Das Zeugnisverweigerungsrecht aus § 52 StPO für besondere persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse: Die Integration nicht-institutionalisierter Lebensformen in das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen [1 ed.] 9783428510832, 9783428110834

Zeugnisverweigerungsrechte begrenzen das Interesse der Strafverfolgungsorgane an möglichst ungehinderter Sachverhaltsauf

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German Pages 290 Year 2004

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Das Zeugnisverweigerungsrecht aus § 52 StPO für besondere persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse: Die Integration nicht-institutionalisierter Lebensformen in das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen [1 ed.]
 9783428510832, 9783428110834

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Kölner Kriminalwissenschaftliche Schriften Band 46

Das Zeugnisverweigerungsrecht aus § 52 StPO für besondere persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse Von Kirsten Jansen

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

KIRSTEN JANSEN

Das Zeugnisverweigerungsrecht aus § 52 StPO für besondere persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse

Kölner Kriminalwissenschaftliche Schriften Herausgegeben von G ü n t e r Ko h l m a n n , C o r n e l i u s N e s t l e r J ü rg e n S e i e r, M i c h a e l Wa l t e r S u s a n n e Wa l t h e r, T h o m a s We i g e n d Professoren an der Universität zu Köln

Band 46

Das Zeugnisverweigerungsrecht aus § 52 StPO für besondere persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse Die Integration nicht-institutionalisierter Lebensformen in das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen

Von Kirsten Jansen

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Gedruckt mit Unterstützung der Holtfort-Stiftung, Hannover Die Hohe Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln hat diese Arbeit im Jahre 2002 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2004 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten (Allgäu) Printed in Germany ISSN 0936-2711 ISBN 3-428-11083-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

für katharina jansen und für martin johannes kratzer

Vorwort Die Abhandlung lag der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln im Sommersemester 2002 als Dissertation vor. Für die Veröffentlichung ist das Manuskript aktualisiert und auf den Stand von Dezember 2002 gebracht worden. Mein herzlicher Dank geht an Herrn Professor Dr. Klaus Bernsmann für die Freiräume, die er mir zur Abfassung dieser Arbeit gegeben hat, für seine kontinuierliche Unterstützung im Lauf der vergangenen Jahre und für die Förderung meines wissenschaftlichen Werdegangs während meiner Tätigkeit an seinem Lehrstuhl. Ihm habe ich vielfältige Anregungen zu verdanken. Herrn Professor Dr. Michael Walter danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Außerdem bedanke ich mich bei allen anderen Professorinnen und Professoren des Kriminalwissenschaftlichen Instituts der Universität zu Köln für die stets anregende Zusammenarbeit. Ausdrücklich nennen möchte ich hier Herrn Professor Dr. Jürgen Seier und Herrn Professor Dr. Cornelius Nestler, mit denen ich für kurze Zeit enger zusammenarbeiten durfte, sowie Herrn Professor Dr. Dr. h.c. mult. Hans Joachim Hirsch, der die Aufnahme meiner Dissertation in die Reihe der Kölner Kriminalwissenschaftlichen Schriften unterstützt hat. Köln, Januar 2003

Kirsten Jansen

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15

A. Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen und sein Normkontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

18

I. Zeugnisverweigerungsrecht und Zeugnispflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

18

II. Einbettung des § 52 StPO in das Regelungsgefüge der strafprozessualen Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20

1. Der Regelungsbereich des § 52 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22

a) Verlöbnis, § 52 Abs. 1 Nr. 1 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

b) Ehe, § 52 Abs. 1 Nr. 2 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

c) Lebenspartnerschaft, § 52 Abs. 1 Nr. 2 a StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

d) Verwandtschaft und Schwägerschaft, § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO . . . . . . . . . . . aa) Verwandte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verschwägerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26 26 27

2. Weitere strafprozessuale Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechte . . . . .

27

a) § 55 StPO, Auskunftsverweigerungsrecht zum Schutz vor Selbst- und Angehörigenbelastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

b) §§ 53, 53 a StPO, Zeugnisverweigerungsrechte bestimmter Berufsgruppen und ihrer Helfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

aa) Berufsgeheimnisträger, § 53 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Berufshelfer, § 53 a StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28 30

c) § 54 StPO, Zeugnisverweigerungsrecht öffentlicher Bediensteter . . . . . . .

31

3. Die Glaubhaftmachung nach § 56 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

4. Flankierende Vorschriften der StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37

B. Geschichte des Zeugenbeweises und der Zeugnisverweigerungsrechte der Vertrauenspersonen von Beschuldigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

I. Das römische Recht bis Justinian . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

1. Das römische Rechtssystem, insbesondere der Strafprozess im römischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

2. Die Regelungen des Zeugenbeweises im römischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

10

Inhaltsverzeichnis II. Zeugenbeweis vom germanisch-frühmittelalterlichen Recht bis zur Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

1. „Germanenrechte“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

2. Volksrechte und Frankenzeit, mittelalterlicher Anklageprozess und Inquisition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

III. Das Beweisrecht des neuzeitlichen reformierten Strafprozesses und die Entstehung der §§ 52 ff. StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

1. Beginnende Aufklärung und reformierter Strafprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

2. Die Entstehung der StPO und ihrer Regelungen zum Zeugenbeweis . . . . . . . .

64

C. Zur Validität des Zeugenbeweises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

I. „Wahre“ und „falsche“ Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

II. Ungewollt unrichtige Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76

1. Wahrnehmungsfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

a) Allgemeine Grenzen menschlicher Aufnahmefähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

b) Individuelle körperliche Inkapazitäten mit Auswirkungen auf die Wahrnehmungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

78

c) Einfluss äußerer Gegebenheiten auf die Wahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . .

79

d) Fehlwahrnehmungen aufgrund selektiver Aufmerksamkeitsspannen . . . .

79

2. Verarbeitungsfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82

a) Vergessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82

b) Verdrängung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83

c) Auffüllen der lückenhaften Wahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83

d) Überlagerung zutreffender Wahrnehmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

84

3. Übermittlungsfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

III. Intentional unrichtige Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

IV. Fehler der Vernehmungspersonen und ihre Auswirkungen auf die Zuverlässigkeit des Personalbeweises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

1. Mängel in der Vernehmungstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

2. Übermittlungsfehler bei der Entgegennahme und Aufzeichnung einer Zeugenaussage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96

3. Beweiswürdigungs- bzw. Bewertungsfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

97

V. Ansätze zur Nivellierung der Schwächen des Zeugenbeweises . . . . . . . . . . . . . . . .

98

1. Ungewollt unrichtige Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

98

Inhaltsverzeichnis

11

2. Intentional unrichtige Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 a) Motivationsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 aa) Inhalt der „Methode“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 bb) Zuverlässigkeit und Aussagekraft des motivationsanalytischen Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 b) Verhaltensorientierte Glaubhaftigkeitsbeurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 aa) Inhalt der „Methode“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 bb) Zuverlässigkeit und Aussagekraft des verhaltensanalytischen Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 c) Merkmalsorientierte Analyse des Aussageinhalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 aa) Entstehung und Inhalt der Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 bb) Anwendbarkeitsvoraussetzungen der Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 cc) Zuverlässigkeit und Aussagekraft des inhaltsanalytischen Ansatzes 119 VI. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 D. Ratio des Zeugnisverweigerungsrechts aus persönlichen Gründen, § 52 StPO . . . 130 I. Hintergründe der Einräumung des Zeugnisverweigerungsrechts . . . . . . . . . . . . . . 130 II. Normzwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 1. Individualinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 a) Schutz der Zeugen im originär eigenen Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 b) Schutz und Erhalt persönlicher Nähe- und Beistandsverhältnisse . . . . . . . 140 c) Schutz wichtiger Vertrauensverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 d) Nemo tenetur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 2. Allgemeininteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 a) Schutz wichtiger persönlicher Nähe- und Vertrauensverhältnisse als Basis sozialen Zusammenlebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 b) Freiwilligkeit von Zeugenaussagen gegen Angehörige . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 c) Schutz der Wahrheitsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 3. Rangverhältnis der Normzwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 E. Einbeziehung „besonderer persönlicher Nähe- oder Vertrauensverhältnisse“ in die zeugenprivilegierende Regelung des § 52 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 I. Persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse – Konventionelle und nichtkonventionelle Lebensformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 1. Modelle konventioneller und nichtkonventioneller Lebensformen . . . . . . . . . . 162

12

Inhaltsverzeichnis 2. Verbindlichkeit, Vertrauens- und Nähebeziehungen innerhalb konventioneller und nichtkonventioneller Lebensformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 3. Akzeptanz „abweichender“ Lebensformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 II. Vergleichbarkeit der Lebenssachverhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 1. Kriterien der Vergleichbarkeit personaler Beziehungen in Hinblick auf § 52 Abs. 1 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 a) Normkonzept des § 52 Abs. 1 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 b) Anforderungen an Personalbeziehungen vor dem Hintergrund des Normkonzeptes des § 52 Abs. 1 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 2. Vergleichbarkeit institutionalisierter mit nicht institutionalisierten Bindungen in Hinblick auf das Konzept des § 52 Abs. 1 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 a) Informelle gemischt- und gleichgeschlechtliche Partnerschaften . . . . . . . 185 b) Enge Freundschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 c) Verlöbnisähnliche Vorformen „Eingetragener Lebenspartnerschaften“ . 188 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 III. „Postulat der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege“ als begrenzender Faktor einer Ergänzung bestehender Zeugenbefreiungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 1. Herleitung und Inhalt des Funktionstüchtigkeitspostulats . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 2. Geltungsanspruch des Funktionstüchtigkeitspostulats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 a) Dogmatische Vorbehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 b) Tatsächliche Vorbehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 IV. Integration „besonderer persönlicher Nähe- oder Vertrauensverhältnisse“ durch einfachgesetzliche erweiternde Auslegung des § 52 Abs. 1 StPO . . . . . . . 200 1. Rechtliche und rechtstatsächliche Vergleichbarkeit, teleologische und historische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 2. Wortsinn als Auslegungsgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 a) Subsumtion nichtinstitutionalisierter Näheverhältnisse unter die in § 52 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 StPO explizit aufgeführten Zeugengruppen . . . . . . . . . . 203 aa) Nichtinstitutionalisierte Paarbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 bb) Enge Freundschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 b) Subsumtion unter einen in § 52 Abs. 1 StPO enthaltenen ungeschriebenen Oberbegriff des „besonderen persönlichen Nähe- oder Vertrauensverhältnisses“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208

Inhaltsverzeichnis

13

V. Grundrechtskonforme Auslegung des § 52 StPO – Ableitung von Zeugnisverweigerungsrechten „im Lichte der Verfassung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 1. Informelle Paarbindungen als Prototypen „besonderer persönlicher Näheoder Vertrauensverhältnisse“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 a) Verfassungsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Betroffenheit spezieller kommunikativer Freiheitsrechte . . . . . . . . . . bb) Art. 2 Abs. 1 i.V. mit Art. 1 Abs. 1 GG als Basis berechtigter Aussageverweigerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Schutz der Privat- und Intimsphäre – Begrenzung des Zeugniszwangs „unmittelbar“ aus der Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und private Lebensgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes, Art. 3 Abs. 1 GG . . (1) Vergleichbare Personenkreise und Differenzierungskriterium . . (2) Ungleichbehandlung als Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

210 210 211 211 213 213 214 216

b) Möglichkeit verfassungskonformer Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 2. Enge Freundschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 3. Verlöbnisähnliche Vorformen Eingetragener Lebenspartnerschaften . . . . . . . 225 a) Verletzung von Art. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Art. 3 Abs. 3 GG – Verletzung des speziellen Gleichheitssatzes? . . bb) Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes, Art. 3 Abs. 1 GG . . (1) Vergleichbare Personenkreise, Differenzierungskriterium . . . . . (2) Rechtfertigung der Ungleichbehandlung oder Verletzung des Gleichheitssatzes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

225 225 226 226 227

b) Verfassungskonforme Auslegung des § 52 Abs. 1 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . 230 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 VI. Analogiebildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 1. Zulässigkeit der Analogiebildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 2. Planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes oder „beredtes Schweigen“? . . 234 a) Informelle Paarbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Institutionalisierte und nichtinstitutionalisierte Lebensformen in vorindustrieller Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Nichteheliche Lebensformen in frühindustrieller Zeit bis zum Ende des 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

236 236 240 245

b) Enge Freundschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 c) Rechtsetzungsakte seit Schaffung der StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246

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Inhaltsverzeichnis VII. Abwendung der Sanktionsmittel des § 70 StPO unter Berufung auf Notstandsregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 VIII. Perspektiven für eine Umgestaltung des Zeugnisverweigerungsrechts aus persönlichen Gründen de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 1. Kurze Zusammenfassung der Ergebnisse der vorangegangenen Abschnitte . 249 2. Umsetzung der Ergebnisse der Untersuchung – Überlegungen zur Einbeziehung nicht-institutionalisierter intensiver Nähe- und Vertrauensbeziehungen in den Regelungsbereich eines Zeugnisverweigerungsrechts aus persönlichen Gründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 a) Alternative Regelungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 b) Modifikation des § 52 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263

Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284

Einleitung Gesellschaftliche Strukturen haben sich in den letzten Jahrzehnten verändert, Lebensmuster pluralisiert. Dieser Entwicklung sind die Regelungen der StPO zum Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen bisher nur und erst durch das Lebenspartnerschaftsgesetz vom 16. 2. 2001 ausschnittsweise angepasst worden. Nichtinstitutionalisierte Lebensformen, d. h. nicht durch eine familienrechtliche Bindung im Sinne der §§ 1297 ff., 1589 ff. BGB erfasste persönliche Beziehungen, finden immer mehr Verbreitung; rechtliche Berücksichtigung finden sie aber nur rudimentär. Eine konsequente Nichtbeachtung nichtinstitutionalisierter, teilweise „nichtkonventioneller“ Lebensmuster könnte ihre Rechtfertigung darin finden, dass informelle Nähebeziehungen sich gezielt außerhalb des Rechts stellen oder traditionell keiner spezifischen rechtlichen Regelung unterworfen sind. Hier ließe sich annehmen, dass die legislative Nichterfassung auch der nicht gewollten Unterwerfung etwa nichtlegalisierter Paarbindungen oder freundschaftlicher Verhältnisse unter einen festen Normenkreis Rechnung tragen soll. In Teilbereichen sind bestimmte nichtinstitutionalisierte Näheverhältnisse, namentlich informelle Paarbeziehungen, allerdings rechtlich beachtlich; in diesen Fällen werden an sie überwiegend nachteilige Folgen geknüpft (vgl. nur § 122 BSHG, §§ 193 Abs. 2, 194 SGB III) oder solche, die zwar neutral sind, sofern keine „Komplikationen“ auftreten, sich aber wenn Probleme entstehen regelmäßig zum Nachteil der Betroffenen auswirken (§ 2 Abs. 2 SÜG; vgl. die Rechtsprechung zur Ersatzzustellung gemäß § 181 Abs. 1 ZPO; nicht unter dogmatischen Gesichtspunkten, aber faktisch auch §§ 114 b, 163 c Abs. 2 StPO). Jedenfalls in Hinblick auf die nachteilige Gleichbehandlung mit legalisierten Bindungen ist eine Argumentation mit dem freiwilligen Rechtsverzicht dann nicht widerspruchsfrei. Die vielfach auf Art. 6 Abs. 1 GG gestützten Erklärungsansätze zur Rechtfertigung der recht einseitigen Berücksichtigung nichtkonventioneller Lebensformen, andererseits aber die Argumentation mit der – vermeintlich – geringeren tatsächlichen Fixierung und der – vermeintlich – geringeren Belastung bei einer Auflösung der Bindung legen den Schluss nahe, hier gehe es unabhängig von rechtlichen Notwendigkeiten nicht zuletzt um eine verkappte Sanktionierung non-konformer Verhaltensmuster; möglicherweise wird die Anerkennung nichtkonventioneller Lebensformen immer noch als ein weiterer Schritt auf dem Weg zum befürchteten „Untergang des Abendlandes“ gesehen. Der soeben aufgezeigte Widerspruch soll allerdings nicht das vorrangige Thema dieser Arbeit sein. Auch geht es nicht um eine Konzentration auf die vielfach be-

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Einleitung

handelten „eheähnlichen“, „nichtehelichen Lebensgemeinschaften“ oder sonstige emotional begründete Paarbindungen; soweit explizit auf diese eingegangen wird, stehen sie – als relativ verbreitete und daher praktisch wichtige Lebensmuster – stellvertretend für die vielfältigen informellen Lebensformen, die unter das zu definierende Schlagwort der „besonderen persönlichen Nähe- und Vertrauensverhältnisse“ zu fassen sind. Von Interesse ist vielmehr, ob die gerade von den Betroffenen weithin gewollte Nichtlegalisierung dazu führen muss, dass mehr oder weniger institutionalisierte Lebensmuster (grundsätzlich) ungeregelt bleiben und ihnen damit konsequenterweise Vergünstigungen oder rechtliche Anerkennung zu versagen sind; ob sie insoweit gänzlich im „rechtsfreien Raum“ zu belassen sind oder ob zum Schutz wichtiger Individualrechtsgüter ansonsten – berechtigt – rechtsfreie Arten der Lebensgestaltung auch in bestimmte privilegierende Regelungen notwendig miteinzubeziehen sind. Dies soll am Beispiel des § 52 StPO erörtert werden. Dieses Zeugnisverweigerungsrecht gibt den Beschuldigten nahe stehenden Personen im Strafverfahren das Recht, die Aussage zu verweigern und integriert dabei mit dem Verlöbnis eine nichtformale, allenfalls quasi-formalisierte Bindung; vor diesem Hintergrund erscheint eine Erstreckung auf weitere informelle Nähebeziehungen jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen. Die Fragestellung lautet also, ob auch im Rahmen nicht formalisierter enger zwischenmenschlicher Bindungen eine derartige Privilegierung zu gewähren ist. Soweit Erweiterungen des mit einem Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen ausgestatteten Personenkreises diskutiert werden, ist das Ergebnis meist, dass eine Einbeziehung allenfalls für familien- oder „eheähnliche“ Beziehungsformen in Betracht kommen könne. Demgegenüber soll hier diese – überwiegend terminologische – Bindung (denn es besteht nach wie vor keine Einigkeit über die konkrete Ausgestaltung der von diesen Begriffen umfassten Lebensformen) aufgegeben und stattdessen untersucht werden, welche Kriterien sich unter Berücksichtigung der spezifischen Voraussetzungen des Zeugenbeweises aus dem Zeugnisverweigerungsrecht des § 52 StPO zur Feststellung privilegierungswürdiger oder -bedürftiger Personenkreise ergeben. Zunächst ist daher kurz auf die Regelungsstruktur dieses Zeugnisverweigerungsrechts einzugehen (Abschnitt A.). Ein Exkurs zum historischen Hintergrund der strafprozessualen Zeugnisverweigerungsrechte (Abschnitt B.) verdeutlicht, inwieweit heutige Rechtsvorstellungen geschichtlich beeinflusst sind, verbessert das Verständnis für die § 52 zu Grunde liegende Gedankenwelt und erleichtert damit den Zugang zu dieser Norm. Anhand aktueller aussagepsychologischer Erkenntnisse ist der Stellenwert der Zeugenaussage für das Strafverfahren allgemein und der Einfluss persönlicher Bindungen auf die Zuverlässigkeit der Zeugenaussage zu thematisieren (Abschnitt C.). Auch unter Rekurs auf die so erlangten Erkenntnisse soll der Normzweck des § 52 herausgearbeitet werden (Abschnitt D.). Im letzten

Einleitung

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Abschnitt E. ist dann exemplarisch auf die Situation verbreiteter nichtinstitutionalisierter Lebensformen einzugehen und deren Integrationsfähigkeit in das Normkonzept des § 52 zu ermitteln. Vor diesem Hintergrund kann schließlich erörtert werden, inwieweit § 52 StPO einer Öffnung für informelle Lebensformen zugänglich ist. Noch einige vorgreifende Anmerkungen zur Terminologie und zur Konzeption der Arbeit: Revisionsrechtliche Fragen werden weitgehend außer Acht gelassen; sie weisen keinen spezifischen Bezug zur dargelegten Aufgabenstellung auf und führen daher hier nicht weiter. Die Ausführungen beziehen sich überwiegend auf die Erhebung des Zeugenbeweises in der Hauptverhandlung; Verweise auf spezifische Bedingungen der anderen Verfahrensabschnitte wurden, wo sie sinnvoll erschienen, eingefügt. Die oder der „Beschuldigte“ steht als auf sämtliche Stadien des Strafverfahrens bezogener Oberbegriff für Beschuldigte, Angeschuldigte oder Angeklagte in allen Verfahrensabschnitten, s. auch § 157 StPO. Dogmatisch nicht völlig konsequent, aber einer gewissen terminologischen Variabilität geschuldet ist die Entscheidung, im Folgenden Zeugen nicht nur als Beweis- und Aussagepersonen, sondern auch als Auskunftspersonen zu bezeichnen. Soweit in der Literatur strikt differenziert wird zwischen den Begriffen der legalisierten, formalisierten, institutionalisierten Bindungen (sowie ihren jeweiligen Antonymen: nichtlegalisierte, nicht formalisierte, informelle, nichtinstitutionalisierte Beziehungen) wird dem hier nicht gefolgt; da die geringfügigen inhaltlichen Unterschiede zwischen diesen Begriffen nach dem Konzept der Arbeit unterschiedliche Konsequenzen nicht nahe legen, werden diese Bezeichnungen im Wesentlichen ohne nennenswerte Differenzierungen verwendet.

2 Jansen

A. Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen und sein Normkontext I. Zeugnisverweigerungsrecht und Zeugnispflicht In den strafprozessualen Zeugnisverweigerungsrechten manifestiert sich das häufig spannungsgeladene Verhältnis zwischen Strafverfolgungsinteressen und individuellen Freiheitsrechten. Der möglichst reibungslose Ablauf eines Strafverfahrens lässt es geboten erscheinen, alle auffindbaren Beweismittel zu beschaffen und sie für die Zwecke des Verfahrens verfügbar zu halten. Dem kann das Interesse Einzelner zuwiderlaufen, gar nicht oder jedenfalls nicht in Bezug auf bestimmte Sachverhalte oder zum Nachteil bestimmter Personen in einen Strafprozess „verwickelt“ und als Zeugen gehört zu werden. Eine Anforderung an das Strafverfahrensrecht ist es, hier einen angemessenen Ausgleich zu schaffen. Wie diese Aufgabe dogmatisch und praktisch bewältigt wird, lässt das Strafprozessrecht zum „Indikator“ des Zustandes der Staatsverfassung1 werden. Die StPO statuiert keinen expliziten, positivrechtlichen Zeugniszwang für richterliche Vernehmungen2, woraus allerdings nach allgemeiner Ansicht nicht zu folgern sein soll, dass ein solcher mangels Eingriffsermächtigung nicht besteht3. Die fehlende ausdrückliche Regelung ist bedenklich, denn die Pflicht, vor Gericht zu erscheinen und als Zeuge oder Zeugin auszusagen, bedeutet eine Beeinträchtigung der allgemeinen Handlungsfreiheit und abhängig vom Beweisthema auch einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht und die geschützte Privatsphäre4; die Zeugnispflicht bedarf daher generell einer speziellen Rechtfertigung5.

Vgl. Roxin, Strafverfahrensrecht, § 2 Rn. 1; Hassemer KritV 1990, 260, 262. Wohl aber für Aussagen vor der Staatsanwaltschaft, vgl. § 161 a Abs. 1 StPO. 3 Vgl. mit dem fragwürdigen Begründungsansatz der „nach deutscher Rechtstradition“ bestehenden „allgemeinen Staatsbürgerpflicht“: BVerfGE 49, 280, 284; 76, 363, 383; LR-Dahs, Vor § 48 Rn. 6; KK-Pfeiffer, Einleitung Rn. 96; KK-Senge, Vor § 48 Rn. 2; SK-Rogall, Vor § 48 Rn. 125; KMR-Paulus, Vorb. § 48 Rn. 26; Pfeiffer, StPO, § Vor §§ 48 – 71 ff. Rn. 1; ähnl. auch HK-Lemke, Vor §§ 48 ff. Rn. 6; abweichend Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 201 Fn. 3. Der Arbeitskreis AE-Zeugnisverweigerungsrechte hat aus der rechtlich zweifelhaften Situation Konsequenzen gezogen und eine entsprechende positivrechtliche Normierung aufgenommen, vgl. § 48 Abs. 2 AE-ZVR. 4 s. nur Weigend, Gutachten für den 62. DJT, S. C 17 / 18; Wagmann, Drogenberatung und Strafjustiz im Konflikt, S. 88 / 89, 91. Vor diesem Hintergrund ist auch der Streit zu sehen, ob Zeugnisverweigerungsrechte die Ausnahme von der Regel (Zeugnispflicht) sind, oder ob sie Ausnahmen von der Ausnahme 1 2

I. Zeugnisverweigerungsrecht und Zeugnispflicht

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Dem Zeugniszwang steht die Gewährung von Zeugnisverweigerungsrechten und Auskunftsverweigerungsrechten gegenüber, die den staatlichen Strafverfolgungsanspruch angesichts der Konfrontation mit anderen, als wichtig und schützenswert angesehenen Interessen zurücktreten lassen. Das Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen gemäß § 52 StPO soll der Prozesssubjektstellung der durch die Norm privilegierten Zeugen Rechnung tragen und durch die Statuierung eines Beweiserhebungsverbotes (genauer: eines Beweismittelverbotes)6 die Individualund Grundrechte der Aussagepersonen schützen7. Die hoheitliche Berücksichtigung dieser Individualrechte, die im Extremfall des völligen Mangels an weiteren, aussagekräftigen Beweismitteln die Sachverhaltsaufklärung vereiteln und sich so – wenn nicht auf die (im Einzelfall der Rechtsförmigkeit untergeordnete) materielle „Richtigkeit“ von Urteilen – jedenfalls auf die Strafverfolgungsgerechtigkeit auswirken kann, war zur Zeit der Schaffung der StPO eine (für das deutsche Rechtssystem) noch sehr junge Erscheinung und ist deshalb um so höher zu bewerten. Die Erkenntnis, dass die Wahrheitserforschung um jeden Preis kein Grundsatz des Strafverfahrens ist8, musste sich dennoch im Laufe des vergangenen Jahrhunderts erst langsam setzen; dies verdeutlicht nicht zuletzt der beinahe affirmative Charakter der Feststellung Peters: „Der Strafprozeß hat seinen absoluten Vorrang verloren. ( . . . ) Er ist ( . . . ) in ein Verhältnis zu sonstigen ( . . . ) Wertvorstellungen, insbesondere zu verfassungsrechtlichen Rangordnungen gestellt worden“, das einer „personalen Rechtsauffassung“ Geltung verschafft9. Diese zur Mitte des 20. Jahrhunderts relativ präsenten Erkenntnisse gehen zurück auf das Gedankengut der Aufklärung und den sich im Laufe des 19. Jahrhunderts herauskristallisierenden Rechtsstaatsgedanken, der mitursächlich war für die Erkenntnis, dass der Staat die „im Interesse der staatlichen Ordnung anerkann(der Zeugnispflicht gegenüber der grundsätzlich als Regelfall zu respektierenden allgemeinen Handlungsfreiheit und dem damit unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten einhergehenden Fehlen einer allgemeinen Zeugnispflicht) darstellen, also einmal eingeschränkte Rechte restituieren; vgl. hierzu nur Jung MSchrKrim 1974, 258, 262. 5 So auch Arbeitskreis AE-Zeugnisverweigerungsrechte, S. 31, 34 ff.; außerdem grds. SKRudolphi, Vorb. vor § 94 Rn. 18, 28 zum Erfordernis einer gesetzlichen Ermächtigung fürstrafprozessuale Maßnahmen, die in Grundrechte eingreifen. s. allerdings auch SK-Rogall, Vor § 48 Rn. 125, der keine spezielle Ermächtigungsgrundlage zur Begründung der Zeugnispflicht fordert. 6 Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte im geltenden und künftigen Strafverfahrensrecht, S. 284; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 24 Rn. 15; Peters, Gutachten für den 46. DJT, S. 114 ff.; Klug, Referat für den 46. DJT, S. 32 f.; Spendel NJW 1966, 1102, 1106; Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 269. 7 KMR-Paulus, Vorb. § 48 Rn. 79; Rogall ZStW 91 (1979), 1 ff., 9; ders. in SK, Vor § 48 Rn. 140 f.; Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 8 ff.; Skwirblies, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, S. 185, 187; Kühl JuS 1986, 115, 117; s. auch Weigend, Gutachten für den 62. DJT, S. C 70 f. 8 BGHSt 14, 358, 365; 38, 214, 220; 38, 372, 374; 44, 243, 249; Jahn JuS 2000, 441, 443; Kröpil JZ 1998, 135, 136; Roxin, 40 Jahre BGH, S. 78. 9 Peters, Gutachten für den 46. DJT, S. 93. 2*

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A. Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht

ten allgemeinen Verpflichtungen nicht geltend machen kann, wo die Geltendmachung mit einem andern Gesetze der staatlichen Ordnung in Collision kömmt, oder mit der Verletzung eines bestimmten Pflichtverhältnisses verbunden seyn würde, welches auch der Staat zu schützen und zu respectiren verbunden ist“10. Ein im wahren Sinne rechtsstaatliches Verfahren setzt voraus, den durch Verfahrenseingriffe gefährdeten Individualrechten einen hohen Rang einzuräumen. Heute lässt sich daher sagen, dass Existenz und Akzeptanz von Beweisverboten wie den Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechten Indizien für das Verhältnis der Gewichtung individualrechtlicher Verbürgungen gegenüber staatlichen Strafverfolgungsinteressen darstellen. Zeugnisverweigerungsrechte sind verfassungsrechtlich begründete Abwehrrechte gegenüber den Ausforschungsinteressen im Strafverfahren11 und als solche zu respektieren. Der Wahrheitserforschungszweck hat in Fällen der Verletzung bedeutender Privatinteressen ungeachtet der Intensität des staatlichen Strafverfolgungsinteresses zugunsten des Schutzes wichtiger persönlicher Rechtsgüter zurückzustehen.

II. Einbettung des § 52 StPO in das Regelungsgefüge der strafprozessualen Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechte Die Strafprozessordnung regelt die allgemeine Zeugnispflicht nicht explizit und setzt sie dennoch voraus12. Zeugen haben demzufolge auf Ladung vor Gericht zu erscheinen, (wahrheitsgemäße) Bekundungen über beweisrelevante Tatsachen zu machen und diese zu beeiden13. Das persönliche Erscheinen kann mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden, die Aussageerstattung darf durch die Verhängung von Beugemitteln erzwungen werden14. Vor diesem Hintergrund stellen die Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechte Ausnahmen von der generell akzeptierten, allgemeinen Zeugnispflicht dar. Abgegrenzte Personenkreise unterliegen in bestimmten Fallkonstellationen nicht dem Aussagezwang. Zachariae, Handbuch des deutschen Strafprocesses (Bd. II), S. 186. Vgl. Hassemer KritV 1990, 260, 269 / 270; vor diesem Hintergrund ist die bekannte Äußerung von Sax zu sehen, das Strafverfahrensrecht sei „angewandtes Verfassungsrecht“. 12 Vgl. oben Fn. 2, 3, 4. 13 LR-Dahs, Vor § 48 Rn. 6; KK-Pfeiffer, Einleitung Rn. 96; KK-Senge, Vor § 48 Rn. 2; SK-Rogall, Vor § 48 Rn. 125; HK-Lemke, Vor §§ 48 ff. Rn. 6. 14 Für die richterliche Vernehmung § 51 Abs. 1 S. 3, Abs. 3, § 70 Abs. 2, 3, 4 StPO. Vgl. die speziellen Vorgaben für die staatsanwaltschaftliche Zeugenvernehmung, die die Eidesleistung ausschließt und keine Verhängung von Beugehaft ohne richterliche Anordnung zulässt (§ 161 a Abs. 1, 2 StPO). Vor der Polizei besteht weder eine Pflicht zur Aussage noch zum Erscheinen. 10 11

II. Einbettung des § 52 StPO in das Regelungsgefüge

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Teilweise handelt es sich hierbei um Befreiungen (§§ 52, 53, 53 a, 55 StPO), teilweise um von einer Aussagegenehmigung abhängige Manifestierungen der Verschwiegenheitspflicht (§ 54 StPO). Bei einigen steht die Berufung auf das Zeugnisverweigerungsrecht zur alleinigen Disposition der Aussageperson (§§ 52, 55), bei anderen hängt sie von der Entbindung von der Schweigepflicht beziehungsweise der Erteilung der Aussagegenehmigung ab (§§ 53, 53 a, 54). Der Erstreckung der Weigerungsbefugnis auf das gesamte Beweisthema (§§ 52, 53, 53 a) steht die Beschränkung auf Einzelfragen (§ 55) gegenüber; bei § 54 StPO ist der Umfang der Zeugnispflicht abhängig von der jeweiligen Aussagegenehmigung. Den Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechten gemeinsam ist die Tatsache der typisierenden Umschreibung der Verbindung zwischen Zeugen und Beschuldigten beziehungsweise Beweisthemen. Das Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen setzt voraus, dass bestimmte Fallkonstellationen die Aufrechterhaltung und Durchsetzung eines Zeugniszwanges nicht vertretbar erscheinen lassen. § 52 StPO geht allerdings nicht den Weg, an die tatsächliche Empfindung der Unzumutbarkeit anzuknüpfen und im jeweiligen Einzelfall ihr Vorliegen überprüfen zu lassen, sondern stellt typisierend auf bestimmte Personenkreise ab, denen zugeschrieben wird, diese Unzumutbarkeit im Regelfall zu erleben15. Diese Annahme ist – wiederum typisierend – verknüpft mit der (normativen) Einschätzung, bei welchen Personenkreisen die präsumierte Unzumutbarkeit rechtlich zu berücksichtigen ist und bei welchen nicht. Die typisierende Vorausbeurteilung ist bindend, das heißt das Vorliegen der objektiven tatbestandlichen Voraussetzungen schließt die Überprüfung der subjektiven Einschätzung der Aussageperson aus. Das Zeugnisverweigerungsrecht ist unabhängig von einer – positiv belegbaren oder negativ widerlegten – „normgemäßen“ Motivation des Zeugen zu gewähren. Insbesondere dürfen die Gründe der Weigerung (und ob das Zeugnisverweigerungsrecht zugunsten oder zuungunsten des Beschuldigten in Anspruch genommen wird) nicht hinterfragt werden, entsprechende Nachforschungen sind unzulässig16. Andererseits schließt diese typisierende Betrachtung eine Einzelfallüberprüfung zugunsten nicht erfasster Personen, wie intensiv auch immer sich für diese die Unzumutbarkeit des Zeugniszwangs gestalten mag, grundsätzlich aus. 15 SK-Rogall, Vor § 48 Rn. 140; Skwirblies, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, S. 186 / 187; s. auch P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 62; Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 105, 63; Fels, Der privilegierende Einfluß der Angehörigeneigenschaft, S. 100. 16 s. BGHSt 12, 235, 239; 14, 159, 161; 30, 193, 196 / 197; BGH NJW 1980, 794; BGH StV 1983, 353; BGH NStZ 1989, 440; LR-Dahs, § 52 Rn. 1, 24, 42; KK-Senge, § 52 Rn. 1; Meyer-Goßner, § 52 Rn. 1, 16; SK-Rogall, Vor § 48 Rn. 140; HK-Lemke, § 52 Rn. 4, 21; KMR-Paulus, Vorb. § 48 Rn. 79; Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 8; Skwirblies, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, S. 186 / 187; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1242, 1253; Schlüchter, Das Strafverfahren, Rn. 484; Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 207 Fn. 2; Busch, Festschrift für Eb. Schmidt, S. 570.

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A. Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht

Dem Thema der Arbeit entsprechend soll im Folgenden vertieft nur auf das dem § 52 StPO zu entnehmende Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen eingegangen werden. Die Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechte der §§ 53, 53 a, 54 und 55 werden jeweils in einem kurzen Überblick und zudem in einer von ihrer gesetzlich positivierten Reihenfolge abweichenden, nach inhaltlich-systematischen Kriterien geordneten Abfolge dargestellt. Ausführlicher muss die Auseinandersetzung mit der Glaubhaftmachung gemäß § 56 StPO erfolgen, da diese dem Beleg der Tatsachen dient, auf die eine Zeugnisverweigerung im Einzelfall gestützt wird. Abschließend wird ein kurzer Überblick über weitere Vorschriften der StPO gegeben, die § 52 StPO flankieren.

1. Der Regelungsbereich des § 52 StPO § 52 StPO gewährt verschiedenen den Beschuldigten aus persönlichen Gründen – typischerweise – nahe stehenden und ihnen durch familienrechtliche Verhältnisse verbundenen Personen eine fakultative Befreiung von der Zeugnispflicht. Der in § 52 StPO damit (faktisch) zu Grunde gelegte Angehörigenbegriff ist teils enger, teils weiter als der des StGB: anders als in § 11 Abs. 1 Nr. 1 b) StGB sind Pflegeeltern und Pflegekinder nicht genannt, während nach § 52 Abs. 1 StPO in der Seitenlinie Verwandte bis zum dritten Grad, nach StGB nur Verwandte bis zum zweiten Grad erfasst sind. Die nach § 52 zur Zeugnisverweigerung berechtigten Personen entscheiden selbst darüber, ob sie zur Sache aussagen oder nicht; Beschuldigte haben keinen – normativ abgesicherten – Einfluss auf die Geltendmachung des Zeugnisverweigerungsrechts oder den Verzicht und die darauf folgende Aussageerstattung17. Nach der Inanspruchnahme eines Zeugnisverweigerungsrechts sind die Zeugen (in dieser Funktion18) keine zulässigen Beweismittel mehr19. Sowohl die Entscheidung zur Aussage als auch die zur Aussageverweigerung kann in jeder Phase des Verfahrens bis zur vollständigen Beendigung einer Vernehmung revidiert werden20. Abgesichert wird dies für den Fall der erst später erfolgenden Zeugnisver17 R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 131; LR-Dahs, § 52 Rn. 1, 2, 23; KKSenge, § 52 Rn. 2; HK-Lemke, § 52 Rn. 4; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1242, 1253; RGSt 20, 187; 48, 269, 270; s. auch BGHSt 9, 59, 61; 21, 303, 305. 18 s. zur überwiegenden Meinung, derzufolge Zeugen trotz Zeugnisverweigerung zur Duldung der Inaugenscheinnahme verpflichtet sein sollen: BGH GA 1965, 108, 109; OLG Hamm MDR 1974, 1036; LR-Dahs, § 52 Rn. 39, § 81 c Rn. 30, § 86 Rn. 21; KK-Senge, § 52 Rn. 44, § 81 c Rn. 10; Meyer-Goßner, § 52 Rn. 23 und § 81 c Rn. 23; KMR-Paulus, § 81 c Rn. 27; AK-StPO-Wassermann, § 81 c Rn. 15; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1226, 2315 ff.; a.A.: SK-Rogall, Vor § 48 Rn. 124; s. auch Rogall MDR 1975, 813, 814. 19 RGSt 41, 32; LR-Dahs, § 52 Rn. 39; KK-Senge, § 52 Rn. 43; Meyer-Goßner, § 52 Rn. 23; HK-Lemke, § 52 Rn. 31; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1258; Geppert Jura 1991, 132, 134; Beling, Die Beweisverbote als Grenzen der Wahrheitserforschung im Strafprozeß, S. 5; Alsberg / Nüse / Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozeß, S. 452.

II. Einbettung des § 52 StPO in das Regelungsgefüge

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weigerung durch § 252 StPO. Die Zeugnisverweigerung kann auf die gesamte Aussage, aber auch auf einen Teil der Vernehmung oder einzelne Fragen bezogen werden21. Die Aussageperson muss ihre Weigerung allerdings ausdrücklich erklären, sie darf nicht einfach wesentliche Tatsachen verschweigen22. Die (berechtigte) Aussageverweigerung ist der Beweiswürdigung zum Nachteil des Angeklagten nicht zugänglich23. Über das Recht zur Zeugnisverweigerung ist nach § 52 Abs. 3 StPO zu belehren24. a) Verlöbnis, § 52 Abs. 1 Nr. 1 StPO Der strafprozessuale Verlöbnisbegriff ist gesetzlich nicht definiert. Zu seiner Bestimmung kann nicht auf zivilrechtliche Maßstäbe (vgl. §§ 1297 ff. BGB), die wesentlich auf die Gewährung insbesondere nachpartnerschaftlichen Rechtsschutzes abstellen, zurückgegriffen werden; vielmehr wird auf die von derartigen Vorgaben unberührten spezifischen Anforderungen des Strafverfahrens abgestellt25. Über das Verständnis des verfahrensrechtlichen Verlöbnisbegriffs besteht weitgehende Einigkeit. Als genügend, aber auch erforderlich wird ein gegenseitiges, ernstliches Eheversprechen angesehen26. Auf die bürgerlich-rechtliche Gültigkeit kommt es nicht an, auch ein Verlöbnis unter Minderjährigen berechtigt daher z. B. zur Zeugnisverweigerung. Weder die Erfüllung bestimmter Förmlichkeiten noch

20 LR-Dahs, § 52 Rn. 35; KK-Senge, § 52 Rn. 41; HK-Lemke, § 52 Rn. 30; BGH bei Pfeiffer / Miebach NStZ 1985, 13. Den Auswirkungen einer nachträglichen Aussageverweigerung nach begonnener oder in einem anderen Verfahrensstadium bereits vollständig abgelegter Aussage soll hier nicht nachgegangen werden. Es handelt sich um ein Problem des Umfangs von Beweisverwertungsverboten; vgl. hierzu LR-Dahs, § 52 Rn. 36, 40 m.w.Nw.; Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 23 / 24. 21 Meyer-Goßner, § 52 Rn. 15; HK-Lemke, § 52 Rn. 21; KK-Senge, § 52 Rn. 40. 22 Vgl. BGHSt 2, 90, 92; 7, 127, 128; LR-Dahs, § 52 Rn. 23; Meyer-Goßner, § 52 Rn. 15; HK-Lemke, § 52 Rn. 21. 23 LR-Dahs, § 52 Rn. 42; KK-Senge, § 52 Rn. 45; KK-Pfeiffer, Einleitung Rn. 100; Pfeiffer, StPO, § 52 Rn. 8; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1258; BGHSt 22, 113, 114; BGH NJW 1980, 794; BGH JR 1981, 432; BGH NStZ 1985, 87; BGH StV 1985, 485, 486; s. auch BGH NStZ 1992, 347. Vgl. für die Verwertbarkeit der auf einzelne Aussageteile beschränkten Zeugnisverweigerung außerdem LR-Dahs, § 52 Rn. 43; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1258 a; Petry, Beweisverbote im Strafprozeß, S. 49; Kühl JuS 1986, 115, 121 f. 24 Zu Details vgl. LR-Dahs, § 52 Rn. 45 ff. m.w.Nw.; HK-Lemke, § 52 Rn. 33 ff. 25 Ausführlich Meuthien, Das Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen im Strafprozeß, S. 50 ff.; RGSt 35, 49, 50 ff.; Pelchen, Festschrift für Pfeiffer, S. 288 / 289; s. außerdem LR-Dahs, § 52 Rn. 5; KK-Senge, § 52 Rn. 10; HK-Lemke, § 52 Rn. 11; Geppert Jura 1991, 132, 134. 26 BGHSt 3, 215, 216; 29, 54, 57; BGH NJW 1972, 1334; BGH NStZ 1986, 84; RGSt 24, 155, 156; 35, 49, 50; LR-Dahs, § 52 Rn. 6; KK-Senge, § 52 Rn. 10; HK-Lemke, § 52 Rn. 11; Meyer-Goßner, § 52 Rn. 4; Pfeiffer, StPO, § 52 Rn. 2; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1243; Meuthien, Das Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen im Strafprozeß, S. 50.

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A. Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht

eine Bekanntmachung in der Öffentlichkeit werden vorausgesetzt27. Unwirksam sind jedoch „Verlöbnisse“ wenn das Eheversprechen auch nur eines der Beteiligten nicht ernst gemeint ist, wenn der Heiratswille (auch einseitig und ohne Mitteilung an den Partner) aufgegeben wird oder wenn das Verlöbnis gegen das Gesetz oder die guten Sitten verstößt28. Als sittenwidrig sieht die h.M. ein Verlöbnis bei gleichzeitig bestehendem anderweitigem Verlöbnis oder (unter Verweis auf Art. 6 GG) bei noch bestehender Ehe mit einem anderen Partner an; teilweise wird allerdings Sittenwidrigkeit verneint und folglich von der Wirksamkeit des Verlöbnisses ausgegangen, wenn ein erfolgversprechendes Scheidungsverfahren anhängig oder im ersten Rechtszug ein nicht rechtskräftiges Scheidungsurteil ergangen ist29. Nach ganz überwiegender Auffassung genügt ein bloßes Liebesverhältnis nicht. Auch das Zusammenleben in nichtehelicher – verschieden- oder gleichgeschlechtlicher – Lebensgemeinschaft wird den legalisierten Bindungen nach ganz überwiegender Meinung de lege lata nicht gleichgesetzt 30. 27 BGH NJW 1972, 1334; RGSt 38, 242, 243; RG JW 1928, 3047; H. C. Hauser, Das Zeugnisverweigerungsrecht im Strafverfahren, S. 83; LR-Dahs, § 52 Rn. 5; KK-Senge, § 52 Rn. 10; HK-Lemke, § 52 Rn. 11; Pelchen, Festschrift für Pfeiffer, S. 288 / 289. 28 BGHSt 3, 215, 216; BGH VRS 36 (1969), 20, 21 f.; BGH wistra 1989, 57; RGSt 75, 290, 291; LR-Dahs, § 52 Rn. 6; KK-Senge, § 52 Rn. 10, 12; Meyer-Goßner, § 52 Rn. 4; HKLemke, § 52 Rn. 11; Pfeiffer, StPO, § 52 Rn. 2; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1243; Meuthien, Das Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen im Strafprozeß, S. 56. 29 Ausführl. Pelchen, Festschrift für Pfeiffer, S. 290 ff. m.w.Nw. s. außerdem BVerfG NStZ 1999, 255. Von Sittenwidrigkeit eines (strafprozessualen) „Zweit-Verlöbnisses“ neben einer nicht rechtswirksam beendeten Ehe gehen aus BVerfG NJW 1987, 2807; BGH VRS 36 (1969), 20, 21 f.; BayObLG NJW 1983, 831, 832 (m. krit. Anm. Strätz JR 1984, 127); RGSt 24, 155, 157; RGSt 71, 152, 154 (für gleichzeitig bestehendes anderes Verlöbnis); LR-Dahs, § 52 Rn. 6; HK-Lemke, § 52 Rn. 11; Meyer-Goßner, § 52 Rn. 4; Pfeiffer, StPO, § 52 Rn. 2; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1243; R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 197; H. C. Hauser, Das Zeugnisverweigerungsrecht im Strafverfahren, S. 84. Strafprozessuale Wirksamkeit eines Verlöbnisses bei noch nicht rechtskräftigem erstinstanzlichen Scheidungsurteil nehmen an KK-Senge, § 52 Rn. 10; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 26 Rn. 15; Pelchen, Festschrift für Pfeiffer, S. 292 / 293; offengelassen von BGH bei Kusch NStZ 1994, 227 und BGH bei Pfeiffer / Miebach NStZ 1986, 206. Rechtswirksamkeit offengelassen auch von BGH NStZ 1983, 564 für „besondere Umstände“. Eine Ausnahme für Fälle rechtshängiger Scheidungsverfahren nach Ablauf der dreijährigen Trennungsfrist akzeptiert Füllkrug StV 1986, 37, 38. LG Duisburg NJW 1950, 714 und LG Heidelberg StV 1981, 616 (s. auch KMR-Paulus, § 52 Rn. 9) hielten eine rechtshängige, aussichtsreiche Ehescheidungsklage für ausreichend. 30 LR-Dahs, § 52 Rn. 6, 17; HK-Lemke, § 52 Rn. 11, 14; KK-Senge, § 52 Rn. 11; MeyerGoßner, § 52 Rn. 5; Pfeiffer, StPO, § 52 Rn. 2; Schulz / Händel, StPO, § 52 Rn. 6, 4; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1244; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 26 Rn. 15; Pelchen, Festschrift für Pfeiffer, S. 287, 295; Baier, Strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrechte außerhalb der StPO, S. 167 ff.; Spelthahn, Das Zeugnisverweigerungsrecht von Angehörigen eines Mitbeschuldigten, S. 55 / 56; Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 63; R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 197; Meuthien, Das Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen im Strafprozeß, S. 77 Fn. 237, S. 79 Fn. 242; auch schon RGSt 24, 156, 157; s. aber BVerfG NStZ 1999, 255; a.A. Kramer, Grundbegriffe des Strafverfahrensrechts, Rn. 127: modifizierte Auslegung des Verlöbnisbegriffs; für Analogieschluss: Skwirblies, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, S. 182 ff., 200 f.; Strätz FamRZ 1980, 301, 308;

II. Einbettung des § 52 StPO in das Regelungsgefüge

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Das Verlöbnis wirkt (bei nachträglichem Entstehen) zurück auf den Tatzeitpunkt, es muss erst zur Zeit der Vernehmung vorliegen. Bei der Vernehmung und bis zu ihrem Abschluss muss es aber jedenfalls bestehen, eine Berechtigung zur Zeugnisverweigerung nach Auflösung des Verlöbnisses ist nicht gegeben31.

b) Ehe, § 52 Abs. 1 Nr. 2 StPO Der Ehebegriff des § 52 StPO bezieht sich auf eine im Inland oder Ausland geschlossene, nach dem Recht der Bundesrepublik formell als gültig anzuerkennende Eheschließung. Das Vorliegen von Nichtigkeits- oder Auflösungsgründen ist ohne Bedeutung und auch eine Scheinehe reicht aus32. Die Sinti-Ehe wird hingegen als Ehe nicht anerkannt33. Wie beim Verlöbnis ist nicht auf den Zeitpunkt der Tat, sondern auf den der Vernehmung abzustellen. Das Zeugnisverweigerungsrecht bleibt allerdings unabhängig von einer etwaigen Scheidung, Nichtigerklärung oder Auflösung der Ehe bestehen, es sei denn, eine formgültig geschlossene Ehe hätte nie bestanden („Nichtehe“)34. c) Lebenspartnerschaft, § 52 Abs. 1 Nr. 2 a StPO Über die Einbeziehung des Begriffs der Lebenspartnerschaft in § 52 StPO wird den Partnern einer gleichgeschlechtlichen Eingetragenen Lebenspartnerschaft im Diederichsen FamRZ 1988, 889, 891 Fn. 15; Meier-Scherling DRiZ 1979, 296, 299; undeutlich zur Frage, wie die Einbeziehung erfolgen soll: Wollweber NStZ 1999, 628 / 629; MK-Wacke, Nach § 1302 BGB Rn. 60. Missverständlich Paulus in KMR, § 52 Rn. 9; krit. HK-Lemke, § 52 Rn. 10. 31 OGHSt 2, 173; BGHSt 23, 16, 17; BGH NJW 1980, 67, 68; LR-Dahs, § 52 Rn. 4, 7; KK-Senge, § 52 Rn. 12; Meyer-Goßner, § 52 Rn. 4; KMR-Paulus, § 52 Rn. 9; Pfeiffer, StPO, § 52 Rn. 2; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1243; R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 198; Meuthien, Das Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen im Strafprozeß, S. 57. 32 RGSt 56, 427, 429 f.; BGHSt 9, 37, 38; BayObLG NStZ 1990, 187, 188; LR-Dahs, § 52 Rn. 9; KK-Senge, § 52 Rn. 14; Meyer-Goßner, § 52 Rn. 5; HK-Lemke, § 52 Rn. 13; Pfeiffer, StPO, § 52 Rn. 3; Meuthien, Das Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen im Strafprozeß, S. 57 / 58. 33 LR-Dahs, § 52 Rn. 9; s. auch BVerfG NStZ 1993, 349 (zu § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO). 34 § 52 Abs. 1 Nr. 2 a.E.; vgl. RGSt 47, 286, 287; BGHSt 9, 37, 38; BGH bei Miebach NStZ 1990, 226; LR-Dahs, § 52 Rn. 4, 9; KK-Senge, § 52 Rn. 14; Meyer-Goßner, § 52 Rn. 5; Pfeiffer, StPO, § 52 Rn. 2; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1246. Im Verfahren gegen frühere Mitbeschuldigte eines verstorbenen Angehörigen wird allerdings vom BGH kein Zeugnisverweigerungsrecht mehr zuerkannt, vgl. BGH NStZ 1992, 291, 292. Zustimm. Spelthahn, Das Zeugnisverweigerungsrecht von Angehörigen eines Mitbeschuldigten, S. 104 ff.; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 26 Rn. 16; Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 24 / 25; krit. Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1251.

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A. Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht

Sinne von § 1 Abs. 1 des LPartG35 ein gegenseitiges Zeugnisverweigerungsrecht eingeräumt, das ebenso wie das der Ehepartner auch nach Auflösung der Partnerschaft fortbesteht.

d) Verwandtschaft und Schwägerschaft, § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO aa) Verwandte Der Begriff der Verwandtschaft bestimmt sich nach § 1589 BGB36. Zu unterscheiden ist für § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO zwischen Personen, die in gerader Linie miteinander verwandt sind und den Verwandten der Seitenlinie. In gerader Linie verwandt und damit untereinander zur Zeugnisverweigerung berechtigt sind Personen, die voneinander abstammen, Großeltern, Eltern, Kinder und Kindeskinder (Aszendenten und Deszendenten), unabhängig vom Grad ihrer Verwandtschaft. Bei den in der Seitenlinie Verwandten – Personen, die von derselben dritten Person abstammen, § 1589 Satz 2 BGB – ist die Möglichkeit der Geltendmachung eines Zeugnisverweigerungsrechts beschränkt auf bis zum dritten Grad37 Verwandte: zeugnisverweigerungsberechtigt sind also Geschwister gegenüber ihren eigenen Geschwistern sowie Nichten und Neffen gegen die Geschwister ihrer Eltern (Onkel und Tanten) und umgekehrt, nicht mehr aber Cousins und Cousinen („Geschwisterkinder“) untereinander38. Adoptierte Kinder sind mit allen familienrechtlichen Wirkungen39 rechtlich vollständig in die Adoptivfamilie eingegliedert, vgl. §§ 1741 ff., 1754 BGB. Daher gehören sie zu den direkten Verwandten, eine ausdrückliche Benennung in § 52 StPO erübrigt sich. Alle Verwandtschaftsverhältnisse zur Ursprungsfamilie erlöschen40. Das Zeugnisverweigerungsrecht der als Kind Angenommenen gegenüber den bisherigen Verwandten bleibt allerdings entgegen § 1755 Abs. 1 Satz 1 BGB erhalten, da das Bestehen eines Verwandtschaftsverhältnisses in der Vergangenheit ausreichend ist41. Nach ganz h.M. steht hingegen das Pflegekindschafts35 Art. 1 Abschn. 1 § 1 des „Gesetzes zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften: Lebenspartnerschaften“ vom 16. 2. 2001; BGBl. I, S. 266. Das Zeugnisverweigerungsrecht für gleichgeschlechtliche Eingetragene Lebenspartnerschaften wurde durch Art. 3 § 18 Nr. 2 eingefügt. Die Normenkontrollklage der Länder Bayern, Sachsen und Thüringen gegen dieses Gesetz blieb erfolglos (vgl. BVerfGE 105, 313 ff. = BVerfG NJW 2002, 2543). 36 Über Art. 51 EGBGB. 37 Legaldefinition: § 1589 S. 3 BGB. 38 s. auch BGH StV 1988, 89; BGH bei Kusch NStZ 1996, 323, 324; LR-Dahs, § 52 Rn. 10. 39 Vgl. zu den Besonderheiten bei der Adoption von Volljährigen §§ 1767 ff. BGB; diese Gruppe soll jedoch hier unberücksichtigt bleiben. Zu den Auswirkungen der Adoption eines Volljährigen auf das Zeugnisverweigerungsrecht: LR-Dahs, § 52 Rn. 14; Pfeiffer, StPO, § 52 Rn. 4; s. auch HK-Lemke, § 52 Rn. 17, 18. 40 § 1755 Abs. 1 S. 1 BGB; sog. Volladoption.

II. Einbettung des § 52 StPO in das Regelungsgefüge

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verhältnis dem Adoptionsverhältnis nicht gleich und begründet kein Zeugnisverweigerungsrecht42. bb) Verschwägerte Für die Schwägerschaft gilt § 1590 BGB43. Eine Privilegierung gewährt § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO Verschwägerten in gerader Linie unabhängig vom Grade der Verschwägerung, in der Seitenlinie bis zum zweiten Grad. In gerader Linie verschwägert sind Aszendenten und Deszendenten eines Ehepartners gegenüber dem anderen und umgekehrt; hierdurch werden daher z. B. die in eine Ehe „eingebrachten“ Stiefkinder gegenüber dem Partner des Elternteils miterfasst. In der Seitenlinie sind nur Schwager und Schwägerin (Geschwister des Ehepartners) der Beschuldigten weigerungsberechtigt, nicht jedoch deren Aszendenten oder Deszendenten44. Auch dieses Weigerungsrecht wirkt über das Ende des die Schwägerschaft begründenden familienrechtlichen Verhältnisses der Ausgangsfamilie hinaus.

2. Weitere strafprozessuale Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechte a) § 55 StPO, Auskunftsverweigerungsrecht zum Schutz vor Selbst- und Angehörigenbelastung Das Auskunftsverweigerungsrecht des § 55 Abs. 1 StPO setzt in seiner ersten Alternative den nemo tenetur-Satz um und steht in seiner zweiten Alternative dem Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen nah45. Es gibt Zeugen, die 41 Vgl. § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO a.E.: „war“; zu Besonderheiten LR-Dahs, § 52 Rn. 15; KK-Senge, § 52 Rn. 19 ff.; HK-Lemke, § 52 Rn. 19. 42 LR-Dahs, § 52 Rn. 15; Meyer-Goßner, § 52 Rn. 9; HK-Lemke, § 52 Rn. 19; Pfeiffer, StPO, § 52 Rn. 4; s. aber R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 198 ff.; krit. Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1249; für eine Gleichstellung de lege ferenda: Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 117 ff., 119 f., 121; Meuthien, Das Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen im Strafprozeß, S. 73 ff.; Zottmann, Das Zeugnisverweigerungsrecht in den deutschen Verfahrensgesetzen, S. 36, 131; Bialek, Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen, S. 127 f. 43 Art. 51 EGBGB (für über die Eingetragene Lebenspartnerschaft vermittelte Schwägerschaftsverhältnisse i.V. mit § 11 Abs. 2 LPartG). 44 s. nur LR-Dahs, § 52 Rn. 13. 45 Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 36 / 37; Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 54 / 55; Ruetz, Der Schutz des Zeugen bei drohender Selbstbezichtigung, S. 76 ff.; LRDahs, § 55 Rn. 1; Meyer-Goßner, § 55 Rn. 1; s. auch z. B. HK-Lemke, § 55 Rn. 1; tendenziell abweichend KK-Senge, § 55 Rn. 1. Vgl. ausführlich zu Voraussetzungen und Gewährleistungen dieses Auskunftsverweigerungsrechts Ruetz, a. a. O., S. 24 ff.; Rengier, a. a. O., S. 53 ff.; LR-Dahs, § 55 Rn. 8 ff.; Meyer-Goßner, § 55 Rn. 4 ff.; s. außerdem Sommer StraFo 1998, 8 ff.; Geerds, Festschrift für Stock, S. 171 ff.

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A. Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht

durch die wahrheitsgemäße Beantwortung bestimmter Fragen sich selbst (§ 55 Abs. 1, 1. Alt.) oder im zu Grunde liegenden Verfahren nicht beschuldigte Angehörige im Sinne des § 52 Abs. 1 StPO (§ 55 Abs. 1, 2. Alt.) der Gefahr einer Strafverfolgung beziehungsweise der Gefahr der Verfolgung wegen einer Ordnungswidrigkeit aussetzen könnten, ein partielles Auskunftsverweigerungsrecht. Dieses ist regelmäßig nicht auf die gesamte Aussage bezogen, sondern nur auf einzelne Fragen46. Denkbar ist aber, dass die Beantwortung aller gestellten Fragen eine Selbst- oder Angehörigengefährdung im Sinne des § 55 Abs. 1 bedeuten würde; dann gibt das Auskunftsverweigerungrecht im Ergebnis das Recht, die Aussage in vollem Umfang zu verweigern47. Der Gebrauch dieses Auskunftsverweigerungsrechts darf – ebenso wie bei § 52 – nicht durch bloßes Verschweigen belastender Tatsachen erfolgen, sondern muss ausdrücklich erklärt werden48. Die Tatsache, dass eine Aussageperson über bestimmte Fragen keine Auskunft gegeben hat, unterliegt nach überwiegender Ansicht – anders als bei § 52 – gegenüber den Angeklagten der freien Beweiswürdigung49. b) §§ 53, 53 a StPO, Zeugnisverweigerungsrechte bestimmter Berufsgruppen und ihrer Helfer aa) Berufsgeheimnisträger, § 53 StPO § 53 StPO regelt das Zeugnisverweigerungsrecht aus beruflichen Gründen und nimmt damit Rücksicht auf hinsichtlich bestimmter Berufssparten zu konstatierende spezifische professionelle Anforderungen an die Vertraulichkeit der Tätigkeit. Soweit sich ein gemeinsamer Nenner für die unterschiedlichen Personenkreise finden lässt, ist festzuhalten, dass diese Rücksichtnahme dem – auch öffentlichen – Interesse am Bestand der Berufsgruppen, ihrer Inanspruchnahme und ihrer weitgehend ungestörten Berufsausübung geschuldet ist50. 46 Ob das Auskunftsverweigerungsrecht des § 55 dennoch ein Zeugnisverweigerungsrecht i.e. Sinne ist, kann hier offenbleiben; so aber Ruetz, Der Schutz des Zeugen bei drohender Selbstbezichtigung, S. 24 ff.; Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 53 / 54 gegen die wohl überwiegende Ansicht (vgl. nur BGHSt 27, 139, 143; LR-Dahs, § 55 Rn. 6; Meyer-Goßner, § 55 Rn. 2; Schlüchter, Das Strafverfahren, Rn. 493); krit. Geerds, Festschrift für Stock, S. 171 ff., 186 f. 47 BGHSt 10, 104; BGH NStZ 1986, 181; LR-Dahs, § 55 Rn. 6; KK-Senge, § 55 Rn. 2; Meyer-Goßner, § 55 Rn. 2; HK-Lemke, § 55 Rn. 2; SK-Rogall, Vor § 48 Rn. 147; Peters, Strafprozeß, S. 353; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 26 Rn. 30; Schlüchter, Das Strafverfahren, Rn. 493; Thomas NStZ 1982, 489, 493; Alsberg / Nüse / Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozeß, S. 450 m. Nw. 48 RGSt 57, 152, 153; Ruetz, Der Schutz des Zeugen bei drohender Selbstbezichtigung, S. 73; LR-Dahs, § 55 Rn. 17; KK-Senge, § 55 Rn. 12; Meyer-Goßner, § 55 Rn. 11; vgl. auch BVerfGE 38, 105, 113. 49 BGH StV 1984, 233; KK-Senge, § 55 Rn. 16; Meyer-Goßner, § 261 Rn. 20; krit. diff. LR-Dahs, § 55 Rn. 21.

II. Einbettung des § 52 StPO in das Regelungsgefüge

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Die Privilegierung besteht nur in Bezug auf bestimmte berufs- bzw. tätigkeitsbezogen erlangte Kenntnisse, ist aber unabhängig von der Verfahrensstellung der Person, gegenüber der das rechtlich respektierte Schweigeinteresse besteht51. Der Kreis zeugnisverweigerungsberechtigter Personen ist ebenso wenig deckungsgleich mit dem der i.S. des § 203 StGB Schweigeverpflichteten, wie die Tatbestandsobjekte beider Normen, die zu verschweigenden Tatsachen52. Das Aussageverweigerungsrecht der in § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 3 b aufgeführten Berufsangehörigen (nur beispielhaft sind hier zu nennen Geistliche (Nr. 1)53, Verteidiger (Nr. 2), Rechtsanwälte54, Notare, Wirtschafts- und Buchprüfer, Steuerberater, Ärzte55, Apotheker, Hebammen (Nr. 3), Mitglieder und Beauftragte von Schwangerschafts- und Drogenberatungsstellen (Nr. 3 a, b)56 bezieht sich auf das, was ihnen bei und aufgrund ihrer Tätigkeit anvertraut worden ist und auf alle Wahrnehmungen, die sie in Ausübung ihrer Tätigkeit gemacht haben. Erforderlich ist ein innerer Zusammenhang zwischen Berufsausübung und Kenntniserlangung; Wahrnehmungen, die lediglich bei Gelegenheit der Berufsausübung gemacht 50 s. LR-Dahs, § 53 Rn. 1; Meyer-Goßner, § 53 Rn. 1, 2; KK-Senge, § 53 Rn. 1; HK-Lemke, § 53 Rn. 1; Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 28 f.; R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 203 ff.; Schlüchter, Das Strafverfahren, Rn. 489.1; Geppert Jura 1991, 132, 135; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1263; BVerfGE 38, 312, 323; diff. nach Berufsgruppen SK-Rogall, Vor § 48 Rn. 145; s. auch P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 118 ff., 134, 189 ff., 194; Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 12 ff., 26 ff., 30 ff., 38 ff.; R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 203 f., 205 f. 51 Vgl. ausführl. LR-Dahs, § 53 Rn. 1, 15 ff. m.w.Nw.; Meyer-Goßner, § 53 Rn. 7 ff.; HKLemke, § 53 Rn. 2, 5 ff.; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1266; P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 115. 52 Zum Verhältnis zwischen § 53 StPO und § 203 StGB und zur Frage der strafprozessualen Konsequenzen ohne Entbindung von der Schweigepflicht gemachter Aussagen vgl. nur Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 30 ff.; LR-Dahs, § 53 Rn. 7 ff. m.w.Nw.; Meyer-Goßner, § 53 Rn. 4 f.; HK-Lemke, § 53 Rn. 4; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1264 f. 53 s. hierzu LR-Dahs, § 53 Rn. 20 ff.; KK-Senge, § 53 Rn. 11, 12; Meyer-Goßner, § 53 Rn. 12; HK-Lemke, § 53 Rn. 9, 10 (auch zu Problemen und Widersprüchlichkeiten in Bezug auf dieses Zeugnisverweigerungsrecht); Peters, Strafprozeß, S. 350; s. auch BGHSt 37, 138, 139 ff.; RGSt 54, 39, 40; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1268; Lenckner NJW 1965, 321, 322. 54 Zum Zeugnisverweigerungsrecht der Verteidiger und Rechtsanwälte vgl. LR-Dahs, § 53 Rn. 27 ff., 30 ff.; Meyer-Goßner, § 53 Rn. 13, 15 f.; KK-Senge, § 53 Rn. 13 f., 15 f.; HKLemke, § 53 Rn. 11, 13 f.; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1269, 1270 f.; s. außerdem BGHSt 38, 7 ff.; KG StV 1991, 507. 55 Zum Zeugnisverweigerungsrecht der Ärzte vgl. LR-Dahs, § 53 Rn. 33 f.; KK-Senge, § 53 Rn. 17 f.; Meyer-Goßner, § 53 Rn. 17, 18; HK-Lemke, § 53 Rn. 15 f.; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1270; BGH NStZ 1985, 372 f. Zu den Besonderheiten bei der Tätigkeit des ärztlichen Sachverständigen vgl. LR-Dahs, § 53 Rn. 35 f.; KK-Senge, § 53 Rn. 19; Meyer-Goßner, § 53 Rn. 20; HK-Lemke, § 53 Rn. 17; Eisenberg, a. a. O., Rn. 1272. 56 Zum Zeugnisverweigerungsrecht der Schwangerschafts- und Drogenberater vgl. LRDahs, § 53 Rn. 37 ff.; KK-Senge, § 53 Rn. 20 ff.; Meyer-Goßner, § 53 Rn. 21, 22; HK-Lemke, § 53 Rn. 18, 19 f.; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1273; Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 25 ff.

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A. Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht

werden, berechtigen daher nicht zur Zeugnisverweigerung57. Bis auf die Geistlichen58 sind zudem all diese Personen zur Aussage verpflichtet, wenn sie von den Trägern des Geheimhaltungsinteresses (die nicht mit den Beschuldigten identisch sein müssen) von ihrer Schweigepflicht entbunden werden (§ 53 Abs. 2 S. 1); im Übrigen entscheiden alle in § 53 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 benannten Personenkreise selbst über die Inanspruchnahme des Zeugnisverweigerungsrechts, ohne dass die Prozessbeteiligten oder andere Personen hierauf einen durchsetzbaren Einfluss hätten59. Das Zeugnisverweigerungsrecht der Bundestags- und Landtagsabgeordneten (§ 53 Abs. 1 Nr. 4) bezieht sich auf ihnen oder von ihnen anlässlich ihrer Eigenschaft als Mitglied dieser Organe anvertraute Tatsachen sowie auf die Personen, die ihnen oder denen sie etwas anvertraut haben60. Medienmitarbeitern (§ 53 Abs. 1 Nr. 5) wird ein Zeugnisverweigerungsrecht gewährt hinsichtlich der Identität von Personen, die Beiträge verfasst oder eingesendet beziehungsweise als Einsender und Gewährsleute Unterlagen zugänglich gemacht haben sowie in Bezug auf Mitteilungen, die ihnen aufgrund ihrer Tätigkeit gemacht wurden. Unter den einschränkenden Voraussetzungen des § 53 Abs. 2 S. 2, 3 StPO gilt dieses Recht zur Zeugnisverweigerung auch für eigene Wahrnehmungen und selbst recherchiertes Material. Sämtliche Materialien müssen allerdings für den redaktionellen Teil bestimmt sein61. Ebenso wie das Zeugnisverweigerungsrecht der Geistlichen gelten die Zeugnisverweigerungsrechte nach § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 und Nr. 5 absolut, die Entscheidung über den Gebrauch des Zeugnisverweigerungsrechts liegt damit im Ermessen der Aussageperson.

bb) Berufshelfer, § 53 a StPO Zur Verhinderung der Umgehung des § 53 StPO regelt § 53 a das Zeugnisverweigerungsrecht der Hilfspersonen der in § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 4 Genannten, also Personen, die entweder zur eigenen Vorbereitung auf einen Beruf an der Tätigkeit der primär Weigerungsberechtigten teilnehmen (Praktikanten, Referendare) oder diese bei ihrer Tätigkeit derart unterstützen, dass ein unmittelbarer Zusams. auch hierzu die Nw. in Fn. 53 bis 56. Vgl. nur LR-Dahs, § 53 Rn. 22; KK-Senge, § 53 Rn. 45; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1268; P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 143. 59 Ausführl. P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 143 ff.; außerdem: BGH NStZ 1985, 372, 373; LR-Dahs, § 53 Rn. 64 ff., 70 ff.; Meyer-Goßner, § 53 Rn. 45 ff.; HK-Lemke, § 53 Rn. 31 ff.; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1285 f. 60 Vgl. LR-Dahs, § 53 Rn. 41 ff.; KK-Senge, § 53 Rn. 22 ff.; Meyer-Goßner, § 53 Rn. 23 ff.; HK-Lemke, § 53 Rn. 21; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1274. s. auch Art. 47 S. 1 GG und die entsprechenden Bestimmungen der Länderverfassungen. 61 Vgl. LR-Dahs, § 53 Rn. 44 ff., 63; Meyer-Goßner, § 53 Rn. 25 ff., 40; KK-Senge, § 53 Rn. 27 ff., 43; HK-Lemke, § 53 Rn. 22 ff., 30; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1275 ff., 1282. 57 58

II. Einbettung des § 52 StPO in das Regelungsgefüge

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menhang der Hilfeleistung mit der Berufsausübung der aus § 53 Privilegierten besteht; dem muss kein Beschäftigungsverhältnis im arbeitsrechtlichen Sinne zu Grunde liegen. Die über § 53 a StPO zeugnisverweigerungsberechtigten Personen erlangen durch ihre Teilnahme an der Tätigkeit des Berufsgeheimnisträgers Kenntnis von über § 53 geschützten Tatsachen; hierauf bezieht sich ihr Aussageverweigerungsrecht62. Über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts entscheiden nicht die von § 53 a erfassten „Berufshelfer“, sondern – sofern nicht ohnehin eine Entbindung von der Schweigepflicht vorliegt (§ 53 a Abs. 2) – die aus § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 4 zur Zeugnisverweigerung berechtigten Berufsangehörigen; es handelt sich also um ein rein derivatives Recht zur Absicherung des Zeugnisverweigerungsrechts aus § 5363.

c) § 54 StPO, Zeugnisverweigerungsrecht öffentlicher Bediensteter Das „Zeugnisverweigerungsrecht“ der Richter, Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes (§ 54 Abs. 1), der Mitglieder der Bundes- und Landesregierungen sowie der Bundestags- und Landtagsabgeordneten und der zugehörigen Fraktionsangestellten (§ 54 Abs. 2) spiegelt in Wirklichkeit nur ihre Zeugnisverweigerungspflicht64. Im Gegensatz zu anderen Zeugen sind Angehörige des öffentlichen Dienstes beamtenrechtlich oder tarifvertraglich in unterschiedlichem Umfang zur Amtsverschwiegenheit verpflichtet65. § 54 Abs. 1 überträgt diese Pflicht zur Amtsverschwiegenheit auf das Verfahrensrecht und gewährt ein Aussageverweigerungsrecht hinsichtlich der Tatsachen, auf die sich die Amtsverschwiegenheit bezieht; die Aussagepflicht, aber auch die Zulässigkeit der Beweiserhebung, entfällt, soweit die Verpflichtung zur Amtsverschwiegenheit reicht66. Aussagepflicht und Aus62 Vgl. zu Details LR-Dahs, § 53 a Rn. 1 ff.; KK-Senge, § 53 a Rn. 2; Meyer-Goßner, § 53 a Rn. 2 ff.; HK-Lemke, § 53 a Rn. 2 f.; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1286; Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 35 / 36; s. auch BGH NStZ 1985, 372, 373. Zahlreiche Hinweise und Beispiele zur Abgrenzung des aus § 53 a privilegierten Personenkreises bei KK-Senge, a. a. O. Rn. 2 ff. und LR-Dahs, a. a. O. Rn. 4 ff. 63 LR-Dahs, § 53 a Rn. 8; KK-Senge, § 53 a Rn. 1, 6; HK-Lemke, § 53 a Rn. 4; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1286; P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte bei den auf Beweisgewinnung gerichteten Zwangsmaßnahmen, S. 115; Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 36; BGHSt 9, 59, 61. 64 Vgl. LR-Dahs, § 54 Rn. 2; Meyer-Goßner, § 54 Rn. 1; HK-Lemke, § 54 Rn. 1; Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 42 / 43 (ders., a. a. O., S. 44 ff. auch ausführlich zu den Normzwecken). 65 Vgl. §§ 61, 62 BBG für die Bundesbeamten; § 39 BRRG als die Beamtengesetze der Länder vereinheitlichende Norm für Landesbeamte; § 9 BAT vom 23. 2. 1961 für Angestellte des öffentlichen Dienstes; § 46 bzw. § 71 Abs. 1 DRiG i.V. mit den bundes- bzw. landesbeamtenrechtlichen Regelungen für Richter.

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A. Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht

sagebefugnis hängen damit von einer Genehmigung der vorgesetzten Dienstbehörde ab, deren Erteilung sich nach den entsprechenden bundes- oder landesrechtlichen Regelungen richtet67. Die allgemeine Zeugnispflicht dieser Personen tritt erst mit der Erteilung der Aussagegenehmigung wieder in Kraft und auch nur, soweit diese reicht68. Entsprechend geregelt wurden die Schweigepflicht und das daraus resultierende Zeugnisverweigerungsrecht der Mitglieder des Bundestages beziehungsweise der Landtage, der Bundes- oder Länderregierungen sowie der Fraktionsangestellten 69. Nur der Bundespräsident entscheidet unter Berücksichtigung des Maßstabes des § 54 Abs. 3 allein über die Ablegung einer Zeugenaussage.

3. Die Glaubhaftmachung nach § 56 StPO Die Berufung auf die Zeugnisverweigerungsrechte setzt keinen Nachweis der zur Aussageverweigerung berechtigenden tatsächlichen Umstände zur vollen Überzeugung des Gerichts70 voraus. Vielmehr kann (und muss) das erforderliche Maß richterlicher Vorstellung vom Vorliegen der Tatsachen, die zur Zeugnis- oder Auskunftsverweigerung nach §§ 52, 53, 53 a, 55 StPO71 berechtigen, „auf Verlangen“ durch Glaubhaftmachung, § 56 StPO, hergestellt werden. Ausreichend für eine solche Glaubhaftmachung ist, dass die Richtigkeit der behaupteten, nicht offenkundigen Tatsache so weit belegt wird, dass das Gericht sie, ohne übertrieben hohe Anforderungen zu stellen, vernünftigerweise für wahrscheinlich halten kann72. 66 BGH bei Dallinger MDR 1952, 659; OLG Hamburg NStZ 1994, 98 f.; LR-Dahs, § 54 Rn. 2; Meyer-Goßner, § 54 Rn. 2, 15, 20 ff.; HK-Lemke, § 54 Rn. 1, 11; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1287; Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 42. 67 §§ 62 Abs. 1 BBG, 39 Abs. 3 S. 1 BRRG; diese beamtenrechtlichen Normen gelten auch für die – engeren Voraussetzungen der – Versagung einer Aussagegenehmigung der Angestellten des öffentlichen Dienstes. Vgl. LR-Dahs, § 54 Rn. 15 ff.; KK-Senge, § 54 Rn. 7; Meyer-Goßner, § 54 Rn. 2, 9. 68 LR-Dahs, § 54 Rn. 18; Meyer-Goßner, § 54 Rn. 2, 15, 17 ff.; Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 42; s. auch OLG Hamburg NStZ 1994, 98 f. 69 Vgl. § 44 c AbgG für Mitglieder des Bundestages; §§ 6, 7 BMinG für die Mitglieder der Bundesregierung; für die Mitglieder der Landtage und der Landesregierungen gelten die entsprechenden landesrechtlichen Normierungen. 70 Für die staatsanwaltschaftliche Vernehmung gilt § 56 entsprechend, mit Ausnahme der Befugnis zur Entgegennahme der eidlichen Versicherung als Mittel der Glaubhaftmachung (§ 161 a Abs. 1 S. 2, 3 StPO; vgl. insoweit KK-Wache, § 161 a Rn. 7 ff.; zur richterlichen Vernehmung im Ermittlungsverfahren s. KK-Wache, § 162 Rn. 18; W. Schmid SchlHA 1981, 73. § 65 StPO gilt nicht, s. LR-Dahs, § 56 Rn. 9; KK-Senge, § 56 Rn. 6; Meyer-Goßner, § 56 Rn. 3). Für die polizeiliche Vernehmung stellt sich das Problem einer Glaubhaftmachung der Zeugnisverweigerungsgründe nicht, da ohnehin keine erzwingbare Aussagepflicht besteht (vgl. nur KK-Wache, § 163 a Rn. 31). 71 Vgl. zur Einbeziehung des § 53 a: KK-Senge, § 56 Rn. 1; LR-Dahs, § 56 Rn. 2. Für § 54 stellt sich die Frage nicht, weil über das Zeugnisverweigerungsrecht aufgrund der Pflicht zur Amtsverschwiegenheit nicht der Zeuge urteilt, sondern das Gericht (LR-Dahs, § 56 Rn. 1).

II. Einbettung des § 52 StPO in das Regelungsgefüge

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Für § 52 StPO entfaltet das Erfordernis einer Glaubhaftmachung Relevanz in Bezug auf die Feststellung beziehungsweise Feststellbarkeit der Existenz eines Verlöbnisses, während die übrigen Angehörigenverhältnisse regelmäßig leicht durch entsprechende Personenstandsunterlagen zu belegen sind73. Gerade die für ein Verlöbnis im strafprozessualen Sinn grundlegende, auf eine spätere Eheschließung gerichtete innere Willensrichtung der Beteiligten ist nur schwer nachweisbar, daher liegt hier regelmäßig ein Rückschluss aus – soweit vorhanden: aussagekräftigen – äußeren Umständen nahe74. Maßstab der Entscheidung über das Vorliegen zur Zeugnisverweigerung berechtigender Tatsachen ist das pflichtgemäße (richterliche) Ermessen75. Daher ist es dem Gericht (genauer: der oder dem Vorsitzenden im Rahmen der Sachleitungskompetenz in der Hauptverhandlung, § 238 Abs. 1 StPO) unbenommen, unter Verzicht auf eine regelgerechte Glaubhaftmachung den – u.U. schon durch den Akteninhalt gestützten – Angaben der Zeugen zum Bestehen eines Verlöbnisses zu glauben, insbesondere wenn niemand widerspricht76. Bezweifelt es sie jedoch oder 72 LR-Dahs, § 56 Rn. 6; LR-Wendisch, § 45 Rn. 16; Meyer-Goßner, § 56 Rn. 2, 3, § 26 Rn. 7; KK-Senge, § 56 Rn. 2; KK-Pfeiffer, § 26 Rn. 4; KK-Pfeiffer, Einleitung Rn. 102; W. Schmid SchlHA 1981, 73, 74; RGSt 28, 8, 10; BGHSt 21, 334, 350; BGHSt 28, 240, 258; BGH NStZ 1991, 144; BayObLG NJW 1956, 640; OLG Düsseldorf NJW 1985, 2207; OLG Düsseldorf wistra 1990, 364. Krit. schon Ditzen, Dreierlei Beweis im Strafverfahren, S. 8. Etwas handhabbarer die Definition von W. Schmid a. a. O., 73: mindestens „weitgehendes Schweigen“ ernsthafter Zweifel im Gegensatz zum „gänzlichen Schweigen“ bei durch den Strengbeweis zu erlangender richterlicher Überzeugung. 73 s. LR-Dahs, § 56 Rn. 4; KK-Senge, § 56 Rn. 3; Meyer-Goßner, § 56 Rn. 2; BGH NJW 1972, 1334; R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 197, 198; Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 120. Bzgl. § 53 kann die Frage des „Anvertrautseins“ Anlass zu Erörterungen geben, bei § 55 ist Anknüpfungspunkt das Bestehen der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung (s. LR-Dahs, § 56 Rn. 3 a.E., 4, 5; KK-Senge, a. a. O.; Meyer-Goßner, a. a. O.; RGSt 54, 39, 40; BGH StV 1986, 282; LG Hamburg VRS 74, 442 f.; Richter II StV 1996, 457 ff., 460 / 461; Alsberg JW 1929, 859, 861; RG JW 1928, 414 m. Anm. Mamroth JW 1928, 414). Da die vorliegende Arbeit sich ganz schwerpunktmäßig mit § 52 StPO befasst, finden diese Aspekte hier keine gesonderte Beachtung. 74 LR-Dahs, § 56 Rn. 4; BGH NJW 1972, 1334; ausführlich auch RG JW 1934, 3206, 3207 / 3208. 75 LR-Dahs, § 52 Rn. 8; KK-Senge, § 56 Rn. 4; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1245; RG GA 40 (1892), 151, 152; RG GA 49 (1903), 266; RGSt 54, 39, 40; RG JW 1929, 861 m. Anm. Alsberg JW 1929, 859, 861; RG JW 1934, 3206, 3207; OGHSt 2, 173; BGH bei Dallinger MDR 1971, 188. 76 BGH NJW 1972, 1334; BGH bei Dallinger MDR 1971, 188; OGHSt 2, 173, 174; RG JW 1934, 3206, 3208; RG JW 1929, 861 m. Anm. Alsberg JW 1929, 859, 861; RG JW 1928, 414 m. Anm. Mamroth JW 1928, 414; RGSt 54, 39, 40; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1245; W. Schmid SchlHA 1981, 73, 75; LR-Dahs, § 52 Rn. 8 und § 56 Rn. 2; KK-Senge, § 52 Rn. 13 und § 56 Rn. 4; Meyer-Goßner, § 52 Rn. 4, § 56 Rn. 1; KMR-Paulus, § 56 Rn. 7 (vgl. aber KMR-Paulus, § 52 Rn. 10, wo für den Regelfall Glaubhaftmachung verlangt wird). „Verlangen“ kann daher immer nur das der Vernehmungsperson, in der Hauptverhandlung also ein richterliches, außerhalb richterlicher Vernehmungen ein staatsanwaltschaftliches,

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A. Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht

bestehen – umgekehrt – Zweifel hinsichtlich des Nichtvorliegens der ein Zeugnisverweigerungsrecht begründenden Tatsachen, ist eine Glaubhaftmachung geboten77. Die Auffassungen der Verfahrensbeteiligten zur Erforderlichkeit einer Glaubhaftmachung müssen nicht berücksichtigt werden, sie haben keinen eigenen Anspruch auf Glaubhaftmachung. Melden sie Zweifel an oder fordern eine Glaubhaftmachung, kann die bzw. der Vorsitzende in der Hauptverhandlung dem nachkommen oder – im Rahmen pflichtgemäßer Ermessensausübung – auf eine Glaubhaftmachung verzichten78. Die Regeln zur Glaubhaftmachung sind nicht zuletzt auf die Gegebenheiten der Hauptverhandlung, die nicht durch Ermittlungen zu Nebensachverhalten verzögert werden soll, zugeschnitten. Daher unterliegt die Glaubhaftmachung eines ein Zeugnisverweigerungsrecht begründenden Näheverhältnisses als für die Schuldund Rechtsfolgenfrage (unmittelbar) irrelevanter Aspekt auch in der Hauptverhandlung nicht den Regeln des Strengbeweises; der Nachweis ist aber gebunden durch Vorgaben, die sich aus dem Erfordernis einer verfahrensökonomischen Vorgehensweise ergeben79. Zulässig sind alle generell zur Überzeugungsbildung geeigneten Mittel auch unterhalb des Eides, die Rückschlüsse auf die glaubhaft zu machende Anknüpfungstatsache zulassen80. Eine Glaubhaftmachung ist beispielsweise möglich durch Urkunden (Briefe), Vorlage einfacher schriftlicher Erklärungen oder eidesstattlicher sein, s. LR-Dahs, § 56 Rn. 3; KK-Senge, § 56 Rn. 4; Meyer-Goßner, § 56 Rn. 1; KMR-Paulus, § 56 Rn. 6; BGH bei Dallinger MDR 1971, 188. 77 LR-Dahs, § 56 Rn. 8; KK-Senge, § 52 Rn. 13 und § 56 Rn. 4; Meyer-Goßner, § 52 Rn. 4, § 56 Rn. 1; BGH StV 1984, 450; BGH bei Spiegel DAR 1977, 178; BGH NJW 1972, 1334; LG Hamburg VRS 74, 442; offengelassen von BGH NStZ 1986, 84. 78 BGH bei Dallinger MDR 1971, 188; LR-Dahs, § 56 Rn. 3; KK-Senge, § 56 Rn. 4, 5. Entsprechende Anträge der Prozessbeteiligten können ohne weiteres zurückgewiesen werden (Uneinigkeit besteht darüber, ob dies mit Begründung geschehen muss – so LR-Dahs, § 56 Rn. 3; s. § 34 StPO –, oder auch unbegründet möglich ist – KMR-Paulus, § 56 Rn. 6; Meyer-Goßner, § 56 Rn. 1, s. aber Meyer-Goßner, § 238 Rn. 19; differenzierend KK-Tolksdorf, § 238 Rn. 13). Beanstandungen hiergegen können in der Hauptverhandlung nur im Rahmen des § 238 Abs. 2 StPO durch Antrag auf gerichtliche Entscheidung geltend gemacht werden (s. auch KK-Senge, § 56 Rn. 5, 7; LR-Dahs, § 56 Rn. 10; BGH bei Dallinger MDR 1971, 188). 79 s. LR-Dahs, § 56 Rn. 6; Alsberg / Nüse / Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozeß, S. 142 ff., 149 ff.; s. außerdem schon Ditzen, Dreierlei Beweis im Strafverfahren, S. 5 / 6 ff. Dies gilt – mit Ausnahme des bei staatsanwaltschaftlichen Vernehmungen nicht zulässigen Rückgriffs auf die eidliche Versicherung als Mittel vereinfachter Glaubhaftmachung – auch außerhalb der Hauptverhandlung, s. LR-Dahs, § 56 Rn. 1; KK-Senge, § 56 Rn. 1; KK-Wache, § 161 a Rn. 7 und § 162 Rn. 18. 80 Zwiehoff, Festschrift für Bemmann, S. 665, 668 f.; W. Schmid SchlHA 1981, 73, 75; LR-Dahs, § 56 Rn. 7; KK-Senge, § 56 Rn. 2 mit Verweis auf KK-Maul, § 45 Rn. 11; MeyerGoßner, § 56 Rn. 3 mit Verweis auf § 45 Rn. 8 (vgl. aber Meyer-Goßner, § 56 Rn. 1 und KK-Senge, § 56 Rn. 4 sowie BGH bei Spiegel DAR 1977, 178; BGH NJW 1972, 1334; Eb. Schmidt, Lehrkommentar zur StPO, § 56 Rn. 2 wo explizit auf die eidliche Versicherung abgehoben wird); s. auch RGSt 28, 8, 10 / 11.

II. Einbettung des § 52 StPO in das Regelungsgefüge

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Versicherungen Dritter über Wahrnehmungen, deren Inhalt den Schluss auf die ein Zeugnisverweigerungsrecht begründende behauptete Tatsache erlaubt. Zeugen selbst können mit weiteren (uneidlichen) Erläuterungen der tatsächlichen Verhältnisse gehört werden; außerdem können Personen, die die Angaben des Zeugen oder der Zeugin bestätigen können, vernommen werden81. In Bezug auf § 52 Abs. 1 StPO sind Ausgangspunkt und Gegenstand der Glaubhaftmachung die Gegebenheiten, die für das Bestehen eines zur Zeugnisverweigerung berechtigenden Personalverhältnisses sprechen. Beim Verlöbnis sind daher die tatsächlichen Umstände von Interesse, aus denen sich auf die voluntativen Voraussetzungen eines Verlöbnisses im strafprozessualen Sinne schließen lässt, insbesondere (auch wenn ein Verlöbnis keine Kundgabe nach außen voraussetzt) etwaige Aktivitäten zur Bekanntgabe des gemeinsamen Heiratswunsches gegenüber Dritten oder zur Gestaltung einer gemeinsamen Zukunft, Verlobungsfeierlichkeiten sowie Äußerungen der Beteiligten über Zukunftspläne oder sonstige innere Tatsachen. Der Kreis potenzieller Mittel der Glaubhaftmachung ist a priori allein dadurch limitiert, dass es sich um hinreichend aussagekräftige Instrumente der Überzeugungsbildung handeln muss; über ihren Wert hat die beziehungsweise der Vorsitzende im Einzelfall nach freiem Ermessen zu entscheiden82. Da die Feststellung der Berechtigung oder Nichtberechtigung zur Zeugnisverweigerung ohne den Verfahrensfortgang verzögernde weitere Ermittlungen zu den vorgebrachten Tatsachen ermöglicht werden soll83, wird es sich allerdings regelmäßig um präsente („Beweis-“)Mittel handeln müssen; die bloße Benennung von Mitteln zur Glaubhaftmachung, z. B. zu ladender Zeugen, genügt in der Regel nicht84.

81 W. Schmid SchlHA 1981, 73, 75 / 76; KK-Senge, § 56 Rn. 2 mit Verweis auf KK-Maul, § 45 Rn. 11 m.w.Nw.; Meyer-Goßner, § 56 Rn. 3, § 26 Rn. 10; RGSt 28, 8, 11; 57, 53, 54; 58, 147, 148; Zwiehoff, Festschrift für Bemmann, S. 668 (allerdings einschränkend bzgl. eidesstattlicher Versicherungen). Unter Umständen kommen sogar, wie für die Wiedereinsetzung gem. § 45 StPO (vgl. LRWendisch, § 45 Rn. 17), amtliche Bescheinigungen in Betracht, soweit sich hieraus ein behauptetes Verlöbnis untermauernde objektive Umstände, wie Zusammenleben oder gegenseitige Unterhaltsleistungen ergeben können (beispielsweise Wohngeld-, Arbeitslosenhilfeoder Sozialhilfebescheide, Meldebescheinigungen); dies kann aber immer noch Fragen hinsichtlich der subjektiven Voraussetzungen offen lassen. 82 LR-Dahs, § 56 Rn. 7; Zwiehoff, Festschrift für Bemmann, S. 668 / 669. 83 Meyer-Goßner, § 56 Rn. 3, § 26 Rn. 7; KK-Senge, § 56 Rn. 2 mit Verweis auf KK-Pfeiffer, § 26 Rn. 4 und KK-Maul, § 45 Rn. 10; BGHSt 21, 334, 346, 347 für § 26 StPO. 84 KK-Senge, § 56 Rn. 2 unter Verweis auf KK-Pfeiffer, § 26 Rn. 4; Meyer-Goßner, § 56 Rn. 3, § 26 Rn. 8, 11; BGHSt 21, 334, 347; OLG Düsseldorf StV 1987, 428; OLG Düsseldorf NJW 1985, 2207; BayObLG NJW 1959, 640; W. Schmid SchlHA 1981, 73, 74: aus der gerichtlichen Fürsorgepflicht resultiert in einzelnen Fällen eine begrenzte Pflicht des Gerichts zur Hilfestellung. Da die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen sind, muss dies allerdings (insbesondere im Ermittlungsverfahren) nicht stets gelten.

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A. Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht

Zudem lässt § 56 S. 2 StPO ausdrücklich den Eid der Zeugen als Instrument der Glaubhaftmachung zu, so dass auch eine eidliche Versicherung der Aussageperson über das Vorliegen der zur Zeugnisverweigerung berechtigenden Tatsachen ausreichend ist85. Dies wird damit begründet, dass Umstände, die sich einer faktischen Nachprüfbarkeit entziehen (wie insbesondere die innere Einstellung beim Verlöbnis) trotz Fehlens ermittelbarer (äußerer) Anhaltspunkte durch eine Eidesleistung bekräftigt und so hinreichend wahrscheinlich gemacht werden können sollen; die Möglichkeit der Eidesleistung ist danach als Beweiserleichterung zugunsten der Zeugen zu sehen86. Unter einer eidlichen Versicherung ist – in Abgrenzung zur eidesstattlichen Versicherung (s. §§ 294 ZPO, 156 StGB) – eine Eidesleistung oder eine Bekräftigung nach §§ 66 c, d, e, 67 StPO zu verstehen87. Das Gericht darf nicht mehr als diesen Eid verlangen, soll sich aber mit einer eidesstattlichen Versicherung zufrieden geben können88. Andererseits wird postuliert, dass eine eidliche Versicherung regelmäßig notwendig sein wird, bevor die Berufung auf das Zeugnisverweigerungsrecht zurückgewiesen wird oder sogar Ordnungs- und Zwangsmittel nach § 70 StPO89 verhängt werden, es sei denn, die Fehlerhaftigkeit der Angaben einer Aussageperson sei bereits zweifelsfrei erwiesen90. Im Übrigen ist auch der Versuch der Glaubhaftmachung durch Eid der freien Beweiswürdigung nicht entzogen91. Da der Grundsatz in dubio pro reo keine Anwendung findet, kann das Gericht also trotz erfolgter Anstrengungen der Glaubhaftmachung aufgrund des Nachweises der Unrichtigkeit durch andere Tatsachen zu der Überzeugung kommen, dass eine Berechtigung zur Zeugnisverweigerung nicht gegeben ist92. 85 Auch außerhalb der Hauptverhandlung, denn die Beschränkungen des § 65 gelten nicht, vgl. KK-Senge, § 56 Rn. 6; LR-Dahs, § 56 Rn. 9; KMR-Paulus, § 56 Rn. 4. 86 Zwiehoff, Festschrift für Bemmann, S. 665 / 666; s. auch Eb. Schmidt, Lehrkommentar zur StPO, § 56 Rn. 2. 87 s. i.E. LR-Dahs, § 56 Rn. 8, 9 sowie KK-Senge, § 56 Rn. 6; Meyer-Goßner, § 56 Rn. 3; Eb. Schmidt, Lehrkommentar zur StPO, § 56 Rn. 1; missverständlich hingegen KMR-Paulus, § 56 Rn. 5. 88 LR-Dahs, § 56 Rn. 7; KK-Senge, § 56 Rn. 6; Meyer-Goßner, § 56 Rn. 3; RGSt 28, 8, 10; a.A. Zwiehoff, Festschrift für Bemmann, S. 666, die die eidesstattliche Versicherung wegen mangelnden Beweiswertes (im Vergleich zum Eid, s. sogleich Fn. 91) ablehnt, sowie – ohne Begründung – KK-Herdegen, § 244 Rn. 10 und Dalcke / Fuhrmann / Schäfer, Strafrecht und Strafverfahren, Anm. 3 zu § 56 StPO. 89 Für staatsanwaltschaftliche Zeugenvernehmungen: § 161 a Abs. 2 StPO. 90 LR-Dahs, § 56 Rn. 3; BGH NJW 1972, 1334; Alsberg JW 1929, 859, 861. 91 LR-Dahs, § 56 Rn. 7; Meyer-Goßner, § 56 Rn. 3; Alsberg JW 1929, 859, 861; Ditzen, Dreierlei Beweis im Strafverfahren, S. 10; a.A. Zwiehoff, Festschrift für Bemmann, S. 666, die im Eid ein originäres Beweismittel und in § 56 S. 2 StPO eine „Beweisregel“ sieht, die die Bemühungen zur Glaubhaftmachung der freien Beweiswürdigung entzieht, sofern die Aussageperson dem Verlangen nach Eidesleistung nachkommt. 92 Ditzen, Dreierlei Beweis im Strafverfahren, S. 10; W. Schmid SchlHA 1981, 73, 74; LRDahs, § 56 Rn. 6, 7 und § 52 Rn. 8; KK-Senge, § 52 Rn. 13 und § 56 Rn. 5; Meyer-Goßner, § 56 Rn. 3; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1245; BGH (Beschl. v. 27. 7. 1982, 1 StR

II. Einbettung des § 52 StPO in das Regelungsgefüge

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4. Flankierende Vorschriften der StPO Die StPO enthält weitere Vorschriften, die die Zeugnisverweigerungsrechte absichern sollen oder auf vergleichbare Grundgedanken zurückzuführen sind. Regelungen des Zeugenbeweises für die staatsanwaltschaftliche Vernehmung enthalten die §§ 161 a, 163 a Abs. 5 StPO. Das Recht zur Gutachtenverweigerung für Sachverständige, die als Zeugen zeugnisverweigerungsberechtigt wären, ergibt sich aus § 76 Abs. 1 S. 1. § 252 knüpft an § 52 an und enthält ein Verwertungsverbot für frühere Aussagen der Zeugen, die erst in der Hauptverhandlung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen. Die aus § 52 zur Zeugnisverweigerung berechtigten Aussagepersonen sind gemäß § 63 berechtigt, die Eidesleistung zu verweigern, wenn sie trotz ihres Zeugnisverweigerungsrechts ausgesagt haben. Sie können außerdem körperliche Untersuchungen oder Blutprobenentnahmen verweigern, § 81 c Abs. 3 S. 1. Schriftliche Mitteilungen, die sie mit den ihnen nach § 52 Abs. 1 verbundenen Beschuldigten ausgetauscht haben und die sich in ihrem Gewahrsam befinden, sind grundsätzlich gemäß § 97 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 S. 1 beschlagnahmefrei93. Gegen die aus persönlichen Gründen zeugnisverweigerungsberechtigten Personen können außerdem nach § 95 Abs. 2 S. 2 keine Ordnungsund Zwangsmittel für den Fall einer Verweigerung der Herausgabe beschlagnahmefähiger Gegenstände verhängt werden; die Beschlagnahme selbst ist allerdings zulässig, die Herausgabepflicht entfällt nicht. Vor dem Hintergrund der Berücksichtigung unzumutbarer Mitwirkungspflichten ist außerdem § 68 a Abs. 1 zu sehen, der Fragen zu Umständen verhindern soll, die einer Aussageperson oder der ihr nach § 52 StPO nahe stehenden Person zur Unehre gereichen würde; insoweit handelt es sich allerdings um eine – nicht abwägungsfeste – Soll-Vorschrift. Gemäß § 61 Nr. 2 kann von der Vereidigung abgesehen werden, wenn eine Aussageperson zu Beschuldigten oder Verletzten in einem Angehörigenverhältnis nach § 52 Abs. 1 steht; auch hier handelt es sich um eine Ermessensnorm. Schließlich dürfen gemäß § 100 d Abs. 3 S. 3 Erkenntnisse aus Wohnraumüberwachungsmaßnahmen nach § 100 c Abs. 1 Nr. 3 (erst) nach einer Abwägung aus § 52 StPO vermittelter Interessen des „zugrundeliegenden Vertrauensverhältnisses“ gegenüber Strafverfolgungsinteressen verwertet werden.

263 / 82) bei Pfeiffer / Miebach NStZ 1983, 354; BGHSt 21, 334, 352 und OLG Düsseldorf wistra 1990, 364 zu § 26 StPO; s. auch Alsberg / Nüse / Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozeß, S. 152. 93 Zu den Ausnahmen vgl. § 97 Abs. 2 S. 3.

B. Geschichte des Zeugenbeweises und der Zeugnisverweigerungsrechte der Vertrauenspersonen von Beschuldigten I. Das römische Recht bis Justinian Unter den Vorläuferrechten der heutigen Strafprozessordnung war das römische Recht eines der fortschrittlichsten. Im Gegensatz zu den archaischen Vorstellungen insbesondere des frühmittelalterlichen Rechts fand sich im römischen Reich eine elaborierte, hochkultivierte Rechtstradition. Waren in den – im weitesten Sinne: deutschrechtlichen – Nachfolgerechten lange Zeit eher magische Vorstellungen beherrschend, verschrieb sich das römische Recht schon früh einer rationalen Sichtweise, die sich im europäischen Bereich erst in der Neuzeit wieder durchzusetzen begann1. Gerade auch die Regelungen zum Beweisrecht und hier vor allem den Zeugenprivilegierungen dem Angeklagten nahe stehender Personen weisen Ähnlichkeiten mit dem heutigen Recht auf.

1. Das römische Rechtssystem, insbesondere der Strafprozess im römischen Recht Es ist nicht möglich, verallgemeinernd von „dem“ römischen Recht zu sprechen, weil es in der römischen Geschichte von der Epoche des Königtums (ca. 575 bis ca. 470 v.u.Z.) über die Zeit der Republik (470 – 27 v.u.Z.) und die sich anschließenden Kaiserreiche (ab 27 v.u.Z.) sehr unterschiedliche, auch innerhalb der einzelnen Herrschaftssysteme uneinheitliche, Systeme der Rechtsfindung und -durchsetzung gab. Noch weniger kann die Rede von der Gesamtkonzeption eines römischen Strafoder gar Strafprozessrechts sein, denn eine vollständige systematische Trennung von Zivilrecht und Strafrecht fand nicht statt, ein römisches Strafrecht als Ganzes existierte nicht2. Und auch soweit Gesetze erlassen wurden, die das betrafen, was heute als Strafrecht angesehen wird, regelten diese allein die Bedingungen und das Verfahren für einzelne Delikte. Die Ursprünge des römischen Strafrechts und insbesondere des Strafprozessrechts liegen im Dunkeln. Glaubwürdige, vollständige Überlieferungen von Ein1 s. hierzu auch R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 2; Kaser, Römische Rechtsgeschichte, S. 122. 2 Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 126; Rein, Das Kriminalrecht der Römer, S. 60.

I. Das römische Recht bis Justinian

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zelgesetzen aus der Anfangszeit Roms, also aus der Zeit der etruskischen3 Königshäuser, existieren nicht und auch an derartigen Quellen aus der frühen Phase der Republik fehlt es4. Als erste und einzige Gesamtkodifikation der Stadt Rom gilt das Zwölftafelgesetz (ca. 450 v.u.Z.), das Privatrecht und öffentliches Recht umfasste; zum Strafverfahrensrecht ist den wenigen überlieferten Fragmenten dieser Kodifizierung allerdings nicht viel zu entnehmen5. Auch von den Gesetzen, die auf die Zwölftafeln folgten, ist keines unmittelbar erhalten6. Tradiert ist aber, dass alle in der Folgezeit erlassenen leges jeweils besondere, allein auf das durch sie sanktionierte Verhalten bezogene Verfahrensordnungen enthielten. Daher gab es bis hin zur Kaiserzeit keine einheitliche Prozessordnung für alle Delikte7. Nur wenige Gesetze, die allgemeine prozessuale Bestimmungen enthielten, waren für alle Straftaten anwendbar8. Hierzu gehörten die in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts vor Beginn unserer Zeitrechnung erlassenen leges iudiciariae (lex Iulia iudiciorum publicorum und lex Iulia iudiciorum privatorum), ein Doppelgesetz, das straf- und zivilprozessordnungsrechtliche Vorschriften enthielt und in dem sich generelle Regelungen über Zeugenausschlüsse und das Recht zur Zeugnisverweigerung finden9. Im Laufe der Kaiserzeit entwickelte sich schließlich – trotz der zunehmend nur noch in geringem Umfange dogmatisch untermauerten Rechtspraxis – eine Rechtswissenschaft10. Auf diese gehen die Kodifikationen – genauer: Zusammenstellungen und Überarbeitungen des klassischen, frühkaiserzeitlichen Rechts – des oströmischen Kaisers Justinian (527 – 565) zurück. Erstmals fand hier der römische Strafprozess eine zusammenhängende dogmatische und legislative Fundierung. Diese konnte jedoch aufgrund der Teilung des römischen Reiches im 4. Jahrhundert und der im 5. Jahrhundert folgenden Auflösung des weströmischen Reiches allein für das byzantinische Reich unmittelbare Wirkung entfalten. In Rechtsverletzungen wurden zunächst ausschließlich private Rechtsbeeinträchtigungen gesehen, daher erfolgte ihre Ahndung ursprünglich auch ausschließHeuss, Römische Geschichte, S. 7 ff., 13 f.; Kunkel, Römische Rechtsgeschichte, S. 14. Kunkel, Römische Rechtsgeschichte, S. 38 / 39; Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 127; Geib, Geschichte des römischen Kriminalprozesses, S. 7 f. 5 Kunkel, Römische Rechtsgeschichte, S. 32 f.; Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 127; Geib, Geschichte des römischen Kriminalprozesses, S. 12. 6 Kunkel, Römische Rechtsgeschichte, S. 39. 7 Rein, Das Kriminalrecht der Römer, S. 65; Geib, Geschichte des römischen Kriminalprozesses, S. 172 f. 8 Rein, Das Kriminalrecht der Römer, S. 65; Geib, Geschichte des römischen Kriminalprozesses, S. 174, 410. 9 Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 128 / 129 f. m. Nw.; Geib, Geschichte des römischen Kriminalprozesses, S. 410. Zur Frage, ob dieses Gesetzeswerk auf Caesar oder Augustus zurückzuführen ist, vgl. Mommsen, a. a. O. Die Gesetze wurden auch geführt unter den Bezeichnungen lex Iulia de vi publica und lex Iulia de vi privata soweit sie die Sanktionierung von Vergewaltigungen thematisierten (Mommsen, a. a. O., S. 129). 10 Kunkel, Römische Rechtsgeschichte, S. 73, 99 ff. 3 4

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B. Geschichte des Zeugenbeweises

lich im Wege der von Verletzten oder ihren Angehörigen geübten Privatrache. Dieses vorstaatliche reine Privatstrafrecht wurde erst im Laufe der Zeit teilweise vom Staat übernommen und so um der Erhaltung des Rechtsfriedens willen kanalisiert11: wurde ein Beschuldigter nicht auf frischer Tat betroffen oder war nicht geständig, musste die Tat vom Verletzten beziehungsweise im Fall seiner Tötung von seinen hinterbliebenen Angehörigen zunächst beim König, in späterer Zeit bei den Magistraten angeklagt werden12. Erst wenn eine Täterschaft im förmlichen Verfahren festgestellt wurde, durften der Verletzte oder seine Hinterbliebenen in einem – nunmehr staatlich zugelassenen – Akt der Privatrache Vergeltung suchen; der Staat fungierte nicht als Vollstreckungsinstanz, sondern wollte durch seine Verfahrensbeteiligung eine durch Förmlichkeiten erleichterte friedliche Streitbeilegung gewährleistet und die Gefahr von Sippenfehden abgewendet sehen13. Noch zur Zeit der Zwölftafelgesetze herrschte die Idee der Privatrache des Verletzten vor und ein öffentliches Strafverfahren gab es nur, wenn originäre Interessen des Staates verletzt waren; zur Verhandlung kamen also Staatsschutzdelikte (proditio und perduellio, d. h. Hochverrat im weitesten Sinn) und vereinzelte andere, unmittelbar gegen das Gemeinwesen gerichtete schwere, häufig politische Delikte14. Diese Verfahren wurden zunächst vor den Volkskomitien geführt15. Etwas wie eine eigentliche Kriminaljustiz begann erst im dritten Jahrhundert v.u.Z., denn mit fortschreitender Urbanisierung entwickelte sich Rom zunehmend Bleicken, Die Verfassung der Römischen Republik, S. 137 f., 146. Geib, Geschichte des römischen Kriminalprozesses, S. 9, 21; Bleicken, Die Verfassung der Römischen Republik, S. 147. 13 Kunkel, Römische Rechtsgeschichte, S. 35, 37. 14 Kunkel, Römische Rechtsgeschichte, S. 35; Bleicken, Die Verfassung der Römischen Republik, S. 147. 15 Kunkel, Römische Rechtsgeschichte, S. 65; Bleicken, Die Verfassung der Römischen Republik, S. 147; Geib, Geschichte des römischen Kriminalprozesses, S. 10. Zu berücksichtigen ist bei allen dargestellten Entwicklungen des römischen Strafverfahrens, dass neben bestimmten Verfahrensarten, die als Regelverfahren galten, immer noch andere Verfolgungs- und Sanktionierungsinstanzen tätig werden konnten und wurden. So gab es z. B. bereits seit frühester Zeit eine eigene Polizeijustiz, die insbesondere gegenüber Delinquenten niederen Standes und Sklaven zum Einsatz kam. Die magistratischen Verfahren lebten fort bzw. wieder auf. Der Senat konnte ein eigenes Verfahren durchführen; dieses richtete sich nur gegen höhergestellte Persönlichkeiten, denen die „normalen“ Gerichte – obwohl auch vor diesen nur Angehörige höherer Stände abgeurteilt wurden – als Entscheidungsinstanz nicht zugemutet werden sollten. Die Verfahren vor den hier als „Regelgerichten“ bezeichneten Institutionen, die allein die Strafverfolgung gegenüber der patrizischen Oberschicht betrieben, waren insoweit das „Standardverfahren“, als den niederen Ständen von der Jurisprudenz nur wenig Beachtung geschenkt wurde. Zu Details siehe die Ausführungen bei: Kunkel, Römische Rechtsgeschichte, S. 64 f., 68 ff.; Bleicken, Die Verfassung der Römischen Republik, S. 147 f.; ders., Verfassungs- und Sozialgeschichte des Römischen Kaiserreiches, S. 189, 191; Geib, Geschichte des römischen Kriminalprozesses, S. 174 ff., 398 ff., 407 ff.; Rein, Das Kriminalrecht der Römer, S. 55 ff., 67 ff. 11 12

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zur Großstadt mit starken sozialen Spannungen. Dies zog einen Anstieg der Kriminalität nach sich16. Gleichzeitig setzte sich der Gedanke, dass durch die Beeinträchtigung der Rechte von Privatpersonen auch der Staat betroffen sein konnte, zunehmend durch17. So bildete sich immer stärker eine Unterscheidung zwischen zum ius civile gehörenden Privatdelikten und einem dem ius publicum zuzuordnenden Straf- und Strafverfahrensrecht heraus18: Als „Erbe“ der Privatrache richtete der Staat über die gegen Einzelne gerichteten Verletzungen. Die Entscheidung über diese delicta privata – namentlich furtum (Diebstahl), iniuria (tätliche Beleidigung), damnum iniuria datum (Sachbeschädigung) – war weiterhin dem Magistrat übertragen; hierdurch sollte auf zivilrechtlichem Wege (iudicia privata) Genugtuung verschafft werden19. Dieses private Deliktsrecht stellt einen Vorläufer des heutigen zivilrechtlichen Instituts des Rechts der unerlaubten Handlungen dar20. Als Vertreter des Gemeinwesens behandelte der Staat nach und nach alle Handlungen, die als gemeinschädlich angesehen wurden, als crimina publica (proditio und perduellio, parricidium (Vatermord) und Mord, crimen vis (Gewaltverbrechen), crimen repetundarum (Erpressung), Falschaussage, Verleumdung, Bestechlichkeit, Brandstiftung, Inzest und einzelne magische Delikte wie z. B. Verzaubern der Feldfrüchte)21. Richter war weiterhin – zumindest nominell – das Volk22. Weil die Volkskomitien aber zunehmend als zu schwerfällig, zu leicht beeinflussbar und nicht hinreichend kompetent galten, wurden etwa ab dem Jahr 200 v.u.Z. von Fall zu Fall außerordentliche Gerichtshöfe gebildet, die sog. quaestiones extraordinariae23. Bei diesen quaestiones war die zur Entscheidung berufene Instanz ein aus Senatoren bestehendes Konsilium, das das Volk vertreten sollte24. Nach und nach wurden für alle möglichen Arten abzuhandelnder crimina publica ständige Schwurgerichtshöfe (mit in der Regel 51, maximal 75 Geschworenen) gebildet, die quaestiones perpetuae25. Deren Richterbänke waren nunmehr auch Kunkel, Römische Rechtsgeschichte, S. 64; Rein, Das Kriminalrecht der Römer, S. 64. Rein, Das Kriminalrecht der Römer, S. 55. 18 Kunkel, Römische Rechtsgeschichte, S. 37; Rein, Das Kriminalrecht der Römer, S. 54; vgl. zu einer möglichen Herleitung Geib, Geschichte des römischen Kriminalprozesses, S. 402 ff. 19 Bleicken, Die Verfassung der Römischen Republik, S. 141; Kaser, Römische Rechtsgeschichte, S. 122; Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 408; Rein, Das Kriminalrecht der Römer, S. 55. 20 Kunkel, Römische Rechtsgeschichte, S. 37. 21 Bleicken, Die Verfassung der Römischen Republik, S. 148 / 149; Rein, Das Kriminalrecht der Römer, S. 55. 22 Rein, Das Kriminalrecht der Römer, S. 54 / 55. 23 Vgl. hierzu Kunkel, Römische Rechtsgeschichte, S. 65; Bleicken, Die Verfassung der Römischen Republik, S. 147; Rein, Das Kriminalrecht der Römer, S. 57. 24 Kunkel, Römische Rechtsgeschichte, S. 65; Bleicken, Die Verfassung der Römischen Republik, S. 147 / 148; Rein, Das Kriminalrecht der Römer, S. 63. 16 17

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B. Geschichte des Zeugenbeweises

nicht mehr nur mit Senatoren besetzt, sondern ebenfalls mit Angehörigen anderer (höherer) Stände26. Die einzelnen schon bestehenden quaestiones perpetuae wurden mit der Verfassungsreform Sullas um 80 v.u.Z. neu geordnet27. Von der Spätzeit der Republik bis zum Beginn des Kaiserreichs oblag die gesamte ordentliche Strafgerichtsbarkeit den quaestiones perpetuae, das akkusatorische Verfahren wurde zum Regelverfahren28. Da die iudicia publica das öffentliche Interesse wahrnahmen, war die Anklagebefugnis – anders als bei den iudicia privata – nicht mehr auf die Opfer der Straftat und ihre Angehörigen beschränkt. Grundsätzlich jeder „unbescholtene“ Bürger konnte bei ihnen anklagen (quivis ex populo)29, gleichzeitig war eine solche – der Anklage gleichzusetzende – Anzeige aber auch für lange Zeit Strafverfolgungsvoraussetzung30. Der Ankläger stand als Prozesspartei dem Angeklagten, der anderen Partei, gegenüber. Den Parteien oblag die Vornahme von Zeugenverhören31. Die Strafvollstreckung erfolgte von Amts wegen32. Die Trennung zwischen iudicia publica und privata hatte Bestand33. Unter dem Prinzipat (27 v.u.Z. bis ins 3. Jahrhundert) wurden die quaestiones perpetuae zunächst fortgeführt, vermehrt und neu geordnet. Deshalb blieben sie zunächst auch während dieser Epoche die Organe der „ordentlichen“ Strafjustiz34. Ihre Verdrängung begann aber bereits etwa im 1. Jahrhundert unserer Zeitrechnung, zunächst durch eine reformierte, nunmehr professionellere und zügigere Polizeijustiz. Deren Ausbau war zunehmenden sozialen Problemen, unter anderem in Folge von 25 Kunkel, Römische Rechtsgeschichte, S. 65, 67; Bleicken, Die Verfassung der römischen Republik, S. 148; ders., Verfassungs- und Sozialgeschichte des Römischen Kaiserreiches, S. 264; Geib, Geschichte des römischen Kriminalprozesses, S. 170 ff.; Rüping, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, Rn. 7. 26 Zur Besetzung der Richterstellen Geib, Geschichte des römischen Kriminalprozesses, S. 195 ff. und Kaser, Römische Rechtsgeschichte, S. 126; zur Zusammensetzung dieser Gerichte Bleicken, Die Verfassung der römischen Republik, S. 137 und Geib, a. a. O., S. 178 ff. 27 Kunkel, Römische Rechtsgeschichte, S. 66; Bleicken, Die Verfassung der Römischen Republik, S. 148; Rüping, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, Rn. 7. 28 Kunkel, Römische Rechtsgeschichte, S. 65; Rein, Das Kriminalrecht der Römer, S. 57, 63; Geib, Geschichte des römischen Kriminalprozesses, S. 171, 174. 29 Kunkel, Römische Rechtsgeschichte, S. 37, 66; Kaser, Römische Rechtsgeschichte, S. 125. Zu den Personenkreisen, die in den verschiedenen Epochen entgegen dieser allgemeinen Regel nicht als Ankläger auftreten durften vgl. die ausführliche Darstellung bei Geib, Geschichte des römischen Kriminalprozesses, S. 256, 516 f., 99 f. 30 Daher auch die Bezeichnung als Akkusationsprozess, Bleicken, Die Verfassung der Römischen Republik, S. 148; Kunkel, Römische Rechtsgeschichte, S. 66. 31 Kunkel, Römische Rechtsgeschichte, S. 66 / 67; Geib, Geschichte des römischen Kriminalprozesses, S. 185, 340. 32 Kunkel, Römische Rechtsgeschichte, S. 37; Kaser, Römische Rechtsgeschichte, S. 126. 33 Geib, Geschichte des römischen Kriminalprozesses, S. 402 f. 34 Kunkel, Römische Rechtsgeschichte, S. 68.

I. Das römische Recht bis Justinian

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Bürgerkriegen, und einem damit verbundenen Kriminalitätsanstieg zu verdanken; die Polizeigerichtsbarkeit sollte der Verfahrenseffektivierung dienen35. Insbesondere ab ca. dem 2. Jahrhundert entwickelte sich außerdem noch eine eigene kaiserliche Gerichtsbarkeit mit einem einheitlichen Verfahren36, das sowohl durch accusatio als auch von Amts wegen eingeleitet werden konnte, und die letztlich im Einklang mit dem Verschwinden der letzten Elemente eines republikanischen Staatswesens endgültig zur Ablösung des schwurgerichtlichen Verfahrens der quaestiones perpetuae als Regelverfahren führte37. Dieses rein staatliche Prozessverfahren, das nicht nur ohne private Anklage, sondern auch ohne Geschworene auskam, verdrängte bis spätestens zum 3. Jahrhundert das strafrechtliche Geschworenenverfahren der quaestiones perpetuae und wurde zum eigentlichen ordentlichen Verfahren38. Aufgrund des fortschreitenden Niedergangs des weströmischen Reichs auf dem Weg ins Vulgarrecht fiel auch die ehemals relativ elaborierte Rechtsdogmatik und -anwendung dort zurück und mündete in das Rechtsleben der in das römische Westreich vordringenden germanischen Reiche39. Im oströmischen Reich wurde die kaiserliche Gerichtsbarkeit weitergeführt und prägte zusammen mit der Renaissance der klassischen, frühkaiserlichen Rechtswissenschaft in den Rechtsschulen des 5. Jahrhunderts die Aufzeichnungen Justinians40.

2. Die Regelungen des Zeugenbeweises im römischen Recht Zeugen (testes) waren bereits in den Anfängen Roms das wichtigste und meistgebrauchte Beweismittel und blieben es während aller Epochen des römischen Reiches41.

Kunkel, Römische Rechtsgeschichte, S. 68 / 69. Einer Art kaiserlichem Beamtenprozess unter Einräumung polizeilicher Befugnisse, Kunkel, Römische Rechtsgeschichte, S. 129; Bleicken, Verfassungs- und Sozialgeschichte des Römischen Kaiserreiches, S. 265 / 266; s. ferner Rein, Das Kriminalrecht der Römer, S. 67 / 68; Geib, Geschichte des römischen Kriminalprozesses, S. 406. 37 Kunkel, Römische Rechtsgeschichte, S. 69, 71; Rüping, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, Rn. 8; Rein, Das Kriminalrecht der Römer, S. 68; Geib, Geschichte des römischen Kriminalprozesses, S. 397. 38 Bleicken, Verfassungs- und Sozialgeschichte des Römischen Kaiserreiches, S. 191 f. und 265 f.; Kunkel, Römische Rechtsgeschichte, S. 129; Geib, Geschichte des römischen Kriminalprozesses, S. 394, 396. 39 Kunkel, Römische Rechtsgeschichte, S. 132. 40 Kunkel, Römische Rechtsgeschichte, S. 132 ff., 151; Bleicken, Verfassungs- und Sozialgeschichte des Römischen Kaiserreiches, S. 275 f.; Heuss, Römische Geschichte, S. 395. 41 R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 2; Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 10; Glaser, Lehre vom Beweis, S. 198; Geib, Geschichte des römischen Kriminalprozesses, S. 333. 35 36

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B. Geschichte des Zeugenbeweises

Seit frühester Zeit fand das Prinzip der freien Beweiswürdigung Anwendung42. Überliefert für die ausgehende Republik ist die Ausführung Ciceros: „Nicht darin besteht die Pflicht des Richters, die abgehörten Zeugenaussagen mechanisch zu zählen und ohne weiteres ihnen zu trauen, sondern darin, dieselben zu prüfen und ihre Glaubwürdigkeit abzuwägen. Wäre jenes die Aufgabe, so würde es einen Unterschied zwischen guten und schlechten Richtern gar nicht geben, und ihre Tätigkeit würde nicht mehr eine Tätigkeit des Verstandes, sondern ein Geschäft der Augen und Ohren sein. Ihre Pflicht aber fordert eine Prüfung der Zeugenaussagen, und so müssen sie denn, selbst bei der größten Zahl derselben, freisprechen, solange ihnen nur eine wirkliche Überzeugung von der Schuld des Angeklagten noch mangelt.“43

Damit war es bis zu Justinian allein der richterlichen Einschätzung überlassen, die Beweiskraft und Glaubwürdigkeit eines bestimmten Beweismittels in jedem Einzelfall zu beurteilen44. Zeugen waren Wahrnehmungs-, nicht bloße Leumundszeugen. Allerdings gab es vor den quaestiones perpetuae die dem Leumundszeugnis nahe stehende Form der laudatio, in der Stand und Lebensführung des Angeklagten – meist – lobend hervorgehoben wurde45. Die im originären Privatprozess gegebene umfassende Zeugnisfreiheit – Zeugenaussagen wurden wie im frühen griechischen Recht als freiwillige Freundeshilfe aus Gefälligkeit geleistet46 – erfuhr im Laufe der Zeit und abhängig von der Verfahrensart Modifikationen und Einschränkungen und war schließlich unter Justinian vollends aufgehoben. Im magistratischen Verfahren bestand zwar Aussagezwang47. Aufgrund seiner Ableitung vom ursprünglichen Privatprozess kannte der Akkusationsprozess der quaestiones perpetuae in der republikanischen Epoche und der frühen Kaiserzeit einen allgemeinen Zeugniszwang hingegen nicht. Hier blieb die Aussagefreiheit trotz der quasi-magistratischen Stellung des Anklägers grundsätzlich erhalten48. Eingeschränkt wurde diese Freiheit allerdings dadurch, dass dem Ankläger das Recht zustand, eine bestimmte Anzahl49 von Zeugen – not42 Geib, Geschichte des römischen Kriminalprozesses, S. 137, 327 f., 624; R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 2; Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 10. 43 Cicero (106 – 43 v.u.Z.), zit. nach Geib, Geschichte des römischen Kriminalprozesses, S. 328. 44 Glaser, Lehre vom Beweis, S. 200; Geib, Geschichte des römischen Kriminalprozesses, S. 137, 327 f., 624, 628; Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 10; Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 435 ff., 439 f. 45 Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 441 / 442; Geib, Geschichte des römischen Kriminalprozesses, S. 344 ff., 634; Glaser, Lehre vom Beweis, S. 199. 46 R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 2. 47 Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 408. 48 Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 408. 49 Die Zahl der zulässigen Zeugen war zunächst unbeschränkt (Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 404), wurde aber später begrenzt. Dies sollte nicht einer Ausuferung des Prozesses vorbeugen, sondern war der Respektierung bürgerlicher Freiheiten geschuldet, s. Glaser, Lehre vom Beweis, S. 199; Geib, Geschichte des römischen Kriminalprozesses, S. 339, 631.

I. Das römische Recht bis Justinian

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falls auch zwangsweise – vorzuladen50. Weil der Angeschuldigte zwar das Recht zur Beibringung von Zeugen, nicht aber zur Zwangsladung hatte, unterschieden sich die Zeugen zur Zeit der quaestiones perpetuae in freiwillig erscheinende und gesetzlich verpflichtete51. Im Strafverfahren der späteren Kaiserzeit wurden schließlich auch die zugunsten des Angeklagten benannten Zeugen auf formgerechte Ladung hin zum Erscheinen und zur Aussage verpflichtet, so dass sich bis zur nachklassischen Zeit der allgemeine Zeugniszwang durchgesetzt hatte52. Dem zeitweise partiellen, schließlich allgemeinen Zeugniszwang korrespondierten zu allen Zeiten einzelne Zeugenausschlüsse und zahlreiche Befreiungen von der Zeugenpflicht. Unbeschadet der Geltung des Prinzips der freien Beweiswürdigung im römischen Recht wurden stets die Personen vom Zeugnis ausgeschlossen, die aufgrund ihrer Lebensführung gesellschaftlich gering geachtet waren, wie Prostituierte und zu Tierkämpfen Gedungene, wegen einer Straftat Angeklagte oder Verurteilte sowie bestochene Zeugen53. In der Königszeit und den Anfängen der Republik konnten auch Frauen54 kein Zeugnis ablegen; dies änderte sich jedoch zum Ende der Republik hin und Frauen erlangten den Status vollgültiger Zeugen55. Diese Ausschlüsse basierten darauf, dass alle Aufgeführten zur formellen Beglaubigung im Sinne des zivilrechtlichen Zeugnisbegriffs nicht hinzugezogen wurden und hierdurch auch ihre Beiziehung im Strafprozess zweifelhaft erschien56. Eine Sonderbehandlung erfuhren bestimmte den Verfahrensbeteiligten traditionell nahe stehende Personenkreise57, die – soweit eine Zeugnispflicht bestand, was seit der Spätklassik ja durchgängig der Fall war – nicht gegen ihren Willen zur Aussage aufgefordert oder sogar gezwungen werden durften58. 50 Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 404; Geib, Geschichte des römischen Kriminalprozesses, S. 338 f.; Geyer, Lehrbuch des gemeinen deutschen Strafproceßrechts, S. 508. 51 Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 408, 410; Glaser, Lehre vom Beweis, S. 198; Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 12. 52 Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 410; Geib, Geschichte des römischen Kriminalprozesses, S. 339; 629, 630; Geyer, Lehrbuch des gemeinen deutschen Strafproceßrechts, S. 508. 53 Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 402 / 403; Geib, Geschichte des römischen Kriminalprozesses, S. 140 f., 336 / 337; 625; Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 10. 54 Mit Ausnahme der Vestalinnen: Geib, Geschichte des römischen Kriminalprozesses, S. 140. 55 Geib, Geschichte des römischen Kriminalprozesses, S. 336 / 337; 627. 56 Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 403, 439. 57 Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 409. 58 Zur Frage, ob es sich bei insoweit aufgefundenen Ausführungen um bloße Hinweise an die Richter handelte, bei der Überprüfung der Verlässlichkeit eines Beweismittels bestimmte Merkmale besonders zu berücksichtigen oder ob in diesen Regelungen bereits Beweisverbote zu erblicken sind (Glaser, Lehre vom Beweis, S. 199 ff., Geib, Geschichte des römischen Kriminalprozesses, S. 140 f., 336 f., 625; a.A. Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 401 ff.; Mittermaier, Die Lehre vom Beweise, S. 332), und damit die ersten Kategorien „unfähiger“

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B. Geschichte des Zeugenbeweises

Insbesondere aus der das römische Rechtssystem prägenden engen Auffassung von „familia“ und „honestas“ resultierten einige der privilegierenden Zeugenbefreiungen. Nicht zum Zeugnis aufgefordert werden durfte, wessen erzwungene, möglicherweise nahe stehende Personen belastende Aussage einen Verstoß gegen die römischen Anschauungen von Stand und guten Sitten bedeutet hätte59. Hinzu kam die Annahme, die Wahrheitsliebe von Zeugen werde regelmäßig durch gesellschaftliche Bindungen und ein enges, Respekt und Anteilnahme gebietendes Verhältnis wie Freundschaft oder Verwandtschaft verfälscht60. Der Kreis privilegierter Zeugen war im Laufe der verschiedenen Epochen nur geringfügigen Veränderungen, meist Erweiterungen unterworfen und umfasste nach und nach insbesondere all die Personen, die in einem irgendwie gearteten persönlichen Näheverhältnis zum Angeklagten stehen konnten. So durften seit der Königszeit und den Anfängen der Republik Aszendenten und Deszendenten des Angeklagten gegen ihren Willen nicht zur Aussage genötigt werden. Gleiches galt für die anderen nahen Angehörigen, sog. Kognaten und Affinen – mit dem Angeklagten blutsverwandte und verschwägerte Personen61. Als mindestens auf die lex Iulia iudiciorum publicorum zurückgehend wird eine in den Digesten enthaltene Zeugenbefreiung der Ehepartner und Verlobten angesehen62. Ab dem Kaiserreich waren zudem die Zeugen privilegiert, die mit dem Angeklagten eng befreundet waren oder auch nur zu ihm in einem Abhängigkeitsverhältnis standen63. Vor den Gerichten der Kaiserzeit erstreckte sich die Befreiung sogar auf Angehörige, Freunde und Feinde des Anklägers. Nicht zuletzt wegen potenzieller Verdächtigkeit waren ferner solche Auskunftspersonen vom Aussagezwang befreit, die mit dem Angeklagten auffällig verfeindet waren64. Besondere Verbundenheits- und Abhängigkeitsverhältnisse fanden Berücksichtigung, soweit bereits seit den Anfängen Roms einerseits Freigelassene65 und ihre und „verdächtiger“ Zeugen begründet wurden vgl. Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 11, Fn. 12. Unter Hinweis auf das umfassend geltende Prinzip der freien Beweiswürdigung dürfte im Anschluss an die Argumentation Karitzkys a. a. O. jedenfalls für die vor-justinianische Zeit davon auszugehen sein, dass es sich nur um unverbindliche Richtlinien handelte. 59 Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 11; Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 402, 409; R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 2. Zum Inhalt des Begriffes „familia“ vgl. auch unten Abschnitt D., S. 143 Fn 76. 60 Vgl. die Ausführungen und Nachweise bei Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 10 Fn. 10, 11. 61 Geib, Geschichte des römischen Kriminalprozesses, S. 140 f.; Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 402, 409; R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 2. Für die nachklassische Zeit: Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 10 f. 62 Zachariae, Handbuch des deutschen Strafprocesses (Bd. II), S. 189 Anm. 19; Geyer, Lehrbuch des gemeinen deutschen Strafproceßrechts, S. 517 Anm. 3; Meuthien, Das Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen im Strafprozeß, S. 10 f.: Dig. 22, 5, 5. 63 Geib, Geschichte des römischen Kriminalprozesses, S. 628. 64 Geib, Geschichte des römischen Kriminalprozesses, S. 625 f., 628.

I. Das römische Recht bis Justinian

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Patrone66 untereinander67, außerdem Patrone gegenüber ihren Clienten68 und umgekehrt vom Zeugniszwang befreit waren69. Gerade das letztgenannte Verhältnis konnte in der aristokratisch verfassten Ordnung der römischen Republik70 einen recht großen Personenkreis ausmachen. Neben den Personenkreisen, auf deren erzwungene Aussage man unter Berücksichtigung bestimmter, insbesondere die familiäre und gesellschaftliche Ordnung tangierender Faktoren beziehungsweise ihrer relativen Verdächtigkeit meinte verzichten zu können, existierten Privilegierungen für Zeugen, deren Glaubwürdigkeit keinen Zweifeln unterlag, deren Interessen aber insoweit berücksichtigt wurden, als ihnen die mit einer Zeugenaussage verbundenen Umstände nicht aufgenötigt werden sollten71: Lediglich freiwillig erscheinen und aussagen mussten Personen, denen mit Rücksicht auf ihre Entfernung vom Gerichtsort, ihr Alter, ihre gesellschaftliche Stellung eine Teilnahme am Gerichtstermin gegen ihren Willen nicht zugemutet werden konnte72. Gemeint waren insbesondere Alte und Kranke, aber ebenso bestimmte Amtsträger und Zeugen, die durch besondere, institutionell anerkannte Verpflichtungen am Erscheinen gehindert waren, Staatspächter, Heereslieferanten und in spätklassischer Zeit auch Soldaten. All diese Regelungen galten i.W. bis zur nachklassischen Zeit fort und finden sich in den Digesten wieder73. 65 Während für die Vernehmung von Sklaven Sonderregeln galten, vgl. eingehend Geib, Geschichte des römischen Kriminalprozesses, S. 141 ff., 348 ff.; Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 412 ff., 439. 66 Denn der Patron als ehemaliger Herr eines Freigelassenen blieb nach römischer Vorstellung Schutzherr seines ehemaligen Sklaven, vgl. Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 402, Fn. 4. 67 Zeitweise erstreckte sich die Privilegierung zusätzlich noch auf Familienangehörige, insbesondere Deszendenten, sowohl des Patrons als auch des Freigelassenen, vgl. Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 402. 68 Zur Zeit der Republik zählte jeder römische Adlige eine Anzahl (meist mehrere tausend) römischer Bürger zu seinen Clienten, denen er in Notsituationen Beistand gewähren musste und die ihn im Gegenzug bei Abstimmungen in der Volksversammlung (über Kandidaturen für politische Ämter oder sonstige politische Entscheidungen, die ihrer Mitwirkung bedurften) mit ihren Stimmen unterstützten, s. die Darstellung bei Bleicken, Staat und Recht, S. 146. Später fand der Begriff des patronus Anwendung für den Rechtsbeistand eines Angeklagten, vgl. Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 402 Fn. 4. 69 Geib, Geschichte des römischen Kriminalprozesses, S. 140 / 141; Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 402, 409; R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 2. 70 Bleicken, Die Verfassung der römischen Republik, S. 137; Bleicken, Staat und Recht, S. 148. 71 Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 408 / 409; Geib, Geschichte des römischen Kriminalprozesses, S. 628 / 629; Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 11. 72 Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 11; Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 409 / 410. 73 Die Digesten beließen es allerdings nicht bei einer Privilegierung der nächsten Verwandten, sondern schlossen diese vom Zeugnis aus (Dig. 22, 5, 9). Vgl. Geib, Geschichte des

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B. Geschichte des Zeugenbeweises

Schon das frühe römische Recht war sich der jeder Zeugenaussage bereits unabhängig von bewusster Täuschung durch die Auskunftspersonen naturgemäß eigenen Fehlerquellen gewärtig. Daher bekundeten Zeugen nicht „wissen“ (scire), sondern „meinen“ (arbitrari)74. Im Zuge zunehmender sozialer Konflikte und einer damit einhergehenden Regression des traditionellen gesellschaftlichen Wertesystems wuchs das Misstrauen gegenüber der Zuverlässigkeit des Zeugenbeweises75. Bereits im spätrömischen Recht des zweiten, dritten Jahrhunderts findet sich eine Auseinandersetzung mit Maßstäben zur Feststellung der Glaubwürdigkeit von Zeugen76. Als zuverlässige Anhaltspunkte galten der Lebenswandel der Zeugen sowie ihre gesellschaftliche Stellung. Personen, die höhere Ämter bekleideten, einem höheren Stand angehörten oder auch nur ein Vermögen besaßen, das ihnen ein unabhängiges Leben ermöglichte, betrachtete man als bessere und glaubwürdigere Zeugen. Gleichzeitig wurde zunehmend das Aussageverhalten von Zeugen erörtert, etwa die Qualität der ruhigen im Gegensatz zur „leidenschaftlich“ abgelegten Aussage hervorgehoben77. Diese Richtlinien stellten aber bloße Entscheidungshilfen dar, Anhaltspunkte zur Ausübung richterlichen Ermessens78: Sie enthielten allenfalls insoweit eine von der klassischen Rechtswissenschaft entwickelte „Beweistheorie“, als nicht mehr allein das Gefühl und subjektive Erfahrungssätze der Richter bezüglich der Verlässlichkeit eines Beweismittels den Ausschlag geben, sondern der Ermessensausübung bestimmte, allgemein verbreitete und als sachlich angesehene Kriterien zu Grunde gelegt werden sollten79. Und trotzdem es weiterhin keine gesetzliche Beweistheorie gab, fanden sich die dargelegten Maßstäbe als Einschränkungen der Rechtsfindungsfreiheit in den Digesten wieder: Diese enthielten Passagen80, die – an die Richter adressiert – die präsumierte mangelnde Verlässlichkeit des Beweismittels „Zeuge“ thematisierten. Auch wurden – um zumindest dem einfachen, durch keine weiteren Beweismittel gestützten Zeugenbeweis seine Vorrangstellung zu nehmen – der freien Beweiswürdigung insoweit Schranken gesetzt, als ein Schriftstück allein durch Zeugen nicht entkräftet (damit dem Urkundenbeweis parrömischen Kriminalprozesses, S. 629; Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 11. 74 Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 431, 436; Geib, Geschichte des römischen Kriminalprozesses, S. 333. Dass im römischen Rechtsleben ein aktuelles Bewusstsein über die beschränkten Möglichkeiten der Erkenntnisfindung bestand, zeigt sich ebenfalls in der Urteilsformel, die auf das „scheinen“ (videri) abstellte: Mommsen, a. a. O., S. 436. 75 R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 3. 76 R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 3. 77 Geib, Geschichte des römischen Kriminalprozesses, S. 333 / 334, 624 / 625. 78 Geib, Geschichte des römischen Kriminalprozesses, S. 335, 610; Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 440. 79 Geib, Geschichte des römischen Kriminalprozesses, S. 610 f. 80 Zur rechtlichen Einordnung dieser Passagen vgl. oben Fn. 58.

I. Das römische Recht bis Justinian

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tiell der Vorrang vor dem Zeugenbeweis eingeräumt) werden und ein einziger Zeuge für den Beweis nicht genügen sollte81. Eine klare Grenzlinie zwischen (gewährtem) Zeugenprivileg und (teilweise gemeintem) Ausschluss war nicht zu ziehen82. Den Richtern wurde angeraten, den aufgezeigten Personenkreisen jedenfalls keine Aussagen abzunötigen. Aufgrund der weitgefassten Ausnahmeregelungen existierte in der Praxis ein Wahlrecht der zum Zeugnis Aufgeforderten, freiwillig auszusagen oder sich der Aussage insgesamt zu entziehen. Die belastende Aussage eines Mitglieds der dem Angeklagten nahe stehenden Personenkreise musste als unehrenhaft erscheinen, eine Aussage zu seinen Gunsten unglaubhaft83, und auch den Aussagen der Gegner des Angeklagten wurde nur begrenztes Vertrauen entgegengebracht. Der faktische Verzicht auf Aussagen von Angehörigen der genannten Personenkreise diente also ebenso der Wahrung der familiären – und damit gesellschaftlichen – Ordnung wie dem Schutz der Wahrheitsfindung84. Andererseits galten wiederum Ausnahmen von sämtlichen dargestellten Regelungen für Zeugenaussagen in für das Staatsinteresse besonders wichtig erachteten Prozessen, etwa wegen Hochverrats oder sonstiger crimina laesae maiestatis. Dort überwog das Bedürfnis nach einer Urteilsfindung tradierte Rücksichtnahmen ebenso wie das Interesse am Ermitteln des „wahren“ Sachverhalts85. Dies verdeutlicht im Umkehrschluss, dass der „strafrechtspolitische“ Hintergrund aller aufgezeigten Zeugenprivilegierungen nur sekundär die Berücksichtigung fehlender Validität bestimmter Aussagen, in erster Linie aber die in allen Epochen des römischen Rechtslebens feststellbare – durchaus eigennützige – Respektierung subjektiver Belange der Bürger war86. Denn ein unglaubwürdiger Zeuge wurde auch in einem wichtigen Prozess kein verlässlicheres Beweismittel. Aus Gründen der Staatsraison entfiel lediglich die ihm (und anderen Zeugen) gegenüber ansonsten geübte staatliche Zurückhaltung.

81 Digesten 22, 5, 3; Glaser, Lehre vom Beweis, S. 201; Geib, Geschichte des römischen Kriminalprozesses, S. 624, 645.; R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 3, Fn. 12; B. Schmitt, Die richterliche Beweiswürdigung im Strafprozeß, S. 115. Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 440 bestreitet hingegen die Existenz bzw. Verbindlichkeit einer derartigen Regel. 82 Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 12. 83 Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 12: „familia“ und „honestas“ (s. oben S. 46 auch Fn. 59). 84 Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 12. 85 Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 12 / 13. 86 So auch Beling, Die Beweisverbote als Grenzen der Wahrheitserforschung, S. 15; a.A.: Meuthien, Das Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen im Strafprozeß, S. 12.

4 Jansen

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B. Geschichte des Zeugenbeweises

II. Zeugenbeweis vom germanisch-frühmittelalterlichen Recht bis zur Aufklärung In dem – im weitesten Sinne – „deutsch-rechtlichen“ Rechts-„System“ hatten Zeugen bis hin zum 19. Jahrhundert als Wahrnehmungszeugen wenig Bedeutung. In den Anfängen überwogen magische Aspekte, die den rationalen Ansatz des antiken Rechts verdrängten. Auch die Überwindung einer primär sakralen Vorstellungswelt hatte erst spät durchgreifende Auswirkungen auf die Rationalisierung des Beweisrechts im Strafverfahren. Diese begann erst im Laufe des 19. Jahrhunderts, sich erneut durchzusetzen. Der Zeugenbeweis der frühen Jahrhunderte weist einerseits so wenig Gemeinsamkeiten mit dem heutigen System auf und ist andererseits bis heute nicht vollständig genug erschlossen, als dass von einer vertieften Darstellung des Verfahrens besonderer Gewinn für die hier behandelte Thematik zu erwarten wäre. Daher sollen die folgenden Ausführungen nur einen kurzen Überblick über diese längste Epoche des „deutschen Rechts“ vermitteln.

1. „Germanenrechte“ Die überkommenen Darstellungen eines germanischen (Privatstraf-)Rechts87, die meist das Bild einer Vorform des fränkischen, frühmittelalterlichen Verfahrensrechts zeichneten, dürften insbesondere in ihrer verallgemeinernden Form nicht zu halten sein. Die Beurteilung und Schilderung germanischer (Rechts-)Geschichte spiegelte stets mehr die Gegenwart der Deutenden und ihre jeweiligen Vorstellungen wider als die Realität88. 87 Vgl. beispielhaft nur die Darstellungen bei Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 23 ff.; Eb. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, § 29; v. Amira, Grundriss des germanischen Rechts, insbes. §§ 87 und 89; Binding, Die Entstehung der öffentlichen Strafe im germanischen Recht, S. 39 f.: germanische Stämme hätten durchgängig in weitgehend unhierarchischen Sippenverbänden zusammengelebt, die Rechtsfindung sei allgemein dinggenossenschaftlich (d. h. im Stammesthing als Gerichtsstätte) erfolgt und der Rechtsgang sei in Form einer kämpferischen Auseinandersetzung zwischen den Parteien abgelaufen, nicht in einem an der Erörterung eines Sachverhalts orientierten Verfahren, sondern in strengstens formalisierten, kultischen Handlungsabläufen. 88 Vgl. hierzu insbes. die Darlegungen bei Kroeschell, Festschrift für Thieme, S. 3 ff.: Die vielfach herangezogene „Germania“ des Tacitus wurde als ein Sittenbild eines einfachen, ehrlichen, tapferen Volkes verfasst, um den römischen Staatsbürgern als vorbildhafter Spiegel vorgehalten zu werden (Kroeschell, a. a. O., S. 3, 5). Die den Darlegungen des germanischen Stammesrechts zugrundeliegenden Volksrechte wurden nach heutigem Kenntnisstand erst etwa ab dem 6. Jahrhundert aufgezeichnet und haben ihren Ursprung auch inhaltlich im Mittelalter (Rüping, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, Rn. 10; Kroeschell, a. a. O., S. 5). In Quellenrekonstruktionen wurde zur Ausdeutung maßgeblich auf mittelalterliche, teilweise hoch- und spätmittelalterliche Rechte zurückgegriffen. Darüber hinaus ist genaueres zum germanischen Recht vor dem Eintritt ins Mittelalter nicht bekannt. Was nunmehr feststeht ist

II. V om germanisch-frühmittelalterlichen Recht bis zur Aufklärung

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Tatsächlich ist einzugestehen, dass das heutige Wissen für verlässliche Schlussfolgerungen nicht ausreichend ist89, weswegen sich hier weitergehende spekulative Darlegungsversuche verbieten.

2. Volksrechte und Frankenzeit, mittelalterlicher Anklageprozess und Inquisition Besser ist der Kenntnisstand etwa ab dem 6. Jahrhundert, seit dem Übergang zur Frankenzeit. Bis zur Inquisition war das „Strafverfahren“ bestimmt vom privaten, öffentlich geführten Akkusationsprozess: wie im frühen römischen Recht herrschte zunächst ganz überwiegend ein Privatstrafrecht vor, dessen wesentlicher Bestandteil die Rechtsverfolgung im Parteibetrieb war. Die gerichtliche Beteiligung sollte auch hier nur die friedliche Streitbeilegung gewährleisten und möglichen Sippenfehden vorbeugen90. Ab dem 15. / 16. Jahrhundert begann sich in der Praxis das inquisitorische Offizialverfahren als Standardverfahren durchzusetzen, obwohl die Constitutio Criminalis Carolina (CCC) in ihrem Art. 6 das „Annehmen von Amts wegen“ als Ausnahmefall bezeichnete. Das – wenngleich privat eingeleitete, doch ebenfalls in wesentlichen Teilen nach der Instruktionsmaxime ausgestaltete – Akkusationsverfahren blieb zwar theoretisch noch bis ins 18. Jahrhundert das Regelverfahren, war praktisch aber von der hoheitlich beziehungsweise richterlich eingeleiteten Inquisition ersetzt91. Die Übergänge waren fließend. hingegen, dass es spätestens im 3. Jahrhundert zu einer Berührung germanischer Stämme mit dem antiken Recht kam, so dass mindestens ein Teil des germanischen Rechts in einem Verhältnis gegenseitiger Beeinflussung zum römischen Vulgarrecht stand (Kroeschell, a. a. O., S. 7 m.w.Nw.). Daher kann insbesondere die Annahme der Existenz eines elaborierten, eigenständigen „germanischen Urrechts“ inzwischen als widerlegt gelten. Die früher vorherrschende gegenteilige Ansicht, die den Ursprung germanischen Lebens und germanischer (Rechts-)Kultur im nordischen Raum sehen wollte (exemplarisch: Eb. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, § 4; Binding, Die Entstehung der öffentlichen Strafe im germanischen Recht, S. 22, 27; His, Geschichte des deutschen Strafrechts bis zur Karolina, S. 47 ff., 53), dürfte wesentlich auf der nicht zuletzt im 19. Jahrhundert und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verbreiteten deutsch-nationalistischen Vorstellung von der Existenz einer „deutschen Herrenrasse“ mit weit zurückreichenden Wurzeln basieren (Kroeschell, a. a. O., S. 17 f.; s. auch Mitterauer / Sieder, S. 34). 89 Auf dem Stand heutiger Forschung fragt sich, ob es „die Germanen“ in ihrer Gesamtheit, so wie sie vielfach – immer noch – gesehen werden, überhaupt gegeben hat: es ist zunehmend zweifelhaft, ob die Germanen als eine Gruppe stammverwandter Völker überhaupt existierten; noch nicht einmal eine hinreichend sichere räumliche Bestimmung ihrer Lebensund Verbreitungsgebiete lässt sich treffen und auch die Annahme einer einheitlichen „germanischen“ Sprachwelt und (Rechts-)Kultur lässt sich mit den vorhandenen Quellen nicht halten (vgl. die ausführliche Darstellung bei Kroeschell, Festschrift für Thieme, S. 14 ff.). 90 Rüping, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, Rn. 27, 34; R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 4. 91 Rüping, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, Rn. 133, 163 und Rüping / Jerouschek, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, Rn. 103, 127; Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 40 f.; Eb. 4*

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B. Geschichte des Zeugenbeweises

Das Beweisrecht war formal geprägt und basierte für lange Zeit auf magischen Vorstellungen: Das Privatstrafverfahren des fränkischen Rechts und der frühmittelalterlichen Volksrechte zielte nicht darauf ab, einen streitigen Sachverhalt gerichtlich aufzuklären; der Beweis musste ausschließlich dem Gegner erbracht werden. Daher war eine eigene richterliche Überzeugungsbildung nicht erforderlich: Aufgabe des Gerichtes war lediglich, den Rechtsfrieden durch eine öffentliche Entscheidung zu gewährleisten, ihm oblag im Wesentlichen die „Verhandlungsleitung“92. Der Beweisgegenstand war auf das von den Parteien vorgebrachte beschränkt. Der Beklagte musste sich vom Tatvorwurf freiwaschen, d. h. ihn widerlegen; als einziges Mittel hierfür stand ihm der „Reinigungseid“ zur Verfügung, mit dem er die Unwahrheit des Tatvorwurfs beschwören konnte. Indizien waren nicht geeignet, Beweis zu erbringen. Der Eid bekräftigte keine Sachaussage, es kam nicht auf die Glaubhaftigkeit eines bestimmten Sachverhalts, sondern allein auf die persönliche Glaubwürdigkeit und Vertrauenswürdigkeit der vortragenden Partei an. Zur Untermauerung des Reinigungseides – insbesondere bei Personen, die nicht den höheren Ständen angehörten und deren eigener Eid deshalb nicht die volle Beweiskraft besaß – bediente sich der Beklagte mehrerer Eideshelfer. Auch diese bekundeten nicht auf ein bestimmtes Geschehen gerichtete eigene Wahrnehmungen oder die inhaltliche Kenntnis der Richtigkeit des Parteivortrags; die Berufung auf Tatzeugen war sogar ausgeschlossen. Der von den Eideshelfern zu leistende Eid bekräftigte nur ihr Vertrauen in die Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit des Beklagten, diente also der Unterstützung der eigenen Reinwaschungsbemühungen des Beklagten vom Tatvorwurf93. Wurde auf Seiten des Klägers mit eigenen Eideshelfern „dagegengehalten“, musste die Entscheidung durch Gottesurteil – meist in Form des Zweikampfes, der Feuer- oder Wasserprobe oder des Kesselfanges – fallen. Eidesunfähige Beklagte, also solche, denen z. B. wegen schlechter Reputation die Eidesfähigkeit nicht zugestanden wurde und die Beklagten, die erforderliche Eideshelfer nicht fanden, konnten sich gegen einen Tatvorwurf ausschließlich durch Gottesurteil verteidigen. Dem Einsatz des Gottesurteils lag die Vorstellung zu Grunde, in ihm werde der Wille einer allwissenden, allgegenwärtigen höheren Macht durch deren direktes Eingreifen in einen natürlichen Geschehensablauf ersichtlich und damit die Wahrheit ans Licht gebracht94. Beim Verfahren wegen „handhafter Tat“, also der Ergreifung des TäSchmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, §§ 108, 166. Differenzierend: Trusen, Strafprozeß und Rezeption, S. 90 / 91 f., 112 / 113 ff. 92 So die treffende Bezeichnung B. Schmitts, Die richterliche Beweiswürdigung im Strafprozeß, S. 84, in seiner Beschreibung eines „germanischen“ Rechtsgangs. 93 Rüping, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, Rn. 35 und Rüping / Jerouschek, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, Rn. 22; R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 4; Eb. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, §§ 29, 30; Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 24 f., 28 f. 94 Rüping, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, Rn. 35, 36 und Rüping / Jerouschek, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, Rn. 23 f.; R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 4; Eb. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, §§ 29, 30; Hen-

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ters bei der Tat oder hieran unmittelbar anschließend, war dem Beklagten der Reinigungseid genommen, der Kläger konnte allein durch seinen Eid und die Beibringung von „Schreimännern“95, die die Rechtmäßigkeit der Ergreifung bestätigten, den (lebend oder tot) sofort vor Gericht gebrachten Beschuldigten überführen96. Einschränkungen des Personenkreises denkbarer „Beweispersonen“ ergaben sich aus Beschränkungen der Eidesfähigkeit: wer etwa wegen seines schlechten Leumunds oder fehlender Geschäftsfähigkeit nicht schwören konnte und durfte, kam nicht als Eideshelfer in Betracht. Da die Eideshilfe den Vortrag des Beklagten stützen sollte und nur freiwillig zu seinen Gunsten erfolgte, stellte sich die Frage nach einer befreienden Zeugenprivilegierung nicht97. Das Beweisrecht der Partikularrechte des Mittelalters unterschied sich zunächst nur teilweise von dem der fränkischen Zeit. Im Beweisrecht des zwischen 1220 und 1235 entstandenen Sachsenspiegels wurde etwa der Anwendungsbereich der Gottesurteile eingeschränkt: Auf das Gottesurteil wurde nur noch bei Verfahren gegen rechtlos gewordene Personen, Diebe und Räuber, zurückgegriffen, weil diesen der Reinigungseid als Rechtfertigungsinstrument nicht zur Verfügung stand. Im Institut des „Augenscheinsbeweises“ (bestimmte Tatumstände wurden sinnlich nachvollziehbar und so dem Gericht zugänglich gemacht) fand der Indizienbeweis verstärkten Eingang ins Verfahren und wurde ein wesentliches Instrument zur Unterstützung des – in der Regel: klägerischen – Parteivortrags. Andererseits finden sich Quellen, die in je größerem oder geringerem Ausmaß den Beweis durch Wahrnehmungszeugen zuließen98. Das Hoch- bis Spätmittelalter sah sich insbesondere in den Städten mit dem Auftreten einer Massenkriminalität konfrontiert; dies wirkte sich auf das Beweisrecht und in Form der beschleunigten Entstehung einer öffentlichen Strafverfolkel, Strafverfahrensrecht, S. 29; Köbler, Welchen Gottes Urteil ist das Gottesurteil des Mittelalters?, S. 105. 95 Es erscheint zu weitgehend, diese „Schreimannen“ als Frühform der Wahrnehmungszeugen zu bezeichnen, denn sie bestätigten nur die – rechtfertigenden – Umstände der Festnahme. Auch das fränkische „Rügeverfahren“ kann kaum als Vorgänger des Sachbeweises durch Wahrnehmungszeugen angesehen werden (vgl. Eb. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, §§ 31, 32, 66 und Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 28; a.A. jeweils Rüping, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, Rn. 37). Die Rügezeugen wurden nicht als Beweispersonen eingesetzt, sondern hatten lediglich die Funktion besonders gut beleumundeter (und regelmäßig nicht in eigenen Interessen betroffener) „öffentlich-beliehener“ Anklagepersonen. 96 Rüping, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, Rn. 37; R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 4; Eb. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, §§ 29, 30; Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 25, 27 f. 97 Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 13; Baier, Strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrechte außerhalb der StPO, S. 46. 98 Rüping, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, Rn. 67, 83 f.; Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 30 / 31; Eb. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, §§ 32, 65.

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gung aus. Gleichzeitig kam es zur Trennung straf- und zivilrechtlicher Angelegenheiten99. Der privatstrafrechtliche Akkusationsprozess setzte nicht nur einen Kläger, sondern auch einen regelmäßig von diesem ermittelten Klagegegner voraus. Konstituierendes Element des Verfahrensganges war, dass die Parteien und alle anderen Gerichtspersonen einander bekannt waren, dass also eine gewisse „soziologische Überschaubarkeit“100 bestand: ein Reinigungseid konnte nur da Sinn haben, wo gewährleistet und kontrollierbar war, dass die Schwörenden als generell glaubwürdig gelten durften und keine wahrheitswidrigen Absprachen getroffen worden waren. Mit dem Schwinden an den Eid geknüpfter sakraler Vorstellungen ließ die Gewissensbindung an ihn nach; im Mittelalter gab es zudem aufgrund sozialer Umwälzungen und Wanderungsbewegungen zahlreiche Delinquenten und Beweispersonen, die nicht persönlich bekannt waren oder deren Ruf als – mindestens – zweifelhaft galt. Und auch für die Ahndung sog. „Elendenmorde“ fand sich meist kein privater Kläger101. Im Übergang zum Inquisitionsprozess entwickelte sich daher in zahlreichen Partikularrechten insbesondere für bestimmte schwerere Delikte, an deren Aufklärung ein staatliches Interesse bestand, eine zunächst relativ, später fast völlig formlose Strafverfolgung von Amts wegen. Das Beweisrecht wurde vereinfacht und dadurch rationalisiert, dass Übergangsformen zwischen der herkömmlichen Eideshilfe und Tatsachenfeststellungen durch Wahrnehmungszeugen Anwendung fanden: so mussten zunächst die Eideshelfer zumindest den streitigen Sachverhalt mitangesehen haben, später wurde auch auf die äußere Form der Eideshilfe verzichtet und der Beweis mit Tatzeugen erbracht. Die Anwendbarkeit des Verfahrensganges wurde nach und nach auch auf die leichteren Delikte erstreckt, außerdem entfiel schließlich die Beschränkung des Adressatenkreises auf die gefürchteten „landschädlichen Leute“ deretwegen es eingeführt worden war, und der formlose amtliche Prozess fand Einsatz gegen die gesamte Bevölkerung. Damit wurde das späte Mittelalter von diesem Verfahren, das der rückhalt- und zunehmend rücksichtslosen Sachverhaltserforschung diente, dominiert. Im Gegenzug bildeten sich an Glaubwürdigkeitsgesichtspunkten orientierte Beweisregeln102. Den Boden bereitet für die Entwicklung eines öffentlichen Strafverfahrens hatten vor allem die Gottes- und Reichs- beziehungsweise Landfrieden, die schon ab B. Schmitt, Die richterliche Beweiswürdigung im Strafprozeß, S. 105. Rüping, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, Rn. 95. 101 Rüping, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, Rn. 82, 95, 96 und Rüping / Jerouschek, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, Rn. 77; R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 4; Eb. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, §§ 32, 66; Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 33; B. Schmitt, Die richterliche Beweiswürdigung im Strafprozeß, S. 96 f. 102 Rüping, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, Rn. 37, 82, 86 ff.; R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 4, 5; Eb. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, §§ 32, 66; Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 30, 34. 99

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dem 10. / 11. Jahrhundert geschlossen wurden. Sie machten aufgrund spezieller Vereinbarungen die Verfolgung bestimmter gegen das Gemeinwesen gerichteter Delikte zur hoheitlichen Aufgabe und stellten damit maßgebliche Instrumente dar zur Eindämmung der Fehde und des Selbsthilferechts. Gleichzeitig markierten sie den ersten Schritt auf dem Weg zu einer einheitlichen und übergreifenden Gesetzgebung103. Unter dem Einfluss des „gelehrten (Prozess-)Rechts“, also des durch das klassische römische Recht geprägten kanonischen und städtischen mittelalterlich-italienischen Rechts, entwickelte sich schließlich das gemeine Recht, das allerdings erst im 18. Jahrhundert den Vorrang der Partikulargesetzgebung vollständig zu durchbrechen vermochte. Für den Strafprozess brachte die Rezeption in erster Linie eine Strukturierung, Systematisierung und Formalisierung des Strafverfahrens zur Vermeidung von Willkürmaßnahmen, wie sie sich inzwischen im formlosen deutschen Strafprozess eingebürgert hatten. Zudem wurde das Beweisrecht der italienischen Stadtrechte, die auf den Kodifikationen Justinians aufbauten, übernommen und so endgültig und – wenn auch in einem langwierigen Prozess – allgemein der gebietsweise noch gebräuchliche Formalbeweis des (ehemals) deutsch-rechtlichen Systems gegen die rationalere römisch-rechtliche Tatsachenermittlung und Beweiserbringung (nicht zuletzt durch Wissenszeugen) ersetzt104. Die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. (Constitutio Criminalis Carolina, CCC), die den gemeinen deutschen Strafprozess entscheidend prägte, wurde zum Vorbild zahlreicher Landesgesetze und führte so zur Verbreitung des gemeinen Rechts, wenn dieses selbst auch zunächst nur wenig unmittelbare Anwendung fand105. Die in wesentlichen Aspekten auf der Constitutio Criminalis Bambergensis (CCB) von 1507 basierende Carolina von 1532 sollte Auswüchse des inzwischen als vielfach unangemessen empfundenen, weit verbreiteten regellosen und von Übergriffen geprägten mittelalterlichen Verfahrens eindämmen helfen und schrieb eine gewisse Versachlichung des Zeugenbeweises und des Beweisrechts allgemein fest. Das Beweisverfahren zielte nun auf eine Ermittlung der „materiellen Wahrheit“ und griff nach dem Vorbild des römischen Rechts auf Wahrnehmungszeugen zurück. Zum Schutz vor richterlicher Willkür und Beurteilungsfehlern war das Beweisrecht insoweit formalisiert, als das Verhältnis der Beweismittel zueinander und ihr 103 Eingehend insbes. Wolf, Gesetzgebung in Europa, S. 97 ff.; Trusen, Strafprozeß und Rezeption, S. 69 ff.; vgl. auch Rüping, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, Rn. 104 ff. und Rüping / Jerouschek, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, Rn. 48 ff. 104 Rüping, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, Rn. 113, 117; Trusen, Strafprozeß und Rezeption, S. 92, 105 f., 112; Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 35 ff., 37 ff., 40; R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 4; Meuthien, Das Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen im Strafprozeß, S. 13; Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 18 f., 20 f. m.Nw.; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 68 Rn. 2 ff. 105 R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 6; Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 39; ausführl.: v. Weber, Die Carolina, S. 162 ff.; Rüping, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, Rn. 139; Eb. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, §§ 115, 124; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 69 Rn. 10.

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individueller Beweiswert festgelegt waren. Die Gerichte waren damit an gesetzliche Beweisregeln gebunden; eine Tatsache galt nach gesetzgeberischer Überzeugung unter (vor-)bestimmten Bedingungen als „wahr“ und musste so hingenommen werden, während es auf eine persönliche Überzeugung der Richter nicht ankam106. Unterschieden wurde zwischen Haupttatsachen, also solchen, die unmittelbar auf die Tatbegehung bezogen waren, und Hilfstatsachen (Indizien), die ohne direkte Beobachtung der Tat auf Haupttatsachen, also die Tatbegehung durch eine bestimmte Person schließen ließen107. Das „Beweismittel“ erster Wahl war das Geständnis der Tat selbst108. Gestand der Angeklagte keine Haupttatsachen, war eine Verurteilung allenfalls hilfsweise aufgrund der übereinstimmenden Aussagen zweier einwandfreier, „genugsamer“ Zeugen, die ihre Wahrnehmung von Haupttatsachen bekundeten, möglich (Art. 60; 23, 30, 66, 67 CCC)109. Dies sollte der Verwertung unzuverlässiger Beweismittel vorbeugen110. Da die zwei klassischen, guten Zeugen fast nie vorhanden waren, blieb der Zeugenbeweis von zweitrangiger Bedeutung111. Die Aussage eines Zeugen allein, selbst wenn er Wahrnehmungen in Bezug auf Haupttatsachen bekunden konnte, reichte nicht aus; ebenso misstraute man dem reinen Indizienbeweis. Die Information des Gerichts über Hilfstatsachen, die durch Zeugen bekundet werden konnten, oder die Wahrnehmungen eines einzigen „guten“ Zeugen bezüglich Haupttatsachen konnten nur die Wahrscheinlichkeit einer vermuteten Schuld begründen und berechtigten zur Folter (Art. 23 CCC), um so den Angeklagten zum Geständnis zu motivieren112. 106 Rüping, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, Rn. 134, 136 und Rüping / Jerouschek, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, Rn. 94 ff., 104; E. Koch, Der Zeugenbeweis in der deutschen Strafprozeßrechtsreform, S. 247, 254; R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 6; B. Schmitt, Die richterliche Beweiswürdigung im Strafprozeß, S. 121. Ausführlich zum Beweisrecht in der Carolina: R. Hauser, a. a. O., S. 7. Eingehend zum Beweissystem und seinen Hintergründen: Stichweh, Zur Subjektivierung der Entscheidungsfindung im deutschen Strafprozeß, S. 267 ff. 107 Rüping / Jerouschek, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, Rn. 104; Eb. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, §§ 107, 110. 108 Auch dieses musste überprüft und hinterfragt werden; ihm wurde aber das meiste Vertrauen entgegengebracht, weil eine unwahre selbstbelastende Aussage regelmäßig nicht für wahrscheinlich gehalten wurde, vgl. R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 7. 109 Rüping / Jerouschek, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, Rn. 104; Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 42 f.; Eb. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, § 109. Die Zeugenregelungen lehnten sich ans tradierte römische Recht an: R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 6 / 7. 110 Meuthien, Das Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen im Strafprozeß, S. 15; Eb. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, § 111; Abegg, Lehrbuch des gemeinen Criminal-Prozesses, S. 218 / 219. 111 R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 7. 112 R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 7; Rüping / Jerouschek, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, Rn. 104; Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 42, 50; Eb. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, § 109; im Einzelnen zur Indizienlehre

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Die Zeugnispflicht wurde vorausgesetzt113. Wie schon in der Bezeichnung „einwandfreie“ Zeugen anklingt, waren bzgl. der Auswahl zulässiger Zeugen aber zahlreiche Voraussetzungen zu erfüllen. Da es nach wie vor wesentlich auf die Glaubwürdigkeit der Beweisperson ankam und allen Beweismitteln außer dem Geständnis des Angeklagten generell mit Misstrauen begegnet wurde, konnten unbekannte Zeugen nur zugelassen werden, wenn ihre Redlichkeit von den Parteien belegt wurde (Art. 63 CCC). Auch bei bekannten Zeugen war nur die Aussage derjenigen zum Beweis geeignet, die gut beleumundet waren (Art. 66 CCC)114. Die ersten Klassifizierungen lehnten sich an das tradierte spätrömische Recht an. Nach und nach wurden die gesetzlichen Regelungen zur Beweiswürdigung weiterentwickelt und immer komplexere Unterscheidungssysteme herausgebildet115. Malefizprozessordnungen des 16. und 17. Jahrhunderts enthielten – regelmäßig unter Verweis auf „die (kaiserlichen) Rechte“, d. h. die justinianischen Rechtsquellen – noch eher unvollständige Aufzählungen von Zeugengruppen, die zur Erbringung vollen Beweises nicht geeignet waren und deshalb allenfalls hilfsweise verhört werden durften; hier waren neben (in heutiger Terminologie) „Geschäftsunfähigen“, Schlechtbeleumundeten beziehungsweise Ehrlosen mitunter Frauen und stets die nächsten Angehörigen der Beschuldigten vom Zeugnis ausgeschlossen116. Schon im 17. Jahrhundert reichte für den Unschuldsbeweis ein „halber Beweis“ durch nur einen Zeugen117. Im Laufe der Zeit wurden die Differenzierungen feiner118: Die Dogmatik des 18. Jahrhunderts maß unter dem beginnenden Einfluss der Aufklärung (und da der CCC: Eb. Schmidt, a. a. O., § 110; Stichweh, Zur Subjektivierung der Entscheidungsfindung im deutschen Strafprozeß, S. 267. 113 Meuthien, Das Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen im Strafprozeß, S. 13; Zachariae, Handbuch des deutschen Strafprocesses (Bd. II), S. 182 / 183, Anm. 7. 114 R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 7 / 8. 115 Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 49 / 50; Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 20 f., 30 ff.; Meuthien, Das Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen im Strafprozeß, S. 13; R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 6 / 7. 116 Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 28 / 29. Wurden „crimina excepta“ (außer den crimina laesae maiestatis auch z. B. Hexerei und Ketzerei) verhandelt, waren i.ü. auch die ausgeschlossenen Zeugen zugelassen, vgl. Rüping, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, Rn. 178, 179, B. Schmitt, Die richterliche Beweiswürdigung im Strafprozeß, S. 138. 117 B. Schmitt, Die richterliche Beweiswürdigung im Strafprozeß, S. 140 / 141. 118 Die Unterscheidung des Inquisitionsprozesses zwischen Generalinquisition, in der es auf besondere Glaubwürdigkeitserfordernisse nicht wesentlich ankam, und Spezialinquisition kann hier außer Betracht bleiben. Bezüglich der Generalinquisition in ihrer Urform, die regelmäßig noch keinen Beschuldigten kannte, stellte sich die Frage privilegierender, befreiender Regelungen für Personen, die dem Tatverdächtigen nahestanden, nicht; im späteren, ausgeuferten Inquisitionsprozess wurde kaum mehr eine Unterscheidung getroffen zwischen dem Verfahren der General- und der Spezialinquisition. Vgl. zum Ganzen insbes. die Darstellung bei Eb. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, §§ 187,

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nach Abkehr von der Folter Bedarf an anderen Beweismitteln als dem geständigen Angeklagten bestand) dem Zeugenbeweis größere Bedeutung bei und begann, auch um auf einen größeren Kreis von Aussagepersonen zurückgreifen zu können, die vormals homogene Gruppe der „nicht einwandfreien“ Zeugen zu unterteilen119. Neben weiterhin völlig unfähige Zeugen traten solche, die als nur verdächtig galten. Ihre Heranziehung wurde befürwortet, um zumindest Teilbeweise zu erlangen: übereinstimmende Aussagen mehrerer dieser Personen sollten geeignet sein, einen – so selten vorhandenen – vollgültigen Zeugen zu ersetzen120. Diese Entwicklung setzte sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts unter dem Fortbestand der gesetzlichen Beweistheorie121 noch fort. Man unterschied nun zwischen testes habiles und testes inhabiles (zulässige und unfähige, unzulässige Zeugen)122. Testes inhabiles galten aufgrund der unwiderlegbaren rechtlichen Vermutung, sie könnten die Wahrheit gar nicht sagen, als zeugnisunfähig, daher war ihre Vernehmung verboten. Zu ihnen gehörten neben kleinen Kindern und anderen Personen mit eingeschränkter Wahrnehmungsfähigkeit nach einer im Schrifttum verbreiteten Ansicht und in Anlehnung an die spätrömischen Kodifikationen Justinians auch die nächsten Angehörigen der Angeklagten, also Eltern, Kinder, Ehepartner123. Die Kategorie der testes habiles war nochmals unterteilt in testes classici und testes suspecti (klassische, gute Zeugen und verdächtige Zeugen). Testes suspecti waren die, deren Wahrnehmungsfähigkeit oder Wahrheitsliebe zweifelhaft erschie188, 199; außerdem Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 47; Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 31 f. 119 Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 30, 32. 120 In der Regel reichten zwei verdächtige Zeugen zur Substitution eines „guten“ Zeugen; vgl. Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 32 Fn. 10. Zu weiteren Unterteilungen: B. Schmitt, Die richterliche Beweiswürdigung im Strafprozeß, S. 141. 121 Im preußischen Rheinland, in Rheinbayern und Rheinhessen wurde während der französischen Herrschaftszeit 1798 der Code d’instruction criminelle eingeführt und danach beibehalten. Damit war hier schon seit der Jahrhundertwende das Verfahren ein schwurgerichtliches, die gesetzliche Beweistheorie war durch freie richterliche Beweiswürdigung ersetzt. Vgl. die Darstellung bei Eb. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, §§ 260, 285, 286 und Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 57. Zudem wurden in Preußen 1754 für Fälle der Nichterbringbarkeit des formalen Überführungsbeweises die gesetzlichen Beweisregeln zugunsten einer „pflichtgemäßen freien Beweiswürdigung“ abgeschafft, ohne dass allerdings das Beweisrecht ansonsten neu geregelt oder angepasst worden wäre; s. auch hierzu Eb. Schmidt, a. a. O., § 253 sowie R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 9. 122 Abegg, Lehrbuch des gemeinen Criminal-Prozesses, S. 218 ff.; Meuthien, Das Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen im Strafprozeß, S. 13; R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 7 f., 13; Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 46, 49 f.; Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 50. Die wohl umfassendste Aufstellung findet sich in der Preußischen Kriminalordnung von 1805; vgl. die ausführl. Darstellung bei Glaser, Lehre vom Beweis, S. 206 / 207. 123 Während die positivrechtlichen Kodifikationen Aszendenten und Deszendenten nur als verdächtige Zeugen behandelten, s. Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 50 Fn. 6 m.Nw.

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nen. Neben Zeugen vom Hörensagen, Personen mit schlechtem Ruf und Familienangehörigen des Beweisführers ist hier auch zu denken an seine Freunde und Feinde sowie alle Personen, denen ein bestimmter Ausgang des Verfahrens einen Vorteil bringen konnte. Testis classicus konnte nur sein, wessen Aufnahmefähigkeit hinsichtlich des entscheidungserheblichen Sachverhalts keinerlei Zweifeln unterlag und wer darüber hinaus weder aus persönlichen, familiären, finanziellen oder anderen Gründen ein Interesse am Ausgang des Verfahrens haben konnte. Nur die Aussagen dieser klassischen, einwandfreien Zeugen hatten volle Beweiskraft124. Bei all diesen Kategorisierungen stand allein die Glaubwürdigkeit der Zeugen im Vordergrund, es ging insbesondere auf dem Höhepunkt des Inquisitionsprozesses keinesfalls um Schonung oder Rücksichten gegenüber Prozessbeteiligten unter Rückstellung der Wahrheitserforschungspflicht125. Andererseits nahm unter dem wachsenden Einfluss des Gedankenguts der Aufklärung die Kritik am zunehmend aller schützenden Formen entledigten, nur noch an der schrankenlosen „Wahrheits“-Ermittlung orientierten, Inquisitionsprozess zu und es begannen sich mehr und mehr wirkliche Zeugenbefreiungen für dem Beschuldigten nahe stehende Personen durchzusetzen. Diese Zeugenprivilegierungen drängten den rücksichtslosen inquisitorischen Ansatz etwas zurück, allerdings lange Zeit noch, ohne dass hierin bereits absolute Rechte der Aussagepersonen zu erblicken gewesen wären126.

III. Das Beweisrecht des neuzeitlichen reformierten Strafprozesses und die Entstehung der §§ 52 ff. StPO Die Ideen der Aufklärung brachten eine neuerliche Rationalisierung des Strafverfahrens. Der vernunftrechtlich geprägte reformierte Strafprozess löste das Inquisitionsverfahren schließlich ab und bahnte über die Schaffung einer neuen Reichsstrafprozessordnung (RStPO) den Weg zum heutigen Beweisrecht und seinen Zeugnisverweigerungsrechten.

124 Meuthien, Das Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen im Strafprozeß, S. 13, 14; Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 49 / 50 m. Nw.; Abegg, Lehrbuch des gemeinen Criminal-Prozesses, S. 218, 219; R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 8, 13. 125 Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 29, 50 / 51. 126 Jeweils m.Nw.: Zachariae, Handbuch des deutschen Strafprocesses (Bd. II), S. 187 / 188 und S. 188 Anm. 18; Abegg, Lehrbuch des gemeinen Criminal-Prozesses, S. 211; Meuthien, Das Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen im Strafprozeß, S. 14, 15; R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 14; Rüping, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, Rn. 169 f., 178 f.; Eb. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, § 201; Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 45; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 70 Rn. 1 f.

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B. Geschichte des Zeugenbeweises

1. Beginnende Aufklärung und reformierter Strafprozess Erste tendenziell dem Beschuldigten nahe stehende Personen privilegierende Ausnahmeregelungen fanden sich in der Hannoverschen Criminalinstruktion von 1736: diese nahm angehörige Zeugen von Zwangsmaßnahmen zur Aussageerzwingung127 so lange aus, bis durch Entscheidung der Justizkanzlei ihre Vernehmung ausdrücklich angeordnet wurde (Cap. VIII, §§ IV und X). Vom Aussagezwang befreit waren dem Beschuldigten nahe stehende Personen in der ansonsten nicht übermäßig fortschrittlichen österreichischen Constitutio Criminalis Theresiana (Theresiana) von 1769: dort wurde entsprechend der oben dargelegten Prinzipien unterschieden zwischen „von Natur aus untauglichen“ Zeugen, denen die Fähigkeit zutreffender Wahrnehmung und Wiedergabe abgesprochen wurde, und „nach Anleitung der Rechte untüchtigen“: Tatteilnehmer und Personen, die einen Nutzen vom Verfahrensausgang hatten, Fremde, Ehrlose und Feinde des Beschuldigten (Art. 33, §§ 4 und 5). Außerdem waren aber zahlreiche Personen, die in einem besonderen Näheverhältnis zum Beschuldigten standen, grundsätzlich von der Zeugnispflicht befreit und galten als entschuldigt, wenn sie ihre Aussage verweigerten. Der Kreis dieser privilegierten Zeugen war im Vergleich mit der heutigen deutschen Regelung weit gefasst: neben Blutsverwandten, die bis zum dritten Grad von der Zeugnispflicht befreit waren, Verschwägerten bis zum zweiten Grad, Ehepartnern, Vormündern, Pflegekindern, „Hausgenossen und Unterthanen“ galt die Regelung ausdrücklich auch für die Freunde eines Beschuldigten (Art. 33 § 6). Wollten sie aussagen, waren sie zugelassen, wurden aber nach wie vor als verdächtige Zeugen behandelt. Man meinte, allein aufgrund ihrer Unglaubwürdigkeit im Regelfall auf ihre erzwungene Aussage verzichten zu können. Es handelte sich nicht um die Anerkennung eines absoluten Rechts der Zeugen unter Berücksichtigung subjektiver Notlagen; vielmehr war den Richtern die Befugnis eingeräumt, auch die befreiten Zeugen gegebenenfalls zur Aussage zu zwingen, wenn eine schwere Straftat ansonsten nicht hinreichend erforschbar erschien128. Die immerhin schon spürbare Tendenz zur verstärkten Berücksichtigung privater Belange setzte sich in der Kriminalordnung Josephs II. von 1788, die die prozessualen Vorschriften der Theresiana ablöste, fort (§ 123) und wurde dadurch verstärkt, dass ein Verhör der privilegierten Zeugen nicht mehr bei jedem schweren Verbrechen erzwungen werden durfte, sondern Ausnahmen allein beim Tatvorwurf des crimen laesae maiestatis oder des Landesverrats in Betracht kamen129. Der für seine Zeit sehr „zeugenschonende“ Ansatz des österreichischen Rechts manifestierte sich durch Inkrafttreten des Gesetzbuchs über Verbrechen Franz II. im Jahr 1803, durch das Richtern zusätzlich aufgegeben wurde, die privilegierten Zeugen an ihr Aus127 Dies galt ausschließlich für den Ausnahmefall, dass die angehörigen und damit eigentlich untauglichen Zeugen wegen Mangels sonstiger Beweismittel überhaupt vernommen werden sollten. Vgl. i.e. Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 38 / 39. 128 Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 42 f., 44. 129 Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 44 / 45.

III. Beweisrecht des neuzeitlichen reformierten Strafprozesses

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sageverweigerungsrecht zu erinnern (§ 377). Eine Zeugnispflicht für dem Beschuldigten nahe stehende Personen bestand nur noch in Hochverratsprozessen, und auch dann nur, wenn die begründete Annahme bestand, von der Aussage sei ein wesentlicher Beitrag zur Tataufklärung („zur näheren Erforschung noch verborgener Umstände“) zu erwarten. Fast allen anderen deutschrechtlichen Partikularkodifikationen blieben privilegierende Zeugenbefreiungen für Angehörige bis zur Abschaffung der gesetzlichen Beweistheorie fremd: Die Preußische Kriminalordnung von 1805 kannte Ausnahmen von der Zeugnispflicht, gewährte diese aber Privaten nur, wenn sie durch eine Aussage „in ihrer Kunst oder ihrem Gewerbe Schaden erleiden“ würden, sowie Geistlichen130 und Beamten (§ 313). Im Übrigen blieb dieses Gesetzeswerk dem Inquisitionsprozess verhaftet und nahm keinerlei Rücksicht auf private Konfliktsituationen anderer Auskunftspersonen131. Die süddeutschen Rechte waren etwas fortschrittlicher: Eine Berücksichtigung von Zeugeninteressen, die den dargestellten älteren österreichischen Regelungen vergleichbar war, fand sich für eine kurze Übergangszeit in Bayern. Das Baierische Strafgesetzbuch von 1813 befreite die – zu den verdächtigen Zeugen gezählten – Verwandten in Art. 204 von der Zeugnispflicht und verzichtete im Gegensatz zum österreichischen Recht auch darauf, Ausnahmen für schwere Straftaten oder Verfahren wegen Landesverrats zu statuieren. Die Regelung wurde allerdings im Folgejahr so eingeschränkt, dass faktisch die Zeugenbefreiung aufgegeben und der Unterschied zu den meisten anderen deutschen Gesetzen wieder beseitigt war132. Vergleichbare Regelungen von Bestand wurden erst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den Strafprozessordnungen Württembergs (1843) und Badens (1845) eingeführt. Beide enthielten ein Zeugnisverweigerungsrecht für Angehörige ohne Ausnahmeregelungen. Sagten die dem Beschuldigten nahe stehenden Beweispersonen dennoch aus, hatten ihre Bekundungen jedoch auch hier kaum Beweiskraft, weil sie vor Einführung des Prinzips der freien Beweiswürdigung Sonderregelungen für „verdächtige“ Zeugen unterlagen133. Die Umwandlung reiner Beweisverbote in Zeugenbefreiungen war ein erster Schritt zum Vorrang der Berücksichtigung privater Belange und individueller Konfliktsituationen vor bloßen Verfahrenszielen. Dennoch verfolgten alle hier aufgezeigten Regelungen, wohl auch die württembergische und die badische, in erster Linie den Zweck, die größtmögliche Verlässlichkeit des Zeugenbeweises zu gewährleisten. Der Gedanke an die Unglaubwürdigkeit der Angehörigen schien stets Hierzu ausführlicher unten bei S. 66, Fn. 150. Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 46 / 47. 132 Durch eine Novelle vom 14. 11. 1814 wurden für das informatorische Verhör (vgl. oben Fn. 118) die allgemeine Zeugnispflicht und die Möglichkeit der Ausübung von Zeugniszwang gegenüber den Angehörigen wieder eingeführt. s. die Darstellung bei Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 47 / 48, 54. 133 Art. 195 und 305 Abs. 4 Württ. StrPO; §§ 149 und 254 Bad. StrPO; ausführlich: Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 56 / 57. 130 131

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durch. Insoweit war der Schutz der Interessen von Aussagepersonen lediglich ein – wenn auch zunehmend geschätzter – Reflex. Wie schon im römischen Recht herrschte die Auffassung vor, eine wahrheitsgemäße Aussage zu Lasten eines Angehörigen sei von einem ehrenhaften Zeugen regelmäßig nicht zu erwarten, daher sei eine Aussage zugunsten des Angehörigen unglaubhaft. Eine belastende Aussage sei aber ebenso wenig verlässlich, weil sie auf einen wenig vertrauenswürdigen Charakter des Zeugen schließen ließe. Diese Einschätzung, die den Aussagen nahe stehender Personen einen erheblich verringerten Wert beimaß, erleichterte die Einräumung von Privilegien, denn es fiel kein wirklich wichtiges Beweismittel weg. Der aufgezeigte Verzicht auf Zwangsmaßnahmen im positiven Recht war weniger der Rücksichtnahme auf die persönliche Zwangslage des einzelnen Zeugen geschuldet, als vielmehr der Tatsache, dass der Einbruch staatlicher Forderungen in den Familienzusammenhalt unter dem Einfluss der Vorstellungen der frühen Aufklärungszeit als gesellschaftspolitisch bedenklicher Eingriff in die öffentliche Ordnung und daher als ethisch verwerflich betrachtet wurde. Bei Unvereinbarkeit familiärer Belange mit solchen der Strafverfolgung war unter der Geltung des inquisitorischen Verfahrens der Vorrang des Interesses an der Wahrheitsermittlung nicht zweifelhaft134. Zur allgemeinen Einführung von Zeugnisverweigerungsrechten bedurfte es der Lösung von der Inquisition, denn Zeugenprivilegierungen standen in krassem Widerspruch zu den Prinzipien des Inquisitionsprozesses. Je mehr sich über die Vermittlung des Vernunftrechts die Ideen der Aufklärung und damit die Forderungen nach Rationalität und Achtung der Menschenwürde durchsetzten, begann die Abkehr des gemeinen Rechts vom Inquisitionsprozess. Dies führte neben der Abschaffung der Folter letztlich auch zu einer Veränderung des nunmehr als unpraktikabel erscheinenden Beweisrechts mit seiner formalen Beweistheorie. Der Übergang zum reformierten Strafprozess vollzog sich aber nicht schlagartig, sondern in zahlreichen kleineren Schritten135. In der Dogmatik erhoben sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Stimmen, die die persönliche Konfliktsituation bestimmter Zeugen betonten und diese verstärkt berücksichtigt sehen wollten. Zeugenprivilegierungen sollten für schützenswerte Personenkreise und ohne die bis dahin üblichen, jetzt als sinnwidrig empfundenen Ausnahmeregelungen gelten136. Eine Einsicht des reformierten Strafprozesses, die dem sich verbreitenden Gedankengut der Aufklärung geschuldet war, war die Erforderlichkeit, Individual134 Beling, Die Beweisverbote als Grenzen der Wahrheitserforschung, S. 15; Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 33, 50 / 51 und 52 / 53 m.Nw.; Meuthien, Das Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen im Strafprozeß, S. 15. 135 Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 51; R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 9; Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 54; Rüping / Jerouschek, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, Rn. 176, 247. 136 Mittermaier, Die Lehre vom Beweise, S. 310; Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 51 m.w.Nw.

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rechte als unabdingbaren Teil des modernen Rechtsstaatsbegriffs zu betrachten. Dem Staat sollte keine Befugnis zu Eingriffen in eine bestimmte private Sphäre zustehen. Die staatliche Verfassung sollte nunmehr bürgerliche Freiheiten schützen137. Im Ergebnis zogen diese Erkenntnisse die Forderung nach sich, den Einzelnen mit dem subjektiven Recht auszustatten, dem Staat Leistungen zu verweigern, die – ohne in einen Gewissenskonflikt zu geraten – nicht erbracht werden könnten. Es setzte sich die Überzeugung durch, staatliches Handeln verstoße gegen Naturrecht, wenn es den Bürgern Pflichten auferlege, die sie nur unter Verstoß gegen übergeordnete „natürliche“ Verpflichtungen erfüllen könnten. Wesentliche Grundlage der gesellschaftlichen Ordnung und damit naturrechtlich betrachtet sowohl Hoheits-Recht als auch -Pflicht sei die Schaffung und Erhaltung familiären Zusammenhalts als Selbstzweck. Das hierfür grundlegende Vertrauensverhältnis dürfe durch staatliches Handeln nicht verletzt werden, denn eine derartige Störung der „sittlichen Ordnung“ könne für den Staat erheblichere Folgen haben als der Verzicht auf ein – ohnehin regelmäßig geringwertiges – Beweismittel138. Widerstand regte sich schon früh auch gegen die gesetzliche Beweistheorie, die es den Richtern unmöglich machte, ihren Gesamteindruck in Bezug auf Beweismittel zum Gegenstand ihrer Urteilsfindung zu machen, insbesondere die Persönlichkeit der Beschuldigten und Zeugen sowie die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Die Fiktion, ein Gesetzgeber könne um der Rechtssicherheit willen im Vorfeld formalisierend festlegen, welcher Beweiswert bestimmten Beweismitteln in jedem Einzelfall beizumessen sei, widersprach dem Vernunftdenken; die entsprechenden Regeln erschienen als unnatürliche und ungeeignete Fesseln bei der Überzeugungsbildung und Wahrheitsfindung139. Als Alternative zur gesetzlichen Beweistheorie in ihrer Reinform, die erst ab 1849 in den meisten Partikularstaaten abgeschafft wurde, bildeten sich seit Anfang des 19. Jahrhunderts und noch bis zur Schaffung der RStPO von 1877 Mischformen, die Elemente des Inquisitionsprozesses mit Ansätzen einer freien Beweiswürdigung verbanden. Verbreitung fand insbesondere die negative Beweistheorie; 137 Rüping / Jerouschek, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, Rn. 239, 240 m.Nw.; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 70 Rn. 2; Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 52 f.; Eb. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, § 294; R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 14; Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 51 / 52. 138 Eb. Schmidt JZ 1958, 596, 599 / 600; Zachariae, Handbuch des deutschen Strafprocesses (Bd. II), S. 186; Mittermaier, Die Lehre vom Beweise, S. 309; Geyer, Lehrbuch des gemeinen deutschen Strafproceßrechts, S. 516; Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 51 m.Nw. 139 Vgl. insbes. die ausführliche Darstellung bei B. Schmitt, Die richterliche Beweiswürdigung im Strafprozeß, S. 145 ff. Außerdem: Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 53 / 54; Eb. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, § 291; R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 9. Eingehend auch E. Koch, Der Zeugenbeweis in der deutschen Strafprozeßrechtsreform, S. 248 ff.

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B. Geschichte des Zeugenbeweises

sie zwang nicht zur Verurteilung gegen die richterliche Überzeugung, machte andererseits eine Verurteilung aber vom Vorliegen eines näher bezeichneten Minimalkontingents an Beweisen abhängig140. Erst die bürgerlich-revolutionären Bestrebungen, die 1848 ihren Höhepunkt erreichten, brachten fast überall die vollständige Abkehr vom Inquisitionsprozess. Mit Ausnahme weniger kleinerer Länder141, in denen das gemeine Recht bis zur Einführung der RStPO Anwendung fand, wurden nach 1848 in allen Partikularstaaten neue Strafprozessordnungen geschaffen, in denen sich die Ideen der Aufklärung spiegelten. Mit Einführung der Schwurgerichte wurden die gesetzlichen Beweisregelungen abgeschafft. Und nach dem Übergang von der gesetzlichen Beweistheorie zum Prinzip der freien Beweiswürdigung vermochten sich in einigen Partikularrechten nach und nach Aussageverweigerungsrechte als subjektive Rechte der Beweispersonen durchzusetzen142.

2. Die Entstehung der StPO und ihrer Regelungen zum Zeugenbeweis Am 1. 10. 1879 trat die RStPO als erste einheitliche Kodifikation des Strafverfahrens seit der Carolina in Kraft. Ihr 1877 verabschiedeter Entwurf ging aus vom reformierten deutschen Strafprozess und verwandelte dessen Prinzipien in Reichsrecht. Die Regelungen des Zeugenbeweises und der Zeugenbefreiungen bauten wesentlich auf den neu geschaffenen Strafprozessordnungen der Länder auf. Die gesetzliche Beweistheorie war nunmehr allgemein und endgültig gegen die freie Beweiswürdigung ersetzt (§ 260 RStPO). Die Überprüfung der Validität von Beweismitteln unterlag der richterlichen Einschätzung. Einzig maßgebend für die generelle Eignung einer Aussageperson waren ihre individuelle Wahrnehmungsfähigkeit und Kompetenz zur Wiedergabe von Wahrnehmungen, ansonsten wurden alle Restriktionen hinsichtlich der Zulassung von Zeugen abgebaut143. 140 B. Schmitt, Die richterliche Beweiswürdigung im Strafprozeß, S. 163 f.; Rüping / Jerouschek, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, Rn. 247; R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 12; Eb. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, §§ 253, 260; Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 49 / 50. 141 Lippe-Detmold, Schaumburg-Lippe, Mecklenburg. 142 Eine ausführliche Wiedergabe der partikularrechtlichen Zeugenregelungen findet sich bei Hahn, Die gesammten Materialien zur Strafprozeßordnung, S. 98 ff.; vgl. allg. auch Rüping / Jerouschek, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, Rn. 104, 243, 244; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 70 Rn. 8; Eb. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, § 293; Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 58; Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 55 ff. 143 Roxin, Strafverfahrensrecht, § 70 Rn. 8; Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 66; Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 58. Vgl. auch Stichweh, Zur Subjektivierung der Entscheidungsfindung im deutschen Strafprozeß, S. 289 f., 295.

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Die Erkenntnis, dass das staatliche Interesse an effektiver Strafverfolgung da zurückzutreten hatte, wo gerade erkämpfte, vom Staat zu achtende, Individualrechte tangiert waren, hatte sich allgemein durchgesetzt144. Das bürgerliche Recht auf Respektierung einer staatsfreien (Privat-)Sphäre erforderte hoheitliche Zurückhaltung, wo Zeugen in Zwangslagen gerieten, weil sie sich im Interessenkonflikt befanden zwischen (insbesondere privaten) Vertrauens- und Näheverhältnissen einerseits und diesen zuwiderlaufenden Aussagepflichten aufgrund des staatlichen Bestrebens nach der Erforschung einer strafprozessualen „materiellen Wahrheit“ andererseits. Die Einsicht, dass die uneingeschränkte Befugnis zur Aufklärung von Straftaten nicht auf Kosten von Persönlichkeitsrechten durchgesetzt werden durfte, wurde auch dadurch erleichtert, dass die Herausarbeitung der Prozesswahrheit nicht mehr allein den Richtern oblag, sondern nach dem System der StPO Anklagebehörden und Verteidigung ebenfalls zur Tatsachenermittlung – aus zwar nicht theoretisch, aber praktisch durchaus unterschiedlichen Blickwinkeln – berufen waren, weswegen nicht mehr jedes erreichbare Beweismittel dringend benötigt erschien145. Die Rücknahme der Zeugnispflicht im Hinblick auf Kollisionen mit höherwertigen Interessen fand ihren Ausdruck in der Schaffung von Zeugnisverweigerungsrechten, die unabhängig von den Umständen im Einzelfall generell für Mitglieder bestimmter, typisierter Personenkreise gewährt wurden. Damit war die lange uneinheitlich behandelte Frage, ob zu Beschuldigten in einem bestimmten Näheverhältnis stehende Personen pauschal vom Zeugnis ausgeschlossen sein sollten oder ihnen ein Wahlrecht zuzugestehen sei zwischen – irgendwie verwertbarer – Aussage und Aussageverweigerung zugunsten einer umfassenden Geltung des Prinzips der freien Beweiswürdigung und der Eigenverantwortlichkeit der Beweispersonen entschieden. Da die Befürchtung bestand, weigerungsberechtigte Angehörige würden aus Scheu vor negativen Schlussfolgerungen aus einer Aussageverweigerung auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht verzichten und dann falsch aussagen, wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts auch ein Ausschluss der den Beschuldigten persönlich nahe stehenden Personen diskutiert146. Derartige Regelungen tauchten in den Partikulargesetzen, die nach 1848 den reformierten Strafprozess kodifizierten, nicht

144 Motive, S. 35 (zit. nach Hahn, Die gesammten Materialien zur Strafprozeßordnung, S. 98); aus der zeitgenössischen Literatur exemplarisch nur: Geyer, Lehrbuch des gemeinen deutschen Strafproceßrechts, S. 516. Als vorrangig geschützte Interessen wurden insbesondere die Persönlichkeitssphäre, verwandtschaftliche Beziehungen und Geheimhaltungspflichten betrachtet, vgl. Beling, Die Beweisverbote als Grenzen der Wahrheitserforschung, S. 6, 10, 14 f., 17 f. 145 E. Koch, Der Zeugenbeweis in der deutschen Strafprozeßrechtsreform, S. 259 / 260. 146 Mittermaier, Die Lehre vom Beweise, S. 309 / 310, 333; Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 51 ff. m.Nw.; s. außerdem die Nw. bei Beling, Die Beweisverbote als Grenzen der Wahrheitserforschung, S. 16.

5 Jansen

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auf, allerdings fanden sich hier Ausschlüsse für Zeugen, die zu Beschuldigten in einem berufsbedingten Vertrauensverhältnis standen, wie Geistliche und Strafverteidiger147. Demgegenüber wurde für die RStPO die Einräumung von Zeugnisverweigerungsrechten bevorzugt, um den verweigerungsberechtigten Aussagepersonen eine Wahlmöglichkeit einzuräumen und ihnen den Weg einer von ihnen für nötig und vertretbar gehaltenen Aussage zu eröffnen. Diese Lösung erschien gerade wegen ihrer Betonung individueller Aspekte einem modernen Verfahren angemessener als ein starrer Ausschluss148. Der Wandel vom weitgehend schrankenlosen inquisitorischen Verfahren zum liberalisierten, Individualrechtsgüter respektierenden Strafprozess fand auch darin seinen Ausdruck, dass die Zeugenbefreiungen in den Allgemeinen Teil der RStPO eingestellt wurden und damit das in ihnen gewährte subjektive Recht in jeder Phase des Verfahrens garantiert werden sollte149. Die RStPO enthielt in ihrem § 51 die im Wesentlichen bis heute fortgeltenden Regelungen des Zeugnisverweigerungsrechts der Angehörigen, in den §§ 52 bis 54 die übrigen Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechte, wobei der Kreis der Berufsgeheimnisträger in § 52 noch auf Geistliche150, Strafverteidiger151, Rechtsanwälte und Ärzte152 beschränkt war153. 147 So die StrPO von Baden (1864), Hessen (1865), Sachsen und Württemberg (beide 1868). 148 Motive, S. 43 / 44 (zit. nach Hahn, Die gesammten Materialien zur Strafprozeßordnung, S. 105 / 106); vgl. auch Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 67. 149 Motive, S. 34 (zit. nach Hahn, Die gesammten Materialien zur Strafprozeßordnung, S. 97 / 98); Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 67. 150 Eine Sonderstellung der (katholischen) Geistlichen ergab sich bereits im gemeinen Recht aufgrund eines Vernehmungsverbots: Ihre kirchenrechtliche Verpflichtung zur Geheimhaltung dessen, was sie in der Beichte erfahren hatten, musste vom Gericht respektiert werden; sie durften nicht einmal zur Aussage aufgefordert werden. Ihre Begründung fand diese für die Inquisition außergewöhnliche Regelung in der Vorstellung, der Beichtende vertraue sich nicht dem Priester, sondern unmittelbar Gott an. Denkbar ist, dass der eigentliche Grund der Privilegierung zum einen in der starken Machtstellung der Kirche im Inquisitionsprozess, in deren Bereich ein staatlicher Eingriff unzulässig erschien, zum anderen in der Einsicht bestand, auch Delinquenten müsse der Zugang zur Religion eröffnet bleiben (vgl. Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 41, 63 m.Nw.; auch schon Mittermaier, Die Lehre vom Beweise, S. 311 / 312 f.). Im reformierten Strafprozess und in der RStPO wurde aus diesem Zeugenausschluss ein Zeugnisverweigerungsrecht (Karitzky, a. a. O., S. 63 f.; vgl. zum Ganzen auch R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 13 / 14). 151 Die Verteidiger gehörten erstmals im römischen Recht zu den privilegierten Zeugen, die gegen ihren Willen nicht zur Aussage genötigt werden durften (siehe oben S. 47 bei Fn. 68). Im Strafprozess des 19. Jahrhunderts waren sie in einigen Partikularrechten vom Zeugnis ausgeschlossen, nach anderen hinsichtlich des von ihren Mandanten zum Verfahren anvertrauten Wissens befreit. Die Aussagebefreiung war im Inquisitionsprozess kein subjek-

III. Beweisrecht des neuzeitlichen reformierten Strafprozesses

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Die Privilegierungen der Angehörigen sowie der Geistlichen und Verteidiger führten nicht zu tiefgreifenden Diskussionen, denn die Pflicht zur Berücksichtigung der sie betreffenden speziellen Interessenlagen galt inzwischen als anerkannt154. Mit dem Beschluss, über die Regelung diverser Partikulargesetze hinaus Verwandte der Seitenlinie bis zum dritten Grad in die Zeugenprivilegierungen einzuschließen, wurde schützenswerten privaten Belangen ausdrücklich der Vorrang eingeräumt vor den Bedürfnissen einer möglichst effektiven Strafrechtspflege. Begründet wurde dies in der Aussprache zur ersten Lesung damit, dass auch hier „nicht selten“ so nahe Beziehungen bestehen, dass eine Ausnahme von der allgemeinen Zeugnispflicht wünschenswert sei155. Im Gegensatz zu einigen Partikulargesetzen156 verzichtete die RStPO auf ein Zeugnisverweigerungsrecht für Pflegekindschaftsverhältnisse, berücksichtigt wurde aber das Verlöbnis. Den Materialien ist hierzu exemplarisch die gesetzgeberische Auffassung zu entnehmen, Vertives Recht der Aussagepersonen, sondern eine notwendige Konzession, die die Aufgabe als Verteidiger erforderte (Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 63). 152 Für Ärzte existierten Zeugenprivilegierungen im reformierten Strafprozess noch nicht; ihrer Aufnahme in die RStPO gingen längere Verhandlungen voraus, in denen erst die Vergleichbarkeit des Arzt / Patienten-Verhältnisses mit dem besonderen Vertrauensverhältnis zwischen Strafverteidigern bzw. Rechtsanwälten und ihren Mandanten plausibel gemacht werden musste (s. die Darstellung bei Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 64 f. m.Nw.). 153 Die Zeugnisverweigerungsrechte der übrigen im heutigen § 53 Abs. 1 Nr. 3, 3 a, 3 b, 5 sowie der in § 53 a StPO genannten Personen wurden erst später eingeführt. Hier nur exemplarisch: Das Zeugnisverweigerungsrecht der Presse wurde eingeführt durch Gesetz vom 27. 12. 1926 (RGBl. I, S. 529), und ist in seiner aktuellen Fassung gültig seit 23. 2. 2002 (BGBl. I, S. 682). Diese letzte Änderung brachte Medienmitarbeitern ein Zeugnisverweigerungsrecht hinsichtlich eigener Wahrnehmungen und selbst recherchierten Materials. Durch StrÄndG vom 4. 8. 1953 (BGBl. I, S. 735) und StPÄG vom 19. 12. 1964 (BGBl. I, S. 1067) erfolgten einzelne Erweiterungen der Berufsgruppen. Ein Zeugnisverweigerungsrecht der Schwangerschafts-(konflikt-)berater wurde im Zuge der Neuregelung des Abtreibungsrechts am 18. 6. 1974 (BGBl. I, S. 1297) eingeführt und durch das Schwangerschaftskonfliktgesetz vom 27. 7. 1992 (i.d.F. 21. 8. 1995; BGBl. I, S. 1050) neugefasst; das Zeugnisverweigerungsrecht der Drogenberater wurde eingeführt durch Gesetz vom 23. 7. 1992 (BGBl. I, S. 1366). § 53 a wurde ebenfalls durch das 3. StrÄndG vom 4. 8. 1953 (s. o.) eingefügt. 154 Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 67, 69; vgl. auch E. Koch, Der Zeugenbeweis in der deutschen Strafprozeßrechtsreform, S. 259 f. Schon 1903 angesichts der Tatsache der Verwurzelung insbes. der Zeugnisverweigerungsrechte der Angehörigen fast bedauernd: Beling, Die Beweisverbote als Grenzen der Wahrheitserforschung, S. 37 / 38 f. Vgl. zudem Fn. 150, 151 und 152. 155 Protokolle der Kommission, S. 41 (zit. nach Hahn, Die gesammten Materialien zur Strafprozeßordnung, S. 581 / 582). 156 Ein Zeugnisverweigerungsrecht für Verlobte gewährten die Strafprozessordnungen Thüringens (1850), Oldenburgs (1857), Badens (1864), Württembergs (1868) und Bremens (1870). Pflegekindschaftsverhältnisse privilegierten die Strafprozessordnungen von Thüringen (1850), Preußen (1867), Württemberg (1868), Bayern (1870). 5*

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lobten dürfe aufgrund des zwischen ihnen bestehenden nahen Verhältnisses das Recht der Zeugnisablehnung nicht entzogen werden157. Zur Ausgestaltung des Kreises der gem. § 51 RStPO vom Zeugnis befreiten Personen kann daher abschließend auf die viel zitierte Passage aus den Motiven verwiesen werden, in der festgestellt wird, unter Berücksichtigung der analogen Bestimmungen des § 336 Reichszivilprozessordnung158 sei der Kreis der Berechtigten absichtlich weit gezogen, da „es vorzuziehen sei, lieber auf ein Beweismittel zu verzichten, als einen nahen Angehörigen des Beschuldigten der Versuchung auszusetzen, zugunsten des letzteren einen Meineid zu leisten“159. Die Formulierung beinhaltet nicht nur eine Stellungnahme des historischen Gesetzgebers dazu, dass eine Beschränkung des § 51 auf einen zu engen Kreis vermieden werden sollte, der nicht alle geschützten und gesellschaftlich akzeptierten besonderen persönlichen Näheverhältnisse umfasst. Außerdem wird hieraus die gesetzgeberische Einsicht erkennbar, auf erzwungene Aussagen typischerweise der Versuchung zur Ablegung einer Falschaussage verstärkt ausgesetzten Personenkreisen im Interesse des Schutzes der Wahrheitsfindung leicht verzichten zu können160. Bis auf die Einfügung des „Lebenspartners“ durch das zum 1. August 2001 in Kraft getretene Lebenspartnerschaftsgesetz161 sind nennenswerte inhaltliche Änderungen des § 51 Abs. 1 RStPO / § 52 Abs. 1 StPO seit 1879 nicht erfolgt162, der heute dort angeführte Personenkreis stimmt daher im Übrigen mit dem der ursprünglichen Bestimmung überein. Nach Aufgabe der Pläne zu einer Gesamtreform der StPO vom Jahre 1964 konzentrieren sich auf das Strafverfahren bezogene Reformvorhaben bis heute über157 Dabei wurde für das regelungsgleiche zivilprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht die Tatsache fehlender „rechtlicher Fixierung“ – die i.W. im Hinblick auf unterschiedliche Rechtsformen des Verlöbnisses in den einzelnen Partikularstaaten problematisiert wurde – berücksichtigt und für im Regelungskontext der Zeugnisverweigerungsrechte hinnehmbar bezeichnet: vgl. Motive zur Reichs-Civilprozeßordnung, S. 69 und 252 (zit. nach Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, S. 163 bzw. 312). 158 In der aktuellen Fassung der ZPO: § 383. 159 Motive, S. 44 (zit. nach Hahn, Die gesammten Materialien zur Strafprozeßordnung, S. 106 / 107). Mit gleicher Zielrichtung für die analogen zivilprozessualen Zeugnisverweigerungsrechte: Motive zur Reichs-Civilprozeßordnung, S. 252 (zit. nach Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, S. 312). 160 So schon Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 68. 161 So die inzwischen geläufige (Gesamt-)Bezeichnung des „Gesetzes zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften: Lebenspartnerschaften“ vom 16. 2. 2001; BGBl. I, S. 266. 162 Durch Neubekanntmachung der RStPO am 22. März 1924 wurde § 51 zu § 52 (RGBl. I, S. 322), der heutige Abs. 2 wurde am 9. Dezember 1974 eingefügt (BGBl. I, S. 3393), das Adoptionsgesetz vom 2. Juli 1976 (BGBl. I, S. 1749) machte die explizite Bezeichnung von Adoptionsverhältnissen obsolet, die Reform des Betreuungsrechts (12. 9. 1990; BGBl. I, S. 2002) führte zu einer lediglich textlichen Anpassung.

III. Beweisrecht des neuzeitlichen reformierten Strafprozesses

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wiegend auf Fragen der Verfahrensbeschleunigung und Erleichterungen der „Kriminalitätsbekämpfung“ 163. Ansonsten fand eine gesetzgeberische Auseinandersetzung mit der Aktualität des Personenkreises des § 52 Abs. 1 StPO in den letzten Jahren und Jahrzehnten nicht statt.

163 Vgl. die Übersicht bei Roxin, Strafverfahrensrecht, § 72 Rn. 1 ff.; krit. Hassemer KritV 1990, 260, 274 / 275. s. auch die neuesten Überlegungen zur Strafprozessrechtsreform, die neben Ansätzen zur Verbesserung des Opferschutzes wiederum auf Verfahrenseffektivierung konzentriert sind; vgl. Eckpunkte einer Reform des Strafverfahrens – Diskussionspapier der Regierungskoalition, StV 2001, 314 ff. sowie Däubler-Gmelin StV 2001, 359 ff.

C. Zur Validität des Zeugenbeweises1 Im heutigen Strafverfahren ist die Zeugenaussage wiederum das wichtigste und meistgebrauchte Beweismittel2. Immer wieder und immer noch wird aber darauf hingewiesen, beim Personalbeweis handele es sich um ein sehr unzuverlässiges und daher zweifelhaftes Beweismittel3. Damit ist das Misstrauen, das dem Zeugenbeweis in fast allen Epochen entgegengebracht wurde und das in der legalen Beweistheorie mit ihren gesetzlichen Beweisregeln seinen ausgeprägtesten Ausdruck fand, anscheinend nur geringfügig modifizierenden Einflüssen ausgesetzt gewesen. Schon in den ersten Jahren und Jahrzehnten nach der Abkehr von gesetzlichen Beweisregeln und der allgemeinen Einführung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung erhoben sich Stimmen, die anrieten, die alten Kriterien zur Klassifizierung mehr oder weniger tauglicher beziehungsweise verdächtiger Zeugen als Richtlinien zur Beweiswürdigung weiterhin heranzuziehen, weil in ihnen ein jahrhundertealter Erfahrungsschatz enthalten sei4, der die Rolle eines „wissenschaftsanalogen Wissenssystems“5 spielen könne. Und auch aus dem späten 20. Jahrhundert finden sich Stellungnahmen, die für eine Rückbesinnung auf die althergebrachten Prinzipien und Bewertungssysteme plädieren6 oder propagieren, den Zeugenbeweis gegen den Sachbeweis mit „objektiven“ Beweismitteln zu ersetzen beziehungsweise den Personalbeweis zumindest soweit zu verobjektivieren, dass nur „naturwissenschaftlich verifizierbare“ Zeugenaussagen als Gegenstand der Urteilsfindung zugelassen werden7. 1 Auf einige Sonderprobleme des Zeugenbeweises, so insbesondere spezifische Fragen der Personenidentifizierung und der Befragung kindlicher Zeugen in Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs, kann und soll dem Gegenstand der Arbeit gemäß nicht speziell eingegangen werden. Vgl. hierzu weiterführend und relativ ausführlich Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1383 ff., 1411 ff., 1860 ff. 2 Barton, Fragwürdigkeiten des Zeugenbeweises, S., 23, 24; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1363; Rüßmann, Festschrift für Wassermann, S. 789; vgl. auch Peters, Fehlerquellen im Strafprozeß, S. 50. 3 Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1363 ff.; Barton, Fragwürdigkeiten des Zeugenbeweises, S. 23 f., 42; Rüßmann, Festschrift für Wassermann, S. 789; Kühne NStZ 1985, 252 und 254; Brenner Kriminalistik 1984, 490; Peters, Fehlerquellen im Strafprozeß, S. 50; Döhring, Die Erforschung des Sachverhalts, S. 92 ff.; vgl. auch Baumbach / Lauterbach-Hartmann, Übers. § 373 ZPO Rn. 6 ff. 4 Vgl. z. B. Kries, Lehrbuch des deutschen Strafprozeßrechts, S. 380. 5 Stichweh, Zur Subjektivierung der Entscheidungsfindung im deutschen Strafprozeß, S. 295. 6 Vgl. z. B. Peters, Fehlerquellen im Strafprozeß, S. 56, 84 (s. außerdem a. a. O., S. 78). 7 Vgl. Herold, Erwartungen von Polizei und Justiz in die Kriminaltechnik, S. 78 f.

C. Zur Validität des Zeugenbeweises

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Als sicher kann heute angesehen werden, dass der Zeugenbeweis unter mehreren Gesichtspunkten fehleranfällig ist: eines der größten und vermutlich das immer noch am häufigsten unterschätzte Risiko ist das der fehlerhaften Wahrnehmung, Verarbeitung und unbewusst „unrichtigen“ Wiedergabe von Eindrücken zum Beweisgegenstand; daneben gibt es bewusst unrichtige Zeugenaussagen. Schließlich besteht die nicht unerhebliche Einwirkungsmöglichkeit von Fehlern der Vernehmungspersonen auf das Beweisergebnis, sei es durch Beeinflussung der Aussage beziehungsweise der Aussageperson, sei es durch eigene Fehler bei der Wahrnehmung, Verarbeitung und Weitervermittlung einer Zeugenaussage. Es wird angenommen, dass der Anteil unrichtiger Zeugenaussagen recht hoch ist8; er lässt sich aber quantitativ nicht sicher erfassen, weil den Kriminalstatistiken, unabhängig von der ihnen naturgemäß inhärenten Ausschnitthaftigkeit, nur Zahlen zu Aussagedelikten zu entnehmen sind. Die Aussagedelikte greifen ausschließlich für gerichtliche und vor anderen zur eidlichen Vernehmung zuständigen Stellen abgelegte Aussagen. Der Großteil aller Zeugenaussagen wird jedoch im Ermittlungsverfahren vor der Polizei oder Staatsanwaltschaft abgegeben. Werden in einem Ermittlungsverfahren getätigte falsche Aussagen zum Gegenstand einer Strafverfolgung wegen Strafvereitelung, Begünstigung, Betruges etc., so ist dies den Statistiken nicht mehr zu entnehmen. Außerdem sind insbesondere aus Gedächtnisfehlleistungen resultierende, non-intentional unzutreffende Zeugenaussagen schwer feststellbar und nur ausschnittsweise (vgl. § 163 StGB) poenalisiert, so dass sie sich in Statistiken kaum niederschlagen können. Ein nicht unbeträchtlicher Teil aller Falschaussagen bleibt gänzlich unentdeckt oder wird jedenfalls, u. a. aufgrund der großen Schwierigkeit des Nachweises, nicht abgeurteilt. Demgegenüber klingt Glasers 1883 geäußerte Auffassung, was die Zuverlässigkeit des Zeugenbeweises angeht, sehr zuversichtlich: „Die Beweiskraft der Zeugenaussage, als der Angabe über des Zeugen eigene Wahrnehmung, beruht darauf, dass, wenn jemand bestimmt versichert, eine Thatsache selbst wahrgenommen zu haben, diese Thatsache sich auch zugetragen haben muss, sofern jene Person nicht die Unwahrheit aussagt. Das letztere ist nach allgemein menschlichen Verhältnissen nicht zu vermuthen, weil es beschwerlicher und gefährlicher ist, die Unwahrheit zu sagen und zu behaupten, und weil im allgemeinen der Mensch über seine sinnlichen Wahrnehmungen sich nicht täuscht, sich derselben erinnert und auch fähig ist, sich bezüglich derselben verständlich auszudrücken“9. Allerdings folgt die Relativierung bereits in den sich unmittelbar anschließenden Ausführungen: der Zeuge müsse die volle geistige und körperliche Befähigung zur Wahrnehmung gehabt und dem Wahrzunehmenden seine volle Aufmerksamkeit geschenkt haben. Ferner sei erforderlich, dass der Zeuge die gemachte Wahrnehmung im Gedächtnis bewahrt habe, in der Lage und willens zur Wiedergabe sei und die näheren Umstände der Vernehmung eine voll8 9

Exemplarisch Peters, Fehlerquellen im Strafprozeß, S. 51 f. Glaser, Lehre vom Beweis, S. 214.

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C. Zur Validität des Zeugenbeweises

ständige und richtige Aufnahme der Aussage ermöglichten10. Dies entspricht ungefähr dem Fragenkatalog, der heute Vernehmungspersonen als Mindestprogramm zur Hinterfragung einer Zeugenaussage nahe gelegt wird: „Hat der Zeuge tatsächlich erleben können, was er erlebt zu haben meint? Erinnert der Zeuge, was er erlebt hat? Will der Zeuge über das berichten, was er erinnert? Ist der Zeuge fähig, das zum Ausdruck zu bringen, was er berichten möchte? Habe ich verstanden, was der Zeuge ausdrücken wollte?“11. War es das Hauptanliegen der gesetzlichen Beweistheorie, einer Verwertung intentional verfälschter Aussagen bei der Urteilsfindung vorzubeugen, wird aus den gerade dargelegten Aufstellungen ersichtlich, dass zumindest in der Theorie eine den tatsächlichen Problemen eher gerecht werdende zunehmende Konzentration auf Falschaussagen, die auf Gedächtnisfehlleistungen zurückführbar sind, festzustellen ist. Die Erkenntnis, dass die systematische Selbsttäuschung weit häufiger vorkomme als die bewusste Fremdtäuschung und dass daher insgesamt von der generellen Fehlerhaftigkeit von Zeugenaussagen auszugehen sei12, ist nicht mehr neu. Entsprechend ist nunmehr der Hinweis auf die spezifische Unzuverlässigkeit dieses Beweismittels fester Bestandteil von Beiträgen, die sich mit der Aussagekraft des Zeugenbeweises befassen13. Andererseits: hatte die legale Beweistheorie bei konsequenter Anwendung keinen Bedarf und gab auch keinen Spielraum für die Entwicklung von Kriterien zur Glaubwürdigkeitsüberprüfung, weil dies schon generalisierend im Vorfeld gelöst war14, so existieren inzwischen vielfältige Ansätze zur Erforschung der Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage im Einzelfall. Zu erwarten wäre aufgrund dieser Bemühungen ein vorsichtigerer und zurückhaltenderer Umgang mit Zeugenaussagen. Der Zeugenbeweis findet aber trotzdem nicht zuletzt bei Gericht massenhaften Einsatz. Dies lässt vermuten, dass hierfür nicht nur der häufige Mangel an anderen Beweismitteln ausschlaggebend ist15, sondern dass die Komfortabilität eines Beweismittels, das vermeintlich vollständige, „fertige“ Informationen zum zu beweisenden Sachverhalt zu vermitteln verspricht, verführerisch wirkt. Nicht auszuschließen scheint auch, dass mitunter Fehleinschätzungen der Zuverlässigkeit des Personalbeweises und der eigenen Glaser, Lehre vom Beweis, S. 214 / 215. Rüßmann, Festschrift für Wassermann, S. 789. 12 So schon Gross, Kriminalpsychologie, S. 8 ff.; s. auch Stichweh, Zur Subjektivierung der Entscheidungsfindung im deutschen Strafprozeß, S. 296. 13 Vgl. nur Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), S. X; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1363 ff.; Barton, Fragwürdigkeiten des Zeugenbeweises, S. 23 ff.; Rüßmann, Festschrift für Wassermann, S. 789 ff.; R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 311 ff.; Döhring, Die Erforschung des Sachverhalts, S. 92 ff. 14 Koch, Der Zeugenbeweis in der deutschen Strafprozeßrechtsreform, S. 251; s. ausführlich oben B.II.2., S. 55 ff. 15 So aber Burckhardt DRiZ 1994, 74. 10 11

I. „Wahre“ und „falsche“ Aussagen

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Kompetenz zur „fehlerfreien“ Erhebung und Verwertung des Zeugenbeweises durch Vernehmungspersonen eine Rolle spielen16. Inwieweit es in der Praxis gelingt und gelingen kann, zu gewährleisten, dass aus welchen Gründen auch immer fehlerhafte Aussagen nicht unbemerkt zum Gegenstand der Urteilsfindung werden oder ein Strafverfahren sonst wesentlich beeinflussen, ist Gegenstand der folgenden Erörterungen. Dem Begriff der Validität, hier zu verstehen als Zuverlässigkeit, von Zeugenaussagen ist schon zu entnehmen, dass nicht nur Verfälschungen des Beweisergebnisses durch intentionale Falschaussagen, sondern auch Verzerrungen aufgrund regelmäßig unbewusster, jedenfalls ungewollter Gedächtnisfehlleistungen und Reproduktionsmängel thematisiert werden sollen. Hierbei geht es nicht nur um Aussagen, die im Rahmen einer Hauptverhandlung vor Gericht abgegeben werden, sondern ebenso um Bekundungen im Vorund Zwischenverfahren. Insbesondere im Ermittlungsverfahren sind die Auswirkungen unentdeckt unzutreffender Angaben außerordentlich groß, weil hier die Weichen für das gesamte Verfahren gestellt werden; gerade an dieser Stelle können sich Fehler potenzieren. Wenn im Folgenden also Vorgehensweisen von Vernehmungspersonen problematisiert werden, sind damit regelmäßig alle – im weitest denkbaren Sinne – „Verfahrensbeteiligten“ gemeint, die im jeweiligen Verfahrensabschnitt mit Aussagepersonen kommunikativ in Verbindung treten können: insbesondere erkennende Richter, Staatsanwälte und Verteidiger, die Zeugen befragende Angeklagte, Nebenkläger und Nebenklagevertreter, Dolmetscher, Ermittlungsrichter, Vertreter der Staatsanwaltschaft und polizeiliche Ermittlungsbeamte des Vorverfahrens. Interessant ist es herauszufinden, inwieweit nach heutigem Kenntnis- und „Forschungsstand“ die über Jahrhunderte nicht nur im deutsch-rechtlichen System, sondern auch schon im römischen Recht verbreiteten Vorbehalte gegenüber bestimmten Zeugengruppen eine Berechtigung besitzen beziehungsweise besaßen. Daher wird auch auf diesen Punkt jeweils kurz einzugehen sein. Zunächst muss allerdings terminologisch abgeklärt werden, welche Bedeutung Begriffen wie „wahr“, „unwahr“ etc. für die folgenden Ausführungen zugeordnet wird.

I. „Wahre“ und „falsche“ Aussagen Zutreffend weist Hilgendorf 17 darauf hin, dass zwischen Wahrheitsdefinition und Wahrheitskriterium unterschieden werden muss: aus der Definition ergibt sich, was der Begriff „Wahrheit“ meint, während anhand des Wahrheitskriteriums die Übereinstimmung einer bestimmten Aussage mit der gewählten Wahrheitsdefini16 17

Vgl. beispielhaft Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 453. In: GA 1993, 547, 548.

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C. Zur Validität des Zeugenbeweises

tion überprüft werden soll18. Im Rahmen der hier anzustellenden Überlegungen ist ausschließlich die Frage der Wahrheitsdefinition von Bedeutung, um zu klären, welcher Inhalt im Folgenden den Begriffen „wahr“ und „falsch“ beigegeben sein soll19. Die Bestimmung einer als – irgendwie gestaltetes – „Abbild der Realität“ zu bezeichnenden Wahrheit hängt nicht zuletzt vom zu Grunde gelegten Realitätsbegriff ab; die entscheidende Vorfrage, die in der Rechtswissenschaft „gängige“ Wahrheitstheorien vernachlässigen, wenn sie in erster Linie auf die Ermittelbarkeit von Wahrheit abstellen, müsste daher lauten: was ist Wirklichkeit – genauer: wie lässt sich festlegen, was als Wirklichkeit gelten soll? Die Antwort kann – eingedenk der Tatsache, dass es „die“ Realität weder im naturwissenschaftlichen noch philosophischen Kontext gibt (und: geben kann) – nur lauten, dass Wirklichkeit allenfalls als Konstrukt existiert20, weswegen zu berücksichtigen ist, dass der Ansatz einer quasi-objektiven einheitlichen Inhaltsbestimmung der Begriffe „wahr“, „unwahr“, „realitätskonform“, „richtig“, „unrichtig“ und „falsch“ zum Scheitern verurteilt wäre21. Existiert eine „feststehende“ Realität nicht, besteht auch nicht die von der sog. „Korrespondenztheorie“ 22 vorausgesetzte Möglichkeit, an ihr die (möglicherweise noch vermeintlich objektivierte) „Wahrheit“ oder „Unwahrheit“ der Schilderung eines beweisrelevanten Geschehens festmachen zu wollen. Vielmehr ist es allein stimmig (und erforderlich), die Erkenntnis, dass feststehende Begriffe nicht existent sind, zuzulassen, und hinzunehmen, dass „alles im Unbestimmten bleibt“23. Da allenfalls Hilfskonstruktionen geschaffen werden können, liegt es nahe, zur pragmatischen Bestimmung des Wahrheitsbegriffes auf die „Konsensustheorie“24 zurückzugreifen. Die Feststellung der Wahrheit müsste Hilgendorf GA 1993, 547, 548; s. auch Habermas, Wahrheitstheorien, S. 160 Anm. 32. Eine Auflösung des (rechts-)philosophischen Diskurses zur Ermittlung der „richtigen“ Wahrheitstheorie muss und kann daher im gegebenen Rahmen nicht erarbeitet werden; insbesondere ist an dieser Stelle die Anwendbarkeit einer bestimmten Wahrheitstheorie oder eines bestimmten Wahrheitsbegriffes im forensischen Bereich bedeutungslos. Ebenso wenig kann es hier außerdem darauf ankommen, Position zur „subjektiven“ und „objektiven“ Aussagetheorie zu beziehen. 20 Vgl. nur Berger / Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, S. 21 ff.; aus Sicht der jüngeren Strafrechtsdogmatik: Müssig GA 1999, 119, 121 ff. 21 In diesem Sinne auch Grasnick, Wahres über die Wahrheit, S. 55, 69 ff. 22 Vgl. zu dieser verbreiteten Ansicht nur Hilgendorf GA 1993, 547, 548 ff. m. zahlreichen w.Nw.; stellvertretend für die Stimmen der Kritik: Grasnick, Wahres über die Wahrheit, S. 55, 57 ff. 23 Auch wenn diese Aussicht nicht allseits Beifall auslöst: vgl. exemplarisch Gössel, Ermittlung oder Herstellung von Wahrheit im Strafprozeß?, insbes. S. 14 ff., 18 f., mit seiner die Kausalverhältnisse umkehrenden Feststellung: wenn (und: da) ein solcher Realitätsbegriff nicht mit dem deutschen Strafverfahrensrecht zu vereinbaren sei, müsse er (d. h. der Realitäts- und Wahrheitsbegriff) unzutreffend sein. s. außerdem Kaufmann, Festschrift für Baumann, S. 119, 128. 24 Vgl. statt aller: Grasnick, Wahres über die Wahrheit, S. 55 ff.; Habermas, Wahrheitstheorien, S. 127 ff., 149 ff. und ders., Vorbereitende Bemerkungen zu einer Theorie der kom18 19

I. „Wahre“ und „falsche“ Aussagen

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dann grundsätzlich als (gedachtes) konsensuables Ergebnis eines zwischenmenschlichen Kommunikationsvorganges erfolgen, wobei auf die in einer „idealen“, diskursiv objektivierten, theoretischen Sprechsituation gebildete (potenzielle) Überzeugung aller, nicht nur einer bestimmten Gruppe, abzustellen wäre25. Auf dieser Basis ist eine Zuschreibung unumgänglich, aber auch möglich. Sie erfordert, zur Beurteilung der „objektiven“ Richtigkeit einer Aussage zu fragen, inwieweit eine Übereinstimmung mit der Realität unter Zugrundelegung der Konsensustheorie gegeben sein kann; was die „subjektive“ Richtigkeit angeht, muss eine Zeugenaussage das wiedergeben, was die jeweilige Aussageperson für mit der Realität übereinstimmend hält, um im Folgenden als „wahr“ bezeichnet werden zu können. Dies korrespondiert im Übrigen der aussagepsychologischen Erkenntnis, dass auch Wahrnehmung stets konstruktiv ist: „. . . den durch Reizmuster angeregten, sich selbst organisierenden Gehirnvorgängen werden im psychophysischen System Bedeutungen zugewiesen, die dann erst eine ,Wahr‘nehmung ausmachen. . . . (Diese konstruierte) Wirklichkeit (entspricht damit) der ,kommunikativen‘, ,symbolischen‘ Wirklichkeit des Strafprozesses“26. Danach soll im Folgenden als „wahr“ eine Aussage angesehen werden, wenn bezüglich ihrer Übereinstimmung mit der „Wirklichkeit“ (im Wesentlichen) allgemeiner Konsens herbeizuführen wäre. Ungewollt unrichtig beziehungsweise falsch werden Aussagen genannt, wenn Zeugen entsprechend ihrer Vorstellungswelt berichten und fälschlich meinen, in Konsens mit der (allgemeinen) Wirklichkeit zu sein oder eine fehlerhafte Vermittlung nicht zu verhindern vermögen. Als intentional falsch wird eine Aussage bezeichnet, wenn eine Auskunftsperson in ihrer Aussage bewusst von dem abweicht, was nach ihrer Auffassung (und der Auffassung der erforderlichen „Korrespondenzpersonen“) der Wirklichkeit entspricht, um bei Aussageadressaten einen Eindruck hervorzurufen, von dem sie annimmt, er sei falsch27.

munikativen Kompetenz, S. 129 ff., 136 ff. Kritisch zur Anwendbarkeit in der forensischen Praxis z. B. Kaufmann, Festschrift für Baumann, S. 119, 124 ff. und Hilgendorf GA 1993, 547, 553 ff.; s. insoweit auch o. Fn. 19. 25 Vgl. Habermas, Wahrheitstheorien, S. 136 / 137, 139 ff., 151 ff., 177 ff. und ders., Vorbereitende Bemerkungen zu einer Theorie der kommunikativen Kompetenz, S. 136: „Rekurs auf eine Übereinstimmung, die kontrafaktisch so gedacht wird, als wäre sie unter idealen Bedingungen zustandegekommen“ u. S. 138 ff. Zum Objektivierungsansatz s. Rüßmann, Festschrift für Wassermann, S. 789, 792. 26 Vgl. Fabian / Greuel / Stadler StV 1996, 347, 349, 350. 27 Vgl. auch die Definitionen bei Köhnken, Glaubwürdigkeit, S. 3 f.

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C. Zur Validität des Zeugenbeweises

II. Ungewollt unrichtige Aussagen28 Die Aussagespsychologie geht davon aus, dass allenfalls die Hälfte aller Zeugenaussagen zuverlässig sind29. Dabei stehen quantitativ (und qualitativ) nicht die bewusst unwahren Aussagen im Vordergrund, sondern die irrtümlich vom realen Geschehen abweichenden30. Hier gilt daher die Äußerung Sterns31: „Die fehlerlose Erinnerung ist nicht die Regel, sondern die Ausnahme.“ Die Feststellung, dass man „sich niemals vollkommen auf seine Wahrnehmungen“ (einzufügen ist: und deren intellektuelle Weiterverarbeitung) „verlassen kann“32, gehört schon lange zum Allgemeingut der Aussagepsychologie, scheint aber im juristischen Bereich immer noch wenig Verbreitung zu finden. Als Phasen der Aussageentwicklung wird abgestellt auf die Wahrnehmung, Verarbeitung und die verbale Reproduktion; alle drei Phasen sind fehleranfällig und Fehler auf einer dieser drei Ebenen können dazu führen, dass die schließlich abgegebene Zeugenaussage nur noch minimale oder gar keine Übereinstimmungen mit dem ursprünglichen Geschehensablauf aufweist33. Ungewollt unrichtige Zeugenaussagen basieren demgemäß auf den unterschiedlichsten Ursachen: in Betracht kommen zunächst (originäre) Fehlwahrnehmungen aufgrund mangelhafter „Ausgestaltung“ von Wahrnehmungsumfeld und -situation zur Zeit der Wahrnehmung oder aufgrund individueller Wahrnehmungsfehler der Aussageperson. Wurde die beweisrelevante Situation zutreffend aufgenommen, können Verarbeitungsfehler auftreten, die sich auf die Erinnerung des ursprünglich möglicherweise fehlerfrei Wahrgenommenen auswirken. Diese „Wahrnehmungsund Gedächtnisfehlleistungen“ finden ihren Ursprung in der spezifischen Funktionsweise des menschlichen Gehirns34. Eine scharfe Trennung zwischen Wahr28 Im Folgenden werden nur die wichtigsten Fehlerquellen exemplarisch und summarisch benannt, um einen Eindruck von der Vielzahl der einer Zeugenaussage anhaftenden Unwägbarkeiten zu vermitteln. Eine vollständige Darlegung aller in Betracht kommenden „Störfaktoren“ würde den thematischen Rahmen sprengen und kann hier nicht geleistet werden. Eingehende und aktuelle Darstellungen zur Thematik finden sich insbesondere bei Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 10 ff. und Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1365 ff. (vgl. auch die instruktive Übersicht bei Eisenberg, a. a. O., Rn. 1363), jew. m. zahlreichen Nw.; vgl. außerdem B. Schmitt, Die richterliche Beweiswürdigung im Strafprozeß, S. 315 ff. 29 Vgl. Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), S. VI und Rn. 453. 30 Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 2; in diesem Sinne auch schon R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 312. 31 Stern ZStW 22 (1902), 315, 327. 32 Trankell, Der Realitätsgehalt von Zeugenaussagen, S. 15. 33 Steller / Volbert, Glaubwürdigkeitsbegutachtung, S. 13. 34 Vgl. hierzu den wenn auch älteren, so doch – für neurophysiologisch in der Regel allenfalls laienhaft bewanderte Juristen – sehr anschaulichen Beitrag von Rüßmann, Festschrift für Wassermann, S. 789, insbes. 793 ff. Ein kurzer Überblick über die gängigen Annahmen zur Ausbildung der „Gedächtnisspuren“ findet sich bei Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor

II. Ungewollt unrichtige Aussagen

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nehmungs- und Verarbeitungsfehlern lässt sich nicht durchführen, die zu Grunde liegenden intellektuellen Prozesse sind eng verwoben. Daher können sich die einzelnen „Fehlerbereiche“ an zahlreichen Stellen überschneiden35; die Darstellung erfolgt hier jeweils an dem Punkt, der vornehmlich betroffen ist. Schließlich ist bei der Wiedergabe des Wahrgenommenen mit Übermittlungsfehlern aufgrund kommunikativer Fehlleistungen zwischen Aussage- und Vernehmungspersonen zu rechnen. 1. Wahrnehmungsfehler Darstellungen in der Studien- und Fachliteratur konzentrieren sich meist auf (im weitesten Sinne) äußere Umstände, durch die die menschliche Wahrnehmungsfähigkeit beeinträchtigt wird, während die innerpersonalen Aspekte, die ebenso zu Verfälschungen führen können, gerne außer Betracht gelassen werden. Dabei ist eine der wenigen relativ sicheren Erkenntnisse über die (bewusste) menschliche Wahrnehmung, dass diese selektiv erfolgt. Mit den unterschiedlichsten, über bestimmte augenfällige Hinderungsgründe hinausgehenden, Wahrnehmungsfehlern aller Aussagepersonen muss daher in der forensischen Praxis gerechnet werden.

a) Allgemeine Grenzen menschlicher Aufnahmefähigkeit Nicht nur die im Vergleich mit zahlreichen Tierarten mangelhafte menschliche Wahrnehmungsfähigkeit, was bestimmte Sinneseindrücke angeht, ist zu berücksichtigen, wenn es um die Grenzen der Aufnahmefähigkeit geht36. Das menschliche Auge sowie die übrigen Sinnesorgane fallen ebenso oft Sinnestäuschungen zum Opfer: so verändert sich ein wahrgenommenes Bild in Abhängigkeit vom Lichteinfluss, vom Umfeld und der Perspektive; Kontraste verändern den äußeren Eindruck37. Sehr schnell ablaufende Ereignisse („Turbulenzgeschehen“) können nicht genau wahrgenommen werden38. Geschwindigkeiten und Zeitabläufe werden überwiegend falsch eingeschätzt39. Nahezu unmöglich sind zuverlässige Aussagen Gericht (Bd. I), Rn. 6 f.; vgl. außerdem Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 28 ff. 35 Vgl. auch Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 110. 36 Langelüddeke / Bresser, Gerichtliche Psychiatrie, S. 28 ff.; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 33 ff.; Kühne NStZ 1985, 252; vgl. auch Szewczyk / Littmann, Empirische Ergebnisse forensisch-psychologischer Begutachtungen, S. 92 / 93. 37 Kühne NStZ 1985, 252; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 24 ff. 38 Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1365; Kühne NStZ 1985, 252; Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, S. 34; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 37 ff.; s. auch Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 92. 39 Kühne NStZ 1985, 252; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1368, 1369 (jew. m.Nw.): Ereignisse im Sekunden- und Minutenbereich werden regelmäßig für länger gehalten, lang-

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C. Zur Validität des Zeugenbeweises

zu Intensitätsunterschieden: Unterschiede in der Lichtintensität und z. B. Gewichtsdifferenzen werden meist falsch beurteilt; Entfernungen werden in einem Rahmen von einem bis zu fünf Metern recht genau geschätzt, im Nah- und Fernbereich sind Angaben hierzu aber regelmäßig fehlerhaft40. Unzuverlässig sind Schätzungen der Entfernung eines Geräuschs und der Richtung, aus der es kam41. Angaben über sonstige akustische, haptische oder kompliziertere olfaktorische Eindrücke übersteigen das durchschnittliche Wahrnehmungsniveau und können verlässlich – wenn überhaupt – nur von Personen mit spezieller Begabung oder Ausbildung erwartet werden42.

b) Individuelle körperliche Inkapazitäten mit Auswirkungen auf die Wahrnehmungsfähigkeit Körperliche Mängel von Beweispersonen sind häufig der Anlass unzutreffender Beweisergebnisse, wenn die Zeugen sich ihrer eingeschränkten Wahrnehmungsfähigkeit nicht bewusst sind oder sie jedenfalls gegenüber der Vernehmungsperson nicht eingestehen wollen. Relevant werden hier vor allem Hör- und Sehschwächen (Schwerhörigkeit, Fehlsichtigkeit, Farbenblindheit, Nachtblindheit) und die Frage, inwieweit sie zur Zeit der Wahrnehmung durch Hilfsmittel ausgeglichen wurden43. Nachteilig auf die Aufnahmefähigkeit wirken sich Erschöpfungszustände, insbesondere in Zusammenhang mit Müdigkeit oder Krankheit, aus. Wahrnehmungen, die unter Alkohol- oder sonstigem Betäubungsmitteleinfluss gemacht werden, können zweifelhaft sein; insbesondere was eine Alkoholisierung angeht, hängt die Lücken- und Fehlerhaftigkeit (auch bei intensiverem Konsum) stark von der individuellen Gewöhnung ab. Schließlich verringert die emotionale Belastung durch eigene oder fremde Probleme die Fähigkeit zur Aufnahme äußerer Eindrücke stark44. dauernde Ereignisse (ab mehreren Stunden) in der Regel für kürzer; nur in einem mittleren Bereich kommt es zu zutreffenden Schätzungen. Geschwindigkeitsschätzungen sind meist wertlos; zudem spielen hier Vorurteile hinein, vgl. Nack, Wiedergabe und Protokollierung von Zeugenaussagen, S. 70: „Auch Typ und Farbe des Autos spielen eine Rolle; ein roter Porsche fährt immer zu schnell.“ 40 Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1367; B. Schmitt, Die richterliche Beweiswürdigung im Strafprozeß, S. 318 m.w.Nw. 41 Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1366; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 43 f. 42 Vgl. Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 42, 45 ff. und Kühne NStZ 1985, 252, der beispielhaft Musiker, Blinde, Parfumeure benennt. 43 Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 80; Kühne NStZ 1985, 252; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 73; Trankell, Der Realitätsgehalt von Zeugenaussagen, S. 14. 44 Vgl. Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1425 a m.Nw.; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I und II), Rn. 73, 74, 946 ff.; Rüßmann, Festschrift für Wassermann, S. 789, 797; Steller / Volbert, Glaubwürdigkeitsbegutachtung, S. 34.

II. Ungewollt unrichtige Aussagen

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c) Einfluss äußerer Gegebenheiten auf die Wahrnehmung Auch Zeugen mit generell uneingeschränkten Wahrnehmungsfähigkeiten können das beweisrelevante Geschehen fehlerhaft aufnehmen, wenn äußere Gegebenheiten die Wahrnehmungsmöglichkeiten beeinträchtigen: Die Sehschärfe und die Fähigkeit zur Farberkennung lassen bei schlechten Lichtverhältnissen, wie z. B. in der Dämmerung, bei trübem und regnerischem Wetter, nach45. Die Anpassung an veränderte Lichtverhältnisse braucht Zeit und kann bei einem Wechsel vom Hellen ins Dunkle von (in der Regel mindestens) fünf Minuten bis hin zu einer halben Stunde oder in besonderen Fällen länger dauern; während dieser Zeit ist die Wahrnehmungsfähigkeit eingeschränkt. Beim Übergang von der Dunkelheit in helles Licht ist ein Mensch während der ersten fünf Sekunden praktisch blind46. In Abhängigkeit von Lichtverhältnissen, Gegebenheiten des Umfelds (z. B. Farbreflexionen) und Lichteinfall werden Farben verschieden wahrgenommen. Unterschiedliche Perspektiven haben Auswirkungen auf die Wahrnehmung eines Geschehens und können zu Verzerrungen in der Aufnahme führen; der äußere Eindruck von einem Gegenstand wird beeinflusst durch Kontraste, die ihn größer, kleiner, heller oder dunkler, langsamer oder schneller erscheinen lassen47.

d) Fehlwahrnehmungen aufgrund selektiver Aufmerksamkeitsspannen Überwiegend verkannte Ausgangspunkte unbewusst unrichtiger Zeugenaussagen sind innerpersönliche Aspekte, die sich auf die Wahrnehmung auswirken. Die Aufnahme von Ereignissen ins menschliche Bewusstsein erfolgt selektiv und schematisiert, um Reizüberflutungen zu vermeiden48. Ein Großteil der simultan aufgenommenen Umwelteindrücke erreicht daher nicht das Bewusstsein, sondern wird „ausgeblendet“49. Aussagepersonen kommen regelmäßig erst durch das Erleben von bestimmten, für sie häufig subjektiv bedeutungslosen Situationen, über die sie Bekundungen machen sollen, zu ihrer Zeugenrolle50. Aufgrund der Tendenz zu selektiver Wahr45 Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1365; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 34. 46 Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1365; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 35 f.; Kühne NStZ 1985, 252. 47 Kühne NStZ 1985, 252 / 253; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 25 f.; s. auch oben S. 77. 48 Trankell, Der Realitätsgehalt von Zeugenaussagen, S. 15; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), vor Rn. 21, 77; Szewczyk / Littmann, Empirische Ergebnisse forensisch-psychologischer Begutachtungen, S. 93 / 94. 49 „Begrenztheit der Simultankapazität“, vgl. Kühne NStZ 1985, 252, 253 und Barton, Fragwürdigkeiten des Zeugenbeweises, S. 31 m.w.Nw. 50 Vgl. die Darstellung bei Sporer / Meurer, Die Beeinflussbarkeit von Zeugenaussagen, S. 2 / 3.

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C. Zur Validität des Zeugenbeweises

nehmung haben körperliche Anwesenheit in der beweisrelevanten Situation und die Möglichkeit zur Wahrnehmung aber nicht notwendig Aufmerksamkeit und tatsächliche, bewusste Aufnahme zur Folge; so gehen zahlreiche Informationen verloren51. Die Selektion orientiert sich insbesondere an Erwartungen und der Interessenausrichtung; beides kann u. a. von der emotionalen Verfassung einer Beweisperson beeinflusst werden52. Bevorzugt werden Vorgänge aufgenommen, die eine Auskunftsperson, z. B. aufgrund bestimmter Vorkenntnisse, versteht beziehungsweise zu verstehen meint oder an denen sie gefühlsmäßig beteiligt ist53, denn hier ist das Interesse in der Wahrnehmungssituation regelmäßig am größten. Außerdem wird die Wahrnehmung eines Geschehens sowohl von an die handelnden Personen gerichteten Rollenerwartungen geprägt, als auch an Erwartungen bzgl. des möglichen weiteren Ablaufs eines Geschehens geknüpft54. Mit diesen Vorstellungen stimmige Informationen werden bevorzugt wahrgenommen55. Die Erwartungshaltungen, die die Einordnung eines Geschehens in einen spezifischen Sinnzusammenhang ermöglichen, beruhen auf eigenen Erfahrungen mit (scheinbar) vergleichbaren Situationen, auf sonstigen positiven oder negativen Vorurteilen, auf professioneller oder anderweitig veranlasster Vorbefassung sowie auf bestimmten Interessen, Angst- oder Wunschvorstellungen56. Hingegen fallen sich (regelmäßig) wiederholende Ereignisse, Routineabläufe, subjektiv von Zeugen für irrelevant erachtete Details und mit der Erwartungshaltung nicht übereinstimmende menschliche Verhaltensweisen oder Aspekte eines Geschehens durch ein Wahrnehmungsraster und werden – mit Ausnahme derjenigen, die wiederum als besonders prägnant hervorstechen, weil sie völlig unerwartet und überraschend sind – gar nicht oder nur unvollständig wahrgenommen57. 51 Kühne NStZ 1985, 252, 253; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 49, 50; vgl. auch die eingehende Darstellung bei Rüßmann, Festschrift für Wassermann, S. 789, 799. 52 Kühne NStZ 1985, 252, 253; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 18, 78 ff.; Szewczyk / Littmann, Empirische Ergebnisse forensisch-psychologischer Begutachtungen, S. 94 / 95; sehr plastisch beschrieben bei Trankell, Der Realitätsgehalt von Zeugenaussagen, S. 16 / 17; anschaulich, allerdings teilweise überholt auch Altavilla, Forensische Psychologie (Bd. I), insbes. S. 85 ff. 53 Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 19 f. 54 Kühne NStZ 1985, 252, 253; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 55 ff. 55 Kühne NStZ 1985, 252, 253. 56 Vgl. zum ganzen Kühne NStZ 1985, 252, 253 / 254; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 87 ff., 97 f., 101 ff.; auch Rüßmann, Festschrift für Wassermann, S. 789, 797 und Trankell, Der Realitätsgehalt von Zeugenaussagen, S. 18, 20. 57 Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1371 – 1373 mit zahlreichen Nw.; Sporer / Meurer, Die Beeinflussbarkeit von Zeugenaussagen, S. 3; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 6.

II. Ungewollt unrichtige Aussagen

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Im Wesentlichen nehmen Zeugen also nur wahr, was sie erwarten, denn die bewusste Wahrnehmung ist vom Interesse bestimmt und dieses von der Erwartungshaltung58. Sperren, die die Wahrnehmung ganz oder zum Teil blockieren, können ausgelöst werden durch erheblich affektiv belastete Situationen, wie sie z. B. durch die Beobachtung eines Gewaltdelikts oder sonstige, als erschreckend empfundene Ereignisse hervorgerufen werden59; eine derartige zum (faktischen) „Wahrnehmungsausfall“ führende Schock- oder Stresssituation kann schon gegeben sein, wenn das Verhalten bestimmter, regelmäßig den Zeugen nahe stehender Personen in eklatanten Widerspruch zu deren (bisheriger) Vorstellungswelt tritt60, denn in der Wahrnehmung werden innerpsychische Vorbedingungen mitverarbeitet, Denken und Fühlen sind in einem „integrativen Zusammenhang“ verbunden und lassen sich nicht vollständig trennen61. Die Subjektivität jeglicher Wahrnehmung führt aber nicht nur zur Nichtaufnahme von Informationen, sondern auch zur irrtümlichen Aufnahme nicht vorhandender Details: Geschehen, das sich in ein Erwartungsschema einfügen lässt, wird in einen passenden Sinnzusammenhang aufgenommen; hierdurch kann dann die subjektive – in Wirklichkeit vielleicht verfehlte – Sinngebung für die eigene Wahrnehmung gehalten werden62. Bereits auf der Wahrnehmungsebene entfalten also Faktoren Wirksamkeit, die – ohne dass die Aussageperson auch nur auf die Idee käme, eine inhaltlich unzutreffende Bekundung abgeben zu wollen – aufgrund eines bestimmten emotionalen Bezugs zu handelnden Personen die zutreffende Aufnahme verhindern können. Insbesondere wenn eine Beweisperson nicht wahrhaben will, dass ein ihr Nahestehender ein bestimmtes delinquentes Verhalten an den Tag legt oder wenn die Entdeckung oder Beobachtung eines solchen Geschehens sie in eine Stress- oder Schocksituation versetzt, ist mit Wahrnehmungsverzerrungen und -sperren zu rechnen. Bei den in einem Näheverhältnis zu einem der Verfahrensbeteiligten stehenden Personen ist daher schon auf der Wahrnehmungsebene das Fehlerpotential gegenüber anderen, (relativ) neutralen Zeugen zusätzlich erhöht. 58 Dass diese bewusst nicht wahrgenommenen „Daten“ auch unbewusst nicht aufgenommen werden, darf bezweifelt werden; jedenfalls sind sie aber (auf dem derzeitigen Stand) nicht bewusst reproduzierbar; vgl. die Ausführungen bei Rüßmann, Festschrift für Wassermann, S. 789, 799 ff. m.w.Nw.; s. auch Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 33, 37 ff. 59 Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1373 a m. Nw., 1393 m.Nw.; Rüßmann, Festschrift für Wassermann, S. 789, 802; s. auch Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 74 f. 60 Hier liegt eine Verknüpfungsstelle zur Verdrängung, vgl. unten S. 83. 61 Langelüddeke / Bresser, Gerichtliche Psychiatrie, S. 25, 29. 62 Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 58 ff., 81 ff.; Kühne NStZ 1985, 252, 253 m.w.Nw. An dieser Stelle befindet sich eine Schnittstelle zum „Auffüllen“ der Wahrnehmung, vgl. hierzu eingehend unten S. 83.

6 Jansen

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C. Zur Validität des Zeugenbeweises

2. Verarbeitungsfehler Erlebtes Geschehen wird im Gedächtnis weiterverarbeitet und vielfach bearbeitet. Dabei ist nicht nur das Vergessen von Bedeutung für das Erinnerungsvermögen; neben der Verdrängung bestimmter Erlebnisse spielen vor allem inhaltliche Beeinflussungen des (ursprünglich fehlerfrei) Wahrgenommenen durch andere in das Gedächtnis der Aussageperson aufgenommene Informationsinhalte eine wesentliche, auf der Grundlage des Alltagswissens häufig unterschätzte Rolle. Am häufigsten übersehen wird der erhebliche Einfluss zweier Gedächtnisfehlfunktionen: der Anreicherung und Überlagerung ursprünglicher Wahrnehmungen.

a) Vergessen Das Vergessen in Form des „zeitbedingten Verblassens von Gedächtnisinhalten“63 gehört zu den Mängeln des Zeugenbeweises, die weithin geläufig sind und wird vielfach für das wesentliche und entscheidende Verarbeitungsproblem gehalten. Generell ist anzunehmen, dass um so mehr und um so schneller vergessen wird, je schwächer und subjektiv irrelevanter der ursprüngliche Eindruck war, je intensiver die Inanspruchnahme durch vorhergehendes oder nachfolgendes Geschehen war und je länger das beweisrelevante Ereignis zurückliegt64. Vergessen stellt allerdings keinen entsprechend dem Zeitablauf kontinuierlich fortschreitenden Prozess dar, sondern erfolgt phasenweise. Die Vergessenskurve fällt am stärksten in den ersten Stunden nach einer Wahrnehmung ab. Der Vorgang verlangsamt sich im Lauf des ersten Tages, ist aber immer noch verhältnismäßig intensiv. Etwa nach Ablauf ca. einer Woche sinkt die Vergessenskurve langsamer ab; Erinnerungen, die ca. vier Wochen nach ihrer Wahrnehmung noch vorhanden sind, verblassen nur noch langsam. Wie schnell Informationen vergessen werden, hängt entsprechend dem oben Dargelegten auch davon ab, welcher Art sie sind: autobiographische Ereignisse werden besser eingeprägt und langsamer vergessen, auch nach sechs Jahren sollen hiervon noch 75% erinnerbar sein; von zunächst als subjektiv unbedeutend empfundenen „Daten“ geht hingegen mehr als die Hälfte bereits nach kurzer Zeit verloren und schon nach einigen Tagen sind hiervon mehr als 70% vergessen65.

Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1374. Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 114. 65 Eingehend Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 30 ff.; vgl. auch Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 116 und B. Schmitt, Die richterliche Beweiswürdigung im Strafprozeß, S. 320 / 321; Barton, Fragwürdigkeiten des Zeugenbeweises, S. 36 m.Nw. geht sogar davon aus, dass nach einer Woche regelmäßig nur noch 10% des ursprünglich Aufgenommenen erinnert werden. 63 64

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b) Verdrängung Das Gedächtnis tendiert außerdem dazu, Informationen, die es nicht „erträgt“, weil sie der übrigen individuellen Vorstellungswelt zuwiderlaufen, nicht aufzunehmen, umzudeuten oder zu verdrängen66. Dies geschieht vor dem Hintergrund des im Rahmen intellektueller Verarbeitung angelegten Strebens nach einem stimmigen Weltbild: die Umstrukturierung des gesamten Weltbildes wäre der kompliziertere Prozess, daher kann es zur (selbstständigen und unbewussten) Unterdrückung oder passenden Ergänzung neuer, zur bisherigen Vorstellungswelt inkongruenter Informationen kommen67. Dies ist insbesondere der Fall, wenn ein Geschehen dem Selbstbild oder der Vorstellung von bestimmten, insbesondere den Zeugen nahe stehenden Personen widerspricht68. Die Aussageperson kann hierdurch in eine Belastungssituation gelangen, die – wenn sie sich nicht schon auf die korrekte Aufnahme des Geschehens ausgewirkt hat – zu einer vollständigen oder teilweisen Verdrängung und damit letztlich zu einer inhaltlichen „Umstrukturierung“ des (unerträglichen) eigentlich Erlebten führt. Auch hier sind daher wiederum aufgrund eines Näheverhältnisses zu einem Verfahrensbeteiligten betroffene Beweispersonen besonders anfällig für Fehlleistungen. c) Auffüllen der lückenhaften Wahrnehmung Eine für das Beweisrecht verhängnisvolle Fehlleistung des Gedächtnisses ist die Tendenz, Wahrgenommenes eigenständig aufzufüllen, um so zu einer schlüssigen (aber unzutreffenden) Geschehensabfolge zu gelangen69. Dies geschieht bevorzugt dann, wenn die Wahrnehmung – z. B. aus einem der o.g. Gründe – unvollständig war oder ehemals wahrgenommene Details zwischenzeitlich vergessen wurden. Die Auffüllung erfolgt unter Rückgriff auf von außen vermittelte Zusatzinformationen oder auf vergleichbare Erlebnisse und Erfahrungssätze, von denen Einzelaspekte zur Anreicherung einer unvollständigen „Geschichte“ herangezogen werden70, so dass das vermeintlich Erlebte wiederum zu den subjektiven Erwartungen (s. o. S. 80) passt. 66 Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 151; vgl. auch Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, S. 67, Barton, Fragwürdigkeiten des Zeugenbeweises, S. 38 und Peters, Fehlerquellen im Strafprozeß, S. 87; krit.: Höfer / Langen u. a., Empirische Ergebnisse und theoretische Überlegungen zu verdrängten Erinnerungen, S. 165 ff., 176 f. 67 Vgl. Rüßmann, Festschrift für Wassermann, S. 789, 795. 68 Barton, Fragwürdigkeiten des Zeugenbeweises, S. 38; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 151, 152; Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, S. 67. 69 Instruktiv und lesenswert hierzu die Schilderung bei Trankell, Der Realitätsgehalt von Zeugenaussagen, S. 53 – 61. 70 Sog. „Fehl-Ergänzungen“; s. Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 33; Rüßmann, Festschrift für Wassermann, S. 789, 802; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 62 f., 119 ff.; Trankell, Der Realitätsgehalt von Zeugenaussagen, S. 17 / 18; Kühne NStZ 1985, 252, 253.

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C. Zur Validität des Zeugenbeweises

Derartige verfälschende Reproduktionsprozesse gehören zu den häufigsten Ursachen einer irrtümlich falschen Aussage71. Für den Verfahrensausgang verhängnisvoll ist dies deshalb, weil die Fehlvorstellung dem Aussagenden selbst zwangsläufig nicht bewusst ist und die Darstellung durch die fehlerhaft eingefügten Details abgerundet wird und damit scheinbar vollständig und wahrheitsgetreu wirkt. Aus der Schilderung ergibt sich aufgrund der Anreicherung mit realistischen, bei anderer Gelegenheit wirklich erlebten Details das komplexe und stimmige Bild eines in seiner (vermeintlichen) Vollständigkeit von der Auskunftsperson wirklich durchlebten Geschehens. Die Information dient scheinbar der Wahrheitsfindung, geschaffen wird in Wirklichkeit aber eine in sich völlig stimmige Fiktion72, die sich von den Verfahrensbeteiligten unbemerkt auf den Verfahrensausgang auswirkt. d) Überlagerung zutreffender Wahrnehmungen Ebenfalls kaum aufzudecken, um so weiter verbreitet und häufig durch die Strafverfolgungspraxis (mit-)verursacht sind Beeinträchtigungen der Erinnerung an ein bestimmtes Geschehen durch sog. Überlagerungen. Überlagerungen funktionieren zunächst nach dem gleichen Prinzip wie die soeben dargestellten „Auffüllungen“: Erlebtes Geschehen wird in der Erinnerung weiterverarbeitet und mit in anderem Zusammenhang aufgenommenen Informationen angereichert73. Anders als beim Auffüllen lückenhafter Wahrnehmungen wird beim Vorgang der Überlagerung wirkliches Geschehen nicht nur durch Hinzufügung von Details „lebensnäher“ gestaltet; vielmehr kommt es zur Verdrängung oder u.U. sogar zur endgültigen Überschreibung74 des bisherigen positiven (erinnerbaren) Wissens durch Integrierung anderer „Daten“, die mit dem ursprünglichen Sachverhalt nichts zu tun haben. Das Ergebnis derartiger Prozesse ist, dass eine Aussageperson der festen Überzeugung ist, ihr (in Wirklichkeit) manipulierter Gedächtnisinhalt spiegele ihre eigenen (zusammenhängenden) Wahrnehmungen wider; eine Differenzierung von in der Beweissituation selbst erlangtem und nachträglich hinzugefügtem „Wissen“ ist ihr in der Regel nicht mehr möglich75. Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 138. Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1374 a. 73 Vgl. Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 33 f. m.Nw.; Volbert, Suggestibilität kindlicher Zeugen, S. 40. 74 Inwieweit dieser Prozess reversibel ist oder nicht, ist noch ungeklärt; vgl. zu dieser Frage ausführl. Sporer / Kahmen, Irreführung von Zeugen durch Falschinformationen, S. 61 ff.; Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 33, 37 ff., 43 f. und insbes. 192 ff.; vgl. auch Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1376 ff. m.w.Nw. Liegt Irreversibilität vor, ist der alte Wahrnehmungsstand durch Überschreibung zerstört und auch durch entsprechende Vernehmungsmethoden keine „Wiederbelebung“ des ursprünglichen Wissens mehr möglich; handelt es sich um eine „bloße“, grundsätzlich rückgängig zu machende Überlagerung, ist die Information dennoch so lange verloren, bis entsprechende Befragungstechniken herausgearbeitet sind und angewendet werden können. 71 72

II. Ungewollt unrichtige Aussagen

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Eine Überlagerung erfolgt zum einen unter Rückgriff auf eigene Erfahrungen, Selbsterlebtes, das – in für den Wahrnehmenden wesentlichen Aspekten – mit dem beweisrelevanten Geschehen vergleichbare Züge trägt. Erinnerungen können zudem durch „beeinflussende Anreize“ von außen dauerhaft angereichert und überlagert werden: zusätzliche Informationen, die sowohl durch Verarbeitung weiterer in mehr oder weniger neutralem Zusammenhang (dies können Unterhaltungen mit Freunden und Verwandten, Medienberichte, aber auch Vernehmungssituationen sein) aufgenommener „Informationsschnipsel“, durch suggestive Befragungen, Fragestellungen, die Detail- und Zusatzinformationen enthalten, die mit der Realität des Selbst-Erlebten nicht übereinstimmen, selbst Fragestellungen, die die Erwartungen des Fragestellenden und sein Interesse an einem bestimmten Antwortergebnis erkennen lassen, können Anlass dafür sein, dass dieser Teil der Information (fälschlich) hinzugefügt wird und sich auf die Abrufbarkeit des originären „Datenbestandes“ auswirkt76. I.E. ist nachgewiesen worden, dass schon durch die suggestive oder auch nicht-suggestive Vermittlung falscher Informationen, die in das wahrgenommene Geschehen passen könnten, die Erinnerung verfälscht wurde77. Versuchspersonen geben an, bestimmte Details gesehen zu haben, nachdem ihnen indirekt über Fragestellungen oder über Sachverhaltsschilderungen deren Existenz suggeriert worden ist. Bereits die Vermittlung angeblicher Hintergrundinformationen (konkret: ein Autofahrer habe Fahrerflucht begangen) zu einem bestimmten Ereigniskomplex genügt, um die Versuchspersonen zu motivieren, sich an vermeintliche Details des Falles (dem Fahrer seien vor dem Unfall schon Fahrfehler unterlaufen) zu „erinnern“78. Selbst non-verbale Einflüsse können sich auswirken und die Erinnerung zu einer fehlerhaften machen. Hier erlangt die menschliche Neigung zu gruppenkonformem Verhalten Bedeutung: Eigene, zunächst fehlerfreie Wahrnehmungen werden verarbeitet unter Übernahme (antizipierter, entschlüsselter) fremder Erwartungen. So wie fremde Wahrnehmungen oder Vorstellungen, die z. B. durch Fragen oder Mitteilungen zur Kenntnis der Aussageperson gelangen, deren Erinnerung überschreiben oder auffüllen können, ist ein in seinen Auswirkungen identischer Prozess daher möglich für die Übernahme unausgesprochener fremder Erwartungen: Die 75 Vgl. Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1375 a; vgl. auch Franzen / Sporer, Personenverwechslungen durch irreführende Rekonstruktionsbilder, S. 229 ff. und dies., Personenverwechslungen und Möglichkeiten ihrer Vermeidung, S. 275 f.; Barton, Fragwürdigkeiten des Zeugenbeweises, S. 35; s. auch Fn. 74. 76 Vgl. Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1375 ff.; Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 183 ff.; Steller / Volbert, Glaubwürdigkeitsbegutachtung, S. 14; Sporer / Meurer, Die Beeinflussbarkeit von Zeugenaussagen, S. 4; Sporer / Kahmen, Irreführung von Zeugen durch Falschinformationen, S. 64 ff. 77 Vgl. Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1375; Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 179 ff., 181 jew. m.w.Nw. 78 Nw. und weitere Beispiele bei Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 181 ff. und Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1375, 1375 a, 1376; vgl. auch Foerster, Kann man Zeugen vor Gedächtnisverfälschungen warnen?, S. 82 ff.

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C. Zur Validität des Zeugenbeweises

jeweilige unausgesprochene Erwartung oder Einstellung des Gegenübers (z. B. hinsichtlich eines bestimmten Aussageinhaltes) wird erspürt und beeinflusst den Verarbeitungsprozess in diesem Sinne; die Erinnerung wird dahingehend verfälscht, dass die Auskunftsperson sich entgegen ihrer ursprünglichen eigenen Wahrnehmung an das zu erinnern meint, was ihre Vernehmungsperson hören will oder was deren Erfolgs- oder Misserfolgserwartungen entspricht79. In mehreren Untersuchungen stellte sich heraus, dass Versuchspersonen ihr Verhalten unbewusst nach der (von diesen teilweise gezielt zurückgehaltenen) Erwartung ihrer Betreuer ausrichteten, obwohl diese jeden bewussten Hinweis auf ihre Erwartungen vermieden. Nur wenn das wissenschaftliche Personal – mangels eigener Informationen – keine bestimmten Erwartungen hatte, fielen die Ergebnisse nach der Zufallsverteilung aus80. Hervorgerufen wird dieser Effekt durch die unbewusste Konformitätsbereitschaft beziehungsweise das Konformitätsbedürfnis eines Befragten81. Verstärkt wird er häufig noch durch (vermeintliche) Autorität der Befragungsperson oder anderer Gruppenangehöriger82. Da alle gruppendynamischen Prozesse große Bedeutung für Überlagerungen haben83, kann auch die Kommunikation zwischen mehreren Zeugen, u.U. noch unter Hinzuziehung weiterer (unbeteiligter) Personen, zur Herausbildung einer kollektiven „Schein-Erinnerung“ führen, die zu wesentlichen Teilen aus einer Vermischung diverser Spekulationen mit den verschiedensten subjektiven Erinnerungsfetzen der unterschiedlichen Zeugen besteht. Relevant wird dies, wenn Zeugen sich schon kannten oder kennenlernen und ihre Erlebnisse aus der Beweissituation austauschen, ungewollt vergleichen und abgleichen. Die gegenseitige Beeinflussung verfälscht und überlagert die bei den einzelnen Zeugen noch vorhandenen zutreffenden Erinnerungen84. Überlagerungsprozesse sind denkbar sowohl in Form einer „Hinzufügung“ von Details, die belastende Wirkung entfalten, als auch in Bezug auf eine „Verwischung“ derartiger Wahrnehmungen oder eine gleichermaßen wirksame Hinzufügung entlastender Details. Auch insoweit sind Personen, die aufgrund eines Näheverhältnisses zu Verfahrensbeteiligten stehen, aufgrund der Vielzahl der Einwirkungsmöglichkeiten besonders „gefährdet“, letztlich eine unbewusst unrichtige Aussage abzugeben. 79 Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 191 f.; Kühne NStZ 1985, 252, 254 m.Nw.; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 105 ff. 80 Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 184 / 185; Kühne NStZ 1985, 252, 254 mit zahlreichen Nachweisen. 81 Diese Beeinflussbarkeit ist der Grund dafür, dass in der Empirie zur Validierung von Forschungsergebnissen auf Doppelblindversuche zurückgegriffen wird, vgl. Kühne NStZ 1985, 252, 254 m.Nw. 82 Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 191; Kühne NStZ 1985, 252, 254, Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 107 f., jew. m.Nw. 83 Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1381 m.Nw. 84 Vgl. Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 159.

II. Ungewollt unrichtige Aussagen

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Beschleunigt und erleichtert wird der Anreicherungseffekt, wenn die (suggestive) Einwirkung von außen besonders intensiv, aber unauffällig erfolgt und die „Gedächtnisspur“85 eher schwach war: Je ungünstiger die ursprünglichen Wahrnehmungsbedingungen und je unsicherer daher die Wahrnehmung, aber auch je älter und verblasster eine ursprünglich „fehlerfreie“ Erinnerung ist, desto eher lässt sie sich beeinflussen; gleiches gilt, je beiläufiger eine Falschinformation vermittelt wird. Auch Wiederholung wirkt sich „positiv“ auf die verbesserte Aufnahme der Fehl-Information aus86. Fatal ist, dass besondere Gefährdungen durch die oben aufgezeigten Fehlerquellen aus im Rahmen eines Strafverfahrens veranlassten Zeugenbefragungen erwachsen: Zeugen, die sich bis dahin möglicherweise unbekannt waren, warten gemeinsam auf ihre Vernehmung und haben währenddessen hinreichend Zeit zum – wörtlich zu nehmenden – „Erinnerungs-Austausch“; völlig unabhängig von gezielten Versuchen, eine einheitliche Aussage abzugeben, muss es hier fast zwangsläufig zu Beeinflussungen des subjektiv Erinnerten kommen. Vernehmungspersonen gehen meist – etwa auf der Basis weiterer Ermittlungsergebnisse – mit einer bestimmten Erwartungshaltung in eine Zeugenbefragung hinein. Die Vernehmung wird oft nicht stringent auf die Entgegennahme eines zusammenhängenden Berichtes87 der Aussageperson hin ausgerichtet, die Fragestellung ist nicht „offen“, sondern vermittelt unterschiedliche Antwortalternativen oder lässt Antworten mit „ja“ oder „nein“ genügen. Ein Rückgriff auf suggestive oder drängende Fragetechniken ist besonders häufig, zur Erlangung einer möglichst umfassenden Aussage werden Informationen gegeben, die zum beweisrelevanten Erlebnis passen könnten, daher adaptierbar und besonders gut in die Erinnerung integrierbar sind88. Einzelheiten aus in einem Strafverfahren entstandenen und protokollierten Aussagen, die vorgehalten werden, können aufgrund ihrer – aus Sicht des Zeugen u.U. – vermeintlich größeren Zuverlässigkeit noch eine verstärkt suggestive, zur Übernahme geradezu auffordernde Wirkung entfalten. Zudem steht im Hintergrund stets der Vorwurf der Falschaussage, wenn eine Aussage von anderen abweicht89. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass auch durch die „Zwischenschaltung“ dritter Personen, insbesondere etwa Dolmetschern, die durch Nachfragen Aussageund Geschehens-Alternativen suggerieren, der Gedächtnisinhalt einer Aussageperson manipuliert werden kann90.

85 Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1378; Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 183, 187. 86 Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1378, 1379 m.Nw. 87 Vgl. § 69 Abs. 1 StPO. 88 Vgl. nur Kühne NStZ 1985, 252, 255. 89 Vgl. Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1377; Trankell, Der Realitätsgehalt von Zeugenaussagen, S. 28 / 29; Nack, Wiedergabe und Protokollierung von Zeugenaussagen, S. 73 ff. 90 Vgl. Arntzen, Vernehmungspsychologie, S. 20 f. mit weiteren Beispielen.

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C. Zur Validität des Zeugenbeweises

3. Übermittlungsfehler Sind Zeugen nicht in der Lage, eine (hier soll unterstellt werden: fehlerfrei wahrgenommene und erinnerte) Information zutreffend und vollständig wiederzugeben, kann auch daraus eine unrichtige Aussage resultieren und Bestandteil der Akten oder Gegenstand der Urteilsfindung werden. Fehlerbehaftet können Aussagen etwa werden, wenn es Zeugen nicht gelingt, ein (insbesondere komplexes) Geschehen hinreichend präzise zu schildern, oder wenn sie Fragen missverstehen oder gar nicht verstehen, dies aber nicht zugeben wollen und daher unzutreffend antworten. Zu bedenken ist, dass die psychische Verfassung der Aussageperson sich auf die Konzentrationsfähigkeit und damit die Fähigkeit zur Wiedergabe des Erlebten auswirkt: Sind Zeugen überlastet, erschöpft oder übermäßig angespannt, schränkt dies ihre Erinnerungs- und Wiedergabefähigkeit ein. Vor allem Zeugen, die in einem Verfahren aussagen müssen, in das eine ihnen nahe stehende Person verwickelt ist, befinden sich in extremen emotionalen Belastungssituationen, durch die – unabhängig von jedweder absichtlichen Falschaussagetendenz – schon ihr Aussagevermögen ganz erheblich negativ beeinflusst wird91. Vermittlungsschwierigkeiten von Aussagepersonen beruhen nicht nur auf eigenen Problemen oder Unzulänglichkeiten, sondern finden vielfach ihre Ursache in der Vernehmungssituation: Diese kann als belastend oder einschüchternd empfunden werden, so dass eine sachgerechte Aussage erschwert oder unmöglich wird. Zudem führen Vernehmungsfehler, die Beeinflussung durch einen bestimmten Fragestil, drängende oder suggestive Befragungstechniken, aber auch etwa sprachliche Vorgaben durch die Vernehmungsperson zur Verfälschung der Aussage92.

III. Intentional unrichtige Aussagen Wie oben dargelegt, resultieren die meisten unzuverlässigen Zeugenaussagen aus Fehlerquellen, die den Beweispersonen nicht bewusst sind. Hingegen wurde, wenn es um die Ermittlung des Ursprungs fehlerhafter Zeugenaussagen ging, nicht nur in der älteren Literatur ein Schwerpunkt auf die intentional unrichtigen Aussagen gesetzt; auch heute noch befassen sich die aussagepsychologischen Standardwerke vorrangig mit der bewussten Falschaussage. Dem korrespondiert in der Forensik eine Konzentration auf diesen Aspekt, während andere Fehlerquellen nur wenig ausführlich behandelt werden93. 91 Vgl. nur B. Schmitt, Die richterliche Beweiswürdigung im Strafprozeß, S. 326, 327 m.w.Nw.; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 165. 92 Vgl. Arntzen, Vernehmungspsychologie, S. 6 ff.; Peters, Fehlerquellen im Strafprozeß, S. 88 / 89; ähnlich B. Schmitt, Die richterliche Beweiswürdigung im Strafprozeß, S. 327 / 328. Zu den Vernehmungsfehlern gleich unten IV., S. 93 ff. 93 Vgl. aus neuerer Zeit nur exemplarisch BGHSt 45, 164 ff.; der Einfluss anderer Faktoren auf die Qualität von Zeugenaussagen wird dort recht beiläufig behandelt.

III. Intentional unrichtige Aussagen

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In mehreren empirischen Untersuchungen wurde der Ansatz verfolgt, die Ursachen intentional unrichtiger Aussagen herauszuarbeiten. Dabei erwies sich, dass Hintergrund gezielter Falschaussagen Motivbündel sind, die in Korrelation zu den erwarteten Auswirkungen einer Aussage stehen94. Neben bewussten wirken sich auch die unbewusst bei der Aussageperson vorhandenen Motive auf die Richtigkeit einer Zeugenaussage aus95. Stets ist zu berücksichtigen, dass es sich bei den aufgezählten Beweggründen nur um potenzielle Falschaussagemotive handelt. Es kann keineswegs davon ausgegangen werden, das Vorliegen dieser Motive zöge quasi zwangsläufig die Abgabe einer falschen Zeugenaussage nach sich; die Feststellbarkeit der im Folgenden als Falschaussagemotive aufgeführten Kriterien ist im Einzelfall allenfalls ein Indiz dafür, dass die Validität einer Zeugenaussage mit einem erhöhten Risiko behaftet sein könnte96. Bewusst falsche Aussagen resultieren in der Regel aus von den Zeugen subjektiv als Zwangslage empfundenen Situationen97, in denen sie sich vor die Entscheidung gestellt sehen zwischen Einhaltung ihrer Wahrheitspflicht und der Wahrung (unmittelbarer oder mittelbarer) Eigeninteressen. Deutlich häufiger als sachliche Beziehungen zum Prozessgegenstand erwiesen sich persönliche Belange der Zeugen als Handlungsantrieb98: Auf engen emotionalen Verknüpfungen basierende zwischenmenschliche Beziehungen sind das bei weitem meistverbreitete Motiv falscher Aussagen99. Auslöser der Ablegung einer Falschaussage ist am häufigsten das Bedürfnis, sich selbst (unmittelbares Eigeninteresse) oder Personen, denen gegenüber ein Gefühl besonderer Nähe empfunden wird (hier verstanden als mittelbares Eigeninteresse, einer nahe stehenden Person behilflich sein zu können) bestimmte Vorteile zu verschaffen oder von sich selbst oder diesen Personen negative Konsequenzen – sei es aufgrund staatlicher Strafverfolgungsansprüche, finanzieller Belastungen oder sozialer Probleme – abzuwenden100; hier ist das Risiko einer Falschaussage deutlich erhöht101. 94 Büttikofer, Die falsche Zeugenaussage aus kriminologischer Sicht, S. 177 ff.; Peters, Fehlerquellen im Strafprozeß, S. 75; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1453; Rüßmann, Festschrift für Wassermann, S. 789, 804. 95 Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 172. 96 Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 173, 175 f.; s. auch Brenner Kriminalistik 1984, 490, 510. 97 Büttikofer, Die falsche Zeugenaussage aus kriminologischer Sicht, S. 39, 178. 98 Büttikofer, Die falsche Zeugenaussage aus kriminologischer Sicht, S. 98 / 99 ff. 99 Gemeint sind Paarbindungen familiärer ebenso wie außerfamiliärer Art und enge verwandtschaftliche Verhältnisse; vgl. Büttikofer, Die falsche Zeugenaussage aus kriminologischer Sicht, S. 84 m.Nw. 100 Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, S. 99; Büttikofer, Die falsche Zeugenaussage aus kriminologischer Sicht, S. 84 / 85 f.; Peters, Fehlerquellen im Strafprozeß, S. 60, 71 f.

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C. Zur Validität des Zeugenbeweises

Zu den nahe stehenden Personen, die durch eine bestimmte Aussage geschützt werden sollen, gehören neben Verwandten in erster Linie die Partner in einer Liebesbeziehung102. Häufig werden außerdem zugunsten von Freunden, Bekannten, Kollegen und vergleichbaren Personenkreisen103, also im Grunde allen, zu denen eine im weitesten Sinne affektive oder von einem gewissen Verantwortungs- und Zugehörigkeitsgefühl geprägte Beziehung besteht, unrichtige Zeugenaussagen abgegeben. Auch Hilfsbereitschaft, resultierend aus freundschaftlichem, bloßem kameradschaftlichen oder sonstigen gesellschaftlichen Umgang, verleitet schon zu falschen Bekundungen104. All diese Aussagen können begünstigend mit Rücksicht auf die den Zeugen nahe stehenden – nicht zwingend verfahrensbeteiligten – Personen und ebenso gut belastend zum Nachteil eines Dritten sein, wenn mit der Fremdbelastung die Entlastung der geschützten Person einhergehen soll105. Dies gilt vom Grundsatz her ebenfalls für selbstbegünstigende Aussagen. Selbstbegünstigende falsche Aussagen finden sich da, wo Personen Angst haben, sich selbst einer Strafverfolgung auszusetzen oder sonstige eigene Nachteile befürchten, sei es finanzieller oder sozialer Art106. Als Hintergrund eigennütziger Falschaussagemotive kommt familiären und sonstigen Abhängigkeitsverhältnissen besondere Bedeutung zu. Ein „bloß“ finanzielles Abhängigkeitsverhältnis – z. B. zu einem Arbeitgeber – entfaltet noch einen vergleichsweise geringen Motivationsdruck im Vergleich zu der Betroffenheit in eigener Sache, wenn Verwandte oder sonstige Personen, zu denen eine intensive Nähebeziehung besteht, in ein (Straf-)Verfahren verwickelt sind: hier reicht das Spektrum von der existentiellen Abhängigkeit, weil bei einer Verurteilung eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation droht oder sogar die Lebensgrundlage gefährdet ist, über das – real nicht fundierte, aber um so stärker empfundene – Gefühl der existentiellen Abhängigkeit bis zur emotionalen Abhängigkeit aufgrund der personalen Bindung oder eigenem 101 Büttikofer, Die falsche Zeugenaussage aus kriminologischer Sicht, S. 78 ff.; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1453; Rüßmann, Festschrift für Wassermann, S. 789, 803, 804 f.; Nack Kriminalistik 1995, 257; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 184; Peters, Fehlerquellen im Strafprozeß, S. 60, 69 ff., 75. 102 Vgl. Altavilla, Forensische Psychologie (Bd. I), S. 88: Liebe als „Fundamentalleidenschaft des sozialen Zusammenlebens“. 103 Vgl. Büttikofer, Die falsche Zeugenaussage aus kriminologischer Sicht, S. 79 ff., 100 ff.; Peters, Fehlerquellen im Strafprozeß, S. 60, 71 f. m.Nw., 75; Rüßmann, Festschrift für Wassermann, S. 789, 804; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 184 und Nack Kriminalistik 1995, 257, 258: „Bier ist dicker als Blut“. 104 Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, S. 100; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 175, 176; vgl. auch Büttikofer, Die falsche Zeugenaussage aus kriminologischer Sicht, S. 86 f. 105 Peters, Fehlerquellen im Strafprozeß, S. 60, 75. 106 Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, S. 99; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 176, 188; Büttikofer, Die falsche Zeugenaussage aus kriminologischer Sicht, S. 93 f.; Peters, Fehlerquellen im Strafprozeß, S. 75 f.

III. Intentional unrichtige Aussagen

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schlechtem Gewissen. Häufig wird seitens des näheren sozialen Umfelds Druck ausgeübt107. Anlass zur Falschaussage gibt mitunter schon die Angst vor dem Verlust des Ansehens108. Auch die Scheu, Schwierigkeiten mit Nachbarn, Arbeitskollegen oder vergleichbaren Personen auf sich zu nehmen, eher niederschwellige soziale Sanktionen also, kann das Motiv einer (insbesondere drittbelastenden oder -entlastenden) Falschaussage sein109. Gefährdungspotential für die Richtigkeit einer Aussage ergibt sich zudem, wenn Zeugen ihnen u.U. nicht einmal sonderlich nahe stehende Personen durch Verfälschungen begünstigen, weil die Falschaussage „nur“ zu Lasten einer Organisation oder Institution (d. h. einem nicht als Opfer individualisierten anonymen Verband, z. B. Versicherungen, Banken, dem Staat) geht, die nicht als geschädigtes Individuum angesehenen wird110. Eine solche Konstellation findet sich am ehesten im Zivilprozess, wird jedoch auch im Strafverfahren relevant, wo eine Straftat zum Nachteil einer solchen Institution zur Verhandlung ansteht. Häufig kommt es zu – in der Regel abschwächenden, begünstigenden – Falschaussagen von Personen, denen eine Verfahrensbeteiligung als Zeuge zu beschwerlich ist111. In der Regel zu Ungunsten des Beschuldigten gefärbt sind Falschaussagen aus Vergeltungsbedürfnis, persönlicher Abneigung oder dem Gefühl, der Beschuldigte sei – unabhängig von der rechtlichen Beurteilung des Falles im einzelnen – jedenfalls strafwürdig112. Schließlich wird darauf hingewiesen, dass es mitunter zu Falschaussagen (meist: übertreibenden Anschuldigungen) aus Geltungsbedürfnis kommt. Hier muss einschränkend erwähnt werden, dass Falschaussagen aus Geltungsbedürfnis dann eher unwahrscheinlich sind, wenn die Auskunftsperson durch sie in eine peinliche, sie selbst kompromittierende und von ihr als unangenehm empfundene Situation gerät; 107 Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, S. 99 / 100, 114; vgl. auch Büttikofer, Die falsche Zeugenaussage aus kriminologischer Sicht, S. 87. 108 Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1453; Nack Kriminalistik 1995, 257; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 176, 188, 304; vgl. auch Büttikofer, Die falsche Zeugenaussage aus kriminologischer Sicht, S. 61, 79, 88 ff. (wobei fraglich ist, ob Büttikofers Ergebnisse angesichts veränderter gesellschaftlicher Verhältnisse heute noch Geltung beanspruchen könnten). 109 Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, S. 99. 110 Rüßmann, Festschrift für Wassermann, S. 789, 803, 804 f.; Nack Kriminalistik 1995, 257; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 167, 175. 111 Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, S. 99; Peters, Fehlerquellen im Strafprozeß, S. 75. 112 Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1453; Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, S. 97 f.; Büttikofer, Die falsche Zeugenaussage aus kriminologischer Sicht, S. 93; Peters, Fehlerquellen im Strafprozeß, S. 77; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 190; Rüßmann, Festschrift für Wassermann, S. 789, 804.

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C. Zur Validität des Zeugenbeweises

diese Feststellung gilt insbesondere für Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung113. Aus der recht summarischen Aufstellung ergibt sich, dass die Motive zur Abgabe intentionaler Falschaussagen außerordentlich zahlreich und sehr vielfältig sind. Als relativ sicher können danach – neben Aussagen, die für die Zeugen unangenehme, sie kompromittierende Tatsachen enthalten114 – eigentlich nur Bekundungen angesehen werden, die von Aussagepersonen abgegeben werden, die in der Sache und in Bezug auf sämtliche Beteiligten „neutral“ sind und daher auf (so weit dies möglich ist) uneigennützigen Motiven beruhen115; insoweit bestätigt sich bei den intentional falschen Aussagen die über Jahrhunderte tradierte und praktizierte Zurückhaltung als nicht völlig unbegründet. „Neutralität“ dürfte allerdings nur einem geringen Teil aller als Zeugen in Frage kommenden Personen zu attestieren sein116, weil häufig Täter (und Tatverdächtige), Opfer und Zeugen aus dem gleichen Umfeld kommen; zumindest Delikte – im weitesten Sinne – gegen die Person, die gegen völlig Fremde gerichtet sind und vor völlig Fremden begangen werden, sind eher selten117. Beim verbleibenden Teil der Beweispersonen ist zu berücksichtigen, dass sie aufgrund verbreiteter 113 Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, S. 96 f.; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 189; vgl. auch Büttikofer, Die falsche Zeugenaussage aus kriminologischer Sicht, S. 90 ff. 114 Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, S. 97. 115 Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, S. 85; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 185 f.; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1454; Rüßmann, Festschrift für Wassermann, S. 789, 804. 116 Ein besonderer Fall sind etwa Vernehmungen von Polizeibeamten. Traditionell wurden und werden wohl immer noch Polizisten als besonders gute, erfahrene, zuverlässige Zeugen betrachtet (diff. Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. II), Rn. 876 ff.; krit. Meyer-Mews NJW 2000, 916, 917; Goecke StraFo 1990, 76 ff.). Dabei blieb allerdings häufig unberücksichtigt, dass ein (mindestens subjektiv empfundenes) Eigeninteresse auch bei diesen Zeugen bestehen kann, worauf Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1455, Goecke, a. a. O., 76 (der die an einen Polizeibeamten nach einer Hauptverhandlung gerichtete Frage „Na, haste gewonnen?“ wiedergibt) und Meyer-Mews (a. a. O., m.w.Nw.; s. auch die Bei-spiele bei Bender / Nack, a. a. O., Rn. 874, 875, 882 f.) zu Recht hinweisen: es liegt nahe, dass Ermittlungsbeamte dazu neigen, sich mit dem Ausgang „ihres“ Falls zu identifizieren und das gerichtliche Tätigwerden als „Qualitätskontrolle“ ihrer Arbeit anzusehen (Eisenberg, a. a. O.; Goecke, a. a. O., 76 / 77); aufgrund des Einsatzes zur Täterschaftsermittlung mag die Neutralität gegenüber der Schuld / Unschuld des von der Polizei „überführten“ (und nunmehr angeklagten) Tatverdächtigen in Frage stehen. Zudem steht jedes Mal auch die Verfahrensförmigkeit des polizeilichen Vorgehens im Vorverfahren inzidenter zur Prüfung an; auch hier können Individualinteressen die Verschleierung von Einzelheiten nahe legen. Mit Vorsicht zu begegnen ist außerdem den Aussagen von V-Personen und (anderen) Kronzeugen, deren „Neutralität“ aufgrund der von ihnen in Zusammenhang mit ihrer Aussage zu erwartenden Konsequenzen häufig zweifelhaft sein mag. 117 Vgl. hierzu Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1454 und Eisenberg, Kriminologie, § 28 Rn. 83, § 55 Rn. 12 ff., 29 f. (betr. Anzeigeerstattung: § 26 Rn. 19 ff.) jew. m.Nw.; Büttikofer, Die falsche Zeugenaussage aus kriminologischer Sicht, S. 61, s. auch S. 96 ff.

IV. Fehler der Vernehmungspersonen

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(positiver oder negativer) „Gruppenvorurteile“ bezüglich bestimmter Verhaltensweisen oder bestimmter Bevölkerungs-, Berufs-, Altersgruppen häufig nicht völlig unvoreingenommen und daher ebenfalls nicht „neutral“ sind118.

IV. Fehler der Vernehmungspersonen und ihre Auswirkungen auf die Zuverlässigkeit des Personalbeweises Unrichtige Aussagen beruhen nicht isoliert auf bewussten oder unbewussten Fehlleistungen von Zeugen; auch Vernehmungspersonen nehmen durch Fehler bei der Vernehmung Einfluss auf die Verfälschung einer Zeugenaussage119. Betrachtet man eine Vernehmung als einen Kommunikationsvorgang, der in einem (gemeinsamen) Rekonstruktionsprozess zur Aushandlung des Aussageinhalts führt120, wird klar, wieso das Verhalten und die Persönlichkeit von Vernehmungspersonen einen großen Einfluss auf die Aussageentstehung hat. Das den Vernehmungsfehlern innewohnende besonders hohe Gefährdungspotential ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass es zweifelhaft ist, ob der Vernehmungsperson in jedem Fall die ihr unterlaufenden, häufig außerordentlich subtilen, Fehler bewusst werden beziehungsweise ob diese – insbesondere in der Praxis eines Strafverfahrens – überhaupt kontrollierbar sind121. Fehler der Vernehmungspersonen stehen vielfach in engem Zusammenhang mit der Nichtbeachtung oder Unkenntnis der unter C.II. aufgezeigten Fehlerquellen, sie manifestieren sich in der fehlenden Kapazität zum Ausgleich und Aufdecken der oben aufgezeigten Fehlerquellen, in Vernehmungsfehlern und der Schaffung einer angespannten, fehlerbegünstigenden Vernehmungssituation.

1. Mängel in der Vernehmungstechnik Verfehlte Vernehmungsmethoden tragen zur Entstehung oder Verstärkung der den Zeugenaussagen anhaftenden Fehlerquellen bei: Sie wirken sich nachteilig auf das Aussageverhalten aus und können zu Überlagerungen der „richtigen“ Erinnerung beziehungsweise Wahrnehmung führen. Insbesondere wenn Zeugen nicht die Gelegenheit gegeben wird, einen eigenständigen zusammenhängenden Bericht122 118 Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1454; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), S. VI und Rn. 185 („den wirklich neutralen Zeugen (gibt es) gar nicht“), 186; Rüßmann, Festschrift für Wassermann, S. 789, 805: „Das Bild vom neutralen Zeugen ist Fiktion“. 119 Barton, Fragwürdigkeiten des Zeugenbeweises, S. 42. 120 Vgl. Nack, Wiedergabe und Protokollierung von Zeugenaussagen, S. 73 m.w.Nw. 121 Vgl. auch Barton, Fragwürdigkeiten des Zeugenbeweises, S. 55. 122 Wie ihn § 69 Abs. 1 StPO voraussetzt.

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C. Zur Validität des Zeugenbeweises

abzugeben und die Fragestellung nicht grundsätzlich offen erfolgt, liegen Verfälschungen einer Zeugenaussage nahe123. a) Setzt die Vernehmungsperson Zeugen unter Druck oder behandelt sie sonst unangemessen, kann diese Belastung sich auf die Erinnerungs- und Wiedergabefähigkeit auswirken124. Gleiches gilt z. B. für ein zu rasches Vernehmungstempo, durch das Zeugen überfordert werden125. In beiden Fällen wird die Reproduzierbarkeit des Erlebten beeinträchtigt. b) Wie schon dargelegt führen bestimmte Vernehmungstechniken, insbesondere suggestive126 oder auf andere Art und Weise Informationen vermittelnde Befragungsstile zu unkontrollierten „Anreicherungen“ (Wahrnehmungsergänzungen, -auffüllungen, -überschreibungen) der Erinnerung einer Aussageperson127. Ausreichend ist bereits die Vorgabe von Informationen in der Frageform, hierbei wirken sich am stärksten eher beiläufige Hinweise aus. Schon kleine Veränderungen in der Frageformulierung, sogar die Verwendung entweder eines unbestimmten oder eines bestimmten Artikels, können aufgrund der Beeinflussung des Vorstellungsbildes der Aussageperson zu unterschiedlichen Aussagen führen128. Die Wiederholung einer Frage kann von den Befragten als Kritik aufgefasst und so interpretiert werden, dass die bisherige Antwort unzureichend oder falsch war und zu spekulativen Ergänzungen oder Aussageabänderungen Anlass geben. Vor allem geschlossene und all die Fragen, die mit „ja“ oder „nein“ zu beantworten sind, geben meist die erwartete Antwort vor, mit dem Ergebnis, genau diese Antwort zu provozieren. Die Äußerung von Zweifeln kann zur Folge haben, dass der entsprechende Aussageteil unterdrückt oder verändert wird129. Besonders erinnerungs- und aussageverzerrend wirkt der einer Aussageperson gemachte Vorhalt früherer oder anderer Aussagen130. Durch wiederholte suggestive Befragungen verstärkt sich der 123 Vgl. auch Arntzen, Vernehmungspsychologie, S. 21 ff.; Peters, Strafprozeß, S. 403; s. außerdem Lange, Fehlerquellen im Ermittlungsverfahren, S. 83 ff. 124 s. Peters, Strafprozeß, S. 403; Barton, Fragwürdigkeiten des Zeugenbeweises, S. 57; vgl. außerdem Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. II), Rn. 532 (s. auch Rn. 609); Arntzen, Vernehmungspsychologie, S. 13 ff. 125 Arntzen, Vernehmungspsychologie, S. 11. 126 Kühne NStZ 1985, 252, 255; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 587 ff.; eingehend Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 183 ff.; Arntzen, Vernehmungspsychologie, S. 23 ff. 127 Trankell, Der Realitätsgehalt von Zeugenaussagen, S. 28 / 29; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 587; vgl. auch Arntzen, Vernehmungspsychologie, S. 14; Peters, Strafprozeß, S. 403. 128 Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 34, 183; Steller / Volbert, Glaubwürdigkeitsbegutachtung, S. 14 m.w.Nw.; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 587. 129 Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. II), Rn. 602 ff.; Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 184; Nack, Wiedergabe und Protokollierung von Zeugenaussagen, S. 73 ff.; Arntzen, Vernehmungspsychologie, S. 23, 26, vgl. auch ders., a. a. O., S. 8 ff. 130 Arntzen, Vernehmungspsychologie, S. 26 / 27 ff.

IV. Fehler der Vernehmungspersonen

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Falschinformationseffekt131. Eine Umformung des Gedächnisinhaltes kann sich außerdem schon durch non-verbale „Informationsvermittlung“ ergeben132. Gehen diese Einwirkungen auf das Erinnerungsvermögen eines Zeugen von der Vernehmungsperson selbst aus und ist diese sich ihres Einflusses nicht bewusst, ist die Chance zu einer Nivellierung durch Entdeckung außerordentlich gering. c) Der Inhalt einer Aussage kann verfälscht werden, wenn Vernehmungspersonen durch ihre Fragen sprachliche Formen vorgeben, die den Zeugen eine Antwort erleichtern. Wählen diese die angebotene, vorgegebene Formulierung, die nicht vollständig mit dem von ihnen Erlebten übereinstimmt, aber besser klingt und – dank Vorgabe – leichter zu finden war, ist die Aussage wiederum inhaltlich verzerrt133. d) Zu Verfälschungen des Beweisergebnisses können die Erwartungen oder Arbeitshypothesen der Vernehmungsperson führen: die meisten Menschen neigen dazu, ihr Verhalten bewusst oder unbewusst den Erwartungen ihrer Außenwelt anzupassen134. Dieser Effekt verstärkt sich, wenn sie ihrem Gegenüber eine besondere Autorität oder Machtfülle, einen erleichterten Zugang zu Sanktionierungsmöglichkeiten zuschreiben, was bei amtlichen Vernehmungspersonen wie Polizeibeamten, Staatsanwälten, Richtern häufig der Fall ist. Hierdurch können Aussagepersonen zu einer unbewusst an den erspürten Interessen der Vernehmungsperson orientierten Aussage, insbesondere durch Auslassung oder bestimmte Färbung und Gewichtung der (ursprünglich zutreffend) wahrgenommenen Details, motiviert werden135; geht die Vernehmungsperson von einem bestimmten Ergebnis aus, kann sie den Vernommenen daher, ohne dass es ihr selbst bewusst ist, zur erwarteten, mit der Hypothese übereinstimmenden Aussage veranlassen136.

Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 184. Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 184 / 185; Kühne NStZ 1985, 252, 254; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 585. s. auch sogleich unter d). 133 Kühne NStZ 1985, 252, 255; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. II), Rn. 562; B. Schmitt, Die richterliche Beweiswürdigung im Strafprozeß, S. 327; vgl. auch Arntzen, Vernehmungspsychologie, S. 28. 134 Trankell, Der Realitätsgehalt von Zeugenaussagen, S. 27. 135 Trankell, Der Realitätsgehalt von Zeugenaussagen, S. 28 / 29; Kühne NStZ 1985, 252, 254 / 255; vgl. auch Nack, Wiedergabe und Protokollierung von Zeugenaussagen, S. 74. Verstärkt durch eine Protokollierung kann sich dies außerdem auf die Erinnerung, jedenfalls aber (vor dem Hintergrund des Vorwurfs der Falschaussage oder Unzuverlässigkeit) auf weitere Aussagen auswirken; vgl. Trankell, a. a. O., S. 28 / 29. 136 Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. II), Rn. 596; Kühne NStZ 1985, 252, 254; s. auch Peters StV 1987, 375, 376 für die (unbewusste) Mitwirkung eines Vernehmungsbeamten an der Erlangung falscher Geständnisse: „Die Überzeugung des einen schwächt die Widerstandskraft des anderen.“ 131 132

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C. Zur Validität des Zeugenbeweises

2. Übermittlungsfehler bei der Entgegennahme und Aufzeichnung einer Zeugenaussage Verbreitet sind Missverständnisse zwischen Aussagepersonen und Vernehmungspersonen sowie sonstige Fehler der Vernehmungspersonen bei der Entgegennahme einer Zeugenbekundung. a) Dies gilt nicht nur für die Annahme, Vernehmungspersonen und Beweispersonen sprächen generell unterschiedliche Sprachen und die als regelmäßig unterstellte Verwendung eines elaborierten Sprachcodes durch Vernehmungspersonen im Gegensatz zum Gebrauch eines „restringierten Unterschichtcodes“ bei zu vernehmenden Personen berge grundsätzlich die Gefahr von Verständnisschwierigkeiten in sich137. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass beide sich u.U. jeweils in ihrer eigenen Terminologie ausdrücken, was auf Seiten der Aussagepersonen nicht allein eine „Szenesprache“ meinen muss, sondern ebenso gut eine dem Alltagsdenken entnommene (unjuristische) Ausdrucksweise oder eine spezielle, auf eine bestimmte Tätigkeit – zu denken ist nur an Wirtschaftskriminalität, aber auch an Umweltdelikte etc. – bezogene Fachsprache sein kann, die dem Gegenüber nicht geläufig ist. b) Bei der Übertragung einer – richtig auf- beziehungsweise wahrgenommenen – Aussage in Schriftform (sei es durch Ermittlungsbeamte, Ermittlungsrichter oder im Hauptverfahren) kommt es zu Modifizierungen des Aussageinhalts: allein der Versuch der Vernehmungsperson, eine Aussage in ihrer eigenen Ausdrucksweise aufzunehmen138, hat über die vordergründige bloße Änderung der Formulierung hinausgehende inhaltliche Verzerrungen zur Folge139, die sich auf den weiteren Fortgang der Beweiserhebung oder unmittelbar auf das Urteil selbst auswirken können. In diesem Zusammenhang auf Korrekturen durch Aussagepersonen zu hoffen, ist wenig erfolgversprechend, weil diese es häufig genug nicht wagen, Einwendungen zu erheben, damit nicht durchdringen oder das Protokoll gar nicht gelesen haben140. Aus diesen Gründen werden Vernehmungsprotokolle als „Endprodukte missglückter, verzerrter Kommunikation und insoweit als Wirklichkeits137 Kühne NStZ 1985, 252, 255; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. II), Rn. 567 ff.; vgl. auch Arntzen, Vernehmungspsychologie, S. 16 ff. 138 Erschwerend kommt hinzu, dass die meisten polizeilichen Vernehmungsbeamten irrig behaupten, Aussagen wörtlich zu protokollieren; vgl. Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. II), Rn. 911. 139 Kühne NStZ 1985, 252, 255; vgl. auch Trankell, Der Realitätsgehalt von Zeugenaussagen, S. 28 und Arntzen, Vernehmungspsychologie, S. 32. Hier ergeben sich zudem Probleme mit der qualitativen Aussageanalyse, denn bestimmte Merkmale einer Aussage sind nur anhand präziser, die Vernehmungssituation widerspiegelnder Protokollierung nachvollziehbar (hierzu unten V.2.c) bb), S. 117). 140 Vgl. Nack, Wiedergabe und Protokollierung von Zeugenaussagen, S. 79; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. II), Rn. 759, 838; Arntzen, Vernehmungspsychologie, S. 32; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 614.

IV. Fehler der Vernehmungspersonen

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fiktionen“ bezeichnet, in denen alle anderen Fehlerquellen additiv zum Tragen kommen141. c) Außerdem darf nicht vergessen werden, dass die Vernehmungsperson selbst, wenn sie die Zeugenaussage entgegennimmt, dem überwiegenden Teil der Fehler erliegen kann, die die „Qualität“ einer Zeugenaussage verfälschen142. Das offensichtlichste Fehlerpotential ergibt sich wiederum daraus, dass eine Vernehmungsperson in der Regel mit einer bestimmten Vorstellung dessen, was sich ereignet hat, in die Zeugenvernehmung geht oder während der Vernehmung eine solche Vorstellung entwickelt. Sie schenkt daher den Angaben stärkere Beachtung, die mit ihren „Arbeitshypothesen“ übereinstimmen und neigt dazu, außerhalb ihrer Erwartungen und „Zielvorstellungen“ liegende Aspekte zu übersehen143. Auch darüber hinaus ist der oder die Vernehmende für alle Wahrnehmungs- und Verarbeitungsfehler ebenso anfällig wie jede andere Person144.

3. Beweiswürdigungs- beziehungsweise Bewertungsfehler Hat ein Vernehmender sich nicht gründlich genug mit aussagepsychologischen Belangen vertraut gemacht, ist ihm sein eigenes fehlerhaftes, den Personalbeweis verfälschendes Verhalten nicht bewusst, geschweige denn von ihm zu verhindern. Außerdem werden ihm in der Person beziehungsweise in den Aussagen der Zeugen begründete Fehlerquellen und eine „zutreffende“ Aussage erschwerende Umstände – mindestens – zum größten Teil nicht auffallen. Dies kann zur Folge haben, dass im Vorverfahren wesentliche Ermittlungsansätze nicht beachtet und so die Untersuchung in eine falsch be- oder entlastende Richtung gelenkt wird145, in der Hauptverhandlung die Urteilsgrundlagen unzutreffend herausgearbeitet werden. Daher muss sich auch die nahe liegende Annahme, eine nicht völlig zutreffende Aussage, die immerhin weitere Ermittlungsansätze bietet, sei der Sachverhaltsaufklärung dienlicher als gar keine Aussage, als jedenfalls zweifelhaft darstellen.

Vgl. Barton, Fragwürdigkeiten des Zeugenbeweises, S. 41. In diesem Sinne auch (warnend) Fabian / Greuel / Stadler StV 1996, 347, 350; vgl. außerdem Brenner Kriminalistik 1984, 490, 510. 143 Ausführlich: Trankell, Der Realitätsgehalt von Zeugenaussagen, S. 26; Nack, Wiedergabe und Protokollierung von Zeugenaussagen, S. 74 (dieser „Filtervorgang“ setzt sich bei der Protokollierung fort, vgl. Nack, a. a. O., S. 79 ff. mit zahlreichen Beispielen); Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. II), Rn. 562; s. auch Arntzen, Vernehmungspsychologie, S. 32 und Barton, Fragwürdigkeiten des Zeugenbeweises, S. 40 / 41. 144 Vgl. Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. II), Rn. 878 ff.; s. auch Nack, Wiedergabe und Protokollierung von Zeugenaussagen, S. 76 m.Nw.: „erfahrene Beamte produzieren durch die Befragung häufiger und mehr Falsches als weniger erfahrene“. 145 Vgl. auch Brenner Kriminalistik 1984, 490, 511; grundsätzlich zu Auswirkungen von Ermittlungsfehlern in der Frühphase des Verfahrens Lange, Fehlerquellen im Ermittlungsverfahren, S. 8 ff. 141 142

7 Jansen

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C. Zur Validität des Zeugenbeweises

V. Ansätze zur Nivellierung der Schwächen des Zeugenbeweises Die vorangegangenen Darlegungen haben verdeutlicht, dass der Zeugenbeweis tatsächlich aus sich heraus – und trotz seiner Verbreitung und erheblichen Bedeutung in der Praxis des Strafverfahrens – ein unsicheres, fehlergeneigtes Beweismittel ist. Diese Feststellung muss für sich genommen noch nicht eine größere Zurückhaltung beim Einsatz und der Akzeptanz der Zeugenaussage als teilweise entscheidendes Beweismittel nahe legen, wenn davon auszugehen ist, dass im Strafverfahren eine entsprechende „Beherrschung“ des Fehlerpotentials des Personalbeweises gewährleistet ist und fehlerhafte Zeugenaussagen aufgedeckt und – soweit nötig – einer Verwertung entzogen werden können. Die entscheidende Frage ist daher, inwieweit sich Verfälschungen des Beweisergebnisses durch gewollt oder ungewollt falsche Zeugenaussagen in den verschiedenen Stadien des Strafverfahrens vermeiden lassen. Dazu muss erörtert werden, ob die Personen, die zum Umgang mit Zeugenaussagen im Strafverfahren berufen sind – also nicht nur Richter in der Hauptverhandlung, sondern ebenso das Ermittlungspersonal des Vorverfahrens146 – Verfahrensweisen zur Offenlegung unzutreffender Zeugenaussagen anzuwenden wissen und nicht zuletzt, inwieweit derartige Techniken im Rahmen des Strafverfahrens überhaupt ein geeignetes Einsatzgebiet finden können. Im folgenden soll deshalb die Etablierung geeigneter, die Mängel des Zeugenbeweises nivellierender Maßnahmen in der forensischen Praxis untersucht werden.

1. Ungewollt unrichtige Aussagen Die Verursachung ungewollt fehlerhafter Zeugenaussagen im Rahmen eines Strafverfahrens vermeiden zu wollen, setzt neben Kenntnissen der Vernehmungspsychologie das Wissen über die Funktionsweise des menschlichen Gedächtnisses, insbesondere seiner Verarbeitungsprozesse, voraus. Auch die Fehleraufdeckung erfordert eine entsprechende Ausbildung von Vernehmungspersonen, die das große Gefährdungspotential durch ungewollt falsche Aussagen verdeutlicht. Hieran fehlt es regelmäßig bereits147. Im Strafverfahren erfolgt nach wie vor eine Konzentration auf die Ermittlung bewusst falscher Aussagen. Die Entdeckung des Vorliegens 146 Neben der Staatsanwaltschaft und ihren polizeilichen „Hilfsbeamten“ auch die Ermittlungsrichter. Im Übrigen darf in diesem Zusammenhang nicht das im Zwischenverfahren zuständige Gericht vergessen werden. Und auch Staatsanwaltschaft und Verteidigung sind in allen Phasen des gerichtlichen Strafverfahrens grundsätzlich zur Beteiligung an der Durchführung des Zeugenbeweises aufgerufen. 147 Vgl. nur Rüßmann, Festschrift für Wassermann, S. 789, 790.

V. Ansätze zur Nivellierung der Schwächen des Zeugenbeweises

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von Wahrnehmungs- und Gedächtnisfehlleistungen wird hingegen der Erfahrung beziehungsweise Intuition der Vernehmungspersonen überlassen148. Als entscheidendes Kriterium zur Aufdeckung nicht-intentional unrichtiger Aussagen gilt die potenzielle Fehlergeneigtheit einer Aussage. Andere Anhaltspunkte als der Ratschlag zur Orientierung daran, wie „irrtumsanfällig“ ein bestimmtes Beweisthema erscheint und ob ein Irrtum der Aussageperson nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles mehr oder weniger wahrscheinlich ist, werden dabei nicht gegeben149. Auf dieser Basis können im Strafverfahren am ehesten die „klassischen“, allgemein geläufigen Wahrnehmungs- und Gedächtnisfehlleistungen 150 aufgedeckt werden, sie fallen relativ leicht auf und sind weithin als Fehlerquellen bekannt. Insbesondere beim Vergessen handelt es sich um einen Verarbeitungsfehler, der regelmäßig offen zutage tritt und zumindest solange das Beweisergebnis nicht verfälscht, wie er nicht durch Auffüllungen etc. kompensiert wird. Zur Aufdeckung nicht persönlichkeitsgebundener Wahrnehmungsfehler sollen sog. „Filterfragen“151 dienen, mit deren Hilfe ermittelt werden kann, ob körperliche Beeinträchtigungen (Fehlsichtigkeit, Schwerhörigkeit etc.) der Zeugen zur Zeit der Wahrnehmung Wirksamkeit entfaltet haben, ob die Wahrnehmungssituation durch äußere Einflüsse (schlechte Sichtverhältnisse, ungeeigneter Blickwinkel der Beweisperson) beeinträchtigt war und ob aufgrund dieser Umstände die korrekte und vollständige Aufnahme eines Geschehens behindert war. Hierzu finden sich auch in der einschlägigen Literatur Hinweise152. Hingegen erlangen die komplexer strukturierten, schwieriger feststellbaren Fehlerquellen in der Praxis deutlich weniger Beachtung. Die Selektivität der Wahrnehmung ist ebenso wie der Verdrängungsprozess von den zur Wahrnehmungszeit aktuellen psychischen Gegebenheiten der Aussageperson abhängig und aufgrund dieses starken Individualbezugs einer Feststellung jedenfalls ohne Rückgriff auf weitere Beweismittel kaum zugänglich. Auch in Bezug auf die „Verarbeitungsfehler“ Auffüllung und Überlagerung werden keine „Richtlinien“ zur vereinfachten Entdeckung an die Hand gegeben; eine Aufdeckung derartiger Fehler hängt allein von der Sachkenntnis und vor allem Intuition der Vernehmungsperson ab – damit sind Vernehmungspersonen in diesem wichtigen Bereich letztlich auf sich selbst zurückgeworfen153. Diese Feststellung ist vor allem bedenklich unter 148 Vgl. nur Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 3 ff., 456 ff.; Arntzen, Vernehmungspsychologie, S. 22. 149 Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 3, 6, 456, 457. 150 Vgl. insbes. oben II. 1. b), c), II. 2. a). 151 Z. B. „Waren Sie bei . . . persönlich anwesend?“ oder „Trugen Sie eine Brille, als . . . ?“ – vgl. Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. II), Rn. 597. 152 Vgl. nur Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. II), Rn. 597, 887. 153 Vgl. nur Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 459: „Die Möglichkeiten ( . . . ) ,tatbestandstypischer‘ Indizkombinationen aus einzelnen Indizien der Irr-

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C. Zur Validität des Zeugenbeweises

Berücksichtigung der – bereits oben dargelegten – Tatsache, dass verfälschende Reproduktionsprozesse zu den häufigsten Ursachen unbewusst unrichtiger Aussagen gehören154. Auch der Auskunftsperson selbst bleibt regelmäßig verborgen, dass ihre Aussage auf einer Fehlvorstellung beruht, die Schilderung des (eben nicht) „Erlebten“ wirkt aufgrund der subjektiven Überzeugung der Beweisperson sehr realitätsgetreu und eine Differenzierung von in der Beweissituation selbst erlangtem und nachträglich hinzugefügtem „Wissen“ ist zumindest im Rahmen der derzeitigen Strafverfolgungspraxis nicht mehr möglich. Eine Aufdeckung des Irrtums und Rekonstruktion des tatsächlichen Geschehens unter Rückgriff auf diese Aussage ist nahezu unmöglich155. Die Unrichtigkeit aufgefüllter und sonst während des Wahrnehmungs- und Erinnerungsprozesses verfälschter Aussagen wird regelmäßig nur durch eine genaue Überprüfung und Konfrontation mit anderen Beweisergebnissen feststellbar sein. Die Beeinflussung der Aussage durch suggestive Effekte ist – wenn überhaupt – allenfalls durch eine Rekonstruktion der Aussagegenese nachweisbar156. Diese Voraussetzungen sind nur unter großen Schwierigkeiten zu erbringen und zudem, da es sich um aufwändige Überprüfungen handelt, nur durchführbar, wenn entsprechende Anhaltspunkte ersichtlich sind. Daher wird eine Vielzahl von unzutreffenden Aussagen aus diesem Bereich unerkannt bleiben. Besonders negativ muss die Prognose ausfallen, was Aussageverzerrungen angeht, an deren Entstehung Vernehmungspersonen beteiligt sind: ist es der Vernehmungsperson nicht gelungen, eine durch sie selbst (mit-)verursachte fehlerhafte Reproduktion und Aufzeichnung des Erlebten zu verhindern, fällt die Entdeckung (jedenfalls ohne umfassende Protokollierung) außerordentlich schwer, weil auch der Vernehmungsperson regelmäßig ihr Einfluss nicht bewusst und daher die manipulative Einwirkung kaum zu rekonstruieren sein wird. Da nicht unwesentliche Gefährdungen des Zeugenbeweises aus im Rahmen eines Strafverfahrens veranlassten Zeugenbefragungen resultieren157, ist von großer Bedeutung für die tumslehre sind praktisch unbegrenzt. Der Richter muß sich darüber in jedem Einzelfall seine eigenen Gedanken machen“ und Rn. 460: „Bei den meisten Aussagen ist ein Irrtum nicht völlig ausgeschlossen“. Im zweiten Band („Vernehmungslehre“) des umfangreichen und sehr detaillierten Werkes von Bender / Nack findet sich zum Stichwort „Irrtum“ gar nichts mehr; vgl. auch Arntzen, Vernehmungspsychologie, S. 22. 154 Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 138; s. oben S. 84. 155 Vgl. Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1375 a; vgl. auch Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 198 / 199; Franzen / Sporer, Personenverwechslungen durch irreführende Rekonstruktionsbilder, S. 229 ff.; Barton, Fragwürdigkeiten des Zeugenbeweises, S. 35. Zur Frage, ob eine Wiederherstellung der ursprünglichen Wahrnehmung generell ausgeschlossen oder aber grundsätzlich möglich, heute aber noch nicht praktikabel ist, s. oben Fn. 74 m.w.Nw. 156 Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 199 f. 157 s. ausführlich oben IV.

V. Ansätze zur Nivellierung der Schwächen des Zeugenbeweises

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Zuverlässigkeit des Personalbeweises, dass Vernehmungspersonen zumindest alles erdenkliche unternehmen, nicht selbst Erinnerungsverfälschungen mitzuverursachen. Dies bedeutet, dass vorausgesetzt werden können müsste, dass Vernehmungspersonen sich mit aussagepsychologischen Erkenntnissen auseinandergesetzt haben und ihr Verhalten in Befragungssituationen an diesen orientieren, um Verfälschungen des Beweisergebnisses soweit möglich vorzubeugen; hierfür fehlt es derzeit noch an hinreichenden Anhaltspunkten. Insbesondere polizeiliche Ermittlungsbeamte sind zwar regelmäßig – im Gegensatz zu Juristen – geschult im Einsatz von Vernehmungstechniken158. Diese Ausbildung erfolgt aber unter kriminalistischen Gesichtspunkten, die Konzentration auf die Erreichung eines bestimmten Ermittlungsziels ist der Vermeidung von Aussageverfälschungen gerade nicht dienlich. Solange Befragten aber nicht die Gelegenheit zu eigenständiger und zusammenhängender Schilderung ihrer Erlebnisse gegeben wird, Befragungen suggestiv erfolgen und der Fragestil auch ansonsten Beeinflussungspotential enthält, solange nicht allgemein den „offenen“ Fragen der Vorrang vor „geschlossenen“ eingeräumt und sonstige Informationsvermittlung, die zur Integrierung ins Erinnerte führt, nicht vermieden wird, wird das Beweisergebnis unzuverlässig sein159. Vorhalte erhöhen die Zuverlässigkeit des Personalbeweises nicht160. Sofern es Vernehmenden nicht gelingt, ihre eigenen Erwartungen an die Vernehmungssituation so lange wie möglich offen zu halten oder diese jedenfalls zu protokollieren, lassen sich Beeinflussungen weder vermeiden noch nachträglich aufdecken161. Eine umfassende und wortgenaue Protokollierung ist auch im Übrigen das einzige Mittel, eine Basis zu schaffen, die es zumindest ermöglicht, den Versuch einer Rekonstruktion äußerer Einflüsse auf eine Zeugenaussage zu unternehmen. Das Verhalten und die Persönlichkeit von Vernehmungspersonen hat nicht zuletzt deshalb einen immensen Einfluss auf die Validität des Personalbeweises, weil sich eine nachträgliche Entdeckung einmal aufgrund ihres Vorgehens manifestierter Gedächtnisfehlleistungen als ein nahezu unmögliches Unterfangen darstellt. Auch in diesem Zusammenhang fehlt es soweit ersichtlich an einer hinreichend sicheren Ausgestaltung des Verfahrens162.

Vgl. Nack Kriminalistik 1995, 257. Kühne NStZ 1985, 252, 255; Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 34, 183 ff.; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. II), Rn. 562, 602 ff.; Nack, Wiedergabe und Protokollierung von Zeugenaussagen, S. 73 ff.; Steller / Volbert, Glaubwürdigkeitsbegutachtung, S. 14 m.w.Nw.; Trankell, Der Realitätsgehalt von Zeugenaussagen, S. 28 / 29; Arntzen, Vernehmungspsychologie, S. 14, 21 ff. 160 Arntzen, Vernehmungspsychologie, S. 26 / 27 ff. 161 Trankell, Der Realitätsgehalt von Zeugenaussagen, S. 27 ff.; Kühne NStZ 1985, 252, 254 / 255; vgl. auch Nack, Wiedergabe und Protokollierung von Zeugenaussagen, S. 74. 162 Vgl. nur die Hinweise bei Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. II), Rn. 838 ff., 911 ff., die die Mängel in der Praxis des Strafverfahrens exemplarisch verdeutlichen. 158 159

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C. Zur Validität des Zeugenbeweises

Daher ist abschließend festzuhalten, dass ein (verlässliches) Instrumentarium zur Vermeidung und Aufdeckung ungewollt unrichtiger Aussagen im Strafverfahren bisher nicht existiert, von einer „Beherrschung des Fehlerpotentials“ kann nicht die Rede sein. Obwohl bekannt sein sollte, dass der Fähigkeit der Menschen zur Aufnahme, Verarbeitung und Wiedergabe recht enge Grenzen gesetzt sind, wird Zeugen nach wie vor auch unter schwierigen Bedingungen sehr oft zugestanden, Wahrgenommenes zutreffend wiedergeben zu können163.

2. Intentional unrichtige Aussagen Frühe Ansätze zur Zeugenpsychologie gingen von der Existenz eines (relativ) stabilen Persönlichkeitsmerkmals der „Wahrheitsliebe“ aus, deren Ausprägung beim jeweiligen Zeugen das Ausmaß der Zuverlässigkeit seiner Aussage determiniere. Als entscheidend für die Wahrscheinlichkeit eines Rückgriffs auf intentional unrichtige Aussagen galt danach die persönliche Glaubwürdigkeit der Auskunftsperson164. Entsprechend fanden sich an der Lebensführung, an der Persönlichkeit beziehungsweise am Charakter165 der Zeugen festgemachte Kriterien, die der Erforschung ihrer Wahrheitsliebe dienen sollten: der Beurteilung der Glaubwürdigkeit einer Aussageperson (und damit der Glaubhaftigkeit ihrer Bekundungen) lagen Feststellungen zum Herkommen der Beweisperson, ihrer gesellschaftlichen Stellung, ihrem Beruf und beruflichen Ansehen, ihrer äußeren Erscheinung zu Grunde; außerdem wurde berücksichtigt, ob die Aussageperson ethisch-moralisch über alle Zweifel erhaben oder labil war. Vom festgestellten Wahrheitswillen eines Zeugen erfolgte dann regelmäßig der unmittelbare Rückschluss auf die Richtigkeit seiner Angaben166. Hier wurden also einige tradierte Kriterien herangezogen, die schon im römischen und deutsch-rechtlichen System zur Einteilung der „Qualität“ von Zeugen Verwendung fanden. Dieser Ansatz muss – mindestens in seiner Funktion als entscheidendes Bewertungskriterium – als veraltet gelten167. Inzwischen hat sich in allen neueren Veröffentlichungen zu Fragen der Aussagepsychologie die Überzeugung durchgesetzt, dass auch – äußerlich so erscheinende oder tatsächlich – integre, „ehrbare“ und generell zuverlässige Menschen in Motivationslagen geraten (können), die sie auf 163 Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1365; Kühne NStZ 1985, 252, 254 m. Bsp.; vgl. auch Rüßmann, Festschrift für Wassermann, S. 789 / 790. 164 Köhnken, Glaubwürdigkeit, S. 82; Döhring, Die Erforschung des Sachverhalts, S. 136; Michaelis-Arntzen, Zeugenpersönlichkeit und Aussageglaubwürdigkeit, S. 119. 165 Michaelis-Arntzen, Zeugenpersönlichkeit und Aussageglaubwürdigkeit, S. 119; Peters, Fehlerquellen im Strafprozeß, S. 54 ff.; Köhnken, Glaubwürdigkeit, S. 82. 166 Döhring, Die Erforschung des Sachverhalts, S. 136. 167 Rüßmann, Festschrift für Wassermann, S. 789, 803; Michaelis-Arntzen, Zeugenpersönlichkeit und Aussageglaubwürdigkeit, S. 119; Steller / Volbert, Glaubwürdigkeitsbegutachtung, S. 36; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 173, 227; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1426.

V. Ansätze zur Nivellierung der Schwächen des Zeugenbeweises

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Falschaussagen zurückgreifen lassen168. Daher wird zur Beantwortung der Frage, ob eine bestimmte Aussageperson im Einzelfall wahr aussagt, ihre Persönlichkeit und „allgemeine“ Glaubwürdigkeit nur noch als Indiz herangezogen169 und an die situationsbedingte Glaubhaftigkeit170 ihrer Aussage – die durchaus von persönlichkeitsspezifischen Aspekten geprägt, hiervon aber nicht allein bestimmt ist171 – angeknüpft. Zur Ermittlung der Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen werden mehrere Ansätze – teils alternativ, teils kumulativ – verfolgt. Es kann die Interessenlage einer Auskunftsperson hinterfragt (Motivationsanalyse), ihr Verhalten beobachtet (verhaltensorientierte Glaubhaftigkeitsbeurteilung) und die Aussage auf das Vorhandensein bestimmter inhaltlicher und struktureller Kriterien hin analysiert werden (merkmalsorientierte Inhaltsanalyse). Diese drei „Methoden“ sollen im Folgenden kurz dargestellt und unter dem Aspekt ihrer Brauchbarkeit im forensischen Alltag betrachtet werden. a) Motivationsanalyse aa) Inhalt der „Methode“ Wenn intentional falsche Aussagen auf Motivlagen beruhen, die die „Objektivität“ beziehungsweise „Neutralität“ einer Aussageperson im Verfahren entfallen lassen, sie mithin eigene – für andere Verfahrensbeteiligte positive, negative oder neutrale – Interessen verfolgt, liegt es nahe, der Ermittlung der Beweggründe der 168 Hier nur exemplarisch: Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1426 (Fn. 29); Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), vor Rn. 175; Nack Kriminalistik 1995, 257; Michaelis-Arntzen, Zeugenpersönlichkeit und Aussageglaubwürdigkeit, S. 119; Steller / Volbert, Glaubwürdigkeitsbegutachtung, S. 15; Rüßmann, Festschrift für Wassermann, S. 789, 803; Döhring, Die Erforschung des Sachverhalts, S. 136. Vgl. auf empirischer Basis auch Büttikofer, Die falsche Zeugenaussage aus kriminologischer Sicht, S. 178 / 179. 169 Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1426; Schlüchter, Wahrunterstellung und Aufklärungspflicht, S. 10 f., 25, 34; Döhring, Die Erforschung des Sachverhalts, S. 135 / 136. 170 Steller / Volbert, Glaubwürdigkeitsbegutachtung, S. 36; Nack Kriminalistik 1995, 257; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 227; Fabian / Greuel / Stadler StV 1996, 347, 348; Schlüchter, Wahrunterstellung und Aufklärungspflicht, S. 10 / 11; vgl. außerdem BGHSt 45, 164, 167. Die hier gewählte Differenzierung zwischen Glaubwürdigkeit der Aussageperson und Glaubhaftigkeit ihrer Aussage im Einzelfall findet sich insbesondere in der älteren Literatur teilweise in der Terminologie „allgemeine“ und „spezielle“ Glaubwürdigkeit wieder, vgl. die Nw. bei Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, S. 4 ff.; s. noch Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 227, Nack StV 1994, 555, 556 m.w.Nw. und BGH StV 1994, 64. 171 Vgl. hierzu Michaelis-Arntzen, Zeugenpersönlichkeit und Aussageglaubwürdigkeit, S. 122 ff.; Schlüchter, Wahrunterstellung und Aufklärungspflicht, S. 11, 34. Dies bestätigen ebenfalls die Ergebnisse der Untersuchung von Büttikofer, Die falsche Zeugenaussage aus kriminologischer Sicht, vgl. nur S. 177 ff. S. auch Döhring, Die Erforschung des Sachverhalts, S. 137.

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C. Zur Validität des Zeugenbeweises

Beweisperson sowie ihrer Situation – nicht zuletzt im Verfahren – Bedeutung beizumessen172. Daher wird der Versuch unternommen, die Interessenlage von Zeugen zu analysieren. Erforscht werden sollen mittels einer solchen Motivationsanalyse insbesondere die Erwartungen und (nicht zuletzt: emotional-affektiven) Einstellungen einer Auskunftsperson gegenüber Verfahrensbeteiligten, dem Beweisthema beziehungsweise Thema des Verfahrens sowie den von ihr antizipierten Folgen der Aussage. Hierbei ist zusätzlich von Belang die Einstellung des Zeugen gegenüber Personen, die den von den Auswirkungen seiner Aussage betroffenen Verfahrensbeteiligten nahe stehen sowie die Einstellung von Personen, die dem Zeugen nahe stehen, gegenüber den Verfahrensbeteiligten (und deren Umfeld) – kurz gesagt also das Verhältnis des gesamten Nahbereichs von Zeugen und Verfahrensbeteiligten untereinander. Bedeutung beigemessen wird der Situation und insbesondere dem Anlass der erstmaligen Aussageerstattung; hiervon wird Aufschluss über eine „Gesteuertheit“ (im Sinne von belastender oder begünstigender Geplantheit) der Aussage erwartet. Interesse gilt dem eigenen Verhalten eines Zeugen nach Beendigung der von ihm bekundeten Vorgänge. Schließlich sollen Aussageweise und Aussageinhalt, insbesondere die Frage, ob ein Zeuge Entlastendes und Belastendes gleichermaßen oder z. B. auch Selbstkompromittierendes aussagt, Anhaltspunkte für die Intentionen der Aussageperson darstellen173. Aus diesen Kriterien sollen sich Hypothesen zur Motivlage von Zeugen ableiten lassen.

bb) Zuverlässigkeit und Aussagekraft des motivationsanalytischen Ansatzes Die Erforschung der Motivbündel einer Aussageperson ist in vielen Fällen schwierig. Häufig sind Zeugen die eigenen Beweggründe selbst nur teilweise bewusst, verbleiben ansonsten aber im – insoweit nicht zugänglichen – Bereich des Unterbewussten174. Daher wird vorgeschlagen, zur Erforschung der handlungsleitenden Motive der Zeugen deren Interessenlage über den Umweg175 – scheinbar – für das Verfahren unmittelbar nicht bedeutsamer Aspekte zu ergründen und die Befragung entsprechend auszugestalten.

172 Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, S. 85; Steller / Volbert, Glaubwürdigkeitsbegutachtung, S. 24; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1453; Büttikofer, Die falsche Zeugenaussage aus kriminologischer Sicht, S. 105, 144. 173 Zum ganzen ausführlich: Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, S. 86 ff.; Steller / Volbert, Glaubwürdigkeitsbegutachtung, S. 24; vgl. auch Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1453 und Büttikofer, Die falsche Zeugenaussage aus kriminologischer Sicht, S. 105; s. außerdem Peters, Fehlerquellen im Strafprozeß, S. 84 f. 174 Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, S. 86; Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 170; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 181. 175 Abweichend hiervon schlagen Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 172 die direkte Befragung der Zeugen zu ihren Einstellungen vor.

V. Ansätze zur Nivellierung der Schwächen des Zeugenbeweises

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Mit diesen Überlegungen befindet man sich allerdings im spekulativen Bereich. Wie oben bereits angesprochen ist außerdem zu berücksichtigen, dass das Vorliegen von Falschaussagemotiven die Ablegung einer subjektiv zutreffenden Aussage nicht ausschließt176, sich mithin ein Rückschluss von einer möglicherweise festgestellten, eine Falschaussage nahe legenden Interessenlage auf die Zuverlässigkeit der Aussage im Grunde verbietet. Ein Verfahren, aufgrund dessen die „Richtigkeit“ des rekonstruktiven Interpretationsergebnisses zu beurteilen wäre, existiert nicht; als einziges Kriterium in Frage kommt die Plausibilität des interpretatorischen Konstrukts – weshalb der Ansatz sich der berechtigten Kritik ausgesetzt sieht, relativ ungenau (und nicht zuletzt: relativ unwissenschaftlich) zu sein177. Der Wert einer Motivationsanalyse ist daher eher gering einzuschätzen178. Jedenfalls aber wird empfohlen, die – vermuteten – Motive keinesfalls in den Mittelpunkt einer Glaubhaftigkeitsbeurteilung zu stellen179, sondern „wissenschaftlich fundierte“ Motivationsanalysen allenfalls zur Absicherung der Gesamtbeurteilung heranzuziehen sowie sie als (gegenüber den im Verfahren möglicherweise ohnehin Wirkung erlangenden Alltagstheorien zu Motivationskonzepten) komplexeren Gegenpol, quasi also zur „Unterfütterung“ zu nutzen180.

b) Verhaltensorientierte Glaubhaftigkeitsbeurteilung aa) Inhalt der „Methode“ Die verhaltensanalytische Glaubhaftigkeitsbeurteilung stützt sich – im weitesten Sinne – auf an „Erkenntnissen“ zur Körpersprache orientierte Überlegungen. Zwar wird nicht angenommen, dass ein unmittelbarer Zusammenhang besteht zwischen intentionalen Falschaussagen und einem bestimmten, damit in direktem Zusammenhang stehenden „offenen“ Verhalten, das sich als Täuschungssymptom identifizieren ließe; verhaltensanalytischen Ansätzen liegt aber die Annahme zu Grunde, dass Täuschungen als Nebenerscheinungen grundlegende psychische Prozesse und Faktoren hervorrufen, die sich schließlich in beobachtbarem Verhalten spiegeln. Vorausgesetzt wird die Existenz bestimmter Verhaltenskorrelate, die Indikatoren für die soeben genannten vermittelnden Prozesse darstellen sollen181. Da die KonGreuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 173, 175 f. (s. o. S. 89). Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 171, 172, 177. 178 Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 178. 179 Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 181; der BGH (BGHSt 45, 164, 173) betrachtet den Einsatz der Motivationsanalyse im Rahmen eines psychologischen Glaubwürdigkeitsgutachtens jedenfalls als fakultativ und der Aussageanalyse offenbar nachrangig. 180 Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 178 / 179. 181 Köhnken, Glaubwürdigkeit, S. 13 ff. m.w.Nw. 176 177

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C. Zur Validität des Zeugenbeweises

trolle des Ausdrucksverhaltens vielfach für weniger steuerbar gehalten wird als verbale Äußerungen, sei auf der Basis der Auswertung sich im Ausdrucksverhalten spiegelnder kognitiver oder emotionaler Zustände der Aussageperson die Aufdeckung von Täuschungen erleichtert182. Zur Erklärung und Herleitung derartiger Verhaltenskorrelate existieren unterschiedliche Ansätze, die wiederum Bezug nehmen auf psychische Prozesse, von denen angenommen wird, dass sie Begleiterscheinungen im Gefolge von Täuschungen darstellen. In diesem Zusammenhang werden vier Modelle diskutiert183: (1) „arousal“, d. h. eine anspannungsbedingte Aktivitätserhöhung, die sich in Intensitätsunterschieden des non-verbalen Verhaltens äußert; (2) verstärkte Selbstkontrolle: diese setzt eine Vorstellung des Täuschenden davon voraus, welche Lügenstereotype von durchschnittlichen Empfängern erwartet werden; da meist erhöhte Aktivität vorausgesetzt wird, müssten in der Konsequenz Bemühungen zur „Dämpfung“ des – steuerbaren – Ausdrucksverhaltens Indikatoren für das Vorliegen einer Täuschung darstellen; (3) affektive Reaktionen aufgrund von Schuldgefühlen oder Angst vor Entdeckung, die sich äußern sollen in Form eines ausweichenden Verhaltens, durch das sich der Täuschende von seiner Täuschung dissoziiert. Schließlich wird (4) mit der Kognitionstheorie angenommen, die Konstruktion unwahrer Berichte sei aufgrund insgesamt begrenzter intellektueller Verarbeitungskapazitäten eine kognitiv schwierigere Aufgabe als die Rekonstruktion erlebter Sachverhalte; daher müssten Täuschungssymptome eine erhöhte Belastung des Informationsverarbeitungssystems widerspiegeln, die sich nach außen durch ein „Abziehen“ von Konzentration aus anderen Bereichen, z. B. einer gewählten Ausdrucksweise, manifestiere184. Derartigen verhaltensanalytischen Ansätzen kann nur dann eine forensische Bedeutung zukommen, wenn ein zuverlässiger Rückschluss der Vernehmungsperson von feststellbaren Verhaltenskorrelaten auf eine dahinter stehende innere Einstellung und von dieser wiederum auf die Unglaubhaftigkeit einer bestimmten Zeu182 Vgl. hierzu eingehend Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 204 ff.; s. auch Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 146 f. 183 Zum ganzen: Köhnken, Glaubwürdigkeit, S. 14 ff. m.Nw. 184 Ein spezieller Unterfall ist die von Bender und Nack vertretene Auffassung, in unwahren Aussagen lasse sich ein Strukturbruch zwischen erlebtem und erfundenem Teil feststellen. Dies basiert auf der Annahme, auch wer lüge, erzähle – der Einfachheit halber – in der Regel keine vollständig erfundene Geschichte (weil diese schwieriger zu konstruieren und zu erinnern sei), sondern eine mindestens im Randbereich der Täuschung wahre; zwischen dem vom Zeugen als wahr empfundenen und dem erfundenen Aussageteil liege regelmäßig ein Strukturbruch. Dieser sei zum einen an der mehr oder weniger realitätsgetreuen inhaltlichen Ausgestaltung der Schilderung (hierzu sogleich unten c) aa)) festzumachen, zudem sollen Mimik, Gestik und Sprechweise im Gegensatz zur Ungezwungenheit beim wahren Teil der Geschichte beim erfundenen gezwungen, auffällig zurückgenommen oder auffällig übertrieben wirken. Die Feststellbarkeit eines solchen Strukturbruches soll ein Indiz dafür sein, dass sich innerhalb der Aussage möglicherweise unwahre Aspekte befinden könnten. Vgl. Nack Kriminalistik 1995, 257, 258 und 259, 261; ausführlich auch Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 216, 276.

V. Ansätze zur Nivellierung der Schwächen des Zeugenbeweises

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genaussage gewährleistet erscheint185. Die Unterscheidung wahrer von falschen Aussagen setzt also mindestens voraus, dass sich aussagekräftige, typisierbare Verhaltenskorrelate überhaupt ermitteln lassen und diese von Vernehmungspersonen zutreffend ausgelegt werden (können).

bb) Zuverlässigkeit und Aussagekraft des verhaltensanalytischen Ansatzes Der Frage, ob es möglich ist, signifikante täuschungsbegleitende Verhaltenskorrelate aufzuzeigen, wurde in den letzten Jahren in diversen empirischen Studien nachgegangen. Einheitliche Merkmale ließen sich dabei nicht ermitteln, die Ergebnisse der Untersuchungen widersprechen sich – teilweise grundlegend – gegenseitig186. Im Rahmen von Metaanalysen verschiedener Primäranalysen187 wurden bestimmte „gesamtdurchschnittliche“ Täuschungsanzeichen herausgearbeitet (die vielfach wiederum in Widerspruch zu den Ergebnissen der Einzelstudien stehen): als bedeutsame Verhaltenskorrelate erwiesen sich Pupillenerweiterungen, Erhöhungen der Lidschlagfrequenz und eine Zunahme der Anzahl sog. Adaptoren (Selbstberührungen am eigenen Körper oder Manipulationen mit Gegenständen, z. B. Stiften etc.). Als am deutlichsten erkennbar erschienen Eigenheiten des extralinguistischen Verhaltens: die Grundfrequenz der Stimme war deutlich erhöht, Aussagen waren verkürzt und enthielten mehr Sprechfehler und Verzögerungsphänomene (Pausen, Füllwörter und automatisierte Floskeln, i.E. also mehr Denkpausen)188. Eine Differenzierung nach der „Motivation“ der Versuchspersonen (zu verstehen als Intensität ihres Interesses an der Nichtentdeckung der Täuschung) ergab hiervon wiederum teilweise abweichende Ergebnisse: beispielsweise wurde bei gering motivierten Probanden eine erhöhte Lidschlagfrequenz festgestellt, bei hoher Motivation nahm sie hingegen signifikant ab. Diese Tendenz zu einem stark zurückgenommenen Verhalten ließ sich bei den hochmotivierten Personen auch für eine Vielzahl anderer Merkmale feststellen: sie neigten zu einem insgesamt eingeschränkten Bewegungsverhalten, sowohl in Bezug auf Kopf- und Extremitäten-, als auch auf Rumpfbewegungen. Demgegenüber blieben andere Indikatoren – wie z. B. häufiges Lächeln, zahlreiche Adaptoren – ohne Belang für hochmotiviertes Täuschungsverhalten, wohl aber für Täuschungsversuche mit eher geringer Motivation189. Die Ergebnisse derartiger Metaanalysen erlauben es nicht, davon zu sprechen, es seien bestimmte – valide – „typische“ Täuschungsanzeichen ermittelt worden. Einer Verallgemeinerungsfähigkeit der im Rahmen der Metaanalyse ermittelten Vgl. insoweit auch Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 145. Vgl. Köhnken, Glaubwürdigkeit, S. 29, ausführlich: S. 30 ff., und Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 148 f., jew. mit zahlreichen Nw. 187 Vgl. hierzu die Erläuterungen von Köhnken, Glaubwürdigkeit, S. 27. 188 Vgl. Köhnken, Glaubwürdigkeit, S. 27 ff. m.w.Nw., 43. 189 Vgl. zum ganzen Köhnken, Glaubwürdigkeit, S. 38 ff., 40. 185 186

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Ergebnisse steht neben der erheblichen Diskrepanz zu den Ergebnissen der Einzelstudien der begrenzte wissenschaftliche Wert derartiger Analysen, die nur Durchschnittswerte ergeben und hinsichtlich der Einzeldatenbasis unüberprüfbar sind, entgegen; die Ergebnisse der quantitativen Metaanalysen sowie der (divergierenden) Originaluntersuchungen haben daher allenfalls eine heuristische Bedeutung als Anhaltspunkte für die mögliche Existenz einer „Globalbeziehung“ zwischen Täuschungen und ihnen zuzuordnenden Verhaltenskorrelaten190. Bisher fehlt es aber an der zuverlässigen Ermittlung „allgemein gebräuchlicher“ körpersprachlicher Täuschungsanzeichen und „dem“ universellen Lügensignal; es wird daher davon ausgegangen, dass jedenfalls personen- und situationsübergreifende „Lügensymptome“ nicht existieren. Feststellbar sind allenfalls nicht verallgemeinerungsfähige, von Person zu Person individuell unterschiedlich auftretende Anzeichen einer subjektiv wahren oder intentional unwahren Aussage191. Anhand mehrerer empirischer Untersuchungen konnte außerdem festgestellt werden, dass Diskrepanzen bestehen zwischen tatsächlich relevanten und von den Vernehmungspersonen erwarteten Täuschungsanzeichen. Auch hier ließen sich einheitliche Ergebnisse nicht erzielen. Ohne auf die Vielzahl der herausgearbeiteten Kriterien im einzelnen eingehen zu müssen, lässt sich festhalten, dass Erwartungshaltungen der Versuchspersonen sich in der Regel deutlich von dem unterscheiden, was tatsächlich als Täuschungskorrelat in Frage kommt. Als Indikator für Täuschungen vermutet wird häufig, dass Aussagepersonen ersichtlich „nervöse“ Reaktionen an den Tag legen und hierdurch einen hektisch-nervösen Gesamteindruck machen, eine Art „Zappelphilipp-Stereotyp“. Von den Versuchspersonen erwartete Verhaltenskorrelate waren daher vermehrte Kopf-, Rumpf- und Beinbewegungen, zahlreiche Adaptoren, eine hohe Lidschlagfrequenz, eine erhöhte Antwortlänge und Sprechrate, um nur beispielhaft einige aufzuzählen. Wie oben schon angesprochen zeichneten sich aber – möglicherweise infolge verstärkter Bemühungen zur Selbstkontrolle – insbesondere hochmotivierte täuschende Versuchspersonen durch gegenläufige beziehungsweise keine Reaktionen in dieser Hinsicht aus. Auch die vielfach geäußerte Annahme, wer täuschen wolle, vermeide den Blickkontakt oder lächle häufiger, ging fehl. Von den seitens der Versuchspersonen erwarteten (Verhaltens-)Auffälligkeiten ergab sich lediglich bezüglich häufigerem Achselzucken und Erhöhungen der Stimmlage ein bestätigendes Ergebnis. Andere vermeintliche Täuschungsindikatoren blieben ganz ohne Realitätsbezug, während andererseits z. B. die – allerdings ohne technische Hilfsmittel kaum messbare – signifikant auftretende Pupillenerweiterung keine Beachtung fand192. Die auf mögliche Verhaltenskorrelate bezogenen Fehleinschätzungen gingen einher mit Fehleinschätzungen zur Auslegbarkeit der einzelnen „Verhaltensbereiche“ 193. Vgl. Köhnken, Glaubwürdigkeit, S. 29. Köhnken, Glaubwürdigkeit, S. 43, 46, 73. 192 Vgl. Köhnken, Glaubwürdigkeit, S. 47 ff., 50 ff., 53; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1458, 1459 jew. m.Nw.; vgl. auch Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 209 ff. 190 191

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Verdeutlicht wird anhand derartiger Untersuchungsergebnisse, dass „gängige“ Annahmen zu Täuschungsindikatoren sämtlich nur eine lockere Anbindung an real zu erwartende Täuschungsanzeichen aufweisen. Bemerkenswert ist, dass sich die (unzutreffenden) Vermutungen in unterschiedlicher Gewichtung in zahlreichen Studien finden. Dies wird als Indiz für die Existenz eines relativ markanten Stereotyps des „typischen Lügners“ angesehen, das jedoch nur wenig Ähnlichkeit mit der Realität, insbesondere der Realität des Strafverfahrens, aufweisen dürfte194. Sehr begrenzt ist allgemein auch die Fähigkeit, Falschaussagen anhand des Verhaltens einer Person tatsächlich zu erkennen. In zahlreichen Untersuchungen ergab sich das i.W. gleichlautende Ergebnis, dass die Zahl zutreffend klassifizierter wahrer und unwahrer Äußerungen konstant nur wenig über der Zufallserwartung lag195. Dies gilt nicht nur auf der Basis von Alltagstheorien oder bloßen laienpsychologischen Kenntnissen der Beurteiler; selbst langjährige berufliche Erfahrung in Tätigkeitsbereichen, die regelmäßig die Einschätzung der Glaubhaftigkeit eines Gegenübers zum Gegenstand haben, insbesondere also der Probanden aus dem polizeilichen oder justiziellen Bereich, führte nicht zu besseren Ergebnissen196. Wenig erfolgreich waren bisher generalisierende Trainingsmaßnahmen zur Aufdeckung von Täuschungen über Analysen körpersprachlicher Signale, was seine Begründung in der situationsabhängig und von Individuum zu Individuum jeweils unterschiedlichen Ausprägung möglicher Verhaltenskorrelate finden dürfte197. Der Entdeckung bewusst falscher Aussagen hinderlich sind auch Tendenzen zur Fehleinschätzung und deutlichen Überschätzung der eigenen Kompetenz beim Durchschauen von Täuschungen: Versuchspersonen, die im Rahmen empirischer Untersuchungen als „Beurteiler“ das Vorliegen von Täuschungsanzeichen feststellen sollen, überschätzen regelmäßig ihre Kapazitäten198. Obwohl die durchschnittliche Quote tatsächlich entdeckter Täuschungsversuche – s. o. – gerade knapp über der Zufallserwartung liegt, siedelten Juristen sich selbst in einer Studie, die die subjektive Einschätzung der Befähigung zum Durchschauen von Täuschungen unter Verwendung einer Skala von 1 („erkenne Täuschungen fast nie“) bis 6 („erkenne Täuschungen fast immer“) abfragte, im zu hoch geschätzten, aber durch193 Köhnken, Glaubwürdigkeit, S. 61 / 62: besonders schlecht erkennbar sind Täuschungen – entgegen der Annahme zahlreicher Versuchspersonen – anhand der Mimik. 194 Köhnken, Glaubwürdigkeit, S. 52 / 53 f. 195 Vgl. Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1468 und Köhnken, Glaubwürdigkeit, S. 56 m. zahlreichen Nw. Wird die Zufallserwartung mit .50 angesetzt, liegt die Anzahl zutreffend eingeschätzter Äußerungen regelmäßig zwischen .45 und .60, wobei wahre Äußerungen eher zutreffend klassifiziert werden als falsche (s. hierzu auch Köhnken, Glaubwürdigkeit, S. 24, 80 und unten, Fn. 258). 196 Köhnken, Glaubwürdigkeit, S. 74 f. 197 Fabian / Greuel / Stadler StV 1996, 347, 349 m.Nw.; Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 149 m.Nw.; Köhnken, Glaubwürdigkeit, S. 70 ff. m.w.Nw., 73. 198 Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 150.

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schnittlichen Bereich aller Befragten an (3,9); Polizisten stuften sich bei der gleichen Untersuchung im überdurchschnittlichen Bereich ein199. Ursache dieser Diskrepanz zwischen Realität und Selbsteinschätzung mag sein, dass bei gelungenen Täuschungen in der Praxis regelmäßig keine Rückmeldung erfolgt, diese daher für die Irregeführten unentdeckt bleiben, ihre interne, scheinbar positive „Statistik“ nicht abändern können und damit immer weiter verfälschen200. Unabhängig von den unterschiedlichsten Einschätzungsfehlern stößt eine vollständige (bewusste) Aufnahme und zutreffende Bewertung von Täuschungsanzeichen allerdings ohnehin regelmäßig an die Grenzen der (Wahrnehmungs- und Verarbeitungs-)Kapazitäten einer jeden Vernehmungsperson: die Aufgabe, neben der inhaltlichen Information auch noch alle erdenklichen Verhaltenskorrelate zu registrieren, verarbeiten und zutreffend unter Berücksichtigung aller interindividueller und intersituativer Variabilität auszulegen, muss als unlösbar angesehen werden201. Der verhaltensorientierten Glaubhaftigkeitsanalyse wird daher nicht zuletzt aufgrund des großen Fehlerpotentials der (selektiv und sonst beeinflussten) Wahrnehmungsmöglichkeiten auf Seiten der „Aussageempfänger“ und der zahlreichen Fehlinterpretationsrisiken mit Zweifeln und Vorbehalten begegnet202. Die geringe Verlässlichkeit des verhaltensanalytischen Ansatzes findet ihre Begründung aber noch nicht einmal schwerpunktmäßig in fehlenden Kapazitäten der Vernehmungspersonen. Vielmehr entfalten zahlreiche weitere Einflussfaktoren ihre Wirkung und erschweren die zuverlässige Unterscheidung zwischen Täuschungen und Nicht-Täuschungen beziehungsweise schließen diese sogar aus: Aufgrund der jeweils individuellen Prägung eines möglichen Aufkommens von Verhaltenskorrelaten ist die (Mindest-)Voraussetzung einer Entdeckung von Auffälligkeiten die Kenntnis des „normalen Verhaltensstils“ einer Aussageperson. Daraus ergibt sich die – im Strafverfahren nicht umsetzbare – Notwendigkeit, in jedem Einzelfall „intraindividuelle“ Verhaltensanalysen durchzuführen, d. h. das Verhalten einer Person in einer (nachweislichen, in der Regel künstlich hergestellten) Täuschungssituation mit ihrem Verhalten in neutralen Situationen zu vergleichen203. Auch die Vernehmungssituation hat Auswirkungen auf die Zuverlässigkeit verhaltensanalytischer Bemühungen: Mitunter reagieren – wahr aussagende – Zeugen 199 Vgl. Köhnken, Glaubwürdigkeit, S. 56 / 57. Ergänzend ist anzumerken, dass Angehörige allgemeiner Berufe sich selbst in Relation zu den Ergebnissen der Juristen und Polizisten im unterdurchschnittlichen Bereich einstuften; bei einem Vergleich zwischen der Durchschnittsbevölkerung einerseits und in die Rechtsfindung und Strafverfolgung involvierten Berufsgruppen andererseits könnte sich daher eine (noch) deutlichere Überschätzungstendenz der letzteren ergeben. 200 Köhnken, Glaubwürdigkeit, S. 75; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1468, 1468 a; auch Fischer NStZ 1994, 1, 4. 201 Köhnken, Glaubwürdigkeit, S. 46, 73 f. 202 Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 144 ff., 155 f. 203 Köhnken, Glaubwürdigkeit, S. 63 f., 80; Rüßmann, Festschrift für Wassermann, S. 789, 805; Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 149.

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auf von ihnen erspürtes, ihnen entgegengebrachtes Misstrauen belastungsbedingt mit Verhaltensweisen, die als Verhaltenskorrelate von Täuschungen identifiziert werden204 – möglicherweise in Abhängigkeit von den wahrgenommenen Erfolgsaussichten kann das Erspüren von Misstrauen allerdings umgekehrt auch zu besonders „überzeugendem“ Verhalten führen205. Nicht ausgeschlossen erscheint weiterhin, dass es zu Verzerrungen aufgrund der Belastungssituation „Vernehmung im Strafverfahren“ kommen kann, wenn stressbedingte (u.U. dem „arousal“-Phänomen vergleichbare) Verhaltensweisen zur – fälschlichen – „Diagnose“ unwahrer Aussagen Anlass geben206. Und letztlich ist stets die generelle Doppeldeutigkeit (vermeintlicher) körpersprachlicher Verhaltensauffälligkeiten zu berücksichtigen, die regelmäßig eine „sichere“ Interpretation scheitern lassen muss207. Neben der mindestens zweifelhaften empirischen Absicherung verlässlicher Verhaltenskorrelate lassen also die mit der Entdeckung und Auslegung möglicher körpersprachlicher Signale verbundenen Unwägbarkeiten die These, das Ausdrucksverhalten lasse besonders zuverlässige Urteile über die Glaubhaftigkeit einer Aussage zu, gewagt erscheinen208. Konsequent erscheint vor diesem Hintergrund, dass, wo der Versuch unternommen wird, Kriterien zur Beurteilung des Ausdrucksverhaltens auszuformulieren, sich mitunter die Einschränkung findet, es handele sich nur um „informierte Hypothesen“209. Sogar diese Zurückhaltung könnte sich allerdings angesichts der Vielzahl der mit dem verhaltensanalytischen Ansatz verbundenen Fehlerquellen als zu großzügig erweisen210. Die Verhaltensanalyse stellt entgegen der in der Praxis verbreiteten Auffassung kein geeignetes Mittel zur (zuverlässigen) Unterscheidung wahrer von unwahren Aussagen dar. 204 Bekannt ist dieser Effekt unter der Bezeichnung „Othello-Fehler“, s. nur Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 150, Köhnken, Glaubwürdigkeit, S. 67 und Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. II), Rn. 497. 205 s. Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 150 f. m.w.Nw.; Köhnken, Glaubwürdigkeit, S. 67 ff. 206 Vgl. auch Köhnken, Glaubwürdigkeit, S. 44 f. 207 Fabian / Greuel / Stadler StV 1996, 347, 348 / 349 m.Nw.; Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 145; so i.E. auch Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 214 a.E. 208 Vgl. Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 150, 155 ff. 209 Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 208. Die gleiche Einschätzung muss i.Ü. für die oben (Fn. 184) dargelegte These zur Feststellbarkeit eines sog. Strukturbruchs gelten: zusätzlich zu den bereits angeführten allgemeinen Einwänden gegen eine Orientierung an körpersprachlichen Kriterien fällt hier ganz besonders ins Gewicht, dass es in der Regel an Vergleichsmaterial für „unechtes“ und „echtes“ Verhalten einer Aussageperson fehlt. Daher kann gerade das Kriterium der „Strukturgleichheit“ allenfalls dann eine gewisse Relevanz beanspruchen, wenn ein sog. „intraindividueller Aussagevergleich“ zwischen einer – z. B. im Rahmen einer Exploration – auf Nachfrage erzählten Phantasiegeschichte und einer erlebnisgebundenen Schilderung stattgefunden hat; s. Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 95 f.; Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, S. 12, 132. 210 s. auch Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1462.

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C. Zur Validität des Zeugenbeweises

c) Merkmalsorientierte Analyse des Aussageinhalts aa) Entstehung und Inhalt der Methode Die weithin favorisierte Methode zur forensischen Glaubhaftigkeitsbeurteilung ist heute die sog. kriterien- beziehungsweise merkmalsorientierte Analyse des Aussageinhalts. Grundlage der Aussageanalyse ist ein – nicht geschlossenes – System von Merkmalsvariablen, auf deren Vorliegen hin eine Zeugenaussage überprüft wird. Diese Kriterien wurden in den letzten Jahrzehnten von Vertretern der experimentellen und forensischen Psychologie herausgearbeitet 211. Die kriterienorientierte Inhaltsanalyse wurde nach und nach entwickelt mit Blick auf die fachgutachterliche Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussagen (häufig: kindlicher und jugendlicher) Zeugen in Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs. Sie wird – da fast nur in diesem Bereich Glaubhaftigkeitsgutachten von den Gerichten eingeholt werden – auch heute noch ganz überwiegend auf diese Fälle angewandt, während sie in „sonstigen“ Strafverfahren kaum Anwendung findet. Dies soll aber einer Anwendbarkeit auf alle erdenklichen Verfahrensarten und Zeugen nicht im Weg stehen212. Ausgangspunkt dieses Untersuchungsansatzes ist der Versuch einer Unterscheidung erfundener von erlebnisfundierten Schilderungen. Mittels des aussagepsychologischen Instrumentariums ist nicht herauszufinden, ob ein bestimmtes behauptetes Geschehen tatsächlich real stattgefunden hat, sondern nur, ob der oder die Berichtende davon überzeugt ist, eine solche Situation erlebt zu haben; insofern ist die weithin gebräuchliche Bezeichnung der Glaubhaftigkeitsmerkmale als „Realkennzeichen“ oder „Realitätskriterien“ irreführend213. Differenziert werden nur subjektive Wahrheiten von subjektiven Unwahrheiten, festgestellt werden kann also allenfalls der (subjektivierte) Erlebnisgehalt einer Aussage, nicht deren Faktizität214. Eine Abgrenzung „objektiv“ wahrer Aussagen von solchen, die z. B. aufgrund von Verarbeitungsfehlern wie Auffüllungen oder Überlagerungen unzutreffend sind, kann mit der Inhaltsanalyse nicht geleistet werden. 211

Vgl. den ausführlichen historischen Abriss bei Köhnken, Glaubwürdigkeit, S. 84 ff.,

105. 212 Vgl. Fabian / Greuel / Stadler StV 1996, 347 / 348; Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 139. Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1445 weist darauf hin, dass bei erwachsenen Zeugen allgemein höhere Schwellenwerte anzunehmen seien als bei Kindern. S. auch Fabian / Greuel / Stadler, a. a. O., 348. Im juristischen Schrifttum wird – soweit sich eine Auseinandersetzung mit der Methode findet – i.Ü. die Anwendbarkeit auch auf sämtliche denkbaren anderen Arten von Zeugenaussagen regelmäßig implizit vorausgesetzt. 213 Fabian / Greuel / Stadler StV 1996, 347, 349; Nack Kriminalistik 1995, 257, 258; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 228; in diesem Sinne ebenfalls BGHSt 45, 164, 171 / 172. 214 Fabian / Greuel / Stadler StV 1996, 347, 350; Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 27, 198 / 199.

V. Ansätze zur Nivellierung der Schwächen des Zeugenbeweises

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Der merkmalsorientierten Inhaltsanalyse liegt die Annahme zu Grunde, Aussagen über eigene Erlebnisse unterschieden sich strukturell und qualitativ von erfundenen Bekundungen215. Eine eindeutige und ausführliche Begründung, warum hiervon auszugehen sein soll, findet sich nicht216; häufig scheint die Vorstellung durch, dass es für die weitaus meisten Zeugen aufgrund der generellen Begrenztheit menschlicher intellektueller Kapazitäten unmöglich sei, eine Falschaussage genau so „lebendig“ auszugestalten wie die Darstellung eines authentischen (oder als authentisch vorgestellten, s. o.) Erlebnisses und diese komplexe Geschichte ebenso gut wie eigene Erinnerungen zu handhaben. Daher müsse eine erfundene Schilderung kontrolliert („gesteuert“) wiedergegeben werden, damit die / der Erzählende nicht den Überblick verliere, und sei deutlich weniger differenziert ausgebildet als eine tatsächlich Erlebte, weil ein Großteil an Energie zum Ausgestalten, Erzählen und Behalten („kreative und Kontrollprozesse“) der Falschaussage aufgewendet werden müsse217. Dieser Unterschied soll sich bei genügender Länge der Aussage von geschulten Begutachtern anhand bestimmter Glaubhaftigkeitsmerkmale218 feststellen lassen219. Inzwischen wurden daher aus Merkmalskatalogen derartiger „Realkennzeichen“ Systeme von aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitskriterien erarbeitet, die „präzisierte“ Anforderungen an Aussagen formulieren, deren Vorliegen einen (positiven) Rückschluss auf die Wiedergabe einer realen Beobachtung, d. h. auf die subjektive Erlebnisgebundenheit einer bestimmten Schilderung zulassen soll220. Die Merkmalskataloge unterscheiden sich teilweise in Details, häufiger in der Terminologie, stimmen aber in ihren wesentlichen Grundlagen überein; daher 215 Sog. „Undeutsch-Hypothese“; s. Undeutsch, Beurteilung der Glaubhaftigkeit von Aussagen, S. 125 / 126; vgl. außerdem Fabian / Greuel / Stadler StV 1996, 347, 348; Nack Kriminalistik 1995, 257, 258; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1427 m.Nw.; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 229; s. auch BGHSt 45, 164, 170. 216 Hierauf weist Köhnken, Glaubwürdigkeit, S. 108 / 109 zutreffend hin. 217 Vgl. Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, S. 27, 31; Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 92, 97; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 174, 229, 231 f., 280. 218 Nack (Kriminalistik 1995, 257, 261 f.) und Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 228, 298 ff. nennen zusätzlich noch die Untergruppe der sog. „Phantasiesignale“ oder „Lügensignale“. Diesem Ansatz wird allerdings zu Recht die generelle Doppeldeutigkeit aller potenziellen „Lügensymptome“ entgegengehalten, die keinerlei zuverlässigen Rückschluss auf den Hintergrund einzelner Verhaltensmuster erlaubt; siehe hier nur Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1462; vgl. auch oben S. 111. Vertretbar erscheint allenfalls noch, in der Abwesenheit einzelner, markanter Glaubhaftigkeitsmerkmale Indizien für die mögliche Unwahrheit einer Aussage zu sehen; zweifelhaft wären danach vage, „standardisiert“ wirkende Bekundungen. Vgl. i.e. Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, S. 111 ff. 219 Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1428; Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, vgl. nur S. 4 ff., 15, 24 f. 220 Ausführlich Trankell, Der Realitätsgehalt von Zeugenaussagen, S. 122; vgl. auch Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 9, 27.

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C. Zur Validität des Zeugenbeweises

können die maßgeblichen Aspekte in einem kurzen Überblick zusammenfassend dargestellt werden. Zur Erforschung der Erlebnisgebundenheit wird beim Inhalt einer Zeugenaussage abgestellt auf ihre Detailliertheit (insbesondere auch in Bezug auf das – für die konkrete Tatbegehung – als Randgeschehen einzuordnende und hier insbesondere bezüglich Aspekten, die zwar nicht aus Sicht der Vernehmungsperson zum Kerngeschehen gehören, aber für den Zeugen von Interesse waren)221, auf inhaltliche Besonderheiten, etwa die Wiedergabe von Gesprächsverläufen (insbesondere in verschiedenen Rollen) oder sonstiger Interaktionen, inhaltliche Verschachtelungen durch die Bezugnahme auf mit der verfahrensgegenständlichen Tat nicht unmittelbar in Beziehung stehende, vergleichbare Erlebnisse, Verflechtungen mit Alltagsgeschehen, mit dem Geschehnis in Verbindung stehende oder hierdurch ausgelöste Assoziationen, sog. „eigenpsychische Vorgänge“ oder sonstige Überlegungen in und aus der Situation, „deliktstypische“ Angaben (Schilderungen von Handlungs- und Geschehensabläufen, die typischerweise mit der Begehung eines bestimmten Delikts verknüpft sind), Einbringung origineller, ungewöhnlicher (nicht aber absurder oder gar unrealistisch-phantastischer) Einzelheiten und (Tat-) Umstände, Bekundung offenbar unverstandener Details („phänomengebundene“, verständnislose, häufig unreflektierte Schilderungen), die aber für „Insider“ das Geschehen verständlich machen, sowie die Schilderung von Komplikationen, die einen planmäßigen Ablauf der Tat hinderten oder das Vor- beziehungsweise Parallelgeschehen prägten222. Weiteres Kriterium soll die innere Stimmigkeit der Aussage (Homogenität), gegebenenfalls auch die nachprüfbare Übereinstimmung mit anderweitig ermittelten Fakten sein223. Großer Wert wird auf (relative) Konstanz im Sinne von Beständigkeit einer Aussage über mehrere Vernehmungen hinweg gelegt, soweit der Kern eines Geschehens wiedergegeben werden soll. Unter Konstanz in diesem Zusammenhang ist insbesondere zu verstehen die Übereinstimmung in allen Aussagen einer Aussageperson jedenfalls der – aus Sicht der Zeugen – wesentlichen Aspekte des Geschehens224, der groben räumlichen und zeitlichen Lokalisierung sowie der Anzahl 221 Mit ausführlicher Begründung Trankell, Der Realitätsgehalt von Zeugenaussagen, S. 123. Vgl. auch Prüfer, Aussagebewertung in Strafsachen, Rn. 117 ff.; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 235 ff.; Nack Kriminalistik 1995, 257, 259. 222 Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, S. 29 ff., 31 f., 32 f., 35 ff.; Köhnken, Glaubwürdigkeit, S. 105 ff.; eingehend auch Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 92 ff., 106 ff.; Trankell, Der Realitätsgehalt von Zeugenaussagen, S. 124 ff.; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 241 – 273; Nack Kriminalistik 1995, 257, 259, 261; s. auch BGHSt 45, 164, 170 f. 223 Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, S. 50 ff. (vgl. auch 37 ff.); Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 96 f.; Trankell, Der Realitätsgehalt von Zeugenaussagen, S. 126, 146; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 283 ff.; Nack Kriminalistik 1995, 257, 259. 224 Aus Sicht der Zeugen nebensächliche Aspekte des Geschehens dürfen als Folge natürlicher Erinnerungsverluste (detailliert zu Kapazitäten und Grenzen des menschlichen Ge-

V. Ansätze zur Nivellierung der Schwächen des Zeugenbeweises

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und Identität der Hauptbeteiligten225. Ist die auf das Kerngeschehen bezogene Konstanz über mehrere Vernehmungen (und einen längeren Zeitraum) hinweg gegeben, soll sie ein starkes Indiz für die Erlebnisgebundenheit der Aussage sein. Auch das Vorhandensein von Anhaltspunkten, die für oder gegen die Bemühungen zur Kontrolle der Aussage sprechen, gilt als Kriterium. Eine ungesteuerte Aussage soll sich auszeichnen durch eher impulsive Beteiligung an der Vernehmung. Als starkes Anzeichen für die Ungesteuertheit einer Aussage wird daher u. a. angesehen, dass ein Zeuge „unbekümmert“ berichtet, „was ihm gerade einfällt“, ohne dass die Darlegungen einer ersichtlichen chronologischen oder inhaltlichen Ordnung zugänglich wären („innere Vorbehaltlosigkeit“ und Verzicht auf inhaltliche Kontrolle). Daher werden Verschachtelungen und Sprünge in der Wiedergabe als (positives) Glaubhaftigkeitskriterium interpretiert, sofern sich hinterher insgesamt ein vollständiger und stimmiger Handlungsablauf ergibt226. Gleiches gilt für – mühelos, spontan und beiläufig, d. h. ohne längere Überlegung vorgebrachte – Erweiterungen und Ergänzungen des Geschilderten in wiederholten Aussagen, die die Anschaulichkeit des Erlebten vergrößern oder scheinbar unzusammenhängende Darstellungen zu einem sinnvollen Ganzen verbinden (allerdings auch hier nur, soweit nicht der Kernbereich betroffen ist)227. Zudem soll die zum „allgemeinen dächtnisses: Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 28 ff.) in wiederholten Aussagen und insbesondere im Laufe der Zeit hingegen vergessen werden. Werden sie dennoch erinnert, soll das ein besonders starkes Indiz für die Glaubhaftigkeit der Aussage sein. Vgl. zum ganzen Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 288, 290 und Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, S. 57, 59 ff.; siehe auch Prüfer, Aussagebewertung in Strafsachen, Rn. 104 ff. Entgegen gerade bei Juristen verbreiteter alltagstheoretischer Auffassung bedeutet Konstanz hingegen nicht die inhaltlich identische, wörtlich gleich lautende Wiederholung einer Aussage in verschiedenen Vernehmungssituationen; dies wird eher als Indiz für das Vorliegen einer – aus unterschiedlichsten Gründen, u. a. aufgrund von Absprachen oder einer völligen oder partiellen Erlebnisungebundenheit des Geschilderten – auswendig gelernten Aussage angesehen; vgl. Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 131; Arntzen, a. a. O., S. 56 / 57; Bender / Nack, a. a. O., Rn. 292; Prüfer, a. a. O., Rn. 98. 225 Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, S. 53, 55 ff.; Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 131 / 132; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 288, 290; Nack Kriminalistik 1995, 257, 259 / 260; Prüfer, Aussagebewertung in Strafsachen, Rn. 89 ff.; Trankell, Der Realitätsgehalt von Zeugenaussagen, S. 129 ff.; s. auch BGHSt 45, 164, 172. 226 Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, S. 73 ff., 75, 78 ff., 83 (diese „Aussagesymptome“ werden z. B. von Arntzen, a. a. O., getrennt diskutiert unter den Stichworten „Ungesteuertheit“ und „Inkontinenz“ der Aussage; hier werden sie zusammengefasst, weil beide Indizien für fehlende (gezielte) Aussagegestaltung darstellen können und auch dann, wenn ein innerer Zusammenhang zwischen diesen Merkmalen fehlt (so Arntzen, a. a. O., S. 84) äußere Ähnlichkeiten aufweisen). Krit. bzgl. der von Arntzen postulierten Forderung nach Impulsivität etc.: Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 102 / 103. Zum Ganzen Greuel / Offe u. a., a. a. O., S. 101 ff.; Prüfer, Aussagebewertung in Strafsachen, Rn. 121 ff.; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 280 ff.; Nack, Kriminalistik 1995, 257, 260; s. auch Trankell, Der Realitätsgehalt von Zeugenaussagen, S. 123. 8*

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C. Zur Validität des Zeugenbeweises

Ausdrucksnaturell“ des jeweiligen Zeugen passende Darlegung von Gefühlszuständen oder der sonst feststellbare Nachklang von Gefühlen als Glaubhaftigkeitsindiz gelten228.

bb) Anwendbarkeitsvoraussetzungen der Methode Die merkmalsorientierte Aussageanalyse kann nicht von jeder beliebigen Vernehmungsperson ohne hinreichende Vertrautheit mit den einzelnen Kriterien angewandt werden. Außerdem sind nicht alle Zeugenaussagen gleich gut zur Begutachtung geeignet: ihre Auswertbarkeit setzt einen gewissen Umfang und eine hinreichende Dichte der Aussage voraus. Einfache Negationen oder sehr knappe Sachverhaltsschilderungen sind einer Begutachtung nicht zugänglich. Aussagen von Zeugen, die nicht wirklich aussagebereit sind oder sogar zur Aussage gezwungen wurden, bieten in der Regel nicht genügend Anhaltspunkte zur Herausarbeitung von Glaubhaftigkeitsmerkmalen, weil sie zu zurückhaltend abgelegt und nicht umfangreich genug sind. Begutachtungsbeiträge sind daher nur wirklich nutzbar zu machen, wenn das beweisrelevante Geschehen selbst eine gewisse Komplexität aufweist und Zeugen bereitwillig mitwirken229. Die Auswertbarkeit von Zeugenaussagen ist deliktsspezifisch und „bloße“ Beobachtungszeugen vermögen in der Regel weniger zu schildern als unmittelbar in ihrer eigenen (Körper-)Sphäre betroffene Auskunftspersonen. Als gut geeignet zur Glaubhaftigkeitsbegutachtung gelten daher Zeugenaussagen zu Sexualdelikten, Misshandlungen, Körperverletzungen, Erpressungen und versuchten Tötungsdelikten; hingegen sind Bekundungen zu Eigentums- und Fälschungsdelikten, Verkehrsdelikten und Betäubungsmitteldelikten in der Regel nicht ausführlich genug und bieten zu wenig Ansatzpunkte230. Die Grundsätze der Vernehmungstechnik, die ohnehin für alle Zeugenbefragungen gelten, erlangen besondere Bedeutung: Eine aufgrund von suggestiven (oder vergleichbaren) Einflüssen überlagerte, subjektiv richtige, objektiv falsche Aussage lässt sich mit den Kriterien der merkmalsorientierten Inhaltsanalyse in der Regel nicht erkennen, denn aufgrund der Suggestion erscheint die Aussage als 227 Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, S. 41 ff.; Nack Kriminalistik 1995, 257, 260; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 293, 295 ff.; Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 129 / 130; Prüfer, Aussagebewertung in Strafsachen, Rn. 70 ff. 228 Michaelis-Arntzen, Gefühlsbeteiligung des Zeugen, S. 70 ff.; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 217 f., 261 ff.; Nack Kriminalistik 1995, 257, 258 und 259; Prüfer, Aussagebewertung in Strafsachen, Rn. 77 ff.; differenzierend und eher kritisch Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 100 / 101, 151 ff., 155; s. außerdem Trankell, Der Realitätsgehalt von Zeugenaussagen, S. 124 / 125 und 146. 229 Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 158; Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, S. 78, 129. 230 Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, S. 6, 139.

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erlebnisgebunden231. Insbesondere im Gang des Verfahrens verursachte Überlagerungen und Auffüllungen lassen sich mittels der kriterienorientierten Aussageanalyse nicht aufdecken; es ist nicht möglich, mit dieser aussagepsychologischen Methode „aus einem im Vorfeld destruierten ein konstruktives Beweismittel zu machen“232. Gegenstand einer inhaltsorientierten Glaubhaftigkeitsbeurteilung können nur ausführliche, inhaltlich unbeeinflusste, eigenständige und zusammenhängende Angaben einer Auskunftsperson sein233. Derartige Aussagen lassen sich nur durch denkbar offene, nicht drängende Befragungen erlangen. Informationsvermittelnde Fragestellungen führen zu Erinnerungsverwischungen; Vorhalte verhindern die unbeeinflusste Darlegung des Erinnerten ebenso wie die Entwicklung einer eigenständigen Aussagestruktur. Zwischenfragen oder Unterbrechungen einer Aussageperson, die beginnt zu erzählen oder (vermeintlich) abzuschweifen, verzerren den authentischen Charakter der Schilderung und unterbinden schon die Entwicklung möglicher „Realitätskriterien“ wie Sprünge und Detailangaben234. Neben einer weitestgehend ergebnisoffenen Vernehmungsgestaltung erlangt in diesem Zusammenhang eine genaue Protokollierung erhebliche Bedeutung, denn nur auf dieser Basis ist einerseits der Einfluss der Vernehmungstechnik auf die Aussageentstehung zu rekapitulieren, andererseits ein exakter Nachweis in einer bestimmten Aussage enthaltener (oder nicht enthaltener) Glaubhaftigkeitsmerkmale gewährleistet. Grundlegend ist daher die möglichst große Annäherung des Protokolls an das gesprochene Wort235. Soweit es auf einen Aussagevergleich unter strukturellen oder inhaltlichen Gesichtspunkten ankommt, bedarf es von einer Aussageperson mehrerer Aussagen236. Insbesondere hier erlangt eine ausführliche und präzise Protokollierung große Bedeutung. Eine Anwendung der Kriterien der inhaltsorientierten Glaubhaftigkeitsbeurteilung durch – mindestens – entsprechend geschulte polizeiliche, staatsanwaltschaftliche und richterliche Verhörspersonen im Rahmen eines Strafverfahrens ist denkbar – hiervon wird zumindest in der Forensik ausgegangen237. Kunstgerecht wird die für eine inhaltsorientierte Aussageanalyse erforderliche Befragung allerdings regelmäßig nur im Rahmen eines professionellen Glaubhaftigkeitsgutachtens 231 Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 198 / 199; Fabian / Greuel / Stadler StV 1996, 347, 349 f.; Nack Kriminalistik 1995, 257, 258; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 228. S. schon oben S. 112. 232 Fabian / Greuel / Stadler StV 1996, 347, 350. 233 Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 158; Prüfer, Aussagebewertung in Strafsachen, Rn. 43 ff.; s. auch BGHSt 45, 164, 169. 234 Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. II), Rn. 585 ff., 597 ff., 623 ff. 235 Prüfer, Aussagebewertung in Strafsachen, Rn. 43 ff.; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. II), Rn. 838 ff. 236 Vgl. Szewczyk / Littmann, Empirische Ergebnisse forensisch-psychologischer Begutachtungen, S. 105. 237 s. nur Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I u. II), Rn. 166 ff., 597 ff.

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C. Zur Validität des Zeugenbeweises

durchgeführt werden können; die Befragungstechnik muss sicher beherrscht werden238. Als problematisch erweist sich dabei, dass mangels einer strafprozessualen Ermächtigungsgrundlage eine solche fachgutachterliche Exploration außerhalb der Hauptverhandlung der Einwilligung der Aussageperson bedarf239. Nur in der Hauptverhandlung selbst ist eine Zustimmung nicht erforderlich, hier hat die Zeugin oder der Zeuge aber keine Mitwirkungspflicht. Die „Datenerhebung“ ist zudem relativ zeitaufwändig240. Für aussagepsychologische Fachgutachten wird davon abgeraten, sie allein aufgrund der Hauptverhandlung zu erstatten, weil hier die Datenbasis zu dünn ist241. Dies lässt den Umkehrschluss zu, dass Mindestvoraussetzung jeglichen „Explorations“-Unterfangens durch nicht sachverständige Verhörspersonen im Strafverfahren sein muss, dass alle Befragungen unter Berücksichtigung der o.g. Mindeststandards einer Vernehmung so angelegt sind, dass sich aus ihnen möglichst vielfältige begutachtungsrelevante Anhaltspunkte ergeben, die als Basis eines Auswertungsversuches geeignet sind242. Zur Bejahung der Glaubhaftigkeit einer Aussage wird stets das kumulative Vorliegen mehrerer „Realkennzeichen“ verlangt243; das Vorhandensein eines einzelnen Glaubhaftigkeitsmerkmals reicht nicht aus. Postuliert wird, die herausgestellten Kriterien kämen in der geforderten „Mindestanzahl“ nur in wahren Aussagen vor, sie seien andererseits aber nicht essentiell für wahre Aussagen und daher nicht in jeder wahren Aussage enthalten244.

Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 158. Vgl. BGHSt 13, 394, 398; 14, 21, 23; 36, 217, 219; BGH bei Holtz MDR 1979, 988 f.; BGH NStZ 1982, 432; BGH StV 1995, 622; LR-Dahs, 81c Rn. 8 ff.; Meyer-Goßner, § 81 c Rn. 7; KK-Pfeiffer, Einleitung Rn. 102 a und KK-Senge, § 81 c Rn. 9. 240 Eine professionelle Exploration bei kindlichen Zeugen dauert in vertrauter Umgebung ca. 3 – 5 Stunden; erfolgt die Befragung nicht an einem vertrauten Ort, kann die Begutachtung auch 6 – 8 Stunden erfordern. Bei Erwachsenen kann die Befragungszeit verkürzt sein, weil einige spezifisch auf Kinder bezogene Tests wegfallen können; hier soll schon in einem längeren, streng systematischen Gespräch die Herausarbeitung von Glaubhaftigkeitsmerkmalen möglich sein. Vgl. eingehend Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, S. 132 / 133. 241 Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, S. 141. 242 s. auch Rüßmann, Festschrift für Wassermann, S. 789, 806; Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, S. 127 ff., 132 / 133. 243 Vgl. z. B. Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, S. 22, 111: grundsätzlich mindestens drei Merkmale (zu Ausnahmen: Arntzen, a. a. O., S. 23); zustimmend: Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 455; diff.: Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 161 f. 244 Trankell, Der Realitätsgehalt von Zeugenaussagen, S. 123, 146; Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, S. 22; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1445; vgl. auch Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 137. 238 239

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cc) Zuverlässigkeit und Aussagekraft des inhaltsanalytischen Ansatzes Empirische Untersuchungen zur Zuverlässigkeit des aussagepsychologischen Ansatzes der Inhaltsanalyse sehen sich mit grundsätzlichen Problemen konfrontiert: experimentelle Simulationsstudien ermöglichen eine sichere Überprüfung des Aussagehintergrunds in Bezug auf die Frage der Erlebnisgebundenheit einer Aussage, weisen aber – insbesondere unter Berücksichtigung und im Vergleich mit der häufig als sehr belastend empfundenen Situation, in einem Strafverfahren aussagen zu müssen – eine sehr geringe Lebensnähe („ökologische Validität“) auf; Feldstudien, die reale Fälle zu Grunde legen, haben den Vorteil, auf authentische Aussagen zurückgreifen zu können, denen wirkliche, häufig auch hinreichend eindrucksvolle Erlebnisse zu Grunde liegen (sollten) und die in einer echten forensischen Aussagesituation entstanden sind, ihnen fehlt es aber an adäquaten Außenkriterien zur Überprüfung, inwieweit die herangezogenen Aussagen tatsächlich mit der Realität übereinstimmten 245. Wenngleich heute überwiegend angenommen wird, zumindest mehrere „Realkennzeichen“ zusammen ergäben relativ verlässliche Anhaltspunkte zur Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen, ist doch festzuhalten, dass es an einer wissenschaftlichen Ansprüchen wirklich genügenden Validierung der kriterienorientierten Aussageanalyse aufgrund empirischer Überprüfungen bisher immer noch fehlt246. Auf der Basis von Felduntersuchungen wurde von Littmann und Szewczyk der Versuch unternommen, mit dem Instrumentarium der kriterienorientierten Aussageanalyse glaubhafte von unglaubhaften Aussagen zu unterscheiden247. Dieser 245 Vgl. Köhnken, Glaubwürdigkeit, S. 110 / 111, zu grundsätzlichen Problemen der Validierung von Glaubhaftigkeitskriterien s. auch Köhnken, a. a. O., S. 114 ff.; Steller / Volbert, Glaubwürdigkeitsbegutachtung, S. 19 / 20. 246 Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1435; vgl. hierzu auch Fabian / Greuel / Stadler StV 1996, 347, 348. In Bezug auf Studien zur Nachweisbarkeit sexuellen Missbrauchs: Plaum Kriminalistik 1998, 549, 553 ff. Auch Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 144 sprechen nur davon, die „Undeutsch-Hypothese“ finde in empirischen Befunden eine Stütze, betrachten aber im einzelnen noch nicht die Glaubhaftigkeitsmerkmale als vollständig validiert. Eine andere Ansicht zur empirischen Verifizierung wird in der neueren Entscheidung BGHSt 45, 164, 171 vertreten: der BGH hält die „Realkennzeichen“ für „grundsätzlich empirisch überprüft“, ohne dass der Ursprung dieser Erkenntnis näher belegt würde. Anerkannt wird zwar, dass jedes Kriterium für sich genommen nur wenig über Zufallsniveau anzusiedelnde Bedeutung beanspruchen könne; jedoch ergebe sich beim Zusammenwirken der Indikatoren aus ihrer Gesamtheit eine Herabsetzung des Fehlerpotentials jedes einzelnen Merkmals. Der BGH gibt sich allerdings mit einer nach wissenschaftlichen Maßstäben kaum haltbaren Trefferquote zufrieden, wenn postuliert wird, die Aggregation mehrerer „Realkennzeichen“ habe in Forschungsvorhaben zu Ergebnissen „über dem Zufallsniveau“ geführt. 247 Vgl. Szewczyk / Littmann, Empirische Ergebnisse forensisch-psychologischer Begutachtungen, S. 86 ff., 113, 120 ff. Es handelt sich soweit ersichtlich immer noch um die am besten dokumentierte forensisch-psychologische Studie, daher wird sie hier schwerpunktmäßig dargestellt. Vielen anderen Erhebungen fehlt aufgrund mangelnder Transparenz und Differenziertheit die Nachvollziehbarkeit: vgl. nur Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage,

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C. Zur Validität des Zeugenbeweises

Ansatz genügt den an eine Validierungsstudie zu stellenden wissenschaftlichen Standards nicht, weil die Glaubhaftigkeit der Aussagen nicht an einem objektiven Außenkriterium gemessen wurde, sondern in Abhängigkeit von einem abschließenden Gutachten; die Ausrichtung der Untersuchung hätte sich allerdings zugunsten der überprüften Theorien auswirken müssen, zu erwarten gewesen wäre eine Überschätzung der Glaubhaftigkeitsmerkmale in Bezug auf ihre Trennschärfe248. Daher ist von besonderem Interesse, dass nur wenige Resultate dieser Studie die Arbeitshypothesen wirklich zu stützen vermochten: Die Aussagekraft einiger Kriterien wurde eher bestätigt als widerlegt, war allerdings für die meisten „Realkennzeichen“ nicht eindeutig genug zu belegen. Nur einzelne traten signifikant häufiger bei glaubhaften als bei unglaubhaften Bekundungen auf: zu nennen sind die „Konstanz“ von Aussagen bezüglich des Kerngeschehens sowie die „spontane Selbstberichtigung und -verbesserung“ der Darstellung. Überzufällig häufiger als in unglaubhaften, allerdings nicht signifikant, ließen sich in glaubhaften Aussagen Schilderungen origineller, aber auch selbst-kompromittierender Details feststellen249. Andere Annahmen hinsichtlich der Validität der Aussagemerkmale ließen sich nicht bestätigen: so waren die Ergebnisse mehrdeutig, soweit die Zuverlässigkeit der Kriterien „Schilderung unverstandener Details“ und „eigenpsychischer Vorgänge“, „natürlich-ungezwungenes Aussageverhalten“ und „nachträgliche Aussageergänzungen“ erforscht werden sollte. Und entgegen der in Bezug auf die merkmalsorientierte Aussageanalyse gängigen Vorstellungen ergab sich die Einschränkung, dass ausschließlich auf die Rahmenhandlung bezogener Detailreichtum überzufällig häufig in unglaubhaften Aussagen auftrat250. In weiteren, ebenfalls vom wissenschaftlichen Ansatz her zweifelhaften Feldstudien konnten diese Ergebnisse nur teilweise bestätigt werden251, in Simulationsstudien wurden sie konterkariert252: hier erwies sich das Merkmal „Detailreichtum“ nur in Bezug auf einzelne Varianten der Erhebungsbedingungen als geeignetes Unterscheidungskriterium und eine unzusammenhängende Erzählweise253 trat entgegen der ErwartunS. 2, 12 f., 19 ff., 131; dort wird weder die Datenbasis hinreichend spezifiziert, noch finden sich exakte Angaben zum „Grad“ der Verifizierung des aufgestellten Kriteriensystems; zur fehlenden Eignung von Geständnissen als Validierungskriterium vgl. außerdem Köhnken, Glaubwürdigkeit, S. 115 / 116. 248 Vgl. i.E. Köhnken, Glaubwürdigkeit, S. 111 / 112, 115; s. auch Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1436 ff. und Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 136. 249 Vgl. Szewczyk / Littmann, Empirische Ergebnisse forensisch-psychologischer Begutachtungen, S. 122, 123, 126 / 127. 250 Szewczyk / Littmann, Empirische Ergebnisse forensisch-psychologischer Begutachtungen, S. 122, 123, 125, 127. 251 Vgl. Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 136 / 137 m.w.Nw. 252 Vgl. Köhnken, Glaubwürdigkeit, S. 113 / 114 m.Nw.; s. auch Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 137 ff.; vgl. außerdem Hommers, Die aussagepsychologische Kriteriologie, 99 / 100. 253 Von Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, S. 78 ff. unter dem Stichwort „Inkontinenz“ erörtert, vgl. oben Fn. 226.

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gen signifikant häufiger in erfundenen als in erlebnisgebundenen Schilderungen auf, während im Gegensatz zur Untersuchung von Szewczyk / Littmann in Bezug auf das Merkmal „Konstanz“ kein signifikantes Ergebnis gefunden werden konnte. Zahlreiche Glaubhaftigkeitsmerkmale waren nur in einem geringen Teil aller Aussagen, teilweise sogar nur in ca. 10 bis 20 Prozent, überhaupt zu finden254. Dieser Umstand birgt das Risiko, dass mangels einer hinreichenden Anzahl innerhalb einer Aussage auftretender auslegbarer Merkmale eine fundierte Diagnose unmöglich oder eine aussagepsychologische Begutachtung auf eine zu geringe Datenbasis gestellt wird255. Bei dem den Glaubhaftigkeitskriteriologien zu Grunde liegenden Datenmaterial handelt es sich ganz überwiegend um belastende Aussagen, während Fälle falsch entlastender Aussagen kaum untersucht sind256. Die Annahme, dass die Kriteriensysteme in gleichem Maße für diese Aussagen gelten, kann daher jedenfalls nicht als empirisch belegt gelten. Gleichzeitig wurde in älteren Feldstudien festgestellt, dass in der Praxis der größte Teil aller falschen Zeugenaussagen entlastende waren257, so dass hier ein sehr weiter, für die forensische Praxis außerordentlich relevanter Bereich im Wesentlichen unerforscht ist. Auch der Ansatz, eine Systematik zur Unterscheidung glaubhafter von unglaubhaften Aussagen herauszuarbeiten, war nur partiell erfolgreich. Es gelang, bei den untersuchten Aussagen die unglaubhaften von den glaubhaften zu differenzieren, der Versuch einer Trennung der glaubhaften von den bedingt glaubhaften Schilderungen scheiterte jedoch258. Hiernach ist zunächst festzuhalten, dass mittels der kriterienorientierten Inhaltsanalyse entgegen ihrem explizit formulierten Ansatz259 254 Beispielhaft erwähnt sei nur das Merkmal der Detailliertheit bzgl. des Kerngeschehens, ein Kriterium, bei dem sich eine recht große Verbreitung erwarten lassen sollte, das aber nur bei 19,7% aller untersuchten Aussagen überhaupt auftrat; vgl. Szewczyk / Littmann, Empirische Ergebnisse forensisch-psychologischer Begutachtungen, S. 121 ff. S. außerdem die Darstellung vergleichbarer Ergebnisse bei Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 136 / 137. 255 Köhnken, Glaubwürdigkeit, S. 112 / 113. 256 Köhnken, Glaubwürdigkeit, S. 116. 257 Büttikofer, Die falsche Zeugenaussage aus kriminologischer Sicht, S. 70 ff. 258 Szewczyk / Littmann, Empirische Ergebnisse forensisch-psychologischer Begutachtungen, S. 128 / 129; s. außerdem Hommers, Die aussagepsychologische Kriteriologie, 99 / 100. Teilweise wurden in Simulationsstudien auch höhere Quoten zutreffend als „wahr“ eingeschätzter Schilderungen ermittelt (vgl. z. B. Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 138 m.Nw.). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass eine Neigung von Beurteilern festgestellt wurde, ohne das Vorliegen von Verdachtsgründen Aussagen – unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt – generell eher als wahr denn als unwahr einzuschätzen; die Gründe dieses Phänomens sind nicht abschließend erforscht (vgl. zum ganzen Köhnken, Glaubwürdigkeit, S. 24, 80). Dieser Effekt bedarf grundsätzlich einer Kompensation durch entsprechende Anpassung der Rechenfaktoren; eine solche Neutralisierung konnte aufgrund des Untersuchungsansatzes in den o.g. Studien nicht erfolgen. 259 s. oben S. 113; vgl. auch BGHSt 45, 164, 167 f.

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C. Zur Validität des Zeugenbeweises

allenfalls festgestellt werden kann, welche Aussage (möglicherweise) unglaubhaft ist, nicht aber welcher Zeuge die Wahrheit sagt. Das größte Fehlerpotential basiert allerdings auch bei den Kriteriologien zur inhaltsorientierten Aussageanalyse nicht auf der unzureichenden empirischen Absicherung, sondern auf den Unwägbarkeiten ihrer praktischen Umsetzung. Das Problem bei einem Rückgriff auf aussageanalytische Methoden liegt neben der Beherrschung der erforderlichen Fragetechnik u. a. in der korrekten Anwendung – unter Übertragung juristischer Termini: insbesondere der zutreffenden Subsumtion eines Lebenssachverhalts unter den Merkmalskatalog260. Bei der Analyse bestimmter Aussagemerkmale ist immer deren Mehrdeutigkeit zu berücksichtigen261, die in jedem Einzelfall eine Interpretation erfordert; diese Ausdeutung wiederum kann Vermutungscharakter besitzen und auch einen anderen Erklärungsansatz zulassen262. Wohl am geläufigsten ist die Warnung, dass zumindest „begabte“ und „geübte“ Lügner der Aufgabe, ein Nicht-Erlebnis lebensecht darzustellen, durchaus gewachsen sein dürften263. Auch darüber hinaus steht das Vorhandensein beziehungsweise die Nachweisbarkeit der Kriterien in einem Abhängigkeitsverhältnis zur allgemeinen sprachlichen und kognitiven Kompetenz der Zeugen264. Nicht auszuschließen ist, dass Untersuchungsbefunde von den spezifischen Kommunikationsverhältnissen zwischen Vernehmungs- und Aussagepersonen maßgeblich geprägt werden, sei es aufgrund selektiver Wahrnehmungsverschiebungen seitens der Auswerter, einer Beeinflussung der Aussageerstatter durch bestimmte Erwartungshaltungen der Befrager oder Größen wie Vertrauen und Misstrauen, Sympathie und Antipathie zwischen Befragern und Befragten, die sich ebenfalls sowohl auf das Erzähl- beziehungsweise Kommunikationsverhalten des Befragten als auch auf die Aufnahme und Aufzeichnung durch den Befrager auswirken können265. Im Gegensatz zum verhaltensanalytischen Ansatz spielt bei der inhaltsorientierten Aussageanalyse die Kenntnis der einschlägigen Merkmale und eine gewisse So auch Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), S. VII und Rn. 226. Vgl. nur die Schilderung bei Trankell, Der Realitätsgehalt von Zeugenaussagen, S. 129 ff., insbes. 134 ff. 262 Trankell, Der Realitätsgehalt von Zeugenaussagen, S. 144; vgl. auch Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1462. 263 Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1427; vgl. auch Nack Kriminalistik 1995, 257, 258; Prüfer, Aussagebewertung in Strafsachen, Rn. 74; ebenso Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), die an zahlreichen Stellen immer wieder auf die Kapazitäten „geübter Lügner“ hinweisen, vgl. exemplarisch nur Rn. 201, 203, 218, 231, 237, 267, 271, 272, 294. 264 Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 143 m.Nw.; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1445; Nack Kriminalistik 1995, 257, 258; Bender / Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht (Bd. I), Rn. 179, 270; s. auch BGHSt 45, 164, 170 ff. 265 Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1452 a, 1465 a.E.; vgl. außerdem Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 143 m.Nw.; BGHSt 45, 164, 168 f. 260 261

V. Ansätze zur Nivellierung der Schwächen des Zeugenbeweises

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Erfahrung im Umgang mit ihnen eine Rolle. Es kann davon ausgegangen werden, dass Personen, die aussagepsychologisch geschult sind, eher in der Lage sind, anhand des Aussageinhalts wahre von unwahren Aussagen zu unterscheiden266. Auch hier wird allerdings über recht hohe „Fehlerquoten“ berichtet, denen wiederum die Tendenz zur Überschätzung eigener Fähigkeiten bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen gegenübersteht267. Die Zuverlässigkeit der Bewertung hängt damit wesentlich von den speziellen Voraussetzungen des Einzelfalls, den persönlichen Eigenschaften und Fähigkeiten der Auskunfts- ebenso wie der Vernehmungsperson und den Umständen der Aussageentstehung, ab268. Selbst die fehlerfreie Beherrschung aller gängigen Kriteriologien durch eine Vernehmungsperson gewährleistet aber nicht, dass eine nur andeutungsweise sichere Beurteilung der Glaubhaftigkeit einer Aussage möglich wäre, denn quantitative Richtlinien für ein regelgeleitetes Entscheidungsverhalten – d. h. eine Vorgabe, welche Kriterien wann wie zu gewichten sind – können den aussagepsychologischen Bewertungssystemen nicht entnommen werden; jede Entscheidung besitzt ein starkes individuelles Gepräge269. Eine einzelfallbezogene Einschätzung der Zuverlässigkeit konkreter Aussagen muss letztlich an der unbekannten Wertigkeit der einzelnen Variablen scheitern beziehungsweise führt auch bei vollständig zutreffender Beurteilung aller Glaubhaftigkeitsmerkmale aufgrund der jeweils unterschiedlichen Gegebenheiten eines jeden Einzelfalls nicht zu einem eindeutigen Ergebnis270. Die dargestellten Merkmalskataloge können immer nur Anhaltspunkte zur Entdeckung von Fehlleistungen geben271. Es ist jeweils einzelfallabhängig, ob ein bestimmtes Kriterium tatsächliche Relevanz für die Beurteilung entfalten kann (und falls ja: wie große), oder ob seine Ausdeutbarkeit von anderen – singulären – Umständen konterkariert wird272. Dieses Wechselspiel zwischen den aufgezählten Glaubhaftigkeitsmerkmalen und sonstigen situativen oder personenspezifischen Einflüssen schließt im Ergeb266 Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 141 m.Nw.; Fabian / Greuel / Stadler StV 1996, 347, 348. 267 Vgl. die Beispiele und Nw. bei Plaum Kriminalistik 1998, 549, 553 (für aussagepsychologische Analyseversuche mit der Zielrichtung der Aufdeckung sexuellen Missbrauchs). S. außerdem Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 141. S. auch die ausführl. Erläuterung oben unter b) bb) (S. 109). 268 Vgl. Fabian / Greuel / Stadler StV 1996, 347, 348. 269 Vgl. Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 159; in diesem Sinne auch Rüßmann, Festschrift für Wassermann, S. 789, 790. 270 Vgl. Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1463; in diesem Sinne („keine zwingenden Schlüsse“) auch Nack Kriminalistik 1995, 257, 258. 271 Vgl. insoweit auch Rüßmann, Festschrift für Wassermann, S. 789, 791. 272 Vgl. nur Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, S. 20 ff. und Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 160 f.

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C. Zur Validität des Zeugenbeweises

nis jegliche Verallgemeinerungsfähigkeit und Objektivierbarkeit der anzulegenden Bewertungsgesichtspunkte aus oder muss sie jedenfalls stark einschränken – und verweist damit letztlich wiederum auf eine bestenfalls wissenschaftlich fundierte, im Grunde intuitive Beurteilung der Glaubhaftigkeitsfrage. Die Diskrepanz zwischen dem theoretischen Anspruch aussagepsychologischer Methodik im allgemeinen, der inhaltsorientierten Glaubhaftigkeitsbeurteilung im besonderen und seiner eingeschränkten praktischen Umsetzbarkeit wird für den forensischen Bereich verstärkt durch die Erkenntnis, dass die – insbesondere auch: abschließende – Sachverhaltsbewertung durch richterliche Vernehmungspersonen nicht so sehr auf den Ergebnissen der Hauptverhandlung beruht, als auf ihrer anhand des Aktenstudiums bereits im Vorfeld erworbenen Schuldüberzeugung; auch die Verarbeitung von Zeugenaussagen, die die Schuld oder Unschuld eines Angeklagten betreffen, wird dann wesentlich beeinflusst von der zuvor gebildeten „Schuldhypothese“273. Hierdurch verringert sich das Einsatzspektrum aussagepsychologischer Ansätze deutlich. Dieser Zustand ist zu wesentlichen Teilen mit darauf zurückzuführen, dass aussagepsychologische Erkenntnisse insbesondere in der juristischen Ausbildung nach wie vor kaum einmal vermittelt werden274. Mangels hinreichend umfassender obligatorischer Fortbildungsmaßnahmen entscheidet über die Qualität des einzelnen Personalbeweises vielfach der „gesunde Menschenverstand“ und die persönliche „Menschenkenntnis“ jedes einzelnen275. Daher verwundert es wenig, dass sich immer wieder Stimmen erheben, die kritisieren, die gerichtliche Glaubhaftigkeitsprüfung erfolge allenfalls auf der Basis von Alltagstheorien und sei laienhaft276. Die häufig unvollständige fachliche Kompetenz vieler Vernehmungspersonen zur Glaubhaftigkeitsbeurteilung lässt sich durch verstärkte Zuziehung von Fachgutachtern nicht ausgleichen. Insbesondere in der Hauptverhandlung gilt nach der Revisionsrechtsprechung die Feststellung der Glaubwürdigkeit von Beweispersonen für den Regelfall als „ureigene richterliche Aufgabe“ und „zum Wesen richterlicher Rechtsfindung“ gehörig277. Die Hinzuziehung von Sachverständigen ist 273 Vgl. Oswald, Richterliche Urteilsbildung, S. 252 f. m.w.Nw.; sog. „Inertia-Effekt“. s. auch Barton, Fragwürdigkeiten des Zeugenbeweises, S. 51 / 52. 274 Trotzdem dies seit langem beklagt wird, s. schon Peters, Fehlerquellen im Strafprozeß, S. 89, 331 ff.; exemplarisch außerdem: Rüßmann, Festschrift für Wassermann, S. 789, 790; Fischer NStZ 1994, 1, 5. In der insoweit recht ausführlichen Ausbildung polizeilicher Ermittlungsbeamter steht demgegenüber die an der Erreichung von Ermittlungszielen orientierte Vernehmungstechnik im Vordergrund (s. o. S. 101). 275 Wie auch Fischer NStZ 1994, 1, 5 zugesteht; in diesem Sinne ebenfalls Bender / Nack DRiZ 1980, 121, 124, 127. 276 s. nur Meyer-Mews NJW 2000, 916, 917. 277 BGHSt 3, 52, 53; BGHSt 8, 130, 131; BGH StV 1985, 398; BGH StV 1990, 13; LRGollwitzer, § 244 Rn. 82; Nack StV 1994, 555, 557 m.Nw.; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1860 m.Nw.; Fischer NStZ 1994, 1 ff., 5; kritisch: Peters StV 1987, 375, 377.

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danach in einem Regel-Ausnahme-Verhältnis nur dann angezeigt, wenn die zu beurteilende Fallgestaltung solche Besonderheiten aufweist, dass die ausreichende Sachkunde des Gerichts zweifelhaft sein muss. Bei erwachsenen Zeugen soll dies regelmäßig in Betracht kommen bei psychischen Auffälligkeiten, den Wert der Aussage in Frage stellender Beeinflussung durch Dritte oder sonstigen nahe liegenden Zweifeln an der fehlerfreien Wahrnehmung und Erinnerung, besonderen Eigentümlichkeiten des Tatgeschehens oder durch andere (persönliche oder sächliche) Beweismittel unaufklärbaren Widersprüchen zwischen Bekundungen mehrerer Personen278. Eine darüber hinausgehende Gutachterbeauftragung in allen Fällen, in denen kein voller Beweis durch Sachbeweismittel zu erbringen ist und Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass eine Aussage intentional unzutreffend sein könnte, weil z. B. Zeugen nicht „neutral“ sind (was für den weit überwiegenden Teil aller Zeugenaussagen nicht ausgeschlossen ist, s. nur oben III., S. 92), wäre allerdings unabhängig von der entgegenstehenden geltenden Rechtsprechung unpraktikabel279. Bereits auf dem jetzigen Stand kritisieren vereinzelte Stimmen aus der Justizpraxis die Beiziehung von Sachverständigen als zu häufig und zu umfassend gehandhabt280. Eine standardisierte Gutachterhinzuziehung in einer Vielzahl von Fällen bereits im Ermittlungsverfahren müsste jegliche Strafverfolgung zum Erliegen bringen. Zudem ist zu bedenken, dass die aussagepsychologische Exploration mangels einer strafprozessualen Ermächtigungsgrundlage der Zustimmung der zu begutachtenden Aussageperson bedarf; lediglich die – von einer Mitwirkungspflicht befreite – Analyse des Auftritts in der Hauptverhandlung ist ohne Einwilligung zulässig281. Für den Normalfall, das „Standard-Strafverfahren“, erlangt die kriterienorientierte Inhaltsanalyse daher kaum oder gar keine Geltung. Nicht nur, weil es viel278 BGHSt 8, 130, 131; BGH NStZ 1982, 42 u. 432; BGH NStZ 1987, 423; BGH StV 1982, 205; BGH StV 1987, 374; BGH StV 1990, 8 u. 8, 9; BGH StV 1991, 405 / 406; BGH StV 1997, 61, 62; BGH StV 1999, 471, 472; LR-Gollwitzer, § 244 Rn. 82 f. m.Nw.; Schlothauer StV 1982, 205 / 206. 279 In diesem Sinne wohl auch Rüßmann, Festschrift für Wassermann, S. 789, 790. 280 So Fischer NStZ 1994, 1, 2, 3 ff., der insbesondere mangelnde Abgrenzung des richterlichen Tätigkeitsbereiches von dem der Sachverständigen bemängelt. Unter Berücksichtigung der soeben dargelegten Erkenntnisse zur unzureichenden Implementierung aussagepsychologischer Erkenntnisse im Strafverfahren (Peters StV 1987, 375, 377 nennt dies euphemistisch „Selbstsicherheit der Strafjuristen bei der Aussagebewertung“) erscheint die Ablehnung weiterer Gutachter-Beiziehungen unter Berufung darauf, Sachverständige hätten (nur) Fachwissen zu vermitteln, das dem Gericht fehle, inkonsequent. Die Feststellung, die Sachkunde zur Glaubhaftigkeitsbeurteilung gehöre zum „Wesen richterlicher Tätigkeit“ (Fischer, a. a. O., S. 4 m.Nw.) und mache daher die Beiziehung von Fachgutachtern in den meisten Fällen entbehrlich, ist jedenfalls ein Zirkelschluss. 281 Vgl. BGHSt 13, 394, 398; 14, 21, 23; 36, 217, 219; BGH bei Holtz MDR 1979, 988 f.; BGH NStZ 1982, 432; BGH StV 1995, 622; LR-Dahs, 81c Rn. 8 ff.; Meyer-Goßner, § 81 c Rn. 7; KK-Pfeiffer, Einleitung Rn. 102 a und KK-Senge, § 81 c Rn. 9.

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fach an ausreichenden aussagepsychologischen Kenntnissen der Vernehmungspersonen fehlt, sondern auch weil regelmäßig keine Dokumentation aller Verfahrensschritte gewährleistet ist und der Einsatz inhaltsanalytischer Methoden selbst ohne Fachgutachterhinzuziehung regelmäßig den Zeitrahmen eines durchschnittlichen Strafverfahrens sprengen dürfte. Zahlreiche Delikte sind überdies nur wenig geeignet, hinreichend von persönlicher „Betroffenheit“ geprägte Zeugenaussagen zu veranlassen und hierzu zählt wiederum ein wesentlicher Teil der zur „Alltagskriminalität“ zu zählenden Straftaten. Gerade in kleineren, wenig komplexen Strafsachen dürften zudem die Aussagen regelmäßig zu wenig umfassend sein, um eine Inhaltsanalyse zu erlauben. Und gerade in Bezug auf die Gruppe der einem Beschuldigten aus den verschiedensten Gründen nahe stehenden potenziellen Belastungszeugen, deren Aussagen vielleicht nicht förmlich erzwungen werden müssen, die aber häufig nur widerwillig aussagen, ist zu erwarten, dass ihre Bekundungen aufgrund fehlender Kooperationsbereitschaft zu knapp und damit nicht auswertbar ausfallen. Eine Vielzahl dieser Faktoren wird auch bei einer Hinzuziehung von Fachgutachtern Wirkung entfalten. Und selbst deren Analyse vermag – auch im gedachten Idealfall der Auswertung einer optimal geeigneten Aussage – aufgrund der aufgezeigten Verfahrensungenauigkeiten (und nicht zuletzt fehlender quantitativer Kriterien) keine hinreichend sichere Unterscheidung zwischen zutreffenden und unzutreffenden Zeugenaussagen zu gewährleisten.

VI. Fazit Nach allem lässt sich sagen, dass den kritischen Stimmen im Wesentlichen Recht zu geben ist: Der Zeugenbeweis ist ein unsicheres Beweismittel und wird auch durch die vielfältigen Ansätze zur Aufdeckung unzutreffender Aussagen nicht maßgeblich zuverlässiger. Mindestens ebenso verbreitet wie intentional unrichtig abgegebene Aussagen treten Fehlleistungen von Beweispersonen im Bereich der Wahrnehmung, Verarbeitung und Übermittlung beweisrelevanten Geschehens auf. Hiervon sind genau wie alle anderen auch die bemühtesten, aufmerksamsten und „aufrichtigsten“ Zeugen selbst unter den denkbar besten Wahrnehmungs- und Reproduktionsbedingungen betroffen282. Neben widrigen äußeren Umständen bergen insbesondere subjektive Betroffenheiten aufgrund bestimmter interpersonaler Bezüge ein deutlich erhöhtes Risikopotential, das sich wiederum (mindestens) ebenso häufig in intentional unrichtigen wie in unbewusst oder ungewollt falschen Bekundungen manifestiert. Insoweit erlangen die traditionellen Kriteriologien „verdächtiger“, „zweifelhafter“ Zeugen Geltung: Keine Bestätigung findet lediglich die einem eher formali282

s. auch Barton, Fragwürdigkeiten des Zeugenbeweises, S. 42.

VI. Fazit

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sierten Denken verhaftete Annahme, dass – im weitesten Sinne – „schlecht beleumundeten“ oder aus welchen Gründen auch immer in ihren rechtlichen oder sozialen Gestaltungsmöglichkeiten beschränkten Zeugen mit berechtigtem Misstrauen zu begegnen sei. Es bleibt aber die Feststellung, dass auch wenn evident ist, dass eine einseitige Konzentration auf intentional unzutreffend abgegebene Aussagen der Realität nicht gerecht wird, in ihrer eigenen Sphäre (mittelbar oder unmittelbar) tangierte Beweispersonen sowohl bessere Zeugen sein können, weil die Involvierung ihre Aufnahmefähigkeit verbessert hat, als auch deutlich „schlechtere“ Zeugen, wenn die (Mit-)Betroffenheit zu Wahrnehmungsverzerrungen, Verarbeitungsfehlern oder gezielt falschen Angaben geführt hat. Über die generelle Fehlergeneigtheit des Zeugenbeweises hinaus ist daher bei Auskunftspersonen, die in einem Vertrauens- oder Näheverhältnis zu einem Beschuldigten stehen, aber auch bei ihm gegenüber eher negativ eingestellten Personen von einem potenziell zusätzlich erhöhten Risiko bewusst oder unbewusst realitätswidriger Aussagen auszugehen. Besonders risikobehaftet sind Aussagen, die aufgrund der Durchsetzung einer allgemeinen Zeugnispflicht erzwungen werden mussten283. Die derzeit gängigen Methoden zur Erkennung intentional unzutreffender Zeugenaussagen erweisen sich bei eingehenderer Betrachtung als überwiegend nicht hinreichend verlässlich. Insbesondere der verhaltensanalytische und der motivationsanalytische Ansatz gehen über die Bedeutung alltagstheoretischer Kriteriologien kaum hinaus und sind zudem von ihrer „Treffgenauigkeit“ her höchst unsicher284. Aber auch die heute als Grundlage fundierter Glaubhaftigkeitsbeurteilung bevorzugt herangezogene inhaltsorientierte Aussageanalyse ist nur bedingt zuverlässig und ihr Anwendungsbereich von vornherein begrenzt285: Die Kumulation von Faktoren, die die Anwendbarkeit der kriterienorientierten Inhaltsanalyse in den meisten Strafverfahren von vornherein begrenzen (namentlich: Sachverhalts- und Deliktsspezifität brauchbarer, d. h. analysier- und auswertbarer Aussagen, Erfordernis eines hinreichenden Aussageumfangs, Gewährleistung adäquater Umstände der Aussageerhebung und hinreichend genauer Protokollierung, häufig fehlende aussagepsychologische Kompetenz von forensischen Vernehmungspersonen und Unmöglichkeit der Zuziehung von Fachgutachtern in jedem Einzelfall), ihre Ungeeignetheit zur zuverlässigen Unterscheidung subjektiv erlebnisgebundener von objektiv zutreffenden Aussagen und der für eine Beurteilung notwendige Zeitaufwand, der im alltäglichen Strafverfahren nicht betrieben werden kann, machen die inhaltsorientierte Glaubhaftigkeitsbeurteilung im „durchschnittlichen“ Verfahren zu einem unbrauchbaren Instrument. Und auch wenn überwiegend davon ausgegangen wird, dass im Rahmen einer von entsprechend ausgebildeten Begutachtern kunstgerecht durchgeführten Exploration recht ver283 Hierauf weisen auch z. B. Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1241; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 26 Rn. 14; Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 61 ff. m.Nw.; Kühl JuS 1986, 115, 117 / 118 hin; s. auch oben S. 88, 89. 284 Vgl. oben V.2.a) bb) (S. 104 f.) sowie b) bb) (S. 107 ff.). 285 s. oben V.2.c) bb) (S. 116 ff.) und cc) (S. 119 ff.).

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C. Zur Validität des Zeugenbeweises

lässliche Ergebnisse zu erzielen sind286, ist im Einzelfall von ihrer nur bedingten Zuverlässigkeit auszugehen: selbst bei „qualifizierter“ Anwendung ist das Fehlerpotential insbesondere aufgrund mangelnder quantitativer Anknüpfungspunkte sowie Unwägbarkeiten der Auslegung und Validität einzelner Glaubhaftigkeitsmerkmale nicht zu unterschätzen287. Dies ist nicht als pauschale Kritik an der Einführung von Erkenntnissen forensischer Psychologie in das Strafverfahren zu verstehen. Die obigen Ausführungen sollten aber verdeutlicht haben, dass, auch wenn forensische Praktiker sich dies wünschen dürften, alle (bisherigen) aussagepsychologischen Ansätze keine sichere – quasi-mathematische – Einschätzung der Glaubhaftigkeit einer Aussage erlauben, sondern lediglich formale Anhaltspunkte aufzeigen, die eine Vernehmungsperson unterstützen und leiten können bei der letztlich intuitiv zu treffenden Entscheidung über die Glaubhaftigkeit einer Aussage288. Inwieweit diese intuitive Beurteilung Realitätsbezug aufweist, hängt wesentlich von den individuellen Voraussetzungen ab, die die Vernehmungsperson mitbringt, lässt sich aber weder verallgemeinern noch übertragen. Klar muss sein, dass die Annahme, anhand (zutreffender noch: aufgrund) objektiver Kriterien verlässliche Angaben zur Glaubhaftigkeit einer bestimmten Aussage machen zu können, trügerisch ist. Das spricht weder gegen die Beiziehung psychologischer Fachgutachter (die aufgrund größerer Erfahrung und theoretischer Fundierung den weitaus meisten juristischen Laienpsychologen immerhin überlegen sind) noch gegen Bestrebungen von Praktikern zur Weiterbildung; die Erkenntnis der systemimmanenten Ungenauigkeit jeglicher Glaubhaftigkeitsanalyse muss aber präsent bleiben, um nicht der Versuchung zu erliegen, zu großes Vertrauen in die Vorstellung der Durchschaubarkeit menschlichen Verhaltens zu setzen. Andererseits lässt sich nicht bezweifeln, dass ein genereller Verzicht auf den Zeugenbeweis kaum möglich ist: andere Beweismittel sind häufig nicht (in ausreichendem Maß) vorhanden, nicht hinreichend aussagekräftig oder ebenfalls fehlerbehaftet289; ein verstärkter Rückgriff auf Sachbeweismittel kann außerdem eine größere Abhängigkeit der Beweisführung von nunmehr in diesem Zusammenhang erforderlichen fachgutachterlichen Stellungnahmen zur Folge haben. Ein Schwerpunkt muss daher auf die Verbesserung der aussagepsychologischen Kenntnisse der Verfahrensbeteiligten gelegt werden; wo sich Falschaussagen 286 Greuel / Offe u. a., Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, S. 137 ff. m.w.Nw.; Fabian / Greuel / Stadler StV 1996, 347, 348; Trankell, Der Realitätsgehalt von Zeugenaussagen, S. 122 f., 146; Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, S. 22 ff. 287 Zum Ganzen Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1469. 288 Vgl. in diesem Sinne auch die realistische Einschätzung von Trankell, Der Realitätsgehalt von Zeugenaussagen, S. 145: „Die aussagepsychologische Realitätsanalyse ( . . . ) ist eine Form des analytischen Denkens, bei der das Vorgehen des gesunden Menschenverstandes im Alltagsleben systematisch ausgestaltet und dadurch kontrollierbar gemacht worden ist, daß unsere Manipulationen mit dem Material formalisiert worden sind.“ 289 s. nur Barton, Fragwürdigkeiten des Zeugenbeweises, S. 60.

VI. Fazit

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nicht aufdecken lassen, lassen sich zumindest im Rahmen des Strafverfahrens veranlasste ungewollte Gedächtnistrübungen vermeiden290. Festzuhalten bleibt, dass die Ergebnisse dieses Abschnitts unter aussagepsychologischen Gesichtspunkten die Annahme nahe legen, dass ein Verzicht auf die Aussagen der den Beschuldigten persönlich nahe stehenden Zeugen, die sich durch den Rückzug auf ein Aussageverweigerungsrecht selbst für „befangen“ erklären, leicht fallen sollte.

290

So auch Barton, Fragwürdigkeiten des Zeugenbeweises, S. 60.

9 Jansen

D. Ratio des Zeugnisverweigerungsrechts aus persönlichen Gründen, § 52 StPO I. Hintergründe der Einräumung des Zeugnisverweigerungsrechts In den vorangegangenen Abschnitten wurde dargelegt, dass Zeugnisverweigerungsrechte aus persönlichen Gründen gem. § 52 Abs. 1 StPO einem recht weiten Kreis von Personen eingeräumt werden, die in bestimmten typisierten Näheverhältnissen zu einem Beschuldigten stehen. Zahlreiche dieser nunmehr Aussageverweigerungsberechtigten waren auch im historischen „Strafverfahren“ fast aller Epochen mit wechselnden Begründungen immer wieder vom Auftreten als Zeugen im gerichtlichen Verfahren entbunden. Hinter dieser sowohl privilegierend im Sinne einer Befreiung als auch beschränkend im Sinne eines Ausschlusses wirkenden Suspendierung vom Zeugniszwang stand fast durchgehend – jedenfalls nicht zuletzt – die Überzeugung von der besonderen Unzuverlässigkeit der Aussagepersonen, die in einem persönlichen Verhältnis zu einem Beschuldigten standen. Auf der Basis neuerer aussagepsychologischer Erkenntnisse muss als belegt gelten, dass über die stets zu berücksichtigende generelle Unsicherheit des Zeugenbeweises – gerade des zwangsweise durchgesetzten – hinaus, insbesondere Aussagen der Zeugen als weniger valide angesehen werden müssen, die von den Auswirkungen eines Strafverfahrens unmittelbar oder mittelbar betroffen oder sonst in das Privatleben eines Beschuldigten involviert sind. Einerseits muss daher damit gerechnet werden, dass die Verlässlichkeit einer Aussage abnimmt, je näher eine Beweisperson dem Beschuldigten steht; andererseits lassen sich durch diese Beweisperson möglicherweise Erkenntnisse erlangen, die kein anderes Beweismittel zu transportieren vermag. Gerade den Beschuldigten persönlich nahe stehende Zeugen sind – ihre Wahrnehmungsbereitschaft beziehungsweise -fähigkeit1 im Einzelfall vorausgesetzt – regelmäßig in der Lage, detaillierte Beobachtungen zu allgemeinen Verhaltensweisen, bestimmten Handlungen und der gesamten Lebensgestaltung, den persönlichen Verhältnissen eines Beschuldigten zu machen. Da derartige Nähebeziehungen zudem vielfach auf engen Vertrauensverhältnissen beruhen2, erfahren die s.o. S. 76 ff., Abschnitt C.II.1. (und 2.). Vgl. hier nur Müssig GA 1999, 119, 129 und BVerfGE 57, 170, 178; s. sogleich unten D.II.1.c) (S. 144 ff.). 1 2

I. Hintergründe

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Zeugen auch Dinge, die sie selbst nicht beobachten oder nicht beobachten können, durch vertrauliche Mitteilungen der Beschuldigten selbst3. Diese Zeugen sind allerdings durch Offenbarung ihrer Kenntnisse wesentlich eher (häufig auch intensiver) in eigenen Interessen betroffen als (relativ) unbeteiligte Zeugen und können zudem je nach dem Thema einer Zeugenbefragung in das Dilemma der „Illoyalität“ dem Beschuldigten gegenüber geraten. Zudem kann gerade bei diesen Zeugen der Übergang von für den Beschuldigten „ungefährlichen“ zu belastenden Inhalten einer Aussage fließend sein4. Das über § 52 gewährte, nicht zuletzt von § 252 StPO flankierte, umfassende Zeugnisverweigerungsrecht realisiert im Fall seiner Inanspruchnahme die gesetzgeberische Bereitschaft zu freiwilligem Verzicht auf eine große Zahl potenziell besonders kenntnisreicher und damit zumindest insoweit überdurchschnittlich wertvoll erscheinender Zeugenaussagen. Hieraus ergibt sich die Frage nach dem Hintergrund dieser inhaltlich und personell relativ weit reichenden Privilegierung. Zumindest was den letztgenannten Aspekt, die Weite des privilegierten Personenkreises angeht, lässt sich unter Verweis und Rückgriff auf die Materialien zur RStPO recht schnell Aufschluss erlangen: Ergebnis der gesetzgeberischen Erwartung, dass auf personalen Nähe- und Vertrauensverhältnissen beruhende verwandtschaftliche Beziehungen regelmäßig besondere Verbundenheiten schaffen5, war der Ansatz, unter Berücksichtigung der analogen Bestimmungen des Entwurfs der Zivilprozessordnung typisierend einen denkbar weiten Personenkreis zu privilegieren, um keinerlei etwa bestehende Nähebeziehungen auszuschließen. Dies spiegelt sich in den Gesetzgebungsmaterialien wider, wenn einerseits in der amtlichen Begründung postuliert wird, der Kreis der Zeugnisverweigerungsberechtigten sei – zielgerichtet und in Erkenntnis der Tatsache, dass so auf Beweismittel verzichtet werde – zum Schutz der einem Beschuldigten nahe stehenden Personen „möglichst weit gezogen“ worden6, außerdem in der parlamentarischen Beratung des RStPOEntwurfs der Auffassung gefolgt wurde, auch „zwischen Personen, die im dritten Grade verwandt sind“ (im Beispielsfall Onkel und Neffe) bestünden „nicht selten solche Beziehungen“, die eine Befreiung vom Zeugniszwang nahe legten7. Die Weite des § 52 StPO in personeller Hinsicht sollte danach eine Einbeziehung aller erdenklichen, im gesellschaftlichen Interesse für schützenswert zu erachtenden personalen Nähebeziehungen gewährleisten8. 3 Vgl. Fels, Der privilegierende Einfluß der Angehörigeneigenschaft, S. 92 f. und Klöhn, Der Schutz der Intimsphäre im Strafprozeß, S. 151; s. auch schon Busch, Festschrift für Eb. Schmidt, S. 569. 4 Weigend, Gutachten für den 62. DJT, S. C 70 / 71 Fn. 230; Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 23; Otto NStZ 1991, 220, 222. 5 s. Fels, Der privilegierende Einfluß der Angehörigeneigenschaft, S. 100. 6 Motive, S. 44 (zit. nach Hahn, Die gesammten Materialien zur Strafprozeßordnung, S. 106 / 107). 7 s. Hahn, Die gesammten Materialien zur Strafprozeßordnung, S. 582.

9*

132

D. Ratio des Zeugnisverweigerungsrechts aus persönlichen Gründen

Angesichts der Frage nach dem konkreten Schutzzweck der Norm lässt sich demgegenüber nicht so einfach eine abschließende Lösung finden. Die in beziehungsweise für § 52 Abs. 1 StPO verorteten Normzwecke sind vielfältig. Teilweise wird sogar konstatiert, es existierten übermäßig viele Erklärungsansätze für dieses Zeugnisverweigerungsrecht9. Angeführt und diskutiert werden sowohl Individualinteressen – subjektivierte Interessen von Zeugen, Beschuldigten oder deren sonstigen Angehörigen –, als auch Allgemeininteressen, Zielvorgaben, deren Verfolgung Relevanz für den Bestand der gesellschaftlichen wie der Rechtsordnung zugeschrieben wird.

II. Normzwecke 1. Individualinteressen a) Schutz der Zeugen im originär eigenen Interesse In ihrer Grundidee unbestritten ist bisher nur die Auffassung, § 52 StPO diene der gesetzgeberischen Rücksichtnahme auf subjektive Interessen von Zeugen, die der Pflicht zur Ablegung eines wahrheitsgemäßen Zeugnisses nur nachkommen können, wenn sie dabei eine Aussage machen, die ihre in der Beschuldigtenposition befindlichen Angehörigen (auch) belastet und so möglicherweise zu deren Verurteilung führt oder beiträgt. Hier spiegelt sich deutlich die im deutschen Recht erstmals im reformierten Strafprozess10 mit einer gewissen Konsequenz verfolgte Idee, Belange des Strafverfahrens gegenüber bestimmten, für schützenswert erachteten Individualinteressen zurücktreten zu lassen. Der traditionelle Erklärungsansatz sieht die zum Beschuldigten in einem der aufgezeigten personalen Näheverhältnisse stehenden Zeugen – potenziell – in einem „Gewissenskonflikt“ oder „Pflichtenwiderstreit“ befangen11: während sie selbst regelmäßig auf weitgehende Entlastung des ihnen nahe stehenden Beschul8 Das Wissen um diese denkbar weite Konzeption des § 52 (§ 51 a.F.) wird auch noch in der frühen reichsgerichtlichen Rechtsprechung erkennbar, wenn es heißt, Zweck des Gesetzes und gesetzgeberische Absicht ließen „keinen Zweifel, daß der § 51 im weitesten Sinne aufgefaßt und verstanden werden muß“ (RGSt 12, 143, 145; Urt. v. 17. 4. 1885). 9 s. Weigend, Gutachten für den 62. DJT, S. C 68. 10 Vgl. oben Abschnitt B.III.1., S. 60 ff., S. 62 ff.; s. auch Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 76; R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 129 f. 11 s. nur BGHSt 10, 393, 394 und 12, 235, 239. Gleichermaßen wird postuliert, Zeugen befänden sich in „widernatürlichen Zwangslagen“ zwischen Aussage- und Wahrheitspflicht und den durch „Verwandtschaft ( . . . ) begründeten Interessen und Gefühlen“ (RGSt 1, 207, 208) bzw. der „sittlichen Hilfeleistungs- und Treupflicht“ gegenüber Angehörigen (vgl. BGHSt 3, 149, 152; 31, 395, 399) oder im „Konflikt zwischen Wahrheitspflicht und Verwandtenliebe“ (Roxin, Strafverfahrensrecht, § 26 Rn. 14), ein derartiger „Gewissenszwiespalt“ solle ihnen erspart werden (BGHSt 2, 351, 354); auch neuere Entscheidungen rekurrieren noch auf die Motivation durch „soziale Pflichten aus familiärer Bindung“ als wesentliches Kriterium, vgl. BGHSt 40, 211, 214.

II. Normzwecke

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digten von einem gegen ihn erhobenen Tatvorwurf bedacht seien, sähen sie sich der staatlichen Forderung nach Ablegung einer wahrheitsgemäßen und daher gegebenenfalls auch belastenden Aussage gegenüber, wenn nicht die Möglichkeit einer Suspendierung des Zeugniszwanges für sie bestünde12. Teilweise wird noch angefügt, diese Zeugen müssten durch Einräumung von Zeugnisverweigerungsrechten in ihrem eigenen Interesse vor der – angesichts der Ausgangssituation nahe liegenden – Versuchung bewahrt werden, einen solchen Konflikt durch Ablegung von Falschaussagen zu „bewältigen“13. Diese Wertung findet sich auch schon in den Motiven zur Strafprozessordnung, wenn es heißt, es sei „vorzuziehen ( . . . ), lieber auf ein Beweismittel zu verzichten, als einen nahen Angehörigen des Beschuldigten der Versuchung auszusetzen, zugunsten des letzteren einen Meineid zu leisten“14. Die einhellige Annahme, § 52 bezwecke den Schutz der aufgeführten Aussagepersonen um ihrer selbst willen, findet ihre Bestätigung nicht zuletzt in der Ausgestaltung der Norm, die den Beschuldigten (anders als etwa § 53 Abs. 2 StPO) keinerlei Dispositionsbefugnis über die Inanspruchnahme des Zeugnisverweigerungsrechts einräumt15. Ein solches (Mit-)Bestimmungsrecht würde eine potenzielle Zeugenbelastung aufrechterhalten 16, denn Beschuldigte könnten ange12 s. nur BGHSt 2, 351, 354; 3, 149, 152; 9, 37, 38 / 39; 11, 213, 216 (GS); 12, 235, 239 (GS); 17, 337, 348; 21, 303, 305; 22, 35, 36 / 37; 38, 96, 99; 40, 211, 214 / 215; BGH NJW 1961, 1484, 1485; BGH bei Dallinger MDR 1966, 384; BGH NStZ 1988, 562, 563; BGH NStZ 1998, 469, 471; RGSt 1, 207, 208; 12, 143, 145; 55, 20; LR-Dahs, § 52 Rn. 1; KKSenge, § 52 Rn. 1; Meyer-Goßner, § 52 Rn. 1; KMR-Paulus, § 52 Rn. 2; HK-Lemke, § 52 Rn. 2; Pfeiffer, StPO, § 52 Rn. 1; Eisenberg, Beweisrecht, Rn. 1241; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 26 Rn. 14; Schlüchter, Strafverfahren, Rn. 484; Ranft, Strafprozeßrecht, Rn. 500; Rengier, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 8; R. Hauser, Zeugenbeweis, S. 178; Baier, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 54; Spelthahn, Zeugnisverweigerungsrecht, S. 40 / 41; P. Schmitt, Zeugnisverweigerungsrechte, S. 45; Skwirblies, Lebensgemeinschaft, S. 186; Meuthien, Zeugnisverweigerungsrecht, S. 21 / 22; Fels, Angehörigeneigenschaft, S. 99; Zottmann, Zeugnisverweigerungsrecht, S. 13; Bialek, Zeugnisverweigerungsrecht, S. 93; Busch, Festschrift für Eb. Schmidt, S. 570; Peters, Gutachten 46. DJT, S. 91, 115; Hoffmann MDR 1990, 111, 112; auch schon Beling, Beweisverbote, S. 16; Gerland, Strafprozeß, § 66 I.2.; Lorch, Zeugnisverweigerungsrecht, S. 8; hinsichtlich der Zielvorstellung zustimmend, aber krit. zur Stringenz ihrer praktischen Umsetzung: Weigend, Gutachten 62. DJT, S. C 70 f.; s. auch SK-Rogall, Vor § 48 Rn. 140, 141. 13 s. nur BGHSt 2, 351, 354; 9, 37, 39; 10, 393 / 394; 12, 235, 239 (GS); 38, 96, 99; RGSt 12, 143, 145; RGSt 68, 275, 277 f.; Peters, Gutachten für den 46. DJT, S. 91, 115; R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 178; Spelthahn, Das Zeugnisverweigerungsrecht von Angehörigen eines Mitbeschuldigten, S. 40 / 41; Skwirblies, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, S. 186; Meuthien, Das Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen im Strafprozeß, S. 21; Zottmann, Das Zeugnisverweigerungsrecht in den deutschen Verfahrensgesetzen, S. 13; Busch, Festschrift für Eb. Schmidt, S. 570; Gerland, Der deutsche Strafprozeß, § 66 I.2. 14 Motive, S. 44 (bei Hahn, Die gesammten Materialien zur Strafprozeßordnung, S. 106). 15 s. auch SK-Rogall, Vor § 48 Rn. 140 m.w.Nw.; P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 62. 16 Zu diesem Schluss kommt auch Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 254 / 255.

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D. Ratio des Zeugnisverweigerungsrechts aus persönlichen Gründen

sichts ansonsten u.U. zu erwartender negativer Auswirkungen auf die Beweiswürdigung17 Aussagen ihnen nahe stehender Personen in der Hoffnung auf eine (bewusst unwahre) Entlastung „zulassen“18; denkbar – wenn auch weniger praxisnah – sind ebenfalls Fallkonstellationen, in denen Beschuldigte mit zutreffend belastenden Aussagen einverstanden wären, die Zeugen aber auf keinen Fall gegen den Beschuldigten aussagen möchten oder die Beschuldigten (im Gegensatz zur Aussageperson) den belastenden Inhalt einer Aussage nicht in vollem Umfang erfasst haben und deshalb eine Aussage „ihres“ Zeugen gestatten19. Auch die in Rechtsprechung und Schrifttum20 bestehende Einigkeit darüber, dass es für § 52 angesichts der typischerweise zu erwartenden Belastungssituation weder darauf ankommt, ob Zeugen im Einzelfall tatsächlich Belastendes zu bekunden haben, noch dass sie sich durch eine Pflicht zur (wahrheitsgemäßen) Aussage tatsächlich belastet fühlen würden, muss ihren Ursprung in der Erkenntnis finden, dass jeder Versuch einer Überprüfung, warum eine Auskunftsperson von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht, schon einen Eingriff in das Interesse der Zeugen, nicht durch eigenes Mitwirken zur Belastung einer ihnen nahe stehenden Person beizutragen, darstellen würde und daher zu vermeiden ist: Deshalb ist nicht zu erforschen, ob die aussageverweigernde Aussageperson sich tatsächlich durch eine (be- oder entlastende) Aussage belastet sieht und es kommt nur auf die Möglichkeit einer (subjektiven) Belastung der Zeugen an. Eine Begrenzung des Zeugnisverweigerungsrechts auf belastende Angaben wäre schon nicht praktikabel, weil die Grenzen zwischen be- und entlastenden Informationen regelmäßig fließend sind, hätte aber vor allem für die schließlich erstattete (Rest-)Aussage mindestens faktisch eine erheblich „glaubwürdigkeitsmindernde“ Wirkung21, was eine zusätzliche Belastung für die Auskunftsperson bedeuten würde. Die Annahme, dass § 52 StPO wichtige Eigeninteressen der Zeugen berücksichtigt, findet daher auch hier eine nicht unbeachtliche Stütze. Neuere Ansätze thematisieren verstärkt die theoretische Fundierung dieses primär zeugenschützenden Normzwecks. Die Berücksichtigung eigener Rechtsposi17 s. BGHSt 20, 298 ff. und 45, 363, 364 f. für die Nichtentbindung (gem. § 53 StPO) zeugnisverweigerungsberechtigter Aussagepersonen von der Schweigepflicht: diese kann unter den gleichen Voraussetzungen wie das sog. „Teilschweigen“ im Gegensatz zum konsequenten („Voll-“) Schweigen eines Beschuldigten (hierzu BGHSt 32, 140, 144 f.) zum Gegenstand richterlicher Beweiswürdigung werden. 18 Hierauf weisen zutreffend Weigend, Gutachten für den 62. DJT, S. C 71 / 72 Fn. 230 und Welp, Festschrift für Bemmann, S. 628, hin. 19 s. zu derartigen Fallkonstellationen schon Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 254 / 255. 20 s. nur BGHSt 12, 235, 239; 14, 159, 161; 30, 193, 196 / 197; LR-Dahs, § 52 Rn. 1; KKSenge, § 52 Rn. 1; Meyer-Goßner, § 52 Rn. 1; KMR-Paulus, Vorb. § 48 Rn. 79; SK-Rogall, Vor § 48 Rn. 140; Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 8; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1242; Schlüchter, Das Strafverfahren, Rn. 484; Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 207 Fn. 2; Busch, Festschrift für Eb. Schmidt, S. 570. 21 Weigend, Gutachten für den 62. DJT, S. C 71 / 72 Fn. 230.

II. Normzwecke

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tionen der Zeugen gibt insoweit die Richtung vor: die dogmatische Verankerung der subjektiven (Weigerungs-)Rechte der Zeugen orientiert sich primär an deren Grundrechten22. Ein Rückgriff auf Verfahrensgrundsätze ist zur Begründung des Normzwecks „Zeugenschutz“ demgegenüber wenig geeignet. Zwar soll auf der Basis etwa des – relativ vagen – fair trial-Prinzips23 allen Verfahrensbeteiligten die Wahrnehmung ihrer prozessualen Rechte und Möglichkeiten gewährleistet werden24; dies setzt jedoch die (dogmatisch25 fundierte beziehungsweise fundierbare) Existenz von Zeugenrechten bereits voraus und kann allenfalls ihre Durchsetzung und legislatorische Ausgestaltung, nicht aber ihre Herleitung begründen26. Zudem ist Weigend insoweit zuzustimmen, als er zu bedenken gibt, ob bei einem nach dem fair trial-Prinzip gegen einen Beschuldigten zu führenden (und geführten) Verfahren gerade die Fairness den (nichtverdächtigen) Zeugen gegenüber im Vordergrund steht27. Auch soweit zur Geltendmachung von Zeugnisverweigerungsrechten auf das verfassungsrechtliche Übermaßverbot rekurriert wird, bringt dies für die Erklärung des zeugenorientierten Ansatzes des § 52 StPO keinen Gewinn; die Berufung auf das Übermaßverbot ermöglicht angesichts der bestehenden Regelungen allenfalls die einzelfallorientierte unmittelbare Ableitung im einfachen Recht nicht explizit ausformulierter Zeugnisverweigerungsrechte aus dem Verfassungsrecht28. Zunehmend Anklang findet hingegen gerade in jüngerer Zeit die Verankerung des originär zeugenschützenden Normzwecks des § 52 StPO im Persönlichkeitsrecht, Art. 2 Abs. 1 i.V. mit Art. 1 Abs. 1 GG, der jeweiligen Auskunftsperson29. 22 In diesem Sinne Weigend, Gutachten für den 62. DJT, S. C 20 mit Verweis auf BVerfGE 38, 105, 114, wo auf das Persönlichkeitsrecht der Zeugen als spezifisches und insofern umfassendes Abwehrrecht Bezug genommen wird. 23 Dies nennt Bialek, Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen, S. 93, als Bezugspunkt; missverständlich insoweit auch Steiner, Das Fairneßprinzip im Strafprozeß, S. 57 sowie der Verweis von HK-Lemke, § 52 Rn. 3 auf BVerfG NStZ 2000, 489, 490. 24 s. nur BVerfGE 38, 105, 111 (Zeugenbeistand in Hinblick auf § 55 StPO); LR-Rieß, Einl. Abschn. H, Rn. 106 ff. m.w.Nw.; KK-Pfeiffer, Einleitung Rn. 28 ff., 29; Meyer-Goßner, Einl Rn. 19, 156, 157; vgl. auch LR-Dahs, § 55 Rn. 4; OLG Stuttgart NStZ 1992, 340, 341; LG Hannover StV 1987, 526; Thomas NStZ 1982, 489 ff. 25 Anhand anderer Rechtsverbürgungen. 26 Ähnlich Weigend, Gutachten für den 62. DJT, S. C 20; BVerfGE 38, 105, 114. Anders sieht dies offenbar Bialek (Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen, S. 93) mit Verweis auf Steiner (Das Fairneßprinzip im Strafprozeß, S. 57) sowie unter irrtümlichem Bezug zu BVerfGE 56, 37, 44 / 45, wo allerdings ersichtlich nur § 55 Abs. 1, 1. Alt. StPO und vergleichbare, dem nemo tenetur-Grundsatz geschuldete, Zeugnisbzw. Auskunftsverweigerungsrechte gemeint sind. 27 Weigend, Gutachten für den 62. DJT, S. C 20 Fn. 27. 28 s. nur KMR-Paulus, Vorb. § 48 Rn. 80; dies übersieht Bialek, Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen, S. 93 Fn. 322, anscheinend.

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D. Ratio des Zeugnisverweigerungsrechts aus persönlichen Gründen

Lange wurde nur zur Erläuterung des § 55 Abs. 1, 1. Alt. StPO auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht sich potenziell selbst belastender Zeugen rekurriert sowie zur Herleitung der Normzwecke der §§ 52 und 53 StPO auf das Persönlichkeitsrecht der Beschuldigten30. Neu ist die Erörterung der Betroffenheit der Zeugen in ihrem Persönlichkeitsrecht in Bezug auf § 52 StPO. Dieser Sichtweise liegt die Überlegung zu Grunde, dass es für Aussagepersonen regelmäßig eine ihr Persönlichkeitsrecht verletzende unzumutbare Belastung darstellt, gegen ihren Willen in Strafverfahren gegen ihnen persönlich besonders nahe stehende Personen auszusagen. Ob § 52 StPO damit schon als „Ausformung“ des nemo tenetur31-Prinzips zugunsten dieser Zeugen32 zu sehen ist, weil der Zwang zur Belastung von Angehörigen dem Zwang zur Selbstbelastung als Fall der Verletzung eigener Rechtsgüter völlig gleichzuachten ist33, erscheint zwar zweifelhaft: im Regelfall bestehen Unterschiede in der Belastungsintensität, je nachdem ob das Eingeständnis eigenen Fehlverhaltens erzwungen und durch („besonders zugespitzte“34) Funktionalisierung eines potenziell Tatverantwortlichen seine Überführung durch eigene (mittelbare oder unmittelbare) Beiträge ermöglicht werden soll, oder ob sich dies auf eine andere, wenn auch nahe stehende Person bezieht. Wenn der nemo tenetur-Grundsatz die Berücksichtigung der durch das „menschliche Selbsterhaltungsbedürfnis“ gezogenen Grenzen des Persönlichkeitsrechts gewährleistet35, spiegelt sich die Grenze dieser Rechtsverbürgung in der Formulierung „se ipsum (prodere)“36; diese Formel spricht von einer Enthebung von der Pflicht zur Selbstbelastung, trägt aber nicht die Belastung (der Zeugen) durch die Pflicht zur Aussage gegen andere und adressiert damit recht deutlich die mit strafrechtlichen37 Konsequenzen un29 s. Weigend, Gutachten für den 62. DJT, S. C 70 / 71, Fn. 229; SK-Rogall, Vor § 48 Rn. 141 und Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 64, 151 f. 30 s. nur Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 76 / 77 m.w.Nw. 31 „Nemo tenetur se ipsum prodere“ („niemand ist gehalten, sich selbst zu überführen“ bzw. „verraten“) oder auch „. . . se ipsum accusare“ („. . . sich selbst anzuklagen“). Zur Herleitung vgl. ausführl. Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, insbes. S. 67 ff., 104 ff. 32 Zur Frage, inwieweit in § 52 StPO ein Ausfluss des nemo tenetur-Prinzips in seiner den Beschuldigten schützenden Form zu sehen ist, s. sogleich unten, D.II.1.d), S. 151 ff. 33 So SK-Rogall, Vor § 48 Rn. 141 sowie Vor § 133 Rn. 153; Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 150 ff.; ähnlich Eser ZStW 86 (Beiheft 1974), 136, 165. Gleichwertigkeit der Zwangslagen bejaht auch Rengier JR 1982, 477, 478; gegen eine Heranziehung des nemo tenetur-Satzes trotz gleicher Belastungsintensität: Kühl JuS 1986, 115, 117. 34 Keller, Rechtliche Grenzen der Provokation von Straftaten, S. 132. 35 s. nur Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 145 ff. und ders., in SK, Vor § 133 Rn. 132 jew. m.w.Nw. 36 s. Fn. 31. 37 Den strafrechtlichen Konsequenzen (genauer: der Gefahr, sich Strafverfolgungsmaßnahmen auszusetzen) ist nach h.M. die Gefahr gleichzusetzen, wegen einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden; s. BVerfGE 55, 144, 150; 56, 37, 43; SK-Rogall, Vor § 133 Rn. 148 m.w.Nw.; Dingeldey JA 1984, 407, 410; Seebode JA 1980, 491, 497; a.A.: Stürner NJW

II. Normzwecke

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mittelbar (selbst) bedrohte Person38. Daher überdehnt Rogalls Auslegung den Anwendungsbereich des nemo tenetur-Grundsatzes39. Andererseits sind die Unterschiede in der Belastungsintensität durch eine Selbstoder Fremdbelastung insbesondere bei intensiven Nähebeziehungen häufig nur marginal, so dass sich sagen lässt, dass die Rücksichtnahme auf das Zeugeninteresse, Angehörige nicht belasten zu müssen, jedenfalls auf einem dem nemo teneturGrundsatz ähnlichen Grundgedanken beruht40. Das nemo tenetur-Prinzip selbst ist, soweit deutsches Verfassungsrecht betroffen ist, als Persönlichkeitsrecht in Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG verankert41. Der Kreis schließt sich daher, wenn letztlich Weigend gefolgt wird, der angesichts der Betroffenheit angehöriger Zeugen in eigenen Rechten zutreffend der These einer Herleitung des originär zeugenschützenden Normzwecks des § 52 StPO aus dem Persönlichkeitsrecht zustimmt42. Unabhängig von teilweise unterschiedlichen Vorstellungen zur konkreten Verankerung dieses Normzwecks ist festzuhalten, dass grundsätzliche Einigkeit über die explizit zeugenschützende Orientierung des § 52 StPO besteht. In neuerer Zeit wird allerdings – fixiert an der Frage der Mitwirkung an der Überführung nahe stehender Personen – eine Präzisierung und damit eine umfassendere Umsetzung dieses Ansatzes vorgeschlagen: Unter Verweis auf die §§ 81 c Abs. 3, 97 Abs. 1 Nr. 1 StPO kommt Bialek zu dem Schluss, es stelle unter systematischen Gesichtspunkten einen Bruch dar, die ratio des § 52 StPO (einengend) auf den Schutz vor 1981, 1759; Günther GA 1978, 193, 205; Stümpfler DAR 1973, 1, 10. Zum Streitstand Verrel NStZ 1997, 361, 365 bei Fn. 69. S. auch § 55 Abs. 1 StPO. 38 Dies sieht i.Ü. auch Rogall in SK, Vor § 133 Rn. 150 a.E., wenn er auf das Erfordernis der „Herbeiführung staatlicher Sanktionen“ abstellt. 39 So i.E. auch Weigend, Gutachten für den 62. DJT, S. C 70 / 71 Fn. 229. 40 P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 45; ähnlich Amelung, Informationsbeherrschungsrechte im Strafprozeß, S. 35; s. auch RGSt 1, 207, 208, wo Angehörigen- und Selbstbelastung als gleichermaßen unzumutbar bezeichnet werden; Widmaier, Wahrheitsfindung zwischen Aufklärungspflicht und Beweisverboten, S. 35. 41 So jedenfalls die überwiegende Meinung, s. nur BVerfGE 38, 105, 114 / 115; 55, 144, 150; 56, 37, 41 / 42, 49 f.; 95, 220, 241; BGHSt 1, 39, 40; 36, 328, 332; 38, 214, 220 / 221; 38, 263, 266; 38, 302, 305; 45, 363, 364; Kühl JuS 1986, 115, 117; Dingeldey JA 1984, 407, 409; Stürner NJW 1981, 1757; H.J. Bruns, Festschrift für Schmidt-Leichner, S. 8; Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 139 ff., 147 und ders., in SK, Vor § 133 Rn. 136 (der von einem aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht herausgelösten besonderen Persönlichkeitsrecht spricht). S. aber auch OLG Düsseldorf StV 1992, 503, 505 sowie Keller, Rechtliche Grenzen der Provokation von Straftaten, S. 131 ff. (insoweit abl. SK-Rogall, Vor § 133 Rn. 138). Eingehend zu weiteren Erklärungsansätzen aus verfassungsrechtlicher Perspektive außerdem: Nothhelfer, Die Freiheit von Selbstbezichtigungszwang, S. 10 ff. und nochmals SK-Rogall, a. a. O., Rn. 132. 42 Weigend, Gutachten für den 62. DJT, S. C 70 / 71. Eine konkrete (Grundrechts-)Verankerung des zeugenschützenden Ansatzes des § 52 StPO bietet nicht zuletzt eine methodisch tragfähige Untermauerung der salbungsvollen (s. die Beispiele in diesem Abschnitt bei Fn. 11), aber gerade unter dogmatischen Gesichtspunkten eher diffusen Formeln, die zur Schutzzweckbestimmung herangezogen werden.

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der Einforderung aktiver Mitwirkungshandlungen zu beziehen; vielmehr sollten über § 52 die Zeugen von der Zumutung freigestellt werden, in Erfüllung strafprozessualer Mitwirkungspflichten gegen ihren Willen zum Beweismittel gegen den ihnen persönlich verbundenen Beschuldigten werden zu müssen43. Dies wird primär unter Rekurs auf den Gesetzestext des § 81 c Abs. 3 abgeleitet, aufgrund dessen körperliche Untersuchungen oder Blutprobenentnahmen „aus den gleichen Gründen“ wie die Zeugenaussage verweigert werden können. Das Untersuchungsverweigerungsrecht gem. § 81 c Abs. 3 sowie das Beschlagnahmeverbot des § 97 Abs. 1 Nr. 1 StPO ergänzen das Zeugnisverweigerungsrecht des § 52 und sollen seine Umgehung verhindern44. Daraus soll sich nach der Auffassung Bialeks die Notwendigkeit ergeben, den Schutzzweck des § 52 umfassend unter Einbeziehung der hinter den §§ 81 c Abs. 3 und 97 StPO stehenden Leitvorstellungen zu formulieren45. §§ 81 c Abs. 3 und 97 StPO befreien im Gegensatz zu § 52 nicht von Mitwirkungs-, sondern von Duldungspflichten46. Daher soll eine „Beschränkung“ des Schutzzwecks auf das aktive Tätigwerden durch – möglicherweise belastende – Aussageerstattung für eine „übergreifende“ Beschreibung des Schutzgutes nicht geeignet sein und zugunsten einer Berücksichtigung nicht nur aktiver, sondern auch passiver Mitwirkungspflichten aufgegeben werden47. Dieses Ergebnis erscheint mit Blick auf § 81 c Abs. 3 insoweit sachgerecht, als es der umfassenden Schutzrichtung der in einem Verhältnis der Wechselwirkung stehenden §§ 52, 81 c StPO eher gerecht wird als die Beschränkung auf aktives Zeugenhandeln48; zu konstatieren ist allerdings die vor diesem Hintergrund auf 43 Bialek, Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen, S. 93. 44 LR-Dahs, § 52 Rn. 2; SK-Rogall, Vor § 48 Rn. 138, 149; SK-Rudolphi, § 97 Rn. 1; KK-Nack, § 97 Rn. 1; Meyer-Goßner, § 52 Rn. 1, § 97 Rn. 1; Pfeiffer, StPO, § 52 Rn. 1; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 380, 1242; OLG Celle NStZ 1989, 385; s. aber auch P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 46 und Weigend, Gutachten für den 62. DJT, S. C 68. Vgl. außerdem BVerfGE 20, 162, 188; 32, 373, 385; BGHSt 12, 235, 238 (GS); 38, 144, 145. 45 Bialek, Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen, S. 78 ff.; vgl. zur Frage wechselseitiger Beeinflussungen zwischen § 52 und § 81 c Abs. 3 StPO auch Busch, Festschrift für Eb. Schmidt, S. 570 f., 573. 46 Ähnlich P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 47; s. auch R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 266; LR-Dahs, § 81 c Rn. 50 m.w.Nw.; vgl. außerdem – zur Rechtslage vor Einführung des § 81 c Abs. 3 – RGSt 19, 364, 366 f. 47 Bialek, Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen, S. 80 f., 82. 48 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die (allerdings primär auf die Belehrung zum Untersuchungsverweigerungsrecht bezogene) Argumentation Dünnebiers, GA 1953, 65, 71 zum Verhältnis der §§ 52 und 81 c Abs. 3 StPO: er benennt das Recht der Angehörigen, zu bestimmen, ob sie durch ihre „Mitwirkung die Möglichkeit einer Belastung des Beschuldigten herbeiführen“ wollen oder nicht, unter Rekurs auf den Schutz der Menschenwürde als übergeordnetes Prinzip; a.A. hingegen P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 49.

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den ersten Blick widersprüchlich erscheinende Differenzierung zwischen der Befreiung Angehöriger von der Duldung körperlicher Untersuchungen und der andererseits nach überwiegender Ansicht49 gegebenen Pflicht zur Duldung der Inaugenscheinnahme50. Dieser Auffassung folgend ließe sich entgegenhalten, dass die richterliche Inaugenscheinnahme keinen dem Regelungsbereich des § 81 c StPO vergleichbaren, wesentlichen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht darstellt51. Sie ermöglicht keine Wahrnehmungen, die nennenswert über das hinausgehen, was grundsätzlich jeder am Verfahren Beteiligte oder Unbeteiligte ohne besondere (staatliche) Eingriffsbefugnisse bei einer Begegnung mit einem Zeugen feststellen könnte. Soweit eine Herleitung dieses Schutzzwecks unter Rekurs auf § 97 Abs. 1 Nr. 1 StPO erfolgt52, überzeugt sie jedoch nicht: hindert § 97 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 S. 1 die Beschlagnahme schriftlicher Mitteilungen zwischen Beschuldigten und zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugen, die sich im Gewahrsam der Zeugen befinden, so ist die Beschlagnahme anderer Beweisgegenstände (§ 94 Abs. 1, 2 StPO) unter Berufung auf § 52 nicht zu verhindern53. Dies verdeutlicht, dass § 97 StPO kein „Duldungsprivileg“ schaffen will, sondern den Schutz der Manifestierungen von Vertrauensverhältnissen54 zwischen Beschuldigten und Zeugen bezweckt55. Im Ergebnis lässt sich die explizit zeugenschützende Ausrichtung des § 52 StPO dahingehend präzisieren, dass Zeugen in ihrem eigenen Interesse von der Zumutung befreit werden sollen, sich gegen ihren Willen persönlich als Instrument der Überführung eines ihnen nahe stehenden Beschuldigten zur Verfügung zu stellen. 49 BGH GA 1965, 108, 109; OLG Hamm MDR 1974, 1036; LR-Dahs, § 81 c Rn. 30, § 86 Rn. 21; KK-Senge, § 81 c Rn. 10; Meyer-Goßner, § 52 Rn. 23 und § 81 c Rn. 23; HK-Lemke, § 52 Rn. 31; KMR-Paulus, § 81 c Rn. 27; AK-StPO-Wassermann, § 81 c Rn. 15; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1226, 2315 ff. Mit bedenkenswerter Begründung a.A.: SK-Rogall, Vor § 48 Rn. 124; s. auch Rogall MDR 1975, 813, 814. 50 Hierauf verweist P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 48. 51 s. auch OLG Hamm MDR 1974, 1036; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 2317. 52 So Bialek, Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen, S. 82 / 83. 53 Vgl. in diesem Zusammenhang P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 48. Auch § 95 Abs. 2 S. 2 StPO lässt nicht die Herausgabepflicht entfallen; aufgehoben ist nur die Befugnis, Ordnungs- und Zwangsmittel gegen angehörige Zeugen zu verhängen, um sie zu aktiven Mitwirkungshandlungen in Form der eigenhändigen Herausgabe zu veranlassen bzw. ihr verfahrensordnungswidriges Verhalten zu sanktionieren. 54 So auch Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 22. Zur ratio des § 97 StPO s. Dünnebier GA 1953, 65, 71 sowie Dünnebier MDR 1964, 965 (unter Verweis auf die Motive, bei Hahn, Die gesammten Materialien zur Strafprozeßordnung, S. 125); LR-Schäfer, § 97 Rn. 3 a, 16, 51; KK-Nack, § 97 Rn. 1; Meyer-Goßner, § 97 Rn. 10; s. auch R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 262 / 263. 55 Zum Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Beschuldigten und Zeugen sogleich unten, Abschnitt D.II.1.c), S. 144 ff.

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b) Schutz und Erhalt persönlicher Näheund Beistandsverhältnisse Vielfach wird angenommen, dass § 52 StPO nicht nur die Zeugen selbst vor unzumutbaren Belastungen schützen, sondern daneben auch den Zusammenhalt der betroffenen Familie insgesamt sichern will56. Die dem familialen Verhältnis als solchem eingeräumte hohe Wertigkeit ist darauf zurückzuführen, dass dieses eine traditionelle und typisierte Form der privaten Nähe- und Beistandsgemeinschaft zugunsten seiner Mitglieder verkörpert und auch als „bedeutendste Form des sozialen Zusammenlebens“57 betrachtet wird. Innerfamiliäre Nähebeziehungen sollen vor Beeinträchtigungen bewahrt werden, die zu befürchten sind, wenn interne Uneinigkeit über den Inhalt einer – staatlich erzwungenen – Zeugenaussage besteht oder ein Beschuldigter Vorwürfe wegen durch seine Angehörigen abgelegter (belastender) Zeugenaussagen vorbringt58. Die Möglichkeit der Zeugnisverweigerung soll danach die Sicherung des sozialen Familienfriedens gewährleisten59, der als konstituierend für den Bestand dieser Gemeinschaft angesehen wird60, und neben den anderen Familienangehörigen auch dem Beschuldigten seinen sozialen Rückzugsraum erhalten61. Durch den Versuch der Gewährleistung von Stabilität inner56 s. BVerfGE 36, 193, 203; BGHSt 11, 213, 216; 38, 96, 99; KMR-Paulus, § 52 Rn. 2; Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 8 (der dies aus dem Erfordernis des rein objektiven Vorliegens einer potenziellen Belastungssituation folgert); P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 49; Baier, Strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrechte außerhalb der StPO, S. 54; Spelthahn, Das Zeugnisverweigerungsrecht von Angehörigen eines Mitbeschuldigten, S. 41 ff., 44; Skwirblies, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, S. 187; Meuthien, Das Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen im Strafprozeß, S. 21 f.; Zottmann, Das Zeugnisverweigerungsrecht in den deutschen Verfahrensgesetzen, S. 28; Pelchen, Festschrift für Pfeiffer, S. 295; Otto NStZ 1991, 220, 222; Fuchs NJW 1959, 14, 17; Spendel NJW 1966, 1102, 1106; s. auch BGHSt 12, 235, 239 und 22, 35, 36; LR-Dahs, § 52 Rn. 1; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1241; Fels, Der privilegierende Einfluß der Angehörigeneigenschaft, S. 101 f.; Peters, Gutachten für den 46. DJT, S. 91, 115. Für die Strafprozessordnungen nordischer Länder: Andenaes, Gutachten für den 46. DJT, S. 1, 8; für schweizerisches Recht: R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 177 f. und H. C. Hauser, Das Zeugnisverweigerungsrecht im Strafverfahren, S. 33. 57 Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 11; (nur) was das „Allgemeininteresse“ am Zusammenleben in Beistandsgemeinschaften angeht zustimmend: Weigend, Gutachten für den 62. DJT, S. C 69, 74 / 75. 58 Explizit: Meuthien, Das Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen im Strafprozeß, S. 21; R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 177; Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 8; P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 49 m.w.Nw.; Spelthahn, Das Zeugnisverweigerungsrecht von Angehörigen eines Mitbeschuldigten, S. 41; angedeutet in BGHSt 38, 96, 99. 59 BGHSt 38, 96, 99; Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 8; s. auch Müssig GA 1999, 119, 129 / 130. 60 R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 177. 61 Vermittelt über den Familienschutzgedanken ist daher auch der Beschuldigte Schutzobjekt des § 52 StPO, s. Kühl JuS 1986, 115, 117; s. auch BGHSt 11, 213, 216; Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 9, 71, 72 und Müssig GA 1999, 119, 129 / 130.

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halb des persönlichen Beistands- und Näheverhältnisses hat § 52 außerdem eine nachprozessuale Schutzrichtung62. Soweit vorgebracht wird, es sei unverständlich, warum kein Vernehmungs- und Aussageverbot für Angehörige zur generellen Verhinderung belastender Aussagen gelte und der Gebrauch des Zeugnisverweigerungsrechts allein von der Entscheidung der Aussageperson abhänge, wenn § 52 tatsächlich dem Schutz des Familienfriedens dienen solle63, lässt sich zum einen die (schon historische) gesetzgeberische Vorstellung entgegenhalten, nach der Aussagepersonen nicht die Möglichkeit abgeschnitten werden sollte, als entscheidende Entlastungszeugen aufzutreten oder jedenfalls einzelne ihren Angehörigen günstige Tatsachen vorzutragen64. Der Einwand überzeugt auch angesichts des inzwischen herausgearbeiteten spezifischen „Programms“ der Norm nicht: berücksichtigt wird der (statistische) Regelfall, dass eine einen Angehörigen belastende erzwungene Zeugenaussage sich für Auskunftspersonen als Beeinträchtigung ihres Rechtskreises darstellt65. Sachverhalte, in denen dies nicht der Fall ist, oder in denen es für die Zeugen sogar eine Erleichterung bedeuten kann, wahrheitsgemäß gegen einen Beschuldigten auszusagen (wie dies z. B. in Bezug auf Opferzeugen nahe liegend erscheint)66, werden als Ausnahmen gesehen und können zur Gewährleistung umfassenden Schutzes aller Zeugen keine andere Behandlung rechtfertigen67. Einen absoluten Schutz familiärer Belange – gegenüber originär individuellen – kann es aus diesem Grund nicht geben, § 52 erfasst nur die Abwehr hoheitlicher Ansprüche. Schließlich lässt sich auch fragen, ob in Konstellationen, in denen Angehörige sich gegen den Willen 62 Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 8; P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 49; Baier, Strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrechte außerhalb der StPO, S. 54. 63 Insbes. Eb. Schmidt JZ 1958, 596, 597; ähnlich auch SK-Rogall, Vor § 48 Rn. 140; s. daneben Jescheck, Gutachten für den 46. DJT, S. 21, 53 und Weigend, Gutachten für den 62. DJT, S. C 69 / 70. 64 s. hierzu oben, Abschnitt B.III.2., S. 66. Vgl. Motive, S. 44 (zit. nach Hahn, Die gesammten Materialien zur Strafprozeßordnung, S. 106); Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 67; s. außerdem Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 110, 111; Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 25; Grünwald, Sitzungsberichte des 46. DJT, S. F 151; H. C. Hauser, Das Zeugnisverweigerungsrecht im Strafverfahren, S. 43 / 44; Zottmann, Das Zeugnisverweigerungsrecht in den deutschen Verfahrensgesetzen, S. 34. 65 Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 9; SK-Rogall, Vor § 48 Rn. 141: „einfachrechtliche Umsetzung“ folgt einer „typisierenden Leitlinie“. 66 Gerade diese Möglichkeit kann und soll den Zeugen nicht abgeschnitten werden, s. hierzu auch Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 25; Grünwald, Sitzungsberichte des 46. DJT, S. F 151; Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 111. Andererseits erscheint es vermessen, an Stelle dieser Zeugen pauschalierend festlegen zu wollen, was in deren „eigenstem“ Interesse ist bzw. der Gewährleistung ihres sozialen Rückzugsraumes am besten dient (s. aber Bialek, Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen, S. 68 ff.). 67 s. schon oben S. 133 f. sowie P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 62 / 63.

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des Beschuldigten zu einer diesen schwerwiegend belastenden Zeugenaussage entschließen, der Familienfriede nicht ohnehin regelmäßig bereits als gestört beziehungsweise zerrüttet anzusehen ist68. Nicht zuletzt unter diesem Gesichtspunkt69 bedeutete es auch keine Hilfe für den Beschuldigten, wenn ihm die Möglichkeit eingeräumt wäre, in die Aussage eines Angehörigen einzuwilligen oder diese zu untersagen, so dass die Gegenargumentation70 also auch insoweit nicht trägt. Wenn allerdings zur Begründung des Schutzzwecks „familiäre Beziehung“ auf Art. 6 GG Bezug genommen wird71, wird meist ignoriert, dass der dort bezogene Kreis jedenfalls nach traditionellem (und bisher herrschendem) Grundrechtsverständnis um einiges enger gezogen ist als der des § 52 StPO, andererseits Personalbeziehungen mitgeschützt sind, die § 52 nach h.M. nicht umfasst, wie Pflegekindschaftsverhältnisse72. Der Begriff Familie in Art. 6 Abs. 1 GG meint nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts „die umfassende Gemeinschaft von Eltern und Kindern“ und damit die aus Mutter, Vater, Kind bestehende Kleinfamilie73. Einbezogen werden dabei zwar neben den Pflegekindern auch nichteheliche, Stief- und Adoptivkinder sowie Gemeinschaften mit nur einem Elternteil74; der Begriff umfasst aber nicht den darüber hinausgehenden (weiteren) Verwandtenkreis, wie er in § 52 aufgeführt ist. Erst in jüngerer Zeit mehren sich Stimmen, die diese relativ enge Begrenzung für unberechtigt halten und z. B. die Großfamilie (einschließlich Tanten, Onkeln, Nichten, Neffen) oder zumindest die Generationengroßfamilie (Großeltern, Eltern, Enkel) in den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 integriert sehen wollen75. Auch diese Personenkreise sind aber immer noch enger Vgl. auch Klöhn, Der Schutz der Intimsphäre im Strafprozeß, S. 154. s. außerdem die bereits oben, S. 133 f. (auch Fn. 17), angeführten Argumente. 70 Vgl. Eb. Schmidt JZ 1958, 596, 597 sowie die weiteren Nw. oben in Fn. 63. 71 So z. B. Meuthien, Das Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen im Strafprozeß, S. 21; Pelchen, Festschrift für Pfeiffer, S. 295; Spelthahn, Das Zeugnisverweigerungsrecht von Angehörigen eines Mitbeschuldigten, S. 42 / 43; Hoffmann MDR 1990, 111, 112; Schily ZRP 1999, 129, 131; ebenfalls Rupp, Gutachten für den 46. DJT, S. 165, 200; Amelung, Informationsbeherrschungsrechte im Strafprozeß, S. 35; Krauß, Festschrift für Gallas, S. 386; für das Verlöbnis ablehnend: HK-Lemke, § 52 Rn. 10; s. auch Kühl JuS 1986, 115, 117; Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 9; Baier, Strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrechte außerhalb der StPO, S. 54; differenzierend auch Skwirblies, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, S. 190 / 191. 72 s. z. B. BVerfGE 68, 176, 187; 79, 51, 59; v. Münch-Coester-Waltjen, Art. 6 Rn. 11; v. Mangoldt-Robbers, Art. 6 Rn. 77. 73 BVerfGE 10, 59, 66; BVerfGE 48, 327, 339 (unter ausdrücklichem Ausschluss der Generationengroßfamilie; vgl. demgegenüber BVerfGE 39, 316, 326, wo die Einbeziehung in der Hausgemeinschaft mitwohnender Großeltern noch offengelassen wurde); BVerfGE 59, 52, 63; 80, 81, 90; Schmidt-Bleibtreu / Klein, Art. 6 Rn. 1b; auch noch E. M. v. Münch in v. Münch (4. Aufl.), Art. 6 Rn. 7 f., s. aber nunmehr Coester-Waltjen in v. Münch (5. Aufl.), Art. 6 Rn. 11. 74 BVerfGE 18, 97, 105 f.; 45, 104, 123; 79, 203, 211; 79, 256, 267; 92, 158, 176 ff.; Maunz / Dürig-Badura, Art. 6 Abs. 1 Rn. 60 f.; v. Münch-Coester-Waltjen, Art. 6 Rn. 11 m.w.Nw.; v. Mangoldt-Robbers, Art. 6 Rn. 77; Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 642. 68 69

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gezogen als der des § 52 StPO; und soweit ersichtlich nach keiner Auffassung integriert die „Ehe“ i.S. des Art. 6 GG ihre (mögliche) Vorform, das Verlöbnis. Hier hilft ein Blick auf den sozialhistorischen Hintergrund weiter: Der gegenüber der ursprünglichen Fassung des § 51 RStPO nur wenig veränderte § 52 StPO geht letztlich zurück auf das sich im 19. Jahrhundert (parallel) entwickelnde Leitbild der idealisierten bürgerlichen Familie mit einer stilisierten Emotionalisierung und Intimisierung des Familienlebens. War die „Familie“ zuvor eher versachlichte, von ökonomischen Anforderungen bestimmte Produktionsgemeinschaft und durch die weitestgehend vorbehaltlose Integration familienfremder Hilfskräfte geprägt76, erfolgte nunmehr eine Konzentration der Familie auf private Belange und umgekehrt eine Konzentration privater Belange (und Beziehungen) auf die Mitglieder der biologischen (Kern-)Familie (Mutter, Vater, Kinder). Die Familie wurde damit plötzlich zum Ort sozialer Enkulturation und Bindung und sollte zudem Bedürfnisse nach Intimität, persönlicher Nähe und Geborgenheit befriedigen77. Die Konzeption des § 52 StPO gibt also die Stimmung der Zeit der Schaffung der RStPO wieder, die sich soziale Nähe- und Beistandsbeziehungen nur noch im bürgerlich-familialen Rahmen vorstellen wollte78. Andererseits wird – gerade unter Berücksichtigung der Idealisierung der Kernfamilie – deutlich, dass der historische Gesetzgeber einen für sein Verständnis ungeheuer weiten Kreis von Personen privilegiert hat, wenn er die nicht zu dieser klassischen Kernfamilie zählenden Angehörigen und nahe stehenden Personen (namentlich durch nicht mehr (nach Scheidung) oder noch nicht (Verlobte) bestehende Ehen Verbundene) in den Rahmen des § 52 (bzw. § 51 a.F.) integriert hat. Dies passt wiederum zur in den Motiven niedergelegten Zielvorgabe, unter Bezugnahme auf den analogen zivilprozessualen Entwurf den „Kreis der . . . berechtigten Personen . . . möglichst weit“ zu ziehen79. Der historische Gesetzgeber ging mit der Fassung des § 51 a.F. so weit, 75 s. z. B. (in unterschiedlicher Abstufung) v. Mangoldt-Robbers, Art. 6 Rn. 88; v. Münch-Coester-Waltjen, Art. 6 Rn. 11 m.w.Nw.; Jarass / Pieroth, Art. 6 Rn. 4; Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 643; s. außerdem AK-GG-Richter, Art. 6 Rn. 15 a; BK-Pirson, Art. 6 Rn. 21 ff. 76 Entsprechend auch die im sozialhistorischen Kontext gebräuchliche Bezeichnung als „ganzes Haus“, vgl. Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 21; zur Herleitung der Termini des „Hauses“ und der „Familie“ vom römischen Begriff der „familia“ (vgl. oben S. 46, auch Fn. 59), der ebenfalls die (funktional orientierte) Gesamtheit aller Hausbewohner meinte, vgl. Mitterauer / Sieder, Vom Patriarchat zur Partnerschaft, S. 27 ff. 77 s. zum Ganzen hier nur Nave-Herz, Die Nichteheliche Lebensgemeinschaft als Beispiel gesellschaftlicher Differenzierung, S. 39 ff.; Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 21 – 25; Lauterbach, Die Dauer nichtehelicher Lebensgemeinschaften, S. 272 f. sowie ausführlich unten S. 240 ff., Abschnitt E.VI.2.a) bb). 78 Die Integration des Verlöbnisses in diesen Rahmen ist dahingehend zu verstehen, dass das Verlöbnis regelmäßig eine im weitesten Sinne familiäre, legalisierte Verhältnisse einleitende Vorform darstellen soll. 79 Vgl. Motive, S. 44 (bei Hahn, Die gesammten Materialien zur Strafprozeßordnung, S. 106); Hervorhebung hinzugefügt. s. auch die historischen Gesetzesberatungen zur Erfas-

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D. Ratio des Zeugnisverweigerungsrechts aus persönlichen Gründen

wie es für ihn auf der Basis seiner gesellschaftspolitischen Vorstellungen überhaupt denkbar war. Der Kreis der (Quasi-)Verwandten in § 51 RStPO stand damit als Synonym für den sozial anerkannten persönlichen Lebenskreis. Als Ergebnis bleibt die Feststellung, dass § 52 die dort aufgeführten Angehörigenbeziehungen nicht per se schützt, sondern in ihrer Funktion80: als seinerzeit aus rechtspolitischen, ideologischen Gründen in anderer Zusammensetzung nicht mehr vorstellbare, weitgefasste und typisierend bezeichnete Formen sozialer Nähe-, Rückzugs- und Beistandsgemeinschaften. Die Bezugnahme auf Art. 6 GG greift demgegenüber zu kurz.

c) Schutz wichtiger Vertrauensverhältnisse In engem Zusammenhang zum gerade erörterten, regelmäßig eher nachprozessual orientierten Bestandsschutzgedanken steht ein weiterer, die gleichen Adressaten auch schon vorprozessual schützender Normzweck: § 52 StPO gewährleistet eine Basis vertraulicher, von staatlichen Zwangseingriffen in wesentlichen Aspekten befreiter Kommunikation und schützt auch so die zwischen den zeugnisverweigerungsberechtigten Personen untereinander und zum Beschuldigten bestehenden persönlichen Näheverhältnisse81. Zwar vermag der Bezug zu § 52 StPO – jedenfalls nach ganz überwiegender Ansicht – nur einen Teilbereich möglicher Eingriffe in derartige Kommunikationsvorgänge zu unterbinden: so ist etwa der Schutz gegen heimliche Überwachungsmaßnahmen nach §§ 100 a, 100 c Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 StPO gerade unter Berufung auf das Zeugnisverweigerungsrecht für Angehörige eher gering82. sung Verwandter der Seitenlinie bei Hahn, a. a. O., S. 581, 582. Für das Verlöbnis (in Anlehnung an das Zivilverfahrensrecht): Motive zur Reichs-Civilprozeßordnung, S. 69, 252 (bei Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, S. 163 bzw. 312) sowie oben Abschnitt B.III.2., S. 67 f. 80 Vgl. auch Müssig GA 1999, 119, 129 / 130. Ähnlich Büttikofer, Die falsche Zeugenaussage aus kriminologischer Sicht, S. 179 / 180. 81 Vgl. Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 9, 10 f.; Spelthahn, Das Zeugnisverweigerungsrecht von Angehörigen eines Mitbeschuldigten, S. 42 ff.; Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 22 und JZ 1966, 489, 497; Skwirblies, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, S. 187; Müssig GA 1999, 119, 129; Klöhn, Der Schutz der Intimsphäre im Strafprozeß, S. 150 ff.; Dünnebier GA 1953, 65, 70 und MDR 1964, 965; Welp, Festschrift für Bemmann, S. 627, 646; s. auch BVerfG NStZ 2000, 489, 490; HK-Lemke, § 52 Rn. 3; H. C. Hauser, Das Zeugnisverweigerungsrecht im Strafverfahren, S. 23; ausführlich P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 54 ff., 58 ff., 64 (die allerdings – a. a. O., S. 66 – in Bezug auf die Angehörigen nur von einer Reflexwirkung ausgeht); Baier, Strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrechte außerhalb der StPO, S. 54 / 55: insges. nur Reflexwirkung; stark einschränkend: Weigend, Gutachten für den 62. DJT, S. C 70, 108; vgl. außerdem Herrmann, Festschrift für Jescheck, S. 1294. 82 Eine ausdrückliche Regelung, die lediglich ein der Abwägung geöffnetes Beweisverwertungsverbot begründet, findet sich nur in § 100 d Abs. 3 S. 3 StPO (interessanterweise

II. Normzwecke

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Die Zeugnisverweigerungsrechte hindern aber zumindest die Erzwingung aktiver Mitwirkungshandlungen der den Beschuldigten persönlich nahe stehenden Personen zur Offenlegung innerfamiliärer Kommunikation. Daher wird angenommen, § 52 StPO beuge der Entstehung eines Klimas des („schleichenden“) Misstrauens innerhalb der Familie vor, das eine vertrauliche Kommunikation unmöglich mache, wenn einzelne Familienmitglieder oder Beschuldigte fürchten müssten, die ihnen nahe stehenden Personen könnten zur Aussage über (gegebenenfalls belastende) Gesprächsinhalte gegen ihren Willen veranlasst werden83. Dem liegt die Einsicht zu Grunde, dass jedem Individuum neben dem sozialen ein kommunikativer Rückzugsraum eröffnet bleiben muss, in dem es sich über seine Probleme und Befindlichkeiten aussprechen kann, ohne jedenfalls jederzeit erzwingbare Vertrauensbrüche fürchten zu müssen84. § 52 dient der Entwicklung und Erhaltung eines kommunikativen Rahmens, in dem eine solche vertrauensvolle und den individuellen inneren Frieden kon- beziehungsweise restituierende Aussprache möglich ist. Das menschliche Bedürfnis nach Verbalisierung und Kommunikation wird als elementar angesehen85. So gilt etwa der enge persönliche Lebenskreis86 als „beleiunter Bezugnahme auf „die Bedeutung des zugrundeliegenden Vertrauensverhältnisse“). Im Einzelfall kann sich aus § 100 d Abs. 3 S. 2 ein auch die Angehörigen begünstigendes Beweiserhebungsverbot ergeben; i.Ü. und auch für § 100 a StPO bleiben nur die allgemeinen Regeln zur Ableitung von Beweisverwertungsverboten. S. zum ganzen insbes. KK-Nack, § 100 d Rn. 25, 26, 29 f., 32 sowie § 100 a Rn. 29 f., 33; außerdem Meyer-Goßner, § 100 a Rn. 10, § 100 c Rn. 19, § 100 d Rn. 7, 8; BGHSt 44, 138, 142; BGH NStZ 1988, 562, 563; Schily ZRP 1999, 129, 131; H. Schneider NStZ 2001, 9, 14; Rudolphi, Festschrift für Schaffstein, S. 445 f.; Gross-Spreitzer, Die Grenzen der Telefonüberwachung, S. 112 ff., 114 f.; Beulke Jura 1986, 642, 643 f.; hingegen krit. (und unter zusätzlichem Verweis auf § 97 StPO) zur Inkonsequenz des bestehenden Regelungsgeflechtes P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 55 ff., 58; krit. ebenfalls Duttge JZ 1999, 263 / 264; Welp, Festschrift für Bemmann, S. 650 / 651; Momsen ZRP 1998, 459, 461 f.; Köhler ZStW 107 (1995), 10, 43. Vgl. bzgl. § 97 StPO auch Klug, Referat zum 46. DJT, S. F 59 f.; R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 262, 263; LG Saarbrücken StV 1988, 480, 481. Zum Regelungsgefüge der §§ 100 a, 100 c StPO vgl. Bernsmann / Jansen StV 1998, 217 ff. 83 Skwirblies, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, S. 187; Spelthahn, Das Zeugnisverweigerungsrecht von Angehörigen eines Mitbeschuldigten, S. 42; R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 177; s. auch Klöhn, Der Schutz der Intimsphäre im Strafprozeß, S. 152 und P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 61, 64, 65. 84 s. P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 58; Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 10; Skwirblies, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, S. 187; R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 177; Fels, Der privilegierende Einfluß der Angehörigeneigenschaft, S. 101 f.; Grünwald JZ 1966, 489, 497; Dünnebier MDR 1964, 965; s. auch Dencker, Verwertungsverbote im Strafprozeß, S. 115; Dalakouras, Beweisverbote bezüglich der Achtung der Intimsphäre, S. 53; Arbeitskreis AE-Zeugnisverweigerungsrechte, S. 37. 85 Dencker, Verwertungsverbote im Strafprozeß, S. 115; P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 58; Amelung, Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, S. 322 f. 86 Wobei teilweise angenommen wird, erfasst sei nur der engste Familienkreis (BGH bei Dallinger MDR 1954, 335; OLG Oldenburg GA 1954, 284, 285; BayObLG MDR 1976, 10 Jansen

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digungsfreie Sphäre“, wenn es um ehrverletzende Äußerungen über Dritte geht, die Ausdruck besonderen Vertrauens zwischen sich Äußernden und Erklärungsempfängern sind87. Auch diese Begrenzungen der Strafbarkeit88 finden ihre Begründung in dem grundlegenden Erfordernis, Freiräume zu schaffen, in denen eine offene Aussprache möglich ist89. Privat-persönliche Kontakt-, Aussprache- und Kommunikationsforen sind sozial erwünscht, weil sie gemeinschaftskonstituierend und nicht zuletzt persönlichkeitsbildend wirken90. Die Notwendigkeit der Gewährleistung derartiger Vertrauensverhältnisse ergibt sich aus dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und Schutz der Privatsphäre (Art. 2 Abs. 1 i.V. mit Art. 1 Abs. 1 GG)91. Dem1036, 1037; Blei, Strafrecht, BT II, S. 118 / 119), während insbesondere große Teile des Schrifttums auch vergleichbare Beziehungen zu Bezugspersonen, wie Verlöbnisse, Lebensgemeinschaften, enge Freundschaften, einbeziehen (LK-Herdegen, § 185 StGB Rn. 13; Schönke / Schröder-Lenckner, Vorbem §§ 185 ff. StGB Rn. 9 b; SK-StGB-Rudolphi, Vor § 185 Rn. 18, 19; NK-Zaczyk, Vor § 185 StGB Rn. 37; Lackner / Kühl, § 185 StGB Rn. 9; Maurach / Schroeder / Maiwald, Strafrecht BT, Tb. 1, § 24 Rn. 33; Wessels / Hettinger, Strafrecht BT 1, Rn. 486; Rengier, Strafrecht BT II, § 28 Rn. 27; Engisch GA 1957, 326, 331; Tenckhoff JuS 1988, 787, 789; Wasmuth NStZ 1995, 100, 101; Schendzielorz, Umfang und Grenzen der straffreien Beleidigungssphäre, S. 259 f., 268 ff.; s. auch BVerfGE 90, 255, 262; OLG Frankfurt NStZ 1994, 404, 405; offengelassen noch in OLG (Z) Koblenz NJW-RR 1989, 1195, 1196. 87 So die heute ganz h.M.; s. zu den Voraussetzungen i.E. nur LK-Herdegen, § 185 StGB Rn. 11 ff.; Schönke / Schröder-Lenckner, Vorbem §§ 185 ff. StGB Rn. 9, 9 a, b; SK-StGB-Rudolphi, Vor § 185 Rn. 18, 19; NK-Zaczyk, Vor § 185 StGB Rn. 37 ff.; Tröndle / Fischer, § 185 StGB Rn. 12; Maurach / Schroeder / Maiwald, Strafrecht BT, Tb. 1, § 24 Rn. 30 ff.; Wessels / Hettinger, Strafrecht BT 1, Rn. 481 ff.; Wolff-Reske Jura 1996, 184 ff., 187 ff.; Geppert Jura 1983, 530, 534 f.; Tenckhoff JuS 1988, 787, 788 f.; BVerfGE 90, 255, 260, 261; BVerfG NJW 1995, 1477. Außerdem: Schendzielorz, Umfang und Grenzen der straffreien Beleidigungssphäre, S. 35 ff., 276 ff. 88 Zur umstrittenen dogmatischen Herleitung vgl. LK-Herdegen, § 185 StGB Rn. 12 ff.; Schönke / Schröder-Lenckner, Vorbem §§ 185 ff. StGB Rn. 9 a m. zahlreichen Nw.; SKStGB-Rudolphi, Vor § 185 Rn. 18 sowie BVerfG NJW 1995, 1477, 1478. 89 s. BVerfGE 90, 255, 260; BVerfG NJW 1995, 1477; LK-Herdegen, § 185 StGB Rn. 13; Schönke / Schröder-Lenckner, Vorbem §§ 185 ff. StGB Rn. 9 a; SK-StGB-Rudolphi, Vor § 185 Rn. 18; Maurach / Schroeder / Maiwald, Strafrecht BT, Tb. 1, § 24 Rn. 31; Wessels /Hettinger, Strafrecht BT 1, Rn. 485; Rengier, Strafrecht BT II, § 28 Rn. 24; Tenckhoff JuS 1988, 787, 788; BGH (Z) NJW 1984, 1104, 1105 und NJW 1993, 525, 526. Vgl. i.Ü. die ausführliche Darstellung bei Schendzielorz, Umfang und Grenzen der straffreien Beleidigungssphäre, S. 52 ff. 90 Dünnebier MDR 1964, 965; P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 58, 67; Müssig GA 1999, 119, 129; s. auch R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 178; BVerfGE 57, 170, 178 f.; 90, 255, 261; Rohlf, Der grundrechtliche Schutz der Privatsphäre, S. 172, 175. 91 Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 10 / 11; P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 58, 61, 64; Skwirblies, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, S. 187; Kühl JuS 1986, 115, 117; Herrmann, Festschrift für Jescheck, S. 1294; Klöhn, Der Schutz der Intimsphäre im Strafprozeß, S. 151 f.; Arbeitskreis AE-Zeugnisverweigerungsrechte, S. 37; s. auch Amelung, Informationsbeherrschungsrechte im Strafprozeß, S. 35;

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gegenüber greift auch hier ein Verweis auf Art. 6 GG als entscheidender verstärkender Bezugsrahmen nicht adäquat, weil er den personellen Umfang des § 52 lediglich unvollständig zu begründen vermag. Die von § 52 StPO bezeichnete Personengruppe weist so wenig Übereinstimmung mit dem durch Art. 6 Abs. 1 GG nach h.M. geschützten Personenkreis auf, dass sich schon die Aufzählung der Zeugnisverweigerungsberechtigten nur mit dem zuvor bereits ausführlich erläuterten Hinweis auf die gerade auch in personeller Hinsicht typisierende Konzeption der Norm erklären lässt92. Die Gewährleistung von Nähe und vertraulicher Kommunikation innerhalb eines – wie auch immer zusammengesetzten – engsten Kreises von Bezugspersonen ergibt sich (bei aller gebotenen Zurückhaltung im Umgang mit diesem Topos) letztlich unmittelbar aus der Menschenwürdegarantie93 und bedarf keines Rückgriffs auf Art. 6. Die Berufung auf den grundrechtlichen Schutz der (Kern-)Familie führt allenfalls in Bezug auf die gesondert herausgestellte Grundidee des in seiner Reichweite das Vertrauensverhältnis umfassenden Schutzes bedeutender sozialer Kerngruppen weiter94. Soweit davon ausgegangen wird, dass der Austausch innerhalb enger persönlicher Vertrauensverhältnisse eine entlastende, stabilisierende und hierdurch letztlich (re-)sozialisierende Wirkung entfaltet, besteht eine große Nähe zu den in § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 3 b StPO gewährten Zeugnisverweigerungsrechten: auch diese dienen dazu, zum Aufbau eines Vertrauensverhältnisses die unbefangene Kommunikation mit Angehörigen der dort aufgeführten helfenden und beratenden Berufe abzusichern95; die Option für Hilfesuchende, sich völlig öffnen und dem Dalakouras, Beweisverbote bezüglich der Achtung der Intimsphäre, S. 53, 239; SK-StGBRudolphi, Vor § 185 Rn. 18; BVerfGE 90, 255, 260 / 261; BVerfG NJW 1995, 1477; BVerfG StV 1991, 306. Vgl. außerdem: BVerfGE 35, 35, 39 / 40; 42, 95, 101; 42, 234, 236 f.; 44, 353, 372 f.; 57, 170, 178. 92 s. schon die Darlegungen oben, Abschnitt D.II.1.b) (S. 143 f.). Vgl. auch Müssig GA 1999, 119, 129; Rohlf, Der grundrechtliche Schutz der Privatsphäre, S. 172; außerdem P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 58 / 59, 62, die die Familie als typischen Ort vertrauensvoller Kommunikation hervorhebt. 93 So auch P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 58; Dalakouras, Beweisverbote bezüglich der Achtung der Intimsphäre, S. 53; Klöhn, Der Schutz der Intimsphäre im Strafprozeß, S. 153 / 154; Rohlf, Der grundrechtliche Schutz der Privatsphäre, S. 83; Amelung, Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, S. 323 zu Fn. 355. Anders allerdings bisher die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die insoweit nur das allgemeine Persönlichkeitsrecht, Art. 2 Abs. 1 i.V. mit Art. 1 Abs. 1 GG, für einschlägig erachtet, s. hier nur BVerfGE 90, 255, 260. S. auch Gross-Spreitzer, Die Grenzen der Telefonüberwachung, S. 169 / 170; Stein / Frank, Staatsrecht, S. 249 (§ 31 IV.): vertrauliche Kommunikation zwischen mehreren Personen als wesentlicher Teil der Intimsphäre i.S. von Art. 2 Abs. 1 GG. Vgl. außerdem Arbeitskreis AE-Zeugnisverweigerungsrechte, S. 37; Wolter, Gedächtnisschrift für K. Meyer, S. 513; Fels, Der privilegierende Einfluß der Angehörigeneigenschaft, S. 105; Dünnebier MDR 1964, 965; Schorn, Der Schutz der Menschenwürde im Strafverfahren, S. 107; Fuchs NJW 1959, 14, 18. 94 s. auch Müssig GA 1999, 119, 129. 95 So die ganz h.M., s. nur: BVerfGE 33, 367, 378 ff.; 38, 312, 323, 324; BGHSt 38, 7, 10; OLG Oldenburg NJW 1982, 2615, 2615; LG Köln NJW 1959, 1598; LR-Dahs, § 53 Rn. 1; 10*

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Berufsgeheimnisträger rückhaltlos offenbaren zu können, wird als Grundvoraussetzung dafür gesehen, dem Einzelfall angemessen möglichst effektiv Unterstützung gewähren zu können96. Konsequenterweise vergleicht Schmitt daher die Schutzrichtung des § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 3 b mit der des § 52 StPO und stellt der Unbefangenheit der Kommunikation die Vertraulichkeit gegenüber97. Besondere Bedeutung gewinnt die Schaffung einer privaten Rückzugszone angesichts der zunehmenden Verweltlichung der Gesellschaft und sinkender Bedeutung einer Teilnahme am aktiven religiösen Leben, die die Einzelnen psychosoziale Beistandsleistungen eher im privaten (Nähe-)Bereich suchen lässt als bei kirchlichen oder sonstigen religiösen Institutionen98: diente früher die Beichte oder das seelsorgerische Gespräch dazu, eine Auseinandersetzung mit prägenden Geschehnissen herbeizuführen, vertrauen sich in Zeiten weithin fehlender religiöser Anbindung viele Menschen ihren engen Bezugspersonen an, die hierdurch wiederum vielfach die Rolle der das Erfahrene reflektierenden „Beicht-Empfänger“ übernehmen. So wie zuvor die Beichte familiale und soziale Kontrollfunktionen abgelöst hatte99, scheint nun in weiten Teilen der Gesellschaft der umgekehrte Prozess feststellbar. Auch in diesem Zusammenhang muss ein denkbar unbefangener Austausch möglich sein. Nehmen derartige kommunikative Auseinandersetzungen die Form einer Gewissensprüfung an, gelangen sie sogar in den Bereich der gemäß Art. 4 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützten Gewissensfreiheit100. Die Bestandsgarantie für wichtige Vertrauensverhältnisse zielt damit ersichtlich nicht nur auf Interessen der Zeugen, sondern gerade wo der Aspekt mentaler Unterstützung betroffen ist auf die Belange der Beschuldigten. Diesen bleibt die Möglichkeit erhalten, in unbefangener Kommunikation Klarheit über Vorgänge der inneren und äußeren Welt zu erlangen, Rat und Beistand bei den ihnen nahe stehenden Personen zu suchen, ohne dass sie fürchten müssen, dass diese InanspruchKK-Senge, § 53 Rn. 1; Meyer-Goßner, § 53 Rn. 1; KMR-Paulus, § 53 Rn. 3; Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 14 ff. m.w.Nw.; P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 124 f.; R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 205; Schlüchter, Das Strafverfahren, Rn. 489.1; Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 208 Anm. 4; Beling, Die Beweisverbote als Grenzen der Wahrheitserforschung, S. 19; Rupp, Gutachten für den 46. DJT, S. 165, 199; Dünnebier MDR 1964, 965; Lenckner NJW 1965, 321, 322; Lichtenberg / Schücking ZRP 1989, 243, 244; Klöhn, Der Schutz der Intimsphäre im Strafprozeß, S. 330 ff.; s. auch SK-Rogall, Vor § 48 Rn. 145. 96 BVerfGE 38, 312, 323; Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 14; P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 124 / 125; R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 204 f.; Gross-Spreitzer, Die Grenzen der Telefonüberwachung, S. 93; Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 208 Anm. 4; Hass NJW 1972, 1081; Krekeler NJW 1977, 1417, 1418; Woesner NJW 1957, 692; Lenckner NJW 1965, 321, 322. 97 P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 134 bei Fn. 78; s. außerdem dies., a. a. O., S. 67: keine geringere Wertigkeit der Zeugnisverweigerungsrechte aus § 52 gegenüber denen des § 53 StPO. 98 s. auch Weigend, Gutachten für den 62. DJT, S. C 89. 99 Vgl. Amelung NJW 1988, 1002, 1005 m.w.Nw. 100 Für Tagebücher weist hierauf Amelung NJW 1988, 1002, 1005 f. hin.

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nahme ihres Rechts auf Privatsphäre und Entfaltung der Persönlichkeit durch erzwingbare Aussagen der ihnen besonders nahe stehenden Vertrauenspersonen zu einer Belastung im Strafverfahren ausgenutzt werden kann101. Auch der Schutz der Vertrauenspersonen stellt umgekehrt nicht nur einen Reflex dieses beschuldigtenorientierten Aspekts des § 52 StPO dar102: Geschützt durch Art. 2 Abs. 1 i.V. mit Art. 1 Abs. 1 GG ist das individuelle Interesse aller an der Aufrechterhaltung wichtiger Vertrauensverhältnisse auf der Grundlage eines freien Austauschs im sozialen Nahbereich. Dies allein begründet zwar noch kein umfassendes Aussageverweigerungsrecht für sämtliche, die vertrauliche innerfamiliäre Kommunikation unabhängig von der Verfahrensstellung der Beteiligten betreffenden Belange; für alle unterhalb der spezifischen Belastungsschwelle: „ein Angehöriger ist bereits im aktuellen Verfahren Beschuldigter und jede Auskunft könnte sich zu seinem Nachteil auswirken“ angesiedelten subjektiven Interessen ist der verfahrensrechtliche Schutz verringert, wie sich im Umkehrschluss den nur partiell greifenden §§ 55 und 68 a StPO entnehmen lässt. Die familiäre Privatsphäre als Selbstzweck ist also im geltenden Strafverfahrensrecht nicht unbegrenzt gewährleistet; insoweit kann der Feststellung zugestimmt werden, dass vorrangige Bedeutung die Vorstellung besitzt, eine Offenbarung der auf wichtigen Vertrauensverhältnissen beruhenden Kommunikationsinhalte jedenfalls nicht zur (unmittelbaren) Belastung im Strafverfahren zu erzwingen103. Auf dieser Basis ist jedoch festzuhalten, dass § 52 StPO die Zeugen nicht nur in ihrem Interesse schützt, nicht befürchten zu müssen, durch innerfamiliäre Kommunikation zur Belastung des Beschuldigten beizutragen104. Darüber hinaus wird auch das allgemeine Interesse der Aussagepersonen am Bestand enger Vertrauensverhältnisse berücksichtigt. Eine hierfür grundlegende unbefangene Kommunikation soll nicht dadurch unmöglich werden, dass einzelne Familienmitglieder – und nicht zuletzt (spätere) Beschuldigte – aus Angst vor auf erzwungenen Aussagen beruhenden Konsequenzen im Strafverfahren einen (inhaltlich) nur noch teilweise „offenen“ internen Austausch pflegen können105. Abgesehen davon kann Zeugen nicht zugemutet werden, gerade durch Offenbarung von Erkenntnissen, die ihnen eine nahe stehende Person anvertraut hat, zu deren strafrechtlicher Belastung bei101 s. P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 66; Klöhn, Der Schutz der Intimsphäre im Strafprozeß, S. 151; Müssig GA 1999, 119, 130; Widmaier, Wahrheitsfindung zwischen Aufklärungspflicht und Beweisverboten, S. 35; Kühl JuS 1986, 115, 117; Dünnebier GA 1953, 65, 70. 102 So auch Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 11, 71; Müssig GA 1999, 119, 130; a.A. aber P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 66. 103 s. P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 65 / 66. Vgl. auch Peres, Strafprozessuale Beweisverbote und Beweisverwertungsverbote, S. 70 / 71. 104 So P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 66. 105 s. auch Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 71; R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 177; Skwirblies, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, S. 187; Müssig GA 1999, 119, 129 / 130.

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zutragen; insoweit besteht ein Zusammenhang mit der bereits oben in Abschnitt D.II.1.a) erörterten generellen Unzumutbarkeit einer erzwungenen Aussage zulasten nahe stehender Personen106. Anders gewendet resultiert nicht zuletzt aus der Privilegierung der vertraulichen Nähebeziehung im Interesse der Zeugen selbst die Tatsache, dass § 52 StPO Beschuldigten keine Möglichkeit einräumt, die Aussage ihrer Angehörigen zu erzwingen107. Der Einwand, dass Personen innerhalb (und außerhalb) eines Strafverfahrens das in sie gesetzte Vertrauen verletzen können, solange kein umfassendes Beweis- (erhebungs- und verwertungs-)Verbot existiert108, trägt in diesem Zusammenhang ebenso wenig wie die vergleichbare Argumentation zum vorgenannten Normzweck „Erhalt von Nähe- und Beistandsverhältnissen“: § 52 StPO verfolgt eine typisierende Leitlinie109. Ein Effekt hiervon ist, dass kein Zeuge sich genötigt sehen soll, das ihn und seine Angehörigen – seien sie Beschuldigte, Zeugen oder in Bezug auf das Verfahren unbeteiligt – schützende Vertrauensverhältnis durch eine sich als möglicherweise belastend erweisende Aussage gegen seinen Willen zu beeinträchtigen; einen vollständigen Schutz vor freiwilligen Vertrauensbrüchen kann und darf es schon angesichts der Tatsache, dass kein Freiraum zur Begehung von Familiendelikten eröffnet werden soll, ohnehin nicht geben110. Es geht nur um staatliche Rücksichtnahmen auf Individualinteressen durch Verzicht auf den Einsatz von Druck zur Erhebung bestimmter Beweise. Inwieweit Zeugen selbst kein Interesse am Erhalt eines Vertrauensverhältnisses zeigen, fällt in deren (privaten) Risikobereich und in den des Beschuldigten111; diese Feststellung ist aber nicht geeignet, die Annahme, dass § 52 intensive Vertrauensverhältnisse schützen soll, zu widerlegen112. Abschließend bleibt deshalb festzuhalten, dass § 52 StPO dem Aufbau und der Erhaltung, damit dem Schutz kommunikativer Nähe- und Vertrauensverhältnisse dient. Vgl. auch P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 66. s. auch P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 62; Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 254 ff. 108 s. den entsprechenden Hinweis bei Weigend, Gutachten für den 62. DJT, S. C 70; Schlothauer, Zeugnisverweigerungsrechte, Auskunftsverweigerungsrecht und Rechtskreistheorie, S. 88 Fn. 32 sowie die Nw. bei P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 62. Die Argumentation geht letztlich wesentlich auf Eb. Schmidt JZ 1958, 596, 597 zurück. 109 Insoweit ausführlich schon oben S. 141 sowie SK-Rogall, Vor § 48 Rn. 140; s. auch P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 62. 110 Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 9, 110 f.; Grünwald, Sitzungsberichte des 46. DJT, S. F 151. s. auch oben S. 141. 111 So auch Klöhn, Der Schutz der Intimsphäre im Strafprozeß, S. 154; Petry, Beweisverbote im Strafprozeß, S. 48; s. auch Peters, Gutachten für den 46. DJT, S. 91, 115. 112 s. auch P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 62 / 63; Müssig GA 1999, 119, 130; Klöhn, Der Schutz der Intimsphäre im Strafprozeß, S. 154; Petry, Beweisverbote im Strafprozeß, S. 47 f. 106 107

II. Normzwecke

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d) Nemo tenetur Vereinzelt geblieben ist die Auffassung Petrys, der in § 52 StPO eine Ausformung des nemo tenetur-Prinzips113 zugunsten des Beschuldigten sieht. Petry meint, eine den Angehörigen auferlegte Aussagepflicht bedeute eine Ausnutzung des menschlichen Kontakt- und Kommunikationsbedürfnisses des Beschuldigten, somit einen mittelbar gegen den Beschuldigten geübten Zwang zur Selbstbezichtigung und damit wiederum einen Verstoß gegen das durch den nemo teneturGrundsatz verbürgte passive Verteidigungsrecht des Beschuldigten114. Ein Rückgriff auf das nemo tenetur-Prinzip in diesem Zusammenhang würde eine nicht unwesentlich erweiternde Auslegung dieses Grundsatzes erfordern. Der nemo tenetur-Satz in seiner überkommenen Form verbietet die Erzwingung der aktiven Selbstüberführung – insbesondere in Form einer eigenen Aussage115 – aufgrund einer den Beschuldigten instrumentalisierenden, finalen staatlichen Zwangsausübung116. Die Betonung liegt danach auf drei miteinander verzahnten (Teil-) Aspekten: der Aussagefreiheit des Beschuldigten gegenüber staatlichen Stellen, dem Verzicht auf die Ausübung von Zwang zur Erlangung einer Selbstbelastung des Beschuldigten und dem Verbot der Erzwingung einer unmittelbaren Selbstkompromittierung durch den Beschuldigten117. Insbesondere an der letztgenannten Voraussetzung fehlt es, wenn nicht der Beschuldigte selbst befragt wird, sondern seine Angehörigen. Der Beschuldigte gibt gerade nicht gegenüber staatlichen Stellen seine Aussagefreiheit auf, wenn er sich seinen Angehörigen anvertraut und er wird dies in aller Regel auch kaum unter Zwang tun. Es fehlt jegliche Einwirkung auf die Entschließungsfreiheit des Beschuldigten, und eine zielgerichtete selbstschädigende Instrumentalisierung des Verhaltens des Beschuldigten zugunsten staatlicher (Strafverfolgungs-)Interessen, die der nemo tenetur-Grundsatz gerade verhindern soll, lässt sich nur unter großen Schwierigkeiten in eine derartige Sachverhaltskonstellation hineinlesen118. Zum nemo tenetur-Satz s. o. S. 136, Fn. 31. Petry, Beweisverbote im Strafprozeß, S. 37 f., 45 ff., 46 / 47. 115 BVerfGE 56, 37, 49. 116 s. nur SK-Rogall, Vor § 133 Rn. 139 ff.; P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 53 m.w.Nw.; Nothhelfer, Die Freiheit von Selbstbezichtigungszwang, S. 91; Rogall, Der Beschuldigte als Beweismittel gegen sich selbst, S. 158; Kühl JuS 1986, 115, 117; Kühl StV 1986, 187, 190 f.; Dingeldey JA 1984, 407, 412; Stürner NJW 1981, 1757 f.; Eser ZStW 86 (Beiheft 1974), 136, 144 ff., 146; LR-Gollwitzer, Art. 6 MRK Rn. 253. 117 SK-Rogall, Vor § 133 Rn. 141; P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 53; Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 12 m.w.Nw.; Peters, Gutachten für den 46. DJT, S. 91, 153. 118 Inwieweit dies auch für gezielte Täuschungen des Beschuldigten gelten kann (s. nur die sog. „Hörfallenentscheidung“, BGHSt 42, 139) ist hier nicht zu erörtern. 113 114

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D. Ratio des Zeugnisverweigerungsrechts aus persönlichen Gründen

Gleichzeitig sind das soziale Näheverhältnis und die in diesem stattfindende vertrauliche Kommunikation, die Petry zutreffend als besonders schutzwürdig erachtet und die für ihn den Hintergrund seiner Überlegungen darstellen, bereits durch den aus Art. 2 Abs. 1 i.V. mit Art. 1 Abs. 1 GG resultierenden Schutz persönlicher Nähe- und Beistandsverhältnisse und der diesen immanenten kommunikativen Vertrauensbeziehung umfassend berücksichtigt, wie soeben in Abschnitt D.II.1. b) und c) ausführlich erörtert wurde119. Eine fragwürdige, den originären Anwendungsbereich und die tradierte Interpretation des nemo tenetur-Satzes überdehnende Auslegung bringt keinen zusätzlichen Gewinn zur Begründung des § 52 StPO. Daher ist mit Schmitt120 und Rengier121 eine erweiternde Auslegung im vorliegenden Zusammenhang abzulehnen und folgerichtig in § 52 keine den Beschuldigten begünstigende Ausformung des nemo tenetur-Prinzips zu sehen.

2. Allgemeininteressen a) Schutz wichtiger persönlicher Nähe- und Vertrauensverhältnisse als Basis sozialen Zusammenlebens In Literatur und Rechtsprechung wird mitunter darauf hingewiesen, dass die Bedeutung des § 52 StPO sich nicht im Schutz von Individualinteressen erschöpfe, vielmehr diene die Regelung auch dem Allgemeininteresse am Erhalt der Familie als „bedeutendster Form des sozialen Zusammenlebens“122: Die als Regelfall unterstellte Gewährung eines existenziellen sowie sozialen Rückzugsraums und die Etablierung einer Plattform, die eine unbefangene vertrauliche Kommunikation ermögliche, diene dem Wohl des Staates, weil der Familienverband damit stabilisierende, sozialisierende und nicht zuletzt existenzsichernde Funktionen übernehme. Dies trage zur Lösung und Entschärfung sozialer Konflikte bei und begründe daher ein öffentliches Interesse an der bestmöglichen Vermeidung die Familienstruktur schädigender Effekte. Der Schutz des innerfamiliären Friedens sichere den Fort-

s. oben, S. 140 ff. und 144 ff. P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 53 (die allerdings a. a. O., S. 66, insoweit den „Schutz des innerfamiliären Vertrauensverhältnisses im Strafprozeß“ als „Ausstrahlungswirkung“ des nemo tenetur-Grundsatzes verstanden sehen will). 121 Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 11 f. 122 s. BGHSt 11, 213, 216; 38, 96, 99; Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 11; P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 67; Meuthien, Das Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen im Strafprozeß, S. 21; Skwirblies, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, S. 188; P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 67, 68; Pelchen, Festschrift für Pfeiffer, S. 295; Grünwald JZ 1966, 489, 497; Spelthahn, Das Zeugnisverweigerungsrecht von Angehörigen eines Mitbeschuldigten, S. 42; R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 178 und H. C. Hauser, Das Zeugnisverweigerungsrecht im Strafverfahren, S. 33, 34 (beide für schweizerisches Recht); s. auch Fels, Der privilegierende Einfluß der Angehörigeneigenschaft, S. 101, 102. 119 120

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bestand der Familiengemeinschaft. Auch und gerade durch die Vermeidung von Konfliktsituationen werde die Familie von zusätzlichen Belastungen freigehalten, die den Zusammenhalt der Gemeinschaft in Frage stellen könnten. Soweit die Bedeutung der Familie als soziales Institut, das beispielhaft für gesamtgesellschaftlich wichtige persönliche Vertrauens- und Nähebeziehungen steht, hervorgehoben wird, kann dieser Auffassung unter Hinweis darauf, dass es sich bei § 52 StPO um eine in personeller Hinsicht typisierende Regelung handelt, zugestimmt werden. Es lässt sich daher sagen, dass sich in dem oben beschriebenen Schutz von Nähe- und Vertrauensverhältnissen im Individualinteresse zugleich ein Allgemeininteresse am Erhalt dieser sozialen Gemeinschaften verwirklicht.

b) Freiwilligkeit von Zeugenaussagen gegen Angehörige Vereinzelt findet sich die Formulierung, es bestehe „ein allgemeines Interesse daran, daß der an sich aussagepflichtige Zeuge ohne seine bewußte Zustimmung nicht zur Aussage gegen einen Angehörigen gezwungen wird“123. In diesem Abstellen auf eine gewollte Mitwirkung der Aussageperson lässt sich u.U. eine Spiegelung des subjektiv-rechtlich orientierten Zeugenschutzes unter Betonung der Rücksichtnahme auf persönliche Interessen der Zeugen, wie er oben D.II.1. a) herausgearbeitet wurde, sehen124. Allerdings ist zu bedenken, dass diese Feststellung nichts Wesentliches zum Verständnis des gedanklichen Hintergrundes des bestehenden Zeugnisverweigerungsrechts beiträgt, denn sie geht kaum über eine Wiedergabe des Gesetzestextes des § 52 StPO hinaus. Sinnbringend kann der Satz allenfalls zur Erläuterung der Belehrungspflicht des § 52 Abs. 3 herangezogen werden und entfaltet somit lediglich im revisionsrechtlichen Kontext eigenständige Relevanz.

c) Schutz der Wahrheitsfindung Nach wie vor – wenn auch mit nachlassender Vehemenz – ist umstritten, ob § 52 StPO dem Schutz der Wahrheitsfindung dienen soll, indem er potenziell „unsichere“ Zeugen dem Verfahren entzieht125. Gegen diese Annahme wendet sich die herr123 s. BGHSt 12, 235, 239; 22, 35, 36 / 37; BGH bei Dallinger MDR 1966, 384; KK-Senge, § 52 Rn. 1; Pfeiffer, StPO, § 52 Rn. 1; Pelchen, Festschrift für Pfeiffer, S. 295. 124 s. Bialek, Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen, S. 57. 125 Die Frage, inwieweit der Schutz der Wahrheitsfindung auch einer der Beschuldigten vor „fragwürdigen“ (belastenden) Beweismitteln ist (s. nur LR-Dahs, § 52 Rn. 1 m.Nw.; Peters, Strafprozeß, S. 353; Busch JZ 1953, 703, 704), wird hier nicht gesondert behandelt, da sie nur einen Unterfall zum Gesamtkomplex „Wahrheitsfindung“ darstellt und eigenständige Relevanz hauptsächlich i.R. von § 55 StPO entfaltet.

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D. Ratio des Zeugnisverweigerungsrechts aus persönlichen Gründen

schende Meinung mit der Begründung, die StPO stelle wesentlich auf das Prinzip der freien Beweiswürdigung ab. In diesen verfahrensrechtlichen Rahmen passe kein vorbeugender Ausschluss von Zeugen mit präsumtiven Glaubwürdigkeitsdefiziten, der einer gesetzlichen Beweisregel nahe käme; Beweisregeln und Zeugenausschlüsse seien dem geltenden Strafverfahrensrecht insgesamt fremd126. Zudem sei die Gewährung eines in das Belieben der Aussagepersonen gestellten Zeugnisverweigerungsrechts – in Abgrenzung zu einem Vernehmungsverbot – mit der Zielsetzung des Ausschlusses unzuverlässiger Zeugenaussagen inkonsequent, da den Zeugen die Möglichkeit der (unzutreffenden) Aussageerstattung unbenommen sei; ein Schutz der Urteilsfindung vor verfälschenden Angaben der den Beschuldigten nahe stehenden Personen sei nur durch einen verbindlichen Ausschluss derartiger Zeugenaussagen zu erreichen127. Die nur noch im Schrifttum vertretene, einen Normzweck „Wahrheitsfindung“ bejahende Gegenansicht hebt demgegenüber eine besondere „Unzuverlässigkeit“ der den Beschuldigten persönlich nahe stehenden Aussagepersonen hervor. Ihren Begründungsansatz findet sie in der Annahme einer vor dem historischen Hintergrund der Schaffung der RStPO zu sehenden gesetzgeberischen Intention, die Einwirkung verfälschender Tendenzen auf das Strafverfahren so gering wie möglich zu halten128. Auch wenn im Zuge einer rechtsstaatlichen Liberalisierung des 126 Ausdrücklich: BGHSt 11, 213, 215 / 216; s. auch BGHSt 17, 245, 246; 22, 35, 37 / 38; OLG Düsseldorf NStZ 1982, 257, 258 (zu § 55 StPO; vgl. aber BGH NStZ 2001, 49 f. wo (faktisch) in Bezug auf § 252 StPO auf die präsumtive Zuverlässigkeit des Beweismittels und nicht auf den Schutz der Zeugeninteressen abgestellt wurde); Beling, Die Beweisverbote als Grenzen der Wahrheitserforschung, S. 14 ff.; Weigend, Gutachten für den 62. DJT, S. C 69 (s. auch ebd. S. C 23); LR-Dahs, § 52 Rn. 1; KK-Senge, § 52 Rn. 1 m.w.Nw.; Meyer-Goßner, § 52 Rn. 1; SK-Rogall, Vor § 48 Rn. 140 (mit einer Absage an jeden Versuch einer an öffentlichen Interessen orientierten Deutung der Norm); KMR-Paulus, Vorb. § 48 Rn. 82; Schittenhelm NStZ 2001, 50, 51; Schöneborn MDR 1974, 457; Fuchs NJW 1959, 14, 17; Jähnke, Verwertungsverbote bei Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechten, S. 73; Meuthien, Das Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen im Strafprozeß, S. 18 ff.; Amelung, Informationsbeherrschungsrechte im Strafprozeß, S. 14 f.; Dencker, Verwertungsverbote im Strafprozeß, S. 40 ff., 43; s. auch Jescheck, Gutachten für den 46. DJT, S. 17 f. 127 Etwa Weigend, Gutachten für den 62. DJT, S. C 69; Jähnke, Verwertungsverbote bei Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechten, S. 73; Schittenhelm NStZ 2001, 50, 51; Beling, Die Beweisverbote als Grenzen der Wahrheitserforschung, S. 14 f.; s. auch Ruetz, Der Schutz des Zeugen bei drohender Selbstbezichtigung, S. 22. 128 Eb. Schmidt JZ 1958, 596, 600; ausführlich insbes. Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 11, 56 ff., 63 ff., 68 (der im Sinne einer „negativen Beweisregel“ – hierzu oben B., S. 64) – den „unbelehrten Zeugen . . . als Risikofaktor aus dem Kreis der zulässigen Beweismittel“ ausgeschlossen sehen will); Baier, Strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrechte außerhalb der StPO, S. 65 ff.; Fels, Der privilegierende Einfluß der Angehörigeneigenschaft, S. 96 ff., 99; Klug, Referat zum 46. DJT, S. F 35; Michaelis NJW 1969, 730 / 731; AK-StPO-Kühne, § 52 Rn. 1; Schlothauer, Zeugnisverweigerungsrechte, Auskunftsverweigerungsrecht und Rechtskreistheorie, S. 98, 100; Kühl JuS 1986, 115, 117 / 118; Gössel NJW 1981, 649, 653; Busch, Festschrift für Eb. Schmidt, S. 571 Busch JZ 1953, 703; Niese JZ 1953, 219, 223; auch noch BGHSt 10, 393 / 394. S. außerdem Gössel, Festschrift für Bockelmann, S. 805: unabhängig von der gesetzgeberischen Intention.

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Prozessrechts an subjektiven Belangen orientierte Zeugnisverweigerungsrechte die alten Zeugenausschlüssse ersetzten, sollten diese gesetzlichen Neuerungen doch ebenfalls „größtmögliche Garantie“ dafür bieten, dass Richter davor bewahrt würden, ihrem Urteil hinsichtlich des Wahrheitsgehalts zweifelhafte Zeugenaussagen zu Grunde zu legen129. Diese Ansicht findet eine Zusammenfassung in der häufig zitierten Formulierung Eb. Schmidts: „Neue theoretische Wahrheiten wollte niemand entdeckt haben. Lediglich neue juristische Formen hatten sich entwickelt.“130 Genau das lässt sich – vor allem historisch, teilweise inhaltlich – allerdings nicht ohne weiteres belegen: Mit Blick auf das Normengefüge der StPO lässt sich annehmen, dass zur Verhinderung der (inhaltlichen) Verwertung zweifelhafter Beweismittel konzeptionell die freie richterliche Beweiswürdigung (§ 261 StPO) und die dieser zu Grunde liegende umfassende richterliche Sachaufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO), die jedes Beweismittel am Stand des sonstigen Beweisergebnisses gemessen sehen wollen131, bestimmt sind132. Was die gesetzgeberischen Vorstellungen zur Schaffung des § 51 RStPO (§ 52 StPO) angeht, lässt sich in Bezug auf ein Normziel „Schutz der Wahrheitsfindung“ weder für die eine noch für die andere Auffassung eine eindeutige Stellungnahme ablesen, die über die allgemeine Behauptung des geringeren Wertes dieser Zeugenaussagen und die Schlussfolgerung, dass ein Verzicht daher keinen großen Verlust bedeute, hinausgeht133: Unmittelbar auf § 52 bezogen findet sich nur die bereits zitierte Vorgabe134, Zeugen sollten vor der Versuchung zur Ablegung von Meineiden geschützt werden – von einem Schutz der Rechtspflege ist insoweit nicht die Rede. Und auch dass in den Beratungen des Reichstags zum jetzigen § 252 StPO die Zweifelhaftigkeit der Aussagen von Angehörigen der Beschuldigten angespro129

So Eb. Schmidt JZ 1958, 596, 600; s. auch Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte,

S. 68. Eb. Schmidt JZ 1958, 596, 600. s. nur KK-Engelhardt, § 261 Rn. 28, 29 und KK-Herdegen, § 244, Vorbemerkung I, Rn. 19, 21, 25; Meyer-Goßner, § 261 Rn. 11 und § 244 Rn. 11, 12 m.Nw.; s. auch BGH StV 1996, 249 f.; BGH NStZ-RR 1996, 299. Vgl. außerdem Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 60. 132 Ein argumentativer Rückgriff auf die Belehrungspflicht des § 52 Abs. 3 (s. Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 64 f.; Baier, Strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrechte außerhalb der StPO, S. 67; R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 139, 152, 156) führt hingegen – im Gegensatz zum revisionsrechtlichen Bezug (s. insoweit nur Schlothauer, Zeugnisverweigerungsrechte, Auskunftsverweigerungsrecht und Rechtskreistheorie, S. 98, 100; Eb. Schmidt JZ 1958, 596, 600 f.) – zumindest im hier interessierenden, abstrakten Zusammenhang nicht weiter, weil die Belehrung das Bestehen (und die Einrichtung) des Zeugnisverweigerungsrechts bereits voraussetzt. Ablehnend ebenfalls: Dencker, Verwertungsverbote im Strafprozeß, S. 42 / 43. 133 Dies gesteht ebenfalls Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 60, zu; s. auch Dencker, Verwertungsverbote im Strafprozeß, S. 41; Ruetz, Der Schutz des Zeugen bei drohender Selbstbezichtigung, S. 20. 134 Motive, S. 44 (Hahn, Die gesammten Materialien zur Strafprozeßordnung, S. 106), s. o. S. 68, 133 . 130 131

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chen wurde135, belegt nur – was aber auch nicht bestritten wird – dass diese für eher zweifelhafte Zeugen gehalten wurden136. Relativ klar ist der Erkenntnisstand lediglich hinsichtlich des zeitgeschichtlichen Hintergrundes der Schaffung der RStPO und einiger hinter ihr stehender übergreifender Prinzipien137: Die Entwicklung des (der StPO zu Grunde liegenden) reformierten Strafprozesses basierte auf der sich zunehmend verbreitenden Einsicht in die Erforderlichkeit, Menschen- und Persönlichkeitsrechte staatlicherseits zu respektieren. Dies gebot es, auch im Strafverfahren Rücksicht auf Individualinteressen zu nehmen. Gleichzeitig sollten die starren gesetzlichen Beweisregeln, in denen sich der Formalismus des alten Beweisrechts besonders niedergeschlagen hatte, im Interesse einer Optimierung der Möglichkeiten der Beweiserhebung zugunsten einer stärker am Einzelfall orientierten umfassenden und freien richterlichen Beweiswürdigung aufgegeben werden138. Ein an rechtsstaatlichen Grundsätzen orientiertes Strafverfahren durfte außerdem, sollte es prinzipientreu umgesetzt werden, schon deshalb139 nicht ohne weiteres Aussage- oder Vernehmungsverbote statuieren, um nicht die Möglichkeit zur Erbringung eines Entlastungsbeweises abzuschneiden. Zudem hätte ein Zeugenausschluss für Angehörige von vornherein den durchgängigen Verzicht auf Aussagen häufig besonders gut informierter Personen bedeutet und den Schutz vor innerfamiliärer Delinquenz deutlich geschmälert140. Damit war noch nicht das (auch gesetzgeberische) Misstrauen gegenüber bestimmten Zeugengruppen beseitigt. Wäre der Schutz der Wahrheitsfindung aber ein für den Gesetzgeber mit § 52 StPO vordringlich zu verfolgendes Ziel gewesen, hätte sich dies verstärkt in den Materialien niederschlagen müssen, zumal in einigen partikularrechtlichen Verfahrensordnungen, die den reformierten Strafprozess umsetzten, bereits den neuen Zeugnisverweigerungsrechten ähnliche Regelungen zu finden waren141. Vgl. bei Hahn, Die gesammten Materialien zur Strafprozeßordnung, S. 1903. Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 59 / 60. 137 s. ausführlich oben B.III., S. 59 ff. 138 Vgl. insoweit auch Eb. Schmidt JZ 1958, 596, 600 und Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 58. 139 Ohne „übergeordneten“ Interessen verpflichtet zu sein, siehe z. B. die einschränkenden Voraussetzungen des § 54 StPO sowie die entsprechende Kommentierung bei KK-Senge, § 54 Rn. 1. 140 s. insoweit Fels, Der privilegierende Einfluß der Angehörigeneigenschaft, S. 97 m.w.Nw. 141 s.o. S. 64; a.A. Eb. Schmidt JZ 1958, 596, 600: „Problem des Mißtrauens incidenter mit erledigt“. Der Einwand, das Ziel des reformierten Strafprozesses sei die verstärkte Berücksichtigung von Individualrechten im Lichte des Gedankenguts der Aufklärung gewesen (s. Schütz, Die Verletzung des § 55 StPO als Revisionsgrund, S. 67 f.), stellt für sich genommen hingegen kein durchgreifendes Argument gegen die Auffassung dar, § 52 diene (auch) dem Schutz der Wahrheitsfindung; so sehen die meisten Anhänger dieser Auffassung gleichzeitig den individuell zeugenschützenden Aspekt der Norm und begründen dies u. a. mit dem entsprechen135 136

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Näher liegt es daher, den Gesetzgeber beim Wort zu nehmen, wenn vom Verzicht auf ein unzuverlässiges Beweismittel zugunsten von Individualinteressen die Rede ist142: Die tradierte Annahme, die Angehörigen eines Beschuldigten seien (wie einige andere Zeugengruppen allerdings auch) potenziell unsicherere Beweismittel als dem Verfahrensgegenstand und den Beteiligten völlig „neutral“ gegenüberstehende Aussagepersonen143 kann als empirisch belegt angesehen werden – dies war ersichtlich auch die wodurch auch immer abgesicherte Auffassung des historischen Gesetzgebers144; und besonders gering ist regelmäßig der Wert von Aussagen, die trotz bestehender Zeugenkonflikte aufgrund der Durchsetzung einer allgemeinen Zeugnispflicht erzwungen werden145, 146. Dass faktisch eine derartige Gefährdung der Wahrheitsfindung besteht, besagt für sich genommen noch nichts darüber, dass dieser entgegenzuwirken ein Normzweck gerade des Zeugnisverweigerungsrechts aus § 52 StPO sein soll147. Leicht fiel aus dieser Erkenntnis heraus allerdings der Verzicht auf erzwungene Aussagen der Angehörigen eines Beschuldigten, wie sich ja auch den Materialien entnehmen lässt. In jüngerer Zeit bildet sich nunmehr auf der Basis von Erwägungen zur Zweifelhaftigkeit derart erzwungener Zeugenaussagen eine eher vermittelnde Position heraus, deren Vertreter darauf hinweisen, dass § 52 StPO – unabhängig davon, ob den Beleg (s. o. Fn. 134) aus den Gesetzesmaterialien (s. z. B. Eb. Schmidt JZ 1958, 596, 600; Niese JZ 1953, 219, 223; Michaelis NJW 1969, 730; Fels, Der privilegierende Einfluß der Angehörigeneigenschaft, S. 99; Klug, Referat zum 46. DJT, S. F 35; auch BGHSt 10, 393 / 394). 142 Nochmals: Motive S. 44 (Hahn, Die gesammten Materialien zur Strafprozeßordnung, S. 106). 143 Wo es solche einmal gibt; zudem ist schon der Zeugenbeweis an sich nicht das sicherste Beweismittel. Vgl. zum ganzen ausführlich oben, Abschnitt C., insbes. S. 76 ff., 88 ff., 92 / 93 ff., 126 ff. 144 Wie sich u. a. den teilweise bereits mehrfach wiedergegebenen Fundstellen aus den Materialien (bei Hahn, Die gesammten Materialien zur Strafprozeßordnung, S. 106 / 107 und 1903; s. o. Fn. 134, 135) entnehmen lässt; s. auch Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 60. 145 Vgl. Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1241; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 26 Rn. 14; Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 61 ff. m.Nw.; Kühl JuS 1986, 115, 117 / 118. Siehe i.Ü. nochmals oben, Abschnitt C., S. 89 f., 116, 127. 146 Dies gilt ebenso für (erzwungene) Aussagen anderer den Verfahrensbeteiligten nahe stehender oder in irgendeiner Weise in den Fall involvierter Personen. Dem Gesetzgeber ist zur Abgrenzung bestimmter, üblicherweise betroffener Personengruppen oder Fallgestaltungen grundsätzlich der Rückgriff auf geeignete Typisierungen erlaubt (s. nur Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 63), in vielen Fällen sind sie geradezu erforderlich. Dass in Bezug auf § 52 StPO auf das Mittel der Typisierung zurückgegriffen wurde, ist oben schon ausführlich erläutert (vgl. nur S. 21, S. 140 ff., S. 147 ff.). 147 So auch Ruetz, Der Schutz des Zeugen bei drohender Selbstbezichtigung, S. 21; s. außerdem Schütz, Die Verletzung des § 55 StPO als Revisionsgrund, S. 68, 70; a.A. hingegen Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 66.

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D. Ratio des Zeugnisverweigerungsrechts aus persönlichen Gründen

ihm ein entsprechender originärer Normzweck zugesprochen werden muss – in der Praxis zumindest mittelbar der „Wahrheitsfindung“ dienlich ist, weil er einen Großteil potenziell besonders kritischer Beweismittel durch die Einräumung der Zeugnisverweigerungsmöglichkeit dem Verfahren entzieht148. Dieser Ansatz überzeugt vor allem deshalb, weil er empirisch belegbare Realitäten mit ersichtlichen gesetzgeberischen Vorstellungen und dem Normgefüge der StPO in Einklang setzt. Lässt sich daher zwar nicht fundiert behaupten, dass § 52 StPO den Schutz der Wahrheitsfindung ausdrücklich bezweckt (das bedeutet: ihm nach gesetzgeberischer Vorstellung dienen soll), so kann dennoch angenommen werden, dass § 52 letztlich der Zuverlässigkeit der Sachverhaltsaufklärung dadurch zugute kommt (das heißt: faktisch dient), dass er den besonders „kritischen“ Kreis der den Beschuldigten im Rahmen bestimmter formalisierter Beziehungen persönlich nahe stehenden Zeugen nicht zu (fragwürdigen, gegebenenfalls intentional unzutreffenden) Aussagen gegen ihren Willen nötigt. Der Blick auf die Materialien hat verdeutlicht, dass dem historischen Gesetzgeber dies bewusst war; selbst wenn § 52 StPO nicht ausdrücklich und gezielt zur Sicherung der Wahrheitsfindung eingeführt wurde, hat die Einsicht in die Unzuverlässigkeit dieses spezifischen Beweismittels den gesetzgeberischen Verzicht auf erzwungene Aussagen Angehöriger ersichtlich leicht gemacht. Insoweit kann auch gesagt werden, dass im Normgebungsprozess eine Abwägung erfolgt ist zwischen subjektiven Interessen bestimmter, zu Beschuldigten in persönlichen Näheverhältnissen stehender und daher ohnehin hinsichtlich ihres Beweiswertes eher gering geschätzter Aussagepersonen und dem Strafverfolgungsinteresse an Ausschöpfung aller erdenklichen Beweismittel zur (fraglichen) Erleichterung der Sachverhaltsaufklärung und dass dieser Abwägungsvorgang zugunsten der Berücksichtigung individueller Rechtspositionen abgeschlossen wurde149. Auf das geltende Strafprozessrecht kann die historische Erkenntnis der Entbehrlichkeit150 „befangener“ Zeugen übertragen werden: denn unter empirischen Ge148 Skwirblies, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, S. 189; Kühl JuS 1986, 115, 117 / 118; s. auch Roxin, Strafverfahrensrecht, § 26 Rn. 14; Ranft, Strafprozeßrecht, Rn. 500; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1241 m.Nw.; Hoffmann MDR 1990, 111, 112; ähnlich schon R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 130, 178; vgl. außerdem bzgl. § 55 Abs. 2 Frank, Revisible und irrevisible Strafverfahrensnormen, S. 57 ff., 61 f. 149 Ähnlich: Klug, Referat zum 46. DJT, S. F 35; R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 130; s. auch Roxin, Strafverfahrensrecht, § 26 Rn. 14: Wert erzwungener Aussage „so gering, daß er ein Eindringen in die familiäre Intimsphäre nicht rechtfertigen würde“. Nach Klöhn, Der Schutz der Intimsphäre im Strafprozeß, S. 153 / 154, war dieses Ergebnis hinsichtlich des engsten Kreises daher auch zwingend. 150 Die Annahme, der Sachverhaltsaufklärung immer noch dienlicher als gar keine Aussage sei eine nicht völlig zutreffende Aussage, die immerhin Anhaltspunkte zu weiteren Nachforschungen vermitteln könne, ist zweifelhaft. Unter den im vorhergehenden Abschnitt C. herausgearbeiteten Gesichtspunkten kann dem nicht ohne weiteres zugestimmt werden, da unzutreffende Aussagen ebenso gut dazu führen können, die gesamte Beweisführung unbemerkt in eine grundlegend falsche Richtung zu lenken (s. o. S. 97, C.IV.3.).

III. Zusammenfassung

159

sichtspunkten lässt sich sagen, dass der unter Berücksichtigung wichtiger Individualinteressen geübte Verzicht auf Bekundungen der den Beschuldigten nahe stehenden Personen, die auf freiwilliger Basis nicht zu erlangen sind, zumindest die Anzahl der in einem Verfahren zu erwartenden – gewollt oder ungewollt – unzutreffenden Aussagen verringert. Somit dient das Zeugnisverweigerungsrecht des § 52 StPO der Zuverlässigkeit der Wahrheitsermittlung im Strafverfahren.

3. Rangverhältnis der Normzwecke Abschließend könnte es sich noch anbieten, in Anlehnung an Überlegungen zu § 53 StPO151 das Erfordernis einer Rangfolge der festgestellten Normzwecke und ihrer Interessenträger zu diskutieren. Hier kann und muss aber Rengier gefolgt werden, der ausführlich darlegt, dass sich derartige Erörterungen erübrigen; denn die verschiedenen die Zeugnisverweigerungsrechte tragenden Gesichtspunkte stellen eine die jeweilige Norm in ihrer Gesamtheit begründende Einheit dar, so dass sich letztlich die Frage nach einem Werteverhältnis nicht stellt152. Da regelmäßig eine Interessenlage die andere bedingt, stützt und beeinflusst, ist von einem grundsätzlichen Gleichgewicht aller Positionen auszugehen.

III. Zusammenfassung Personeller Anknüpfungspunkt des § 52 Abs. 1 StPO ist das – weit verstandene – familiäre Angehörigenverhältnis als vertypte Form sozial bedeutsamer, gesellschaftlich akzeptierter Nähebeziehungen. Vor diesem Hintergrund setzt § 52 mehrere gleichrangig nebeneinander stehende und sich gegenseitig sowohl prägende als auch ergänzende Normzwecke um. § 52 berücksichtigt unmittelbar Individualinteressen der einzelnen einem Beschuldigten nahe stehenden Zeugen, die von der Zumutung befreit werden, sich gegen ihren Willen im Strafverfahren als Beweismittel gegenüber diesem Beschuldigten zur Verfügung zu stellen. Hierdurch wird das Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V. mit Art. 1 Abs. 1 GG) der zeugnisverweigerungsberechtigten Angehörigen eines Beschuldigten gesichert und einer Abwägung im Einzelfall entzogen. Gleichzeitig dient das Zeugnisverweigerungsrecht der Bestandssicherung enger und gesellschaftlich bedeutsamer Nähe-, Beistands- und Rückzugsgemeinschaften 151 Hierzu ausführlich Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 23 ff. m. zahlreichen Nw.; s. exemplarisch nur Jung MSchrKrim 1974, 258, 259 m.w.Nw.; Würtenberger, Gedächtnisschrift für Hans Peters, S. 925 / 926; Goedel, Pflichten und Berechtigungen des Arztes zur Anzeige und Auskunft, S. 25 m.Nw. 152 Vgl. Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 24, 74 f.; s. außerdem grds. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 331 f.

160

D. Ratio des Zeugnisverweigerungsrechts aus persönlichen Gründen

sowie der diesen zu Grunde liegenden kommunikativen Vertrauensbeziehungen gegenüber staatlichen (Strafverfolgungs-)Eingriffen. Insoweit werden neben Interessen der Zeugen am Erhalt dieser wichtigen Sozialbeziehungen ebenfalls Interessen sowohl der Beschuldigten als auch aller anderen Angehörigen, auch wenn sie nicht als Auskunftspersonen in Betracht kommen, geschützt. Hierin verwirklicht sich das Recht auf freie Entfaltung (und Bildung) der Persönlichkeit und Schutz der Privatsphäre. Der Erhalt dieser Nähe- und Beistandsbeziehungen steht außerdem im Allgemeininteresse, weil dort regelmäßig oder typischerweise grundlegende Aufgaben der Enkulturation und sozialen Stabilisierung übernommen werden. Schließlich lässt sich sagen, dass das Zeugnisverweigerungsrecht des § 52 StPO der Zuverlässigkeit der Wahrheitsfindung im Strafverfahren dienlich ist, da es einer typisierten Gruppe von Zeugen, die für den Regelfall überdurchschnittlich gefährdet sind, gewollt oder ungewollt unzutreffend auszusagen, wenn sie zur Aussage verpflichtet sind, einen „Rückzug ins Schweigen“ ermöglicht.

E. Einbeziehung „besonderer persönlicher Nähe- oder Vertrauensverhältnisse“ in die zeugenprivilegierende Regelung des § 52 StPO Auf der Basis der in den letzten Abschnitten dargelegten Befunde stellt sich nun die Frage, ob das Zeugnisverweigerungsrecht des § 52 seiner Zweckbestimmung auch unter heutigen – in vielerlei Hinsicht veränderten – gesellschaftlichen Bedingungen noch gerecht wird: Einerseits konnte festgehalten werden, dass das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO vor dem geschichtlichen Hintergrund zunehmender Berücksichtigung von Individualinteressen geschaffen wurde1. Außerdem bezieht es sich auf Beweismittel, die von jeher – und, wie sich angesichts neuerer empirischer Ergebnisse zeigt: nicht völlig zu Unrecht – als überdurchschnittlich unsicher angesehen wurden2, weswegen im gesetzgeberischen Kontext jedenfalls ein Verzicht auf erzwungene Aussagen persönlich (mittelbar) betroffener Zeugen leicht fiel3 und im aussagepsychologischen gut vertretbar ist4. Schließlich dient § 52 StPO unter Anknüpfung an einen weit verstandenen Angehörigenbegriff dem Schutz von Individualinteressen der Personen, die zu Beschuldigten in gesellschaftlich anerkannten persönlichen Näheverhältnissen stehen sowie dem Schutz dieser Nähe- und Vertrauensverhältnisse nicht zuletzt im Interesse Beschuldigter und ihnen nahe stehender Personen, aber auch der Allgemeinheit5. Diesen relativ statischen Determinanten steht eine tiefgehende Wandlung des gesellschaftlichen Verständnisses der Bedeutung von Verwandtschafts- und sonstigen persönlichen Nähebeziehungen gegenüber und damit nicht zuletzt der im Normtext bezeichneten „Zielgruppe“ des § 52 StPO. Die Familienzusammensetzung greift inzwischen in zahlreichen Fällen weit über die biologische (Kern-) Familie hinaus; die traditionelle Ehe verliert an Bedeutung und unterliegt nicht unwesentlichen Transformationen, wenn die Ehe als solche auch zahlenmäßig in der mittleren Lebensphase noch die am weitesten verbreitete Art der Paarbildung darstellt. Gleichzeitig lässt sich eine Pluralisierung der Lebensformen beobachten, die sich nicht nur in der Einführung des Instituts der gleichgeschlechtlichen Eingetragenen Lebenspartnerschaft widerspiegelt.

1 2 3 4 5

s.o. Abschnitt B.III., S. 59 ff. s.o. B., S. 46 ff., 57 ff. und C., S. 127. s.o. B., S. 68 und D., 158. s.o. S. 129. Abschnitt D.III., S. 159 f.

11 Jansen

162

E. Besondere persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse

Die feststellbaren gesellschaftlichen Veränderungen sollen unter Bezug auf aktuelle sozialwissenschaftliche Untersuchungsergebnisse so verkürzt wie möglich – und soweit diese als i.W. unstreitig angesehen werden können – dargestellt werden, um eine Vorstellung davon zu vermitteln, von welchen tatsächlichen Voraussetzungen auszugehen ist, wenn die Frage beantwortet werden soll, inwieweit § 52 seine Normzwecke heute noch zu erfüllen vermag.

I. Persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse – Konventionelle und nichtkonventionelle Lebensformen Das zur Zeit der Schaffung der RStPO als gesellschaftliches Leitbild verfolgte, aber noch nicht vollständig verwirklichte Ideal des absoluten Vorrangs der bürgerlichen Ehe und Familie6. hat um die Mitte des 20. Jahrhunderts eine Monopolstellung als allseits erstrebte Lebensform erreichen können, die das kollektive Gedächtnis und die heutige Wahrnehmung von Zusammenleben (mit-)geprägt hat. Diese Monopolstellung hat es allerdings im Laufe der letzten dreißig bis vierzig Jahre nicht nur in der Lebenswirklichkeit, sondern auch was seinen einstmaligen Charakter als nahezu allgemein anerkannter und entscheidender Bewertungsmaßstab in Bezug auf persönliche Näheverhältnisse anging, wieder verloren. An Stelle der vor allem für die späten fünfziger und bis Mitte der sechziger Jahre zu konstatierenden historisch einmaligen Dominanz von Ehe und Familie, der Konzentration auf die auf der Ehe basierende Kleinfamilie als unhinterfragt selbstverständlichem und allgemein angestrebtem Lebensmuster unter Abwertung aller hiervon abweichenden7, sind inzwischen (vor historischem Hintergrund: wieder8) vielfältige unterschiedliche Lebens- und Beziehungsformen getreten. Parallel zur Zunahme modifizierter Lebensentwürfe lässt sich eine gesellschaftliche Neubewertung der Privatheitskonzepte feststellen9.

1. Modelle konventioneller und nichtkonventioneller Lebensformen Das Interesse an Eheschließungen und die familiäre Bindung haben sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verändert. Der Anteil der Bevölkerung, der den Lebensbereich „Familie“ als wichtig einstuft, liegt immerhin noch bei über 70 s.o. Abschnitt D., S. 143. Schneider, Familie und private Lebensführung, S. 20 / 21; Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 20, 24; Nave-Herz, Die Nichteheliche Lebensgemeinschaft als Beispiel gesellschaftlicher Differenzierung, S. 43; Th. Meyer KZfSS 1993, 23, 26. 8 s. ausführlich unten S. 236 ff. 9 s. Burkart, Lebensphasen – Liebesphasen, S. 107; Matthias, Eheschließung, S. 384; Spiegel, Neue Haushaltstypen, S. 83 ff.; Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 39, 158, 283 f., 289; s. auch Schneider, Familie und private Lebensführung, S. 112 f. 6 7

I. Konventionelle und nichtkonventionelle Lebensformen

163

Prozent; gemeint ist damit allerdings nicht ein weitgefasster Angehörigenverband, sondern die „eigene“ – legalisierte oder nicht legalisierte – Kernfamilie10. Seit den sechziger und siebziger Jahren nahm die Zahl neu geschlossener Ehen beinahe kontinuierlich ab11, ebenso die Heiratsneigung12, während die Scheidungsraten sich erhöhen13. Die Prognosen gehen noch von einem weiteren Anstieg aus: Zur Zeit bleiben bereits etwa 20 bis 30 Prozent einer Generation unverheiratet; in urbanen Zentren liegen die Quoten bei 90 Prozent der unter 25-jährigen und über 40 Prozent der 25- bis 45-jährigen14. Unter Zugrundelegung der Werte für 1998 wird davon ausgegangen, dass nur 60 Prozent der jüngeren Generation in ihrem Leben (mindestens) einmal heiraten und mehr als ein Drittel aller Ehen geschieden werden15. Die Entscheidung zur Eheschließung folgt immer seltener tradierten Mustern, sondern ist zu einer individuell zu begründenden Alternative geworden16. Weil sich kein äußerer, „zweckrationaler“ Anlass zur Heirat findet, stehen gerade (aber nicht nur) jüngere der Ehe indifferent gegenüber17. Sofern überhaupt, wird durchschnittlich später geheiratet als vor fünfzig Jahren18, dafür aber häufig fami10 Vgl. Cyprian / Franger, Familie und Erziehung in Deutschland, S. 48 / 49, Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 34, 110, 154 und Burkart, Lebensphasen – Liebesphasen, S. 107 jew. m.w.Nw.; s. insbesondere auch Köcher, Einstellungen zu Ehe und Familie im Wandel der Zeit, S. 33 – 35 und Bertram, Die Sicherheit privater Beziehungen, S. 103, 104: horizontale Verwandtschaftsbeziehungen werden vielfach ersetzt durch vertikale, d. h. vor allem bei Verheirateten zunehmend linear entlang der Generationenfamilie organisiert. Wird in Untersuchungen nach Bezugspersonen im familiären Bereich gefragt, werden (relativ) entferntere Verwandte als Eltern und Geschwister mitunter gar nicht mehr (vgl. Krüger, Alleinleben in einer paarorientierten Gesellschaft, S. 170) oder in Bezug auf vertrauliche, problemorientierte Gespräche als jedenfalls eher nachrangige Kommunikationspartner (s. Cyprian / Franger, a. a. O., S. 62) genannt. 11 Bereinigt um Altersstruktureffekte geburtenstarker Jahrgänge, s. ausführlich Burkart, Lebensphasen – Liebesphasen, S. 104 ff. (unter 400.000 Ehen pro Jahr seit 1993); Schneider, Familie und private Lebensführung, S. 178; Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 44 ff., 287. 12 Burkart, Lebensphasen – Liebesphasen, S. 105; Schneider, Familie und private Lebensführung, S. 176; Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 44 ff., 287; s. auch Th. Meyer KZfSS 1993, 23, 30 / 31. 13 Verdreifachung seit 1965 von ca. 10% auf 25 bis knapp 30%, s. Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 144 ff.; s. auch Burkart, Lebensphasen – Liebesphasen, S. 223. 14 Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 47 / 48, 287; s. auch Burkart, Lebensphasen – Liebesphasen, S. 108 f. 15 Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 285. 16 Matthias, Eheschließung, S. 390 / 391; Schneider, Familie und private Lebensführung, S. 176; Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 78. 17 Schneider, Familie und private Lebensführung, S. 176 / 177, 187; Burkart / Kohli, Liebe, Ehe, Elternschaft, S. 105 ff., 115 f.; Burkart, Lebensphasen – Liebesphasen, S. 89; Meyer / Schulze, Balancen des Glücks, S. 33. 18 Burkart / Fietze / Kohli, Liebe, Ehe, Elternschaft, S. 15 ff.; Schneider, Familie und private Lebensführung, S. 176, 179 ff.; Matthias, Eheschließung, S. 388 m.w.Nw.; Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 45 / 46 f. m.w.Nw.; Burkart, Lebensphasen – Liebesphasen, S. 106 / 107.

11*

164

E. Besondere persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse

lienorientierter beziehungsweise kindzentrierter, d. h. sobald – aber auch erst dann, wenn – ein Kinderwunsch umgesetzt werden soll19. Gleichzeitig steigt der Anteil derjenigen, die außerhalb eines legalisierten, institutionalisierten Familienverbandes oder einer Ehe beziehungsweise Eingetragenen Lebenspartnerschaft mit Kindern und / oder PartnerInnen zusammenleben20. Unter anderem aufgrund von Trennungen und Scheidungen in den Herkunftsfamilien nimmt die Zahl von Stiefkindschaftsverhältnissen zu21. Das Gegengewicht zu sinkenden Eheschließungsziffern ist in der seit der Hochphase des Ehe- und Familienmodells wachsenden Zahl Unverheirateter zu sehen, die allein (beziehungsweise ausschließlich mit ihren Kindern) oder in außerehelichen Partnerschaften leben22. 19 Schneider, Familie und private Lebensführung, S. 186 / 187 (s. aber auch S. 177); NaveHerz, Die Nichteheliche Lebensgemeinschaft als Beispiel gesellschaftlicher Differenzierung, S. 51 ff.; Burkart / Fietze / Kohli, Liebe, Ehe, Elternschaft, S. 21; Matthias, Eheschließung, S. 385, 386 ff., 394 m.w.Nw.; s. ergänzend die Angaben bei Köcher, Einstellungen zu Ehe und Familie im Wandel der Zeit, S. 144. Entsprechend ist mitunter die Rede von einer Ausdifferenzierung in kindorientierte, partnerschaftsorientierte und individualistische Arten von Privatheit, s. Th. Meyer KZfSS 1993, 23, 27 ff., 37; Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 282 / 283; s. auch Nave-Herz, a. a. O., S. 49 / 50, 56. 20 s. nur Schneider / Rosenkranz / Limmer, Nichtkonventionelle Lebensformen, S. 55 f., 74, 91 ff., 119; Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 32, 39, 289; Schneider, Familie und private Lebensführung, S. 124, 129, 141. 21 Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 34, 159 ff., 187 ff.; Schneider, Familie und private Lebensführung, S. 196; Schneider / Rosenkranz / Limmer, Nichtkonventionelle Lebensformen, S. 135 f., 137; s. auch die Darstellung bei Cyprian / Franger, Familie und Erziehung in Deutschland, S. 42 ff. 22 Einen groben Überblick über die Verteilung (gemischtgeschlechtlicher) Lebensformen und -partnerschaften kann die folgende Tabelle vermitteln, wobei zu berücksichtigen ist, dass es sich aufgrund der Schwierigkeiten einer objektivierten Ermittlung insbesondere in Bezug auf die nicht institutionalisierten Lebensverhältnisse um angenäherte Daten handelt:

Lebensformen nach Altersgruppen in den alten und neuen Bundesländern 1994 alte Bundesländer

Lebensform:

neue Bundesländer gesamt Alter in Jahren: 18 – 24 25 – 29 30 – 44 45 – 61 18 – 24 25 – 29 30 – 44 45 – 61 18 – 61

verheiratet zusammenlebend 5 nichteheliche Lebensgemeinschaft 10 Partnerschaft mit getrennten Haushalten 34 ohne Partner 51 insgesamt 100%

30

76

82

13

44

71

77

49,75

19

8

3

24

25

10

4

12,875

22 29 100%

5 11 100%

3 12 100%

21 42 100%

12 19 100%

4 15 100%

2 12,875 17 24,5 100% 100%

Quelle: Schneider, Partnerschaften mit getrennten Haushalten, S. 91.

Die Tabelle unterscheidet in Bezug auf Partnerschaften mit getrennten Haushalten nicht zwischen ehelichen und nichtehelichen Beziehungen; von den in der obigen Studie befragten,

I. Konventionelle und nichtkonventionelle Lebensformen

165

In Bezug auf derartige informelle Paarbeziehungen zeigt sich – unabhängig von der Frage, ob Kinder vorhanden sind oder nicht – längst kein einheitliches Bild mehr: neben die – im juristischen Bereich ganz überwiegend thematisierte – „auf“ (längere oder kürzere) „Dauer angelegte“ und mit gemeinsamem Leben, Wohnen und Wirtschaften verbundene nichteheliche heterosexuelle Lebensgemeinschaft 23 treten z. B. in gleicher Weise ausgestaltete homosexuelle Lebensgemeinschaften 24, sowie ebenso feste, durchaus auch dauerhafte (Lebens-)Partnerschaften mit getrennten Wirtschaftssphären und vor allem getrennten Haushalten in mehr oder weniger großer räumlicher Nähe, also ebenso in unterschiedlichen Orten wie in in getrennten Haushalten partnerschaftlich verbundenen Lebenden waren nur etwa 4 % miteinander verheiratet, der Rest – im Verhältnis der Partner zueinander – nichteheliche Gemeinschaften (s. Schneider, a. a. O., S. 90). Nach neueren Erkenntnissen nimmt die Zahl der über 55-jährigen, die als nacheheliche Lebensform allein oder in nichtehelichen Verbindungen leben zu, vgl. Schneider / Rosenkranz / Limmer, Nichtkonventionelle Lebensformen, S. 75 / 77; s. auch Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 68. 23 s. nur Schneider / Rosenkranz / Limmer, Nichtkonventionelle Lebensformen, S. 67 ff.; Schneider, Familie und private Lebensführung, S. 129 ff.; Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 69 ff.; Meyer / Schulze, Balancen des Glücks, S. 33 ff.; aus dem juristischen Schrifttum, wo dieses Beziehungsmodell gerne (unter wechselnder Bezeichnung) in Form der „eheähnlichen Gemeinschaft“ thematisiert wird: Namgalies, Die eheähnliche Gemeinschaft, S. 17 ff.; Meier-Scherling DRiZ 1979, 296 ff.; Strätz FamRZ 1980, 301, 303; Konrad, Probleme der eheähnlichen Gemeinschaft im Strafrecht, S. 16 ff.; Skwirblies, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, S. 9 ff.; Ruland NJW 1993, 2855; Kingreen, Die verfassungsrechtliche Stellung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft, S. 52 ff.; Bialek, Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen, S. 128 ff.; Schreiber, Die nichteheliche Lebensgemeinschaft, S. 25 ff.; s. auch BVerfGE 87, 234, 264. Zur geschätzten Verbreitung s. oben Fn. 22. 24 Vgl. Schneider / Rosenkranz / Limmer, Nichtkonventionelle Lebensformen, S. 91 ff.; Wegner ZfRSoz 1995, 170, 171 ff., 175 ff.; Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 247 ff. Die Forschungslage zu gleichgeschlechtlichen und bisexuellen Lebensformen ist nach wie vor schlecht, auch nur andeutungsweise genaue Zahlen liegen nicht vor. Nach Schätzungen liegt der Anteil sich selbst als homosexuell definierender Frauen bei etwa 2%, der der Männer bei ca. 4% (s. Schneider / Rosenkranz / Limmer, a. a. O., S. 97 / 98. Vermutlich ist der tatsächliche Bevölkerungsanteil größer, weil – befürchtete – gesellschaftliche Stigmatisierung in unterschiedlichen Bereichen und Regionen immer noch Anlass gibt, Homosexualität zu verbergen; s. auch die Angaben bei Wegner, a. a. O., 171 ff. sowie Dannecker, in Basedow / Hopt / Kötz / Dopffel, S. 336 / 337 ff.). Es wird davon ausgegangen, dass lesbische Frauen zu ca. 50 – 60% in festen Partnerschaften leben, von diesen wohnen vermutlich (mindestens) 20% mit ihrer Partnerin zusammen; von den ca. 50 % Schwulen, die eine feste Paarbeziehung führen, wohnen ebenfalls etwa 20%, möglicherweise auch mehr, zusammen (Schneider / Rosenkranz / Limmer, a. a. O., S. 100, 101; Peuckert, a. a. O., S. 249 / 250 jew. m.w.Nw.; s. auch hier Wegner, a. a. O., 176, 178). Aufgrund von Erfahrungen im europäischen Ausland, insbesondere Dänemark, wo es gleichgeschlechtliche Registrierte Partnerschaften schon seit 1989 gibt, wird erwartet, dass ca. 2 bis 3% der lesbischen Frauen und schwulen Männer in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft leben werden (Schneider / Rosenkranz / Limmer, a. a. O., S. 100, 102 m.w.Nw.; s. auch die ausführlichen statistischen Angaben für die nordischen Länder bei Dopffel / Scherpe, in Basedow / Hopt / Kötz / Dopffel, S. 36 ff.; außerdem BT-Drs. 14 / 3751 (Gesetzentwurf LPartG), S. 35, sowie Blumenthal, Stellungnahme zum LPartG, S. 6 m.Nw.).

166

E. Besondere persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse

unmittelbarer Nachbarschaft („living apart together“)25; auch bei diesen handelt es sich sowohl um gemischtgeschlechtliche wie um gleichgeschlechtliche Partnerschaften26.

2. Verbindlichkeit, Vertrauens- und Nähebeziehungen innerhalb konventioneller und nichtkonventioneller Lebensformen Ein äußerlich relativ leicht messbarer Unterschied scheint zu bestehen, was die Dauerhaftigkeit von Ehen gegenüber nicht institutionalisierten Partnerschaften angeht: Die durchschnittliche Ehedauer – nicht zuletzt geprägt von langjährigen Ehen der heute älteren Generation – beträgt etwa 17 Jahre; der (Ehe-)Scheidungsgipfel lag für die Heiratsjahrgänge der achtziger und neunziger Jahre im fünften Ehejahr27. Dies besagt allerdings weder etwas darüber, wie lange (und in welcher Form) ein Paar bereits vor einer Ehe zusammengelebt hat oder zusammen war, noch zu welchem Zeitpunkt die Trennung – als der eigentliche Vergleichswert – erfolgt ist, die der Scheidung regelmäßig um einen (variablen) Zeitraum vorausgeht28. Mehr als die Hälfte aller nichtehelichen Lebensgemeinschaften wurden zum Zeitpunkt jeweils durchgeführter Untersuchungen schon mehr als drei Jahre geführt; zudem bestand die Partnerschaft durchschnittlich schon ca. zweieinhalb Jahre vor einem Zusammenziehen29. Andererseits wird davon ausgegangen, dass in25 Unter living apart together-Beziehungen werden hier im Anschluss an in der Sozialwissenschaft verbreitete Definitionsansätze Partnerschaften verstanden, die sich selbst als verbindliche, dauerhafte Lebensgemeinschaften verstehen, im Gegensatz zur nichtehelichen Lebensgemeinschaft im „eigentlichen“ Sinn jedoch keinen gemeinsamen Haushalt teilen und dies häufig auch nicht anstreben; d. h. die Partner wirtschaften autonom und leben in getrennten Wohnungen, die sich in unterschiedlichen Städten, der gleichen Stadt, der gleichen Wohngegend oder auch im selben Haus befinden können. Vgl. Schneider, Familie und private Lebensführung, S. 140 / 141; Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 90 / 91. Ausführlich zur Typologie und Ausgestaltung dieser Partnerschaften s. Schlemmer, „Living apart together“, S. 363. 26 Schneider, Familie und private Lebensführung, S. 140 ff.; Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 90 ff.; Schneider / Rosenkranz / Limmer, Nichtkonventionelle Lebensformen, S. 47 ff., 56: Der Anteil gemischtgeschlechtlicher (nichtehelicher, also originärer) living apart together-Partnerschaften wird für 1994 mit ca. 9% aller 18 bis 61-jährigen geschätzt; genaue Zahlen lassen sich aber aufgrund unzulänglicher Differenzierbarkeit nicht ermitteln. Zur mutmaßlichen Verbreitung in Bezug auf gemischtgeschlechtliche Partnerschaften insgesamt s. oben Fn. 22. Der Anteil gleichgeschlechtlicher living apart together-Beziehungen wird nicht beziffert; nach bei Schneider / Rosenkranz / Limmer, a. a. O., S. 100, 102 genannten Zahlen leben ca. 57% der Schwulen und 37% der Lesben allein. 27 Schlemmer, „Living apart together“, S. 379; Scheller, Wertewandel und Anstieg des Ehescheidungsrisikos, S. 26; Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 152 (s. auch ebd., S. 151 ff., zur Korrelation sozialer Merkmale mit dem Scheidungsrisiko). 28 s. auch Burkart, Lebensphasen – Liebesphasen, S. 224 und Scheller, Wertewandel und Anstieg des Ehescheidungsrisikos, S. 19. 29 s. Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 80.

I. Konventionelle und nichtkonventionelle Lebensformen

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nerhalb der ersten sechs Jahre dreimal so viele nichteheliche (gemischtgeschlechtliche) Beziehungen ein Ende finden wie Ehen30; allerdings werden nichteheliche Beziehungen nicht nur durch Trennung beendet, sondern dadurch, dass viele innerhalb dieses Zeitraums in Ehen münden31. Partnerschaften ohne gemeinsamen Haushalt bestehen – in dieser Form – durchschnittlich etwa drei bis vier Jahre32. Zur Dauerhaftigkeit von Verlöbnissen (zumal solcher nach strafprozessualer Definition) ist soweit ersichtlich nichts bekannt33. In Bezug auf gleichgeschlechtliche Eingetragene Lebenspartnerschaften liegen aufgrund der Neuartigkeit der Lebensform noch keine Zahlen vor. Für nichtinstitutionalisierte gleichgeschlechtliche Gemeinschaften lässt sich die Situation – nicht zuletzt aufgrund, insbesondere was lesbische Beziehungen angeht, immer noch schlechter Datenlagen – nicht eindeutig beschreiben: Für 1987 werden Befragungsergebnisse wiedergegeben, nach denen etwas mehr als die Hälfte der Beziehungen schwuler Männer nur ca. ein Jahr andauerte, obwohl ein starkes Bedürfnis nach festen Partnerschaften geäußert wurde34. Von im Jahr 1993 interviewten Männern, die zum Befragungszeitpunkt eine feste Beziehung hatten, gaben 37 Prozent an, bereits mehr als drei Jahre mit ihrem Partner zusammen zu sein, 22 Prozent mehr als fünf Jahre35. Nach Ergebnissen von 1983 liegt die durchschnittliche Dauer einer Partnerschaft bei rund neun Jahren36. Einigkeit besteht immerhin darüber, dass sich der Anteil langjähriger Beziehungen mit zunehmendem Alter der Befragten erhöht37; bedingt ist diese Konzentration auf eine biographisch gesehen spätere Periode aktiver Beziehungsgestaltung auch durch die mit dem coming out verbundene und ihm folgende Phase des Experimentierens mit Lebens- und Beziehungsentwürfen38. Für lesbische Frauen wird eine durchschnittliche Beziehungsdauer von (zum Befragungszeitpunkt) knapp drei Jahren genannt. Da in der zu Grunde liegenden Studie jüngere Frauen Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 78 f. Lauterbach, Die Dauer nichtehelicher Lebensgemeinschaften, S. 292: während sich nur etwa 28% trennen, werden ca. 90% der bestehenden nichtehelichen Lebensgemeinschaften innerhalb der sechs Jahre in Ehen überführt; Schneider, Familie und private Lebensführung, S. 134 / 135; Schneider / Rosenkranz / Limmer, Nichtkonventionelle Lebensformen, S. 83. 32 Schneider / Rosenkranz / Limmer, Nichtkonventionelle Lebensformen, S. 58; s. auch Schlemmer, „Living apart together“, S. 379. 33 Nur als zusätzliche „Formalität“ im Rahmen bestehender nichtehelicher Lebensgemeinschaften werden sie erwähnt bei Matthias-Bleck, Warum noch Ehe?, S. 113 / 114; s. auch Burkart / Fietze / Kohli, Liebe, Ehe, Elternschaft, S. 72. 34 s. die Darstellung bei Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 249 m.Nw.; s. auch Wegner ZfRSoz 1995, 170, 173 f. m.w.Nw. 35 s. die Angaben bei Schneider / Rosenkranz / Limmer, Nichtkonventionelle Lebensformen, S. 99. 36 Vgl. die Darstellung bei Wegner ZfRSoz 1995, 170, 175. 37 Dannecker, in Basedow / Hopt / Kötz / Dopffel, S. 344 / 345; Schneider / Rosenkranz /Limmer, Nichtkonventionelle Lebensformen, S. 99 und Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 249 jew. m.w.Nw.; Wegner ZfRSoz 1995, 170, 174; s. auch die Angaben bei Blumenthal, Stellungnahme zum LPartG, S. 4, 5. 38 Schneider / Rosenkranz / Limmer, Nichtkonventionelle Lebensformen, S. 99. 30 31

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deutlich überrepräsentiert waren, lässt sich auch diese relativ kurze Beziehungsdauer jedoch nicht verallgemeinern39. Teilweise eher kurzfristig erscheinenden „Beziehungsregellaufzeiten“ stehen zahlreiche langfristige gleichgeschlechtliche und verschiedengeschlechtliche nichteheliche Partnerschaften gegenüber; zu diesen gehören im Übrigen auch die – anteilsmäßig wenigen – Beziehungen, die von meist über dreißigjährigen Partnern als bewusst nichtlegalisierte heterosexuelle Alternative zur Ehe gelebt werden40. Insgesamt verlängert sich bei allen Beziehungen mit zunehmendem Alter der Partner die Dauer einer eingegangenen Verbindung41. Ein grundsätzlicher Unterschied zwischen legalisierten und nichtlegalisierten Partnerschaften könnte im Zeithorizont erblickt werden, da Ehen – theoretisch – mit der Option auf einen lebenslangen Zusammenhalt geschlossen werden, während der große Teil (jedenfalls: gemischtgeschlechtlicher) nichtehelicher Verbindungen auf Zeit – wenn auch auf unbestimmte – und unter Berücksichtigung ihrer potenziellen Endlichkeit eingegangen werden42. Allerdings kann nicht außer Acht gelassen werden, dass angesichts der beherrschenden Schwerpunktsetzung auf emotionale Belange das Gefüge, das eine dauerhafte Bindung zu bieten vermag, überlastet ist, weil das Gefühl der Liebe vergänglich und mit Dauerhaftigkeit kaum zu vereinbaren ist43. Dies gilt nicht nur für Ehen, sondern für alle vorrangig affektiv begründeten Beziehungen44. Als entsprechend rational stellen sich daher zunehmend auch die Erwartungen derjenigen heraus, die sich für eine Eheschließung entscheiden, denn der empfundene Verpflichtungs- und Verbindlichkeitscharakter der Ehe lässt nach, die Vorstellung, eine Verbindung werde tatsächlich „für’s Leben“ halten, hat ihre Überzeugungskraft und ihre Bedeutung verloren45. Dies korrespondiert i.Ü. – jedenfalls soweit es sich um Doppelverdiener-Ehen handelt und keine (minderjährigen) Kinder vorhanden sind – der tatsächlichen Situation, was Unterhaltsverpflichtungen 39 Vgl. Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 250 m.Nw.; Schneider / Rosenkranz / Limmer, Nichtkonventionelle Lebensformen, S. 101; Wegner ZfRSoz 1995, 170, 177. 40 Schneider / Rosenkranz / Limmer, Nichtkonventionelle Lebensformen, S. 59, 83, 85 / 86, 99 m.w.Nw.; Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 77, 80; Schneider, Familie und private Lebensführung, S. 134; Wegner ZfRSoz 1995, 170, 175 / 176, 178. 41 Schlemmer, „Living apart together“, S. 379 / 380; Dannecker, in Basedow / Hopt / Kötz / Dopffel, S. 344 / 345. 42 Vgl. nur Lauterbach, Die Dauer nichtehelicher Lebensgemeinschaften, S. 277; Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 82. 43 s. Burkart / Fietze / Kohli, Liebe, Ehe, Elternschaft, S. 26; Burkart, Lebensphasen – Liebesphasen, S. 214, 235; Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 154 („in der Idee der Liebesehe [ist] das Scheitern der Ehe schon angelegt“). 44 Daher wird auch von „reinen Beziehungen“ gesprochen, vgl. Dannecker, in Basedow / Hopt / Kötz / Dopffel, S. 344 mit Verweis auf Anthony Giddens. 45 Burkart / Kohli, Liebe, Ehe, Elternschaft, S. 117; Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 156; Köcher, Einstellungen zu Ehe und Familie im Wandel der Zeit, S. 146 ff.

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und Beistandsleistungen angeht. Die Grenzen zwischen ehelichen und nichtehelichen Partnerschaften sind – nicht zuletzt damit – fließend geworden46. Die Einsicht in die Endlichkeit der meisten zwischenmenschlichen Beziehungen hat allerdings keine Abkehr von der partnerschaftsorientierten Lebensweise zur Folge. Vielmehr erhöht sich durch die Eingehung aufeinanderfolgender Verbindungen47 insgesamt die Zahl verbindlicher, mindestens ein Jahr andauernder Beziehungen, in denen eine Person nacheinander lebt48. Zudem deutet sich für viele ein eher zyklischer Ablauf an, in dessen Rahmen die Partner die Lebensformen des living apart together, der nichtehelichen Lebensgemeinschaft, der Ehe (nunmehr wohl auch der Eingetragenen Lebenspartnerschaft) nacheinander absolvieren; dieser Zyklus kann allerdings für die jeweilige Beziehung und die einzelnen Personen auch an einer der „Stationen“ verharren oder in Brüchen und Wiederholungen aufgehen49. Die zunehmende Fluktuation im Rahmen persönlicher Näheverhältnisse bedeutet nicht, dass diese damit gleichermaßen unverbindlicher würden50. Allgemein haben sich die Gewichte in engen Personalbeziehungen im Laufe der letzten Jahrhunderte verschoben: lag früher der Schwerpunkt auf einer funktionalen Orientierung, wurden im Zuge größerer funktionaler Differenzierung Liebe, Emotionalisierung und Sexualisierung zu zentralen sinnstiftenden Motiven enger Lebenspartnerschaften51; mit sich fortentwickelnder Emanzipation der Frauen und damit einhergehender Möglichkeiten wirtschaftlicher Eigenständigkeit und Unabhängigkeit können in vielen Fällen die letzten Notwendigkeiten einer Absicherung zugunsten einer Intimisierung der Beziehungen aufgegeben werden52. Dennoch nehmen in nichtehelichen wie ehelichen Beziehungen die jeweiligen Partner eine ganz zentrale Rolle ein. Für Ehe und Familie werden intime persönliche Beziehungen und enge emotionale Bindungen als konstitutiv hervorgehoben. Als idealtypisch gilt die Möglichkeit, diesen nahe stehenden Personen zu vertrau46 Burkart / Kohli, Liebe, Ehe, Elternschaft, S. 107 ff.; Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 82; s. auch Schneider, Familie und private Lebensführung, S. 137 und Matthias, Eheschließung, S. 384 sowie Köcher, Einstellungen zu Ehe und Familie im Wandel der Zeit, S. 134, 146. 47 Was sich auch unter dem populären Begriff der „seriellen Monogamie“ zusammenfassen lässt, vgl. Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 33, 182 ff., 242; s. auch Burkart / Kohli, Liebe, Ehe, Elternschaft, S. 119. 48 Schneider, Familie und private Lebensführung, S. 171 / 172; Burkart, Lebensphasen – Liebesphasen, S. 251 ff.; Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 149. 49 Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 94; s. auch Schneider, Familie und private Lebensführung, S. 114, 141. 50 So explizit auch Th. Meyer KZfSS 1993, 23, 30. 51 s. nur Schneider, Familie und private Lebensführung, S. 149 f.; Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 20 ff., 23 ff.; Burkart, Lebensphasen – Liebesphasen, S. 23 ff.; sowie sogleich unten S. 240 f. 52 Schneider, Familie und private Lebensführung, S. 149; Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 86 f., 154 ff.

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en, sich auszusprechen, aus der gesellschaftlichen Rolle heraustreten und Unterstützung erhalten zu können53. Diese traditionell mit dem Familien- und Ehebegriff verbundenen Optionen finden sich aber auch in nicht legalisierten Verbindungen: Die Beziehungspartner sind meist die wichtigsten Bezugspersonen; praktische und emotionale Stabilisierung und Unterstützung wird zuerst bei diesen gesucht und von diesen geleistet54. Vertrauliche Gespräche finden ganz wesentlich in diesem Rahmen statt55. Unterschiedlich ist nur der Stellenwert, der dem jeweiligen Partner in „Konkurrenz“ zu möglichen weiteren Bezugspersonen zukommt: Bei Unverheirateten bestehen regelmäßig weitere extrafamiliale soziale Auffangnetze neben der jeweiligen Partnerschaft, die deren Bedeutung nicht schmälern, aber so flankieren, dass ihr Ausschließlichkeitscharakter verschwindet56. Diese sozialen Auffangnetze der nichtehelich Verbundenen sind vor allem bei älteren Nichtverheirateten im (jeweils eigenen, nicht gemeinsamen) engeren Freundeskreis zu sehen, während sich herausgestellt hat, dass die vertrauensmäßige und emotionale Bindung sowohl zur eigenen Familie als auch zu der des Partners beziehungsweise der Partnerin regelmäßig eher schwach ist57. Living apart together-Beziehungen unterscheiden sich – soweit dies angesichts schwieriger Differenzierbarkeit feststellbar ist – von anderen Partnerschaften dadurch, dass die Erwartungen an innerhalb der Verbindung zu leistenden Beistand geringer sind. Zwar ist auch der Partner eine bedeutsame Vertrauensperson; gleichzeitig besteht aber in Form von Freundschaften und engsten Verwandtschaftsverhältnissen ein weiteres, eigenständiges Auffangsystem58. Partner in living apart together-Beziehungen haben im Vergleich mit allen anderen Lebensformen die größten sozialen (Gesamt-)Netzwerke an BezugsperBertram, Die Sicherheit privater Beziehungen, S. 95. Nave-Herz, Die Nichteheliche Lebensgemeinschaft als Beispiel gesellschaftlicher Differenzierung, S. 46; Schneider / Rosenkranz / Limmer, Nichtkonventionelle Lebensformen, S. 81; Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 83, 93 m.w.Nw.; für gleichgeschlechtliche Partnerschaften s. Wegner ZfRSoz 1995, 170, 176 f. m.Nw., 179. 55 Bertram, Die Sicherheit privater Beziehungen, S. 106. 56 Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 93; s. auch Bertram, Die Sicherheit privater Beziehungen, S. 106. Die Netze bezeichnen zu ca. 40% familiäre, zu 60% nicht familiäre Vertraulichkeitsnetze, also neben den Partnern insbesondere solche zu Freunden (zu denen vielfach auch enge emotionale Verbindungen bestehen); erst im Alter verschieben sich diese Werte: in Westdeutschland überwiegen familiäre Beziehungen, in Ostdeutschland außerfamiliäre, s. Schlemmer, „Living apart together“, S. 387 ff. 57 Wahl / Stich / Seidenspinner, Das Innenleben der modernen Familien, S. 33; Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 81. Was primär materielle Unterstützung angeht, liegt der Schwerpunkt allerdings – neben dem Partner – immer noch bei Verwandten, s. Schneider, Familie und private Lebensführung, S. 156 ff. S. auch die Darstellung bei Bertram, Die Sicherheit privater Beziehungen, S. 107, demzufolge gerade bei jüngeren Unverheirateten die Eltern wichtige Bezugspersonen darstellen. 58 Schlemmer, „Living apart together“, S. 381 ff., 392; Schneider / Rosenkranz / Limmer, Nichtkonventionelle Lebensformen, S. 60 / 61; Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 40. 53 54

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sonen und dies gilt gleichermaßen für das Netz, in und mit dem persönlich wichtige Gespräche geführt werden. Im Rahmen dieser Netzwerke ist der Partner („gefolgt“ von den Freunden59) nur für die mittlere Generation der wichtigste Gesprächspartner; insbesondere bei jüngeren dominieren hingegen als Vertrauenspersonen die Freunde vor den Eltern und dem Partner, während in der älteren Generation eine deutliche Konzentration auf verwandtschaftlich Verbundene erkennbar wird60. Entsprechende detaillierte Untersuchungen zu gleichgeschlechtlichen Partnerschaften finden sich soweit ersichtlich noch nicht. Gerade lesbische Frauen bekunden regelmäßig ein hohes Maß an partnerschaftlicher Nähe und Verbundenheit61. In schwulen Beziehungen liegt – trotz dort häufig nicht konsequent gelebter sexueller Exklusivität – der Schwerpunkt der Partnerschaft ebenfalls bei gegenseitiger Fürsorge und emotionaler Verlässlichkeit; diese stellt dann den Maßstab der Treue und Verbindlichkeit dar62. Gleichgeschlechtliche Partnerschaften lassen sich danach ohne weiteres als (emotional exklusive) dauerhafte Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaften mit nur marginalen Unterschieden zu heterosexuellen ehelichen oder nichtehelichen Beziehungsformen bezeichnen63. Bei Stiefkindschaften bestehen außerhalb originärer Herkunftsfamilien – trotz häufig auftretender innerfamiliärer Probleme – vielfach enge Vertrauensbeziehungen auch zwischen nicht biologisch verwandten oder nicht durch Ehe (und Schwägerschaft) legitimierten Personen, die über Stiefkindschaftsverhältnisse verbunden sind. Jedenfalls erhöhen sich durch die – u.U. mehrere Generationen betreffende – Familienerweiterung für die Kinder die potenziellen Quellen von Beistand und Unterstützung in Krisenzeiten; sie werden zu „elternreichen“ Kindern64. Ähnliches gilt für Pflegekindschaftsverhältnisse; dort stellt sich allerdings das zusätzliche Problem, dass zwar ca. 80 Prozent der Pflegeverhältnisse bis zu fünf Jahren oder länger bestehen, in 20 Prozent der Fälle die Aufenthaltsdauer des Pflegekindes aber weniger als sechs Monate beträgt65. In diesen letztgenann59 Für die Frauen häufig auch in umgekehrter Reihenfolge: wichtige freundschaftliche Beziehungen rangierten vor dem jeweiligen Partner; vgl. Krüger, Alleinleben in einer paarorientierten Gesellschaft, S. 169. 60 s. ausführlich Schlemmer, „Living apart together“, S. 382 ff., 387 ff. Insgesamt ergibt sich aber bei jüngerer und mittlerer Generation eine Quote von ca. 56 bzw. 57% nichtfamilialer gegenüber 44 bzw. 43% durch Verwandtschaftsverhältnisse angebundener Vertrauensbeziehungen. 61 Schneider / Rosenkranz / Limmer, Nichtkonventionelle Lebensformen, S. 103. 62 Dannecker, Homosexuelle Männer und AIDS, S. 276; ders., in Basedow / Hopt / Kötz / Dopffel, S. 343 / 344; Schneider / Rosenkranz / Limmer, Nichtkonventionelle Lebensformen, S. 101; Wegner ZfRSoz 1995, 170, 177 m.w.Nw. 63 s. Wegner ZfRSoz 1995, 170, 177. So inzwischen auch Dannecker, in Basedow / Hopt / Kötz / Dopffel, S. 343; BT-Drs. 14 / 3751 (Gesetzentwurf LPartG), S. 1. 64 Schneider / Rosenkranz / Limmer, Nichtkonventionelle Lebensformen, S. 136, 148; Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 190, 194; differenzierend Cyprian / Franger, Familie und Erziehung in Deutschland, S. 150. 65 s. Schneider / Rosenkranz / Limmer, Nichtkonventionelle Lebensformen, S. 141 / 142.

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ten Fällen kann es mitunter an der hinreichenden Zeit zum Aufbau eines Vertrauensverhältnisses, das zumindest eine gewisse Dauerhaftigkeit der Beziehung voraussetzt66, fehlen. Zu familien- und partnerschaftsorientierten Lebensentwürfen wie den beschriebenen tritt schließlich eine wachsende Zahl Alleinstehender. In den letzten Jahren und Jahrzehnten hat sich die Zahl der Einpersonenhaushalte vervielfacht67. Nach Schätzungen haben ca. 30 bis 40 Prozent der Alleinwohnenden (nicht: Alleinlebenden) feste Partner68; hierbei kann es sich außer um living apart together-Beziehungen69 beispielsweise um Distanz-Ehen (sog. commuter-Ehen70) handeln71. Neben der Gruppe Alleinwohnender mit festen Partnerschaften fällt aber die größer werdende Gruppe derer ohne (feste) Partner auf. Dieses Alleinleben erfolgt meist im Rahmen – für Männer noch eher als für Frauen unfreiwilliger – biographischer Übergangsperioden, die in unterschiedlichen Altersgruppen unterschiedliche Lebensphasen betreffen72. Wo Alleinlebende nicht auf familiären Rückhalt zugreifen können, verfügen sie regelmäßig in einem – gegenüber dem z. B. der Verheirateten deutlich größeren – Freundeskreis über Vertraute, die Stabilisierungsfunktionen übernehmen und zu denen enge gefühlsmäßige Beziehungen bestehen73. Alleinstehende Frauen zwiVgl. Bertram, Die Sicherheit privater Beziehungen, S. 95. Heute sind ca. 32 bis 36% aller Haushalte Einpersonenhaushalte (das entspricht etwa 16% der Bevölkerung in Privathaushalten); dies stellt ungefähr eine Verfünffachung der ca. 6 bis 7% Einpersonenhaushalte zur Zeit der Jahrhundertwende (19. / 20. Jhd.) dar. In Großstädten wie München und Berlin ist etwa jeder zweite Haushalt, in Gemeinden unter 5000 Einwohnern weniger als jeder vierte Haushalt ein Einpersonenhaushalt. S. ausführlich Schneider / Rosenkranz / Limmer, Nichtkonventionelle Lebensformen, S. 34, 36; Schneider, Familie und private Lebensführung, S. 117, 120; Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 32, 57 f. 68 Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 62 m.w.Nw.; Schneider, Familie und private Lebensführung, S. 119. 69 Es wird angenommen, dass etwa 60% aller nicht verheirateten Personen mit fester Partnerschaft in getrennten Haushalten leben, s. Schneider, Familie und private Lebensführung, S. 141. 70 Unter commuter-Ehen (auch „two-location“ oder „long-distance marriage“) werden Ehen verstanden, in denen beide Partner in Verfolgung beruflicher Interessen an unterschiedlichen Orten (Städten, Regionen) arbeiten und daher in getrennten Haushalten leben; ein gemeinsamer Haushalt an einem der beiden Orte besteht regelmäßig nicht, die Partnerschaften dürfen also trotz der Wortbedeutung von „commuter“ nicht mit „Pendler-Ehen“ im gebräuchlichen Sinne gleichgesetzt werden. Vgl. ausführlich Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 225 ff. 71 Weitere Beispiele bei Schneider / Rosenkranz / Limmer, Nichtkonventionelle Lebensformen, S. 35. 72 s. die ausführliche Darstellung bei Schneider / Rosenkranz / Limmer, Nichtkonventionelle Lebensformen, S. 37 ff., 45; Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 66, 68, 283; Schneider, Familie und private Lebensführung, S. 119 / 120; Krüger, Alleinleben in einer paarorientierten Gesellschaft, S. 207 ff. Zur Verbreitung vgl. oben Fn. 22. 66 67

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schen 30 und 45 gaben im Rahmen einer – nicht repräsentativen – qualitativen Untersuchung durchgängig an, zu einer (weiblichen) Kontaktperson, regelmäßig einer ihnen langjährig bekannten Freundin, eine enge Vertrauensbindung zu haben. Engen Freundschaften wird insbesondere in Bezug auf Verlässlichkeit, Erfahrungsaustausch und gegenseitige Unterstützung hoher Wert beigemessen; im Vordergrund steht die affektiv-emotionale Beziehung, die durch vertrauensvolle Gespräche und Hilfeleistungen nicht nur in alltäglichen, sondern auch in Krisensituationen gekennzeichnet ist74. Nur wenige alleinlebende Männer nannten Freundschafts- oder sonstige Beziehungen, in denen ein vertraulicher, enger Austausch erfolgte und betonten meist gemeinsame Freizeitaktivitäten; aus dem Kontext der Interviews ergab sich allerdings, dass vertrauliche Kommunikationsbeziehungen, die über reine Sach- und Interessenorientierung hinausgingen und denen auch Wert beigemessen wurde, zwar bestanden, aber nicht explizit benannt wurden75.

3. Akzeptanz „abweichender“ Lebensformen Parallel zur realistischen Sichtweise, was Bindungen auf Lebenszeit angeht, verändert sich die gesellschaftliche Bewertung „alternativer“ Lebensformen. Dies schlägt sich nicht zuletzt nieder im öffentlichen Druck zur Gleichbehandlung nichttraditionaler Lebensformen gegenüber der Ehe76. Nichteheliche Lebensgemeinschaften als mit am häufigsten diskutierte und am besten erforschte Beziehungsformen werden nahezu allgemein akzeptiert. Gegen Mitte der neunziger Jahre fanden es nach einer Untersuchung 70 Prozent der Bevölkerung in Ost- wie Westdeutschland „in Ordnung“, dass ein Paar ohne Heiratsabsicht zusammenlebt; nach einer weiteren Umfrage aus der gleichen Zeit hielten nur etwa 10 Prozent außereheliches Zusammenleben für „falsch“, die Mehrheit sah keinen Anlass, unverheiratetes Zusammenleben zu verurteilen, 25 Prozent bewerteten das unverheiratete Zusammenwohnen sogar ausgesprochen positiv. Unter Jüngeren und in den höchsten Bildungsgruppen ist die Akzeptanz des nichtehelichen Zusammenlebens dabei am größten77. Mehr als 80 Prozent aller jüngeren Eheschließenden haben zuvor für eine gewisse Zeit in nichtehelichen Lebensgemeinschaften gelebt und empfanden dies nicht als ungewöhnliches oder abweichendes Verhalten, vielmehr 73 Schneider, Familie und private Lebensführung, S. 119 m.w.Nw.; Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 40, 63; s. außerdem das Beispiel bei Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 103. 74 Krüger, Alleinleben in einer paarorientierten Gesellschaft, S. 164, 166 / 167. 75 Vgl. Krüger, Alleinleben in einer paarorientierten Gesellschaft, S. 164 / 165 f., 168. 76 Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 38, 48, 87, 289; Burkart, Lebensphasen – Liebesphasen, S. 107; Schneider / Rosenkranz / Limmer, Nichtkonventionelle Lebensformen, S. 88 ff. 77 Vgl. die detaillierte Darstellung bei Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 84, 289 m.Nw.; zur Entwicklung in den 1980er Jahren ausführlich Burkart / Fietze / Kohli, Liebe, Ehe, Elternschaft, S. 46 f.

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ist die nichteheliche Lebensgemeinschaft zu einer eigenständigen Lebensphase und einer selbstverständlichen Lebensform unter anderen geworden; Vergleichbares gilt für Paare mittleren Alters, die nach gescheiterten Ehen oder aus anderen Gründen das Leben innerhalb nichtehelicher Beziehungen präferieren78. Auch Modelle des living apart together, commuter-Ehen oder sonstige Formen des Alleinwohnens oder -lebens gelten inzwischen als sozial akzeptiert79. Gleichfalls nimmt die Akzeptanz gegenüber gleichgeschlechtlichen Lebensformen immer mehr zu; das wird nicht nur ersichtlich anhand der Rechtsordnungen der Länder, in die im Laufe der letzten Jahre neben Klauseln zum Schutz und zur Anerkennung nichtehelicher Lebensgemeinschaften 80 Regelungen zur eingeschränkten Legalisierung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften („Hamburger Ehe“81) ebenso Eingang gefunden haben wie Verfassungsnormen zum Schutz vor Benachteiligung und Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität82, oder des zum 1. August 2001 in Kraft getretenen Lebenspartnerschaftsgesetzes83, das nicht zuletzt eine Entschließung des Europäischen Parlaments von 1994 zur „Gleichstellung von Schwulen und Lesben in der EG“ umsetzen sollte84. Bereits 1993 wurde eine Emnid-Umfrage veröffentlicht, in der sich 39 Prozent der Befragten für die Möglichkeit gleichgeschlechtlicher Eheschließungen aussprachen85. Im Mai 1999 waren schon 54 Prozent der Befragten einer anderen Umfrage der Auffassung, homosexuelle Paare sollten heiraten und so die gleichen Rechte erhalten können wie heterosexuelle Ehepaare86. Diese Quote ausdrücklicher Zustimmung hielt sich in zwei Umfragen von Juli 2000 (Forsa vom 7. 7. 2000 und Dimap vom 8. 7. 2000): hier lag die ausdrückliche Zustimmung ebenfalls bei 56 beziehungsweise 55 Pro78 Schneider / Rosenkranz / Limmer, Nichtkonventionelle Lebensformen, S. 67, 73, 88 ff. m.w.Nw.; Lauterbach, Die Dauer nichtehelicher Lebensgemeinschaften, S. 292, 303 / 304; Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 84 m.w.Nw.; Glatzer, Nichteheliche Lebensgemeinschaften, S. 61 m.w.Nw. 79 Schneider / Rosenkranz / Limmer, Nichtkonventionelle Lebensformen, S. 63; Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 38. 80 Schutz „anderer auf Dauer angelegter Lebensgemeinschaften“: Art. 12 Abs. 2 der Verfassung von Berlin; Art. 26 Abs. 2 Verfassung des Landes Brandenburg; abweichend („wer in häuslicher Gemeinschaft Kinder erzieht oder für andere sorgt, verdient Förderung und Entlastung“) Art. 17 Abs. 2 Verfassung des Freistaats Thüringen. 81 Vgl. das ins Hamburger Landesrecht aufgenommene Gesetz über die Eintragung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften vom 14. 4. 1999 (GVBl. S. 69). 82 Verbot der Benachteiligung aufgrund der sexuellen Identität bzw. sexuellen Orientierung: Art. 10 Abs. 2 der Verfassung von Berlin vom 23. 11. 1995 i.d.F. vom 3. 4. 1998; Art. 12 Abs. 2 Verfassung des Landes Brandenburg vom 20. 8. 1992 i.d.F. vom 7. 4. 1999; Art. 2 Abs. 3 Verfassung des Freistaats Thüringen vom 25. 10. 1993 i.d.F. vom 12. 12. 1997. 83 Genauer: „Gesetz zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften: Lebenspartnerschaften“ vom 16. 2. 2001; BGBl. I, S. 266. 84 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 8. 2. 1994, in BT-Drs. 12 / 7069 vom 10. 3. 1994. Vgl. BT-Drs. 14 / 3751 (Gesetzentwurf LPartG), S. 33. 85 In „Der Spiegel“ 19 / 1993, zit. nach Wegner ZfRSoz 1995, 170, 181. 86 „Focus“ 20 / 1999, zit. nach Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 251.

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zent87. Im Herbst 1998 plädierten sogar zwei Drittel der Deutschen für „gleiche Rechte für Schwule und Lesben“88. Für die nahe Zukunft dürfte mit weiter steigender positiver Resonanz zu rechnen sein, denn die Zustimmung in all diesen Umfragen war um so höher, je jünger die Befragten waren: 1999 lag sie bei den unter 35-jährigen bei 77 Prozent, in den Umfragen von Juli 2000 für die unter 30-jährigen bei 77 Prozent beziehungsweise bei 82 Prozent89. Einzelne Landeskirchen erteilen homosexuellen Paaren bereits seit mehreren Jahren den kirchlichen Segen, der Christopher Street Day erfreut sich wachsenden Zulaufs90. Allgemein gibt es zwar noch einige gesellschaftliche Vorbehalte gegen gleichgeschlechtliches Zusammenleben, die Toleranz und Billigung dieser Partnerschaften ist aber insbesondere in den letzten Jahren in fast allen gesellschaftlichen Kreisen ersichtlich gewachsen und soweit derzeit absehbar wird sich diese Entwicklung fortsetzen91. Insgesamt lässt sich daher eine soziale Stigmatisierung vormals als „abweichend“ empfundener Lebensformen nicht mehr oder kaum noch feststellen, vielmehr ist eine deutliche Normalisierung und Veralltäglichung des Umgangs mit unterschiedlichen Lebenskonzepten zu konstatieren.

4. Fazit Details zur Ausgestaltung sich verbreitender nichtkonventioneller und nichtinstitutionalisierter Lebensformen und zu mit diesen unterschiedlichen Lebensmustern verbundenen subjektiven Erwartungshorizonten konnten nur angedeutet werden92. Über die (Hinter-)Gründe der zunehmenden Pluralisierung besteht in der sozialwissenschaftlichen Forschung keine Einigkeit; auch deshalb mussten im Rahmen der obigen Darlegungen entsprechende Erklärungsversuche ausgeklammert bleiben. In Bezug auf die Zeugnisverweigerungsrechte ist die Forschung nach den Ursachen der gesellschaftlichen Differenzierung aber auch von eher untergeordneter Bedeutung; von Interesse sind die Auswirkungen93.

87 37 bzw. 40% waren dagegen; Angaben zit. nach Blumenthal, Stellungnahme zum LPartG, S. 10 / 11. 88 Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 251. 89 Vgl. die Angaben bei Blumenthal, Stellungnahme zum LPartG, S. 11 sowie Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 251. 90 Weitere Beispiele bei Blumenthal, Stellungnahme zum LPartG, S. 10. 91 Schneider / Rosenkranz / Limmer, Nichtkonventionelle Lebensformen, S. 94 / 95; Wegner ZfRSoz 1995, 170, 181 / 182; s. auch Blumenthal, Stellungnahme zum LPartG, S. 9 ff. 92 s. ausführlich z. B. Schneider / Rosenkranz / Limmer, Nichtkonventionelle Lebensformen, S. 31 ff., 47 ff., 67 ff., 91 ff.; Gruber, Verbreitung und Entwicklung Nichtehelicher Lebensgemeinschaften, S. 95 ff.; Schneider, Familie und private Lebensführung, S. 117 ff., 129 ff., 140 ff.; Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 54 ff., 69 ff., 90 ff., 225 ff.; Schlemmer, „Living apart together“, S. 363 ff. 93 Vgl. hierzu sogleich ausführlich S. 181 ff.

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E. Besondere persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse

Das wichtigste Ergebnis zur Frage der Typologie persönlicher Nähe- und Vertrauensverhältnisse ist, dass heute weite Personenkreise außerhalb traditionaler Muster leben, teils für eine mehr oder weniger lange Übergangszeit, teils dauerhaft, und dass die Zahl dieser Personen voraussichtlich weiter zunehmen wird. Ihre engsten persönlichen Kreise sind ganz oder zum Teil vom Bezugsrahmen des § 52 StPO nicht mehr ausdrücklich erfasst. Zwar bestehen auch über den allerengsten Familienkreis hinaus durchaus noch Vertrauens- und Nähebeziehungen innerhalb des von § 52 StPO vorgegebenen institutionalisierten Rahmens; insoweit ist die Weite des Bezugspunktes – des § 52 – nicht obsolet. Größer als der Bedarf, entfernte Angehörige – sei es auf Zeugenoder Beschuldigtenseite – vor potenziell belastenden Aussagen zu schützen, scheint angesichts deutlich veränderter sozialer Umstände die Notwendigkeit, nichtinstitutionalisierte faktische Beistands-, Nähe-, Vertrauensbeziehungen in den Normbereich der Zeugnisverweigerungsrechte zu integrieren. Plastischer verdeutlichen lässt sich das am Beispiel des häufig vertrauensvollen Verhältnisses nicht verheirateter, also mit den Kindern des Partners nicht verschwägerter Stiefeltern und ihrer Stiefkinder; nichtehelicher Lebensgemeinschaften, in denen das Vertrauensverhältnis zum Partner dem zur Ursprungsfamilie meist über- oder jedenfalls gleichgeordnet ist; oder – gerade auch älterer – Alleinstehender, die nicht (mehr) auf familiäre Bindungen zurückgreifen können und deren Bedürfnisse nach Austausch, Beistand und Stabilisierung im engsten Freundeskreis oder mit einem nichtehelichen Partner erfüllt werden. All diese Personen verfügen möglicherweise noch über – mehr oder weniger nah verwandte oder verschwägerte – Angehörige; zu diesen besteht aber keine tatsächliche Verbundenheit, die die Berufung auf ein Zeugnisverweigerungsrecht erforderlich machen würde. Demgegenüber sind die engen und engsten Bezugspersonen, denen intime Geheimnisse anvertraut wurden, nicht berechtigt, eine Aussage im Strafverfahren unter Berufung auf das besondere zwischenmenschliche Verhältnis zu verweigern. Es konnte herausgearbeitet werden, dass die Vertrauens- und Näheverhältnisse innerhalb der nichtkonventionellen, nicht institutionalisierten Personalbeziehungen regelmäßig zur Persönlichkeitsbildung und -stabilisierung beitragen. In den letzten Jahren und Jahrzehnten hat auch die gesellschaftliche Akzeptanz gegenüber vormals als abweichend beurteilten Lebensformen so zugenommen, dass schon beinahe von konventionellen (statt von nichtkonventionellen) Lebensentwürfen gesprochen werden kann. Aufgrund des Ausmaßes der Verbreitung kann der Kreis derer, die außerhalb institutionalisierter Familien- und Beziehungsformen leben, kaum noch als Randgruppe erachtet werden. Das Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen hinterlässt daher in personeller Hinsicht nicht unwesentliche Lücken, die das Festhalten an der Beschränkung auf den derzeit von § 52 StPO erfassten Personenkreis system- und zweckwidrig erscheinen lassen.

II. Vergleichbarkeit der Lebenssachverhalte

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Die Frage ist, ob es Möglichkeiten gibt, den dargelegten Widerspruch in eine „zweckdienlichere“ und sowohl Individual- als auch Allgemeininteressen besser gerecht werdende Lösung zu transformieren.

II. Vergleichbarkeit der Lebenssachverhalte Überlegungen zur Einbeziehung weiterer enger personaler Verhältnisse in den Rahmen der Zeugnisverweigerungsrechte, namentlich also des § 52 StPO, setzen mindestens voraus, dass derartige Bindungen mit den in § 52 Abs. 1 StPO explizit bezeichneten angesichts des Normkonzepts dieser Vorschrift vergleichbar sind. Daher soll zunächst zusammengefasst werden, was als „Normkonzept“ des § 52 Abs. 1 StPO anzusehen ist und welche Voraussetzungen zwischenmenschliche Beziehungen erfüllen müssen, um sich hier einzufügen. Anschließend wird zu fragen sein, inwieweit die einzelnen im vorangegangenen Abschnitt E.I. angesprochenen Lebens- und Beziehungsformen diesen Vorgaben gerecht werden und wie groß in Hinblick auf § 52 die Übereinstimmung mit dort privilegierten Personenkreisen ist. Erst danach kann erörtert werden, ob im Rahmen des bestehenden Rechts die Gewährung von Zeugnisverweigerungsrechten an Personen, die von § 52 Abs. 1 StPO explizit nicht erfasst sind, aber dennoch in persönlichen Beziehungen zu einer oder einem im Strafverfahren Beschuldigten stehen, angezeigt ist.

1. Kriterien der Vergleichbarkeit personaler Beziehungen in Hinblick auf § 52 Abs. 1 StPO a) Normkonzept des § 52 Abs. 1 StPO Die Konzeption des § 52 StPO erschließt sich durch den Blick auf die Zweckbestimmung der Norm vor ihrem historischen und tatsächlichen Hintergrund. Verkürzt lässt sich sagen, dass durch die Rücksichtnahme auf typisierend festgelegte enge Personalverhältnisse deren Bestand sowohl im Individual- wie im Allgemeininteresse geschützt werden soll94. Dies geschieht dadurch, dass das staatliche Interesse an einer möglichst umfassenden Sachaufklärung im Strafverfahren partiell zurückgestellt wird: Einerseits gegenüber Individualinteressen der Personen, die in bestimmten Nähebeziehungen leben, daran, nicht gegen ihren Willen in Bezug auf ihnen nahe stehende Beschuldigte zur Aussage angehalten zu werden. Außerdem soll durch den Verzicht auf erzwungene Auskünfte der Aufbau und Bestand derartiger personaler Nähe- und Vertrauensbeziehungen sowohl im Interesse der Gemeinschaft als ganzes als auch im Interesse der einzelnen diese „konstituierenden“ Personen, unabhängig von ihrer Rolle im Strafverfahren, seien sie Beschuldigte oder Zeugen, geschützt werden; dies soll sowohl der inhaltlichen, interaktiven 94

Vgl. ausführlich oben D., S. 130 ff., 159 f.

12 Jansen

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E. Besondere persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse

Qualität des persönlichen Verhältnisses als auch dem Zusammenhalt der sozialen Gruppe in ihrer personalen Zusammensetzung dienen. Schließlich wird angenommen, dass der Schutz dieser Individualinteressen und Personenverbindungen im allgemeinen Interesse liegt. Das Spezifikum dieser Nähebeziehungen und außerdem der Faktor, der sie erst als (besonders) schützenswert erscheinen lässt, ist die Tatsache, dass sie sozialen Rückhalt zu bieten versprechen; gleichzeitig wird auf sie die Vorstellung von einer persönlichkeitsbildenden und damit nicht zuletzt gesellschaftskonstituierenden Wirkung projiziert. Die Privilegierung im Einzelfall geht also immer wieder zurück auf eine funktionale Zuschreibung95, auch wenn auf den ersten Blick beispielsweise nur die persönliche Zumutbarkeit als wesentlicher Aspekt erscheint96. Aufgrund weitgehender Übernahme existenzsichernder Maßnahmen durch staatliche Instanzen liegt der funktionale Schwerpunkt weniger auf materiellen Versorgungsleistungen, als auf solchen, die durch affektive und soziale Fürsorgeverhältnisse geprägt sind97. Es wird erwartet, dass im Rahmen dieser engen Bindungen auf der Basis von persönlicher Nähe und Vertrauen wesentliche Schutzund Beistandsleistungen erbracht werden, die nicht zuletzt zur gesellschaftlichen und emotionalen Stabilisierung des Einzelnen beitragen. Da es gleichzeitig regelmäßig zur Kenntnisnahme von höchst privaten Vorgängen und Erlebnissen kommt, die nahe stehenden Personen aufgrund einer gemeinsamen Lebensgestaltung oder vertraulicher Kommunikationsvorgänge bekannt werden können, soll der Schutz des Näheverhältnisses durch die Einräumung einer gewissen persönlichen Enklave gewährleistet werden; denn die Durchsetzung eines Zeugniszwanges könnte zu einer Aufweichung der Bindungen führen, was zur Folge hätte, dass das Personalverhältnis nicht mehr geeignet wäre, die ihm zugeschriebenen übergeordneten Funktionen zu erfüllen: Es soll nicht nur der – auch die Gemeinschaft strapazierende – psychische Druck einer als unzumutbar empfundenen Belastung nahe stehender Personen von jeder einzelnen Auskunftsperson genommen werden. Wenn Angehörige fürchten müssen, dass jederzeit die Offenbarung ihrer Interaktionen zur Belastung eines eng mit ihnen verbundenen Beschuldigten im Strafverfahren erzwingbar ist, macht das die Entstehung eines wirklichen, „unverstellten“ Näheverhältnisses und einen offenen Austausch schon von vornherein unmöglich98. 95

s. auch Müssig GA 1999, 119, 130; Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 75 ff.,

78 ff. 96 Auch wenn immer wieder als wesentlich hervorgehoben wird, dass § 52 das Persönlichkeitsrecht der Zeugen schützen soll, die sich durch den Zwang zur Aussage gegen eine andere Person selbst unzumutbar beeinträchtigt fühlen könnten (vgl. oben Abschnitt D.II.1.a), S. 132 ff.), bedarf diese Wertung stets der Anbindung an ein typisiertes personales Näheverhältnis; anders gewendet: nicht auf jede für die Aussageperson unerträgliche Belastung durch Aussage gegen einen anderen wird Rücksicht genommen. 97 s. auch Müssig GA 1999, 119, 129 / 130; P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 58 ff. 98 s. zum ganzen ausführlich oben D.II.1.b) und c), S. 140 ff., 144 ff.

II. Vergleichbarkeit der Lebenssachverhalte

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Die Konzentration auf Nähe- und Vertrauensverhältnisse impliziert und verdeutlicht dabei mehrere für § 52 StPO wesentliche Aspekte, die sich allein aus der Aufzählung (quasi-)verwandtschaftlicher struktureller Bindungen nicht erschließen: Da Näheverhältnisse von § 52 StPO geschützt werden wegen ihrer personalen Stabilisierungsfunktion kommt es nicht darauf an, dass eine verbindliche Verantwortungsgemeinschaft auf materieller Basis besteht99. Entscheidend für die Gewährung eines Zeugnisverweigerungsrechts aus persönlichen Gründen ist nur die Erwartung, dass es zu einem (immateriellen) sozialen Austausch, einer von gegenseitiger Anteilnahme getragenen und geprägten Art gemeinsamer (mehr oder weniger enger und ausschließlicher) Lebensführung kommt. Dies bedeutet auch, dass keine „Unendlichkeit“ gefordert ist, d. h. es kommt weniger auf die Optionen für die ferne Zukunft an, als auf die Erwartung, dass aktuell und in nächster Zeit mit sozialen Beistandsleistungen gerechnet werden kann. Die Orientierung an der Umsetzung wichtiger („übergeordneter“) Interessen führt allerdings zu einer Beschränkung auf solche persönlichen Verhältnisse, die selbst und deren gesellschaftlich relevante Funktionen sozial anerkannt sind; andererseits werden sie anerkannt aufgrund der Aufgaben, die sie erfüllen. Insoweit besteht eine Wechselwirkung im Funktionalisierungszusammenhang. Weitreichende Unterstützung erfährt dieser Entwurf eines Normkonzepts vom historischen Standpunkt aus: Vor dem geschichtlichen Hintergrund des Inquisitionsprozesses sollte die Einräumung von Zeugnisverweigerungsrechten der Gewährung und Gewährleistung subjektiv-individueller Rechte dienen100. Auffällig ist vor diesem Hintergrund das Bemühen des historischen Gesetzgebers um eine möglichst weite Fassung der Norm. In den Materialien wurde explizit betont, es sei vorzuziehen, „lieber auf ein Beweismittel zu verzichten, als einen nahen Angehörigen des Beschuldigten der Versuchung auszusetzen, zugunsten des letzteren einen Meineid zu leisten“101. Danach wäre zu erwarten, dass das Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen auf die Kernfamilie, allenfalls die (lineare) Generationenfamilie unter Einbeziehung der Großeltern, beschränkt sein müsste. Tatsächlich wird aber im gleichen Satz betont, der Kreis der Zeugnisverweigerungsberechtigten sei „möglichst weit gezogen“ worden102. Dies entspricht, vergegenwärtigt man sich die Konzentration der „Bürgerlichen Familie“ auf enge familiäre Bindungen103, dem Eindruck, den § 52 StPO bei der Betrachtung vermittelt: inte99 Im Gegensatz zur Definition der „eheähnlichen Lebensgemeinschaft“ im Sozialrecht als „Lebensgemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau, die auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt“ und voraussetzt, dass „gegenseitiges Einstehen in den Not- und Wechselfällen des Lebens“ zu erwarten ist, s. BVerfGE 87, 234, 264 / 265. 100 Abschnitt B.III. (S. 59 ff.). 101 Motive, S. 44 (zit. nach Hahn, Die gesammten Materialien zur Strafprozeßordnung, S. 106 / 107); Hervorhebung hinzugefügt. 102 Motive, S. 44. 103 s. schon oben Abschnitt D.II.1.b), S. 143 sowie sogleich ausführlich unten, E.VI.2.a) (S. 236 ff., 240 f.).

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E. Besondere persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse

griert sind mit recht entfernten Verwandten und diversen Verschwägerten zahlreiche Personen, zu denen von jeher (insbesondere in ihrer Vielzahl) in der Realität meist keine besonders engen Bindungen bestanden und von denen keine wesentlichen materiellen Beistandsleistungen zu erwarten waren104. Daraus lässt sich zum einen schließen, dass die (materielle) Existenz absichernde oder begründende „Verantwortungs- und Einstehensverhältnisse“ nicht konstitutiv für die Einräumung eines Zeugnisverweigerungsrechts i. S. von § 52 StPO sein sollten und dass zudem die typisierende Bestimmung zeugnisverweigerungsberechtigter Personen zum Schutz tatsächlich bestehender Nähebeziehungen erfolgte, da ersichtlich nicht zu allen Weigerungsberechtigten tatsächlich im Einzelfall ein enges Verhältnis bestand. Dies spiegelt sich nicht zuletzt wider in den parlamentarischen Beratungen, wenn im Rahmen der Diskussion zur Einbeziehung der Verwandten der Seitenlinie dritten Grades ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, auch hier bestünden „nicht selten“ so nahe Beziehungen, dass eine Ausnahme von der im Übrigen vorausgesetzten allgemeinen Zeugnispflicht wünschenswert sei105. Hingegen war die Möglichkeit leichter Feststellbarkeit einer hinreichenden Bindung in foro ein Punkt, aber nicht der entscheidende, was die Festlegung des Kreises der zeugnisverweigerungsberechtigten Personen angeht: denn speziell in Zusammenhang mit der Privilegierung des Verlöbnisses wurde auf das dort bestehende nahe Verhältnis abgehoben und ausdrücklich festgestellt, die auf fehlender rechtsdogmatischer Fixierbarkeit derartiger Beziehungen basierenden Unwägbarkeiten bei der Beurteilung, ob tatsächlich ein Verlöbnis vorliegt, müssten angesichts des schützenswerten Näheverhältnisses hingenommen werden106. Nicht zuletzt hier findet die Annahme eine Bestätigung, dem Gesetzgeber sei es in erster Linie darum gegangen, die idealisierte bürgerliche Familie weitreichend und synonym für den engeren Lebenskreis zu erfassen, indem er sie in ihrer die tatsächlichen Grenzen ausweitenden formalen Gesamtheit privilegierte107. 104 Dies geht einher mit dem Fehlen rechtlicher Hilfspflichten für entferntere Verwandte und Verschwägerte: weder besteht über die Verwandtschaft in gerader Linie hinaus ein zivilrechtlicher Unterhaltsanspruch gegenüber Verwandten (vgl. §§ 1601 ff. BGB; Palandt-Diederichsen, Einf v § 1601 Rn. 5), noch resultiert aus entfernteren verwandtschaftlichen Beziehungen ohne das Hinzutreten weiterer Voraussetzungen (z. B. Gemeinschaftsbeziehung, tatsächliche Übernahme) eine strafrechtliche Garantenstellung, vgl. nur LK-Jescheck, § 13 StGB Rn. 21 ff.; Schönke / Schröder-Stree, § 13 StGB Rn. 8 ff., 17 ff., 25 f., 51 m.w.Nw.; Tröndle / Fischer, § 13 StGB Rn. 5b, 6, 9, 10. 105 Protokolle der Kommission, S. 41 (zit. nach Hahn, Die gesammten Materialien zur Strafprozeßordnung, S. 581 / 582). 106 Es ging dabei um das Problem der unterschiedlichen partikulargesetzlichen Ausgestaltung des Verlöbnisses, nicht um Befürchtungen zur praktischen Nachweisbarkeit einer solchen Verbindung; s. für das analoge und der strafprozessualen Regelung beispielhaft vorangehende zivilrechtliche Zeugnisverweigerungsrecht der Verlobten: Motive zur Reichs-Civilprozeßordnung, S. 69 und 252 (zit. nach Hahn, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, S. 163 bzw. 312). Vgl. mit ähnlicher Argumentation auch Schubarth, Festschrift für Hinderling, S. 233. 107 s. oben D.II.1.b), S. 143 f.

II. Vergleichbarkeit der Lebenssachverhalte

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Schließlich ist, wie oben108 schon festgestellt, bei persönlich involvierten beziehungsweise den Verfahrensbeteiligten nahe stehenden Zeugen davon auszugehen, dass ihre Angaben – unbewusst ebenso sehr wie bewusst – potenziell eher fehlerbehaftet sind als die „neutraler“ Auskunftspersonen. Nicht zuletzt angesichts der Tatsache, dass unzutreffende Zeugenaussagen in der Realität des Strafverfahrens (entgegen den Erwartungen vieler Praktiker) nur schwer beziehungsweise kaum von zutreffenden zu unterscheiden sind109, kommt die Privilegierung nach § 52 Abs. 1 StPO der Wahrheitsfindung dadurch entgegen, dass zumindest die Aussagen der Zeugen, die sich mit der Berufung auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht selbst für „befangen“ erklären, letztlich der Urteilsfindung entzogen werden. Im Fall des Rückzugs auf eine Zeugnisverweigerung kann davon ausgegangen werden, dass eine Aussageperson sich regelmäßig in einer konfliktbehafteten Situation befindet, die sich innerhalb einer Zeugenaussage u.U. nicht zugunsten der prozessualen Wahrheit auswirkt. Die Tatsache, dass ein Verzicht auf derartige Zeugen im Interesse der Wahrheitsfindung relativ leicht fällt, kann daher als zusätzlicher Aspekt des Normkonzepts des § 52 StPO angesehen werden.

b) Anforderungen an Personalbeziehungen vor dem Hintergrund des Normkonzeptes des § 52 Abs. 1 StPO Nach den vorangegangenen Darlegungen lässt sich ein komprimiertes „Profil“ erstellen, das einer Personalbeziehung im Sinne des § 52 Abs. 1 StPO idealtypisch zu Grunde liegt. § 52 Abs. 1 StPO will zwischenmenschliche Beziehungen privilegieren, die auf besonderer affektiver Nähe und engen Vertrauensverhältnissen basieren. Ob im Einzelfall die besondere Nähe oder das besondere Vertrauen im Vordergrund steht, scheint irrelevant, da beides für sich genommen einen Faktor sozialer Stabilisierung darstellt. Nicht notwendig ist eine formalisierte, legalisierte Verbindung oder eine, die auf materielle Belange der Existenzsicherung abstellt. Über eine gewisse Verfestigung hinaus ist auch der Zeitfaktor variabel und abhängig vom Inhalt der Bindung; entscheidender als die Dauer einer Personalbeziehung ist ihre (innere) Konstanz. Das Nähe- oder Vertrauensverhältnis muss weder seit langer Zeit bestehen noch „auf Lebenszeit“ oder einen fixen Mindestzeitraum angelegt sein. Allerdings erfordert der Aufbau einer Nähebeziehung und eines vertraulichen Kommunikationsrahmens, in denen die Möglichkeit besteht, sich auszusprechen und sozialen oder emotionalen Rückhalt zu finden, einen gewissen Einsatz, eine gewisse Intensität und eine angemessene Vorlaufzeit110 sowie die Option, auf eine (mindestens) ab108 109 110

Abschnitt C.VI., S. 126 f. Vgl. oben Abschnitt C.VI., S. 127 ff. Vgl. Bertram, Die Sicherheit privater Beziehungen, S. 95.

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E. Besondere persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse

sehbare Zeit Bestand zu besitzen. Insoweit reicht es aber, wenn der Bestand in die Zukunft gerichtet unbestimmt ist und weit genug in die Vergangenheit zurückreicht, um das Entstehen einer Vertrauens- oder Nähebeziehung zu erlauben. Der rückwärts gerichtete Zeithorizont ist damit auch abhängig von der Intensität und Qualität des Kontaktes, ausreichend sein können im Einzelfall bei einer besonders intensiven Bindung schon wenige Wochen oder Monate. Jedenfalls lässt sich nicht sagen, in Bezug auf § 52 Abs. 1 StPO sei eine bestimmte Mindestbestandsdauer einer zwischenmenschlichen Beziehung zu verlangen111. Ebenso wenig ist nach dem Normkonzept des § 52 das Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt erforderlich112. Das Zusammenwohnen und die Gewährung materieller Absicherung mag häufig in einem Verhältnis der Wechselwirkung zur Existenz eines besonderen Nähe- oder Vertrauensverhältnisses stehen, es ist aber nicht die Voraussetzung seiner Entstehung oder Erhaltung. Gefordert werden muss im Übrigen noch nicht einmal die Exklusivität der zwischenmenschlichen Bindung, solange das Fehlen einer solchen Ausschließlichkeit nicht die Nähe- und Vertrauensbeziehung entfallen lässt beziehungsweise gravierend stört. Auf das Bestehen einer abgeschlossenen „Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft“113 kommt es danach nicht an. Andererseits ist die bloße Empfindung der Unzumutbarkeit gegenseitiger Belastung im Strafverfahren für sich genommen nicht ausreichend. Als subjektiv unzumutbar können sich vielfach auch Aussagen gegen Personen, auf die nur einseitig eine emotionale Bindung projiziert wird („heimliche Liebe“) oder zu denen keine hinreichend verfestigte besondere persönliche Nähe- oder Vertrauensbeziehung besteht (wie etwa guten Bekannten), darstellen. Wesentlich für das besondere zwischenmenschliche Verhältnis, das § 52 StPO schützt, ist aber gerade seine bi- oder multilaterale Stabilisierungsfunktion, die ihm besondere Anerkennung verleiht und es als privilegierungswürdig und -bedürftig erscheinen lässt. Aus diesem Grund müssen auch primär sachbezogene Vertrauensverhältnisse, also z. B. geschäftlich, politisch, beruflich geprägte Beziehungen, ausgeschlossen sein; es kommt nur, aber eben auch essentiell, auf das Vorliegen einer besonders engen persönlichen Bindung an. Auf der Basis dieser Überlegungen lassen sich die Anforderungen des § 52 Abs. 1 StPO an privilegierungsbedürftige Personalbeziehungen folgendermaßen definieren: Von der Zeugenpflicht befreit werden sollen Personen, die einen Zeugniszwang als unzumutbaren Eingriff in ihr Persönlichkeitsrecht empfinden müssen So ausdrücklich auch Skwirblies, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, S. 50. A.A. – allerdings überwiegend ohne Bezugnahme auf die spezifischen Bedingungen eines Zeugnisverweigerungsrechts – Bialek, Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen, S. 134 ff.; Skwirblies, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, S. 47, 182 ff.; Arbeitskreis AE-Zeugnisverweigerungsrechte, S. 38 / 39; Weigend, Gutachten für den 62. DJT, S. C 75; für den Bereich des materiellen Strafrechts: Konrad, Probleme der eheähnlichen Gemeinschaft im Strafrecht, S. 23; s. außerdem Staudinger-Strätz, Anh. zu §§ 1297 ff. BGB Rn. 6 ff., 13. 113 Etwa im Sinne von BVerfGE 87, 234, 264 (vgl. in diesem Abschnitt Fn. 99). 111 112

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angesichts ihrer Verstrickung in zwischenmenschliche Beziehungen, die aufgrund der Übernahme gesellschaftlich wie individuell relevanter Stabilisierungsfunktionen einen besonderen sozialen Rückhalt bieten und die daher als „besondere persönliche Nähe- oder Vertrauensverhältnisse“ für überdurchschnittlich schutzwürdig erachtet werden müssen. Nicht notwendig ist eine darüber hinausgehende Bindung an bestimmte rechtliche oder gesellschaftlich typisierte Normvorgaben, sofern die Gemeinschaft nicht in Widerspruch zu grundlegenden, allgemein akzeptierten Wertvorstellungen steht. Negativ formuliert bedeutet das: informelle zwischenmenschliche Beziehungen, die vom Normkonzept des § 52 Abs. 1 StPO anvisiert werden, müssen nicht „eheähnlich“ sein114.

2. Vergleichbarkeit institutionalisierter mit nicht institutionalisierten Bindungen in Hinblick auf das Konzept des § 52 Abs. 1 StPO Ehe und Familie werden, wie oben schon hervorgehoben wurde115, als typische (und für § 52 StPO: typisierte) Enklaven intimer persönlicher Beziehungen und emotionaler Bindungen angesehen; traditionell gelten sie als soziale Rückzugsflächen, die sowohl Freiraum zur offenen, vertrauensvollen Aussprache als auch emotionalen Rückhalt bieten. Diese Zuschreibung gilt auch für das Verlöbnis, das hier – trotzdem es in seiner strafverfahrensrechtlichen Ausformung wenig mit dem familienrechtlichen Institut der §§ 1297 ff. BGB gemeinsam haben muss – als Vorform von Ehe und Familie116 zu den legalisierten Bindungen gezählt wird. Der Konzeption des § 52 StPO liegt die Annahme zu Grunde, die Belastung nahe stehender Angehöriger im Strafverfahren könne als intensive eigene Belastung empfunden und die Involvierung in ein Strafverfahren durch Statuierung eines Aussagezwanges für die betroffene Familie zur (zusätzlichen) Zerreißprobe werden117. Das tatsächliche Vorliegen der zu diesem „Normkonzept“ gehörigen Voraussetzungen wird für alle ausdrücklich benannten legalisierten Bindungen letztlich fingiert. Damit sind sie einerseits einer Nachprüfung im Einzelfall entzogen, andererseits führt auch ihr – positiv bekannt gewordenes – Fehlen, soweit das formalisierte Verhältnis fortbesteht oder nachwirkt, nicht zum Entzug des Zeugnisverweigerungsrechts118. Unabhängig davon, dass auch im Rahmen familienrechtlicher Bindungen 114 So aber Baier, Strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrechte außerhalb der StPO, S. 167 f.; Weigend, Gutachten für den 62. DJT, S. C 74 / 75; Pelchen, Festschrift für Pfeiffer, S. 287, 293 ff.; Meier-Scherling DRiZ 1979, 296, 299; Skwirblies, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, S. 46 in seiner Definition der nichtehelichen Lebensgemeinschaft; s. auch Welp, Festschrift für Bemmann, S. 633; für den Bereich des materiellen Strafrechts: Konrad, Probleme der eheähnlichen Gemeinschaft im Strafrecht, S. 20 ff. 115 Oben E.I.2., S. 169 / 170. 116 Vgl. R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 197; Fels, Der privilegierende Einfluß der Angehörigeneigenschaft, S. 101 / 102. 117 s. zum ganzen ausführlich oben D.II.

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in vielen Fällen tatsächlich kein Gefühl besonderer Verbundenheit besteht119, soll auch hier (konzeptionell) von der Vorstellung ausgegangen werden, dass die in § 52 StPO aufgeführten legalisierten Angehörigenbeziehungen grundsätzlich weitgehend auf besonderen Nähe- und Vertrauensverhältnissen beruhen. Zu fragen bleibt, inwieweit sich auch informelle Bindungen aufgrund ihrer Verknüpfung mit dem Allgemeininteresse an sozialer und individueller Stabilisierung als anerkannte und besonders schützenswerte zwischenmenschliche Beziehungen – griffiger lässt sich dies mit der Formel vom „besonderen persönlichen Nähe- oder Vertrauensverhältnis“120 fassen – darstellen, die die fehlende gegenseitige Befreiung vom Zeugniszwang als unzumutbare Belastung erscheinen lassen. Ohne dem Ergebnis allzu sehr vorzugreifen lässt sich auf der Basis der bisherigen Darlegungen schon festhalten, dass zahlreichen und unterschiedlichsten nicht legalisierten Bindungen vielfach eine auf Gegenseitigkeit beruhende große affektive Nähe und eine enge Vertrauensbeziehung zu Grunde liegt. Die Kehrseite eines intensiven Austauschs in nicht legalisierten Beziehungen ist darin zu sehen, dass Vertrauenspersonen vielfältige Kenntnisse über sonst sorgsam verborgene Interna ihrer Gesprächspartner erlangen. Den Strafverfolgungsorganen kommt damit – im Falle der Durchsetzung eines Zeugniszwanges – das bestehende Vertrauens- und Näheverhältnis jedenfalls in Bezug auf die Informationen zugute, die nur auf der Basis vertraulicher Beziehungen zur Kenntnis der Auskunftsperson gelangen konnten121. Nicht zuletzt dieser Umstand kann es für Zeugen unzumutbar erscheinen lassen, in Strafverfahren über und gegebenenfalls gegen nahe stehende Personen auszusagen. Für die Umsetzung des elementaren menschlichen Bedürfnisses nach Verbalisierung und Kommunikation122 wesentliche Nähe- und Vertrauensbeziehungen werden gefährdet, wenn nur die drei Handlungsvarianten verbleiben: a) In vertraulichen Belangen erfolgt kein Austausch; also kann sich kein wirkliches Nähe- und Vertrauensverhältnis entwickeln. b) Vertrauliche Belange werden ausgetauscht und vor Gericht ausgesagt, obwohl die Aussage als subjektiv unzumutbar empfunden wurde; hierdurch werden die emotionale und die Vertrauensbasis beeinträchtigt. c) Vertraulichkeiten werden ausgetauscht, aber vor Gericht nicht (vollständig) oder 118 s. BGHSt 12, 235, 239; 14, 159, 161; 30, 193, 196 / 197; LR-Dahs, § 52 Rn. 1, 24, 42; KK-Senge, § 52 Rn. 1; Meyer-Goßner, § 52 Rn. 1, 16; SK-Rogall, Vor § 48 Rn. 140; HKLemke, § 52 Rn. 4, 21; KMR-Paulus, Vorb. § 48 Rn. 79; Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 8; Skwirblies, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, S. 186 / 187; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1242, 1253; Schlüchter, Das Strafverfahren, Rn. 484; Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 207 Fn. 2; Busch, Festschrift für Eb. Schmidt, S. 570. 119 s. schon Beling, Die Beweisverbote als Grenzen der Wahrheitserforschung, S. 37. 120 Siehe E.II.1.b) a.E., S. 183. 121 s. auch Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 78 / 79. 122 Vgl. nur Dencker, Verwertungsverbote im Strafprozeß, S. 115; P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 58; Amelung, Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, S. 322 f.

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unzutreffend wiedergegeben; dies bedeutet nicht nur die forensische Sachverhaltsermittlung durch eine vom Tatsächlichen abweichende Aussage zu belasten, sondern neben drohenden strafrechtlichen Konsequenzen aufgrund dieser Aussage auch hier eine nahe liegende Belastung der Beziehungen. Die „Wahl“ der letztgenannten Alternative führt außerdem wieder zurück zum Aspekt der Beeinträchtigung der Sachverhaltsaufklärung: auch in nichtlegalisierten Lebensmustern verankerte Auskunftspersonen sind als häufig Mitbetroffene involvierte Zeugen; ihr Interesse an einer Entlastung einer (ihnen tatsächlich) besonders nahe stehenden Person kann daher um einiges das der über § 52 StPO privilegierten entfernteren Verwandten übersteigen123. Dies erhöht das Risiko der Erstattung gewollt oder ungewollt unzutreffender Aussagen124. Unter diesem Gesichtspunkt sind die Aussagen der den Beschuldigten tatsächlich nahe stehenden Personen ebenso wenig unverzichtbar wie die (sonstiger) naher Angehöriger125. Berührungspunkte mit allgemeinen wie individuell-subjektiven Interessen lassen sich konstatieren. Gegenstand der folgenden Ausführungen ist daher, festzustellen, inwieweit nicht legalisierte zwischenmenschliche Beziehungen sich in das soeben in Abschnitt E.II.1. aufgeworfene Normkonzept des § 52 StPO einfügen. Beispielhaft sollen drei Gruppen herausgestellt werden, bei denen – auch wenn sich im Einzelfall die Schwerpunktsetzung unterscheiden wird – angesichts der Ausführungen in den bisherigen Unterabschnitten die Annahme in Betracht kommt, dass sie wesentlich auf besonderen persönlichen Nähe- und Vertrauensverhältnissen beruhen. Näher eingegangen wird auf nichteheliche Partnerschaften, enge Freundschaften und als Spezialfall verlöbnisähnliche Vorformen Eingetragener gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften, die in § 52 Abs. 1 StPO anders als das gemischtgeschlechtliche Verlöbnis keine Erwähnung finden.

a) Informelle gemischt- und gleichgeschlechtliche Partnerschaften Nichteheliche Partnerschaften sind die inzwischen schon „klassisch“ in Zusammenhang mit § 52 Abs. 1 StPO problematisierten zwischenmenschlichen Bindungen126. Allerdings erfolgt in der Literatur regelmäßig eine Schwerpunktsetzung 123 So auch Skwirblies, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, S. 189 / 190; Pelchen, Festschrift für Pfeiffer, S. 295; Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 102 f.; LR-Dahs, § 52 Rn. 17; Geppert Jura 1991, 132, 134; Fels, Der privilegierende Einfluß der Angehörigeneigenschaft, S. 101. 124 s.o. C.VI., S. 126 f. 125 s. insoweit oben C.VI., S. 129. 126 Vgl. nur Weigend, Gutachten für den 62. DJT, S. C 74 f.; Arbeitskreis AE-Zeugnisverweigerungsrechte, S. 38 / 39; Skwirblies, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, S. 182 ff.; Bialek, Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen, S. 40 ff., 134 ff.; Baier, Strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrechte außerhalb der StPO, S. 167 ff.; Pelchen, Festschrift für Pfeiffer, S. 287, 293 ff.; Meier-Scherling DRiZ 1979, 296, 299. s. auch

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E. Besondere persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse

auf „eheähnlich“ ausgestaltete und verfestigte Beziehungen127, ohne dass durchgängig (schlüssig) ersichtlich wird, inwiefern ein Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen eine solche vorgreifende Begrenzung des Bezugsrahmens erforderlich macht. Dies lässt zahlreiche geläufige Beziehungsmuster außen vor, die hier als vom Begriff der nichtehelichen Partnerschaft mitumfasst zu verstehen sind128. In Abschnitt E.I.1. und 2. wurde unter Bezugnahme auf den sozialwissenschaftlichen Forschungsstand dargelegt, dass nichteheliche Partnerschaften unterschiedlichster Ausgestaltung zunehmende Verbreitung finden und gerade bei den unter Dreißigjährigen die dominante Paarform darstellen129. Diese Entwicklung begegnet großer, weiter zunehmender gesellschaftlicher Akzeptanz130. Informelle Paarbeziehungen bieten, unabhängig von der konkreten Ausgestaltung des Zusammenlebens, regelmäßig affektive Nähe- und Verbindlichkeit. Neben ihrer emotionalen Basis, die allein sie schon in den zuvor entworfenen Schutzbereich des § 52 StPO verweisen kann, beruhen sie regelmäßig auf engen Vertrauensverhältnissen, die nur teilweise durch ähnlich vertrauliche Verhältnisse zu den engsten Angehörigen flankiert werden131. Nichteheliche Partnerschaften wirken damit sozial und emotional stabilisierend. Die Dauer der Beziehung spielt nur insoweit eine Rolle, als die Zeit, die je nach den individuellen Voraussetzungen einer Strätz FamRZ 1980, 301, 308; Staudinger-Strätz, Anh. zu §§ 1297 ff. BGB Rn. 18, 21, 233 ff.; Diederichsen FamRZ 1988, 889, 891 Fn. 15; MK-Wacke, § 1302 BGB, Anh. Rn. 61. 127 Baier, Strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrechte außerhalb der StPO, S. 167; Bialek, Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen, S. 134 ff. m.w.Nw.; Skwirblies, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, S. 47; Weigend, Gutachten für den 62. DJT, S. C 74 f.; Pelchen, Festschrift für Pfeiffer, S. 293 ff.; Meier-Scherling DRiZ 1979, 296, 299. 128 Insbesondere eine inhaltliche Unterscheidung zwischen gleich- und gemischtgeschlechtlichen informellen Paarbeziehungen erübrigt sich, da die Befunde im Hinblick auf die für § 52 StPO wesentlichen Punkte deutliche Übereinstimmungen aufweisen (s. o., E.I.2., 3., E.II.1.b); S. 166 ff., 181 ff.). Zu diesem Ergebnis gelangt bei einer Gesamtschau auch Risse, Der verfassungsrechtliche Schutz der Homosexualität, S. 276. Terminologisch wäre für gleichgeschlechtliche Bindungen außerhalb Eingetragener Lebenspartnerschaften eine Bezeichnung als „nichtlebenspartnerschaftlich, nichtverpartnert“ o.ä. zutreffender; allerdings erscheint dies in Bezug auf die damit assoziierte Bedeutung missverständlich und wenig griffig. Deshalb werden „nichtverpartnerte“ gleichgeschlechtliche Partnerschaften hier, solange keine handhabbare Bezeichnung kreiert ist, unter dem Begriff nichtehelich miterfasst; dies erspart auch Abgrenzungsversuche zu bisexuell orientierten Partnern innerhalb (scheinbar) „originär“ homosexuell oder heterosexuell geprägter Beziehungen. Gemeint sind also nichteheliche gemischtgeschlechtliche ebenso wie außerhalb Eingetragener Lebenspartnerschaften geführte gleichgeschlechtliche Paarbeziehungen; auf Merkmale wie das Leben in einem gemeinsamen Haushalt etc. (vgl. oben E.II.1.b), S. 181 ff.) wird nicht abgestellt. 129 Bei den heterosexuell verbundenen 18- bis 29-jährigen stehen 42,5% in nichtehelichen Partnerschaften mit oder ohne gemeinsamen Haushalt Lebenden 17,5% verheiratet Zusammenlebende gegenüber; die Zahlen basieren auf den Angaben in Fn. 22 oben. 130 s.o., E.I.3., S. 173 ff. 131 s.o., E.I.2., S. 170 f.

II. Vergleichbarkeit der Lebenssachverhalte

187

Beziehung zum Aufbau eines engen emotionalen oder vertrauensvollen Verhältnisses benötigt wird, variabel ist und der Zeitpunkt der definitiven Beendigung der vertraulichen Bindung noch nicht als unmittelbar bevorstehend feststeht. Insgesamt lässt sich sagen, dass alle Arten im Wortsinn verstandener „Partnerschaften“, die über flüchtige, als unverbindlich empfundene Beziehungen hinausgehen, im Regelfall die von § 52 StPO an Personenverbindungen gestellten Anforderungen erfüllen: sie sind auch im Allgemeininteresse schützenswerte gesellschaftliche Einrichtungen. Die Schutzfunktion der Bindung ist beeinträchtigt, solange ein Zeugniszwang statuiert wird. b) Enge Freundschaften Innerhalb enger freundschaftlicher Bindungen bestehen wichtige Vertrauensverhältnisse, die zudem teilweise durch eine große affektive Verbundenheit flankiert werden132; das wurde schon oben in Abschnitt E.I.2. anhand neuerer empirischer Daten dargelegt. Dies besagt allerdings noch nicht, dass in jedem einzelnen Fall, in dem ein beliebig ausgestaltetes freundschaftliches Verhältnis gegeben ist, eine solch enge Bindung besteht. Vielmehr muss differenziert werden zwischen engen, vertraulichen Freundschaften sich besonders nahe stehender Personen und weniger engen, beiläufigeren und „bekanntschafts-näheren“ Sozialbeziehungen. Eine derartige Differenzierung erschließt sich aus der Ausgestaltung der freundschaftlichen Bindung (ihrem „Schwerpunkt“), ihrer Intensität und der Dauer ihres Bestehens. Wenn also in einer Freundschaft ein Schwerpunkt in der Gewährung von Möglichkeiten zu unbefangener Aussprache besteht und die freundschaftliche Verbindung für die an ihr beteiligten Personen damit eine Unterstützung ihrer Lebensgestaltung bedeutet, kann davon ausgegangen werden, dass es sich um eine im hier thematisierten Sinne schützenswerte, weil individuell und sozial stabilisierende Gemeinschaft handelt. Der Dauer und Intensität eines freundschaftlichen Verhältnisses kommt insoweit primär eine indizierende Funktion zu. Beide stehen zueinander in einem Verhältnis der Wechselwirkung: eine Freundschaft muss nicht von langer Dauer sein, um sich als besonders enge, emotionale, vertrauensvolle Verbindung darzustellen, wenn das Verhältnis von großer Intensität geprägt ist. Diese Intensität kann sich widerspiegeln in der Häufigkeit des Kontakts oder in der übereinstimmenden Einschätzung der Qualität der Beziehung durch die Beteiligten, im tatsächlichen vertrauensvollen Umgang. Die Dauer der Freundschaft und ihre Ausgestaltung kann also etwas zu ihrer besonderen (oder nicht besonderen) Bedeutung aussagen, durch die sie von reinen Zweckverbindungen zur Freizeitgestaltung etc. abgegrenzt wird. Gerade engen Freunden wird häufig mehr anvertraut als Partnern oder Familienangehörigen, der Austausch kann offener und ergiebiger sein als in familiären (oder sonstigen beziehungspartnerschaftlichen) Bezügen, weil je nach 132

Vgl. oben E.I.2., S. 170 / 171, 173.

188

E. Besondere persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse

Sach- beziehungsweise Interessenlage mit größerem Verständnis und geringerer Tendenz zu negativer sozialer Sanktionierung zu rechnen ist133. Daher können enge Freundschaften (teilweise) bessere stabilisierende Wirkungen entfalten als manche legalisierte familiäre Bindung und tatsächlich besteht bei den Beteiligten meist ein intensives Vertrauen in die Verlässlichkeit der Bindung in Krisenzeiten134. Enge Freundschaften sind also Prototypen „besonderer persönlicher Näheoder Vertrauensverhältnisse“. Auch wenn es derartige, elementaren Bedürfnissen gerecht werdende besonders enge und aktuell wichtige Freundschaften für eine einzelne Person schon aus tatsächlichen Gründen nicht in einer unbegrenzten Anzahl geben kann, lässt sich an ihrem Beispiel gleichzeitig gut aufzeigen, dass fehlende oder vorhandene Exklusivität der Bindung in Bezug auf weitere (sexuell oder nicht sexuell ausgerichtete) Außenkontakte nichts über ihre Qualität aussagen muss.

c) Verlöbnisähnliche Vorformen „Eingetragener Lebenspartnerschaften“ Mit dem relativ technokratischen Begriff der „verlöbnisähnlichen Vorformen“ sind Partner einer zukünftigen Eingetragenen gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft gemeint, die beabsichtigen, ihre Partnerschaft eintragen zu lassen, gegebenenfalls auch schon das notwendige Verfahren in Gang gesetzt haben, aber noch nicht in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft verbunden sind. Die Beziehung entspricht damit im Wesentlichen einem Verlöbnis. Derartige gleichgeschlechtliche Partnerschaften werden hier nochmals kurz explizit angesprochen, weil es sich um einen spezifischen Sonderfall handelt: Die Verbindungen weisen eine quasi-legalisierte Verfestigung auf, die im Rahmen eines verschiedengeschlechtlichen Verlöbnisses ohne weiteres für eine Suspendierung vom Zeugniszwang ausreichend wäre. Gleichgeschlechtlichen Gemeinschaften wird eine solche Zeugenprivilegierung hingegen nicht gewährt. Auch für diese Partnerschaften gilt – u.U. sogar noch in verstärktem Maße – das soeben unter E.II.2.a) dargelegte: im Regelfall handelt es sich um besonders enge Nähe- und Vertrauensverhältnisse, die sich zusätzlich durch die Absicht der Legalisierung in einem Durchgangsstadium zur formalisierten Verfestigung als „Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft“ befinden. Auch und gerade in Bezug auf diese Bindungen lässt sich die Übernahme sozial relevanter Aufgaben statuieren, die die besondere Schutzwürdigkeit ausmachen.

133 134

So auch schon Schneider, Familie und private Lebensführung, S. 215. s.o., E.I.2., S. 170, 173.

III. „Postulat der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege“

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3. Fazit Für die beispielhaft herausgegriffenen Formen enger zwischenmenschlicher Bindungen lässt sich zusammenfassend festhalten, dass sowohl „bloße“ informelle Liebesbeziehungen, seien sie gleichgeschlechtlich oder gemischtgeschlechtlich ausgerichtet, als auch enge Freundschaften heute – in einer zunehmend säkularisierten, jedenfalls pluralisierten Gesellschaft – Aufgaben übernehmen, die früher familienrechtlich verbundenen Personen oder Vertretern von Glaubensgemeinschaften zugerechnet wurden. Damit sind Vertrauens- und Näheverhältnisse innerhalb nichtkonventioneller, informeller Personalbeziehungen in vergleichbarer Weise von Bedeutung für die Allgemeinheit. Sie tragen im Regelfall ebenso zur Persönlichkeitsbildung und -stabilisierung bei, wie dies für die in § 52 StPO genannten, weit gefassten, mehr oder weniger institutionalisierten Angehörigenverhältnisse vorausgesetzt wird; dies mag nicht in allen denkbaren Konstellationen der Fall sein – das müssen sich aber auch die Personenkreise des § 52 Abs. 1 StPO entgegenhalten lassen. Durch die Übernahme individuell und gesamtgesellschaftlich relevanter Funktionen erringen sie ihre soziale Anerkennung, die sie als besonders schützenswert erscheinen lässt. Es bleibt damit die Feststellung, dass unter Berücksichtigung des für § 52 erarbeiteten Normkonzepts die in E.II.2. a), b), c) exemplarisch angesprochenen zwischenmenschlichen Beziehungen mit den in § 52 Abs. 1 StPO ausdrücklich benannten (quasi-)legalisierten vergleichbar sind.

III. „Postulat der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege“ als begrenzender Faktor einer Ergänzung bestehender Zeugenbefreiungen? Die Vergleichbarkeit der durch Zeugnisverweigerungsrechte nicht explizit bezeichneten informellen Nähe- und Vertrauensverhältnisse mit den von § 52 Abs. 1 StPO erfassten Angehörigenverhältnissen lässt es nach den Ergebnissen der vorangegangenen Abschnitte angezeigt erscheinen, über Wege zur Integration der Personen, die in engen persönlichen Beziehungen zu einer oder einem im Strafverfahren Beschuldigten stehen, in Zeugenprivilegierungen nachzudenken. Angesichts der Bedeutung des Zeugenbeweises in der Praxis des Strafverfahrens werden allerdings unter Bezugnahme auf das sog. „Postulat der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege“ Bedenken nicht nur hinsichtlich einer Ableitung weiterer Zeugnisverweigerungsrechte aus den bestehenden Normen, sondern mitunter sogar hinsichtlich gesetzgeberischen Einschränkungen der Zeugnispflicht de lege ferenda geäußert135. Daher kann vor einer Auseinandersetzung mit Inhalt und Gel135 BVerfGE 33, 367, 383; 38, 312, 321 ff.; BVerfG NJW 1996, 1587; BVerfG NStZ 1988, 418; BVerfG NStZ 1985, 277; LG Freiburg NJW 1997, 813; LR-Dahs, § 53 Rn. 3; KK-

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E. Besondere persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse

tungsanspruch dieses Argumentationsgesichtspunktes nicht beurteilt werden, welche (besonderen) Anforderungen an Bestrebungen zur Erweiterung bestehender Zeugenbefreiungen gestellt werden müssen.

1. Herleitung und Inhalt des Funktionstüchtigkeitspostulats Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unterliegt es nicht der – im Wesentlichen – freien Disposition des Gesetzgebers, über die Regelungen der §§ 52 ff. StPO hinaus Einschränkungen des Zeugniszwangs im Strafverfahren zu statuieren. Angesichts der Tatsache, dass jede Ausdehnung strafprozessualer Zeugnisverweigerungsrechte auf weitere Personengruppen eine zusätzliche Einschränkung der Aufklärungs- und Beweismöglichkeiten der Strafverfolgungsinstanzen darstelle, bedürfe vielmehr die Schaffung weiterer Aussageverweigerungsrechte ebenso wie ihre Ableitung aus dem geltenden Recht einer besonderen Legitimation136. Trotzdem Grundlagen und genauer Inhalt dieses „Postulats“ unklar bleiben, haben Literatur und Rechtsprechung häufig recht unkritisch auf das Schlagwort von der Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege zurückgegriffen137. Nur selten erfolgte eine genauere Begriffsbestimmung oder wurde die Herleitung hinterfragt. Als Quelle, auf die auch das Bundesverfassungsgericht selbst in Folgeentscheidungen rekurriert138, gilt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1972 Senge, § 53 Rn. 2; Meyer-Goßner, Einl Rn. 18 m.w.Nw., § 53 Rn. 2; Kramer, Grundbegriffe des Strafverfahrensrechts, Rn. 2; Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 85, 106; Bialek, Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen, S. 95 f.; Skwirblies, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, S. 197 ff.; s. auch Weigend, Gutachten für den 62. DJT, S. C 18, 127; Rogall ZStW 91 (1979), 1, 11. Die gleiche Argumentation findet sich zudem unter Oberbegriffen wie „Erfordernis der Gewährleistung einer effektiven Strafrechtspflege“, oder – ganz verkürzt – „Praktikabilität der strafprozessualen Beweisaufnahme“, s. nur LR-Dahs, § 52 Rn. 17; Wollweber NStZ 1999, 628, 629 (eher kritisch: P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 108). Hierzu sogleich unten, S. 192. 136 BVerfGE 33, 367, 383 (s. sogleich in Fn. 139); BVerfGE 38, 312, 321 ff.; s. auch BVerfGE 38, 105, 116. Vgl. aber BVerfG NStZ 1999, 255, wo in Bezug auf die (verneinte) Frage der Einräumung eines Zeugnisverweigerungsrechts aus persönlichen Gründen keine „Funktionstüchtigkeitserwägungen“ angestellt wurden. 137 s. z. B. BGHSt 26, 228, 230; 26, 291, 292; 27, 22, 23; 29, 23, 25; 34, 397, 401; 38, 214, 220; 39, 281, 285; 43, 300, 303; BGH StV 1994, 281, 282; Bialek, Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen, S. 95; H. Schneider NStZ 2001, 8, 9; Kehr NStZ 1997, 160, 162; Stegemann / Martens StV 1989, 325, 326; Heublein, Das Zeugnisverweigerungsrecht für Suchtberater, S. 14 ff.; J.-R. Schmidt, Die Rechte des Zeugen im Strafverfahren, S. 10 ff.; Skwirblies, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, S. 197; Rogall ZStW 91 (1979), 1, 9 / 10; Kramer, Grundbegriffe des Strafverfahrensrechts, Rn. 2; Meyer-Goßner, § 53 Rn. 2; KK-Senge, § 53 Rn. 2; s. außerdem Schmidt-Bleibtreu / Klein, Art. 20 Rn. 25; Jarass / Pieroth, Art. 20 Rn. 95.

III. „Postulat der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege“

191

zur Ableitung eines Zeugnisverweigerungsrechts aus der Verfassung für in der Eheberatung tätige Sozialarbeiter 139. Tatsächlich wurde der Terminus in dieser Entscheidung des Zweiten Senats erstmals benutzt. Der gedankliche Hintergrund und das sprachliche Umfeld sind allerdings älter als diese Bundesverfassungsgerichtsentscheidung. Bereits in früheren Entscheidungen des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts finden sich die Formeln, die teilweise später BVerfGE 33, 367 und seiner Begründung des Postulats der „Aufrechterhaltung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege“ zu Grunde liegen und diese flankieren: „der legitime Anspruch der staatlichen Gemeinschaft auf vollständige Aufklärung der Tat und rasche Bestrafung des Täters“140 beziehungsweise „(unabweisbare) Bedürfnisse einer wirksamen Verbrechensbekämpfung (Strafverfolgung)“141 und die Feststellung, dass „die wirksame Aufklärung gerade schwerer Straftaten ( . . . ) ein wesentlicher Auftrag eines rechtsstaatlichen Gemeinwesens, der im Konfliktfall auch bei der Interpretation eines Grundrechts herangezogen werden“142 könne, sei. In neueren Entscheidungen ist demgegenüber die Rede von „Erfordernissen einer an rechtsstaatlichen Garantien ausgerichteten Strafrechtspflege“143. Hierin manifestiert sich eine Tendenz des Bundesverfassungsgerichts, (jedenfalls verbal) von der lange gebräuchlichen Funktionstüchtig138 Vgl. BVerfGE 38, 105, 115 f.; 38, 312, 321; 39, 156, 163; 41, 246, 250; 44, 353, 374; 46, 214, 222; 51, 324, 343; 53, 152, 160; 74, 257, 262; BVerfG NStZ 1985, 277; eher distanziert: BVerfGE 77, 240, 255 und 81, 278, 293 (Erster Senat); vgl. auch BVerfGE 86, 288, 347 (abweich. Mein. Mahrenholz). s. außerdem die Nw. bei Hassemer StV 1982, 275 / 276. 139 BVerfGE 33, 367, 383 (2 BvL 7 / 71). Dort heißt es: „Zwar ist es dem Gesetzgeber nicht freigestellt, den Kreis der aus Berufsgründen zeugnisverweigerungsberechtigten Personen nach Belieben zu erweitern. Vielmehr zieht ihm das Rechtsstaatsprinzip Grenzen. Soweit der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit die Idee der Gerechtigkeit als wesentlichen Bestandteil enthält ( . . . ), verlangt er auch die Aufrechterhaltung einer funktionstüchtigen Rechtspflege, ohne die der Gerechtigkeit nicht zum Durchbruch verholfen werden kann. Wiederholt hat das Bundesverfassungsgericht die unabweisbaren Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung anerkannt ( . . . ), das öffentliche Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung im Strafprozess betont ( . . . ) und die Aufklärung schwerer Straftaten als wesentlichen Auftrag eines rechtsstaatlichen Gemeinwesens bezeichnet ( . . . ). Jede Ausdehnung des strafprozessualen Zeugnisverweigerungsrechts auf neue Personengruppen schränkt aber die Beweismöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden zur Erhärtung oder Widerlegung des Verdachts strafbarer Handlungen ein und beeinträchtigt deshalb möglicherweise die Findung einer materiell richtigen und gerechten Entscheidung. Angesichts des rechtsstaatlichen Postulats der Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen Strafrechtspflege bedarf die Einräumung von Aussageverweigerungsbefugnissen aus beruflichen Gründen stets einer besonderen Legitimation, um vor der Verfassung Bestand zu haben“ (Hervorhebungen hinzugefügt). 140 BVerfGE 20, 45, 49 (bzw. BVerfGE 32, 373, 381: „möglichst vollständige Wahrheitsermittlung im Strafprozess“). 141 BVerfGE 19, 342, 347; 20, 45, 49; 20, 144, 147. 142 BVerfGE 29, 183, 194. 143 BVerfGE 80, 367, 375. S. auch BVerfGE 86, 288, 347 (abweich. Mein. Mahrenholz); BVerfGE 77, 65, 76 / 77: „Gewähr rechtsstaatlich geordneter Rechtspflege“.

192

E. Besondere persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse

keitsformel abzugehen144; dennoch wird sie aufgrund ihrer Geläufigkeit weiter als Oberbegriff herangezogen. All diesen Topoi ist gemeinsam, dass es sich um Begriffsschöpfungen des Bundesverfassungsgerichts handelt, deren Herleitung einer differenzierten Darlegung ermangelt145 und die sich nichtsdestotrotz (vielleicht auch gerade deswegen) im Laufe der Zeit verselbstständigt haben146. In Literatur und Rechtsprechung ist im gleichen Kontext und überwiegend ebenfalls, ohne dass eine dogmatische oder inhaltliche Fundierung kenntlich gemacht wird, schon beinahe schlagwortartig die Rede von „Erfordernissen der Gewährleistung einer effektiven Strafrechtspflege“, denen Verfassungsrang zukomme147. An dieser und vergleichbaren Formeln ist besonders zu würdigen, dass sie die Zielrichtung, die mit der Berufung auf das Postulat der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege verfolgt wird, prägnant herausstellen. Der Diktion des Bundesverfassungsgerichts lässt sich die Vorstellung entnehmen, das Postulat einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege gehe zurück auf das Rechtsstaatsprinzip148. Die Gedankenkette zur Herleitung des „Prinzips“ der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege, soweit sie sich aus den Darlegungen des Bundesverfassungsgerichts149 erschließen lässt, ist schnell aufgezeigt, bleibt aber dennoch wenig konkret: Als Derivat und wesentlicher Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips wird „die Idee der Gerechtigkeit“ bezeichnet. Dann wird hervorgehoben, nur aufgrund der Aufrechterhaltung einer funktionstüchtigen (Straf-) Rechtspflege könne der Gerechtigkeit zum Durchbruch verholfen werden. Der Topos selbst wird qualifiziert (und damit aufgewertet) als Rechtsprinzip, das im Rahmen von Abwägungen nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Konflikt 144 Vgl. auch Limbach, Die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege, S. 323, 324 sowie die – angedeutete – inhaltliche Distanzierung in BVerfGE 77, 240, 255; 81, 278, 293. s. außerdem BVerfGE 86, 288, 347 (abweich. Mein. Mahrenholz); BGHSt 40, 211, 217 / 218. 145 Vgl. Limbach, Die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege, S. 325. 146 In der Formulierung von Limbach, Die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege, S. 324 / 325: „durch das wiederholte Aufgebot zunehmend zahlreicher werdender Richtersprüche (wird) eine Tradition gestiftet“, durch die ein Topos eine eigene Qualität gewinnen kann. Und auch wenn Limbach a. a. O. zutreffend darauf hinweist, dass der Formel (noch) nicht die „besondere Weihe“ zuteil geworden ist, (verbal) zur „ständigen Rechtsprechung“ erhoben zu werden (s. aber J.-R. Schmidt, Die Rechte des Zeugen im Strafverfahren, S. 10), ist nicht zu übersehen, dass gerade sie zahlreichen Liberalisierungsansätzen im Strafverfahren immer wieder stereotyp entgegengehalten wird. 147 s. nur BGHSt 45, 342, 346; 42, 372, 377; 42, 139, 157; 38, 111, 114; BGHR StPO § 252 Verwertungsverbot 14; LG Freiburg NStZ 2000, 162; LR-Dahs, § 52 Rn. 17; Wollweber NStZ 1999, 628, 629; Fischer NStZ 1994, 1; P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 108. 148 BVerfGE 33, 367, 383 (s. das ausführliche Zitat oben in Fn. 139); BVerfGE 38, 105, 115 / 116; 38, 312, 321; 39, 156, 163; 41, 246, 250; 46, 214, 223. 149 s. BVerfGE 33, 367, 375 ff., 383; 38, 105, 115 / 116; 44, 353, 374; BVerfG NStZ 1987, 276. Vgl. ergänzend die Darstellung bei Limbach, Die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege, S. 323, 325.

III. „Postulat der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege“

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mit dem Grundsatz persönlicher Freiheit als (mindestens) gleichrangiger Aspekt Geltung verlangen könne150. Letztlich wird hervorgehoben, dieser „Verfassungsgrundsatz“151 sei „je nach sachlichen Gegebenheiten“ zu konkretisieren, denn das Rechtsstaatsgebot selbst beinhalte keine detailliert vorbestimmten Ge- und Verbote152. Damit liegt nicht nur die dogmatisch präzise Herleitung des „Postulats der Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen Strafrechtspflege“ im Dunkeln, sondern auch sein spezifischer Inhalt153. Festzustellen ist aber, dass der Argumentationsgesichtspunkt der „Aufrechterhaltung der Funktionstüchtigkeit“ (oder der „Gewährleistung der Effektivität“) der Strafrechtspflege regelmäßig gegenüber Ansätzen zur Durchsetzung von Individualinteressen beziehungsweise privaten Freiheitsrechten im Strafverfahren angeführt wird154. Für die Frage der Einräumung von Zeugnisverweigerungsrechten bedarf es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einer Abwägung schutzwürdiger privater Interessen an Einschränkungen der Zeugnispflicht mit dem „Allgemeininteresse an einer wirksamen Strafrechtspflege“, für die es auf eine möglichst umfassende Sachverhaltsermittlung ankomme155; in Bezug auf gesetzlich bereits positivierte strafprozessuale Auskunftsverweigerungsrechte wird eine solche gesetzgeberische Interessenabwägung unterstellt156. Zur genaueren Konkretisierung der Anforderungen, die auf der Basis eines Postulats der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege zu stellen sind, trägt die Verfassungsrechtsprechung im Übrigen wenig bei. Soweit die Einräumung von Zeugnisverweigerungsrechten zu thematisieren war, handelte es sich um solche aus beruflichen Gründen. Trotzdem sich aus den Entscheidungen keine verallgemeinerungsfähige Antwort auf die Frage ergibt, worin eine hinreichende „besondere Legitimation“ für die Einräumung zusätzlicher Zeugnisverweigerungsrechte zu sehen sein kann, wird diese Rechtsprechung inzwischen, auch wenn dies in keiner Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts explizit vorausgesetzt wird, argumentativ auf Zeugnisverwei150 s. auch BGHSt 34, 397, 401; 29, 23, 25. Vgl. außerdem Limbach, Die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege, S. 323, 325. 151 s. nochmals oben Fn. 145, 146. 152 s. auch BVerfGE 7, 89, 92 f.; 57, 250, 276; BVerfG NStZ 1985, 131; NStZ 1987, 276; BGHSt 32, 345, 350 f. Daher zutreffender- und konsequenterweise kritisch zur unmittelbaren Anwendung des Rechtsstaatsprinzips auf Einzelfälle: Keller, Rechtliche Grenzen der Provokation von Straftaten, S. 28. 153 Jahn, ,Konfliktverteidigung‘ und Inquisitionsmaxime, S. 194; BVerfGE 86, 288, 347 (abweich. Mein. Mahrenholz); BGHSt 40, 211, 217 / 218. s. auch BVerfGE 81, 278, 293; 77, 240, 255. 154 Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 174. S. auch Limbach, Die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege, S. 322; Keller, Rechtliche Grenzen der Provokation von Straftaten, S. 28; Hassemer StV 1982, 275; Riehle KJ 1980, 316, 320. 155 BVerfGE 33, 367, 378, 383; 38, 312, 321 (Hervorhebung hinzugefügt). Zur Kritik an der Verlagerung auf Abwägungsgesichtspunkte vgl. die Nw. in Fn. 171 unten. 156 BVerfGE 33, 367, 378.

13 Jansen

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E. Besondere persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse

gerungsrechte aus persönlichen Gründen übertragen157. Interpretationsversuchen der bisherigen Rechtsprechung lässt sich – negativ – allenfalls entnehmen, dass eine ausnahmsweise aufgrund der Berücksichtigung übergeordneter, „schutzwürdiger Interessen“ erwägenswerte gesetzliche Regelung eine möglichst exakte Differenzierung zeugnisverweigerungsberechtigter von nicht berechtigten Personen ermöglichen und eine denkbar große Gewähr dafür bieten müsste, dass eingeräumte Aussageverweigerungsrechte nicht „über Gebühr“ und aus „zweckfremden“ Erwägungen „unangemessen“ in Anspruch genommen werden könnten158. In Literatur und Rechtsprechung wurde daraus vielfach gefolgert, die bestehenden Regelungen zur Einräumung von Zeugnisverweigerungsrechten seien abschließend und jedenfalls nicht durch Auslegung oder Rechtsfortbildung erweiterbar; zudem sei wesentliches Merkmal aller – eventuell doch ergänzbaren – Zeugenprivilegierungen die Gewährleistung größtmöglicher Rechtssicherheit und Verfahrenseffektivität, die nur dann zu erreichen sei, wenn der so klein wie möglich zu haltende Kreis Zeugnisverweigerungsberechtigter dogmatisch wie in der (forensischen) Praxis absolut unaufwändig und exakt von materiell nicht Weigerungsberechtigten abgegrenzt werden könne159.

2. Geltungsanspruch des Funktionstüchtigkeitspostulats Der Geltungsanspruch des Postulats der „Funktionstüchtigkeit“ der Strafrechtspflege und vor allem seine Eignung, Persönlichkeitsrechte wirksam beschränken zu können, haben zwar weit verbreitete Aufnahme, aber keine ungeteilte Zustimmung gefunden160.

157 s. z. B. Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 85, 106; Weigend, Gutachten für den 62. DJT, S. C 18, 127; Bialek, Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen, S. 95 f. 158 Für die berufsbedingten Zeugnisverweigerungsrechte wurde z. B. auf die Existenz eines beruflichen Standesrechts und dessen Einhaltung überwachende und durchsetzende Kontrollinstanzen abgestellt, vgl. BVerfGE 33, 367, 383 f.; 38, 312, 324. Auf die Inkonsequenz dieser Argumentation verweist Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 20 ff., 22 m.w.Nw. 159 Vgl. nur Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 102 ff., 107; Bialek, Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen, S. 97; LR-Dahs, § 52 Rn. 17; SK-Rogall, Vor § 48 Rn. 152; s. auch Rogall ZStW 91 (1979), 1, 11; krit. schon Jung MSchrKrim 1974, 258, 264 / 265. 160 s. z. B. Jahn JuS 2000, 441 ff., 443; ders., ‘Konfliktverteidigung’ und Inquisitionsmaxime, S. 189 ff.; Keller, Rechtliche Grenzen der Provokation von Straftaten, S. 369; Grünwald JZ 1976, 767, 772 f.; Hassemer StV 1982, 275 ff.; Riehle KJ 1980, 316 ff.; Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 441 ff., 451 ff.; Peters, Strafprozeß, S. 8; s. auch Limbach, Die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege, S. 321 ff.; Tiedemann, Verfassungsrecht und Strafrecht, S. 24 ff.; P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 108.

III. „Postulat der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege“

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a) Dogmatische Vorbehalte aa) Kritisch hervorgehoben wird zunächst die mangelhafte dogmatische Fundierung dieses „Prinzips“, das vom Bundesverfassungsgericht ohne präzise Herausarbeitung seines Ursprungs oder genauen Inhalts gleichsam apodiktisch aufgestellt wurde161. Nicht nur die Deduktion des Funktionstüchtigkeitspostulats aus dem Rechtsstaatsprinzip steht auf relativ wackligen Füßen, das gleiche gilt auch für die dogmatische Ableitung des Rechtsstaatsprinzips im verfassungsrechtlichen Rahmen, die keine sichere Lokalisierung ihres Ursprungs aufweisen162 kann; außerdem ist der Inhalt des Rechtsstaatsprinzips selbst nicht deutlich bestimmt163. Daher wird angezweifelt, dass sich hieraus wiederum Rechtsprinzipien mit unmittelbarem und verallgemeinerungsfähigem Geltungsanspruch ableiten lassen164. Das moderne Verständnis von der Existenz eines – übergeordneten, einzelnen Grundrechten gegenüberstehenden – Rechtsstaatsprinzips geht zurück auf den vermutlich erstmals im 18. Jahrhundert propagierten Rechtsstaatsbegriff165. Die diesem Rechtsstaatsbegriff zu Grunde liegende, bürgerlich-liberale Interessen umsetzende Idee war die Sicherung von Individual- und Freiheitsrechten der Bürger gegenüber der Staatsverwaltung, die Abwehr staatlicher Willkür und deren Kontrolle durch Gewährung gerichtlichen Rechtsschutzes166. Die auf dieser Basis lange primär an Fragen der Staatsorganisation (im weitesten Sinne) ausgerichtete, damit formale Freiheitsverbürgung verwandelte sich insbesondere durch die Forderung nach staatlicher Bindung an die Grundrechte in eine „formell-materielle“, die neben den Schutz bürgerlicher Interessen vor dem Staat schließlich die durch den Staat stellte; die Ausgestaltung des Grundgesetzes ist (auch) als Reaktion auf diese tradierten Ansprüche – und als ihre positivrechtliche Umsetzung – zu verstehen167. 161 Limbach, Die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege, S. 325; außerdem BVerfGE 86, 288, 347 (abweich. Mein. Mahrenholz); BGHSt 40, 211, 217. s. auch schon Jung MSchrKrim 1974, 258, 262. 162 Vgl. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 63 ff., 109 f. 163 Vgl. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 18 ff., 35, 117 ff.; s. auch Limbach, Die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege, S. 327 f.; Wolter, Gedächtnisschrift für K. Meyer, S. 505. Auf die Einzelfallabhängigkeit der Inhaltsbestimmung des Rechtsstaatsprinzips verweisen auch z. B. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 185; Schmidt-Bleibtreu / Klein, Art. 20 Rn. 19. S. ausführlich zum Rechtsstaatsprinzip außerdem Maunz / Dürig-Herzog, Art. 20, VII. Rn. 21 ff. 164 In diesem Sinne Limbach, Die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege, S. 328 ff.; Keller, Rechtliche Grenzen der Provokation von Straftaten, S. 28. 165 s. nur Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 21 ff.; Stein / Frank, Staatsrecht, S. 144 ff. 166 Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 21, 23 f.; Stein / Frank, Staatsrecht, S. 145; Grünwald JZ 1976, 767, 772 / 773; s. auch Hassemer StV 1982, 275, 278; Limbach, Die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege, S. 328 / 329. 167 s. nur Jarass / Pieroth, Art. 20 Rn. 28; Stein / Frank, Staatsrecht, S. 145 f. sowie Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 24, der dies zum Anlass nimmt zu hinterfragen, ob daneben noch Raum für eine Modifizierung oder Ergänzung „rechtsstaatlicher“ „Einzelnormen des Grund-

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E. Besondere persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse

Vor dem Hintergrund des individuellen Grundrechtsschutzes kann ein Auftrag des Staates zum Rechtsgüterschutz durch die Schaffung eines Strafrechtssystems gesehen werden; diesem grundrechtlichen Schutzanspruch ist aber mit der Errichtung eines solchen Systems und dessen genereller Durchsetzung auch Genüge getan168. Daher muss auch die Rückführung eines Instituts einer hierüber hinausgehenden, (vorrangig) aufgrund ihrer Effizienz „funktionstüchtigen Strafrechtspflege“ als verfassungsrechtlich abgesichertes Postulat, das gleichrangig oder sogar als „limitierendes Maß“ Individualgrundrechten relativierend gegenübergestellt werden könnte, auf den Rechtsstaatsbegriff scheitern169. bb) Dem Argumentationstopos „funktionstüchtige Strafrechtspflege“ wird zudem seine Widersprüchlichkeit entgegengehalten: (auch) das Bundesverfassungsgericht hat bisher nicht dazu Stellung genommen, wie die individuellen Freiheitsrechte der von Strafverfahren betroffenen Personen im Gegensatz zum „öffentlichen Interesse an wirksamer Strafverfolgung“ jeweils zu gewichten sein sollen170, es fehlt sozusagen an quantitativen Kriterien. Dies führt dazu, dass in concreto zur Lösung von Zielkonflikten die freie Abwägung zwischen subjektiven (Grund-)Rechten und staatlichen Strafverfolgungsinteressen nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Vordergrund steht171. Hierin ist aber – auf dem Boden der Bejahung eines eigenständigen Verfassungsrangs des Rechtsstaatsprinzips – ein Verstoß gegen den Grundsatz der Voraussehbarkeit staatlichen Handelns zu sehen172. cc) Gerade angesichts des historischen Kontextes der Entwicklung des Rechtsstaatsgedankens dürfen Ansätze zur Beschränkung der Aussagefreiheit unter Verweis auf Gerechtigkeitserwägungen173 schließlich nicht unberücksichtigt lassen, gesetzes mit Hilfe einer allgemeinen Rechtsstaatsidee“ bleiben könne. s. insoweit auch BVerfGE 77, 240, 255. 168 s. hier nur Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 443 / 444 m.Nw., 446; vgl. außerdem Stein / Frank, Staatsrecht, S. 146; Grünwald JZ 1976, 767, 773. 169 So auch Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 445, 452; Keller, Rechtliche Grenzen der Provokation von Straftaten, S. 369; s. außerdem Limbach, Die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege, S. 328 / 329. 170 Hierauf weist zutreffend Limbach, Die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege, S. 328, hin. s. auch Müssig GA 1999, 119, 139; Roxin, 40 Jahre BGH, S. 70, 80. 171 Kritisch zur Schwerpunktverschiebung von der Rechtssetzung (und konsequenten Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Verbürgungen) auf Abwägungsprozesse Müssig GA 1999, 119, 140, 141 f.; Welp, Festschrift für Bemmann, S. 641; Keller, Rechtliche Grenzen der Provokation von Straftaten, S. 28; Hassemer KritV 1990, 260, 270 / 271; Grünwald JZ 1976, 767, 773. s. auch Limbach, Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege, S. 329; Wolter, Gedächtnisschrift für K. Meyer, S. 504 f. 172 s. Limbach, Die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege, S. 328; zur Maxime der Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns aufgrund präziser Normierung: Maunz / Dürig-Herzog, Art. 20, VII. Rn. 57, 62. 173 Hierauf wird die Forderung nach Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege letztlich zurückgeführt, s. oben Fn. 139 sowie S. 192.

III. „Postulat der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege“

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dass „Gerechtigkeit“ nicht nur (beziehungsweise häufig genug: gerade nicht) Verfolgungseffektivierung oder „Überführungstüchtigkeit“174 meint. Ein „gerechtes“ Verfahren ist weder eines, in dem Überführungsinteressen einseitig überwiegen, noch eines, in dem (etwa aus individualisierten Rechtsansprüchen an der Errichtung eines Strafverfolgungssystems175) Verbürgungen zugunsten des Staates zur Überwindung individueller – verfahrensbegrenzender, gegebenenfalls auch verfahrensbehindernder – Freiheitsgrundrechte (seien es die der Beschuldigten oder der Zeugen) konstruiert werden176. Dies entspricht im Übrigen auch dem Konzept der StPO, die im Allgemeininteresse neben der Durchsetzung eines staatlichen Strafanspruchs gerade die Wahrung der (Individual-)Rechte der in das Verfahren involvierten Personen sicherstellen soll177. Im Fall der Einräumung von Zeugnisverweigerungsrechten stehen sich die Individual-(Grund-)Rechte von Beschuldigten und (sonstigen) Aussagepersonen gegenüber178. Hypothetisch kann sich aus dieser Konstellation sowohl ergeben, dass eine Aussageperson im eigenen und im tatsächlichen („grundrechtlichen“) Interesse des Beschuldigten die Aussage verweigert, als auch, dass die Zeugnisverweigerung das Interesse von Beschuldigten an Verfahrensbeschleunigung und vollständiger (entlastender) Sachverhaltserforschung im Strafprozess verletzt179. Praktisch wird der letztere Fall kaum auftreten, wenn darauf abgestellt wird, dass zwischen Beschuldigten und Zeugen ein persönliches Näheverhältnis besteht; zudem bleibt den Beschuldigten bei einer Einbeziehung nicht-legalisierter zwischenmenschlicher Verhältnisse in den Regelungsbereich der Zeugnisverweigerungsrechte die Möglichkeit, die (dann regelmäßig tatsächlich zweifelhafte) Existenz des Näheverhältnisses in foro zu negieren180, wenn die Aussageverweigerung zum Verschweigen entlastender Tatsachen benutzt würde. Soweit es darüber hinaus um Verfolgungsgerechtigkeit – gegenüber anderen Beschuldigten – geht, muss diese unter dem Vorbehalt der Grundrechtsverbürgungen zugunsten jedes einzelnen Beschuldigten gewichtet werden.

174 Hamm NJW 1993, 289, 291; Jahn JuS 2000, 441, 443; ders., ‘Konfliktverteidigung’ und Inquisitionsmaxime, S. 190. 175 s. soeben oben, S. 196. 176 s. auch Keller, Rechtliche Grenzen der Provokation von Straftaten, S. 369; Stein /Frank, Staatsrecht, S. 229. 177 s. nur Roxin, Strafverfahrensrecht, § 1 Rn. 2 ff.; Peters, Strafprozeß, S. 80 ff.; Riehle KJ 1980, 316, 319 / 320; außerdem Hassemer StV 1982, 275, 277 ff. 178 Während sich durch Straftaten Verletzte (allein) aus dieser Position heraus im Strafverfahren nicht gegen die Gewährung von Zeugnisverweigerungsrechten auf grundrechtliche Verbürgungen berufen können, vgl. nur Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 445 / 446, 451; Peters, Strafprozeß, S. 21. Für Strafverfolgungsinstanzen ist dies evident (s. Fn. 175). 179 s. aber auch Weigend, Gutachten für den 62. DJT, S. C 18 / 19. 180 Dies müsste dann Auswirkungen auf das Erfordernis einer Glaubhaftmachung der Zeugnisverweigerungsberechtigung (bzw. des Näheverhältnisses) entfalten; s. oben Abschnitt A.II.3., S. 32 ff.

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E. Besondere persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse

Eine Effektivierung der Verfolgungs- und Ermittlungsbemühungen durch restriktive Handhabung der Befreiungen von der Zeugnispflicht kann sich daher nur in engem Rahmen auf einen grundrechtlich fundierten Gerechtigkeitstopos berufen. Auch wenn „Effektivität der Strafrechtspflege“ bedingt geeignet ist, „Gerechtigkeit“ zu gewährleisten, kann sie aber im Strafverfahren keinen (verfassungsrechtlich abgesicherten) Wert um ihrer selbst willen darstellen, sondern allenfalls der Optimierung individueller Grundrechtsgewährleistung dienen181. dd) Gegen die Vorstellung einer grundlegenden Einschränkung des gesetzgeberischen Ermessens bei der Verfahrensgestaltung wie auch einer Beschränkung subjektiv-öffentlicher Rechte der Verfahrensbeteiligten aufgrund eines verbindlich zu berücksichtigenden Prinzips der „funktionstüchtigen Strafrechtspflege“ sprechen aber nicht nur die Unwägbarkeiten seiner – scheinbar – verfassungsrechtlichen Begründbarkeit, sondern auch logische Aspekte. Hassemer hat darauf hingewiesen, dass eine Ausrichtung grundlegender Entscheidungen an der „Funktionstüchtigkeit“ der Strafrechtspflege begriffslogisch voraussetzt, dass ein Zusammenbruch des „Systems strafrechtlicher Sozialkontrolle“ konkret droht182. Beim Wort genommen müsste eine Gefährdung der Funktionstüchtigkeit der (Straf-)Rechtspflege eine nicht unbeachtliche justizielle Krisensituation voraussetzen, deren absehbares Eintreten zumindest möglich erscheinen sollte. Bisher wurde die Funktionstüchtigkeitsformel allerdings soweit ersichtlich noch nie in Bezug auf Fallgestaltungen nahe gelegt, die tatsächlich – im einen oder anderen Fall – einen Zusammenbruch der staatlichen Rechtspflege zur Folge haben konnten.

b) Tatsächliche Vorbehalte Unabhängig von diesen methodologischen Einwänden drängen sich tatsächliche Vorbehalte auf. Ein Argumentationsgesichtspunkt der „Aufrechterhaltung der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege“ kann nur insoweit Ansätzen zur Befreiung von der Zeugnispflicht entgegenstehen, wie die aufgrund einer Zeugenprivilegierung entfallenden Beweise bei realistischer Betrachtung überhaupt Relevanz für die Aufrechterhaltung dieser Funktionsfähigkeit entfalten können. Wie oben in Abschnitt C. ausführlich dargelegt, handelt es sich beim Zeugenbeweis an sich und ganz besonders beim Zeugenbeweis mit – im weitesten Sinne – vom Verfahren betroffenen Personen um ein außerordentlich unpräzises Beweismittel. Dies gilt insbesondere für erzwungene Aussagen. Bemühungen zur Differenzierung zwischen unrichtigen und „richtigen“ Aussagen haben – gerade unter den Bedingungen der forensischen Praxis – nur geringe Erfolgsaussichten, wobei kaum ein 181 So auch Jahn, ,Konfliktverteidigung‘ und Inquisitionsmaxime, S. 190; in diesem Sinne ebenfalls Hassemer StV 1982, 275, 277 ff. s. außerdem Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 443: „Effektiver Rechtsschutz ist ( . . . ) nach dem Grundgesetz verfahrensgerechter, den Grundrechten differenziert Rechnung tragender Rechtsschutz“. 182 Hassemer StV 1982, 275, 279 / 280.

III. „Postulat der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege“

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Unterschied besteht zwischen der Aufdeckbarkeit intentional falscher oder ungewollt unzutreffender Aussagen. Der „Verlust“ dieses Beweismittels ist, was seinen Beweiswert angeht, daher eher von untergeordneter Bedeutung. Zwar bieten auch (gewollt oder ungewollt) unzutreffende Aussagen mitunter noch Ermittlungsansätze, die im Falle eines weiträumigen Verzichts entfielen; allerdings ist zu berücksichtigen, dass diese Ermittlungsansätze vielfach eher in die Irre führen und so eine Sachverhaltsaufklärung erschweren werden, als sie einen nützlichen, nicht substituierbaren Beitrag zum Verfahrensausgang zu leisten vermögen183. Unter Zugrundelegung des derzeitigen Standes der aussagepsychologischen Forschung ist also aus tatsächlichen Gründen eine Gefährdung der „Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege“ aufgrund eines Verzichts auf Zeugenaussagen von Personen, die sich angesichts eines persönlichen Verhältnisses zu Beschuldigten durch den Rückzug auf eine Aussageverweigerung selbst als „befangen“ zu erkennen geben, zu vernachlässigen184. Aussagen, die (faktisch) als zweifelhaft eingestuft werden, weil die Aussageperson dem Beschuldigten nahe steht, können (genauer: dürfen) allenfalls entlastend oder neutral wirken, grundsätzlich aber nicht belastend185. Die Statuierung einer Aussagepflicht bringt in diesen Fällen daher keinen Gewinn für die Sachverhaltsermittlung – hingegen ist vor dem Hintergrund von Gerechtigkeitserwägungen und Grundrechtsverbürgungen der Zwang zur Ablegung letztlich aufgrund ihrer Zweifelhaftigkeit nicht relevanter Aussagen zu messen an dem Risiko der Aussageperson, sich zur Ablegung einer Falschaussage veranlasst zu sehen oder einen Eingriff in ein enges personales Nähe- und Vertrauensverhältnis dulden zu müssen. 3. Fazit Das „Postulat der Aufrechterhaltung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege“ bindet Überlegungen zur Erweiterung strafprozessualer Zeugnisverweigerungsrechte durch Auslegung, Rechtsfortbildung oder Neuschaffung von Zeugenprivilegierungen nicht. Es stellt kein verfassungsrechtlich abgesichertes Prinzip dar, das für sich in Anspruch nehmen könnte, Individualgrundrechten der in ein Strafverfahren involvierten Personen relativierend und freiheitsbeschränkend gegenübergestellt zu werden. Auf strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrechte bezogen ist ihm daher die Eignung abzusprechen, Befreiungen von der Zeugnispflicht – die als Einschränkung 183 184

s.o. C.VI., S. 126 ff. s. auch Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 79; Wollweber NStZ 1999, 628,

629. 185 So zutreffend Salditt StraFo 1990, 54. s. auch Rüssmann, Festschrift für Wassermann, S. 789, 805, der darauf hinweist, dass das Ergebnis der Berücksichtigung aussagepsychologischer Erkenntnisse die häufigere Feststellung sein muss, aus einer bestimmten Zeugenaussage keine hinreichende Überzeugung erlangen zu können.

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E. Besondere persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse

der allgemeinen Handlungsfreiheit zu verstehen ist und deren Suspendierung die (relativ) unbeschränkte Geltung des Persönlichkeitsrechts wiederherstellt (Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG) – entgegengehalten zu werden. Da dem Funktionstüchtigkeitspostulat keine limitierende Wirkung zukommt, kann der Gesetzgeber auch ein verfassungsrechtlich gefordertes Mindestmaß überschreiten und Zeugnisverweigerungsrechte einräumen, die grundrechtlich nicht gefordert sind186. Beschränkungen der Legislative ergeben sich danach primär aus den allgemeinen Grundsätzen und auch die Auslegung oder Fortbildung geltenden Rechts unterliegen den allgemeinen Regeln. Daher ist nun zu erörtern, ob im Wege der Auslegung oder des Analogieschlusses von einer Erweiterung des Kreises der aus persönlichen Gründen zeugnisverweigerungsberechtigten Personen de lege lata auszugehen ist.

IV. Integration „besonderer persönlicher Näheoder Vertrauensverhältnisse“ durch einfachgesetzliche erweiternde Auslegung des § 52 Abs. 1 StPO Ein rechtstatsächliches Bedürfnis für eine Integration enger informeller Bindungen ist angesichts der in Abschnitt E.I. ausführlich geschilderten Pluralisierung gängiger Lebenskonzepte und vor dem Hintergrund des in Abschnitt E.II. herausgestellten Normkonzepts des § 52 Abs. 1 StPO erkennbar geworden. Vor diesem Hintergrund ist zu überlegen, ob Personen, die zu Beschuldigten in besonderen persönlichen Nähe- und Vertrauensverhältnissen stehen, im Wege der Auslegung des § 52 Abs. 1 StPO in dessen Regelungsbereich einzubeziehen sind. Die Auslegung strafprozessualer Normen steht – verkürzt formuliert – im Spannungsfeld zwischen als notwendig empfundenen Modifizierungen gängiger Normanwendung angesichts veränderter tatsächlicher Umstände und dem konstitutionell verbürgten Interesse aller Betroffenen, nur solche hoheitlichen Grundrechtseingriffe hinnehmen zu müssen, die auf verfassungsgemäß zustande gekommenen Ermächtigungsgrundlagen beruhen187. Weil Auslegung nur Konkretisierung des gesetzlichen Regelungsrahmens sein soll, nicht Rechtsschöpfung, bedarf sie der methodischen Fixierung, die in dem Kanon tradierter Auslegungskriterien gesehen wird188. Vgl. insoweit Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 452. Vgl. zu den methodischen Voraussetzungen der Auslegung Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 312 ff.; Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 84 ff.; Koch / Rüßmann, Juristische Begründungslehre, S. 166 ff.; Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 45 ff.; Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 428 f.; s. auch Meyer-Goßner, Einl Rn. 190 ff.; BVerfGE 11, 126, 130 f.; BGHSt 18, 151, 152 ff.; BGH NJW 1967, 343, 346 ff. 188 s. ausführlich Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 312 ff., 319 ff. 186 187

IV. Einfachgesetzliche erweiternde Auslegung des § 52 Abs. 1 StPO

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In geringfügiger Abweichung von diesem „klassischen“ Auslegungskonzept189 ist hier, um einige zentrale Thesen der vorangegangenen Abschnitte nochmals kurz in Erinnerung zu rufen und zusammenzufassen, als erstes und punktuell unter kurzer Bezugnahme auf den (rechts-)tatsächlichen Hintergrund mit teleologischen und historischen Aspekten zu beginnen, um anschließend zu untersuchen, inwieweit der Wortlaut des § 52 StPO eine Einbeziehung informeller zwischenmenschlicher Bindungen zu tragen vermag.

1. Rechtliche und rechtstatsächliche Vergleichbarkeit, teleologische und historische Aspekte Auch zwischen Personen, die in intensiven, nichtlegalisierten Verbindungen zueinander stehen, entwickeln sich enge Nähe- und Vertrauensverhältnisse, die sozial stabilisierende, (re-)sozialisierende Wirkungen entfalten und deshalb als gesellschaftlich schützenswert anzuerkennen sind190. Eine Einbeziehung von Personen, die zu Beschuldigten in derartigen zwischenmenschlichen Beziehungen stehen, in den Schutzbereich des § 52 StPO erscheint angesichts des oben herausgearbeiteten, dem sozial-konstituierenden Aspekt korrespondierenden „Normkonzepts“ dieses Zeugnisverweigerungsrechts sinnvoll191. Gleiches gilt für (originär) teleologische Gesichtspunkte: auf Seiten der Zeugen ist eine dem Angehörigenverhältnis häufig mindestens vergleichbare unzumutbare Belastung gegeben, wenn sie gezwungen sind, gegen ihnen tatsächlich besonders nah stehende Personen auszusagen, außerdem wird der Bestand dieser wichtigen Nähe- und Vertrauensverhältnisse beeinträchtigt192. Gestützt wird ein solcher Ansatz – was die Zumutbarkeit wahrheitsgemäß belastender Aussagen vor dem Hintergrund enger persönlicher Bindungen angeht – durch rechtstatsächliche und historische Aspekte193. Insoweit ist hier nur anzufügen, dass es angesichts der gesetzgeberischen Wertungen bei Schaffung der RStPO nahe liegt, auch jedem anderen, einem Beschuldigten bei typisierender Betrachtung ebenso „nahe stehenden“, heute sozial anerkannten Personenkreis eine Befreiung vom allgemeinen Zeugniszwang zuzugestehen, wenn alle in § 52 Abs. 1 StPO (n.F.) bezeichneten Personen als nahe Angehörige anzusehen sind und der Kreis der Berechtigten absichtlich weit gezogen sein sollte. Das auffällige Be189 Ausgehend von der „grammatischen“ Auslegung des Wortlautes erfolgt im Regelfall die nähere Konkretisierung durch Rückgriff auf systematische, historische und teleologische Ansätze; vgl. nur Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 320 ff., 345; Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 86 ff.; Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 436 ff.; Koch / Rüßmann, Juristische Begründungslehre, S. 166 ff.; BVerfGE 11, 126, 130; BGH NJW 1967, 343, 346; s. auch BGHSt 18, 151, 152 f.; F. Müller, Juristische Methodik, S. 199 ff.; teilweise abweichend Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 46 ff. 190 s.o. Abschnitt E.I., S. 162 ff. 191 s.o. Abschnitt E.II., S. 177 ff. 192 Vgl. ausführlich Abschnitt D.II. sowie den vorangegangenen Abschnitt E.II.2., 3. 193 s. ausführlich oben B.III.2. (S. 67 f.); C.VI. (S. 126 ff.); D.II.2.c) (S. 126 ff.).

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E. Besondere persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse

mühen des historischen Gesetzgebers um eine möglichst weite Fassung der Norm steht (ebenso wie der inzwischen – nominell – allgemeine Konsens darüber, dass es kein Grundsatz des Strafverfahrens ist, den Belangen der Wahrheitserforschung „um jeden Preis“ einen generellen Vorrang einzuräumen194) in merkwürdigem Gegensatz zum heute dominierenden Ansatz, den Kreis zeugnisverweigerungsberechtigter Personen so eng zu fassen wie möglich, um alle irgendwie verfügbaren Möglichkeiten der Sachverhaltserforschung auszuschöpfen.

2. Wortsinn als Auslegungsgrenze Die Grenze der Auslegung (und ihren Ausgangspunkt) stellt allerdings – wenn „Auslegung“ i.S. von „Ausdeutung“ und nicht von „Umdeutung“ zu verstehen sein soll – der Wortlaut der Norm dar195. Das Augenmerk liegt daher zuerst bei der Bedeutung einer Begrifflichkeit nach dem allgemeinen Sprachgebrauch unter Beachtung der Sprachlogik; daneben wird der juristische Sprachgebrauch herangezogen196. Die in Abschnitt E.II.2. beispielhaft herausgegriffenen Personalbindungen: nichteheliche (gleich- oder gemischtgeschlechtliche) Partnerschaften, enge Freundschaftsverhältnisse oder verlöbnisähnliche Vorformen Eingetragener Lebenspartnerschaften müssten auf dieser Grundlage terminologisch in § 52 Abs. 1 StPO zu integrieren (konsequent sogar: schon ungeschriebener Regelungsgegenstand der Norm) sein.

194 BGHSt 14, 358, 365; 38, 214, 220; 38, 372, 374; 44, 243, 249; Jahn JuS 2000, 441, 443; Kröpil JZ 1998, 135, 136; Roxin, 40 Jahre BGH, S. 78. 195 So die ganz überwiegende Ansicht, vgl. nur Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 320 ff., 343; Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 86; Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 47, 62; F. Müller, Juristische Methodik, S. 258; Koch / Rüßmann, Juristische Begründungslehre, S. 182; Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 467 f.; Stern, Staatsrecht Bd. III / 2, S. 1660, 1167 f.; Krey, Studien zum Gesetzesvorbehalt, S. 127 ff., 146 ff.; Meyer-Goßner, Einl Rn. 194, 196; s. auch BVerfGE 75, 329, 341; 85, 69, 73; 87, 209, 224; 87, 363, 392; 92, 1, 12; BVerfG NJW 1995, 2776, 2777; BGHSt 3, 259, 262; 14, 116, 118; 18, 151, 152. Krit. Hanack NStZ 1986, 263 f.; Jakobs, Strafrecht AT, Abschn. 4 Rn. 36 ff.; Stratenwerth, Strafrecht AT I, § 3 Rn. 31 ff. jew. m.w.Nw. 196 s. nur Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 320 ff.; Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 46; Koch / Rüßmann, Juristische Begründungslehre, S. 188 ff.; Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 439; Stern, Staatsrecht Bd. III / 2, S. 1659 f.; BGHSt 14, 116, 118.

IV. Einfachgesetzliche erweiternde Auslegung des § 52 Abs. 1 StPO

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a) Subsumtion nichtinstitutionalisierter Näheverhältnisse unter die in § 52 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 StPO explizit aufgeführten Zeugengruppen aa) Nichtinstitutionalisierte Paarbindungen Für eine Subsumtion unter einzelne legalisierte Personenverhältnisse bieten sich zunächst die Begriffe „Ehegatte“ (§ 52 Abs. 1 Nr. 2), „Lebenspartner“ (§ 52 Abs. 1 Nr. 2a), oder „Verlobte“ (§ 52 Abs. 1 Nr. 1) an. (1) Eine Auslegung der Termini Ehe und Verlöbnis wird mitunter mehr oder weniger ausführlich erörtert in Bezug auf „nichteheliche“ beziehungsweise „eheähnliche Lebensgemeinschaften“ 197, die definiert werden als sexuell exklusive, „auf (lebenslange) Dauer angelegte“, an eine gemeinsame Lebensführung im Rahmen eines gemeinsamen Wohnsitzes gebundene „Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaften“ zweier verschiedengeschlechtlicher Personen198. Nahezu einhellig wird die Möglichkeit einer Einbeziehung im Rahmen einer Auslegung verneint199. Dabei wurde zutreffend herausgearbeitet, dass eine nichteheliche Paarbeziehung einer Ehe begrifflich nicht gleichgesetzt werden kann. Der Ehebegriff ist nicht legaldefiniert; die rechtliche Ausgestaltung der Ehe ergibt sich aus §§ 1310 ff., 1353 ff. BGB und prägt damit sowohl den juristischen Sprachgebrauch wie das alltagssprachlich überkommene Verständnis von der Ehe als grundlegend 197 Vgl. ausführlich Skwirblies, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, S. 67 ff., 75 f., 182; Baier, Strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrechte außerhalb der StPO, S. 167 f.; Bialek, Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen, S. 140; Kramer, Grundbegriffe des Strafverfahrensrechts, Rn. 127; KK-Senge, § 52 Rn. 11; für den – allerdings mit § 52 Abs. 1 StPO nicht deckungsgleichen – Angehörigenbegriff des § 11 Abs. 1 Nr. 1 a) StGB: Konrad, Probleme der eheähnlichen Gemeinschaft im Strafrecht, S. 44 ff., 47. 198 Überwiegend ohne Differenzierung zwischen spezifisch straf-(verfahrens-) rechtlichen Erfordernissen einerseits, denen des Zivil- und Sozialrechts andererseits (kritisch und insoweit zutreffend auch OLG Braunschweig NStZ 1994, 344): s. nur Bialek, Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen, S. 134 ff.; Konrad, Probleme der eheähnlichen Gemeinschaft im Strafrecht, S. 18 ff.; Baier, Strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrechte außerhalb der StPO, S. 167; Strätz FamRZ 1980, 301, 303; vgl. auch Ohlenburger-Bauer, Die eheähnliche Gemeinschaft, S. 1 ff. und LG Hannover NJW-RR 1993, 1103; differenzierter: Skwirblies, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, S. 39 ff., 52. 199 Skwirblies, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, S. 182 (unter Bezugnahme auf eine ausführliche Argumentation zum – allerdings nicht deckungsgleichen – Angehörigenbegriff des § 11 Abs. 1 Nr. 1 StGB); Baier, Strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrechte außerhalb der StPO, S. 168; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1244; Bialek, Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen, S. 140; LR-Dahs, § 52 Rn. 17; KKSenge, § 52 Rn. 11; Meyer-Goßner, § 52 Rn. 5; HK-Lemke, § 52 Rn. 11, 14; Spelthahn, Das Zeugnisverweigerungsrecht von Angehörigen eines Mitbeschuldigten, S. 55; s. auch Strätz, FamRZ 1980, 301, 304; Pelchen, Festschrift für Pfeiffer, S. 294 f.; Meier-Scherling DRiZ 1979, 296, 299; a.A. (modifizierte Auslegung des Verlöbnisbegriffs): Kramer, Grundbegriffe des Strafverfahrensrechts, Rn. 127; s. auch LG München II als Vorinstanz zu BGH NStZ-RR 1996, 10 sowie hierzu Geppert JK 1996, StPO § 252 / 7; missverständlich: KMR-Paulus, § 52 Rn. 9. Vgl. außerdem Kamp, in Rudolphi-Symposium, S. 105 für den Angehörigenbegriff des § 98 Abs. 2 StPO.

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E. Besondere persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse

formalisiertem Verhältnis200. Demgegenüber lässt sich der Begriff „Lebenspartner“ allgemeinsprachlich sowohl als legalisierte wie als informelle Bindung verstehen201. Dem steht allerdings in Bezug auf § 52 StPO die Legaldefinition der Lebenspartnerschaft in § 1 Abs. 1 LPartG entgegen, die ersichtlich gerade auf ein durch behördliche Registrierung legalisiertes Verhältnis abstellt. Mangels hinreichender Verankerung im allgemeinen Sprachgebrauch erübrigt sich für Eingetragene Lebenspartnerschaften die Frage nach einer Veränderung des überlieferten Sprachgebrauchs. Auch hinsichtlich des Verständnisses des Wortes Ehe ist bisher, jedenfalls was die damit verbundene Formalisierung angeht, keine Veränderung im Sprachgebrauch zu konstatieren; im Gegenteil werden formalisierte Ehen (inzwischen auch Eingetragene Lebenspartnerschaften) und nichteheliche Gemeinschaften, wie „eheähnlich“, genauer: wie ähnlich dem Stereotyp einer ehelichen Bindung letztere im Einzelfall auch sein mögen, heute zwar vielfach nicht mehr als ungleichwertige, aber immer noch als unterschiedliche Einrichtungen angesehen202. Gespiegelt wird diese Differenzierung übrigens nicht zuletzt durch die in Abschnitt E.I. dargestellten Untersuchungsansätze und ihre Ergebnisse sowie den „Kampf“ um die Eröffnung eines formalisierten Rechtsinstituts – Ehe203 oder Eingetragene Lebenspartnerschaft – für gleichgeschlechtliche Paarbindungen. Die Argumentation muss daher Geltung beanspruchen sowohl für gemischtgeschlechtliche wie für gleichgeschlechtliche Paarbeziehungen. Trotz der tatsächlichen Überschneidungen zwischen Verlöbnissen und (sonstigen) nichtehelichen Partnerschaften204 ergibt sich zugleich, dass auch eine Subsumtion gänzlich informeller Bindungen unter den Verlöbnisbegriff nicht möglich ist: spezifisch für ein Verlöbnis ist sowohl in (straf-)rechtlicher wie in allgemeinsprachlicher Hinsicht seine explizite Ausrichtung auf eine Eheschließung, die eine nichteheliche Gemeinschaft, wenn sie nicht bereits aufgrund eines wechselseitigen ernsthaften Eheversprechens in ein strafprozessuales Verlöbnis transformiert ist, so 200 s. z. B. Creifelds, Rechtswörterbuch, Stichwort „Ehe“: „rechtlich anerkannte, mit Eheschließungswillen eingegangene, grundsätzlich auf Lebensdauer bestimmte ( . . . ) Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau“; Wahrig, Deutsches Wörterbuch, Stichwort „Ehe“: „durch Sitte oder Gesetz anerkannte Geschlechts- und Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau“. Demgegenüber Creifelds, Rechtswörterbuch, zum Stichwort „eheähnliche Gemeinschaft“: „das auf Dauer abgestellte Zusammenleben zweier Personen verschiedenen Geschlechts ( . . . ) ohne förmliche Eheschließung“. 201 Vgl. Wahrig, Deutsches Wörterbuch, Stichwort „Lebensgemeinschaft“: „eheliche oder eheähnliche Gemeinschaft von Mann und Frau oder zwei gleichgeschlechtlichen Personen“. 202 Vgl. im Einzelnen die entsprechenden Nachweise in Fn. 199. 203 Hervorgehoben werden sollen hier die „Standesamtskampagne“ von 1992 / 1993 mit dem Versuch homosexueller Paare, ein Recht auf Eheschließung einzuklagen (vgl. hierzu nur BVerfG NJW 1993, 3058 f.; LG Gießen NJW 1993, 942; LG Frankfurt NJW 1993, 1998 f.; AG Frankfurt NJW 1993, 940 f. sowie Risse, Der verfassungsrechtliche Schutz der Homosexualität, S. 187 ff.) und die Einrichtung der sog. „Hamburger Ehe“ (vgl. hierzu oben S. 174 Fn. 81). 204 Vgl. insoweit nur Wollweber NStZ 1999, 628, 629 m.w.Nw.

IV. Einfachgesetzliche erweiternde Auslegung des § 52 Abs. 1 StPO

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nicht prägt; eine Änderung insbesondere der alltagssprachlichen Auffassung der Begriffe „Verlöbnis“ beziehungsweise „Verlobte“ lässt sich nicht konstatieren205. Auch hier gilt also, dass überwiegend zwar nicht mehr von Ungleichwertigkeit in der gesellschaftlichen Bewertung auszugehen ist, wohl aber von Unterschiedlichkeit in Bezug auf die Perzeption der – für die strafverfahrensrechtliche Differenzierung wesentlichen – Zweckbestimmung. Die nichteheliche Partnerschaft ohne Eheschließungs- oder „Verpartnerungs“Absicht ist damit sowohl gegenüber dem Verlöbnis als auch der Ehe beziehungsweise der Eingetragenen Lebenspartnerschaft ein begriffliches aliud. (2) Hingegen könnte für eine Einbeziehung verlöbnisähnlicher Vorformen Eingetragener Lebenspartnerschaften im Rahmen einer Auslegung des Verlöbnisbegriffes sprechen, dass Eingetragene Lebenspartnerschaften nach dem Willen des Gesetzgebers zwar der verschiedengeschlechtlichen Ehe nachrangige, dennoch aber legalisierte, rechtlich anerkannte Beziehungsformen darstellen sollen206. Daher liegt es nahe, den Verlöbnisbegriff der §§ 1297 ff. BGB und in Anlehnung hieran den strafrechtlichen Verlöbnisbegriff, die beide auf den Willen zur Eingehung verrechtlichter Bindungen abstellen, auch in Bezug auf gleichgeschlechtliche, auf eine Legalisierung durch Eintragung ausgerichtete Paarbindungen anzuwenden. Ein derartiges Ergebnis überginge aber, dass die Verlöbnisnormen der §§ 1297 ff. BGB zwar das Verlöbnis nicht definieren, sondern voraussetzen, den – sprachlich wie aufgezeigt eher mehrdeutig erscheinenden Begriff – aber ersichtlich durchgängig in Relation zur „Ehe“ setzen. Diese Feststellung muss wiederum vor dem Hintergrund gesehen werden, dass im Lebenspartnerschaftsgesetz gezielt auf die Etablierung eines gleichgeschlechtlichen „Verlöbnisses“ verzichtet wurde, um in der Gesamtrechtsordnung einen Abstand zwischen Ehe und Eingetragener Lebenspartnerschaft bestehen zu lassen207. Diese gesetzgeberische Regelungsabsicht ist im Rahmen der grammatischen Auslegung konkretisierend mitzuberücksichtigen 208. Ein dem Verlöbnis entsprechendes Rechtsverhältnis existiert daher nach dem 205 s. auch Wahrig, Deutsches Wörterbuch, Stichwort „Verlobung“: „gegenseitiges Versprechen künftiger Eheschließung“; Creifelds, Rechtswörterbuch, Stichwort „Verlöbnis“: „Vertrag ( . . . ), durch den sich Mann und Frau versprechen, die Ehe miteinander einzugehen“ sowie „das dadurch begründete Gemeinschaftsverhältnis (Brautstand)“ (zum seit Jahrzehnten i.w. unveränderten spezifisch strafprozessualen Verlöbnisbegriff s. o. A.II.1.a), S. 23 ff.; a.A. allerdings Kramer, Grundbegriffe des Strafverfahrensrechts, Rn. 127). 206 Vgl. BT-Drs. 14 / 3751, S. 1, 33. 207 Vgl. Deutscher Bundestag, Stenographischer Bericht der 115. Sitzung vom 7. 7. 2000, Plenarprotokoll 14 / 115, S. 10965 A (Volker Beck). 208 Vgl. BVerfGE 35, 263, 278 f.; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 321, 344, 318, auf der Basis der von ihm und Koch / Rüßmann, Juristische Begründungslehre, S. 178 so genannten, „Vereinigungstheorie“, die sich nicht mehr nur darauf beschränkt, den objektiven oder subjektiven Gehalt einer Gesetzesformulierung zu bestimmen, sondern beides in die Auslegung einbezogen sehen will. In diesem Sinne ebenfalls Koch / Rüßmann, a. a. O., S. 194 ff.; Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 436; Krey, Studien zum Gesetzesvorbehalt, S. 187, 179 f.

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E. Besondere persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse

Lebenspartnerschaftsgesetz gerade nicht; gleichzeitig ist keine gegenteilige alltagssprachliche Praxis festzustellen. Verlöbnisähnliche Vorformen Eingetragener Lebenspartnerschaften können daher im Wege einer einfachgesetzlichen Auslegung nicht in den Begriff des – auch in seiner strafrechtlichen Definition auf die (heterosexuelle) Ehe bezogenen – Verlöbnisses integriert werden. bb) Enge Freundschaften Für freundschaftliche Verhältnisse wird bisher die Möglichkeit einer Integration durch Auslegung nicht ernsthaft diskutiert209. Ersichtlich wird weder der Wortsinn der Begriffe „Ehegatte“, „Lebenspartner“ oder „Verlobte“ noch der der sonstigen in § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO aufgezählten verwandtschaftlichen oder schwägerschaftlichen Verhältnisse – die zudem durchgängig an familienrechtliche Regelungen (§§ 1589, 1590 BGB) anknüpfen – mit „bloßen“ Freundschaften in Verbindung gebracht. Auch wo Freundeskreise im Einzelfall als „Wahl-Familie“ angesehen werden, wird allein aufgrund dieser (differenzierteren) Formulierung der Unterschied zu legalisierten Bindungen jeweils hervorgehoben.

b) Subsumtion unter einen in § 52 Abs. 1 StPO enthaltenen ungeschriebenen Oberbegriff des „besonderen persönlichen Nähe- oder Vertrauensverhältnisses“ Die teleologische Auseinandersetzung mit § 52 Abs. 1 StPO hat ergeben, dass ein mit dieser Vorschrift verfolgter Grundgedanke der Schutz besonderer persönlicher Nähe- und Vertrauensverhältnisse ist210. Daher bietet sich eine Auslegung unter Rückgriff auf eine Subsumtion unter den Begriff eines solchen „besonderen persönlichen Nähe- oder Vertrauensverhältnisses“ als der Norm zu Grunde liegende übergeordnete Kategorie an. Ein derartiger Begriff ist allerdings in § 52 StPO nicht explizit enthalten, er ließe sich allenfalls aus dem Normtext in seiner Gesamtheit ableiten. Die Wortlautgrenze ist erreicht, wenn Auslegung nicht mehr zur Verdeutlichung unklarer Begriffe beiträgt, sondern zur Ableitung eines unschärferen Begriffes aus einem ursprünglich konturenscharfen211. Wird die klare Gesetzesformulierung ignoriert und vorrangig abgestellt auf einen ungeschriebenen Ober209 BVerfG NStZ 1999, 255 und hieran anschließend Meyer-Goßner, § 52 Rn. 5 meinen, trotz der Formulierung „enge freundschaftliche Beziehung“, ersichtlich eine Liebesbeziehung, da explizit darauf hingewiesen wird, dass sie aufgrund ihres Bestehens „außerhalb einer . . . Ehe“ Art. 6 GG zuwiderlaufe und nicht schutzwürdig sei. 210 s. oben in Abschnitt D.II.1.b), c) und E.II.1. 211 Vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 313: Auslegung als „,Auseinanderlegung‘ ( . . . ) des in dem Text beschlossenen, aber noch gleichsam verhüllten Sinnes. Durch die Auslegung wird dieser Sinn ( . . . ) mit anderen Worten deutlicher und genauer ausgesagt und mitteilbar gemacht. Dabei ist ( . . . ) kennzeichnend, dass der Ausleger nur den Text selbst zum Sprechen bringen will, ohne etwas hinzuzufügen oder wegzulassen.“

IV. Einfachgesetzliche erweiternde Auslegung des § 52 Abs. 1 StPO

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begriff des „besonderen persönlichen Nähe- oder Vertrauensverhältnisses“, ist Grundlage der Auslegung nicht mehr der Normtext als „Träger“212 der in ihm niedergelegten Idee, sondern bereits die in den Träger hineingelesene Idee. Spezifikum des § 52 Abs. 1 StPO ist zudem gerade die enumerative Aufzählung privilegierter Personenverhältnisse. Eine derartige enumerative Aufzählung begrenzt den Spielraum der Auslegbarkeit einer Norm: sie lässt eine gezielte gesetzgeberische Beschränkung auf die benannten Einzelfälle erkennen213, die regelmäßig einen Umkehrschluss im Sinne einer Ausschließung des Nicht-Genannten statt einer Einbeziehung zusätzlicher Varianten nahe legt. Daher ist jedenfalls de lege lata die begrenzende Funktion der enumerativen Aufzählung zu berücksichtigen, die es nicht erlaubt, einen bisher gesetzgeberisch nicht explizit benutzten und selbst wiederum auslegungsbedürftigen Oberbegriff, der ausschließlich teleologisch abzuleiten war und noch nicht einmal „andeutungsweise im Gesetzestext seinen Niederschlag gefunden“ hat214, einer erweiternden Auslegung zu Grunde zu legen. Für ein solches (negatives) Auslegungsergebnis spricht schließlich auch ein (systematisch geprägter) Vergleich mit dem Gesetzestext der §§ 114 b Abs. 1, 2 und 163 c Abs. 2 StPO sowie § 35 Abs. 1 StGB: diese Normen berücksichtigen im Gegensatz zum engeren Wortlaut des § 52 Abs. 1 StPO ausdrücklich informelle, nichtinstitutionalisierte Näheverhältnisse. Die §§ 114 b, 163 c Abs. 2 StPO erwähnen „Angehörige“215 und die „Person des Vertrauens“216. § 35 Abs. 1 StGB bezieht demgegenüber neben den Angehörigen i.S. des § 11 Abs. 1 Nr. 1 StGB die „nahestehende Person“ ein. Die Schutzrichtung des gegenüber § 52 StPO deutlich jüngeren § 35 StGB217 ist tendenziell vergleichbar mit der des § 52 StPO, weil sie – aus Beschuldigtensicht – Rücksicht nimmt auf die Unzumutbarkeit normgemä212 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 313; Stern, Staatsrecht Bd. III / 2, S. 1668. 213 Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 102; s. auch LR-Dahs, § 52 Rn. 17; BVerfGE 33, 367, 374; 38, 312, 319. 214 Vgl. BVerfGE 86, 59, 64; andeutungsweise schon BVerfGE 80, 48, 51 f.; s. auch BVerfGE 35, 263, 278 f.; 48, 246, 255 f. 215 Die nicht auf die in § 11 Abs. 1 Nr. 1 StGB oder § 52 Abs. 1 StPO aufgezählten Personengruppen beschränkt sind, vgl. nur LR-Hilger, § 114 b Rn. 10; Meyer-Goßner, § 114 b Rn. 4. 216 §§ 114 b, 163 c Abs. 2 StPO setzen Art. 104 Abs. 4 GG um und wollen verhindern, dass verhaftete oder festgehaltene Personen ohne Kenntnis Dritter aus der Öffentlichkeit verschwinden, während weitere Interessen, die eine exakte Vorausbestimmung und Eingrenzung des Personenkreises erfordern, grundsätzlich keinen Vorrang besitzen; der Normhintergrund dieser Vorschriften ist mit der von § 52 verfolgten Privilegierung nur begrenzt vergleichbar. Vgl. LR-Hilger, § 114 b Rn. 1, 11; Meyer-Goßner, § 114 b Rn. 1, 4, 8, § 163 c Rn. 13; KKWache, § 163 b Rn. 14, 16; KK-Boujong, § 114 b Rn. 1, 8, 9, 4, nennt als Ausnahme offensichtlichen Missbrauch, wenn z. B. ein Tatbeteiligter gewarnt werden soll. 217 Eingeführt durch das 2. StrRG vom 1. 5. 1969, in Kraft seit 1. 1. 1975 i.d.F. der Bekanntmachung vom 2. 1. 1975 (BGBl. I, S. 1 ff.); das Notstandsprivileg für nicht-angehörige „nahestehende Personen“ wurde hier erstmals geregelt.

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E. Besondere persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse

ßen Verhaltens zum Nachteil bestimmter „Sympathiepersonen“218. Insoweit ist ein Gleichklang mit § 52 StPO, der die Unzumutbarkeit einer einen Angehörigen belastenden Aussage berücksichtigt219, nicht zu übersehen. Unabhängig von Unterschieden in der Zielrichtung verdeutlicht die Existenz dieser Vorschriften, die gegenüber der Formulierung des – bei ihrer Einführung schon bestehenden – § 52 StPO ausdrücklich spezifische Regelungen in Bezug auf nicht durch ein formalisiertes Angehörigkeitsverhältnis mit einem Beschuldigten verbundene und ihm dennoch nahe stehende Personen enthalten, die gesetzestechnische Differenzierung zwischen legalisierten und nichtlegalisierten Vertrauens- und Nähebeziehungen.

3. Fazit Eine Einbeziehung nicht legalisierter besonderer persönlicher Nähe- und Vertrauensverhältnisse, namentlich also enger Freundschaften, nichtehelicher Lebensgemeinschaften oder verlöbnisähnlicher Vorformen Eingetragener Lebenspartnerschaften in das bestehende Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen scheitert an der grammatischen Auslegung des § 52 Abs. 1 StPO. Ausnahmsweise kann aber, trotzdem eine einfachgesetzliche Auslegung scheitert, die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung bestehen. Ob ein solcher Fall hier aufgrund der weit reichenden Übereinstimmungen zwischen legalisierten und informellen Näheverhältnissen gegeben ist, wird im folgenden Abschnitt zu erörtern sein.

V. Grundrechtskonforme Auslegung des § 52 StPO – Ableitung von Zeugnisverweigerungsrechten „im Lichte der Verfassung“ Einfachgesetzliche Rechtsnormen, die in Widerspruch stehen zu verfassungsrechtlichen Vorgaben sind verfassungswidrig und daher vom Bundesverfassungsgericht für ungültig oder unvereinbar mit dem Grundgesetz zu erklären, wenn der Gesetzgeber nicht aus eigener Initiative abhilft. Auch das Bundesverfassungsgericht muss allerdings soweit möglich den (originären) Kompetenzbereich der Legislative berücksichtigen220. Als „normerhaltendes minus“ gegenüber der Nichtigerklärung besitzt daher die grundsätzliche Aufrechterhaltung der – nach gängi218 So die herrschende, aber nicht unbestrittene Meinung; vgl. hier nur (jew. m.w.Nw.) LKHirsch, Vor § 32 StGB Rn. 195 und § 35 StGB Rn. 3, 30; Schönke / Schröder-Lenckner, Vorbem. §§ 32 ff. StGB Rn. 110, 111 (krit.); Tröndle / Fischer, § 35 StGB Rn. 8. 219 s. oben Abschnitt D.II.1.a). 220 Vgl. nur F. Müller, Juristische Methodik, S. 87; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 79 ff., 83; Stein / Frank, Staatsrecht, S. 147 / 148; Koch / Rüßmann, Juristische Begründungslehre, S. 263, 267; BVerfGE 63, 131, 141; 86, 71, 77; 90, 263, 275.

V. Grundrechtskonforme Auslegung des § 52 StPO

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ger Auslegung: verfassungswidrigen – Regelung im Wege der verfassungskonformen Auslegung Vorrang221. Die Verfassungsnormen werden dabei Sachnormen zur Inhaltsbestimmung des einfachen Gesetzes222. Dieser Lösungsweg setzt voraus, dass eine Regelung neben einer für verfassungswidrig erkannten und erklärten Auslegungsvariante eine Interpretation zulässt, nach der die Norm verfassungsgemäß wäre und die ihre Aufrechterhaltung in der veränderten Lesart erlaubt. Der so ermittelte Norminhalt ist jedem anderen, nach dem die Bestimmung verfassungswidrig wäre, vorzuziehen. Auch die verfassungskonforme Auslegung muss aber Auslegung bleiben; sie darf nicht über den Wortsinn hinausgehen und den Zweck des Gesetzes unbeachtet lassen, das gesetzgeberische Ziel darf nicht in einem wesentlichen Punkt verfehlt werden223. Angesichts der Ähnlichkeit durch die Begrenzung des Zeugniszwangs privilegierter legalisierter mit nichtlegalisierten Lebensformen ist eine verfassungskonforme Auslegung des § 52 StPO in Erwägung zu ziehen. Daher ist zunächst die Verfassungsmäßigkeit der Norm vor dem Hintergrund der Nicht-Integration enger, informeller zwischenmenschlicher Bindungen zu hinterfragen. Hierbei soll an dem oben224 etablierten Muster der Ausrichtung an verschiedenen typisierten Formen von Nähebeziehungen festgehalten werden.

1. Informelle Paarbindungen als Prototypen „besonderer persönlicher Nähe- oder Vertrauensverhältnisse“ Durch die Statuierung und Aufrechterhaltung eines Zeugniszwangs auch hinsichtlich privater Kommunikationsvorgänge und der Geschehnisse, die aufgrund des gemeinsamen Lebens in einer Paarbeziehung beiden Partnern voneinander und der einen Person über die andere bekannt sind, wird in das Näheverhältnis innerhalb einer derartigen Bindung und in die dieser zu Grunde liegende vertrauliche Kommunikation eingegriffen. Die Vereinbarkeit des § 52 StPO mit dem Grundgesetz ist daran zu messen, ob und inwieweit dem verfassungsrechtliche Verbürgungen entgegenstehen.

221 BVerfGE 2, 266, 282; 48, 40, 45 f.; 64, 229, 241 f.; 88, 145, 166 f.; 90, 263, 274 f.; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 339; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 79 ff. 222 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 80; BVerfGE 70, 35, 63 (abweich. Mein. Steinberger); 51, 304, 323; s. auch F. Müller, Juristische Methodik, S. 86 / 87. 223 BVerfGE 2, 266, 282; 8, 28, 34; 8, 38, 41; 9, 194, 200; 18, 97, 111; 35, 263, 280; 54, 277, 299; 70, 35, 63 (abweich. Mein. Steinberger); 90, 263, 275; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 339 ff.; F. Müller, Juristische Methodik, S. 87 / 88; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 80; Stein / Frank, Staatsrecht, S. 148; Koch / Rüßmann, Juristische Begründungslehre, S. 267 ff. 224 Im vorhergehenden Abschnitt E.II.2.

14 Jansen

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E. Besondere persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse

a) Verfassungsrechtliche Vorgaben Zu überlegen ist, welche Grundrechte die besonderen sozialen Näheverhältnisse und die mit ihnen verbundene vertrauliche Kommunikation vor staatlicher Ausforschung schützen und ob das einfache Recht, also § 52 StPO, angesichts dieser Schutzfunktion Geltung beanspruchen kann.

aa) Betroffenheit spezieller kommunikativer Freiheitsrechte Eine kurze Auseinandersetzung mit den Freiheitsrechten verdeutlicht schnell, dass die Normbereiche der speziellen, die zwischenmenschliche Kommunikation in Bezug nehmenden Grundrechte nicht betroffen sind. Art. 10 Abs. 1 GG als klassisches, die vertrauliche Kommunikation und die Privatsphäre schützendes Grundrecht kommt als Anknüpfungsnorm ersichtlich nicht in Betracht. Sein Schutzbereich sichert nicht die Kommunikation an sich oder bestimmte Gesprächsinhalte, sondern bezieht sich nur auf die räumlich erweiterten, also briefliche, postalische und Tele-Kommunikationsvorgänge225; diese thematisiert § 52 StPO nicht. Das zentrale, die unmittelbare wie die aufgrund räumlicher Entfernung mittelbare Kommunikation sichernde, Grundrecht des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG schützt die Informations-Freiheit, sich („kommunikativ“) aus allgemein zugänglichen Quellen unterrichten sowie sich eine Meinung bilden und diese äußern oder für sich behalten zu können226. Zeugnisverweigerungsrechte beziehen sich aber auf (etwa aus den Medien) allgemein zugängliche Informationen gerade nicht und Meinungen (zu verstehen als rational-wertende Denkvorgänge, insbesondere also Werturteile, Überzeugungen, Kritiken) stellen keinen geeigneten Gegenstand von Zeugenbefragungen dar, in denen Aussagepersonen nur ihre Wahrnehmungen wiedergeben sollen227.

225 Vgl. nur BVerfGE 67, 157, 171 f.; v. Mangoldt-Gusy, Art. 10 Rn. 14 ff., 19, 24; Jarass / Pieroth, Art. 10 Rn. 1, 3 ff.; Schmidt-Bleibtreu / Klein, Art. 10 Rn. 1, 3 ff. 226 s. BVerfGE 33, 1, 14 f.; 57, 295, 319 f.; 61, 1, 8 f.; 85, 1, 14 ff.; 85, 23, 30 ff.; 90, 241, 247 (Meinungsfreiheit); BVerfGE 27, 71, 81 ff.; 27, 104, 108 ff.; 33, 52, 65; 90, 27, 31 f. (Informationsfreiheit); Jarass / Pieroth, Art. 5 Rn. 2 ff., 15 ff.; v. Mangoldt-Starck, Art. 5 Rn. 23, 32, 42 ff.; Schmidt-Bleibtreu / Klein, Art. 5 Rn. 3, 3a, 6; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 391, 393. 227 Vgl. nur LR-Dahs, Vor § 48 Rn. 2; KK-Pfeiffer, Einleitung Rn. 95; KK-Senge, Vor § 48 Rn. 1; Meyer-Goßner, Vor § 48 Rn. 2, 3; Pfeiffer, StPO, Vor §§ 48 – 71 Rn. 1; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 26 Rn. 1; Alsberg / Nüse / Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozeß, S. 190, 195; s. aber Weigend, Gutachten für den 62. DJT, S. C 18.

V. Grundrechtskonforme Auslegung des § 52 StPO

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bb) Art. 2 Abs. 1 i.V. mit Art. 1 Abs. 1 GG als Basis berechtigter Aussageverweigerung (1) Schutz der Privat- und Intimsphäre – Begrenzung des Zeugniszwangs „unmittelbar“ aus der Verfassung Als weithin anerkannt kann die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts angesehen werden, nach der „im Einzelfall ausnahmsweise und unter ganz besonders strengen Voraussetzungen eine Begrenzung des Zeugniszwangs unmittelbar aus der Verfassung folgt“228, wenn der grundrechtlich geschützte Bereich privater Lebensgestaltung, insbesondere die Privatsphäre, einer von der Aussage betroffenen Person durch eine Zeugenaussage beeinträchtigt würde229. Obwohl diese Möglichkeit der Begrenzung des Zeugniszwangs vom Bundesverfassungsgericht bisher explizit nur in Bezug auf Zeugnisverweigerungsrechte aus § 53 StPO thematisiert wurde230, ist auf der Basis dieser Rechtsprechung davon auszugehen, dass je nach den Umständen des Einzelfalls auch ein Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen für besonders wichtige private Bezugspersonen zu gewähren ist231. Zwar steht ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht durch Aufrechterhaltung eines Zeugniszwangs232 hier einer verstärkten Grundrechtsschranke Zur systematischen Herleitung vgl. Geppert Jura 1991, 132, 136. Ein solcher originär grundrechtskonkretisierender Ansatz stellt im dogmatischen Konzept der Methoden zur Auslegung und Fortbildung des einfachen Rechts einen Fremdkörper dar; aufgrund einer inhaltlichen Nähe zur verfassungskonformen Auslegung soll dennoch vorgreifend hierauf eingegangen werden. 229 Vgl. (sämtlich für Zeugnisverweigerungsrechte aus beruflichen Gründen) BVerfGE 33, 367, 374 f., 377 ff.; 38, 312, 325; BVerfG NJW 1996, 1587; BVerfG NStZ 1988, 418; hieran anschließend LG Freiburg NJW 1997, 813 f. Dieser Rspr. folgend: LR-Dahs, Vor § 48 Rn. 9 und § 53 Rn. 3; KK-Senge, § 53 Rn. 2; Meyer-Goßner, Vor § 48 Rn. 9 und § 53 Rn. 2; SKRogall, Vor § 48 Rn. 137, 152 ff., 154; KMR-Paulus, Vorb. § 48 Rn. 80; Jarass / Pieroth, Art. 2 Rn. 49; Böttcher, Festschrift für Kleinknecht, S. 36; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1249; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 26 Rn. 23; krit. Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 107 ff.; Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 27 ff.; Baier, Strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrechte außerhalb der StPO, S. 202 ff., 213; Geppert Jura 1991, 132, 135 / 136. Zu sonstigen unmittelbar aus der Verfassung abgeleiteten Beweis- und Beweisverwertungsverboten s. BVerfGE 38, 103, 105; 44, 353, 372 ff.; 80, 367, 373 ff. 230 Undeutlich hinsichtlich des verfassungsrechtlichen Ausgangspunkts allerdings BVerfG NStZ 1999, 255. 231 So auch SK-Rogall, Vor § 48 Rn. 153; implizit ebenfalls Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1249; Böttcher, Festschrift für Kleinknecht, S. 36. 232 Der überkommene Lösungsansatz, der davon ausgeht, dass für den Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit und das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 – u.U. i.V.m. Art. 1 Abs. 1 – GG) durch Bejahung einer allgemeinen Aussagepflicht eine hinreichende Legitimation aufgrund der „allgemeinen Gesetze“ besteht, steht auf schwankendem Boden: es ist zweifelhaft, worin – angesichts der Tatsache, dass etwa die §§ 48, 51 ff., 70 StPO eine Zeugnispflicht zwar voraussetzen (vgl. LR-Dahs, Vor § 48 Rn. 6; KK-Senge, Vor § 48 228

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gegenüber. Das Bundesverfassungsgericht hat allerdings aufgrund kommunikativen Sozialbezugs den unantastbaren Bereich der Intimsphäre233 nicht für tangiert gehalten, und daher die Messlatte für einen Rückzug auf ein solches „Zeugnisverweigerungsrecht“ nicht zuletzt für die Fälle, in denen aufgrund des Gewichts des Tatvorwurfs oder eines zu erwartenden einschneidenden Strafausspruchs der Grad der Unzumutbarkeit der Belastung einer nahe stehenden Person besonders intensiv ist, sehr hoch gehängt: Die unmittelbar verfassungsrechtliche Begrenzung der Zeugnispflicht setzt nicht nur eine fallorientierte Abwägung unter Berücksichtigung der Schwere der verfolgten Straftat, der Höhe der Straferwartung234, der Existenz und Ausschöpfung weiterer Ermittlungs- und Sachaufklärungsmöglichkeiten voraus, sondern auch den Nachweis, dass der Zwang zu Äußerungen zum jeweiligen Beweisthema einen konkreten Eingriff in den Bereich privater Lebensgestaltung und in ein elementares Vertrauensverhältnis darstellen würde. Danach ist diese Begrenzung des Zeugniszwanges durch Einräumung eines unmittelbar verfassungsrechtlichen Aussageverweigerungsrechts nicht abwägungsfest und kann immer nur für den Einzelfall gelten235. Gesucht ist aber eine abstrakt generalisierende Regelung für alle informellen Paarbindungen, ohne dass im Einzelfall jeweils das tatsächliche Bestehen eines persönlichen Vertrauens- oder Näheverhältnisses von besonderer sozialer Bedeutung sowie die Intensität eines möglichen Eingriffs hierein nachgewiesen und gegen Strafverfolgungsbelange abgewogen werden müsste. Das Entstehen und der Fortbestand wichtiger Nähe- und Vertrauensverhältnisse ist nicht dadurch abzusichern, dass ein einzelfallabhängiges Aussageverweigerungsrecht gewährt werden kann. Eine solche – bloß potenzielle – Begrenzung der Aussagepflicht erlaubt keine vorausschauende Beurteilung, ob das konkrete zwischenmenschliche Verhältnis letztlich tatsächlich durch eine Zeugenbefreiung geschützt wird oder ob der jeweilige Grundrechtseingriff aufgrund einer Durchsetzung des Aussagezwanges als Rn. 2; Meyer-Goßner, Vor § 48 Rn. 5; Pfeiffer, StPO, Vor §§ 48 – 71 Rn. 1), sie aber für die gerichtliche Aussage in der StPO nicht explizit statuiert wird (anders § 161 a Abs. 1 StPO für die staatsanwaltschaftliche Vernehmung) – eine hinreichend bestimmte Ermächtigungsgrundlage (s. nur Jarass / Pieroth, Art. 2 Rn. 20, 43; v. Münch-Kunig, Art. 2 Rn. 23, 42) zu sehen ist; vgl. insoweit Weigend, Gutachten für den 62. DJT, S. C 18 / 19. Dieses Problem soll hier allerdings nicht weiter vertieft werden. 233 Vgl. BVerfGE 6, 32, 41; 27, 1, 6; 27, 344, 350 f.; 32, 373, 378 f.; 34, 238, 245 f.; 35, 35, 39; 38, 312, 320; 80, 367, 373 ff.; s. aber krit. zur sog. „Sphärentheorie“ v. Münch-Kunig, Art. 2 Rn. 41; Risse, Der verfassungsrechtliche Schutz der Homosexualität, S. 64 ff. 234 Krit. zum mit der Gewährung relativer Zeugenbefreiungen einhergehenden Ansatz verstärkter Beschneidung von Verfahrensrechten angesichts schwerer Tatvorwürfe Welp, Festschrift für Bemmann, S. 641; s. auch Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 91 f. 235 Vgl. den Vorschlag zur Schaffung eines den unantastbaren Kernbereich berücksichtigenden generalisierenden – unbeschränkten – Zeugnisverweigerungsrechts in Arbeitskreis AE-Zeugnisverweigerungsrechte, S. 8 (§ 55 Abs. 1 Nr. 3 AE-ZVR). Zur Begrenztheit der Möglichkeiten, auf der Basis der vom Bundesverfassungsgericht in den soeben in Fn. 233 benannten Entscheidungen aufgestellten Grundsätze eine operable positivrechtliche Vorschrift zu konstruieren vgl. Weigend, Gutachten für den 62. DJT, S. C 25.

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hinreichend intensiv beurteilt werden wird, um Strafverfolgungsziele demgegenüber im Einzelfall zurücktreten zu lassen. Vor diesem Hintergrund ist es der oder dem Einzelnen nicht möglich, sich darauf zu verlassen, dass eine Verbindung letztlich nicht durch den Zwang zur Aussageerstattung ge- oder zerstört wird, was ein wesentliches Hindernis für den Aufbau und die Stabilisierung intensiver Nähe- und Vertrauensbeziehungen und für den unbefangenen Umgang innerhalb enger Bindungen darstellt236. Um ein solches von Fall zu Fall zu gewährendes oder zu versagendes Zeugenprivileg kann es daher angesichts der hier gewählten Themenstellung nicht gehen; insoweit erübrigen sich weitere Ausführungen237. (2) Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und private Lebensgestaltung Ob sich unabhängig von der soeben geschilderten einzelfallabhängigen Zeugenbefreiung unmittelbar aus der Verfassung eine generelle Befreiung informeller Paarbeziehungen vom allgemeinen Zeugniszwang im Wege der verfassungskonformen Auslegung des § 52 StPO unter Berücksichtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V. mit Art. 1 Abs. 1 GG ableiten lässt, kann umfassender und genauer unter Berücksichtigung des Art. 3 GG erörtert werden. cc) Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes, Art. 3 Abs. 1 GG Die Notwendigkeit einer Einbeziehung informeller Partnerschaften oder nichtehelicher Lebensgemeinschaften in das Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen über Art. 3 GG wird in der Literatur teilweise bejaht238. Inwieweit dieser Ansicht beizupflichten ist und ob sich hieraus eine die verfassungskonforme Auslegung nahe legende Verfassungswidrigkeit der Norm ergibt, soll daher Gegenstand der folgenden Überlegungen sein. Die speziellen Gleichheitsrechte des Art. 3 Abs. 2, 3 GG sind für informelle gemischtgeschlechtliche Paarbeziehungen ersichtlich nicht einschlägig. In Bezug auf gleichgeschlechtliche Partnerschaften wird vereinzelt eine Anwendbarkeit des s. auch Jung MSchrKrim 1974, 258, 264. Nicht zuletzt daher ist auch eine Auseinandersetzung mit dem vom BVerfG gewählten methodischen Ansatz (s. oben Fn. 228 und 229) erlässlich. Zur Kritik hieran vgl. Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 107 / 108; Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 27; Baier, Strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrechte außerhalb der StPO, S. 202 ff., 213; Geppert Jura 1991, 132, 135 / 136. 238 Bialek, Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen, S. 137 ff. (ablehnend allerdings für gleichgeschlechtliche Partnerschaften, s. ebd. S. 161); Pauly NJW 1997, 1955, 1957; s. auch Strätz FamRZ 1980, 301, 308. Für gleichgeschlechtliche Partnerschaften: Zuck NJW 1995, 175, 176; M. Bruns ZRP 1996, 6, 9 / 10; s. auch das vage, tendenziell aber zustimmende obiter dictum des BVerfG: NJW 1993, 3058 / 3059. 236 237

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Art. 3 Abs. 3 GG (Merkmal „Geschlecht“) erwogen, dies vermag allerdings nicht zu überzeugen; insoweit ist auf die ausführlicheren Darlegungen unten239 zu verweisen. Nach den Maßstäben des Art. 3 Abs. 1 GG ist eine Norm dann verfassungswidrig, wenn „wesentlich“ vergleichbare Sachverhalte ungerechtfertigt unterschiedlich geregelt und vergleichbare, abgrenzbare Personenkreise auf ihrer Basis divergierend behandelt werden240. (1) Vergleichbare Personenkreise und Differenzierungskriterium Eine sachgerechte Auseinandersetzung mit Art. 3 Abs. 1 GG ist nur möglich, wenn klar herausgestellt werden kann, welche Vergleichsgruppen sich gegenüberstehen, da dies wegweisend für alle Anschlussüberlegungen ist. Als durch Ausschluss von § 52 Abs. 1 StPO nicht privilegierte und damit gegenüber durch eine Zeugnisbefreiung privilegierten Personen ungleich behandelte Gruppe hat sich der Kreis der mit Beschuldigten informell im Rahmen „besonderer persönlicher Näheund Vertrauensverhältnisse“ in Paarbeziehungen verbundenen Zeugen herauskristallisiert. Welcher in § 52 StPO benannten Zeugengruppe dieser Personenkreis in tatsächlicher und normativer Hinsicht am nächsten steht, ist anhand einer kurzen Gegenüberstellung mit den dort aufgeführten paarorientierten Näheverhältnissen, also dem Verlöbnis, der Ehe, der Eingetragenen Lebenspartnerschaft, zu thematisieren. So wird sich letztlich die am ehesten vergleichbare Personengruppe ermitteln lassen und kann zum Gegenstand weiterer Überlegungen werden. Zwischen informellen und formellen, das heißt legalisierten oder auf Legalisierung ausgerichteten, Bindungsformen bestehen in Hinblick auf die typischen „Interna“ einer Paarbindung keine relevanten tatsächlichen Unterschiede. Gerade was die Ausgestaltung und Existenz von Nähe- und Vertrauensverhältnissen, emotionale Verbindlichkeit, die Unzumutbarkeit den Beziehungspartner belastender erzwungener Aussagen im Strafverfahren und das Risiko der Beeinträchtigung oder sogar Zerstörung des engen Verhältnisses durch Zwang zur Zeugenaussage und Aufdeckung vertraulicher Kenntnisse angeht, ist eine abstrakte Differenzierung zwischen den Gruppen nahezu ausgeschlossen. Auch hinsichtlich des für § 52 Abs. 1 StPO herausgearbeiteten Normkonzepts sind alle Bindungsarten – in typisierter Form – vergleichbar. Dies alles wurde oben schon herausgearbeitet241. Abschnitt E.V.3.a) aa), S. 225. Vgl. hier nur BVerfGE 55, 72, 88; 60, 329, 346; 82, 126, 146; 88, 87, 96 f.; BK-Rüfner, Art. 3 Abs. 1 Rn. 5 ff.; Jarass / Pieroth, Art. 3 Rn. 4 ff.; Schmidt-Bleibtreu / Klein, Art. 3 Rn. 13 ff., 16a; v. Münch-Gubelt, Art. 3 Rn. 10 ff.; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 432, 438 ff.; s. auch AK-GG-Stein, Art. 3 Abs. 1 Rn. 21 ff.; v. Mangoldt-Starck, Art. 3 Rn. 10 ff. 241 s. zum ganzen Abschnitt E.I. und E.II. 239 240

V. Grundrechtskonforme Auslegung des § 52 StPO

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Konstatieren lassen sich Unterschiede zwischen Ehen beziehungsweise Eingetragenen Lebenspartnerschaften einerseits und informellen Paarbindungen andererseits hinsichtlich der erleichterten Nachweisbarkeit des Bestehens der formalisierten Bindung und der exakten abstrakten wie praktischen Abgrenzbarkeit des privilegierten Kreises sowie dem Fortbestand durch die Bindung begründeter schwägerschaftlicher Verhältnisse über ein Ende der Partnerschaft hinaus. Die faktische Verbindlichkeit der legalisierten Bindungen ist erhöht sowohl in Bezug auf die in Zusammenhang mit der Auflösung der (legalisierten) Bindung zu nehmenden Hürden eines Trennungsverfahrens als auch was nicht nur partnerschaftliche 242, sondern (grundsätzlich gewährleistete) nachpartnerschaftliche Unterstützungs- und Unterhaltspflichten angeht. Zudem kann die Ehe (nicht aber die Eingetragene Lebenspartnerschaft) sich auf den Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG berufen. Ein vor allem normativ wesentlicher Unterschied zwischen (strafprozessualem) Verlöbnis und informeller Paarbeziehung ist darin zu sehen, dass einer von einer Heiratsabsicht getragenen Bindung neben einer (noch) bestehenden Ehe unter Berufung auf den Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG aufgrund der Annahme von Sittenwidrigkeit der (privilegierend wirkende) Verlöbnischarakter abgesprochen wird243, während das (faktische) Nähe- und Vertrauensverhältnis dadurch nicht entfällt und dem Vertrauensverhältnis allein auch keine ehestörende Wirkung zugesprochen werden kann, wie sich aus der selbstverständlichen Existenz enger freundschaftlicher Verhältnisse neben einer Ehe ergibt. Ansonsten kann für das Verlöbnis allenfalls in Bezug auf den Punkt der abstrakten Abgrenzbarkeit von einer spürbaren Differenz gegenüber völlig informellen Bindungen gesprochen werden, wobei zu berücksichtigen ist, dass die vermeintlich gut zur Abgrenzung geeignete Begriffsbestimmung auch nur das Ergebnis langjähriger definitorischer Bemühungen und einer inzwischen im Wesentlichen gefestigten Rechtsprechung ist. Danach ergibt sich, dass die Unterschiede zwischen Ehe und Eingetragener Lebenspartnerschaft gegenüber Verlöbnis und informellen Lebensformen jedenfalls deutlicher sind als die zwischen Verlöbnissen und informellen, nicht unmittelbar auf eine Legalisierung ausgerichteten Lebensformen. Als Vergleichgsgruppe soll daher den informellen, auf besonderer Nähe und Vertrauen beruhenden Paarbindungen das Verlöbnis (§ 52 Abs. 1 Nr. 1 StPO) gegenübergestellt werden. Strafprozessuale Verlöbnisse und informelle Nähe- und Vertrauensverhältnisse unterscheiden sich aufgrund des Grades ihrer Legalisierung (beziehungsweise bei wertungsfreier Betrachtung: allenfalls ihrer Quasi-Legalisierung) voneinander. 242 Die inzwischen auch je nach Ausgestaltung der nichtehelichen Bindung abverlangt werden, vgl. §§ 193 Abs. 2, 194 SGB III; BVerfGE 87, 234, 264 / 265. 243 Vgl. zu den Voraussetzungen i.E. nochmals Abschn. A.II.1.a), S. 23 ff., 24. Der (allerdings überwiegend belastenden) Berücksichtigung des Zusammenlebens in eheähnlicher Gemeinschaft im Sozial- und Zivilrecht muss hingegen nach geltender Rechtsprechung eine gleichzeitig bestehende Ehe nicht entgegenstehen: vgl. VGH Mannheim NJW 1996, 2178; BGHZ 112, 259, 262. s. aber die Forderung von BVerfGE 87, 234, 264 nach Exklusivität der Bindung und die krit. Anm. von Ruland NJW 1993, 2855.

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Als Differenzierungskriterium lässt sich daher die Legalisierung einer Bindung (oder jedenfalls die explizite Ausrichtung auf eine Legalisierung) gegenüber der Nichtlegalisierung ermitteln. (2) Ungleichbehandlung als Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes Eine den allgemeinen Gleichheitssatz betreffende Ungleichbehandlung ist in der Aufrechterhaltung der Zeugnispflicht für informelle Paarbindungen gegenüber der Einräumung eines Zeugnisverweigerungsrechts für die in § 52 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 StPO aufgeführten legalisierten Paarbindungen zu sehen. Inwieweit sich hieraus eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes ergibt, hängt von der Existenz einer im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG ausreichenden Rechtfertigung für die unterschiedliche gesetzliche Behandlung ab und ist im Folgenden zu erörtern. Dies setzt die Ermittlung des angemessenen Prüfungsmaßstabes voraus. Die zunächst vom Ersten Senat ausgehende neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 3 GG stellt dem lange Zeit für alle Fallkonstellationen vorrangig thematisierten „Willkürverbot“ inzwischen ein „allgemeines Gleichbehandlungsgebot“ gegenüber244: Nach der teilweise so genannten „Neuen Formel“245 reicht für eine Differenzierung nicht mehr durchgängig die Feststellbarkeit eines „sachlich einleuchtenden“ Grundes. Ist die Ungleichbehandlung nicht sachbezogen, sondern personenbezogen – das heißt, wird differenzierend an spezifische, nicht ohne weiteres auswechselbare Merkmale bestimmter Personenkreise246 angeknüpft, was die Anwendbarkeit einer Norm angeht – ist ein strengerer Maßstab anzulegen; sind zudem noch weitere grundrechtlich gesicherte Freiheiten von der ungleichen Behandlung tangiert, ist auch dies bei der Ausrichtung des Prüfungsmaßstabs zu berücksichtigen247. BVerfGE 91, 118, 123. Vgl. BVerfGE 55, 72, 88 ff.; 60, 329, 346; 82, 126, 146; 88, 87, 96 ff.; 99, 367, 388; Maunz / Dürig-Herzog, Art. 3 Anh. Rn. 6 ff. (s. außerdem Anh. Rn. 69); v. Münch-Gubelt, Art. 3 Rn. 14; BK-Rüfner, Art. 3 Abs. 1 Rn. 25 ff.; Jarass / Pieroth, Art. 3 Rn. 17 ff. S. ausführlich zu Herleitung und dogmatischem Hintergrund Risse, Der verfassungsrechtliche Schutz der Homosexualität, S. 154 ff. Aufgrund der präziseren Nachvollziehbarkeit der Prüfkriterien wird hier im Folgenden auf diese „Neue Formel“ abgestellt, obwohl immer wieder eine Tendenz des Zweiten Senats zur Rückkehr zur reinen Willkürprüfung in neuere Entscheidungen hineingelesen wird (vgl. BVerfGE 75, 108, 157 ff.; 78, 249, 278, 287; 80, 109, 118; 85, 176, 187); s. aber BVerfGE 92, 277, 318. Krit. AK-GG-Stein, Art. 3 Abs. 1 Rn. 31 ff., 35 ff.; v. Mangoldt-Starck, Art. 3 Rn. 11 f. 246 Vgl. z. B. BVerfGE 91, 389, 401 (Ungleichbehandlung dauernd getrennt lebender Verheirateter gegenüber Geschiedenen); BVerfGE 73, 301, 321 (Angehörige verschiedener Bundesländer); BVerfGE 90, 46, 56 f. (Ungleichbehandlung von Arbeitern gegenüber Angestellten). 247 s. auch BVerfGE 74, 9, 24; 82, 126, 146; 88, 87, 96; 89, 69, 89; 91, 346, 363; 91, 389, 401; 97, 271, 290 / 291; BK-Rüfner, Art. 3 Abs. 1 Rn. 66; v. Münch-Gubelt, Art. 3 Rn. 14; Jarass / Pieroth, Art. 3 Rn. 21; Schmidt-Bleibtreu / Klein, Art. 3 Rn. 16a. 244 245

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Die Abhängigkeit der Gewährung des Zeugnisverweigerungsrechts des § 52 StPO von der Zugehörigkeit zu einem der dort aufgezählten Personenkreise ist evident. Zugleich wird durch die Aufrechterhaltung eines Zeugniszwangs gegenüber den Partnern einer informellen Nähebeziehung deren Recht auf Aufbau und Aufrechterhaltung der Bindung, kurz: auf das möglichst unbeeinträchtigte Ausleben des Rechts auf Privatheit und private, vertrauliche Kommunikation innerhalb einer nichtlegalisierten Paarbeziehung, das durch Art. 2 Abs. 1 (i.V. mit Art. 1 Abs. 1) GG geschützt wird248, beeinträchtigt, weil der Zwang zur (gegebenenfalls auch belastenden) wahrheitsgemäßen Zeugenaussage im Strafverfahren sich destabilisierend auf diese Beziehung auswirken kann beziehungsweise wird249. Daher muss sich die Auseinandersetzung mit der Ungleichbehandlung anhand des Verhältnismäßigkeitsprinzips, wie sie nach der soeben dargestellten „Neuen Formel“ für an Personenkreisen orientierte Differenzierungen angezeigt ist, an dem tendenziell strengeren Maßstab250 der auf Einschränkungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung orientieren. Zu prüfen ist, ob die gesetzgeberischen Gründe der Differenzierung zwischen verschiedenen Personenkreisen die festgestellte Ungleichbehandlung als verhältnismäßig erscheinen lassen. Diese Differenzierungsgründe sind allerdings in einem ersten Schritt (a) noch zu benennen, bevor unter (b) die Verhältnismäßigkeit zwischen Differenzierungskriterium und Differenzierungsgrund hinterfragt werden kann. (a) Über die dem Zeugnisverweigerungsrecht des § 52 StPO legislativ zugeordneten Differenzierungsgründe liegen keine gesicherten Erkenntnisse vor. Eine Stellungnahme des historischen Gesetzgebers lässt sich den Materialien nur in Bezug auf die Einsicht der Unzumutbarkeit der Erzwingung wahrheitsgemäß belastender 248 Hierüber besteht – inzwischen – Konsens; vgl. v. Münch-Kunig, Art. 2 Rn. 33; v. Mangoldt-Starck, Art. 2 Rn. 103; v. Mangoldt-Robbers, Art. 6 Rn. 43, 47; Jarass / Pieroth, Art. 2 Rn. 36; Schmidt-Bleibtreu / Klein, Art. 2 Rn. 2b, 3c; AK-GG-Podlech, Art. 2 Rn. 44 ff.; AK-GG-Richter, Art. 6 Rn. 36a; M. Bruns ZRP 1996, 6, 8; Rohlf, Der grundrechtliche Schutz der Privatsphäre, S. 100 ff.; Risse, Der verfassungsrechtliche Schutz der Homosexualität, S. 59 ff., 246 ff.; Kingreen, Die verfassungsrechtliche Stellung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft, S. 71 ff.; I. v. Münch, Verfassungsrecht und nichteheliche Lebensgemeinschaft, S. 149; BVerfGE 82, 6, 16; 87, 234, 267; BVerfG NJW 1993, 3058 / 3059; AG Frankfurt NJW 1993, 940, 941; BT-Drs. 12 / 6000 (Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, 5. 11. 1993), S. 54, 57; s. außerdem BGH NJW 1985, 130, 131. Für den Intimbereich: BVerfGE 6, 389, 432; 47, 46, 73; 60, 123, 134; s. auch BVerfGE 9, 20, 34 f. Gleichzeitig kann noch das durch Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleistete Recht auf Privatsphäre („Achtung des Privatlebens“) angeführt werden. Zu berücksichtigen ist, dass – unabhängig von der Zeitgemäßheit einer solchen Wertung – den Normen der EMRK nach immer noch h.M. innerstaatlich nur der Rang einfachen Bundesrechts zugeordnet wird; vgl. hierzu BVerfGE 10, 271, 274; 74, 358, 370; 82, 106, 114; Meyer-Goßner, Vor Art. 1 MRK Rn. 3 sowie ausführl. Weigend StV 2000, 384, 386 f. m.Nw. 249 s. insoweit oben E.II.2., S. 184 f. 250 Jarass / Pieroth, Art. 2 Rn. 46; BVerfGE 33, 367, 377; s. außerdem die Nw. in Fn. 247 oben.

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Aussagen zum Nachteil naher Angehöriger entnehmen, wobei niemals explizit darauf eingegangen wurde, was – außer der vorausgesetzten personalen Nähebeziehung – die Verlobten zu nahen Angehörigen macht. Auch der Gesetzgeber des Lebenspartnerschaftsgesetzes hat im Wesentlichen nur die geläufige Formulierung der Motive der RStPO wiederholt251. Daher kann nur versucht werden, im Anschluss an heute gängige Erklärungsansätze Differenzierungsgründe in die Norm hineinzulesen und zur Basis weiterer Überlegungen zu machen. (aa) Dem zuvor herausgearbeiteten Normkonzept252 kann als wesentliches Prinzip des § 52 StPO entnommen werden, dass Personen innerhalb typisierter, sozial „nützlicher“, enger Näheverhältnisse, für die eine erzwungene belastende Zeugenaussage im Strafverfahren gegen eine ihnen – wiederum bei typisierender Betrachtung – sehr nahe stehende Person als Eingriff in ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht unzumutbar wäre, geschützt und hierdurch privilegiert werden sollen gegenüber Personen, die sich nicht in einer solchen Zwangslage befinden. Zur Abkürzung wird dies im Folgenden erörtert unter dem Stichwort der „berücksichtigenswerten Unzumutbarkeit“. (bb) Zudem wird vielfach davon ausgegangen, dass die Differenzierung der Personenkreise der Bezugnahme auf Art. 6 Abs. 1 GG und der Ausrichtung des Verlöbnisses auf Ehe und Familie geschuldet ist253. (cc) Schließlich wird ein wesentlicher Differenzierungsgrund in der Praktikabilität und angestrebten Präzision der Abgrenzung zu privilegierender gegenüber nicht privilegierungsbedürftigen (beziehungsweise: -„würdigen“) Personen gesehen254. (b) Die Ungleichbehandlung muss ihre Berechtigung in der Geeignetheit des gewählten Differenzierungskriteriums zur Erreichung des hinter ihr stehenden Zweckes, des Differenzierungsgrundes also, finden. Schon insoweit bestehen Zweifel. (aa) Anhand des Gesichtspunktes der hier so genannten „berücksichtigenswerten Unzumutbarkeit“ lässt sich zunächst feststellen, dass die positivrechtliche Regelung der Zeugenbefreiung der Verlobten geeignet ist, – typisiert – zeugnisverweigerungsberechtigte Personen gegenüber – typisiert – nicht berechtigten zu dif251 s. Motive, S. 44 (bei Hahn, Die gesammten Materialien zur Strafprozeßordnung, S. 106); BT-Drs. 14 / 3751, Begründung zum Entwurf des LPartG, S. 58. 252 s. ausführlich oben Abschnitt E.II. 253 Vgl. z. B. Fels, Der privilegierende Einfluß der Angehörigeneigenschaft, S. 101 / 102; Meuthien, Das Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen im Strafprozeß, S. 21; R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 197; Pelchen, Festschrift für Pfeiffer, S. 295; Hoffmann MDR 1990, 111, 112; Spelthahn, Das Zeugnisverweigerungsrecht von Angehörigen eines Mitbeschuldigten, S. 44; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1244. 254 Vgl. nur Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 104 / 105; R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 185; LR-Dahs, § 52 Rn. 17; Bialek, Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen, S. 98 ff.; s. auch Welp, Festschrift für Bemmann, S. 629 ff.; Weigend, Gutachten für den 62. DJT, S. C 74 f.

V. Grundrechtskonforme Auslegung des § 52 StPO

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ferenzieren. Allerdings lässt sich dies mit einem Abstellen auf „besondere persönliche Vertrauens- und Näheverhältnisse“ ebenso gut durchführen, so dass die Zweckerreichung, was ihren Wert angeht, als zumindest nivelliert betrachtet werden muss. Bedeutsamer erscheinen auf der Basis dieser Vorgabe daher die Differenzierungsgründe zu (bb) und (cc). (bb) Einem Verweis auf Art. 6 GG als „limitierendem Faktor“ ist entgegenzuhalten, dass das Verlöbnis eines der von § 52 Abs. 1 erfassten Personalverhältnisse ist, das nicht dem Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG unterfällt. Zudem wurde oben schon herausgearbeitet, dass aufgrund dieser nicht nur das Verlöbnis betreffenden Verschiedenheit der Bezugsrahmen der Normen eine unmittelbare Legitimation des Zeugnisverweigerungsrechts des § 52 StPO über Art. 6 GG nicht gelingen kann255. Dies schließt es allerdings nicht aus, darauf abzustellen, dass das Verlöbnis konkret auf die Eingehung einer Ehe (und damit immer noch vielfach gleichbedeutend: die Gründung einer Familie) ausgerichtet ist. Insoweit wäre der entscheidende Aspekt die Ausrichtung auf die über Art. 6 Abs. 1 GG als „Bausteine der Gesellschaft“256 geschützten Näheverhältnisse, die besonders privilegiert werden sollen. Auf einen nicht geringen Teil der Fälle bezogen ist hiernach in der Unterscheidung zwischen legalisierten und nichtlegalisierten Paarbeziehungen ein geeignetes Mittel zur Erreichung des Differenzierungsgrundes „Privilegierung familiärer Bindungen“ zu sehen. Allerdings muss auch hier erwähnt werden, dass die herausgearbeitete Unterschiedlichkeit eine nur partielle ist, denn viele informelle Paarbindungen sind letztlich ebenfalls auf eine Legalisierung ausgerichtet; die Differenz zum Verlöbnis ist häufig nur die zwischen konkretem Nahziel und noch nicht völlig abgesichertem Fernziel. Zahlreiche nichteheliche Bindungen sind zudem auf eine (legalisierte oder nicht legalisierte) Familienbildung hin orientiert oder stellen, weil Kinder in ihnen leben, schon familiäre Bindungen i.S. des Art. 6 GG dar. Bei genauerer Betrachtung der tatsächlichen Verhältnisse verwischen die Unterschiede also vielfach wieder. (cc) Der grundsätzlich legitime Ansatz der Berücksichtigung von Praktikabilitätserwägungen und Bemühungen zur Gewährleistung von Rechtssicherheit257 ist ausgerichtet an einer möglichst exakten Benennbarkeit der zu privilegierenden Personengruppen – insoweit steht er dem Bestimmtheitsgrundsatz nahe – und der Möglichkeit, die Tatsachen, auf die eine Person sich zur Legitimation einer Aussageverweigerung beruft, zu überprüfen. Der Verlöbnisbegriff des § 52 Abs. 1 StPO stellt allerdings kein Paradebeispiel gelungener Abgrenzung dar. Gerade die Einbeziehung Verlobter ist im Gegenteil 255 256 257

327 f.

s.o., D.II.1.b), S. 142 ff. M. Bruns ZRP 1996, 6, 7. Vgl. hierzu BVerfGE 15, 313, 319 f.; 17, 337, 354; 41, 269, 288; 48, 1, 22; 72, 302,

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E. Besondere persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse

ein treffender Beleg für die Flexibilität der Norm: Die Abgrenzbarkeit des Begriffs „Verlöbnis“ verdankt sich seiner inzwischen – vorwiegend kasuistisch – erarbeiteten und weitgehend akzeptierten Inhaltsbestimmung258, die sich insbesondere vom originär zivilrechtlichen Verlöbnisbegriff unterscheidet. Das Bestehen eines Verlöbnisses ist häufig nicht mit Sicherheit nachzuweisen, nicht zuletzt weil es an objektiven Anknüpfungspunkten fehlt. Die forensische Abgrenzung des tatsächlichen Verhältnisses „Verlöbnis“ von anderen, nicht zur Zeugnisverweigerung berechtigenden Personenbeziehungen, erfolgt – anders als die der formal überprüfbaren ehelichen, schwägerschaftlichen, verwandtschaftlichen Bindungen des § 52 Abs. 1 StPO – über die Glaubhaftmachung nach § 56 StPO259. Daher ist gerade die Privilegierung des Verlöbnisses durch § 52 ein Beispiel für dogmatische wie praktische Abgrenzungsschwierigkeiten (sowie ihre mögliche Bewältigung) und belegt die punktuelle Ungeeignetheit der Norm in ihrer aktuellen Fassung zur (verlangten) präzisen Differenzierung zwischen tatsächlich berechtigten und unter normkonzeptionellen Gesichtspunkten nicht zeugnisverweigerungsberechtigten, sich missbräuchlich auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufenden, Personen. Damit ist zugleich auch die Bevorzugung des Verlöbnisses gegenüber anderen – streng genommen: ebenfalls – nicht legalisierten Bindungen zur Erreichung des Differenzierungsziels nicht geeignet. (c) Die Untersuchung, ob eine Ungleichbehandlung erforderlich im Sinne des Verhältnismäßigkeitsprinzips ist, orientiert sich an der Feststellbarkeit (relativ) weniger grundrechtsintensiver Differenzierungsmöglichkeiten260; die Beeinträchtigung durch die Ungleichbehandlung darf nicht weiter greifen, als für die Zweckerfüllung notwendig ist261. Schon mehrfach wurde darauf hingewiesen, dass „berücksichtigenswerte Unzumutbarkeit“ in informellen wie in legalisierten Paarbindungen zu erwarten ist, wenn zu Lasten des Beziehungspartners die Zeugenaussage erzwungen wird. Weniger grundrechtsbelastend, aber zur Erfüllung des Normzwecks ebenso geeignet wäre daher die Einbeziehung enger informeller Vertrauens- und Näheverhältnisse. Die begrenzte Eignung des Verlöbnisbegriffes zur möglichst praktikablen Abgrenzung (materiell) zeugnisverweigerungsberechtigter von nicht berechtigten Personen wurde gerade dargelegt. Gesetzgebung und Rechtsprechung verdeutlichen demgegenüber bei etwas genauerer Betrachtung, dass es möglich ist, nichtlegalisierte Bindungen abgrenzbar und jedenfalls nicht weniger praktikabel zu bestimmen. So werden z. B. in § 122 BSHG, §§ 193 Abs. 2, 194 SGB III und §§ 6 258 259 260 261

s. Abschnitt A.II.1.a), S. 23 ff. s. hierzu oben Abschnitt A.II.3., S. 32 ff. BVerfGE 91, 389, 403. BVerfGE 85, 238, 245.

V. Grundrechtskonforme Auslegung des § 52 StPO

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Abs. 3 S. 2, 12 Abs. 1 BErzGG262, § 15 Abs. 2, 6 HIVHilfeG263 oder § 2 Abs. 2 SÜG264 explizit nichteheliche und „eheähnliche“ Partnerschaften265 zum Anknüpfungspunkt insbesondere sozial-, aber auch sonstiger öffentlich-rechtlicher Regelungen gemacht; im Mietrecht finden informelle Paarbeziehungen und Lebensformen Berücksichtigung266, das österreichische Recht gewährt ein strafprozessuales Zeugnisverweigerungsrecht für Lebensgefährten in „außerehelicher Lebensgemeinschaft“ (§§ 152 Abs. 1 Nr. 2 öStPO, 72 Abs. 2 öStGB), um nur beispielhaft einige Fälle herauszugreifen. Die §§ 114 b, 163 c Abs. 2 StPO knüpfen an die „Person des Vertrauens“ an267. § 35 Abs. 1 S. 1 StGB, der als materiell-strafrechtliche Norm besonderen Ansprüchen an seine Bestimmtheit unterliegt, berücksichtigt explizit Näheverhältnisse („nahestehende Person“) und die „beleidigungsfreie Sphäre“ i.S. der §§ 185 ff. StGB wird inzwischen nahezu allgemein unter Einbeziehung informeller Näheverhältnisse ausgedeutet268. Erforderlich zur dogmatischen Abgrenzung ist also die gewählte Beschränkung auf formalisierte, legalisierte Personenbeziehungen nicht. Das Bestehen eines Nähe- und Vertrauensverhältnisses ist im Zweifel mit den gleichen Mitteln glaubhaft zu machen (§ 56 StPO) wie das von einer (behaupteten) inneren Willensrichtung abhängige Verlöbnis. Zudem lässt sich die Feststellung oder Definition eines Nähe- und Vertrauensverhältnisses an äußere Faktoren knüpfen, wie z. B. Modalitäten einer paarorientierten Lebensgestaltung269. Auch bei einer derartigen Regelung müssten unter Umständen noch schutzwürdige Bindungen unberücksichtigt bleiben, es wäre aber zumindest der Forderung genüge getan, die Ungleichbehandlung maximal bis zu dem Punkt aufrechtzuerhalten, an dem ihr Zweck erfüllt ist. Abgrenzbarkeit, Praktikabilität der Norm und zu berücksichtigende Unzumutbarkeit ließen sich daher aufgrund einer am schützenswerten sozialen Sachverhalt: „besonderes persönliches Nähe- oder Vertrauensverhältnis“ orientierten Gewährung der Zeugenbefreiung mit geringfügigerer (und sachgerechterer) Grundrechtsbelastung als unter dem derzeitig geläufigen Norminhalt umsetzen. 262 Bundeserziehungsgeldgesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 1. 12. 2000, BGBl. I, S. 1645, 1646. 263 HIV-Hilfegesetz (Gesetz über die humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen) vom 24. 7. 1995, BGBl. I, S. 972. 264 Sicherheitsüberprüfungsgesetz vom 20. 4. 1994 (BGBl. I, S. 867) i.d.F. vom 21. 8. 2002 (BGBl. I, S. 3322, 3329). 265 Die auch das Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 87, 234, 264 als „eine typische Erscheinung des sozialen Lebens“ bezeichnet. Zur Definition s. o. in diesem Abschnitt Fn. 99. 266 Vgl. BVerfGE 82, 6, 15 / 16; BGH NJW 1985, 130, 131 f.; OLG Hamm NJW 1982, 2876, 2879 ff.; OLG Hamm NJW 1992, 513, 514 f. 267 s. außerdem zum Abstellen auf Vertrauensverhältnisse BGH NJW 1990, 1666, 1667 (Ersatzzustellung, § 181 Abs. 1 ZPO). 268 s. hierzu oben D.II.1.c), S. 146. 269 Daher nimmt Staudinger-Strätz, Anh. zu §§ 1297 ff. BGB Rn. 234 an, die Voraussetzungen eines nichtehelichen Zusammenlebens seien regelmäßig leichter objektivierbar als ein Verlöbnis.

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E. Besondere persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse

Hierdurch kann allerdings nicht der Differenzierungsgrund der Ausrichtung an familiären Bindungen „substituiert“ werden. Bevor zur Güterabwägung übergegangen wird, ist aber daran zu erinnern, dass dieser Gesichtspunkt nur begrenzt Geltung beanspruchen kann, weil auch informelle Bindungen vielfach auf eine Legalisierung oder Familiarisierung hin orientiert sind. Geeignetheit und Erforderlichkeit der Ungleichbehandlung begegnen danach insgesamt jedenfalls Zweifeln. (d) Schließlich müssen Ungleichbehandlung und rechtfertigender Grund „in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen“270. Bei dieser Güterabwägung stehen sich Praktikabilitätserwägungen und die Privilegierung im Hinblick auf legalisierte familiäre und personale Näheverhältnisse einerseits, das Recht auf Privatheit und personale Entfaltung (Art. 2 Abs. 1 i.V. mit Art. 1 Abs. 1 GG) innerhalb „funktionstüchtiger“ informeller Paarbeziehungen auf der anderen Seite egenüber. Angesichts der Grundrechtsbetroffenheit sind die Anforderungen zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung erhöht, sie müssen sich an der Schranke dieses Persönlichkeitsrechts messen lassen: danach sind nur Grundrechtsbeeinträchtigungen verhältnismäßig, die unerlässlich sind271. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Intensität der Grundrechtsbelastung272. Die Aufrechterhaltung der Zeugnispflicht, die dazu führt, dass eine Aussageperson gezwungen ist, gegen eine ihr persönlich (aufgrund der bestehenden intimen Bindung und des regelmäßig vorhandenen Vertrauensverhältnisses) sehr nahe stehende Person auszusagen, gefährdet das Vertrauensverhältnis und damit ebenfalls letztlich den Bestand des zu Grunde liegenden Näheverhältnisses. Die zu erwartende Grundrechtsbeeinträchtigung ist also nicht nur marginal, sondern im Gegenteil sehr intensiv, weil die Möglichkeit zur ungestörten Aufrechterhaltung des – der persönlichen Entfaltung und Stabilisierung dienenden – zwischenmenschlichen Verhältnisses untergraben wird. Hinzu kommt das – mittelbar – durch die eine Vielzahl von Fallgestaltungen nicht erfassende gesetzliche Regelung erhöhte Risiko einer Aussageperson, sich zur Falschaussage veranlasst zu sehen. Diese Grundrechtseingriffe müssen ihre Rechtfertigung in ihnen gegenüberstehenden erheblichen Interessen finden. Als „Schranke“ des Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG nicht in Betracht kommt im hier interessierenden Zusammenhang Art. 6 Abs. 1 GG. Da der von Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Personenkreis sich schon de lege lata nicht mit den durch § 52 Abs. 1 StPO privilegierten Personengruppen deckt, ist unter keinem denkbaren Gesichtspunkt der Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG direkt betroffen. Unabhängig von einer konkreten Grundrechtsbeeinträchtigung der in Art. 6 Abs. 1 abgesicherten familiären Verhältnisse lässt sich 270 271 272

BVerfGE 82, 126, 146 m.w.Nw.; BVerfGE 85, 238, 244 / 245. BVerfGE 65, 1, 44; 67, 100, 143; 84, 239, 280; Jarass / Pieroth, Art. 2 Rn. 46. Jarass / Pieroth, Art. 2 Rn. 46.

V. Grundrechtskonforme Auslegung des § 52 StPO

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diesem Grundrecht aber kein pauschales Diskriminierungsgebot in Bezug auf alle nichtehelichen oder extrafamiliären persönlichen Bindungen entnehmen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts legt Art. 6 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber das Verbot auf, Ehe und Familie zu schädigen und ebenfalls das Gebot, sie vor Beeinträchtigungen zu schützen und durch geeignete Maßnahmen zu fördern273. Hieraus ist jedenfalls nicht zu folgern, sämtlichen nichtehelichen Verbindungen müsste jegliche rechtliche Anerkennung oder tatsächliche Förderung versagt werden274. Als gegenläufige Interessen bleiben daher nur die soeben in Abschnitt (a)275 aufgezeigten. Insoweit ist einerseits zu berücksichtigen, dass dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum einzuräumen ist. Insbesondere muss Raum bleiben für sachgerechte Beschränkungen in Bezug auf die Abgrenzbarkeit von Personenkreisen oder die Berücksichtigung übergeordneter Interessen276. Dieser Gestaltungsspielraum findet aber wiederum seine Beschränkung dann, wenn eine große Zahl von Grundrechtsträgern intensiv betroffen ist277, wovon hier ausgegangen werden kann278. Zudem können (nicht: müssen) Widersprüchlichkeiten innerhalb des gesetzlichen, zur Ungleichbehandlung führenden Systems unter Umständen als Indiz für eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung zu werten sein279. Allerdings kann kein Gleichheitsverstoß angenommen werden, wenn es für derartige Abweichun273 BVerfGE 6, 55, 71 ff., 76; 55, 114, 126 / 127; 82, 6, 15; 82, 60, 81; 87, 1, 35; Maunz / Dürig-Badura, Art. 6 Abs. 1 Rn. 67; v. Münch-Coester-Waltjen, Art. 6 Rn. 35; BK-Pirson, Art. 6 Rn. 6, 70 ff.; Jarass / Pieroth, Art. 3 Rn. 1, 4; Schmidt-Bleibtreu / Klein, Art. 6 Rn. 3; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 458. 274 BVerfGE 9, 20, 34 f.; 82, 6, 15; BVerwGE 15, 306, 316; v. Münch-Coester-Waltjen, Art. 6 Rn. 7, 9, 16; v. Mangoldt-Robbers, Art. 6 Rn. 50; AK-GG-Richter, Art. 6 Rn. 36a; Jarass / Pieroth, Art. 6 Rn. 9; Pelchen, Festschrift für Pfeiffer, S. 293. 275 s.o., S. 218. 276 Vgl. nur BVerfGE 71, 39, 53; 71, 255, 271; 78, 104, 121; AK-GG-Stein, Art. 3 Abs. 1 Rn. 45 ff.; BK-Rüfner, Art. 3 Abs. 1 Rn. 17, 103. Denkbar sind hier auf den konkreten Prüfungsgegenstand bezogen z. B. Differenzierungen in Bezug auf die bessere Feststellbarkeit anhand gemeinsamen Wohnens oder eine Orientierung an Art. 6, die informelle Paarbindungen neben bestehenden Ehen von einer Privilegierung ausnimmt (vgl. z. B. BVerfG NStZ 1999, 255, wo unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten die Verweigerung eines Zeugnisverweigerungsrechts für Partner einer „freundschaftlichen“ (wohl: Paar-) Beziehung unter Hinweis auf eine gleichzeitig noch bestehende, durch Art. 6 I GG geschützte Ehe begründet wird). 277 Vgl. BVerfGE 17, 1, 23 f.; 48, 346, 361; BK-Rüfner, Art. 3 Abs. 1 Rn. 108; Jarass / Pieroth, Art. 3 Rn. 31 (BVerfGE 17, 1, 24 / 25: 7,5% ungerechtfertigt Begünstigte gerade noch hinnehmbar; bisher maximal akzeptierte „Fehler“-quote: 10%, vgl. BVerwGE 68, 36, 41). 278 s. zur vermuteten Verbreitung informeller Partnerschaften die Angaben oben in diesem Abschnitt, Fn. 22. 279 BVerfGE 18, 366, 372 f.; 34, 103, 115; 68, 237, 253; 81, 156, 207; 85, 238, 247; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 439; s. auch BK-Rüfner, Art. 3 Abs. 1 Rn. 38; v. Mangoldt-Starck, Art. 3 Rn. 44; Jarass / Pieroth, Art. 3 Rn. 29; Schmidt-Bleibtreu / Klein, Art. 3 Rn. 16a.

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E. Besondere persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse

gen zureichende Gründe gibt280. Hier ist zu bedenken, dass § 52 StPO nicht nur tatsächlich legalisierte, (nach-)eheliche oder familiäre Verbindungen privilegiert, sondern gerade mit dem Verlöbnis eine Bindung, die allenfalls als (jederzeit und ohne rechtliche Nachwirkungen aufhebbares) Vorstadium einer rechtlich fixierten zwischenmenschlichen Beziehung zu werten ist. Wird dies mit der ehe- und familienorientierten Ausrichtung des Verlöbnisses begründet, ließen sich angesichts der gleichen Motivation auch zahlreiche völlig informelle Bindungen privilegieren. Der deutlichste Widerspruch ist zudem im oben herausgestellten Praktikabilitätsargument angelegt: Der größte Teil aller informellen Paarbeziehungen lässt sich ebenso gut von Nicht-Paarbeziehungen abgrenzen wie Verlöbnisse von Nicht-Verlöbnissen. Schließlich ist noch daran zu erinnern, dass Ergebnis der Ungleichbehandlung mittelbar die nicht unerhebliche potenzielle Belastung des Strafverfahrens durch Falschaussagen ist; gerade dies steht im Widerspruch zum öffentlichen Interesse an nicht unnötig beeinträchtigter Sachverhaltsermittlung. Insgesamt lässt sich sagen, dass nicht zuletzt dank der inneren Widersprüchlichkeiten der geltenden Regelung und der nur begrenzten Erreichbarkeit der statuierten Ziele mittels der praktizierten Ungleichbehandlung die Güterabwägung zugunsten der wichtigen Individualinteressen ausgehen muss. § 52 StPO verstößt damit, soweit informelle Paarbeziehungen ausgeschlossen sind, gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.

b) Möglichkeit verfassungskonformer Auslegung Die Grundvoraussetzung jeder verfassungskonformen Auslegung, die Verfassungswidrigkeit der untersuchten Norm, ist danach erfüllt. Allerdings ist die nicht zuletzt durch das Gewaltenteilungsprinzip fixierte gesetzgeberische Rechtsetzungshoheit zu beachten281. Daher darf auch eine verfassungskonforme Auslegung nicht zur freien richterlichen Rechtsschöpfung führen, sondern muss am Wortlaut der Norm orientierte Auslegung bleiben. Der Wortlaut des § 52 StPO steht aufgrund des eindeutigen Sprachgebrauchs282 einer Subsumtion informeller Paarbindungen unter den Verlöbnisbegriff entgegen. Daher bleibt bis zu einer eventuellen Nichtigerklärung der Norm allein die Feststellung der Unvereinbarkeit mit Art. 3 280 BVerfGE 18, 366, 372 f.; 34, 103, 115; 68, 237, 253; 81, 156, 207; 85, 238, 247; Jarass / Pieroth, Art. 3 Rn. 29; Schmidt-Bleibtreu / Klein, Art. 3 Rn. 16a. 281 Ausnahmen sind in diesem Kontext denkbar im Falle einer Ermessensreduzierung auf Null; dies setzt aber voraus, dass nur eine einzige sachgemäße gesetzgeberische „Lösung“ in Betracht kommt, die dann (gerichtlich) vorwegzunehmen wäre (vgl. BVerfGE 8, 28, 37; 22, 349, 362; 27, 391, 399; 88, 5, 17; v. Münch-Gubelt, Art. 3 Rn. 35; s. auch Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 341 m.w.Nw.). Wie soeben (Fn. 276) schon herausgestellt wurde, verbleiben dem Gesetzgeber aber auch im Rahmen einer Einbeziehung informeller Bindungen noch Differenzierungsmöglichkeiten, nicht zuletzt hinsichtlich Fragen der Praktikabilität einer konkreten Norm und Abgrenzbarkeit des Normbereichs. 282 s.o., Abschnitt E.IV.2.

V. Grundrechtskonforme Auslegung des § 52 StPO

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Abs. 1 GG und insoweit nur das Warten auf eine gesetzgeberische Überarbeitung, die die Verfassungsmäßigkeit des § 52 StPO wieder herstellt. In der Zwischenzeit kann der Versuch einer Fortbildung des geltenden Rechts unternommen werden. Ob die Voraussetzungen einer Analogiebildung gegeben sind, wird daher in Abschnitt E.VI. näher zu untersuchen sein.

2. Enge Freundschaften Angesichts des Ergebnisses des vorangegangenen Unterabschnitts können die Ausführungen zu einer Einbeziehung freundschaftlicher Verhältnisse durch verfassungskonforme Auslegung kurz gefasst werden. Die Ermittlung einer durch § 52 StPO privilegierten, den Maßstäben des Art. 3 Abs. 1 GG entsprechenden Vergleichsgruppe erscheint schwierig. Zudem ist evident, dass eine verfassungskonforme Auslegung jedenfalls – ebenso wie die einfachrechtliche – an der Wortlautgrenze scheitern wird.

3. Verlöbnisähnliche Vorformen Eingetragener Lebenspartnerschaften Auch verlöbnisähnliche Vorformen Eingetragener Lebenspartnerschaften werden durch die Verweigerung eines Zeugnisverweigerungsrechts ungleich behandelt gegenüber heterosexuellen Verlobten. Die Verfassungsmäßigkeit dieses Vorgehens und die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung sind daher ebenfalls zu untersuchen. a) Verletzung von Art. 3 GG aa) Art. 3 Abs. 3 GG – Verletzung des speziellen Gleichheitssatzes? Vereinzelt werden Benachteiligungen, die an gleichgeschlechtliche Lebensformen anknüpfen, unter Bezugnahme auf das in Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG enthaltene Merkmal „Geschlecht“ und damit als Unterfall dieses absoluten Differenzierungsverbotes behandelt283. Entscheidend für eine Einbeziehung in den Schutzbereich des Art. 3 Abs. 3 S. 1, 1. Var. GG ist die Betroffenheit von Grundrechtsträgern in ihrem Geschlecht, ihrer geschlechtlichen Identität als Frau oder Mann; Art. 3 Abs. 3 ist hingegen nicht einschlägig, wenn auf das Geschlecht eines Dritten 283 Vgl. AG Frankfurt NJW 1993, 940, 941; Pauly NJW 1997, 1955; s. auch Grüll ZRP 1994, 40. Ausführlich zu diesem Aspekt Risse, Der verfassungsrechtliche Schutz der Homosexualität, S. 114 ff. s. auch Art. 6 a / 13 n.F. EGV, wo das Merkmal der „sexuellen Ausrichtung“ in den Antidiskriminierungskatalog aufgenommen wurde. Generell ablehnend: v. Mangoldt-Starck, Art. 3 Rn. 355.

15 Jansen

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E. Besondere persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse

und nicht der benachteiligten Person selbst abgestellt wird284. Die Differenzierung des § 52 StPO zwischen gleichgeschlechtlichen und gemischtgeschlechtlichen „vorlegalisierten“ Lebensformen bezieht sich jedoch in Bezug auf die zu privilegierende Bindung auf das Geschlecht der gewählten Partnerin oder des gewählten Partners, in Bezug auf die jeweilige Einzelperson aber „nur“ auf die sexuelle Orientierung. Insbesondere werden Frauen und Männer hier genau gleich behandelt285. Zutreffend wird allerdings darauf hingewiesen, dass die sexuelle Orientierung ein dem „Geschlecht“ wesensverwandtes Merkmal darstellt; beide stehen sich insoweit sehr nahe, als es sich um – gegenüber willkürlichen Eingriffen grundsätzlich resistente – unabänderliche persönliche Merkmale von großer Bedeutung für Identität und Lebensführung handelt286. Den folgenden Ausführungen kann insoweit vorgegriffen werden, als schon an dieser Stelle festzuhalten ist, dass diese Strukturgleichheit Auswirkungen auf den in Bezug auf Art. 3 Abs. 1 GG anzulegenden Prüfungsmaßstab hat. Hierauf wird noch genauer einzugehen sein.

bb) Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes, Art. 3 Abs. 1 GG Der allgemeine Gleichheitssatz verbietet, so die geläufige schlagwortartige Formel, die ungerechtfertigte Ungleichbehandlung des wesentlich Vergleichbaren287. (1) Vergleichbare Personenkreise, Differenzierungskriterium Die Vergleichbarkeit der von § 52 nach der oben288 dargelegten Interpretation unterschiedlich (beziehungsweise nicht) erfassten Personenkreise: Verlöbnisähnliche Vorformen Eingetragener Lebenspartnerschaften gegenüber gemischtgeschlechtlichen Verlöbnissen, ist schnell dargestellt. Beide Personengruppen können als verfestigte Vorformen zukünftig legalisierter Bindungen bezeichnet werden; in Bezug auf ihre innere Ausgestaltung und Verbindlichkeit werden sich schwerlich Jarass / Pieroth, Art. 3 Rn. 89; BVerfGE 37, 217, 259. s. auch Risse, Der verfassungsrechtliche Schutz der Homosexualität, S. 115 sowie nunmehr die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts zum Lebenspartnerschaftsgesetz: BVerfGE 105, 313, 351, 352 (= NJW 2002, 2543 ff.). 286 s. M. Bruns ZRP 1996, 6, 9; Risse, Der verfassungsrechtliche Schutz der Homosexualität, S. 117 f., 137 ff., 142. Zum Abstellen des Art. 3 Abs. 3 GG auf Merkmale „auf deren Vorhandensein oder Fehlen der einzelne keinen oder nur einen begrenzten Einfluss nehmen kann“: BVerfGE 96, 288, 302; Jarass / Pieroth, Art. 3 Rn. 109. 287 Vgl. nur BVerfGE 4, 144, 155; 78, 104, 121; 98, 365, 385; v. Münch-Gubelt, Art. 3 Rn. 11; Jarass / Pieroth, Art. 3 Rn. 4 ff.; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 432, 438. 288 Abschnitt E.IV.2.a) aa) (2), S. 205 / 206. 284 285

V. Grundrechtskonforme Auslegung des § 52 StPO

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Unterschiede finden lassen289. Divergenzen lassen sich feststellen hinsichtlich der einerseits gleichgeschlechtlich, andererseits verschiedengeschlechtlich orientierten Partnerwahl, hinsichtlich der Existenz beziehungsweise Nicht-Existenz spezieller familienrechtlicher Regelungen (die allerdings für den strafverfahrensrechtlichen Verlöbnisbegriff eine Modifizierung erfahren), und hinsichtlich des über Art. 6 Abs. 1 GG gewährleisteten (Ehe) beziehungsweise nicht gewährleisteten (Eingetragene Lebenspartnerschaften) Schutzes der gewünschten legalisierten Bindung und ihrer inhaltlichen (gesetzlichen) Ausgestaltung. Nach dem Normkonzept des § 52 StPO290 sind diese Aspekte ohne Bedeutung. Als Differenzierungskriterium ist danach die sexuelle und emotionale Ausrichtung der jeweiligen Aussageperson auf gleichgeschlechtliche oder verschiedengeschlechtliche Lebenspartner festzuhalten. (2) Rechtfertigung der Ungleichbehandlung oder Verletzung des Gleichheitssatzes? Der Anknüpfungspunkt der Differenzierung nach Personenkreisen führt zur Orientierung der Prüfung einer Rechtfertigung der Ungleichbehandlung am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz291, weil der Grundsatz, dass „alle Menschen“ vor dem Gesetz gleich sind, insbesondere eine unterschiedliche Behandlung von Personen verhindern soll292. Wie soeben unter aa) schon angedeutet, wird der Prüfungsmaßstab zur Feststellung einer gerechtfertigten Ungleichbehandlung aufgrund der Orientierung an der Menschenwürdegarantie außerdem nicht unwesentlich durch die Nähe der sexuellen Orientierung zu dem in Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG aufgeführten Merkmal „Geschlecht“ beeinflusst: Je stärker die spezifischen Merkmale, auf die eine Ungleichbehandlung abstellt, den in Art. 3 Abs. 3 GG genannten angenähert sind, desto strenger fällt der Prüfungsmaßstab aus293 und um so mehr ist eine Orientierung am Prüfungsmaßstab des Art. 3 Abs. 3 geboten294. 289 Vgl. insoweit die Ausführungen zu Abschnitt E.I.; da ein Rückgriff auf empirische Daten weder in Bezug auf verlöbnisähnliche Vorformen Eingetragener Lebenspartnerschaften noch zu Verlöbnissen entsprechend der strafrechtlichen Definition möglich war, muss auf die Ausführungen zur Feststellbarkeit von Unterschieden zwischen gleichgeschlechtlichen und gemischtgeschlechtlichen Bindungen allgemein verwiesen werden. 290 s.o. E.II.1., S. 181 ff. 291 s.o. E.V.1.a) cc) (2), S. 216. 292 Vgl. BVerfGE 55, 72, 88; 88, 87, 96; 91, 389, 401; 97, 271, 290; 99, 367, 388; Risse, Der verfassungsrechtliche Schutz der Homosexualität, S. 158. 293 BVerfGE 88, 87, 96 / 97; 99, 367, 388; so auch v. Münch-Gubelt, Art. 3 Rn. 14; Jarass / Pieroth, Art. 3 Rn. 19. 294 Vgl. BVerfGE 92, 26, 51 f.; 99, 367, 388; schon in BVerfGE 37, 217, 259 f. wird wegen der mittelbaren Beeinträchtigung aufgrund des Geschlechts eines Elternteils von einer Orientierung des Prüfungsmaßstabs an Art. 3 Abs. 2 ausgegangen.

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E. Besondere persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse

Außerdem wirkt sich die Beeinträchtigung individueller Grundrechtsverbürgungen auf die an eine Rechtfertigung der Ungleichbehandlung zu stellenden Ansprüche aus. Die Statuierung und Nichtaufhebung eines Zeugniszwanges belastet das Vertrauens- und Näheverhältnis innerhalb einer Paarbeziehung, sei es dadurch, dass aufgrund (angesichts des Bewusstseins einer möglichen Aussageerzwingung im Strafverfahren vorsichtshalber) verheimlichter Geschehnisse oder Gedanken der Aufbau eines Vertrauensverhältnisses von vornherein scheitert oder dass die Nähebeziehung durch die Erzwingung einer Aussage gegen die Partnerin oder den Partner beeinträchtigt wird. Dies gefährdet auch den durch Art. 2 Abs. 1 i.V. mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Bestand der Paarbeziehung selbst295. Die Ungleichbehandlung gegenüber dem heterosexuellen Verlöbnis wiegt schließlich besonders schwer angesichts der Zielsetzung der Schaffung der Eingetragenen Lebenspartnerschaft: dem Abbau der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Paare296. Die Aufnahme Eingetragener Lebenspartnerschaften in den § 52 Abs. 1 StPO wurde explizit damit begründet, dass sich Lebenspartner in der gleichen Situation befinden wie sämtliche durch § 52 Abs. 1 privilegierten Angehörigen und die Verlobten297. (a) Besondere Bedeutung kommt danach dem Differenzierungsgrund zu. Äußerungen im Gesetzgebungsverfahren ist zu entnehmen, dass der Verzicht auf die Einfügung einer Zeugenprivilegierung für ein homosexuelles „Verlöbnis“ keinen in § 52 Abs. 1 StPO begründeten Anlass hat, sondern dass als „Tribut“ an das teilweise propagierte, dem Art. 6 Abs. 1 GG entnommene „Abstandsgebot“298 kein neues familienrechtliches Institut konstituiert werden sollte299. Die Ungleichbehandlung ist also nicht den Erfordernissen der Norm selbst geschuldet, sondern der Befürchtung, eine zu weitgehende Orientierung der „Eingetragenen Lebenspartnerschaft“ an der Ehe und den damit in Zusammenhang stehenden Rechtsinstituten könnte die Verfassungswidrigkeit des gesamten Lebenspartnerschaftsgesetzes zur Folge haben. Eine Einzelfallprüfung des Erfordernisses, einen gleichgeschlechtlichen Verlöbnistatbestand in die Zeugenprivilegierungen aufzunehmen, vor dem Hintergrund einer Auseinandersetzung mit dem spezifischen Regelungsgegenstand des § 52 Abs. 1 StPO erfolgte also nicht. Insoweit fehlt es hinsichtlich der Einräumung eines Zeugnisverweigerungsrechts an einem (konkret) sachbezogenen Grund für die Ungleichbehandlung heterosexueller Verlöbnisse und gleichgeschlechtlicher verlöbnisähnlicher Vorformen Eingetragener Lebenspartnerschaften. Dennoch soll anhand des Differenzierungsziels ,Abgrenzung des Instituts der Eingetragenen Lebenspartnerschaft gegenüber dem Institut der Ehe, um eine Vers.o. E.V.1.a) cc) (2), S. 217. Vgl. BT-Drs. 14 / 3751, Begründung zum Entwurf des LPartG, S. 1. 297 BT-Drs. 14 / 3751, Begründung zum Entwurf des LPartG, S. 58. 298 s. sogleich Fn. 301. 299 Vgl. Deutscher Bundestag, Stenographischer Bericht der 115. Sitzung vom 7. 7. 2000, Plenarprotokoll 14 / 115, S. 10965 A (Volker Beck). 295 296

V. Grundrechtskonforme Auslegung des § 52 StPO

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fassungswidrigkeit des Lebenspartnerschaftsgesetzes zu vermeiden‘, weiter erörtert werden, ob die Regelung als verhältnismäßig anzusehen ist. (b) Die Ungleichbehandlung ist zur Erreichung dieses Differenzierungsziels zwar nicht offensichtlich ungeeignet, sie ist aber jedenfalls nicht erforderlich: Die gezielte Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Beziehungsformen gegenüber heterosexuellen, quasi-legalisierten kann gegenüber der Postulierung eines Abstandsgebots einen Baustein der Erstellung eines gesetzlichen Konzepts darstellen, das den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 GG gerecht wird. Eine in Bezug auf den Normkontext des § 52 StPO bezogene Begründung einer Einbeziehung legalisierter und vor-legaler gleichgeschlechtlicher Lebensformen kann aber nicht gegen Art. 6 Abs. 1 GG verstoßen: Selbst vom Standpunkt der – anzuzweifelnden und jetzt auch vom Bundesverfassungsgericht jedenfalls hinsichtlich gleichgeschlechtlicher Partnerschaften verneinten300 – Annahme aus, Art. 6 GG statuiere ein „Abstandsgebot“ zwischen Ehe und Familie im Sinne dieses Grundrechts und anderen Lebensformen, das generell eine differenzierende Behandlung oder sogar eine Schlechterstellung dieser anderen Lebens- und Beziehungsformen verlange301, ist deutlich, dass Art. 6 GG punktuellen Regelungen nicht im Wege stehen kann302. Selbst wenn also mit einem Teil der Literatur anzunehmen wäre303, dass die Implementierung eines gleichgeschlechtlichen Verlöbnisses zur Verfassungswidrigkeit des Lebenspartnerschaftsgesetzes (insoweit oder als Gesamtwerk) hätte führen können, kann dies für begründete Einzelfallregelungen nicht gelten. (c) Letztlich ist auch noch festzustellen, dass die Ungleichbehandlung unverhältnismäßig im engeren Sinne ist. Zwar kann der Gesetzgeber sich auf seine Einschätzungsprärogative berufen, was die Einführung oder Veränderung von Rechtsnormen angeht; insoweit wäre denkbar, dass auch und gerade die pauschale, von den Erfordernissen einer konkreten Norm unberührte Abstufung zwischen heterosexuellen Verlobten und gleichgeschlechtlichen verlöbnisähnlichen Lebensformen hiervon getragen ist. Allerdings wirkt sich die Nähe des Differenzierungskriteriums (hier: zur Partnerwahl führende sexuelle Orientierung) zu Art. 3 Abs. 3 GG Vgl. BVerfGE 105, 313, 347 / 348, 350 (= BVerfG NJW 2002, 2543 ff.). Vgl. hierzu v. Mangoldt-Robbers, Art. 6 Rn. 44, 50 (s. aber auch ders., a. a. O. Rn. 48); Campenhausen VVDStRL 45 (1987), 7, 19 / 20; Pauly NJW 1997, 1955, 1956; Krings ZRP 2000, 409, 412 m.w.Nw. Krit. zur Ableitung eines solchen Abstandsgebots Ott NJW 1998, 117; dezidiert ablehnend gegenüber besonderen Belastungen nichtlegalisierter Lebensgemeinschaften auch AK-GG-Richter, Art. 6 Rn. 42. Für gleichgeschlechtliche Partnerschaften wird dem Geltungsanspruch eines derartigen Abstandserfordernisses vom Bundesverfassungsgericht im Urteil zum LPartG eine deutliche Absage erteilt, vgl. BVerfGE 105, 313, 347 f., 350 mit abweich. Mein. Papier, a. a. O., 357 und Haas, a. a. O., 359. 302 Vgl. BVerfGE 17, 210, 217; 24, 104, 109; 82, 6, 15; Pauly NJW 1997, 1955, 1956; v. Münch-Coester-Waltjen, Art. 6 Rn. 7, 9, 16; v. Mangoldt-Robbers, Art. 6 Rn. 44; Campenhausen VVDStRL 45 (1987), 7, 19 / 20; AK-GG-Richter, Art. 6 Rn. 36a; Risse, Der verfassungsrechtliche Schutz der Homosexualität, S. 260 / 261; BK-Rüfner, Art. 3 Abs. 1 Rn. 70 Fn. 250; s. auch I. v. Münch, Verfassungsrecht und nichteheliche Lebensgemeinschaft, S. 151. 303 s. die Nw. in Fn. 301. 300 301

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E. Besondere persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse

und der hiermit in Zusammenhang stehenden intensiven Grundrechtsbelastung durch die Benachteiligung des betroffenen Personenkreises auf die gesetzgeberische Einschätzungsprärogative aus, die in derartigen Fallkonstellationen deutlich eingeschränkt wird304. In der Nichtberücksichtigung spezifischer Erfordernisse der zur Ungleichbehandlung führenden Einzelnorm (§ 52 StPO) lässt sich jedenfalls kein schwerwiegender Grund zur Rechtfertigung dieser Ungleichbehandlung erkennen305. Vor diesem Hintergrund ist außerdem zu sehen, dass Art. 3 Abs. 3 GG gerade mit Rücksicht auf Minderheitenrechte konzipiert ist306, so dass die Erlässlichkeit einer Regelung für die sicherlich kleine Gruppe gleichgeschlechtlicher „Verlöbnisse“307 nicht unter Berufung auf den gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum zu begründen ist308. Festzuhalten bleibt, dass die Ungleichbehandlung homosexueller verlöbnisähnlicher Partnerschaften gegenüber heterosexuellen Verlöbnissen nicht gerechtfertigt ist. Daher verstößt § 52 Abs. 1 (auch) insoweit gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.

b) Verfassungskonforme Auslegung des § 52 Abs. 1 StPO Der Grundrechtsverstoß kann, wie oben309 dargelegt wurde, dann keine Nichtigkeit zur Folge haben, wenn der Wortlaut der Norm eine Auslegung zulässt, die verfassungskonform ist; von mehreren unterschiedlichen Auslegungsmöglichkeiten ist die verfassungsgemäße zu wählen. Auch die verfassungskonforme Auslegung darf allerdings nicht dem möglichen Wortsinn oder dem „gesetzgeberischen Ziel“ zuwiderlaufen310. Der „mögliche“ Wortsinn findet seine Grenze (jedenfalls) in der Überschreitung des – auch den spezifischen Umständen angepassten – speziellen gesetzgebe304 BVerfGE 88, 87, 97; Jarass / Pieroth, Art. 3 Rn. 31; Schmidt-Bleibtreu / Klein, Art. 3 Rn. 16a; diff. AK-GG-Stein, Art. 3 Abs. 1 Rn. 45 ff.; s. auch BVerfGE 50, 290, 332 / 333; 88, 5, 12; 98, 365, 385. 305 s. auch Rüfner in BK, Art. 3 Abs. 1 Rn. 18: Schutz „gerade gegen das Versehen des Gesetzgebers, gegen die unbeabsichtigte Nichtberücksichtigung kleiner Gruppen“. 306 Risse, Der verfassungsrechtliche Schutz der Homosexualität, S. 136 / 137; vgl. BVerfGE 92, 26, 52; 99, 367, 388; s. auch Maunz / Dürig-Dürig, Art. 3 Abs. 3 Rn. 34, 35: „Freiheit, anders zu sein“ und „anders zu bleiben“; Schmidt-Bleibtreu / Klein, Art. 3 Rn. 40. 307 Vgl. die prognostizierte Quote erwarteter Verpartnerungen oben in Fn. 24. 308 Zum gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG im Falle der Benachteiligung einer relativ kleinen Personengruppe und wenig intensiver Grundrechtsbeeinträchtigung BVerfGE 26, 265, 275 / 276; 91, 93, 115; 98, 365, 385; s. auch AKGG-Stein, Art. 3 Abs. 1 Rn. 47; BK-Rüfner, Art. 3 Abs. 1 Rn. 114; Jarass / Pieroth, Art. 3 Rn. 31. 309 s. oben E.V., S. 208. 310 Vgl. BVerfGE 8, 28, 34; 9, 194, 200; 35, 263, 280; 90, 263, 275; 70, 35, 63 / 64; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 80; Koch / Rüßmann, Juristische Begründungslehre, S. 267.

V. Grundrechtskonforme Auslegung des § 52 StPO

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rischen oder allgemeinen Sprachgebrauchs311. Im vorangegangenen Abschnitt E.IV.2.a) aa)312 wurde herausgearbeitet, dass der Begriff „Verlöbnis“ primär als Bezeichnung für Vorformen legalisierter Paarbeziehungen zu verstehen ist. Gerade das strafprozessuale heterosexuelle Verlöbnis unterscheidet sich vom familienrechtlichen Institut der §§ 1297 ff. BGB. Gemeinsam ist beiden die „mentale“ Ausrichtung auf das Eingehen einer legalisierten Paarbindung. Angesichts der Schaffung des Rechtsinstituts der Eingetragenen Lebenspartnerschaft wäre es danach nahe liegend, den Verlöbnisbegriff auch in Bezug auf dessen Vorformen anzuwenden und stellt, nicht zuletzt da landläufig vielfach die Rede von der „Homo-Ehe“ ist, keinen ersichtlichen Widerspruch zum allgemeinen Sprachgebrauch dar. Insoweit handelt es sich bei dem Begriff Verlöbnis in Bezug auf Vorformen Eingetragener gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften um einen „neutralen Kandidaten“313, der weiterer Konkretisierung zugänglich ist und jedenfalls aus sprachlichen Gründen eine Einbeziehung nicht ausschließt314. Oben315 wurde daher konsequenterweise als – konkretisierendes und damit letztlich entscheidendes – Kriterium und Hindernis einer Erfassung durch einfachgesetzliche Auslegung nicht auf den Wortlaut, sondern auf die Auslassung durch das Lebenspartnerschaftsgesetz abgestellt, die sich nun als verfassungswidrig darstellt. Das mit dem Lebenspartnerschaftsgesetz verfolgte gesetzgeberische Ziel ist die Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlich orientierter Lebensmuster316. Dieses Ziel wird nicht verfehlt oder gar umgekehrt durch eine Einbeziehung verlöbnisanaloger gleichgeschlechtlicher Partnerschaften in den Verlöbnisbegriff. Die Nicht-Aufnahme einer gleichgeschlechtlichen Verlöbnisform im Rahmen des § 52 StPO war nicht genau auf diese Norm bezogen und diente nicht dem Zweck, gerade Zeugnisverweigerungsrechte für solche Bindungen zu verschließen. Es ging darum, kein für das gesamte Rechtssystem verbindliches Institut eines gleichgeschlechtlichen Verlöbnisses zu konstituieren, nicht aber, entsprechende Vorformen Eingetragener Lebenspartnerschaften erneut zu diskriminieren. Ein explizit entgegenstehender, an der konkreten Norm orientierter gesetzgeberischer Wille lässt sich nicht feststellen. Als minus gegenüber einer Nichtigerklärung bietet sich daher die verfassungskonforme Auslegung des Zeugnisverweigerungsrechts aus persönlichen Gründen an.

311 s. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 322; Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 86; Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 47; Koch / Rüßmann, Juristische Begründungslehre, S. 194, 267 f.; Canaris, Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 22 / 23; Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 467 ff.; Krey, Studien zum Gesetzesvorbehalt, S. 45 ff., 127 ff., 146 ff. 312 s. insbesondere S. 204. 313 s. Koch / Rüßmann, Juristische Begründungslehre, S. 195 m.w.Nw. 314 Anders Schulz / Händel, StPO, § 52 Rn. 4, die der Auffassung sind, ein gleichgeschlechtliches Verlöbnis sei „begrifflich unmöglich“. 315 Abschnitt E.IV.2.a) aa) (2), S. 205. 316 BT-Drs. 14 / 3751, Begründung zum Entwurf des LPartG, S. 1.

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E. Besondere persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse

4. Fazit Verlöbnisähnliche Vorformen Eingetragener Lebenspartnerschaften können sich auf der Basis einer verfassungskonformen Auslegung des Verlöbnisbegriffs des § 52 Abs. 1 Nr. 1 StPO auf ein Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen berufen317.

VI. Analogiebildung Für sonstige informelle Lebensformen, namentlich also nichteheliche, nicht „verpartnerte“ Paarbeziehungen und enge Freundschaften, bleibt zu überlegen, ob die Gewährung von Zeugnisverweigerungsrechten aus persönlichen Gründen im Rahmen des Analogieschlusses geboten ist318. In Betracht kommen hier insbesondere die in § 52 Abs. 1 Nr. 1 bis 2a an den Begriffen „Ehegatte“, „Verlobte“, „Lebenspartner“ festgemachten Personalbindungen. Die für die Analogiebildung grundlegende, die Verbindung zum Gleichheitssatz manifestierende „Ähnlichkeit“ zwischen gesetzlich geregeltem und ungeregeltem Fall ist oben319 ausführlich herausgearbeitet worden. Allein die Übereinstimmung in tatsächlicher sowie wertender Hinsicht bedeutet aber noch nicht, dass auch eine dogmatisch fundierte Einbeziehung in den Normkontext möglich ist. Es bleibt vielmehr die generelle ebenso wie die – in Bezug auf die hier beispielhaft herausgehobenen zwischenmenschlichen Beziehungen – spezielle Eignung des § 52 StPO zur Fortbildung durch Analogieschluss festzustellen.

So i.E. jetzt auch Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1244. Für eine Analogiebildung sprechen sich (in Bezug auf Paarbeziehungen) aus: Skwirblies, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, S. 182 ff.; argumentativ nur auf zivilprozessuale Zeugnisverweigerungsrechte bezogen: Strätz FamRZ 1980, 301, 308; Staudinger-Strätz, Anh. zu §§ 1297 ff. BGB Rn. 18, 21, 233 ff.; ohne dogmatische Untermauerung: Bialek, Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen, S. 140 ff., 142 (für verschiedengeschlechtliche Partnerschaften; ablehnend für gleichgeschlechtliche Paarbeziehungen: a. a. O., S. 161, 162); Schreiber, Die nichteheliche Lebensgemeinschaft, Rn. 30; MeierScherling DRiZ 1979, 296, 299; Diederichsen FamRZ 1988, 889, 891 Fn. 15; MK-Wacke, § 1302 BGB, Anh. Rn. 61; s. auch Evans-von Krbek JA 1979, 236, 242. Mit unterschiedlichen Begründungen ablehnend: Pelchen, Festschrift für Pfeiffer, S. 295; Baier, Strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrechte außerhalb der StPO, S. 169; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1244; LR-Dahs, § 52 Rn. 17; KK-Senge, Rn. 11; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 24 Rn. 15; Spelthahn, Das Zeugnisverweigerungsrecht von Angehörigen eines Mitbeschuldigten, S. 55 / 56. 319 Abschnitt E.I., II.2 und E.V.1.a) cc). 317 318

VI. Analogiebildung

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1. Zulässigkeit der Analogiebildung320 Noch mehr als die sog. Rechtsfindung secundum legem durch einfachgesetzliche Auslegung, die zumindest ihre Begrenztheit durch den Gesetzeswortlaut hinnehmen muss, steht der Analogieschluss als Rechtsfortbildung praeter legem in einem Spannungsverhältnis zum Primat der Gesetzgebung, Gesetzesvorbehalt und Gewaltenteilungsprinzip. Für (materiell-)strafrechtliche Regelungen ist das Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG zu berücksichtigen. Zwar besteht im Wesentlichen Einigkeit darüber, dass Art. 103 Abs. 2 GG auf das Verfahrensrecht nicht anzuwenden ist321. Umstritten ist aber, inwieweit sich außerhalb des Geltungsbereichs dieses strafrechtlichen Analogieverbots Beschränkungen etwa aus dem Vorbehalt des Gesetzes ergeben müssen322. Dieser Streit bezieht sich auf die Ableitung belastender Eingriffsbefugnisse im Wege des Analogieschlusses; weitgehende Übereinstimmung herrscht umgekehrt dahingehend, dass Beschränkungen aufgrund des Gesetzesvorbehalts nicht bestehen und Analogien (jedenfalls) zulässig sind, wo sie zu Regelungen führen, durch die Betroffene nicht belastet, also nicht in Grundrechtspositionen beeinträchtigt werden323. Berücksichtigt man nur die Situation der Aussageperson, kann eine Analogie zu einem bestehenden Zeugnisverweigerungsrecht keine Belastung darstellen, sie hebt gerade den Grundrechtseingriff durch Statuierung des Aussagezwanges auf 320 Auf die These, „Ausnahmevorschriften“ seien einer analogen Anwendung nicht zugänglich (vgl. hierzu Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 194; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 355 f.), wird hier nicht näher eingegangen, weil die Einräumung von Zeugnisverweigerungsrechten rechtsdogmatisch als Wiederherstellung des „grundrechtseingriffsfreien Normalfalls“ (der regelmäßigen Aussagefreiheit) betrachtet wird und nicht als Ausnahme von der Aussagepflicht (s. hierzu schon oben, Abschnitt A.I., S. 18 f. sowie zur Gegenansicht Bialek, Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen, S. 97). 321 Vgl. nur Rüping, Das Strafverfahren, Rn. 17; Peters, Strafprozeß, S. 91 / 92; Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 69; Meyer-Goßner, Einl Rn. 198; LK-Gribbohm, § 1 Rn. 72; SKStGB-Rudolphi, § 1 Rn. 27; Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, S. 136 (diff.: Schlüchter, Das Strafverfahren, Rn. 217 Fn. 178; Schönke / Schröder-Eser, § 1 Rn. 34). S. aber SK-StPO-Rudolphi, Vorb. vor § 94 Rn. 13 ff., 26 f.; KK-OWiG-Rogall, § 3 Rn. 65; s. auch BVerfGE 25, 269, 287; BVerfG NJW 1992, 2877 (2 BvR 294 / 91); Jarass / Pieroth, Art. 103 Rn. 42. 322 Für Beschränkungen aufgrund des Vorbehalts des Gesetzes sprechen sich aus: Rüping, Das Strafverfahren, Rn. 17; SK-StPO-Rudolphi, Vorb. vor § 94 Rn. 13 ff., 26 f.; KK-OWiGRogall, § 3 Rn. 65; Amelung NStZ 1982, 38, 40; Wolter GA 1988, 49, 60; Bottke Jura 1987, 356 ff., 362; Burgdorf / Ehrentraut / Lesch GA 1987, 106, 124 ff.; s. auch Krey, Studien zum Gesetzesvorbehalt, S. 41 f., 240 ff. 323 Vgl. Rüping, Das Strafverfahren, Rn. 17; Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 69; Peters, Strafprozeß, S. 91 f.; Pelchen, Festschrift für Pfeiffer, S. 294; Meyer-Goßner, Einl Rn. 198; KK-OWiG-Rogall, § 3 Rn. 65; LK-Gribbohm, § 1 StGB Rn. 72, 73; Schönke / Schröder-Eser, § 1 StGB Rn. 34; SK-StGB-Rudolphi, § 1 Rn. 27; Strätz FamRZ 301, 308; vgl. auch Schlüchter, Das Strafverfahren, Rn. 217 Fn. 178. S. außerdem BGHSt 34, 362, 363; 36, 155, 158; 36, 384, 386 ff.; BGH NStZ 1984, 409, 410; KG JR 1988, 390; OLG Düsseldorf NStZ 1984, 567; OLG Düsseldorf StV 1983, 11, 12; OLG Hamm NStZ 1983, 189.

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E. Besondere persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse

und belässt der Zeugin oder dem Zeugen die Wahl über die Aussageerstattung oder Verweigerung. Diffiziler stellt sich die Lage dar in Bezug auf die Rechte von Beschuldigten. Den Zeugnisverweigerungsrechten haftet insoweit eine gewisse „Janusköpfigkeit“ an. Der Wegfall einer Beweisperson und ihrer Aussage schneidet Sachaufklärungsmöglichkeiten ab, was sich vor allem im Fall potenziell entlastender Beweisergebnisse für Beschuldigte als nachteilig und als mittelbare Beeinträchtigung ihrer Rechte darstellen kann324. Inwieweit sich hieraus Hindernisse für eine analoge Anwendung des § 52 StPO ableiten lassen325, kann allerdings dahinstehen, wenn eine Analogiebildung letztlich aus anderen Gründen scheitern muss: Ist die Begrenzung der bestehenden Regelung als durchaus zielgerichtet und dem Regelungsziel konform anzusehen, weil die Verbreitung informeller Paarbindungen und die Existenz enger extrafamilialer, nichtlegalisierter „Netzwerke“ auch im historischen Kontext gerade keine neuen Phänomene darstellen, bleibt für einen Analogieschluss ohnehin kein Raum mehr. Dies ist daher vorrangig zu erörtern.

2. Planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes oder „beredtes Schweigen“? Jede Rechtsfortbildung soll angesichts des Grundsatzes des Vorrangs des Gesetzes und des Gewaltenteilungsprinzips gesetzesimmanent bleiben; daraus ergibt sich die Abhängigkeit des Analogieschlusses von der Feststellung einer Regelungslücke in der für die Analogie zu öffnenden Norm326. „Lücke“ bedeutet allerdings nicht einfach nur gesetzgeberisches „Schweigen“; ein solches kann gerade auch „beredt“ sein, wenn dem Gesetzgeber bestimmte Umstände nicht unbekannt sind, er sie aber aus den unterschiedlichsten Gründen nicht regeln will327. Vielmehr wird eine Regelungslücke definiert als „planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes“, die unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Regelungsabsicht, subjektiv- und objektiv-teleologischer Kriterien zu erschließen ist328. s. auch Weigend, Gutachten für den 62. DJT, S. C 18 / 19. Der BGH zumindest scheint in vergleichbaren Fallgestaltungen keine Probleme zu erkennen, vgl. BGHSt 46, 1, 4 ff. (= NStZ 2001, 49, 50), wo zum Nachteil des Angeklagten § 252 StPO entsprechend angewandt wurde durch Ausschluss einer gegenüber seinem Verteidiger abgelegten, entlastenden Zeugenaussage. 326 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 367, 370; Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 19 ff., 25, 37 ff.; Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 181; s. auch Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 67. 327 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 370 / 371; Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 39 ff., 44 ff.; Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 181 (vgl. zum Begriff des „qualifizierten“ oder „beredten“ Schweigens Canaris, a. a. O., S. 39 / 40). 324 325

VI. Analogiebildung

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Von der planwidrigen Unvollständigkeit sind insbesondere – unter veränderten gesellschaftlichen, politischen oder rechtlichen Verhältnissen sinnwidrig erscheinende – „Nichtregelungen“ zu unterscheiden, bei denen es sich nicht um Lücken im hier relevanten Sinn, sondern um verbesserungsbedürftige „rechtspolitische Fehler“329 in der Gesetzgebung handelt. Die objektiv-teleologische Auseinandersetzung mit § 52 Abs. 1 hat ergeben, dass bestimmte Personenkreise, die nach dem Normkonzept zu berücksichtigen wären, nicht berücksichtigt sind. In Betracht kommt einerseits, dass es sich bei den thematisierten informellen Lebensweisen um Phänomene handelte, deren Existenz, Verbreitung und (faktische) gesellschaftliche Bedeutung dem Gesetzgeber nicht bewusst war, sei es, weil er ihre Existenz und Bedeutung versehentlich ignorierte oder weil es sie noch nicht gab. In diesem Fall ließe sich für § 52 StPO das Bestehen einer anfänglichen, unbewussten, offenen Lücke330 konstatieren. War dem Gesetzgeber hingegen bekannt, dass es Freundschaften und informelle Paarbeziehungen gab und diesen aufgrund ihrer Verbreitung oder gesellschaftlicher Umstände die gleiche sozial stabilisierende und persönlichkeitsbildende Bedeutung zukam wie sie Verlöbnis, Ehe und Familie (für das neuere Recht: der Eingetragenen Lebenspartnerschaft) zugeschrieben wurde; wollte er sie nur aus Gründen, die heute keine Geltung mehr beanspruchen sollen, nicht in die Privilegierung einbeziehen, handelt es sich nicht etwa um eine offene, unbewusste nachträgliche Unvollständigkeit der Norm, sondern um einen nachträglich eingetretenen Wertungswiderspruch. Hierin ist keine ausfüllungsfähige „Lücke“ zu sehen331, denn es wäre keine „planwidrige“ Unvollständigkeit zu konstatieren, sondern ein „beredtes Schweigen“, das heute nur aufgrund einer veränderten Bewertung planwidrig erscheinen mag. Da hiervon abhängt, ob die Beschränkung des § 52 Abs. 1 StPO auf legalisierte Personenverhältnisse eine dem Analogieschluss zugängliche Lückenhaftigkeit der Norm begründet, ist auf den Kenntnisstand des historischen Gesetzgebers zur Existenz, Verbreitung und sozialen Bedeutung informeller persönlicher Nähebeziehungen abzuheben. 328 s. nur Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 16, 30, 31 ff., 55 ff.; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 373; Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 176, 180 ff. 329 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 374; Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 33 f., 73. s. aber BVerfGE 82, 6, 12. 330 Zur Differenzierung zwischen offenen und verdeckten, anfänglich bewussten bzw. nicht bewussten oder nachträglichen Lücken vgl. nur Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 129 ff., 134 ff.; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 377 ff., 379. 331 Vgl. zum Umgang mit derartigen Wertungswidersprüchen Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 381; Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 207, 213 / 214; Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 135. S. aber BVerfGE 82, 6, 12, wonach neben dem Wandel sozialer Verhältnisse auch der Wandel gesellschaftspolitischer Anschauungen für die Annahme einer Gesetzeslücke ausreichend sein soll. Dieser Ansicht kann nur schwer gefolgt werden, denn sie übergeht die gesetzgeberische Rechtsetzungshoheit (vgl. insoweit auch Risse, Der verfassungsrechtliche Schutz der Homosexualität, S. 270).

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E. Besondere persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse

Dieser hat nicht explizit zu der Frage Stellung genommen, ob die Beschränkung des Personenkreises des § 52 StPO auf legalisierte und – was die Einbeziehung des Verlöbnisses angeht – quasi-legalisierte Bindungen der überlegten Ausgrenzung informeller Paarbeziehungen und sonstiger Näheverhältnisse dienen sollte. Um näheren Einblick in den gesetzgeberischen Kenntnisstand zu erhalten, ist daher nochmals in aller Kürze auf den sozialgeschichtlichen Hintergrund der Norm Bezug zu nehmen. a) Informelle Paarbeziehungen Vor allem im juristischen Schrifttum findet sich nicht selten die – unbelegte – Auffassung, Existenz und Verbreitung nichtlegalisierter Paar- und Familienbeziehungen oder das Leben außerhalb enger familiärer Bindungen seien sozialgeschichtlich „neue“, zur Zeit der Schaffung der RStPO unbekannte und außerhalb des gesetzgeberisch Vorstellbaren liegende Phänomene, die gängige Lebensform des 18. und 19. Jahrhunderts sei das Zusammenleben in „(Generationen-)Großfamilien“ gewesen332. Auf dem Boden des heutigen sozialhistorischen Kenntnisstandes müssen diese Annahmen als widerlegt gelten333. Das soll mit einem – notwendigerweise schattenrissartig angelegten – Exkurs zur Entwicklung gemeinschaftsorientierter Lebensformen bis zur Schaffung der RStPO dargestellt werden. aa) Institutionalisierte und nichtinstitutionalisierte Lebensformen in vorindustrieller Zeit Das Rechtsinstitut der Zivilehe, wie es heute etabliert ist und die Basis legalisierter Familienbildung darstellt, wurde erst kurz vor Schaffung der RStPO eingeführt. Die Wurzeln des Zusammenlebens innerhalb informeller Beziehungsmuster lassen sich demgegenüber zurückverfolgen bis in die römische Geschichte, wo neben unterschiedlichen Ehevarianten das „Konkubinat“ als geläufige und in der gesellschaftlichen Wirklichkeit weithin akzeptierte Form der Lebensgemeinschaft verbreitet war334. Und auch für die letzten Jahrhunderte lässt sich belegen, dass es 332 Vgl. Bialek, Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen, S. 120 / 121, 138; Baier, Strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrechte außerhalb der StPO, S. 169; Skwirblies, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, S. 183 / 184; s. auch BGH NJW 1990, 1666, 1667; P. Schmitt, Die Berücksichtigung der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 58 Fn. 64; Weigend, Gutachten für den 62. DJT, S. C 72; Gross-Spreitzer, Die Grenzen der Telefonüberwachung, S. 113. 333 So auch – als einer der ganz wenigen Vertreter der rechtswissenschaftlichen Literatur – zutreffend Richter in AK-GG, Art. 6 Rn. 12. 334 Von ursprünglich drei unterschiedlich ritualisierten Formen der Eheschließung blieb in Rom diejenige übrig, die an die Tatsache ehelichen Zusammenlebens anknüpfte: hatte ein Mann ein Jahr lang mit einer Frau gelebt, konnte ihm die „Ehegewalt“ über diese Frau und ihr gesamtes Vermögen nicht mehr entzogen werden, es sei denn, die Frau hatte drei Nächte

VI. Analogiebildung

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stets und in mehr als marginalem Ausmaß diverse Formen des nicht durch familiäre oder eheliche Bindung legitimierten Zusammenlebens und -wohnens gab. Vor und zu Beginn der Industrialisierung bestand eine große Vielfalt „familialer“ Lebensformen, in denen nahezu alle heute geläufigen Lebens- und Beziehungsformen schon vertreten waren335. Ehe und Familie erfüllten zunächst in erster Linie wirtschaftliche Funktionen: die Ehe war – insoweit in historischer Kontinuität336 – stets Anlass für Eigentumsbeziehungsweise Besitzübertragungen und sonstige wichtige ökonomisch motivierte Regelungen, die zwischen den Familien der zu Verheiratenden getroffen werden sollten; die Partnerwahl war entscheidend für die materielle Versorgung der Angehörigen, die Weiterführung der Wirtschaft oder den Fortbestand des Familienverbands337. Gleichzeitig war die Ehe Basis der gesellschaftlichen Legitiim Jahr nicht im Haus ihres Mannes verbracht; in diesem Fall blieb die vollgültige Ehe bestehen, der Mann gewann aber nicht die Ehegewalt. Diese „manus-freie“ Ehe war vorteilhaft für die Frau und ihre Herkunftsfamilie und wurde zum Standard. Daneben gab es stets faktische Lebensgemeinschaften zwischen Personen, die nicht heiraten konnten oder zwischen Bürgern, die die Ehe hätten eingehen können, aber nicht wollten; für diese beinahe durchgängig geduldeten und relativ verbreiteten Gemeinschaften existierte die Bezeichnung concubinatus. (Trotz dieser fein differenzierenden Regelungskomplexe ist zu berücksichtigen, dass historisch gesehen die Ehe gegenüber der römischen Familien- und Hausgemeinschaft, der „familia“ (s. o. D., S. 143 Fn. 76), von untergeordneter Bedeutung war.) Die Ehe des mittelalterlichen „deutschen“ Rechts ähnelte in Form, Ausgestaltung und Zielsetzung der römischen: die Muntehe als Vertrag zwischen zwei wohlhabenden, bedeutenden Familien stellte ein Mittel der Politik dar; der Mann „erwarb“ die Frau und ihr Vermögen. Die freiere Friedelehe war eine reine Konsensehe; die Frau verblieb rechtlich in ihrer eigenen Familie. Die Parallele zum concubinatus wird in der Kebsehe gesehen, einer jederzeit auflösbaren informellen Lebensgemeinschaft, die in der Regel von Personen eingegangen wurde, die nicht heiraten konnten. Die Lebensform des Konkubinats hielt sich bis ins hohe Mittelalter; sie wurde zwar zunehmend kirchlicherseits verurteilt, faktisch aber überwiegend geduldet (vgl. zum ganzen E. M. v. Münch, Ehe und eheähnliches Zusammenleben, S. 3 ff., 5 ff., 8; Becker, Die nichteheliche Lebensgemeinschaft in der Rechtsgeschichte, S. 15 ff., 19 f., 23 ff., 28 ff.; Schott, Lebensgemeinschaft zwischen Ehe und Unzucht, S. 15 ff.; Schneider / Rosenkranz / Limmer, Nichtkonventionelle Lebensformen, S. 68 ff.). 335 Huinink / Wagner, Individualisierung und die Pluralisierung von Lebensformen, S. 92 / 93; Möhle, Nichteheliche Lebensgemeinschaften in historischer Perspektive, S. 202; Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 21 m.Nw.; Burkart / Fietze / Kohli, Liebe, Ehe, Elternschaft, S. 72; s. auch E. M. v. Münch, Ehe und eheähnliches Zusammenleben, S. 9, Mitterauer / Sieder, Vom Patriarchat zur Partnerschaft, S. 39 f. sowie die ausführlichen Schilderungen bei Schneider / Rosenkranz / Limmer, Nichtkonventionelle Lebensformen, S. 32, 34, 49, 68 ff., 92, 132. Der quantitative Anteil informeller Lebensformen ist allerdings nicht genau zu erfassen, die Heimlichkeit, mit denen viele dieser Beziehungen (aufgrund sozialer wie strafrechtlicher Sanktionierung) gelebt wurden, erschwert die Erfassung; vgl. Möhle, a. a. O., S. 185 / 186. 336 s. Fn. 334. 337 Möhle, Nichteheliche Lebensgemeinschaften in historischer Perspektive, S. 197, 202; Mitterauer / Sieder, Vom Patriarchat zur Partnerschaft, S. 16, 151; Sieder, Sozialgeschichte der Familie, S. 60 / 61; Huinink / Wagner, Individualisierung und die Pluralisierung von Lebensformen, S. 93; Burkart / Fietze / Kohli, Liebe, Ehe, Elternschaft, S. 68 f., 70.

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mation der Familiengründung, die bis zur Dominanz außerhäuslicher Erwerbstätigkeit die gemeinsame Erarbeitung des Lebensunterhalts erst ermöglichte. In der Landwirtschaft oder im Handwerk war eine Einzelperson kaum in der Lage, ihre Existenzgrundlage auf sich allein gestellt zu erwirtschaften und zumindest minimal abzusichern. Phasen des Alleinwohnens hingen in der vorindustriellen Zeit meist mit einer Verwitwung zusammen und waren daher der (relativ) älteren Generation vorbehalten; sie wurden so zügig wie möglich beendet durch eine Wiederverheiratung und die Einstellung von Hilfspersonen, notfalls durch Integration in einen größeren Haushalt, als „Inwohner“ (eine Art mitarbeitender Untermieter) etwa bei Verwandten, oder die Aufnahme ins Armenhaus338. Die übliche und dominante Form des gemeinschaftsorientierten Zusammenlebens in der vorindustriellen Zeit war für Deutschland ebenso wie für den Rest Mittel- und Westeuropas nicht die Drei- (oder mehr) Generationenfamilie mit Großeltern, Eltern, zahlreichen Kindern und Verwandten der Seitenlinie, sondern die Wohn- (und Wirtschafts-)Form des sog. „ganzen Hauses“, in dem alle zentralen Funktionen, insbesondere Produktion, Konsumtion, Sozialisation339 und Gesundheitsfürsorge erfüllt wurden. Diese Sozialform war geprägt von den Erfordernissen des gemeinsamen Wirtschaftens, der Einheit von Produktion und Familienleben, und nicht auf biologisch begründete Verwandtschaftsbeziehungen beschränkt. Vielmehr wurden in der Landwirtschaft die Mägde und Knechte, bei Handwerkern die Gesellen und Lehrlinge sowie das sonstige zur Bewirtschaftung benötigte Dienstpersonal in den Haushalt aufgenommen340. Zu diesen nicht verwandten Personen bestand dann ein – nicht näher hinterfragtes – quasi-familiäres Verhältnis. Allerdings verstanden sich derartige „familiale“ Beziehungen nicht vor dem Hintergrund heutiger Vorstellungen von Familienleben als auf Dauer zusammengesetzter, emotionalisierter Sozialisationsenklave im Rahmen persönlicher Nähe- und Vertrauensbeziehungen. Vorrangig war ein allseits funktionsorientiertes, eher gefühlsarmes Zusammenleben und -wirtschaften, das schon mit der zweckgerichteten Auswahl der Partner begann und sich im Verhältnis zu den Kindern fortsetzte. Die Charakterisierung blutsverwandter und sonstiger Hausangehöriger orientierte sich nicht am Verwandtschaftsgrad; entscheidend für Status und Umgang war die Rolle und Funktion, die im Haus eingenommen wurde, so dass Töchter und Söhne, die 338 Möhle, Nichteheliche Lebensgemeinschaften in historischer Perspektive, S. 201 / 202; Mitterauer / Sieder, Vom Patriarchat zur Partnerschaft, S. 151, s. auch S. 42, 66; Sieder, Sozialgeschichte der Familie, S. 59; Schneider / Rosenkranz / Limmer, Nichtkonventionelle Lebensformen, S. 32. 339 Die allerdings mehr als Ausbildung verstanden werden muss und weniger als Instrument der Persönlichkeitsbildung, s. Mitterauer / Sieder, Vom Patriarchat zur Partnerschaft, S. 113. 340 s. nur Mitterauer / Sieder, Vom Patriarchat zur Partnerschaft, S. 39 ff., 46 ff., 54 f., 65, 109 ff., 151; Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 21 / 22. Der Anteil Bediensteter in vorindustriellen Haushalten lag, sowohl was ihren Anteil an der Gesamtbevölkerung als auch den an der Hausgemeinschaft betraf, bei etwa 7 bis 15%, vgl. Mitterauer / Sieder, a. a. O., S. 67.

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als Knechte, Mägde etc. eingesetzt wurden, die gleiche Behandlung erfuhren wie die von außen hinzugekommenen Mägde und Knechte und für sie die gleichen Regeln galten341. Zwar konnten durchaus persönliche Beziehungen zwischen einzelnen Mitgliedern des „ganzen Hauses“ bestehen, diese waren aber weder konstitutiv für das Zusammenleben noch abhängig von verwandtschaftlichen oder sonstigen eher formellen Bindungen. Auch haben innerhalb dieser Wirtschaftsverbände nicht mehrere Generationen einer Herkunftsfamilie zusammengelebt. Dem stehen schon demographische Faktoren entgegen, weil die Kindersterblichkeit hoch und die Lebenserwartung Erwachsener deutlich kürzer war als heute342; meist erlaubten die räumlichen Gegebenheiten und die Ertragslage auf einem Hof oder in einem Handwerksbetrieb das Zusammenleben mehrerer Generationen gar nicht343. Die nicht erbenden Kinder verließen, wenn ihre Arbeitsleistung nicht mehr benötigt wurde, das Haus, um in anderen Haushalten als Bedienstete, Knechte und Mägde in Dienst zu treten, so dass ein Teil der älteren Kinder schon nicht mehr im Haus war, wenn jüngere geboren wurden; diese Tendenz zur stetigen Fluktuation hatte außerdem zur Folge, dass im Regelfall keine erwachsenen Verwandten der Seitenlinie (aus Sicht der Nachfolgegeneration: Tanten oder Onkel) im Haus lebten344. Für die nicht erbenden Kinder kam eine Heirat nicht in Betracht, solange sie noch im Haus (oder in anderen Haushalten als Dienstpersonal) lebten, für das erbende Kind erst, wenn es hinreichend materiell abgesichert war, d. h. in der Regel nicht, bevor ihm mit dem Hof beziehungsweise der Werkstatt die Hausherrenstellung übergeben werden konnte345. Der Gesindestatus oder der Gesellenstatus innerhalb des „ganzen Hauses“ war darauf angelegt, ein biographisches Durchgangsstadium darzustellen, an dessen Ende die Eheschließung und die Gründung eines eigenen Haushalts stand 341 Vgl. zum ganzen Mitterauer / Sieder, Vom Patriarchat zur Partnerschaft, S. 36 f., 38 ff.; Sieder, Sozialgeschichte der Familie, S. 38 ff., 120; Lauterbach, Die Dauer nichtehelicher Lebensgemeinschaften, S. 272; Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 21; Barabas / Erler, Die Familie, S. 37 / 38 f. 342 s. das Beispiel bei Mitterauer / Sieder, Vom Patriarchat zur Partnerschaft, S. 59 / 60: sogar unter der eher unrealistischen Prämisse, dass – bei einem mittleren Sterbealter zwischen 55 und 60 Jahren sowie einem dem „European marriage pattern“ entsprechenden durchschnittlichen Heiratsalter, das bei etwa 25 bis 30 Jahren lag – für den Beispielsfall jeweils bereits im ersten Jahr nach der Hochzeit ein erbberechtigtes Kind geboren wurde, das bis ins Erwachsenenalter überlebte, bestand nur für einen sehr kurzen Zeitraum die Möglichkeit des Zusammenlebens aller drei Generationen in einem gemeinsamen Haushalt; vgl. ergänzend Rosenbaum, Formen der Familie, S. 489 f. 343 Mitterauer / Sieder, Vom Patriarchat zur Partnerschaft, S. 55 / 56, 64; Mitterauer, Ledige Mütter, S. 44, 47 / 49; Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 21 / 22. 344 Mitterauer / Sieder, Vom Patriarchat zur Partnerschaft, S. 68 / 69; Sieder, Sozialgeschichte der Familie, S. 49, 61; s. auch die Darstellung bei Mitterauer, Ledige Mütter, S. 44 / 45, aus der die Fluktuation innerhalb der (biologischen) Familie gut ersichtlich wird. Die Idee von einem generationenübergreifenden, innig verbundenen Familienkreis als Basis sozialen Zusammenlebens kann daher nicht als Begründung für die Integration formal sehr weit entfernt verwandter oder verschwägerter Personen in den Bezugsrahmen des § 52 StPO herangezogen werden; s. schon oben D.II.1.b), S. 143. 345 Mitterauer, Ledige Mütter, S. 49.

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beziehungsweise stehen sollte; diese Phase konnte allerdings beliebig lange oder für immer fortdauern, da die an Heiratswillige gestellten ökonomischen Anforderungen nur von wenigen zu erfüllen waren346. Verheiratetes Dienstpersonal, das in der Familie des Dienstgebers lebte, gab es nur ganz selten. Nichteheliche Beziehungen zwischen alleinstehenden Angehörigen der ärmeren Bevölkerungsschichten waren daher in der vorindustriellen Zeit – gerade im ländlichen Raum – häufig und wurden weithin als normal empfunden347.

bb) Nichteheliche Lebensformen in frühindustrieller Zeit bis zum Ende des 19. Jahrhunderts Im Zuge des strukturell-funktionalen Differenzierungsprozesses von Wohnen, Leben und Arbeiten, der im Verlauf der Industrialisierung eintrat348, büßte die Sozialform des „ganzen Hauses“ an Bedeutung ein349. In Form von Arbeitsstätten auf der einen, Wohnstätten auf der anderen Seite entstanden getrennte Aktionskreise. In der gesellschaftlichen Minderheit des gebildeten, wohlhabenden Bürgertums kristallisierte sich vor diesem Hintergrund das – von nun an prägende – Konzept der „bürgerlichen Familie“ heraus, das im Rahmen der Entwicklung voneinander unabhängiger öffentlicher und privater Lebenssphären, in denen ein arbeitsteiliges Zusammenwirken angestrebt wurde, zu einer Polarisierung der Geschlechterrollen führte. Damit einher ging eine Intimisierung der zwischenmenschlichen Beziehun346 Die Eheschließung war vielfach durch den Gutsherrn oder die Zunft reglementiert. Mittellosen Personen, von denen nicht erwartet wurde, dass sie erben oder in absehbarer Zeit einen Bauernhof oder ein eigenes Haus und eine Werkstatt gründen und damit „familienfähig“ werden könnten, blieb die Heirat häufig verschlossen; dies betraf vor allem Dienstboten, Tagelöhner, Handwerksgesellen und alle anderen, die nicht genug Vermögen erwirtschaften konnten. Vgl. zum ganzen Mitterauer / Sieder, Vom Patriarchat zur Partnerschaft, S. 30, 152; Sieder, Sozialgeschichte der Familie, S. 111 ff., 123; Mitterauer, Ledige Mütter, S. 50, 95; Burkart / Kohli, Liebe, Ehe, Elternschaft, S. 95 ff.; Schneider / Rosenkranz / Limmer, Nichtkonventionelle Lebensformen, S. 34. Zu Heiratsbeschränkungen für Soldaten und daraus resultierenden nichtehelichen Lebensformen vgl. Pröve, Zwangszölibat, Konkubinat und Eheschließung, S. 82 ff., 86 ff. 347 Mitterauer / Sieder, Vom Patriarchat zur Partnerschaft, S. 40 / 41, 67, 153 ff.; Sieder, Sozialgeschichte der Familie, S. 121 (differenzierend in Bezug auf Handwerksgesellen); Mitterauer, Ledige Mütter, S. 56 ff., 58 ff.; Schlemmer, „Living apart together“, S. 366; Burkart / Fietze / Kohli, Liebe, Ehe, Elternschaft, S. 70, 95 f.; Barabas / Erler, Die Familie, S. 33; s. auch Blasius, Ehescheidung in Deutschland, S. 84; Huinink / Wagner, Individualisierung und die Pluralisierung von Lebensformen, S. 93. S. außerdem Pröve, Zwangszölibat, Konkubinat und Eheschließung, S. 86 ff., 91. 348 Zu spezifischen Zwischenformen, wie z. B. Bergarbeiterfamilien oder den protoindustriellen (ländlichen) Heimarbeiterfamilien des 18. und 19. Jahrhunderts, vgl. Sieder, Sozialgeschichte der Familie, S. 73 ff., 148 ff., 159 ff. 349 Sieder, Sozialgeschichte der Familie, S. 132; Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 22; s. auch Mitterauer / Sieder, Vom Patriarchat zur Partnerschaft, S. 65, 111.

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gen, das bürgerliche Liebesideal der Dauerhaftigkeit und Exklusivität wurde propagiert und entwickelte sich nach und nach zum gesellschaftlichen Leitbild des 19. Jahrhunderts350. Die Emotionalisierung der familiären Beziehungen korrespondierte mit der Beschränkung des Zusammenlebens auf engste Familienangehörige. Erstmals bildete sich „Familiensinn“ als typische Grundhaltung breiterer Bevölkerungsschichten heraus. Ehe und Familie galten damit nunmehr als „Grundpfeiler der bürgerlichen Gesellschaft“. Diese Entwicklung ging einher mit einer stärkeren Diskriminierung vor- und außerehelicher Beziehungen351. Was sich bis zum Ende des 19. Jahrhunderts durchgesetzt hatte, war eine alle Schichten durchziehende normative Orientierung am bürgerlichen Familienleitbild352. Damit war die Ehe die einzige allgemein sozial anerkannte partnerorientierte Lebensform, nichteheliches Zusammenleben wurde in zahlreichen Partikularstaaten auch obrigkeitlich sanktioniert353. Zwischen Rechtsnormen, sozialer Bewertung und dem wirklichen Leben bestand aber gerade für die ärmeren Schichten eine erhebliche Diskrepanz: Das bürgerliche Ideal konnte praktische Relevanz nur für die Bevölkerungskreise entfalten, die sich die Finanzierung einer Sphäre familialer Privatheit leisten konnten; daher traten neben die verbürgerlichte Familie vielfältige Lebensformen der zahlenmäßig überwiegenden, weniger wohlhabenden Bevölkerungsgruppen354. In den traditionell armen Schichten, insbesondere in den Arbeiterfamilien fehlten praktisch alle materiellen Möglichkeiten zur Umsetzung dieses kulturellen Leitbildes, daher kam für weite Teile der Bevölkerung ein Leben in legalisierten Familienformen nicht in Frage: Mit beginnender beziehungsweise fortschreitender 350 Huinink / Wagner, Individualisierung und die Pluralisierung von Lebensformen, S. 94; Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 22 / 23, 25; Mitterauer / Sieder, Vom Patriarchat zur Partnerschaft, S. 160, 161 / 162; Sieder, Sozialgeschichte der Familie, S. 130 ff., 132; Burkart / Fietze / Kohli, Liebe, Ehe, Elternschaft, S. 70 / 71. Zum Liebes- / Ehe-Begriff der Romantik s. auch T. Koch, Ehe und „Nicht-eheliche Lebensgemeinschaft“ als Thema der Ethik, S. 56 ff. 351 Mitterauer / Sieder, Vom Patriarchat zur Partnerschaft, S. 160 ff.; Huinink / Wagner, Individualisierung und die Pluralisierung von Lebensformen, S. 94. 352 Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 24; s. auch Mitterauer / Sieder, Vom Patriarchat zur Partnerschaft, S. 164; Möhle, Nichteheliche Lebensgemeinschaften in historischer Perspektive, S. 198. 353 In einigen Partikularrechten war das „Konkubinat“ als solches strafbar, teilweise wurde es strafrechtlich oder polizeirechtlich als „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ verfolgt. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein konnte die (Wohn-) Raumüberlassung an Nichtverheiratete gem. §§ 180, 181 StGB a.F. sanktioniert werden; diese Normen wurden erst durch das 4. StRG vom 23. 11. 1973 abgeändert. Vgl. zum Ganzen Möhle, Nichteheliche Lebensgemeinschaften in historischer Perspektive, S. 183, 193 ff.; Becker, Die nichteheliche Lebensgemeinschaft in der Rechtsgeschichte, S. 36, 37; Schott, Lebensgemeinschaft zwischen Ehe und Unzucht, S. 30; s. auch Blasius, Ehescheidung in Deutschland, S. 88 ff., 92 ff. 354 Mitterauer / Sieder, Vom Patriarchat zur Partnerschaft, S. 163; Huinink / Wagner, Individualisierung und die Pluralisierung von Lebensformen, S. 95; Blasius, Ehescheidung in Deutschland, S. 86, 92 f.

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Industrialisierung verlor das landwirtschaftliche und handwerkliche Erwerbsleben an Bedeutung. Ein Teil der besitzlosen Landbevölkerung, unter anderem also die nichtfamilialen Mitglieder des „ganzen Hauses“, zog dorthin, wo es Arbeits- und Erwerbsmöglichkeiten gab, zu den neu entstandenen Industrieansiedlungen355. Sie arbeiteten für die zahlreicher werdenden Fabriken und wohnten als „Schlafgänger“ oder „Bettgeher“356. Dieses Leben zur Untermiete war im Zuge der Industrialisierung eine typische Form des „Allein“-Wohnens von Unterschichtangehörigen. 1871 waren etwa sechzig Prozent der Bevölkerung (formal) ledig357; nicht zuletzt aufgrund dieser hohen Quote Nichtverheirateter wird davon ausgegangen, dass ein Teil der Arbeiterschaft vorübergehend oder auf Dauer in nichtehelichen Beziehungen lebte358. Ebenso wie zuvor im ländlich-dörflichen Leben bestanden auch in städtischen Arbeitervierteln feste, nichteheliche Beziehungen, die meist der gesamten Hausgemeinschaft und Nachbarschaft bekannt waren und akzeptiert wurden359. Aufgrund überwiegend vermögensabhängiger – rechtlicher wie faktischer – Eheschließungshindernisse360 war es häufig auch dann nicht möglich zu hei355 Mitterauer / Sieder, Vom Patriarchat zur Partnerschaft, S. 156; Sieder, Sozialgeschichte der Familie, S. 184. 356 D.h. sie mieteten in Schlafhäusern oder fremden Haushalten einzelne Räume oder häufiger sogar nur (begrenzt auf die Schlafenszeit) Betten bzw. Bettanteile, vgl. Rosenbaum, Formen der Familie, S. 420 / 421; Schneider / Rosenkranz / Limmer, Nichtkonventionelle Lebensformen, S. 34, 50; Sieder, Sozialgeschichte der Familie, S. 156; Mitterauer / Sieder, Vom Patriarchat zur Partnerschaft, S. 163. 357 Burkart / Fietze / Kohli, Liebe, Ehe, Elternschaft, S. 16; Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 69; s. auch Sieder, Sozialgeschichte der Familie, S. 198, demzufolge Mitte des 19. Jahrhunderts höchstens ein Viertel der städtischen Bevölkerung Österreichs und Preußens verheiratet war, sowie Mitterauer / Sieder, Vom Patriarchat zur Partnerschaft, S. 163, die für Wien angeben, 1869 seien nur 36% der Arbeiter verheiratet oder verwitwet gewesen, von den selbstständig Erwerbstätigen aber 86%. 358 Mitterauer / Sieder, Vom Patriarchat zur Partnerschaft, S. 163; Peuckert, Familienformen im sozialen Wandel, S. 69. Nach Barabas / Erler, Die Familie, S. 32, lag der Anteil unehelicher Geburten vor 1871 bei 15 bis 20%. 359 Diese Bekanntheit im engeren sozialen Rahmen manifestierte die subjektive Verbindlichkeit der Beziehung und begründete ihre Legitimität, vgl. Sieder, Sozialgeschichte der Familie, S. 204 / 205. 360 Neben zahlreiche kirchenrechtliche Heiratsbeschränkungen (vgl. Möhle, Nichteheliche Lebensgemeinschaften in historischer Perspektive, S. 187 / 188; Blasius, Ehescheidung in Deutschland, S. 40 ff., 43) traten die obrigkeitlichen. Für Gesellen, Dienstboten, Studenten, Soldaten (hierzu eingehend Pröve, Zwangszölibat, Konkubinat und Eheschließung, S. 82 ff.) existierten schon im 18. Jahrhundert Eheverbote; ebenso für „Personen welche Ehebruch miteinander getrieben haben“. In fast allen deutschen Staaten gab es mit Blick auf die (gemeindliche) Armenunterstützung erlassene und sich als Einschränkungen der Eheschließungsfreiheit auswirkende gemeinderechtliche Niederlassungsbeschränkungen für vermögenslose Ortsfremde. Eheschließungen standen tatsächliche Gründe entgegen, wenn die mit einer Hochzeit verbundenen Kosten zu hoch waren oder es galt, z. B. durch Ablegen der Meisterprüfung oder Erwirtschaften einer Mitgift die soziale Basis für einen Haushalt zu schaffen. Diese Hindernisse ließen sich im 19. Jahrhundert häufig gar nicht mehr oder erst nach längerer Wartezeit ausräumen. Bis dahin unterhielten die Paare nichteheliche Beziehungen. Vgl. Möhle, a. a. O., S. 192 f.; Blasius, a. a. O., S. 82 ff., 88, 93 ff.; Mitterauer / Sieder, Vom Pa-

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raten, wenn gemeinsame Kinder geboren wurden, so dass zahlreiche der ärmeren Familien jahrelang unverheiratet zusammen lebten. Auch Beziehungen mit unterschiedlichen „Wohnsitzen“ (besser: in getrennten Unterkünften) waren gängige Lebensformen, weil häufig nicht nur das Geld zur Eheschließung fehlte, sondern die Vermögensverhältnisse nicht einmal die Unterhaltung eines gemeinsamen eigenen Haushalts zuließen. In vielen Fällen hatten Paare gemeinsame Kinder, ohne zusammenzuleben. Manche dieser Beziehungen wurden später in Ehen überführt, andere informell fortgesetzt oder endeten durch Trennung; gingen aus der Verbindung Kinder hervor, entstanden im Rahmen neuer Partnerschaften vielfach Stieffamilien. Insoweit war auch die „serielle Monogamie“ keine unbekannte Erscheinung361. Selbst wenn Eheschließung und (legalisierte) Familiengründung also weithin angestrebte Lebensentwürfe waren362, blieben sie großen Teilen der Bevölkerung verschlossen. Dauerhafte und weniger dauerhafte Formen nichtehelicher Partnerschaften waren danach im Deutschland des 19. Jahrhunderts zwar kein allgemeines Massenphänomen, sie waren aber auch keine seltene Randerscheinung, die etwa nur von Künstlergruppen der Romantik oder der bewusst antibürgerlich lebenden Bohème des ausgehenden 19. Jahrhunderts gelebt wurde; für die unterbürgerlichen Schichten war die nichteheliche Lebensgemeinschaft als eine Art Normalform des Zusammenlebens verbreitet363. Dies hing ganz wesentlich damit zusammen, dass triarchat zur Partnerschaft, S. 152 ff.; Mitterauer, Ledige Mütter, S. 15, 95 / 96; Schlemmer, „Living apart together“, S. 366; Schraut, Ehe, Liebe, Tod, S. 307; Burkart / Kohli, Liebe, Ehe, Elternschaft, S. 95 ff. 361 Sieder, Sozialgeschichte der Familie, S. 205, 206, 208 / 209; Mitterauer, Ledige Mütter, S. 15 / 16; Mitterauer / Sieder, Vom Patriarchat zur Partnerschaft, S. 16; Möhle, Nichteheliche Lebensgemeinschaften in historischer Perspektive, S. 183, 203. Vgl. i.Ü. die Fallbeispiele bei Möhle, a. a. O., S. 186 ff., Sieder, a. a. O., S. 205; s. auch Huinink / Wagner, Individualisierung und die Pluralisierung von Lebensformen, S. 93. 362 Die Ehe war auch in Arbeiterkreisen für die meisten die Lebensform der Wahl, weil sie eine – je nach Geschlecht aus unterschiedlichen Motiven erstrebte – größere Absicherung gewährleistete, s. nur Sieder, Sozialgeschichte der Familie, S. 190 / 191, 206 ff.; Möhle, Nichteheliche Lebensgemeinschaften in historischer Perspektive, S. 196. Für viele Nichtvermögende entfiel aber neben der Möglichkeit auch die Notwendigkeit zu heiraten; im 18. Jahrhundert verbreitete sich in den neuen sozialen Gruppen, die kein Eigentum besaßen und für die die besitzrechtlichen Regelungen, die ursprünglich Hintergrund aller Eheschließungen waren, bedeutungslos blieben (insbesondere also unter Manufakturarbeitern) eine distanziertere Einstellung zu gesellschaftlichen Vorgaben, die vermutlich zu einer freiheitlicheren Partnerwahl und zur unabhängigen Gestaltung des (nichtehelichen) Lebensstils führte (Möhle, a. a. O., S. 197; Mitterauer, Ledige Mütter, S. 16). 363 Blasius, Ehescheidung in Deutschland, S. 82, 86 / 87; Möhle, Nichteheliche Lebensgemeinschaften in historischer Perspektive, S. 185, 188, 197. Huinink / Wagner, Individualisierung und die Pluralisierung von Lebensformen, S. 96, nennen für den Zeitraum von 1871 bis 1910 noch eine Quote nichtehelicher Partnerschaften von etwas unter 10% (in den folgenden 15 bis 20 Jahren fast durchgehend knapp darüber bei ca. 12 bis 13%). Es wird davon ausgegangen, dass die Quote in nichtehelichen Beziehungen Lebender vor 1871 deutlich 16*

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E. Besondere persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse

die Voraussetzungen, an die der Zugang zur Eheschließung anknüpfte, insbesondere von Angehörigen unterer Schichten nicht erfüllt werden konnten. Insoweit waren unverheiratete Partnerschaften bis in die siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts hinein ein – obrigkeitlich wie klerikal mitverursachtes – Armutsproblem364. Aus diesem Grund blieben auch die vielfältigen staatlichen und kirchlichen Ansätze, gegen nichteheliches Zusammenleben vorzugehen365, weitgehend erfolglos. Erst als sich unter dem Einfluss der Aufklärung und nicht zuletzt als Konzession gegenüber staatlichen Machtansprüchen in allen deutschen Partikularstaaten die Zivilehe verbreitete, existierte für viele, die keiner Glaubensgemeinschaft angehörten oder denen aus sonstigen Gründen aufgrund der verbreiteten Alleinzuständigkeit der (katholischen) Kirche in Ehesachen die Eheschließung verweigert worden war, eine Alternative zum unverheirateten Zusammenleben366. Auch diese partikularrechtlichen Zivilehen waren allerdings wegen zahlreicher beibehaltener Ehehindernisse nicht allgemein zugänglich367. Erstmals ab 1871, kurz bevor die Zivilehe ihre heutige, obligatorische Form erhielt368, damit ebenfalls erst unmittelbar vor Schaffung der RStPO und gleichermaßen beeinflusst durch das Gedankengut der Aufklärung, waren fast alle Heiratsbeschränkungen aufgehoben369. Dies geschah nicht zuletzt, um die Ehe durch allgemeine Öffnung zur vorherrschenden Beziehungsform zu entwickeln370. Tatsächlich stieg die Zahl der Eheschließungen ab dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts371. höher war, durch Einführung der Zivilehe und Beseitigung der meisten Heiratsbeschränkungen aber die Eheschließungsrate zunächst stieg, s. sogleich unten bei Fn. 371. 364 Mitterauer, Ledige Mütter, S. 96; Schneider / Rosenkranz / Limmer, Nichtkonventionelle Lebensformen, S. 71 / 72; Blasius, Ehescheidung in Deutschland, S. 84; Burkart / Kohli, Liebe, Ehe, Elternschaft, S. 95 ff.; Barabas / Erler, Die Familie, S. 31 f. 365 s. nur Möhle, Nichteheliche Lebensgemeinschaften in historischer Perspektive, S. 194 ff.; Blasius, Ehescheidung in Deutschland, S. 82 ff. 366 Blasius, Ehescheidung in Deutschland, S. 39 / 40, 43 ff.; E. M. v. Münch, Ehe und eheähnliches Zusammenleben, S. 8 / 9; Barabas / Erler, Familie, S. 29; Namgalies, Die eheähnliche Gemeinschaft, S. 14 ff. 367 Vgl. Blasius, Ehescheidung in Deutschland, S. 82 ff. sowie oben, Fn. 360. 368 Durch das zum 1. 1. 1876 in Kraft getretene Gesetz über die „Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung“ vom 6. 2. 1875 (RGBl. I, S. 23 ff., 31). Vgl. ausführlich Gernhuber / Coester-Waltjen, Lehrbuch des Familienrechts, § 11 I. 369 Barabas / Erler, Die Familie, S. 32; Lauterbach, Die Dauer nichtehelicher Lebensgemeinschaften, S. 272; Schneider / Rosenkranz / Limmer, Nichtkonventionelle Lebensformen, S. 72; Blasius, Ehescheidung in Deutschland, S. 84 / 85; Burkart / Kohli, Liebe, Ehe, Elternschaft, S. 97. Bestehen blieb allerdings das Eheverbot wegen Ehebruchs (s. o. Fn. 360 sowie Blasius, a. a. O., S. 50 / 51), so dass das Erfordernis außerehelichen Zusammenlebens nun seine Begründung in Erschwerungen der Ehescheidung und daraus resultierenden Problemen bei einer Wiederverheiratung fand (Möhle, Nichteheliche Lebensgemeinschaften in historischer Perspektive, S. 188 ff.). Dieses Eheverbot wurde auch in das neugeschaffene BGB übernommen, § 1312 BGB i.d.F. vom 1. 1. 1900. 370 Lauterbach, Die Dauer nichtehelicher Lebensgemeinschaften, S. 272; s. auch Blasius, Ehescheidung in Deutschland, S. 48.

VI. Analogiebildung

245

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass dauerhafte informelle Paarbeziehungen und die weite Verbreitung nichtehelichen Zusammenlebens kein spezifisches Phänomen des späten 20. Jahrhunderts darstellen. Vielmehr handelt es sich hierbei um eine gerade zur Zeit der Schaffung der RStPO geläufige Lebensform, die erst durch gesetzgeberisches Tätigwerden und soziale Entwicklungen allmählich an Bedeutung verlor. Gesellschaftlich durchgängig akzeptiert und in den „besseren“ Kreisen vertreten war zwar nur die Orientierung am bürgerlichen Familienleitbild. Hierdurch wurde die Ehe zur einzigen in allen Schichten sozial anerkannten und gewünschten partnerorientierten Lebensform. Praktiziert werden konnte dieses Ideal aber nur von einer wohlhabenden Minderheit, während der breiten Masse die materiellen Ressourcen zur Umsetzung dieses kulturellen Leitbildes fehlten. Großen Teilen der verarmten Arbeiterschicht und Landbevölkerung war es bis zur Mitte der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts kaum möglich, auch nur formal eine Ehe zu schließen. Es lässt sich daher nicht sagen, nichteheliches Zusammenleben als verbreitetes Phänomen sei dem Gesetzgeber zur Zeit der Schaffung der RStPO nicht bekannt gewesen. Ersichtlich wird nur, dass es möglichst effektiv diskriminiert und durch die Ehe erleichternde Regelungen zurückgedrängt werden sollte. cc) Zwischenergebnis Bei der Nichtberücksichtigung informeller Partnerschaften im Rahmen des § 52 StPO handelt es sich daher nicht um eine planwidrige Lücke, sondern um „beredtes Schweigen“ des historischen Gesetzgebers und des § 52 StPO. Diesem gesetzgeberischen Vorgehen lag das Ideal der bürgerlichen Ehe und Familie zu Grunde, die nunmehr das gesellschaftliche Modell darstellen sollte. Eine grundlegende Wandlung in den gesellschaftlichen Strukturen der Paarbildung lässt sich danach nur gegenüber dem Zustand zur Mitte des 20. Jahrhunderts eindeutig feststellen372, nicht aber in einem Vergleich der heutigen Zeit mit der der Schaffung der RStPO. b) Enge Freundschaften Die Ergebnisse zu a) lassen sich in Hinblick auf die legislative Nichtberücksichtigung freundschaftlicher Verhältnisse übertragen. Auch falls derartige interpersonale Verhältnisse heute eine größere Bedeutung haben dürften als um die Jahrhundertwende, kann davon ausgegangen werden, dass ihre Verbreitung nicht erheblich von der für damals anzunehmenden abweicht. Eine nennenswerte qualitati371 Blasius, Ehescheidung in Deutschland, S. 84 / 85; Barabas / Erler, Die Familie, S. 32; Schneider / Rosenkranz / Limmer, Nichtkonventionelle Lebensformen, S. 72; Möhle, Nichteheliche Lebensgemeinschaften in historischer Perspektive, S. 193; Sieder, Sozialgeschichte der Familie, S. 158; s. auch Mitterauer / Sieder, Vom Patriarchat zur Partnerschaft, S. 164. 372 s. hierzu oben Abschnitt E.I., S. 162.

246

E. Besondere persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse

ve Neubewertung oder eine Berücksichtigung veränderter gesellschaftlicher Akzeptanz drängt sich nicht auf. So lässt sich sagen, dass in Bezug auf enge Freundschaften von einer planwidrigen Unvollständigkeit der Norm nicht gesprochen werden kann. Auch hier handelt es sich vielmehr um gesetzgeberisches „beredtes Schweigen“. c) Rechtsetzungsakte seit Schaffung der StPO Auf das Strafverfahren bezogene Reformvorhaben konzentrierten sich in den letzten Jahrzehnten überwiegend auf Fragen der Verfahrensbeschleunigung und Erleichterungen der Kriminalitätsbekämpfung 373. Bis zur Einfügung der „Lebenspartner“ durch das Gesetz vom 16. 2. 2001374 sind nennenswerte inhaltliche Änderungen des § 51 Abs. 1 RStPO / § 52 Abs. 1 StPO seit 1879 nicht erfolgt375, der heute dort angeführte Personenkreis stimmt daher ansonsten mit dem der ursprünglichen Bestimmung überein. Unabhängig von der Frage, inwieweit die – bis auf marginale Veränderungen des Gesetzestextes – gesetzgeberische Nichtbefassung mit einer Norm als inhaltliche Auseinandersetzung mit oder sogar bejahende Stellungnahme zu dieser gewertet werden kann, hat jedenfalls das Lebenspartnerschaftsgesetz Auswirkungen auf den durch § 52 Abs. 1 StPO privilegierten Personenkreis gehabt. In der expliziten Beschränkung der Erweiterung dieser Norm auf legalisierte, gleichgeschlechtliche Beziehungsformen wird eine Perpetuierung des gesetzgeberischen beredten Schweigens in Bezug auf andere, insbesondere informelle Nähebeziehungen zu sehen sein müssen376. Auch und gerade die Einfügung der „Lebenspartner“ in § 52 StPO in Verbindung mit der Legaldefinition in § 1 Abs. 1 LPartG steht also im Wege des Umkehrschlusses einem Analogieschluss auf informelle Paarbindungen entgegen. 3. Fazit Die Nichteinbeziehung informeller Näheverhältnisse, namentlich institutionalisierungsferner Paarbindungen und enger Freundschaften, in § 52 Abs. 1 StPO stellt sich bei genauerer Betrachtung als nicht planwidrig dar. Es liegt keine Lücke vor, sondern ein gezielter Ausschluss nichtlegalisierter Bindungen. Der Vorrang des Vgl. die ausführliche Darstellung bei Roxin, Strafverfahrensrecht, § 72 Rn. 1 ff. s.o. S. 26 Fn. 35. 375 Durch Neubekanntmachung der RStPO am 22. 3. 1924 wurde § 51 zu § 52 (RGBl. I, S. 322), der heutige Abs. 2 wurde am 9. 12. 1974 eingefügt (BGBl. I, S. 3393), das Adoptionsgesetz vom 2. 7. 1976 (BGBl. I, S. 1749) machte die explizite Bezeichnung von Adoptionsverhältnissen obsolet, die Reform des Betreuungsrechts (12. 9. 1990; BGBl. I, S. 2002) führte zu einer lediglich textlichen Anpassung. 376 s. auch Deutscher Bundestag, Rechtsausschuss, Prot. 14 / 59 (Öffentliche Anhörung zum LPartG, Protokoll der 59. Sitzung des Rechtsausschusses am 19. 9. 2000), S. 84 / 85. 373 374

VII. Abwendung der Sanktionsmittel des § 70 StPO

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Gesetzes ist zu berücksichtigen377, daher steht dieses beredte Schweigen im Wege eines Umkehrschlusses jeder Öffnung der Norm für nichtformalisierte Beziehungen durch Rechtsfortbildung de lege lata entgegen. Eine Einbeziehung gänzlich informeller persönlicher Nähe- und Vertrauensverhältnisse kommt also allenfalls aufgrund einer Modifizierung der Zeugnisverweigerungsrechte de lege ferenda in Betracht. Abschließend wird daher auf Möglichkeiten einer Reform dieses Regelungsbereiches einzugehen sein. Zuvor soll allerdings noch kurz die Frage aufgeworfen werden, ob die Berufung auf wichtige persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse einer Anwendung der Ordnungs- und Beugemaßnahmen des § 70 StPO entgegenstehen kann.

VII. Abwendung der Sanktionsmittel des § 70 StPO unter Berufung auf Notstandsregelungen Die Anordnung der Sanktionsmaßnahmen des § 70 StPO setzt eine Zeugnisverweigerung „ohne gesetzlichen Grund“ voraus. Den Standardfall derartiger rechtlicher Erlaubnisgründe stellen die Zeugnisverweigerungsrechte der §§ 52 bis 55 StPO dar; damit ist das Kontingent gesetzlicher Gründe, die eine Zeugnisverweigerung (jedenfalls) im Sinne des § 70 StPO zur berechtigten machen, aber nicht erschöpft378. Unter Berücksichtigung der Maxime der „Einheit der Rechtsordnung“379 lässt sich der Rückgriff auf weitere Erlaubnistatbestände in Erwägung ziehen. Zu denken ist an eine Berufung auf den rechtfertigenden Notstand, der seine positiv-rechtliche Ausformung in § 34 StGB findet. Die Notstandsregelung des § 34 wird als Verkörperung eines allgemeinen, übergesetzlichen Rechtsgrundes angesehen380, dessen Anwendungsbereich nicht auf den materiell-strafrechtlichen Tatbegriff beschränkt ist. So wird erwogen, die – nach §§ 52 bis 55 StPO unberechtigte – Aussageverweigerung von Zeugen, die sich einer Bedrohung von Gesundheit und Leben ausgesetzt sehen, nach § 34 StGB als gerechtfertigt zu betrachten381. Diese Übers. nur BVerfGE 82, 6, 11 / 12. LR-Dahs, § 70 Rn. 5; KK-Senge, § 70 Rn. 2; HK-Lemke, § 70 Rn. 3; Meyer-Goßner, § 70 Rn. 6; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1099, 1100. 379 Vgl. nur LK-Hirsch, Vor § 32 StGB Rn. 10, 34; Schönke / Schröder-Lenckner, Vorbem §§ 32 ff. StGB Rn. 27; Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, S. 327; Roxin, Strafrecht AT, § 14 Rn. 30; s. außerdem grundlegend Engisch, Einheit der Rechtsordnung, S. 55 ff. 380 s. nur (m.w.Nw.) LK-Hirsch, § 34 StGB vor Rn. 1, 1; Schönke / Schröder-Lenckner / Perron, § 34 Rn. 2, 6; Tröndle / Fischer, § 34 StGB Rn. 1. 381 s. LR-Dahs, § 70 Rn. 5; KK-Senge, § 70 Rn. 2; HK-Lemke, § 70 Rn. 3; Meyer-Goßner, § 70 Rn. 6; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1099; Eisenberg StV 1993, 624, 625 / 626; J. Meyer, Zeugenschutz im Spannungsfeld von Wahrheitsermittlung und Beschuldigtenrech377 378

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E. Besondere persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse

legung lässt sich grundsätzlich auf den Schutz wichtiger persönlicher Nähe- und Vertrauensverhältnisse übertragen. „Schutz-“ oder „Erhaltungsgüter“ im Sinne von § 34 S. 1 StGB sind neben der körperlichen Integrität, Freiheit, Ehre und dem Eigentum auch „andere“ Rechtsgüter, denen eine Beeinträchtigung droht. Geschützt und notstandsfähig ist damit grundsätzlich „jedes rechtlich geschützte Interesse“382, insbesondere also auch das – durch besondere persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse gestützte und gewährleistete – allgemeine Persönlichkeitsrecht und das aus diesem resultierende Recht auf Privatheit. Das Interesse am (Fort-)Bestand einer engen persönlichen Bindung, wie sie oben ausführlicher beschrieben und rechtlich klassifiziert wurde, ist daher der Abwägung zugänglich und dem staatlichen Sachaufklärungs- und Strafverfolgungsinteresse gegenüberzustellen. Einer derartigen Wertung steht nicht etwa der „abschließende“ Charakter383 der bestehenden Regelungen zur Erhebung des Zeugenbeweises entgegen; die Lückenhaftigkeit dieses Gefüges angesichts einer Konfrontation mit höherrangigem Recht wurde zuvor gerade herausgearbeitet. Der Rekurs auf § 34 StGB setzt aber jeweils sowohl das Bestehen einer Notstandslage als auch eine einzelfallorientierte Interessenabwägung384 voraus. Mag die „Gefahr“ für die qualifizierte Bindung regelmäßig mit ausreichender Wahrscheinlichkeit bestehen385, so hängt die Sanktionsfreiheit der – nach § 52 StPO de lege lata unberechtigten – Zeugnisverweigerung im Ergebnis von der konkreten Intensität der fraglichen Nähebeziehung und ihrer Nachweisbarkeit sowie – nicht zuletzt – von der Schwere des im Raum stehenden Tatvorwurfs ab. Daher ist auch eine Berufung auf den rechtfertigenden Notstand mit Unwägbarkeiten behaftet, die die Suche nach einer angemessenen Regelung im künftig zu schaffenden Recht zwingend erscheinen lassen.

ten, S. 104 / 105; Baier, Strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrechte außerhalb der StPO, S. 195 / 196; vgl. auch die Rspr. des Bundesgerichtshofs, die – ohne auf § 34 StGB einzugehen – nur von einem aus der Fürsorgepflicht resultierenden gerichtlichen Unvermögen, Zeugen in diesen Fällen zur Aussage zu zwingen, ausgeht: BGH NStZ 1984, 31 / 32; BGH NJW 1993, 1214; BGH StV 1993, 233. 382 LK-Hirsch, § 34 StGB Rn. 22; Schönke / Schröder-Lenckner / Perron, § 34 StGB Rn. 9 m.w.Nw.; Tröndle / Fischer, § 34 StGB Rn. 3; vgl. auch NK-Neumann, § 34 StGB Rn. 22 ff. 383 Zu diesem Kriterium Schönke / Schröder-Lenckner / Perron, § 34 StGB Rn. 3 ff.; Tröndle / Fischer, § 34 StGB Rn. 24; vgl. auch NK-Neumann, § 34 StGB Rn. 114, 119. 384 LK-Hirsch, § 34 StGB Rn. 53 ff.; Schönke / Schröder-Lenckner / Perron, § 34 StGB Rn. 22 ff.; NK-Neumann, § 34 StGB Rn. 65 ff. 385 Vgl. (jeweils mit zahlreichen weit. Nw.) zu den Voraussetzungen der Notstandslage ausführl. LK-Hirsch, § 34 StGB Rn. 21, 26 ff.; Schönke / Schröder-Lenckner / Perron, § 34 StGB Rn. 12 ff., 15, 17; NK-Neumann, § 34 StGB Rn. 34, 39 ff., 56 f.; Tröndle / Fischer, § 34 StGB Rn. 3 ff.

VIII. Umgestaltung des Zeugnisverweigerungsrechts

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VIII. Perspektiven für eine Umgestaltung des Zeugnisverweigerungsrechts aus persönlichen Gründen de lege ferenda Um Feststellungen darüber treffen zu können, welche Regeln für Zeugenbefreiungen sich de lege ferenda empfehlen und ebenso zulässig wie praktikabel erscheinen, ist zunächst nochmals zusammenfassend festzuhalten, welche wesentlichen Ergebnisse der vorliegenden Arbeit zu entnehmen sind.

1. Kurze Zusammenfassung der Ergebnisse der vorangegangenen Abschnitte In den vorangegangenen Abschnitten konnte herausgearbeitet werden, dass vielfältige informelle Lebensformen den in § 52 Abs. 1 StPO genannten legalisierten Beziehungen vergleichbar sind, was ihre Betroffenheit durch die Statuierung eines Zeugniszwangs angeht. Zahlreiche Arten informeller Paarbeziehungen ebenso wie nichtlegalisierte (teil-)familiäre Verbindungen oder enge Freundschaften wirken in mindestens dem gleichen Ausmaß sozial stabilisierend und persönlichkeitsbildend wie die in § 52 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 aufgezählten mehr oder weniger nahen Angehörigenverhältnisse. Die den Beschuldigten im Rahmen informeller Verhältnisse nahe stehenden Personen empfinden einen Aussagezwang regelmäßig als ebenso unzumutbar wie nahe Angehörige und angesichts des Allgemeininteresses am Bestand und der „Funktionstüchtigkeit“ dieser Nähe- und Vertrauensverhältnisse ist ein Zwang zur Aussage gegen einen Lebenspartner, engen Freund oder eine vergleichbare Bezugsperson auch als objektiv unzumutbar anzusehen. Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass die den Beschuldigten persönlich nahe stehenden Personen häufiger in einen Konflikt mit der Wahrheitspflicht geraten, der zugunsten (gewollt oder ungewollt) mehr oder weniger unzutreffender Aussagen gelöst wird und die Sachaufklärung im Strafverfahren in kaum nivellierbarer Weise beeinträchtigt. Die Vergleichbarkeit formalisierter mit zahlreichen informellen Nähebeziehungen setzt sich fort, wenn das Normkonzept des § 52 StPO in die Betrachtung miteinbezogen wird. Als für die Erreichung der Normzwecke des § 52 erhebliches „Programm“ wurde die Konzentration auf eine Privilegierung gesellschaftlich stabilisierender und sozialisierend wirkender enger persönlicher Nähe- oder Vertrauensbeziehungen herausgestellt. Diese sollen – um ihren als sozial schützenswert erkannten Bestand und ihre Funktionalität zu bewahren – vor (individuell und daher auch für die Gemeinschaft) unzumutbaren Belastungen durch erzwungene Zeugenaussagen über Belange, die das Nähe- und Vertrauensverhältnis berührende Interna betreffen, geschützt werden. Dies geschieht typisierend über die Privilegierung des im jeweiligen (vorausgesetzten) Näheverhältnis lebenden Individuums, durch die unzumutbare Belastungen für die oder den einzelnen weitgehend

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E. Besondere persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse

abgewehrt werden sollen, um von hier aus wiederum im Allgemein- wie Individualinteresse die möglichst geringfügige Beeinträchtigung der Bindung abzusichern. Nach dem Normkonzept muss daher – soweit möglich – gewährleistet werden, dass (nur) den Aussagepersonen die Privilegierung zugutekommt, die tatsächlich „Teil“ einer im oben erläuterten Sinne schützenswerten Bindung sind. Nicht erforderlich ist demgegenüber das Festhalten an zahlreichen – mitunter relativ unreflektiert – als „wesentlich“ herausgehobenen Kriterien, an die die Gewährung von Zeugnisverweigerungsrechten gebunden sein soll: es bedarf materiellrechtlich keiner Bindung an formalisierte, legalisierte zwischenmenschliche Beziehungen, es bedarf keiner Exklusivität, keiner Verschiedengeschlechtlichkeit der durch die enge Bindung miteinander verknüpften Personen, keiner „Lebenszeit“-Perspektive, keiner Liebesbeziehung und keiner Unterhaltung einer gemeinsamen Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft. Zudem kann allein die Gewährung eines Zeugnisverweigerungsrechts keine bestehende, eventuell auch zerrüttete Ehe gefährden, so dass sich die Existenz einer Ehe neben einem wie auch immer gearteten Nähe- oder Vertrauensverhältnis nicht als Ausschlussgrund darstellt386, weil dem faktischen Näheverhältnis anders als dem Verlöbnis keine vom konkret geregelten Bereich unabhängige normative Wirkung zukommt. Konstituierend für eine solche Bindung ist das Bestehen eines tatsächlichen, auf enger privater Verbundenheit beruhenden Näheverhältnisses (das bei einer nicht völlig flüchtigen Liebesbeziehung – im Wortsinn – regelmäßig gegeben sein wird, ebenso aber auch für enge Freundschaften und (quasi- oder teil-)familiäres Zusammenleben in Betracht kommt) oder Vertrauensverhältnisses (das ebenso im Rahmen enger freundschaftlicher wie familialer oder Paarbeziehungen gegeben sein kann); häufig wird also beides gleichzeitig vorliegen. Limitierend wirkt sich insoweit nur aus, dass die bisherige Dauer und Intensität der Verbindung den Aufbau und die (aktuelle, subjektive) Zukunftsperspektive den Fortbestand der „spezialisierten“ Verbindung ermöglichen. Das definierte tatsächliche Verhältnis lässt sich schlagwortartig erfassen und so einer Anwendung im strafprozessualen Rahmen zugänglich machen. Daher wurde der Oberbegriff „besonderes persönliches Nähe- oder Vertrauensverhältnis“ eingeführt, der sowohl auf die Schutzfunktion der engen Bindung als auch auf den notwendig privaten, also nicht geschäftlichen oder sonst funktionsgebundenen, Charakter verweist. Vor dem Hintergrund der Ergebnisse der vorangegangenen Kapitel bestehen keine Bedenken gegen eine Ausweitung des § 52 StPO in Richtung auf derartige zwischenmenschliche Bindungen. Mit Ausnahme der „Verlöbnisähnlichen Vorformen Eingetragener Lebenspartnerschaften“, denen im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung des § 52 StPO de lege lata ein Zeugnisverweigerungsrecht 386

A.A. aber BVerfG NStZ 1999, 255.

VIII. Umgestaltung des Zeugnisverweigerungsrechts

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zu gewähren ist, erlauben die Gegebenheiten der Norm allerdings keine Integration enger Freundschaften und informeller Paarbindungen im Wege erweiternder Auslegung oder Rechtsfortbildung durch Analogie. Dennoch ist festzuhalten, dass der pauschale Ausschluss informeller Paarbeziehungen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Angesichts dieser Ergebnisse ist bei der Auseinandersetzung mit möglichen Perspektiven zur Umgestaltung des Zeugnisverweigerungsrechts aus persönlichen Gründen zu überlegen, inwieweit eine bessere Berücksichtigung veränderter Lebensmuster de lege ferenda erfolgen kann. Dabei ist vor allem gegenwärtig zu halten, dass die Einräumung von Zeugnisverweigerungsrechten nicht in erster Linie als Verkürzung optimierter strafverfahrensrechtlicher Ermittlungsmethoden verstanden werden kann, sondern auch unabhängig von einem konkret feststellbaren Gleichheitsverstoß den Anspruch auf effektive Wahrung von Individualgrundrechten reflektiert.

2. Umsetzung der Ergebnisse der Untersuchung – Überlegungen zur Einbeziehung nicht-institutionalisierter intensiver Nähe- und Vertrauensbeziehungen in den Regelungsbereich eines Zeugnisverweigerungsrechts aus persönlichen Gründen Die Formulierung eines verabschiedungsfähigen Gesetzestextes kann und soll nicht Ziel der hier anzustellenden Überlegungen sein. Allerdings haben sich einige Ansätze zur Modifizierung der geltenden Zeugenprivilegierungen ergeben, die hier kurz zu erörtern sind.

a) Alternative Regelungsmöglichkeiten Zunächst ist in Erwägung zu ziehen, ob eine zu schaffende gesetzliche Regelung – nicht zuletzt angesichts der strukturellen Unzuverlässigkeit des Zeugenbeweises – an einem früheren Punkt als der Einbeziehung ausgewählter Personenkreise in die Privilegierung des § 52 Abs. 1 StPO anzusetzen hat beziehungsweise ob nicht diese Unzuverlässigkeit als Ausgangspunkt genommen werden muss, die Zulässigkeit des Zeugenbeweises in Abhängigkeit von seiner Validität zu regeln. Aus den verschiedenen Epochen sind – wie oben387 schon ausführlich dargelegt wurde – unterschiedliche Herangehensweisen an den Zeugenbeweis überliefert: Wo das frühe deutsch-rechtliche System auf Zeugenaussagen als Beweismittel zurückgriff388, war deren Beweiskraft und Verwertbarkeit an gesetzliche Beweiss. ausführlich Abschnitt B. Was weder im formalisierten Rechtsgang des fränkischen Rechts der Fall war, noch im ausgeuferten späten Inquisitionsprozess, der in erster Linie auf die wie auch immer erreichbare Erlangung von Geständnissen ausgerichtet war, s. oben B.II.2. 387 388

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E. Besondere persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse

regeln gebunden, die ebenso wie die „schlecht beleumundeten“ auch die dem Beschuldigten nahe stehenden (oder ihm gegenüber negativ eingestellten) Zeugen teilweise als ungeeignete, teilweise als nur eingeschränkt taugliche, d. h. nicht vollwertige Zeugen klassifizierten; auch unter dem wachsenden Einfluss des Gedankenguts der Aufklärung blieben den Beschuldigten nahe stehende Personen im Fall ihrer Aussagebereitschaft „verdächtige“, nicht vollwertige Zeugen, während die Ausschlüsse sich in mehr oder weniger beschränkbare Privilegien verwandelten389. Für diesen Ansatz eines Zeugenausschlusses oder einer generellen Abwertung der Aussagen besonders „fehleranfälliger“, insbesondere den Verfahrensbeteiligten nahe stehender Beweispersonen dürfte sich nicht zuletzt wegen eines deutlichen Widerspruchs zur Aufklärungsmaxime und dem geltenden Beweisrecht heute kaum eine bedeutende Anhängerschaft finden. Die Argumente gegen eine derartige pauschalisierende Regelung sind im Wesentlichen erschöpfend auch schon im Zusammenhang mit dem Übergang zum reformierten Strafprozess und der Schaffung der RStPO ausgetauscht und zugunsten der freien richterlichen Beweiswürdigung entschieden worden390: Schematisierende Einteilungen stellen sich als Beeinträchtigung der Bemühungen um eine möglichst umfassende Wahrheitsermittlung dar; sie greifen in Verfahrensrechte ein, bringen aber in ihrer Allgemeinheit wenig Nutzen für die Sicherung der „Wahrheitsfindung“. Es lässt sich nicht verallgemeinernd behaupten, alle den Verfahrensbeteiligten nahe stehenden oder ihnen feindlich gesinnten Personen sagten generell (intentional oder versehentlich) falsch aus; ein Vernehmungsverbot für einem Beschuldigten nahe stehende Personenkreise entzöge ebenso die Basis für ein (wahrheitsgemäßes) Vorbringen entlastender wie (was auch vorstellbar ist) belastender Momente. Geradezu sinnwidrig wirkt sich aus, dass eine derart weitgehende Regelung einerseits weit über das Ziel hinausschießt, indem sie einen faktischen Verfahrensausschluss eines bedeutenden Personenkreises zur Folge hat, andererseits aber nicht die Abgabe unzutreffender Aussagen anderer Zeugen zu verhindern vermag. Das römische Recht gewährte einem weitgefassten Personenkreis, neben den Gegnern der Verfahrensbeteiligten insbesondere den aufgrund fast aller denkbaren personalen und gesellschaftlich respektierten Näheverhältnisse für „befangen“ gehaltenen Zeugen weitreichende Privilegierungen: sofern überhaupt ein Zeugniszwang bestand, mussten sie zwar vor Gericht erscheinen, durften allerdings gegen ihren Willen nicht zur Aussage angehalten werden391. Ein tendenziell ähnlicher, allerdings deutlich restriktiverer Lösungsansatz findet sich – ohne positivrechtliche Fundierung – in der heutigen französischen Gerichtspraxis, wo Verwandte und Verschwägerte zwar zum Erscheinen verpflichtet sind, aber zur Aussage nicht ges. ausführlich oben B.III.1. Vgl. hierzu nur Karitzky, Die Geschichte der Zeugnisverweigerungsrechte, S. 51 ff. m.w.Nw. und Mittermaier, Die Lehre vom Beweise, S. 309 / 310, 333. 391 s. ausführlich oben B.I.2. 389 390

VIII. Umgestaltung des Zeugnisverweigerungsrechts

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zwungen und nicht vereidigt werden dürfen392. Dieser Gedanke lässt sich weiterführen zu einer alle Zeugen erfassenden Befreiung nicht von der Zeugnispflicht (also der Pflicht zur Aussageerstattung), aber von ihrer zwangsweisen Durchsetzung beziehungsweise der Sanktionierung einer unberechtigten Aussageverweigerung. Vorstellbar wäre etwa ein Normensystem, das die Pflicht zum Erscheinen aufrechterhält, auf die Durchsetzung der Zeugnispflicht mittels der Androhung von Zwangsmitteln allerdings verzichtet 393. Ein solcher Ansatz wird getragen von der Überlegung, dass mit Zwangsmitteln zwar eine Aussage, nicht jedoch auch eine wahre Aussage herbeigeführt werden kann394. Diese Einschätzung findet eine Stütze in den in Abschnitt C. dargelegten aussagepsychologischen Erkenntnissen, weil davon auszugehen ist, dass eine die Aussage verweigernde Beweisperson mit ihrer Weigerung regelmäßig zu erkennen gibt, sich selbst als „befangen“ anzusehen, sich in einer Motivationslage zu befinden, die – wie oben C.III. dargestellt – Anlass zur intentionalen Falschaussage geben und darüber hinaus Ursache von Gedächtnisfehlleistungen geworden sein kann. Darauf, welcher Art diese Motivation ist und ob sie schließlich tatsächlich Auswirkungen auf den Wahrheitsgehalt der Bekundung haben wird, lässt sich indessen nicht zurückschließen. Ein Verzicht auf zwangsweise Durchsetzung einer Aussagepflicht korrespondiert im Übrigen der Feststellung, dass in einer Belastungssituation – und eine solche ist aufgrund der Anwendung oder Androhung von Zeugniszwang regelmäßig gegeben – entstandene Aussagen (auch ungewollt) weniger valide sind als unter nicht repressiven Umständen erlangte. Zudem eignet sich – wie ebenfalls oben395 dargelegt – eine erzwungene Aussage kaum zur inhaltsanalytischen Glaubhaftigkeitsbeurteilung. Ein genereller Verzicht auf die Erzwingung von Zeugenaussagen erscheint danach (zunächst) als interessanter Ansatzpunkt. Die Vermutung liegt allerdings nahe, dass in einer moderneren, zunehmend weniger von „klassischen Sekundärtugenden“ geprägten Gesellschaft von dieser verhältnismäßig unkomplizierten Art der Aussageverweigerung deutlich häufiger Gebrauch gemacht würde, als in kollektiven Idealen verpflichteten oder einen strikten Ehrbegriff stark betonenden Systemen. Vor allem ist hier eher zu erwarten, dass die faktische Verweigerungsmöglichkeit nicht nur zur Vermeidung von Interessenkonflikten, sondern in zahlreichen Fällen aus mit den Verfahrensbeteiligten und dem zu Grunde liegenden Sachverhalt in keinerlei Zusammenhang stehenden, 392 Vgl. insoweit nur die ausführliche Darstellung bei Arbeitskreis AE-Zeugnisverweigerungsrechte, S. 147 m.Nw. 393 s. insoweit das Strafverfahrensrecht der ehemaligen DDR, das die allgemeine Zeugnispflicht statuierte (§ 25 DDR-StPO), ein – im Vergleich mit § 52 StPO begrenztes – Zeugnisverweigerungsrecht gewährte (§§ 26, 27 DDR-StPO) und zwar Zwangsmittel (§§ 31, 86 DDR-StPO: Ordnungsstrafe in Form der Geldstrafe, keine Ordnungshaft) zur Durchsetzung des Erscheinens der Zeugen vor Gericht anordnete, hingegen keine derartigen Sanktionsmittel zur Erzwingung der Zeugenaussage einräumte. s. auch Strafverfahrensrecht, S. 145 / 146. 394 Vgl. Strafverfahrensrecht, S. 146 für den in Fn. 393 oben benannten Regelungsbereich. 395 C.V.2.c) bb).

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„zweckfremden“ Motiven genutzt wird396. Weigend weist zutreffend darauf hin, dass damit das – ohnehin kleine – Kontingent unbeteiligter Zeugen, mit denen eine relative „Objektivität“ der Beweiserhebung abgesichert werden kann, wegfällt und vielfach schließlich nur noch „parteiliche“ Zeugen zur Aussage bereit wären, die mit ihrer Bekundung ein bestimmtes (subjektives) Interesse am Verfahrensausgang verbinden397. Hierdurch würden dem Strafverfahren vermutlich nach und nach immer mehr Zeugenaussagen entzogen, ohne dass stets ein hinreichender Ausgleich durch auswertbare Sachbeweismittel gegeben ist, so dass letztlich doch die prozessuale Sachaufklärung – ohne Rechtfertigung durch wichtige Allgemein- oder Individual-Interessen – beeinträchtigt wäre. Fraglich bleibt außerdem, wie sich die unberechtigte, lediglich unsanktionierte Zeugnisverweigerung auf die Beweiswürdigung auswirken sollte. Weder den Beschuldigten noch den ihnen nahe stehenden Zeugen ist damit gedient398, wenn die Tatsache der Aussageverweigerung zum Nachteil der Beschuldigten verwertet werden kann. Obwohl der aufgezeigte Weg nicht zuletzt aufgrund seiner starken Berücksichtigung individueller Freiheitsrechte Vorzüge besitzt, scheint er insgesamt im Vergleich mit dem Ansatz einer Erweiterung des § 52 StPO um traditionell durch die Aufrechterhaltung einer Zeugnispflicht belastete (und gefährdete) Personengruppen der nachteiligere.

b) Modifikation des § 52 StPO Soll eine Neuregelung im Rahmen des § 52 Abs. 1 StPO verbleiben, ist das Normkonzept dieses Zeugnisverweigerungsrechts zu berücksichtigen: Privilegiert werden sollen danach Personen, die innerhalb sozial anerkannter, schützenswerter, persönlicher Beziehungen leben, die an Nähe und Vertrauen gebunden sind und die hier als „besondere persönliche Nähe- oder Vertrauensverhältnisse“ bezeichnet wurden399. Dabei kann es sich um enge Freundschaften oder Paarbeziehungen, seien es gemischtgeschlechtliche oder gleichgeschlechtliche, handeln, ohne dass der Begriff 396 Die im Übrigen nicht nur in Bequemlichkeiten von Zeugen zu suchen sein müssen (Versuche, die Sachverhaltsermittlung zu erschweren, fallen in diesem Zusammenhang ohnehin unter den Begriff der „Befangenheit“), sondern auch ihre Begründung in mit dem Erscheinen vor Gericht verbundenen Unannehmlichkeiten und der häufig genug wenig zuvorkommenden Behandlung von Aussagepersonen im Strafverfahren finden dürften, s. hierzu nur Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1348; Peters, Strafprozeß, S. 403; Weigend, Gutachten für den 62. DJT, S. C 13 ff., 15; Barton, Fragwürdigkeiten des Zeugenbeweises, S. 54; s. auch Böttcher, Festschrift für Kleinknecht, S. 30 ff. 397 Weigend, Gutachten für den 62. DJT, S. C 14. 398 Nach dem Grundgedanken von BGHSt 22, 113, 114. 399 s. oben, Abschnitt E.II. und soeben Abschnitt E.VIII.1.

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allerdings auf diese hier nur prototypisch herausgehobenen Bindungen begrenzt wäre; erfasst werden sollen gerade Verhältnisse, die nicht explizit vorherbestimmbar sind, bei denen aber im konkreten Einzelfall der privilegierungsbedürftige Konnex besteht. Zu denken ist also – beispielsweise – an Pflegekindschafts- und (nicht durch eine Ehe legalisierte) Stiefkindschaftsverhältnisse, die die aufgestellten Voraussetzungen erfüllen, Sinti-Ehen und ähnliche enge Beziehungen, aber im jeweiligen Einzelfall auch Cousinen und Cousins untereinander, die vom Verwandtschaftsbegriff des § 52 nicht mehr erfasst sind. Die Verbindung muss nicht „exklusiv“ (etwa in sexueller Hinsicht) sein, allerdings ist zu berücksichtigen, dass besonders intensive und enge Nähe- oder Vertrauensverhältnisse schon per definitionem auf eine kleinere Anzahl von Bezugspersonen beschränkt sind. Ein Zusammenwohnen kann allenfalls ein Indiz für das Bestehen der hier umschriebenen engen Bindung sein, es ist aber für ihr Entstehen oder ihren Bestand nicht Voraussetzung, so dass auch die Definition des besonderen Nähe- und Vertrauensverhältnisses nicht an ein gemeinsames Wohnen und Wirtschaften gebunden sein kann. Deutlich ist jedenfalls, dass in Bezug auf die Einräumung von Zeugnisverweigerungsrechten keine Orientierung am Ehebegriff erforderlich ist400. Zu privilegierende Bindungen müssen hinreichend lange in Vergangenheit und Zukunft gerichtet (gewesen) sein, um zu verdeutlichen, dass ein Nähe- oder Vertrauensverhältnis tatsächlich aufgebaut wurde und auch zumindest in absehbarer Zeit noch seinen „übergeordneten“ stabilisierenden und sozialisierenden Zweck erfüllt. Was den Zeitmaßstab angeht ist zu bedenken, dass das spezifische Verhältnis desto schneller entsteht und sich vertieft, je intensiver die zu Grunde liegende Bindung ist; ausreichend sein können also schon wenige Monate, je nach den Bedingungen des Einzelfalls sogar einige Wochen. Andererseits ist allerdings das Bestehen der Bindung konstitutiv für die Gewährung eines Zeugnisverweigerungsrechts. Vergleichbar der für das Verlöbnis geltenden Regelung muss daher das Zeugnisverweigerungsrecht nur solange gewährt werden, wie das Nähe- oder Vertrauensverhältnis besteht, nach dem faktischen Ende der engen Bindung kann die Zeugenbefreiung entfallen. Teilweise wird – auch exemplarisch in Bezug auf nichteheliche beziehungsweise „eheähnliche“ Beziehungen – angenommen, die Einbeziehung informeller zwischenmenschlicher Bindungen in den Schutzbereich des § 52 StPO stelle ein Problem hinsichtlich der Bestimmtheit und Abgrenzbarkeit des Kreises der Normadres400 Aus diesem Grund kann und soll auch etwa dem Arbeitskreis AE-Zeugnisverweigerungsrechte nicht gefolgt werden, der eine Beschränkung auf den geregelten Angehörigenverhältnissen vergleichbare „ehe- oder familienähnliche“ oder „sonst vergleichbar enge Lebensgemeinschaften“, in denen Beschuldigte und Zeugen zusammen „leben“ sollen, vorsieht (vgl. § 52 Abs. 1 Nr. 4 AE-ZVR); zur Kritik s. Welp, Festschrift für Bemmann, S. 629 ff. Für eine Einbeziehung de lege ferenda unter Bezugnahme auf „eheähnliche“ oder „nichteheliche Lebensgemeinschaften“ plädieren auch Bialek, Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen, S. 137 ff., 173 (nur für verschiedengeschlechtliche Partner); Weigend, Gutachten für den 62. DJT, S. C 74 ff.; Spelthahn, Das Zeugnisverweigerungsrecht von Angehörigen eines Mitbeschuldigten, S. 55 / 56; s. auch Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 1244.

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saten und damit der Rechtssicherheit dar, weil die Begrifflichkeiten nicht hinreichend fixiert, nicht fixierbar und die tatsächlichen Voraussetzungen nicht überprüfbar seien401. Die praktisch überwiegend unproblematische Handhabung des Verlöbnisbegriffs des § 52 Abs. 1 StPO (und etwa des § 11 Abs. 1 Nr. 1 a) StGB i.V. mit den Anschlussregelungen) ist aber ein Beleg dafür, dass der Aspekt der Abgrenzbarkeit eine Frage (erstens) der gelungenen Begriffsdefinition und (zweitens) der spezifischen Nachweisbarkeit darstellt. Gerade das Verlöbnis zeigt sich bei näherer Betrachtung als ein (tatsächlich) regelmäßig informelles Verhältnis, das allein auf inneren Tatsachen beruht und seine Abgrenzbarkeit einer nach und nach gewachsenen Definition verdankt, die aufgrund dieser ausschließlich subjektiven Verankerung des verfahrensrechtlichen Verlöbnisbegriffs nur teilweise mit dem zivilrechtlichen Verlöbnisbegriff übereinstimmt. Um als hinreichend bestimmt zu gelten, muss das „besondere persönliche Näheoder Vertrauensverhältnis“ mindestens in gleicher Weise zu definieren sein. Ein Blick ins materielle Strafrecht macht deutlich, dass die definitorische Abgrenzbarkeit kein großes Problem darstellt. Oben402 wurde schon auf die im Rahmen der §§ 185 ff. StGB nach allgemeiner Ansicht zu gewährleistende „beleidigungsfreie Sphäre“ eingegangen. Über die Zielrichtung dieser rechtlichen „Enklave“ besteht im Wesentlichen Konsens, die Begriffsbestimmung erfolgt nicht gänzlich einheitlich, weil noch unterschiedliche Auffassungen vertreten werden, wie der die individuelle Entfaltung absichernde enge persönliche Lebenskreis genau zugeschnitten ist403. Dies gilt allerdings auch für den strafprozessualen Verlöbnisbegriff: immer noch ist z. B. umstritten, inwieweit neben einer (noch nicht vollständig geschiedenen) Ehe ein Verlöbnis anerkannt werden kann404. Beide Normen finden dennoch in der Praxis ohne nennenswerte Schwierigkeiten Anwendung. Allerdings ist der in Bezug auf §§ 185 ff. StGB als „beleidigungsfreie Sphäre“ verstandene Kreis nahe stehender Personen kein positivrechtliches, geschriebenes Tatbestandsmerkmal. Demgegenüber bezieht sich § 35 Abs. 1 S. 1 StGB für den entschuldigenden Notstand explizit auf rechtswidriges Handeln zugunsten einer dem Täter „nahestehenden Person“405. Hinsichtlich der Auslegung auch dieses 401 Wobei allerdings – gerade bei den Stimmen, die auch im Ergebnis eine Öffnung de lege ferenda ablehnen, häufig die Berücksichtigung des Verlöbnisses durch § 52 StPO übergangen wird: vgl. Landwehr, Die nichteheliche Lebensgemeinschaft, Diskussion S. 155 / 156; Meuthien, Das Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen im Strafprozeß, S. 70; R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 185; s. außerdem Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 104 / 105; Welp, Festschrift für Bemmann, S. 629 / 630; Sarstedt, Referat zum 46. DJT, Thesen, S. 62, 66 (r. Sp.). Hiergegen Schubarth, Festschrift für Hinderling, S. 233, 235; Skwirblies, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, S. 49, 192 ff.; Bialek, Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen, S. 142 ff. 402 Abschnitt D.II.1.c), S. 146. 403 Vgl. oben Abschnitt D.II.1.c), S. 146 Fn. 86. 404 s.o. Abschnitt A.II.1.a), S. 24.

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unbestimmten Rechtsbegriffs besteht erwartungsgemäß keine vollkommene Übereinstimmung. Dennoch lässt er sich inzwischen auf eine überwiegend akzeptierte Definition zurückführen406, die wiederum kasuistisch und dogmatisch der Ableitung einzelner Fallgruppen zugänglich gemacht wurde. Daher besteht inzwischen weitgehende Übereinstimmung darüber, dass etwa enge Freundschaften, Liebesbeziehungen und eheähnliche Gemeinschaften, von § 11 Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht erfasste Verwandte, Mitglieder von Haus- und Wohngemeinschaften jedenfalls in den Schutzbereich des § 35 StGB einbezogen sind, während soziale Pflichtkontakte und lockere Bekanntschaften nicht als „nahestehend“ angesehen werden407. Die Überschneidungen zwischen dem Kreis „nahestehender Personen“ und dem hier thematisierten des „besonderen persönlichen Nähe- oder Vertrauensverhältnisses“408 sind recht deutlich; Unterschiede zwischen beiden Termini gehen zurück auf die spezifischen Anforderungen der jeweiligen Norm. § 35 StGB wird (auch in der dritten Variante von Absatz 1, Satz 1) erfolgreich in der Praxis angewandt und die praktische Anwendbarkeit der Norm scheint durch ihre Auslegungsfähigkeit und -bedürftigkeit nicht nennenswert beeinträchtigt. Auch ein Verstoß gegen das – angesichts von Art. 103 Abs. 2 GG im materiellen Strafrecht verschärfte – Bestimmtheitsgebot409 lässt sich nicht feststellen. Die Anforderungen an § 35 Abs. 1 S. 1 StGB in diesem Zusammenhang sind hoch, denn von seinem Eingreifen oder Nichteingreifen hängt der Ausgang des Verfahrens mit oder ohne Strafausspruch ab, er „legitimiert“ (unabhängig von der Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Tat) auch unmittelbare Eingriffe in Rechte Dritter. Gesetzliche Regelungen müssen abstrahieren, um möglichst viele konkrete Einzelfälle zu erfassen; die Vorstellung expliziter Vorausbestimmbarkeit jedes „ge405 Zur dogmatischen Einordnung des § 35 StGB als Schuldausschließungsgrund, Entschuldigungsgrund oder Strafausschließungsgrund vgl. hier nur Bernsmann, „Entschuldigung“ durch Notstand, S. 204 ff., 379 ff. sowie LK-Hirsch, § 35 Rn. 5, 6; Schönke / SchröderLenckner / Perron, § 35 Rn. 2. 406 Der Begriff setzt (verkürzt) das „Bestehen eines auf eine gewisse Dauer angelegten zwischenmenschlichen Verhältnisses voraus, das ähnliche Solidaritätsgefühle wie (i.d.R.) unter Angehörigen hervorruft und das deshalb im Fall der Not auch zu einer vergleichbaren psychischen Zwangslage führt“: vgl. Schönke / Schröder-Lenckner / Perron, § 35 Rn. 15; in diesem Sinne ebenfalls LK-Hirsch, § 35 Rn. 33, 34; SK-StGB-Rudolphi, § 35 Rn. 9; Kühl, Strafrecht AT, § 12 Rn. 36 ff.; OLG Koblenz NJW 1988, 2316, 2317; s. auch Tröndle / Fischer, § 35 Rn. 7; krit. zur Formalisierung dieser Definition Bernsmann, „Entschuldigung“ durch Notstand, S. 85. 407 Vgl. nur LK-Hirsch, § 35 Rn. 34, 35; Schönke / Schröder-Lenckner / Perron, § 35 Rn. 15; SK-StGB-Rudolphi, § 35 Rn. 9; NK-Neumann, § 35 Rn. 18; Tröndle / Fischer, § 35 Rn. 7; Lackner / Kühl, § 35 Rn. 4; Kühl, Strafrecht AT, § 12 Rn. 38, 39; Roxin JA 1990, 97, 102; OLG Koblenz NJW 1988, 2316, 2317; krit. zur Abgrenzung der „Sympathiepersonen“ Bernsmann, „Entschuldigung“ durch Notstand, S. 85, 89. 408 Zur Begriffsbestimmung vgl. z. B. soeben S. 254 f. 409 Vgl. nur Jarass / Pieroth, Art. 103 Rn. 42, 48; s. auch BVerfGE 25, 269, 285 f.; 78, 374, 381 f.; 87, 363, 391 f.; 92, 1, 11 / 12. Vgl. zur hinreichenden Bestimmtheit des Begriffs der „nahestehenden Person“ in § 241 StGB: BVerfG NJW 1995, 2776, 2777.

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meinten“ Sachverhalts ist unrealistisch. Ausreichend ist vielmehr, dass der Anwendungsbereich der Norm sich durch Interpretation erschließen lässt. Daher ist der konzeptionelle Rückgriff auf tendenziell unbestimmte, auslegungsbedürftige Rechtsbegriffe sogar nötig, um die – für die praktische Anwendung – erforderliche Flexibilität einer Norm zu gewährleisten410. Ein wesentlicher Teil vermeintlicher Unbestimmtheit lässt sich durch inhaltlich konkretisierende, legislatorische Vorgaben in der Gesetzesbegründung kompensieren. Eine Anlehnung an § 35 StGB – die allerdings die spezifischen Vorgaben des Begriffs des Nähe- oder Vertrauensverhältnisses nicht in den Hintergrund drängen darf – verdeutlicht die Praktikabilität einer zu schaffenden Regelung und kann sie zusätzlich absichern; zwischen § 35 StGB und § 52 StPO, die beide die (personenbezogen) situationsgebundene Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens berücksichtigen, bestehen thematische Berührungspunkte411. Der Begriff der nahe stehenden Person in § 35 Abs. 1 S. 1 StGB kann als eingeführt (und inzwischen im Wesentlichen „ausgefüllt“) gelten. Unter punktueller Bezugnahme auf diese Terminologie und Kasuistik, aber an die spezifischen Erfordernisse des § 52 StPO angepasst ergibt sich ein eng gefasster, genau an typisierten Nähe- und Vertrauensverhältnissen ausgerichteter, aber einer Einzelfallprüfung zugänglicher, abgrenzbarer Personenkreis, wie er oben aufgezeigt wurde. Den „Sympathiepersonen“412 des § 35 StGB können damit für § 52 StPO wichtige „Bezugspersonen“ gegenübergestellt werden. Insgesamt lässt sich nicht sagen, dass der Begriff des besonderen persönlichen Nähe- oder Vertrauensverhältnisses in geringerem Maße einer Deutung und Inhaltsausfüllung zugänglich ist als der Begriff der nahestehenden Person. Was die Nachweisbarkeit des Vorliegens eines besonderen persönlichen Näheoder Vertrauensverhältnisses angeht, ist zu bedenken, dass im Strafverfahren dem Tatvorwurf, der Schuld- und Rechtsfolgenfrage der wesentliche Ermittlungsaufwand entgegengebracht wird, während Verfahrensfragen regelmäßig keine Nachforschungen notwendig machen dürfen, die so intensiv sind wie die zur Hauptsache anzustellenden413. § 52 StPO verfügt aber über seine eigene spezifische „Beweisregel“: Bezweifelt das Gericht das Vorliegen der zur Zeugnisverweigerung 410 Vgl. BVerfGE 66, 337, 355; 87, 209, 224; 87, 234, 263 f.; 87, 363, 391 / 392; 92, 1, 12; 96, 68, 97 f.; BVerfG NJW 1995, 2776, 2777; s. außerdem nur Jarass / Pieroth, Art. 20 Rn. 62, Art. 103 Rn. 48 m.w.Nw. 411 Vgl. auch Weigends Hinweis auf den für § 52 StPO spezifischen notstandsähnlichen Grundgedanken der Unzumutbarkeit der Belastung nahestehender Personen (Gutachten für den 62. DJT, S. C 71 f.). Auf die Nähe zu § 35 StGB beruft sich der AE-ZVR bzgl. der Einbeziehung „enger Lebensgemeinschaften“, s. Arbeitskreis AE-Zeugnisverweigerungsrechte, S. 38; s. auch Grünwald, Beweisrecht der StPO, S. 25 / 26; außerdem Schubarth, Festschrift für Hinderling, S. 235. 412 LK-Hirsch, § 35 StGB Rn. 30, 35; Bernsmann, „Entschuldigung“ durch Notstand, S. 83; Schönke / Schröder-Lenckner / Perron, § 35 StGB Rn. 3. 413 Hierauf verweisen auch Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte, S. 104 und R. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozeß, S. 185.

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berechtigenden Tatsachen, kann es Glaubhaftmachung nach § 56 StPO verlangen und in diesem Rahmen auch, ohne an die Regeln des Strengbeweises gebunden zu sein, Beweise entgegennehmen, die zur Wahrscheinlichmachung geeignet sind414. Auch dies erlaubt noch nicht den Aufwand einer förmlichen Beweisaufnahme in der Hauptsache. Der Grad erforderlicher richterlicher Überzeugung ist allerdings dank des faktischen Abstellens auf bloße „Wahrscheinlichkeit“ auch geringer, während gleichzeitig – da der in dubio-Satz hier nicht gilt – die Berufung auf das Zeugnisverweigerungsrecht bei nicht hinreichend überzeugender Glaubhaftmachung zurückgewiesen werden kann. Das Vorliegen eines wie oben definierten engen persönlichen Nähe- oder Vertrauensverhältnisses lässt sich im Wesentlichen auf die gleiche Art und Weise belegen wie das tatsächliche Bestehen eines Verlöbnisses; der stets befürchtete Missbrauch415 ist im Gegensatz zur Berufung auf das Verlöbnis sogar eingeschränkt und die Nachweisbarkeit dadurch erleichtert, dass es nicht nur auf eine bei zwei Personen vorhandene innere Tatsache (den schwer belegbaren und relativ spontan – sogar noch in der Hauptverhandlung – entwickelbaren sowie schnell aufgebbaren „ernstlichen“ Eheschließungswillen) ankommt, sondern schon per definitionem äußere Anknüpfungspunkte vorhanden sein müssen: Mindestens eine gewisse (grundsätzlich objektiv nachweisbare) Dauer und Intensität (die sich nicht zuletzt regelmäßig in (persönlichen) Kontakten und miteinander verbrachter Zeit manifestiert), hinzu kommen können z. B. Aspekte wie gemeinsames Wohnen, gemeinsame (unter Umständen bereits teilweise umgesetzte) Vorhaben und Pläne, eine gemeinsame Lebensgestaltung, ein intensiver kommunikativer Bezug. All diese Kriterien können sowohl auf Paarbindungen als auch auf enge Freundschaften und sonstige enge Nähe- und Vertrauensverhältnisse bezogen erfüllt sein. Zudem sind all diese Tatsachen dem Nachweis unter den Voraussetzungen des § 56 StPO zugänglich und (mindestens) als Anknüpfungstatsachen zur Untermauerung des Vorbringens einer Beweisperson geeignet416. Praktikabilitätsschwierigkeiten sind hier nicht ernstlich ersichtlich; im Übrigen hat sogar in Bezug auf das schwerer belegbare und immer wieder als Einfallstor missbräuchlicher Inanspruchnahme der Zeugnisverweigerungsrechte gesehene Verlöbnis die Schwierigkeit seines Nachweises durch Glaubhaftmachung bisher nicht zu einem Zusammenbruch der Strafrechtspflege geführt417. Erheblicher erscheint demgegenüber zunächst der Einwand von Welp, der in Bezug auf den im Alternativ-Entwurf Zeugnisverweigerungsrechte gewählten Ansatz zur Integration „ehe- oder familienähnlicher oder sonst vergleichbar enger“ Vgl. ausführlich oben A.II.3., S. 32 ff. Das Argument der Verhinderung rechtsmissbräuchlicher Inanspruchnahme wird sogar im materiellen Strafrecht – wo die Existenz des § 35 StGB die Praktikabilität belegt – noch gegen eine Einbeziehbarkeit nichtehelicher Lebensgemeinschaften angeführt; vgl. BayObLG NJW 1986, 202 (s. auch BayObLG NJW 1983, 831, 832); OLG Braunschweig NStZ 1994, 344 zu § 157 StGB; krit. Krümpelmann / Heusel JR 1987, 39, 41 f.; Hauf NStZ 1995, 35. 416 Mit ähnlicher Argumentation Staudinger-Strätz, Anh. zu §§ 1297 ff. BGB Rn. 234. 417 s. auch Skwirblies, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, S. 193. 414 415

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Lebensgemeinschaften in das Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen (§ 52 Abs. 1 Nr. 4 AE-ZVR) auf die durch fehlende Formalisierung der Beziehung erschwerte Belehrung der Zeugen über ein Zeugnisverweigerungsrecht hinweist418. Welp fragt, bei welchen Anzeichen die Belehrung nach § 52 Abs. 3 StPO erteilt werden müsse und welchen Inhalt sie in Bezug auf die Geltendmachung der Voraussetzungen eines Zeugnisverweigerungsrechts aufgrund einer informellen Bindung haben könne. Auch in diesem Zusammenhang ist allerdings in Erinnerung zu rufen, dass keine wesentlich anderen Maßstäbe angelegt werden müssen, als für die Belehrung der Verlobten gelten419. Wenn die Vernehmung zur Person keine Anzeichen für das Bestehen eines Nähe- oder Vertrauensverhältnisses erbracht hat, ist spätestens dann zu belehren, wenn entsprechende Anhaltspunkte ersichtlich werden. Die Erörterung, ob die vorgebrachten Umstände für die Gewährung eines Zeugnisverweigerungsrechts ausreichend sind, kann im Gespräch mit der Vernehmungsperson anhand situationsabhängig konkretisierbarer Nachfragen erfolgen. Im Übrigen gehört die Frage nach dem Bezug der Zeugen zum Fall und den Beteiligten regelmäßig zu den Eingangsfragen einer jeden Vernehmung zur Sache, so dass spätestens hier Gelegenheit besteht, ohne unangemessenen (Zeit-)Aufwand Anzeichen für das Bestehen eines Nähe- oder Vertrauensverhältnisses auszumachen. Die Belehrungsformel muss weder wesentlich länger noch komplizierter sein als die bisher ohnehin erforderliche. Schließlich lässt sich sogar überlegen, die Belehrung zum persönlichen Nähe- und Vertrauensverhältnis dahingehend zu normieren, dass sie der Revision nicht zugänglich wird. Das Belehrungserfordernis bereitet also keine unüberwindbaren Hindernisse. Den bei einer Öffnung der Zeugnisverweigerungsrechte im Einzelfall verbleibenden praktischen Unwägbarkeiten, die sich – anders als bei formal nachweisbaren legalisierten Bindungen, nicht wesentlich unterschiedlich allerdings gegenüber dem Umgang mit dem strafprozessualen Verlöbnis – nicht ausschließen lassen, ist kontinuierlich entgegenzuhalten, dass der mit der geltenden Regelung in Bezug auf große Personengruppen vernachlässigte Grundrechtsschutz die Berücksichtigung der hier thematisierten wichtigen Individualinteressen gebietet. Im Hinblick auf das postulierte Allgemeininteresse an der „Wahrheitsfindung“ fällt ein Verzicht auf die Aussagen „befangener“ Zeugen auch objektiv nicht schwer. Systematisch stehen einer Einbeziehung besonderer persönlicher Nähe- und Vertrauensverhältnisse in den Tatbestand des § 52 Abs. 1 keine Bedenken entgegen. Die auf § 52 StPO verweisenden beziehungsweise Bezug nehmenden Vorschriften420 betreffen andere Verfahrensabschnitte und Ermittlungseingriffe, sie Welp, Festschrift für Bemmann, S. 633. Es macht daher keinen Unterschied, ob die Aussagepersonen befragt werden, ob sie mit Beschuldigten bzw. Angeklagten „verwandt, verschwägert oder verlobt“ sind, oder ob sie ihnen „sonst vergleichbar nah stehen, weil Sie z. B. Lebenspartner oder ganz besonders enge Freunde“ sind. 420 Vgl. ausführlicher oben A.II.4., S. 37. 418 419

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flankieren § 52 StPO, größtenteils zur Absicherung und zum Schutz vor Umgehung,421 und regeln von der Interessenlage oder der Grundrechtsintensität her vergleichbare Alternativfälle422. All diese Normen berücksichtigen daher auf verschiedene Art die Interessenlagen, die sich aus spezifischen personalen Näheverhältnissen ergeben können, sie ergänzen und stützen § 52 StPO vor einem identischen ideellen Hintergrund. Daher ist es systemgerecht, dass die diskutierte Modifizierung des § 52 sich wiederum auf diese Normen bezieht und auswirkt. Durch die Einfügung eines weiteren Punktes „den Beschuldigten im Rahmen eines sonstigen besonderen persönlichen Nähe- oder Vertrauensverhältnisses verbundene Personen“ lässt sich § 52 StPO mit einer ergänzenden, öffnenden Generalklausel verbinden. Demgegenüber erscheint es nicht sinnvoll, § 52 vollständig zur Generalklausel umzugestalten, indem in Nr. 1 bis 3 aufgezählte typisierte Näheverhältnisse gestrichen423 und die Norm nur an den besonderen persönlichen Näheund Vertrauensverhältnissen ausgerichtet wird. Für eine Beibehaltung der Privilegierung der aufgezählten formalisierten Näheverhältnisse spricht nicht zuletzt ihre Typisierung, die eine schnelle Feststellbarkeit gewährleistet und so nötigenfalls mehr Spielraum zur Überprüfung der Sachgemäßheit der auf das generalklauselartige Nähe- oder Vertrauensverhältnis bezogenen Zeugnisverweigerungen lässt. Auch weist Meuthien424 zutreffend darauf hin, dass die Gewährung eines Zeugnisverweigerungsrechts nicht gleichbedeutend ist mit seiner Inanspruchnahme, die den Beschuldigten tatsächlich nicht nahe stehenden Angehörigen werden in vielen Fällen durchaus zur Aussage bereit sein. Zudem kann und soll es nicht Ziel von Reformerwägungen zu § 52 StPO sein, den Anwendungsbereich der Vorschrift zusätzlich einzuschränken. § 52 ist als normative Enklave zur Gewährleistung individualrechtlicher Verbürgungen gegenüber weitreichenden staatlichen Strafverfolgungsinteressen konzipiert. Daher kann die Einräumung von Zeugnisverweigerungsrechten aus persönlichen Gründen nicht als 421 §§ 161 a Abs. 1, S. 2; 163 a Abs. 5 StPO; §§ 63; 81 c Abs. 3 S. 1; 97 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 S. 1 StPO; nur rudimentär § 100 d Abs. 3 S. 3; in erster Linie an der Validität des Beweismittels ausgerichtet und daher allenfalls mittelbar „flankierend“: § 61 Nr. 2 StPO. 422 §§ 55 Abs. 1, 2. Alt.; 68 a; 76 Abs. 1 S. 1; 95 Abs. 2 S. 2 StPO. 423 s. derartige Ansätze zur Verkürzung bei Weigend, Gutachten für den 62. DJT, S. C 72 ff.; Beschlüsse des 62. DJT in NJW 1999, 117 ff., 121 / 122, Abt. Strafrecht, Zeugnisverweigerungsrechte Nr. 2: Einräumung eines Zeugnisverweigerungsrechts für verschiedenoder gleichgeschlechtliche „eheähnliche Lebensgemeinschaften“; Bialek, Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen, S. 162 / 163; Arbeitskreis AE-Zeugnisverweigerungsrechte, § 52 Abs. 1 Nr. 3 AE-ZVR, S. 40 (inkonsequent i.Ü. die dortige Regelung, das Zeugnisverweigerungsrecht des ehemaligen Ehepartners (faktisch) zur Disposition des Beschuldigten zu stellen, den („Ex“-) Verschwägerten in gerader Linie hingegen selbst die Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts zu belassen (§ 52 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 AE-ZVR). Auch hier liegt der befürchtete Missbrauch (s. Arbeitskreis AE-Zeugnisverweigerungsrechte, S. 39 / 40) dann nahe). Ablehnend zu derartigen Verkürzungstendenzen hingegen Schubarth, Festschrift für Hinderling, S. 235. 424 Meuthien, Das Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen im Strafprozeß, S. 66.

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E. Besondere persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse

Honorierung anderweitig übernommener Lasten betrachtet und so „verrechnet“ werden, sondern resultiert originär aus der in einem langwierigen Prozess (wieder-) errungenen Einsicht in die Notwendigkeit der Rücksichtnahme auf individuelle Freiheitsrechte. An diesem Maßstab muss sich der Umgang mit dem Zeugnisverweigerungsrecht des § 52 StPO orientieren.

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Sachwortverzeichnis Abgrenzbarkeit des zeugnisverweigerungsberechtigten Personenkreises 215, 219, 221, 223, 255 Abrufbarkeit von Erinnerungen 85 Abstandsgebot 228, 229 Abwehr staatlicher Willkür 195 Achtung des Privatlebens (Art. 8 EMRK) 217 Adoptivkinder 142 Akzeptanz des nichtehelichen Zusammenlebens 173 Akzeptanz gegenüber gleichgeschlechtlichen Lebensformen 174 allgemeine Handlungsfreiheit 18, 200, 211 allgemeines Gleichbehandlungsgebot 216 Allgemeininteresse 152, 160, 177, 184, 187 Allgemeininteresse an einer wirksamen Strafrechtspflege 193 Alternativ-Entwurf Zeugnisverweigerungsrechte 259 Amtsverschwiegenheit 31 Analogiebildung 232, 233, 235, 237, 239, 241, 243, 245, 251 Analogieverbot 233 Angehörigenbegriff 22, 161, 203 Angehörigengefährdung 28 Anreicherung von Wahrnehmungen 82, 83 Anteil unrichtiger Zeugenaussagen 71 Apotheker 29 Ärzte 29, 66 Aszendenten 26, 46, 58 Auffüllung von Wahrnehmungen 83, 99 Aufklärung 19, 50, 57, 59, 64, 244, 252 Aufklärungsmaxime 252 Aufnahmefähigkeit 59, 77, 127 Aufrechterhaltung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege 191, 199 Aufzeichnung der Vernehmung 96 Ausdrucksverhalten 106, 111 Ausforschungsinteresse 20

Ausgangsfamilie 27 Auskunftsverweigerungsrecht 27 Auslegung 194, 200, 203, 205, 207, 231 auslegungsbedürftige Rechtsbegriffe 258 Auslegungskriterien 200 Aussageanalyse 112, 127 Aussagebefugnis 32 Aussagedelikte 71 Aussageentstehung 93, 100, 117, 123 Aussageentwicklung 76 Aussagefreiheit 44, 151, 196, 233 Aussagegenehmigung 21, 32 Aussageinhalt 104 Aussagekraft des Zeugenbeweises 72 Aussagepsychologie 76, 102 Aussagerekonstruktion 100, 101 Aussagestruktur 117 Aussageverbot 141 Aussageverhalten 48, 93, 120 Aussageverweigerungsrecht aus der Verfassung 211 Aussageweise 104 autobiographische Ereignisse 82 Befragungstechnik 118 Begrenzung des Zeugniszwangs unmittelbar aus der Verfassung 211 Begutachtung 116, 121 Beichte 66, 148 Belehrung 23, 260 beleidigungsfreie Sphäre 146, 221, 256 beredtes Schweigen 234, 245 Berufshelfer 30, 31 Beschlagnahme 37, 139 Beschlagnahmeverbot 138 besonderes persönliches Nähe- oder Vertrauensverhältnis 16, 183, 184, 200, 206, 248, 250, 254, 256, 261 Bestimmtheitsgebot 219, 257

Sachwortverzeichnis Beweiserhebungsverbot 145 Beweiskraft 44, 52, 59, 251 Beweismittel 18, 22, 55, 70, 198 Beweisrecht 38, 52, 55, 59 Beweisregeln 56, 156, 252 Beweisthema 21, 99, 104, 212 Beweistheorie 48, 58, 62, 70 Beweisverwertungsverbot 144 Beweiswert 56, 63, 199 Beweiswürdigung 23, 28, 45, 48, 70, 254 Bezugspersonen 147, 170, 176, 211, 258 Bundeserziehungsgeldgesetz 221 Bundespräsident 32 Bürgerliche Familie 180 commuter-Ehe 172, 174 concubinatus 237 Constitutio Criminalis Bambergensis (CCB) 55 Constitutio Criminalis Carolina (CCC / Carolina) 51, 55, 64 Constitutio Criminalis Theresiana (Theresiana) 60 Deszendenten 26, 46, 58 Detailangaben 117 Detailliertheit 114 Differenzierungsgrund 217, 228 Differenzierungskriterium 214, 226 Digesten 46, 47, 48 Diskriminierungsgebot 223 Durchsetzung eines staatlichen Strafanspruchs 197 Effektivität der Strafrechtspflege 198 Ehe 24, 25, 143, 161, 203, 237, 245 Eheschließungshindernisse 242 Eidesfähigkeit 52 Eideshelfer 52, 54 eidliche Versicherung 36 eigenpsychische Vorgänge 114 einfachgesetzliche Auslegung 231 Eingetragene Lebenspartnerschaft 26, 167, 204, 205, 228, 231 Eingriffsermächtigung 18 Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers 230

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Elendenmorde 54 EMRK 217 enge Freundschaften 187, 189, 206, 225, 232, 245, 249, 254 enumerative Aufzählung 207 Erinnerung 84, 93, 125 Erinnerungs-Austausch 87 Erlebnisgebundenheit 113, 119 Ermittlungsverfahren 71, 73, 97, 125 Exklusivität 171, 182, 188, 215, 241, 250 Exploration 118, 125, 127 fair trial 135 Falschaussage 68, 87, 88, 89, 113, 133, 222 Familie 140, 142, 143, 147, 153, 161, 170, 237 Familienfriede 142 Fehler der Vernehmungspersonen 93, 96 Fehlerpotential 81, 97, 122, 128 Filterfragen 99 Folter 56, 62 Fragestil 88, 101 freie Beweiswürdigung 28, 44, 64, 155, 252 Freiheitsrechte 196, 210, 254, 262 Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege 189, 192, 198 ganzes Haus 143, 238, 239 Gedächtnisinhalt 84, 87 Gedächtnisspur 87 Gegenstand der Urteilsfindung 70, 73, 88 Geistliche 29, 66 Gemeinschaften mit nur einem Elternteil 142 Generationengroßfamilie 142 Gerechtigkeit 197, 198 Gesetzesvorbehalt 233 gesetzgeberischer Gestaltungsspielraum 223, 230 gesetzliche Beweistheorie 48, 58, 63, 70 Gesteuertheit 104 Gewährleistung einer effektiven Strafrechtspflege 190, 192 Gewährung gerichtlichen Rechtsschutzes 195 Gewaltenteilungsprinzip 224, 233 Gewissenskonflikt 63, 132 Glaubhaftigkeit 52, 103, 112, 118, 128

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Sachwortverzeichnis

Glaubhaftigkeitsgutachten 112 Glaubhaftigkeitsmerkmale 112, 128 Glaubhaftmachung 22, 32, 220, 258 Glaubwürdigkeit 44, 47, 52, 57, 59, 102 Gleichbehandlung nichttraditionaler Lebensformen 173 Gleichheitssatz 216, 224, 226, 230, 232, 251 Gleichheitsverstoß 223, 251 Gottesurteil 52, 53 Grenze der Auslegung 202 Großfamilie 142, 236 Grundrechtsbetroffenheit 222 grundrechtskonforme Auslegung 208, 224, 230 Grundrechtsschranke 211 Gutachtenverweigerung 37 Güterabwägung 222, 224 Hamburger Ehe 174, 204 Haupttatsachen 56 Hauptverhandlung 17, 33, 37, 73, 118, 124, 125 Hebammen 29 Herausgabepflicht 37 Hilfstatsachen 56 Homogenität 114 in dubio-Satz 36, 259 Individualinteressen 132, 156, 177, 193, 260 Individualrechte 19, 63, 65 Indizienbeweis 53, 56 Industrialisierung 237, 240 Inertia-Effekt 124 informelle Paarbindung 15, 165, 209, 216, 221, 224, 245 innere Willensrichtung (Verlöbnis) 23, 33, 221, 256 innerfamiliäre Kommunikation 149 Inquisitionsprozess 54, 59, 64 Instrument der Glaubhaftmachung 36 Integration familienfremder Hilfskräfte 143 Intensität der Grundrechtsbelastung 222 interessengeleitete Wahrnehmung 81 Interessenkonflikt 65 ius civile 41 ius publicum 41

Kebsehe 237 Kernfamilie 143, 163, 179 Kerngeschehen 114 Kommunikation 144, 184 kommunikativer Rückzugsraum 145 Konsensustheorie 74 Konstanz 114, 120, 181 körperliche Untersuchung 37, 138 Körpersprache 105 Korrespondenztheorie 74 kriterienorientierte Inhaltsanalyse 112, 125 Landesrecht 174 Landfrieden 54 Lebensgemeinschaft 24, 165, 169, 221, 236 Lebenspartnerschaft 25, 164, 169, 188, 204, 215 Lebenspartnerschaftsgesetz (LPartG) 15, 26, 68, 204, 205, 226, 229, 231, 246 leges iudiciariae 39 living apart together-Partnerschaft 166, 169, 170 Lügensymptome 108, 113 Malefizprozessordnungen 57 Medienmitarbeiter 30, 67 Menschenwürde 62, 138 Menschenwürdegarantie 147, 227 merkmalsorientierte Aussageanalyse 103, 112 Mietrecht 221 Minderheitenrechte 230 Minderjährige 24 Mitglieder des Bundestages 32 Mittelalter 54 Motivationsanalyse 103 Motivbündel 89, 104 Motive (der RStPO) 65, 131, 133, 141, 143, 155, 179, 218 Motive von Aussagepersonen 89, 104 Nachweisbarkeit einer privilegierenden Bindung 215, 248, 256, 258 nahe stehende Person 46, 59, 136, 149, 184, 207, 218, 221, 252 Nähe- und Vertrauensbeziehung 153, 166, 176, 177, 182, 184, 208, 249, 251

Sachwortverzeichnis Näheverhältnis 46, 60, 65, 81, 127, 152, 178, 197, 209, 228 negative Beweistheorie 63 nemo tenetur-Prinzip 27, 136, 151 Neue Formel (des BVerfG) 216 neutrale Zeugen 92, 103, 125 Neuzeit 38 Nichtehe 25 nichteheliche Lebensgemeinschaft 164, 174, 243 Nichtigerklärung einer Ehe 25 Nichtigerklärung einer Norm 208, 224, 231 Nichtregelungen 235 Normkonzept 177, 185, 218, 227, 235, 249, 254 Normzwecke 132 ff. Notare 29 Notstand 247 objektive Beweismittel 70 Opferzeugen 141 Ordnungs- und Zwangsmittel 20, 36, 37, 247 Othello-Fehler 111 Partikularrechte 53, 55, 64, 65, 156, 244 Peinliche Gerichtsordnung 55 Person des Vertrauens 207, 221 Personalbeweis 97 persönliche Konfliktsituation 62 Persönlichkeitsrecht 18, 135, 159, 178, 182, 211, 218, 248 Pflegekindschaft 22, 26, 67, 142, 171, 255 polizeiliche Vernehmung 32 Postulat der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege 189 Praktikabilitätsargument 224 Preußische Kriminalordnung 61 Privatrache 40 Privatsphäre 18, 149, 210, 211 Privatstrafverfahren 52 Privilegierung der vertraulichen Nähebeziehung 150 protokollierte Aussage 87, 96, 100, 117, 127 Prozesssubjektstellung 19 Prozesswahrheit 65

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quaestiones extraordinariae 41 quaestiones perpetuae 41, 44 Rangverhältnis der Normzwecke 159 Realitätsbegriff 74 Realitätskriterien 112 Realkennzeichen 112, 118 Recht zur Gutachtenverweigerung 37 Rechtsanwälte 29, 66 Rechtsförmigkeit 19 Rechtsfortbildung 194, 199, 233, 247, 251 rechtspolitische Fehler (statt unbewusster Regelungslücken) 235 Rechtssicherheit 63, 194, 219, 256 Rechtsstaatsprinzip 192, 195 Reformierter Strafprozess 60 Regelungslücke 234 Reinigungseid 52 Revision 260 Rezeption 55 richterliche Inaugenscheinnahme 139 richterliche Vernehmung 18, 20, 32, 124 römisches Strafrecht 38 RStPO 59, 64, 66, 131, 156, 201, 236, 245 Rücksichtnahme auf Individualinteressen 62, 132, 137, 150, 153, 177, 262 Sachbeweis 70 Sachkunde des Gerichts 125 Sachleitungskompetenz 33 Sachverhaltsaufklärung 19, 97, 158, 185, 193, 199, 224 Sachverhaltserforschung 54, 184, 197, 199, 202 Sachverständige 37 Scheidung 25, 143, 166 Scheinehe 25 Schock 81 Schutz der Privatsphäre 146, 160 Schutz der Rechtspflege 155 Schutz der Wahrheitsfindung 49, 68, 153 Schwägerschaft 27, 171 Schwangerschafts- und Drogenberatungsstellen 29 Schweigepflicht 30, 32 Seitenlinie 26, 67, 180, 238 selbst recherchiertes Material 30 Selektivität der Wahrnehmung 77, 80, 99

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Sicherheitsüberprüfungsgesetz 221 Simultankapazität 79 Sinti-Ehe 25, 255 Sittenwidrigkeit 24, 215 soziale Fürsorgeverhältnisse 178 soziale Stabilisierung 160, 170, 176, 178, 181, 184, 222 Sozialform des ganzen Hauses 143, 238, 239 Sprachgebrauch 202, 231 staatsanwaltschaftliche Vernehmung 32, 37, 212 Steuerberater 29 Stiefkind 27, 164, 171, 176, 255 Strafprozessrechtsreform 69 Strafrechtspflege 67, 189, 259 Strafverfolgungsanspruch 19 Strafverfolgungsinteresse 18, 20, 37, 158, 196, 248, 261 Strengbeweis 34, 259 Stress 81 Subjektivität des strafverfahrensrechtlichen Verlöbnisbegriffs 23, 33, 221, 256 suggestive Befragung 85, 87, 94, 100, 116 Sympathiepersonen 208, 258 tätigkeitsbezogen erlangte Kenntnisse 29 Täuschungssymptom 105 Teleologie 201, 206, 235 Typologie persönlicher Nähe- und Vertrauensverhältnisse 176 Überführungstüchtigkeit 197 Überlagerung von Wahrnehmungen 84, 93, 99 Übermaßverbot 135 unabänderliches persönliches Merkmal 226 unbefangene Kommunikation 147, 149 unbeteiligte Zeugen 131, 254 Unendlichkeit 179 Ungesteuertheit 115 Unglaubwürdigkeit 60 Ungleichbehandlung 216, 226 Unzumutbarkeit 21, 136, 150, 207, 212, 258 Unzuverlässigkeit des Zeugenbeweises 72, 158, 251 Unzuverlässigkeit von Zeugen 130, 154 Urkunden 34

Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft 171, 180, 188, 203 Verarbeitungsfehler 76, 82, 97, 99, 112, 126 Verbrechensbekämpfung 191 Verdrängung 83 Verfahrensbeschleunigung 69, 197, 246 Verfahrenseffektivierung 43, 69 Verfahrenseffektivität 192, 194 verfassungskonforme Auslegung 208, 213, 224, 230 Verfassungsmäßigkeit des § 52 StPO 209, 225 verfassungsrechtliches Aussageverweigerungsrecht 211 Verfolgungseffektivierung 197 Verfolgungsgerechtigkeit 197 Vergessen 82, 99 Vergessenskurve 82 Verhaltenskorrelate 105, 111 verhaltensorientierte Glaubhaftigkeitsbeurteilung 103 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 192, 196, 217, 220, 227 Verlöbnis 23, 67, 143, 180, 188, 203, 215, 224, 231, 256 verlöbnisähnliche Vorformen Eingetragener Lebenspartnerschaften 185, 188, 206, 225, 226, 232 Verlöbnisbegriff 23, 204, 219, 231, 256 Vernehmung zur Person 260 Vernehmungsfehler 88 Vernehmungsperson 73, 93, 99, 110 Vernehmungspsychologie 98, 116 Vernehmungssituation 88, 93, 101, 110 Vernehmungstechnik 93, 116, 124 Vernehmungsverbot 154, 252 Verteidiger 29, 67 Vertrauensverhältnis 63, 66, 144, 152, 170, 176, 181, 215, 222, 249, 255 vertrauliche Kommunikation 145, 152, 209, 210, 217 Vertraulichkeit (Berufsgeheimnisträger) 28, 148 Verwandte 22, 26, 46, 67, 90, 163, 252, 257 Volkskomitien 40 Vorbehalt des Gesetzes 233 Vorhalt 87, 94, 101, 117

Sachwortverzeichnis Vorrang des Gesetzes 247 Vorverfahren 71, 73, 97, 125 Vulgarrecht 43, 51 Wahrheitserforschung um jeden Preis 19, 202 Wahrheitspflicht 89, 249 Wahrnehmung 60, 71, 77, 99, 102, 112 Wahrnehmung und Erwartungshaltung 81 Wahrnehmungsfähigkeit 78, 79, 99 Wahrnehmungsfehler 77, 99, 126 Willkürverbot 216 Wirksamkeit des Verlöbnisses 24 Wirtschafts- und Buchprüfer 29 Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft 250 Wohngemeinschaft 257 Wortlaut der Norm (als Auslegungsgrenze) 202, 224, 230

19 Jansen

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Zeugenausschluss 66, 156 Zeugenbefreiung unmittelbar aus der Verfassung 213 Zeugenprivilegierung 38, 46, 49, 53, 59, 60, 62 Zeugnispflicht 18, 20, 44, 45, 57, 199, 211, 252 Zeugnisverweigerungsrecht aus beruflichen Gründen 28 Zeugnisverweigerungsrecht öffentlicher Bediensteter 31 Zivilehe 236, 244 Zuverlässigkeit der Wahrheitsfindung 160, 181, 252, 260 Zuverlässigkeit des Zeugenbeweises 48, 71 Zwang zur Selbstbezichtigung 136, 151 Zwangsmittel 20, 36, 37, 247, 253 Zwölftafelgesetz 39