Das Reziprozitätselement im Zustandekommen völkerrechtlicher Verträge [1 ed.] 9783428427512, 9783428027514


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German Pages 348 Year 1972

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Das Reziprozitätselement im Zustandekommen völkerrechtlicher Verträge [1 ed.]
 9783428427512, 9783428027514

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BRUNO SIMMA

Das Reziprozitätselement im Zustandekommen völkerrechtlicher Verträge

Schriften zum Völkerrecht

Band 23

Das Reziprozitätseleme nt im Zustandekommen völkerrechtlicher Verträge Gedanken zu einem Bauprinzip der internationalen Rechtsbeziehungen

Von

Universitätsdozent Dr. Bruno Simma

DUNCKER &

HUMBLOT I

BERLIN

Alle Rechte vorbehalten

@ 1972 Duncker & Humblot, Berl!n 41

Gedruckt 1972 bei Buchdruckerei Richard Schröter, Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3 428 02751 5

Vorwort Die hier vorgelegte Untersuchung stellt die erweiterte Fassung ·einer Arbeit dar, die im Wintersemester 1971/72 von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck als Habilitationsschrift für die Fächer Völkerrecht und Internationale Beziehungen angenommen worden ist. Anläßlich ihrer Veröffentlichung möchte ich vor allem meinem verehrten Lehrer, Herrn Professor Dr. Heinrich G. Kipp, für seine Toleranz und stete Unterstützung herzlich danken. Zu tiefem Dank für mannigfache wissenschaftliche Anregung, Ermutigung und Förderung bin ich Herrn Professor Dr. Dr. h. c. mult. Alfred Verdross verpflichtet. Des weiteren danke ich Herrn Bundesrat Professor Dr. Herbert Schambeck, der mir seinerzeit die wissenschaftliche Laufbahn schmackhaft machte, sowie den Herren Professoren Dr. Herbert Miehsler und Dr. Gerhard Schnorr für ihre Mühe als Korreferenten im Habilitationsverfahren. Herrn Ministerialrat a. D. Dr. J. Broermann, Inhaber des Verlages Duncker & Humblot, danke ich für die Aufnahme der Schrift in sein Verlagsprogramm. Dank zu sagen habe ich aber auch meiner lieben Frau, die meine physische und psychische Abwesenheit in der Zeit der Entstehung dieses Buches mit viel Geduld und dem notwendigen Humor ertrug. Innsbruck, im Frühjahr 1972

Bruno Simma

Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

Einführung 15

A. Ziele der Untersuchung I. Ein Beitrag zu einer Theorie der Gegenseitigkeit im Völkerrecht . .

15

15 17 2. Gegenseitigkeit als Leitprinzip in primitiven Gesellschaften 3. Gegenseitigkeit in der rechtlichen Ordnung der internationalen Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1. Gegenseitigkeit als sozialpsychologische Grundlage des Rechts

II. Ein Beitrag zur Theorie des völkerrechtlichen Vertrages . . . . . . . . . .

24

1. Der völkerrechtliche Vertrag in der gegenwärtigen Staaten-

gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 2. Das Recht der Verträge - die Wiener Konvention vom 23. Mai 1969 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

B. Arbeitstechnische Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34

I. Zum verwendeten Vertragsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34 38

II. Zur Methode der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hauptteil A. Klärung des Begriffs der Gegenseitigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 II. Bisherige Definitionsversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 III. Eigener Versuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 1. Der Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 47 2. Differenzierungen

B. Die Gegenseitigkeit in der Geltung völkerrechtlicher Verträge (formalstrukturelle Aspekte) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Reziprozität und Korrelativität von vertraglichen Rechten und Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50 50 51

8

Inhaltsverzeichnis 3. Reziprozität und Relativität vertraglicher Rechte und Pflichten 54 li. Konkrete Ausformungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. In Zustandekommen und Beendigung der Verträge

55

... .......

55

2. In der einseitigen Unabänderbarkeit der Verträge . . . . . . . . . . . .

56

3. In der Auslegung der Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

4. In der Wirkung von Vorbehalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58

5. In dem Recht auf Beendigung und Suspendierung der Erfüllung

von Verträgen als Reaktion auf ihre Verletzung . . . . . . . . . . . . . .

C. Die Gegenseitigkeit in Inhalt und Zustandekommen völkerrechtlicher

Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

67

I. Gegenseitigkeit im Inhalt völkerrechtlicher Verträge (materielle Aspekte) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 1. Das Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 2. Inhaltliche Gegenseitigkeit: völkerrechtliches Gebot oder politische Forderung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68

II. Die Erwartung inhaltlicher Gegenseitigkeit als Motivation zum Vertragsabschluß und ihre Verwirklichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73 a) Das Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 b) Zum Begriff des ,.staatlichen Interesses" . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 c) Eine Abgrenzung: Reziprozitätsverhältnisse als Vorstufe oder Alternative zu völkerrechtlichen Verträgen . . . . . . . . . . . . . . . . 77

2. Verträge, die die gegenseitigen Beziehungen der Parteien regeln 80 a) Die Interessenlagen bei Vertragsabschluß . . . . . . . . . . . . . . . . 80 aa) Identische und komplementäre Interessen . . . . . . . . . . . . 80 bb) Gemeinsame und entgegengesetzte Interessen . . . . . . . . 82 b) Rechtsgeschäfte und Vereinbarungen, bilaterale und multilaterale Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die gleichbleibende Wirkung der Gegenseitigkeitserwartung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ein Beispiel von besonderer Eindringlichkeit: das vertragliche Kriegsvölkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Lehre vom ,.Kollektivinteresse" hinter multilateralen Verträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

84 84 89 97

c) Die Fortwirkung der Reziprozitätsmotivationen in geltenden Verträgen . . . . . . . .. ... . . ... ........ . .... . .. .. .. . .... .... .. 100 aa) Das Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 bb) Das Beispiel kriegsvölkerrechtlicher Verträge ........ 104

Inhaltsverzeichnis

9

d) Stufen und Mittel der Verwirklichung inhaltlicher Gegenseitigkeit und ihre Implikationen für die Effektivität vertraglicher Normen ......... . .... .. ... .. ....... .. .... . . .. .. 114 aa) Identität und Äquivalenz - formelle und reelle Gegenseitigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 bb) Der Anknüpfungspunkt der Gegenseitigkeitserwartung 119 cc) Die Problematik der Realisierung vertragsinhaltlicher Äquivalenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 dd) Reelle Gegenseitigkeit durch Auslegung? . . . . . . . . . . . . . . 129 ee) Völkerrechtspolitische Implikationen der Realisierung inhaltlicher Gegenseitigkeit .... ... ..... .. ......... ... 130 e) Außervertragliche Bedingungen des Interesses an Gegenseitigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 134 aa) Grundsätzliches bb) Symmetrie der Normen - Asymmetrie der Anwendungssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 cc) Symmetrie der Normen - Asymmetrie der Kräfte . . . . 137 f)

Der Verlauf der Reziprozitätsbeziehungen in der Struktur der Verträge .. .... .............. . ... . .......... .. . . ... . . aa) Praktische Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das Band zwischen Leistung und Gegenleistung . . . . . . cc) Bilaterale Beziehungen und Erfüllung inter omnes bei Kollektivverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

148 148 149 152

3. Verträge, deren Erfüllung nicht im Verhältnis ihrer Parteien untereinander realisiert wird . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 161 a) Die Problemstellung ............. . 161 aa) Entwicklungsgeschichtlicher Überblick bb) Die Verträge mit humanitären Zielsetzungen ... .... ... 167 b) Die systematische Erfassung des Problems durch die moderne Völkerrechtswissenschaft ...... ...... .. . ..... .. ...... .. . . 176 aa) Die herrschende Lehre: Die Theorie der "absoluten" oder "objektiven" Vertragspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 bb) Die "Gegenseitigkeitstheorie" . .. . . . . ..... .. . .. . . .... . 182 c) Eigene Stellungnahme unter normativen und funktionalvölkerrechtssoziologischen Gesichtspunkten . . .. ........ .. aa) Standort im Theorienstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Interessenlage und Reziprozitätselemente in Zustandekommen und Geltung der Abkommen mit innerstaatlicher Zielrichtung der Erfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Sonderfälle: Abkommen mit innerstaatlicher "Zielrichtung", deren Erfüllung eine mittelbare staatliche Interaktion nach sich zieht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

188 188 194 212

10

Inhaltsverzeichnis III. Die Vervollständigung des Bildes: Gegenseitigkeit "um" völkerrechtliche Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 1. Einführende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220

2. Die möglichen Formen vertragsexterner Gegenseitigkeit . . . . . . a) Zwischenabhängige Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Beispiele aus der Staatenpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Rechtliche Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

223 223 223 224 234

b) Gegenleistungen ohne völkerrechtliche Fixierung . . . . . . . . . . 238 aa) Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 bb) Beispiele aus der Staatenpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 c) Vertragsexterne Gegenleistungen ohne normativen Charakter und weiteres Schicksal von völkerrechtlichen Verträgen 252 aa) Grundsätzliche Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 bb) Die Staatenpraxis - Beobachtungen zur Pathologie "diktierter" Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254

D. Die Einschätzung des Reziprozitätselements in funktional-soziologischen Typologien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 I. Einführende Bemerkungen

273

II. Die einzelnen Typisierungsversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 1. Schwarzenhergers "Recht der Macht", "Recht der Gegenseitig-

keit" und "Recht der Koordination" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Friedmanns "Völkerrecht der Koexistenz" und "Völkerrecht der Zusammenarbeit" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Hoffmanns "Recht des politischen Rahmens", "Recht der Gegenseitigkeit" und "Recht der Gemeinschaft" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Virally: Reziprozität und Solidarität als Entwicklungsprinzipien des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Weitere Typologien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

274 278 281 283 284

111. Kritik dieser Versuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 1. Das soziale Substrat der Völkerrechtsordnung: Gesellschaft oder

Gemeinschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Reziprozität und "politisches Völkerrecht" ("Recht der Macht") 3. Reziprozität contra Kooperation und Solidarität? . . . . . . . . . . . . . . Abschließende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

292 296 308

Summary

311

Quellen- und Literaturverzeichnis

316

289

Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344

Abkürzungsverze ichnis A.A. a.a.O. Abs. AdG ADIM AF AJIL Anm. Annuaire AAA

Annuaire IDI APSR ArchVR ARSPh. Art. AS ASR ASIL Proceedings Aufl. Bd. Berichte DGVR BGBl. BYIL C&S CJTL CLP CLR CYBIL DI Diss. EA ER FW

anderer Ansicht am angegebenen Ort Absatz, Absätze Archiv der Gegenwart Annales de Droit international Medical Annuaire fran~ais de droit international American Journal of International Law Anmerkung(en) Annuaire de l'Association des auditeurs et anciens auditeurs de 1'Academie de droit international Annuaire de !'Institut de droit international American Political Science Review Archiv des Völkerrechts Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Artikel, Article Annuaire suisse de droit international American Sociological Review Proceedings of the American Society of International Law Auflage Band Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht (österreichisches) Bundesgesetzblatt British Yearbook of International Law Comunicazioni e studi Columbia Journal of Transnational Law Current Legal Problems Columbia Law Review Canadian Yearbook of International Law Diritto internazianale Dissertation Europa-Archiv Europarecht Friedens-Warte

12 HLR HRJ Hrsg.,hrsg. IC ICJ Pleadings ICJ Reports ICLQ IJIL ILM ILR JBl. JBRSoz. JCR JDI JIR

JO JPR NJW Nr. NTIR NYULR NZZ ÖZA ÖZöffR RBDI RdC RED! RGDIP

Abkürzungsverzeichnis Harvard Law Review Human Rights Journal Herausgebe~ herausgegeben International Conciliation International Court of Justice. Pleadings, Oral Arguments, Documents International Court of Justice. Reports of Judgments, Advisory Opinions and Orders International and Comparative Law Quarterly Indian Journal of International Law International Legal Materials International Law Reports Juristische Blätter Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie Journal of Conflict Resolution Journal du droit international Jahrbuch für Internationales Recht Journal officiel (des Völkerbundes) Journal of Peace Research Neue Juristische Wochenschrift Nummer(n) Nederlands Tijdschrift voor Internationaal Recht New York University Law Review Neue Zürcher Zeitung (Fernausgabe) Österreichische Zeitschrift für Außenpolitik Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht (Neue Folge) Revue belge de droit international Recueil des Cours de l'Academie de droit international Revue Egyptienne de droit international Revue generale de droit international public

RIT Rivista RSprGH(d)

Revue internationale du Travail Rivista di diritto internazionale Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften. Amtliche Sammlung (deutsche Ausgabe)

Rz.

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Randzahl Seite(n)

SALJ SJZ Sp.

The South African Law Journal Schweizerische Juristen-Zeitung Spalte(n)

SR

Staat und Recht

Abkürzungsverze ichnis StroppSchlochauer Stropp, Wörterbuch UNDoc. UNYB UTLJ Vgl. VJIL WP YBILC YBWA YLJ

ZaöRV ZöffR

zv

13

Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts Stropp (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts und der Diplomatie United Nations Document(s) Yearbook of the United Nations University of Toronto Law Journal vergleiche Virginia Journal of International Law World Politics Yearbook of the International Law Commission Yearbook of World Affairs Yale Law Journal Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für öffentliches Recht = Zeitschrift für Völkerrecht

"The rule pacta sunt servanda is linked to the rule do ut des." Milan BARTOS in der 692. Sitzung der International Law Commission am 4. Juni 1963 (YBILC 1963 I, S. 124, § 30).

Einführung A. Ziele der Untersuchung I. Ein Beitrag zu einer Theorie der Gegenseitigkeit im Völkerrecht 1. Gegenseitigkeit als sozialpsychologische Grundlage des Rechts

"Leben um Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß1 !" "Alles nun, was ihr wollt, daß euch die Menschen tun, sollt ebenso auch ihr ihnen tun; denn das ist das Gesetz und die Propheten2 ." Diese beiden Normen, die lex talionis des Alten Testamentes und die Goldene Regel der Bergpredigt, stecken den weiten Spielraum ab, innerhalb dessen der Gedanke der Gegenseitigkeit die zwischenmenschlichen Beziehungen - und damit den Wirkungsbereich des Rechts - als Grundlage und mächtige Triebkraft beherrscht. Von Aristoteles3 bis in die Gegenwart ist er Gegenstand tiefschürfender sozialphilosophischer Überlegungen gewesen. Man hat ihn als logisches Merkmal der Gerechtigkeit', als Grundsatz des Naturrechts\ und, in der Formulierung der Goldenen Regel, als "die einzige universale sittliche Regel" bezeichnet, 1 Deuteronomium 19, 21; ähnlich Exodus 21, 24-25, Leviticus 24, 18-20. Vgl. auch schon Codex Hamurabi, §§ 196, 197. 2 Matthäus, 7, 12. Im Konfuzianismus wird derselbe Gedanke im Prinzip des Shu ausgedrückt. 3 "Denn proportionale Vergeltung ist es, die Zusammenhalt des Gemeinwesens gewährleistet. Die Bürger suchen nämlich Böses mit Bösem zu vergelten und wenn sie es nicht können, so erscheint ihnen ihr Gemeinwesen als Sklavengemeinschaft, oder sie suchen Gutes mit Gutem zu vergelten und wenn sie es nicht können, so kommt keine Gegenseitigkeit zustande. Auf Gegenseitigkeit aber beruht ihr Zusammenhalt." ATistoteles, Nikomachische Ethik, Buch V, KapitelS, Sp. 1133 a. 4 DeZ Vecchio, Die Gerechtigkeit (2. Aufl. 1950), S. 87 :ff. Nach ihm ist kennzeichnender Bestandteil des Wesensgehaltes der Gerechtigkeit "die Gegenseitigkeit oder unabdingbare Verhältnismäßigkeit, auf Grund deren die Anerkennung einer Persönlichkeit . . . gleichzeitig eine Beschränkung im Hinblick auf eine andere Persönlichkeit ist, die notwendigerweise in dem nämlichen Akte vorgenommen wird" (S. 87). Aus dem Begriff der Gegenseitigkeit ergibt sich, "daß ein Subjekt nicht in einer bestimmten Weise im Hinblick auf andere wirken darf, ohne damit ein gleiches Wirken dieser anderen ihm gegenüber unter den gleichen Umständen als rechtmäßig oder ,gerecht' (und

16

Einführung

"die nicht für oder gegen einen der streitenden Werte Partei ergreift" 8 • Ausgelöst durch Forschungsergebniss e der Ethnologie und Anthropologie sehen auch die moderne Soziologie und Sozialpsychologie in der Reziprozität heute ein Grundprinzip sozialen Handelns, eine "durchlaufende menschliche Stil-Konstante" 7, deren Bedeutung nur schwer überschätzt werden kann. Sie wirkt einmal im intrasubjektiven Vorstadium jedes gesellschaftsbezogen en Handelns, in dem die Handelnden ihr Verhalten jeweils an der Erwartung ausrichten, wie ein anderer oder unbestimmt damit juristisch möglich) erscheinen zu lassen. Der Begriff der ,Vergeltung' erweist sich derart als eingeschlossen in dem der Gerechtigkeit" (S. 88). Vgl. auch die Gedanken und zahlreichen Belege ebd. in den Anmerkungen, besonders S. 92 f. Zur fundamentalen Rolle der Gegenseitigkeit in der Rechtslehre Kants und zu ihrer Weiterentwicklung und Modifizierung durch Fichte vgl. Darmstädter, La reciprocite et la communaute considerees comme categories juridiques (d'apres la theorie du droit [1796] de J. G. Fichte), Archives de Philosophie du droit et de Sociologie juridique 5 (1935), Heft 3-4, S. 92 ff. (vgl. ebd., S. 92: « Les ecrits d'Emmanuel Kant ne reconnaissent qu'un seul principe en droit: la reciprocite ») . Siehe neuerdings auch Zippelius, Das Wesen des Rechts. Eine Einführung in die Rechtsphilosophie (2. Aufi. 1969), S. 92 f., wo auf Artikel 4 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 16. August 1789 hingewiesen wird. 5 "Ius naturale est ... quo quisque iubetur alii facere, quod sibi vult fieri, et prohibetur alii inferre, .q uod sibi nolit fieri." Corpus Iuris Canonici. Decr. Grat., Princ. zu D. 1. 8 Maciver, The Deep Beauty of the Golden Rule, in: Anshen (Hrsg.), Moral Principles of Action (1952), S. 39 ff.; zitiert und kommentiert bei Arnold Brecht, Politische Theorie. Die Grundlagen politischen Denkens im 20. Jahrhundert (1961), S. 427. Vgl. ebendort, S. 658 ff., auch die Auseinandersetzung mit C. I. Lewis, The Ground and Nature of Right (1955) und neuerdings das von Eckhoff entwickelte Konzept der "equilibrium justice" iEckhoff, Justice and Social Utility, in: Legal Essays. A Tribute to Frede Castberg (1963), S. 77 ff.j Eindringlich weiters Fuller, The Morality of Law (1964), S. 19 ff. und Franck, The Structure of Impartiality. Examining the Riddle of One Law in a Fragmented World (1968), S. 309 ff. Vgl. aber auch die kritische Analyse von Kelsen, Das Problem der Gerechtigkeit, Anhang zu: Reine Rechtslehre (2. Aufi. 1960), S. 376 ff. 7 Gehlen, Moral und HypermoraL Eine pluralistische Ethik (1969), S. 52. Vgl. aus der umfangreichen Literatur besonders eindrücklich neben der gerade zitierten Schrift Gehlens, S. 47 ff., derselbe, Urmensch und Spätkultur. Philosophische Ergebnisse und Aussagen (1956), S. 50 ff.; Rehfeldt, Die Wurzeln des Rechtes (1951), S. 10 ff.; derselbe, Einführung in die Rechtswissenschaft (2. Aufl. 1966), S. 111 ff.; Ihering, Der Zweck im Recht, Bd. I (2. Aufl. 1884), S. 115 ff.; Schelsky, Systemfunktionaler, anthropologischer und personfunktionaler Ansatz der Rechtssoziologie, JBRSoz. I: Die Funktion des Rechts in der modernen Gesellschaft (1970), S. 69 ff.; Blau, Stichwort "Interaction. Social Exchange", in: Sills (Hrsg.), International Encyclopedia of the Social Seiences (1968), Bd. 7, S. 452 f.; Gouldner, The Norm of Reciprocity: A Preliminary Statement, ASR 25 (1960) S. 161 ff.; derselbe, Reziprozität und Autonomie in der funktionalen Theorie, in: Hartmann (Hrsg.), Moderne amerikanische Soziologie. Neuere Beiträge zur soziologischen Theorie (1967), S . 293 ff.; Homans, Soziales Verhalten als Austausch, ebd., S. 181 ff.; Timasheff, An Introduction to the Sociology of Law (1939), bes. S. 95 ff.; Mühlmann, Stichwort "Gegenseitigkeit", in: Bernsdorf (Hrsg.), Wörterbuch der Soziologie (2. Aufi.1969), S. 328 ff.; König, Stichwort "Soziale Normen", ebd., S. 978 ff.; derselbe, Das Recht im Zusammenhang der sozialen Normensysteme, in: Hirsch-

Einführung

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viele andere sich daraufhin ihnen gegenüber verhalten werden8, und dann im Ablauf der sozialen Interaktion, in dem der Vergeltungstrieb ("Vergeltung" hier im weitesten Sinn des Wortes verstanden), der Instinkt der Reziprozität9 im positiven wie im negativen Sinn, als sozialer Steuerungsmechanis mus wirkt, Gegenleistung und Vergeltung (im engeren Sinn) fordert und bemißt. So wird die Gegenseitigkeit als gesellschaftliches Prinzip notwendig auch zu einer Leitlinie des Rechts. 2. Gegenseitigkeit als Leitprinzip in primitiven Gesellschaften

Am stärksten sichtbar- und mit den folgenden Worten des Ethnologen Thurnwald eindrücklich beschrieben - ist die Rolle der Reziprozität in der rechtlichen Ordnung primitiver Gesellschaften- d. s. Gesellschaften relativer zahlenmäßiger Kleinheit mit verhältnismäßig geringer sozialer Differenzierung im Sinne der Institutionalisierung von einzelnen Funktionen in einer arbeitsteilig gegliederten Organisation'0 - wenngleich sie, "jvjergeistigt und mehr oder weniger sublimiert"" Gru~ndstruktur auch unserer modernen Rechtsordnungen geblieben ist: "Wenn man aus allen Regelungen zwischen menschlichen jsicj VerRehbinder (Hrsg.), Studien und Materialien zur Rechtssoziologie (2. Aufl. 1971), S. 36 ff. (vgl. S. 36: "Das Verhältnis der Gegenseitigkeit ist geradezu konstitutiv für sie [d. h. für die sozialen Normen] ..."); Schoeck, Stichwort "Gegenseitigkeit", in: Kleines soziologisches Wörterbuch (1969), S. 128 ff.; jüngst Reisman, Sanctions and Enforcement, in: Black- Falk (Hrsg.), The Future of the International Legal Order, Bd. III: Conflict Management (1971), S. 273 ff., der von "implied promises of reciprocity and tacit implications of retaliation" als Begleiterscheinungen jeder sozialen Interaktion spricht (vgl. S. 277, 281). 8 Die "Reziprozität der Perspektiven" Litts; vgl. König, Wörterbuch der Soziologie, S. 979; Böhler, Rechtstheorie als kritische Reflexion, in: JahrMaihafer (Hrsg.), Rechtstheorie. Beiträge zur Grundlagendiskussion (1971), s. 86 ff. 9 Die Termini "Gegenseitigkeit" und "Reziprozität" werden im weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit, in Übereinstimmung sowohl mit dem allgemeinen Sprachgebrauch als auch mit der juristischen und soziologischen Fachsprache, als Synonyme verwendet. 10 Schott, Die Funktionen des Rechts in primitiven Gesellschaften, JBRSoz. I (1970), S. 110. Vgl. zur Bedeutung der Gegenseitigkeit in primitiven Gesellschaftsordnunge n den Großteil der oben in Anm. 7 angeführten Literatur, die in Anm. 12 genannten Schriften Thurnwalds und - neben dem Beitrag von Schott - Sigrist, Regulierte Anarchie. Untersuchungen zum Fehlen und zur Entstehung politischer Herrschaft in segmentären Gesellschaften Afrikas (1967); Barkun, Law Without Sanctions. Order in Primitive Societies and the World Community (1968); Gould- Barkun, International Law and the Social Seiences (1970), S. 164 ff.; Gould, An Introduction to International Law (1957), S. 580 ff.; Kelsen, Society and Nature. A Sociological Inquiry (1943), bes. S. 49 ff.; derselbe, Reine Rechtslehre, S. 86 ff.; Diamond, Primitive Law, Fast and Present (1971) und die in diesen Untersuchungen angegebenen und kommentierten älteren Werke insbesondere von Durkheim, Evans- Pritchard, Hoebel, Levi-Strauss, Levi- Bruhl, Malinowski, Mauss, Radelifte-

Brown und Thurnwald. 11 Rehfeldt, Die Wurzeln des Rechtes, S. 15. 2 Slmma

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haltensweisen und deren Umrankung mit religiös-magischen Phantasien den innersten Kern herauszuschälen sucht, so gelangt man zur Erkenntnis, daß Reziprozität das ist, was die Wage lsicl des Rechts einspielen läßt, sei es als Vergeltung (z. B. als Blutrache oder als Spiegelstrafe), sei es als Strafe überhaupt, oder (auf wirtschaftlichem Gebiet) als Erwiderung eines Geschenkes, als angemessene Bezahlung, oder (auf dem Gebiete der persönlichen Beziehungen) als Töchtertausch unter Gemeinden, als Heiratsordnung unter Gruppen, als Brautkauf (Vergeltung durch ausgezeichnete Objekte) oder (im Obligationenrecht) in der Bezahlung von Kreditierungen, im Zinsendienst usw ... Andererseits werden einseitige Leistungen als ,ungerecht' empfunden: Abgaben von Hörigen, wirtschaftliche Dienste von Sklaven. Aber auch bei der Organisation der Abhängigkeitsverhältnisse hat das Grundgesetz der Reziprozität seinen Ausdruck gefunden im Schutz-gegen-Treue-Verhältnis zwischen Herren und Gefolgsleuten: der Herr ist zum Schutz verpflichtet, der Gefolgsmann zu Abgaben und Dienst. Mißbrauch ist die Verletzung der Reziprozität12 ." So führt dauerhafte Gegenseitigkeit als sozialpsychologische Grundlage des Rechts zu einer Art von sozialer Selbststeuerung in Gesellschaften ohne oder ohne nennenswerte zentrale Instanz mit GewaltmonopoL In der Entwicklung des Rechts und der Gesellschaft tritt dann aber ein weiteres Prinzip an die Seite der Reziprozität, das Schelsky anschaulich das "Prinzip der institutionellen Entlastung" oder die Rechtsfigur des "übermächtigen Dritten" genannt hat13 : "Die Schwäche der reziproken Sozialbeziehung auf Dauer liegt in der Variabilität der Interessen der Partner; am extremsten wird dies deutlich, wenn ein Partner ausfällt und damit die ,Leistungskette' zerbricht. Die ,Zusatzstabilisierung', die diese Sozialbeziehung sucht, muß sich auf dauerhaftere Kräfte stützen, als sie das diese Beziehung eingehende Individuum ist. Dazu kommt, daß die Folgen dieser reziproken Sozialbeziehung ... auch die an dieser Handlungsbeziehung nicht unmittelbar beteiligten anderen treffen. Beide Gesichtspunkte führen zur Einschaltung der ,anderen', der über das Individuum hinaus ,Dauerhafteren', in den Prozeß der Reziprozität, und zwar als ,garantierende' und ,sanktionierende' Kräfte. Der ,übermächtige Dritte', die ,Institution', wird mit zum funktionalen Träger der ,Rechtsbeziehung' 14 ." 12 Thurnwald, Die menschliche Gesellschaft in ihren ethno-soziologischen Grundlagen, Bd. V: Werden, Wandel und Gestaltung des Rechtes im Lichte der Völkerforschung (1934), S. 5 (Hervorhebungen im Original gesperrt). Siehe weiters derselbe, Gegenseitigkeit im Aufbau und Funktionieren der Gesellungen und deren Institutionen, in: Grundfragen menschlicher Gesellung. Ausgewählte Schriften (1957), S. 82 ff., bes. S. 97 ff. 13 JBRSoz. I (1970), S. 73. 14 Schelsky, ebd.

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"Je mehr nun der ,Dritte' die Eigenschaft eines nur passiven Adressaten einer demonstrierten reziproken Bindung verliert und zum aktiven Garanten und zur sanktionierenden Kraft für die Aufrechterhaltung der gegenseitigen Verpflichtung wird, um so mehr entlastet sich diese Sozialbeziehung von der sanktionierenden Funktion der Reziprozität selbst und wird von der Macht des ,Dritten' garantiert. Dieser ,übermächtige Dritte' ist zunächst der Clan, die Familie, der Stamm, selbstverständlich auch ,die Götter', in modernen Gesellschaften der Staat oder sonstige gesellschaftliche Institutionen. Die Rechtsbeziehung wird dann mehr und mehr von diesem ,Dritten' her verstanden und begründet: die jeweilige ,soziale Einheit', die ,Institutionen', übernehmen nicht nur die garantierende Sanktion personhafter Sozialbeziehungen, sondern sie setzen und bestimmen diese Beziehungen selbst im Interesse des jeweiligen sozialen Ganzen. Damit wird die reziproke Rechtsbeziehung zum herrschaftlichen Rechtsverhältnis15• •• " Schelsky will diese Darstellung der Strukturentwicklung reziproker Rechtsbeziehungen in die Richtung subordinationsrechtl icher Verhältnisse übrigens nicht primär rechtsgeschichtlich, sondern strukturlogisch verstanden wissen; er hält diese Veränderung für auch heute noch zu beobachtende dynamische Prozesse in unseren eigenen Gesellschaften16 -eine Aussage, die für unsere folgenden Untersuchungen von größter Bedeutung ist. 3. Gegenseitigkeit in der rechtlichen Ordnung der internationalen Beziehungen

Diese hier - notwendig in aller Kürze und unter Konzentration auf die geraffte Wiedergabe der prägnantesten unter den anerkannten wissenschaftlichen Meinungen- dargestellten Erkenntnisse der modernen Soziologie und Ethnologie verdienen das höchste Interesse der Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen und der Völkerrechtslehre. Denn die heutige Staatengesellschaft und ihre rechtliche Ordnung weisen sehr weitgehende strukturelle und "prozessuale" Ähnlichkeiten mit der sozialen und rechtlichen Ordnung primitiver Gruppen und Völker auf; so eng verwandte Züge, daß auch noch das gegenwärtig geltende Völkerrecht nicht selten als primitives Recht im spezifisch rechtshistorisch-ethn ologischen Sinn auf Weltebene oder als primitives Schelsky, S. 74 f. Ebd., S. 75. Vgl. auch Blankenburg, Recht als Kategorie sozialer Verhaltensregelmäßigkeit en, JBRSoz. I (1970), S. 232 ff. Rechtsgeschichtlich etwa von der Heydte, Ein Beitrag zum Problem der Macht im "klassischen" und im .,neuen" Völkerrecht, in: Rechtsfragen der internationalen Organisation. Festschrift für Hans Wehberg zu seinem 70. Geburtstag (1956), S. 187 f. ts

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Recht ohne eine derartige genauere Bezugnahme bezeichnet wird17• Eine eingehendere wissenschaftliche Analyse dieser übereinstimmenden oder ähnlichen Merkmale unter politologischen und völkerrechtlichen Gesichtspunkten ist allerdings erst in jüngster Zeit erfolgt18• Masters etwa hat vier Elemente herausgearbeitet, die seiner Ansicht nach dem politischen Leben primitiver Gesellschaften und den internationalen Beziehungen gemeinsam sind19 : das Fehlen zentraler Organe zur "institutionalisierten" Rechtsprechung und Vollstreckung; die Anwendung von Gewalt im Rahmen der Selbsthilfe sowohl zur Erreichung irgendwelcher politischer Ziele als auch zur Durchsetzung von Rechtsansprüchen; das Fehlen eines zentralen Gesetzgebungsorgans und in Konsequenz "the derivation of law and moral obligations either from custom or from explicit, particular bargaining relationships"; und zuletzt "a predominant organizational principle which establishes political units serving many functions in the overall social system" 20 •

Die Ähnlichkeit der solcherart herauskristallisierten Ordnungsprinzipien sozialer Interaktion in primitiven Gesellschaften mit den Grundstrukturen - auch noch - der gegenwärtigen Völkerrechtsordnung, wie sie etwa von Verdross als völkerrechtliche "Verfassungsgrundsätze" in ihrer historischen Entwicklung beschrieben werden2 \ ist in der Tat frappierend22 • Ebenso fesselnd ist die Konfrontierung- und Identifizierung - des Organisations- und Integrationsprozesses der 17 Vgl. statt aller Vinogradoff, Outlines of Historical Jurisprudence (1920), Bd. I, S. 351, 353; Maine, Ancient Law. Its Connections with the Early History of Society and Its Relation to Modern Ideas (Neudruck 1963), S. 92 ff.; Lambert, La vengeance privee et les fondements du droit international public (1936); Hoebel, The Law of Primitive Man. A Study in Comparative Legal Dynamics (1954), S. 5: "International law is primitive law on a world scale"; Seagle, Weltgeschichte des Rechts. Eine Einführung in die Probleme und Erscheinungsformen des Rechts (Sonderausgabe der 3. Aufl. 1967, 1969), S. 484 und die Literatur in Anm. 2 aufS. 577 f.; Morgenthau, Politics among Nations. The Struggle for Power and Peace (4. Aufl. 1967), S. 265 (mit einem Hinweis auf Radelifte - Brown); Kipp, Stichwort "Völkerrecht", in: Görres-Gesellschaft (Hrsg.), Staatslexikon (6. Aufl.), Bd. 8 (1963), Spalte 307 f. 18 Vgl. zu den politologischen Aspekten Alger, Comparison of Intranational and International Politics, APSR 57 (1963), S. 414 ff.; Snyder- Robinson, National and International Decision-Making (1961), S. 47; Kahn, The Alternative World Futures Approach, in: Kaplan (Hrsg.), New Approaches to International Relations (1968) S. 97; besonders aber M asters, World Politics as a Primitive Political System, WP 16 (1964), S. 595 ff.; zu den juristischen Aspekten (allerdings unter Zugrundelegung modernster amerikanischer sozialwissenschaftlicher Betrachtungsweisen) Barkun, Law Without Sanctions, S. 25 ff. Vgl. aber auch schon Gihl, International Legislation. An Essay on Changes in International Law and in International Legal Situations (1937), S. 28 ff. Vor zu weit gehenden Analogien warnt etwa Gould, S. 583. 19 Masters, WP 16 (1964), S. 597 ff. 20 Ebd., S. 597. 21 Verdross, Völkerrecht (4. Aufl. unter Mitarbeit von Zemanek, 1959), s. 32 f., 34.

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modernen Völkerrechtsgemeinschaft in Richtung schüchterner Ansätze zentraler Organe23 mit dem von Schelsky als für alle Vergesellschaftungen typisch geschilderten Prozeß der allmählichen "institutionellen Entlastung". An diesem Punkt stellt sich nun mit Notwendigkeit das Bedürfnis nach einer vergleichenden funktionalen Analyse auch der Reziprozität ein. Wenn der Gedanke der Gegenseitigkeit nämlich als das Leitprinzip primitiver Gesellschaften erkannt worden ist, das dann nach und nach durch Einschaltung des "übermächtigen Dritten", der Institutionen, entlastet wird, und wenn sich Beziehungen innerhalb primitiver Gesellschaften und internationale Beziehungen derart ähnlich sind, so drängt sich die Annahme auf, daß der Reziprozität auch in Struktur, Ablauf und Entwicklung der internationalen Beziehungen eine gewisse Bedeutung zukommen muß. Dies auch bei aller aus der Einkalkulierung der Tatsache gebotenen Vorsicht, daß die Anwendbarkeit soziologischer und sozialpsychologischer Forschungsergebnisse auf dem Feld der interpersonalen und Gruppen-Beziehungen auf internationale Beziehungs-, Zustands- und Verlaufsmuster- zum mindesten- sehr umstritten ist. Die Aussagen der Vertreter der Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen zur Bedeutung der Reziprozität für ihren Erkenntnisgegenstand halten sich nun in überraschend spärlichem und sehr allgemeinem Rahmen24 • Diese allgemeinen Aspekte sollen in der vorliegen22 Ebenso desillusionierend ist aber auch die folgende Kommentierung dieser Ähnlichkeiten durch Hoffmann[International Law and the Control of Force, in: Deutsch- Hoffmann (Hrsg.), The Relevance of International Law. Essays in Honor of Leo Gross (1968), S. 24[: "[I[t is true that there is no more formal, central government in the world than in a primitive society, and that the legal systems of those two kinds of societies are marked by a very low degree of institutionalization. But otherwise the parallel is entirely misleading. International law is the law of a group whose component units have highly institutionalized legal systems and differentiated political institutions; primitive law is the law of a group whose components have neither; in other words, the meaning of the low degree of institutionalization of international law is not at all the same as that of the low degree of institutionalization of primitive law. Primitive law is the law of a society that is highly integrated which helps explain why it can subsist without a differentiated central power and why self-help both often suffices to preserve order, and tends to maintain rather than to disrupt the social fabric. International law is the law of a milieu that has no central power because of the fragmentation and will to fragmentation of its parts, and where self-help, while capable at times of giving to international anarchy an appearance of order, often threatens to plunge the milieu into sheer chaos." (Hervorhebung von mir.) Ähnlich Corbett, The Growth of World Law (1971), S. 50. 23 Vgl. statt aller Verdross, Völkerrecht (5. Aufl. unter Mitarbeit von Verosta und Zemanek, 1964), S. 122 f., 348 ff. 24 Typisch etwa die Äußerungen Pruitts [Definition of the Situation as a Determinant of International Action, in: Kelman (Hrsg.), International Behavior. A Social-Psychological Analysis (1965), S. 415 f.[, wonach "Nations, like persons, tend to follow a matehing rule, that is, to increase responsiveness

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den Arbeit jedoch nicht weiter untersucht und ergänzt werden. Ihr geht es um einen Beitrag zur Klärung der Funktion der Gegenseitigkeit speziell in der rechtlichen Ordnung der internationalen Beziehungen, im Völkerrecht. In einer früheren Studie25 hat der Verfasser unter Heranziehung zahlreicher Beispiele aus der völkerrechtlichen Literatur aufgezeigt, daß diese Klärung bisher weder quantitativ noch- mit ganz geringen Ausnahmen26 - nach der Tiefe der Analyse in genügendem Maße erfolgt ist; daß das Schrifttum vielmehr entweder nur grundsätzliche Bemerkungen von allzu großer Vagheit oder aber Untersuchungen ganz bestimmter Einzelprobleme ohne Berücksichtigung theoretisch-systematischer Zusammenhänge bietet. Durch seine Untersuchung des Reziprozitätselementes in der Entstehung des Völkergewohnheitsrechts 21 versuchte er, einen bescheidenen Beitrag zur Durchleuchtung eines in der Doktrin ganz besonders vernachlässigten Aspekts der völkerrechtlichen Reziprozitätsproblematik zu bieten. Anschließend skizzierte er an dortiger Stelle das Programm einer umfassenden Theorie der Gegenseitigkeit als Bauprinzip des Völkerrechts im statischen (strukturellen) wie im dynamischen (vom Prozeß der Entstehung, Geltung und des "Untergehens" der Völkerrechtsnormen her gesehenen) Sinn. Die vorliegende Arbeit stellt sich zur Aufgabe, auf dem Wege zu dieser Theorie einige Schritte weiterzugehen und das Reziprozitätselement im when another nation becomes more helpful and decrease responsiveness when another nation becomes more harmful, or threatening. Another name for observance of the matehing rule is ,reciprocity'." Die Bedeutung der von Gouldner (vgl. oben Anm. 7) so benannten "norm of reciprocity" - in allgemeinster Form definiert als "a belief that people should help and not injure those who have helped them"- in den internationalen Beziehungen sei nicht allzu klar, "JyJet it also seems unreasonable to believe that such considerations play no part in international relations" (Pruitt, S. 416). Vgl. auch Pruitt, Stability and Sudden Change in Interpersonal and International Affairs, in: Rosenau (Hrsg.), International Politics and Foreign Policy. A Reader in Research and Theory (2. Aufl. 1969), S. 392 ff.; Hoffmann, The Study of International Law and the Theory of International Relations, ASIL Proceedings 1963, S. 31; und die in der in der nächsten Anmerkung angegebenen Schrift des Verfassers auf S. 70, Anm. 211, S. 71, Anm. 213 angeführte weitere Literatur. 2s Simma, Das Reziprozitätselement in der Entstehung des Völkergewohnheitsrechts (1970) Jim folgenden als "Simma, Völkergewohnheitsrecht" zitiertJ,

s. 13 ff.

26 Vgl. ebd. 21 Nach Schelsky (S. 75) wird "auch heute noch das Völkerrecht als Gewohnheitsrecht fast ausschließlich von dem Reziprozitätsmechanismus bestimmt". Vgl. jüngst auch die Meinung Farers: "My critical assumption is that under the existing constitutive rules of international relations, state practice can be norm-generating only where it reflects acceptance of the principle of reciprocity." Law and War, in: Black- Falk (Hrsg.), The Future of the International Legal Order, Bd. III: Conflict Management (1971), S. 21.

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Zustandekommen des Völkervertragsrechts zu untersuchen. Dies soll in der Weise geschehen, daß nach einer Klärung des Begriffs der Gegenseitigkeit versucht werden soll, die formell in der Geltung und materiell im Inhalt völkerrechtlicher Verträge auftretenden Manifestationen unseres Elementes zu analysieren; wobei sich die Untersuchung der letztgenannten Aspekte deswegen nur kursorisch annehmen wird, weil sie in jüngster Zeit Gegenstandzweier ausgezeichneter Studien aus der Feder französischsprachiger Autoren gewesen sind28 • Daranhat sich der Kern der Arbeit anzuschließen: die Untersuchung der Rolle der Gegenseitigkeit in ihren verschiedenen Erscheinungsformen im Prozeß des Zustandekommens völkerrechtlicher Verträgeeine Prüfung, die auch der "Fortsetzung" dieser Rolle, dem Reziprozitätselement im einmal geltenden Vertragsrecht und damit den funktionellen Zusammenhängen zwischen dem Wirkungsgrad von Gegenseitigkeitserwartungen und der Effektivität vertragsvölkerrechtlicher Normen gebührende Aufmerksamkeit schenken muß. Mit diesen Analysen ist dann das Material erstellt und die Ausgangsbasis geschaffen, um eine Antwort auf die Frage versuchen zu können, ob es theoretisch richtig und zweckmäßig ist, mit einigen Vertretern der Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen und soziologisch ausgerichteten Völkerrechtlern eine ganz bestimmte Schicht aus der Rechtsmasse "Völkerrecht" als unter ganz besonders starkem und evidentem Einfluß der Reziprozität stehend herauszuheben und dementsprechend zu bezeichnen. Die Arbeit versteht sich also teilweise als eine Art "organische" Weiterführung der in bezug auf das völkerrechtliche Gewohnheitsrecht bereits durchgeführten Analyse; "organisch" insofern, als derselbe methodische Ansatz Verwendung finden soll. Damit setzt der Verfasser die Akzente anders, als dies in der bisherigen - wie oben angedeutet, überaus spärlichen - völkerrechtswissenschaftlichen Behandlung unseres Themas, insbesondere aber auch in der Studie Virallys, geschehen ist. Eine grundsätzliche, in der heutigen Situation auch des Völkerrechtswissenschafts-"be triebes" immer dringender werdende Forderung an das wissenschaftliche Arbeiten kann ja wohl so formuliert werden, daß die literarische Behandlung eines Themas dem bloßen Nachvollzug bereits gelungener - und natürlich auch vom Autor als solche anerkannter - Problemlösungen nur dasjenige Minimum an Aufmerksamkeit widmen sollte, das unumgänglich 28 Preiswerk, La reciprocite dans les negociations entre pays a systemes sociaux ou a niveaux economiques differents, JDI 94 (1967), S. 5 ff.; Virally, Le principe de reciprocite dans le droit international contemporain, RdC

122 (1967 III), S . 1 ff.

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notwendig ist, um den Leser an diejenigen Fragen heranzuführen, bezüglich derer ein Anspruch auf eigenständige Ansichten und vielleicht auch Lösungen proklamiert wird. Konkret auf die folgende Untersuchung angewendet soll dies besagen, daß sie sich auf die Behandlung der in der bisherigen doktrineilen Analyse vernachlässigten Aspekte konzentrieren wird, darunter insbesondere auf die Klärung und Veranschaulichung der durch Reziprozitätselemente gekennzeichneten soziopsychologischen Situationen und Interessenkonstellationen, vor deren Hintergrund und unter deren Einfluß das "Leben" völkerrechtlicher Verträge abrollt. Die berühmte Klassifizierung solcher Abkommen in rechtsgeschäftliche Verträge und Vereinbarungen, das Phänomen der sogenannten "ungleichen Verträge", die Frage der Realisierung einer vertragsinhaltlichen Äquivalenz oder diejenige nach dem Gegenseitigkeitselement im "Leben" internationaler Organisationen gehören demgegenüber zu den Materien, denen sich unsere Arbeit aus den gerade angeführten Gründen nur obiter widmen wird. II. Ein Beitrag zur Theorie des völkerrechtlichen Vertrages

An den Beginn dieses Kapitels gehört eine terminologische Klarstellung: Im Verlauf dieser Untersuchung soll in Verfolgung der präzisen angelsächsischen Diktion unter dem Begriff "Völkervertragsrecht" (oder auch "Vertragsvölkerrecht" bzw. kürzer "Vertragsrecht", engl. "treaty law") die Summe des in der Erscheinungsform "Vertrag" in all seinen Spielarten auftretenden Völkerrechts, unter dem Begriff "Recht der völkerrechtlichen Verträge" (bzw. "Recht der Verträge", engl. "Law of Treaties") dagegen der das Völkervertragsrecht im eben umschriebenen Sinn in seiner Geltung regelnde Komplex von Normen des allgemeinen Völker(gewohnheits)rechts verstanden werden. Die Bezeichnungen "Vertrag", "Abkommen" und "Übereinkommen" werden dagegen als Synonyme verwendet. Sie gelten im folgenden nicht dem Verfahren, in dem völkerrechtliche Vertragsnormen erzeugt werden, sondern dem Produkt dieses Prozesses28'. 1. Der völkerrechtliche Vertrag in der gegenwärtigen Staatengesellschaft

Während der letzten Jahrzehnte hat sich innerhalb des völkerrechtlichen Rechtsquellenkataloges - "Quellen" hier im Sinne von Erscheinungsformen des Rechts verstanden29 - eine Verschiebung des Vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre, S. 264. Vgl. Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. I: Allgemeines Friedensrecht (1960), S. 37. Eine Kodifikation des Kataloges der Völkerrechtsquellen findet sich bekanntlich in Art. 38 Abs. 1 lit. a-c des Statuts des Internationalen Ge2 B•

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Schwergewichts vom Völkergewohnheits- auf das Völkervertragsrecht30 vollzogen. Dieser Prozeß, der sich in immer stärkerem Maße fortsetzt, hat mehrere Gründe. Zum einen steht die wachsende Interdependenz der Staaten und internationalen Organisationen31 in Wechselwirkung mit einer beispiellosen Proliferation vertraglicher Bindungen auf immer neuen Gebieten des menschlichen Lebens und in einem immer Vielfältigeren Spektrum von Vertragstypen, -formen und -verfahren32 • 33• richtshofes. Die moderne Völkerrechtsdoktrin äußert jedoch in steigendem Maße gewichtige Zweifel an der Brauchbarkeit dieser Bestimmung als einer erschöpfenden völkerrechtlichen Quellenlehre - Zweifel, die durch das am 20. Februar 1969 ergangene Urteil des Internationalen Gerichtshofs in den North Sea Continental Shelf Cases (ICJ Reports 1969, S. 3 ff.) neuen Auftrieb erhalten; vgl. bereits Münch, Das Urteil des Internationalen Gerichtshofes vom 20. Februar 1969 über den deutschen Anteil am Festlandsockel in der Nordsee, ZaöRV 29 (1969), S. 455 ff., insbes. S. 464, 469 ff.; und Marek, Le problerne des sources du droit international dans l'arret sur le plateau continental de la mer du nord, RBDI 6 (1970), S. 44 ff. 30 Hier sei kurz auf eine in den letzten Jahren insbes. in der britischen Völkerrechtswissenschaft entwickelte Theorie hingewiesen, die die ohnehin schon beträchtliche Verwirrung um den Begriff der Völkerrechtsquellen noch dadurch vermehrt hat, daß sie in Verträgen überhaupt keine formelle Quelle des Völkerrechts, sondern nur eine "source of international obligation" sehen will; so zuerst Fitzmaurice, Same Problems Regarding the Formal Sources of International Law, in: Symbolae Verzijl (1958), S. 153 ff., dem sich u. a. Jennings, General Course on Principles of International Law, RdC 121 (1967 II), S. 331 f., angeschlossen hat. Vgl. aber auch schon Gihl, International Legislation, S. 46 f. Nach Ansicht des Verfassers ist diese Theorie aus mehreren Gründen unhaltbar. Einmal widerspricht sie positiven Völkerrechtsnormen wie etwa dem oben erwähnten Art. 38 des Statuts des Internationalen Gerichtshofs, dessen allgemeine Geltung heute bereits gewohnheitsrechtlich verankert sein dürfte. Ihre Anhänger zögern auch nicht, Vertragsverletzungen als Völkerrechtsverletzungen zu qualifizieren und der dadurch geschädigten Partei die Befugnis zur Durchführung völkerrechtlicher Sanktionen einzuräumen; vgl. etwa Fitzmaurice, Fourth Report on the Law of Treaties, Art. 18, UN Doc. A/CN. 4/120, 17 March 1959, YBILC 1959 li, S. 45 und Kommentar ebd. S. 66 ff. Die Anschauung dürfte ihre Ursache in der Tendenz vieler angelsächsischer Völkerrechtler haben, nur das allgemeine (und damit Gewohnheits-)Völkerrecht als "international law" zu bezeichnen (und dann etwa von der "Völkerrechtswidrigkeit" von Verträgen usw. zu sprechen). Dazu treffend (der Angelsachse) Jessup, Modernization of the Law of International Contractual Agreements, AJIL 41 (1947), S. 379 f.: "It is a common lay \sie\ error to draw a sharp distinction between treaties and international law in general ... The European practice of distinguishing between customary and contractual international law, and including both types when the term international law is used alone, is more helpful." 31 Vgl. Zemanek, Stichwort "Zwischenabhängigkeit" in: Strupp - Schlochauer, Bd. III (1962), S. 896 f.; Hans Huber, Weltweite Interdependenz. Gedanken über die grenzüberschreitenden gesellschaftlichen Verhältnisse und die Rückständigkeit des Völkerrechts (1968). 32 So beanspruchten etwa um eine naheliegende Illustration zu wählen -im Österreichischen Bundesgesetzblatt im Jahre 1957 völkerrechtliche Verträge 577 von insgesamt 1612 Seiten, im Jahre darauf bereits 980 von 2280. Im Bundesgesetzblatt des Jahres 1932 fanden sich ganze 19 Staatsverträge, im

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Das Übergewicht der Vertragsform als Mittel der Völkerrechtssetzung resultiert des weiteren aus einem Umstand, der gegenüber dem erstgenannten in einem dialektischen Verhältnis steht. Die zunehmende soziologische und juristische Interdependenz der Mitglieder der Völkerrechtsgemeinschaft geht nämlich Hand in Hand mit einem Wachsen des internationalen weltanschaulichen Pluralismus und damit auch mit einer Differenzierung des sittlich-normativen Bewußtseins dieser Gemeinschaft. Das Völkerrecht noch der J ahrhunderwende war - in den treffenden Worten von Charles De Visscher - "lplar son inspiration profonde ... l'expression d'une communaute de pensee et de directions morales, heritage chretien des peuples de civilisation europeenne34." Aber: « Cette homogeneite a disparu au cours des annees qui suivirent la premiere guerre mondiale. La diffusion d'ideologies politiques nouvelles, la brusque accession aux rapports internationaux de peuples de civilisations tres diverses, ont singulierement reduit le fond ethique commun du droit internationaP5 • » Die solcherart beschriebene Divergenz der Grundauffassungen auch über Natur und Geltung des Völkerrechts - etwa zwischen den sogenannten "westlichen" Staaten und den Staaten des kommunistischen Lagers, oder den Altstaaten und den Neustaaten (Entwicklungsländern) der "dritten Welt" - schlägt sich in ganz besonderem Maße in der Einstellung zu den verschiedenen Quellen des Völkerrechts nieder und verschafft der völkerrechtlichen Rechtssatzform des Vertrages als ausdrücklicher und förmlicher Willensübereinstimmung zwischen Völkerrechtssubjekten heute wohl ein Monopol an allgemeiner und vorbehaltloser Anerkennung36 • Die rechtsJahre 1962 aber deren 115 !Angaben bei Klecatsky, Die Bundesverfassungsnovelle vom 4. März 1964 über die Staatsverträge, JBl. 86 (1964), S. 350 (unter Bezugnahme auf das Rechtsgutachten Nr. 7 der Sozialwissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft, Wien: Über die verfassungs- und gesetzändernden Staatsverträge, S. 1)1. aa In der amtlichen Vertragssammlung des Völkerbundes, der League of Nations Treaty Series (L.N.T.S.) wurden bis zum Jahre 1944 4822 Verträge registriert und in insgesamt 204 Bänden veröffentlicht IOppenheim, International Law. A Treatise, Bd. I: Peace (8. Aufl., hrsg. von H. Lauterpacht 1955), S. 9191, im Rahmen ihres gegenwärtigen Pendants, der United Nations Treaty Series (U.N.T.S.), waren es im Dezember 1970 bereits nicht weniger als 9151 Abkommen in 639 Bänden. 34 Charles De Visscher, Theories et realites en droit international public (3. Aufl. 1960), S. 173. 3 5 Ebd., S. 174. Vgl. auch Ermacora, Umbruch im Völkerrecht. Recht und Gewalt im Ringen um die Welt von morgen, Wort und Wahrheit 1967, S. 363 ff.; derselbe, Allgemeine Staatslehre (1970), Bd. II, S. 1046 f. 36 Zur kommunistischen Völkerrechtsauffassung grundlegend und mit erschöpfenden Literaturangaben Schweisfurth, Der internationale Vertrag in der modernen sowjetischen Völkerrechtstheorie (1968); zur Völkerrechtsauffassung der Neustaaten etwa Higgins, Conflict of Interests. International Law in a Divided World (1965); und Sereni, Les nouveaux Etatset le droit international, RGDIP 72 (1968), S. 305 ff. (ebenfalls mit umfangreichen weiteren Literaturangaben).

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politische Konsequenz aus diesem Sachverhalt ist das Postulat der möglichst umfassenden Umgießung des ungeschriebe nen Völkerrechts in Vertragsform , also seine relative "Außerstreit stellung" durch Kodifikation oder fortschreiten de Entwicklung . Die Charta der Vereinten Nationen hat dieses Postulat in einen bindenden Auftrag verhärtet, dem die Weltorganis ation bisher mit durchaus beachtenswe rtem Erfolg nachgekommen ist37• Auch diese Kodifikation sarbeiten tragen wesentlich dazu bei, dem gesatzten Völkerrecht zu einem immer entscheidend eren Übergewicht über das Völkergewo hnheitsrecht zu verhelfen. So ist der völkerrechtli che Vertrag heute "the indispensabl e element ... in the conduct of foreign affairs, the mechanism without which internationa l intercourse could not exist, much less function ... , the standard device for dealing with any and all internationa l problems ... , the cement that holds the world community together" 38 • Allein seine Rechtsform verschafft den Mitgliedern der Völkerrechts gemeinschaf t, insbesondere den Staaten und organisierte n Staatengeme inschaften, die Möglichkeit, den aus der soziologische n und technologisc hen Entwicklung der heutigen Welt resultierend en Normenhung er in einigermaße n befriedigend er Weise zu stillen, sei es, daß bisher geltendes, aber obsolet gewordenes oder in seinem Gerechtigke itsanspruch bestrittenes Völkergewo hnheitsrecht auf vertragliche m Wege abgeändert, in seiner Notwendigk eit für den internationa len Verkehr auch heute noch unbestritten es Gewohnheits r echt präziser gefaßt und progressiv entwickelt, oder aber - und dies ist jedenfalls unter dem Gesichtspun kt der Quantität der weitaus bedeutendste Fall - daß immer neue Lebenssachv erhalte, die im ungesatzten Völkerrecht keinen normativen Niederschlag fanden und finden 39, auf dem Weg des Abschlusses von Verträgen zu Gegenstände n internationa ler Zusammena rbeit - und damit immer häufiger überhaupt erst einer befriedigend en Lösung zugänglich - gemacht werden40. 37 Art. 13 Abs. 1 lit. a der Charter der Vereinten Nationen. Vgl. statt aller Steinberger, Bemühungen zur Kodifizierung und Weiterbildun g des Völkerrechts im Rahmen der Organisation der Vereinten Nationen, ZaöRV 28 (1968), S. 617 ff.; Kipp, Stichwort "Vereinte Nationen- rechtliche Entwicklungen", in: Staatslexikon (6. Aufl., 3. Ergänzungsba nd 1970), Sp. 579 f. 38 Kearney - Dalton, The Treaty on Treaties, AJIL 64 (1970), S. 495. 39 Vgl. zu diesem Sachverhalt die Bemerkungen bei Simma, Völkergewohnheitsrec ht, S. 23 und Anm. 39. 40 Dehaussy, Le problerne de la classification des traites et le projet de

convention etabli par la Commission du droit international des Nations Unies, Recueil d'etudes de droit international en hommage a Faul Guggenheim (1968), S. 305, spricht vom völkerrechtlichen Vertrag überaus anschaulich als einem ",moule' juridique"; McNair, The Functions and Differing Legal Character of Treaties, BYIL 11 (1930), S. 101, von dem "only and sadly overworked instrument with which international society is equipped for the purpose of carrying out its multifarious transactions." Friedmann hat neuerdings in seiner Kritik am Festlandsocke l-Urteil des International en Gerichtshofes

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Einführung 2. Das Recht der Verträge- die Wiener Konvention vom 23. Mai 1969

Der führende Rang des Vertrages innerhalb des Systems der völkerrechtlichen Rechtssatzformen ist heute also unbestritten. Das Korrelat dazu, die notwendige Voraussetzung für seinen reibungslosen Einsatz im internationalen Rechtsverkehr, müßte nun in Gestalt einerseits eines ebenso unumstrittenen formalen Instrumentariums zur Begründung, Aufhebung und Abänderung vertragsvölkerrechtlicher Bindungen, andererseits einer zum mindesten weitgehenden Übereinstimmung in den materiellrechtlichen Fragen etwa der Wirkung und Auslegung von Verträgen oder der Gründe für ihre Nichtigkeit, Anfechtbarkeit, Aufhebung und Suspendierung gegeben sein; kurz gesagt: in einem in Völkerrechtstheorie und -praxis weitgehend außer Streit gestellten "Law of Treaties". Die Betrachtung des einschlägigen Völkergewohnheitsrechtes zeigt jedoch ein ganz anderes Bild. So mußten die Redaktoren der Harvard Draft Convention über das Recht der völkerrechtlichen Verträge im Jahre 1935 konstatieren, daß "at the threshold of this subject, one encounters the fact that there is no clear and well-defined law of treaties"' 1 • Und kein geringerer als Hersch Lauterpacht kam in einer 1949 im Auftrag des Generalsekretärs der Vereinten Nationen verfaßten Studie über das mögliche Arbeitsprogramm der International Law Commission 42 zu dem Ergebnis, daß "there is hardly a branch of the law of treaties which is free from doubt and, in some cases, from confusion" 43 • 1969 zu Recht darauf hingewiesen, daß in der gegenwärtigen völkerrechtlichen Situation die Bildung neuen Gewohnheitsrechts (man denke etwa an Weltraum und Festlandsockel) individualistischen staatlichen Interessen entgegenkommt und die - vertragliche - Regelung dieser Materien im Interesse der gesamten Menschheit erschwert: The North Sea Continental Shelf Cases A Critique, AJIL 64 (1970), S. 232 f. Die u. a. von Marek vertretene Gegenmeinung, wonach Völkergewohnheitsrecht "in the long run ... corresponds better to the genuine needs of the international community" [Thoughts on Codification, ZaöRV 31 (1971), S. 498] läßt sich durch diese und andere Beispiele mühelos widerlegen. Man denke nur an das gegenwärtige kodifikatorische Wettrennen um eine Normierung der Ausbeutung von Meeresgrund und -untergrund im Interesse aller Staaten, die in diesem Sinn nur vertraglich geschehen kann. 41 Law of Treaties, Draft Convention, with Comment, Prepared by the Research in International Law of the Harvard Law School, wiedergegeben im AJIL 29 (1935), Supplement lim folgenden "Harvard Draft Convention"l, s. 666. 42 Survey of International Law in Relation to the Work of Codification of the International Law Commission. Preparatory Work within the Purview of Article 18, paragraph 1, of the Statute of the International Law Commission (Memorandum submitted by the Secretary-General), UN Doc. A/CN. 4/1/Rev. 1, 10 February 1949. Zur Urheberschaft Lauterpachts vgl. YBILC 1960 I, S. 52, und E. Lauterpacht (Hrsg.), International Law, Being the Collected Papers of Hersch Lauterpacht, Bd. I: The General Works (1970), S. 446. 43 Ebd. S. 52. Vgl. auch Kearney- Dalton, S. 496. McNair, BYIL 11 (1930), S. 106, geht mit der Völkerrechtslehre diesbezüglich hart ins Gericht: Die "traditional rules as to the formation, validity, interpretation and discharge

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Ein derartiger Stand der Dinge macht es verständlich, daß das "Law of Treaties" unter den Kodifikationsvorhaben der Vereinten Nationen, konkret: im Arbeitsprogramm der auf der Rechtsgrundlage des Art. 13 Abs. 1 lit. a ihrer Satzung im Jahre 1947 ins Leben gerufenen International Law Commission (ILC) 44 von Anfang an einen prominenten Platz einnahm. Die Kommission erklärte denn auch schon in ihrer ersten Session im Jahre 1949 das Recht der völkerrechtlichen Verträge als für die Kodifikation geeignet und bestellte nacheinander die angesehenen britischen Völkerrechtler Brierly, Lauterpacht, Fitzmaurice und Waldock zu Spezialberichterstattern. Diese arbeiteten insgesamt 15 Entwürfe zum Teil für einen Kodex, zum Teil für einen Kodifikationsvertrag45 aus, deren Beratung die Kommission nicht weniger als 292 Sitzungen widmete 46 • Die Berichte Waldocks wurden daneben auch im Rechtsausschuß (Sixth Committee) der Generalversammlung der Vereinten Nationen sowie in zahlreichen Stellungnahmen von Regierungen einer ersten Kommentierung durch die Völkerrechtspraxis unterzogen. of treaties which swell the bulk of our text-books" seien von den Völkerrechtsautoren "too often ... in slavish imitation of their predecessors" beschrieben worden. Die Literatur zum Recht der Verträge ist gewaltig. Vgl. an Bibliographien: A Select Bibliography on the Law of Treaties, in: UN Legislative Series: Laws and Practices Concerning the Conclusion of Treaties, UN Doc. ST/LEG/ SER.B/3, December 1952, S. 141 ff.; A Selected Bibliography on the Law of Treaties, UN Doc. A/CONF. 39/4, 1 February 1968 (Arbeitsunterlage der Wiener Konferenz 1968/68); Centre for Studies and Research of the Hague Academy of International Law 1968: Current Problems of the Law of Treaties. Bibliography prepared by the Library of the Peace Palace (hektographiert). 44 Über die ILC und ihre Arbeitsweise vgl. statt aller Briggs, The International Law Commission (1965). Zum folgenden siehe Report of the International Law Commission on the work of its 18'h session, chapter II (in der weiteren Folge als "Report 1966" zitiert), §§ 9-22, YBILC 1966 II, S. 173 ff. 45 Die Kommission war 1956 zur Auffassung gekommen, daß ein ausführlich kommentierter Kodex, der von den Staaten nicht in Vertragsform angenommen werden müßte, von größerem Nutzen sei als ein knapperer und notwendigerweise allgemeiner gehaltener Kodifikationsentwurf. 1961 empfahl sie Waldock jedoch, zur Vertragsform zurückzukehren. Als rechtspolitischen Grund für ihren Meinungsumschwung gab die ILC wohl zu Recht das folgende an: "First, an expository code, however weil formulated, cannot in the nature of things be so effective as a convention for consolidating the law; and the consolidation of the law of treaties is of particular importance at the present time when so many new States have recently become members of the international community. Secondly, the codification of the law of treaties through a multilateral convention would give all the new States the opportunity to participate directly in the formulation of the law if they so wished; and their participation in the work of codification appears to the commission to be extremely desirable in order that the law of treaties may be placed upon the widest and most secure foundations." Vgl. Report 1966, § 24, YBILC 1966 II, S.176. 46 Verosta, Die Vertragsrechts-Konferenz der Vereinten Nationen 1968/69 und die Wiener Konvention über das Recht der Verträge, ZaöRV 29 (1969), S. 655. Vgl. auch Waldock, The International Law Commission and the Law of Treaties, UN Monthly Chronicle 5 (1967), Heft 5 (Mai), S. 1 ff.

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Im Sommer 1966 unterbreitete die ILC der Generalversammlung der Vereinten Nationen ihren endgültigen Bericht über das Recht der völkerrechtlichen Verträge, das Ergebnis 17jähriger Bemühungen, in Form von 75 "Draft Articles on the Law of Treaties" mit Kommentar. Dieser Entwurf stellt zusammen mit seinen Vorarbeiten wohl unbestritten die ausführlichste und bedeutendste umfassende wissenschaftliche Behandlung des Rechts der völkerrechtlichen Verträge überhaupt dar47 • Mit den Resolutionen 2166 (XXI) vom 5. Dezember 1966 und 2287 (XXII) vom 6. Dezember 1967 beschloß die Generalversammlung, eine Konferenz der Vereinten Nationen über das Recht der Verträge nach Wien einzuberufen und dieser Konferenz den endgültigen Entwurf der ILC als Arbeitsgrundlage zu unterbreiten. Diese Konferenz, die "Wiener Konferenz über das Recht der völkerrechtlichen Verträge", fand in erster Session unter Beteiligung von 103 Staaten, 10 Spezialorganisationen und 5 weiteren internationalen Organisationen vom 26. März bis 24. Mai 1968, in zweiter Session unter Beteiligung von 110 Staaten und der aufgezählten Organisationen vom 9. April bis 22. Mai 1969 statt48 • Am 22. Mai 1969 wurde von ihr die "Wiener Konvention über das Recht der völkerrechtlichen Verträge" mit 79 Stimmen bei 1 Gegenstimme (Frankreich) und 19 Stimmenthaltungen (insbesondere seitens der Ostblockstaaten) angenommen und am nächsten Tag zur Unterzeichnung aufgelegt49 • 47 Als wichtiges Hilfsmittel in der Verfolgung seiner Entstehungsgeschichte dient der Guide to the Draft Articles on the Law of Treaties Adopted by the International Law Commission at Its Eighteenth Session (1966) (Prepared by the Secretariat), UN Doc. A IC . 6/376, 11 May 1967. An Kommentaren vgl. insbesondere den Rapport provisoire von Rosenne über "Modification et terminaison des traites collectüs" an das Institut de Droit international (Elfte Kommission), Annuaire IDI 52 I (1967), S. 25 ff.; weiters die Izum Teil in verschiedenen Periodika, insbesondere im AJIL 61 (1967), S. 895 ff. veröffentlichten! Arbeiten der von der American Society of International Law eingesetzten Study Group on the Law of Treaties und das einschlägige Heft 3/1967 der ZaöRV (Bd. 27, S. 408 ff.). Vgl. auch ebd. Bd. 28 (1968), S. 1 ff. 48 über den Konferenzverlauf, ihre Organisation, ihr Verfahren usw. vgl. Final Act of the United Nations Conference on the Law of Treaties, UN Doc. A/CONF. 39/26. Die Official Records (Summary records of the plenary meetings and of the meetings of the Committee of the Whole) liegen inzwischen gedruckt vor (UN Doc. A/CONF. 39/11 und A/Conf. 39/11/Add.l), ergänzt durch einen Dokumentenband (A/CONF. 39/11/Add. 2). Ein Überblick über die bisherige Literatur zum Gang der Konferenz und zu ihrem Ergebnis findet sich unten Hauptteil C III b, Anm. 20. 49 Vienna Convention on the Law of Treaties, UN Doc. AICONF. 39/27, 23 May 1969; wiedergegeben in ILM 8 (1969), S. 679 ff. In dem ebd., S. 714 ff., abgedruckten UN Doc. A/CONF. 39/28, 23 May 1969 IComparative table of the numbering of the articles of the Vienna Convention on the Law of Treaties and of the draft articles on the law of treaties considered by the United Nations Conference on the Law of Treaties (Prepared by the Secretariat)l findet sich eine Vergleichstabelle zwischen dem ILC-Entwurf 1966 und der Wiener Konvention. Eine amtliche Übersetzung der Konvention in die deutsche Sprache liegt bislang noch nicht vor.

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Die Konvention umfaßt insgesamt 85 Artikel und einen Annex. Sie befaßt sich in ihrem ersten einführenden Teil mit Begriffsbestimmungen und der Umschreibung ihres sachlichen und zeitlichen Geltungsbereiches (Art.l-5), im Teil II mit dem Abschluß und dem Inkrafttreten von Verträgen (Art. 6-25), im Teil III mit Vertragseinhaltung, -anwendung und -auslegung (Art. 26-38), im Teil IV mit der Ergänzung und Abänderung von Verträgen (Art. 39-41), im Teil V mit deren Ungültigkeit, Beendigung und Suspendierung (Art. 42-72), im Teil VI (Art. 73-75) mit verschiedenen Rechtslagen, die durch die Konvention nicht präjudiziert werden bzw. die Anwendung der Konvention ihrerseits nicht präjudizieren sollen, im Teil VII (Art. 76-80) u . a. mit der Hinterlegung von Vertragsurkunden, den Pflichten des Depositars, sowie der Vertragsregistrierung und -Veröffentlichung. Gemäß den im Teil VIII der Konvention enthaltenen Schlußbestimmungen steht sie allen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen, der Spezialorganisationen und der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA), ferner den Vertragsstaaten des Statuts des Internationalen Gerichtshofs, sowie all denjenigen Staaten zur Ratifizierung und zum Beitritt offen, die von der UN-Generalversammlung dazu eingeladen werden (sog. "Wiener Formel"50). Sie wird am 30. Tag nach der Hinterlegung der 35. Ratifikationsbzw. Beitrittsurkunde in Kraft treten51 • In dem eher trüben Licht der Erfahrungen, die mit den früheren, im Rahmen der Vereinten Nationen beschlossenen K odifikationsverträgen diesbezüglich gemacht worden sind52, ist anzunehmen, daß bis zu diesem Zeitpunkt noch eine geraume Anzahl von Jahren verstreichen wird. Bestimmt e Gestaltungswirkungen entfaltet die Konvention- man könnte sagen: als ein neuartiger Typ "herrschender Lehre" - aber bereits heute: "[AJuch wenn die Konvention selbst noch lange nicht in Kraft treten sollte, wird sie ein Markstein in der Kodifikation und fortschreitenden Entwicklung des Völkerrechts bleiben. Denn neben die nicht immer eindeutig zu fassenden Normen des völkerrechtlichen Gewohnheitsrechts treten nun .. . 80 50 Siehe im Zusammenhang damit die Declaration on Universal Participation in the Vienna Convention on the Law of Treaties, die einen integralen Bestandteil der Schlußakte der Wiener Konferenz darstellt und die Kommentierung bei Verosta, S. 681 ff. 51 Vgl. Art. 84 Abs. 1 der Konvention. 5 2 So verstrichen etwa zwischen der Annahme und dem Inkrafttreten der vier Genfer Seerechtsübereinkommen vom 29. April 1958 zwischen 41/ 2 und 8 Jahre, der Wiener Konvention über diplomatische Beziehungen vom 18. April 1961 3 Jahre, und der Wiener Konvention über konsularische Beziehungen vom 24. April 1963 4 Jahre. Vgl. dazu: The final stage of the codification of international law: memorandum by Mr. Roberto Ago, UN Doc. A/CN. 4/205/Rev. 1, 29 July 1968, wiedergegeben im YBILC 1968 II, S. 171 ff., bes. 173: "The reasons are mainly inherent in the inertia of the political and administrative machinery of the modern State. The procedure leading to the ratification of a convention is long and complicated."

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handfeste Artikel mit mehr oder minder gut gesatzten Normen, die einzeln von der Wiener Konferenz mit großer Mehrheit, zum Teil einstimmig angenommen worden sind. Zunächst wird die Literatur des Völkerrechts sich mit dem Wiener Übereinkommen auseinandersetzen. Der Normenbestand des Übereinkommens wird sich im Rechtsbewußtsein der Lehrer des Völkerrechts festsetzen, auch in Staaten, die dem Wiener Übereinkommen nicht als Vertragsstaaten angehören. Er wird in die Neuauflagen ... alter Lehrbücher und in neue Lehrbücher aufgenommen werden, wie überhaupt die Konvention mit ihren über 18 Jahre sich erstreckenden Materialien ein wahres Bergwerk für die völkerrechtliche Untersuchung sein wird53 ". Der Verfasser hat in einer früheren Arbeit die Bestimmungen der Wiener Konvention über die Beendigung völkerrechtlicher Verträge und die Suspendierung ihrer Erfüllung als Reaktion auf ihre Verletzung, insbesondere die positiv-rechtliche Verankerung, sowie die rechtsdogmatischen und -politischen Konsequenzen dieser Bestimmungen analysiert54 • Die vorliegende Studie untersucht nun gleichsam den normativen und völkerrechtssoziologischen Hintergrund, vor dem die in der Wiener Konvention eingehend geregelte Vertragsbeendigung und -suspendierung wegen Verletzung durch die Gegenpartei(en) abrollt. Denn diese Reaktionsweisen in Gestalt der endgültigen oder zeitweiligen Leistungsverweigerung sind sowohl unter dem Gesichtspunkt der Völkerrechtsdogmatik als auch unter demjenigen einer Völkerrechtssoziologie (soziologisch-politischen Völkerrechtsbetrachtung) nichts anderes als die normative Ausformung und notwendige Konsequenz der Gegenseitigkeitskonstellationen, von denen völkerrechtliche Verträge, wie im folgenden beschrieben, wesentlich getragen werden. Aber auch ohne diese spezifische Anknüpfung unseres Untersuchungsgegenstandes an einschlägige Bestimmungen der Wiener Konvention als der Kulmination einer beinahe zwei Jahrzehnte währenden Verbindung von weltweiten intellektuellen Anstrengungen mit dem Erfahrungsschatz moderner Völkerrechtspraxis55 verdient das Thema "Reziprozität in und um völkerrechtliche Verträge" gerade heute besondere Beachtung. Denn die Meinungen in der Literatur auch zu diesem Thema Verosta, S. 709. Simma, Reflections on Article 60 of the Vienna Convention on the Law of Treaties and Its Background in General International Law, ÖZöffR 20 (1970), s. 5 ff. 55 Von Rosenne kürzlich als "marriage of governmental reaction and professional expert investigation by the International Law Commission" bezeichnet: The Role of the International Law Commission, ASIL Proceedings 53

54

1970, s. 29.

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werden zunehmend differenzierter: Nach der herkömmlichen Auffassung war "le ph€momime de reciprocite ... inherent a l'idee de traite", um einen Ausspruch Niboyets wiederzugeben58 • Dem steht eine wachsende Anzahl von Stimmen gegenüber, die mit Fitzmaurice wenigstens in gewissen Verträgen Verpflichtungen "of an absolute rather than a reciprocal character, ... towards all the world rather than towards particular parties" 57 verkörpert sehen. Daher wird es eine der Aufgaben der vorliegenden Untersuchung sein, das Ausmaß und die Grenzen der Wirksamkeit der Gegenseitigkeit speziell im modernen Völkervertragsrecht näher zu bestimmen und, wie bereits angedeutet, festzustellen, ob und gegebenenfalls bis zu welchem Grad in bezug auf die Erscheinungsformen des Reziprozitätselementes und deren Evidenz zwischen verschiedenen Typen völker-(vertrags-)rechtlicher Normen unterschieden werden kann.

se Niboyet, La notion de reciprocite dans les traites diplomatiques de droit international prive, RdC 52 (1935 II), S. 263. Vgl. auch Le Fur, Des represailles en temps de guerre (1919), S. 24: « [L]e principe de reciprocite est a la base des conventions entre egaux; sans lui tout contrat serait une duperie et, a proprement parler, il n'y aurait plus meme de contrat ni de traite possible. ,, Weiters Degan, L'Equite et le Droit International (1970), S. 40; und das Urteil des Tribunal de commerce de la Seine vom 9. Jänner 1953 im Fall Entreprise pour le commerce exterieur et l'industrie lourde hongroise c. La Rima !wiedergegeben bei Kiss, Repertoire de la pratique franc;aise en matiere de droit international public, Bd. I (1962), S. 120, Nr. 2201: (Hervorhebung von mir). Vgl. auch das übrige Material ebd., s. 52 ff., 99 ff. 26 Siehe dazu eingehend SchindZer (jun.), Die Anwendung der Genfer Rotkreuzabkommen seit 1949, AS 22 (1965), S. 75 ff.; Kalshoven, Belligerent Reprisals, passim.

2. Verträge zur Regelung gegenseitiger Beziehungen

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Kommentatoren der Genfer Abkommen 194927 nicht unbedenklich, vermutlich aus einer Kombination von unhaltbaren dogmatischen Anschauungen über die normativen Strukturen und Interessenkonstellationen von "traites-lois" 28 und dem Gedanken des "Nicht sein kann, was nicht sein darf" heraus - das unleugbare Reziprozitätselement in der Erfüllung dieser Verträge nicht nur auf normativer Ebene gänzlich abzulehnen, sondern auch auf der soziologischen Ebene der Argumentation zu ignorieren- eine Haltung, die übrigens in Doktrin und Staatenrhetorik die ganze Geschichte der Kodifizierung und Weiterentwicklung des völkerrechtlichen Kriegsrechts begleitee9 • 27 Beispielsweise seien genannt: La Convention de Geneve pour l'amelioration du sort des blesses et des malades dans les forces armees en campagne (hrsg. unter der Leitung von Pictet, 1952); Paul de La Pradelle, La Conference diplomatique et les nouvelles Conventions de Geneve du 12 aoüt 1949 (1951); Draper; und jüngst der auf der Auswertung einer umfassenden Fragebogenaktion basierende Bericht von Scholsem, L'application des Conventions de Geneve, ADIM 18 (1968), S. 30 ff. 28 Vgl. Pictet, S. 26, der die Ansicht vertritt, bei den Verpflichtungen der Genfer Abkommen handle es sich um eine "serie d'engagements unilateraux, solennellement assumes a la face du monde representee par les autres parties contractantes" ;Draper, S. 7, der in diesem Zusammenhang von ,.Obligations ... unilateral and not reciprocal in character" spricht und Scholsem (S. 31), der denselben Standpunkt einnimmt und dann feststellt: « IN ious avons ete heureux de constater combien ces idees avaient profondement penetre dans le mondedes juristes. ,, 29 Dazu Kalshoven, Belligerent Reprisals, passim; bemerkenswert jedoch Le Fur, Des represailles en temps de guerre (1919), wiedergegeben bei Baissier, S. 125, Anm.: « 11 est bien evident que la simple suppression theorique des represailles n'entrainerait pas leur disparition pratique. » Ähnlich Bindschedler- Robert, S. 57: So wünschenswert ein totales Repressalienverbot wäre, so unrealistisch sind darauf abzielende Bestrebungen in der heutigen Situation. Daher gilt es, bestimmte Formen der Repressalie zu verhindern und Bedingungen zu entwickeln, unter denen erlaubte Repressalien durchgeführt werden sollen. Zu der Vogel-Strauß-Politik gegenüber der Institution der Kriegsrepressalie insbesondere in den frühen Kodifikationsversuchen und -konferenzen vgl. ausführlich Kalshoven, ebd., S. 45 ff., der diese Haltung mit Recht "both shortsighted and harmful" nennt (S. 67) und von einer diesbezüglichen "atmosphere of taboo" spricht (S.106). Aber auch die vom Institut de Droit international in seiner Edinburger Session 1969 verabschiedete Resolution über die "distinction entre les objectifs militaires et non militaires en general et notamment les problemes que pose l'existence des armes de destruction massive" [Annuaire IDI 53 II (1969), S. 358 ff.] schweigt sich über die in der Literatur wie auch von seinem Berichterstatter von der Heydte (vgl. oben Anm. 25) eingehend behandelte Repressalienproblematik in Verbindung mit einem Atomwaffeneinsatz vollständig aus. Der traditionelle Gegensatz zwischen Realisten und Idealisten zeigte sich schließlich auch wieder auf der vom IKRK 1971 einberufenen Expertenkonferenz über humanitäres Völkerrecht in bewaffneten Konflikten; vgl. Report on the Work of the Conference (Genf, August 1971), S. 111, §§ 573 ff. Der im Text erwähnte Bericht des IKRK aus dem Jahre 1969 befaßt sich dagegen bemerkenswert realistisch mit unserer Problematik, siehe dazu Kalshoven, ebd., S. 285 ff.

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C. li. Erwartung und Verwirklichung der Gegenseitigkeit

Mit allem Nachdruck soll hier betont werden, daß sich der Verfasser der gravierenden Problematik der möglichen Beseitigung des kriegsrechtlich statuierten Verhaltensstandards durch eine Eskalation negativer Gegenseitigkeit sehr wohl bewußt ist, daß also, in den Worten von Schwarzenberger30 , das Bestehen auf Reziprozität nur allzu oft zu einer "competition in barbarism" führen kann und auch geführt hat. Dieses traurige Faktum schafft jedoch die beschriebenen Reziprozitätsmotivationen nicht aus der Welt, sondern läßt nur hoffen, daß sich im gegebenen Fall wenigstens bezüglich eines humanitären Mindeststandards zwingenden Rechts 31 die Imperative der Menschlichkeit gegenüber dem dumpfen Druck des Vergeltungstriebes durchsetzen werden32• Dem oben Ausgeführten analoge Bedenken sind gegenüber einer weiteren Erscheinungsform narrnativistischer Vogel-Strauß-Politik angebracht: In Konsequenz des - heute auch gewohnheitsrechtlich verankerten -umfassenden völkerrechtlichen Gewaltverbots 33, das die Anwendung von militärischen Zwangsmaßnahmen unumstrittenermaßen34 nur mehr in Ausübung des in Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen anerkannten Rechts auf individuelle oder kollektive Selbstverteidigung gegen einen bewaffneten Angriff, als Maßnahme der Weltorganisation selbst bei einer Bedrohung des Friedens, einem Friedensbruch oder einer Angriffshandlung (Art. 39 ff. der Charter), und schließlich durch eine Regionalorganisation unter der Voraussetzung der Ermächtigung 30 The Law of Armed Conflict, S. 99, Anm. 21. Siehe auch schon Lieber in seinen "Instructions for the Government of Armies of the United States in the Field" (1863; wiedergegeben bei Kalshoven, Belligerent Reprisals, S. 46, Anm. 4): "Unjust or inconsiderate retaliation removes the belligerents farther and farther from the mitigating rules of a regular war, and by rapid steps leads them nearer to the interneeine wars of savages." 31 Vgl. Simma, ÖZöffR, S. 15, 72 ff. 32 Zu den Alternativen der Kriegsrepressalie (persönliche Verantwortlichkeit für Kriegsverbrechen, neutrale Überwachung, usw.), ihren Schwierigkeiten und Grenzen siehe Kalshoven, Belligerent Reprisals, S. 370 ff. 33 Vgl. statt aller weiteren Literaturangaben Kipp, Zum Problem der gewaltsamen Intervention in der derzeitigen Entwicklungsphase des Völkerrechts, in: Gedächtnisschrift Hans Peters (1967), S. 393 ff.; Schaumann (Hrsg.), Völkerrechtliches Gewaltverbot und Friedenssicherung. Berichte - Referate - Diskussionen einer Studientagung der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht (1971) und den 1971 erschienenen Bd. III des von Falk und Black besorgten Projekts "The Future of the International Legal Order", der sich mit "Conflict Management" beschäftigt. 34 Zum Problem der sog. "Feindstaatenklauseln" (Art. 53, 107 der UNCharter) vgl. die Referate von Oppermann, von der Heydte und die anschließenden Diskussionen in dem in der letzten Anmerkung zitierten Bericht; ferner Frenzke- Hacker- Uschakow, Die Feindstaatenartikel und das Problem des Gewaltverzichts der Sowjetunion im Vertrag vom 12. 8. 1970 (1971) und die Bemerkungen bei Simma, Völkerrechtliches Gewaltverbot und Friedenssicherung, ÖZöffR 21 (1971), S. 367 f.

2. Verträge zur Regelung gegenseitiger Beziehungen

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durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zuläßt, erwägt bzw. postuliert eine Richtung innerhalb der modernen Völkerrechtslehre eine Diskriminierung in der Anwendung des vertraglichen und gewohnheitsrechtlichen ius in bello im Fall einer völkerrechtswidrigen Aggression35 • Der rechtswidrig handelnde Angreifer, so wird etwa argumentiert, habe durch seine Völkerrechtsverletzung den Anspruch verwirkt, seitens des oder der Verteidiger bzw. seitens der Vereinten Nationen bei der Durchführung von Maßnahmen der kollektiven Sicherheit in vollem Einklang mit dem geltenden Kriegsrecht behandelt zu werden. Eine etwas abgewandelte Anschauung kommt auf dem Weg über ein allzu extensiv konzipiertes Recht (bzw. Rechtfertigung) des Verteidigers zur Durchführung von Repressalien als Reaktion auf das durch die Aggression begangene völkerrechtliche Delikt zum selben Ergebnis 36 • Bemerkenswert ist, daß diese Theorie der Diskriminierung im Jahre 1963 auch Aufnahme in eine Resolution des Institut de Droit international gefunden hat, in der es unter anderem heißt, daß " ... il ne peut y avoir complete egalite dans l'application des regles du droit de la guerre lorsque l'organe competent des Nations Unies a constate qu'un des belligerants a recouru a la force armee en Violation des regles du droit des gens consacrees parlaCharte des Nations Unies37." Einige ihrer Anhänger, darunter auch das Institut de Droit international, differenzieren dabei ihre Meinung in der Weise, daß sie innerhalb 35 Die umfangreichste und eingehendste Behandlung dieser Problematik stellt das bereits genannte Werk von Meyrowitz dar. Vgl. daneben noch ebenfalls ablehnend - Bindschedler, Die Vereinigten Nationen und das Kriegsrecht, in: Melanges offerts a Juraj Andrassy (1968), S. 78 ff. Diese beiden Arbeiten bieten eine erschöpfende Übersicht über die weitere Literatur. Zu Begriff und Arten des Angriffs vgl. Kipp, Stichwort "Angriff", in StruppSchlochauer, Bd. I, S. 63 ff. Über die ideologischen Grundlagen der Diskriminierungstheorie, insbesondere ihre Verwurzelung im politischen Idealismus amerikanischer Prägung, eingehend und mit umfangreichen weiterführenden Angaben Krakau, Missionsbewußtsein und Völkerrechtsdoktrin in den Vereinigten Staaten von Amerika (1967), S. 357 ff. (vgl. ebd. S. 373, wo treffend vom "moralischen Paradoxon" dieser Theorie gesprochen wird). 36 Vgl. etwa Schwarzenberge1·, The Law of Armed Conflict, S. 98, der diese Möglichkeiten aber wohlweislich "in the abstract" referiert, um in der Folge bei der Behandlung ihrer praktischen Konsequenzen innerhalb des als Gegenstand der Repressalien "zur Verfügung stehenden" ius in bello Differenzierungen zu treffen. 37 "L'egalite d'application des regles du droit de la guerre aux parties a un conflit arme", Annuaire IDI 50 II (1963), S. 368. Pendants aus der Zwischenkriegszeit bilden die von der International Law Association (ILA) im Jahre 1934 verabschiedeten "Budapest Articles of Interpretation" des Briand-Kelloggpaktes 1928; vgl. Report of the Thirty-Eighth Conference (Budapest), S. 1 ff. (Text S. 66 ff.) und Art. 2 f. der Harvard Draft Convention on Rights and Duties of States in Case of Aggression, wiedergegeben im AJIL 33 (1939), Supplement, S. 327 ff.

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C. II. Erwartung und Verwirklichung der Gegenseitigkeit

der Rechtsmasse "ius in bello" zwischen humanitären und nichthumanitären Normen unterscheiden und dem rechtmäßig Kriegführenden die Befolgung der zweitgenannten Kategorie aus Gründen der Menschlichkeit empfehlen bzw. vorschreiben38 • Die so beschriebene Rechtsauffassung ist- auch in ihrer durch die zuletzt aufgezeigte Qualifizierung abgeschwächten Variante39 aus verschiedenen Gründen unhaltbar40 • Das überzeugendste Gegenargument liefert aber auch hier der Gedanke der Gegenseitigkeit in seinen bisher aufgezeigten Manifestationen. Die Theorie der Diskriminierung in der Anwendung des Kriegsrechts vernachlässigt zum einen unter strukturell-normativen Gesichtspunkten die grundsätzliche Reziprozität in der GeLtung völkerrechtlicher Verträge, darunter auch der kriegsrechtliehen Verträge: Ein Vertrag, der seinen Partnern einen bestimmten Verhaltensstandard vorschreibt, ohne selbst bei Vorliegen bestimmter Tatbestandsmerkmale Differenzierungen dieses Standards zwischen den Parteien zu normieren oder zuzulassen, verpflichtet die Adressaten notwendig in "symmetrischer" Weise, d. h. zu einem identischen Verhalten in den wechselseitigen Beziehungen, die Gegenstand der vertraglichen Regelung sind41• Diese Rechtslage könnte nur dadurch geändert werden, daß das Prinzip der Diskriminierung zwischen Aggressor und Verteidiger durch Vertragsrevision oder auf gewohnheitsrechtlichem Wege in den Inhalt des vertraglichen Kriegsrechts Aufnahme findet, die entsprechenden Normen selber also den Anspruch der Konfliktsparteien auf kriegsrechtsgemäßes Verhalten des Gegners nur unter der Bedingung gewähren, daß die jeweiligen eigenen Gewaltmaßnahmen völkerrechtlich erlaubt sind. Die kriegsrechtliche lex lata enthält jedoch noch keinerlei Ansatzpunkte für die Verwirklichung dieses Gedankens. Im Gegenteil bestimmt etwa der gemeinsame Art. 1 der vier Genfer Abkommen vom 12. August 1949 aus38 Siehe die Literatur bei Bindschedler, Melanges Andrassy, S. 79, Anm. 1 und Schwarzenberger, The Law of Armed Conflict, S. 98 ff. Ahnlieh Hersch Lauterpacht, Rules of Warfare in an Unlawful War, in: Lipsky (Hrsg.), Law and Politics in the World Community (Kelsen-Festschrift 1953), S. 89 ff. ao Vgl. die bereits genannten umfassenden kritischen Bemerkungen von Meyrowitz und Bindschedler; weiters Kunz, Stichwort "Kriegsrecht im allgemeinen", in: Strupp- Schlochauer, Bd. II, S. 358; Draper, S. 8 f., 97 f ., Kra-

kau, S. 360.

40 Machte man sie sich zu eigen, könnte man zu Recht fragen, ob es de iure, d. h. nach heute geltendem Völkerrecht, überhaupt noch Fälle von internationalen bewaffneten Auseinandersetzungen geben kann, in denen das ius in beHo auf beiden Seiten vollinhaltlich zur Anwendung gelangt. Ablehnend jüngst auch das IKRK in Bd. I seiner für die Expertenkonferenz 1971 über die Bekräftigung und Entwicklung des in bewaffneten Konflikten anwendbaren humanitären Völkerrechts verfaßten Dokumentation, S. 37 ff. 41 Vgl. dazu oben Kapitel B. Zur Situation im gewohnheitsrechtliehen ius in bello siehe Simma, Völkergewohnheitsrecht, S. 48 ff.

2. Verträge zur Regelung gegenseitiger Beziehungen

113

drücklieh und unmißverständlich, daß die Abkommen von den Vertragsparteien "unter allen Umständen" einzuhalten sind, also auch ohne Rücksicht darauf, ob eine der Konfliktsparteien in Verletzung des Gewaltverbotes zu den Waffen gegriffen hat42 • Diese positivrechtlichen Vorschriften im Verein mit dem zwingenden Verbot von Vergeltungsmaßnahmen gegen die durch dieselben Abkommen geschützten Personen und Objekte43 schließen übrigens auch diejenige Spielart der Diskriminierungstheorie aus, die dogmatisch auf dem Repressalienrecht aufbauen will. Zum anderen steht diese Theorie aber auch unter funktionalen Gesichtspunkten im Widerspruch zu den empirischen Erkenntnissen über die fundamentale Bedeutung der Reziprozitätsmotivationen für die Befolgung des Kriegsrechts44 : "In einer Auseinandersetzung auf Leben und Tod werden einschränkende Normen nur befolgt, wenn sie beide Seiten gleichmäßig in ihrer Handlungsfreiheit hemmen oder begünstigen und nicht eine Partei zum Nachteil der andern bevorzugen. Würden die Vereinigten Nationen Jdasselbe gilt natürlich auch für Staaten in Ausübung des individuellen oder kollektiven Selbstverteidigungsrechtsq in einer militärischen Aktion mehr Rechte für sich in Anspruch nehmen und gewisse Normen für sich nicht gelten lassen, so würde der Gegner sofort dasselbe tun. Dieser wird nie von vornherein eine Benachteiligung und damit ein erhöhtes Risiko seiner Niederlage in Kauf nehmen. . . . Eine Differenzierung des Kriegsrechts in dem Sinne, daß ein Teil die sogenannten humanitären Normen - weiterhin gleichmäßig angewandt werden sollen, während für den andern die Reziprozität nicht mehr gelten würde, steht ebenfalls im Widerspruch zum geltenden Recht und erscheint als undurchführbar. Es kann keine klare Unterscheidung zwischen humanitären und nicht-humanitären Normen des Kriegsrechts gemacht werden. Alle Regeln verdanken ihre Entstehung humanitären Erwägungen, allerdings in mehr oder weniger großem Ausmaße .. . Eine ... Diskriminierung würde sich der Gegner nicht gefallen lassen; er würde zu Repressalien schreiten. Das Ergebnis wäre lediglich die Aufhebung des an und für sich schon gefährdeten Kriegsrechts und die schrankenlose Gewaltanwendung auf beiden Seiten, die Rückkehr zur Barbarei. Das Gleichgewicht von Rechten und Pflichten und damit die Reziprozität würde sich wiederum durchsetzen, allerdings auf einer tieferen Stufe45 ." Siehe auch Draper, S. 8 f., 97 f. Vgl. oben S. 97 und Anm. 36. 44 Vgl. auch Schwarzenberger, The Law of Armed Conflict, S. 99; SeidlHohenv eldern, Völkerrecht, S. 302, Rz 1308; Carstren, S. 64 ; Krakau, S. 371. 42 43

8 Simma

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C. II. Erwartung und Verwirklichung der Gegenseitigkeit

d) Stufen und Mittel der Verwirklichung inhaltlicher Gegenseitigkeit und ihre Implikationen für die Effektivität vertraglicherNarme n aa) Identität und Äquivalenz- formelle und reelle Gegenseitigkeit In Übereinstimmung mit unserer eingangs erstellten Arbeitsdefinition liegt der Zustand der Gegenseitigkeit kurz gesagt dann vor, wenn ein Staat einen anderen Staat gleich behandelt wie dieser ihn behandelt. Speziell auf völkerrechtliche Verträge bezogen setzt er also ein Gleichgewicht des Abkommensinhaltes voraus. Es wurde nun bereits darauf hingewiesen, daß dieses Gleichgewicht im Vertragsinhalt sozusagen in zwei "Stufen" auftreten kann. Einmal auf normativer Ebene: Dies ist u. a. beialljenen völkerrechtlichen Verträgen der Fall, die eine formelle Symmetrie zwischen den Rechten und Pflichten der Vertragsparteien dadurch begründen, daß sie diese zu identischen Verhaltensformen im gegenseitigen Verkehr verpflichten. Liegt eine derartige Identität (Gleichheit) der gegenseitigen Behandlung vor, so kann im Anschluß an französische Autoren von formeller Gegenseitigkeit gesprochen werden1 • Als Paradebeispiele für Verträge mit formeller Gegenseitigkeit der Rechte und Pflichten seien etwa die Wiener Übereinkommen 1961 und 1963 über diplomatische und konsularische Beziehungen, kriegsrechtliehe Abkommen und Wirtschaftsverträge genannt, die gegenseitige Meistbegünstigung oder Gleichbehandlung statuieren2 • Was gilt nun aber für alle anderen Verträge, die die Parteien nicht zum Austausch identischer sondern heterogener Leistungen verpflichten? Man denke an ein Abkommen, in dem ein Staat gegen Bezahlung einer u Bindschedler, Melanges Andrassy, S. 83 f., 85. Vgl. aber auch schon die Ausführungen Bluntschlis, wiedergegeben bei Krakau, S. 372. 1 Virally, RdC, S. 33: «La reciprocite par identite des engagements jso der von Niboyet, S. 275 und passim, verwendete Ausdruck für den hier beschriebenen Sachverhalt! ... peut etre qualifü~e de reciprocite formelle. » 2 In seiner Studie über das Reziprozitätselement in der Entstehung des Völkergewohnheitsrec hts hat der Verfasser aufgezeigt, daß gegenseitige Bindung der Adressaten an identische Norminhalte ein Wesensmerkmalall jener gewohnheitsrechtliehe n Normen darstellt, die internationale Lebenssachverhalte generalisierbarer Natur, also "Verhältnisse, die jeder Staat zu jedem anderen hat oder haben kann" (Max Huber, Die soziologischen Grundlagen des Völkerrechts, S. 49), auf generelle Art und Weise regeln, und daß es im Entstehungsprozeß derartigen Völkergewohnheitsrec hts ausschließlich die Erwartung gleichen Verhaltens - also der formellen, positiven Reziprozität - ist, die, durch identische staatliche Interessen bedingt, als Schrittmacherin wirkt; vgl. dort S. 48 ff. und Niboyet, S. 271: « jEjn droit international public, en dehors des traites, ... la reciprocite par voie de symetrie est la regle ... Le droit de l'un se double a sa charge de la meme dette au profit de l'autre. 11 y a identite des obligations. » (Hervorhebung von mir). Vgl. jüngst auch Steinberger, ZaöRV 1971, S. 106, der auf die "Reziprozität der Bindungen" aus Art. 3 des Moskauer Vertrages vom 12. August 1970 hinweist.

2. Verträge zur Regelung gegenseitiger Beziehungen

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bestimmten Geldsumme einen Teil seines Staatsgebietes vertraglich an einen anderen Staat abtritt - wie dies etwa zwischen Rußland und den Vereinigten Staaten bezüglich Alaskas in einem Vertrag vom 30. März 1867 vereinbart wurde3 • Wie kann in solch einem Fall geprüft werden, ob der Austausch von Leistung und Gegenleistung eine inhaltliche Reziprozität des Vertrages verwirklicht? Daß der Reziprozitätsgedanke gerade in denjenigen Fällen, in denen die Figur des Tausches besonders ausgebildet zum Ausdruck kommt, eine entscheidende Rolle spielt, ist ja unbestritten4 • Ein objektiver, von unbeteiligter dritter Seite ohne weiteres durchführbarer Vergleich zwischen den Leistungen der V ertragsparteien, wie er sich im erstbehandelten Fall identischer vertraglicher Rechte und Pflichten anbot, ist offensichtlich unmöglich. Eine Antwort auf die Frage nach dem Vorliegen oder Nichtvorliegen des Sachverhaltes "Gegenseitigkeit des Vertrages" kann hier nur gegeben werden, wenn der außenstehende Betrachter die objektiven Vergleichen offenstehende Ebene des Normativen verläßt und die von den Parteien vorgenommenen subjektiven Bewertungen des Verhältnisses der beiderseitigen Vorteile und Lasten aus einem Vertrag in die Untersuchung einbezieht. An die Stelle der Kategorie "Identität" der vertraglichen Rechte und Pflichten tritt damit die Kategorie "Äquivalenz" (Gleichwertigkeit); die aus der Äquivalenz der vertraglichen Leistungen resultierende Gegenseitigkeit ist eine solche reeLler Natur5 • Ob sich zwei oder mehrere Staaten gegenseitig gleich behandeln, ob also formelle Gegenseitigkeit vorliegt, läßt sich objektiv verhältnismäßig leicht durch Analyse des Textes der Vertragsnormen feststellen. Ob zwischen zwei oder mehreren Staaten- aufgrund eines Vertrages gegenseitig geübte nichtidentische Verhaltensweisen jedoch äquivalent sind und damit einen Zustand der reellen Gegenseitigkeit konstituieren, läßt sich objektiv überhaupt nicht definitiv ergründen. Es bleibt nämlich ausschließlich den individuellen beteiligten Staaten überlassen, welches Verhalten des oder der Partner sie wechselseitig erstens als GegenVgl. Dahm, Völkerrecht, Bd. I, S. 601, Anm. 13. Man denke an die bereits kommentierte Theorie der "traites-lois" und "traites-contrats", deren Verfechter ja nicht selten das synallagmatische Element auf die zweitgenannte Kategorie beschränken wollen. Vgl. oben S. 99 f. und Dahm, Völkerrecht, Bd. 111, S. 9, der von den Verträgen mit "traite-loi"Charakter ausdrücklich die "Austauschverträge" unterschieden haben will, "man darf auch sagen, gegenseitigJeJ Verträge, in denen die Parteien sich auf Gegenseitigkeit gewisse Leistungen zusagen". 5 Vgl. Virally, RdC, S. 34; Niboyet, S. 270 : "reciprocite par equivalent". Zum Äquivalenzgedanken in der allgemeinen Vertragslehre statt aller Bydlinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäftes (1967), S. 103 ff. 3

4

116

C.II. Erwartung und Verwirklichung der Gegenseitigkeit

Ieistung überhaupt und zweitens als gleichwertige Entsprechung ihrer eigenen Verhaltensweise ansehen wollen. Die positive Reziprozität, deren Erwartung als Motor zur Übernahme vertraglicher Verpflichtungen fungiert, umfaßt hier also das breite Spektrum sämtlicher Relationen zwischen Leistung und Gegenleistung, die von den einzelnen - d. h. individuell betrachteten - vertragschließenden Staaten als äquivalent bewertet werden6 • Der hier geäußerten Ansicht, daß im Fall all jener Verträge, deren Normen einen Austausch nichtidentischer, also heterogener Leistungen statuieren, das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein reeller Gegenseitigkeit im Vertragsinhalt letztlich nur subjektiv, d. h. nur seitens jeden Abkommenspartners für sich, bestimmbar ist, steht die Meinung Virallys entgegen, daß die reelle Gegenseitigkeit "susceptible (au moins theoriquement) d'une evaluation objective" sei, und zwar "par comparaison de la valeur des objets echanges" 7 • Aber auf welche Weise soll denn der objektive Wert von Leistung und Gegenleistung verglichen werden? Virally glaubt, daß dies "normalement par la comparaison de leurs valeurs economiques" möglich sei8 • Aber ist es wirklich der Normalfall, daß Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Verträgen einen wirtschaftlichen, man könnte sagen einen Marktwert, haben? Sicherlich nicht. Und selbst dort, wo Vertragsverpflichtungen objektiv bewertbar sind - man denke etwa an einen bilateralen Vertrag, in dem einem Staat von einem anderen gegen Bezahlung des Weltmarktpreises die Lieferung einer Quantität eines bestimmten Rohstoffes zugesagt wird-, muß ihr wahres Gewicht nicht immer mit ihrem objektiven Wert übereinstimmen, sondern wird von der Situation der beiden Vertragsstaaten abhängen, die ihnen das jeweilige quid pro quo seitens des Partners mehr oder weniger dringlich erscheinen läßt. Was der Schweizer Politologe Frei über die diplomatische Konfliktslösung zu sagen hat, gilt auch 6 Diese Erkenntnis findet sich schon in einem aus dem Jahre 1825 stammenden völkerrechtlichen Gutachten des britischen King's Advocate, in dem der Law Officer der Krone zu gewissen Bestimmungen in Verträgen Großbritanniens mit Spanien wie folgt ausführte: "IIIt is therefore reasonable to require that they should be observed with simplicity and good faith, as they must otherwise endanger the fundamental relations of amity between the two countries - this consideration obviates also the objection ... as to the want of reciprocity in such engagements, since it is not competent to Spain to judge, of the value that may be attached to them as inducements in the general arrangements of Peace, or to say what equivalents may not have been afforded in the adjustment so made of other interests." Wiedergegeben bei McNair, The Law of Treaties, S. 556 f. Siehe treffend auch schon den Vater des ABGB, Franz von Zeiller, Das natürliche Privat-Recht (3. Aufl. 1819),

S. 188, § 129, Anm. 7

Virally, RdC, S. 31.

s Virally,

RdC, S. 34.

2. Verträge zur Regelung gegenseitiger Beziehungen

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für den Entstehungsprozeß völkerrechtlicher Verträge, und zwar sämtlicher völkerrechtlicher Verträge: "!Blei einer solchen Verhandlung !geht esi ja meistens um Dinge ... , die nicht objektiv zählbar sind. Wenn ein Käufer und ein Verkäufer um den Preis eines Grundstückes verhandeln, so dreht sich die Verhandlung für beide um Geld, also um etwas, das sich ohne weiteres auf einer einzigen Skala aufreihen läßt. Es kommt in der zwischenstaatlichen Politik aber eher selten vor, daß sich der Handel um etwas dreht, das sich hüben und drüben ohne weiteres vergleichen läßt. Selbst wenn es um einen so einfachen Gegenstand wie um die Verschiebung einer Grenze geht, sind die Quadratkilometer hüben und drüben keineswegs gleichwertig; meist stehen aber Dinge zur Debatte, die sich überhaupt nicht miteinander vergleichen lassen, ... " 0 • Versuche, Leistung und Gegenleistung objektiv zu bewerten und dann aus ihrer Gegenüberstellung auf das Vorhandensein reeller Reziprozität in einem konkreten Vertragsinstrument zu schließen, können daher immer nur zu Wahrscheinlichkeitse rgebnissen führen - Resultaten, die sich der Wirklichkeit um so mehr annähern, je genauer und umfassender die subjektive Ausgangslage der betrachteten Vertragsstaaten in die Untersuchung miteinbezogen werden kann. Da eine restlose Erfassung und Berücksichtigung dieser subjektiven Faktoren wohl unmöglich ist, kann jede auch noch so eingehende Analyse von Vertragsinhalten auf die Frage nach deren reeller Gegenseitigkeit nur Wahrscheinlichkeitswerte liefern. Die Situation ist also genau umgekehrt wie Virally annimmt: Vom theoretischen Gesichtspunkt aus ist die reelle Gegenseitigkeit objektiv niemals zur Gänze erfaßbar, für praktische Zwecke dagegen mögen annähernde Ergebnisse genügen10 • Zu solchen annähernden Ergebnissen wird man noch am ehesten auf dem Feld der zwischenstaatlichen Wirtschaftsbeziehun gen gelangen können. Unvergleichlich schwieriger wird dies auf politischem Gebiet sein, wo die Wertmaßstäbe am subjektivsten und veränderlichsten sind. Es sei nur auf die heftige Kontroverse hingewiesen, die (nicht nur) in der Bundesrepublik Deutschland über die Frage entstanden ist, welche inner- und außervertraglichen sowjetischen Gegenleistungen den Verpflichtungen

° Frei, Kriegsverhütung und Friedenssicherung. Eine Einführung in die Probleme der internationalen Beziehungen (1970), S. 196 f. Sehr anschaulich auch ebd., S. 174. Vgl. auch Galtung, A Theory of Peaceful Co-operation, in: Galtung (Hrsg.), Co-operation in Europe (1970), S. 19, Anm. 4. 10 Vgl. übrigens auch Virally, RdC, S. 42: « Pour le negociateur, le lsicl reciprocite apparait sous un jour beaucoup plus subjectif. L'equivalence n'est pas recherchee seulement dans les termes de l'echange realise dans le traite, c'est-a-dire dans le couple prestation - contreprestation, mais bien plutöt entre concessions (a faire) et avantages (a tirer du traite), ce qui constitue a ses yeux le veritable quid pro quo ... Dans la majorite des cas les deux couples co'incident, mais non pas toujours. » (Zweite Hervorhebung von mir).

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der Bundesrepublik aus dem Moskauer Vertrag vom 12. August 1970 gegenüberstehen und inwieweit diese den von deutscher Seite gewährten Konzessionen äquivalent sind11 • Zum Moskauer Vertrag selbst siehe unten f, Anm. 15. Schon vor den Verhandlungen, die zu diesem Vertrag führten, hatte die Problematik der (reellen) Reziprozität von Zugeständnissen an die kommunistische Seite insbesondere in der Berlin-Frage eine zentrale Rolle gespielt, so anläßlich des seitens der DDR vorgeschlagenen Tauschgeschäfts Verzicht auf bestimmte Formen der Bundespräsenz in West-Berlin- Gewährung von "Passierscheinen" (vgl. das Interview des Regierenden Bürgermeisters von Berlin Schütz mit dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" vom 31. August 1970). Dann setzte die Diskussion über die Frage der Reziprozität in und um den Moskauer Vertrag ein: Statt allen weiteren Materials sei an dieser Stelle die vom Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands herausgegebene besonders instruktive Broschüre "Ost- und Deutschlandpolitik" (1970) erwähnt, die nicht weniger als 15 "Vorteile" des Vertrages enumeriert und dann fortfährt (S. 8 f.): "Übrigens: Der Vertrag bringt beiden Partnern Vorteile. Manche meinen, man dürfe keinen Vertrag abschließen, wenn er dem anderen Vertragspartner Vorteile bringt; nach der Devise: Was dem anderen nützt, kann uns nichts nützen. Das ist eine unrealistische Ausgangsposition. Es würden in der Welt überhaupt keine Verträge abgeschlossen, wenn nicht jeweils beide Vertragspartner etwas davon hätten. Selbstverständlich profitiert die Sowjetunion auch von dem Vertrag mit uns ... Aber ... Vorteile der Sowjetunion sind auch unsere Vorteile." In der Folge konzentrierten sich die Bemühungen auf eine "befriedigende Berlin-Lösung", die seitens der Bundesrepublik ganz offen als Vorbedingung für die Ratifizierung des Moskauer Vertrages, mit anderen Worten als außervertragliche Gegenleistung dazu aufgestellt wurde [Vgl. statt aller Wolfgang Wagner, Das Berlin-Problem als Angelpunkt eines Ausgleichs zwischen West und Ost in Europa, EA 26 (1971), S. 375 ff.; weiters Birnbaum, Gesamteuropäische Perspektiven nach dem Berlin-Abkommen, ebd. 27 (1972), S. 1 ff.]. Das erste Ergebnis dieser Bemühungen, das Viermächte-Abkommen über Berlin vom 3. September 1971 [Dokumentationen in EA 26 (1971), S. D 441 ff. und AdG 41 (1971), S. 16498 ff.; Presse- und Informationsamt der Bundesregierung: Das Viermächte-Abkommen über Berlin vom 3. September 1971 (1971); kommentierend Dieter Mahncke, Das Viermächte-Abkommen über Berlin: Bilanz und Aussichten, EA 26 (1971), S. 703 ff.] entfachte die Reziprozitätsdiskussion unter zwei verschiedenen Gesichtspunkten: a) Lokalisierung und Äquivalenz der Leistungen und Gegenleistungen im Viermächte-Abkommen selbst: Obwohl der Botschafter der UdSSR in der DDR Abrassimow meinte, daß die Vereinbarung eine vernünftige Bilanz der gegenseitigen Interessen sei und es daher nicht richtig wäre, "an sie von dem Gesichtspunkt heranzugehen, für wen sie mehr Vorteile oder Vorzüge bringt" (AdG 1971, S. 16505), versäumte die deutsche Bundesregierung nicht hinzuweisen: "Bei der Abwägung von Gewinn und Verlust dieser Vereinbarungen sind die Vorteile offenkundig ... Die Zugeständnisse waren, gemessen am Erreichten, vertretbar" (ebd., S. 16508, 16509). Vgl. weiters NZZ vom 7. September 1971, S. 1. b) Viermächte-Abkommen als angemessene Gegenleistung für die deutschen Zugeständnisse im Moskauer Vertrag: Dazu der Vorstand der CDU/CSUBundestagsfraktion in einer Entschließung vom 3. September 1971: "So kann diese Regelung keineswegs als Gegenleistung [gemeint ist wohl: keineswegs als äquivalente Gegenleistung] für die deutschen Leistungen im Moskauer Vertrag vom 12. August 1970 angesehen werden. Das unausgewogene Verhältnis von Leistung und Gegenleistung im Moskauer Vertrag ist durch die vorliegende erste Stufe der Berlinregelung nicht ausgeglichen" (AdG 1971, 11

2. Verträge zur Regelung gegenseitiger Beziehungen

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bb) Der Anknüpfung spunkt der Gegenseitigk eitserwartun g Diese Ausführung en über die reelle Gegenseitigk eit, die Äquivalenz vertragliche r Begünstigun gen und Belastungen und ihren letztlich rein subjektiven Charakter sind nun aber nicht nur für jene Verträge von Bedeutung, die ihre Parteien zum Austausch verschiedene r Leistungen verpflichten. Denn die Reziprozität serwartung als Schrittmach erin zum Vertragsabsc hluß und Motor der Vertragserfü llung knüpft in allen Fällen an die reelle Gegenseitigk eit des betrachteten Abkommens an. Die normative Gestaltung des Vertrages - und damit auch seine aufS. 16504; NZZ vom 5. September 1971, S. 2). Am 23. September 1971 äußerte der CDU-Fraktio nsvorsitzende Barzel die Meinung, bei der Ostpolitik der Koalitionsreg ierung bestehe nur Klarheit über die deutschen Leistungen, während ein Nebel von Interpretation skünsten und falschen Nachrichten das Fehlen von Gegenleistun gen kaschiere (laut NZZ vom 25. September 1971,

s. 3).

Kurze Zeit später trat der da ut des-Abtausch in der deutschen Ostpolitik aber bereits in seine nächste Phase. Denn Anfang Oktober 1971 wurde - insbesondere aus Äußerungen des sowjetischen Außenministe rs Gromyko - die Absicht der UdSSR deutlich, ihrerseits die Unterschrift unter das Schlußprotokoll der Berlin-Verein barung so lange hinauszuzöge rn, bis der Moskauer Vertrag durch die Bundesrepub lik ratifiziert wird (vgl. NZZ vom 10. Oktober 1971, S. 1 f.). Diese Absicht wurde dann Ende November/An fang Dezember 1971 anläßlich des Moskau-Besu ches des deutschen Außenministe rs Scheel definitiv artikuliert. Scheel anerkannte zwar von vomherein einen "sachlichen Zusammenha ng" zwischen den Vertragswerk en, über den "zeitlichen Zusammenha ng" wollte er aber erst Gespräche führen (vgl. NZZ vom 29. November 1971, S. 2; vom 30. November, S. 1). Diese Gespräche endeten mit einer Konzession der deutschen Seite: die Gegenleistun g für die Einleitung des parlamentaris chen Genehmigung s- und Ratifikations verfahrens betreffend die Ostverträge wurde von der Forderung nach vorheriger Unterzeichnu ng des Schlußprotok olls der Berlin-Verein barung durch die Sowjetunion auf das Verlangen nach einer Erklärung der vier Mächte reduziert, daß die Berlin-Regelu ng vollständig sei und nicht mehr abgeändert werde (vgl. NZZ vom 2. Dezember 1971, S. 1; vom 3. Dezember, S. 2). Die Sowjetführun g brachte diesem Vorschlag der Bundesrepub lik laut NZZ (vom 2. Dezember, vgl. ebd.) nicht mehr als "unverbindlic hes Interesse" entgegen. Die deutsche Bundesregier ung leitete daraufhin am 13. Dezember 1971 das Vertragsgene hmigungsver fahren unter Hinweis darauf ein, daß mit der Paraphierung des Transitabkom mens zwischen der Bundesrepub lik und der DDR am 11. Dezember, sowie des Abkommens zwischen dem Berliner Senat und der DDR vom gleichen Tage, die deutscherseits vorausgesetzt e "Verbesserun g der Berlin-Situat ion" eingetreten sei [vgl. AdG 1971, S. 16756; Dokumentatio n im EA 27 (1972), S D 51 ff.]. Die Sowjetunion antwortete mit einer Erklärung (deutscherseit s veröffentlicht am 20. Dezember 1971, siehe NZZ vom 22. Dezember, S. 3), worin sie zwar ihre Befriedigung über den Stand der Dinge ausdrückte, aber keineswegs die von Bonn zuvor geforderte Deklaration (s. oben) abgab. Zur Zufriedenhei t hatte sie auch allen Grund, war das von ihr an den deutschen Verhandlung spartner zu erbringende quid pro qua doch noch weiter zusammenges chrumpft. Vgl. in der weiteren Folge aus Bundeskanzle r Brandts am 23. Februar 1972 erstattetem "Bericht der Bundesregier ung zur L age der Nation 1972" (AdG 1972, S. 16903: "Es ergibt sich aus der politischen Lage, daß die Berlin-Rege-

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grund perfekter Symmetrie der vertraglichen Rechte und Pflichten eventuell vorhandene formelle Reziprozität- tritt hier gegenüber der Frage zurück, inwieweit der normativen Identität der gegenseitigen Verpflichtungen eine tatsächliche Äquivalenz der gegenseitigen Belastungen entspricht. Unter den an dieser Stelle behandelten völkerrechtssoziologischen Gesichtspunkten spielt nur die letztere, d. h. die reelle Gegenseitigkeit, eine relevante Rolle. Die formelle Reziprozität vertraglicher Rechte und Pflichten bedeutet nun keineswegs, daß dieser Symmetrie, dem perfekten Gleichgewicht in der Welt der Normen, ein faktisches Gleichgewicht der Vorteile und Lasten entsprechen muß. Identische Vertragspflichten können aus der Situation der Abkommenslung insgesamt erst im Zusammenhang mit der Ratifizierung des Moskauer Vertrages in Kraft treten wird"); aus der Ersten Lesung der Zustimmungsgesetze zu den Ostverträgen am selben Tage: Außenminister Scheel: "Einen ersten Test haben die Verträge erfolgreich bestanden. Ohne sie würde es eine Berlin-Regelung nicht geben" (ebd., S.16904; vgl. auch S.16905); CDU-Fraktionsvorsitzender BarzeZ: "Das Vertragswerk gibt den Sowjetrussen, den Polen und der DDR das meiste oder beinahe fast alles von dem, was sie wollen. Es bringt den Europäern [sie] und den Deutschen keinen Fortschritt ... Zu diesem unvollständigen, in Leistung und Gegenleistung unausgewogenen, im Inhalt mißdeutbaren Vertragswerk sagen wir, die CDU/CSU, in aller Verantwortung: So nicht ..." (ebd., S. 16909); CDU-Abgeordneter Gerhard Schröder: "Verträge, die einen wirklichen Interessenausgleich bringen sollen, müssen aus ihrem Text heraus klar und eindeutig für beide Seiten in ausgewogener Weise Vorteile bringen ... Ein gutes und konstruktives Verhältnis zwischen der BRD und der Sowjetunion ... sollte nach unserer Auffassung für beide Seiten vorteilhaft sein. Eine Gegenleistung der Sowjetunion kann ich in der Inaussichtstellung solcher für sie wie für uns nützlicher Beziehungen nicht erblicken . . . Es bleibt also die Feststellung, daß es schwere Bedenken erwecken muß, wenn die Vorteile von Verträgen weniger auf den Vertragstext als auf Hoffnungen und Erwartungen gegründet werden . . . Die Regierung hat, wenn wir den Moskauer Vertrag als das Hauptinstrument ansehen, einen Vertrag geschlossen, dessen Vorteile sich für beide Seiten ... normalerweise aus dem Vertragstext ergeben sollten. Das heißt also, Leistung und Gegenleistung sollten erkennbar in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen. In Wirklichkeit hat die Regierung sowjetischen Forderungen, die jahrelang erhoben worden sind, entsprochen" (ebd., S.16912). Weiters aus der Motiverklärung von Strauß zu dem am 31. Januar 1972 von der CSU vorgelegten Entwurf für einen deutsch-sowjetischen Gewaltverzichtsvertrag: "Die neue Bundesregierung ... hat schon vor Beginn ihrer Tätigkeit erklärt, daß sie von der Existenz zweier deutscher Staaten ausgehe, also durch einseitige Vorleistungen ein von der Sowjetunion angestrebtes Verhandlungsergebnis ohne jede Gegenleistung angeboten und damit den Kurs der deutschen Ostpolitik in verhängnisvoller Weise verschlechtert" (ebd., S.16923) und schließlich die Ausführungen Außenminister Gromykos vor dem Obersten Sowjet am 12. April1972: "Der [Moskauer] Vertrag ist die einzige Möglichkeit, unter den gegenwärtigen Bedingungen die Interessen beider Seiten auszugleichen ... Der Vertrag basiert vollkommen auf dem Prinzip der Gleichberechtigung von Staaten ... Wie ich bereits erklärte, stellt der Vertrag in seiner gegenwärtigen Form eine wohlabgewogene Balance der Interessen der Vertragspartner dar. Die Störung dieses Gleichgewichts wäre gleichbedeutend mit der Zerstörung des Vertrages" (ebd., S.17018, 17019). Man entschuldige die Ausführlichkeit dieser Schilderung, aber die beschrie-

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parteien heraus sehr verschiedenes materielles Gewicht haben12 • Wenn sich, um ein konkretes Beispiel zu nennen, die Bundesrepublik Deutschland und die Republik Tunesien in einem Vertrag vom 20. Dezember 1963 gegenseitig die Förderung und den Schutz von Kapitalanlagen auf ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet versprechen13 , so ist prima facie evident, daß der Abkommensinhalt - isoliert betrachtet14 - der Bundesrepublik insofern größere Vorteile bringt, als ganz überwiegend ihre Staatsangehörigen und Gesellschaften die Vorteile des Abkommens genießen werden15 • Vertreter der kommunistischen Völkerrechtslehre sprechen in derartigen Fällen denn auch oft von "ungleichen Verträgen"; so etwa das 1965 erschienene ostdeutsche "Wörterbuch der Außenpolitik", das etwa ausführt: "Der Vertragspraxis der imperialistischen Staaten liegt das Bestreben zugrunde, schwächeren Ländern ihren Willen aufzuzwingen und sie ihrem Einfluß zu unterwerfen. Deshalb beruht eine große Anzahl ungleicher Verträge nicht auf !Gegenseitigkeit!, wenn sie auch eine formal-juristische Gleichheit festlegt, und widerspricht dem im Völkerrecht allgemein anerkannten Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten. Die Gewährung materieller und formaler !Gegenseitigkeit! in der Praxis kapitalistischer Staaten trägt oft ungleichen Charakter. Zum Beispiel haben nach dem Vertrag über Freundschaft, Handel und Seeschiffahrt zwischen den USA und Italien von 1948 die Bürger beider Staaten das Recht, sich auf das Territorium des anderen Staates zu begeben, sich auf dem Territorium dieses Landes mit bene Phase der deutschen Ostpolitik zeigt in so trefflicher Weise das Spiel des Reziprozitätselementes in einem Bereich des Völkerrechtslebens, aus dem es einige Theoretiker partout hinausargumentieren wollen, im "politischen Völkerrecht" nämlich. Dazu unten Kapitel D. 12 Preiswerk, S. 9 ff., 17 ff., 36 ff. Vgl. ebd., S. 11 : « 11 est neanmoins vrai que la reciprocite formelle aboutit quelquefois dans la realite des deux pays contractants a un desequilibre des prestations. I1 serait donc injuste de se contenter uniquement de la symetrie des textes sans se preoccuper de la prestation effective fournie par chaque partie contractante. >> Siehe des weiteren Virally, RdC, S. 35 ff.; Modinos, Quelques considerations sur la reciprocite en matiere de traites, RED! 5 (1949) , S. 71 f.; Schwarzenberger, International Law as Applied by International Courts and Tribunals, Bd. I (3. Aufl. 1957), S. 12 f. (mit einem Hinweis auf das oben Abschnitt I, Anm. 3 erwähnte Rechtsgutachten des Ständigen Internationalen Gerichtshofs 1m Zollunionsstreit). 13 Abkommenstext in Berber, Völkerrecht. Dokumentensammlung, Bd. I, S. 1317 ff. Vgl. auch das oben S. 54 angeführte Beispiel des Kulturabkommens 1963 zwischen Großbritannien und dem Kamerun. 14 Der Vertrag regelt lediglich das "wie" der gegenseitigen Kapitalanlagen. Den Zugeständnissen Tunesiens zugunsten der deutschen Investoren (Inländergleichbehandlung, Meistbegünstigung, usw.) entsprechen somit außervertragliche Gegenleistungen in Form der tatsächlichen Investitionen seitens der Bundesrepublik. Zu diesem Konzept einer gtobaten Gegenseitigkeit vgl. unten Abschnitt III. Siehe jüngst auch Atenfetd, Die Investitionsförderungsverträge der Bundesrepublik Deutschland (1971), S. 27 f. 15 Weitere Beispiele ähnlicher Art bei Preiswerk, S. 17; Virally, RdC, S. 30.

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jeder beliebigen Handels-, Industrie- und Finanztätigkeit zu befassen, jegliches bewegliche und unbewegliche Eigentum zu erwerben, den Reichtum an Mineralien im Landesinneren auszunutzen usw. Obwohl der Vertrag den italienischen Bürgern die gleichen Rechte gewährt, die auch Bürgern der USA zustehen, ist der Vertrag in Wirklichkeit ungleich, denn er sichert den USA-Bürgern in Italien breite Betätigungsmöglichkeiten, während das ,gegenseitige Recht' der Italiener nur auf dem Papier steht, da sie wesentlich geringere materielle Möglichkeiten für eine analoge Tätigkeit in den USA besitzen16." Eine solche Analyse geht zwar über den Wortlaut des untersuchten Vertrages hinaus- aber aus unschwer einzusehenden Gründen sozusagen nur mit einem Fuß. Sie unterschlägt nämlich das handgreifliche Interesse, das das an den Kriegsfolgen darniederliegende Italien im Jahre 1948 an amerikanischer "Freundschaft, Handel und Seeschiffahrt" - sprich: Kapital - unzweifelhaft hatte. Dieses Interesse brachte zwar auch keine Äquivalenz, keine reelle Gegenseitigkeit in den Vertrag, machte ihn aber in Hinblick auf die außervertraglichen Gegenleistungen der USA eben in Gestalt von durch das Abkommen erleichterten Investitionen akzeptabel. Von der Gegenseitigkeit nicht in, sondern "um" einen Vertrag wird später noch ausführlicher die Rede sein. Ein weiteres anschauliches Beispiel für das mögliche -und häufige Auseinanderklaffen von formeller und reeller Gegenseitigkeit, von juristischer Symmetrie und tatsächlicher Äquivalenz, bietet das Problem der "Gleichheit der Schritte" in Verhandlungen über Abrüstung und Rüstungsbeschränkung, das jüngst von Frei sehr überzeugend dargestellt wurde17• 16

s. 268.

Frei, Kriegsverhütung und Friedenssicherung, S. 165 ff., 172 ff. Eine förmliche Fassung fand dieser Grundsatz etwa in Pkt. 5 des von den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion 1961 der UNO-Generalversammlung vorgelegten "joint statement of agreed principles which they recommend as guidance for disarmament negotiations when such negotiations are resumed" (Text in Whiteman, Bd. 11, S. 682 ff.). Dieser Pkt. 5 lautet: "All measures of general and complete disarmament should be balanced so that at no stage of the implementation of the treaty could any State or group of States gain military advantage and that security is ensured equally for all." Vgl. neuerdings auch das Schlagwort von der "Mutual Balanced Force Reduction" (MBFR). Dazu Bertram, Gegenseitige Truppenverringerung in Europa. Politische Möglichkeiten, Risiken und Chancen, EA 27 (1972), S. 49 ff. und die Dokumentation ebd., S. D 83 ff. Nach den im Text vorgenommenen Klarstellungen ist die folgende Meinung Virallys mit Vorsicht aufzunehmen: « En allant un peu plus profond, on peut se demander si la distinction entre reciprocite par identite et reciprocite par equivalent repose sur un veritable fondement. Parce qu'elle exprime l'idee de retour, la reciprocite tend, dans tous les cas, ... , a assurer une equivalence entre ce qui est donne et ce qui est re~u. Cet equilibre doit etre realise quelle que soit Ia nature de Ia transaction: qu'elle porte sur 11

2. Verträge zur Regelung gegenseitiger Beziehungen

123

cc) Die Problematik der Realisierung vertragsinhaltlicher Äquivalenz Die damit geschilderten Schwierigkeiten müssen natürlich auch dann ins Kalkül gezogen werden, wenn es im Prozeß des Zustandekoromens eines völkerrechtlichen Vertrages um die Verwirklichung der inhaltlichen Gegenseitigkeit geht. Ihre Problematik ist von anderen Autoren - insbesondere Preiswerk18 und Virally 19 - mit einer Gründlichkeit untersucht worden, die es der vorliegenden Schrift erlaubt, sich mit überblickshaften Ausführungen zu begnügen. Als rechtstechnische Mittel zur Realisierung der inhaltlichen Gegenseitigkeit bieten sich einerseits der "Einbau" von äquivalenten Begünstigungen und Belastungen in die materiellrechtlichen Bestimmungen des Abkommens, anden~rseits die ausdrückliche Formulierung der Reziprozität oder eine Kombination dieser beiden Methoden an. Als Illustration der erstgenannten Möglichkeit sei etwa an die üblichen Annexe zu Luftfahrtsahkommen erinnert. Der eigentliche Text derartiger Abkommen enthält meistens nur die Regelung von Verfahrensfragen, Begriffsbestimmungen, usw. Der "geschäftliche" Teil dagegen, das Resultat sorgfältigster Gegenseitigkeitskalkulationen, findet sich dann eben in den Anhängen, in denen die konkreten Flugrechte für die von den Vertragsstaaten namhaft gemachten Fluglinienunternehmen niedergelegt sind20 • Genau dasselbe gilt für Handelsverträge, wo sich die faktischen Leistungen der Abkommenspartner, d. h. die gegenseitigen mehr oder weniger äquivalenten Begünstigungen, gegebenenfalls in den Güterlisten im Anhang zum Vertragstext finden. Als multilaterales Pendant dazu sei auf die "package deals" im Rahmen der sog. "Kennedy-Runde" verwiesen21 • Zahlreiche weitere Beispiele ließen sich anführen; in unserem Zusammenhang geht es jedoch lediglich um das des objets differents ou sur des objets identiques. L'identite, sous cet aspect, n'est qu'une forme particuliere de l'equivalence; eile ne s'oppose pas a cette derniere. » (RdC, S. 30; Hervorhebung von mir.) Wenn man den Standpunkt des Verfassers der vorliegenden Untersuchung teilt, ist es unmöglich, die Identität der gegenseitigen vertraglichen Leistungen als eine der möglichen Spielarten von deren Äquivalenz anzusehen. Dies deswegen, weil die beiden Begriffe sozusagen auf verschiedenen Stufen der Untersuchung liegen: die Identität auf der Stufe der normativen Analyse des Vertragstextes, die Äquivalenz auf derjenigen einer soziologischen und sozialpsychologischen Untersuchung staatlicher Interessenlagen. Auf der zweitgenannten Ebene bleibt die äußerliche Identität der Vertragspflichten irrelevant. 18

Passim.

RdC, passim. 20 Vgl. beispielsweise das Luftverkehrsabkommen zwischen der Österreichischen Bundesregierung und der Regierung der Republik Südafrika vom 26. März 1969, BGBI. Nr. 158/1969, und Virally, RdC, S. 38 f. 2 1 Vgl. oben S. 72 f. u. Anm. 20. 19

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C. li. Erwartung und Verwirklichung der Gegenseitigkeit

Prinzip, das sich aus einer dergestalten Abkommensstruktur für die Verwirklichung der Gegenseitigkeit des Vertragsinhalts ergibt: Soll ein völkerrechtlicher Vertrag seine Partner - wie in den angeführten Beispielen - gegenseitig zu nichtidentischen Leistungen verpflichten, so steht es den individuellen Parteien jedenfalls theoretisch offen, eine eventuelle Asymmetrie ihrer vertragsrelevanten wirtschaftlichen, technischen usw. Ausgangspositionen durch sorgfältiges Austarieren des zukünftigen Vertragsinhaltes gleichsam "auszumanövrieren" und einesubjektive - Äquivalenz der gegenseitigen Verpflichtungen zu erreichen. Ob dies dann auch in praxi gelingt bzw. überhaupt gewünscht wird, hängt von Faktoren wie der Relation zwischen der eigenen "bargaining power" und der des Verhandlungspartners, dem Geschick der Unterhändler, der öffentlichen Meinung, dem aktuellen Bedürfnis des Verhandlungspartners an den ihm angebotenen Leistungen22 und den Umständen ab, die uns später in Zusammenhang mit der "Reziprozität um einen Vertrag" beschäftigen werden. Berühmte historische Beispiele für Abkommen, in deren Entstehungsgeschichte die Ausgewogenheit der Begünstigungen der Vertragspartner ausdrücklich statuiert wurde allerdings auf Kosten eines allein "belasteten" Dritten - bieten die Verträge von Petersburg 1772 zwischen Rußland, Österreich und Preußen. Der Abschluß dieser Verträge, die die 1. polnische Teilung durchführten, stand nämlich unter der Leitlinie, daß die Gebietserwerbungen der Teilenden untereinander "vollkommen gleich" sein sollten und daß der Anteil des einen den Anteil des anderen nicht übersteigen dürfe23 • Anders ist die Situation bei Verträgen, deren Parteien identische Verhaltensformen "austauschen". Hier kann durch symmetrische Gestaltung der Rechte und Pflichten der Vertragsstaaten ja nur eine formelle Gegenseitigkeit erzielt werden, die - wie oben klargelegt und an Bei22 Vgl. zu diesen und anderen Faktoren im zwischenstaatlichen "bargaining process" statt aller die oben a, Anm. 3 genannte Schrift Ikles; weiters Schelling, S. 21 ff.; Grewe, EA 19 (1964), S. 816 ff.; derselbe, Spiel der Kräfte in der Weltpolitik, S. 496 ff. Zu dem insbesondere in der Zwischenkriegszeit maßlos überschätzten Einfluß der öffentlichen Meinung auf den Inhalt völkerrechtlicher Verträge vgl. statt aller Claude, The Impact of Public Opinion upon Foreign Policy and Diplomacy (1965), S. 21: "The effective role of public opinion in the diplomatic process has not yet proved substantial enough either to confer the benefits promised by the Wilsonians or to produce the disasters feared by their critics." 23 Vgl. den Kommentar Friedrich von Martens' zu dem Vertrag zwischen Rußland und Österreich im Recueil des Traites et Conventions conclus par la Russie avec les puissances etrangeres, Bd. II, unter Nr. 31, S. 21: « Le principe d'une parite complete fut posee comme base fondamentale des acquisitions territoriales. » Allerdings findet sich dieses Prinzip nicht in den Vertragstexten, wie Morgenthau, Politics among Nations, S. 173, anzunehmen scheint. Vgl. weiters die von Frei, Kriegsverhütung und Friedenssicherung, S. 198, geschilderte territoriale Neuordnung auf dem Wiener Kongreß nach dem Maßstab der "Seelenzahlen".

2. Verträge zur Regelung gegenseitiger Beziehungen

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spielen erläutert worden ist - durchaus keine reelle Gegenseitigkeit, keine Äquivalenz jedenfalls im Vertrag, implizieren muß. In einem solchen Fall hängt der Grad, in dem Äquivalenz realisierbar ist, beinahe zur Gänze von dem Grad der Symmetrie der außervertraglichen (faktischen) Positionen der gegenübergestellten Staaten ab. Eine verhältnismäßig weitgehende Symmetrie dieser Art24 liegt etwa dem Recht der diplomatischen und konsularischen Privilegien und Immunitäten zugrunde- eben mit dem Effekt, daß die formell reziproken Normen z. B. der Wiener Übereinkommen über diplomatische bzw. konsularische Beziehungen von ihren Adressaten auch als vergleichsweise äquivalente Begünstigungen und Belastungen statuierend empfunden werden dürften. "Where most of the highly variegated states of the world have agreed on treaty provisions setting forth their reciprocal rights and obligations, it might be assumed that reciprocity has been built into the treaty .. ." Dieses Urteil des amerikanischen Völkerr·echtlers Briggs25 in der Frage der rechtspolitischen Erwünschtheit des Art. 47 der Wiener Konvention 1961 über diplomatische Beziehungen und des späteren Art. 72 der Wiener Konvention 1963 über konsularische Beziehungen in beiden Fällen die vergeltungsweise restriktive Anwendung dieser Verträge betreffend26 - bezieht sich genau auf den zur Rede stehenden Punkt, ebenso wie das von dem ILC-Spezialberichterstatter Zourek in seinem dritten Bericht über konsularischen Verkehr und konsularische Immunitäten mit den folgenden Worten formulierte Resurne der Meinungen der Kommissionsmitglieder zu dem späteren Art. 72 entsprechenden Vorschlägen: "Even in the case of provisions constituting wholly or partly a progressive development of internationallaw ... the Commission, after due consideration, dropped the idea of a reciprocity clause. It took the view that all the provisions would be equally binding on all the contracting parties with the consequence that the parties would Vgl. Henkin, How Nations Behave, S. 51. Codification Treaties and Provisions on Reciprocity, Non-Diserimination or Retaliation, AJIL 56 (1962), S. 475. (Hervorhebung von mir.) Vgl. auch die ebd. S. 476 wiedergegebene Bemerkung Zoureks in der International Law Commission, nach der "Diplomatie relations were of eourse based on reciprocity of treatment, but the Commission was preparing a draft eonvention /den Entwurf zum späteren Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen/, and by virtue ofthat eonvention reciprocity would be largely assured by the application of the rules of the eonvention" (Hervorhebung von mir). 26 Vgl. dazu näher Simma, öZöffR, S.17 f. ; Hardy, Modern Diplomatie Law (1968), S. 83 ff. Deutscher Text der beiden Konventionen in Berber, Völkerrecht. Dokumentensammlung, Bd. I, S. 865 ff., 884 ff. Eine gleichlautende Bestimmung ist neuerdings auch in Art. 49 des Übereinkommens über Sondermissionen vom 16. Dezember 1969 /Text etwa in ILM 9 (1970), S. 129 ff./ aufgenommen worden. 24 25

Briggs,

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all be on a footing of equality which would make a reciprocity clause unnecessary27 ." Die Wiener Konventionen über diplomatische und konsularische Beziehungen bieten daneben aber auch interessante Beispiele für einen rechtstechnischen Kunstgriff zur - wenigstens annähernden - Verwirklichung reeller Gegenseitigkeit trotz notwendigerweise rein formeller Reziprozität der Vertragsnormen und Asymmetrie der faktischen Grundlagen der Vertragsanwendung : Unterhalten zwei Staaten gegenseitig diplomatische Beziehungen durch Missionen mehr oder weniger identischen Umfangs, so wird ihnen die Gewährung der diplomatischen Privilegien und Immunitäten an das Missionspersonal des Partners auch als mehr oder weniger äquivalente Entsprechung zur Gewährung dieser Vorrechte an das eigene Missionspersonal seitens eben dieses Staates erscheinen. Kleine Staaten sehen sich nun aber oft mit der Situation konfrontiert, daß sie "Gastgeber" für eine ungleich größere Anzahl von Mitgliedern ausländischer Missionen spielen müssen, als sie selber eigenes Missionspersonal in die betreffenden ausländischen Staaten entsenden können. Eine derartige Disparität erscheint bis zu einem beträchtlichen Grad durch andersgelagerte Motive tragbar, kann aber auch eine Grenze überschreiten, jenseits derer insbesondere ein kleinerer Staat den Mangel an Äquivalenz der Belastungen aus verschiedenen Gründen nicht mehr tolerieren zu können glaubt28 • Ein Ventil für diese Spannungen findet sich nunmehr in Gestalt von Art. 11 des Wiener Übereinkommens, der besagt: "{1) Ist keine ausdrückliche Vereinbarung über den Personalbestand der Mission getroffen worden, so kann der Empfangsstaat verlangen, daß dieser Bestand in den Grenzen gehalten wird, die er in Anbetracht der bei ihm vorliegenden Umstände und Verhältnisse sowie der Bedürfnisse der betreffenden Mission für angemessen und normal hält.

(2) Der Empfangsstaat kann ferner innerhalb der gleichen Grenzen, aber ohne Diskriminierung, die Zulassung von Bediensteten einer bestimmten Kategorie ablehnen."

Eine mit dem Abs.l der zitierten Bestimmungen gleichlautende Ermächtigung enthält auch Art. 20 der Wiener Konsularkonvention29 • YBILC 1961 II, S. 65. Vgl. zu diesen Gründen etwa Cahier, Le droit diplomatique Conternporain (2. Aufl. 1964), S. 88 f.; Zemanek, Die Wiener Diplomatische Konferenz 1961, ArchVR 9 (1961/1962), S. 412, Anm. 78; Lee, Consular Law and Practice (1961), s. 326. 29 Vgl. die Kommentierung in den in der letzten Anm. angeführten Arbeiten (so etwa Zemanek: "Veranlassung zu diesem Artikel und zu seiner den Empfangsstaat begünstigenden Formulierung waren die von Italien, Äthiopien und Uruguay in bewegten Worten beklagten, mehrere hundert Personen 27

28

2. Verträge zur Regelung gegenseitiger Beziehungen

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Inwieweit eine derartige fakultative Sicherung der Äquivalenz von Begünstigungen und Belastungen aus identischen Berechtigungen und Verpflichtungen auch in andere Verträge mit formeller Reziprozität des Abkommensinhaltes eingebaut werden kann, muß in jedem einzelnen Fall durch eine Analyse dieses Inhaltes geprüft werden. Soviel zur Problematik der Realisierung vertraglicher Reziprozität auf dem Weg der Gestaltung des eigentlichen Abkommensinhaltes. Sie ist derjenigen der alternativen - oder kumulativen - Methode, nämlich der ausdrücklichen FormuLierung der Gegenseitigkeit in Reziprozitätsklauseln oder auf anderem Wege eng verwandt30• Solche Formulierungen fanden und finden sich besonders häufig in Verträgen auf dem Gebiet des internationalen Wirtschaftsrechts, also etwa in Abkommen, welche die gegenseitige Inländergleichbehandlung oder Meistbegünstigung vorsehen. Sie kommen aber auch auf anderen zwischenstaatlichen Lebensgebieten vor31 • Über Reziprozitätsklauseln in kriegsrechtliehen Abkommen ist bereits an anderer Stelle gesprochen worden32• Derartige Klauseln dienen, wie bereits ihre Bezeichnung aussagt, der Verwirklichung der vertraglichen Gegenseitigkeit. Ihre nähere Untersuchung zeigt jedoch, daß sie dieses generelle Ziel auf zwei Wegen zu erreichen suchen. Erstens durch ausdrückliche Equilibrierung der vertraglichen Rechte und Pflichten von allem Anfang an, also durch Sicherung der Reziprozität im Vertragsinhalt. Auf diesen Aspekt finden dieselben kritischen Beobachtungen Anwendung, die weiter oben über die umfassenden Riesenmissionen der Sowjetunion in diesen Staaten, sowie der gleichliegende Fall der früheren Botschaft der Vereinigten Staaten in Kuba") und zusätzlich Lee, Vienna Convention on Consular Relations (1966), S. 37 ff. 30 Vgl. zu den verschiedenen Möglichkeiten der ausdrücklichen Formulierung der Gegenseitigkeit ViraUy, RdC, S. 23 ff.; Preiswerk, S. 8 ff. (siehe ebd,. S. 11 zur Unterscheidung von bloßen "formules de style"). 31 Vgl. etwa Art. 3 des Genfer Übereinkommens über die Hohe See (deutscher Text in Berber, Völkerrecht. Dokumentensammlung, Bd. I, S. 1344 ff.), betreffend den freien Zugang der Binnenstaaten zum Meer, oder Art. 12 des Vertrages vom 27. Jänner 1967 über die Grundsätze, welche die Tätigkeiten der Staaten bei der Erforschung und Nutzung des Weltraumes, einschließlich des Mondes und anderer Himmelskörper, regeln (Weltraumvertrag, BGBl. Nr. 103/1968) betreffend das "Besuchs"-Recht auf Stationen, Anlagen, Einrichtungen und Weltraumfahrzeugen auf dem Mond und anderen Himmelskörpern. [Vgl. dazu die Erklärung des amerikanischen Chefdelegierten bei den Vereinten Nationen vom 17. Dezember 1966; wiedergegeben im Department of State Bulletin 56 (1967), S. 80]. Weitere Beispiele finden sich bei ViraHy, RdC, S. 23 ff.; Niboyet, S. 285 ff.; Kunz, Stichwort: "Gegenseitigkeit im Völkerrecht", in: Strupp, Wörterbuch, Bd. I (1924), S. 370; Hoffmann, Stichwort: "Reziprozitätsklausel", ebd., Bd. II (1925), S. 358 f.; Schaumann, in: StruppSchlochauer, Bd. I, S. 630 ff.; Jaenicke, Stichwort: "Gleichbehandlung", ebd., S. 691 f.; Goldman, Reflexions sur la reciprocite en droit international, Travaux du Comite fran~ais de droit international prive 1962-64 (1965), S. 82 ff. 32 Oben S . 92 ff.

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Verträge mit formeller Gegenseitigkeit durch Symmetrie der Vertragspflichten gemacht wurden: Auch eine noch so eindeutig formulierte Gegenseitigkeitsklausel kann formell identische Vertragspflichten nicht in äquivalente Belastungen verwandeln, wenn die den Grad der "Ausnützbarkeit" eines Abkommens determinierenden faktischen Ausgangspositionen der Parteien ungleich sind. Um noch einmal auf das Beispiel des deutsch-tunesischen Investitionsschutzvertrages33 zurückzukommen: Was würde es der Republik Tunesien in bezug auf ein Gleichgewicht des Abkommensinhaltes 34 nützen, wenn die durch Formulierungen wie etwa "Jede Vertragspartei wird ... fördern, schützen, behandeln" usw. erzielte formelle Reziprozität etwa noch durch den Zusatz "auf der Basis strikter Gegenseitigkeit" verstärkt würde? Die zweite Funktion der Reziprozitätsklauseln liegt in der Sicherung der Gegenseitigkeit nicht im Vertragsinhalt, sondern in der Vertragserfüllung. Das "equilibre ordinaire" eines Abkommens soll mit ihrer Hilfe in eine "interdependance absolue" 35 der gegenseitigen Leistungspflichten gleichsam automatisiert werden 36• Dieses gegenseitige Aneinander-Ausrichten der Vertragserfüllung kann sich noch im Rahmen der Vorschriften des betroffenen Abkommens halten. So bestimmt etwa der schon erwähnte Art. 47 der Wiener Konvention 1961 über diplomatische Beziehungen: "(1) Bei der Anwendung dieses Übereinkommens unterläßt der Empfangsstaat jede diskriminierende Behandlung von Staaten. (2) Es gilt jedoch nicht als Diskriminierung, a) wenn der Empfangsstaat eine Bestimmung dieses Übereinkommens deshalb einschränkend anwendet, weil sie im Entsendestaat auf seine eigene Mission einschränkend angewandt wird. b)

37 "

Vgl. oben S. 121. Vgl. oben Anm. 14. Koutikov, Le principe de la reciprocite et son application dans le droit international public et le droit international prive (Resume), Trudove po mezdunarodno pravo 1 (1967), S . 62 f. 36 Siehe auch Virally, RdC, S. 28: « Elles ld. h. die Reziprozitätsklauselnl definissent une condition affectant Ia portee des obligations assumees par les Etats contractants ou leur exigibilite. Il s'agit d'etablir un systeme dans lequel l'execution du traite par chaque partie servira de mesure aux prestations que Ia ou les autres parties seront tenues de fournir. >> Und S. 55: « ..• C'est l'application pure et simple des clauses de reciprocite introduites dans le traite, pour garantir que Ia reciprocite formellement stipulee sera egalement effective, et dont l'interpretation par les tribunaux etatiques peut etre plus ou moins stricte. Dans ce cas, chaque partie ne peut rien exiger de l'autre au-dela de ce qu'elle fait elle-meme pour remplir ses propres engagements. » 37 Vgl. zu Art. 47 und den analogen Bestimmungen der übrigen Kodifikationskonventionen auf diesem Rechtsgebiet oben S. 125 und die dort genannte Literatur. 33

34 35

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Und im Kommentar der International Law Commission zu Art. 44 ihres Entwurfes aus dem Jahre 1958, eben dem späteren Art. 47, heißt es: "It is assumed that the restrictive application in the sending State concerned is in keeping with the strict terms of the rule in question, and within the limits allowed by the rule; otherwise there is an infringement of the rule and the action of the receiving State becomes an act of reprisaP8 ." Reziprozitätsklauseln greifen aber auch dann, wenn die Aufrechterhaltung der Symmetrie in der Vertragserfüllung die "limits allowed by the rule" überschreiten muß, weil der Vertragspartner das Abkommen verletzt hat. Speziell die Gegenseitigkeitsklauseln in kriegsrechtliehen Verträgen39 haben diese Alternative im Auge. Hier automatisieren und vereinfachen die Klauseln als vertragliche leges speciales zum allgemeinen Völkerrecht die Befugnis eines durch einen Vertragsbruch verletzten Staates, die Erfüllung des betroffenen Abkommens gegenüber dem rechtsbrüchigen Partner einzustellen40 • dd) Reelle Gegenseitigkeit durch Auslegung? Die Untersuchung der rechtstechnischen Mittel zur Verwirklichung der inhaltlichen Gegenseitigkeit völkerrechtlicher Verträge soll mit einem kurzen Hinweis auf einen Weg beschlossen werden, auf dem diese reelle Gegenseitigkeit sozusagen ex post in einen Vertrag hinein"gebaut" wird, der ihr ursprünglich in mehr oder weniger großem Maße ermangelte. Gemeint ist die Auslegungsregel, nach der völkerrechtliche Verträge im Zweifel so interpretiert werden sollen, daß sich ein Gleichgewicht der Rechte und Pflichten auf beiden Seiten ergibe'; daß also 38 YBILC 1958 II, S. 106 (Hervorhebung von mir). Vgl. auch Virally, RdC, S. 28: « Ces < complements > au regime conventionnel ouvrent evidemment la possibilite de variations individuelles dans son application qui, sans que les termes du traite soient violes, peuvent porter atteinte, plus ou moins gravement, a la symetrie voulue par les parties. » (Hervorhebung von mir.) 39 Vgl. oben S. 92 ff.; Kalshoven, Belligerent Reprisals, S. 347 ff. 40 Vgl. Art. 60 Abs. 4 der Wiener Konvention über das Recht der völkerrechtlichen Verträge: "The foregoing paragraphs !enthaltend die Kodifikation bzw. fortschreitende Entwicklung des Rücktritts- und Suspensionsrechts wegen Vertragsverletzung nach allgemeinem Völkerrecht! are without prejudice to any provision in the treaty applicable in the event of a breach." Dazu Simma, ÖZöffR, S. 82. Durch Aufnahme einer derartigen Klausel in den Vertragstext wird es den Staaten in völkerrechtlich einwandfreier Weise möglich, a) in Ausübung des Repressalienrechtes dessen etwa im Naulilaa-Schiedsspruch zum Ausdruck gekommene Kultivierung (vgl. dazu Simma, ebd., S. 12 ff.), b) in Verfolgung des Prinzips inadimplenti non est adimplendum prozedurale Voraussetzungen, wie sie etwa pro futuro in den Art. 65 ff. der Wiener Konvention und in deren Annex niedergelegt sind, zu unterlaufen. 41 Vgl. dazu Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge insbesondere in der neueren Rechtsprechung internationaler Gerichte (1963),

9 Simma

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Privilegien des einen Vertragsteiles und dazu komplementäre einseitig belastende Verpflichtungen des anderen nicht vermutet werden. Anwendungsfälle dieses Prinzips finden sich in der Judikatur auch des Ständigen Internationalen Gerichtshofes42 • McNair lehnt es nichtsdestoweniger scharf ab, es sei "difficult to defend the rule on a basis of logic" 43 • In der Tat muß seine Gebrauchnahme aus zweierlei Gründen zu praktisch unüberwindlichen Schwierigkeiten führen: Zum ersten wird dabei verkannt, daß die Äquivalenz vertraglicher Rechte und Pflichten (oder eben auch ein Mangel derselben) auf objektivem Wege- also etwa durch einen Richter oder Schiedsrichter - niemals definitiv festgestellt werden kann44 ; zum zweiten wird die Betrachtung bei der Anwendung einer derartigen Regel notwendig auf den zu interpretierenden Vertrag beschränkt und damit die vielfältigen Funktionsmöglichkeiten der Gegenseitigkeit (nicht in, sondern) "um" den Vertrag außer acht gelassen45. Insbesondere werden nationale Gerichte dazu neigen, einen vermeintlichen Mangel vertragsinhaltlicher Äquivalenz zuungunsten "ihres" Staates durch großzügige Gebrauchnahme dieses Prinzips auszugleichen, was zu Schwierigkeiten mit dem Vertragspartner führen muß48 . ·ee) Völkerrechtspolitische Implikationen der Realisierung inhaltlicher Gegenseitigkeit Auch an dieser Stelle erscheint es angebracht, einige Beobachtungen über den Funktionszusammenhang zwischen der Ausgestaltung des V erS. 145 f.; McNair, The Law of Treaties, S. 765 f. (mit Hinweisen auf Vattel); Schwarzenberger, International Law as Applied by International Courts and Tribunals, Bd. I, S. 125, 423 ff.; derselbe, The Law of Armed Conflict, S. 747 ff. (in beiden Fällen mit reicher Judikatur); Tomuschat, ER, S. 322 und Anm. 133. 42 Vgl. Exchange of Greek and Turkish Populations, Advisory Opinion, 1925, P.C.I.J., Series B, No.IO, S. 20; Diversion of Water from the Meuse, Judgment, 1937, P.C.I.J., Series A/B, No. 70, S. 19 f. Die Judikatur kommentierend Schwarzenberger, International Law, Bd. I, S. 425: "II!n every such

case, strict interpretation of a treaty against the stronger party and equitable construction in favour of the weaker party are merely technical devices. They mask the inarticulate preference behind the judicial reasoning in favour of the typical working principle behind individual treaties: substantive, as distinct from merely formal, reciprocity and mutuality of rights and duties." 43 The Law of Treaties, S. 765. 44 Siehe oben aa. Treffend auch schon Franz von Zeiller, S. 172, § 117, Anm.•••. 45 Dazu mehr unten Abschnitt III. Vgl. Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge, S. 146 Jmit einem Hinweis auf die zutreffenden Feststellungen L. Ehrlichs, L'interpretation des traites, RdC 24 (1928 IV), S. 891 und Steinberger, ZaöRV 1971, S. 106 (zum Moskauer Vertrag vom 12. August 1970). 48 Vgl. etwa zum deutsch-österreichischen Vermögensvertrag Seidl- Hohenveldern in der Verdross-Festschrift 1971, S. 481.

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tragsinhaltes und der Effektivität einmal geltender vertraglicher Normen anzuschließen. Denn die Erkenntnis der konstruktiven, tragenden und stabilisierenden Wirkung von Gegenseitigkeitskalkulationen auf völkerrechtliches Vertragsrecht bietet zugleich ein rechtspolitisches Rezept für eine wirksame Garantie der Vertragserfüllung47 • Soll ein Abkommen über die politische Machtkonstellation des Augenblicks hinaus Bestand haben und auch stürmischere Perioden in den Beziehungen zwischen seinen Partnern "überleben" können, so muß vor allem48 versucht werden, seinen Inhalt derart auszugestalten, daß die Vertragsbestimmungen durch die Kraft der Reziprozitätserwartung möglichst selbsttragend werden. Krüger formuliert diesen Gedanken sehr eindringlich: "Die Unstaatlichkeit des Völkerrechts gebietet ... , seine Verwirklichung primär an die Selbstwirksamkeit der Interessen zu knüpfen49." 47 Vgl. zum folgenden vor allem Krüger, Das Prinzip der Effektivität, oder: Über die besondere Wirklichkeitsnähe des Völkerrechts, in: Grundprobleme des internationalen Rechts. Festschrift für Jean Spiropoulos (1957), S. 265 ff.; derselbe, Stichwort "Sicherung völkerrechtlicher Verpflichtungen", in StruppSchlochauer, Bd. III, S. 270. Weiters etwa noch Corbett, Law and Society in the Relations of States (1951), S. 13; Lissitzyn, Western and Soviet Perspectives, in: The American Society of International Law (Hrsg.), International Law in the Twentieth Century (1969), S. 133 f.; Vosskamp, S. 49 f.; Sawyer- Guetzkow, Bargaining and Negotiation in International Relations, in: Kelman (Hrsg.), International Behavior, S. 489. 48 Zu den vertragsexternen Gegenseitigkeitskonstellationen normativer und politisch-soziologischer Natur siehe unten Abschnitt III. 49 Festschrift Spiropoulos, S. 275. Die Meinung, wonach die von Krüger beleuchtete besondere Wirklichkeitsnähe des (vertraglichen und Gewohnheits-)Völkerrechts, also die geringere Spannung zwischen Rechtsnorm und Interessenlage, eine Gefahr für die Rechtsqualität des Völkerrechts bildet lso neuerdings auch Frowein, Das de facto-Regime im Völkerrecht. Eine Untersuchung zur Rechtsstellung "nichtanerkannter Staaten" und ähnlicher Gebilde (1968), S. 1. Vgl. auch Tucker, The Principle of Effectiveness in International Law, in: Kelsen-Festschrift 1953, S. 32 f.l, ist aus verschiedenen Gründen fragwürdig. So ist sie zu allgemein formuliert, weil von vornherein nur das ungesatzte Völkerrecht derartigen Betrachtungen ausgesetzt sein kann. Diese Ansicht beruht aber auch auf einer für die restlose Erfassung der Eigenart des Völkerrechts als einer koordinationsrechtlichen (horizontalen) Ordnung ungenügenden gedanklichen Lösung von der subordinationsrechtlichen (vertikalen) Struktur der innerstaatlichen Rechtsordnungen (vgl. zur Terminologie die Literaturhinweise bei Simma, Völkergewohnheitsrecht, S.17, Anm. 16). Grundlegend dazu Falk, The Role of Domestic Courts in the International Legal Order, Kapitel III; weiters Max Huber, Die soziologischen Grundlagen des Völkerrechts, S. 9 ff.; SchindZer (sen.), S. 241 ff.; Ginther, Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit internationaler Organisationen gegenüber Drittstaaten (1969), S. 7 ff.; Burton, International Relations. A General Theory (1967), S. 63 f.; Triska, Different Perceptions of Agreements and Disagreements, ASIL Proceedings 1964, S. 61 f. und Henkin, How Nations Behave, S. 89: "To say that nations act pursuant to law only as they would act anyhow may indicate not that the law is irrelevant, but rather that it is sound and viable, reflecting the true interests and attitudes of nations, and that it is likely to be maintained." IVgl. aber etwa

9•

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C. II. Erwartung und Verwirklichung der Gegenseitigkeit

Der Autor legt in der Folge dar, daß ein Vertrag im innerstaatlichen Bereich viel stärker von der beiderseitigen Interessenlage abweichen kann als in einerunstaatlichen Rechtsordnung, weil im ersteren Fall der bevorzugte Partner den staatlichen Zwangsapparat innerhalb gewisser Grenzen (man denke etwa an Wucher) auch dann zur Durchsetzung der Vertragserfüllung zur Verfügung hat, wenn die wechselseitigen Leistungen der Vertragsteile in einem erheblichen Mißverhältnis zueinander stehen. Anders im völkerrechtlichen Bereich: Hier müssen die Aussichten auf Vertragserfüllung in Anbetracht der fehlenden zentralen Rechtsdurchsetzungsorgane einerseits und der weitgehenden Beschränkungen der völkerrechtlichen Selbstdurchsetzung andererseits gleichsam in den Vertragsbedingungen selbst liegen, und zwar in Form einer andauernden Befriedigung der Interessen beider Partner, so daß das eigene Interesse und nicht die Aussicht auf Zwang das primäre Motiv der Erfüllung bilde50 • Und in Anerkennung des tiefen inneren Zusammenhanges zwischen Gegenseitigkeit und Gerechtigkeit sowohl interpersonaler als auch interzum Gewaltverbot unten e ccl. Weiters ist zu bemerken, daß der durch die Reziprozität der Begünstigungen bewirkte selbsttragende Charakter vieler Völkerrechtsnormen die Möglichkeit der Verletzung dieser Normen ja nicht grundsätzlich ausschließt; man denke etwa an das Recht der diplomatischen und konsularischen Beziehungen. Vgl. Guggenheim, S. 40: « ILI'ordre juridique perdrait sa signification s'il n'etait pas susceptible d'etre viole. Il presuppose donc la possibilite d'actes ilicites, . . . » (Hervorhebungen von mir); Boasson, Sociological Aspects of Law and International Adjustment (1950), S. 93 f., Anm. 4 (zu einer früheren Meinung Guggenheims). Denn zum einen ist es möglich, daß die stabilisierende Wirkung der Reziprozitätsmotivationen nicht bei sämtlichen Normadressaten in gleichem Maße auftritt. Siehe etwa Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts (2. Aufl., hrsg. von Maus- Fürstenberg 1964), S. 216: "ID[ie zwangfrei und ,von innen heraus' Gehorsamen könnten nicht gehorsam sein, wenn die Norm nicht durch Sanktion und Sanktionsdrohung gegenüber den Ungehorsamen und zum Ungehorsam Geneigten behauptet würde ... Der Grundsatz der Gegenseitigkeit, der Gebarenskoordination, trägt die Rechtsgesellschaft." Zum anderen kann die stützende Wirkung der Reziprozitätsvorstellungen auch zeitlich schwanken. Zu diesem Aspekt West, Conscience und Society. A Study of the Psychological Prerequisites of Law and Order (1942), S. 168, der von Fällen spricht, "where men are not content to protect themselves and limit others, but can be seen to be preparing a discipline for themselves, securing society in their more co-operative moments against their own actions in moments when they are liable to be less cooperative and more selfish. It is this aspect of law which shows it as not merely regulating affairs between people, but as maintaining one set of moral values against another, the product of human decisions taken upon one instinct against the impulses of a contrary instinct in the mind of the same subject at another time. It is thus that the law becomes an external support for a man's social instinct against the antisocial activities of his self-assertive instinct." Diese Gedanken scheinen uns in ihrem Kern auch auf die rechtliche Ordnung der internationalen Beziehungen übertragbar zu sein. 50 Ebd., S. 273.

2. Verträge zur Regelung gegenseitiger Beziehungen

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nationaler Verhaltensgebote51 bemerkt Krüger weiter: "In der größeren Nähe von Regelung und Interessenlage, die den Vertrag des Völkerrechts kennzeichnet und die der Natur dieses Rechts entspricht, liegt zugleich die Chance für die Gerechtigkeit völkerrechtlicher Verträge. Der Satz ,volenti non fit injuria'- womöglich in Verbindung mit dem weiteren Satz: ,voluit quamquam coactus'- ist jedenfalls in einer unstaatlichen Rechtsordnung nicht geeignet, einen Vertrag nach Inhalt und Verbindlichkeit zu legitimieren. Denn den Bürger kann der Staat gegen eine Fehlsamkeit seines Willens schützen, für einen fehlsam wollenden Staat hingegen gibt es keinen Schützer. Auf ein solches subjektives Moment kann daher die Gerechtigkeit des völkerrechtlichen Vertrages nicht abgestellt werden. Hier kommt vielmehr für diesen Zweck nur ein objektives Kriterium in Betracht, das an das bekannte ,do ut des' anknüpft. Die Gerechtigkeit des völkerrechtlichen Vertrages liegt darin, daß er einen Austausch von Leistungen veranstaltet, deren reziproker Wert einander entspricht. Wenn man so will, stehen hier Richtigkeit und Wirksamkeit nicht in Gegensatz, die Richtigkeit ist vielmehr eine Funktion der Effektivität52 ." Derartige Gedanken sind keineswegs neu. Schon Fran~ois de Callieres, der berühmte Diplomat und Rechtsberater Kardinal Richelieus, äußerte die Überzeugung, daß es keinen dauerhaften Vertrag geben könne, der nicht gegenseitige Vorteile seiner Partner beinhalte53 • Ähnliche Beobachtungen und Forderungen lassen sich durch die Jahrhunderte herauf bis zu den an anderer Stelle54 beschriebenen Beispielen aus der Gegenwart aufzeigen.

Vgl. Einführung, Kapitel AI 1 und Anm. 4. Festschrift Spiropoulos, S. 273 f. 53 De la maniere de negocier avec les souverains (1716; engl. Übersetzung von White 1919, S. 110). 54 Oben, S. 71 ff. Neuerdings hat Galtung (S. 11 ff.) Bedingungen für eine friedensfördernde zwischenstaatliche Kooperation aufgestellt, welche die im Text dargestellten Postulate in trefflicher Weise unterstreichen und ergänzen. Nach Galtung muß eine auf dem Austauschgedanken basierende Kooperation, um diesen Effekt zu erzielen, u. a. in dem Sinne symmetrisch sein, daß die Partner des Austausches etwa gleich viel davon profitieren, etwa gleich viel in die Zusammenarbeit investieren, etwa in gleichem Maße darauf Wert legen, in gleichem Maß an den Entscheidungen über ihre Art und Weise partizipieren und sich als Folge des Austausches in etwa gleichem Maße verändern. Weitere Bedingungen liegen nach Galtung in einem gewissen Mindestmaß an struktureller Ähnlichkeit der Partner und in der Voraussetzung, daß bei allen Beteiligten der Nutzen der Kooperation deren Kosten übersteigt. 51

52

13!

C. II. Erwartung und Verwirklichung der Gegenseitigkeit

e) Außervertragliche Bedingungen des Interesses an Gegenseitigkeit aa) Grundsätzliches Den zuletzt beschriebenen völkerrechtspolitischen Faustregeln gegenüber sind allerdings bedeutsame Differenzierungen am Platze. Zum ersten sind sie lediglich auf solche Verträge anwendbar, deren Wesen und Zweck überhaupt in einer gegenseitigen Begünstigung der Vertragsparteien liegt. Die sich daraus ergebenden Ausnahmen sind bereits1 erwähnt worden und werden uns alsbald eingehend beschäftigen2 • Zum zweiten lassen sie gewisse außerrechtliche Umstände unberücksichtigt. So die vorhin geschilderten Schwierigkeiten, trotz - und gerade wegen - der Verschiedenheiten in den vertragsrelevanten faktischen Positionen der Vertragsparteien über die -für die Effektivität vergleichsweise unbedeutende - normative Symmetrie der Vertragspflichten hinaus zu deren Äquivalenz in tatsächlicher Hinsicht zu gelangen. Derartige außerrechtliche Bedingungen beeinflussen aber nicht nur das Zustandekommen, sondern auch die Erfüllung völkerrechtlicher Verträge und die die Erfüllung begleitenden Interessenlagen. Sie lassen sich positiv, d. h. unter dem Gesichtspunkt einer möglichst großen Effektivität vertraglicher Normen, mit dem Schlagwort "Gleichgewicht" umschreiben: Die stützende Funktion der Reziprozitätserwartung hat in einem beträchtlichen Teil ihres Wirkungsbereiches3 ein gewisses Maß an faktischer Ausgewogenheit des Sanktionspotentials, also der gegenseitigen Möglichkeiten, auf Normverletzungen zu reagieren, zur unabdingbaren Voraussetzung. bb) Symmetrie der Normen- Asymmetrie der Anwendungssituation Dieses Gleichgewicht, das gegenseitige "Reagieren-Können", kann einmal von der Situation abhängen, in der die zu untersuchenden vertragsvölkerrechtlichen Normen Anwendung finden sollen. Auch hier soll das völkerrechtliche ius in bello als Beispiel dienen: Seine Respektierung ist in einem Konflikt internationalen Charakters - und hier wiederum um so eher, je ausgewogener sich das Kräftepotential zwischen den Gegnern darstellt - ohne jeden Zweifel in größerem Maß gesichert', als etwa in Bürgerkriegssituationen, zu denen der amerikanische Politik1 2

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4

Oben S. 53, 62 f ., 68 f . Vgl. Unterabschnitt 3 und S. 297 ff. Siehe unten S. 145 ff. Vgl. Schindter (jun.), a. a. 0.

2. Verträge zur Regelung gegenseitiger Beziehungen

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Wissenschaftler Stanley Hoffmann sehr treffend ausführte: "These wars happen to be particularly hard to regulate because the traditional grip of internationallaw - interest in reciprocity- is here so hard to apply. Conventional wars are, to a large extent, symmetrical, unconventional war is not 5 ." So war etwa dieselbe Vereinigte Arabische Republik, die sich nicht gescheut hatte, im Bürgerkrieg im Yemen Giftgas gegen die royalistische Zivilbevölkerung einzusetzen6 , während und nach dem sog. "Sechs-Tage-Krieg" mit Israel sehr wohl auf die genaue Einhaltung des ius in bello, insbesondere der Genfer Rotkreuzkonvention en, bedacht7. Derartige Beobachtungen enthalten unter der Perspektive der Völkerrechtsentwicklung ein sehr beunruhigendes Element, wird doch das Konfliktsbild heute in immer steigendem Maße von dem Syndrom des "internationalen Bürgerkrieges" 8 geprägt: von Auseinandersetzung en zwischen geteilten Staaten als (mehr oder weniger) befriedeten de factoRegimes i. S. Froweins 9, von kolonialen Befreiungskriegen und von Interventionen dritter Staaten in als "echte" Bürgerkriege entstandenen bewaffneten Konflikten. An der mangelnden Angriffsfläche dieser Ausgangslagen für eine entscheidende moderierende Wirkung des Reziprozitätselementes wird auch durch die gegenwärtigen Bemühungen um eine Anpassung des humanitären Kriegsrechts, insbesondere über den Schutz der Zivilbevölkerung, an die geänderten Verhältnisse10 nur wenig geändert werden können. 5 Hoffmann, Festschrift für Leo Gross, S. 43; vgl. auch Falk, The Role of Domestic Courts in the International Legal Order, S. 46 f.; derselbe, Einleitung zu Falk (Hrsg.), The International Law of Civil War (1971), S. 7: "Civilwar situations exhibit very weak links of reciprocity under many circumstances"; FaTeT, IC, S. 48. Die Ansicht, daß "imperatives of reciprocal restraint" die Art und Weise der US-Kriegführung in Korea und Vietnam entscheidend beeinflußten, findet sich bei Osgood- TuckeT, Force, Order, and Justice (1967), s. 185 ff. 6 Vgl. etwa die Mitteilung des IKRK vom 2. Juni 1967, wiedergegeben im AdG 37 (1967), S.13221, Anm. 7, und in allgemeinerem Zusammenhang Boals, The Relevance of International Law to the Interna! War in Yemen, in: Falk (Hrsg.), The International Law of Civil War, S. 303 ff. 7 Laut Meldung der NZZ vom 12. November 1967 (S. 2) härten die ägyptischen Bombenangriffe unter Verwendung von Giftgas an dem Morgen auf, an dem die Israelis die ägyptischen Militärflugplätze angriffen. 8 Siehe SchindleT (jun.), S. 93 ff. 9 Vgl. oben d, Anm. 49. 10 Etwa auf der durch das IKRK einberufenen (ersten) Expertenkonferenz über die Bekräftigung und Entwicklung des in bewaffneten Konflikten anwendbaren humanitären Völkerrechts (Genf, 24. Mai-12. Juni 1971); siehe Report on the Work of the Conference (Genf, August 1971). Vgl. dazu Haug, Der Schutz des Menschen bei bewaffneten Konflikten, NZZ v. 28. März 1971, S. 3; weiters NZZ vom 14. Mai 1971, S. 4, vom 6. Juni 1971, S. 2, vom 14. Juni 1971, S. 3 f., vom 20. August 1971, S. 5; AdG 41 (1971), S. 16343 f. Falk (Einleitung zu The International Law of Civil War, S. 9) sieht allerdings "potential areas of

136

C. II. Erwartung und Verwirklichung der Gegenseitigkeit

Die Symmetrie oder Asymmetrie der Konfliktssituation, die das Gegebensein oder Fehlen einer subjektiven Äquivalenz der vertraglichen Einschränkungen und damit die normstabilisierende Wirkung der Reziprozitätserwartung bedingt, ist ferner - auch in internationalen, "klassischen", militärischen Auseinandersetzung en - das Resultat eines Vergleichs der humanitären Haltung der Konfliktsparteien. Bewertung der Gegenseitigkeit und Bewertung des menschlichen Lebens in seiner Integrität können hier erschreckende Kombinationen eingehen. Sie sind u. a. von Levie angedeutet worden11 : Eine Konfliktspartei schätzt etwa die humanitäre Haltung ihres Gegners so hoch ein, daß sie glaubt, ihm gegenüber auch das völkerrechtlich normierte "ethische Minimum", z. B. in der Behandlung von Kriegsgefangenen und Internierten, unterschreiten zu können, ohne daß sich der Gegner, in den Worten von Schwarzenberger, auf eine "competition in barbarism" einlassen wird - "which is", wenigstens in den Augen eines US-Beobachters, "what has actually occurred in both Korea and Vietnam" 12• Oder: Vorstellungen negativer Reziprozität lassen das Vorgehen einer Konfliktspartei gegenüber gefangengenommene n Angehörigen der gegnerischen Streitkräfte deswegen unberührt, weil dieser Partei der Standard der Behandlung ihrer eigenen in Gefangenschaft geratenen Wehrmachtsangehörigen durch den Gegner gleichgültig ist. So glaubte ein Autor die Einstellung der Sowjetunion zu ihren in deutsche Hände gefallenen Soldaten mit den Worten umschreiben zu können "that any soldier who feil into enemy hands was ipso facto a traitor and deserved no protection from his government" 13 • Das faktische Gleichgewicht, das unterstützend "hinter" der Befolgung kriegsrechtlicher Verträge steht - oder eben nicht - , kann weiters technologischer Natur sein. So wird sich eine Kriegspartei unter gewissen Umständen eher zum Einsatz eines neuen, aber gegen das Kriegsrecht verstoßenden Kampfmittels entschließen, wenn sie mit gewisser Sicherheit annehmen kann, daß der Gegner über eine gleiche oder gleich-"wertige" Schädigungsmöglich keit weder verfügt, noch in absehbarer Zeit reciprocity in relation to prisoners, wounded and sick soldiers, and even to battlefield tactics". Dabei handelt es sich aber gerade um jene Aspekte der Bürgerkriegsproblema tik, in denen noch die weitestgehenden Ähnlichkeiten mit zwischenstaatlichen, symmetrischen Konflikten vorhanden sind. 11 Vgl. oben S. 106 ff. 12 Levie, S. 365. Vgl. auch Kalshoven, Belligerent Reprisals, S. 214. 13 Dallin, German Rule in Russia (1957), S. 420. Vgl. Levie, S. 364, Anm. 19: "Many persons continue to believe that most of the Soviet soldiers who were repatriated to Russia from prisoner-of-war camps at the end of World War II were either executed or were sent to Siberia and that the knowledge of the fate which awaited them was the cause of the wave of suicides which occurred in the camps after the fall of Germany. Some sought and obtained asylum in Switzerland."

2. Verträge zur Regelung gegenseitiger Beziehungen

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verfügen wird, und umgekehrt. Die negativen Auswirkungen einer waffentechnischen Ungleichheit der Kräfte werden sich in Bürgerkriegssituationen durch die dort vorliegende grundsätzliche Asymmetrie der Situation der Normadressaten noch verschärfen14 • Aber auch der Erosionsprozeß, dem etwa ein guter Teil des Seekriegsrechts in den beiden Weltkriegen ausgesetzt war, stellt im Grunde nichts anderes dar als eine durch rüstungstechnische Asymmetrie bedingte Konsequenz der mangelnden Angriffsfläche von Reziprozitätskalkulationen. Und Stanley Hoffmann führt in einer frühen Untersuchung vielleicht etwas zu summarisch, aber doch im Kern zutreffend wie folgt aus: « L'Allemagne de 1915 pouvait sans crainte de represailles equivalentes se livrer a la guerre sous-marine; celle de 1939 pouvait presque impunement recourir au Blitzkrieg aerien; celle de 1940-43 pouvait sans danger violer les regles relativesau traitement des civils; les Allies ne risquaient rien en employant la bombe atomique. Les regles de droit n'ont surve> In dem Maß aber, in dem sich das beiderseitige Kräfteverhältnis- und damit auch die "bargaining power" - in der Folge dann wieder ausgleicht, verliert der (machtmäßig) an Boden gewinnende Staat das Interesse an dem komplementär dazu gleichsam "schrumpfenden" vertragsexternen quid pro quo. Dieser Prozeß kann sich bis in ein Stadium fortsetzen, in dem das vertragliche Diktat durch die gänzliche Beseitigung seiner vormaligen politischen Gegenleistung untragbar wird13• In den Worten Charles De Visschers: « Le vainqueur qui se revele incapable de fonder un ordre stable reste expose aux consequences d'un renverserneut dans le rapport des forces 14 • >> « L'experience a demontre le caractere precaire des clauses conventionnelles de ce type : nees de circonstances passageres et liees un certain equilibre des forces, elles subissent des tensions qui les exposent plus que d'autres au risque de denonciation unilaterale15 • »

a

11 Zum Friedensvertrag von Versailles siehe statt aller etwa Kunz, in: Strupp, WörterbuchS. 371. 1 2 Dupuy, Annuaire AAA, S. 12. 13 Vgl. dazu Schwarzenberger, The Frontiers of International Law, S.128 f.; Henkin, How Nations Behave, S. 77 ff.; Kaplan- Katzenbach, The Political Foundations of International Law (1961), S. 24 f., 244; Anand, Atti-

tudes of the Asian-African States Toward Certain Problems of International Law, ICLQ 15 (1966), S. 67 f. (mit Beispielen); Stone, De Victoribus Victis: The International Law Commission and Imposed Treaties of Peace, VJIL 8 (1967/1968), S. 356 ff.; derselbe, Approaches to the Notion of International Justice, in: Falk - Black (Hrsg.), The Future of the International Legal Order, Bd. I: Trendsand Patterns (1969), S. 39 ff. 14 Charles De Visscher, S. 314. 15 Ebd., S. 415. Vgl. auch den folgenden sowjetischen Kommentar [in: International Affairs (Moskau), December 1961, S. 111]: "In relations between capitalist states, peace treaties as a rule are a means for the legal formalising of annexations, redivision of markets, sources of raw materials, spheres of influence, etc. Such peace treaties, far from removing the contradictions between the imperialist states, on the contrary aggravate them and actually turn the peace into a mere armistice until countries weakened by defeat grow strong enough to demand a return of what they bad been forced to give up. Thereby peace treaties concluded by the imperialists usually contain the embryos of fresh lsicl wars." (Hervorhebungen von mir.) Die Einschränkung dieser Beobachtungen auf vertragliche Verhältnisse zwischen Staaten des gegnerischen weltpolitischen Lagers vermag an ihrer grundsätzlichen Richtigkeit und Anschaulichkeit nichts zu ändern.

256

C. III. Gegenseitigkeit "um" völkerrechtliche Verträge

Die Bilanz der einschlägige n Staatenprax is hat so manchen Beobachter der Völkerrechts geschichte, darunter den amerikanisch en "Realisten" Corbett16 und den britischen Historiker Carr 17 , zu allzu simplifiziere nden und verallgemein ernden Urteilen über die Bestandkraf t politischer Verträge veranlaßt. Im Rahmen der vorliegenden Studie drängt ihre Analyse und Systematisie rung dagegen die folgenden völkerrechtli chen Beobachtung en auf: Konfrontier en wir zum ersten das geschilderte Verlaufsmus ter des möglichen Effektivitäts verlustes "diktierter" Friedens- und anderer Verträge mit der Entwicklung der Völkerrechts normen über die Gültigkeit von unter Zwang gegen einen Staat abgeschlosse nen Abkommen18, so stoßen wir auf einen Fall, in dem das gegenwärtig e Völkerrecht ein normatives "Ventil" geschaffen hat, durch das die in diesem Prozeß zu beobachtend e Spannung zwischen Recht und sozialer Wirklichkeit unter gewissen Voraussetz ungen- nämlich einem bestimmten Intensitätsgr ad des bei Vertragsabsc hluß angewendete n Druckes - auf legale Art und Weise abgebaut werden kann. Denn nach klassischem Völkerrecht war die zwischenstaa tliche Gewaltanwe ndung grundsätzlic h erlaubt und in Konsequenz dessen die Früchte dieser Gewaltanwe ndung, die unter kriegerische m Zwang zustande gekommenen Verträge, voll gültig. Setzte nun die eingangs geschilderte Verschiebun g des politischen und militärischen Kräfteverhä ltnisses ein und wurde dem Revisionsbeg ehren des wieder erstarkenden Abkommens partners nicht oder nicht rechtzeitig stattgegeben , so mußte sich die Spannung zwischen dem vertraglich verhärteten Status quo und der neuen Relation in der "bargaining power" der Vertragsstaa ten schließlich dadurch Luft machen, daß sich der benachteiligte Partner - entweder unter bedenklich "großzügiger " Her16 "Philosophers like Pufendorf and statesmen like Frederick the Great and Bismarck: have agreed with such brigand-dicta tors as Hitler and MussoUni that only fools attach any validity to treaties once the balance of interests and of power that fixed their terms has altered." Corbett, The Study of International Law (1955), S. 26. 17 "Stronger States will insist on the sanctity of the treaties concluded by them with weaker States. Weaker States will renounce treaties concluded by them with stronger States so soon as the power position alters and the weaker State feels itself strong enough to reject or modify the obligations." Carr, The Twenty Years' Crisis 1919-1939 (2. Aufl. 1946), S. 190. Siehe jüngst auch BeHenson, The Treaty Trap. A History of the Performance of Political Treaties by the United States and European Nations (1969) jvgl. die kritische Besprechung durch Briggs, AJIL 64 (1970), S. 733j. 18 Vgl. dazu insbesondere die in Anm. 13 angeführten Untersuchung en von Stone; weiters etwa Verdross, Völkerrecht (5. Aufl.), S. 168 ff.; Dahm, Völkerrecht, Bd. III, S. 39 ff.; Guggenheim, S. 191 ff.; Bothe, Consequences of the Prohibition of the Use of Force. Comments on Arts. 49 and 70 of the ILC's 1966 Draft Articles on the Law of Treaties, ZaöRV 27 (1967), S. 507 ff. und die dort genannte umfangreiche weitere Literatur.

2. Die möglichen Formen vertragsexterner Gegenseitigkeit

267

anziehung an sich völkerrechtlich anerkannter Vertragsauflösungsgründe oder schlicht und einfach auf dem Wege eines offenen Vertragsbruchs- von dem betreffenden Abkommen löste; eine Vorgangsweise, deren Legalität von den anderen Staaten meist mehr oder weniger heftig, mehr oder weniger ohnmächtig, aber jedenfalls grundsätzlich bestritten wurde. In summa: Die damalige völkerrechtliche lex lata versuchte unserem soziologisch-politischen Verlaufsmuster einen normativen Riegel zugunsten der Status quo-Mächte vorzuschieben- ein Unterfangen, das zwar wenig Erfolg in der Sache selbst, dafür aber eine tiefgehende Desavouierung der betreffenden Vertragsnormen und ihrer Effektivität nach sich zog19 • Das gegenwärtige Völkerrecht hat diese Schranke und die damit verbundene Problematik weitgehend beseitigt. In Konsequenz seines umfassenden Verbotes zwischenstaatlicher Gewaltanwendung ist- jedenfalls der militärische20 - Zwang im Zustandekommen völkerrechtlicher Verträge rechtserheblich geworden: er stellt dem dadurch benachteiligten Abkommenspartner heute einen im Prinzip, wenn auch nicht im Umfang allgemein anerkannten und auch in der Wiener Konvention (Art. 52) verankerten Rechtsgrund für die Vernichtbarkeit des Vertrages zur Verfügung. Damit hat aber der soziologisch-politisch bedingte Mangel an Bestandkraft aufoktroyierter Verträge eine rechtliche Sanktionierung erfahren, die sich in vollständiger Harmonie mit den tatsächlichen Gegebenheiten der internationalen Beziehungen zu halten vermag. Denn solange der benachteiligte Partner eines Vertrages ohne inhaltliche Gegenseitigkeit seinen Kontrahenten machtmäßig unterlegen ist, bleibt der Ungültigkeitsgrund "völkerrechtswidriger Zwang gegen einen Staat" für ihn toter Buchstabe, weil er ja keine Möglichkeit hat, die durch das Vorliegen dieses Willensmangels berechtigteVertragsaufhebung mit ex-tune-Wirkung (Art. 69 der Konvention) auch tatsächlich durchzusetzen21 • Ist die geschilderte Verschiebung im Kräfteverhältnis 19 Vgl. die oben Anm. 16 und 17 wiedergegebenen Äußerungen Carrs und Corbetts. 20 Vgl. oben S. 243. 21 Vgl. Stone, VJIL S. 357: "Apart from anything which the law might do . . ., the equitable revision of the terms even of a treaty of peace imposed by a victorious 'aggressor' must wait until the power relations of victor and vanquished have changed. This may take only a few years, as when Italy was expelled from Ethiopia and Germany from Sudetenland and Czechoslovakia on their defeat in World War II; or it may take generations, as did the liberation of Poland from the partitioning Powers in World War I; or it may remain uncertain into our own times, as with the Soviet seizure of the Baltic States and of paramountcy over Finland early in World War II. What happens and how long it takes, is a function of changing power relations." Der Verfasser ist sich übrigens bei seinen Formulierungen im Text durchaus bewußt, daß die Wahl des völ-

17 Siroma

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C. III. Gegenseitigkeit "um" völkerrechtliche Verträge

der beteiligten Staaten aber einmal eingetreten, so kann der vertraglich Benachteiligte zur Bereinigung der für ihn politisch untragbar gewordenen Situation schreiten, ohne- wie früher- das Völkerrecht strapazieren zu müssen: befreit er sich von den Bindungen an ein seinerzeit durch militärischen Druck "diktiertes" Abkommen, so präsentiert sich diese Vorgangsweise nicht mehr als Angriff gegen den Grundsatz der Unauflöslichkeit völkerrechtlicher Verträge, als Gefährdung der Stabilität der internationalen Rechtsbeziehungen, sondern im Gegenteil grundsätzlich positiv als Beseitigung eines völkerrechtlichen scandalum, als kerrechtlichen Terminus für die Konsequenzen u. a. rechtswidrigen Zwanges bei Vertragsabschluß (Nichtigkeit, Vernichtbarkeit, Anfechtbarkeit u. ä.) während der Entstehungsgeschichte der Wiener Konvention, insbesondere aber auf der Wiener Konferenz, ein schwieriges Problem darstellte (vgl. statt aller Fischer - Köck, ÖJZ, S. 509 f. und Anm. 64 f.); dies jedoch weniger aus völkerrechtsdogmatischen als aus politisch-emotionalen Gründen, die nun einmal eine Kodifikation gewisser brisanter Materien sine ira et studio unmöglich machen. Die Formulierung von Art. 52 bildet ein eindrückliches Beispiel dafür: Nach dieser Bestimmung soll ein unter völkerrechtswidrigem Zwang gegen einen Staat zustandegekommenes Abkommen "void", also nichtig sein [so auch schon die ILC; vgl. aus dem Kommentar zu Draft Article 49, Bericht 1966, YBILC 1966 II, S. 247: "The Commission further considered that a treaty procured by a threat or use of force in violation of the principles of the Charter must be characterized as void, rather than as voidable at the instance of the injured party. The prohibitions on the threat or use of force contained in the Charter are rules of international law the observance of which is legally a matter of concern to every State. Even if it were conceivable that after being liberated from the influence of a threat or of a use of force a State might wish to allow a treaty procured from it by such means, the Commission considered it essential that the treaty should be regarded in law as void ab initio." (Hervorhebungen von mir.)] Vor dem Hintergrund des heute gerade seitens der afro-asiatischen und kommunistischen Staaten energisch verteidigten Prinzips der (individuellen) Selbstbeurteilung völkerrechtlicher Situationen einerseits und des im Text beschriebenen soziapolitischen Verlaufsmusters andererseits muß aus dieser Nichtigkeit in praxi aber ganz notwendig eine Vernichtbarkeit oder Anfechtbarkeit eines erzwungenen Vertrages werden (vgl. auch Art. 42 der Wiener Konvention). Die Alternative dazu hätte eine Situation zur Folge, in der etwa dritte Staaten auch Verträge als nichtig (und die daraus resultierenden Situationen als nicht existent) betrachten dürften, an welchen die Vertragsparteien - der ursprünglich rechtswidrig gezwungene Partner nunmehr aus freiem Willen - nach wie vor festhalten (wollen). Die Regelung der Wiener Konvention weist aber auch schon in der hier vertretenen gemäßigten Deutung beunruhigende Aspekte auf : Nach dem Wortlaut der Verfahrensvorschriften zu Teil V, also auch zu Art. 52, soll nicht nur dem seinerzeit rechtswidrig zum Vertragsabschluß gezwungenen, sondern jedem Partner eines multilateralen Abkommens das Recht zustehen, einen Grund "for impeaching the validity of a treaty" geltend zu machen (vgl. Art. 65). Diese Auslegung wird durch den gerade wiedergegebenen Kommentar der ILC unmißverständlich bestätigt. Ein derartiger "community interest" an gegenseitiger Ungezwungenheit lädt jedoch zu untragbarer Bevormundung durch dritte (und mächtigere) Staaten geradezu ein und schüttet damit gleichsam das Kind mit dem Bade aus. Vgl. auch schon Simma, ÖZöffR, S. 80 und offenbar gleicher Ansicht Mosconi, DI, S. 278.

2. Die möglichen Formen vertragsexterner Gegenseitigkeit

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Eliminierung der Folgen von Völkerrechtsverletzungen gravierendster Natur. Ob die damit beschriebene Änderung der rechtlichen Qualifizierung durch militärischen Zwang aufoktroyierter Verträge einen echten völkerrechtspolitischen Fortschritt insbesondere im Sinne einer Friedensförderung darstellt oder nicht, steht allerdings auf einem anderen Blatt22 • Unsere zweite Beobachtung zur Pathologie "diktierter" Verträge ohne Gleichgewicht inhaltlicher Vorteile und Lasten steht in engerem systematischem Zusammenhang mit der in der vorliegenden Arbeit entwickelten Theorie der Gegenseitigkeit in und um völkerrechtliche Verträge. Sie hat gewisse Regelmäßigkeiten zum Gegenstand, die durch eine Analyse der Staatenpraxis zwischen der Erscheinungsform des Mangels an Reziprozität in solchen aufoktroyierten Abkommen einerseits und andererseits der völkerrechtlichen Argumentationsweise derjenigen Vertragsparteien nachweisbar sind, die sich - gestützt auf einen entscheidenden Zuwachs an "bargaining power" - später wieder davon zu lösen beabsichtigen. Dabei soll nicht von dem Katalog grundsätzlicher Möglichkeiten die Rede sein, deren Gebrauchnahme das positive Völkerrecht der einvernehmlichen Parteiendisposition anheimstellt, um Mängel bzw. Störungen vertraglicher Gegenseitigkeit beheben zu können; wie etwa Revisions- und Kündigungsklauseln, Befristungen, Verzicht, peaceful change im Rahmen internationaler Organisationen und sämtliche Methoden friedlicher Streiterledigung. Unsere Untersuchung hat viel22 Vgl. die scharfe Kritik Stones, ebd., S. 373, an Draft Article 49 im Entwurf 1966 der International Law Commission (dem heutigen Art. 52 der Wiener Konvention; siehe dazu auch oben S. 243): "Over-all prospects for article 49 of the International Law Commission's Draft seem ..., to amount to this. In the absence of any means of third party determination whether the preceding resort to force was unlawful on the part of the victor or on that of the vanquished, this rather oracular version. . . Ifrüherer Formulierungsvorschläge I ... may well win state acceptance. It has then to be expected, however, that even in cases where it is postulated that it was the victor whose use of force was unlawful, the article will provide no real relief for the vanquished state, unless that state is also somehow placed de facto in a position to raise and give effect to the plea of voidity. Article 49 suggests no means of bringing this about which was not already available. On the other hand, for treaties ernerging after armed struggles in which it is the vanquished rather than the victor state which unlawfully resorted to force, article 49 would be likely to create additional psychological obstacles to the achievement of a just and stable settlement. Since its applicability to a given situation is left to each state's unilateral appreciation, the delinquent and now vanquished state would undoubtedly seek to use it to justify renewed designs for another round of unlawful resort to force, instead of sincerely searching for a basis of settlement by negotiation."

17°

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C. III. Gegenseitigkeit "um" völkerrechtliche Verträge

mehr die Begründungen im Auge, mit denen die einseitige Lösung von einem seinerzeit mehr oder weniger "diktierten" Vertrag ohne inhaltliche Gegenseitigkeit versucht wird. An erster Stelle zu nennen ist in diesem Zusammenhang die Argumentation Rußlands, mit der es sich am 31. Oktober 1871 von den Bestimmungen des Pariser Friedens vom 30. März 1856 über die Neutralisierung des Schwarzen Meeres und die Beschränkungen der russischen Streitkräfte an dessen Küsten lossagte23 • In seiner Zirkularnote an die übrigen Signatarmächte des Pariser Friedens (Frankreich, Großbritannien, Österreich, Preußen, Sardinien und Türkei) 24 wies der russische Außenminister, Fürst Gortschakow, auf die Veränderungen hin, denen die völkerrechtlichen Grundlagen des Gleichgewichts der Kräfte in den der russischen Initiative vorangehenden Jahren unterworfen worden waren. Die von dieser Initiative tangierten Bestimmungen des Pariser Friedens seien aber auch von Anfang an ungerecht, widerspruchsvoll und politisch unvernünftig25 gewesen und gefährdeten wesentliche Sicherheitsinteressen Rußlands. Außerdem sei das Abkommen zu wiederholten Malen und in beträchtlichem Ausmaß von anderen Parteien verletzt worden. Unter anderem hieß es in der Note wörtlich: « Les alterations successives qu'ont subies, durant ces dernieres annees, les transactions considerees comme le fondement de l'equilibre de l'Europe, ont place le Cabinet Imperial dans la necessite d'examiner les consequences qui en resultent pour la position politique de la Russie.

Parmi ces transactions celle qui l'interesse le plus directement est le Traite du 18/ 30 Mars 1856. La Convention speciale entre les deux riverains de la Mer Noire, formant annexe a ce Traite, contient de la part de la Russie l'engagement d'une limitation de ses forces navales jusqu'a des dimensions minimes. 23 Zum Pariser Frieden vgl. statt aller Rönnefahrt, S. 315 ff.; zu seiner Vorgeschichte vgl. ebd., S. 303 ff. Zu dem russischen Vorgehen im Jahre 1871 siehe Erich Kaufmann, Das Wesen des Völkerrechts und die Clausula rebus sie stantibus (1911), S. 12 ff., wo auf S. 12, Anm. 2, eine umfassende Übe rsicht über die älteren literarischen Kommentierungen dieses Falles gegeben wird. Vgl. weiters etwa Hall, A Treatise on International Law (8. Aufl., hrsg. von Riggins 1924), S. 409 ff.; jüngst Sinha, S. 120 ff. 24 Der Wortlaut der Note findet sich bei Strupp, Urkunden zur Geschichte des Völkerrechts (1911), Bd. I, S. 283, Anm. 1. 25 In diesem Zusammenhang ist es interessant, daß kein anderer als der de facto Hauptverantwortliche für die Redigierung dieser Bestimmungen, Lord Palmerston, bemerkt hatte, sie würden wohl keine zehn Jahre eingehalten werden. Vgl. Gooch- Ward, The Cambridge History of British Foreign Policy 1815-1866 (1923), Bd. III, S. 45. Vgl. auch Sinha, S. 148, Anm. 3.

2. Die möglichen Formen vertragsexterner Gegenseitigkeit

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En retour, ce Traite lui offrait le principe de la neutralisation de cette mer. Dans la pensee des Puissances signataires, ce principe devait ecarter toute possibilite de conflits, soit entre les riverains, soit entre eux et les Puissances maritimes. 11 devait augmenter le nombre des territoires appelees par un accord unanime de l'Europe a jouir des bienfaits de la neutralite et mettre ainsi la Russie elle-meme a l'abri de tout danger d'aggressions. L'experience de 15 annees a prouve que ce principe, duquel depend la securite de toute l'etendue des fronW~res de !'Empire Russedans cette direction, ne repose que sur une theorie ... Le Traite du 18/30 mars 1856 n'a d'ailleurs pas echappe aux derogations dont la plupart des transactions europeennes ont ete frappees et en presence desquelles il serait difficile d'affirmer que le droit ecrit, fonde sur le respect des traites comme base du droit public et regle des rapportsentre les Etats, ait conserve la meme sanction morale qu'il a pu avoir en d'autres temps ... A plusieurs reprises et sous divers pretextes, l'acces des detroits a ete ouvert a des navires de guerre etrangers et celui de la Mer Noire a des escadres entieres26, dont la presence etait une atteinte au caractere de neutralite absolue attribue a ces eaux ...

A mesure que s'affaiblissaient ainsi les gages offerts par le Traite et notamment les garanties d'une neutralite effective de la Mer Noire, l'introduction des bätiments cuirasses, inconnus et non prevus lors de la conclusion du Traite de 1856, augmentait pour la Russie les dangers d'une guerre eventuelle, en accroissant, dans des proportians considerables, l'inegalite deja patente des forces navales respectives. Dans cet etat de choses, Sa Majeste l'Empereur a du se poser la question de savoir: quels sont les droits et quels sont les devoirs qui decoulent, pour la Russie, de ces modifications dans la situation generale et de ces derogations a des engagements auxquels elle n'a pas cesse d'etre scrupuleusement fidele, bien qu'ils fussent conc;us dans un esprit de defiance a son egard. 26 Vgl. zu dieser Behauptung den Kommentar Halls, S. 411: '"Whole squadrons' had not been admitted into the Black Sea, but in the course of fifteen years three American vessels, one Russian, one English, one French, and three of other nations had apparently been allowed to enter ... There can be no question that in strictness a breach of the treaty had been committed; but there can be equally little doubt that the admission of a few isolated ships at different times was not an act in itself calculated to endanger the objects of the treaty ..."

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C. III. Gegenseitigkeit "um" völkerrechtliche Verträge

A la suite d'un mur examen de cette question, Sa Majeste Imperiale est arrivee aux conclusions suivantes ... » !Es folgt die Bekanntgabe des russischen Rücktritts von den Neutralisierungs- und Rüstungsbestimmungen des Pariser Friedens

I.

Als nächstes und politisch noch spektakuläreres Beispiel sei die am 16. März 1935 erfolgte Aufkündigung der Abrüstungsbestimmungen in Teil V des Friedensvertrages von Versailles vom 28. Januar 1919 durch das Deutsche Reich angeführt27 • An diesem Tag verkündete die deutsche Reichsregierung ein Gesetz, durch das- im Widerspruch zu den Normen des Versailler Vertrages - die allgemeine Wehrpflicht eingeführt und die Friedensstärke des deutschen Heeres wesentlich erhöht wurde. Dem Gesetzestext ging ·eine Proklamation voran28 , in der die Reichsregierung ausführte, daß Deutschland seine aus diesem Vertrag resultierenden Abrüstungspflichten "geschichtlich beispielslos" 29 erfüllt habe. Demgegenüber hätte die andere Seite ihrerseits nichts unternommen, um das von ihr in der Präambel zu Teil V des Friedensvertrages von Versail1es abgegebene Abrüstungsversprechen einzulösen, im Gegenteil. Das bedeute aber: "Die hohen Vertragschließenden der ehemaligen Siegerstaaten haben sich einseitig von den Verpflichtungen des Versailler Vertrages gelöst30 !" "Unter diesen Umständen sah sich die deutsche Regierung veranlaßt, von sich aus jene notwendigen Maßnahmen zu treffen, die eine Beendigung des ebenso unwürdigen wie letzten Endes bedrohlichen Zustandes der ohnmächtigen Wehrlosigkeit eines großen Volkes und Reiches gewährleisten konnten31 ." "Die deutsche Regierung muß . .. zu ihrem Bedauern ersehen, daß ... eine sich fortgesetzt steigernde Aufrüstung der übrigen Welt statt27 Vgl. dazu statt aller Sinha, S. 144 ff.; Garner- Jobst, The Unilateral Denunciation of Treaties by One Party Because of Alleged Non-Performance by Another Party or Parties, AJIL 29 (1935), S. 569 ff.; Bayer, S. 23 f. 28 Die Texte finden sich in der ZaöRV 5 (1935), S. 334 ff. 29 Ebd., S. 336. 30 Ebd. Der betreffende Passus der Präambel zu Teil V stellte es als Ziel dieser Bestimmungen hin, "to render possible the initiation of a generallimitation of the armaments of all nations" (Vgl. RGBl. 1919 Nr. 140 S. 687). Während sich Deutschland auf den Standpunkt stellte, daß daraus eine konkrete beiderseitige Abrüstungsverpjlichtung resultiere, vertraten Großbritannien und Frankreich die Auffassung, aus diesen Worten der Präambel könnten keine reziproken Rechtspflichten, sondern eben nur "object or reason" der deutschen Rüstungsbeschränkungen entnommen werden. Vgl. Sinha, S. 144 f.; Garner- Jobst, S. 574; Dahm, Völkerrecht, Bd. III, S. 6 f.; McNair, The Law of Treaties, S. 572 f.; Bruns, Deutschlands Gleichberechtigung als Rechtsproblem (1935); Aall- Tjönö, Vertragsbruch und Vertragstreue: Rechtliche Betrachtungen zum Versailler Vertrag und zum Vertrag von Locarno, ZV 20 (1936),

s. 142 ff. 31 ZaöRV 1935, S. 337.

2. Die möglichen Formen vertragsexterner Gegenseitigkeit

263

findet ... !Siel empfindet es unter diesen Umständen als eine Unmöglichkeit, die für die Sicherheit des Reiches notwendigen Maßnahmen noch länger auszusetzen oder gar vor der Kenntnis der Mitwelt zu verbergen32." Ein gutes Jahr darauf löste sich Österreich mit ganz ähnlichen Argumenten von den analogen Bestimmungen des Teiles V des Staatsvertrages von Saint-Germain und ging zur allgemeinen Dienstpflicht über33. Zusätzlich führte es aus, es sei hinsichtlich der Wahrung seiner Unabhängigkeit einer Verpflichtung ohne Gegenleistung der Vertragspartner unterworfen34. Diese Verpflichtung stelle einen der Grundpfeiler der europäischen Ordnung dar. Wenn Österreich angesichts der von ernsten Gefahren bedrohten Weltlage dafür Sorge trage, nötigenfalls alles in seinen Kräften Stehende zur Wahrung seiner allseitigen Unabhängigkeit beitragen zu können, so erfülle es damit nur gewissenhaft die wesentlichste Bestimmung des Vertrages von Saint-Germain35. Aber auch die Zeit seit Ende des Zweiten Weltkrieges hat überaus anschauliche Beispiele für das hier untersuchte Verlaufsmuster der Lösung von solchen völkerrechtlichen Verträgen gesehen, die für eine der Abkommensparteien durch Veränderung der - ursprünglich vertragsstützenden- politischen Situation untragbar wurden. So sei einmal auf die Begründung hingewiesen, mit der Albanien im Gefolge der Invasion der Tschechoslowakei im August 1968 seinen Austritt aus dem Warschaupakt erklärte36 . Diese Erklärung erfolgte zum einen in einer Rede des Vorsitzenden des Ministerrates vor der albanischen Volksversammlung am 12. September 1968. Der Vorsitzende führte in ihrem Verlauf aus: "Der Warschauer Vertrag ist aus einen Vertrag zur Verteidigung gegen die imperialistische Aggression zu einem Vertrag der Aggression gegen die sozialistischen Länder selbst umgewandelt worden ... Die Aggression gegen die Tschechoslowakei und die Besetzung des Landes durch die sowjetischen Revisionisten und ihre Satelliten haben alle korrekten Prinzipien und Ziele, die der Vertrag bei seiner Gründung vor 13 Jahren aufstellte, endgültig begraben. Diese schändliche AggresEbd., S. 338. 33 Vgl. Rousseau, Principes generaux du droit international public, S. 547; Keesings Archiv der Gegenwart 6 (1936), S. 2540 D. 34 Vgl. dazu oben II 2 f, Anm. 35. u Keesings Archiv der Gegenwart 1936, S. 2540 D. 38 Vgl. SchweZb, Fundamental Change of Circumstances, ZaöRV 29 (1969), S. 44 und die Dokumentation von Haefs, Die Ereignisse in der Tschechoslowakei vom 27. 6. 1967 bis 18. 10. 1968. Ein dokumentarischer Bericht (1969), S. 232 f. Weiters Washburn, The Current Legal Status of Warsaw Pact Membership, The International Lawyer 5 (1971), S. 129 ff. 32

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sion hat den Warschauer Vertrag zu einem Instrument der Versklavung gemacht, zu einem aggressiven Pakt in den Händen der sowjetischen Revisionistenclique, mit dem sie ihre chauvinistische Großmachtpolitik zur Unterdrückung der Freiheit der Völker und zur Versklavung aller Mitgliedsländer dieses Vertrages durchführen will ...37" Am 13. September 1968 verabschiedete die Volksversammlung einstimmig ein Gesetz über den Austritt Albaniens aus dem Warschaupakt, in dem es u. a. heißt, der albanische Rücktritt vom Vertrag geschehe "angesichts der Tatsache, daß der Vertrag im Hinblick auf die Volksrepublik Albanien ... von der Regierung der UdSSR und den Regierungen der anderen Mitgliedsländer gröblich und systematisch verletzt worden ist, daß die gesamte Tätigkeit der Regierung der UdSSR und der Regierungen der anderen ihr folgenden Mitgliedsländer des Vertrages zum Schaden der grundlegenden Interessen der Völker und in offenem Gegensatz zum gesamten Geist des Vertrages von den auf die Weltherrschaft ausgerichteten imperialistischen Zielen der sowjetisch-amerikanischen Kollaboration ausgeht . ..38 " Aus allerjüngster Vergangenheit ist in unserem Zusammenhang schließlich der am 19. April 1969 erfolgte Rücktritt des Iran von dem am 4. Juli 1937 zwischen dem Iran und dem Irak abgeschlossenen Vertrag über die Grenzziehung zwischen diesen beiden Staaten und die Regelung der Schiffahrt auf der Schatt-el-Arah-Wass erstraße zu nennen39 • Die Maßnahme des Iran wurde zum ersten Mal durch den stellvertretenden Außenminister vor dem iranischen Senat bekanntgegeben. In seiner Rede argumentierte das Regierungsmitglied u. a. wie folgt: "From the year 1316 11937 unserer Zeitrechnung! when the Frontier Treaty between Iran and Iraq was concluded, the Iraqi Government never showed any inclination to bind itself to the obligations resulting from that treaty, so that the two fundamental clauses No. 4 and 5 and clause 2 of its attached protocol which refers to the joint administration of the affairs of Shat-ul-Arab, and the manner of expenditure of the revenues derived from it, have never been carried out by the lraqi Government, and the continous efforts of the Imperial Government of Iran to cause the Iraqi Government to fulfill its undertakings and the obligations emanating from it have proved ineffective, and the Iraqi Government has conducted the affairs of Shat-ul-Arab in a unilateral manner illegally keeping the administration under its own control ...40 " Deutsch bei Haefs, S. 233. Ebd. 39 Vertragstext in League of Nations Treaties Series 190, No. 4423; auch wiedergegeben in ILM 8 (1969), S. 478 ff. Zum Rücktritt des Iran vgl. die Dokumentation ebd., ferner RGDIP 74 (1970), S.171 ff.; AdG 39 (1969), S.14676 B. 4 o ILM 1969, S. 482. 37

38

2. Die möglichen Formen vertragsexterner Gegenseitigkeit

265

"Considering these matters the Iranian Government has repeatedly announced both in the Senate and the Majless, and also recently informed the Iraqi Government in writing, that, since that Government has abrogated the essential clauses of the 1316 Traty and further, since the efforts of the Imperial Government to cause the Iraqi Government to fulfill its obligations have come to no tangible result, the Imperial Government considers the 1316 Treaty as abrogated, valueless and null in accordance with the principles of internationallaw. Again it must be borne in mind that among the reasons given by the

[sie] internationallaw for the abrogation of agreements without a time

limit such as the Treaty of 1316, is the principle of Rebus Sie Stantibus. This principle is based upon the supposition that any agreement is entered into on the condition that the special situation existing in the time of the signing of that agreement remains unchanged ...

Considering the principle which has been mentioned, it must be noted that the Frontier Treaty of 1316 between Iran and Iraq was concluded in a time when the British colonial systemwas at its height of power, and was keeping Iraq under its protecting wings, using force and bringing pressure upon Iran to sign that treaty ... 41 " "At the present time when the period of colonialism has ended and the conditions prevailing in 1316, i. e. the time under which the treaty was signed, have also been changed, the effects and the results emanating from colonialism must also vanish with it42 ." In einem vom 1. Mai 1969 datierten Brief an den Präsidenten des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen führte der Vertreter des Iran bei der Weltorganisation zur Rechtfertigung des einseitigen Vorgehens seiner Regierung aus: "When the Treaty between Iran and Iraq was concluded in 1937, the position of the two parties was unequal. Iraq was the protege of the imperialist Power dominant in the region which enabled Bagdad to press Iran into accepting the iniquitious boundary provisions of Articles I and II. The only return to be received by Iran for this, a return which was little enough, was acknowledgement of its vital interest in the navigation of the Shatt-al-Arab. The acknowledgement of Iran's rights without fulfillment of the obligations to establish arrangements for their implementation was rendered illusory by this failure. The resulting position is no Ionger endurable 43 ." Ebd., S. 483 f. Ebd., S. 484. 43 Ebd., S. 491. Vgl. schließlich die Argumentation, mit der Tunesien im Mai 1964 den Vorhaltungen Frankreichs begegnete, es habe durch Erlassung eines Gesetzes 41

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C. III. Gegenseitigkeit "um" völkerrechtliche Verträge

Die Analyse dieser - im Ausmaß ihrer spezifischen Relevanz für unseren Untersuchungsgegenstand wiedergegebenen völkerrechtlichen "causes celE~bres" (im negativen Sinn) und neueren Fälle zeigt eine geradezu verblüffende Übereinstimmung in den rechtlichen Argumenten (um diesen manchmal etwas schmeichelhaften Ausdruck zu gebrauchen), mit denen lästig gewordene vertragliche Bindungen abgeschüttelt werden. Es kommt hier nämlich regelmäßig - mehr oder weniger artikuliert, mehr oder weniger explizit - zur Kumulierung zweier verschiedener Auflösungsgründe. Der vertragsmüde gewordene Staat beruft sich zum einen auf die Clausula rebus sie stantibus, macht also geltend, daß sich die Umstände, die ihn seinerzeit zur Übernahme der Vertragspflichten veranlaßten, in einem Maß verändert hätten, das die weitere Erfüllung seinerseits untragbar erscheinen läßt44 • Die Veränderung der Umstände besteht dabei de facto in nichts anderem als in der Verschiebung der Kräfterelation zuungunsten seiner ehemals überlegenen Abkommenspartner; die res non sie stantes in deren nunmehr entwerteten außervertraglichen, politischen Gegenleistungen45 • Mit der Geltendmachung des Clausula-Gedankens geht weiters regelmäßig die Berufung auf Vertragsv·erletzungen durch die Gegenseite Hand in Hand. Da die hier betrachteten Abkommen wegen des mangelnden Gleichgewichts ihrer Lasten nicht allzuviele substantielle Verpflichtungen statuieren, die von den privilegierten Parteien überhaupt verletzt werden können46 , haben diese angeblichen Vertragsbrüche meist - von den Fakten her gesehen oder in deren rechtlicher Qualifikation- recht dubiosen Charakter, ihr Vorliegen wird denn auch von den Gegenparteien üblicherweise auf das heftigste bestritten47 • Die über die Rückgewinnung landwirtschaftlich genutzten Bodens ein französisch-tunesisches Protokoll vom 2. März 1963 verletzt: Tunesien erwiderte u. a., dieses Abkommen sei zu einem Zeitpunkt abgeschlossen worden, in dem "la pression militaire fran!;aise pesait sur le pays". RGDIP 68 (1964), S. 967. 44 Vgl. auch schon oben a cc. 45 Vgl. Kaplan- Katzenbach, S. 24: "Often the only conditions which have changed are the political ones; one party has greatly increased its bargaining power." Damit verträgt sich die im Text geschilderte typische Argumentationsweise allerdings nur schlecht mit den in der Völkerrechtsdoktrin aufgestellten und in die Kodifikation des "Law of Treaties" übernommenen Voraussetzungen. Denn Art. 62 Abs. 1 der Wiener Konvention über das Recht der Verträge bestimmt. daß eine grundlegende Veränderung der Umstände gegenüber der bei Vertragsabschluß vorliegenden Situation nur dann als Rücktritts- oder Suspendierungsgrund Verwendung finden darf, wenn diese Veränderung "was not foreseen by the parties", wenn die Umstände selber .,constituted an essential basis of the consent of the parlies to be bound by the treaty" und "the effect of the change is radically to transform the extent of Obligations stilltobe performed under the treaty." 46 Vgl. oben S. 65. 47 Diese Konstellation der Staatenpraxis führte zu folgendem Kommentar der ILC zu Draft Article 57 (dem heutigen Art. 60 der Wiener Konvention

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dessenungeachtete Kumulierung des Klauselarguments mit der Stützung des Vertragsbeendigungsanspruchs auf gegnerische Abkommensverletzungen48 dürfte einmal offensichtlich auf dem - weniger von klarer juristischer Dogmatik als von politischen Erwägungen gespeisten - Gedanken einer Art völkerrechts-"prozessualen" Eventualmaxime beruhen48 , zum anderen auf der Überlegung, daß das Rücktrittsrecht wegen Vertragsverletzung durch die Gegenpartei, insbesondere aufgrund der leichteren objektiven Faßbarkeit seines Ansatzpunktes, im großen und ganzen doch bedeutend weniger Kontroversen birgt als das berühmt-berüchtigte Institut der Clausula rebussie stantibus. über das Rücktritts- und Suspensionsrecht wegen Vertragsverletzung): "State practice does not give great assistance in determining the true extent of this right or the proper conditions for its exercise. In many cases, the denouncing State has decided for quite other reasons to put an end to the treaty and, having alleged the violation primarily to provide a pretext for its action, has not been prepared to enter into a serious discussion of the legal principles involved." Report 1966, YBILC 1966 II, S. 254. Vgl. auch Simma, ÖZöffR, S. 33 ff. 48 Die Verbindung dieser beiden Rechtsgründe erfolgt - wie die Lektüre der vorhin im Wortlaut wiedergegebenen staatlichen Äußerungen zeigt oft in sehr unklaren Formulierungen. In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, daß eine derartige - wohl beabsichtigte - Vagheit der Argumentation auch der oben im Text, S. 232 f. auszugsweise zitierten Rede des südafrikanischen Verteidigungsministers vom Februar 1968 anhaftet. Allerdings handelt es sich dabei um eine Erörterung der Rechtslage aufgrund der zwischenabhängigen "Simonstown-Abkommen". Die Störung der Reziprozität in solchen Verträgen gibt der betroffenen Vertragspartei aber eine völkerrechtsdogmatisch durchaus unbedenkliche Wahl zwischen den Aufhebungsgründen der Vertragsverletzung und der wesentlichen Veränderung der Umstände (vgl. oben S. 237 f.). Typischer für unser Phänomen ist ein Statement der Sowjetunion im Committee of the Whole der Wiener Vertragsrechtskonferenz bei der Beratung von Draft Article 59 - dem nunmehrigen Art. 62 der Wiener Konvention -, in dem auf die Verbindung des Bruch- und des Klauselargumentes anläßlich des am 13. November 1918 erfolgten sowjetischen Rücktritts vom Vertrag von Brest-Litowsk ausdrücklich als Beispiel für die Zulässigkeit derartigen Vorgehens hingewiesen wurde. Vgl. Official Records, First Session,

s. 374, § 46.

Die einem beträchtlichen Teil der einschlägigen Staatenpraxis eigentümliche Vermischung des Clausula-Gedankens mit dem Prinzip inadimplenti non est adimplendum ist wohl auch dafür verantwortlich, daß ein Rezensent der Monographie von Sinha über das Rücktrittsrecht wegen Vertragsverletzungen an dieser Studie bemängelte, daß einige der von Sinha herangezogenen Fälle eher in das Anwendungsgebiet der Clausula rebus sie stantibus gehörten. Vgl. Weissberg, AJIL 62 (1968), S. 235. 49 Vgl. Erich Kaufmann, S. 10: "IIIn den Noten und Erklärungen der Staaten, die ihr Verhalten zu begründen und zu rechtfertigen unternehmen, !handelt es sichl nicht um einheitlich und geschlossen motivierte Gerichtsurteile I ... 1. sondern um Partei schriftsätze, bei denen es auch in der innerstaatlichen Praxis darauf ankommt, möglichst viel Gesichtspunkte vorzubringen, von denen der eine oder der andere durchgreifen soll, je nachdem er für den einzelnen Leser Überzeugungskraft hat."

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C. III. Gegenseitigkeit "um" völkerrechtliche Verträge

Wenn versucht werden soll, eine Art Faustregel darüber aufzustellen, welche völkerrechtlich prinzipiell anerkannten Gründe für eine einseitige Vertragslösung in der Staatenpraxis zur Beseitigung von Äquivalenzstörungen50 bzw. -mängeln herangezogen werden, so läßt sie sich nach den vorangehenden Ausführungen etwa so formulieren, daß ein (wie auch immer verursachter) Wegfall vertragsinhaltlicher Gegenseitigkeit von dem davon betroffenen Abkommenspartner meist mit der Behauptung gegnerischer Vertragsverletzungen und der Ausübung dementsprechender Leistungsverweigerungsrechte, die Beseitigung eines außerv ertraglichen quid pro quo vor allem politischer Natur dagegen mit der Geltendmachung eines Vertragslösungs- oder Revisionsanspruches wegen wesentlicher Veränderung der Umstände beantwortet wird5\ wobei es nicht selten zu einer Kumulierung der beiden Begründungen kommt. Eine erschöpfende Beurteilung der hiemit beschriebenen Praktiken unter völkerrechtsdogmatischen Gesichtspunkten würde den thematischen Rahmen der vorliegenden Arbeit überschreiten. In ihrem Kontext 50 Dieser zivilrechtliche Terminus scheint erstmalig von Dahm auf völkerrechtliche Sachverhalte angewendet worden zu sein; vgl. Völkerrecht, Bd. III, S. 151. Siehe in demselben Zusammenhang auch Dölle - Reichert Facilides - Zweigert, Internationalrechtliche Betrachtungen zur Dekaionisierung (1964), S. 66 f . 51 Vgl. auch aus den Ausführungen des US-Abrüstungsspezialisten Bunn über "possible causes of breakdown" des Atomsperrvertrages: "For many non-nuclear countries, the obligation the treaty imposes on the United States and the Soviet Union to 'pursue negotiations in good faith on effective measures relating to the cessation of the nuclear arms race .. .' is a major quid pro quo for adherence to the treaty. If there is continued nuclear stockpiling by nuclear powers and observance of the treaty by non-nuclear powers, these non-nuclear countries see the strong getting stronger and the weak getting weaker. Perhaps the primary reason they insisted upon a review conference within five years after the treaty went into force was to keep the pressure on the United States and the Soviet Union to achieve agreement ... If no real progress has been made in five years, many non-nuclear powers may attempt to use the review conference to lay the basis for their later withdrawal from the treaty. If enough countries join in this effort and then withdraw, the treaty structure would probably collapse." (Horizontal Proliferation of Nuclear Weapons, in: Boskey- Willrich, S. 34.) Und weiter: "If aggression with nuclear weapons against a non-nuclear party to the treaty occurs without an effective response by the United Nations Security Council or by a nuclear power, the aggression could bring down the treaty structure ... A quid pro quo to many non-aligned non-nuclear countries for joining the treaty was the declaration made by the three nuclear proponents of the treaty with respect to assistance to them in the event they were threatened by nuclear aggression [dazu oben b bb] ... If aggression with nuclear weapons against a non-nuclear treaty party were to occur without effective response, other non-nuclear parties might wen decide that a fundamental basis for their adherence to the treaty had been removed and that they should therefore withdraw from the treaty. While the Security Council resolution itself may not have been the basis for much reliance, it articulated an assumption that underlies the treaty . . . Enough such withdrawals would bring down the treaty."

2. Die möglichen Formen vertragsexterner Gegenseitigkeit

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ging es auch lediglich darum, aufzuzeigen, in welch unübersehbarem Kausalzusammenhan g ein Mangel an vertragsinhaltlicher Gegenseitigkeit im Sinne eines Gleichgewichts zwischen Vorteilen und Lasten einerseits und durch den Wegfall ursprünglich die Abkommenserfüllun g stützender globaler Reziprozitätskalkula tionen bedingte Versuche einseitiger Lösung von solchen "ungleichen" Verträgen andererseits stehen, bzw. von welchen völkerrechtlichen Argumenten dieses Verlaufsmuster typischerweise begleitet wird. Abschließend soll erwähnt werden, daß eine moderne Tendenz in der inhaltlichen Gestaltung gewisser hochpolitischer multilateraler Abkommen dahin geht, den geschilderten Reaktionen auf einen Wegfall des vertragsinhaltlichen Gleichgewichts der Vorteile und Lasten durch Aufnahme nach einheitlichen Mustern strukturierter Bestimmungen in den Vertragstext einen normativen Weg zu ebnen. Damit ist die berühmte "withdrawal clause" angesprochen wie sie zum ersten Mal im Moskauer Atomteststopabkomm en 1963 auftauchte (Art. IV) und seither auch im Atomsperrvertrag 1968 (Art. X), in dem am 7. Dezember 1970 von der Generalversammlun g genehmigten Entwurf für einen Vertrag über das Verbot der Anbringung von Nuklear- und anderen Massenvernichtungswaffen auf und unter dem Meeresboden (Art. VIII) 52 und zuletzt in der von der UN-Generalversamm lung am 16. Dezember 1971 genehmigten und am 10. April1972 zur Unterzeichnung aufgelegten Konvention über das Verbot bakteriologischer und toxischer Waffen (Art. XIII Abs. 2) 53 Verwendung fand. Art. IV des Atomteststopabkomm ens, der Prototyp dieser Klauseln, hat folgenden Wortlaut: "Dieser Vertrag hat unbegrenzte Geltungsdauer. Jede Vertragspartei ist in Ausübung ihrer nationalen Souveränität berechtigt, von dem Vertrag zurückzutreten, wenn sie feststellt, daß durch außergewöhnliche, den Gegenstand dieses Vertrages berührende Ereignisse eine Gefährdung der lebenswichtigen Interessen ihres Landes eingetreten ist. Sie zeigt diesen Rücktritt allen anderen Vertragsparteien drei Monate im voraus an54 ." 52 53

Vgl. ILM 10 (1971), S .115 ff. Vgl. den Konventionstext in ILM 11 (1972), S. 309 ff. und AdG 42 (1972),

s. 16954 f.; 17016. 54 Berber, Völkerrecht. Dokumentensammlung , Bd. II, S. 1888. Interessant ist, daß die britisch-amerikanischen Vertragsentwürfe für ein vollständiges Verbot von Kernwaffenversuchen und für ein Teilverbot vom 27. August 1962 als unmittelbare Vorgänger des Moskauer Atomteststopabkommens dessen Art. IV funktionell entsprechende Bestimmungen enthielten (Art. III bzw. Art. XIII), welche die oben im Text geschilderte eigenartige Kumulierung der Bruch- und Clausula-Motive bzw. -Argumente bei Äquivalenzstörung viel deutlicher wiedergaben als die Formel, die sich in der Folge durchsetzte. Vgl. die deutschen Texte bei Siegler, Dokumentation zur Abrüstung und Sicherheit, Bd. II, S. 272, 277 f.

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Im Atomsperrvertrag und im Entwurf des Meeresbodenvertrages fehlt davon der erste Satz über die unbegrenzte Geltungsdauer55, dafür ist in allen späteren Formulierungen eine Anzeigepflicht auch an den Sicherheitsrat und die Pflicht zur Darlegung der zum Rücktritt motivierenden außergewöhnlichen Ereignisse statuiert. Ganz ähnlich bestimmt Art. 30 des Vertrages von Tlatelolco: "1. Dieser Vertrag ist unbefristet und bleibt auf unbegrenzte Zeit in Kraft; er kann jedoch von jeder Partei durch eine an den Generalsekretär der Organisation gerichtete Notifikation gekündigt werden, wenn nach Auffassung des kündigenden Staates Umstände eingetreten sind oder eintreten können, die den Inhalt des Vertrag€S oder der anliegenden Zusatzprotokolle I und II betreffen und die höchsten Interessen des kündigenden Staates oder den Frieden und die Sicherheit einer oder mehrerer Vertragsparteien berühren.

2. Die Kündigung tritt drei Monate nach Übergabe der Notifikation durch die Regierung des betreffenden Unterzeichnerstaats an den Generalsekretär der Organisation in Kraft. Dieser teilt seinerseits diese Notifikation unverzüglich den anderen Vertragsparteien sowie dem Generalsekretär der Vereinten Nationen mit, damit dieser sie dem Sicherheitsrat und der Vollversammlung der Vereinten Nationen zur Kenntnis bringt. Ferner teilt er sie dem Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten mit56 ." Noch billiger gibt sich der Weltraumvertrag, dessen Art. XVI den Parteien freistellt, sich ab einem Jahr nach Inkrafttreten des Vertrages durch einfache Notifikation aus dem Kreis der Verpflichteten zurückzuziehen. Diese Erklärung wird allerdings erst ein Jahr nach ihrer Abgabe wirksam. Eine völkerrechtspolitische Bewertung dieser Formeln - de lege lata ist dagegen nichts einzuwenden57 - bringt den Betrachter, der ihnen restlos gerecht zu werden versucht, in einen gewissen Zwiespalt58 • Denn diese "withdrawal clauses" geben den damit bestückten Verträgen das Vgl. jedoch Art. X Abs. 2 Atomsperrvertrag. EA 1967, S. D 163 f. 57 Vgl. Schwelb, AJIL 1964, S. 660: "The right of withdrawal is part of the pactum and its exercise therefore not contrary to it." 5 8 An Kommentierungen der "withdrawal clauses" vgl. den Großteil der oben b Anm. 3 genannten Literatur; weiters die in der letzten Anm. angeführte Arbeit von Schwelb, S. 660 ff. ; Chayes- Ehrlich- Lowenfeld, S. 998 ff.; Georges Fischer, S. 137 ff.; Mosconi, Il trattato sulla non-proliferazione nucleare, C & S 13 (1969), S. 275 ff.; Gross, AJIL 1965, S. 55; Fried, S.111 f.; Gotlieb, S.161 f.; Mart in, Legal Aspects of Disarmament, ICLQ, Supplementary Publication No. 7 (1963), S. 75 ff. ; Chayes, An Inquiry into the Workings of Arms Control Agreements, HLR 85 (1971/72), S. 957 ff. 55

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2. Die möglichen Formen vertragsexterner Gegenseitigkeit

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Gesicht eines "marriage contract with a protocol for divorce", wie es ein amerikanischer Beobachter ausdrückte 59 , und dieser Vergleich ist in der Tat vorzüglich geeignet, Glanz und Elend des in den genannten Abkommen verankerten völkerrechtlichen Fortschritts in Richtung auf Abrüstung und Rüstungsbeschränkung herauszustellen. In Anbetracht der unmittelbaren Relevanz dieser Materien für die machtpolitische und strategische Relation zwischen den Supermächten war und ist eine präzise Balance, eine absolute, quasi "automatische" Equilibrierung sowohl der Vertragspflichten selber als auch ihrer Erfüllung wohl conditio sine qua non des Zustandekommens völkerrechtlicher Bindungen überhaupt60. So führt die dialektische Verknüpfung von Aufeinander-Angewiesensein und Mißtrauen zu einer schnell wachsenden Anzahl von Vertragswerken, deren Existenz zwar wegen ihrer unbestreitbaren Notwendigkeit begrüßt werden muß, deren eben durch die Einfügung solch großzügiger "withdrawal clauses" bedingter mangelnder normativer "Härtegrad" aber den Völkerrechtsjuristen dennoch bedenklich stimmt. Ein derartiges Unbehagen scheint auch den amerikanischen Senator Sparkman bewogen zu haben, an Außenminister Dean Rusk im Verlauf der Hearings über den Moskauer Atomteststopvertrag 1963 vor dem Außenpolitischen Ausschuß des US-Senats die Frage zu richten: "Isn't the escape clause in this treaty about the easiest that has ever been in any treaty61 ?" Rusk verneinte dies keineswegs, machte jedoch geltend, daß die Vereinigten Staaten selbst "wanted it that way. The Soviet Union originally did not want a withdrawal clause simply on the thesis that sovereignty permits the denunciation of a treaty in any event" 62 • Die Art und Weise, in der Rusk den Schwarzen Peter für die Aufnahme der "withdrawal clause" der Sowjetunion zuschob, muß nach einem Blick auf die einschlägige sowjetische Völkerrechtsdoktrin als äußerst unfair erscheinen63 . Außerdem sei die Bemerkung gestattet, daß der Wirksamkeit des Prinzips pacta sunt servanda und damit der Sache der völkerrechtlichen Vertragstreue nicht unbedingt ein nützlicher Dienst erwiesen wird, indem man gerade in den spektakulärsten Verträgen aus welchen faktischen Gründen auch immer Dispens davon erteilt eine Dispens, die an nicht mehr geknüpft ist als an die vage VoraussetZitat in Chayes - Ehrlich - Lowenfeld, S. 999. 60 Vgl. Georges Fischer, S. 138 und das aufschlußreiche Statement Dean Rusks über den Teststopvertrag 1963 vor dem Foreign Relations Committee des US-Senats (teilweise wiedergegeben bei Whiteman, Bd. 11, S. 798 f. und ausführlicher in Chayes - Ehrlich- Lowenfeld, S. 999 ff.). 61 Chayes - Ehrlich- Lowenfeld, S. 999. 62 Ebd. 63 Vgl. schon Schwelb, AJIL 1964, S. 661 und die bibliographischen Angaben ebd. in Anm. 60; weiters Schweisfurth, S. 286 ff. 59

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C. III. Gegenseitigkeit "um" völkerrechtliche Verträge

zung einer- ausschließlich selbst beurteilten6' - "Gefährdung lebenswichtiger Interessen" 65 • So zweifelhaft der Wert durch "withdrawal clauses" relativierter Vertragspfl.ichten für einen echten Substanzgewinn des Völkerrechts ist, so unzweifelhaft stellen diese Bestimmungen eine eindrückliche normative Bekräftigung der völkerrechtssoziologischen Beobachtungen dar, die vorgehend über den Zusammenhang zwischen Gegenseitigkeit vertraglicher Vorteile und Stabilität vertraglicher Normen gemacht wurden. Dieser Zusammenhang ist nun einmal ein "fact of life" durch organisierte Friedlosigkeit66 gekennzeichneter internationaler Beziehungen, der zwar in der völkerrechtlichen Theorie heruntergespielt, in der völkerrechtlichen Praxis aber nicht übersehen werden kann.

84 Vgl. Dean Rusk in den gerade genannten Hearings über den Atomteststopvertrag: "Under the treaty, we alone will decide whether extraordinary events have occurred and whether they jeopardize our supreme national interests. We need answer no tribunal and to no authority other than our own conscience and requirements." (Chayes -Ehrlich - Lowenfeld, S. 999.) 65 Scharf ablehnend auch Martin, S. 80: "One should like to hope that Article IV of the Moscow Treaty will not be relied upon as a precedent in the continuing negotiations for a Disarmament Treaty, nor indeed in any branch of intemationallaw. The doctrine of sovereignty that it enshrines is retrograde and out of tune with the requirements of an international society in quest of a rule of law; it is in fact a doctrine of runaway sovereignty. It is important that this doctrine should be condemned and the precedential value of Article IV challenged before the ink has completely dried on the three original copies of the Moscow Treaty. To the idea of third party adjudication more than enough harm has already been done through those 'vital interests' clauses by which arbitration treaties have been traditionally emasculated; even more harm has been done by the intrusion of 'national security' clauses into quite a few of the reservations attached, since the end of the Second World War, to acceptances of the Optional Clause. It would be a tragedy if Article IV of the Moscow Treaty were allowed to become respectable." 66 Dieser glückliche Terminus für einen unglücklichen Zustand wurde von Dieter Senghaas geprägt; vgl. seine Schrift "Abschreckung und Frieden. Studien zur Kritik organisierter Friedlosigkeit" (1969).

D. Die Einschätzung des Reziprozitätselements in funktional-soziologischen Typologien I. Einführende Bemerkungen Mit den bisherigen Ausführungen ist das Bild des Erscheinungs- und Funktionsspektrums der Gegenseitigkeit insbesondere im Zustandekommen völkerrechtlicher Verträge in seinen wesentlichen Punkten gezeichnet. Damit erscheint aber die theoretische Basis und Ausgangsposition geschaffen, um einen in unserem Zusammenhang besonders interessanten Ansatz gewisser moderner Vertreter der funktionalistischsoziologischen Richtung der Völkerrechtswissenschaft und der Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen darzustellen und anschließend einer kritischen Analyse zu unterziehen. Es handelt sich dabei um Versuche, die Gesamtheit des völkerrechtlichen Rechtsstoffes unter Anlegung eben funktional-soziologischer Kriterien gleichsam in verschiedene Schichten aufzugliedern, denen jeweils spezifische Charakteristika zu eigen sein sollen. Diesen Betrachtungsweisen muß im Rahmen der vorliegenden Arbeit nun deswegen eingehende Aufmerksamkeit geschenkt werden, weil sie - mehr oder weniger explizit, mehr oder weniger deutlich - ihre Unterscheidungen auch danach treffen, ob und in welchem Maß der Faktor der Reziprozität in positiver wie in negativer Hinsicht als Antrieb zu Normschöpfung und Normbefolgung wirksam wird. Unter dem Eindruck unserer bislang gewonnenen Erkenntnisse über die Vielfalt und Reichweite der normativen und soziologischpsychologisch-politischen Manifestationen des Gegenseitigkeitselementes in den internationalen Rechtsbeziehungen versteht es sich wohl von selbst, daß die auf die Darstellung dieser Typisierungsversuche folgende Kritik nicht mit der Frage ansetzt, ob es gerechtfertigt ist, dem Faktor "Gegenseitigkeit" darin überhaupt eine zentrale Rolle zukommen zu lassen. Ihre Leitlinie wird vielmehr die Frage sein müssen, ob es mit unseren eigenen theoretischen Ergebnissen in Einklang steht und zweckmäßig ist, aus der Gesamtheit der geltenden völkerrechtlichen Normen einen bestimmten Teil als vom Reziprozitätselement in ganz besonders starkem und evidentem Maß geprägt herauszuheben. Abschließend muß darauf hingewiesen werden, daß die Völkerrechtler und Politikwissenschaftler, deren Theorien bzw. Hypothesen im folgenden Darstellung finden sollen, darin übereinstimmen, daß sie nicht zwischen den Völkerrechtsquellen Gewohnheitsrecht und Vertrag als 18 S!mma

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D. Einschätzung in funktional-soziologischen Typologien

solchen differenzieren, daß ihre Typologien vielmehr quer durch diese Rechtssatzformen verlaufen. Es kann nun vorweggenommen werden, daß sich eine derartige Vorgangsweise deswegen als gerechtfertigt erweist, weil tatsächlich dieselben Beobachtungen für gewohnheitsrechtliehe und Vertragsnormen Gültigkeit besitzen. Aus eben diesem Grund soll sie auch hier beibehalten werden. II. Die einzelnen Typisierungsversuche 1. Schwarzenhergers "Recht der Macht", "Recht der Gegenseitigkeit" und "Recht der Koordination"1

Am bekanntesten unter den nach funktional-rechtssoziologischen Kriterien gegliederten Typologien ist wohl der Versuch Georg Schwarzenbergers, die Gesamtheit der völkerrechtlichen Normen in ein (Völker-)"Recht der Macht" ("law of power"), ein "Recht der Gegenseitigkeit" ("law of reciprocity") und ein "Recht der Koordination" ("law of Coordination") aufzufächern2 • Schwarzenherger geht dabei vom sozialen Substrat des Rechts aus. Zu dessen Charakterisierung verwendet er die bekannten soziologischen Idealtypen "Gesellschaft" und "Gemeinschaft" 3• Er beschreibt diese Typen wie folgt: "The criterion by which a society is distinguishable from a community can be formulated in a variety of ways. While a society is a means to an end, a community is an end in itself. Whereas a society is based on interest and fear, a community requires self-sacrifice and Iove. The one is founded on distrust, and the other presupposes mutual trust. Or, in the words of Tönnies, the members of a society remain isolated in spite of their association. The members of a community are united in spite of their separate existence4 ." 1 SchwarzenbergeT hat diese Gliederung in zahlreichen Veröffentlichungen vertreten; an dieser Stelle seien als am ausführlichsten und repräsentativsten etwa genannt: The Frontiers of International Law, S. 9 ff.; The Inductive Approach to International Law, S. 153; A Manual of International Law, S. 10 ff.; Power Politics, S. 198 ff. 2 In der deutschen Ausgabe von Power Politics [Machtpolitik. Eine Studie über die internationale Gesellschaft (1955), S. 130 ff.] wurde "law of Co-ordination" mit "Recht der Gemeinschaft" übersetzt, was, wie im Text gleich zu sehen sein wird, dem Gedankengang Schwarzenbergers, der zwei soziologischen Idealtypen drei Völkerrechtstypen gegenüberstellt, nicht ganz gerecht wird. Im folgenden wird daher präziser von einem Recht der Koordination gesprochen. 3 In Anlehnung insbesondere an Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft (1887). Vgl. auch die übrigen Literaturangaben in: The Frontiers of International Law, S. 10, Anm. 3. 4 Ebd., S. 11.

II. Die einzelnen Typisierungsversuche

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Der Autor betont dabei den modellhaften Charakter dieser Dichotomie: Die Lebenswirklichkeit zeigt immer nur Mischformen davon, die sich entweder an den einen oder an den anderen Idealtyp anlehnen. Die derart typisierten gesellschaftlichen Strukturen prägen nach Schwarzenherger nun ihrerseits Struktur und Funktion ihres juristischen Überbaues; es ist also zwischen "society law" und "community law" zu unterscheiden. "The overriding function of a society law which is characterised by gross disparities in rights and duties may be defined as the stabilisation of relations of power. Society law provides one of the three fundamental types of law: the Law of Power5 ." "The law of the community", führt Schwarzenherger demgegenüber aus, "serves the purpose of assisting in the maintenance and continuous integration of the community and the protection of the group against exceptional aberrations of its members. Its main function consists in promoting the Co-ordination of activities in the interest of the community by the rationalisation of customary rules of behaviour6." Das Recht der Macht und das Recht der Koordination (der Zusammenarbeit) stellen also die zwei rechtsinhaltlichen Extreme dar, die den entgegengesetzten soziologischen Idealtypen Gesellschaft und Gemeinschaft zugeordnet sind7 • Wie sich nun aber in den konkreten Prozessen und Strukturen m enschlicher Vergesellschaftung Gesellschafts- und Gemeinschaftselemente zu gewissen Mischformen verbinden, so tritt auch in den konkreten rechtlichen Ordnungssystemen dieser sozialen Gruppen ein Mittelding zwischen dem Recht der Macht und dem der Koordination auf den Plan: das Recht der Gegenseitigkeit. "The Law of Redprocity constitutes a compromise between the Laws of Power and of Co-ordination, between the extremes of brutal domination and saintly self-negation. While it is characteristic of groups which themselves are hybrids between societies and communities, it may be used intentionally by a community for the regulation of affairs which, from the point of view of the group as a whole, are considered peripheral8." 5 Ebd., S. 13. Und weiter: "A law such as this best serves its purpose if its real character and function are weil disguised behind fa~ades of technicalities and quasi-ethical doctrines. It necessarily tends to fulfil the concomitant function of an ideology by which the vested interests it serves to protect are disguised and made to appear identical with the interests of all." 6 Ebd., S. 14. 7 Vgl. ebd., S. 15: "The Law of Power and the Law of Coordination form the two antipodes which legal genius has devised. The one embodies strong ideological elements. The other, because of the shortcomings of human nature, remains largely an unfulfilled aspiration and, to this extent, Utopian." 8 Ebd., S. 16.

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D. Einschätzung in funktional-soziologischen Typologien

"Thus, mankind has developed three basic patterns of law, and the working principles behind these three types of law are power, co-ordination and reciprocity 9 ." Nunmehr wendet Schwarzenherger die soziologische Dichotomie Gesellschaft - Gemeinschaft und seine darauf basierende juristische Trichotomie auf die internationale Ebene an und findet dort die verschiedenen Typen sowohl der Vergesellschaftung als auch der Rechtsentwicklung gleichsam in zeitlicher, wenn auch unausgewogener, Koexistenz: "Relations between sovereign States, especially on the Ievel of unorganised international society, are more typical of those to be found in a society than in a community. Unorganised international society is conditioned primarily by power politics with its typical objects, motivations, tactics and strategies ... International law when operating on this Ievel tends to present the characteristics of an extreme type of society law, that is to say, it is preponderantly but not necessarily exclusively, a law of power10 ." Mit dieser Einschränkung ist bereits angedeutet, daß Schwarzenberger auch den beiden übrigen Rechtstypen einen, allerdings dem Machtelement schwerpunktmäßig untergeordneten Platz in den internationalen Beziehungen einräumt: "Dependent upon the degree of integration among the States concerned, international law on the Ievels of partly or fully organised international society may change into a hybrid between society and community law-a law of reciprocity ... -or a fully fledged community lawa law for the co-ordination of joint efforts on the basis of voluntary cooperationtt." Das soziologische und juristische Bauprinzip der Gegenseitigkeit ist nach Schwarzenherger dabei in denjenigen Sachgebieten am wirkkräftigsten, die aus dem Gesichtswinkel zwischenstaatlicher Machtpolitik entweder überhaupt bedeutungslos oder nur von peripherem Gewicht sind. Als typisches Beispiel für solche vergleichsweise "unpolitische" Materien nennt der Verfasser u. a. die diplomatischen Immunitäten, Auslieferung, Handel, das Nachrichten- und Verkehrswesen. Daneben vermag die Gegenseitigkeit aber auch in gewissem Maß die Normen des Kriegs- und Neutralitätsrechts zu prägen, weil- und wenn - sich in diesen grundsätzlich der Machtpolitik (und damit dem "law Ebd. A Manual of International Law, S. 12. Vgl. auch The Frontiers of International Law, bes. S. 25 ff. 11 A Manual of International Law, S. 12. D

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II. Die einzelnen Typisierungsversuche

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of power") zugeordneten Kategorien Reziprozitätserwägungen aus der Natur der Sache heraus aufzwingen12 • Unser Prinzip ist für Schwarzenherger ganz allgemein die beste Gewähr für die Effektivität des Völkerrechts. So bemerkt er in seinem berühmt gewordenen Angriff auf die Konzeption eines völkerrechtlichen ius cogens über das Gewohnheitsrecht: "It was founded on Commonsense limitations of freedom of contract and employment of the principle of reciprocity which would counsel restraint and encourage a farsighted use of the motivating power of self-interest ... Whenever reciprocity had to give way to power, internationallaw tended to degenerate into a mere ideology of might ... Whenever reciprocity was discarded for loftier sentiments unrelated to the unchanged realities of international society, the 'new' international law of good fellowship proved to be little more than an ephemeral effort and, more often than not, an empty stunt13 . " Was zu guter Letzt das Recht der Koordination anbetrifft, so lassen sich nach Schwarzenherger auch hiefür Beispiele auf zwischenstaatlicher Ebene aufspüren - bescheidene Spuren allerdings, Ausnahmen, die bislang nur die allgemeine Regel von der durch Gegenseitigkeitserwägungen nur marginal gezähmten Präponderanz des Machtelementes bestätigen, so der Schutz der Menschenrechte auf völkerrechtlicher Ebene, die Ansätze eines internationalen Wohlfahrtswesens14 : "The law of COordination does not seek to exploit disparities in power positions or to adjust antagonistic interests on a basis of reciprocity. It serves as a means of co-ordinating individual efforts for the better achievement of common purposes15 ." Soweit die Typologie Schwarzenbergers. Sie ist insbesondere von Frankel unverändert übernommen worden18• Aber auch der nieder12 Ebd., S. 14. An dieser Stelle verdient aufgezeigt zu werden, daß der russische Völkerrechtler von Martens bereits zu Ende des 19. Jahrhunderts den Großteil des völkerrechtlichen Rechtsstoffes in terminologischer Anlehnung an Lorenz von Stein als internationales "Verwaltungsrecht" darstellte, das vom Grundsatz der Zweckmäßigkeit beherrscht werde. Vgl. Bos, Dominant Interests in International Law, in: Gedächtnisschrift de Luna, S. 81 (wo auch auf die Meinung Telders' hingewiesen wird, nach der das Gros des Völkerrechts eine Art von "Verkehrsregeln" für die zwischenstaatlichen Beziehungen bilde, Regeln, die den Lebensinteressen der Staaten aus dem Wege gingen und auch wenig Befolgungschancen hätten, wenn einmal derartige vitale Interessen auf dem Spiel stünden). 13 International Jus cogens? wiedergegeben in: The Concept of Jus cogens in International Law, S. 138. 14 A Manual of International Law, S. 14 f.; The Frontiers of International Law, S. 34 ff. 15 A Manual of International Law, S. 14. 18 Frankel, International Relations (2. Aufl. 1969), S. 147: "A sociological

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ländische Völkerrechtssoziologe Landheer referiert sie in zustimmender Weise17• 2. Friedmanns "Völkerrecht der Koexistenz" und "Völkerrecht der Zusammenarbeit"

Beachtung verdient in unserem Zusammenhang weiters die von Wolfgang Friedmann getroffene Unterscheidung zwischen einem "internationallaw of co-existence" und einem "internationallaw of Co-operation", eine Differenzierung, die Friedmann geradezu als "essential to an understanding of contemporary trends of certain basic changes in the structure of internationallaw" ansieht18• Der erstgenannte Typus, das Völkerrecht der Koexistenz, umfaßt dessen traditionelle, "klassische" Normen, die das "ob" und "wie" des Verkehrs der Staaten untereinander regeln und ihre Machtbereiche untereinander abgrenzen19 • Es stellt beispielsweise die Bedingungen auf, unter denen ein Gebilde Völkerrechtssubjektivität erlangen kann, normiert die Prozedur der Anerkennung von Staaten, staatsähnlichen Geanalysis of the norrns of international law shows that they fall within three categories. First, there is what Georg Schwarzenherger calls the law of power. It consists of the rules helping to maintain the political framework, the existing hierarchies based upon power. Here belong norms ensuring the independence of states and non-interference in their domestic affairs, peace treaties, boundary agreements, alliances, etc. Then there is the law of reciprocity which regulates areas less vital for power-purposes where the states are willing to accommodate the interests of other states in order to obtain reciprocal benefits. This is the most numerous group of international norms, which covers many fields, for instance, diplomatic immunities and extradition, trade and communications, or limitations of warfare. Finally, there is an international community law, still at a rudimentary stage. Examples of it can be found in the regulation of the slave trade, or of international rivers, or in the standards of economic good neighbourliness in the General Agreement on Tariffs and Trade." (Hervorhebungen von mir.) In seinem bereits früher erwähnten Werk "Die außenpolitische Entscheidung" spricht Frankel von Konflikt, Konkurrenzkampf und heute auch schon Kooperation als den vorherrschenden Spielarten internationaler Wechselwirkung (S. 155 f.). 17 Landheer, zuletzt: On the Sociology of International Law and International Society (1966), S. 40 ff. 18 Friedmann, General Course in Public International Law, RdC 127 (1969 II), S. 91 ff. (Zitat S. 91). Vgl. weiters derselbe, The Changing Structure of International Law, bes. S. 60 ff.; derselbe, Droit de coexistence et droit de cooperation. Quelques observations sur la structure changeante du droit international, RBDI 6 (1970), S. 1 ff.; derselbe, The Relevance of International Law to the Processes of Economic and Social Development, in: Falk- Black (Hrsg.), The Future of the International Legal Order, Bd. II: Wealth and Resources, S. 8 ff.; Friedmann- Lissitzyn- Pugh, S. XI, 1008 ff. Vgl. auch Fuller, Forms and Limits of Adjudication (1962), S. 4 ff.; Barnet, WP 1965/1966, S. 82 ff. 19 Vgl. schon Verdross, Völkerrecht (2. Aufl., 1950), S. 404, 492; derselbe, Aufgaben und Grenzen des Völkerrechts, S. 3 ff.

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meiosehaften und Regierungen, begrenzt Staatsgebiet und staatliche Gebietshoheit; bestimmt "the jurisdictional and diplomatic immunities of foreign Sovereigns; the principles of responsibility incurred by a state for injury done to the lives or properties of the subjects of another state; the adjustment of the rights of belligerent states and neutral states in the rules of war and neutrality, and the formal implementation of these principles by custom, treaty or adjudication" 20 • Das "Völkerrecht der Koexistenz" präsentiert sich damit im wesentlichen als ein Kodex von Enthaltungspflichten21 • "It is, therefore, essentially insensitive to ideological, political or social differences between the States 22 ." In der gegenwärtigen Situation der Weltgesellschaft ist nun aber die Zahl derjenigen Probleme und Aufgaben in raschem Wachsen begriffen, die durch eine derartige "hands-off posture" der Staaten nicht mehr gelöst werden können. Auf diesen Sachgebieten bedarf es vielmehr positiver Zusammenarbeit, der "organization and implementation of joint endeavors on a binational, regional or multinationallevel directed to human welfare" 23 • In dem Maße, in dem dieses "Völkerrecht der Zusammenarbeit" einen wirtschaftlichen, sozialen, humanitären usw. Bereich nach dem anderen aus dem einst so unangreifbar erscheinenden domaine reserve der Staaten herausbricht und internationalisiert, wird es andererseits aber auch anfälliger gegenüber der Heterogenität der heutigen Welt in politischer, wirtschaftlicher und weltanschaulicher Sicht. Dies führt dazu, daß gewisse seiner Ziele - zum mindesten bisher -nur auf regionaler, d. h. unter eben diesen metarechtlichen Aspekten homogenerer Ebene verwirklicht werden können. Als Beispiele für dieses "international law of co-operation in regional groupings" führt Friedmann u. a. aus dem Bereich der Wirtschaft die Entwicklung des Rechts der Europäischen Gemeinschaften und aus dem humanitären Bereich das System des Menschenrechtsschutzes im Rahmen des Europarates an. Die Verrechtlichung und Organisation anderer zwischenstaatlicher und primär innerstaatlicher Lebensgebiete wiederum wird von den verschiedenen oben genannten Pluralismen wenig oder überhaupt nicht gestört: damit kann sich ein Völkerrecht der Zusammenarbeit auch auf universeller Ebene entwickeln. Friedmann nennt hier etwa das internationale Verkehrs- und Nachrichtenwesen und den Schutz der Umwelt. The Changing Structure of International Law, S. 60. Vgl. bei Falk- Black, S. 9: "Essentially these relations embody rules of abstention." 22 RdC, S. 92. 23 In Falk- Black, S. 10. 20 21

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In diesen mehr technischen Bereichen "the difference of political, economic, or cultural values recedes before the common interest" 24 • Und "[b]etween the extremes, especially in the field of economics, there are many areas in which States of different economic structure can co-operate, while in others they lack a minimum of common standards and approaches" 25 • Übrigens koppelt auch Friedmann seine Typologie der Völkerrechtsnormen nach den zugrundeliegenden Prinzipien mit der früher angesprochenen Unterscheidung ihres sozialen Substrats in Gesellschaften und Gemeinschaften, wenn auch etwas weniger entschieden als Schwarzenberger: "To speak in sociological terms, a developing co-operative international law represents community aspects rather than society aspects in the relations between states and nations26." Er anerkennt des weiteren ausdrücklich eine gewisse Entsprechung zwischen seiner Typologie und dem "Recht der Gegenseitigkeit" bzw. dem "Recht der Koordination" Schwarzenbergers27• Welche Rolle räumt Friedmann nun aber der Gegenseitigkeit ein? Im Rahmen des Völkerrechts der Koexistenz eine ganz zentrale: "Reciprocity is the most important sanction of an internationallaw of coexistence based on a decentralized structure of nation states ..., the principal guarantor of respect for the territorial and jurisdictional aspects of national sovereignty28 ." Zum Unterschied von Schwarzenherger aber, der der Gegenseitigkeit als Leitprinzip des Rechts im allgemeinen in jenen Vergesellschaftungen ihre Rolle zuspricht, die als Mischformen zwischen "reinen" Gesellschaften und Gemeinschaften im Tönnies'schen Sinne anzusehen sind, ist eine an Reziprozität ausgerichtete Rechtsordnung nach Friedmann der typische Überbau einer Gesellschaft. In Konsequenz dessen verliert sie in dem dem soziologischen Idealtypus "Gemeinschaft" zugeordneten Völkerrecht der Zusammenarbeit ihre Eignung und Wirkkraft jedenfalls als Sanktion29 • Auch die Gedanken Friedmanns sind von einer Reihe anderer Völkerrechtler anerkannt und aufgenommen worden. Erwähnt seien etwa Schnorr, der sie als eine "allgemeingültige theoretische soziologische RdC, S. 94. Ebd., S. 95. 26 The Changing Structure of International Law, S. 68. 27 Ebd. 28 In Falk - Black, S. 12 (Hervorhebung von mir). Auch an dieser Stelle bezieht sich Friedmann zustimmend auf die von Schwarzenberger entworfene Trichotomie. 29 Vgl. bei Falk- Black, S. 12 ff. 24

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II. Die einzelnen Typisierungsversuche

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Formulierung" für die Wandlung des Völkerrechts aus dem Niederschlag staatlicher Einzelinteressen politischer Natur in die normative Kristallisierung eines "Gemeininteresses" an menschlicher Wohlfahrt bezeichnet30, und Baum, nach dem man dem "Koordinationsrecht, das auf ... unmittelbar einsichtiger Austauschsituation beruht, als anderen Endpunkt einer dazwischenliegenden Skala von Mischtypen ein auf ein kollektiv gemeinsamen [sie] Sachinteressen aufbauendes Kooperationsrecht gegenüberstellen" kann, "für dessen Eigenart im Sinne funktioneller Zusammenarbeit auf sachlich beschränktem Gebiet die Konstitutionselemente herkömmlicher Rechtsdefinitionen zunehmend ihre Bedeutung verlieren" 31 • 3. Hoffmanns "Recht des politischen Rahmens", "Recht der Gegenseitigkeit" und "Recht der Gemeinschaft"

In einer inzwischen wohl zu den Klassikern der Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen zu zählenden Untersuchung über Erscheinungsbild und Rolle des Völkerrechtes in verschiedenen internationalen Systemen32 identifiziert der amerikanische Politikwissenschaftler Stanley Hoffmann- ebenfalls unter ausdrücklichem Hinweis auf die Dreigliederung des Völkerrechts bei Schwarzenherger - in stabilen internationalen Systemen33 einmal ein "Recht des politischen Rahmens" ("law of the political framework"), als das "network of agreements which define the conditions, and certain of the rules, of the 30 Schnorr, S. 5, Anm. 10. An der zitierten Stelle geht dieser Autor allerdings insofern über Friedmann hinaus (und damit - abgesehen von der Fragwürdigkeit der angesprochenen soziologischen Dichotomie - zu weit; vgl. unten III), als nach ihm der Gemeinschaftsaspekt des völkerrechtlichen Kooperationsrechts (von Schnorr völkerrechtliche Ordnung des unpolitischen "service public" genannt) nicht (wie bei Friedmann; vgl. zuletzt Friedmann- Lissitzyn- Pugh, S. 1008: "In the present state of international society it is still at an embryonie stage") an die Seite, sondern an die Stelle des Koexistenzrechts als Gesellschaftsaspekt treten soll. Schnorrs weitere Ausführungen stellen jedoch klar, daß es auch ihm letztlich um die Darstellung einer Kumulierung dieser beiden Aspekte geht. 31 Baum, S. 271 f. 32 International Systems and International Law, abgedruckt bei Falk Hanrieder, S. 89 ff. Vgl. auch derselbe, ASIL Proceedings 1963, S. 30 f. 33 Hoffmann definiert ein "internationales System" (in Falk- Hanrieder, S. 91) als "a pattern of relations between the basic units of world politics, which is characterized by the scope of the objectives pursued by those units and of the tasks performed among them, as weil as by the means used in order to achieve those goals and perform those tasks." (Hervorhebungen von mir.) Ein stabiles internationales System "is one in which the stakes of conflict are limited, because the relations between the actors are marked by moderation in scope and means. Whatever the world's basic structure and the state of the technology of conflict, the units act so as to limit the amount of harm they could inflict upon one another." (Ebd., S. 92.)

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D. Einschätzung in funktional-soziologischen Typologien

political game among the states". Unter "conditions" versteht Hoffmann dabei "such provisions as the settlement of borders after wars, the main alignments expressed in treaties of alliance, the holding of periodic conferences among major powers"; unter "rules" dagegen "provisions which determine the mutual commitment of states, or the procedure for the settlement of major disputes" 34 • An die Seite dieses ersten Völkerrechtstypus gesellt sich das "Recht der Gegenseitigkeit" ("law of reciprocity"), "which defines the conditions and rules of interstate relations in areas which affect less vitally the power and policies of the states. This is the !arge zone in which states can be assumed to have a mutual and Iasting interest in common rules: the zone of predictability, on which the competition of the actors in politically more sensitive areas rests and depends". Innerhalb des so beschriebenen "Völkerrechts der Gegenseitigkeit" lassen sich nach Hoffmann zwei Gruppen unterscheiden: ein "Recht der Abgrenzung" ("law of delimitation"), das die Rechte und Privilegien der Staaten - "in peacetime over such matters as diplomatic relations, territory, and people, in wartime over weapons, military objectives, noncombatants, etc." umreiße, und ein "Recht der Zusammenarbeit" ("law of cooperation"}, das gemeinsame Interessen, insbesondere auf dem Gebiet des internationalen Handels normiere85 • Vom "Recht des politischen Rahmens" und dem der Gegenseitigkeit in seinen beiden gerade beschriebenen Spielarten setzt Hoffmann schließlich das "Völkerrecht der Gemeinschaft" ("law of community") ab einen Normenkomplex "which deals with problems which can best be handled, not on the basis of a reciprocity of interests of states understood as separate and competing units, but on the basis of a community of action independent from politics: problems of a technical or scientific nature for which borders are irrelevant" 36 • Verliert das internationale System aber einmal seine Stabilität und nimmt revolutionären Charakter an37, so wird das Völkerrecht der Gegenseitigkeit nach Hoffmann gleichsam vom "law of the political framework" infiziert: "[I]n a revolutionary system, the distinction between these two kinds of law becomes extremely fuzzy, for when survival is not assured, the Iimit which the law of reciprocity sets to states' privileges or jurisdiction become obstacles to their quest for greater Ebd., S. 96 f. Ebd., S. 97. 36 Ebd. 37 Ein "revolutionäres System" unterscheidet sich nach Hoffmann (ebd., S. 92 f.) dadurch von einem stabilen, daß es die dem letzteren innewohnende grundsätzliche Mäßigung in den Beziehungen zwischen seinen Subsystemen vermissen läßt. 34

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security and power, while cooperation over joint interests is replaced by conflict or competition which challenges previous rules. In such a system, the power and policies of states are directly involved in almost every aspect of international activity ... Thus, in a revolutionary system, the great bulk of internationallaw partakes of the somewhat shaky authority of the law of the political framework38." 4. Virally: Reziprozität und Solidarität als Entwicldungsprinzipien des Völkerrechts

Im Verlauf seiner Raager Vorlesungen über das Gegenseitigkeitsprinzip im modernen Völkerrecht kommt auch Virally auf die oben dargestellten Typisierungsversuche Schwarzenhergers und Friedmanns zu sprechen39 • Er hält sie für nicht restlos befriedigend; "[l]a verite para!t plus nuancee" 40 • Und als schärferer Beobachter dieser Wahrheit fährt er fort: « Les idees qui se retrouvent derriere cette division tripartite synthetisent bien trois orientations differentes des rapports internationaux, de meme que les realites correspondantes, mais elles sont loin de s'exclure mutuellement. Tout au contraire, plusieurs d'entre elles se trouvent frequemment associees assez intimement pour provoquer une combinaison des principes de developpement du droit qui les definissent, voire meme pour s'accommoder d'un principe unique, dont le jeu se trouvera, alors, evidemment perturbe du fait de cette association41. » Nach diesen realistischen Bemerkungen muß es etwas überraschen, daß Virally aber schließlich auch nicht ohne ein gegensätzliches Prinzip auskommt. Denn er stellt der Reziprozität die "Solidarität" gegenüber, und dies in so dogmatischer wie summarischer Art und Weise: ... « [L]a reciprocite paralt bien constituer le seul principe de developpement du droit international, dans tous les cas ou les interets de ceux dont ce as Ebd., S. 97 f. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Horvath, Probleme der Rechtssoziologie (1971), S. 179 ff., der- unter Hinweis auf die Gedanken Charles De Visschers - den "politisch noch nicht abgekühlten Stoffen" (wie etwa Bündnisse und andere militärische Abkommen), die u. a. als nicht justiziable Materien gelten müssen, die "politisch ausgekühlten" Angelegenheiten gegenüberstellt, die darum auch zur rechtlichen Beurteilung geeignet seien. 39 RdC, S. 64 ff. Er gibt sie allerdings insofern nicht ganz korrekt wieder, als er Friedmann eine Dreiteilung des Völkerrechts zuschreibt, die ein "Völkerrecht der Macht" a la SchwarzenbergeT enthält. Des weiteren koppelt, wie oben gezeigt wurde, auch Friedmann seine Völkerrechtsschichten mit der soziologischen Einteilung in Gesellschaften und Gemeinschaften, hat also insofern keinen "arriere-plan conceptuel assez different" (Virally, RdC, s. 64). 40 Ebd. 41 Ebd., S. 64 f. (Hervorhebung von mir).

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D. Einschätzung in funktional-soziologischen Typologien

droit ordonne les rapports sont separes, .. . parce qu'il est seul a fournir une methode permettant de concilier ces interets de fac;on acceptable pour tous les titulaires. En revanche, la reciprocite n'a pas sa place la ou les interets sont communs et vont dans le meme sens, parce que l'idee d'une echange entre eux perd son sens. Dans ce cas, elle doit ceder devant un autre principe de developpement du droit que l'on pourrait nommer principe de solidarite. C'est sur la base de ce dernier principe que s'edifient les formes modernes de la cooperation internationale. On ne peut que souhaiter son expansion, meme si elle doit se faire au detriment du principe de reciprocite, qui est d'ailleurs inexpugnable de nombreux secteurs de la vie internationale, ou les interets des Etats resteront individuels et donc separes, comme c'est le cas de ceux des individus dans l'ordre interne42 • » Virallys Unterscheidung zwischen Gegenseitigkeit als Motor der Völkerrechtsentwicklung auf der Basis getrennter einzelstaatlicher Interessen und internationaler Solidarität als Ausdruck und Ergebnis gemeinsamer Interessen hat jüngst in den Gedanken von Murphy (Jr.) eine gewisse Entsprechung gefunden43 • Lediglich eine gewisse Übereinstimmung deshalb, weil Murphy die theoretisch nicht ungefährliche44 Konzeption eines "community interest" verficht, der nicht mit der Summe individueller staatlicher Interessen identifizierbar sein soll45 • 5. Weitere Typologien

Neben den vorgehend in größerer Ausführlichkeit dargestellten Abgrenzungen findet sich in der völkerrechtlichen und politikwissenschaftlichen (International Relations-)Literatur eine weitere Anzahl von Ebd., S. 66 f. (Hervorhebung von mir). (Jr.), Some Reflections upon Theories of International Law, insbesondere S. 453 f. 44 Dazu oben S. 197 ff. 45 "In the major international agreements on the sea, fisheries, and outer space, normative provisions and objectives are stated which transcend the common policies of the signatory states. While some are rhetorical, many contain policies and goals suggestive of an operative interest which is not reducible to the common policies of the states concerned. Restrietions upon state exploitation of fisheries because of interests of mankind in an abundant food supply, ... the rejection of national sovereignty over outer space and celestial bodies in the Outer Space Treaty, . . . the protection of man's environment from radioactive contamination in the Nuclear Test Ban Treaty ... and similar provisions are simply not explainable in terms of the common policies of the states as states. Rather, they suggest the intrusion of values belonging to the world community as such, an organic whole which is not reducible to the sum of the particular interests of the signatory nations." (Ebd.) 42

43

Murphy

11. Die einzelnen Typisierungsversuche

285

Typisierungsversuch en, die eine gewisse Relevanz für die Thematik der vorliegenden Untersuchung aufzuweisen haben und auf die daher an dieser Stelle noch kurz hingewiesen werden soll. Im Rahmen einer ausdrücklich als "funktional" bezeichneten Völkerrechtsbetrachtung kommt etwa Morgenthau46 im Jahre 1940 zu dem Ergebnis, daß es offensichtlich zwei verschiedene Typen von Völkerrecht gebe, "one founded upon the permanent and stable interests, the other based upon the temporary and fluctuating interests of states" 47 • Diese Differenzierung sei nicht nur von fundamentaler Bedeutung für das Verständnis der Geltung (validity) des Völkerrechts, sie habe auch Konsequenzen für Gegenstand, Methode und Wissenschaftlichkeit der Disziplin "Völkerrecht". "One might even say that it leads to the recognition of two different sciences of international law which deal with different subject-matters and apply, or rather ought to apply, different methods of research and systematization48 ." Der erste Typus habe seinen rechtshistorischen Ursprung überwiegend in Konzepten und Prinzipien des innerstaatlichen bürgerlichen Rechts und umfasse den Großteil des traditionellen Völkerrechts, wie es sich seit dem 16. Jahrhundert entwickelt habe: das Recht der diplomatischen Privilegien, Gebietsrechte, das Auslieferungsrecht, weite Teile des Seerechts und die Verfahrensregeln der internationalen Schiedsgerichtsbarke it. "These concepts and principles have been developed within a legal system characterized by the extraordinary stability of the interests underlying it. Hence, its application is, of necessity, restricted to legal systems based upon equally stable interests ... W e propose to call these rules non-political internationallaw, originating in the permanent interests of states to put their normal relations upon a stable basis by providing for predictable and enforceable conduct with respect to these relations 49 ." Neben diesem "unpolitischen" stehe aber dann das "politische Völkerrecht, mit dem versucht werde, vorübergehende, fluktuierende Interessenkonstellationen in dauernde Rechte und Pflichten zu bannen. So ruhe dieser Typus denn auch notwendig auf wackeligen Beinen, oftmals überhaupt nur mehr als juristischer Artifakt ohne jede stützende Interessenbasis. Morgenthau nennt als Beispiele politische Verträge, "especially treaties of alliance and their modern substitutes which, under the legalistic disguise of treaties of general arbitration, consultation, or friendship, frequently pursue aims at least preparatory to close political ties" 50 • Die traditionelle (d. h. nichtfunktionale) Völkerrechtsdoktrin 46 47

48 49

50

Morgenthau, AJIL 34 (1940), S. 278 f. Ebd., S. 278. Ebd. (Hervorhebung von mir). Ebd., S. 278 f. (Hervorhebung von mir). Ebd., S. 279.

286

D. Einschätzung in funktional-soziologischen Typologien

zeichne von dieser Rechtsschicht notwendig ein trügerisches, verzerrtes Bild, weil sie an die Untersuchung des "unpolitischen" wie des "politischen" Völkerrechts mit derselben Zivilistischen Auffassung und Methode herangehe 51 • Eine gewisse terminologische Übereinstimmung mit Morgenthau findet sich bei Schnorr 52 • Dieser Autor sieht nämlich, wie bereits erwähnt, die soziologischen Grundlagen des Völkerrechts heute in Veränderung auf eine Ergänzung 53 der politischen, d. h. durch die Machtverhältnisse der Staaten bestimmten und diese in gewissem Maß wieder bestimmenden, völkerrechtlichen Ordnung durch die unpolitische Ordnung eines internationalen Wohlfahrtswesens ("service public") begriffen. Damit wird jedoch klar, daß die von Schnorr gewählten Begriffsinhalte nicht der Typologie Morgenthaus, sondern derjenigen Friedmanns zuzuordnen sind. Keinerlei terminologische oder auch inhaltliche Vorbilder sind dagegen hinter einem von Dupuy vorgenommenen Typisierungsversuch erkennbar54 . Dieser Autor will nämlich zwischen "droit de la projection", "droit de la jonction", und "droit de l'association" unterscheiden. Die erstgenannte Völkerrechtskategorie normiere dabei jene internationalen Sachverhalte, in denen die Staaten durch gewisse, zum mindesten primär einseitige Vorgangsweisen, also durch Projektion von Kompetenzansprüchen usw. nach außen ihre rechtliche Stellung ausgestalten55. Die zweite Kategorie umfasse dagegen alle völkerrechtlichen Verhältnisse, denen die Absicht der beteiligten Subjekte zugrundeliegt, entweder reziproke Handlungen und Unterlassungen anderer Staaten zu provozieren, gegenseitig Zugeständnisse irgendwelcher Art auszutauschen oder sich an der Verfolgung eines gemeinsamen Zieles zu beteiligen, ohne einer internationalen Institution irgendwelche auch nur koordinierende Funktionen zuzubilligen56 . 51 Ebd. Morgenthaus Differenzierung hat im übrigen sehr viel mit jener - an sich nicht unkorrekten, aber bei genauerem Hinsehen letztlich doch wenig tröstlichen - Apologie gemeinsam, die in der Völkerrechtswissenschaft üblicherweise dann angestimmt wird, wenn pragmatisch-politisch ausgerichteten Zweifeln an der "Wirklichkeit" des Völkerrechts entgegengetreten werden muß. Vgl. dazu kritisch oben S. 142 ff. 52 s. 1 ff. 53 Vgl. dazu jedoch S. 280 f. und Anm. 30. 64 Dupuy, Annuaire AAA, S. 11 f. 55 Vgl. ebd. S. 4: « L'Etat ... est recouvert des missiles que les projections juridiques d'Etats lancent des tous cötes. Chaque territoire national est une base de depart ou de lancement pour aller atteindre des sujets de droit et des activites juridiques qui se trouvent parfois fort loin et aussi pour revendiquer l'exercice de competences sur des zones spatiales de plus en plus eloignees. )) 56 Ebd., S. 11 f.

li. Die einzelnen Typisierungsversuche

287

Durch dieses letztgenannte Merkmal unterscheide sich das "droit de la jonction" vom Völkerrecht der Assoziation, in dessen Rahmen die Staaten die Besorgung gemeinsamer Aufgaben - wiederum in verschiedenen institutionellen Steigerungsstufen57 - an Staatengemeinschaftsorgane übertragen. Die Ansicht des britischen Politikwissenschaftlers Burton weist wiederum eine gewisse Ähnlichkeit mit den Gedanken Schwarzenhergers auf. Nach Burton ist die Interaktion sozialer Gruppen allgemein auf drei Grundprozesse reduzierbar: "There is co-operation amongst members on a basis of equality, characterized by reciprocal transactions and a co-ordination of activities. There is also leadership, which provides means of co-ordination of activities, without necessarily eliminating group participation in decisions. Whenever the exercise of the power of leadership extends beyond the limits of authority there is resistance ... These three processes are related in time: the one tends to lead to the next. But at all stages all three continue to exist to a greater or a lesser degree: one is more dominant than others at different times58." Die derart beschriebenen Prozesse kennzeichnen auch die zwischenstaatlichen Beziehungen: "Relations between States can be expected to display evidence of these three continuing processes, each more dominant at one time than another and all present at all times5P." Speziell zur Gegenseitigkeit: "In transactions in the private sectors of relations between States, and even in many of the public sectors, exchange on a near-reciprocal basis is the rule rather than the exception ... [I]nternational society has an inherent and fundamental non-coercive aspect ... In world society, the institutionalized forms of reciprocity and COordination are of increasing significance60." In einem einführenden Überblick zur allgemeinen Theorie internationaler Politik stellt Senghaas schließlich die Frage, ob Integration und Kooperation bereits als Ansätze zum gegenwärtigen grundsätzlichen Konfliktsystem dieser Politik alternativer zwischenstaatlicher Ordnung angesehen werden dürfen. Er stellt dabei außer Streit, daß sich das inter57 Ebd., S. 12: « Ainsi l'association peut-elle passer de la simple cooperation par coordination a un stade superieur entrainant, pour des membres, une plus ou moins grande subordination. >> 58 Burton, Systems, States, Diplomacy and Rules (1968), S. 97 (Hervorhebungen von mir). 5 p Ebd. 60 Ebd., S. 102 f . In einem bereits an anderer Stelle herangezogenen Werk (International Relations, S. 65) schließt sich Burton wörtlich den Typisierungen Schwarzenhergers an. Vgl. weiters Burton, Konflikt als Funktion des Wandels, in: De Reuck- Knight (Hrsg.), Weil wir überleben wollen. Der Mensch zwischen Aggression und Versöhnung (Ciba-Symposion "Conflict in Society", deutsch 1970), S. 354.

288

D. Einschätzung in funktional-soziologischen Typologien

nationale System wenigstens unter drei Aspekten betrachten läßt: dem des Konflikts und der Drohung, dem der Integration und dem gegenseitiger Austauschprozesse61 • "Doch das entscheidende analytische Problem ist die Bestimmung des jeweiligen Mischungsverhältnisses dieser drei Momente und schließlich die Bestimmung ihres funktionalen Stellenwerts in konkreten Strukturgebilden. Dies ist aber eine Aufgabe, an die sich eine Theorie internationaler Beziehungen erst heranzutasten hat62 ." 111. Kritik dieser Versuche

Werden die im vorhergehenden Abschnitt beschriebenen funktionalsoziologischen Schichtungen des positiven Völkerrechts vergleichend analysiert, so zeigen sie - trotz gewisser Abweichungen in der verwendeten Terminologie- einige übereinstimmende wesentliche Züge, die stichwortartig etwa wie folgt festgehalten werden können: Durch den Großteil unserer Gliederungsversuche zieht sich mehr oder weniger prominent die soziologische Unterscheidung zwischen "Gesellschaften" und "Gemeinschaften" als Idealtypen sozialer Gruppen mit entsprechenden lmplikationen für die normative Ebene. Was spezifisch das Rollenspektrum der Gegenseitigkeit anbetrifft, so soll es sich nach den meisten Autoren im vergleichsweise "unpolitischen" Völkerrecht entfalten, in bedeutungsmäßig peripheren Routineangelegenheiten des zwischenstaatlichen Verkehrs also. Wird so auf der einen Seite das politische, das Machtelement in den internationalen Rechtsbeziehungen als Begrenzung des Wirkungsfeldes der Reziprozität behauptet, so auf der anderensozusagen auf der gegenüberliegenden - Seite die Grundmuster der Kooperation, Koordination oder Solidarität als eigentlich doch höherwertige Prinzipien des Völkerrechtslebens. Aufgrund dieses Bildes empfiehlt es sich, auch die nun folgende Kritik der dargestellten Typologien an deren Gemeinsamkeiten systematisch auszurichten.

61 Senghaas, Zur Analyse internationaler Politik, S. 434 f. (Hervorhebungen von mir). In Anm. 40 wird dort darauf hingewiesen, daß Boulding dabei ist, unter eben diesen drei Gesichtspunkten eine allgemeine Theorie der internationalen Politik zu entwickeln. 62 Ebd. S. 435 (Hervorhebung von mir).

III. Kritik dieser Versuche

289

1. Das soziale Substrat der Völkerrecbtsordnung: Gesellschaft oder Gemeinscbaft?1

Die im Titel gestellte Frage mag ohne Zweifel von ganz beträchtlicher theoretischer Bedeutung sein, ja Stone hält sie für das kritischeste Problem der Völkerrechtssoziologie überhaupt2 • Dennoch wird ihr im folgenden nur knapper Raum gewidmet. Dies hat seinen Grund vor allem darin, daß die für das Reziprozitätselement im Völkerrecht bedeutungsvollen Aspekte der Differenzierung zwischen internationaler Gesellschaft und internationaler Gemeinschaft in den späteren Abschnitten unserer Kritik in evidenterer und für eine kritische Betrachtung griffigerer Form wiederkehren. Dazu gesellt sich eine gewisse Unlust des Verfassers, nach Art eines leider beträchtlichen Teiles der einschlägigen Literatur so abgedroschenen wie sterilen Theorien mehr als nur die unumgänglichste Erwähnung angedeihen zu lassen. Zu allererst ist festzuhalten, daß unser Begriffspaar, insbesondere aber der Terminus (internationale bzw. Staaten-)"Gemeinschaft" im völkerrechtlichen Schriftum auf ganz verschiedenen Ebenen Verwendung findet, die sorgfältig auseinandergehalten werden müssen. So wird letzterer einmal in Darstellungen des positiven Völkerrechts häufig ohne besonderen dogmatischen Hintergrund als Kurzbezeichnung für das soziale Substrat dieser Rechtsordnung gebraucht; "international lawyers and publicists tend to use the expression more or less as a metaphor without attaching to it any Gemeinschaft significance" 3 • Diametral entgegengesetzt ist die Sachlage natürlich dann, wenn eine Gemeinschaft der Staaten in rechtsphilosophischen Ausführungen als naturrechtliches Leitbild und Korrektiv der tatsächlichen geltenden Völkerrechtsordnung postuliert wird. Seinen klassischen Ausdruck findet dieser Gedanke bei dem spanischen Spätscholastiker Francisco Suarez, dessen eindrückliche Worte wohl verdienen, hier wiedergegeben zu werden: 1 Vgl. zum folgenden Stone, RdC, S. 128 ff.; derselbe, Legal Controls of International Conflict, S. XLIX f.; Charles De Visscher, S. 116 ff.; Landheer, passim; Boasson, Approaches to the Study of International Relations (1963), S. 51 ff.; Baum, S. 261 ff.; Carlston, Law and Organization in World Society (1962), S. 66 f ., 138; Gould- Barkun, S . 52 f.; Luhmann, Die Weltgesellschaft, ARSPh. 57 (1971), S. 1 ff.; Stanley Hoffmann, in: La politique etrangere et ses fondements, S. 241; Menzel, S. 12; Virally, RdC, S. 64; Siotis, Social Science and the Study of International Relations, YBWA 1970, S. 8; Starke, Elements of the Sociology of International Law, Australian Yearbook of International Law 1965, S. 121. 2 Stone, RdC, S . 129. 3 Starke, 8.121. Für viele sei hier Verdross genannt, der im Anschluß an seine differenzierte Begriffsbestimmung des Völkerrechtes festgehalten haben

19 Simma

290

D. Einschätzung in funktional-soziologischen Typologien

"Obgleich die Menschheit in verschiedene Völker und Königreiche gegliedert ist, so besitzt sie doch eine gewisse, nicht nur physische, sondern auch eine moralische und politische Einheit, die sich aus dem natürlichen Gebote der Liebe und des gegenseitigen Mitleides ergibt, das sich auf alle Menschen, auch auf die Ausländer, welchen Volkes auch immer, erstreckt. Daher ist jeder Staat, mag er eine Republik oder ein Königreich sein, zwar an sich eine vollständige und eine dauernde Gemeinschaft seiner Bürger, zugleich aber in gewissem Sinne auch ein Glied jenes Universums, welches das Menschengeschlecht umfaßt. Denn jene Gemeinschaften können sich niemals derart genügen, daß sie keiner gegenseitigen Hilfe, keiner Gesellschaft und keiner Gemeinschaft bedürfen, entweder um besser zu leben und zu ihrem Nutzen, oder wegen einer moralischen Notwendigkeit und Bedürftigkeit, wie es uns die Erfahrung zeigt. Daher brauchen sie irgendeine Rechtsordnung, die sie in jener Art des Verkehrs und der Gemeinschaftleitet und lenkt4." Ist es nicht erregend zu beobachten, wie heute die modernen empirischen Sozialwissenschaften diese und noch viel ältere Forderungen der christlichen Naturrechtslehre praxeologisch bestätigen: daß es keinen dauernden Frieden ohne weltweite soziale Gerechtigkeit, ohne Ausrichtung der internationalen Politik auf die Verwirklichung des bonum commune humanitatis geben kann? Was ursprünglich als normatives Ergebnis sozialphilosophischer Gedankengänge, also rein spekulativ, konzipiert wurde, beginnt sich langsam aber sicher mit den überlebensnotwendigen Konsequenzen aus der immer umfassenderen Interdependenz der Staatenwelt inhaltlich zu decken5 • Die Antwort auf die Frage, ob sich die angesprochenen naturrechtliehen Gebote auch in allgemein durch die Befolgung anerkannte positivwill, daß alle Normengruppen zusammen "die Rechtsordnung der Internationalen Gemeinschaft bilden": Völkerrecht (5. Aufi.) S. 5. 4 De legibus ac Deo legislatore (1612), II, Kap. XIX, n°9; deutsch in Verdross, Völkerrecht (5. Aufi.), S. 98. Gerade dieser Gelehrte setzt sich unermüdlich mit den Ausstrahlungen der spanischen Schule auf die moderne Völkerrechtslehre und die einschlägigen Teile der katholischen Soziallehre auseinander; vgl. die oben C II 2 e, Anm. 40, angeführte Literatur. 5 Vgl. Stone, RdC, S. 70, der mit den folgenden zutreffenden Worten eine Brücke zwischen Völkerrechtssoziologie und Naturrechtslehre schlägt: "No other legal system is so heavily indebted to naturallaw for inspiration and nurture from the very moment of its effective birth. The same factors which provided that extra-legal reliance continue to be active today, even when the extra-legal supports sought tobe relied on have come to embrace the results of sociological inquiry. The drive for sociological understanding is thus seen as complementary, not contradictory, to the older and still persistent efforts to establish international law on the dictates of natural law. Sociological inquiries promise empirical and object ive approaches to realities lang discussed (and not wholly in vain) through natural law philosophy."

(Hervorhebung von mir.)

III. Kritik dieser Versuche

291

rechtliche Normen verhärten werden, wird die Zukunft der Menschheit wesentlich mitentscheiden5•. In unserem eigentlichen thematischen Zusammenhang kritisch wird die Situation erst dann, wenn eine internationale "Gemeinschaft" mit ganz spezifischen Zügen nicht als Bestandteil einer naturrechtlich (oder wie auch immer sonst) begründeten SolZensordnung postuliert, sondern als Teil der zwischenstaatlichen Realität mit Anspruch auf Wissenschaftlichkeit konstatiert wird, ob ihr nun der Typus der internationalen "Gesellschaft" gegenübergestellt wird oder nicht. Hier hängt natürlich alles von der Art und Weise ab, in der man diese soziologischen Begriffe definiert und sie an Merkmalen wie Gemeinsamkeit der Interessen, Egoismus contra Altruismus der Glieder, Wille zur Zusammenarbeit, Solidarität o. ä. mißt. Der unvoreingenommene Beobachter derartiger doktrineUer Unternehmungen kann nun allerdings weder Übereinstimmung bezüglich dieser Kriterien noch eine etwa ins Gewicht fallende Klärung irgendwelcher völkerrechtlicher Probleme finden. Was er in der zwischenstaatlichen Wirklichkeit vorfindet, sind konkrete Gruppierungen, die dadurch auch nicht um einen Deut besser ge- und erklärt werden können, daß man sie auf einer theoretischen Skala irgendwo zwischen den Extremen zweier Idealtypen anzuordnen versucht, die ursprünglich ohne spezielle Rücksichtnahme auf internationale soziologische Zusammenhänge entwickelt wurden. Daher kann sowohl Virally zugestimmt werden, der die Dichotomie Gesellschaft-Gemeinschaft ganz allgemein "fort contestable et tres formelle" nennt6, als auch dem spezifischen, auf unseren Zusammenhang bezogenen Urteil Menzels, nach dem die terminologische Kontroverse um die beiden Idealtypen auf der unzulässigen Übertragung soziologischer Fachbegriffe auf das Völkerrecht beruhe. Die erkenntnistheoretische Unfruchtbarkeit des Unterfangens, das soziale Substrat der Völkerrechtsordnung dieser betagten Typologie einzuordnen, zeigt sich ja auch darin, daß die Autoren, die sich unserer Frage mit dem notwendigen kritischen Bewußtsein widmen, sich ents• "Die Menschheit, der Geist der Erde, die Synthese der einzelnen und der Völker, die paradoxe Versöhnung des Elements mit dem Ganzen und der Einheit mit der Menge - das alles wird utopisch genannt und ist doch biologisch notwendig. Und um das alles in der Welt zum Entstehen zu bringen, brauchen wir uns vielleicht nur vorzustellen, daß die Macht unserer Liebe wächst, bis sie alle Menschen und die ganze Erde umfaßt." Teilhard de Chardin, Der Mensch im Kosmos (1959), S. 273 f. u ViraUy, RdC, S. 64, Anm. 19. 7 Menzel, S. 12. Und weiter: "Ebensowenig wie etwa die§§ 705 ff. BGB eine Aussage über das Wesen der Gesellschaft im soziologischen Sinn darstellen oder die Erbengemeinschaft des bürgerlichen Rechts als echte Gemeinschaft gilt, kann der Begriff einer universalen Rechtsgemeinschaft mit den Maßstäben der Soziologie beurteilt werden." Vgl. in gleicher Richtung auch Baum, S. 266. 19°

292

D. Einschätzung in funktional-soziologischen Typologien

weder gezwungen sehen, innerhalb der Begriffe - insbesondere desjenigen der (Staaten-)"Gemeinschaft" - derart zu differenzieren, daß der Oberbegriff seinen letzten Schein von Brauchbarkeit einbüßt8 , oder aber in ihrer Überzahl im Ergebnis schlicht festzustellen, daß heute noch keine internationale Gemeinschaft im eigentlichen Sinne existiert9 , bzw. daß gegenwärtig korrekt weder von einer Staaten"gemeinschaft" noch von einer Staaten"gesellschaft" gesprochen werden kann10• 2. Reziprozität und "politisches" Völkerrecht" ("Recht der Macht")

Auch die Ansicht, wonach die Gegenseitigkeit als sozio-psychologisches Leitprinzip der Völkerrechtsentstehung und -fortgeltung ihre besondere Wirkkraft auf denjenigen zwischenstaatlichen Lebensgebieten entfalten soll, "which affect less vitally the power and policies of the states" 11 , bedarf einer äußerst kritischen Überprüfung. So wurden von den zahlreichen Beispielen, mit deren Hilfe der Verfasser im Verlauf der vorliegenden Untersuchung die Funktion des Reziprozitätselementes "hinter" völkerrechtlichen Verträgen zu illustrieren suchte, nicht wenige gerade wegen ihrer besonderen Anschaulichkeit aus dem hochpolitischen Raum gegriffen. Es sei hier nochmals an das völkerrechtliche Gewaltverbot - heute zweifellos die wichtigste "rule of the political game among states" 12 - erinnert, von dem wohl mit Recht angenommen wers Typisch dafür Stone, RdC, S. 129 f., der sich genötigt fühlt, nicht weniger als drei "Gemeinschafts"-Konzeptionen zu unterscheiden, "without necessarily asserting that they cover the whole field ... First, . .. we may regard a community as existing wherever we have a group of human entities, constantly interacting with each other [nach dieser Definition würden also auch die Teilnehmerstaaten an einem Weltkrieg eine "Gemeinschaft" bilden, sie interagieren dabei ja äußerst intensiv] ... Second, .. . we may regard a community as involving not merely a certain steady flow of interaction between a group of entities, but also such a kind and level of interaction as leads to a degree of integration of members into a unity acting as one for some important purposes ... The third kind of definition ... would say ,a community' also implies a striving which is based in substantial part on common goals or common values . . . Moreover even the acceptance among individuals of common goals or values will not warrant their being regarded as ,a community' unless their interaction is productive of rules accepted in common jor the attainment oj these common goals or values" . (Hervorhebung im Original.) 9 So Stone, ebd., bezüglich seines letztgenannten "Gemeinschafts"-Typs; Starke, Siotis (Anm. 1) und Charles De Visscher, S. 130: Und ebd., S. 101: « Dans les domaines ou il repond a la nature des choses, le principe de reciprocite ne peut donc etre abandonne que provisoirement en vue de retablir les conditions d'une reciprocite plus authentique. » 45 Oben Kapitel C II 3 c cc. Das an dortiger Stelle ebenfalls behandelte ius in bello scheidet im gegenwärtigen Zusammenhang aus, da es nicht zum "Völkerrecht der Kooperation" gezählt werden kann.

III. Kritik dieser Versuche

303

in Angriff genommen wird46 • Die Situation ist hier analog derjenigen beim "wettbewerbsrelevanten" internationalen Arbeits- und Sozialrecht: Ein besserer Schutz der Biosphäre muß in vielen Industriezweigen zu einer horrenden Erhöhung der Produktionskosten führen und damit ebenfalls die internationale Konkurrenzfähigkeit berühren. So wird strikte Bedachtnahme auf Gegenseitigkeit, auf ein präzises "keeping step with like-minded States" 47 , und damit die Verhinderung einer "competitive disadvantage" zur unabdingbaren Voraussetzung für die Durchführung von Schutzmaßnahmen auf eben diesen Gebieten 48 • -Die Bemühungen um eine völkerr·e chtliche Normierung und Organisation der Meeresbodennutzung außerhalb des Festlandsockels im Interesse aller Staaten49 nach den Richtlinien der Deklaration der Verein46 Insbesondere auf der United Nations Conference on the Environment, die in der Zeit vom 5. bis 16. Juni 1972 in Stockholm stattfand, und auf der unter den Auspizien des Europarates für Anfang 1972 in Wien geplanten European Ministerial Conference on the Environment. 47 Joint Dissenting Opinion der Richter Guerrero, McNair, Read und Hsu Mo zum Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofes über die Zulässigkeit von Vorbehalten zur Völkermordkonvention, ICJ Reports 1951, S. 47. 48 Vgl. zu diesem Reziprozitätselement etwa Curzon - Curzon, Hidden Barriers to International Trade (1970), S. 30 f.; HäberHn- Rausch, Die Schweiz im internationalen Umweltschutz, NZZ vom 23. Dezember 1971, S. 35; United States Commission on International Trade and Investment Policy, United States International Economic Policy in an Interdependent World (1971), S.129. Vgl. weiters aus der Arbeit des Europarates das Memorandum des Generalsekretariates (Rechtsabteilung) zum Vorentwurf einer Konvention über den Gewässerschutz, Dokument CM (70) 134 vom 27. Oktober 1970, S. 2; aus dem Bericht von Bergegren über das im Juli 1971 in Stockholm abgehaltene (zweite) Symposion für im öffentlichen Gesundheitswesen spezialisierte Parlamentarier: Report on the impairment of the environment and its effects on human health, Dokument 3061 vom 20. Dezember 1971, S. 5 und 12; aus dem von Cravatte für das Committee on Regional Planning and Local Authorities erstatteten Bericht über Umweltpolitik in Europa, Dokument 3080 vom 18. Januar 1972, S. 53; aus dem von Mart für das Committee on Economic Affairs and Development vorgelegten Memorandum über die wirtschaftlichen Implikationendes Umweltschutzes, Dokument 3088 vom 20. Januar 1972, S. 5 (sämtlich Berichte an die Konsultativversammlung) und schließlich aus der Rede des deutschen Innenministers Genscher in der Debatte der Konsultativversammlung am 21. Januar 1972, Official Report, Dokument AS (23) CR 18 (First part), A 13-A 14 (darüber auch die NZZ vom 23. Januar 1972, S. 2). 49 Schrifttum und Dokumente über diese brennende Frage gehen bereits in Uferlose. Vgl. statt aller das von MacGibbon für die Rechtsabteilung des Europarates verfaßte Working Paper Sea-Bed (72) 1 vom 18. April 1972, das eine systematische übersieht über die aktuelle völkerrechtliche Problematik bietet, wie sie sich in der Arbeit des von der UN-Generalversammlung am 18. Dezember 1967 mit Resolution 2340 (XXII) eingesetzten Committee on the Peaceful Uses of the Sea-Bed and the Ocean Floor beyond the Limits of National Jurisdiction herauskristallisierte; zur Literatur zuletzt die vom Woodrow Wilson International Center for Scholars editierte Ocean Affairs Bibliography (1971). A Selected List Emphasizing International Law, Politics and Economics of Ocean Uses (1971).

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D. Einschätzung in funktional-soziologischen Typologien

ten Nationen vom 17. Dezember 1970 über die für den Meeresboden und den Meeresuntergrund außerhalb der nationalen Hoheitsgrenzen gültigen Grundsätze50 . In dieser Deklaration drückt die Generalversammlung u. a. ihre Überzeugung und ihren Willen aus, daß die Erforschung und Nutzung der Naturschätze des Meeresbodens und -Untergrundes als res omnium communes zum Besten der ganzen Menschheit betrieben werden müssen. Ein internationales Regime auf der Basis eines Vertrages von universellem Charakter "soll eine gerechte Teilhabe der Staaten an dem daraus erwachsenden Nutzen gewährleisten, unter besonderer Berücksichtigung der Interessen und Bedürfnisse der Entwicklungsländer, gleichviel, ob sie im Binnenland oder an einer Küste liegen"51. Die vertragliche Festlegung dieses Regimes soll im Jahre 1973 auf einer internationalen Seerechtskonferenz erfolgen. Hier ist nicht der Ort, auf all die komplexen Fragen juristischer aber vor allem rechtssoziologischer Natur einzugehen, die die Internationalisierung der Meeresbodennutzung für den Völkerrechtler so faszinierend wie schwierig gestalten. Hier ist nur eines festzuhalten: Wenn es tatsächlich gelingen sollte, den Meeresgrund zu entkolonisieren, bevor er kolonisiert worden ist52 , so letztlich nur durch Vermittlung des Gegenseitigkeitsgedankens in seiner gerade beschriebenen Ausformung - indem sämtliche finanzkräftigen und technologisch hochentwickelten Großmächte und Küstenstaaten sich zu gleicher Zurückhaltung bereit erklären. Reziprozitätsmotivationen des "keeping step"-Typus spielen schließlich auch bei der Gewährung wirtschaftlicher Entwicklungshilfe eine ganz wesentliche Rolle, weil das - weiter oben skizzierte - Handelspräferenzsystem zugunsten der unterentwickelten Länder auf der Geberseite durch die Formel der Gleichwertigkeit der Leistungen, also der angemessenen Verteilung der Präferenzlasten, gesteuert wird53. Die Anwendung einer dritten Gruppe völkervertragsrechtlicher Normen schließlich, die nach den hier kritisch beleuchteten Gliederungsversuchen zum "Recht der Kooperation" zu zählen sind, vollzieht sich weder unmittelbar noch mittelbar im Verhältnis zwischen den Vertragsparteien. Die Erfüllung dieser Abkommen wirkt sich gleichsam, wie oben ausführlich demonstriert wurde, nicht inter-, sondern rein intranational aus, der Mechanismus des funktionellen Synallagma würde da50 General Assembly Resolution 2749 (XXV), deutscher Text im EA 26 (1971), S. D 119 ff. 51 Paragraph 9 des operativen Teils der Resolution. 52 So der Präsident der XXV. Generalversammlung, Hambro, anläßlich der Verabschiedung der obengenannten Deklaration: NZZ vom 19. Dezember 1970, s. 4. ss Vgl. NZZ vom 25.Apri11971, S.17, und zu den Auswirkungen der amerikanischen Zahlungsbilanzmaßnahmen vom Sommer 1971 auf eben dieses Prinzip NZZ vom 21. September 1971, S. 13.

III. Kritik dieser Versuche

305

mit gegebenenfalls leerlaufen. Der überwiegende Teil der völkerrechtlichen Verträge mit humanitärem bzw. Wohlfahrtszweck ist dieser Kategorie zugerechnet worden. Aber auch ihre genauere Untersuchung deckte ganz entscheidende Reziprozitätselemente auf, und zwar insbesondere völkerrechtssoziologischer Natur54• Denn die vertragliche Festschreibung eines bestimmten Verhaltensstandards, der auch durch rein innerstaatliche Normsetzung erzielbar wäre, kann nur dazu dienen, andere Staaten zur Übernahme identischer Verpflichtungen zu veranlassen. Damit ist das Bauprinzip der Reziprozität in einer ganz spezifischen Ausprägung aber auch in demjenigen Bereich des modernen Völkerrechts am Werk, dem der Gedanke eines zwischenstaatlichen Austausches materieller Begünstigungen völlig fremd ist! Sicherlich kann hier mit Virally von der Wirksamkeit eines Prinzips internationaler Solidarität gesprochen werden. Aber nach dem gerade Gesagten ist es ebenso sicher unzutreffend, Solidarität und Reziprozität scharf zu trennen und- mit Virally - zu behaupten, daß letztere ihren Sinn verliert "la ou les interets sont communs et vont dans le meme sens, parce que l'idee d'une echange entre eux perd son sens" 55• An dieser Stelle scheint auch der französische Autor seinen sonst bemerkenswerten Realismus zugunsten eines Tributs an gewisse völkerrechtliche Modeschlagworte aufzugeben. So großzügig die politische Rhetorik auf internationaler Bühne mit dem Begriff der Solidarität umgeht, so vorsichtig sollten Völkerrechtswissenschaft und Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen verfahren, wenn es um die Feststellung geht, inwieweit und in welcher Erscheinungsform echte Solidarität heute tatsächlich den Ablauf der zwischenstaatlichen Beziehungen gestaltet. Ob sie als naturrechtliche oder moralische Richtschnur für diese Beziehungen betrachtet werden muß, ist dagegen eine ganz andere Frage56• Was sich in der völkerrechtlichen lex lata, eben im Kooperationsrecht, festgeschrieben findet, ist keine Solidarität der Gesinnung und nur zum geringen Teil eine Solida54

55

Vgl. oben C Il3 c bb.

Vir.a lly, RdC, S. 56.

58 Vgl. dazu die Kommentierung der modernen päpstlichen Sozialenzykliken durch Verdross in den oben C II 2 e, Anm. 40, angeführten Arbeiten; weiters aus dem Aufruf der (nichtstaatlichen) internationalen Organisation Pax Romana (mit Konsultativstatus B beim Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Natonen), UN Doc. E/C. 2/683, S. 4: "[I]t is necessary to evolve not only an ethic of man but also an ethic of the international community. In that regard we believe that it is necessary to go beyond 'goodwill' in the matter of international cooperation and to move towards the recognition of a genuine obligation based on the notion of international solidarity ... [T]his notion of international solidarity is borne in upon us with such force that it only remains for us to introduce it into our institutions by converting it into arecognized concept of public internationallaw ... There is thus a new ;us gentium which we are called upon to accept and which we must have the courage to proclaim." Siehe auch Gould - Barkun, S. 295 f. und oben Pkt. 1.

20 S1mma

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D. Einschätzung in funktional-soziologisch en Typologien

rität des Handeins in Form gegenseitiger Hilfsbereitschaft, sondern weit überwiegend eine bloße Interessensolidarität57 • Sie "erwächst ganz realistisch aus der Erkenntnis und Anerkennung der tatsächlichen Abhängigkeiten der Interessen der Staaten und Völker, des Aufeinanderangewiesenseins, der Erkenntnis der Grenzen eigener Kraft und des Nutzens des Miteinander-, statt Nebeneinander- und Gegeneinanderseins"58. Solcherart aufgefaßt stellt "internationale Solidarität" nichts anderes dar als die rationale, effiziente - und deswegen eben gemeinsame - Verfolgung von (mehr oder weniger) "enlightened self-interests" der einzelnen Staaten58 • Aber auch sie schwebt in der heutigen Situation der Staatenwelt noch stets in Gefahr, jederzeit wie Glas in 57 Vgl. statt aller Vierkandt, Stichwort "Solidarität", in: Bernsdorf (Hrsg.), Wörterbuch der Soziologie (2. Aufl. 1969), S. 944 ff. Nach Vierkandt ist allen drei Bedeutungen des Wortes "Solidarität" gemeinsam, daß es sich dabei um einen Zustand handelt, in dem eine Vielheit sich als eine Einheit verhält, wobei dieses Verhalten den praktischen Sinn hat, Störungen, Eingriffe oder Angriffe der Außenwelt abzuwehren. Den ersten beiden Spielarten liegt dazu eine Gemeinschaftsgesinnu ng zugrunde, die "nicht etwa durch das eintretende Interesse erzeugt wird, sondern ... in einem gleichsam schlummernden Zustand immer vorhanden ist und durch einen äußeren Anlaß lediglich bewußt oder wirksam gemacht wird" (S. 944). "Die Interessensolidarität dagegen beruht lediglich auf der Sachlichkeit. Das einzige Band, das sie verbindet, ist das gemeinsame Interesse. Sie dauert daher auch nur, solange dieses besteht. Von einer inneren Verbundenheit im Sinne einer Gemeinschaft ist hier nicht die Rede" (S. 946). Siehe auch Ross, On Law and Justice, S. 358 ff. 5 8 Kraus, Staatsinteressen im internationalen Leben, S. 24. Vgl. auch derselbe, Interesse und zwischenstaatliche Ordnung, Niemeyers Zeitschrift für internationales Recht 49 (1934), S. 49 ff. su Vgl. zum Konzept eines "enlightened self-interest" in der heutigen Weltsituation etwa aus dem Pearson Report, S. 9: "We must not ... interpret national interest in a narrow and restricted sense. Indeed, the acceleration of history, which is largely the result of the bewildering impact of modern technology, has changed the whole concept of national interest. Who can now ask where his country will be in a few decades without asking where the world will be? If we wish that world to be secure and prosperous, we must show a common concern for the common problems of all peoples." Und weiter S.ll: "If the developed nations wish to preserve their own position in that world, they must play their full part in creating a world order within which all nations, and all men, can live in freedom, dignity, and decency" (Hervorhebung von mir). Vgl. weiters Claude, Swords into Plowshares, S. 345, 348, 352; Franke!, Die außenpolitische Entscheidung, S. 155 f. und McDougal- Reisman, "The Changing Structure of International Law, Unchanging Theory for Inquiry, CLR 65 (1965), S. 834: "In certain value processes, it is widely perceived that self-interest can be achieved through cooperation; self-interest is supplanted by a perceived common interest." Schließlich aus der Replik Friedmanns auf die Kritik der beiden zuletztgenannten Autoren an seinem u. a. in "The Changing Structure of International Law", Unchanging Theory for In"Völkerrechts der Zusammenarbeit" (The Relevance of International Law to the Processes of Economic and Social Development, S. 8 f., Anm. 14): "That the laws of 'cooperation' as weil as those of 'coexistence' are directed by 'selfinterest' is stressed throughout the book, where indeed the development of an internationallaw of cooperation is regarded as a matter of survival."

III. Kritik dieser Versuche

307

divergierende Einzelinteressen zu zersplittern80, insbesondere dann, wenn sie Bereiche erfassen soll, die von vornherein oder im Laufe der Zeit für die gegenseitigen Machtpositionen der Staaten Gewicht erlangen81. Man denke nur im prima facie hochpolitischen Bereich an das Debakel bisher sämtlicher Versuche, ein universales System echter kollektiver Sicherheit aufrechtzuerhalten62, im Bereich internationaler Zusammenarbeit angeblich "unpolitischer" Natur an die Vorgangsweise der Vereinigten Staaten zur Lösung ihrer wirtschafts- und währungspolitischen Schwierigkeiten im Sommer 197183 und an das ernüchternde Bild des nachfolgenden monatelangen Kräftemessens in der Frage der Neufestsetzung der Währungsparitäten. Aber wie es auch immer um die Bestandskraft der zwischenstaatlichen Solidarität bestellt sein mag, ist es mit Sicherheit unzutreffend, Reziprozitätselemente im hier beschriebenen Sinn aus diesem Bereich auszuschließen. Gegenseitigkeit erscheint nach dem oben Gesagten vielmehr geradezu als die conditio sine qua non auch der Solidarität64 ! So läßt sich abschließend sagen, daß es begrifflich wie systematisch verfehlt ist, der Reziprozität - oder einem "Recht der Gegenseitigkeit" - etwa Macht, Kooperation, Koordination, Solidarität - oder von diesen Leitgrundsätzen geprägte Normengruppen des Völkerrechts - als etwas Gegensätzliches gegenüberzustellen. Unser Prinzip durchwirkt vielmehr das gesamte Völkerrecht, wenn auch in verschiedenen Nuancen und Differenzierungen.

60 So richtig Schnorr von Carolsfeld (in seiner Besprechung von Schnorr, Das Arbeitsrecht als Gegenstand internationaler Rechtsetzung), ArchVR 13 (1966/1967), S. 142; vgl. auch ebd., S. 141. 61 Vgl. Hoffmann, International Systems and International Law, S. 91: "The greatest solidarities exist in matters that least affect the power and policies of the subjects and vice versa." 62 Statt aller Boasson, JPR, S. 35; Claude, Swords into Plowshares, S. 223 ff.; Frei , Kriegsverhütung und Friedenssicherung, S. 69 ff. 63 Vgl. AdG 41 (1971), S. 16474 ff. 84 Die korrekte Verbindungslinie zwischen Interdependenz, darauf beruhender Interessensolidarität und Reziprozität zog Cohen in seinem Diskussionsbeitrag auf der Tagung 1953 der American Society of International Law (ASIL Proceedings, S. 86): "What seems to me to be really important is the concept of reciprocity, the functional need of groups for each other, for each other's labors, for each other's collective activity for all the areas of human need for which one group needs another."

20°

Abschließende Bemerkungen Der schweizerische Staatsrechtslehrer Werner Kägi hat in einer geistvollen Untersuchung über das völkerrechtliche Prinzip "Pacta sunt servanda" von dem Interesse der Staaten an der Erhaltung der Gegenseitigkeit - wie übrigens auch von einem gewissen Gleichgewicht der Macht als dem "brüchigen Boden" gesprochen, auf dem völkerrechtliche Abkommen dort stehen, wo der Grundsatz der Heiligkeit der Verträge für deren Parteien "als allgemeingültiges Sollensgebot, als objektive Maxime oder gar als kategorischer Imperativ" nicht oder nicht uneingeschränkt gilt, also etwa im Völkerrechtsverkehr totalitärer Staaten1 • Im Licht unserer nunmehr vollendeten Untersuchung kann diese Qualifizierung des soziologisch-politisch verstandenen Reziprozitätselementes hinter völkerrechtlichen Verträgen nur unter einem ganz bestimmten Aspekt überzeugen. Nämlich insofern, als das Interesse der Beteiligten an positiver Gegenseitigkeit aus der Erfüllung eines Abkommens seine Rolle als konstruktiver, moderierender und stabilisierender Faktor tatsächlich auch dann spielen kann, wenn die - ideologisch oder wie auch immer sonst bedingte - Reduzierung der den Partnern eines völkerrechtlichen Vertrages gemeinsamen Wertvorstellungen, ihres "fond ethique commun" 2 , den Wirkungsgrad "anspruchsvollerer" Beweggründe der Vertragseinhaltung entscheidend beschränkt. Nun ist bereits in der Einführung zur vorliegenden Studie darauf hingewiesen worden, daß die Differenzierung des sittlich-normativen Bewußtseins der internationalen Gemeinschaft wenigstens auf universeller Ebene heute eine der fundamentalen Gegebenheiten darstellt, mit denen sich die Bestrebungen um eine umfassendere und adäquatere rechtliche Weltordnung konfrontiert sehen. Damit liegen aber die völkerrechtspolitischen Konsequenzen im Sinne einer Forderung nach betonter Verwirklichung gegenseitiger Vorteile aus Vertragsbeziehungen insbesondere zwischen weltanschaulich oder von der Rechtskultur her heterogenen Partnern klar auf der Hand. Unter Verwendung einer Methode, die den Untersuchungsgegenstand im Lichte sämtlicher sinnvoller Betrachtungsweisen zu ergründen sucht, 1

Kägi, Stichwort "Facta sunt servanda", in: Strupp - Schlochauer, Bd. II,

1

Charles De Visscher; vgl. oben S. 26.

s. 715.

Abschließende· Bemerkurigen

909

zeigt sich außerdem, daß die Reziprozität in und um völkerrechtliche und hier wiederum insbesondere um vertragliche- Normen ein so vielfältiges Spektrum von normativen und faktischen Erscheinungsformen und Funktionen entfaltet, daß ihre Einschätzung als lediglich residual zum Zuge kommender und mehr oder weniger zweifelhafter Faktor der Effektivität von Verträgen ihrer wirklichen Bedeutung nicht im entferntesten gerecht werden kann. Tatsächlich ist diese Bedeutung in der Völkerrechtswissenschaft kaum voll anerkannt, geschweige denn adäquat beschrieben worden. Dies ist um so verwunderlicher, als das Bild auch der gegenwärtigen Staatengesellschaft in soziologisch-politischer wie in rechtlicher Sicht dem Betrachter das Zustands- und Verlaufsmodell "Gegenseitigkeit" geradezu aufdrängt. Denn soll sich zwischen grundsätzlich horizontaza nebeneinander (ko)existierenden und interagierenden Handlungseinheiten ohne nennenswerte "institutionelle Entlastung" im Sinne Schelskys4 überhaupt Ordnung und damit auch rechtliche Ordnung entfalten, soll sie wirksam werden und bleiben können, so ist dauernde Koordination der Beteiligten vonnöten. Koordination aber ist nichts anderes als wechselseitige Orientierung der Erwartungen und AnEinander-Ausrichten des sozialen Verhaltens- also dauernde Bedachtnahme auf Gegenseitigkeit. So prägt das Schema der Gegenseitigkeit denn auch den völkerrechtlichen Vertrag als das wichtigste, ins Normative verhärtete Produkt zwischenstaatlicher Gebarenskoordination. Es durchzieht und determiniert zum einen formal-strukturell betrachtet den gewohnheitsrechtlich entwickelten Apparat des "Law of Treaties" und gestaltet dessen Normen über Entstehen, Umfang, Beschränkungen und Beendigung der Bindungswirkung von Verträgen im Sinn eines weitestmöglichen Gleichgewichtes reziproker Rechte und Pflichten. Der Gedanke der Reziprozität- als Erwartung einer positiven Gegenleistung, der Beider- bzw. Allseitigkeit einer bestimmten Anstrengung oder als Bewußtsein der wechselseitigen Bedingtheit vertraglich festgelegter Interaktionsmuster im Inhalt staatlicher Zielvorstellungen wirkt aber auch - und insbesondere - unter funktional-rechtssoziologischen Gesichtspunkten wie ein kraftvoller Motor im Zustandekommen und im Prozeß der weiteren Erfüllung völkerrechtlicher Verträge; er steht hinter jedem ersten Schritt, aber auch hinter allen folgenden, zur einvernehmlichen Kultivierung, Moderierung und durch wachsende Interdependenz bedingten Differenzierung und schließliehen Organisierung staatlicher Verhaltensformen, sowohl gegenüber anderen staatlichen Partnern als neuerdings in schnell wachsendem Maße auch gegena Vgl. Simma, Völkergewohnheitsrecht, S. 17, Anm. 16. 4

Vgl. oben S. 18f.

310

Abschließende Bemerkungen

über den eigenen Staatsangehörigen5 • So ist es an vorderster Stelle das derart verstandene Reziprozitätselement, durch das "without exercises in professional CowHsm or doctrinal self-intoxication, internationallaw can be developed unostentatiously and effectively on constructive lines", um eine auch im wahrsten Sinn des Wortes treffende Bemerkung Schwarzenbergers anzuführen6 • Unsere Analyse der Gegenseitigkeit insbesondere im Zustandekommen völkerrechtlicher Verträge ist sich daneben aber stets auch gewisser Faktoren bewußt geblieben, die die positive Rolle dieses Bauprinzips der internationalen Rechtsbeziehungen beeinträchtigen und begrenzen. Darunter vor allem der grundsätzlich gegebenen, wenn auch nicht überall in gleichem Maß praktisch ins Gewicht fallenden Abhängigkeit der Realisierungs- und Wirkungsmöglichkeit der Gegenseitigkeit von einem gewissen Gleichgewicht im faktischen (und in einem weiten Wortsinn zu verstehenden) vertragsrelevanten Potential der Abkommensparteien. Aber auch der Januskopf des Reziprozitätselementes im Völkerrecht ist im Lauf unserer Untersuchung zu wiederholten Malen, besonders anläßlich der Besprechung von Zustandekommen und Geltung des vertraglichen Kriegsvölkerrechts, sichtbar geworden: jene Eigenart seiner Funktionsweise, die ein- und denselben Gedanken, eben den der Vergeltung, nicht nur konstruktiv zum dynamischen Leitprinzip der völkerrechtlichen Normschöpfung und -erfüllung, sondern unter gewissen Umständen auch destruktiv zum Grund und zum Verlaufsschema einer mehr oder weniger schwerwiegenden Eskalation der Verwilderung zwischenstaatlicher Verhaltensweisen werden läßt. Jedenfalls bedeutet es keine Übertreibung, das Bestreben nach Herstellung der Gegenseitigkeit in Anlehnung an ein eingangs zitiertes Wort Arnold Gehlens7 als eine überaus charakteristische "Stil-Konstante" der internationalen Beziehungen zu bezeichnen, deren positive Aspekte im Prozeß der Völkerrechtsentstehung mit besonderer Eindringlichkeit hervortreten. Eben diese Seite des Reziprozitätselementes im Völkerrecht klären zu helfen, war das Ziel der vorliegenden Arbeit.

1 Lenhoff (S. 621) vergleicht die Bedeutung der Reziprozität in unserem Zusammenhang sehr anschaulich mit der Funktion der Hypophyse für das Wachstum des menschlichen Körpers. 1 Schwarzenberger, RdC 117 (1966 I), S. 6. 7 Vgl. oben S. 16 und Anm. 7.

Summary In his final remarks to an earlier study dealing with the relevance of reciprocity for the formation of international customary law* the author drew an outline of a more comprehensive theory of reciprocity as a working principle behind international law than hitherto developed. The present book attempts to make a substantial step in this direction by describing and analyzing the element of reciprocity in the formation of treaties. The introduction (pp. 15-42) puts the social phenomenon of reciprocity into the context of internationallaw and relations. In a first section (pp. 15-24), reciprocity is described as a vital social-psychological element of every human interaction and, in consequence, of every legal order. Most evident, however, is its constructive and regulative effect on the legal systems of so-called "primitive" societies-a finding of considerable relevance to a sociological analysis of international relations and particularly of international law, frequently depicted as a kind of primitive law on a world scale. The second section of the introduction (pp. 24-37) throws light upon the constantly growing predominance of treaties among the sources of international law and the reasons for this development. lt sketches the 1969 Vienna Convention on the Law of Treaties as the internationallegal framework for the various legal and meta-legal processes and phenomena to be described in the further course of the study. In accordance with the scope of the Vienna Convention, treaties concluded between states and other subjects of internationallaw (e.g. international organizations) are excluded from further analysis, which-as is argued in a short remark on methodology (pp. 38-42)-must with necessity go beyond a purely normative approach to international legal norms in order to draw a sufficiently complete picture of reciprocity at work behind inter-state agreements. Entering the central part of his study, the author at the outset defines reciprocity as a situation existing between two or more states resulting from identical or equivalent treatment accorded to each other,

* Bruno Simma, Das Reziprozitätselement in der Entstehung des Völkergewohnheitsrechts. Munich/Salzburg: Wilhelm Fink Verlag, 1970.

312

Summary

and further differentiates this scheme (pp. 43-49). He thereby obtains a conceptional tool applicable to both the normative and the sociologicalpolitical aspects of the problern under consideration. The concept thus developed is first used to analyze the element of reciprocity in the formal structure and validity of treaties (pp. 50-66). The study tries to show that, from such a purely formal point of view, reciprocity governs every treaty, quite independently of its content, and consequently underlies and channels all the institutions of the law of treaties relevant in the present context as embodied in the Vienna Convention; i.e. the norms concerning the coming into force, application and termination of treaties, the limitations to their amendment and modification, and-with particular evidence-the effects of reservations to multilateral treaties (pp. 58-64) as well as the right to terminate a treaty or to suspend its operation as a consequence of breach (pp. 64-66). The study then proceeds to a short examination of reciprocity in the content of international agreements (pp. 67-73). It emphasizes the point that the realization of such Substantive reciprocity through the terms of a treaty, however postulated on the political Ievel, is no requirement of general international law. As a consequence, reciprocity or mutuality of advantages cannot be regarded as a condition of validity of treaties. On the other hand, however, a number of concrete agreements and resolutions, especially in the field of international economic law, set it down as a guideline to be followed in negotiations and the exchange of contractual benefits. With these observations on the various configurations of reciprocity in both treaty form and treaty substance, the theoretical groundwork is laid for the core of the study: for an extensive analysis of how the anticipation of substantive reciprocity works as a motivating force behind the formation of treaties and how such expectations are realized (pp. 73- 219). For the purpose of this analysis, a fundamental distinction is made between treaties regulating interaction among their parties on the one hand and treaties which do not operate between the parties on the other (p. 80). In addition, the concept of "state interests" is clarified as a phenomenological research tool (pp. 75-77) and a delimitation is drawn between international agreements on the one hand and, on the other, the results of reciprocity expectations not formally embodied in treaty provisions (pp. 77-80). As to the treaties regulating a certain interaction of the parties (pp. 80-161), the various constellations of interest leading to their conclusion are scrutinized (pp. 80-84) and the reciprocity at work behind contractual and law-making treaties is examined (pp. 84-89). The treaty law governing state conduct in armed conflicts (pp. 89-97)

Summary

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serves as a particularly lucid illustration of the finding that the constructive effect of reciprocity is identical with both types of international agreements. The material used shows with all clarity that a theory which attempts to demonstrate the existence of a "collective" or "community interest" (as opposed to the individual parties' interest in reciprocity) behind every multilateral treaty cannot stand the test of close enquiry (pp. 97-100). To round up these findings, the author investigates how the anticipation of reciprocity at work in the treaty-making process continues to play its constructive röle in the further "life" of treaties (pp. 100-104). Again, the law of armed conflict is used to point out the fundamental importance of considerations ofthat nature (pp. 104-113). The next chapter of the study is devoted to a closer analysis of the manifestations of substantive reciprocity which exercise the functions described before (pp. 114-133). A distinction is made between reciprocity in a formal sense, based on mere identity of the treatment stipulated in the treaty provisions, and real reciprocity resulting from equivalence of the mutual advantages derived from treaty performance (pp. 114-118). It is shown that the socio-psychological reciprocity element investigated in the present context always has its starting-point in the second category (pp. 119-122). Consequently, the various methods of establishing reciprocity by equivalence of advantages are examined (pp. 123-133). Under certain circumstances, however, the realization of substantive reciprocity of that nature may become very difficult if not outright impossible (pp. 134-148). The factors which thus Iimit the possibility of securing a Iasting compliance with treaty obligations by "distributing" the contractual rights and duties in a certain way, are extra-legal in nature. Formulated in a positive way: the interest in positive reciprocity operating as a motivating force presupposes, in the majority of cases, a minimum degree of similarity of the positions and situations in which the parties to a treaty find themselves. An examination of the Charter provisions prohibiting the threat or use of force in inter-state relations serves to illustrate this point (pp. 140-145). Looking at substantive reciprocity from a different angle, the author proceeds to an analysis of the structural alternatives in which reciprocity may be present in the content of treaties (pp. 148-161). Here, the two pertinent questions are: What are the possible configurations of the tie between a contractual concession and its quid pro quo (pp.149-152)? Between which parties or groups of parties does the Operation of a multilateral treaty realize reciprocity and, consequently, does this element play its constructive röle (pp. 152-161)? The answer to the second question can be found in a theoretical classification scheme which is shown to be of considerable relevance to large and controversial areas

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Summary

of the law of treaties. According to this scheme, multilateral treaties bilateral in application are to be distinguished from multilateral agreements the performance of which inseparably affects the interests of all parties. The distinction thus elaborated leads us to the second basic category of treaties to be examined for their reciprocity elements: agreements which are not really applied between the parties at all but which oblige them to observe a certain behaviour intranationally (pp. 161-219). Treaties of that nature constitute the legal crystallization of a new fundamental function of internationallaw, of its gradual evolution into a law with a social and humanitarian content (pp. 161-176). According to the accepted view in contemporary international legal doctrine, the treaties concerned embody what is called "absolute" obligations, not subject to any considerations of reciprocity at all (pp 176181). The author of the present study subjects this theory to severe criticism. He endeavours to demoostrate with all the thoroughness and precision necessary that, on the normative level, the agreements under consideration set forth reciprocal rights and obligations in exactly the same way as their more traditional Counterparts, and that the only difference between the two categories lies in the fact that in the case of social or humanitarian conventions the mutual rights of the states parties are not accompanied by any material benefits accruing to them (pp. 182-194). This difference in function has, however, weighty consequences regarding the constellations of interest and the manlfestation of the socio-psychological reciprocity element operative behind the treaties (pp. 194-212): Whereas in the case of treaties regulating genuine inter-state relations the assumption and fulfillment of the contractual obligations evidently constitute the conditio sine qua non for the enjoyment of the advantages accruing from the other parties' performance, the realization in the domestic sphere of the conditions prescribed by agreements of the second category could be accomplished unilaterally as weil. The reason for the conclusion of social and humanitarian conventions despite that consideration must therefore lie in the interest of every party in every other party's keeping step by accepting identical obligations. Thus, the rights of the parties to such treaties correspond with their interest in mutual performance in exactly the same way as in the case of traditional agreements, and the anticipation of reciprocity at work behind the treaty provisions is, in consequence, as decisive here as it is there, although in a form which does not imply the synallagmatic interdependence of treaty performance (inadimplenti non est adimplendum) characteristic of its traditional Counterpart (pp. 205-212). The chapter concludes with an examination of certain social or humanitarian conventions, e.g. in

Summary

315

the field of international labour legislation, the performance of which, without taking place between the parties, has nevertheless the effect of an indirect interaction-a situation which assimilates the reciprocity element behind these treaties to the type to be found in connection with agreements of the first category (pp. 212-219). Thus far, the present study dealt with expectations of reciprocity that bad their starting-point in the content of a treaty. It now turns to an analysis of reciprocity "around" treaties, i.e. to the cases where the quid pro quo for some or all of the promises contained in a treaty text can be located outside the agreement concerned (pp. 220-272). So-called "interdependent treaties" constitute an interesting manifestation of reciprocity beyond the scope of one isolated agreement (pp. 223-238); in other, more numerous cases the extra-conventional quid pro quo is made up by unilateral legal acts or by mere political concessions lacking any juridical substance (pp. 238-251). As a rule, however, the stability of treaties which succeed in realizing a mutuality of advantages in their substance rests on firmer ground than the permanence of agreements whose obligations are only acceptable to one or some of their parties due to a more or less Iasting concession granted outside the treaty. Agreements of this later kind are prone to share the eventual depreciation of their ephemeral quid pro quo (pp. 252-260) -a process convincingly illustrated by a number of diplomatic "causes celebres" in which states decided to get rid of burdensome treaty obligations after a sufficient increase in their political bargaining power (pp. 260-265), incidentally following an almost identical pattern in their attempts at legal justification (pp. 266-269). In its final section, the study examines the attempts of a number of prominent international lawyers and political scientists (among them Georg Schwarzenberger, Wolfgang Friedmann, Stanley Hoffmann and Michel Virally) to divide, in accordance with certain sociological and functional criteria, the sum total of contemporary international law into various groups (pp. 273-288). Within the doctrinal di- or trichotomies thus established, one layer of internationallegal norms is regarded as developing and operating under the decisive influence of considerations of reciprocity, whereas the remaining parts of international law are said to be determined by different guiding principles, like power and solidarity. The socio-political analysis carriedout by the author Ieads, however, to the conclusion that such theoretical restrictions to the sphere of operation of our principle are wholly untenable (pp. 288-307). The element of reciprocity works as a constructive, mitigating and stabilizing force behind the totality of international law, irrespective of the political and ideological antagonisms that divide the contemporary world.

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