ!ναμις) ›gesalbt‹. ›Christus‹ ist also kein Teil des Namens Jesu, sondern ein Heilstitel. Mit 1 Kor 3, 19 richtet sich Paulus primär gegen ›gnostische‹ Gemeindemitglieder, die sich als vom Geist Gottes erfüllte Pneumatiker den anderen Christen überlegen dünken. Zu beachten ist der heilsökonomi-

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sche Hintergrund der Gegenüberstellung von weltlicher und göttlicher Weisheit. Vgl. 1 Kor 1, 21 ff.: »Denn da die Welt mit aller ihrer Weisheit Gott in seiner ›göttlichen Weisheit‹ nicht erkannte, hat es Gott gefallen, durch die Torheit der Verkündigung die zu retten, die glauben.« Paulus setzt die Dichotomie von ›Fleisch (σρξ)‹ und göttlichem ›Geist (πνε,μα)‹ durchgängig voraus Das innermundane Pneuma ist von daher ›fleischlich‹. Vgl. dafür Conzelmann (41987) 192 ff., insbesondere 198 ff. Vgl. außerdem Erdmann Schott, ›Fleisch‹, HWPh 2, 957. Zur alttestamentarischen Anthropologie, im Blick auf die Paulus seine eigene ausbildet, vgl. Bultmann (51986) 46 ff. ›Rechtfertigung‹ (griechisch δικαιοσ!νη , lateinisch iustitia und iustificatio) meint: ›Herstellung‹ oder besser ›Wiederherstellung‹ des ›Richtigen‹ für das menschliche Leben, das durch die Wirkung der ›Sünde‹ zum Falschen geworden ist. Es geht in der Rechtfertigungslehre nicht um die menschliche Tugend der Gerechtigkeit. Gott ist allerdings insofern gerecht und von daher auch gut, als er die Menschen, die durch eigene Verfehlung die Richtigkeit ihres Lebens verloren haben, von sich aus wieder an das Richtige anbindet. Für eine erste Einführung in die Theologie des Paulus und in seine Rechtfertigungslehre vgl. Conzelmann (41987) 163 ff., insbesondere 222 ff. und 237 ff. Für den Nachweis des angeführten Lutherzitats vgl. den in Bd. I, Anm. 192 genannten Lexikonartikel von Albrecht Peters. Paulus, Röm 7, 18 ff.: »das Gute zu wollen, liegt mir nahe, jedoch es zu vollbringen, nicht. Denn nicht das Gute tue ich, das ich will – ich tue, was ich nicht will, das Schlechte. Wenn ich aber was ich nicht will tue, so bin nicht ich es, der es vollbringt, sondern die Sünde, die in mir wohnt.« Zum Begriff des ›wahren Selbst‹ in platonischer Tradition vgl. Beierwaltes (2001). Paulus, Röm 7, 14: »Wir wissen, dass das [mosaische] Gesetz aus dem Geist [Gottes] ist (4τι > νμος πνευματικς στιν).« Mit dem Begriff des ›inneren Menschen‹ ist angedeutet, dass sich der Mensch aus der Welt des ›Fleisches‹ in sich zurückziehen und sogar ›Lust‹ am Leben aus dem göttlichen Pneuma haben kann. Dennoch bleibt die Wendung nach innen zu schwach, um das erwünschte Ziel

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des guten Lebens zu erreichen. Im Epheserbrief (3, 14 ff.) formuliert Paulus deshalb im Gebet die Bitte, Gott möge die Gläubigen ›an Kraft (δυνμει)‹ stärken, indem er mit seinem Pneuma auf den ›inneren Menschen‹ wirkt. Vgl. damit den anders konzipierten Begriff des ›inneren Menschen‹ bei Plotin, der dafür an Platon anknüpft (vgl. Anm. 403). Zum Begriff des ›inneren Menschen‹ bei Paulus vgl. die Literaturhinweise bei Walter Burkert, Towards Plato and Paul: The »Inner« Human Being (1998), Ders. (2008) 167 – 185, Anm. 2. Vgl. damit die Bedeutung des in sich wesentlich freieren ›Blickens auf‹ im Kontext platonischer Philosophie (vgl. Bd. II, S. 121 und 142 f.). Das Wort νος hat bei Paulus nicht die Bedeutung von νο,ς als höchster Kraft eines eigenständigen, vom Leben im mundus sensibilis freien Denkens, sondern meint lediglich ein Denken und Wollen, das das Gesetz des richtigen Lebens zwar erkennen und wünschen, aber nicht verwirklichen kann. Auch der νο,ς Gottes hat als ›Geist des Herrn‹ (1 Kor 2, 16) nichts mit dem göttlichen νο,ς des griechischen Denkens zu tun, sondern steht für die ›Kraft‹ seines ›Pneuma‹. Paulus, Röm 7, 22 f. Paulus, Röm 7, 24. Paulus, Röm 7, 25 und 8, 1 ff. Festgehalten sei, dass Paulus ›Gesetz‹ und ›Gnade‹ nicht antithetisch miteinander konfrontiert, sondern dass für ihn auch das Leben aus dem Pneuma, das in Christus wirkt, ein Gesetz hat und deshalb als gerecht machende ›Gerechtigkeit‹ und nicht als Willkürinstanz zu verstehen ist. Paulus, Röm 2, 14 ff.: »Wenn nämlich Heiden, die das [mosaische] Gesetz nicht haben, aber von Natur aus (φ!σει) das dem Gesetz Entsprechende tun, so sind diese, obwohl sie das Gesetz nicht haben, sich selbst Gesetz. Sie erweisen nämlich das Werk des Gesetzes als geschrieben in ihren Herzen. Das bezeugt ihr Gewissen (συνε δησις , conscientia) und die gegenseitig einander anklagenden oder auch verteidigenden Gedanken ( λογισμο ).« Vgl. dazu Wilckens ( 31997) 133 ff. (zur Stelle), 138 ff. (zum Begriff des Gewissens) und 142 ff. (zur Rechtfertigungslehre). Nachweise bei Wilckens ( 31997) 96 ff. Auch für diesen Gedanken folgt Paulus, so Wilckens ( 31997) 108 f., ei-

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ner jüdischen Vorgabe, die dem letzten Gebot des Dekalogs (Ex 20, 17: »Du sollst nicht begehren …«) die These entnimmt, die »Begierde (πιθυμ α)« sei zusammen mit dem auf der ersten Gesetzestafel verbotenen Götzendienst die ›Wurzelsünde‹. Vgl. dazu Wilckens ( 31997) 148 ff. Vgl. dafür die Ausführungen Röm 6 zum Sakrament der Taufe. Röm 5, 5. Der Kontext ab 5, 1 ist zu beachten, weil dort der für Paulus zentrale Gedanken der Einheit von Glaube, Hoffnung und Liebe angedeutet ist. Vgl. dazu Eph 3, 16 ff. Hier wird das Telos des menschlichen Lebens bezeichnenderweise als Bitte festgehalten: Gott »möge euch verleihen […], dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne. Möget ihr, in der Liebe festgewurzelt und gegründet (ν γπ) ρριζομνοι καI τεθεμελιωμνοι), fähig werden, mit allen Geheiligten die Breite und Länge, die Höhe und Tiefe der Liebe Christi zu begreifen (καταλαμβνειν) und sie zu erkennen (γν.ναι), die erhaben ist über alle Erkenntnis (*περβλλουσαν τAς γν(σεως), damit ihr die ganze Gottesfülle mit ihrem Reichtum in euch erfahret ( bνα πληρωθAτε ε#ς π2ν τ πλρωμα το, θεο,).« Vgl. dafür 1 Kor 13. Zu diesem Begriff vgl. Röm 3, 27: »Wo also bleibt das Rühmen? Es ist ausgeschlossen!« und 1 Kor 1, 29: »vor Gott soll sich kein Sterblicher rühmen.« Vgl. dazu Conzelmann (41987) 264 ff. und 268 ff. Pausanias I 17, 1. Vgl. damit auch die bei Fiedrowicz (2004) 23 angeführten Belege für die Bewertung der christlichen Religion als superstitio (Plinius, epist. X 96, 8, Tacitus, Annales XV 44, 3 und Sueton, Nero 16, 2). Vgl. dazu die Belege bei Fiedrowicz (2004) 41 ff. Ich nenne davon nur den in Kleinasien einflussreichen Redner Aristides (ca. 117 – 187), oratio 3, 671 f., der den Christen vorwirft, sie hätten sich ›von den Griechen‹ und damit ›von allem, was besser ist‹, abgesetzt und seien deshalb ›völlig unfähig, an den Aufgaben der Allgemeinheit mitzuwirken‹, wohl aber geschickt darin, ›die Hausgemeinschaft … in Unordnung zu bringen und ihre Mitglieder gegeneinander aufzuhetzen‹. Die Voraussetzung nicht nur des Aristides ist: Nur aus der Verbindung mit dem in Wahrheit

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Guten entsteht dauerhaft das gute Leben, während die Abkehr vom Guten als Ursache einer Lebenszerstörung wirkt, die bis in das private Leben der ›Hauses‹ hineinreicht. Der nicht überlieferte Text des »Wahren Logos« ist nur durch die um 250 entstandene Gegenschrift des Origenes Contra Celsum rekonstruierbar. Das Zitat ist Contra Celsum I 14: ρχα$ος νωθεν λγος. Origenes, Contra Celsum I 23. Zum Konzept ›sprachloser‹ Uroffenbarung vgl. S. 243 f. (Tertullian) und 250 ff. Dafür ist besonders an Philon, Vita Mosis und Flavius Josephus, Contra Apionem 2, 1, 40 f. zu denken. In der christlichen Apologetik wird dieser Gedanke breit rezipiert. Nur der Seele, die sich durch dialektische Übung und sittliches Leben gereinigt hat, gelingt eine begriffliche Vorstellung (π νοια) des ›ersten unnennbaren Seins‹ (Origenes, Contra Celsum VII 42). Als das ›Jenseits von allem‹ ist es nur durch eine undefinierbare geistige Kraft erkennbar (ρρτY δυνμει νοητς), die der δινοια und der νησις überlegen ist (ebd. VII 45). Kelsos argumentiert auf der Grundlage ›mittelplatonischer‹ Philosophie. Vgl. dafür Heinrich Dörrie, Die platonische Theologie des Kelsos in ihrer Auseinandersetzung mit der christlichen Theologie aufgrund von Origenes C. Celsum 7 (1967), in: Ders. (1976) 229 – 262. Zu Justin Martyr vgl. S. 256 ff. Der aus Syrien stammende Tatian ist in Rom von Justin zum Christentum bekehrt worden. Seine Lebensdaten sind nicht bekannt. Seine Oratio ad Graecos betont den zeitlichen und qualitativen Vorrang der mosaischen Schriften gegenüber griechischer Philosophie und Dichtung, die anders als bei Justin keinen Anteil am göttlichen Logos hat und deshalb auch kein in sich gefestigtes moralisches Leben begründen kann. Der Terminus ›praescriptio‹ wird nach der von Jean-Claude Fredouille (Tertullien et la conversion de la culture antique, Paris 1972) angestoßenen Diskussion nicht mehr ausschließlich im Sinne des römischen Prozessrechts als generelle Abweisung von Rechtsansprüchen, sondern im Blick auf seine Verwendung bei Tertullian auch als logisch-dialektischer Begriff im Sinne von ›Prinzip‹ oder ›Definition‹ aufgefasst. Inhaltlich

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geht es aber in einer Apologie, die zum rhetorischen genus iudiciale gehört, um die Rechtmäßigkeit von Besitzansprüchen, in diesem Fall um Wahrheitsansprüche. Für das römische Privatrecht ist der rechtmäßige Besitzer eines Gutes derjenige, dem es zuerst anvertraut worden ist (erste praescriptio im Sinne von ›Definition‹), aber nur unter der weiteren Voraussetzung (zweite praescriptio in demselben Sinn), dass er es unverändert bewahrt hat. Da den Häretikern das Gut der Wahrheit nicht zuerst mitgeteilt worden ist, kann ihr Anspruch auf Wahrheitsbesitz abgewiesen werden, ohne ihre Behauptungen im Einzelnen prüfen zu müssen. Von daher ist die prozessrechtliche Bedeutung dieses Begriffs die primäre. Vgl. dazu Schleyer (2002) 105 ff. Übersetzung Dietrich Schleyer. Tertullian hatte unmittelbar zuvor (6, 2) die vom Gnostiker Apelles, dem wichtigsten Schüler des Markion, eingeführte ›Häresie‹ als solche charakterisiert. Weitere gnostische ›Irrlehren‹ werden im weiteren Verlauf des Textes genannt. Die Einfügung der Stellen aus dem NT, hauptsächlich den Paulusbriefen, entnehme ich Tertullian (ed. 2002). Anspielung auf die Rhetorik. Tertullian erklärt den Begriff ›Häresie‹ (6, 2) als willkürliche »Auswahl« aus dem Ganzen einer vorgegebenen Wahrheit, die fälschlicherweise für das Ganze ausgegeben wird. Wichtiger Vertreter der alexandrinischen Gnosis. Zusammenfassend zu seiner Lehre Schleyer (2002) 15 ff. Eine vage Anspielung auf die Ideenlehre Platons. Anspielung auf die Dreiteilung der menschlichen Seele bei Platon. Vgl. dazu ausführlicher: Tertullian, De anima 16, 3 ff. Der wohl wichtigste Konkurrent der frühen christlichen Kirche. Vgl. dazu Schleyer (2002) 40 ff. Der Gott der Stoiker ist in Wirklichkeit durch ein Höchstmaß an Bewegung charakterisiert. ›Ruhe‹ ist für die späte Stoa ein ethisches Ideal. Vgl. dafür z. B. Seneca, De tranquillitate animi. D.h. alle philosophischen Schulen sind sich darin einig, dass es keine Auferstehung der Toten gibt. Zur besonderen Bedeutung dieser Lehre für die Auseinandersetzung mit griechischer Philosophie vgl. den Hinweis auf die Areopagrede des Paulus in der Anm. 553.

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Vgl. dazu Schleyer (2002) 18 f. Man erkennt in der Valentinus zugeschriebenen Formel den Grundansatz der Gnosis, die den ersten ›überweltlichen‹ Gott von einem zweiten unterscheidet, der weder gut noch autark ist und von daher ein ›Verlangen‹ nach einem konkreten Bild seiner selbst hat, so dass er als ›Fehlgeburt‹ des wahren Gottes nur ein Gleiches, nämlich die in sich gottlose Welt aus sich hervorbringen kann. Vgl. dazu S. 183 mit Anm. 446 und das Plotinzitat in Anm. 396. Die ›Säulenhalle (Stoa)‹ Salomons steht der ›Bunten Säulenhalle‹ gegenüber, in der Zenon als philosophischer Lehrer aufgetreten war. Vgl. Tertullian, De anima 3, 1. Vgl. Tertullian, praescr. 1 (1): »Wir dürfen uns nicht über […] Häresien verwundern, sei es darüber, dass sie existieren […]., sei es darüber, dass sie den Glauben einiger untergraben; denn dazu sind sie da, dass der Glaube durch die Erfahrung einer Versuchung […] eine Prüfung erfahre.« Die Abschnitte 1 – 6 von De praescr. sind ausschließlich diesem Thema gewidmet. Vgl. dazu Tertullian, an. 2, 1. Tertullian charakterisiert sie als Elementaräußerungen einer Seele, die nicht ›in Schulen herangebildet, in Bibliotheken bewandert ist oder sich in attischen Akademien und Säulengängen gemästet hat‹, sondern so ›einfach geschliffen, ungebildet und ohne Kenntnisse ist‹, wie das für eine Seele zutrifft, die ›von der Gasse, den Straßenkreuzungen und der Werkstätte herkommt‹ (De testimonio animae 1, 6). Tertullian, test. an. 5, 5. Es handelt sich um Ausdrücke, die »so leicht und normal und so nahe liegend sind, dass sie gleichsam von selbst auf den Lippen entstehen« und deshalb durch ihre Kunstlosigkeit anzeigen, dass sie der Zeit der Oralität angehören. Vgl. dazu ebd. 5, 4. Tertullians Differenz zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit ist in der Stoa vorgebildet. Vgl. exemplarisch Cicero, fin. V 55. Tertullian, test. an. 2, 1 f.: »Wir hören dich auch in aller Freiheit […] privat und öffentlich aussprechen: ›Gott möge es gewähren‹, ›Wenn Gott will‹. Durch jene Äußerung deutest du erstens an, dass es einen Gott gibt, und zweitens erkennst du an, dass er alle Macht besitzt, auf dessen Willen du Rücksicht nimmst; leugnest zugleich auch, dass die anderen Götter sind, indem du jene Wesen mit ihren Eigennamen

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benennst: Saturn, Jupiter, Mars, Minerva. Damit bestätigst du nämlich, dass er der alleinige Gott ist, den du als Gott schlechthin bezeichnest. […] Auch die Beschaffenheit des Gottes, den wir verkünden, ist dir nicht verborgen: ›Gott ist gut‹, ›Gott tut wohl‹, lautet eine Äußerung von dir.« Man achte auf die von Paulus geforderte Einheit von Gotteserkenntnis und -verehrung (Röm 1, 20 f.: Text 67), die in dieser Formel zum Ausdruck kommt. Unter dem Titel der Einheit von φιλοσοφ α, ε1σβεια und δικαιοσ!νη werden wir auf sie noch genauer zu sprechen kommen. Vgl. Tertullian, test. an. 3, 2: »Schließlich rufst du laut ›Satan‹ bei jeder Quälerei.« Vgl. Tertullian, test.an. 2, 2. Vgl. Tertullian, test. an. 5, 3. Vgl. damit die Kritik des Wissens bei Paulus, 1 Kor 8, 1: »… Erkenntnis bläst auf, während allein die Liebe aufbaut.« Vgl. Tertullian, an. 2, 2. Vgl. dazu Tertullian, Apol. 19, 2 f. Moses (vgl. ebd. 18, 2) ist der Älteste unter den Männern, »die durch ihre makellose Gerechtigkeit würdig waren, Gott zu erkennen und zu offenbaren und von Urbeginn an (a primordio) in die Welt gesandt worden sind, damit sie, vom göttlichen Geist erfüllt, verkündeten, es gebe den einen Gott, der das All erschaffen, den Menschen aus Lehm gebildet, … den Weltlauf … geordnet«, »Zeichen seiner richterlichen Herrlichkeit« gegeben, »Gebote … zur Erwerbung seiner Gunst erlassen« und für »ihre Missachtung« »Strafe« sowie für ihre »Befolgung« Lohn »festgesetzt hat.« Vgl. dazu ausdrücklich Tertullian, test. an. 1, 3 f. Das hat allenfalls bei Zenon und Kleanthes noch halbwegs respektable Folgen. Vgl. dafür Tertullian, Apol. 21, 10. Die Irrtümer griechischer Philosophie, die Tertullian (Apol. 47, 6 f.) nach dem Vorbild der Skepsis zu einer Fehlerliste zusammenstellt, belegt, dass er selbst den prinzipientheoretischen Ansatz der Stoiker, denen er in anderer Hinsicht nahe steht (Begriff der Seele, ›sensus publicus‹, ›einfache Wahrheit‹) nicht verstanden hat. Gott hat für die Stoa seinen ›natürlichen‹ Ort nicht ›außerhalb der Welt‹, von dem aus er ›wie ein Töpfer diese Weltenmasse … in Schwung setzt‹. Ebenso wenig verorten die Platoniker Gott

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›innerhalb der Welt‹, so dass er »einem Steuermann vergleichbar im Innern dessen weile, was er lenke.« Tertullians Kritik des griechischen Wissens ›bedient‹ sich des Verfahrens der elementatio. Er nimmt das Streben nach Gutem in der Erweiterung des Strebens nach Wissen auf und umschreibt es dann mit den Titeln curiositas und inquisitio. In ›Griechenland‹ verbindet sich damit das Streben nach ›Ruhm und rhetorischem Glanz‹ und erzeugt so das Laster der superbia, das den Zusammenhang des Guten zerstört. Tertullian knüpft für seine Kritik des griechischen Wissens an die paulinische Verurteilung der superbia an, die dort schon das peccatum originale darstellt (κα!χησις , vgl. dazu S. 220). Bei einem Autor, der seine eigenen Texte ohne jede Hemmung mit allen rhetorischen Finessen ausstattet, die er griechisch geprägter Bildung verdankt, ist diese Kritik durchaus hintergründig. Die Künstlichkeit des griechischen Wissens über das Wesen Gottes zeigt sich daran, dass, rhetorisch gesprochen, die inventio nicht kontinuierlich in die elocutio übergeht. »Nachdem Gott nur gefunden worden war«, konnten die Griechen über ihn nicht so sprechen, »wie sie ihn gefunden hatten« (Apol. 47, 5). Vgl. damit die Parallele Tertullian, an. 2, 4: »Und wenn es schließlich glaubwürdig ist, dass, wer nach Weisheit forschte, aus Neugierde auch zu den Propheten selbst gegangen ist, so wirst du unter den Philosophen mehr Uneinigkeit als Übereinstimmung finden, weil sogar dann, wenn sie übereinstimmen, ihre Verschiedenheit auffällt, da sie ja alles, was wahr ist und mit den Propheten übereinstimmt, entweder mit anderen Argumenten annehmlich machen oder, um eine andere Sache zu beweisen, entsprechend zurechtstutzen, zum großen Schaden für die Wahrheit.« Vgl. dazu ebd. 2, 5 sowie mit Berufung auf Apg 17, 16 ff. ebd. 3, 1. Vgl. Tertullian, test. an. 3, 2. Vgl. Tertullian, Apol. 21, 10. Vgl. Tertullian, an. 16, 3. Vgl. Tertullian, Apol. 21, 11: »Auch wir bezeichnen [wie die 21, 10 genannten Stoiker Zenon und Kleanthes] die Substanz, die der Sprache (sermo) und der Vernunft (ratio) und ebenso der Kraft (virtus) eigen ist, wodurch

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[…] Gott alles zusammengefügt hat, als Geist, dem Sprache innewohnt beim Verkünden, Vernunft beim Ordnen und Kraft beim Vollbringen. Dieser ist […] aus Gott hervorgebracht und im Hervorbringen gezeugt worden und wird deshalb Sohn Gottes genannt kraft der Einheit ihres Wesens; denn auch Gott ist Geist.« Vgl. Tertullian, Apol. 21, 12 – 14: »Unversehrt und ungemindert bleibt die Ausgangssubstanz, auch wenn man mehrere Ableitungen ihrer Art daraus gewinnt. So ist auch, was von Gott ausgegangen ist, Gott und Gottes Sohn und beide sind eins; so hat der Geist vom Geiste und der Gott vom Gotte […] diese Mehrzahl […] nicht seinem Wesen nach entstehen lassen und ist vom Urgrund nicht fort-, sondern daraus hervorgegangen. Dieser Strahl Gottes ist […] in eine Jungfrau herabgeglitten, und, in ihrem Leibe Fleisch geworden, wird er geboren als ein Mensch, der mit Gott vereinigt ist. Das Fleisch, vom Geist durchdrungen, kräftigt sich, wächst heran, spricht, lehrt, wirkt und ist Christus.« Tertullian, test. an. 1, 2: »nihil … aut novum aut portentosum.« Seneca, epist. 89, 5. Seneca, epist. 89, 8. Seneca, epist. 90, 3. Vgl. damit auch epist. 95, 47: »deum colit qui novit« mit ausdrücklicher Kritik an jeder nur äußerlichen Gottesverehrung. Für einen ähnlichen Gedanken vgl. Marc Aurel III 13: Es gilt, »die göttlichen und menschlichen Dinge zu begreifen und auch das Kleinste ganz und gar zu tun wie jemand, der sich der Verkettung beider bewusst ist. Denn du wirst weder etwas Menschliches gut ausführen, ohne den Bezug zum Göttlichen zu berücksichtigen, noch umgekehrt.« Vgl. dafür die Zielbestimmung der Philosophie bei Platon, Theaet. 176 b. ›Verähnlichung mit Gott‹ setzt die Einheit von Einsicht, Frömmigkeit und Gerechtigkeit voraus. Vgl. dazu Bd. II, S. 147. Es klingt für unsere Ohren fast christlich, wenn Platon hinzufügt, dass derjenige, dem ›wahre Weisheit und Tugend‹ entgehen, die Strafe der Ungerechtigkeit an sich selbst erleidet, so dass er ›als Schlechter im Schlechten‹ leben muss und den ›von allen Übeln gereinigten Ort‹ nicht betreten darf. Zur Einheit von ›richtiger‹ Gottesvorstellung und ›gerechter‹ Gottesverehrung bei Epikur vgl. Anm. 169 und 174. Vgl. de Vogel (1970) 3 – 24.

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Ich zitiere nach Dion von Prusa (ed. 2000). Alle wichtigen Informationen zum Autor, Titel und zur religionsphilosophischen Bedeutung dieser Rede sind der Einleitung, dem Kommentar und dem interpretierenden Zusatzbeitrag des Herausgebers Hans-Josef Klauck sowie dem Kommentar Willy Theilers in Poseidonios (ed. 1982) Bd. II zu entnehmen. Für das Argument, um das es in der vorliegenden Darstellung geht, spielt die philologisch korrekte Bestimmung der Quelle Dions nur eine untergeordnete Rolle. Vgl. dazu die Bemerkungen des Hrsg. in Dion von Prusa (ed. 2000) 123, Anm. 128. Der Einfachheit halber folge ich der Einschätzung Theilers und spreche vom Mythos des Poseidonios. Dass er ohne Zweifel ältere Voraussetzungen hat, wird nicht zuletzt an Platon deutlich, der im theologisch konnotierten Wissen der Uralten ein Richtigkeitsmaß für sein eigenes Denken gesehen hat. Vgl. dafür nur Platon, Phil. 16 c. Übersetzung nach Hans-Josef Klauck. Der eingeklammerte Satz (zumal … war) ist philologisch umstritten. Man findet eine Parallelformulierung zu diesem Gedanken, an der noch greifbarer wird, dass er stoische Erkenntnistheorie voraussetzt, bei Epiktet, I 14, 5 – 8: »Aber wenn die Seelen … so sehr mit Gott verbunden und verknüpft (συναφε$ς τ' θε') sind, dass sie Teile (μρια) und Stücke (ποσπσματα) von ihm sind«, ›dann kannst du‹ »über das göttliche Walten und alle göttlichen Dinge (περI τAς θε ας διοικσεως καI περI Nκστων τ.ν θε ων πραγμτων) und zugleich über die menschlichen Dinge nachdenken und zugleich aufgrund deiner Wahrnehmung und Vernunft mit Zustimmung (συγκαταθετικ.ς), aber auch mit Ablehnung (Fνανευστικ.ς) oder Zurückhaltung (φεκτικ.ς) auf zahllose Dinge reagieren, und du bewahrst so viele Eindrücke (τ!πους) von so vielen und so mannigfaltigen Dingen (πργματα) in deiner Seele und kommst von ihnen angeregt auf Gedanken, die den ursprünglich gewonnenen Eindrücken entsprechen.« Vgl. dafür auch Cicero, nat. deor. II 86. Man erkennt in dieser Formulierung die ›matriarchalische‹ Variante des Mythos vom Goldenen Zeitalter. Eine untheologisch-materialistische Variante davon ist bei Lukrez V 795 ff. zu finden. Vgl. das Seneca-Zitat in der Anm. 639.

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Dion, or. 12, 60 = (ed. 2000) 91 = Poseidonios, frg 369, ed. Theiler): »Aufgrund des inneren Drangs zum Göttlichen beseelt alle Menschen das heftige Verlangen, die Gottheit aus der Nähe zu ehren und ihr zu dienen; sie möchten zu ihr hinzutreten, sie flehend berühren, ihr opfern und Kränze aufs Haupt setzen können.« So die charakteristische Formulierung bei Plinius, Hist. nat. II, 5, 14 f. Dion, or. 12, 47; (ed. 2000) 81. Überliefert bei Strabo XVI, 2, 35 (= Poseidonios (ed. 1982), frg 133, ed. Theiler). Vgl. dazu auch Bd. II, S. 194 ff. Zu diesem Motiv, das zum Konzept politisch-rhetorischer Vernunft gehört, vgl. Bd. I, S. 127 f., 149 mit Anm. 276, S. 157 und Text 20 (2). Strabo nennt dafür Speiseverbote und die Anordnung von ›Verstümmelungen‹ der Geschlechtsorgane (Beschneidung). Strabo XVI 2, 36 f. Vgl. damit die in der Anm. 592 in Bezug auf Aristides festgehaltene Gedankenfigur. Justin ist in der nahe bei der alten Stadt Sichem gelegenen Neugründung Vespasians, der Flavia Neapolis (Nablus), geboren und in einer vom ›Mittelplatonismus‹ geprägten Wissenskultur aufgewachsen. Vgl. dafür Munier (2006) 12 ff. Justin, Dialogus cum Tryphone 2, 1: μγιστον κτAμα καI τιμι(τατον θε'. Die folgenden Zitate sind diesem Text entnommen. Vgl. damit Tertullian, Apol. 19, 3: ›homines spiritu divino inundati‹, zitiert in der Anm. 625. Vgl. dazu Justin, dial. 2, 1: die Philosophie führt uns zu Gott und verbindet uns mit ihm. Ebd. 2, 6: Platon bezeichnet das Anschauen Gottes (κατψεσθαι τν θεν) als das Telos der Philosophie. Zum Konzept der Heilsgeschichte bei Justin vgl. Munier (2006) 67 ff. mit Literaturhinweisen. Vgl. damit Parmenides, VS 28 B 1, 11 f. (Text 4). Justin, dial. 7, 3. Ebd. 4, 1 wird diese These als quaestio formuliert: Verfügt die Vernunft (νο,ς) des Menschen aus sich über die Kraft (δ!ναμις), Gott zu schauen, oder kann sie das nur ›mit Hilfe des heiligen Geistes (Fγ Y πνε!ματι κεκοσμνος)‹? Anspielung auf das Sonnengleichnis: Platon, Rep. insbes. 509 b. Anspielung auf Platon, Phaedr. 247 c.

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Anspielung auf Platon, Tim. 28 c und Ep. VII 341 c – d. Anspielung auf Platon, Symp. 210 e – 211 a. Die Stellen sind in der Ausgabe Justin (ed. 2003) nachgewiesen. Justin (ed. 2006) Apol. I 23, 1 f. Die beiden paraphrasierten Sätze sind auf der strukturellen Ebene vom Begriff des Kontinuums als dynamischer Wirkungsform des Guten bestimmt. Es geht von Gott, dem Vater, aus und verläuft über den Sohn, seine Inkarnation, seine Lehre und ihre Wirkung bis hin zu den Menschen, die dadurch wieder mit dem göttlichen Anfang aller Wirklichkeit verbunden werden. Als ›translatio sapientiae‹ verläuft dasselbe Kontinuum von Gott über das AT zur Lehre Christi im NT. Für dieselbe Gedankenfigur bei Tertullian vgl. das Zitat in der Anm. 635. Vgl. Platon, Rep. 473 c – d und Ep. VII 326 b (vgl. Text 29). Justin, Apol. I 3. Justin, Apol. II 10, 8. Vgl. ebd. I 60, 11. Zur Logoslehre Justins vgl. die Literaturhinweise Justin (ed. 2006) 101 ff. Vgl. insbes. Justin, Apol. II 5 (6), 3: Der Logos, der vor aller Schöpfung geworden und mit Gott verbunden ist, mit ebd. II 10, 8: Christus als Logos, der in dem Ganzen ist. An ihm hat das gesamte Menschengeschlecht durch die Schöpfung Anteil (ebd. I 46 2). Hinter der stoisierenden Umdeutung der jüdisch-christlichen Schöpfungslehre steht der Prolog zum Vierten Evangelium, so dass der Begriff des Anfangs auch von daher das im göttlichen Grund der Welt a priori wirkende Vernunftprinzip bezeichnet. Vgl. Justin, Apol. I 59, 1: ›Moses, der erste der Propheten, älter als alle Schriftsteller Griechenlands, verkündet unter dem Einfluss des prophetischen Geistes, wie der Anfang beschaffen ist, von dem her Gott die Welt geschaffen hat‹. Justin kennt wie später auch Tertullian die doppelte Offenbarung durch die Natur und die Heilige Schrift. Vgl. Justin, Apol. II 7 (8), 1: Wegen der »dem gesamten Menschengeschlecht eingepflanzten Zeugungskraft des Logos« können die Stoiker beispielsweise eine glaubwürdige Ethik und die Mythendichter teilweise richtige Vorstellungen von Gott entwickeln. Vgl. dazu Justin, Apol. I 59 – 60. Justin, Apol. I 60, 5 .

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Vgl. Justin, Apol. II 10, 1 – 3. Justin, Apol. I 46, 2 f. Justin, Apol. I 5, 3. Für das Bild Gottes als des Protophilosophen und das des jüdischen als des philosophischen Volkes folgt Philon jüdisch-hellenistischen Vorgaben. Vgl. dafür die Nachweise bei Hengel ( 31988) 162 ff. und 295 ff. Hengel macht auch deutlich, dass hinter diesen Bildern die ›theokratische‹ Alternative zur griechischen und römischen Welt steht. Philon, De decalogo 97. Diogenes Laertius weist mit der These vom ›barbarischen‹ Ursprung der Philosophie (Perser, Magier, Babylonier, Assyrer, Chaldäer, indische Gymnosophisten, Ägypter, Kelten etc.) zugleich ihr Verständnis als einer göttlichen und deshalb Priestern und Propheten vorbehaltenen Angelegenheit zurück (DL I 1). Die Unterscheidung des Pythagoras zwischen göttlicher Weisheit und dem menschlichen Streben nach ihr (DL I 12) löst die für die ›Barbaren‹ verbindliche Einheit von menschlicher und göttlicher Natur auf und begründet damit erst das spezifisch menschliche Leben (DL I 3). Die christliche Apologetik entwickelt dagegen das Bild von der freiwilligen Unterwerfung des Pythagoras unter die ›barbarische‹ Weisheit. Er konnte sie nur dadurch auf die griechische Welt übertragen (Origenes, Contra Celsum 1, 15), dass er, um Zutritt zum Kreis der ägyptischen Priester zu erhalten, die ihre Theologie als Geheimwissen gehütet haben, sich der Beschneidung unterzogen und damit ein ›jüdisches‹ Leben geführt hat (vgl. Clemens Alexandrinus, Strom. I 15, 66, 2). Für Philons These von der Überlegenheit jüdischer über die griechische ›Weisheit‹ notiere ich nur die folgenden, von Hengel (s. Anm. 680) übernommenen Belege: De virtutibus 65: »denn das, was die Schüler der angesehensten Philosophie durch ihre Lehre lernen, erhalten die Juden durch ihre Gesetze und Gewohnheiten, nämlich das sicher begründete Wissen von der höchsten und ältesten Ursache aller Dinge.« De opificio mundi 8: »Es gibt einige, die den Kosmos mehr als dessen Schöpfer bewundern und deshalb behaupten, die Welt sei ohne Anfang und Ende, während sie fälschlicherweise Gott vollständige Untätigkeit (πραξ α) unterstellen.« Moses hat als von Gott belehrter Philosoph

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die Unterscheidungen zwischen Schöpfer und Geschaffenem, ›Sein‹ und ›Werden‹, Denkbarem und Sichtbarem eingeführt (ebd. 12), die von der griechischen Philosophie erst viel später (Platon und die Stoiker) aufgenommen werden. Zu den »Juden als Philosophen« nach den bis auf das Ende des 4. Jh. v. Chr. zurückgehenden »griechischen Zeugnissen« vgl. Hengel ( 31988) 464 ff. Die im Folgenden angeführten Belege für eine Ägyptenreise Platons (vgl. DL III 6) entnehme ich Heinrich Dörrie, Platons Reisen zu fernen Völkern. Zur Geschichte eines Motivs der Platon-Legende und zu seiner Neuwendung bei Laktanz, in: Romanitas et Christianitas. Festschrift Jan Hendrik Waszink, Amsterdam / London 1973, 99 – 118. Apuleius, De Platone 1, 3 nennt als Reisezweck: Einführung in die Astrologie und in den prophetarum ritus. Strabo (XVII 1, 29) hat sich die Studierstuben Platons und des Astronomen Eudoxos von ägyptischen Priestern zeigen lassen und so von einem 13jährigen Aufenthalt Platons in Ägypten erfahren. Dafür steht vor allem der ›Bericht‹ des jüdischen, mit griechischer Bildung vertrauten Philosophen Aristobulos (ca. 170 v. Chr.) über eine lange vor der Septuaginta erstellte Übersetzung der mosaischen Schriften ins Griechische, von der sich Pythagoras und Platon hätten inspirieren lassen. Vgl. dazu Clemens Alexandrinus, Strom. I 150, 1 – 3, Eusebius, Praep. evang. XIII 12, 1 und Ps.-Justin, Ad Graecos 14, 2. Der ›Mittelplatoniker‹ Numenios hat Platon als attisch sprechenden Moses bezeichnet und damit dessen Schülerschaft beim Protopropheten des Alten Testaments vorausgesetzt. Jüdische Weisheit konnte auf diese Weise in einer Weltsprache verbreitet werden. (= Numenios, frg 10 Leemans). Vgl. dazu auch Clemens, Strom. I 150, 1 und Eusebius, Praep. evang. IX 7. Man kann die wichtigsten Nachweise für diese Vorwürfe in der Anm. 684 genannten Arbeit von Heinrich Dörrie finden. Ich nenne nur Ps.Justin, Ad Graecos 20, 1 f.: »Platon … übernahm die Lehre des Moses … über den einen und alleinigen Gott, die er bei seinem Aufenthalt in Ägypten kennen gelernt hatte«, aber »aufgrund dessen, was Sokrates widerfahren war, fürchtete er, auch er könnte einen Anytos oder Meletos gegen sich aufbringen«, und richtete deshalb »den Dialog über die Götter [das ist der Timaios] … sprachlich so ein, dass die Götter darin für diejenigen, die es wollen, existieren und für diejenigen, die

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anderer Auffassung sind, nicht existieren.« Zu Platon als Plagiator vgl. Clemens Alexandrinus, Protr. VI 70, 1. Den Vorwurf der Entstellung des Übernommenen findet man z. B. bei Justin, Apol. I 60 und Origenes, Contra Celsum IV 39, 7. Clemens, Strom. I 18, 1 und 4. Vgl. auch Strom. I 56, 3 und VII 110, 4 – 111, 3 für das Bild des Gärtners. Saatkrähen, die Samenkörner wahllos aufpicken, und Diebe, die die Früchte eines Gartens nur stehlen wollen, stehen metaphorisch für den schlechten Leser der überlieferten philosophischen und religiösen Texte. Für eine genauere Charakterisierung der literarischen Eigenart der Teppiche vgl. Wyrwa (1983) 24 ff. Für die Bezugnahme des Clemens auf Platon, die Tradition des Platonismus und deren Bedeutung für das Konzept christlicher ›Gnosis‹ vgl. Salvatore Romano Clemente Lilla, Clement of Alexandria. A Study in Christian Platonism and Gnosticism, Oxford 1971. In der Auseinandersetzung des Origenes (185 – 254) mit Kelsos wird um die Mitte des 3. Jh. fortgesetzt und intensiviert, wofür Clemens in seiner Auseinandersetzung mit Platon den Grund gelegt hat. In seiner Schrift De principiis hat Origenes ein platonisch geprägtes, aber mit dem zeitgenössischen Platonismus auch konkurrierendes Konzept philosophisch-theologischer Prinzipienreflexion entworfen, das vor allem in der Bibelexegese zur Wirkung kommen sollte. Vgl. dafür Henry Chadwick, Early Christian Thought and the Classical Tradition. Studies in Justin, Clement, and Origen, Oxford 1966. Vgl. dazu Clemens, Strom. I 35, 2. Vgl. dazu Clemens, Strom. I 20, 1 f.; 39, 5; 177, 1 ff.; 179, 4. Clemens, Strom. I 30, 1. Übersetzung nach Otto Stählin Anspielung auf Euripides, Die Bakchen. Anspielung auf Jo 1, 9. Anspielung auf Platon, Tim. 37 d ff. Anspielung auf den Harmoniebegriff Heraklits. Anspielung auf den Begriff des Kosmos als ›Einheit des Gegensätzlichen‹ bei Heraklit. Vgl. dafür Bd. I, S. 63 ff. Vgl. damit die Telosbestimmung der Philosophie, die Justin, dial. 2, 6 im Blick auf Platon notiert.

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Vgl. damit Clemens, Strom. VI 56, 1 f.: »… Eigenliebe ist … für jedermann jederzeit die Ursache aller Verfehlungen. Deshalb darf man nicht den Ruhm vor Menschen erstreben und selbstsüchtig sein.« Zur selbstsüchtigen Prahlerei der Griechen vgl. ebd. I 87, 7. Vgl. dafür Clemens, Strom. I 43, 1 und I 18, 2 f. Vgl. Clemens, Protr. I 10, 2 f. mit Berufung auf Jo 10, 9 und Mt 11, 27. Vgl. damit auch den in der Anm. 662 nachgewiesenen Satz des Justinus. Vgl. Clemens, Strom. I 52, 2: = κατ? τ5ν θε αν παρδοσιν φιλοσοφ α.

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Vgl. Clemens, Strom. I 52, 3: μχρι τ.ν κατ? μρος. Vgl. Clemens, Strom. I 52, 1 mit Zitat Kol 2, 6 f. Clemens versteht die στοιχε$α το, κσμου aus dem Kolosserbrief des Paulus (Kol 2, 8) ›aristotelisch‹ als materielle Prinzipien im Sinne der ›vorsokratischen‹ Philosophie. Paulus selbst konnte diesen Zusammenhang überhaupt nicht im Blick haben, sondern meinte damit dämonische Kräfte, die ähnlich wie in der Gnosis innerhalb der ›Welt‹ auftreten, um die Menschen von ihrem göttlichen Ursprung abzuschneiden. Ich folge dafür Wyrwa (1983) 50 mit Anm. 24. Vgl. Clemens, Strom. I 52, 4. Clemens spricht davon, dass das, was als Prinzip gesetzt wird, als das Erste im Seienden die ihm entsprechende Verehrung genießt: στοιχε$α σβουσιν. Vgl. Clemens, Strom. I 52, 3. Dass Clemens auf Platon, Theaet. 176 a mit signifikanter Regelmäßigkeit Bezug nimmt, lässt sich leicht anhand des Registers in Clemens Alexandrinus (ed. 1936) oder im Blick auf den Stellenindex bei Wyrwa (1983) 355 nachvollziehen. Clemens, Protr. I 6, 4 mit Anspielung auf Eph 1, 4. Clemens, Protr. I 7, 3. Clemens, Protr. I 6, 4: ρχ5 θε$α τ.ν πντων. In der Formulierung ›war und ist‹ kommt der Charakter der ›Ewigkeit‹ zum Ausdruck, die alle besonderen Einheiten der Zeit in sich zu zeitfreier Einheit zusammenfasst. Clemens, Protr. I 7, 3. Clemens, Protr. I 6, 4: »[…] wir aber waren vor der Grundlegung der Welt, wir, die wir, weil wir in ihm zu sein (;σεσθαι ν α1τ') bestimmt waren, für Gott schon zuvor geschaffen waren, wir, des göttlichen Lo-

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gos vernünftige Geschöpfe ( λογικ? πλσματα), die wir durch ihn uralt sind (ρχαι8 ζομεν); denn ›Im Anfang war das Wort‹.« Vgl. damit ebd. I 7, 1: »Dieser Logos, also der Christus, ist Ursache seit alters (denn er war in Gott) für unser Sein und Wohlsein (εW εJναι).« Clemens, Protr. I 6, 5. Clemens, Protr. I 7, 3. Clemens, Protr. I 7, 1. Clemens, Protr. I 8, 4. Dieser Gedanke ist deswegen wichtig, weil sich von ihm her entscheidet, ob die doctrina christiana der theologia naturalis oder der theologia poetica zuzuordnen ist. Vgl. dazu Clemens, Strom. I 52, 2: »[…] denn die auf göttlicher Überlieferung begründete Philosophie erkennt die Lehre von der göttlichen Fürsorge (πρνοια) an und bekräftigt sie, bei deren Verwerfung der in dem Erlöser verwirklichte Heilsplan als ›Mythos‹ erscheinen muss, wobei wir dann von den ›Elementen der Welt‹ und nicht von Christus getragen würden.« Clemens, Protr. I 7, 4: »Er hatte nicht erst jetzt wegen unseres Irrwegs Mitleid mit uns, sondern gleich von oben her (νωθεν) und von Anfang an (ρχAθεν); jetzt aber hat er uns, die wir bereits in Gefahr waren, durch sein Erscheinen gerettet.« Für die anderen Begriffe vgl. ebd. I 6, 2 f.: φιλανθρωπ α und I 8, 4: »der barmherzige Gott, voll Verlangen, den Menschen zu retten« mit Berufung auf Phil 2, 6 f. Vgl. dazu Clemens, Protr. X 110 1 – 3, insbes. 2: τ σωτριον δρ2μα und ebd. XI 114, 3 f. für die mit ihm verbundenen ›Umwandlungen‹. Clemens, Strom. I 88, 4 f. mit Berufung auf 1 Kor 1, 23. Vgl. damit die ähnlich angelegte Reflexion des Augustinus wie S. 288. Clemens, Strom. V 78, 1 stellt dem ›wahrheitsliebenden (φιλαληθς) Platon‹ den ›allweisen (πανσοφς) Moses‹ als die bessere Gestalt gegenüber. Clemens, Strom. I 93, 4 mit Zitat aus Platon, Rep. 534 b – c: α1το, τγαθο, πιστμη καI τAς ληθε ας. Clemens, Strom. V 78, 1 mit Zitat aus Platon, Tim. 28 c, ergänzt durch Ep. VII 341 c: »denn es lässt sich nicht in Worten ausdrücken, wie das

bei den übrigen Wissensgegenständen der Fall ist.« Vgl. damit auch Clemens, Strom. V 65, 2 mit Bezug auf Platon, Ep. II, 312 d (vgl. dazu auch

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Text 62). Nach Clemens hat Platon erkannt: »Der Gott des Weltalls, der über jede Sprache und jeden Gedanken und jede begriffliche Vorstellung erhaben ist, kann nicht durch schriftliche Mitteilung überliefert werden, da er in seiner Macht (δ!ναμις) unaussprechlich (ρρητος) ist.« Vgl. dafür exemplarisch Clemens, Strom. V 38, 6: Der Herr ist »über die ganze Welt erhaben (*περνω το, κσμου παντς), ja vielmehr noch jenseits der geistigen Welt (πκεινα το, νοητο, sc. κσμου)« und damit erhaben »›über alle Herrschaft und Macht‹ (Eph 1, 21: *περνω πσης ρχAς καI εξουσ ας καI δυνμεως).« Vgl. dazu Wyrwa (1983) 130. Clemens, Strom. I 66, 3 mit Zitat aus Platon, Phaed. 78 c. Vgl. als Parallele Strom. I 68, 2: »Und Platon rühmt […] immer die Barbaren, dessen eingedenk, dass er selbst und Pythagoras die meisten und vortrefflichsten ihrer Lehren (τ? γενναιτατα τ.ν δογμτων) bei den Barbaren kennen gelernt haben.« Zur Hochschätzung ›barbarischer‹ Philosophie in der Spätantike vgl. Heinrich Dörrie, Die Wertung der Barbaren im Urteil der Griechen. Knechtsnaturen? Oder Bewahrer und Künder heilbringender Weisheit?, in: Antike und Universalgeschichte. Festschrift Hans Stier zum 70. Geburtstag, Münster 1972, 146 – 175. Zur Übernahme dieser Einschätzung in die frühchristliche Literatur vgl. Jan Hendrik Waszink, Some Observations on the Appreciation of ›The Philosophy of the Barbarians‹, in: Early Christian Literature, Mélanges offerts à Mademoiselle Christine Mohrmann, Utrecht / Antwerpen 1963, 41 – 56. Vgl. dazu Clemens, Strom. I 67, 2 ff. Clemens, Strom. V 78, 1 ff. Clemens, Strom. I 166, 1: συμπθεια … καI κοινων α πρς λλλα. Vgl. damit die in der Anm. 669 nachgewiesene Umdeutung des platonischen Philosophenkönigssatzes bei Justin Martyr. Clemens, Strom. I 166, 4 mit Anspielung auf Ex. 3, 14. Clemens, Strom. I 166, 3. Clemens, Strom. I 166, 2: πρς %να θεν φορ2ν καI δικαιοπραγε$ν. Es ist aufschlussreich, auf die für den ›mittleren‹ Platonismus charakteristische Mischung von Platon-Zitaten zu achten, mit der Clemens in diesem Zusammenhang aufwartet. Neben den Nomoi, dem Politikos und dem Timaios bezieht er sich vor allem auf die pseudo-platonischen

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Dialoge Epinomis und Minos. Vgl. dazu Wyrwa (1983) 113 und 119 ff. mit der Beobachtung, dass Platon ›das Sein (τ 6ν)‹, Moses aber den Seienden als Quelle des wahren Gesetzes nennt. Vgl. dazu auch Strom. I 169, 3 f.: »Derjenige ist aber der wahre Gesetzgeber, der das Gute und Schöne nicht nur verheißt, sondern auch wirklich kennt. Und auch das Gesetz dessen, der diese Kenntnis besitzt, ist das heilbringende Gebot […] voll Erkenntnis; ›denn Kraft und Weisheit ist das Wort Gottes‹ (1 Kor 1, 24). Andererseits ist auch der Ausleger der Gesetze eben der, ›durch den das Gesetz gegeben wurde‹, der erste Ausleger der göttlichen Gebote, der den Schoß des Vaters verkündende eingeborene Sohn (Jo 1, 17 f.).« Vgl. damit das Plotin-Zitat in der Anm. 429, das den νο,ς als Gesetzgeber und Gesetz bezeichnet. Clemens, Strom. II 18, 1. Der Referenztext ist Platon, Leg. 730 b – c. Nach Clemens wird das von Platon aufgestellte Kriterium für das Leben aus der Wahrheit nur vom göttlichen Logos im Sinne von Jo 1, 1 erfüllt. Clemens, Strom. I 170, 2. So Platon, Leg. 624 a – b. Mythologischer Anknüpfungspunkt dafür ist Homer, Odyssee 19, 178 f. Ähnliches gilt für den Protogesetzgeber der Spartaner Lykurg, der sich hinsichtlich der richtigen Gesetze in Delphi von Apoll belehren lässt. Vgl. Platon, Leg. 632 d und Minos 319 e. Clemens nennt Strom. I 170, 3 weitere griechische Quellen für diese Mythen, was zeigt, wie wichtig ihm dieser »Nachweis« ist. Clemens, Strom. I 170, 4. Vgl. damit auch ebd. II 20, 3, wo Ex. 33, 11 als Archetyp für die griechischen Mythen vom göttlichen Ursprung der Gesetzgebung genannt wird. Clemens, Strom. II 20. Dahinter steht der antike, von Aristoteles in der Nikomachischen Ethik ausführlich thematisierte Begriff der Freundschaft als einer Realisierungsform von Gleichheit und Ähnlichkeit. Clemens, Strom. II 24, 2. Clemens, Strom. II 23, 1 – 4 mit Berufung auf Platon, Leg. 630 b – c, aber ohne Beachtung seiner Kritik am Glauben und Meinen, die im Linienund Höhlengleichnis der Politeia und an vielen anderen Stellen des Corpus Platonicum zum Ausdruck kommt. Clemens, Strom. II 15, 5. Das Zitat ist eine Konstruktion. Für den Kontext vgl. ebd. 13 – 14. mit der Bestimmung des epistemisch deutlichen

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Wissens (τ ναργς) als Resultat des Zusammenwirkens von Prinzipienwissen (νο,ς) und sinnlicher Wahrnehmung (13, 2), der These von der Unbeweisbarkeit der Prinzipien (13, 4), dem daraus abgeleiteten Schluss, dass allein der Glaube zum Uranfang aller Dinge führt (14, 1), und der Bestimmung des Glaubens als Gabe der Gnade ( χρις), die »aus Unbeweisbarem zu dem an sich einfachen [immateriellen und von Materie getrennten] Allgemeinen führt« (14, 3). ›Glaube‹ ist deshalb nicht mit ›Vermutung (ε#κασ α)‹ im Sinne einer ›schwachen Annahme (*πληψις σθενς)‹ (ebd. 16, 1) zu verwechseln. Für die aristotelische Position vgl. Bd. II, S. 225 . Clemens, Strom. II 17, 2: π στις θε L τινI κολουθ L τε καI ντακολουθ L γ νεται. Clemens, Strom. II 16, 2: πε θεσθαι τ' λγY und ebd. II 17, 3 mit der

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Für Heraklit ist das menschliche Vernünftigsein ein »Hören auf den Logos«, so z. B. B 50 oder B 112. Clemens Alexandrinus, Strom. II 17, 3. Der Autor entwickelt auf dieser Voraussetzung in seinem Paedagogus ein umfassendes Konzept des göttlichen Unterrichts durch den Lehrer Christus. Übersetzung wie Text 70. Weish 7, 17. Weish 7, 21 f. Jerem 23, 23. Jerem. 23, 24. Ex 33, 13. Ex 20, 21. Vgl. dazu die Ausführungen zur ethischen Bedeutung des Glaubens bei Clemens, Strom. II 31, 1 – 3. Vgl. dafür nur Seneca, epist. 73, 11: »deus ad homines venit, … in homines venit« mit den Begriffen ›Größe‹ und ›Höhe‹ (Text 50). Für den Begriff der Nähe zu Gott vgl. neben Text 69 auch Epiktet II 8, 14: Gott wohnt in dir. Zur Bedeutung des Paradoxons als Bezeichnungsform des Vollkommenen bei Clemens vgl. Wyrwa (1983) 162 ff.

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Clemens, Strom. I 177, 1 – 178, 1. Vorbild ist Platon, Rep. 519 b. Vorbild ist Platon, Rep. 532 a und vor allem 533b – 534 c. Vgl. in diesem Zusammenhang Jean Pépin, La vraie dialectique selon Clément d’Alexandrie (1972), in: Ders. De la philosophie ancienne à la théologie patristique, London 1986, 375 – 383. Der Begriff ›göttlicher Kraft‹ ist bei Clemens immer eine Synthese aus Platon, Rep. 509 b und Röm 1, 20. Zu diesem keineswegs spezifisch christlichen Gedanken vgl. Text 45. Clemens, Strom V 81, 3 – 82, 4. »Niemand hat Gott je gesehen; der eingeborene Gott, der im Schoße des Vaters ist, hat ihn verkündet.« Der Begriff des ›Ungeteilten‹ (τομον im Unterschied zum später für das absolut Eine verwendeten Begriff des δια ρετον %ν) macht nur Sinn, wenn man ihn als materiell konkreten Prinzipienbegriff versteht. Zur philosophiehistorischen Einordnung der Position von Clemens Alexandrinus vgl. Krämer (21967) 282 ff. Dort auch zu weiteren Belegen für den Begriff ›reiner Einheit‹ im Werk des Clemens. Clemens, Strom. V 82, 1. Vgl. damit den Hinweis auf Plotins Kritik an der sprachlichen Bezeichnung des Einen im Text 64 sowie die Ausführungen S. 195 f. und 206 ff. Vgl. das Zitat in der Anm. 739. Vgl. dafür und für die im Folgenden herangezogenen Zitate Krämer (21967) 282 ff. Vgl. dafür Clemens, Paedagogus I 71, 1: πκεινα το, Nνς καI *π"ρ α1τ5ν μονδα . Clemens, Strom. IV 151, 3 – 152, 1. Vgl. dazu Krämer (21967) 283. Hier beginnt eine kontinuierlich voranschreitende ›aphairesis‹. Clemens, Strom. V 71, 2 – 5 unter Auslassung von 71, 4. Vgl. dazu Krämer (21967) 283. Zum Begriff der absoluten Größe als Grundlage für das Begreifen Gottes vgl. Text 45 (Zeus-Hymnus des Kleanthes, Vers 14) und Text 50, Abschnitt 13 (Seneca). Clemens, Strom. VI 41, 1 Die Gesamtdarstellung des ›Glaubens‹ ist bei Clemens von der prinzipientheoretischen Denkfigur des Übergangs von ›Zweiheit‹ in ›Ein-

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heit‹ bestimmt. Der menschliche Anteil des Glaubens ist »freiwillige Annahme« (Strom. II 8, 4 πρληψις Nκο!σιος , vgl. ebd. II 28, 1: »Vermutung aus freien Stücken« oder V 3, 2: »vernünftige Zustimmung einer mit freiem Willen begabten Seele«) und damit ›Möglichkeit‹, die als solche auch nicht bzw. ›mehr‹ oder ›weniger‹ sein kann. Sie wird dadurch in die Macht der Einheit aufgenommen, dass sie sich auf den Einen bezieht, dadurch an ihm gleichsam ›hängt‹ und ihm ähnlich ist. Vgl. dafür Clemens, Strom. IV 157, 2 sowie die Charakterisierung des Übergangs vom Unglauben zum Glauben als von Gott bewirkter Veränderung (θε α μεταβολ ) ebd. II 31, 1. Clemens, Strom. IV 156, 1. Clemens, Strom. IV 156, 1: %ν τι πρ2γμα , 156, 2: Christus »wird nicht einfach zu Einem als [absolut einfachem] Einem (Rν Bς %ν) und nicht zu etwas Vielfachem im Sinne der Verbindung von Teilen, sondern im Sinne der Einheit von Allem (Bς πντα %ν).« Vgl. dazu ebd. das auch von Plotin aufgenommene Bild vom ›Kreis, in dem alle Kräfte in eins zusammengefasst und vereinigt sind (ε#ς Rν ε#λουμνων καI Nνουμνων)‹. Als Einheit von ›Weisheit‹, ›Wissenschaft‹ und ›Wahrheit‹ ist Christus sinnvoller Gegenstand von Beweisführung (Fπδειξις) und diskursiver Darlegung (διξοδος) als einer Zweiheitlichkeit, die im Wirkungsfeld der Monas verbleibt und durch Einheit mit ihr bestimmt ist. Clemens, Strom. IV 157, 1, mit Blick auf die Bestimmung Christi als Alpha und Omega in Apok. 1, 8 etc. Clemens, Strom. IV 157, 2. Clemens, Strom. IV 157, 2. Clemens, Strom. II 100, 4 mit Berufung auf Luk 6, 36. Prinzipientheoretisch betrachtet stehen ›Barmherzigkeit‹ und ›Mitleid‹ als Gottesprädikate für den Übergang göttlicher Einheit in Zweiheit und für die Zurückführung menschlicher Zweiheitlichkeit in die göttliche Einheit. Vgl. dafür exemplarisch Clemens, Strom. I 72, 4. Clemens rekurriert im Übrigen auch auf den Topos einer sprachlosen göttlichen Uroffenbarung. Vgl. dafür Strom V 87, 2: »Zu allen Zeiten gab es bei allen Wohlgesinnten (παρ? π2σι το$ς εW φρονο,σι) eine natürliche Vorstellung (;μφασις φυσικ ) von einem einzigen allmächtigen Gott, und die meisten ergriffen die ewige, durch die göttliche Vorsehung erwiesene

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Wohltat, das heißt diejenigen, die nicht völlig jedes Schamgefühl gegenüber der Wahrheit verloren hatten.« Vgl. ebd. VI 166, 5. Vgl. z. B. Clemens, Strom. VI 35, 1, V 10, 1 und 3. Da den Raubzügen der griechischen Philosophen diejenigen der Dichter vorangehen, ist die griechische theologia naturalis die Fortschreibung einer falsch konzipierten theologia poetica, so dass die Lehrgebäude der Philosophen »teils Wahrheit enthalten, indem sie vermutungsweise das Richtige fanden, teils Irrtümer, da sie die verborgene Bedeutung der sinnbildlichen Redeweise der Propheten nicht verstanden.« Man erkennt an diesen Formulierungen den Anteil an Zweiheitlichkeit, der im Maß der räumlichen und zeitlichen Entfernung vom Ursprungsort der Wahrheit wächst. Clemens, Strom. VI 4, 4 und ebd. I 87, 2. Zum Motiv des ›Diebstahls der Hellenen‹ bei Clemens vgl. Wyrwa (1983) 298 ff. Clemens, Strom. VI 4, 3 f. Zu dieser in sich begrenzten Wirkung vgl. Clemens, Strom. VI 167, 2: Die aus der von den Hebräern gestohlenen Weisheit entstandene Philosophie hat Beifall »nur bei den Griechen und auch bei diesen nicht allgemein gefunden, sondern Sokrates nur bei Platon und Platon bei Xenokrates und Aristoteles bei Theophrast und Zenon bei Kleanthes; sie vermochten eben nur ihre eigenen Anhänger zu überzeugen.« Vgl. dazu auch Gnilka (1993) 70 mit Anm. 25. Clemens, Strom. I 100, 5. Clemens, Strom. I 87, 2. Das ist schon der grundlegende Gedanke bei Justin Martyr, Ap. I 46 und Ap. II 13, 14. Vgl. dafür und für weitere Nachweise zu diesem Gedanken bei Clemens vgl. Beierwaltes (1998) 11 f. mit Anm. 3. Clemens, Strom. I 80, 6: »Aber wenn auch die griechische Philosophie die Wahrheit nicht in ihrer ganzen Größe erfasst und außerdem nicht die Kraft hat, die Gebote des Herrn zu erfüllen, so bereitet sie doch wenigstens einen Weg für die im höchsten Sinne königliche Lehre, die irgendwie nachdenklich macht (σωφρον ζουσα), die Gesinnung vorformt (τ Xθος προτυπο,σα) und das planende Denken geneigt macht, die Wahrheit in sich aufzunehmen (ε#ς παραδοχ5ν τAς ληθε ας τ5ν πρνοιαν δοξζοντα).« ebd. I 99, 3: »Freilich führte einst auch die Philosophie für sich allein die Griechen zur Gerechtigkeit, jedoch nicht

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zur allgemeingültigen Gerechtigkeit; für die Erreichung dieses Ziels wird sie nur als mitwirkend erfunden.« Zusammenfassend: ebd. I 28, 1: »Nun war vor der Ankunft des Herrn die Philosophie für die Griechen zur Rechtfertigung (ε#ς δικαιοσ!νην) notwendig; jetzt aber« ist sie »eine Art Vorbildung (προπαιδε α) für die, die den Glauben durch Beweise wie eine Frucht gewinnen wollen.« Clemens, Strom. I 99, 1 f. Clemens, Strom. I 99, 4: »So hilft die Fähigkeit klarer Darstellung mit zur Überlieferung der Wahrheit und die Dialektik dazu, dass man den Angriffen der Irrlehren nicht unterliegt.« Vgl. ebd. 100, 1: Entkräftung der ›sophistischen Angriffe‹ auf die Wahrheit. Clemens, Strom. I 87, 1. Clemens, Strom. I 99, 3: Die griechische Philosophie ist für das Erreichen der Wahrheit allgemeiner Gerechtigkeit genau so behilflich »wie die erste oder zweite Stufe beim Hinaufsteigen in das obere Stockwerk oder der Elementarlehrer für den, der einmal Philosophie treiben will, aber nicht in dem Sinne, dass etwas fehlen oder die Wahrheit vernichtet würde, wenn [die Philosophie] beseitigt wäre.« Vgl. damit auch die Tertullian nahe kommende Formulierung im Protr. XI 112, 1: »Da nun das Wort selbst vom Himmel herab zu uns gekommen ist, haben wir es […] nicht mehr nötig, […] uns viel um Athen und das übrige Griechenland […] zu kümmern.« Für diesen »Lehrer«, der ›jetzt alles in seine Schule nimmt, ist die ganze Welt Athen und Griechenland.‹ Ich spiele an auf Augustinus, Confessiones X 33, 50: »Tu autem, ›domine deus meus, exaudi, respice‹ (Ps 12, 4) et vide et ›miserere et sana me‹ (Ps 6, 5), in cuius oculis mihi quaestio factus sum, et ipse est languor meus.« Vgl. dafür auch die Reflexion auf die Unfähigkeit, den unendlich weiten Raum des Erinnerns in seinem Grund zu erfassen und von ihm aus das eigene Denken als ein mit sich selbst einiges Ganzes zu verstehen (ebd. X 8, 15: »nec ego capio totum, quod sum«). Vgl. ebd. X 16, 25: »ego certe, domine, laboro hic et laboro in me ipso: factus sum mihi terra difficultatis et sudoris nimii« (mit Anspielung auf den Arbeitscharakter des postparadiesischen Lebens Gen 3, 17 ff.). Vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Glauben und Wissen. Gesammelte Werke, hrsg. im Auftrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft,

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Bd. 4. Jenaer Kritische Schriften, hrsg. von Hartmut Buchner und Otto Pöggeler, Hamburg 1968, 413 f. (= ed. 1832 – 1845) 2, 432): »Der reine Begriff aber oder die Unendlichkeit als der Abgrund des Nichts, worin alles Sein versinkt, muss den unendlichen Schmerz […] das Gefühl: Gott selbst ist tot […] rein als Moment […] der höchsten Idee bezeichnen und so dem, was etwa auch entweder moralische Vorschrift einer Aufopferung des empirischen Wesens oder der Begriff formeller Abstraktion war, eine philosophische Existenz geben und also der Philosophie die Idee der absoluten Freiheit und damit das absolute Leiden oder den spekulativen Freitag, der sonst historisch war, und ihn selbst in der ganzen Wahrheit und Härte seiner Gottlosigkeit wiederherstellen, aus welcher Härte allein […] die höchste Totalität in ihrem ganzen Ernst und aus ihrem tiefsten Grunde, zugleich allumfassend und in die heiterste Freiheit ihrer Gestalt auferstehen kann und muss.« Augustinus, conf. II 10, 18: »mehrfach verschlungene und verwickelte Verknotung« (Übersetzung Flasch / Mojsisch). Kurt Flasch hat die augustinische Gnadenlehre als entschiedenen Abschied vom Platonismus und damit auch als Bruch mit seinem eigenen philosophisch geprägten Denken der Jahre 386 – 396 interpretiert. Vgl. dafür vor allem Kurt Flasch, Logik des Schreckens. Augustinus von Hippo, De diversis quaestionibus ad Simplicianum I 2. Deutsche Erstübersetzung von Walter Schäfer. Hrsg. und erklärt von Kurt Flasch, 2. verbesserte Aufl. mit Nachwort, Mainz 1995. Dass dieser Bruch dennoch nicht radikal ist, zeigt Flasch (1980) 172 – 226. An neueren, gut erreichbaren Einführungen in das Denken des Augustinus nenne ich Flasch (1980), Henry Chadwick, Augustine, Oxford / New York 1986, Horn (1995), Therese Fuhrer, Augustinus, Darmstadt 2004. Eine Übersicht über die einzelnen Titel des Gesamtwerks von Augustinus und ihre Editionen findet man bei Flasch (1980) 466 ff. Als Einführung in die Confessiones verweise ich auf Johannes Brachtendorf, Augustins ›Confessiones‹, Darmstadt 2005. Für De civitate dei vgl. Horn (Hrsg. 1997). Den Stand der Augustinus-Forschung bis ca. 1980 dokumentiert Carl Andresen, Hrsg., Zum Augustin-Gespräch der Gegenwart, Band I. Wege der Forschung 5, Darmstadt, 2. um die Bibliographie gekürzte, sonst unveränderte Auflage 1975, Band II. Wege

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Anmerkungen

der Forschung 327, Darmstadt 1981. Eine gute Biographie zu Augustinus hat verfasst: Peter Robert Lamont Brown, Augustinus von Hippo, München 1973 (Erstausgabe Berkeley 1967). Ein wertvolles Hilfsmittel beim Augustinus-Studium ist: Cornelius Petrus Mayer et al. (Hrsg.), Augustinus-Lexikon, Basel 1986 ff. Über den Bildungshintergrund des Augustinus informiert Henri-Irénée Marrou, Augustinus und das Ende der antiken Bildung, Paderborn / München / Wien / Zürich, 2. ergänzte Aufl. 1995 (frz. Erstausgabe Paris 1938). Eine Einführung in das Denken des Augustinus aus der Perspektive des Platonismus gibt Beierwaltes (1969), Ders., DEUS EST ESSE – ESSE EST DEUS . Die onto-theologische Grundfrage als aristotelisch-neuplatonische Denkfigur, III Augustinus, in: Ders. (1972) 26 – 37 mit Interpretation von Augustinus, en. Ps. CI, sermo 2, (1975), Ders., Creatio als Setzen von Differenz (Augustinus), in: Ders. (1980) 75 – 96 mit Interpretation von Augustinus, conf. XI 3 – 13, Ders. (1981), Ders., Der Selbstbezug des Denkens: Plotin-AugustinusFicino, in: Ders. (1998) 180 – 187, mit Interpretation von Augustinus, conf. VII 10, Ders. Zu Augustins Metaphysik der Sprache. Augustinian Studies 2 (1972) 179 – 195. Außerdem nenne ich für den Stand der gegenwärtigen französischen Augustinusforschung Madec (1994) und (1996) Das sind für ihn die namentlich genannten ›Neuplatoniker‹ Plotin, Jamblich, Porphyrios und der ›Mittelplatoniker‹ Apuleius. Für eine Übersicht über die Fachdiskussion zum Thema Augustinus und die platonische Philosophie vgl. Kany (2007) 50 ff. Zum Thema ›Augustinus und die Platoniker‹ in De civitate dei vgl. Therese Fuhrer, Die Platoniker und die civitas dei, in: Horn (Hrsg. 1997) 87 – 108. Vgl. Augustinus, vera rel. II 6. Wenn man dem Nebensatz, mit dem diese Schrift beginnt, zu einem Hauptsatz umformt, dann artikuliert er den spätantiken consensus omnium über die innere Einheit von Philosophie und Religion: »Alles, was zum guten und glückseligen Leben gehört, beruht auf der wahren Religion, durch die der eine Gott verehrt und in geläuterter Frömmigkeit als Anfangsgrund aller Wirklichkeit erkannt wird.« Dass die Erkenntnis Gottes auch im ›Neuplatonismus‹ seine Verehrung einschließt, belegen die gegen die Christen gerichteten Sätze aus einer nicht erhaltenen Schrift des Porphyrios, die Augustinus, civ. XIX 23, 4

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zitiert: » ›die Weisen der Hebräer, deren einer jener Jesus war, […] haben empfohlen, […] vor allem […] Gott, den Vater, zu verehren. […], den Geist Gott zuzuwenden und […] ihn überall zu verehren. Aber als Ungebildete (indocti) und gottlose Naturen (impiae naturae), denen […] das Schicksal ( fatum) verwehrte, Gaben von den Göttern zu empfangen und Erkenntnis des unsterblichen Jupiter zu gewinnen, hörten sie nicht auf die Götter und göttliche Menschen und wiesen alle Götter zurück. […] Auch wenn sie so tun, als verehrten sie Gott, unterlassen sie […] die wahre Anbetung Gottes. Denn Gott, der Vater aller, bedarf keines Menschen, aber es ist gut für uns, wenn wir ihn durch Gerechtigkeit, Keuschheit und andere Tugenden anbeten und so unser Leben selbst durch Nachahmung und Nachsinnen über ihn zu einem an ihn gerichteten Gebet machen. Denn das Nachsinnen reinigt (inquisitio purgat) und die Nachahmung vergöttlicht (imitatio deificat), da sie bewirkt, dass unsere Liebe (affectio) sich auf ihn richtet‹.« Die Sätze des Porphyrios dokumentieren eindrucksvoll den kulturellen Erwartungshorizont, in dem sich auch Augustinus wie selbstverständlich bewegt. Vgl. dazu Kobusch (1983) 115: Augustinus versteht cultus als anthropologischen Fundamentalbegriff. Auch diejenigen, die im Blick darauf, dass viele Menschen lediglich ihre eigenen Phantasmata verehren, zu Skeptikern werden und sich deshalb »einbilden, nichts zu verehren«, unterliegen ihrem Interesse an »voluptas«, »excellentia« oder »spectacula«, so dass sie, »ohne sich dessen bewusst zu sein, das Zeitliche lieben« und von ihm »Seligkeit erwarten« (Augustinus, vera rel. XXXVIII 69). Menschliches Verhalten steht für Augustinus wie für Platon prinzipiell unter dem Zeichen des in sich variablen und deshalb vielfältig besetzbaren Grundaffekts amor-cupiditas, der das Geliebte willentlich erstrebt, sich ihm als dem Guten unterordnet und es dadurch als etwas Göttliches verehrt. Augustinus, civ. VIII 1. Vgl. dazu Goulven Madec, ›Verus philosophus est amator Dei‹. S. Ambroise, S. Augustin et la philosophie. Révue des Sciences Philosophiques et Théologiques 61 (1977) 549 – 566. Augustinus, civ. VIII 2: Thales hat »die Natur der Dinge erforscht« und damit eine Tradition der Physik begründet, die mit Anaxagoras und seinem Schüler Archelaos, dem Lehrer des Sokrates, endet.

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Anmerkungen

Augustinus, civ. VIII 2 und 4. Augustinus, civ. VIII 3: »Sokrates gilt als derjenige, der als erster die gesamte Philosophie zu einer Instanz verändert hat, die das menschliche Verhalten korrigiert und es als sittliches begründet.« Trotz seiner Anknüpfung an das Sokratesbild Ciceros (vgl. dafür das Motto zum Sokrates-Kapitel Bd. II, S. 14 und Text 26) folgt Augustinus im Entscheidenden dem neuplatonischen Sokratesbild. Sokrates hat danach die »purgatio vitae« durch »gute Sitten« als Voraussetzung dafür verstanden, »dass der von herabziehenden Begierden befreite Geist sich durch seine natürliche Schwungkraft zum Ewigen erhebe und das wesentlich unkörperliche und unwandelbare Licht, in dem die Ursachen aller geschaffenen Wesen beständig leben, in reinem Erkennen schaue.« Augustinus hält sich für seine philosophiegeschichtlichen Einteilungen an die gängigen doxographischen Überlieferungen, lässt aber die in genera und partes geteilte Philosophie auf ihre Synthese angelegt sein. Die ›materialistische‹ Physik der Jonier entfaltet sich bei Anaxagoras zu einer Reflexion auf den »animus divinus« (ebd. VIII 2) und die Ethik des Attikers Sokrates (ebd. VIII 3) dient der Betrachtung (»conspectus«) der »veritas sincerrima«. Bei Pythagoras (vgl. ebd. VIII 4) wendet sich die ›gereinigte Vernunft‹ den »naturae causas« zu. Das so Vorbereitete findet bei Platon seine vollkommene Form. Augustinus, civ. VIII 4: »Platon wird dafür gelobt, dass er durch die Verbindung [von Theorie und Praxis] die Philosophie vervollkommnet hat. Er hat sie in drei Teile geteilt, den moralischen, der sich hauptsächlich um das Handeln kümmert, den physischen, der sich hauptsächlich der theoretischen Betrachtung widmet, und den logischen, der das Wahre und Falsche unterscheidet. Dieser Teil ist auch für die beiden anderen nötig, also für die Betrachtung (contemplatio) und für das Handeln (actio), aber am meisten setzt sich die Betrachtung das Einsichtigmachen der Wahrheit zum Ziel.« Man erkennt bei Augustinus eine besondere Vorliebe für triadische Strukturen, was hinsichtlich der prinzipientheoretischen Bestimmung Gottes als trinitas von entscheidender Bedeutung ist. Auch die in sich einige Dreiheit der platonischen Philosophie wird civ. XI 25 in diesem Sinne gedeutet. Vgl. dazu Pierre Hadot, La présentation du Platonisme par Augustin, in: Adolf Martin Ritter, Hrsg.,

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Kerygma und Logos. Beiträge zu den geistesgeschichtlichen Beziehungen zwischen Antike Christentum. Festschrift für Carl Andresen zum 70. Geburtstag, Göttingen 1979, 272 – 279. Übersetzung nach Wilhelm Thimme. Augustinus kritisiert nach apologetischer Tradition civ. II – VII unter diesen von Varro übernommenen Titeln (civ. VI 5 ff.) den heidnischen Polytheismus. Augustinus spielt damit auf die in der Spätantike weit verbreitete Dämonenlehre an. Civ. VIII, 14 ff. bezieht sich dafür ausdrücklich auf diejenige des Platonikers Apuleius. Vgl. dafür John Dillon, Dämonologie im frühen Platonismus, in: Apuleius, De deo Socratis / Über den Gott des Sokrates, eingel., übers. und mit interpretierenden Essays versehen von Matthias Baltes etc., Darmstadt 2004, 123 – 141 und Lenka Karfiková, Augustins Polemik gegen Apuleius, ebd. 162 – 189. Zu Augustinus’ Begriff Gottes als ›vere esse‹ vgl. Beierwaltes (1972) 26 ff. Vgl. dafür Augustinus’ Auslegung von Weish 11, 21: »Omnia in mensura et in numero et in pondere disposuisti.« Stellennachweis und Interpretation: Beierwaltes (1969). Die Engel sind die ersten Bürger der von Gott in der Schöpfung begründeten civitas dei. Sie verkörpern das Licht, aus dem heraus Gott den gesamten Schöpfungsakt vollzieht. Vgl. dafür civ. XI 9. Die vom göttlichen Schöpfungslicht ›abgefallenen‹ Engel sind die gleichsam ›intelligiblen‹ Begründer der civitas diaboli, die sich in den civitates terrenae der Menschen fortsetzt. Vgl. dazu ebd. XI 33 und Buch XII insgesamt. Zitat aus Röm 1, 19 f. (Text 67). Das Referat zur Logik Platons (civ. VIII 7) lasse ich aus, weil es zu unserem Gedankengang nichts Wesentliches beiträgt. Über den Satz Ciceros aus der für uns nicht mehr erhaltenen protreptischen Schrift Hortensius: »beati certe omnes esse volumus« knüpft Augustinus, der ihn beata v. II 10 und trin. XIII 4, 7 zitiert, an die Telosformel der antiken Ethik an. Augustinus orientiert sich am ethischen Grundzug der gesamten spätantiken Philosophie, wenn er civ. VIII 3 und XIX 1 mit Cicero ( fin. V 39) das Streben nach Glück als die causa finalis aller Philosophie bezeichnet. Ich entnehme die Hinweise auf diese Stellen Beierwaltes (1981) 20 ff.

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Ausgelassen ist die Nennung des »tertium genus bonorum«, das äußere Güter wie Geld und Ehre umfasst. Die drei verschiedenen Schulen, die sich über die Herleitung des summum bonum ›a homine‹ entzweien, sind die Epikureer (corpus), die Stoiker (animus) und die Peripatetiker (a toto homine). Für diese Formulierung vgl. Goulven Madec, »Philosophia Christiana« (Augustin, Contra Iulianum IV, 14, 72), in: Madec (1994) 163 – 177. Für die verschiedenen polaren, drei- und vierteiligen Begriffsverbindungen bei Augustinus und zu ihrer Bedeutung im Kontext antiker Philosophie vgl. Eckard König, Augustinus Philosophus. Christlicher Glaube und philosophisches Denken in den Frühschriften Augustins, München 1970, 27 – 51. Der Sache nach hat zuerst Platon triadische Denkformen im prinzipientheoretischen Kontext verwendet. Vgl. Soph. 248 e ff.: das »vollkommene Lebewesen (τ παντελ.ς 6ν)« als Einheit von Leben ( ζω = Bewegung, κ νησις), Seele (ψυχ ) und »heiliger Vernunft (Dγιος νο,ς , bzw. φρνησις)« und Tim. 30 b – c: der Kosmos als Einheit von Leben, Seele und Vernunft sowie von Sein, Vernunft und Leben. Zur Bedeutung von Plotin und Porphyrios für das triadische Denken des Augustinus vgl. die Übersicht bei Kany (2007) 57 ff. und 62 f. sowie seine eigenen Ausführungen 439 ff. Vgl. dafür S. 157 ff. Platon und Plotin insistieren auf der Unterscheidung zwischen dem absolut Einen der Idee des Guten und dem, was bei Platon ›Wesenheit‹ und bei Plotin νο,ς heißt, wobei sich diese Unterscheidung in derjenigen von νο,ς und »Seele‹ wiederholt. Insofern es sich bei der triadischen Abfolge ›Eines‹ – ›Geist‹ – ›Seele‹ um den Zusammenhang der intelligiblen Grundformen der Wirklichkeit handelt, wobei das jeweils ›Untere‹ das ›Obere‹ in sich aufnimmt und das ›Obere‹ im jeweils ›Unteren‹ anwesend ist, sind sie sich dem Wesen nach ähnlich, aber eben nicht ›wesensgleich‹. Der Arianismus ist die Form des Christentums, die sich durch eine besondere Platonismusnähe auszeichnet und v. a. deswegen aus orthodoxer Perspektive als Häresie ausgegrenzt wurde. Vgl. dazu Beierwaltes (1972) 26 – 37. Vgl. dazu Augustinus, conf. VII 9, 13 und VIII 2, 3. So Werner Beierwaltes, ›Hen (%ν)‹, Reallexikon für Antike und Christen-

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tum, Bd. 14, Stuttgart 1987, 459. Zur Aufnahme des porphyrianischen Begriffs göttlicher Einheit bei Marius Victorinus und Augustinus: ebd. 469 ff. Ausführlich dazu: Beierwaltes (1972) 24 ff. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Heinrich Dörrie, Porphyrios als Mittler zwischen Plotin und Augustin (1962), in: Beierwaltes (Hrsg. 1969) 410 – 439, sowie Pierre Hadot, Porphyre et Victorinus, Paris 1968 und Christlicher Platonismus. Die Schriften des Marius Victorinus, übers. von Pierre Hadot und Ursula Brenke, Zürich / Stuttgart 1967. Im Blick auf die Ablehnung jeder Rede über Gott, die sich an der Regel kategorialer Differenzierung orientiert (Augustinus, conf. IV 16, 20) lässt sich sagen: Im Vergleich mit der Einheit (des Vielen) im Sinne der kategorialen Rede ist die Einheit Gottes relationslos einfach. An sich selbst betrachtet zeigt sie sich aber als triadische Einheit von Sein, Leben und Denken. Für diese Begrifflichkeit vgl. Bd. I, S 131 f. Für den von Clemens Alexandrinus wie von Plotin formulierten erkenntniskritischen Vorbehalt gegenüber Aussagen über das Wesen Gottes, vgl. S. 195 f., 206 ff. und 282. Für die Regel coniecturaler Darstellung des Undarstellbaren durch Hinführung vom Bekannten zum Unbekannten findet Augustinus die Formulierung: Man muss sich »auf dieselben fleischlichen Formen, die uns fesseln, stützen, um zur Erkenntnis derer zu gelangen, von denen das Fleisch keine Kunde geben kann« (vera rel. XXIV 124). Für die Erkenntnis der göttlichen Trinität ist im Zusammenhang der Confessiones die in der menschlichen Natur wirksame Dreiheit von »Sein, Wissen und Wollen« (»und zwar bin ich, indem ich weiß und will, und das weiß ich, dass ich bin und will, und das will ich, dass ich bin und weiß«) der Ausgangspunkt einer meditativen Übung, bei der nicht einfach eine Analogie zwischen menschlicher und göttlicher Trinität aufgedeckt, sondern ›herausgespürt‹ werden soll, dass die göttliche gegenüber der menschlich erfahrbaren Dreiheit »weit etwas anderes ist« (conf. XIII 11, 12). Auch die umfassenden Trinitätsreflexionen in De trinitate sind »Einübung in trinitarisches Denken«, so Kany (2007) 420 und öfter. Vgl. dafür Augustinus, mus. I 11, 18 – 12, 25: Die ›Drei‹ ist interne Einheit und Gleichheit von ›Anfang‹, ›Mitte‹ und ›Ende‹ und insofern höchste Einheit (maxime unum), weil in ihr ›Mitte‹ und ›Enden‹ zusammen-

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stimmen (cum et media extremis et mediis extrema consentiunt). Das wird verständlich, wenn man die ›Drei‹ pythagoreisch als • • • notiert und als graphische Form interpretiert. Für den platonisch inspirierten Pythagoreismus nenne ich neben dem Namen des Theon aus Smyrna (2. Jahrhundert n. Chr.) nur die Introductio arithmetica des Nikomachos aus Gerasa (ca. 100 n. Chr.), die Apuleius ins Lateinische übersetzt hat. Vgl. für diesen Zusammenhang auch Dominic J. O’Meara, Pythagoras Revived. Mathematics and Philosophy in Late Antiquity, Oxford 1989. Für Augustinus’ Theorie der Zahl vgl. auch die in Anm. 830 genannte Literatur. Das ist die Grundaussage von Augustinus, civ. XI 10. Das ist die zentrale Aussage von Augustinus, conf. XIII 11, 12. Zu dieser Erweiterung der Trinitäts- zur Schöpfungstheologie vgl. Augustinus, vera rel. VII 13. Sie führt in den letzten drei Büchern der Confessiones zu einer umfassenden Auslegung des Schöpfungsberichts der Genesis. Zu den metaphysischen Zentralbegriffen ›species‹, ›forma‹ und ›numerus‹ bei Augustinus vgl. Beierwaltes (1975) 146 ff. Zur trinitarischen Bestimmung der species prima als »forma omnium« vgl. Augustinus, vera rel. XLIII 81. Für den Gedanken des kontinuierlichen Übergangs von der göttlichen trinitas zur creatio knüpft Augustinus ausdrücklich an die von ihm als platonisch bezeichnete Lehre (civ. XII 19) an, nach der Gott als Einheitsort aller Zahl die Welt aus Zahlen gebildet habe. Vgl. dafür auch Augustinus, mus. VI 17, 57. Für eine Interpretation und weitere Belege vgl. Beierwaltes (1969), (1975) und (1980) 91 ff. Von dem dort Angeführten notiere ich nur Augustinus, lib.arb. II 11, 30 f.: »Da es […] in den göttlichen Büchern von der Weisheit heißt, dass sie ›gewaltig von einem Ende bis zum anderen reicht und alles lieblich ordnet‹ (Weish 8, 1), kann man vielleicht unter derjenigen Macht (potentia), die gewaltig ( fortiter) von einem zum anderen Ende reicht, die Zahl verstehen, während diejenige, die alles lieblich ordnet (suaviter disponit), die Weisheit im eigentlichen Sinne genannt wird. Beide aber würden zu ein und derselben Weisheit gehören«, die von sich aus »allen […] Dingen Zahlen zugeteilt hat.« Zu Augustins Philosophie der Zahl vgl. auch Arbogast Schmitt, Zahl und Schönheit in Augustins De musica VI. Würzburger Jahrbücher für die Altertumswissenschaften (Neue

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Folge) 16 (1990) 221 – 237 und Christoph Horn, Augustins Philosophie der Zahlen. Revue des Études Augustiniennes 40 (1994) 389 –415. Vgl. dazu Augustinus, vera rel. III 9: »Er [Plato] hatte sie belehrt, dass die Seele erst gesunden muss (sanandum esse animum), um die unwandelbare Form der Dinge und die stets unveränderliche, sich gleich bleibende Schönheit zu schauen. Denn diese ist über räumliche Entfernungen und zeitliche Übergänge erhaben und bleibt in jeder Hinsicht ein und dieselbe, von der die Menschen nicht glauben wollen, dass sie ist, obgleich sie doch wahrhaft und zuhöchst ist, während alles übrige entsteht und vergeht, dahinfließt und schwankt und dennoch, soweit es ist, von jenem ewigen Gott durch die Kraft seiner Wahrheit Dasein und Bestand hat.« Vgl. dafür Bd. II, S. 129 ff.. Vgl. dazu Augustinus, div.qu. 79, 1: »Jede Seele ist umso reiner an Frömmigkeit, je weniger sie sich an dem erfreut, was nur zu ihr gehört, und je mehr sie das Gesetz des Ganzen (lex universitatis) beachtet und ihm unterwürfig und gern gehorcht. Das Gesetz des Ganzen ist nämlich die göttliche Weisheit.« Vgl. dafür auch die Lehre vom ordo amoris, die Augustinus, doct.chr. I 23 in dem Satz zusammenfasst: »Cum ergo quatuor sint diligenda, unum quod supra nos est, alterum quod nos sumus, tertium quod iuxta nos est, quartum quod infra nos est.« Zu diesem Konzept und zu seiner Wirkungsgeschichte, die noch Goethes Wilhelm Meister bestimmt, vgl. Friedrich Ohly, Goethes Ehrfurchten – ein ordo caritatis. Euphorion. 55 (1961) 113 – 145, 405 – 448, Ders. Cor amantis non angustum. Vom Wohnen im Herzen (1970), in: Ders. Schriften zur mittelalterlichen Bedeutungsforschung, Darmstadt 1977, 128 – 155, insbes. 135 und 139 mit Anm. 22. Übersetzung Joseph Bernhart. Für eine Interpretation vgl. Werner Beierwaltes, Griechische Metaphysik und christliche Theologie, in: Erwin Dirscherl und Christoph Dohmen (Hrsg.), Glaube und Vernunft. Spannungsreiche Grundlage europäischer Geistesgeschichte, Freiburg / Basel / Wien 2008, 33 – 44. Die Vulgata übersetzt genauer: »in forma Dei (LXX: ν μορφK θεο, *πρχων)«. So Augustinus, conf. VII 9, 24 mit Zitat aus Mt. 11, 25. Dem folgt un-

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mittelbar das Zitat aus Röm 1, 21 ff. (vgl. Text 67), das Augustinus hier explizit gegen die Platoniker wendet. Zur Inkarnation als göttlichem »exemplum humilitatis« vgl. Augustinus, doctr.chr. I, XI 23 – XIV 29 und civ. VII 33. Vgl. damit auch Augustinus, Io.ev.tr. II 2, 30 ff.: »Damit es einen Weg gebe, auf dem wir gehen könnten, kam von dorther der, zu dem wir gehen wollten. Und was hat er getan? Er hat ein Holz eingerichtet, damit wir auf ihm über das Meer gehen könnten. Niemand kann das Meer dieser Welt überschreiten, es sei denn, getragen vom Kreuze Christi.« Ich übernehme das Zitat Beierwaltes (1972) 36 f. Vgl. Augustinus, civ. VIII 1. Für »das selige Leben nach dem Tode«, genügt nach Platon nicht »die Verehrung des einen unwandelbaren Gottes«, sondern es bedarf dafür der Verehrung vieler Götter, »die allerdings von jenem Einen geschaffen und eingesetzt« sind – Anspielung auf Platon, Tim. 39 e – 41 a. Auch die ›Platonici‹ vertreten trotz der Nähe ihrer Theologie zur vera christiana religio die Ansicht, »dass man vielen Göttern Dienst schulde« (civ. VIII 12). Diese häufig wiederholte Rede ist nicht wegen ihres konventionellen Inhalts, sondern wegen ihrer begrifflichen Substruktur aufschlussreich. Ein Streben nach Einheit, das den intendierten ›Punkt‹ einfacher Einheit nicht erreicht, fällt in die Defizienzgestalt der Zweiheit zurück. Platon findet deshalb nicht die Einheit, die aus sich den einen Gleichen erzeugt und ihn durch die Kraft der Gleichheit in der unveränderlichen Gleichheit des »wahren Seins« erhält (Trinität), sondern nur die Einheit (der Demiurg), die aus sich eine Vielfalt des zwar Ähnlichen, aber dennoch Ungleichen und ihr deshalb Untergeordneten (die vielen dem Demiurgen untergeordneten Götter) hervorbringt. Die metaphorische Darstellungsform des platonischen Timaios wird nicht wahrgenommen, ebenso wenig die Beziehung zwischen dem Demiurgen und dem Guten oder die zwischen dem Guten und dem unveränderlichen Sein, das niemals wird. Augustinus, civ. XIV 26. Vgl. dazu auch Augustinus, civ. XIV 15. Im Paradies konnte der Mensch im Unterschied zu Gott zwar auch nicht grundsätzlich alles, was er wollte, aber er »wollte auch nicht, was er nicht konnte, und konnte

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deshalb alles, was er wollte.« Er realisiert damit die ihm angemessene Einheit (Sein) von Leben (hier: ›Können‹) und Wollen. Vgl. dazu S. 293. Vgl. Augustinus, civ. XII 1 führt die Veränderung innerhalb des den Engeln vorbehaltenen Lebens auf zwei verschiedene Realisierungen ihres Willens zurück: »die einen verharren standhaft bei dem allgemeinen Gut, das für sie Gott selber ist«; »die anderen, stärker von ihrer eigenen Macht affiziert, fielen, als könnten sie ihr eigenes Gut sein, von dem höheren, allen gemeinsamen, beseligenden Gut auf sich selbst zurück und weil sie […] eine parteiische anstelle der allgemeinen Liebe besaßen, wurden sie hochmütig, betrügerisch und neidisch.« Exakt dasselbe Muster liegt dem menschlichen Sündenfall zugrunde. Für Augustinus ist das Begehren des Schlechten eine eigenständige Angelegenheit des menschlichen Willens und nicht eine Folge der menschlichen Natur. Vgl. Augustinus, conf. VIII 5, 10: ›voluntas perversa‹ – ›libido‹ – ›consuetudo‹ – ›necessitas‹ bilden nicht von Natur aus eine kontinuierliche Reihe, sondern nur dann, wenn der Wille sich seiner ersten Umkehrung zum Schlechten nicht entgegenstellt. Nach Augustinus, lib. arb. III 17, 48 ist die »Wurzel aller Übel« die »inproba voluntas«, die es als Natur nicht geben kann, sondern als gewollte Maßlosigkeit die Laster der cupiditas und der avaritia erzeugt. Vgl. dafür Augustinus, civ. IX 17. Die Überlegung zum mediator Christus steht bei Augustinus ausdrücklich unter dem Signum des Imperativs der platonischen Ethik, den Augustinus, civ. IX 17 als Kurzfassung von Plotin I 6 [1], 8, 15 ff. wörtlich zitiert: »Zum teuersten Vaterland muss man fliehen. Da ist der Vater, da ist alles. Und das Schiff, der Weg dahin, was ist das? Gott ähnlich werden.« Für die direkte Auseinandersetzung mit dem Konzept der Weltseele, die im göttlichen Wirkungskontinuum des Platonismus die ›mittlere‹ und vermittelnde Stelle zwischen mundus intelligibilis und mundus sensibilis innehat, vgl. Augustinus, civ. X 2. Augustinus, civ. IX 17 im Anschluss an 1 Tim 2, 5: Der Mensch Jesus Christus ist der mediator Dei et hominum, der durch seine Gottheit dem Vater immer gleich bleibt und durch seine Menschheit uns ähnlich geworden ist. Vgl. ebd. IX 15.

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Die ›regio dissimilitudinis‹ (vgl. Augustinus, conf. VII 10, 16) besteht nicht von Natur aus, sondern ist die Folge des menschlichen Willens, der sich zur Dynamik des »ire in multa« entschließt. Nur unter der Voraussetzung der Willensfreiheit kann Augustinus (vera rel. XXXIX , 72) sagen: »noli foras ire, in te ipsum reddi. in interiore hominis habitat veritas.« Dem foras ire entspricht mus. VI 13, 40 die Bestimmung der »superbia« als »ins Äußerste voranschreiten und … nichtig werden, d. h. immer weniger sein.« Der Rückgang der Seele in sich gelingt nicht durch eigenes Wollen, sondern bedarf göttlicher Unterstützung. Vgl. dafür conf. VII 10, 16: »Und so dazu ermahnt, in mich selbst zurückzukehren, trat ich unter Deiner Leitung in mein Innerstes und konnte es, weil ›du mein Helfer geworden bist‹ (Ps. 29, 11).« Dass das Kontinuum des von Gott ausgehenden Guten durch den Sündenfall zu zerbrechen droht, aber durch die Inkarnation erhalten bleibt, betont Augustinus, civ. IX 15: Zwischen göttliche und menschliche Natur »trat (se interposuit) der sterbliche und selige [Mittler], um nach Ablegung der Sterblichkeit, dem Vorbild seiner eigenen Auferstehung gemäß, aus Toten Unsterbliche zu machen und aus Elenden Glückselige, glückselig, wie er selbst immer geblieben.« Zur ›regio beatitudinis‹, die für das paradiesische Leben und für seine eschatologische Erneuerung steht, vgl. Beierwaltes (1981). Vgl. dafür das Zitat aus Phil 2, 5 – 11 in Text 73. Zum Vorbild für diesen Gedanken bei Clemens Alexandrinus vgl. S. 251 ff. mit Anm. 717. Origenes, Contra Celsum VII 42: »Die menschliche Natur ist nicht autark genug, um in irgendeiner Weise Gott mit Reinheit suchen und finden zu können, wenn ihr nicht von demjenigen geholfen wird, den sie sucht.« Für eine ähnliche Überlegung bei Clemens Alexandrinus vgl. Wyrwa (1983) 78 f., 172 und 186. Cicero, Tusc. II 4. Der Satz ist bei Cicero Teil einer von außen an die Philosophie heran getragenen Kritik, die er selber zurückweist. (vgl. dafür die Kritik des Kallikles an Sokrates bei Platon, Gorg. 485 d – e, vgl. Bd. II, S. 93 ff.). Augustinus nimmt diesen Gedanken civ. XXII 22 auf, indem er die »docti huius saeculi« selber sagen lässt, dass die Götter die »vera philosophia« nur wenigen Menschen gegeben haben. Für

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Ciceros Verteidigung der Philosophie ist entscheidend, dass sie nicht mit den Meinungen derjenigen verwechselt wird, »die ihre Lehre als Zurschaustellung von Wissen« und nicht »als ein Gesetz des Lebens auffassen« (Tusc. II 11). Vgl. dafür S. 222 mit Anm. 596. Vgl. dafür exemplarisch Augustinus, civ. XIV, 13: »›Hochmut ist der Anfang aller Sünde‹ (= Sir. 10, 15). Was aber ist Hochmut anderes als Streben nach falscher Hoheit? Denn das ist falsche Hoheit, sich vom Urgrund (principium) zu lösen, der dem Geist eingewurzelt sein soll, um gewissermaßen sein eigener Urgrund zu werden und zu sein. Das geschieht, wenn der Geist sich selbst zu sehr gefällt. Dann aber gefällt er sich selbst, wenn er sich von jenem unwandelbaren Gut abwendet, das ihm mehr gefallen sollte als er sich selbst. Diese Abkehr aber ist freiwillig. Denn wenn der Wille in der Liebe zum höheren, unwandelbaren Gut […] ständig verharrte, würde er sich nicht von ihm zur Selbstgefälligkeit (ad sibi placendum) abwenden.« Dort auch zur Gegenüberstellung von Gottes- und Selbstliebe. Für die von mir herangezogene Begrifflichkeit des 17. und 18. Jahrhunderts vgl. die Hinweise bei Hans-Jürgen Fuchs, ›Amour-propre, amour de soi(-même)‹, HWPh 1, 206 – 209, Ders. ›Désinteressement‹, HWPh 2, 131 f. und Peter Nickl, ›Quietismus, Hesychasmus‹, HWPh 7, 1834 – 1837, insbes. 1835 f. Zum Willensbegriff des Augustinus und dem damit verbundenen Konzept menschlicher Freiheit vgl. Albrecht Dihle, Die Vorstellung vom Willen in der Antike, Göttingen 1985, Christoph Horn, Augustinus und die Entstehung des philosophischen Willensbegriffs, Zeitschrift für philosophische Forschung 50 (1996) 113 – 132 und Peetz (1997). Vgl. dafür exemplarisch Augustinus, civ. XXII 22. Zum menschlichen ›negare se ipsum‹ als imitatio des göttlichen exemplum humilitatis vgl. Kobusch (1983) 116 ff. Für eine Vorform dieses Gedankens bei Clemens Alexandrinus vgl. im vorliegenden Band die Anm. 778. Für das Verständnis des Begriffs humilitas bei Augustinus ist auf seinen vollen Bedeutungsumfang zu achten: Jede Anerkennung der Wahrheit als allgemeines Gesetz, wie sie für die wissenschaftliche Erkenntnis im Unterschied zur Meinung oder für die Beachtung sittlicher Normen gilt, ist humilitas (en. Ps. LXXV, 17, 45, zitiert bei Kobusch

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(1983) 122). Humilitas impliziert immer die Umkehrung der superbia, die sich statt an allgemeinen Regeln an privaten Interessen orientiert. Die soteriologisch entscheidenden Konkretisierungsformen (vgl. dafür die folgende Anm.) der humilitas sind also in einen umfassenden Zusammenhang des jedermann bekannten ›richtigen‹ Verhaltens integriert. Augustinus, conf. VII 21, 27: »spiritus contribulatus«, »cor contritum et humiliatum« nach Ps. 50, 19. Vgl. dafür auch civ. X 5: »das vom Schmerz der Reue erniedrigte Herz«. Für diese und die im Folgenden genannten Belege sowie zur Sache selbst vgl. Kobusch (1983) 118 f. Vgl. Augustinus, civ. VIII 17 mit ebd. X 6: »Darum ist auch der Mensch selber, welcher, geheiligt durch Gottes Namen und Gott geweiht, in dem Maße ein Opfer, wie er der Welt stirbt, um für Gott zu leben.« Die von Augustinus leitmotivartig angesprochene ›Rückkehr‹ des Herzens in sich, die auch für die antike Ethik zentral ist, wird durch ihre Beschreibung als Antizipation des göttlichen Endgerichts im ›tribunal mentis‹ erheblich vertieft. Vgl. dafür nur: Augustinus, Io.ev.tr. 33, 5: »Er soll in sich selbst eintreten, vor das Gericht seines eigenen Geistes, und dort so seiner selbst bewusst werden, dass er gezwungen ist, sich (als) Sünder zu bekennen«. Der »Zorn gegen sich selbst« (Sermo 19, 2) und die darin realisierte »iustitia« (Enchiridium 22, 82) bedeuten für den bekennenden Sünder das »holocaustum vitae suae« (en. Ps. CIII, 4, 18) und damit das freiwillige ›Sterben‹ für das Zeitalter der Welt (doctr.chr. I XIX , 18. 36). Die Nachahmung des göttlichen exemplum humilitatis ist die Voraussetzung für das Erhobenwerden zu Gott durch die heilende Kraft der göttlichen Gnade (Sermo 117, 17: »cum ceperis humilitatem eius, surgis cum illo«). Augustinus, conf. VII 20, 26: »jene auf dem Fundament der humilitas aufbauende Liebe, die Christus Iesus ist«, mit Berufung auf 1 Kor 3, 11 und 8, 1. Vgl. damit auch die Bestimmung des menschlichen Glücks (laetitia) als einer nicht selber zu leistenden ›Verwandlung (commutatio)‹ des in sich zusammengebrochenen ›äußeren Menschen‹ zu einem Leben des ›inneren Menschen‹, das vom amor dei geprägt ist (Augustinus, mus. VI 11, 23). Vgl. Text 23. Zur Bedeutung des ›nihil‹ in der creatio ex nihilo bei Augustinus vgl.

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Beierwaltes (1980) 93 ff. im Blick auf die Genesisauslegung in conf. XI und XII. Augustinus, civ. XII 1. Vgl. ebd. XII 8: »Das weiß ich, dass Gottes Natur nie und nimmer und in keiner Hinsicht Mangel haben kann, dass aber Mangel haben kann, was aus nichts (ex nihilo) geschaffen ist.« Vgl. damit auch die Unterscheidung zwischen innertrinitarischer, auf ›Gleichheit‹ beruhender ›Zeugung‹ und der auf Ähnlichkeit beruhenden Schöpfung ebd. XI 10: »Es gibt also ein einziges einfaches Gut, das deswegen allein unveränderlich ist, nämlich Gott. Von ihm her (ab hoc) ist alles Geschaffene gut, aber nicht als einfaches, sondern veränderlich Gutes […] Was nämlich aus dem einfach Guten (de simplici bono) gezeugt ist, ist ebenfalls einfach«, so dass die drei göttlichen Personen in gleicher Weise das »bonum simplex et incommutabile« bedeuten. Vgl. dazu Augustinus, civ. XI 18: »antitheta«, »contraposta«, »opposita«, »contraria«. Zur creatio durch das verbum divinum bei Augustinus vgl. Beierwaltes (1980) 81 ff. Vgl. in diesem Zusammenhang das Wortfeld von ›creatio‹, zu dem auch ›vocatio‹ und ›conversio‹ gehören. Das ›verbum patris‹ realisiert eine Einheit von ›administratio‹ und ›redemptio‹, so dass es gleichzeitig ›creator et recreator‹, ›factor et refactor‹ ist. Belege dafür findet man im von Cornelius Mayer herausgegebenen Augustinus-Lexikons (vgl. Anm. 796) unter den Stichworten ›creatio‹ und ›eloquentia‹. Ich nenne davon nur Augustinus, De Genesi ad lit. I 5, 9 f. und IV 13, 24 sowie Io. ev.tr. 38, 8 (zu Jo 8, 24). Vgl. damit auch Augustinus, civ. XI 17 und XX 19. Augustinus, vera rel. XVI 30. Vgl. dafür Augustinus, vera rel. V 8: »So glauben und lehren wir, es sei für das menschliche Heil entscheidend, dass Philosophie […] und Religion nicht voneinander verschieden sind«, mit ebd. VIII 14: »Wenn man dies [die Gehalte der philosophienahen Trinitäts- und Schöpfungstheologie] erkannt hat, […] kann demzufolge alles, was wir zunächst auf bloße Autorität hin glauben, zum Teil so eingesehen werden, dass es als vollkommen gewiss, zum anderen Teil wenigstens so angesehen wird, dass es habe geschehen können und angemessenerweise geschehen sei. […] Denn nunmehr werden jene hochheilige Menschwerdung, die

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Jungfrauengeburt, der Tod des Gottessohnes für uns, seine Auferstehung von den Toten sowie sein Sitzen zur Rechten des Vaters, ferner die Tilgung der Sünden, der Tag des Gerichts und die Auferweckung der Leiber, […] nicht nur geglaubt, sondern auch so beurteilt, dass all dies der Barmherzigkeit Gottes zu verdanken ist […] .« Der ›historische‹ Teil der christlichen Heilslehre steht im Kontinuum der Wirkung, die von Gott als der Quelle des Guten als trinitas und trinitas creatrix ausgeht. Vgl. dafür Augustinus, vera rel. IV 7: »Wenn also jene Männer [die verstorbenen Platoniker] noch einmal das Leben mit uns teilen könnten, würden sie ohne Zweifel einsehen, durch wessen Autorität den Menschen so viel leichter [als durch diejenige Platons] der richtige Rat gegeben wird, und sie würden, nach der Veränderung weniger Ausdrücke und Sätze (paucis mutatis verbis atque sententiis) Christen werden.« Vgl. dazu Goulven Madec, Si Plato viveret …. Augustin, de vera religione 3, 3, in: Néoplatonisme. Mélanges offerts à Jean Trouillard. Les Cahiers de Fontenay, 19 – 22, Fontenay aux Roses 1981, 231 – 247. Vgl. dafür exemplarisch Platon, Rep. 368 b (»weil jeder einzelne von uns sich nicht selbst genügt, sondern gar vieles bedarf«) – 373 e (»also werden wir von den Nachbarn Land abschneiden … und auch sie wieder von unserem, wenn auch sie die Grenzen des Notwendigen überschreitend, nach ungemessenem Besitz streben«). Für die Bekehrung der Platoniker zum Christentum vgl. vera rel. IV 7. Die Schilderung der Bekehrung des Platonikers Marius Victorinus durch den ebenfalls von der platonischen Philosophie zum Christentum übergetretenen Simplicianus (Augustinus, conf. VIII 2, 3 – 5) ist das Muster für die conversio des Augustinus (vgl. ebd. VIII ab 5, 10). Augustinus, vera rel. IV 7. Zur Bedeutung dieses Bildes bei Plotin und Platon vgl. S. 170 f. Augustinus beginnt sein Referat der porphyrianischen Konzeption triadisch gefasster »principia« civ. X 23. Vgl. dazu ebd. X 29. Zur Präsenz des Porphyrios in Buch X vgl. Pierre Hadot, Citations de Porphyre chez Augustin, Revue des Études Augustiniennes, 6 (1960) 205 – 244. An dieser Stelle wird greifbar, was Augustinus unter der geringfügigen Änderung der »verba et sententiae« versteht, die den Platoniker zum Christen macht. Porphyrios hätte schreiben müssen, »dass der Mensch

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nur durch den Urgrund gereinigt wird«. Stattdessen redet er wie die übrigen Platoniker (vgl. Anm. 838) »von Urgründen in der Mehrzahl«. Augustinus, civ. X 24. Überliefert beim Neuplatoniker Macrobius (Anfang des 5. Jh), Commentarii in somnium Scipionis I 3, 18, (ed. Willis). Vgl. damit Text 57. Augustinus, civ. X 29: »Indem du der Lehre Platons folgst, erklärst du für gewiss, dass der Mensch in diesem Leben auf keine Weise zur Vollendung der Weisheit gelangen kann.« Vgl. dazu die nähere Begründung ebd. X 32. Augustinus, civ. X 32: »Er dachte nämlich, dass ihm bislang die hervorragende Autorität nicht gegenwärtig geworden sei, die für eine so große Sache nötig sei.« Augustinus, civ. X 28: Nach Porphyrios kann »Unwissenheit (ignorantia) … nur durch den väterlichen Geist gereinigt werden, der den Willen des Vaters kennt«, aber: »Du glaubst nicht, dass dieser Christus ist, denn du verachtest ihn, weil er seinen Leib von einer Frau angenommen hat und wegen der Schande der Kreuzigung.« Wäre er als Philosoph tatsächlich ein »Liebhaber der Tugend und Weisheit« gewesen, hätte er in Christus die ›göttliche Kraft und göttliche Weisheit‹ erkannt, statt »aufgeblasen vom Dünkel eitler Gelehrsamkeit vor seiner [Christi] heilbringenden Niedrigkeit« ›zurückzuweichen‹ (ebd. X 28). Indem er (ebd. X 29) »bekennt«, dass die »Gnade«, »durch Einsicht zu Gott zu gelangen«, nur wenigen »verliehen« sei, akzeptiert er zwar die soteriologische Notwendigkeit göttlicher Hilfe, kann aber keine Person benennen, die diese Hilfe authentisch verkörpert. Zu Christus als vera sapientia et scientia vgl. Augustinus, trin. XIII und XIV. Dazu Goulven Madec, ›Christus, scientia et sapientia nostra‹. Le principe de cohérence de la doctrine augustinienne (1975), in: Madec (1996) 121 – 124 und Honnefelder (1992). Augustinus, vera rel. II 2. Vgl. Augustinus, vera rel. III 4 – 5 und IV 6: »Denn wenn [die alten Platoniker …] wieder zum Leben kämen und sähen die vollen Kirchen und die verlassenen Tempel« und »wie das Menschengeschlecht von der Gier nach zeitlichen und vergänglichen Gütern weg zur Hoffnung auf das ewige Leben sowie auf geistliche und geistige Güter hingerufen wird

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und dem Rufe auch wirklich folgt, dann würden sie wohl sagen, […]: Das ist es, was wir nicht wagten, den Leuten ernsthaft nahe zu legen. Haben wir uns doch lieber ihren üblen Gewohnheiten angepasst, statt sie zu dem, was wir glaubten und wollten, hinzuführen.« Augustinus, ep. 118, 17. Vgl. Augustinus, vera rel. III 3: »Plato würde, […] antworten, kein Mensch könne das leisten, wenn ihn nicht Gottes Kraft und Weisheit über die natürlichen Verhältnisse hinausgehoben, wenn sie ihn nicht ohne alle menschliche Belehrung, vielmehr durch innerlichste, schon in frühester Kindheit verliehene Erleuchtung mit solcher Gnade geehrt, mit solcher Kraft ausgerüstet […] hätte.« Vgl. dazu auch Augustinus, civ. X 27 und die frühe Bemerkung in doctr. christ. II 40, 60, die es rechtfertigt, das, was namentlich in der platonischen Philosophie, ›zufällig‹ als ›etwas Wahres‹ und deshalb ›zu unserem Glauben Passendes‹ enthalten ist, »wie von ungerechten Besitzern (tamquam ab iniustis possessoribus) für den eigenen Gebrauch zurückzufordern.« Vgl. dazu Gnilka (1984) 80 ff., insbes. 88 ff. Augustinus, vera rel. XVI 31: »nihil egit vi, sed omnia suadendo et monendo«. Dass in der göttlichen als absoluter Macht die »vis potestatis« zur »suavitas« des »sermo suasionis« hinzutritt, ist im Blick auf den Begriff absoluter als gerechter Macht keine substantielle Modifikation. Vgl. dafür Augustinus, retr. I 12. Auch die Wirkung der göttlichen Gnade besteht in situationsabgestimmten Formen der »admonitio« und »vocatio«, die ohne frei gewollte Zustimmung des Ermahnten und ›Berufenen‹ nicht ›wirken‹ können: Vgl. dafür beispielsweise Augustinus, div. qu. ad Simpl. I 2, 9 – 10. Augustinus, vera rel. XVI 32, dort auch zur Bezeichnung der Bibel als »disciplina naturalis« und »disciplina rationalis« (ebd. XVII 33), so dass die Bibel nach dem von Platon vorgegebenen Muster ›Physik‹, ›Ethik‹ und ›Logik‹ miteinander zur Einheit verbindet. Augustinus, vera rel. XXIV 45. Auch die dem Zitat folgenden Sätze dieses Abschnitts sind zu beachten. Vgl. dafür die dritte Stufe des geistigen Entwicklungsalters, die Augustinus, vera rel. XXVI 134 beschreibt. Zum Interaktionsverhältnis von ›fides‹ und ›ratio‹ vgl. auch die Reflexion auf die ›Erkenntnis‹ der göttli-

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chen Trinität bei Augustinus, ep. 120, 3 ff.: Wer kein Verstehen begehrt, sondern sich mit dem bloßen Glauben begnügt, hat nicht verstanden, worin die Bedeutung des Glaubens besteht. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die 391/392 verfasste Schrift De utilitate credendi. Was die Internalisierung des timor dei bedeutet, mag im Blick auf die Antizipation des Weltgerichts im ›tribunal mentis‹ deutlich werden (vgl. S. 291 mit Anm. 858). Damit ist im Kern ein ›non servilis timor‹ gemeint, den Augustinus, ep. 140, 20, 51 als Vorstufe der Gnade bezeichnet. Augustinus, vera rel. XVII 33: »quoniam pietas timore inchoatur, caritate perficitur.« Diese Gegenüberstellung bezieht sich auf die Unterscheidung zwischen der Lehrweise des Alten und des Neuen Testaments. Vgl. dafür Cicero, Tusc. IV, 58: »itaque bene adhibita ratio cernit quid optumum sit.« Der Hinweis auf Cicero will keine Abschweifung sein, sondern zeigen, wie präzise Augustinus seinem ersten philosophischen Lehrer folgt. Gerade bei Cicero besteht, ähnlich wie bei Seneca, ein waches Bewusstsein dafür, dass es der Philosophie primär um die Verwirklichung eines ethischen Ziels geht. Um dieses Zieles willen versteht sie sich selber als »bene adhibita ratio«, die als solche mit der Bereitschaft zur Selbstkorrektur rechnet. Das ist die zutreffende Formulierung von Siegbert Peetz (1997) 85. Vgl. dafür exemplarisch Augustinus, civ. XXII 22: »Ließe man ihn leben, wie er will, und tun, was er will, würde er dann nicht in … Schand- und Freveltaten … verfallen«. Augustinus, retr. I 8, zitiert nach Augustinus (ed. 1962) 569. Zu vergleichen wäre damit die ›harte‹ anthropologische Reflexion auf die »Wurzel des Irrtums und der verkehrten Liebe«, von der »niemand ohne Mühe, Qual und Angst befreit werden kann«. Sie beruht nicht auf individueller Lasterhaftigkeit (»Bosheit und Schlechtigkeit gottloser Menschen«), sondern muss auf die strukturellen Bedingungen menschlich-postparadiesischer Lebensführung (›das allen gemeinsame elende Los‹) zurückgeführt werden. Die Stelle ist Augustinus, civ. XXII 22. Übersetzung nach Johann Kreuzer. Vgl. damit die Charakterisierung der Platoniker bei Augustinus, vera rel. IV 7. zitiert S. 236 mit Anm. 871.

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Vgl. dazu Alfons Reckermann, Nietzsches Philosophie als dionysische Rechtfertigung des Daseins, in: Ausblicke. Dokumentationsschrift des Zentrums Seniorenstudium der Ludwig-Maximilians-Universität München 14 (2003) 87 – 96. Friedrich Nietzsche, Die Philosophie im tragischen Zeitalter, KSA 1, 817. KSA 1, 816. KSA 1, 824. KSA 1, 821. KSA 1, 817. Nietzsches ›Umdrehung‹ des Platonismus ist seinem Selbstverständnis nach die ›Umdrehung‹ jener ›Umdrehung‹, die Platon bewirkt hat (vgl. dazu Bd. II, S. 143 f.), so dass Nietzsche seine eigene Philosophie als ›Rechtfertigung des Werdens‹ bezeichnen kann. Zu Senecas Begriff creativer Nachahmung als wettkämpferischer Überbietung vorgegebener ›exempla‹ im 84. Luciliusbrief (4 – 11), dem die im Text umschriebenen Zitate entnommen sind, vgl. Reckermann (1993). Vgl. dafür Text 24 mit den Ausführungen Bd. II, S. 30 ff.. Vgl. dafür die Texte 1 und 2. Vgl. dazu Bd. I, S. 132. Vgl. Bd. II, S. 224 ff. Vgl. Bd. II, S. 129 ff. (Eros) und 134 ff. Ich formuliere diesen Gedanken im Blick auf folgenden Satz des Demokrit: »Natur und Unterricht sind einander ähnlich; denn Unterricht (διδαχ ) formt den Menschen um (μεταρυσμο$ ) und indem er das tut, erschafft er (eine neue) Natur (φυσιοποιε$ )« = VS 68 B 33. Da Demokrit diesen Gedanken im Kontext eines konsequent atomistischen Naturverständnisses entwickelt, ist er dadurch umso bezeichnender für das antike Bewusstsein von der Wirklichkeit erzeugenden Kraft, die von der Lehre und vom Unterricht ausgeht. Ich entnehme dieses und das in der folgenden Anm. angeführte Zitat aus der Nikomachischen Ethik Gnilka (1993) 66 ff. Aristoteles, EN 7, 1152 a 29 ff. zitiert zwei Verse des Sophisten und Dichters Euenos aus Paros (um 400 in Athen wirksam): ›Lang andauerndes Üben, … schafft Gewöhnung und diese verfestigt sich schließlich im Menschen und wird ihm zur Natur.«

Bibliographie

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Zur Zitierweise

Zitate aus griechischen und lateinischen Texten werden in deutscher Übersetzung gegeben. In einfacher Klammer werden besonders wichtige Begriffe und Formulierungen in der Originalsprache hinzugefügt. Das geschieht bei Substantiven in der Regel in der Form des Nominativs und bei Verben in der des Infinitivs. Für die Titel der wichtigsten zitierten Texte werden die gängigen Abkürzungen verwendet. Dabei orientiere ich mich (mit leichten, aus sich selbst heraus verständlichen Modifikationen) für die in lateinischer Fassung angeführten Werktitel Platons am ›Greek-English Lexicon‹ von Lidell-Scott-Jones, Oxford 1940 (gut nachzulesen bei Görgemanns (1994) 38 ff.), für die Werktitel des Aristoteles (ebenfalls in der üblichen lateinischen Fassung) an Höffe (1999) 9 f., für die Titel der Werke des Augustinus am in Bd. III, Anm. 796 genannten Augustinus-Lexikon von Cornelius Mayer. Leicht erreichbar z. B. bei Horn (1995) 7. Abkürzungen für Titel der Werke von Hesiod, Xenophon, Cicero, Epikur, Plinius und Sextus Empiricus, Justin Martyr, Tertullian und Clemens Alexandrinus sind den nachfolgenden bibliographischen Angaben zu entnehmen. Bei Seneca steht epist. für die Epistulae morales ad Lucilium. Für Plotin gilt: Die erste römische und die erste arabische Ziffer bezeichnen die Enneade nach der systematischen Anordnung des Porphyrios. Dem folgt in eckiger Klammer die Nr. der historischen Reihenfolge (vgl. dafür Bd. III, Anm. 351). Die beiden nachfolgenden arabischen Ziffern bezeichnen Abschnitt und Zeile nach der Ausgabe: Plotin (ed. 1956 – 1971). Für Titelabkürzungen von Schriften des AT und NT gelten die Loccumer Richtlinien (nachgewiesen z. B. in: Die Bibel nach der Übers. v. Martin Luther, s. u.).

Bibliographie

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Unter den im Folgenden angeführten Quellentexten sind auch die Abkürzungen DL, KSA, KRS, SVF und VS aufgeschlüsselt. In den herangezogenen Quellentexten und in Zitaten, die im Textoder Anmerkungsteil ausgeschrieben sind, ist alles, was in eckigen Klammern [ ] steht, Zusatz des Verfassers.

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Literatur

Die Autoren werden in alphabetischer Reihenfolge aufgeführt. Textausgaben der Vorsokratiker, Atomisten, Sophisten und Stoiker sind unter dem Anfangsbuchstaben der üblichen philosophiehistorischen Bezeichnung zu finden, Ps.-Autoren unter dem jeweiligen Anfangsbuchstaben, also Ps.-Justin unter Justin. Für die ausführlicher dargestellten Autoren sind außer den benutzen oder gut erreichbaren, vorzüglich zweisprachigen auch die zitierfähigen Ausgaben angeführt. Da Nietzsche kein antiker Autor ist, steht der Hinweis auf die zitierte Ausgabe seiner Werke am Schluss dieses Verzeichnisses. Aischylos – Tragödien und Fragmente. Hrsg. und übersetzt von Oskar Werner, München 21969. – (ed. 1988) Prometheus in Fesseln. Zweisprachige Ausgabe. Mit dem griechischen Text hrsg. und übersetzt von Dieter Bremer. Mit Hinweisen zur Deutung und zur Wirkungsgeschichte, Frankfurt/M. Aristophanes – Clouds, Wasps, Peace. Edited and translated by Jeffrey Henderson, Cambridge (Mass.) / London 1998. – (ed. 1968), Antike Komödie. Aristophanes. Hrsg. und mit Einleitungen und einem Nachwort hrsg. von Hans-Joachim Newiger. Neubearbeitung der Übersetzung von Ludwig Seeger (Frankfurt/M. 1845 – 48) und Anm. von Hans-Joachim Newiger und Peter Rau, München.

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Bibliographie











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von Wilhelm Thimme. Eingeleitet und kommentiert von Carl Andresen, 2 Bände, München 1977/1978. De beata vita. Über das Glück. Lateinisch-deutsch. Übersetzung, Anmerkungen und Nachwort von Ingeborg Schwarz-Kirchenbauer und Willi Schwarz, Stuttgart 1982. Logik des Schreckens. Augustinus von Hippo, De diversis quaestionibus ad Simplicianum I 2. Deutsche Erstübersetzung von Walter Schäfer. Herausgegeben und erklärt von Kurt Flasch, Zweite verbesserte Auflage mit Nachwort, Mainz 1995. De trinitate (Bücher VIII – XI, XIV – XV, Anhang: Buch V). Neu übersetzt und mit Einleitung hrsg. von Johann Kreuzer. Lateinisch-deutsch, Hamburg 2001. De musica. Bücher I und VI. Vom ästhetischen Urteil zur metaphysischen Erkenntnis. Eingeleitet, übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Frank Hentschel. Lateinisch-deutsch, Hamburg 2002. Selbstgespräche. Von der Unsterblichkeit der Seele. Lateinisch und deutsch. Gestaltung des lateinischen Textes von Harald Fuchs. Einführung, Übertragung, Erläuterungen und Anmerkungen von Hanspeter Müller, Düsseldorf / Zürich 2002.

Biblia Sacra Iuxta Vulgatam versionem recensuit et brevi apparatu instruxit Ropertus Weber, editio tertia emendata quam paravit Bonifatius Fischer, 2 Bde., 3. verbesserte Aufl., Stuttgart 1983. Septuaginta Id est Vetus Testamentum graece iuxta LXX interpretes ed. Alfred Rahlfs, Stuttgart 1979. Novum Testamentum Graece et Latine, ed. Eberhard Nestle, ed. nov. Erwin Nestle und Kurt Aland, Stuttgart 211962. Die Bibel nach der Übersetzung von Martin Luther mit Apokryphen, in der revidierten Fassung von 1984. Hrsg. von der Evangelischen Kirche in Deutschland, Stuttgart 1999.

446

Bibliographie

Cicero – Marcus Tullius, De inventione. Über die Auffindung des Stoffes. De optimo genere oratorum. Über die beste Gattung von Rednern. Lateinischdeutsch, hrsg. und übers. von Theodor Nüßlein, Düsseldorf 1998. – De finibus bonorum et malorum – Von den Grenzen im Guten und Bösen. Lateinisch und deutsch. Eingeleitet und übertragen von Karl Atzert, Zürich / Stuttgart 1964 ( fin.). – Tusculanae disputationes. Gespräche in Tusculum. Lateinisch-deutsch, mit ausführlichen Anmerkungen neu hrsg. von Olof Gigon, München 4 1979 (Tusc.). – De natura deorum. Vom Wesen der Götter. Lateinisch – deutsch, hrsg. übersetzt und erläutert von Wolfgang Gerlach und Karl Bayer, München 1978 (nat. deor.). – Hortensius. Lucullus. Academici libri. Hrsg., übersetzt und kommentiert von Laila Straume-Zimmermann, Ferdinand Broemser und Olof Gigon, München / Zürich 1990 ( Ac. post. für Academica posteriora). – De legibus. Paradoxa Stoicorum. Über die Gesetze. Stoische Paradoxien. Lateinisch und deutsch. Hrsg., übersetzt und erläutert von Rainer Nickel, Düsseldorf 2002. – De oratore. Über den Redner. Lateinisch-deutsch, hrsg. und übersetzt von Theodor Nüßlein, Düsseldorf 2007. – De officiis. Vom pflichtgemäßen Handeln. Lateinisch-deutsch. Hrsg. und übersetzt von Rainer Nickel, Düsseldorf 2008 (off.). Clemens Alexandrinus – Erster Band, Protrepticus und Paedagogus. Hrsg. von Otto Stählin. 3. durchgesehene Aufl. von Ursula Treu, Berlin 1972 (Abkürzung für den zuerst angeführten Titel: Protr.). – Zweiter Band, Stromata Buch I – VI, hrsg. von Otto Stählin. In dritter Aufl. hrsg. von Ludwig Früchtel, Berlin 1960. – Dritter Band: Stromata Buch VII und VIII. Excerpta ex Theodoto, Eclogae Propheticae. Quis dives salvetur. Fragmente, hrsg. von Otto Stählin. 2. Aufl. von Ludwig Früchtel und Ursula Treu, Berlin 1970 (Abkürzung für die ›Stromata‹: Strom.). – Vierter Band, Register, von Otto Stählin, Leipzig 1936.

Bibliographie

447

– Des Clemens von Alexandreia ausgewählte Schriften aus dem Griechischen übersetzt von Otto Stählin, 5 Bände. Bibliothek der Kirchenväter, München 1934 ff. DL – Diogenes Laertius, Vitae philosophorum, recognovit Herbert Strain Long, Oxford 1964. – Leben und Lehre der Philosophen. Aus dem Griechischen übersetzt und hrsg. von Fritz Jürß, Stuttgart 1998. Dion aus Prusa – (ed. 2002), Olympische Rede oder Über die erste Erkenntnis Gottes. Eingeleitet, übersetzt und interpretiert von Hans-Josef Klauck. Mit einem archäologischen Beitrag von Balbina Bäbler, Darmstadt, 2. verbesserte Auflage. Epiktet – Teles, Musonius, Ausgewählte Schriften. Griechisch-deutsch. Hrsg. und übersetzt von Rainer Nickel, Zürich 1994. – The Discourses as Reported by Arrian, The Manual, and Fragments. With an English Translation by William Abbot Oldfather, 2 Vol. Cambridge (Mass) und London 1978 f. – Handbüchlein der Moral. Griechisch-deutsch. Übersetzt und hrsg. von Kurt Steinmann, Stuttgart 1992. Epikur – Briefe, Sprüche, Werkfragmente. Griechisch-Deutsch. Übersetzt und hrsg. von Hans-Wolfgang Krautz, Stuttgart 1980. – Wege zum Glück. Griechisch-lateinisch-deutsch. Hrsg. und übersetzt von Rainer Nickel, Düsseldorf / Zürich 22006 (Titelabkürzungen: ad. Her. = An Herodotos, ad Pyth.= An Pythokles, ad Men. = An Menoikeus, Rat. Sent. = Kyriai Doxai (Ratae sententiae = Maßgebende Sätze). Euripides – Sämtliche Tragödien und Fragmente. 6 Bände. Griechisch-deutsch. Übersetzt von Ernst Buschor. Hrsg. von Gustav Adolf Seeck, München 1972.

448

Bibliographie

Eusèbe de Césarée – La préparation évangélique, livres XIV – XV. Introduction, texte grec, traduction et annotation par Éduoard des Places, Paris 1987. Gorgias – (ed. 1989) von Leontinoi, Reden, Fragmente und Testimonien, hrsg. mit Übersetzung und Kommentar von Thomas Buchheim, Hamburg. Heraklit – Fragmente. Griechisch und deutsch, hrsg. von Bruno Snell, München 1965. Herodot – Historien. Zwei Bände. Griechisch-deutsch, hrsg. von Josef Feix, München 1963, 31980. Hesiod – (ed. 1970) Sämtliche Gedichte. Übersetzt und erläutert von Walter Marg, Zürich und München 21984. – (ed. 1966, 21971) Theogony, ed. with Prolegomena and Commentary by Martin Litchfield West, Oxford. – (ed. 1999) Theogonie. Griechisch-Deutsch. Übersetzt und hrsg. von Otto Schönberger, Stuttgart (Theog.). – Werke und Tage. Griechisch-Deutsch. Übersetzt und hrsg. von Otto Schönberger, Stuttgart 1996 (Erga). Homer – Ilias. Übertragen von Hans Rupé. Mit Urtext, Anhang und Registern, München 1961. Isokrates – 3 Volumes, with an English Translation by George Norlin, Vol. I – II, Vol. III with an English Translation by Larue van Hook, Cambridge (Mass.) / London 1982 ff. – Sämtliche Werke, Band I. Reden I – VIII. Übersetzt von Christine LeyHutton. Eingel. und erläutert von Kai Brodersen, Stuttgart 1993. – Sämtliche Werke, Band II. Reden IX – XXI. Briefe. Fragmente. Stuttgart 1997.

Bibliographie

449

Justin – (ed. 2003) Martyr, Dialogue avec Tryphon. Édition critique par Philippe Bobichon, 2 Vol. (1 = Introduction, texte grec, traduction; 2 = Notes de la traduction, appendices, indices), Fribourg en Suisse (dial.). – Dialog mit dem Juden Tryphon. Übersetzt von Philipp Haeuser. Neu hrsg. von Katharina Greschat und Michael Tilly, Wiesbaden 2005 (nach der Ausgabe Kempten 1917). – (ed. 2006), Apologie pour les Chrétiens. Introduction, texte critique, traduction et notes par Charles Munier, Paris (Apol. I und Apol. II). Ps.-Justin – (Markell von Ankyra?), Ad Graecos de vera religione (bisher »Cohortatio ad Graecos«). Einleitung und Kommentar von Christoph Riedweg, Basel 1994. Lukrez – De rerum natura. Welt aus Atomen. Lateinisch-Deutsch. Übersetzt und mit einem Nachwort hrsg. von Karl Büchner, Stuttgart 1973. Marc Aurel – Wege zu sich selbst. Griechisch-deutsch, hrsg. und übersetzt von Rainer Nickel, Düsseldorf / Zürich 1998. Origenes – Contre Celse. Introduction, Texte critique, traduction et notes par Marcel Borret, 4 Bde., Paris 1967 – 1969. Parmenides – (ed. 1969) Vom Wesen des Seienden. Die Fragmente, griechisch und deutsch. Hrsg., übers. und erläutert von Uvo Hölscher, Frank furt/M. Pausanias – Graeciae descriptio, ed. Maria Helena Rocha-Pereira, Leipzig 1973 – 1981. – Beschreibung Griechenlands. Ein Reise- und Kulturführer aus der Antike. Auswahl, Übersetzung aus dem Griechischen und Nachwort von Jacques Lager, Zürich 1999.

450

Bibliographie

Philo Alexandrinus – in Ten Volumes (and Two Supplementary Volumes) with an English Translation by Francis Henry Colson, Graham H. Whitaker and Ralph Marcus, Cambridge (Mass.) / London 1929 ff. Pindar – Siegesgesänge und Fragmente. Griechisch und deutsch, hrsg. und übersetzt von Oskar Werner, München 1967. Pirrone – (ed. 1981), Testimonianze, a cura di Fernanda Decleva Caizzi, Napoli. Platon – Werke in acht Bänden. Griechisch und deutsch, hrsg. von Günther Eigler, Darmstadt. Griechischer Text: Platon, Œuvres complètes der Société d’Édition ›Les Belles Lettres‹, Paris 1921 – 1956. Deutsche Übersetzung: Platon, Sämtliche Werke in der Übersetzung von Friedrich Schleiermacher, urspr. Berlin 1804 – 1828, Darmstadt 1970 – 1983. Plinius – C. Secundus, Naturalis historiae libri XXXVII. Naturkunde. Lateinischdeutsch. Buch II. Kosmologie. Hrsg. und übersetzt von Roderich König in Zusammenarbeit mit Gerhard Winkler, München 1974. – Naturalis historiae libri XXX VII. Naturkunde. Lateinisch-deutsch. Buch VII. Anthropologie. Hrsg. und übers. von Roderich König in Zusammenarbeit mit Gerhard Winkler, München 1975 (Abk. jeweils Hist. nat.). Plotin – (ed. 1956 – 1971) Plotins Schriften. Übersetzt von Richard Harder. Neubearbeitung mit griechischem Lesetext und Anmerkungen (Schriften in chronologischer Folge), 6 Bände, Hamburg. Ab Bd. II fortgeführt von Rudolf Beutler und Willy Theiler. – (ed. 1967) Über Ewigkeit und Zeit (Enneade III 7). Übersetzt, eingeleitet und kommentiert von Werner Beierwaltes, 4. erweiterte Auflage, Frankfurt/M. 1995.

Bibliographie

451

– (ed. 1990) Geist – Ideen – Freiheit. Enneade V 9 und VI 8. Griechischer Lesetext und Übersetzung von Richard Harder, in einer Neubearbeitung fortgeführt von Rudolf Beutler und Willy Theiler, eingeleitet, mit Bemerkungen und bibliographischen Hinweisen versehen von Werner Beierwaltes. Griechisch-Deutsch, Hamburg. – (ed. 1991) = Werner Beierwaltes, Selbsterkenntnis und Erfahrung der Einheit. Plotins Enneade V 3. Text, Übersetzung, Interpretation, Erläuterungen, Frankfurt/M. Plutarch – Moralia. In Sexteen Volumes with an English Translation by Frank Cole Babbit et al., Cambridge (Mass.) / London 1927 ff. – Religionsphilosophische Schriften. Über den Aberglauben. Über die späte Strafe der Gottheit. Über Isis und Osiris. Griechisch-deutsch. Übersetzt und hrsg. von Herwig Görgemanns unter Mitarbeit von Reinhard Feldmeier und Jan Assmann, Düsseldorf / Zürich 2003. Porphyrios – Vita Plotini. Über Plotins Leben und über die Ordnung seiner Schriften. Text, Übersetzung, Anmerkungen von Richard Harder, zum Druck besorgt von Walter Marg, Hamburg 1958 = Plotin (ed. 1956 – 1971), Band V c : Anhang. Poseidonios – (ed. 1982), Die Fragmente. 2 Bde. Hrsg. von Willy Theiler, Berlin / New York. Seneca – Lucius Annaeus, Philosophische Schriften. Lateinisch und deutsch. Lateinischer Text nach der Ausgabe der Société d’Édition ›Les Belles Lettres‹, Paris 1959ff, hrsg., übersetzt, eingeleitet und mit Anmerkungen von Manfred Rosenbach, 5 Bände, Darmstadt 1971 – 1989. – Naturales quaestiones. Naturwissenschaftliche Untersuchungen. Lateinisch-deutsch, übersetzt und hrsg. von Otto und Eva Schönberger, Stuttgart 1998.

452

Bibliographie

Sextus Empiricus with an English Translation by Robert Gregg Bury in Four Volumes, Cambridge (Mass.) / London 1968 – 1983 (Adv. math. für Adversus mathematicos). – Grundriß der pyrrhonischen Skepsis. Eingeleitet und übersetzt von Malte Hossenfelder, Frankfurt/M. 1968 (PH). Die Sophisten Ausgewählte Texte. Griechisch/Deutsch. Hrsg. und übersetzt von Thomas Schirren und Thomas Zinsmaier, Stuttgart 2003. Sophokles – Tragödien und Fragmente. Griechisch und deutsch, hrsg. und übers. von Wilhelm Willige, überarbeitet von Karl Bayer, München 1966. SVF Stoicorum Veterum Fragmenta, ed. Hans von Arnim, 4 Bde., Leipzig 1903 – 1924, Neudruck Stuttgart 1968. Tertullian – Apologeticum. Verteidigung des Christentums. Lateinisch und deutsch, hrsg., übers. und erläutert von Carl Becker, München 21961 (Apol.). – (ed. 1980), Über die Seele. Über die Seele (De anima). Das Zeugnis der Seele (De testimonio animae). Vom Ursprung der Seele (De censu animae). Eingeleitet, übersetzt und erläutert von Jan Hendrik Waszink, Zürich und München (Abkürzungen: an., test. an.). – (ed. 2002), De praescriptione haereticorum. Vom prinzipiellen Einspruch gegen die Häretiker. Übersetzt und eingeleitet von Dietrich Schleyer, Turnhout (Abkürzung: praescr.). Thukydides – Historiae. ed. Henricus Stuart Jones, 2 Volumes, Oxford 71987. – Der Peloponnesische Krieg. Übersetzt und hrsg. von Helmuth Vretska und Werner Rinner, Stuttgart 2002. VS Die Fragmente der Vorsokratiker. Hrsg. von Hermann Diels und Walter Kranz, 6. Aufl. von Walter Kranz, Berlin 1951/52.

Bibliographie

453

Vorsokratiker – (2007) Die Vorsokratiker. Griechisch-lateinisch-deutsch. Auswahl der Fragmente und Zeugnisse. Übersetzt und Erläuterungen von Millj Laura Gemelli Marciano, Düsseldorf, Bd. 1. Thales, Anaximander, Anaximenes, Pythagoras und die Pythagoreer, Xenophanes, Heraklit. – (2009) Band 2. Parmenides, Zenon, Empedokles. – (2010) Mannheim, Band 3. Anaxagoras, Melissos, Diogenes von Apollonia, Die antiken Atomisten: Leukipp und Demokrit. KRS Die vorsokratischen Philosophen. Einführung, Texte und Kommentare von Geoffrey Stephen Kirk, John Earle Raven und Malcolm Schofield. Ins Deutsche übersetzt von Karlheinz Hülser, Stuttgart, Weimar 2001 (engl. Erstausgabe 1957). Xenophon – Erinnerungen an Sokrates. Griechisch-deutsch, hrsg. von Peter Jaerisch, München 1977 (Mem. Socr.). KSA Friedrich Nietzsche, Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Bänden. Hrsg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, Berlin / München 1980.

| Philosophiehistorische Darstellungen

2.

Hegel (ed. 1832 – 1845) Georg Wilhelm Friedrich, Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie1. Werke in zwanzig Bänden. Auf der Grundlage der Werke von 1832 – 1845 neu edierte Ausgabe. Redaktion Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Frankfurt/M. 1971, Bd. 18 und 19. 1

Wegen der besonderen Schwierigkeiten bei der kritischen Sicherung dieses Textes zitiere ich ihn der leichteren Erreichbarkeit wegen nach dieser Ausgabe und verweise in Klammern auf Band- und Seitenzahl von Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Sämtliche Werke. Jubiläumsausgabe in 20 Bänden, neu hrsg. von Hermann Glockner, Stuttgart 1927 ff.

454

Bibliographie

Nietzsche (ed. 1980) Friedrich, Die Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen. KSA 1, 800 – 872. GGPh Grundriss der Geschichte der Philosophie. Begründet von Friedrich Ueberweg. Völlig neu bearbeitete von Helmut Holzhey. Die Philosophie der Antike, hrsg. von Hellmut Flashar, Basel 1998 ff. – Bd. 2/1, Sophistik. Sokrates. Sokratik. Mathematik. Medizin. Hrsg. von Hellmut Flashar, 1998. – Bd. 2/2 = Erler (2007), Michael, Platon. – Bd. 3, Ältere Akademie, Aristoteles, Peripatos, 2. durchgesehene und erweiterte Aufl. Hrsg. von Hellmut Flashar, 2004. – Bd. 4/1 und 4/2, Die hellenistische Philosophie. Hrsg. Hellmut Flashar, 1994. Röd (Hrsg.) Wolfgang, Geschichte der Philosophie. – Bd. III: Malte Hossenfelder, Stoa, Epikureismus und Skepsis, 2., aktualisierte Auflage 1995. Ricken – (1993) Friedo, Philosophie der Antike, 2. durchgesehene Aufl. (11988), Stuttgart u. a. – (Hrsg. 1996) Philosophen der Antike, 2 Bände, Stuttgart u. a. Dillon – (1996) John, The Middle Platonists. A Study of Platonism 80 B. C. to A. D. 220, revised edition with a new afterword, Ithaca, New York (11977). Long / Sedley – (2000) Die hellenistischen Philosophen. Texte und Kommentare. Übersetzt von Karlheinz Hülser, Stuttgart und Weimar (Originaltitel: Anthony A. Long / David N. Sedley, The Hellenistic Philosophers, Vol. I: Translation of the Principal Sources and Philosophical Commentary, Cambridge 1987).

Bibliographie

455

Long – (Hrsg. 2001) Anthony. A., Handbuch frühe griechische Philosophie. Von Thales zu den Sophisten. Aus dem Englischen von Karlheinz Hülser, Stuttgart / Weimar (dt. Übersetzung von: The Cambridge Companion to Early Greek Philosophy, Cambridge 1999). Ottmann – (2001) Henning, Geschichte des politischen Denkens, Stuttgart / Weimar, Bd. 1 Die Griechen. 1/1: Von Homer bis Sokrates, 1/2: Von Platon bis zum Hellenismus. Fiedrowicz – (Hrsg. 2004) Michael, Christen und Heiden. Quellentexte zu ihrer Auseinandersetzung in der Antike, Darmstadt.

3.

| Lexika und Handbücher

HWPh Historisches Wörterbuch der Philosophie, 12 Textbände und ein Registerband, hrsg. von Joachim Ritter, ab Bd. 4 von Karlfried Gründer, ab Bd. 11 mit Gottfried Gabriel, Basel / Stuttgart 1971 – 2007. Höffe – (Hrsg. 2005) Otfried, Aristoteles-Lexikon, Stuttgart. Lausberg – (1960) Heinrich, Handbuch der literarischen Rhetorik, 2 Bände, München. RE Paulys Real-Encyclopädie der classischen Altertumswissenschaft. Neue Bearbeitung, begonnen von Georg Wissowa, fortgeführt von Wilhelm Kroll u. a. Reihe 1. 2 (nebst) Suppl. 1 ff. (1894 ff.). WAPh Wörterbuch der antiken Philosophie, hrsg. von Christoph Horn und Christof Rapp, München 2002.

456

4.

Bibliographie

| Sammelbände

Die folgende Liste enthält nur häufiger benutzte oder besonders wichtige Bände. Die bibliographischen Angaben zu einmal zitierten Titeln sind am jeweiligen Ort nachgewiesen. Diese Regel gilt auch für die ›Monographien und Aufsätze‹. Beierwaltes – (Hrsg. 1969) Werner, Platonismus in der Philosophie des Mittelalters, Wege der Forschung 197, Darmstadt. Classen – (Hrsg. 1976) Carl Joachim, Sophistik. Wege der Forschung 187, Darmstadt. Colpe – (Hrsg. 1992) Carsten zusammen mit Ludger Honnefelder und Matthias Lutz-Bachmann, Spätantike und Christentum. Beiträge zur Religions- und Geistesgeschichte der griechisch-römischen Kultur und Zivilisation der Kaiserzeit, Berlin. Curd / Graham – (ed. 2008) The Oxford Handbook of Presocratic Philosophy, edited by Patricia Curd and Daniel W. Graham, Oxford. Gaiser – (Hrsg. 1969) Konrad, Das Platonbild. Zehn Beiträge zum Platonverständnis, Hildesheim. Hager – (Hrsg. 1969) Fritz-Peter, Metaphysik und Theologie des Aristoteles. Wege der Forschung 206, Darmstadt. Höffe – (Hrsg. 1995) Otfried, Aristoteles. Die Nikomachische Ethik. Klassiker auslegen, Bd. 2, Berlin.

Bibliographie

457

Horn – (Hrsg. 1997) Christoph, Augustinus, De civitate dei. Klassiker auslegen, Bd. 11, Berlin. Kobusch – (Hrsg. 1996) Theo und Burkhard Mojsisch, Platon. Seine Dialoge in der Sicht neuerer Forschungen, Darmstadt. Rapp – (Hrsg. 1996) Christof, Aristoteles. Metaphysik. Die Substanzbücher (Z, H, Θ), Klassiker auslegen, Bd. 4, Berlin. Rechenauer – (Hrsg. 2005) Georg, Frühgriechisches Denken, Göttingen. Rist – (Hrsg. 1978) John. M., The Stoics, Berkeley 1978. Sassi – (Hrsg. 2006) Maria Michela, La costruzione del discorso filosofico nell’ età dei Presocratici, Pisa. Sources de Plotin – (1960) = Les Sources de Plotin (1960). Entretiens sur l’Antiquité Classique, tom. V (Fondation Hardt), Vandœuvres-Genève. Temporini – (1973) Hildegard, Aufstieg und Niedergang der römischen Welt. Geschichte und Kultur Roms im Spiegel der neueren Forschung. Von den Anfängen Roms bis zum Ausgang der Republik. 4. Bd., Berlin / New York. Wippern – (Hrsg. 1972) Jürgen, Das Problem der Ungeschriebenen Lehre Platons. Beiträge zum Verständnis der Platonischen Prinzipienphilosophie, Wege der Forschung 186, Darmstadt. Zintzen – (Hrsg. 1977) Clemens, Die Philosophie des Neuplatonismus. Wege der Forschung 436, Darmstadt.

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Bibliographie

– (Hrsg. 1981) Der Mittelplatonismus. Wege der Forschung 70, Darmstadt.

5. Monographien und Aufsätze (vgl. die Bemerkung zur Abteilung Sammelbände) Beierwaltes – (1967) Werner, Einleitung zu: Plotin (ed. 1967) 9 – 88. – (1969) Augustins Interpretation von Sapientia 11, 21. Révue des Études Augustiniennes (15) 51 – 61. – (1972) Platonismus und Idealismus, Frankfurt/M., (durchgesehene und erweiterte Auflage 22004). – (1975) Aequalitas numerosa. Zu Augustins Begriff des Schönen, Wissenschaft und Weisheit (38) 140 – 157. – (1980) Identität und Differenz, Frankfurt/M. – (1981) Regio beatitudinis. Zu Augustins Begriff des glücklichen Lebens, Heidelberg. Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse. – (1985) Denken des Einen. Studien zur neuplatonischen Philosophie und ihrer Wirkungsgeschichte, Frankfurt/M. – (1990) Einführung zu: Plotin (ed. 1990) XI – XLVIII. – (1991) Selbsterkenntnis und Erfahrung der Einheit, in: Plotin (ed. 1991) 71 – 253. – (1998) Platonismus im Christentum, Frankfurt/M., 2. Aufl. 2001. – (2001) Das wahre Selbst. Studien zu Plotins Begriff des Geistes und des Einen, Frankfurt/M. – (2007) Procliana. Spätantikes Denken und seine Spuren, Frankfurt/M. Bien – (1968/69) Günther, Das Theorie-Praxis-Problem und die politische Philosophie bei Platon und Aristoteles. Philosophisches Jahrbuch der Görres-Gesellschaft (76) 264 – 314.

Bibliographie

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Blumenberg – (1981) Hans, Wirklichkeiten in denen wir leben. Aufsätze und eine Rede, Stuttgart. Bordt – (2006) Michael, Aristoteles’ ›Metaphysik XII‹, Darmstadt. Buchheim – (1989) Thomas, Einleitung zu: Gorgias (ed. 1989) VII – XXXIII. – (1999) Aristoteles, Freiburg im Breisgau. Bultmann – (51986) Rudolf, Das Urchristentum im Rahmen der antiken Religionen, Zürich und München (11949). Burkert – (1959) Walter, ΣΤΟΙΧΕΙΟΝ. Eine semasiologische Studie, in: Ders. (2008) 80 – 110. – (1965) Cicero als Platoniker und Skeptiker. Zum Platonverständnis der ›Neuen Akademie‹, in: Ders. (2008) 186 – 212. – (1969) Das Prooemium des Parmenides und die Katabasis des Pythagoras, Phronesis (14) 1 – 30, zitiert nach Burkert (2008) 1 – 26. – ( 31994) Antike Mysterien. Funktionen und Gehalt, München (11990), amerikanische Erstausgabe: Ancient Mystery Cults, HUP, Cambridge (Mass.), London 1987. – (2003) Kleine Schriften II, Orientalia, hrsg. von Millj Laura Gemelli Marciano, Göttingen. – (2008) Kleine Schriften VIII: Philosophica, hrsg. von Thomas Alexander Szlezák und Karl-Heinz Stanzel, Göttingen. Conzelmann – (41987) Hans, Grundriss der Theologie des Neuen. Testaments, bearbeitet von Andreas Lindemann, Tübingen (11967). Dodds – (1985) Eric Robertson, Heiden und Christen in einem Zeitalter der Angst, Frankfurt/M. (dt. Übersetzung von: Pagan an Christian in an Age of Anxiety, Cambridge 1965).

460

Bibliographie

Döring – (1998) Klaus, Sokrates und die Sokratiker und die von ihnen begründeten Traditionen, GGPh Bd. 2/1, 139 – 178 (Sokrates), 182 – 200 (Xenophon). Dörrie – (1967) Heinrich, Die platonische Theologie des Kelsos in ihrer Auseinandersetzung mit der christlichen Theologie auf Grund von Origenes C. Celsum 7, in: Dörrie (1976) 229 – 262. – (1976) Platonica Minora, München. Düring – (1966) Ingemar, Aristoteles. Darstellung und Interpretation seines Denkens, Heidelberg. Erler – (1994) Michael, Epikur. Die Schule Epikurs. Lukrez, GGPh 4/1. – (2006) Platon, München. – (2007) Platon, GGPh 2/2. Festugière – (1986) André-Jean, La révélation d’Hermès Trismégiste, 4 Bände, Paris (Erstdruck 1950 ff.). Finley – (1980) Moses Ian, Antike und moderne Demokratie, Stuttgart (= Democracy Ancient and Modern, New Brunswick 1973). Flasch – (1980) Kurt, Augustin. Einführung in sein Denken, Stuttgart (3. Aufl. 2002). Flashar – (2004) Hellmut, Aristoteles, GGPh 3, 167 – 492. Forschner – (1981) Maximilian, Die stoische Ethik. Über den Zusammenhang von Natur-, Sprach- und Moralphilosophie im altstoischen System, Stuttgart.

Bibliographie

461

Foucault – (2009) Michel, Hermeneutik des Subjekts. Vorlesungen am Collège de France (1981/82). Aus dem Französischen von Ulrike Bokelmann, Frankfurt/M. (frz. Originalausgabe: Paris 2001). Fränkel – (1976) Hermann, Dichtung und Philosophie des frühen Griechentums. Eine Geschichte der griechischen Epik, Lyrik und Prosa bis zur Mitte des fünften Jahrhunderts, dritte, durchgesehene Aufl., München (11962). – (1968) Wege und Formen frühgriechischen Denkens. Literarische und philosophiegeschichtliche Studien, hrsg. von Franz Tietze, dritte durchgesehene Aufl., München (11955). Gaiser – (1963) Konrad, Platons ungeschriebene Lehre. Studien zur systematischen und geschichtlichen Begründung der Wissenschaften in der Platonischen Schule, Stuttgart. Gnilka – (1984) Christian, ΧΡΗΣΙΣ. Die Methode der Kirchenväter im Umgang mit der antiken Literatur. I. Der Begriff des »rechten Gebrauchs«, Basel / Stuttgart. – (1993) II. Kultur und Conversion, Basel / Stuttgart. Görgemanns – (1994) Herwig, Platon, Heidelberg. Görler – (1994) Woldemar, Älterer Pyrrhonismus. Jüngere Akademie. Antiochos aus Askalon, GGPh 4/2, 717 – 989. Hadot – (1991) Pierre, Philosophie als Lebensform. Geistige Übungen in der Antike. Aus dem Französischen von Ilsetraut Hadot und Christiane Marsch, Berlin (frz. Erstausgabe: Exercices spirituels et philosophie antique, Paris 1981).

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Bibliographie

Halfwassen – (1992) Jens, Der Aufstieg zum Einen. Untersuchungen zu Platon und Plotin, Stuttgart. Hengel – ( 31988) Martin, Judentum und Hellenismus. Studien zu ihrer Begegnung unter besonderer Berücksichtigung Palästinas bis zur Mitte des 2. Jh.s v. Chr., 3. durchgesehene Auflage, Tübingen (11969). Höffe – (21999) Otfried, Aristoteles, München. Hölscher – (1968) Uvo, Anfängliches Fragen. Studien zur frühen griechischen Philosophie, Göttingen. – (1976) Der Sinn von Sein in der älteren griechischen Philosophie. Heidelberg. Honnefelder – (1992) Ludger, Christliche Theologie als ›wahre Philosophie‹, in: Colpe (Hrsg. 1992) 55 – 75. Horn – (1995) Christoph, Augustinus, München. – (1995 a) Der Platonische ›Parmenides‹ und die Möglichkeit seiner prinzipientheoretischen Interpretation, Antike und Abendland. Beiträge zum Verständnis der Griechen und Römer und ihres Nachlebens (41) 95 – 114. Hossenfelder – (1968) Malte, Einleitung zu: Sextus Empiricus (ed. 1968) 9 – 88. – (1991) Epikur, München. – (1995) Die Philosophie der Antike 3: Stoa, Epikureismus und Skepsis, 2., ak tualisierte Auflage, München (= Bd. 3 von: Wolfgang Röd, Hrsg., Geschichte der Philosophie). Jaeger – (1964) Werner, Die Theologie der frühen griechischen Denker, Darmstadt (Nachdruck der Ausgabe Stuttgart 1953).

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Personenregister

A Abramowski, Luise 394 Ainesidemos aus Knossos 94, 101 Albinos 363 Alexander aus Aphrodisias 322 Alexander der Große 352 Alexandros aus Milet 351 Ammonios 153, 363, 365 f. Anaxagoras 33, 110, 160, 270, 311, 423, 424 Anaxarchos aus Abdera 99, 102, 352 Anaximander 187 Anaximenes 271 Andresen, Carl 421 Antigonos aus Karystos 351 Antiochos aus Askalon 94, 106, 109, 114, 119, 357 Apelles (der Gnostiker) 225, 401 Apelles (der Maler) 137, 140 f. Apollodoros aus Seleukia 351 Apuleius 222, 363, 410, 422, 425, 428 Arat 213, 326 Archelaos 423 Archidemos 36 Aristides 222, 399 f. Aristobulos 410 Aristokles aus Messene 100, 102

Aristoteles 3, 7 f., 11, 14, 21 ff., 29, 36 ff., 59, 61 f., 66, 73, 75, 85 f., 88, 101, 105, 109 f., 112, 134, 148 f., 152, 156, 160, 162, 165, 173, 196, 225, 235, 250, 256, 277, 315 ff., 323 f., 326 f., 331 f., 339, 343 f., 346 f., 354, 357, 362, 365, 369 f., 372, 386, 390, 416, 419, 440 Arkesilaos aus Pitane 5, 94, 106 ff., 114, 118, 122 ff., 130, 133, 350 f., 357 f. Armstrong, Arthur H. 369 Arrian 44, 336 Askanios 352 Athenaios 355 Augustinus 212, 236, 244, 255, 313 f., 319, 364, 413 Aulus Gellius 337 B Baltes, Matthias 365 Beierwaltes, Werner 364 f., 367 f., 374, 386 f., 422, 426 f., 429 Blumenberg, Hans 326, 350 Boethius 364 Bonaventura 364 Brachtendorf, Johannes 421 Brown, Peter R. L. 422 Bruno, Giordano 364

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Personenregister

Bryson 352 Buber, Martin 386 Burkert, Walter 340, 365, 398 C Caesar, C. Iulius 324 Campenhausen, Hans Freiherr von 392 Cato ›Uticensis‹ 9, 324 Chadwick, Henry 411, 421 Chrysipp aus Soloi 5, 36, 322, 324 f., 329 Cicero 5, 9, 24, 41, 61, 73, 83 f., 95, 103, 106, 109 f., 114 f., 121 f., 124, 289, 292, 306, 322 ff., 328 f., 332, 340 f., 343 f., 347, 350 f., 354 ff., 402, 406, 424, 432 f., 439 Clemens Alexandrinus 212, 236, 267, 313, 315, 409 ff., 427, 432 f. Cusanus 364 D Damaskios 364 Demokrit aus Abdera 61 ff., 66, 110 f., 339, 352, 440 Dihle, Albrecht 433 Dillon, John 364, 425 Diogenes aus Babylon 355 Diogenes aus Sinope 321 f., 353 Diogenes Laertius 5, 8, 35, 99 f., 102, 107 f., 325, 327, 329 f., 332 ff., 339, 341 f., 347 f., 350, 352 f., 359 ff., 409 Diokles aus Magnesia 351

Dionysius Areopagita 364 Dodds, Eric Robertson 152, 370 Domitian 43 Dörrie, Heinrich 363, 365, 370, 372, 400, 410, 414, 427 E Elm, Ralf 346 Empedokles 38, 64, 110, 160, 316 Epaphroditos 43 Epiktet 6, 43 ff., 60, 223, 346, 406, 416 Epikur 102 ff., 107, 117, 146, 149, 170 f., 224 f., 235, 271, 362, 365, 377, 405 Eriugena 364 Euenos aus Paros 440 Eukleides aus Megara 321 Euripides 360 Eusebius aus Caeserea 360, 410 F Fauth, Wolfgang 350 Festugière, André-Jean 152 Ficino, Marsilio 364 Flasch, Kurt 421 Flavius Josephus 222, 335, 400 Foucault, Michel 59, 100 Frede, Michael 323 Fredouille, Jean-Claude 400 Fuchs, Hans-Jürgen 433 Fuhrer, Therese 421 f.

Personenregister

G Gaios 363 Gallienus 154 Gigon, Olof 351 Goethe, Johann Wolfgang 429 Gordian III. 153 Gorgias 95, 118, 313 Graeser, Andreas 323, 333 Grumach, Ernst 323 H Hadot, Pierre 369, 390, 424 f., 427, 436 Halfwassen, Jens 366, 369, 371 f. Harder, Richard 367 f. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 148, 267 f., 364, 420 f. Heidegger, Martin 256 Henry, Paul 368 Heraklit 17, 19, 58, 95, 160, 187, 195, 224 f., 249, 256, 293, 313, 316, 327 ff., 333, 350, 369, 389, 411, 416 Hesiod 312 Hobbes, Thomas 341 Homer 326, 350, 415 Horn, Christoph 429, 433 Hülser, Karlheinz 322 I Iamblichos 364, 422 Isokrates 316 J Jonas, Hans 183, 378, 382

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Justin Martyr 212, 223, 236, 266, 313, 392, 400, 411, 419 K Kant, Immanuel 148, 389 Karfiková, Lenka 425 Karneades aus Kyrene 94, 106 f., 110, 112, 114, 118, 125 f., 131, 132 f., 350 f., 355, 357, 362 Kelsos aus Alexandria 222, 288 f. Klauck, Hans-Josef 406 Kleanthes aus Assos 5, 12 ff., 36, 322, 403 f., 417 Kleinknecht, Hermann 396 Kleitomachos 362 König, Eckard 426 Krämer, Hans Joachim 261, 351 Krates aus Theben 322 Krautz, Hans-Wolfgang 341 Kritolaos 355 L Leukipp aus Milet 61 ff., 339 Lilla, Salvatore R. C. 411 Long, Anthony A. 323 Lucilius Iunior 54, 338 Lukas 213 Lukian 222 Lukrez 92 ff., 342 ff. Lutz-Bachmann, Matthias 393 Lykurg 415 M Macrobius 437 Madec, Goulven 423, 426, 436 f.

470

Personenregister

Marc Aurel 6, 60, 323, 339 Marius Victorinus 277, 364, 427, 436 Markion 224 f., 401 Marrou, Henri-Irénée 422 Mayer, Cornelius 422, 435 Meister Eckhart 364 Monimos 352 Moreschini, Claudio 392 Moses 196, 222, 237 f., 240 ff., 254 f., 258 f., 403, 408 ff., 413, 415 Mueller, Ian 323 Musonius Rufus 43, 336 N Narbonne, Jean-Marc 374 Nausiphanes 66 Nero 43, 335 Newton, Isaac 341 Nickel, Rainer 322 Nickl, Peter 433 Nietzsche, Friedrich 187, 309 f., 362 Nikomachos aus Gerasa 428 Norelli, Enrico 392 Numenios aus Apameia 153, 363, 410 O Ohly, Friedrich 429 Olympiodor 364 O’Meara, Dominic J. 366, 428 Origenes 245, 288, 400, 409, 411

P Panaitios aus Rhodos 5, 323 Pannenberg, Wolfhart 393 Panofsky, Erwin 380 Parmenides 63, 88, 103, 160, 316, 339 f., 407 Paulus 212, 223, 229, 231, 247, 250, 267, 286, 288 f., 291, 301, 314, 326, 401, 403 f. Pausanias 399 Peetz, Siegbert 439 Pépin, Jean 417 Peters, Albrecht 397 Philippus Arabs 154 Philodem 15 Philon aus Alexandrien 222, 241 f., 261, 329, 363, 400, 409 Philon aus Larisa 94, 106 Pietsch, Christian 365 Platon 10, 14, 21 ff., 26, 29 f., 36 ff., 55, 59, 61, 64, 71, 73, 85, 88, 103, 105 ff., 114, 117 f., 121, 134, 149, 152, 157 ff., 165 f., 170 f., 173 ff., 182, 187, 197, 203, 207, 216, 222, 224 ff., 231, 235, 239 ff., 244, 251, 253 ff., 260, 264, 269 ff., 274 ff., 284, 296 f., 304, 310 ff., 315 ff., 324, 326, 331, 337, 340, 346 f., 353, 358, 363, 368 ff., 377, 379 ff., 386, 390 ff., 398, 405 ff., 409 ff., 419, 423 f., 426, 430, 432, 436 Plinius 399, 407 Plotin 236, 243, 277 f., 313, 398, 415, 418, 422, 426 f., 431

Personenregister

Plutarch aus Chaironeia 22, 322, 324, 330, 333, 359, 363 Pohlenz, Max 322 Polemon 109, 322 Polygnot 5 Pompeius 323, 324 Porphyrios 153, 243, 277, 295 ff., 299, 301, 364, 367 f., 380, 422 f., 426 Poseidonios aus Apamea 5, 36, 231 f., 237, 323, 407 Proklos 364 Protagoras 95, 108 Pseudo-Aristoteles 328 Pseudo-Justin 392, 410 Pyrrhon aus Elis 66, 94, 134, 357, 361 f. Pythagoras 33, 160, 240, 264, 270, 358, 409, 410, 414, 424 R Reckermann, Alfons 440 Reinhardt, Karl 323 Rist, John M. 369 Rousseau, Jean-Jacques 269, 285 f., 290 Rowe, Christopher J. 346 Rudolph, Kurt 365 S Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 364 Schmitt, Arbogast 428 f. Schott, Erdmann 397 Schroeder, Frederic M. 387

471

Schrott, Balthasar 396 Schwyzer, Rudolf 368 f., 376 Sedley, David 339 f. Seneca Lucius Annaeus 6, 48 ff. 60, 231, 235, 311, 327 f., 343, 345, 348, 385, 401, 416 f. Sextus Empiricus 22, 94, 96, 106, 322, 324, 330, 340, 343 f., 350 ff., 354, 359 ff. Simplikios 364 Sokrates 10 f., 36, 95 f., 107 ff., 114, 270, 297, 311, 321, 419, 423 f. Speusipp 152 Stilpon aus Megara 321, 352 Stobaeus 336 Strabo 407, 410 Straton aus Lampsakos 323 Sueton 399 Syrianos 364 T Tacitus 399 Tatian 223, 400 Tertullian 212, 231, 236, 242, 245, 267, 313, 392, 408, 420 Thales 250, 270 f., 423 Theiler, Willy 363, 406 Theognis aus Megara 345 Theon aus Smyrna 428 Theophrast 107, 323, 419 Timon aus Phleius 98, 101 ff., 134, 352 f., 355 Trouillard, Jean 364, 369

472

Personenregister

V Valentinus 224 f. Varro, M. Terentius 109 f., 425 Verbeke, Gérard 396 Verweyen, Hansjürgen 393 Vogel, Cornelia Johanna de 393 W Waszink, Jan Hendrik 414 Weischedel, Wilhelm 393 Wilckens, Ulrich 394

X Xenokrates 109, 152, 322, 363, 419 Xenophanes 350 Xenophon 316 Z Zenon aus Kition 5, 35 f., 109 f., 224 f., 322 f., 325, 332 f., 356 f., 403 f., 419 Zintzen 364